Rosmersholm: Schauspiel in vier Aufzügen

By Henrik Ibsen

The Project Gutenberg EBook of Rosmersholm, by Henrik Ibsen

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Title: Rosmersholm
       Schauspiel in vier Aufzügen

Author: Henrik Ibsen

Translator: Wilhelm Lange

Release Date: August 7, 2011 [EBook #36997]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ROSMERSHOLM ***




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  HENRIK IBSEN

  DRAMATISCHE WERKE

  ÜBERSETZT
  VON
  WILHELM LANGE

  ROSMERSHOLM




  Bereits erschienen:

  Frau Inger von Oestrot.
  Hedda Gabler.
  Gespenster.


  Unter der Presse:

  Die Meerfrau.
  Die Wikinger.


  In kurzem folgen:

  Die Thronerben.
  Baumeister Solness.
  Die Wildente.
  Kaiser und Galiläer.
         Etc.

In Philipp Reclams Universal-Bibliothek sind folgende Dramen von _Henrik
Ibsen_ in =Wilhelm Langes= Übersetzung erschienen:

  Die Stützen der Gesellschaft.
  Nora. (Ein Puppenheim.)
  Der Bund der Jugend.
  Ein Volksfeind.




  ROSMERSHOLM

  SCHAUSPIEL IN VIER AUFZÜGEN
  VON
  HENRIK IBSEN

  DEUTSCH
  VON
  WILHELM LANGE

  ENNO QUEHL, BERLIN-STEGLITZ.




Den Bühnen gegenüber Manuskript.

Aufführungs- und Übersetzungsrecht vorbehalten.

Das Aufführungsrecht ist nur durch den Übersetzer, Schriftsteller
=Wilhelm Lange=, Berlin W. 30, zu erwerben.

=W. Lange.=




PERSONEN.


JOHANNES ROSMER, Besitzer von Rosmersholm, ein ehemaliger Pfarrer.

REBEKKA WEST.

REKTOR KROLL, Rosmers Schwager.

PETER MORTENSGAARD.

ULRICH BRENDEL.

FRAU HILSETH, Wirtschafterin auf Rosmersholm.

                   *       *       *       *       *

Der Schauplatz ist auf Rosmersholm, einem alten Herrensitz in der Nähe
einer kleinen Fjordstadt im westlichen Norwegen.

                   *       *       *       *       *

[Aussprache: Mortensgaard = Mortensgohr. -- Fjord = Fjohr.]




ERSTER AUFZUG.


    Das Wohnzimmer auf Rosmersholm; gross und anheimelnd; alte Möbel.
    Vorn rechts ein Kachelofen, der mit frischen Birkenzweigen und
    Feldblumen geschmückt ist. Etwas weiter zurück eine Tür. An der
    Hinterwand eine Flügeltür, die zum Vorzimmer führt. Links ein
    Fenster, und vor diesem ein Aufsatz mit Blumen und Pflanzen. Neben
    dem Ofen ein Tisch mit Sofa und Lehnstühlen. Rings an den Wänden
    alte und neue Porträts, die Geistliche, Offiziere und Beamte in
    Amtstracht darstellen. Das Fenster steht offen. Ebenso die Tür zum
    Vorzimmer und die Haustür. Durch diese sieht man draussen in einer
    Allee, die nach dem Hause führt, grosse alte Bäume.

    Sommerabend. Die Sonne ist untergegangen.

    REBEKKA sitzt in einem Lehnstuhl neben dem Fenster und häkelt an
    einem grossen weissen Wollshawl, der nahezu fertig ist. Von Zeit zu
    Zeit blickt sie zwischen den Blumen hindurch spähend hinaus. Kurz
    darauf kommt FRAU HILSETH von rechts.

FRAU HILSETH. Nicht wahr, Fräulein, 's ist wohl das beste, ich fang so
langsam an, den Abendtisch zu decken?

REBEKKA. Ja, tun Sie das. Der Pastor muß ja bald kommen.

FRAU HILSETH. Zieht es Fräulein denn nicht da am Fenster?

REBEKKA. Ja, ein wenig. Machen Sie lieber zu.

    (FRAU HILSETH geht zur Vorzimmertür und schliesst diese; dann tritt
    sie ans Fenster.)

FRAU HILSETH (will schliessen, sieht hinaus). Aber ist das nicht der
Pastor .. der da drüben?

REBEKKA (lebhaft). Wo? (Steht auf.) Ja, das ist er. (Hinter der
Gardine.) Gehn Sie beiseite. Daß er uns hier nicht sieht.

FRAU HILSETH (vom Fenster zurücktretend). Denken Sie, Fräulein, er
schlägt wieder den Mühlweg ein!

REBEKKA. Er kam schon vorgestern über den Mühlweg. (Blickt zwischen
Gardine und Fensterrahmen hindurch.) Nun woll'n wir aber mal sehn, ob er
auch --

FRAU HILSETH. Getraut er sich über den Steg?

REBEKKA. Das will ich ja grade sehn. (Kurz darauf.) Nein. Er kehrt um.
Geht auch heut oben herum. (Tritt vom Fenster zurück.) Ein langer Umweg.

FRAU HILSETH. Herrgott ja. Muß ja auch dem Herrn Pastor schwer fallen,
über den Steg zu gehn. Da, wo so was passiert ist; wo --

REBEKKA (legt ihre Häkelei zusammen). Sie hängen lang an ihren Toten
hier auf Rosmersholm.

FRAU HILSETH. Nein, Fräulein, ich glaub, die Toten hängen hier lange an
Rosmersholm.

REBEKKA (sieht sie an). Die Toten?

FRAU HILSETH. Ja, 's ist beinah, als könnten sie sich von den
Zurückgebliebnen nicht so recht trennen.

REBEKKA. Warum glauben Sie das?

FRAU HILSETH. Na, denn sonst, denk ich mir, würds hier doch dies weiße
Roß nicht geben.

REBEKKA. Ja, Frau Hilseth, wie verhält sichs eigentlich mit diesem
weißen Rosse?

FRAU HILSETH. Äh, davon woll'n wir lieber nicht reden. An so was glauben
=Sie= ja doch nicht.

REBEKKA. Glauben =Sie= denn daran?

FRAU HILSETH (tritt ans Fenster und schliesst es). Ach, ich laß mich von
Fräulein nicht zum Narren halten. (Blickt hinaus.) Nein -- aber ist das
nicht wieder der Pastor da auf dem Mühlweg --?

REBEKKA (sieht ebenfalls hinaus). Der Mann da? (Tritt ans Fenster.) Das
ist ja der Rektor.

FRAU HILSETH. Ja richtig, das ist der Rektor.

REBEKKA. Das ist aber merkwürdig! Denn Sie sollen sehn, er kommt zu uns.

FRAU HILSETH. Wahrhaftig, =er= geht gradaus über den Steg. Und sie war
doch seine leibliche Schwester ... Na, Fräulein, nu geh ich den
Abendtisch decken.

    (Sie geht rechts hinaus. -- REBEKKA bleibt eine Weile am Fenster
    stehn; dann grüsst sie, lächelt und winkt hinaus. -- Es beginnt
    dunkel zu werden.)

REBEKKA (geht an die Tür rechts und spricht durch diese hinaus). Ach,
liebe Frau Hilseth, Sie sorgen wohl für 'n bißchen extragutes. Sie
wissen ja, was der Rektor gern ißt.

FRAU HILSETH (draussen). Jawoll, Fräulein. Wird gemacht.

REBEKKA (öffnet die Tür zum Vorzimmer). Na, endlich mal --! Herzlich
willkommen, lieber Herr Rektor!

KROLL (im Vorzimmer, stellt den Stock fort). Danke. Ich stör also nicht?

REBEKKA. =Sie?= Pfui, schämen Sie sich --!

KROLL (eintretend). Immer liebenswürdig. (Sich umsehend). Ist Rosmer
vielleicht oben auf seinem Zimmer?

REBEKKA. Nein, er macht einen kleinen Spaziergang. Er bleibt heut etwas
länger als gewöhnlich. Aber er muß jeden Augenblick kommen. (Zeigt auf
das Sofa). Bitte, nehmen Sie so lange Platz.

KROLL (legt den Hut fort). Danke bestens. (Setzt sich und sieht sich
um.) Nein, wie freundlich Sie das alte Zimmer ausgeschmückt haben.
Überall Blumen, oben und unten.

REBEKKA. Rosmer hat immer gern frische lebende Blumen um sich.

KROLL. Na, Sie doch auch, scheint mir.

REBEKKA. Gewiß. Sie verbreiten einen so herrlichen betäubenden Duft.
Früher mußten wir uns ja dies Vergnügen versagen.

KROLL (nickt traurig). Die arme Beate konnte den Duft nicht vertragen.

REBEKKA. Und die Farben auch nicht. Sie wurde ganz wirr im Kopfe
davon --

KROLL. Ich erinnre mich. (In leichterm Ton.) Na, wie gehts denn hier
draußen?

REBEKKA. Nun, hier geht alles seinen ruhigen gleichmäßigen Gang. Ein Tag
wie der andre ... Und bei Ihnen? Ihre Frau?

KROLL. Ach, liebes Fräulein West, reden wir nicht von mir und den
meinen. In einer Familie gibts immer etwas, das nicht klappt. Namentlich
in solchen Zeiten wie diesen.

REBEKKA (nach kurzem Schweigen setzt sich neben das Sofa in einen
Lehnstuhl). Warum haben Sie uns während der ganzen Schulferien nicht ein
einziges mal besucht?

KROLL. Äh, man kann den Leuten doch nicht immer das Haus einrennen --

REBEKKA. Wenn Sie wüßten, wie wir Sie vermißt haben --

KROLL. -- und dann war ich ja auch verreist --

REBEKKA. Ja, vierzehn Tage. Sie hielten ja wohl Volksversammlungen ab?

KROLL (nickt). Und was sagen Sie dazu? Hätten Sie das gedacht, daß ich
auf meine alten Tage noch politischer Agitator werden könnte? Was?

REBEKKA (lächelnd). Ein wenig, Herr Rektor, haben Sie immer agitiert.

KROLL. Nu ja; so zu meinem Privatvergnügen. Aber nun wirds ernst,
verlassen Sie sich drauf ... Lesen Sie bisweilen diese radikalen
Blätter?

REBEKKA. Ja, Herr Rektor, ich will nicht leugnen, daß --

KROLL. Liebes Fräulein West, dagegen ist nichts einzuwenden. So weit Sie
persönlich in Frage kommen.

REBEKKA. Das scheint mir auch. Ich muß doch wissen, was in der Welt
vorgeht. Mich auf dem Laufenden halten --

KROLL. Na, jedenfalls kann ich von Ihnen, einer Dame, nicht verlangen,
daß Sie entschieden Partei ergreifen in dem Bürgerkampf --
Bürger=krieg=, möcht ich fast sagen --, der hier unter uns tobt ... Sie
haben also gelesen, wie diese Herrn vom »Volke« sich erlaubt haben, mich
zu behandeln? Was für infamer Beschimpfungen sie sich gegen mich
erdreistet haben?

REBEKKA. Jawohl. Aber mir scheint, Sie haben auch sehr kräftig um sich
gebissen.

KROLL. Das hab ich. Das Zeugnis darf ich mir geben. Denn nun hab ich
Blut geleckt. Und sie sollens zu fühlen kriegen, daß ich nicht der Mann
bin, der gutwillig den Buckel hinhält ... (Bricht ab.) Aber nein, --
lassen wir diesen Gegenstand heut abend ... 's ist zu traurig und
aufregend.

REBEKKA. Sie haben recht, lieber Rektor; reden wir nicht mehr davon.

KROLL. Sagen Sie mir lieber, wies Ihnen eigentlich geht hier auf
Rosmersholm, jetzt, wo Sie allein sind? Nachdem unsre arme Beate --?

REBEKKA. Danke; mir gehts hier ganz gut. Freilich, eine große Leere hat
sie ja in mancher Beziehung zurückgelassen. Und Trauer und Sehnsucht
natürlich auch. Aber sonst --

KROLL. Gedenken Sie hier zu bleiben? Ich meine, für immer.

REBEKKA. Ach, lieber Rektor, darüber hab ich wirklich noch gar nicht
nachgedacht. Ich hab mich so sehr an Rosmersholm gewöhnt, daß es mir
beinah ist, als gehört ich ebenfalls hierher.

KROLL. Aber selbstverständlich gehören =Sie= ebenfalls hierher.

REBEKKA. Und solang Herr Rosmer findet, daß ich ihm irgendwie nützlich
und angenehm sein könne, -- ja, so lange bleib ich wahrscheinlich hier.

KROLL (sieht sie bewegt an). Wissen Sie auch, daß etwas großes darin
liegt, wenn eine Frau so ihre ganze Jugend dahingehn läßt, um sich für
andre aufzuopfern?

REBEKKA. Ach, wofür hätt ich denn sonst hier leben sollen?

KROLL. Erst diese unermüdliche Hingebung für Ihren gelähmten
unleidlichen Pflegevater --

REBEKKA. Glauben Sie ja nicht, Doktor West sei da oben in der Finnmark
so unleidlich gewesen. Es waren diese schrecklichen Seereisen, die ihn
knickten. Aber als wir später hierher zogen, -- ja, da kamen freilich
ein paar schwere Jahre, eh er ausgelitten hatte.

KROLL. Die Jahre, die dann folgten -- waren die nicht noch schwerer für
Sie?

REBEKKA. Aber wie können Sie nur so reden! Ich, die Beate so innig
zugetan war --! Und sie, die Ärmste, die so sehr der Pflege und Schonung
bedurfte.

KROLL. Haben Sie Dank, daß Sie ihrer mit solcher Nachsicht gedenken.

REBEKKA (etwas näher rückend). Lieber Rektor, Sie sagen das so schön und
herzlich, daß ich überzeugt bin, Sie hegen keinerlei Verstimmung gegen
mich.

KROLL. Verstimmung? Was meinen Sie damit?

REBEKKA. Nun, es war doch ganz natürlich, wenn es Sie etwas peinlich
berührte, mich, die Fremde, hier auf Rosmersholm schalten und walten zu
sehn.

KROLL. Aber wie in aller Welt --!

REBEKKA. Also Sie hegen keine solche Empfindung gegen mich. (Reicht ihm
die Hand.) Dank, lieber Rektor! Haben Sie herzlichen Dank!

KROLL. Aber wie in aller Welt sind Sie nur auf einen solchen Gedanken
gekommen?

REBEKKA. Da Sie so selten zu uns kamen, begann ich etwas ängstlich zu
werden.

KROLL. Da sind Sie aber wirklich ganz gehörig auf dem Holzweg gewesen,
Fräulein West. Und zudem, -- in der Sache selbst hat sich hier ja gar
nichts geändert! Sie, -- Sie allein, -- leiteten den ganzen Haushalt ja
schon in den letzten unglücklichen Lebensjahren der armen Beate.

REBEKKA. Nun, es war wohl mehr eine Art Regentschaft im Namen der
Hausfrau.

KROLL. Wie dem auch sei --. Wissen Sie was, Fräulein West, -- ich für
meine Person würde wirklich nichts dagegen haben, wenn Sie --. Aber 's
ist wohl nicht erlaubt, so was zu sagen.

REBEKKA. Was denn?

KROLL. Wenn es sich so fügte, daß .. daß Sie den leeren Platz einnehmen
würden --

REBEKKA. Herr Rektor, ich habe den Platz, den ich mir wünsche.

KROLL. Was die Arbeit angeht, allerdings; aber nicht in Bezug auf --

REBEKKA (ihn ernst unterbrechend). Schämen Sie sich, Herr Rektor. Wie
können Sie über so etwas scherzen?

KROLL. Ach ja, unser guter Johannes ist vermutlich der Ansicht, vom
Ehestande hab er schon mehr als genug zu kosten bekommen. Aber
trotzdem --

REBEKKA. Wissen Sie was, -- ich könnte fast über Sie lachen.

KROLL. Aber trotzdem --. Sagen Sie mal, Fräulein West --. Wenns
gestattet ist, danach zu fragen --. Wie alt sind Sie eigentlich?

REBEKKA. Zu meiner Schande muss ich Ihnen gestehn, Herr Rektor, ich hab
schon volle neunundzwanzig hinter mir. Ich geh nun ins dreißigste.

KROLL. Sehr schön. Und Rosmer, -- wie alt ist er? Warten Sie mal. Er ist
fünf Jahr jünger als ich. Na, ist also gut und gern dreiundvierzig. Mir
scheint, 's würde ausgezeichnet passen.

REBEKKA (aufstehend). Jawohl, jawohl. Ganz ausgezeichnet ... Trinken Sie
Tee mit uns heut abend?

KROLL. Danke sehr, gewiß. Heut abend gedenk ich hier zu bleiben. Ich hab
etwas zu besprechen mit unserm guten Freunde. -- Und übrigens, Fräulein
West, -- damit Sie sich nicht wieder närrische Gedanken in den Kopf
setzen: in Zukunft komm ich wieder recht oft zu euch heraus, -- so wie
in frühern Tagen.

REBEKKA. Ach ja; bitte, tun Sie das. (Schüttelt ihm die Hände). Dank,
besten Dank! Im Grunde sind Sie doch ein ganz lieber netter Mensch.

KROLL (brummt). So, wirklich? Bei mir zu Hause hat das noch niemand
behauptet.

    (ROSMER kommt durch die Tür rechts.)

REBEKKA. Herr Rosmer, -- sehn Sie, wer da ist!

ROSMER. Frau Hilseth sagte mirs schon.

    (KROLL ist aufgestanden.)

ROSMER (mild und gedämpft, drückt ihm die Hände). Herzlich willkommen in
meinem Hause, lieber Kroll! (Legt ihm die Hände auf die Schultern und
blickt ihm in die Augen.) Du lieber alter Freund! Ich wußt es ja, früher
oder später müßt es zwischen uns wieder werden wie in alten Zeiten.

KROLL. Aber mein bester Johannes, hast du auch in der verrückten
Einbildung gelebt, es wäre was im Wege!

REBEKKA (zu ROSMER). Ja, denken Sie, -- es war nur Einbildung. Ist das
nicht schön?

ROSMER. War es das wirklich, Kroll? Aber warum zogst du dich denn
vollständig von uns zurück?

KROLL (ernst und gedämpft). Weil ich hier nicht umhergehn wollte wie
eine leibhaftige Erinnrung an deine Unglücksjahre, -- und an sie, die --
im Mühlbach endete.

ROSMER. Das war sehr schön von dir gemeint. Du bist ja immer so
rücksichtsvoll. Aber es war ganz unnötig, deshalb fortzubleiben. --
Komm, Lieber; setzen wir uns aufs Sofa. (Sie setzen sich.) Nein, sei
versichert, der Gedanke an Beate hat gar nichts peinliches für mich. Wir
sprechen täglich von ihr. Es ist uns, als gehörte sie noch zum Hause.

KROLL. Wirklich?

REBEKKA (die Lampe anzündend). Ja, so ist es, Herr Rektor.

ROSMER. Das ist ja so natürlich. Wir hatten sie beide von Herzen lieb.
Und Rebek -- Fräulein West und ich, wir haben beide das Bewußtsein, daß
wir für die arme Kranke alles getan, was in unsrer Macht stand. Wir
haben uns nichts vorzuwerfen ... An Beate zu denken, hat deshalb nun
gleichsam etwas mildbesänftigendes für mich.

KROLL. Ihr lieben prächtigen Menschen! Von jetzt an komm ich täglich zu
euch heraus.

REBEKKA (sich in einen Lehnstuhl setzend). Na, wir wollen mal sehn, ob
Sie Wort halten.

ROSMER (etwas zögernd). Du, Kroll, -- ich gäbe viel darum, wäre unser
Verkehr niemals unterbrochen worden. So lange wir uns kennen, -- von
meiner ersten Studentenzeit an bist du immer mein natürlicher Berater
gewesen.

KROLL. Ach ja; und darauf bin ich außerordentlich stolz. Hast du jetzt
vielleicht etwas besondres --?

ROSMER. Da ist mancherlei, worüber ich gern frei und offen mit dir
sprechen möchte.

REBEKKA. Ja, nicht wahr, Herr Rosmer? Ich denke mir, das müßt Ihnen eine
Erleichterung sein -- so zwischen alten Freunden --

KROLL. O, glaube mir, ich hab dir noch weit mehr mitzuteilen. Du weißt
ja, ich bin jetzt aktiver Politiker geworden.

ROSMER. Ja ich weiß. Wie ging das eigentlich zu?

KROLL. Du, ich mußte. Mußte wirklich, so unangenehm es mir auch war. Es
geht unmöglich mehr an, noch länger als bloßer Zuschauer müßig am Markte
zu stehn. Jetzt, wo die Radikalen bedauerlicherweise die Macht in die
Hände bekommen haben, -- jetzt ist es hohe Zeit --. Darum hab ich denn
auch unsern kleinen Freundeskreis in der Stadt veranlaßt, sich fester
zusammenzuschließen. Ich sage dir, es ist hohe Zeit!

REBEKKA (mit einem leichten Lächeln). Ist es nun eigentlich nicht schon
etwas spät?

KROLL. Unzweifelhaft wärs besser gewesen, wir hätten den Strom schon
früher aufgehalten. Aber wer konnte voraussehn, was kommen würde? Ich
jedenfalls nicht. (Steht auf und geht mit grossen Schritten im Zimmer
umher.) Aber nun sind mir die Augen aufgegangen. Denn der Geist der
Empörung hat sich sogar schon in die Schule hineingeschlichen.

ROSMER. In die Schule? Doch nicht in deine Schule?

KROLL. Jawohl, in meine Schule. In meine eigne Schule. Wie findest du
das! Ich bin dahinter gekommen, daß die Knaben der obersten Klasse, --
d. h. ein Teil davon, -- schon vor länger als einem halben Jahr einen
geheimen Verein gebildet und auf Mortensgaards Zeitung abonniert haben!

REBEKKA. Ah, auf den »Leuchtturm«.

KROLL. Nicht wahr, eine gesunde geistige Nahrung für zukünftige Beamte?
Aber das traurigste an der Sache ist, daß grade alle begabten Schüler
sich zusammengerottet und dies Komplott gegen mich geschmiedet haben.
Nur die Faulpelze und Dummköpfe haben sich fern gehalten.

REBEKKA. Geht Ihnen denn die Sache sehr nahe, Herr Rektor?

KROLL. Na ob! Mich so in meiner Berufstätigkeit gehemmt und bekämpft zu
sehn! (Leiser.) Und doch möcht ich fast sagen: die Schülerverschwörung
könnte noch hingehn. Aber nun kommt das allerschlimmste. (Sieht sich
um.) Da horcht doch niemand an den Türen?

REBEKKA. Ach nein, niemand.

KROLL. Nun, so wißt denn, die Zwietracht und Empörung sind sogar in mein
eignes Haus eingedrungen. In mein eignes ruhiges Heim. Haben den Frieden
meines Familienlebens zerstört.

ROSMER (aufstehend). Was sagst du! In deinem eignen Hause --?

REBEKKA (sich dem Rektor nähernd). Aber, lieber Rektor, was ist denn
geschehn?

KROLL. Können Sie sich das vorstellen, daß meine eignen Kinder --! Kurz
und gut -- Lorenz ist der Rädelsführer des Schülerkomplotts. Und Hilda
hat eine rote Mappe gestickt, um darin den »Leuchtturm« aufzubewahren.

ROSMER. Das hätt ich mir nie träumen lassen, -- daß bei dir, -- in
deinem Hause --

KROLL. Ja, wer könnte sich auch so was je träumen lassen! In meinem
Hause, wo immer Zucht und Ordnung geherrscht, -- wo bisher nur ein
einziger einträchtiger Wille regiert hat --

REBEKKA. Was sagt Ihre Gattin zu alledem?

KROLL. Ja, sehn Sie, das ist nun das unglaublichste von allem. Sie, die
ihr ganzes Leben lang -- im grossen wie im kleinen -- meine Meinungen
geteilt und all meine Anschauungen gebilligt hat, -- sie ist tatsächlich
geneigt, sich in manchen Punkten auf die Seite der Kinder zu stellen!
Und dabei mißt sie =mir= die Schuld bei wegen des Geschehnen. Sie
behauptet, ich tyrannisiere die Jugend. Als ob es nicht unbedingt
notwendig wäre, sie --. Na, so also herrscht Unfrieden in meiner
Familie. Aber natürlich sprech ich so wenig wie möglich davon. Sowas
vertuscht man am besten. (Geht im Zimmer hin und her.) Ach ja; jaja. (Er
stellt sich mit den Händen auf dem Rücken ans Fenster und sieht hinaus.)

REBEKKA (hat sich ROSMER genähert und sagt leise und schnell, ohne vom
Rektor bemerkt zu werden). Tus!

ROSMER (ebenso). Heut abend nicht.

REBEKKA (wie vorhin). Ja grade! (Tritt an den Tisch und macht sich mit
der Lampe zu schaffen.)

KROLL (kommt nach vorn). Ja, mein lieber Rosmer, nun weißt du also, wie
der Zeitgeist seine Schatten auf mein Familienleben und meine
Berufstätigkeit geworfen hat. Und diesen verderblichen, alles
niederreißenden und auflösenden Zeitgeist sollt ich nicht bekämpfen mit
all den Waffen, deren ich habhaft werden kann! Ja, mein Lieber, ich werd
ihn bekämpfen, verlaß dich drauf. In Wort und Schrift.

ROSMER. Und hast du Hoffnung, auf diese Weise etwas zu erreichen?

KROLL. Jedenfalls will ich meiner staatsbürgerlichen Dienstpflicht
genügen. Und ich meine, es ist jedes patriotisch gesinnten und um die
gute Sache besorgten Mannes Pflicht und Schuldigkeit, dasselbe zu tun.
Siehst du, -- das ist der Hauptgrund, weshalb ich heut abend zu dir
gekommen bin.

ROSMER. Aber lieber Kroll, was meinst du --? Was soll ich --?

KROLL. Du sollst deinen alten Freunden zu Hülfe kommen. Tun, was wir
tun. Mit Hand anlegen, wo und wie du kannst.

REBEKKA. Aber Herr Rektor, Sie kennen doch Herrn Rosmers Abneigung gegen
all diese Dinge.

KROLL. Diese Abneigung muß er jetzt zu überwinden suchen ... Du hältst
nicht Schritt mit dem politischen Leben, Rosmer. Da sitzest du hier
einsam und mauerst dich ein mit deinen historischen Sammlungen. Du
lieber Gott, -- alle Achtung vor Stammbäumen und was da drum und dran
hängt. Aber zu solchen Beschäftigungen -- dazu ist die Zeit leider nicht
angetan. Du machst dir keine Vorstellung davon, welche Zustände im Lande
herrschen. Alle Begriffe stehn gewissermaßen auf dem Kopfe. 'S wird eine
Riesenarbeit werden, all die Irrlehren wieder auszurotten.

ROSMER. Das glaub ich auch. Aber zu solcher Arbeit bin ich nicht
geschaffen.

REBEKKA. Und dann glaub ich auch, Herr Rosmer sieht auf die Dinge im
Leben jetzt mit offnern Augen als früher.

KROLL (stutzt). Mit offnern Augen --?

REBEKKA. Ja; oder freiern. Weniger befangen.

KROLL. Was bedeutet das? Rosmer, -- du kannst doch unmöglich so schwach
sein, dich durch eine solche Zufälligkeit wie diesen augenblicklichen
Sieg der Massenhäuptlinge betören zu lassen?

ROSMER. Lieber Kroll, du weißt doch, wie wenig ich von Politik verstehe.
Aber das find ich allerdings, daß das Volk seit einigen Jahren in seinem
Denken mehr Selbständigkeit zeigt.

KROLL. Aha!... Und das betrachtest du so ohne weiters als einen Gewinn!
Im übrigen, lieber Freund, irrst du dich ganz gewaltig. Erkundige dich
nur, was für Ansichten unter den Radikalen hier auf dem Lande und in der
Stadt Kurs haben. 'S ist weiter nichts als die Weisheit, die der
»Leuchtturm« verkündet.

REBEKKA. Ja, Mortensgaard hat über viele hier in der Gegend eine große
Macht.

KROLL. Ja, denke dir! Ein Mann mit einer so schmutzigen Vergangenheit.
Ein wegen Unsittlichkeit fortgejagter Schulmeister --! Ein solcher
Mensch spielt sich als Volksführer auf! Und es geht! Geht wirklich!
Jetzt will er, hör ich, sein Blatt erweitern. Aus sichrer Quelle weiß
ich, daß er einen tüchtigen Hülfsredakteur sucht.

REBEKKA. Es wundert mich, daß Sie und Ihre Freunde ihm nichts
entgegenstellen.

KROLL. Grade das soll nun geschehen. Heut haben wir das »Kreisblatt«
gekauft. Die Geldfrage bot keine Schwierigkeiten. Aber -- (Wendet sich
zu ROSMER.) Ja, nun komm ich zu meinem eigentlichen Gegenstande. Die
Leitung, -- die journalistische Leitung -- siehst du, damit haperts. Sag
mal, Rosmer, -- solltest du dich der guten Sache wegen nicht veranlaßt
fühlen, die Leitung zu übernehmen?

ROSMER (fast erschreckt). Ich!

REBEKKA. Aber wie können Sie das nur für möglich halten?

KROLL. Daß du vor Volksversammlungen zurückschreckst und dich dem
Konfekt, das einem =dort= an den Kopf fliegt, nicht aussetzen willst,
find ich sehr begreiflich. Aber der weniger exponierte Posten eines
Redakteurs, oder vielmehr --

ROSMER. Nein nein, lieber Freund, mit einer solchen Bitte mußt du mir
nicht kommen.

KROLL. Ich selbst würde mich mit besonderm Vergnügen auch in =diesem=
Fache versuchen. Aber 's wäre mir gar nicht möglich, all die Arbeit zu
bewältigen. Ich bin nun schon mit einer solchen Unmasse von Geschäften
belastet --. Du dagegen, der keine amtliche Bürde mehr zu tragen hat --.
Natürlich werden wir andern dich nach besten Kräften unterstützen.

ROSMER. Ich kann nicht, Kroll. Ich tauge nicht dazu.

KROLL. Taugst nicht dazu? Dasselbe sagtest du, als dein Vater dir deine
Pfarrei verschaffte --

ROSMER. Und ich hatte recht. Deshalb entsagt ich meinem Berufe.

KROLL. O, werde nur ebenso tüchtig als Redakteur, wie dus als
Geistlicher warst, dann sind wir vollkommen zufrieden.

ROSMER. Lieber Kroll, -- ein für allemal, -- ich tus nicht.

KROLL. Nun, dann wirst du uns doch wenigstens deinen Namen borgen?

ROSMER. Meinen Namen?

KROLL. Ja; denn schon der Name Johannes Rosmer wird für das Blatt ein
großer Gewinn sein. Wir andern gelten ja für ausgeprägte Parteimänner.
Ich selbst soll sogar, hör ich, als ein ganz arger Fanatiker verschrien
sein. Deshalb können wir nicht darauf rechnen, dem Blatt unter eignem
Namen bei den verführten Massen mit Nachdruck Eingang zu verschaffen. Du
dagegen, -- du hast dich dem Kampf immer fern gehalten. Deine milde
lautere Denkungsart, -- deine vornehme Gesinnung, -- deine unantastbare
Ehrenhaftigkeit -- jedermann hier in der Gegend kennt und schätzt sie.
Und dann der Respekt, die Hochachtung, womit deine frühere priesterliche
Stellung dich noch umgibt. Endlich aber, Rosmer, die Ehrwürdigkeit
deines Familiennamens!

ROSMER. Ach was Familienname --

KROLL (zeigt auf die Porträts). Lauter Rosmers von Rosmersholm, --
Priester und Soldaten! Hochgestellte Würdenträger. Alle ohne Ausnahme
korrekte Ehrenmänner, -- ein Geschlecht, das nun schon durch mehrere
Jahrhunderte als das erste hier im Kreise seinen Sitz hat. (Legt ihm die
Hand auf die Schulter.) Rosmer, -- dir selbst und den Traditionen deines
Hauses bist dus schuldig, dich uns anzuschließen, um all das zu
verteidigen, was in unsern Kreisen bisher als heilig galt. (Wendet sich
um.) Ja, was sagen =Sie= dazu, Fräulein West?

REBEKKA (mit leichtem stillem Lachen). Lieber Herr Rektor, -- mir kommt
dies alles so unsagbar lächerlich vor --

KROLL. Was sagen Sie! Lächerlich!

REBEKKA. Ja lächerlich. Denn nun will ich Ihnen offen heraus sagen --

ROSMER (schnell). Nein nein, -- lassen Sie! Nicht jetzt!

KROLL (sieht sie abwechselnd an). Aber, liebe Freunde, was in aller
Welt --? (Bricht ab.) Hm!

FRAU HILSETH (kommt durch die Tür rechts.) Da ist ein Mann im
Küchenflur. Er sagt, er müsse den Herrn Pastor sprechen.

ROSMER (erleichtert). Ah so. Lassen Sie ihn eintreten.

FRAU HILSETH. Hier in dies Zimmer?

ROSMER. Ja gewiß.

FRAU HILSETH. Aber so sieht er doch nicht aus, daß man ihn ins Zimmer
lassen könnte.

REBEKKA. Wie sieht er denn aus, Frau Hilseth?

FRAU HILSETH. Na, mit dem Aussehn, Fräulein, damit ists nicht weit her.

ROSMER. Sagt er nicht, wie er heißt?

FRAU HILSETH. Ja, ich glaub, er sagt, er heiße Hekmann -- oder so
ähnlich.

ROSMER. Ich kenne niemand, der so heißt.

FRAU HILSETH. Und dann sagte er, er heiße auch Ullerich.

ROSMER (stutzt). Vielleicht -- Ulrich Hetmann?

FRAU HILSETH. Ja ja, Hetmann sagt er.

KROLL. Den Namen hab ich schon mal gehört --

REBEKKA. Das war ja der Name, unter dem jener seltsame Mann schrieb,
der --

ROSMER (zu KROLL). Es war Ulrich Brendels Schriftstellername.

KROLL. Des verkommenen Ulrich Brendel. Ganz recht.

REBEKKA. Er lebt also noch.

ROSMER. Ich glaubte, er befände sich bei einer reisenden
Theatergesellschaft.

KROLL. Das letzte, was ich von ihm hörte, war, er säße im Arbeitshause.

ROSMER. Lassen Sie ihn herein, Frau Hilseth.

FRAU HILSETH. Na ja. (Sie geht.)

KROLL. Willst du diesen Menschen wirklich in deinem Zimmer dulden?

ROSMER. Aber du weißt doch, einst war er mein Lehrer.

KROLL. Jawohl, ich weiß, daß er dir den Kopf mit revolutionären Ideen
vollpfropfte, bis dein Vater ihn mit der Reitpeitsche zum Tor hinaus
jagte.

ROSMER (etwas bitter). Mein Vater war auch zu Hause Major.

KROLL. Mein lieber Rosmer, dafür solltest du ihm noch in seinem Grabe
dankbar sein... Aha!

    (FRAU HILSETH öffnet ULRICH BRENDEL die Tür rechts, geht wieder und
    schliesst hinter ihm. Er ist ein stattlicher Mann mit grauem Haar
    und Bart; etwas abgemagert, aber leicht und ungezwungen in seinen
    Bewegungen. Im übrigen gekleidet wie ein gewöhnlicher Landstreicher.
    Fadenscheiniger Rock; schlechtes Schuhwerk; von einem Hemd ist
    nichts zu sehen. An den Händen alte schwarze Handschuh; unter dem
    Arm hat er einen zusammengeklappten schmutzigen weichen Filzhut und
    in der Hand einen Spazierstock.)

BRENDEL (erst unsicher, geht dann schnell auf den REKTOR zu und hält ihm
die Hand hin). Guten Abend, Johannes!

KROLL. Entschuldigen Sie --

BRENDEL. Hattest du das erwartet, mich noch mal wiederzusehn? Und noch
unter diesem verhaßten Dache?

KROLL. Entschuldigen Sie --. (Zeigt.) Dort --

BRENDEL (wendet sich um). Ah, richtig. Da ist er ja. Johannes, -- mein
Junge, -- du, den ich am meisten geliebt habe --!

ROSMER (reicht ihm die Hand). Mein alter Lehrer.

BRENDEL. Trotz gewisser Erinnrungen wollt ich Rosmersholm nicht
passieren, ohne eine flüchtige Visite abzustatten.

ROSMER. Hier sind Sie jetzt herzlich willkommen. Das können Sie mir
glauben.

BRENDEL. Ah, diese verlockende Dame --? (Verbeugt sich.) Natürlich die
Frau Pastorin.

ROSMER. Fräulein West.

BRENDEL. Vermutlich eine nahe Verwandte. Und jener Unbekannte --? Ein
Amtsbruder, wie ich seh.

ROSMER. Rektor Kroll.

BRENDEL. Kroll? Kroll? Warte mal. Haben Sie in Ihren jungen Tagen nicht
Philologie studiert?

KROLL. Selbstverständlich.

BRENDEL. Aber, corpo di bacco, dann hab ich dich ja gekannt!

KROLL. Entschuldigen Sie --

BRENDEL. Warst du nicht --

KROLL. Entschuldigen Sie --

BRENDEL. -- einer von jenen Tugendhusaren, die mich aus dem
Debattierverein ausschlossen?

KROLL. Kann schon sein. Aber ich protestiere gegen jede nähere
Bekanntschaft.

BRENDEL. Nu nu! As you like it, Mister Kroll. Kann mir höchst
gleichgültig sein, Ulrich Brendel bleibt doch, was er ist.

REBEKKA. Sie wollen wohl nach der Stadt, Herr Brendel?

BRENDEL. Die Frau Pastorin habens getroffen. Von Zeit zu Zeit bin ich
genötigt, in dem Kampf ums Dasein eine Schlacht zu schlagen. Ich tus
nicht gern; aber -- enfin -- die unerbittliche Notwendigkeit --

ROSMER. Aber lieber Herr Brendel, Sie werden mir doch gestatten, Sie mit
irgend etwas zu unterstützen? Auf die ein oder andre Weise --

BRENDEL. Ha, ein solcher Vorschlag! Du könntest das Band beflecken, das
uns vereint? Niemals, Johannes, -- niemals!

ROSMER. Aber was gedenken Sie in der Stadt anzufangen? Glauben Sie mir,
so leicht werden Sie da Ihr Fortkommen nicht finden --

BRENDEL. Das überlaß mir, mein Junge. Die Würfel sind gefallen. So wie
ich hier vor dir steh, befind ich mich auf einer großen Reise. Weit
größer als all meine frühern Streifzüge zusammen. (Zu KROLL.) Darf ich
den Herrn Professor etwas fragen, -- d. h. entre nous? Gibt es nämlich
in Ihrer wohllöblichen Stadt ein leidlich anständiges, reputierliches
und geräumiges Versammlungslokal?

KROLL. Das geräumigste ist der Saal des Arbeitervereins.

BRENDEL. Haben der Herr Doktor irgend welchen qualifizierten Einfluß in
diesem ohne Zweifel sehr nützlichen Verein?

KROLL. Ich hab gar nichts damit zu tun.

REBEKKA (zu BRENDEL). Sie müssen sich an Peter Mortensgaard wenden.

BRENDEL. Pardon, Madame, -- was ist das für ein Idiot?

ROSMER. Warum halten Sie ihn für einen Idioten?

BRENDEL. Hör ichs dem Namen nicht sofort an, daß er einem Plebejer
gehört?

KROLL. Die Antwort hätt ich nicht erwartet.

BRENDEL. Aber ich will mir Zwang antun. Bleibt mir keine andre Wahl.
Wenn man, -- wie ich, -- an einem Wendepunkt seines Lebens steht --.
Abgemacht. Ich setze mich mit dem Individuum in Verbindung, -- knüpfe
direkte Unterhandlungen an --

ROSMER. Stehn Sie in der Tat ernstlich an einem Wendepunkt?

BRENDEL. Weiß denn mein braver Johannes nicht, daß, wo Ulrich Brendel
steht, er dort immer ernstlich steht?... Ja, mein Junge, nun will ich
mir einen neuen Menschen anziehn. Die bescheidne Zurückhaltung aufgeben,
die ich bisher beobachtet habe.

ROSMER. Wie denn --?

BRENDEL. Mit tatkräftiger Hand will ich ins Leben eingreifen.
Hervortreten. Auftreten. Wir leben in der sturmbewegten Zeit der
Sonnenwende ... Nun will ich mein Scherflein auf dem Altar der Befreiung
niederlegen.

KROLL. Auch =Sie= wollen --?

BRENDEL (zu allen). Besitzt das anwesende Publikum eine etwas genauere
Kenntnis meiner Flugschriften?

KROLL. Ich nicht, offen gestanden --

REBEKKA. Ich hab verschiednes gelesen. Mein Pflegevater besaß sie.

BRENDEL. Schöne Hausfrau, -- da haben Sie Ihre Zeit vergeudet. Denn 's
ist lauter Plunder.

REBEKKA. So?

BRENDEL. Was Sie gelesen haben, alles. Meine wirklich bedeutenden Werke
kennt weder Mann noch Weib. Niemand -- außer mir.

REBEKKA. Wie geht das zu?

BRENDEL. Weil sie nicht geschrieben sind.

ROSMER. Aber lieber Herr Brendel --

BRENDEL. Du weißt, mein wackrer Johannes, ich bin ein Stück Sybarit.
Feinschmecker. Wars all mein Lebtag. Ich lieb es, einsam zu genießen.
Denn dann genieß ich doppelt. Zehnfach. Siehst du, -- wenn goldne Träume
sich auf mich herabsenkten, -- mich umfingen, -- wenn mein Hirn neue
schwindelerregende weltumspannende Gedanken gebar, -- und diese mich mit
kräftigen Schwingen umrauschten, -- dann formt ich sie zu Gedichten,
Bildern, Visionen. Verstehst du, so in großen Umrissen.

ROSMER. Ja, ja.

BRENDEL. O, du, wie hab ich Zeit meines Lebens genossen und geschwelgt!
Die geheimnisvolle Glückseligkeit der Ausgestaltung, -- wie gesagt, in
großen Umrissen, -- Beifall, Dank, Ruhm, Lorbeerkränze, -- alles hab ich
mit vollen freudezitternden Händen einkassiert. Mich an meinen geheimen
Visionen mit einer Wonne gesättigt, -- o, so berauschend groß --!

KROLL. Hm --

ROSMER. Aber niemals etwas niedergeschrieben?

BRENDEL. Kein Wort. Dies platte Schreiberhandwerk hat mir immer einen
herzhaften Widerwillen verursacht. Und warum sollt ich auch meine eignen
Ideale profanieren, wenn ich sie allein und in ihrer ganzen Reinheit
genießen konnte? Aber nun sollen sie geopfert werden. Wahrhaftig, -- mir
ist dabei zu Mut wie einer Mutter, die ihre jungen Töchter den
Ehemännern in die Arme legt. Aber trotzdem, -- ich opfre sie, -- opfre
sie auf dem Altar der Befreiung. Eine Reihe sorgfältig ausgearbeiteter
Vorträge -- rings im ganzen Lande --!

REBEKKA (lebhaft). Das ist edel von Ihnen, Herr Brendel! Sie geben das
teuerste, was Sie besitzen.

ROSMER. Und das einzige.

REBEKKA (sieht ROSMER vielsagend an). Wie viele gibt es wohl, die das
tun? Die den Mut dazu haben?

ROSMER (erwidert den Blick). Wer weiß?

BRENDEL. Die Versammlung ist ergriffen. Das erquickt mir das Herz und
stählt den Willen. Und nun ans Werk ... Aber noch eins. (Zum Rektor.)
Herr Präzeptor, können Sie mir sagen, gibts in der Stadt einen
Mäßigkeitsverein? Einen Totalmäßigkeitsverein? Selbstverständlich gibt
es dort einen.

KROLL. Zu dienen. Ich selbst bin Vorsitzender.

BRENDEL. Hab ichs Ihnen nicht angesehn! Na, da ists nicht unmöglich, daß
ich Sie aufsuche und auf acht Tage Mitglied werde.

KROLL. Entschuldigen Sie -- auf Wochen nehmen wir keine Mitglieder an.

BRENDEL. A la bonne heure, Herr Pädagoge. Solchen Vereinen ist Ulrich
Brendel noch nie nachgelaufen. (Wendet sich an ROSMER.) Aber ich darf
meinen Aufenthalt in diesem an Erinnrungen so reichen Hause nicht weiter
verlängern. Ich muß zur Stadt und mir ein passendes Logis suchen. Es
gibt dort hoffentlich ein anständiges Hotel.

REBEKKA. Wollen Sie nicht etwas warmes genießen, eh Sie gehn?

BRENDEL. Welcher Art, meine Gnädige?

REBEKKA. Eine Tasse Tee oder --

BRENDEL. Des Hauses freigebigen Schaffnerin meinen Dank. Aber auf die
private Gastfreundschaft leg ich nicht gern Beschlag. (Grüsst mit der
Hand.) Leben Sie wohl, meine Herrschaften! (Geht nach der Tür, wendet
sich aber wieder um.) Ah, richtig --. Johannes, -- Pastor Rosmer, --
willst du, -- um langjähriger Freundschaft willen, -- deinem ehmaligen
Lehrer einen Dienst erweisen?

ROSMER. Gewiß, sehr gern.

BRENDEL. Gut. So leih mir -- auf ein oder zwei Tage -- ein geplättetes
Oberhemd.

ROSMER. Weiter nichts!

BRENDEL. Denn siehst du, diesmal reis ich zu Fuß. Mein Koffer wird mir
nachgeschickt.

ROSMER. Gut gut. Aber brauchen Sie sonst nichts?

BRENDEL. Ja, weißt du, -- vielleicht kannst du einen gebrauchten ältern
Sommerüberzieher entbehren?

ROSMER. Gewiß kann ich das.

BRENDEL. Und da zu dem Überzieher 'n paar anständige Stiefel gehören --

ROSMER. Auch dazu wird Rat. Sobald wir Ihre Adresse wissen, schicken wir
Ihnen die Sachen.

BRENDEL. Unter keinen Umständen. Meinethalb keine besondre Mühe! Ich
nehme die Bagatellen gleich mit.

ROSMER. Gut gut. So kommen Sie mit mir hinauf.

REBEKKA. Lassen Sie mich gehn. Frau Hilseth und ich wollen das schon
besorgen.

BRENDEL. Niemals gestatt ich, daß diese distinguierte Dame --!

REBEKKA. Ach was! Kommen Sie nur, Herr Brendel.

    (Sie geht rechts hinaus.)

ROSMER (hält ihn zurück). Sagen Sie mal, kann ich sonst nichts für Sie
tun?

BRENDEL. Ich weiß wahrhaftig nicht was. Donnerwetter -- ja da fällts mir
ein --! Johannes, -- hast du zufällig acht Kronen in der Tasche?

ROSMER. Wollen mal sehn. (Öffnet das Portemonnaie.) Hier sind zwei
Zehnkronenscheine.

BRENDEL. Ja ja, das macht nichts. Ich nehm sie. Kriege sie in der Stadt
schon gewechselt. Vorläufig meinen Dank. Vergiß nicht, es waren zwei
Zehner, die du mir geliehen hast. Gute Nacht, mein einziger lieber
Junge! Gute Nacht, hochedler Herr!

    (Er geht nach rechts, wo ROSMER Abschied von ihm nimmt und die Tür
    hinter ihm schliesst.)

KROLL. Barmherziger Gott, -- das also war jener Ulrich Brendel, von dem
einst die Leute glaubten, er würde noch mal ein großer Mann!

ROSMER (ruhig). Jedenfalls hat er den Mut gehabt, das Leben nach seinem
eignen Sinn zu leben. Mir scheint, das ist nicht wenig.

KROLL. Was! Solch ein Leben wie dieses! Ich glaube fast, er wäre fähig,
dir noch mal den Kopf zu verdrehen.

ROSMER. Ach nein. Jetzt bin ich in jeder Beziehung mit mir im reinen.

KROLL. Gott geb es, lieber Rosmer. Denn du bist so außerordentlich
empfänglich für fremde Eindrücke.

ROSMER. Setzen wir uns. Ich hab mit dir zu reden.

KROLL. Ja, setzen wir uns. (Sie setzen sich aufs Sofa.)

ROSMER (nach kurzem Schweigen). Findest du nicht, daß wir hier ein
angenehmes behagliches Leben führen?

KROLL. Ja, hier ist es jetzt angenehm und behaglich -- und friedlich.
Du, Rosmer, hast dir eine Häuslichkeit geschaffen. Und ich hab die meine
verloren.

ROSMER. Wie kannst du nur so reden, lieber Kroll? Die Wunde wird schon
wieder heilen.

KROLL. Nie. Niemals. Der Stachel bleibt. Wie es war, kann es nie wieder
werden.

ROSMER. Hör mich an, Kroll. Durch viele, viele Jahre haben wir beiden
uns nahe gestanden. Hältst du es für denkbar, daß unsre Freundschaft mal
Schiffbruch leiden könnte?

KROLL. Auf der ganzen Gotteswelt wüßt ich nichts, was uns entfremden
könnte. Wie kommst du darauf?

ROSMER. Weil du auf die Übereinstimmung in Meinungen und Ansichten ein
so entscheidendes Gewicht legst.

KROLL. Nun ja. Aber wir beiden sind ja so ungefähr einig. Jedenfalls in
den großen Haupt- und Kernfragen.

ROSMER (leise). Nein. Jetzt nicht mehr.

KROLL (will aufspringen). Was heißt das!

ROSMER (hält ihn zurück). Nein, bleib ruhig sitzen. Ich bitte dich,
Kroll.

KROLL. Was bedeutet das? Ich versteh dich nicht. Sprich deutlich!

ROSMER. Ein neuer Sommer hat mein Geistesleben befruchtet. Ich sehe
wieder mit den Augen der Jugend. Und darum steh ich jetzt dort --

KROLL. Wo, -- wo stehst du?

ROSMER. Dort, wo deine Kinder stehn.

KROLL. Du? Du! Das ist ja unmöglich! Wo behauptest du zu stehn?

ROSMER. Auf derselben Seite, wo Lorenz und Hilda stehn.

KROLL (lässt den Kopf sinken). Abtrünnig. Johannes Rosmer abtrünnig.

ROSMER. Ich wäre so froh, so von Herzen glücklich gewesen über das, was
du meine Abtrünnigkeit nennst. Aber ich litt furchtbar darunter. Denn
ich wußte, es würde dir bittres Leid verursachen.

KROLL. Rosmer, -- Rosmer! Das verwind ich niemals. (Sieht ihn traurig
an.) O, daß auch du mitwirken, mit Hand anlegen kannst bei dem Werke der
Zerstörung und Vernichtung in diesem unglücklichen Lande!

ROSMER. Es ist das Werk der Befreiung, an dem ich mitwirken will.

KROLL. Ach ja, ich weiß. So nennen es die Verführer und die Verführten.
Aber glaubst du denn, von dem Geiste, der jetzt unser ganzes soziales
Leben vergiftet, sei irgend welche Befreiung zu erwarten?

ROSMER. Ich schließe mich weder dem jetzt herrschenden Zeitgeist, noch
einer der streitenden Parteien an. Ich will versuchen, von allen Seiten
Menschen zu sammeln. Soviel wie möglich; und sie so fest vereinen, als
ich vermag. Ich will leben und all meine Lebenskräfte dem einen Zwecke
weihen, eine wahre Demokratie hier im Lande zu schaffen.

KROLL. Du bist also der Ansicht, wir hätten noch nicht Demokratie genug!
Ich für meine Person finde vielmehr, wir alle miteinander sind auf dem
besten Wege in den Schmutz zu geraten, worin sonst nur der Pöbel sich
wohl fühlt.

ROSMER. Eben deshalb kämpf ich für die wahre Aufgabe der Demokratie.

KROLL. Und diese Aufgabe wäre?

ROSMER. Alle Menschen hier im Lande zu Adelsmenschen zu machen.

KROLL. Alle --!

ROSMER. Jedenfalls so viele wie möglich.

KROLL. Durch welche Mittel?

ROSMER. Dadurch, daß die Geister befreit und die Triebe der Menschen
geläutert werden.

KROLL. Rosmer, du bist ein Träumer. Willst =du= die Geister befreien?
Willst =du= die menschlichen Triebe läutern?

ROSMER. Nein, mein Lieber, -- ich will nur versuchen, die Menschen
aufzurütteln. Handeln, ihre Aufgabe erfüllen, -- das müssen sie selber.

KROLL. Und du glaubst, das könnten sie?

ROSMER. Ja.

KROLL. Also durch eigne Kraft?

ROSMER. Ja, nur durch eigne Kraft. Eine andre gibt es nicht.

KROLL (steht auf). Ist das die Sprache eines Priesters!

ROSMER. Ich bin nicht mehr Geistlicher.

KROLL. Ja, aber -- der Glaube deiner Kindheit --?

ROSMER. Den hab ich nicht mehr.

KROLL. Hast du nicht mehr --!

ROSMER (steht auf). Den hab ich aufgegeben. Kroll, ich =mußte= ihn
aufgeben.

KROLL (erschüttert, beherrscht sich aber). Ja so. -- Ja ja ja. Das eine
ist die notwendige Folge des andern. -- War das vielleicht der Grund,
daß du den Kirchendienst verließest?

ROSMER. Ja. Als ich mir über mich selbst klar geworden, -- als ich die
volle Gewißheit erlangt hatte, daß es keine bloß vorübergehende
Anfechtung war, sondern etwas, wovon ich mich niemals mehr befreien
konnte noch wollte, -- da ging ich.

KROLL. So lange also hat es in dir gegärt. Und wir, -- deine Freunde
erfuhren nichts davon. Rosmer, Rosmer, -- wie konntest du uns diese
traurige Wahrheit verheimlichen!

ROSMER. Weil es, meiner Ansicht nach, eine Sache war, die nur mich
selbst anging. Auch wollt ich dir und den andern Freunden keinen
unnötigen Schmerz bereiten. Ich glaubte, ich könnte mein altes Leben
hier weiter leben: still, heiter und glücklich. Ich wollte studieren und
lesen, mich in all die Werke vertiefen, die mir bisher versiegelte
Bücher gewesen. Wollte mich mit meinem ganzen Wesen hineinversenken in
die große Welt der Wahrheit und Freiheit, die mir offenbart worden.

KROLL. Abtrünnig. Jedes Wort bezeugt es. Aber warum trotzdem dies
Bekenntnis deines heimlichen Abfalls? Und warum grade jetzt?

ROSMER. Du selber, Kroll, hast mich dazu gezwungen.

KROLL. Ich? Ich hätte dich dazu gezwungen --!

ROSMER. Als ich von deinem heftigen Auftreten in den Versammlungen
hörte, -- als ich von all den lieblosen Reden erfuhr, die du dort
hieltest, -- von all deinen haßgeschwollnen Ausfällen gegen alle, die
auf der andern Seite stehn, -- von deinem höhnischen Verdammungsurteil
über die Gegner --. O, Kroll, daß du, du so werden konntest! Da war mir
meine Pflicht unabweisbar vorgeschrieben. Die Menschen werden schlecht
in diesem Kampfe. Fried und Freud und Versöhnung müssen wieder in die
Gemüter einkehren. Darum tret ich jetzt hervor und bekenne offen, wer
und was ich bin. Und dann will auch ich meine Kräfte erproben. Könntest
du, Kroll -- deinerseits -- dich uns nicht anschließen?

KROLL. Nie und nimmer paktiere ich mit den zerstörenden Mächten unsrer
Gesellschaft.

ROSMER. So laß uns wenigstens mit ritterlichen Waffen kämpfen, -- wenn
denn unbedingt gekämpft werden muß.

KROLL. Wer in den entscheidenden Lebensfragen nicht mit mir ist, den
kenn ich nicht. Dem schuld ich keine Rücksicht.

ROSMER. Gilt das auch mir?

KROLL. Du selber, Rosmer, hast mit mir gebrochen.

ROSMER. Bedeutet denn dies einen Bruch!

KROLL. Du fragst noch! Es ist ein Bruch mit allen, die dir bisher nahe
standen. Jetzt mußt du die Folgen tragen.

    (REBEKKA kommt durch die Tür rechts, die sie weit öffnet.)

REBEKKA. So; nun ist er unterwegs zu seinem großen Opferfest. Und jetzt
können wir zu Tisch gehn. Haben Sie die Güte, Herr Rektor.

KROLL (nimmt seinen Hut). Gute Nacht, Fräulein West. Hier hab ich nichts
mehr zu suchen.

REBEKKA (gespannt). Was bedeutet das? (Schliesst die Tür und kommt
näher.) Haben Sie gesprochen --?

ROSMER. Nun weiß er es.

KROLL. Wir lassen dich nicht aus den Fingern, Rosmer. Wir werden dich
=zwingen=, zu uns zurückzukehren.

ROSMER. Ich kehre nie zurück.

KROLL. Das wollen wir sehn. Du gehörst nicht zu denen, die es ertragen,
einsam für sich zu stehen.

ROSMER. So ganz vereinsamt bin ich nicht ... Wir sind unser zwei, um die
Einsamkeit zu ertragen.

KROLL. Ah --! (Ein Verdacht zuckt in ihm auf.) Auch das! Beatens
Worte --!

ROSMER. Beatens Worte --?

KROLL (weist den Gedanken ab). Nein, nein, -- das war gemein --.
Verzeihe.

ROSMER. Was?... Was denn?

KROLL. Nichts mehr davon. Pfui! Verzeih mir. Leb wohl! (Er geht nach der
Vorzimmertür.)

ROSMER (folgt ihm). Kroll! So dürfen wir nicht auseinandergehn. Morgen
komm ich zu dir.

KROLL (im Vorzimmer, wendet sich um). In =mein= Haus setzest du keinen
Fuß mehr!

    (Er nimmt seinen Stock und geht.)

    (ROSMER bleibt eine Weile in der offnen Tür stehen; dann schliesst
    er sie und tritt an den Tisch.)

ROSMER. Das hat nichts zu bedeuten, Rebekka. Wir werden es schon
aushalten. Wir beiden treuen Freunde. Du und ich.

REBEKKA. Was meint er mit dem »Pfui«? Kannst du dir das vorstellen?

ROSMER. Meine Liebe, darum zerbrich dir den Kopf nicht. Er glaubte ja
selbst nicht daran. Aber morgen geh ich zu ihm. Gute Nacht!

REBEKKA. Auch heute gehst du schon so früh auf dein Zimmer? Nach einem
solchen Vorfall?

ROSMER. Heut wie alle Tage. Mir ist so leicht zu Mut, nun es vorüber
ist. Du siehst ja, -- ich bin ganz ruhig, liebe Rebekka. Nimm es
ebenfalls mit Ruhe hin. Gute Nacht!

REBEKKA. Gute Nacht, lieber Freund! Und schlaf wohl.

    (ROSMER geht durch die Vorzimmertür hinaus; dann hört man ihn eine
    Treppe hinaufgehen.)

    (REBEKKA geht nach dem Ofen und zieht an einem neben diesem
    befindlichen Klingelzug. Kurz darauf kommt FRAU HILSETH von rechts.)

REBEKKA. Sie können wieder abdecken, Frau Hilseth. Der Pastor will
nichts mehr genießen, -- und der Rektor ist nach Haus gegangen.

FRAU HILSETH. Der Rektor ist fortgegangen! Was ist ihm denn über die
Leber gelaufen?

REBEKKA (nimmt ihre Häkelei). Er prophezeite, ein schweres Gewitter wär
im Anzug --

FRAU HILSETH. Das ist aber seltsam. Heut abend ist ja am ganzen Himmel
auch nicht 'n Flöckchen von einer Wolke zu sehn.

REBEKKA. Wenn er nur nicht dem weißen Rosse begegnet. Denn ich fürchte,
nächstens bekommen wir hier was zu hören von einem solchen Spuk.

FRAU HILSETH. Gott verzeih Ihn'n die Sünde, Fräulein! Führen Sie doch
nicht solch gottlose Reden.

REBEKKA. Nu nu nu --

FRAU HILSETH (leiser). Glaubt Fräulein wirklich, nächstens müsse einer
von hier fort?

REBEKKA. Bewahre, das glaub ich nicht. Aber, Frau Hilseth, auf dieser
Welt gibt es so viele Arten von weißen Rossen ... Na, gute Nacht. Nun
geh ich auf mein Zimmer.

FRAU HILSETH. Gute Nacht, Fräulein.

    (REBEKKA geht mit ihrer Häkelei rechts hinaus.)

FRAU HILSETH (schraubt die Lampe herab, schüttelt den Kopf und murmelt
vor sich hin): Jesses, -- Jesses. Dies Fräulein West. Was die doch
manchesmal für Reden führen kann!




ZWEITER AUFZUG.


    ROSMERS Arbeitszimmer. Links die Eingangstür. Im Hintergrunde die
    zum Schlafzimmer führende Tür, deren Portieren zurückgezogen sind.
    Rechts ein Fenster, und vor diesem der mit Büchern und Papieren
    bedeckte Schreibtisch. An den Wänden Bücherregale und -Schränke.
    Bescheidne Möbel. Links ein altfränkisches Kanapee und vor diesem
    ein Tisch.

    ROSMER sitzt im Hausrock auf einem Stuhl mit hoher Lehne am
    Schreibtisch. Er schneidet eine Broschüre auf und blättert darin;
    hin und wieder liest er ein wenig. -- Es klopft an die Tür links.

ROSMER (ohne sich umzukehren). Nur herein.

REBEKKA (im Morgenkleide hereinkommend). Guten Morgen.

ROSMER (schlägt in der Broschüre nach). Guten Morgen, meine Liebe.
Wünschest du was?

REBEKKA. Ich wollte mich nur erkundigen, ob du gut geschlafen hast.

ROSMER. O, ich habe so schön und ruhig geschlafen. Ohne zu träumen...
(Wendet sich). Und du?

REBEKKA. Ja, danke. So gegen Morgen --

ROSMER. Ich weiß nicht, wies kommt, aber seit langer Zeit ist mir nicht
so leicht ums Herz gewesen wie jetzt. Ach, es ist wirklich gut, daß ich
mich endlich ausgesprochen habe.

REBEKKA. Ja, Rosmer, du hättest nicht so lange schweigen sollen.

ROSMER. Ich begreife selbst nicht, daß ich so feige sein konnte.

REBEKKA. Nun, Feigheit wars eigentlich nicht --

ROSMER. O doch, doch, liebe Rebekka. Wenn ich der Sache auf den Grund
seh, =etwas= Feigheit war doch mit im Spiel.

REBEKKA. Um so mehr Mut gehörte dazu, den Knoten zu zerhauen. (Setzt
sich zu ihm auf einen Stuhl neben dem Schreibtisch.) Aber nun muß ich
dir von etwas erzählen, das ich getan habe, -- und das du mir nicht übel
nehmen mußt.

ROSMER. Übelnehmen? Liebste, wie kannst du glauben --?

REBEKKA. Ja; denn vielleicht wars etwas eigenmächtig von mir gehandelt;
aber --

ROSMER. Na, so laß hören.

REBEKKA. Gestern abend, als dieser Ulrich Brendel fortging, -- da gab
ich ihm ein paar Zeilen an Mortensgaard mit.

ROSMER (etwas bedenklich). Aber, liebe Rebekka --. Nun, was hast du denn
geschrieben?

REBEKKA. Ich hab ihm geschrieben, er würde dir einen großen Dienst
erweisen, wenn er sich des unglücklichen Menschen ein wenig annehmen und
ihm nach besten Kräften forthelfen wollte.

ROSMER. Liebe Rebekka, das hättest du nicht tun sollen. Brendel hast du
dadurch nur geschadet. Und Mortensgaard gehört zu denen, die ich mir am
liebsten vom Leibe halten möchte. Du weißt ja, was ich mal mit ihm
gehabt habe.

REBEKKA. Aber bist du denn nicht der Ansicht, es wäre vielleicht ganz
gut, wenn du jetzt wieder in bessre Beziehungen zu ihm kämst?

ROSMER. Ich? Zu Mortensgaard? Aber warum denn?

REBEKKA. Nun, so recht sicher kannst du dich jetzt doch nicht mehr
fühlen, -- nachdem du mit deinen Freunden gebrochen hast.

ROSMER (sieht sie an und schüttelt den Kopf). Hast du wirklich glauben
können, Kroll oder einer der andern würde es versuchen, sich zu
rächen --? Sie wären fähig, mich --?

REBEKKA. In der ersten Hitze, lieber Johannes --. Das kann man nie mit
Bestimmtheit wissen. Mir scheint, -- nach der Art, wie der Rektor es
aufnahm --

ROSMER. Du solltest ihn doch besser kennen. Kroll ist ein Ehrenmann
durch und durch. Heut nachmittag geh ich nach der Stadt und rede mit
ihm. Ich will mit allen reden. O, du sollst sehn, wie leicht es geht --

    (FRAU HILSETH erscheint in der Tür links.)

REBEKKA (steht auf). Was gibts, Frau Hilseth?

FRAU HILSETH. Rektor Kroll ist unten im Vorzimmer.

ROSMER (schnell aufstehend). Kroll!

REBEKKA. Der Rektor! Ists möglich --!

FRAU HILSETH. Er fragt, ob er raufkommen und den Herrn Pastor sprechen
könnte.

ROSMER (zu REBEKKA). Was sagt ich!... Natürlich kann er das. (Geht zur
Tür und ruft die Treppe hinunter.) Komm doch herauf, lieber Freund! Bist
herzlich willkommen!

    (ROSMER steht in der Tür und hält sie offen. -- FRAU HILSETH geht.
    -- REBEKKA zieht die Portieren vor der Tür zum Schlafzimmer zu. Dann
    ordnet sie dies und jenes.)

    (KROLL tritt mit dem Hute in der Hand ins Zimmer.)

ROSMER (leise, bewegt). Ich wußte ja, es war nicht das letzte mal --

KROLL. Heut seh ich die Dinge in einem ganz andern Licht als gestern.

ROSMER. Ja nicht wahr, Kroll? In einem ganz andern Lichte! Jetzt,
nachdem du darüber nachgedacht hast --

KROLL. Du mißverstehst mich vollständig. (Legt den Hut auf den Tisch
neben dem Kanapee.) Es liegt mir daran, unter vier Augen mit dir zu
sprechen.

ROSMER. Warum soll denn Fräulein West nicht --?

REBEKKA. Nein nein, Herr Rosmer. Ich geh.

KROLL (sieht sie von oben bis unten an). Und dann muß ich das Fräulein
um Entschuldigung bitten, daß ich so früh am Tage komme. Daß ich sie
überrasche, eh sie Zeit gefunden --

REBEKKA (stutzt). Wieso? Finden Sie es unpassend, daß ich zu Hause ein
Hauskleid trage?

KROLL. Gott bewahre! Ich weiß ja überhaupt nicht, was jetzt auf
Rosmersholm Sitte ist.

ROSMER. Aber Kroll, -- du bist ja heut rein wie verwandelt!

REBEKKA. Empfehle mich, Herr Rektor!

    (Sie geht links hinaus.)

KROLL. Du erlaubst wohl -- (Er setzt sich aufs Kanapee).

ROSMER. Ja, lieber Kroll, setzen wir uns gemütlich und reden mit
einander. (Er setzt sich KROLL gegenüber auf einen Stuhl.)

KROLL. Ich hab seit gestern abend kein Auge zugetan. Die ganze Nacht hab
ich gegrübelt und gegrübelt.

ROSMER. Und was sagst du heute?

KROLL. 'S wird 'ne lange Geschichte. Laß mich mit einer Art Einleitung
anfangen. Ich kann dir von Ulrich Brendel was neues erzählen.

ROSMER. War er bei dir?

KROLL. Nein. Er setzte sich in einer ordinären Kneipe fest. Natürlich in
der ordinärsten Gesellschaft. Trank und traktierte, so lang er noch 'n
Heller in der Tasche hatte. Dann schimpft er die ganze Bande Pöbel und
Pack, -- übrigens mit Recht, -- worauf sie ihn durchprügelten und in die
Gosse warfen.

ROSMER. Er ist also doch unverbesserlich.

KROLL. Auch hatte er den Überzieher zum Pfandleiher gebracht. Aber der
soll für ihn eingelöst sein. Rate mal, von wem?

ROSMER. Von dir vielleicht.

KROLL. Nein. Von diesem nobeln Herrn Mortensgaard.

ROSMER. Ah so.

KROLL. Wie ich hörte, galt Herrn Brendels erster Besuch dem Idioten und
Plebejer.

ROSMER. Der hat ihm also genützt --

KROLL. Allerdings. (Lehnt sich über den Tisch, um sich ROSMER zu
nähern.) Aber nun kommen wir zu einer Sache, von der ich unsrer alten --
unsrer ehmaligen Freundschaft wegen verpflichtet bin dich in Kenntnis zu
setzen.

ROSMER. Lieber Kroll, was kann das sein?

KROLL. Nichts mehr und nichts weniger, als daß hier im Hause hinter
deinem Rücken irgend ein Spiel getrieben wird.

ROSMER. Wie kannst du so etwas glauben!... Ist es Reb -- Fräulein West,
auf die du anspielst?

KROLL. Allerdings. Übrigens hab ich für =ihre= Handlungsweise volles
Verständnis. Sie ist ja schon so lange gewohnt, hier zu herrschen --!
Aber trotzdem --

ROSMER. Lieber Kroll, du irrst dich ganz und gar. Sie und ich -- wir
haben gar keine Geheimnisse vor einander.

KROLL. Hat sie dir auch gebeichtet, daß sie mit dem Redakteur des
»Leuchtturms« in Briefwechsel getreten ist?

ROSMER. Ah, du spielst auf die paar Zeilen an, die sie Ulrich Brendel
mitgab?

KROLL. Du bist also dahinter gekommen. Und billigst du es, daß sie sich
in Verbindung setzt mit diesem Skandaljournalisten, der mich als
Schulmann und Politiker Woche für Woche an den Pranger zu stellen sucht?

ROSMER. Lieber Kroll, was diesen Punkt betrifft, so hat sie sicherlich
nicht einmal daran gedacht. Und übrigens hat sie selbstverständlich die
Freiheit zu tun und zu lassen, was ihr beliebt, -- grade wie ich.

KROLL. So! Ach ja, das gehört wohl auch zu der neuen Richtung, die du
eingeschlagen hast. Und wo du stehst, da steht Fräulein West vermutlich
ebenfalls?

ROSMER. Das tut sie. Wir beiden haben uns als treue Kameraden unsern Weg
gebahnt.

KROLL (sieht ihn an und schüttelt langsam den Kopf). O, du blinder Tor!

ROSMER. Ich blind? Warum sagst du das?

KROLL. Weil ich das schlimmste nicht zu denken wage -- nicht denken
=will=. Nein, nein; laß mich zu Ende reden ... Rosmer, du legst ja
wirklich Wert auf meine Freundschaft? Und auf meine Achtung ebenfalls?
Nicht wahr?

ROSMER. Diese Frage brauch ich wohl kaum zu beantworten.

KROLL. Nun, da sind aber noch andre Fragen, -- und die verlangen eine
Antwort -- eine vollständige Erklärung deinerseits ... Bist du damit
einverstanden, daß ich eine Art Verhör mit dir anstelle?

ROSMER. Verhör?

KROLL. Ja; daß ich dich über gewisse Dinge befrage, an die erinnert zu
werden dich vielleicht peinlich berührt. Siehst du, -- die Sache mit
deinem Abfall, -- na, mit deiner Befreiung, wie du dich ausdrückst --
die hängt mit so vielen andern Dingen zusammen, und darüber mußt du mir
in deinem eignen Interesse Auskunft geben.

ROSMER. Lieber Kroll, frage, was du willst. Ich habe nichts zu
verheimlichen.

KROLL. Schön. So sage mir denn, -- was war nach deiner Ansicht der
eigentliche tiefste Grund, weshalb Beate ihrem Leben ein Ende machte?

ROSMER. Kannst du darüber noch im Zweifel sein? Oder, richtiger
ausgedrückt: kann man nach den Gründen forschen, die ein unglückliches
krankes unzurechnungsfähiges Geschöpf bei seinen Handlungen leiten?

KROLL. Bist du überzeugt, daß Beate vollständig unzurechnungsfähig war?
Jedenfalls waren die Ärzte der Ansicht, das wäre wohl kaum bewiesen.

ROSMER. Hätten die Ärzte sie =einmal= so gesehn, wie ich sie bei Tag und
bei Nacht unzähligemal gesehn, sie hätten nicht gezweifelt.

KROLL. Damals zweifelt ich auch nicht.

ROSMER. Ach nein, Zweifel waren leider nicht mehr möglich. Ich habe dir
ja von ihrer wilden zügellosen Leidenschaftlichkeit erzählt, -- von der
sie verlangte, daß ich sie erwiderte. O, welches Grauen flößte sie mir
dadurch ein! Und dann die grundlosen Selbstanklagen, mit denen sie sich
in den letzten Jahren folterte!

KROLL. Ja, nachdem sie erfahren, daß sie ihr ganzes Leben lang ohne
Kinder bleiben würde.

ROSMER. Ja, überlege dir also selbst --! Eine solch jagende grauenvolle
Seelenqual wegen etwas ganz unverschuldeten --! Und sie wäre
zurechnungsfähig gewesen!

KROLL. Hm ... Erinnerst du dich, ob du damals Bücher im Hause hattest,
die vom Zweck der Ehe handelten -- nach der fortgeschrittnen Auffassung
unsrer Zeit selbstverständlich.

ROSMER. Ich erinnre mich, daß Fräulein West mir ein solches Werk
geliehen hatte. Denn wie du weißt, erbte sie des Doktors Büchersammlung.
Aber lieber Kroll, du glaubst doch wohl nicht, daß wir so unvorsichtig
waren, die arme Kranke in solche Dinge einzuweihen? Ich kann dir hoch
und heilig versichern, wir tragen keine Schuld. Es waren ihre eignen
gestörten Gehirnnerven, die ihr Gemüt verdüsterten.

KROLL. Eins kann ich dir nun wenigstens mitteilen. Nämlich, daß die arme
gequälte überspannte Beate ihrem eignen Leben ein Ende machte, damit du
glücklich -- und frei -- und nach deinem Belieben leben könntest.

ROSMER (ist halb vom Stuhl aufgefahren). Was meinst du damit?

KROLL. Hör mich ruhig an, Rosmer. Denn jetzt kann ich davon sprechen. In
ihrem letzten Lebensjahr war sie zweimal bei mir, um mir ihre Angst und
Verzweiflung zu klagen.

ROSMER. Wegen derselben Sache?

KROLL. Nein. Das erstemal behauptete sie, du wärst im Begriff
abzufallen. Du wolltest mit dem Glauben deiner Väter brechen.

ROSMER (eifrig). Was du da sagst, Kroll, ist unmöglich! Ganz und gar
unmöglich! In diesem Punkte mußt du dich irren.

KROLL. Warum?

ROSMER. Weil ich bei Beatens Lebzeiten noch selbst mit mir und meinen
Zweifeln kämpfte. Und diesen Kampf hab ich in vollster Einsamkeit und
Verschwiegenheit durchgekämpft. Ich glaube, nicht einmal Rebekka --

KROLL. Rebekka?

ROSMER. Nun ja, -- Fräulein West. Ich nenne sie kurzweg Rebekka.

KROLL. Das hab ich bemerkt.

ROSMER. Deshalb ist es mir absolut unbegreiflich, wie Beate auf diesen
Gedanken kommen konnte. Und warum sprach sie nicht selbst mit mir
darüber? Und das hat sie nie getan. Niemals, mit keiner Silbe.

KROLL. Die Ärmste, -- sie bat und flehte, ich möchte mit dir reden.

ROSMER. Und warum hast du das nicht getan?

KROLL. Konnt ich damals einen Augenblick zweifeln, daß ihre Sinne
verwirrt waren? Eine solche Anklage gegen einen Mann wie du!... Und dann
kam sie zum zweitenmal -- etwa vier Wochen später. Da war sie
anscheinend ruhiger. Aber beim Fortgehn sagte sie: »Nun können sie auf
Rosmersholm bald das weiße Roß erwarten.«

ROSMER. Ja ja. Das weiße Roß, -- davon sprach sie so oft.

KROLL. Und als ich ihr diese trüben Gedanken auszureden suchte, gab sie
nur zur Antwort: »Ich habe nicht lange mehr Zeit. Denn nun muß Johannes
sich bald mit Rebekka verheiraten.«

ROSMER (fast sprachlos). Was sagst du da --! Ich mich verheiraten
mit --!

KROLL. Es war an einem Donnerstag nachmittag ... Samstag abend stürzte
sie sich vom Steg hinab in den Mühlbach.

ROSMER. Und du hast uns nicht einmal gewarnt --!

KROLL. Du weißt selber, wie oft sie sagte, nun müsse sie gewiß bald
sterben.

ROSMER. Das weiß ich. Aber trotzdem --; es war deine =Pflicht=, uns zu
warnen.

KROLL. Ich hatt auch die Absicht. Aber da wars schon zu spät.

ROSMER, Aber warum hast du denn nicht später --? Warum hast du mir dies
alles verschwiegen?

KROLL. Was hätt es genützt, dich noch mehr aufzuregen und zu peinigen?
Ich hielt ja das alles für lauter leere wilde Wahnvorstellungen ... Bis
gestern abend.

ROSMER. Also jetzt nicht mehr?

KROLL. Sah Beate nicht mit vollkommen klaren Augen, als sie sagte, du
würdest dem Glauben deiner Väter untreu werden?

ROSMER (starrt vor sich hin). Ja, das versteh ich nicht. Das ist mir das
unbegreiflichste, was ich mir denken kann.

KROLL. Unbegreiflich oder nicht, -- so verhält es sich nun einmal. Und
jetzt frag ich dich, Rosmer, -- wie viel Wahrheit liegt in ihrer zweiten
Anklage? In der letzten, mein ich.

ROSMER. Anklage? War denn =das= eine Anklage?

KROLL. Du hast vielleicht nicht auf den =Wortlaut= geachtet. Sie wolle
fortgehn, sagte sie --. Warum? Nun?

ROSMER. Damit ich Rebekka heiraten könnte --

KROLL. Ganz so lauteten ihre Worte nicht. Beate drückte sich anders aus.
Sie sagte: »Ich habe nicht lange mehr Zeit. Denn nun =muß= Johannes sich
=bald= mit Rebekka verheiraten.«

ROSMER (sieht ihn eine Weile an; dann erhebt er sich). Jetzt versteh ich
dich, Kroll.

KROLL. Nun .. und --?... Was antwortest du?

ROSMER (noch immer ruhig und mit Selbstbeherrschung). Auf etwas so
unerhörtes --! Die einzig richtige Antwort wäre, dir die Tür zu weisen.

KROLL (steht auf). Sehr wohl.

ROSMER (stellt sich vor ihn hin). Nun höre. Seit länger als einem Jahr,
-- seit dem Tage, da Beate uns verließ, -- haben Rebekka West und ich
immer hier =allein= auf Rosmersholm gelebt. All diese Zeit hast du
Beatens Anklage gegen uns gekannt. Aber niemals hab ich auch nur einen
Augenblick bemerkt, daß du an unserm Zusammenleben Anstoß genommen
hättest.

KROLL. Bis gestern abend wußt ich nicht, daß es ein Abtrünniger und eine
-- Freigewordne waren, die dies Zusammenleben führten.

ROSMER. Ah --! Du glaubst also nicht, daß auch Abtrünnige und
Freigewordne das Reinheitsgefühl haben können? Du glaubst nicht, daß sie
das Sittlichkeitsbedürfnis als einen Naturdrang in sich tragen können!

KROLL. Auf jene Art Sittlichkeit, die ihre Wurzel nicht im kirchlichen
Glauben hat, leg ich keinen großen Wert.

ROSMER. Und dies läßt du auch von Rebekka und mir gelten? Von dem
Verhältnis zwischen mir und Rebekka --?

KROLL. Zu Euern Gunsten kann ich von der Meinung nicht abgehn, daß es
wohl keinen unergründlichen Abgrund gibt zwischen dem freien Gedanken
und -- hm.

ROSMER. Und was --?

KROLL. -- und der freien Liebe, -- wenn dus denn unbedingt hören willst.

ROSMER (leise). Und das schämst du dich nicht mir zu sagen! Du, der mich
seit meiner frühsten Jugend kennt!

KROLL. Eben darum. Ich weiß, wie leicht du dich von den Menschen, mit
denen du verkehrst, beeinflussen läßt. Und diese deine Rebekka --. Na,
dies Fräulein West, -- die kennen wir ja eigentlich gar nicht näher.
Kurz und gut, Rosmer, -- ich gebe dich noch nicht auf. Und du selbst, --
suche dich bei Zeiten zu retten.

ROSMER. Mich zu retten? Inwiefern --?

    (FRAU HILSETH blickt durch die Tür links herein.)

ROSMER. Was wollen Sie?

FRAU HILSETH. Ich sollte Fräulein bitten runter zu kommen.

ROSMER. Das Fräulein ist nicht hier.

FRAU HILSETH. So? (Sieht sich um.) Das ist doch merkwürdig. (Sie geht.)

ROSMER. Du sagtest --?

KROLL. Höre. Was hier heimlich vor sich gegangen ist, als Beate noch
lebte, -- und was hier jetzt noch vor sich geht, -- das will ich nicht
näher untersuchen. Du warst ja tief unglücklich in deiner Ehe. Und das
muß dir gewissermaßen zur Entschuldigung dienen.

ROSMER. O, wie wenig kennst du mich doch im Grunde --!

KROLL. Unterbrich mich nicht. Ich wollte sagen: soll nun mal dies
Zusammenleben mit Fräulein West fortgesetzt werden, so ist es unbedingt
notwendig, daß du diesen Umfall, -- diesen traurigen Abfall, -- wozu sie
dich verführt hat, vertuschest. Laß mich reden! Laß mich reden! Ich
sage: gehts gar nicht anders, so denk und meine und glaub in Gottes
Namen alles was du willst -- und inbezug auf alle Dinge unter der Sonne.
Aber behalt deine Meinungen hübsch für dich. 'S ist ja doch eine rein
persönliche Sache. Es liegt gar keine Notwendigkeit vor, so etwas ins
ganze Land hinauszurufen.

ROSMER. Für mich liegt =die= Notwendigkeit vor, daß ich aus einer
falschen und zweideutigen Stellung herauskomme.

KROLL. Aber du hast Pflichten gegen die Traditionen deines Geschlechts,
Rosmer! Das bedenke wohl! Seit unvordenklichen Zeiten war Rosmersholm
eine Pflegestätte der Zucht und Ordnung, -- der respektvollen Achtung
vor allem, was die besten unsres Volkes anerkannt und hoch gehalten
haben. Von Rosmersholm hat die ganze Gegend ihren Stempel empfangen.
Eine unheilvolle, nie wieder gut zu machende Verwirrung entsteht, wird
es ruchbar: du selber hättest mit dem gebrochen, was ich den Rosmerschen
Familiengedanken nennen möchte!

ROSMER. Lieber Kroll, -- so kann =ich= die Sache nicht ansehn. Ich halt
es für meine unabweisbare Pflicht, hier, wo durch all die langen langen
Zeiten vom Geschlecht der Rosmer Finsternis und Unterdrückung
ausgegangen sind, ein wenig Licht und Freude zu verbreiten.

KROLL (sieht ihn streng an). Jawohl, das wäre eine würdige Tat für den
Mann, mit dem das Geschlecht ausstirbt. Du, das laß bleiben. Das ist
keine angemessne Arbeit für dich. Du bist dazu geschaffen, als stiller
Forscher zu leben.

ROSMER. Mag sein. Aber ich will nun einmal teilnehmen am Kampf des
Lebens.

KROLL. Am Kampf des Lebens --! Weißt du, was für ein Kampf das für dich
wird? Ein Kampf auf Leben und Tod mit all deinen Freunden.

ROSMER (ruhig). Sie werden doch nicht =alle= so fanatisch sein wie du.

KROLL. Du bist eine treuherzige Seele, Rosmer. Und unerfahren wie ein
Kind. Du ahnst nicht, welch übermächtiger Sturm über dich hereinbrechen
wird.

    (FRAU HILSETH lugt durch die Tür links.)

FRAU HILSETH. Fräulein läßt fragen --

ROSMER. Was gibts?

FRAU HILSETH. Da ist jemand unten, der den Herrn Pastor gern auf 'n
Augenblick sprechen möchte.

ROSMER. Ists vielleicht der Mann, der gestern abend hier war?

FRAU HILSETH. Nein, 's ist der Mortensgaard.

ROSMER. Mortensgaard!

KROLL. Aha! So weit sind wir also! So weit schon!

ROSMER. Was will er von mir? Warum ließen Sie ihn nicht wieder gehn?

FRAU HILSETH. Fräulein sagt, ich sollte fragen, ob er rauf kommen dürfe.

ROSMER. Sagen Sie, ich hätte Besuch --

KROLL (zu FRAU HILSETH). Lassen Sie ihn nur herein.

    (FRAU HILSETH geht.)

KROLL (nimmt seinen Hut). Ich räume das Feld -- das heißt vorläufig. Die
Hauptschlacht muß noch geschlagen werden.

ROSMER. So wahr ich lebe, Kroll, -- ich habe mit Mortensgaard nichts zu
schaffen.

KROLL. Ich glaub dir nicht mehr. In keiner Beziehung. Was es auch sein
mag -- von nun an glaub ich dir nichts mehr. Jetzt gilts: Krieg bis aufs
Messer. Wir wollen doch mal sehn, ob wir dich nicht unschädlich machen
können.

ROSMER. O Kroll, -- wie tief, -- wie niedrig stehst du jetzt!

KROLL. Ich? Und das sagt so einer wie du! Denk an Beate!

ROSMER. Kommst du mir wieder damit!

KROLL. Nein. Das Geheimnis des Mühlbachs zu erforschen ist Sache deines
Gewissens, -- wenn du etwas derartiges noch hast.

    (PETER MORTENSGAARD kommt ruhig und leise durch die Tür links. Er
    ist ein kleiner schmächtiger Mann mit dünnem rötlichem Haar und
    Bart.)

KROLL (mit einem hasserfüllten Blick). Aha, der »Leuchtturm« also --.
Auf Rosmersholm angezündet. (Knöpft seinen Rock zu.) Ja, da kann ich ja
nicht mehr im Zweifel sein, welchen Kurs ich zu steuern habe.

MORTENSGAARD (sanft). Der »Leuchtturm« bleibt immer angezündet, um dem
Herrn Rektor heimzuleuchten.

KROLL. Ja, Ihren guten Willen haben Sie schon lange bewiesen. Allerdings
gibts ein Gebot, das vorschreibt, wir sollen nicht falsches Zeugnis
geben wider unsern Nächsten --

MORTENSGAARD. In den zehn Geboten braucht mich der Herr Rektor nicht zu
unterrichten.

KROLL. Auch nicht im sechsten?

ROSMER. Kroll --!

MORTENSGAARD. Tritt =die= Notwendigkeit ein, so ist doch wohl der Herr
Pastor die kompetente Behörde.

KROLL (mit unterdrücktem Hohn). Der Pastor? Ja, in =diesem= Kapitel ist
Pastor Rosmer in erster Linie kompetent -- gar keine Frage ... Wünsche
segensreiche Verhandlung, meine Herren!

    (Er geht und schlägt die Tür hinter sich ins Schloss.)

ROSMER (hält den Blick noch eine Weile auf die geschlossne Tür gerichtet
und sagt für sich). Wohlan, -- wenns denn gar nicht anders geht. (Wendet
sich.) Wollen Sie mir gefälligst sagen, Herr Mortensgaard, was Sie zu
mir führt?

MORTENSGAARD. Eigentlich galt mein Besuch Fräulein West. Ich wollte mich
für den freundlichen Brief bedanken, den ich gestern von ihr erhielt.

ROSMER. Ich weiß, sie hat Ihnen geschrieben. Haben Sie sie gesprochen?

MORTENSGAARD. Ja, einen Augenblick. (Mit schwachem Lächeln.) Wie ich
höre, haben sich die Ansichten hier auf Rosmersholm in einigen Punkten
geändert.

ROSMER. Meine Ansichten haben sich in =vielen= Punkten geändert. Ich
kann wohl sagen -- in allem.

MORTENSGAARD. So sagte das Fräulein. Und deshalb meinte sie, ich sollte
hinaufgehn und mit dem Herrn Pastor mich ein wenig darüber unterhalten.

ROSMER. Worüber, Herr Mortensgaard?

MORTENSGAARD. Darf ich im »Leuchtturm« erzählen, daß Sie jetzt andre
Gesinnungen hegen, -- und sich der freisinnigen und fortschrittlichen
Sache angeschlossen haben?

ROSMER. Gewiß dürfen Sie das. Ich bitte sogar darum.

MORTENSGAARD. Dann wirds morgen früh drin stehn. Das ist eine große
wichtige Neuigkeit, daß Pastor Rosmer auf Rosmersholm glaubt, er könne
für die Sache des Lichts auch in =diesem= Sinne eintreten.

ROSMER. Ich versteh Sie nicht ganz.

MORTENSGAARD. Ich meine: unsre Partei erhält eine starke moralische
Stütze, so oft wir einen ernsten christlich gesinnten Anhänger gewinnen.

ROSMER (etwas verwundert). Sie wissen also nicht --? Hat Ihnen Fräulein
West =das= nicht gesagt?

MORTENSGAARD. Was, Herr Pastor? Das Fräulein hatte große Eile. Sie
sagte, ich möchte hinaufgehn und das übrige von Ihnen selbst hören.

ROSMER. Nun, so wissen Sie denn, daß ich mich vollständig frei gemacht
habe. Nach allen Seiten. Zu den Lehrsätzen der Kirche hab ich gar kein
Verhältnis mehr. Diese Dinge gehn mich in Zukunft absolut nichts mehr
an.

MORTENSGAARD (sieht ihn verblüfft an). Nein, -- wenn der Mond
herabgefallen wäre, ich könnte nicht verblüffter --! Der Herr Pastor
sagt sich los --!

ROSMER. Ja, ich steh nun, wo sie selbst seit langer Zeit stehn. Diese
Nachricht kann also der »Leuchtturm« morgen verbreiten.

MORTENSGAARD. Diese ebenfalls? Nein, lieber Herr Pastor --.
Entschuldigen Sie, -- aber diesen Teil der Sache wollen wir doch lieber
nicht berühren.

ROSMER. Diesen Teil .. nicht berühren?

MORTENSGAARD. Vorläufig noch nicht, mein ich.

ROSMER. Aber ich begreife nicht --

MORTENSGAARD. Ja, sehn Sie, Herr Pastor --. Vermutlich sind Sie mit den
Verhältnissen nicht so vertraut wie ich. Aber wenn Sie nun also zur
freisinnigen Richtung übergegangen sind, -- und wenn Sie -- wie Fräulein
West sagte, -- an der Bewegung teilnehmen wollen, -- so tun Sie das doch
gewiß mit dem Wunsche, der Richtung und der Bewegung so viel wie möglich
zu nützen.

ROSMER. Gewiß, das wünsch ich durchaus.

MORTENSGAARD. Schön. Aber nun sag ich Ihnen nur dies eine: treten Sie
frei und offen mit dieser Mitteilung über Ihren Abfall von der Kirche
hervor, so binden Sie sich sofort selbst die Hände.

ROSMER. Glauben Sie?

MORTENSGAARD. Ja, Sie können überzeugt sein, viel richten Sie dann hier
in der Gegend nicht aus. Und zudem, -- Freidenker haben wir schon genug
auf Lager, Herr Pastor. Ich möchte sagen, -- wir haben schon viel zu
viel von dieser Art Zeitgenossen. Was die Partei braucht, das ist das
christliche Element, -- etwas, wovor alle Respekt haben müssen. Daran
aber mangelt es uns ganz empfindlich. Darum ist es das ratsamste, Sie
behalten sorgfältig alles für sich, was die Öffentlichkeit nichts
angeht... Das ist meine Ansicht von der Sache.

ROSMER. Ah so. Wenn ich also offen meinen Abfall bekenne, so wagen Sies
nicht, sich mit mir einzulassen?

MORTENSGAARD (schüttelt den Kopf). Ich tät es sehr ungern, Herr Pastor.
In der letzten Zeit hab ichs mir zum Grundsatz gemacht, nie eine Sache
oder Person zu unterstützen, die den christlichen Dingen zu Leibe will.

ROSMER. Sind Sie denn selbst in der letzten Zeit zur Kirche
zurückgekehrt?

MORTENSGAARD. Das ist eine Sache für sich.

ROSMER. Aha, so also verhält es sich. Jetzt versteh ich Sie.

MORTENSGAARD. Herr Pastor, -- Sie dürfen nicht vergessen, daß ich -- vor
allem ich, -- keine freie Hand habe.

ROSMER. Was bindet Sie denn?

MORTENSGAARD. Mich bindet der Umstand, daß ich ein Gebrandmarkter bin.

ROSMER. Ah, -- ja so.

MORTENSGAARD. Ein Gebrandmarkter, Herr Pastor. Sie namentlich dürfen das
nicht vergessen. Denn Sie vor allem waren es, der mir das Brandmal
aufdrückte.

ROSMER. Hätt ich damals gestanden, wo ich nun steh, ich hätt Ihr
Vergehen mit behutsamern Händen angefaßt.

MORTENSGAARD. Das glaub ich auch. Aber nun ist es zu spät. Sie haben
mich ein für allemal gebrandmarkt. Gebrandmarkt für mein ganzes Leben.
Nun, es ist Ihnen wohl nicht ganz klar, was so etwas zu bedeuten hat.
Aber, Herr Pastor, vielleicht bekommen Sie diesen stechenden Schmerz nun
selber zu fühlen.

ROSMER. Ich!

MORTENSGAARD. Ja. Denn Sie werden doch nicht glauben, daß Rektor Kroll
und sein Anhang für ein Verbrechen wie das Ihrige Verzeihung kennen? Und
das »Kreisblatt« soll, wie es heißt, nun sehr blutig werden. 'S kann
leicht kommen, daß auch Sie ein Gebrandmarkter werden.

ROSMER. Ich fühle mich, was das Persönliche betrifft, vollständig
unverwundbar, Herr Mortensgaard. Mein Lebenswandel bietet keine
Angriffspunkte.

MORTENSGAARD (mit ruhigem Lächeln). Das ist ein großes Wort, Herr
Pastor.

ROSMER. Mag sein; aber ich habe das Recht, es auszusprechen.

MORTENSGAARD. Auch wenn Sie Ihren Lebenswandel so gründlich prüfen, wie
Sie einst den meinen prüften?

ROSMER. Sie sagen das in einem so eigentümlichen Ton. Worauf spielen Sie
an? Auf etwas bestimmtes?

MORTENSGAARD. Ja, auf =eine= bestimmte Sache. Nur auf eine einzige. Aber
die dürfte schlimm genug werden, wenn boshafte Gegner Kenntnis davon
erhalten.

ROSMER. Wollen Sie die Güte haben, mir zu sagen, was es ist?

MORTENSGAARD. Können der Herr Pastor es nicht selbst erraten?

ROSMER. Nein; durchaus nicht. Ganz und garnicht.

MORTENSGAARD. Ja ja; dann muß ich wohl mit der Sprache heraus ... In
meinem Besitz befindet sich ein seltsamer Brief, der hier auf
Rosmersholm geschrieben ist.

ROSMER. Fräulein Wests Brief, meinen Sie? Ist der so seltsam?

MORTENSGAARD. Nein, der Brief ist nicht seltsam. Aber hier vom Hofe hab
ich mal einen andern Brief erhalten.

ROSMER. Ebenfalls von Fräulein West?

MORTENSGAARD. Nein, Herr Pastor.

ROSMER. Nun, von wem denn? Von wem?

MORTENSGAARD. Von Ihrer seligen Gattin.

ROSMER. Von meiner Frau! =Sie= haben von meiner Frau einen Brief
erhalten!

MORTENSGAARD. Jawohl.

ROSMER. Wann?

MORTENSGAARD. Es war in der letzten Lebenszeit Ihrer seligen Gattin. Es
mag jetzt etwa anderthalb Jahr her sein. Eben diesen Brief nenn ich
seltsam.

ROSMER. Sie wissen doch, daß meine Frau zu der Zeit geisteskrank war.

MORTENSGAARD. Ich weiß, daß viele das glaubten. Aber ich meine, dem
Briefe konnte man so etwas nicht anmerken. Wenn ich den Brief seltsam
nenne, so mein ich etwas andres damit.

ROSMER. Über was in aller Welt hat meine arme Frau Ihnen nur schreiben
können?

MORTENSGAARD. Ich hab den Brief zu Hause. Sie beginnt ungefähr damit,
daß sie in großer Furcht und Angst lebe. Denn hier in der Gegend gebe es
so viele schlechte Menschen, schreibt sie. Und diese Menschen wären nur
darauf bedacht, Ihnen Ärger und Schaden zu bereiten.

ROSMER. Mir?

MORTENSGAARD. Ja, so behauptet sie. Und dann kommt das seltsamste. Soll
ich es sagen, Herr Pastor?

ROSMER. Ja, gewiß! Alles. Ohne jeden Rückhalt.

MORTENSGAARD. Ihre selige Gattin bittet und beschwört mich, großmütig zu
sein. Sie wisse, sagt sie, daß es der Herr Pastor gewesen, der meine
Absetzung durchgesetzt habe. Und dann bittet sie flehentlich, ich möchte
mich nicht rächen.

ROSMER. Wie dachte sie es sich denn, daß Sie sich rächen könnten?

MORTENSGAARD. In dem Briefe heißt es: wenn mir Gerüchte über ein
sündiges Treiben auf Rosmersholm zu Ohren kommen sollten, so möchte ich
alledem nicht trauen; denn bloß schlechte Menschen sprengten solche
Gerüchte aus, um Sie unglücklich zu machen.

ROSMER. Steht das in dem Briefe!

MORTENSGAARD. Der Herr Pastor können ihn gelegentlich selbst lesen.

ROSMER. Aber ich begreife nicht --! Und auf =was= liefen, -- nach ihrer
Einbildung, -- die bösen Gerüchte hinaus?

MORTENSGAARD. Zunächst darauf, daß der Herr Pastor von dem Glauben
seiner Kindheit abgefallen sei. Das leugnete Ihre selige Gattin =damals=
auf das bestimmteste. Und dann -- hm --

ROSMER. Dann?

MORTENSGAARD. Ja dann schreibt sie, -- in etwas konfuser Weise, -- von
einem sündhaften Verhältnis auf Rosmersholm wisse sie nichts. Ihr sei
niemals unrecht geschehen. Wenn derartige Gerüchte umliefen, so bitte
sie mich dringend, im »Leuchtturm« keine Notiz davon zu nehmen.

ROSMER. Wird kein Name genannt?

MORTENSGAARD. Nein.

ROSMER. Wer brachte Ihnen den Brief?

MORTENSGAARD. Ich habe mein Wort gegeben, das nicht zu verraten. Er
wurde mir eines Abends in der Dämmrung gebracht.

ROSMER. Hätten Sie sich sofort erkundigt, würden Sie erfahren haben, daß
meine arme unglückliche Frau nicht ganz zurechnungsfähig war.

MORTENSGAARD. Ich erkundigte mich, Herr Pastor. Aber ich muß bekennen,
einen =solchen= Eindruck erhielt ich nicht.

ROSMER. Nicht?... Aber warum klären Sie mich denn eigentlich jetzt über
diesen alten konfusen Brief auf?

MORTENSGAARD. Um Ihnen den Rat zu geben, sehr vorsichtig zu sein, Herr
Pastor.

ROSMER. In meinem Lebenswandel, meinen Sie?

MORTENSGAARD. Ja. Sie müssen bedenken, von jetzt an sind Sie verdächtig.

ROSMER. Ich verdächtig! Sie halten also daran fest, ich hätte etwas zu
verheimlichen?

MORTENSGAARD. Ich wüßte nicht, warum ein freisinniger Mann sich scheuen
sollte, sein Leben so vollständig wie möglich auszuleben. Aber, wie
gesagt, sei'n Sie von jetzt an vorsichtig. Sollte mal über den Herrn
Pastor etwas unter die Leute kommen, das gegen die herrschenden
Vorurteile verstieße, so können Sie überzeugt sein, die ganze freie
Geistesrichtung würde schwer darunter zu leiden haben ... Leben Sie
wohl, Herr Pastor.

ROSMER. Leben Sie wohl.

MORTENSGAARD. Und nun begeb ich mich direkt in die Druckerei und bringe
die große Neuigkeit in den »Leuchtturm«.

ROSMER. Bringen Sie alles hinein.

MORTENSGAARD. Ich bringe alles das hinein, was das liebe Publikum zu
wissen braucht.

    (Er grüsst und geht. ROSMER bleibt in der Tür stehen, während er die
    Treppe hinunter geht. Man hört, wie, die Haustür geschlossen wird.)

ROSMER (in der Tür, ruft gedämpft). Rebekka! Re--. Hm. (Laut.) Frau
Hilseth, -- ist Fräulein West nicht unten?

FRAU HILSETH (antwortet unten im Vorzimmer). Nein, Herr Pastor, hier ist
sie nicht.

    (Im Hintergrunde werden die Portieren beiseite geschoben. REBEKKA
    wird in der Türöffnung sichtbar.)

REBEKKA. Rosmer!

ROSMER (wendet sich). Was! Du warst in meinem Schlafzimmer! Liebste, was
hast du da gemacht?

REBEKKA (geht zu ihm). Ich habe gehorcht.

ROSMER. Aber, Rebekka, wie konntest du das!

REBEKKA. Ja, ich habs getan. Er sagte das so boshaft, -- das über mein
Hauskleid --

ROSMER. Ah, du warst auch darin, als Kroll --?

REBEKKA. Ja. Ich wollte wissen, was er im Schilde führte.

ROSMER. Ich hätt es dir erzählt.

REBEKKA. Du hättest mir wohl kaum alles erzählt. Und gewiß nicht mit
seinen eignen Worten.

ROSMER. Hast du denn alles gehört?

REBEKKA. Das meiste, denk ich. Als Mortensgaard kam, mußt ich einen
Augenblick hinunter.

ROSMER. Und dann gingst du wieder hinauf --

REBEKKA. Nimm mirs nicht übel, lieber Freund.

ROSMER. Tu alles, was du für recht und richtig hältst! Du hast ja deine
volle Freiheit ... Aber was sagst du dazu, Rebekka --? O, mir ist, als
hätt ich deiner noch niemals so sehr bedurft wie jetzt!

REBEKKA. Wir waren ja beide darauf vorbereitet, da es doch einmal kommen
müßte.

ROSMER. Nein nein, -- hierauf nicht!

REBEKKA. Hierauf nicht?

ROSMER. Wohl hatt ich mir zuweilen gedacht, unser schönes reines
Freundschaftsverhältnis könnte früher oder später verdächtigt oder
beschmutzt werden. Nicht von Kroll. Von ihm hätt ich mir so etwas
niemals denken können. Aber von all den vielen mit den rohen Sinnen und
den unedlen Augen. Ach ja, du, -- ich hatte guten Grund dazu, wenn ich
so eifersüchtig einen Schleier über unsern Bund breitete. Es war ein
gefährliches Geheimnis.

REBEKKA. Ach, warum sich darum kümmern, was all die andern sagen oder
denken! Wir wissens ja doch, daß wir frei von Schuld sind.

ROSMER. Ich? Frei von Schuld? Ja, das glaubt ich allerdings -- bis
heute. Aber jetzt, -- jetzt, Rebekka --

REBEKKA. Was ist denn jetzt?

ROSMER. Wie soll ich mir Beatens schreckliche Anklage erklären?

REBEKKA (leidenschaftlich). O, sprich mir nicht von Beaten! Denke nicht
mehr an Beaten! Endlich war es dir so schön geglückt, von ihr, der Toten
loszukommen --

ROSMER. Seit ich dies erfahren habe, ist mirs, als stände sie wieder in
unheimlicher Leibhaftigkeit vor mir.

REBEKKA. Ach nein, Rosmer, -- nein, nein! Sprich nicht so!

ROSMER. Doch, doch!... Diesem Geheimnis müssen wir auf den Grund zu
kommen suchen. Wie kann sie sich nur in diesen unheilvollen Irrtum
verstrickt haben?

REBEKKA. Du beginnst doch wohl nicht selbst daran zu zweifeln, daß sie
fast wahnsinnig war?

ROSMER. Ach ja, Rebekka, -- das ists grade, wovon ich nicht mehr so ganz
fest überzeugt sein kann. Und zudem, wäre sie das auch gewesen --

REBEKKA. Wäre sie das auch gewesen --! Ja, was dann?

ROSMER. Ich meine, -- wo sollen wir den entscheidenden Grund dafür
suchen, daß ihre krankhafte Gemütsstimmung in Wahnsinn überging?

REBEKKA. Aber wozu denn über so unlösbaren Rätseln brüten!

ROSMER. Ich kann nicht anders, Rebekka. Ich kann diese nagenden Zweifel
nicht von mir abschütteln, so gern ich auch möchte.

REBEKKA. Aber das kann ja gefährlich werden -- dies ewige Herumkreisen
um diesen einen unglückseligen Gegenstand.

ROSMER (geht unruhig und gedankenvoll umher). Auf die ein oder andre
Weise muß ich mich verraten haben. Sie muß es gemerkt haben, wie
glücklich ich mich zu fühlen anfing seit dem Augenblick, da =du= zu uns
ins Haus kamst.

REBEKKA. Ja aber, Bester, selbst wenn das wirklich der Fall wäre --!

ROSMER. Denn siehst du, -- es ist ihr nicht entgangen, daß wir dieselben
Bücher lasen. Daß wir einander suchten und zusammen sprachen von all den
neuen Dingen. Aber ich begreif es nicht! Denn um sie zu schonen, war ich
so vorsichtig. Wenn ich zurückdenke, kommt es mir vor, als hätt ich es
mir zur Lebensaufgabe gemacht, sie von all dem, was uns interessierte,
fern zu halten. Oder tat ich das nicht, Rebekka?

REBEKKA. Ja ja, gewiß tatest du das.

ROSMER. Und du auch. Und dennoch --! O, der Gedanke daran ist
schrecklich! Sie ist also hier umhergegangen, -- mit ihrem Herzen voll
krankhafter Liebe, -- schweigend, immer schweigend, -- hat uns
beobachtet, bewacht, -- auf alles geachtet, und -- und alles mißdeutet!

REBEKKA (ringt die Hände). O, wär ich doch niemals nach Rosmersholm
gekommen!

ROSMER. Ach, wenn ich das alles bedenke, was sie stumm gelitten hat! All
das häßliche, was ihr krankes Hirn aufbaute und mit uns in Verbindung
brachte!... Hat sie niemals mit dir über etwas gesprochen, das dich auf
eine Art Spur hätte bringen können?

REBEKKA (wie aufgejagt). Mit mir! Glaubst du, dann wär ich auch nur noch
einen Tag hier geblieben?

ROSMER. Nein nein, das versteht sich!... O, welchen Kampf muß sie
gekämpft haben! Und sie kämpfte allein, Rebekka ... Verzweifelt und ganz
allein ... Und dann zum Schluß dieser erschütternde -- anklagende Sieg
-- im Mühlbach. (Er wirft sich auf den Stuhl am Schreibtisch, stützt die
Ellbogen auf den Tisch und bedeckt das Gesicht mit den Händen.)

REBEKKA (nähert sich ihm behutsam von hinten). Nun höre, Rosmer. Wenn es
in deiner Macht stände, Beate zurückzurufen -- zu dir -- nach
Rosmersholm, -- würdest du es dann tun?

ROSMER. Ach, was weiß ich, was ich tun oder nicht tun würde! Ich habe
keine Gedanken für etwas andres als dies eine, -- das unwiderruflich
ist.

REBEKKA. Du solltest nun wieder anfangen zu leben. Ja du hattest schon
angefangen. Du hattest dich vollständig frei gemacht -- nach allen
Seiten. Dir war so froh und so leicht zu Mut --

ROSMER. Ach ja, du, -- so froh und so leicht ... Und da kommt dieser
zermalmende Schlag.

REBEKKA (hinter ihm, mit den Armen auf der Stuhllehne). Wie schön war
es, wenn wir abends in der Dämmrung unten im Zimmer saßen. Und dann
gemeinschaftlich die neuen Lebenspläne zurechtlegten. Du wolltest in das
lebendige Leben eingreifen, -- in das lebendige Leben des Tages, -- wie
du sagtest. Wie ein befreiender Gast wolltest du von Haus zu Haus
wandern. Den Geist und den Willen der Menschen für dich gewinnen.
Adelsmenschen schaffen rings um dich her, -- in weitern, immer weitern
Kreisen. Adelsmenschen.

ROSMER. Frohe Adelsmenschen.

REBEKKA. Ja -- frohe.

ROSMER. Denn die Freude ist es, die die Geister adelt, Rebekka.

REBEKKA. Meinst du -- der Schmerz nicht auch? Der große Schmerz?

ROSMER. Ja, -- wenn man durch den Schmerz hindurch kommen kann. Darüber
hinweg.

REBEKKA. Und =das= mußt du.

ROSMER (schüttelt traurig den Kopf). Ich werde niemals ganz darüber
hinweg kommen. Immer wird ein Zweifel zurückbleiben. Eine Frage. Niemals
werd ich wieder in dem schwelgen können, was das Leben so wunderbar
schön macht.

REBEKKA (über der Stuhllehne, leiser). Und was ist das?

ROSMER (blickt zu ihr auf). Die stille frohe Schuldlosigkeit.

REBEKKA (weicht einen Schritt zurück). Ja. Die Schuldlosigkeit.

    (Kurze Pause.)

ROSMER (mit dem Ellbogen auf dem Tische, stützt den Kopf in die Hand und
blickt vor sich hin). Und dann, wie sie zu kombinieren verstand. Wie
systematisch sie es zusammenfügte ... Erst beginnt sie Zweifel zu hegen
an meiner Rechtgläubigkeit --. Wie sie zu der Zeit =dar=auf verfallen
konnte! Aber sie verfiel darauf. Und dann wuchs es zur Gewißheit. Und
dann, -- ja dann war es ihr ja so leicht, all das andre für möglich zu
halten. (Richtet sich im Stuhl auf und fährt sich mit den Händen durch
das Haar.) O, all diese wilden Phantasien! Niemals werd ich mich von
ihnen befreien. Das fühl ich lebhaft. Das weiß ich. Jeden Augenblick
werden sie auf mich einstürmen und mich an die =Tote= erinnern.

REBEKKA. Wie das weiße Roß auf Rosmersholm.

ROSMER. In derselben Weise. In der Finsternis dahinsausend. In
nächtlicher Stille.

REBEKKA. Und wegen dieses unseligen Hirngespinstes willst du das
lebendige Leben, das du schon erfaßt hattest, wieder fahren lassen?

ROSMER. Du hast recht, es ist hart. Hart, Rebekka. Aber es steht nicht
in meiner Macht zu wählen. Wie könnt ich wohl jemals hierüber hinweg
kommen!

REBEKKA (hinter dem Stuhl). Dadurch, daß du dir neue Verhältnisse
schaffst.

ROSMER (stutzt, blickt auf). Neue Verhältnisse!

REBEKKA. Ja, neue Beziehungen zur Welt da draußen. Leben, schaffen,
handeln. Nicht hier sitzen und grübeln und brüten über unlösbaren
Rätseln.

ROSMER (steht auf). Neue Verhältnisse? (Er geht durch das Zimmer, bleibt
an der Tür stehn und kommt dann zurück.) Da geht mir ein Gedanke durch
den Kopf. Ist dir, Rebekka, dieser Gedanke nicht auch schon gekommen?

REBEKKA (atmet schwer). Laß mich -- wissen -- was es ist.

ROSMER. Wie, glaubst du, wird nach diesem Tage sich =unser= Verhältnis
gestalten?

REBEKKA. Ich denke, unsre Freundschaft hält es schon aus -- was auch
kommen mag.

ROSMER. So meint ichs nun grade nicht. Aber das, was uns zuerst zusammen
führte, -- und was uns einander so innig vereint, -- unser
gemeinschaftlicher Glaube an eine reine Kameradschaft zwischen Mann und
Weib --

REBEKKA. Ja ja -- nun?

ROSMER. Ich meine, ein solches Verhältnis, -- wie das unsre also, --
eignet sich das nicht vorzugsweise zu einer stillen friedlich-glücklichen
Lebensführung --?

REBEKKA. Und dann!

ROSMER. Aber nun öffnet sich mir ein Leben voll Kampf und Unruh und
starker Gemütsbewegungen. Denn ich will mich ausleben, Rebekka! Ich
lasse mich nicht von unheimlichen Möglichkeiten zu Boden schlagen. Ich
lasse mir meinen Lebensweg nicht vorschreiben, weder von Lebenden, noch
von -- sonst jemand.

REBEKKA. Nein nein, -- tu das nicht! Sei ganz und gar ein freier Mann,
Rosmer.

ROSMER. Aber weißt du nun, woran ich denke?.. Weißt dus nicht? Siehst du
nicht, wie ich am besten all diese nagenden Erinnrungen, -- diese ganze
unglückliche Vergangenheit abschüttle?

REBEKKA. Nun!

ROSMER. Dadurch, daß ich ihr eine neue, eine lebendige Wirklichkeit
entgegen stelle.

REBEKKA (sucht nach der Stuhllehne). Eine lebendige --? Was meinst du
=da=mit?

ROSMER (näher). Rebekka, -- wenn ich dich nun fragte, -- willst du meine
zweite Frau werden?

REBEKKA (einen Augenblick sprachlos, schreit voll Freude auf). Deine
Frau --! Deine --! Ich!

ROSMER. Gut. Versuchen wir es. Wir beide wollen eins sein. Der Platz der
Toten darf nicht länger leer bleiben.

REBEKKA. Ich -- an Beatens Stelle --!

ROSMER. Dann verschwindet sie aus meinem Leben. Vollständig. Für alle
Ewigkeit.

REBEKKA (leise und bebend). Glaubst du das, Rosmer?

ROSMER. Es muß sein! Es muß! Ich kann und will nicht durchs Leben gehn
mit einer Leiche auf dem Rücken. Hilf mir sie abwerfen, Rebekka. Und
dann laß uns alle Erinnrungen ersticken in Freiheit, in Freude, in
Liebe. Du sollst das einzige Weib sein, das je mein war.

REBEKKA (sich beherrschend). Sprich mir nicht wieder davon. Deine Frau
werd ich niemals.

ROSMER. Was! Niemals! Aber glaubst du denn, du würdest mich nie lieben
können? Ist nicht schon in unsrer Freundschaft ein Funken von Liebe!

REBEKKA (hält sich wie erschreckt die Ohren zu). Rede nicht so, Rosmer!
Sprich solche Worte nicht aus!

ROSMER (fasst sie am Arm). Ja ja, -- es gibt noch eine Möglichkeit für
uns. O, ich sehs dir an, du fühlst dasselbe! Nicht wahr, Rebekka?

REBEKKA (wieder fest und gefasst). Nun höre. Das sag ich dir, --
bestehst du hierauf, so reis ich ab.

ROSMER. Abreisen! Du! Das kannst du nicht. Das ist unmöglich.

REBEKKA. Daß ich deine Frau werde, ist noch unmöglicher. Das kann ich
nie und nimmer.

ROSMER (sieht sie stutzend an). Du sagst, du =kannst= es nicht. Und das
sagst du so seltsam. Warum kannst dus denn nicht?

REBEKKA (ergreift seine beiden Hände). Teuerster Freund, -- um deinet-
und meinetwillen, -- frage nicht, warum. (Lässt ihn los). Frage nicht,
Rosmer. (Sie geht nach der Tür links).

ROSMER. Von heut an hab ich keine andre Frage als diese eine: -- warum?

REBEKKA (wendet sich um und sieht ihn an). Dann ist alles aus.

ROSMER. Zwischen dir und mir?

REBEKKA. Ja.

ROSMER. Dahin kommt es nie zwischen uns beiden. Und nie gehst du von
Rosmersholm fort.

REBEKKA (mit der Hand auf der Türklinke). Nein, das werd ich wohl nie.
Aber fragst du mich noch einmal, -- dann ist es trotzdem aus.

ROSMER. Trotzdem aus? Warum denn --?

REBEKKA. Ja. Denn dann geh ich den Weg, den Beate ging. Nun weißt dus,
Rosmer.

ROSMER. Rebekka --!

REBEKKA (in der Tür, nickt langsam). Nun weißt dus. (Sie geht.)

ROSMER (starrt verblüfft und wie in Gedanken verloren nach der
geschlossnen Tür und spricht vor sich hin): Was -- ist -- das?




DRITTER AUFZUG.


    Das Wohnzimmer auf Rosmersholm. Das Fenster und die Tür zum
    Vorzimmer stehen offen. Draussen scheint die Vormittagssonne.

    REBEKKA, wie im ersten Akt gekleidet, steht am Fenster und besprengt
    und ordnet die Blumen. Ihre Häkelei liegt auf dem Lehnstuhl. -- FRAU
    HILSETH geht mit dem Flederwisch in der Hand umher und stäubt die
    Möbel ab.

REBEKKA (nach kurzem Schweigen). 'S ist merkwürdig, daß der Herr Pastor
heut so lange oben bleibt.

FRAU HILSETH. O, das tut er doch öfter. Aber nu kommt er gewiß bald
runter.

REBEKKA. Haben Sie ihn gesehn?

FRAU HILSETH. Nur ganz flüchtig. Als ich mit den Kaffee rauf kam, ging
er ins Schlafzimmer und zog sich an.

REBEKKA. Ich frage, weil er gestern nicht ganz wohl war.

FRAU HILSETH. Ja, das konnte man ihm ansehn. Auch tät es mich garnicht
wundern, wenn er was mit seinen Schwager gehabt hätte.

REBEKKA. Was könnte das wohl sein?

FRAU HILSETH. Kann ich nicht wissen. Vielleicht ist es dieser
Mortensgaard, der die beiden aneinander gehetzt hat.

REBEKKA. Das ist wohl möglich ... Kennen Sie diesen Peter Mortensgaard?

FRAU HILSETH. Ih bewahre. Wie kann Fräulein sowas glauben? So einer wie
der!

REBEKKA. Meinen Sie, weil er diese schreckliche Zeitung herausgibt?

FRAU HILSETH. Na, das ists ja nicht allein ... Hat Fräulein nicht mal
davon gehört, daß er 'n Kind hat mit 'ner verheirateten Frau, der ihr
Mann davongelaufen war?

REBEKKA. Ich hab davon gehört. Aber das war wohl lange, eh ich hierher
kam.

FRAU HILSETH. Gott ja, er war dazumal noch ganz jung. Und sie hätt auch
verständiger sein müssen als er. Heiraten wollt er sie ja auch. Aber
dazu kriegt er keine Erlaubnis nicht. Na, und dann hat er schwer dafür
büßen müssen ... Aber später, o, da ist der Mortensgaard wieder obenauf
gekommen! 'S gibt so manche, die =den= Mann aufsuchen.

REBEKKA. Die kleinen Leute wenden sich am liebsten an ihn, wenn sie Rat
und Hülfe brauchen.

FRAU HILSETH. O, 's dürfte wohl noch andre als bloß kleine Leute geben,
die --

REBEKKA (blickt verstohlen nach ihr hin). So?

FRAU HILSETH (am Sofa, stäubt und fegt eifrig). Es dürften wohl solche
Leute sein, Fräulein, von denen mans am wenigsten gedacht hätte.

REBEKKA (mit den Blumen beschäftigt). Nun, das stellen Sie sich doch
bloß so vor, Frau Hilseth. Denn bestimmt wissen können Sie sowas doch
nicht.

FRAU HILSETH. So, Fräulein meint, ich könnts nicht wissen? Na, ob ichs
wissen kann! Nämlich, -- wenns denn absolut heraus muß, -- ich bin
selber mal mit 'm Brief bei Mortensgaard gewesen.

REBEKKA (wendet sich). Nein, -- wirklich!

FRAU HILSETH. Ja ja, das bin ich. Und dieser Brief -- wissen Sie, wo der
geschrieben war? Auf Rosmersholm!

REBEKKA. Ist das wahr, Frau Hilseth?

FRAU HILSETH. Ganz gewiß, Fräulein. Und auf feines Papier war er
geschrieben. Und hinten drauf war feiner roter Siegellack.

REBEKKA. Und =Ihnen= ward er anvertraut, um ihn zu besorgen? Ja, liebe
Frau Hilseth, dann ist es ja nicht schwer zu erraten, von wem er war.

FRAU HILSETH. Na?

REBEKKA. Natürlich wars ein Brief, den die arme Frau Rosmer in ihrem
krankhaften Zustande --

FRAU HILSETH. =Das= behauptet Fräulein, nicht ich.

REBEKKA. Aber was stand denn in dem Briefe? Nu ja, 's ist wahr, -- das
können Sie ja nicht wissen.

FRAU HILSETH. Hm, 's könnte schon sein, daß ichs nu doch wissen täte.

REBEKKA. Sagte sie Ihnen denn, was sie geschrieben hatte?

FRAU HILSETH. Nein, das grad nicht. Aber als er, der Mortensgaard, ihn
gelesen hatte, da fing er an mich kreuz und quer auszufragen, so daß
ichs schon erraten konnte, was drin stand.

REBEKKA. Und was, glauben Sie, stand darin? Ach, liebe gute Frau
Hilseth, erzählen Sie mir das doch?

FRAU HILSETH. Nein nein, Fräulein. Nicht um alles in der Welt.

REBEKKA. O, mir können Sies schon sagen. Wir beiden sind doch so gute
Freunde.

FRAU HILSETH. Gott bewahre mich, Fräulein, Ihnen =davon= was zu
erzählen. Ich kann Ihnen weiter nichts sagen, als daß es was
abscheuliches war, was sie der armen kranken Frau in den Kopf gesetzt
hatten.

REBEKKA. Und wer hatte ihr das in den Kopf gesetzt?

FRAU HILSETH. Schlechte Menschen, Fräulein West. Schlechte Menschen.

REBEKKA. Schlechte --?

FRAU HILSETH. Ja, ich sags nochmal. Wirklich schlechte Menschen müssens
gewesen sein.

REBEKKA. Und wer, meinen Sie, konnte das gewesen sein.

FRAU HILSETH. O, ich weiß schon, was ich weiß. Aber Gott behüte meine
Zunge ... In der Stadt, da gibts 'ne gewisse feine Dame, die -- hm!

REBEKKA. Ich sehs Ihnen an, Sie meinen Frau Kroll.

FRAU HILSETH. Ja die, das ist eine! Gegen mir war sie immer hochnäsig.
Und auf Ihnen hat sie auch nie 'n gutes Auge gehabt.

REBEKKA. Glauben Sie, daß Frau Rosmer bei vollem Verstande war, als sie
den Brief an Mortensgaard schrieb?

FRAU HILSETH. Na, mit den Verstand, Fräulein, damit ists mannigmal 'ne
wunderliche Sache. Ganz von Sinnen, glaub ich, war sie nicht.

REBEKKA. Aber sie schien doch ganz verstört, als sie erfuhr, sie könnte
keine Kinder bekommen. Da kam der Wahnsinn zum Ausbruch.

FRAU HILSETH. Ja, das war 'n schrecklicher Schlag für die arme Frau.

REBEKKA (nimmt ihre Häkelei und setzt sich auf den Stuhl am Fenster).
Übrigens, glauben Sie nicht auch, Frau Hilseth, es war im Grunde gut für
den Herrn Pastor?

FRAU HILSETH. Was denn, Fräulein?

REBEKKA. Daß keine Kinder da waren. Nicht wahr?

FRAU HILSETH. Hm, ich weiß nicht recht, was ich dazu sagen soll.

REBEKKA. Sie können mir glauben, es war das beste für ihn. Pastor Rosmer
ist nicht der Mann dazu, Kindergeschrei anzuhören.

FRAU HILSETH. Auf Rosmersholm, Fräulein, schreien die kleinen Kinder
nicht.

REBEKKA (sieht sie an). Schreien nicht?

FRAU HILSETH. Nein. Hier auf diesem Hof haben die kleinen Kinder seit
Menschengedenken niemals geschrien.

REBEKKA. Das ist doch merkwürdig.

FRAU HILSETH. Ja, ist das nicht merkwürdig? Aber 's liegt in der
Familie. Und dann ist da noch was merkwürdiges. Wenn sie grösser werden,
lachen sie niemals. Lachen nie, solange sie leben.

REBEKKA. Das wäre doch höchst seltsam --

FRAU HILSETH. Hat Fräulein den Herrn Pastor auch nur 'n einzigsmal
lachen hören oder sehen?

REBEKKA. Ja, -- wenn ich darüber nachdenke, glaub ich fast, Sie haben
recht. Aber mir scheint, hier in der Gegend lachen die Menschen
überhaupt nicht viel.

FRAU HILSETH. Das tun Sie auch nicht. Auf Rosmersholm, sagen die Leute,
fings an. Und dann hat sich auch dies, denk ich mir, immer weiter
verbreitet, wie so 'ne Art Ansteckung.

REBEKKA. Frau Hilseth, Sie sind eine kluge Frau.

FRAU HILSETH. Ach, Fräulein muß sich nicht über mir lustig machen --.
(Lauscht.) St, st, -- da kommt der Herr Pastor runter. Den Flederwisch
mag er hier drin nicht sehn.

    (Sie geht durch die Tür rechts hinaus.)

    (ROSMER kommt mit Hut und Stock in der Hand aus dem Vorzimmer.)

ROSMER. Guten Morgen, Rebekka.

REBEKKA. Guten Morgen, Lieber. (Kurze Pause; sie häkelt.) Willst du
ausgehn?

ROSMER. Ja.

REBEKKA. Das Wetter ist ja so schön.

ROSMER. Heute morgen bist du nicht zu mir herauf gekommen.

REBEKKA. Nein, -- ich bin nicht gekommen. Heute nicht.

ROSMER. Willst du von jetzt an überhaupt nicht mehr kommen?

REBEKKA. O, das weiß ich noch nicht.

ROSMER. Ist etwas für mich angekommen?

REBEKKA. Das »Kreisblatt«.

ROSMER. Das »Kreisblatt« --!

REBEKKA. Da liegts auf dem Tische.

ROSMER (legt Hut und Stock fort). Steht etwas drin --?

REBEKKA. Ja.

ROSMER. Und du schickst es mir nicht hinauf --

REBEKKA. Du bekommst es noch früh genug zu lesen.

ROSMER. Ah so. (Nimmt das Blatt und liest, am Tische stehend). -- Was!
-- -- »können nicht genug vor charakterlosen Überläufern warnen« --.
(Sieht sie an). Rebekka, sie nennen mich einen Überläufer.

REBEKKA. Es ist kein Name genannt.

ROSMER. Das bleibt sich gleich. (Liest weiter). -- »heimliche Verräter
an der guten Sache« --. -- »Judasnaturen, die frech ihren Abfall
bekennen, sobald sie den geeigneten und -- profitabelsten Zeitpunkt
gekommen glauben.« »Rücksichtsloses Attentat auf den Namen berühmter
Ahnen« --. -- »in der Erwartung, daß die augenblicklichen Machthaber
eine angemessne Belohnung nicht vorenthalten werden.« (Legt die Zeitung
auf den Tisch). Und das schreiben sie von mir. Sie, die mich schon so
lange und so genau kennen. Dinge, an die sie selbst nicht glauben.
Dinge, von denen sie wissen, daß nicht ein einziges Wort daran wahr ist
... und doch schreiben sie es.

REBEKKA. Es steht noch mehr darin.

ROSMER (nimmt die Zeitung wieder auf). -- »die einzige Entschuldigung
ist das schwache, wenig geübte Denkvermögen« --. -- »verderblicher
Einfluß, der sich vielleicht noch auf andre Gebiete erstreckt; vor der
Hand wollen wir den Herrn =des=halb öffentlich weder =be=klagen noch
=an=klagen« --. (Sieht sie an). Was ist das?

REBEKKA. Das gilt mir, wie du siehst.

ROSMER (legt die Zeitung fort). Rebekka, -- so handeln nur unehrenhafte
Männer.

REBEKKA. Ja, ich finde, sie sind Mortensgaard noch über.

ROSMER (geht auf und ab). Hier =muß= etwas geschehen. Alles was gut ist
in den Menschen, wird erstickt, wenn dies so weitergeht. Aber das soll
es nicht. O, wie froh, -- wie glücklich würd ich mich fühlen, könnt ich
in diesen Abgrund von Finsternis und Häßlichkeit ein wenig Licht
bringen.

REBEKKA (steht auf). Ja, nicht wahr, Rosmer? Das wäre für dich eine
große herrliche Aufgabe.

ROSMER. Bedenke nur, könnt ich sie zur Selbsterkenntnis aufrütteln. Sie
zur Reue und Scham über sich selbst bringen. Sie bewegen, Rebekka, sich
einander in Verträglichkeit und Liebe zu nähern.

REBEKKA. Ja, setz all deine Kraft hierfür ein, und du sollst sehen, du
gewinnst.

ROSMER. Mir scheint, es muß glücken. O, welche Freude es dann sein würde
zu leben! Kein gehässiger Streit mehr. Nur noch Wettstreit. Alle Augen
auf das eine Ziel gerichtet. Alle Triebe, alle Sinne vorwärts strebend,
-- empor, -- jeder auf seinem eignen naturnotwendigen Wege. Das Glück
aller, -- geschaffen durch alle. (Sieht zufällig durchs Fenster ins
Freie, fährt zusammen und sagt traurig.) Ach! Nicht durch mich.

REBEKKA. Nicht --? Nicht durch dich?

ROSMER. Und auch nicht =für= mich.

REBEKKA. O, Rosmer, laß solche Zweifel nicht in dir aufkommen!

ROSMER. Glück, -- liebe Rebekka, -- Glück, das ist vor allen Dingen das
stille frohe sichre Bewußtsein der Schuldlosigkeit.

REBEKKA (sieht vor sich hin). Ja, das mit der Schuld --.

ROSMER. O, darüber kannst =du= kaum urteilen. Aber ich --

REBEKKA. Du am allerwenigsten!

ROSMER (zeigt zum Fenster hinaus). Der Mühlbach!

REBEKKA. O, Rosmer --!

FRAU HILSETH (blickt durch die Tür rechts herein). Fräulein!

REBEKKA. Später, später. Jetzt nicht.

FRAU HILSETH. Nur auf ein Wort, Fräulein.

    (REBEKKA geht nach der Tür. FRAU HILSETH teilt ihr etwas mit. Sie
    sprechen einen Augenblick flüsternd zusammen. FRAU HILSETH nickt und
    geht.)

ROSMER (unruhig). Wars etwas für mich?

REBEKKA. Nein, nur häusliche Dinge ... Nun solltest du etwas in die
frische Luft gehen, lieber Rosmer. Einen recht weiten Spaziergang
machen.

ROSMER (nimmt den Hut). Ja, komm. Dann gehn wir zusammen.

REBEKKA. Nein, Lieber, jetzt kann ich nicht. Du mußt allein gehn. Aber
schüttle nun all diese schweren Gedanken von dir ab. Versprich mir das.

ROSMER. Ich fürchte, die kann ich niemals abschütteln.

REBEKKA. O, aber daß etwas so grundloses dich mit solcher Macht erfassen
kann --!

ROSMER. Leider, -- so grundlos ist es nicht. Die ganze Nacht hab ich
drüber nachgegrübelt. Beate hat vielleicht doch richtig gesehn.

REBEKKA. Worin, meinst du?

ROSMER. Richtig gesehn, als sie glaubte, ich liebte dich, Rebekka.

REBEKKA. Darin richtig gesehn!

ROSMER (legt den Hut auf den Tisch). Mir geht unaufhörlich die Frage im
Kopf herum, ob wir beiden uns nicht während der ganzen Zeit selber
getäuscht haben, als wir unser Verhältnis Freundschaft nannten.

REBEKKA. Meinst du vielleicht, es konnte ebensogut ein --

ROSMER. -- Liebesverhältnis genannt werden. Ja, Rebekka, das mein ich.
Schon zu Beatens Lebzeiten warst du es, der ich all meine Gedanken gab.
Du allein warst es, nach der mich verlangte. Bei dir nur empfand ich
diese ruhige frohe wunschlose Glückseligkeit. Wenn wirs richtig
bedenken, Rebekka: unser Zusammenleben begann wie eine süße heimliche
Kinderverliebtheit. Ohne Verlangen und ohne Träumerei. Sage mir:
empfandest du es auch in solcher Weise?

REBEKKA (kämpft mit sich). O, -- ich weiß nicht, was ich dir antworten
soll.

ROSMER. Und dies innre Leben ineinander und für einander hielten wir für
Freundschaft. Nein, Rebekka, -- unser Verhältnis war eine geistige Ehe
-- vielleicht gleich von den ersten Tagen an. Darum hab ich mich mit
einer Schuld belastet. Ich hatte kein Recht dazu, -- durfte nicht,
Beatens wegen.

REBEKKA. Du durftest nicht glücklich sein? Glaubst du das, Rosmer?

ROSMER. Sie betrachtete unser Verhältnis mit den Augen =ihrer= Liebe.
Beurteilte es nach =ihrer= Art zu lieben. Natürlich. Beate konnte nicht
anders urteilen.

REBEKKA. Aber wie kannst du =dich= anklagen wegen Beatens Irrtum!

ROSMER. Weil sie mich, -- in =ihrer= Weise, -- liebte, ging sie in den
Mühlbach. =Die= Tatsache, Rebekka, steht fest. Darüber komm ich niemals
hinweg.

REBEKKA. Ach, denk doch an weiter nichts als an die große schöne
Aufgabe, für die du dein Leben eingesetzt hast!

ROSMER (schüttelt den Kopf). Die kann wohl nie durchgeführt werden.
Nicht von mir. Jetzt nicht mehr, nachdem ich dies erfahren habe.

REBEKKA. Warum nicht von dir?

ROSMER. Weil man niemals eine Sache zum Siege führen kann, die ihren
Ursprung in einem Verbrechen hat.

REBEKKA (leidenschaftlich). O, diese Zweifel, diese Skrupel, diese Angst
-- das sind angeborne Familienfehler! Nach dem Gerede der Leute kehren
hier die Toten zurück als jagende weiße Rosse. Ich glaube, dies ist
etwas ähnliches.

ROSMER. Mag sein. Aber was nützt mir das, wenn ich nun einmal nicht
darüber hinwegkommen kann? Und glaube mir, Rebekka: es ist so, wie ich
sage. Die Sache, die zum bleibenden Sieg geführt werden soll, -- die muß
von einem frohen schuldlosen Manne getragen werden.

REBEKKA. Ist denn =dir=, Rosmer, die Freude ganz und gar unentbehrlich?

ROSMER. Die Freude? Ja, -- das ist sie.

REBEKKA. Dir, der niemals lachen kann?

ROSMER. Trotzdem. Glaube mir, ich hab viel Talent zur Fröhlichkeit.

REBEKKA. Jetzt geh, lieber Freund. Weit, -- ganz weit. Hörst du?...
Sieh, hier ist dein Hut. Und hier hast du den Stock.

ROSMER (nimmt Hut und Stock). Danke. Und du gehst nicht mit?

REBEKKA. Nein nein, jetzt ich kann nicht.

ROSMER. Ja, ja. Nun, du weißt, du bist trotzdem bei mir.

    (Er geht durch das Vorzimmer hinaus. Kurz darauf lugt REBEKKA hinter
    der offnen Tür her hinaus. Dann geht sie nach der Tür rechts.)

REBEKKA (öffnet und sagt halblaut). So, Frau Hilseth. Nun können Sie ihn
hereinlassen.

    (Sie geht nach dem Fenster. Kurz darauf kommt KROLL von rechts. Er
    grüsst stumm und gemessen und behält den Hut in der Hand.)

KROLL. Er ist also ausgegangen?

REBEKKA. Ja.

KROLL. Pflegt er weit zu gehn?

REBEKKA. O ja. Aber heut ist er so unberechenbar. Wenn Sie ihn also
nicht treffen wollen --

KROLL. Nein nein. Ich wünsche nur Sie zu sprechen. Und zwar ganz allein.

REBEKKA. Dann ists am besten, wir nutzen die Zeit aus. Nehmen Sie Platz,
Herr Rektor.

    (Sie setzt sich auf den Lehnstuhl am Fenster. KROLL setzt sich auf
    einen Stuhl neben ihr.)

KROLL. Fräulein West, -- Sie können sich wohl kaum eine Vorstellung
davon machen, wie tief es mich schmerzt, dieses -- diese Veränderung,
die mit Johannes Rosmer vor sich gegangen ist.

REBEKKA. Wir waren darauf vorbereitet, daß es Ihnen sehr zu Herzen gehn
würde -- das heißt im Anfang.

KROLL. Nur im Anfang?

REBEKKA. Rosmer hegte die sichre Hoffnung, früher oder später würden Sie
auf seine Seite treten.

KROLL. Ich!

REBEKKA. Sie und all seine andern Freunde.

KROLL. Ja, da sehn Sies! So schwach ist sein Verstand in allem, was die
Menschen und das praktische Leben betrifft.

REBEKKA. Übrigens, -- wenns ihm nun einmal ein Bedürfnis ist, sich nach
jeder Richtung hin frei zu machen --

KROLL. Ja aber, sehn Sie, -- grade das glaub ich nicht.

REBEKKA. Was glauben Sie denn?

KROLL. Ich glaube: hinter alledem stecken =Sie=.

REBEKKA. Das haben Sie von Ihrer Frau, Herr Rektor.

KROLL. Das ist gleichgültig, woher ichs habe. Aber so viel steht fest:
wenn ich mir alles überlege und mir Ihr ganzes Verhalten zu erklären
suche seit dem Augenblick, da Sie nach Rosmersholm kamen, dann erwacht
in mir ein starker Verdacht, -- ein außerordentlich starker Verdacht.

REBEKKA (sieht ihn an). Ich glaube mich zu erinnern, lieber Rektor, es
gab eine Zeit, da hegten Sie ein außerordentlich starkes =Vertrauen= zu
mir. Ein =warmes= Vertrauen, hätt ich bald gesagt.

KROLL (gedämpft). Wen vermochten Sie nicht zu behexen, -- wenn Sies
drauf anlegten?

REBEKKA. Legt ichs denn darauf an, Sie --!

KROLL. Jawohl, das taten Sie. Jetzt bin ich nicht mehr so'n Narr, mir
einzubilden, es sei irgend ein Gefühl mit im Spiel gewesen. Sie wollten
sich einfach hier auf Rosmersholm Eingang verschaffen. Sich hier
festsetzen. Und dabei sollt ich Ihnen behülflich sein. Nun seh ichs.

REBEKKA. Sie haben also vollständig vergessen, daß es Beate war, die
mich bat und anflehte, hierher zu kommen.

KROLL. Ja, als Sie die ebenfalls behext hatten. Oder kann man das
Gefühl, das Beate für Sie empfand, vielleicht Freundschaft nennen? Es
schlug um in Vergötterung, -- in Anbetung. Es artete aus in, -- wie soll
ichs nennen? -- in eine Art verzweifelter Verliebtheit. Ja, das ist das
richtige Wort.

REBEKKA. Sie wollen sich gütigst erinnern, in welchem Zustand sich Ihre
Schwester befand. Was mich betrifft, so glaub ich nicht, daß man mich
der Überspanntheit beschuldigen kann.

KROLL. Nein wahrhaftig nicht. Aber desto gefährlicher werden Sie denen,
die Sie in Ihre Gewalt haben wollen. Es fällt Ihnen so leicht, mit
Überlegung und voller richtiger Berechnung zu handeln, -- eben weil Ihr
Herz kalt ist.

REBEKKA. Kalt? Wissen Sie das bestimmt?

KROLL. Jetzt weiß ichs ganz bestimmt. Sonst hätten Sie hier nicht
jahrelang Ihr Ziel mit so unerschütterlicher Sicherheit verfolgen
können. Ja ja, -- Sie haben erreicht, was Sie erreichen wollten. Nicht
bloß ihn, -- alles hier haben Sie in Ihre Gewalt bekommen. Aber um dies
alles durchzusetzen, sind Sie nicht davor zurückgeschreckt, ihn
unglücklich zu machen.

REBEKKA. Das ist nicht wahr! Nicht ich, Sie selbst haben ihn unglücklich
gemacht.

KROLL. Ich!

REBEKKA. Ja Sie! -- indem Sie ihm den Wahn in den Kopf setzten, er wäre
schuld an Beatens schrecklichem Ende.

KROLL. Ah, es hat ihn also doch gepackt?

REBEKKA. Das können Sie sich doch denken. Ein so weiches Gemüt --

KROLL. Ich glaubte, ein sogenannter Freigewordner wär über all solche
Skrupel erhaben ... So also stehts mit uns! Ach ja, -- offen gesagt: das
hab ich erwartet. Der Nachkomme jener Männer, die von den Wänden dort
auf uns herabschauen, -- es gelingt ihm nicht, sich von all dem
loszureißen, was von Geschlecht zu Geschlecht sich auf ihn vererbt hat.

REBEKKA (sieht gedankenvoll vor sich hin). Ja, Johannes Rosmer ist mit
sehr starken Wurzeln an sein Geschlecht gebunden. Das ist wahr.

KROLL. Und darauf hätten Sie Rücksicht nehmen müssen, wenn Sie ein Herz
für ihn gehabt hätten. Aber derartige Rücksichten konnten Sie nicht gut
nehmen. Ihre Voraussetzungen sind von den seinen ja so himmelweit
verschieden.

REBEKKA. Welche Voraussetzungen meinen Sie?

KROLL. Ich meine die Voraussetzungen, Fräulein West, die sich auf die
Familie, -- die Geburt beziehen.

REBEKKA. Ah so. Ja, das ist wahr, -- ich bin von sehr geringer Herkunft.
Aber trotzdem --

KROLL. Ich spreche nicht von Stand und Stellung. Ich denke an die
sittlichen Voraussetzungen.

REBEKKA. Sittlichen Voraussetzungen --? In welcher Beziehung?

KROLL. Inbezug auf Ihre Geburt.

REBEKKA. Was sagen Sie!

KROLL. Ich sag es ja nur, weil das Ihr ganzes Verhalten erklärt.

REBEKKA. Ich versteh Sie nicht. Ich verlange eine klare offne Erklärung!

KROLL. Ich glaubte wirklich nicht, daß Sie noch eine Erklärung
brauchten. Sonst wärs doch seltsam, daß Sie sich von Doktor West
adoptieren ließen --

REBEKKA (steht auf). Ah so! Jetzt versteh ich.

KROLL. -- daß Sie seinen Namen annahmen. Ihre Mutter hieß Gamwik.

REBEKKA (geht im Zimmer umher). Mein Vater hieß Gamwik, Herr Rektor.

KROLL. Der Beruf Ihrer Mutter brachte sie naturgemäß mit dem Kreisarzt
in beständige Verbindung.

REBEKKA. Da haben Sie recht.

KROLL. Und da nimmt er Sie zu sich, -- gleich nach dem Tode Ihrer
Mutter. Er behandelt Sie hart. Und doch bleiben Sie bei ihm. Sie wissen,
daß er Ihnen nicht einen einzigen Schilling hinterlassen wird. Sie
bekamen ja auch bloß einen Kasten voll Bücher. Und doch halten Sie bei
ihm aus. Haben Geduld mit ihm. Pflegen ihn bis an sein Ende.

REBEKKA (am Tische, sieht ihn höhnisch an). Und daß ich dies alles tat,
-- das erklären Sie sich daraus, daß an meiner Geburt etwas unsittliches
haftet, -- etwas verbrecherisches!

KROLL. Was Sie für ihn taten, führ ich auf einen unbewußten kindlichen
Instinkt zurück. Übrigens wurde Ihr ganzes Verhalten durch Ihre Herkunft
bestimmt.

REBEKKA (heftig). Aber da ist nicht ein wahres Wort an dem, was Sie da
sagen! Und das kann ich beweisen! Denn Doktor West war noch garnicht in
der Finnmark, als ich geboren wurde.

KROLL. Bitt um Entschuldigung, -- Fräulein. Er kam in dem Jahr vorher.
Das hab ich festgestellt.

REBEKKA. Und ich sag Ihnen: Sie irren! Irren vollständig!

KROLL. Sie sagten gestern, Sie wären neunundzwanzig. Gingen ins
dreißigste.

REBEKKA. So? Sagt ich das?

KROLL. Allerdings. Und danach kann ich berechnen, daß --

REBEKKA. Halt! Ihre Berechnungen nützen Ihnen nichts. Denn ich kanns
Ihnen ja gleich sagen: Ich bin ein Jahr älter als ich mich ausgebe.

KROLL (lächelt ungläubig). Wirklich? Das ist was neues. Wie kommt das?

REBEKKA. Als ich fünfundzwanzig erreicht hatte, schien es mir, --
unverheiratet wie ich war, -- ich würde zu alt. Und so begann ich ein
Jahr abzulügen.

KROLL. Sie? Eine Freigewordne? =Sie= hegen noch Vorurteile inbezug auf
das heiratsfähige Alter?

REBEKKA. Ja, 's war grützdumm, -- und obendrein lächerlich. Aber dies
und jenes, von dem man sich nicht losmachen kann, bleibt immer an einem
haften. Wir sind nun mal so.

KROLL. Mag sein. Aber die Berechnung kann dennoch stimmen. Denn Doktor
West war ein Jahr vor seiner Anstellung zu einem flüchtigen Besuch da
oben in der Finnmark.

REBEKKA (leidenschaftlich). Das ist nicht wahr!

KROLL. Das ist nicht wahr?

REBEKKA. Nein. Denn davon hat mir meine Mutter nie etwas erzählt.

KROLL. Wirklich nicht?

REBEKKA. Nein, nie. Und Doktor West auch nicht. Nie eine Silbe!

KROLL. Könnte das nicht geschehn sein, weil sie beide Grund hatten ein
Jahr zu überspringen? Grad so wie =Sie= eins übersprungen haben. Das ist
vielleicht ein Familienzug.

REBEKKA (geht umher, presst und ringt die Hände). Das ist unmöglich. Das
wollen Sie mir nur einreden. Das kann nicht wahr sein! Nie und nimmer!
In alle Ewigkeit nicht --!

KROLL (steht auf). Aber mein liebes Fräulein, -- warum in Himmels Namen
nehmen Sies in der Weise? Sie erschrecken mich förmlich! Was soll ich da
glauben und denken --!

REBEKKA. Nichts. Sie sollen weder was glauben noch denken.

KROLL. Dann müssen Sie mir aber wirklich erklären, warum Sie diese
Sache, -- diese Möglichkeit sich so zu Herzen nehmen.

REBEKKA (fasst sich). Das ist doch ganz natürlich, Herr Rektor. Ich habe
nicht Lust, hier als ein uneheliches Kind zu gelten.

KROLL. Ah so. Ja ja, beruhigen wir uns, -- vorläufig, -- bei dieser
Erklärung. Aber dann haben Sie sich ja also auch in diesem Punkte noch
ein gewisses -- Vorurteil bewahrt.

REBEKKA. Das scheint so.

KROLL. Na, ich denke, dieselbe Bewandtnis hat es wohl auch mit dem
meisten von dem, was Sie Ihre Befreiung nennen. Sie haben sich einen
ganzen Haufen neuer Gedanken und Meinungen angelesen. Sie wissen
einigermaßen Bescheid über die Forschungen auf verschiednen Gebieten, --
Forschungen, die manches von dem, was bisher bei uns als unumstößlich
und unangreifbar galt, umzustoßen scheinen. Aber dies alles, Fräulein
West, ist bei Ihnen nur bloßes Wissen geblieben. Tote Kenntnisse. Es ist
Ihnen nicht in Fleisch und Blut übergegangen.

REBEKKA (nachdenklich). Möglich, daß Sie recht haben.

KROLL. Ja, prüfen Sie sich nur selbst, dann werden Sie sehn! Und wenn es
so mit Ihnen steht, kann man sich leicht vorstellen, wie es mit Johannes
Rosmer bestellt ist. Es ist ja helle blanke Verrücktheit, -- es heißt
schnurstracks ins Verderben rennen, wenn er offen hervortreten und sich
als Abtrünnigen bekennen will! Bedenken Sie, -- er mit diesem scheuen
Gemüt! Stellen Sie sich =ihn= vor als verstoßen, -- verfolgt von dem
Kreise, dem er bisher angehört hat. Rücksichtslosen Angriffen ausgesetzt
von den besten unsrer Gesellschaft. Nie und nimmer ist er der Mann, dem
die Stirn zu bieten.

REBEKKA. All dem =muß= er die Stirn bieten! Jetzt ist es für ihn zu
spät, sich zurückzuziehen.

KROLL. Zu spät? Durchaus nicht. In keiner Beziehung. Was geschehn ist,
kann totgeschwiegen, -- oder doch jedenfalls als eine bloß
vorübergehende wenn auch beklagenswerte Verirrung erklärt werden. Aber
-- =eine= Verhaltungsmaßregel ist freilich unumgänglich notwendig.

REBEKKA. Und die wäre?

KROLL. Fräulein West, Sie müssen ihn veranlassen, das Verhältnis zu
legalisieren.

REBEKKA. Das Verhältnis, in dem er zu mir steht?

KROLL. Ja, Sie müssen sehn, daß Sie ihn dazu bewegen.

REBEKKA. Sie können sich also gar nicht von der Ansicht frei machen,
unser Verhältnis bedürfe der -- Legalisierung, wie Sies nennen?

KROLL. Auf die Sache selbst will ich nicht näher eingehn. Allerdings
aber glaub ich beobachtet zu haben, daß man =dort= am leichtesten mit
allen sogenannten Vorurteilen bricht, wo es sich handelt um -- hm.

REBEKKA. Um das Verhältnis zwischen Mann und Weib, meinen Sie?

KROLL. Ja, -- offen gestanden, -- das glaub ich.

REBEKKA (geht durch das Zimmer und blickt zum Fenster hinaus). Rektor
Kroll, beinah hätt ich gesagt, -- möchten Sie nur recht haben.

KROLL. Was meinen Sie damit? Sie sagen das in einem so seltsamen Ton.

REBEKKA. Ach was! Sprechen wir nicht mehr von diesen Dingen ... Ah, --
da kommt er.

KROLL. Schon! Dann geh ich.

REBEKKA (auf ihn zugehend). Nein, bleiben Sie. Denn nun sollen Sie etwas
erfahren.

KROLL. Jetzt nicht. Ich ertrag es nicht, ihn jetzt zu sehn.

REBEKKA. Bleiben Sie! Ich bitte darum. Bitte Sie dringend. Sonst werden
Sie es später bereuen. Es ist das letzte Mal, daß ich Sie um etwas
bitte.

KROLL (sieht sie verwundert an und legt den Hut fort). Nun gut, Fräulein
West. Es mag sein.

    (Eine Weile ist es still. Dann kommt ROSMER aus dem Vorzimmer.)

ROSMER (erblickt den Rektor, bleibt in der Tür stehen). Was! -- =du=
hier!

REBEKKA. Am liebsten wär er dir nicht begegnet, Rosmer.

KROLL (unwillkürlich). Dir!

REBEKKA. Ja, Herr Rektor. Rosmer und ich -- wir duzen uns. Unser
Verhältnis hat das so mit sich gebracht.

KROLL. Wars =das=, was ich erfahren sollte?

REBEKKA. Das und -- noch etwas.

ROSMER (kommt näher). Was ist der Zweck des heutigen Besuches?

KROLL. Ich wollte noch einmal versuchen, dich aufzuhalten und
zurückzugewinnen.

ROSMER (zeigt auf die Zeitung). Nach dem, was =dort= steht?

KROLL. Ich habs nicht geschrieben.

ROSMER. Hast du Schritte getan, es zu verhindern?

KROLL. Das wär ein unverantwortlicher Verrat gewesen an der Sache, der
ich diene. Auch stand es nicht in meiner Macht.

REBEKKA (reisst die Zeitung in Stücke, ballt diese zusammen und wirft
sie hinter den Ofen). So. Nun ists aus den Augen. Und entfern es auch
aus deinen Gedanken. Denn etwas der Art, Rosmer, kommt nicht wieder.

KROLL. Ach ja, brächten Sie =das= fertig --

REBEKKA. Komm, Lieber, setzen wir uns. Alle drei. Dann will ich alles
sagen.

ROSMER (setzt sich unwillkürlich). Rebekka, was ist mit dir vorgegangen!
Diese unheimliche Ruhe --. Was bedeutet das?

REBEKKA. Diese Ruhe bedeutet, daß ich einen Entschluß gefaßt habe.
(Setzt sich.) Nehmen Sie ebenfalls Platz, Herr Rektor.

    (KROLL setzt sich auf das Sofa.)

ROSMER. Einen Entschluß, sagst du! Welchen Entschluß?

REBEKKA. Ich will dir wiedergeben, was du brauchst, um das Leben zu
ertragen. Du sollst deine frohe Schuldlosigkeit zurückerhalten, lieber
Freund.

ROSMER. Aber was hat dies zu bedeuten!

REBEKKA. Ich will nur erzählen. Weiter ist nichts nötig.

ROSMER. Nun!

REBEKKA. Als ich, -- mit Doktor West, -- aus der Finnmark hierher kam,
da wars mir, als hätt eine neue große weite Welt sich mir aufgetan. Der
Doktor hatte mich mancherlei gelehrt. All das Verschiedenartige, was ich
damals vom Leben und den menschlichen Dingen wußte. (Mit sich kämpfend
und kaum hörbar.) Und da --

KROLL. Und da?

ROSMER. Aber Rebekka, -- das weiß ich ja doch.

REBEKKA (nimmt sich zusammen). Ja ja, -- darin hast du eigentlich recht.
Du weißt =genug= davon.

KROLL (sieht sie fest an). Vielleicht geh ich lieber.

REBEKKA. Nein, Sie sollen bleiben, lieber Rektor. (Zu ROSMER.) Ja,
siehst du, das also war es: ich wollte Anteil haben an der neuen Zeit,
die anbrach. Anteil haben an all den neuen Gedanken... Rektor Kroll
erzählte mir eines Tages, Ulrich Brendel hätte eine große Macht über
dich gehabt, als du noch ein Knabe warst. Mir schien, es müsse doch
möglich sein, diese Macht an mich zu bringen.

ROSMER. Du kamst mit einer geheimen Absicht hierher --!

REBEKKA. Gemeinsam mit dir wollt ich vorwärts, der Freiheit entgegen
gehn. Immer weiter, immer weiter bis an die Gränze.... Aber zwischen dir
und der vollen Unabhängigkeit erhob sich ja diese finstere
unübersteigliche Mauer.

ROSMER. Welche Mauer meinst du?

REBEKKA. Ich meine, Rosmer: nur im hellen frischen Sonnenschein konntest
du die Freiheit erlangen, und da sah ich dich kranken und hinsiechen in
der Finsternis einer solchen Ehe.

ROSMER. Bis zu dem heutigen Tage hast du in =der= Weise über meine Ehe
noch nie mit mir gesprochen.

REBEKKA. Nein; ich wagt es nicht; ich hätte dich erschreckt.

KROLL (winkt ROSMER). Hörst du!

REBEKKA (fährt fort). Aber ich sah bald deutlich, wo dir Rettung werden
konnte. Die einzige Rettung. Und da handelte ich.

ROSMER. Du hast gehandelt? In welcher Weise?

KROLL. Wollen Sie damit sagen, Sie --!

REBEKKA. Ja, Rosmer --. (Steht auf.) Bleib sitzen. Sie auch, Herr
Rektor. Aber nun muß es an den Tag... Du warst es nicht, Rosmer. Du bist
ohne Schuld. Ich war es, die Beate lockte --, die schließlich Beate auf
diese Irrwege lockte --

ROSMER (springt auf). Rebekka!

KROLL (erhebt sich). -- auf diese Irrwege lockte!

REBEKKA. Auf die Wege, -- die zum Mühlbach führten. Nun wißt Ihrs, alle
beide.

ROSMER (wie betäubt). Aber ich begreife nicht --. Was sagt sie? Ich
begreife kein Wort --!

KROLL. Ach ja, Rosmer. Ich fang an zu begreifen.

ROSMER. Aber was hast du denn getan! Was hast du ihr nur sagen können?
Es lag ja nichts vor. Garnichts!

REBEKKA. Sie erfuhr, daß du dich von all den alten Vorurteilen zu
befreien suchtest.

ROSMER. Aber das war ja damals noch nicht der Fall.

REBEKKA. Ich wußte, daß es bald geschehen würde.

KROLL (nickt ROSMER zu). Aha!

ROSMER. Und dann? Was weiter? Ich will jetzt alles wissen.

REBEKKA. Einige Zeit darauf -- da bat ich sie, mich abreisen zu lassen.

ROSMER. Warum wolltest du denn damals reisen?

REBEKKA. Ich wollte nicht reisen. Ich wollte bleiben, wo ich war. Aber
ich sagt ihr, es wäre für uns alle das beste ... wenn ich bei Zeiten
fortkäme. Ich gab ihr zu verstehn, wenn ich noch länger bliebe, -- so
könnte -- könnte sich -- etwas schlimmes ereignen.

ROSMER. Das also hast du gesagt und getan.

REBEKKA. Ja, Rosmer.

ROSMER. Und das nanntest du handeln.

REBEKKA (mit gebrochener Stimme). Ich nannt es so, ja.

ROSMER (nach kurzem Schweigen). Hast du nun alles bekannt, Rebekka?

REBEKKA. Ja.

KROLL. Nicht alles.

REBEKKA (sieht ihn erschreckt an). Was sollt ich denn sonst noch haben?

KROLL. Gaben Sie schließlich Beate nicht zu verstehn, es wäre notwendig,
-- nicht bloß das beste, -- sondern notwendig, aus Rücksicht auf Sie und
Rosmer, daß Sie anderswohin reisten, -- und zwar so schnell wie möglich?
-- Nun?

REBEKKA (leise und undeutlich). Vielleicht hab ich etwas ähnliches
gesagt.

ROSMER (sinkt in den Lehnstuhl am Fenster). Und an dieses Lug- und
Truggewebe hat sie geglaubt, die unglückliche Kranke! Hartnäckig und
fest geglaubt! Unerschütterlich! (Sieht REBEKKA an.) Und niemals wendete
sie sich an mich. Niemals auch nur mit einem Worte! O Rebekka, -- ich
sehs dir an, -- du hast ihr davon abgeraten!

REBEKKA. Sie hatte sichs ja in den Kopf gesetzt, sie habe -- als
kinderlose Frau, -- nicht das Recht, hier zu sein. Und so bildete sie
sich ein, ihre Pflicht gegen dich gebiete ihr, Platz zu machen.

ROSMER. Und du, -- du tatest nichts, ihr diese Wahnvorstellung zu
nehmen?

REBEKKA. Nein.

KROLL. Vielleicht bestärkten Sie sie noch darin? Antworten Sie!
Bestärkten Sie sie noch?

REBEKKA. Ich glaube, sie verstand mich ohnehin.

ROSMER. Ja ja, -- und vor deinem Willen beugte sie sich in allem. Und da
machte sie Platz. (Springt auf.) Wie konntest, -- wie konntest du dies
entsetzliche Spiel unternehmen!

REBEKKA. Ich glaubte, Rosmer, hier gelte es, zwischen deinem und ihrem
Leben zu wählen.

KROLL (streng und nachdrücklich). Sie hatten kein Recht, eine solche
Wahl zu treffen.

REBEKKA (heftig). Aber glauben Sie denn, ich hätte mit kalter
berechnender Überlegung gehandelt! Denken Sie, ich wäre damals dieselbe
gewesen wie jetzt, wo ichs Ihnen erzähle?... Und dann wohnen auch, glaub
ich, im Menschen zwei Arten von Willen! Ich wollte Beate fort haben. Auf
die ein oder andre Weise. Aber niemals glaubt ich, daß es dahin kommen
würde. Bei jedem Schritt, den ich versuchte, den ich vorwärts wagte, war
mirs, als schrie etwas in mir: Nicht weiter! Keinen Schritt weiter!...
Und doch =konnt= ich nicht stehn bleiben. Ich =mußte= mich noch ein ganz
klein wenig weiter wagen. Nur einen einzigen Schritt. Und dann noch
einen -- immer noch einen ... Und dann kam es ... In der Weise geschehn
solche Dinge.

    (Kurzes Schweigen.)

ROSMER (zu Rebekka). Und was wird jetzt aus dir? Nach diesem Geständnis?

REBEKKA. Aus mir mag werden was will. Darauf kommt wenig an.

KROLL. Nicht =ein= Wort der Reue! Vielleicht fühlen Sie gar keine?

REBEKKA (kalt abweisend). Entschuldigen Sie, Herr Rektor, -- das ist
eine Sache, die andre nichts angeht. Das mach ich schon mit mir selbst
ab.

KROLL (zu ROSMER). Und mit diesem Weibe lebst du zusammen unter einem
Dache! In vertraulicher Gemeinschaft! (Blickt umher auf die Porträts.)
O, -- wenn diese da jetzt auf uns herabsehn könnten!

ROSMER. Gehst du nach der Stadt?

KROLL (nimmt seinen Hut). Ja. Je eher je lieber.

ROSMER (nimmt ebenfalls seinen Hut). Ich geh mit.

KROLL. Du gehst mit! Ach ja, das wußt ich, daß wir dich noch nicht ganz
verloren hatten.

ROSMER. So komm, Kroll! Komm!

    (Sie gehn beide durch das Vorzimmer hinaus, ohne Rebekka anzusehn.
    -- Kurz darauf tritt sie vorsichtig ans Fenster und blickt zwischen
    den Blumen hindurch hinaus.)

REBEKKA (spricht halblaut mit sich selbst). Auch heute nicht über den
Steg. Geht oben herum. Kommt niemals über den Mühlbach. Niemals. (Geht
vom Fenster weg.) Ja, ja! Wohlan!

    (Sie geht und zieht am Klingelzug. -- Kurz darauf kommt FRAU HILSETH
    von rechts).

FRAU HILSETH. Was wünschen Sie, Fräulein?

REBEKKA. Frau Hilseth, sei'n Sie so freundlich und lassen meinen
Reisekoffer vom Boden herunterholen.

FRAU HILSETH. Den Reisekoffer!

REBEKKA. Ja; wissen Sie, den braunen mit Seehundsfell überzognen.

FRAU HILSETH. Jawoll. Aber mein Gott, -- will Fräulein denn verreisen?

REBEKKA. Ja, Frau Hilseth, -- ich verreise.

FRAU HILSETH. Und schon so bald!

REBEKKA. Sobald ich gepackt habe.

FRAU HILSETH. Hat man je sowas gehört! Aber Fräulein kommt doch bald
wieder?

REBEKKA. Ich komme nie wieder.

FRAU HILSETH. Nie! Aber Herr du mein Gott, was soll denn auf Rosmersholm
werden, wenn Fräulein West nicht mehr da ist! Der arme Pastor hatte es
nu so schön und angenehm.

REBEKKA. Ja, aber, Frau Hilseth, heut hab ich Angst bekommen.

FRAU HILSETH. Angst! Jesses, -- vor was denn?

REBEKKA. Ja, mir ist, als hätt ich ganz flüchtig das weiße Roß gesehn.

FRAU HILSETH. Das weiße Roß! Mitten am hellichten Tage!

REBEKKA. O, die sind früh und spät auf den Beinen, -- die weißen Rosse
von Rosmersholm. (Schlägt einen andern Ton an.) Nun, -- also den
Reisekoffer, Frau Hilseth.

FRAU HILSETH. Jawoll. Den Reisekoffer.

    (Sie gehn beide rechts hinaus.)




VIERTER AUFZUG.


    Das Wohnzimmer auf Rosmersholm. Es ist spät am Abend. Die mit einem
    Schirm versehene Lampe steht angezündet auf dem Tische.

    REBEKKA steht am Tische und packt verschiedene kleine Gegenstände in
    eine Reisetasche. Ihr Mantel und ihr Hut sowie der gehäkelte
    Wollshawl hängen über der Sofalehne. -- FRAU HILSETH kommt von
    rechts.

FRAU HILSETH (spricht gedämpft und scheint zurückhaltend). Ja, Fräulein,
nu sind also die Sachen alle 'rausgetragen. Sie stehn im Küchengang.

REBEKKA. Gut. Und dem Kutscher haben Sie doch Bescheid gesagt?

FRAU HILSETH. Jawoll. Er fragt, wann er mit den Wagen hier sein soll.

REBEKKA. Ich denke, so gegen elf. Der Dampfer geht um Mitternacht ab.

FRAU HILSETH (etwas zögernd). Aber der Herr Pastor? Wenn der nu bis
dahin noch nicht zurück ist?

REBEKKA. Dann reis ich trotzdem. Sollt ich ihn nicht mehr sehn, können
Sie ihm sagen, ich würd ihm schreiben. Einen langen Brief. Sagen Sie
das.

FRAU HILSETH. Ja, das ist nu alles gut und schön -- das mit dem
Schreiben. Aber, armes Fräulein, -- meine Meinung ist nun die, Sie
sollten versuchen noch mal mit ihm zu reden.

REBEKKA. Vielleicht. Oder vielleicht doch lieber nicht.

FRAU HILSETH. Nein, -- daß ich sowas erleben muß, -- das hätt ich mein
Lebtag nicht gedacht!

REBEKKA. Was hatten Sie sich denn gedacht, Frau Hilseth?

FRAU HILSETH. Na, ich hatte mir Pastor Rosmer doch 'n bißchen reeller
vorgestellt.

REBEKKA. Reeller?

FRAU HILSETH. Ja ja, reeller; jawoll!

REBEKKA. Aber liebe Frau Hilseth, was meinen Sie damit?

FRAU HILSETH. Ich, Fräulein, meine, was recht und billig ist. Auf =die=
Art und Weise mußt er sich nicht los und ledig machen; auf die nicht.

REBEKKA (sieht sie an). Nun hören Sie mal, Frau Hilseth. Sagen Sie mir
offen und ehrlich, -- warum, meinen Sie, reis ich weg?

FRAU HILSETH. Herrgott, Fräulein, das ist ja doch wohl 'n Müssen! Ach
ja, ja, ja! Aber meine Meinung ist nun die, schön ist das nicht vom
Herrn Pastor. Der Mortensgaard, na der war ja entschuldigt. Nämlich sie
hatte ja noch ihren Mann am Leben. Also =die= beiden, die konnten sich
nicht heiraten, so gern sie auch mochten. Aber der Herr Pastor, sehn
Sie, der -- hm!

REBEKKA (mit schwachem Lächeln). Hätten Sie sich von Pastor Rosmer und
mir sowas denken können?

FRAU HILSETH. Mein Lebtag nicht. Ja, ich meine, -- bis heute nicht.

REBEKKA. Also von heut an --?

FRAU HILSETH. Na, -- nach all den Schlechtigkeiten, die, wie die Leute
sagen, vom Herrn Pastor in die Zeitungen stehn sollen --

REBEKKA. Aha!

FRAU HILSETH. Denn meine Meinung ist nun die: dem Mann, der zu dem
Mortensgaard seine Reljohn übertreten kann, dem ist weiß Gott alles
zuzutrauen.

REBEKKA. Ach ja, das mag schon sein. Aber ich? Was sagen Sie von mir?

FRAU HILSETH. Du lieber Gott, Fräulein, -- was wär denn gegen Ihnen groß
zu sagen! Für 'ne Alleinstehende, denk ich mir, ists nicht so leicht,
Stand zu halten... Wir sind ja doch alle Menschen, Fräulein West, --
alle mit 'nander.

REBEKKA. Sehr wahr, Frau Hilseth. Wir sind alle miteinander Menschen. --
Wonach horchen Sie?

FRAU HILSETH (leise). O Jesses, -- ich glaub, da kommt er grad!

REBEKKA (fährt zusammen). Also doch --! (Bestimmt.) Nun ja. Es sei.

    (ROSMER kommt aus dem Vorzimmer.)

ROSMER (erblickt das Reisezeug, wendet sich an REBEKKA und fragt). Was
hat das zu bedeuten?

REBEKKA. Ich reise.

ROSMER. Auf der Stelle?

REBEKKA. Ja. (Zu FRAU HILSETH.) Also elf Uhr.

FRAU HILSETH. Jawoll, Fräulein; jawoll. (Sie geht rechts hinaus.)

ROSMER (nach kurzem Schweigen). Wo reisest du hin, Rebekka?

REBEKKA. Nach dem Norden, mit dem Dampfer.

ROSMER. Nach dem Norden? Was willst du dort?

REBEKKA. Von da bin ich ja hergekommen.

ROSMER. Aber jetzt hast du da nichts mehr zu schaffen.

REBEKKA. Hier unten auch nicht.

ROSMER Was gedenkst du denn anzufangen?

REBEKKA. Das weiß ich noch nicht. Ich will nur sehen, der Sache ein Ende
zu machen.

ROSMER. Ein Ende zu machen?

REBEKKA. Rosmersholm hat mich gebrochen.

ROSMER (wird aufmerksam). Das behauptest du?

REBEKKA. Geknickt und gebrochen ... Als ich hierher kam, hatt ich einen
so frischen und mutigen Willen. Jetzt hab ich mich unter ein fremdes
Gesetz gebeugt ... Von nun an, das fühl ich, hab ich zu nichts, zu gar
nichts mehr Mut.

ROSMER. Warum denn nicht? Und was ist das für ein Gesetz, unter das
du --?

REBEKKA. Rosmer, davon wollen wir heut lieber nicht sprechen ... Wie
steht es jetzt mit dir und dem Rektor?

ROSMER. Wir haben Frieden geschlossen.

REBEKKA. Ah so. Damit also hat die Sache geendet.

ROSMER. Er ließ all unsre alten Freunde zu sich kommen. Sie haben mich
überzeugt, daß ich für eine solche Mission, -- die Geister der Menschen
zu adeln, -- ganz und gar nicht geschaffen bin ... Und übrigens,
Rebekka, ist das auch an und für sich etwas so Hoffnungloses ... Ich
befasse mich nicht damit.

REBEKKA. Ja ja, -- das wird wohl das beste sein.

ROSMER. Das sagst du jetzt! Ist das =jetzt= deine Ansicht?

REBEKKA. Ja, zu dieser Ansicht bin ich gekommen. In den letzten paar
Tagen.

ROSMER. Rebekka, du lügst!

REBEKKA. Ich lüge --!

ROSMER. Ja, du lügst. Du hast nie an mich geglaubt. Niemals hast du
geglaubt, ich sei der Mann, diese Sache siegreich durchzukämpfen.

REBEKKA. Ich glaubte, wir beide zusammen würden sie zum Siege führen.

ROSMER. Das ist nicht wahr. Du glaubtest selber etwas großes im Leben
vollbringen zu können. Und mich glaubtest du als Werkzeug für deine
Absichten, deine Zwecke gebrauchen zu können. Dazu war ich geeignet.
=Das= hast du geglaubt!

REBEKKA. Nun hör mich an, Rosmer.

ROSMER (setzt sich traurig aufs Sofa). Ach laß mich! Jetzt seh ich der
ganzen Sache auf den Grund. Ich war wie ein Handschuh in deinen Händen.

REBEKKA. Rosmer, hör mich an. Sprechen wir uns hierüber aus. Es ist das
letzte Mal. (Sie setzt sich auf einen Stuhl neben dem Sofa.) Ich hatte
die Absicht, dir über all das zu schreiben, -- nach meiner Rückkehr in
die Finnmark. Aber es ist wohl das beste, ich sag es dir jetzt gleich.

ROSMER. Hast du mir noch ein Geständnis zu machen?

REBEKKA. Ja, das größte!

ROSMER. Das größte?

REBEKKA. Das, was du nie geahnt hast. Was allem andern Licht und
Schatten gibt.

ROSMER (schüttelt den Kopf). Ich versteh dich gar nicht.

REBEKKA. Es ist wahr, ich hab einmal meine Netze ausgeworfen, um hier
auf Rosmersholm Einlaß zu erhalten. Denn ich glaubte, hier würd ich wohl
mein Glück machen. Du begreifst -- auf die ein oder andre Weise.

ROSMER. Und was du erreichen wolltest, hast du erreicht.

REBEKKA. Ich glaube, damals hätt ich alles erreicht. Denn da hatt ich
noch meinen ungebändigten freigebornen Willen. Rücksichten kannt ich
nicht. Menschliche Verhältnisse schreckten mich nicht... Aber dann
begann das, was meinen Willen gebrochen und mich Zeit meines Lebens so
jämmerlich feig gemacht hat.

ROSMER. Was begann? Rede so, daß ich dich verstehn kann.

REBEKKA. Da kam es über mich -- dies wilde unbezwingliche Verlangen --!
O Rosmer --!

ROSMER. Verlangen? Du hattest --! Wonach?

REBEKKA. Nach dir.

ROSMER (will aufspringen). Was sagst du!

REBEKKA (hält ihn zurück). Bleib sitzen, Liebster. Hör weiter.

ROSMER. Und du willst behaupten -- du hättest mich geliebt -- in der
Weise!

REBEKKA. Damals glaubt ich, es müßte Liebe genannt werden. Und ich hielt
es auch für Liebe. Aber es war keine. Es war so, wie ich sagte. Ein
wildes unbezwingliches Verlangen.

ROSMER (mit Mühe). Rebekka, -- bist du es selbst, -- bist du es wirklich
selbst, von der du dies alles erzählst!

REBEKKA. Ja, was meinst du denn, Rosmer!

ROSMER. Also darum, -- von dieser Leidenschaft gestachelt, -- hast du
=gehandelt=, wie dus nennst.

REBEKKA. Es kam über mich wie ein Sturm am Meere. Wie einer jener
Orkane, wie wir sie zur Winterzeit da oben im Norden haben. Er packt
einen, -- und reißt einen mit fort, -- so weit er will. An Widerstand
kein Gedanke.

ROSMER. Und dieser Sturm fegte die unglückliche Beate hinab in den
Mühlbach.

REBEKKA. Ja, denn zu der Zeit wars zwischen Beate und mir ein Kampf auf
Leben und Tod, -- wie wenn auf einem Wrack zwei Schiffbrüchige
miteinander ringen.

ROSMER. Und du warst ja die stärkste auf Rosmersholm. Stärker als Beate
und ich zusammen.

REBEKKA. Dich kannt ich genügend, um zu wissen: kein Weg führte zu dir,
solange du unfrei warst in deinen Verhältnissen -- und in deinem Denken.

ROSMER. Aber ich begreife dich nicht, Rebekka. Du, -- du selbst, -- dein
ganzes Verhalten -- alles ist mir ein unlösbares Rätsel. Jetzt bin ich
ja frei, -- in meinem Denken und in meinen Verhältnissen. Du stehst nun
nah an dem Ziel, das du dir von Anfang an gesetzt hattest. Und
dennoch --!

REBEKKA. Nie war ich dem Ziel ferner als jetzt.

ROSMER. -- und dennoch, sag ich, -- als ich dich gestern fragte, -- dich
bat: werde mein Weib, -- da schriest du wie erschreckt auf: mein Weib
könntest du niemals werden!

REBEKKA. Rosmer, da schrie ich in Verzweiflung auf.

ROSMER. Warum?

REBEKKA. Weil Rosmersholm mich gelähmt hat. Meinem kraftvollen Willen
sind hier die Schwungfedern beschnitten. Und gebrochen! Für mich ist die
Zeit dahin, wo ich den Mut hatte, alles, alles zu wagen. Rosmer, ich
habe die Kraft zum Handeln verloren.

ROSMER. Sage mir, wie das gekommen ist.

REBEKKA. Durch mein Zusammenleben mit dir.

ROSMER. Aber wie? Wie denn?

REBEKKA. Als ich hier allein mit dir war, -- und als du wieder du selbst
geworden --

ROSMER. Ja, ja?

REBEKKA. -- denn niemals warst du ganz du selbst, solange Beate lebte --

ROSMER. Leider, darin hast du recht.

REBEKKA. Aber als ich dann hier zusammen mit dir lebte, -- in der
Stille, -- in der Einsamkeit, -- als du mir rückhaltlos all deine
Gedanken gabst, -- jede Stimmung, so zart und so fein wie du selbst sie
empfandest -- da vollzog sich die große Wandlung. Du begreifst: ganz
allmählich. Fast unmerklich, -- aber zuletzt mit =so= überwältigender
Macht --! Bis auf den innersten Grund meiner Seele.

ROSMER. O, Rebekka, was ist das!

REBEKKA. All das andre, -- jenes häßliche sinnenberauschende Verlangen,
das entrückte mir so weit, so weit! All diese empörten Mächte beruhigten
sich, wurden friedlich und stumm. Eine Gemütsruhe kam über mich, -- eine
Stille, wie bei uns da oben auf einem Vogelberg unter der
Mitternachtssonne.

ROSMER. Sage mir noch mehr. Alles, was du zu sagen hast.

REBEKKA. Es ist nicht viel mehr, Lieber. Nur dies eine noch, daß dann
die Liebe kam. Jene große entsagende Liebe, die sich mit dem
Zusammenleben begnügt; derart, wie es zwischen uns beiden war.

ROSMER. O, hätt ich von alldem nur die leiseste Ahnung gehabt!

REBEKKA. Wie es ist, so ist es am besten. Gestern, -- als du mich
fragtest, ob ich dein Weib werden wollte, -- da jubelt es in mir auf --

ROSMER. Ja, nicht wahr, Rebekka! So glaubt auch ich es zu verstehn.

REBEKKA. Einen Augenblick, ja. In meiner Selbstvergessenheit. Denn es
war mein alter stolzer Wille, der nach Freiheit rang. Aber jetzt hat er
keine Schwungkraft mehr, -- keine Ausdauer.

ROSMER. Wie erklärst du dir das, was mit dir geschehen ist?

REBEKKA. Es ist die Lebensanschauung der Rosmers, -- oder doch
jedenfalls =deine= Lebensanschauung, -- die hat meinen Willen
angesteckt.

ROSMER. Angesteckt?

REBEKKA. Und krank gemacht. Unter Gesetze gebeugt, die für mich früher
keine Geltung hatten. Rosmer, -- das Zusammenleben mit dir hat meine
Seele geadelt.

ROSMER. O, wenn ich das glauben könnte!

REBEKKA. Du kannst es getrost glauben. Die Lebensanschauung der Rosmers
adelt. Aber -- (schüttelt den Kopf) -- aber, -- aber --

ROSMER. Aber? Nun?

REBEKKA. -- aber, Rosmer, sie tötet das Glück.

ROSMER. Rebekka, das behauptest du!

REBEKKA. Jedenfalls mein Glück.

ROSMER. Aber weißt du das so gewiß? Wenn ich dich jetzt noch einmal
fragte --? Dich flehentlich bäte --?

REBEKKA. O, Liebster -- komm nie wieder darauf zurück. Es ist unmöglich!
Denn du mußt wissen, Rosmer, ich habe -- eine Vergangenheit!

ROSMER. Noch etwas andres als du mir erzählt hast?

REBEKKA. Ja. Andres und mehr.

ROSMER (mit schwachem Lächeln). Du, Rebekka, ist es nicht seltsam? Denke
dir, eine Ahnung von so etwas ging mir bisweilen flüchtig durch den
Sinn.

REBEKKA. Wirklich! Und dennoch --? Trotzdem --?

ROSMER. Ich hab nie daran geglaubt. Nur damit gespielt, -- verstehst du,
so in Gedanken.

REBEKKA. Wenn dus verlangst, will ich dir auch dies gleich erzählen.

ROSMER (abwehrend). Nein nein! Nicht ein Wort will ich hören. Was es
auch sei, -- ich kann vergessen.

REBEKKA. Aber ich nicht.

ROSMER. O, Rebekka --!

REBEKKA. Ja Rosmer, -- das ist das Furchtbare an meinem Schicksal:
jetzt, wo alles Erdenglück mir mit vollen Händen geboten wird, -- jetzt
bin ich so verwandelt, daß meine eigne Vergangenheit es mir versagt.

ROSMER. Deine Vergangenheit, Rebekka, ist tot. Sie hat keine Macht mehr
über dich, -- keine Beziehung mehr zu dir, -- so wie du =jetzt= bist.

REBEKKA. Ach, lieber Freund, das sind nur leere Worte. Und die
Schuldlosigkeit? Wo nehm ich =die= her?

ROSMER (traurig). Ja ja, -- die Schuldlosigkeit.

REBEKKA. Die Schuldlosigkeit, ja. Die gewährt das Glück und die Freude.
Das war ja die Lehre, die du all diesen zukünftigen fröhlichen
Adelsmenschen einpflanzen wolltest --

ROSMER. O, erinnre mich nicht daran. Rebekka, das war nur ein
nebelhafter Traum. Eine voreilige Idee, an die ich selbst nicht mehr
glaube .. Die Menschen, liebe Freundin, lassen sich nicht von außen her
adeln.

REBEKKA (leise). Meinst du, auch nicht durch stille Liebe?

ROSMER (gedankenvoll). Ja, das wäre das Große. Ich glaube, wohl das
Herrlichste im ganzen Leben ... Wenn es so wäre. (Rückt unruhig hin und
her.) Aber wie soll ich mit dieser Frage ins reine kommen? Wie sie
lösen?

REBEKKA. Glaubst du mir nicht, Rosmer?

ROSMER. Ach Rebekka, -- wie kann ich rückhaltlos an dich glauben? An
dich, die du hier so außerordentlich viel verdeckt und verheimlicht
hast!... Und nun kommst du mit diesem Neuen. Steckt eine Absicht
dahinter, so sage frei heraus, was es ist. Wünschest du vielleicht dies
oder jenes zu erlangen? Von Herzen gern will ich alles für dich tun, was
in meiner Macht steht.

REBEKKA (ringt die Hände). O diese grausamen Zweifel --! Rosmer, --
Rosmer --!

ROSMER. Ja, Rebekka, ist das nicht furchtbar? Aber ich kann es nicht
ändern. Niemals wird es mir gelingen, mich von den Zweifeln zu befreien.
Niemals werd ich die volle Gewißheit haben, ob du mit ganzer reiner
Liebe mein bist.

REBEKKA. Aber ist denn nichts in deiner eignen Brust, das dir bezeugt,
welche Wandlung mit mir geschehen ist! Und daß diese Wandlung durch
dich, -- nur durch dich geschehen ist!

ROSMER. Ach, Rebekka, an meine Fähigkeit, Menschen umzuwandeln, glaub
ich nicht mehr. Ich glaube nicht mehr an mich selbst; in keiner
Beziehung. Ich glaube weder an dich noch an mich.

REBEKKA (sieht ihn finster an). Wie willst du da das Leben noch länger
ertragen?

ROSMER. Ja, das weiß ich nicht. Das weiß ich selbst nicht. Und ich glaub
auch nicht, daß ichs noch zu ertragen vermag ... Und nichts, nichts weiß
ich auf der ganzen Welt, was mir das Leben lebenswert machen könnte.

REBEKKA. O, das Leben erneuert uns mit jedem Tage. Laß uns daran
festhalten, Rosmer ... Wir verlassen es noch früh genug.

ROSMER (springt unruhig auf). Dann gib mir meinen Glauben wieder! Den
Glauben an dich, Rebekka! Den Glauben an deine Liebe! Beweise! Beweise
will ich haben!

REBEKKA. Beweise? Wie kann ich dir Beweise geben --!

ROSMER. Du =mußt=! (Geht umher.) Ich ertrage sie nicht, diese Öde, --
diese fürchterliche Leere, -- diese, -- diese --

    (Es wird heftig an die Vorzimmertür geklopft.)

REBEKKA (fährt vom Stuhl auf). Ha, -- hörst du!

    (Die Tür geht auf. BRENDEL kommt herein. Er hat ein Oberhemd,
    schwarzen Überzieher und gute Stiefel an. Die Beinkleider stecken in
    den Stiefeln. Im übrigen ist er wie das vorige Mal gekleidet. Er
    sieht verstört aus.)

ROSMER. Ah, Sie sind es, Herr Brendel!

BRENDEL. Johannes, mein Junge, -- ich grüße dich, -- leb wohl!

ROSMER. Wo wollen Sie noch so spät hin?

BRENDEL. Bergab.

ROSMER. Wie --?

BRENDEL. Jetzt geh ich heimwärts, mein geliebter Jünger. Hab Heimweh
bekommen nach dem großen Nichts.

ROSMER. Es ist Ihnen etwas widerfahren, Herr Brendel! Was ists?

BRENDEL. Ah, du hast die Verwandlung bemerkt? Na, -- wundert mich nicht.
Als ich zum letzten Mal diese Hallen betrat, -- da stand ich als reicher
Mann vor dir und klopfte mir stolz auf die Brust.

ROSMER. Wieso! Ich versteh nicht recht --

BRENDEL. Aber so wie du mich heute nacht siehst, bin ich ein entthronter
König, sitzend auf den Trümmern meines niedergebrannten Schlosses.

ROSMER. Wenn ich Ihnen in irgend einer Weise helfen kann --

BRENDEL. Du hast dir dein Kindergemüt bewahrt, Johannes. Kannst du mir
ein Darlehn gewähren?

ROSMER. Jawohl, von Herzen gern!

BRENDEL. Kannst du ein paar Ideale entbehren?

ROSMER. Was sagen Sie?

BRENDEL. Ein paar abgelegte Ideale. Dann tust du ein gutes Werk. Denn
nun bin ich blank, mein guter Junge. Gesiebt und gebeutelt.

REBEKKA. Haben Sie Ihre Vorträge nicht gehalten?

BRENDEL. Nein, meine verlockende Dame. Denken Sie: just da ich parat
stehe mein Füllhorn auszuschütten, mach ich die schmerzhafte Entdeckung,
daß ich bankrott bin.

REBEKKA. Aber all Ihre ungeschriebnen Werke?

BRENDEL. Fünfundzwanzig Jahr hab ich da gesessen wie der Geizhals auf
seiner verschlossnen Geldkiste. Und da gestern abend, -- als ich öffne
und den Schatz hervorholen will, -- ist keiner drin! Der Zahn der Zeit
hatte ihn zu Staub zernagt. Von der ganzen Herrlichkeit war nichts übrig
geblieben, -- assolutamente niente.

ROSMER. Aber wissen Sie das auch ganz bestimmt?

BRENDEL. Für Zweifel, mein Liebling, ist hier kein Raum mehr. Der
Präsident hat mich davon überzeugt.

ROSMER. Der Präsident?

BRENDEL. Na, meinetwegen -- Seine Exzellenz. Tant qu'il vous plaîra.

ROSMER. Aber wen meinen Sie denn?

BRENDEL. Peter Mortensgaard natürlich.

ROSMER. Was!

BRENDEL (geheimnisvoll). Pst, pst, pst! Peter Mortensgaard ist der Herr
und Häuptling der Zukunft. Niemals stand ich vor eines Größern
Angesicht. Peter Mortensgaard besitzt die Gabe der Allmacht. Er kann
alles, was er will.

ROSMER. Ach glauben Sie doch das nicht.

BRENDEL. Doch, mein Junge! Denn Peter Mortensgaard will niemals mehr als
er kann. Peter Mortensgaard ist kapabel, das Leben ohne Ideale zu leben.
Und das, -- siehst du, -- =das= ist das große Geheimnis des Handelns und
des Erfolges. Das ist auf diesem Erdball die Summe aller Weltweisheit.
Basta!

ROSMER (leise). Jetzt begreif ich, daß Sie ärmer von hier fortgehn als
Sie kamen.

BRENDEL. Bien! Nimm dir also ein Exempel an deinem alten Lehrer. Lösch
alles aus, was er dir einst eingeprägt hat. Baue dein Schloß nicht auf
Flugsand. Und sieh dich vor, -- und untersuche erst deine Fahrstraße, --
eh du auf dies anmutreiche Wesen baust, das dir hier das Leben versüßt.

REBEKKA. Meinen Sie mich?

BRENDEL. Jawohl, verlockendes Meerweib.

REBEKKA. Warum sollt auf mich nicht zu bauen sein?

BRENDEL (kommt einen Schritt näher). Mir ist die Mitteilung geworden,
daß mein ehmaliger Jünger eine Lebensaufgabe zum Siege führen will.

REBEKKA. Nun -- und?

BRENDEL. Der Sieg ist ihm sicher. Aber, -- wohlgemerkt, -- unter einer
unerläßlichen Bedingung.

REBEKKA. Und die wäre?

BRENDEL (fasst sie zart am Handgelenk). Daß die Frau, die ihn liebt,
fröhlich in die Küche geht und ihren feinen rosaweißen kleinen Finger
abhackt, -- =hier=, -- just hier am Mittelglied. Item, daß bemeldetes
liebendes Weib -- wiederum fröhlich -- sich dies so unvergleichlich
geformte linke Ohr abschneidet. (Lässt sie los und wendet sich zu
ROSMER). Leb wohl, Johannes der Siegreiche.

ROSMER. Sie wollen jetzt fort? In der finstern Nacht?

BRENDEL. Die finstre Nacht -- das ist noch mein bester Freund. Friede
sei mit euch.

    (Er geht. -- Eine Weile ist es still im Zimmer.)

REBEKKA (atmet schwer auf). Ach, wie dumpf und schwül es hier ist! (Sie
geht ans Fenster, öffnet es und bleibt dort stehen.)

ROSMER (setzt sich in den Lehnstuhl am Ofen). Es bleibt uns wohl nichts
andres übrig, Rebekka. Ich sehs. Du =mußt= reisen.

REBEKKA. Ja, ich habe keine andre Wahl.

ROSMER. Nützen wir die letzten Augenblicke. Komm, setz dich hier zu mir.

REBEKKA (geht hin und setzt sich aufs Sofa). Was wünschest du von mir,
Rosmer?

ROSMER. Zunächst möcht ich dir sagen, daß du um deine Zukunft nicht
besorgt zu sein brauchst.

REBEKKA (lächelt). Hm. =Meine= Zukunft.

ROSMER. Ich hab an alle Möglichkeiten gedacht. Schon lange. Was auch
kommen mag, für dich ist gesorgt.

REBEKKA. Auch das, du guter Mann.

ROSMER. Das hättest du dir doch selbst sagen können.

REBEKKA. Seit Jahr und Tag hab ich an so etwas nicht mehr gedacht.

ROSMER. Ja ja -- du meintest wohl, es könnte nie anders zwischen uns
werden als es war.

REBEKKA. Ja, das glaubt ich.

ROSMER. Ich auch. Aber wenn ich nun fortginge --

REBEKKA. Ach, Rosmer, -- du wirst länger leben als ich.

ROSMER. Über dies erbärmliche Leben darf ich doch wohl selbst verfügen.

REBEKKA. Was bedeutet das! Du denkst doch nicht daran --!

ROSMER. Scheint dir das so seltsam? Nach der schmachvollen jämmerlichen
Niederlage, die ich erlitten habe! Ich, der ich meine Lebensaufgabe zum
Siege führen wollte --. Und nun hab ich die Flucht ergriffen, -- noch
bevor die Schlacht ordentlich begonnen hatte!

REBEKKA. Rosmer, nimm den Kampf wieder auf! Versuchs nur, -- und du
sollst sehn, du siegst! Hunderte, -- Tausende von Geistern wirst du
adeln. Versuch es nur!

ROSMER. Ach, Rebekka, -- ich, der ich nicht mehr an meine eigne
Lebensaufgabe glaube.

REBEKKA. Aber deine Sache hat ja schon die Probe bestanden. =Einen=
Menschen hast du jedenfalls geadelt. Mich ... für mein ganzes übrige
Leben.

ROSMER. O -- wenn ich dir das glauben dürfte!

REBEKKA (presst die Hände zusammen). Ach, Rosmer, -- gibt es denn
nichts, -- garnichts, was dich davon überzeugen könnte?

ROSMER (fährt wie von Angst ergriffen zusammen). Hör auf! Rebekka, rühre
nicht mehr daran! Kein Wort mehr!

REBEKKA. Ja, grade hiervon müssen wir sprechen. Weißt du etwas, das den
Zweifel ersticken könnte? =Ich= weiß nichts.

ROSMER. Es ist für dich am besten so, daß du nichts weißt ... Am besten
so für uns beide.

REBEKKA. Nein nein nein, -- damit geb ich mich nicht zufrieden! Weißt du
etwas, das mich in deinen Augen freispricht, so fordre ich als mein
Recht, daß dus nennst.

ROSMER (wie unwillkürlich, gegen seinen eignen Willen gezwungen zu
sprechen). Dann laß uns sehen ... Du sagst, du hättest die große Liebe.
Durch mich sei dein ganzes Wesen geadelt. Ist das wahr? Ist deine
Rechnung richtig, Rebekka? Sollen wir die Probe auf das Exempel machen?
Ja?

REBEKKA. Ich bin bereit.

ROSMER. Jederzeit?

REBEKKA. Wann du willst. Je eher je lieber.

ROSMER. Wohlan, Rebekka, -- beweise mir, -- ob du, -- um meinetwillen,
-- noch heut abend --. (Bricht ab.) Ach nein, nein nein!

REBEKKA. Ja, Rosmer! Ja ja! Sags, und du sollst sehn!

ROSMER. Hast du den Mut, -- bist du bereit, -- fröhlich, wie Ulrich
Brendel sagte, -- um meinetwillen, noch in dieser Nacht, -- fröhlich, --
denselben Weg zu gehn, -- den Beate ging?

REBEKKA (erhebt sich langsam vom Sofa und sagt fast unhörbar).
Rosmer --!

ROSMER. Ja, Rebekka, -- das ist die Frage, die mir ewig durch den Kopf
gehn wird, -- wenn du abgereist bist. Zu jeder Stund und Minute wird sie
sich einstellen. O, mir ist, als seh ich dich leibhaftig vor mir. Du
stehst draußen auf dem Steg. Grad in der Mitte. Nun beugst du dich übers
Geländer! Ein Schwindel packt dich, es zieht dich hinab in die
rauschende Flut! Nein. Du weichst zurück. Wagst nicht, -- was =sie=
wagte.

REBEKKA. Aber wenn ich nun doch diesen Mut hätte? Und den fröhlichen
Willen? Was dann?

ROSMER. Dann müßt ich dir wohl glauben. Dann müßt ich wohl den Glauben
an meine Lebensaufgabe wiedergewinnen. Den Glauben an meine Fähigkeit,
die Herzen der Menschen zu adeln. Den Glauben, daß die Menschenherzen
adelsfähig sind.

REBEKKA (nimmt langsam ihren Schal, schlägt ihn über den Kopf und sagt
mit Ruhe). Du sollst deinen Glauben wieder haben.

ROSMER. Rebekka, du hast den Mut und den Willen -- zu diesem Schritt?

REBEKKA. Darüber magst du dir morgen ein Urteil bilden, -- oder später,
-- wenn sie mich aufgefunden haben.

ROSMER (fasst sich an die Stirn). Ha! Welch verlockendes Grauen packt
mich --!

REBEKKA. Denn ich möchte nicht gern da unten liegen bleiben. Nicht
länger als notwendig ist. Es muß dafür gesorgt werden, daß sie mich
finden.

ROSMER (springt auf). Aber dies alles, -- das ist ja Wahnsinn! Reise, --
oder bleib! Ich will dir auch diesmal auf dein bloßes Wort glauben.

REBEKKA. Redensarten, Rosmer. Du, jetzt nicht wieder Feigheit und
Flucht! Wie kannst du fortan mir je wieder auf mein bloßes Wort hin
glauben?

ROSMER. Aber, Rebekka, ich will deine Niederlage nicht sehen!

REBEKKA. Es wird keine Niederlage.

ROSMER. Doch, doch! Niemals wirst dus über dich bringen, Beatens Weg zu
gehen.

REBEKKA. Das glaubst du?

ROSMER. Niemals. Du bist nicht wie Beate. Du stehst nicht unter der
Herrschaft einer verpfuschten Lebensanschauung.

REBEKKA. Aber ich befinde mich jetzt in der Gewalt der Rosmerschen
Lebensanschauung. Was ich verbrochen, -- das muß ich sühnen.

ROSMER (sieht sie fest an). Stehst du auf =dem= Standpunkt!

REBEKKA. Ja.

ROSMER (entschlossen). Nun gut. Dann, Rebekka, steh ich unter der
Herrschaft unsrer freiern Lebensanschauung. Über uns gibt es keinen
Richter. Und deshalb müssen wir uns selber richten.

REBEKKA (missdeutet seine Worte). Auch das. Auch das. Mein Fortgehen
wird das Beste in dir retten.

ROSMER. Ach, an mir ist nichts mehr zu retten.

REBEKKA. Doch. Aber ich, -- fortan würd ich nur noch einem Meergespenst
gleichen, das das Schiff, auf dem du dahinsegeln sollst, in seinem Lauf
hemmte. Ich muß über Bord. Oder soll ich vielleicht hier oben auf der
Welt bleiben und mein verkrüppeltes Leben noch weiter hinschleppen? Ewig
brüten und grübeln über das Glück, um das meine Vergangenheit mich
betrogen hat? Ich, Rosmer, muß das Spiel aufgeben.

ROSMER. Wenn du gehst, -- dann geh ich mit --.

REBEKKA (lächelt fast unmerklich, sieht ihn an und sagt leiser): Ja,
Lieber, komm mit -- und sei Zeuge --

ROSMER. Ich geh mit dir, sag ich.

REBEKKA. Bis zum Steg, ja. Ihn zu =betreten= getraust du dich ja nicht.

ROSMER. Hast du das bemerkt?

REBEKKA (traurig und gebrochen). Ja ... Das wars, was meine Liebe
hoffnungslos machte.

ROSMER. Rebekka, -- nun leg ich meine Hand auf dein Haupt. (Tut es.) Und
traue dich mir an als mein Weib.

REBEKKA (ergreift seine beiden Hände und neigt den Kopf an seine Brust).
Dank, Rosmer, Dank. (Lässt ihn los.) Und nun geh ich -- fröhlich.

ROSMER. Mann und Weib gehen gemeinsam.

REBEKKA. Nur bis zum Steg, Rosmer.

ROSMER. Auch =auf= den Steg. So weit du gehst, -- so weit geh ich mit.
Denn jetzt getrau ich mich.

REBEKKA. Bist du überzeugt, unerschütterlich fest überzeugt, -- daß
dieser Weg für dich der beste ist?

ROSMER. Ich weiß, es ist der einzige.

REBEKKA. Wenn du dich darin irrtest? Wenn es nur eine Sinnestäuschung
wäre? Eins von diesen weißen Rossen auf Rosmersholm.

ROSMER. Mag sein. Denn diesen entgehn wir ja doch nicht, -- wir hier auf
dem Hofe.

REBEKKA. So bleib, Rosmer!

ROSMER. Der Mann muß seinem Weibe folgen, wie das Weib dem Manne.

REBEKKA. Ja, =das= sage mir erst. Folgst du mir? Oder folg ich dir?

ROSMER. Das werden wir nie ganz ergründen.

REBEKKA. Ich möcht es doch gern wissen.

ROSMER. Wir folgen einander, Rebekka. Ich dir, und du mir.

REBEKKA. Das glaub ich fast auch.

ROSMER. Denn nun sind wir beiden =eins=.

ROSMER. Ja. Nun sind wir =eins=. Komm! Wir gehn fröhlich.

    (Sie gehen Hand in Hand durch das Vorzimmer hinaus. Man sieht, dass
    sie sich nach links wenden. Die Tür bleibt hinter ihnen offen. --
    Das Zimmer bleibt eine kleine Weile leer. Dann wird die Tür rechts
    von FRAU HILSETH geöffnet.)

FRAU HILSETH. Fräulein, -- nu ist der Wagen --. (Sieht sich um.) Nicht
hier? Um diese Zeit zusammen aus? Na, sowas, -- da muß ich doch
sagen --! Hm! (Geht ins Vorzimmer, sieht sich um und kommt wieder
herein.) Auch nicht auf der Bank. Ach nein, nein. (Tritt ans Fenster und
blickt hinaus.) Jesus Christus! Das Weiße dort --! -- Ja, wahr und
wahrhaftig, stehn beide auf dem Steg! O, die sündigen Menschen! Gott
verzeih ihnen! Schlingen die Arm um 'nander! (Schreit laut auf.) Ha! --
hinab -- alle beide! Hinab in die Flut! Hülfe! Hülfe! (Die Knie
schlottern ihr, sie hält sich zitternd an der Stuhllehne fest und vermag
die Worte kaum hervorzubringen.) Nein. Da ist keine Rettung möglich ...
Die selige Frau hat sie geholt.

                   *       *       *       *       *

Schiemann & Co, G.M.B.H., Zittau.




  [ Im folgenden werden alle geänderten Textzeilen angeführt, wobei
    jeweils zuerst die Zeile wie im Original, danach die geänderte Zeile
    steht.

  Und Rebek -- Fräulein West und ich wir haben beide das Bewußtsein, daß
  Und Rebek -- Fräulein West und ich, wir haben beide das Bewußtsein, daß

  KROLL (sieht sie abwechselnd an). Aber, lieben Freunde, was in aller
  KROLL (sieht sie abwechselnd an). Aber, liebe Freunde, was in aller

  BRENDEL (erst unsicher, geht dann schnell auf den REKROR zu und hält ihm
  BRENDEL (erst unsicher, geht dann schnell auf den REKTOR zu und hält ihm

  =zwingen=, zu uns zurückzukehreu.
  =zwingen=, zu uns zurückzukehren.

  KROLL. O Kroll, -- wie tief, -- wie niedrig stehst du jetzt!
  ROSMER. O Kroll, -- wie tief, -- wie niedrig stehst du jetzt!

  MORTENSGAARD. Darf ich im» Leuchtturm« erzählen, daß Sie jetzt andre
  MORTENSGAARD. Darf ich im »Leuchtturm« erzählen, daß Sie jetzt andre

  Geistesrichtung würde schwer darunter su leiden haben ... Leben Sie
  Geistesrichtung würde schwer darunter zu leiden haben ... Leben Sie

  die große Neuigkeit in den »Leuchturm«.
  die große Neuigkeit in den »Leuchtturm«.

  REBEKKA. Ja, ich habs getan, Er sagte das so boshaft, -- das über mein
  REBEKKA. Ja, ich habs getan. Er sagte das so boshaft, -- das über mein

  REBEKKA (leidensehaftlich). O, sprich mir nicht von Beaten! Denke nicht
  REBEKKA (leidenschaftlich). O, sprich mir nicht von Beaten! Denke nicht

  KROLL (steht auf). Aber mein liebes Fräulein, -- warum ins Himmels Namen
  KROLL (steht auf). Aber mein liebes Fräulein, -- warum in Himmels Namen

  REBEKKA. Ja, Rosmer --. (Sieht auf.) Bleib sitzen. Sie auch, Herr
  REBEKKA. Ja, Rosmer --. (Steht auf.) Bleib sitzen. Sie auch, Herr

  KROKL (erhebt sich). -- auf diese Irrwege lockte!
  KROLL (erhebt sich). -- auf diese Irrwege lockte!

  REBEKKA, Ja.
  REBEKKA. Ja.

  REBEKKA. All das andre, -- jenes häßliche sinnnenberauschende Verlangen,
  REBEKKA. All das andre, -- jenes häßliche sinnenberauschende Verlangen,

  ROSEMR. Wie --?
  ROSMER. Wie --?

  ROSMER. Ja, Rosmer! Ja ja! Sags, und du sollst sehn!
  REBEKKA. Ja, Rosmer! Ja ja! Sags, und du sollst sehn!

  ]






End of the Project Gutenberg EBook of Rosmersholm, by Henrik Ibsen

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1.B.  "Project Gutenberg" is a registered trademark.  It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement.  There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement.  See
paragraph 1.C below.  There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
works.  See paragraph 1.E below.

1.C.  The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
Gutenberg-tm electronic works.  Nearly all the individual works in the
collection are in the public domain in the United States.  If an
individual work is in the public domain in the United States and you are
located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
are removed.  Of course, we hope that you will support the Project
Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
the work.  You can easily comply with the terms of this agreement by
keeping this work in the same format with its attached full Project
Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.

1.D.  The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work.  Copyright laws in most countries are in
a constant state of change.  If you are outside the United States, check
the laws of your country in addition to the terms of this agreement
before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
creating derivative works based on this work or any other Project
Gutenberg-tm work.  The Foundation makes no representations concerning
the copyright status of any work in any country outside the United
States.

1.E.  Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1.  The following sentence, with active links to, or other immediate
access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org

1.E.2.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
and distributed to anyone in the United States without paying any fees
or charges.  If you are redistributing or providing access to a work
with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
1.E.9.

1.E.3.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
terms imposed by the copyright holder.  Additional terms will be linked
to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
permission of the copyright holder found at the beginning of this work.

1.E.4.  Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5.  Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6.  You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
word processing or hypertext form.  However, if you provide access to or
distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
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request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
form.  Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7.  Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

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that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
     the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
     address specified in Section 4, "Information about donations to
     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
your equipment.

1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit: http://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     http://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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