Die Stadt ohne Juden: Ein Roman von übermorgen

By Hugo Bettauer

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Title: Die Stadt ohne Juden
       Ein Roman von übermorgen

Author: Hugo Bettauer

Illustrator: Martha von Wagner-Schidrowitz

Release Date: March 13, 2011 [EBook #35569]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE STADT OHNE JUDEN ***




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  Die Stadt ohne Juden

  Ein Roman von übermorgen

  Von
  Hugo Bettauer

  Gloriette-Verlag, Wien




  Alle Rechte vorbehalten

  _Copyright by Gloriette-Verlag, Vienna 1922_


  Umschlag-Entwurf von Martha v. Wagner-Schidrowitz


  Dritte Auflage. 11.-15. Tausend




Erster Teil.


Von der Universität bis zur Bellaria umlagerte das schöne, ruhige und
vornehme Parlamentsgebäude eine einzige Menschenmauer. Ganz Wien schien
sich an diesem Junitag um die zehnte Vormittagsstunde versammelt zu
haben, um dort zu sein, wo sich ein historisches Ereignis von
unabsehbarer Tragweite abspielen sollte. Bürger und Arbeiter, Damen und
Frauen aus dem Volke, halbwüchsige Burschen und Greise, junge Mädchen,
kleine Kinder, Kranke in Rollwagen, alles quoll durcheinander, schrie,
politisierte und schwitzte. Und immer wieder fand sich ein Begeisterter,
der plötzlich an den Kreis um ihn herum eine Ansprache hielt und immer
wieder brauste der Ruf auf:

»Hinaus mit den Juden!«

Sonst pflegten bei ähnlichen Demonstrationen hier und dort Leute mit
gebogener Nase oder besonders schwarzem Haar weidlich verprügelt zu
werden; diesmal kam es zu keinem solchen Zwischenfall, denn Jüdisches
war weit und breit nicht zu sehen, und zudem hatten die Kaffeehäuser und
Bankgeschäfte am Franzens- und Schottenring, in weiser Erkenntnis aller
Möglichkeiten, ihre Pforten geschlossen und die Rollbalken herabgezogen.

Plötzlich zerriß ein einziges Aufbrüllen die Luft.

»Hoch Doktor Karl Schwertfeger, hoch, hoch, hoch! Hoch der Befreier
Oesterreichs!«

Ein offenes Auto fuhr langsam mitten durch die Menschenmassen hindurch,
die zurückdrängten und Bahn machten. Im Auto saß ein großer älterer
Herr, dessen mächtiger Schädel mit willkürlichen Büscheln weißer Haare
bedeckt war.

Er nahm den grauen, weichen Schlapphut ab, nickte der jubelnden
Menschenmenge zu und verzerrte das Gesicht zu einem Lächeln. Aber es war
ein saures Lächeln, das von den zwei Falten, die von den Mundwinkeln
abwärts liefen, gewissermaßen dementiert wurde. Und die tiefliegenden
grauen Augen blickten eher finster als vergnügt drein.

Lachende Mädchen drängten sich vor, schwangen sich auf das Trittbrett,
die eine warf dem Gefeierten Blumen zu, eine andere war noch dreister,
schlang ihren Arm um seinen Hals und küßte den Doktor Schwertfeger auf
die Wange. Als ob der Chauffeur ahnte, wie seinem Herrn bei solchen
Gefühlsausbrüchen zumute wurde, ließ er das Auto vorwärts springen, so
daß die Mädchen mit jähem Ruck nach rückwärts fielen. Sie taten sich
dabei nicht wehe, denn die Menschenmauer fing sie auf.

Im Parlamentsgebäude herrschte nicht die laute Begeisterung der Straße,
sondern fieberhafte Erregung, zu stark, um Ausdruck nach außen zu
finden. Die Abgeordneten, die sich bis zum letzten Mann eingefunden
hatten, die Minister, die Saaldiener gingen schweigend und unruhig
umher, sogar die überfüllten Galerien verhielten sich lautlos.

In der Journalistenloge, in der es sonst am ungeniertesten zuzugehen
pflegte, wurde nur im Flüsterton gesprochen. Und eine bemerkenswerte
räumliche Spaltung hatte sich eingestellt. Die kompakte jüdische
Majorität der Berichterstatter drängte ihre Stühle zusammen, die
Referenten der christlichsozialen und deutschnationalen Blätter bildeten
ihrerseits eine Gruppe. Sonst mischten sich die jüdischen und
christlichen Journalisten fröhlich durcheinander, im Berufskreis war man
nicht Parteigänger, sondern nur der Herr Kollege, und da die jüdischen
Journalisten gewöhnlich mehr Neuigkeiten wußten und sie besser verwerten
konnten, standen die antisemitischen zu ihnen in einem starken
Abhängigkeitsverhältnis. Heute aber flogen hämische Blicke von der
christlichen Ecke in die jüdische, und als der kleine Karpeles von der
»Weltpost«, der eben erst eingetreten war, den Doktor Wiesel von der
»Wehr« mit »Servus Herr Kollege!« begrüßte, wandte ihm dieser ohne
Erwiderung den Rücken.

Es drängten immer noch Journalisten herein, darunter Vertreter
ausländischer Zeitungen, die heute in Wien angekommen waren.

»Nicht rühren kann man sich«, brummte der Herglotz vom christlichen
»Tag«, worauf ihm ein Kollege mit kleinem, bärtigem Kopf und mächtigem
Bierbauch erwiderte:

»Na, ein paar Tage noch und wir werden hier Platz genug haben!«

Hüsteln, Lächeln, Lachen auf der einen Seite, gegenseitige
bedeutungsvolle Blicke auf der anderen.

Ein junger blonder Herr mit roten Backen machte nach links und rechts
eine leichte Verbeugung.

»Holborn vom »London Telegraph«! Bin eben vor einer Stunde angekommen
und kenne mich wahrhaftig nicht aus. Vorgestern kam ich aus Sidney nach
halbjähriger Abwesenheit in London an, eine Stunde später saß ich wieder
im Zug, um nach Wien zu fahren. Unser Managing-Editor, das Kamel, hat
mir nichts gesagt, als: In Wien wird es jetzt lustig, da schmeißen sie
die Juden hinaus! Fahren Sie hin und berichten Sie, daß das Kabel reißt!
Also bitte, wäre sehr nett von Ihnen, wenn Sie mich rasch instruieren
wollten.«

Das alles war in so drolligem Englisch-deutsch herausgekommen, daß sich
die Spannung ein wenig löste. Minkus vom »Tagesboten« bemächtigte sich,
heftig gestikulierend, des englischen Kollegen und begann mit den
Worten:

»Also, ich werde Ihnen alles genau erklären --.« Aber Doktor Wiesel ließ
ihn nicht weitersprechen. »Sie verzeihen, aber diese Aufklärung wird
besser von =uns= ausgehen.«

Tonfall drohend, das »uns« bedeutungsvoll unterstrichen.

Und schon befand sich Holborn in der christlichen Ecke, wo Wiesel kurz
und sachlich erklärte:

»Was geschehen soll, werden Sie sofort aus dem Munde unseres
Bundeskanzlers Dr. Karl Schwertfeger erfahren, der das Gesetz zur
Ausweisung aller Nichtarier aus Oesterreich eingehend begründen wird.
Die Vorgeschichte ist, kurz gesagt, folgende: Als die österreichische
Krone auf den Wert eines fünfzigstel Centimes herabgesunken war, begann
das Chaos einzutreten. Ein Ministerium nach dem anderen mußte gehen, es
entstanden Unruhen, täglich kam es zu Plünderungen der Geschäfte, zu
Pogroms, die Wut und Verzweiflung der Bevölkerung kannte keine Grenzen
mehr und schließlich mußte zu Neuwahlen geschritten werden. Die
Sozialdemokraten traten ohne neues Programm in den Wahlkampf, die
Christlichsozialen hingegen scharten sich um ihren geistvollen Führer
Dr. Karl Schwertfeger, dessen Losungswort lautete: Hinaus mit den Juden
aus Oesterreich! Nun, vielleicht ist es Ihnen bekannt,« -- Holborn
nickte, obwohl er keine Ahnung hatte -- »daß die Wahlen den völligen
Zusammenbruch der Sozialdemokraten, Kommunisten und Liberalen brachten.
Selbst die Arbeitermassen wählten unter der Parole »Hinaus mit den
Juden!«, und die sozialistische Partei, vordem relativ die stärkste,
konnte knapp elf Mandate retten. Die Großdeutschen aber, die gut
abschnitten, hatten sich ebenfalls auf das »Hinaus mit den Juden!«
eingestellt.

Nun, der Genialität des Doktor Schwertfeger, seiner unerschrockenen
Energie, seiner kühnen Impetuosität und Beredsamkeit gelang es, dem
Völkerbund, der vor die Alternative Anschluß Oesterreichs an Deutschland
oder Gewährenlassen gestellt war, die Zustimmung zur großen
Judenausweisung abzuringen. Und jetzt wird Schwertfeger selbst das
Gesetz einbringen, das sicher angenommen werden wird. Sie sind also
Zeuge eines historischen --.«

»Pst!«-Rufe wurden laut. Wiesel konnte nicht weiterreden, denn der
Präsident des Hauses, ein Tiroler mit rötlichem Vollbart, schwang die
Glocke und erteilte dem Bundeskanzler das Wort.

Grabesstille, in die das Surren der Ventilatoren unheimlich klang. Das
leiseste Räuspern, das Rascheln der Papiere in der Journalistenloge
wurde gehört und empfunden.

Uebergroß, trotz des vorgebeugten Schädels und gewölbten Rückens, stand
der Bundeskanzler auf der Rednertribüne, die Hände, zu Fäusten geballt,
stützten sich auf das Pult, unter den grauen, buschigen Brauen
glitzerten die scharfen Augen über den Saal hinweg. So stand er
bewegungslos, bis er plötzlich den Schädel ins Genick warf und mit
seiner mächtigen Stimme, die sich in den turbulentesten Versammlungen
immer hatte Gehör erzwingen können, begann.

»Verehrte Damen und Herren! Ich lege Ihnen jenes Gesetz und jene
Aenderungen unserer Bundesverfassung vor, die gemeinsam nichts weniger
bezwecken, als die Ausweisung der nichtarischen, deutlicher gesagt, der
jüdischen Bevölkerung aus Oesterreich. Bevor ich das tue, möchte ich
aber einige rein persönliche Bemerkungen machen.

Seit fünf Jahren bin ich der Führer der christlichsozialen Partei, seit
einem Jahr durch den Willen der überwiegenden Mehrheit dieses Hauses
Bundeskanzler. Und durch diese fünf Jahre hindurch haben mich die
sogenannten liberalen Blätter wie die sozialdemokratischen, mit einem
Wort alle von Juden geschriebenen Zeitungen, als eine Art Popanz
dargestellt, als einen wütenden Judenfeind, als einen fanatischen Hasser
des Judentums und der Juden. Nun, gerade heute, wo die Macht dieser
Presse ihrem unwiderruflichen Ende entgegengeht, drängt es mich, zu
erklären, daß das alles nicht so ist. Ja, ich habe den Mut, heute von
dieser Tribüne aus zu sagen, daß ich viel eher Judenfreund als
Judenfeind bin!«

Ein Murmeln und Surren ging durch den Saal, als flöge eine Schar Vögel
aus dem Felde auf.

»Ja, meine Damen und Herren, ich bin ein Schätzer der Juden, ich habe,
als ich noch nicht den heißen Boden der Politik betreten, jüdische
Freunde gehabt, ich saß einst in den Hörsälen unserer _Alma mater_ zu
Füßen jüdischer Lehrer, die ich verehrte und noch immer verehre, ich bin
jederzeit bereit, die autochthonen jüdischen Tugenden, ihre
außerordentliche Intelligenz, ihr Streben nach aufwärts, ihren
vorbildlichen Familiensinn, ihre Internationalität, ihre Fähigkeit, sich
jedem Milieu anzupassen, anzuerkennen, ja zu bewundern!«

»Hört! Hört!«-Rufe wurden laut, sensationelle Spannung bemächtigte sich
der Abgeordneten und des Auditoriums, und der englische Journalist
Holborn, der nicht alles verstanden hatte, fragte interessiert den
Doktor Wiesel, ob der Mann da unten der Vertreter der Judenschaft sei.

Der Kanzler fuhr fort.

»Trotzdem, ja gerade deshalb wuchs im Laufe der Jahre in mir immer mehr
und stärker die Ueberzeugung, daß wir Nichtjuden nicht länger mit, unter
und neben den Juden leben können, daß es entweder Biegen oder Brechen
heißt, daß wir entweder uns, unsere christliche Art, unser Wesen und
Sein oder aber die Juden aufgeben müssen. Verehrtes Haus! Die Sache ist
einfach die, daß wir österreichische Arier den Juden nicht gewachsen
sind, daß wir von einer kleinen Minderheit beherrscht, unterdrückt,
vergewaltigt werden, weil eben diese Minderheit Eigenschaften besitzt,
die uns fehlen! Die Romanen, die Angelsachsen, der Yankee, ja sogar der
Norddeutsche wie der Schwabe -- sie alle können die Juden verdauen, weil
sie an Agilität, Zähigkeit, Geschäftssinn und Energie den Juden
gleichen, oft sie sogar übertreffen. Wir aber können sie nicht verdauen,
uns bleiben sie Fremdkörper, die unsern Leib überwuchern und uns
schließlich versklaven. Unser Volk kommt zum überwiegenden Teil aus den
Bergen, unser Volk ist ein naives, treuherziges Volk, verträumt,
verspielt, unfruchtbaren Idealen nachhängend, der Musik und stiller
Naturbetrachtung ergeben, fromm und bieder, gut und sinnig! Das sind
schöne, wunderbare Eigenschaften, aus denen eine herrliche Kultur, eine
wunderbare Lebensform sprießen kann, wenn man sie gewähren und sich
entwickeln läßt. Aber die Juden unter uns duldeten diese stille
Entwicklung nicht. Mit ihrer unheimlichen Verstandesschärfe, ihrem von
Tradition losgelösten Weltsinn, ihrer katzenartigen Geschmeidigkeit,
ihrer blitzschnellen Auffassung, ihren durch jahrtausendelange
Unterdrückung geschärften Fähigkeiten haben sie uns überwältigt, sind
unsere Herren geworden, haben das ganze wirtschaftliche, geistige und
kulturelle Leben unter ihre Macht bekommen.«

Brausende »Bravo!«-Rufe; »Sehr richtig!« »So ist es!«

Doktor Schwertfeger führte mit der knochigen Rechten das Glas zu den
dünnen Lippen und sein halb spöttischer, halb befriedigter Blick kreiste
im Saal.

»Sehen wir dieses kleine Oesterreich von heute an. Wer hat die Presse
und damit die öffentliche Meinung in der Hand? Der Jude! Wer hat seit
dem unheilvollen Jahre 1914 Milliarden auf Milliarden gehäuft? Der Jude!
Wer kontrolliert den ungeheuren Banknotenumlauf, sitzt an den leitenden
Stellen in den Großbanken, wer steht an der Spitze fast sämtlicher
Industrieen? Der Jude! Wer besitzt unsere Theater? Der Jude! Wer
schreibt die Stücke, die aufgeführt werden? Der Jude! Wer fährt im
Automobil, wer praßt in den Nachtlokalen, wer füllt die Kaffeehäuser,
wer die vornehmen Restaurants, wer behängt sich und seine Frau mit
Juwelen und Perlen? Der Jude!

Verehrte Anwesende! Ich habe gesagt, daß ich den Juden, an sich und
objektiv betrachtet, für ein wertvolles Individuum halte und ich bleibe
dabei. Aber ist nicht auch der Rosenkäfer mit seinen schimmernden
Flügeln ein an sich schönes, wertvolles Geschöpf und wird er von dem
sorgsamen Gärtner nicht trotzdem vertilgt, weil ihm die Rose näher steht
als der Käfer? Ist nicht der Tiger ein herrliches Tier, voll von Kraft,
Mut und Intelligenz? Und wird er nicht doch gejagt und verfolgt, weil es
der Kampf um das eigene Leben erfordert? Von diesem und nur von diesem
Standpunkt kann bei uns die Judenfrage betrachtet werden. Entweder wir
oder die Juden! Entweder wir, die wir neun Zehntel der Bevölkerung
ausmachen, müssen zugrunde gehen oder die Juden müssen verschwinden! Und
da wir jetzt endlich die Macht in den Händen haben, wären wir Toren,
nein, Verbrecher an uns und unseren Kindern, wenn wir von dieser Macht
nicht Gebrauch machen und die kleine Minderheit, die uns vernichtet,
nicht vertreiben wollten. Hier handelt es sich nicht um Schlagworte und
Phrasen, wie Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Toleranz, sondern um unsere
Existenz, unser Leben, das Leben der kommenden Generationen! Die letzten
Jahre haben unser Elend vertausendfacht, wir stehen mitten im vollen
Staatsbankrott, wir gehen der Auflösung entgegen, ein paar Jahre noch
und unsere Nachbarn werden unter dem Vorwand, bei uns Ordnung schaffen
zu müssen, über uns herfallen und unser kleines Land auf Stücke
zerreißen -- unberührt von allen Geschehnissen aber werden die Juden
blühen, gedeihen, die Situation beherrschen und, da sie ja nie Deutsche
im Herzen und im Blut waren, unter den geänderten Verhältnissen Herren
bleiben, wenn wir Sklaven sind!«

Das ganze Haus geriet jetzt in furchtbare Aufregung. Wilde Rufe wurden
ausgestoßen. »Das darf nicht sein! Retten wir uns und unsere Kinder!«
Und als Echo klang es von der Straße her aus zehntausend Kehlen: »Hinaus
mit den Juden!«

Doktor Schwertfeger ließ die Erregung auslaufen, nahm von den
Ministerkollegen Händedrücke entgegen und sprach dann über die
Durchführung des Gesetzes. Gemäß den Forderungen der Menschlichkeit und
den Bedingungen des Völkerbundes würde mit größter Milde und
Gerechtigkeit vorgegangen werden. Jeder habe das Recht, sein Vermögen
mitzunehmen, soweit es aus Bargeld und Wertpapieren oder Juwelen
bestehe, Immobilien zu veräußern, sein Geschäft freihändig zu verkaufen.
Unternehmungen, die nicht veräußerlich seien, würden vom Staat
übernommen werden, und zwar derart, daß nach dem Steuerbekenntnis des
letzten Jahres der Reinertrag fünfprozentig kapitalisiert werden würde.
Hätte also zum Beispiel ein Unternehmen im vergangenen Jahr eine halbe
Million Reinertrag aufgewiesen, so würde es mit zehn Millionen abgelöst
werden. Ein boshaftes Lächeln kräuselte die Lippen des Kanzlers.

»Natürlich sind sowohl bei diesen Ablösungen als auch bei der Erlaubnis
zur Mitnahme von Bargeld lediglich die Steuerbekenntnisse maßgebend. Hat
sich jemand als Vermögensloser bekannt, so darf er kein Geld ausführen,
besitzt er trotzdem Vermögen, so wird dieses natürlich konfisziert. Hat
jemand den Reinertrag seines Geschäftes mit einer halben Million
beziffert, so darf er zehn Millionen mitnehmen, auch wenn sich
herausstellen sollte, daß sein wirkliches Einkommen zehnmal so groß war.
Auf diese Art wird sich manche Sünde bitter rächen --«, bemerkte der
Redner unter schallender Heiterkeit der Anwesenden. Er fuhr dann fort:

»Festbesoldete und geistige Arbeiter, die tatsächlich vermögenslos sind,
wie zum Beispiel Aerzte, erhalten vom Staat den Betrag zur Fortreise,
den sie als Jahreseinkommen versteuert hatten. Gab also ein Arzt sein
Einkommen mit dreihunderttausend an, so erhält er diese Summe. Um jede
anderweitige Steuerflucht zu verhüten, enthält das Gesetz die
drakonische Bestimmung, daß der Versuch, größere als erlaubte Summen
fortzuschleppen, mit dem Tode zu bestrafen sei. Ebenso ist die
Todesstrafe über die Juden oder Judenstämmlinge verhängt, die den
Versuch machen, sich auch weiterhin heimlich in Oesterreich aufzuhalten.

Das Gesetz soll in folgender Weise durchgeführt werden:

»Nichtprotokollierte Kaufleute, Händler und sogenannte Agenten müssen
innerhalb dreier Monate nach Annahme des Gesetzes die Grenzen verlassen,
protokollierte Firmeninhaber, Angestellte, Beamte und manuelle Arbeiter
innerhalb von vier Monaten, Künstler, Gelehrte, Aerzte, Rechtsanwälte
und so weiter innerhalb von fünf Monaten. Direktoren von
Aktienunternehmungen, Banken und Industrien, die im letzten Jahre ein
Einkommen von mehr als sechs Millionen versteuert haben, ist eine Frist
von einem halben Jahr gegeben.«

Und nun komme ich zu einem wichtigen Punkt, dem ich die volle
Aufmerksamkeit zu schenken bitte. Wie Sie wissen, bezieht sich das
Ausweisungsgesetz nicht nur auf Juden und getaufte Juden, sondern auch
auf Judenstämmlinge. Als Judenstämmling gelten die Kinder aus Mischehen.
Hat also zum Beispiel eine Christin rein deutscharischer Abstammung
einen Juden geheiratet, so trifft die Ausweisung ihn und die Kinder aus
dieser Ehe, während es der Frau unbenommen bleibt, in Oesterreich zu
verweilen. Nach reiflicher Ueberlegung hat die Regierung beschlossen,
die Kindeskinder aus Mischehen nicht mehr als Judenstämmlinge, sondern
als Arier zu betrachten. Hat also ein Christ eine Jüdin geheiratet, so
werden wohl die Kinder ausgewiesen, die Kindeskinder aber,
vorausgesetzt, daß die Eltern sich nicht wieder mit Juden gemischt
haben, können im Lande bleiben. Dies ist aber auch die absolut einzige
Konzession, die das Gesetz macht. Andere Ausnahmen sind nicht zulässig.
Von vielen Seiten wurde uns nahegelegt, gewisse Ausnahmen gelten zu
lassen. So sollte das Gesetz Leute über ein gewisses Alter hinaus,
Kranke, Schwächliche und solche Juden, die besondere Verdienste um den
Staat haben, nicht treffen.

Meine Damen und Herren! Hätte ich diesen Ratgebern nachgegeben, so würde
das ganze Gesetz zur Posse geworden sein. Das jüdische Geld, jüdischer
Einfluß hätten Tag und Nacht gearbeitet, zehntausende von Ausnahmsfällen
würden konstruiert werden und in fünfzig Jahren wären wir genau so weit
wie heute. Nein, es gibt keine Ausnahme, es gibt keine Protektion, es
gibt kein Mitleid und kein Augenzudrücken! Für Hinfällige und Kranke
wird die Regierung prachtvolle Spitalzüge zur Verfügung stellen, und nur
solche Juden, die nach gerichtsärztlichem Gutachten absolut nicht
transportfähig sind, werden hier ihre Genesung oder ihren Tod abwarten
dürfen.«

Doktor Schwertfeger verbeugte sich leicht und ließ sich schwerfällig auf
seinem Sitz nieder. Die Wirkung seiner letzten Eröffnung war aber ganz
eigenartig gewesen. Nur vereinzelte Bravo-Rufe waren laut geworden, eine
gewisse Beklommenheit machte sich fast körperlich fühlbar, auf vielen
Gesichtern malte sich deutlich Schrecken und Angst, auf der Galerie
entstand Unruhe, eine Frau fiel mit dem Ruf: »Meine Kinder!« ohnmächtig
zusammen, und als der Kanzler geendet, erdröhnte zwar starker Beifall,
aber die kleine Gruppe der Sozialdemokraten schrie unisono »Unerhört!
Pfui! Skandal!«

Und nun erteilte der Präsident mit dem roten Bart dem Finanzminister
Professor Trumm das Wort. Trumm war klein, verhuzelt wie eine
halbgedörrte Pflaume, er sprach im Diskant und mußte sich jedesmal
unterbrechen, wenn seine Zunge zwischen dem Gaumen und dem oberen Rand
des falschen Gebisses stecken blieb. Unter großer Spannung erörterte er
die finanzielle Seite des Ausweisungsgesetzes. Natürlich würde die
Ablösung der jüdischen Geschäfte und Immobilien nicht nur das
christliche Privatkapital, sondern auch die Mittel des Staates stark in
Anspruch nehmen. Hunderte von Milliarden Kronen würden kaum ausreichen,
und man dürfe sich nicht verhehlen, daß die Ausweisung der Juden
zunächst allerlei finanzielle Schwierigkeiten im Gefolge haben werde.

»Aber, gottlob,« -- der Finanzminister bekreuzigte sich -- »wir werden
in den kommenden schweren Tagen nicht allein stehen! Ich kann dem hohen
Hause die erfreuliche Mitteilung machen, daß sich das echte wahre
Christentum der ganzen Welt gesammelt hat, um uns zu helfen. Nicht nur,
daß die österreichische Regierung seit Monaten internationale
Verhandlungen führt, auch der Piusverein hat in aller Stille eine
mächtige Agitation entfaltet, die glänzende Früchte trägt. Der Verband
des erwachten Christentums der skandinavischen Länder, dem viele große
Bankiers und Kaufleute angehören, stellt uns einen gewaltigen Kredit in
dänischer, schwedischer und norwegischer Valuta zur Verfügung, der
amerikanische Industriekönig Jonathan Huxtable, einer der reichsten
Männer der Welt und ein begeisterter Streiter in Christo, hat sich
bereit erklärt, zwanzig Millionen Dollars in Oesterreich anzulegen, der
französische Christenbund macht hundert Millionen Francs mobil --
kurzum, es werden Milliarden Kronen ins Ausland wandern müssen und dafür
Milliarden in Gold einströmen!«

Riesige Begeisterung im ganzen Hause. Einige Dutzend Abgeordnete
verließen fluchtartig den Sitzungssaal und stürmten die Telephone, um
ihren Banken Verkaufsorders für fremde Valuten zu geben. Die
Hauszentrale konnte das stürmische Begehren nach Verbindungen mit
»Karpeles & Co.«, »Veilchenfeld & Sohn«, »Rosenstrauch & Butterfaß«,
»Kohn, Cohn & Kohen« und wie alle die großen Bankhäuser hießen, kaum
bewältigen. Während aber der Finanzminister, der eine volle Minute
gebraucht hatte, um seine eingeklemmte Zunge zu befreien, fortfuhr,
erzählte der Engländer Holborn in der Journalistenloge grinsend:

»Jonathan Huxtable ist ein frommer Kerl! Er spuckt Gift und Galle gegen
die Juden, seitdem ihm seine Frau mit einem jüdischen Preisboxer
durchgegangen ist. Er ist ein strenger Temperenzler, aber er besauft
sich jeden Tag mit Magentropfen, die er aus der Apotheke bezieht. Einmal
hat man gesehen, wie er eine ganze Flasche Eau de Cologne auf einen Zug
austrank. Und wenn er hier zwanzig Millionen investieren wird, will er
sicher fünfzig daran verdienen.«

Doktor Wiesel schnitt ein abweisendes Gesicht, während die jüdischen
Journalisten sich rasch Notizen machten, um letzte Bosheiten zu
publizieren.

Die Pro- und Kontra-Redner meldeten sich zum Wort. Die Sozialdemokraten
sprachen gegen das Gesetz. Als aber ihr Führer Weitherz in ruhigen und
sachlichen Worten seiner Entrüstung Ausdruck gab und den Gesetzentwurf
als ein Dokument menschlicher Schmach bezeichnete, entstand ein
furchtbarer Tumult, die Galerie warf mit Schlüsseln und Papierknäueln
nach den Sozialdemokraten, es kam zu einer Prügelei und die kleine
Opposition verließ unter Protest den Saal. Der christlichsoziale
Abgeordnete Pfarrer Zweibacher pries Doktor Schwertfeger als modernen
Apostel, der würdig sei, dereinst heilig gesprochen zu werden, die
großdeutschen Abgeordneten Wondratschek und Jiratschek aber beleuchteten
das Gesetz lediglich vom Rassenstandpunkt, und Jiratschek, der stark mit
böhmischem Akzent sprach, schluchzte vor Ergriffenheit und schloß mit
den Worten:

»Wotan weilt unter uns!«

Als letzter Redner ergriff unter Hepp! Hepp!-Rufen und höhnischem
Aih-Wai!-Geschrei der einzige zionistische Abgeordnete, Ingenieur Minkus
Wassertrilling, das Wort. Der schlanke, große und hübsche junge Mann
wartete mit verschränkten Armen ab, bis Ruhe eintrat, dann sagte er:

»Verehrte Jünger jenes Juden, der sich, um die Menschheit zu erlösen,
törichterweise ans Kreuz hatte schlagen lassen!«

Stürmische Unterbrechung: »Hinaus mit den Juden!«

»Jawohl, meine Herren, ich stimme mit Ihnen in den Ruf: »Hinaus mit den
Juden!« ein und werde mit freudigem Herzen dem Gesetz meine Stimme
geben. Wir Zionisten begrüßen dieses Gesetz, das ganz unseren Zielen und
Tendenzen entspricht. Von der halben Million Juden, die das Gesetz
trifft, wird sich wohl die Hälfte unter dem zionistischen Banner
vereinigen, die anderen werden, wie ich weiß, in Frankreich und England,
in Italien und Amerika, in Spanien und den Balkanländern willig Aufnahme
finden. Mir ist um das Schicksal meines Volkes nicht bange, zum Segen
wird das werden, was hier gehässige Bosheit und Dummheit als Fluch
gedacht hat.«

Der Tumult, der sich erhob, verschlang die weiteren Worte und
schließlich wurde auch der Zionist aus dem Saal gedrängt.

So ergab denn die Abstimmung, die namentlich erfolgte, die einstimmige
Annahme des Gesetzes, das noch am selben Tag durch den Ausschuß und die
zweite und dritte Lesung gepeitscht wurde.

Als die Abgeordneten spät abends endlich das Haus verlassen konnten,
sahen sie ein festlich beleuchtetes Wien. Von allen öffentlichen
Gebäuden wehten die weiß-roten Fahnen, Feuerwerke wurden abgebrannt, bis
lange nach Mitternacht dauerten die Umzüge der Menschenmassen, die immer
vor das Kanzlerpalais marschierten, um Doktor Schwertfeger hoch leben zu
lassen und als Befreier Oesterreichs zu preisen -- -- --

                   *       *       *       *       *

Als der Nationalrat, Gemeinderat, Armenrat und Gewerberat Antonius
Schneuzel am nächsten Vormittag -- es war ein Sonntag -- infolge der
endlosen Siegesfeier arg verkatert am häuslichen Frühstückstisch
erschien, fand er eine recht unbehagliche Stimmung vor. Seine Gattin
hatte eine nadelspitze Nase, was auf Sturm deutete, seine Tochter, Frau
Corroni, saß mit verquollenen Augen da, ihr Gatte, der Prokurist Alois
Corroni, lächelte den Schwiegervater impertinent und verächtlich an, und
die beiden Enkelkinder Lintschi und Hansl stießen ein furchtbares Geheul
aus, als Herr Schneuzel seine kleinen Aeuglein verwirrt und ängstlich um
den Tisch kreisen ließ.

»Ja, was is denn da los?«

Frau Schneuzel stemmte die Arme in die Seite.

»Was los is, du Fallot, du? Gar nichts is los, als daß du alter Tepp
geholfen hast, deine Tochter und die Enkelkinder aus dem Land zu
treiben!«

»Ja, wieso denn?« stammelte Herr Schneuzel, aber schon dämmerte ihm
grauenhafte Wahrheit. Richtig, er hatte im Laufe der Jahrzehnte total
vergessen, daß sein Schwiegersohn, Herr Alois Corroni, in frühester
Jugend Sami Cohn geheißen und erst stehend und aufrecht die Taufe
empfangen. Also mußte er ja hinaus und mit ihm die beiden Kinder, die
Judenstämmlinge waren!

»So eine Gemeinheit,« schluchzte Frau Corroni in ihr Taschentuch hinein,
»was soll ich jetzt mit den Kindern anfangen? Nach Zion auswandern
vielleicht, du Rabenvater, du?«

»Jawohl, es ist ein starkes Stückchen,« erklärte nun Herr Corroni mit
scharfer Betonung jedes Wortes, »einen Mann wie ich, der behaupten darf,
mindestens ein ebenso guter Christ zu sein als tausend andere, die den
ganzen Tag im Wirtshaus herumsitzen, einen Mann wie ich, dessen Kinder
im christlichen Glauben groß geworden sind, aus dem Lande zu jagen wie
einen tollen Hund!«

Herr Schneuzel wollte eine Erwiderung machen und murmelte etwas von
großer, heiliger Sache, Prinzipien, die auf Einzelfälle keine Rücksicht
nehmen können. Aber schon saß die Hand der Gattin in seinen spärlichen
Haaren und ließ nicht locker, bevor sie sich mit einem ganzen Büschel
des immer rarer werdenden Gewächses zurückziehen konnte.

»Viecher seids Ihr alle zusammen! Gestohlen könnts Ihr mir werden mit
eurem Christentum! Hat der Loisl unser Annerl nicht immer gut behandelt?
Hat sie nicht einen Bisampelz von ihm bekommen, läßt er die Kinder nicht
aufwachsen wie die Prinzen? Dem lieben Gott sollst du danken, daß sie
einen Juden bekommen hat und nicht einen Kerl, wie dich, einen
Saufbruder und Skandalmacher!«

»I geh' net nach Zion«, heulte Lintscherl, während Hans die Gelegenheit
benützte, von Großvaters Teller weg den Sonntagsgugelhupf zu grapsen.

Im Moment höchster Aufregung kam die Köchin Pepi herein, räumte resolut
den Tisch ab und erklärte seelenruhig:

»I geh'! I heirat' mein' Isidor, der was Kommis im Konsumverein is, und
wann er auswandern muß, wander' i mit ihm aus! Von mir aus können sich
die Herrn Nationenräte mitsamt dem Kränzler alle zusammen aufhängen.«

Nachdem sich die Aufregung gelegt, erörterte Herr Corroni sachlich die
Situation.

»Ich denke natürlich gar nicht daran, nach Palästina auszuwandern, schon
deshalb nicht, weil man mich als getauften Juden gar nicht hineinließe.
Nein, ich habe einen Bruder in Hamburg, den Onkel Eduard, wie Ihr wißt,
und wenn er auch eben meiner Taufe halber bös mit mir ist, so wird er
mich jetzt nicht im Stich lassen -- Juden haben ja, gottlob,
Familiensinn« -- diese Worte begleitete ein stechender Blick gegen
Schneuzel -- »und ich werde eben dort für mich und meine Familie eine
neue Zukunft aufbauen. Es sei denn, daß Annerl lieber bei euch bleiben
will«.

Worauf Frau Anna, müde und verblüht, wie man es nach fünfzehnjähriger
Ehe zu sein pflegt, rosige Wangen bekam, ihre Arme zärtlich um den Hals
des Alois Corroni, rekte Sami Cohn, schlang, ihn küßte wie eine Braut
ihren Bräutigam und wirklich wie ein junges Mädchen aussah. Und
schließlich mußte sich Herr Schneuzel völlig verstört und verzweifelt
verpflichten, dem Schwiegersohn so gewissermaßen als Fundament für die
neue Zukunft eine Million mit nach Hamburg zu geben.

Nachmittags ging der National-, Gemeinde- und Armenrat Schneuzel allein
zum Heurigen nach Sievering, fing dort mit einer Gesellschaft, die noch
immer »Hinaus mit den Juden!« schrie, Streit an, zerbrach seine Flasche
an dem Schädel des einen Schreiers und wurde furchtbar verprügelt.

                   *       *       *       *       *

Gespräch in einer Fensternische des Kaffee Wögerer, gegenüber der Börse,
zwischen Herrn Strauß, Inhaber eines Bankhauses, und seinem Neffen, dem
Mediziner Siegfried Steiner. Solche und ähnliche Gespräche fanden aber
an allen Tischen statt, es wurde an diesem Tage nicht lärmend, sondern
fast lautlos mit Zuhilfenahme der Hände geredet.

Der Neffe schüttelte dem Onkel die Hand.

»Lieber Onkel, ich danke dir dafür, daß du mich mit nach London nehmen
wirst. Das ist ein großer Trost für mich, denn unter uns gesagt -- Zion
-- ne, ist nichts für mich! Nur Juden, nicht auszudenken!«

Der Onkel lächelte behaglich. »Zion kann mir gestohlen werden. In London
werde ich mich mit meinem alten Freunde Moe Seegward, der dort eine
Wechselstube in bester Lage hat, associieren.«

Siegfried Steiner beugte sich vor und flüsterte:

»Aber sag' mir eines, Onkel, du hast doch sicher nicht der Steuerbehörde
dein wirkliches Vermögen und Einkommen angegeben. Wie wirst du nun dein
Geld herüberkriegen, da doch seit gestern Briefzensur eingeführt ist?«

Der Onkel ließ die Zigarrenasche auf seine Weste fallen.

»Chammer! Wozu hat man christliche Freunde? Ich war heute schon bei dem
Fabrikanten Schuster, habe ihm, unter uns gesagt, zwanzig Millionen in
Effekten und Bargeld gebracht und dafür von ihm eine Anweisung auf eine
Londoner Bank bekommen. Natürlich tut es der Ganef nicht umsonst,
sondern er verdient eine koschere Million dabei.«

Der Neffe nickt befriedigt und an dreißig anderen Tischen endigten
verschiedene Gespräche ebenfalls mit einem zufriedenen Nicken.

Ein alter Hebräer mit Kaftan und Lockerln kam herein und sagte von Tisch
zu Tisch sein Sprüchlein auf: »Ein Almosen für einen alten Juden, der
beim Pogrom in Lemberg um Hab und Gut gekommen ist.«

Von einem Tisch wurde er angerufen: »Na, Alter, wohin werden Sie
auswandern?«

Der Jude wackelte mit dem Kopf. »Herrleben, wenn ich aus dem brennenden
Ghetto von Lemberg nach Wien gekommen bin, wer' ich auch aus Wien wieder
irgendwohin kommen. Ob ich schnorr' in Wien oder in Berlin oder Paris,
ist gleichgültig. Nur wer' ich dann nichts erzählen mehr vom Pogrom,
sondern davon, daß man hat mich alten Juden ausgewiesen. Aber sagen Sie,
Herrleben, glauben Sie, man soll noch kaufen vor Torschluß Julisüd oder
is besser Siemens?«

                   *       *       *       *       *

In der Villa des Schriftstellers Herbert Villoner in Alt-Aussee war der
Freundeskreis versammelt. Literaten von bekanntem Namen, Maler,
Bildhauer, Musiker, Verleger. Sonst pflegten sie erst im Hochsommer die
Sommerfrische aufzusuchen, diesmal hatten sie schon im Juni die
Stadtflucht ergriffen, um von den politischen Schmutzwellen wenigstens
nicht unmittelbar bespritzt zu werden.

Es war nach dem Abendessen, man saß in Korbstühlen auf der Terrasse,
blickte auf den lieblichen See, in dem sich der Mond spiegelte, der
Rauch der Zigaretten kräuselte in der unbeweglichen Luft empor, jeder
war in seine Gedanken versunken. Villoner unterbrach das tiefe
Schweigen.

»So ist denn kein Zweifel mehr, daß die meisten von uns zum letztenmal
den Sommer in Aussee verbringen werden und daß wir wie vagabundierende
Strolche den Staub von unseren Stiefeln werden schütteln und in die
Fremde gehen müssen. Wie seltsam! Mein Vater, ein berühmter Kliniker,
der nicht wenig zum Ruhm der Wiener medizinischen Schule beitrug, mein
Großvater, schon ein erbangesessener Kaufmann vom Mariahilfer Grund und
ich selbst -- -- Nun, man behauptet, daß ich in meinen Dramen und
Romanen das Wiener Wesen tief erfaßt und wie kein anderer die Wiener
Jugend, das süße Mädel erkannt und geschildert habe. Und nun ist das
alles nichts gewesen, ich bin einfach ein fremder Jude, der hinaus muß
wie irgend ein galizischer Flüchtling, den eine Spekulationswelle nach
Wien verschlagen!«

»Immerhin,« sagte der junge Lyriker Max Seider leise mit zitternder
Stimme, »immerhin, Sie werden auch fern von der undankbaren Heimat sich
wohl fühlen können. Berlin wird Sie mit offenen Armen aufnehmen, schon
sind dort unter den Intellektuellen besondere Ehrungen für Sie geplant,
und Sie sind so reif und stark, daß Sie mächtige Zweige werden treiben
können, wo immer Sie sind. Aber was soll ich tun? Ich bin erst am
Anfang, und ich kann nur leben und arbeiten, wenn ich durch das grüne
Gelände des Wienerwaldes schlendere, wenn ich als Wegweiser die
zierliche Silhouette des Kahlenberges vor mir sehe. Aus Ihnen strömt des
Lebens Quelle in unerschöpflichem Maß, ich muß um jede Zeile, um jeden
Vers mit mir ringen und kämpfen und das kann ich nur in Wien.«

»Ach was,« schrie der Komponist Wallner ergrimmt, »der Teufel soll
dieses Wien mit seiner vertrottelten Bevölkerung holen! Ich geh' nach
Süddeutschland, miete mir ein Häuschen im Schwarzwald und werde dort mit
meiner Lene herrlich leben. Was, Schatz?«

Seine blonde junge Frau ließ es ruhig geschehen, daß der Gatte ihr
Madonnenköpfchen an seine Schulter zog, aber ein boshaftes Lächeln
huschte über den üppigen Mund und ihre Blicke kreuzten sich
verständnisvoll mit denen des Schriftstellers Walter Haberer. Diesem
schwellte Triumph die Brust. Er wußte, die Frau des Komponisten blieb
hier, niemand konnte sie zwingen, mit ihrem Gatten ins Exil zu gehen,
und verabredetermaßen würde sie endlich, wenn der Mann erst fort, sein
werden. Sein würde aber nicht nur sie werden, sondern ganz Wien, ganz
Oesterreich! Denn sie alle, hinter denen er zurückstehen mußte, sie
alle, deren Theaterstücke aufgeführt wurden, während die seinen
jahrelang in den Schubladen der Dramaturgen schliefen, sie alle, die
gestern noch die großen Modeschriftsteller gewesen waren, sie alle, der
Villoner und der Seider, der Hoff und der Thal, der Meier und der
Marich, sie alle mußten fort und er blieb allein als Herrscher im Reiche
der Musen!

Frau Lene nickte ihm lächelnd zu, während der Gatte ihr liebkosend die
Wangen streichelte.

Donnernd und polternd lachte der große Schauspieler Armin Horch auf.

»Meine Herrschaften, nun muß es heraus! Auch ich werde Oesterreich
verlassen müssen! Denn ich, den die »Wehr« und andere Zeitungen immer
als den Verkörperer des christlichen Schönheitsideals gepriesen haben,
ich bin ein ganz gewöhnlicher Judenstämmling! Mein Vater stammte aus
Brody und hieß nicht Horch, sondern Storch!«

Schallendes Gelächter ringsumher, Galgenhumor quoll auf, Scherze, die
zur Situation paßten, wurden erzählt.

»Na und Sie, Herr Pinkus, wohin werden Sie Ihren Buchverlag
transferieren?« fragte einer den dicken, kleinen Verleger mit den
krummen Beinen und dem prononciert jüdischen Gesicht.

»Ich? Ich bleibe! Ich bin doch Urchrist!«

Und als alles lachte, sagte er behaglich schmunzelnd:

»Spaß beiseite, ich bin ein waschechter Goi! Mein Großvater Amsel Pinkus
war ein Tuchhändler in Frankfurt am Main und ein braver, frommer Jude.
Als er sich aber in meine Großmutter, Christine Haberle, eine kleine
Sängerin aus Stuttgart, verliebte, ließ er sich, da sie anders nicht die
Seine werden wollte, taufen. Nun, mein Vater heiratete wieder eine
Christin und so bin ich Christ in dritter Generation, also werde ich
nicht ausgewiesen, obwohl ich in Art und Aeußerem ganz entschieden ein
Duplikat meines Großvaters bin.«

»Es lebe der Urchrist Pinkus,« rief der Hausherr belustigt und alle
hoben lachend die Gläser. Da klang vom See her ein Knall wie ein
Peitschenhieb. Und von seltsamer Ahnung ergriffen, rief Villoner: »Wo
ist Seider?«

Aber schon brachten Leute die Leiche des jungen Lyrikers. Er hatte sich
unten am See erschossen, um seine müde, empfindsame Seele nicht in der
Fremde frieren lassen zu müssen.

                   *       *       *       *       *

Bei der Lona in der Gumpendorferstraße herrschte geradezu Panikstimmung.
Acht junge Damen, eine schöner als die andere, waren schon versammelt
und immer wieder mußte die dicke Wirtschafterin, Frau Kathi
Schoberlechner, die Wohnungstür öffnen und ein Fräulein hereinlassen. Im
Salon roch es außerordentlich kräftig nach Houbigant, Ambre, Coty, Rouge
und Zigaretten, und es leuchtete und funkelte von hellblonden,
rotblonden, schwefelgelben und schwarzen Haaren, Diamanten und Perlen.
Alle waren in Spitzen und Seide gekleidet, nur die Lona trug einen
duftigen Schlafrock, der vorn offen war, so daß ihr der schneeweiße
Busen fast entquoll, und ihre nackten Füße steckten in roten
Pantöffelchen.

Die schwarze Yvonne weinte zum Herzzerbrechen, die rote Margit aber
schlug auf den Tisch und schrie erbost:

»Mir müssen demonschtrieren! Wann i' so an Nationalpülcher derwisch,
kratz' i eahm die scheangleten Augen aus!«

»A so a Gemeinheit! Was soll'n mir denn machen, wann s' die Juden
hinausschmeißen?«

Yvonne weinte noch heftiger. »Und grad jetzt, wo mir der Fredi Pollak a
neuches Automobil bestellt hat.«

»Mir gibt der Reizes, mit dem was ich seit zwei Wochen geh', fünfhundert
Fetzen im Monat! Möcht' wissen, ob die Herren Christen auch so splendid
sein wer'n?«

»Ihr wißt ja eh, ich hab' den Zwitterbauch aus Mährisch-Ostrau, der mich
ganz aushält und nur amal im Monat auf a Wochen nach Wien kummt!«

Eine üppige Juno mit gelben Haaren schlug die starken, aber schönen
Beine übereinander, daß man die blauseidenen Strumpfhalter sah, leerte
ein Gläschen Cointreau und sagte mit klingender Altstimme:

»Kinder, am meisten Erfahrung habe wohl ich im Leben! Und ich kann nur
sagen, wenn die Juden verschwunden sind, müssen wir alle verhungern oder
uns um Stellen als Klosettfrauen in Kaffeehäusern umsehen. Geld lassen
tun nur die Juden, die anderen wollen alle viel Liebe und wenig Spesen!
Zehn Jahre bin ich mit dem Baron Stummerl vom Auswärtigen Amt gegangen,
und in diesen zehn Jahren hat er mir ein goldenes Armband, einen
Pelzkragen und tausend Gulden geschenkt. Ein Glück, daß ich dabei noch
den Herschmann von der Anglobank gehabt habe, sonst hätte ich am Ende
noch arbeiten müssen. Seither flieg' ich nur auf die Israeliten!«

Claire spielte nervös mit dem goldenen, diamantbesetzten Kreuz, das sie
an einer Platinkette trug. »Was wohl der Karl sagen wird, wenn ich vom
Doktor Baruch nichts mehr bekomm'!«

Neue Klagen erhoben sich, Wehrufe wurden laut. Daran hatte man im Drange
der Geschehnisse noch gar nicht gedacht! Was sollte mit den Freunden
werden, die man liebte und aushielt, wenn die Freunde, die zahlten,
nicht mehr waren?

Da führte die Frau Kathi einen dieser Freunde herein. Pepi war das Ideal
eines feschen Kerls. Tiptop vom staubgrauen Samthut über die gestrickte
Krawatte hinweg bis zu den gelben Halbschuhen, über denen man sanft
getönte, blaue Seidenstrümpfe sah.

Schluchzend warf sich die reizende schwarze Yvonne in die Arme ihres
Herzensfreundes. Alle begrüßten ihn stürmisch, ein Hagel von Rufen und
Fragen ergoß sich über ihn. Pepi ließ sich ruhig in einen Fauteuil
fallen, zog Yvonne auf seine Knie, zwickte die neben ihm sitzende Lona
in die nackten Waden und sagte, nachdem er sich eine Zigarette hatte in
den Mund stecken lassen:

»Kinder, da kann man halt nichts machen, als auch auswandern!«

»Ja, woher wirst an' Auslandspaß kriegen und wer laßt dich denn
hinein?«, entgegnete die kluge goldblonde Carola.

»Sehr einfach«, lachte Pepi. »Morgen geh' ich aufs Rathaus, werde
konfessionslos, übermorgen geh' ich zur israelitischen Kultusgemeinde,
erkläre mich solidarisch mit dem mißhandelten Judentum und werde
Israelit. Hoffentlich ohne Operation. Dann heiraten wir, bekommen unser
Ablösegeld vom Staat und können nach den Bestimmungen des Völkerbundes
uns anderswo ansiedeln. Wir gehen nach Paris oder nach Brüssel oder
sonst wohin, wo was los ist.«

Yvonne lachte unter Tränen. »Geh', was soll ich denn in Paris als
verheiratete Frau machen?«

»Tschapperl! Braucht ja niemand zu erfahren, daß wir verheiratet sind!
Nimmst dir eine Wohnung, suchst einen Freund, der dich ordentlich
aushält und ich bin so wie jetzt fürs Herz da!«

In den nächsten Tagen wußten die liberalen Blätter zu berichten, daß
hunderte von wackeren christlichen Jünglingen, empört über das den Juden
angetane Unrecht, demonstrativ ihren Uebertritt zum Judentum beschlossen
hätten, um das Schicksal dieses schwer geprüften Volkes zu teilen.

                   *       *       *       *       *

Der Bundeskanzler, der auch Minister für auswärtige Angelegenheiten war
und seine Wohnung im Auswärtigen Amte hatte, stand an einem milden
Septembertag an der offenen Balkontüre und sah über die Straße hinweg
auf das Getriebe des Volksgartens. Aber dieses Treiben schien ihm
weniger lebhaft zu sein als in den vergangenen Jahren, die
weißlackierten Kinderwägelchen rollten nur vereinzelt durch die Alleen,
die Sesselreihen und Bänke waren trotz des warmen Wetters nur spärlich
besetzt.

Es klopfte, der Kanzler rief scharf: »Herein!« und stand nun seinem
Präsidialchef, dem Doktor Fronz, gegenüber.

Schwertfeger war Ende Juni, kurz nach der Annahme des Ausweisungsgesetzes,
nach Tirol gefahren, um seine unter der Last der Verantwortung
und Arbeit fast zusammengebrochenen Nerven zu erholen. In
einem Dorf am Arlberg blieb er mehr als zwei Monate inkognito, niemand
außer seinem Präsidialchef kannte seinen Aufenthalt, er ließ sich weder
Briefe noch Akten nachschicken, kümmerte sich nicht um die
Zeitereignisse, und nur von ganz eminent wichtigen Vorfällen durfte ihm
Fronz schriftlich Mitteilung machen. Tatsächlich war ja für alles
vorgesorgt, der Wiener Polizeipräsident wie die Bezirkshauptleute hatten
ihre genauen Instruktionen, das Parlament war bis zum Herbst vertagt,
also fühlte sich Doktor Schwertfeger entbehrlich, ja er hielt es für
seine Pflicht, neue Kräfte zu sammeln, um der kommenden Arbeit frisch
und stark gegenübertreten zu können. Heute vormittag war er nach Wien
zurückgekehrt und nun mußte ihm Fronz gründlich referieren. Nachdem
verschiedene Personalangelegenheiten erledigt waren, ließ sich
Schwertfeger schwer und wuchtig vor seinem Schreibtisch nieder, nahm
Papier und Feder, um sich stenographische Notizen zu machen und sagte
äußerlich ruhig und kalt, während vor Spannung jeder Nerv in ihm
vibrierte:

»Nun, lieber Freund, berichten Sie mir über den bisherigen Vollzug des
neuen Gesetzes und seine sichtbaren Folgen. Wie ist unsere Finanzlage?
Sie wissen, ich bin völlig unorientiert.«

Doktor Fronz räusperte sich und begann:

»Finanztechnisch verläuft nicht alles so glatt, wie wir hofften. Zuerst
stieg unsere Krone in Zürich sprunghaft bis auf ein Zwanzigstel Centime,
dann traten leise, wenn auch unbedeutende Schwankungen ein, seit Ende
Juli rührt sich trotz des starken Goldzustromes aus den Tresors der
großen christlichen Vereine und des Bankiers Huxtable unsere Krone
nicht, sie beharrt auf dem Kurs von 0.02. Merkwürdigerweise erfüllen
sich vorläufig unsere Hoffnungen auf enorme Geldabgaben seitens der
Ausgewiesenen nicht. Es fließen den Steuerämtern weder große Beträge in
Kronen noch in fremden Währungen zu. Es scheint, daß sich unter unseren
christlichen Mitbürgern tausende von Parasiten befinden, die in
gewissenloser Weise die überschüssigen, der Besteuerung hinterzogenen
Vermögen der Juden an sich nehmen und den Juden dafür Abstandsummen in
Gestalt von Anweisungen an ausländische Banken geben.«

»Das war nicht anders zu erwarten«, sagte der Kanzler, während ein
verächtliches Lächeln um seine zusammengekniffenen Lippen spielte. »Ob
Jud' oder Christ -- habgierig und selbstsüchtig sind sie alle!«

Das dürften die Judenblätter nicht erfahren, dachte Fronz und fuhr fort:

»Wie ich aus dem sehr pessimistischen Referat des Finanzministers
Professor Trumm folgern darf, wird uns die Ausweisung der Juden mit
ungeheuren Schulden, in Gold rückzahlbar, belasten, unseren
Banknotenumlauf aber in keiner nennenswerten Weise vermindern.«

»Geht die Liquidierung und Uebergabe der Finanzinstitute, Banken und
Aktiengesellschaften glatt vor sich?«

»In dieser Beziehung ist alles in vollem Gange, aber leider zeigt es
sich, daß unsere einheimischen Kapitalisten entweder nicht willens oder
nicht in der Lage sind, die großen Unternehmungen an sich zu reißen, so
daß überwiegend Ausländer als Uebernehmer in Betracht kommen. Die
Länderbank, die Kreditanstalt, die Anglobank, die Escompte-Gesellschaft
und andere Großbanken gehören bereits Italienern, Engländern, Franzosen,
Tschechoslowaken und so weiter, desgleichen unsere großen
Industrieunternehmungen. Eben hat ein holländisches Konsortium die
Simmeringer Lokomotivfabrik übernommen. Wir passen natürlich höllisch
auf, daß sich auf solchem Umweg nicht ausländische Juden hier einnisten,
und jeder Kaufvertrag weist nachdrücklich auf die Klausel hin, wonach
auch ausländische Juden keinerlei Aufenthaltsrecht in Oesterreich
genießen, weder dauerndes noch vorübergehendes. Daß die Aktionäre und
Direktoren der fremden Gesellschaften, die hier aufkaufen, zum Teile
Juden sind, läßt sich aber nicht vermeiden.«

Der Kanzler stützte die mächtige, gewölbte Stirne in die knochige Hand,
wischte dann peinliche Gedanken mit einer Handbewegung fort und sagte
gleichmütig:

»Uebergangserscheinungen, denen späterhin abzuhelfen sein wird! Wie
vollzieht sich die Ausweisung?«

»Genau nach den Durchführungsbestimmungen des Gesetzes! Sowohl die
Polizei als auch das Verkehrsamt arbeiten vortrefflich, täglich
verlassen ungefähr zehn Züge mit Ausgewiesenen Oesterreich nach allen
Richtungen und bis heute haben etwa vierhunderttausend Juden das Land
verlassen.«

Schwertfeger blickte überrascht auf. »Wie ist das möglich? Wir haben an
ungefähr eine halbe Million Auszuweisender gedacht! Also waren jetzt,
nach einem Drittel der präliminierten Zeit, vier Fünftel erledigt?«

Doktor Fronz lächelte dünn. »Wir haben eben die große Zahl der
Konvertiten und Judenstämmlinge unterschätzt! Heute hat die
Staatspolizei mehr Ueberblick und sie rechnet nun nicht mehr mit einer
halben Million, sondern mit achthunderttausend, vielleicht sogar mit
einer Million Menschen, die unter das Gesetz fallen! Bei dieser
Gelegenheit möchte ich bemerken, daß sich gewisse devastierende, oft
sehr peinliche oder auch nur groteske Folgen der Ausweisung zeigen. Zehn
christlichsoziale Nationalräte müssen als Judenstämmlinge
landesverwiesen werden, beinahe ein Drittel der christlichen
Journalisten wird entweder direkt oder in seinen Familienmitgliedern
betroffen, es stellt sich heraus, daß unsere besten christlichen Bürger
vom Judentum durchtränkt sind, uralte Familien werden auseinandergerissen,
ja es hat sich etwas ereignet, was schallendes Gelächter
nicht nur in den Judenblättern, die ja noch bis zum letzten
Augenblick hetzen werden, erregt, sondern auch in der Presse des
Auslandes. Eine Schwester des Fürsterzbischofs von Oesterreich, Kardinal
Rößl, ist mit einem Juden verheiratet, sein Bruder aber mit einer Jüdin,
so daß seine Eminenz durch das Gesetz sämtlicher Neffen, Nichten und
Geschwister beraubt wird. Vielleicht wird es sich doch empfehlen, unter
solchen Umständen der Nationalversammlung ein Amendement zu dem Gesetz
zu unterbreiten, durch das die Ausweisung von Judenstämmlingen unter
gewissen Umständen unterbleiben darf -- --.«

Der Bundeskanzler sprang in die Höhe und schlug mit der geballten Faust
auf den Schreibtisch, daß die Tinte hochspritzte.

»Nie und nimmer, wenigstens nicht, solang ich im Amte bin! Eine solche
Ausnahmebestimmung würde das ganze Gesetz zum Weltwitz machen, wir wären
bis auf die Knochen blamiert, das internationale Judentum würde
triumphieren wie noch nie in seiner Geschichte, der Korruption, der
Bestechlichkeit wäre Tür und Tor geöffnet! Sie kennen ja die gewissen
Herren Hof- und Sektions- und Regierungsräte mit den offenen Händen und
leeren Taschen! Nein, es darf keine Ausnahmen geben, das Leid und der
Kummer einzelner Familien darf an den Grundmauern des Gesetzes nicht
rütteln! Im Namen der Habsburger wurde ein Krieg geführt, der einer
Million Männer das Leben gekostet hat und man hat nicht zu mucksen
gewagt! Was ist im Vergleich dazu die Tatsache, daß ein paar tausend
oder vielleicht hunderttausend Menschen Unbequemlichkeit und Aerger
verursacht wird? Ich bitte Sie, in diesem Sinne die christlichen Blätter
zu instruieren. Besser noch, wenn die politische Korrespondenz sofort
eine diesbezügliche Enunziation der Regierung den Blättern zugehen läßt.
Und Sie bitte ich dringend, sich nicht mehr zum Sprachrohr solcher
Einflüsterungen machen zu lassen!«

Doktor Fronz verbeugte sich erblassend.

»Dann ist es ja auch überflüssig, wenn ich Eurer Exzellenz von
furchtbaren Jammerszenen berichte, die sich täglich bei der Abfahrt der
Evakuierungszüge beobachten lassen und die oft solche Dimensionen
annehmen, daß selbst der Straßenpöbel, der sich zur Abfahrt der Züge mit
der Absicht einzufinden pflegt, die Ausgewiesenen zu beschimpfen,
ergriffen schweigt und Tränen vergießt -- --.«

»Solche Szenen waren vorhergesehen und sind unvermeidlich! Instruieren
Sie sofort die Polizei dahin, daß die Bahnhöfe abgesperrt werden, die
Abfahrt der Züge tunlichst nur zur Nachtzeit erfolgt und nicht von den
Hauptbahnhöfen, sondern von den außerhalb der Stadt gelegenen
Rangierbahnhöfen. Und nun nur noch eine Frage: Wie nimmt die Bevölkerung
im allgemeinen die Durchführung des Gesetzes auf?«

»Mit größter Begeisterung natürlich! Die Polizei läßt hundert geschickte
Agenten sich anonym in die Volksmengen mischen und Beobachtungen
sammeln. Nun, die Berichte gehen übereinstimmend dahin, daß die
christliche Bevölkerung sich geradezu in einem Freudentaumel befindet,
eine baldige Sanierung der Verhältnisse, Verbilligung der Lebensmittel
und gleichmäßigere Verbreitung des Wohlstandes erwartet. Auch innerhalb
der noch sozialdemokratisch organisierten Arbeiterschaft ist die
Befriedigung über den Fortzug der Juden groß. Aber anderseits läßt sich
nicht verhehlen, daß die Bevölkerung erregt und unsicher ist. Niemand
weiß, was die Zukunft bringen wird, die Massen leben in den Tag hinein,
eine ganz staunenswerte Verschwendungssucht in den unteren Klassen macht
sich bemerkbar und die Zahl der Trunkenheitsexzesse mehrt sich von Tag
zu Tag.

Zur Gehobenheit der Stimmung trägt aber sehr wesentlich der Umstand bei,
daß die Wohnungsnot mit einem Schlage aufgehört hat. Allein in Wien sind
seit Beginn des Monates Juli vierzigtausend Wohnungen, die bisher Juden
inne hatten, frei geworden. Eine direkte Folge davon ist, daß eine wahre
Hochflut von Trauungen eingesetzt hat und die Priester zehn und zwanzig
Paare gleichzeitig einsegnen müssen.«

Schwertfeger, der Junggeselle geblieben war, nickte befriedigt lächelnd.
»Damit wären wir also für heute fertig. Ich bin nun halbwegs im Bilde
und werde jetzt die Referate der einzelnen Bundesministerien
durchstudieren.«

Ein Kopfnicken und der Präsidialchef war entlassen. Fronz blieb aber
noch stehen und lenkte die Aufmerksamkeit des Kanzlers, der schon ein
Aktenfaszikel aufgeschlagen hatte, durch diskretes Räuspern auf sich.

»Ich möchte Exzellenz noch darauf aufmerksam machen, daß der Wiener
Gemeinderat mit großer Stimmenmehrheit beschlossen hat, den Schottenring
in Dr. Karl Schwertfeger-Ring umzutaufen und daß seitens dreihundert
österreichischer Gemeinden ähnliche Umtaufungen von Plätzen und Straßen
beschlossen wurden. In Innsbruck hat sich sogar ein Denkmalkomitee
gebildet, das Eurer Exzellenz im nächsten Jahr schon ein Denkmal aus
Laaser Marmor errichten will.«

Der Kanzler stand auf, ging zum Balkon, sah wieder auf den Volksgarten
hinab, schritt mit wuchtigen Tritten schwer und plump zweimal durch den
großen Raum und sagte dann:

»Inhibieren Sie alle solchen Ehrungen! Sie sollen verschoben werden bis
zum zehnjährigen Jubiläum der Befreiung Wiens von den Juden!«

                   *       *       *       *       *

Weihnachtsabend im Hause des Hofrates Franz Spineder. Weit draußen in
Grinzing, außerhalb der Endstation der Straßenbahn, lag das kleine,
gelbe Backsteinhäuschen, das der Hofrat noch von seinem Großvater ererbt
hatte. Von außen sah das einstöckige Haus mit dem großen grün
gestrichenen Holztor und den grünen Jalousien fast primitiv aus, aber
wenn man das Tor öffnete und in den Hof mit dem altertümlichen
Ziehbrunnen trat, blieb man überrascht und entzückt stehen. Der Hof ging
in einen sanft ansteigenden Garten über, der schier endlos war. Im
Sommer leuchteten die Levkojen, Tulpen, Rosen und Nelken in südlicher
Pracht, hinter dem Ziergarten kamen Hunderte von Bäumen, die unter der
Last der Aepfel, Birnen, Aprikosen, Pflaumen und Kirschen sich tief zur
Erde beugten, und wenn man auch die Obstbäume hinter sich hatte, so war
man noch immer nicht am Ende des Gartens, sondern ging steil durch einen
Weinberg, um endlich ganz oben auf ein altwienerisches Lusthäuschen mit
bunten Scheiben zu stoßen.

Köstlich wie der unvermutete Garten war auch die Einrichtung der
Wohnzimmer. Uralte, behagliche, steife und graziöse Möbel aus der
Barock-, Kongreß- und Biedermeierzeit, kostbare Stiche und Bilder an den
Wänden, zwei echte Waldmüller, ein Schwind im Salon, bunte, schöne
Gläser, Altwiener Porzellan, funkelndes Silbergerät in den Vitrinen und
Kredenzen, und man brauchte nur die Augen zu schließen, um die Männer
und Frauen im Kostüm der Maria Theresianischen Zeit und Biedermeierrock
vor sich zu sehen.

Franz Spineder war Beamter, wie es sein Vater und sein Großvater gewesen,
aber er war auf den Gehalt eines Hofrates im Unterrichtsministerium
nicht angewiesen, sondern recht vermögend, und schon das
Haus mit dem riesigen Garten und der kostbaren Einrichtung
repräsentierte heute einen nach vielen Millionen zählenden Wert.
Außerdem aber war seine Frau eine geborene Halbhuber, deren Urgroßväter
schon als Gerber und Lederfabrikanten soliden Reichtum erworben hatten.
Und da das Ehepaar Spineder nur mehr ein Kind, die jetzt knapp
achtzehnjährige Lotte, besaß, so konnte es inmitten der Wirrnisse einer
zerrissenen Zeit und aller Teuerung zum Trotz sein behagliches Leben
führen.

Schweigend schmückten Lotte und Frau Spineder den Weihnachtsbaum,
befestigten an den duftenden Zweigen die Schokoladekringel, Bonbons,
Glaskugeln und Kerzen. Frau Spineder, noch immer eine hübsche, runde
Frau, sah die blonde, schlanke, auffallend schöne und liebreizende
Tochter von der Seite an.

»Lotte, nun hast du schon wieder Tränen in den Augen! Bedenk' doch, daß
Papa heute wenigstens fröhliche Gesichter sehen will und mach' dem armen
Leo das Herz nicht noch schwerer.«

Lotte ließ einen kleinen Rauchfangkehrer aus Schokolade fallen, daß sein
Kopf fortrollte, schlug die Hände vor das Gesicht, lehnte sich an die
Schulter der Mutter und begann bitterlich zu schluchzen.

»Mutter, mir bricht das Herz! Du wirst sehen, ich werde es nicht
überleben, daß Leo in die Fremde fort muß! Mutter, laßt mich doch mit
ihm ziehen!«

Frau Spineder, der selbst das Wasser in den Augen stand, streichelte
zärtlich das weiche, wie Gold leuchtende Haar der Tochter.

»Lotte, es geht nicht! Bedenk' doch, Papa ist sechzig und er hat, seit
uns der unselige Krieg den Sohn genommen, niemanden als dich. Du kannst
es ihm nicht zumuten, daß er dich in die ungewisse Zukunft ziehen läßt,
so gern er ja auch den Leo hat. Schau nur, Leo wird nach Paris ziehen;
bei der Entwertung der Krone könnten wir euch unmöglich mit Francs
unterstützen und ihr würdet vielleicht ins Elend kommen, ohne daß Papa
helfen kann. Leo wird sich allein schon durchschlagen und ihr seid ja
noch beide so jung, daß ihr auf andere, bessere Zeiten warten könnt'.
Still jetzt, der Vater kommt! Und es klingelt, der Leo wird auch schon
da sein.«

Herr Spineder, der jetzt eintrat, um die Kerzen anzuzünden, war der
Typus des alten österreichischen Hofrates in seiner besten Art. Musik
liebend und ausübend, voll innerlicher Kultur, gepflegt von außen und
innen, ein Schönheitssucher, Lebensfreund und Lebensbejaher, rechtlich,
gewissenhaft, tolerant und dabei doch ein wenig beschränkt, bedächtig
und zögernd. Er trug auch jetzt noch den veralteten Kaiserbart, weil er
es unter seiner Würde hielt, dem Umschwung der Verhältnisse an seiner
Person Konzessionen zu machen, er war Demokrat durch und durch, ein
treuer Diener der Republik, aber das schöne Kaiserbild von Angeli hing
noch immer über seinem Schreibtisch. Wie er jetzt eintrat, war der alte
Herr mit den schlohweißen Haaren und den milden, graublauen Augen der
echte Altösterreicher, den man bald nur mehr aus Büchern kennen wird.

»Leo ist draußen und kratzt sich den Schnee von den Sohlen ab«, sagte
Hofrat Spineder, während er die Kerzen bedächtig anzündete. »Geht hinauf
zu ihm, ich werde die Bescherung machen und klingeln, wenn es so weit
ist.«

Frau Spineder sah noch rasch in die Küche nach dem Karpfen, der
Sachertorte und den Krapfen; Lotte hing aber schon am Halse Leos und
schluchzte wortlos an seiner Brust.

Leo Strakosch, schlank, dunkelhaarig, glattrasiert, mit lebhaften
braunen Augen, aus denen Klugheit und Humor blitzten, war um zehn Jahre
älter als Lotte. Im letzten Kriegsjahre war er als Einjähriger
eingerückt und im Felde hatte er den gleichaltrigen Rudolf Spineder, den
Sohn des Hofrates, kennen und als Freund lieben und schätzen gelernt. In
der letzten Piaveschlacht hatte Rudolf einen Kopfschuß bekommen und in
den Armen des Freundes seine junge Seele ausgehaucht, nachdem er ihn
gebeten, die Eltern und das Schwesterchen zu grüßen. So war Leo in das
Haus des Hofrates gekommen, der arme Sohn eines kleinen Agenten, fühlte
sich in dem vornehm-bürgerlichen Milieu unendlich wohl, und als Lotte
aus einem Kinde ein blühendes, schönes Mädchen wurde, stand es in ihm
fest: Diese oder keine! Lotte erwiderte die Liebe des lebhaften,
geistvollen, begabten jungen Mannes von ganzem Herzen.

Hofrat Spineder sah die Entwicklung dieser Liebe und hatte nichts
einzuwenden. Leo Strakosch war Radierer, in jungen Jahren schon ganz
außerordentlich erfolgreich, man begann sich um seine Zeichnungen zu
reißen, eine vor einem Jahr erschienene Leo Strakosch-Mappe erregte
Aufsehen auch im Ausland, und der Hofrat wie seine Frau sagten sich mit
Recht, daß sie ihr Kind in keine besseren Hände würden geben können, als
in die Leos, den sie nach und nach liebten wie ihren eigenen Sohn. Daß
Leo Jude war, focht den Hofrat nicht im mindesten an. In seinem Hause
verkehrten viele Musiker, Literaten, Maler, die Mehrzahl von ihnen waren
Juden, und der verstorbene Rechtsanwalt Viktor Rosen war sogar der
intimste Freund Spineders gewesen.

Als vor Jahresfrist zuerst in politischen Kreisen von dem Plan des
Führers der Christlichsozialen, ein Antijudengesetz durchzubringen,
geraunt wurde, hatte Hofrat Spineder daran nicht glauben wollen und
können. Und als er daran glauben mußte, war seine Empörung maßlos
gewesen. Und noch größer sein Schmerz über den Schicksalsschlag, den die
bevorstehende Ausweisung Leos für seine Tochter bedeutete. Den Gedanken
aber, seine Lotte mit Leo ins Exil ziehen zu lassen, wies er weit von
sich, die Liebe zu seinem einzigen Kind und der Egoismus des Alternden
vereinigten sich hier und machten ihn absolut unerbittlich.

                   *       *       *       *       *

Die Bescherung war sehr reichlich ausgefallen, Lotte von den Eltern
freigebig bedacht worden, aber sie schenkte dem Pelzkragen, den
Seidenstrümpfen, den Büchern und Noten kaum einen Blick, sondern preßte
immer wieder das kleine Bild Leos, das er ihr in einem goldenen
Medaillon geschenkt, an die zuckenden Lippen. Man saß nun beim festlich
geschmückten Tisch, aber es herrschte eher Trauer als Feststimmung und
vergeblich versuchte der Hofrat ein leichtes Gespräch zu entwickeln. Als
dann der selbstgekelterte goldgelbe Wein kredenzt wurde, erhob Hofrat
Spineder sein Glas und sagte mit bewegter Stimme:

»Dein Wohl, Leo! Möge das Glück dich auch in der Fremde begleiten, möge
das Schicksal in absehbarer Zeit uns alle wieder vereinigen! Kinder, ich
weiß, daß ihr mir grollt und ich kann doch nichts tun, als mit euch
leiden. Seht, Mutter und ich haben den besten Teil des Lebens hinter
uns, ich stehe an der Schwelle des Greisenalters, und so ist es doch nur
natürlich, wenn wir uns mit allen Fasern dagegen sträuben, den letzten
Sonnenstrahl, der uns noch leuchtet, fortziehen zu lassen. Aber selbst
wenn wir solcher schier übermenschlicher Selbstlosigkeit fähig wären,
würde mich das Pflichtgefühl davon abhalten. Lebten wir in normalen
Zeiten, so ließ ich euch ziehen und würde sagen, daß wir ja schließlich
alljährlich ein paar Monate bei euch in Paris zubringen können. Aber das
ist heute unmöglich, da die Krone fast wertlos ist. Nur Spekulanten
können sich noch solchen Luxus leisten, und ihr wißt, daß wir in guten,
geordneten Verhältnissen leben, aber doch mit jedem Tausendkronenschein
rechnen müssen. Würde Lotte jetzt mit dir in die Fremde gehen, so müßte
sie das Elternhaus für immer verlieren. Und nicht nur sie, sondern auch
euere Kinder wären entwurzelt, vaterlandslos, würden nicht wissen, wo
ihre Großeltern in der Erde ruhen. Und wer weiß, es würde der Tag
vielleicht kommen, wo du, Lotte, von solcher Heimatssehnsucht erfüllt
wärest, daß sie deine Liebe zum Gatten verdrängen und dein ganzes Wesen
sich in einen bitteren Vorwurf gegen den, dem du in die Verbannung
gefolgt, wandeln würde. Ihr seid beide jung, du, Lotte, bist fast noch
ein Kind, du Leo, ein Jüngling und das ganze Leben liegt vor euch.
Lasset ein paar Jahre vergehen, vielleicht seid ihr dann voneinander
losgekommen oder aber es traten Entwicklungen ein, die euch doch noch
vereinigen.«

Während Lotte fassungslos weinte und mit ihr ihre Mutter, hob nun auch
Leo sein Glas.

»Vater, so darf ich dich ja doch wohl noch nennen, ich muß die Gründe
deiner Weigerung, Lotte mit mir ziehen zu lassen, würdigen,
wahrscheinlich würde ich an deiner Stelle nicht anders handeln. Aber
eines sage ich dir, sage ich Lotte, die ich nie aufhören werde zu
lieben: Mein Leben wird von nun an ein einziger Kampf werden! Man sagt
meinem Volke Zähigkeit nach -- nun so will ich die ganze Fähigkeit
meines Volkes in mir vereinigen. Mit Kopf und Herz, mit meinem ganzen
Können und Wollen werde ich darauf hinarbeiten, Lotte zu gewinnen, so
oder so! Man kann mich vertreiben wie einen räudigen Hund, man kann aber
den Willen in mir nicht töten! Und ich leere mein Glas auf euer Wohl und
auf unsere Vereinigung, die früher kommen wird als wir alle heute zu
hoffen wagen!«

Am nächsten Tage fuhr Leo Strakosch mit einem Zuge fort, der sich zum
großen Teil aus geistigen Arbeitern und Künstlern zusammensetzte. Hofrat
Spineder, Frau Spineder und Lotte gaben ihm das Geleite. Außer ihnen
ließ Leo nichts zurück, was ihm wert war, da seine Eltern längst nicht
mehr lebten.

                   *       *       *       *       *

Der letzte Jahrestag wurde für Wien zu einem Festtag, wie ihn die
lustige und leichtsinnige Stadt noch nie erlebt hatte. Unter Aufbietung
aller Verkehrsmittel, mit Hilfe von Lokomotiven, die aus den
Nachbarstaaten entliehen waren, bei Einstellung jedes sonstigen
Personen- und Güterverkehrs war es gelungen, an diesem Tag in dreißig
riesigen Trains die letzten Juden fortzubringen. Vormittags fuhren die
Direktoren und leitenden Funktionäre der Großbanken, mittags die
jüdischen Journalisten mit ihren Familien. Sie hatten bis zum letzten
Augenblicke ausgeharrt, noch die Abendblätter waren von ihnen
geschrieben und redigiert worden, und erst als die feuchten Blätter aus
den Rotationsmaschinen flogen, rückten die neuen Herren in die
Redaktionsstuben ein. Die Mehrzahl der Wiener Journalisten hatte
Engagements bei reichsdeutschen und deutschböhmischen Blättern gefunden,
viele wanderten nach Amerika aus, einige wenige beschlossen, sich
anderen Berufen zuzuwenden. Der Herausgeber der großen »Weltpresse« aber
übersiedelte mit einem kleinen Stabe von Mitarbeitern nach London, um
dort unter dem Titel »Im Exil« eine deutsche Wochenschrift, die sich in
erster Linie mit Oesterreich befassen sollte, erscheinen zu lassen.

Um ein Uhr mittags verkündeten Sirenentöne, daß der letzte Zug mit Juden
Wien verlassen, um sechs Uhr abends läuteten sämtliche Kirchenglocken
zum Zeichen, daß in ganz Oesterreich kein Jude mehr weilte.

In diesem Augenblicke begann Wien sein großes Befreiungsfest zu feiern.
Von hunderttausend Häusergiebeln wurden die rot-weiß-roten Fahnen
gehißt, Tücher in diesen Farben schmückten alle Geschäfte, Lampions vor
allen Fenstern wurden entzündet, und bei sternenheller Frostnacht zog
eine Million Menschen über den knisternden Schnee, um sich zu Zügen zu
vereinigen. Männer, Frauen und Kinder trugen Lampions, Musikkapellen
marschierten den einzelnen Bezirksgruppen voran, ein Jauchzen und Jubeln
ertönte, und immer wieder zerriß der Ruf: »Es lebe das christliche
Wien«, die Luft!

Treffpunkt aller Züge war das Rathaus. In feenhafter Pracht lag der
schöne, gotische Bau Meister Schmidts da. Millionen elektrischer Lichter
ließen ihn wie eine einzige Flamme leuchten. Auf einer Tribüne spielten
die unvergleichlichen Wiener Philharmoniker, von Juden gesäubert und
daher ein wenig reduziert, volkstümliche Weisen, und der Wiener
Männergesangverein bot seine besten Lieder dar. Die Volkshalle, der
große Platz vor dem Rathaus, der Ring vom Schottentor bis zur Bellaria
bildeten eine einzige Menschenmauer, und um acht Uhr war es kein Rufen
mehr, sondern ein Heulen aus einer Million Kehlen, das immer wieder
erdröhnte.

Endlich kam der große Moment. Bürgermeister Karl Maria Laberl erschien
mit dem Bundeskanzler Doktor Schwertfeger auf dem Balkon. Der
Bundeskanzler ergriff zuerst mit machtvoller Stimme, die sich bis
jenseits des Ringes Gehör verschaffte, das Wort. Er sprach kurz,
trocken, aber um so wirkungsvoller:

»Mitbürger, ein ungeheures Werk ist vollendet! Alles das, was in seinem
innersten Wesen nicht österreichisch ist, hat die Grenzen unseres
kleinen, aber schönen Vaterlandes verlassen! Wir sind nun allein unter
uns, eine einzige Familie, wir sind fürderhin auf uns und unsere
Eigenart gestellt, mit eigener Kraft werden wir unser gesäubertes Haus
frisch bestellen, morsche Mauern stützen, geborstene Pfeiler aufbauen.
Wiener und Brüder aus dem ganzen Bundesstaat! Wir feiern heute ein Fest,
wie es noch nie gefeiert wurde. Morgen beginnt ein neues Jahr und für
uns alle ein neues Leben. Morgen dürfen wir noch ruhen und uns
beschaulich besinnen. Dann aber müssen wir arbeiten, wie wir noch nie
gearbeitet haben. Unser ganzes Können müssen wir unserem Vaterlande
widmen, jede Stunde muß genützt werden. Wir werden der ganzen Welt
zeigen müssen, daß Oesterreich auch ohne Juden leben kann, ja daß wir
eben deshalb gesunden, weil wir das Fremde aus unserem Blutkreislauf
entfernt haben. Mitbürger, schwört es mir in dieser feierlichen Stunde
in die Hand, daß wir alle nicht mehr schwelgend in den Tag hineinleben
wollen, sondern arbeiten, arbeiten und nichts als arbeiten, bis uns die
Früchte unserer Arbeit erblüht sind.«

Und der Ruf: »Wir schwören es!« brauste auf, fremde Menschen schüttelten
einander die Hände, Männer und Frauen sanken einander weinend und
lachend in die Arme, die neue Volkshymne wurde intoniert und mitgesungen
und dann erklang ohne Verabredung und doch wie aus einem Munde das »Hoch
unser Doktor Schwertfeger, der Befreier Oesterreichs!«

Als sich der Jubel und Tumult ein wenig gelegt hatte, kam endlich auch
Bürgermeister Herr Karl Maria Laberl zum Wort. Er begann seine Ansprache
mit den Worten:

»Meine lieben Christen! -- --«

Aber viel mehr vernahm die Menge nicht, denn dem warmen Föhn, der seit
Minuten durch die vorher noch so kalte Nacht fegte, folgte in diesem
Augenblick ein Regenguß, und schreiend, kreischend zerstreute sich die
Menschenmasse, um durch ein Meer von Kot und zerflossenem Schnee zu den
Straßenbahnen zu eilen.




Zweiter Teil.


    =Lotte Spineder an Leo Strakosch, Paris, Rue Foch 22.=

Mein Lieber, nun ist genau ein Jahr vergangen, seitdem ich Dir auf dem
Westbahnhofe mit meinem von Tränen ganz durchnäßten Taschentuch
nachgewinkt habe. Und das erste Weihnachtsfest, das ich als Deine Braut
ohne Dich verbringen mußte, liegt hinter mir. Es war wieder recht
traurig, und Papa meinte sehr besorgt, daß ich noch ganz krank und elend
werden würde, wenn ich mich meinem Schmerz so hingebe. Ich bin jetzt
nämlich immer sehr blaß, schlafe schlecht, habe viel Kopfschmerz und
werde gleich so müde. Unser Hausarzt meint, es sei Bleichsucht und hat
mir Guberquelle verordnet, aber ich weiß, daß es nur meine Sehnsucht
nach Dir ist, die mich schwach und krank macht.

Unsagbare Freude hat mir Deine wundervolle Mappe bereitet, die gerade am
Weihnachtsabend eingetroffen ist. Du bist jetzt, wie man aus diesen
herrlichen Stichen sieht, ein ganz großer Künstler; Papa, der doch so
viel davon versteht, meint, daß Du schon zu den ersten Meistern gehörst
und hat furchtbar auf unsere Regierung geschimpft, die solche Männer,
statt sie zu ehren, aus dem Lande jagt. Dein Brief, in dem Du von Deinen
großen Erfolgen berichtest, hat mich natürlich sehr beglückt, und Papa
hat umgerechnet, daß die dreißigtausend Francs, die Du für diese Mappe
bekommen hast, viele Millionen österreichischer Kronen sind. Die Krone
ist nämlich wieder riesig gefallen. Nur als ich las, daß Du so viel in
Gesellschaft verkehrst und dich der Einladungen in die feinsten Häuser
kaum erwehren kannst, bekam ich ordentlich Herzklopfen. Wirst Du bei den
schönen Pariserinnen nicht Deine arme, kleine Lotte ganz vergessen? O
Leo, was soll nur aus uns werden, wann werde ich wieder meinen Kopf an
Deine Schulter legen können? Weißt Du, Leo, neulich flog ein großer
Aeroplan über den Kahlenberg westwärts, und da habe ich gedacht, daß
ich, wenn ich die Möglichkeit dazu hätte, gleich zu Dir nach Paris
fliegen würde, ob meine Eltern es nun erlauben oder nicht. Ueberhaupt,
wenn ich wüßte, wie man, ohne daß es jemand erfährt, einen Paß bekommt,
würde ich mir von Dir Geld schicken lassen und heimlich zu Dir kommen.
Ich weiß, daß ich Papa und die Mutter damit furchtbar kränken würde,
aber meine Sehnsucht nach Dir ist so groß, daß ich ganz schlecht und
grausam geworden bin.

Du bittest mich, ich möge Dir in großen Zügen die Entwicklung der Dinge
schildern, seitdem die Israeliten fort sind, da Du aus den farblosen und
langweiligen Wiener Zeitungen kein richtiges Bild bekommen kannst. Nun,
ich will versuchen, Dir alles zu erzählen, was ich selbst sehe oder von
den anderen weiß; aber wenn es dumm wird, so darfst Du mich nicht
auslachen.

Also, von dem großen Jubel und den Festzügen am Silvestertage, als die
letzten Israeliten Wien und Oesterreich verlassen hatten, wirst Du ja
ohnedies alles aus den Zeitungen ersehen haben. Nun, den ganzen Januar
hielt diese Stimmung an, die Leute machten alle fröhliche Gesichter, ein
Festkonzert folgte dem anderen und immer wieder zogen die Massen vor das
Rathaus oder das Kanzlerpalais, um dem Bürgermeister Laberl und dem
Doktor Schwertfeger zu huldigen. Mir selbst ist es aufgefallen, daß die
Wiener in der Elektrischen viel freundlicher und netter waren als
vorher, und der Hofrat Tumpel, der bei uns verkehrt, Du weißt, der mit
dem blonden Vollbart, den Du nie leiden mochtest, sagte triumphierend zu
uns:

»Sehen Sie, das Wiener sonnige Gemüt, das so lange von all dem Fremden
überschattet worden war, bricht sich wieder Bahn.«

»Ja, Schnecken,« brummte der Vater, »das ist nur, weil den Wienern das
Ganze eine Riesenhetz ist und weil die Lebensmittel billiger und wieder
Wohnungen zu haben sind.« Tumpel meinte aber: »Oho, lieber Freund, das
ist es nicht allein, sondern die indogermanische Naivität unseres Volkes
wagt sich wieder heraus!«

Die Lebensmittel waren wirklich viel billiger geworden, weil unsere
Krone damals sehr gut, nämlich auf 0·02 Centime stand. Ich erinnere
mich, daß Mama im Winter einmal ganz froh nach Hause kam und sagte, man
könne jetzt wieder existieren, das Schweineschmalz kostet nur mehr
zehntausend Kronen per Kilogramm. Und das mit den Wohnungen hat den
Wienern wirklich so viel Freude gemacht. Stelle Dir nur vor: Plötzlich
hingen fast an allen Haustoren Zettel, auf denen Wohnungen und möblierte
Zimmer angeboten wurden. Die Leute gingen rein zum Zeitvertreib von Haus
zu Haus, um die Wohnungen zu besichtigen. Und den ganzen Tag sah man
Möbelwagen durch die Straßen fahren.

Das dauerte so bis zum Fasching, aber dann war die gute Laune weg.
Plötzlich begann große Arbeitslosigkeit zu herrschen. Die ganze
Konfektionsindustrie stand still, und jeden Augenblick hörte man, daß
dieses oder jenes Geschäft abgekracht sei. Die Blätter schrieben, man
müsse die ehrlichen christlichen Kaufleute, die die alten jüdischen
Geschäfte übernommen hatten und ihrer Aufgabe noch nicht gewachsen
seien, von Staats wegen unterstützen. Die Arbeitslosen machten aber
großen Krawall, zogen über den Ring, demolierten ein paar Geschäfte,
schlugen Fensterscheiben ein und setzten es durch, daß ihnen der Staat
zehntausend Kronen täglich Arbeitslosenunterstützung zahlte. Da begann
die Krone zu fallen, weil, wie Papa mir erklärte, der Banknotenumlauf
enorm stieg. Auf ja und nein stand die Krone wieder auf 0·01 Centime und
die Lebensmittel wurden wieder so teuer und noch teurer als früher.
Heute erzählte Mama ganz aufgeregt, daß die Butter schon dreißigtausend
Kronen kostet. Seit dem Frühjahr sind die Leute wieder sehr mürrisch und
in der Elektrischen wird viel geschimpft. Hauptsächlich auf die
Schieber, die alles verteuern, aber man spricht nicht von jüdischen
Schiebern, sondern nur so im allgemeinen.

Du fragst, ob ich viel ins Theater gehe? Ach nein, lieber Leo, wenn man
die Oper ausnimmt, so ist in den Theatern gar nichts mehr los. In den
Schauspielhäusern wird ununterbrochen Ganghofer und Anzengruber
gespielt, weil man von Israeliten nichts aufführen darf und die
Klassiker ja doch nicht ziehen. Eine Zeitlang hat man auch viel von Shaw
gegeben; seitdem er aber in einer englischen Zeitung erklärt hat, Wien
sei ein internationales Dummheitsmuseum geworden, ist er verpönt.
Hauptsächlich aber deshalb, weil er auch gesagt hat, ein gescheiter Jude
sei ihm lieber als zehn dumme Christen. Die Operettentheater sind alle
pleite. (Erinnerst Du Dich, wie ich lachen mußte, als ich von Dir zum
erstenmal das Wort pleite hörte?) Es hat sich nämlich herausgestellt,
daß sämtliche alte und neue Operetten von Juden entweder komponiert oder
geschrieben sind, meistens beides. Auch fehlt es an Kräften, denn fast
alle Tenore mußten ja auswandern. Wohl sind rasch ein paar ganz arische
Operetten herausgebracht worden, aber das Publikum hat gezischt, weil es
ein furchtbarer Schmarren war. Der Hofrat Tumpel meinte, daß sich die
christliche Kunst eben nur für seriöse Sachen eigne, nicht für frivoles
Zeug. Worauf Papa schmunzelte und sagte, man würde bald einsehen, daß
sich die Juden und Christen hierzulande sehr gut ergänzt haben.

Neulich ist mir mittags am Graben aufgefallen, daß man heuer viel
weniger elegante Herren und Damen sieht als früher. Es wird eben gar
kein Modeluxus mehr getrieben. Allerdings muß ich sagen, daß mir die
widerlichen jüdischen Schiebergesichter, über die Du Dich auch immer so
geärgert hast, gar nicht fehlen. Dafür machen sich auf dem Korso sehr
viele junge Lackeln, die wie Bauern aussehen und unmöglich angezogen
sind, mit mächtigen Uhrketten und Diamantringen an den dicken Fingern,
breit. Ueberhaupt scheint unser ganzer Fremdenverkehr nur mehr aus
Bauern zu bestehen. Der Besitzer vom Hotel Imperial hat neulich in einer
Zeitung geklagt, daß er jetzt Gäste habe, die sich mit den genagelten
Schuhen ins Bett legen und ihre Jägerwäsche in der Badewanne waschen.
Wenn Du durch die Kärntnerstraße gehen würdest, so würdest Du schauen,
wie wenig elegant die Geschäfte jetzt sind! Nun muß ich aber schließen,
weil es schon ein Uhr nachts ist und ich auch nichts Besonderes mehr
weiß. Lebe wohl, mein Geliebter, und denke was aus, damit wir bald
wieder beisammen sind, weil ich sonst gar nicht mehr leben mag. Es küßt
Dich vieltausendmal Deine ganz verzagte

    Lotte.«

                   *       *       *       *       *

Herr Habietnik ging düster, schweigend, mit gerunzelter Stirne durch die
prunkvollen Verkaufsräume des großen Modehauses in der Kärntnerstraße,
das einst Zwieback geheißen und jetzt den Namen Wilhelm Habietnik trug.
Herr Habietnik war der erste Verkäufer in der Damenmaßabteilung gewesen,
und mit Hilfe der Mittelbank deutscher Sparkassen war es ihm gelungen,
bei der großen Judenvertreibung das Haus an sich zu bringen. Herr
Habietnik ging nun, wie gesagt, von Saal zu Saal, wechselte in jedem ein
paar Worte mit dem Rayonchef, sein Antlitz wurde immer finsterer und er
stieß unwillige Rufe aus. Durch die ganz in Weiß und Rosa gehaltene
Abteilung für Babywäsche schritt er, ohne sich aufzuhalten, in den
entzückenden Konditoreisalon, der vollständig leer war, warf er nur
einen schiefen Blick, dann stürmte er in sein Privatkontor und ließ sich
den Prokuristen Smetana kommen.

»Sie, Herr Smetana, so geht das nicht weiter, da muß etwas geschehen!
Wir stehen vor Ostern, früher war das die Hochsaison und man konnte vor
Gedränge gar nicht durch das Haus gehen, und jetzt habe ich auf meinem
Rundgang drei alte Weiber gefunden, von denen zwei zusammen eine
Chenillepelerine, wie sie gar nicht mehr existieren, kaufen wollten und
eine einen Barchentunterrock. Wenn wir so weitermachen, können wir
sperren. Sagen Sie, wie groß ist das Betriebsdefizit, seitdem ich die
Firma übernommen habe?«

Der Prokurist Smetana lächelte sauer:

»Na, so an die hundert Millionen, das wird wohl reichen!«

Herr Habietnik ging aufgeregt auf und ab. »Ich versteh' das nicht! Wir
haben früher, wie die Juden noch da waren, doch auch eine Menge
christliche Käuferinnen gehabt! Wo sind denn die hingekommen?«

Smetana, der früher in der Buchhaltung gesessen und die Rechnungen
ausgeschrieben hatte, lächelte.

»Herr Habietnik, mit den christlichen Kundschaften war es nie weit her,
und wenn es schon Christinnen waren, so hatte ihr Christentum doch
irgendwo ein Klampferl. Entweder sie waren die Frauen oder die
Maitressen von Juden. Bitt' Sie, da erinnere ich mich an die schöne
Gräfin Wurmdorf, die was zuletzt noch eine Redoutentoilette für
eineinhalb Millionen bei uns hat machen lassen. Na, wer aber hat sie
gezahlt? Der Herr Gemahl vielleicht? Keine Spur! Der reiche Eisler von
der Firma Eisler und Breisler! Und die Manoni von der Oper, die was die
Tochter von einer waschechten christlichen Waschfrau ist und zehn gute
Millionen im Jahr bei uns gelassen hat? Na, bei der hat die ganze
israelitische Kultusgemeinde herhalten müssen! Und die --«

Herr Habietnik winkte ab. »Trotzdem, es gab genug Damen ohne Liebhaber,
die ganz schön eingekauft haben. Ich weiß das besser, weil ich doch
gerade die Maßabteilung unter mir hatte.«

»Ja, sehen Sie, Herr Habietnik, wenn es schon keine Jüdinnen waren, so
war es eben die Konkurrenz der Judenfrauen, die uns geholfen hat. Wenn
die Jüdinnen fein und elegant gekleidet waren, so wollten die
christlichen Damen der guten Gesellschaft nicht zurückstehen.«

»Da können Sie recht haben«, meinte der Chef nachdenklich. »Neulich habe
ich selbst gehört, wie die Frau Artander die Preise bekrittelte und ohne
zu bestellen mit den Worten wegging: »Ach was, heutzutage hat man es ja
gottlob nicht mehr notwendig, sich so aufzutackeln und jede Modedummheit
mitzumachen. Ich werde eben die alten Sachen herrichten lassen.«

Herr Habietnik bekam einen roten Kopf und schlug mit der Hand auf den
Tisch. »Ich habe Sie aber nicht gerufen, um mit Ihnen zu schmusen,
sondern weil ich einen Rat von Ihnen will! Dazu zahl' ich Ihnen ja den
hohen Gehalt!«

Smetana knickte zusammen. »Eine Idee hätt' ich schon, Herr von
Habietnik. Die Leut' tragen jetzt so viel Loden und andere solide
Sachen. Sie haben es ja selbst gesehen, sogar nach Barchent ist
Nachfrage. Wie wäre es, wenn wir ein paar Fenster mit Lodenstoffen,
Lodenröcken, Barchent- und Flanellwäsche füllen würden? Und dazu eine
schöne Tafel und viel Inserate mit der Ankündigung: Loden, Barchent,
Baumwolle und Flanell -- die hohe Pariser Mode!«

Herr Habietnik bekam einen Lachkrampf und krümmte sich so lange, bis ihm
die Tränen über die Backen liefen. »Flanell und Loden -- die große
Pariser Mode! Sie, wenn das die Frau Ella Zwieback, die jetzt in Brüssel
lebt, erfährt, so glaubt sie, daß wir in Wien alle zusammen verrückt
geworden sind! Aber meinethalben, mich ekelt die ganze Geschichte schon
an, ich bekomme Platzangst, wenn ich durch das leere Haus gehe! Gut,
machen Sie Lodenfenster! Und Steirerhüteln dazu nicht vergessen und
genagelte Schuhe! Und die Konditorei verwandeln wir langsam, aber sicher
in eine Stehbierhalle mit heißen Würsteln. Mir ist schon alles egal, so
kapores oder so!«

Zehn Tage später sah man richtig hinter einem der Fenster rote, blaue
und gemusterte Flanellröcke, Hosen, gestrickte Miederleibchen, hinter
einem anderen Baumwollstrümpfe und solides Schuhzeug und in einer der
Auslagen türmten sich Lodenstoffe in Braun, Grau und Schwarz zu Bergen.
Und die Verkaufsräume füllten sich, bis der Bedarf der weitesten Kreise
gedeckt war und die Verkäuferinnen wieder verstohlen hinter ihren
schwarzen Seidenschürzen gähnten oder Engelhornromane lasen.

                   *       *       *       *       *

Im Kaffee Imperial saß der Rechtsanwalt Dr. Haberfeld und schob die
Zeitungen, die ihm der alte Zahlmarkör Josef gebracht hatte, unwirsch
beiseite.

»Sie, Josef, leer ist es jetzt bei euch, daß man neben dem Ofen friert!
Früher hat man mühsam sein Platzerl ergattern können und jetzt, jetzt
könnt' man bei euch das Traberderby abhalten, weil eh' kein Mensch im
Weg steht!«

Josef strich die ergrauten Bartkoteletten, machte tieftraurige Augen,
wischte mit der Serviette über den Tisch und sagte sorgenvoll:

»Es geht eh' ein Ringkaffee nach dem andern ein, ich glaub', lang' wer'n
mir's auch net mehr machen. Wissen S', Herr Doktor, was die Herren
Israeliten -- pardon, die Juden, waren, die sind halt alle gern in die
feinen Lokale gegangen, wo was los ist und man was sieht. Aber die
christlichen Herrschaften, die geh'n ins Vorstadtkaffeehaus und spielen
ihr Tarock oder machen eine Billardpartie und gehen sonst lieber zum
Heurigen oder ins Wirtshaus. 's ist halt eine andere Zeit jetzt!«

»Das merkt ein Blinder, der taubstumm ist«, brummte der Anwalt. »Sie,
Josef, wir zwei kennen einander ja schon lange genug und brauchen uns
keine Komödie vorzuspielen. Mir g'fallt halt die ganze G'schicht net!
Wien versumpert ohne Juden!«

Josef fuhr erschreckt zusammen und sah sich ängstlich um.

»Ah was, es hört uns eh' niemand! Wien versumpert, sag' ich Ihnen, und
wenn ich als alter, graduierter Antisemit das sag', so ist es wahr, sag'
ich Ihnen! Ich wer' Ihnen was sagen, Josef. Wenn ich gegessen hab', muß
ich, Sie wissen's ja am besten, immer mein Soda-Bikarbonat nehmen, um
die elendige Magensäure zu bekämpfen. Wenn ich aber gar keine Magensäure
hätt', so könnt' ich überhaupt nichts verdauen und müßt' krepieren. Und
wissen S', der Antisemitismus, der war das Soda zur Bekämpfung der
Juden, damit sie nicht lästig werden! Jetzt haben wir aber keine
Magensäure, das heißt, keine Juden, sondern nur Soda, und ich glaub',
daran wer'n wir noch zugrund' geh'n!«

Josef, der mit atemloser und ehrfürchtiger Spannung gelauscht hatte,
schlug verzweifelt mit der Serviette auf einen Stuhl und flüsterte
beklommen:

»Recht haben S', Herr Doktor, wenn man sich auch net traut, es laut zu
sagen. Mit dem Zugrundegehen aber fang' ich schon an! Ich habe im
letzten Halbjahr die Hälfte von meinem Ersparten aufgebraucht. Herr
Doktor, unter uns gesagt, und weil Sie selbst ein nobler Herr sein, den
was es nicht treffen tut: Die Herren Israeliten, pardon, ich mein' die
Juden, waren nobel im Trinkgeldgeben!«

Josef räumte die Zeitungen fort, die dem Doktor Haberfeld zu langweilig
waren, brachte auf seinen Wunsch das Prager und das Berliner Tagblatt
und wandte sich anderen, eben eingetretenen Gästen zu, die sich je ein
Viertel Wein bestellten.

»Wie in einem Beisel«, raunte Josef dem Rechtsanwalt im Vorübergehen zu.
Und dieser nickte verständnisvoll, zündete sich eine Zigarre an und
gedachte der Zeiten, da er allabendlich im Kreise jüdischer Kollegen
hier gesessen und trotz aller politischen Gegnerschaft manch' klugen und
guten Gedanken mit ihnen ausgetauscht hatte ...

                   *       *       *       *       *

Der Frühlingsbeginn, der seit jeher als politisch aufgeregte Zeit
gegolten hat, brachte auch diesmal den Wienern unruhige Tage. Die
Arbeitslosigkeit griff erschreckend um sich, eine Fabrik nach der
anderen stellte den Betrieb ein, aber auch die Konkurse der
Detailgeschäfte häuften sich und allenthalben gab es lärmende
Kundgebungen, nicht nur der Arbeiter, für die der Staat halbwegs sorgte,
sondern auch der entlassenen Kommis und Verkäuferinnen, Buchhalter und
Tippmädels, bis in bewegter Ministerratssitzung beschlossen wurde, auch
diesen Kategorien für die Zeit ihrer Stellenlosigkeit Zuschüsse zu
gewähren. Der Finanzminister hatte sich mit Händen und Füßen dagegen
gesträubt, der Kanzler, Doktor Schwertfeger, aber schließlich seinen
Willen durchgesetzt. Doktor Schwertfeger, der noch starrer, knochiger,
härter geworden war, erklärte, daß auch diese neue Belastung getragen
werden müsse.

»Wir dürfen es nicht dazu kommen lassen, daß eines Tages der Ausweisung
der Juden die Schuld an Not und Elend gegeben wird. Wir haben bis heute
die »Arbeiter-Zeitung«, die jetzt zwar von Christen, aber doch noch im
jüdischen Geiste geschrieben wird, bewegen können, jede Kritik des
Antijuden-Gesetzes zu unterlassen. Erfüllen wir die Forderungen der
Stellungslosen im kaufmännischen Betriebe nicht, so wird ihr die Geduld
reißen und sie wird, schon um diese Leute in ihr Lager zu drängen, eine
Polemik eröffnen, die verderblich werden kann, weil wir die
Uebergangszeit von der Judenherrschaft zur Befreiung noch nicht hinter
uns haben.«

»Und unsere Krone?« wandte der Finanzminister Professor Trumm höhnisch
ein.

»Wir müssen uns an unsere christlichen Freunde im Auslande wenden und
ihnen unsere Bedrängnis klar machen. Am besten, Sie fahren gleich nach
Paris und London.«

Trumm lachte laut auf. »Ganz vergeblich! Schon von der ersten Bittfahrt
vor drei Monaten bin ich mit leeren Händen gekommen! Die Leute geben
nichts mehr, haben ja sogar ihre festen Versprechungen nicht ganz
gehalten. Sie unterschätzen den Einfluß unserer früheren Konnationalen,
der österreichischen Juden, die zum Teil heute in den ausländischen
Banken sitzen! Und abgesehen davon, der christliche Begeisterungstaumel
ist vorbei und man steht wieder auf dem kalt-geschäftlichen Standpunkt.
Sogar Mister Huxtable hat abgewinkt. Also meinethalben, bewilligen wir
die Forderungen der stellenlosen kaufmännischen Angestellten! Aber ich
wasche meine Hände in Unschuld.«

Am nächsten Tag wurde der Kabinettsbeschluß verlautbart, es trat wieder
Ruhe ein, aber am zweitnächsten Tag fiel die Krone an der Züricher Börse
um dreißig Prozent. Und die »Neue Züricher Zeitung« veröffentlichte
einen Artikel, in dem sie ziffernmäßig nachwies, daß Wien langsam aber
sicher aufhöre, irgendwelche Bedeutung für den mitteleuropäischen
Handelsverkehr zu haben und der Rivalität Prags und Budapests
unterliege. »In Ungarn ist man nach dem Ende des Horthy-Regimes ebenso
schlau wie in Prag gewesen. Man hat gewisse Kategorien von anständigen
Juden mit offenen Armen aus Wien aufgenommen und dadurch den Handel an
sich gerissen. Die Einkäufer der ganzen Welt können, weil sie zum großen
Teil Juden sind, ohnedies Wien nicht mehr besuchen, sie gehen nach Prag,
Brünn und Budapest, in erster Linie natürlich nach Berlin, das reißt die
christlichen Einkäufer mit, die österreichischen Erzeuger von
Fertigfabrikaten, wie Ledergalanterie, Schuhe, Keramik und so weiter,
müssen, statt die Einkäufer bei sich zu empfangen, mit dem Musterkoffer
nach dem Ausland reisen, kurzum, es werden trotz des beispiellos
niedrigen Standes der Krone in Wien keine nennenswerten Geschäfte
gemacht. Damit hat naturgemäß in Wien auch das Schiebertum in Valuten
sein Ende erreicht, aber wie es scheint, auf Kosten des österreichischen
Organismus. Der geniale Bundeskanzler Doktor Schwertfeger hat mit seinem
Gesetz keine große, sondern eine allzugroße Tat getan!«

Und wie zur Bekräftigung der Wahrheit dieses Artikels begann sich in
Wien eine völlige Deroutierung des Bankenwesens einzustellen. Die
ausländischen Konsortien, die die Wiener Großbanken übernommen hatten,
sahen sich in ihren Hoffnungen bitter enttäuscht. Ihr Umsatz wurde immer
geringer, mit dem Fortgang der Juden hatte auch das Börsenspiel einen
beträchtlichen Rückgang aufzuweisen, und die Banken waren genötigt, wenn
sie nicht mit Verlust arbeiten wollten, eine der Tausenden von
Bankfilialen, mit denen Wien überfüllt war, nach der anderen
aufzulassen. Vergebens legte die Organisation der Bankbeamten dagegen
Protest ein, daß ein Teil ihrer Mitglieder brotlos gemacht wurde. Die
Banken steckten sich hinter ihre Gesandtschaften, es kam zu peinlichen
diplomatischen Interventionen, die damit endeten, daß die
österreichische Regierung, statt ihre eigenen Beamten abzubauen, noch
die stellenlosen Bankangestellten in ihren Dienst nehmen mußte. Und die
Krone fiel auf ein Tausendstel Centime.

                   *       *       *       *       *

An einem schönen, sommerlich warmen Maimorgen kam vom Westbahnhof her
ein Automobil vor das Hotel Bristol gefahren, dem ein eleganter,
schlanker, dunkelhaariger Herr entstieg. Der Hoteldirektor musterte mit
geübtem Blick den schweren Lederkoffer und das Handgepäck und dann erst
den Fremden, dem ein kleines Knebelbärtchen im Verein mit dem
aufgezwirbelten und in Wien sehr unmodernen Schnurrbart einen exotischen
Anstrich verlieh. Südfranzose! taxierte der Direktor, rechnete rasch im
Kopf französische Franken in Kronen um, und beschloß, dem erstaunlichen
Resultat gemäß, den Zimmerpreis zu stellen. Auf die französisch
vorgebrachte Frage, ob ein Zimmer frei sei, erwiderte er, ein ironisches
Lächeln mühsam unterdrückend:

»Jawohl, Monsieur, ein einzelnes Zimmer gefällig oder ein Appartement
mit Bad? Mit Aussicht auf den Ring oder nach rückwärts?«

Der Passagier ließ vor Erstaunen das eingeklemmte Monokel fallen.

»Ja, wie ist denn das? Früher konnte man doch ohne vorherige Anmeldung
nirgends unterkommen!«

»Mein Herr,« seufzte der Direktor jetzt tief und ehrlich, »Sie waren
wahrscheinlich anderthalb Jahre oder länger nicht mehr in Wien! Seither
hat sich viel verändert!«

Der Fremde war sofort im Bilde, nickte verständnisvoll, forderte ein
Appartement auf die Ringstraße hinaus und füllte dann den Meldezettel
aus.

»Henry Dufresne, Kunstmaler aus Paris, 29 Jahre alt, katholisch, ledig.«

Monsieur Dufresne nahm ein Bad, kleidete sich um, pfiff dabei vergnügt
einen Pariser Gassenhauer vor sich hin, ließ sich ein vorzügliches
Frühstück auf dem Zimmer servieren und verließ dann so gegen zehn Uhr
vormittags ersichtlich aufgeräumt das Hotel.

Der Franzose mit dem Knebelbärtchen kannte sich in Wien entschieden gut
aus, denn er schwang sich ohne jemanden zu fragen, auf einen
Straßenbahnwagen, und er mußte auch die deutsche Sprache vorzüglich
beherrschen, denn man sah ihm an, daß er den Gesprächen der Umstehenden
interessiert lauschte. Als eine alte Frau über die Teuerung zu jammern
begann und arg auf die hohe Obrigkeit schimpfte, klopfte Herr Dufresne
sie auf die Schulter und meinte in tadellosem Deutsch und wienerischem
Akzent besänftigend:

»Wie kann man nur so was sagen, Mutterl, wir müssen doch alle froh und
glücklich sein, weil wir die Juden losgeworden sind.«

Aber das Mutterl begehrte jetzt erst recht auf.

»Mir ham' die Juden nie was g'tan! Wegen meiner hätten s' in Wien
bleiben können. A so a gute Bedienung hab' i bei an jüdischen Herrn
g'habt und alleweil, wann er a Madl mit nach Haus g'bracht und an
Unordnung g'macht hat, hat er mir an Hunderter extra g'schenkt. Leben
und leben lassen, hat er immer g'sagt und recht hat er g'habt!«

Die Leute auf der Plattform lachten und ein biederer Mann mit einer
weinselig funkelnden Nase meinte bestätigend:

»Ja, das derf man schon sagen, es hat auch anständige Leut' unter den
Juden 'geben!«

Ein eigenartiges Lächeln spielte um den Mund des Franzosen, der nun
ausstieg und langsam zu Fuß die Währingerstraße entlang schlenderte,
dann in die Nußdorferstraße einbog, mitunter vor einer Auslage
kopfschüttelnd stehen blieb, die Preise der ausgestellten Waren zur
Kenntnis nahm und so schließlich in die Billrothstraße kam, die im
weiteren Verlauf nach den rebenreichen Vororten Sievering und Grinzing
führt.

Ein Zettel am Haustor eines modernen Zinspalastes in der Billrothstraße
fesselte seine Aufmerksamkeit.

»Kleine, elegant möblierte Wohnung mit Atelier sofort zu vermieten.
Auskunft erteilt der Portier.«

Kurz entschlossen betrat Herr Dufresne das Haus und suchte den Portier
auf, der ihn mittelst Lift nach dem fünften Stock führte und die Wohnung
zeigte. Sie bestand aus einem Schlafzimmer, einem als Herrenzimmer
eingerichteten Salon, an den sich ein atelierartiger, großer Raum mit
Glasdach schloß. Auch ein Badezimmer war vorhanden.

»Wie kommt es, daß die Wohnung leer steht?«

»I, du meine Güte,« rief der Portier, »in Wien stehen jetzt an die
zwanzigtausend Wohnungen leer! Diese da hat ein Architekt, ein Herr
Rosenbaum, gehabt, der mit den anderen Juden fort mußte. Der Hausherr
hat ihm die Möbel abgekauft, konnte aber bis heute keinen Mieter finden,
weil keine Küche dabei ist.«

Nach weiteren fünf Minuten hielt der Portier einen Zehntausendkronenschein
als Angabe in der Hand, und Herr Dufresne war Besitzer der
Wohnung. Als er jetzt mit beschleunigten Schritten gegen
Grinzing ging, wirbelte er vergnügt sein Spazierstöckchen in der Luft
und murmelte vor sich hin: »Der Anfang ist gut, besser hätte ich es mit
der Wohnung gar nicht treffen können.« Je näher er aber Grinzing kam,
desto erregter wurde er, seine Wangen färbten sich rot und seine braunen
lustigen Augen leuchteten wie im Fieber. Nun hatte er die Kobenzlgasse
erreicht und seine Schritte wurden langsam, fast schleppend, wie die
eines Mannes, der einem schicksalsschweren Augenblick entgegengeht. Vor
dem Hause des Hofrates Spineder blieb er tiefatmend stehen und zog sich
den grauen Kalabreserhut in die Stirne, daß man nur mehr seinen
Knebelbart und das Kinn sah. Unschlüssig ging er auf und ab, mitunter
nervös auf die Armbanduhr sehend, die auf halb zwölf wies. Gerade als er
wieder vor dem grünen Tor stand, ging dieses auf und ein Dienstmädchen
verließ das Haus. Und eben in diesem Augenblick, als das Tor offen
stand, sah Herr Dufresne, wie von der links im Hofe gelegenen
Wohnungstür ein junges, weißgekleidetes Mädchen mit goldblonden Haaren,
die kein Hut verdeckte, in der Hand ein Buch, den Hof nach rückwärts
durchschritt und den Garten aufwärts ging.

»Hurra!« schrie der Mann mit dem Knebelbart in sich hinein und sein
Kriegsplan war fertig. Rechts vom Spinederschen Grundstück lag, von ihm
durch einen Holzzaun getrennt, ein langer, leerer Bauplatz, seit dem
Kriege provisorisch in einen riesigen Gemüsegarten verwandelt. Der Länge
nach zog sich dieser Gemüsegarten bis hoch hinauf zum Lusthäuschen auf
der höchsten Stelle des Spinedergartens. Auf der anderen Längsseite war
das Grundstück ebenfalls durch einen Holzzaun von einer Nebengasse der
Kobenzlgasse getrennt, aber dieser Zaun war verwahrlost und wies
mehrfach Unterbrechungen auf. Durch eines der Löcher kroch nun der
Franzose, eilte mit langen Sätzen den Gemüsegarten aufwärts, wobei er
links von sich das blonde Mädchen gehen sah und es bald hinter sich
ließ. Nun war Herr Dufresne ganz oben, mit einem Ruck schwang er sich
über den Zaun in den Garten des Hofrates Spineder hinüber und versteckte
sich hinter einem mächtigen Lindenbaum, der mitten im Weingarten stand.
Einige Minuten später war das Mädchen beim Baum angelangt, aber es
konnte den Mann hinter dem Baum nicht sehen. Bis plötzlich Unerwartetes
geschah. Herr Dufresne rief halblaut: »Lotte!« Und als Lotte Spineder
erschreckt und verwirrt stehen blieb und sich umsah, rief er wieder:
»Lotte! Ich bin es, um Himmelswillen erschrick nicht!«

Im nächsten Augenblick hielt der Herr mit dem Knebelbart Lotte, die
schneeweiß geworden war und zu schwanken begonnen hatte, in seinem Arm.
Und immer wieder preßte er seinen Mund auf ihre kalten Lippen, bis sich
ihre Wangen färbten und sie ihn, am ganzen Körper bebend, fest
umklammerte, als wollte man ihn ihr entreißen.

Und nun saßen sie im Lusthäuschen, Leo Strakosch hielt Lotte auf seinem
Schoß und erzählte in fliegenden Worten:

»Ja, Lottchen, ich bin es, und dir zuliebe habe ich mir diesen
entsetzlichen Napoleonbart plus Schnurrbart wachsen lassen. Ich habe es
einfach vor Sehnsucht nach dir nicht mehr ausgehalten, und als mir dein
Vater schrieb, daß er ernstlich um deine Gesundheit besorgt sei und es
für richtiger halte, wenn wir den Briefwechsel, der in dir alle Wunden
immer wieder aufreiße, einstellen würden, war mein Plan gefaßt. Ich
vertraute mich einem lieben, guten Kameraden, Henry Dufresne, der für
mich ins Feuer gehen würde, an, ließ mir den Knebelbart, wie er ihn hat,
stehen und bekam von ihm sämtliche Papiere, als da sind: Taufschein,
Heimatschein, Militärzeugnis und den ordnungsgemäß von der
österreichischen Gesandtschaft in Paris vidierten Paß. Wir sahen durch
den Bart einander so ziemlich ähnlich, so daß er es riskieren konnte,
sich seinen Paß mit meiner Photographie zu besorgen. Und meine
Unterschrift hat er nachgemacht und nicht ich seine. Der gute Junge hat
natürlich allen Freunden und Bekannten erzählt, daß er nach Wien fährt,
in Wirklichkeit ist er auf das Gut seines Onkels in Südfrankreich
gegangen, wo er ein Jahr bleibt. Und genau so lange, als er dort ist,
kann ich hier in Wien als Henry Dufresne leben.«

Lotte schluchzte und lachte in einem Atem.

»Leo, ich bin ja so namenlos glücklich! Aber ich habe auch solche Angst
um dich! Du weißt, es steht die Todesstrafe auf die verbotene Rückkehr
-- was, wenn sie dich erwischen?!«

»Ganz ausgeschlossen, mein Lieb! Die wenigen Freunde, die ich hatte,
sind Juden und mußten so wie ich das Land verlassen. Außerdem bin ich
tatsächlich durch den Bart unkenntlich, besonders, wenn ich ein Monokel
trage. Und selbst wenn jemand käme und behaupten würde, daß ich Leo
Strakosch bin -- ich würde einfach leugnen und niemand könnte mich
überführen, denn mein Paß ist echt, die Unterschrift ist echt, und wenn
man bei der Polizei in Paris anfragen sollte, so würde man die Auskunft
bekommen, daß Henry Dufresne mit Reisepaß nach Wien abgereist sei.«

»Aber Papa und Mama?« fragte Lotte nach etlichen herzhaften Küssen, die
ihr trotz Schnurrbart und Mouche wohl taten.

»Die dürfen natürlich nicht ein Sterbenswörtchen erfahren, Lotte«,
meinte Leo ernst. »Nicht, daß sie mich anzeigen würden! Aber dein Papa
ist zu sehr Beamter und Hofrat, um mir eine solche Mystifikation nicht
übel zu nehmen, und außerdem würde er unter keinen Umständen dulden, daß
wir zusammenkommen, sondern mich beschwören, wieder fortzufahren. So
aber werden wir uns täglich sehen, nicht wahr, Lotte?«

Und Leo erzählte ihr von der behaglichen, kleinen Wohnung, die er eben
gemietet und schilderte, wie sie dort täglich ein paar Stunden, so lange
Lotte sich eben würde freimachen können, zusammen verbringen würden.
Lotte war nur über und über rot geworden, aber sie sah in die ehrlichen
und treuen Augen ihres Bräutigams und wußte, daß sie auch ganz allein
mit ihm in guter Hut sein würde.

Lotte konnte jeden Augenblick im Garten gesucht werden und Leo mußte
verschwinden. Bevor sie aber Abschied nahmen, bewölkte sich wieder die
weiße Stirne des Mädchens.

»Leo, du hast nun deine glänzende Karriere in Paris aufgegeben! Was aber
willst du hier in Wien tun, wie bei dieser schrecklichen Teuerung, über
die nun auch Papa zu klagen beginnt, deinen Unterhalt bestreiten?«

Leo lachte so vergnügt und laut, daß ihm Lotte erschreckt die Finger auf
den Mund legte. Was er für eine Aufforderung nahm, die kleinen rosigen
Finger zu küssen. Er tat es reichlich und sagte dann:

»Mein Liebes, was ich hier tun werde? Arbeiten, und zwar tüchtig, und
ungeheuer viel Geld sparen, weil diese Wiener Teuerung, in Franken
umgerechnet, lächerlich billig ist. Du mußt nämlich wissen, daß ich von
der größten Pariser Verlagsfirma den Auftrag bekommen habe, eine neue
Gesamtausgabe der Werke Zolas zu illustrieren. Glänzende Bedingungen,
sage ich dir. Sechzigtausend Francs, wovon ich die Hälfte bei Abschluß
der Vertrages bekommen habe. Die andere Hälfte erhalte ich, wenn ich die
zweihundert Zeichnungen abliefere, und das muß in einem Jahr sein. Also,
du siehst wieder einmal: Wir Juden sind schlau und wissen, wo unser
Vorteil bleibt!«

Leo kroch über den Zaun zurück und Herr Dufresne besorgte noch am selben
Tag seinen Umzug nach der Billrothstraße. Hofrat Spineder und seine
Gattin stellten aber mit Befriedigung fest, daß ihr Töchterchen zum
erstenmal seit Jahr und Tag guter Laune war und heiter vor sich hinsang.

»Du wirst sehen,« sagte der Hofrat seiner Gattin, »Lotte schlägt sich
nach und nach die ganze traurige Geschichte aus dem Kopf! Der arme
Bursch' tut mir ja leid, aber es ist besser so. Uebrigens hat er mir ja
auch ganz vernünftig geschrieben und versprochen, den Briefwechsel mit
Lotte aufzugeben.«

Die Frau Hofrätin schüttelte verwundert das Haupt und dachte: Wie doch
die Mädchen von heute ganz anders sind! Ich würde an Lottes Stelle meine
Liebe nicht überwunden haben!

                   *       *       *       *       *

Die »Weltpresse«, einst das Blatt des liberalen Bürgertums, jetzt das
Hauptorgan der christlichsozialen Partei, erhielt eine Zuschrift von dem
Besitzer des Hauses Billrothstraße 19, in der in scharfer und logischer
Weise gegen den Fortbestand des Mieterschutzgesetzes Stellung genommen
wurde. »Das Mieterschutzgesetz«, hieß es in der Zuschrift, »hatte Zweck
und Sinn, als Wohnungsnot herrschte und die Bevölkerung davor geschützt
werden mußte, durch die Habgier einzelner Hausbesitzer obdachlos gemacht
zu werden. Heute gibt es keinen Mangel an Wohnungen mehr; dank dem
segensreichen Antijudengesetz unseres hochverehrten Bundeskanzlers sind
wieder normale Verhältnisse eingetreten, es ist der notwendige
Ueberschuß an Wohnungen vorhanden, und so erübrigt sich dieses
Mieterschutzgesetz, das nur mehr einen brutalen Eingriff in die Rechte
der Hausbesitzer bildet, ja sogar einen Verfassungsbruch. Sicher werden
nach Aufhebung des Gesetzes Steigerungen der Mietzinse eintreten, was
nur gerechtfertigt wäre und schließlich der Allgemeinheit zugute käme,
denn von den höheren Mietzinsen sind höhere Steuern zu zahlen und mit
höheren Mietpreisen steigt der Wert der Häuser. Es ist charakteristisch,
daß es ein in meinem Hause wohnender, vornehmer französischer Künstler
ist, der mir sein Entsetzen über dieses Mieterschutzgesetz ausdrückte.
Er erklärte, daß man sich in französischen Kapitalistenkreisen über
dieses Gesetz lustig mache, das unter anderem auch verhindert, daß
Ausländer ihr Geld in Wiener Häusern anlegen. Also fort mit dem
Mieterschutzgesetz! Die vornehme christliche Gesinnung der Wiener
Hausbesitzer, vor allem aber das Gesetz von Angebot und Nachfrage werden
automatisch ein allzu starkes Hinaufschnellen der Mietpreise
verhindern.«

Die Zuschrift erschien an auffallender Stelle in der »Weltpresse« mit
einem redaktionellen Zusatz, in dem sehr vorsichtig die Ansicht des
geehrten Einsenders gebilligt, ihr aber gleichzeitig auch sanft
widersprochen wurde. Denn man wollte weder die Hausbesitzer noch die
Mieter vor den Kopf stoßen.

Von da an begann ein lebhafter öffentlicher Gedankenaustausch, es
hagelte von Zuschriften und immer stürmischer wurde der Ruf der
Hausbesitzer nach Aufhebung des Mieterschutzgesetzes, Einräumung des
Kündigungsrechtes und der individuellen Mietsteigerung. Herr Windholz,
der Besitzer des Hauses in der Billrothstraße, war plötzlich eine
gewichtige Persönlichkeit geworden, der Verein der Hausbesitzer wählte
ihn zum Vorstand und täglich kam er zu seinem vornehmen französischen
Mieter, Herrn Dufresne, um sich bei ihm Rat zu holen. Herr Strakosch,
_alias_ Dufresne, aber hetzte munter weiter und sagte eines Tages mit
Emphase:

»Wenn sich die Hausbesitzer noch weiter diese Versklavung gefallen
lassen, so halte ich sie alle zusammen für alberne Waschlappen und ich
werde eine Stadt verlassen, in der solche Zustände möglich sind.«

»Ja, was sollen wir nur tun,« meinte Herr Windholz kleinmütig, »wenn die
Regierung absolut unseren Wünschen nicht entsprechen will?«

»Was Sie tun sollen? Ich werde es Ihnen sagen! Heute noch trommeln Sie
Ihren Verein zusammen und fassen den Beschluß, der Regierung ein
dreitägiges Ultimatum zu stellen. Stellt sie bis dahin die Freizügigkeit
im Wohnungsverkehr nicht wieder her, so wird von den Hausbesitzern
gestreikt! Sie führen keine Steuern ab, unterlassen die Hausbeleuchtung
und Reinigung, verweigern die Bezahlung der Hypothekarzinsen, kurzum,
Sie sabotieren den Staat!«

Herr Windholz war begeistert, umarmte den Franzosen und versicherte ihm,
daß er keinesfalls im Zinse gesteigert werden würde.

Es geschah ganz nach dem Programm des Herrn Dufresne. Der Verein der
Wiener Hausbesitzer beschloß einstimmig das Ultimatum und die Regierung
fiel um. Vergebens versicherte Doktor Schwertfeger, daß die Aufhebung
des Mieterschutzgesetzes die unheilvollsten Folgen haben werde, er wurde
von seinen Ministerkollegen überstimmt. Wie die »Arbeiter-Zeitung«
boshaft behauptete, in erster Linie deshalb, weil der Finanzminister,
der Unterrichtsminister und der Handelsminister mehrfache Hausbesitzer
waren.

Das Mieterschutzgesetz, das den Hausbesitzern sowohl die Kündigung der
Mieter als die willkürliche Erhöhung der Mietpreise untersagte, fiel
also, und vierundzwanzig Stunden später fand eine stürmische
Generalversammlung der Hausbesitzer statt, in der beschlossen wurde, die
derzeitigen Mietpreise der Teuerung halbwegs entsprechend auf das
Tausendfache zu erhöhen. Eine Art Rütlischwur verpflichtete zur
unbedingten Einhaltung dieses Beschlusses.

Die Bevölkerung, die ja nur zum geringsten Teile aus Hausbesitzern
besteht, geriet in Tobsucht. Arbeiterfamilien mußten nunmehr eine halbe
Million im Jahr für ihre Wohnung bezahlen, eine kleine Mittelstandswohnung
kostete nicht unter einer ganzen Million! Die Organisation
der Hausfrauen, die Gewerkschaften, der Verband der Festangestellten,
die Kriegsinvaliden und Kriegswitwen, der Bund der Gewerbetreibenden,
sie alle veranstalteten Massendemonstrationen, und durch
volle acht Tage wurde in Wien und den Provinzstädten überhaupt
nicht gearbeitet, sondern vom Morgen bis in die Nacht demonstriert. Die
Zahl der eingeschlagenen Fensterscheiben wuchs erschreckend, und zum
erstenmal seit einer geraumen Anzahl von Jahren hörte man auf der Straße
den Ruf:

»Nieder mit der Regierung!«

Die christlichen Blätter ebenso wie die deutschnationalen verloren
massenhaft Leser, während der Weizen der »Arbeiter-Zeitung« wieder zu
blühen begann.

                   *       *       *       *       *

Herr Zwickerl war schlechter Laune und stocherte wütend in seinem
Kirschenstrudel umher, der auf dem Teller vor ihm lag. Frau Zwickerl sah
Sturm kommen und beugte vor.

»Anton, was is dir denn wieder über die Leber gelaufen? Geht das
Geschäft nicht?«

Das war für Herrn Zwickerl zu viel. Er schob den Kirschenstrudel fort,
wurde röter im Gesicht als die Kirschen im Strudel und brüllte:

»Oh ja, das G'schäft geht! Zum Teufel nämlich geht es! Damit du nur
weißt, Konkurs muß ich ansagen!«

»Jessasmariandjosef!« kreischte Frau Zwickerl auf. »Wie ist denn das
möglich?! Es ist doch immer g'steckt voll im Laden und alle Leut'
glauben, daß du eine Goldgruben von dem Juden, dem Leßner, übernommen
hast!«

»Ja,« höhnte Zwickerl, »eine Goldgruben voll mit Dreck! Je mehr die
Leut' kaufen, desto mehr verlier' ich! Weißt was? Daran san die
verfluchten Valuten schuld! Kronen, schäbige Kronen krieg' ich herein
und Mark und tschechische Kronen und Franken fliegen hinaus. Zehntausend
Meter Batist kauf' ich in Reichenberg und nach acht Tagen kommt der
Verkäufer von der Abteilung und strahlt über das ganze blöde Gesicht und
sagt: »Herr Zwickerl, die Ware fliegt einem nur so aus der Hand! Morgen
haben wir nicht mehr einen Meter im Haus!«

»Schön, denk' ich mir und geh' in die Buchhaltung, und wie wir
nachrechnen, sehen wir, daß ich, weil die tschechische Krone wieder
gestiegen ist, bei jedem Meter tausend Kronen verloren hab'. Und das ist
nur ein Beispiel von hunderten. Ich schlag' eh' bei jeder War' schon
dreihundert Prozent auf und trotzdem, die Krone fällt rascher, als ich
aufschlagen kann, Verluste, nichts als Verluste, und die Länderbank, die
mir das Kapital zur Uebernahme gegeben hat, fordert Rückzahlung und ich
kann nicht zahlen, weil ich ein riesiges Defizit habe. Im Gegenteil, ich
brauche wieder hundert Millionen, weil ich sonst nicht einkaufen kann!«

Herr Zwickerl hatte sich Luft gemacht und war besänftigt. Er zog den
Kirschenstrudel an sich heran und machte ein pfiffiges Gesicht:

»Weißt, Alte, wir braucheten einfach ein paar jüdische Banken, das ist
alles! Früher, als ich noch mein kleines Geschäft in der Stumpergassen
gehabt habe, da bin ich alleweil, wenn ich im Ausland kaufen mußte, zum
krummen Kohn von der Hermesbank gegangen, wo mein Konto war, und der hat
gesagt: Herr Zwickerl, hat er gesagt, Sie müssen sich jetzt mit Mark
eindecken, weil die Mark steigen wird; oder: die Krone wird fester
kommen, hat er gesagt, kaufen Sie Kronen. Und immer ist es richtig so
gewesen und ich hab' nicht nur an der Ware, sondern auch noch an der
Valuta verdient! Aber jetzt -- die Affen, die jetzt in der Bank
beieinandersitzen, kennen sich selber net aus und i kenn' mi' auch net
aus und alles geht kaput, sag' ich dir!«

Herr Zwickerl gehörte zu den vielen kleinen Geschäftsleuten, die durch
das Antijudengesetz mächtig in die Höhe gekommen waren. Mit Hilfe der
urchristlich gewordenen Länderbank hatte er, der kleine Dutzendkaufmann,
das große Warenhaus in der Mariahilferstraße an sich bringen können, und
das erste Halbjahr war alles eitel Wonne gewesen. Wenn Herr Zwickerl auf
der Galerie des Kaufhauses stand und auf den Menschenschwarm hinabsah,
kam er sich wie ein kleiner König vor und er berauschte sich ordentlich
an dem Klingeln der Registrierkassen, dem Knistern der Seide und dem
Stimmengewirr. Und allabendlich leerte er beim Nachtessen sein Weinglas
auf das Wohl des Schwertfeger, und immer wieder sagte er zu seiner Frau,
die jetzt nur mehr in Glacéhandschuhen kochte:

»Alte, da sieht man es am besten, wie uns die Juden ausgesaugt haben!
Die Juden haben die großen Geschäfte gehabt und wir Christen konnten im
finsteren Laden schuften und darben. Gottlob, daß das aufgehört hat!«

Aber schon die erste Semestralbilanz brachte dem Herrn Zwickerl arge
Enttäuschung. Trotz der enormen Umsätze und des gefüllten Kaufhauses war
von einem Gewinn keine Rede, immer wieder hatte man sich beim Einkauf im
Ausland so oder so verspekuliert. Und mehr als einmal hatte Herr
Zwickerl in sich hineingeseufzt: An ordentlichen Juden, wenn ich hätt',
der was mich beraten tät'!

Herr Zwickerl mußte tatsächlich Konkurs anmelden, das Geschäft wurde
geschlossen und von einem Grundbesitzer aus der Gumpoldskirchner Gegend
übernommen, der aus dem großen Haus eine riesige Stehweinhalle machte.

In den Jahren, die dem Kriegsende und dem Umsturz gefolgt waren, hatte
sich Wien immer mehr zur Zentrale des mitteleuropäischen Luxus
entwickelt und das Leben gewisser Schichten eine Ueppigkeit angenommen,
die in der ganzen Welt als beispiellos besprochen wurde. Die breiten
Massen der Wiener Bevölkerung aber, nicht nur die Arbeiter, sondern auch
das mittlere Bürgertum, hatten zähneknirschend gesehen, wie sich die
fremden Elemente, vor allem die Juden aus Galizien, Rumänien und Ungarn,
als Herren Wiens aufspielten, mit dem für sie fast wertlosen
österreichischen Geld um sich warfen, Champagner tranken, wo der kleine
Mann kaum noch das Glas Bier zahlen konnte, ihre Weiber mit Perlen und
Pelzen behängten, während die wirklich gute Gesellschaft den alten
Familienschmuck stückweise verkaufen mußte, in prachtvollen
Luxusautomobilen durch die Straßen rasten, den bodenständigen Wienern
die Wohnungen wegnahmen und mit ihrem lärmenden protzigen Gehaben die
alte kultivierte Stadt erfüllten.

Als die Juden fortgetrieben waren, änderte sich das alles von Tag zu Tag
auf das gründlichste. Der sinnbetörende Luxus verschwand, der Wiener
Ausverkauf stockte, man mußte sich nicht mehr anstellen, um einen Platz
im Opernhaus zu ergattern, das Leben wurde stiller, solider, einfacher.
Bis es sich zeigte, daß eine Stadt wie Wien ohne Luxus nicht leben kann.
Zuerst hatten die christlichen Geschäftsleute, die die Kaufläden der
Juden übernahmen, sich auch deren Automobile bemächtigt, es schien der
Wohlstand derselbe geblieben zu sein und nur eine Umgruppierung erfahren
zu haben, und der Jubel, mit dem die Wiener es begrüßten, daß sie nicht
bei jedem Schritt auf jüdische Schieber stoßen mußten, war ebenso
ehrlich als begreiflich. Als dann aber bald die Krone wieder ins
Uferlose fiel und die Teuerung neue Wellen zog, als alles das, was eben
auf äußersten Luxus eingestellt war, wie die vornehmen Geschäfte, die
Kabaretts, die Theater, die fürstlichen Restaurants und Bars, einging,
als die Arbeitslosigkeit um sich griff und der Export nach dem Ausland
immer geringer wurde, da begann auch das äußere Leben flügellahm zu
werden. Die Zehntausende von Automobilen, die aus jüdischen Händen in
christliche übergegangen waren, wurden für eine Handvoll Lire oder
Franken ins Ausland verkauft, weil bei dem schlechten Geschäftsgang das
Benzin unerschwinglich wurde, die Kunsthändler klagten über völlige
Geschäftslosigkeit, das Defizit der Staatstheater wuchs riesenhaft,
christliche Künstler und Gelehrte von Ruf, vor allem aber die großen
Aerzte, zogen ins Ausland, weil das Inland ihnen nicht mehr die Honorare
bezahlen konnte und wollte, die sie von den jüdischen Zeiten her gewohnt
waren.

Und unaufhaltsam griffen Mißmut, Unzufriedenheit und die Erkenntnis, auf
einer abschüssigen Bahn zu gehen, um sich.

                   *       *       *       *       *

An einem herrlichen Junitag ging Leo Strakosch als Franzose Dufresne
nach dem Stadtpark, um wieder einmal Fühlung zum Wien von heute zu
bekommen. Sonst verließ er den neunzehnten Bezirk kaum, da er entweder
in seinem Atelier arbeitete oder aber mit Lotte ausgedehnte Spaziergänge
im Wienerwald unternahm. Als er heute nun zwischen den dichtbesetzten
Tischen um den Kursalon herum spazierte, war er so belustigt, daß er
laut auflachte.

»Um Himmels willen, was ist aus meinem schönen eleganten Wien geworden!«

Die Mode des Alpenkleides und Touristenanzuges schien allgemein geworden
zu sein; so weit das Auge reichte, sah er alte und junge Herren in
Loden, Kniehosen und mit dem grünen Steirerhütl auf dem Kopf. Und die
Damen! Die Mehrzahl trug Dirndlkostüme, die ja im freien Gelände sehr
nett und anmutend wirken, hier aber wie Karikaturen, wie schlechte Witze
erschienen. Man war eben sehr bescheiden geworden, und vor allem bildete
man ja eine einzige große Familie, war unter sich und hatte es nicht
notwendig, sich »herzurichten«.

Hie und da sah man auch noch elegant gekleidete Damen und Herren; sie
fielen aber auf, man konnte von den Aelpler-Tischen bissige Bemerkungen
über sie hören, und Strakosch wurde es fast unheimlich zumute, als er
sah, wie ihn dieses oder jenes »Dirndl« durch ein Lorgnon anstierte,
wahrscheinlich nur deshalb, weil sein dunkelblauer Anzug, die
Lackstiefel und die kostbare Seidenkrawatte auffielen.

Die elektrische Straßenbahn, städtische Musik und Dirndln, die ein
Lorgnon tragen -- Leo schüttelte sich. Er eilte aus dem Stadtpark fort
über die Ringstraße, fand auch das Bild, das die Kaffeehäuser boten,
trostlos, grinste, als er wahrnahm, daß die meisten Leute einander mit
»Heil« begrüßten und mußte lange suchen, bis er ein Autotaxi fand. Denn
auch diese Mietwagen waren ein Luxus geworden, der so wenig Benutzer
hatte, daß die meisten ihr Geschäft aufgaben.

Spät abends, als die Sonne schon langsam unterging, traf er Lotte
verabredetermaßen am Rande des Kobenzlwaldes. Sie ließen sich auf einer
Bank nieder, und nachdem sie sich sattgeküßt, erzählte Lotte, daß ihre
Eltern beschlossen hatten, schon in der nächsten Woche nach ihrer
kleinen Villa am Wolfgangsee zu übersiedeln.

»Was soll nur aus uns werden,« klagte Lotte, »wie soll ich es ertragen,
dich den ganzen Sommer nicht zu sehen?«

»Davon kann auch keine Rede sein, Lieb. Ich werde eben auch ausspannen,
und wenn du in St. Gilgen bist, werde ich in Wolfgang wohnen und jeden
Tag wirst du herüberkommen und wir werden wenigstens eine Stunde
beisammen sein.«

»Hm,« meinte Lotte vergnügt, »das läßt sich ja hören! Aber jetzt muß ich
dir auch sagen, daß ich gestern eine Auseinandersetzung mit Papa hatte.
Stelle dir nur vor, plötzlich sah mich Papa scharf an und sagte sehr
ernst: Lotte, wo treibst du dich eigentlich neuerdings immer stundenlang
allein herum? Du weißt, wir lassen dir alle mögliche Freiheit, aber was
zu viel ist, ist zu viel!

Also, ich fühlte, wie ich blutrot wurde und dachte, das beste ist, ich
beichte.«

»Was,« unterbrach sie Leo entsetzt, »du hast deinem Vater erzählt...?«

»Ausreden lassen, Aff'«, lachte Lotte und zwickte ihn in das Ohr. »Ich
beichtete also, aber natürlich nur das, was mir paßte. Ich sagte dem
Papa, daß ich bei der Erna einen sehr feinen jungen Mann kennen gelernt
habe, den ich ebenso gut leiden mag, wie er mich und daß ich ihn oft
treffe, um mit ihm spazieren zu gehen. Er sei ein Franzose, namens Henry
Dufresne, der hier große Geschäfte mache.

Der Papa war zuerst ganz sprachlos, dann fragte er mich, warum ich den
Franzosen nicht zu uns einlade. Darauf erwiderte ich, daß ich meiner
Gefühle noch nicht sicher sei und deshalb der Sache keinen offiziellen
Anstrich geben wolle. Und zum Schlusse meinte ich ganz empört:

Papa, du weißt doch, daß du dich auf mich verlassen kannst! Ich tue
sicher nichts Unrechtes, und wenn ich es für gut und notwendig halten
werde, so wird Henry schon zu euch kommen! Jetzt aber laßt mich meine
Wege allein gehen.

Papa war darauf sehr lieb und nett und Mama auch, und später hörte ich,
wie der Papa der Mama sagte: »Ich hätte nicht gedacht, daß Lotte den
armen Leo so rasch und gründlich vergessen würde. Aber ich bin sehr
glücklich darüber, daß sie eine neue Neigung gefaßt hat und wir wollen
ihr nichts in den Weg legen.«

Und Mama, die dich doch so gerne hat, meinte kopfschüttelnd: »Ich
versteh' das Mädel gar nicht! Sie hat wirklich schon wieder rote Wangen
bekommen und trällert den ganzen Tag umher, als wäre ihr nie ein
Herzleid widerfahren.«

Weißt du, Leo, es ist sicher nicht schön von uns, daß wir meine Eltern
so an der Nase herumführen, aber ich bin ja so glücklich, daß du hier in
Wien bist!«

Leo zog Lotte an sich, küßte sie gründlich ab und sagte dann mit
wichtiger Miene:

»Jetzt gehen wir aufs Land, und wenn ich dann wieder hier bin, dann
werde ich die ganze Stadt an der Nase herumzerren, aber tüchtig, sage
ich dir! Mehr kann ich dir heute noch nicht verraten, aber du wirst
deine Wunder erleben!«

Dieser Sommer tröstete die Wiener zum zweitenmal für das viele Ungemach
und die argen Enttäuschungen, die sie erleben mußten. Gerade die
schönsten Plätze und Orte in dem klein gewordenen Oesterreich waren in
den früheren Jahren zum Pachtgut der Juden geworden. Das ganze herrliche
Salzkammergut, das Semmeringgebiet, sogar Tirol, soweit es einigen
Komfort bot, waren von österreichischen, tschechoslowakischen und
ungarischen Juden überflutet gewesen; in Ischl, Gmunden, Wolfgang,
Gilgen, Strobl, am Attersee und in Aussee erregte es direkt Aufsehen,
wenn Leute auftauchten, die im Verdacht standen, Arier zu sein. Die
christliche Bevölkerung, zum Teil weniger im Ueberfluß schwelgend, zum
Teil auch großen Geldausgaben konservativer gegenüberstehend, fühlte
sich nicht ohne Unrecht verdrängt und mußte mit den billigeren, aber
auch weniger schönen Gegenden in Niederösterreich, Steiermark oder in
entlegenen Tiroler Dörfern vorlieb nehmen. Das war seit der
Judenvertreibung anders geworden. Es gab in den schönsten Sommerfrischen
keine Ueberfüllung, die Städter bekamen auf ihre Nachfragen höfliche und
eilige Antworten, und trotz der sonstigen Teuerung waren die Wohnungs-
und Zimmerpreise erheblich billiger als vor zwei Jahren. Und so
schwärmte denn alles, was Geld und Zeit hatte, in jene Gegenden, die dem
bodenständigen Wiener früher verleidet worden waren.

Die Besitzer der großen Etablissements, Kuranstalten und sogenannten
Sanatorien schnitten allerdings sauere Mienen. Sie hatten immer von dem
internationalen Judentum gelebt, ihr ganzer Betrieb war auf jene
Menschen eingestellt, die nicht rechnen, wenn es sich um ihre
Behaglichkeit handelt, und nun fanden sie, da sie auch bei gutem Willen
nicht billig sein konnten, nicht genügend Gäste. Die großen
Semmeringhotels eröffneten ihre Betriebe überhaupt nicht mehr und viele
Hotels im Salzkammergut und Tirol sahen sich mitten im Sommer genötigt,
zu sperren und ihr Personal zu entlassen. Das war ein Wermuttropfen im
Becher der Freude und machte böses Blut unter der Landbevölkerung, die
gewohnt war, ihre Produkte zu enormen Preisen den großen Hotels zu
verkaufen und ihre Töchter und Söhne im Sommer ein schweres Stück Geld
als Stubenmädchen und Hausdiener verdienen zu lassen.

Der Bürgermeister von Semmering hatte den Mut, es in einer
Gemeinderatssitzung offen herauszusagen:

»Mit den Juden hat man bei uns den Wohlstand vertrieben, ein paar Jahre
noch und wir werden zwar gute Christen, aber bettelarm sein!«

                   *       *       *       *       *

Als der Sommer vorüber war und der Herbst die Blätter färbte, begann in
fast schon gewohnter Weise die Krone neuerlich zu fallen und die
Teuerung anzusteigen. Die Preise wurden phantastisch, selbst reiche
Leute scheuten die Anschaffung eines neuen Kleidungsstückes, die
Arbeiter, die Angestellten, ja auch die Arbeitslosen stellten neue
Forderungen, eine Fahrt auf der Straßenbahn kostete schon tausend Kronen
und ein Kilogramm Butter fünfzigtausend.

Unter allgemeiner Verbitterung, Nervosität und Unruhe trat im Oktober
die Nationalversammlung zusammen, und das Gesicht des Kanzlers Doktor
Schwertfeger sah zerklüftet, durchfurcht, vergrämt aus. Als er sprach,
herrschte nicht jene weihevolle Ruhe wie früher, sondern es wurden Rufe,
Zwischenbemerkungen laut, sogar die Galerie machte sich durch Oho-Rufe
bemerkbar und die kleine Opposition der Sozialdemokraten ließ sich nicht
mehr einschüchtern, sondern griff immer wieder in die Debatte ein.

Schwertfeger gab einen Ueberblick über die trostlose finanzielle Lage
des Landes und fuhr dann fort:

»Ich muß es rund heraussagen: Große und schwere Opfer stehen der
christlichen Bevölkerung Oesterreichs bevor. (Zwischenruf von der
Galerie: Natürlich nur den Christen, da wir ja die Juden
hinausgeschmissen haben!) Opfer, die mit Mannesmut und Bürgertreue
geleistet werden müssen! Die Regierung braucht zur Fortführung der
Geschäfte Geld, und da wir vom Auslande keine weiteren Kredite bekommen
können, müssen wir die Unsummen, die die Verwaltung, die Verzinsung der
Schulden und die Unterstützung der Arbeitslosen verschlingt, durch neue
Steuern, direkte und indirekte, hereinbringen. (Große Unruhe im ganzen
Hause.)

Meine Herren und Damen, ich weiß, daß die Bevölkerung schwer enttäuscht
ist und ich bin es mit ihr. Wir alle haben eben die Schwierigkeit der
Uebergangswirtschaft unterschätzt, wir alle dachten, daß die
christlichen Bürger sich besser auf die Beherrschung der Finanzen und
des Geschäftslebens einstellen würden, die ganz in Händen der Juden
waren. Aber was sind solche Enttäuschungen gegenüber dem ungeheuren
Ziel, das wir uns gesteckt haben, dem Ziel, Oesterreich seiner arischen
Bevölkerung wiederzugeben, ein Land aufzurichten, das frei von
Wuchergeist, frei von jüdischem Skeptizismus, frei von jenen
zersetzenden Eigenschaften und Elementen ist, die das Judentum
repräsentieren!«

Zum Schluß stellte der Kanzler mit erhobener Stimme die Vertrauensfrage.

Im Namen der kleinen sozialistischen Fraktion sprach Doktor Wolters
gegen die Kreditgewährung, gegen die Gutheißung der Regierungspläne,
gegen das Vertrauensvotum. In krassen Farben schilderte er die
zunehmende Verelendung, die Gefahr des unmittelbar bevorstehenden
Staatsbankerottes, die Verödung des wirtschaftlichen und geistigen
Lebens. Er sagte unter anderem:

»Der Herr Bundeskanzler hat vor mehr als zwei Jahren, als er sein
Antijudengesetz begründete, unsere Bevölkerung bieder, einfältig und
ehrlich genannt und behauptet, daß sie der Konkurrenz der überlegenen
Juden nicht gewachsen sei. Er hat nur eines übersehen: Daß wir biederen,
ehrlichen und einfachen Oesterreicher auch ohne Juden von Völkern
umgeben sein werden, die uns jetzt, wo wir die Juden nicht mehr haben,
erst recht überlegen sind. Wo ist der mitteleuropäische Handel
hingekommen, seitdem die Juden weg sind? Wir haben ihn verloren, denn
die Juden haben ihn nach Prag und Budapest mitgenommen. Was ist aus der
blühenden Konfektions-, Galanterie- und Mode-Industrie geworden? Sie ist
fast spurlos verschwunden, weil sie von der Biederkeit und Ehrlichkeit
allein nicht leben kann, sondern den jüdischen Konsumenten aus aller
Herren Länder braucht, der das leicht verdiente Geld auch leicht wieder
ausgibt. Heute zeigt es sich, daß wir der Juden nicht entraten
können -- --.«

Stürmische Rufe unterbrachen den sozialistischen Führer. Die
Christlichsozialen und Deutschnationalen tobten, schrien »Hinaus mit dem
gekauften Judenknecht« und der Tumult wurde so groß, daß der Präsident,
der Tiroler mit dem roten Bart, die Sitzung unterbrechen mußte. Als er
sie wieder eröffnete, erteilte er dem Doktor Wolters eine Rüge, weil er
durch seine Worte das christliche Gefühl der Abgeordneten schwer
verletzt und den Versuch gemacht habe, die Grundfesten des neuen Staates
zu erschüttern.

Schließlich wurden alle Regierungsanträge gegen die Stimmen der
Sozialisten angenommen. Aber viele Abgeordnete hatten sich vor der
Abstimmung entfernt und Schwertfeger sagte später seinem Präsidialisten
mit grimmigem Lächeln:

»Diesmal sind sie davongelaufen, das nächstemal werden sie gegen mich
stimmen, die Erfolghascher, Konjunkturisten, die gestern Hosianna
schrieen und morgen _crucifige_ rufen werden!«

                   *       *       *       *       *

Seltsame, mysteriöse Dinge ereigneten sich. Eines Morgens standen am
Schottentor vor einer Litfaßsäule, desgleichen vor der Oper, am
Stubenring und an anderen Plätzen Hunderte von Männern und Frauen vor
kleinen, mit einem Reisnagel befestigten Plakaten im Oktavformat, die
folgende Inschriften enthielten:

»Wiener, Oesterreicher! Rafft euch auf, bevor Ihr alle zugrunde gegangen
seid! Mit den Juden habt Ihr den Wohlstand, die Hoffnung, die
Zukunftsmöglichkeit ausgewiesen! Fluch den Volksverführern, die euch
irregeleitet haben!

    Der Bund wahrhaftiger Christen.«

Die Menschen lasen einander die frechen Worte vor, viele schimpften und
behaupteten, daß Freimaurer das getan haben mußten, andere entfernten
sich wortlos, wieder andere hatten den Mut, zustimmende Aeußerungen zu
tun und die Anderssprechenden trotzig anzusehen.

Nach einigen Tagen erschienen an verschiedenen Plätzen neue Plakate mit
den Worten:

»Wien verdorft! Wiener, seht Ihr es denn nicht? Noch ein paar Jahre und
aus der alten, ehemaligen Kaiserstadt wird ein schäbiges, vergessenes
Nest geworden sein!«

Das ging den Leuten, die nun den Inhalt des Plakates auch aus der
»Arbeiter-Zeitung« vernahmen, auf die Nerven, allenthalben wurde man
unruhig. War nicht etwas Wahres an dieser neuen Behauptung des
mysteriösen Bundes wahrhaftiger Christen? Leidenschaftliche Diskussionen
wurden darüber in Versammlungen, im Wirtshaus, in der Straßenbahn
geführt, aber das Wort von der Verdorfung Wiens blieb irgendwie in der
Luft hängen, wurde geflügelt, man bekam es überall zu hören, ja sogar
die christliche »Weltpresse« schrieb am Schluß eines Leitartikels ganz
unwillkürlich: »Wir müssen alles tun, um der Verdorfung zu entgehen!«

Die Polizei wurde von der erbosten Regierung aufgefordert, den
Uebeltäter aufzuspüren, der die Plakate anschlug. Vergebliche Mühe! Alle
paar Tage kamen neue zum Vorschein, immer an anderen Plätzen, an
Haustoren, Kirchenportalen, ja einmal hing je eines an den Toren des
Kanzlerpalais, des Polizeipräsidiums und des Parlamentes. Und immer
enthielt das kleine Plakat in wenigen Worten eine wirksame Polemik gegen
die Regierung, eine suggestive Aufhetzung der Bevölkerung. Die
»Arbeiter-Zeitung« war jedesmal in der Lage, schon in ihrer
Morgenausgabe den Inhalt des Pamphlets, das heute angeschlagen werden
würde, zu veröffentlichen, weil ihr ein Exemplar schon am Tage vorher
mit der Post gebracht wurde.

Schließlich geriet ganz Wien in Aufregung, man sprach fast von nichts
anderem, zerbrach sich den Kopf darüber, wer hinter diesem
geheimnisvollen Bund wohl stecken möge, die Zahl derer, die dem Inhalte
der kleinen Aufrufe zustimmten, wuchs von Woche zu Woche, die
sozialdemokratischen Versammlungen bekamen wieder einen ungeheuren
Zulauf und der Nimbus des Kanzlers sank ersichtlich.

Lotte war eines Nachmittags früher zu Leo gekommen, als er sie erwartet
hatte. Da sie einen eigenen Schlüssel zu der Wohnung besaß und Leo sie
nicht wie sonst im Wohnzimmer erwartete, ging sie direkt in das Atelier.
Leo warf rasch ein Tuch über einen kleinen Holztisch und begrüßte sie
dann ein wenig verlegen.

Lotte zog ihn beim Knebelbärtchen, sah ihm in die braunen Augen und
sagte dann:

»Du, Leo, du hast da soeben etwas vor mir verbergen wollen! Was befindet
sich dort unter dem Tuch?«

Leo lachte herzlich.

»Mädel, du hast Augen wie ein Luchs! Also, dann will ich dir mein
Geheimnis eben schon heute anvertrauen.«

Er zog das Tuch fort und Lotte erblickte neben einem Typenkasten und
einer Miniatur-Handpresse einen Stoß frisch gedruckter Zettel. Erstaunt
las sie:

»Wiener, geht es euch heute besser oder schlechter als zur Zeit der
Juden? Ueberlegt in Ruhe und Ihr werdet euch die richtige Antwort geben!
Wir alle haben einst geschrien: »Hinaus mit den Juden!« So schreien wir
heute: »Herein mit jenen Juden, die ehrlich und treu mit uns arbeiten
wollen.«

    Der Bund der wahrhaftigen Christen.«

Verblüfft, verwirrt, verständnislos ließ Lotte das Papier fallen und
ergriff einen anderen Zettel, auf dem gedruckt stand:

»Wir sehnen uns nicht nach den kulturfernen Ostjuden. Aber die
intelligenten, klugen, wertvollen Juden, die schon vor dem Jahre 1914
unsere Mitbürger waren, müssen wir wieder mit offenen Armen aufnehmen,
wenn wir nicht rettungslos verelenden wollen! Auf zur Tat, bevor es zu
spät ist!

    Der Bund der wahrhaftigen Christen.«

Fragend sah Lotte ihren Bräutigam an.

Dieser hob sie zu sich empor, küßte sie auf die Nasenspitze und lachte
wieder aus vollem Halse.

»Na, Tschapperl, verstehst du noch immer nicht? Der Bund der
wahrhaftigen Christen, der seit Wochen Wien verrückt macht, bin ich! Und
ich werde nicht aufhören, bevor nicht der große Wirbel eingetreten ist.
Die zwei neuen Plakate werden wirken, sag ich dir! Das sind meine Gas-,
Stink- und Leuchtbomben, mit denen ich töte, ersticke und erleuchte.«

Lotte zitterte.

»Leo, wenn du dabei erwischt wirst, so ist es um dich geschehen!«

»Wenn, wenn! Aber man wird nicht! Ich habe eine wunderbare Technik beim
Befestigen der Zettel! Ich schlendere morgens an einem Tor oder einer
Wand vorbei, und im Gehen, ohne auch nur eine Sekunde mich aufzuhalten,
treibe ich den Nagel ein, an dem der Zettel schon hängt! Und selbst,
wenn die Polizei die Zettel wenige Minuten später wieder abreißt, so
schadet das nicht, weil die »Arbeiter-Zeitung« den Inhalt schon
abgedruckt hat. Verlaß dich auf mich, mein Lieb, es muß das geschehen,
ich gehe einen genau vorgezeichneten Weg und nehme mich ohnedies
höllisch in acht.«

Lotte saß auf dem großen Zeichentisch, baumelte mit den schlanken Beinen
und sagte nachdenklich:

»Weißt du, Leo, du hast schon sehr viel erreicht, glaube ich. Gestern
war bei uns größere Gesellschaft. Zehn Herren und Damen waren da und es
wurde fast ununterbrochen von der Judenausweisung und ihren Folgen
gesprochen. Und alle, darunter auch der Hofrat Tumpel, waren darin
einig, daß man sich mit der Ausweisung eines Teiles der Ostjuden, und
zwar jenes Teiles, der eine anständige Beschäftigung nicht nachweist,
hätte begnügen müssen. Hofrat Tumpel, der vor einem Jahr noch wütend
wurde, wenn man mit dem Bundeskanzler nicht ganz einverstanden war,
sagte schließlich:

»Ja, ja, es scheint, als wenn man da in einen höchst komplizierten
Mechanismus allzu brutal eingegriffen hätte! Gewisse nicht zu
unterschätzende jüdische Eigenschaften fehlen uns ganz bedenklich!«

Dazu ist allerdings zu bemerken, daß der Bruder des Hofrates die
Buchhandlung in der Seilergasse besitzt, die sich nur mit dem Vertrieb
von Luxusbüchern und Kunstdrucken befaßt. Seit die Juden weg sind, macht
er gar keine Geschäfte mehr und sein Bruder, der Hofrat, hat schon
zweimal große Summen opfern müssen, um ihn vor dem Bankerott zu
bewahren. Und noch etwas, Leo: Ich halte doch immer, in der Früh', wenn
ich einkaufe, und im Konzert und in der Oper und der Straßenbahn die
Augen und Ohren offen. Und ich höre, wie die Leute immer mehr mit Wehmut
an die Vergangenheit zurückdenken und von ihr wie von etwas sehr Schönem
sprechen. »Damals, wie die Juden noch da waren«, das kann man täglich
zehnmal in allen Tonarten nur in keiner gehässigen, hören. Weißt du, ich
glaub', die Leute bekommen ordentlich Sehnsucht nach den Juden!«

Leo preßte das kluge Mädchen an sich. »Und ich will das Meinige tun, um
diese Sehnsucht unwiderstehlich zu machen.«

»Aber sei recht vorsichtig, Leo, bedenk', daß, wenn man dich umbringt,
es auch mein Leben kostet!«

                   *       *       *       *       *

Traurigere Weihnachten hatte Wien noch nie erlebt. Der ungeheuerlichen
Teuerung stand der vollständige Stillstand des Lebens gegenüber. Die
Teuerung allein hätte die guten Phäaken nicht anfechten können. Sie
waren sie ja schon seit einem Dezennium gewöhnt, und ob das Viertel Wein
nun zehntausend oder fünftausend Kronen kostete, war schließlich egal,
wenn man genug verdiente, wenn der Arbeiter hohen Lohn bekam und der
Kaufmann abends die Kasse voll mit Zehntausendern hatte. Jetzt war das
aber nicht mehr der Fall. Die enormen Banknotenmassen blieben bei den
Bauern liegen, in den Städten herrschte vollständige Kaufunlust, ein
großer Teil der Arbeiter feierte und war auf die staatliche
Unterstützung angewiesen, und in der Weihnachtsnummer veröffentlichten
die Zeitungen Statistiken, aus denen hervorging, daß seit zwei Jahren
allein in Wien an die fünftausend Bankfilialen, Kaffeehäuser,
Restaurants und Geschäfte geschlossen hatten. Neuerdings trat ein
Riesenkrach nach dem anderen in der Industrie ein, Aktiengesellschaften,
die man noch vor kurzem für bombensicher gehalten hatte, erklärten sich
insolvent und man sprach sogar von dem baldigen Zusammenbruch zweier
Großbanken.

Was nutzte es den Wienern unter solchen Umständen, daß sie überall Platz
hatten, sogar an den Weihnachtsfeiertagen die Theater nicht ausverkauft
waren und man nicht mehr den aufreizenden Judennasen begegnete? Was
nutzte es, daß man zur christlichen Einfachheit zurückgekehrt war und
sich den Vollbart wachsen ließ, wenn die Friseurgehilfen massenhaft
entlassen werden mußten, weil es keine Arbeit mehr für sie gab?

Am schlimmsten waren die Juweliere daran. Die meisten waren Juden
gewesen und hatten auswandern müssen, und nun führten diese Geschäfte
ehemalige kleine Uhrmacher und andere sicher sehr ehrenwerte Leute, die
aber zum holländischen Edelsteinmarkt, der fast ausschließlich in
jüdischen Händen liegt, keinerlei Beziehungen hatten und bei jedem
Einkauf über die Ohren gehauen wurden. Schließlich hatte der Einkauf im
Ausland ganz aufgehört, weil niemand mehr Schmuck wollte, wohl aber der
Andrang derer, die verkaufen mußten, immer stärker wurde. Langsam aber
sicher wanderte ein großer Teil des inländischen Juwelenbesitzes in die
Nachbarstaaten, nach England, Frankreich und Amerika, und auch dabei
waren die Juweliere, die diesen Export betrieben, die Leidtragenden.
Wenn ein Juwelier heute eine Perlenschnur für zehn Millionen aus
privatem Besitz kaufte und sie bald darauf für dreißig Millionen einem
Amerikaner anhängte, so bildete er sich ein, ein glänzendes Geschäft
gemacht zu haben und begoß seine Freude mit Wein, lobte den Doktor
Schwertfeger und kaufte eine Fettgans, die nun nicht mehr das
Privilegium der Juden war. Bevor er aber noch die schwere Gansleber
verdauen hatte können, waren seine dreißig Millionen nicht einmal die
zehn wert, die er ausgegeben und er besaß kein Geld mehr zu neuen
Ankäufen.

So war es wahrhaftig kein Wunder, wenn zu Weihnachten eine Welle der
Erbitterung und Unzufriedenheit durch Wien ging und die Silvesternacht
nicht mit Jubel und Radau wie sonst, sondern in Verdrossenheit und
Mutlosigkeit gefeiert wurde.

Und wenn der Bundeskanzler das Gespräch mitangehört hätte, das in der
Weihnachtswoche der Herr Habietnik, Besitzer des großen Modehauses in
der Kärntnerstraße, und der Herr Mauler, Inhaber des großen
Juweliergeschäftes am Graben, miteinander führten, so wäre sein Ingrimm
noch größer gewesen, als er es ohnedies war.

Herr Habietnik und Herr Mauler saßen im Grabenkaffee und klagten beide
über das elende Weihnachtsgeschäft, das den Ruin Tausender von
Geschäftsleuten besiegeln mußte. Plötzlich beugte sich Herr Habietnik zu
Herrn Mauler und erzählte ihm von einem Traum, den er in der vergangenen
Nacht gehabt.

»Stellen Sie sich vor, Herr Mauler, i hab' g'träumt, daß plötzlich zu
mir ins Geschäft lauter Juden und Jüdinnen gekommen san. Alle waren
hochelegant und haben Banknotenbündel in den Händen gehalten und es ist
ein Riesenwirbel entstanden. Die Madeln konnten die Pelze und Stoffe,
die Mäntel und Kostüme gar nicht schnell genug herbeibringen und die
ganze Modeabteilung war von Seide und Samt, von Spitzen und Stickereien
gefüllt. Und nichts war den Jüdinnen gut genug und eine sehr eine fesche
jüdische Dame hat immer geschrien: »Das ist gar nichts! Wir kommen aus
Paris und Palästina, wo die neuesten Moden sind, zeigen Sie das Beste,
was Sie haben.« Und da hat meine erste Verkäuferin plötzlich eine
Barchenthose gebracht und hat gesagt: »Aber meine verehrte gnädige
Israelitin, das ist doch das Neueste aus Paris!« Und da ist ein
furchtbares Gelächter entstanden, so daß ich aufgewacht bin! Glauben S'
nicht, Herr Mauler, daß der Traum was zu bedeuten hat?«

Herr Mauler aber meinte grinsend:

»Ja, er hat zu bedeuten, daß bald die ganze Welt über uns lachen wird
und wir uns in Flanell und Barchent einwickeln werden, bevor wir
begraben werden. Aber das eine weiß ich, Herr Habietnik, wenn so
plötzlich vor meinem Laden ein Automobil vorfahren würde mit einem
jüdischen Ehepaar, so tät ich sie beide abküssen und hätt' noch einmal
eine Freude am Leben! Wissen Sie, Herr Habietnik, wie ich früher noch
Kommis beim Herrn Zwirner war, der mein Geschäft gehabt hat, da hab' ich
mir oft gedacht, daß es eigentlich eine Schand' ist, daß fast nur die
Juden Geld genug haben, um Brillanten und Perlen zu kaufen. Und einmal
habe ich das auch laut gesagt. Da hat mich der Herr Zwirner angelacht
und gesagt: »Herr Mauler, sein Sie kein Narr, sondern froh darüber, daß
die Juden kaufen und das Geld unter die Leute bringen. Oder möchten Sie
es lieber haben, daß auch die Juden ihr Geld vergraben und verstecken
wie die Bauern? Sie werden sehen, wenn das mit dem Antisemitismus so
weitergeht, so werden die reichen Juden auswandern und dann können die
Geschäftsleute sperren!«

Na und jetzt sind nicht nur die reichen, sondern auch die armen Juden
ausgewandert und wir sind richtig alle kapores!«

                   *       *       *       *       *

Bei Spineders war der heilige Abend in der gewohnten patriarchalischen
Weise gefeiert worden. Die Stimmung war aber nicht die beste. Der Hofrat
begann ernstliche Sorgen materieller Art zu haben, die ihm die
Entwertung seines Vermögens bereitete; Frau Spineder konnte sich noch
immer von dem Schrecken nicht erholen, den ihr die Tatsache eingejagt,
daß sie für den Weihnachtskarpfen fünfzigtausend Kronen und für die
Weihnachtsgans hunderttausend hatte zahlen müssen, und Lotte war
unruhig, weil sie ohne Nachricht von Leo war und doch gehofft hatte, daß
er sich irgendwie wenigstens mit einem Glückwunsch melden würde.

Gerade als mit Andacht der kostbare Fisch verzehrt wurde, läutete die
Haustorglocke und das Stubenmädchen meldete, ein Mann sei da, der dem
gnädigen Fräulein etwas persönlich zu überbringen habe. Lotte stürzte
hinaus, und der in einen Pelz gehüllte Mann, der ihr etwas zu übergeben
hatte, küßte sie im dunklen Hausflur wie verrückt ab, um ihr dann ein
winziges Päckchen in die Hand zu drücken und eilends wieder zu
verschwinden.

Im Speisezimmer wickelte Lotte das kleine Paket aus und entnahm einem
Lederetui einen Ring mit einer köstlichen, haselnußgroßen Perle.

»Ein Weihnachtsgeschenk von Herrn Henry Dufresne«, sagte Lotte, die
purpurrot geworden war, und ein unendliches Glücksgefühl durchströmte
ihr junges Herz, als sie den Ring über den Finger zog.

Der Herr Hofrat aber war betreten und erklärte kategorisch:

»Lotte, nun aber muß dieser Herr Dufresne sich uns doch endlich
vorstellen und um deine Hand anhalten. Denn ein solcher Ring, den man
einem Mädchen schenkt, ist einfach ein Verlobungsring.«

Lachend küßte Lotte ihren Vater.

»Habt noch ein wenig Geduld! Leo -- Henry sagt, daß er sehr bald zu euch
kommen werde.«

Die Mama aber schüttelte wieder den Kopf und dachte:

»Seltsame Zeiten, seltsame Jugend! Liebt einen, vergißt ihn und
verwechselt dann seinen Namen mit dem des Nachfolgers!«

Im Januar vereinigten sich mehrere große Konsumentenorganisationen zu
einer Massenversammlung in der Volkshalle des Rathauses unter der
Devise: »Wir können nicht weiter!« Zehntausende von Menschen waren der
Einladung gefolgt und trotz der außerordentlichen Kälte standen vor dem
Rathaus ungeheure Menschenmassen, die in der Volkshalle nicht mehr Platz
gefunden hatten.

Die Versammlung bot ein merkwürdiges Bild. Leo Strakosch, der sich
ebenfalls eingefunden hatte, konstatierte, noch niemals so viele
vollbärtige Männer gesehen und noch nie so viele Heilrufe gehört zu
haben. Eine andere Staffage und man hätte an eine Tiroler
Bauernversammlung zur Zeit des Andreas Hofer denken können. Auch
Weiblichkeit war massenhaft vertreten, aber wahrhaftig nicht die
lieblichste, die Wien aufzuweisen hat. Unter allgemeinem Heil-Gebrüll
eröffnete der Apotheker Doktor Njedestjenski die Versammlung mit der
Feststellung, daß es so nicht weitergehen könne. Er vermied es
sorgfältig, die Notlage und Teuerung mit der Judenausweisung in
Zusammenhang zu bringen, sondern gab sich höchst deutschnational und
behauptete, nur die Tatsache, daß Oesterreich sich nicht an Deutschland
anschließen könne, sei schuld an dem jammervollen Niedergang Wiens.
Worauf ein Arbeiter unter schallender Heiterkeit dazwischen rief:

»Wir können uns ja gar nicht mehr anschließen, oder glauben Sie, daß die
Deutschen auch solche Trotteln wie wir sind und ihre Juden
hinausschmeißen werden?«

Das brachte den Apotheker aus dem Konzept, er stammelte noch etwas von
deutscher Einheit und deutschem Volksbewußtsein, schrie »Heil« und gab
den Rednern das Wort. Worauf fast nur mehr über die Juden gesprochen
wurde. Und zwar so, daß ein Unkundiger hätte glauben müssen, Wien sei
die judenfreundlichste Stadt der Welt. Als ein Weinhändler
antisemitische Töne anschlug, wurde er direkt niedergeschrieen und ein
Zwischenruf: »Hätten wir lieber von den Juden gelernt, als sie
hinauszujagen!« fand großen Beifall. Leo konnte sich nicht länger
beherrschen. Mit bedenklichem Herzklopfen meldete er sich bei dem
Vorsitzenden zum Wort und bestieg die Rednertribüne, während er dachte:
Nun, Frechheit, steh' mir bei! Er tat, als würde er die deutsche Sprache
nur unvollkommen beherrschen, betonte immer wieder, daß er als Franzose
eigentlich nicht befugt sei, sich in die Angelegenheiten Oesterreichs zu
mischen, aber von Wohlwollen für diese unvergleichlich schöne und
liebreizende Stadt, der schönsten nach oder mit Paris, erfüllt, doch
nicht umhin könne, seiner Meinung Ausdruck zu geben. Worauf die
anwesenden Vollbärte geschmeichelt und die Frauen, von dem schlanken,
hübschen Mann trotz des Knebelbartes entzückt »Heil!« schrieen. Und dann
fuhr Leo mit französischem Akzent fort:

»Auch wir in Paris haben sehr viele Juden, gute und schlechte, wertvolle
und schädliche. Jedenfalls sind viele darunter, die alle Hochachtung
verdienen und dem Land von großem Nutzen sind. Niemandem aber würde es
bei uns einfallen, die Juden ausweisen zu wollen, sondern jeder
versucht, ihre guten Eigenschaften auszunützen. Ich bin hier nicht zu
Hause und kenne daher die Wiener Juden nicht so genau, kann aber sagen,
daß ich in Paris mit sehr vielen aus Wien Ausgewiesenen verkehrt habe,
die einen vortrefflichen Eindruck gemacht haben und sicher sehr bald
gute Franzosen sein werden. Es ist möglich, daß zwischen den
österreichischen Christen und den Juden ein größerer Unterschied ist,
als zwischen den leichtbeweglichen und temperamentvollen Franzosen und
den Juden. Aber gerade deshalb müßte doch eine gute Ergänzung möglich
sein. Ich höre, daß man den Juden hierzulande den Vorwurf gemacht hat,
das Kapital zu beherrschen und relativ mehr Geld zu besitzen als die
christlichen Bürger. Ja, meine Verehrten, daraus geht doch nur hervor,
daß sie rascher im Denken und Handeln sind, und eine kluge Regierung
müßte solche Eigenschaften für die Allgemeinheit zu benutzen verstehen.«

Stürmische Zurufe von allen Seiten: »Jawohl, eine gescheite Regierung,
aber wir haben eben eine blöde! Recht hat er! Heil! Heil!«

»Meine Verehrten,« sagte Leo lächelnd, »ob einem die Juden sympathisch
sind oder nicht, ist eigentlich gleichgültig. Der Sauerteig, der dem
Brotmehl beigegeben wird, schmeckt an sich recht abscheulich und doch
kann ohne ihn kein Brot gemacht werden. So müßte man auch die Juden
betrachten. Sauerteig, an sich wenig erfreulich und in zu großen
Quantitäten schädlich, aber in der richtigen Mischung unentbehrlich für
das tägliche Brot. Und ich glaube, daß Ihr Brot sitzen bleibt, weil ihm
der Sauerteig fehlt!

Nun heißt es aber nicht räsonieren und das, was geschehen ist, beklagen,
sondern zusehen, wie Abhilfe geschaffen werden kann. Wie das in
Oesterreich möglich sein wird, weiß ich nicht. In Frankreich würde in
solchem Falle die Bevölkerung auf Neuwahlen dringen, die zeigen müßten,
ob das Volk mit den herrschenden Zuständen zufrieden ist oder sie ändern
will!«

Damit trat Leo ab, um rasch in der Menge zu verschwinden. Der
Versammlung hatte sich eine ungeheure Aufregung bemächtigt. Wie ein
Funke in ein Dynamitfaß, so hatte das Wort »Neuwahlen« in die
Menschenmassen eingeschlagen, die riesige Halle erdröhnte von diesem aus
dreißigtausend Kehlen geschrieenen Wort, das sich auf die Straße
fortpflanzte und zum Schlagwort der kommenden Zeit wurde.

Am folgenden Tage fand in der Redaktion der »Arbeiter-Zeitung« eine
Konferenz der Hauptredakteure und der Vertrauensmänner der Partei statt,
in der zum erstenmal seit Jahren wieder beschlossen wurde, aktive,
energische Politik zu machen und mit dieser Politik aus den
geschlossenen Räumen auf die Straße zu gehen. Der Chefredakteur der
»Arbeiter-Zeitung«, der ehemalige Federnschmücker Wunderlich, der nach
bestem Gewissen das Erbe Viktor Adlers verwaltete, kam zu folgender
Konklusion:

»Wir müssen das Schlagwort dieses merkwürdigen französischen Malers, der
unmöglich Diefreß heißen kann, wie ihn der Trottel von Vorsitzenden
niedergeschrieben hat, aufgreifen. Von heute an werden wir in unseren
Blättern, in unseren Versammlungen und Beratungen immer wieder Neuwahlen
fordern. Und nun werden wir unsere Freunde in Frankreich, Holland, der
Tschechoslowakei, in England und Amerika in Aktion setzen und sie
veranlassen, alles zu tun, damit große Kronenbeträge auf den Markt
geworfen werden. Fällt die Krone neuerdings empfindlich, steigt die
Teuerung, die derzeit stagniert, wieder an, so ist die Lage reif für uns
und wir werden, wenn es sein muß, die Auflösung der Nationalversammlung
mit Gewalt erzwingen.«

                   *       *       *       *       *

In den nächsten Tagen ereignete sich noch etwas, was in den
stramm-christlichsozialen Kreisen große Bestürzung erregte. Der
Bürgermeister von Wien, nach Schwertfeger der mächtigste Mann im Reiche,
Herr Karl Maria Laberl, fiel sozusagen um. Nicht aus eigenem Willen
allerdings, sondern weil ihm sein Präsidialist Herr Kallop ein Bein
stellte. Von diesem Herrn Kallop wußte man längst im Rathause, daß er
eigentlich umgekehrt, das heißt Pollak, heißen müßte, weil dies der Name
seines Großvaters war. Und als die Juden noch in Wien gewesen, erzählte
man in ihren Kreisen, daß der alte Pollak ein aus Galizien
eingewanderter Getreidehändler wäre, der eine Christin geheiratet habe
und sich deshalb taufen ließ. Sein Sohn habe schon den Namen Kallop
angenommen, war ein in christlichen Kreisen angesehener Advokat, der
wieder eine Christin heiratete, so daß die Enkelkinder des alten Pollak
nach dem Schwertfegerschen Gesetz als Vollarier anzusehen waren. Josef
Kallop, der Sohn des Advokaten, taugte in seiner Jugend nichts, konnte
seine juristischen Studien nicht beenden und wurde daher mit Erfolg
Magistratsbeamter. An Schlauheit den meisten seiner Kollegen turmhoch
überlegen, brachte er es bald zum Präsidialisten und seit geraumer Zeit
war er die rechte Hand des Bürgermeisters Laberl.

Herr Kallop also war es, der den Bürgermeister zum Umfallen brachte. Er
machte ihm klar, daß ein großer Umschwung bevorstehe.

»So geht es nicht weiter, Herr Laberl, das ist Ihnen doch ganz klar. Es
wird demnächst Unruhen geben, ernste Unruhen sogar, und eines Tages wird
die Regierung sozusagen flötengehen. Wenn Sie nicht mit flötengehen
wollen, so müssen Sie sich beizeiten ein wenig umdrehen. Rücken Sie von
Schwertfeger ab, geben Sie zu, daß man bei der Judenausweisung zu weit
gegangen ist, und ganz Wien wird plötzlich inmitten des Rummels, der
kommen muß und wird, sagen: Unser Bürgermeister, das ist ein Gescheiter,
der lenkt ein und wird uns noch herausreißen.«

Herr Karl Maria Laberl nickte, strich sich den schönen, weißen Bart, war
von seinem überlegenen Verstand schon ganz durchdrungen, fragte aber
einigermaßen ängstlich:

»Lieber Kallop, das ist ja ganz richtig, was Sie da sagen und entspricht
dem, was ich mir schon längst gedacht habe. Aber wie soll ich denn das
machen?«

»Sehr einfach, Herr Bürgermeister. Wir berufen eine Versammlung der
christlichsozialen Bürgervereinigung des, na, sagen wir ersten Bezirkes
ein, weil dort unter den Geschäftsleuten geradezu eine Panikstimmung
herrscht. Und dann halten Sie eben eine Rede, die wir zusammen
ausarbeiten werden.«

Und so geschah es, nur daß das »Zusammenausarbeiten« darin bestand, daß
Herr Laberl die Rede, die sein Präsidialist niederschrieb, auswendig
lernen mußte. Als dann die Versammlung der Bürgervereinigung abgehalten
wurde, begrüßte sie Herr Laberl sehr feierlich, sprach von dem Ernst der
Zeiten, von den Zuständen, die man nicht mehr ertragen könne und sagte
schließlich:

»Der Ruf nach Neuwahlen wird immer ungestümer und ich bin der letzte,
der den Ruf nicht hören will. Im Gegenteil, ich persönlich bin dafür,
daß man tut, was das Volk will und durch Neuwahlen feststellt, ob die
Bevölkerung Oesterreichs auch jetzt noch gutheißt, was die Regierung vor
mehr als zwei Jahren getan, oder ob sie eine radikale Aenderung wünscht.
Ich und wohl mit mir Sie alle, meine Herren, haben nur ein Ziel vor
Augen: Den Wiederaufbau möglich zu machen, das unglückliche Volk aus dem
Labyrinth, in das die Entente aber vielleicht auch schwerwiegende eigene
Irrtümer es gestoßen haben, wieder ans Licht des Tages zu führen. Keine
Dogmatik, kein Fanatismus, keine persönliche Antipathie oder Sympathie
darf uns leiten, meine Herren, sondern lediglich der Nützlichkeitsgedanke!«

Kallop sorgte dafür, daß die Rathauskorrespondenz noch in derselben
Nacht die Rede des Bürgermeisters im Wortlaut den Zeitungen
übermittelte, und am nächsten Tag wußte es sogar der dümmste Kerl von
Wien, daß Karl Maria Laberl den Bundeskanzler im geeigneten Moment im
Stich lassen werde.

Als Doktor Schwertfeger in den Morgenblättern die nur von der
»Arbeiter-Zeitung« entsprechend kommentierte Rede des Bürgermeisters
las, stieg ihm gallbitterer Speichel in den Mund und er spie aus. Dann
warf er einen langen, verlorenen, glanzlosen Blick vom Fenster über den
Volksgarten, den jetzt ein weißes Leichentuch bedeckte.

Herr Kallop aber rieb sich im Rathaus vergnügt die Hände. Und nachdem er
sich vergewissert, daß weder ein Kollege noch ein Amtsdiener im Zimmer
war, sagte er laut und vernehmlich: »Maseltoff!« und klopfte dreimal
unter den Tisch. Wobei zu bemerken ist, daß Herr Kallop eine üppige,
zwar schon zweimal geschiedene, aber dafür mit zahlreichen Millionen
gesegnete Jüdin verehrte, die in Prag im Exil lebte. Und er wünschte
nichts sehnlicher, als ihre und ihrer Millionen Rückkehr ins teure
Vaterland, schon deshalb, weil er mit seinem Gehalt als Präsidialchef
unmöglich die Teuerung länger aushalten konnte und außerdem falsch in
polnischer Mark spekuliert hatte.

                   *       *       *       *       *

Der Fasching dieses Jahres konnte die Laune der Wiener nicht verbessern.
Grimmige Kälte, viel Schnee, ungeheizte Zimmer, weil der Meterzentner
Kohle hunderttausend Kronen kostete, eine Pleite nach der anderen, der
Zusammenbruch eines großen Bankkonzerns, bei dem viele ihr Geld liegen
hatten.

Die Bälle und Redouten standen vollständig unter dem Zeichen des
Dirndlkostüms. Da der Toilettenluxus fehlte, machte man aus der Not eine
Tugend, veranstaltete fast nur Bauernbälle, so daß Wien eher einem
»Kirtag« glich als einer Großstadt.

Dazu kam, daß Wien vollständig aufgehört hatte, eine Theaterstadt zu
sein. Die ersten Kräfte der Staatsoper gastierten unaufhörlich im
Ausland, die Philharmoniker absolvierten eben eine Tournee in
Südamerika, die Privattheater hatten sich in Provinzschmieren mit
unzulänglicher Regie, minderen Kräften und veralteten Spielplänen
verwandelt, von auswärts kamen längst keine Konzertgäste mehr, weil
ihnen Wien die großen Gagen nicht zahlen konnte, Zeitungen waren
neuerdings eingegangen, weil die Zahl der Leser immer mehr abnahm und
plötzlich ertönte wieder der Alarmruf: »Die Krone fällt!«

An den ausländischen Börsen fanden enorme Kronenabgaben statt, so daß
Zürich sie bald nur mehr auf ein Dreißigtausendstel Centime bewertete.
Demgemäß stiegen alle Preise und die Bevölkerung begann in Verzweiflung
zu geraten. Als das Kilogramm Fett eine Viertelmillion Kronen kostete,
erschien wieder das geheimnisvolle kleine Plakat des Bundes der
wahrhaftigen Christen mit den Worten:

»Wie lange noch, Wiener, werdet Ihr diese Regierung dulden? Wann endlich
wollt Ihr die Nationalversammlung auseinandertreiben und Neuwahlen
erzwingen?«

In den Morgenstunden des nächsten Tages kam es zu Plünderungen auf den
Märkten, die erbitterten Hausfrauen stürmten die Stände, verprügelten
die Marktfrauen und bemächtigten sich der Waren. In Favoriten nahm der
Tumult einen revolutionären Charakter an, es mußte die Reichswehr
aufgeboten werden, die sich aber weigerte, gegen die Frauen vorzugehen.

In der Nationalversammlung, die eben tagte, richteten nicht nur die
Sozialdemokraten, sondern auch einzelne Christlichsoziale und
Großdeutsche Interpellationen an die Regierung, in denen gefragt wurde,
was man zu tun gedenke, um der verzweifelten Bevölkerung zu helfen. Die
Sozialdemokraten stellten einen Dringlichkeitsantrag, die Regierung möge
sofort Neuwahlen ausschreiben, damit das Volk selbst entscheiden könne,
ob es bereit sei, die herrschenden Zustände noch länger zu dulden.

Totenbleich erhob sich der Bundeskanzler zu einer Entgegnung:

»In diesem Augenblick der allgemeinen Verwirrung Neuwahlen ausschreiben,
hieße das Geschick des Landes den radikalen Elementen ausliefern und den
Juden wieder Tor und Türe öffnen! Das stolzeste und größte Werk, das die
österreichische Legislatur jemals geschaffen, würde zusammenbrechen,
weil wir nicht genug Geduld und Aufopferungsfähigkeit haben, um
auszuhalten und die gegenwärtigen Schwierigkeiten zu überwinden. Ich
weiß, daß das internationale Judentum am Werke ist und sicher arbeiten
Agitatoren, von jüdischem Gelde bestochen, daran --«

Die weiteren Worte des Kanzlers gingen in dem ungeheuren Tumult
verloren, der nun folgte. Die Sozialdemokraten klopften mit den
Pultdeckeln, die Galerie tobte und schrie, sogar aus den Reihen der
Gesinnungsgenossen kamen Zurufe, wie: »Haben Sie Beweise für Ihre
Behauptungen?«

Um sechs Uhr abends wurde noch immer über den Dringlichkeitsantrag der
Sozialdemokraten gesprochen, die ersichtlicherweise alles taten, um die
Sitzung in die Länge zu ziehen. Jeder Redner sprach stundenlang; hatte
der eine geendet, so meldete sich ein anderer zum Wort, die meisten
Abgeordneten hörten längst nicht mehr zu, sondern stärkten sich am
Büfett, auch die Ministerbank war leer geworden, nur Schwertfeger saß
mit verschränkten Armen starr und düster auf seinem Sitz.

Plötzlich kam neues Leben in das Haus. Das Gerücht verbreitete sich, daß
Arbeitermassen im Anzuge seien, gleich darauf hörte man aus weiter Ferne
die Klänge des Arbeiterliedes, das Jauchzen und Toben erregter
Menschenmassen, bis plötzlich ein einziger Ruf von ungeheurer Stärke
durch die geschlossenen Fenster drang:

Nieder mit der Regierung! Fort mit der Nationalversammlung! Wir wollen
Neuwahlen!

Und schon umzingelten dichte Menschenmassen mit ihren Fahnen und
Standarten das Abgeordnetenhaus und immer neue Züge kamen an, die
gesamte Arbeiterschaft Groß-Wiens, die Angestellten und Beamten waren
von den Fabriken und Werkstätten, Bureaus und Aemtern in geschlossenen
Gruppen anmarschiert.

Schon donnerten mächtige Schläge gegen die Tore des Hauses, die rasch
geschlossen worden waren, schon prasselte ein Steinhagel gegen die
Fenster, schon hatte sich eine Deputation der Arbeiter gewaltsam Einlaß
verschafft. Ihr Führer, ein Eisenarbeiter namens Stürmer, ein gewaltiger
Kerl mit klugen Augen und riesigem Schädel, stellte sich mitten unter
die Abgeordneten, die, von Panik ergriffen, wie die Schafe beim Gewitter
einen geschlossenen Haufen bildeten, und erklärte kurz und bündig:

»Das Militär hält zu uns, die Jungmannschaft unter den Polizisten
ebenfalls! Entweder die Regierung löst innerhalb zehn Minuten das Haus
auf und erklärt, daß sofort Neuwahlen ausgeschrieben werden, oder die
Massen gehen mit Gewalt vor. Die Erbitterung der Leute kennt keine
Grenzen, hinter den Arbeitern steht diesmal das Bürgertum, es handelt
sich um keine politische Angelegenheit, sondern um Taten der
Verzweiflung. Am wildesten sind die Frauen, hören Sie nur, wie sie
schreien, man möge das Parlament anzünden! Gibt die Regierung nicht
nach, so können wir für nichts garantieren!«

Und es geschah, was geschehen mußte. Die Minister erklärten nach kurzer
Beratung mit den christlichsozialen und großdeutschen Parteiführern,
sich dem Terror zu fügen, das Haus auflösen und Neuwahlen sofort
ausschreiben zu wollen. Der Bundeskanzler bot gleich seine Demission an,
aber seine Kollegen und die Parteigrößen beschworen ihn, sie in diesem
kritischen Augenblick nicht zu verlassen und so willigte er denn ein,
die Zügel der Regierung noch bis zu den Wahlen in seinen Händen zu
behalten.

Als dem erregten Volke Mitteilung von der Auflösung der
Nationalversammlung gemacht wurde, löste sich die Spannung in ungeheuren
Jubel auf und in der kommenden Nacht wurden die Weinvorräte Wiens ganz
erheblich gelichtet.

Sogar der Franzose Henry Dufresne, der der denkwürdigen Sitzung auf der
Galerie beigewohnt hatte, trank sich allein in seinem Atelier einen
ordentlichen Rausch an. Am nächsten Morgen aber war er wieder frisch und
munter, entwarf eine geniale Skizze, die das Titelbild des
Warenhausromanes von Zola bilden sollte und schwenkte Lotte, die
vormittags schneebedeckt mit kalten roten Backen zu ihm kam, in seinen
Armen durch die Luft.

Lotte war in ausgelassener Laune wie er, denn ihr Papa hatte nach der
Lektüre der Morgenblätter sehr ernst gesagt:

»Mein Kind, ich sehe schwere Konflikte für dich kommen! Wenn nicht alles
trügt, so wird Leo Strakosch bald die Möglichkeit haben, nach Wien
zurückzukehren und dann wirst du dich entscheiden müssen: Entweder er,
den du so sehr geliebt hast und der mir ein willkommener Sohn wäre oder
dieser mysteriöse Franzose, den wir noch immer nicht kennen gelernt
haben!«

Als Lotte darauf lächelnd erwidert hatte, sie würde am liebsten beide,
Leo und den Franzosen nehmen, da war Hofrat Spineder ernstlich böse
geworden und hatte sie für frivol und unmoralisch erklärt. Sie mußte
ihre ganze Verführungskunst aufwenden, um ihn zu besänftigen.

Und nun saß sie auf dem Schoß ihres Geliebten und küßte Henry Dufresne
und Leo Strakosch in einer Person mit Feuereifer ab.

                   *       *       *       *       *

Leo, der fast nie Gelegenheit fand, mit irgend jemandem außer mit Lotte
und seiner Aufwartefrau zu sprechen, hatte in der letzten Zeit zwei
Bekanntschaften gemacht, die ihm wichtig dünkten. Die eine bestand in
der Person des Nationalrates Wenzel Krötzl, die andere war der Inhaber
des großen Modehauses in der Kärntnerstraße, Herr Habietnik.

Mit Krötzl war Leo auf folgende Weise bekannt geworden: Als er einmal
spät nachts aus dem Kaffeehaus, in dem er die Zeitungen und
Zeitschriften zu lesen pflegte, nach Hause gekommen war, fand er auf dem
letzten Treppenabsatz einen stockbesoffenen Mann liegen, der jämmerlich
weinte und sich vergeblich bemühte, aufzustehen. Leo half ihm in die
Wohnung, die unterhalb seines Ateliers gelegen war und erfuhr bei dieser
Gelegenheit, daß er den ehrsamen Nationalrat Wenzel Krötzl vor sich
hatte, seines Zeichens im Nebenberuf Häuserschieber. Nicht nur, daß dies
auf dem Türschild vermerkt stand, Herr Krötzl schrie auch, während er
hin- und hertaumelte, immerzu:

»Wann aner sagt, daß i b'soffen bin, so is er a jüdischer Gauner! I bin
a g'wählter Nationalrat, an Abgeordneter und hab' fufzich Häuser zum
verkaufen, die was früher denen Saujuden g'hört ham!«

Leo hatte dann im Laufe der Zeit Gelegenheit, zu erfahren, daß Herr
Krötzl nicht nur einer der wütendsten Antisemiten sei, sondern auch ein
notorischer Trunkenbold, der sich gewöhnlich schon am Büfett des
Parlaments seinen Frühstücksrausch kaufte. Nebenbei hatte er eine
gewisse Beredsamkeit und genoß infolge seiner derben Ausdrucksweise viel
Popularität unter seinen Wählern. Er war Witwer und beherbergte von Zeit
zu Zeit eine angebliche Wirtschafterin bei sich, mitunter solche, die
knapp das straffreie Alter von vierzehn Jahren besaßen.

Die Bekanntschaft des Herrn Habietnik hatte Leo auf wesentlich
bürgerlichere Art gemacht. Leo pflegte seinen Bedarf an Krawatten und
Wäschestücken in dem Modehaus zu decken, das trotz seiner »Verloderung«
noch immer die besten Waren führte, und bei solcher Gelegenheit war er
einmal mit Herrn Habietnik ins Gespräch gekommen. Herr Habietnik war
entzückt, einen Franzosen von Distinktion zu bedienen, der sich tadellos
trug und genau wußte, daß zu einem blauen Cheviotanzug eine perlengraue
Seidenkrawatte am besten paßte, es kam zu einem angeregten Gespräch, im
Verlaufe dessen Leo erkannte, wie sehr der intelligente Kaufmann unter
den herrschenden Verhältnissen litt, und von da an trafen sich die
beiden öfters in dem Laden, schließlich vereinbarten sie sogar hie und
da eine Zusammenkunft im Graben-Café.

Nach der Auflösung der Nationalversammlung beeilte sich Leo, mit Herrn
Habietnik wieder in Fühlung zu kommen, und im Laufe der Unterhaltung
fragte er ihn um seine Meinung über die künftige Entwicklung.

Herr Habietnik schüttelte sorgenvoll das Haupt:

»Also die Sozis arbeiten wieder mit Volldampf und werden die Stimmen,
die sie das letztemal verloren hatten, zurückgewinnen. Die
Christlichsozialen und Großdeutschen haben den Kopf verloren, sind mit
ihrem Programm noch nicht herausgekommen, aber schließlich wird jeder,
der nicht Sozialdemokrat ist, doch für eine der beiden Parteien stimmen
müssen.«

»So daß also vielleicht gar das Judengesetz in Kraft bleiben wird?«

»Kann sein, wenn die Sozialisten nicht die Zweidrittelmehrheit, die zu
jeder Verfassungsänderung notwendig ist, bekommen. Denn ich fürchte, daß
die Christlichsozialen und Großdeutschen doch nicht den Mut haben
werden, das Ausnahmsgesetz gegen die Juden aufzuheben. Das heißt,
eigentlich müßte ich sagen, ich hoffe, denn wenn die Juden wieder
kommen, so wird man mir am Ende gar das Geschäft wieder nehmen -- --.«

»Unsinn«, erklärte Leo energisch. »Was Sie haben, kann man Ihnen nicht
mehr nehmen! Vielleicht, daß man es Ihnen abkaufen oder daß der frühere
Firmeninhaber sich mit Ihnen zu einer Teilhaberschaft bequemen würde.
Die Hauptsache ist aber doch wohl, daß Sie die Jagerhütln und die
Lodenröcke wieder hinausschmeißen und Ihre Auslagen so arrangieren
können, wie sie einst waren.«

Begeisterung glomm in den Augen Habietniks auf und mit warmem, ehrlichem
Ton erwiderte er:

»Jawohl! Das ist die Hauptsache! Wenn ich daran denke, daß hier wieder
einmal Leben und Luxus herrschen könnte, wie einst -- nein, das ist ein
zu schöner Traum, um wahr zu sein.«

»Hören Sie, Herr Habietnik,« sagte Leo, indem er seine Hand auf den Arm
des Kaufmannes legte, »Sie sind der Mann, um den Traum wahr zu machen!
Noch trennen uns Wochen von den Neuwahlen. Das genügt, um eine
bürgerliche Partei, bestehend aus den fortgeschrittenen Elementen, den
angesehenen Kaufleuten, den Gelehrten, Rechtsanwälten, Künstlern und
Fabrikanten zu bilden, mit der offenen und ungeschminkten Parole:
Aufhebung des Ausnahmegesetzes gegen die Juden! Nehmen Sie das heute
noch in Angriff, bilden Sie ein zwölfgliedriges Komitee, in dem drei
Kaufleute, drei Industrielle, drei Festangestellte und drei Leute mit
freiem, akademischem Beruf sitzen, lassen Sie, da Sie noch keine Zeitung
zur Verfügung haben, zehntausend Plakate drucken, gründen Sie dann
Bezirkskomitees, betreiben Sie Propaganda von Straße zu Straße, von Haus
zu Haus und der Erfolg kann nicht ausbleiben. Ich bin ein Fremder, kenne
die Verhältnisse nicht so genau wie Sie, aber dafür bin ich objektiver
und ich weiß ganz sicher, daß ein erheblicher Teil der Bevölkerung die
neue Partei stürmisch begrüßen wird.«

Herr Habietnik war Feuer und Flamme. Am selben Abend noch trommelte er
ein halbes Hundert Kaufleute aus der Inneren Stadt, Fabrikanten,
Rechtsanwälte zusammen, und um ein Uhr morgens war das Komitee
konstituiert, dem ein gemeinsam gezeichnetes Millionenkapital zur
Verfügung stand.

Die neue Partei hieß »Partei der tätigen Bürger Oesterreichs«, stellte
sich auf ein absolut bürgerlich-freisinniges Programm und begann mit
einer lebhaften und temperamentvollen Agitation. Daß der Franzose
Dufresne die Flugzettel und Aufrufe verfaßte, das wußte niemand als Herr
Habietnik.

Der Erfolg übertraf die kühnsten Erwartungen. Früher war die Bevölkerung
jedem Versuch, eine demokratische Bürgerpartei zu gründen, mit größtem
Mißtrauen entgegengetreten, weil sich in solcher Partei immer wieder die
Juden vordrängten. Diesmal war das eine rein christliche Angelegenheit,
die Namen der Parteiführer bürgten dafür, daß es sich nicht um eine von
auswärtigen Juden angezettelte Verschwörung handelte, und alle die
Leute, die durch das Judengesetz geschädigt worden waren, drängten sich
in die Komiteelokale, um Mitglieder der neuen Partei zu werden. In
hellen Scharen kamen die Kaufleute, die Juweliere, die Stückmeister der
großen Schneider, die brotlos gewordenen Chauffeure, sie brachten ihre
Frauen mit, immer größer wurde der Ansturm, trotz des Zeter- und
Mordiogeschreies der christlichsozialen Blätter. Die »Arbeiter-Zeitung«
verhielt sich zurückhaltend und durchaus nicht aggressiv. Man sagte sich
dort, daß zweifellos die Partei der tätigen Bürger den Sozialdemokraten
Tausende von Stimmen entziehen würde, andererseits aber dorthin alle
jene Stimmen strömen würden, die sonst sich der Wahl enthielten oder
doch wieder den Christlichsozialen oder Großdeutschen zuliefen. Also
beschränkte sie sich darauf, hier und dort gegen das Programm der
Bürgerlichen zu polemisieren, im geheimen aber wurden in zweifelhaften
Bezirken sogar Vereinbarungen geschlossen.

Und der Tag der Wahlen, die auf den 3. April festgesetzt worden waren,
rückte näher und näher, die ganze Welt begann sich für sie zu
interessieren, die fremden Börsen nahmen eine abwartende Haltung ein und
ließen die Krone auf ihrem Tiefstand ruhen, und Wiens bemächtigte sich
zunehmende Aufregung, die wiederholt zu Exzessen und bösartigen Tumulten
führte. Denn alle Parteien arbeiteten mit jedem verfügbaren Mittel: die
antisemitischen schrien »Verrat!« und erzählten Schauergeschichten von
der Verschwörung des internationalen Judentums; die Sozialdemokraten
hetzten gegen die Bauern, die die arbeitende Stadtbevölkerung
ausplündern und gegen die christliche Demagogie, die sich nur selbst
durch die Ausweisung der Juden hatte bereichern wollen; die neue
Bürgerpartei aber führte immer wieder auf riesengroßen Plakaten Ziffern
auf, die bewiesen, wie furchtbar die Verelendung Wiens seit der
Ausweisung der Juden, wie Wien tatsächlich zu einem Riesendorf geworden,
wie jeder Schwung und Zug ins Große geschwunden. Und immer wieder
versicherte sie in allen Variationen und Tonarten:

»Das Ausnahmsgesetz gegen die Juden muß aufgehoben werden, aber
gleichzeitig wird es Sache einer klugen, gewissenhaften Regierung sein,
alle jene Elemente, die nicht schon vor dem Weltkrieg in Wien seßhaft
waren, fern zu halten, es sei denn, sie können vor einem zuständigen,
aus Bürgern und Arbeitern zusammengesetzten Gerichtshof nachweisen, daß
sie willens und fähig sind, in Oesterreich nutzbringende, produktive,
werterzeugende, dem Gesamtwohl notwendige Arbeit zu leisten.«

Beim Bundeskanzler fanden täglich bis in die Nacht währende Sitzungen
statt, in denen beraten wurde, wie man am besten der neuen Partei und
dem wieder erstarkten Sozialismus entgegenarbeiten könnte. Schwertfeger
hatte die richtige Empfindung gehabt. Es mußte ein neuer, mächtiger
Geldkredit aufgebracht werden, die Krone mußte steigen, die Bevölkerung
erfahren, daß das Christentum der ganzen Welt mit ihr solidarisch sei --
dann würde die Regierung den Sieg erringen. Und der Finanzminister
Professor Trumm hatte sich gleich nach der Auflösung des Hauses auf die
Beine gemacht und war nach Berlin, Paris und London gefahren, um zu
betteln und zu beschwören. Vergebens! Die großen christlichen
Vereinigungen im Ausland, die französischen Antisemiten, die
holländischen Christen -- sie alle hatten Worte des Mitempfindens und
der Sympathie, erkundigten sich lebhaft nach dem Schicksal der vielen
Millionen, die sie der guten Sache schon geopfert, und hielten die
Taschen fest zu. Die größte Enttäuschung bildete das Verhalten des
amerikanischen Billionärs Mister Huxtable, auf den man am sichersten
gerechnet hatte. Er ließ alle Telegramme und Bittschriften
unbeantwortet, und zehn Tage vor den Wahlen kam ein Kabeltelegramm des
Vertrauensmannes der österreichischen Regierung in Newyork, das
folgenden niederschmetternden Wortlaut hatte:

»Huxtable unnahbar. Hat sich heimlich mit einer jungen Jüdin aus Chicago
vermählt. Beabsichtigt, den der österreichischen Regierung vor drei
Jahren eingeräumten Kredit der jüdischen Großbank »Kuhn und Loeb« um ein
Viertel zu verkaufen.«

Schwertfeger begann in Düsterkeit zu erstarren, die antisemitischen
Häuptlinge verloren vollends den Kopf. Bürgermeister Laberl aber tat
etwas, was die ungeheuerste Sensation erregte. Drei Tage vor den Wahlen
trat er aus dem christlichsozialen Bürgerklub aus und der Partei der
tätigen Bürger bei. Und seinem Beispiel folgte mehr als die Hälfte der
Gemeinderäte.

An diesem Tage wehte ein warmer Wind die letzten Schneemassen von den
Abhängen der Wiener Berge fort und oben im Atelier in der Billrothstraße
hielten sich zwei junge Menschenkinder heiß und sehnsuchtsvoll umfangen.
Und er flüsterte:

»Oh, wärst du schon mein!«

Und sie erwiderte traumverloren:

»Wenn du dir schon den Knebelbart abnehmen könntest; er kitzelt so arg!«

                   *       *       *       *       *

Die Wahlen vollzogen sich unter einer Beteiligung, wie sie kaum jemals
auf der Welt erlebt worden. Greise, Kranke, Lahme kamen zu den Urnen,
und nachmittags, als die Wahllokale geschlossen wurden, wußte man, daß
in Wien 99 Prozent der Wahlberechtigten ihre Bürgerpflicht getan. Dann
begann im ganzen Lande die Zählung der Stimmen, die bis in die frühen
Morgenstunden währte, und vormittags verkündeten Extra-Ausgaben der
»Arbeiter-Zeitung« und der »Weltpresse« das staunenswerte Resultat.

Den Christlichsozialen und Großdeutschen waren nur die Landbewohner treu
geblieben, Wien hatte fast ausschließlich die Kandidaten der Sozialisten
und der Bürgervereinigung gewählt, ebenso die kleinen Städte und das
österreichische Industriegebiet. Und so setzte sich denn das neue
Parlament folgendermaßen zusammen: Siebzig Sozialdemokraten,
sechsunddreißig Mitglieder der Vereinigung der tätigen Bürger, dreißig
Christlichsoziale und vierundzwanzig Großdeutsche. Das ergab 106 Stimmen
für die Aufhebung des Ausnahmsgesetzes gegen die Juden, vierundfünfzig
für die Aufrechterhaltung. Und damit schien der schöne Traum Leos, der
freisinnigen Bürger und Sozialdemokraten zerstört, denn es fehlte ihnen
genau eine Stimme zur Zweidrittelmajorität, ohne die eine Aenderung der
Verfassung nicht vorgenommen werden konnte. Trotz ihrer vernichtenden
Niederlage, trotz der Tatsache, daß die Regierung sofort demissionieren
und einer sozialistisch-demokratischen weichen mußte, jubelten die
Antisemiten, sie veranstalteten Kundgebungen unter der Parole »Die Juden
bleiben draußen!«

Eine einzige Angst beherrschte die besiegten Sieger: Die Mehrheit hatte
verkündet, daß sie schon in der zweiten Sitzung des neugewählten Hauses,
die in acht Tagen stattzufinden hatte, den Dringlichkeitsantrag auf
Aufhebung des Judengesetzes und Wiederherstellung der Freizügigkeit für
jedermann stellen würde. Wie nun, wenn ein Christlichsozialer oder
großdeutscher Nationalrat der Sitzung fernbleiben würde? An ein
beabsichtigtes Fernbleiben war nicht zu denken, aber schließlich konnte
einer der Abgeordneten vom Lande krank werden oder einen Unfall erleiden
und dieser eine würde den Gegnern die Zweidrittelmajorität sichern. Die
unterlegenen Parteien ließen daher für sämtliche gewählte Nationalräte
aus ihrem Lager am Tage vor dem Zusammentritt des Hauses Extrazüge mit
je einem begleitenden Arzt bereitstellen. Auf diese Weise glaubten sie
sich vor jedem verhängnisvollen Zwischenfall sicher. Für Wien selbst
waren Vorsichtsmaßregeln nicht notwendig, denn in Wien war einzig und
allein der Häuseragent Herr Wenzel Krötzl von den Weinbauern und Wirten
des neunzehnten Bezirkes, denen es in dem judenreinen Wien sehr gut
ging, gewählt worden. Seiner war man in jeder Beziehung sicher und er
erfreute sich einer vorzüglichen Gesundheit.

Dieser Herr Krötzl bildete nun die einzige und letzte Hoffnung Leos,
während Lotte unter der schweren Enttäuschung fast zusammenbrach. Sie
weinte den ganzen Tag, kaum daß sie noch die Energie aufbrachte, täglich
zu Leo zu eilen, der sich vergebens bemühte, ihr Mut und Hoffnung
einzuflößen. Hofrat Spineder, der selbst durch den Fortbestand des
Judengesetzes schwer gekränkt und enttäuscht wurde, kannte sich in
seiner Tochter nicht mehr aus und begann ernstlich an ihrem Verstand zu
zweifeln. Sorgenvoll besprach er ihr merkwürdiges Verhalten mit seiner
Gattin.

»Was soll das alles heißen? Hat Leo vergessen, verbringt halbe Tage mit
einem neuen Verlobten, diesem Franzosen, den ich zu hassen beginne, ohne
ihn zu kennen, läßt sich von ihm beschenken, erklärt plötzlich, daß sie
am liebsten beide, den Leo und den Dufresne, nehmen würde, und nun, da
Leo nicht zurückkommen kann, sitzt sie da und weint sich die Augen aus
dem Kopf. Ich glaube, das Mädel ist übergeschnappt!«

Frau Spineder seufzte tief.

»Mein Lieber, ich kenne selbst mein Kind nicht mehr und habe keine
Ahnung, was in seinem Herzen vorgeht. Jedenfalls müssen wir, wenn sich
zeigt, daß das Judengesetz bestehen bleibt, darauf dringen, diesen Herrn
Dufresne kennen zu lernen.«

Hofrat Spineder nickte.

»Jawohl! Und sollte sich Lotte abermals weigern oder die Sache
hinauszuschieben versuchen, so schicken wir sie zu Tante Minna nach
Klagenfurt!«

Leo überlegte Tag und Nacht und hatte schließlich einen festen Plan
gefaßt, einen Plan, der entscheiden sollte, ob er weiterhin mit offenem
Visier in Wien bleiben konnte oder zurück nach Paris mußte. Fiel das
Gesetz nicht, so wurde seine Rückreise zwingende Notwendigkeit, da sein
Freund Henry Dufresne, dessen Namen er führte, jetzt selbst aus
Südfrankreich wieder nach Paris übersiedeln wollte und von da an die
Gefahr einer Aufdeckung seines verwegenen Spiels vorlag.

                   *       *       *       *       *

Am Tage der Eröffnung der Nationalversammlung, also einen Tag vor der
ersten entscheidenden Sitzung, besorgte Leo Strakosch, mit einem
Handkoffer bewaffnet, allerlei Einkäufe. Bei Sacher kaufte er für einen
phantastischen Preis, für den man einmal ein ganzes Ringstraßenhaus
bekommen hätte, eine Straßburger Gänseleberpastete in der Terrine, im
Hotel Imperial ließ er sich drei Flaschen eines köstlichen weißen
Burgunders, drei Flaschen des schwersten und kostbarsten Bordeauxweines
geben, außerdem eine Flasche uralten französischen Kognaks. Abends
lauerte er dann vor dem Haustor dem Herrn Krötzl auf, der sich gerade
nach der feierlichen Eröffnungssitzung des Hauses ins Wirtshaus begeben
wollte, gratulierte ihm herzlich zu seiner Wiederwahl und sagte:

»Lieber Herr Nationalrat, ich möchte morgen auch der historischen Tagung
des Hauses beiwohnen. Um elf ist der Beginn der Sitzung, also werde ich
auf zehn Uhr mein Auto bestellen und Sie, wenn es Ihnen recht ist,
mitnehmen.«

Herr Krötzl fühlte sich durch die Liebenswürdigkeit des vornehmen und,
wie es schien, sehr reichen jungen Franzosen höchst geschmeichelt, er
nahm die Einladung dankend an und fügte hinzu:

»Bin Ihnen sogar sehr verbunden, wenn Sie um zehn Uhr zu mir kommen,
weil i' dann net riskier', zu verschlafen. Meine Wirtschafterin, das
dumme Luder, vergißt am End' noch, mich zu wecken, und i' hab' an so
schweren Schlaf, daß i die Weckuhr net hör'. Dös wär' aber a schöne
G'schicht', wann i morgen verschlafen tät. Nachher hätten mir in
vierundzwanzig Stunden die Saujuden, die verfluchten, wieder in Wien!«

Henry Dufresne nahm die übernommene Pflicht, Oesterreich vor den Juden
zu schützen, sehr ernst, denn er läutete schon um halb zehn Uhr bei
Herrn Krötzl an. Ein schlumpiges, zwar ungewaschenes, aber noch
geschminktes junges Ding öffnete ihm und ließ den ihr wohlbekannten
hübschen Franzosen, der eine mächtige Schachtel trug, ohneweiters ein,
ein wenig enttäuscht, daß er ihr und ihren reichlichen Blößen nicht die
geringste Aufmerksamkeit schenkte, sondern sich damit begnügte, ihr eine
Banknote zu geben und sie zu bitten, gleich die Morgenblätter aus der
Trafik zu holen.

Leo packte im Vorzimmer umständlich die Schachtel aus, dann, als das
Mädchen gegangen war, um seinen Auftrag auszuführen, begab er sich rasch
in die Küche, rückte den Stundenzeiger der Kuckucksuhr um eine volle
Stunde zurück, schlich sich auf den Zehenspitzen in das Wohnzimmer,
bearbeitete dort die große Pendeluhr in gleicher Weise und öffnete
schließlich, ohne anzuklopfen, leise die Türe zum Schlafzimmer des Herrn
Nationalrates. Richtig lag dieser mit offenem Maul sägend und
schnarchend in seinem Bett und auf dem Nachtkästchen erblickte Leo
sofort die goldene Taschenuhr, die eben auf ein viertel vor zehn wies.
Blitzschnell war auch sie auf ein viertel vor neun gestellt und dann
machte sich der Franzose an die unerquickliche Arbeit, Herrn Krötzl, das
Wiener Postament der christlichsozialen Partei, zu wecken. Es dauerte
geraume Zeit, bevor Krötzl endlich die verquollenen Aeuglein aufschlug
und die Situation begriff.

»Jessas, der Herr Dufresne, is' schon so spät?« Und dann, mit einem
Blick auf die Taschenuhr, brummend: »Noch net amal Neun is'! Da hätt' i'
noch a ganze Stund' schlafen können!«

»Jawohl,« sagte Leo lachend, »wenn ich nicht eine bessere Unterhaltung
für Sie und mich wüßte. Stellen Sie sich nur vor, wie ich gestern nacht
nach Hause komme, finde ich ein Postpaket aus Paris vor mit den besten
Weinen, die Frankreich besitzt. Na, und weil ich mich wirklich über
Ihren Sieg von ganzem Herzen freue, denke ich, daß wir, bevor wir ins
Parlament fahren, noch eine kleine Siegesfeier unter uns veranstalten
können. Sie sind ja Kenner, Herr Nationalrat, und werden sehr bald
zugeben, einen solchen Wein, wie ich ihn Ihnen kredenze, im Leben noch
nicht genossen zu haben.«

Wie elektrisiert sprang Herr Krötzl aus dem Bett, zog sich notdürftig an
und streichelte dann bewundernd die eine der sechs Weinflaschen nach der
anderen, die mit allen Zeichen des ehrwürdigen Alters vor ihm standen.
Weißbrot war vorhanden, die Straßburger Pastete entlockte Herrn Krötzl
ein rülpsendes Grunzen, das sich in einen Jubelhymnus verwandelte, als
das erste Glas des goldgelben Burgunders durch seine Kehle rann.

»A so a Weinerl! Wann man den immer hätt', dann tät' man an anderer
Mensch wer'n! Ka Wunder, wenn die Franzosen so an Schick zum Leben
haben, wo 's so an Wein bei ihnen gibt!«

Das zweite Glas wurde auf den Sieg des Herrn Krötzl geleert, das dritte
auf »Nieder mit den Juden«, das vierte auf »Hoch die schöne, judenreine
Stadt Wien«. Dann wurde einer Flasche des blutroten Bordeaux der Hals
gebrochen, und als sie zur Neige ging und Leo die dritte Flasche
entkorkte, trug ihm Krötzl die Bruderschaft an. Bei der vierten Flasche
machte er den Franzosen mit den Geheimnissen seines Sexuallebens bekannt
und erklärte, daß Frauenzimmer über vierzehn eigentlich alte Weiber
seien. Die sechste Flasche wurde von Leo, ohne daß Krötzl, dem sich die
Welt vor den Augen zu drehen begann, es merkte, zur Hälfte mit Kognak
gemischt, und nun hieß es -- Schluß machen, weil der Herr Nationalrat
sonst überhaupt nicht mehr die Treppen hinuntergebracht hätte werden
können und die richtiggehende Uhr auf zwölf ging, also die Gefahr
bestand, daß jeden Augenblick die Parteigenossen Krötzls nach ihm
fahnden würden. Daß Leo bei solcher Zecherei selbst vollständig nüchtern
geblieben war, verdankte er lediglich dem Umstand, daß er den Inhalt
seines Glases regelmäßig unter den Tisch auf den schönen Perserteppich
gegossen hatte.

Mit ungeheurer Anstrengung beendigte Leo die Toilettierung des
Nationalrates, dann trug er ihn fast die vielen Treppen hinunter und
beförderte ihn mit Hilfe des Chauffeurs in das Innere des geschlossenen
Automobils. Grinsend hatte der Chauffeur dem Franzosen, den er oft zu
führen pflegte, zugenickt. Leo stieg ein, setzte sich neben Krötzl, der
schon als halbe Weinleiche in der Ecke lag, und in mäßigem Tempo ging es
vorwärts.

Am Tage vorher hatte Leo mit dem Chauffeur eine wichtige Unterredung
gehabt, die mit der Frage begann:

»Wollen Sie hundert französische Francs verdienen?«

Der Chauffeur hatte ungeheure Augen gemacht, war blutrot geworden und
erwiderte keuchend:

»Herr, für hundert Francs führ' ich Sie auf den Mond!«

Aber der Franzose erwies sich als wesentlich bescheidener. Er erklärte,
daß es sich um eine Wette handle und er nichts weiter zu tun habe, als
vor dem Haus in der Billrothstraße zu warten, bis er, Monsieur Dufresne,
mit einem voraussichtlich schwergeladenen Herrn einsteigen werde.
Daraufhin habe das Auto stadtwärts bis zur Volksoper zu fahren, wo er
aussteigen werde. Nunmehr müsse die Fahrt weiter bis zur großen
Irrenanstalt am Steinhof, die weit außerhalb im Südwesten der Stadt
liegt, gehen. Dort müsse der Chauffeur so lange stehen bleiben, bis sein
betrunkener Gast sich melde. Und dann folgten weitere ausführliche
Instruktionen für den intelligenten, lustigen Chauffeur.

Alles wickelte sich programmäßig ab. Bevor noch das Auto bei der
Volksoper angelangt war, schlief Herr Krötzl, nachdem er sich heftig
übergeben hatte, den Schlaf des gerechten Säufers und Leo konnte
ungestört ausspringen. Während Leo nach dem Parlament eilte, setzte der
Chauffeur die fast halbstündige Fahrt nach Steinhof fort, wo er auf
offener Straße seelenruhig stehen blieb und eine der guten Zigaretten
Leos nach der anderen rauchte. So wurde es schließlich nahezu zwei Uhr,
als endlich Herr Krötzl mit schmerzendem Schädel erwachte. Minuten
vergingen, bevor er die Situation begriff und sich endlich klar darüber
war, daß er sich in total verunreinigtem Zustande allein in einem
Automobil befand. Schließlich, nach weiteren Minuten, erkannte er sogar,
daß er sich durchaus nicht vor dem Parlament, sondern in der
unmittelbaren Nähe der Irrenanstalt am Steinhof aufhielt. Er sah
verwirrt auf seine Uhr. Da sie zurückgerichtet war, wies sie auf eins.
Entsetzt riß Krötzl den Wagenschlag auf, schimpfend und tobend drang er
auf den Chauffeur ein, der gleichmütig erklärte, er habe als Fahrtziel
Steinhof verstanden und der andere Herr sei unterwegs ausgestiegen. Mit
den Fäusten fuhr sich Krötzl in die Haare, er weinte, schrie, bekam fast
einen Tobsuchtsanfall, nannte den Chauffeur einen Staatsverbrecher,
sprach von einer furchtbaren Verschwörung und Rache und flehte
schließlich den Wagenlenker, der auch grob zu werden begann, an, er möge
mit Windeseile nach dem Parlament fahren.

Tausend Meter etwa fuhr dann auch das Auto, dann blieb es weit und breit
von jeder Behausung entfernt stehen, und achselzuckend erklärte der
Chauffeur, daß etwas am Motor in Unordnung sei und er nicht weiter
könne.

Im Galopp rannte der nüchtern gewordene Krötzl die tausend Meter nach
der Irrenanstalt zurück. Dort benahm er sich dem Pförtner gegenüber so
aufgeregt, daß dieser ihn für einen entsprungenen Insassen hielt und
Wärter herbeirief. Es verging eine weitere halbe Stunde, bevor Krötzl zu
einem Fernsprecher geführt wurde, er bekam natürlich keine Verbindung
mit dem Parlament, da dort alle Nummern besetzt waren, und als er
endlich die Verbindung hatte und der Parteisekretär zur Stelle gebracht
war, schrie ihm dieser in die Ohren, daß er ein besoffenes Schwein sei;
ein von den Juden gekaufter Gauner und bereits alles vorbei wäre.

»Das Judengesetz ist gefallen!« Mit diesen Worten läutete er dem
unglücklichen Nationalrat in die Ohren, der daraufhin in eine lange,
wohltätige Ohnmacht fiel.

                   *       *       *       *       *

Als Leo das Parlamentsgebäude betrat, hatte der neugewählte Präsident
eben die schon am Tage vorher an Stelle des zurückgetretenen Kabinetts
gewählten Minister begrüßt und mitgeteilt, daß zwei Dringlichkeitsanträge
eingebracht worden seien, dahingehend, den Paragraph 11
der Bundesverfassung, der den Juden und Judenabkömmlingen
den Aufenthalt in Oesterreich untersagt, zu streichen.

Ein sozialdemokratischer Nationalrat erhob sich und stellte den Antrag,
über die gestellten Dringlichkeitsanträge sofort zu verhandeln. Trotz
des tosenden Lärmens der Christlichsozialen und Großdeutschen pflichtete
die Mehrheit bei, worauf der Präsident dem Führer der Sozialdemokraten,
Doktor Wolters, als erstem Proredner das Wort erteilte.

Wolters wies darauf hin, daß er und seine Parteikollegen schon vor fast
drei Jahren gegen das Gesetz gewesen seien, das einen Faustschlag gegen
die Menschenrechte, einen Rückfall in das finstere Mittelalter
bedeutete. Damals sei die Opposition niedergeschrieen, beschimpft und
aus dem Saal gedrängt worden, heute aber habe das verführte und
berauschte Volk sie in solcher Zahl zurückgeführt, daß nunmehr die Macht
in ihren und den Händen anderer freisinniger Männer liege. Wolters
entwickelte dann die Ereignisse der letzten Jahre, wies den furchtbaren
Zusammenbruch Oesterreichs nach, führte schlagende Ziffern an und schloß
mit den Worten:

»Das kühne, allzukühne Werk des Mannes, der sich göttliche Macht anmaßte
und nun nicht einmal mehr einen Sitz in diesem Hause bekommen konnte,
ist zusammengebrochen, und draußen warten hunderttausend Arbeitslose und
mit ihnen alle tätigen, zur Verzweiflung getriebenen Kräfte, daß das
neue Haus einer neuen Zukunft die Tore öffne und unseren jüdischen
Mitbürgern die Möglichkeit gebe, wieder an unserer Seite nicht gegen
uns, sondern mit uns ihre Intelligenz, ihre Emsigkeit und schöpferische
Arbeitskraft im Interesse des schwergeprüften und fast ruinierten Landes
zu betätigen.«

Nachdem der Beifallssturm, an dem sich auch die Galerie beteiligte,
verklungen war, ergriff der zweite Pro-Redner, Herr Habietnik, der von
den Geschäftsleuten der Inneren Stadt sein Mandat bekommen hatte, das
Wort. In launiger, oft durch schallende Heiterkeit unterbrochener Rede
schilderte er das verarmte, verdorfte Wien von heute, gab die
Erfahrungen im eigenen Betriebe zum besten und sagte:

»Posemukel ist eine Großstadt im Vergleiche zu Wien von heute. Wien ist
ein ungeheures Dorf mit anderthalb Millionen Einwohnern geworden, und
wenn wir die Juden nicht wieder hereinlassen, so werden wir es demnächst
erleben, daß statt vornehmer Geschäfte in der Kärntnerstraße
Jahrmarktsbuden stehen und auf dem Stephansplatz Viehmärkte werden
abgehalten werden. Die Wiener sind in ihrem Tiefinnersten in
Verzweiflung über diese Rückentwicklung, die sie nicht aufhalten können
und nicht zuletzt haben die Wiener Frauen und Mädchen, indem sie die
christlichsoziale Partei im Stich ließen, gezeigt, daß sie wieder ein
blühendes, lustiges Wien voll Luxus, auch wenn es mitunter einen
orientalischen Anstrich hat, haben wollen.«

Die weiteren Ausführungen Habietniks gingen in einer seltsamen Unruhe
verloren, die sich über das Haus verbreitete. Was war geschehen? Nun,
man hatte endlich auf der rechten Seite des Hauses entdeckt, daß der
Nationalrat Krötzl nicht anwesend war, und eine Katastrophenstimmung
bemächtigte sich der Christlichsozialen und Großdeutschen. Sie hörten
nicht einmal ihren eigenen Kontra-Redner an, die Diener wurden mit
Automobilen ausgeschickt, um Krötzl aus seinem Bureau in der Inneren
Stadt oder aus der Wohnung in der Billrothstraße zu holen.

Noch wäre vielleicht die Situation zu retten gewesen, wenn man die
Geistesgegenwart gehabt hatte, den Kontra-Redner zu veranlassen,
stundenlang bis zum Eintreffen Krötzls zu sprechen. Aber man hatte total
den Kopf verloren, der christlichsoziale Redner, Herr Wurm, kürzte, als
er die Unruhe bemerkte und seine Genossen verschwinden sah, seine Rede
sogar ab, und schon war ein bürgerlicher Antrag auf Schluß der Debatte
und Abkürzung der weiteren Redezeiten auf fünf Minuten mit der
erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

Vergebens schrieen die überrumpelten Antisemiten Zeter und Mordio, der
sozialistische Präsident waltete mit eiserner Energie seines Amtes,
entzog jedem der wenigen schon vorgemerkten Redner nach fünf Minuten das
Wort und unter enormer Spannung und allgemeiner Aufregung strömten die
Abgeordneten wieder in den Saal, um bei der kommenden namentlichen
Abstimmung anwesend zu sein.

Herr Krötzl war noch immer nicht da, die Diener konnten nur berichten,
daß er in seinem Bureau überhaupt nicht gewesen und sein Wohnhaus in
Begleitung eines anderen Herrn vormittags, ersichtlich angeheitert,
verlassen habe.

Ein Großdeutscher machte den letzten Rettungsversuch. Er erbat und
erhielt das Wort, um zur Geschäftsordnung zu sprechen und sagte:

»Der Nationalrat Herr Krötzl ist nicht anwesend und wir haben Anzeichen
dafür, daß er mit Gewalt ferne gehalten wird, ja wir haben begründeten
Anlaß zur Befürchtung, daß er das Opfer eines Verbrechens geworden ist.
Unter solchen Umständen kann unmöglich über ein Gesetz abgestimmt
werden, das über das Schicksal des Landes entscheiden wird. Wenn auf
Seite der neuen Mehrheit dieses Hauses auch nur ein Funken
Anstandsgefühl herrscht, so wird sie mit mir darin übereinstimmen, daß
wir uns zunächst auf zwei Stunden vertagen. Bis dahin werden wir wohl
Klarheit darüber haben, ob unser hochverehrter Kollege, Herr Nationalrat
Krötzl, überhaupt noch unter den Lebenden weilt.«

Totenstille entstand nach diesen Worten, die nicht zurückzuweisen waren.

Sollte Krötzl wirklich mit Gewalt verhindert worden sein, an der Sitzung
teilzunehmen, so mußte man wohl oder übel warten.

In diesem höchst kritischen Augenblick schlich sich ein Herr mit
Knebelbart unbeobachtet in den Sitzungssaal, winkte Herrn Habietnik zu
sich heran und flüsterte vor Aufregung keuchend mit ihm, worauf sich
Herr Habietnik zum Worte meldete.

»Ich kann dem Hohen Haus auf Ehr' und Gewissen versichern, daß Herr
Krötzl nicht ermordet und auf keinerlei gewaltsame Weise verhindert
wurde, dieser so überaus wichtigen Sitzung beizuwohnen. Herr Krötzl
befindet sich irgendwo in einem Automobil, in dem er einen
Kanonenrausch, von dem ihn der Chauffeur nicht erwecken kann,
ausschläft. Der sehr ehrenwerte Herr Krötzl, diese einzige Wiener Zierde
der christlichsozialen Partei, hat nämlich schon am frühen Morgen in
Gesellschaft eines lustigen Kumpanen, seines Wohnungsnachbars, eine
kleine Siegesfeier begangen und entschieden mehr getrunken, als er
verträgt. Sein Nachbar, der mir diese Mitteilung macht und den ich
persönlich als zuverlässigen Ehrenmann kenne, fuhr dann mit Krötzl in
einem Autotaxi hieher, mußte aber vorzeitig aussteigen, weil er den
Gestank im Wagen nicht aushielt. Herr Krötzl gehört nämlich zu jener
alten Garde, die sich lieber übergibt als stirbt. Wo sich in diesem
Augenblick die springlebendige Leiche des Herrn Krötzl befindet, weiß
ich nicht, aber das geht uns auch nichts an und man wird unmöglich
verlangen, daß wir uns vertagen, bis Herr Krötzl nüchtern geworden ist.«

Tosende Heiterkeit erfüllte das Haus und es wurde nunmehr nach der
Anordnung des Präsidenten zur Abstimmung geschritten. Hundertundsechs
Nationalräte stimmten für die Eliminierung des Ausnahmsgesetzes,
dreiundfünfzig dagegen -- das Gesetz war gefallen! Und die
hunderttausend Menschen, die sich auf der Straße vor dem Parlament
angesammelt hatten, riefen diesmal nicht »Heil!«, sondern »Hurra!« Sie
waren nicht so begeistert wie vor drei Jahren, sondern ein wenig
beschämt, hatten aber wieder ihren Humor gefunden und schon begannen
Witze in der Luft zu schwirren.

Leo hatte nur die Abstimmung abgewartet, dann stürzte er aus dem
Parlamentsgebäude, warf sich in ein Autotaxi und fuhr nach der Linken
Wienzeile zur »Arbeiter-Zeitung«. Dort ließ er sich in dringender
Angelegenheit beim Chefredakteur melden, mit dem er eine halbstündige
Unterredung ohne Zeugen hatte. Als er sich verabschiedete, schüttelte
ihm der Redakteur kräftig beide Hände und sagte lachend:

»Sie haben Außerordentliches geleistet und ich freue mich mit Ihnen von
ganzem Herzen! Ihre Frechheit bewundere ich einfach! Man kann da
wirklich nicht umhin, von --«

»Jüdischer Frechheit zu sprechen«, ergänzte Leo vergnügt und eilte die
Treppen hinab.

                   *       *       *       *       *

Kaum waren die Extra-Ausgaben der Zeitungen erschienen, die das Ende der
Judenverbannung verkündeten, als auch schon eine zweite Extraausgabe der
»Arbeiter-Zeitung« ausgerufen wurde:

    =Die Krone steigt!=

Zürich. Auf der hiesigen Börse wurden die drahtlich und telephonisch
einlangenden Nachrichten von der entscheidenden Sitzung der Wiener
Nationalversammlung mit fieberhaftem Interesse verfolgt. Kaum war das
Fallen des Antijudengesetzes zur Gewißheit geworden, als auch schon
umfangreiche Kronenankäufe, darunter solche von amerikanischen und
englischen Finanzgruppen, erfolgten. Die österreichische gestempelte
Krone ging sprunghaft auf das Doppelte, zum Börsenschluß sogar auf das
Dreifache hinauf.

Um sechs Uhr abends erschien eine dritte Extra-Ausgabe, die in ganz Wien
Aufsehen und mit Galgenhumor gemischte Heiterkeit hervorrief. Die
Nachricht lautete:

    =Ankunft des ersten Juden in Wien.=

Wie wir mitteilen können, ist soeben der erste Jude aus dem Exil nach
Wien zurückgekehrt. Es ist dies der junge, aber bereits weltberühmte
Maler und Radierer Leo Strakosch, der die ganze Zeit von Heimweh erfüllt
in Paris verbracht und sich vorgestern von dort an die österreichisch-mährische
Grenze nach Lundenburg begeben hatte. Als er telephonisch
von der Nichtigkeitserklärung des Ausweisungsgesetzes erfuhr,
begab er sich sofort per Automobil nach seiner Vaterstadt Wien.
Er hält sich derzeit im Hause seines zukünftigen Schwiegervaters, des
Hofrates Spineder, in der Kobenzlgasse auf, wo er nach jahrelanger
bitterer Trennung die in Treue und Liebe seiner harrende Braut umarmt.

Diese Extra-Ausgabe bildete einen wohlwollend-boshaften Scherz des
Chefredakteurs der »Arbeiter-Zeitung«. Gleich nach ihr erschien aber
eine Extraausgabe der »Weltpresse« mit zwei sensationellen Nachrichten.
In der einen wurde angekündigt, daß sich der ehemalige Bundeskanzler
Doktor Schwertfeger in Verzweiflung über das Scheitern seines so groß
und ehrlich gedachten Werkes durch einen Revolverschuß entleibt habe.
Anknüpfend daran machte die »Weltpresse« die Mitteilung, daß sie, dem
Willen der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung Wiens folgend, vom
heutigen Tage an als das Organ der neuen Partei der tätigen Bürger
erscheinen werde.

                   *       *       *       *       *

Leo war von der Redaktion der »Arbeiter-Zeitung« aus tatsächlich direkt
nach Grinzing gefahren. Lotte, die ebenso wie ihre Eltern von dem
Verlauf der Parlamentssitzung bereits unterrichtet war, erwartete ihren
Bräutigam am offenen Fenster im Parterregeschoß. Und als das Auto
vorgefahren war und Leo sie erblickte, erschien ihm der Weg durch den
Hausflur zu weitläufig, mit einem Satz schwang er sich auf das
Fensterbrett und schon hielten die beiden jungen Leute einander lachend
und weinend umschlungen. Da Leo aber trotz seiner turnerischen
Gewandtheit bei seinem abgekürzten Eintrittsverfahren eine
Fensterscheibe eingeschlagen hatte, was ein hörbares Klirren und
Schmettern verursachte, kamen der Hofrat und seine Gattin aus dem
nebengelegenen Wohnzimmer bestürzt herbei und blieben angesichts ihrer
Tochter, die von einem fremden, knebelbärtigen Herrn unaufhörlich
abgeküßt wurde, überrascht stehen. Bis der Hofrat so energisch zu husten
begann, daß Lotte es vernahm und sich blutrot aus den Armen des
Geliebten befreite, um ihn ihren Eltern vorzustellen:

»Papa, Mama, dies ist mein Bräutigam, Henry Dufresne...!«

»_Recte_ Leo Strakosch«, lautete die Ergänzung und Leo warf sich auch
schon dem Hofrat und dann seiner zukünftigen Schwiegermutter in die
Arme.

Nachdem sich die erste Freude und Verwirrung gelegt, tat Herr Spineder
das, was ein Hofrat in solcher Situation zu tun hatte. Er sagte:

»Nun, Kinder, erzählt mir einmal alles ordentlich der Reihe nach.«

Frau Spineder aber tat das, was jede andere ordentliche Hausfrau an
ihrer Stelle getan hätte. Sie weinte, erklärte vor Aufregung nicht
stehen und gehen zu können und lief nach der Küche, um für ein
ordentliches Souper zu sorgen.

Die Unterhaltung zwischen dem Hofrat, Lotte und Leo spielte sich
indessen im Badezimmer ab, wo Leo sich zuerst mit einer Papierschere den
Knebelbart abschnitt, um sich dann zu rasieren und gleichzeitig zu
erzählen. Und das war sehr gut so, denn gerade als er rasiert und wieder
ein schöner, glatter junger Mann war, ereignete sich ganz Unerwartetes.

Ein Automobil mit Herrn Habietnik, einem sozialdemokratischen
Nationalrat und einem bekehrten Gemeinderat fuhr vor und die Herren
teilten Leo mit, daß er unbedingt mit ihnen zum Rathause fahren müsse,
um sich der dort versammelten Menschenmenge zu zeigen und eine Ansprache
des Bürgermeisters zu erdulden.

Sträuben nützte nichts, Leo mußte mit, aber Lotte, die die Garantie
dafür übernahm, daß sie rechtzeitig zum Abendessen zurück sein würden,
fuhr mit ihm.

Bis zum Schottentor verlief die Fahrt ganz glatt, dann stellte sich ein
Hindernis ein. Die Menschenmassen standen hier so dicht
aneinandergedrängt, daß das Auto nicht vorwärts kam. Worauf sich der
Gemeinderat hinausbeugte und in bester Absicht, wenn auch mit wenig
Zartgefühl den Leuten zuschrie:

»Laßt's uns durch! Der Herr Leo Strakosch, der erste Jud, der wieder in
Wien ist, muß zum Rathaus!«

Diese Worte waren das Signal zu einem stürmischen Jubelschrei, und das
Auto konnte zwar nicht durch, sondern mußte hier mit Lotte warten, aber
Leo saß auch schon auf den Schultern zweier handfester Männer und wurde
unter dem Jauchzen und Johlen und Hurra-Geschrei der Massen zum Rathaus
getragen.

Das schöne Rathaus war wieder illuminiert, sah wieder wie eine brennende
Fackel aus und mühsam nur konnten sich die Männer mit Leo auf den
Schultern Bahn machen. Fanfarenklänge, Trompetentöne, der Bürgermeister
von Wien, Herr Karl Maria Laberl, betrat den Balkon, streckte segnend
seine Arme aus und hielt eine zündende Ansprache, die mit den Worten
begann:

»Mein lieber Jude! -- --«

    =Ende.=


»Corona«-Druck (G. Davis & Co.), Wien IX.




  [ Im folgenden werden alle geänderten Textzeilen angeführt, wobei
    jeweils zuerst die Zeile wie im Original, danach die geänderte Zeile
    steht.

  von einem halben Jahr gegeben.
  von einem halben Jahr gegeben.«

  ist.«.
  ist.«

  vereinigten sich hier und machte ihn absolut unerbittlich.
  vereinigten sich hier und machten ihn absolut unerbittlich.

  »Meine Herren und Damen, ich weiß, daß die Bevölkerung schwer enttäuscht
  Meine Herren und Damen, ich weiß, daß die Bevölkerung schwer enttäuscht

  wollen.
  wollen.«

  »Dazu ist allerdings zu bemerken, daß der Bruder des Hofrates die
  Dazu ist allerdings zu bemerken, daß der Bruder des Hofrates die

  zehnmal in allen Tonarten nur in keiner gehässigen, hören. »Weißt du, ich
  zehnmal in allen Tonarten nur in keiner gehässigen, hören. Weißt du, ich

  furchtbares Gelächter entstanden, so daß ich aufgewacht bin! Glauben 's
  furchtbares Gelächter entstanden, so daß ich aufgewacht bin! Glauben S'

  nicht, Herr Mauler, daß der Traum was zu bedeuten hat?
  nicht, Herr Mauler, daß der Traum was zu bedeuten hat?«

  ausgewandert und wir sind richtig alle kapores!
  ausgewandert und wir sind richtig alle kapores!«

  Wien, daß Karl Maria Laberl den Bundeskanzler im geeigneten Moment in
  Wien, daß Karl Maria Laberl den Bundeskanzler im geeigneten Moment im

  Verzweiflung. Am wildesten sind die Frauen, hören sie nur, wie sie
  Verzweiflung. Am wildesten sind die Frauen, hören Sie nur, wie sie

  Millionen, die sie der guten Sache schon geopfert und hielten die
  Millionen, die sie der guten Sache schon geopfert, und hielten die

  Christlichsoziale und vierundzwanzig Großdeutsche. Das ergab 160 Stimmen
  Christlichsoziale und vierundzwanzig Großdeutsche. Das ergab 106 Stimmen

  erfreut sich einer vorzüglichen Gesundheit.
  erfreute sich einer vorzüglichen Gesundheit.

  befinde sich irgendwo in einem Automobil, in dem er einen
  befindet sich irgendwo in einem Automobil, in dem er einen

  Diese Worten waren das Signal zu einem stürmischen Jubelschrei, und das
  Diese Worte waren das Signal zu einem stürmischen Jubelschrei, und das

  ]






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both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

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work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit: http://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


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