Die Schwägerinnen. Zweiter Theil.

By Henriette Wilhelmine Arndt Hanke

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Title: Die Schwägerinnen. Zweiter Theil.

Author: Henriette Hanke

Release Date: October 4, 2015 [EBook #50128]

Language: German


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  Die Schwägerinnen.

  Roman
  von
  Henriette Hanke
  geb. Arndt.

  Zweiter Theil.


    Ist die Natur nicht mit dem Glück im Bunde,
    Dann kommt sie übel fort, wie jede Saat,
    Die man gesäet auf fremdem falschen Grunde.

      _Dante Alighieri._


  Hannover, 1836.
  Im Verlage der Hahnschen Hofbuchhandlung.




Graf Frankenstern war der letzte Sprößling eines alten fränkischen
Geschlechts. Früh verwais't, seinem Stammhaus entfremdet, hatte er den
Besitz der deutschen Standesherrschaft Bonna und Bühle, einer Spaltung
der Familie und dem Unglück seines Oheims zu danken, der vier kräftige
Söhne in der Blüthe ihrer Jugend hinsterben sah, um dies reiche Majorat
einem kränklichen Neffen zu hinterlassen, der schon im Sarge gelegen.
Graf Frankenstern war von Kindheit an zu Starrkrampf geneigt, und in
solchem Zustande einmal für todt gehalten worden. Ein rettender Zufall
gab ihn dem Leben zurück; doch den tiefen Eindruck jener entsetzlichen
Gefahr nahm die Oberfläche der Welt nicht mehr hinweg. Dem edlen
Gesichte blieben leichenhafte Züge, ein Grauen vor Allem, was an das
Grab erinnert, wurzelte tief in der Natur dieses Erstandenen, und jene
bange einsame Ruhe, welche die Todten umschwebt, wich nie von seiner
blassen Stirne. --

Von seinem Oheim mit kalter Strenge behandelt, hatte Graf Frankenstern
schon zeitig das Weh empfunden, ein aufgedrungener Erbe zu seyn. Kein
inniges Band zärtlicher Achtung knüpfte ihn an seine Verwandten, Liebe
machte seine dankbare Pflicht nicht freiwillig: das Schloß zu Bonna war
eine Oede des Hasses für seinen künftigen Herrn. Als dieser nun auf
eine ferne Ritterschule kam, fühlte er sich zum erstenmale gesellig
glücklich, und in einem Zusammenhange, der sein Herz erweiterte.
Vorzugsweise schloß er sich an einen jungen Edelmann fremder
Abkunft, und vielleicht war es weniger manches Gleiche in den äußern
Verhältnissen der beiden Jünglinge, als ihre innerste Verschiedenheit,
was diese Freundschaft begründete.

Sylvius de Romana war durch ein seltsames Geschick von den Küsten seiner
Heimath auf den Boden dieses Landes verschlagen worden. Seine Vorfahren
hatten großen Rang und Reichthum in Spanien behauptet, doch den
Umschwung ihres zeitlichen Glückes erfahren, und seitdem die schwebende
Fortuna auf andern Stellen der Erdkugel gesucht. Eine junge verwittwete
Dame jenes einst glänzenden Namens bewohnte im Gebiet von Valencia ein
verfallnes Landhaus am Meere. Sie hatte den Gemahl auf einer Seereise
verloren, und den letzten schmerzlichen Trost entbehrt, seinen Leichnam
gesehen zu haben. Sein Ebenbild, ein holder Knabe, war ihr einziges
Glück! -- Nach einer stürmischen Gewitternacht, in der ein Schiff
verunglückt war, fand Donna Romana einen Mann besinnungslos an einen
Balken geklammert, unter Trümmern am Strande. Sein Blut floß aus einer
Armwunde, die er im Kampf gegen den Untergang davon getragen haben
mogte, sacht in den glühenden Sand. Dieser traurige Anblick regte in der
Spanierinn Erinnerungen auf, die sie bestimmten, sich des Ohnmächtigen
anzunehmen. Sie glaubte noch schwache Spuren des Lebens in ihm zu
entdecken. Es war der Kaufmann, den jener Verlust betroffen; doch die
Dame dachte nur an ihren eigenen, indem sie ihm Hülfe leistete. Sie ließ
ihn in das Landhaus tragen und pflegte sein mit samaritischem Geist. Er
erkrankte schwer, das Fieber ward durch die schädlichen Einflüsse des
Climas und der Jahreszeit auflösend; doch er genas, und kaum war der
Sieg seiner rüstigen Natur entschieden, als die gute Dame ein Opfer
ihrer Menschenfreundlichkeit ward. Die Dame richtete die schwarzen
Augen, vor denen die Schatten des Todes schwebten, auf den
unglückseligen Gast, der händeringend an ihrem Lager stand -- dann
erlosch ihr Blick, dieser mütterliche Strahl, auf dem weinenden Gesicht
ihres Kindes. Der Kaufmann vergaß niemals diesen Blick. Das Lächeln,
womit die Mutter starb, als sie ihren Sohn in den Armen jenes Mannes
und sich verstanden sah, hatte ein Testament in sein redliches Herz
geschrieben, mit Zügen, die keine Zeit verwischte. Niemand that
Einspruch, als der Fremdling den kleinen Romana als sein Eigenthum
ansah, und sobald er dazu im Stande war, ihn fortführte von dieser
traurigen Küste. Der kleine Sylvius nahm nichts von dort mit sich
hinweg, als ein dämmerndes Gedenken an die Schönheit seines Vaterlandes,
eine Sprache, die in der Stimme seiner Mutter lebenslang wie
Frühlingslaut an seine Seele rührte -- und das Blut seiner Nation, das
stolz und heiß in seinen Adern floß. Im Hause des Kaufmanns kam dem
Knaben daher -- sprüchwörtlich gesagt -- Alles spanisch vor, und nichts
heimisch. Bis dahin hatte er im Garten des mütterlichen Landhauses
unter einer Dattelpalme, in deren Kern sich bekanntlich die
Seidenraupe einspinnt, den langen Tag der Kindheit verträumt, und,
ein Fischerliedchen summend, kleine Grotten von Muscheln gebaut. Jetzt
schirmte ihn zwar auch der Baum des Friedens und des Fleißes; aber der
Ernst eines geschäftsthätigen Lebens rief seine Kräfte zu nützlicher
Uebung auf. Das jüngste Töchterchen des Kaufmanns hatte sich mit Sylvius
in eine Art von Verständniß zu setzen gewußt, die andern Geschwister
nicht. Die kleine Blanka schien ihm ein Engel, und waltete schützend
um ihm wie ein solcher. Einst sagte sie bittend: »Vater! lasse doch den
kleinen Ritter --« der Kaufmann lächelte zu dieser anmuthigen Benennung,
-- »nicht mehr in die Manufactur gehen; das Getöse der Webstühle macht
ihm Kopfschmerz.« Der Vater legte seine Hand auf die blonden Flechten
seines Kindes und sprach: »das Meer, daran die Wiege Deines kleinen
Freundes gestanden, toset viel stärker, Blanka!«

Aber er sorgte dafür, daß Sylvius bald darauf in verhältnißmäßige
Aufsicht käme, und brachte ihn später in jenes adelige Institut, wo
er sich, wie wir bereits erwähnt, mit Graf Frankenstern freundlich
zusammenfand. Als die Zeit ihrer Trennung gekommen war, dachten sie
kaum, wann? und wo? ein günstiger Stern sie wieder vereinigen werde, und
eben so wenig daran, einen Briefwechsel zu verabreden. Das Band einer
jugendlichen Freundschaft hält sich so stark, daß es keiner Verknüpfung
dieser Art bedarf oder zu bedürfen glaubt.

Graf Frankenstern kehrte nach Bonna zurück, und nahm die Stellung ein,
auf die er Ansprüche hatte. Die Welt zog ihn in ihre Kreise, ohne daß er
sich ihrem Interesse hätte anschließen können; immer war und blieb der
Hang zur Einsamkeit vorherrschend in ihm.

Als er nach dem Tode seines Oheims die Güter antrat, meinte er, es
sey nun schicklich, daß er sich vermähle. Wenig zugänglich für
leidenschaftliche Gefühle der Liebe, richtete er mit ruhiger Ueberlegung
sein Augenmerk auf die Töchter edler Herkunft, und seine Wahl fiel auf
ein liebes, leutseliges Wesen, welches den Grafen durch eine Ahnung
von Stille für sich einnahm, die in diesem Gemüth wohne, und ihn ein
Uebereinstimmen ihrer Neigungen hoffen ließ. Ein so glänzendes Loos
wäre dem Fräulein nicht im Traume eingefallen. Dies liebenswerthe Kind,
elternlos und unbegütert, lebte in Mitten einer hochmüthigen Familie,
hart gedrückt, und war, ohne Aussicht auf eine andere Versorgung,
entschlossen gewesen, den Schleier zu nehmen, der damals noch manches
Mädchen durch freiwillige Entsagung vor dem Schmerz schützte, unbegehrt
von einem Manne zu bleiben. Der irdische Bräutigam kam bei dem Fräulein
dem himmlischen zuvor, und ein beinahe fürstlicher Brautschatz machte es
dem Gelübde der Armuth untreu.

Aber es schien doch, als ob jene Idee Beruf und Element dieser
jungfräulichen Seele gewesen wäre. Ein klösterlicher Hauch -- wenn wir
so sagen dürften -- schwebte um die Gestalt der jungen Gräfinn, und
die Blume ihres Glückes hatte einen Athem von Resignation. Sie verehrte
ihren Gemahl gleich einem Schutzheiligen, hütete sich sorgsam, gegen
seine Eigenheiten zu verstoßen, deren der Graf wirklich viele hatte;
doch war es nur Achtung, nicht Liebe, was die Gräfinn so zart in ihren
Pflichten machte. In ihrem Herzen blieb eine Lücke, welche der ganze
Vollbesitz ihrer Lage nicht auszufüllen vermogte. Einen verborgenen
Kummer trug sie darüber. In ihrer linken Brust war eine kleine
Verhärtung entstanden, die Gräfinn wußte nicht wie? Sie hatte lange
keine Gelegenheit, einen Sachverständigen um Rath zu fragen, und dann
eine schmerzliche Schaam zu überwinden, als es später doch geschah. Der
Graf duldete keinen Wundarzt erster Classe im Bereich seiner Herrschaft,
und der Bader des Ortes mußte sich wie ein Geächteter seinem Blick
entziehen. Als die Gräfinn ihrem Gemahl sanfte Vorstellungen zu machen
pflegte, ward er heftig und sagte: »nein, nein! meine Liebste! solch ein
Messer in der Hand des Chirurgs, was er mit Gleichgültigkeit entblößt,
während das arme Opfer zitternd sitzt und nach dem furchtbaren Stahl
zitternd hinblinzelt -- ist mir nicht viel anders, als ob ich ein
Richtschwert schwingen sähe. --« Ein jäher Krampf flog über seine Züge,
die Gräfinn erbleichte -- und es war nie mehr die Rede davon.

Nur zum Behuf des Gottesdienstes durften die Glocken in Bonna geläutet
werden; die Todten wurden ohne Sang und Klang bestattet. Der Graf
entschädigte die Geistlichkeit für den Verlust, den sie an diesen
stillen Begräbnissen erlitt, sehr freigebig. Doch, wie väterlich er
für seine Unterthanen sorgte, ihnen Krankenhäuser baute, nasse Augen
heimlich trocknete, und sich als den Schutzfreund ihrer Wittwen und
Waisen bewies, so verziehen sie es ihm doch nicht, daß er ihnen den
Genuß öffentlicher Trauer und Thränen raubte; das Gepränge mit ihren
Todten galt ihnen mehr, als die Zufriedenheit der Lebendigen. Daß ihr
gütiger Grundherr einen Grund zu diesem Verfahren haben müsse, dies
sahen sie nicht ein. Der Graf fühlte jedesmal eine Anwandlung seiner
Krankheit, so oft er einen Leichenzug erblickte. Endlich machte er
seinen Unterthanen den Vorschlag, ihre Gestorbenen zu verbrennen,
und diese classische Idee wurzelte in seiner nervösen Furcht vor der
Möglichkeit, lebendig begraben zu werden. Alle Spuren der Verwesung
wären dann vertilgt vom Boden seines Gebiets, und er war Willens, der
Erfüllung dieses Wunsches Denen, die sich ihm fügten, große Vortheile
einzuräumen. Der Aschenkrug, darin die Reste der guten Landleute von
Bonna gesammelt würden, sollte ein volles Maß von Wohlergehen über sie
ausgießen. -- Aber es gab einen Aufruhr -- und wenig fehlte, so hätten
sie das Schloß gestürmt und den Grafen gesteinigt. Nur die abgöttische
Hochachtung vor seiner Gemahlinn hielt das Volk von roher Unbill zurück.

Von dieser Zeit an ward Graf Frankenstern mit Vorurtheil gehaßt. Dies
nährte seinen tiefsinnigen Stolz, und er verschloß sich in sich
selbst; nur das Gefühl, geliebt zu seyn, macht populair. Seine Güte
war Grundsatz, deshalb erschütterte ihn der Undank nicht; aber er stand
allein, und auf einer schroffen Spitze.

»Das wollen wir erleben, _Der_ wird noch überschnappen --« sagte der
Bader, so oft er eine alte Gevatterinn zur Ader ließ, beflissen, den
Widerwillen des Grafen gegen seine Person auf eine Art zu erklären, die
nur Jenem schadete. So kam das Gerücht in Umlauf, es sey nicht richtig
mit ihm. Und da die Sage es ist, welche Verhältnisse schafft, so wie
nicht selten durch die Meinung Zustände entstehen: so schwebte auch
dieserhalb Graf Frankenstern in Gefahr, für wahnsinnig gehalten zu
werden.

Mit jener tiefen Wehmuth, die nur die Reichen dieser Welt kennen, die da
wissen, wie nichtig eitler Besitz für das Bedürfniß des Glückes sey
-- entäußerte sich die Gräfinn ihrer Vorzüge, und meinte das Beste
zu entbehren, da es nicht in ihrem Vermögen läge, ihren Gemahl zu
erheitern. Sie glaubte, seine finstere Seele werde sanften Eindrücken
sich öffnen, als sie sich Mutter fühlte, und ihr ganzes Herz hing
an diese Hoffnung. Die Gräfinn ward von einem Knaben entbunden, aber
schwer; es mußte ein Geburtshelfer geholt werden. Der Graf hielt sich
in seinen Zimmern, und kam nicht eher wieder zum Vorschein, bis man ihm
sagte, Alles wäre vorüber.

Wie duldsam die Gräfinn nun auch war, eine kleine Empfindlichkeit, so
weit ihre Schwäche sie zuließ, konnte sie doch nicht bergen. Und als das
Kind nach kurzer Zeit an Krämpfen starb, brachte der Gedanke, mit welch
einsamen Schmerzen sie es geboren, und daß die Natur des Vaters es
ihr entrissen -- die Mutter aus dem Gleichgewicht sanftmüthiger
Gelassenheit, so daß sie schwankte, zwischen Groll und Gram. Der Graf
weigerte sich, den kleinen Leichnam zu sehen, und seine Gattinn fühlte
sich verlassen wie eine Wittwe, da sie ihn mit ihren mütterlichen
Thränen salbte. »Mein Kind, mein süßes, kleines Kind!« jammerte die
Gräfinn, »so mußtest Du mir hinsterben, bewußtlos wie eine Blume
einschläft, die in tödtendem Frost erschauert! -- Und kaum habe ich das
Blinken Deines Auges gesehen, keinen Blick des Verstandes. --«

»Das Kind war weise --« sprach der Graf am Fenster eines Coridors, wo er
in der umgebenden Stille die Klage seiner Frau vernommen hatte.

»_Weiß_? sagst Du?« fragte die Gräfinn, aufhorchend, welch ein Wort
der stumme, scheinbar kalte Vater fallen ließe, und schritt mit matten
Schritten näher, »nein, da irrst Du, mein Gemahl! es hatte von Geburt an
eine blaurothe Farbe.«

»Es war _weise_, sagte ich,« betonte der Graf, »denn es sträubte sich
gegen das Licht dieser Welt, und hat sie bald wieder verlassen, weil
sich die Mühe des Lebens nicht verlohnt.«

Diese Worte schnitten mit zwiefachem Weh in die Seele der Mutter, sie
erinnerten an Stunden der Angst, und zeigten, welch eine düstere Ansicht
ihr Gemahl von einem Daseyn hätte, das Schätze über seinem Haupte
gehäuft, ohne ihm eine Freude abzugewinnen.

Die Gräfinn konnte sich nicht von dem Anblick ihres Kindes trennen, und
hätte es lieber wie ein Bild unter Glas und Rahmen gesetzt. Sie schützte
vor, es könne wohl gar in Starrsucht liegen; aber es lag im Arm des
Todes.

Der Graf hatte die ganze Zeit unbeschreiblich gelitten, und sein
bleiches, verstörtes Gesicht forderte Schonung für seinen Zustand.
Da dieser Zustand nun das Geheimniß eines Leidens war, was innig
verflochten in das wundervolle Gewebe der Nerven, nicht minder eine
Krankheit der Seele wie des Körpers genannt werden können, und die
Menschen in der Regel nur ein mitleidiges Auge für sichtbare Uebel
haben: so schonte selbst die Gräfinn bei aller natürlichen Zartheit der
Empfindung, ihren Gemahl nicht immer genug. Wir wollen bedenken, daß
der Gräfinn jenes Gefühl für ihn abging, welches allein den Geist zu
durchdringen vermag: die _Liebe_ -- das tiefste Verständniß! --

Ob wir auch Tugenden an dieser liebenswürdigen Frau rühmen müssen,
die kein Gemeingut ihres Geschlechts sind, und nur das Eigenthum der
edelsten weiblichen Seelen, so war sie doch als Evas Tochter von einer
kleinen Schwäche nicht frei. Der Reiz des Versagten wirkte auf
ihren bescheidenen Sinn. In absonderlicher Hinneigung zu Aerzten und
Wundärzten, nahm sie den geringsten Anlaß wahr, ihre Kunst anzusprechen,
selbst den Bader von Bonna grüßte sie freundlich und bedeutsam -- was
freilich zur Ehre eines vergütenden Willens erklärt werden könnte. Für
die Utensilien des Todes hatte die Gräfinn ein bemerkendes Interesse;
und so wie Jemand das, was eine Gestalt in ihm gewonnen, in jedem
Gegenstande erblickt: so prägte sich ihr Alles zu Bildern der
Sterblichkeit aus.

Im Verschluß ihres Gemahls befand sie eine Chatoulle, worin die Juwelen
der Familie aufgehoben lagen. Dies Kästchen, von einer Form, wie man
auch jetzt noch, nur im kleinsten Verhältniß, ein kompendiöses Nähzeug
für Damen kennt, war von dunklem Saffian; um die schmal abwärts laufende
Höhe zog sich eine feine stählerne Gallerie, Schloß und Handhaben waren
massiv und von Silber. Die Gräfinn, gleichgültig gegen Schmuck und Putz,
so daß sie als Braut jedes schimmernde Geschenk verschmäht hatte,
liebte von allem Geschmeide nur Perlen. Eines Tages erwähnte sie
gesprächsweise, daß die Perlen im Halsband von ihrer seligen Mutter,
worin sie sich trauen lassen, nun auch abgestorben wären. Sie sagte
dies mit so bekümmerter Miene, als wäre ein Leben von größerem Werth ihr
erblichen. »O! da sey ruhig, mein Schatz!« antwortete der Graf eilig,
weil jener bildliche Ausdruck ihn schon leise ängstete, »Perlen kannst
Du sehr schön haben, wirklich köstlich; ächte! orientalische! --« Und
mit freundlicher Gefälligkeit für den Geschmack der Gattinn, ließ er das
Kästchen aus dem Behältniß eines Schrankes heben, und reichte ihr
den Schlüssel. Die Gräfinn war doch eine Frau. Mit leuchtenden Augen
betrachtete sie das nette Köfferchen und sprach: »ist dies doch ein
förmlich kleiner Sarg! das niedlichste Modell zu einem solchen. Oben
fehlt nur noch das Crucifix, so ist er fertig.« Das Schloß, leise
erklingend, that sich auf; dieser Ton, jene Worte, berührten in dem
Grafen eine überspannte Saite -- und schaudernd wendete er sich ab.

»Und innen auch --« fuhr die Gräfinn unvorsichtig fort, »dieses duftende
Kissen von weißem Atlaß, mit kleinen Franzen besetzt, was darauf ruht,
ist doch ein wenig mehr als Staub. --« Sie nahm ein Stück nach dem
andern heraus, und der Schimmer der Edelsteine spiegelte sich in ihrem
lächelnden Blicke.

Der Graf bat seine Frau mit dumpfer Stimme, das Kästchen von nun an in
Gewahrsam zu behalten.

Eine abermalige Niederkunft der Gräfinn war nicht glücklicher als die
erste. Das Kind starb an Krämpfen. Sie fing an zu zweifeln, daß ihr
Mutterfreuden beschieden seyn würden, nur halb getröstet von dem
Gedanken, es geschehe ihr zum Wohl: denn kränklichen Geschöpfen das
Leben gegeben zu haben für langes Leiden, sey viel schmerzlicher, als
ihren frühen Tod zu beweinen.

Graf Frankenstern nahm diesen Verlust mit gewohnter düstrer Fassung hin,
und diese melancholische Unempfindlichkeit vereinsamte seine Gattinn in
ihrem Schmerz. Mit der bedenklichen Stelle in ihrer linken Brust war
es während jener Zustände schlimmer geworden, und ein erfahrener Arzt
äußerte, wenn die Gräfinn nur nicht wieder guter Hoffnung würde, so
dürfe sie schon ohne Furcht seyn. --

Eine Reihe von Jahren war hingegangen, ohne daß irgend ein Ereigniß
bedeutender Art die tiefe, eintönige Ruhe im Schloß zu Bonna
unterbrochen hätte. Es war der Gräfinn zuweilen, als hätte sie seit
ihrer Verheirathung ein Weltalter durchlebt. -- Sie brachte jeden
Sommer eine Zeitlang in Bühle zu und besuchte dann freundschaftlich die
Cisterzienserinnen von Sanct Capella. Mit einem schmerzlichen Lächeln
blickte sie in das heitere, vollblühende Gesicht mancher geistlichen
Schwester, deren Geburtstag nicht weit von dem ihrigen aus einander lag.
Sie sah an dem jungen Zuwachs der Töchter auf den Gütern ihres Gemahls,
daß sie alt würde, und nahm in trübem Verzichten auf die Freuden des
Lebens das Gefühl einer Matrone voraus. Die schweigsame Haltung
des Grafen, die goldne Wucht des Reichthums und der Druck der
Gleichmäßigkeit, beugte ihre liebliche Gestalt vor der Zeit.

Jetzt aber wurde die Gräfinn, deren zarte Gesundheit selten gestört
gewesen, sehr kränklich und verfiel sichtbar. Ein Arzt, dem die Gräfinn
ihr Zutrauen schenkte, meinte, als er ihre Klage vernahm, sie fühle sich
beengt und einen Andrang nach dem Herzen -- traurige Gedanken schwebten
ihr beständig vor, und sie sey nicht mehr im Stande, die Stimmung ihres
Gemahls auszuhalten --: es läge ihr ein wenig im Gemüth, und Zerstreuung
würde hier das Beste thun. Die Gräfinn schüttelte leise den Kopf, wobei
ein paar Thränen von ihren Wimpern tropften. Sie sprach: »habe ich jene
Schwermuth, unter der eine Frau unsäglich leidet, doch so lange mit
Freudigkeit getragen, warum sinkt mir denn jetzt der Muth?«

»Weil jede Last mit jedem Tage schwerer und zuletzt unerträglich
wird --« erwiederte ihr hierauf der Doctor. Er gab sein Gutachten dahin
ab, daß, wenn der Graf sich entschließen könnte, die Bäder von S... zu
gebrauchen, so wäre hoffentlich auch seiner Gemahlinn geholfen. -- Es
kostete einen schweren Entschluß, daß dieser Rath befolgt würde. Der
Graf war beinahe menschenscheu, die Gräfinn, durch langes Entwöhnen von
geselligem Umgang nonnenhaft blöde geworden; es grauete Beiden vor dem
Geräusch der Welt. Der Graf machte die schöne Reise wie ein Automat. Er
sprach nur, was er mußte. -- Die Gräfinn saß stumm an seiner Seite,
und ihr Blick streifte düster über die wallenden Getraidefelder hin, an
denen noch die letzte Blüthe hing -- oder tauchte unter in ein Meer von
Sorgen. Sie ließ halten, so oft ein Fußgänger, mühselig und beladen, ein
Armer am Wege mit neidendem Staunen zu der prächtigen Equipage aufsah,
und reichte ein Geldstück heraus, das ihm fröhlich weiter half. So
sammelte die gute Gräfinn tausend Segenswünsche ein, und der große
Rentirer an der Hauptcasse des Himmels zahlte richtig an Ort und Stelle
die Zinsen des Wohlthuns.

In dem pallastähnlichen Hause, worin Graf Frankenstern mit seiner
Gemahlinn Wohnung fand, hatte die nächst daran stoßenden Zimmer ein
alter freundlicher Mann, mit einer jungen blassen Frau inne.

Ein Zufall brachte die Gräfinn schon am ersten Morgen in nähernde
Beziehung zu dem alten Nachbar. Es war ein berühmter Accoucheur, der
seiner Schwiegertochter zu Liebe hierher gekommen war. Er erzählte,
die junge Frau hätte fünf todte Kinder geboren, »und _fünftausend
lebendige_,« setzte er mit summarischem Accent und einer Mischung von
Stolz und Schmerz hinzu: »habe ich mit dieser meiner Hand eingetragen,
und komme mir deshalb wie ein kleiner Herrgott vor, der seine Kinder
=nolens volens= an das Licht bringt.«

Bei diesen Worten hob er die Hand empor, die obgleich klein und hager
doch so gewaltig war; der Gräfinn Auge haftete auf einem Siegelringe
am Finger des Priesters der Lucina. Sie erröthete gleich dem schönen
Carniol, und faßte ein Herz zu diesem Manne. --

»Mein bleiches Töchterchen,« fuhr er fort, »thut mir leid; das gute Weib
grämt sich und weint oftmals im Stillen, eine Leichenmutter zu seyn.
Und ich, der Geburtshelfer! kann ihr nicht helfen, und muß meinen Ruf
verlieren am eigenen Blut. So kannte ich einen Mann, der die halbe
verkrüppelte Welt gerade gemacht hatte, und sein einziger Sohn war
ein Aesop. Dies ist ein herber Spott für die Kunst, und ein mächtiger
Schlagbaum gegen den Egoismus; aber gewiß eine weise Einrichtung von
Gott. Die Kräfte des Einzelnen gehören der Menschheit und nicht seinem
Glück.«

Die Gräfinn hörte ihm mit ersichtlicher Theilnahme zu. Sie kam sich,
im Vergleich zu jener beklagenswerthen Frau, minder unglücklich vor. So
erwähnte sie ihrer eigenen Leiden, und fragte ihn um seine Meinung, über
den Gebrauch der Bäder dieses Ortes für sie selbst. Der Alte that ein
paar Querfragen, dann mit einem practischen Lächeln den Ausspruch: die
Gräfinn würde noch vor Ablauf des Jahres einer kleinen Wanne bedürfen.
-- Sie sah ihn an mit einem Blick -- einem Blick! -- wenn, nach einem
platonischen Ausdruck, Verwunderung die Mutter des Schönen und Guten
sey: so dürfen wir, in kühner Anwendung desselben, die Gräfinn als eine
Gesegnete ihres Geschlechts betrachten.

In dieser Stunde ging der Graf einsam ins Freie; er überließ sich seinen
Gedanken, und gerieth auf einen jener geheimnißvollen Spaziergänge,
die dadurch an ihrem Reiz verlieren, daß die Menge sie weder kennt noch
sucht. Unter dem Niederhang einer Birke saß ein Mann, der einen Knaben
zwischen seinen Knieen hielt, dem er aus einem Buche etwas zu erklären
schien. Der Graf grüßte stumm und ging vorüber. »Gieb Acht, Sylvius!«
sagte der Fremde, als der Knabe zerstreut Jenem mit seinen Blicken
folgte.

»Sylvius!« wiederholte der Graf leise, und blieb stehen, um einem
Echo der Erinnerung zu lauschen. Als er aber jenen Mann mit einer
fremdartigen Aussprache weiter reden hörte, rief er, daß Berg und Thal
davon wiederhallte: »Sylvius!« Vater und Sohn dieses Namens sprangen
erschrocken auf, und Romana lag in den Armen seines Freundes.

Der Knabe stand ausgeschlossen, ja scheinbar vergessen, und schaute
mit großen Augen unter einem strohernen Hütchen hervor, dem eine kleine
rothe Feder ein phantastisches Ansehn gab; der Unbekannte hatte sich mit
all' der hinreißenden Gewalt der Freundschaft seines Vaters bemächtigt.

»Sieh hier meinen Sohn!« sagte der ältere Sylvius, und streckte seine
Hand nach dem jüngeren aus: »mein einzig Gut -- Du bist wohl reicher,
Frankenstern?«

»Ich habe gar keine Kinder --« antwortete der Graf schmerzlich.

»Aber verheirathet bist Du doch?« fragte der Freund, und es gereute ihn,
voreilig gewesen zu seyn. Der Graf nickte bloß. Wie wenig diese Antwort
auch besagte: Romana würde, sie geben zu können, sich für einen Crösus
an Glückseligkeit gehalten haben.

Seine geliebte Frau war gestorben: die kleine blonde Blanka, die groß
und schön, und sein größtes Glück geworden war. Er hatte mit ihr in
Virginien gelebt. Diese Versorgung seines jüngsten und besten Kindes
war ein Opfer gewesen, welches der edelmüthige Kaufmann seinen
Familien-Verhältnissen gebracht. Seine älteren Töchter haßten den
Sylvius, und liebten ihren Vater nicht, und lohnten ihm schlecht. Er
hatte sich aus dem Vortheil gegeben: das giebt nie ein gutes Ende -- es
wäre denn ein leichtes Sterben darunter gemeint.

»Mein Vater sehnt sich nach mir --« sagte Blanka mit thränenden Augen
zu ihrem Gemahl: »ich höre mich zuweilen ganz deutlich von ihm rufen.
Jüngst träumte mir, sein Reichthum wäre zu Wasser geworden, wir
schifften still darauf hin -- und hatten uns verirrt: denn es war das
_todte Meer_.«

Als Sylvius nun sah, daß seine Frau gemüthskrank vor Heimweh werden
könnte, machte er die Rückreise möglich. Die Fahrt war aber nicht
glücklich, und ihr Ziel traurig. Der Kaufmann lag im Grabe und konnte
nicht mehr klagen, was ihn hinein gedrückt; aber man hörte es doch, und
auch wes Geistes Kind seine Töchter wären. -- Die Folgen der Seereise,
erschütternde Gefühle wirkten schädlich auf Blankas zarte Gesundheit,
und nicht lange, so bettete man sie an ihres Vaters Seite.

Romana nahm sein Kind, nahm den Rest seiner Habe, und verließ dies
Haus für immer. Er wollte eine Anstellung suchen, wie er sie bei seiner
vielseitigen Ausbildung in diesem oder jenem Fache finden konnte, als er
den Jugendfreund wiederfand. Er erkannte den Grafen Frankenstern nur
an der alten Liebe noch: seine Gestalt war ihm unkenntlich geworden. In
tiefen Höhlen, von finstern Braunen überbuscht, lagen seine Augen, sein
Blick war verstört, und verrieth eine zerrüttete Seele. Und jenes ihm
eigenthümliche Lächeln um den geklemmten Mund, war nicht mehr
todtenhaft friedlich wie sonst, sondern krampfhaft: so daß auch dieser
weltversöhnte Zug, nur wie ein Nervenspiel innerster Angst erschien.

Auch Sylvius de Romana hatte sich sehr verändert. Er war sehr braun
geworden, sonst würde er sehr bleich gewesen seyn, wie dies in den
Schattirungen seiner Gesichtsfarbe zu bemerken. Sein stolzer Wuchs hatte
etwas Gebeugtes angenommen, tiefe Erfahrungen ruhten in seinen Zügen
-- aber sie _ruhten_. Der Klang seiner Stimme, sonst voll und laut,
der Ausdruck einer heftigen Seele, war geistig besänftiget, und etwas
langsam und leise. --

Doch, empfände wohl der Mensch eine äußere Veränderung, ob er sie auch
sähe, in einem Augenblicke unsterblicher Freude? -- Der Begriff der
Zeit verschwindet, wo wir fühlen, daß die Freundschaft _ewig_ ist. --
Virginien, das Andenken an Blanka, ihres Vaters Grab, jeder in Thränen
und Tagen verflossene Schmerz: Alles sank in der Unendlichkeit unter,
was, wie ein Weltmeer, in Sylvius Herzen aufwallte, da es an dem des
Freundes schlug, und seine Augen wurden feucht. Und im Anblick der
kleinen Narbe an Romanas Stirn, die Graf Frankenstern ihm einst in der
Fechtschule mit dem Rappier geschlagen, schloß sich für Diesen jede
Wunde des Schicksals, und seine kranke Seele blutete nicht mehr.
Entzückt führte er den Freund und dessen Sohn mit sich fort in seine
Wohnung, sein Glück mit seiner Frau zu theilen.

Die Gräfinn brannte unterdessen vor Begierde, die große Nachricht, die
sie wußte, ihrem Gemahl mitzutheilen. Er ließ lange auf sich warten,
endlich kam er, doch nicht allein. Die Fremden, die er mitbrachte, waren
als eine Störung von ihr angesehen, und leider! ist der erste Eindruck
beinahe immer entscheidend. So ist es nicht genug, daß Jemand ein Recht
zu kommen hat: er muß auch zur _rechten_ Zeit kommen, und kein Mensch --
nur ein Gott kann diese wissen.

Hier, im Beiseyn seiner Frau, schüttete der Graf das verschlossene Herz
aus, dessen eiserne Bänder die Freude sprengte. »Du bleibst nun bei mir,
Romana! denke nicht daran, mich zu verlassen --« sagte er gebietend,
und in den Ausdruck, wie sehr, wie innerlichst er dieser Nähe bedürfe,
mischte sich etwas von dem Bewußtseyn, wie viel er äußerlich zu gewähren
vermöge. »Dein Sohn --« so fuhr der Graf fort, »soll wie der meine
gehalten seyn, um so mehr, da wir keine Kinder haben.« Die Gräfinn
hustete leise, und wurde blaß vor Schrecken. Sie wäre keine Frau
gewesen, wenn diese Aeußerung ihres Gemahls gegen einen ihr fremden
Freund, sie nicht beleidiget hätte; dazu diese gesprächige Wärme, als ob
Geist des Lebens über ihn gekommen. Nie hatte sie, auch zur Brautzeit,
eine ähnliche Macht auf ihn geübt, und ganz nach Art weiblicher
Eifersucht, nahm sie dies Dem übel, der diese erheiternde Wirkung
hervorbrachte, ohne sich selbst heiter zu zeigen -- was immer
anspruchslos erscheint. Der unschuldige Knabe kränkte in der Aeußerung
des Grafen ihr neugebornes Kind -- und ein leiser Widerwille gegen diese
Fremden schlich wie eine Schlange über ihr Herz. --

Als die Gräfinn Gelegenheit hatte, ihren Gemahl mit der neuen Hoffnung
bekannt zu machen, fand sie ihn zwar erfreut; aber -- nicht im richtigen
Verhältniß zu ihrer mütterlichen Erwartung. Vielleicht fürchtete
der Graf, das Kind werde wieder sterben -- oder er schlug als ein
seelenkranker und niedergeschlagener Mann, den Werth eines Leibeserben
überhaupt nicht hoch an: genug, seine Freude war mäßig.

Die Gräfinn trug ihr Glück wie eine Buße, mit schwerem, verschwiegenem
Herzen; mancher Stich ging jetzt durch ihre leidende Brust, die sich
täglich mehr verhärtete.

Romana und sein Sohn begleiteten das Ehepaar von Frankenstern nach
Bonna. Ersterer sollte Forstmeister werden -- hatte der Graf flüchtig
hingeworfen. Den ersten Abend ihrer Ankunft daselbst, sagte die Gräfinn:
»ein Einziges bitte ich von Dir, mein lieber Mann! bleibt Romana hier:
so sey es doch nicht in unserm Hause; ich habe dazu meine guten Gründe.«

Der Graf sah seine Frau bestürzt an, nie hatte sie durch Laune oder
Eigensinn seine Handlungsweise bedingt -- er schwieg, aber er wagte
nicht, diesen befremdenden Wunsch zu verneinen.

Romana stellte die Bedingungen, unter denen er in Bonna bleiben wolle,
mit edler Selbständigkeit fest. Er sagte: »gieb mir ein Plätzchen,
Frankenstern, nach meinem Sinn, darauf ich mir ein Haus baue, und
Material dazu; dann Gelegenheit, Deinen Gütern wie Dir selbst zu nützen:
so hast Du mich.«

Sie gingen aus, einen Platz zu suchen, und der Graf dachte seufzend,
wie viel Raum in dem weiten Schlosse, und daß keine Frau, auch die beste
nicht! durchaus verträglich wäre.

Ganz in der Nähe von Bonna, kaum ein paar hundert Schritte davon
entfernt, lag ein kleines Vorwerk, Heiland genannt. Vermuthlich hatte
es diesen ehrwürdigen Namen von einem Christuskreuze erhalten, das in
ungewöhnlicher Höhe zwischen dem herrschaftlichen Hof und diesem Höfchen
stand. Ein klares Brünnlein rieselte darunter hin, und eine eingerostete
Gitterthüre schien diesen lautern Quell zu verschließen. Es waren Spuren
da, die es wahrscheinlich machten, daß der Bezirk dieser Stelle
einst Mauern getragen habe, und bewohnt gewesen sey; die Aussicht war
himmlisch. »Laß mich hier zu Jesu Füßen wohnen!« sagte Romana, indem er
mit glänzenden Augen an dem Crucifix hinauf blickte, »doch Dir zuvor
und gewiß am rechten Ort -- ein Bekenntniß ablegen, nach welchem es
sich fragt, ob ich nicht den Staub von den meinigen schütteln und weiter
ziehen muß.«

Graf Frankenstern glaubte seinen Ohren nicht zu trauen, als er vernahm,
daß Romana, dieser catholische Edelmann, unter dessen Vorfahren
vielleicht Ritter vom goldenen Vließ gewesen, seinem Glauben entsagt
habe, und der eifrige Anhänger einer frommen Gemeinde geworden sey,
die das Lamm verehrt, was der Welt Sünde trägt. So wie Menschen von
schwärmerischer Anlage der äußersten und entgegengesetzten Richtungen
ihres Wesens fähig sind: so hatte Romana in Verbindungen, darin er mit
Blanka in Virginien gelebt, diesen Umschwung seiner religiösen Ideenwelt
erfahren. Eine große Gefahr, aus der er auf beinahe übernatürliche Weise
gerettet worden, entschied, und seine angestammte Wundergläubigkeit
wechselte nur ihre Form in seinem Gemüthe. Das Gefühl seiner Abkunft
und Armuth ward christlicher Stolz: den Armen war ja vorzugsweise das
Evangelium gepredigt. --

Nachdem der Graf dies vernommen, stand er eine lange, sinnende Weile.
Der Boden dieser catholischen Gegend schien empfänglich, um die neue
Lehre darauf zu verpflanzen, und neben Klöstern, päbstlichen Kirchen und
Heiligenbildern, lebte friedsam und einmüthig ein Häufchen der Stillen
im Lande. Selbst unter den Beamten der Ortschaft waren einige derselben,
deren gewissenhafte Redlichkeit Graf Frankenstern schätzte. Und so sagte
er: »was ich höre, Romana, setzt mich in Erstaunen, wie Du siehst; aber
es ändert nichts zwischen uns. Unsere Freundschaft ist mir eine Art
Religion -- und so glaube ich an Dich, wenn ich auch nicht begreife,
wie es möglich war, daß Du -- ein Abtrünniger werden konntest. Ich halte
Dich für einen ehrenwerthen Mann, und mich an diese Ueberzeugung. --
So eben dachte ich, wie seltsam es sey, daß der Wind des Schicksals
Menschen eines Sinnes von allen Enden der Welt hierher zusammen weht.«

Von der festen Zuversicht des Freundes gerührt, antwortete Romana:
»_weht_! ja, das ist das rechte Wort. Der Herr sammelt, was verstreut
gewesen. Sein Athem ist es, das Wehen seines Geistes, was den
Blüthenstaub im Frühling, auch über Mauern, zu der verwandten Blume
trägt.«

Die Grundmauern zu dem neuen Hause wurden nun gelegt und hundert
arbeitsame Hände förderten den Bau. Es fand sich, daß ein gewölbter,
völlig gut erhaltener Gang von hier aus nach dem Schlosse führe, wovon
die eiserne Gitterthüre am Brunnen der Ausgang wäre. Dieser Fund war
für den Grafen die Entdeckung einer Goldmine. Er dachte bekümmert, seine
Frau wüßte bereits, was er ihr verhehlen mögen, und am liebsten für
immer, denn er kannte ihren Abscheu gegen Apostaten. »Sieh!« sagte er
sehr glücklich, und sich ins Geheim bewußt, sein Umgang mit dem Freunde
stände unter unsichtbarem Schutze, »so können wir ungehindert und selbst
zur Nachtzeit zu einander kommen. --« Aber der Saamen des Geheimnisses
trägt selten Früchte für das Licht.

Endlich stand das Haus fertig, mit plattem Dach, worauf Romana einen
kleinen Garten anzulegen gesonnen war. Der Herr Christus prangte als
Schutzwache davor, und leise rieselte das Wässerchen unter der marmornen
Schwelle. Hinein zog Romana mit seinem Sohn, und lebte nicht allein
in strenger Absonderung, sondern einsiedlerisch verschlossen. Wenn die
Förster und Holzschläger, die den Forstmeister zu sprechen kamen,
Einlaß suchten, so zitterte der Schall der hellen Hausglocke durch den
mäuschenstillen Flur, und selbst Verstockte meinten, der Himmel werde
ihnen einmal eher aufgethan werden.

Wie selig Graf Frankenstern sich die Nähe seines Freundes geträumt: so
empfand er doch die Beruhigung nicht davon, welche er gehofft hatte.
Er sah ein, daß die Gefühle der Jugend eine bedeutende Zuthat zu jener
innigen und beglückenden Freundschaft gewesen wären. Wirklich hatte
Romana sich sehr geändert, und war ein wenig kopfhängerisch geworden;
der Graf war ein geisteskranker Mann, der ganz eigen behandelt
seyn wollte, und eines aufrichtenden Umgangs bedurft hätte. Romanas
Uebertritt hatte eine Kluft zwischen ihnen gerissen, die der Graf in der
Fülle seines Herzens anfänglich nur für eine Linie hielt --; aber es war
ein tiefer, dunkler Spalt, der ihr innigstes allseitiges Vertrauen nicht
zuließ. Sie vermieden sorgsam jedes Gespräch, das nur von fern diesen
Punkt berührte, und wehe der Freundschaft, die, wenn auch nur _eine_
Stelle weiß, welche geschont werden muß! --

Der Hochmuth des Grafen war durch seine Verhältnisse, durch das Gefühl,
verkannt zu seyn, durch die Natur seiner Krankheit genährt worden. Auch
der Unglückseligste hat noch _einen_ Freund: den Tod! Graf
Frankenstern aber sah in diesem das Gespenst seines Lebens, und die öde
Unsterblichkeit, die er sich in der Angst seiner Seele wünschte, stellte
ihn allein unter den Menschen. Romanas ritterlicher Sinn war Stolz der
christlichen Demuth geworden. Ein leiser Hang zum Abenteuerlichen,
der ihm verblieben, ein inneres Absondern von Andern, ließ ihn von der
breiten Straße abbeugen, auf der gewöhnliche Menschen das Glück suchen.
Der Geist seiner Secte setzt etwas darin, vertraut mit dem Tode seyn
und seine düstern Farben und Symbole in den Bedarf des häuslichen Lebens
aufzunehmen; Romana schlief unter einer Decke schwarz und weiß, zu
seinen Häupten lief lautlos oder stand eine Sanduhr, weil sein Schlaf
so leise war, daß auch der sanfteste Seiger ihn verscheuchte. Er würde
lächelnd seinen Morgentrunk aus einem Schädel genommen haben, er sprach
freudig von seiner Auflösung, und diese Kraft stellte ihn hoch über
seinen Freund.

Graf Frankenstern arbeitete nichts; nur seine Phantasie war unablässig
beschäftiget. Das Bewußtseyn, durch seine eigensten Kräfte zu nützen,
hatte ihn nie gehoben. Die Leichtigkeit, womit er wohlthun konnte,
täuschte ihn über die Unterlassungs-Sünde, die Mittel dazu aus sich
selbst zu schöpfen.

Romana besaß schöne Kenntnisse, und übte sie mit Fleiß. Er war thätig
von früh bis spät, und der Kernspruch seines großen Landsmanns, daß
Arbeit des Blutes Balsam sey -- bewährte sich an ihm: er war sehr
gesund. Er trieb viel Mathematik, und flößte seinem Sohne Lust und
Eifer für diese Wissenschaft ein; indem er ihn gewöhnte, seinen Verstand
anzustrengen, unterdrückte er das frühzeitige Aufstreben von Gefühlen,
denen die Einsamkeit Nahrung giebt.

Die Gräfinn war im Spätherbst jenes Jahres, welches ihren Gemahl seinen
Freund wiederfinden ließ, schnell und sonder Gefährlichkeit von einer
Tochter entbunden worden. Ein niedliches Mädchen machte ihr das Leben
leicht. Dennoch schien die Mutter tödtlich erschöpft.

»Das Kind ist im Zeichen des Krebses geboren --« sagte die Wärterinn
nach einem Blick in den Calender, »Gott verhüte, daß ihm nicht Alles
rückgängig werde!« Die Gräfinn erschauerte bei diesen Worten in einer
andern Furcht.

Die Kleine ward Albane getauft, und gedieh wunderschön an der Brust
einer derben Amme. Keine Spur von Krämpfen zog das Herz der Mutter in
der Befürchtung zusammen, dies Engelskind werde ja doch nur wieder ein
geliehenes Gut seyn, wie die kleinen Brüder -- was sie nach kurzer Zeit
mit tausend Thränen zurück zahlen müssen. Langsam hatte sich die Gräfinn
erholt, und war auch bei wiedererlangten Kräften, und ihres Anlasses zur
Freude ungeachtet, in sich gekehrt und traurig geblieben.

Zwei Jahre waren seitdem verstrichen, als eines Tages Romana sich bei
seinem Freunde im Schloß befand. Sie unterredeten sich über die Zukunft
seines Sohnes. »Sylvius bekommt einmal Deine Stelle --« sagte Graf
Frankenstern gleichsam zusichernd. Er sprach damit die Gewißheit an, den
Vater des künftigen Forstmeisters zu überleben.

»Meinem Wunsche nach,« antwortete Jener, »geht er in die weite Welt.«

»Dein einziger Sohn?« erwiederte der Graf mit Vorwurf, »Du willst doch
nicht, daß er ein Glücksritter werde?«

»Warum nicht? bin ich doch auch Einer --« sagte Romana, und lächelte wie
ein Eremit. »Sieh lieber Frankenstern,« fuhr er fort, »die Seinen
für sich behalten und in den Kreis der angestammten Verhältnisse
einschließen wollen, wäre engherzig gedacht. Nur in der Welt wird der
Mann ein Mensch und lernt brüderlich denken. In diesem Aussenden liegt
mir etwas Göttliches --«

»Wir aber sind Menschen, Romana,« unterbrach ihn der Graf, »und es liegt
in der Natur, daß man sein Kind so nahe und so lange als möglich um sich
habe; es ohne Noth dem Zufall zu opfern, kommt mir wie Vermessenheit
vor.«

»Aber gehorsam dem Willen des Herrn? oder einer heiligen Idee?« wendete
Romana mit erhöheter Stimme ein, »ich fühle, das würde ich können.
Wäre es dem Sylvius bestimmt, in einem rechtlichen Kriege zu fallen:
so preise ich ihn selig. Zöge er übers Meer, um die Heiden dem Erlöser
zuzuführen und versänke: ich würde deshalb nicht zu Boden sinken. Im
Aufgeben, Freund, liegt das wahre _Haben_, und das Geheimniß ewigen
Gewinns. Wie ärmlich ist das Leben, wenn es keinen andern Werth hat, als
daß man athme!« der Graf seufzte schwer, und Romana verließ ihn.

Noch wirkte dieses Gespräch nach, als die Gräfinn in das Zimmer ihres
Gemahls trat. Die kleine Albane hing schlafend auf ihrem Arme, und das
volle Händchen des Kindes, wie aus rosigem Wachs mit reizenden Grübchen
geformt, lag schützend auf der linken Brust der Mutter.

Den Grafen rührte dieser Anblick. Er küßte väterlich sacht diese kleine
Hand, und das Mutterherz darunter schlug stärker. Vielleicht ward in
diesem Augenblicke der Gedanke an das, was Romana gesagt, zu einer
stillen Freude, daß dies sein einziges Kind eine _Tochter_ sey. Zum
erstenmale äußerte er, wie glücklich ihn der Besitz des Kindes mache,
und daß es so gesund sey, und die Mutter dazu, um die er vordem doch
sehr besorgt gewesen.

Die Gräfinn entfärbte sich. Mit bewegter Stimme sagte sie: »es könnte
seyn, daß ich mein Leben um einen Preis gerettet hätte, der Dir
mißfällt.«

Dem Grafen fiel diese Aeußerung auf. Er sah seine Frau forschend
an, welche ihm nunmehr gestand, wie sie seit ihrer Verheirathung ein
schadhaftes Fleckchen in der Brust verspürt, was ihr dann und
wann Schmerzen, immer aber Kummer verursacht habe. In jedesmaliger
Schwangerschaft sey es schlimmer damit geworden, bis endlich bei der
Geburt der kleinen Albane der leidende Theil sich zu Stein verhärtet und
dergestalt sich entzündet habe, daß sie (die Gräfinn) fürchten müssen,
den Krebs zu bekommen, wenn sie nicht Muth zu einem gewagten Schritt
fassen könnte. --

Der Graf legte beide Hände vor das Gesicht, schon bedeckt von der Blässe
des Grauens. Er sagte: »gut, daß ich es nicht wußte; der bloße Gedanke
macht mich schaudern. Eine Operation solcher Art brächte mich von
Sinnen. Du glaubst nicht,« setzte er mit scheuem Vertrauen hinzu, »wie
tausend Dinge, stumpf für den Verstand Anderer, in mein Gehirn bohren!
diese Vorstellung zum Beispiel -- durchdringt mich entsetzlich.« Seine
Lippen zuckten, als wühle ein Messer in seiner Seele.

Die Gräfinn hätte beinahe ihr Geständniß bereut -- gewiß hätte sie es
sollen. Sie sprach: »in dieser Noth that ich das Gelübde, hülfe mir der
Himmel und würde ich geheilt: so solle die Brust meines Kindes sich nie
für eitle Wünsche heben -- nur dem Heil der Seele. Und es dauerte nicht
lange, so genaß ich an einem simpeln Umschlage.«

»Verstehe ich Dich recht?« fragte der Graf schwach, »Albane -- eine
Klosterfrau?« Die Mutter nickte ängstlich.

»Das ist hart!« murrte der Graf, und seine Frau hatte jene Gefahr
nicht härter empfunden, als diese drei Worte. So sprach die Gräfinn
weichmüthig: »Du mein Gemahl machst Dir ja selbst nichts aus der
Welt, und ihren trüglichen Freuden. Die Güter kommen an fremde Hand --
Anverwandte haben wir nicht, Albane stünde allein. So ist sie unter den
vornehmsten Schutz gestellt, und die Kirche, eine segensreiche Mutter,
giebt ihr Schwestern.«

Der Graf lächelte kalt, und murmelte etwas von Stiefgeschwisterschaft.

»Nein,« fuhr die Gräfinn, ihren Gemahl mißverstehend, fort, »dort würde
mir Albane nicht aufgehoben gewesen seyn. -- Sage, was fehlt einer Braut
Christi?«

»Dieses Glück!« antwortete Graf Frankenstern und deutete auf
seine Kleine, »eine Brust, daran solch ein Kind erblüht, kann viel
verschmerzen. Ihr seyd zu Müttern geboren. Und -- daß ich es nur frei
gestehe -- ich mag die Klöster nicht leiden, und es wird einmal aller
Tage Abend mit ihnen werden. Warum aber soll meine Tochter darin
untergehen?«

»O mein Gott!« jammerte die Gräfinn, und hob ihre Augen thränenschwer
zur Höhe, »warum bin ich nicht gestorben?« Ihr Herz schlug so mächtig,
daß des Kindes Händchen auf dem Busen seiner Mutter erbebte. Sie selbst
wankte.

Der Graf war erschüttert; nach einer Pause sagte er: »Du wirst glauben,
daß mir Dein Leben über Alles theuer ist! nur _den_ Beweis fordere
nicht, daß ich gleichgültig dazu wäre, wenn unser einziges Kind geopfert
wird, in welchem ich Dich ja auch liebe. Uebrigens warst Du damals in
einem Zustande, der keiner Zurechnung fähig ist. -- Nöthigenfalls würde
Dispens vom Pabst zu erlangen seyn. Ich zweifle jedoch, ob das Recht,
über das Schicksal eines Menschen also zu verfügen, auch einer Mutter
zusteht, und meine, von der Sünde, es gethan zu haben, könne Jeder sich
selbst entbinden.«

»Dies sind Romanas Grundsätze,« stöhnte die Gräfinn, »es ist _sein_
Geist, der aus Dir redet, mein Gemahl. Irret Euch nicht, Gott läßt sich
nicht spotten; ich will Wort halten, wenigstens.«

Sie entfernte sich hierauf, heftig alterirt. Die Gräfinn fühlte einen
tiefen körperlichen Schmerz in ihrem Herzen, und sich wie im Innersten
zerrissen. Von Frost geschüttelt mußte sie sich alsbald zu Bett legen.
O! daß die Arme gesprochen und mit dem Laut der Rede den stillen Wächter
ihres Geheimnisses verscheucht hatte! ihre Ruhe war dahin. Seltsam
genug warf sich ein schnell entwickelter Krankheitsstoff auf ihre zuvor
genesene Brust. Es half nichts, daß die Gräfinn ihr erneuetes Unglück
siebenfach verhüllte; jede Hoffnung schien verloren, und das Leben war
ihr nichts mehr werth.

Wenn die geneigten Leser der Meinung wären, Güte und Liebe in dem
Charakter der Gräfinn Frankenstern würde nicht zugelassen haben, daß sie
in grausamer Selbstsucht das Glück ihres einzigen Kindes zum Preis ihrer
Rettung gemacht hätte, so glauben wir diesem Vorwurf zu begegnen, wenn
wir bemerken, wie grade die zärtlichsten, die weichsten Mütter es
sind, und die Natur mag diesen Widerspruch lösen -- welche oftmals das
Schwerste über ihre Kinder verhängen. Hier war es ein Schleier, und
den zu tragen hielt die Gräfinn für leicht. Sie hielt ferner, im
Gefühl _ihrer_ Ehe, _keine_ für ganz glücklich, und verwechselte
ihr unbefriedigtes Herz mit dem Sehnen nach einer Bestimmung, die
vollendender wäre. Und wie es im menschlichen Wunsche liegt, daß
Diejenigen, welche unser Daseyn fortsetzen, Alles weiter bringen, jeden
Keim unsers innersten Lebens entwickeln, und ein höheres Glück erreichen
sollen: so war der Gräfinn der Gedanke lieb geworden, ihre Tochter würde
werden, was zu seyn ihr nicht bestimmt gewesen. Von einer gewissen Stufe
der Erfahrung scheint jeder Schritt, den wir unsern Nachkommen zumuthen,
ob er auch die liebsten Freuden hinter sich lasse -- _klein_,
im Vergleich zu dem, was er anstrebt. Vielleicht war es auch die
mütterliche Ahnung, welche die Gräfinn fürchten ließ, ihre Tochter in
den Armen eines Mannes nicht sicher genug zu wissen. --

Nach einiger Zeit ward Romana heimlicher Weise zur Gräfinn
berufen. Diese einfache Bitte machte den Forstmeister stutzen, und
Schwierigkeiten, daß er sie erfülle: denn der Graf mußte umgangen
werden. -- Zur bestimmten Stunde fand sich Romana ein. Die Gräfinn war
in ihrem Schlafzimmer. Jener erschrak vor ihrem Anblick. Sie war
total entstellt, ihr Gesicht aschfarb, ihr Auge erloschen, und nur ein
schwachglimmender Lebensfunken noch darin. So krank hatte er sie nicht
geglaubt, obgleich er von ihrem Uebelbefinden wußte.

»Verzeihen Sie, Romana, daß ich Sie bemühte!« redete sie ihn mit jenem
rührenden Wohllaut der Stimme an, der je leiser, um desto stärker
ans Herz dringt, »ich habe etwas Wichtiges mit Ihnen zu sprechen. Sie
könnten mir einen großen Gefallen erzeigen.«

»Herr mein Gott!« antwortete der Forstmeister, und das Mitleid mäßigte
diesen Ausruf bis zur zartesten Versicherung, »gebieten Sie doch über
mich!«

»Es wäre mir viel daran gelegen,« sprach hierauf die Gräfinn, »wenn
Sie morgen -- oder übermorgen,« der kranke Blick ihres matten Auges
verdunkelte sich wie die Nacht dazwischen, und ein voller Seufzer füllte
den Moment, »meinen Mann auf einen halben Tag -- besser wäre freilich
ein ganzer -- zu entfernen wüßten.«

»Das wird schwer halten,« erwog Romana, »hält doch Frankenstern kaum
mehr eine halbe Stunde bei mir aus. Verlassen Sie Sich indeß darauf, es
geschieht! ich sinne nur nach, wie ich es anzustellen habe, ihn zu einer
kleinen Reise zu bereden.«

»Dann fiele mir ein Stein vom Herzen,« erwiederte die Gräfinn, indem ein
paar Thränen über ihre abgehärmten Wangen rollten. »Wissen Sie denn,
ich werde operirt -- das heißt, ich lasse mir die Brust ablösen. So
begreifen Sie auch, daß dies meinem Manne verschwiegen bleiben muß.«

Diese Worte, mit Ruhe und Resignation gesprochen, sträubten dem
Forstmeister das Haar. »Die Brust -- ablösen?« fragte er, und sein
männliches Gesicht erröthete in Angst; die Gräfinn erbarmte ihn
unaussprechlich. »Und bleibt kein anderes Mittel?«

Ein sanftes Kopfschütteln, und: »nur dieses letzte --« war die sehr
leise Antwort.

»Sie werden eines Beistandes bedürfen, arme Gräfinn!« sagte Romana
dringend, und irrte mit seinen Gedanken hin und her, wie er zugleich den
Grafen abwehren, und hier eine Stütze in der Gefahr seyn könnte.

Die Gräfinn lächelte; es war, als hätte die Sense des Todes dies Lächeln
in ihre tiefen Züge eingeschnitten -- und dem Forstmeister blutete das
Herz. Sie sprach: »ich wäre doch allein, im Grausen Dessen, was mir
bevorsteht; allein muß Jeder seinen Weg gehen. Aber, wenn ich am Ziele
bin, verlassen Sie meinen Mann nicht! er wird den Freund dann nöthig
haben. -- Und nun das Wichtigste. Wir sind zwar nicht mehr Eines
Glaubens, Sie -- doch lassen wir das. Ich halte Sie für einen redlichen
Mann, Romana.« Nie hatte der Forstmeister ein ehrenwertheres Zeugniß
empfangen, als dies. Er würdigte es, und die Gräfinn fuhr mit bewegter
Stimme und widerstrebenden Lippen fort: »an ihre männliche und
christliche Ehre nun wende ich mich, wenn ich hoffe, daß Sie, unserer
abweichenden Meinungen ungeachtet, das Wort, was eine bedrängte Mutter
dem Himmel als Pfand eingesetzt, nicht verfallen lassen werden, gleich
einer Schuld. Versprächen Sie, Ihren Einfluß auf meinen Mann für diesen
Zweck zu benutzen: dies würde mich sterbend noch erquicken.«

Darauf erzählte die Gräfinn dem Forstmeister, was unsere Leser schon
wissen. Wie lange und wie still sie den Kummer in ihrer Brust getragen,
was die Aerzte gesagt, und so weiter. Und als sie ihr letztes Kind
geboren, habe sie es mit tiefem Erbarmen angesehen, wie vielen Schmerzen
eine Mutter unterworfen sey und was ein Weib schweigend erdulden müsse.
So sey ihr denn ein Leben in Gott als das höchste Glück erschienen, dem
sie das Neugeborene gelobt, wenn er das ihrige fristen wolle, weniger,
um sich selbst zu retten, als ihr Kind. -- Die Gräfinn eröffnete nun
dem Freunde ihres Gemahls mit reuiger Wehmuth, daß sie sich von einem
ungewöhnlichen Anfluge ehelicher und väterlicher Zärtlichkeit des Grafen
hinreißen lassen, ihm dies zu gestehen, worauf er ihr bittern Vorwurf
gemacht, und das Ansinnen, jenes Gelöbniß zu brechen. »Ich muß nun,«
setzte sie trostlos hinzu, »den Frevel dieses Gedankens mit dem Tode
büßen: denn der Himmel läßt nicht mit sich spaßen. Ich bekam sofort
Frost, die alten Schmerzen -- es ward schlimmer mit mir, wie je zuvor.
So will ich, obwohl selbst ein Opfer, doch, daß meine Tochter durch
Gehorsam sühne, was ihr Vater zu sagen sich vermaß. Werden Sie es nicht
hindern, Romana? daß Albane --« weicher läßt sich nicht bitten, als es
in diesen Worten geschah; die Stimme der Gräfinn zerschmolz in Thränen.

Der Forstmeister legte stumm seine Rechte in ihre kleine, weiße, feuchte
Hand. In seinen Augen, denen Kreuz und Leiden in aller ihrer Heiligkeit
vorschwebten, brannte ein Schwur. Sie glaubte ihm, ohne daß er eine
zusichernde Sylbe gesagt hätte.

Wie überzeugend ist das Vertrauen! Romana, seinem gewandelten Sinne
nach, ein Feind der Klöster, hätte die kleine Albane lieber heute schon
einsperren mögen. Er war der geistliche Anwalt des Wunsches ihrer Mutter
geworden, daß dies liebe Kind, einst absagend weltlichen Schimmer, der
Edelstein eines Ordens würde. Vielleicht wäre die Gräfinn dennoch zu
retten gewesen; aber das Fatum, dem selbst die Parzen dienen, hatte
ihrem Leibarzt den Lebensfaden, und somit die Gelegenheit abgeschnitten,
ihren frommen festen Glauben an göttliche Hülfe und an die seinige noch
einmal zu bewähren. Der junge Aesculap, der das Zutrauen der Gräfinn von
ihm ererbt, war ein hitziger Anatomiker, der seinen besten Freund
eben so gern secirt, als ganz glücklich gesehen haben würde -- und Wir
wissen, daß die Leidenschaft ihren Gegenstand nicht immer zeitgemäß
behandle. -- Als nun der gefürchtete Morgen kam, und mit ihm der Doctor,
begleitet von einem Wundarzt, fand er Alles bereit, sogar die Seele der
Gräfinn zum Sterben. Graf Frankenstern war durch einen Anlaß, den
die Klugheit des Forstmeisters ersonnen, geschickt entfernt worden.
Todtenstille herrschte im Schlosse. Die weiblich-vornehme Fassung der
Gräfinn entmannte den Operateur. Verstörten Auges blickte er nach der
Uhr, und seine Hand zitterte mit dem Secundenzeiger um die Wette. Nach
dem ersten Schnitte entfiel ihm das Messer, und es sank mit solcher
Schärfe in die Diele ein, daß ein kleiner blutbefleckter Spahn daneben
aufgaffte. -- Die Gräfinn verlangte mit erlöschender Stimme: man
solle das Messer nur liegen lassen. Aber dieser Zufall war von übler
Vorbedeutung: die Gräfinn verschied am dritten Tage. --

Wir wagen nicht, den Zustand ihres Gemahls beschreiben zu wollen. Er
klagte sich als den Mörder dieser unvergleichlichen Gattinn an, obgleich
er die eigentlichen Umstände ihres Todes nicht kannte, und nur wußte,
daß sie von jenem Wortwechsel an gekränkelt hatte; die Wahrheit würde
zu stark für ihn gewesen seyn. Liebe und Schauder bekämpften ihn mit
gleichen Waffen. Romanas Freundschaft stand ihm kräftig bei; aber --
wie sind jene finstern Mächte zu bezwingen, die den Menschen sich selbst
entfremden? -- Vergebens mahnte der Forstmeister ihn an die Pflicht,
sich zu zerstreuen. Er konnte ihm nicht einmal den Abgrund zeigen, der
unter dieser tiefsinnigen Langeweile gähnte, aus Furcht, der Graf könne
dann früher noch in das Elend völliger Geistesverwirrung stürzen. --
Romana bot ferner Alles auf, jedoch umsonst, ihn zu bewegen, daß er die
kleine Albane unter andere Aufsicht gäbe, als die ihrer Amme. Mit jener
Hartnäckigkeit, womit schon der Eigensinn wie viel mehr der Wahnsinn,
ob er auch unterdrückt wäre, an seinem Willen festhält, behauptete der
Graf, er könne nirgend ausdauern unter Menschen, und eben so wenig ein
weiblich Wesen in bessern Kleidern um sich sehen, als Die trüge, welche
seine Albane genährt.

»Und wozu auch?« fragte er mit düsterm Stolz, »meine Tochter kommt
einmal ins Kloster, und also nie in den Fall, der Welt und dessen, was
sie fordert, zu bedürfen. Gott hat sie wohl gebildet -- es ist nichts zu
tadeln an meinem Kind.« Dagegen ließ sich nun freilich nichts sagen, und
Romana schwieg.

Wenn man annehmen darf: daß die Freundschaft durch ein verjährtes
Zusammenleben tausendmal eher aufgehoben als befestiget wird -- so wie
durch lange Trennung verinniget -- so spricht die Erfahrung dafür
und den Beweis an: Verstand, Einsicht, Wissenschaft, Dankbarkeit,
Lebenssinn, Erinnerung -- könnten zwar als eine feste Grundlage
freundschaftlicher Verhältnisse angesehen werden, doch nicht
unerschütterlich gegen die Gewalt der Zeit und Umstände. Die einzige
Basis des Bestands ist ein tiefes Gemüth voll göttlicher Kraft der
Liebe!

Allmälig hatte Romana sich seinem unglücklichen Freunde entfremdet,
und es war so unmerklich geschehen, daß ihre Seelen sich wie aus weiter
Ferne kaum mehr verstanden, als ihr äußerer Verkehr, besonders von
Seiten des Forstmeisters -- noch ganz derselbe schien. In dem Grade, als
der Graf sich in sich selbst zurückgezogen, war ihm auch das Nächste,
sein Kind ausgenommen -- gleichgültig geworden. Er vermißte Romana
nicht, er suchte ihn nie auf. Tagelang saß er allein, und flüsterte
so anhaltend, daß die Bedienten oft lange warten mußten, ehe sie
ihn unterbrechen durften. Des Abends klagte er sich matt, von der
fortwährenden Unterhaltung. Da sahen seine Leute sich an und es
grauete ihnen: denn Niemand war bei ihm gewesen, als sein Dämon. Daß
er gestörten Geistes sey, war, wenn auch ein bewahrtes Geheimniß der
Achtung, doch Jedem klar.

Einst, an einem milden Herbsttage fand ihn Romana im Garten, seltsam
beschäftiget. Er band die Blätter einer Espe mit grüner Seide an die
Zweige fest, der Knäuel, dessen Faden eine rothe Wunde in seine Finger
eingeschnitten, lag im falben Grase und glänzte in der Sonne.

»Gott grüße Dich, lieber Frankenstern!« sagte Jener, »was machst Du denn
da?«

Der Graf lächelte und sprach: »ei! ich binde mir die Blätter ein wenig
fest, dies Zittern ängstet mich, so oft ich es sehe. Ich weiß, wie
Einem zu Muthe ist, der vor jedem Lüftchen bebt: die Furcht ist das
entsetzlichste Gefühl.« Und indem er emsig in seinem unheimlichen
Treiben fortfuhr, setzte er hinzu: »dann -- Dir will ich es wohl sagen,
Romana, wenn der Wind nun rauher weht, und die Blätter fallen, und
liegen fahl und still an der kalten Erde, wie aufgehäufte Leichen --
manche haben ordentlich Physiognomie --« Der Forstmeister sah voll
Mitleid in die seines Freundes. »Den Schmerz der Natur,« sagte er mit
dem tiefsten, »wollen wir ihrem Schöpfer überlassen. Dieser Faden, Du
Armer, schneidet mir in die Seele. Hast Du nie den Frühling gesehen,
das Bild der Auferstehung? Wer bindet denn da die Kränze von Laub und
Blumen, welche Himmel und Erde umschlingen? --« Er umschlang den Freund,
und weinte vor großer Rührung.

So wurde es immer finsterer um den Grafen, nur in dem hellen Blick
seines Töchterchens ging ihm zuweilen ein Strahl von Freude, das Licht
des Lebens auf. Er hing mit unendlicher Liebe an dem Kinde, und diese
zärtliche Empfindung wurde nur durch das Andenken an die verstorbene
Frau getheilt. -- Die kleine Albane, obwohl ohne alle Erziehung,
entwickelte sich zart und schön. Die Natur war ihre Gouvernante, und
welche Bonne bildet so gut als sie? -- Ihre Sprache hatte den reinen
Klang des Gefühls, ihr Gang war ein leichtes Schweben über gemeinen
Boden, und jenen angeborenen Adel der Sitten hätte weder die
Stiftshofmeisterinn eines Fräuleins-Instituts heben, noch die gutmüthige
Plumpheit der Amme unterdrücken können. --

Die Amme, welche mit roher Treue um ihren Pflegling sorgte und waltete,
sprach oft von seiner künftigen Bestimmung: dem Kloster; aber die
Farben, womit sie die Zukunft mahlte, waren eine Reibung für das junge
Herz, und es mischte sich in ihnen religiöse Ehrfurcht, mit dem Schein
von Hoffnung, Albane werde hinsichtlich ihres wahren Glückes zu täuschen
seyn. Sie staffirte die Zelle mit Gold aus, und bekleidete die
kleine Gräfinn mit den Würden einer Aebtissinn. Aber es giebt nur ein
Bedürfniß, ein Talent, welches die Einsamkeit vorzugsweise weckt: das
Verlangen und die Fähigkeit _zu lieben_. Während die Amme wähnte, sie
baue möglicher Abneigung vor, ward Albanen der Gedanke an das
Kloster verhaßt, und der Instinkt ihres Geschlechts stellte eine
Widersetzlichkeit dagegen auf. Dem Grafen war es zwar unumstößlich
gewiß, daß seine Tochter Profeß thun müsse --; doch den Zeitpunkt dazu
glaubte er hinaus schieben zu dürfen, wie weit? dies wußte er selbst
nicht, und es dämmerte ihm vor den Augen.

»Wie könnte ich Dich nur verlassen, mein Vater?« fragte Albane ihn in
bangen Stunden der Anfechtung, und ihr Vater fühlte dann selbst die
Unmöglichkeit, seinen einzigen Trost in ihr entbehren zu können. Mehr
als diese Frage erlaubte sich jedoch die junge Gräfinn nicht, um an
ihrem Ziel zu rücken: denn als sie einst den Versuch gewagt, ihrem Vater
recht kindlich zu sagen, daß sie doch lieber den Brautkranz wie den
Schleier trüge, wenn sich nämlich ein Mann für sie fände, der sie
nicht von ihm und ihrer Pflicht trennte -- war der Graf in einen
fürchterlichen Zustand gerathen. »Soll ich auch des Todes sterben, wie
Deine Mutter?« hatte er ihr rollenden Auges entgegnet. »Es war mein
Wunsch wie der Deine, armes Wesen, Du mögtest glücklich werden; aber
ich bin nur elend deshalb geworden. Mögte wohl ein Vater sein Kind zu
lebenslänglicher Gefangenschaft verurtheilen, wenn es nicht die Rettung
des Lebens gälte? -- Aber es giebt einen Schlüssel zur Freiheit -- --«

Geistig Gestörte sind wie Inspirirte zu betrachten. »Der Schlüssel zum
höheren Leben ist die Liebe!« und Albane trug ihn in stiller Brust. --

Wie durch ein stillschweigend Uebereinkommen der Grundsätze beider Väter
waren ihre Kinder fast gar nicht zusammen gekommen. Auch war Sylvius
ziemlich voraus; doch die Natur hob durch ihre höchste Kraft diesen
Unterschied auf, und lernte die beiden jungen Leute, wie fremd und
fern von einander gehalten, sich innigst finden. -- Jener Arzt, der
die Gräfinn operirt hatte, war dem herrschaftlichen Hause von Bonna
verpflichtet geblieben, und weil er sich vorwurfsvoll beimaß, durch
Uebereilung an dem Tode einer der trefflichsten Frauen, die er je
gekannt, Schuld zu seyn, nahm er die Gesundheit ihrer Tochter mit
vergütender Sorgfalt und um so gewissenhafter in Acht. -- Und wie das,
was wir bewahren, wäre es auch fremdes Eigenthum, allmählig eigenen
Werth für uns gewinnt, so war das Glück nicht minder als das Leben der
Comteß ihm theuer geworden. Er bedauerte, daß ein so schönes Kind dem
Kloster bestimmt seyn solle. Mit leiser Geschäftigkeit tastete er
an diesem Entschluß herum. Albane hüthete sich indeß wohl, ihm
ihr jungfräuliches Herz zu öffnen -- und der Graf zeigte bei dem
behutsamsten Versuch, ob er hierin wankend zu machen wäre, sich so
erschüttert, daß der Arzt, gegen dessen persönliches Annähern er eine
innerste ahnungsvolle Abneigung zu empfinden schien -- es nicht wagen
durfte, stärker in ihn zu dringen. So begnügte er sich, dem armen
Opfer noch einigen Genuß des Daseyns zu wünschen, ehe es seine düstere
Bestimmung erreiche. Er konnte nicht begreifen, wie die junge Gräfinn
es so ganz ohne allen Umgang aushalten könne, und erwähnte zugleich, wie
dies bei dem Sohne des Forstmeisters, einem vielversprechenden Jüngling
der nämliche Fall sey; so daß Albane ein sinnverwandtes Wesen in Sylvius
ahnete. Im Hause Romanas hingegen sprach der Arzt mit Begeisterung von
der Tochter des Grafen, bejammerte ihr Loos jetzt und künftig -- rührte
und regte ein Herz für die himmlische Schönheit, für das schuldlose
Unglück dieses Mädchens an -- ein Herz, dessen heiße Sehnsucht ein
langes stilles Glühen für ein verhangenes Bild gewesen war, das sein
Idol nun gefunden zu haben glaubte, und heftig aufflammte. -- So war
der Arzt, indem er hastig hin und her fuhr, wie der Wind, hier ein Wort
verstreuete, dort eines, gleich dem Träger des Saamens, aus dem die
Blume der Liebe erwuchs. Und wie in der Welt jedes Verhältniß, auch
das tiefste, sich verflacht, so wird in der Einsamkeit auch das
oberflächlichste bedeutend. -- Nicht leicht wird ein Mädchen dieses
Ranges einsamer erwachsen, als Albane. Ach! sie war wohl schlimmer
daran, als eine Waise. Die Mutter lag in tiefer Ruhe, und das Geheimniß
manch schwerer Sorge war mit ihr versenkt; der Vater, Herr eines beinahe
fürstlichen Besitzthums, war ein armer verstörter Mann, mit dem der
geplagteste seiner Unterthanen nicht tauschen mögen. -- Seine Tochter
hing mit kindlicher Seele an ihm, und hielt so nur allein seine
zerrissenen Gedanken in einem gewissen Zusammenhange. Sie fand sich mit
jener Sicherheit, die ein Gott uns lehrt, in seinem zerrütteten Geiste
zurecht, wie dunkel die Spur auch gewesen wäre. Wenn Albane ihren Vater
ansah, so oft er wirre Worte redete und die Begriffe durcheinander
warf, so drang mit diesem Blick ein mildes Licht in sein Inneres, und
er erkannte sich selbst wieder und sein Kind. Ihre liebe, sanfte
Stimme, vom innigsten Bezug, war wie der Laut eines Glöckleins, was den
Verirrten auf den rechten Weg ruft. Wenn der Graf seine Beamten vor sich
ließ, und Geschäfte von Wichtigkeit zu besprechen waren, so stand die
Comteß daneben, und hielt wie mit einem leisen Faden die Gedanken im
Zuge; verwickelte er sich auch einmal in einen Widerspruch, so wußte
Albane ihn leicht zu lösen. Die Bewunderung, mit der jene Männer zu ihr
aufschauten, erlaubte ihnen nicht, einen Blick des Mitleids zu wechseln.
O heilige Liebe! Du bist jener wunderbare Hauch der Allmacht, der den
Funken des Geistes nicht verglühen läßt in todter wüster Asche. Darum
ist es unser laienhaftes Urtheil, daß Kranke dieser Art unter der
verschwiegenen, liebevollen Pflege der Ihrigen am besten aufgehoben
sind. Verstand und Kunst stützen zwar die Pfeiler, auf denen das
Gleichgewicht der Seele ruht, können aber gänzlicher Zerstörung nicht
immer vorbeugen. Die Liebe in ihrem umfassendsten Sinne ersteigt nicht
allein Mauern, sie wirft auch welche auf, gegen solchen Verfall.

Doch nichtsdestoweniger war dem armen Kinde das Herz unsäglich schwer.
Albane hatte keinen Trost als sich selbst, und daß sie sich nicht selbst
genüge, ward ihr klar in Thränen, die sie heiß und heimlich weinte. --
Wenn der Graf schlief, und er schlummerte oftmals des Tages über ein,
weil er sich des Nachts gegen die Wohlthat der Ruhe sträubte, aus
Furcht, in Bewußtlosigkeit zu versinken -- so lauschte Albane, wie tief
und stöhnend er athme. Ihr Blick hing bewölkt an seinem grauenden Haar,
an der gealterten zusammengesunkenen Gestalt -- und ihr Gefühl hatte
keine Stütze. Albane durfte nur an seiner Seite sitzen, und den weichen
Wedel von Pfauenfedern schwingen, daß die summende Fliege ihren Vater
nicht belästige, so sanken vor den Augen des Argus die seinen zu,
und einschläfernde Regenbogenkreise zogen seine wache Seele in ein
träumendes Vergessen. --

Niemals kamen Gäste in das Schloß zu Bonna, niemals! Auf der breiten
steinernen Brücke, die zu seinen Thoren führte, wuchs Gras, als hätte
ein altgläubiger Fluch es hervorgerufen. Die Zimmer waren pomphaft, doch
leer und öde, nur die Zeit wohnte darin, und nützte den Glanz der Möbeln
nicht mehr ab, wie eine ruhige alte Frau von leisem Schritt und Wesen.
Losgesprochen von jeder andern Aufgabe als der: zu leiden, fand die
junge Gräfinn nie und nirgend etwas zu thun. -- Der Tag zu Bonna und
seine Glocke war ein Tonstück von ganzen Noten und großen Pausen. Tanz
und Musik, die kirchliche ausgenommen -- waren Freuden, welche Albane
nur dem Namen nach kannte, und manchmal wünschte sie wohl, die Horen
mögten ihr die Pforten des Himmels öffnen, daß Alles zu Ende wäre. Sie
thaten es, doch auf andere Weise, zu dem Anfange eines neuen Lebens. --
Die Weidenflöte, das Geläut der Heerden, der klingende Tropfenfall des
Springbrunnens, das Schwirren der Heimchen im abgesichelten Felde,
dies Alles regte eine sehnsüchtige Wehmuth in ihr an, einen wollüstigen
Schmerz, gemischt aus Grauen und Entzücken. Einst fand der Graf seine
Tochter, wie sie das bethränte Gesicht an den Blättern einer dunkeln
Laube trocknete. Erschrocken fragte er: »Du hast geweint? Was fehlt Dir,
mein liebes Kind?« Albane antwortete überrascht, »die Freiheit,
mein Vater! ich fühle mich so beengt.« -- Es war einer der lichten
Augenblicke des Grafen, worin ihm diese Klage seiner Tochter
einleuchtete. Er erlaubte ihr nun spazieren zu gehen, wann, und wie
weit sie nur irgend wolle. Von dieser Zeit an ging eine Veränderung mit
Albanen vor. Als ob tausend Seelen in ihr erwacht wären, belebte und
erhöhte sich ihr ganzes Wesen. In dem großen, kalten Schlosse war es wie
Frühling geworden. Die zarte Wange der jungen Gräfinn, sonst nur schwach
gefärbt, war eine glühende Rose, ihre sanften Augen leuchteten wie in
einem seligen Fieber, und die grauen Riesen am Steinthor schienen im
Abglanz ihres Blickes zu lächeln. Anstatt leise aufzutreten, schwebte
sie nur, kein Unfall berührte sie mehr, alle Gesichter erheiterten
sich bei ihrem Anblick, und selbst auf der finstern Stirn ihres Vaters
blühete eine kleine kümmerliche Freude an der reizenden Zufriedenheit
seines himmlischen Kindes auf.

Es ist bereits früher erwähnt worden, daß mehrere Anwohner dieser
catholischen Herrschaft zu den Stillen im Lande gerechnet wurden; dies
nicht allein, auch die ersten von den Offizianten des Grafen gehörten
jener religiösen Innung an. Darunter war der Oberverwalter, ein
schätzbarer Oekonom. Der Geschäftskreis, den er mit der besonnensten
Umsicht versah, war groß, der seines Familienlebens hingegen klein.
Er hatte seine einzige Tochter Fabia dem Cassirer des Majoratsherrn
verlobt, und konnte sicher darauf rechnen, seine Tochter werde an der
Seite dieses redlichen Mannes, den sie mit ruhiger Neigung gewählt,
eben so sicher zufriedne Tage zählen, als dieser, von dem kein Error
zu besorgen war, die ihm anvertrauten Summen. -- Die junge Gräfinn,
obgleich weder von Fabia angezogen, noch festgehalten, hatte durch
die Leitung des Zufalls, oder, um uns angemessener auszudrücken: einer
höheren Hand -- die fromme Braut kennen gelernt, und konnte ihr ein
Gefühl der Achtung nicht versagen. Fabia hatte einige Jahre früher
eine herzlichgeliebte Freundinn verloren -- unsere Leser kennen die
Geschichte jener Todten und ihrer Freundschaft -- und vielleicht war es
ein sanfter Nachhall jenes erschütternden Ereignisses, vielleicht ein
noch _innigerer_ Ton, was Anklang fand in Albanens Seele. Die stille
Weise, in der Fabia viel leistete, ihr gesetztes Betragen, der Tact der
Ruhe und Rechtmäßigkeit -- wenn wir so sagen dürfen -- womit sie sich
bewegte, und das Ruder des Hausstands lenkte, bildete eine Art
von Gegensatz zu dem leidenschaftlichen Zustande Jener, und wirkte
beschwichtigend auf sie ein. Albane empfand, daß Verlaß auf Fabia zu
setzen, und konnte sich des stillen Zugeständnisses nicht erwehren, daß,
in solch sichere Hand sein Schicksal zu legen, keinem Manne zu verargen
sey. Ein _festes_ weibliches Herz, dachte die junge Gräfinn, wäre
vielleicht ein größeres Glück als Eigenthum, wie als Geschenk -- und
dachte doch mit Schauder, mit dem Schauder der Vernichtung, sie könne
einst dieses Stillstands, dieses Gleichmuths theilhaftig werden. --
Fabia sprach gelassen von der nächsten Zukunft, in der ihre Heirath
vollzogen werden sollte; der Schritt von ihrer heimathlichen Schwelle
geschah mit so leisem Bedacht, mit so viel Rücksicht auf das Größte wie
auf das Kleinste, was dem Vater zu Gute kommen könnte, da sein Kind
ihn verlassen müsse, um dem Manne zu folgen -- daß Albane auch dies
vergleichungsweise bemerkte und fühlte. Sie galt für eine Braut der
Kirche; aber Frieden und Freudigkeit war nicht in ihr. Die Gegenwart
erfüllte ihr Herz -- eine ungeheure Kluft trennte sie von ihrer Pflicht,
und an das Künftige vermogte sie nicht zu denken. Der neue Ehestand hob
jenen Umgang auf, wenn die weite Beziehung, worin die Tochter des Grafen
zu der des Oberverwalters gestanden, nämlich so zu nennen -- man sagte
die Comteß kränklich, der Arzt kam oft nach Bonna, und Albane war
beinahe von Niemand mehr gesehen.

Inzwischen waren ein paar Jahre vergangen. Man hatte wenig oder nichts
von dem jungen Ehepaare gehört, ein Beweis, daß es glücklich lebte. Da
ward die Gattinn des Cassirers eines Tages der Gräfinn Albane gemeldet,
und alsbald stand jene bekannte Gestalt vor ihr. -- Ein wenig fraulich
hatte Fabia sich doch verändert. Sie war hagerer als sonst -- die
frischen Wangenrosen waren verweht und etwas eingefallen, und um den
Mund hatte sich ein matronenhafter Zug von kleinen Falten gebildet,
der um so schärfer hervortrat, als sie sich zu lächeln bemühte. -- Doch
ungleich deutlicher noch machte Fabia ihrerseits die Bemerkung, daß
Albane kaum mehr zu kennen wäre. -- Sie saß an dem einzigen Fenster
eines Gemachs, das wie eine Laube gemalt, und deshalb düster war.
Seltsam stachen die unbeweglichen Schatten der Malerei gegen das
lebendige Farbenspiel der Tuberosen und grünen duftenden Stauden ab, die
in einem kleinen reizenden Gartenflor an dieser sonnigen Stelle blühten.
Der Wind strich leise durch die Zweige, und ihre Umrisse spielten warm
auf dem Gesicht der Gräfinn, die, verbleicht, krankhaft zu frösteln
schien, denn sie trug in dieser Jahreszeit -- es war im August -- einen
weiten Mantel von Seide. -- Dieser Anblick brachte Fabien um die
ihr eigenthümliche Gegenwart des Geistes. Ihre Seele forschte in dem
bestürzten Blicke nach der Ursache dieser Veränderung. Wie war diese
unvergleichliche Schönheit zerstört! welches verwahrlosende Geschick
hatte das Feuer dieser herrlichen Augen ausgelöscht? -- Zwar hatte
man lange schon von einer bedeutenden Unpäßlichkeit der jungen Gräfinn
gesprochen, und wie diese selbst für die Diener des Hauses unsichtbar
würde -- die Amme war sichtlich geängstet, doch schweigsam wie das Grab,
das sie für ihren Liebling fürchtete --: aber diese matte Blässe, diese
kranke Stimme, aus Seufzern zusammengehaucht, deutete eben so sehr auf
ein beladenes Gemüth, als auf unterdrückte Kraft des Körpers hin.

Mit Fabien stand der Gräfinn die Vergangenheit vor Augen. Das klare
Ansehen der jungen Frau und ihrer reinen Verhältnisse bewegte das Herz
im Busen der unglücklichen Albane. Ein tiefer Seufzer schwebte auf ihren
Lippen, da sie nach dem Anlaß dieses lieben Zuspruchs fragte. -- Darauf
trug Frau Fabia bescheidentlich die Bitte vor, ihr gütigst eine blaue
Camelia abzulassen, womit sie ihrem Manne, der ein großer Blumenfreund
sey, eine Freude zu seinem Geburtstage zu machen wünsche. Die Gräfinn
gewährte dies und mehr, jede schöne seltne Pflanze, die sich innerhalb
der Glashäuser, oder im Bereich des Gartens überhaupt befinde, solle
zu ihrer Auswahl stehn. Fabia bezeigte ein lebhaftes Vergnügen. Albane
erkundigte sich nun nach dem Ergehen der jungen Frau, und kam der
zögernden Antwort zuvor, indem sie schmerzlich lächelnd sagte: »doch
diese Frage ist wohl vom Ueberfluß. Sie haben aus Neigung geheirathet.
Sie sind die Gattin Dessen, den Sie lieben, vor der Welt die Seine, und
begünstiget durch ein Stillleben, was ich mir über alle Maaßen traut und
glücklich denke. Sie dürfen ihren Ehemann mit jeder Blume beschenken,
mit _jeder_ -- selbst wenn sie unter Ihrem Herzen blüht --« hier
stockte die Gräfinn. Fabia senkte tief das Auge, und es bedeckte eine
aufquellende Thräne. Diese Seligsprechung einer Vermählten im Munde der
gräflichen Jungfrau, die eine geistliche zu werden bestimmt war, mußte
die Frau des Cassirers befremden, und jene höchste Blüthe der Liebe,
worin Albane das, was sie dachte, verblümte, auf der schaamhaften Lippe
eines Mädchens die züchtige Fabia allerdings Wunder nehmen. Sie sprach
erröthend: »ich darf mein Loos nicht beklagen; doch auch die günstigste
Lage läßt wohl etwas zu wünschen übrig. Mein Mann ist brav, und hat
mich noch mit keiner Miene beleidiget; aber er ist peinlichen
Gemüths, besonders was seine Geschäfte betrifft. Freilich ist sein Amt
verantwortlich, da der gnädige Herr Graf --« Albane nickte, und Fabia
fuhr fort: »dann mag die Erziehung meines guten Mannes hier und da
verfehlt gewesen seyn -- damit hat eine Frau auch zu kämpfen. Er
verbittert sich manchen Lebensgenuß, mein Vater spricht, es komme von
einer krankhaften Galle her. Schreckt er doch selbst mich nicht selten
mit einer gewissen mißtrauischen Kälte ab -- und der Himmel ist mein
Zeuge! daß ich ihm gern die Sonne zuneigen mögte. Endlich wünscht er
sich so sehnlich ein Kind -- und es wäre hart für mich, wenn dieser
Segen uns versagt bleiben sollte.«

Nichts lockt so sicher Aeußerungen des Vertrauens auch aus der
verschlossensten Brust, als wenn der Schatz, den sie besitzt,
überschätzt wird. In diesem Falle dürfte sich selbst der vorsichtigste
Geizhals in einer ohngefähren Angabe seines Vermögens errathen.

Die weiße Albane ward wie mit Rosenblut begossen. Sie brach eine Knospe
ab und zerpflückte sie in ihrem Schooße. Das Gespräch ward noch eine
Weile mit Wärme fortgesetzt -- dann ging Fabia. Später hörte man von ihr
und ihrem Manne, sie hätten ein Pflegekind angenommen.

Wieder eine geraume Zeit war seitdem verflossen. Da ging Albane an
einem milden Sommerabend spazieren, und wie gewöhnlich allein. Sie war
kürzlich abermals sehr krank gewesen, und als sie zum Vorschein kam, sah
man wohl, wie viel sie gelitten. Man beklagte die arme junge Gräfinn,
die schwerlich zu völliger Gesundheit und Kräften kommen könne, in ihrer
herzpressenden Lage, und der, allem Vermuthen nach -- sich die Thüren
der Gruft eher öffnen würden, als die Pforten des Klosters. --

Ein Hirtenknabe durchkreuzte ihren Weg, der weinte. Die Gräfinn fragte
nach der Ursache dieser Betrübniß: ein junges Lamm war ihm von der
Heerde abhanden gekommen. Albane bot ihm Geld, der kleine traurige
Schäfer aber in Angst und Eile des Suchens schlug es aus und sprach:
»wenn ich das Verlorene nur wieder hätte! das wäre mir lieber als
Alles.« Dieser kleine Vorfall rührte wunderbar an Albanens Gemüth. Dort
flog er hin, der kindliche Hirt! Albane sah ihn hinter dem blühenden
Klee verschwinden; am Hügel tauchte er wieder auf, und hielt das
gefundene Lämmlein mit beiden Armen umschlungen, und fest an seine Brust
gedrückt. Er winkte aus der Ferne der Dame zu, daß es nun da sey, seine
Miene lachte entzückt und der schlichte blonde Scheitel des Knaben
glänzte im Schein der sinkenden Sonne.

Die Gräfinn sah thränenden Blickes und versenkt in tiefe Gedanken
nach ihm hin; tiefer noch war die Quelle, die in ihren schönen Augen
überfloß. -- Sie setzte sich auf einen Feldstein, neigte das Haupt und
starrte zu Boden. Da stand der alte Romana vor ihr, der unbemerkt heran
gekommen war. Er hatte die Tochter seines Freundes lange nicht gesehen,
und konnte seine Betroffenheit über ihren Anblick an dieser einsamen
Stelle nicht bergen. Albane fühlte ihre Wange erkalten, und stammelte,
daß sie von einer jähen Schwäche angewandelt worden sey, die ihr von
der letzten Krankheit anhänge. Der Forstmeister betrachtete dies holde,
tödtlich erblaßte Gesicht wie mit väterlichem Mitleid. Er bat, die
Gräfinn wolle ihm erlauben, sie in seine Wohnung zu führen, die in der
Nähe sey, auf daß sie sich daselbst erholen und eine kleine Stärkung
zu sich nehmen könne. Er bat so herzlich, daß Albane seine Güte nicht
ablehnen konnte. Während des Gehens unterstützte er die zarte Gestalt,
deren biegsamer Wuchs wie bewegt von einem innern Sturme an seinem Arme
schwankte. Er machte ihr sanfte Vorwürfe, sich als eine kaum Genesene,
unbegleitet solch einer Anwandlung ausgesetzt zu haben. »Ihr Vater,
liebe Comteß,« redete er treumüthig weiter, »dem die nächste Sorge für
die theure Gesundheit seines Kindes zustünde, ist leider! dieser Obhut
nicht fähig; vergeben Sie es mir daher, wenn ich Sie aufmerksam mache,
auf die Pflicht sich zu schonen. Lassen Sie mich in dieser Mahnung
Vaterstelle an Ihnen vertreten! -- Was sollte aus meinem armen Freunde
werden, wenn seine einzige Stütze vor ihm sänke in das Grab? -- Und wenn
das so fortgeht -- --« Sie standen an dem Hause, Albane drückte die
Hand des liebreichen Mannes, als wolle sie damit ein stummes Versprechen
leisten. Sie sah empor; ihr Blick hing an dem südlichen Dach, das
getragen von der heitersten Wohnung, einem der hängenden Gärten der
Semiramis zu gleichen schien.

Der Forstmeister fragte: ob die Gräfinn sich wohl zu erschöpft fühle, um
diese mäßige Höhe zu ersteigen? und als sie es als Wunsch äußerte, ließ
er Brod und Wein hinauf bringen, den werthen Gast zu erquicken.

Es war ein himmlisches Plätzchen, und Albane genoß zum erstenmale den
Reiz dieser Aussicht weitschauenden Blickes. »Wie schön ist es hier!
eine wahre Augenweide!« sagte sie tiefathmend, und ihr Gedanke streifte
in diesem Ausdruck noch leise an der Heerde hin, welche die wallenden
Wolkenschäfchen ätherisch versinnlichten.

»Ja,« antwortete Romana innigst begnügt, »ich danke dieser Anlage manche
Stunde, die ich mit einem goldnen Platz nicht tauschen mögte. Und an
Gold mangelt es hier auch nicht.« Die Sonne goß eben ihren letzten Glanz
blendend aus, der Himmel flammte und das Blut der Traube perlte im Glase
wie ein flüssiger Rubin. »Wie Viele mögten in erträumter Größe mich
beklagen,« setzte er mit heiterm Lächeln hinzu, »während ich mein Glück
hoch genug zum Preise des Herrn anschlage. Wer die Einsamkeit liebt und
mit sich selbst umzugehen weiß, entbehrt nie eines tröstenden Freundes.
Wäre mein Sohn fortzubringen von hier, oder anders -- er ist so wenig
froh -- so würde ich von keinem Kummer wissen, als an den ich mich
aus vergangener Zeit erinnere. Im Revier des Waldes bin ich in meinem
Element, und kenne jeden Baum. Wenn der frische Morgenhauch die grüne
Haide durchschauert, dann athme ich wie ein Jüngling; und wenn ich des
Abends hier sitze: welcher Odem des ewigen Lebens weht mich von _diesem_
Holze da an?« Er deutete auf das Kreuz.

»Gräfinn!« fuhr Romana begeistert fort, und vergaß zu Wem er rede, »wie
mag es doch Menschen geben, die ihr Heil in andern Dingen suchen, als
bei dem Einen: dem Heiland? -- Wie still ist die Seele, die Ihn liebt!
Sie geht geführt von seiner Hand auf den Wogen des Lebens, wo
Andere untersinken. Einst war es nicht so mit mir. Ich war ein
leidenschaftlicher Mensch, ungestüm in meinen Wünschen, meinem Begehren;
ich fürchtete das Geliebte zu verlieren, obgleich ich es noch hatte,
ohne daß ich es eigentlich besaß. Die Leidenschaft betäubt, sie ist der
Sturm in unsrer Brust, der unsre beste Habe verschlingt, der unser
Glück zertrümmert, nur beschwichtiget von Dem, welchem Wind und Willen
gehorchen.«

Diese Worte schlugen an Albanens Herz. Sie wagte jedoch hierauf zu
entgegnen: diese Ruhe des Gemüths, diese Stille der Seele mögte wohl
eine Frucht gereifter Jahre seyn.

Der Forstmeister schüttelte sein ehrwürdiges Haupt und sprach: »das wäre
traurig, liebe Comteß. Dann wäre die Jugend ein ausgeschlossenes Kind,
und das Alter ruhete der Liebe im Schooße. Nein! wir sind nur blind,
bis wir sehend werden. Wer sich auch in der Verblendung gefällt: er wird
früh oder spät merken, welcher Sinn ihm abgeht. Wage Jemand, ein Glück
behaupten zu wollen, was Gott nicht billigt! ja, der Mensch ist so
wundersam beschaffen, daß, wo Niemand ihm streitig macht, was er
besitzt, er, _er selbst_ es ins tiefste Meer würfe, zur Sühne für den
Himmel! Schon die Gesetze der Welt müssen das Juwel unserer Freuden
fassen, sollen wir es tragen können.«

Mit diesen Worten hatte der ehrenwerthe Mann das Innerste Albanens
ausgesprochen. Sie schwieg, tief erschüttert, und als er ihr das Brod
und den Wein wohlmeinend aufdrang, war ihr nicht viel anders, als
genösse sie das heilige Abendmahl.

Die Unterredung nahm nun die Wendung auf Sylvius. Sein Vater klagte, und
ahnete nicht, daß er die Seele der Gräfinn zerriß -- wie vielen Kummer
ihm dieser so treffliche Sohn verursache, durch stillen Trübsinn, durch
sein eigensinniges Beharren, nicht weichen zu wollen von der heimischen
Scholle, da ihm doch die weite Erde offen stände. »Es ist,« fuhr der
Alte mit sorgenschwerer Stimme fort, »als ob ein Bann ihn hier gefangen
hielte, den der Herr lösen wolle! -- Was ihn hält und härmt: ich weiß
es nicht, denn er hat kein Vertrauen zu mir, seinem einzigen und besten
Freunde! --« Ein gekränkter Seufzer stieg aus dieser väterlichen Brust
-- Albane stand auf. »Aber was ist Ihnen, liebe Gräfinn?« fragte Romana
bestürzt, »Sie weinen? Sie zittern?« Albane konnte den hervorbrechenden
Thränen nicht wehren; das Herz wollte ihr zerspringen, und sie
machte eine Bewegung, als wolle sie dem Forstmeister zu Füßen sinken.
»Entlassen Sie mich --,« bat Albane sehr leise, »ich fühle mich krank.«
Sogleich wollte Romana einen Wagen kommen lassen; die Gräfinn lehnte
dies ab, und sich auf seinen Arm. Er führte sie sacht und sanft nach dem
Schlosse, unwissend, daß er seine Schwiegertochter leite.

Ach! die arme Gräfinn war seit mehreren Jahren Sylvius heimlich
angetraute Gattinn, und binnen dieser Zeit zweimal Mutter geworden. --
Sie hatte den heißen Bitten des Geliebten nicht widerstehen können,
sich mit ihm zu verbinden, und ihrer Bestimmung also zu entziehen.
Nimmermehr, das wußte Albane, würde ihr Vater seine Einwilligung dazu
gegeben haben, und auch der junge Romana hatte Ursache zu glauben, der
seinige werde nicht minder entschieden dagegen seyn, wenn gleich der
Grund diesseitiger Abneigung ihm verborgen war. Der Arzt und die Amme
waren im Geheimniß dieser Ehe, und ihrer vereinten List gelang es, unter
dem Schutz der Umstände eine Täuschung der Art zu ermöglichen, und bis
dahin dauernd zu erhalten.

Tief in der weiblichen Natur begründet, liegt etwas Widerstrebendes, ein
geheimnißvoller Wille, nicht zu wollen, was ein höheres Gesetz als sein
Geschlecht von ihm fordert, während der Mann, wo er im Kampf begriffen
scheint, mit der Welt und dem, was sie ihm weigert, nur seiner innersten
Ueberzeugung gehorcht.

Der Gedanke an das Kloster war der Gräfinn stets furchtbar gewesen,
und das Gefühl ihres Menschenrechts hatte sich gegen diese Bestimmung
gesträubt. -- Jetzt galt es, aus freier Wahl diese Nothwendigkeit
aufzuheben. Der Vater wurde nicht davon berührt -- er wußte nichts.
Und wie mag ein weiblich Ohr, erfüllt von den Stimmen der Liebe, und in
nervöser Scheu vor jenem Glöcklein der Kirche, das über der absterbenden
Novize geläutet wird -- auf das Flüstern religiösen Zartgefühls hören?
-- Dieser verschwiegene Bund, sein verstohlnes Verhältniß, ja selbst
der Reiz einer gewissen Gefahr erhöhete die heimlichen Entzückungen
desselben, da des Vaters Ruhe, wo nicht sein Leben daran hing, daß es
unentdeckt bliebe, seine Tochter wäre vermählt. Diese Gattinn, das freie
Eigenthum der Liebe, würde dem Sylvius der öffentlichen Stimme nach,
nur ein kirchenräuberischer Besitz gewesen seyn; aber er trank von ihren
Lippen Weihe und Wonne. -- Als hätte eine schützende Gottheit einen
Schleier über diese Ehe geworfen, so blieb sie jedem Auge verhüllt.
Albane galt für eine Himmelsbraut, kein schnöder Verdacht schlich ihren
Schritten nach; ihr kindlicher Ruf war über jeden Argwohn erhaben;
wie hätte man denken können, sie wolle sich einer heiligen Pflicht des
Glaubens entziehen, für den ihre Mutter gestorben? -- Das Bedauern
für die junge Gräfinn war so allgemein und innig, daß man ihr jede
Seltsamkeit nachgesehen haben würde -- und nachsah. Die Natur gab diesem
Bündniß Unauflöslichkeit, und jetzt fühlte Albane zum erstenmale, daß
das Einsseyn zweier Herzen, ob auch vereiniget durch Priesters Hand,
unter den Schutz der Oeffentlichkeit gehört; denn schon die Gestalt
einer werdenden Mutter heischt eine rechtliche Meinung, und macht
es unmöglich, ohne Sünde oder Sorge den höchsten Segen des Weibes zu
verheimlichen. Nur die Lage der Gräfinn, so gänzlich abgesondert von der
Welt, und in diesem Vorzug -- dieser Begriff gelte für jene Umstände --
fast einzig und allein in ihrer Art, der blöde Geist ihres Vaters, das
blinde Vertrauen dessen sie genoß, das vorsichtige Verfahren des Arztes
und die erfinderische Klugheit der Amme halfen über jenen schwierigen
Zeitpunct wiederholentlich hinweg. -- So waren Jahre verflossen. Das
Band dieser ehelichen Liebe schien an Stützen gebunden, die tiefer
begründet waren, als für ein sterbliches Auge einzusehen möglich, es
war so innig mit beruhigendem Schweigen verwebt, daß die furchtsame
Besorgniß Albanens, es könne zur Kenntniß ihres Vaters kommen, allmählig
nachließ. Sie ward endlich sicher.

Aber _die_ Stimme in der menschlichen Brust, ein schwacher Vorklang
jener, die einst schlafende Welten wecken wird, welche in den leisesten
Bebungen des sittlichen Sinnes an ein betäubtes Herz dringt --
ward laut. Die Gräfinn war längst nicht mehr glücklich, wenn sie es
eigentlich jemals gewesen. Ihr Glück däuchte ihr nur ein entzückender
Traum, unhaltbar zerronnen, aus dem sie schwerblütig erwacht wäre. Ihr
ganzes Wesen, vom Sitz des Herzens aus, durchdrang ein traurig Sehnen,
was sich selbst in Sylvius Armen nicht stillte; das Bewußtseyn ihrer,
seiner Liebe genügte ihr nicht mehr. -- Ein kränklicher Gram zehrte an
ihrer Gestalt, und ein Gefühl unsäglicher Wehmuth, von trübem Grund der
Seele, bedrängte ihren Busen. Sah sie ein junges Ehepaar neben einander
sitzen oder gehen: so dachte sie mit einem alten Liede: »manches Herz
geht _ganz alleine_ seinem stillen Kummer nach --« Albane verkannte, daß
der Liebe Geist, der treueste von allen Freunden, ihr zur Seite wäre. --
Geschah es, daß sie Fabien von oder zu ihrem Mann reden hörte: so fühlte
sie sich schmerzlich fremd, wie eine Taubstumme, Angesichts Solcher,
denen das Vorrecht und die geistige Beziehung der Sprache gegeben ist.
Ein weinendes Kind, geschmiegt an den Hals seiner Mutter, lockte bittre
Tropfen in ihr Auge, und die arme Gräfinn hätte all ihr Blut verströmen
mögen, wenn sie eine Thräne ihres Kindes, _eine_ nur -- tröstend hätte
wegküssen dürfen. --

In dieser Stimmung dachte Albane oft an ihre Mutter, auf die sie sich
wenig zu besinnen wußte. Zwar bebte ihr Gedanke vor diesem beleidigten
Bilde zurück; aber es zog allmählig immer trauter und versöhnender
ihr Denken und Sinnen an sich. Einst führte das Bedürfniß innerster
Ansprache sie an die Familiengruft, deren Thür sie sich öffnen ließ.
Auch den Deckel des Sarges ihrer Mutter ließ sie abheben, und diesem
Willen der jungen Gebieterinn ward, wenn auch widerstrebend, doch Folge
geleistet. Der Leichnam lag unversehrt, nur das weiße Kleid war in
der linken Brustgegend hochroth gefärbt, als hätte der Todten das Herz
geblutet; das rechte Auge war nicht ganz geschlossen: wie drang dieser
erstorbene Blick in die Seele ihrer Tochter! -- Um den eingefallenen
Mund schwebte noch der Schatten eines Lächelns, womit die edle Frau die
Welt gesegnet hatte. Albane stand in heiliger Rührung an dieser Stätte
der Ruhe. Ein ganzes Leben voll Vorwürfe hätte nicht so dringend an
ihr Herz reden können, als dieser stille Anblick, der den Frieden der
Gottseligkeit schweigend offenbarte. Und hier war es, wo Albane den
Schmerz der Leidenschaft als sündlich empfand. -- Fuhr die Gräfinn des
Sonntags nach der Kirche, so trat sie mit einem Schauer der Buße in
die vergitterte Loge. Das Erbrausen der Orgel schwellte ihre Brust, ihr
Gefühl war ein frommes Heimweh. Sie wünschte sterben zu können an diesen
Tönen des Himmels. Und wenn die Sonne zu den hohen Fenstern herein
schien, und in der Stola des Priesters flimmerte: dann leuchtete dieser
Strahl auch in ihr Innerstes, und um den dunkeln Altar des Gemüths ward
es helle. -- Doch ein Blick der Liebe ihres Vaters, der kleinste Beweis
seiner Zuversicht zu ihr, die sein Ein und Alles war, spaltete Albanen
das Herz. -- Wenn schon eine zarte Scheu sich in Acht nimmt, einem
Blinden auf irgend eine Weise Anstoß zu geben: so wird ein zarterer Sinn
Anstand nehmen, den geistig Blöden zu hintergehen. So war Albane sich
nach und nach einer Schuld gegen ihren Vater bewußt worden, die sie in
heißer Reue mit keinem Opfer der Liebe, auch dem größten nicht, sühnen
zu können glaubte. -- Die Unterredung mit dem Forstmeister, welche das
Herz der Gräfinn erschütterte, fand daher den Tag der Reife, und lösete
die Frucht der Selbsterkenntniß ab, in einem Gedanken, den sie lange
getragen.

Auch Sylvius war unbefriediget, und konnte es nicht immer verhehlen. Er
vergaß in der Heftigkeit seiner strebsamen Wünsche, daß Albane, indem
sie ihnen nachgegeben, ihm das Ziel derselben als ein unabänderliches
gezeigt. Das süße Geheimniß, der unsichtbare Trauring, war ihm eine
Fessel, die er in männlichem Trotz abstreifen mögen -- er fühlte
sich beschränkt, und die Geliebte war es, die ihn hinderte, seine
jugendlichen Kräfte an den Schranken der Welt zu versuchen.

»Ich las heute,« sagte die Gräfinn in der Späte jenes Abends, an dem sie
seinen Vater gesprochen, zu ihrem Gemahl, »die entstehende Liebe ist in
einem Nichts reich, die wachsende ist in den Wünschen bescheiden, nur
die glückliche Liebe hat nie genug -- da dachte ich an Dich.«

»Ach, Albane!« lautete seine Antwort, »wie könnte meine Liebe glücklich
seyn, da Du es nicht bist? Umsonst verbirgst Du mir einen Kummer, als
dessen Ursache ich mich ansehen muß -- ich bin nicht im Stande, Dein
Herz ganz auszufüllen. Lebten wir nicht in dieser unseligen lichtscheuen
Vereinzelung: kein finstrer Gedanke würde Raum finden zwischen Dir und
mir.«

»Wie Du mich quälst, Romana!« seufzte seine Frau, »gönne mir den Trost,
das Leben meines Vaters zu schonen; an diesem schwachen Faden laß mich
vorsichtig halten, das Gewebe der Verhängnisse ist zart. -- Und damit
Du das Wenige schätzen lernst, was Du an mir besitzest: so dürfte es gut
seyn, wenn Du mich eine Zeitlang ganz entbehrtest. Der Arzt dringt in
mich, den Vater zu einer Reise von längerer Dauer zu bereden, und auch
Dir, mein Sylvius, dürfte eine weite Ausflucht eben einmal nöthig seyn.«

Albane stellte nun dem Gemahl diese Reise aus den verschiedensten
Gesichtspunkten als eine allseitige Nothwendigkeit dar. Der jüngere
Romana glaubte jedoch nicht, daß es dazu kommen würde; aber der Graf
zeigte sich viel leichter entschlossen, als zu erwarten gewesen, ja,
es war, als ob dieser Entschluß seine Kräfte aus ihrem lethargischen
Zustande aufgerufen hätte. Er war zum Staunen der Seinen der
besonnensten Maßregeln fähig, und Albane, welche diesen Lichtblick
benützten zu müssen glaubte, förderte die Anstalten in drängender Eile.

Es gab mehr Leute, welche diesen günstigen Zeitpunkt zur Erreichung
ihrer Zwecke absahen. Der Oberverwalter, Fabiens Vater, war vor Jahr
und Tagen gestorben, und ein Mann an seine Stelle gekommen, der obgleich
tüchtig für sein Fach, doch nicht als vertragsam gerühmt werden
konnte, am wenigsten von dem Schwiegersohn seines Vorgängers.
Dieser, ärgerlicher Art, that nur seine Pflicht, doch nichts, um ein
freundlicheres Verhältniß einzuleiten; bei solcher Unfügsamkeit in nahem
Verkehr waren Reibungen unvermeidlich, und es kam so weit, daß Fabia
einsah, ihrem Manne würde nicht nur sein Amt, sondern das Leben
verleidet. So redete sie ihm zu, den Grafen um Versetzung anzugehen. --
Aber dieser Gutsherr war so wenig zugänglich, wie ein Fels im Meer, und
einmal abgeschlagen, konnte jener Wunsch nicht wiederholt werden.
Als nun Graf Frankenstern den Cassirer rufen ließ, und ihn dieser
gesammelten Geistes und überaus gütig fand, erschrak er fast vor Freude,
daß der Blüthenmoment für seine Angelegenheit so plötzlich gekommen
wäre. Er trug seine Bitte vor, zugleich mit der Beschwerde über den
Oberverwalter, und der Graf verfügte ohne Weiteres, daß der Antagonist
desselben als Rentmeister nach Bühle versetzt würde. -- Er hob
bedeutende Summen aus, und fand das Rechnungswesen in musterhafter
Ordnung; es ergab ein Facit gegenseitiger Zufriedenheit. Frau Fabia
hatte, als ihr Mann vom Schlosse nach Hause kam, eine langentbehrte
heitre Stunde; aber diese war auch für längere Zeit die letzte. Nachdem
die Spannung nachgelassen, worin er sich zeither befunden, fühlte er
sich krank, in Folge verhaltnen Aergers. Als der Graf nun Tages vor
seiner Abreise den Rentmeister noch einmal zu sich rufen ließ, ihm
Papiere von Wichtigkeit zu übergeben, raffte Dieser sich mühsam auf, die
Befehle des Gutsherrn zu empfangen, und besorgt sah seine Frau ihm nach.

Graf Frankenstern war heute nicht völlig so klar, als er ihn das
letztemal gesehen; er konnte sich auf Einiges durchaus nicht besinnen,
und schritt nach dem Flügel, den seine Tochter bewohnte, Aufschluß von
ihr zu fordern.

Die Gräfinn war nicht da -- und als ihr Vater unverrichteter Sache in
seine Zimmer zurückkehrte, sah er auf dem Gange ein Gewölbe offen,
worin Silberzeug und kostbare Vorräthe verwahrt wurden. »Welche
Unvorsichtigkeit!« murmelte der Graf; Niemand war zu sehen. Er bewegte
die eiserne Thür nach Außen und trat hinein; sein Begleiter blieb auf
der Schwelle. Eine Truhe war geöffnet, woraus Pelzwerk, wahrscheinlich
zum Bedarf der Reise, genommen worden, denn ein feines Marderfutter
hing über dem Deckel, Büschel getrockneten Lavendels lagen verstreut
am Boden, und ein starker Geruch erfüllte den kühlen Raum. In
einer schmalen Vertiefung der Mauer stand, etwas erhöht, jenes
Schmuckkästchen, das unsre Leser kennen. Eine schöne, doch schadhafte
Statue von Alabaster, das Haupt sinnig gebeugt, den Finger auf dem Mund
-- schien als Wache neben dies Depot gestellt; in der zerbrochenen Brust
steckte eine kleine verwelkte Rose. --

Der Graf warf einen Blick in jenen Winkel und schauderte. »Freund!«
sagte er hinter sich gewandt, »Sie könnten mir einen Gefallen thun --
und Sie werden es!« setzte er mit unabweislichem Tone hinzu, »in jener
Chatoulle dort ist der Familienschmuck -- nehmen Sie ihn zu sich. Meine
Tochter hat den Platz für die Kleinodien des Hauses --« hier lächelte
der Graf düster --, »seltsam gewählt; ich muß diesen Fehler verbessern.
Mitnehmen kann ich das Kästchen nicht, und muß es daher während unserer
Abwesenheit gut aufgehoben wissen. Sie sind ein zuverlässiger Mann, ich
weiß Niemand, zu dessen Redlichkeit ich größeres Vertrauen hätte.«

Der Rentmeister verbeugte sich. Er hatte den Grafen erbleichen gesehen,
und gab dies dem Odem des Kampfers Schuld, der hier wehete, und den
die kranken Nerven desselben nicht vertrügen. Auf einen Wink hob er das
Köfferchen hinweg, und bat um den Schlüssel. »Albane wird ihn haben --«
versetzte der Graf in Scheu und Hast, »verlassen Sie Sich jedoch darauf,
ich sende ihn heut Abend noch; das Verzeichniß des Inhalts kann ich
Ihnen sogleich suchen.« Auf seinem Zimmer suchte Graf Frankenstern nach
dieser Liste, und es währte lange, ehe er sie fand.

Mittlerweilen hatte der Rentmeister sich gesetzt und hielt das Kästchen
auf seinem Schooße; die Kniee zitterten ihm unter der kostbaren
Last, denn die Stunde des schleichenden Fiebers, an dem er litt, war
herangekommen. Endlich reichte der Graf ihm das Papier und sprach, als
Jener es mit bebender Hand empfing: »das ist ein schlimmer Frost, und
Sie sind so leicht gekleidet! -- Wahrlich! ich hätte ihnen unter diesen
Umständen den Ueberrock nicht übel genommen; vielmehr verbinden Sie mich
durch Bedacht auf Ihre Gesundheit. Nehmen Sie einen Mantel von mir an!
die Abendluft könnte Ihnen schädlich werden.«

Unter dieser gnädigen Fürsorge, obgleich sie gewiß redlich gemeint war,
verbarg der Graf mit der eigenthümlichen Schlauheit Derer, die in der
Regel geistesabwesend sind, den vorsichtigen Wunsch, der Rentmeister
mögte die Chatoulle unbemerkt in seine Wohnung tragen.

Frau Fabia erschrak nicht wenig, als sie ihren Mann nun langsam
kommen sah. Er war leichenblaß, unter einem dunkeln Mantel, der in der
Dämmerung wie schwarz ließ, trug er einen zierlichen Kindersarg,
und seine Schritte schwankten wie die des Trägers einer Bahre. --
Erschrocken eilte seine Frau ihm an die klingelnde Hausthüre entgegen;
aber schweigend trat er ein, stumm ging er in die Mitte des Zimmers,
setzte das Kästchen auf den Tisch und sprach mit erschöpfter Stimme:
»ich bin krank, Fabia, recht sehr krank. Der Weg vom Schlosse bis
hierher -- nun der Himmel weiß es -- wie sauer er mir geworden! ich ging
gleich dem heiligen Christopherus wie im Wasser, und als trüge ich eine
Weltlast, die immer schwerer würde. -- Ist denn das Kästchen wirklich so
schwer? die Juwelen der gräflich Frankensternschen Familie liegen darin,
und ich wünschte wohl, ich wäre der Ehre, sie zu bewahren, überhoben
gewesen. Das Fieber scheint heftig im Anzuge -- ich kam mir wie ein
Todtengräber vor; nur die Citrone fehlte noch in meiner Hand.«

Fabia warf einen bekümmerten Blick auf ihren Mann, dann auf die
Chatoulle, welche durch ihre Form diese wüste Idee erregt haben mogte,
und um seinen Sinn auf Realien zu lenken, sagte sie: »das Kästchen
hebt sich leicht; mir deucht, Edelsteine müßten schwerer in das Gewicht
fallen.«

Nun drang Fabia darauf, daß der Kranke sich sogleich zur Ruhe begäbe;
und kaum war dies geschehen: so fing er an zu phantasiren. Er klagte,
der Oberverwalter hätte ihm die Demanten aus Christi Krone verfälscht,
sprach vom Gott des Schweigens, der ihm den Finger auf den Mund gelegt
habe -- pflückte Lavendel von der Decke, und schalt auf seine Frau, daß
sie ihm den Pelz auszuklopfen vergessen. Er sähe eine Unzahl Motten um
das Licht flirren. --

Fabia, dies Muster häuslicher Ordnung, konnte die Vorwürfe des
Fieberträumenden ungekränkt anhören. Sie lächelte beklommen, und starrte
verstört in die ruhige Nachtleuchte, in deren mattem Schimmer die
Beschläge der Chatoulle unheimlich blinkten. -- Gegen den anbrechenden
Tag hörte Fabia die herrschaftliche Reisekutsche über die Schloßbrücke
dröhnen. Sie hatte die ganze Nacht am Bette ihres Mannes verwacht, und
kein Auge geschlossen. Jetzt stand sie auf und trat ans Fenster. Da
rollte der Wagen vorüber und verschwand in der grauenden Frühe, und
Fabia sah zum Himmel auf und sprach mit der Inbrunst eines geängsteten
Herzens: »Sey mir gnädig, Gott, sey mir gnädig; denn auf Dich trauet
meine Seele! -- wende Dich zu mir, denn ich bin einsam und elend, und
Deine Güte ist tröstlich. Du meines Lebens Licht! Betet an den Herrn
im heiligen Schmuck --« Der Osten bekleidete sich mit Purpur, und der
Morgenstern ging unter in schwachem Geflimmer.

Dem Krankenbette, dieser dunkeln Stelle -- wendete Fabia die volle
Lichtseite ihres Charakters zu, und es wäre heilsam für trübe
Erfahrungen, wenn diese Eigenschaft an mancher Frau zu rühmen, die
unsern Lesern oder den Augen der Welt vielleicht besser gefällt, als
diese werkthätige Fromme. Nicht umsonst hatte die Vorsehung sie daher
als Gattinn einem Hypochondristen zugetheilt, der auch in gesunden Tagen
krank genug und voll wunderlicher Gramhaftigkeit war, um die Kraft
der Geduld seiner Frau in beständiger Uebung zu erhalten. Kein Phantom
seiner Einbildung schreckte ihren ruhigen Sinn. Ihr gelassener Muth
siegte über jede Unbill verdrüßlicher Launen ihres Mannes, ihre klare
verständige Handlungsweise lag offen da vor seinem mißtrauischem Blick;
stets achtsam auf ihre Pflicht versäumte Fabia nie, was ihr zu thun oder
zu lassen oblag, und der Glaube an die rechtliche Strenge, womit
seine Gattinn alles Mögliche von sich forderte, und nicht viel
weniger leistete, zwang ihrem Manne eine, wenn auch _widerwillige_ --
Zufriedenheit mit seinem häuslichen Glück ab.

Diesmal machte ein bösartig galligtes Fieber den Rentmeister für längere
Zeit unfähig, sein Amt zu verwalten. Auch hierin trat seine Frau helfend
ein. Fabia schrieb eine schöne, feste Hand; accurat bis ins Kleinliche,
war sie unfehlbar in jeder Art der Buchführung, und deshalb wohl
geeignet, einen Secretair ihres Mannes zu vertreten. Sie unterzog sich
auch diesem Geschäft mit willigem Eifer, und theilte ihre Zeit zwischen
seiner Pflege und seinem Beruf. Wir können uns nicht enthalten, hier zu
sagen, wie wichtig es sey, daß eine Frau den Beruf des Mannes ehre.
Wo dies geschieht, da ist in der Achtung dafür auch ein Gesetz der
Unterordnung gegeben, nach welchem weibliches Wirken und Wollen bestimmt
werden muß. -- Auch von dieser Seite hätte ihr bitterster Feind unsrer
Fabia nichts zur Last legen können. Dies, wie überhaupt den reellen
Werth seiner Frau, wußte der Rentmeister auch zu schätzen, und
vielleicht war es mehr ein Bedürfniß seiner Krankheit als seines
Herzens, daß er die Freude an einem Kinde, ihrer ermangelnd -- so gar
tief empfand. Das liebenswürdige Pflegekind füllte diese Lücke nicht
aus, die eine Wunde in Fabiens Herzen blieb; denn tief im Innersten
verletzt, kämpfte sie oft mit Thränen, wenn ihr Mann mißmüthig gegen die
Vorsicht grollte, und sich in Worten Luft machte, die eben so gut eine
Anklage für sie selbst enthalten konnten.

»Wie aus einem Stein entsprungen,« sagte er dann wohl, »wie von der
Sonne ausgebrütet, bin ich bestimmt, ohne Vater, ohne Kind zu leben
und zu sterben. Der natürlichste Trost für eine verwaisete Jugend, der
Trost, sein Daseyn fortzupflanzen, ist mir versagt. Wenn einst Deine
Thräne, gute Fabia, versiegt ist, dann gedenkt man mein nicht mehr, und
keine Blume sprießt aus der trocknen Erde meines Grabes.«

Da weinte Fabia schon jetzt. »Du schneidest mir mein Herz entzwei --«
sprach sie mit unterdrückter Stimme. »Wir wollen uns nicht versündigen,
Lieber! wenn uns nun ein Kind zu Theil geworden wäre, etwa behaftet mit
einem Fehl, oder erbärmlicher Art, dessen klägliches Geschrei Tag und
Nacht nicht zu stillen? Wie? oder wenn aber ein gesundes, das uns zu
größerem Jammer bald wieder entrissen würde?--« Auch ein stummes, auch
ein todtes Kind wäre ihm lieber als keines -- gab der Rentmeister in
eigenwilligem Trotze der besänftigenden Vorstellung seiner Frau zur
Antwort. Fabia flehete hierauf ihren Mann an, sich solcher Reden zu
enthalten, und warnte ihn mit christlichem Sinn, aber im Geiste jener
heidnischen Worte: »ihnen zur Strafe erhören die Götter der Sterblichen
Wünsche! --«

Dies war in den ersten Jahren der Verheirathung des Rentmeisters
gewesen. Später hatten sich diese Eheleute der Hoffnung begeben, daß
dies ersehnte Glück ihnen noch werden könne, und sich mit ganzer Liebe
-- so weit Fabiens Gemüth derselben fähig war, und der kränkliche
Zustand ihres Mannes sie zuließ -- der Erziehung der kleinen Josephine
gewidmet. Sobald der Rentmeister sich von jener Niederlage erholt hatte,
ging er mit den Seinen von Bonna ab. Fabien fiel das Scheiden von der
Heimath doch schwerer, als sie gedacht. Der neue Wohnort war auch schön;
aber so recht wohl wollte es ihr in Bühle nicht werden. Dazu kam, daß
ihr Mann, obgleich von amtlichen Unannehmlichkeiten frei, doch sein
verdrüßlich Wesen beibehielt, jeden erheiternden Umgang mied und
verscheuchte, und endlich durch eine gewaltsame Entdeckung für immer
verstört wurde. Jene Chatoulle deren unsre Leser gedenken -- war
unter dem Drangsal des hitzigen Fiebers, was sich unmittelbar an
ihre Uebergabe schloß, abseits gekommen. Nach dieser Zeit fand
der Rentmeister so viel Geschäfte, deren Abschluß ihm bei seiner
Ortsveränderung dringend anlag, daß es ihm genügte, dies anvertraute Gut
wohlverschlossen zu wissen. -- Einst aber sprang ihm das Kästchen
ins Auge, und er verlangte den Schlüssel dazu von seiner Frau. »Den
Schlüssel?« fragte Fabia befremdet, »ich habe keinen je gesehen. Du
brachtest das Kästchen ja selbst, wie es hier ist. O, ich weiß mich
jenes schrecklichen Abends noch ganz genau zu entsinnen.«

Der Rentmeister besann sich jetzt, daß der Graf den Schlüssel hatte
schicken wollen, und er muthmaßte, daß es in der Verwirrung der Abreise
vergessen worden wäre. Einen Schlosser kommen zu lassen, daß dieser den
innenliegenden Reichthum sähe, dazu war der Rentmeister zu furchtsam.
Ein krankhaftes Mißtrauen verursachte ihm und Andern gar manche unnütze
Qual -- und so beredete Fabia ihn, das Geschmeide und dessen Richtigkeit
einstweilen auf sich beruhen zu lassen.

Nach längerem Verlauf seitdem starb eine alte Jungfer in Bühle, die
daselbst gelebt; die Tochter des Fiscal. Dem Rentmeister, als einem
Bekannten der Wohlseligen, fiel ein kleines Legat mit dem Auftrag zu,
ihren Nachlaß zu reguliren, und somit eine Menge Schlüssel in die Hände,
darunter mehrere kleine waren. An einem Tage, wo Fabia auf die Bleiche
gegangen war und Josephine mit sich genommen hatte, ihr Mann sich
ungewohnter Weise ganz allein befand, beschlich ihn der Geist des
Unglücks in dem Gedanken, einen jener Schlüssel an dem Kästchen zu
versuchen, ob es sich öffnen ließe. Das künstliche Schloß widerstand
dieser Probe, doch erhitzt vom bösen Feind, der nicht selten in Gestalt
der Neugier den Menschen berückt, that er ihm Gewalt an. Die feine
Stahlfeder sprang entzwei, der Deckel auf -- und der Rentmeister
blieb mit entsetztem Blick starr vor dem Inhalte stehen. Statt des
verzeichneten Schmuckes funkelte ein Messer, daran Blut eingerostet
war -- und auf dem atlaßnen Kissen, wo sonst blitzende Rosetten und
Brustschleifen geruht, lag, in weißem Battist gewickelt, der Leichnam
eines Kindes, so mumienartig zusammengetrocknet, daß er kaum zu erkennen
war. Nur wie ein brauner Gedanke, so unkörperlich, so gewesen -- sah das
winzige Gesicht unter einem tiefen Häubchen hervor, dessen Form für ein
Mädchen zeugte. -- Ein schwach gewürzhafter Geruch war die erstickte
Luft dieses kleinen Grabmals.

Als Fabia mit heißen Wangen von der Bleiche heimkehrte, fand sie ihren
Mann selbst erbleicht. »Sieh hin!« sagte er mit bläulichen Lippen, »der
Hehler einer schauderhaften Mordthat bin ich gewesen, und nicht allein
um die Ruhe meiner Seele, sondern auch um all mein Gut, wenn ich den
Majoratsschmuck ersetzen muß. Wer wird mir denn glauben, daß ich dem
Worte eines Wahnsinnigen trauete? -- Darum fand sich der Schlüssel
nicht, und ich -- ich leichtgläubiger Thor! ladete mir ein fremdes
Verbrechen auf. Wie oft hast Du meine argwöhnische Vorsichtigkeit
getadelt? Du siehst nun, _wie_ vorsichtig ich war! --«

Zum erstenmale verließ Fabien ihre Fassung. Sie stieß einen leisen
Schrei aus, und stand entfärbt, Grausen im Blick, wie unbeweglich.
»Mein Herr und Heiland!« stammelte sie, »das ist ganz erschrecklich! der
Verstand steht mir still.«

»Der meinige ist hier zu Ende --« fuhr der Rentmeister fort, »Was soll
ich nun anfangen! Anzeige davon machen? stillschweigen? daß ein Zufall
diese Beweise einer Unthat bei mir entdecke, und mich zum Mörder
stemple? -- Ich habe nicht Lust, zum Lohne für Treu und Glauben auf dem
Schaffot zu beschließen.«

Fabia kannte ihres Mannes Weise, sich selbst in furchtbaren
Möglichkeiten zu überbieten. Sie sprach aus geängsteter Seele: »ach!
warum bin ich heute nicht zu Hause geblieben! Wer hieß Dich dies
Behältniß öffnen? -- Das Kind läge fein stille vor wie nach, und wir
wüßten von nichts. Das arme Würmchen! --« Und mit gewundenen Händen
niederblickend darauf, dachte sie an den Wurm im Gewissen, der die
unglückliche Albane wohl genagt haben mogte. --

»Was redest Du doch, Frau?« rief der Rentmeister erzürnt, »es hätte
längst geschehen sollen, sage ich Dir. Unverzeihlich ist meine
Saumseligkeit! ich bin wie mit Blindheit geschlagen gewesen. Deshalb
wurden die Anstalten zu jener fluchwürdigen Reise so schleunigst
getroffen, als wie auf der Flucht -- der Sohn des Forstmeisters ist
auch fort in die weite Welt; die Früchte ihres Leibes fallen Anderen zur
Last, und von ihnen heißt es: Die sind besorgt und aufgehoben, der Graf
wird seine Diener loben.«

»Du vergissest, lieber Mann,« fiel Fabia betäubt ihm in die Rede, »daß
man die Gräfinn todt sagt. Ach! ihr wäre wohl, wenn solch ein Weh auf
ihrem Leben gelastet hätte. -- Graf Frankenstern aber und der junge
Romana müssen doch einmal wieder kommen. --«

»Die werden sich hüten --« entgegnete Fabiens Gemahl. »Der Alte -- ich
meine den Grafen -- hat um dies gräuliche Geheimniß gewußt: nichts ist
gewisser. Die Hast, womit er mich nöthigte, das Kästchen anzunehmen, ist
mir deutlich im Gedächtniß. Sieh, Fabia! ich habe eine Ahnung gehabt;
denn es wollte mich erdrücken, als ich es mir nach Hause trug.«

Fabia sah diese verschwiegene Erfahrung als ein göttliches Strafgericht
an. Wie oft hatte ihr Mann gegen den Himmel gemurrt! jetzt war ihm zu
Theil geworden, was er für besser hielt, als das weise Versagen seines
Wunsches: ein todtes, ein stummes Kind! -- Sie selbst verstummte vor
dieser Betrachtung und war sehr gebeugt.

Die unglückliche Fabia! dieser heimliche Gedanke schlug Wurzel in der
Seele ihres Mannes, und wurde zum Polyp, der mit tausend Fasern seine
Lebenskräfte umklammerte. Der Rentmeister ward nicht mehr gesund.
Wir wissen, wie er nach kränklichen Jahren kurz vor seinem Ende die
Beruhigung genoß, in dem Bruder, der sich zu ihm finden mußte, den
Seinen eine Stütze hinterlassen zu können. Sterbend legte er in die
Brust des wackern Administrators das Geheimniß nieder, was ihn zu Tode
gedrückt, und die Pflicht, den ihm gespielten Betrug zu seiner Zeit
offenkundig zu machen.

Nachdem sein Bruder bestattet worden, ließ Herr Prälat bei nächtlicher
Weile den kleinen Schmucksarg unter den Altar der Capelle versenken, von
der das Stift den Namen führt. Die Maurer mogten wähnen, sie vergrüben
einen Schatz -- aber diese Stelle stand unter heiligem Schutz.
Schweigend verrichteten sie ihre Arbeit, und die dumpfen Schläge hallten
schaurig von den stillen Wänden wieder.

Die Wittwe, gesenkten Hauptes, sah ihnen zu. »Was blickst Du so düster,
Fabia?« flüsterte ihr Schwager, »verlasse Dich darauf, ich bin zwar
nicht so bibelfest wie Du, weiß aber doch, daß, wenn ein finstres Werk
zu Tage kommen soll, oder die Unschuld gerechtfertiget, die Steine reden
müssen. Darin lasse Alles sich fügen, wie es des Himmels Wille ist! --«

Als die Gräfinn, der heimischen Gegend entrückt, fremde Luft sog,
athmete sie doch etwas leichter auf, und es war, als ob hinter ihr die
leidige Welt versänke. Zwar war nicht fester Boden unter ihren Füßen,
und die Zukunft ihr nichts weniger als klar; aber der trübe Strom, worin
Albane dem Versinken nahe gewesen, rann doch abwärts, so wie die Räder
des Reisewagens entrollten. Nach einer folgerichtigen Nothwendigkeit
müssen leidenschaftliche Gemüther zuletzt vor ihrem eigenen Glücke
fliehen, und nur Ruhe suchen. Ruhe, der Friede stiller Seelen, dieser
tiefe geistige Genuß, ist ihnen das einzige Bedürfniß. Weinend wenden
sie das Auge von jenem süßen Taumel, jener Freudetrunkenheit, die nicht
dauern kann, und streben nach Selbstbewußtseyn. Sie wissen, wie bald das
schwache Herz erliegt, wie nöthig ihm eine Stütze sey. Das Glück aber
fordert Kraft zur Ausdauer -- des Himmels Seligkeit, unser höchstes
Streben, währt ewig. Die überspannte Saite springt jedoch mit einem
Wehlaut. -- Vielleicht hatte eine gewisse Uebersättigung von Geheimniß
das Verlangen in der Gräfinn erzeugt, öde zu bleiben, ohne irgend eine
andere Beziehung als auf ihren Vater; ja, sie hatte in den verflossenen
Jahren, trotz der befriedigten Leidenschaft und dem Gelingen ihrer
kühnsten Plane -- so viel gelitten und nur Gott bewußt --: daß ein
völliges Nichtseyn ihr dagegen wünschenswerth erschien. Daß sie spurlos
verschwände, sich und Andern, das hätte Albane wohl gewünscht. So war
diese Reise vorläufig als eine Gestorbenheit zu betrachten, die von
mancher Seite erlösend für sie wäre. -- Auch waren Gründe dazu vorhanden
gewesen, abgesehen von denen, die das Innnerste der Seele so zart
verhüllen, daß nur der Finger Gottes sie aufzudecken vermag. Der Arzt,
der Gräfinn vertrautester Freund, hatte ihr eröffnet, wie er von hoher
Behörde aufgefordert worden sey, über den Gesundheitszustand ihres
Vaters und sein geistiges Vermögen Zeugniß einzusenden. Der Staat trage
billiges Verlangen, unter der Befugniß, für eine bedeutende Seelenzahl
zu sorgen, deren Aufsicht unmöglich einem Geisteskranken anvertraut
bleiben könne, das schöne Majorat bei Leibesleben seines derzeitigen
Grundherrn zu ererben, und den Grafen Frankenstern anständig zu
pensioniren. Zudem wisse er von guter Hand, daß der Bischof, in Kenntniß
von dem Gelübde der Mutter Albanens, sich höchlich wundere, wie und
warum dem Himmel eine Seele und der Kirche ein Brautschatz so lange
vorenthalten werde? -- Auch von dieser Seite drohe den Verhältnissen
der Gräfinn ein Angriff. -- Sonach sey es an der Zeit, sich diesen
Anmaßungen zu entziehen.

Wie durch Inspiration jener Frage an das Gewissen seines
Leibarztes kundig, beantwortete der Graf sie selbst. Nie war er
gesammelter gewesen, als zu dieser Zeit, wo die Zerstreuung der
Reise-Angelegenheiten seine verworrenen Gedanken auf gewisse Weise
entschuldigt haben würde. Da war kein träges Säumen mehr. Gleich einem
schlafenden Funken, den ein Hauch plötzlich weckt, leuchtete er auf,
und entbrannte auch wohl im Zorn über so manchen Mißbrauch, der sich
eingeschlichen. Die Beamten erstaunten, denen er sich edelstolz als Herr
zeigte, als der gütige Schützer seiner Unterthanen gegen die Strenge der
Verwaltung. Alles trat in ein anderes Licht -- und erröthend vor Freude,
schrieb der Arzt sein Attestat an die Regierung.

Doch nur für diesen Zweck schien der Graf durch die freundliche
Ohrenbläserei desselben zu thätiger Umsicht entflammt worden zu seyn.
Er sank alsbald wieder in seine gewöhnliche Apathie zurück, und fuhr mit
geschlossenen Augen und Sinnen durch die Natur, ohne daß ihre schönsten
Wunder vermogt hätten, nur mit einem Strahl göttlicher Offenbarung an
seinen finstern Geist zu dringen.

Albane webte um ihn wie ein Schatten, und verließ ihn nie; die Pflicht
der Sorge für ihren Vater erfüllte jeden ihrer Augenblicke. Auch
bedurfte der Graf dieser Treue. Die Furcht vor dem Tode quälte ihn
abwesend minder, und war zu der fixen Idee geworden, dieser Feind seiner
Lebensruhe könne ihn nicht ereilen, so lange er von Ort zu Ort zöge, wie
man nur in der Heimath schlafen zu können meint. Ein beständiges Fliehen
trieb ihn rastlos umher, und die Geißel der Menschheit vereinigte sich
mit diesem unstäten Drange, ihm keine bleibende Stätte zu gönnen.

Der Ausbruch des Krieges hatte das Land überschwemmt -- die Güter des
Grafen waren stark mitgenommen. Albane erkannte es als eine nicht genug
zu preisende Wohlthat, dieser Usurpation entronnen zu seyn. Sie lebte in
verborgner Stille mit ihrem Vater, bald hier, bald da. Ein, dem Grafen
vormals befreundeter reicher Edelmann, der sein einsames Alter in der
Hauptstadt gesellig erheiterte, hatte Albane und ihren Vater unterweges
getroffen, und ihnen seine unbewohnten Schlösser in Auswahl zum
Aufenthalt angeboten, welche sie zu Zeiten benützten. Der Oberverwalter
sendete die verlangten Summen durch die dritte, vierte Hand gegen die
Unterschrift des Grafen, an ein Handlungshaus, und mußte in Allem für
sich selbst stehen. --

Ein Irrthum hatte die Nachricht, Albane sey todt, in Bonna verbreitet,
leicht für wahr angenommen, da ja die Gräfinn immer kränklich gewesen.
Eine authentische Bestätigung war unter jenen wüsten Umständen nicht
einzuziehen. Niemand zweifelte, auch Sylvius nicht. Wir wissen, welche
Folge dies hatte. Zweifel wäre hier Glauben gewesen -- Glaube der
Liebe! --

Als die Gräfinn daher ihren Gemahl in Tonys Arm erblickt, als sie die
Geschichte der gestorbenen Frau aus seinem Munde vernommen: da war ihr
Zustand der jener abgeschiedenen Gattinn vergleichbar, welche, wie eine
sinnige Sage uns erzählt -- nachdem sie ihren Gatten, den zu trösten sie
aus der Unterwelt herauf gestiegen, an der Seite seiner Braut gesehen,
ob auch nur einen Augenblick lang -- willig in die Hölle zurückgekehrt
sey, auf ewig. -- Albane floh vor diesem Anblick, diesen Worten,
unauslöschliche Flammen im Busen. Wie eine Verfolgte warf sie sich an
den Hals ihres Vaters, und das ungestüm klopfende Herz begehrte Zuflucht
bei ihm. Sie vergaß, daß der Graf ihr Geheimniß nicht kenne. Sie wußte
nicht, daß Sylvius sie für todt hielt. Die Gräfinn dachte endlich nicht
daran, daß sie selbst sich zuerst von ihrem Gemahl losgerissen hatte.
Aber nichts destoweniger fühlte sie unter heißen Schmerzen, wie sehr sie
ihn geliebt, und daß er sie nicht vergessen dürfen noch sollen. Jener
Moment, der sie davon überzeugte, hatte eigentlich und weit anders als
ihre Trennung, ein inniges Band zerrissen, und das Herz blutete nach.

»Dies also war die Liebe --« sagte Albane mit dem wunden Lächeln einer
frischen Kränkung, »der ich mein Seelenheil geopfert!? -- O Gott! so
lieben Menschen, -- _Männer_! O meine Mutter!«

Ihr grauete nun vor nichts mehr auf Erden, es wäre denn die Rückkehr
nach Bonna gewesen. -- Nach und nach spannten ihre Gefühle sich ab, und
eine tonlose Stille, die keinen Anklang mehr von sich giebt, schwebte um
das zertrümmerte Saitenspiel ihrer Empfindung. Wenn alle Schmerzen der
Seele sich durch Mittheilung lindern: die Leiden gekränkter Liebe nicht.
Diese tragen sich nur allein. Wo Menschen um eine verlorene, verrathene
Liebe wissen, da wird ihr Verlust doppelt gefühlt, da ist der Schmerz
jenes Wissens größer, als der ihrer Erfahrung. Wer getröstet seyn will,
darf nur die Theilnahme der Engel ansprechen, und wirklich war ein Engel
Albanens einziger Trost: ihre kindliche Pflicht.

Graf Frankenstern war allgemach ein Greis geworden. Sein Körper schien
gesund, doch sein Geist bei zunehmenden Jahren die zerstörende
Kraft verloren zu haben, und in einen gewissen Zustand der Kindheit
zurückgegangen zu seyn. Seine Imagination war ein Spiel -- aber mit
ernsten Gegenständen. Er interessirte sich für Politik -- allein nur
in Gemäßheit seiner verworrenen Begriffe. Aus Mangel entsprechender
Mittheilung berief er oft die Monarchen und ihre Feldherrn zu sich, und
legte ihnen seine Ansichten und Plane vor. »Ach!« sagte er dann, und
deutete traurig auf die hohen Stühle, »Sie schweigen, meine Tochter! ich
hoffe wenig.« Albane schwieg auch. Sie hoffte gar nichts mehr. --

Die Gräfinn pflegte ihres Vaters treu und sanft wie eine Mutter.
Sie schmückte sich geduldig, wenn er es für solch eine Zusammenkunft
wünschte, sorgte für eine vornehme Bewirthung, die unberührt blieb, weil
nur Geister zu Gast waren -- und machte ihm allen Willen, wie man einem
kranken Kinde thut. Mit träumerischem Lächeln starrte sie in die wüste
Leere des Zimmers -- nur der Spiegel zeigte ihr ein bleiches Bild. Aber
jener Friede, welcher höher ist als alle Vernunft, fing an, bei ihr
einzukehren.

Vorzugsweise beschäftigte den Grafen _eine_ welthistorische Person: der
beseitigte Schutzgeist Napoleons, die Exkaiserinn von Frankreich. Sie
war die liebste Puppe seiner Gedanken, ihr Schicksal trug er im Herzen
-- und hätte lieber gesehen, daß Jedermann diese Erste Frau auf Händen
trüge.

»Heut kommt Josephine -- sie hat es mir geschrieben,« sagte der Graf und
blickte in einen kleinen Zettel der vor ihm lag, »binde Dir ein besseres
Halsband um, meine Tochter.«

Albane erblaßte. Dieser theure Name regte die tiefste Sehnsucht ihres
Busens auf. »Wenn das wäre,« antwortete sie mit wankender Stimme,
»dann hätte ich nur _einen_ Schmuck --: zahllose Perlen! Perlen aus dem
tiefsten Meer!« Und über ihre Wangen rollten Thränen, in denen ein Glanz
von Freude schimmerte.

Die große Tragödie des Krieges war aus, die Völker steckten das Schwerdt
in die Scheide, die Fürsten zogen ruhmgekrönt nach Haus. Gras wuchs über
den Schmerz der Welt, und wo am meisten Blut geflossen, da blühte die
segensreiche Aehre am schönsten. -- Jetzt war dem Grafen zu Muthe, als
wäre ein langer Kampf in ihm zu Ende, und er dürfe nun auch heimziehen.
Er sehnte sich nach Ruhe -- nach einer neuen oder vielmehr alten
Ordnung der Dinge. »Albane,« sagte er, »ich habe es nun satt, dies
Nomaden-Leben. Wir wollen fort, nach Bühle --« ein leiser letzter
Schauer vor Bonna rieselte über seine Nerven -- »hörst Du? meine
Tochter?« Dann setzte er hinzu: »Sanct Capella ist nicht weit von dort.«

»Die Klöster sind aufgehoben --« antwortete die Gräfinn, indem sich bei
dem Worte ihres Vaters der Schleier hob, worein sie, völlig entsagend,
alle Wünsche, ihr irdisch Leid, vor der ganzen Welt verhüllt hatte.

»Nun, das Stift steht ja noch --« versetzte Jener, als wolle er sich
nicht merken lassen, daß er daran nicht gedacht. »Nonne kannst Du nicht
werden --« fuhr der Graf wie befreit fort, »nicht Seine päbstliche
Heiligkeit, nein! der himmlische Vater selbst hat Dir Dispens davon
gegeben, und Du bist mehr als eine barmherzige Schwester, Du bist eine
wohlthätige Tochter geworden, für mich alten schwachen Mann!«

Da weinte Albane laut. Sie fühlte sich entsündigt, und daß die Liebe des
Gesetzes Erfüllung sey.

Die Zurüstungen zur Reise wurden nun getroffen. »Wie werde ich Alles
finden?« fragte die Gräfinn sich tausendmal. Das Thor der Möglichkeiten
that sich weit vor ihr auf -- doch der künftige Tag ist den Sterblichen
verschlossen.

       *       *       *       *       *

Wir finden Theresen auf der Reise nach ihrem künftigen Wohnorte wieder.
Sie sitzt an der Seite des Gemahls, berührt von seinem Mantel; ihre Hand
liegt in der seinigen --; aber die Jahre ihrer Entfernung, die Länder,
welche Constanz durchreist, liegen fühlbarer noch für seine Gattinn,
zwischen ihnen. Sogar seine Stimme klingt ihr fremd -- wie von einem
dunkeln Jenseits herüber. Jener rührende Zauber, womit die geliebteste
Stimme an die Seele dringt: er war vernichtet durch eine Gegenkraft --
und Therese hörte nur, daß ihr Mann etwas heiser sey. -- Sie blickt in
den Boden seines Hutes, den sie auf ihrem Schooße hält, weil Constanz,
um besser zu ruhen, sich mit unbedecktem Haupte in die Ecke des Wagens
geschmiegt hat; doch eigentlich blickt sie in die Tiefe ihres Herzens,
das auch ohne _Hut_ und deshalb übel gefahren ist -- und ein fremder
Meister hat dort auch seine dunkle Vignette angeheftet. -- Die Fahrt
geht rasch; aber Therese kann sich von dem Gedanken an das Stift
nicht losreißen, und doch, so wie der unermeßliche Himmel sich vor ihr
ausspannt, spannt ein geheimnißvoller Aether die Flügel ihrer Sehnsucht
nach der Ferne. --

»Erzähle mir etwas Du Liebste! von Deinen Freunden --« sagte Constanz zu
seiner schweigsamen Gefährtinn, »und vergönne, daß ich Dir still zuhöre.
Es ist, als ob mir jedes Wort einen schmerzenden Reiz in der Luftröhre
verursachte. Wie es scheint, hast Du sehr glücklich in Sanct Capella
gelebt.«

»O sehr glücklich!« antwortete Therese mit einem Seufzer der Wehmuth;
und der Accent dieser Versicherung hätte ihren Mann beleidigen müssen,
wenn er innigere Ansprüche an seine Frau gemacht.

»Der Ort ist doch wirklich zauberisch schön gelegen,« fuhr Therese fort,
»und läßt nichts vermissen. Wir bildeten eine kleine Gesellschaft unter
uns, das ist denn ein ganz anderes Verhältniß, als die Verbindungen in
Mitten der Welt. Wir waren Hausgenossen -- Eine Familie gleichsam --
und mit wahrer Lust im Bann des Klosters. Die Verschiedenheit der
Charaktere, welche dazu gehört, um innig im Umgange zu seyn, gab unserm
einfachen Zusammenleben vielseitiges Interesse. -- Welch ein köstlicher
Mensch ist der Bruder! nur gesunder möchte ich ihn wünschen, obgleich
er sich in der letzteren Zeit erholt zu haben schien. Dann Fabia -- wie
eine Mutter war sie für mein Bestes bedacht. Man muß sie nur kennen.
Wer sie aber kennt, schätzt sie gewiß. Sie gleicht einem süßen Kern in
spröder Schale. Und etwas Lieberes, als die alte Nonne, die Du gesehen
hast, kannst Du Dir gar nicht denken, Constanz. Das ist wahrlich eine
heilige Jungfrau, die besser als der Papst die Sünde den Menschen
verzeihen könnte! -- Da ist nichts von der finstern Verdammniß zu
spüren, die Niemand selig werden lässet, der die Welt ein wenig lieb
hat. Schwester Veronica ist sanftmüthigen Geistes, mild gegen Jedermann
-- kein feindlicher Gedanke, kein gehässiges Gefühl fände Raum in ihrer
friedenvollen Seele. Auch hat sie selbst geliebt, und ihr Herz dieser
Liebe geopfert. Man kann diese kleine Geschichte nicht ohne die größte
Rührung hören. -- Dafür scheint ihr denn auch ewige Jugend geworden zu
seyn, und ich habe zuweilen schon gedacht, die gute Nonne stirbt wohl
gar nicht, und wird in ihrem Erdenleibe, worin sie himmlisch lebt,
einmal von Engeln emporgetragen.«

»Deine Schilderung ist begeistert, meine Therese --« fiel hier Constanz
seiner Gattinn in die Rede, »und ich hätte Dir so viel Sinn für
_klösterliche_ Vorzüge kaum zugetraut.«

Therese empfand die leise Ironie in den Worten ihres Mannes nicht. Sie
sprach: »von der Clausur merkte man nicht das Geringste an ihr. Veronica
konnte sehr heiter seyn, und sogar anmuthig scherzen. Wie oft hat
sie über die tollen Lügen Moorhausens herzlich gelacht! wo selbst der
Schwager ergrimmte, sagte sie nur: es ist ihm zur andern Natur geworden,
ich denke mir, er genießt das Vergnügen eines Fabeldichters, der aus dem
Stegreif erzählt, und gönne es ihm.«

»Und der Major?« mit diesen drei Frageworten störte hier abermals
Constanz die Charakteristik, womit seine Frau ihn unterhielt, »dem
scheinst Du ganz besonders wohl zu wollen.«

Therese erröthete; ein Widerschein von Purpur, von zarterem Anflug und
höherer Farbe als das Futter ihres Hutes, hauchte ihre Wange an, und sie
schlug die braunen Augen tief nieder. Sie sprach: »o! das ist auch ein
excellenter Mann! Den solltest Du kennen. Er war mir väterlich gut, und
ich hätte ihm zuweilen die Hand küssen mögen.«

Hier zog Constanz die seinige aus Theresens Hand, und schlang einen
Knoten in das bastseidne Schnupftuch, als wolle er sich etwas in das
Gedächtniß knüpfen. Eine Pause trat ein, dann sagte er: »dieser Major
Feldmesser --«

»_Feldmeister_,« berichtigte Therese, und ihr Mann redete weiter, »hat
mir auch sehr gefallen.« Seine Frau warf auf diesen Ausspruch ihm
einen schönen Blick zu, und erwiederte: »er ist der beste Freund Deines
Bruders, und diesen Rang wird ihm schwerlich jener Sylvius streitig
machen, der mir immer unheimlich vorgekommen ist.«

»Nun der Schatten darf Deinem Gemälde auch nicht fehlen --« versetzte
Constanz, »doch das Schönste, den Lichtpunkt, hast Du Dir bis zuletzt
aufgehoben: Josephine. Dieses liebenswürdige Geschöpf, erquicklich in
seinem Anblick und bescheiden, ist ein wahres Blümchen Augentrost.«

Es ist ein schlimmes Zeichen, wenn eine Frau, auch die beste -- das Lob
einer Andern ihres Geschlechts, ohne Eifersucht, aus dem Munde ihres
Gemahls hört. Ohne Extase entgegnete hierauf Therese: »es ist ein
seelengutes Mädchen, und gar nicht so simpel, wie man glauben könnte. --
Sie wird strenge gehalten, die arme Josephine! und ihren zarten Kräften
wird viel aufgebürdet, was nur durch diese stille Duldung zu ertragen
möglich ist.«

»Das süße Lamm!« sprach Constanz mit regem Bedauern, »doch nach dem
Sprüchwort und der Erfahrung: regieren gestrenge Herren nicht lange.«
Ein diplomatisches Lächeln spielte um seinen Mund. Und weil dieses Bild
von raschem Umschwung ihn in den Kreislauf seiner Vergangenheit zurück
versetzte, so kam er durch eine sehr natürliche Association der Ideen
auf die Frage: »wie brachtet Ihr denn sammt und sonders Eure Tage zu?«

»Du meinst, wir hätten Langeweile gehabt? nicht einen Augenblick, sage
ich Dir!« versicherte Therese mit leuchtenden Augen. Und das Quecksilber
ihres Temperaments machte ihre Seele zu einem Spiegel, der die kleinen
Freuden des Stiftes glänzend verdoppelte; ihre Rückblicke zeigten Alles
in erhöheter und reinster Potenz. »Des Abends waren wir zusammen, und
spielten Whist oder Schach --« setzte sie mit fallender Stimme hinzu,
und der Tagesbericht der muntern Kostgängerinn von Sanct Capella endete
in einem leisen, ernsten Seufzer.

»Und da schlugst Du selbst den tapfern Feldmeister aus dem Felde --
nicht wahr?« fragte Constanz, ihrer Fertigkeit sich entsinnend, und
zupfte seine Frau an einem Löckchen hinterm Ohr. Aber es war Theresen,
als ob sie am Gewissen gezupft würde.

»Nicht immer --,« antwortete sie halblaut, »ich war auch bisweilen im
Verlust.« -- War es der versteckte Sinn dieser Worte, oder der Geist der
Liebe, der in der Erinnerung an das Schachspiel ahnungsvoll sein Herz
bewegte? -- Genug, die Wage seines unpäßlichen Gleichmuths schwankte,
und der Ton war von Gewicht, als ob ein Vorwurf ihn herabzöge, womit
er sagte: »da Deine Zeit so mit Vergnügen besetzt war, wie ich zu dem
meinigen höre, -- so fandest Du wohl wenig Muße, meiner zu gedenken?--«

So hätte Constanz jedoch nicht fragen sollen! Therese ward sich bewußt,
daß ihr Gemahl beinahe drei Jahre abwesend gewesen. Sie antwortete
tiefsinnig lächelnd: »es braucht viel Zeit, bis eine Welt untergeht.« --

»Wo hast Du die Phrase her, Therese?« fragte Constanz, erstaunt über das
Wissen seiner Frau, und über die Anwendung, welche sie von jenen Worten
machte.

»Ich schlug sie jüngst in einem Buche auf, worin der Bruder las --«
sagte die schöne Frau, welcher der Verfall des ganzen römischen Reichs
übrigens sehr gleichgültig war.

»So bin ich noch Deine Welt?« fragte er seltsam heftig, und neigte sich
zu ihr, und Theresens Blick, ein Abglanz jener Sonne, die ihn einst
erwärmt, fiel wie ein Mondstrahl, kühl und geheimnißvoll, in das Düster
seiner Vorstellungen.

Während der längeren Dauer dieser Reise suchte Therese durch
freundliches Geschwätz ihren Mann zu erheitern, der sich leidend dabei
verhielt. Wenn sie beflissen schien, von Diesem und Jenem zu sprechen,
so war's vielleicht, daß er ihre Absicht merkte, was ihn verstimmte. --
Das Bedürfniß der Unterhaltung ist ein schlimmes Merkmal für die Liebe.
Wo ein Liebender die Langeweile des Andern empfindet, da ist dieser
Andere schon verkürzt. Ein Herz, ganz von seinem Gegenstande ausgefüllt,
bedarf nichts als des Glückes, bei ihm zu seyn. Liebende sind -- ist ihr
Verhältniß in der Ordnung -- Sich die Einzigen, die da leben: denn
jede junge Ehe wiederholt die Schöpfung, und der Athem Gottes hat
millionenmal das Paradies geschaffen, seit das erste verloren ging.
Wenn daher Menschen, beseelt von diesem ewigen Hauch, etwas außer
sich merken, und mit jenem Bewußtseyn, was der Liebe heiliges Glück
vernichtet, ihr Gefühl verhüllen, o! dann blitzt der feurigste Gedanke,
oder auch ein Witzfunken, nur von dem flammenden Schwerte des Engels,
der an der Gartenpforte ihres Edens steht. Sie wandeln fortan zwischen
Dornen und Disteln der Erbsünde, und das Kind der harten Erde wird mit
Schmerzen geboren, wissend, daß es sterben muß! --

Nach mehreren Tagen, in denen der neue Legationsrath sich und seiner
Gattinn nur wenige Stunden der Ruhe gegönnt, sahen sie die schöne
Stadt nun vor sich, welche der Ort seiner Bestimmung war. In äußerster
Erschöpfung freute sich Therese, endlich am Ziel zu seyn. Ihr Blut war
durch das anhaltend rasche Fahren in Wallung, das feine Geäder am Halse
hüpfte, in jeder Fingerspitze hämmerte ein Puls. Sie war zu müde, um
sich ängsten zu können, da Constanz sich unwohl klagte. »Dein Husten
pfeift ordentlich und hat einen schneidenden Ton,« sagte sie unter einem
nervenfröstelnden Rückenschauer zu ihrem Manne. »Ich denke, wenn Du
wirst ausgeschlafen haben, dann giebt es sich.«

»Ja, ich denke einen langen Schlaf zu thun --« antwortete Constanz mit
mattem Lächeln, und schloß die entzündeten Augen vor dem Häusermeer, was
der letzte Abendschein vergoldete.

»Das wolle der Himmel geben!« erwiederte Therese unschuldig auf jene
berühmten Worte.

Indessen dämmerte es tief, ehe sie die Stadt erreichten. Es war zur
Meßzeit, und trotz der abendlichen Späte ein wogendes Gewimmel in den
Straßen. Der Reisewagen, dem der blasende Postillon Respect verschaffte,
rückte jedoch nur langsam vorwärts, und hielt am Engel, einem Hotel, das
hinsichtlich seiner Vorzüglichkeit so hoch über die Adler und Sterne
der besten Gasthöfe ragte, wie der Geist seines Sinnbilds über die
menschliche Unvollkommenheit.

Therese erschrak, als die großen Laternen zu beiden Seiten des
ätherblauen Schildes, worauf der weiße Engel, mit einer Palme in den
Händen, schwebte, ihren Schein auf das Gesicht ihres Mannes fallen
ließen; es war todtenblaß, Constanz war kaum noch im Stande, die bequeme
Stiege hinanzusteigen. Im Zimmer angelangt, sank er beinahe ohnmächtig
in einen Stuhl. -- Hier, von einem erstickenden Husten, wobei ihm jede
Muskel schwoll, convulsivisch erregt, konnte er lange nicht zu Worte
kommen; doch als er eines Sylbenlautes mächtig war, forderte er einen
Arzt, weil der Schmerz im Halse von Minute zu Minute furchtbarer wurde.
Es ward bestellt. Alsbald rauschte unter den Händen eines flinken
Dienstmädchens das Bett, wonach Constanz stöhnend verlangte; der Tisch
war gedeckt, die kräftige Suppe dampfte -- aber der Kranke schüttelte
sich gegen den Genuß, und der armen Therese war aller Appetit vergangen.

Eine tödtlich lange Stunde war vorüber, und der Doctor noch immer
nicht da. Das Kommen an der Hausthüre, das unaufhörliche Gehen auf
dem Vorsaal, der Laut jeder männlichen Stimme im Flur, täuschte die
peinliche Erwartung der harrenden Frau. Constanz lag ganz still, er
seufzte nur. --

Unglücklicherweise hatte man für das Erkranken eines Herrn, der mit vier
Pferden Extrapost angekommen, nur den vornehmsten Arzt passend gefunden.
Leider aber war dieser der bequemste von Allen, der lieber seinen Leib
pflegte, als den Derer, die sich seiner Kunst anvertrauten. In solchen
Aerzten hat das Gefühl ihrer eigenen Unsterblichkeit die achtsame Sorge
für das Leben Anderer verschlungen. Sie fußen fest auf der begrabenen
Welt, die einen düstern Lorbeer für sie trägt. --

Jener Primus der Mediciner dieser Stadt saß bei einem Abendschmause,
kaum frugaler als der in Voßens Idyllen, und gehabte sich gleich seinem
Collegen aus Hamburg, den der Pächter redend darin einführt -- als der
Ruf aus dem Engel an ihn erging. Er that jedoch seiner Menschlichkeit
zuvor volle Genüge und gütlich, ehe er ihm Folge leistete.

Endlich rollte sein Wagen vor. »Der Regierungsrath kommt --« rief der
Kellner in das stille Zimmer, und ein stattlicher Mann keuchte die
Treppe herauf. Therese war eines deutlichen Berichts fast unfähig, der
Doctor verpustete inzwischen. Dann schritt er gravitätisch dem Bette zu,
nahm Platz, seine Taschenuhr in die Hand und faßte den Puls des Kranken.
Die ruhige Flamme der Kerzen zitterte im Zifferblatt, und warf einen
prunkenden Schein auf den Orden an der Brust des Arztes. Theresens Herz
schlug flüchtig; doch ihr Athem stockte. --

»Eine schlimme Halsentzündung ist im Anzuge --« war der Ausspruch, wobei
Therese ihren schönen, freien Hals wie zugeschnürt fühlte. »Ein Wundarzt
muß schleunigst herbeigerufen werden --« setzte der Doctor dictatorisch
hinzu, und betrachtete einige Momente die Gesichtszüge des Kranken, der
taub und glühend, wie in den Schmerz von Flammen eingehüllt, da lag, und
kein Zeichen der Theilnahme an seinem eignen Wohl und Weh -- von sich
gab. Man brachte das verlangte Schreibzeug, der Doctor schrieb nach
kurzem Besinnen einige Abreviaturen mit blasser Dinte, und schlang
seinen Namenszug in eine großartige Hieroglyphe. Dann schnitt er -- mit
der Scheere der Parze -- den Streifen Papier ab, und reichte ihn einem
Aufwärter, der schon darauf wartete, das Recept in die Apotheke zu
tragen.

Unterdessen kam der Wundarzt und empfing seine Instruction. Dann
entfernte sich der Regierungsrath, um an die Tafel des Wohllebens zurück
zu kehren; unbekümmert darum, ob auch wissend -- daß ein bedeutenderer
Mann hier stürbe.

»Verlassen _Sie_ mich nur nicht!« flehte Therese den Wundarzt an, der,
ein guter Mensch und viel sanfter als sein Beruf -- ihr versprach, die
Nacht über da zu bleiben. »Auch wird es nöthig sein --« sagte er, um
diese Maßregel durch mehr als sein Mitleid, durch Erkenntniß der Gefahr
zu rechtfertigen, »der Herr Gemahl haben die Bräune.«

Therese starrte den Chirurg mit ihren braunen Augen an, die auch wohl
gefährlich werden konnten, und fragte furchtsam: »die Bräune? an der
sterben doch wohl nur Kinder? --«

Der Wundarzt schwieg; ein Lächeln trüber Erfahrung, ein leises
Achselzucken nur, war seine Antwort.

Mit einem kindischen Grauen sah Therese ihn die zappelnden Blutegel
auspacken, die sich ihr wie kleine dunkle Schlangen an das Herz legten.

Welch eine Nacht! -- doch auch die Schatten der bängsten zerfließen.

Als der goldne Morgen heraufstieg, zerfloß Therese in tausend Thränen:
Constanz war gegen die dritte Stunde gestorben. Mit allen Schauern der
Natur hatte seine Frau zum erstenmale den Tod gesehn, und in den Zügen
Dessen, den sie einst geliebt. Dort lag er nun, ein starrer Leichnam!
die bleierne Stille seines Anblicks wirkte zermalmend auf Theresens
Leichtsinn -- es waren die schwersten Stunden, die sie gelebt; denn an
dem Todtenbette ihrer Mutter hatte die Liebe ihr zur Seite gestanden.

»Eine Stunde früher --« hatte der Wundarzt unbedachtsam geäussert, und
der Kranke wäre zu retten gewesen; jene Stunde der Säumniß, am Tische
des reichen Mannes, die dem armen Constanz himmlisches Manna zu kosten
gab.

Das Geräusch des Tages erwachte, der Markt füllte sich mit Menschen, die
Kaufleute legten heute bunte Waaren aus. Eine fremde, gleichgültige
Welt bewegte sich unter Theresens verweintem Blick. Die Sonne schien
frühlingsheiter -- sah denn das Auge Gottes diesen Jammer nicht? -- die
furchtbare Eile dieses Vorfalls machte den Eindruck davon auf das Gemüth
der beklagenswerthen Frau noch gewaltsamer, so daß sie zu erliegen
glaubte. Sie fühlte sich fürchterlich allein. Sie dachte an die Bewohner
des Stiftes, die ruhig träumen würden, es gehe ihr nach Wunsch. Endlich
sank sie in eine fühllose Mattigkeit.

Wie ungemein dies traurige Ereigniß nun auch war, so konnte der Wirth
zum Engel, bei dem Gedränge seines Hauses, sich nur auf flüchtige
Beweise seiner Theilnahme einlassen. Er übernahm die Meldung bei den
Behörden, die Besorgnisse der Bestattung, und hatte nun für weiteren
Beistand keine Zeit; doch destomehr, seine Gäste mit jenem interessanten
Vorfall zu unterhalten. Zum Tröster war der practische Mann ohnehin
nicht geschaffen. Man denke Theresen! sie, die, selbst für den
freudigsten Zweck, keines geschäftsmäßigen Bestellens jemals fähig
gewesen, sollte eine Auskunft geben, wie sie wünsche, daß ihr Gemahl
begraben werde, mit dem Tischler reden, der, das Maaß zum Sarge zu
nehmen, kam, und dem Schlosser Gehör geben, für den der Wirth bat, daß
er die Arbeit bekäme. -- »Ich beschwöre Dich, Füßli« --, sagte sie
mit gerungenen Händen zu dem Bedienten ihres Mannes, einer treuen,
leidtragenden Seele, »überhebe mich dieser Menschen, die härter sind als
ihr Holz und Eisen, was sie handhaben! ich halte es länger nicht aus,
ihnen Rede zu stehen.«

In einem kraftlosen Zustande lag sie auf dem Sopha; unter ihren Fenstern
summte das Gewühl. Sie glaubte, die Bewegung des Fahrens noch zu
empfinden, zuweilen schrak sie auf, im Gefühl von einem tiefen Fall. Wie
im Traume traten die Bilder vergangener Stunden zu ihr hin. Es war ihr,
als ob Fabia spräche: »Du bist nun auch eine Wittwe, wie ich!« _Eine
Wittwe!_ diesem bangen einsamen Begriff widerstrebte ihre frische
Jugend, und der harmlose Sinn, welcher sie bisher beglückt hatte. Die
Glocken hallten mit tiefen Tönen dies Wort -- die Stille flüsterte es
nach, und die Reiseuhr, die noch regelmäßig ging, da die Zeit ihres
Besitzers abgelaufen war, pickte mit sachter silberner Ruhe, daß es
wirklich wahr sey. -- Auf einmal fragte sie scheu und leise: »hörtest Du
nichts, Füßli?« »Nein,« antwortete der Bediente, »ich glaubte, gnädige
Frau wären eingeschlafen, und dankte meinem Gott dafür. Ach!« fuhr er
sein betrübtes Herz erleichternd fort, »zur Messe ankommen und sterben,
und in einem Gasthofe seyn: das ist Alles, was ein Mensch ausstehen
kann. Das Leichenbrett sogar steht auf der Rechnung.«

»Ach laß es stehen! Sey nur still, um Gotteswillen -- wenn Du nicht
willst, daß ich selbst den Tod davon habe --« sagte Therese abwehrend,
»es war mir, als hörte ich Jemand sprechen, dessen Stimme mir bekannt
ist.« Sie lauschte nach der Wandseite.

»Eine Herrschaft vom Lande, eine alte Baroninn, war eben angekommen, und
logirt daneben --« antwortete Füßli, und seine Dame nahm doch Anstand,
ihm einen Auftrag der Neugier zu geben.

»Mein Kopf ist wüst --« sagte Therese, »und in diesem Gewirre der Angst
werden Einem selbst die stillsten Gedanken laut.« Doch wie von jener
Täuschung besänftiget, schlief sie nun wirklich ein.

Als Therese am nächsten Morgen zu einer dumpfen Besonnenheit erwachte,
sagte sie: »mit Schrecken sehe ich, daß ich noch wie ein Regenbogen
gekleidet bin -- ich muß doch wohl ein wenig trauern? Mir ist ganz
schwarz vor den Augen, wenn ich nur daran denke. Gehe Füßli, und kaufe
mir einen Streifen Flor zur Binde -- eine finstre Haube könnte ich nicht
tragen, ich stürbe -- Dann hole mir ein Paar Schuhe von Serge; nimm
einen von diesen mit, sie passen mir am besten.« Sie schleuderte den
Probeschuh -- eine seidne Aurora -- von dem zierlichen Fuß, und setzte
mit einem herben Lächeln hinzu: »Wer mich so sähe, müßte glauben, ich
wandelte auf Rosen. -- Das Kleid will mir die Wirthstochter besorgen.«

Der Befehligte ging und kam lange nicht wieder. Endlich trat er ein mit
einer gewissen Hast, der Athem schien ihm entgangen, und die Zornader
stark angelaufen.

»Du warst lange, Füßli --« empfing ihn seine Dame im Klageton eines
gütigen Vorwurfs, »wohl eine Stunde, und Du glaubst nicht, wie bange mir
der Augenblick vergeht, den ich ganz allein zubringe.«

»Kann nichts dafür, gnädigste Frau,« entschuldigte sich jener, »es ist
überall ein Gedränge, man kann nirgends zu. Aus einem Viertel machen
sich die Kaufleute nichts -- es wird Alles im Ganzen abgesetzt; da
ließen sie mich stehen. Dann müssen kleine Füße bei großen Damen hier
rar seyn. Des Suchens war kein Ende, und an Kinderschuhen von diesem
Maaße kein Vorrath. Zuletzt hatte ich noch einen Auftritt auf offner
Straße. Es ist hier eine verflixte Polizei.«

»Wie so?« fragte Therese, und schickte sich an, den Einkauf zu
versuchen.

»Nun,« antwortete der Bediente mit entrüstetem Tone: »wie ich so im
besten Gehen bin, kommt Einer von der Polizei daher -- ich meine, das
müsse er gewesen seyn -- stiert auf meine Hand und ruft: Freund! wo hast
Du den Schuh her? -- Es fiel mich an. Mein Herr Offizier, gab ich ihm
zur Antwort, gestohlen habe ich den Schuh nicht, und um das Weitere
braucht sich Niemand zu kümmern. Nun legte er sich aufs Bitten, besah
sich den Schuh von allen Seiten, so daß ich daran denken mußte, was
mir, da ich noch ein kleiner Knabe war, meine Mutter seliger von einem
bezauberten Prinzen erzählte, der -- --«

»Ich weiß, ich weiß --« unterbrach ihn Therese mit einiger Heftigkeit.
-- Füßli starrte seine Dame an. Sie war wie mit Blut begossen -- er
meinte, es käme vom Bücken; nur über seinen Horizont ging es gänzlich,
daß sie wissen wolle, was er aus dem tiefsten Winkel der Beilade seiner
Mutter Goldamme hervorzusuchen im Begriff gewesen. »Wie sah denn der
Herr aus?« fragte sie.

»Es war der hübscheste Polizei-Lieutenant, den ich noch gesehen habe --«
antwortete Füßli, »lang und wohl gewachsen; aber seine Keckheit hatte
mich verdrossen, deshalb gab ich ihm nur kurzen Bescheid.« Therese ließ
sich die Uniform beschreiben. Sie hörte still zu, dann sagte sie mit
rügender Stimme: »Du hättest ihm doch höflicher Auskunft geben sollen.«

Füßli, stumm gekränkt, schüttelte leise den Kopf. Er meinte in seinem
subalternen Verstande, daß selbst die betrübteste Frau sich von der
Aufmerksamkeit eines Mannes geschmeichelt fühle, die dem kleinsten
ihrer persönlichen Reize zu Theil würde: er wußte nicht, wie viel feiner
Therese combinirte, da sie ihrem Diener den Mangel eines verbindlicheren
Benehmens vorhielt. --

Jetzt ward es laut auf dem Vorsaal. Therese öffnete die Thür, und
trat hinaus. Die Dame vom Lande, ihre Wandnachbarinn, stand im Begriff
abzureisen, von ihren Leuten und den dienstbaren Geistern des Hotels
umgeben, welche mit Schachteln, Paqueten, Flaschen, und hundert
unnennbaren Kleinigkeiten des Bedarfs zu einem behaglichen Leben,
belastet waren. Sie selbst glich einem wandelnden Pavillon, blieb
aber stehen, als die ätherische Gestalt Theresens, nur etwa wie ein
Trauermantel mit leichtem Schwarz besäumt, aus der düstern Stille ihres
Zimmers aufflatterte, und redete sie an. »Ach meine Liebe,« sagte sie
mit einer Fülle von Gutherzigkeit in dem wohlgenährten Gesicht, »Sie
sind gewiß die junge Dame, welche hier zu einer so traurigen Erfahrung
gekommen ist? -- Wie mich das gedauert hat! so jung Wittwe werden,
das ist in Wahrheit betrübt. Wie gern hätte ich Ihnen meine Theilnahme
bezeugt! aber man hat den Kopf so voll von Einkäufen, -- sieh Dörtchen!
o verzeihen Sie -- den polnischen Gries, den haben wir ja nun doch
vergessen!« Therese bedeckte mit der weißen Hand die Augen, vor all'
diesem häuslichen Wust. Sie hätte keiner Erinnerung bedurft, an den
unwirthbaren Boden ihrer Heimath. Mit leisem, verachtenden Stolz, wie
er dem Schmerz und der Liebe gegen solche Geringfügigkeiten eigen ist,
verbeugte sie sich, aber doch mit der Grazie des Kummers.

»Könnte ich Ihnen irgend womit dienen?« fragte die Baroninn im Tone
erhöheter Achtung, da sie kein Sterbenswörtchen, kaum einen Seufzer,
aus diesem schönen Munde vernommen, der ein so heiliges Recht zur Klage
hatte, deren Zurückhaltung stets am stärksten an das Herz des Mitleids
dringt. Therese dankte gerührt. Sie konnte den Wunsch, ein aufrichtiges
Mitgefühl zu äußern, nicht verkennen.

»Die Zeit --« setzte die Baroninn, wie wenig sie deren auch zu haben
schien, in der Weise einer erfahrnen Trösterinn hinzu: »die Zeit,
glauben Sie das mir, meine Beste! lindert auch den größten Schmerz. Da
mein guter Mann starb -- er ist nun schon seit zwanzig Jahren todt -- da
meinte ich auch nicht, noch einen frohen Tag zu erleben. Es giebt sich
jedoch Alles, auch das, was uns beugt. -- Werden Sie, wenn man fragen
darf -- Sich lange hier aufhalten?«

»Ich fürchte nicht, daß ich das müßte,« antwortete Therese mit einem
Blick voll Schauer: »der Boden dieses Hauses brennt unter meinen Füßen.«

Die Dame nickte, gleich einer unförmlichen Pagode auf diesem großartigen
Kamin, worin ein frisches Leben zu Asche geworden war, und sprach:
»sonst hätte ich Sie gebeten, zu mir zu kommen, auf mein Gut. Ich bin
die Baroninn Lenau.«

Dieser Name schlug mit einem bekannten Klange nicht an Theresens
Ohr, nein! an ihr Herz. Therese wußte von jenem Nicolaus, der ihn mit
dichterischen Ehren führt, und würdigte ihn wohl höher als den Kaiser,
den sie als einen Feind ihres zerstückten Vaterlandes betrachtete. Eine
poetische Verwandtschaft so wenig wie eine andere, zwischen diesem Lenau
und der Baroninn, ließ sich gleichwohl schwerlich voraussetzen, und doch
-- trotz der Prosa dieser Erscheinung, und wie versunken in sich selbst
Therese auch war, so flüsterte, da sie ihn nennen hörte, ein zartes ob
auch melancholisches Gefühl, wie das Schönste seiner Schilflieder es
erregt, in ihrem Busen auf. --

Das Wohlwollen verbindet schnell. Mit einem Zuge von Wehmuth ließ
Therese die Baroninn aus den Augen. Sie trat ans Fenster, und sah die
bepackte Landkutsche, von ihrer aristokratischen Bestimmung zu einer
anspruchslosen Victualienfuhre benützt -- langsam und schwerfällig
abfahren. Therese dachte dieser flüchtigen Begegnung nach, welche
sie doch ein wenig zerstreut hatte. Sie besaß überhaupt eine gewisse
Vorliebe für ältere Personen ihres Geschlechts, und die Gabe ihnen zu
gefallen; hingegen Frauen von mittleren Jahren konnte sie nicht leiden,
ohne sich eines Grundes dafür bewußt zu seyn. Diese Eigenheit, denen,
die mit ihr lebten, so bekannt, daß, als Therese einst ein rüstiges
Weib, welches ihr Erdbeeren feil bot, gegen ihre Gewohnheit ziemlich
unfreundlich abwies, ihr Schwager lächelnd sagte: »die Arme hat
wahrscheinlich nicht das rechte Alter, um Dir sammt ihren schönen
Früchten anzustehen? --« hielt sie vielleicht theilweise von Fabia
entfernt, während ein Verhältniß ungeheuchelter Zuneigung zwischen der
alten Nonne und der jüngsten Schwägerinn des Administrators bestand.

»Es giebt sich Alles,« hatte die Baroninn gesagt, »auch das, was uns
beugt.«

Was ist wohl starrer als der Tod? Und doch schmiegt der Gedanke an die
Verstorbenen sich allmählig unsern Vorstellungen an, hausbequem wie ein
Kleid, in dessen weiten Falten ein wenig Staub ruht, ohne daß auch das
reinste Herz davon beunruhigt würde.

Therese blickte tiefsinnig in das Gewühl, welches geräuschvoll wie ein
Strom, doch eben so unverständlich sich unter ihr bewegte. Stunde an
Stunde verrann -- gegen den Abend sollte Constanz still, doch feierlich
beerdiget werden, und seine Frau begehrte, während dieses Acts allein zu
bleiben. Füßli wagte bescheidenen Widerspruch; das Gefühl der Einsamkeit
und eines gemeinsamen Verlustes hatte dem treuen Diener Freundesrecht
dazu gegeben.

»Es ist so schön, gnädigste Frau,« sagte er beklommen, »wenn ein
Ehegatte den letzten Gang mit dem Andern nicht scheut, sey er immerhin
der schwerste. Ich mögte sagen, es sähe den Frauen so ähnlich. Die
Mutter blickt zehnmal in die Wiege, ob ihr Kindlein gut schläft, eine
Pflegerinn achtet darauf, ob die Kissen des Kranken recht liegen, und
eine Wittwe sollte das Auge abwenden und nicht sehen wollen, wie man
ihren Todten gebettet hat? -- Was mich betrifft, so würde ich meinen
Herrn begleiten, und wenn ich auf den Knieen seinem Sarge nachrutschen
müßte.«

Therese erröthete beschämt, und ein Anflug von Zorn über den Vorwurf,
der in diesen treuen Worten für sie lag, schürte die Flamme ihres
Angesichts. Sie sagte mit Selbstvertheidigung: »daß ich mein blutend
Weh vor den Augen fremder Menschen entschleiern, und der Neugier ein
Schauspiel geben sollte: dies kann ich nicht. Es wäre eine Form, die
meinem Wesen widerstünde; meinem Constanz hilft es nicht mehr, und Wem
schadet es, wenn ich lasse, was zu thun er selbst unräthlich finden
würde? -- Jeder hat seine eigene Schicklichkeit, guter Füßli.« Und dabei
lächelte sie todesängstlich, wie im Besserwissen einer höheren Stimmung.

Jener schüttelte den Kopf, und seine Miene würde ein Kundiger dieser
Sprache der Seele in die Antwort übertragen haben: »aber die Liebe ist
doch nur Eine!«

»Wäre nur der Schwager hier,« jammerte Therese, und brach in Thränen
aus, deren Thau sie dem Gras des fremden Kirchhofs vorenthielt --, »oder
ein anderer Freund, der sich meiner annähme!« Füßli schwieg gekränkt.
Seine weinende Dame sprach: »verlassener als ich, ist wohl auf Gottes
Erde Niemand -- und war ich es eigentlich nicht immer? --« In dieser
Frage, womit Therese sich gleichsam frei sprach von den zarten Pflichten
einer Verbundenen, geschah dem Anspruch des Gemahls Eintrag, den der Tod
von jedem irdischen Bande gelös't; aber die Stunde des Begräbnisses gab
ihm sein volles Recht wieder. Erschütternd in Schluchzen, aufgelös't
in Leid, saß Therese im einsamen Sopha, während Der, dem sie kraft des
ehelichen Gehorsams hierher gefolgt war, zu seiner letzten Ruhestätte
schwankte, und sie an fremder Stelle allein ließ. Jeder Glockenhall
bewegte ihre Seele in einer Schwingung stürmischen Schmerzes;
überwältigt von unbekannten aber furchtbaren Gefühlen, war sie keines
klaren Gedankens fähig. Endlich lagerte sich eine dumpfe Stille um ihren
müden Geist. Sie lehnte den Kopf hinten über, schloß die Augen, und ließ
unbewußt einzelne Tropfen unter den Wimpern hervorrinnen. -- Im Hause,
was den todten Gast entlassen, herrschte eine ungewöhnliche und bange
Stille; selten schwebte der Engel mit der Palme in solcher Ruhe.

Da eilte ein starker doch gedämpfter Schritt die Treppe herauf an
die Thür von Theresens Zimmer; es klopfte, und ohne das Wörtchen der
Erlaubniß abzuwarten, trat ein Offizier ein. Rudolph Feldmeister lag zu
Theresens Füßen, und hauchte athemlos einen ehrerbietigen Kuß auf die
schwarze Serge ihres Schuhes.

Wie von einem elektrischen Schlage geweckt schaute sie auf. Schweigend
sah sie ihn an, nur der nasse Blick, die zitternde Hand redete in einem
leisen Druck, der dennoch die gepreßte Empfindung verständlich machte,
worin sie athmete. Therese glaubte, der Himmel habe sich geöffnet, ihr
seinen sichtbaren Schutz zuzusenden. Nach einer unaussprechlichen Minute
sagte sie mit wankender Stimme: »so eben begräbt man meinen Mann -- und
ich weiß nicht, ob es sich ziemt, daß Ihr Hierseyn, lieber Freund, seine
Wittwe tröste? --«

»O Therese!« rief der Lieutnant leidenschaftlich versichernd, »wie hat
dieser Todesfall mich ergriffen, ohne daß ich wußte, Wen er träfe! und
nun sollte ein erbärmlicher Anstand mich fern halten, wohin mein Herz
mich drängt, selbst wenn es anders schlüge, als für den einzigen Wunsch
dieser geliebten Nähe?«

Therese weinte heftig, der Lieutnant stand langsam auf, und sah finster
in den Fall ihrer Thränen. »Fürchten Sie nicht, Therese,« sagte er mit
jener edelsinnigen Achtung, die einem höheren Gemüth der Anblick des
Leidens einflößt, wenn gleich sich in seinen Ton ein wenig verbitternde
Kälte der Eifersucht mischte, »daß ich die Heiligkeit dieser Stunde und
ihrer Gefühle nicht genug ehren mögte, um von dem meinigen zu schweigen.
-- Aber -- die Vorsehung scheint mich zu Ihrem Schutz berufen zu
haben, den Sie in so seltsam unglücklicher Lage in dieser fremden Stadt
bedürfen könnten. Mit unsäglicher Mühe und Eile bin ich einer zarten
Spur von Ihnen nachgegangen, hoffend, daß ich Sie fände -- -- Therese!
mein Wiedersehen so unvermuthet, freut Sie nicht?«

Therese erhob das quellende Auge zu ihm; ein warmer Strom floß in sein
Herz, und machte es schwellen. Sie schüttelte den schönen Kopf, und
diese verneinende Geberde sprach jene zuversichtliche Erwartung nicht
ab. »_Unvermuthet?_« sagte sie mit dem leisen Accent magnetischer
Ahnung, »nein mein Freund! ich wußte, Sie wären mir nahe. Wo ich
bedrängt bin, da erscheinen _Sie_! -- Habe ich doch schon ihre Stimme
vernommen. Unmöglich scheint mir nichts, nachdem, was ich erfahren.
Ach!« und bei diesem seufzenden Ausruf rang sie die zarten Hände in
ihrem Schooße, »_was_ habe ich gelitten seit unserer Trennung! ich werde
es nie -- _nie!_ vergessen.«

Diese Versicherung spaltete sich in dem Gefühl des Empfängers. Der
angegebene Zeitpunct schmeichelte, ob auch unbestimmt, seinem fordernden
Herzen; doch das Unmaß von Weh, wovon der leichte Sinn dieses harmlosen
Wesens betroffen worden, deutete wahrscheinlich nur auf einen Schlag des
Schicksals hin, der zur Zeit seine eigenen Empfindungen unterdrückte.
Seine Zunge war für einen Moment gelähmt, dann sagte er: »ich glaubte
nicht, daß der Verlust eines Mannes, den Sie eigentlich nur dem Namen
nach besaßen, Sie bis zu diesem Grade außer Fassung bringen könnte,
da es nur auf Ihre Neigung ankommen würde, jenen hohlen Besitz zu
behalten.«

Therese seufzte aus voller Brust und dachte: »am Ende nimmt er es wohl
übel, daß ich traurig bin? -- O über die Männer! ihre Eigensucht findet
sich sogar durch die Aufregung beleidigt, welche Derjenige verursacht,
der allen irrdischen Wallungen ein Ziel setzt! --« Sie antwortete:
»als Constanz zurückkehrte -- o Gott! wann kam er denn? da hätte ich
im Voraus wissen können, was mir begegnen würde. Mir war so kalt und
schauerlich zu Muthe, als ob der Tod mich in seine Arme schlösse. Nun
ging es holter, polter fort. Unerbittlich für den Wunsch der Seinen,
gönnte er mir kaum Zeit, mich zu fassen, da das Scheiden vom Stift
mir sehr schwer fiel. Dort ist mir wohl gewesen, sehr wohl! kleine
Uebelstände etwa abgerechnet, die gegen so vieles Gute nicht in Betracht
zu ziehen sind. Mit freundlicher Vernunft ließ der Schwager mich
gewähren, und mir kein Härchen krümmen. Er war mir ein Bruder,
wahrhaftig ein Bruder! und Ihren Oheim, ja den Major, habe ich wie einen
Vater geliebt!«

Sein Neffe lächelte kühl, wie mit der Indolenz eines dankbaren Vetters,
denn die Wärme, womit Therese des Administrators erwähnte, that der
Wirkung jenes kindlichen Gedankens Eintrag.

»Der Morgen, wo wir von Sanct Capella abreiseten,« fuhr sie fort, »war
mir schrecklich. Die ganze Welt kam mir verändert vor, so auch mein
Mann. Ich war wirklich ein wenig einsiedlerisch geworden -- und
der Gedanke, mich wieder in seine umherfahrende Weise einzurichten,
widerstrebte mir. Unbeschreiblich abgemüdet, mehr am Geist als am
Körper, langte ich hier an. Erlassen Sie es mir, daß ich Ihnen von der
kurzen Krankheit erzähle, die den armen Constanz binnen wenig Stunden
hinabwürgte; ich bin es nicht im Stande. Und wäre er mein Feind gewesen,
und nicht mein Mann, ich hätte gern, als es ihm an Luft gebrach, den
Athem meiner Brust ihm einhauchen mögen.« Ein langer zitternder Seufzer,
aushaltend in sprachlosem Schmerz, schloß diese Rede.

»Ich glaube Ihnen --,« sagte Rudolph bewältigt. Doch von seinem
Standpunkt aus, und nach der Behauptung jenes Kenners der menschlichen
Seele, dessen genialem Blick diese dunkle Substanz durchsichtig war, so
daß er ihre tiefsten Geheimnisse an das Licht brachte, wie zum Beispiel
eine beschattete Stelle der Theilnahme, die da lautet: _denn nichts
scheint Denen trübe, die gewinnen_ --, setzte er hinzu: »jenes Bild
des Grauens wird sich mildern, theure Therese. Wie sollte, wenn die
Vorstellung des Todes haften bliebe, der Soldat bestehen, der ihn mit
all seinen Schrecken ertragen, und in furchtbarer Masse sehen muß, ohne
daß er bei diesem Anblick zagen dürfte? Ein stärkeres Gefühl bezwingt
ihn. Mein süßes Leben! beruhige Dich! jetzt bin _ich_ da.«

Ein Blick innigster Schutzversicherung ward zwischen ihnen gewechselt.
Und mit dem schüchternen Aufschluchzen überwundner Aengste sagte
Therese: »ich bin kein Held, lieber Freund! und mich in einer so ganz
einzigen Lage zu benehmen, fehlt es mir an Umsicht, wie an Erfahrung.
Mich mit dem Nachlaß des Verstorbenen zu befassen, ist mir rein
unmöglich. Ich glaube, ich könnte die größte Erbschaft wegschenken, um
nur nicht davon reden zu hören.«

Der Lieutnant lächelte wundersam in sich hinein. Und Therese sprach
weiter: »ein feiner Mann vom Corps Diplomatique war bei mir, dem ich das
Portefeuille meines Mannes aushändigen mußte. Ich wußte nicht, ob ich
recht daran gethan, und ob nicht noch andere als staatsgeheime Papiere
darin gewesen? -- Wäre nur der Schwager hier? ich habe einen Brief an
ihn angefangen -- dort liegt er noch. Als ich mich dazu sammeln wollte,
kam ein Sammelbruder, wie denn überhaupt Störungen begehrlicher Art hier
unvermeidlich sind. -- Die Gedanken versagten mir, kein Wort wollte aus
der Feder fließen; aber Thränen sind genug auf das Papier geflossen.«

»Ich schreibe an den Major --« sagte der Lieutnant mit nachholender
Hast, »heute noch! sogleich. Wir senden eine Estafette. Der
Administrator muß her. Doch dürfte es bei der großen Entfernung eine
ziemliche Weile dauern. O Therese, Muth gefaßt, holde Freundinn! es
werden bessere Tage kommen; dann sind diese ein beklemmender Traum
gewesen. Mir war, als hätte ich auch geträumt -- aber feenhaft, und
meine Zukunft wäre verwandelt. Ich wüßte Ihnen Gutes zu erzählen; allein
es deucht mir unzart, daß ich in diesen Augenblicken von mir spräche,
und von irgend einem andern Glück als dem, zu Ihrer Beruhigung beitragen
zu können.«

Therese athmete erleichtert auf, reichte ihm herzlich die Hand und
sprach: »so wäre mir denn geholfen; zweifeln Sie nicht, daß Ihre
Gegenwart die größte Wohlthat für mich ist. Aber noch ist mein ganzes
Wesen so von Furcht und Beben eingenommen, daß ich die Hoffnung nicht
zu fassen vermag, ich würde mich wieder einmal freuen können. -- Es ist
mir, als begäbe sich der Trost, daß ich Sie sähe, nur im Fieber. Ihr
Bild wankt vor meinen Augen, eine so jähe, so erschütternde Veränderung
läßt uns fühlen, daß nichts Bestand hat. Und die Angst zuckt schreckend
durch meine Glieder, ich könnte erwachen, und Sie wären verschwunden.«

»Nein ich bleibe!« rief der junge Mann mit fester Innigkeit, und der Ton
entschiedenen Selbstvertrauens steigerte sich zur Leidenschaft, da er
hinzusetzte: »ich bleibe ewig Ihr treuester Freund! und eher mögte
ich mich wohl selbst verlassen, als von dem Platze weichen, auf den
himmlische Gunst mich gestellt hat. -- Ist es ein Zufall, daß wir uns
in Polen, im Stifte, und nun hier, in öder Weite, abgerissen von allen
vorigen Beziehungen, gefunden haben? Eine unsichtbare Hand hat uns
verknüpft, Therese! ich halte meinen Schwur, und der Himmel selbst
scheint es zu wollen.«

»Constanz --« flüsterte Therese, »wird mir auch sein Schatten zürnen?«

»Er war eine vermittelnde Macht zwischen uns --« entgegnete Rudolph,
»sein Daseyn, nun nicht mehr begrenzt, erweitert sich für unendliche
Wünsche. Ein Geist ist nicht engherzig mehr, daß er dem Liebsten, was
die Erde für ihn hatte, einen Strahl von Seligkeit, die Liebe! mißgönnen
sollte. Aber Therese -- Sie sind krank, und ein Wunder ist es nicht.
Wenn ich Sie nur besser aufgehoben wüßte, in weiblich schicklicher
Pflege. Der Gasthof ist kein Asyl für eine Leidtragende. Nun, morgen
wird es anders seyn. Ich schreibe die Nacht hindurch, und mit Anbruch
des Tages lasse ich meinen Boten fliegen.«

Jetzt trat Füßli ein. Die Schwermuth der Dienstpflicht, von der er
zurückkehrte, beugte ihn sichtbar, ein Grabeswehen düsterte um die
beflorte Gestalt, und die Citrone in seiner Hand, deren Poren im
Ausdruck starken Schmerzes lind geworden waren, hauchte einen leisen,
bangen Geruch aus.

Eine wunde Röthe floß mit der Blässe Theresens zusammen, als sie den
Diener ansichtig ward, an den sie während dieser Scene mit keiner Sylbe
gedacht hatte. Und auch das erdfahle Gesicht des ehrlichen Schweizers
überzog sich mit der Farbe der Empfindlichkeit, da er den fremden
Offizier erkannte. »Füßli!« sagte Therese mit weichem Tone, »dieser
Herr, ein naher Verwandter des Major von Feldmeister im Stift, wird so
gütig seyn, in meinem Namen nach Sanct Capella zu schreiben, und Dir das
Nöthige hierüber ertheilen.«

Der Diener verbeugte sich stumm, und indem seine Dame sich gleichsam zu
einer Entschuldigung herabließ, über dies Zusammentreffen, wie über
die Vollmacht, welche der Lieutnant von ihr empfangen, zwang eine zarte
Stimme ihres Busens sie, sich solchergestalt gegen ihn zu erklären.
-- Wenn es eine Pflicht zu trauern giebt, so ist stumme Treue der
beredteste Vorwurf. Wer sich schweigend härmt, versenkt in tiefen Gram,
erhebt sich in jeder Sphäre über Den, der Ohr und Lippe dem Troste
öffnet.

Rudolph ging bald darauf. Er beeilte sich, die Briefe zu schreiben, die
keinen längeren Verzug gestatteten. Den folgenden Nachmittag wollte er
wieder kommen, weil der Dienst ihn am Morgen nicht entließ.

Therese empfand sein Fortgehen selbst für die Frist einer kurzen
Frühlingsnacht, und bei der Gewißheit seiner Wiederkehr, doch
beängstend.

Füßli blieb stöckisch, und wartete mit finsterer Unterwürfigkeit seines
Dienstes. O! warum kann keiner sehnenden Seele Erquickung zu Theil
werden, ohne daß die Mißgunst irgend einen erbitternden Tropfen dazu
mischte? -- Vor Allem stehet der Genuß auch der schuldlosesten Liebe
unter diesem weltlichen Fluch. Sie ist das himmlische Feuer, dessen
Raub mit jener Strafe gebüßt wird, die sich täglich erneut. -- Der
Freundschaft -- und ist diese weniger ätherischen Ursprungs? -- wird
ihre schmelzende Kraft eher verziehen. Sie -- »die Freundschaft hat
Stufen, die am Throne Gottes durch alle Geister hinaufsteigen, bis zum
Unendlichen!« So hoch kann der gewöhnliche Begriff sich nicht erheben.
Aber Liebe, hienieden gefühlt, erscheint den Menschen oftmals niedrig.
-- Und nicht immer sind die Beweggründe Derer rein, die im unberufenen
Zweifel, ob ein Verhältniß lauter sey, ein Herz in Flammen läutern.
-- Hätte der Major anstatt seines Neffen sich zum Beistand Theresens
gefunden, der Diener ihres verstorbenen Gemahls würde ihn gesegnet
haben; der junge hübsche Offizier, der ihren Schuh sogar erkannt -- war
ihm ein Dorn im Auge.

Schon hatte Therese am folgenden Tage ihres Freundes geharrt, und die
Minuten, welche er zögerte, berechnet, als Rudolph kam, und wie es
schien im Drange einer willkommnen Nachricht.

»Ich habe über Sie verfügt --« sagte er mit einem offnen Blicke, und
hörbar knitterte seine Hand ein Blatt Papier in der Tasche, was er aber
stecken ließ, als bedürfe es zwischen ihnen des Beweises nicht, »werden
Sie mir das Zutrauen verleiden, daß ich es durfte?«

Therese bat ihn, mit einer Miene der Vorausbilligung, niemals ungewiß
darüber und jetzt deutlicher zu seyn.

»Hier können Sie nicht bleiben, mein süßes Kind!« sprach der Lieutnant,
und dieser zärtliche Zusatz sänftigte den taktischen Ton, der die
Vermuthung anschlug, dieser Feldmeister von Theresens Gegenwart werde
sich, als ehelicher Feldherr ihrer Zukunft, gar wohl zu benehmen wissen.
-- »Selbst meine Besuche,« fuhr er fort, »würden einem ärgerlichen
Aufsehen nicht entgehen, und ich -- ich leugne es nicht -- bin
empfindlich gegen die öffentliche Meinung. Lieber aber mögte ich einen
Flecken an meiner Ehre dulden, oder in der Pupille meines Auges, als daß
Ihr Ruf, theure Therese! durch mich, und wäre es um den leisesten Hauch
eines Wortes -- verdunkelt würde. Da ist mir denn guter Rath nicht über
Nacht, nein! gestern Abend schon gekommen. Eine Anverwandte von mir,
die Besitzerinn eines hübschen Landgutes in hiesiger Gegend, und eine
so wackere Frau, daß ich wohl manche weibliche Tugend neben der
harmlosesten Gutherzigkeit an ihr verehre, ist freundlich bereit, Sie
bei sich aufzunehmen. Meine Tante ist in jedem Sinne wie von Milch
genährt, und der Aufenthalt bei ihr ganz geeignet, den Affect der
Betrübniß herabzustimmen. Sie werden --,« dies setzte der Lieutnant mit
einem gutmüthigen Lächeln hinzu, »Gelegenheit finden, sich zu beruhigen;
ein Athem von pflegmatischer Behaglichkeit ist die Lebensluft dieses
Hauses, und ich werde Fug und Recht haben, oft genug darin einzukehren.«

Es hätte dieses letzteren Antriebes kaum bedurft, um Theresen dem
Vorschlag ihres Freundes geneigt zu machen. Das wilde Täubchen war
völlig zahm geworden.

Füßli -- so wurde beschlossen -- sollte im Gasthof bei den Sachen
bleiben, bis der Administrator in Person, oder doch Nachricht von ihm
käme. Auch konnte von Seiten der Behörden noch irgend eine Forderung
ergehen, zu deren Aufnahme Jemand an Ort und Stelle seyn müßte. Schon
in einer Stunde -- mit solch militairischer Kürze war dieser Aufbruch
bestimmt worden -- sollte die Equipage da seyn, worin Therese nach jenem
Landgute abgeholt werden würde. Rudolph wollte sie zu Pferde begleiten.
In fliegender Eil wurden nun die Anstalten zur Abreise getroffen.
Therese säumte keinesweges, den Engel dieses Hauses zu verlassen, um
dem zu folgen, den sie mit besserem Recht für den ihrigen, und für
einen Boten des Himmels hielt. Sie zog den schwarzen Schleier über ihr
Gesicht, und sich in den Hintergrund des Wagens zurück, so lange er
durch das lärmende Getöse der Stadt rollte. Doch als auch das Geräusch
der Vorstadt immer ländlicher wurde, bis endlich am letzten Häuschen die
sausenden Räder an dem schwirrenden Rade eines Seilers vorüberflogen,
der sein hartes Gespinnst durch die weichen Frühlingslüfte milderte, da
bewegte diese Schnur Theresens Herz, und es schlug in der grünen Stille
einsam wie eine Bilderuhr. -- Wie sanft wallten die Saaten! wie weit
vergoldete die Sonne den Gesichtskreis! in welcher erhabenen Ruhe
mischte das Blaßblau eines fernen Amphitheaters von Bergen sich mit dem
Horizont! -- Die Natur senkte ihren malerischen Vorhang über Theresens
Einbildungskraft, und den Tumult jener wüsten Scenen, denen sie
entronnen war. Kein neugierig kalter Blick traf sie mehr, und hier
und da fiel der ihrige auf ein unschuldiges Blumenauge, in der zarten
Frische erster Färbung, und es schien mit Wärme zu sagen, daß es den
Thau gar wohl kenne, der zu nächtlicher Zeit sinkt. --

Rudolph ritt nebenher, und zum erstenmale ein neues schönes Pferd,
womit er ritterlich bei dem Geleit seiner trauernden Dame paradirte, und
dessen charakteristische Uebermüthigkeiten sein Aufmerken erforderten.
Therese saß allein in tiefen Gedanken. Wie wenig glich ihre dermalige
Stimmung jener, in welcher sie einst nach dem Scheiden von ihrem Gemahl,
in Begleitung seines Bruders, dem gastfreundlichen Kloster zuflüchtete.
-- Gänzlich unbekannt war ihr der Ort und die Person, denen sie nun
eine schützende Aufnahme verdanken würde; aber sie überließ sich mit
unbedingtem Vertrauen ihrem Führer. Die Gleichgültigkeit des Kummers und
erschöpfter Kräfte, nahm dieser Hingebung auch das leiseste Bedenken.
Das Fahren erinnerte sie an die jüngste Vergangenheit. Constanz lag nun
still für immer. Welch ein kleiner bescheidener Raum genügte ihm zur
langen Rast! sein ruheloses Leben voll glänzender Entwürfe war nun aus,
wie ein fliegender Stern in Dunkelheit erlischt. Sie versetzte sich in
die Empfindungen, welche sie bei seiner Ankunft und während der Reise
gehabt hatte, und gestand sich, daß es Vorgefühle gebe. War die
tiefe sehnende Ruhe, in welcher alle Aengste, alle Wünsche schwiegen,
vielleicht Gewähr dafür, daß Furcht und Hoffnung nun erfüllt seyen? --
Nie hatte Therese mit zarteren Regungen der Reue an Constanz gedacht,
nie sein Verhängniß in so innigem Bezug auf ihr Gemüth empfunden; obzwar
jeder Faden von Eintrag in dem Gewebe ihres gegenseitigen Lebens nun
abgerissen war. Auch das Glück wird mit Buße getragen, nicht allein das
Gefühl der Schuld und der Besitz, sogar der zu hoffende, giebt uns
nicht selten erst eine vorwurfsvolle Schätzung dessen, was wir verloren
haben. --

Der Abend begann, sich auf die Landschaft zu senken. Noch schwebte der
feurige Sonnenball, jedes Lüftchen riß eine flammende Rose aus dem Kranz
von Purpurgewölk, der Himmel glich einem Garten voll brennender Liebe.
-- Das Geläut der ziehenden Heerden vom frischen Anger scholl fernher,
wie wandelnde Abendglöckchen, da der Tag sich neigte, und dieser
friedsame begnügte Ton weckte ein traumhaftes Sehnen, dem Heimweh
verwandt, in Theresens Seele. Wo war ihre Heimath auf Erden? Nirgend! --
Als nun die Sonne hinunter war, die geschäftigen Schatten einschliefen,
und ein dämmernder Duft sich über Feld und Wiese verbreitete, da
erschien ihre selige Mutter vor Theresens träumenden Augen, und ihr
überirrdisches Lächeln sagte: »mir ist recht wohl! laß mich schlafen,
Kind!« Auch Constanz richtete sich auf, und seine gestorbene Gestalt
blühete wie unter einem Veilchenschimmer, der vom violetten Schein der
Höhen mit dem röthlichen Hauch noch nicht aufgebrochner Laubknospen
zusammenfloß. Und der Abendwind flüsterte mit _seiner_ Stimme: »ich habe
nun Ruhe gefunden -- was betrübst Du Dich?« Eine namenlose Wehmuth ließ
Theresen wünschen, sie könnte auch sterben. -- »Sterben? jetzt, wo ihrer
treulosen Neigung nichts mehr im Wege steht?« frägst Du vielleicht meine
Leserinn, und Deine Hand hebt den Stein des Anstoßes. Aber lasse mich
den Zweifel Deiner Frage heben. Wisse! der Schmerz um Die, welche nicht
mehr athmen, und das Entzücken des Lebens, die Liebe! mischen ihre
tiefsten Einflüsse zu einem Quell, der verlangend strebt, sich in das
Meer der Ewigkeit zu ergießen. In Beiden fühlen wir uns unendlich. So
stirbt die Jugend leicht unter dem vollen Blüthenhang ihrer Hoffnungen;
nur das Alter klammert sich fest an den entblätterten Stamm des Daseyns,
hätte es auch nur bittere Früchte getragen. --

Bei einem Bug der Straße öffnete sich die Aussicht in ein reiches
Dorf, von Obstgärten umgeben. Das Schloß, kein Rittersitz von
architektonischem Prunk, nur ein stattlicheres Wohnhaus -- lag kaum
abgesondert und sehr freundlich.

Der Lieutenant rief in den Wagen: »Wir sind an Ort und Stelle, --«
und bei dem ersten Hinblick auf die Fenster, welche ein Abglanz der
Abendröthe in saffranfarbenem Mattgold erhellte, spürte Therese jenes
Bangen, welches uns Frauen mehr oder minder vor dem Eingehen in ein
neues Verhältniß ergreift, oder, was oft gleichbedeutend ist -- wenn wir
uns dem Ziele einer Reise nähern.

Der Spiegel eines schöngeformten Teiches dicht vor dem Schlosse, am
vorderen Rande von einer Brustwehr eingefaßt, und zu beiden Seiten mit
weißen Gartenbänken versehen, strahlte das schwache Geflimmer einzelner
Sterne zurück, und daneben den leuchtenden Vollmond des runden, rothen
Gesichts einer Dame, die über das Geländer gelehnt, Karpfen fütterte.
Die auftauchenden Fische zogen dunkle Kreise über die glatte
Wasserfläche, worin das Schloß winkte und wankte; die Dame aber wich
nicht von ihrem Platze, und war so vertieft in ihre speisende Lust, daß
sie den Wagen nicht kommen gehört hatte. Schweigend hob der Lieutnant
Theresen heraus, und sie gingen dem Teiche zu. Die Dame wendete sich um
-- erleichterten Herzens erkannte Therese die Baroninn Lenau in ihr. Und
jetzt wußte sie auch auf einmal, daß Rudolph schon im Stift ihr diese
Verwandte genannt, und von ihr erzählt hatte.

Die Baroninn schien mit dem Begriff der Nahrung völlig identisch
zu seyn. Ihre Gestalt war wie die Fülle von Gottes Segen, ein
angeschnittnes Brod lag in ihrem derben Arm, und das Messer blickte nur
wie zum Spott der ihr eigenthümlichen Milde, womit sie nie eine andere
Schärfe handhabte. -- »Sieh da!« sagte die Baroninn sichtlich erfreut,
»mein einladender Wunsch kam von Herzen, und ist deßhalb zu Herzen
gegangen -- wenn gleich auf einem kleinen Umwege --« setzte sie mit
einem Lächeln vergnügter Schlauheit hinzu.

Diese einfachen Worte, und eine begrüßende Umarmung ließen Theresen
fühlen, wie herzlich es mit dieser Aufnahme gemeint sey.

Rudolph hatte nicht nöthig, das Kleinod seiner Sorge der gütigen Tante
werth und wichtig zu machen, welche liebreich es in Gold fassen mögen.

Die Baroninn hielt in einer einfachen neidlosen Denkweise die Schönheit
für einen Empfehlungsbrief ihres Schöpfers, und das Unglück für ein
heiliges Recht. Sie benahm sich, diesem Glauben zufolge, so, daß Therese
sich wie im Himmel fühlte. Selbst ihr Aufenthalt im Stift, wie geneigt
wir auch sind, das Vergangene zu überschätzen -- war von mancher Seite
für sie und für manche kleine Blöße schonungsloser gewesen, als der
gastfreie Schirm dieses Hauses. Die Baroninn war nicht minder ein Muster
der Wirthlichkeit, als Du, häusliche Fabia! aber dies hausmütterliche
Walten war ihr ein rühriges Vergnügen, ein vorbereitender Genuß, kein
werkthätiges Verdienst, was sich geltend machte. Sie war auch fromm;
doch ohne selbstgefällige Strenge. Ihr Christenmuth war kein abtödtender
und absondernder Stolz, sondern guter Muth, und deshalb ein tägliches
Wohlleben, wie die Schrift sagt. Die fröhliche Zutraulichkeit zu
Gott, womit sie sich des Besten von ihm versah, belohnte sich durch
Zufriedenheit mit allen Menschen. Sie ließ die ganze Welt gewähren --
und Wer jemals unter intoleranten Bekehrungs-Versuchen gelitten, weiß
diese köstliche Eigenschaft zu würdigen. Allein auch Therese hatte sich
geändert, nicht nur, daß ihre Umgebung eine andere war. Wir dürfen es
zudem rühmlich voraussetzen, daß Frau Fabia sich der _verwittweten_
Schwägerinn gewissenhaft angenommen haben würde. Theilnahme an
_widrigen_ Erfahrungen ward nimmer bei ihr vergebens gesucht; nur der
_Mitfreude_ war dies verschlossene Gemüth nicht fähig. Ihre Tugenden
schmeckten alle, -- wenn dieser Ausdruck nicht profan wäre -- ein wenig
nach dem Essig vom Kreuz. So versüßte sie Niemandem das Leben, und
selbst das Gute, was sie erwies, blieb nicht ohne eine säuernde
Mischung. -- Die Baroninn dagegen war ein christlich-weiblicher Epikur;
ihre Glückseligkeitslehre lief auf unschädlichen Genuß hinaus, den keine
Verbitterung trübte. Sie schlürfte Geist des Lebens mit jedem Athemzuge,
und wandelte das reine Element in stärkenden Wein. -- Einer Therese
mußte dieses System freilich besser zusagen. Jener anmuthige Leichtsinn
zwar, der zu so vielen Mißhelligkeiten zwischen den Schwägerinnen Anlaß
gegeben, trug nunmehr einen Flor von Melancholie, der ihn niederhielt;
doch wäre ihr bewegliches Naturell auch nicht durch diesen zarten
Ueberhang von Trauer gehalten worden, das Geheimniß jener wunderbaren
Gegenwirkung Anderer auf uns, würde hier, wo im Umgange einer
frohsinnigen Matrone nichts von der jungen Frau gefordert ward, als daß
sie sich erheitern möge, Theresen zu einem soliden Ernst für Pflicht
und Nachdenken gestimmt haben. Und endlich die Hauptsache! welch eine
scharfe Ehrenwächterinn war ihr Fabia gegen den Blick eines Mannes
gewesen! wie kränkend hatte jenes wachsame Auge auf jeden Schatten
gedeutet, wenn der wohlwollende Schwager die Schwächen von Constanz
reizender Gattin in allzugünstigem Lichte zu betrachten schien! Und
welcher stummen aber richterlichen Rüge war die bemerkte Leidenschaft
Rudolphs verfallen! und wie streng war das Urtheil, was über den
aufmunternden Gegenstand seiner strafbaren Flammen erging! -- Die
Baroninn gönnte das menschliche Glück, zu gefallen, von ganzem guten
Herzen so gern, ohne deßhalb eine liebenswürdige Frau für einen
gefallnen Engel zu halten. Jeder Vorzug, den Therese besaß oder empfing,
schien ihr natürlich. Sie fand die öfteren Besuche des Lieutnants, die
Begeisterung für sein Schutzamt, ganz in der Ordnung und rechtmäßig. Sie
schalt, wenn er eine Stunde länger ausblieb, als zu erwarten gewesen,
und Therese vertheidigte lächelnd den Freund, der sich zu ihr bekennen,
und die Wirksamkeit ihrer anziehenden Kräfte beweisen durfte.

Der junge Mann war seiner Tante sehr ehrenwerth und ein Schooßkind des
Geschicks; -- den Neigungen der Günstlinge aber wird geschmeichelt, und
vielleicht war die Baroninn es sich kaum bewußt, daß sie die Güte
der Gottheit verehrte, indem ihre eigene ein Verhältniß heiligte, was
außerdem dem Bannstrahl der Welt schwerlich entgehen können.

Und da wir Theresen einstweilen so wohl aufgehoben wissen, wenden wir
uns nach Sanct Capella zurück.

       *       *       *       *       *

An einem milden Abend jener Zeit, in welcher wir die abwesende Therese
begleitet haben, befand Schwester Veronica sich mit Josephinen in
demselben großen Zimmer, worin unsere Erzählung anhebt. Sie saßen
feiernd am offnen Fenster einander gegenüber. Tiefe, ernste Dämmerung
herrschte in dem bewohnten Raum, in schattigen Umrissen zeigten sich
alle Gegenstände; die Miene des Reformators war nicht mehr kenntlich,
und nur der Rahmen seines Bildes warf einen zweifelhaften Strahl in das
uranfängliche Düster.

Fabia, welche die sogenannte Dunkelstunde nicht liebte, wie man dies --
beiläufig gesagt -- meistens bei Personen von vorwaltendem Verstande und
äußerer Thätigkeit findet -- war in die Familie eines der Unterbeamten
des Stiftes berufen worden, wo eben ein Lebensfunke erlöschen wollte.
Ein liebholdes Kind, das einzige der Eltern, lag im Sterben. Man hatte
die Schwägerinn des Administrators, deren Umsicht und christliche
Gemüthsfassung geachtet war, zum Trost der Mutter herbei geholt, und
noch sollte sie aus der Wohnung des Jammers wiederkehren. Von diesem
Fenster aus war jene Wohnung in einem der klösterlichen Seitengebäude
zu übersehen, und von dem wankenden Lichte da unten schwebte der stille
Schatten des Todes herauf um die beiden Gestalten. Draußen aber pulsirte
das warme Leben der Natur, und das Firmament flimmerte frühlingskräftig.
Prachtvoller hatte die Nacht ihren Bogen nie gewölbt; die grüne Erde,
gestickt mit Thauperlen und einer Milchstraße von Blüthen, schien
dunkelblau, und nur ein tieferer Himmel.

Veronica hing mit verklärten Zügen an der überirrdischen Welt, die --
nach einem poetischen Gleichniß -- wie eine heilige Nonne verschleiert
aus dem Sprachgitter der Sterne blickte; Josephine hing das Köpfchen auf
den Busen. Beide hatten bisher geschwiegen. Jetzt sagte die Erstere,
wie in sich selbst zurücksinkend: »ich will doch warten, bis Frau Fabia
kommt, obgleich ich kaum zweifle, welche Kunde sie uns bringen wird.
-- Die arme Mutter! noch schwach und angegriffen von einer schweren
Krankheit, wäre es viel, wenn sie es ertrüge, daß ihre süße Blume
gebrochen da liegt!«

Josephine lächelte sanft und sprach: »ich, liebe Veronica, kann das
Sterben nicht so sehr bedauern. Es hebt uns leise empor über _alles_
Schwere, und stillt unsre Sehnsucht. Muß uns Jemand sterben, müssen wir
erst traurig werden, um diese Sehnsucht zu empfinden? _mir_ erregt sie
der auflebende Frühling, die Freude sogar. Ihnen, liebe Veronica, darf
ich es gestehen: es gehet mir wohl, worüber hätte ich mich zu beklagen?
und doch ist mir zuweilen so weh zu Muthe, daß ich es nicht zu
beschreiben wüßte. Aber um alles Glück der Welt mögte ich dieses
wehmüthige Gefühl nicht tauschen.«

»Mein Kind,« antwortete die Nonne, und die geistliche Jungfrau nahm
in ihrer Seelenreine keinen Anstand, ein mütterliches Bild für ihre
Erklärung anzuwenden, »das sind die jugendlichen Wehen des Herzens, aus
denen der _Mensch_ in zartester Bildung hervorgeht, und die Liebe, ein
Kind ihres Schöpfers, wird zum Licht geboren.«

Hier rauschte der Wind, wie jener Geist, von dem man nicht weiß, von
wannen er kommt -- und ein zartes Erröthen Josephinens barg sich unter
dem dunkeln Flügel der Luft. Mit einem linden langen Odemzuge sprach
das Mädchen: »ach, und der Frühling! das lichte Weiß seines ersten
Blümchens, sein Blüthenschnee, das rinnende Gewässer, kommt mir wie
der reine Glanz eines Engels vor, der am Grabe der Natur: Auferstehen!
singt, und die Erde gleichsam heiligt. Ein seliger Schmerz durchdringt
meine Seele, ich liebe Alles, was mir angehört, inniger aber
sehnsüchtig. Das Künftige zieht mich zu sich heran, und von dem
Gegenwärtigen kann ich nicht lassen.«

»Und wenn nun,« fuhr Schwester Veronica fort, »die Farben aufglühen,
und wie Töne zusammenklingen, so daß Eine Stimme der Unsterblichkeit uns
vernehmlich wird, wenn alles Leben sich erneut und verjüngt, dann feiern
wir das Gedächtniß der Todten, und die Sonne bescheint den Tag aller
Seelen, der in den Frühling gehört und nicht in den Herbst, zur trüben
Zeit, wo die letzten Blätter fallen. Nie habe ich für meine Verstorbene
inbrünstiger gebetet, und ihre versunkenen Denkmale wieder aufgerichtet
in meinem Gemüth, als wenn ich zum erstenmale den frischen Sproß des
Grases aus ihrer Asche grünen und blühen sah. -- Ich verstehe wohl Dein
Gefühl, aber das meinige kannst Du noch nicht fassen. Die Jugend reißt
der warme Strom des Lebens mit sich fort; doch das Alter steht am Ufer
der Zeit, worin so mancher Wunsch einwinterte und erstarrte. Jenseits
strecken die Vorangegangenen ihre Arme nach uns aus, und der Blick ihrer
Nähe zieht uns zu ihnen hinüber.«

»Nein, nein!« rief Josephine lebhaft und ängstlich, und faßte das Gewand
der Nonne wie ein Kind, was die davoneilende Mutter an diesem schwachen
Stoff zu halten meint, »es ist, als ob dieser Gedanke schon Sie mir
entzöge. Auch reißt mich nichts hinweg -- diese Möglichkeit könnte ich
nur fürchten, doch mich ihr willig hingeben? nie! o _nie_! -- Als ich
Sie am Sonntage auf ihrer Violine phantasiren hörte -- ich saß auf der
Bank im Klostergarten -- war es mir, als ob ein Himmel unaussprechlicher
Empfindung auf mich niederschwebte. Ich mußte weinen, und wußte doch
nicht warum? Ich dachte, wie so mancher dieser entzückenden Klänge in
den Mauern Ihrer Zelle schliefe, und daß, wenn einst ein Herz voll Liebe
darin klopft, es diese Capelle aufwecken würde, um ihrer Heiligkeit und
Ruhe theilhaft zu werden. Wer wird einst dieses Weihestübchen bewohnen?
-- O laß mich ruhn an dieser lieben Stelle -- bat ich den lieben Gott.
Wenn ich aber dennoch scheiden müßte --« ihre Stimme versagte für einen
Moment --, »so werde ich jene Töne, die mich über das Irrdische hinaus
trugen, lebenslang mit dem Athem meines Herzens tragen, und in diesem
Herzen Alles, was ich hier geliebt, und für wenig Anderes wird Raum
darin seyn.«

»Mein trautes Kind!« rief Veronica in einem Ausbruch der Rührung und
Güte, »Du sollst meine Zelle erben, ich verspreche es Dir. Und meine
Bücher, meine Blumen -- die Violine, den Ring --: Alles, was ich habe.
Es ist mein liebster Wunsch, daß _Du_ mir die Augen zudrückest. Dann
werde ich --« setzte sie leise hinzu, »wie eine Nonne sterben, von der
man sagt, daß der Engel jungfräulicher Frömmigkeit sichtbar wird, wenn
sie verscheidet -- und wie eine Mutter zugleich. Du weinst, Josephine?
es fiel ein Tropfen, und Deine Wange ist feucht. Beruhige Dich,
Herzenskind! nimm Deine Guitarre, und singe mir ein kleines Lied, es ist
lange nicht geschehen. Du fühlst sehr wahr: die Musik ist ein religiöses
Geheimniß, und nicht auf Erden geboren. Die Töne, welche aus der
innersten Fülle der Seele quellen, sind himmlische Eingebungen und
die Sprache der Geister. So soll das ganz einzige Spiel des großen
Violinisten -- ich hätte ihn hören mögen -- etwas Dämonisches gehabt
haben, und alle Schönheit seines Vortrages würde mir höchstens nur
gewesen seyn, als ob ich empfände, wie die Kunst verzweifelt. Nein!
selbst Paganini hätte meine cremoneser Geige nicht erben dürfen; sie
ist nur Dein Vermächtniß -- keines Andern. Und wenn ein Zufall den
Bogen zerbräche, und nur ein Seufzer Deines reinen Odems jemals über den
stummen Steg hinstreicht: so ist ewige Harmonie darin, und das Werkzeug
meiner innigsten Freuden kann schweigen und zerfallen, wie ich, oder wie
Das, was lieblich an mir ist.«

Die Violine war -- wie wir bemerken -- eine schwache Saite dieser
trefflichen Choristinn; eine Saite, welche leicht in nachtönende
Schwingung gerieth. Sie wollte nächstdem das geschmeichelte Gefühl
ihrer Virtuosität mit dem unerkünstelten Beifall vergelten, den sie den
einfachen Melodieen ihres Lieblings zollte.

Josephine, gehorsam dem Wunsch der Nonne, lös'te das Instrument, ein
Geschenk des Administrators, von der Wand, und griff einige Accorde.
Dann setzte sie sich nieder, hob das schöne Auge aufwärts und sang mit
jenem melancholischen Wohllaut der die tiefste Glückseligkeit anspricht:

  »Kaum hat mit frischem Thau die Nacht
  Des Himmels dunkle Au begossen,
  So seh ich tausend Lilien sprossen,
  Verklärt von wundersamer Pracht.
  Sie öffnen ihre Kelche weit
  Und lassen ihre Strahlen regnen,
  Die schlummermüde Welt zu segnen
  Durch einen Traum von Herrlichkeit!

  Ihr Lilien der heil'gen Nacht!
  Wie sehn ich mich nach Eurem Garten,
  Wo Engel liebend Eurer warten,
  Ein treuer Gärtner Euch bewacht:
  Gebt ihr so fern mit mildem Schein
  Schon süßen Trost der Brust hienieden,
  Wie süß, wie süß wird einst der Frieden
  Im Schatten Eurer Blüthen seyn!«

»Welch ein köstliches Lied, mein süßes Mädchen!« sagte die Nonne mit
schimmernden Augen, »es spricht für eine tiefe und heilige Empfindung.
Kennst Du den Dichter?«

Josephine nannte ihn --*) und sprach: »es ist auch mein liebstes. Seit
ich es habe, singe ich es fast nur allein, doch nicht oft, weil es
weder gestört noch täglich werden darf, und eine Stimmung und Stille
erheischt, die -- wie jetzt --«

  *): Heinrich Wenzel.

»Ein Schlummerlied im höheren Chor --« unterbrach Schwester Veronica die
Rede des Mädchens. »Wenn das Kind etwa schon gestorben wäre: so könntest
Du den Schrei des Schmerzes aus der Brust der Eltern damit eingesungen
haben.«

Die Thür ging auf, und Fabiens dunkle Gestalt trat gespenstisch mit
müden Schritten ein. Sie hielt einen Brief uneröffnet, verhängnißvoll in
ihrer weißen Hand.

»Nun, Frau Fabia,« sagte die Nonne und erhob sich von ihrem Sessel, »was
werden wir nun erfahren?«

»Die Kleine ist dem Herrn entschlafen --« antwortete Fabia mit jener
dumpfen Ruhe christlicher Ergebung, die jedoch wachsam für ihren
Ausdruck ist. »Noch ist die Mutter betäubt, der Vater hingegen scheint
gelassen; nur fürchte ich, daß es nicht vorhalten werde. -- Noch kein
Licht, Josephine? wie kann man so gern im Finstern seyn! -- besorge
es geschwind, daß ich diesen Brief lesen kann. Ein Bote von Bühle ist
angekommen, und die einfältigen Leute schickten ihn mir nach. Es war,
als ob der Tod hörbar anklopfte, und Furcht und Schrecken kam uns Alle
an, die wir still um das kleine Sterbebett standen und beteten.«

Josephine eilte, die Lampe anzuzünden, und indem der kaum entglommene
Schein derselben auf Fabiens Gesicht fiel und ihr Auge von einer Zeile
zur andern glitt, sah Veronica, daß ihre Züge sich veränderten. »Eine
Neuigkeit, Schwester Veronica,« wendete die Pflegemutter Josephinens
im Drange der Mittheilung sich an die Nonne, »Graf Frankenstern ist mit
seiner Tochter endlich angekommen.«

»Graf Frankenstern!« rief Jene mit antheilvollem Interesse, und der Ton,
den die Glocke dieser Nachricht anschlug, war ein Klang aus der guten
alten Zeit des Klosters. »Der hochbejahrte Herr lebt also noch! und
Comteß Albane kann auch nicht mehr jung seyn -- wenn ich mir die Gräfinn
Mutter bedenke -- diese leutselige Dame war mir ein höheres Wesen und
wie so ganz war sie für Sanct Capella eingenommen! -- In Bühle, sagten
Sie, hält die Herrschaft sich auf?«

»Ja --« antwortete Fabia schwach, und eine große Erschütterung dieser
starkmüthigen Frau ward laut in der kleinen Sylbe, »reiche mir einen
Stuhl, Josephine --« sagte sie sehr sacht, während das sichtliche
Schwanken ihres Körpers verrieth, daß Fabia mit dem Gefühl der Ohnmacht
kämpfe. --

Diese Botschaft wirkte nach, und ihr schlagender Eindruck hielt an. Die
kleinen klaren Schriftzüge, von einer Hand kommend, welche, wie Fabia
jetzt deutlich empfand -- Gram und Herzeleid über ihr unbeflecktes Leben
gebracht, verwirrten ihre Seele. Das Dunkel einer finstern That stieg
vor ihr auf, daneben der Schatten ihres Mannes, kummerkrank und dräuend,
daß seine Frau nicht vergessen möge, welch eine Last ihn ins Grab
gedrückt, und Fabia glaubte mit ihm zu versinken.

»Jesus Maria!« rief die Nonne, als sie die Todesblässe auf dem Angesicht
ihrer Freundinn sah, »was widerfährt Ihnen denn? Ein paar Tropfen
Lebensgeist -- wenn ich sie nur bei der Hand hätte -- ein Trunk frischen
Wassers --« das zitternde Mädchen flog hinab, ihn zu holen. Inzwischen
hatte Frau Fabia sich schon erholt. Sie wehrte sich mit selbständiger
Kraft gegen die Schwäche, von der sie einen Augenblick bewältigt worden
war, wie gegen die mitleidige Angst, welche über sie verfügen wollte,
und sprach, obgleich mit bebenden Lippen: »es ist schon vorüber. Seyn
Sie außer Sorgen meinetwegen, Schwester Veronica. Und Josephine --
Du siehst, mein Kind, es ist mir wieder besser. Aber trinken will ich
doch. --« Sie stärkte sich durch einen erfrischenden Zug.

»Ja, ja!« sagte die Nonne, und ihre Rede nahm wider Wissen und Willen
die Methode einer gelinden Strafpredigt an, »ein _geistlich_ Amt, das
der Tröstung und des Beistands in der letzten Noth, erfordert starken
Odem, und Wer sich stark fühlt, ist es deshalb nicht zu allen Zeiten,
und übernimmt sich wohl einmal. Sterben aber ist kein Kinderspiel, und
man sieht nicht zu, daß man sich daran ergötze.« So ist aber --
der geneigte Leser erlaube uns diese Episode -- auch eine edle und
geläuterte Seele nicht sicher, daß kleinliche und niedere Stoffe, welche
die Scheidekunst eines gereinigten Charakters für immer aussondern
müßte, sich in das Ergebniß ihrer Urtheile mischen. Wir sind uns selbst
nicht klar. In der freundschaftlichen Aeußerung der Schwester Veronica,
die wir vor Vielen ihres Gleichen heilig und selig preisen, dürfte ein
kleiner Nonnendünkel kaum zu verkennen seyn, und der Glaube, daß, um in
Todesängsten beizustehen, menschliche Theilnahme hiezu nicht genüge, und
die Kraft zu solchem Beistand nur von einem Geiste ausfließen könne, der
durch _priesterliche_ Weihen dazu befähigt worden sey.

»Denn der Bote --« so fahren wir mit den Worten der Nonne fort, »ein
Bote hat mir all mein Lebtag Schrecken eingejagt, und es war mir immer,
als ob ich das Schicksal in Person kommen sähe, was mir ein neues
Päckchen zu tragen brächte. Wer weiß auch, was der Brief enthält! -- So
viel ich mich erinnere, waren Sie in früheren Jahren in Verbindung mit
Gräfinn Albane? --«

Fabia nickte schwer und schwieg. »Wenn nur der Schwager da wäre!« sagte
sie, und ihr Auge starrte sinnend vor sich hin, »erst morgen Abend kehrt
er zurück, dann ist es zu spät.«

»Wozu?« fragte die Nonne mit einem leichten Anfluge jener Neugier ihres
Alters und Standes. Und mit aufrichtiger Liebedienstlichkeit setzte sie
hinzu: »wenn Sie in Etwas bedrängt wären, Frau Fabia, worin ich Ihnen
mit Rath und That nützlich werden könnte --«

»Das wird sich später finden --« antwortete Fabia mit einem bedeutenden
Blicke nach Josephinen hin, und drückte dankbar die zellenzarte Hand der
Nonne, wie aus Wachs gewebt, »für jetzt bedarf ich nichts als Ruhe.«

»Wie kalt Sie noch sind!« sagte Schwester Veronica besorglich, »ich
dächte, ein Krampfpulver wäre nicht übel für die Nacht; es beruhiget die
Nerven.«

Fabia lächelte seltsam bitter, als bedürfe ihre innere Aufregung ein
anderes Opium. Sie verneinte den Gebrauch des Mittels, und begab sich in
ihr Schlafgemach. Den folgenden Morgen war große Wäsche im Stift; eine
der Haupt-Stadien dieser geregelten Oekonomie. An solchen Tagen ging
Frau Fabia sonst gleich der Sommersonne früh auf, um sich mit wahrer
Hoheit im Meere dieser Waschfluth zu bespiegeln. Ja, wir dürfen kühn
behaupten, daß die Göttinn, an der wir Selbstgefälligkeit so natürlich
finden, sich vielleicht in einem minderen Grade derselben aus dem Schaum
der Wellen erhoben habe, als womit die Juno dieser häuslichen Sphäre
sich von ihrem brausenden Element benetzen ließ. -- Daß diese Wolke ihm
vorübergehe, hatte der Administrator stets und so auch jetzt eine kleine
Reise unternommen, und Therese ihm einst muthwillig gedroht, er werde
einmal aus dem Regen in die Traufe kommen. In diesem Punkte war aber
Therese gleich den Männern, und wendete am liebsten jener häuslichen
Nothwendigkeit den Rücken. Sie badete wohl eher die Füßchen im Thau, als
daß sie einen ihrer rosigen Finger zu Gunsten einer wirthschaftlichen
Bemühung naß gemacht hätte. -- Wir zweifeln daher, daß Therese selbst
der Waschfrau Chamissos die poetische Seite abgewinnen mögen, wogegen
sie gewiß den trockensten Gegenstand des versandeten Schlaraffenlandes
geeigneter gehalten haben würde, besungen zu werden. --

Heute aber schwebte kein ordnender und waltender Geist über diesen
Wässern. Fabia schien in tiefem Schlaf versunken zu seyn. Josephine
klopfte leise an die Thür der Pflegemutter, und Fabia that auf. --
Ihr Aussehen trug die Spuren einer schlummerlosen Nacht, ungewöhnlich
achtlos war ihr Anzug; doch selbst in seiner Nachlässigkeit noch keusch
und sauber. Ihr Auge, von Schatten vertieft, die sich darunter gelagert,
glühte fieberhaft, und Miene wie Gebehrde war von jener Ermattung -- der
Feindinn jeder Thätigkeit -- beschlichen, welche uns anhängt, sobald wir
herzenskränklich sind.

»Vergieb, liebe Mutter, daß ich es wagte, Dich zu stören --« sagte
Josephine, indem sie ihren betroffenen Blick in einen bittenden zu
mildern suchte. »Es befremdete uns, daß Du noch nicht aufgestanden
warst, weil es gegen Deine Weise ist.«

»Ich habe nicht viel geschlafen --« antwortete Fabia gemäßigt wie immer,
»und mich auf Wichtiges vorzubereiten. Wir müssen heute nach Bühle auf
das Schloß -- mein Kind; doch fahren wir erst nach Tische. Ziehe Dir das
neue luftblaue Kleid an, und ordne Dein Haar sorgfältig, ich will Dir
gern behülflich dabei seyn. Das goldne Kreuzchen binde um den Hals, und
wirf den gestickten Schleier über, er läßt Dir äußerst günstig.«

»_Heute?_« fragte Josephine bestürzt, und dachte, der Herold des
jüngsten Tages habe die Stimme ihrer Pflegemutter geliehen. Nie war
Frau Fabia an Tagen häuslicher Geschäftigkeit nur einen Schritt von der
Schwelle dieses Hauses und von ihrer Pflicht gewichen; nie hatte das
Mädchen ein eitles Wort aus Fabiens Munde gehört. Das Ende aller Dinge
schien gekommen, oder doch nahe zu seyn. Scheu und bekümmert setzte
daher Josephine jener einsylbigen Frage hinzu, deren Accent all ihre
Verwunderung ausdrückte: »Du scheinst sehr unwohl, meine Mutter.«

»Und wenn auch!« antwortete Diese, indem ein herbes Lächeln der
Gleichgültigkeit gegen alles Bisherige auf ihre Lippen stieg, »der Herr
mein Gott wird mich stärken.« Sie heftete dabei einen durchdringenden
Blick auf das Crucifix von Gußeisen, welches auf ihrem Nachttische
stand. Dieser Blick enthielt ein angsthaftes Gebet, und besagte,
soviel wir von dem flehenden Geflüster am Altar des innern Heiligthums
verstehen: »_Du!_ der Du uns rein gewaschen hast von unsern Sünden
mit Deinem theuren Blut, gieb, daß Albane --« hier drang ein
unaussprechlicher Seufzer durch das kalte Metall an das Herz des
höchsten Erbarmers. Und von einem Gefühl ermuthiget, was sich erhob,
sagte sie: »es muß Alles gehen. Wie wird es seyn, wenn ich nicht mehr da
bin?«

»O sprich mir davon nicht!« bat Josephine, und küßte Fabiens mütterliche
Hand.

»Eben jetzt muß ich recht sehr mit Dir davon sprechen,« erwiederte
Fabia, selbst in dieser erweichenden Minute dem Grundsatz treu, dem
Eigenwillen eines Kindes niemals nachzugeben. »Wir haben viel mit
einander zu reden. -- Doch siehe! daß Du die Thür zuvor verschließest.
So! nun schiebe den Riegel vor.«

Von dieser Vorsicht geängstet, war Josephine voll Furcht und Warten
der Dinge, die da kommen würden. Frau Fabia schien einer vorbereitenden
Pause zu bedürfen, in der sie sich fasse, dann sprach sie mit einem Ton
würdevoller Abbitte: »wenn ich Dich zuweilen hart angelassen, und Dir
zeither strenger war, als daß ich Deinen unschuldigen Neigungen und
Wünschen jemals geschmeichelt hätte -- so geschah es --« ihre Stimme
wankte.

»O geliebte Mutter!« rief Josephine, welche diese demüthige Sprache der
tugendstolzen Pflegemutter nicht aushalten konnte, »es ist nur zu meinem
Besten geschehen. Womit habe ich Dich beleidiget, daß Du Dich so fremd
gegen mich ausweisest? bin ich nicht Dein Kind? -- Ich will sie ablegen,
diese Fehler, denen mein guter Wille noch manchmal unterliegt; habe nur
ein wenig Geduld mit mir. Und wenn ich mich heute in Bühle etwa linkisch
benehmen sollte --«

Ein Lächeln, worin mehr Rechtfertigung lag, als in jedem moralischen
Beweise, flog Fabiens Miene an. Sie antwortete: »das fürchte nicht. Du
hast ein _Recht_, dort zu seyn: die Gräfinn Frankenstern, der ich Dich
zuführe, ist Deine Mutter.«

Josephine stieß einen leisen Schrei aus, als hätte ihr dies Wort einen
Dolch in die Brust gestoßen. Der Name Derer, die ihr das Leben gegeben,
schien diese Himmelsgabe zurück zu nehmen, und das liebliche Bild des
Mädchens versteinte zu weißem Marmor.

»So ist's, mein Kind!« setzte Fabia mütterlicher als je hinzu, »die
Stunde, darin das Band sich lös't, was uns so lange verknüpfte, reißt
nicht allein an meinem Herzen -- ich muß mich ernstlich zusammennehmen.«

»Mutter!« sagte Josephine furchtsam und leidenschaftlich, »ich hoffe zu
Gott, Du willst mich nicht verstoßen.«

»Du brichst mir das Herz entzwei, Mädchen!« entgegnete Fabia
schmerzlich. »Darf ich Dich denn jenen Ansprüchen vorenthalten? Es wird
Alles darauf ankommen, wie wir die Gräfinn finden. Du bist die Tochter
einer heimlichen Ehe, und dein Vater -- der Onkel wird Dir sagen --«

»Der Onkel -- ist mein Vater?« fragte Josephine mit schwacher Stimme.

»Der Onkel -- komme doch zu Dir, Kind! ist auch Dein Onkel nicht, und es
nur dem Namen nach gewesen. Dem Blute nach, gehst Du uns gar nichts an.«

Bei dieser Erklärung, welche Fabia nicht aus lossagender Kälte, sondern
der vollständigen Erklärung wegen gab, sah Josephine aus, als wären ihr
alle Adern geöffnet. Ihre Seele strömte in Liebe für die Menschen, mit
denen sie gelebt, für den Ort, der ihr die trauteste Heimath geworden
war. Sie empfand den Einfluß einer innigen Gewohnheit. Sie empfand
ihn mit schwellendem Herzen, da sie den Abschied so nahe wußte. Die
gräfliche Mutter stand wie eine verhüllte Gottheit von ferne, und scheue
Ehrfurcht, ein fremdartiges Grauen war Alles, was Josephine für ihre
Näherung hatte. Und der Administrator war nicht einmal da! es däuchte
Josephinen, als ob sie diesem gütigen Freunde hinterrücks entführt
würde. Ein Gefühl, zarter noch als Dankbarkeit, forderte in ihr, daß
sie ihm diesen schnellen und gewaltsamen Abruf selbst sagen und klagen
könnte, daß er Augenzeuge wäre der sträubenden Wehmuth, womit sie von
hinnen schied. --

Als der Nachmittag nun kam, erschien Josephine in vorschriftlichem
Anzuge. Sie war bei dem Werk der Toilette ihrer wenig bewußt gewesen, um
so eifriger hatten ihr die Grazien gedient, welche zurückweichen, wo die
Eitelkeit handreicht. Auch Fabia war ausnahmsweise festlich angethan.
Sie trug ein dunkles Kleid von tannengrüner Seide; doch indem die
verwittwete Frau bei dieser seltnen Gelegenheit ihr Licht leuchten
ließ, trug doch der Christbaum ihres Gewandes kein einziges Flämmchen
Flitterstaat zur Schau, sondern nur die Frucht bescheidener Einfalt, an
der man erkannte, weß Geistes Kind sie wäre.

Der Himmel hatte sich mit Gewölk umzogen. Frau Fabia, im Begriff, sich
in den Wagen zu setzen, schaute auf und sprach: »den guten Regenschirm
wollen wir noch mitnehmen, zur Fürsorge. Wir könnten ihn brauchen, beim
Aussteigen. Er steht, wenn ich nicht irre, in des Schwagers Zimmer, im
Winkel wo die Pfeifen lehnen --« Und hurtiger flattert der Vogel
nicht vom Zweig, als Josephine dahin flog, ehe es möglich war, ihr
zuvorzukommen. Sie drängte die Seele des Abschieds, als den Inbegriff
schmerzlicher Empfindung, in den heißen Blick, womit sie die stummen
kalten Wände grüßte, und Wer weiß, ob nicht zum letztenmal! -- Dort
stand der braune Schirm, und neben dem Saum seines geschlossenen
Zeltes, blickte der Kopf des Mustapha zu ihr hinauf, die in dem
wehenden Schleier, eher der schönsten Blume des Harems, als, des goldnen
Kreuzchens ungeachtet -- einer jungen Braut der Kirche glich. Hier stand
das Schreibpult des Administrators, und ein kleines weißes Blättchen lag
lockend auf der grünen Fläche. Josephine warf einen Blick darauf -- ein
Sonnenstrahl fiel gleichzeitig in die Werkstatt ihrer Gedanken. Eine
Feder war auf jenem Streifen Papier probirt: »Josephine,« stand in
kalligraphischer Schönheit am Rande des Blättchens, und das Urbild
dieses wohllautenden Namens stand mit schöneren Zügen davor. Sie ergriff
die Feder, und schrieb mit fliegenden Fingern:

  »Ich muß fort -- verzeihe, daß ich mit Ich anfange; aber Stolz
  ist nicht in mir, nur eine sehr traurige Liebe, daß ich von Sanct
  Capella scheiden muß. Kannst Du etwas beitragen -- --

    Deine --«

Josephine vernahm, daß ein Eilbote ihr nachgeschickt würde. Sie mußte
sich losreißen. Ein Fädchen aus dem Blondengewirk ihres Schleiers blieb
an dem Gefieder der Schreibfeder hangen, und ein kleiner Dintenfleck an
ihrem Finger.

Josephine wie ihre Pflegemutter sprachen wenig auf dem Wege nach Bühle.
Fabia saß still in sich gekehrt, trübsinnig starrte Jene in die Ferne.
Als aber jetzt der englische Garten sichtbar ward, und hinter dem
Immergrün seiner Gehölze, vermischt mit der zarten Frische lebendiger
Knospen, das graue, todte Schloß, eine verstorbene Einöde von Stein --
als sie jetzt bei dem Postamente vorüber fuhren, worunter der todte Hund
begraben liegt: da erblickte Josephine den stummen Wächter mit keinem
minderen Schauer als eine abgeschiedene Seele der Vorwelt den Cerberus,
und als sey dies festgehaltene flüchtige Bild nur allein ein Symbol
ewiger Ruhe, und dies der Eingang in das stille Reich der Schatten.

Das eintönige Geräusch des Brunnens, auch nicht um den leisesten Tonfall
eines Tropfens anders als sonst, weckte in Fabien bittere Gefühle
der Vergangenheit. Dort war die Wohnung, in der ihr Mann gelitten und
aufgehört zu leben -- es däuchte seiner Wittwe, als ob das Lüftchen,
welches die spielenden Wellen der Wasserkufe kräuselte, ihr seine
letzten Seufzer zuwehete. Blüthenbäume streuten ihren Schmuck vor die
Schwelle, über die Kummer und Gram mit ihm eingezogen waren, um nur den
Todten zu entlassen --; und diese Gleichgültigkeit der Natur, welcher
der Mensch unwillkürlich Theilnahme abverlangt, diese Wiederkehr ihrer
unschuldigen Freuden, an dieselbe Stätte, wo die Schuld, eigene
oder fremde, unsre besten hinweggenommen für immer -- schärfte die
Empfindung, womit Fabia sich jener Zeit bewußt ward, und des wichtigen
Moments, der ihr jetzt bevorstand.

Um das Schloßgebäude schwebte die Stille der Einsamkeit und der
Ehrfurcht vor dem Range, wie vor dem kranken Geiste seiner dermaligen
Bewohner. Der Zustand des Grafen war bekannt, und seine Tochter galt
kaum weniger leidend an Gemüth.

Das Unglück, wie mächtig es auch sey, hat stets eine kleine Hofhaltung.
Nur ein einziger Bedienter stand, nicht unähnlich einer Statue seines
Standes, an einer Säule des Flurs, harrend, wie es schien. Die Zeit
hatte angemessen der altväterlichen Livree seinen Scheitel mit Puder
bestreut, und mehr noch als diese greise Mode, gab ihm eine Miene
unbewußter Geringschätzung gegen diese Etiquette adeliger Größe, und
ein Zug von Schweigen in seinem erfahrungsvollen Gesicht ein ehrwürdiges
Ansehen. Auf ihre Frage erhielt Fabia zur Antwort von ihm, daß sie
erwartet würde -- und Josephinens Blick hing dabei so ängstlich an den
goldbesponnenen Knöpfen seines Rockes, als ob sie eine nahe wichtige
Entscheidung davon abzählen wolle. Noch fragte Fabia, die niemals sicher
genug gehen konnte: die Herrschaft sey doch -- allein? -- Der
Bediente, ein alter Bekannter von ihr, lächelte nur; die Tochter des
Oberverwalters von Bonna mußte fremd geworden seyn, dem Andenken der
Lebensweise des Majoratsherrn. Er sagte mit schwermüthigem Scherz: »es
ist zwar heute großer Galatag; aber diese hohen Gäste lassen Raum und
Ruhe, und die Frau Rentmeisterinn dürfen sich ganz und gar nicht irren
lassen.«

Indem Fabia die breite Treppe, mit Decken belegt, unter starkem
Herzklopfen hinan stieg, erhob sie sich zu dem Gefühl, daß _sie_ es
nicht sey, welche die nächste Minute zu scheuen brauche. Doch wie
kommt es, daß die Last auf dem Gewissen eines Andern den Athem des
Rechtschaffenen hemmt? und warum wirft ein fremdes Erröthen, noch ehe
es vor unserm Auge aufgeht, den Schein der Schuldverkündigung auf unser
eigenes Gesicht? --

Sie standen auf dem öden Vorsaal. Eine Uhr, in langem weißen Gehäuse,
nahm sich an dem dunklen Pfeiler, daran sie befestiget war, todtenhaft
aus, und das Gleichmaaß des Perpendikels bewegte sich im Einklang mit
dem Gesetz der Zeit und ihrer Schwere. Der Stundengott hatte hier
keine Flügel. -- In den Nischen der Wand entlang, erblickte man zwar
beschwingte Gestalten; doch schienen auch diese seit manchem Jahr
unregsam ihren Standpunkt einzunehmen, und nur in so fern, wenn _Ruhe_
der Begriff des Himmels ist -- dem Olymp anzugehören.

Der Bediente zog die Thür sacht auf, ein Strom von Licht und Luft aus
dem ihr gegenüber geöffneten Fenster quoll durch die Spalte. Die Meldung
geschah lautlos, und alsbald traten auf einen Wink des Alten die beiden
Damen ein.

Frau Fabia, und hinter ihr das schüchterne Mädchen, sah sich in einem
Zimmer, das füglich den Sälen des Schlosses beigezählt werden
können. Zwei Reihen Ahnenbilder in Oel gemalt und tief nachgedunkelt,
beschatteten die Seitenwände, und gaben der schweigsamen Leere dieses
Prunkgemachs eine geisterartige Geselligkeit. An dem obern Ende des
länglichen Zimmers stand ein antikes Canapee, breitgestreift, mit weiß
und seladongrünem Atlas überzogen; davor ein Tisch, köstlich besetzt.
Ein damastnes Tafeltuch, wie vom Webstuhl der kunstreichen Athene, hing
in schimmernder Weiße bis auf das bunte Gewirk des Teppichs nieder,
und um den Tisch herum standen mehrere Lehnsessel, deren jeder ein
Großvater, bequem und doch galant, wie am Tage der goldnen Hochzeit. In
einen Winkel geschmiegt saß der Graf, und dem Canapee gegenüber seine
Tochter.

Bei dem ersten Blicke auf jenen unglücklichen Mann, auf den Schnee
seines Hauptes, auf den Staatsrock, der so weit, so spottend weit
entfernt zu passen, um die abgezehrten Glieder hing, zerschmolz aller
Groll in Fabiens Herzen. Der Putz der Alten wie der Blinden hat etwas
eigenthümlich Rührendes. Jener: weil ihr hinfälliger Anblick das
Nichtige der Eitelkeit predigt; dieser: daß ihnen selbst unsichtbar,
eine Huldigung der Welt beigegeben ward, die nur am Schein hängt. Und
sind Blödsinnige nicht Blinde in geistigem Sinn? -- Zwar könnte Graf
Frankenstern für einen Seher gegolten haben, denn eben jetzt leuchtete
sein Gesicht im Abglanz einer Vision; aber es war nur ein Blendwerk, nur
das Irrlicht einer gespenstischen Imagination, daneben die Nacht seines
innern Lebens nur um so finsterer erschien.

Auch Gräfinn Albane war älter geworden, als zufolge einer Berechnung von
Jahren; doch war der Eindruck dieser ersichtlichen Veränderung durchaus
ein anderer. Man könnte von ihr sagen, ihre Schönheit sey verwelkt, um
verklärt zu werden. Ein weißes Kleid von wolkigem Mousselin
umhüllte ihre zarte Gestalt, doch, im schärfsten Contrast zu dieser
anspruchslosen Wahl, blinkte jener Schmuck, so schwer vermißt! so
grausig ersetzt! auf dem feinen Halse und der Brust der Gräfinn, und
hielt ihren schlanken Leib, ihre Arme umschlossen -- wie wenn Kinder in
eitlem Spiel sich mit dem Geschmeide ihrer Mutter zieren -- und
stach, bewaffnet mit allen Blitzen der Frühlingssonne und einer jähen
Reflexion, Fabien ins Auge und durch das Auge in das tiefste Herz. --
Ein kleines blankes Schlüsselbund an ihrer linken Seite stellte die
Gräfinn als Wirthinn des Hauses und jener unsichtbaren Gäste dar, denen
zu Ehren sie so geschmückt, und gleichsam nur dadurch verkörpert sich
zeigte. Doch der schmale zackige Reif einer goldnen Krone auf ihrem
reichen Haar, ließ phantastisch und in Zweifel, welch eine Fürstinn in
der wüsten Ideenwelt ihres Vaters, sie, fremd sich selbst, vorstelle?
-- Und über dies häusliche Theater goß die wasserziehende Sonne einen
trüben Glanz der Illusion aus. Die Blumen in dem damastnen Gedeck traten
labyrinthisch und winterweiß hervor, wie durch einen Hauch von Frost
entstanden -- und der feurige Wein auf dem Tische glühte nur zum Schein.
Das rothe Blut der Traube schwellt nur die Adern der Lebendigen; doch
diese begeisternde Kraft leiht nimmer Denen eine Seele, welche keine
Existenz haben. Der Graf fand nur Genuß in Gedanken, und schwelgte heute
mehr als je in seinem Wahn; und Albane saß da so geisterhaft gesättigt
und traumtrunken, mit einem herben verzichtenden Lächeln auf den
bleichen Lippen, als hätten diese nie die Süßigkeit des Lebens gekostet,
und jener edlen Gabe, die des Menschen Herz erfreut und stärkt! --

Als die reelle Fabia dieses Schauspiels ansichtig ward, rieselte ein
eisiger Schauer an ihrem Rücken hinab, und ihr nähernder Gang erstarrte.

Die Gräfinn zeigte bei dem Eintritte derselben einen heftigen Ruck, so,
als wenn eine Unbeweglichkeit mechanisch aufgehoben wird. Und indem sie
dabei das Gleichgewicht verlor, fiel das Diadem, nur lose aufgelegt, von
ihrem Haupte, und rollte zu Boden. Josephine bückte sich darnach. Doch
achtlos dieses ominösen Vorfalls schritt die Gräfinn den Kommenden
entgegen, und begrüßte sie mit sanfter, sehr bewegter Stimme. »Das ist
Josephine?« fragte sie; aber das Epitheton für den Laut dieser Frage
fehlt unserer Sprache und jeder. -- Darauf berührte ihr Mund die Stirn
des Mädchens, und dieser heilige Kuß, den das verleugnete, namenlose
Kind als Sacrament empfand, firmelte es.

»Josephine!« rief der Graf mit dem herzschneidenden Tone der
Ueberspannung, taumelte von seinem Sitz, und schwankte gegen die Gruppe,
um in eine Kniebeugung zu sinken; aber Josephine kam ihm zuvor. Sie
umschlang den Greis mit weichen Armen, und weinte über ihn. Gräfinn
Albane überließ ihren Vater dem Entzücken, sein kaiserliches Idol, oder
die Psyche desselben, in lieblicher Verjüngung vor sich zu sehen,
und das Mädchen dem guten Geiste der Demuth und der Wahrheit der ihm
einwohnte. Im Drange, ihr Herz zu öffnen, legte sie die zitternde Hand
an den blanken Drücker einer Tapetenthür, und zog Fabien mit sich in
ein anstoßendes Cabinet. »Wie viel Dank bin ich Ihnen schuldig, liebe
Fabia!« sagte sie hastig und herzlich, »Josephine scheint ein Engel.
Dieser Blick einer himmlischen Unschuld kann nicht lügen.«

Die fromme Fabia antwortete: »Gottlob! nicht umsonst war mein Gebet bei
des Mädchens Erziehung: hilf, Herr! hilf! laß wohl gelingen! Josephine
ist ohne Trug und Arglist; lauter und rein von Gemüth und Sinn, wie ein
Wassertropfen aus dem Weihebrunnen der göttlichen Gnade.«

Wir lassen es dahin gestellt seyn, ob dieses Bild vom Tropfen, in
welchem sich Frau Fabia zum Lobe der Tochter ergoß, ganz unvermischt
und klar von einem Vorwurf ihrer Abstammung gewesen, der die erquickende
Wirkung desselben trübte. --

Albane senkte die benetzten Wimpern, wie beschämt von der Verschuldung,
die sie gegen Fabia wissend war, und mit einem erkenntlichen Seufzer
glitt ihr Blick, zufällig vielleicht -- auf einen Ring von großem Werth
an ihrem Finger. Fabia fing diesen Blick im Brennpunkt ihrer Seele auf.
-- Sie sprach, und jede Fiber zitterte an ihrem Körper: »ich will nicht
fürchten, Gräfinn, daß Sie mir ein Geschenk zudenken! -- Die Sucht zu
glänzen war nie mein Fehler, nie die zufriedene Eitelkeit sogar, daß
mein Thun Werth vor Gott hätte. Einer Wittwe ziemt es vollends nicht, zu
brilliren, und die da einsam ist, sorge nur, daß sie dem Herrn gefalle.
Der Frau, welcher die Brust des Mannes fehlt, zu ihrem Schilde vor den
Pfeilen der Welt, steht nichts besser an, als ein Flor der Trauer und
Zurückgezogenheit, der sie gleichsam unsichtbar mache unter Denen, die
nach dem Schein urtheilen, und spitzfindig einen Stein des Anstoßes
sehen, wo nichts zu sehen ist. -- Darum will ich ihn nicht tragen,
und wenn er alle Schätze der Erde aufwöge! ist mir das Herz doch schon
beschwert genug. O Gräfinn! diese Edelsteine hier haben meinen guten
Mann in das Grab gedrückt und mir viel tausend, tausend Thränen
gekostet!«

Der Gräfinn Gesicht erbleichte zu Schnee, eine ängstliche Verwirrung
sprach aus ihrer Miene. Sie richtete das Auge, voll eines sanften
Lichtes, forschend auf Fabien, als wolle sie ihre dunkle Rede
beleuchten. Ein krampfhaft leises Zucken regte sich nur auf
ihren Lippen, als ob ihr die Kraft gebräche zu einer Frage, deren
anschuldigende Beantwortung ihr das Herz brechen müßte.

Es lag etwas Versöhnendes in diesem stummen Hinnehmen. Gemildert sprach
Fabia: »Sie wissen wahrscheinlich, daß ihr Herr Vater meinem seligen
Manne den Tag vor ihrer Abreise von Bonna, eine Chatoulle in Verwahrung
gegeben, darin dieser Familienschmuck befindlich seyn sollte. Den
Schlüssel dazu hatten wir nicht bekommen. Mein guter Mann ward gleich
darauf so krank, daß ich fürchtete, das Grab werde sich ihm zunächst
öffnen. Doch er genas. Nach Jahren, in denen er sich, peinlich wie
dieser Redliche nun war, mit Zweifeln getragen, die ich jetzt für eine
Ahnung halten mögte, gab uns der Zufall den Aufschluß in die Hände. Wir
fanden in dem Kästchen nichts von Schmuck, nur eine todte Perle --: den
Leichnam eines Kindes, und ein blutbeflecktes Messer.« Hier hielt Frau
Fabia mit einem durchbohrenden Blicke bedeutsam inne.

Aber nicht die Farbe der Blutschuld zeigte sich auf den Wangen der
Gräfinn, nur jener zarte unschuldige Anflug, den ein schneidender
Wind etwa in dem Kelch der weißen Rose entblößt. Sie lächelte kalt und
sprach: »so hielten Sie vermuthlich davor, daß ein Zusammenhang zwischen
beiden Dingen statt fände, der -- mich schaudert, es auszudenken. Wohl
war jenes Kindlein das meine, ein zu früh Gebornes. Ich versündigte mich
durch den Wunsch, es der Erde vorenthalten zu können -- o! wie bestraft
sich doch jeder Gedanke räuberisch gegen die Natur! -- Der Arzt,
vielleicht weniger aus Mitleid mit meinem mütterlichen Schmerz, als
aus Leidenschaft für jedes Präparat, schlug mir vor, den Körper
meines Kindes zu balsamiren, so könnte ich ihn in einem kühlen Gewölbe
aufbewahren. Es geschah -- ich legte das kleine Vergißmeinnicht, was der
Tod mir vom Herzen gepflückt, in jenes sargähnliche Kästchen; darin ist
es vertrocknet. Mit jenem Messer aber hat der Arzt, der nämliche, meiner
theuren Mutter die kranke Brust abgelöst.«

Frau Fabia fühlte bei diesen erklärenden Worten einen Schnitt durch ihr
tiefstes Innere. Nach einer verstummenden Pause sagte sie: »doch werden
Sie zugeben, daß jenes Depot geeignet war, einen Geschäftsmann stutzig
zu machen; zumal wenn er wie mein Seliger, von einem unseligen Mißtrauen
heimgesucht, jeder Sache die schlimmste Seite absah.«

Die Gräfinn sah still vor sich nieder, und antwortete eine lange Weile
nicht. Dann sprach sie: »ach ich verzeihe Ihnen -- Wen man schwach
gesehn, hält man gar bald eines Verbrechens fähig.«

»Gräfinn --« stammelte die Wittwe, »ich habe viel gelitten, dieser
Geschichte wegen.«

»So wäre ich denn noch auf andere Art als ich meinte, in unabtragbarer
Schuld gegen Sie!« erwiederte die Gräfinn mit dem herben Lächeln der
Kränkung. Fabien stiegen Thränen in die Augen. Das Taschentuch entfiel
ihr -- die Gräfinn beugte sich es aufzuheben, und die Schlüssel an ihrem
Gürtel erklirrten silberhell und leise. Und wie geringfügig diese
kleine Dienstleistung auch war, so verlieh ihr doch die augenblickliche
Stellung gegen die Beleidigerinn etwas Hohes.

Wie von diesem erklingelnden Laut erinnert, sonderte Albane nicht ohne
Schwierigkeit einen kleinen Schlüssel von der Mehrzahl Derer, die der
Ringhaken an ihrem Gürtel umfaßt hielt, bis es ihr gelang, ihn davon
los zu machen; und sprach: »hätte ich diesen Schlüssel wohl so nahe
an meinem Herzen tragen können, wenn dieses Herz noch ein strafbareres
Geheimniß umschlösse, als dessen Mitwisserinn Sie sind? und wenn ich
gewußt, welchen Kummer Sie deshalb trügen? -- Nehmen Sie ihn denn hin
mit der Versicherung, daß ich unschuldig an Ihrem Gram, und Ihnen ewig,
ewig! dankbar bin! -- Nein, gute Fabia! fürchten Sie keinen andern Lohn
als dieses Wort, was bethätigen zu können, meine beste Hoffnung wäre.
Ein Edelstein, und wäre es auch der erste Solitair der Welt -- bezahlt
weder Liebe noch Leiden. -- Mit diesem Schmucke belade ich mich nur, um
meinem Vater eine Freude zu machen. Wehe mir! o es ist schrecklich, wenn
der Vater zum Kinde wird, und die Tochter zur Mutter! --«

»Wissen Sie schon,« sagte Fabia, durch eine sehr natürliche Association
der Ideen zu dieser Mittheilung gelenkt, indem sie ihre Thränen
trocknete, »daß Herr de Romana, Sylvius bei uns genannt -- sich in Sanct
Capella aufhält? Er ist der intimste Freund meines Schwagers.«

Bei dieser Nachricht ging eine Wandlung in den Zügen der Gräfinn vor.

»Um Gotteswillen!« sprach sie mit aller Dringlichkeit befürchtender
Angst, »verhindern Sie, daß er hierher kommt! ich weiß nicht, ob ich es
aushielte. Das geringe Maß meiner noch übrigen Kräfte reicht kaum zur
Erfüllung der traurigen Pflicht, die ich meinem Vater schulde. Jenes
Band ist gelöst. Wozu sollte er mich auch beunruhigen wollen? Für ihn
bin ich todt. -- Ich, _ich_ selbst habe es gehört, wie er, ein jüngeres
schönes Weib umfangend, davon sprach, daß eine gestorbene Liebe in
ihrem Grabe bleiben müsse. -- So sey es denn! und nimmer will ich ihn
wiedersehen.«

Und indem die Gräfinn so sprach, schwand ein Schatten jener Scene, deren
flüchtige Zeuginn sie gewesen, über ihr Gesicht. -- Eine Eifersucht
höherer Art offenbart sich nur im Verschwinden der verdunkelten
Erscheinung.

»Wenn ich nur kann, liebe Gräfinn!« antwortete Fabia in Bezug auf das
von ihr erflehte Verhindern, »wenn ich nur kann! -- Aber wird Sylvius --
oder Romana -- nicht nach Josephinen fragen? und ist das Recht dazu ihm
irgend verweigerlich?«

»Josephine bleibt einstweilen hier,« entschied die Gräfinn, ohne sich
auf eine nähere Bestimmung über diesen Punkt einzulassen, »auf Sie aber,
liebe Fabia, verlasse ich mich, daß Sie den Vater derselben mir entfernt
halten.«

Frau Fabia versprach dies mit größerer Willfährigkeit als sie vielleicht
früher gezeigt haben würde, eine Zusammenkunft der Liebenden zu
ermitteln. Sie hielt den Schlüssel zur Chatoulle fest empor und sprach:
»könnte ich nun -- nicht den kleinen Sarg, der ist auch versenkt --
nein! den großen Sarg meines Mannes damit öffnen und ihm sagen, wie
so ruhig er hätte seyn können bei Lebzeiten, und daß er sich und mich
unnütz abgequält. Ach! er würde so wenig auf mich hören als sonst.«

»Ja, die Todten schlafen tief --« sagte Albane mit verstörtem Lächeln.
Das Bedürfniß dieser unaufregbaren Ruhe sprach eben jetzt lauter als
jemals in ihr an.

Als die Frauen ihre geheime Unterredung hiermit beendigten, und
wieder in das Zimmer traten, fanden sie den Grafen auf dem Canapee an
Josephinens Seite, und in emsigem Gespräch mit ihr, welches anziehend
seyn mußte, denn die Augen des alten Herrn hingen innig an dem lieben
Kinde, und jener crasse Ausdruck geistiger Verworrenheit, welche seine
schlaffen Gesichtszüge charakterisirte, und unter jedem Härchen des
greisen Bartes hervorstach -- war dem klaren Durchblick des Gefühls
gewichen, womit die anmuthige Nähe eines Wesens auf ihn wirkte, was ihn
so nahe anging.

Wir überlassen diese kleine Gesellschaft des Weiteren sich selbst, und
eilen der späten Rückkehr Fabiens nach dem Stifte zuvor.

Zeitiger als er vermuthet worden, und ziemlich mißvergnügt, kam der
Administrator mit seinem Freunde nach Sanct Capella zurück. Der Zweck
dieser kleinen Reise war unerreicht geblieben, auf der ihnen einige
Fatalitäten zugestoßen, und dies war es wohl nicht allein, was ihn
verstimmte. Jenes geheimnißvolle Unbehagen, welches die Seele wie den
Körper Dessen durchschleicht, Dem ein Uebel bevorsteht, der schwüle
Schauer, der die Blitze ankündigt, die unser Herz treffen sollen, die
ganze Atmosphäre trüber Ahnung beklemmte ihn heimlich, und verdunkelte
seinem Blicke die Lieblichkeit der Natur. In solcher Stimmung gelingt
uns fast nichts. Unsere Plane vereiteln, die sicherste Berechnung
trügt -- wir finden Hindernisse bei Allem. Und von der Zukunft leise
beängstigt, wird es uns nicht deutlich, warum die gegenwärtige Minute
den gewohnten Gang unserer Weise, unserer Wünsche, also erschwere? So
wie im Gegensatz die Hoffnung ohne eine andere Gewähr als sich
selbst, zu jedem Glück verhilft, und oft unsere kühnsten Erwartungen
überflügelt.

Sylvius, der sich unpäßlich fühlte, begab sich sogleich in sein Zimmer,
um noch einen Brief von dringendem Bezug auf das mißlungene Geschäft
dieser Reise zu schreiben, und der weltliche Prälat von Sanct Capella
schritt mit bewölkter Stirn dem seinen zu. Niemand hatte ihn willkommen
geheißen -- das kam ihm seltsam vor. Etwas finster von dieser
scheinbaren Vernachlässigung fragte er eine dienende Person, die ihm
begegnete, nach Fabien, und erhielt zur Antwort, daß sie verreist wäre.

»Verreist? meine Schwägerinn?« fragte der Administrator, und hätte
nicht ungläubiger hohnlächeln können, wenn man ihm gesagt: das Stift,
in höchsteigener steinerner Figur, sey bei dem schönen Abend ein wenig
spatzieren gegangen.

Man erwarte die Frau mit jedem Augenblick zurück, setzte die
Berichterstatterin hinzu; worauf Jener flüchtig vermuthete, nur ein
wirthschaftlicher Grund von großer Erheblichkeit müsse eine so stete
Haushälterin von Ort und Stelle gerückt haben. Doch um nichts heiterer
durch diese Folgerung, trat er in die heimische Wohnung, entledigte sich
des Reisebedarfs und alsbald ward sein umherschweifender Blick von jenem
Blättchen auf seinem Schreibpult magnetisch angezogen. Er las diese
wenigen Zeilen unzähligemale, ehe er den Sinn derselben zu fassen
vermogte.

»Allmächtiger Gott!« rief er zu sich selbst, »das arme Mädchen in meiner
Abwesenheit fortzuschaffen -- gleichsam wegzustehlen! --« Ein Getümmel
aufrührischer Gedanken bestürmte ihn, und Frau Fabia, welche sich im
Laufe des verflossenen Nachmittags richterlich benommen, ahnete wohl
schwerlich, daß ihr Andenken ob jener eigenmächtigen Gewaltthat, um
wenig später vor Gericht gezogen -- wo nicht zermalmt würde. -- Aber
der kindliche Ton des kleinen Brief-Fragments entwaffnete ihn, und keine
Reihe thatsächlicher Beweise hätte ihn so vollständig überzeugen können,
wie die schulmäßige Entschuldigung der ersten Zeile: daß es nimmer ein
Wesen gegeben, so fremd jeden Egoismus, so ganz aus Liebe und Hingebung
gebildet, wie Josephine. Beitragen sollte er? Wozu? -- Er sammelte seine
ganze Kraft für diese abgebrochene Bitte. Dabei nahm er das Fädchen an
der Feder hangend wahr. Zarter sind die Fäden nicht, in denen der Sommer
in die Lüfte flattert -- doch nichts wirkt so ausnehmend fein wie
die Zuneigung zu einem persönlichen Gegenstand: und so war denn jene
Seidenfaser ein starkes Bindemittel seiner Ideen, ein Segeltau, was sein
Herz schwellen machte. »Schwester Veronica wird es wissen --« dachte der
Administrator, und eilte ohne Verzug aus dem Zimmer. Leidenschaftliche
Hast, dieses räthselhafte Dunkel aufgehellt zu sehen, trieb ihn die
öden Säle entlang, bis zur Thür der entlegenen Zelle, an welche die
Abendsonne Verklärung mahlte, so daß dieser Eingang wirklich einer
Himmelspforte glich. Hier stand er still, und Stille waltete ringsum.
Ein Gefühl, der Andacht verwandt, ließ ihn zögernd dies Altarblatt
betrachten, dahinter ein Geist wohnte, der mit dem Göttlichen vertrauten
Umgang pflog. Sein Herz, heftig klopfend vom hurtigen Gehen, vom Drange
der Erwartung, ward in dieser sanften Nähe wunderbar besänftigt. Er
richtete sich hochathmend auf, während er den gekrümmten Finger leise
und langsam an die Thür legte. Sie that sich auf. Der hereindringende
Strahl vergoldete diese anspruchlosen Wände, und warf einen Schimmer
von Glanz und Heiligkeit auf die Gestalt der Nonne, welche in frommer
Einfalt mit einem Liebeswerk beschäftiget war. Ein Myrthenbaum von
üppiger Schönheit, davon die Nonne mit wähliger Vorsicht eine Menge
Zweige abschnitt, stand vor ihr auf einem Tische und daneben lag ein
kleiner Namenszug aus altdeutschen Lettern in Perlen gereiht. Und wie
die klösterliche Jungfrau den alten schönen Kopf, um den ein Nimbus der
Gottseligkeit schwebte, an den Baum der Liebe schmiegte, der ihr nie
geblüht, der ihr nur die bittere Frucht der Entsagung bereitet: gewährte
ihr Anblick ein fast überirdisches Bild.

Wie selten hatte ein Mann diese einsame Schwelle beschritten! -- Der
aufgeregte Blick des Administrators schien den ewigen Bestand der Dinge
umher aufheben zu wollen. Kein Stäubchen dieser reinlichen Clause ruhete
noch so tief und lange, es tief empor bei seinem Eintritt, um gesellig
in der plötzlichen Erleuchtung zu schweben, und eine größere als diese
lautlose Unruhe störte nie die stete Geborgenheit dieser Wohnung, deren
Luft nur ein Odemzug des Friedens war.

»Verzeihen Sie doch ja gütigst meiner Zudringlichkeit,« sagte der
Besuchende nach ehrerbietigem Gruß, »Ihnen zu dieser Zeit vielleicht
beschwerlich zu werden.« Man findet, in abgesondertem Verhältnisse
werden die Menschen leicht eben so weitläuftig als förmlich gegen
einander, wogegen die Welt der Umgangsweise eine drängende Kürze
anschleift. Schwester Veronica ließ das Messerchen, womit sie Myrthen
schnitt, ihrer Hand entgleiten, und bezeigte eine verwunderungsvolle
Freude, den Vorstand des Hauses bei sich zu sehen, der ihr nach
herzlicher Versicherung zu jeder Zeit willkommen wäre. Zugleich bemerkte
sie still für sich, daß sein stattliches Aeußere etwas verstört sey
-- und die Stimmung der guten Nonne, seit einigen Tagen von stärkeren
Eindrücken bewegt, spannte sich für den beziehungsvollen Ton, womit er
anhob: »ich war verreist mit meinem Freunde und finde jetzt bei unserer
Rückkehr die Schwägerinn nicht daheim. Das befremdet mich. Sie hat
auch Josephine mitgenommen -- --« Der Administrator stockte. »Eine
hypochondrische Aengstlichkeit wandelte mich an -- wenn nur kein
unangenehmer Vorfall -- ich meinte nun, Sie, werthe Schwester Veronica,
würden mir des Näheren Auskunft geben können.«

»Was ich weiß, will ich ihnen sagen --« sprach die Nonne, und das
tiefsinnige Lächeln in ihren Zügen drückte eben sowohl ihre bekümmerte
Unwissenheit in dieser Sache, als eine Zuflucht der Gemüthsruhe aus, die
sie dem Frager gäbe. »Frau Fabia ist nach Bühle gefahren, mit dem
lieben Kinde. Dort ist die Gräfinn Frankenstern mit ihrem Herrn Vater
angekommen -- und trägt Verlangen, ihre gute Freundin hiesigen Orts
baldigst zu sprechen. Ein expresser Bote --«

Das Gesicht des Administrators hatte sich während dieser Nachricht
verändert. »Das ist ein großes Ereigniß!« unterbrach er die Nonne mit
gesenkter Stimme; doch nur mechanisch schien er die Sylbenlaute dieses
Wortes auszusprechen, das Muskelspiel seines Mundes schob krampfhaft der
getroffenen Wahl des Ausdrucks einen andern unter, und sagte: »das ist
ein großes Unglück!« Der Nonne ging die Ahnung auf, sie hätte ihm etwas
höchst Wichtiges mitgetheilt.

Da jedoch Niemand, am wenigsten aber ein ältliches Frauenzimmer, dem
Reiz des Bewußtseyns zu widerstehen vermag, das, was man sagen könne,
habe Werth für den, der es höre: so konnte auch Schwester Veronica nicht
umhin, den Schatz ihrer Neuigkeit in kleiner Münze auszuzählen.
Vorerst aber mußte sich der Administrator auf ihr inständiges Nöthigen
niederlassen. Er berührte kaum die Kante eines Stuhls, und saß dennoch
wie auf Nadeln. -- Schwester Veronica begann nun: »gestern Abend, da es
dämmerte -- das Schummerstündchen bringe ich gern drüben zu -- ging ich
hinüber zu den lieben Ihrigen. Es war uns Allen traurig zu Sinne: denn
Gregors kleine Julie lag im Sterben -- ich bin, wie Sie sehen daran, für
ein Todtenkränzchen zu sorgen -- die Mutter, hieß es, wäre außer sich,
und man hatte geschickt, Frau Fabia mögte kommen, und in dieser Angst
den armen Leutchen mit Rath und Zuspruch ein wenig beistehen. Sie ist,
das muß man an ihr rühmen -- von christlicher Geduld und gelassenem
Wesen --« diese Tugenden seiner Schwägerinn hätte jetzt schwerlich ein
Freund der Wahrheit dem Administrator nachsagen mögen. Er sah die Nonne
mit einem weitschauenden Blicke beschleunigender Aufmerksamkeit an, und
es däuchte ihm, seiner theilnehmenden Nächstenliebe ungeachtet, als ob
sie von einem Falle spräche, der die ersten Eltern nach Erschaffung der
Welt betroffen hätte.

»So blieb ich denn,« fuhr die geistliche Jungfrau fort, »mit Josephine
allein. Das gute Kind war aber betrübt und äußerte sonderbare Gedanken,
die ich jedoch für weiter nichts hielt, als jenen wehmüthigen Ernst, der
ein jugendlich Gemüth ergreift, wenn es den Tod in der Nähe weiß, und
gute Menschen in Schmerz und Leid um ein Liebstes und Einziges. Dann
wird der Gedanke an jede mögliche Trennung, die uns selbst bevorstehen
könnte, so natürlich. Wenn uns ein Verlust bewegt, dann scheint Alles
um uns her zu wanken, und wir umfassen, was uns vorzugsweise am Herzen
liegt, nur um so inniger. -- Also wieder auf Josephine zu kommen, so
sagte sie: wie weh es ihr thun würde, Sanct Capella zu verlassen, wo
ihr nur allein wohl wäre. Wie gern sie hier sterben mögte oder wohnen
in dieser Zelle, es ging mir nahe. Ich erwiederte ihr, daß an solch ein
Scheiden vor der Hand doch nicht zu denken sey, daß sie mein Stübchen
erben solle, mit Allem, wie es steht und liegt.«

Das Auge des Zuhörers schien dies Testament im Innersten seiner Seele
aufzunehmen. Sein Blick spähte umher, als schätzte er die lieben
Heiligen allzumal -- und der geringste Gegenstand war durch den Gebrauch
ein kleiner Heiliger geworden -- nach ihrem Nennwerthe ab, und trüge
die stummen Effecten in die Register seines Geistes ein. Dann ruhte
sein Auge auf einem umgeschlagenen Notenblatte aus, als notire er dies
Adagio, zähle die Pausen, und vergleiche den letzten hinsterbenden Ton
mit der Rede der Erblasserinn, welche mit heiterem todesvertrauten
Sinn an ihre Auflösung denken konnte. -- Ein anderer Kranz von diesem
Myrthenbaume, ein anderer Name in den Anfangsbuchstaben dieser Perlen
schwebte ihm in einer gewissen Ideenverwirrung vor. Die Wünsche des
jungen Mädchens, welche beide auf bittere Resignation deuteten, griffen
schmerzlich an sein Gefühl, und er schwieg mit einem tiefen Seufzer.
»Wie wir noch so über mein Vermächtniß sprachen,« fuhr die Nonne fort:
»kam Frau Fabia zurück. Sie trug einen Brief in ihrer Hand und begehrte
Licht, um ihn zu lesen. Und da sie ihn las -- sehen Sie um Gotteswillen!
wird uns die Frau schier ohnmächtig. Ich kann nicht leugnen, daß mir
alle Glieder zitterten. Die Frau Schwägerinn ist nicht nervenschwach,
nein! eine starkmüthige Person, häuslich erkräftiget, gesund an Leib und
Seele: so mußte ihr der Brief hart angekommen seyn. Auch jagt der Sturm
das Laub der Espe nicht geschwinder, als das Blatt in ihrer Hand flog.
Sie ging alsbald zu Bette, und ich hatte ihretwegen eine unruhige Nacht.
Am Morgen in aller Frühe wollte ich mich erkundigen, wie sie
geschlafen: das Zimmer war noch zu. Ich kam wieder und fand es
abermals verschlossen; doch vernahm ich drinnen ein leises Gespräch und
unterschied Josephinens schluchzende Stimme. Nun halte ich Einbruch kaum
so schlimm, als Eindrängen in das Geheimniß eines Andern, und habe
mich mein Lebtag davor gescheut. Das Vertrauen muß ein Geschenk der
Freundschaft seyn, nicht aber eine milde Gabe, die der Ungestüm davon
trägt, wenn er die Gutherzigkeit überrascht. -- Ich dachte, es wird wohl
an mich kommen. Auch kam Frau Fabia, um mir zu sagen: daß sie für diesen
Nachmittag nach Bühle fahren würde. Josephine stand stumm und blaß
wie ein Marienbild daneben, und sah mich nur mit einem barmherzigen
Gesichtchen an. Und da die Mutter meinte: sie denke nicht allzuspät
wieder da zu seyn, konnte sie sich nicht enthalten zu weinen, als
sollten wir uns niemals wiedersehen. Ich sprach ihr Muth ein und sagte:
nun, wir scheiden ja nicht für ewig, mein Herzenskind! was wärs denn
auch, wenn Du ein paar Tage drüben bleiben müßtest? bin ich doch in
meiner Jugend, und noch dazu als Braut, auch bei der hochseligen Gräfinn
Frankenstern gewesen, und würde heut noch Bescheid im Schlosse wissen,
und Dir das kleine Gemach zeigen können, worin ich geschlafen. -- Das
schien dem lieben Mädchen denn traut und tröstlich zu seyn, und ein
Mehreres, werther Herr Administrator, wüßte ich Ihnen nicht zu sagen.«

Es genügte jedoch. Der Administrator dankte zerstreut, wechselte in
gebundener Rede -- im Sinne der Zurückhaltung -- einige Worte; denn
es machte ihn beklommen, daß er gegen die herzliche Nonne nicht ganz
aufrichtig seyn dürfte. So war es ihm nicht unlieb, daß der Zufall ihm
über einen Moment hinweghalf, der sein Zartgefühl, das der Freundschaft
wie der Verschwiegenheit, in die Probe nahm. -- Er ward abgerufen,
weil Jemand ihn zu sprechen begehre. Doch als der Administrator in sein
Zimmer kam, fand er zu seinem Befremden keinen fremden Zuspruch, sondern
seinen Freund, den Major Feldmeister, der im Gleichmaß starker Schritte
auf und nieder ging. Es verändert seltsam unsere Stimmung, ob wir Besuch
in unserm Eigenthum empfangen, oder von Andern darin empfangen werden.
Demnach ließ eine gewisse erschrockene Verwunderung, gemischt mit einem
dumpfen Gefühl getäuschten Erwartens, den Administrator an der Schwelle
seines Zimmers zurücktreten, als er die Einquartierung desselben inne
ward. --

»Bitte nicht übel zu nehmen, Freundchen, daß ich so sans façon Eingang
gesucht --« sagte der Major, die Miene des Unmuths an Jenem bemerkend,
und ein fremdartiges Lächeln lief hurtig wie Geflügel über die Furchen
seines Angesichts, was in diesem Augenblicke einem Winterfelde glich,
matt von der Sonne beschienen.

»Den rechten Eingang finden --« fuhr er fort, »ist schwer, und mancher
folgerichtige, bei dem wahrhaftigen Gott! taugt dennoch nichts.«

Herr Prälat kannte seinen Freund und dessen Redeweise zu genau, um noch
eines einleitenden Wortes zu bedürfen. Eine böse Ahnung kroch an sein
Herz; aber er nahm sich zusammen, und sagte mit stoischer Stimme: »Sie
haben mir etwas Schlimmes anzukündigen, Major! fassen Sie Sich in der
Kürze, ich bitte! _ich_ bin gefaßt. --«

Diese Voraussetzung brachte den Major aus dem Zusammenhang. In
merklicher Verwirrung antwortete er: »Schlimmes? nun ja, aber vermengt
mit Gutem, wie uns die bittersten Erfahrungen gereicht werden. Das
Schicksal ist ein Mischling, Glücklich retournirt, Freundchen? waren Sie
schon da, wie die Estafette kam? -- Sehen Sie, da habe ich mir all
mein Lebtag eingebildet, ein blasender Postillon müsse ein Glück
verlautbaren: etwa des große Loos -- die Ankunft des Königs -- oder
einen Ehrenaufzug und dergleichen. Daß eine Hiobspost mit solch
fröhlichem Gebläse kommen könne, das hätte ich nimmer gedacht. So
erinnere ich mich, daß, als ich, ein junger Offizier damals, in B--
stand, hatten wir eine Schlittenfahrt =en Masque= mit solchem Vorklang.
Der Zug war originell genug, und wir fuhren, so zu sagen, mit Furcht und
Schrecken. Der Führer der ersten Dame, ein allerliebstes Mädchen, schön
wie das Leben, war der Tod! --«

»Major!« sagte der Administrator in sichtlicher Pein, »nochmals bitte
ich Sie, sagen Sie mir ohne Bild, ohne Masque, Wessen Tod ich erfahren
soll? -- Mein Bruder --«

Es wäre nicht genau zu bestimmen, ob der alte Feldmeister hierbei
nickte, oder nur das Haupt senkte, da er alle Allegorien fallen
ließ, und einfach sagte: »ja, wozu die vorbereitende Folter und ihren
ausdehnenden Grad? Sie sind ein Mann. Ihr Bruder -- ist nicht mehr, und
nur an den Ort seiner Bestimmung gelangt, um auf das Schleunigste zu
sterben. --«

Alles Blut wich aus den Wangen des Administrators. »Großer Gott! mein
guter Constanz!« rief er mit blassen Lippen, und fühlte in diesem
herzandringenden Moment, daß Eines Vaters Blut in ihren Adern flösse.
»Nicht möglich! und an Sie, Major, ist die Nachricht gekommen?« Es war,
als ob ein leiser Zweifel in dieser Frage läge.

»An mich!« antwortete der ehrliche Alte mit dem Vollbewußtseyn eines
wahrhaften Freundes, »mein Neffe hat es mir geschrieben, da die arme
Therese sich außer Stande dazu gefühlt, und Füßli nicht Zeit gehabt hat.
_Füßli!_ der Leichtfuß vergißt zu bemerken, Wer Füßli sey, als ob mir
wie dem Allwissenden aller Menschen Namen in mein Buch geschrieben
wären.«

Der Major berührte hierauf in Kürze, wie? und wann? der Gemahl Theresens
gestorben sey.

»Ich träume wohl?« fragte sein Bruder und legte die Hand an die Stirne,
auf der noch bleiches Entsetzen schwebte, »wie aber kam der
Lieutnant Feldmeister in jene ferne Gegend, und zu einer so herben
Dienstleistung?« Es war, als ob er diese sonderbare Fügung im Namen des
Verstorbenen übel nähme.

»Sehen Sie,« erwiederte der Major, »das ist eine merkwürdige Geschichte,
und ich gäbe meine Lieblingsschmarre darum, wenn ich in meiner
Jugend Logik studirt hätte. Da könnte ich Ihnen Alles fein ordentlich
entwickeln, statt daß ich hinten anfange, vorn ein Fädchen abreiße, --
und so weiter. Der Rudolph hat ein enormes Glück gehabt, was mir bei
dieser traurigen Gelegenheit kund geworden, und mein Glaube an die Fama
der Estafette gewissermaßen doch Recht. Die Fee Fanferlüsche -- Sie
wissen schon -- hat das Zeitliche gesegnet, und ihn zum Universalerben
eingesetzt. Das hätte der Junge wohl nicht gedacht, daß, als er die alte
Dame Wischiwaschi aus einer lächerlichen Verlegenheit empor riß, und
sie vor aller Welt Augen in den Ballstuhl setzte, sie ihn dafür für
zeitlebens jeder ernsthaften Verlegenheit überheben, und so weich
setzen würde? -- Man schätzt ihren Nachlaß auf hunderttausend Thaler.
Gleichzeitig mit diesem Vermächtniß erfährt er, versetzt zu seyn, worauf
er, wie Sie Sich vielleicht erinnern, angetragen, um nicht für einen
Erbschleicher zu gelten. So spielt der Zufall. Daß der Rudolph grade an
den Ort kommen mußte, wohin Ihr Bruder, begleitet von der lieben Frau,
seiner gesandschaftlichen Ordre folgte, scheint mir jedoch nicht von
Ohngefähr. Taugt nichts! rief ich unwillkürlich aus, wie ich das las.

Nun verursacht großes Glück auch im besten Falle eine kleine Narrheit.
Und wie der Ritter Don Quixote ein Barbierbecken für Mambrins Helm
hielt, so sieht nun Rudolph einen Damenschuh in Allem, was ihm begegnet.
Ich glaube, würde die Armee auf Kriegsfuß gesetzt, er sähe sie auf
Pantoffeln von Silbermoor marschiren. Der Pantoffelheld! Der! --«

Der Administrator empfand schmerzlich, daß des alten Freundes
theilnehmendes Interesse an den gemeinsamen wichtigen Mittheilungen
diesmal zu _silbern_ sey, um mit dem seinigen in Einklang zu stehen. In
diesen Augenblicken schien ihm kein todtes Metall beglückend. Er hatte
nur Gefühl für den Verlust eines so kräftigen jungen Lebens, welches der
Welt und ihren Freuden so im Umsehen entrissen worden war.

»Ich kann es noch nicht fassen --« schob der Administrator in die Pause
jenes Ausrufs ein, und sein Ton ließ errathen, daß er von der Rede des
Freundes wenig oder nichts gehört, und während ihrer Dauer nur an den
Verstorbenen gedacht hätte. Er sah jetzt auf, in seinem erloschenen
Blicke entglomm ein Funke -- und so fragte er: »Sie meinen also, Major,
daß Ihr Neffe in Verabredung mit Theresen dort eingetroffen wäre? --«
Der Schatten, der in diesem Gedanken auf die Abwesende fiel,
verfinsterte sein Gesicht tief. Aber mit dem Eifer der Selbstentrüstung
trat der Major vor ihn hin, und sprach: »da sey Gott für! daß ich so
etwas nur gedacht, geschweige denn geäußert hätte. Oder es müßte
eine Verabredung der höheren Mächte darunter verstanden seyn, die
vorausgesehen, daß Ihr Bruder sterben, und Therese fremd und verlassen
allda, einen Freund brauchen würde, der wie mein braver Artillerist für
sie durchs Feuer liefe. -- Besinnt Euch Freundchen! es wäre ja nicht
einmal möglich gewesen; denn mein Neffe ward früher versetzt, als der
Legationsrath seine Frau von hier abholte. -- Hätten Sie Acht gegeben,
was ich gesagt: so würden Sie jetzt hören, wo ich hinaus gewollt -- mein
Schwadroniren hat mich jedoch zu weit abwärts geführt. -- Da geht der
Rudolph eines Tages über den Markt, und stößt auf einen Menschen, der
einen Schuh trägt. Jener erkennt ihn -- den Schuh nämlich -- an der
Farbe, an dem kleinen polnischen Maße; er kennt die Dame, der er gehört.
Nun läuft gleichsam dieser niedliche Wegweiser vor ihm her, und führt
ihn vor die rechte Schmiede. So ists, Freundchen. Und daß mein Neffe
nun der armen Therese beisteht, so viel er kann, ist nicht mehr als
billig. --«

Dies Letztere sagte der Major in dem Tone löblichen Gutachtens, und
mit persönlichem Accent -- als ob der Lieutnant nur bewogen von
der Rücksicht, in welchem Verhältniß sein Oheim zu der Familie des
Hingeschiedenen stände -- sich der jungen Frau angenommen. Dennoch
konnte der Administrator ein Lächeln, so bitter als traurig, nicht
unterdrücken, als er sagte: »es wäre dessenungeachtet sehr möglich, daß
mein seliger Bruder so wie die Welt, welche er verlassen, etwas gegen
diesen Curator einzuwenden hätte. --«

Der Major zog die Braunen zusammen, und klemmte die Unterlippe ein. Er
fühlte wohl, daß sein Freund recht hatte; wie hätte er aber das kleine
Unrecht, was in dieser Erwiederung gegen ihn selbst lag, nicht lieber
männlich verbeißen als rügen, und mit der Gereiztheit eines Betrübten
Geduld haben mögen? Er antwortete demnach langmüthig: »das hat der
Rudolph auch bedacht, und deshalb dafür gesorgt, daß Therese den Gasthof
verließe. Sie hält sich jetzt höchst wahrscheinlich auf dem Gute
der Baroninn Lenau, einer Schwester seiner Mutter auf. Dies war die
Intention meines Neffen, als er den Brief an mich geschrieben. Doch
die Hauptsache darin hätte ich beinahe vergessen. Therese läßt Sie
flehentlichst bitten, wenn es irgend möglich wäre, hinzukommen. Sie
wüßte sich nicht Rath und es gäbe Manches zu ordnen, was nur den
nächsten Verwandten zustände. --«

Herr Prälat sah schweigend vor sich hin. Die Forderung dieser weiten
Reise von solch traurigem Anlaß, geschah zu einer Zeit, die dem
Entschlusse günstig war. Sein Herz war erschüttert, und nicht von der
Seite allein, wo der plötzliche Schlag der eben vernommenen Nachricht
es bestürzte. Die Zukunft schwebte im Ungewissen -- und es war, als wäre
der Bestand aller bisherigen Verhältnisse aufgelöst. Dann konnte Sylvius
ihn jetzt vertreten. Wer wüßte, ob er jemals eine so lange Abwesenheit
ohne Zeitverlust für sein Amt ermöglichen könnte? -- Und wie er auf
der Wage der Gedanken alles Schwierige der fraglichen Reise erwog, und
dachte, ob er sich auch stark genug dazu fände, die kalten Geschäfte
des Verstorbenen zu besorgen, und ein warmes Bad hysterischer Thränen
hinzunehmen, die Therese etwa vergießen mögte, -- fühlte er mit einem
nervösen Schauer, daß ein Leben von so verhängnißvollem Gewicht, und
in ewiger Pendel-Schwingung wie das seines Bruders, den Todten so früh
hinab ziehen müssen. In Folge dieser Betrachtungen sagte er: »seine
Rastlosigkeit -- glauben Sie es! hat den armen Constanz aufgerieben.«

»Das sag' ich auch!« sprach der Major, »man bekam Schwindel, vom Hören
bloß. Er flog ja, wie auf Fausts Mantel --« der Hund knurrte -- »still
da! Dich meine ich nicht, mein Alterchen -- von einem Ende der Welt zum
andern. Wären wir vom Schöpfer dazu geschaffen: dann hätte er uns Flügel
gegeben wie der Schwalbe, oder uns luftig gemacht wie den Wind. So
aber sind wir Wesen mit Fleisch und Bein, und ein standhafter Prinz ist
Derjenige, der in der Tragödie dieses Erdenlebens am würdigsten aushält.
-- Wir schreiten bedächtig einher, oder fahren gemächlich mit Vieren. --
In der Schrift steht, der Herr habe nicht Gefallen an Jemandes Beinen,
noch an der Stärke des Rosses. -- Oft habe ich über diese Stelle
nachgedacht. Wenn ich die Gicht in meinem Bein spürte, da empfand ich,
daß der gütige Gott und Heiland kein Wohlgefallen daran haben könnte.«

»Und jetzt,« sprach der Administrator, der nur wie im Dunkeln der
Gedankenreihe seines alten Freundes gefolgt war, »wo er endlich festen
Fuß gefaßt haben würde, mußte mein guter Bruder sterben!«

»Ebendeswegen!« erwiederte der Major mit verstärkter Stimme,
»ebendeswegen starb er. Gebt Euch zufrieden, Freundchen! -- Mit aller
Hochachtung gegen den Legationsrath gesprochen; aber ein Mann der Ruhe
war er nicht, und so machte er sich mit der Schnellpost des Todes davon.
Vielleicht war dies der klügste Streich des Diplomaten, und jedenfalls
besser als ein späterer Rückzug aus dem neuen Hausstaate. Er mogte
die alte Urkunde der Liebe hervorgesucht und manchen Buchstaben darin
verlöscht gefunden haben. Zum Ehestande dieser seßhaften Charge paßte er
nur so wie der Vogel, der sich im Fluge vermählt, sein Weibchen dann in
irgend einem Neste sitzen läßt, wo dann der Teufel nicht selten ein Ei
in die Wirthschaft legt.« --

Hier trat Frau Fabia ein, und bei dem Anblick der frommen Domina des
weltlichen Klosterhauses erstarb das böse Princip dem alten Feldmeister
auf der soldatischen Zunge. Er grüßte, schlüpfte zur Thür hinaus, durch
ein unverständliches Murmeln andeutend, er wolle den bewußten Brief
holen -- und Herr Prälat sah sich mit seiner Schwägerin allein. Er hatte
den Wagen nicht kommen gehört, ihre Ankunft schien ihm ersehnt, obzwar
sie allein kam. Auch entsprach Fabiens Gesicht der Empfindung, welche
sie aufnahm. Der strenge Charakter desselben war einem Ausdruck von
Schwermuth und Erleichterung gewichen, der sich wechselseitig aufhob,
und ein sanftes Ineinanderfließen von Klarheit und Trübsinn über ihre
Züge verbreitete, was Zutrauen einflößte, sie werde eine schmerzliche
Erfahrung eben so wohl zu theilen fähig seyn, als zu beurtheilen wissen.

»Es ist mir lieb, Fabia, daß Du nun da bist!« sagte der Administrator
ihr entgegen tretend; aber sein Gruß klang traurig. »Denke nur, mein
guter Bruder ist todt! und Therese ist nun eine Wittwe, wie Du!«

Frau Fabia erschrak. Alles, was dieser Nachmittag für sie enthalten,
trat vor der Bedeutendheit dieser Worte in den Schatten; aber ein leises
Streiflicht zuckte auf ihren Lippen -- der Geist der Wahrsagung erschien
darin, und ein Gedankenblitz des Vergleichs: Therese werde nimmer seyn
wie sie.

»Um Gott! was Du sagst, mein Bruder!« antwortete Fabia, »und wäre diese
Nachricht mehr als ein Gerücht?«

»Diese Nachricht,« erwiederte Jener mit abgeschlossener Gewißheit in
Blick und Ton, »ist diesen Abend durch eine Estafette an den Major
gekommen. Constanz ist in der Nacht seiner Ankunft in -- an der Bräune
gestorben, und -- also erstickt!« Dies Letztere setzte der Administrator
mit erstickter Stimme hinzu. Das Wasser schoß ihm in die Augen, und
vor Fabiens Theilnahme, welche sich _mütterlich_ zu äußern pflegte,
das heißt: ob auch zartsinnig, doch überlegen -- schämte er sich der
brüderlichen Thräne nicht.

»Denke Dir das nicht gar so schwarz --« sagte Fabia leidsam, und
bemühte sich, obgleich unverhehlt der eigenen Rührung, ihren Schwager
zu trösten. Sie machte dabei zu Gunsten einer dunklen Stunde eine Kraft
geltend, welche gewiß zu den schätzbarsten dieser oft verkannten Frau
gehörte. Fabia besaß die Gabe eines wunderbar wirkenden Zuspruchs.
Vermöge solcher Erfahrungen, die, indem sie das Leben trüben, den
Blick des Geistes schärfen, war ihr eine tiefere Einsicht in die Herzen
vergönnt, als diese sonst selten gefunden werden dürfte, wo es an
Weltkenntniß fehlt, die Fabia nicht erwerben können. -- Zuweilen sogar
sprach etwas Sibyllinisches aus ihr. Um ihrer Zuverlässigkeit willen
glaubte man an sie. Und da Fabia es für eine Pflichterfüllung ihrer
Religion hielt, sich der Betrübten anzunehmen: so versäumte sie
keine Gelegenheit es zu thun; in ihrem Benehmen lag alsdann eine
schmerzvergütende Innigkeit, deren sie gänzlich ermangelte, wo es darauf
ankam, sich mit den Fröhlichen zu freuen. Gegen den Gottesdienst der
Freude war Fabia stumpf. Und da sie im Geiste der Zerknirschung
den Spruch vor Augen hatte: »ein zerschlagenes Herz wird Gott nicht
verachten« --: so war ihr nichts von größerem Werth, sich linden und
lieblichen Wesens daran zu beweisen, als -- eine Wunde. So ging ihr des
Schwagers Leid sehr nahe, und zwar um so näher, als sie bedachte, er
traure jetzt in gleichem Grade wie um ihren Mann. Und obgleich der
verstorbene Bruder desselben ihr ein Fremder gewesen: so empfand doch
auch sie seinen Tod in einem Nachgefühl ihrer eigenen Verwittwung.

»Mein Herr und Heiland! was ist doch das Leben!« sagte nun Fabia
beschaulicher Weise, als der Affect des Schmerzes besprochen schien,
»hier stand er noch vor wenig Wochen -- ich sehe ihn leiblich vor mir
stehen. Ich habe es Dir nicht sagen mögen und Keinem; aber der Bruder
kam mir übel vor. Es giebt einen gewissen Verfall des Aussehens, der
doch selten trügt; indeß wähnte ich, er wäre nur angegriffen von den
Strapatzen seiner Reisen, auch habe ich ihn früher nicht gekannt. Glaube
nur, Bester! das Zusammenleben mit Therese hätte nicht mehr gut gethan.
Sie waren einander entwöhnt, wo nicht gar fremd geworden. Und was ist
denn die Ehe, wenn sie Jahre zuläßt, in denen man vergnügt ohne einander
seyn kann, und nach dem Lebewohl vom Munde des Gatten nun wirklich
wohllebt? der Ehe Bund ist so enge, daß er alles Fremdartige
ausschließt, und wo Mann und Weib einander _viel_ zu erzählen haben: da
fühlt gewiß Eins für's Andre _wenig_.«

»Du gehst zu weit, Fabia --« entgegnete der Administrator, »Tausende von
Ehegatten werden durch Pflicht und Verhältniß getrennt, und lieben sich
dennoch.«

Darauf sprach Frau Fabia: »es mag eine Liebe geben, die in der Trennung
sogar besser besteht; aber es ist nicht die, welche ich meine. -- Was
nun Theresen anbetrifft: so dürfte ihr ehelich Gefühl schwerlich unter
den ersteren Fall zu rechnen seyn. Wer weiß, wie sehr wir Ursach hätten,
für diese Auflösung den Herrn zu preisen! -- Du weißt ja selbst, wie
verbitternd Scheidungen anderer Art --« der Faden ihrer Rede riß bei
dieser geschwisterlichen Beziehung ab, und der Administrator schaute
düster wie in eine Ferne, der Zukunft oder der Vergangenheit.

»Was soll nun aus Theresen werden?« fragte Fabia, und wendete die
Richtung ihrer Gedanken, »ohne Vermögen, ohne einen Halt, der Lust am
Fleiß, wie jeder Geschicklichkeit ermangelnd, die da Nutzen schafft --«

Der Administrator lächelte dieser unnützen Sorge. »Ich glaube, gute
Fabia,« sagte er mit jener Ironie der Duldsamkeit, die nur ganz schwach
eine Schwäche andeutet, »_wir_ dürfen deßhalb unbekümmert seyn. Das
Glück selbst scheint sich ihrer angenommen zu haben, und Wen dies sich
zu eigen macht, der braucht nichts als ein paar Flügel des Leichtsinns,
und diese hat Therese schon.« Und nun erzählte er seiner Schwägerinn
halblaut, was er vom Major erfahren. Er schloß mit den Worten: »so läßt
sich nun absehen, wie Alles kommen werde. Wenn es nun ein schöner
Zug von Dir ist, liebe Fabia, daß Du das Unglück achtest, und Dem
vorzugsweise freundlich bist, Den -- um in Deiner Sprache zu reden --
_der Herr_ _heim sucht_: so laß uns Theresen mindestens nicht zürnen,
daß sie verdienstlos eine Begünstigte scheint; daß noch vor dem Verlust
der Ersatz schon Wurzel gefaßt, wie ein neuer Kinderzahn schon glänzend
dasteht, ehe der erste fast schmerzlos gebrochen. -- Auch das Glück
kommt von Gott, und wir schmähen den Geber, wenn wir vom Glücklichen
nicht glimpflich denken.«

Mit einem bekränkten Lächeln antwortete Fabia: »o! ich will ihr alles
Gute gönnen und wünschen. Der Allwissende sieht ins Innerste, und weiß
allein, ob wir treu erfunden werden oder nicht. Daß ich mich fortan auch
der leisesten Verurtheilung enthalte: das ist gelobt. Ach mein Bruder!
welch ein erfahrungsreicher Tag der heutige! seit gestern Abend ist mein
Herz nicht aus der Presse gekommen. Ich war in Bühle -- Du weißt es.
Frankensterns sind da, und die Gräfinn hatte mir geschrieben. Sie ist
unschuldig -- und sehr unglücklich. Eine Centnerlast ist von meiner
Seele gewälzt; aber ich könnte doch nicht sagen, daß mir leicht zu Muthe
wäre; denn der Vorwurf, wie Unrecht ihr geschehen, wenn auch in Gedanken
nur, drückt mich nieder.« Und nun erzählte auch Fabia ihrem Schwager,
wie sie die Gräfinn und ihren Vater angetroffen, und wie Albane sich
erklärt, hinsichtlich jenes empörenden Verdachts. Sie endete ihren
Bericht mit den Worten: »und so hat denn mein Mann um ein Nichtiges sein
Leben verkürzt, und das meine mir verkümmert!«

»Sieh, Fabia!« sagte der Administrator nach einer ernsten Pause, »hätten
wir _die göttliche Kraft, einem Menschen zu vertrauen_: dann wäre
uns das nagende Gefühl bitterer und fruchtloser Reue erspart, und wir
hielten uns an etwas Besseres, als an Beweise. Unsere Sinne sind falsche
Zeugen -- nur das Herz spricht wahr, in dem Glauben an das ewig Gute.«

Ein Gedenken an Sylvius, an das, was in seinen eigensten Angelegenheiten
ihm einst das Licht dieser Ueberzeugung verdunkelt -- schwebte
schattenähnlich vor ihm auf. »Und Josephine?« fragte er mit verhaltener
Stimme.

»Sie grüßt Dich -- grüßt Dich tausendmal!« antwortete Fabia. »Sie wird
für einige Zeit in Bühle bleiben?« fragte der Administrator abermals,
und ein Gefühl, gemischt aus Wunsch und Zweifel, ließ ihn seiner
Schwägerinn diese Antwort in den Mund legen. Aber Fabia sagte nicht ja,
nicht nein. Sie legte die Hand an die Stirne, und sprach: »was wird nun
Romana dazu sagen? Seine Frau ist ihm so nahe -- und er hat es keinen
Gewinn; die Tochter ist ihm entrückt, und er muß es geschehen lassen.
Und wenn Albane Josephine nicht mehr von sich ließe: wer könnte es
hindern? es ist einmal Ihr Kind!«

»Wer es hindern könnte?« entgegnete Herr Prälat lebhaft und mit Wärme:
»_Du_, Fabia! unbeschadet des mütterlichen Vorrechts ist Josephine auch
Dein, durch die treue Mühe der Erziehung. Du hättest, dünkt mich, auch
ein Wort dagegen zu sagen, daß das arme Mädchen in jener unheimlichen
Umgebung verkommen sollte. Josephine ist an uns gewöhnt -- es wäre auch
hart für den armen Sylvius, wenn er ihre Nähe -- dies einzige Glück, was
er ohne Vorwurf genießt -- einbüßen sollte.«

»Wirst Du mit ihm sprechen?« fragte Fabia mit kranker, krampfhafter
Stimme, »mein Kopf glüht und hämmert; ich werde nun gehen, und mir einen
Umschlag von Kräuteressig geben lassen.«

Noch eine kleine Weile hielt ihr Schwager sie zurück und berieth, auf
welche gleichlautende Weise diese unverweigerliche Mittheilung an den
Freund beschränkt werden könnte und müßte. Dann eröffnete er ihr
den Entschluß zur Reise, was der nöthigen Gestalten wegen auch nicht
geeignet war, Fabiens tobenden Kopfschmerz zu beschwichtigen. Es giebt
jedoch einen Zustand des Leibes und der Seele, der die Welt in Trümmer
brechen sieht, ohne etwas mehr als aus Schwäche zu wanken. Mit diesem
wankenden Schritte entfernte sich Fabia, und Herr Prälat mogte seinem
Freunde die Ruhe der kommenden Nacht nicht stören. Ihm selbst kam und
verging sie schlaflos. Als aber der Morgen frühlingshell und heilig
erwachte, da ging aus dem Chaos seiner Gedanken ein neues Licht hervor,
und der Gott in seinem Busen ordnete die finstern Kräfte. --

Nachdem der Administrator nun den Brief an den Major gelesen, und sich
gleichsam mit eigenen Augen von dem Geschehenen überzeugt hatte, sah er
die darin enthaltenen Umstände wie mit andern an. Gesammelten Geistes
hatte er eine lange Unterredung mit Sylvius, und betrieb dann seine
Abreise, die in der Frühe des nächsten Tages statt haben sollte.

Die Offiziere in Corpore kamen, um dem Administrator ihr Beileid bei dem
Hintritt seines Bruders zu bezeugen; auch die Nonne, die Repräsentantinn
der schlafen gegangenen Geistlichkeit des Stiftes, fehlte nicht,
seinem Verweser ein Wort des Antheils und der Herzlichkeit über den
Entschlafenen zu sagen. Sie äußerte sich dabei in der ihr eigenthümlich
milden Gelassenheit, die auf der Höhe des Alters und eines erhobenen
Charakters mit Ruhe dem Wechsel des Lebens zusieht. -- Veronica sprach:
»besinnen Sie Sich einmal, Frau Fabia! sagte ich es nicht immer, daß die
arme Therese noch nicht überhin wäre? solch glücklicher Leichtsinn ist
oftmals zu großer Beschwerde bestimmt, und wer immer lustig und lässig
seyn will, muß sich endlich durcharbeiten. Das Leben fordert Ernst, und
selbst das Glück ist gewichtig und trägt sich schwer, wie vielmehr das
Unglück! -- Jener berühmte Maler aus Modena, derselbe, der die heilige
Nacht gemalt hat, o wunderschöne! trug sich an einem Geldsack todt.
Wollte man Therese anspannen, fleißig zu seyn, so käme es mir vor,
als sähe ich einen Schmetterling an einer dräthernen Kette sein
Futternäpfchen ziehen, wie man Vögel abzurichten pflegt. Ich gönnte es
ihr, daß sie sich von Blumen nährte.«

Ein wenig Wermuth bitterte auf Fabiens Lippen, da sie antwortete:
»wenn ich die Schwägerinn so eitlem Treiben hingegeben sah, so gänzlich
unbekümmert um das Eine, was Noth ist, dann dachte ich wohl an jene
Stelle in den Psalmen, die da heißt: es wird ein grausamer Engel über
Dich kommen --«

»Das ist denn der Gasthof zum Engel für die Aermste gewesen --«
entgegnete die Nonne mit einem stillen Seufzer. Die beiden Prophetinnen
theilten sich flüsternd mit, was sie von der Zukunft der jungen Wittwe
dächten. Veronicas Schauen war ein gläubiges im Geist der Liebe, die
allen Menschen Gutes wünscht, und das Beste gönnt. Und weil das Versagte
uns das Höchste scheint, und die Reinheit des Ideals uns für den
Nichtbesitz entschädigt: so that sich der Himmel vor ihr auf, der Himmel
auf Erden, als wofür sie eine Ehe hielt, aus gegenseitiger Neigung
geschlossen.

Der Fernblick der Frau Fabia hatte die Erfahrung für sich. Indem sie
wußte, daß eine Frau auch Tugend und Treue bedürfe, um ihren Mann auf
die Dauer zu fesseln, setzte sie das Glück in den Selbstgenuß eines
reinen Bewußtseyns, und Theresen deshalb in den Fall mancher trüben
Stunde, die sich von vergangenen Tagen herleite.

Frau Fabia mag auf ihre Weise Recht haben. Aber eben so gewiß ist es,
daß jenes schöpferische Genie des Glückes, daraus die Poesie des Lebens,
ja, das Leben selbst hervorgeht -- in etwas Unbewußtem besteht, und daß
die Erfüllung unserer Pflichten nicht hinreicht, uns selig zu machen,
hier und dort. --

Unter den Pensionairen des Klosterhauses von Sanct Capella hatte
nur Einer keine Notiz von dem traurigen Ereigniß genommen: Hauptmann
Moorhausen, und der Administrator, trotz seiner Zerstreuung, ihn doch
vermißt, da der gutmüthige Fabulist einer wahrhaften Theilnahme an
Allem, was diese Familie betraf, sonst nie zu ermangeln pflegte.

Gegen den Abend -- Sylvius de Romana war von einem einsamen Spaziergange
in die Wildniß des Waldes noch nicht zurück -- Frau Fabia für ihren
Schwager mit Einpacken beschäftiget, und Herr Prälat allein in seinem
Zimmer, um einiges Nöthige für seine Abwesenheit zu besorgen; da trat
der Hauptmann bei ihm ein.

Obgleich Jener verdüsterten Blickes von seinem Schreibpult aufsah, als
ob der Flor um seinem Arm ihm vor den Augen läge, so bemerkte er doch,
er sähe den Hauptmann in der Staatsuniform. Die weißen Glaçee-Handschuh,
blendend neu, doch mit einem gelblichen Schein vom langen Liegen --
glänzten leichenförmlich mit gekreuzten Fingern auf dem Invalidenstocke,
und deuteten trauerfeierlich auf den Tact der Condolenz, da von
festlicher Eleganz anderer Art hier nicht die Rede seyn konnte. Seine
Miene drückte den Anstand des Bedauerns, und einen Hinterhalt von
Selbstgefälligkeit und Absicht aus. Er versicherte seine Theilnahme,
und gemahnte in dem allegorischen Schwunge, den er dabei nahm, an die
Sprache eines altmodischen Neujahrswunsches, der unter seiner Vignette,
gepreßt mit den Insignien der Zeitlichkeit, einen Amor mit flammendem
Herzen verbirgt, das im Verhältniß seiner Größe zu dem kleinen Gott
jenes zwanzigpfündige anschaulich machte, wovon er einst erzählt.

Der Administrator dankte in Kürze und lächelnd. Er erkundigte sich nach
des Hauptmanns Befinden und sagte, daß, da er ihn diesen Morgen unter
den andern Offizieren nicht bei sich gesehen, er beinahe gefürchtet,
Jener, welcher bisweilen an krampfhaften Zufällen litt, hätte sein
Zittern wieder bekommen.

Der Veteran erröthete, faßte unter die straffe Halsbinde, räusperte sich
und sprach: »=au contraire=, Werthester! ich war nie gesünder, und fühle
mich wie verjüngt. Meine Natur --« »ist vortrefflich; ich weiß es --«
unterbrach ihn der Administrator, der sich heute nicht stark genug
fühlte, den Kampf mit dem Riesen dieser Imagination zu bestehen.

»Von Zittern keine Spur --« setzte der Hauptmann die Ruhmrede seiner
Gesundheit fort, »und nur aus einem festen Grundsatze kam ich nicht
früher. Mir widersteht die übliche, oder vielmehr _üble_ Sitte, daß
man mit seiner Theilnahme zudringlich werde, und =en Masse= über Einen
herfalle, dem ein Trauerfall begegnet ist. Leidtragende mögten auf diese
Weise unterliegen -- und Delicatesse in der Freundschaft geht mir über
Alles.«

»Sie ist die Grazie des Gefühls --« entgegnete der Administrator wie mit
trübem Spott; doch konnte er nicht umhin, in dem, was Moorhausen gesagt,
zum erstenmale etwas Wahres zu finden.

»Grazie! ja, auf Ehre!« antwortete jener, »das ist das rechte Wort.«
Und das fletschende Lächeln, womit er es aussprach, gab den
Inbegriff weiblicher Anmuth in die widrige Gewalt eines Fauns. »Diese
Eigenschaft,« setzte er mit Grimasse hinzu, »ist jedoch nicht Jedermanns
Sache, und ich glaube, ihr verdanke ich es allein, daß mir alle Leute
gut sind. Ich muß etwas Anziehendes an mir haben -- wo aber steckt es?
dachte ich oft. Mir selbst unerklärbar. Als ich ein Knabe war, schenkte
mir eine alte Pathe einen Magnet, in Gestalt einer Seejungfer -- wir
können nicht ableugnen, in manchem Sinnbild wirkt Magie. Mein Glück bei
dem schönen Geschlecht war enorm -- ich könnte Ihnen zum Erstaunen davon
erzählen.«

Herr Prälat entsetzte sich vor dieser Möglichkeit und sprach hastig
in jener flüchtigen Tonweise, die nicht zweifeln läßt, man wünsche
verschont zu bleiben: »zu besserer Zeit, Capitain! ein andermal wird mir
das viel Vergnügen gewähren.«

Doch nichtsdestoweniger verfolgte dieser Unabweisliche den Lauf der Rede
wie folgt: »die Weiber -- ich sage Ihnen --«

»liefen davon?« fiel der Administrator mit verzweifelndem Humor ein.
Der Hauptmann stutzte betroffen, und jener setzte vergütend hinzu, »ich
meine, aus Furcht vor dem Sieger.«

»Ah so!« antwortete der Cäsar des Invalidencorps, zufriedengestellt,
»diese kleinen Feinde wissen sich in ihren Waffen zu behaupten. Doch
Wer sich stark fühlt, der hüte sich nur vor einer Delila, die ihn an die
Philister verräth. Auch dem niedlichsten Satan hätte ich mich nicht bei
einem Haare fassen lassen. -- So oft ich sogar auf eine Dame im Spiel
pointirte, Tausend gegen Eins: ich gewann. Aber ein Mann von Ehre
benimmt sich auch discret, wo er gewiß ist, sein Fortüne nicht zu
verfehlen.«

Der Administrator warf einen vielsagenden Blick auf den kahlen Scheitel
dieses Simsons, und rief mit einem stillen Seufzer das Glück an, statt
seiner ein Thor der Erlösung zu erschüttern, daß er frei würde. Es
verließ sofort seinen Prahler, der den Stuhl heran schob, als wolle er
dem Zwecke seines Besuchs näher kommen -- und entrückte ihm das Ziel.

»Jetzt freilich,« sprach der Hauptmann, »habe ich manchen bedenklichen
Augenblick, daß ich die Gunst der Gelegenheit mir entfliehen ließ. --
Was nützt mir all' mein aufgespartes Vermögen? mein schönes Geldchen,
und mein Gut? ich genieße es allein. Das macht grämlich vor der Zeit.
Ich bedürfte Jemandes, der mich erheiterte.«

Der Administrator lächelte ein wenig skoptisch, indem er erwiederte:
»Wer so Viel in sich trägt, wie Sie, dächte ich, kann kaum in den Fall
kommen, durch Gesellschaft zu gewinnen.«

»Den Teufel auch, mein Freund!« antwortete der martialische Moorhausen,
durch den leisen Stich, der ihm schmeichelnd versetzt worden,
empfindlich gereizt. »Ein Mann von so ungeheuern Erfahrungen wie
ich, ist nur um so mehr einsam, und bedarf seines Gegensatzes, eines
kindlichen Wesens, dem er imponirt, das er glücklich macht, und welches
ihn ergötzt -- und so habe ich denn längst reiflich überlegt und erwogen
-- Hm! Hm! es wäre das Zuträglichste für mich, ich heirathete. Nur
schwankte das Schiff meiner Gedanken, nach allen Richtungen der
Windrose; ich wußte nicht recht, wohin mich wenden? bis ich denn endlich
wie durch einen plötzlichen Ruck fest in meiner Wahl geworden bin.«

Der Administrator starrte den Hauptmann an. Er dachte an eine
Windsbraut, und wie das Schifflein, dem darnach gelüstete, vermuthlich
auf eine Sandbank gerathen wäre. So sprach er nicht ohne einen Blick
mitleidigen Ernstes auf den kühnen Segler: »Heirathen? Sie scherzen,
Capitain.«

»Nicht daß ich wüßte --« antwortete Dieser, und zog die Stirn kraus.
»Mir ist wahrhaftig in Gott! nicht spaßerlich zu Muthe. Auch wäre das
zur Unzeit, Freund! weil aber die rechte Zeit treffen, ein Punkt ist,
den ich stets im Auge gehabt -- weshalb man mich auch beim Regiment _den
glücklichen Zieler_ zu nennen pflegte: so zog ich mich diesen Morgen
in mein Zimmer zurück, und wartete bis jetzt. Ist das Gemüth einmal
afficirt: so wird auch der beste Mensch leicht in Harnisch gebracht
gegen eines Andern Anliegen. Man sagt: Weilen bringt Gefahr; aber die
Eile thut es nicht minder. So erinnere ich mich, daß als meine Mutter im
Sterben lag -- es dauerte lange, und es ist schrecklich, daß auch Leute
von Rang so ringen müssen -- kamen Schlösser, Schreiner, und so weiter
-- um die Arbeit für die Leiche, die es noch nicht war, zu erbitten.
Darob ergrimmte mein Vater dergestalt, daß er einen jener armen
Handwerker, die um das liebe Leben zu fristen, dem Tode vorausgeeilt
waren, beinahe gemißhandelt hätte. -- An diese Scene mußte ich
unwillkürlich denken, da ich Anstand nahm, früher als in diesem
Augenblick mich Ihrer gütigen Fürsprache bei der Wittwe Ihres Herrn
Bruders zu versichern. Uf! nun war's heraus. --«

Der Administrator zweifelte jetzt nicht mehr, daß Moorhausen den
Verstand verloren hätte. Er meisterte daher sein sprachloses Staunen,
und indem er in diese fixe Idee einzugehen schien, sagte er so
vernünftig als möglich: »in der That, Sie fühlen fein; es wäre wirklich
ein Stückchen Arbeit, was Sie in Theresens Hand ansprächen. --«

Ein Lächeln der Selbstzuversicht verklärte den alten
Ehestandscandidaten. »Sie meinen,« sprach er, »die schöne Frau würde mir
den Kopf warm machen? thut nichts. Die kleine Hexe hat mir's angethan --
werde schon mit ihr fertig werden. Eine Gardinenpredigt hält Die nicht,
dafür stehe ich Ihnen. Und diese fatale Theologie macht nur verstockte
Sünder und Langeweile. Wir liefern kleine Gefechte, allerliebste
Scharmützel. Sie giebt mir Eins drauf -- ich aber liebe das.« »Capitain
Moorhausen,« versetzte Herr Prälat, dessen Stimmung nicht darnach war,
diesen Unsinn länger auszuhalten, »Sie sind ein eben so einsichtsvoller
als expediter Mann. Wie zeitig Sie auch in dieser Angelegenheit kommen,
ich habe dennoch Grund zu glauben, es geschähe in jedem Sinne _zu spät_.
Sollte meine Schwägerinn sich wieder verehelichen: so steht ihr der
Mann, den sie wählt, zweifelsohne schon zur Seite. --«

Dem Hauptmann entfiel der Stock, sein Gesicht verlängerte sich
zusehends. Der Administrator bückte sich nach dem Bambus, und legte
ihn in die Hände, an denen jenes erwähnte Zittern sichtlich zu werden
anfing. Und mit unverkennbarer Redlichkeit redete er sofort: »sehen Sie
diese zutrauliche Erklärung meiner Seits nicht für einen Korb an;
auch reiche ich Ihnen hiermit nicht den Stab zum Weitergehen in dieser
Absicht. Nein! nur einen Stützpunkt auf dem einsamen Gange, der unter
manchen Umständen, und in gewissen Jahren auch sein Gutes hat. Zuweilen
borgt der Geist der Lüge die göttliche Stimme, welche einst sprach: es
ist nicht gut, daß der Mensch allein sey.«

Der Hauptmann verstummte. Er bat nur noch, daß sein Vertrauter auch
schweigen möge. Die Glaçeehandschuh platzten bei dem Händedrucke
des Abschieds, den er bald darauf nahm. Der Krampf zog ihm die Brust
zusammen, das Herz schlug Chamade. Er ließ die Flügel tief hängen --
und selbst der kleinste Querpfeifer bei seinem ehemaligen Regiment würde
diesen Preiswürdigen jetzt nicht »den glücklichen Zieler« genannt haben.

Josephine war nur ein paar Wochen in Bühle. Obgleich -- nach der
Zeitrechnung des Geistes -- fast kein Augenblick verging, in welchem
ihre Gedanken nicht hinüber schwebten nach St. Capella und weiter
noch, da sie ihren Schutzfreund auf Reisen wußte --: so machte doch ihr
jetziger Aufenthalt sein Recht auf dies empfängliche Gemüth geltend.
Die traumhafte Stille des Schlosses, der melancholische Reiz seiner
Umgebungen, die einsiedlerische Schwermuth der Gräfinn, die selbst
der Umgang ihres liebenswürdigen Kindes nicht zerstreuen konnte -- die
unheimliche Welt ihres Vaters, welche schweigsam die magischen Kreise
zog, wirkte, vereint mit der Stimme der Natur, auf das junge Mädchen,
dessen Herz jedem tiefen Eindruck offen war. Der Frühling hatte sich
indeß entfaltet, und prangte in völlig aufgeschlossener Schönheit. Auch
in die dumpfen Zimmer und Säle des herrschaftlichen Hauses von
Bühle drang sein milder Hauch, und die warmen Sonnenschatten von den
aufknospenden Blättern der Linde spielten an den kalten Wänden, und
mischten ihren lebendigen Schein mit dem todten Ernst der Ahnenbilder.
Der Brunnenstrahl blitzte vielfarbig, wie ein Ueberfluß von Diamanten,
und sein eintöniges Rauschen weckte eine Quelle der Ahnung in dem Herzen
seiner düstern Anwohner, und floß mit dem Strom von Lust, Leid und Leben
zusammen, der die verjüngte Schöpfung schwellte. An einem der schönsten
Abende hob Graf Frankenstern den Blick vom Boden auf, über den die Sonne
lange goldene Brücken schlug, so daß die Möglichkeit ihm einleuchtete,
sie zu passiren. -- Er hatte den lieben langen Tag mit so tief gesenktem
Auge vor sich hin gesehen, als wolle er das Räthsel des Daseyns
ergründen; doch als jetzt das himmlische Licht über diesen Abgrund
schien, verlangte er, Josephine solle ihn in den Garten führen. Dies war
unerhört. Seit Jahren hatte der Graf keinen Spaziergang gemacht, und
nur den Sitz im Sessel mit dem Polster der Kutsche vertauscht. Freudig
gehorchte das Mädchen, und reichte schnell, ehe der Vorsatz ihn gereue,
Hut und Stock dar, und schlang ein kleines Tuch von Persischer Seide zur
Fürsorge um seinen Hals. Die Gräfinn wollte nachkommen.

Vorsichtig leitete Josephine den schwachen Greis die Treppe hinab, und
unterstützte ihn zart, doch jugendkräftig. Seine gleitenden Schritte,
das fühlbare Wanken des verfallnen Körpers bewegten ihr das Herz im
Busen, und ihr elastischer Fuß ging so langsam als möglich. Der
Bediente öffnete das eiserne Gitterthor und geleitete seinen Herrn mit
theilnehmenden Blicken von ferne. Sie traten in den grünen Bezirk. Alles
stand hier noch unverändert; nur die jungen Bäume waren groß und stark
geworden, seit der Graf sie zum letzten Male gesehen, einige hingen voll
Blüthen, und schimmerten mit weißröthlichen Büscheln lieblich zwischen
dem finstern Gehölz.

Josephine athmete tief -- und ein leiser Seufzer, ein Odem von langem
Weh, schwebte auf den stummen Lippen des Grafen, und vermischte sich mit
der Wonne der süßen, ambrosischen Luft. Beinahe taumelnd vor Schwäche,
strebte der Graf doch weiter und weiter, obgleich Josephine ihn
bescheiden aufmerksam machte, es mögte ihm für's Erste wohl zu viel
werden. So waren sie an einen Platz gekommen, der eine schöne Aussicht
bot. -- Unter einer breitästigen Esche winkte ein weißer Gartenstuhl, so
hart und kunstlos, als hätte ihn ein Eremit geflochten -- zur Ruhe. Der
Graf ließ sich mit Hülfe seiner Führerinn darin nieder, und Josephine
setzte sich schmeichelnd zu seinen Füßen. Es war eine kleine Anhöhe. Der
Wind kräuselte sanft das grüne Meer der Saat, ein lindes Säuseln,
wie von Geisterflügeln, regte sich in den Wipfeln des Baumes. Eine
ahnungsvolle Stille rings umher! -- Der Graf senkte das Gesicht, um sein
Auge an dem frischen Anblick zu stärken. Er sah die Ernte im Geist
-- und die dünnen Halme seines Haupthaars weheten silberweiß auf und
nieder, als wäre das Feld nun reif und der Schnitter in der Nähe.

»Die Welt ist doch schön!« sagte er nach einer beschaulichen Pause,
»wenn das Leben so hervorgeht, und Alles wach wird: _wach_!« Und mit
fallender Stimme setzte er scheu und furchtsam hinzu: »gehst Du gern
schlafen, mein Kind?« --

Josephine fuhr aus träumerischem Sinnen empor. Sie antwortete: »ich?
wenn ich müde bin, sehr gern. Der Schlaf, die Ruhe der Wesen, ist etwas
recht Holdes. In sanfter Betäubung stärkt sein Labsal. Wer mögte ihn
nicht lieben, diesen Wohlthäter? -- Auch beunruhigt mich nie ein böser
Traum -- höchstens träume ich seltsam. In der verwichenen Nacht wärmte
ich einen Schneekönig an meiner Brust -- der war erstarrt; plötzlich
flatterte er auf, und verschwand in den Wolken -- und traurig sah ich
ihm nach.«

»Schneekönig?« erwiederte der Graf, »das ist ein kleiner Vogel, nicht
wahr?« Und wie aus einem Geklüft seines Gedächtnisses tönte ein
Echo jener Stelle: »der Mensch wird geboren zu leiden, wie die Vögel
schweben, emporzufliegen.« -- In vergleichendem Sinne sagte er: »die
Vögel des Waldes sind glücklicher daran als wir; sie steigen aufwärts
mit fröhlichem Gesange -- die Tiefe nur ist still und schrecklich. Wer
aber schläft, ist allein, ist in Gefahr, und schließt sich sein Auge,
dann --« Josephine sah mit offenem blauen Auge zu dem Greise auf, der
unter einem Schauer verstummte, ehe er noch ausgeredet hatte. Sie sprach
mit leidsamem Widerspruch: »das will mir nicht so vorkommen, lieber Herr
Graf. Die Menschen sind einsam, und daß sie es _wissen_, ist ihr größter
Schmerz. Wer aber schläft -- und wäre es auch im Grabe -- genießt
unbewußt Frieden, und Gott schützt den Schlummer des Gerechten! --«

Graf Frankenstern schien sichtlich erschüttert durch diese Rede des
Mädchens. Mit zitternder Lippe wagte er etwas auszusprechen, was ein
halbes Säculum nicht laut in ihm geworden war: das Bannwort seines
Dämons. Er sah Josephine dunkeln Blickes an, und sagte: »so fürchtest Du
Dich nicht vor dem -- Tode -- mein Kind?«

Ein unsterbliches Lächeln verklärte mit der Abendsonne zugleich
Josephinens reine Züge. »Nein! gewiß nicht!« versicherte sie mit
Innigkeit. »Ich halte dafür, der Tod sey ein verkannter Engel; kein Bote
der Schrecken. Er kommt ja auch nur auf Gottes Geheiß: wie sollte er
einer kindlichen Seele nicht willkommen seyn -- früh oder spät! -- Das
kleinste Blümchen zerstiebt, und wenn seine Zeit da ist, erblühet es
auf's neue; die Sonne geht unter und schöner wieder auf, und das
Herz, welches selbst im Traume den kleinen Schneekönig erwärmt, sollte
erstarren -- und nicht für den Himmel schlagen? -- Könnte ich glücklich
machen, Alle, die ich liebe, ich gäbe gern die kleine Blume meines
Lebens hin.« Ein paar Thränen rollten, als Josephine dies sprach, von
ihren Wangen, und der Thau auf einer jungen Rose glänzt nicht schöner.

Dies war der wunderbare Moment, der eine gequälte Seele erlösete. Der
Graf athmete auf mit leisem Stöhnen, wie Einer der erwacht, und sprach:
»ich sehe ein, daß Du recht hast, mein Kind, und wie bleiern meine Augen
geschlossen gewesen. Mir ist, als ob ein Gespenst verschwände -- als ob
es Morgen würde. Mir ist recht klar. Nun will ich erst noch einmal zu
leben anfangen. Sieh! was dort so golden funkelt, ist das nicht Sanct
Capella? vorhin erkannte ich es deutlich. Wir wollen nun nächstens
einmal hinüber fahren.« Josephine lächelte wehmüthig, und das Herz war
ihr unsäglich schwer. »Und glaubst Du wohl,« fragte der Greis abermals
nach einer stillen Weile, »daß ich die Abendglocke höre?« Dem Mädchen
kam ein Grauen an: es war fast unmöglich in dieser Entfernung. »Ich bin
doch müde von dem kurzen Gange,« sagte er mit matter Stimme, »laß mich
ein wenig an Dich lehnen -- oder ist Deine Brust auch krank? --«

Josephine umschlang mit weichem Arm seine Schulter, und drückte das
sinkende Haupt sanft an sich. Sie schwieg bange, und schaute geängstet
aus, wo die Gräfinn nur bleiben möge? Da kam Albane. Das leichte
Rauschen ihrer Schritte, den Gang, der ihm so treu durch die Wüste des
Daseyns gefolgt, vernahm ihr Vater noch einmal. »Mir däucht, ich sähe
meine Frau --« stammelte er kaum verständlich, »warum sprichst Du
so leise? -- --« Und jetzt sprach der Graf nicht mehr, und athmete
schwächer und schwächer. Die Gräfinn knieete in's Gras und faltete die
Hände; ihr Gebet war ein unaussprechlicher Seufzer. Josephine glühte
wie eine Fackel. Angst und Abendschein gaben ihr die flammendes Gestalt
eines Cherubs. Sie glich dem Genius des Todes, wenn er sich des müden
Menschen erbarmt: dem Sinnbild ihrer eigenen Vorstellung. Mit bebender
Hand streichelte sie den kühlen Scheitel, den der Gedanke verließ, und
dessen Sinne schon geschlossen waren. Sie legte den Finger prüfend an
den Puls der Schläfe, und fand ihn stockend -- nun stand er stille.

»Er ist gestorben --« sagte Josephine mit der allerleisesten Stimme, als
könnte ein Laut ihn wecken.

Albane schwieg noch immer und weinte nur heftig. So blieb die Gruppe
lange in heiligem Verstummen.

Jetzt schlief Josephinen der Arm ein; denn der Todte ward starr und
schwer. Sie lehnte ihn zurück in den Sessel, und die Seinen schauten nun
in sein erblaßtes Angesicht.

»O mein Vater!« sagte die Gräfinn mit heißen Thränen, »kann man leichter
und schöner sterben, als Du? Dein ganzes Leben war nur eine Flucht vor
Dir selbst, eine Furcht vor dem Tode, und freundlich erschien er Dir,
und ereilte Dich zu lieblicher Stunde.« In zerrinnenden Bildern sah
Albane sein hartes Geschick und was sie mit ihm ertragen. Und so ergoß
ihr gepreßtes Herz sich in den bekannten Strophen: »schlummre wohl
indeß, du träge Bürde seines Erdengangs! ihren Mantel deckt auf Dich die
Nacht, und ihre Lampen brennen über Dir im heil'gen Zelte. -- «

Es schien der Gräfinn bedeutsam, daß ihr Vater unter einer Esche
verschieden wäre, welchem Holze dieses Baumes man eine wundstillende und
schmerzheilende Kraft zuschreibt. --

Die Sterne brannten schon am Himmel, und ihr feierliches Licht fand jene
Gruppe noch unverändert. Jetzt fing die Abendluft an kühl zu werden; die
Gräfinn erschauerte in jenem Frösteln, welches man nur in der Nähe des
Todes empfindet, und auch Josephinens blühende Wange war sehr blaß.
-- Auf einen Wink der Ersteren ward der weiße Gartensessel mit seinem
stillen Inhaber sacht und sanft aufgehoben, und nach dem Schlosse
getragen. Hier ließ man die Vorhänge tief herab, und die entseelte Hülle
auf ein Lager nieder. Viele Kerzen wurden angezündet, auf daß es hell
würde um den allerdunkelsten Schlaf. Albane und ihre Tochter setzten
sich zu beiden Seiten des Verstorbenen, und blieben die Nacht hindurch
bei ihm, weil sie fürchteten, er könne im Starrkrampf liegen. Hätte der
Graf dies vorausgesehen: der traute Anblick dieser ersten Nachtwache
würde ihn sein Lebelang beruhiget haben. An der Kerze, welche ihren
geheimnißvollen Schein auf seine schweigsamen Züge warf, blühete ein
glimmender Brief -- dies Auge aber war geschlossen, und las keinen
mehr. Es hatte sich für jenen Freibrief geöffnet, der nicht mit Dinte
geschrieben ist, oder Funken, oder in den rinnenden Sand der Zeit,
sondern mit dem Geiste des lebendigen Gottes.

Draußen erwachte der Gesang der Lerche, und vor der goldnen Leuchte des
Tages erbleichte das nächtliche Licht. Ein purpurner Schimmer breitete
sich mählig über den Leichnam aus -- da verließ ihn die Gräfinn unter
den Flügeln der Morgenröthe, und begab sich zur Ruhe, deren ihre
erschöpften Kräfte bedurften. Auch Josephine wankte von hinnen, zu
versuchen, ob sie ein wenig schlummern könne? doch ihre Pulse klopften
wie im Fieber, und das Herz schlug hoch und ängstlich unter dem weichen
Sterbepfühl ihres Großvaters.

Wie Albane es sich im Stillen gelobt: so geschah es. Die Section des
Grafen ward, nachdem der Arzt die Auflösung desselben dargethan, ohne
Geräusch vollbracht, und dann -- da kein eigentliches Familienbegräbniß
in Bühle vorhanden war, sein sterblich Theil in Sanct Capella
beigesetzt. Das Herz ihres Vaters aber blieb, in einer Urne verwahrt,
ihr Eigenthum. -- Um jedes Aufsehen zu vermeiden, ging die Bestattung
zu später Zeit vor sich, und nur das Heer der Sterne gab dem düstern
Leichenzuge Glanz und Geleit. Still, wie der Thau der Nächte sinkt,
fielen Albanens Thränen, und Josephine dachte mit Wehmuth daran, wie
der Graf wenige Augenblicke vor seinem Abscheiden von der Fahrt nach dem
Stifte gesprochen. --

       *       *       *       *       *

Nachdem der Administrator seiner brüderlichen Pflicht vollkommen und
nach bester Einsicht genügt, kehrte er, zufrieden mit dem Abschluß
dessen, was ihn hierher gefordert, nach seiner Heimath zurück. Auf
der langen Reise hatte er Muße, über dies Fragment seines Lebens
nachzudenken, und auch die tiefsinnige Neigung dazu. Seine Brüder
waren nun beide todt. Die Beschäftigung mit den Papieren des
Jüngstverstorbenen hatte ihn dem Constanz inniger verschwistert, als
das Vermächtniß der mütterlichen Natur ihn jemals fühlen lassen, daß sie
ihnen Einen Vater gegeben. Er nahm ein besonderes Gefühl von Einsamkeit
mit hinweg -- er stand nun allein. Wunderbar genug war Therese, welche
länger als zwei Jahre in häuslicher Verbindung mit ihm gelebt, ihm fast
entfremdet worden, im Gegensatz zu der Erfahrung, nach welcher eine
Auflösung durch den Tod Familienbande selten erschlafft, sondern sie
vielmehr enger zieht. Auch hätte die Weite den Verknüpfungspunkten ihrer
gegenseitigen Anhänglichkeit wohl am wenigsten geschadet. Ein anderer
Schutzfreund nahm sich ihrer innigst an, und solch ein Edelstein
für weibliche Fassung ist immer ein Solitair. Diese Regel ist ohne
Plural. --

Es lag nicht in Theresens Wesen, Schmerz zu heucheln, mit Thränen Prunk
zu treiben, oder sich in der Rolle einer Artemisia zu gefallen. Mit
bewundernswürdiger Gewandtheit veränderte sie den Faltenwurf des
Trauerflors, und verhüllte nur ganz leicht die Brust, voll von dem
Wunsche, das Leben möglichst zu genießen, und kaum die Blöße der
flatterhaften Schultern, welche keinen Kummer tragen könnten. So hatte
die schöne leichtsinnige Frau es ihrem Schwager keinen Hehl, daß sie,
sobald der Anstand es nur irgend erlaube, den Lieutenant Feldmeister
heirathen werde, und sich von diesem Bündniß des Glückes Fülle
verspreche. Mit jenem entziffernden Instinkt der Schlauheit, welche
unser Geschlecht in den geheimsten Zügen eines Männerherzens lesen läßt,
verschwieg sie ihm die Leidenschaft, welche diese Bürgschaft leistete,
und sprach nur von den soliden Eigenschaften des künftigen Gatten, von
seinem Erbvermögen, was sie über jeden Mangel hinwegsetze und sicher
stelle; als ob sie darin die Gewähr fände, welche zunächst auf dem Grade
ihrer eigenen Zuverlässigkeit beruhete.

»So dürfen wir auch hoffen,« setzte Therese wie zum Facit der
aufgezählten Summe ihrer Hoffnungen hinzu, »daß die gute Baronin uns ihr
schönes Gut vermache. Sie hat schon ein Wörtchen davon gemunkelt. Dann
lebe ich den Sommer über hier, glückselig wie eine kleine Fee in
meinem Blumenreiche. Den Winter aber bringe ich in der Stadt zu. Eine
Offiziersfrau steht immer ein wenig auf freierem Fuß, auf halbem Sold
ihres Standes gleichsam, und ist von den Philistern entlassen. -- Sieh!
so geht bei uns das Sprüchwort in Erfüllung, wo Tauben sind, fliegen
Tauben zu.«

Der Administrator hing schweigend an diesem geschwätzigen Munde, dem
er so oft ein willigeres Ohr geliehen -- und sprach jetzt wie von einem
plötzlichen Ingrimm überrascht: »nun so spanne Deine Tauben vor den
Wagen der Liebe, und sorge, daß ihrer keine der Geier hole.«

Therese sah ihren Schwager betroffen an. »Bist Du mir böse, Cölestin?«
fragte sie, scheu geworden, »und dem Rudolph bist Du wohl auch nicht
gut?«

Herr Prälat verneinte mit Hitze jede Animosität gegen den Nachfolger
seines Bruders, und sagte dann: »wie sollte ich Dir zürnen, Therese? Du
bist ein Weib! --« Er lächelte bitter. Es lag viel herbe Wirklichkeit in
diesem Lächeln, der Zauber jener kleinen einschmeichelnden Gaukeleien,
die das Urtheil eines Mannes so leicht verblenden, war verschwunden. --
Er nahm einen kühlen Abschied von der künftigen Frau von Feldmeister;
Theresen aber schossen ein paar warme Thränen in die Augen.

Die Baroninn Lenau empfand, vermöge der Sympathie ihres Geschlechts, den
Kaltsinn, der ihre Schutzbefohlne betrübte, und sagte, als diese weinte:
»das ist nun nicht anders, meine Goldtochter! wenn das Kind todt ist,
hat die Gevatterschaft ein Ende.« Theresen aber fiel der Taufstein auf
das Herz. --

Der Administrator hing, wie wir bereits erwähnt, seinen stillen
Betrachtungen nach. Wie anders erschien ihm Therese als sonst! Nicht
der Bruder ihres Mannes war in ihm gekränkt, sondern der Mann im
Allgemeinen. Er bedauerte es nun nicht mehr, daß ein mitleidiger Tod den
armen Constanz einer schlimmeren Verkältung entrissen. Er dachte an
die Worte des Majors. Dabei konnte er nicht umhin, mit inniger Achtung
Fabiens zu gedenken. Er gestand sich, daß der pflichtgetreue Sinn einer
Frau wohl die Gabe aufwöge, den Augen eines Mannes zu gefallen, und
Theresens Liebreiz sank gegen den charakteristischen Gehalt ihrer
Schwägerinn tief in der Wagschale. -- Doch man vergesse nicht, daß
Therese _abwesend_ war. --

Wenn nun Fabiens Gatte die Augen auf immer vor einem Phantom
geschlossen, und Theresens Gemahl einem Schatten nachgejagt, der ihn vor
der Zeit ins Grab stürzte: so mußte die philosophische Selbstfrage
in dem letzten der drei Brüder entstehen: von welchem Geist und Wesen
_sein_ Streben sey? Er stieg bis in die Gründe seines Herzens hinab, und
was er da gefunden, wollen wir einstweilen auf sich beruhen lassen. --
Dort lag seine Jugendliebe unter tiefem Schutt in sich selbst zerfallen;
aber der Glaube an diese göttliche Kraft stand noch fest, und die
Freundschaft unterstützte ihn, wenn gleich als Kummersäule. Die
Nachricht von der Ankunft der Gräfinn hatte seinen Freund Sylvius außer
sich gesetzt, und der Administrator ihn in dieser äußersten Aufregung
verlassen müssen. Jetzt dachte er bekümmert darüber nach, was aus
diesem ganz einzigen Verhältniß nun werden solle? -- In den zartesten
Beziehungen hing ein Theil seines eigenen Glückes davon ab -- und nicht
der kleinste.

Mit aufgehobenem Gleichgewicht seiner Empfindungen kam er in Sanct
Capella an, und das Erste was er vernahm, war: daß Graf Frankenstern
unterdessen ein stiller Bewohner des Stifts geworden sey. Der Verweser
desselben erschrak über diesen Verwesenden; denn daß Gräfinn Albane nun
wegziehen und ihre Tochter mit sich nehmen würde, war die natürlichste
Ideenfolge; aber sie führte ihn traurig ein. Er trat in das Kloster wie
in eine Einöde. Seine Wohnung däuchte ihm unsäglich weit, und so war
es ihm im Stillen lieb, daß er am Abend seiner Heimkehr mit Fabia nicht
ganz allein wäre. Der Major und Schwester Veronica kamen, den Wirth
des Hauses willkommen zu heißen. Der Administrator stattete Bericht ab,
jedoch in Kürze, und hier und da sogar abgerissen. Fragen der Frauen,
querfeldeingeschoben, konnten den Zusammenhang nicht durchaus ergänzen,
wie sehr es auch der apostolischen Fabia zuwider war, daß ihr Wissen,
wie das unser Aller, nur Stückwerk seyn solle, und wie auch Veronica,
die fromme Tochter der Kirche, ihre Abstammung nicht verleugnete, und
sich diesmal als Evens Tochter bewies. Wir sprechen die gute Nonne
selig, aber von der Erbsünde einer kleinen Neugier gar nicht frei. --

Herr Prälat lief flüchtig über die Vorgänge der Krankheit und über den
Hügel hin, darunter sein Bruder schlief, und hielt sich nur etwas länger
bei dem Glück des jungen Feldmeisters und dem Gute der Baroninn auf, was
auch zu diesem gehörte. Von Theresen sprach er vermeidlicher Weise
so wenig als möglich. Man nahm das Geschick dieser Beiden als ein
entschieden gepaartes an, und stellte unter mancherlei Bemerkungen
dieser Ehe das Prognosticon.

Der Major hob an: »der Rudolph hat Glück, und ich gönne es ihm von
Herzen, denn er verdient es auch. Er ist ein tüchtiger Mensch, ein
ehrenwerther Soldat -- doch mag er sich in Acht nehmen, daß er nicht
zu einem verrufenen Regiment komme. Der Pantoffel ist sein
Schicksalszeichen -- und die verfängliche Devise nicht immer von
Kraftmehl. Die Schleifen auf dem Schuh seiner alten Fee waren, wie mir
die Obristinn erzählte, von gesponnenem Glase. Eine gefährliche Masse,
das! man macht auch kleine Sprühteufelchen davon. Und dabei fällt mir
eine merkwürdige Geschichte ein. Als ich ein Knabe war, ließ ich einst
zur Fastnacht einen Reserve-Pfannkuchen in die Tasche schlüpfen, worin
solch ein gehörntes Ding stack. Alsbald fuhr der Grünliche durch die
geschmorte Rinde in die schwarze Hölle der gegossenen Pflaumen hinein,
und that wie zu Hause. Ich aber aß den leidigen Satanas wie zur
gesegneten Mahlzeit, und würde es bis jetzt noch nicht wissen, wenn
mir nicht ein Splitter von diesem heillosen Füllsel die Zunge geritzt
hätte.«

»Gott behüte und bewahre!« rief die Nonne mit frommen Schaudern vor
solch leiblicher und geistlicher Gefahr, und die Geberde des Entsetzens
wurde in der Mechanik ihrer Finger zu einem Kreuz, »wie war es möglich,
daß Sie ohne Schaden davon kamen?« Der Major lachte und sprach: »Was
verdaut man nicht Alles, wenn man jung und gesund ist! -- Mein Vater
tobte, daß ich den Teufel im Leibe hätte; und die Mama kochte ohne
Unterlaß Milchbrei, den sie mit mütterlichen Thränen salzte. -- Aber
um wieder auf das Vorige zu kommen: so will ich von Grund der Seele
wünschen, daß die beiden Leutchen sich vertragen, und einander das Leben
nicht versalzen mögen.«

Fabia lächelte ganz leise. Sie sprach: »Therese lässet ihre Lindigkeit
kund werden Jedermann -- und das Küchenwesen war nie ihre Sache.« Der
Administrator bemerkte still, wie seine schriftkundige Schwägerinn
sich glimpflich auszudrücken wüßte, indem sie doch verständlich genug
andeutete, daß Coquetterie und Mangel an Häuslichkeit, diese
Fehler, welche sie so oft zum Aerger gereizt hatten, der ehelichen
Glückseligkeit, von der die Rede war, schädlich werden könnten. Und wie
in unbewußter Gewohnheit, sich Theresens anzunehmen, nahm er das Wort
und sprach: »der Geist einer guten Ehe kann dessenungeachtet bestehen.
Wie manche treffliche Speisemeisterinn kocht Gift, vergällt ihrem Manne
jede Freude, und brät ihn am langsamen Feuer! --« »Ach!« entgegnete
Veronica, schauernd bei dieser Vorstellung, mit einem kühlenden Seufzer,
»Das kann ich mir schrecklich denken. Zwar in der Welt, sagt man -- soll
es da oder dort so seyn. Die Frauen, hörte ich, trachten nach eitlen
Dingen, sind fremd daheim und wissen nicht Bescheid, weder im eigenen
Hause noch in der Herzenskammer des Mannes. Sogar die Kindlein -- wenn
es nicht etwa böser Leumund redet -- sind ihren Müttern häufig eine
Nebensache, und öfterer lästig als lieb.-- Ich bin nur eine Jungfrau --
aber daß mein Geschlecht dahin entartet wäre, scheint mir kaum möglich.
So darf man sich jedoch nicht wundern, wenn heut zu Tage so viele Männer
die schönste Gelegenheit links liegen lassen, das göttliche Gestift des
Ehestands aufheben und leider Gottes! ledig bleiben. Wenn unsere
Frauen fleißiger den Himmel bauten: so würde sich seltner ein Stein des
Anstoßes für das Heirathen finden.«

Der Major ergriff die heilige Hand der Nonne, und drückte sie etwas
derb, wenn auch mit Verehrung, indem er sprach: »Hoch hinaus wollen sie
wohl; aber es wird ein Thurm zu Babel daraus, eine Sprachverwirrung
ohne Gleichen. Wo eine Frau den Mann verstände: da wäre die Loosung: Ein
Gott! Ein Herz! Eine Seele! Ein Glück und Ein Grab! -- Dem Himmel sey's
geklagt! es lautet anders -- und tiefer besehen, denken sie nur an die
Grube. -- _Sie_, Schwester Veronica, wollte ich heute noch ehelichen.
Sie würden jeden Mann nicht allein glücklich gemacht haben, sondern auch
_gut_.«

Bei dieser Erklärung in Kürze erröthete Veronica durch die blasse Tünche
des Alters so jungfräulich schön, als hätte dies rauhe Betasten ihrer
zartesten Gefühle auf der feinen Zeichnung des Gesichts eine Spätrose
abgerieben. Herr Prälat kam ihrer bescheidenen Antwort zuvor und sprach:
»an den Motiven zur Ehe mag es zumeist liegen, daß so wenige Segen
tragen. Auf welches Fundament werden sie gegründet? -- Ich erinnere
mich, daß meine Tante vermittelst einer Karte, der einzigen
französischen Leichtfertigkeit, die das plattdeutsche Pfarrhaus
aufzuweisen hatte, die innersten Herzensgedanken jedes Bräutigams in
der Gemeine heraus brachte, indem sie dabei ein Sprüchelchen im Munde
führte, wovon ich nur den Anfang noch weiß: der Eine thuts um der
Ducaten, der Andre um ein schön Gesicht -- wobei der Onkel, wenn er
guter Laune war, die Reihenfolge unterbrach, und mit poetischer Freiheit
darauf reimte: _gerathen_ -- _nicht!_ -- Zwölf Aussprüche enthielt dies
psychologische Orakel. _Zwölf?_ lieber Gott! das sind falsche Apostel.
Legion heißt ihre Zahl, und dann wäre der Einzige noch nicht darunter,
auf den sich bauen läßt: _wahre Liebe_!«

»Wahre Liebe!« wiederholte der alte Feldmeister, und es war, als ob das
leise Spottlächeln, welches ihm auf der bärtigen Lippe schwebte, jenes
Wort mit der Andacht des Gefühls ausgesprochen -- hohnneckte. »Es ist
damit,« fuhr er fort, »wie mit dem alleinseligmachenden Glauben: wie
Viele bekennen sich bloß äußerlich dazu, ohne diese göttliche Mutter des
Heils im Geist und in der Wahrheit zu verehren. Die Mehrzahl der Männer
besteht aus heimlichen Mohamedanern -- getaufte Weiber in Massen sind
dem heidnischen Götzendienste zugethan; in der Ehe aber herrscht das
Judenthum vor, und der Erlöser wird da tagtäglich gekreuziget, so daß
ihm die Lust zur Auferstehung wohl vergehen mögte.«

»Wer Sie so hörte, Herr Major,« entgegnete hierauf die Nonne, welcher es
leise beängstigte, so oft ein religiöses Bild, behuf der Rede gebraucht
ward, »der sollte glauben, Sie sprächen aus Erfahrung. Und doch weiß ich
von guter Hand, welch ein friedliches Stillleben Sie mit Ihrer lieben
seligen Frau geführt haben, wie man diese allgemein als eine
ganz vortreffliche Dame gerühmt -- der Meriten ihres Ehemannes zu
geschweigen.«

Dieser verbindliche Ausfall auf den seinigen, womit Veronica weiblichen
Sinnes sich erwiedernd zeigte, schien von niederschlagender Wirkung auf
den Major zu seyn. Die Menschen an ihre Verdienste wie an ihre Verluste
zu erinnern, erreicht fast immer den Zweck, sie aus den Vortheil des
Angriffs in jene leidsame Stellung zu versetzen, die der Geschmeichelte
wie der Gerührte unwillkürlich annimmt. -- Die buschigen Braunen des
Majors zogen sich zusammen, und seine Augen wurden feucht; das sanfte
Bild seliger Tage schwamm in seinem Blick. Mit schwankender Stimme
antwortete er: »meinen Sie, Schwester Veronica, daß, wenn jene Erfahrung
meine eigene wäre, ich sie ausgesprochen haben würde? -- Meine Frau war
gut und brav, und als sie todt war, da merkte ich erst, wie sehr sie es
gewesen. -- Doch deßhalb widerrufe ich kein Jota von dem Obigen. Gott
besser's! es ist an der Zeit.«

Es war auch an der Zeit, dies Gespräch zu enden. Fabia, verstimmt durch
die Vertheidigung des Schwagers, die er der abwesenden Therese nicht
minder als der gegenwärtigen angedeihen ließ, hatte kein Wort mehr
gesagt. Ihr däuchte, sie hätte die Kosten dazu getragen. Sein Urtheil
schien ihr eine Geringschätzung derjenigen Verdienstlichkeiten zu
enthalten, in denen sie sich auszeichnete. Sie wünschte, er mögte einmal
zu der Einsicht gelangen, wie hoch eine gute Wirthinn zu halten sey.
Sollte dies jedoch geschehen: so mußte er die treue Fabia vermissen.
Und indem der Major davon sprach, daß er die abgeschiedene Gattinn erst
vollkommen gewürdiget, regte dies den Gedanken in ihr an, zu scheiden.
Sie legte in gekränktem Geiste das Amt der Schlüssel nieder, und ahnete
nicht, daß diese Handlung in der Idee der Wirklichkeit nur um einen
leisen Schritt vorauseilte.

       *       *       *       *       *

Noch immer hatte Gräfinn Albane sich entschieden geweigert, ihren Gemahl
zu sprechen, weil sie sich die Kraft dazu nicht zutraute. Sylvius, der
das Heil seiner Beruhigung daran zu knüpfen schien, daß seine Frau ihm
angehöre, ließ nicht ab mit Dringen, und setzte alle Hülfsmittel in
Bewegung. Fabiens Zureden schürte den Funken, der in der Asche glomm,
worin Albane büßte -- und Josephinens rührende Fürsprache gewann endlich
ihrem Vater die heißersehnte Gunst. Der Tod des Vaters hatte seine
Tochter dergestalt erschüttert, daß sie glauben mogte, die heftige
Bewegung, in welche die Zusammenkunft mit ihrem Gemahl sie versetzen
mußte, werde drein gehen. Und so war der Entschluß dazu gleichsam ein
Abschluß aller bisherigen Verhältnisse, und sogar erforderlich, um
Josephinens willen.

In der Stunde, worin die Gräfinn ihren Gemahl in Bühle erwartete, saß
sie am offnen Fenster und allein, von jener säuselnden und summenden
Frühlingsstille träumerisch umwebt, welche aus dem Schlaf des Herzens,
aus seinem innersten Düster herauf, Gefühle der Vergangenheit beschwört.
Als sie den Hufschlag seines Pferdes vernahm, stand der Schlag in ihrem
Busen stille, und nicht dies Herz selbst, nur ein Seufzer flog ihm
entgegen. Jetzt hörte sie seinen Schritt auf der Treppe -- sein
Näherkommen -- Zeit und Erfahrung hatten mächtige Fortschritte gemacht,
seit sie den Besuch ihres Gemahls zum letztenmale in Bonna empfangen:
dennoch drang dieser vertraute Hall wie einst an ihre Seele, und keine
Empfindung, über welche er sonst Macht geübt, konnte ihm entweichen. Er
trat langsam ein, Albane zitterte heftig, unvermögend sich aufrecht zu
erhalten. Sylvius blieb wie gefesselt und gebannt an der Thüre stehen,
und warf einen unaussprechlichen Blick nach der geliebten Gestalt,
welche sein gewesen war -- und eine weite wüste Welt lag zwischen ihnen.
»Albane!« sagte er leise, und ein paar große Thränen rollten über seine
Wangen, »bin ich Dir gar nichts mehr? --« O! welch ein Zauber liegt in
der Stimme eines Menschen, der uns theuer ist oder war! -- Solch eine
Stimme enthält den Schlüssel zu jedem Geheimniß der Harmonie, und kann,
ob sie durch tausend Mißverhältnisse hindurch klänge, nie zu einem
Mißlaut für die Seele werden, darin einmal ihr Echo wohnte. Sylvius
hatte seinen Jahren voraus gealtert, und Der, den die Morgenröthe
der Jugend einst zu den Göttern erhoben, zeigte sich gebeugt von
menschlicher Schwachheit; aber die Stimme war ihm geblieben, mit der
er die Geliebte einst bewegt, daß ihr unsterblicher Antheil der seine
würde. --

Die Gräfinn wendete sich nach ihm um, mit einem Lächeln der Verzeihung,
der Abgeschiedenheit -- wenn wir so sagen dürfen; es war das
geistigselige Lächeln eines Schattens, was auf ihren Lippen schwebte,
die so wenig eines Lautes mächtig schienen, wie ein körperloses Wesen
der Rede fähig seyn mag. Endlich entrang sie ihnen die Kraft dazu, und
sprach mit bebendem Munde: »vielleicht, Sylvius, wäre es besser gewesen,
wir hätten die _begrabene Liebe_ früherer Jahre ruhen lassen --; aber,
da es einmal Dein Wunsch war, da Du meinst, es werde zu Deinem Frieden
gereichen, daß Du mich sähest, so komm doch näher und laß uns freundlich
zusammen sprechen!«

Diese Antwort zerriß Romanas männliche Seele. Was ist das _Zürnen_ der
Liebe gegen die stille Freundlichkeit der erkalteten! -- Wir bemerken
dabei, wie es Albanen selbst in dieser Minute nicht möglich war, ihr
Geschlecht zu verleugnen, und in den ersten Worten, die sie zu ihrem
Manne sprach, seit sie ihn in den Armen einer Andern gesehen, etwas
Anderes zu fassen, als jene Erinnerung.

Sylvius verstand seine beleidigte Gattinn augenblicklich. Daß Albane
jedoch ihrer Weiblichkeit ein Genüge leistete, ermannte ihn. Gefaßt
entgegnete er nun: »ja, theure Albane! es ist die Bedingniß meines
Fortlebens, und der Ruhe, welcher ich noch irgend theilhaft werden kann,
daß ich Dir sage, auf welche Weise Du Zeuginn jener unseligen Scene
geworden bist, in der Du mich betroffen. Du wirst mich dann vielleicht
weniger schuldig finden, als Du wähntest, und mindestens -- wie Dein
Gefühl auch entscheide -- mich bedauern müssen. Höre mich gutwillig an!«
Hierauf erzählte Sylvius de Romana seine Geschichte mit Tony von Schütz,
einfach und wahr. Er verschmähete, nach edelsinniger Art, Alles und
Jedes, was jenem Verhältniß zur Beschönigung dienen können. -- Diese
Mittheilung hatte nicht den Stoff, aber seine Kraft, ihn zu bewältigen,
erschöpft; und so eilte er zum Schluß und sprach: »Du weißt nun Alles --
und doch auch _Nichts_: denn ich kann Dir nur die _äußern_ Beziehungen
nachweisen, die mich in jenes Netz verlockten. Gott aber, der es einst
auflösen wird vor Deinem Blick, sieht ins Innerste, und weiß, daß ich
Dich, das Weib meines Herzens! nur allein geliebt, und ewig lieben
werde. Wäre es Dir nicht möglich, einen flüchtigen Augenblick zu
vergessen, in welchem Du an mir zweifeltest? -- Dein Vater ist nun todt.
Was hindert Dich noch, für den Rest unseres Daseyns mein zu seyn, zu der
öffentlichen Rechtfertigung unseres geheimen Bündnisses, und -- lass'
mich es hinzufügen: zu dem Glück unseres Kindes? --«

Die Gräfinn athmete tief. Sie schüttelte leise den Kopf, lächelte
weinend und verneinend und sprach: »der Himmel sey mein Zeuge! ich
zürne Dir nicht. Auch müßte ich mich zuvor selbst anklagen, denn mein
Wegbleiben gab Dich ja frei. Doch jedes Zurückgehen ist unmöglich,
des griechischen Sängers Gattinn verschwand vor einem Rückblicke. Ein
erstorbenes Gefühl läßt sich nicht wecken -- und jenes, mit welchem ich
mich die Deinige wußte -- ist todt. Aber Deine Freundinn bin ich noch
-- Deine beste Freundinn! ja, Sylvius, die will ich immer bleiben.
Mache kein so unglückliches Gesicht, Lieber! frage Dich selbst, ob
wir verdient haben, mit einander glücklich zu seyn? -- Die Ehe ist ein
Verhältniß der Heiligkeit, nicht aber der Heimlichkeit, und Gott
ist gerecht. Nach seinem unerforschlichen Gesetz und Willen müssen
Diejenigen ein Glück verschmähen, welche es sich anzueignen wagten, ohne
höhere Befugniß, als die der Leidenschaft. -- Wir versöhnen den Himmel
durch ein freiwilliges Opfer. So werden unsere Väter uns von dorther
segnen; hier glaubten wir dieser Weihung entbehren zu können, als das
Band der Stola uns zusammenfügte. Ich werde nach Bonna ziehen, Sylvius!
in jenes Haus, worin Du gelebt hast, und mich geliebt -- mich allein.
Still, mein Freund! ich glaube Dir. -- Der Majoratserbe überläßt mir das
kleine Witthum, und diese Angelegenheit ist längst berichtiget. Gönne
es mir auch, in Frieden einsam zu seyn, und die stille Freude _meiner_
Liebe. -- Ich werde in Deinem Cabinet schlafen, an derselben Stelle, wo
Dein Bett gestanden, und die alte Einrichtung wie zu den Zeiten Deines
Vaters herzustellen suchen. So werde ich Deine Hausfrau seyn, ohne
Gemahl -- wie ich Deine Gattinn war, ohne Dein Haus zu kennen. Ein Theil
jener früheren süßen Täuschungen wird mir wiederkehren, der Traum
Deiner Nähe wird mich begleiten und beglücken, und so werden meine Tage
gleichmäßig hinrinnen, wie das Bächlein unter dem Kreuze, welches dort
die Wache hält.«

»Albane!« rief Sylvius mit heftigem, mit heißem Schmerz, »Du reißest mir
mein Herz entzwei, und ich weiß nicht, ob gütiger als grausam? Vermag
nichts, Dich zu bewegen, daß Du anderes Sinnes würdest?«

»Du solltest dies nicht einmal wünschen, viel weniger fragen --«
antwortete die Gräfinn bedeutsam. »Sieh es doch ein, mein Sylvius,
es geschieht zu Deinem Besten, daß ich mich Deinem Wunsche weigere.
Willigte ich in Dein Begehr, es thäte nimmer gut. Nur auf _jene_ Weise
können wir vereint seyn -- sonst nicht. Sänke ich in Deinen Arm: ein
Gespenst, Dir innig angeschmiegt, scheuchte mich zurück, und so oft ich
die Ebereschen Früchte tragen sehe, würde mein Herz bluten.« -- Und Wer
mögte sie zählen, die Tropfen Herzblut, welche bei dieser Erinnerung der
tiefen Wunde entträufelten, die Albane geschlossen wähnte? -- Doch nur
ihre abgehärmte Wange war geröthet, und hellblinkende Tropfen standen in
ihren Augen. Sylvius empfand, obwohl durch die Verhärtung des
Vorwurfs, etwas vom Zartgefühl dieses Wehes, und wie jene Stunde nimmer
ausgelöscht werden könne. -- Und während eine unsichtbare Feder in der
Canzlei seiner Gedanken diesen Ausspruch unterzeichnete, strebte er
mit überredenden Worten noch dagegen an. Er erinnerte seine Frau an
Josephine, und wie das Verhältniß des Mädchens sich bei dem Zwiespalt
der Eltern nun gestalten solle? --

»Sieh!« antwortete die Gräfinn mit nachsinnender Miene, »auch die Mutter
muß büßen, was sie gegen ihre Pflicht als Tochter gefehlt. Es ist als
ob das liebe Kind mir nicht angehörte. Nur was man selbst gebildet hat,
daran glaubt man ein Recht zu haben. -- Josephine scheint sich im Stift
sehr glücklich zu fühlen, so könnte sie zunächst unter Deiner Aufsicht
dort bleiben. Noch bin ich durch die verhängnißvolle letztere Zeit zu
befangen, als daß ich sogleich das Beste ausfinden könnte; aber Gott
wird Alles zum Guten leiten! --«

»Wenn Du auf diese Weise am Ende bist --« entgegnete Sylvius, »so dürfte
meines Bleibens in Sanct Capella nicht mehr lange seyn, und ich
ziehe noch einmal von hinnen. Ruhe zu erwerben, hoffe ich nicht; aber
vielleicht eine Ruhestätte. Du erwartest vom Zufall, er solle sich
Josephinens annehmen, da Du selbst das natürlichste Glück abweisest?« --
Die Gräfinn schwieg, und antwortete nur mit einem schmerzlichen Lächeln.
Dann sagte sie: »ich liebe Josephinens Glück mehr als das meine --
_darin_ fühle ich mich wenigstens als Mutter.«

Ohne daß Beide es merkten, verlängerte sich dies Gespräch bis in den
dämmernden Abend hinein. Jetzt stand Sylvius auf. Es war Albanen,
als sollte sie ihn halten, so hatten sich während ihres trauten
Zusammenseyns abgerissene Fäden aus dem Gewebe ehemaliger Beziehungen
leise wieder angeknüpft: denn der Geist der Liebe -- auch einer
abgeschiedenen -- webt geschäftig.

»Es wird mir nicht leicht, zu scheiden --« sagte Romana mit einem Ton,
der diese Versicherung beglaubigte, »meine Füße sind wie Blei, und
versagen mir ihren Dienst -- und das Herz ist mir noch schwerer. Darf
ich Dich wiedersehen, Albane?« Er sah sie dunklen Blickes an.

Das Auge der Gräfinn glänzte, ein Sonnenschein verschwundener Tage war
darin; ein Strahl von Freude drang tief in Sylvius Herz. Sie antwortete:
»wenn es Dich trösten mag --: so sollst Du mir willkommen seyn.« Darauf
faßte er ihre zarte Hand, woran kein Trauring blinkte -- er ergriff sein
einstmaliges Eigenthum so furchtsam, wenn auch innig, wie man die letzte
Hoffnung zu fassen wagt, und fühlte einen leisen Druck der seinigen.
Dieser elastische Druck hob mit überirdischer Federkraft den Stein von
seinem Herzen, von der Thür der begrabenen Liebe -- und ein Engel des
Trostes, mit Flügeln, sich zum Himmel seiner Heimath aufzuschwingen,
ging daraus hervor.

       *       *       *       *       *

Der Administrator stand in vollem Anzuge vor dem Spiegel. Er wollte nach
Bühle hinüber fahren, und der Gräfinn seine Aufwartung machen, deren
Schicksal mit dem der Seinen in wundersamer Verbindung zu stehen schien.
Vielleicht hätte das Interesse für diese Bekanntschaft ihm dennoch Zeit
gegönnt; aber das Verlangen drängte ihn, Josephine wieder zu sehen. Das
Zimmer war voll Sonnenglanz -- Herr Prälat aber blickte auf keine Weise
verblendet, die schöne männliche Gestalt musternd an, welche auch ein
mäßiger Grad von Selbstgefälligkeit tadellos gefunden haben würde.
Er schaute vielmehr über aller Welt Eitelkeit hinaus, sich selbst so
forschend ins Auge, als sollte ihm in diesem Spiegel der Seele die
Wahrheit eine Gestalt gewinnen -- und seine Finger knitterten noch an
den Fältchen der feinen Halsbinde, während er gleichgültig dazu aussah,
und gleichsam unbewußt der verbessernden Mühe, die er sich gab, nur an
die Falten seines Herzens dachte. Er stand so ernst dabei wie auf dem
Katheder. -- Doch plötzlich schien unser Professor der Psychologie sein
Studium zu wechseln, daran zu erkennen, daß er die Farbe wechselte, und
daß ein so entzücktes Lächeln in seinem Gesicht aufging, als ob er einen
Stern aufgehen sähe. Und wirklich war dem so. Die Thüre ging auf, und im
Hintergrunde des Spiegels -- als hätte, Der hinein sah, eben eine Frage
an den Himmel gerichtet -- erschien ein zauberhaftes Bild. Vor diesem
Glanz jugendlicher Schönheit, erhöht durch einen Schimmer überirdischer
Freude, den die Trauer nur wie ein Wölkchen umdüsterte -- verschwand
Alles.

»Josephine! mein einzig Mädchen!« rief der Administrator mit dem hellen
Laut wonniger Ueberraschung, »wo kommst Du her? eben wollte ich nach
Bühle.«

Sie lag in seinen umschlingenden Armen, ihr Herz schlug an dem seinen
-- und onkelhaft dreist küßte er die süßen Lippen. -- Dieser Kuß -- die
glückselige Innigkeit dieses Moments, beraubte das Mädchen der Sprache.
»Ach! könnte ich Dir doch nur meine Freude aussagen, daß ich wieder hier
bin!« sagte sie mit einer Stimme, die diesem Wunsche entsprach, »Seit
ich wußte, daß Du da bist, Onkelchen, hatte ich keine Ruhe mehr. Ich
quälte die Mutter -- sie sagte, es schicke sich nicht. Dies Wort wollte
mir nicht zu Sinne. Ich bin ja das Kind des Hauses -- sagte ich -- da
mußte sie endlich meinen Bitten nachgeben.«

Herr Prälat lächelte begeistert. »Du Herzenskind!« sagte er gerührt.
»Also hält die Gräfinn doch so viel auf Anstand?« Man glaube nicht, daß
in dieser Frage der mindeste Vorwurf für die arme Albane lag. Nein! nur
eine leise Verwunderung, daß bei dem einsamsten Unglück noch dieser Sinn
für das Schickliche gefunden würde.

»Nun, so ist es mir lieb,« setzte er schnell hinzu, »daß ich nicht
zögern wollen, mich ihr vorzustellen. Du siehst, ich bin darnach
angethan -- nur mit der Halsbinde konnte ich wie gewöhnlich nicht
zurecht kommen.«

»Das sehe ich!« sagte Josephine lachend, und schickte sich an,
nachzuhelfen. »Es ist nicht allzuschön gerathen. Dieser Zipfel hier,
nimm es mir nicht übel! sieht so pedantisch aus, wie die Schlafmütze des
ehrwürdigen Ludimagister in Leidthal. -- Ist es denn so schwer, solch
ein Knötchen zu knüpfen?«

Aurorens Rosenfinger verbreiteten keine lieblichere Helle, als das
Licht, welches dem Administrator während dieser verfänglichen Minute
aufging. Sie standen wie ein trautes Ehepaar. Er hatte seine Hände an
Josephinens schlanken Leib gelegt, die schwarzen Bänder ihres Hutes
bewegten sich unter _seinen_ tiefen Odemzügen -- _ihr_ Athem spielte
fühlbar wie ein laues Lüftchen, und immer wärmer wurde ihm ums Herz. Er
ließ sie zierlich gewähren, und verhielt sich schweigsam und lauschend.

Die magische Schleife war nun geschürzt -- legen die Grazien jemals eine
Cravatten-Fabrik an: so wird man das Modell dazu finden. --

»Auf _bindende_ Künste --« äußerte Herr Prälat etwas gepreßt, »versteht
Dein Geschlecht sich schon am Besten. Josephine!« er hob das Mädchen zu
sich empor, »überhebe mich künftig dieser Mühe -- heirathe mich, liebe,
theure Seele! --«

»Onkel!« rief Josephine, und machte sich von ihm los. Ihre jungfräuliche
Wange glühte zwischen Schaam und Zürnen. Sie hielt diese Sprache für
einen Scherz.

»Ich bin Dein Onkel nicht!« entgegnete Jener heftig, »diesen
Titular-Verwandten hat Dir Fabia aufgedrungen, um den Unterschied
unserer Jahre durch gehörigen Respekt hervorzuheben. Aber Dein Mann kann
ich werden, wenn ich Dir anstehe, Du mein Liebstes! -- Ich dachte immer,
Du wärst mir gut -- so könnten wir zusammen bleiben, lebenslang -- und
Alles bliebe beim Alten.«

Da lag das Mädchen an seiner Brust und stammelte: »wenn es wahr wäre --
o Gott im Himmel!«

»Es ist wahr!« wiederholte der Administrator im gefühltesten Entzücken
dieser Versicherung, und drückte das holde hingebende Wesen innigst an
sich, »ich liebe Dich redlich, Josephine! und will Dein bester Freund
auf Erden seyn. Doch frage Dein Herz! ich möchte es nicht räuberisch an
mich reißen, aus freier Wahl sollst Du es mir schenken -- oder versagen.
Wer weiß, ob ich Dir nicht zu ernst bin, zu kränklich -- oder was Du
sonst an mir etwa auszusetzen hättest. Mir hast Du nur Einen Fehler,
meine süße Kleine! -- Du bist noch sehr jung -- aber ich finde Dich
gewachsen. --« Er lächelte wie ein Liebender, indem er den schlanken
Wuchs des Mädchens mit einem langen Blicke maß -- »nicht nur wirklich
ein Stückchen, seit ich Dich nicht gesehen, sondern überhaupt allen
Forderungen und Wünschen an meine künftige Frau völlig gewachsen.«

In reizender Verwirrung antwortete Josephine: »es mag vielleicht
geziemend seyn, daß ein Mädchen an sich hält: ich gebe Dir mein Ja
ohne Weiteres. Wen könnte ich lieber haben? -- Alle meine Wünsche sind
erfüllt. In diesem Augenblicke weiß ich es erst ganz, wie unglücklich
ich geworden wäre, wenn ich Dich und dieses geliebte Haus auf immer
verlassen müssen! Jetzt bin ich Dein! --« Sie warf sich mit dem Ausdruck
der liebevollsten Hingebung in seine Arme. -- Er umpfing sie jauchzend,
und der Spiegel verdoppelte ein Bündniß, magisch geschlungen, in dem
einfachen Glück der Herzenseinigung, dem einzigen, was es auf Erden wie
im Himmel giebt. --

Beide hatten in diesen seligen Minuten weder an die Gräfinn, noch an
Fabia, oder Sylvius gedacht, die doch auch ein Wörtchen dazu sagen
könnten. Es giebt einen Instinkt der Ahnung für unser Geschlecht,
welcher uns einem unwillkommnen Vertrauen entrinnen läßt, wenn es unser
Herz etwa wie ein Pfeil treffen könnte. -- Auch Frau Fabia entrann auf
leiser aber sicherer Spur Dem, was ihr Schwager ihr zu sagen hatte.
Josephine flüchtete mit ihrem Glück in das Betstübchen der Nonne, und
legte das Bekenntniß desselben auf diesem jungfräulichen Hausaltare
nieder. -- Sylvius war nicht daheim. Zeitiger, als es nöthig gewesen,
brach Josephine auf, und der Administrator begleitete sie. »Hätte ich
doch nicht geglaubt,« sagte das Mädchen mit jener Traulichkeit, in
welcher auch die schüchternste Verlobte sich dem ausschließendsten
Vertrauen annähert, woran der Geliebte ein Recht hat, »daß ich einmal
Gott danken würde, von Sanct Capella weg zu kommen, und heute ist mir
so. Ich konnte kein Auge aufschlagen -- Fabia hat mir die heimliche
Braut ansehen müssen. Lieber! versäume doch ja nicht, sobald als möglich
mit ihr zu sprechen. Ich thue es bei der Mutter, und davor bangt mir
weniger.«

»Meinst Du,« fragte Herr Prälat, »der bürgerliche Eidam werde der
Gräfinn genehm seyn? -- wenn diese Hoffnung nur nicht allzukindlich ist,
Josephine! --«

Das Mädchen kopfschüttelte zu diesem Zweifel und sprach: »Du kennst
die Mutter nicht, mein Freund! -- Sie ist so gänzlich ohne Anspruch und
Eigensucht -- Fabia hingegen --« Josephine flüsterte diese Worte, »neigt
ein wenig zur _Eifersucht_, und es ist eine ganz andere Zuversicht, die
ich zu Jener habe als zu dieser. Ewig werde ich Fabien dankbar seyn:
denn sie hat mich treu erzogen, und ohne sie wäre ich nimmer nach Sanct
Capella gekommen; aber das Blut aus meinen Adern wollte ich verströmen,
daß ich die theure Albane nur einmal lächeln sähe.«

Der Administrator entdeckte noch an demselben Abend auf einem einsamen
Spaziergange dem Freunde sein Herz. Sylvius nannte sich seinen größten
Schuldner, und gab ihm damit das gelegene Wort zur Hand.

»Wir könnten sehr bald mehr als quitt werden --« gab ihm jener zur
Antwort, »Du nahmst mir einmal die Braut -- gieb mir Deine Tochter
zur Frau: so bin ich nicht mehr Dein Gläubiger, sondern schulde Dir
zwiefach.«

»Wenn dies Dein Ernst ist --« entgegnete Herr de Romana, »so nimmst Du
einen Kummer von meinem Herzen, und Niemand kann bei diesem Interesse
des Deinigen froher betheiliget seyn, als ich. Es ist mir eine Sorge
gewesen, das Mädchen werde die Jugend hinkümmern, bei der traurigen
Mutter, und mit all seiner Liebenswürdigkeit der Bestimmung des
Geschlechts verloren gehen. Was wird aber Albane dazu sagen? und bist Du
Josephinens Neigung auch gewiß?«

»Ich denke doch!« antwortete der Bräutigam lächelnd, »so gewiß man
irgend einer weiblichen Neigung seyn kann. --« Ein leiser Seufzer
verwebte sich dieser bedingten Voraussetzung.

»Auch hoffe ich,« setzte er hinzu, »das Kloster werde mich schützen, das
Invalidencorps -- und endlich die fromme Veronica. Wisse! ein Engel der
Treue wohnt in der Nonne, und wird, wenn diese seine kleine Herberge
einst zusammenbricht, den Ort nicht verlassen, den er so lange heimlich
gesegnet. -- Sieh, Freund! ich habe Zeit gehabt, reiflich darüber
nachzudenken, welche Eigenschaften der Frau einen Mann vor allen
glücklich machen können, und da ist denn bei meinem Denken und Sinnen
nur jener Satz heraus gekommen, den ich mir gemerkt: daß sich auf der
Erde in jedem Beisammenleben der Kopf erschöpft, Witz und Phantasie und
Verstand, nur aber nie ein gutes Herz, das eine ewige Quelle ist.«

Romana schwieg, und sein Freund fuhr nach einer Weile fort: »aus welchen
wunderbaren Stoffen besteht eine einzige Mischung, die wir Liebe
nennen! glaubst Du wohl, Sylvius, daß jene sympathetische Regungen
der Freundschaft für Dich, nur zarter -- mich zuerst an das Mädchen
knüpften? die magnetische Kette der Gefühle, wie weit auch angelegt,
läßt uns empfinden, wo unser Herz stark berührt war. Was mich ferner
mit zärtlicher Innigkeit für das Mädchen erfüllt, ist nicht die holde
Bildung allein, sondern auch der Einfluß ihrer Bildnerinnen. Darunter
dürfte Fabiens der bedeutendste gewesen seyn, und Fabia ist mir doch
sehr achtungswerth.«

»Und das mit Recht --« erwiederte Sylvius. »Sie gehört meines Erachtens
zu den unerkannten Größen. Ihr Charakter, nur etwas zu schroff für eine
Frau, ist ein Fels für das Vertrauen. Ich schätze Fabia sehr hoch.«

Der folgende Morgen war schon weit vorgerückt, ohne daß Herr Prälat
einen Augenblick finden können, in welchem seine Schwägerinn zu sprechen
wäre. Frau Fabia schien von kleinen geschäftigen Sorgen umringt, so daß
sein Vertrauen nicht Raum gewann; eine finstere Zerstreuung in ihrer
Miene ließ ihn den heitern Muth nicht sammeln, mit ihr über eine Sache
zu reden, die ihm mehr am Herzen lag, als was zu Nutz und Frommen seiner
Häuslichkeit geschehen mögte. Ihr Blick sogar war vermeidend -- und wich
ihm aus. Endlich haschte er den günstigen Moment und sprach: »gönne mir
ein paar Minuten, Fabia! ich habe Dir etwas Dringendes zu sagen.«

Fabia machte ihre Hand, welche er sanft gefaßt hatte, leise los, setzte
sich nieder, jedoch mit jener Art, die es deutlich macht, daß man sich
nur auf flüchtiges Verweilen einlassen könne und wolle, und sagte: »nun,
so lasse doch hören, wie _dringend_ das sey, was ich vernehmen soll.«

Der Administrator war um seine Fassung zu dem Vortrage, er wußte nicht
wie? -- Er antwortete mit merklicher Verlegenheit: »Deine Stimmung
Fabia, ist meinem Wunsch nicht freundlich, und wirkt auf mich zurück.
Ich wollte Dir eben eröffnen, daß ich -- daß Josephine --« Fabia
lächelte, ihre Gesichtsfarbe war blässer als gewöhnlich. Sie sprach:
»das käme zu spät, Freund -- die Gräfinn hat mir diesen Morgen
geschrieben, daß Du ihrer Tochter den Antrag zur Heirath gemacht. Sie
giebt Dir ihre Einwilligung; ich aber habe nichts zu geben, als den
Wunsch, daß der Herr Alles wohl gelingen lasse!« Und während Fabia
diese Worte sagte, zerrann ihre Stimme und das Lächeln ihres Mundes in
Wehmuth, in _Wermuth_ -- und ihr Schwager, erstaunt über die Taubenpost
der weiblichen Mittheilung, fühlte ein heißes bitteres Aufwallen in
seinem Herzen, über das er nicht ganz klar werden konnte. Er nahm
noch einmal ihre Hand in die seinige und sagte mit ergreifenderem
Ton: »Fabia, es scheint, Du zürnest mir. Glaube nicht, daß ich Dir
zurückhaltend eine Absicht verschwiegen -- ich bin mir keiner bewußt
gewesen. Der Gedanke war nur ein Blitz, in welchem mir einleuchtete,
Josephine werde als mein Weib mich glücklich machen. Und wenn diese
Hoffnung wirklich wird, Wem werde ich es verdanken als Dir? Du hast das
Mädchen erzogen. Dein frommer, fester Geist wird fortwirken zu meinem
Glück. Ich denke, wir wollen freundlich zusammen leben -- nicht? --«

Fabia sah ihn verdunkelten Auges an. »Nein, Bruder!« antwortete sie mit
jener Besänftigung und Ruhe, die nur der Selbstgewißheit angehört: »das
würde nimmer gut thun. Das taugt nichts -- würde der Major sagen --«
Fabia lächelte bei diesen Worten noch einmal, und zwar sehr schmerzlich.
»Darum entlasse mich, Lieber! ich lasse Dir dafür meinen besten Segen.
-- Jenes Geheimniß, was mich unter Deinen Schutz stellte, ist gelös't --
Was sollte Dich hinfort noch an mich binden? -- Dein Herz hat an Einer
Pflicht genug, und diese umfaßt der Trauring. Ich werde mit der Gräfinn
ziehen. Die arme Albane wäre ja sonst ganz verlassen, und es ist billig,
daß ein treues Gemüth ihr vergelte, was sie an dem Vater gethan. Der
Herr hat den Willen dazu mir in den Sinn gegeben.«

Der Administrator stand stumm und sah zu Boden.

Fabia fuhr nach einer kleinen Pause mit steigender Bewegung fort: »wir
wollen nach Bonna. Dort hat die Gräfinn einen Wittwensitz, den sie
schwerlich tauschen mögte um einen Thron, das Vaterhaus ihres Gemahls,
Heiland genannt. Dort ist mein Platz. _Hier_ würde ich überflüssig seyn,
das macht alt vor der Zeit. Die Heimath aber giebt auch in späten Tagen
einen Theil der Jugend zurück. Ich werde die Wohnung meiner guten Eltern
wiedersehen, und jener harmlosen Zeit gedenken, wo ich darin glücklich
war. Ich werde in der Nähe ihrer Gräber leben -- und den Garten des
südlichen Daches pflegen, den der selige Oberförster Romana angelegt
-- die Sonne mag jetzt wohl eine Wüste darauf bescheinen. -- Ich bin
alsdann -- Du weißt es -- an geeigneter Stelle, und gleichsam wie auf
meines Zions Zinnen.«

»Fabia!« antwortete ihr Schwager von einer seltsamen Rührung bewältiget,
»besinne Dich anders -- bleibe bei mir! es wird sich für die Gräfinn ein
Ausweg treffen lassen. Du bist mir nothwendig geworden, Du gehörst zu
meinem Glück. Auch ist Josephine noch so jung und unerfahren, als daß
sie Deines Rathes nicht wohl entbehren könnte.«

»Sie hat _Dich_!« entgegnete Fabia mit einem Nachdruck, der alles
Weitere behob, »und also den Rath und den Helfer dazu. Und was
wirthschaftliche Leistungen anbelangt, darauf legst Du ja so wenig.«

Auch Fabia, meine Leserinnen, war eine _Frau_, und nur ein weiblicher
Engel würde es verschmäht haben, ein verkanntes Verdienst geltend zu
machen. Es ist eine göttliche Sphäre, allwo der Ruhm verschwindet, den
wir vor den Menschen haben und vor uns selbst. Wir aber leben auf
der mängelvollen Erde, niedergehalten von dem Bedürfniß menschlicher
Schwachheit. Das alte Lied des Lebens singt uns in _getragenen_ Tönen
ein. Es war nur ein Aufschwung unterdrückten Gefühls, in welchem Fabia
sich im Geist ihrer Sinnesweise zu erheben glaubte.

Der Administrator dachte beklommen dem Entschluß seiner Schwägerinn
nach, denn es fiel ihm in Wahrheit schwer, sie künftig zu vermissen.
Seine brüderliche Freundschaft für die getreue Fabia ließ ihn nicht
ergründen, aus welchen Ursachen sie so fest auf dem Abschied beharre.

Es giebt nur Einen Dietrich, dem kein Aufschluß widersteht, der sich
ohne Schwierigkeit in den Besitz der geheimsten Gedanken setzt. -- Die
Geheimnisse der Seele liegen unter magischem Schutz, und nur durch ihn
selbst können sie beschworen werden. --

Freilich sah Herr Prälat ein, daß Fabia, im Ganzen genommen, Recht
hätte, daß ihre häusliche Unfehlbarkeit, Josephinens schüchternen
Versuchen, als Hausfrau für sich allein zu stehen, hinderlich seyn
würde; daß die Gräfinn Jemandes bedürfe, der mit zarter achtsamer Sorge
um sie sey -- und wie es in der religiösen Bußfertigkeit von Fabiens
Character liege, sich selbst zur Sühne zu geben, für das Unrecht, was
Dieser geschehen; -- aber dennoch gestaltete sich dies Verhältniß nicht
nach seinem Wunsch, und es war ein Zwiespalt in seinem Herzen, als ob
eine Flamme sich trenne. --

Frau Fabia nahm sich zusammen, auf daß sie ein achtungsvolles Gedenken
mit hinweg nähme. Sie ordnete alles mit Umsicht, und stimmte nicht
dafür, daß die Hochzeit weithin aufgeschoben würde. -- Aus der Ferne
kamen Briefe, welche den Zeitpunkt von Theresens zweiter Verbindung um
nicht viel später anberaumten. Dann wollten die Neuvermählten im Herbst
zum Besuch nach Sanct Capella kommen. Major Feldmeister verjüngte sich
vor Vergnügen. Er hätte sich beinahe von seinem Sprichwort entwöhnt,
denn er fand gut, wie das Schicksal seiner Freunde sich gewendet hatte,
und -- Alles taugte ihm. --

Hauptmann Moorhausen sprach von einem Urlaub über Winter. Vielleicht
wollte er im gigantischen Eise seines Gutes die Schaamröthe abkühlen,
womit er der Ehewerbung gedachte, und in diesem zersprungenen
Weltspiegel nur ein Bild schauen, wie der Krystallpallast seines
Wunsches, aus dem Frost des Alters erbaut, zu Wasser geworden wäre. --

Den Tag vor der Hochzeit brachte Fabia ihr Haushaltungsbuch ihrem
Schwager, ihm Rechnung abzulegen; zu gleicher Zeit entledigte sie sich
des Amtes der Schlüssel. Die Redlichkeit, womit sie beides geführt, gab
diesem kleinen Act etwas Feierliches.

»Fabia!« sagte der Administrator gerührt, »wollte Gott! mein Facit wäre
einst dem Deinen gleich, und wir Alle könnten in der Rechnung bestehen,
wie Du! -- Wie treu hat Deine liebe Hand auf meinem Nutzen gesehen!
der Himmel möge Dich dafür belohnen!« Er küßte die nützliche Rechte mit
einer größeren Wärme als der Dankbarkeit -- und diese zuverlässige Hand
zitterte ein wenig. --

Am Morgen der Trauung -- Josephine war nur wenige Tage vorher von
Bühle nach dem Stift zurückgekehrt -- brachte Schwester Veronica ihrem
Liebling den Brautkranz. Sie waren allein. Mit zitternder Stimme sagte
sie: »Josephine! mein theures Kind! hier bringe ich Dir den Kranz, von
_meinen_ Händen sollst Du ihn empfangen.« Das zarteste jungfräuliche
Bewußtseyn lag in diesen Worten. »Und indem ich Dir ihn aufsetze --«
die Nonne that es mit leisem Beben, »ist es mir, als würde mein liebes
Kloster mir wieder eingesetzt. Liebe und Treue sind doch Altäre, die
der Himmel aufrecht hält! -- Als ich im Frühling die Zweiglein von der
Myrthe schnitt, zu dem Todtenkränzchen für die kleine Julie, und Perlen
dazu fädelte: wenn mir das der Baum damals gesagt hätte! -- Auch in
diesen habe ich Perlen geflochten, Freudenperlen! Segensthränen! trage
ihn zu lebenslänglichem Glück! die Krone der Unschuld, die Dir Dein
Engel reicht, _die_ trägst Du ewig! -- Heute fühle ich wieder wie groß
Gott ist! wie gut! -- Ich bin Jungfrau, und Dein bräutlicher Anblick
läßt mich das Entzücken einer Mutter empfinden. Ich werde nun nicht
einsam sterben; Du, geliebtes Kind, wirst mir meine Augen schließen --
und dann den Ring erben.«

Josephine umschlang die Nonne, und drückte schon jetzt, sanft küssend,
die weinenden zu, das heilige Vermächtniß zu besiegeln. Sie war eine
Erbinn dieses Herzens und seines Friedens.




[ Hinweise zur Transkription


Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. In dieser
Transkription werden _gesperrt_ gesetzte Schrift sowie Textanteile in
=Antiqua-Schrift= hervorgehoben.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten,
einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise
"irdisch" -- "irrdisch", "ist's" -- "ists", "Lieutenant" -- "Lieutnant",
"Obristin" -- "Obristinn",

mit folgenden Ausnahmen,

  Seite 6:
  "Aufsicht" geändert in "Aussicht"
  (ohne Aussicht auf eine andere Versorgung)

  Seite 18:
  "nnd" geändert in "und"
  (und fragte ihn um seine Meinung)

  Seite 19:
  "«" hinter "Freundes." entfernt
  (und Romana lag in den Armen seines Freundes.)

  Seite 26:
  "Gemeine" geändert in "Gemeinde"
  (Anhänger einer frommen Gemeinde geworden sey)

  Seite 26:
  "geretttet" geändert in "gerettet"
  (auf beinahe übernatürliche Weise gerettet worden)

  Seite 59:
  "»" eingefügt
  (»doch diese Frage ist wohl vom Ueberfluß)

  Seite 64:
  "erinnnere" geändert in "erinnere"
  (an den ich mich aus vergangener Zeit erinnere)

  Seite 66:
  "«," geändert in ",«"
  (»Entlassen Sie mich --,« bat Albane)

  Seite 79:
  "Famile" geändert in "Familie"
  (Juwelen der gräflich Frankensternschen Familie liegen darin)

  Seite 84:
  "entsinnnen" geändert in "entsinnen"
  (jenes schrecklichen Abends noch ganz genau zu entsinnen)

  Seite 86:
  "«" eingefügt
  (Mein Herr und Heiland!«)

  Seite 90:
  "Übersättigung" geändert in "Uebersättigung"
  (Vielleicht hatte eine gewisse Uebersättigung)

  Seite 103:
  "»" vor "regieren" entfernt
  (regieren gestrenge Herren nicht lange)

  Seite 103:
  "»" eingefügt
  (»Des Abends waren wir zusammen)

  Seite 104:
  "«," geändert in ",«"
  (»Nicht immer --,« antwortete sie halblaut)

  Seite 112:
  "»" eingefügt
  (»Du bist nun auch eine Wittwe)

  Seite 126:
  "«," geändert in ",«"
  (»Ich glaube Ihnen --,« sagte Rudolph bewältigt)

  Seite 128:
  "»" eingefügt
  (»heute noch! sogleich)

  Seite 133:
  "«," geändert in ",«"
  (Sie werden --,« dies setzte der Lieutnant)

  Seite 134:
  "." eingefügt
  (dem Vorschlag ihres Freundes geneigt zu machen.)

  Seite 135:
  "Blaßbau" geändert in "Blaßblau"
  (mischte das Blaßblau eines fernen Amphitheaters von Bergen)

  Seite 138:
  "Vei" geändert in "Bei"
  (Bei einem Bug der Straße öffnete sich die Aussicht)

  Seite 142:
  "gefordet" geändert in "gefordert"
  (nichts von der jungen Frau gefordert ward)

  Seite 151:
  "»" eingefügt
  (»Noch ist die Mutter betäubt)

  Seite 163:
  "«" eingefügt
  (Deine --«)

  Seite 170:
  "," geändert in "."
  (Josephine scheint ein Engel.)

  Seite 171:
  "anwortete" geändert in "antwortete"
  (Die fromme Fabia antwortete)

  Seite 172:
  "Borna" geändert in "Bonna"
  (den Tag vor ihrer Abreise von Bonna)

  Seite 174:
  "sie" geändert in "Sie"
  (doch werden Sie zugeben, daß jenes Depot geeignet war)

  Seite 175:
  "»" eingefügt
  (»hätte ich diesen Schlüssel wohl so nahe)

  Seite 196:
  "Batrachtungen" geändert in "Betrachtungen"
  (In Folge dieser Betrachtungen sagte er)

  Seite 202:
  "geschwisterliche" geändert in "geschwisterlichen"
  (riß bei dieser geschwisterlichen Beziehung ab)

  Seite 202:
  "Thereseu" geändert in "Theresen"
  (Was soll nun aus Theresen werden?)

  Seite 202:
  "«" eingefügt
  (Ich glaube, gute Fabia,«)

  Seite 202:
  "dem" geändert in "den"
  (Er schloß mit den Worten)

  Seite 205:
  "des" eingefügt
  (giebt jedoch einen Zustand des Leibes und der Seele)

  Seite 206:
  "Offfziere" geändert in "Offiziere"
  (Die Offiziere in Corpore kamen, um dem Administrator)

  Seite 208:
  "das" geändert in "daß"
  (Aber eben so gewiß ist es, daß jenes schöpferische Genie)

  Seite 213:
  "»" eingefügt
  (»Mir ist wahrhaftig in Gott)

  Seite 242:
  "öffentlilichen" geändert in "öffentlichen"
  (zu der öffentlichen Rechtfertigung unseres geheimen Bündnisses)]







End of the Project Gutenberg EBook of Die Schwägerinnen. Zweiter Theil., by 
Henriette Hanke

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE SCHWÄGERINNEN. ZWEITER THEIL. ***

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Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
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exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
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