Die Schwägerinnen. Erster Theil.

By Henriette Wilhelmine Arndt Hanke

Project Gutenberg's Die Schwägerinnen. Erster Theil., by Henriette Hanke

This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
whatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
www.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll have
to check the laws of the country where you are located before using this ebook.



Title: Die Schwägerinnen. Erster Theil.

Author: Henriette Hanke

Release Date: October 4, 2015 [EBook #50127]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE SCHWÄGERINNEN. ERSTER THEIL. ***




Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
http://www.pgdp.net (This file was produced from images
generously made available by The Internet Archive)







[ Symbole für Schriftarten: _gesperrt_ : =Antiqua= ]




  Die Schwägerinnen.

  Roman
  von
  Henriette Hanke
  geborne Arndt.

  Erster Theil.


    Ein hohes Wort! wenn uns die Schickung werth
    hält, nicht für uns, für Andere zu seyn.
    ... Es wendet sich der Zeiten Blatt. Laßt uns
    fröhlich sä'n, im Nebel auch: die Ernte kommt gewiß.

      _Herder._


  Hannover, 1835.
  Im Verlage der Hahn'schen Hofbuchhandlung.




Wir versetzen unsere Leser bei dem Anbeginn dieser Geschichte in ein
weites Gemach des aufgehobenen Stiftes der Cisterzienserinnen zu Sanct
Capella, nahe dem Städtchen Leidthal. Dieses Zimmer, viel zu colossal
in seinen Verhältnissen um wohnlich zu seyn, bietet eine himmlische
Aussicht dar, und zeigt noch die Spuren klösterlicher Pracht. Seltsam
vereint werden hier die religiösen Begriffe aller Zeiten anschaulich;
doch mit gemischtem Gefühl siehet man: die Gegenwart herrscht vor.
An dem Plafond rollet der feurige Wagen des Elias. Wie zu vielen
tausendmalen mogten seit dieser Himmelfahrt die Sonnenrosse ihren Lauf
vollendet haben! aber jene Flammen sind erloschen, und der Prophet
erscheint nur noch als ein grauer Schattenriß seiner Zeit. Scenen des
römischen Cultus geben den leeren Wänden ein sinnvolles Interesse, und
über erblaßten Martern der eifrigsten Bekenner ihres Glaubens hängt
Doctor Martin Luthers Bildniß gloriös in einem Rahmen von echter Bronze.
Die erhabene Arbeit über dem Kamin von schwarzem Marmor versinnlicht ein
Autodafé, und die darunter lodernde Glut, welche die Jahreszeit und der
Raum des Zimmers erfordert, dient dazu, dies Relief zu beleuchten, mit
einem Schauer für die Phantasie, der fast die Wohlthat der empfundenen
Wärme vernichtet. Die Möbeln sind theils veraltet und doch pomphaft,
theils von neuer Brauchbarkeit und Simplicität. Das hochlehnige Canapee,
welches gradauf strebend und in der Mitte altarförmig zugespitzt, sich
gegen die Wellenlinien einer modernen Bergère etwa verhält, wie die
feierliche Anständigkeit der Etiquette zu der nachlässigen Ruhe
der Schönheit -- nimmt sich in dem überladenen Zierrath geflügelter
Kinderköpfe sogar kirchlich aus. Ueber den Häuptern der Cherubim prangt
der Erzengel Michael in goldnen Waffen, und der gerissene Sammet auf
dem Sitze dieser kleinen Engelsburg erinnert mit leiser Beziehung in der
Farbe verblühter Violen an den Purpur der Eminenz. -- Der venetianische
Spiegel erreicht seine ungemeine Breite und Höhe durch eine Einfassung
von Tritonen und Delphinen, welche in kunstreichen Verschlingungen
um die glänzende Fläche spielen, worin mancher geistliche Vollmond
aufgegangen war. -- Oben thronen die Meergötter ersten Ranges, und im
Frontispice -- so zu sagen -- steigt Anadyomene aus der klaren Masse
an den silbernen Bord. Das Auge des Reformators grade auf diesen Punkt
gerichtet, scheint finster an dem heidnischen Unwesen zu haften, indeß
ein kaum merklicher Zug frommer Ironie den Ernst des Mundes mildert, der
wohl stärkere Pfeiler erschütterte als den, der die reizende Gestalt
der Liebe in den Mauern der Entsagung trägt. Die Morgensonne des eilften
Novembers ging eben auf, und bestrahlte mit blendendem Licht die Abtei,
welche ihren majestätischen Schatten über die öden Felder ausbreitete.
Der Reif der kalten Nacht schimmerte wie Candis an den falben Resten der
Weide, und die herbe Miene des heiligen Bernhard von Clairvaux, dessen
Statue am Rande einer dunkeln Cisterne stand und tiefsinnig hinab
schauete, war wie mit Zucker bestreut. -- An einem Fenster des
beschriebenen Zimmers saß eine Frau, von der wir sagen müssen, daß sie
über die Jugend hinaus und weit entfernt von jener gefälligen Anmuth
sey, die unter keinem Gesetz der Zeit steht, ohne sie deshalb dem
achtsamen Interesse unserer Leser entrücken zu wollen. Der häusliche
Anzug, beinahe matronenhaft bescheiden, paßte den Formen einer Figur
nett an, die in ihrer Haltung Charakter verrieth. Das Häubchen, ohne die
mindeste Genialität dieses Putzartikels, der einen guten weiblichen Kopf
seltner beschattet, als in das vortheilhafteste Licht setzt, und sich
oft in dem kleinsten Kniff sichtbar macht -- schloß sich dicht an ein
Oval von regelmäßigem Schnitt. Die Beschäftigung dieser Frau schien mit
der bewußten Strenge, welche sich in ihrem Aeußern offenbarte, in keiner
Verbindung zu stehen. Sie wand eine Guirlande von Immortellen,
die aufgehäuft in einem flachen Körbchen, in bunter Menge und
Mannigfaltigkeit zur Auswahl vor ihr lagen. Sie schien so ganz in sich
und in diese feiernde Früharbeit versenkt zu seyn, daß selbst der Sinn
des Gehörs ihre Seele nicht auf das lenkte, was ein junges Mädchen an
ihrer Seite aus der Bibel vorlas. »_Wirst Du dafür die Schmerzen eines
Betrübten haben_ --«: diese verkündenden Worte des Jesaia sprach die
klare süße Stimme mit einem schüchternen Beben der Ahnung, und hielt
inne. Die Sonne blitzte herein und warf lange herbstliche Strahlen durch
die Scheiben. Der blonde Scheitel des Mädchens erglänzte, die metallne
Brüstung am Fenster funkelte wie gediegenes Gold, und die trocknen
Blümchen der Dauer badeten sich in diesem ewigen Glanze.

Das Mädchen erhob das Auge blau und tief wie der Himmel, um einen Blick
in die Perspective zu richten, welche in der schönsten Morgenbeleuchtung
im melancholischen Reiz der sterbenden Natur sich in das Unabsehliche
verlor; und der Mund, auf dem noch die traurige Voraussagung des
israelitischen Sehers schwebte, lächelte so entzückt, als sähe dieser
Blick in eine verklärte Welt.

Da öffnete sich die Thüre, und ein feines jugendliches Gesicht, dem ein
schlanker Körper folgte, schauete mit hellen braunen Augen herein. Ein
leichtes Abschrecken bei dem Hinblick auf die schweigsame Gruppe am
Fenster, und die spöttische Unlust, an dieser stillen Betrachtung und
an dem Winden todter Kränze Theil zu nehmen, sprach sich in diesen
beweglichen Zügen aus.

Wie leise dies Geräusch nun auch gewesen war: die ältere Frau hatte
es dennoch vernommen. Sie wendete das Auge, und ein flüchtiges Roth
überlief ihre Wange; zweifelhaft, ob als Wiederschein der Lohe des
Kamins, oder durch die Erscheinung in der Thüre erregt. Diese huschte
mit zarten Füßen über das Getäfel der Diele, blinzelte hinter dem Rücken
des Mädchens in das heilige Buch und sprach zwischen Schalkheit und
Pathos: »hebet Eure Häupter auf -- thut Euer böses Wesen von Euch --
o! ich weiß auch, was hierin steht.« Dabei legte sie eine seidenweiche
Hand, der man keine Distellese im Garten der Ehe ansah, obwohl ein
Trauring an ihrem Goldfinger blinkte -- unter das gesenkte Kinn der
Aelteren und sprach: »bist Du mir noch böse, Fabia? Sey gut! ich kann
Dich nicht schmollend wissen, und so lasse ich meine Idee fallen.«
Bei diesen nähernden Worten beugte die hübsche junge Frau sich
mit versöhnender Anmuth herab, so daß ihr warmer Athem wie ein
schmeichelndes Lüftchen Diejenige anwehete, welche sie frostig aufnahm.

Fabia hob den Kopf ein wenig und erwiederte: »ich dachte es wohl, daß Du
zur Vernunft kommen würdest --« und indem ihr Auge die weiblich-optische
Kunst übte, die da scheel sieht, ohne einen offnen Blick zu gönnen --
setzte sie hinzu: »daß Du Dich nicht erkältest, Therese! Du gehest so
bloß. --« Sie reichte ihr eine Nadel, zugleich stach der Blick, doch
nicht in das kleine Schalytuch, welches den wunderschönen Hals und Busen
lose umflatterte, sondern in diese Blöße selbst. --

Therese steckte die Nadel verloren ein, aber nicht diese Antwort, welche
sie sichtlich zu verdrießen schien, und nun auch die Stimmung ihrer
gutmüthigen Abbitte um einen tiefen Grad fallen machte. Erglühend sprach
sie: »es ist schon geschehen. Du irrest, Fabia, Du irrest, sage ich
Dir, wenn Du Deine hartnäckige Weigerung, in einen harmlosen Scherz
einzugehen, für vernünftig hältst. Und wenn ich es zu vergessen suche,
daß Du mir und dem Bruder eine Freude verdirbst: so geschiehet es nur,
weil ich Dich dieses abtödtenden Eigensinnes wegen am meisten bedauere.«
Fabia erröthete sehr. Sie lös'te schnell ein kleines Schlüsselbund
von ihrem Gürtel, und gab dem Mädchen einen entfernenden Auftrag. Dann
sprach sie, und ein krampfhaftes Zucken unterdrückten Zornes flog um
ihre Lippen: »diese Aeußerung ist ganz in Deinem Geiste. Spare Dein
Mitleid für Dich selbst, Therese, Du wirst es einst brauchen. Herr der
Güte! muß ich mich so behandeln lassen in Gegenwart des Kindes? hast
Du keine Achtung für mich und meine Sinnesart, so solltest Du doch
Josephinens Jugend schonen. Willst Du das Mädchen auch verderben?«

Theresens Stirn flammte. In größter Aufregung entgegnete sie:
»verderben? _auch?_ Wer ist verdorben? ich muß bitten, daß Du Dich in
Deinen Ausdrücken mäßigest. Ein verderbtes Herz trachtet nach Schaden,
ist feindselig und mißgünstig; ich aber gönne der ganzen Welt ihr
Vergnügen, wenn sie mir nur das meine läßt.«

Fabia stand auf. Mit einem gewissen Hervortreten ihrer Meinung, doch das
innerste Gefühl noch immer bezwingend, sagte sie: »ich hasse nun einmal
jede Falschheit, und halte Verstellung, von welcher Art sie auch sey,
für Sünde. Und Comödie spielen ist eine solche.«

»O! die schlimmste ist es nicht --« entgegnete Therese: »es ist nur
eine kleine ergötzliche Lust.« Und indem dieser verwehrte Genuß in allem
Schimmer der Einbildungskraft vor ihrer Seele stand, so daß es ihr vor
den Augen flimmerte, in welche Thränen des Verdrusses drangen, rief sie
verblendet von Schmerz und dem Reiz jener zerrinnenden Illusion aus:
»der arme Cölestin! es würde ihm ein köstlicher Spaß gewesen seyn! Du
aber wirst ihm mit tiefsinnigem Ernste einen Kuchen backen, und ein
Capitel aus der Bibel lesen.«

Fabia erbleichte. Sie sagte schneidend: »dies dürfte ihm heilsam seyn,
wie Dir. So höre nun dies: Die Du in Wollust lebest und so sicher
sitzest, und sprichst in Deinem Herzen: ich bin's, und Keine mehr. Ich
werde keine Wittwe werden --« die Hand, welche Fabia auf diese Stelle
legte, zitterte stark, und ihre Stimme wankte, als sie das Wort:
»_Wittwe_« aussprach, als läge in diesem Verhältniß jene erschütternde
Beseitigung, die dem Unglimpf freies Spiel erlaubt.

Aber mit einem Lächeln unsterblichen Leichtsinns wies Therese den
Vorwurf der biblischen Prophezeihung von sich ab. Sie kannte die
Selbständigkeit der frommen Fabia und ließ sich nicht irren. Statt des
unnützen Gezänks um eine bereits aufgegebene Sache, warf sie die Last
dieser Scene über die Seite, und sprach: »genug des Aergers. Nochmals,
ich verzeihe Dir, was Du auch gegen mich denken mögest. Du thust mir
leid: denn Du kannst nicht anders.«

Dieser Ton der Ueberlegenheit eines Gemüths, welches die schroffe Fabia
so tief unter sich glaubte, steigerte ihre Erbitterung aufs Aeußerste.
Sie wollte sprechen -- aber Therese wendete den Fuß, und prallte
an einen jungen Mann, der unbemerkt von den streitenden Parteien
eingetreten war, und nun als Schiedsrichter vor ihnen stand. -- Es war
Herr Prälat, der Administrator des Stiftes, dessen Schwägerinnen wir
in den beiden Damen vorläufig kennen gelernt haben. Der Zufall hatte
es seltsam gefügt, daß ein Mann, der so hieß, Vorsteher dieses weiland
geistlichen Hauses würde; allein ein Blick auf seine Persönlichkeit
reichte hin, ihn selbst von dem Begriff seines Namens zu unterscheiden.
Diese Gestalt, der eines Großwürdenträgers der Kirche durchaus nicht
ähnlich, ragte über das gewöhnliche Maß hinaus, und schien von innerer
Thätigkeit zu sehr angeregt, um völlig zu seyn; das schmale etwas
blasse Gesicht hatte mehr den Anschein einer kränklichen und deshalb
enthaltsamen Constitution, als den eines klosterherrlichen Lebens in
=bona pace=, und dieses gebietende Auge, obgleich getrübt -- war voll
Feuergeist einer andern Tiefe, als des kühlen dunkeln Lagers, wo die
Sonnenkräfte alter Jahre verschlossen glühen.

Er schlang seinen Arm mit brüderlicher Traulichkeit um Theresens
schlanken Leib, sie aufzuhalten, und sprach: »wohin so eilig? Was ist's?
Du schweigst, Fabia? und Dein Auge verbirgt Thränen? ich will nicht
fürchten, daß ein Zwist -- stehe Du mir doch Rede, Therese!« Mit diesen
dringenden Fragen flog der betroffene Blick des Administrators von einer
Schwägerinn zur andern.

Therese aber strebte fort. Als wünschte sie der weitern Verantwortung
nun los und ledig zu seyn, entwand sie sich ihm und sprach flüchtig: »es
war so wichtig nicht -- lasse es Dir nur von Fabia erzählen.« Vielleicht
war es eine kleine Rache, daß Therese im sichern Gefühl, für Wessen
Sache der Schwager sich entscheiden würde, den Vortheil des Vortrags
Jener überließ.

»Nein, bleib!« forderte der Administrator: »so sprich doch, Fabia! ich
will es wissen! werde ich es nicht erfahren?«

Mit niedergeschlagenen Augen und gekränkter Stimme sprach Frau Fabia:
»ich muß Dich ersuchen, mein Bruder, daß Du mich in Zukunft vor
Beleidigungen schützest, die ich länger weder ertragen kann noch
darf. Meine stille Weise will ich immerhin verspotten lassen; aber das
Heiligste soll man mir nicht antasten. Das greift mich an die Seele.«
Sie brach in heißes Weinen aus, und Fabia weinte selten oder nie. Des
Schwagers Auge traf Theresen. Diese aber hielt den zürnenden Blitz aus,
der nicht zündete, zuckte vornehm mit den runden Achseln als beklage sie
die Erbärmlichkeit der Anklage, hob den Blick zu den Wolken der Decke
und sprach: »welch ein Aufheben um Nichts! ich will es Dir in Kürze
sagen. Wir waren am Sonntag Abend bei Gottschalks drüben fröhlich,
führten Sprichwörter, Charaden auf --« »Erlaube!« fiel hier Fabia
ein, mit einem Tone, der nicht im Klange einer abhängigen Bitte an die
Wortführerinn erging, »das ganze Gebiet üblicher Gemeinplätze reichte
nicht aus für dieses muthwillige Treiben -- denn Narrenspiel will Raum
haben -- man suchte ihn auf kirchlichem Boden. Die reiche Sprache mußte,
schnöde genug, eine Benennung hergeben, um die geistig Armen lächerlich
zu machen. Sie spielten: Wiedertäufer, und das heilige Sacrament ward an
dem Töchterchen der Gerichtshalterinn verhöhnt.«

»Ich sehe nichts Uebles dabei,« sagte der Administrator begütigend nach
einer kleinen Pause, »jene rasende Rotte hat die Taufe auf eine frevle
Art gemißbraucht.«

»Ach!« sagte Therese lachend, »von irgend einem Frevel konnte ja
überhaupt die Rede gar nicht seyn. Wir waren nur lustig, ich versichere
Dich, lieber Cölestin, und der alte Halderich brachte jenes Wort in
Vorschlag. Bei den Sylben: Täufer, sah Gottschalk als Vierfürst so
fürchterlich possirlich aus, daß wir Alle vor Lachen sterben zu müssen
glaubten. Ich, die Tochter der Herodias, tanzte kosackisch vor ihm
-- der starke Punsch war mir ein wenig in den Kopf gestiegen. Dann
costümirten wir uns schweizerisch, die Gerichtshalterinn brachte eine
zinnerne Barbierflasche, ein Urerbstück -- zur Taufkruke herbei, und an
Helene trieb ihr Vater den Teufel der Widerspenstigkeit und des Muckerns
aus, der die Kleine bisweilen plagen soll. -- Wem, ich frage Dich,
geschah nun hierbei ein Leides?«

»Fabia!« sprach ihr Schwager sanften, tiefen Tones; er hätte die höchste
Vernunft, den Gott des Friedens selbst mit keiner andern Stimme anrufen
können. Doch Fabia antwortete mit erzwungener Ruhe: »höre nur weiter! es
kommt noch besser.«

»Ja,« rief Therese leidenschaftlich, »höre nur weiter! es kommt noch
_schlimmer_. Es ward immer hübscher, bei Gottschalks nämlich. Wir kamen
mehr und mehr in den Zug, und endlich auf den Einfall, Dir zu Deinem
Geburtstage künftigen Monat, ein kleines Schauspiel zu veranstalten.
Dieser Plan, einstimmig aufgenommen, machte uns unsägliches Vergnügen in
der Idee. Doch Fabia, als Schlüsseldame des Hauses, verweigerte uns
zur Ausführung das Local und ihre Theilnahme. Wir wünschten das grüne
Bogenzimmer für diesen Zweck, und baten, daß sie eine kleine alte
anspruchslose Rolle übernähme.«

Ein Schatten jugendlicher Prätension veränderte hier die Züge der
ernsten Fabia, welche kalt und schweigend wie eine Büste zuvor gewesen.
Sie warf einen Blick unaussprechlicher Verachtung auf ihre Schwägerinn
und sprach: »freilich, mit einer Inamorata warst Du so gütig, mich zu
verschonen -- die spielst Du selbst.«

Therese hielt es vermuthlich nicht für nöthig, darauf zu antworten. Sie
wendete sich zu dem Schwager, und sagte wie zum Schluß: »Du weißt nun,
worüber wir in Streit geriethen -- _mir_ war er abgemacht.«

»Und warum warst Du dagegen?« fragte der Administrator beklommen die
Unversöhnte, und abermals nach einer kleinen peinlichen Pause.

»Es läuft wider meine Grundsätze,« erwiederte Fabia finster, und
trocknete die Thränen, welche in einzelnen Tropfen, wie nachfallend
einem schweren Wetter, über ihr Gesicht flossen.

»O, gute Fabia! Deine Grundsätze sind sehr streng!« sagte Herr Prälat
mit bitterm Lächeln, »wenn wir solch einen Maßstab an die kleinen
Freuden des Lebens legen wollen, so wird der arme Mensch zu kurz
kommen. Ich sehe nichts Verwerfliches in der ganzen Sache, wohl aber
ein gestörtes Vergnügen, für dessen Absicht ich dankbar seyn muß. Der
Geschmack am Schauspiel ist ziemlich so alt wie die Welt, und der Trieb,
sich anders zu zeigen, wie er ist, dem Menschen angeboren.«

»Leider!« sprach Fabia, »deshalb ist es nothwendig, daß man ihn
bekämpfe. Wir sollen wahrhaft seyn in Wort und That.«

»Dies dürfte doch tiefer gemeint seyn, liebe Schwägerinn --« versetzte
der Administrator etwas leise, wie wenn er die Wirkung dieses
Widerspruchs mildern wolle, »als was man unter der Mummerei einer
kleinen Posse, ja selbst unter dem Versuch begreift, die Geheimnisse
der Schmerzen, die Blöße der Leidenschaften und der Wunden, die das
Schicksal schlägt, in dem Gewande dramatischer Poesie darzustellen. Der
wahre Gott hüllt sich in die Natur, und wir erkennen ihn im Innersten
unseres Gemüths.«

»Ja,« fügte Therese mit einem leichten Uebermuthe hinzu, der wie
Champagnerkork auf dem Oberwasser schwamm, welches sie durch den
Beistand ihres Schwagers gewonnen, »Jesus Christus selbst, ich wette!
würde nichts Arges an unserm Scherz gefunden haben; die Scheinheiligkeit
nur war ihm verhaßt.« »Und ich erkenne nun,« sagte Fabia, während sie
mit bebenden Fingern eine Immortelle zerpflückte, »daß es an der Zeit
für mich sey, ein Haus zu verlassen, dessen Freuden ich verkürzte, und
dem ich nur in seinen Vergnügungen störend bin. Ich tauge zu weiter
nichts, als einen einfältigen Kuchen mit Bedacht zu backen, wie Therese
mir vorwarf, und ein Capitel aus der Bibel zu lesen, deren Sinn ich
nicht einmal verstehe, wie mir so eben bewiesen worden. Ein armseliges
Talent, das meine, gegen die Vorzüge Anderer! -- So will ich denn gehen.
Es wird doch irgendwo ein stilles Plätzchen für mich geben, wo man mit
Arbeit und Gebet Ruhe finden kann für seine Seele.«

»Gott des Lebens!« rief der Administrator außer Fassung, »muß es dahin
kommen? Wer ist's, der unter diesem Zwiespalt leidet, als ich? Fabia!
hättest Du Dich jemals über mich beklagen können? -- ich achte jede
Individualität, und ehre die Deinige nach Verdienst. Therese! biete
die Hand zuerst, Dir kommt es zu, Du bist die Jüngere.« »Ich habe es
gethan,« sagte Therese etwas eingeschüchtert von diesem Ausgange, »ich
kam mit gutem Herzen hierher; der Himmel und Josephine ist mein Zeuge!«

Der Administrator schien dieser identischen Berufung Glauben zu
schenken. Er sprach: »Du hast Fabia gewiß nicht kränken wollen. Auf die
Comödie verzichte ich gern; aber liebe Schwestern, laßt das Band
der Eintracht mein Angebinde seyn, so werde ich mich heute schon wie
neugeboren fühlen.« »Es würde doch nur ein kleines Schauspiel werden,«
antwortete Fabia mit entschlossnem Lächeln, »und Du weißt, mein Bruder,
ich bin ungefügig dazu.«

»Gehe, Therese!« sagte Herr Prälat, und es schien, als ob nur größere
Zutraulichkeit zu dieser Schwägerinn sie verweise, »lasse mich mit Fabia
allein.« Therese ging. Alsbald faßte der junge Mann die runden Arme
Fabiens so fest, daß sie an diesem Drucke die innere Bewegung empfand,
in der er sprach. »Fabia! das konntest Du mir thun? muß ich Dich an
Deine zärtliche Sorge für mich erinnern?-- Sieh! wolltest Du mich
verlassen, ich könnte Dich nicht halten; genug, daß ich mich an das
Bewußtseyn hielte, ich hätte es nicht um Dich verdient.« Fabia war
ergriffen, dennoch sagte sie: »Du behältst ja Theresen --«

»Ja,« antwortete ihr Schwager, »und ich werde, was auch geschehe, mein
Wort nicht brechen, welches ich dem Bruder gegeben.«

Die Entschiedenheit eines Mannes verfehlt nie ihrer Wirkung auf die
Frau, selbst wenn sie verschroben, oder in minderem Grade weiblich wäre.
Die Erklärung des Schwagers hatte das Eis von Fabiens starrem Sinne
gebrochen. Sie zerschmolz in Thränen, und sprach: »muß es mich nicht
schmerzen, daß Du ihr alles gut heißest, selbst das, was mich empört?
vergeht wohl ein Tag, ohne daß ich über sie seufzen müßte? kommt je ein
gottesfürchtiger Gedanke in ihre Seele? kannst Du mir den geringsten
reellen Nutzen nennen, den ihr Daseyn hier hat?«

»Sie giebt Dir Gelegenheit,« antwortete Herr Prälat wie mit düsterm
Spotte auf die vorwurfsvollen Fragen seiner Schwägerinn, »Dich in einer
der schönsten christlichen Tugenden zu üben: der Duldung. Gönne ihr die
Luft dieses abgeschiedenen Aufenthaltes; betrachte sie wie eine Blume,
die für kurze Zeit zwischen diese Mauern verpflanzt ist, und von der man
nichts verlangt, als daß sie ihre Stelle einnimmt.«

»Man wird keine Trauben lesen von den Dornen --« entgegnete Fabia
tiefathmend. »O! diese Blume ist giftig --«

»Nein, gute Fabia! höchstens nur ein wenig betäubend --« sprach der
Administrator und lächelte zerstreut. »Sey doch nur billig!« fuhr er
in ernsterem Tone fort, »und überlege, wie verschieden von Dir, Therese
ihrem Naturell, ihrer früheren Lebensweise nach, denken muß, und
ungerecht wäre es von Dir, wenn Du deshalb mit ihr rechten wolltest.
Im Geräusch der Welt erzogen, entbehrt sie hier alle Freuden, an welche
ihre Jugend gewöhnt war. Sie ist nicht geeignet, sich an irgend eine
Pflicht zu binden, und unter so precairen Umständen erst gar nicht.
Dies hat der Himmel wohl gewußt, und so ist ihre Ehe seltsam genug ohne
Zusammenhang dieses Verhältnisses. -- Ihren kleinen Speculationen stehet
landwirthschaftliche Industrie entgegen; vor den Maschinen, die den
öden Raum von Sanct Capella füllen, kommen die Neigungen einer jungen
lebendigen Frau nicht an das Brett -- und wollte Therese auf Eroberungen
ausgehen: so sähe sie sich von einem invaliden Kreise umschlossen, der
in der schläfrigen Ruhe des Klosters von seinen Siegen träumt.«

Fabia antwortete: »o! Therese besiegt auch wachsame Leute -- und übt
ihre coquetten Künste vor sehenden Augen.«

Ein wundes Lächeln zuckte über das Angesicht Dessen, welcher der
Gegenstand jener feindseligen Bemerkung war. Er seufzte, legte wie
unbewußt die Hand auf seine linke Seite, als fühle er dort Schmerz, und
sprach: »Fabia! laß uns dies Gespräch enden; doch vernimm zuvor meine
Bitte: mache Theresen Deine Frömmigkeit liebenswürdig! versuche es
einmal mit freundlicher Güte. Ist nicht Friede mit sich und Andern die
weiche Blüthe der Religiosität? -- Denkst Du nicht, daß es mich betrübe,
wenn Jemand gezwungen wäre, Deinen Werth zu verkennen und Deinen Glauben
dazu, dessen Früchte für ihn zeugen sollen? flöße Theresen, diesem Kinde
an Vernunft -- sanftmüthigen Geistes, die Milch einer besseren Liebe
ein, als welche vielleicht die Nahrung ihrer eitlen Wünsche gewesen,
und stärke sie für das Leben der Seele. Dann stärkst Du auch mich -- und
wahrlich, Fabia! ich bedarf es. Als ich krank war -- diese Zeit, deren
ich mich nicht gern erinnern mag, weil mich mein Befinden noch täglich
daran mahnt -- hat mich Dir auf ewig verpflichtet. Du lauschtest, mir
alles an den Augen abzusehen, was mich laben könnte -- willst Du, da ich
kaum -- kaum genesen bin, härter gegen mich seyn? erquicke mich durch
Eure Verträglichkeit! ich wollte sonst, ich läge im Grabe.«

Diese Worte, in überwallendem Unmuth gesprochen, waren von zureichendem
Einfluß. Fabia reichte dem brüderlichen Schutzherrn die Hand, und sah
ihn mit bangen Mienen an. Sie sagte besänftiget: »mißkenne auch Du mich
nicht, mein lieber Bruder. Es ist wohl schwer, in nächster Gemeinschaft
auszukommen mit Dem, der das grade Gegentheil von uns ist, wie Therese
von mir. Was hilft ihr sogenanntes gutes Herz? es ist nur Temperament.
Sie denkt an nichts Ernstes und Edles; ihre Zeit, dies Capital, was uns
der Herr der Ewigkeit geliehen, wird in Tand verschwendet. Sie wuchert
nur mit ihren Reizen. Am häuslichen Heerde brennen ihr die Sohlen. Sie
fängt -- was ich nun vor den Tod nicht leiden kann -- hundert Arbeiten
an, ohne eine zu vollenden. Der Fleiß erscheint ihr wie eine Frohne,
gegen die sie einen Freibrief zu haben meint. Alle Ordnung ist ihr
lächerliche Pedanterie -- jüngst hat in einer kostbaren Wollestickerei,
die sie in den Winkel geworfen, die Katze Junge gehabt.« Den
Administrator wandelte das Lachen an, aber sein Blick grollte in
Wehmuth, die den Komus dieser Anschuldigung entkräftete. Er hatte,
während ihm Fabia Theresens Fehler aufzählte, ein paarmal schwer
geseufzt, über die Unart der Frauen, nachdem ein vernünftiger Mann sie
überzeugt zu haben glaubt, ihre Beschwerde immer wieder zu erneuen.
Diese Verdammniß manch häuslicher Hölle ist gleich der Strafe des
Sisyphus. --

»Und was mir am meisten Kummer verursacht,« fuhr Fabia fort: »ist, daß
ihr Beispiel endlich dem Kinde, der Josephine, nachtheilig werde, um so
mehr, da es ihr nicht an verführerischen Gaben fehlt. Josephine spricht
ihr, wie wenig sie redet, beständig das Wort; das ist schon ein übles
Zeichen.«

»O Fabia!« sagte ihr Schwager mit innigem Tone: »es ist das Zeichen
eines heiligen Gemüths, in dessen Reinheit alle Flecken des Nächsten
verschwinden, einer himmlischen Demuth, die nur an die eigene Fehle
denkt. Die Unschuld beschützt sich selbst. Und sollte ja durch den nahen
Umgang Theresens eine schädliche Einwirkung auf Josephine zu befürchten
seyn: so wird Deine _Strenge_« -- Herr Prälat betonte, was er sagte, und
es lag ein leiser Vorwurf in seiner Accentuation --: »dieser möglichen
Gefahr schon zu begegnen wissen.«

Fabia erwiederte hierauf: »man kann nicht strenge genug seyn in Sachen
des Gewissens, und das Bewahren dieses Mädchens ist eine Gewissenssache
für mich.«

Der Administrator wollte sprechen, da kam ein Bote, der ihn abrief. Er
zögerte zu gehen. Noch einmal faßte er ihre Hand, sah ihr freundlich ins
Gesicht und sprach: »Du bist also wieder gut? wir scheiden als Freunde,
oder vielmehr wir scheiden nun nicht? Und Therese?«

Fabia lächelte. »Ich werde sie versöhnen --« sagte sie versichernd. Da
zog er ihre Hand an seine Brust, drückte mit heißen Lippen einen Kuß
darauf, und enteilte auf den Ruf seiner Pflicht.

»Wie stark sein Herz klopfte!« sagte Fabia leise und ängstlich zu sich
selbst, und diese Besorgniß galt mehr der fieberhaften Wallung des
erhitzten Blutes, als der nervösen Störung, welche diesen Umlauf
beschleunigte. Fabia hatte den zartesten Sinn für den krankhaften
Zustand ihres Schwagers, und zugleich eine stumpfe Härte in Betreff
alles dessen, was seiner Seele wohl thun könnte. Das kleinste
körperliche Uebel regte ihre wohlwollenden Kräfte ihm abzuhelfen auf,
während sie in kalter Gleichgültigkeit verharrte, wo sein Inneres litt,
wenn es auch in ihrer Macht gestanden hätte, dieses tiefere Weh zu
lindern. Sie erschöpfte sich in dienstlicher Beflissenheit, indeß es
ihr ein Leichtes gewesen wäre, die bittere Quelle zu verstopfen. -- In
diesem Widerspruch lag all der Egoismus, durch welchen Frauen solcher
Art die Wirkung einer pietistischen Moral verkümmern, wogegen die Liebe
in ihren Fehlern sogar -- heilbringend wird.

Es klopfte sacht an die Thüre, und als Frau Fabia: »herein!« gesagt,
erschien eine ehrwürdige Gestalt, die einzige noch übrig gebliebene
Nonne von der Gesammtschaft des aufgelös'ten Ordens, welche die
Vergünstigung nachgesucht und empfangen hatte, in Sanct Capella den Rest
ihrer Tage beschließen zu dürfen. Das fromme Stillleben der Nonne hatte
sich wenig geändert, seit jener Catastrophe, welches die Verfassung des
reich fundirten Klosters stürzte, und in dem Muth, womit sie als eine
einsame Ruine unter den geweihten Trümmern ihrer Welt begraben zu werden
wünschte, bewährte sich eine wahrhaft hohe Seele. Schwester Veronica
verzehrte hier ihre Pension, in wunderlicher Zusammenstellung mit einer
Anzahl Offiziere, die eben so die Mittel zu ihrer Subsistenz in einem
Gnadengehalt aus der Staatscasse erhielten. Der Administrator, ein
guter Cameralist, hatte die glückliche Idee gehabt, einen Theil dieser
Zuflüsse in die Einkünfte des Stiftes zu leiten, worin die kleineren
Wohnzimmer und größeren Säle des weitläuftigen Gebäudes für solch
einen Zweck zu benutzen wären, und seit Herr Prälat mit Genehmigung
der Behörde dies in öffentlichen Vorschlag gebracht, hatten sich zwölf
ausgediente Krieger gefunden, welche alle unter einander bekannt, dies
Anerbieten mit Freuden ergriffen, und den politischen Streit weltlicher
Interessen gegen die friedliche Geselligkeit eines Invalidenhauses
aufgaben, das ihnen kaum reizender gelegen seyn konnte. So mischte sich
denn das Geräusch manch welken Lorbeers mit den stillen Schatten der
klösterlichen Palme von Sanct Capella. -- Dieser militairische Club
bestand nun neben dem Familienleben des Administrators, neben der
Clausur der geistlichen Jungfrau, ohne daß diese verschiedenartigen
Verhältnisse durchaus umgänglich geworden wären. Zwar hatte der junge
Prälat unter den alten Offizieren Einige, die seine Achtung von den
Uebrigen sonderte, auch einen Freund --; aber diese Auszeichnung that
weder dem guten Vernehmen mit Allen, noch der Zurückhaltung Eintrag,
die er im Ganzen beobachtete. Auch war sein Wirkungskreis sehr groß und
forderte all seine Zeit, und für die wenigen Stunden der Muße, welche
ihm vergönnt waren, sprach das Bedürfniß mächtig in ihm an, sich
wissenschaftlich zu beschäftigen. Und mitten unter diesem invaliden
Ruhestande, der doch zuweilen, alter Gewohnheit nach, ein lärmender
Aufstand wurde, wenn auch der renommirende Säbel in friedsamer
Scheide stack -- mitten unter der rastlosen Geschäftslosigkeit des
Administrators und seiner Leute -- war die Wohnung der Schwester
Veronica, gleich einer Einsiedelei zu betrachten, worin sie, wie die
Schutzheilige des Hauses, Segen durch ihre fromme, lautlose Gegenwart
verbreitete. Sie hatte sich den Schwägerinnen des Herrn Prälaten
herzlich befreundet, wie dem Stiftsverweser selbst, Josephine war ihr
Liebling -- dennoch geschah es nur selten, daß ihr Besuch in dem Flügel
gesehen wurde, den der Administrator mit den Seinen bewohnte. Doch so
oft Jemand in dieser Familie krank war, ob am Leibe, oder an der Seele
-- und es war, als ob die Nonne es durch Inspiration erführe, wo ihr
Rath, ihr Trost nöthig sey -- kam sie ungerufen, und man war daran
gewöhnt, das milde Gefühl der Theilnahme an ihr Erscheinen zu knüpfen.
Dazu trug selbst ihr _Aeußeres_ bei. Schwester Veronica hatte mit
Ergebung die ihr liebgewordene Tracht der Ordensregel aufgegeben; aber
ihr einfacher Anzug näherte sich derselben so sehr als möglich. Ein
Schleier der Weltentsagung wallte unsichtbar nieder an dieser Gestalt,
welche, trotz der Bürde von siebenzig Jahren und mancher beugenden
Erfahrung, sich vollkommen aufrecht erhalten hatte. Ihre Stimme tönte
rein und sanft, wie in leisen Nachklängen der Hora -- und in dem
Tiefblick ihrer Augen glomm noch ein schwacher schwärmerischer
Funken jener ewigen Lampe, womit sie einst in nächtlicher Stunde dem
himmlischen Bräutigam entgegen gegangen war. Lichtvolle Klarheit war
über die Züge der Nonne ausgegossen, wie wenn blasser Mondschein
einen stillen Abend erhellt. Und wie die Zeit dieses langen Lebens in
gleichförmiger Ruhe vergangen war: so hatte sie auch nur unmerkliche
Spuren nachgelassen. Zwei Reihen wohlerhaltener Zähne stützten wie
eine elfenbeinerne Doppelmauer den Mund, dem nie ein liebloses Wort
entschlüpfte, und der noch eines heitern Lächelns fähig war, gegen den
Einfall des Alters. Wenn Schwester Veronica mit sachtgewöhntem Fuß durch
die wüsten Gänge schlich, und ein bestiefelter Schritt ihr dröhnend
begegnete: dann salutirte der Offizier in kirchlicher Ehrerbietung, und
wechselte gewiß ein paar Worte, welche die Nonne immer freundselig, ja
oftmals scherzend erwiederte.

Wir wenden uns nun wieder zu dem Eintritt der Nonne. »Guten Morgen, Frau
Fabia!« sagte die Conventualinn, und es bleibt zu errathen, ob sie die
trauliche Benennung des Vornamens in klösterlicher Sitte beibehalten,
oder als Vorrecht der Freundschaft für die beiden jüngeren Frauen
angenommen hatte. -- Ueber Fabiens verdüsterte Züge flog ein
bewillkommendes Lächeln. Sie nahm den guten Geist mit Freuden auf;
nur der Blick, der noch naß glänzte, ward dem Gruße vorenthalten, daß
Schwester Veronica die thränengeschwollenen Augen nicht sähe.

»Ein goldener Tag!« sagte die Nonne, und ihre feine Wange brannte wie
glimmende Kohlen, »die Sonne scheint so schön und blaß wie eine Braut.
Man fühlt sein Herz ordentlich erwärmt. Doch -- sehe ich recht?
warum denn so betrübt, Frau Fabia? ich will nicht fürchten, daß ein
Unglück -- --.«

Bei diesen antheilvollen Worten schüttelte Fabia leise mit dem Kopfe.
Sie antwortete mit wehmuthzitternden Lippen: »es giebt zuweilen etwas;
kein Himmel ist so hell, daß er nicht einmal weinte -- und den Himmel
auf Erden -- glauben Sie es mir, Schwester Veronica! den habe ich grade
nicht.«

»Wer hätte den!« erwiederte die Nonne mit aufwärts gehobenem Blicke,
der in die Tiefe menschlicher Erfahrungen schauen ließ. »Wir können nur
darnach ringen. Und diese Kraft kommt auch von Gott. Thränen fallen wie
Thau in der Nacht: sie erfrischen. Der Kummer, auch der längste, gehet
endlich vorüber -- Ich kenne nur ein Elend, welches bis in Ewigkeit
dauert, und das ist der Unfriede.«

Fabia nickte; erschauernd wie im Frösteln eines verweinten Gefühls und
dieser Vorstellung sprach sie: »warum sollte ich es Ihnen nicht sagen?
ich hatte mich mit Theresen verzürnt, der Bruder ward in den Streit
gezogen, er war wie gewöhnlich auf ihrer Seite. Das kränkte mich. Wer
ist's, der für ihn sorgt? ihn pflegt und sein Bestes wahrnimmt? --
Therese nimmt keine Notiz von diesen Pflichten einer rechtschaffenen
Schwägerinn und ihn nur durch flatterhaften Leichtsinn für sich ein. Ich
wollte fort -- man säet ja doch nur auf den Wind.«

»Der Dank, Frau Fabia,« entgegnete die Nonne, »ist eine Ernte, die
man unbewußt ausstreut, ein Lohn, auf den man nie rechnen darf, eine
überraschende Freude, wie eine Blume auf dem Felsen: denn sie wurzelt
nur in starken Herzen. Der wackere Administrator scheint mir jedoch sehr
wohl zu erkennen, was er an Ihnen hat, wenn er sich auch der jungen
Frau seines Bruders gleichfalls zuneigt. Bin ich doch selbst der lieben
Therese herzlich gut. Ach! ich betrachte sie nie ohne Mitleid.«

»_Mitleid?_« fragte Frau Fabia mehr mit einem Anfluge von Kälte, als der
Verwunderung: »und worin wäre Therese zu bedauern?«

»Solch glücklichem Leichtsinn,« versetzte die Nonne mit weicher Stimme,
»ist häufig ein schweres Schicksal zu tragen beschieden. Sie thut mir
leid, die holde, hübsche Frau! es ist keine böse Ader in ihr, wenn auch
die Pulse hüpfen.«

Fabia schwieg, und Schwester Veronica, als ob sie mit sich selbst
redete, fuhr fort: »es ist seltsam, Jeder wünscht sich etwas Anderes,
als was er besitzt, tadelt nebenher fremde Eigenthümlichkeit: und wir
Alle haben, was wir brauchen. Ausgerüstet für unsere Bestimmung, treten
wir in den Kampf der Welt, und an dem Keime unserer Neigungen und wie
sich diese entwickeln: daran wäre die Frucht unseres Lebens, ach, die
bittere oft! zu erkennen, wenn wir fleißiger nach Innen blickten. Die
beschauliche Stille des Klosters führt auf solche Betrachtungen.«

»Der Klosterzwang hatte auch sein Gutes,« sagte Fabia mit einem Seufzer
über die Willkür, unter der sie zu leiden wähnte, »und was man immer
davon sagen mag, bis auf einen gewissen Punkt hält er doch zusammen. Wo
aber die Meinungen so durchaus verschieden sind in Sachen der Seele und
Seligkeit, auf der Höhe der wahre Gott angebetet wird, unten aber dem
Baal geopfert --« Fabia stockte und sprach nicht vollends aus.

_Wie_ lächelte die Nonne bei dieser Rede! Sie antwortete mit verhaltenem
Tone: »unser Kloster ist nicht mehr -- sein Altar steht nur noch in
meinem Herzen; dennoch Frau Fabia, wenn ich der Wahrheit die Ehre geben
will: so muß ich bekennen, der Friede ward hier nicht gefunden, sondern
nur gesucht, und höchstens _gelernt_. Wir Alle müssen Geduld mit
einander haben. Und wie von den tausendmal tausend Ehen, die auf Erden
geschlossen werden, jedes Mägdlein sich den Verlobten aus eigener Liebe
oder besondern Gründen nimmt: so ist auch der Herr jedweder Seele, die
sich ihm weihet, ein Anderer. Der Schleier hüllt nicht immer das Heil
derselben ein -- viel öfterer ein Herz voll Wunden -- und die einsame
Zelle verbirgt zuweilen einen Stachel, der sich selbst zu Tode trifft.
Wenn die Menschen große Prüfungen herbei ziehen wollen: so dürfen sie
nur Zank und Zwistigkeit über ein Geringes erheben. Manchmal dachte ich:
es muß ein Unglück kommen, und es kam. Da fühlten wir das Band unserer
Verbindung, und der Riß ging durch das Leben.«

Während Schwester Veronica also sprach, hatte Frau Fabia sich mit der
nun fertigen Guirlande, die sie wie ein Feston schwebend trug, dem Bilde
Martin Luthers genähert, um diesen Schmuck daran zu befestigen. Das
Blumengewinde, von seiner eigenen Wucht niedergezogen, glitt abwärts,
ehe Fabia es dem Rahmen anpassen konnte, und die Nonne daneben leistete
ihr mit freundlicher Toleranz Beistand, den Mönch von Wittenberg
zu bekränzen. Diese Huldigung ward von Seiten Fabiens emsig, doch
schweigend dargebracht. Auch Schwester Veronica verstummte, und richtete
den Blick starr auf das Portrait, welches einer andern Erinnerung
aufhalf, als der, die sie großmüthig zu vergessen schien.

»Warum ich eigentlich gekommen bin --« sagte sie mit einem gastlichen
Geheimniß in der Miene: »man geräth ins Plaudern und ein altes
Gedächtniß wird schwach. Sie haben mir versprochen, mich zu besuchen,
Frau Fabia, mit Josephine -- und Theresen! So lade ich Sie hiermit ein,
auf eine Schale Thee, um fünf Uhr, wenn Sie so gütig seyn wollen. Ich
bin am Feuer gewesen, Sie sehen es mir noch an. Meine lieben Gäste,
auf die ich hoffe, zu bewirthen, habe ich Olyppen gerollt und mürbe
Schneetörtchen ausgesetzt, mit Kirschmuß gefüllt, weil ich weiß, Sie
mögen dies Gebäck gern.«

»Kirschmuß?« fragte Fabia zerstreut doch dankbar, und der schwarze Groll
in ihrem Herzen war unterdessen in Süßigkeit zergangen. Der Gedanke
rührte sie, die Nonne wolle ihr, ob auch verschwiegenermaßen, doch nach
echtcatholischer Weise, den Namenstag des Reformators feiern -- eine
Selbstverleugnung, der die lutherische Fabia schwerlich fähig gewesen
wäre. Sie antwortete demnach: »Ihre Güte beschämt mich, Schwester
Veronica; ich nehme, was mich betrifft, die Einladung mit Vergnügen an,
doch würde ich auch zu jeder andern Zeit -- -- --.«

»Nein,« erwiederte die Nonne sanft beharrend: »warum also nicht heute?
Sanct Martin will auch sein Recht haben. Es hat große Männer dieses
Namens gegeben. Papst Martin der Fünfte ritt ein weißes Roß -- daher
vielleicht das volksthümliche Sprüchwort: Sanct Martin kommt auf dem
Schimmel; was so viel sagen will, als: daß oftmals zu Martin der erste
Schnee fällt. Von meiner Kindheit her war dieser Tag mir immer eine
kleine winterliche Vorfeier des heiligen Abends; ich jauchzte, wenn die
ersten Flocken die stille Luft einschleierten; dann ward es mir so traut
und heimlich düster im Zimmer, ich schmiegte mich in meinen Winkel,
spielte Kloster und betete das Christkind an, vor dem ein Paar kleine
Lichter brannten. Die Mutter schenkte mir deshalb stets den angemalten
Wachsstock voraus.«

Bei dieser Rückerinnerung lächelte die alte Nonne fast kindlich. Sie
glich in diesem Augenblicke einem Wachsbilde.

Frau Fabia aber fragte nachdenklich: »war jener Papst, dessen sie
erwähnen, mit dem heiligen Martin, den Ihre Kirche verehrt, Eine
Person?«

Schwester Veronica verneinte es und sprach: »der sogenannte heilige
Martin war ein Muster aller Tugend, ob zwar ein geborner Heide. Er
schenkte einst einem Armen, der ihm in erbarmungswürdiger Blöße unter
den Thoren von Amiens begegnete, die Hälfte seines eigenen dürftigen
Kleides. In der folgenden Nacht erschien ihm der Heiland, und der
göttliche Leib war bedeckt mit diesem halben Gewande. Doch dieses dünne
düstere Grau hing in den schönsten Farben zusammen geflossen über der
Schulter des Gekreuzigten, wie ein Regenbogen am Himmel; Glanz erfüllte
das Gemach --« die Augen der Nonne schimmerten.

»Der mildthätige Mann,« entgegnete Frau Fabia, »wird an die Worte der
Verheißung gedacht haben: was dem Geringsten meiner Brüder geschieht,
soll mir gethan seyn.«

»Noch war er nicht getauft; aber es geschah alsbald,« antwortete die
Conventualinn, welche ihren frommen Wunderglauben durch diese biblische
Erklärung angegriffen sah. Der Gedanke an den Unterschied ihrer
religiösen Meinungen drängte sich in die Lücke des Gesprächs, dann fügte
Schwester Veronica hinzu: »auch Martin von Amboise war ein berühmter
Mann --.«

Frau Fabia erstaunte nicht wenig, diesen Namen, der in den tiefsten
Saiten ihres Herzens Anklang fand, aus diesem Munde zu hören.

Die Nonne war im Begriff zu gehen, vielleicht fürchtete sie auch nur
abzuhalten. Personen, welche die meiste Zeit haben, machen in der Regel
die kürzesten Besuche und sind überall eilfertig. »Um fünf Uhr, Frau
Fabia, ich bitte!« sagte sie, bereits an der Schwelle, »und Therese?«

Mit dieser Frage schien sich heute jede Unterredung für Fabia zu
schließen. Sie sprach: »ich werde ihr die Einladung mittheilen und
meinen Wunsch, daß wir als gute Freunde zu Ihnen kommen.«

Schwester Veronica lächelte friedselig zu diesem Versprechen. Sie nickte
noch einmal und verschwand.

Während dieser Unterhaltung war der Administrator, sobald das Geschäft
welches seine Gegenwart erfordert fordert hatte, beseitiget worden, mit
starken Schritten allein in seinem Zimmer auf und nieder gegangen. Da
trat Major Feldmeister bei ihm ein, Einer der pensionirten Offiziere,
ein Hausgenosse des Stiftsverwesers, und diesem der liebste. Nicht der
Krieg hatte den wackern Ingenieur zum Invaliden gemacht, oder die höhern
Jahre, in denen er stand; er war bei einer Uebung der Artillerie gelähmt
worden.

»=Bon jour=, Freundchen! störe ich?« rief der alte Feldmeister, indem
er sich langsam durch die Thür schob; dicht neben ihm drängte sich sein
großer Pudel von infernalischer Schwärze, heran: gleichsam der Dritte in
diesem Bunde.

Der Administrator begrüßte den Besuch wie einen gern gesehenen,
und streichelte den Faust, so hieß der Hund -- der Täufling eines
Kraftgenies, das weder an Göthe noch Klingemann, oder irgend einer
Klinge Anstand genommen hätte, den Schwarzkünstler in seiner Art, also
zu benennen. »Schön, aber verteufelt kalt heute!« bemerkte der Major,
und glitt ein wenig wankend und mit einem Zuge von Schmerz um den
eingekniffenen Mund in einen nahen Sessel.

»Ich wollte nur --« sagte er tiefathmend, »ich hatte mit Ihnen zu
sprechen, ehe ich am Ende sitzen bleibe im Winterquartier: denn seit
gestern, wo ich, wie Sie wissen, noch in Leidthal war, verspüre
ich Gichter im Knöchel.« Der Pudel entzog sich der Liebkosung des
Administrators, und lagerte sich zu den Füßen seines Herrn, den zottigen
Umhang des Ohres an die kranke Stelle geschmiegt, als wolle er das
leiseste Necken heraus hören, und mit einem drohenden Blicke höllischer
Melancholie in den röthlichumzogenen Augen knurrte er vor sich hin, als
wolle er dem Weh, welches der Major männlich verbiß, rathen, nicht
allzu nahe zu kommen: denn ein Funken himmlischer Treue belebte diese
hündische Seele.

»Es wird hoffentlich nur ein wenig Rheuma seyn,« erwiederte der
Administrator tröstend auf jene Klage, »ein gelinder Schweiß hilft es
heben,« dabei trocknete er sich die Stirne, und verbarg eine verstörte
Miene in dem feinen Tuche.

»Wie es scheint, Freundchen,« sagte der Major und lächelte: »sind Sie
selbst in Transpiration -- oder in Angst? das verhüte Gott!«

»Die Weiber haben mir den Kopf warm gemacht« -- sprach Jener heftig: »es
kostet Kampf, mit ihnen fertig zu werden.« Bei diesen Worten rückte er
ein Kästchen mit Cigarren dem Gast zur Hand, und drehete den Hahn an der
Maschine von Wasserstoffgas wie mit zürnender Vollkraft, daß der Strahl
erschrocken heraus sprang. Es geschah dies mit unbewußtem Nachdruck
des Gedankens, er sehe sich genöthiget, ihnen den Daumen aufs Auge zu
drücken.

»Glaub's gern,« antwortete der Major gleichmüthig, und schickte sich
ohne Umstände zum Rauchen an. »Man hat mit Einer zu thun. Sie stecken
mir da wahrhaftig in jedem Sinne ein Licht auf. Oft schon habe ich
gedacht, wie Sie nur Friede erhalten mögen unter den Frauen? Feuer und
Wasser sind nicht so verschieden wie diese Beiden, und Josephine« --
der Blick des Majors streifte den gläsernen Globen -- »ist ein Kind des
Lichts, eine Tochter der Lust, so zu sagen: denn man weiß nicht, woher?
von wannen? genug, die Kleine ist Gott Vaters Ebenbild -- und die Frau
Schwägerinn eine wackere Stiefmutter.«

Herr Prälat schien das Letztgesagte nicht vernommen zu haben. Er starrte
vor sich hin, als dächte er diesem zweideutigen Lobe nach. Der Major
fuhr fort: »wenn es denn irrdischen Eigenschaften nachgeht: so muß
Frau Fabia einst Schaffnerinn im Himmel werden. Sie ist eine treffliche
Wirthinn, das muß wahr seyn. Und diese Ordnung, diese Stille --
aber Freundchen, der Mensch lebt nicht von Brod allein. Wenn Sie nun
heirathen? wird eine Frau sich dies Regime gefallen lassen? und eine so
hübsche Mitregentinn wie Therese dazu? schwerlich. Sie dächte wohl,
Jene führte den Scepter im _Hause_, Diese trüge die Reichs-Insignien
im _Herzen_ des Mannes, und so wäre sie nur gleichsam eine
Schattenköniginn.«

»Es wird nicht geschehen,« versetzte der Administrator halblaut,
ohne sich deutlicher zu erklären, ob er das Heirathen, oder diese
Vertragsamkeit meine.

»Es taugt nicht,« fuhr, nun im Zuge, der alte Feldmeister fort: »sich
vor der Zeit mit Familien-Verhältnissen zu befassen. Frei muß der Mann
seyn, ehe er freit! eine ganze Sippschaft Vettern und Basen rückt
ihm mit dem Hochzeittage auf den Hals. Meine selige Frau hatte keine
Geschwister, und kaum war ich ein Jahr mit ihr verheirathet: so däuchte
es mir, ich hätte das leibliche Kind der Mutter Eva zum Weibe genommen:
denn das Menschengeschlecht kam, und wollte mit mir verwandt seyn.«

»Mein Schicksal ist ein Schlangenknoten, schon um meine Wiege
geschürzt,« entgegnete der Administrator düster: »und wenn ich den Lauf
meines Lebens überdenke: so scheint es mir, ich sey bestimmt, unter
falschen Maximen zu leiden. Urtheilen Sie selbst!«

Herr Prälat war in einer jener Stimmungen, welche dem nächsten Zufall
den Schlüssel giebt, auch ein verschlossenes Herz zu öffnen. Zumal war
dies Herz gepresst wie noch nie; er kannte den Major als einen wackern
Mann, und so genügte er dem Bedürfniß des Vertrauens. Indem er eine
Tabackpfeife ergriff und lächelnd den Kopf des Mustapha, genannt der
Fahnenträger, betrachtete, sagte er: »kein Unterschied des Glaubens,
kein religiöses Vorurtheil, und was aus dieser oder jener Gattung für
das Leben hervorgeht, ist mir fremd geblieben, den Islam ausgenommen --«
hier knurrte Faust, und schnappte wie nach dem Schall dieses Wortes.

Der Administrator setzte sich dicht an die Seite des Majors und sprach:
»Mein Vater soll ein Freigeist gewesen seyn -- ich will es nicht
bezweifeln: denn der Gott in meiner Brust war kein kindliches Erbe,
sondern der Segen der Natur. Ziemlich jung noch hatte er eine Wittwe
geheirathet, die bedeutend älter war.«

»Taugt nicht, Freundchen,« schaltete der Major ein, und Jener fuhr fort:
»diesmal taugte es wirklich nicht, obwohl ich sonst schon gesehen habe,
daß dessenungeachtet das Glück einer Verbindung bestehen kann. Ein
wesentliches Mißverhältniß entgegengesetzter Art machte diese Ehe
unglücklich. Die Frau war coquett und lebenslustig für ihre Jahre,
mein Vater weltsatt und ungesellig für die seinigen. So gab es
keinen Einklang zwischen ihren Meinungen, und endlich nur den
einer Scheidestunde. Sie trennten ein Band gesetzlich, was bereits
unauflöslich war: denn meines Vaters Frau sollte nach längerer Zeit
ihrer Verheirathung jetzt Mutter werden. Der Verdacht der Untreue, der
meinen Vater bestimmte, sich unter diesen Umständen von seiner Gattinn
loszusagen, muß durch dringende Beweismittel unterstützt worden seyn:
denn er ward von Seiten der Behörden nicht verpflichtet, sich ihrer
weiter anzunehmen, oder für das Kind zu sorgen. In öder Vereinzelung
ging ihm nun ein langer Zeitraum hin. Er war ein ältlicher Mann
geworden, da kam ihm der Gedanke, sich wieder zu verehlichen, und er
wählte ein blutjunges Mädchen, meine liebe Mutter.«

Der Administrator hielt inne und seufzte tief.

»Taugt wieder nichts,« brummte der Major sich in den Bart: »hätte ihn
nicht nehmen sollen, die arme Kleine.«

»Mein Vater war wohlhabend -- und meine Mutter eine abhängige Waise,«
versetzte ihr Sohn mit gebundenem Athem: »Gott trat in's Mittel -- meine
Geburt gab ihr den Tod.«

»Armer Freund!« sagte der Major weich: »so haben Sie das Treueste auf
Erden nicht gekannt.«

Der Administrator schwieg einen langen Moment und fuhr dann fort: »mit
einer wahren Todesverachtung wiederholter Trennungen heirathete mein
Vater alsbald zum drittenmal. Ich war als ein schwächliches Kind, was
mühsam behandelt werden mußte, zu der Schwester meines Vaters gekommen,
der Frau eines Predigers auf dem Lande. Einst ward ich aus einem
harmlosen Spiel empor gerissen, es hieß: der alte Schreiber meines
Vaters wäre da, mich zu holen; mein Vater läge im Sterben, und wolle
mich noch _einmal_ sehen. Lieber Gott! er hatte mich noch _niemals_
gesehen, seit ich denken konnte. Man kleidete mich an, ein ärmlicher
Flechtenwagen hielt vor der Pfarre; ich ward hinein geworfen. Die
verschrumpfte Gestalt des Schreibers saß neben mir, oder lag vielmehr
wie eine faule Birne auf dem Stroh. Er schlief den ganzen Weg, ich
wachte mit regen Sinnen, Bäume und Berge flogen an mir vorüber -- die
Reise war mir wie ein wüster Traum. -- Die Scene meines Empfangs schwebt
auf jede Weise dunkel vor meinem Gedächtniß. Das Krankenzimmer öffnete
sich mir. Eine spanische Wand verbarg das Bett, worin der Vater lag, und
dem Sterbenden einen bittern Anblick. Eine hochbusige Frau probirte eine
schwarze Florhaube vor dem Spiegel, der dieses eitle Bild der Trauer
verdoppelte. Ein schöner etwa dreijähriger Knabe saß auf dem Boden und
stieß, als ich eintrat, in eine kleine Trompete von Blech, als wolle
er der Herold meiner Ankunft werden, und als fände nicht die geringste
Berücksichtigung Statt, welche die Achtung der Stille erheischte. Welche
Macht über die Erinnerung üben Kleinigkeiten aus! glauben Sie es wohl,
Major? vor jenem gellenden, schrillenden Hall sinken, wie einst zu
Jericho -- noch heut die Mauern meiner Seele ein, und ein Gedanke dieses
Augenblicks voll Grauen, voll Schmerz, durchdringt mich.«

Der Major nickte zweimal, als kenne er das und Aehnliches.

»Ich trat verdutzt« erzählte Herr Prälat weiter: »an das Lager meines
Vaters, mit einer dumpfen Empfindung von Mitleid, Angst und Ehrfurcht,
nicht unähnlich der, womit man sich zum erstenmal dem sogenannten
heiligen Grabe nähert. Er lag wie ein =Ecce homo= darin. Seine Augen
waren umflort, und ruhten schon in der tiefen Höhle des Todes, seine
Glieder ohne Leben wie von bleichem Holz. Er reichte mir mit letzter
Anstrengung die feuchte schwere Hand. Am andern Morgen sagte man, mein
Vater wäre gestorben. Es war ein großes Begräbniß, ich ging unbetrübt
hinter seinem Sarge, kindlich stolz, das erstemal öffentlich
aufzuziehen. Meine Verwandten waren auch gekommen; des andern Tages war
ein großer Zank; ich erinnre mich, daß meine Tante ein niederschlagendes
Pulver nahm. Sie war eine robuste Frau und stets gesund, nie kam
ein Arzt über die Schwelle des Pfarrhauses: so gab dies unschuldige
Präservativ mir den Begriff einer ungeheuern Alteration. Mein Oheim
besaß mit seiner Pfarrstelle eine Widmut, auf der ich mir die ersten
Kenntnisse der Oekonomie spielend erworben habe. Meine Tante war mit
Leib und Seele Landwirthinn; das liebe Vieh gehörte gleichsam zu unserer
Familie. Sie hatte ein eigenes Idiom, sich jedem Geschlecht ihrer
Hofhaltung verständlich zu machen. Es heißt gewiß ihrer Sorgfalt für
mich den größten Ruhm beilegen, wenn ich sage: sie habe mich mit diesen
Pfleglingen in eine Cathegorie gestellt. Das ist deine Amme gewesen,
Cölestin! sagte sie und deutete auf eine schwarz und weiß gefleckte Kuh,
die vergessend ihrer Segnung, an mir vorüber schwenkte. Ein ägyptischer
Schauer rieselte dann durch meine junge Seele; die Tante, obgleich sie
eine wackere Christinn war, hätte es, glaube ich, gutgeheißen, wenn man
den Sultan Wampum der Heerde auf Knieen verehrt hätte. Standen wir an
lauen Sommerabenden am Wasser, und eine Henne lief mit dem Glucken der
Angst vor Gefahr am Ufer hin und her, weil die zarten Entlein, die sie
ausgebrütet, ihre ersten Schwimmversuche machten -- so sagte die Tante:
das ist eine bessere Stiefmutter als Deine, armer Junge! -- Dann ward
mir so sonderbar weh zu Muthe, und ich wünschte mich hinab in den
dunkeln Teich, wo er am tiefsten ist. Mit welcher Empfindung belauschte
ich, ein Knabe noch! die geheimnißvolle Zärtlichkeit in einem
Schwalbenneste! das Zwitschern des mütterlichen Vogels war mir wie der
magische Laut einer Welt, aus der ich verstoßen wäre; das geringste
Geschöpf schien mir neidenswerth, welches mir Kunde geben könnte von
jener Heimath, nach der ich mich sehnte, ohne sie zu kennen. Das Gefühl
_schützender Liebe, wie die Natur sie lehrt_, wurde zu einer Grundidee
in mir, zu einem Princip, welches später meine Handlungen leitete.«

»Armer Freund!« sagte der Major abermals mit Blicken voll rauhen
Mitleids, und ein leiser Ingrimm zuckte in seinen Mundwinkeln, als er
eine neue Cigarre abknirschte, »so hatte die Tante kein Herz für Sie?«

»Ein Herz wohl,« antwortete Jener, »aber nur für meinen Leib, nicht für
meine Seele. Der äußere Bedarf galt ihr alles, wie das häufig bei Frauen
dieser Art der Fall ist. Sie hatte eigene Kinder gehabt; vielleicht war
die Stelle dieses Verlustes zu lange schon vernarbt -- und Narben werden
Härten.«

»Nun, und der Oheim?« fragte der Major theilnehmend weiter.

»Mein Oheim,« erwiederte der Administrator mit sinnendem Auge, »war ein
liebenswürdiger Greis von einer wahrhaft patriarchalischen Einfalt der
Sitten. Seltsam! wie ein so schlichter charakterfester Mann sich in die
künstlichen Folgerungen eines Systems verwickeln können, so daß er mit
sich selbst im Kampfe lag. Er war ein geheimer Anhänger Mesmers, und
ging im Forschen der wunderreichen Kräfte, welche dieser Producent
zum Wohl der Menschheit darthat, weit genug, um bis an die Quellen der
christlichen Offenbarung zu dringen. So hielt er den Messias für einen
außerordentlichen Magnetiseur, den Tod am Kreuze für Somnambulismus, die
Jünger für Hülfsärzte pro Secundo -- und jede That des Heils für eine
Wirkung dieser mysteriösen Kraft. -- Wohin verirrt sich oftmals ein
reger, nicht genugsam beschäftigter Geist! Das Consistorium mogte
schwerlich eine Ahnung davon haben: denn mein Oheim galt für ein Muster
lutherischer Seelsorge und des unverfälschten Glaubens. Doch um die
Göttlichkeit seiner Lehre war es gethan. Der Schmerz des Wissens, der
Durst nach Wahrheit gab seinen Vorträgen eine Inbrunst, die sich
seinen Zuhörern mittheilte. Das Zutrauen, dessen er genoß, grenzte an
Wundergläubigkeit und erstreckte sich weit über die Feldmarken seiner
Diöcese hinaus. Er ward verfolgt vom Neide seiner Amtsbrüder. Nach
seinem Tode fanden wir ganze Bündel Schmähschriften der benachbarten
Geistlichen an ihn, die er mit ordnender Ruhe unter Rubriken der
Gehässigkeit gebracht hatte. Ein kleiner Auftritt ist mir eingedenk
geblieben. Eines Sonntags nach dem Gottesdienst kam eine Fischersfrau,
die zwei Meilen von unserm Dorfe am Ufer des Flusses wohnte, weinend zu
meiner Tante. Der Mann wartete draußen. Diese Leute scheueten den langen
Weg nicht, um eine Predigt in der hiesigen Kirche zu hören, wo sie
ermüdet oftmals nur mit knapper Noth ein Plätzchen zum Sitzen fanden.
So wären sie auch, erzählte die Frau, seit geraumer Zeit hierher zur
Communion gegangen, und mein Oheim hätte die fremden Gäste am Tische
des Herrn geduldet. Nun aber habe der Pastor des Ortes, wohin das Ufer
eingepfarrt sey, sie kommen lassen, mit Vorwürfen empfangen, und hart
bedroht, daß sie ihm den Beichtgroschen entzögen. Er wolle eine grobe
Epistel an meinen Oheim schreiben und sich dies in Zukunft verbitten.
Was sagen Sie zu diesem Hirtenbriefe? jener Geistliche war ein communer
Neidhammel. Die Fischerinn schluchzte und sagte: nun habe der Herr
Pastor, (mein Oheim nämlich) sie heute freundlich ermahnt, ihm fürder
keinen Verdruß zu machen; dann setzte sie entschlossen hinzu: ehe ich
aber das heilige Abendmahl wo anders halte, so lasse ich es ganz und
gar, es muß ja nicht seyn.«

»Blitz! da schlage doch das Wetter drein!« rief der Major mit
Indignation: ȟber die Pfaffen! die lutherischen auch -- es ist all
Eins. Einer armen Seele den Trost Gottes vorzuenthalten, weil sie ihn,
wie billig, nicht aus einer schnöden habsüchtigen Hand empfangen will!
-- Da wird ja der protestantische Altar zu einer Tetzelsbude, einer
Kleinkrämerei von Nichtswürdigkeiten. Unter uns gesagt, Freundchen!
ich kann die Schwarzröcke nicht leiden. Der Teufel hole den geistlichen
Hochmuth!«

Der Administrator lächelte still. Er sah ein stummes Weilchen mit
seitwärts gesenktem Kopfe auf den Turban des Muselmannes nieder, der
umwunden von dem Dampfe seiner Pfeife nur bläulich schillerte, wie eine
gestorbene Perle. Dann fuhr er in seiner Erzählung fort: »solchergestalt
ward mir die Theologie verleidet, die ich nach dem Wunsche meiner
Verwandten studiren sollte. Es mischte sich mir ein fixer Gedanke von
Haß, Hader und ekler Widersacherei in diesen Stand des Friedens. Die
Widmut theilte anderer Seits mein Interesse für den geistlichen Beruf,
und schadete demselben in gleichem Grade, worin sie nützte. Wo blühet
auf solchem Mistbeet die Lilie des ungefärbten Glaubens? die Rose zu
Saron stehet nur im tiefen Thale des Gemüths, einsam und heilig.
Den Haushalter über die Geheimnisse Gottes dachte sich meine
scheue Hochachtung abgesondert in Gedankenstille von der gemeinen
Menschenclasse und ihrem niedrigen Bedarf. -- Meine Meinung entschied
sich für den Landbau. Die Gleichnisse und Parabeln der Schrift, in deren
Worten ich von frühester Kindheit an geathmet, waren wie ein Element
religiöser Poesie für jene natürliche Beschäftigung geworden. Die Bilder
vom Sämann, vom Waizenkorn, das in die Erde gelegt wird -- von der
Ernte, den Garben und Schnittern, vom guten Hirten, der das verlorene
Schäflein unablässig sucht: faßte ich im Geiste der Natur. Diese fromme
Weihe, wenn ich so sagen dürfte -- mein christliches Gedächtniß bewahrte
mich vor jener Rohheit, die man oft bei dem Betrieb der Oekonomie
findet, und welche ein wilder Sproß unveredelter Kraft ist. -- Ein
blöder Schüler der Welt, kannte ich nichts Süßeres, als frei wie der
Vogel in blauer Luft nach meiner Weise zu leben. -- Mein Oheim starb --
und mit diesen zwei Augen schloß sich der erste Act meiner Jugend.«

»Es ist mir lieb, daß sich das Blatt nun wenden wird, wie?« sagte der
Major mit voraussetzender Frage und rauchte stärker: »die Erziehung in
den Pfarrhäusern taugt nichts.«

Der Administrator hatte keinen Widerspruch für das Sprüchwort seines
alten Freundes; vielleicht gab er ihm schweigend die Ehre der richtigen
Anwendung. Nach einer kleinen Erholungspause fuhr er fort: »ich kam
nun zu einem Verwandten mütterlicher Seite, der mein Vormund war: dem
Stiftscanzler von Sanct Capella, der als practicirender Jurist in M--.
wohnte. Im Actenstaube grau geworden, war jeder Lebenstrieb in ihm
vertrocknet -- er war ein Hagestolz. Die Gesetze standen leserlich auf
dem brüchigen Pergament seiner Stirne geschrieben, der Blick seines
kleinen Auges, dessen Pupille wie in einem galligten Gelbei ruhete,
hatte eine Profundität, die ihm oftmals den Vortrag seiner Clienten
ersparte -- seine Miene drückte stets auch in ihren wohlwollendsten
Modificationen eine Sentenz zu gemäßigtem Zuchthaus aus, und auf den
geklemmten Lippen wechselte das Urtheil zu Einbuße oder Leibesstrafe;
sie öffneten sich fast nie ohne einen Verlust anzukünden, selbst der
Glückwunsch zu einem gewonnenen Prozesse ward durch den Grimm seines
juridischen Dämons zu einer Drohung. Und dennoch war dieser wunderliche
Mann nicht böse. Er hatte einen ausgebreiteten Ruf, seine Rechtlichkeit
war gefürchtet. Die Beamten auf den Klostergütern zitterten vor ihm,
die guten Nonnen liebten ihn mit Furcht und schmiegten sich in
seinen weltlichen Arm -- er war der Donnergott der Abtei. -- Ein
Geschwisterkind von meinem Vormund und somit auch mir verwandt -- führte
ihm daheim die Wirthschaft; ein liebes altes blasses Mädchen, an das
ich nur mit dankbarer Rührung denken kann. Die gute Beatrix hatte eine
kleine heimliche Hauscanzlei, wo stille Gesetze ausgeschrieben wurden,
und mein Vormund stand unter diesem Kammergericht, ohne daß er ein
stummes Wörtchen davon wußte. -- Beatrix, trotz ihrer subalternen
Anspruchslosigkeit, war die Justitia des Canzlers. Sie that so simpel,
daß man ihr die Gerechtigkeitspflege eines so rabiaten Juristen
nimmermehr zugetraut hätte. Sie konnte nicht anders mit Federn umgehen,
als daß sie beständig welche rupfte oder schließ -- als gälte es das
ewige Brautbett des alten Junggesellen. --

Mein Vormund empfing mich mit logischer Kürze, und wies, weil er eben
dringend beschäftiget war, mich an die Muhme. Sey mir nicht bange,
lieber Cölestin! sagte Beatrix so lind und leidsam, daß ich die künftige
Angst wie im Voraus vergütet fühlte: wenn es Dir auch Anfangs nicht bei
uns gefällt. Der Herr Vetter ist nicht gar so schlimm. Man muß ihn nur
kennen. Einiges will ich Dir aber doch zur Warnung sagen: widersprich
ihm nicht! Du kannst Dir ja Einwand und Rechtsmittel vorbehalten.
Ich mußte lächeln, so jung ich war, über diese Brocken von der
Brodwissenschaft des Vetters, welche die haushälterische Muhme
gesammelt. Dann, sprach sie weiter: hüte Dich, mit dem Stuhle zu
wackeln, wenn Du bei ihm sitzest! ein Erdbeben würde wohl weniger
beachtet, als dies. Endlich lasse nie die Putzscheere unvorsichtig vom
Leuchter gleiten. Ich sage Dir: der liebe Gott läßt eher die Sonne aus
seiner allmächtigen Hand fallen, und schaut großmüthig drein, ehe der
Herr Vetter diesen Fehler vergiebt. -- Ich bebte; welch ein Wütherich
mußte mein Vormund seyn! -- Wir aßen ein kleines vortreffliches
Abendbrod zu Dreien, der Canzler schenkte mir liberal Wein ein, um
mir Muth einzuflößen. Ich saß unbeweglich auf meinem Stuhle und sah
ängstlich hin, so oft Beatrix das Licht putzte. Sie that es jedoch mit
fester Hand und winkte mir zuweilen mit den Augen, wenn ich ein Wort
sagte, was ihr unpassend schien. Nun, Du willst ein Bauer werden, wie
ich höre? fragte der Herr Vetter zwischen dem Essen, und die Frage klang
wie Spott. Beatrix zwinkerte schon wieder verneinend. Du hast dreschen
sehen, da ist Dir die Lust dazu angekommen, mein Junge. Diese Analogie
mit dem Flegel versetzte meiner ökonomischen Liebhaberei einen tüchtigen
Schlag. Studiere nur fleißig! sprach er dictatorisch: es wird sich
alsdann schon finden, was aus Dir werden soll. Nur kein Jurist! dagegen
protestire ich. Bei der Rechtspflege bliebe auch ein Eisenfresser nicht
gesund. Man ärgert sich tagtäglich und lebenslang =ex officio=. Ich warf
einen mitleidigen Blick auf die hagere gekrümmte Gestalt des Vetters,
und glaubte ihm. -- Zu meinem Erstaunen sah ich, daß dieser unwirsche
Mann auch jovial seyn konnte, und dies besonders im Umgange mit seinen
Collegen. Es fand das beste Vernehmen zwischen ihnen Statt, und nie ward
ihm eine Streitsache zu persönlichem Groll. Ich konnte nicht umhin, dies
sehr achtungswerth zu finden und dabei an die unaufhörlichen Zänkereien
der theologischen Herrn Brüder zu denken.«

»Ja, die Juristen sind cordial!« fiel der Major ein, »aber die beste
Cammeradschaft bestehet doch unter dem Militair. Da, wo der Tod
Hauptmann ist, schließen sich die Glieder eng zusammen -- und Gewalt
geht vor Recht.«

»Ich fragte mein Mühmchen einst,« setzte Herr Prälat fort, »warum der
Vetter denn nicht geheirathet hätte? -- Das sey Gott zu danken -- meinte
Beatrix und lächelte mit Gleichmuth. Sie ertrug schon ein halbes Säculum
seine hypochondrischen Launen. Er habe so viele Ehescheidungen amtlich
behandeln müssen, daß ihm ein Abschmack -- _Abscheu_ wollte sie
vermuthlich sagen -- vor dem Ehestand angekommen sey.«

»Taugt nichts,« unterbrach hier der Major seinen Freund, »mit einer
Sache zu genau bekannt seyn, die Illusion fordert. Köche haben in
der Regel den wenigsten Appetit. Jeder prüfe sein Selbstwerk! -- die
Unerfahrenheit ist auch manchmal gut.«

Ohne sich durch diese eingestreueten Bemerkungen aufhalten zu lassen,
fuhr der Erzähler fort: »wirklich überzeugte ich mich, welche üble
Meinung der Canzler von dem weiblichen Geschlecht hätte. Er nahm mich
zuweilen mit nach Sanct Capella -- die Aebtissinn vergünstigte es.
Als wir einst ein wenig illuminirt das Kloster verließen, der ganze
versammelte Convent Kopf an Kopf gedrängt uns nachsah, mein Vetter noch
einmal zurück grüßte, wendete er sich von dieser Verbeugung zu mir, und
sprach listig: gut für manchen wackern Mann, daß Ihr hier aufgehoben
seyd im christlichen Harem, Ihr verschleierten Engel! das Stift, glaube
es mir, Cölestin! ist eine wahre Büchse der Pandora. Sollten sich diese
goldnen Thüren einmal öffnen: Hu! welch ein Heer von Plagen würde da in
die weite Welt herausstürzen! -- Ich habe dieser Worte später
gedacht. Es war ein Seherblick gewesen, den der Canzler damals auf die
verschlossenen Pforten warf. Auch war jene kleine frivole Tücke gegen
die gutherzigen Cisterzienserinn nicht etwa der Ausdruck eines Spötters
in Glaubenssachen. Die Religiosität meines Vetters -- er war Catholik --
war der geheimnißvolle Respect vor einer himmlischen Gerichtsbarkeit, an
die er in terriblen Augenblicken appellirte und: _gerechter_ Gott! sein
höchster Ausruf.

Ich lebte eine Reihe Jahre in der That glücklich im Hause meines
Vormunds, und danke ihm viel. Dieser strenge Geschäftsmann gab mir
privatim ein Beispiel der Toleranz, was mir damals eben nöthig war. Er
haßte alles Absprechen nicht nur an Andern, er vermied es auch an sich
selbst. Ich äußerte ihm einmal ehrerbietiges Bewundern und ein Wörtchen
mit Bezug auf meine früheren Erfahrungen entschlüpfte mir. Er lächelte
und sprach: Du mußt wissen, mein Söhnchen, daß diese Eigenschaft einen
wesentlichen Unterschied zwischen den Facultäten bemerklich macht, und
unsern Beruf gewissermaßen austauscht. Die Theologen sind in der
Regel Richter, was sie nicht sollten; -- _wir_ dagegen vertreten nach
Christenpflicht und von Amtswegen die Fehler und Fährlichkeiten des
Nächsten. _Sie_ lassen ihr Licht leuchten vor den Leuten -- _wir_
gebrauchen es nur, um auch dem finstersten Falle eine Seite der
Entschuldigung abzusehen.«

»Wahrhaftig in Gott! da hat er Recht!« rief der Major aus überzeugtem
Drang des Herzens.

Der Administrator schwieg, als wäre diese Mittheilung nun abgebrochen,
und sah lange weitschauenden Blickes vor sich hin. Dann hob er mit
verändertem Tone an: »ich studirte Cameralia -- ging auf Reisen -- welch
eine Welt liegt zwischen diesen schmalen Grenzen auf der Charte meines
Lebens! -- Ich hatte einen Freund -- --« ein tiefer, schwerer Odemzug,
wie wenn dies Wort sich nur mit Ketten aus dem Born der Seele wände.

Der Major besaß bei einer rauhen Außenseite den zartesten Sinn der
Freundschaft. Er sagte: »falscher Conjunctiv, Freundchen! Sie _haben_
einen, der nicht alles zu wissen braucht. Lassen Sie ruhen, was sich
nur mit Seufzern heben läßt. Taugt nichts, erschöpftes Vertrauen. Ich
wünsche nur noch zu erfahren, wie Sie eigentlich zu der weiblichen
Drei-Uneinigkeit gekommen sind? Josephine, das friedsame Täubchen! ist
nicht in diesem Zwiespalt begriffen. Sie ist auch hier als der heilige
Geist die schwächste Person dieser Trinität und eine wahre Vergebung der
Sünden. Wie?« fuhr der Major abstrahirend fort: »ists nicht so? werden
nicht dem heiligen Geist selbst im Glauben nur flüchtige Honneurs
gemacht?«

Der Administrator lächelte wie ein Leidtragender, dem ein zerstreuender
Tröster von den Verhältnissen des Himmelreichs vorspricht. Er
antwortete: »ich habe meine Geschichte so weit angelegt, daß ich
schwerlich damit an das Ziel gelange. -- Meine hiesige Umstellung
knüpfte sich an Fäden, welche noch mit der vormaligen Einwirkung meines
Vetters, des Exkanzlers, zusammenhingen. Er starb bald darauf. Die gute
Beatrix war längst todt. Man fand sie eines Morgens entseelt, mit dem
Angesicht in eine Wolke von Flaum gesunken. An den starren Wimpern
hingen die zarten Federn; aber sie bewegten sich nicht mehr vor dem
verschlossenen Munde: es schien, als ob sie ohne einen Hauch der
Todesangst verschieden sey. Dieses sanfte plötzliche Sterben in weicher
Pflicht, wie wenn der Schlaf einen Müden überrascht, war die schönste
Gabe ihres armen harten Lebens. So oft mein Vetter mir das erzählte, und
des Anblicks jener befiederten gestorbenen Augen gedachte, die so treu
auf seinen Vortheil gesehen, gingen ihm die seinigen über. -- Meine Lage
als Administrator gefiel mir wohl; sie war gewissermaßen das Resultat
der Ergebnisse meiner früheren Jugend. Hier konnte ich ein Landwirth
seyn im weiten Felde der Industrie, nicht beschränkt auf die Hufe eines
engen Besitzthums, und zugleich ein Diener des Staats, dem ich mit all
meinen Kräften zu nützen wünschte. Meine Vorliebe für diesen Ort war
sich gleich geblieben. Wie oft hatte der catholische Gesang von Sanct
Capella, die heilige Nonnenstille, der Weiheduft andächtiger Mysterien,
den lutherischen Jüngling in mittelalterliche Träume gewiegt! ich war
nun erwacht, und Alles war anders und wirklich. Doch noch jetzt schlägt
die große Glocke mit jenem romantischen Klange tiefe Saiten in mir an,
und wenn Fabia mit dem großen Schlüsselbunde durch den Kreuzgang geht,
muß ich der Pförtnerinn gedenken und jenes kleinen klingelnden Geläuts
in ihrer Hand, welches, meinem Gefühl nach, den Chor seliger Geister
in einem Himmel öffnete, den die Welt fälschlich für ein Grab der
Lebendigen hielte. -- Wie öde reformirt war nun das schöne Stift, wie
profan geworden! -- ich schützte mit Pietät, was noch aus dem Umsturz
jener Verhältnisse zu erhalten war. Die Hand, welche leise und achtsam
an das heilige, das genommene Recht rührte, war desto eifriger, wo es
den Ertrag der Grundstücke galt. Man sprach davon: es sey im Werke,
das pompöse Gebäude zu einer Strafanstalt, einem Spinnhause,
herabzuwürdigen; diese Möglichkeit empörte mich. Dann sollte es zu
einer Seidenfabrik benutzt werden, endlich wolle man, hieß es, eine
chirurgische Pepiniére daraus machen. Ich kam den Behörden mit einer
Proposition von meiner eigenen Idee zuvor. Solle es denn nun einmal hier
gesponnen oder geschnitten seyn: wohl! so gebe man den Parzen Wohnung,
und lasse verdiente Offiziere hier leben und sterben. Dann zieht die
Ehre ein und nicht die Schmach, und statt Mühe, Plage und Schmerz webt
in diesen Mauern das Seidenleben der Ruhe. -- Es wurde provisorisch
zugestanden.«

Major Feldmeister reichte dem Administrator mit einem gerührten Blicke
die Hand und sagte kein Wort. Er dampfte nur einen unendlichen Qualm
aus, als wollte er sagen: »bis an meinen letzten Athem werde ich Dir
dies danken.«

Und der bürgerliche Prälat der einst gefürsteten Abtei sprach: »ich
orientirte mich nunmehr. Das Drängen der ersten Einrichtung ließ mich
wenig zu mir selbst kommen. Es waren Rückstände zu bearbeiten, mein
Vorgänger hatte lange darnieder gelegen -- auf den versäumten Gütern lag
mehr als ein Feld der Nutzung brach. An geselliges Bekanntwerden in der
Nachbarschaft zu denken, hatte mir noch keine Zeit geübrigt. Es war
in einer Geldangelegenheit von Belang, wo ich gesprächsweise den
Oberförster zu Rathe zog. Das wird Ihnen ihr Vetter, der Rentmeister
in Bühle, am besten sagen können -- meinte er. Mein Vetter? fragte ich
befremdet; ich wußte von keinem. Nun ich dachte nur, antwortete Jener,
weil er eben so heißt, Sie wären mit einander verwandt. -- Dies gab mir
ein Interesse mehr, dieser Weisung zu folgen, und den Mann meines Namens
kennen zu lernen. Ich ritt desselben Tages noch hinüber. Es war im Mai.
Ein Gewitter schauerte über die quellenden Saaten; doch sah ich wohl, es
würde vor der Nacht nicht kommen. Ein eigenes Gefühl von Schwermuth oder
Ahnung preßte mir die Brust, als laste ein nie getragenes Gewicht mir
auf der Seele. So kam ich an den englischen Garten von Bühle. Die Sonne
schoß eben einen goldrothen Pfeil auf das steinerne Windspiel, welches
am untern Ende des Parks auf einem Postamente ruht. Es blickte mit
todten Augen in den flammenden Köcher -- ich weilte einen Moment an
dieser Stelle und dachte: da liegt der Hund begraben! Gott weiß, durch
welche Association der Ideen mich der Gedanke geisterhaft ergriff:
es läge unter den dunkeln Schatten dieses Ortes irgend ein Geheimniß
verborgen, was meiner Theilnahme angehöre! -- Das große gothische
Schloß, die Colonnade vor den Wohnungen der Beamten, schien mir schön
aber düster, und ich gab dies Clair-obscure meiner innersten Auffassung
der frühlingstrüben Atmosphäre Schuld. Innerhalb der Gehöfte war es auf
die bängste Weise still, nur der Brunnen machte ein kühles Geräusch
und die Wasserkufe schäumte über. Ich sah Niemand, den ich nach dem
Rentmeister fragen konnte. Da öffnet sich leise eine Thüre hinter der
Colonnade, ein Mädchen, kaum jungfräulich erwachsen, tritt hervor, ein
feines Glas in der zarten weißen Hand, und wirft einen schüchternen
Blick auf mich, den Mann zu Pferde. Es liegt etwas Poetisches, Major,
in dem Anblick eines schönen Kindes am Brunnen; der Durst des Herzens,
worin er auch bestehe, wird dadurch gelöscht. -- Ich fragte höflich,
ob ich den Rentmeister zu Hause anträfe? die Kleine nickte -- es war
Josephine.« Jetzt nickte auch der Major.

»Ich band mein Pferd an eine Säule und folgte ihr. Sie bat, daß ich
einen Augenblick verziehen mögte, denn der Vater wäre krank, und sie
müsse es ihm erst sagen, daß ihn Jemand zu sprechen wünsche. Ich wartete
vor der Thüre zu ebener Erde; drinnen entstand ein ungastfreundliches
Gemurmel, dazwischen hörte ich Josephinens Stimme wie vorbittend.
Endlich winkte sie mir. Ich trat in ein tristes Zimmer. Grüne wollene
Vorhänge verdunkelten es, und warfen noch bleichere Schatten auf einen
kranken Mann, der bei diesen schwülen Wärmegraden in Betten eingehüllt
auf dem Sopha saß. Eine Frau rückte ihm die Kissen zurecht, und schien,
mit Sorgfalt um ihn beschäftigt, sich nicht um den Eintritt eines
Fremden zu kümmern. Der Anblick dieses Kranken erschütterte mich.
Ich stellte mich ihm vor, und fragte beklommen: ob unser Gleichname
vielleicht Grund in einer entfernten Verwandschaft hätte! -- Der
Rentmeister lächelte -- o! furchtbar lächelte er. Seine Antwort lautete:
verwandt? nein, Herr Administrator, wir sind nur _Brüder_. -- Mein Blick
sah ihn mit -- Entsetzen, mögte ich es nennen, auf die Wahrheit dieser
Aussage an; dunkel hatte es mir vorgeschwebt, dieser Mann könnte
der Sohn meines Vaters seyn. Er war gegen mich ein Greis, eine ganze
Lebenslänge schien sich zwischen uns hinzuziehen; doch der verknüpfende
Faden blieb und zerriß in jener Minute mein Herz. Jetzt wußte ich, warum
mir so ahnungsvoll zu Muthe gewesen, was dieser Weg mir aufgebürdet
hatte. Meines Vaters Freiheit hemmte mich wie eine Kette, deren
tausendstes Glied noch getragen werden muß. Mein Bruder! und mir so
todesfremd! -- Getrennte Ehen sind es, welche eine Weltverbrüderung
unmöglich machen, und das Band der Menschheit auflösen. Mit diesem
stillen Bekenntniß legte ich mir selbst das Gelübde ab: scheiden lasse
ich mich nimmer! -- Ich wagte ein brüderliches Wort an den Rentmeister.
Er nahm es nicht auf, und nannte mich _Sie_. Ihr Vater, Herr Prälat,
sagte er, als ginge ihn dieser Name gar nichts an, verstieß mich im
Mutterleibe, und wer einmal unter der Bank geboren ist, kommt nie auf.
-- Diese Worte deuteten mir langes Unglück an und einen zerbrochenen
Geist. Eine Thräne schlich über die Wange seiner Gattin, welche sie
verstohlen abwischte; Josephine schlich leise hinaus. Ich hatte nicht
den Muth, nach seinen früheren Verhältnissen zu fragen. Spät ritt ich
nach Hause. Der Donner rollte krachend, die Wolken waren Feuerschlünde,
es regnete wie mit Giesbächen. Ich empfand wenig von der empörten Natur.
Meine Seele bebte noch unter stärkeren Schlägen, und die einzige Thräne
meiner Schwägerinn hatte mich mehr erweicht, als dieses Sturzbad. Sie
werden leicht denken, daß ich nicht säumte wieder nach Bühle zu kommen;
doch nur langsam gelang es mir, mich meinem Bruder zu nähern und Eingang
in sein Vertrauen zu finden. Seine Frau, ob zwar auch zurückhaltend, war
dennoch freundlicher mit mir. Ich merkte bald, daß sie zu den Stillen
im Lande gehöre, und eben so, wie oft der Unmuth ihres Mannes über eine
Frömmigkeit laut werde, die ihm doch in der Geduld, womit sie seine
Leiden ertrug, zum Seegen gereichte. Aber mein Bruder war menschlichen
Ansehens nach ein Mann des Todes, und sein Gemüth schien mir noch
kränker. Wie viel die Frau für seine Pflege that: eine größere
Kraftanstrengung entwickelte sie, seine Seele zu retten. Sie ließ seinen
Eigensinn und die Natur gewähren, wenn er den Arzt nicht wollte; aber
sie quälte ihn partout mit dem lieben Heiland.«

Der Major schüttelte den Kopf und sprach: »taugt nichts, daß solch
heilige Liebschaft aufdringlich werde; der Mann muß dem besten Freunde
die Thür des Hauses und Herzens selbst aufmachen.«

»Einst kam ich dazu,« fuhr der Administrator fort, »als Beide in
streitendem Gespräch über die verstörende Ursache seiner jetzigen
Leiden waren. Mein Bruder schwieg sogleich; aber Fabia, gestützt auf die
Autorität ihrer Gottseligkeit, konnte nicht abbrechen, ohne weiblich das
letzte Wort zu behaupten. Sie sprach: Sey nur getrost! es wird uns
im Himmel wohl belohnet werden, so man uns um Gerechtigkeit willen
verfolgen sollte. Da fuhr mein Bruder heftig auf. Um _Gerechtigkeit_
willen? Frau, Du faselst! eine Schändlichkeit ist es, die ich werde
verantworten müssen; ich sage Dir: es ist kein größerer Betrug erfunden
worden. Der _Glaube_ an eines Menschen Wort ist mein Unglück gewesen und
mein Elend geworden -- ich will Gott nun nicht mehr versuchen. Es lag
eine Resignation darin, die mich mit kalter Hand durchgriff. Fabia
entfernte sich; ihr Mann fiel erschöpft in einen fieberhaften Schlummer,
ich ging seiner Frau nach. Sie stand im Gärtchen, begoß ein Blumenbeet
mit ihren Thränen und rang in christlicher Verzweiflung die Hände über
den weißen Lilien. Ich redete ihr zu. Fabia verklagte den unbeugsamen
Sinn ihres Mannes, der jedem Gnadenmittel widerstände und nicht arbeiten
möge an seinem Heil. Ein Luftzug führte die leise ängstliche Frage von
ihren Lippen: _ob er nur selig werden wird_? Die Lilien nickten. Ich
sagte, was ich dachte: daß diese Kinder ihres Schöpfers auch nicht
arbeiteten im reinen Glanz ihrer Heiligkeit, und dennoch erständen zur
Frühlingsfreude der verjüngten Erde. --

Fabia schien nicht einzugehen in diesen natürlichen Trost. Sie sagte:
seine Mutter ist lediglich Schuld daran. Diese war ungewiß über den
Vater -- _seinen_ Vater -- darum zweifelt nun der Sohn an Gott! -- So
schob meine Schwägerinn ihren Scrupel, ob ihr Mann das ewige Leben haben
werde, Denen zur Last, die ihm das irdische gegeben. Bald darauf ward es
schlechter mit dem Bruder. Kurz vor seinem Tode übergab er mir die
Sorge für seine Witwe, für sein Pflegekind, legte den Schlüssel zu einem
wichtigen Geheimniß in meine Hände -- dann drückte ich ihm die Augen zu.
Das Recht eines Gestorbenen zu vertreten, darf ich keinen eigenmächtigen
Schritt thun noch gestatten, eine schwere Verpflichtung hält mich
an Fabia fest. Sie sehen also, wie viel mir daran gelegen seyn muß,
Einigkeit unter den beiden Frauen zu erhalten: denn auch Therese -- --«
hier summte die elfte Stunde vom Klosterthurme. Der Major fuhr
elektrisch zusammen, wie von diesem Schlage gerührt. »Elf! ich muß nun
fort, und es wird mir den ganzen Tag seyn, als stäcke ich mit _einem_
Arme nur im Aermel des Rockes. Ich habe dem Hauptmann Moorhausen eine
Parthie Piquet vor dem Essen versprochen, und halte Wort, wenn auch ihm
kein wahres Wort aus dem Munde geht. Das Genie dieser Art muß in den
Endsylben dieses Namens wohnen: Moorhausen! Münchhausen! -- Wie hat er
uns vorgestern wieder belogen! er sprach von seinem Gute in P. -- Wir
lachten unvernünftig. Er nahm es nicht übel -- das war honett. Aber --
Ihre Geschichte, Freundchen ist mir in Wahrheit interessant; der Schutz,
den Sie der Frau Fabia angedeihen lassen, hat seinen gediegenen
Grund, ich bin nur curios, welcher Wind Ihnen die flatterhafte Therese
zugewehet haben mag? -- allzugroßmüthig seyn, taugt nichts.«

Das Reitpferd, worauf der Administrator täglich um diese Zeit die Ronde
zu machen pflegte, ward vorgeführt. Der Major erhob sich mit steifem
Gelenk, Faust schüttelte den schwarzen Mantel. Im Begriff zu gehen,
sagte der Major: »da fällt mir ein, ich habe ganz vergessen, weshalb
ich eigentlich gekommen bin. Ich wollte ihnen auch ein Geschichtchen
erzählen, was fabelhaft klingt: das Mährchen vom gläsernen Pantoffel.
Mein Neffe -- doch jetzt ist's zu spät; wo werden wir nur all' die Zeit
zu den vielen Reden hernehmen?«

»Wir sprechen uns bald wieder --« vertröstete Herr Prälat, und griff
nach seinem Hute. Er hatte sich die Brust doch etwas freier gesprochen.
Es ist gut, wenn sich die Menschen zuweilen des Warums ihrer Bürden
bewußt werden; die Nothwendigkeit, sie zu ertragen, wird ihnen alsdann
klar und leichter.

Sanct Martin war und blieb gegen seine Gewohnheit hell und schön. Sonst
hat an diesem Tage der Himmel Baumwolle feil, und die Luftgeister sind
geschäftig, der Natur eine weiße warme Schlafmütze daraus zu weben. Doch
heute schritt der Herbstheilige, der sonst winterrüstig erscheint, in
heiterer Luftigkeit einher, und grüßte mit dem gelben Sommerhute so
herablassend freundlich, daß die schläfrige Welt munter aufwachte und
träumerisch hoffte, der Sommer wolle noch einmal wieder kommen. Hier und
da zwitscherte ein schlaftrunkener Vogel, robuste Bäuerinnen verbauten
die kleinen Fenster mit Moos, um im Grünen zu arbeiten -- der
klösterliche Invalidenstamm rückte lustig ins Feld.

Schwerlich dürfte der glänzendste =Thé dansant= im schönsten Salon der
Residenz eine wichtigere, wenn auch andere, Beklommenheit der Erwartung
erregen, als bei den Damen des Stiftes der simple Nonnenthee in
Veronicas kleiner Zelle, wohin sie geladen waren. So sind die
Vergnügungen der Geselligkeit, wie verschieden auch gestaltet und
bedingt, sich doch in ihrer Wirkung überall gleich. Zudem machte der
seltene Schritt aus dem engen Kreise heiliger Regel diese Einladung
zu etwas Außerordentlichem, und die stille Geschäftigkeit der
priesterlichen Jungfrau, der Opferrauch ihrer Küche oder _Küchel_,
wie Veronica sie nannte -- legten einen unbewußten und geheimnißvollen
Altarwerth auf den kleinen Theetisch der Nonne.

Als es nun in den gewölbten Räumen des Klosterhauses zu düstern begann,
die Schatten des Abends längs den kalten Wänden hinschlichen, flimmerte
es schon lichterhell in Veronicas Stübchen. Mit dem Glockenschlage Fünf
standen die Schwägerinnen und Josephine an dieser geweihten Thür, hier
wußte man nichts davon, oder wollte nichts davon wissen -- daß ein
verspätetes Erscheinen für bedeutend gelte. Schwester Veronica empfing
ihren Besuch erhitzten Angesichts und mit einer gewissen gastlichen
Feierlichkeit. Die Zelle, noch immer ein geistliches Betstübchen,
hatte nur einen Anstrich von Häuslichkeit bekommen, die jedoch in ihrer
einfachen Beschränkung dem religiösen Charakter der Einrichtung nicht zu
nahe trat. In einer Nische sah seit manchem Jahr die Mutter Gottes mit
dem Kinde auf das jungfräuliche Bett herab; das Waschbecken und die
Wasserflasche von englischem Zinn blinkten in Formen wie Geräthe der
Sacristei, in die blendende Serviette über dem aufgeklappten Tisch war
das Lämmlein mit der Kreuzesfahne gewebt, die Lichter von gelblichem
Wachs warfen kirchlichen Schein, und bei jeder der drei Tassen lag ein
kleiner Blumenstrauß, bei Josephinens aber der schönste. --

Therese, durch den gehabten Zwist und die spät erfolgte Versöhnung
empfänglich gestimmt für den Eindruck solch einer Umgebung, sagte: »wie
heimlich ists hier! wie hübsch! ich könnte gern hier wohnen, einzig
und allein.« Josephine wußte hier Bescheid. Wie mit dem Vorrecht eines
Kindes zog sie die grünen Bettvorhänge auseinander, schmiegte die warme
Mädchenwange an die gesteppte Decke, schlug das blaue Auge gegen die
dunkle Madonna auf -- in diesem Wechselblicke lag eine Welt der
Ahnung -- und flüsterte: »wie traut! wie lieb! ich mögte ewig hier
schlafen! --«

Frau Fabia sagte nichts der Art. Sie bewunderte das Compendiöse dieses
Locals, lobte die Nützlichkeit des kleinen Sparofens, und sah dieser
frommen Clause die häusliche Seite ab. Die Bouquets gaben dieser
Winterstunde einen schwachen Hauch von Sommerduft, und die Damen freuten
sich daran. Man wunderte sich, wie Veronica diese Blümchen so spät noch
erhalten könne.

»Ich war von Kindheit an eine glückliche Gärtnerinn,« erwiederte die
Nonne hierauf, »und schleppte mich mit Pflanzen hin und her, woraus mein
Vater die Folgerung zog, ich würde eine treufleißige Mutter werden, die
da Segen mit der Erziehung ihrer Kinder hätte.« Sie lächelte wundersam,
wie über einen zerronnenen Traum.

»Schade!« sagte Fabia leise. Veronica hatte dies Wörtchen nicht gehört.
Sie machte mit sichtlich gutem Willen, wenn auch nicht mit der Uebung
einer Weltdame, die Wirthinn, schenkte Thee ein, warf Zucker in die
Tassen, und besann sich alsbald, daß sich das nicht schicke, und das Maß
der Süßigkeit dem Geschmack eines Jeden selbst überlassen bleiben müsse.
-- Dann präsentirte sie das lockende Backwerk, von den Schwägerinnen
als trefflich gerühmt. Man bat um die Recepte, inzwischen las Josephine
schon Eines. Sie hatte dies Papier an dem für sie bestimmten Platze
unter dem Sträuschen liegend gefunden; es lautete: »nimm fünf Loth
_Ernst_, zehn Loth _Geduld_, zwanzig Loth _Sanftmuth_, und hundert fünf
Loth _Demuth_, dieses alles stoße wohl unter einander im Mörser
des _Glaubens_, mit dem Stempel der Stärke, rühre ein Viertelpfund
_Hoffnung_ dazu, schütte es in die Pfanne der _Gerechtigkeit_, und lasse
es bei dem Feuer der _christlichen Liebe_ gar kochen. Alsdann bewahre es
wohl, damit der Schimmel der _Eitelkeit_ nicht ansetze. Mit dieser Salbe
streiche Dich des Morgens und des Abends: es ist ein Mittel gegen die
Hölle.«

Therese seufzte, als wäre der Athem ihres Busens mit all diesen
Gewichten beladen. Die Nonne aber sprach: »ein Arcanum, der künftigen
Hausfrau zu Nutz und Frommen! meine Mutter hielt es für probat.«

»Sagen Sie, Schwester Veronica,« fiel hier Therese ein: »sind Sie
wirklich aus wahrem Klosterberuf Cisterzienserinn geworden? ich wüßte
kaum, wie ich mir dies als möglich denken sollte.« Ihre Miene zweifelte.
Die Nonne sah die lebenslustige junge Frau mit einem Blicke an, worin
sich die schweigende Entgegnung aussprach: »Christum lieb haben, ist
besser, denn alles Wissen --« und nach einem kleinen Besinnen antwortete
sie: »die innersten Triebfedern kennt nur Gott allein, und das Herz
mag sich zu tausendmalen eine sich der Welt entschwingende Seele bewegt
haben; doch -- wenn ich einen Rückblick auf mein langes Leben werfe, und
auf den Gang meines Schicksals, der sich in diesen stillen Mauern endet,
so mögte ich doch glauben, es sey des Himmels Wille gewesen, daß ich
mich ihm weihe, und die frühesten Eindrücke des Gemüths, alle Umstände
meiner Jugendzeit hätten dazu dienen müssen, daß meine Bestimmung
erfüllt werde. -- Im Keim der Zukunft ist die verhängnißvolle Blume
eingeschlossen, und der Mensch entwickelt sich mit ihr. Unserer heiligen
Märtyrer Einige, die in den Flammen gestorben, fingen damit an, den
Finger in das brennende Licht zu halten, um zu versuchen, wie lange
sie Feuerschmerz aushalten könnten. -- Warum sollte ich es ihnen nicht
erzählen? ist doch nun Alles überwunden.« Die beiden Frauen bezeigten
ein neugieriges Interesse an dem, was ihnen Schwester Veronica
mitzutheilen hätte, und setzten sich zum Hören zurecht; nur über
Josephinens Gesicht glitt ein Schatten zarter Furchtsamkeit, als scheue
sie es, daß ihre ehrwürdige Freundinn zur bloßen Unterhaltung Narben
enthülle, die einst vielleicht schmerzlich geblutet hätten. Sie zog die
schneebleiche Hand, welche keinem Mann angehört, sacht und seitwärts an
ihre Lippen und küßte sie mit Ehrfurcht.

»Mein Vater,« begann die Nonne, »war ein gelehrter Mediziner und Arzt
am Jesuiter-Collegio in B--. Sein einnehmendes Betragen, äußerst
verbindliche Manieren, so weit ich mich deren erinnern kann -- seine
stattliche Gestalt und großen Kenntnisse, gewannen ihm aller Menschen
Gunst und Zutrauen, weshalb er denn eine verbreitete Praxis besaß. So
dächte man nun, meine Mutter müßte eine glückliche Frau gewesen seyn.
Doch nicht also. Sie weinte oft still und bitterlich. Ich schmiegte mich
dann als ein kleines Kind in die nassen Falten ihres Kleides, ohne zu
verstehen, was sie so betrübe -- späterhin ist mir die Quelle ihrer
Thränen wohl klar geworden. Manche Zähre aus dem Auge der Gattin, was
nicht blind war für die Abwege des Mannes, ist damals auf mein Haupt
gefallen --: _dies war die erste Salbung zur Klosterfrau_. -- Meine
Mutter,« fuhr Schwester Veronica fort, »soll in ihrer Blüthe ausnehmend
hübsch gewesen seyn.«

Die drei Zuhörerinnen sahen die Nonne auf den kindlichen Ruhm jener
Schönheit an, die längst schon Staub war, im Einverständniß der Meinung,
daß dies glaubhaft sey, und noch aus den dunkeln Umrissen des Alters
ihrer Tochter erhelle.

»Mein Vater,« so war der weitere Verlauf der Erzählung, »hatte sie aus
heftiger Zuneigung geheirathet, er scherzte zuweilen im Beiseyn der
Freunde meiner Eltern oder Fremder über seine Bräutigams-Thorheiten --
wie er sie nannte -- die Mutter aber ging nie in diesen Ton ein. Sie
blickte ernst und bekümmert dazu. Ich entsinne mich genau, daß dies eine
Empfindung in meine Seele legte, _als wäre die Liebe eines Mannes kein
Glück, mindestens kein dauerndes Glück_. Das Einkommen meines Vaters
setzte sein Haus in Wohlstand. Wir sahen oft Gäste bei uns. Die
elterliche Güte für mich, das einzige Kind, überschüttete mich mit
kleinen Schätzen, ein unerfüllter Wunsch fand nicht Raum unter den
angehäuften Spielsachen; dankbare Kunden meines Vaters beschenkten
mich kostbar, _und dieser Ueberfluß machte mich gleichgültig gegen
den Besitz_. -- Meine Mutter hatte einen ältern Bruder, der war ihr
Beichtvater und Erzpriester an der Stadtkirche. Niemand sah ich so gern
kommen, als ihn, den freundseligen lieben Mann, dem der Trost unsichtbar
zur Seite ging. Stets brachte er mir Etwas mit, woran ich besondern
Gefallen fand, und immer war die Mutter ruhiger, wenn er einmal da
gewesen. Diese Freude, dieser Frieden mischte sich in meine dämmernden
Begriffe vom geistlichen Stande. Der Vater mogte ihn nicht leiden, und
dies kränkte meine Mutter sehr. Einst zog mein Ohm, nachdem er mich
lange hatte rathen lassen, was er in der weiten Tasche seines Rockes
trüge, eine Puppe hervor, eine allerliebste Nonne von unserm Orden, und
mein Entzücken darüber war unbeschreiblich. Ich küßte die Farben von dem
kleinen Gesicht, daß es todtenweiß ward, und drückte die wächserne
Brust mit solcher Innbrunst an die meine, daß sie zerspringen mußte.
Am liebsten spielte ich Kloster, sang tiefe Weisen wie Choräle, was der
Vater manchmal mit einem Fluche untersagte, indem er glaubte, ich spiele
Begraben. -- Er war, beiläufig gesagt, nicht von allem Aberglauben frei,
hinsichtlich auf seinen Beruf.«

Therese unterbrach die Geschichte der Nonne mit den Worten: »man sagt,
es soll von wesentlichem Einflusse auf das Geschick der Kinder seyn,
an welchen Gegenständen sich ihr Liebessinn übe. Sie selbst, Schwester
Veronica, liefern einen Belag zu dieser Erfahrung. Hätte ich einst ein
Püppchen, ich ließe es nur mit Engeln spielen.«

Frau Fabia konnte nicht umhin zu erwiedern: »dann würde es nicht lernen,
_Menschen_ zu ertragen.«

Wir lassen es, der Wahrheit dieser Bemerkung unbeschadet, dahin
gestellt, ob weiblicher Neid gegen das ihr versagte Mutterglück, oder
verletzte Verehrung für die höhern Kinder Gottes, sie in Anregung
gebracht habe.

»Die gute Mutter,« nahm die Erzählerinn den abgerissenen Faden wieder
auf, »ließ mir ein kleines Sprachgitter machen, und lehrte mich in
ahnungsloser Zärtlichkeit, wie ich mich dabei benehmen sollte. Gewiß ist
es, daß diese kindische Spielerei mein Sinnen und Trachten richtete. --
Doch hören Sie nur weiter. Zuvor aber noch eine Tasse Thee, ich bitte!
er ist nicht stark.« Zeitweiliges Nöthigen. Das Geklirr der Tassen, der
leise Guß des goldgelben Wassers, das Geprassel der mürben Brezeln und
Mandelplätzchen, ein dankendes oder ablehnendes Wort, füllte die Pause
der Geschichte, bis Veronica sie fortsetzte. »Das Haus meiner Eltern,
worin meine Mutter geboren wurde, stand am Marktplatze, dicht neben dem
sogenannten Rathskeller, den die Gebrüder Posca, ein paar Italiener,
in Pacht hatten. Dort fanden sich die Patrizier der Stadt ein, und mein
Vater ging jeden Abend -- kaum machte der _heilige_ Abend eine Ausnahme
von dieser leidenschaftlichen Gewohnheit -- in diese Tabagie, ein
Gläschen Montefiascone zu trinken. Nur Geschäfte hielten ihn ab, doch
nie Liebe für die Seinigen. Meine Mutter saß wie eine verwittwete früh
und spät mit mir allein; es war dann so traurig und waisenhaft still um
uns her, und die Uhr schlug manchmal schauerlich die zwölfte Stunde, ehe
der Vater heimkehrte. --

Die Mutter ertrug zwar duldsam, was sie nicht ändern konnte, ich habe
nie gehört, daß sie dem Vater deshalb Vorwürfe machte; dagegen nährte
sie einen seltsamen Groll gegen die Menschen, die ihrer Meinung
nach daran Schuld wären, daß sie so hintangesetzt würde, und ihr Haß
erstreckte sich über ganz Welschland. Von einem italienischen Salat
hätte sie nimmer einen Bissen angerührt; ich würde nur Gift und Galle
essen -- sagte sie einmal zu mir, als ich sie in Gesellschaft bat, von
solch einer Schüssel ein wenig zu nehmen. -- Mir war diese Nachbarschaft
unbeschreiblich anziehend. So oft ich mit meiner Mutter im Dunkeln
von einem Gange nach Hause kam, bat ich sie, vor den geöffneten Thüren
dieser Unterwelt einen Augenblick stehen zu bleiben. Die Lampe, welche
die feuchten Stufen erleuchtete, hatte einen zauberischen Schein, es
zog mein Herz hinab -- ich wußte nicht, wie? das fremdartige Rufen der
dienstbaren Geister, die Glocke, welche geläutet wurde, wenn Einer der
Weingäste etwas begehrte, brachte meine junge Seele in eine ganz eigene
Schwingung. Die Mutter mußte mich mit Gewalt fortziehen, und ich erinnre
mich, daß sie einst seufzend sagte: der Rathskeller hat Dir's angethan,
wie Deinem Vater. -- Einer der Brüder Posca hatte seine Familie noch in
Verona, und nie ist dies sonderbare Verhältniß mir deutlich geworden. So
war ich herangewachsen. Einst kam mein Vater in nächtlicher Zeit etwas
benebelt heim -- dies war sonst sein Fehler nicht. Ich lag zwischen
Schlafen und Wachen mit dem Kopfe auf meiner Mutter Schoße und hörte das
Gespräch der Eltern. Mein Vater erzählte, wie er diesen Abend dem
Peter Posca die Hand darauf gegeben habe, daß, wenn sein Sohn, der das
Geschäft fortführen sollte, nun käme, was zu erwarten, und hätte seinen
Beifall: so solle er auch die einzige Tochter haben und sein Eidam
werden. -- Ich fühlte, wie meine Mutter erschrak, und elektrisch zuckte
der Schlag dieser Worte durch meine Glieder. Du wirst doch unsere Clara
-- so hieß ich in der Welt -- nicht einem Weinwirth geben? fragte sie
mit bebender Stimme; solch ein Italiener, wenn er noch nicht gebleicht
ist und kaum ein Wort Deutsch versteht, kommt mir vor wie ein Bandit.
-- Es gab eine feine Linie für meinen Vater, wo seine angetrunkene gute
Laune in Jähzorn überging; auf dieser Linie schwankte sein Ton, womit er
erwiederte: verlaß Dich darauf, mein Schatz! Clara wird den jungen Posca
heirathen, und weder an seinem Kauderwelsch, noch an der schwarzbraunen
Farbe seines Angesichts sterben. Wir haben mancher Flasche den Hals
gebrochen, um dies Verlöbniß zu besiegeln. -- Meiner armen Mutter mogte
wohl das Herz dabei brechen. Es war mir, als hätte ich dies zu hören nur
geträumt. Als ein Mägdlein von funfzehn Jahren, wußte ich mich die Braut
eines Unbekannten, und dachte ich an die Vorstellung meiner Mutter, so
durchbohrte ein ahnungsvoller Schmerz mir die Brust. Ich verlautete aber
in jungfräulicher Schüchternheit nie eine Sylbe, daß ich davon Wissen
hätte. Das Geheimniß, welches ich bewahrte, war jedoch nicht darnach,
meine Aufmerksamkeit für die Nachbarschaft zu schwächen. Ein Geräusch
am Rathskeller bewegte mich wie das Blatt der Espe, jede brünette
Mannsperson brachte mich in Schrecken. Doch ging eine Zeit still hin.
Ich hatte es von jeher geliebt, wenn die Frachtwagen mit den welschen
Waaren kamen, dem Auspacken der Früchte und Delikatessen zuzusehen.
Es geschah dies gewöhnlich in einem Hofraume, den das Fenster einer
Hinterstube unsers Hauses bestrich. Die Atmosphäre vom Dunst feuriger
Weine, die sich hier niemals verzog, betäubte mich angenehm, während sie
meiner Mutter Kopfweh verursachte. Wenn ich die Citronen, sinesischen
Aepfel, Datteln und Limonien aus Blätterschichten hervor nehmen sah und
der südliche Duft herüber wehete: so war mir so sehnsüchtig zu Muthe,
als wären diese Früchte vom Baum des Paradieses gepflückt; aber immer
stand etwas Trauriges wie eine dunkle Gestalt mir vor der Seele. Beinahe
war meiner Mutter so wie mir eine vergessene Sache, was ihr der Vater
gesagt, als er eines Tages in das Zimmer trat, einen jungen Mann an
seiner Hand, den er uns als den Sohn des Herrn Peter Posca vorstellte.
Meine Mutter ward bleich wie der Tod, ich aber erröthete, daß mir die
Stirn flammte. Der sah nicht aus, als könnte er Menschen berauben oder
ermorden! ein wenig bräunlich nur war seine Gesichtsfarbe, wie ein
schönes Oelgemälde, dem man es bewundernd verzeiht, daß der Künstler
sich in etwas starken Schatten gefiel. Seine glänzend schwarzen Augen
ruhten wie der höchste Gewinn eines Würfels auf mir -- und der Wurf
meines Schicksals schien mir ein erstaunenswerthes Glück.«

Bei dieser begeisterten Schilderung einer männlichen Persönlichkeit,
im Munde einer alten Nonne, hustete die kühle Fabia, und sah bedenklich
nach Josephinen hin, die gesenkten Blickes an ihrem Strickzeug eine
Masche aufhob, welche ihr tief entfallen war. Therese aber rief erregt:
»o das ist prächtig! der Gedanke des Vaters war so übel nicht. Mir
däucht, die Frau eines Mannes, der offne Tafel hält, ohne daß sie sich
mit Kochen und Backen plagen darf, und ein Lager für Gäste: müßte es
gut mit haben und eine immer fröhliche Ehewirthinn seyn. Ich brenne vor
Begierde zu erfahren, ob Sie den hübschen Jüngling noch genommen haben.«

Der schwache Schein einer längst gedämpften Flamme, wie wenn Asche
ausglimmt, röthete Veronicas Wangen, als sie sprach: »was Sie äußern,
schmeichelt dem Interesse meiner einfachen Erzählung. Sie vergessen
jedoch, Frau Therese, daß ich eine Braut Christi geworden bin. --
Ueberdies theilte meine Mutter Ihre Meinung nicht. Als der Besuch fort
war und ich schweigend blieb, redete sie mich mit händeringender Geberde
an: so ist es doch wahr! ich dachte schon, jener mir verhaßte Gedanke
wäre mit deines Vaters Rausch verflogen, und hütete mich wohl, ihn daran
zu erinnern. Mein armes Kind! jammerte sie, eine Kellerspinne sollst du
werden, die hurtig hin und her läuft und darauf lauert, eine lose Fliege
in das Netz zu bringen. Maria und Joseph! soll ich meine Tochter in den
Keller betten? -- Obgleich das mütterliche Herzeleid mich rührte und
jenes Bild mir widrig war: so mußte ich doch lächeln, wie meine Mutter
ein Sprüchwort anwendete, worin ihre tiefste Abneigung sich ausdrückte.
-- Von dieser Zeit an, besuchte uns der junge Nachbar zuweilen. Nie
blieb er einen Tag länger aus, oder verweilte eine Minute über die
gewöhnliche Frist. Diese Regelmäßigkeit ängstete mich heimlich; ich
wußte selbst nicht warum? überhaupt war etwas in diesem Verhältniß, was
mich wie ein leiser Zwang drückte. Von einer Heirath zwischen uns
war die Rede nicht, und daß wir Brautleute wären, hätte uns Niemand
angesehen. Ich leugne nicht, daß ich meinem Zukünftigen sehr gut war,
und mir mit Vergnügen bewußt, wie ich zu ihm stände, wenn ich auch das
Vorurtheil meiner Mutter schonte. Ludovico sollte sich erst in seine
Lage eingewöhnen -- hatte sein Vater gesagt. So saßen wir einander blöde
gegenüber; ich fühlte ein ängstliches Bedürfniß, ihn zu unterhalten, als
ob ich _seine_ Langeweile empfände. Hatte ich auf sein Kommen gehofft:
so sah ich nicht minder gern dem Augenblick entgegen, wo er aufbrechen
würde -- wußte ich ihn doch voraus. Manchmal preßte mir der Druck einer
innerlichen Beklommenheit Thränen aus, die dann flossen, wenn er fort
war. Dabei tröstete ich mich, daß er nicht recht fort könnte mit der
Sprache -- ich hoffte ohne Hoffnung --« die Nonne lächelte trübe: »die
Liebe hilft auch einem Stummen aus.«

Eine Solche ward jetzt redend. »Aber liebe Veronica,« sprach Josephine,
die ihren Mund noch nicht aufgethan, »was man am tiefsten fühlt, läßt
sich oft am wenigsten sagen -- der junge Herr kann auch aus Liebe
geschwiegen haben.«

»Schweige Du, voreiliges Kind!« herrschte Fabia mit leiser Strenge ihrer
Pflegetochter zu: »Du kannst hierüber noch gar nicht urtheilen.«

»Ich dächte doch!« meinte Therese, und ihr Lächeln nahm Partei für
diese.

Veronica blickte das verschüchterte Mädchen zärtlich dankbar an. Sie
wußte wohl, welchen Glauben Josephinens Worte ansprächen.

»Oft ist es so, mein bestes Kind,« sagte die Nonne zu dem Liebling
ihres Herzens: »allein hier war es nicht der Fall. So oft Ludovico kam,
beschenkte er mich mit einer artigen Kleinigkeit. Ich durfte nur etwas
lobend erwähnen, so dauerte es nicht lange, es war mein Eigenthum.
Dieser aufmerksame Sinn, mir eine Freude zu machen, täuschte mich in
dem Gedanken, er wolle mein Glück. Ludovico trug einen Ring an seinem
Finger, der mir in die Augen stach; er war vom feinsten Golde, mit dem
Bildniß einer =Mater dolorosa= in Mosaik ungemein künstlich gearbeitet.
Dieser Ring war das Einzige, was er meinem sichtlichen Wunsche
vorenthielt, und zufällig sagte er einst, daß es ein Andenken von seiner
verstorbenen Mutter wäre. -- So war länger als ein Jahr vergangen, und
jetzt äußerte mein Vater, daß unsere Verlobung in einiger Zeit vollzogen
werden würde. Doch ehe ich mich meinem Ziel nähere, muß ich zuvor noch
etlicher bedeutsamen Umstände erwähnen. Vielleicht war es in Folge der
Unruhe meines Gemüths, daß ich mich damals etwas kränklich befand. Mein
Vater glaubte nicht recht daran, wie denn Aerzte in der Regel Uebel,
woran die Ihrigen leiden, für unerheblich halten. Die hochselige Gräfinn
Frankenstern beehrte meinen Vater mit ihrem Zutrauen. Wenn sie mit ihrem
Gemahl auf den hiesigen Gütern war, bediente sie sich seines Rathes,
eines Schadens wegen, der, wie mein Vater meinte, leicht in ein
Krebsgeschwür hätte ausarten können. Auch in jenem Herbste kam sie nach
B--. Sie fand mein Aussehen verändert, und erkenntlich für geleistete
Hülfe, forderte sie meinen Vater auf, mich ihr auf ein paar Wochen mit
nach Bühle zu geben, zur Zerstreuung, wie die Gräfinn sagte. Mein Vater
war zu höflich, um der vornehmen Dame diese gnädige Bitte abzuschlagen,
meiner Mutter flehender Widerstand, mein eigenes Wollen oder Weigern kam
dabei nicht in Betracht. Indessen gefiel es mir doch ganz wohl in Bühle.
Die Gräfinn war die Leutseligkeit und Liebe selbst, eine wahre Seele von
einer Frau! -- Morgen, mein Clärchen, sagte sie am zweiten Abend, wird
eine Novize in Sanct Capella eingekleidet; hast Du das schon gesehen?
Wir werden hinüber fahren. Ich verneinte; es war mir unbeschreiblich
lieb, daß es sich so träfe, und ich konnte den folgenden Tag kaum
erwarten. Die geistliche Hochzeit wurde mit größter Pracht vollzogen.
Die Nonne, welche Profeß that, war eine reiche Erbinn von Hardt. Die
Sage ging, sie hätte sich die Untreue eines Geliebten zu Gemüth gezogen.
Das wunderschöne Frauenbild von edlem Wuchs, im vollen Brautschmuck,
flimmernd von Geschmeide, darin die Kerzen der Altäre widerstrahlten,
die Gestalt des hochwürdigen Bischofs --: alles, was ich sah und hörte,
machte einen mächtigen Eindruck auf mich. Wie nun die Orgel erbraus'te
und bebte, lös'te sich mein Wesen in erschütternden Gefühlen auf. Ich
wurde hingerissen von dem heiligen Strom. Alles Irdische versank, ich
sah in den offnen Himmel der Kirche und in meiner Brust rief es: =De
profundis!=«

»Schwester Veronica,« sagte Fabia, indem sie die Hand der Nonne faßte,
als wolle sie ihr mit dieser Bewegung Einhalt thun, »werden diese
Erinnerungen Sie auch nicht allzusehr angreifen? ich dächte --« sie
redete nicht aus. Vielleicht war dem Protestantismus Fabiens jene
Schilderung noch ungleich aufregender, als dem stillbegeisterten Gemüth
der klösterlichen Jungfrau. Diese schüttelte den Kopf und sprach: »nein,
nein! lassen Sie mich nur ruhig auserzählen. Ich sah das Kleid von
Goldbrocat fallen wie eine verachtete Zier -- die blonden Haare -- der
Bischof schnitt mir in das Herz -- und das Fräulein aller Eitelkeit
baar, der Welt absterben. -- Während dieser ergreifenden Ceremonie wurde
eine Glocke geläutet. Mir summte es schwer vor den Ohren, ich war einige
Secunden ohnmächtig. Wenn ich an den Blick dachte, den die junge Nonne,
ehe sie, von dem Convent in die Mitte genommen, auf das gefüllte Schiff
der Kirche warf, und dann durch die Thüre verschwand, welche nach dem
Innern des Klosters führt; so schwamm ihr Bild vor meinen Augen. Als ich
am Abend jenes denkwürdigen Tages mich allein befand, und meine Haare
auflösete, bemerkte ich, daß sie genau von derselben Farbe wären, wie
die des Fräuleins von Hardt, welches knieend vor dem Bischof das stolze
Haupt in seinen Schoß beugte, daß es seines Schmuckes beraubt würde.
Während sich diese Scene meinem Gedächtniß wiederholte, entflocht ich
die langen Zöpfe, und ließ sie wellenartig durch meine Finger gleiten.
Da fällt etwas mit leisem Geklingel zu meinen Füßen -- es war eine
silberne Scheere, die ich unversehends vom Tisch gestreift hatte. Eine
innere Stimme raunte mir zu, daß dieser kleine Zufall vorbedeutend wäre,
und unter einem Nervenfrösteln legte ich mich zur Ruhe. -- Bei dieser
Gelegenheit kann ich nicht umhin einzuschalten, wie es mir vorkommt, als
ob in jedem öffentlichen Opfer eine geheimnißvoll anziehende Kraft zur
Nachahmung läge, welche verschwistert ist mit dem Reiz der Traurigkeit
und der Gefahr. Und wie verschieden es auch sey -- mein Heiland bewahre
mich vor dem Vergleich! ein reines Herz am Hochaltar den Lockungen der
Welt zu entziehen -- oder ein verbrecherisches Leben auf dem Hochgericht
in die Hände seines Schöpfers zurückzugeben: eine ähnliche Tiefe der
menschlichen Seele ist es gleichwohl, darin es liegt, daß Todesstrafen
weniger abschrecken als sie sollten. -- Bei meiner Nachhausekunft fand
meine Mutter, daß eine Veränderung mit mir vorgegangen wäre. Sie suchte
mich durch allerhand erheiternde Mittel zu zerstreuen. Am Andreas-Abend
gossen wir üblicher Weise geschmolzenes Blei. Der Geist Gottes, den wir
solchergestalt versuchten -- schwebte über dieser kleinen Wasserfläche.
Ich zeigte der Mutter die Form, welche sich meinem Guß gebildet hatte.
Nun das ist ja ganz natürlich wie eine Abtei mit Thürmen und Kreuzen --
sagte sie: Du wirst uns doch nicht ins Kloster gehen wollen, Kind? und
da die gute Mutter hinsichtlich meiner Zukunft keines Scherzes fähig
war, der nicht ein wenig bitteres Salz gehabt hätte, so setzte sie
lächelnd hinzu: viel eher hätte ich gedacht, Du würdest kleine Tönnchen,
worin man Sardellen und Kapern voraussetzte, oder ein kugelrundes
Weinfaß fischen. -- Ich betrachtete schweigend mein bleiernes Schicksal.
Doch genug hiervon; meine Erzählung mögte sonst ihre Geduld ermüden.
Das Jesuiter-Collegium besaß ein uraltes Gebäude vor dem Thore, welches,
seiner schönen Lage wegen, theilweise in wohnlichen Stand gesetzt worden
war. Der schöne Garten daran, mit tropischen Gewächsen bepflanzt, war zu
einem wissenschaftlichen Zweck eingerichtet worden, und mein Vater, der
die Botanik leidenschaftlich liebte, durfte ihn gewissermaßen als den
seinigen betrachten. Hier verlebten einige Familien der Professoren die
wärmere Jahreszeit, zumeist solche, die ein kränkliches Mitglied hatten.
Auch uns waren des Anrechts wegen, welches sich mein Vater an dem Garten
erworben, ein Paar der besten Zimmer eingeräumt, und ich freuete mich
stets auf den Tag, wo wir unser Sommerlogis beziehen würden. Unter dem
Dache dieses Hauses wohnte ein Sprachmeister, Namens Tamdio, hoch genug,
daß die hectische Brust des ungesunden Mannes, hier Luft des Himmels
trinken konnte. Mein Vater hatte dem armen Tamdio dies bescheidene
Plätzchen ausgewirkt, wo er gleichsam einen Thurmwart vorstellte, der,
ob auch mit kurzem Athem, gegen Jedermann das Lob seines Arztes und
Wohlthäters ausposaunte. Dieser hatte ihm den Unterricht verbieten
müssen, weil das viele Sprechen seine kranke Brust angriff; nur einige
wenige Stunden setzte seine Tochter fort, die allgemein für ein wackeres
Mädchen, und für eine nette Stickerinn galt. Er hätte sonst ohne diese
Sprachfertigkeit seiner Tochter und den Fleiß ihrer kunstreichen Nadel,
verhungern müssen. -- Wie groß nun auch der Abscheu meiner Mutter
gegen meine heranrückende Verbindung war: so vergaß sie doch
nichtsdestoweniger alle die kleinen und größeren Besorgungen, welche ein
Brautstand =in optima forma= erheischt. Zwar hatte Ludovico bis jetzt
noch kein Wörtchen gegen mich fallen lassen; aber eine Heirath war
damals nicht das Recht gegenseitiger Zuneigung, sondern lediglich die
Angelegenheit elterlicher Autorität und eine Pflicht des kindlichen
Gehorsams. Sie lachen, Frau Therese? ja, und doch gab es zu jener Zeit
weniger unglückliche Ehen als jetzt. Eines Tages sprach meine Mutter mit
mir über die Geschenke, welche dem künftigen Bräutigam zu machen wären,
und führte unter ihnen auch eine Verlobungsweste auf. Ich dächte, wir
nehmen paille Atlaß, sagte sie, und ließen die Klappen und Taschen mit
einer Borde sticken, und zerstreute Blümchen in die Mitte. Was meinst
Du? -- Wir wollen des Sprachmeisters Tochter herunter bitten lassen. --
Die junge Tamdio kam. Ihr Aeußeres war mir sonst nie aufgefallen; da sie
nun jetzt vor uns stand, erschien sie mir sehr _interressant_ -- wie man
heut zu Tage zu sagen pflegt. Man hätte sie nicht schön nennen können,
vielleicht kaum hübsch; aber es lag ein Ausdruck in ihrem Gesichte, der
unbeschreiblich rührte. Was sie sprach, klang wie traurige Musik, und
wendete mir das Herz im Busen. Meine Mutter redete im Tone ruhigen
Bestellens über diese Arbeit, welche sie der äußersten Mühsamkeit der
Stickerinn dringend empfahl, weil es ein Brautgeschenk werden solle. Bei
diesen Worten ward das Mädchen todtenblaß, und ihr Auge erlosch, wie ein
Licht ausgeht. Sie sind wohl unpaß, armes Kind, vielleicht vom vielen
Sitzen? fragte meine Mutter, unbekümmert, daß sie diese Anstrengungen
vermehre. Wie geht es denn mit ihrem Vater? Er hustet stark, antwortete
das Mädchen mit schwankender Stimme, und meine Hoffnung wird täglich
schwächer. Diese Nacht hat er wieder ein wenig Blut ausgeworfen -- meine
Mutter versprach, den Vater hinauf zu schicken, sobald er käme. Sie
verlangte nun, ich solle die Blumen und das Dessein bestimmen. Mir
that das Mädchen sehr leid, und so äußerte ich: wir könnten es ja noch
lassen. Nein, sagte meine Mutter, es stehet geschrieben: was du thun
willst, das thue bald. Ich wählte also ein Muster von Vergißmeinnicht.
In dem niedergeschlagenen Blicke des Mädchens ging ein Schein von
Beifall auf, die Mutter aber tadelte mich und sprach: Vergißmeinnicht!
das hätte wohl keine Art, und sähe aus wie ein Andenken. Du vergissest
jedoch, daß Dich der Bewußte so gut wie in der Tasche hat -- womit sie
darauf anspielte, daß ich mich nach dem Willen des Vaters heimlich für
ihn malen ließe, und mein Bild ihm in die Westentasche gesteckt werden
sollte. Das Mädchen griff rasch in die ihrige, und zog ein Tüchelchen
hervor, mit welchem sie sich die Stirn trocknete. Ich achtete dessen
nicht, es war sehr warm an jenem Tage. Eine Woche mogte seitdem
vergangen seyn,« fuhr Schwester Veronica tiefathmend fort, »als eines
Abends ein schweres Wetter aufzog. Auch der Odem meiner Seele war
schwül; Ludovico war mir seit einiger Zeit sehr trübe vorgekommen. Ich
legte mich ans Fenster, um in den Kampf der Wolken zu schauen; meiner
Mutter schwache Augen vertrugen den Blitz nicht. Sie setzte sich in ihr
Schlafgemach hinter verschlossene Läden und betete. Grade unter meinem
Fenster war eine Mauerblende mit einem eisernen Gitter und steinernen
Sitzen nach Außen. Ein breiter Ahorn wölbte sich schirmend um diesen
kühlen Versteck. Ich starrte in die Finsterniß hinaus, mit Gedanken an
meine Zukunft, die nicht viel heller waren. Da war es mir, als sähe ich
bei dem schwachen Leuchten der Blitze den Schatten eines Mannes um die
Blende wanken, und alsbald vernehme ich ein klagendes Geflüster, wie von
Innen. Es dauerte nicht lange, daß ich in der antwortenden Stimme die
meines mir zugedachten Bräutigams erkannte. Er nannte Diejenige, mit der
er zu dieser unheimlichen Stunde Zwiesprach hielt, _seine_ Clara, und an
dem Tone, womit er diesen meinen Namen aussprach, der zu jener Zeit so
allgemein war, daß ihn die meisten Töchter unserer Stadt führten, an
diesem Tone hörte ich, daß ich seine Clara nie gewesen, noch werden
würde. Schrecken und Eifersucht bewaffneten mein Gehör, so daß mir keine
Sylbe entging, obgleich jede mein Herz durchdrang. Ludovicos Gegenstand
mogte ihn bitten, sich bei dem näher kommenden Sturm nicht zu verweilen,
denn er sagte, die Gewitterwache stände am Thor, und dieses bliebe
offen, bis sie abziehen könnte. Dann schien er sich gegen zärtliche
Vorwürfe zu vertheidigen. Er nannte mich ein liebes gutes Mädchen,
welches er aber nicht lieben könne, weil es ihm aufgedrungen werde,
und nur nehmen müsse, gezwungen durch den Willen seines Vaters, der den
meinigen für einen Crösus halte. Er sprach sein Sträuben gegen diese
Heirath aus, und wie er den Tag der Verlobung so lange als möglich zu
hintertreiben suchen werde. Er betheuerte: die Mutter Gottes solle ihn
in Angst und Noth verlassen, so er jemals Der vergäße, die einzig und
allein seine Liebe besitze. Ich bin unglücklich, so lange ich lebe,
sagte er, doch ewig werde ich Dein gedenken. -- Reiche mir Deine Hand
aus dem Gitter, bat Ludovico, daß ich Dir diesen Ring an den Finger
stecke, das Liebste, was ich habe. So sind wir verlobt für den Himmel,
jenes Gelöbniß hat nur irdische Dauer. -- Ach! der Mensch sollte nie
weder so bestimmt, noch so vermessen reden! Gott ists allein, der
da bindet und lös't. Ein fürchterlicher Donnerschlag schlug ein, ich
wünschte, dieser Blitz mögte mich zum Tode getroffen haben. Meine Seele
war zermalmt, und betäubt taumelte ich hinweg. Diese Nacht war die
schrecklichste meines Lebens. Ich rang zu Gott, daß er mich stärken möge
zu einem Entschluß; denn Ludovicos Frau konnte ich nun nicht werden.«

»Arme Veronica!« rief Therese mitleidig, »es ist entsetzlich, aus einer
hoffnungsvollen Täuschung so zu erwachen! --«

»Und doch war es gut, daß es nicht später geschah,« sprach Frau Fabia
mit prädominirender Vernunft und Erfahrung. Nur Josephine wagte leise
zu sagen: »ach! und auch der Ludovico dauert mich. Er ist doch wohl am
unglücklichsten daran.«

»Das dachte ich auch!« äußerte die Nonne, und fuhr mit bewegter Stimme
fort: »wie nun der Morgen tagte, der schönste Frühlingsmorgen! da
fühlte ich, daß meine Blüthen gefallen wären, für immer. Die Natur war
erfrischt, die Vögel sangen lustig in den Zweigen -- wie _mir_ zu Muthe
gewesen, ich mögte es nicht schildern können. Es war sehr zeitig, die
Eltern schliefen noch -- da ging ich nach der Stadt auf den Pfarrhof,
um mit meinem Ohm zu sprechen. Die wenigen Leute, welche mir begegneten,
strichen gespensterisch an mir vorüber, meine Schritte wankten, wie über
einem Abgrunde; ich hatte kaum Kraft die Klingel zu ziehen, die in der
nüchternen Stille so nächtlich laut hallte, daß mir ein Grauen ankam.
Mein Fuß zögerte, über die Schwelle zu schreiten, als gäbe es kein
Entrinnen mehr für mich. Der gute Erzpriester war schon auf und im
Garten beschäftiget, Ranken und Reben anzubinden, die der Sturm der
verwichenen Nacht wild auseinander gerissen hatte. Sein Gesicht war voll
Sonnenglanz. -- Dieser traute Anblick überwältigte mich -- ich sank an
seine Brust, und weinte laut. Er hielt mich bestürzt in seinen Armen;
kein Unglück war so groß, daß er es nicht in meiner Verstörung, in
der schmerzbewegten Fluth von Thränen gesucht hätte, die an den Blumen
seines Schlafrocks niederfloß. -- Ich sagte ihm nun, wie, nachdem ich
lange mit mir gekämpft, ich nun gewiß wäre, daß ich den jungen Posca
nicht heirathen könnte, indem ich eine unbezwingliche Neigung in mir
fühlte, den Schleier zu nehmen, und nur fürchtete, die Eltern würden
mir ihre Einwilligung versagen. So bäte ich ihn denn inständigst, meines
Wunsches Wort bei der Mutter zu führen. Was den Vater anbeträfe, so
wollte ich erst Vertrauen und Muth fassen, da ich von seiner Seite auf
starken Widerstand gefaßt seyn müßte; weshalb ich denn auch so zaghaft
wäre.« --

Mein Ohm schüttelte den Kopf und sprach: »wäre mir dies doch nicht im
Traume eingefallen! ist es auch nicht etwa nur eine flüchtige Einbildung
von Dir? besinne Dich, liebe Clara! Nonne werden, und allen Freuden des
Lebens absterben, ist kein Kinderspiel, und ich mache mir einen Vorwurf
daraus, daß ich Dir vielleicht mit jener Puppe die erste Idee dazu an
die Hand gegeben habe. Ist es mir doch nie so vorgekommen, als ob Du
Deinem Liebsten abgeneigt wärest! ich fürchte, Du verschweigst das
Wichtigste hierbei! -- Doch um keinen Preis hätte ich meinem Ohm die
Wahrheit entdecken können. -- Wenn Gottes Absichten vollführt werden
sollen: so muß es sich wunderlich schicken. Wer meinen Vater gekannt
hätte, seinen Haß, o, daß ich es sagen muß! gegen die Geistlichkeit
im Allgemeinen und gegen die klösterliche insbesondere -- seine
Ueberschätzung alles Eitlen, sein Trotz, wie er den Glücklichen dieser
Welt eigen ist, womit er einen einmal gefaßten Vorsatz fest hielt: Der
würde es für ein Unmögliches gehalten haben, daß er meinem Wunsch sich
nicht nur füge, sondern ein williges und willkommenes Sühnopfer für sich
selbst darin sähe. Und dennoch mußte ein gewaltsamer Umstand mir dazu
behülflich seyn.« Hier hielt Schwester Veronica lange inne, und ein
tiefer Seufzer ihrer Brust säuselte durch die hochgespannte Stille. Dann
fuhr sie mit unterdrückter Stimme fort: »die Heiligen segnen die Seele
meines Vaters! ich weiß nicht, ob es mir als Tochter wie als Nonne
ziemt, daß ich einer Geschichte erwähne, die einen Schatten auf sein
Grab wirft, obgleich die Zeit von funfzig Jahren Gras darüber wachsen
lassen! Wenn ich es thue, so geschieht es in dem Vertrauen, daß die
Ruhe seiner Asche nicht dadurch gestört werde. Sie mögen sich selbst
überzeugen, wie es möglich war, daß ein Mann von so sanguinischen
Meinungen, wie mein Vater, plötzlich so erschüttert werden können, daß
sein ganzes Wesen eine totale Umwandlung erlitt. -- Mein Vater hatte
sich der Wittwe eines Chirurgen thätig angenommen. Die Frau stand nicht
im besten Rufe und mogte auch leichtsinnig genug seyn; ihr seliger
Mann, dessen Geschäft sie fortsetzte, in seinen niedrigsten Functionen
wenigstens -- hatte sie barbieren gelehrt, auch über den Löffel -- zur
Ungebühr, wie mir däucht; denn sie verstand es sehr von selbst, den
Männern um den Bart zu gehen. Die arge Welt legte der Betriebsamkeit
meines Vaters für das Beste dieser Frau, der Pünctlichkeit, womit er
sie besuchte, und dem weichen Polster ihres Wittwenstuhls, eben keine
bewegende Feder unter, die von gediegenem Golde gewesen wäre. -- Dies
Verhältniß war der stille Schmerz meiner guten Mutter. Als mein
Vater eines Abends wie gewöhnlich zu dieser Wittwe geht und in die
unverschlossene Stube tritt, ist es dunkel darin, nur der Mond scheint
auf die Gestalt der Frau, welche schweigend mit verhülltem Kopf hinter
der Thüre lehnt. Mein Vater, der da glaubt, sie habe Versteckens mit ihm
spielen wollen, eilt scherzend auf sie zu -- doch welcher furchtbarer
Ernst schreckt ihn zurück! seine Freundinn hängt an ihrem Schürzenbande,
und mein Vater -- _er selbst_! muß sie mit einem Rasirmesser
losschneiden.«

Die Zuhörerinnen schauderten -- Josephine legte beide Hände vor ihr
unschuldiges Gesicht. Und Schwester Veronica sprach! »ja, mein Kind, wir
müssen wohl den Blick schonend bedecken, der auf solch einen tiefen Fall
trifft! nie ist der Grund aufgefunden worden, warum die Frau sich ein
Leides gethan. Mein Vater mußte, da der Kreisphisikus erkrankt war, der
gesetzlichen Section ihres Leichnams beiwohnen, und diese Amtspflicht,
der er sich nicht entziehen wollen, um sich vor den Augen der Menschen
keine Blöße zu geben, hatte seine innersten Lebenskräfte angegriffen.
Dieses unglückselige Ereigniß hatte sich an jenem Abend begeben, wo
ich auf andere Weise Todesweh empfand. -- Auch mir war es aus reinerer
Schaam Bedürfniß, mich in der Achtung des Einen herzustellen, der mich
höchstens bemitleiden können. Die Geschichte machte ein ärgerliches
Aufsehen, es war, als ob der böse Würgengel vor meinem Vater herginge,
und, um sein Unglück zu vollenden, starben ihm damals mehrere seiner
bedeutendsten Patienten. Meine Mutter hatte in eben der Stunde, wo ich
vom Pfarrhof zurückkam, die erste Kunde von dem Geschehenen erhalten.
Sie würde es daher kaum gemerkt haben, wenn ich als eine Gestorbene aus
dem Grabe wiedergekehrt wäre, und so bleich ausgesehen hätte, wie ich
nun wirklich vor ihr stand. Wir finden es daher gewiß ihrer Stimmung
angemessen, und auch folgerichtig, wenn wir ihr eingewurzeltes
Vorurtheil gegen die Heirath mit dem Italiener bedenken, daß sie, als
ich nach einigen Tagen ihr im Beiseyn des Erzpriesters meinen Wunsch
eröffnete, mir zur Antwort gab: ich segne Deinen Entschluß, meine
Tochter. Viel lieber will ich Dich im Schoß der Kirche, oder auch in
den Mauern der Gruft aufgehoben wissen, als in den Armen eines Mannes.
Willig reiße ich die Blume meiner Freuden aus dem mütterlichen Herzen,
wenn ich weiß, daß Dir die Dornen der Ehe erspart bleiben. -- In dieser
Aufregung meiner Eltern unterdrückte ich möglichst den Tumult meiner
eigenen Gefühle, nur das Verlangen sprach laut in mir an, zu wissen: Wer
das Mädchen sey, dem Ludovico seine Liebe geschenkt, ich meinte ruhiger
zu seyn, wenn ich es wüßte. Wie aber sollte ich es erfahren?«

»Ja,« rief Therese, und rückte unruhig auf ihrem Stuhle hin und her,
»diese Neugier hätte mich auch gemartert, und ich würde jedem Mädchen im
Hause auf die Finger gesehen haben.«

»Das that ich auch,« erwiederte die Nonne lächelnd, »aber leider
fand ich wenig Gelegenheit dazu. Zu jener Zeit herrschte auch unter
Hausgenossen eine gewisse Zurückhaltung des Umgangs; die Töchter der
Professoren hielten zusammen und mich für stolz, womit so oft der Sinn
für Einsamkeit verwechselt wird, und die Fähigkeit, sein eigener Freund
zu seyn. Indem ich nun Tag und Nacht darüber nachsann, Wen ich mir
zum Fürsprecher bei meinem Vater erwählen könnte, und -- da die Zeit
drängte, ich mit unschlüssiger Angst bald an die Gräfinn Frankenstern
dachte, bald in Ueberlegung nahm, ob ich mich an den alten Posca selbst
wenden sollte, der als ein bigotter Mann Scheu getragen haben würde, die
Rechte seines Sohnes gegen den Herrn Jesum Christum geltend zu machen,
war mir der Ring, und wer ihn trüge, wirklich ein wenig ins Vergessen
gekommen. Den Ludovico hatte ich seitdem nicht wieder gesehen. Nach
einigen Tagen kommt des Sprachmeisters Tochter und bringt die fertige
Weste. Das Muster blühete nur so, und war mit dem reizendsten Gusto
ausgeführt. Meine Mutter breitete den Atlas vor mir aus, und als ich die
Vergißmeinnicht sah, die ich ahnungsvoll gewählt: da schwellten meine
Augen und ein großer Tropfen fiel auf die abgezeichnete Tasche, die mein
Bildniß hatte bergen sollen. O weh! sagte meine Mutter betroffen, was
hast Du da gemacht? -- O das schadet nicht, versicherte das Mädchen,
_die_ Farbe ist ächt, Sie werden es sehen. Darauf nahm die junge
Stickerinn den äußersten Zipfel des Seidenzeugs, und rieb damit
fadengleich die feuchte Stelle. Auf dem reibenden Finger aber --
erblickte ich Ludovicos =Mater dolorosa=, und fühlte ihre sieben kleinen
Schwerter in _meiner Brust_. -- Ich besann mich, daß Ludovico bei dem
Sprachmeister Unterricht genommen, ich wußte auch, daß seine Clara
italienisch spräche. Dies arme, geringgeachtete Mädchen mit der
kummervollen Leidensmiene stand vor mir, so glückbegünstiget, als ob
ein Königreich an ihrem Finger funkelte. -- Ich weiß nicht, in welche
Verbindung ich es setzen soll, daß mir bei dem Lichte, was mir nunmehr
über den ganzen Zusammenhang der Dinge aufging, jeder Schatten von
Furcht vor meinem Vater verschwand. Noch an demselben Tage redete ich
mit ihm. Ich unterstützte die getroste Bitte durch Alles, was meiner
Meinung nach wirksam auf ihn seyn könnte, als zum Beispiel: daß ich aus
guten Gründen glauben müsse, Herr Peter Posca halte ihn für unermeßlich
reich, und solch ein Rechnungsfehler bei einem Kaufmann, ergäbe kein
verläßliches Facit. Dann würde er wohl als Arzt bemerkt haben, wie
dessen Sohn zum Heimweh hinneige, und wenn der Alte einmal das Zeitliche
gesegnet, könnte es kommen, daß ich mit Ludovico über Berg und Thal
in ein fremdes Land werde ziehen müssen. -- Daß mein Vater mit den
Italienern seit einiger Zeit nicht mehr auf dem alten Fuße stand, daß
ihm die Idee unserer Verbindung selbst leid geworden, davon wußte ich
nichts, als ich mit dringender Beredsamkeit an dem verknüpften Bande
lockerte, als ob ich es Wunder! wie unauflöslich hielte. Sieh da! der
Faden war schon gelös't. -- Mein Vater ließ mich ausreden, tödtlich
stumm. Dann sagte er: thue, was Du nicht lassen kannst! ich will Dich
weder hindern noch zwingen. Dieser leichte Sieg war über mein Erwarten.
Ich schlang meine Arme um seinen Hals und rief: lieber Herr Vater! ist
dies auch wahrhaftig wahr? -- So will ich Gott mein Herz weihen, daß
er Ihnen seinen Segen dafür gebe, lebenslang für Sie beten, und als Ihr
treues Kind ersterben. -- Diese Freude schien ihn zu erschüttern; thue
es -- sagte er mit erstickter Stimme; und zum erstenmale sah ich seine
Augen benetzt. Mir aber hatte sich eine Compresse vom Herzen gelös't,
und es blutete aus tiefen Wunden. Ich bat meinen Vater, daß er mir noch
eine Bitte gewähre. Wenn der alte Tamdio ausgelitten haben würde, was
nicht mehr lange dauern könne, dann mögte er die Clara an Kindesstatt
aufnehmen, daß dies verlassene Mädchen elterlichen Schutz, und meine
Mutter eine Tochter hätte, die ihres Alters Trost und Pflege würde.
-- Er versprach es mir. Nun übrigte mir noch das Schwerste. Kaum eine
Stunde nachher kam mein zukünftiger oder gewesener Bräutigam, und warb
in einer entschlossenen Rede um meine Hand. Ich bebte an allen Gliedern,
da ich sprach: Herr Ludovico! ein langer Irrthum hat zwischen uns
gewaltet: ich bin Willens, des Himmels Braut zu werden und keines
Mannes. Hätte ich Einen gewählt, Sie würden es gewesen seyn, denn ich
schätze Sie sehr hoch! -- Hier ergriff er meine Hand -- ich fühlte einen
heftigen Druck, und mit gepreßtem Athem fuhr ich fort: ich habe meinen
Eltern eine Nachfolgerinn gegeben, die an meine Stelle träte, Clara
Tamdio -- ein braves Mädchen, welches das beste Glück verdient. Wenn Sie
künftig das freundschaftliche Verhältniß zu unserm Hause fortsetzen: so
gedenken Sie auch meiner. -- Ich wagte es, in sein Angesicht zu schauen;
es sah aus wie von Marmor, sein Blick war gebrochen -- und _Freude_ war
es nicht, was seine Züge versteinte. _Clara_, rief er, ist dies möglich?
mein Name in seinem Munde, hatte bei dieser Frage einen andern Klang als
sonst -- dieser Augenblick war mein glücklichster.«

Die Nonne verstummte in bewegter Erinnerung. Alle schwiegen. Nach einer
Pause fuhr Schwester Veronica fort: »an dem Tage, wo ich mein Noviziat
antrat, begrub man den Sprachmeister. Seine Tochter zog in meiner Eltern
Haus und in mein Zimmer. Sie trug meine Kleider mit Liebe, und die
Schwächen meiner Mutter mit kindlicher Geduld. Die paille Atlaßweste mit
Vergißmeinnicht aber hat der Ludovico an seinem Hochzeittage getragen.
-- Im Begriff, eine geistliche Jungfrau zu werden, war es mir
gelungen, meine Eltern gleichsam noch einmal zu trauen. Ich genoß
die unaussprechliche Beruhigung, daß sie die letzten Jahre ihrer Ehe
einmüthig lebten. Mir aber war wohl -- das mögen Sie mir aufrichtig
glauben. Ich erkannte meine Bestimmung, und daß die Welt meiner Wünsche
Ziel nicht gewesen wäre; in ihr würde meine Liebe mir verloren gegangen
seyn, die ich mir nun wie ein werthes Kleinod gerettet hatte. Wenn ich
den Ludovico heirathen müssen -- und dem würde ich nicht haben entgehen
können -- ach! und eine _ungeliebte_ Frau ist die unglücklichste von
allen -- dann würde ich in seinem Besitz zu beklagen gewesen seyn, und
außer Stande, meine Pflichten mit Vertrauen zu erfüllen, nachdem ich
wußte, Wem sein Herz gehöre, und daß ein armes verwaisetes Mädchen durch
mein Glück leide. So dachte er gewiß mit Wohlwollen an die Clausur,
welche ich gewählt, auf daß er frei wäre in seiner Wahl. Die
_Nothwendigkeit_ meiner Entschließung leuchtete mir also ein, wenn es
doch dann und wann einen Augenblick für mich gab, wo ich meinte, es
hätte vielleicht ein anderer Ausweg für mich ermöglicht werden können.
Allmählig schloß ich die Augen meiner Seele für solche Rückblicke. Mir
war wie Einem, Den mitten am hellen lichten Tage eine Sehnsucht nach
Ruhe ergreift, der er nicht zu widerstehen vermag; der Sonnenschein da
draußen blendet ihn nicht, und das Getümmel der Welt regt ihn nicht auf
an der stillen Stelle, wo er Frieden träumt. -- Gebet und Arbeit füllten
meine Zeit, ich zog viel Blumen, welcher Neigung ich durch mein ganzes
Leben treu geblieben bin. Mehrere botanische Werke aus der Bibliothek
meines Vaters, waren mein fortgesetztes Studium. Auch lernte ich den
Generalbaß und Latein -- was -- wie ein classischer Schriftsteller sagt:
ein gutes Mittel gegen die Wollust seyn soll --« ein klares Lächeln,
worin die Reinheit einer gottgeheiligten Seele schimmerte, ergoß sich
über Veronicas Züge, da sie erläuternd hinzusetzte: »als worunter
jener Autor vielleicht die Lust zum Wohlleben und schlaffe Unthätigkeit
verstanden wissen will. Auch muß ich ihm gewissermaßen Recht geben,
und es ist wirklich wahr, daß jene anstrengende Schule ein empfindsames
Frauenzimmer sehr erkräftiget, und keinem weichlichen Versinken in sich
selbst Raum giebt. Beide Kenntnisse, nachdem ich sie mit unsäglicher
Mühe erworben, waren mir über die Maßen lieb. Ich konnte die Väter
unserer römischen Kirche lesen, die heiligen Legenden -- und der
Generalbaß -- der ist der Schlüssel zu aller Harmonie, und gleichsam das
Thor zu der Welt der Töne. Man geht erst ein in das Geheimniß der Musik,
wenn man ihn kennt. -- So waren mir fünf Jahre still verrauscht. Als
ich einst nach der Vesper vom Chore kam, die Violine im Arm, die ich zu
einer Uebung mit auf meine Zelle nehmen wollte -- ward mir gesagt, ein
fremder Herr, der einen Auftrag an mich hätte, wünsche mich zu sprechen.
Ein _Herr_! ein _Fremder_! dies sind Worte, welche ein Frauenkloster in
Aufruhr bringen. Der ganze Convent sah mich mit Neid und Neugier an, und
die Aebtissin bewilligte es, daß ich das verlangte Gehör gäbe. Es war
im Herbst, zur Zeit des Zwielichts; der Mond schien schon blaß durch
die hohen Fenster, die Reben daran wankten in der Abendluft, so daß sich
Licht und Schatten zitternd in dem düstern Sprachzimmer mengten. Mein
Blick fiel auf die Gestalt eines Mannes, der am Pfeiler lehnte, und
dessen bleiches, verhärmtes Gesicht ich nicht sogleich erkannte.
Um Gott! Ludovico! rief ich so erfreut als bestürzt, da ich ihn
tieftrauernd sah; ich _fühlte_ die Scheidewand zwischen uns -- den Bogen
ließ ich tönend auf die Saiten fallen und konnte mich des Instruments
nicht geschwind genug entledigen. Sein Auge strich an meinem
Ordensgewand und dann an der Violine herab, da er sprach: liebe
_Clara_ -- nie werde ich Sie bei einem andern Namen nennen -- und ich
mißverstand ihn wohl, denn ich dachte, um seiner Gattinn willen -- also
setzte er hinzu: ich mußte Sie doch einmal wieder sehen. -- Ich drückte
ihm meine Freude darüber aus, und durfte ihm nun die Fülle der Liebe
zeigen, die keinen Abbruch gelitten, als ich mir mit dem Grundstein
seines Glückes eine Stufe in den Himmel bauete, denn er war ja einer
Andern, und ich war Gottes. Das Herz war mir so voll -- ich wußte nicht,
wonach ich zuerst fragen sollte. Was mußte ich vernehmen! -- Seine Frau
war todt, in einem schweren Kindbett gestorben, und Ludovico Willens,
mit seinen Kindern nach Italien zu gehen. So wollte ich denn
Abschied nehmen, auch komme ich nicht mit leerer Hand -- sagte er mit
zermalmender Wehmuth, und bat, daß ich ihm die meinige reichen mögte. --
Und durch das Gitter, wie es damals geschah -- steckte er mir _den_
Ring an meinen Finger, den er der Geliebten gegeben, den seine Ehefrau
getragen, den Ring der Schmerzensmutter! -- Empfangen Sie dies zum
Andenken von mir und ihr! sagte er, dieses gottselige Bild darf eine
Braut des Himmels tragen, ohne ihrem Gelübde treulos zu seyn. Und
erinnern Sie Sich in frommer Fürbitte Eines, der mit einem Herzen,
darin der Harm wühlt, und ein Wurm, der nicht stirbt, vergangener Tage
gedenkt. -- Ich weiß nicht, ob das meinige mehr leidvoll als entzückt
war; ich hatte ein Gefühl von Verlöbniß, und doch nicht von irrdischer
Art. Wir trennten uns auf immer -- und doch nicht für ewig. Ich besaß
ein Pfand, was den armen Leidenden an mich bände, und der Freund meiner
Seele, mein Herr und Heiland! hatte nichts dagegen. Auch die Aebtissinn
erlaubte, daß ich den Ring trüge. -- Nach Jahresfrist erhielt ich
eine Cremoneser Geige wohl verpackt, von Ludovico zugeschickt, die
mir unbeschreibliches Vergnügen machte. Es war, als ob seine frühere
Gewohnheit, mich zu beschenken, seit dem Tode der Frau wieder ihren
alten Platz eingenommen hätte. Vor einigen Jahren,« so endigte Schwester
Veronica ihre Geschichte, »zerbrach mir der Ring -- ich konnte mich
jedoch nicht entschließen, ihn einem Goldschmied zu geben. Wie bald --
dachte ich, bricht nicht auch der Tod das Auge, das zu viel tausendmalen
darauf geruhet! so möge er denn ruhen. Hier liegt er nun.« Bei diesen
Worten zog die Nonne ein kleines Schubfach auf, nahm ein Döschen von
Perlenmutter, in Form einer Muschel heraus, öffnete es, und drinnen
schlief das Bild der allerseligsten Jungfrau auf ein wenig Watte. Die
blanke Glätte des Goldes, und ein kleiner Bug am Ringe, zeigten, wie
lange er getragen worden sey. Die Damen betrachteten ihn mit einem,
obgleich verschiedenartigen, doch gemeinschaftlichem Interesse.

Frau Fabia hielt ihn lange vor ihr ernstes Auge, und seine Farben
spielten unter mystischen Gedankenblitzen. Sie dachte an die
geheimnißvolle Verkettung der menschlichen Schicksale, wovon dieser Ring
als ein Glied anzusehen wäre -- und daß selbst so winzige Steine reden
müßten, als die, welche den kleinen Altar reinster Mütterlichkeit
zusammenbauten, wenn es darauf ankäme, daß der Unerforschliche seinen
Willen offenbare. Theresens Blick spiegelte sich leuchtend im hellen
Golde dieser Fassung -- unter Regungen des Flattersinns wie des
Vergnügens, dachte sie: wie solch eine traurige Treue wohl möglich wäre?
und nur ein leiser catholischer Schauer versenkte ihr Anschauen etwas
tiefer in die durchbohrte Brust der kleinen Madonna. Josephine, als die
jüngste, bekam den Ring zuletzt, und durfte ihn am längsten behalten;
ihr war er eine Reliquie. Der todte Schmerz darin -- das Leben und
Leiden der Nonne -- bewegte ihre junge Seele. Die Mutter Gottes, fest
gefügt, schwankte, und ihr starrer Jammer lösete sich in der Thräne auf,
die dem frömmsten Kinde der Christenheit in den klaren Augen funkelte.
Josephine empfand, daß solch ein Ring den Schmuck der ganzen Erde
aufwöge. Sie fühlte die Heiligkeit der Liebe, und den unvergänglichen
Werth eines Herzens, das sich zu opfern vermag, auf daß die Welt selig
würde, die es umfaßt.

Während dieser Theestunden war der Administrator bei dem Major
Feldmeister gewesen, der ihm sagen lassen, es ginge schlimmer mit dem
Bein, und er mögte ihm doch ein wenig Gesellschaft leisten auf seinem
Zimmer.

Jener, der in der Abwesenheit der Frauen eine schwache Anwandlung von
dem Unbehagen eines Ehemanns spürte, welcher den Zusammenkünften der
Damen und ihrer gesetzgebenden Tyrannei nachstehen muß -- hatte der
Einladung augenblicklich Folge geleistet. Das Gespräch vom Morgen ward
fortgesetzt, und der Major brachte die Frage wiederum in Anregung, wie
der Erstere zu seiner zweiten Schwägerinn gekommen sey. Da es sich nun
der Allgegenwärtige allein vorbehalten hat, aller Orten zugleich zu
seyn, und, wie Einer sagt, der nach dem ersten Erschaffenen heißt: Adam
im Dorfbarbier --, ein einzelner Mensch nicht an Alles denken kann, so
müssen wir uns das Vergnügen versagen, unsere Leser als Zeugen dieser
Unterhaltung einzuführen, _weil_ und _so lange_ wir in Veronicas Zelle
verweilen. Indem wir nun den Inhalt derselben nachträglich mittheilen,
ist uns der Vortheil gegönnt, auch das, was dem Erzähler selbst
verschlossen geblieben, kraft des magischen Schlüssels, den wir
dazu besitzen, unsern Lesern zu eröffnen. -- Die Stiefmutter des
Administrators hatte sich nach seines Vaters Tode mit ihrem Söhnlein
in die Hauptstadt des Landes begeben, welches der Schauplatz dieser
einfachen Geschichte ist. Die Dame mogte ihre guten Ursachen haben, so
fern als möglich von ihrem ehemaligen Wohnorte zu leben, um persönlichen
Vorwürfen zu entgehen, und die Früchte eines erlisteten Testaments unter
dem Schutze der Unbemerktheit genießen zu können. Und wie es denn nun
häufig geschieht, daß ein ungemeines Glück auf den Schmutz ungerechten
Besitzes, und in befleckte Hände fällt, so waren ihrem Kinde seltene
Gaben geworden. Der kleine Constanz war ein Ausbund in jedem Sinne, und
unter keine Regel zu bringen. Er wuchs in genialer Wildheit auf,
und seiner Mutter, wie Jedem, der an ihm erzog, über den Kopf. Seine
Fähigkeiten überflügelten frühzeitig die Erwartungen der Lehrer,
die nicht wußten, in welche Classe sie ihn setzen sollten. Seinen
Mitschülern war er ein Abstractum -- und mit einer wohlwollenden Seele
sah Constanz sich nirgend verstanden, denn es fehlte selbst der Mutter
an dem Maßstab der Liebe, den Geist ihres Kindes zu messen. Die Mutter
befand sich nicht wohl, und zog, eine Frühlingscur zu gebrauchen, vor
das Thor. Dicht neben dem Hause, darin sie wohnte, war das Hotel des
***schen Gesandten, mit einem prächtigen Garten. Der Knabe blickte
zuweilen sehnsüchtig aus dem engen grünen Bezirk, den seine Eigenthümer
ein Gärtchen nannten, und dessen Beete in seine strebsamen Wünsche
hemmend einschnitten, in die freien Räume hinüber, wo die Söhne des
Gesandten, etwas älter als er, unter hohen Schatten sich nach Willkür
belustigten, und unter dem gesenkten Auge des Hofmeisters, der nicht
weit davon in einem Buche las und mit vornehmer Ruhe seine Eleven
gewähren ließ -- ein wenig turnten. Es prickelte den Constanz oft in
allen Gliedern, das Glück dieser Ungebundenheit zu theilen, denn die
Mutter schrie schon ängstlich auf, wenn er einen Purzelbaum schoß, oder,
die langsame Treppe zu umgehen, sich über das Geländer hinaufschwang.
Jede solche Kraftübung ihres Söhnleins setzte ihren schwachen Kräften
zu. Das Verlangen nach diesem Spielraum ward ihm denn nun auch erfüllt.
Die Lebendigkeit des Kindes, was sich den stolzen Söhnen des Gesandten
auf ihren Wunsch und Wink zugesellt, etwas Hinreißendes in seinem Wesen,
die Art und Weise, wie der freundliche Knabe seinen Willen stets gegen
den hochmüthigen Trotz der Andern durchsetzte, schienen dem Hofmeister
bemerkenswerth. Er sagte dem Gesandten davon, und als dieser einst
Gelegenheit hatte, den kleinen Constanz selbst zu beobachten, fand sein
feiner diplomatischer Blick ein Talent an dem Knaben aus, was wohl der
Mühe verlohnte, für _seine_ Zwecke entwickelt zu werden. Der Gesandte
ließ sofort die Wittwe artig ersuchen, ihren Sohn, der ihm lieb geworden
sey, an dem Unterricht seiner Kinder Theil nehmen zu lassen. Es geschah,
und mehr noch. Als der Sommer zu Ende ging, war auch die Mutter des
kleinen Constanz an ihrem Ziele -- und der Gesandte nahm den verwaiseten
Knaben nun ganz zu sich. Die Söhne folgten ihrer Bestimmung, Constanz
blieb das Kind des Hauses. Er ward Privat-Secretair des Gesandten. Diese
Stellung machte ihn mit den geheimsten Staatsverhältnissen vertraut,
er arrondirte die Rechte der Familie gegen einander, und ihr Oberhaupt
setzte ein ungemessenes Vertrauen in die Klugheit seines Günstlings.
Nur dessen Geschlechtsname war ihm zuwider, aus einem angestammten
Vorurtheil gegen klösterliche Machthaber, und da nun Constanz von früher
Kindheit an _so_ und nicht anders genannt worden war, behielt er diese
Benennung später und für immer bei, so daß man kaum mehr wußte, wie er
eigentlich heiße. So ward es dem Constanz nicht schwer, die Prälation
seines Namens gegen jenen aufzugeben, der im Hause mit französischem
Accent ausgesprochen ward. Seine Persönlichkeit ging in der Bedeutung
des Gönners unter, dem er Kopf und Feder lieh. Es war bekannt, daß der
Secretair die rechte Hand des Gesandten wäre; doch die Frau desselben
tadelte diesen Vorzug, wenn auch nicht laut. Sie liebte den Jüngling
nicht gleicherweise, theils aus ein wenig Mutterneid, theils aus einem
dunkeln Gefühl von Eifersucht auf die Gunst ihres Gemahls, endlich,
weil er sehr verschwiegen war. Diese erforderliche Eigenschaft stand im
Conflict zu einem Fehler der Dame: dem Mißtrauen. Sie argwöhnete, das
Cabinet, dessen Geheimnissen der Secretair verpflichtet wäre, enthielte
auch solche, welche nicht in anderer Herren Länder, sondern über
die Grenzen des ehelichen Bereichs, in das Gebiet _fremder Frauen_,
verhandelt würden. Und in wie weit dieser Verdacht begründet gewesen,
wird die Folge lehren. So war das Verhältniß des begünstigten Constanz
gegen die Dame des Hauses etwa das eines natürlichen Sohnes.

Wenn der Gesandte, was er oft zu thun pflegte -- rühmte, wie expedit
Constanz sey, wie er darin das Unmögliche leiste, dann bestrafte seine
Gemahlinn ihn für den Aerger dieses Lobes, indem sie weniger mit einer
Miene des Tadels, als übler Weissagung, entgegnete: »ich fürchte sehr,
Constanz übertreibt Alles, und Sich zumeist. Solche Leute leben nicht
lange. --« Dies Prognosticon, mit pflegmatischer Ruhe gesprochen, jagte
den Gesandten in Furcht. Einst hörte er seine Frau zu dem Secretair
sagen: »wenn Sie nur nicht immer so =en carrière= wären, Constanz! ich
mag es nicht gern, wenn der Mensch weder Rast noch Ruhe hat. Denken Sie
an mich, Sie werden einmal wie ein Wirbelwind heirathen, der den Leuten
Staub in die Augen streut -- und mit Extrapost gen Himmel fahren. --«
Der Jüngling lächelte der Drohung, die ihn zügeln sollte, und sprach:
nichts könnte ihm lieber seyn, denn alles Langsame wäre sein Tod. --

Der Gesandte dachte darauf, wie er den Constanz, ohne ihn zu verlieren,
entfernen könnte, und alsbald traf dieser Wunsch mit den Interessen
seiner Charge, wie mit denen seiner eigenen Angelegenheiten auf das
Genaueste zusammen.

Es war um die Zeit der Aufstände in Polen, wo er den Secretair mit einem
Auftrage von größter Wichtigkeit an einen entlegenen Hof sendete. Es
war eine Courierreise. Doch zu Einem Auffenthalt erhielt der junge Mann
geheime Instruction, und Constanz muthmaßte schlau, diese mache nicht
den unbeträchtlichsten Theil seiner Sendung aus. An der polnischen
Grenze lebte eine Freundinn des Gesandten, um die er in Sorgen war.
Constanz sollte sich von der Lage dieser Dame und ihrer Tochter in
Kenntniß setzen, und wie es Beiden in den kriegerischen Unruhen ergangen
sey; dann ihnen Depeschen überreichen, welche der Gesandte ihm, unter
dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit, übergab. Er versprach dagegen,
wenn die Ausführung jenes Geschäfts -- vielleicht meinte er auch
_dieses_ -- den Beauftragten bewähre, so solle Constanz einer seinem
Verdienst entsprechenden Versorgung im diplomatischen Corps gewiß seyn.
-- Es war, als ob der Landsturm jener Revolution eine alte Erinnerung in
dem Herzen des Gesandten aufgestört, und seinen gleichmüthigen Bestand
aufgelöset hätte. Dieser Protector, getäuscht von der innern Bewegung,
wähnte, seinen äußern Zustand verändern zu müssen, und indem er die
Anstrengung im Auge hatte, sich auf den Gipfelpunct seiner Wünsche zu
schwingen, ging er von der Idee aus, den Protegé für diese Absicht zu
nützen, bevor er ihn poussire.

Freudig, wie ein Vogel den goldenen Käfig hinter sich läßt, darin er
eingeengt gewesen, flog Constanz durch die blauen Lüfte. Er war ganz in
seinem Elemente; eine weite Aussicht that sich vor seinen Blicken auf.
Er schwelgte gleichsam im Genuß einer pflichtmäßigen Eile. -- Doch
indem er der Ferne zustrebte, war er unversehends an die Marken seines
Schicksals gekommen; und hier war es, wo der Horizont seiner Hoffnung
Erde und Himmel für ihn abgrenzte.

Als Constanz sich den Wäldern Polens näherte, drängte sich ein
düsterer Ernst ihm auf. Ueberall traf er auf Spuren wilden Kampfes und
verzweiflungsvoller Schritte. Die Zerrissenheit dieses Volkes dauerte
ihn, er sah betrübt zu Boden, den so viel edles Blut besprengt, und
jeder Ton dieser sarmatischen Mundart schlug dumpf und traurig eine
tiefe Saite seines Herzens an.

Constanz sprach sehr geläufig polnisch, was ihn jenen heimathlosen
Flüchtlingen naturalisirte, in deren rauhen Mienen ein Strahl
vaterländischen Sonnenscheins bei seiner Anrede aufging. Man wies ihn
überall freundlich zurecht; doch nicht in einen erfreulichen Port. Der
kleine Edelsitz, auf dem die Freundinn des Gesandten residiren sollte,
war eine wüste Brandstätte, ein trauriges Bild gänzlicher Verödung. Es
war um die Mittagsstunde, als Constanz auf dem weichen Estrich dieser
polnischen Wirthschaft anhielt. Diese verkohlten Gebälke schienen
noch zu dampfen; doch kein Rauch stieg aus der Esse des Gemäuers, des
einzigen auf dem Höfchen, was den Anstrich hatte, bewohnt zu seyn. Ein
alternder Mann, in der Livree der Armuth, welche ein lustiges Bunt
giebt und freie Schnitte -- doch besseren Ansehens als Die, welche sie
gewöhnlich tragen -- stand in der niedern Thür, und sah tiefsinnig auf
das leere Häuschen einer Hundehütte nieder, deren Kette gelös't daneben
lag, und den Wächter frei gegeben hatte. Der Mann schrak zusammen, als
das leichte Fuhrwerk schnell wie ein Pfeil von der Senne, durch den
offnen Thorweg prallte, und gleichsam sein Herz zu treffen schien. Der
junge Reisende trat wohlwollend auf ihn zu, und fragte nach der Herrin
des Ortes. »Meine Dame schläft --« sagte der vermuthliche Diener,
indem ein Seufzer seiner Rede voranging, welcher sie der Theilnahme des
Zuspruchs anempfahl, »und ungern mögte ich sie wecken. Auch würde es«
-- meinte der Getreue, »wenig nützen. Seit den erschrecklichen Vorfällen
allhier,« fuhr der Alte fort, »hat meine Dame das Gedächtniß verlohren,
und kann sich auf nichts mehr besinnen.«

»Nun, vielleicht doch! wir wollen sehen --« erwiederte Constanz lächelnd
auf diesen Bescheid, der beinahe abweisend lautete.

»Sogleich!« sprach der Alte in der reizbaren Empfindlichkeit seiner
Nation und eigenen Unglücks, von diesem Lächeln, diesem Zweifel
beleidigt, und stieß leise ein zersprungenes Fenster nach Innen zu auf,
was nur angelehnt war. Der junge Fremde sollte Einsicht in die Wahrheit
seiner Aussage bekommen. Constanz trat vor die Oeffnung, und als
Schatten vor die Sonne, welche wie zum Spott Verhältnisse beleuchtete,
deren Glücksstern untergegangen war. Welch ein Anblick! das nackte
Sparrwerk der Wände war mit Teppichen behangen, die augenscheinlich
einer besseren Bestimmung angehörten. Auf einem verstümmelten
Pfeilertisch von Marmor stand eine massive Eßschale, trübe verblindet,
darin ein Rest ärmlicher Speise war. Tausend Kleinigkeiten, darunter die
meisten vom Ueberfluß, lagen -- ein Quodlibet -- wirr durcheinander, und
eine Anzahl kleiner abgetragener Schuhe, wie vertretne Kinderschuhe --
nahm den Fußboden ein. Alles schien nur für den Nothbehelf zu seyn. In
einem Großstuhle, der schräg gegen das Fenster gerückt, voraussetzen
ließ, er stände nur derweilen da -- lag eine ältliche Frau mit
geschlossenen Augen. Ein echter Schawl, an den der matte Kopf sich
schmiegte, hing nachlässig über die Lehne geschlagen, und der Chinese
des Gewirks, hielt seinen Schirm über diese eingesunkene Wange.
Vielleicht war dieser phantastische Schutz der einzige, dessen die
schlummernde Dame genoß. -- Um ihren feinen Mund schwebte ein Lächeln
-- das Todeslächeln unbewußter Beruhigung; ihre rechte Hand lag auf dem
Arme des Sessels. Eine zartere Hand, gewebt aus der feinsten Seide
des Müßiggangs, hatte Constanz nie gesehen; aber er gewahrte jenes
Nervenhüpfen daran, welches auf krampfhafte Zustände, und nicht selten
auf eine nahe Auflösung schließen läßt. Im lebendigsten Contrast dieses
abgespannten und verblichnen Bildes, saß ein junges schlafendes Mädchen
zu den Füßen der Dame. Diese Sieste war eine andere; dieser volle
Athemzug war ein trunkenes träumerisches Schöpfen aus der Ruhe süßestem
Quell. Constanz ward berauscht vom Zusehen. Für einen jungen Mann giebt
es keine größere Gefahr, als die Schönheit, wenn sie schläft, und die
gesenkten Waffen blinkender Augen. -- Doch nach einigen Secunden, die
sein Leben wendeten -- es giebt Momente, welche alle Verhältnisse der
Zeit aufheben -- trat Constanz zurück, denn der Anzug des Mädchens
däuchte ihm nicht für die Nähe eines Mannes berechnet. Er wollte warten;
doch jetzt regte sich die Dame, und der alte Diener führte ihn an die
Thüre. Constanz mußte sich bücken, und sein Herz beugte sich, als die
Dame ihre Augen aufschlug, und erschrocken fragte: ob wieder Feinde da
wären? -- Constanz versicherte ehrerbietig: er käme als ein Bote der
Freundschaft. Die Dame legte die schneeweiße Hand an ihre Stirne, wie
Jemand, der sich besinnt, und sprach: »Freundschaft -- --?« Es war, als
wäre der Begriff dieses vielsagenden Wortes ihr tief entfallen.

Während dessen war das Mädchen auch erwacht. Angesichts des jungen
Fremden trat es vor den alten Mann, und ließ sich ungenirt das Kleid
von ihm zuhäkeln. Diese polnische Unschuld verwirrte den entzückten
Constanz, dem der kleinste Dienst weiblicher Toilette bisher wie das
Werk geheimnißvoller Verwandlungen gewesen -- so daß er mit Mühe nur
seinen Auftrag auszurichten vermogte.

Es war eine helle Stunde für die Mutter, in der sie die Depeschen des
Gesandten las. Und während sie wie aus den Wolken fiel -- sehr dunkle
hatten den Lebenstag dieser unglücklichen Frau verfinstert -- daß
jener Freund sich ihrer _jetzt_, und auf diese Weise erinnere, fiel das
Rosenlicht einer schöneren Vergangenheit auf jede Zeile. --

Das Lesen geschah indeß so langsam, daß Constanz unterdessen völlig Muße
hatte, sich der Tochter zu befreunden. Er bat um die Vergünstigung, bis
zum andern Morgen hier verweilen zu dürfen. Die Mutter war über jede
Verlegenheit ihrer Lage hinaus -- das Fräulein bewies sich nur in so
fern gastfreundlich, indem es bei der Sorge für die Bewirthung dieses
angenehmen Botschafters doch nicht das Vergnügen über seine längere
Anwesenheit verleugnete.

»Bonaventura --« so hieß der alte Kämmerer -- »wird schon Rath
schaffen,« sagte Therese -- unsere Leser wissen ihren Namen doch. »Wir
wollen die Mutter nur ganz außer Acht lassen --« flüsterte Therese ihm
traulich zu. »Sie lies't zwei Stunden an dem Briefe -- ich kenne das.
Wäre es Ihnen vielleicht gefällig, eine Parthie Schach mit mir zu
spielen? Sie mögen Rußland seyn -- ich bin Polen.«

Constanz erstaunte über die Vortheile, welche Therese sieggewiß
ihm vorausgab; doch nicht minder, daß er fände, wie dieser harmlose
Leichtsinn vermengt wäre, mit patriotischer Tücke. -- Nach wenigen Zügen
war seine Niederlage entschieden, und nebenbei verlor er sein Herz.

Nachdem Theresens Mutter gelesen, versank sie in eine Apathie, welche
ihre Gegenwart den ganzen Abend hindurch unwirksam machte. Und dieser
Abend, er reichte hin, die flatterhafte Neigung der beiden jungen
Leute unauflöslich zu knüpfen. Auf Constanz Seite stand unsichtbar sein
treibender Genius, der ihn immer und überall drängte. »Spute Dich!«
raunte dieser beflügelte Geist ihm zu, »wir haben Eile, und die Zeit
entflieht.« Wie verwirrend die zarten Seile nun auch waren, die sich
leise um dieses flüchtige Naturell legten, wie verworren das Verhängniß
dieses Hauses vielleicht: Constanz blieb zum Aufmerken frei, wie zu
einer und der andern Frage, die ihm sein Gönner an das Herz gelegt,
bevor er die an das Fräulein richtete, welche ihn selbst betraf. Es
geschah dies gesprächsweise. Therese stand auf, rüttelte sacht an der
schwachen Mutter, und weckte ihre schlafende Seele mit den Worten: »sage
einmal, habe ich Verwandte?«

»So viel ich weiß: nicht;« antwortete die Dame mit Resignation, und
bat, daß ihre Tochter sie in dieser traumhaften Stille lassen mögte. Ein
kühner Wurf des Gesprächs brachte es auf Religion, und Constanz begehrte
zu wissen: zu welcher das Fräulein sich bekenne? »Eigentlich zu keiner,«
antwortete Therese mit liebenswürdiger Freigeisterei, »ich habe meinen
Glauben gern für mich, und meine Liebe auch. Doch bin ich mit Salz
getauft --« Constanz lächelte gelinde.

Therese, die es zweifelnd ansah, stand abermals auf, ging zu dem
Großstuhl, neigte sich über die blasse Gestalt, und sprach: »Mütterchen,
bin ich catholisch?«

»Etwas --« antwortete die Dame kaum hörbar, »Du frägst mich viel. --«
Therese stand beschämt. »Die Mutter hat eigentlich Recht --« sagte sie
und nickte dazu. »Fasttage halte ich gar nicht, und auf die Beichte
nicht viel; sie müßte denn freiwillig seyn, wie zum Beispiel jetzt. Wenn
ich es Ihnen ehrlich gestehen soll --« fuhr Therese fort: »die Religion
ist mir ein bischen zuwider. Erstens: des vielen Krieges und Streites
wegen, den sie verursacht hat, und ich liebe es sehr, daß man sich
freundlich begegne; dann habe ich einige Fromme kennen gelernt, die mir
außerordentlich gehässig waren. -- So kann ich auch nicht anders, als
mir unsern Herrgott unter dem Bilde eines wohlwollenden alten Mannes
denken, der eine großmächtige Schlafmütze trägt -- als Symbol der
ewigen Ruhe. Und in dem Himmel stelle ich mir eine ehrsame, aber höchst
langweilige Gesellschaft vor.«

Für Constanz waren diese Aeußerungen, um der Anmuth und anspruchslosen
Offenheit ihres Vortrags willen, Bekenntnisse einer schönen Seele. Ein
aufrichtiges Herz schätzte er über Alles, und er wünschte, sich dieses
arglose zuzueignen.

Was Therese dem Gast im Laufe des Abends erzählte, dürfte ohngefähr
folgendes Ergebniß seyn. Therese war, seit ihrer frühesten Kindheit von
ihrer Mutter getrennt, in einem großen Hause erzogen worden, ziemlich
sich selbst und ihrer natürlichen Gutartigkeit überlassen. Jene Familie
aber lebte, verwandtschaftlicher Verhältnisse wegen, wenig daheim, und
so konnte sich auch kein weibliches Gefühl der Stille und Stetigkeit
in Therese entwickeln. Dieser auswärtige Aufenthalt entfremdete sie der
Mutter wie der Muttersprache, und eine fanatisch protestantische Bonne
vermischte den catholischen Geist des Fräuleins so lange mit dem Wasser
der reinen Lehre, bis Theresen das religiöse Element der Seele vom
Ueberfluß schien. -- Als die Gährungen in Polen ausbrachen, lös'te jene
Familie sich theilweise auf; eine heimathliche Sehnsucht erwachte zum
erstenmale in Theresen. Sie verlangte nach ihrer Mutter, und man hielt
das Mädchen in der waldigen Steppe des mütterlichen Witthums besser
aufgehoben, als im Mittelpunct einer wildbewegten Stadt. --

»Aber es war nur um so schlimmer --« sagte der alte Bonaventura, als
er am Abend spät Constanz in dem dürftigen Verschlage bediente, wo sein
Nachtlager bereitet war, und auf die warmen Erkundigungen des Gastes mit
traurigem Bericht Theresens Aussage vervollständigte: »die Ankunft
des Fräuleins war entsetzlich. Die Mutter sah ihr schönes Kind bei dem
Feuerscheine seiner Habe wieder, und die Kraft meiner Dame ward davon
verzehrt, wie unser weniges Heu von der Flamme. Nur der Entschlossenheit
eines jungen feindlichen Offiziers verdanken wir persönliche
Berücksichtigung und das, was wir aus diesem Wirrsal retten konnten. Ein
lieber Mensch! die Andern waren nur wie reißende Wölfe gegen ihn; aber
Gott haucht Milde ein, da, wo sie Noth thut, und mäßiget den Wind für
das Lamm einer geschorenen Heerde.«

Constanz hatte jenes Offiziers auch von Theresen erwähnen gehört,
und mit einem so bedeutsamen Interesse, daß dieser Antheil eine
eifersüchtige Regung in ihm erweckte. --

»Seit jenem Tage nun,« fuhr Bonaventura fort, »vergißt meine Dame Alles!
wohl ihr! das Gedächtniß verlieren ist für den kein Unglück, der nichts
als Kummer zu vergessen hat. Jeder Augenblick, wo sie nun schläft,
erquickt mein eigenes Herz, was ihr die Ruhe gönnt, und mit Freude werde
ich ihr die Augen zudrücken, welche nicht viel gute Tage gesehen haben.«
Die des alten Mannes standen voller Thränen, als er dies sagte. Diese
treuherzige Gesinnung rührte Constanz und flößte ihm Achtung für den
Diener wie für die Herrin ein. Er fragte, er wollte vornehmlich wissen,
warum Therese ihrer Mutter entrissen worden sey? --

Bonaventura zuckte die Achseln. Er erzählte eine Geschichte jugendlicher
Verirrungen, welche seine arme Herrschaft unter die Despotie ehelicher
Tyrannei gebracht hätten. Dabei gerieth er in ein Labyrinth der
Darstellung, verlor den leitenden Faden -- und wußte am Ende nicht,
wo aus noch wo ein? da es ihm zur Unzeit einfiel, ob es nicht
verrätherische Geschwätzigkeit sey, die zarten Leiden seiner Dame einem
fremden Ohr Preis zu geben? -- Jene Geschichte gehört nicht in unsern
Plan. Wir lassen ihren Stoff daher unter der großen Masse menschlicher
Schwachheit und menschlichen Unglücks auf sich beruhen. --

Constanz wußte die gewissenhafte Aengstlichkeit des redlichen Mannes zum
Schweigen zu bringen. Er entdeckte sich ihm ganz, und Bonaventura nannte
ihn einen Gesendeten Gottes, und nicht des Gesandten.

Am Morgen mußte Constanz fort. Die Werbung um die Braut war bald
geschehen und mit Erfolg: die Mutter befand sich fähig, ihn anzuhören.
Constanz legte ihr einfach seine Verhältnisse wie seine Wünsche dar.
Er wollte Theresen bei seiner Retour mit sich nehmen, unterdessen den
Consenz des väterlichen Gönners dazu nachsuchen, und daß dieser seine
Anstellung beschleunige. Doch war er eines weigernden Grundes der Dame
von Seiten ihrer Kränklichkeit gewärtig. Aber nichtsdestoweniger war die
Mutter bereit, sich ihrer kindlichen Stütze zu begeben. Sie sagte mit
einem gewissen Heroismus, der für eine rettende Idee froh, wenn auch
einsam, sterben lehrt: »grüßen Sie den Gesandten tausendmal von mir
-- wenn Sie ihm Theresen bringen, wird Ihr Glück ihm bestens empfohlen
seyn. -- Ich verlasse das Leben gern, da ich meine Tochter unter dem
Schutze ihres natürlichsten Freundes weiß. Der da --« (sie wies auf
Bonaventura) »begräbt mich schon.« Therese weinte wohl, allein nicht
allzusehr. »Dann bleibt Dir Alles, guter Bonaventura!« sagte sie, reich
in Hoffnung.

»_Alles!_« wiederholte Bonaventura, und lächelte traurigbitter wie der
Verlust zu der Erbschaft: dieses Alles war so viel als Nichts. -- Der
gute Alte wußte nicht, daß die Liebe jeden Strohhalm zu den Mitteln
des Glückes zählt, wenn auch nur als Medium die bunten Seifenblasen der
Täuschung in die leere Luft zu hauchen. --

Als Constanz, der Verlobte Theresens, nun mit aufgeregten Gefühlen den
öden Ort verließ, wo unter Schutt und Trümmern seines Lebens schönste
Blume blühete: da dachte er an die verheißenden Worte der Gesandtinn, er
würde einmal im Fluge die Braut heimführen. --

Im höchsten Schwunge seiner geistigen Kräfte legte Constanz die weite
Reise zurück, und erreichte mit dem Ziel auch die Absicht. Er erstaunte
selbst, wie leicht ihm alle Schwierigkeiten zu beheben gewesen; ein
Gott hatte ihm Flügel geliehen, und den Schlangenstab der Klugheit. Er
glaubte die Zufriedenheit des Gesandten bestens verdient zu haben, und
in diesem kühnen Vertrauen fügte er daher seiner Meldung dessen, was
er ausgerichtet, die Bitte bei, daß der Gesandte seine Verbindung mit
Theresen genehmigen und die schriftliche Zusicherung ihm ohne
Säumen entgegen senden möge. In der gewissen Voraussetzung, daß dies
unverweigerlich geschehen werde, kam Constanz nach Polen zurück. Er
fand eine so leidenschaftliche Aufnahme bei seiner Braut, als wäre seine
Wiederkehr ihr dennoch zweifelhaft gewesen. Mit Thränen sagte sie ihm,
er komme zur rechten Zeit, denn seit dem vorigen Tage lag die Mutter im
Sterben und konnte nicht enden.

Bonaventura hatte indessen mit treuer Umsichtigkeit alles vorbereitet.
Ein Weltgeistlicher in der Nähe war durch seine einfache Ueberredung
gewonnen, die jungen Leute zu copuliren. Er war eben anwesend, und
vertrat die Stelle eines Arztes für Leib und Seele zugleich. »Mein
werther Herr,« sagte der Priester höflich zu Constanz, »ich verstoße
gegen ein Staatsgesetz, wenn ich Sie ohne vorhergegangene Proclamation
traue; aber -- =inter arma silent leges= -- sagen wir Lateiner, und ich
verhoffe, Sie werden mich in so fern gegen alle Verantwortung sichern,
daß Sie mir einen Schein ausstellen, worin Sie Sich verpflichten, jeden
Einwand vertreten zu wollen, welcher möglicher Weise dieser Heirath mit
Fug und Recht gemacht werden könnte. -- Unter dieser Bedingung will ich
mein heiliges Amt zu Gunsten Ihres Wunsches üben.« --

Constanz, im Gefühl, von Seiten des Gewissens völlig frei zu seyn zu
diesem Schritt, verstand sich gern dazu, und der Geistliche beschied sie
für den nächsten Morgen in eine kleine Capelle auf der Hälfte des
Weges. Bis dahin, meinte der todeskundige Mann, -- würde die Mutter des
Fräuleins ausgelitten haben.

Aber als der Morgen erwachte, lag die Hochzeitmutter noch in Agonie.
Es war eine schauerliche Stunde, die der Einsegnung. Der Sturm sausete
unheimlich durch den Wald, das morsche Kirchlein wankte, die Lichter
wollten verwehen, der Regen rauschte herab, die Braut schwamm in
Thränen --, kein Zeuge war zugegen, als der Meßner und Gott! --

Sie kamen nach Hause; kein fröhliches Mahl war ihnen bereitet. Constanz
sah ängstlich nach der Uhr, deren Zeiger, gleichgültig gegen die bange
und dringende Erwartung umher, unaufhaltsam weiter rückte, und fand, daß
seine Zeit abgelaufen sey. Nur jene Körner wollten nicht ausrinnen.
Da bat Bonaventura, daß man ihm eine Vorstellung erlauben möge. »Meine
Dame,« sagte er, »kann nicht sterben, so lange Sie hier gleichsam auf
dem Sprunge stehn. Ist es doch mit einer Frau in Kindesnöthen gerade so.
Die kann auch nicht genesen, wenn darauf gewartet wird, und der Tod soll
ja eine neue Geburt seyn. -- Ueberlassen Sie die Verscheidende mir; ich
bleibe bei ihr, _ich!_ es ist mein letztes Geschäft auf Erden.« Der gute
Alte legte das ganze Gewicht seiner treuen Gegenwart in einem zitternd
aushaltenden Accent auf dieses Wörtchen.

Constanz fand, daß er Recht hätte. Er gab ihm eine volle Börse und
unbedingte Vollmacht. Dann beugte er sich weich über das stille Lager
der Mutter, die langsam zwischen schweren Pausen athmete, und keinen
Blick des Segens für ihren Eidam hatte. Therese küßte schluchzend ihre
schlaffe Hand, fühlte aber auch nicht den leisesten Druck der Liebe mehr
-- und nun rollte der Wagen vor und fort. Kaum waren sie an ein steinern
Kreuz gekommen, eine Viertelstunde von dem Oertchen und so gelegen, daß
es einen Rückblick darauf gewährte, so sahen sie ein weißes Tuch vom
Giebel wehen. Constanz bemerkte es zuerst. Er sagte ernst: »Bonaventura
giebt uns ein Zeichen, die Mutter wird verschieden seyn. -- Denke
nur, sie schläft etwas tiefer wie bisher, und hat alles Leid auf ewig
vergessen.« Und Therese dachte wirklich so. Die junge Frau nahm also
über die Grenze ihres zerrissenen Vaterlands, wenn auch grade kein
zerrissenes Herz -- dazu war der natürliche Verband mit ihrer
Mutter nicht innig genug gewesen -- doch ein völlig aufgelös'tes
Familien-Verhältniß, und keine andere Mitgift, als frühe Gewöhnungen,
wie sie den Damen dieser Abkunft eigen sind. Es war, als hätte ein
günstiges Geschick dies harmlose Wesen in die Arme der Liebe vor den
Schauern des Grabes und der Pflicht zu trauern, retten wollen.

Seltsam genug bemächtigte sich des jungen Ehemanns jetzt, in der
gesicherten Erfüllung seiner leidenschaftlichen Wünsche, der Zweifel,
was der Gesandte zu dieser Heirath sagen werde? Vorher war Constanz der
Zustimmung, ja des Beifalls seines Gönners gewiß gewesen. So verändern
sich unsere Ansichten Anderer mit jedem unserer eigenen Schritte. Es
gereichte ihm wie zum Trost, daß die Macht der Umstände ihn zu
diesem, den er rasch gethan, gedrängt hätte. Er fühlte sich in einer
geheimnißvollen, aber um so bindenderen Verwandtschaft zu seinem
väterlichen Freunde, und bedurfte nur -- so däuchte es ihm -- das Siegel
der Bestätigung zu erblicken, um Theresen mit jedem Recht als Gattin an
seine Brust zu drücken. Doch kein Brief gab Antwort auf diese Frage,
und mit wachsender Unruhe eilte Constanz einer endlichen Entscheidung
entgegen. Eine leichte Unpäßlichkeit Theresens hielt die Reise um
ein paar Tage auf, und ihr Gemahl fühlte, daß eine Frau Rücksichten
erfordere, welche den Mann nicht fördern.

So waren sie in das Städtchen Leidthal gekommen und hielten an der
kleinen Posthalterei daselbst. Constanz hatte auf dem letzten großen
Postamte abermals kein Schreiben angetroffen. Er war jetzt resignirt --
es mußte etwas von besonderer Wichtigkeit vorgefallen seyn; nichts
war ihm dringender, als nur so bald als möglich an Ort und Stelle zu
gelangen. Therese theilte diese Ungeduld indeß nicht. Die reizende Lage
der kleinen Expedition, eine vollblühende Jelängerjelieber-Laube, welche
den ländlichen Vorplatz schmückte -- eine Pilgerruhe der Passagiere --
entlockte ihr den Wunsch, hier einige Stunden ausruhen zu können, und
Constanz zeigte sich gefällig dafür. Er trat zu dem Postmeister, als
dieser im Begriff stand, das Felleisen auszupacken. Da sprang die
ersehnte Handschrift ihm in die Augen, ein Brief an ihn vom Gesandten.
Constanz beglaubigte sich, als den Empfänger. Er riß hastig in das
Papier -- aber der Inhalt zerriß das Blatt seiner Hoffnung noch
heftiger. Sein Gönner schrieb ihm: ein Ereigniß von größter Bedeutung
habe ihn genöthiget, seinen Standpunkt zu verlassen und nach dem Süden
zu gehen. Er werde die Tour über B. -- nehmen, woselbst er seinen
Secretair erwarte, der ihn auf dieser Reise begleiten müsse; die Dauer
dieser Reise wäre vorläufig nicht zu bestimmen, und hinge von Umständen
ab, welche schwebten. Constanz sollte daher sein Eintreffen dort,
so viel als möglich beschleunigen, der Gesandte harre sein. Was die
fragliche Parthie anbeträfe, so werde dieser Punct zu gelegener Zeit
zwischen ihnen zur Sprache kommen. --

Dieser Brief war in dem Tone jener Superiorität abgefaßt, die stets ein
Vorbehalt Derer bleibt, welche in ihrer Persönlichkeit die Freundschaft
mit der Protection für uns verbinden. Constanz war durch die frühesten
Eindrücke für diesen vornehmen Ausdruck empfänglich geworden. Er war
dem Gesandten in den zartesten Beziehungen verpflichtet: denen der
Dankbarkeit. Auch war gewissermaßen das Wohl des Staates diesem
Zusammenhange verknüpft, so konnte er sich seiner Pflicht nicht
entziehen. Theresen mitzunehmen, daran durfte ihr Gatte nicht denken,
denn so wie er den Gesandten kannte, war der Anhang, die Heirath
betreffend, als abweisend anzusehen. So mußte dieser erst durch die
Ueberredungsgabe seines Lieblings für Etwas gewonnen werden, was bereits
geschehen war.

Constanz stand äußerst betroffen. Er theilte Theresen mit, was sie
so nahe anging, und erklärte ihr diesen Ruf des Schicksals als
unabweislich. »Nur diese Reise noch,« tröstete er die bestürzte Frau,
indem das Gefühl der Selbständigkeit in ihm ansprach, »dann trennt uns
nichts mehr, Du Liebste! -- Erfüllt der Gesandte sein Versprechen nicht,
mich zu versorgen, so reicht mein Vermögen hin, ihn entbehren zu können.
Doch jetzt darf ich ihn nicht im Stiche lassen; ich muß die Resultate
meiner Sendung in seine Hände niederlegen. Wer konnte dies voraussehen?
wüßte ich nur, wo ich Dich einstweilen aufhöbe!« Er starrte nachsinnend
in die blaue Weite, als wolle er einen Ausweg erspähen. Da trug ein
Hauch der Luft einen Glockenton von ferne über die Mittagsstille der
Felder; und dieser leise silberne Laut schlug an sein Gehör und klopfte
an sein Herz. -- Seine Augen folgten der Richtung dieses Schalles,
und sahen die Thürme von Sanct Capella im senkrechten Strahl der Sonne
verblendend blinken. Constanz fragte nach jenem Ort. Der Postmeister
nannte das Kloster, und erwähnte gesprächig der gegenwärtigen
Verhältnisse des Stiftes. Aber Der, zu dem er redete, hatte nichts
Weiteres davon vernommen, und war einer eigenen Gedankenreihe gefolgt.

»Schade!« sagte Constanz, »daß die Klöster aufgehoben sind. Was man auch
dagegen sagen konnte, sie waren doch immer ein schicklicher Aufenthalt
für unbeschützte Frauen. Und Du bist ja ein _wenig_ catholisch.« Er
blickte seine Frau mit einem schmerzlichen Lächeln an, welches
sie ermuthigen sollte. Therese aber hatte jetzt keinen Sinn für
tragikomische Reminiscenzen, und keinen Glauben als den, daß sie sehr
unglücklich wäre. --

Wie aus einem Traume erwachend, und in großer Zerstreuung, fragte
Constanz den Postmeister, der sich abseits gewendet hatte: ob er
recht vernommen, daß der Prälat dieses Ordens noch dort wohne? Jener
berichtigte das Mißverständniß, und was er von dem Administrator zu
sagen wußte, ließ dem Secretair des Gesandten kaum einen Zweifel übrig,
daß er sich in der Nähe seines Bruders befinde. Von einem raschen
Entschluß durchblitzt, forderte er Feder und Dinte, und schrieb in Hast
ein französisches Billet an ihn, des Inhalts: ein Fremder wünsche den
Stiftsverweser von Sanct Capella so dringend als unverweilt im Posthause
zu Leidthal zu sprechen. Die Chiffre des Namens Constanz war so
charakteristisch verschlungen, daß sie schwerlich von Jemand, der sie
nicht kannte, zu enträthseln gewesen wäre.

Nach anderthalb Stunden, in deren Verlaufe Constanz sein Weibchen zu
beruhigen gesucht hatte, kam ein stattlicher junger Mann neben dem
reitenden Boten daher gesprengt, und der Postmeister rief: »da ist er
schon, der Herr Prälat!« Constanz sah unter einem Freudenschauer auf,
und Therese zog sich in einer kindischen Furcht der Erwartung, in die
Laube zurück, und einen Behang von Blüthen über ihr reizendes Gesicht.

Constanz gab sich seinem Bruder herzlich zu erkennen, und in dem
Anmuthen, Theresen so lange unter seinen Schutz zu nehmen, bis er sie
abholen würde, einen brüderlichen Beweis. Diese Minute drängte stark an
das Herz des Administrators. In dem Wesen seines jüngern Bruders lag bei
freundlicher Offenheit etwas ersichtlich Vornehmes, ein gewisser Succeß
des Zutrauens, was Jenem imponirte, der mitunter zurückhaltend, ja sogar
blöde war. Unwillkürlich stellte er die finstere verschlossene Strenge
des älteren Bruders daneben; er dachte leise an Fabia -- und mit dem
beengten Gefühl eines Ehemanns, der da Scheu trägt, die häusliche Kette
der Gewohnheit um ein Glied zu erweitern. Um seinen schweigenden Mund
spielte ein Lächeln gutmüthiger Ironie, daß er bestimmt seyn sollte, die
Frauen seiner Brüder zu beschützen. »Wenn es der jungen Dame nur bei uns
gefällt --« sagte der Administrator bedingungsweise, »es geht still zu,
im Stift. -- Die Wittwe unseres ältesten Bruders, die ich sammt
ihrer Pflegetochter bei mir habe -- ist -- unseres ältesten Bruders,«
unterbrach er sich selbst --: »Der, Du weißt ja --« aber Constanz sah
den Administrator an, als hätte dieser fremd und romantisch vom Bruder
Graurock gesprochen.

»Ich weiß von nichts --« antwortete Constanz, entschlossen, sich mit
keinem weitläuftigen Verhältniß zu befassen, und seine cosmopolitische
Seele streifte das Band der Natur sogar im Begriffe ab: »als -- wir
Menschen sind hier alle Brüder --« ein rüstiges Mägdlein, das kleinste
Kind der Postmeisterinn an die Brust gedrückt, welche ein knappes
Mieder von Leinewand umschloß, strich bei diesen Worten hurtig an ihnen
vorüber, und eine schnelle Association der Ideen, in richtiger Folge
jener Strophe und dieses Blickes, ließ ihn an den Bruder mit dem
Ordensband denken, der er einst so dankbar als einflußreich diesem
schlichten Schutzfreund seyn werde, wenn die Zeit dazu gekommen.
»Sieh meine Frau nur selbst!« sagte Constanz, indem er auf die Laube
zuschritt. Er bog ihre Zweige auseinander, und die schönere Blüthe
von Theresens Angesicht lächelte durch das weiche Grün, und ihre Augen
funkelten in Thränen, wie die Sonne im Thau. -- Die Schönheit hat
das Eigenthümliche, daß sie jedem Manne Muth einflößt. Das Herz des
Administrators öffnete sich den gastfreundlichsten Gefühlen. Zudem
behandelte Constanz die Sache so ganz in seinem Geiste, das heißt, so
flüchtig, daß Herr Prälat glauben mußte, mit dem Asyl zu Sanct Capella
sey es nur durchaus precair gemeint, und auf ein längeres Bleiben nicht
abgesehen. So bewilligte er daher die Bitte seines Bruders, wenn auch
nur mit einer gewissen widerstandlosen Passivität. Er sah dies Ereigniß
für ein Fatum an, dem auf keine Weise zu entgehen gewesen wäre. Das
leichte Gepäck war bald getheilt, ein Postwagen, worin Therese nach dem
Kloster fahren sollte, geschirrt. Der biegsame Leib der schönen Gestalt,
schwankte von ihrem Manne umschlungen, im Sturm des Abschieds. Zwei
Ströme flossen von ihren Wangen -- zwei Wochen waren erst und wie
auf Rosen verflossen, seit Constanz der Ihrige war. -- Mit gemischten
Empfindungen ritt der Administrator neben der Chaise her, darin die noch
weinende junge Frau saß. Er warf zuweilen einen mitleidigen Blick auf
Theresen; die Jugend dieser Ehe rührte ihn, ihre gegenwärtige Trennung
und der Zukunft ungewisses Loos. Nebenbei gedachte er und eben nicht
leichten Herzens an die nächste Stunde -- und hätte gern ein wenig älter
seyn mögen.

Frau Fabia hatte heute nicht den guten oder schönen Tag ihres
Geschlechts. Eine Nachtigall, welche sie sehr liebte, und die in einem
dunkeln Thurmhäuschen wohnte, das, nicht unähnlich einer kleinen
Kirche, an ihrem Fenster empor hing, war an diesem Morgen ihrer Haft
entschlüpft. Das arme kleine Nönnchen sang die Hora der Nacht und Natur
im vergitterten Chor ihres Kerkers so himmlisch klagend, als seufze der
Engel der Melodie aus dieser befiederten Brust. Josephine hörte es mit
süßem Erbarmen. Frau Fabia aber, die sich selbst zu den Gefangenen
Zion zählte, hatte nicht Lust, die klösterliche Philomele zu Gunsten
irrdischer Liebe in Freiheit zu setzen. Nun war sie entflohen, und auf
dem Mädchen ruhte ein scharfer Verdacht, daß es mit lindem Urtheil, wie
diesem kleinen Gottesgeschöpf himmelschreiendes Unrecht geschähe, seine
Erlöserinn geworden wäre. -- Es gab einen Lärmen der Entdeckung, und
Josephine, die sich nie gegen einen Vorwurf vertheidigte, schwieg auch
diesmal, und die Schuld blieb auf ihr haften, so wie auf Fabien der
Mißmuth über diesen Verlust, geschärft durch ein zweifelhaftes Gefühl
der Versündigung an dem lieben Kinde. Dieser Stimmung sich erinnernd,
hätte der Administrator gewünscht, seine Schwägerinn vorbereiten zu
können -- aber da stand Fabia ganz gegen ihre Gewohnheit schon an der
Thür, und ihr Gesicht -- eine totale Sonnenfinsterniß -- warf keinen
Schein festlicher Empfängniß nach dem anrollenden Wagen. Dem Reiter
ward es schwarz vor den Augen. Er sprang vom Pferde, der jungen Dame
beizustehen, welche den schönsten Fuß, der jemals über diese Erde
gegangen, hell und seiden beschuht, auf den schmutzigen Tritt der
Postchaise setzte. Theresen an seiner Hand, trat der Administrator vor
die Domina seiner Häuslichkeit und sprach: »liebe Fabia! ich bringe Dir
hier eine werthe Verwandte, die Frau meines Bruders Constanz, und also
Deine Schwägerinn, so wie Du mir. Lasse die gute Therese Dir herzlich
empfohlen seyn, da sie einige Zeit bei uns verweilen wird.«

Frau Fabia brachte mühsam ein fremdes Lächeln der Bewillkommung auf; der
Administrator war desto freundlicher. Die eisige Kälte dieses Empfangs
versetzte ihn durch die natürlichste Gegenwirkung in einen Wärmegrad,
der unter allen Launen dieser christlichen Juno dem Quecksilber der
zweiten Schwägerinn Stand und Stange hielt. -- Am Abend spät versuchte
der Stiftsverweser jenes üblen Eindrucks Herr zu werden. Er sagte daher
in einem Tone, der scherzhaft seyn sollte, aber doch anzüglich war: »nun
Fabia! Du warst heute absonderlich schweigsam -- Du bist es noch. Ist es
Verdruß, daß Dir das Vögelchen entgangen? o gönne ihm die Freiheit, das
edelste Gut! oder zürnst Du, daß ich Dir ein anderes eingebracht? --«

»Wenn Dich nur nicht selbst ein loser Vogel etwa angeführt hätte --«
antwortete Fabia mit furchtbarem Ernste, »woher weißt Du denn, daß jener
Constanz Dein Bruder war? und diese Therese wirklich seine Frau?«

»Großer Gott!« rief ihr Schwager, »welch ein Gedanke! woher ich es weiß?
dieselbe Stimme hat es mir versichert, die mir sagte, daß Dein seliger
Mann mein Bruder sey, und mir Bürgschaft leistete für die Wahrheit
seiner Aussage. Es giebt eine innerste Gewähr dafür, Fabia!«

»Nicht jeder Stimme muß man glauben --« erwiederte Fabia, indem sie sich
entfärbte, und unwissend, daß sie eine classische Stelle recitire, »der
Lügengeist kann alle nachahmen. -- Und wäre denn solch ein Betrug etwa
unerhört? könnte jener junge Mann nicht ein Abenteurer gewesen seyn,
der seine sogenannte Frau gern los seyn wollen? -- Wie manches Kind --«
Fabia stockte, immer mehr verblassend -- »wie manches Kind, wollte ich
sagen -- ist durch höllische Spiegelfechterei arglosen Menschen als eine
lebenslängliche Last aufgebürdet worden? Denke nur an mich! wir werden
die Dame sobald nicht wieder los werden, und jedes fremde Einschreiten
sollte wohl bedacht seyn. --«

Herr Prälat sah seine Schwägerinn mit leiser Beängstigung an; es war,
als ob ein dunkler Schatten von Furcht an ihm vorüberschwände. »Fabia!«
entgegnete er um so heftiger, als er sich von ihrem Tone ergriffen
fühlte, »welch ein Geist des Mißtrauens und übler Weissagung ist heute
in Dich gefahren? Du wärest im Stande, mich zweifelhaft zu machen, Wer
ich selber sey. -- Dein Betragen war nicht schwesterlich, auch nicht
gegen _mich_. Du bewirthetest die arme Therese, an deren Stelle mir der
Appetit zu diesem Auffenthalt vergangen wäre, mit kurzen Redensarten,
einer sauersüßen Sauce, wie man sie zu einem Kalbskopf giebt, für den
Du mich hältst. -- Was meinst Du denn, das ich hätte thun sollen? dem
Bruder etwa meine Hand weigern, da er mir die seinige zum erstenmale
entgegen reichte? seine Bitte abweisen, oder warten, bis er mir den
Taufschein zeigen könne? -- Fabia! Fabia! Gastfreundschaft ist eine
Blume der Humanität, welche auch von Horden und Heiden gepflegt wird.
Jüngst las ich -- und es hat mich innigst gerührt -- in den ungeheuern
Flächen Nubiens sind kleine Zelte gesteckt, darunter die Einwohner des
nächsten Ortes ein Gefäß mit Wasser füllen, daß die Reisenden nicht
verschmachten dürfen im heißen Sande -- und dieser Gebrauch wird heilig
gehalten von jenen Negern. Sollte denn die goldne Kuppel des Klosters,
was man ein Gotteshaus nannte, einem matten Blick der das Nächste nicht
absieht, nur ein Blendwerk seyn, und weniger probehaltig, als das Dach
von geflochtenem Bast, womit der Wind der Wüste spielt? -- Du sprichst
den Ruhm einer guten Christinn an -- besinne Dich, wie oft die Apostel
die geheiligte Pflicht einer gastfreien Aufnahme den Bekennern ihrer
Lehre empfehlen. Herberget gerne! Seid gastfrei ohne Murren -- doch Du
kennst die Vorschriften der Bibel besser, als ich. So gleiche denn der
Wittwe von Sarepta, deren gesegneter Oelkrug nie erschöpft wird. Sey
gelinde, Fabia! doch gieße nicht Oel ins Feuer. Du schlägst mir die
Hoffnung nieder, daß Therese eine Schwester an Dir finden würde -- doch
schlägst Du mich damit nur zu ihrem Ritter, und zwingst mich, sie gegen
Dich zu vertheidigen.«

Diese letzteren Worte ihres Schwagers wirkten am schlagendsten auf die
Zweiflerinn. Sie hoffte, der Bruder ihres Mannes, auf den Frau Fabia
ein mütterlich-eifersüchtiges Auge hatte, werde sich in der Anfechtung
behaupten -- und der Friede ward zwischen ihnen geschlossen.-- Dieser
erste Abend gab den Ton an, der sich während der Anwesenheit Theresens
im Stifte nie in Harmonie auflös'te. Unsere Leser finden ihn in der
Dissonanz, womit die Geschichte dieses Buches anhebt. Seltsam war es
jedoch, daß die Vorhersagung der Frau Fabia sich als richtig bewährte,
es ist traurig -- aber es _ist_ in Wahrheit, daß der Erfolg das
Mißtrauen öfterer rechtfertiget, als die Zuversicht. Constanz schrieb
nach langer Zeit -- es mußten Briefe verloren gegangen seyn -- aus
weiter Ferne. Er war dem Interesse des Gesandten verkettet, und konnte
die Fessel nicht sprengen; doch vertröstete er sich und sie wie ein
Liebender. So hatte zweimal schon die Laube der Posthalterei zu Leidthal
geblüht, und Therese, die sich behaglich in Sanct Capella eingerichtet
hatte, und deren Sinn in harmloser Lebensphilosophie der Gegenwart
angehörte, dachte je länger, je _leiser_ an jenen Tag des Abschieds. Nur
in bösen Stunden wünschte ein banges Gedenken ihres Mannes ihn zurück,
und ein Gefühl, daß sie hier nur gelitten sey, und deshalb leide -- kam
über sie. Therese hatte mehr ein Gemüth für die heitere Lust des Lebens,
die jeden Augenblick genießt, als für der Liebe tiefe Sehnsucht. Das
letztere Schreiben hatte eine nahe Rückkehr hoffen lassen, die nur
noch von einigen Ausgleichungen abhänge. Seitdem aber bestätigte kein
Weiteres diesen Abschluß und daß auf seine baldige Ankunft zu rechnen
wäre. Dies Alles hatte, in eine präcise Mittheilung gedrängt, der
Administrator, dem wir vielleicht die schweigende Kürze der Erzählung
ablernen mögten -- dem Major Feldmeister vertraut. Und dieser erwiederte
jetzt: »ich sehe wohl, Freund! Sie konnten füglich nicht anders -- Sie
können weder dafür, noch etwas ändern, obzwar, ich behaupte es redlich,
solch ein Zusammenleben _nichts taugt_. Verlangen soll es mich aber
doch, ob der Herr Bruder kommen wird? =ad vocem!= _kommen!_ es kommt
noch Jemand, Freundchen! mit Ihrer Genehmigung, versteht sich. Diesen
Morgen schon wollte ich es Ihnen sagen; aber die lieben Schwägerinnen
hatten mich in Mitleidenschaft ganz confus gemacht, und das Bein hier
hat mir das Gedächtniß abwärts gezogen.« --

Der Major fuhr mit der Hand sacht an dem gichtischem Knöchel nieder,
streichelte den Faust und hob an: »es giebt eine Sympathie der
Erfahrung. Gestern früh erhalte ich ein Billet vom Obrist Milch; ein
Name für ein Wochenkind, und nicht für einen Soldaten, nicht wahr?
dieser mein alter Freund sollte _Feuer_ heißen, denn er hat den Teufel
der Bravour im Leibe. Also: er thut mir schriftlich seinen Wunsch kund
und zu wissen, mich in der Posthalterei in Leidthal zu sprechen, da die
Zeit ihm nicht erlaube, den Umweg über Sanct Capella zu nehmen. Er
kam mit seiner Frau von D--. und hatte den Reitknecht von der letzten
Station aus zum Behuf der Eile voraus gesandt. Ich machte mich alsbald
auf. Die Obristinn saß, weil es draußen so hübsch und drinnen dunstig
heiß war, in derselben Laube, und, ich wollte wetten, nicht einen
Zollbreit weiter auf der Bank, als Therese. Ihr Gesicht war hochroth von
der Herbstluft, der Obrist aber fror ein wenig, und trank ein Glas Wein;
die offne Flasche stand auf dem Tische. Wir waren die Alten. Der Obrist
scherzte über die Glut seiner Frau, und sagte, sie hätte meinetwegen
wie auf Kohlen gesessen. Du könntest von uns sagen, setzte er hinzu, wir
sähen aus wie Milch und Blut -- das giebt ein zartes Bouquet, Du darfst
es nur binden. Und dabei umarmte er mich derb und herzlich. Er ist so
dick geworden, daß man ihn wie ein Faß binden mögte -- taugt nichts,
solche Corpulenz. Unterdessen verduftet dies Bouquet hier -- antwortete
ich, und steckte den Stöpsel in die Flasche. Du bist recht hübsch
geworden in der Carthause, spöttelte der Dicke, das wird deinem Neffen
drollig vorkommen. Er empfiehlt sich, und will Winterquartier bei Dir
machen. Ist der Junge toll? platzte ich heraus; doch es wird wohl
nur Dein Spaß seyn. Die Obristin lachte wie Dame Kobold. Nein, nein!
versicherte ihr Mann, es ist dem Lieutenant voller Ernst damit, und daß
Du es nur weißt, er will einer hoffnungslosen Leidenschaft entfliehen.
Der Obrist machte eine seriöse Miene. Ich gerieth in Harnisch und
sprach: das wäre mir gemüthlich, daß ich ihm Zuflucht gäbe vor einer
dummen Liebschaft, die nichts taugt. -- Er hat sich um einer Dame
willen geschossen -- entgegnete mir Jener kleinlaut: gönne ihm daher
die Hospitalität Deines Klosters, daß er in dieser Abgeschiedenheit
Ruhe habe, und an Seel und Leib genese. -- Mögte Einem nicht gleich der
Schlag vor Aerger rühren! rief ich entrüstet, und der Schrecken war
mir wirklich in alle Glieder geschlagen; ich hielt den Rudolph
für vernünftig. Erzürne mir den Major nicht -- sagte die Obristinn
begütigend, und erzählte mir nun eine närrische Historie, die den
Lieutnant forttreibt und Ursach seyn wird, daß er um Versetzung anhält.
In seiner Garnison lebt eine alte adelige Dame von wunderlicher Art.
Ihre Wohnung ist ein Antiquitäten-Cabinet, sie selbst geht schlumpig
einher, und stets wie ein Kinderspott der Redoute. Man hält sie für
reich, doch auch für geizig, denn außer der Fliege, der sie das Leben
schenkt, kann sich kein lebendes Wesen einer Gabe von ihr rühmen. Ihr
Anblick muß etwas Unheimliches haben. Wer sie sieht, weicht ihr
aus --, die Fee Fanferlüsche, diesen Namen führt sie. Und doch ist dies
verrufene Mütterchen ein alter Ueberall. Vor Kurzem ist zu Ehren einer
städtischen Feier großer Ball, und alle Honoratioren sind geladen. Alles
ist im höchsten Glanz, die Damen im allerschönsten Putz sitzen wie am
Faden gereiht. Da tritt jene Alte in den erleuchteten Saal, wie eine
gespenstische Mode des vorigen Jahrhunderts -- sagte die Obristin.
Es entsteht ein Aufsehen, die kleine Gnädige kommt ins Gedränge, wird
abseits geschoben und verliert einen Schuh. Doch was für einen? Frau
von Milch hatte die Güte mir das =corpus delicti= zu beschreiben. Ein
Pantöffelchen von geblümten Silbermoor, mit einer Schleife vorn von
gesponnenem Glase. Ist es nicht, sagen Sie Freund, als ob man in
der blauen Bibliothek aller Nationen läse?« Der Administrator nickte
lächelnd. »Ein allgemeines Gelächter!« fuhr Major Feldmeister fort, »die
Offiziere zerren den Schuh hin und her -- da schwankt die Alte, wird
bleich wie Asche, als würde sie auf der Stelle zusammensinken. Mein
Neffe -- ein braver Junge ist der Rudolph doch! stürzt wie ein Satan
herbei, spricht davon, wie wenig Ehre dabei sey, eine kindische Matrone
bloßzustellen -- reißt den Pantoffel von der Säbelspitze, womit ein
Jäger-Offizier ihn aufgespießt hat, hebt die Alte in einen Sessel, und
zieht ihr vor vielen hundert Augen ihren Schuh wieder an.« Der Major
athmete tief.

»Dies ist ein hübscher Zug vom Lieutenant Feldmeister,« fiel hier
der Freund seines Oheims ein, »der mir sehr gefällt. Es gehört meines
Bedünkens ein größerer Muth dazu, diesen kleinen Pantoffel zu fangen,
als einen feindlichen General; und es mag dem braven Artilleristen
leichter geworden seyn, sich einer tüchtigen Salve auszusetzen, als dem
Arsenal des Spottes. Das Gefühl, was einen jungen Mann seines Gepräges
gegen die Schmach einer schutzlosen alten Frau bewehrt, ist wahrhaft
gloriös.«

»Das meine ich auch --« sagte der Major, und seine Augen funkelten.
»Mein Neffe,« fuhr er fort, »war der Held des Abends, tanzte aber keinen
Schritt. Jener Offizier hatte sich für beleidigt gehalten, und den
Rudolph auf Pistolen gefordert. Er ward in die Achsel verwundet, aber
nicht schwer. Sein Gegner kam auch nicht ungehuscht davon. Man witzelte
leise: des Lieutnants Dame hätte einen Schuß, und er nun auch einen;
doch Niemand wagte mehr ein lautes Wort an ihn; denn wie verträglich der
Junge auch ist, er hätte sich mit dem ganzen Offiziercorps gerauft. Die
gnädige Alte rauft sich die eisgrauen Haare aus, als sie erfährt, der
junge Mann hätte ihretwegen mit blauen Bohnen gespielt. Die Geschichte
machte Furore. Wie nun der arme Rudolph des Abends allein liegt, meint
er, das Wundfieber stelle sich ein, und glaubt ein Phantom zu sehen.
Vor seinem Bette bewegt sich ein Quantli, die Kammerfrau der Dame
Fanferlüsche, klein und krüppelhaft wie ein verdorrter Zwergbaum. Sie
sagt: wie es der Gnädigen doch so jämmerlich leid thue, daß der Herr
Lieutnant sich Unannehmlichkeiten zugezogen hätten. Sie bitte ihn
durch den Mund ihrer Dienerinn, seines jungen Lebens zu schonen,
und beifolgende Kleinigkeiten zur Linderung seiner Schmerzen von ihr
anzunehmen. Dabei packt sie aus. Binden, fein wie Battist, Charpie,
Eingemachtes in Tassen, vom Superlativ einer Porzellain-Fabrik, wie sie
der Kaiser von China von seinem Ahnherrn geerbt haben mag, Tamarinden
zum Beispiel, deren eingesottner Zucker versteinert war, und die, wie
mir die Obristin sagte, eine wirksame Kraft haben sollen, das Fieber zu
vertreiben. Zugleich schickt sich die uralte Zofe an, meinen Neffen zu
pflegen und die Nacht über bei ihm zu bleiben, und thut wie zu Hause.
Darüber wird nun der Rudolph beinahe grob. Er sagt, sein Bursche
halte Wacht bei ihm und auf Ordnung: so bedürfe er Niemandes.
Nichtsdestoweniger bleibt die Servante freundlich und höflich, und
kommt von nun an alle Morgen, die Gott der Herr giebt, um sich nach
dem Befinden meines Neffen zu erkundigen, und immer bringt sie etwas
zugeschleppt, eine Nachtlampe sogar, einen kleinen Fußteppich vor das
Bett, damit er nicht hart auftrete, und hundert Kleinigkeiten, auf die
ein Garçon nichts giebt. Der Regiments-Chirurgus sieht es, lächelt und
schweigt -- und dieses Lächeln schneidet dem Patienten tiefer ein, als
sein wundärztliches Messer. Einmal nur sagt Jener: Sie scheinen die
Wunderlampe überkommen zu haben, die dem Aladin verloren ging -- nehmen
Sie nur Ihr Glück besser in Acht -- lieber Feldmeister. Aber dem Rudolph
ist der Gedanke unerträglich, daß auf der Kugel, auf die er sein
Leben gesetzt, solch eine gräuliche Fortuna stände. -- Und als nun die
Geschäftsträgerinn kommt, und ihm, Namens ihrer Dame, ein schönes Logis
im Hause derselben anbietet, auf daß die Gnädige ihm ihre Dankbarkeit
nahe und anders noch beweisen könne -- da schüttelt er sich, und
dies überhäufte Vergelten eines kleinen Dienstes, den er am liebsten
vergessen mögte, wird ihm über allen Ausdruck widrig. So trägt der arme
Junge, dem es in seinen Verhältnissen so wohl gefiel, darauf an, daß er
versetzt werde, und einstweilen will er hierher kommen. Was meinen Sie
nun dazu?«

»Ich kann es dem Lieutnant Feldmeister nicht verdenken --« antwortete
der Administrator, »und würde in seinem Falle vielleicht eben so denken
und handeln. Diese Erfahrung liefert wieder einen Beweis, daß man Jemand
durch die stärkste Nothhülfe nicht halb so sehr verpflichtet, als wenn
man ihn einer kleinen Verlegenheit überhebt. Und dann auch, daß die
Ritterlichkeit im Benehmen eines Mannes das Geheimniß jedes Sieges über
eine Dame enthält, sie möge nun eine Methusala an Jahren, und so geizig
und hartnäckig seyn, wie sie nur wolle. Solcher Courtoisie widersteht
Keine. --«

»Der Rudolph würde,« sprach der Major, »dem Verdacht der
Erbschleicherei, dem niedrigsten, der auf einem ehrenwerthen Menschen
haften kann -- auf keine Weise entgangen seyn. So ist es gut, daß er
Reißaus nimmt. Diese Retirade lasse ich mir gefallen. Sie haben als
Vorstand unseres Invaliden-Hauses also nichts dawider, daß der wackere
Junge für einige Monate meine Wohnung theile? --«

»Es wird für ein apartes Zimmer gesorgt werden,« sagte Herr Prälat, »und
daß ihr Neffe sich hier so gemächlich als möglich fühle. Ist doch Raum
bei uns da -- wie im Himmel; und sollten wir alle Diejenigen aufnehmen,
welche ihrem Vortheile entfliehen, so würden wir noch Gelaß übrig
behalten.«

Des Majors Gesicht verklärte sich. Er blickte in helle Abende und
sprach: »Wir spielen das l'Hombre alsdann mit dem Moor -- der Moorhausen
scheint mir in Eine Ihrer Schwägerinnen verliebt, denn er quält mich
beständig, ihm Entree bei den Damen zu verschaffen. Nun -- mit Dem hat
es keine Gefahr. Aber -- Hm! wird auch der Rudolph Unheil anrichten
im Stifte? Frau Therese ist ein entzündbarer Stoff, und die Kleine
wahrhaftig hübsch genug.«

»_Die_ bewacht Fabia --« versetzte der Administrator mit trüber Ruhe.

»Was das betrifft --« entgegnete der Major, »meine Frau sang ein altes
Lied, was ich immer gern hörte; es hatte einen Refrain: denn wenn ich
nicht selbst mein Herz bewache, o so hilft kein Argus und kein Drache.
Mit allem Estime gegen die Frau Schwägerinn gesprochen. Josephine ist
ein stilles Wässerchen --«

»Und _tief_!« fiel Herr Prälat ein, »aber im reinsten und höchsten
Sinne. Sie gleicht einem jener lichtentfloßenen Ströme, die Swedenborg
entzückten Geistes fließen sah.«

Der Major sah seinen Freund nachdenklich an und sprach: »auch wünsche
ich von Herzen, daß dies Bächlein in das Bette eines Flußgottes geleitet
werden möge, der es nie in Thränen fließen läßt, sie müßten denn vor
Freude geweint seyn. --« Jener schwieg.

Einige Wochen waren seitdem den Bewohnern von Sanct Capella
gleichförmig vergangen. Jetzt war der Christmonat da, und mit ihm jene
winterheimliche Stille, selbst in der Natur, wie sie um das heilige
Dunkel dieser Zeit webt, die häuslichen Verbindungen enger schlingt, und
die kleinen Geheimnisse der Freude und Liebe an das große Geheimniß
der Weltbeseligung knüpft. Die Frauen beschäftigten sich einsam,
vergnügliche Ueberraschungen zu bereiten, sogar Schwester Veronica
fertigte einige klosterkünstliche Gaben in verschlossener Zelle an, zu
Weihnachtsgeschenken für ihre Freunde. Dessenungeachtet fehlte es an
geselligem Verkehr nicht, und mancher lichterfreundliche Abend ward
traulich plaudernd, hier oder da, hingebracht. Bei dem Gerichtshalter
Gottschalk -- einer liberalen Familie, welcher, wie unsere Leser sich
erinnern wollen, zu Anfange dieser Erzählung erwähnt wird -- und der
nicht im Kloster, sondern in einem dazu gehörigen Gebäude wohnte, waren
die Staabsoffiziere von Sanct Capella freundlich aufgenommen, und auch
Fremde öfters da zu finden. Therese gefiel sich sehr dort. Ihr Schwager
hingegen nahm selten Theil an diesen muntern Zusammenkünften, und Frau
Fabia gar nicht. Der Administrator hatte es aus Neigung wie mit Absicht
vermieden, um vornehmlich Fabiens strengen stillen Geist nicht zu
beleidigen, sein Wohnzimmer zu einer militairischen Ressource zu machen.
Major Feldmeister gehörte nicht in jene ausschließende Regel; doch
dachte er zart genug, um nur bescheidenen Gebrauch von einem Gunstrecht
zu machen, das ihm zu jeder Zeit und Stunde den Eintritt in den
weiblichen Hauskreis seines Freundes gestattete. So geschah es auch
nur ausnahmsweise, wenn Einer oder der Andere der Offiziere ihn dahin
begleitete. Das l'Hombre, wovon der Major redete, ward zumeist auf
seinem Zimmer gespielt, und Hauptmann Moorhausen, ein Mann von lebhafter
Phantasie und kühner Darstellungsgabe, war der Dritte von dieser
Parthie. Deshalb stand der Letztere zu dem Stiftsverweser in etwas
näherer Beziehung als die Uebrigen. Auch fühlte Herr Prälat, oft
abgespannt und ermüdet von Geschäften, es als eine gesunde Wohlthat,
daß sein Zwergfell erschüttert werde. Man hatte jeden Gedanken an
eine kleine gesellschaftliche Ueberraschung zu dem Geburtstage des
Administrators fallen lassen. Von jenem Streit an, der die Schwägerinnen
entzweite, schien die Stimmung der beiden Frauen ausgewechselt zu
seyn. Fabia gab sich alles Ernstes Mühe, Theresen den kleinen Vorfall
vergessen zu machen, und sich ihr freundlich zu erweisen; so wie
Therese ihrerseits sich hütete, Fabien zu nahe zu treten. Wenn nun jedes
Wohlwollen heiterer macht und auch liebenswürdiger, so gewann Frau Fabia
am meisten bei diesem Bestreben, auch in den Augen ihres Schwagers, da
hingegen Therese durch leisen Bedacht eines ihres natürlichsten Reizes
beraubt ward, jener Hingebung an die Freude, an das Vertrauen, daß alle
Menschen von ihrer guten Gesinnung überzeugt seyn müßten, weshalb
sie sich denn auch ganz unbefangen gehen ließ. Jetzt war sie in sich
gekehrt, eine sehnende Stille hatte dies regsame Wesen beschwichtiget.
Sie sprach davon, wie ihr eine innere Stimme sage: Constanz werde nun
nächstens kommen, und nur den Wunsch damit aus, daß es geschehe. So oft
ein Wagen vor das Kloster rollte, fuhr Therese mit der Hand nach dem
Herzen, weil es hochauf klopfte -- und dem Munde des Majors entfuhr
gleichzeitig ein gelinder Fluch, wo der Rudolph nur bleiben möge? denn
Zögern und Zaudern, meinte sein Oheim --, dies tauge nichts. --

Schwester Veronica beschenkte den Administrator zu seinem Wiegenfeste
mit einer Rose, die sie mit unsäglicher Sorgfalt für ihn gezogen hatte.
Als er sich in das Anschauen der Blume versenkte, wehete ihn ein Hauch
aller Frühlinge an, die er gelebt, ein Auferstehungs-Athem gestorbener
Freuden -- und er äußerte, wie es doch nur möglich gewesen, dem starren
Winter dies weiche zarte Leben zu entlocken? --

Schwester Veronica lächelte und sprach: »der Liebe und Freundschaft
ist alles möglich; und ein warmes Herz ist ein gutes Treibhaus für die
Blumen jeder Zeit. Diese Rose ist gekommen, wie ich es wünschte, auch
das Knöspchen daran war mir lieb. -- Heute, gerade _heute_, hatte sie
ihren Kelch erschlossen, es rührte mich, da ich es sah -- wie man die
Brust öffnet einem frohen Tage: trinken Sie den göttlichen Odem der
Freude daraus!«

Der Administrator drückte gerührt die Hand der alten Nonne und dankte
ihr; ein stilles Bedauern ging durch seine Seele, daß diese treue Hand
nur _Rosenkränze von schwarzen Perlen_ umschlungen hätten.

Schwester Veronica hatte auf dringendes Bitten versprechen müssen,
den Abend bei ihren Freunden zuzubringen. Auch Major Feldmeister und
Hauptmann Moorhausen waren eingeladen. Josephine deckte den großen
runden Tisch; der Wirth desselben brauete eine Bowle. Therese kleidete
sich an, die Männer zu berauschen, Fabia schaltete in der Küche. Er sah
das Mädchen geräuschlos hin und her weben; alle Bewegungen Josephinens
waren leise und harmonisch wie ihr Sprachton, so daß, als sie aus einem
Körbchen Gläser und Teller nahm, und achtsam niedersetzte, nur ein
sanftes Klingen, doch kein Klirren, das, was sie that, verrieth. Herr
Prälat verlangte die Citronenpresse, Josephine reichte sie ihm. Er
forderte darauf ein Messer, und nahm es aus ihrer Hand. Er sah mit
heißem Blick in die schönen Augen des lieben Kindes, der Gedanke an den
reinen Himmel, der darin schimmerte, war diesem Blicke nicht fern. Und
er sprach: »weißt Du wohl, was Abraham a Sancta Clara sagt? Ein Mädchen
soll seyn wie eine Citrone, und auch nicht wie eine Citrone, es soll
einen Stern im Herzen tragen, und doch Niemandem das Leben sauer machen.
Das thust Du nicht, mein süßes Kind! Du bist biegsam -- voll Kern -- ein
Zuckerrohr --« der Administrator warf im Verhältniß zu diesem Lobe
ein blitzendes Randstück feinster Raffinade in die starke Mischung.
Josephine lächelte, als hätte sie den Geist derselben oben weg geschöpft
getrunken. Sie antwortete: »ach Onkel! dieses Urtheil giebt nur die
Güte ab. Die Mutter klagt doch manchmal über mich! und tadelt mein
träumerisches Wesen; so sagt sie oft, ich ginge so zerstreut umher, als
wisse ich vom hellen Tage nichts, und könne nicht bis auf Drei zählen.«

Herr Prälat hatte, während Josephine diese Worte sprach, einen Löffel
vom Eßtisch gelangt, ein schwarzes Pünktchen, was in der goldenen Fläche
schwamm, damit zu fischen. Sein Auge umzirkelte im Nu die gastliche
Tafelrunde, und er antwortete im Tone schmeichelhafter Mißbilligung: »da
thut sie Dir nicht Unrecht, meine Kleine. Du hast acht Couverts gelegt.
Wie viel sind Unserer? auf _Sieben_ wenigstens kannst Du nicht zählen.
Doch das ist auch eine böse Zahl, -- dieser Irrthum, diese Achte geht in
der Achtung Deiner lieben Seele für das Gute auf.«

Josephine erröthete und nahm das Gedeck hinweg. Sie erwiederte: »es wird
ein Gast kommen, auf den wir nicht gerechnet haben. So oft ich einen
Stuhl zu viel setzte, geschah es.«

»Nun, so möge es denn Constanz seyn --« sagte sein Bruder, »denn es will
mich bedünken, als sehne Therese sich nun fort.«

Eben trat sie ein. Auch die Andern kamen. Man aß, trank, und war
vergnügt. Auf einmal stieß Therese einen hellen Schrei aus, und fuhr
mit der Hand nach dem Munde. Alle schrieen erschrocken auf, so daß auch
Faust mit Geheul empor sprang. Sie hatte sich an einem Rebhühnerbeinchen
die Spitze eines Seitenzahns ausgebissen, und zeigte mit weinender
Wehklage den kaum sichtbaren Makel und das abgesprengte Stückchen
Emaille. Man tröstete und spöttelte wirr durch einander; aber Therese
lamentirte dessenungeachtet, als wäre ihr eine unersetzliche Perle aus
der Krone des Lebens gebrochen. »Man bemerkt es gar nicht, ich schwöre
es Dir!« betheuerte ihr Schwager, als Therese gestand, ihr zitterten
alle Glieder. »Es ist ein hübsches Zähnchen und mehr nicht,« sagte der
Major, »lassen Sie es geknikst seyn. Wie wollten Sie thun, wenn Ihnen
das Herz bricht? -- Um das Bischen Glasur so zu verzweifeln! das
Zerbrechliche allzusehr lieben --, taugt nichts.«

Und die Nonne versicherte in einer Theilnahme, welche allein in der
Stimme des Trostes sprach, Therese wäre ja noch schön genug.

»Beruhigen Sie Sich, meine Gnädigste,« sagte Hauptmann Moorhausen, »ich
wünsche, ich könnte Ihnen Ersatz geben, auf Ehre! und mithin ein
wenig von meiner Constitution. Das Naturell meiner Landsleute ist so
vegetativ, daß es gar nichts Seltenes ist, wenn gesunde Personen drei
bis viermal Zähne bekommen. Wie Sie mich hier sehen, sind das meine
fünften.«

Er fletschte das Gebiß, dies gab seiner Physiognomie einen so
affenartigen Ausdruck, daß die Damen anstatt zu bewundern, sich davor
entsetzten. Theresens Thränen standen still. Der Major rief: »Sechser,
Moorhausen, Sechser!« Der Hauptmann stutzte einen Augenblick, ließ sich
aber, einmal im Zuge, nicht stören und sprach: »ich bin überhaupt
mit einer gewissen Unzerstörbarkeit geboren. Als die Schlacht bei ***
vorüber war --« »nun sind wir geschlagen --« murmelte der Major seinem
Nachbar zu, »er rückt ins Feld --« »wir hatten den ganzen Tag hindurch
gemetzelt --« die Nonne faltete die frommen Hände, und über Josephinens
Gesicht lief ein banger Schatten, das gute Kind vergaß, daß jene
erschlagenen Feinde auch nur Schatten wären --, »fühlte ich mich der
Ruhe bedürftig. Man wird vom Todtmachen zuletzt mit todt;« redete der
Hauptmann weiter. »Ein Stündchen nur hätte ich schlafen mögen; ich
streckte mich auf einen ländlichen Kirchhof hin, und dachte, ich hätte
brav gethan, und könnte mir nunmehr auch eine Güte thun. Das Schießen
dauerte fort -- ich hörte es dumpf im Traume. Als ich am folgenden
Morgen erwachte, meinte ich, der jüngste Tag wäre gekommen. Zerstreute
Glieder lagen um mich her, hier war eine Granate zerplatzt, dorthin
eine Bombe geflogen: in meiner offnen Hand hatte sich eine kleine Kugel
gefangen, und nur einen rothen Fleck nachgelassen.«

»Das war doch Münze, Alterchen?« rief der Major.

»Wie meinst Du das, Herr Bruder?« fragte der Hauptmann verblüfft,
»glaubst Du vielleicht, ich flunkere? auf meine Ehre! die Kugel war noch
_lau_!«

»Jeder Achill hat seine Ferse --« fiel hier der Administrator ein, dem
diese Versicherung zu warm war, und der da wußte, daß der Major auch
hitzig werden konnte, »der Ihrigen, Herr Hauptmann, verdanken wir das
Glück, Sie zu besitzen.«

Der martialische Moorhausen, seiner unempfindlichen Natur getreu,
beachtete den empfangenen Stich nicht. Durch einen geschickten Wurf
schleuderte der Major den tapfern Hauptmann vom Champ de Bataille
auf den Boden seiner Heimath, dessen ungemeine Ergiebigkeit ein
Lieblingsthema seiner Rede war. Er sprach: »die Seeluft Eurer Provinz
stärkt die Natur dort so riesenhaft -- ist's nicht so, Moorhausen? was
Du mir davon erzählt, ist wirklich zum Erstaunen.«

Der Hauptmann lächelte wie ein schaffender Gott. »Ueberall
hervorbringende und ergänzende Kraft --« sagte er, unendlich glücklich.
»Nach einem fruchtbaren Gewitterregen war in einer Nacht auf meinem Gute
das Getreide um ein und eine halbe Elle gewachsen -- auf Ehre!«

»Das wissen sich die ältesten Leute keiner Zone zu erinnern --« sprach
der Administrator mit duldsamer Ironie, und der Major konnte sich nicht
enthalten, zu bemerken: »wenn das in der Progression so fortgegangen
wäre, so hätten die Engel im Himmel die Früchte Deines Feldes einsammeln
können, während die Bauern das Korn an der Wurzel schneiden dürfen.«
Alle lachten.

Dieser beispiellos gesegnete Gutsherr fühlte, ungekränkt, auf welche
Weise er zu einem erheiternden Mittel für die Gesellschaft würde.
Angeregt durch ihren Beifall fuhr er fort: »ein andermal hätte der
Schaden eben so groß seyn können. Bei einem ungeheuern Sturme entstand
ein gläsernes Krachen in der Luft -- als wenn die Giganten Zank bekommen
hätten, und sich Gletscher an den Kopf würfen. Es hatte geschloßt --
die Felder lagen voll Eisklumpen, wovon der kleinste im Unfang dieser
crystallnen Butterglocke war. Ich ließ das Eis auf Wagen an das Seeufer
schaffen. Alles, was Hände hatte, mußte dran; es war eine Lustparthie,
wie in den Gefilden von Nova-Zembla. Ein armer Mensch erfror sich die
rechte Hand dabei, sie mußte abgenommen werden, und er erhält noch jetzt
eine kleine Pension von mir. Und grade in diesem Jahre war es, wo mein
Weizen schöner blühete als je! -- Ich stand mit Resignation an
jener Eiswüste, und dachte es nicht. Die Sonne schien wie in einen
zersprungenen Weltspiegel, ich trug eine Augenentzündung davon.«

Die Damen schlugen die Augen nieder, der Major blinzelte, als sähe er
selbst in Sonne und Eis -- es herrschte eine große Stille, als wäre
ein Engel durch das Zimmer geflogen, der Engel der Wahrheit aber war es
nicht. -- Hauptmann Moorhausen empfand dies Schweigen. Er wollte einen
mildernden Schatten auf jene glänzende Weizenbreite fallen lassen, und
sagte nach einer kleinen Pause: »es däuchte mir selbst ein Wunder. Von
Mißwachs wissen wir in meiner Provinz gar nichts; doch eben so unbekannt
-- und das wird Ihnen nicht weniger unglaublich vorkommen -- ist dort
die Christfeier und das Osterfest. An eine Bescheerung denkt Niemand;
weder vom heiligen Abend, noch vom heiligen Grabe, nimmt eine Seele
Notiz. So erinnere ich mich, am Charfreitage auf einem brillanten Ball
en masque gewesen zu seyn.«

»Heiliger Gott!« seufzte Fabia; ein mitleidiges Lächeln umspielte die
Lippen der Nonne. Sie hielt den Hauptmann für verrückt.

Major Feldmeister hob seinen Blick an die Decke, und hielt sich die
Seite. Selbst Therese vergaß ihre Betrübniß und sprach: »da machten Sie
wohl den armen Schächer, Herr von Moorhausen? oder den Kriegsknecht
mit der Lanze etwa? der Major bekommt schon Seitenstechen von diesem
Gedanken -- oder den Pilatus mit einem Täfelchen auf der Brust, worauf
die Frage stand: _was ist Wahrheit_?«

Der kühne Moorhausen war doch vor sich selbst erschrocken, und vor dem
Tone tiefster Indignation in Fabiens Ausruf. Dieser Seufzer zu Gott galt
nicht der Verleugnung Christi, sondern dem Glauben an den Frevel der
Lüge, den der Hauptmann ihnen zumuthete. Er fuhr auf, als empöre ihn der
Gedanke, etwas Unrichtiges gesagt zu haben, »nicht am Charfreitage --
wie ist mir denn? ich bitte tausendmal um Verzeihung! nein -- da hatten
wir einen andern Spaß -- am Tage Charitas, den achten October, zum
Anbeginn der Wintervergnügungen, war jene glänzende Redoute.«

Schwester Veronica athmete bei diesen Worten so erleichtert auf, als
hätte ihr Jemand das Kreuz des Herrn von Brust und Schulter genommen,
auf der sie es getragen -- und Jener fuhr fort: »doch um noch einmal auf
das Vorige zu kommen, Sie könnten leicht durch meine Schilderung einen
falschen Vorbegriff von den Bewohnern meiner Heimath fassen. Denken Sie
Sich nicht etwa ein Völkchen von barbarischen Sitten, Gott bewahre! es
sind so charmante, humane Leute, selbst unter der gemeinen Classe -- die
Oefen im Schlosse -- es fehlt an Töpfern in der Gegend, und an feinem
Thon -- hat mir ein _Freimaurer_ gesetzt.«

Hier gab Herr Prälat, um Fabiens und der Nonne willen, dem Gespräch eine
Wendung. Man gerieth in das Gebiet der Geheimnisse, und kam auf Träume,
Ahnungen und dergleichen. Allen war dieser Stoff anziehend, Jedes gab
seinen Beitrag.

»Es ist ein schöner Glaube,« sagte die Nonne, »daß es Geister giebt, die
auf eine gottmögliche Weise dem blöden Auge des Menschen sichtbar werden
können. Schutzengel giebt es gewiß; ich weiß ein Beispiel. Schwester
Hedwigis, eine geistliche Jungfrau unseres Stiftes -- sie ruhet längst
-- besucht als ein lebenslustiges Fräulein eine verwandte Familie. Sie
liegt im ersten Schlafe, und fest, wie die Jugend schläft, nach einem
ermüdenden Tage. Da hört sie sich bei ihrem Namen rufen, ängstlich
und dringend. Sie wacht auf, und Niemand ist zu sehen. Kaum wieder
eingeschlummert, wird dieselbe Stimme laut, und flehentlicher als zuvor:
sie solle das Lager sogleich verlassen. Dem Fräulein kommt ein Grauen
an; es springt aus dem Bett, und sieht bei hellem Mondschein eine lichte
Gestalt die Urne des Ofens umklammern. Oft hat mir Hedwigis versichert,
und ihrem Munde entging gewiß kein unwahres Wort -- die Flügel dieser
Erscheinung hätten geschimmert. Das Haus erbebt in einem fürchterlichen
Getöse. Ein Theil der Decke, und der altfränkische Ofen war eingestürzt,
und Hedwigis wäre im Schlafe erschlagen worden, wenn jene Stimme ihres
Schutzgeistes sie nicht gerettet hätte. Man fand das Fräulein ohnmächtig
im Nachtgewande auf den Stufen; alle Bewohner verließen, erschüttert von
diesem Vorfall, das Haus, welches überhaupt schon baufällig gewesen
seyn mag. Durch Hedwigis Seele bebte diese Erinnerung fort und fort. Sie
dachte, daß der Himmel ihr Leben sichtbar beschützt hätte, und weihete
es ihm.«

Josephinens Blick schimmerte auch, und hing noch an den Lippen der
Nonne, als diese sich schon wieder geschlossen hatten, um einem Andern
das Wort zu vergönnen.

»Auch ich wüßte eine merkwürdige Vorbedeutung zu erzählen --« sagte Frau
Fabia mit tiefgesenkten Augen, denn sie schauten in die Geheimnisse der
Gräber --, »die mich überzeugt, daß wir mit seligen Geistern, mit den
Todten in naher Verbindung stehen. --« Aller Blicke richteten sich auf
Fabia, kein Athem ward laut, und diese horchende Stille schien um die
Mittheilung zu bitten. Sie begann leisen und langsamen Tones: »ich war
noch im Hause meines Vaters, der auch Beamter des Grafen Frankenstern
war, als der Justitiarius desselben starb. Er hinterließ schönes
Vermögen, und eine einzige Tochter, den Abgott der Mutter, die noch
lebte. Wir waren ein Herz und eine Seele, und wenn Minna einige Jahre
mehr als ich zählte, und mir an Geistesbildung wie an Talenten überlegen
war, so hatte ich häusliche Kenntnisse und den Starkmuth voraus, den
eine christliche Erziehung mir gegeben, und war sonach dem Leben, wie
es nun einmal ist, voll Angst und Mühe -- besser als meine Freundinn
gewachsen. Minna konnte sich nicht fassen, da ihr Vater der Welt Valet
gab. Sie bedeckte seinen Leichnam mit Küssen und Thränen, wie sehr wir
sie auch baten, ihm die Ruhe zu gönnen; denn es ist nicht gut, wenn man
über einen Todten weint. Er nimmt dann heißen Schmerz mit in die kühle
Erde -- und geht vom Himmel aus, ihn zu stillen. -- Meine Minna hatte
sich einige Zeit vorher einem jungen Edelmanne verlobt, zwar mit
Genehmigung der Eltern, aber der Vater sah diese Verbindung doch nicht
ganz gern. Nicht, daß er etwas Wesentliches gegen den künftigen
Eidam gehabt hätte, sondern, weil er aus mehr als _einem_ Grunde ein
Mißverhältniß darin fand. So war der Geliebte Minnas fast in gleichem
Alter mit ihr, und noch abhängig von seiner Mutter, die ein kleines
Rittergut besaß: dann konnte kaum ein Brautpaar, seinem Aeußern nach,
so ungleich wie dieses seyn. Er, ein baumlanger Mensch, eine wahre
Athleten-Gestalt; sie, ein zartes Heimchen, eine kleine Psyche, die
ihm kaum bis an die Rocktasche reichte. -- Ein Spötter sagte: Minnas
künftiger Gatte werde seine junge Frau, wenn sie einst guter Hoffnung
sey -- in einem Kästchen mit sich auf Reisen nehmen können -- wie
in einem hübschen Mährchen zu lesen. -- Wie nun das Testament des
Justitiars eröffnet wird, findet sich, daß er als unumstößliche
Bedingung der väterlichen Erbnahme den Punct gestellt hat, die Heirath
der Tochter solle erst nach dem Ablauf dreier voller Jahre -- er
bestimmt sogar den Tag, denn dieser Vater war ein sehr determinirter
Mann -- vollzogen werden. Hieran war nun kein Jota zu ändern, und Alles
wohl verclausulirt. Der Braut war dies Gebot ihres Vaters heilig; die
Wittwe aber, die es nicht erwarten konnte, ihre Tochter als gnädige Frau
zu sehen, war damit sehr unzufrieden. Sie hatte Respect vor ihrem Manne
bei seinen Lebzeiten gehabt; seinen letzten Willen scheute sie weniger.
-- Eine Pietät, bei der dies in umgekehrtem Verhältniß Statt gefunden
hätte, legte dieser Frau zarte Pflichten auf. Sie dachte, wie sie den
Verstorbenen und selbst den Gehorsam seines Kindes überlisten könnte
-- und zog die Mutter des Bräutigams in ihr Interesse, der damals
auf Reisen war. Was aber ein rechter Mann ist, meine Herren --« hier
lächelte die ernste Fabia, und das männliche Kleeblatt lächelte mit,
»der drückt auch mit der todten Hand einer widerspenstigen Frau
den Daumen auf's Auge, und der Wittwe des Rechtsgelehrten lief eine
schmerzliche Zähre heraus. -- Ein Jahr fehlte noch zum Ablauf der
festgesetzten Frist, da wollte nach einem schriftlichen Uebereinkommen
zwischen beiden Müttern die Edelfrau ihrem Sohne das Gut übergeben, die
Acte war schon fertig -- und den Bräutigam heimlich zurückrufen -- Minna
und ihre Mutter dahin einladen, und dort sollten die jungen Leute am
Geburtstage der Braut mit der Trauung überrascht, und gleichsam zu ihrem
Glücke gezwungen werden. Alles war dazu vorbereitet. Nun hören Sie, was
geschah! -- Der Justitiarius hatte ein eigenes Haus auf dem gräflichen
Gute, was seiner Frau als Wittthum verblieben war. Eines Tages besucht
mich Minna. Sie sah sehr blaß aus, und besorgt fragte ich um die
Ursache. Du wirst mich ein Kind schelten, sagte sie, aber ich kann einen
ergreifenden Traum nicht los werden. Ich brachte meinen Schreibtisch in
Ordnung, verschloß alle Schübe -- da trat mein Vater ein, mit raschem
Schritt, wie er kam, wenn er sich eine Minute für mich abmüßigte, ganz
in der Manier seiner lebendigen Eile. Ach Fabia! sagte sie, und Thränen
flossen über ihre Wangen, ich habe ihn leibhaftig gesehen; aber seine
Miene war bekümmert. Er sprach: daß er mich nun nächstens abholen werde.
-- All' meine Sehnsucht nach ihm ist mit mir erwacht. -- Ich suchte es
dem lieben Wesen auszureden. Einige Wochen waren seitdem vergangen, das
Wetter fing an, frühlingsschön zu werden, und jener einladende Brief,
der die ahnungslose Braut an den Altar lockte, war gekommen. Da kam
Marie, und vertrauete mir, daß jener Traum sich seltsam wiederholt
hätte. Sein Auge zürnte, so erzählte sie von der Erscheinung ihres
Vaters, als er den Brief meiner Schwiegermutter liegen sah. Er
verlangte, daß ich ihm sogleich folgen sollte. Ich entschuldigte mich,
daß ich ja nicht angezogen wäre. Er erwiederte: frägt _darnach_ ein
Retter? und verschwand. Ich muß gestehen, daß mich diese Worte sehr
ängsten; es ist mir, als werde ich von irgend einem Unglück bedroht, und
als wolle mein treuer Vater mir von Jenseits herüber ein treuer Warner
seyn. Wüßte ich nur, was ich zu thun, oder zu lassen hätte! -- Mich
selbst bestürzte diese Aussage, wenn ich es auch verbarg, da Minna
ohnedies verstört war. Acht Tage waren wiederum verflossen, binnen deren
Verlauf wir uns wenig gesehen hatten -- da -- ich weiß es wohl noch wie
heute -- räumte ich meine Bodenkammer auf, und die Sonne ging unter,
als ich mit diesem ermüdenden Geschäfte im Reinen war. Ich komme eben
aufgeschürzt die Treppe herab, da steht Minna, weiß wie eine Taube, und
bittet mich mit kranker Stimme, ein wenig mit ihr spazieren zu gehen.
Gern, meine Minna, wollte ich das, gab ich ihr zur Antwort; aber Du
siehst selbst, wie eingestäubt ich bin. So muß ich zunächst an ein
Waschfest gehen, und dann mögte wohl die Feierstunde ausgeläutet
haben. Es dürfte auf lange das letztemal gewesen seyn -- sagte sie: den
Donnerstag geht es fort -- lieber Gott! auf das Gut, meinte sie. Ich
muß mich zerstreuen, Fabia, sagte Minna mit einem krampfhaften Lächeln;
denke nur, diese Nacht hat mich mein Vater wirklich abgeholt. Er trat
eilfertig, in einen Pelz gehüllt, in mein Stübchen, seine Taschenuhr in
der aufgehobenen Hand. Nun ist es Zeit -- sagte er, und hielt mir
die Uhr vor die erschrockenen Augen: sie stand stille. Ich eilte
im Schlafrock an seiner Seite von hinnen. Vor der Thüre stand ein
Schlitten, der Schnee lag wie ein Leichentuch -- als ich einsteigen
wollte, verlor ich einen schwarzen Schuh -- er sank tief ein. Den Führer
sah ich nicht; aber der Schlitten sausete auf den Kirchhof zu. -- Mich
überlief es kalt,« fuhr Fabia fort, und auch ihre Zuhörer schien ein
Frösteln zu durchrieseln. »Am folgenden Tage,« redete die Erzählerinn
seufzend weiter, »kehrten wir erst spät von einer kleinen Ausflucht
heim; ich schlief daher den nächsten Morgen etwas länger als gewöhnlich.
Der Vater stand vor meinem Bette, im blendenden Schein der Frühsonne,
und ich sah nicht bald, wie betrübt sein Auge war. Du hast sanft
geschlafen, Fabia! sagte er, das hat Dich denn für eine traurige
Nachricht gestärkt. -- Minna ist recht krank -- -- ich blickte in
sein Gesicht und rief: o Gott! sie ist schon todt! -- Er nickte
schmerzlich-still. -- Sie war in der verwichenen Nacht an einem
Scharlachfieber gestorben, was nicht zum Ausbruch kam, und unsere kleine
Promenade war ihr letzter Gang gewesen; denselben Abend noch hatte Minna
sich gelegt. -- Den Donnerstag, der zu ihrer Abreise bestimmt gewesen,
wurde meine Freundinn begraben. Als der Sarg, mit Kränzen behangen, die
jungfräuliche Ehrenkrone von silbernen Zitterblumen zu seinen Häupten,
aus dem Hause schwankt, kommt ein Reisewagen angefahren. Es war der
unglückliche junge Edelmann, der seine Braut abholen wollen auf das Gut
der Mutter. Er kam nur gerade zurecht, ihr das letzte Geleit zu geben.
Mit welchem herzzerreißenden Schmerze -- davon will ich schweigen. --«

Hier schwieg Fabia, und eine lange Pause feierte diese Erzählung, welche
bei der einfachen Ruhe ihres Vortrags von um so größerer Wirkung gewesen
war. Man wußte, und mit Achtung wußte man es -- wie wahrhaft Frau Fabia
sey, und mit gewissenhaftem Stolze sogar den Schmuck der kleinsten
Zuthat verschmähe. Sie glaubte dessen nicht zu bedürfen, um das
Interesse Anderer für jene wehmüthige Erinnerung in Anspruch zu nehmen.

Endlich unterbrach der Administrator die allgemeine Stille und sprach:
»ich würde den Versuch bedauern, solch eine Thatsache _natürlich_
erklären zu wollen; hier tritt das geistige Element hervor, und wir
können nur verstummen. _Was_, in aller Welt, wäre denn nicht wunderbar,
oder ahnungsvoll? -- Nur unsere Sinne sind stumpf. Und ein Schutzfreund,
wie er dort ein gefährdetes Leben aus dem Schlafe weckt, hier Eines in
den längsten Schlaf lullt, wohnt gewiß in eines Jeden Brust, wenn dieser
Engel nur nicht so oft irdisch verbaut wäre. In einer für das Höhere
erweiterten Seele findet er gewiß Freiheit, zur rechten Zeit an das Herz
zu pochen.«

Der Major, der vielleicht aus einem zu weichen Gefühl das Tragische
nicht liebte, und als ein tüchtiger Mann auf ebenem Boden eine Scheu vor
metaphysischen Dissertationen hatte, ging nicht auf die Aeußerung seines
Freundes ein, und dachte vielmehr bei Minnas verlornem Schuh an
den Pantoffel, der seinen Neffen aus dem Felde schlug. Er hatte die
Gewohnheit _laut_ zu denken, und so sagte er: »nun sollte eine Sandale
an die Reihe kommen.«

»Meinst Du ein Fahrzeug, Herr Bruder?« fragte Hauptmann Moorhausen:
»wohl ist dieser Stoff ein unerschöpfliches Meer.«

Und Josephine sagte: »die Sandalien der Jungfrau Maria in der Capelle
sind wunderprächtig mit Gold und Perlen gestickt.« Die Kleine stockte
beklommen; doch Frau Fabia gab heute Preßfreiheit für Lügen wie
gedruckt, wie für die Legende des Hauses, und so entblätterte sich die
Blume dieses Herzens, und Josephine sprach: »In dem blassen Mondschein,
den die kleine Lampe wirft, schimmern die Sandalien so traurig und doch
so heilig! daß man gläubig wird, dieser Fuß müsse den Thron des Himmels
besteigen. Oft schon habe ich ihn geküßt -- und dabei gedacht, wie
manches bekümmerte Angesicht mag seine Thränen darauf geweint haben! die
sind denn zu Perlen geworden. Sogar der Staub, der darauf ruht, hat mir
etwas Rührendes, denn er erinnert mich, wie dieser beständige Fuß seine
Stelle verlassen, und wandelbar geworden, das Liebste zu suchen.«

»Recht, mein Kind,« erwiederte die Nonne erregt, »unsere Jungfrau von
der Capelle, von der das Kloster den Namen führt, gehört ganz eigentlich
hierher, und es ließe sich Manches von dieser Wunderthäterinn erzählen,
wenn auch keine Wallfahrt sie verehrt hat.«

»Das kenne ich ja nicht --« sagte Herr Prälat, erstaunt, sein Schutzkind
so bewandert in der Geschichte der Patroninn dieses Hauses zu finden;
und der Major fragte: »was ist's mit der Jungfrau?«

Die Nonne sprach: »nach den Urkunden des Stifts ist die kleine dunkle
Capelle dahinten seine erste Gründung gewesen. Man sieht es auch an der
Bauart, wie viel älter sie ist, als die des Klosters. Nun steht in der
Nische des Altars eine Mutter Gottes mit dem Kindlein an ihrer Brust. --
Das Bild ist nur von Wachs und nicht sonderlich schön, es hat aber
einen zarten Ausdruck von Erbarmen in der Miene, daß man gleichsam Trost
fühlt, wenn man es anblickt. Die rechte Hand hält es bedeutsam in die
Höhe, mit aufgehobenem Zeigefinger, als ob warnend oder winkend. Die
Sage erzählt: eines Schäfers Wittwe, der man aus Mitleid die Hut der
Heerde gelassen, habe sich den Verlust ihres Mannes dermaßen zu Gemüth
gezogen, daß alle Kraft ihr entschwunden sey, zumal das arme junge Weib
einen Säugling stillen müssen, mit dem Grame ihrer Brust. -- Da man die
Schäferinn oftmals schlafend gefunden, am Berge unter einem Baum, so
ist sie vom Orte aus bedroht worden, ihr, wenn sie nicht achtsamer seyn
werde, den spärlichen Dienst zu entziehen. In dieser Bedrängniß hat die
betrübte Wittwe ihre Zuflucht in die Capelle genommen und voll Einfalt
und Inbrunst gefleht, die Heilige des Himmels mögte die ärmste Mutter
der Erde vertreten in ihrer großen Schwachheit. Und als dennoch täglich
um die Stunde der Vesper die stillende Mutter von einem Schlummer
bezwungen wird, dem sie nicht widerstehen kann, wollen glaubhafte Leute
jener Zeit die Jungfrau Maria gesehen haben, wie sie bleichen Angesichts
die Lämmer gehütet, auf daß die Schäferinn der Ruhe pflegen möge.
Sie ist erkannt worden an dem Kleide von perlfarbnem Moir, dessen
schillerndes Gewässer nun wie mürber Zunder ist -- an der aufgehobenen
Hand, womit sie die Heerde stumm gelenkt -- im andern Arme hat sie das
göttliche Kind getragen, wie Jene das dürftige Kleine. In der Nähe
des Baumes hat Maria ein leises Lied gesungen, ein Wiegenlied --
so himmlisch! daß der Wind geschwiegen und die Vögel in den Zweigen
gelauscht. Auf dem Heimwege hat das Geläut der Heerde geklungen, wie die
Glöckchen beim Hochamt, und die Sandalien haben in der Abendsonne goldne
Strahlen verbreitet über den grünen Klee. -- Niemand wagte mehr, der
Wittwe ein Wort zu Leide zu sagen. Kein Lamm geht verloren -- aber eines
Tages das Kind vom Schoße der Mutter, als sie auch einmal schläft. Ein
Engel soll es ihr sacht und sanft entzogen haben, weil der Born der
Nahrung nun versiegt gewesen, und das Würmchen am Verschmachten. Die
Frau kommt wie von Sinnen. Sie rennt in der Irre umher, ihr Kind zu
suchen, was sich nirgends findet. Man entbindet sie ihrer Pflicht, und
fristet mit kärglichen Almosen ihr Leben, das der Jammer verzehrt. Sie
ringt die Hände wund und fleht: die heilige Jungfrau mögte sie ihr Kind
wiederfinden lassen, ohne das sie keines Bleibens habe auf der Welt.
Aber Maria bleibt unbeweglich, und blickt traurig nieder, daß Der,
welcher ihre himmlische Güte sich sichtbar angenommen -- der Glaube
fehlt. -- Da nun die unglückliche Mutter nicht Zeichen noch Wunder
sieht, wird sie eines Tages von verzweiflungsvollem Wahnsinn erfaßt.
-- Sie sagt: Du magst wohl schwerlich wissen, wie einer Mutter zu Muthe
ist, die ihr Einziges eingebüßt; sonst würdest Du auf mein Herzeleid
merken und Dich meiner erbarmen. Wer nicht hören will, muß fühlen!
-- Und damit hebt sie das Kind vom Arme der Madonna, und drückt es
mütterlich an ihren Busen, als ob das kalte Wachs an dieser heißen Angst
zerschmelzen müßte. Daheim legt sie es in eine kleine Lade, auf das
weiche Vließ von einem ungeborenen Lämmlein. Sie selbst liegt im Fieber.
Als nun der Morgen tagt, steht Maria vor dem Bette der Armen, rührt
sie an, und fordert ihr Kind zurück. Da sagt die Kranke, wo sie es
hingethan, und spricht: gieb mir nun auch das meine wieder und zeige
mir, wo ich es finde. Maria hebt den Zeigefinger gen Himmel -- -- darauf
ist die Mutter gestorben. -- Seitdem nun,« schloß Schwester Veronica
diese Tradition, »hat Mancher, der etwas vermißt -- ach mein Heiland Du!
Wessen Leben wäre ohne Verlust? Trost und Erstattung an dieser Stelle
gesucht und -- gefunden: denn die heilige Jungfrau giebt erhörend ein
Zeichen mit dem Finger, was noch nie trüglich gewesen.«

»Es gehört ein starker Glaube dazu --« sagte Hauptmann Moorhausen,
er, der den stärksten in Anspruch nahm --, »und eine deutsame
Einbildungskraft, um die Weisung der Jungfrau Maria zu verstehen, denn
sie kann doch nur Rechts, Links!« (diese Worte wurden im exercirenden
Tone gesprochen) »nach Oben oder Unten zeigen, und das kommt mir
ohngefähr so vor, wie jene Adresse: an meinen lieben Sohn in der Armee.«

»Dem Zweifler ist nichts beschieden --« antwortete Therese spottend,
»wenn Sie einmal das Gedächtniß verlieren, =mon Capitain=, wird Sanct
Maria es Ihnen nicht suchen helfen.«

»O! mein Gedächtniß ist gut!« erwiederte der Hauptmann prahlerisch
sicher. »Das muß es auch --« versetzte die muthwillige Frau und
lächelte ihn an, so daß ihm die kleine Bosheit ihrer Replik nur wie ein
schalkhafter Liebesblick einleuchtete.

»Es ist doch viel,« fiel hier der Administrator ein, »daß bei der
Aufhebung des Klosters die Capelle unangetastet geblieben.«

»_Viel_?« fragte die Nonne und ihre Wange röthete sich bei dieser
aufregenden Erinnerung, »wenig war es, werthester Freund! sehr wenig.
Was ist denn Kostbares darin? Ein paar arme Bilder -- morsche Bänke --
die Jungfrau selbst ist alles Schmuckes baar, die Fußbekleidung etwa
ausgenommen, und für diese habe ich Alles hingegeben, was ich an
Pretiosen noch besaß. Die goldne Taschenuhr meines Vaters -- ein
köstliches Werk! wog der Commissair in seiner Hand, die gerade
keine Wagschale der Gerechtigkeit war -- und dabei fiel der kleine
Uhrschlüssel klingend auf die marmorne Schwelle, wo wir standen, und mir
gleichsam auf das Herz, denn ich dachte, wie so tausendmal ich diesen
Schlüssel in der Hand meines Vaters gesehen! ich sah die Miene, womit
er ihn drehete -- -- ich mußte meine Augen abwenden. Da sagte der
Commissair: wir wollten einen christlichen Tausch abschließen. Er zog
den großen Schlüssel aus dem Schloß der Capelle, reichte mir ihn und
sprach: diese solle fortan als mein Heiligthum zu betrachten seyn. Die
Uhr mogte er dagegen als _sein_ Eigenthum ansehen. Er steckte sie sich
in die Tasche, nachdem er den kleinen Schlüssel fest gemacht. --«

Der Major murmelte ein vernichtendes Wort, und schluckte den Aerger in
einer Neige Wein hinunter. Herr Prälat aber schlug in stillem Grimm das
umgekehrte Ende des silbernen Messers auf den Tisch, als hätte er den
Commissair damit auf die Finger schlagen mögen. -- Aber friedlich sprach
die Nonne: »dies Alles ist nun überwunden; ich wollte nur sagen:
ich hätte mir gewissermaßen ein Anrecht an die Capelle erworben. Die
schönsten Blumen fülle ich in die kleinen Krüge zu beiden Seiten des
Altars; dort duften sie Weihrauch. Und das ewige Licht nähre ich aus
meinen geringen Mitteln, und müßte der Winter meines Lebens finster für
mich seyn, wie eine lange Sterbestunde.« Der Blick der Nonne leuchtete
bei diesen Worten auf, wie ein Flämmchen vor dem Verlöschen. Alle waren
gerührt.

»Und dieses liebe Geschäft,« sagte Josephine in holder Geschwätzigkeit,
wie von einem Lieblings-Gegenstand hingerissen, »gönnt mir die gute
Schwester Veronica bisweilen, wenn meine Zeit es erlaubt. Es ist für
mich ein kleiner Tempeldienst, den ich nie ohne ein andächtiges Gefühl
verrichte. Ich komme mir dann vor wie eine Vestalin, von denen Du
neulich erzähltest, Onkelchen. Es ist wirklich etwas Heiliges um das
Licht. Man denkt sich eines Sünders Seele dunkel. -- Ich fürchte mich
auch nicht ein Bischen allein, und sitze oft in der Dämmerung in dem
verwitterten Beichtstuhl. Da flüstert es neben mir, die feuchten Wände
wispern, ich höre den Holzwurm picken -- und denke, es sey Veronicas
Uhr, und _wo_ dies Herz der Capelle wohl schlüge? -- Und wenn ich
sinnend in die wehende Lampe blicke, ist mir Manches schon hell
geworden. Jüngst beschlich mich ein sehnsüchtiges Weh, ich mußte weinen
und trüber Zeit gedenken. Da fragte ich laut, und erschrak vor meiner
eigenen Stimme: wo ist -- wo ist mein lieber Vater, den ich verloren?
-- -- Ein Seufzer --« der Athem in Josephinens Brust stockte vor dem
Blick, womit Frau Fabia sie ansah. Das Mädchen verstummte. Hauptmann
Moorhausen haschte alsbald den letzten Laut von diesen Lippen und sprach
cathegorisch: »Ahnungen giebts! ich selbst habe --« jetzt stieß der
Major einen tiefen Seufzer aus, der die Gedankenreihe seines Cameraden
auf einige Momente unterbrach. »Ja, das war ein Abenteuer,« setzte
er seine Rede fort und festen Fuß in weichenden Boden --, »was Muth
erforderte. Als wir im Jahr 18-- an der Grenze standen, ward ich mit
einem Commando nach dem Gebirge detachirt, wo eine aufrührerische Rotte
zu bändigen und nach Umständen zu bestrafen war. Die Unruhen waren bald
gehoben, die Empörer fest genommen, und wir beeilten uns, aus jenen
unwirthbaren Hürden zu kommen. Es war tief im Herbst, der Paß verschneit
-- kein Wunder, daß wir uns verirrten. So gelangten wir bei Nacht und
Nebel an ein adeliges Schloß, das Gott weiß! wie weit abseits von unserm
Wege lag. Sie können wohl denken, meine Verehrtesten! daß wir als Gäste
zu so später Zeit nicht gerade die willkommensten waren; aber man muß
nur die Leute zu behandeln wissen. Nach einer Stunde saß ich mit dem
Förster, der in Abwesenheit der Herrschaft den Wirth vorstellte, ganz
cordial bei einer Flasche Wein. Ein Wort gab das andere, er erzählte von
den Verhältnissen der Familie, die fast nie hier wohne, ohngeachtet die
Gegend entzückend sey, und als ich nach der Ursache fragte, äußerte der
Förster: es wäre nicht geheuer im Schlosse. Ich lachte und glaubte, der
Schalk wolle mir das Nachtquartier verleiden -- da versicherte er mich
sehr ernsthaft, es wäre gar nicht zum Lachen. Der Erbe jenes Gutes,
ein junger Graf -- St -- der Name ist mir entfallen -- sey vor mehreren
Jahren gestorben, an einer Erweiterung des Herzens, was nach seinem Tode
ein Gewicht von zwanzig Pfund ergeben hat.«

Vor dieser Möglichkeit sanken alle Begriffe, die Damen faßten
unwillkürlich an ihre linke Seite, und der Major sprach: »Potztausend!
über den Zwanzigpfünder! -- Dem ist das Herz schwer gewesen. --«

»Auch im moralischen Sinne --« antwortete Hauptmann Moorhausen: »ein
Freund des Grafen, seine zweite Seele gleichsam -- hatte einen wichtigen
Auftrag, eine Geliebte betreffend, von ihm bekommen, und säumte zu
erscheinen, und das ganze Haus sah diesem Zuspruch sehnlichst entgegen.
-- Der Kranke konnte nicht sterben und fristete sein Daseyn elendiglich.
So genoß er nur täglich einen kleinen Apfel, und auch dieser machte
ihm Wallungen. Er konnte kein geheiztes Zimmer vertragen, weshalb seine
Pfleger zur kalten Jahreszeit in dem rauhen Klima jener Gegend häufig
wechseln mußten. In der einen Nacht wacht der Jäger, der Graf liegt
stille, da öffnet sich die Thüre und ein junger blasser Offizier tritt
ohne Geräusch herein. Der Büchsenspanner erkennt den Freund des jungen
Herrn und verhält sich ruhig. Der Offizier beugt sich über das Bette,
flüstert tief in die Kissen hinein -- da wird dem Jäger unheimlich,
er ergreift die Kerze, wagt einige Schritte, obgleich sich sein Haar
sträubt, und wie er hinzu leuchtet, ist der Offizier verschwunden, und
der Graf verschieden. --«

Ein Schauer der Furchtsamkeit, der hörbar die kleine Gesellschaft
durchfröstelte, befriedigte den Hauptmann. Dieser kühne Geisterseher
lächelte kaltblütig, und schickte sich zum Verfolg der Geistergeschichte
an. Herr Prälat aber war auffallend bleich, und Therese rückte sich
ihrem Schwager noch näher und umschloß seinen Arm mit ihren beiden
Händen. »Es taugt nichts,« sprach der Major, »daß wir uns jetzt zu
nächtlicher Stunde mit solchen Geschichten den Kopf erhitzen; ich
dächte, wir höben uns das Ergebniß für ein andermal auf.«

»Nein,« sagte Therese, »es fürchtet sich hübsch unter Mehreren und ich
lasse es mir nicht nehmen, die Bravade des Hauptmanns zu bewundern;
fahren Sie fort!«

Moorhausen gehorchte diesem Befehl und sprach: »den Freund des Grafen
hatte ein plötzlicher Tod abgehalten zu kommen, aber ein treuer Freund
hält sein Versprechen todt oder lebend, das ist Parthie egal. -- So oft
nun Jemand seit jener Zeit in dem Zimmer und Bette des seligen Grafen
schläft, erscheint er und bringt die verspätete Kunde; aber einer Frage
hielte dieser zuverlässige Schatten nicht Stich. -- Er soll mir Stand
halten auf meine Ehre! erwiederte ich dem Förster, und bat mir jenes
gespenstische Zimmer aus. Er wollte mir nicht willfahren, ich setzte es
aber durch. In besagtem Zimmer nun sah es ziemlich wüst und unheimlich
aus. Der Förster versah mich mit dem Nöthigen, legte mir, wie ich
gefordert, einen Hirschfänger, blank gezogen, und eine Pistole, scharf
geladen, zur Seite und wünschte mir, grauenhaft lächelnd, eine geruhsame
Nacht. Mit diesen Waffen und einer wahrhaft todesverachtenden Courage
forderte ich den Geist nun heraus. -- Als ich mich sterbensmüde in dem
Himmelsbette des seligen Grafen ausstreckte -- der Riese Goliath hätte
Platz darin gefunden -- dachte ich an das Riesenherz des armen Jünglings
und sah in den gedrechselten Kugeln des Gestells die kleinen Aepfel
seiner Mahlzeit. Mir war, als hätte ich die Weltkugel im Magen. Die
compacte Kost des Försters hatte mir Congestionen erregt. Endlich
überwältigte der Schlaf das empörte Blut -- da klopft es dreimal
deutlich -- --«

Es klopfte jetzt wirklich an die Thüre des Klosters. Der Hauptmann
verblich zum steinernen Gast, die Frauen sprangen auf, der Major in
gleicher Hast, vielleicht glaubend, daß sein Neffe komme, wollte es
ihnen gleichthun, bekam aber den Krampf in den Fuß und Herr Prälat
leistete ihm Beistand. Man zog die Klingel, doch Niemand kam; und in
dieser Verwirrung hatte Josephine ein übriges Licht ergriffen -- den
Tisch erhellte eine schöne Lampe -- und war hinausgeeilt. Sie floh den
Gang entlang, ihr Schatten wehete an den düstern Wänden hin -- nun stand
sie an der Pforte pochenden Herzens, und draußen schlug eine unbekannte
Hand nahe ihrem Ohr den Klopfer noch einmal an, daß dieser Laut wie
ein unendlicher Hall durch die Stille der klösterlichen Nacht tönte. --
»Gleich! gleich!« sagte Josephine beklommen, schob die schweren Riegel
zurück, und wich nun selbst einige Schritte, als ein Mann eintrat,
von hoher Gestalt, umflossen von einem weißen weiten Mantel, dem eine
schmale Reisetasche von rothem Saffian überhing, so daß sein Ansehen bei
mäßiger Zuthat der Imagination das eines Kreuzritters hatte. Josephine,
im flackernden Scheine die Kerze, die den lichten Umriß des Mädchens
aus der finstern Umgebung hervortreten ließ, fühlte ein Beben bei dem
Anblick dieser bedeutenden Erscheinung, und heftete einen furchtsamen
Blick auf die bleichen Züge des Fremden, der mit einem Ausdruck von
freudigem Staunen seine Pförtnerinn ins Auge faßte. »Wo ein Engel öffnet
um diese Stunde --« sagte er, »da darf man über die Aufnahme nicht
zweifelhaft seyn. -- Mein holdes Kind! treffe ich den Administrator
daheim? gleichviel, ob schlafend, ich muß ihn sprechen.«

»Er ist noch wach,« antwortete Josephine, »zur Feier seines
Geburtstages, in Mitten seiner Freunde.« Und alsbald tadelte sich das
Mädchen, daß es den fremden Mann in ein Familienfest einführe.

»_Seiner Freunde_ --« wiederholte der Unbekannte mit zitterndem Accent,
und ging raschen Schrittes voran. Herr Prälat kam ihnen schon entgegen,
hinter ihm Frau Fabia, zu wissen, was es gäbe? Ein sprachloser Moment
des Erkennens! dann rief Jener: »Sylvius!« wie ein Echo aus der
Ferne der Erinnerung rief Fabia einen andern Namen nach -- und nur
unarticulirte erschütternde Töne entrangen sich der Brust des Fremden.
Da breitete der Administrator die Arme so jählings aus, daß er
in Josephinens Leuchte griff, sie erlöschte -- und das Dunkel des
Kreuzgangs umfloß ein Wiedersehen.

       *       *       *       *       *

Unsere Leser wollen sich erinnern, daß, als Herr Prälat dem Major
Feldmeister Einiges aus seinem Leben mitgetheilt, er eines Freundes
erwähnt, ohne den Faden jenes Verhältnisses auszuspinnen --; wir aber
knüpfen die neue Bekanntschaft, und was wir nachträglich davon zu sagen
haben, an jenes Fragment.

Nachdem der Held unserer Erzählung seine cameralistischen Studien
beendiget hatte, arbeitete er eine Zeitlang unter seiner Behörde in H--.
Dann dachte Cölestin, wir wollen den Administrator der Kürze wegen
so nennen -- ehe er eine fixe Stellung annähme, eine große Reise
anzutreten, welche der Zielpunct seiner jugendlichen Sehnsucht gewesen
war. Es hatte Mühe gekostet, dem Vormund die Genehmigung dazu, wie die
benöthigte Summe, abzugewinnen; und als es ihm endlich gelungen und
alles festgesetzt war, fühlte er sich festgehalten durch die zartesten
Bande, und der Wunsch, die Welt zu sehen, war ihm gleichgültig geworden.

Cölestin war in dem Falle, ein anderes Quartier zu bedürfen. Er fand
die Anzeige in einem öffentlichen Blatte, daß eine Wohnung für einen
_ältlichen_ Herrn frei stehe, die ein Hausmiether von seinem Locale
ablassen wolle. Er mußte des bedingenden Wortes lächeln, ließ sich aber
dadurch nicht abhalten, das Quartier in Augenschein zu nehmen, und es
war, wie er es suchte. Inhaber desselben waren ein Forstrath von Schütz,
der ehemals Jagdjunker gewesen in jenen Gegenden, wo diese Charge üblich
war, und gegenwärtig nur in seinen vier Pfählen herumförsterte, seine
Schwester, Frau von Schütz, die Wittwe eines Vetters, und ein Fräulein
von Schütz, ihre Nichte, die Waise des Bruders. Cölestin sagte: wenn sie
unter einem ältlichen Herrn einen _ruhigen_ verständen, so könnten sie
ihn getrost einnehmen, und die fehlenden Jahre übersehen. Er dürfe
von sich rühmen, ein stiller Miether zu seyn. So wurde der Contract
abgeschlossen. Bei näherer Bekanntschaft mit dieser Familie bemerkte
Cölestin, wie combinirt dies verwandtschaftliche Verhältniß sey, was ihm
so einfach geschienen. Der Forstrath war der dringende Liebhaber seiner
Nichte, die Tante dem Bruder wie seiner Neigung gram und der Jugend des
Mädchens abhold, die schöne Tony ein verfolgter Gegenstand der Liebe wie
des Hasses, und in meisterlicher Uebung beiden überlegen. Sie wollte die
Tante beerben, den Onkel zwar nicht heirathen, aber bei Gutem erhalten,
und einst goldne Früchte ernten, wenn dies lachende Auge doch zuweilen
weinen mußte. Aber diese trübe Aussaat war selten, denn die Vorsehung
hatte solch schweres Ertragen durch leichten Sinn aufgewogen. Cölestin
sah mit Erstaunen in diesem Hause ein stehendes Theater für kleine
Intriguen-Stücke, von schlauer Erfindung und wohlberechnetem Erfolg. --
Es wollte ihm doch so vorkommen, als ob Tony der Leidenschaft des Onkels
schmeichle, wie den gehässigen Fehlern der Tante, und Beide anzuführen
wisse, wo es das Erreichen einer Absicht gelte. Dieser wahrhaften
Bemerkung ungeachtet, hatte sich das reizende Geschöpf seines Interesses
doch so sehr versichert, daß sie unwirksam auf seine beobachtende Ruhe
blieb. Er war nicht lange aus dem Spiel gelassen -- Tony theilte ihm die
Rolle ihres Vertrauten zu, und bald hätte er ihr das ganze Glück seines
Lebens anvertrauen mögen. Er hielt den Gebrauch listiger Waffen für
Nothwehr, die fügsame Klugheit, welche ein wenig nach der Schlange
schillerte, für Taubensinn, und den abgelegten Anzug der Tante, den
die reizende Tony sich gefallen ließ, wie das Verheimlichen prächtiger
Geschenke, die der Onkel ihr aufdrang, für gleich nachgebende
bescheidene Gefälligkeit der Nichte. -- Die _Liebe_ war es, meine Leser,
welche Engel schuf. Sie verschönt, vergiebt, vergöttlicht -- und öffnet
selbst den Geistern der Hölle ihren Himmel. -- Tony gab bei schicklichem
Anlaß dem Hausfreund zu verstehen, wie widrig der Onkel ihr sey, und
welcher fortwährenden Anstrengungen sie bedürfe, sich ihn als eine
Respectsperson drei Schritte entfernt zu halten. Sie führte ihm mit
lachendem Munde kleine Züge der Bosheit und des Geizes ihrer Tante
an, so daß Cölestin eben so viel Ekel als Mitleid empfand, und heftig
wünschte, das schöne heimlich geliebte Mädchen aus dieser Höhle des
Satans befreien zu können. Doch ein inneres Etwas, dem er keinen Namen
zu geben wußte, hielt ihn zurück, so oft ein erklärendes Wort auf seine
Lippe trat, und diese Gefahr trat ihm näher und näher. -- Als jenes
würdige Geschwisterpaar einmal in eine langweilige Gesellschaft geladen
war, und Tony unter irgend einem Vorwande davon zu Hause bleiben dürfen,
beschied sie den ihr begegnenden Cölestin rasch und flüsternd in den
Garten, wo er ihrer harren möge. Cölestin wußte nicht, was er von diesem
naiven Rendezvous denken solle -- aber er folgte dem süßen Befehl.
Sein Herz pochte, Tony blieb lange aus -- endlich kam sie, im neuesten
Geschmack und so reizend angezogen, daß er geblendet vor ihr stand.
»Gefalle ich Ihnen so?« fragte sie lächelnd, »ich putze mich manchmal
auf meine eigene Hand, um doch auch zu wissen, daß ich ein Mädchen
bin. Da komme ich mir denn wie eine verwünschte Prinzessinn, und mein
Schicksal mir wie ein Mährchen vor, darin sich ehestens mein alberner
Plagegeist in einen schmucken Freier verwandeln würde, mit dem ich
freudig zöge über Berg und Thal; die Linsen und Erbsen aber, die ich
zählen müssen, in blankes Gold. Denn --« setzte Tony in liebenswürdigem
Uebermuthe hinzu: »sollte ich die Tante nicht beerben, so wollte ich
lieber heute sterben. -- Sie hat mich eingesperrt und ihr Geld, und zu
ihrer Verdammniß wollen wir künftig rollen in die weite Welt.«

Und trotz dieser leichtfertigen Sprache überredete Cölestin sich selbst,
daß Tony, ihn als Gattinn zu beglücken, geeigneter als jede Andere sey.
Kaum würde er einem übereilten Versprechen entgangen seyn, wenn nicht
die Freundschaft seine Gefühle rettend getheilt hätte. --

Jenes geheimnißvolle Gesetz, nach welchem die Sterne der Menschen ihre
Laufbahn durchkreuzen, und Seelen sich begegnen, bestimmt auf einander
zu wirken, ließ Cölestin einen Freund an jenem Sylvius finden, sein
Geschlechtsname möge einer späteren Mittheilung vorbehalten bleiben
-- den wir nach einer Reihe von Jahren an der Pforte von Sanct
Capella treffen. Dieser junge Mann lebte ohne allen Umgang, in stiller
schwermüthiger Weise, vertieft in mathematische Arbeiten, doch scheinbar
ohne Zweck, als Cölestin ihn kennen lernte. Er fühlte sich wunderbar von
jener Natur angezogen, und jede Anziehungskraft ist, oder wird zuletzt
gegenseitig. Sie wurden herzliche Freunde, nur mit dem Unterschiede, daß
Cölestin ihm seine ganze Seele offen gab, während Jener dieses Vertrauen
nur leidend erwiederte, und die zarteste Theilnahme für die Geheimnisse
des Freundes an den Tag legte, ohne irgend einen Antheil für die
seinigen in Anspruch zu nehmen. Es lag ein Zug von Stolz in seinem
Character, der Stolz des Grams, und eines edlen gedrückten Herzens. Er
trug die Abzeichen eines gewissen Ranges an sich, ohne ihn geltend zu
machen. Sein Anzug war die feine Interims-Kleidung eines Forstmanns,
auch sein Bedienter hatte das Ansehen eines Jägers. Diese Außenfarbe der
Hoffnung ließ jedoch wie Spott der düstern Resignation, womit Sylvius
achtlos auf das Treiben der Menschen und das Interesse der Welt, kein
anderes Glück zu wünschen schien, als was die Ruhe des Einsamen gewährt.
Ueber seine angestammten Verhältnisse verbreitete er sich nie; dagegen
gab er freundlich Allem Raum und Gehör, was Cölestin ihm von sich selbst
sagen mogte. Dieser fand einst ein Portrait auf dem Schreibtische des
Freundes liegen. Er fragte, ob es eine Copie wäre -- und Sylvius sagte,
indem ein flüchtiges Erröthen sein bleiches Gesicht überflog: es sey das
Bild seiner Frau. »_Seine Frau?_« fragte Cölestin sich selbst, und hatte
kaum Zeit, darüber zu staunen, oder die Schönheit der jungen Dame zu
bewundern, so schnell verbarg Sylvius ihr Conterfei und sprach von etwas
Anderm. Sylvius hatte oftmals das Töchterchen seines Wirthes bei sich
und liebkosete ihm väterlichweich. Cölestin scherzte darüber. -- »Die
Kleine ist meinem Kinde auffallend ähnlich und in demselben Alter,«
sprach Sylvius mit ungewöhnlicher Rührung. »_Seinem Kinde?_« fragte
Cölestin abermals in sich hinein; Sylvius mußte als ein Jüngling
geheirathet haben. -- Aber wenn auch ein Ehemann und Vater, wie jung er
immer sey, sein Urtheil über Angelegenheiten der Liebe von einem andern
Standpuncte abzugeben pflegt, als Solche seines Alters und Geschlechts,
die den Schritt zum Traualtare noch vor sich haben, so machte Cölestin
seinen Freund doch nichtsdestoweniger mit der stillen Neigung vertraut,
die er für Tony von Schütz gefaßt hatte, wie mit den quälenden Zweifeln
über die eigentliche Gestalt dieses reizenden Chamäleons, und ob dieses
Gemüth endlich Farbe halten werde? --

Sylvius schüttelte zu dem Allen den Kopf und sagte unumwunden: »das
Mädchen, Lieber, gefällt mir nicht; mein Geschmack ist zu einfach für
den Reiz der Schlauheit.«

Cölestin vertheidigte seine Liebe mit Hitze; aber er gab dabei in seiner
eigentlichen innersten Meinung manche Blöße. Das üble Vorurtheil gegen
Tony schmerzte ihn, da jedoch Sylvius vermöge seiner Zurückhaltung
Superiorität über seinen Freund übte, so hatte dieser entschiedene
Ausspruch doch trotz dem Drange seines Herzens -- ein vorsichtiges
Verfahren Cölestins zur Folge. Er war nun mit dem Abschluß seiner
Geschäfte fertig, und an den Termin der Reise gekommen. Da kam er zu
Sylvius und sprach: »eine Bitte, Freund! die letzte. Es fällt mir schwer
zu scheiden, und am liebsten mögte ich dies Post- und Reisespiel, was
meine Phantasie mit Lust gemalt, nun es in meine Willkür gegeben ist,
verschenken, wie ich eines von Pappe abseits gethan, was ich besaß, als
ich ein Knabe war. Und doch ist es vielleicht gut, daß ich fort muß.
-- Ich würde ruhiger reisen, wenn ich mit mir selber im Klaren wäre. Du
Freund, Du allein könntest mir reinen Wein einschenken, und wäre es auch
ein herber Kelch, ich glaubte Dir dennoch. Thue mir den Gefallen, und
beziehe mein Quartier, da Du ohnehin wechseln willst; Du findest dann
Gelegenheit, Tony kennen zu lernen. Thue es aber ohne Arg! und fändest
Du ein wärmeres Herz als Du ihr zutraust, und ein Fünkchen Liebe für
mich darin glimmen: o! so fache es an mit dem Athem eines freundlichen
Mundes, wahre mir mein Glück, denn ich liebe das Mädchen sehr!« Cölestin
legte dieses Bekenntniß mit wankender Stimme ab, und fiel seinem Freunde
um den Hals.

Von der Zuversicht erschüttert, womit er das Wohl und Weh seiner Zukunft
in diese Hand legte, versprach Sylvius, was Jener von ihm begehrte. Es
war ein schönes Gefühl der Freundschaft, was ihn in dem Wunsche bewegte,
er mögte Tony Unrecht gethan haben, und eine Stütze für die Ruhe, für
die Hoffnung seines Freundes werden. Er sprach die Worte: »das größte
Glück eines Mannes ist, seine Geliebte gut und würdig zu wissen.« Und
Cölestin antwortete ihm: »das größte Glück ist ein treuer Freund!« Sie
wollten einander nicht schreiben. Ein Jahr, meinte Cölestin, der mit dem
Auge der Liebe sein Ziel schon absah, laufe schnell um, und nur in dem
Falle, daß Sylvius seinen Aufenthalt verändern müsse, solle der Freund
Nachricht von ihm erhalten, oder doch bei seiner Rückkehr vorfinden.
-- Da diese Nachricht durchweg ausgeblieben war, hoffte Cölestin um
so sicherer, seinen Freund noch in H--. anzutreffen. Mit drängenden
Empfindungen erreichte er die Stadt. Der Mond beschien den stillen
Markt, sein Herz schwoll, da er den Brunnen rauschen hörte, dessen
Wasser die Geliebte trank, und aus der tiefen Quelle, der die Gedanken
entsteigen, tauchte ihm die Erinnerung an die Bitte auf: daß Sylvius ihm
reinen Wein einschenken möge. Diese Stunde war nun gekommen. Er eilte
nach seiner Wohnung. Bei Forstraths war es ungewöhnlich erleuchtet, die
Fenster seines Zimmers standen offen, Blumen davor, und drinnen sang
eine angenehme, weibliche Stimme ein Webersches Liedchen zum Flügel.
Seine Pulse stockten -- dieser fremde fröhliche Ton, der Anschein des
Unbekannten ängstete ihn, er wendete sich seitwärts, wo auf einer
Bank ein Mädchen dicht an ihren Liebsten geschmiegt saß, und fragte
beklommen: ob der Forstrath Gäste bei sich habe? »Das kann wohl seyn --«
antwortete die Dirne und lachte frech. »Ich meine Gesellschaft --«
sprach Cölestin, von einer dunkeln Ahnung empört.

»Nein,« entgegnete das Mädchen, »Der ist zur Ruhe.«

»Zur Ruhe?« fragte Cölestin, »es ist kaum halb Neun.«

»Der ist ganz und gar gestorben --« war die fast höhnische Antwort.

»Und Frau von Schütz? --« »Die ist fortgezogen.«

»Und das Fräulein? --« Cölestins Athem stand stille, so auch der Schlag
seines Herzens, nur die Uhr viertelte dazwischen, als das Mädchen
gleichgültig erwiederte: »Fräulein Tony? hat den Herrn geheirathet, der
hier wohnte. Er trug immer einen grünen Rock. --«

Der Mond trat hinter eine Wolke, und nahm seinen Schein von einem
Gesichte, das bis zum Tode erblichen war. Cölestin stammelte mit leiser
Lippe: »das ist nicht wahr!« dann dankte er für gegebenen Bericht, und
seine Seele zerriß, da er die wüste Dirne hinter sich scherzen hörte.
Sylvius ehemaliger Wirth, den Cölestin in seiner Betäubung aufsuchte,
bestätigte, daß er die lautere Wahrheit vernommen.

»Nun, so ist die Wahrheit selbst eine Lüge!« sagte Cölestin verstärkt:
»Er hatte ja eine Frau! --« Der Wirth lächelte. Sein Töchterchen sah mit
unschuldigen Augen zu ihm auf. Er dachte an das Kind des Freundes, und
die seinen füllten sich mit Thränen. Mit zerrüttetem Gemüth verließ er
den Ort, alle Nachforschungen blieben fruchtlos, und Sylvius und Tony
verschollen -- bis wir den Schall seiner Ankunft hören, und das, was er
zu seiner Vertheidigung zu sagen weiß.

Die beiden Freunde fanden sich auf einem Zimmer allein zusammen; die
kleine Gesellschaft hatte sich bei der Dazwischenkunft des Fremden
sogleich aufgelös't, Mitternacht war bereits vorüber und also
der Geburtstag des Administrators, ein neues Leben schien für ihn
anzubrechen, aber noch lagen tiefe Schatten auf der Gestalt, deren
erster Anblick ihn überwältigt hatte. -- »Jetzt --« sagte Cölestin, und
sein Blick drang tief in die verfallnen Züge des Freundes ein, als
suche er die ehemalige Wohnung seiner Zuversicht, »jetzt, wo ich den
Ton Deiner Stimme höre, klingen Saiten in mir an, die lange unberührt
geblieben, und was ich auch inzwischen von Dir vernommen, es ist
mir, als wäre es eine Lüge gewesen. Du wirst mir die Wahrheit nicht
vorenthalten. Man sagte, Du hättest Tony geheirathet -- Tony von Schütz,
die ich liebte, die ich Dir anvertraute.«

»Da hat man Dir ein Factum berichtet --« antwortete Jener, und lächelte
kalt. »Sylvius!« rief Cölestin mit lodernden Augen, eine Flamme der
Beleidigung schlug durch sein Herz.

Und Sylvius sprach: »ich war prädestinirt, Dein Retter zu werden -- um
jeden Preis! ich warf mich auf, Dich zu schützen; Wer ist der Mensch,
der es wagen dürfte, sich der Täuschung für überlegen zu halten? so warf
dieser Hochmuth mich nieder. Wer fallen soll, wird zuvor stolz.«

»Das Einzige bitte ich,« entgegnete der Administrator, »sage mir Alles
unumwunden; es ist mir, als könnte ich dennoch nicht an Dir zweifeln.«

»Das darfst Du auch nicht,« erwiederte der Freund mit schmerzlicher
Stimme. »Verrath war meiner Seele fern. Niemand haßt Falschheit, das
Schnödeste was ich kenne -- aufrichtiger als ich, und doch mußte ich
diese Larve tragen. Eine eiserne Hand hat sie mir abgerissen; ich darf
nun frei um mich blicken, und sehe, daß ich allein der Getäuschte war
-- daß ich _allein_ bin.« Cölestin reichte ihm schweigend die Hand. »Ich
will Dir meine ganze Seele enthüllen --« fuhr Sylvius fort, »wenn anders
ein Mensch im Stande ist, das Gewebe seines Innern in all den feinen
Fäden aufzufassen, aus denen sein Verhängniß besteht. -- Du weißt, daß
ich bald nach Deiner Abreise zu Forstraths zog, und mit ziemlich übler
Vormeinung gegen das Fräulein; ich nahm mir vor, diese Tony, der ich
Dich nicht gönnte, solle mich nicht bestechen noch verblenden, und wenn
jeder Blick ihres schönen Auges ein Sonnenpfeil wäre. Diese feurigen
Augen aber zogen Wasser -- ich dachte Deinetwegen, und dieser Gedanke
zog mich an, freundlicher als ich gewollt, hineinzublicken. Ich fand
das Mädchen so einfach betrübt, so schweigsam und unabsichtlich, daß
ich nicht begreifen konnte, wie Du Dich so gänzlich irren können. Das
Betragen des Fräuleins sagte meiner Stimmung zu; daß mich Tony wenig
oder gar nicht bemerkte, war mir lieb, der leiseste coquette Angriff
würde selbst das kühle Interesse des Beobachters mit einer Art von
Abscheu -- der Ausdruck ist hart, aber wahr! -- von sich abgewendet, und
mein Urtheil vollends verhärtet haben. Ich trug einen Talismann in und
auf meinem Herzen, gegen den Zauber der Schönheit, gegen buhlerische
Künste. Du hast das Bild gesehen, was auf meiner Brust schläft -- das
Original, der Inbegriff meines Lebens schlief in fremder Erde, und all
mein Glück war mit ihm eingesargt. Die früher empfangene Nachricht hatte
sich mir damals bestätiget, daß die Seele meiner Seele, das Weib meines
Herzens gestorben sey. Die Welt wußte nichts von diesem Verhältniß
und daher auch nichts von meinem Schmerz; was weiß die Welt von den
eigentlichen Beziehungen des Menschen? sie kennt nur den Schein der
Dinge. So hatte mich der Gram in einen Zwinger eingeschlossen, worin
ich unzugänglich für Alles war, nur nicht für das Unglück. Dich, Freund!
hätte ich vor dem längsten wahren mögen -- und Tony fand das kleine
Pförtchen, und schlüpfte durch Mitleid in mein Herz. -- Eines Morgens
lese ich Briefe, in Wehmuth aufgelös't, daß dieser himmlische Geist,
den ich im Ausdruck der Liebe in jeder Zeile finde, mir entrückt ist.
Da klopft es an meine Thüre, so schnell! so heftigleise! wie der Vogel,
gejagt vom Sturm, an ein Fenster pickt. Ich öffne, das Fräulein steht
draußen. Dieser unweibliche Schritt macht mich stutzen. Doch Tony ist
blaß, der scheue Blick niedergeschlagen -- ich darf vermuthen, daß sie
mir etwas Außerordentliches mitzutheilen hat. Ich leite sie herein, zum
Sopha. Sie verneint zu sitzen und sagt: sie könne sich auf keine Ruhe
einlassen, so lange sie in Furcht und Seelenängsten schwebe. Dies sagt
sie mit gebrochner Stimme und bricht in heißes Weinen dabei aus. Ich
bitte Tony, sich zu fassen, und fasse ihre Hand, indem ich mich zu Allem
erbiete, was zur Erleichterung ihrer Lage dienen könne. Sie sah mich
an mit thränendem Blick -- dieser Blick rührte mich unbeschreiblich.
Im Leiden ist Wahrheit -- dachte ich, und wie Tony wirklich sehr schön
wäre. Haben Sie doch Zutrauen zu mir, Fräulein! sagte ich, und meine
Worte mogten vielleicht einen Anklang jener Regung haben. Dies führt
mich zu Ihnen, antwortete Tony; drüben bin ich bewacht und darf mit
keiner menschlichen Seele reden. Ich halte Sie für einen Ehrenmann --
war es doch grade, als wollte ich sagen: _Ehemann?_ -- wenn das nicht,
würde ich mich wohl über alle Sitte so weit hinwegsetzen, Sie in Ihrem
Zimmer aufzusuchen? -- Das Mädchen hielt mich also für verheirathet.
Ich konnte kaum weniger thun, als mir selbst geloben, daß die Wahl ihres
Schutzfreundes die arme Tony nicht gereuen solle. Sie entdeckte mir nun
ihre Bedrängniß. Der Onkel war in einem Anfalle von Eifersucht plötzlich
so dringend in seinem Werben geworden, daß die Nichte zagte, er mögte
ihr im Umsehen den Brautkranz mit tölpischer Hand auf die weichen
Locken stülpen. Dann hatte sich noch ein Freier gefunden, den die Tante
begünstigte, und das war noch schlimmer. Frau von Schütz hatte gedroht,
ihr Vermögen an Fremde zu vermachen, wenn Tony den Forstrath heirathe,
und dieser einen Eidschwur darauf gesetzt, daß er seine Hand von ihr
abziehen wolle, wenn sie die seinige nicht nähme, oder den ihm verhaßten
Rival vorzöge, und die Tante hatte öfters Schlaganfälle. -- So war Tony
in der Lage eines Gegenstandes, den Zwei zankend hin und her zerren, er
zerreißt. Abends vorher war eine Scene vorgefallen, der Forstrath hatte
sich krank geärgert, und lag zu Bett. Tony, zum Aeußersten gebracht, war
in einer schlaflosen Nacht zu dem Entschluß gekommen, zu entfliehen. Sie
kam, mich um eine Männerkleidung, wie um meinen Rath für mögliche Fälle
zu bitten. -- Du kannst denken, Freund! daß ich über diesen kühnen
Einfall erschrak, und ihn dem Mädchen auszureden suchte. Das schöne,
blühende Geschöpf, landflüchtig! ich schilderte die Gefahr dieses
Wagnisses so entsetzlich als möglich; doch Tony blieb hartnäckig dabei,
sie könne es länger bei ihren Verwandten nicht aushalten. All meine
Mittel sind erschöpft, sagte sie, auch bin ich wohl zu geängstet, zu
längerem Widerstande; ich bin nichts, als ein armes, zitterndes Opfer,
so oder so. Fräulein! sprach ich: Sie haben doch sonst die Fähigkeit
entwickelt, Ihren Drängern die Spitze zu bieten. -- Ach! versetzte Tony:
Sie kennen die Gewaltsamkeit nicht, womit man seit einiger Zeit auf
mich eindringt; hätte ich mich nur ein Jahr noch behaupten können --
ich dachte, sie wolle damit sagen, dann würde ihr der Ersatz durch Dich
gekommen seyn. Nimm einen Dritten, hatte die Tante gesagt, so mag es
drum seyn und Keines von uns hat seinen Willen. Ach! seufzte Tony, ein
anderer Name wäre mir ein anderes Schicksal; der kleine Schütz meines
Wappens, der ohne Unterlaß auf mich anlegt, würde zum Schutz für mich,
könnte ich ihn tauschen. -- Selbst eine _Scheinheirath_ würde ich als
eine _wahre_ Erlösung betrachten können. Das Frauenhäubchen wäre mir
Fortunatus Wünschhütlein, und ich könnte mich versetzen, wohin ich
wollte. Ein Mädchen ist gebannt in seinen Kreis, und wenn ihn die Hölle
umschriebe. Freilich, auf jede Brücke mögte ich nicht treten. -- Ein
dunkler Gedanke schwebte mir vor, als Tony diese Worte sprach, es war
mein Dämon, der mir die verfängliche Antwort eingab: Fräulein! wenn sich
nun ein Mann fände, den Sie der Hoffnung würdigten, auf diese Weise Ihr
Retter zu werden, was dann? -- Dann, sagte Tony: verspräche ich, ihm das
Leben so sauer zu machen, daß er froh und gewiß seyn sollte, mich nach
sechs Wochen wieder los zu werden; wir würden uns einmüthig über die
Scheidung bereden. Ich aber wäre selbständig, und dürfte mir keine
Unbill mehr gefallen lassen. -- Diese Idee faßte mich; lasse Dich aber
den Teufel bei einem Haare fassen, und Du bist sein auf ewig! -- Wisse,
Freund! meine erste Heirath war eine heimliche, die Gattinn war nur vor
Gottes Augen mein. Hier kam es darauf an, der Gemahl einer Fremden zu
_scheinen_, und begierig haschte ich nach diesem waghaften Verhältniß,
wie nach dem Schatten von meinem verschwundenen Glück. -- Fräulein!
sagte ich, Sie sprachen vorhin: auf jede Brücke mögten Sie nicht treten?
die meinige ruht auf den festen Pfeilern der Ehre und der Freundschaft.
Wollen Sie Sich mir anvertrauen? ich entdeckte ihr nun Deine Liebe,
und wie Du an ihrem erwiedernden Gefühl gezweifelt, und weshalb Du
geschwiegen. Tony schwieg auch. Sie lächelte, reichte mir die Hand, und
sagte: ich überlasse mich Ihnen gänzlich. -- Ich wußte nicht, wie mir
geschehen, als ich, nachdem sie fort war, meine Briefe wieder aufnahm.
Welche Reihenfolge von Gedanken schloß sich dem Fragezeichen an, bei dem
ich aufgehört? O! warum beherzigte ich jenes warnende Zeichen nicht?
-- Ich weiß nicht, ob Du je zu der Erfahrung gelangt bist, daß Niemand
größere Gewalt über uns übt, als Wer ein früheres Mißtrauen in uns
überwunden? -- Umsonst ward ich mir meines Verdachts gegen die listige
Tücke dieses Mädchens bewußt, vergebens schreckte mich eine ahnungsvolle
Scheu, ein unwürdiges Gaukelspiel zu treiben: hundert Sophismen
bekämpften mein sträubendes Gefühl. Wie viele erbärmliche Motive
schließen nicht täglich Ehen! dachte ich; mein rascher Entschluß
entspränge mindestens dem redlichen Willen, Freiheit und Liebe, diese
höchsten Güter Andern erwerben zu helfen. Ich wollte eine Sclavinn lösen
und sie heilig halten, die Braut meines Freundes. Was nun folgt, kann
ich nicht folgerichtig beschreiben. Es ist nur ein wüster Traum, den ich
mir nicht deutlich machen darf, wenn ich nicht von Sinnen kommen will,
daß ich es damals war. Ich warb um Tony; Frau von Schütz sagte mir ohne
Weiteres ihre Nichte zu, ich fand nicht einmal die leise Zurückhaltung
der Schicklichkeit. Man hielt mich für reich, um eine Bürgschaft für
meinen Character, für alles Wesentliche kümmerte sich die Tante nicht,
und mir blutete das Herz, daß die arme Tony so waisenhaft verlassen
wäre von mütterlicher Fürsorge. Von einem Mitbewerber war die Rede
auch nicht, es schien, als ob Frau von Schütz eine gegenseitige Neigung
zwischen uns voraussetze. Der Forstrath lag ernstlich krank. Wenn er
stürbe, Ihr Onkel, Fräulein, sagte ich, so wäre ein Grund gehoben --
gereut es Sie schon? fragte mich Tony mit aufreizendem Spott, ich
sage Ihnen, es ist nichtsdestoweniger nothwendig, daß Sie Sich meiner
annehmen. Ich war bereits zu sehr von diesem in seiner Art einzigen
Verhältniß befangen, um es noch durchaus beherrschen zu können. Noch
benahm sich Tony mit jener Subtilität gegen mich, deren ich auch
bedurfte. Sie hielt mich an der feinsten Kette. Wenn andere Brautleute
von der Ewigkeit ihrer Liebe reden, so flüsterte Tony mir zu, in welcher
Kürze unsere Trennung zu beschleunigen wäre. -- Ich sollte sie unter dem
Vorgeben einer Reise nach meiner Heimath in die Sch--. bringen, wo eine
Gespielinn ihrer Kindheit glücklich verheirathet lebte; dort wären
wir weit genug, meinte sie -- um unser Scheiden in eine Nebelferne
einschleiern zu können. Dies war wohl recht gut; aber ich athmete
schwül, ich athmete Gift, der Keim einer Krankheit setzte in mir an.
Ein ängstliches Schwanken, ein Schwindel von Unsicherheit hatte mich
ergriffen, ein Zustand ängstlicher Betäubung ließ mich nicht mehr festen
Fuß fassen auf irgend einem vernünftigen Grunde. Doch lasse mich kurz
seyn -- Lieber! mein Schmerz ist dennoch lang.«

»Ha! ich ahne --« sagte Cölestin, der bis dahin regungslos zugehört.
»Nein, es kommt über Erwarten --« fuhr Sylvius fort, »höre nur weiter!
Frau von Schütz machte mir die Proposition, mich je eher, je lieber
trauen zu lassen, weil man nicht wissen könne, welchen Ausgang die
Krankheit ihres Bruders nähme. Dann wolle sie, ginge er mit Tode ab,
unverweilt diesen Ort verlassen, und Gott danken, den Leichtfuß, die
Tony, wie schwer lasse ein Mädchen sich hüten -- unter der Obhut
eines Mannes zu wissen, eines Mannes, dem sie nun pöbelhaft die
unverschämtesten Schmeicheleien sagte. -- Tony hatte mir entdeckt,
daß sie sich durch die Freigebigkeit des Onkels ein hübsches Capital
gesammelt, wovon sie bequem ein paar Jährchen zu leben gedenke. Es
war etwas in dieser Vorsichtigkeit, was mir mißfiel; doch auch dies
Mißfallen an dem berechnenden Talent, einen verliebten Thoren zu
bevortheilen, mußte Zeit haben, um nachzuwirken. -- Auf Tonys Anstiften
gab die Tante die Ausstattung der Nichte in Geld, weil wir ja reisen
wollten, und zwar vom Hochzeittage aus; der Zustand des Forstraths, die
Schonung für seine Schwachheit, diente zum Behuf dieser Wegeile. --
Wir wurden im Armenhause copulirt, ich, der Bräutigam, der Aermste von
Allen, die der Ceremonie zusahen. Ich leistete den falschen Schwur,
innen verneinend, wie die Juden -- ich gab Tony einen falschen Namen,
denn auch Du, Lieber, kanntest meinen wahren nicht. Die warme Mondnacht
wollten wir zum Fahren benutzen, und mit der Dämmerung abreisen. -- Ich
hatte mich schon seit einigen Tagen nicht ganz gut gefühlt; die Wiege
des Wagens schaukelte den tobenden Kopfschmerz nicht zur Ruhe, ich lag
zwischen Schlummer und Traum, und ein Cyclop arbeitete in meinem Gehirn.
Ein Hauch von Feuer ging aus von meiner Stirne, mein Athem dampfte
Gluth, zugleich schlich ein schauerndes Frösteln und Ziehen durch meine
Glieder, und die Füße zitterten mir auf der weichen Decke. In welche
phantastische Welt schien der schöne stille Mond! ich drückte die Augen
zu, weil jeder Blick mich schreckte und schmerzte; die Braut schlief
sanft an meiner Seite. -- Als ich erwachte, fand ich mich mit dumpfem
Bewußtseyn in fremden Umgebungen. Ich lag im Bett, unter dem Gebälke
eines ländlichen Stübchens; ein starker, betäubender Geruch von Moschus
wirkte auf mich ein. Tony saß auf einem roth und blaugemalten Schemel in
meiner Nähe, ein dicker Mann stand vor ihr, und großäugig schauete sie
zu ihm auf. Ich rief sie leise. Sie stieß einen Freudenschrei aus,
und stürzte in froher Hast zu mir hin. Der Dicke, es war der Arzt --
wünschte mir mit fetter Stimme Glück: ich hatte dreizehn Tage in einem
Nervenfieber gelegen. -- Der kleinen Frau nur, sagte der Licentiat
bescheiden, als Tony sich auf einen Augenblick entfernte, verdanken
Sie nächst Gott Ihr Leben. Sie ist nicht aus den Kleidern und von Ihnen
weggekommen. Solch eine wackere Pflegerinn lobe ich mir. -- Tony, sprach
ich, als wir allein waren: der Arzt hat mir gesagt, wie viel Sie für
mich gethan, es ist nun der Güte genug. Denken Sie an Sich, an das
eigene Wohl -- ich bin Ihr ewiger Schuldner. Lachend antwortete Tony:
das wäre mir was! der Himmel selbst hat mich in mein Recht eingesetzt,
daraus ich mich nun nicht mehr verdrängen lasse. Und wenn Du mich
noch einmal _Sie_ nennst, so sage ich dem Doctor, daß Du noch immer
phantasirst, mich nicht erkennst für Deine Frau, und die Cur geht von
Neuem an. So sprach sie mit reizender Gutherzigkeit; ich fühlte mich
Tony nun wirklich _verbunden_. Lust des Lebens und der Liebe wallte
wieder auf in meiner Brust, meine Seele strömte gegen die ihre. Sie
setzte mich in tausend kleine Verlegenheiten vor dem Arzt, und zwang
mir die Rolle eines Ehegatten auf. Sie überwältigte mich durch trautes
zärtliches Zudringen an mein Herz, ich war ganz in ihren Fesseln.« --
Der Administrator machte eine schmerzhafte Bewegung. Sylvius hielt einen
Moment inne, dann fuhr er mit steigendem Tone fort: »Freund! spricht
keine Entschuldigung für mich an? versetze Dich an meine Stelle.
Ich dachte an Dich mit einer Wehmuth, die mir Dein Andenken trübte.
Allmählig ging mir der Gedanke auf, daß eine geheime Leidenschaft meine
Handlungsweise geleitet hätte, der ich willenlos nachgegeben, wo ich nur
dem Drange der Umstände zu weichen glaubte. Jetzt mußte ich an meiner
Liebe halten, sollte ich nicht in die tiefste Schaam versinken. Ich war
mir selbst ein Räthsel geworden und wünschte aufrichtig, der Tod mögte
es lösen. -- Aber ich genas; nur ein krankes Gefühl innerster Schwäche
vermogte ich nicht zu überwinden. Wie Alpen lastete es auf meiner Seele,
Freiheit und Kraft lagen hinter mir -- und ich meinte dieser Schwermuth
zu erliegen. Ich dachte nunmehr ernstlich daran, wo meines Bleibens seyn
würde? _nirgend!_ sagte eine Stimme tief in der Brust. Mein Vater lebte
noch; ich war sein Assistent gewesen, seine Stelle war mir bestimmt. Ein
Sehnen wie Heimweh zog mich nach dem Orte, wo ich den väterlichen Greis
einsam wußte. Ich wollte ihm Tony als Tochter zuführen und den Heerd
meines Glückes häuslich bauen. Mein Arzt forderte, daß ich mich nicht
übereilen sollte, auch meine Kräfte forderten das. -- So verließen wir
das Dorf, wo ich an einen denkwürdigen Abschnitt meines Lebens gekommen
war, und zogen unsere Straße. Eines milden Abends im Frühherbst
gelangten wir in ein paradiesisches Thal; durch eine Gebirgsschlucht sah
man eine Stunde davon entfernt, einen berühmten Brunnenort liegen, und
ein bläulicher Duft, wie von den Stahlkräften der Quelle aufsteigend,
webte geheimnißvoll um die glänzenden Gebäude. Das nette neue
Wirthshaus, woran wir hielten, war im Widerspruch zu seiner Bestimmung,
in den Reiz der Ruhe eingehüllt. Eine junge Frau, blond wie ihr Flachs,
saß und spann, eine Reihe steinerner Brunnenkrüge, in denen die Sonne
funkelte, war aufgepflanzt. Gegenüber lag auf Felsen erhöht ein altes
Schloß von gothischem Bau. Das Wasser, was ich trank, war köstlich, ich
äußerte mich begeistert über diesen Aufenthalt, und Tony sprach: ei!
so lasse uns hier rasten, und trinke Dich satt! -- O! hätte ich Lethe
getrunken! -- -- -- Wir blieben da. Ich saß im Garten und starrte
hinüber nach dem Schloß. Der linke Flügel nur schien bewohnt; ein
Fenster stand offen, und der Wind blähte die weißen Gardienen. In diesem
Spiel der Luft wehete mich der Odem eines befreundeten Geistes an, ich
fühlte mich warm durchdrungen. Meine Gedanken schlüpften in die Falten
des kleinen Segels, und schifften über das liebe stille Meer der Ahnung.
Tony kam und sagte: ich säße gleich dem Ritter Toggenburg -- und sähe
so blaß aus wie eine Leiche. Sie war so zärtlich, wie noch nie. Ihr
Eingehen in meinen Wunsch, ihr Anschmiegen an meine Stimmung that
mir wohl. Die trauten Beziehungen eines innigen Zusammenlebens hatten
zwischen mir und meiner ersten Frau nicht Statt gefunden. Diese war mir
eine hohe Braut gewesen, zu der ich mich im Verhältniß der Leidenschaft
befand, gedemüthiget, mein Recht verleugnen zu müssen vor den Menschen;
in den Augenblicken, wo ich mein Eigenthum an mich riß, fühlte ich mich
einen Gott. Wie anders mit Tony! hier verhindert mich der wunde Stolz
des Gewissens, den Begriff der Ehe zu fassen; aber ich empfand mich
geliebt. -- Sie lehnte den Kopf an meine Schulter und flüsterte mir süße
Worte der Besorgniß zu. Ich scherzte, sie würde sich zu trösten wissen,
wenn ich auch stürbe. Ein weiblicher Character, wie der ihrige könne
der Stütze entbehren, und ich sey doch nur ein wankender Stab. -- Tony
schmollte. Glaube nur, Geliebte, sagte ich mit verstärkter Stimme, indem
ich sie an mich drückte: kein Mensch, wenn er hinweg ist, macht eine
Lücke, die nicht irgend womit ausgefüllt würde; kein Gestorbener, käme
er wieder, und wären tausend Thränen um ihn geflossen -- fände mehr
Raum in der Welt, die so drängend ist im Ersatz. Die Geschichte jener
lebendigbegrabenen Frau, die da heimkehrt zu nächtlicher Stunde und
vergebens an Haus und Herz der Ihrigen pocht, die sie nicht kennen
wollen und für eine blasse gespenstische Lüge halten, so daß sie wieder
zurück muß in die Wohnung der Todten, um dort Herberge zu suchen, ist
von ergreifender Wahrheit. Das Grab ist zuverlässig, und nur der Lebende
hat Recht. -- Als ich dies sagte, überrieselte mich das leise Geräusch
naher Schritte mit einem wundersamen Schauer. Eine weiße Gestalt geht,
nein, _schwebt_ hurtig an uns vorüber, so daß ihr langes Kleid die
Grasspitzen hörbar tüpft. Sie wendet das Gesicht vom grünen Schirm des
Hutes magisch entfärbt, nach unserer Gruppe -- ich hielt Tony umfaßt. O!
ich kannte dies bleiche, schöne, liebe Gesicht gar wohl. Mit einem Blick
im Fliehen ward mir mein Urtheil zugeworfen; nur einen Moment sah ich in
dies blaue Auge, in meinen verscherzten Himmel --: es war meine Frau.«

»Allgerechter Gott!« rief der Administrator, als gäbe ihm die
Erscheinung einer Mitbetheiligten das Recht, laut zu werden, »und Du
irrtest Dich nicht?«

Sylvius lächelte. Dies Lächeln, ein Schattenriß jener Vision, schnitt
seinem Freunde in die Seele. Er sprach: »ich sage Dir, bei dem
lebendigen Gott! Sie war es wirklich. Ein kleines blankes Schlüsselbund
an ihrem Gürtel klirrte, da sie in achtloser Eile über eine Baumwurzel
strauchelte. Sie trug einen Zweig Ebereschen in der weißen Hand, die
lagen verstreut auf dieser Stelle, da ich sie suchte, wie Blutstropfen,
die von meinem Herzen abgeträufelt wären. Frage nicht, wie mir gewesen;
ich weiß nichts von jener Zeit. Tony glaubte, daß ich mir einen
Paroxismus durch Erkältung zugezogen hätte. -- Wer war die Dame? wo ist
sie hin? fragte ich die Wirthinn, und meine Zähne schlugen an einander.
Ich erhielt keine andere Auskunft, als den Bescheid: es wohnten ein paar
Brunnengäste auf dem Schlosse, ein Herr und eine Dame, diese würde es
wohl gewesen seyn; stille, vornehme, absonderliche Leute, sagte die Frau
mit einem Fingerzeig gegen die Stirne, die das Geräusch nicht lieben,
und Niemand etwas zu Leide thun. Sie mogte meine Geberde für Furcht
halten. -- Die Nacht kühlte mich nicht; ich lag in Angst gebadet. Noch
war die Sonne nicht aus dem Morgenthor gegangen, da läutete ich schon
an dem des Schlosses. Ein schlaftrunkener Wächter that mir auf und
schnaubte Grimm; doch der wilde Mann auf dem Goldstücke, welches ich ihm
vorhielt, machte ihn zahm. Er habe strengen Befehl, Niemand einzulassen,
sagte er, seit gestern Abend. Auch sey die Gräfinn unpaß. Also _krank_!
dachte ich. Wer krank ist, lebt doch! ich aber war gekränkt bis zum
Tode. Und als die Thürflügel hinter mir zufielen, fühlte ich mich von
jeder Hoffnung auf ewig ausgeschlossen. Willenlos ließ ich nun Tony über
mich verfügen, die unsere Weiterreise beschleunigte. Sie weinte im Wagen
-- ich sprach kein Wort, ein Laut von meinem Schmerz hätte mir die Brust
gesprengt. In der nächsten Stadt ging Tony aus und kam mit einem Doctor
wieder, den sie selbst geholt hatte. Es war ein ehrwürdiger Mann, der
mir Zutrauen einflößte. Er tadelte collegialischer Weise meinen vorigen
Arzt, der mich so früh in der Reconvalescenz nicht hätte reisen lassen
sollen, und meinte, nun müßte ich acht Tage Quarantaine halten:
ich bedürfe Ruhe. O Gott! -- Sein Auge schien mit Liebe auf Tony zu
verweilen, die, wie er und seine Frau gefunden, ihrer einzigen Tochter
sehr ähnlich sähe, welche ihnen vor zwei Jahren eine ansteckende
Krankheit entrissen, wozu der Vater selbst den tödtlichen Stoff
herzugetragen. Wie rührend schilderte der Mann mir diesen Schmerz! --
Er bat mich, der armen Mutter den Trost dieses Anblicks zu gönnen,
und während unseres Aufenthalts freundlich zu ihnen zu kommen. Diese
herrlichen Menschen werde ich nicht vergessen. Mir kam der Gedanke,
Tony, die ich besser nicht aufgehoben wüßte, bei ihnen zu lassen, allein
in meine Heimath zu reisen, das Terrain zu recognosciren, und sie dann
abzuholen. Tony schien dieses Vorschlags froh, der Doctor und seine
Frau gingen mit Vergnügen darauf ein. Ich athmete freier und fühlte mich
erlös't, da ich im Wagen saß. Der Unglückliche, allein neben Andern,
findet Trost darin, einsam zu seyn, und der Gram ist ein unduldsamer
Gefährte. Mein alter Vater empfing mich mit großer Rührung. Er kannte
den Sohn kaum mehr, so hatte ich mich verändert. Ich wagte es, ihm mein
Unglück zu bekennen. Es floß eine große Kraft von ihm aus -- und sein
sanftes Wort fiel wie Thau in meine brennende Seele. Sylvius, sagte
er: Du hast ein gefährlich Spiel gespielt, und ich fürchte, Du hast
es verloren -- finde Dich nur darin; den Vater sollst Du stets in mir
finden. Ein Zurückgehen in seine alten Verhältnisse ist dem Menschen
immer unmöglich, jede Stunde reißt uns von der vorigen ab, und der
zerrissene Faden einer Fügung läßt sich nicht haltbar wieder anknüpfen.
Gott fügt zuletzt doch Alles wohl. Ermanne Dich, mein Sohn! der Muth
hilft Berge tragen, und der Glaube versetzt sie. -- Wie oft hatte ich
dieses frommen Glaubens heimlich gespottet! jetzt neidete ich meinem
Vater seine stille Gelassenheit. Er war es zufrieden, daß ich ihm Tony
brächte. Wir wollen sehen -- sagte er mit bekümmertem Blick. Ich will
Tony also holen. Auf der Straße jener Stadt begegnet mir mein alter
Doctor. Er erkennt mich bestürzt und ruft: nun, es ist doch kein Unglück
vorgefallen? ich frage: wie so? -- Tony war seit fünf Tagen fort,
vorgebend, Nachricht von mir erhalten zu haben, daß ich mein Versprechen
unmöglich erfüllen könne, und dringend nach ihr verlange. Die Frau des
Doctors zitterte an allen Gliedern, ich sah, man verschwieg mir etwas.
Auch liegt ein Brief an Sie da, sagte Jene, der den Tag nach der Abreise
Ihrer Frau Gemahlinn ankam, mit dem Vermerk, daß wir ihn aufbewahren
sollten, bis daß er abgeholt würde; dieser Umstand ist uns sehr
aufgefallen. -- Tony schrieb mir: von den letzteren Erfahrungen
überzeugt, mit welcher Aufopferung ich mich ihrer angenommen, wolle sie
mir nicht länger beschwerlich fallen, und ich dürfte sie um so ruhiger
ihrem Schicksal überlassen, als sich ein Begleiter für sie gefunden, der
die Pflicht, sie zu beschützen, für sein Glück halte, und mit Freuden
jede Verantwortlichkeit auf sich nehme. _Böslich_ habe sie mich nun
zwar nicht verlassen, was uns sogleich scheiden werde -- aber ich könne
immerhin darauf klagen, und auf was ich immer wolle. Sie ertheile mir
die unbedingteste Vollmacht für alle Fälle der Schuld, und wünsche mir,
wohl zu leben. -- Bei dem Tone leichtsinniger Indifferenz in diesem
Schreiben, war es mir, als ob ein Fenster zerspränge; freie Luft strömte
mich an, und ich sah Alles, _Alles_ ein!«

»Sieh!« sagte Cölestin mit einem Klange der Rede, als hätte eine lange
Dissonanz sich gelös't, »so hat auch Dich diese falsche Tony nicht
geliebt. Sie ist eine Schauspielerinn, die heute im Fache der Intrigue
siegt, und morgen als gedrückte Unschuld rührt. Du warst nur das Vehikel
ihres Talents und ihrer Zwecke. Sie hat Dich zu der schwersten Rolle
gezwungen. Armer Freund! ich muß Dich beklagen und mich dazu, daß
ich Veranlassung dazu gegeben. Sprich mir nicht davon, daß sie Dich
gepflegt, Dir Güte und Liebe bewiesen: auch eine Actrize fühlt, und
vergießt natürliche Thränen; es liegt eine Fähigkeit in der Lüge, daß
sie sich selbst für wahr hält. -- Wer war denn aber das neue Opfer ihrer
aimablen Kunst?«

»Ein junger Mediziner, ein Libertin, der Beschreibung nach,« antwortete
Sylvius »der, zur Zeit Secondairarzt des alten Doctors, Gelegenheit
gefunden, mit Tony schnell bekannt zu werden. Das Aehnliche findet sich
bald aus. Er hatte einen Ruf nach Liefland erhalten -- Tony war immer
progressiv. Sie ging mit ihm, und die treue Aufsicht jenes würdigen
Paares ward getäuscht.«

»Und Du?« fragte der Administrator. »Und ich?« fragte Sylvius mitleidig
zurück und sprach: »es giebt Erfahrungen, welche durch ihre glühende
Beize die ganze Ichheit in ein fremdes Gefühl verschmelzen. Ich hätte
Gott danken mögen; aber ich konnte nur sein Wunder denken. Als jener
reine Geist erschien, verschwand der Trug des Blendwerks: denn die Liebe
ist Licht! ist Befreiung! -- Unsere Ehe war null und nichtig. Ich eilte
ohne Weilen zu meinem Vater, ihn der Sorge um mich zu entheben. Gern
hätte ich ihn unterstützt mit meiner besten Kraft, diese war mir hin.
Eine Zeitlang sah er meinen ohnmächtigen Versuchen zu, mich zurecht
zu finden, dann sagte er: so geht es nicht, mein Sohn! gehe nur in die
weite Welt, und wenn ich auch unterdessen in die _Enge_ geriethe. Der
gute Greis! ach! ich verstand ihn, obgleich ein väterliches Lächeln mich
über den düstern Sinn dieses Ausdrucks täuschen sollte. Unsere Familie
stammt ursprünglich aus Castilien. Dahin reise! sagte mein Vater, der es
wußte, daß, dies Land zu sehen, ein früher Wunsch meines Lebens gewesen
war. Die spanische Sprache, unser Muttertheil, hatte sich von Geschlecht
zu Geschlecht vererbt; wenn auch das Wenige, was ich überkommen, nur ein
Stammeln genannt werden konnte, deutlich machen, konnte ich mich doch.
O mein Freund! diese Reise war mir wie eine Wallfahrt, und mit büßender
Seele trat ich sie an; ich hoffte, mich müde zu träumen an der Wiege
meiner Väter. Etwas Schöneres als die Einsiedeleien dieses Landes giebt
es auf der ganzen Erde nicht. Wo die Natur eine stille Capelle gebaut,
da finden sich auch Spuren öder Hausaltäre, und ein Hauch südlicher Glut
webt unter diesen heiligen Schatten. Man sieht, der Mensch hat die Hand
nur leise heben dürfen, um das Höchste in Besitz zu nehmen. Die reizende
Ueppigkeit des Bodens ließ mein armes Herz freudeleer, der Glanz der
Städte schimmerte mir kein Glück vor, die Verwickelungen der Politik
zogen mich nicht an, nur die Poesie der Einsamkeit war es, was mich
rührte. Ich zog hin, ich zog her -- die Zeit zog auch vorüber; ich
forschte nach der Quelle meiner Abkunft -- der Ruhe Quell in meiner
Brust war mir verschüttet. So hatte ich kaum gemerkt, daß meine
Baarschaft zu Ende ging. Der Schmerz, welcher den Geist reift, ist in
Betreff auf zeitlichen Vortheil ein Mündel unseres Herrgotts. An den
Pyrenäen traf ich einen Deutschen. Ich fand Gelegenheit, ihm einen
wichtigen Dienst zu leisten, dann fand ich etwas Seltenes: einen
Dankbaren. Ich konnte seine großmüthige Erkenntlichkeit nicht ablehnen.
Wir blieben eine Weile zusammen. Er entließ mich nicht, ohne mir das
Versprechen abgedrungen zu haben, daß ich, wären meine Verhältnisse zu
lösen, mich seinem Schicksal, seinem Glück auf immer anschließen wolle.
Er war ein sehr bevorzugter Mann, unabhängig, und begünstiget zu der
Freude, seinen Freunden nützen zu können. Mein Vater war todt, seinen
Ehrenplatz nahm ein Anderer ein, Fremde schalteten und walteten an
heimischer Stelle, überall vermißte ich das Geliebte. -- Ich sehnte
mich, ach Cölestin! ich sehnte mich unaussprechlich zu Dir! -- Einmal
nur wollte ich Dich wiedersehen und Dir sagen, wie Alles gekommen.
Dann scheide ich für immer. Ich habe die Schuld bezahlt -- wirst Du sie
auslöschen in Deinem Herzen?«

Der Administrator heftete einen langen, feuchten Blick auf seinen
Freund und sprach: »lasse es doch gut seyn. Dein Andenken war mir nie so
verwischt, daß ich Dich nicht wieder erkennen sollte. Gott tilgt Alles!
von den meisten Tugenden heißt es: sie werden einst nur _vergeben_. Du
bist mein Freund und bleibst bei _mir_.«

Sie hielten sich schweigend umfaßt -- ihre Herzen schlugen hoch
aneinander, keine Liebe reicht an die verzeihende.

       *       *       *       *       *

Am folgenden Morgen hatte Frau Fabia eine lange geheime Unterredung mit
dem Freunde ihres Schwagers. Sie schien einen alten Bekannten in
ihm wiedergefunden zu haben; ohne lebhaft laut über dies erneuerte
Verhältniß zu werden. Und daß auch hierin die beiden Schwägerinnen zu
gleichen Theilen gingen, geschah es, daß, ehe die Wintersonne desselben
Tages sich neigte, Therese bei der unvermutheten Ankunft des Lieutnant
Feldmeister in dem Neffen des Majors jenen Offizier erkannte, der mit
entschlossenem Muthe ihr mütterliches Gut vor gänzlicher Einäscherung
geschützt hatte.

Auch Rudolph stand betroffen, da er die schöne junge Frau erblickte.
Eine Feuerröthe, der Widerschein jener Flammen, schlug in seinem
Gesichte aus, und eine Wunde, die er im polnischen Kriege davon
getragen, schmerzte ihn tiefer, als die erst geheilte. Er nannte die
Gattinn des Constanz: »mein gnädiges Fräulein!« Therese hatte
sich reizender noch entfaltet; ihre Augen leuchteten unstät und
frühlingskräftig wie Sterne am Firmament einer warmen Mainacht, der
Blick einer _Frau_ ist ein sanftes, bestimmtes Licht am häuslichen
Horizont. Sogar in dieser kalten Jahreszeit verschmähete Therese das
Häubchen, und trug das braune Haar üppig frei, als könne ihr Flattersinn
selbst einen Zwang von Flor und Band nicht dulden. Alle ihre Bewegungen
hatten den tanzenden Rhythmus der Freude; der Gang einer Gattinn
ist schwerfällige Prose und schreitet nur unter dem Klingklang eines
Schlüsselbundes einher. Kein Gewicht dieser Art beschwerte den Gürtel
dieser leichten schwebenden Gestalt. Zwar hing in ihrem rechten Ohr
ein winziger Schlüssel von Gold und Demant, und in dem linken das dazu
passende Schloß; doch ohne daß der erstere etwas Anderes eröffnet, als
den Geschmack im Putz -- das letztere ein volles Herz bewahrt hätte. --

Als Rudolph nun hörte, daß er eine Strohwittwe vor sich sähe, da meinte
er, seine Hoffnung, daß der Zufall ihn wohl nicht umsonst mit diesem
anziehenden Wesen zusammenführe, wäre auf eine taube Aehre gefallen.

Auch Therese fühlte sich durch den Anblick des Lieutnants in die
Vergangenheit entrückt. Sie hörte im Geiste das Schießen der Feinde
-- Thränen schossen in ihre Augen und schleierten das Bild der blassen
Mutter ein.

Als der Major seinem Neffen die Verhältnisse des Hauses auseinander
setzte, konnte Rudolph vor Allem die seltsame Ehe Theresens nicht
fassen. Er schüttelte den Kopf und sprach: »Sie kann nur an den Mann
im Monde verheirathet seyn. Nur _diese_ Entfernung, und die Kälte des
Planets macht es denkbar, solch ein himmlisches Weib Jahrelang missen zu
können. Und welche Gleichgültigkeit liegt darin, eine Frau, wie diese,
dem Bruder zu überlassen, der doch ziemlich jung und ein sehr hübscher
Mann ist! -- Die vertraulichen Beziehungen ihres Zusammenlebens --«
»sind eine Höllenplage für ihn, der gern friedlich wäre,« unterbrach
der Major seinen Neffen, indem ein sarcastisches Lächeln des Oheims dem
Lieutnant zu denken gab. »Es ist sehr möglich,« fuhr Jener fort, »daß
dieser ärmste Prälat ein Cölibateur bleibt, wie seine geistlichen
Namensbrüder, bloß weil er das Glück genießt, der Schutzherr zweier
Frauen zu seyn. Wer mit der Schönsten familiair umzugehen ein Recht hat,
verliebt sich selten in sie. Du, mein Junge, sprichst wie der Blinde von
der Farbe.«

Die Schwägerschaft nahm plötzlich wandelnd eine hellere in den Augen des
Neffen an.

Das Leben der Hausgenossen im Stifte gestaltete sich nun um vieles
anders. Der Administrator war sichtlich erheitert, seit er den Freund
zur Seite hatte, und seine Gesundheit kräftigte sich zusehends.
Sie ritten täglich zusammen aus, Pläne zu Verbesserungen der Güter
beschäftigten sie daheim. Ein gemeinnütziger Ernst, der sich gegenseitig
mittheilte, ließ sie Bedacht auf Alles nehmen, was dem Wohl der äußern
Angelegenheiten förderlich werden könnte. Sie tauschten ihre Ansichten
aus -- und ein solcher Freund hatte dem Verweser nur gefehlt, daß er
seine Stellung sich mit Lust und Liebe aneigne. -- Der Oberförster war
ein bejahrter Mann; Cölestin dachte, seinem Freunde zu diesem Posten
helfen zu können, so würde die Zukunft sie nicht mehr trennen. Auch gab
es für einen so fähigen Kopf auf jeder Stelle Beschäftigung, und Sylvius
nützte den Renten des Klosters, während er der Gast des Hauses war und
blieb. Andererseits war dem Administrator nicht minder geholfen.
Er schloß sich lediglich an den Gefährten an, und vergaß über ihrem
männlichen Thun, was er längst lassen sollen, sich der Zufriedenheit
seiner Damen anzunehmen. Ob die Frauen sich vertrügen oder nicht, es
kümmerte ihn kaum noch, und Sylvius überzeugte ihn vollends, daß die
Weisheit und Gerechtigkeit in höchster Person weibliche Ansprüche nicht
auszugleichen vermöge. -- Seit die Schwägerinnen keinen Schiedsrichter
mehr hatten, brauchten sie auch keinen mehr. Frau Fabia war aus ihrem
frommen Hinbrüten aufgescheucht worden. Sie ging gesellig in manche
ihrem Wesen fremdartige Idee ein, und war nicht so finster als sonst.
Die tiefe Fuge ihrer Tonart hatte sich in Harmonie gelös't, und ein
besserer Einklang zwischen ihr und Theresen niemals Statt gefunden.
Fabiens Sorge um den Schwager wendete sich, da er gesund geworden war,
mehr seinem Freunde zu, der an einer unheilbaren Krankheit des Gemüths
zu leiden schien. Sie achtete selbst weniger auf Josephine. Diese
brachte jeden Augenblick, der zu erübrigen war, bei der Nonne hin, da
Schwester Veronica sich der fremden Männer wegen zurückgezogen hatte.

Therese war liebenswürdiger als je. Sie machte tausend kleine
liebreizende Gefälligkeiten geltend, die ihr zu Gebot standen, und
selbst Fabia mußte sich gestehen, daß, wenn sie _wolle_, ihr nicht zu
widerstehen sey. Sie entschuldigte heimlich den Administrator, daß er
parteiisch gewesen. -- Und seltsam! gerade jetzt zeigte sich Cölestin
so kühl und selbständig, als hätte dieser Zauber seine Kraft an ihm
verloren. --

»Der alte Feldmeister ist aus dem Felde geschlagen --« sagte der
Major zu dem jungen, und leise sprach in seinem Tone eine krankhafte
Empfindlichkeit an. »Dieser Freund, dieser Fremde, der mir nicht
sonderlich behagt, füllt die Zeit und das Herz des Administrators aus.
Ein Glück, daß ich Dich hier habe, Rudolph.« Faust knurrte eifersüchtig,
als der Oheim bei diesen Worten dem Neffen die Hand reichte.

In der That würde die Freundschaft des Majors kaum einem Gefühl der
Zurücksetzung entgangen seyn, wie wenig Cölestin sich auch derselben
bewußt gewesen, wären häufige Anfälle der Gicht, die den Ersteren an
sein Zimmer fesselten und die Anwesenheit des Lieutenants nicht zur
Entschuldigung für den Administrator geworden. So oft das Befinden
des Majors leidlich war, vereinigte sich die kleine Gesellschaft. Dann
spielte Rudolph mit Theresen Schach, und immer ward sie eine Siegerinn.
Es gelang ihm nie, den Ruhm seines Namens gegen ihre kleinen Finessen zu
behaupten. »_Einmal_ gewinne ich doch!« schwor er bei jeder Niederlage.
Therese lächelte nur.

Wenn der Hauptmann erzählte, der ganz Europa durchreis't seyn wollte,
dann sah Rudolph zu Boden auf die Spitze von Theresens Fuß, und mit so
tiefsinnigem Blick, als gälte es, die Pointe seines Lebens ins Auge zu
fassen. Der Oheim drohete ihm einst mit dem Finger. »Du denkst gewiß an
die Geschichte vom Pantoffel --« sprach er neckend, »höre doch unserm
Moorhausen zu, der eine lebendige blaue Bibliothek aller Nationen ist.«
Er klopfte den Hauptmann auf die Uniform -- dieser, unwissend über jene
Sammlung Mährchen, machte eine geschmeichelte Miene. --

Frau Fabia sah es gern, daß Josephine so wenig Interesse an der Nähe des
jungen Offiziers nähme; für Sylvius hingegen äußerte das Mädchen
eine stille innige Theilnahme, welche ihre Pflegemutter vollkommen
zu billigen schien. Er ertheilte auf den Wunsch derselben Josephinen
wissenschaftlichen Unterricht, und ein zartes geistiges Band hielt den
Lehrer und die Schülerinn zusammen, oft lange über die gegebene Stunde,
und auch außer der Zeit, welche diesem Zwecke gewidmet war. Und Fabia
zürnte nie, wenn Josephine lernend oder liebend nach ihrer Weise einen
Auftrag versäumte. Genug, aller Kampf, sogar der Streit der Pflichten
schien zu Ende, seit das Opferfest zum Geburtstag des Administrators
unterbrochen worden war, und die Weihnachtsglocken hatten längst
ausgeklungen, als unsichtbare Engel noch immer über der Klosterflur
von Sanct Capella schwebten, welche sangen: »Friede auf Erden! und dem
Menschen ein Wohlgefallen.«

Das neue Jahr war schon um einen guten Schritt vorgerückt, und der
Tag verlängerte sich merklich, da kam die Nachricht, daß der Lieutnant
Feldmeister versetzt sey in eine ferne Garnison, und schleunigst fort
müsse. Das Invalidencorps fühlte sich durch diese Ordre wie auf Feldetat
gesetzt, es gab Allarm, der junge Offizier war Allen lieb und werth
geworden. Auch der Familienkreis des Administrators empfand die Lücke,
die nun bald entstehen würde. Therese ging umher, als hätte sie ihr
ganzes Glück, ihr Glück auf immer verloren -- und der Major sagte zu
sich selbst: »Therese ist schachmatt -- es ist Zeit, daß das Spiel
aufhört.«

Am Abend vor dem Tage, wo der Lieutnant Feldmeister das Stift verlassen
sollte, saß Schwester Veronica allein in ihrem Stübchen und blätterte
in dem Herbarium ihres Vaters. Tiefe Stille war um sie her, ein heiterer
Winterfriede durchathmete die Zelle. Des Lichtes Flamme brannte wie
gemalt, der warme Glanz des weißen Oefchens spiegelte sie in blendenden
Funken zurück, und das Knistern der innen glimmenden Kohlen störten
feuerheimlich diese lautlose Ruhe nicht. Das große Lebensbuch der
Pflanzen lag vor der Nonne aufgeschlagen; ihr Auge leuchtete in
sanftem Vergnügen. Sie suchte: _die Liebe im Nebel_ -- eine Gattung
der Passionsblume. Und wie sie Blatt um Blatt wendete, gingen alle
Frühlinge, die sie gelebt, an ihr vorüber, und der botanische Garten,
darin sie gewohnt, blühete mit den Freuden ihrer Jugend auf. Sie sah den
Vater heiß vor Lust, unter dem glühenden Strahl der Mittagssonne, weil
keine andere Zeit ihm blieb, betrachtend stehen, die Mutter, wie sie in
der Mondkühle einsam unter den Gängen des verlornen Paradieses auf und
nieder wandelte, mit traurigen Gedanken, die auf der verbotenen Frucht
verweilten, welche eine verführerische Schlange dem Gatten reichte. Sie
hörte den Baum rauschen, unter dem der geliebte Bräutigam einer Andern
Treue versprach, und mit dem Regen jener Stunde, dem so viele Thränen
nachgeflossen, rieselten leise Schauer der Erinnerung über das Herz der
guten Nonne. Da naheten eilende Schritte, die Thüre ging auf, ohne daß
Jemand angeklopft hätte, und Josephine trat herein, scheu und hastig.
Schwester Veronica hob den Blick auf, der ängstlich auf dem lieben Kinde
haftete, und sprach: »was ist Dir, Mädchen? Dein Gesicht brennt, Du
siehst aus, als hättest Du geweint, oder als würde es eben geschehen,
und der große Schlüssel zittert in Deiner Hand?«

Josephine antwortete mit erstickter Stimme: »_mir_ hat Niemand etwas zu
Leide gethan, und doch fühle ich so. Ach liebe Veronica! ich habe etwas
Entsetzliches erfahren -- das lege ich nieder in Ihre tiefste Brust.«

»Es bleibt darin begraben --« versicherte die Nonne feierlich leise und
mit der Kraft des Schweigens, »sprich ruhig, mein Kind.«

Mit gebundenem Athem begann Josephine: »ich ging, wie Sie wissen, in die
Capelle, die Lampe mit Oel zu versehen. Immer freue ich mich auf dies
kleine Geschäft bei dem ich länger verweile, als nöthig wäre. Dort stört
mich nichts in meinen stillen Träumen. Das Herz ist mir jetzt zuweilen
so gedrückt, so enge -- als fände ich nirgend Raum für Wünsche, die ich
nicht zu nennen weiß, den ausgenommen, daß ich einst in dieser Capelle
ruhen mögte. So ist die Maria wie meine gute Freundinn, die es versteht,
was ich keinem klagen kann. Als der Docht der Lampe aufglomm, nachdem
ich sie getränkt, und dieser Schimmer an das Gewand schien, wie wenn der
Mond über dem Wasser schillert, da war es mir, als würde ihr todtes Auge
hell, und sie spräche: gieb Dich zufrieden! wir wollen sehen! --«

»Die Liebe, meine gute Josephine,« schaltete Schwester Veronica ein,
»gewinnt Allem Leben ab, wie der Glaube eine Seele des Trostes. Das ist
der wahre lebendige Hauch aus Gott, und ein ewiges: es werde Licht! --
Die Welt wandelt in Schatten des Todes und ihre Werke sind finster. Die
Heiligen sehen das Werk an und vergelten auch den kleinsten Dienst.
Es wird Dir gewiß wohl gehen auf Erden. Du wirst lange leben, und
so betrübt es mich, daß Du in so jungen schönen Jahren schon an Dein
Begräbniß denkst.«

Josephine sah die Nonne mit bangem Lächeln an. »Und was geschah denn
nun, mein liebes Kind?« fragte diese, »fasse Dich, mir es sagen zu
können. Ich will Dich zu trösten suchen, mit Gottes Hülfe.«

Das Mädchen schüttelte leise den Kopf und sprach: »als ich noch sinnend
stehe, vernehme ich ein schnelles Kommen und Flüstern. Nun ist es recht
besonders, Schwester Veronica, mit den Geistern halte ich Zwiesprach,
als wären sie meine Geschwister, und vor Menschen fürchte ich mich?
-- Ich schlüpfte in den Beichtstuhl und duckte unter -- es war nur
ein Augenblick, ich wußte selbst nicht, was ich that. Da erkannte ich
Theresens Stimme im Gespräch mit einem Manne, und ich merkte sogleich,
daß es der Lieutnant Feldmeister wäre. Sie redeten höchst vertraut. Hier
sind wir allein -- sagte er, als sie in die Capelle traten, hier sucht
uns Niemand. Vergessen Sie nicht, antwortete ihm Therese, daß die
wächserne Mutter Gottes das Verlorene sucht, und verloren wäre ich, wenn
man uns hier zusammenfände. -- Sie machte ihm hierauf zärtliche Vorwürfe
über seine verfolgende Leidenschaft. Einige Minuten _müssen_ Sie mich
hören! betheuerte er, und -- o Veronica! was läßt sich in ein paar
Minuten sagen! ich meine, Therese hätte ihr Lebelang darüber zu denken.
Sie lieben sich -- sie lieben sich schon lange. Und Therese ist die Frau
eines andern Mannes! -- Wenn das der redliche Major wüßte! und -- und --
der Unglückliche schwor, wenn er sie zum drittenmale finden sollte,
dann müsse sie sein werden, und wäre sie mit Ketten an dem Himmel
geschlossen. Ich habe nicht gedacht, daß ein Mensch so reden könnte --
jedes Wort war ein Funken, der zündete.«

Schwester Veronica sah mit bekümmertem Blick die brennenden Wangen des
Mädchens, und seufzte tief, daß diese fromme Unschuld Zeuginn solch
einer leidenschaftlichen Scene gewesen. »Den armen Constanz verurtheilte
er --« fuhr Josephine mit einer ihrem Wesen fremden, feindlichen Regung
fort: »und seine Gattin duldete es. Dem Onkel gönnte er das Glück ihrer
Nähe nicht, _ihm_, der die Frau seines Bruders in freundlichen Schutz
genommen, und gar manche Unbill wegen ihr ertragen hat! ich weiß das am
besten. Dann sank er ihr zu Füßen -- dann küßte er sie -- o Gott!« »Er
küßte sie!« wiederholte die Nonne leise, auf deren keuscher Lippe nie
der Kuß eines Mannes geblüht. »Du armes Kind! ja, das mag eine Angst
gewesen seyn. Angesichts der heiligen Jungfrau entblödeten sie
sich dieser Sünde nicht! -- Und der junge Mann scheint sonst ein
liebenswürdiger Mensch.«

»Ach! ich bin dem Lieutnant böse --« sagte Josephine, »das ist nicht
edel von ihm gehandelt; ich denke, ein Mann muß seine Leidenschaft
bezwingen können. Es hatte mir so gut von ihm gefallen, wie er sich
jener alten Dame angenommen -- Sie kennen die Geschichte --! nun aber
verfällt er selbst in ärgeren Wahnsinn, verliert den Kopf, und Der sich
so tapfer schlug, daß die Schwäche des Alters in Ehren gehalten würde,
kann sich einen Gedanken nicht aus dem Sinne schlagen, der die Würde
einer jungen Frau beleidiget, die wohl noch schwächer ist. -- O! das ist
nicht löblich! das ist eine Verletzung des Gastrechts.«

»Du hast ganz Recht, mein Töchterchen,« antwortete die Nonne, »und Gott
behüte mich, daß ich beschönigen wolle, was sich nicht billigen
läßt; nur meine ich, der junge Feldmeister sey bethört, sich selbst
entfremdet, und Therese mag ihm wohl reichlich Gelegenheit gegeben
haben. Diese scheint mir in sofern zu entschuldigen, daß sie gleichsam
nur ein kurzes Achtel verheirathet war, und eine lange Pause ist
für dies lebendige Allegro nicht. Wie endete sich denn nun diese
Zusammenkunft?«

»Ich seufzte zu Gott,« sprach Josephine, »daß ich erlöset werden mögte,
und kaum war dieser flehende Gedanke aufgeflogen, da flatterte eine
Motte aus dem Busen der Maria, und schwirrte mit singendem Geräusch um
das Flämmchen. Dieser kleine Zufall scheuchte die Liebenden hinweg. Ich
zitterte an allen Gliedern und mußte mich erst erholen. Wer aber hatte
mir denn was gethan? Was geht es mich an, Wen Therese liebt? Und doch
war es mir, als hätte man ein tiefes Gefühl in mir verletzt.«

»Wo die Tugend leidet,« versetzte Schwester Veronica, »da leidet eine
reine Seele mit, und der Schmerz dieser Erfahrung ist groß. O mein Kind!
Treue ist unser einzig Glück auf Erden! selbst den Nichtliebenden rührt
sie mit einem zärtlichdauernden Gefühl, was sich erwerben läßt. --
Treue ringt den Himmel nieder in Deinen Besitz -- sie ist ein Strahl
der ewigen Liebe. Ein wankendes Herz findet nirgend Ruhe. Wir wollen
Theresen bedauern. Sie macht Keinen glücklich, und sich am wenigsten.
Wenn ihr Gemahl nun heute oder morgen kommt, mit welchem Blicke soll
seine Frau vor ihm stehen?«

Josephine sah mit einem flammenden der Nonne in das Gesicht, und
diese mogte vielleicht an den Engel des Gerichts denken. Sanften,
entwaffnenden Tones setzte sie hinzu: »Gott senke Kraft in Deine junge
Seele, an der Liebe des Nächsten zu halten, denn nur, Wer beharret,
merke Dir es, mein Mädchen -- der wird selig! --«

Josephine schmiegte sich an die Brust der Nonne und fühlte das treueste
Herz schlagen. Sie schämte sich, entrüstet gewesen zu seyn, vielleicht
zum erstenmale in ihrem Leben -- und aus der tiefsten Quelle des
weiblichen Gemüths drangen Thränen, herbe und doch hoffnungsvoll, in
ihre milden Augen.

       *       *       *       *       *

Ein paar Monate waren seitdem vergangen. Sanct Capella, von der höher
steigenden Sonne bestrahlt, glänzte wie eine weiße Glockenblume mit
goldnem Kelche zwischen dem aufgrünenden Frühling. Im Stifte selbst sah
man den schönen Tagen, die nun kommen würden, mit drängender Erwartung
entgegen. Man nahm sie gleichsam voraus. Frau Fabia ordnete diesmal das
große jährliche Waschfest zeitiger als sonst an, und als der April
sein Wechselrecht geltend machte, und einen hurtigen Regen über das
sonniggetrocknete Linnen ausgoß, behielt ihr Gesicht seine Heiterkeit,
der beste Beweis von dem beständigen Wetter in der Laune der guten
Hausfrau.

Schwester Veronica, bedrängt von jener heiligen und tiefen Wehmuth,
die sich ihrer sanften Schmerzen schämt, schlich jetzt manchmal im
Mondschein auf den Kirchhof des Klosters und mit schwellendem Herzen
die Mauer entlang, woran der Flieder knospete. Wenn sie in ihrem weißen
Gewande zwischen den Gräbern wandelte, im geistigen Verkehr mit den
Schatten der schlafenden Schwestern, glaubte man Libitina, die stille
Göttin der Todten zu sehen.

Die Offiziere suchten mit frischangeregter Lebenslust das Freie. Major
Feldmeister warf den Pelzstiefel zusammt dem Podagra abseits, und rief:
»da liege, daß du berstest! ich habe es nun satt, und _will_ gesund
sein!« Er schritt herzhaft einher. Die großen Fenster waren geöffnet,
die Thüren standen weit offen, als solle der Winter ausziehen. Herr
Prälat, empfindlich gegen den Zug, ging als der Zeus des Hauses mit
einer Donnerstirn von einem Flügel zum andern, und blitzte hier und da
heftig zu. Ein thatenlustiger, rühriger Geist war in den Administrator
gefahren. Er sträubte sich beinahe ungebehrdig gegen die krankhafte
Ruhe, die seine Kräfte bisher unterdrückt hatte, gegen die Pflege der
Weiber. Fabia schalt ihn undankbar, wenn er eine Maßregel ihrer Vorsicht
für unnütz erklärte. Sie meinte nach Art einer erzürnten Prophetinn:
dieser Uebermuth werde ihm schlimm bekommen. Doch Josephine freuete sich
und sagte leise: »Er ist jetzt um Vieles besser.«

Therese ließ ihren Schwager gewähren. Sie ging spazieren früh und spät
auf geheimnißvollen Wegen, und nicht selten brachte ein Führer die
Verirrte zurück. Frau Fabia sagte kein entscheidendes Wörtchen über
diesen entschiedenen Müssiggang. Sie wärmte geduldig das Essen, wenn
Therese die Stunde der Mahlzeit versäumte, doch keine begangenen Fehler
mehr auf. Fabia wußte vielleicht, daß Theresens Seele unter einer
größeren Last arbeitete, als früherhin ihr Leichtsinn und ihre
Lässigkeit Andern aufgelegt hatte. --

Als einstmals Therese von einem weiten einsamen Ausflug spät nach
Hause kam, die Hände voll selbstgepflückten Veilchen, sah sie einen
ausgespannten Reisewagen vor dem Stifte stehen, dessen helles Gelb wie
eine große Mondscheibe durch das Dämmern des Frühlingsabends leuchtete.
Sie stieß einen kurzen Schrei aus, und ihr war in diesem Augenblicke,
als stieße er ihr das Herz ab. Sie floh dem Kloster zu, und stürzte
außer Athem in das Wohnzimmer. Constanz war vor einer Stunde angekommen.
Seine Frau zu suchen, hatte man Boten nach allen Richtungen ausgesendet.
Sie rang die Hände um seinen Nacken; diese Gebehrde sah aus wie Liebe,
wie Jammer, und konnte beides seyn. Der Diplomat stand mit Veilchen
beschüttet und zitterte sichtbar. Therese verbarg ihr Gesicht, ohne
in das seine zu sehen, an der Brust ihres Mannes. Er hob es empor und
drückte heiße, langentbehrte Küsse auf ihren krampfhaft lächelnden Mund.
Die Familie war versammelt, auch -- der Zufall hatte es gefügt -- Major
Feldmeister und Schwester Veronica, als sollte Niemand fehlen, der
näheren Theil an diesem Ereigniß nähme.

Constanz hatte sich nach dem stillen Bemerken seines Bruders
auffallend verändert. Die Sonne seiner Reisen hatte ihn gebräunt,
seine scharfausgeprägten Züge hatten den Schmelz der Jugend, und
den liebenswürdigen Ausdruck unbewußter Herzlichkeit verloren.
Staatsmännisches Interesse war dem Ernst der sinnenden Miene tief
eingedrückt, und über seine Stirne eilte ein Gewölk von Sorgen, wie
getrieben von einem innern Sturm.

»Meine Therese! mein einziges Weib!« sagte Constanz mit einer Rührung,
die ihm schön stand: »Du bist bleich und ein wenig abgekommen -- Du hast
Dich wohl um mich geängstet? Du bist mir nicht böse? Du machst mir keine
Vorwürfe? diesen gütigen Empfang habe ich nicht verdient.«

»Ich mache Dir keine Vorwürfe --« antwortete Therese mit gepreßter
Stimme, und lauter sagte ihr Gewissen, Wer von ihnen eigentlich _so_
fragen müßte. Aber nun brach Therese in ein convulsivisches Weinen aus.
Constanz schien über diese äußerste Wirkung der Freude betroffen. Er
hielt seine Frau für krank.

Josephine stand mit der Nonne an einem Fenster. Sie wendete sich ab, und
sprach leise zu Schwester Veronica: »wie ist dies möglich, so falsch zu
seyn gegen die redlichste Liebe? -- Wenn ich Theresen in den Armen
ihres Mannes sehe und daran denke, daß vor kurzer Zeit --« Josephine
schauderte in sich hinein.

»Das mußt Du zu vergessen suchen --« flüsterte die Nonne, »mir kommt
diese wunderliche Freude wie Seelenangst vor. Ach! Therese könnte jetzt
getreu und getrost in das Auge blicken, was sie so entzückt betrachtet!
und sähe es tiefer auf den Grund ihrer Thränen, es würde sich wohl
lieber schließen für immer.«

Constanz war nach seinem Wunsch versorgt; schon in der nächsten Frühe
ging er nach dem Orte seiner Bestimmung ab, und Therese mußte bereit
seyn, ihn zu begleiten. Sie erschrak doch über diese Kürze. Fabia erbot
sich dienstfertig, ihr das Einpacken zu besorgen. Sie solle sich um
nichts kümmern, und ihr Glück genießen. --

Der Administrator lächelte. Er wollte den Worten seiner Schwägerinn
eine leise Ironie abgemerkt haben. Aber Therese ließ sich zum erstenmale
nicht von der thätigen Fabia übertragen. Sie rüstete Alles selbst zur
Abreise. So verging dieser Abend drangselig. Man kam zu keinem ruhigen
Genuß des Beieinanderseyns. Constanz schien sehr ermüdet, und der ältere
Bruder machte ihm freundliche Vorwürfe, sich und den Seinen mindestens
nicht _einen_ Tag der Rast gegönnt zu haben. Und Jener sprach: »ich
bin an diese erschöpfende Eile gewöhnt, und daran, die Erfüllung meiner
Wünsche, und Alles, was ich liebe, nur im Fluge zu berühren.« Endlich
zog die Nacht mit einer kurzen beschwichtigenden Pause vorüber. Noch
blickte der Morgenstern am Himmel, da kamen die vier Pferde Extrapost
schon von Leidthal, welche dem Constanz bewilliget worden. Das ganze
Stift war in Allarm. Die alten Offiziere standen in Parade, der jungen
schönen Frau die Honneurs zum Abschied nicht zu versäumen.

Therese schien verweint, ehe sie noch Jemand Lebewohl gesagt hatte.
Lange hing sie am Halse des Schwagers und konnte sich nicht losreißen.
Dann küßte Schwester Veronica ihr einen leisen Segenswunsch auf die
bethränten Lippen. Nun umarmten sich die Schwägerinnen und Therese
sprach: »denke meiner nicht in Groll -- ich habe Dich oft gekränkt,
Fabia!« die Stimme erstarb in Schluchzen.

Und Fabia erwiederte: »still davon, Therese! auch ich habe gefehlt. Wir
scheiden in Frieden, und der Herr geleite Dich!«

Nun kam die Reihe an Josephine, an Sylvius, an den alten Feldmeister und
die Uebrigen. Dem Major reichte Therese die Hand, und drückte die seine
inniglich und noch einmal, als wisse der Alte schon für Wen? -- Ihrem
Gemahl dauerte dies Valet zu lange. Er hatte das seine in summarischer
Kürze abgegeben, den Bruder ausgenommen. Seine Meinung war: man müsse
den Schmerz solcher Scenen verkürzen, ja vermeiden, wo möglich; aber die
Weiber ließen sich keine einzige Thräne unterschlagen, die sie mit Fug
und Recht vergießen durften. Sprach's, und schob seine Frau mit einem
schmerzverachtenden Lächeln in den Wagen. Noch einmal strahlte Theresens
Blick durch einen doppelten Schleier das ganze Commitat an; die
Offiziere verbeugten sich unwillkürlich dienstmäßig, die Nonne schrieb
ein Kreuz in die blaue Luft, Constanz winkte herzlich -- und der
Postillon stieß in das Horn, daß der schmetternde Hall von den Wölbungen
des Klosters wiedertönte. Dieser Ton fand ein geheimnißvolles Echo in
der tiefsten Seele des Administrators und ein Grauen strich über
seine Nerven. Es erschütterte ihn dieser Klang, wie jener, als er am
Sterbebette des Vaters den Bruder die kleine Trompete blasen hörte. --
Und als der Wagen nun pfeilschnell entrollte, das gastfreundliche Stift
weit und weiter zurückwich, die Gehöfte von Sanct Capella verschwanden,
nun auch das letzte Häuschen vorbeigeflogen war, und jetzt der Horizont
über der erwachenden Landschaft sich so klar vor ihnen aufthat, da
gedachte Constanz an die Worte der Gesandtinn: er würde einst mit
Extrapost in den Himmel fahren.


  Ende des ersten Theils.




[ Hinweise zur Transkription


Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. In dieser
Transkription werden _gesperrt_ gesetzte Schrift sowie Textanteile in
=Antiqua-Schrift= hervorgehoben.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten,
einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise
"irdisch" -- "irrdisch", "ist's" -- "ists", "Lieutenant" -- "Lieutnant",
"Obristin" -- "Obristinn",

mit folgenden Ausnahmen,

  Seite 13:
  "«" eingefügt
  (sie eine kleine alte anspruchslose Rolle übernähme.«)

  Seite 14:
  "ihrers" geändert in "ihres"
  (welches sie durch den Beistand ihres Schwagers gewonnen)

  Seite 21:
  "." eingefügt
  (und enteilte auf den Ruf seiner Pflicht.)

  Seite 41:
  "," eingefügt
  (ein Gedanke dieses Augenblicks voll Grauen, voll Schmerz)

  Seite 45:
  "Abendmal" geändert in "Abendmahl"
  (ehe ich aber das heilige Abendmahl wo anders halte)

  Seite 51:
  "«," geändert in ",«"
  (»Taugt nichts,« unterbrach hier der Major)

  Seite 59:
  "»" eingefügt
  (»Ich band mein Pferd an eine Säule)

  Seite 59:
  "Augenblck" geändert in "Augenblick"
  (daß ich einen Augenblick verziehen mögte)

  Seite 68:
  "»" eingefügt
  (»nimm fünf Loth _Ernst_)

  Seite 83:
  "«," geändert in ",«"
  (»Schwester Veronica,« sagte Fabia)

  Seite 85:
  "beflanzt" geändert in "bepflanzt"
  (mit tropischen Gewächsen bepflanzt)

  Seite 92:
  "«" eingefügt
  (weshalb ich denn auch so zaghaft wäre.« --)

  Seite 95:
  "»" eingefügt
  (»ja, mein Kind, wir müssen wohl den Blick schonend bedecken)

  Seite 107:
  "Gesellschafft" geändert in "Gesellschaft"
  (ihm doch ein wenig Gesellschaft leisten)

  Seite 116:
  "Schwal" geändert in "Schawl"
  (Ein echter Schawl, an den der matte Kopf sich schmiegte)

  Seite 120:
  "»" eingefügt
  (»Fasttage halte ich gar nicht)

  Seite 127:
  "«" eingefügt
  (mein heiliges Amt zu Gunsten Ihres Wunsches üben.« --)

  Seite 128:
  "«" hinter "--" entfernt
  (der Tod soll ja eine neue Geburt seyn. --)

  Seite 137:
  "eine" geändert in "einen"
  (die sich nie gegen einen Vorwurf vertheidigte)

  Seite 143:
  "«" eingefügt
  (hat mir das Gedächtniß abwärts gezogen.« --)

  Seite 151:
  "»" eingefügt
  (»auch wünsche ich von Herzen)

  Seite 155:
  "»" eingefügt
  (»weißt Du wohl, was Abraham a Sancta)

  Seite 156:
  "»" eingefügt
  (»da thut sie Dir nicht Unrecht)

  Seite 156:
  "." eingefügt
  (Josephine erröthete und nahm das Gedeck hinweg.)

  Seite 157:
  "»" eingefügt
  (»denn es will mich bedünken)

  Seite 158:
  "»" eingefügt
  (»ich bin überhaupt mit einer gewissen)

  Seite 167:
  "Interresse" geändert in "Interesse"
  (zog die Mutter des Bräutigams in ihr Interesse)

  Seite 172:
  "»" eingefügt
  (»wohl ist dieser Stoff)

  Seite 179:
  "»" eingefügt
  (»Und dieses liebe Geschäft)

  Seite 182:
  "haufig" geändert in "häufig"
  (in dem rauhen Klima jener Gegend häufig wechseln mußten)

  Seite 190:
  "«" eingefügt
  (Denn --« setzte Tony in liebenswürdigem Uebermuthe hinzu)

  Seite 195:
  "»" eingefügt
  (»Das kann wohl seyn)

  Seite 215:
  "Zürückgehen" geändert in "Zurückgehen"
  (Ein Zurückgehen in seine alten Verhältnisse)

  Seite 217:
  "«" eingefügt
  (die treue Aufsicht jenes würdigen Paares ward getäuscht.«)

  Seite 229:
  "ihre" geändert in "Ihre"
  (das lege ich nieder in Ihre tiefste Brust)]







End of the Project Gutenberg EBook of Die Schwägerinnen. Erster Theil., by 
Henriette Hanke

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE SCHWÄGERINNEN. ERSTER THEIL. ***

***** This file should be named 50127-8.txt or 50127-8.zip *****
This and all associated files of various formats will be found in:
        http://www.gutenberg.org/5/0/1/2/50127/

Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
http://www.pgdp.net (This file was produced from images
generously made available by The Internet Archive)


Updated editions will replace the previous one--the old editions will
be renamed.

Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
law means that no one owns a United States copyright in these works,
so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
States without permission and without paying copyright
royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
of this license, apply to copying and distributing Project
Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
specific permission. If you do not charge anything for copies of this
eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
performances and research. They may be modified and printed and given
away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
trademark license, especially commercial redistribution.

START: FULL LICENSE

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
www.gutenberg.org/license.

Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
Gutenberg-tm electronic works

1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or
destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your
possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
1.E.8.

1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement. See
paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
electronic works. See paragraph 1.E below.

1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
works in the collection are in the public domain in the United
States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
United States and you are located in the United States, we do not
claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
displaying or creating derivative works based on the work as long as
all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when
you share it without charge with others.

1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
in a constant state of change. If you are outside the United States,
check the laws of your country in addition to the terms of this
agreement before downloading, copying, displaying, performing,
distributing or creating derivative works based on this work or any
other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no
representations concerning the copyright status of any work in any
country outside the United States.

1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear
prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work
on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the
phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed,
performed, viewed, copied or distributed:

  This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
  most other parts of the world at no cost and with almost no
  restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it
  under the terms of the Project Gutenberg License included with this
  eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the
  United States, you'll have to check the laws of the country where you
  are located before using this ebook.

1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is
derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
contain a notice indicating that it is posted with permission of the
copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
the United States without paying any fees or charges. If you are
redistributing or providing access to a work with the phrase "Project
Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
posted with the permission of the copyright holder found at the
beginning of this work.

1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
any word processing or hypertext form. However, if you provide access
to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works
provided that

* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
  the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
  you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
  to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
  agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
  within 60 days following each date on which you prepare (or are
  legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
  payments should be clearly marked as such and sent to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
  Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
  Literary Archive Foundation."

* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
  you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
  does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
  License. You must require such a user to return or destroy all
  copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
  all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
  works.

* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
  any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
  electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
  receipt of the work.

* You comply with all other terms of this agreement for free
  distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than
are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The
Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm
trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
electronic works, and the medium on which they may be stored, may
contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
cannot be read by your equipment.

1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from. If you
received the work on a physical medium, you must return the medium
with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.