Die schwarzen Brüder: Eine abentheuerliche Geschichte. 3/3

By Heinrich Zschokke

Project Gutenberg's Die schwarzen Brüder. III. (of 3), by Heinrich Zschokke

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Title: Die schwarzen Brüder. III. (of 3)
       Eine abentheuerliche Geschichte

Author: Heinrich Zschokke

Release Date: July 9, 2013 [EBook #43165]

Language: German


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                                 Die
                          schwarzen Brüder.


                   Eine abentheuerliche Geschichte
                                 von
                               M. J. R.


                     Drittes und leztes Bändchen.


                 Leipzig und Frankfurt an der Oder,
              bei Christian Ludw. Friedr. Apitz. 1795.




                                 An
                          Wilhelm Burgheim.



_Lieber_,

Man las weiland so gern die wundervollen Märchen des Orients, und konnte
sich nicht müde hören an den Plaudereien der schwatzhaften _Scheherazade_.
-- _Aladins_ magische Lampe und seine ebentheuerliche Bewerbung um die
schöne Prinzessin _Badrulbudur_ entzückten mich, als Knaben, und, ich
läugne es nicht, behagen mir in mancher Stunde noch izt.

Statt des _orientalischen_ Märchens schrieb ich ein _deutsches_; statt der
Zauberer und Elfen, an deren Existenz in Deutschland der Glaube selten
geworden ist, erwählt' ich den geheimen Bund einer ausgebreiteten
Gesellschaft, und wo mir der Wunder noch nicht genug waren, schuf ich neue.

Ich schrieb dies Märchen in einer Periode meines Lebens, worin sich die
üppige Phantasie noch nicht vor dem Gesetz der Kunsttheorien beugt, sondern
_gern_, und darum _oft_, aus dem Lande des Wahrscheinlichen in die
Labyrinthe des Wunderbaren hinübereilt. Ich kannte kein Gesetz und keine
Sitte, sondern nur die Inspirationen meiner eigensinnigen Laune. Ich
schrieb, und gewiß mehr zu meinem, als anderer Vergnügen. Es sollte
Probearbeit seyn, meinen Pinsel zu prüfen, meiner Hand Festigkeit zu geben
in der poetischen Zeichnung, und mich in den Farbenmischungen zu üben.

Ueberzeugt von dem wenigen Werth dieser Arbeit, die schon vor mehrern
Jahren beendigt war, stand ich lange an, den Rest derselben herauszugeben.
Es geschieht izt, wiewohl die lesende Welt gewiß durch diese Gutwilligkeit
nichts gewinnt; es geschieht, theils um das schmeichelnde Verlangen meiner
Freunde und mancher Unbekannten zu erfüllen, theils um eine Gelegenheit zu
haben, öffentlich zu gestehn: daß das schönste Loos, welches ich diesem
Märchen wünsche, sey -- _Vergessenheit_! -- Ist dieses erfüllt: so wird mir
manche brennende Schaamröthe erspart seyn.

Nimm inzwischen, Du, mein Lieber, dieser Gemälde Schluß; lies und sinn,
lächle und denke, wenn hie und da sich ein bekanntes Schauspiel vor Deine
Seele hindrängt: es _war_ und _wird nicht wieder seyn_!

Nimm diese Gemälde, aber nicht, als ein Ganzes, mit den nothwendigen
Parthien kunstgerecht ausgesteuert, oder worin Licht und Schatten
sorgfältig nach der Regel abgemessen wären; sondern denke, daß sie nur, als
hingeworfne Linien, nie blinde Umrisse gelten können, an sich selbst ohne
Werth, nur reich an Spielräumen für eine geschäftige Phantasie.

Nimm und denke, manches dieser Bilder sey ein Leichenstein erstorbner
Freuden; ein kleines Monument grosser, seeligkeitsvoller Augenblicke, die
wir einst _unser_ nannten; ein trauriges _Mementomori_ für die Himmeltage,
welche für uns beide noch auf Erden, vielleicht in den paradiesischen
Thälern der Schweiz oder Italiens anbrechen dürften.

Hinfällig sind aber diese Monumente, wie die Freuden selber waren, auf
welche sie hindeuten. _Mancher_ wird sie betrachten, sie tadeln, sie loben
-- aber gewiß, _jeder_ wird sie vergessen. Nur Dich mögen sie in einer
einsamen Stunde oft erinnern an Deinen Freund, den

_Verfasser_




Inhalt
des dritten Bändchens.


Erster Abschnitt.

   Erstes Kapitel. Die Auferstehung.                                   1
   Zweites Kapitel. Idalla's Hütte.                                   11
   Drittes Kapitel. Ein halbes Jahr.                                  16
   Viertes Kapitel. Die Erzählung.                                    20
   Fünftes Kapitel. Die Verwandlung.                                  25
   Sechstes Kapitel. Der Wechselgesang.                               29
   Siebentes Kapitel. Das Abentheuer im Walde.                        37
   Achtes Kapitel. Louisens Erscheinung.                              42
   Neuntes Kapitel. Imada.                                            49
   Zehntes Kapitel. Der Winter.                                       56


Zweiter Abschnitt.

   Erstes Kapitel. Auswanderung in die neue Welt.                     60
   Zweites Kapitel. Das Abentheuer am Schlagbaum.                     65
   Drittes Kapitel. Der Commendant.                                   68
   Viertes Kapitel. Für keinen Freund des achtzehnten Jahrhunderts.   73
   Fünftes Kapitel. Fortsetzung, oder: der Commendant plaudert.       77
   Sechstes Kapitel. Rosalia medisirt.                                88
   Siebentes Kapitel. Die Spazierfahrt.                               92
   Achtes Kapitel. Gobby.                                            102
   Neuntes Kapitel. Der Kupferstich.                                 109
   Zehntes Kapitel. Der Salomonismus.                                114
   Eilftes Kapitel. Josselin.                                        125
   Zwölftes Kapitel. Brüderschaft.                                   129
   Dreizehntes Kapitel. Erscheinungen.                               137
   Vierzehntes Kapitel. Traumwunder.                                 145
   Funfzehntes Kapitel. Die schwarzen Brüder.                        154
   Sechzehntes Kapitel. Dialog. Aufklärungen.                        164


Dritter Abschnitt.

   Erstes Kapitel. Nur Einleitung.                                   169
   Zweites Kapitel. Verzweiflung.                                    172
   Drittes Kapitel. Sie wandern alle in ihre Heimath.                184
   Viertes Kapitel. Sie reisen zur Hochzeit.                         187
   Fünftes Kapitel. Zuerst ins Tollhaus.                             190
   Sechstes Kapitel. Was ist der Mensch!                             204
   Siebentes Kapitel. Das Fest der Menschheit.                       215
   Achtes Kapitel. Ach!                                              227
   Neuntes Kapitel. Hoffnungen. -- Die Todtenfeier.                  234
   Zehntes Kapitel. Die Fußtapfen der schwarzen Brüder.              252
   Eilftes Kapitel. Sie wandern weiter.                              263
   Zwölftes Kapitel. Die Heimath.                                    271


Vierter Abschnitt.

   Erstes Kapitel. Mont-Rousseau.                                    276
   Zweites Kapitel. Das Willkommen.                                  279
   Drittes Kapitel. Die Flucht.                                      286
   Viertes Kapitel. Der Bräutigam erscheint.                         295
   Fünftes Kapitel. Epilog an die Leser.                             299




Die schwarzen Brüder.




Erster Abschnitt.





Erstes Kapitel.
Die Auferstehung.


Wie das Gras auf dem Felde duftet und verdorret zu seiner Zeit: so
veraltern und verschwinden die Geschlechter der Menschen. Knaben spielen
mit den Hirnschädeln ihrer Ahnen, und nach hundert Jahren tanzt ein neues
Geschlecht über ihren Gräbern.

Mit rüstiger Schwinge stürmen Jahrhunderte an Jahrhunderten unserm Erdstern
vorbei. Wer hört ihr Sausen? wer mißt ihre Schnelle? Unter ihrem
zerstörenden Flügelschlage fallen Gebürge und Maulwurfshügel, Pyramiden und
Gräberkreuze; Strohhütten und Königsstädte vernichtet zusammen; die
schönsten Geburten der Natur zerstieben und der fruchtbare Schoos dieser
Allmutter gebiert aufs neue, um von neuem ihre Schöpfungen sterben zu sehn.

Dies ist der alte, einförmige Lauf der Dinge während des gegenwärtigen
Augenblicks und durch Jahrhunderte hinab und durch Jahrtausende.

Auch das achtzehnte Jahrhundert war nun hineingegangen in den stillen
Pallast der Vergangenheit; seines Gewandes Saum trof vom Blute der Edeln,
die für und wider Barbarei und Menschheitswürde fochten. _Eine_ Republik
war untergesunken eine _neue_ erstanden!

Vier bis fünf Secula folgten, und _waren_ gewesen; Könige und Kaiser hatten
regiert, Bettler gebettelt, Schriftsteller sich müde geschrieben, und
_Vergessenheit_ war ihr Loos; denn die Nachkommen lassen sich so wenig, als
ihre Vorfahren den schönen Wahn rauben, daß sie am besten regieren, betteln
und schreiben.

Aber auch nach einem halben Jahrtausend blühte noch ein herrlicher Morgen
auf; so herrlich ihn nur immer die Bürger des achtzehnten Jahrhunderts
sahn. Noch standen die Alpen, noch grünten die Fluren, noch dufteten die
Blumen, noch hörte man die Vöglein singen -- alles schien noch immer die
alte Welt zu seyn und doch schrieben die christlichen Calender schon das
Jahr 2222 nach unsers Herrn Geburt.

»O, mein Gott!« -- -- rief Florentin plötzlich in der Alpenhöhle aus; »ich
erwache -- zu früh!«

Es schwebte seinem Gedächtniß das Bild der lezten Scene in dieser Höhle aus
dem achtzehnten Jahrhundert, wie eine Geschichte von Gestern, vor; er
gedachte des Holderschen Gelübdes erst nach fünfhundert Jahren zu erwachen,
und fand zwischen izt und der Vergangenheit das ohngefähre Intermezzo einer
Nacht.

»Wahrscheinlich zur rechten Zeit!« entgegnete ihm eine Stimme. _Holder_ war
erwacht und lächelnd rieb er sich den Tod von den Wimpern.

»Wie Du mich getäuscht hast!« sagte _Florentin_ mit unzufriednem Tone.

»Getäuscht?« stammelte Holder, und tappte wie in einem dumpfen Traume um
sich: »_getäuscht_? -- _getäuscht_? Nein, nein, es ist überstanden: nein
das achtzehnte Jahrhundert ist vorüber -- wir haben lange -- lange hier
gelegen; das fühl' ich.«

»Eine Nacht!«

»_Eine_ Nacht freilich für uns, aber sie muß wenigstens, ich sage
_wenigstens_, die Dauer eines halben Jahrtausends gehabt haben.«

»Wollte Gott, mein Holder, dem wäre so. Wollte Gott, ich trät hinaus aus
dem Gebürg in eine neue Welt! -- o, die Schwärmerei gefällt mir, und noch
izt, da ich ihre Unmöglichkeiten, ihre Widersprüche lebendiger, als je,
erblicke.«

»Wie befindest Du Dich?«

»Matt, sehr matt, Freund, und Fieberfrost in allen Gebeinen.«

»Oheim! Oheim!« rief _Karlchen_.

»Mein Sohn!« schrie Florentin und raffte sich mühsam auf. Er wollte seinen
Karl umarmen, und fühlte schaudernd sein Gewand rein abgemodert vom Körper;
die Nägel ausgewachsen, wie Greifenklauen, und den langen Bart
hinunterfliessen bis zum Nabel.

Ein kalter Schauder belief ihn.

»Holder! lieber Holder!«

»Was ist Dir?«

»Verwandlung! -- Holder, wenn Du recht hättest! Beinah möcht' ich an Deine
Wunder glauben lernen.« --

»Laß uns aufbrechen. Jezt ist jede Minute unsers Lebens kostbar! --
Freilich, Bruder, haben wir nun eine kleine Ungemächlichkeit zu bestehn.
Wir werden ein ganzes Weilchen die Rolle des Rousseauschen Favoritmenschen
spielen, oder uns mit Feigenblättern bekleiden müssen, als weiland unsre
Stammeltern. Doch wenn die Genossen dieses Zeitalters noch mit eben der
Lüsternheit an Gold und Juwelen hangen; so haben wir nicht Ursach die
Zukunft zu fürchten; Hier steht ja noch das eiserne Kästlein, zerfressen
vom Rost.«

»Meinst Du, Holder, wir werden durch unsre Juwelen auch in dieser Welt die
Herzen der Menschen unterthan machen? -- Wie, wenn -- -- --«

»Närrchen! -- versezte Holder: -- so lange der Erdball von Menschenkindern
bewohnt wird, bleibt _Geld_ das große Losungswort; welches man unter allen
Zonen verstehe, der _Schlüssel_ zum Paradiese gesellschaftlicher Freuden,
die _Leiter_ zur Unsterblichkeit, der _Talisman_, mit welchem wir
Oberherrschaften erringen, das Centnergewicht in der Waagschale des
Verdienstes! -- _und Armuth_? ach, sie ist und bleibt die gefährlichste
Klippe, woran die ehrwürdigsten Bündnisse scheitern, sie ist das Schwerdt,
welches die Eisenbanden der Freundschaft, wie einen losen Zwirn
zerschneidet, ist der Riese, welcher die natürliche Freiheit und Gleichheit
der Menschen zerstöhrte und die alte Ordnung aus ihren Fugen schlug!«

So redeten sie noch manches unter einander. Endlich machten sie ernsthafte
Anstalten zum Aufbruch aus der Höhle. Mühsam erhoben sich die Männer des
achtzehnten Jahrhunderts; mühsam schlichen sie an den Felsenwänden in der
Finsterniß hin, und der holde Sohn Louisens taumelte wie ein Schlaftrunkner
zwischen ihnen.

Sie mußten öfters stille stehn; theils um auszuruhn, theils um nach und
nach ihr Auge an die beginnende Dämmerung zu gewöhnen.

»Siehe!« rief Holder in einer solchen Pause: »wenn unsre Seele unsterblich
ist, und diese Seele Bewußtsein und Gedächtnis und Empfindungsvermögen
behält, so wird es uns dann seyn, wie izt, wenn wir den Todeskampf
bestanden haben und einer neuen Welt entgegen reisen. -- Gestorben sind wir
vor fünfhundert Jahren, hinter uns liegt unser Grab, vor uns nun die neue
Welt mit ihren neuen Leiden und Freuden. Vielleicht erwartet uns eine Hölle
dort, vielleicht ein Elysium!«

»Vielleicht -- -- -- Elysium!« seufzte _Duur_!

»Verstorben sind für uns alle Freunde, alle Bekannte der ehmaligen Welt;
zerrissen sind alle seeligen und unseeligen Verhältnisse, worin Liebe,
Freundschaft, Ehrgeiz, Eitelkeit, Nervenkützel und Ohngefähr uns
versponnen; es hängt von uns ab, andre einzufädeln!«

»Und so werd' ich Louisen nicht wiedersehn? keine Spur von den Ruinen
meines väterlichen Schlosses mehr finden? -- Fünfhundert Jahre schlummerte
nun sanft die Asche meines Onkels, meiner guten Schwester? Ich werde nicht
mehr Rikchens Grab entdecken; von Louisens Schönheit nicht mehr reden und
Herzog Adolfs Lob nicht mehr singen hören?«

»Es ist nun alles vorüber, Florentin, _alles_. Du bist der Bürger einer
fremden Erde. Der Strom der Zeit, der über uns hinwegrauschte, hat allen
meinen Kummer fortgespült, aber Dir scheint er Deine Schwärmerei gelassen
zu haben.«

»Ich bin ruhig, Holder, sehr ruhig. Vielleicht geht in dieser neuen Welt
der Stern meines Glückes ungetrübter auf. Ich will Dir dann mit Thränen
danken.« --

»Nun vorwärts!«

»Glück zu!« murmelte _Florentin_ und zog seinen Sohn mit heimlichem Grauen
näher an sich.

Schon dämmerte es durch die Felsengänge von der Oberwelt herunter; schon
athmeten die unterirrdischen Pilger eine andre Luftart; schon hörten sie
aus der Ferne das süße Zwitschern der Bergschwalben und das Herz
verdoppelte seine Schläge in allen.

Nach langem Tappen und Schleichen gewannen sie der Grotte Ausgang -- -- das
helle Tageslicht strömte ihnen entgegen -- -- -- entgegen scholl ihnen der
Vögel liebliche Melodei aus dem drei und zwanzigsten Jahrhundert; entgegen
ihnen der Eichenzweiche Lispeln im Morgenhauche. Schwelgend hing ihr Blick
am grünen Teppich des Erdbodens, schwelgend an den Gruppen der leichten
Gebüsche und Felsen, schimmernd in Aurorens Herrlichkeit -- -- -- Alles,
_alles_ war den Bürgern dieser Welt neu, und und alles, _alles so schön_!

»Elysium!« schrie _Florentin_, übermannt von unaussprechlicher Seeligkeit,
hintaumelnd in das hohe duftige Gras, und abküssend den Thau vom zitternden
Halme.

»Elysium!« jauchzte _Holder_ und sank auf seine Knieen, und der Mann
weinte, wie ein Kind, der sonst von keiner Thräne zu sagen wuste. Gefaltet
streckte er seine Hände gen Himmel; sein Blick, seine Miene, sein Seufzer,
seine Thräne war Gebet -- heisses, glühndes Gebet zum ewiglebenden,
ewigsorgenden Schöpfer des Schönen und Guten.

»_Elysium!_« rief der _Knabe_ und tauchte sich in das wogende Gras unter.
Er verstand das fremde Wort nicht, aber den Ton der Wonne darin.




Zweites Kapitel.
Idalla's Hütte.


Wer hätte es glauben sollen, daß der Herr von Sorbenburg jemals in
Gesellschaft seines Schwagers so nackt, als sie beide vor fünfhundert
Jahren den Händen der Mutter Natur entsprungen waren, am Alpengebürge
umherstreifen würden? Ein seltsamer Kontrast! Die ehmaligen feinen
gewandten Hofmänner zogen in ziemlich patriarchalischem Kostum umher, und
suchten Menschen; lagen bald an einer Quelle, sich zu baden, oder ihren
Durst zu löschen, bald unter einem Baum, um vor der Sonnenglut geschirmt,
von ihren Wanderungen auszuruhn, oder die aufgefundnen Wurzeln zu
verzehren; Inzwischen hatten sie Zeit genug, sich nach und nach des
entstellenden Bartes und der Greifenklauen zu entledigen, und wahrzunehmen,
daß ihre Gesichtszüge so wenig, als ihr ganzer Körper veraltet sei.

Ihre erste Sorge war Menschen zu entdecken. Es war ihnen nicht unbekannt,
daß am Fuße eines hohen Felsen, der _Kubbi_ hieß, ein Dörfchen gleichen
Namens gelegen war. Den Felsen fanden sie, aber das Dorf war verschwunden.
Neben einer kleinen Anhöhe entdeckten sie verwittertes hinter Dornenhecken
und Wacholdergesträuchen verborgnes Mauerwerk. Trostlos sezten sich die
beiden Abentheurer auf den Ruinen nieder, inzwischen der kleine _Karl_
umherjagte, einen Schmetterling zu fangen. Wie von einem guten Geist
geführt, entdeckte dieser von ohngefähr ein Bündel Matten, aus Bast
zusammengeflochten. Er schleppte es herbei; man trennte es und theilte sich
lachend in den Fund, der jezt die Stelle der seidnen Kleider ersetzen
mußte.

»Wahrhaftig,« sagte _Duur_: »die neue Welt ist gegen uns sehr geizig;
inzwischen bin ich doch froh, Spuren von Menschenhänden zu erblicken; denn
beinah glaubt ich, der ganze Erdball sei während unseres Schlafs entvölkert
und wir wankten noch allein auf dem ausgestorbnen Stern herum. Geduld, nun
können wir uns doch keuschen Augen präsentiren!«

Sie gingen zu der Stätte zurück, wo Karl das Bündelchen gefunden hatte,
vielleicht in der Hoffnung noch mehr zu finden. Wirklich überraschte sie
eine angenehme Erscheinung; nämlich ein halb verwischter Fußsteig schlich
über einer Wiese dem benachbarten Gehölz entgegen. Man beschloß ihn zu
verfolgen. Der Wald umfing sie mit seiner Kühlung und der Weg verlor sich.
Die Wandrer liessen sich nicht irren; sie trabten mit Muth und Glauben
weiter und fanden sich endlich am andern Tage an einem anmuthigen See, der
mitten im Walde sich ausdehnte und viele kleine Inseln bildete. --

Die größte von diesen Inseln zeigte ihnen ein hinter krausen Gebüschen
hervorragendes Hüttendach -- eine Entdeckung, welche sie alle vor Freude
wirbeln machte.

So jauchzten, so sprangen nicht die Entdecker _Amerikas_ auf _Colombs_
Schiffe durch einander, da nach der langen fürchterlichen Seefahrt vom
Mastbaume heruntergeschrien wurde: Land! Land! als hier unsre Abentheurer
jauchzten und tanzten.

»Eine Hütte! eine Hütte! -- Glück zu! -- wir haben überwunden!« so schrieen
sie durch einander und fielen sich um den Hals, küßten sich und hüpften her
und hin, und bemerkten nicht, daß ein allerliebstes, junges, weibliches
Geschöpf ihren Sprüngen mit Wohlgefallen zusah.

_Holder_ gewahrte der schönsten unter allen schönen Erscheinungen in der
neuen Welt zuerst.

»Bruder!« rief er und zeigte auf das Mädchen, welches wie eine Nympfe
dieses Hains, in idealischer Pracht des alten Roms, mit freien lockigten
Haar vor ihnen stand, zur Hälfte hinter einem wilden blühenden Rosenbusch
versteckt.

»Elysium!« rief _Florentin_, und näherte sich mit bittender Geberde dem
Mädchen des drei und zwanzigsten Jahrhunderts.

Ach, und das Mädchen verstand ihn nicht. Sie sprach, und was sie sprach,
war gewiß der Mühe werth, es zu hören, aber keiner verstand sie.

Eine neue und keine geringe Verlegenheit! Die Pilger machten Blicke, Mienen
und Hände zur Zunge, und es gelang. Tiefen Mitleides voll trat die junge
Schöne näher, beantlizte sie schweigend, küßte den Knaben, und führte die
Fremdlinge durch einige Gebüsche an das Ufer des Sees, wo in einer Bucht
ein Kähnchen angebunden lag. --

Sie stiegen ein. Die niedliche Schifferin stieß vom Ufer ab. Hin tanzte der
Kahn freiwillig über die silbernen Spitzen der krausen Wellen und nach
einigen Minuten nahm sie alle das wildbewachsne Ufer der kleinen Insel auf.

Ausser einem Pudel und einem schwarzen Kater schien die Insel und die Hütte
kein geselliges Wesen zu umfassen. Aber doch brachte die gefällige Wirthin
ihren entzückten Gästen männliche Kleider. -- _Florentin_ und sein Gefährte
benuzten die Güte der wohlthätigen Insulanerin, und vertauschten ihre
patriarchalische Tracht mit Matrosenkleidern.

Daß die Wandrer nicht sobald das liebliche Eiland und die schöne Bewohnerin
desselben verliessen, darf ich wohl nicht sagen. Und weil die Sprache der
Insulanerin eine entfernte Aehnlichkeit mit der deutschen des achtzehnten
Jahrhunderts besaß: so wurd' es ihnen leicht sie zu lernen, und bald
konnten sie ihrer Freundin sagen: »Ich heisse _Florentin von Duur_!« --
»ich heisse _Ludwig Holder_!« -- »ich _Karlchen_!«

»Und ich bin _Idalla_!« entgegnete die freundliche Wirthin.




Drittes Kapitel.
Ein halbes Jahr.


Ein halbes Jahr verstrich den Kindern des achtzehnten Jahrhunderts in
dieser romantischen Insel, wie ein halber Frühtraum.

_Idalla_ eine andre _Calypso_ wuste durch den Zauber ihrer Unschuld und
Schönheit mächtiger zu fesseln, als weiland ihre Vorgängerin den Sohn des
schlauen _Odysseus_.

»Ist es möglich!« -- rufen die Leserinnen: »also darum schliefen sie ein
halbes Jahrtausend auf harter Streu, um im drei und zwanzigsten Jahrhundert
bei einem hübschen Mädchen zu tändeln, ohne sich um die neue Welt zu
bekümmern. Das glaube, wer da will. Hätten sie am Ende des achtzehnten
Jahrhunderts nur die schlechteste deutsche Provinzialzeitung mitgehalten:
so würden sie den Augenblick nach Paris gewandert seyn, um zu sehn, wohin
die Franzosen mit ihrer Revolution gekommen wären. Wenigstens hätten sie
eine alte Chronik, oder dergleichen nachschlagen können, um zu erfahren,
wie weit es dem alliirten Europa gelang, die Neufranken von ihrem
Revolutionsräuschchen nüchtern zu machen. Es ist nicht möglich!«

Nun, warum nicht. _Holder_, _Florentin_, _Karlchen_, _Idalla_, der Pudel
und der schwarze Kater lebten in einer so beneidenswürdigen Harmonie
beisammen, daß unsre Abentheurer nicht selten in den verzeihlichen Wahn
versanken, das wundersame Getränk in der Alpenhöhle habe sie in die
elysischen Gefilde gesandt, statt in das drei und zwanzigste Seculum.

Zwar war das Leben auf dieser Zauberinsel so einfach, jeder Tag in seinen
Begebenheiten dem andern so ähnlich, daß, so wie sich Tag und Nacht, sich
auch die täglichen Begebenheiten der Inselbewohner wiederholten. Aber dies
Einerlei war nie ermüdend, denn es war nie das _Einerlei der Empfindungen_.

Goß die Morgensonne ihre Purpurstrahlen über die Hütte, Eichen, Gebüsche,
Blumen, und Halme der Insel aus: so enthüpfte frohlockend jeder seinem
Gemache. Zärtlich war die Umarmung, als wäre eine Trennung durch die Nacht,
die Trennung durch ein Jahr gewesen. _Karlchen_ umklammerte jeden; jedem
bellte der Pudel seinen »guten Morgen« zu: der ernsthafte Kater wandelte
gnurrend vom Schoos des einen zum Schoos des andern und wedelte mit dem
Schwanze und schmeichelte.

Nun ging _Florentin_, die Flinte über die Schulter geworfen, auf die Jagd;
der Pudel begleitete ihn. -- _Holder_ verbesserte den Bau der Hütte,
drechselte nützliche Maschinen zusammen, sah zuweilen nach -- -- --
_Idalla_, welche im Garten entweder, oder am Heerde in Gesellschaft ihres
Katers geschäftig war, oder das Hühnervolk fütterte, oder ihre Ziegen und
Schafe auf grasreiche Plätze trieb.

Unter solcher Arkadischen Lebensart schmolzen Minuten, Stunden und Tage
hinweg.

Am Abend lagerte sich, nach vollendetem Tagewerk, die glückliche Familie
unter den großen Nußbaum neben der einsiedlerischen Hütte, dann mußten wohl
_Holder_, oder _Florentin_ ihre Schicksale erzählen und die gute _Idalla_
glaubte ihnen alles gern, nur der fünfhundertjährige Schlaf machte sie
ungläubig.

»Aber Du, schöne _Idalla_,« fragte dann _Holder_ und _Florentin_: »wie bist
Du so unglücklich oder glücklich gewesen, Dich in diese Einsamkeit
verschlagen zu sehn? Du hast uns noch nie davon erzählt.« --

»Noch nie?« entgegnete sie: »o, das sollt Ihr leicht erfahren. -- Ich
erzähle gern. Aber es wird Euch ermüden.«

»Ermüden? _Idalla_, Du uns ermüden?« sprach _Holder_ in einem
zärtlichstrafenden Ton.

»Nein, nein, es war mein Scherz!« erwiederte sie und sah ihm ins Auge, als
fürchtete sie, er zürne. Sie rückte ihm näher, ergriff seine Hand, und
lehnte sich an ihn.

»Hier will ich erzählen,« sagte sie: »hier will ich erzählen. Aber
aufmerksam müßt Ihr seyn!«

Sie warens alle. _Holder_ fühlte sich nie glücklicher, als in diesen
Augenblicken, wo _Idalla_, die fromme, unschuldige _Idalla_, in seinem Arm
wohnend, plauderte. _Florentin_ saß dem glücklichen Paar gegenüber, in
seinem Arme den kleinen _Karl_, seiner Louise Sohn. Zu seinen Füßen lag der
treue Pudel, und um die Reihe voll zu machen, hatte sich der ehrsame Kater
eingefunden, der gesellschaftlich Platz nahm und mit verschlossenen Augen
schnurrte.




Viertes Kapitel.
Die Erzählung.


»Ihr wißt doch, wie es jezt Krieg und Kriegesgeschrei ist im ganzen
deutschen Lande?« hub die süßstimmigte _Idalla_ an: »Nun, und da sich das
traurige Unwesen anspann, sagte mein Vater -- doch Ihr werdet nicht wissen,
wer mein Vater gewesen? Er war der reichste Mann im ganzen Dorfe Eldern,
und war ein sanfter, lieber, seelenguter Mann. -- Das Dorf Eldern haben die
Nordmänner abgebrannt, dort ist alles Wüstenei -- ach und glaubt es, mein
Vater würde bettelarm geworden seyn, hätte er nicht zur glücklichsten
Stunde die Flucht ergriffen.«

»Kinder, sagte er zu uns -- denn ich hatte noch zwei Brüder -- Kinder, die
Deutschen sind schlaffe, entnervte, mark- und saftlose Geschöpfe -- die
Nordmänner kommen mit eisernen Gliedern und schlagen die Deutschen, und ehe
wirs erwarten, dringen sie bis zu uns vor. Ja, vor alten Zeiten, vor vielen
hundert Jahren -- da wars anders! Da lebte ein gewisser König -- nun, wie
heißt er denn, der Vater wußte ihn zu nennen -- und dieser soll die
Deutschen zu Helden gemacht haben -- soll -- o, was soll er nicht alles
gethan haben! -- Drum, Kinder, fuhr der Vater fort, laßt uns von hinnen
ziehn, gebt acht, die Deutschen werden unterliegen!«

»Der Vater hatte Recht. Wir flüchteten. Ich war damals noch ein Kind. Wie,
das weiß ich nicht, kamen wir endlich auf diese Insel her, und sicher
lebten wir vor jedem Ueberfall. Aber« --

»Aber mein armer Vater wurde endlich so schwach, so matt, daß ich ihn
führen mußte. O, hättet Ihr ihn nur gesehn, Ihr hättet ihn wahrlich lieb
gewonnen. -- Einen solchen ehrlichen sanften Blick und die zarten Falten,
die von den Winkelspitzen seiner Augen ausliefen und bei jedem Lächeln
sichtbarer wurden, einen solchen Mund, der noch nie Ursach gehabt hatte,
begangne Sünden zu bekennen -- ach, solchen Mann habt Ihr gewiß noch nicht
gesehn. -- Es war ein heisser Mittag. -- Vater, fragt' ich ihn, willst du
nicht draussen ruhn in dem kühlen Schatten des hohen Eichbaums? -- Ich
will, gab er zur Antwort, und hurtig führt ich ihn hieher, sezte mich neben
ihn nieder und hielt sein Haupt in meinem Schoos -- Idalla, sagte er, Gott
lohne Dirs, im bessern Leben sehn wir uns wieder. -- Da sehn wir uns
wieder! entgegnete ich, und schluchzte.«

»Der Vater schlief. Ich ward still wie eine Maus, hörte auf zu weinen,
athmete nur kaum, um den holden Greis nicht zu erwecken.«

»Es rückte der Abend heran. Meine Brüder erschienen mit ihm, sahen mich und
den Vater und lachten, lachten ob meiner Einfalt, denn der Vater schlief
den Schlaf des Todes. -- O, meine Brüder, wie sie so grausam waren! Sie
lachten ein lautes, schallendes Gelächter -- indeß ich mich weinend über
den Leichnam meines lieben Vaters hinbog. -- Der Mond ging auf, aber sehr
blaß, als hätte er auch geweint. -- So viel Sterne am Himmel blinkten, so
viel Thränen weint' ich in dieser Nacht, und meine unbarmherzigen Brüder
gruben eine tiefe Gruft. -- Und der Morgen erwachte, aber mein Vater,
nicht, da weinte ich noch mehr. Und die Brüder rissen mir den alten Mann,
ach, denkt doch, rissen ihn mir aus dem Schoos -- und stürzten ihn hinunter
in die Gruft. -- Ich lag auf den Knien vor den harten Männern, und bat für
den armen lieben Vater, aber sie verstießen mich. -- Ich wollte mich
hineinwerfen zum Vater in die Gruft, doch man zerrte mich bei den Haaren
zurück. -- O weh, wie hatt' ich so grausame Brüder!«

»Gutes Kind!« rief Holder bewegt, und drückte die unschuldige Erzählerin an
sich.

»Aber« fuhr _Idalla_ fort: »aber ich härmte mich endlich nicht mehr so
sehr. Ich wurde wieder munter und sprang umher. -- Da kamen meine Brüder zu
mir und sagten: es wird uns das Leben hier unerträglich. Folg' uns in die
weite Welt hinein, oder wir gehn allein. -- Geht allein! sagt' ich, denn
unser Vater prieß sich glücklich hier zu wohnen -- ich bleibe hier.«

»Sie verließen mich. -- Ich habe sie nicht wieder gesehn. Draußen ist Krieg
und Kriegsgeschrei, Gott steh ihnen bei! -- und ich -- ach ich war
zufrieden in meiner Einsamkeit, die wilden Brüder thaten mir nicht mehr
weh. -- Ich fing mir meine Fische, fütterte meine Ziegen, plauderte mit
meinem Pudel, badete mich in schönen Stunden, und in einer derselben -- nun
das wißt ihr ja!«

»Ich sah Euch, und glaubte, Ihr wäret meine Brüder. Ich war bestürzt und
froh. -- Ihr sahet meine Hütte, zeigtet auf sie. Ha, dacht ich, sie haben
gewiß nichts sich zu bedecken, gieb ihnen die Kleider deiner Brüder. Und
nun führt ich Euch hieher, und gab Euch die Kleider, und das war meine
Geschichte. Mehr weiß ich nicht. -- Seid Ihrs zufrieden?«

Holder küßte ihre Stirne.

Solche Scenen hatte Florentin, hatte Holder noch nie gekannt; wären ihnen
izt Königskronen für die Insel der schönen Idalla geboten; sie hättest
keinen Tausch gewagt. -- Auch weiter hinaus in die Welt wagte sich keiner
von ihnen; wie ein Paar Schiffbrüchige, die so eben den schäumenden Wirbeln
des Oceans entwischt sind, angespült daliegen auf einer freundlichen
Uferklippe, und sich dankbar und froh fest anschmiegen an diese, und nicht
weiter forschen und fragen, ob dahinter blühnde Fluren wohnen: so
_Florentin_ und _Holder_.

Zufrieden mit dem Leben, zufrieden nur noch _dazusein_, sehnten sie sich
nach keinem Futter für ihre Neugier.

_Holder_ war gar nicht mehr der ernste, düstre Mann, sondern das wahre
Muster einer feinen Jovialität. Die fünf Jahrhunderte hatten keine Spur
ihrer Gewesenheit auf seinem Antlitz hinterlassen; mit frischer,
bräunlicher Wange, hellem, brennenden Auge, hoher, lachender Stirn, webte
er in voller, männlicher Schöne, und keine Krankheit, keine Leidenschaft
blies die Schminke der Gesundheit von seiner Wange ab. Bei alle dem hatte
er jenen interessanten, merkwürdigen Zug der Mienen verloren, welcher
Männer- und Weiberherzen magnetisch an sich zog, welchen _Rikchen_ einst
verführerisch fand, und dessen Gewalt auch -- Idalla eingestand, ohne sich
dessen bewußt zu seyn.




Fünftes Kapitel.
Die Verwandlung.


_Idalla_ schlich hinter dem Garten im Mondenschein umher und dachte und
nannte -- _Ludwig Holdern_. Und _Holder_ schlich an der Hütte diesseits des
Gartens, und dachte -- an wen? -- an _Rikchen_ und _Idalla_.

»Nein, Florentin, nein!« rief er: »ich verlasse diese Insel und diese
_Idalla_ nicht! -- Und hinge der Weltlauf dieses Jahrhunderts in einem
Spiegel vor mir, ich höbe meine Augen nicht zum Spiegel auf. Ruhe der
Seelen ist ein Kleinod, welches mit keiner Monarchie bezahlt, mit aller
Stubenweisheit nicht erphilosophirt werden kann. Ich habe dies Kleinod
gefunden und vertausch es nicht für die Befriedigung meiner Neugier.«

»Zwar mißfällt mir dies idealische Schäferleben nicht,« entgegnete dann
gewöhnlich _Florentin_: »Aber, Holder, dies Jahrhundert zu betrachten, und
seinen Kontrast mit dem unsern -- dies wär' eine Seligkeit mehr. Ich gehöre
nun einmal schon zu den Alltagsmenschen, die das Leben bloß aus Neugier
lieben.«

Holder. Ach, glaube mir, es werden die Menschen dieses Zeitalters um nichts
besser, um nichts glücklicher seyn, als ihre Brüder in der Vorwelt. Die
Weltordnung wird keine Revolutionen erleben; das Wesen bleibt, wenn gleich
das Kleid veraltet; die Dinge verlieren nichts, sondern wechseln nur Farb'
und Namen. Ist dies Jahrhundert reich an Philosophen: so ists gewiß auch
reich an gediegnen Narren; erblickst du starkes Licht, so fehlt gewiß auch
der grelle Schatten nicht.

Florentin. So hätten wir unsern Schlaf ersparen können.

Holder. Nein, er war nothwendig zu unsrer Ruhe. Siehe, izt schwimmt die
Vergangenheit nur in nebelhaften Gestalten vor mir, wie ein halbvergeßner
Traum. Alle meine Wunden sind geheilt; ich fühle in mir nichts, als
Anlagen, glücklich zu werden. Weg nun mit der Welt, weg mit ihrer
Herrlichkeit, ihren Lorbeerkronen; sie lockt mich nicht mehr, denn ich
kenne sie.

Florentin. (mit Verwunderung.) Holder, bist du es wirklich?

Holder. Ich habe gelebt; habe gerungen, gearbeitet, gelacht und geblutet
und der ganze Schatz welchen ich mir endlich eroberte, ist nur ein kleines,
goldnes Sprüchlein: Glücklich zu seyn ist unser großer Beruf: _suche dein
Heil nicht auf den Schlachtfeldern als Held_, denn die Lorbeern, welche du
dort pflückest, wurden begossen mit Thränen und Blut, und höchstens die
feile Fama der Zeitungen, höchstens ein gewässertes Band -- ist dein Lohn.
_Suche dein Glück nicht neben den Thronen;_ dort gedeiht die zarte Pflanze
des ächten Glücks nicht; zwar lockt der Sonnenstrahl der Fürstengunst das
Pflänzchen schnell hervor aus dem Boden, aber es verwelkt auch eben so
leicht an diesem heißen Strahl; _Suche deinen Himmel nicht in dem
buhlerischen Blick der Weiber;_ deine Nerven werden stumpfer und dein
Himmel wird trübe. _Berechne deine Seligkeit nicht nach der Summe deiner
Goldstücken;_ wer den Schlüssel zum Thor der Freuden hat, versteht darum
noch nicht das Zauberschloß zu öffnen, sondern friert oft zeitlebens an der
Schwelle von außen. -- Losgekettet von der sogenannten großen Welt, wo der
Zufall über das Verdienst, die Narrheit über die Vernunft, der Geldbeutel
über die Tugend, die Mode über die Wahrheit siegt, eben so fern vom Mangel,
als vom Ueberfluß, in unverdorbner Gesundheit des Leibes und der Seele
leben, nicht von _tausenden_ bewundert, aber von _einem_ freundlichen
Herzen recht heiß geliebet werden, -- Bruder, dies ist Erdenseligkeit!

Florentin. Ich widerspreche dir nicht.

Holder. Topp, folge mir! Glaube mir, daß alle Erfahrungen, welche wir über
dieses Zeitalter einsammeln werden, mehr unsre glückliche Laune tödten, als
nähren werden. Ich mag von der Iztwelt grade nicht mehr und nicht weniger
wissen, als mir das Ohngefähr davon zu Ohren bringt. -- Wenn mich ja einmal
der Dämon Neugier zu sehr foltert, ei nun, so wird sich ja wohl ein
historisches Compendium auftreiben lassen, worin die Genealogien, Rathen
und Thaten der Könige, Kaiser, Fürsten, Republiken, Helden, Narren,
Scribler und Queerköpfe erzählt sind. Damit will ich mich gern begnügen. --

Florentin. Aber Kanella, und Frankreich, und Pohlen, und Preussen -- -- --

Holder. (lächelnd.) Und Dänemark, Otaheite, die ottomanische Pforte,
Abessynien, China, Rußland und Spanien!

Florentin. Wo ist meine Flinte und mein Pudel?

Holder. Du wirst doch nicht Knall und Fall in diesem Augenblick -- -- --

Florentin. Wenigstens ein Schmalthier!




Sechstes Kapitel.
Der Wechselgesang.


»Der späte Abend kömmt, aber Florentin nicht!« lispelte die kleine
_Idalla_, indem sie im Mondenschein stand vor _Holder_. Sie schlug ihr
grosses Auge traurig nieder zur Erde; ein loser Abendwind wehte die Locken
ihres braunen Haars vom Scheitel und Nacken zum Angesicht vor, als wollt'
er ein Thränchen verstecken, welches im Begriff war, dem schönen Auge zu
entfallen.

»Vielleicht hat er sich verirrt.« Entgegnete _Holder_ und sein Auge
verirrte sich unwillkührlich in _Idalla's_ Reize und in die Nacht der
Zukunft. Wie ein Engel der Unschuld stand die kleine Liebenswürdige vor
ihm; sie war um so verführerischer, je weniger sie es wußte, daß sie es
sey. --

Er ergriff ihre Hand -- er küßte sie. _Idalla_ sah lächelnd und
schwermüthig zu dem Fremdling auf, mit einem Blick, so reich an Liebe, so
reich an Zweifeln.

»Er wird und verlassen.« Seufzte sie, und ihr Auge sezte hinzu: »auch Du
mich bald!«

»Das glaub' ich nicht!« antwortete _Holder_: »wer wollte Dich verlassen?«
sagte sein Auge und ein Kuß auf ihre blühnde Wange.

Als sie zurückkam, war er verschwunden; Tiefer hinein in einzelnes Gebüsch
hatt' er sich verloren, dem Ufer des umschilften Sees näher. Hier saß er
und rauschte er mit leichtem Finger über die Saiten seiner Laute, und sank
mit seinem Geist hinunter in dass stille Grab der fernen Vergangenheit.

Hier waren _Rikchen_ und ihr trauter Oheim in der Sorbenburg die Gespielen
seiner Seele. Er gedachte mit leiser Wehmuth jener elysischen Zeiten, da
sie noch sein waren auf Erden, und der Tod ihren Himmel zerstöhrt hatte.

Er griff stärker in die Saiten, und sang wie sein Herz ihm diktirte:

   Ergieß Dich in die Adern, süsse Schwermuth
   Dränge mein Herz, bis das Auge thränt,
   Und eine Zähr auf blasser Wange
   Im Mondenschein zittert!

Der Abend ward stiller. Kein Lüftchen säuselte durch der Bäume schlummernde
Zweige; das Ufer des Sees drüben hauchte sanft über die Wellen den
sterbenden Ton der Stimm' und Saiten zurück.

_Idalla_ horchte vor der Hütte. _Holder_ hatte sie das Spiel der Laute, die
Natur aber sie Empfindung und Gesang gelehrt. Kaum herrschte die alte
Stille, so hub sie an, in Begleitung der Saitenakkorde:

   _Freud'_ und _Ruhe_ sind Geschwister,
   Sie nennen dich Mutter, Natur!
   Sie flüstern im hangenden Maibusch,
   Sie wohnen im Busen
   Des duftenden Veilchenthals;
   Sie tanzen vertraulich auf deinen
   Zitternden Wellen, o See!

   Holder. Weinend gedenk' ich deiner,
   Heilige Vergangenheit!
   Weinend gedenk' ich eurer,
   Heilige Minuten der Freundschaft,
   Heilge Momente der Liebe. -- --
   Entblätterte Rosen
   Blühen nicht wieder, --
   Und ihrem Grabe entsteiget
   Nicht die gestorbene Freude.

   Idalla. Im weichen Arm der Ruhe
   Schläft die Vergangenheit;
   Am Arm der Freude tanzet
   Die junge Gegenwart!
   Und Ruh und Freude wohnen
   In deinem Schoos, Natur!

   Holder. Und euer Staub,
   Und eure Gräber
   Sind längst verweht,
   Ihr, meines Lebens Engel,
   Verwandte meines Herzens!
   Ach, euer Geist
   Durchwandert fremde Sterne.
   Und denkt nicht mehr
   Des Weinenden im Staube.

   Idalla. Was Grab sonst war
   Wird eine Freudengrotte;
   Wo sonst die Freude schwärmte
   Ist nun der Ruhe Schlummerbett.
   Was hier verblüht,
   Blüht herrlich drüben auf.
   Denn Freud' und Ruhe
   Sind zärtliche Geschwister.

   Holder. (indem er sich Idallen nähert.)
   Laß uns, so lange sie uns lächelt,
   Die Freude küssen,
   Und dann ermüdet sinken
   In ihrer Schwester Arm!

_Idalla_ eilte ihm entgegen: »Du hast das Lied mich gelehrt, Holder, und so
straf' ich Dich mit Deiner eignen Lehre. Hättest Du Dich nicht bald bekehrt
und _mein_ Lied gesungen: so hätt' ich Dir die Laute genommen.«

»Aber Deine Augen sind ja feucht, Idalla. Hast Du geweint?« fragte
_Holder_.

»Beinah.«

»Warum denn?«

»Warum? Dich machte die Vergangenheit, mich die Zukunft traurig. Ach,
Holder, wenn ich Dir die Vergangenheit vergessen machen könnte, und Du
_Idallen_ in Schutz nähmest für die Zukunft! -- Ich hab so allerlei bei mir
gedacht -- meine Brüder haben mich verlassen, dem guten _Florentin_
gefällts bei mir nicht mehr, und, dacht' ich dann, wenn _Holder_ mich -- --
--«

»Was denn?« fragt' er zärtlich.

»Mich nicht mehr -- -- -- ach, lieber Holder!« sagte sie stockend und
schlug ihren Arm um seinen Nacken.

»Würde mich Idalla gern verlieren?«

»Ich antworte Dir nicht.«

»Gute Idalla!« seufzte er, und starrte ihr ins freundlich-traurige Auge.

»Was willst Du?« lispelte sie unruhig, und ihr Busen erhob sich. Der Mond
brach in diesem Augenblick durch ein falbes Gewölk und überströmte die
unbefangne Engelsmiene dieser kleinen Heiligin mit einem verklärenden
Glanz. _Holdern_ ward, als wär er verzaubert in eine wunderbare Feenwelt;
als wandelt er neben einer Ueberirrdischen. Das feierliche Schweigen
allgemein umher; nur dann und wann ein melancholisches Aufmurmeln der
fernen Wellen; das magische Helldunkel der Landschaft, der grelle Wechsel
und Contrast des tiefsten Schattens und hellsten Silberlichts -- alles
wirkte sonderbar auf sein empfindsames Herz.

»Holder, lieber Holder!« sagte endlich nach einer langen Pause die schöne
Insulanerin, und wußte nicht, oder sehnte sich nicht, mehr zu fragen. Aber
unwillkürlich entschlüpfen ihren Lippen die Worte: »Ich mögte wohl etwas
wissen von Dir.«

»Und was denn?«

»Ob ich -- ob Du -- ob Du meines Vaters Grab weißt?«

»Eine seltsame Frage. Nein ich weiß es nicht.«

»Hier, hier unter uns, am jungen Eichbaum hier.«

»Laß ihn ruhn!«

»O, wenn er doch noch lebte, wenn er Dich doch auch sähe, wenn -- -- -- er
würde Dir gewiß auch recht herzlich gut seyn.«

»Idalla ist mit also _herzlich_ gut?«

»O, Holder, so hätte ich Dich nicht fragen mögen. Wenn ich nur alles,
_alles_ Dir _so sagen_ könnte. Wenn ich nur -- -- o, Du verstehst Idallen
niemals!«

»Ich versteh Idalla's Sprache _dennoch_!«

»Aber ist Dir denn auch so zu Muth bei Idallen, wie Idallen bei Dir?«

»Eben so, und ewig so.«

»_Ewig_ so? das ist ein kleines Wörtchen mit unermeßlichem Sinn. Ach, dann
könntest Du auch Idallen nie verlassen, denn Idalla kann Dich nicht
verlassen.«

»Ich will es nie.«

»Holder! Holder!« schluchzte sie und warf sich an sein Herz und weinte
heiße Thränen.

»Und Idalla weint?«

»Ach, Idalla muß weinen, denn sie ist Holdern zu gut!« rief sie, und
klettete sich fest an ihn, und es war ihr, als ständ' ihr Vater ihr zur
Seiten und segnete sie.

_Holder_ sank an _Idallens_ Busen. »Ich glaub' eine Seelenwanderung,« rief
er mit nassen Augen: »ich höre _Rikchens_ Stimme; aus dir spricht wieder
meiner _Friedrike_ Geist zu mir!«

Er schwieg. Die Eichen summsten im Winde. Die abendliche Natur feierte
mitempfindend das Fest der schönen Seelen. _Rikchens_ Geist schien auf
einer Wolke niedersinkend, ihrem _Holder_ Beifall zu lächeln.




Siebentes Kapitel.
Das Abentheuer im Walde.


Erst am Abend des folgenden Tages kam _Duur_ von seiner Jagd heim.
Aengstlich und bekümmert hatten _Holder_ und _Idalla_ den ganzen Tag
vergebens seine Zurückkunft gehofft.

Wie heiter lachte ihm _Holder_ nun entgegen; wie freundlich drückt' ihm
_Idalla_ die Hand! Er kam aber nicht _allein_, sondern ein fremder Mann mit
ihm.

_Florentin_ war finster. Er warf die Flinte in einen Winkel nieder und bat
für den Fremdling um Speis' und Trank und Nachtlager.

Gastfreundlich trug die liebe Wirthin ihr Bestes auf. _Florentin_ warf sich
in einen Sessel, und lachte bald und knirschte bald mit den Zähnen.

_Holder_ lehnte sich ihm gegenüber an die Wand, und betrachtete das
seltsame Mienenspiel seines Freundes mit Verwunderung.

Alles schwieg. _Holder_ wollte doch ein Gespräch anknüpfen, und fragte, um
etwas zu fragen, den Fremden: »was giebts neues in der Welt?«

»Neues?« entgegnete der Gast: »Das Neuste wäre nun wohl, daß der deutsche
Kaiser in der vorgen Woche zu Berlin gestorben ist.«

»Wie? sind Preußen und Oesterreich so gute Freunde und Nachbarn?«

»Ich verstehe Sie nicht?«

»Ihr sagtet, der Kaiser sey in Berlin gestorben.«

»Freilich -- in der Residenz.«

»In der Residenz? residiren die Kaiser in der preußischen Residenz?« fragte
Holder und sah den Gast mit verdächtigem Lächeln an.

»Nun ja, wo denn anders? Ach, Sie scherzen -- ja, ja, ich besinne mich. Vor
dreihundert Jahren sollen sie noch in Wien gewohnt haben. Ich weiß das noch
von der Schule her, wenn wir das dürre Namenregister der deutschen Kaiser
auswendig lernen mußten.«

_Holdern_ schoß bei diesen Worten das Blut ins Gesicht -- er erinnerte sich
der Alpen, und das, woran er unterweilen selbst noch zu zweifeln gewohnt
war, bestätigte sich ihm immer mehr und auf neue Art zur sonderbaren
Gewißheit.

Aber _Florentin_ saß da, starr und unbeweglich, sah und hörte nicht. Sein
räthselhaftes Betragen ward mit jedem Augenblick auffallender.

Es war ein langweiliger Abend. Der _Fremde_ sehnte sich endlich zur Ruhe.
_Idalla_ wies ihm sein Lager.

»Was fehlt Dir, Florentin?« fragte _Holder_ endlich in einem herzlichen
Tone, indem er die Hand des Sonderlings ergriff: »Du bist
niedergeschlagen!«

»Laß mich!«

»Nein, ich kann unmöglich länger ein verlegner Zuschauer deines Mißmuths
seyn. Erkläre Dich. Sey offenherzig. Was hast Du vor?«

_Florentin_ antwortete nicht, sondern ein tiefer Seufzer drängte sich aus
seiner Brust auf. _Holder_ schüttelte den Kopf. _Idalla_ warf den Arm um
ihren Liebling, und sah, das Haupt traulich an seine Achsel gelehnt, der
ungewohnten Szene zu.

»Bruder!« rief _Florentin_ endlich, stand auf und ergriff _Holders_ Hand
mit Ungestüm: »Hast Du mich betrogen? -- Bei dem ewigen Gott, bei unsrer
Freundschaft, bei der Asche meiner Schwester, die Du einst so sehr
liebtest, bei allem was dir theuer war und noch ist, sei beschworen: hast
Du mich betrogen?«

Holder. (kalt.) Ich Dich betrogen?

Florentin. (mit glühndem Gesicht.) Hast Du mich betrogen?

Holder. Ich verstehe Dich nicht.

Florentin. Triebst Du Gaukelei mit mir in der _Alpenhöhle_? wirkte Dein
Schlaftrunk auf fünf Jahrhunderte oder fünf Tage?

Holder. Wie kömmst Du erst jezt auf die Frage?

Florentin. (wilder.) Antworte mir! es liegt mir alles daran -- mein Leben,
meine Seligkeit; antworte!

Holder. Nach meinem Willen auf fünf Jahrhunderte.

Florentin. So hintergehn mich Verstand und Sinne. Denn, Holder, -- Holder!
ich, habe sie gesehn!

Holder. Wen hast Du gesehn?

Florentin. O, daß Du so fragen kannst; ich habe _Louisen_, -- _Louisen_,
_Adolphs_ Schwester -- gesehn! Wir leben noch im achtzehnten Jahrhundert!
Ich habe sie gesehn!

Holder. (verwirrt.) Du die Prinzessin?

Florentin. Eben die, welche mich an _Adolphs_ Hofe liebte, eben die, welche
ich im Garten von Dosa gesehn!

Holder. Das ist unnatürlich! --

Florentin. Meinst Du? -- O, ich war beinahe zufrieden, hatte das achtzehnte
Jahrhundert mit seinen Leiden und Freuden schon halb vergessen; mein Onkel,
mein _Rikchen_, mein _Badner_, _Louise_, _Adolph_, _Kanella_, -- alles hing
nur noch in verbleichten Farben vor meiner Seele. Ich glaubte die Wunden
meines Herzens schon zugeheilt; kein Gram nagte mehr an meiner Ruhe -- o,
mein Gott, und das alles hatt' ich mir nur vorgelogen. -- _Louise_ lebt
noch, und ich mit ihr in _einem_ Jahrhundert.

Holder. Dich betrügt ein Traumbild.

Florentin. Sprich lieber, es hatte mich betrogen, und daß ich so -- so,
davon _erwachen_ mußte! -- --

Idalla. (mitleidig.) Du bist unglücklich?

Florentin. Ja, liebe Idalla, ich bin sehr unglücklich.

Idalla. Armer Florentin!

Florentin. Ja wohl, _ärmer_ bin ich zu keiner Zeit gewesen!

Holder. Es bleibt mir alles ein Räthsel, ehe Du mir nicht umständlich Dein
Abentheuer im Walde erzählst.

Florentin. Ich wills erzählen -- vielleicht machts mich ruhiger. O, klaube
aus meiner Erzählung jedes Mögliche heraus, um mir nur zu beweisen, ich
habe _Louisen_ nicht _gesehn_. Hörst Du? -- Ach, ich liebe sie noch, ich
_muß_ sie lieben, trotz ihrer Untreue!

_Holder_ wußte nicht, was er glauben sollte, und sah seinem Freunde mit
einer unbeschreiblichen Verlegenheit ins Gesicht.




Achtes Kapitel.
Louisens Erscheinung.


Idalla zündete die Lampe an; sie und ihr Liebling nahmen den Schwärmer in
die Mitte, der endlich ihre Neugier stillte und seine Erzählung begann:

»Gestern verließ ich Euch; ich war etwas düster; Gott weiß, was ich dachte,
was ich empfand. -- Ich war noch keine Stunde umhergetrabt, als ich mich
mißvergnügt unter einem Baum niederwarf, und mich in die Tage der Vorwelt
heimträumte. -- Ist er nicht wunderbar zusammengesponnen der Traum meines
Lebens, dacht' ich.«

»Ich war ein Kind, und _war glücklich_. Ich blühte zum Jüngling auf, und
_hoffte_ auf einstige Seligkeiten! -- Ich wurde ein Mann, und -- _war
unglücklich_. Louise machte mich unglücklich, oder vielmehr ich mich
selber. Dem Tode nahe, wurd' ich errettet. Ich war der Verzweiflung nahe,
und die Hand der _schwarzen Brüder_ führte mich von dem Abgrunde hinweg,
über dessen Tiefen ich schwebte, Ich suchte Ruhe, suchte Zerstreuung, und
befreite _Kanella_ mit Lebensgefahr. Lorbeern erndtete ich, aber keine Ruhe
des Herzens. Meine Wünsche, meinen Lohn, welchen ich mir ersah, konnte mir
des schwarzen Bundes Allgewalt nicht verleihen. Das Schicksal kämpfte wider
mich mit eiserner Faust. Ich war elend, schmachtete nach einem _bessern
Leben_ -- die _schwarzen Brüder_ wollten mich belohnen und ertheilten wir
zum Geschenk -- ein andres Jahrhundert.« --

»Ich bin noch nicht glücklich, dacht' ich weiter. Und woher meine
Unzufriedenheit? wohinaus will dies unaufhörliche Sehnen? -- Ich wollte in
mein Innres hinunterschaun, und fand -- und fand die Phantasie mir
_Louisens_ Bildniß vorhaltend.« --

»Also dahin willst du? Unmöglichkeit ist dein Ziel? -- o, rief ich mir
selber zu, so unmöglich ist denn auch dein Glück hienieden! -- Verdammt sey
der Schlaftrunk, der mich um den Rest des Zeitalters plünderte, in welchem
noch eine _Louise_ wohnte. Verdammt sey die Stunde, in welcher ich den
ungeheuren Riesensprung in der Zeit wagte, welcher eine Ewigkeit zwischen
mir und _Louisen_ wälzte. -- So dacht ich. In dem Augenblick rauschte etwas
hinter mir auf; mein Pudel bellte -- dies erweckte mich. Ich sah mich um;
eine _Hündin_ sprang neben mir vorbei. -- Ich fuhr auf, verfolgte das
Thier, welches vielleicht noch von keinem Jäger verfolgt worden war, denn
es blieb oft stehn und neckte mich immer weiter.« --

»Du sollst mein werden! rief ich und dachte an _Louisen_: Du sollst mein
werden, denn uns scheidet noch nicht die unüberspringliche Kluft von
Jahrhunderten! -- ich verfolgte das Thier Stundenlang und erreichte es
nie!«

»Der Mittag mochte noch nicht vorüber sehn, als ich, von der fatalen Hündin
verführt, ziemlich entfernt von dieser Gegend, mich mit einemmale aus des
Waldes Dunkel in einen grünen, zirkelförmigen Platz stürzte, in dessen
Mitte zwei niedliche mit Wimpeln und Segeln versehne Kähne auf trocknem
Boden standen!«

»Ich blieb stehn. Ich wähnte in der Feenwelt zu wohnen. -- Die Hündin
entwischte, ich dachte nicht mehr an sie.«

»Nun, bei Gott!« sagte _Holder_: »läßt sich doch Deine Erzählung so
drolligt an, wie irgend ein Märchen aus _Gallands_ Tausend und einer Nacht.
-- Zulezt glaub ich gar, die Weltbegebenheiten laufen aus und repetiren
sich, wie ein Uhrwerk. -- Wir leben und weben wieder in den Tagen, die
_Wieland_ und _Ariost_ so schön besangen.«

»Das wird mir immer wahrscheinlicher!« sezte _Holder_ muthwillig hinzu,
indem er sich in _Idallens_ großen blauen Augen spiegelte, die ihn so
liebevoll anblickten.

»Erzähle Du weiter, armer Florentin!« sagte _Idalla_, und faltete ihre Hand
in _Holders_ Hand.

»Indem ich,« fuhr _Florentin_ erzählend fort: »versteinert dastand, und die
beiden prachtvoll ausgeschmückten Kähne mit der waldigten Wildniß zu paaren
suchte, flüsterten die Zweige eines nahen Wacholdergebüsches neben mir. Ich
wandte meine Augen dahin, und, o Gott, wie wurde mir, als ich -- _Louisen
vor mir stehn sah!_« --

»Sie bebte vor mir zurück -- ich vor ihr. Wir starrten uns lange an -- ich
fand sie schöner, als ich sie je gesehn hatte -- ich wollte sprechen,
wollte ihr Vorwürfe machen -- meine Lippen bewegten sich, aber die Worte
erstarben in ihrem Werben.« --

»Unwillkührlich fühlt' ich mich zu ihr hingezogen, zu ihr, die wie eine
Gottheit da vor mir stand. Ich wähnte ihren _Geist_ zu erblicken, sank zu
ihren Füßen nieder, umarmte die Kniee eines _irrdischen Weibes_, die Kniee
meiner _Louise_! -- Schreck, Hoffnung, Entzücken, alles umfing mich mit
gränzenloser Kraft; meine Vorstellungen wurden dunkel, die Welt verschmolz
vor meinen Sinnen in Nichts -- ich ward ohnmächtig!«

»Gott im Himmel!« rief die weichgeschaffne _Idalla_: »was ist das!«

»O, wär' ich so vernichtet, so ganz ausgestrichen geblieben aus der Liste
der Schöpfung, ich wäre vielleicht glücklicher! -- -- Aber ich erwachte --
wie -- von einem _Kusse_. Ich schlug die Augen auf. _Louise_ kniete neben
mir auf dem Erdboden, sie schien sich mit mir beschäftigt zu haben. -- Ihr
Auge sprach etwas, das -- ach, wer hat Worte dafür?« --

»Und plötzlich entstand ein Geräusch im Walde von Männerstimmen. Es drang
immer näher. _Louise_ drückte mir die Hand, sah mich noch einmal an, und
lief zum nächsten Kahn. Es liessen sich verschiedne Männer sehn, die sich
in die beiden Kähne vertheilten. Sie sprachen heftig unter einander, aber
ich verstand sie nicht. -- Plötzlich schwollen die Kähne von allen Seiten
auf, und vergrößerten sich in einigen Minuten ungeheuer; in eben den
Augenblicken stiegen sie in die Luft empor und mit Vogelschnelle schwammen
sie über den Wipfeln der höchsten Bäume hin -- und verschwanden meinem
Gesicht.«

»Noch immer lag ich auf dem Erdboden; meine Augen starrten auf den
Luftpunkt hin, in welchem mir _Louise_ entflog. -- Hier lag ich im dumpfen
Hinbrüten, ich empfand vieles und nichts, ich dachte an _Louisens_ lezten
Blick, an ihren lezten Händedruck; So übereilte mich der Abend, und ich
konnte mich nicht trennen von dem Orte, an welchem _Louise_ mir erschienen
war. Ich sah das Laub des Waldes, die Wolken des Himmels verrinnen ins
nächtliche Schwarz, allein ich blieb, wo ich war. Ein leichter Schlummer
erquickte mich; er war mir wohlthätig.«

»Ich erwachte eher, als die Sonne. Ich dachte an das Gestrige, und mir
wars, wie Rückerinnrung an einen Traum. _Louise_ kam nicht heim; vergebens
erwartete ich sie. Ich stand auf und begab mich, in düstre Melancholien
verloren, hieher zurück. -- Unterwegs ward ich des Mannes gewahr, der mich
um Gotteswillen bat, ihn im Walde zurechtzuweisen. Ich winkte ihm, mir
nachzufolgen. Er wollte mir mit seinem Gewäsche die Zeit vertreiben, ich
hörte nicht auf ihn.« --

»Versetze Dich im Geist in meine Lage, Holder, und zweifle noch, ob ich
unglücklich, ob ich wahnsinnig sey, wenn ich mich noch im achtzehnten
Jahrhundert zu befinden glaube. _Louise_ lebt ja noch!« --

»Desto besser!« entgegnete Holder: »so lebt Dir auch noch die Hoffnung,
wieder glücklich werden zu können, wenn denn _Louise_ einmal Deinen Himmel
enthält.«




Neuntes Kapitel.
Imada.


Das ganze Räthsel löste sich zum Theil am folgenden Tage, als die kleine
arkadische Familie beim Frühstück versammelt sas. --

Der _Fremde_ nemlich, welcher sich _Matthias_ nennen ließ, erzählte seinen
neugierigen Zuhörern auf _Holders_ Verlangen die Begebenheit, durch welche
er in das benachbarte Gehölz und zu _Florentin_ gekommen sey.

»Meiner Kunst und Profession nach« sagte er: »bin ich eigentlich ein
Luftgondler. Mein Vater und Großvater, und deren Ahnen, so weit sie mir
bekannt sind, trieben dies Geschäft. Ich lebte dabei sehr gemächlich, bis
der unselige Krieg ausbrach, welcher izt einen Theil meines Vaterlandes
verwüstet. Wider meinen Willen ward ich bei der Armee als Luftgondler
angeworben. Ich mußte mich in mein Geschick ergeben, und konnt' es um so
leichter, da ich zu Hause weder Weib noch Kind zu ernähren hatte.«

»Eines Tags wurd' ich mit meiner Gondel zur Recognoscirung des feindlichen
Lagers commandirt. In meiner Barke befand sich der General nebst mehrern
Offizieren. Zwei Nebengondeln waren mit uns zur Beschützung. Es war ein
trüber, neblichter Morgen. Das Wetter kam uns zu Statten, um unvermerkt
aufsteigen, und beim fallenden Nebel das ganze Lager den Norder überschaun
zu können. Allein, wie erschraken wir, als wir in den höhern Revieren der
wolkigten Luft auf feindliche Segel stießen, die in gleicher Absicht dort
schwebten und an Zahl uns beiweiten überlegen waren. Wir hatten uns noch
kaum besonnen: so umzingelten sie uns, und der Luftscharmützel begann.« --

»Von allem, was Ihr da saget, versteh ich kein Wort, Herr Luftgondler!«
rief _Holder_ mit Lächeln des Erstaunens: »führt man denn izt _Kriege in
der Luft_, wie die Vögel?«

»Sie scheinen auf Ihrer Insel hier in einer glücklichen Unwissenheit zu
leben, mein Herr!« entgegnete der Luftschiffer: »eine Unwissenheit, die mir
ans Unbegreifliche gränzt, da Sie doch übrigens so viel Kenntnisse zu
verrathen scheinen.« --

»Wir leben hier« erwiederte _Holder_ mit lustiger Verlegenheit: »wir leben
hier zu Lande ohne Umgang mit andern Menschen, ohne Bücher, ohne Zeitungen.
Kurz und gut, ich glaubs Euch. Die Europäer bekriegen sich nicht nur auf
Erden, auf dem Wasser, sondern auch in der Luft.«

»Ich sagte vorhin,« fuhr der _Gondler_ fort: »daß wir von den Nordern
umzingelt wurden; wir schossen tapfer auf einander, allein die Uebermacht
war zu groß. Zum Unglück hatten wir uns nicht einmal mit Lärmgeschütz
versehn, um ein Nothzeichen zu geben. Unten hörte man und wußte man von
nichts.«

»Erlaubet,« fiel _Holder_ ein: »unten _hörte_ man nichts? War man denn so
weit von der Erde entfernt, daß der Flintendonner unten nicht mehr hörbar
war?«

Der _Gondler_ lächelte: »Sie müssen wissen, mein Herr, daß zu geheimen
Expeditionen, Ueberfällen, Recognoscirungen u. s. f. im Kriege die Patronen
mit stillem Pulver gefüllt werden. Der Schuß ist ohne Lärmen, und am Tage
kaum sichtbar. Vor Zeiten, da die Kriegskunst noch in der Wiege lag, wußte
man von den schrecklichen Wirkungen und Vortheilen des stillen Pulvers
nichts. -- Doch zur Sache. Meine Barke verlor die Luft. Der General warf
sich in den Nothschirm, und stürzte auf gut Glück hinunter -- einige
Offiziere folgten. Wir übrigen ergaben uns.«

»Ich ward als Kriegsgefangner einem nordischen Heerführer, dem _Grafen von
Gabonne_, zu Theil. Dieser behandelte mich sehr menschlich -- allein ich
schmachtete doch nach Freiheit und Vaterland. Und die Gelegenheit erschien
endlich vor kurzem. Der Friede ist izt so gut, als unterzeichnet --
_Preussens Adler_ ist diesmal Deutschlands Genius geworden. Der
Waffenstillstand war schon längst geschlossen zwischen beiden Herren. Mein
Herr, der _Graf von Gabonne_, konnte es also vom Oberfeldherrn um so
leichter erhalten, die Armee auf einige Zeit zu verlassen. Er benuzte
diese, um seine Beute in Sicherheit zu bringen.«

»Diese Beute war ein schönes, liebenswürdiges Mädchen, von welchem ich
nicht mehr, als den Namen, _Imada_, weiß. Daß diese _Imada_ von bedeutender
Herkunft war, konnte man gar nicht bezweifeln. Sie soll dem _Gabonne_ durch
einen seltsamen Zufall in die Hände gerathen seyn; man erzählte sich im
Lager davon allerlei Anekdoten. Kurz, er beschloß, sein Liebchen in
Verwahrung zu bringen; es wurden einige Luftgondeln ausgerüstet und unsre
Fahrt ging anfangs nach der _Lombardei_; von da wieder, warum? ward mir
nicht gesagt, zurück nach _Mont-Rousseau_, an den Gränzen der fränkischen
Republik. Als wir uns eines Tages in jenem Walde niederliessen,
entschlüpft' ich meinen Feinden und entkam glücklich. Aber gewiß hätt' ich
meinen Tod in jenen Wildnissen gefunden, wenn dieser Herr nicht das Werk
der Barmherzigkeit gethan, und mich hieher geführt hätte.«

_Florentin_, der diese Erzählung anhörte, sas unbeweglich da, wie ein
Marmorbild. -- »Nicht _Louise_ also wars, sondern eine unbekannte _Imada_!«
rief er, und sank _Holdern_ in die Arme.

Unaufhörlich schwebte ihm nun _Imada's_ und _Louisens_ Bildniß vor der
Seele. _Imada_ und _Louise_ waren eins; die Erscheinung trug nur einen
_doppelten Namen_.

Diese _Imada_ wich nicht an Reizen der _Louise des achtzehnten
Jahrhunderts_. Ihr Hervorschweben aus dem Gebüsch war das Hervorschweben
einer Göttin, den ätherischen Hallen der Oberwelt entschlüpft. Zwar ihren
Lippen war kein Laut entflossen, aber welche Sprache ging nicht aus ihren
Mienen, ihren Blicken? Mit welcher Theilnehmung fand er die Seltne nicht
über sich hingebogen, und was verrieth ihm ihr lezter Blick, ihr
Händedruck?

»Sie ists wohl werth, solch eine Körperform, wie die _Louisens_ war,«
dachte der gute _Graf_ bei sich selber: »daß die Natur sie der Welt _mehr
als einmal_ vorzeigt. Und mein Herz ist geschaffen, solche Form zu lieben.«

Freilich war der Gang der Geschichte, und noch mehr der Gang seiner
Empfindungen etwas abentheuerlich -- allein er lebte nun einmal in einer
Welt von Unbegreiflichkeiten, und es fiel ihm daher um so weniger bei, sein
Empfinden, Denken und Wollen systematisch zu ordnen.

Es ward beschlossen, die _Louise_ dieses Zeitalters aufzusuchen, in welchem
Winkel der Welt sie auch versteckt leben möchte. Es war ihm überdem noch
immer so unwahrscheinlich die Begebenheit in der Alpenhöhle -- und räumte
er _Holdern_ viele Kunst ein: so glaubte er höchstens an den
widernatürlichen Schlaf _einger Jahre_, aber nicht einger Jahrhunderte.

Auch im Verlauf einger Jahre konnten die Gewänder abmodern, und die
Schicksale der Welt ungehoffte _Veränderungen_ erleiden -- aber _Louise_
konnte auch noch leben! -- _konnte noch!_ und neugeboren fühlte sich _Duur_
bei diesem Gedanken. Er athmete dann freier und tiefer, als wär er von
einem dumpfen Traum erwacht, worin eine despotische Einbildungskraft ihn an
wüste, menschenlose Inseln warf, und er kämpfen mußte mit wüthenden
Brandungen und schrofen Klippen, getrennt durch einen unermeßlichen Ocean
auf ewig von seinen Geliebten. -- Es ward ihm dann wieder so wohl, so
heimisch. Das Zeitalter hatte nichts Fremdes, Entlegnes mehr; er
schmeichelte sich noch, bald hie und da, auf seinen Wanderungen durchs
Vaterland, einen Freund, ein altes, bekanntes Gesicht wieder zu finden. --
Ungern ließ er sich aus diesen Träumereien aufstören.

Daß sich _Duur_ von nun an mit dem Luftgondler in öftere Plaudereien
vertiefte; daß _Imada-Louise_, _Gabonne_ und _Mont-Rousseau_ allein ihrer
Gespräche ewiger Text war; daß er jede Kleinigkeit, welche die Unbekannte
betraf, genau und mit kritischer Aengstlichkeit erforschte; daß ihm
_Idalla's_ schöne, einsiedlerische Insel immer trauriger, wüstenhaftiger,
unerträglicher wurde -- alles dies läßt sich errathen. Ich darf davon
nichts erzählen.

Kaum nur, und mit ungeheurer Ueberwindung, gab er _Holders_ und _Idalla's_
zärtlichen Bitten nach, seine Reise bis zum künftigen Frühling zu
verschieben und den Winter über in ihrer Gesellschaft zu bleiben.

Herr _Matthias, der Luftgondler_, fing an, sich in diesem schönen Cirkel zu
gefallen. Man behielt ihn auch gern bei, weil er ein guter, ehrlicher
Schlag von Menschen war, der weiter keinen Fehler hatte, als daß er gar zu
gern philosophirte und docirte, wozu ihn wahrscheinlich die Unwissenheit
der Insulaner verführte. Er versprach auch, den Grafen auf seinen Reisen
als ein getreuer _Sancho_ zu begleiten, und, wo möglich, den _Badner_ des
achtzehnten Jahrhunderts vergessen zu machen.




Zehntes Kapitel.
Der Winter.


Es brach der Winter ein; die Silberflocken des Schnees gaukelten lustig um
die kleinen Scheiben der Hüttenfenster, und die blätterlosen Gesträuche und
Bäume strahlten im funkelnden Reif. Der See erstarrte im kalten Hauch des
Dezembers; das Wild brüllte durch den Forst und vor der Hütte schwärmten
vertraulich kleine Schaaren von Sperlingen und Meisen, _Idalla's_
Wohlthätigkeit in Versuchung zu führen.

_Duur_ wurde in seinem Innern ruhiger; er durchstreifte, mit seinem Pudel,
fleissig die Waldung und versorgte _Idalla's_ Heerd mit Wild. --
_Imada-Louise_ stand freilich noch immer in einsamen Stunden vor seinem
Geiste, umgeben mit aller Pracht, zu deren Erfindung eine schwärmerische
Phantasie fähig ist. Allein er betrachtete dies schöne Bild mit immer
kältern Blute, und überließ es dem gütigen Zufall, ob je noch seine
Lieblingswünsche erfüllt werden sollten.

Auch hatt' er sich allmählig für die Zukunft schon sein Plänchen entworfen,
einfach und nützlich. Er wollte mit dem Frühlinge auswandern in die Welt,
um die Verwandlungen der Welt zu studieren, seiner Neugier zu gnügen und zu
erfahren, ob der Favorittraum seines guten Oheims _von der glücklichen
Nachwelt_ realisirt wäre. -- Nebenbei wollt' er dann umhersuchen unter den
Töchtern des Landes -- _Imada-Louise_! um eine Theilnehmerin seiner Leiden
und Freuden mit sich in _Idalla's_ Insel zu führen, seinem Abgott, seinem
_Karlchen_, eine Mutter zu geben, und der lieben _Idalla_ eine
schwesterliche Gesellschaft.

Denn fest hatte ers beschlossen, sich nimmer wieder verwickeln zu lassen in
die quälenden Verhältnisse der großen Welt, sondern die Seligkeiten des
häuslichen Lebens und der Einsamkeit jenem leeren Geräusch vorzuziehn,
welches nur den Unwissenden entzücken, und die Thoren beschäftigen kann.

_Holder_ war von seiner Seite ebenfalls nicht müssig, sich den traurigen
Winter zu verschönern. Er nannte _Idalla_ Weib, _Idalla_ war glücklich
durch ihn und ahndete Mutterfreuden.

Jeder, vom ersten bis zum lezten in dieser kleinen Republik, sann,
wünschte, empfand nicht für _sich_, sondern nur _für die andern_. Jeder Tag
war ein kleines Fest. Man liebte und wurde geliebt. Man war erfinderisch in
neuen überraschenden Freuden für die übrigen, und sah den schönsten Theil
der Lust auf sich selbst wieder zurück strömen.

Und versammelte sich Abends die liebenswürdige Familie um das lodernde
Feuer des Camins; schien die Unterhaltung stocken zu wollen, und die
Fröhlichkeit zu schweigen: so rief _Holder_ zur Aufmerksamkeit, und
erzählte die seltsam verwickelten Begebenheiten seines frühern Lebens, die
ihn zu dem herrlichen Manne machten, der er war.

Dann schmiegte sich schauderndfroh _Idalla_ an den Arm ihres Gattens; dann
drückte _Duur_ sein schlummerndes Kind fester an seine Brust und _Matthias_
der Luftgondler starrte mit Verwundrung und Entsetzen den Mann an, welcher
als Jüngling Thaten vollendete, woneben seine Bataille in den Wolken wie
Kinderspielerei aussah.

Es thut mir viel zu leid, hier den Faden der Geschichte abzureissen und die
Begebenheiten des wilden, großen _Holders_ in einer Episode dürr zu
skizziren -- sie verdienen wohl, eigen behandelt zu werden.

Vielleicht erzähl ich sie meinen Lesern zu einer andern Zeit -- vielleicht
bald!




Zweiter Abschnitt.





Erstes Kapitel.
Auswanderung in die neue Welt.


So verlor sich der Winter unter Lust und Arbeit. Die Flocken des
leuchtenden Schnees zerschmolzen am milden Hauch des Aprils, und die
erwachenden Gesträuch' und Bäume trieben Knospen an Knospen und Blüten an
Blüten. Der Grund der Wiesen und Anhöhn und Thäler vertauschte das falbe,
veraltete Kleid mit einem duftigen Grün, und die Lerchen schwangen sich mit
süßem Wirbelton dem mildern Himmel entgegen.

»Das war ein Jahr!« rief _Holder_ an einem schönen Maitage: »Ein schönes,
einförmiges Jahr, ohne Sturm und Drang, und doch so üppig reich an stiller
Lust! -- Gewährt der Himmel mir eines Wunsches Erfüllung: so sey der Rest
meines Lebens dieser kleinen Vergangenheit gleich.«

»Ich will werden, wie Du« -- lächelte _Duur_: »darum will ich hinaus und
mir eine _Idalla_ suchen.«

»Und ich will auch nicht müssig bleiben während Deiner Entfernung,«
entgegnete _Holder_: »eine Hütte will ich Dir und Deiner _Idalla_
inzwischen bauen, und wenn Du heimkömmst sollst Du alles vollendet finden,
um ein patriarchalisches Leben zu führen.«

Die Anstalten und Zurüstungen zum Ausfluge in die neue Welt wurden gemacht;
_Florentin_ belud sich mit einem Theil der Juwelen und Steine des
achtzehnten Jahrhunderts; _Matthias_ der Luftgondler ließ sich von der
geschäftigen _Idalla_ den Renzel füllen mit Speis' und Trank; jeder nahm
seinen Wanderstab zur Hand und der treue Pudel sprang hoch und freundlich
an dem Grafen auf.

»Lebt wohl!« tief _Florentin_, und preßte _Holdern_ und _Idallen_ in einer
langen Umarmung an seine Brust und seine Augen funkelten von einer Thräne,
als er den weinenden _Karl_ zu sich empor hob.

_Holder_ geleitete die Wandrer bis zum jenseitigen Ufer des Sees, und
schied dann von ihnen mitWehmuth. _Idalla_ und _Karlchen_ standen am
Inselufer und riefen tausendmal Lebewohl und warfen tausend Küßchen
hinüber, bis die Theuren unter dem Laube der Gebüsche ihnen aus den Augen
verschwanden.

Der Graf kannte dies Revier meilenweit umher durch seine Jagden. Er
wanderte gen Nordost, wo er am ehsten Weg und Steg und Menschen zu finden
hoffte.

Gegen Abend trafen sie wirklich in der Wildniß eine Spur von befahrnem
Wege, und ohne Zögern ward die glückliche Entdeckung benuzt. Die Waldung
schien sich allmählig zu verdünnen; die Gegend wurde unebner, felsichter.
Auf dem Gipfel eins Berges hielten sie zulezt an, um auszuruhn, denn die
Nacht war schon eingebrochen.

_Matthias_ schnürte den Renzel auf und that sich gütlich; nur _Florentin_
konnte noch nicht rasten. Er kletterte von einem Fels zum andern in die
Höhe, um wo möglich noch eine frohe Entdeckung zu machen.

   Allein die wilden Berg und Klippen
   Stehn, wie ein Lanzenheer vor ihm gedrängt;
   Kein Moos, kein Laub; nur daß an Felsenrippen
   Noch hie und da ein ödes Strauchwerk hängt.
   Geborstne Schlünde, schrofe Mauern,
   Kühnhangende Stücke drohnde Last,
   Untiefen den dem Tag gehaßt,
   Des Stralen matt zurücke schauern. --

Dies war seine ganze Aussicht. Traurig schlich er zurück zum
Reisegefährten, der neben dem treuen Pudel und offnen Renzel in süßer Ruhe
schlief. Der Graf betrachtete Beide mit wohlgefälligem Lächeln, und warf
sich in ihre Mitte nieder.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen am folgenden Tage, als die kleine
Caravane schon ihre Straße weiter zog im Gebürge; allein mit ziemlich übeln
Humor, weil sie den Weg verloren hatte, der zu Menschen zu führen
versprach.

Eine Stunde mochten sie schon zurückgelegt haben, als sie den Gipfel eines
benachbarten Berges erstiegen hatten. Müd' und odemlos langten sie oben an
-- aber ihre Mühseligkeit wurd' ihnen überraschend vergolten, als sie den
Blick von der andern Seite des Gebürgs hinunterwarfen.

   Ein junges Eden lag hier ausgegossen,
   Vom Arm der Felsen eingeschlossen,
   Die mit dem tiefsten Schwarz das helle Grün
   Der Landschaft hoben. Her und hin
   Sahn sie ein fliessend Silber unter Bäumen
   Sich schlängeln; dort von schrofen Höhn
   Kaskaden brausend niederschäumen,
   Die unten sich in weiten Wirbeln drehn.
   Um jeden Baum, um Strauch und Hügel,
   Um jeden kleinen Blütenwald,
   Weit über stiller Seen Spiegel,
   Der dann und wann im Lüftchen wallt;
   Tief über Blumenschwangern Gründen,
   Sanft über hangende Gebüsch',
   Die ihr Gebild in reinen Wellen finden,
   Schwamm, allverklärend, lächelnd frisch
   Aurorens Schleier ausgebreitet,
   Von Glanz und Rosenlicht bereitet.

Doch reizender als alles war den Pilgern der Prospekt eines fernen
Dörfchens, welches im Hintergrunde aus dem Duft des Morgens hervorstieg.

»Frisch auf!« rief der _Graf_, in einer Art von Begeisterung, wie damals,
als er mit _Badner_ einst beim Sonnenuntergang auf dem Felsen an der Gränze
des deutschen Vaterlandes lag.

Der Pudel ging voran und zeigte den Weg. Gegen Abend war das Dorf erreicht.
-- Nun hatte _Duur_ überwunden. Er erkundigte sich nach dem Namen der
Gegend und der Herrschaft, kaufte dem Gutsbesitzer einen bequemen
Reisewagen nebst zwei prächtigen Wallachen ab und _Matthias_, der
Luftkutscher, machte von nun an den Fuhrmann auf Erden.




Zweites Kapitel.
Das Abentheuer am Schlagbaum.


»Wer sind Sie?« fragte ein wohlgekleideter Mann, der mit vieler
Bescheidenheit zum Wagen trat, als sie eben vor einer ansehnlichen Stadt
ankamen.

_Matthias_ hielt die Pferde an.

»Ich bin der Graf von Duur.«

_Florentin_ hatte kaum seinen Namen genannt, als sich der Examinator
ehrfurchtsvoll verbeugte, und eine Schildwacht den Schlagbaum niederzog,
auf welches Signal die ganze Thorwache heraus unter Gewehr trat.

Der Graf, welcher sich nicht einbildete, daß diese Achtungsbezeugungen
seinetwillen geschahn, würdigte sie kaum eines Blicks, sondern sah nur auf
den Examinator, welcher in ehrfurchtsvoller Stellung fragte:

»Aus Deutschland?«

»Allerdings.«

»In Diensten welches Fürsten?«

»Keines einzigen.«

»Oder gewesen?«

»Keines einzigen.«

Der Thorschreiber schüttelte den Kopf lächelnd und ging zum wachthabenden
Offizier.

»Ich muß gestehn, Matthias,« sagte der _Graf_: »daß die Thorschreiber
dieses Jahrhunderts in der Cultur richtige fünfhundert Jahre voraus haben
vor den Thorschreibern meiner Zeit. Vom Thorschreiber auf die Obern dieser
Stadt, und von dieser Stadt auf das ganze Reich zu schliessen, muß
unterdessen eine gewaltige Revolution der Sitten vorgegangen seyn.«

»Ei!« rief _Matthias_: »und ich muß gestehn, daß ich mir nicht geträumt
habe, einen _Grafen von Duur_ zu fahren!«

Der Offizier kam an den Wagen. »Mein Herr, Sie geben sich für einen Grafen
aus, ohne weder in Diensten zu seyn, noch gewesen zu seyn. Erlauben Sie,
wie hängt das zusammen? Womit legitimiren Sie sich?«

Florentin ward bestürzt.

»Sie verzeihn,« fuhr der _Offizier_ fort: »der Krieg im Lande hat das
strengste Examen nothwendig gemacht. Also?« --

»Ich kann doch unmöglich meine Diplomen bei mir führen, oder meinen
Stammbaum.«

»_Stammbaum?_ Was wollen Sie damit sagen?«

»Um Ihnen meine Herkunft zu beweisen.«

»_Herkunft?_ reden Sie deutlicher. Was intressirt uns Ihr Stammbaum und
Ihre Herkunft?«

_Duur_ fand sich in einer häßlichen Verlegenheit; er sah leicht ein, daß
hier ein Mißverständniß herrsche, nur wußte er nicht, auf welcher Seite.
Der Thorschreiber blinzelte den Offizier seitwärts an, mit einem
bedeutenden Blick, der so viel sagen sollte, als: bei dem Herrn ists nicht
richtig im Kopf, oder im Herzen.

»Sie wollen wissen, _woher_ ich _Graf_ sey?«

»Richtig, und _durch wen_?«

»Durch wen? ei durch meine _Geburt_. Mein Vater und Großvater waren im
Grafenstand.«

»Sie sind doch aus Deutschland?«

»Ganz gewiß.«

»Mein Herr, _Grafen werden hier zu Lande nicht geboren_.« --

»Nicht _geboren_?« stotterte _Duur_ verwirrt.

Der Offizier lachte laut auf, winkte einem Soldaten, und befahl diesem, den
Wagen zu folgen. »Mögen Sie seyn, wer Sie wollen, so muß ich Sie dem
_Commendanten_ melden. Wo treten Sie ab?«

»Im ersten besten Gasthof.«

»Zur _goldnen Hoffnung_!« tief der Offizier und _Matthias_ fuhr bin zur
goldnen Hoffnung, wo der Soldat den Grafen bewachte.




Drittes Kapitel.
Der Commendant.


_Duur_ war etwas ärgerlich über den Empfang in der Welt des drei und
zwanzigsten Jahrhunderts. Er ward sich fremd mitten im Vaterlande, und
schien sich in seinen eignen Augen, wie ein unwissender Knabe.

»Wein her?« rief er. Ein niedliches, gefälliges Mädchen brachte Wein.
»Befehlen Sie mehr?« fragte die Zofe mit einem lockenden Lächeln.

»_Matthias_ soll zu mir aufs Zimmer kommen.«

Das Mädchen ging. _Matthias_ kam.

»Aber Matthias -- -- --« seufzte _Duur_ mit einem tragischen Lächeln.

»Aber mein Herr« seufzte der _Luftgondler_: »ich bitte Sie, besinnen Sie
sich doch, was haben Sie dort alles am Schlagbaum gesprochen? -- Beinah
möcht' ich Ihnen Ihren Spas glauben, daß Sie fünfhundert Jahre geschlafen
haben.«

»Ich sehe nur nicht ein, was ich _Böses_ gesprochen?«

»He, he, he! Sie sagten zum Beispiel, Sie wären ein Graf von Geburt -- wie
in aller Welt kann man denn _gräflich_, oder auch nur _edel geboren_
werden? Besinnen Sie sich doch! Freilich, vor alten Zeiten, da die Menschen
noch kindisch genug waren, sich einzubilden, daß die Sünden erblich wären,
glaubte man auch noch, die _Tugend_ wäre so erblich, wie ein Geldkasten.
Damals wurden noch die edeln Leute _geboren_! he, he, he! aber izt ist man
kein Kind mehr.«

»Die Geburt von adlichen Eltern adelt also nicht mehr?«

»Sie wollen mich zum Besten haben. Verstellen Sie sich doch nicht. Ein
Schulknabe kann ja das berechnen.«

»So, so!« murmelte _Florentin_ und ahndete, daß es in dieser Welt um seinen
Adel gethan sey.

Die Bouteille war noch nicht leer, als er zum _Commendanten_ gerufen wurde.

Er ging und fand einen liebenswürdigen Greis, dessen sanfte Miene ihm alles
Liebe voraus versprach.

»Setzen Sie sich, mein Freund;« sagte der gute _Commendant_, indem er ihm
einen Stuhl zuschob.

»Gnädiger Herr, Sie müssen verzeihn -- -- --«

Der _alte Herr_ lächelte, und winkte mit der Hand und dem Schütteln des
Kopfs zum Stillschweigen.

»Wofür halten Sie mich, lieber Freund, daß Sie mich wie einen _Fürsten des
Landes_ anreden? Ich bin ja nur Commendant dieser Stadt. -- Allein der
wachthabende _Offizier_ hat mir schon von Ihrem sonderbaren Betragen
Nachricht gegeben. Gestehn Sie offenherzig. Sie kommen entweder aus der
_Krim_, oder aus _Portugal_; denn ich kann Sie weder für blödsinnig noch
boshaft nehmen.«

_Duurs_ Bestürzung wurde immer größer. Er unterstand sich kein Wort von
seinem langen Schlaf zu erzählen, um nicht für vollkommen verrückt gehalten
zu werden. Und doch sah er auf der andern Seite keinen einzigen Weg, um
sich aus den immer neu anwachsenden Verlegenheiten zu erretten.

»Sie schweigen?«

»Gnädger Herr -- --«

»Still! ich bitte Sie! erholen Sie sich. Ich bin, wie gesagt, nur
_Commendant_.«

»Herr Commendant -- --«

»Nun?«

»Wie ich endlich wohl einsehe aus allen den seltsamen Verhältnissen, worin
ich durch mein Betragen verstrickt werde: so hab' ich von meinem Vater die
albernste Erziehung erhalten. Ich bin in allen meinen Kenntnissen und
Handlungen noch um ein paar Jahrhundert zurück.«

»Wer ist Ihr Vater.«

»Er lebte mit mir, ausser eingen Bedienten, abgesondert von der Welt auf
seinem Landschlosse an den Alpen, studierte die ältere Geschichte und erzog
mich so, als wär' ich ein Bürger des achtzehnten Jahrhunderts. So brachte
er mir von allen Dingen die absurdesten, schiefsten Vorstellungen bei, bis
die Ausschweifungen seines kranken Verstandes sichtbarer wurden. Er starb
unter den Händen der Aerzte und ich wurde von meiner Familie auf Reisen
geschickt, um mich selbst auszubilden.«

_Duur_ gab sich alle Mühe, seine Nothlüge noch mehr auszuschmücken und
wahrscheinlicher zu machen. Der _alte Commendant_ zweifelte so lange, bis
ihn der Inquisit offenbare Beweise von der speciellsten Kenntniß des
achtzehnten Jahrhunderts lieferte.

»Nun muß ichs endlich glauben, was Sie mir da sagten; aber ich gestehe
auch, daß dies der wunderlichste Fall sey, der mir in meinem Leben
vorgekommen ist. Seyn Sie ruhig, Sie sind frei. Aller hüten Sie sich in
Zukunft, von Ihrer Grafenwürde zu reden.«

Der _Ex-Graf_ gratulirte sich im Stillen, diesmal so entschlüpft zu seyn.
Er unterhielt sich mit dem humanen _Commendanten_ noch einige Zeit, und
dieser, der den gewizten Bürger des achtzehnten Jahrhunderts Geschmack
abzugewinnen schien, nöthigte ihn, zum Abendessen zu bleiben. _Duur_
schlugs nicht ab.




Viertes Kapitel.
Für keinen Freund des achtzehnten Jahrhunderts.


Der _Commendant_ führte seinen Gast in ein größeres Zimmer, worin sich
mehrere Damen, größtentheils Verwandtinnen des alten Herrn, befanden.
_Florentin Duur_ wurde ihnen vorgestellt, und von allen mit zuvorkommender
Liebe aufgenommen. Es dauerte nicht lange: so hatte er sich in diesem
Cirkel orientirt. Jeder und jede gewann den Abentheurer lieb; an
Unterhaltung konnt' es nicht mangeln.

An der Seite stand ein prächtiges _Euphon_, dessen Aussenseite in allem
einem Claviere glich. _Duur_ vermuthete auch nichts anders darin und
darunter. Er mußte sich setzen und spielen, weil er das _Können_ schon
gestanden hatte.

Aber welche Töne entzückten hier sein Ohr -- er war ausser sich. Nie hatte
er die Möglichkeit eines solchen sanftdurchdringenden Klanges gekannt; er
phantasirte leicht und wirbelte durch Moll und Dur, und sein Geist lebte in
einer andern Region.

»O welch ein Jahrhundert!« seufzte er leise bei sich, und ahndete eine
Reihe von Seligkeiten, welche ihm bevorstanden bei der nähern Erkenntniß
des großen Fortschrittes der Menschheit.

Die Damen umringten ihn lächelnd und beobachteten nur den schwärmerischen
Blick des liebenswürdigen Gastes.

Zuweilen berührte sein Auge sie, und der Anblick dieses schönen Halbzirkels
erhöhte die Grade seiner angenehmen, unerklärlichen Empfindungen. Hier sah
er keine _Buffanten_, _Trompeusen_, _Cü de Paris_, und künstliche
_Pendüles_ -- sondern Einfalt und Natur, wiewohl die anwesenden Schönen
gallamässig kostbar gekleidet waren.

Ein einfarbiges, leichtes Uebergewand floß hinab bis zu den Füßen, unterm
Busen zusammengeschlossen von einem gestickten Gürtel. -- Keine
Schnürbrust, keine Poschen gaben dem Körper ein steifes, gedrechseltes,
eckigtes Aeußere -- sondern die ganze schöne, weiche Bildung den Weibes
stand unverrathen da. Ein Schleier verhüllte mit tausend Falten des Busens
Heiligthum, von keinen fischbeinernen Stützen und Drathbügeln aufgebläht.
Das Haupt trug keinen sinnlosen Tok, kein gothisches Gebäude von
Haarwulsten und Locken oder Flor und Spitzen, Drathskelets und
Straussenfedern; sondern das Haar lief ungepudert in natürlichen Locken um
Nacken und Hals. Die jüngern Damen schmückten ihr Haupt mit einer
schimmernden Tiara, die ältern verhüllten es mit einem weissen Schleier.

Er war die Tracht der griechischen Grazien.

_Duur_ sas noch immer am Euphon, und sein Ohr konnte sich nicht sättigen im
Genuß dieser süßen Tone. Er spielte einige Symphonien von _Reichard_ und
_Rolle_ und _Graun_, und erndtete dafür den verbindlichsten Dank ein. Was
ihn am meisten freute, war, daß die Namen jener Tonkünstler den Genossinnen
des drei und zwanzigsten Jahrhunderts nicht unbekannt waren. Die reizende
Tochter des Commendanten nannte ihm sogar die Namen eines _Händel_ und
_Bach_ mit einer gewissen Begeisterung, wie man sie nur für Lieblinge
fühlt. Noch mehr, sie spielte ihm selbst Theile von den Arbeiten dieser
Meister mit vieler Geschicklichkeit vor.

»Ist Ihnen auch _Dittersdorf_, _Martin_, _Salieri_ bekannt?« fragte _Duur_
nach einem Weilchen.

Die Spielerin schüttelte den Kopf. Die Namen waren ihr fremd.

»Aber was halten Sie von unsern neuem Komponisten, denn alle, die wir
bisher kritisirten, gehören zu den uralten Vätern in der Musik. Es ist
wahr, man muß erstaunen, wie weit es jene Patriarchen der Tonkunst schon im
achtzehnten Jahrhundert brachten -- allein, man kann doch auch nicht
läugnen, daß ihre Manieren gewaltig altfränkisch und ängstlich sind,
wiewohl unsre jungen Künstler ihre Werke noch immer studieren müssen.«

»Das wollen wir auf ein andermal verschieben!« rief lächelnd der
_Commendant_, welcher sich an der Verwunderung seines Gastes weidete: »Jezt
zu Tische, ehe die Suppe erkaltet. Ueberhaupt, Rosalia, muß ich Dich im
voraus daran erinnern, daß Du unserm Gaste keine Fragen über die Produkte
unsers Zeitalters vorlegst, denn er ist nur im achtzehnten Jahrhundert, und
wahrhaftig sonst nirgends zu Hause.«

_Duur_ ward feuerroth. _Rosalia_ lächelte ihn an, und ihr Lächeln machte
alles wieder gut. Sie sezte sich am Tische neben ihn, und noch hatte
_Florentin_ in diesem Jahrhundert keinen fröhlichern Abend für seinen Geist
gehabt, als diesen.

Es war schon Dämmerung. Der _Commendant_ sah sich allenthalben um,
klingelte endlich und -- eine krystallene Sonne sank aus der Mitte der
Zimmerdecke, um den ganzen Saal mit Tageshelle zu überströmen.

Unser Pilger fühlte sich bei allen diesen zauberhaften Erscheinungen recht
wohl. Er hätte bei jeder Kleinigkeit fragen mögen, wie ein Kind: »wie ist
das? wie heißt dies? wodurch entspringt jenes?« -- Aber eine Empfindung der
Schaam und Furcht, dieser Gesellschaft, und besonders der gefälligen
_Rosalia_ lächerlich zu werden, fesselte seine Zunge und ließ ihm die beste
Belehrung vom gewognen Zufall erwarten.




Fünftes Kapitel.
Fortsetzung, oder: der Commendant plaudert.


Nach aufgehobner Tafel zog der brave _Commendant_ (dessen Namen ich nicht
länger verschweigen will) _Silberot_ den Mann des achtzehnten Jahrhunderts
zu sich auf einen elastischen Divan.

Die Damen, deren Geist durch Wein und geselligen Scherz zur Freude gestimmt
war, spielten, plauderten und tändelten unter einander; eine von ihnen
behauptete immer den Sitz am Euphon; nur _Rosalia_ entwischte öfter ihren
Freundinnen und dem Euphon, um dem sonderbaren Fremdling etwas näher zu
kommen.

Der alte Commendant verwickelte sich aber bald mit seinem Gaste in ein
neues Gespräch, wozu besonders _Florentins_ Abentheuer am Schlagbaum den
meisten Anlas gab.

»Zwar bin ich kein Gelehrter,« sagte er: »aber ich habe doch sonst gern,
besonders in meinen jüngern Jahren, von alten Geschichten gelesen, und
besonders von einem preussischen König _Friedrich_, den seine Zeitgenossen
den _Einzigen_ nannten. Wahrhaftig, der Mann war zu _früh_ in die Welt
gekommen. Man muß erstaunen, nicht sowohl über das, was er gethan _hat_,
sondern was er, wenn er in einem polizirtern Zeitalter gelebt hätte, gewiß
gethan haben würde, und was sein ganzes Wesen auch ahnden ließ. Fürwahr!
dieser Einzige hat den Beinahmen des _Großen_ in den Annalen der
Weltgeschichte theuer gemacht, da man ihn vorher an _jedem
Menschenschlächter_ und _bigotten Narren_ zu verschwenden gewohnt war.«

Duur. Sie haben recht. Aber Sie sagten, er sey zu früh geboren worden. Ich
möchte behaupten: grade zur _rechten Zeit_.

Commendant. Nun ja. _Christus_ und _Luther_ kamen auch zur rechten Zeit,
wenn sie gleich unter blinden Barbaren leben mußten. Das _Licht_ brennt
dann immer zur rechten Zeit, wenns _dunkel_ umher ist. Ich gebs zu.

Duur. Halten Sie denn das Zeitalter jenes preussischen Königs für so
_dunkel_?

Commendant. Für _hell_ wenigstens nicht. Sie haben heut an unserm Thore
sich selbst den Beweis geliefert, als Sie von Ihrer -- nehmen Sie's mir
nicht übel, wenn ich lache, denn der Spas war einzig in seiner Art! -- als
Sie von Ihrer _adlichen_ Geburt sprachen, ha, ha, ha!

Duur. Ich räum es ein, daß -- -- -- allein -- --

Commendant. Ich bitte Sie um des Himmels willen, liebster bester Schatz,
die gesunde Vernunft giebts ja an die Hand, daß wir alle, groß und klein,
arm und reich, wie wir da sind -- allzumal als elende Krüppelchen in die
Welt treten! -- Freilich auf die grausamen, finstern, barbarischen Zeiten
der _Vorwelt_ müssen wir nicht sehn, denn damals wußte die liebe Menschheit
noch blutwenig von der _Vernunft_; ja, die Menschen sind damals so toll
gewesen und haben die Vernunft verschrien, wie wir heutiges Tages die
_Verrücktheit_. -- Nun freilich, da gings denn unter den Sterblichen nicht
viel besser, als unter den wilden Thieren; wer die schärfsten Zähne und
derbsten Fäuste besas, der hatte das Recht immer zur Seite.

Duur. Sie sprechen von den Ritterzeiten.

Commendant. Nun ja. Damals gabs _Freie_ und _Sklaven_; pfui, Blut und Galle
möchte man speien, wenn man daran denkt, daß der Mensch vorzeiten ein
_Thier_ war! -- Die Freien bildeten sich ein, sie wären bessere Menschen,
wie die armen Unterjochten, und nannten sich _Edle_. Die Könige und Fürsten
machten diese Leute zu ihren Freunden, Räthen und Unterbefehlshabern. Das
konnte man den _Fürsten_ gar nicht verargen, denn der gemeine Mann, der
sogenannte _Unedle_, war abgeschnitten von aller guten Erziehung und
Bildung. -- Als aber endlich die Aufklärung allmählig zum _Durchbruch_ kam,
fingen auch die Unedeln an sich in Künsten und Wissenschaften hervorzuthun,
und im Durchschnitt genommen waren am Ende die Bürgerlichen reicher,
klüger, gelehrter als die Edeln, noch mehr, sie waren auch biederer, als
diese. Trotz dem allen behauptete sich dass alte barbarische Herkommen noch
lange. Die Edelleute erhielten sich, trotz ihres auffallenden
_Minderwerths_, oben an, und hatten den spashaften Einfall, den sie auch
männiglich verfochten: daß sie mit mehrern Rechten geboren würden, als die
Unedeln. -- Nun fragte man freilich: Wie könnt ihr denn, ohne Verdienst,
blos durch Geburt, mehr Rechte haben, als andre ehrliche Menschen, eure
Brüder? Aber darauf hörte man nicht. -- Kurz, man behielt die barbarische,
vernunftwidrige Grille der Vorwelt bei.

Duur. Im achtzehnten Jahrhundert?

Commendant. Im _achtzehnten_ und _neunzehnten_.

Duur. Verzeihn Sie, Herr Commendant, daß ich das achtzehnte im Schutz
nehme. Schon damals beschnitt man die alten Vorrechte des Erbadels sehr,
und der Bürgerliche genoß, wenn er Verdienste besaß, mit dem Adlichen
gleiche Achtung, nur mit dem Unterschiede, wie Sie selbst schon bemerkt
haben, daß der Adliche die höchsten Würden und Aemter des Staats allein
besezte.

Commendant. Sie sind diesmal ein nachgiebiger Advokat von der
Lieblingsperiode Ihres Vaters. Eben dies, daß man zu der Zeit schon einsah,
die Natur oder Gottheit habe _einen_ Menschen mit so vielen Anrechten
ausgestattet, als den _andern_; daß man einsah, des _Vaters_ Genie erbe
nicht auf die _Kinder_, macht jene Zeit noch _lächerlicher_. Dem besten
Kopf und dem besten Herzen, nicht dem besten Stammbaum gehören die ersten
Posten des Reichs. -- Unter uns gesagt, liebster Mann, ich war in meinem
Leben immer ein elender Wortfechter, aber bei _diesem_ Streit würd' ich
siegen, wenn ich Ihre Einwürfe auch gar nicht widerlegte.

Duur. Sie meinen, die Sache spräche für sich.

Commendant. Meinen Sie anders? -- Apropos, lebte nicht der alte
_Balladendichter Bürger_ so ungefähr in jenen Zeiten? Wie mirs deuchtet, so
ums neunzehnte oder zwanzigste Seculum.

Duur. Ich bitt' um Verzeihung, im _achtzehnten_ schon.

Commendant. Er schrieb eine Ballade: _des Pfarrers Tochter von Taubenhain_.
Ein sogenannter Edelmann verführt und verläßt um seines Standes willen ein
Mädchen, welches in der Verzweiflung das Kind ermordet und selbst nachher
aufs Rad geflochten wird. -- Wahrhaftig, heutiges Tages, wenn wir noch
Räder hätten, würde der Kerl und nicht das Mädchen aufs Rad geflochten
seyn. -- Gabs wirklich im achtzehnten Jahrhundert solche unmenschliche
Szenen und Verhältnisse?

Duur. (stockend) Sehr viel.

Commendant. Gabs wirklich _edle Leute_, die einem armen Mädchen alles --
alles nahmen, um Ruhe, Ehr' und Liebe der Menschen brachten, und dann
satanisch genug waren, sich hinter ihren _Stammbaum_ zu verstecken?

Duur. O viel! viel!

Commendant. Viel? -- nun mein Gott, so dank ich Dir, daß ich nicht geboren
ward unter den Barbaren, die _edel_ genannt wurden, und _schändlich_ sich
wälzten in Lastern, deren Geburt _Adel_, deren Leben _Unadel_ war. Hätt'
ich damals gelebt -- beim Himmel, ich hätte Mordthaten begehn müssen! --

Duur. Und izt?

Commendant. O, ich möchte den Bösewicht sehn, der ein Mädchen entehren, und
dann es nicht wieder zu Ehren bringen wollte, weil er -- _edler_ wäre, als
die Unglückliche! -- Doch lassen Sie sich erzählen, wie's späterhin ward.

Duur. Ich bin sehr begierig.

Commendant. Der Bürger stieg immer mehr durch seine Verdienste, der Erbadel
sank. Er sank, weil die gesunde Vernunft siegreicher wurde. In Frankreich
war er schon im achtzehnten Jahrhundert vernichtet -- weit später in
Deutschland. Hier schien er sogar wieder zu steigen im neunzehnten
Jahrhundert, denn die Könige und Fürsten adelten in solcher Menge, und so
ohne Unterschied, daß es zulezt eine Ehre war -- _unadlich zu seyn_. Ich
erinnre mich, in einem alten Historienbuche gelesen zu haben, daß die
Könige sogar ihren Köchen und Leibschustern, wegen einer _guten Suppe_,
oder eines _schönen Stiefelschnitts_, die erblichen, unnatürlichen
Vorrechte verliehen haben.

Duur. Ich erstaune.

Commendant. Aber so mußt' es kommen, wenn die Deutschen ihre Thorheit
endlich einsehn sollten. Man konnte sich zulezt vor allen Edelleuten nicht
mehr retten. Man hatte nicht mehr Aemter genug für sie. Die Aermern
bequemten sich zu äusserst bürgerlichen Handthierungen; verdienstvolle
Bürger betraten, ohne Adel, die erhabensten Ehrenstufen im Militair- und
Civilwesen, und da man endlich bemerkte, wie sich das Land dabei sehr wohl
befand, so -- -- --

Duur. Und das ging ohne Gährungen und Revolten ab?

Commendant. Ohne Geräusch. Freilich, die Edelleute schrien wohl dagegen und
prophezeihten, daß mit ihrem Untergang _alle Monarchien einstürzen würden_,
aber dies war eben so lächerlich, als da die Mönche in den uralten
katholischen Zeiten, bei Schmälerung ihrer Rechte, schrien: die Welt würde
untergehn und der Antichrist sich von seinen Ketten losrütteln und die Erde
verwüsten.

Duur. Sonderdar!

Commendant. Nein, sagen Sie lieber, sehr natürlich. _Dännemark_ machte
endlich den Anfang zur Reformation des Adels. Der _Erbadel_ ward
durchgängig aufgehoben, und statt dessen der _Verdienstadel_ eingeführt. --
Das deutsche Reich, um allen Verwirrungen abzuhelfen, bequemte sich endlich
auch zu dieser Reforme.

Duur. Also giebts noch einen Adel?

Commendant. Freilich. Machen Sie sich um das Vaterland durch eine große
That, durch Lebensrettung des Monarchen, durch Erhebung und sichtbare
Vermehrung der Wissenschaft und Kunst, durch wohlthätige, große
Erfindungen, die der Menschheit willkommen sind, um den Staat, um die
Menschheit verdient: so werden Sie in die Reihe _der Edeln des Volks_
versezt; ganz Deutschland wird Sie schätzen, und im Ein- und Auslande
erhalten Sie Freundschaft und Ehrenbezeugungen, als wären Sie der Sohn
eines Fürsten.

Duur. (mit Rührung) Ich erstaune.

Commendant. Der Adel ist daher selten, und jeder strebt nach ihm -- aber
Kinder erben ihn nicht vom Vater, so wenig, als sein Verdienst, wodurch er
ihn gewann. Sollte auch nun ja einmal bei Ertheilung des Adels menschlich
verfahren werden, so hat dies doch für die Nachwelt keinen Schaden. Es
giebt izt unadliche Feldherrn und adliche Künstler. Zudem würde man den,
der seinen Adel erschlichen hätte, leicht und auffallend bemerken, da
erwiesen werden müßte, daß er allgemein bekannte, öffentliche Verdienste
errungen habe; auf _geheime Verdienste bei den Königen_ wird nicht
reflektirt.

Duur. _Wer_ erhebt denn aber in den Adelstand?

Commendant. Ich sehe, Sie sind in allen ziemlich unwissend -- verzeihn Sie
mir diese Bemerkung, denn Sie sind mir das auffallendste Räthsel, was ich
kenne. -- Das Land und der allgemeine Ruf schlägt den Candidaten vor; das
Collegium der Edeln wählt und der Landesherr bestätigt. --

Duur. Man hat auch Grafen und -- -- --

Commendant. O ja, allein diese sind in Würden nicht mehr, als andre Edle.
Der Landesherr hat das Recht, einen verdienstvollen Adlichen -- blos auf
seine Lebenszeit -- mit Gütern, kleinen Grafschaften zu belehnen. Daher
denn der _Name_. Nach dem Tode des Adlichen fällt das Gut einem andern zu.

Duur. Glückseliges Zeitalter!

Commendant. _Glückselig_ möcht' ichs nun wohl nicht nennen. Aber freilich,
wenn Sie an Ihr achtzehntes Jahrhundert denken: so muß ich Ihnen Recht
geben. Allein wie können Sie auch zwischen diesen Zeitaltern eine Paralelle
ziehn?

Duur. Ich fühls beinah, die Paralelle würde sehr gedehnt ausfallen. -- So
kann ich mir nun auch das Betragen derer erklären, die mich am Thore
empfingen.

Commendant. Ha, ha, ha! --

Duur. Ich glaubte nicht, daß die Ehrenbezeugungen mir gelten könnten; ich
bildete mir ein, man verwechsle mich.

Commendant. Ha, ha, ha, ha!

Duur. Ich wills mir nie wieder beikommen lassen, mich _Graf_ zu nennen.




Sechstes Kapitel.
Rosalia medisirt.


Die schöne Tochter des Commendanten konnt's unmöglich länger dulden, daß
der Fremde auf dem Divan wie geschmiedet sas. Sie mischte sich ins
Gespräch, wiegelte auch die andern Damen auf, und der ehrliche Commendant
mußte in dieser allgemeinen Revolution seinen aufmerksamen Schüler fahren
lassen.

Die Unterhaltung ward mit diesem Augenblick gemeinschaftlicher und
lebhafter; _Florentin_ mischte sich unter die lieben Schwätzerinnen, und
ohne daß er es wußte, drängte er sich _Rosalien_ näher.

»Um Verzeihung, mein Herr!« fing das _Fräulein_ an, mit einem ironischen
Lächeln, worin doch noch so viel Seelengüte wohnte:

»Sie sind wohl gar _Professor der Alterthumskunde_ auf einer Akademie?«

»Beinah errathen, mein Fräulein.«

»Wirklich? Sie sehn doch aber so jung? Ich dachte mir unter solchen
Alterthumsprofessoren wenigstens Graubärte von sechzig Jahren.«

»Sie wissen _mein_ Alter nicht.«

»Aber sagen Sie offenherzig, gehören Sie denn wirklich zu den sonderbaren
Leuten, die in der Vorwelt alles besser finden, als in der Iztwelt?«

»Wer könnte bei _Ihnen_ die _Vorwelt_ schöner finden?«

»Das kam nicht von Herzen.« --

»Gewiß. Darin war die Vorwelt besser, daß sie nicht halb so _mißtrauisch_
war.«

»O ja, sie war _gläubig -- leichtgläubig, abergläubig, übergläubig_, wie
Sie wollen, dafür ist sie bekannt.«

»Sie sind eine bittre Spötterin, und grade die _Damen_ sollten die Vorwelt
am meisten lieben, weil sie von ihr am meisten vergöttert wurden.«

»Sie haben recht; allein ich weiß nicht, ob unser Geschlecht Ursach hat,
auf solche Vergötterung stolz zu seyn. Ein Weib, das mit Schönheit und List
das schwache Gehirn unter einem fürstlichen Schädel in Gährung brachte,
konnte im Ueberfluß schwelgen, und würdige, verdienstvolle Männer mußten
unterdessen in Armuth darben und umkommen.«

»Man schäzte auch _damals_ schon das Verdienst.«

»O ja, aber immer zu _spät_, wie die Narren _gewöhnlich_ pflegen. Nach
_ihrem Tode_ erbaute man den braven Männern _Ehrensäulen_ und _Statüen_,
denen man, so lange sie lebten, kaum ein abgelegtes Kleid und ein Stück
Brod zuwarf.«

»Die Ehrensäulen waren nicht -- --«

»O ich weiß, was Sie sagen wollen, aber damit entwischen Sie nicht, Herr
Professor. -- Waren die Monumente und Statüen für die _Todten_? O Himmel,
wer konnte sich denn einbilden, daß sich die Schlummernden im Grabe über
diese kahlen Ehrenbezeugungen freun würden? Sie ruhn und wissen nicht, ob
über ihren Aschenhügel ein _Schandpfahl_, oder ein _Triumpfbogen_ errichtet
steht. Sie werden damit nicht mehr gereizt, nicht bestraft, nicht belohnt.
-- Oder sorgte man mit solchen Ehrenbezeugungen für die _Lebendigen_? Ach,
mein lieber Herr Professor, so sorgte man schlecht; die Lebendigen
verlangten gewiß nicht _Steine nach dem Tode_, sondern _Brod im Leben_; sie
rangen nicht nach jenem, sondern nach diesem, und mit _diesem_ hätte man
sie belohnen müssen. -- Was hilfts, wenn ich meinen Kanarienvogel, trotz
seinem süßen Gesang, verhungern und verdursten lasse, und ihm, wenn er tod
ist, von einem Gelegenheitsdichter lobpreisen lasse? Wäre das nicht
närrisch? Nun, mein Herr, was waren nun die dankbaren Menschen in Ihrem
beliebten Alterthum?«

»Ich würde besiegt seyn, wenn ich wider Sie hätte zu Felde ziehn wollen,
mein Fräulein. Ich bin Ihr treuer Bundesgenosse. Aber baut man nicht auch
in unsern Zeiten den Todten noch Ehrensäulen und Obelisken?«

»Gewiß, aber sie werden gebaut, nicht den Todten, sondern den Lebendigen
zur Nacheiferung; und heutiges Tages Verdienst ums Vaterland zu haben, ist
wahrlich der Mühe werther, als vor fünf, sechshundert Jahren.«

»Ständ es in meiner Macht, so sollte auch Ihnen ein Denkmal gesezt werden,
um recht viel so schöne Vertheidigerinnen dieses Zeitalters zu erwecken.«

»Ich bin Ihnen sehr verbunden; der Ruhm gehört Ihnen, weil Sie allenthalben
zur Vertheidigung Anlaß geben.«

So stritten Beide noch ein Weilchen hin, unter Scherz und Lachen. Die
Gesellschaft theilte sich in Partheien und söhnte sich erst mit Anbruch der
Mitternacht aus.

»Wir sehn uns doch wieder?« rief _Rosalia_ beim Abschiede, und der alte,
biederbe _Silberot_ drückte dem entzückten _Duur_ freundlich die Hand.




Siebentes Kapitel.
Die Spazierfahrt.


»O mein Oheim! mein guter, lieber Oheim, wenn Du izt lebtest -- wenn Du nun
so herrlich verwandelt sähest Deine Träume von der glücklichen Nachwelt in
Wirklichkeit!« rief der _ehmalige Graf_, als er nach Mitternacht in sein
Quartier ankam, wo ihn der treue Pudel nach so langer Trennung mit
freundlichem Gebell empfing.

_Matthias_ schlief süß und fest.

»Holder, was werd' ich Dir alles zu erzählen haben, was werd' ich noch
alles erleben! Ich war in meinem Jahrhundert keiner der unvollkommensten,
und gleiche in der neuen Welt einem unwissenden Schüler, der allenthalben
lernen muß. Ach, könnt' ich sie aus ihren Gräbern rufen, die begeisterten
Apologeten und Lobredner meines Zeitalters, könnten sie hören das Urtheil
der Nachwelt über unser _hochgepriesenes, aufgeklärtes Jahrhundert_!«

Mit solchen Apostrophen entschlief er, und erwachte er wieder.

Einige Juwelen von bedeutendem Werth wurden sogleich am andern Tage in die
Welt gesandt und in klingende Münze verwandelt. _Duur_ kleidete sich dem
damaligen Geschmack gemäs vom Kopf bis zu den Füßen neu; wer ihn izt sah,
hätte nicht vermuthet, daß dieser Elegant ein Sohn der frühern Vorwelt war.

_Rosalia_ sah ihn einige Tage später, und bemerkte mit einem gutmüthigen
Lächeln, daß der _Professor der Alterthumskunde_ schlechterdings für sein
antikes Fach nicht geschaffen sey.

»Wissen Sie was Neues, Freundchen?« rief ihm eins Morgens der Commendant
entgegen, welcher ihn hatte zu sich bitten lassen: »wir haben so viel von
Edelleuten gesprochen, aber noch haben Sie keinen gesehn. Hier in der Stadt
ist kein einziger -- aber drei Meilen von hier auf dem Lande wohnt ein
Edler; er ist mein guter Freund, wir wollen ihn besuchen. Der Wind ist
trefflich, in einer halben Stunde können wir da sehn.«

_Florentin_ war willig.

»Es ist ein simpler, schlichter Biedermann; Sie müssen ihm keine
Complimente machen. Vielleicht kennen Sie ihn schon, es ist der brave
_Gobby_.«

»Ich kenn' ihn nicht.«

»Als Gelehrter müßten Sie ihn doch kennen.«

»Ich versichre, er ist mir durchaus unbekannt.«

»Hm! nun seine Geschichte ist kürzlich folgende, denn die müssen Sie
wissen, um ihn schätzen zu können. Er ist der einzige Sohn und Erbe des
reichsten und filzigsten Bankiers; sein Vater starb und hinterließ ihm ein
ungeheures Vermögen, von welchem er gemächlich, wie ein Fürst leben konnte.
Statt das Gold in den Kisten und Kasten gefangen zu halten, wie sein Vater,
verschwendete ers auf die wohlthätigste Weise. In fünf deutschen Städten
legte er fünf gleich große Kapitalien nieder, von welchen der Arbeit
unfähige Greise, Krüppel, arme Wittwen, Waisen, Findelkinder und andre
Unglückliche, so lange sie der Unterstützung bedürftig sind, erhalten
werden sollten. Für sich selbst behielt er nur so viel, daß er ein mässiges
Auskommen hatte und eine Reise vollenden konnte, die schon längst
projectirt ward. -- Nämlich, er ging nach Amsterdam, kaufte ein batavisches
Schiff, warb auf eigne Unkosten Freiwillige und segelte nach den
_Sandwichsländern_. Von hier aus steuerte er dem Südpol zu, so weit er
konnte, versorgte sich mit Proviant und andern Bedürfnissen, und segelte
mit zwanzig Luftgondeln und fünf geschickten Matrosen über den unbekannten
Südpol, von welchem er uns die erste gute Karte geliefert hat. -- Seine
Reisebeschreibung läßt sich nicht ohne Schaudern lesen; drei von seinen
Gefährten erfroren am Pol, weil sie im Genuß des Feuergeistes zu nachlässig
waren.«

»Des _Feuergeistes_? was verstehn Sie darunter?«

»Was ich darunter verstehe? haben Sie noch keinen Feuergeist gesehn in den
Apotheken?« Der _Commendant_ klingelte, ein Bedienter erschien und brachte
nach einger Zeit auf dessen Befehl ein Fläschchen, welches, ins Dunkele
gehalten, phosphorisch schimmerte.

»Sehn Sie,« fuhr er fort: »dies chemische Produkt ist ausser dem gröbern
Feuer das einzige, welches die Wirkungen der Kälte besiegt. Es erhält das
Blut im warmen Kreislauf beim höchsten Grad der Kälte, und ein Tropfen
davon in einen Becher voll Wassers, bewahrt dieses mitten im Winter auf dem
höchsten Gebürge vor dem Frost.«

_Florentin_ starrte bald das Fläschchen, bald den Commendanten mit einer
Miene an, wie sie im achtzehnten Jahrhundert die Einwohner _Australiens_
hatten, als sie zum erstenmal der Explosion einer Flinte beiwohnten.

»Ist es möglich!« rief er.

»Kurz!« fuhr der _alte Silberot_ mit einem sanften Lächeln in seiner
Erzählung fort: »_Gobby_ kam glücklich mit seinen beiden Reisegefährten
zurück zu dem Schiffe. Ein Jahr nachher theilte er den Europäern seine
Entdeckungen mit. Ganz Europa zollte dem kühnen Mann den wärmsten Dank, und
daß man ihn unter die verdienstvollen _Edeln des Landes_ sezte, war
Schuldigkeit.«

_Rosalia_, heut schöner, als je, trat in diesem Augenblick mit einer ihrer
Freundinnen ins Zimmer. _Florentin_ hätte gern noch Stundenlang dem
gastfreundlichen Lehrer zugehört. Aber er mußte auch nur _so_ in seiner
Unterhaltung gestört werden, um freundlich zu bleiben.

»Es ist alles bereit!« rief _Rosalia_ ihrem Vater entgegen. Der
_Commendant_ nahm die fremde Dame und führte sie in den Hof hinunter;
_Rosalia_ bot lächelnd dem träumenden _Duur_ ihren Arm.

In einem geräumigen, mit Quadersteinen gepflasterten Hof standen zwei
Gondeln, mit Segeln von rosenfarbner Seide, und Fischbeinrudern von
Taffent, die viele Aehnlichkeit mit Flosfedern des Wallfisches hatten.

_Rosalia_ sprang in einen dieser Kähne, und winkte dem versteinerten
_Duur_, der nun wohl merkte, wohin es mit ihm sollte. -- Er betrachtete das
leichte, magische Gebäu mit einer sonderbaren Aengstlichkeit, und würde
alles darum gegeben haben, wenn man ihn mit dieser Promenade verschont
hätte.

»Kommen Sie, kommen Sie, lieber Duur!« rief _Rosalia_, und streckte die
Hand ihm entgegen. Ein leichter Schauer überlief ihn; zitternd faßte er des
Fräuleins Hand und -- hätte ein herzliches _ex profundis_ beten mögen --
und sezte sich. Der Gondelier stieg ein. Der Kahn schwoll auf allen Seiten
an. _Florentin_ sah sich verlegen nach allen Seiten um und preßte sich
dichter an _Rosalien_.

In diesem Augenblick sanken vor seinen erstaunten Augen die hohen, massiven
Mauern und Gebäude rechte und links neben ihm nieder, wie auf der Bühne
beim Klingeln des Soufleurs die gemalten Straßen; schon dampften, in
gleicher Richtung mit ihm, die Schornsteine; bald verloren sie sich unter
ihm, und die hohen Kuppeln der Kirchthürme näherten sich ihm vertraulich.
Der Kahn gaukelte izt noch um die funkelnde Spitze des Thurmgipfels, wie
ein Schmetterling um die Blume, und die aufgescheuchten Dohlen flatterten
mit ängstlichem Geschrei an den Wimpeln der Gondel vorüber. Aber bald
verloren sich auch die Thürme unter ihm hinab und wurden wie kleine Stäbe,
und die Dohlen darum wie Fliegen.

»Mein Gott!« rief _Duur_: »wohin mit uns?«

»In den Himmel!« antwortete _Rosalia_ mit einem schalkhaften Blick.

»Sie haben Recht, denn ich habe ja schon einen Engel an meiner Seite,«
erwiederte er und drückte _Rosaliens_ Hand fester an sich.

Ein falber Nebel umfing sie. Die Nebengondel, worin sich der Commendant mit
der Fremden befand, verschwand vor ihren Blicken. Sie schwebten allein über
der stillen, furchtbaren Tiefe im unendlichen Raum.

Plötzlich scholl aus den Nebeln herüber eine Stimme: »Rosalia, versieh
Deine Pflicht! Duur passirt die Linie zum erstenmal!« -- Es war die Stimme
des Commendanten.

»Hören Sie wohl, was mein Vater sagt? Sie befahren diese Gegenden zum
erstenmal; und wissen Sie wohl, was da Sitte ist?«

»Ich weiß wahrhaftig nichts.«

»Wenn ein Reisender zur See zum erstenmal die Linie passirt, wird er von
den Schiffern nach Schifferbrauch getauft -- das heißt, nur ein paarmal ins
kühle Meer untergetaucht.« --

»Das war schon vor alten Zeiten ein grausamer -- -- --«

»Kommen Sie mir schon wieder mit Ihren _alten Zeiten_? Ich will davon gar
nichts mehr wissen. -- Mit einem Worte, Sie müssen sich alles gefallen
lassen, was ich hier mit Ihnen vorzunehmen das Recht habe.«

»Nur -- Liebe -- _nur nicht tauchen_!«

»O Scherz, es ist noch dreimal ärger!«

»Noch dreimal ärger? Sie wollen mich doch nicht _hinauswerfen_? -- es ist
verdammt tief unten, und ich kann für meinen Hals nicht bürgen.«

»Alles Protestiren hilft Ihnen nichts. Sie müssens sich nun einmal
schlechterdings gefallen lassen -- -- --«

»Was denn?«

»Von mir -- --«

»Haben Sie Erbarmen!«

»_Drei -- Küsse_ anzunehmen.«

»Milder Genius dieses Jahrhunderts, ich erkenne Dich!« rief _Duur_, und
hing an _Rosaliens_ Lippen.

»Duur!« rief sie endlich halbböse: »wissen Sie nicht mehr, wie viel _drei_
ist? Oder bedeutete drei in Ihrem achtzehnten Jahrhundert _mehr_, wie _bei
uns_? -- Sie haben nun wohl zehnmal geküßt.«

»Ich bin im _Himmel_!« rief er: »und im Himmel soll ja Seligkeit seyn ohne
_Aufhören_!«

»So werden sich dereinst die zehntausend Jungfraun vor Ihnen in Acht zu
nehmen haben.«

»Nur _eine_, und die wären _Sie_!«

Sie wollte antworten, aber -- die Sylben erstarben in einem langen Kusse.

Die Gondel schwebte langsam über eine unabsehbare wellenförmigte Ebne
falben Dufts, und des Aethers reines Ultramarin wölbte sich oberwärts
herab.

_Duur_ wähnte sich in die Zauberwelt der Träume verirrt zu haben.

Majestätisch tauchte sich der Kahn wieder hinunter in die zerfliehenden
Wollen -- ha! und mit niegesehner Pracht zeigte sich in tiefer Ferne unten
ein Weltkörper, welchen _Duur_ nicht für die Erde anerkennen wollte.

»Wir sind nach dem Mond hin verschlagen!« jauchzte er an _Rosaliens_ Seite,
die den naiven Mann und sein anhaltendes Erstaunen mit stiller Freude
beobachtete.

Reglos, wie eine buntilluminirte Landcharte mit ihren Meeren und Provinzen,
lags unter ihm ausgespannt. Wald und Wiese, Gebürg und Bach schwammen
einförmig in einander verschmolzen in der Tiefe.

Mit jedem Augenblick aber dehnten sich die kleinen Gestalten immer weiter
und größer aus einander, wie unterm Vergrößerungsglase; aus grünen Flecken
entfalteten sich Wälder, das schimmernde Pünktchen rollte sich aus und ward
ein Landsee; der schwarze Stumpf verlängerte sich zum Dorfthurm und aus den
Maulwurfshügeln erstanden Häuser. --

Schon begrüßten die Vögel in der Luft die fremde Erscheinung in ihren
Revieren; schon rührte den Geruchssinn ein aromatischer Duft, welcher die
Nähe junger Blüten verrieth; schon rauschten seitwärts an den Gondelrudern
die Wipfel der Fichten und Eichen -- ein prächtiges, regelmäßiges
Landschloß stieg in der Mitte eines Gartens auf -- sie waren zur Stelle. --




Achtes Kapitel.
Gobby.


»Wie gefällts Ihnen im Himmel?« rief unserm Luftfahrer der alte
_Commendant_ mit herzlichem Lachen entgegen.

»Besser noch, als mirs die Bibel versprochen hat;« antwortete _Florentin_,
indem er auf _Rosalien_ hinblickte.

»O Väterchen!« sezte _diese_ hinzu: »unser Alterthumsprofessor sündigt
oben, wie unten. Schicken Sie ihn nur erst ins Fegefeuer.«

Bei diesen Worten öffneten sich die Pforten -- ein blasser, hagrer Mann,
mehr klein, als groß, einfach gekleidet, trat heraus. Hinter ihm zeigte
sich im festlichen Kleide, von Goldstickereien blitzend, der
wahrscheinliche Herr des Gebiets, mit einem ernsten, feierlichen Wesen.

_Florentin_ freute sich wirklich, den Umflieger und Bewandler des Südpols,
den Freund und Schutzgeist der leidenden Armuth kennen zu lernen, als er
bemerkte, daß der kleine, hagre Mann die Umarmung des _Commendanten_
verließ, um _Rosalien_ zu küssen.

»Dieser also?« lächelte _Florentin_, dem die Phantasie ihr gewöhnliches
Späschen gespielt hatte, die nur große Geister in großen Gestalten und
schöne Seelen in schönen Körpern sucht.

_Gobby_ -- er wars -- näherte sich endlich auch ihm, mit einem Blick voll
gastfreundlicher Liebe und Vertraulichkeit; -- der _Commendant_ war im
Begriff, seinen Gast zu präsentiren, als Gobby, wie mit Entsetzen, einen
Schritt zurückprallte.

»Herr _Duur_, ein neuer Bekannter und Freund!« rief der _Commendant_.

»Und unser ehrenfester Professor der Antiquitäten« -- sezte _Rosalia_
hinzu, und, indem sie _Florentinen_ argwöhnisch anlächelte: »unser --
Freund?«

»Sie sind mir bekannt, Herr _Duur_ -- -- wir haben uns irgendwo gesehn,
gesprochen -- ich weiß nicht wo? und nicht wie?« sagte _Gobby_: »seyn Sie
mir willkommen!«

Man trat in einen Saal, der vom Geschmack und Reichthum des Besitzers
zeugte.

Die Wände waren Spiegel, und jede Wand, wie ein einziger Guß, ohne Reifen
und Fugen; oben hingen sich an goldnen Stäben und Ringen Blumenguirlanden,
so täuschend, so frisch, als wären sie erst vor einem Augenblick den Beeten
geraubt. Ausser den nothwendigsten Meublen erblickte man vier Nischen in
den vier Wänden; in jeder einen Marmoraltar, worauf sich paarweise
_Gobby's_ Penaten befanden -- Bronzebüsten. Ein _Sokrates_- und
_Christus_kopf standen vertraulich beisammen, ein _Aristoteles_ und _Kant_,
ein _Friedrich der Große_ und ein Unbekannter, ein _Rousseau_ und ein
Unbekannter.

Es war schon mehrere Gesellschaft gegenwärtig; man mischte sich freundlich
durch einander und sprach von diesem und jenen -- _Gobby_ aber entfernte
sich mit dem _Commendanten_.

Am meisten unterhielt eine Note des verstorbnen Kaisers an seine
Unterthanen, welche wenige Monate vor seinem Tode ans Licht getreten war.
Man debattirte lange darüber, und schien sich nicht vereinigen zu können,
ob der Kaiser billig gedacht habe, oder nicht. _Florentin_ mischte sich in
die kleine Fehde, und, um richtig zu urtheilen, las man ihm die Note vor:

   »An meine Unterthanen.«

»Da die vorliegenden nördlichen Provinzen durch den langen Krieg fast
gänzlich verwüstet sind, und ich, ohne Noth, Euch durch keine Auflagen
drücken wollte, um den Flor jener Provinzen wieder herzustellen: so
entschlos ich mich, die kostbaren Feierlichkeiten, Opern, Feuerwerke und
dergleichen an meinem Hofe einzustellen, auch die Gehalte der Prinzen und
Prinzessinnen um die Hälfte zu verringern, bis die verwüsteten Dörfer und
Städte wieder erbauet und die verarmten Familien gerettet seyn werden. Es
war dies von meiner Seite ein freiwilliger Beitrag zur Linderung der
allgemeinen Noth -- Aber daß man mich wegen meiner erfüllten Pflicht so
unaufhörlich mit öffentlichen Lobreden und Lobgedichten heimsucht, find'
ich von meinen Unterthanen nicht schön, weil damit nichts gesagt zu seyn
scheint, als: es ist sehr ungewöhnlich, daß Fürsten auch Menschenpflichten
erfüllen! -- Wie viel Elogen und Hymnen hätt' ich auf diejenigen von meinen
Unterthanen zu verfertigen, die so viel nach Verhältniß ihrer Kräfte
thaten, als ich?« --

»Nun sagen Sie Ihre Meinung!« rief man, nach Durchlesung der Note, dem
bestürzten _Florentin_ zu.

»Ist es nicht hart, wenn der Vater seiner Kinder Dank nicht hören will?«
riefen einige.

»Ist es nicht billig und vernünftig vom Kaiser?« schrie die Gegenfaction.

_Florentin_ las das Blatt noch einmal und wollte seinen Augen nicht trauen.
»Meine Herrn und Damen,« sagte, er endlich: »ich muß gestehn, _solche
Denkart_ eines Fürsten, _solche_ Aeusserung des feinsten moralischen
Gefühls ist nur allein dem drei und zwanzigsten Jahrhundert eigen.«

»Dies Urtheil konnt' ich voraussehn!« sagte _Rosalia_ lachend: »der Herr
wird uns so gleich mit einen Beispiel vom Gegentheil aus der Vorwelt
aufwarten.«

»Mit mehr, als einem!« erwiederte _Duur_: »ich erstaune izt weder über die
Billigkeit noch Härte des kaiserlichen Wunsches, sondern darüber, daß Sie
noch getheilte Meinungen hegen können.«

»Bravo!« rief eine Parthei.

»Welch ein edler Ton herrscht in der Sprache. Schon daß er von allen
Curialwust abläßt, und seine Person mit dem simpeln _Ich_ bezeichnet,
schildert den Kaiser« -- -- --

Ein verworrnes Gelächter unterbrach ihn. »Wie soll er denn von sich anders
reden?«

»Es wird Ihnen bekannt seyn, daß sonst große und kleine Fürsten nie anders
ihre Vielheit bezeichneten, als durch ein großes _Wir_.«

»O!« rief einer aus der Gesellschaft lachend: »das war in dem finstern
Zeitalter guter Ton, als die Fürsten noch böse wurden, wenn man sie nicht
die allergnädigsten, großmächtigsten, unüberwindlichsten nannte. Seitdem
aber diese _unüberwindlichsten_ Herrn mehr als einmal _überwunden_ wurden,
und die _allergnädigsten_ sich mehr als einmal sehr _ungnädig_ fanden:
waren sie selbst so billig, ihre Titel in mildere zu verwandeln, um die
Suppliken der Unterthanen für keine Satyre zu halten.«

»Erlauben Sie,« fiel dem Redner ein andrer ins Wort: »ich weiß nicht, ob
die itzigen Titel: -- unser guter, _menschenfreundlicher König_, oder
_Kaiser_, oder _Fürst_ und _Herr_ -- nicht weit _schmeichelnder_ sind, als
die vorzeiten gebräuchlichen, welche man noch in alten Chroniken und
Urkundensammlungen findet: denn unsre bestimmen den fürstlichen Charakter
sehr deutlich, zwar nicht immer als das, was er ist, sondern als das, was
er eigentlich _seyn sollte_; allein die alten waren oft ganz
unverständlich, wobei sich weder der Unterthan, welcher sie schrieb, noch
der Fürst, welcher sie las, etwas denken konnte -- zum Beispiel, wenn es
hieß: _allerdurchlauchtigster_ -- -- --«

»Dagegen bemerk ich« erwiederte der _Gegner_: »daß es die _Alten_
verstanden, aber _wir_ freilich nicht, da unsre Sprache sich unterdessen
sehr verändert hat.«

»Ich bitte um Verzeihung, daß ich Ihnen widersprechen muß,« entgegnete
_Duur_: »auch die Alten wußten von solchen Ausdrücken keinen Sinn -- schon
im achtzehnten Jahrhundert nicht.«

»Und dieser Herr« rief _Rosalia_, indem sie muthwillig auf _Florentinen_
deutete: »hat Autorität; er ist in der Vorwelt zu Hause, wie bei uns.«

»Ich geb es zu,« antwortete der _Widerlegte_: »allein dann wär es ja
wunderlich gewesen von unsern Ur-Großvätern, wenn sie sich Redensarten
bedient hätten, welche weder _die_ verstanden, so sie gaben, noch _die_,
welche sie nahmen?«

»Was erwiedern Sie _darauf_, lieber Professor?« fragte _Rosalia_?

_Duur_ wischte sich leise über die Stirn.




Neuntes Kapitel.
Der Kupferstich.


»Eine Rarität, meine Herrn!« rief der edle _Gobby_, welcher mit einem
Quartanten unterm Arm in Gesellschaft des alten _Silberot_ hereintrat.

Neugierig wandte sich jedes Auge auf den achtungswürdigen Mann hin, von
welchem man, selbst wenn er scherzte, nichts ganz Gewöhnliches zu hoffen
hatte. Die Versammlung schloß einen Kreis um ihn.

»Wers erräth _sit mihi magnus Apollo_!« sagte er mit einem bedeutenden
Lächeln.

»Den Nachsatz erbitten wir Ungelehrte deutsch!« rief eine Dame.

»_Der_ oder _die_ soll heut König oder Königin unsers Cirkels seyn und von
jedem Anwesenden einen Kuß empfangen!«

»Da ists der Mühe werth, zu rathen.«

»Der lezte Theil Ihrer Reise zum Südpol!« rief ein Gelehrter.

»Eine neue Ausgabe!« ein andrer.

»Das Buch vom Stein der Weisen!« ein dritter. Und so riethen sie alle und
_Gobby_ schüttelte zu allem den Kopf.

_Rosalia_ lächelte ihren Reisegefährten an: »Merkwürdige Rathen, Thaten und
Faten aus dem achtzehnten oder neunzehnten Seculum für Lehrer der
Alterthumskunde!«

»Getroffen!« rief _Gobby_ und schlug das Buch von einander: »Eine äußerst
seltsame Erscheinung muß ich Ihnen bekannt machen, die freilich nur für
diese Versammlung ein anziehendes Intresse hat; Dies Buch enthält eine
Kupferstichsammlung; unter derselben befindet sich auch ein gewisser
_Florentin von Duur_ -- -- --«

_Florentin_ wurde feuerroth; das Blut pickte laut in allen Pulsen und
Fingerspitzen.

»Und dieser Herr« fuhr _Gobby_ fort, indem er auf _Florentinen_ zeigte:
»trägt denselben Namen. Er heißt _Florentin Duur_. Vor ohngefähr vier bis
fünfhundert Jahren warf sich _jener_ Florentin von Duur in _Kanella_ auf,
und bewirkte eine sehr schlau eingefädelte Revolution wider den damaligen
Beherrscher Kanella's. Das Volk nahm eine republikanische Verfassung von
seiner Hand an, aber diese Regierungsform war von kurzer Dauer; das Reich
ward in sich selbst uneins; ehrsüchtige und gelddürstige Egoisten schwangen
sich wechselnd empor, zerrütteten das Land, welches endlich wieder
zertheilt unter den Zepter der benachbarten Monarchen kam. _Florentin von
Duur_ ward von den Geschichtschreibern in die Gesellschaft der
_Masaniello's_, _Kosciuskos_, _Fayette's_ und _Mirabeau's_ gesezt.«

»Ich selbst habe neulich noch in einem Traktate seiner gedacht,« sagte
hierauf ein _Gelehrter_: »worin ich unter andern die Meinungen derjenigen
Scribenten mit neuen Gründen unterstüzte, welche sehr wahrscheinlich
behaupten, daß er nur den Namen hergeliehen habe zu der Revolution, deren
Plan und Vollendung eigentlich dem versteckt gebliebenen, und mit ihm
verbundnen _Badner_ angehörte. Der berühmte _Ocellius_ in seiner
Dissertation _de Badnero vindicato_ bezieht sich allein auf die Statüe des
_Badner_, und leitet von ihr seine Gründe her.«

_Duur_ spizte die Ohren mächtig; ein Wort von ihm wäre hinreichend gewesen,
die gelehrten historischen Hypothesen der äußerst schlauen
_Geschichtsklitterer_ dieses Zeitalters zu zerstören[A], wenn er nur irgend
hätte Hoffnung hegen können, mit seinem fünfhundertjährigen Schlummer
Glauben zu finden.

»In der Geschichte darf nicht philosophirt, sondern nur Datum an Datum
gekettet werden, wenn sie uns mehr als Roman seyn soll;« sagte er, um den
Mann doch einigermaßen zu widerlegen, und sein kleiner Ehrgeiz erwachte
unter jener Beleidigung.

»So wird uns die Geschichte nicht mehr, als Zahlen, Namen und dürre
Begebenheiten, ohne Zusammenhang, wie Glieder einer zerrissenen Kette,
liefern;« erwiederte der _Gelehrte_.

»Es ist die Frage: ob die Geschichte mehr zu leisten berechtigt sey?«
antwortete _Duur_.

Der edle _Gobby_ unterbrach den beginnenden Streit. »Zur Sache. Der
Kanellesische Revolutionair hat nicht nur mit unserm Freunde hier gleichen
Namen, sondern -- sehen Sie her, meine Herrn und Damen! -- sondern auch
dasselbe Gesicht gemein!«

[Fußnote A: Die Geschichtsklitterer des drei und zwanzigsten Seculums
hatten auf diese Weise noch viel Aehnlichkeit mit ihren Brüdern des
achtzehnten Jahrhunderts.]

Ein tiefes Erstaunen ergriff die ganze Versammlung; man gaffte den
Kupferstich bald, und bald dessen lebendiges Ebenbild an; das Spiel des
Zufalls war hier mehr, als seltsam.

_Duur_ stellte sich nicht weniger betroffen; er konnte ein anhaltendes
Erröthen nicht verbergen, und wagte es nicht, das Stillschweigen zuerst zu
unterbrechen.

»Das ist wunderbares Zusammentreffen der Umstände!« rief endlich einer.

»Etwas Unerhörtes, Niegesehnes!« ein andrer.

»Und scheint wahrhaftig mehr, denn absichtslose Tändelei der Natur zu
seyn!« ein dritter.

Jeder gab endlich seine Meinung darüber, und _Gobby_ machte das Ganze
zulezt zum Scherz. »Sie könnten,« sagte er zum bestürzten _Florentin_: »Sie
könnten nach Kanella gehn, und dort mit Glück den _Pseudo-Duur_ spielen.
Wenn die Kanelleser noch den Enthusiasmus der Vorältern für die Revolution
haben: so wird es Ihnen leicht seyn, aus dem unbekannten Privatmann ein
bedeutender Diktator zu werden, um Kanella zu erobern.«

»Würden Sie das?« fragte Rosalia.

»Wenn Sie Kanella wären -- gewiß.« antwortete _Duur_.




Zehntes Kapitel.
Der Salomonismus.


_Gobby's_ Einsiedelei war so anmuthig, sein Ton so herzlich und einladend,
die Gesellschaft, welche er um sich versammelt hatte, so intressant, der
Wind zum Zurückschiffen den Luftgondeln so wenig günstig, daß der
Commendant mit seinen Gefährten sich sehr bald entschloß, mehrere Tage bei
dem wackern _Gobby_ zu verweilen.

_Florentinen_ war diese Verzögerung nichts weniger, als ungelegen. -- Er
blieb gern, denn fast alles, was ein Herz, wie das seinige, zu fesseln im
Stande war, fesselt es in Gobbys lieblichen Bezirk. -- Der Abentheurer des
achtzehnten Jahrhunderts schwamm in einer niegefühlten Seligkeit -- er sah
die Nachwelt, sah die weissagenden Träume von ihr erfüllt, und sich unter
den glückseligen Bewohnern einer gebildeten Welt.

Noch hatt' er nirgends einem melancholischen Gesicht begegnet, worauf Gram
und Verzweiflung, Hunger und Bettlersorgen ihren Empfehlungsbrief
geschrieben; noch hatt' er keiner weinenden Unschuld Thränen gesehn, noch
keines Unterthanen Flüche gehört unter den Druck eiserner Gesetze -- aber
noch hatt' er auch nur wenige Menschen erblickt, und wenige beobachtet.

Hier in _Gobby's_ fröhlichem Cirkel, wo man Unzufriedenheit und Kummer
zulezt gesucht hatte, erblickte _Duur_ den ersten Mann des glücklichen
Zeitalters, der unglücklich, und wie es sich anließ, durch sein Zeitalter
unglücklich zu seyn schien. -- _Josselin_ war sein Name, und die
Erscheinung viel zu fremdartig, als daß sie nicht von unserm
philosophischen Kundschafter aufs genauste hätte beobachtet werden sollen.

_Josselin_ war ein junger Mann von fünf und zwanzig Jahren, der, wenn er
sich gleich keiner apollonischen Schönheit rühmen konnte, doch durch
gewisse, intressante Züge seines Gesichts, den vielsagenden Blick seines
Auges, das Angenehme seines Betragens und das Geistvolle seiner
Unterhaltung allen Kennerinnen das Geständniß ablockte, er sey ein
liebenswürdiger Mann. Der auffallendste Beweis seiner Gewalt über daß
weibliche Herz war für _Florentinen_ dieser, daß _Rosalia_ von ihm
bezaubert wurde, ehe sie es selbst wußte, so daß ihr ganzes Wesen an jedem
Tage deutlicher von gewissen Empfindungen predigte, die ganz verschieden
von denen waren, welche sie bisher für _Florentinen_ hatte.

_Josselin_ wurde geliebt von allen Weibern, geliebt von allen Männern, und
nur er schien es nicht zu wissen, sondern stand ernst und melancholisch da,
wie ein Verbannter aus dem Lande des Glücks.

_Florentin_ konnte bei diesem Anblick sich nicht einer unwillkührlichen
Erinnrung an Holder, den Jüngling im achtzehnten Jahrhunderte erwehren. Er
drängte sich näher an den Schwermüthigen; _Josselin_ selbst kam ihm immer
entgegen -- beide sympathisirten, ehe sie sich kannten.

»Aber wer ist Josselin?« fragte _Duur_ den edeln _Gobby_ in einer
vertraulichen Stunde.

»Er war Lehrer der Weltweisheit an einer Akademie, hatte einen
ausserordentlichen Anhang und Beifall, näherte sich aber endlich dem
Salomonismus und legte eben deswegen sein Amt nieder.«

»Und er scheint sehr unglücklich.«

»Haben Sie je einen Salomonisten gesehn, der sich ganz glücklich fühlte?«

»Sie sprechen immer von Salomonisten und Salomonismus -- -- -- verzeihn
Sie, wenn ich meine Unwissenheit gestehe -- was soll ich mir darunter
denken?«

»Sind Sie in der Geschichte der Philosophie so unbewandert?«

»Ich reiche, wie Sie schon wissen, nicht weiter mit meinen Kenntnissen
herunter, als zum achtzehnten Jahrhundert. Damals ward die kritische Schule
von _Kant_ gestiftet, und die größten Denker jener Zeit gingen aus ihr
hervor. Hat die Welt seitdem einen neuen _Kant_ gehabt?«

»Ich bekenn' es Ihnen frei, daß ich selbst nur Dilettant in der Philosophie
und ihrer Geschichte bin. Ich wag es also auch nicht über _Kants_ Geist zu
urtheilen, und ob die Welt schon wieder einen Mann seines Gleichen gehabt.
Aber dies weiß ich Ihnen zu sagen, daß _Kant_ einer der merkwürdigsten
Reformatoren in der Geisterwelt gewesen, der zwar selbst zu der großen
Reformation nichts mehr, als das _erste Signal_ gab, aber durch seine
_Schüler_ auf das _kultivirte Europa_ und _Amerika_ einen seltnen Einfluß
gewann. Selbst die Wissenschaften, welche außer dem Gebiet der eigentlichen
Philosophie gelegen sind, empfingen neues Licht und eine gewisse
Vollendung, die ihnen vorher mangelte; die _edeln Künste_ wurden erhabnern
Zielen entgegengeführt.«

»Deutschland hatte schon glänzende Fortschritte auf der Bahn gemacht,
welche _Kants_ Genie vorzeichnete, als man außer seinem Namen im Auslande
noch wenig von ihm wußte, und von seiner ehrenvollen Revolution. Erst im
neunzehnten Jahrhundert breiteten sich die Grundsätze der kritischen Schule
in England und bald darauf in der Republik Frankreich aus. Früher zwar als
in beiden Staaten war der Kantianismus unter den Dänen aufgenommen, aber
wenig gepflegt worden.«

»Erhielt sich die kritische Schule lange in ihrer Oberherrschaft?« fragte
_Duur_.

»Ein Paar Jahrhunderte;« antwortete _Gobby_: »sie verdrängte allmählig alle
übrige Schulen und Systeme, so heftig man sie auch, bald mit den Waffen des
Dogmatismus, bald mit denen des Skepticismus bekriegte. In England ward der
spekulative, in Frankreich besondere der praktische Theil der Philosophie
nach Kantischen Grundsätzen bearbeitet. -- Deutschland blieb inzwischen
immer die Mutterschule der kritischen Philosophie, bis diese endlich
allmählig von ihrem gefährlichsten Feinde, dem Salomonismus, größtentheils
zerstört ward.«

»Sie machen mich neugierig! Im achtzehnten Jahrhundert glaubte man durch
die Kantische Philosophie das _Nonplusultra_ aller menschlichen Weisheit
erreicht zu haben. Wär es möglich, daß auch _Kant_ seinen Ueberwinder
gefunden?«

»Sehn Sie nur, dies nahm einen sehr natürlichen Gang. Die Verbreitung der
kritischen Philosophie regte bald allenthalben einen allgemeinen
Skepticismus auf, der zulezt so weit um sich griff, daß die Sekte der
Skeptiker im zwei und zwanzigsten Jahrhundert mächtiger, als jemals auf
Erden war. Aus den Skeptikern entwickelte sich zu Ende des vorigen Seculums
eine neue Parthei, welche allen übrigen den Krieg ankündigte, und wirklich
nicht ohne Glück kämpfte; spottweise nannte man diese Schule die
Salomonische, welchen Namen die Sekte zulezt, als ihr Eigenthum,
beibehielt. Herr _Josselin_ könnte Sie mit den Grundsätzen der Salomonisten
vertrauter machen, inzwischen, da wir einmal im Gespräch sind, geb' ich
Ihnen soviel, als ich selbst habe. Es kann Ihnen dies um so willkommner
seyn, weil Sie dadurch Gelegenheit erhalten, selbst _Josselins_ Charakter
näher zu kennen.«

»Dies wäre mir sehr lieb, denn ich läugne es nicht, daß mir der
liebenswürdige Mann seit meiner ersten Unterhaltung mit ihm das Herz
abgenommen habe. Es ist mein Vorsatz, mich dichter an ihn zu schließen,
wenn er mich anders nicht zurückstoßen wird.«

»Seyn Sie ruhig. Er liebt Sie -- er hats mir gestanden. Doch, lassen Sie
uns mit einander in die Laube drüben am Kanal treten. Die Sonne ist heut
brennend; wir wollen im Schatten weiter philosophiren.«

Sie wanderten Arm in Arm mit einander durch den Garten, der Laube entgegen.
Die Hitze war drückend; kein Lüftchen kühlte den Wandrer und das Laub hing
welk und schmachtend von Zweigen und Blumen und Stauden.

»Ich wollte Ihnen einen ohngefähren Begriff von dem Lehrgebäude der
Salomonisten geben,« -- hub der sanfte _Gobby_ an: »nehmen Sie also mit
meinen kleinen Notizen vorlieb, wie sie mir beifallen. Das System dieser
neuen, herrschendwerdenden philosophischen Parthei ist ein sonderbares
Gewebe von Dogmatismus und Skepticismus, daß man glauben sollte, es könne
unmöglich von Festigkeit seyn; und doch ist dies nicht nur der Fall,
sondern, wie mirs scheint, auch die Ursach an dem wunderbar schnellen
Wachsthum der Sekte, indem Dogmatiker und Skeptiker zu ihr übertreten, weil
sie zwischen beiden Faktionen mitten inne liegt.«

»Die Salomonisten behaupten, wiewohl es nützlich seyn könne, im gemeinen
Leben Wahrscheinlichkeiten, Hypothesen, Meinungen, Glauben und dergl. mehr
zu hegen: so müßten diese doch gänzlich aus dem Gebiet der Philosophie
verwiesen werden, und man dürfe und könne, als vernünftiges Wesen, durchaus
nichts anders glauben, als was für uns den Stämpel der apodiktischen
Gewißheit trüge -- oder Wahrheit.« --

»Das Gebiet der Wahrheit, sagen sie, ist sehr klein und in sich selbst
unsicher, weil das, was der Mensch für Wahrheit halten muß, nur eine
nothwendige Folge seiner ihm eigenthümlichen feinern Nervenorganisation,
oder Produkt seiner Gemüthseinrichtung ist. Dazu kömmt noch, daß die
Kenntniß dieser wenigen Wahrheiten nicht einmal etwas zu seiner
Glückseligkeit beiträgt.«

»Der Mensch kennt die Aussenwelt an sich nicht, er weiß nichts von dem da
draussen, und die Erscheinungen, welche ihm durch den Kanal der Sinne
zugeführt werden, beweisen von der Beschaffenheit der Aussenwelt nichts,
weil sie nur Zeugungen der Sinne, berührt durch äussere Gegenstände, seyn
können. Eine andre Construktion der Sinnorgane würde eine andre Welt vors
Gemüth führen.«

»Der Mensch kennt sich nicht. Die Lehren vom Materialismus und
Immaterialismus, Substanz, Kraft, Einfachheit u. s. f. sind lächerliche
Hirngespinnste. Wir kennen die sogenannte Materie nicht und das
Immaterielle gar nicht.«

»Die Vernunft lebt mit sich selber in einem unaufhörlichen Widerstreit,
besonders wo sie sich auf das Praktische bezieht. So lange z. B. die Lehren
von der Freiheit, von Gott, der Seelenunsterblichkeit und der moralischen
Welteinrichtung zu einem Moralsystem nothwendig sind, werden wir nie die
Moral zu einem _festen System_ erheben, denn wir wissen nicht, ob wirklich
so etwas existirt, als wir uns unter Gott, Unsterblichkeit und moralischer
Welteinrichtung vorträumen.«

»Die Philosophie stößt alles, was Religion heißt, von sich aus, betrachtet
aber Religion und Moral als ein nothwendiges Gängelband für die Menschheit,
damit sie unter einander in Frieden beisammen lebe.«

»Was von Vervollkommnerung des Menschen und der Menschheit gelehrt wird,
ist nichts als eine liebliche Schwärmerei. Der erleuchtete Philosoph spielt
im achtzigsten Jahre wiederum kindisch mit seinen Windeln; die
aufgeklärtesten Nationen morden sich wechselsweise um leere Chimären, die
nichts zur Seligkeit des Einzelnen und des Ganzen beitragen.«

»Mit einem Worte: es ist alles eitel unterm Monde! wie _Salomo_ bei den
Juden sagte. Wir wissen nichts von der Aussenwelt, noch weniger von uns
selbst. Wir wissen nicht, was wir sind, noch _warum_ wir sind, noch
seitwann wir _waren_, noch wie lange wir _seyn werden_; ob wir als Zwecke,
oder als Mittel hier umherirren in der räthselhaften Dämmerung. -- Der
Mensch bildet sich aber ein, _mehr zu seyn_, als er wirklich ist; er läßt
die Welt _für sich_ geschaffen, und einen Gott _für sich_ gekreuzigt seyn.
Der Mensch bildet sich ein, _mehr zu wissen_, als er _weiß_, und zu den
bisherigen Systemen der Philosophie hat die Phantasie mehr Materialien
geliefert, als die Vernunft. Weil die Menschheit aber sich in den
kindischen Träumereien von ihrer Hoheit glücklich fühlt so lasse man ihr
den seligmachenden Eigendünkel.«

»Das ist ein gefährliches System!« tief _Duur_: »Religion und Moral,
bürgerliche Glückseligkeit, Ruhe der Seelen -- alles wird von diesem
Ungeheuer verschlungen. Wird der Salomonismus geduldet vom Staate?«

»Er wird geduldet, weil er wirklich keinen offenbaren Schaden stiftet und
immer nur das Eigenthum der hellsten und scharfsinnigsten Köpfe ist. Zudem
ist er noch nicht _widerlegt_; ja man hat die Beispiele erlebt, daß zwei
der berühmtesten Philosophen und eifrigsten Antisalomonisten, durch das
Gefühl ihrer Ohnmacht beim Widerlegen bewogen, zur Gegenparthei
übergegangen sind.«

»Die Sekte lehrt an sich wenig neues; einzelne Sätze sind längst schon
behauptet worden -- nur daß hier alles in einer so fürchterlichen
Verbindung zusammengedrängt ist. Es ist eine Philosophie, die zur
Verzweiflung führt.«

»Das ist sie, sagen die Salomonisten, so lange man noch nicht von der
Ammenmilch der bisherigen Phantasiephilosophie entwöhnt ist.«

»Aber man fühlt sich glücklicher bei dieser Ammenmilch.«

»Dies gestehn die Philosophen selber ein, und erklären auch _dies_ für
einen der vielen unauflöslichen Widersprüche in unsrer Natur, daß wir den
drängenden Trieb in uns fühlen, so weit, als möglich, vorwärts zu eilen,
und dann doch dreimal elender, als vorher, werden.«




Eilftes Kapitel.
Josselin.


Ein muthwilliger Schwarm junger Damen umringte mit lautem Gelächter die
heimliche Laube und führte den sanften _Gobby_ und _Duur_ gefangen, wie im
Triumphe zum Schlosse zurück, wo die übrigen versammelten Männer dasselbe
Schicksal erfahren hatten.

Auch _Josselin_ war unter den Gefangnen. Er schien nur für die frohsten
Scherze in der Welt zu seyn; er war die Seele der Gesellschaft; alle Weiber
horchten auf ihn und die Männer bewunderten lächelnd seine Gewandtheit,
sich als Gefangner mitten unter den Weibern aus der Sklaverei zur
Souverainetät über dieselben zu heben.

Der Abend nahte sich mit lieblicher Kühlung; man floh die Zimmer, um sich
im Freien unterm blauen Himmel zu belustigen; Gesellschaftliche Spiele von
allerlei Art wurden angegeben und ausgeführt -- keine Kinderspiele des
achtzehnten Jahrhunderts!

_Duur_ hatte anfangs im Sinn, auch ein Spielchen aus seinem Zeitalter
vorzuschlagen -- etwa ein unterhaltendes _Pfandspiel_, wo zulezt Küsse,
gegeben und geraubt, die Würze der Unterhaltung seyn mußten. Aber beschämt
zog er sich zurück, als er wahrnahm, wie auch in gesellschaftlichen
Vergnügungen der gebildete Geist dieses Jahrhunderts webte.

Man entlehnte Süjets aus der Geschichte der Vorwelt, und gab sie aus dem
Stegreif in dramatischen Darstellungen wieder, oder drückte in Pantomimen
und charakteristischen Tänzen eine liebliche Reihe von Empfindungen aus.
Ermüdet von der schönen Arbeit ruhten dann die Spieler, und das Chor der
Zuschauer bezahlte das genossne Vergnügen mit Absingung einiger Hymnen auf
die großen Männer des Alterthums. Barmherzigkeit und Liebe, Großmuth,
heldenmüthige Selbstaufopferung, und andre bewundernswürdige Tugenden waren
der Gesänge Inhalt. Dann wurden extemporirte Melodramen aufgetischt --
_Rosalia_ entwickelte die Empfindungen der _Charlotte Corday_ unter dem
reifenden Entschluß, _Marats_ Ermordung zu wagen für das Vaterland.
_Rosalia's_ Deklamation war Gesang; in den Pausen phantasirte _Josselin_
auf einer Art von Harfe durch Moll und Dur in reizenden Tönen den
Empfindungen _Rosaliens_ nach.

Gesang und Freude stimmten alle Seelen zu einem zärtlichen Verein.
_Josselin_ ergriff einen vollen Becher Weins, mit lebendigen Rosen
umkränzt, eilte _Florentinen_ entgegen und rief: »_Freundschaft!
Freundschaft!_« Er trank den Becher zur Hälfte leer. Begierig nahm _Duur_
ihn von Josselins Hand und trank und rief mit einem unnennbaren Entzücken:
»_Freundschaft! Freundschaft!_«

Beide sanken einander in die Arme. _Duur_ fühlte eine Thräne in seinem Auge
zittern und _Josselin_ küsste ihn. »O laß uns einen Gott glauben! es ist so
schön!« schrie _Josselin_ in einer begeistrungsvollen Ekstase.

»Laß uns einen Gott glauben!« rief der liebenswürdige _Gobby_, indem er
sich, einen Becher Weins in der emporgehobnen Hand, den beiden Freunden
näherte und sie beide küßte.

»O!« entgegnete _Josselin_ schluchzend: »könnt' ich mich ewig so vertiefen
in den schönen Rausch der Sinnlichkeit -- könnt' ich einen Schleier ziehn
vor den unseligen Offenbarungen der vorwitzigen Vernunft -- könnt' ich
werden wieder ein Kind und arglos spielen im Schoos meiner Mutter Natur!«

Die Gesellschaft sah, schweigend um diese Gruppe versammelt, dem Spiele
dieses Auftrittes zu, und, wie von _einem_ Geist ergriffen, von _einem_
Gefühl gerührt, ertönte plötzlich von allen Lippen der Gesang eines uralten
deutschen Volksliedes: »Freude schöner Götterfunken!«

Eine liebliche Schwärmerei verbreitete sich über die Versammelten. -- »Den
heiligen Manen des alten Dichters dieses Glas!« rief _Gobby_: »ihm, der
nach Jahrhunderten noch erfreut und tröstet!«

»Schiller!« rief _Duur_. Alles rief ihm den Namen nach -- eine große Thräne
stürzte aus _Florentins_ Augen.




Zwölftes Kapitel
Brüderschaft.


_Duur_ bemerkte am folgenden Tage eine sonderbare Veränderung in _Gobbys_
und _Josselins_ Mienen. Es schien, als drücke irgend ein schönes Geheimniß
ihr Herz; auch der brave Commendant, stimmte in den wunderlichen Ton jener
Beiden ein.

Demungeachtet war diese Verwandlung so auffallend nicht, daß _Duur_ mit
guter Art nach den Ursachen derselben kundschaften konnte. Er wars
zufrieden, daß man ihn nicht nur nicht kälter oder fremder, sondern weit
liebkosender behandelte, denn sonst. _Gobby_ trat zuweilen schweigend vor
ihm hin, starrte ihn mit einem Blick voller Liebe und Bewunderung an und
schloß ihn in seine Arme. -- _Josselin_ drückte ihm öfter die Hand, und
küßte ihn öfter. _Silberot_ lächelte, so oft er ihn erblickte.

Am Nachmittage fuhren einige Karossen vor -- die Gesellschaft wollte einen
benachbarten Freund des edeln _Gobbys_ besuchen. Nur _Josselin_ schloß sich
aus, unter dem Vorwand einer Unpäßlichkeit, und ersuchte _Florentinen_ ihm
zur Gesellschaft ebenfalls zurück zu bleiben.

Wer willigte lieber in _Josselins_ Wunsch ein, als _Duur_, der diesem
einnehmenden Mann unmöglich etwas abschlagen konnte.

»Laß uns Bruderschaft trinken, du Lieber!« rief _Josselin_ am Abend dieses
Tages, als sich Beide in einer schönen Jelängerjelieberlaube befanden,
wohin ein Diener zwei Flaschen Weins brachte.

»Ach, es ist doch so schön, sich in dem Feenarm der Sinnlichkeit zu wiegen
und zu entsagen dem Hinblick auf die schauerlichen Wüsteneien, welche die
Vernunft entschleiert! Was haben wir vom Leben, wenn wir nicht pflücken die
sparsam blühnden Rosen, und in dem Götterrausche der Lieb' oder
Freundschaft vergessen, welche erbärmliche, elende Wesen wir sind!«

_Josselin_ schwang bei diesen Worten den Becher seinem Freunde entgegen.
Sie tranken. Das Abendroth schimmerte durch die Fugen der Laube über ihre
Wangen; ein kühles Lüftchen flüsterte unter den Blumen herüber, und im
benachbarten Gesträuch schlug eine Nachtigall.

»Wenn der Mensch auf Erden elend ist, so klag' er nicht den Himmel, sondern
sich selber an!« rief _Duur_: »Wohlauf! Brüderschaft, Josselin -- verdammt
sey die schwarze Philosophie des Salomonismus, es leben die schönen Träume
der Phantasie!«

Josselin. (düster.) Wohl dem, ders rufen kann vom Herzen.

Duur. Jede Blume hat hienieden ihren Honig, jede ihren Gift -- ich nenne,
den weise, welcher nur vom Honig zu naschen weiß.

Josselin. Hast recht!

Duur. O Josselin, Du bist so unglücklich -- Du, und Du ein Bürger des drei
und zwanzigsten Jahrhunderts?

Josselin. Eben darum, _Duur_! hätt' ich gelebt in der barbarischen Vorwelt,
als die Wissenschaften kaum noch der Wiege entschlüpft waren, so wär' ich
glücklicher. Die Wissenschaften ziehn den Menschen ab von der Welt und auf
sich zurück -- ach, und je mehr er abläßt von jener, je enger er mit sich
vertraut wird, je elender er wird; denn er erkennt dann, daß die Gottheit
seines Wesens ein disharmonisches Nervenspiel, sein Himmel ein eitler Traum
sey. Glaube nicht, Duur, daß die Menschheit vollkommner werde, je länger
sie auf dem Stern dieser Erde lebet und webet. Sie bleibt ewig, die sie von
Anbeginn war. Ihre Gränzen sind unabänderlich festgesezt von der strengen
Hand der Nothwendigkeit. Sie kann ihr Gebiet nicht erweitern, Seligkeit und
Elend liegen ihr immer auf beiden Seiten; sie gewinnt nie ohne Verlust,
verliert nie ohne Gewinnst. Wir vertauschen nur die Namen und Moden, aber
behalten die Sache.

Duur. Du salomonisirst!

Josselin. Das Gebäude der menschlichen Glückseligkeit ist eine elende
Flickerei, lieber Duur -- und doch flickt und bessert man immer so gern
daran. Sieh Dich um, Duur, und Du wirst allenthalben mit Entsetzen die
Spuren des Elendes finden, wo Du es am wenigsten suchest. -- Doch ich will
Deine frohen Einbildungen Dir nicht zerstören -- sey, wer Du willst,
glaube, was Du willst -- nur hüte Dich vor dem Einfall, die Hoheit und
Seligkeit der menschlichen Natur zu anatomiren. -- Trink!

Duur. Ich glaube Dir nicht, Josselin. So weit ich die Welt izt gesehn habe,
hab' ich auch allenthalben die herrlichen Fortschritte der Menschheit
bemerkt.

Josselin. Du hast die Welt nur eine kleine Weile gesehn.

Duur. Die Sterblichen haben sich ihrer thierischen Natur mit Glück
entwunden -- Gefühle und Empfindungen sind gereinigter, sind verfeinerter
-- -- --

Josselin. Ist damit gewonnen?

Duur. Die dichterischen Träume vom schönen grichischen Sinn und Geist
verwandeln sich in Wirklichkeit.

Josselin. Es ist wahr, das Empfindungsvermögen ist zärter, und durch den
Fleiß der edeln Künste verfeinerter; die groben Belustigungen der Vorwelt
sind uns ein Greuel; wir schwelgen izt da in Seligkeiten, wo man vorzeiten
kaum ihr Daseyn ahndetet. Aber eben diese gebildetere Empfindsamkeit läßt
uns auch doppelt fühlen jedes Leiden; wir empfinden izt da einen namenlosen
Schmerz, wo die Männer der Vorwelt nicht einmal die Möglichkeit eines
Uebels vermuthen konnten. Wo man sonst lächelte, in glücklicher Taubheit
der Sinne, da weint man izt; wo man sonst weinte, verzweifelt man heutiges
Tages.

Duur. Dafür hat aber auch die Vernunft an Stärke und Bildung gewonnen --
sie giebt dem duldenden Wandrer izt einen sichern Eisenstab, worauf er sich
lehnen kann im Ungewitter des Lebens; die schändlichen Ketten der
Priesterherrschaft und des Aberglaubens sind zerbrochen, in welchen der
größte Theil der Sterblichen noch vor einem halben Jahrtausend keuchte.

Josselin. Freund, Du redest wie ein Mann, der die Welt nur aus Romanen
kennt. Wo ist der Eisenstab der Vernunft? welchen Stab kann die Vernunft
gewähren? Wenn sie sich selber nur aufrecht erhalten will, muß sie sich
demüthig auf ihren verkrüppelten Bruder, den _Glauben_, stützen. -- Geh
hin, und wo Du die Vernunft am gebildetsten findest, siehst Du trostlose
Atheisten, die nicht wissen, warum sie sich in dieser Welt herumplagen
sollen, die verzweiflungsvoll hinausstarren in die Gegend jenseits des
Grabes, wo es nur immer dunkler wird, je länger ihr Auge dort verweilt.
(Indem er die Gläser füllt) Trink, die Flaschen müssen leer werden! die
Sonne geht unter -- einst, Bruder, wir, wie sie!

Duur. Du bist sehr verstimmt.

Josselin. Nein, Lieber, wohlgestimmt bin ich, wie ichs lange nicht war. --
Man hat viel darüber gefochten, wie weit in der Kultur und Aufklärung der
Nationen gegangen werden müsse. Einige behaupteten, hier dürfe, keine
Gränze bestimmt werden; man könne ein Volk nie genug aufklären, nie genug
kultiviren; man müsse nie still stehn, sondern unermüdet vorwärts eilen. --
Andre stritten für das Gegentheil, meinten, daß Aufklärung und Kultur
zulezt der Glückseligkeit des Ganzen Gift werde, daß Religionen und
Staatsverfassungen an diesen Klippen nothwendig scheitern müßten und jeder
Reformator daher als ein Friedensstörer anzusehn sey. -- Beide Partheien
hatten recht und unrecht, aber wie überall in der empyrischen Welt, wo die
Vernunft _a priori_ durchaus nichts zu sagen hat, mußte auch hier die
Erfahrung die beste Schiedsrichterin seyn.

Duur. Und wie hat sie entschieden?

Josselin. Der Mensch ohne Kultur ist ein erbärmliches, freudenloses
Geschöpf, und immer um einen halben Grad elender, wie das vernunftlose
Thier. Die Menschheit konnte sich, der ihr beiwohnenden, ewig regen Triebe
willen, nicht lange in der Finsterniß erhalten -- sie strebte nach einem
Ausgang, nach Licht. -- Allzuweitgetriebne Verfeinerung, höchste Kultur der
Vernunft, besonders im speculativen Gebrauch, bewirkt aber einen
furchtbaren Indifferentismus, Erschlaffung der wichtigsten Triebfedern zum
moralischen Handeln, Verleihung der süssesten Lebensfreuden, allzufrühen
Ueberdruß und Ekel der Welt -- oder stürzte den Menschen wieder hinab zum
Hang nach gröberer Sinnenlust und thierischen Dumpfheit. -- Dies lehrt die
Erfahrung. Betrachte die Menschen, und Du wirst entweder hypochondrische
Gerippe erblicken, welche mit der Naturnothwendigkeit wegen ihres Daseyns
hadern möchten, oder -- Thierseelen in Menschenhaut.

Nein, Duur, es ist und bleibt gewißlich wahr, der Mensch ward nicht geboren
für die Nacht der blinden Sinnlichkeit, nicht für das blendende Licht der
Vernunft, durch welches wir uns in einer schrecklichen Lage zwischen
Abgründen und Felsenmauern gewahren -- sondern für eine wohlthätige, sanfte
Dämmerung, zusammengeschmolzen aus den Schatten der Sinnlichkeit und den
Lichtstrahlen der Vernunft, wo wir mehr ahnden, als sehn, mehr hoffen, als
besitzen, mehr träumen, als wissen.

_Duur_ versank in ein tiefes Schweigen; _Josselin_ lächelte -- er füllte
die Gläser von neuem und trank auf das Wohl der _glücklichen Nachwelt_!

»Immer der _glücklichen Nachwelt_, und _immer_ der Nachwelt!« rief _Duur_
mit einem Seufzer und erinnerte sich seines längstverwesten Oheims und
seiner Favoritgrille.

Es ward still um sie her. Sie plauderten noch vieles, und verloren sich in
schwermüthige Betrachtungen.

_Duur_ schwieg. _Josselin_ klagte über Schläfrigkeit, und _Florentin_ hatte
schon längst mit einer unnatürlichen Müdigkeit gekämpft. Es ward immer
stiller, immer dunkler. Sie sanken Arm in Arm auf eine Rasenbank nieder, um
sich dem Schlummer zu überlassen und dann mit einander in Gesellschaft eine
schöne Sommernacht zu durchwachen.




Dreizehntes Kapitel.
Erscheinungen.


Der _Exgraf_ erwachte erst spät -- es war schon so hell rings herum; die
schönste Sommernacht, war ungenossen verschlafen. Er wollte nach _Josselin_
greifen, als er bemerkte, daß man ihn, um ihn nicht der kühlen, feuchten
Nachtluft preiß zu geben, in ein Zimmer und Bett gebracht habe.

Aber welches Zimmer? welches Bette? er erinnerte sich nie, ein solches
Zimmer im _Gobbyschen_ Pallaste gesehn zu haben. -- Er sprang lächelnd und
bestürzt vom Bett' auf, fand sich noch vollkommen angekleidet, nur daß sein
Ueberrock auf eine Ottomanne hingeworfen lag.

Er trat in die Schuhe, hüllte sich in den Ueberrock. -- Der Nebel seiner
Schlaftrunkenheit verlor sich immer mehr, und seine Verwunderung wuchs mit
jedem Augenblick. Es war nicht Tageslicht, was ihn so hell umleuchtete,
sondern der Schimmer einger Krystallsonnen oben an der Decke des Zimmers.

Mit dieser Entdeckung eilte er zu den Fenstern, riß die Gardinen zurück und
sah hinaus. Es war Nacht -- der Vollmond schwebte in freundlicher Majestät
durchs Gewölk -- die Sterne funkelten am dunkeln Gewölbe des Himmels -- und
die ganze Gegend unten, vom Mond verklärt, war still und fremd.

Ein kleiner See dehnte sich zwischen einigen Hügeln aus, und spielte mit
den Schatten überhangender Maien und dem Silberglanz des Mondes -- und
überall, zur Rechten und zur Linken, dichter, hoher Wald, dann und wann
aufbrausend durch die feierliche Stille.

_Florentin_ stand bestürzt da, wie in ein Feenland bezaubert. Er begriff
die Wahrnehmungen seiner Sinne nicht -- er hätte sich gern eingebildet, in
einem Traum zu leben, wenn ihn nicht jede Kleinigkeit laut und
unwiderstehlich von seinem Wachen überredet hätte.

»Josselin! Josselin! treibst Du Gaukelspielerei mit Deinem Freunde?« tief
der Graf verdrüßlich, und fühlte sich immer muntrer und überzeugter, daß
man sich mit ihm einen Scherz vorgenommen haben müsse.

Er stand lange an, welchen Entschluß zu ergreifen izt am schicklichsten
wäre, ob er Lärmen machen, oder den anbrechenden Morgen erwarten solle?

In diesen Ueberlegungen machte er einige Gänge durchs Zimmer. Mit
verbissnen Lippen, gerunzelter Stirn, verschränkten Armen blieb er endlich
in der Nähe eines Spiegels stehn -- er sah sich selbst, und erschrak, ohne
zu wissen warum? -- Er machte eine Wendung, um sich vom Spiegel abzudrehn,
als er in eben dem Augenblick unter demselben das Bildniß eines
Frauenzimmers erblickte. Sein Auge haftete unveränderlich an dem Gemälde;
er fand gewisse Aehnlichleiten -- bekannte Züge -- überraschende Spuren von
-- -- --

Er trat näher -- immer näher -- es war _Louisens_ Bild! -- er streckte die
Hände nach dem kostbaren Bilde und blieb unwillkührlich eine Weile in
dieser Stellung. Sein Herz schlug lauter; seine Arme zitterten; sein Blick
verdunkelte sich.

»Schönes Gespenst!« -- sprach er leise bei sich: »schönes Gespenst,
verfolgst Du mich allenthalben durch die Irrgänge meines verworrnen
Schicksals? -- Sind es fünf Jahrhunderte, die sich zwischen dieser und der
Götternacht im Dosanischen Garten lagern, wie kommst Du dann hieher? --
_Louise_! _Imada_! -- es wird mir immer unerträglicher dieses Blendwerk.
Länger darfs nicht anhalten. O Josselin! Josselin! -- aber ich hab' ihm ja
nie von einer _Imada_ erzählt; nur der alte _Silberot_ weiß darum -- er ist
ausser _mir_ und _Matthias_ hier der _Einzige_!« --

Er nahm das Gemälde von der Wand und betrachtete es genauer mit scharfem
Blick; alle Freuden der seligen Vergangenheit wachten mit diesem Blicke von
neuem in seinem Busen auf. _Louise_ an _Adolfs_ Hofe -- wie das erste bange
Gefühl der Liebe in ihm aufkeimte -- wie er einstmals zu ihren Füßen sas im
Schloßgarten, und die reizende Fürstin auf der alten, hölzernen Bank; unter
seinen Füßen das stille Thal, zur Rechten die Eremitage mit dem
schimmernden Kreuze im Mondschein -- über ihm der Himmel, und mehr, als
Himmel, in _Louisens_ schönen, liebereichen Augen; -- wie er sie sah, sie
hörte im Walde von Riedelsheim, einer Erscheinung ähnlich aus der Oberwelt;
-- wie er sie wiederfand im romantischen Paradiese von Dosa, und dann --
dann wieder im Haine in der Nachbarschaft von _Idalla's_ Insel! -- das
alles gaukelte izt vor seinem Geiste in verschöntem Farbenspiele -- er fing
an seinen Verstand zu bezweifeln, zu fürchten, er rase in einem lieblichen
Wahnsinn.

Unter dem Spiegel stand auf einem Tischchen eine silberne Klingel. Er hob
sie auf -- klingelte. Zur Rechten eröffnete sich eine Thür; ein Mensch
erschien, dem mans an der demüthigen Stellung ansah, daß er zur Bedienung
geschaffen sey.

Florentin gaffte ihn einige Augenblicke mit Verlegenheit an. Er erinnerte
sich nicht, auch dieses Menschen Angesicht je gesehn zu haben.

»Befehlen Sie etwas?« fragte der Diener.

»Wo ist Herr Josselin?«

»Herr Josselin? -- Wen meinen Sie?«

»Kennest Du ihn nicht?«

»Der Name ist mir unbekannt. Erklären Sie sich nur deutlicher.«

»Wie soll ich mich deutlicher machen? -- Wer hat mich in dies Zimmer
bringen lassen?«

»Unser Herr. Sie lagen im Garten und schliefen; wir fürchteten, Sie würden
sich erkälten.«

»Nun ja, und wo ist Josselin geblieben?«

»Ich habe schon gesagt, ich kenne keinen Josselin.«

_Duur_ sah den Menschen mit einem Blick voll unaussprechlicher Verwirrung
an.

»Nun was ist denn das? wo bin ich? wer ist Dein Herr?«

»Der Graf von Gabonne.«

»_Der Graf von Gabonne?_« schrie _Duur_, und fing izt wirklich an, entweder
sich, oder seinen Gegner für unsinnig zu halten.

»Bist Du auch gesund, Bursche?« sagte _Florentin_, indem er dem bestürzten
Diener näher trat und dessen Puls berührte.

»Wie Sie;« antwortete jener.

»Nun wo bin ich denn? Ich bitte Dich, antworte mit ehrlich -- ich bin
erkenntlich. Wo bin ich?«

»Das sollten Sie nicht wissen? Sind Sie nicht schon seit eingen Tagen bei
uns? Sehn Sie sich doch um!«

»Wo bin ich? frag ich!« tief _Florentin_ etwas aufgebracht.

»Sie befinden sich nicht wohl. Der Hausarzt ist noch wach in seinem
Zimmer.«

»Mensch, ich flehe Dich an, um Gotteswillen, quäle mich nicht -- antworte,
wie ich frage, oder ich werde im ganzen Hause Lärmen machen.«

»Ei nun -- Sie sind im Schlosse des _Grafen von Gabonne_, einen Spaziergang
weit von _Mont-Rousseau_.«

»Wie bin ich hieher gekommen?«

Der Diener lächelte ihn schweigend mit einem verdachtvollen Blick an, ging
endlich auf ihn zu, und sagte mit vertraulichem Tone:

»Gedulden Sie sich nur ein Augenblickchen, mein Herr, nur ein
Augenblickchen. Ich bin sogleich wieder hier.«

»Wo willst Du hin?«

»Ich will den Herrn Charly herbeiholen.«

»Wer ist der Herr Charly?«

»Der Hausarzt. Er wacht noch. Ich habs Licht an seinem Fenster gesehn.«

»Mensch, ich bitte Dich, willst Du mich mit Gewalt um meine Geduld bringen,
mich überreden, ich habe meinen Verstand eingebüßt! -- Steh und rede, wie
bin ich hieher gekommen?«

»In dies Zimmer?«

»Freilich.«

»Sie schliefen unten in der Jelängerjelieberlaube am Teiche -- die
Abendluft ist ungesund. Der Herr Graf befahl, Sie auf Ihr Zimmer zu
tragen.«

_Duur_ hörte dies und brach in ein lautes Gelächter aus. Montrousseau war
von Gobbys Gute sechzig und etliche Meilen entfernt -- dies wußte er:
»Josselin, willst Du Scherz mit mir treiben: so mußt Du wenigstens das
Gesetz des Wahrscheinlichen beobachten!« dachte er bei sich, und sah das
Portrait an, welches er noch immer in der Hand trug.

»Kennst Du dies Gemälde? weißt Du, wer dies seyn soll?« fragte er.

»Sie ist zum Sprechen getroffen -- das Fräulein _Imada_, des Grafen
Nichte.«

»Wie hoch ists an der Zeit?«

»Ein Uhr mag es seyn.«

»Das ist mit unbegreiflich! -- ich unten in der Jelängerjelieberlaube
geschlafen, und wäre nicht bei Gobby, sondern in Mont-Rousseau gewesen --
ich mögte die Laube sehn -- -- Höre, hast Du selber mich aus der Laube
tragen helfen?«

»Freilich.«

»Was befand sich außer Mir drinnen?«

»Nichts. Auf dem Tische standen zwei Weinflaschen und zwei Becher.«

»Du lügst. -- Es ist mir draussen alles fremd. -- Hast Du das Herz, mich
hinunter zu führen in den Garten und zur Laube?«

»Warum nicht?«

»Da wär' ich neugierig!« sagte _Duur_ und drehte sich um, seinen Hut zu
holen, der auf dem Stuhle lag.

In eben dem Augenblick wards stockfinster um ihn herum. Die Krystallsonnen
an der Zimmerdecke waren verschwunden; Geräusch ließ sich rechts und links
um ihn hören. Er rief dem Diener, aber ohne Antwort zu erhalten.




Vierzehntes Kapitel.
Traumwunder.


In allem Ernst hätte unser Abentheurer izt böse werden mögen, wenn er nur
irgend gewußt, sich damit aus seinen Verwirrungen zu retten. Offenbar
trieb, wie er glaubte, _Josselin_ sein Spiel mit ihm; er gedachte izt des
sonderbaten, räthselhaften Betragens, welches _Gobby_ und der biedre
_Silberot_ am vorigen Tage gegen ihn so unwillkührlich annahmen, und er
zweifelte keineswegs daran, daß nicht auch sie ihren gewissen Antheil an
diesen Spiegelfechtereien hätten, von welchen sich nur kein Zweck einsehn
ließ.

Das Geräusch um ihn her verlor sich. Er tappte durch die Dunkelheit, um ans
Fenster zu treten, und sich wenigstens durch den Mond einige Erleuchtung zu
verschaffen. Aber sein Erstaunen vermehrte sich, als er die Fenster von
dieser Seite verschwunden, und auf der ganz entgegenliegenden Seite des
Zimmers erschienen sah. Es ging alles mit ihm im Ringe herum; alles war ihm
verdreht.

Plötzlich gossen die Krystallsonnen ihr blendendes Licht wieder herab -- er
erkannte wieder alles um sich her -- aber das war nicht mehr dasselbe
Zimmer, worin er sich vor eingen Minuten befand, und doch hatte er kaum ein
Paar Schritt von seiner Stelle gethan.

Dies Kabinet war beinah um die Hälfte größer, als das vorige; das vorige
war dunkelroth, dieses blaßgelb; Spiegel und Fenster ließen sich in einer
ganz andern Gegend sehn -- der Diener war verschwunden.

Unmöglich konnte er sich bei dieser Zauberei des Lächelns erwehren. Er
drehte sich rings herum und erblickte hinter sich -- hinter sich -- o, izt
hätt' er zu Boden sinken mögen; es flirrten alle sieben Farben des
Regenbogens um seine Augen; sein Odem stockte; seine Knien zitterten; seine
ganze Besinnung verlor sich; er sah nichts, als hinter sich -- _Imada_, wie
sie leibte und lebte.

»Mein Gott!« -- mehr konnte er nicht stammeln.

Wie eine Ueberirrdische schwebte das Phantom seines Herzens, der Abgott
seiner Träume, ihm entgegen, in der emporgehobnen Hand eine Schaale
dampfenden Weines tragend.

»Was ist aus mir geworden?« lallte er in halber Ohnmacht.

»Trinken Sie!« lispelte der weibliche Engel mit einem unbeschreiblich süßen
Ton.

»Wo bin ich?«

»Wohl aufgehoben!«

»O gewiß! -- ist hier nicht Elysium? Ich möchte izt an die Wunder
berauschter Dichter, an die Fabelwelt Griechenlands glauben lernen.«

»Glauben Sie!«

»Ich wandre in Plutons schönsten Hallen, und _Imada_ ist die Unsterbliche,
welche mir den Lethebecher bringt.«

_Imada_ lächelte des Schwärmers. Er nahm zitternd die Schaale aus ihrer
schönen Hand, sein Auge verlor sich trunken in ihren Blick.

»Geben Sie mir _Vergessenheit_? -- Vergessenheit für all die tausend
Jammerstunden meines elenden Lebens; Vergessenheit für meine tausend
Seufzer und Thränen?«

»Wünschen Sie Vergessenheit? Es ist Ihr Ernst nicht.«

»Gewiß! gewiß! -- wen freut das Ueberlebte noch, wenn man _Imada_ sieht?«

»Trinken Sie! die Schaale giebt Vergessenheit -- zur Strafe soll nun alles
Gut und Böse von Ihres Gedächtnisses Tafel gewischt werden -- auch die
Erinnrung an _Louisen_!«

»An _Louisen_?« lallte _Duur_ mit starrer Verwunderung, von _Imada's_
Lippen _diesen_ Namen zu hören. »_Welche_ Louise?«

Imada. (lächelnd.) Die Sie zum leztenmal in Dosa sahn.

Florentin. (sie anstarrend.) Sagen Sie -- ich bitte Sie, -- glauben Sie,
daß ein Gott sey -- um _Gotteswillen_ bitt' ich, beschwör' ich Sie: wie
kommen Sie darauf? -- wie wissen Sie -- -- --? Wo bin ich?

Imada. In Mont-Rousseau.

Florentin. Soll ich von Sinnen kommen?

Imada. Gefällt es Ihnen nicht bei uns?

Florentin. Imada -- nein, izt ist der Scherz zu weit getrieben -- ach, und
daß auch Sie, _auch Sie_ Vergnügen daran finden, mich zu quälen.

Imada. Behüte Gott -- Vergnügen, Sie zu quälen? -- O, wenn Sie mich
kennten!

Florentin. Ach, daß -- ich sie kenne! wohler wäre mir, ich hätte solche
reizende Gestalt -- ein solch Gesicht nie wieder gesehn.

Imada. Das klingt nicht schmeichelhaft -- -- --

Florentin. Vielleicht dann mehr, wenn Sie mit dieses Wunsches Gründen
vertrauter wären. (heiter.) Und sey es, wie es sey. Gefällt es meinen
Freunden, sich an meinen Bestürzungen zu weiden, und mich mit Seltsamkeiten
zu überraschen, wie die Einbildungskraft sie kaum in unsern Träumen
zusammenschleppt: so mögen sie es immer thun. Ich bin zufrieden, daß auch
Imada -- Imada zu den seltnen Dingen gehört, die ich in diesem Traum mit
offnen Augen sehe.

Imada. Wer weiß, ob alles hier wohl mehr, als Traum ist!

Florentin. Das wäre schrecklich, wäre boshaft! das verzieh ich meiner
Phantasie in diesem Leben nicht. -- Von ohngefähr, beinahe ists ein Jahr,
verirrt' ich mich in einem Walde -- mir träumte, oder träumte nicht -- mir
wars -- ach Gott, Imada, Sie erschienen mir, und ich, in Ohnmacht,
Seligkeit und Bangigkeit versunken -- Imada, liebe, schöne Imada -- träumte
Ihnen nie von einem lächerlichen Abentheur, als auf der Reise nach
Mont-Rousseau ein Gondler Ihnen entwischt war?

Imada. (mit schalkhaftem Lächeln) Beinahe ist mirs so.

Florentin. _Ists_ Ihnen so? -- _Wars_ Ihnen auch wie mir? -- Doch welche
Frage! Sagen Sie, _soll_ alles dies _Traum_ seyn, und nicht mehr?

Imada. Es kömmt darauf an, wie Sie zufrieden sind mit diesem Traum.

Florentin. O dann, dann träum' ich ewig; Dann erwach ich in dieser Welt
nicht wieder; dann lege man mit meinem Traum mich in das Grab, ich werde
den Himmel nicht vermissen.

Imada. Schwärmer!

Florentin. Dann geb ich mein ganzes Leben, und noch zehn Leben, wie das
meinige, dazu für solchen Traum. Gute Nacht, Vergangenheit -- (er sezt die
Schaale an den Mund) Imada, ich trinke Vergessenheit! -- Sie können, wollen
mich doch schadlos halten für das, was ich vergessen will?

Imada. Wenn ich denn auch das Wollen hätte, _kann_ ich auch

Florentin. Wenns daran nur allein liegt -- -- (er trinkt.)

Imada. Auch für _Louisen_ schadlos?

Florentin, (mit Schwärmerei) Sie _sind_ Louise; nein, _mehr_, als Louise!

Imada. Und -- für _Holdern_?

Florentin. (läßt bestürzt die Hand mit der Schaale sinken) Gott im Himmel!
was ist das? -- Wie kommen Sie zur Kenntniß aller derer, die meinem Herzen
am nächsten wohnen? -- Sie sind mit mir, mit meinen schönsten Geheimnissen
vertraut, wie ich es bin. O Imada, izt wird die schöne Täuschung mir zur
Last -- es ist mir zu viel Unbegreifliches darin -- Imada, fühlen Sie, wie
ich -- Imada, wenn Sie mich nur ein wenig lieben: so zerreissen Sie den
Schleier, welcher mir vor den Dingen dieser sonderbaren Nacht hängt. --

Imada. (lächelnd) Sie sind des Traums so früh schon satt und müde? wollen
Sie so _bald_, so _gern_ erwachen?

Florentin. Nur _Sie_ nicht mit dem Traum verlieren. (Indem er ihre Hand
ergreift und sie an seine Lippen drückt) So schön -- so schön bin ich noch
nie gefoltert worden!

Imada. Noch nie? Ich dächte doch, vor alten. Zeiten schon einmal.

Florentin. Noch nie!

Imada. (lächelnd) Besinnen Sie sich nur, _Vinzenz_!

Florentin. (läßt erschrocken ihre Hand fahren) Was war das? Imada, noch
einmal -- wie nannten Sie mich da?

Imada. Ist Ihnen in diesem Traum Ihr eigner Name fremd geworden? --
_Vinzenz_!

Florentin. (nachlallend) _Vinzenz_! -- Jezt sind die Räthsel mir gelöst. So
streckt sich euer Arm durch alle Jahrhunderte hinab, ihr sonderbaren
Weltregierer! Imada -- mein Traum ist hin -- nun alles hin! -- Ach Gott, so
werd' ich göttlich noch belohnt -- Imada, eine goldne Hoffnung geht mir
auf; die Macht, die uns zusammenführte, kann noch mehr. Ich glaub an ihre
Wunder. -- Verzeihn Sie, ich rede etwas verwirrt --

Imada. Und doch versteh ich Sie.

Florentin. Verstehen Sie auch das, was ich _nicht_ sage, was mein Herz nur
im Geheimen sich von Ihnen plaudert?

Imada. (verwirrt) Von mir?

Florentin. Kann izt mein Herz von etwas anderm plaudern? --

Imada. Die Antwort -- auf ein andermal.

_Florentin_ hatte eine Wiederholung seiner Frage auf den Lippen -- er
ergriff _Imada's_ Hand -- und die Sonnen verschwanden von oben -- die alte
Finsterniß war zurückgekehrt.

»Folgen Sie mir nur nach!« flüsterte _Imada_, indem sie ihm an der Hand mit
sich führte.

Er ging. Der Weg führte durch eitel Nacht, Trepp auf, Trepp ab, bis zu
einem schmalen Gang.

»Gehn Sie nur getrost voran,« lispelte _Imada_, und wollte sich von seiner
Hand losmachen, weil zwei Personen neben einander nicht gehen konnten. --
Sie blieben stehn. -- Ein leiser Kuß streifte über _Florentins_ Wange.
»Still!« flüsterte _Imada_, und sie gingen weiter.

_Florentins_ Herz befand sich in einem Gedränge wunderbarer Empfindungen.
Er war glücklich -- so glücklich, daß er hätte laut aufjubeln mögen, und
doch -- unterdrückte er alles. Seine Hand zitterte ihm in _Imada's_ Hand.

Der Weg erweiterte sich -- einige Zimmersonnen strahlten urplözlich herab
-- _Florentin_ stand still, und fand an seiner Hand -- _einen schwarzen
Bruder_.




Funfzehntes Kapitel.
Die schwarzen Brüder.


In einem großen ovalen Saal, dessen schimmernde Gewölbdecke sich auf hohen
Marmorsäulen lehnte, mit goldnen Kapiteelen und Reifen mit goldnen
Eichblattkränzen geschmückt, stand der Verzauberte. In der Ferne erhob sich
ein fünf Stufen hoher Thron, beschirmt von einem goldgestickten Baldachin,
umringt von einer Versammlung ernster Männer, sämmtlich schwarz gekleidet
und dennoch kostbar.

Und auf dem Throne sas -- _Duur_ glaubte versinken zu müssen im Erstaunen
-- sas _Holder_, in königlicher Pracht, still und schweigend, wie ein Bild
-- _Holder_, welchen er nirgends anders, als auf _Idalla_'s schöner Insel
wähnte.

»Julius! _Regent Julius!_« rief _Duur_. Alle Gesichter wandten sich um zu
dem Bestürzten. Zwei aus der Versammlung traten ihm entgegen, hingen ihm
einen langen schwarzen, mit Silber und Perlen köstlich geschmückten Mantel
um, und führten ihn in feierlicher Stille zum Thron hinauf, wo er sich
neben _Julius_ zu setzen genöthigt ward.

Er ergriff die Hand seines Freundes; ein leiser Gegendruck verkündigte ihm:
du hast dich nicht geirrt! -- Still und horchend, mit einem bangen
Wohlgefallen, sah _Florentin_ vor sich hinab auf die feierliche
Versammlung, die den Thron umringte, und aus deren Mitte nach einer Weile
ein Greis hervortrath. Dieser verneigte sich dreimal vor den Männern des
achtzehnten Jahrhunderts, und sprach mit der Würde, welche seinem Alter
eigen war, mit dem Feuer eines Jünglings, folgende Worte:

»Seid uns willkommen, Ihr wunderbaren Söhne der Vorwelt, deren endlichen
Erscheinung auch wir mit Zweifeln entgegensahn. Es ist keine Täuschung; wir
haben Euch in unsrer Mitte; die ehrwürdigen Orakel unsrer Vorwelt logen
nicht, und Ihr habt das sonderbarste Unternehmen, welches jemals der
menschliche Geist ausbrüten konnte, mit bewundernswürdiger Kühnheit
begonnen und mit noch bewundernswürdigerm Glück vollendet. Die Möglichkeit
ist in der Natur nun erwiesen, die geizige Zeit um ihre Jahrhunderte zu
betrügen und Vorwelt und Nachwelt auf eine seltsame Weise in Verbindung zu
bringen.«

»Seid uns willkommen, Söhne, des achtzehnten Jahrhunderts, Ihr einzigen und
ersten Menschen Eurer Art, nehmt von uns im Namen der Brüder dieses
Zeitalters, im Namen der Menschheit den Dank für Eure große That an. So
weit die Kräfte der Sterblichen reichen, sollen Eure Wünsche erfüllt
werden, um Euch die überstandne Gefahr zu versüßen; Ihr sollt nur fodern,
wir wollen erfüllen; Ihr seid, Fremdlinge, Gäste dieses Jahrhunderts.«

»Wir entlassen Euch hiemit feierlich Eurer Pflicht und Arbeiten für den
Orden -- für Euch sey izt die Zeit der Ruhe.«

»Freilich habt Ihr nun das vollkommenste Recht zu der Frage: was hat die
Menschheit im Allgemeinen seit einem halben Jahrtausend gewonnen? Ist sie
glücklicher geworden, als sie es sonst war? Finden wir der Thränen weniger
unterm Monde, der Freuden mehr?«

»Ach, daß ich mit gutem Gewissen ein herzliches _Ja_! erwiedern könnte --
aber -- -- -- das Loos der Menschheit ist und bleibt durch alle Weltalter,
in allen Graden der Cultur, unter allen Zonen immer dasselbe, und
verwandelt sich nicht; Lust und Jammer bleiben die ewigen Gefährten der
Menschheit, und auch über sechstausend Jahren werden keine Rosen wachsen
ohne Dornen.«

»Wahr ists, Künste und Wissenschaften sind seit fünfhundert Jahren zu einer
Höhe emporgestiegen, welche unsern Vorfahren gewiß ungedenkbar seyn mußte;
eine ungeheure Zahl von Entdeckungen und Erfindungen in allen Gebieten der
Erkenntniß hat die Summe unsers Wissens so vermehrt, daß izt das Erlernen
einer einzigen Wissenschaft hinreichend ist, einen Menschen durch sein
ganzes Leben zu beschäftigen, da vor einem halben Jahrtausend ein Gelehrter
noch im Besitz vieler Wissenschaften seyn, und sie alle gründlich studirt
haben konnte; wahr ists, Cultur, Aufklärung, Wissenschaftsliebe ist nicht
mehr, wie sonst, das Eigenthum einiger Nationen; _Deutschland, Frankreich,
England, Schweiz, Batavien_ sind nicht mehr die alleinglänzenden Gestirne,
welche Europa und die übrigen Welttheile erleuchten, sondern _Amerika_ und
_Ostindien_, selbst _Australien_ haben ihre Staaten, ihre Gelehrte, welche
mit uns um den Vorrang wetteifern, über den verwehten Pyramiden _Aegyptens_
sind izt Schulen der Philosophie errichtet, aus welchen große Männer
hervorgingen, deren Einfluß das barbarische Afrika und Asien ehrt; und jene
Fürstenthümer und Republiken, welche man sonst unter dem Namen der
Russischen Monarchie begriff, wo sonst Bären und Wölfe durch die Wälder
heulten, und Unwissenheit und Aberglaube nisteten unter den Zellen und
Hirnschädeln der Pfaffen, sehen izt mit Stolz auf die traurige
Vergangenheit zurück. Allein was ist damit für die Glückseligkeit und
Zufriedenheit der Sterblichen gewonnen? Nichts. Denn wenn wir auch _Engel_
würden dem _Geiste nach_, so bleiben wir doch immer elende, gebrechliche,
leidende Wesen durch den Einfluß der _Sinnlichkeit_. Sinnlichkeit ist die
unverwüstliche Kette, welche uns _ewiglich_ mit Unvollkommenheit und Elend
verbindet!«

»Vor Zeiten glaubte man, und es war ein verzeihungswürdiger Glaube, daß die
Art der Regierungsformen keinen geringen Einfluß auf das Glück, auf die
Zufriedenheit der Nationen habe. Es gab eine Zeit, wo man begierig wünschte
alle Monarchien in _Republiken_ zu verwandeln, und selbst unser Orden,
benebelt von dem Rausche seines Jahrhunderts, neigte sich zu jenem
Wunsche.«

»Allein die Erfahrung hat uns endlich gelehrt, daß nicht die _Art_, sondern
die _Beschaffenheit_ der Regierungsformen die Aufmerksamkeit der Völker
verdiene; wir hörten Republiken seufzen unterm Despotismus ihrer
Gesetzgeber, wir sahen monarchische Staaten Freudenthränen weinen ihren
Königen. Die Erfahrung hat uns gelehrt, daß nicht Liebe und Achtung für die
Menschheit, sondern Egoismus und Stolz, die Stifter und Zerstörer gewisser
Regierungsformen beseelten; das Wohl der Sterblichen war nur Deckmantel
ihrer mörderischen Pläne, der Epheu ihres vergifteten Weins. -- Ehrgeiz und
Habsucht der Großen waren die Eltern der Monarchien, Geldgeiz und
Bettelstolz des Pöbels die Urquelle des Republikanismus.«

»Die Erfahrung hat uns gelehrt, daß so lange die Erde um die Sonne tanzt,
und tanzen wird, selbst die besten und weisesten Menschen die _Thorheit_
als ihr _Schooskindchen_ pflegen und hegen. Die Fürsten raffiniren noch
immer izt, wie sonst, auf Vergrößerung ihrer Macht, auf Ausdehnung ihrer
Reichsgränzen. Die blutigsten Kriege werden noch immer _dieser_ unedeln
Maxime willen geführt, aber doch heißt es: es geschehe alles _zum Besten
des Volks_; man sezt die _Vaterlandsliebe_ der Unterthanen für die Grillen
ihrer Beherrscher in Contribution, ungeachtet das Volk keine _Minute an
Freude_ mehr dadurch gewinnt, wenn sein Regent eine Provinz mehr in seinem
Titel trägt. -- Welteroberungsträume waren von jeher eine Erbsünde der
monarchischen und republikanischen Regenten; man unterjochte sich Land auf
Land, bis der Körper des Staats zu einem Ungeheuer anschwoll und in eine
Menge kleinerer Reiche auseinanderfiel. Dann begannen diese kleinern
Staaten das alte Spiel von neuem, arbeiteten sich wieder zu einer gewissen
Grösse hinan, und stürzten wieder auseinander. Was ist izt noch von der
alten persischen, römischen, fränkischen, oder russischen
Allgemeinherrschaft übrig? -- kaum ein _matter Schatten_ in den Büchern der
Weltgeschichte -- der _Name_! -- Dafür wurden tausend gute Menschen, die
sich ihres Daseyns auf Erden weit länger erfreuen konnten, hingeschlachtet?
Dafür wurden tausend Familien in Elend gejagt? Dafür wurden die ruhigen
Wohnungen glücklicher, stiller Bürger und Bauern mit Feuerkugeln, Bomben
und Pechkränzen in Aschenhügel verwandelt -- dafür die zahllosen Thränen
und Blutstropfen vergossen?«

»Ach, es ist bitter, sich an alles dies zu erinnern -- zu übersehen das
große Jammerfeld des menschlichen Elendes und dabei zu fühlen, daß man zu
ohnmächtig sei, um zu ändern, zu bessern, zu helfen. Es ist bitter daran zu
denken, daß doch am Ende niemals das gute Herz und die veredelte Vernunft,
sondern List und Gewalt und die aufgewiegelte Leidenschaft im Kampfe
obsiegten; daß wir in fünf Jahrhunderten, mit fünfhundertjährigem Fleis nur
immer wenig zur Genesung der Sterblichen beitrugen. Wir ersparen mit aller
unsrer Arbeit höchstens der allesheilenden Zeit einige Mühe; wir stillen am
Körper der menschlichen Gesellschaft einige blutende Wunden früher, können
aber nicht verhindern, daß immer neue geschlagen werden!«

»Was frommt also unser Dichten und Trachten, unser Ringen und Streben? --
_eitel wenig_! und der Salomonismus hört auf für eine melancholische
Schwärmerei zu gelten, wenn man sich diesen Betrachtungen weiter überläßt.«

»Für Euch, Ihr edeln Söhne des achtzehnten Jahrhunderts, _Julius_ und
_Vinzenz_! die Ihr Euer Zeitalter freiwillig verliesset, um ein
glücklicheres aufzusuchen, muß diese Nachricht, welche ihr von uns
empfanget, wenig tröstend seyn, da sie Euern schönen Traum von einer frohen
Nachwelt unwiederbringlich zerstört. Allein Ihr seid _Männer_ -- wir geben
Euch den herben Trank der Wahrheit, wie er ist, und wollen ihn nicht mit
dem Honig der Lüge verzuckern.«

»Wir sind _vollkommner_ und _elender_ geworden; wir haben tausend _neue
Erfindungen_ gemacht, und tausend _neue Räthsel_ in der Natur gefunden; wir
haben neue _Wissenschaften, Lehrsätze und Wahrheiten_, aber auch eben so
viel _neue Irrthümer_; wir haben unzählige _neue Produkte_ der edeln und
unedeln Künste, aber auch eben so viel _neue Bedürfnisse_; wir haben viele
_sonst unbekannte Speisen_ und _Getränke_ und _Bequemlichkeiten_, aber auch
viele _sonst unbekannte Krankheiten_ -- seht, dies ist alles, was wir Euch
über die Fortschritte der Menschheit sagen können.«

»Seyd glücklich, Ihr Beide, so sehr Ihrs nach der Disposition Eures Körpers
und Geistes seyn könnet. An uns soll es nicht liegen, wenn Eure Wünsche
nicht erfüllt werden.«

So sprach der ehrwürdige _Redner_, und schwieg. Eine tiefe, schwermüthige
Stille folgte seinen Worten.

_Vinzenz_ und _Julius_ verliessen ihren Thron und mischten sich unter die
Versammelten. Gern hätte Florentin tausend Fragen an Holdern gethan, aber
theils war dieser von vielen andern Fragern umringt, theils hatte er selbst
für sich genug den neugierigen Schwarzen zu beantworten. -- Die Becher
wurden mit Wein gefüllt; alles überließ sich der Freude, und Florentinen
erstarben allmählig die Gegenstände dieser Versammlung, wie die Bilder
eines Traums.

Er erwachte von einem festen, tiefen Schlafe. Die Sonne stand hoch am
Himmel und schien warm durch die Zweige der Jelängerjelieberlaube, wo
Freund _Josselin_, auf die Rasenbank hingeworfen, noch ruhig
fortschlummerte.

Florentin rieb sich die Augen, und sah sich wild um. --

»Was ist das?« rief er: »hab' ich wirklich nur geträumt, oder war dies eine
Spielerei der schwarzen Brüder?«

Josselin schnarchte, und lies sich nicht stöhren. »He Josselin! Josselin!«

Josselin erwachte; er sah sich bestürzt um; »Nun, wahrhaftig!« fing er
lächelnd an: »wir können doch in der Welt noch für _Schläfer_ gelten!«

»Und zur Noth auch für _Träumer_!«

»Auch das, wenn Du willst.«

»Aber ich sehe nicht ein warum die Schwarzen mit mir den Scherz trieben?«

»Nothwendig war es freilich nicht -- aber man wollte Dir wahrscheinlich
beweisen, daß man im drei und zwanzigsten Jahrhundert sich noch eben so gut
auf Sinnenspiel und Gaukelei verstände, als vor fünf Jahrhunderten.«

»Und wahrhaftig man hat es in der Kunst sehr weit gebracht.«




Sechzehntes Kapitel.
Dialog. Aufklärungen.


In diesem Augenblick erschien ein _Bedienter_, welcher ungerufen ein
willkommnes Frühstück brachte; bald nach ihm meldete ein andrer, daß der
Edle von Gobby mit seiner Gesellschaft binnen einer Stunde eintreffen
würde.

_Florentin_ saß still vor sich da, mit seinem Geiste bei den Abentheuern
dieser Nacht, -- beschäftigt mit _Holder_ -- mit _Imada_.

Josselin. Wie gefiel Dir der Inhalt Deines Traums?

Florentin. Verschieden, wie er selber war; ich muß gestehn, er hatte viel
Zauberartiges und Du erwiesest mir einen Gefallen, wenn Du mir die Magie
der schwarzen Brüder enthülltest.

Josselin. Eine gute Unterhaltung beim Frühstück. Der Commendant _Silberot_,
selbst ein Schwarzer, war der erste, welcher Deine Erscheinung dem Orden
bekannt machte, die anfangs wenig Glauben fand. Dein Bedienter, der Gondler
_Matthias_, verrieth dem Commendanten _Holders_ Aufenthalt und
Verhältnisse; auch dies erfuhr der Bund, und es wurde sogleich eine
Gesandschaft und Einladung an _Holdern_ abgeschickt. Dein Abentheuer im
Walde mit der schönen Nichte des Grafen von _Gabonne_ kam auf eben diese
Weise zu unsrer Kenntniß. _Gobby_, ein vertrauter Freund desselben, meldete
ihm die Erscheinung eines Mannes aus dem achtzehnten Jahrhundert, bat ihn
mit _Imada_ zu sich, und alles ging nach Wunsch. _Gabonne_, _Imada_ und
_Holder_ kamen; die Versammlung der schwarzen Brüder ward berufen und ich
gab Dir den Schlaftrunk, der Dich zwei Stunden ums Bewußtseyn brachte. --
Man hatte es einmal beschlossen, Dich mit Wundern zu überraschen, folglich
gehorcht' ich.

Florentin. Und _Holder_ ward nicht in die Zaubereien verwickelt?

Josselin. Nein; er hat drei Tage mit den Obern der schwarzen Brüder
conferirt; gestern eilte auch _Gobby_ und die andre Gesellschaft zu ihm.
Ich hab' ihn diese Nacht gesprochen. Es ist ein äusserst intressanter Mann.
-- Bruder, ich reise mit Dir nach _Idallas_ Insel -- ich will meine übrigen
Tage bei Euch verträumen in einer himmlischen Zufriedenheit.

Florentin. Nun wird mirs schon licht! wohin bin ich in dieser Nacht
gebracht worden?

Josselin. Eine halbe Meile von hier, auf das Landgut eines Edeln, und
Obern. Du schliefst in seinem Doppelzimmer, bei dessen Verwandlung Dir
_Imada_ zugeführt ward, welche überhaupt Deine Feindin nicht zu seyn
scheint.

Florentin. Doppelzimmer? -- Du mußt mich immer, als ein Kind betrachten,
welches unwissend und neugierig vor allen Kleinigkeiten stehn bleibt. Was
nennst Du ein _Doppel_zimmer?

Josselin. Wahrhaftig, ich hätt' es nie geglaubt; dermaleinst noch der
Lehrer eines canellesischen Revolutionairs zu werden. -- Sieh nur, die
Landhäuser unsrer Vornehmen werden so gebaut, daß die eine Fassade der
Flügel, welche immer im Durchschnitt nur ein Zimmer breit sind, gen Morgen,
die andre gen Abend sieht. Gegen Morgen und Abend sind Fenster. Die Wände
sind mit Tapeten bekleidet, welche mit leichter Mühe aufgerollt werden.
Daher kann man nun aus einem Zimmer gleichsam zwei machen; das Morgenzimmer
hat Fenstern nach Osten, das Abendzimmer Fenstern nach Westen. So wie man
an _einem_ Tage oft gern verschiedne Kleider trägt, so kann man sich auch
in ganz verschiednen Zimmern befinden, ohne einen Fuß von der Stelle zu
rühren.

Florentin. Eine mir ganz neue Art des Luxus!

Josselin. Imada führte Dich in den grossen Saal der Brüderloge, wo Dir nun
nichts Unbegreifliches gewesen seyn wird. Ich trank mit Dir zugleich einen
kleinen Schlaftrunk und wurde bei Sonnenuntergang mit Dir hiehergeschafft.

Florentin. Die Räthsel waren kurz und bündig gelöst.

Josselin. Elende Spielereien, für den vielleicht noch zu gebrauchen, der an
ihnen einen Gefallen finden kann. Für mich sind sie ohne Reiz. Ich ziehe
mit Dir in _Holders_ und _Idallas_ Einsamkeit; ich will mich meiner Tage
freuen, so sehr ichs noch kann; die Welt, mit allen ihren Tändeleien kann
mich nicht mehr ergötzen und fesseln. Laß uns eilen nach _Idalla's_
romantischer Insel; da wollen wir eine freie, unabhängige Colonie gründen
und man soll sie weit und breit _die Colonie der Glücklichen_ nennen.

Florentin. Aber, lieber, bester Josselin -- -- --

Josselin. (lächelnd.) Imada?

Florentin. Kannst Du in mein Herz sehen?

Josselin. Ruhig! ich habe Lust an Sympathien zu glauben, denn in der
vergangnen Nacht sagte _Imada_, als sie Dich verlassen hatte, zu ihrem
Oheim: _Vinzenz_ glaubte in Elysium zu seyn, und mir wars beinah auch so!

Florentin. (indem er Josselin feurig umarmt.) Josselin! Josselin! dann hin
nach Idallas Insel, um ein Götterleben und die Colonie der Glücklichen zu
beginnen, deren Patriarchen wir seyn wollen!




Dritter Abschnitt.





Erstes Kapitel.
Nur Einleitung.


Mit Schüchternheit und Sehnsucht erwartete _Duur_ die Ankunft der
Gesellschaft. Er zitterte, die schöne _Imada_ wieder zu sehn; noch mehr
aber vor seinen verwegnen Wünschen.

Die Stunde schlug; hoch wirbelten die Staubwolken daher vom Wege, welcher
sich aus dem Walde hervorzog; die nahen Bachbrücken dröhnten unterm Huf der
Rosse; man hielt still und die fröhliche Gesellschaft umringte in wengen
Augenblicken unsern Abentheurer.

Auch _Holder_ und _Imada_ waren da; _Imada_, deren Blick sich durch das
bunte Gewühl der Versammelten zu ihm herüberstahl. _Holder_, welcher seinen
Freund hier mit zärtlichem Enthusiasmus umarmte.

_Duur_ näherte sich _Gabonnens_ schöner Nichte; wie ein Gefühl von Schaam
und Verlangen preßte es ihm das Herz, röthete es seine Wangen. _Josselin_
hing an _Rosaliens_ Arm.

»So wollen wir die _Colonie der Glücklichen_ gründen!« rief _Josselin_
lächelnd seinem Freunde zu, indem sie in das Haus traten.

Seit Florentin sich in der neuen Welt umhertummelte, hatte er für Herz und
Geist nicht so anhaltende Schwelgerei gefunden. Es blühte alles um ihn her,
wie ein Paradies; alles wollte sich zu seiner Seligkeit vereinen. _Gobby's_
ernste Weisheit, verbunden mit der liebenswürdigsten Laune, _Silberots_
deutsche Biederkeit, _Holders_ stille Selbstzufriedenheit, _Josselins_
grell abwechselnde Melancholie und Frohsinn, _Rosaliens_ tändelnder
Muthwille, _Imada_'s Schüchternheit und Liebe bildeten den schönsten
Kontrast von Karakteren, in deren Gesellschaft man gern auf Erden den
Himmel vergessen hätte.

_Duur_ überzeugte sich bald, daß _Imada's_ Wünsche mit den seinigen in
geheimer Eintracht lebten, daß er unter allen Männern dieser Gesellschaft
der einzige sey, auf welchen _Imada's_ Augen mit entschiednem Wohlgefallen
ruhten; er hatte ihr seine Empfindungen auf mannigfache Weise kund gethan,
ohne _einmal_ das Wörtchen Liebe ihr zu nennen; erröthend hatte sie ihm bei
den auffallenderen Geständnissen die Hand gedrückt -- und doch wars ihm
immer, als fehle zu seiner vollendeten Seligkeit etwas; als mischte sich
ein fremdes Wesen zwischen ihm und _Imada_ mitten in ihren vertraulichsten
Unterhaltungen.

Seine Ahndung betrog ihn nicht. Er fühlte immer mehr, daß seine Besorgnisse
gegründet seyn mußten. Begierig spürte er allen Gelegenheiten nach, um sich
_Imada_ ganz zu entdecken und ihr ein offenherziges Geständniß über ihr
Herz zu entlocken.

Zehnmal des Tages fand er die Gelegenheit, aber niemals wagte er sie zu
benutzen. Schüchtern wich er von seinem Vorsatz zurück, wenn er seiner
Erfüllung am nächsten stand.

So verstrich ein Tag nach dem andern. Es wurden allmählig von allen Seiten
Anstalten zur Abreise getroffen. Florentin bemerkte dies und verlor seine
Heiterkeit.

Müde, sich mit den ewigen Zweifeln und Besorgnissen zu quälen, entschloß er
sich endlich, am lezten Abend vor der Abreise den entscheidenden Gang zu
wagen; er machte sich selber wegen seiner kindischen Zaghaftigkeit die
heftigsten Vorwürfe, und niemand hatte auch wichtigere Ursachen dazu, als
er, der in den Fehden und Irrgängen der Liebe kein Neuling war.




Zweites Kapitel.
Verzweiflung.


ES war ein prächtiger Abend; frisch duftete das Grün der Gebüsche und
Halmen rings umher; die Lerchen wirbelten ihr leztes Lied der
halbversunknen Sonne nach, und die Wipfel der Bäume strahlten in feuriger
Verklärung des Abendroths.

_Imada_ sas im Garten am Teiche.

Ein wildes Pflaumengebüsch, durchwachsen vom freundlichen Epheu, hatte sich
um und über dem schönen Weibe zu einer natürlichen Laube gebildet; zu Füßen
plätscherten die kleinen Wellen am Blumenufer, und spielten die Fische
sorglos ihr Spiel. -- Buchfinken und Meisen sangen von allen Zweigen herab;
Schmetterlinge verfolgten sich in weiten tändelnden Ringen umher, und im
tiefsten Dunkel eines alten Nußbaums girrte ein Turteltaubenpaar.

_Imada_ sas in sich selbst geschmiegt, tief in Betrachtungen verloren da,
die weissen Arme nachlässig auf den blumigten Rasen hingeworfen, die Augen
unverwandt auf die schimmernden Furchen des Wassers.

_Florentin_ sah sie -- kaum hundert Schritt stand er entfernt von ihr. Es
war ihm vor den Augen, wie ein prächtiges Sommerstück von _West_. Sein Odem
verengte sich; er hätte die schöne _Imada_, umgeben von allen Schönheiten
der ländlichen Natur, hinzeichnen mögen auf ein Blatt zum ewigen Andenken
dieser kostbaren Minute.

Er ging einige Schritte vor. Die Sonne verlor sich hinter dem Hügel;
_Imada_ schlug die Augen auf.

»Duur!« rief sie mit einer sanften Stimme, die Löwen und Tyger gebändigt
hätte.

_Duur_ stand dicht vor ihr.

»Wo schwärmen Sie umher, Schmetterling?« fragte _Imada_ und reichte ihm
lächelnd die Hand.

»Ich schwärmte nach meiner Lieblingsblume und fand sie nicht.«

»Hat ein Schmetterling auch eine _Lieblingsblume_? -- mir ists, als nascht
der Luftprinz gern von _allen_.«

»Von _allen_, wenn er _naschen_ will; von _einer_, wenn er _geniessen_,
_schwelgen_ will.«

»Schmetterlinge können nur _naschen_.«

»Dann bin ich kein Schmetterling -- ich sehne mich nach einem _bleibenden_
Genuß.«

»Man sagt, dies sey nicht _Männerart_. -- Sie werden doch nun nicht
behaupten: dann bin ich kein Mann?«

»Wenn die Männer _Schmetterlingsnatur_ haben, so liegt die Schuld an den
Weibern und ihrer _Blumennatur_, die sich _jedem_ öffnet, und _keinen_
verstößt.«

»Wir sind das schwächere Geschlecht -- die armen Blumen _müssen_ ja wohl
geduldig jeden Räuber leiden.«

»_Das ist_ eben das Unglück der Männer!«

»Sie werden boshaft.«

»Gewiß nicht. Gestehen Sie nur ein, daß wir so wenig Aehnlichkeit mit den
Schmetterlingen, als die Damen mit den Blumen haben.«

»Das lezte gern, das erste nie.«

»Wohlan, ich schwärmte nach meiner Lieblingsblume -- und nun hab ich sie
gefunden -- nun bleib ich -- hier! (indem er ihre Hand an seine Lippen
drückt.) hier!«

»Ob wohl auch die Blume gewinnt, wenn der Schmetterling wirklich bei ihr
bleibt und an ihren Zweigen sein Wohnhaus zusammenspinnt? Was wird aus dem
schönen, kosenden Liebhaber? -- eine häßliche, giftige Raupe -- ich wollte
sagen, -- ein Ehemann.«

»Wer hat _nun_ Ursach, über _Bosheit_ zu klagen?«

»Ach wie _manche_ Blume hat schon mit Entsetzen die Verwandlung ihres
Liebhabers erlebt!«

»Imada! -- Bosheit um Bosheit, so wünsch' ich Ihnen nie einen treuen
Freund, einen treuen Liebhaber!«

»Der Wunsch kann leicht erfüllt werden; weil treue Freunde und treue
Liebhaber ohnedem zu den Seltenheiten unterm Monde gehören?«

»Salomonisiren Sie auch schon?«

»Nichts weniger, als dies. Und doch möchte manche Blume ihren
Favoritschmetterling gern aufnehmen und beherbergen, wenn sie gleich
voraussähe, daß er dereinst ihr Mörder werden würde, denn es soll ja süs
seyn, zu sterben von geliebter Hand -- aber wie, wenn sich nun ein
häßlicher Nachtvogel bei ihr einnistet, und sie wider ihren Willen seine
Beute wird?« --

»Wenn mir ein Nachtvogel meine Blume stehlen wollte, bei Gott, so
verwandelt' ich mich aus dem Schmetterling in eine Wespe.«

»Das war eine lächerliche Hyperbel! -- Kann der Schmetterling seine Natur
vertauschen? Sie würden traurig umherflattern und sich ein andres Blümchen
suchen.«

»Das könnt' ich nicht; bei Gott das könnt' ich nicht! -- Zum Beispiel --
liebe, theure Imada -- zum Beispiel -- Sie, _Sie_ wären meine
Lieblingsblume -- -- --?«

»So würden Sie ein fremdes Eigenthum verletzen.«

»Fremdes Eigenthum?« stammelte _Florentin_ und wurde todtenblas.

»Was fehlt Ihnen, Duur? Sie verwandeln die Farbe?« fragte _Imada_, und
schloß mit zärtlicher Bekümmerniß seine kalte Hand in die ihre: »Reden Sie
doch! was fehlt Ihnen?«

»O, fragen Sie mich nicht! -- Es fehlt mir alles! Imada -- liebe, einzige
Imada -- fremdes Eigenthum, _Sie_?«

»Bekümmert Sie _das so sehr_?«

»O mein Gott, wie sollts nicht! -- Imada, war das Ernst? -- Imada! Gehören
Sie schon einem andern an?«

»Ja.«

»Entsetzlich! -- dies Ja schlägt meine Hoffnungen auf immer zernichtet zu
Boden, und stößt mich aus dem Paradiese, wo ich schon so sicher zu wohnen
glaubte.«

Das Mädchen sah ihn lange und schweigend an; sah den Sturm seiner Seele
sich wiedermalen in dem düstern Spiel seiner Mienen und Blicke, sah wie er
so gern sich verstellen, wie seine Lippe so gern Entschuldigungen seines
sonderbaren Betragens hervorbringen wollte, aber nicht einen Laut ertönen
ließ. --

»Das ist entsetzlich!« rief er endlich mit beklemmter Brust, und seine
Augen funkelten feucht.

_Imada_ zitterte neben ihm. Unwillkührlich drückte sie seine Hand fester an
sich, unwillkührlich stürzte eine Thräne aus ihren schönen Augen über die
Wange herab.

»Was soll ichs Ihnen verheelen,« sagte _Florentin_ nach einer langen Pause
mit verhaltner Wehmuth: »was soll ichs Ihnen verheelen, Imada, daß ich --
Sie unaussprechlich liebgewonnen habe? warum soll ichs Ihnen nicht gestehn,
daß ich mir eine goldne Zukunft durch Ihre Gegenliebe vorschmeichelte? --
Ach, ja, Imada, Sie -- Sie waren mein lezter Wunsch in dieser Welt, weiter
hatt' ich keinen, dann hätt' ich ruhig Grab und Tod erwartet. -- Morgen
reisen Sie ab -- morgen will ich auch zurück von der Welt, und mich
flüchten in _Holders_ Einsiedelei -- -- -- O, Imada, was haben Sie aus mir
gemacht!«

»Lieber Duur -- beruhigen Sie sich. Ich hätte geglaubt, Sie wären mehr
_Mann_. Ich habe gehört, Sie sollen schon der Leiden so viel getragen
haben, -- wie, und Sie sind noch so schwach, so hinfällig?«

»Eben darum. Ich bin ein junger Baum, den alle Stürme, alle Ungewitter zu
ihrem schadenfrohen Spiel erwählt haben. Meine Blüte ist verwüstet; ich bin
zerrissen, zerschmettert; wie soll ich noch _stehn_ können, unter einem
neuen Sturm.«

»Was gäb' ich darum, Sie zu beruhigen!«

»Sie _können_ nichts geben; Sie _haben_ nichts, mir zu geben -- Sie sind
fremdes Eigenthum!«

»Würd' es zu Ihrem Troste beitragen, wenn ich Ihnen gestände, daß ich Ihnen
herzlich -- herzlich gut sey? -- Ihnen hold ward beim ersten Anblick, als
ich Sie im Walde traf?«

»Das ist ein matter Abendschein auf zerknickte Saaten, die ein schwarzes
Hagelwetter zu Boden schlug. Dies Abendlicht richtet die hingeworfnen
Saaten nicht wieder auf, sondern macht höchstens durch seine Erleuchtung
das Bild der Verwüstung noch lebhafter. -- Nein, Imada, lassen Sie mich! --
Es ist so gut! ich bin es schon gewohnt, daß immer meine theuersten Wünsche
vernichtet wurden auf eine schreckliche Weise.«

»Aber, so -- in dieser Stimmung lass' ich Sie nicht von mir! Sie müssen
wieder heitrer werden. Sehn Sie mich an -- lächeln Sie einmal! -- Nein, so
mit dem starren Blick, mit der finstern Stirn sind Sie gar nicht hübsch. --
Weg mit den Falten hier!« --

»O Imada, Ihre Freundlichkeit ist grausam!«

»Warum lernten wir uns nicht früher kennen?«

»O warum mußten wir uns jemals kennen lernen?«

Ein neues Stillschweigen trat ein. _Imada_ schien mit Wehmuth und
heimlichem Vergnügen den Kummer des Unglücklichen in seinem Gesicht zu
studiren.

Mit heimlichen Vergnügen? Nun warum nicht? Welcher Feldherr zählt nicht mit
_Vergnügen_ auf dem gewonnenem Schlachtfelde die _Leichen seiner Feinde_,
sieht nicht mit heimlicher Wollust vor sich auflodern die feindlichen
Städte unter den wirksamen Feuerkugeln, -- und _doch_ mag ihm das Herz
bluten. -- Welches Mädchen, welches Weib sieht nicht mit Lust auf die
verheerenden Siege, welches seine Schönheit erwirbt, selbst dann, wann es
die Siege nicht geniessen darf. Denn Weibern ist es genug, _gesiegt zu
haben_; die liebe Eitelkeit ist mit dem Opfer zufrieden und der Stolz
fodert nicht _mehr_ noch.

Ich sehe -- meine _Leserinnen_ -- Sie werden böse; ich lese den Wunsch in
Ihrer Seele, daß Sie mich wohl mit eben den Waffen strafen möchten, die ich
izt schalt. -- Aber wahrhaftig, ich hätte diesen gelegentlichen Ausfall
nicht gewagt, wenn ich vor Ihnen Allen nicht viel zu sicher wäre. -- Ein
Greis, der beinah siebzig Jahre zählt, und des Morgens sein Haupthaar, ohne
Puder, weisser, als das Haar manches Stutzers, findet -- der _fürchtet_
sich nicht mehr vor schönen Augen, den _locken_ nicht mehr blühnde Wangen,
den führt kein stürmischer Busen _irre_. -- Welche Rache wollen Sie nun an
mir nehmen?

Es ist nicht artig, sagen die _Kunstrichter_, wenn ein Erzähler mitten im
Text abbricht, und mit seinen Lesern von sich und ihnen spricht. Es ist
eben so wenig fein, als wenn ein Prediger mitten in seinem Eifer wider die
eitle Lust der Welt seinen Kragen in Ordnung zupft und den Locken eine
bessre Richtung giebt.

Also still!

Unterdessen, daß wir hier mit einander schwazten, hatten _Florentin_ und
_Imada_ ebenfalls nicht geschwiegen. Inzwischen was sie gesprochen haben,
weiß ich wirklich nicht; nur izt, da wir sie wieder ansehn und anhören
wollen, finden wir sie nicht mehr in der vorigen Lage, auf dem moosigten
Erdboden sitzen, sondern sie _stehn_ -- und das sonderbarste ist, sie stehn
so, wie ich ebenfalls in meinen jüngern Jahren oft gestanden _habe_, und
mancher meiner Leser vielleicht in diesem Moment um alles in der Welt gern
stehen _möchte_. -- Nämlich? -- Arm in Arm verschlungen, Aug in Auge
gesenkt, Mund an Mund gepreßt -- das heißt mit einem Worte: _küssend_. --

Wie sie zu dieser wirklich unvermutheten Stellung in allmähligen
Uebergängen des Gesprächs gekommen seyn mögen, weiß ich selber nicht. An
alle dem sind unsre episodischen, unzeitigen Plappereien Schuld gewesen.
Künftig wollen wir uns besser in Acht nehmen.

Also: _küssend_ -- --

»Und nun ists gewiß?« sagte _Imada_, indem sie den _Traurigfrohen_ sanft
zurückdrängte.

»Gewiß! ich komme zu Ihnen nach Mont-Rousseau, und zwar zu Ihrem
Vermählungsfeste, und wenn mich der Schmerz beim Anblick des Glücklichen
tödten sollte. -- Ich _komme_!«

»Das soll mir die reinste, entscheidendste Probe Ihrer Freundschaft seyn.
-- Mein Vermählungstag ist der _erste September_!«

»Gott, so bald?«

»Schon wieder der alte Ton? -- Mit einem Worte, Sie kommen. Dann wird doch
der unglückselige Tag _eine_ Freude für mich haben, und die ist -- Sie zu
sehn. O, Duur, lieber Duur -- ich hätte Sie nicht so sehr liebgewinnen
müssen, wenn meine einstige Ehe nur halbleidlich für mich seyn sollte -- --
-- Duur, Sie lieben mich, ich Sie --, Freundschaft ist oft zur Liebe
ausgeartet, lassen Sie bei uns izt die Liebe zur _Freundschaft_ werden.«

»Freundschaft ist der schönsten Lebenslust erster Sprösling; der Sprösling
treibt unter glücklichen Verhältnissen weiter auf, wird _Blume_, heißt
_Liebe_. -- Unsre Liebe in Freundschaft verwandeln, heißt der Blume ihre
Krone abschlagen, und sie dem Sprösling ähnlich machen -- ach sie wird nie
_Sprösling_ werden, sondern bleibt der _traurige Stumpf_ -- einer
zerstörten Blume.«

»Und auch dann noch dem, _der sie kennet_, lieb und theuer!«

»Wie ein Schattenriß von verstorbnen Freunden!«

»Still davon -- wir sehn uns wieder!«

»Wir sehn uns wieder!« rief _Duur_ mit Wehmuth und sank an _Imada's_ Herz.

Es war dunkler und kühler geworden. Man vermißte die _Beiden_ schon längst
in der Gesellschaft. -- Es ließ sich ein Räuspern in der Nähe hören.

»Man sucht uns auf!« lispelte _Imada_; und indem sie dies sagte, trat ihr
Oheim, der _Graf von Gabonne_ -- ein alter, freundlicher Krieger mit
narbenvoller Stirn und schneeweissem Haupte -- aus dem Gebüsch am Teich
hervor.

_Imada_ flog ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen; sie warf sich an seinen
Hals; ihre ganze Bewegung schien dem bestürzten _Duur_ Ausbruch eines
verhaltnen Entzückens, ihre Stimme ein seliges Jauchzen zu seyn.

Er rieb sich die Stirn -- diese Verwandlung hatt' er nicht erwartet; eine
solche Freude verrieth mehr, als Liebe für den Oheim, oder Vergnügen an
seinem Hieherkommen.

»Weiber! wer ergründet Euer Herz, wer studirt Eure Laune aus, wer die
Falten Eures Charakters? Niemand in der Welt, auch der erfahrenste
Menschenkenner nicht -- und Ihr selbst? -- am _allerwenigsten_!« -- rief
_Duur_ mit eingem Unwillen.




Drittes Kapitel.
Sie wandern alle in ihre Heimath.


»Leb wohl! und folg mir bald!« rief _Holder_, indem er seinen Bruder noch
einmal in die Arme schloß und an sein redliches Herz drückte.

»Leb wohl! tausend Küsse Deiner _Idalla_, und meinem _Karl_, die in der
Einsamkeit Dir entgegen seufzen. Leb wohl! Ich folge Dir bald!« entgegnete
_Florentin_, dems weh und bang ums Herz ward, ungeachtet die Scheidung
nicht auf ewig gelten sollte.

_Holder_ umarmte izt den ehrwürdigen _Grafen von Gabonne_ -- und Beide,
statt einige Rührung bei ihrer Trennung zu empfinden, und zu äussern, da
sie sich doch einander so theuer geworden waren, Beide, sag ich, brachen
statt in Thränen, -- in ein lautes schallendes Gelächter, aus.

_Florentin_ machte ein paar große Augen. -- Aber die Herrn liessen sich
nicht stöhren, sondern lachten so herzlich und so anhaltend fort, daß die
ganze Versammlung bald darauf mit einstimmte und _Florentin_, der auf keine
Weise errathen konnte, warum sich das Zwergfell dieser scheidenden Freunde
so unwillkührlich erschütterte, geneigt ward, selbst mit zu lachen.

Er erkundigte sich endlich, mit sehr verzeihlicher Neugier, nach dem Grund
dieser unerwarteten Erscheinung, aber statt aller Antwort -- lachte man. --
Lachend stieg _Holder_ in die für ihn bereitete Luftgondel; lachend empfahl
er sich nochmals und in einigen Minuten war er in der Luft ihren Blicken
entführt.

Weinend stand _Imada_ an eine Mauer gelehnt -- eben sie, die vor wenigen
Augenblicken selbst an dem Gelächter ihren grossen Antheil nahm.
Schluchzend wankte sie _Florentinen_ entgegen, schweigend küßte sie ihn,
verhüllte sich das Gesicht, und nahm in einer andern Montgolfiere ihren
Platz.

_Florentin_ verbiß seinen Schmerz.

»Am ersten September sind Sie doch bei uns?« fragte sie mit einem
wehmüthigen Lächeln.

»Gewiß!« antwortete bebend _Duur_.

»Das _müssen_ Sie,« rief der alte _Graf von Gabonne_, indem er _Florentins_
Hand schüttelte: »das _müssen_ Sie mir _feierlich_ noch einmal vor dieser
ganzen lieben Gesellschaft angeloben. Es soll Ihr Schade nicht seyn; ich
will alles dran wenden, Sie vollkommen vergnügt zu machen!«

»Ich werde erscheinen -- gewiß erscheinen!« antwortete _Duur_ mit
stockender Stimme.

»Verlassen Sie sich auf mich!« rief _Josselin_ dazwischen: »ich bürge für
ihn; er trifft mit mir zugleich bei Ihnen ein!«

Der Bund ward mit Küssen und Händedrücken wechselseitig bestätigt -- der
alte Graf sezte sich zu seiner reizenden Nichte -- die Gondel flog auf und
ruderte langsam und majestätisch durch die Luft hin, wie ein Schwan in den
Wellen.

So riß sich einer nach dem andern von _Gobby_ los. Der _Commendant_ und
_Rosalia_ mit ihrer Freundin, _Josselin_ und _Duur_ waren in einigen
Stunden wieder in der alten Heimath.

»Wie behagte Ihnen die kleine Spazierfahrt?« fragte der biedre _Commendant_
den träumenden _Duur_.

»Sie war reicher an Intresse, als das ganze Leben manches Menschen!«
erwiederte der Träumer, nicht um seine Meinung, sondern um eine Antwort zu
geben.




Viertes Kapitel.
Sie reisen zur Hochzeit.


_Duur_ war niedergeschlagen und so mißvergnügt, nach seiner Heimkunft, daß
er keine kleine Lust hatte, sich in den Salomonismus einweihen zu lassen.

Er verließ ungern sein Zimmer; floh alle Gesellschaften, so sehr es
thunlich war; nachtwandelte in seinem Zimmer, träumte, schwärmte, seufzte,
klagte und zankte mit dem Schicksal, wie es seit dem achtzehnten
Jahrhundert noch immer die Sitte der unglücklichen Liebhaber war.

_Josselin_ hingegen schien seinen Trübsinn zu verlieren und seinen Vorsatz
ausführen zu wollen, in Zukunft sich ganz dem schönen Spiel der
Sinnlichkeit zu überlassen. -- _Rosalia_ war ein reizendes Mädchen; das
wußte _Josselin_, er wußte auch noch mehr, daß er -- von ihr geliebt wurde.

Es dauerte nicht lange: so kam es zwischen ihm und ihr zu umständlichen
Erklärungen; der alte brave _Silberot_ hatte gegen diese Erklärungen keine
Sylbe einzuwenden, und -- eh mans sich versah, hieß _Josselin_ des braven
_Commendanten_ Schwiegersohn.

_Florentin_ wünschte seinem Freunde Glück -- mit schwerem, traurigen Herzen
wünschte er Glück, freuen konnt' er sich nicht.

»Damit die Lust vollkommen werde,« sagte der brave _Commendant_: »so soll
die Vermählung ebenfalls am ersten September, und zwar auf dem Gute des
Grafen von _Gabonne_ vollzogen werden. _Rosalia_ und _Imada_ sind
Freundinnen; -- das giebt ein Doppelfest, eine Doppelhochzeit.«

_Josselin_ und _Rosalia_ nickten freundlich und schweigend mit dem Kopf.

»Damit aber,« sezte _Josselin_ hinzu, indem er _Florentinens_ Hand faßte:
»unser lieber Freund dort heitrer sey, als ers bei uns izt ist; so werd'
ich mit ihm zu Fuß nach Mont-Rousseau reisen, kreuz und quer durch
Deutschland. -- Das vertreibt die hypochondrischen Grillen. Vielleicht
finden wir unterwegs ein niedliches Mädchen, das sich nicht schämen darf,
neben _Rosalia_ und _Imada_ vor dem Altar zu stehn, das nehmen wir mit uns,
wenn _Florentin_ will -- und die Triple-Allianz ist da. Zum ersten
September treffen wir gewiß in Mont-Rousseau ein.«

_Rosalia_ wollte freilich bei diesem Vorschlage etwas böse seyn -- aber
dann fiel ihr Blick auf den schwermüthigen _Duur_, und sie wars zufrieden.

_Florentin_ hatte _Josselinen_ selbst gebeten, mit ihm eine solche
Wanderung zu unternehmen, weil er doch, vor seinem Rückzuge nach _Holders_
Einsiedelei, die Genossen des dreiundzwanzigsten Jahrhundertes noch ein
wenig näher kennen zu lernen wünschte.

Es wurden also die besten Anstalten zu der Pilgerschaft getroffen, und --

Warum soll ich meinen Lesern vorerzählen von den Thränen der schönen
_Rosalia_, die sie beim Abschiede ihrem lieben _Josselin_ und _Duur_
nachweinte? -- Warum soll ich die Küsse berechnen, die wechselseitig
gegeben und genommen wurden? --

Man reiste ab.




Fünftes Kapitel.
Zuerst ins Tollhaus!


Die Reise hatte für den Bürger des achtzehnten Jahrhunderts kein gemeines
Intresse, denn, wo _Josselin_ nichts, als alltägliche Dinge, erblickte,
fand _Duur_ bewundernswürdige Neuigkeiten. Jener mußte es sich daher oft
gefallen lassen, bei den unbedeutendsten Quisquilien, wie vor ausgemachten
Seltenheiten stehn zu bleiben.

_Florentin_ lebte ganz auf; er vergaß beinah seines eignen Leidens über den
Reichthum an Glückseligkeit, welchen sich vorzugsweise selbst der ärmste
Landmann vor den Zeitgenossen des achtzehnten Jahrhunderts zu freuen hatte;
er wünschte tausendmal, daß sein ehrwürdiger Oheim izt ihn unsichtbar
begleiten, und die Wunderdinge dieses Zeitalters mit ihm betrachten möchte;
er bildete sich ein, auf dem Boden einer idealischen Republik zu wandern.

Von allen Seiten her lachte von den schönbepflanzten Weinbergen, von den
unermeßlichen Saatfeldern, von den schiffreichen Flüssen ihm Freude
entgegen; wohin er sah, fand er die goldnen Spuren der dankbaren Industrie
-- und zwar das alles in einer Gegend des deutschen Vaterlandes, wo vor
fünf Jahrhunderten noch kein Geist herrschte, wie er damals schon in der
preussischen Monarchie sich regte.

Die Dörfer waren zierlich gebaut; sie glichen kleinen Städten. Auf den
Gesichtern der Einwohner las man Zufriedenheit und Lust. Ländliche Einfalt
und städtische Wohlhabenheit paarten sich freundlich in jedem Hause; wohin
sie kamen, fanden sie, selbst in den Hütten der Armuth, einen großen Schatz
-- _Reinlichkeit_.

»Wie sich das alles so schön verändert hat!« tief _Duur_ in einer frohen
Ekstase seinem Gefährten zu: »um wie viel glücklicher ist doch, bei allen
ihren Mängeln, dennoch diese Nachwelt! -- Zu meiner Zeit hätt' ichs nicht
einmal wagen mögen, in die Hütten armer Landleute zu treten. Ich glaube,
die Gefängnisse sind izt Palläste gegen die meisten Dorfhütten des
achtzehnten Jahrhunderts.« --

»Nun wahrhaftig,« entgegnete _Josselin_: »schilderst Du doch das Vaterland
Deiner Zeit wie ein Kamschatka.«

»Es ist die Frage, ob ich daran Unrecht thäte? -- Denke Dir einen Haufen
unordentlich durch einander geworfner Hütten, als hätte sie ein Sturm
zusammengeführt und ein Wirbelwind geordnet -- diesen Haufen nannte man
sonst ein Dorf. Denke Dir eine alte, kothige Cajütte, mit Schmuz
austapeziert, mit einem Fenster, zwei Spannen lang und breit; ein
niedriges, enges, dumpfes Gemach, worin drei Odemzüge die Luft verpesten
konnten -- dazu Kinder und Eltern im Schmuz _erzogen_, mit Schmuz
_bekleidet_ -- und Du hast das anschauliche Bild von den meisten
Bauerwohnungen jener Zeit.«

»Dann hast Du Recht. So sind unsre Kerker wahre Palläste.«

»Der Bauer meiner Zeit war in vielen Gegenden nichts mehr, als das
nützlichste Vieh der _Gutsherrschaft_. Er mußte für die Ueppigkeiten seines
Herrn im blutigen Schweiß seines Angesichts arbeiten, und hatte nichts --
gar nichts davon, als einen kümmerlichen Unterhalt -- _Kartoffeln_, und
_Lumpen_.«

»Warum duldete es der Bauer?«

»Weil er _mußte_. Es kam freilich hin und wieder zu Aufständen und
Tumulten; die Sklaven rüttelten an ihren Ketten, und foderten Entlassung
von dem grausamen Frohndienst, der Ursach daran war, daß sie nie ihrer Tage
froh, und ihrer Arbeit Früchte mächtig wurden -- allein selten halfs. Die
Edelleute und Gutsbesitzer hatten Geld, Gönner und einen Schein des
Rechts.«

»Was? einen Schein des Rechts? willst Du mir von Deinem Jahrhundert Märchen
aufbinden? einen _Schein des Rechts_ Menschen für sich, die ihre
Mitmenschen statt des Lastviehs gebrauchten und sie nothdürftig dafür mit
Kartoffeln und Lumpen bezahlten?«

»Warum nicht? die Gutsbesitzer beriefen sich zum Beispiel auf alte
Verträge, und sagten: unsre Vorfahren luden vorzeiten diesen und jenen ein,
ihr Land zu bauen. Dafür wollten sie eine Hütte, und soviel Acker geben,
daß man sich davon nähren konnte. Der Vertrag war geschlossen, und erbte
auf Kinder und Kindeslinder fort. Daher schwelgte der Gutsbesitzer immer in
Ueberfluß und sein armer Unterthan mußte sich bei Wasser und Brodrinden
_quid iuris_ lehren lassen, wenn es ihm zur unrechten Zeit beifiel, daß er
doch _auch ein Mensch sey_. Ja, der Gutsbesitzer ließ sich wohl gar noch
einen _Menschenfreund_ und _Wohlthäter schelten_, wenn er bei schlechten
Erndten seinen armen Unterthanen aushalf, damit sie nicht --
_verhungerten_. Im Grunde that er ihnen nicht mehr Gutes, als seinem
Vieh_,_ welches er füttern _mußte_, wenn er seine Felder in der Zukunft
damit bestellen wollte.«

»Das ist traurig!«

»Wenn nun so ein armer Schelm _vier_ saure Tage in der Woche für seinen
Herrn, und einen, oder zwei für sich gearbeitet hatte, so war der siebente
Tag -- Ruhetag. Dann ging er in die Kirche, und ließ sich von seinem oft
herzlich unwissenden Pfarrer etwas _über die Leiden der Gerechten in diesem
Jammerthal_, oder einige Geheimnisse der _Dogmatik_ vorpredigen. -- Du
kannst leicht denken, wie es da um die _Bildung des Geistes und des
Herzens_ der Bedauernswürdigen stand. Die wenigsten konnten lesen und
schreiben.«

»Schändlich! und doch haben die Genossen jenes Zeitalters ihr Jahrhundert
das _philosophische_ nennen können?«

»Scherz! es gab damals noch _Philosophen_, die sogar in Barbara und Ferio
bewiesen, daß es _höchst schädlich_ seyn würde, dem _größten Theil
derselben vernünftige Begriffe beizubringen_, behaupteten: der Landmann
müsse in seiner dumpfen Unwissenheit gelassen werden; die Frohndienste
wären das fruchtbarste Befördrungsmittel der ländlichen Industrie,
besonders da man dann und wann fände, daß _freie_ Bauern weit armer und
_lüderlicher_ wären, als die frohnenden.«

»Ich mag nichts weiter hören von der Barbarei Deiner Philosophen -- so was
kömmt mir in _bösen Träumen_ wieder vor!« rief Josselin bewegt: »so dank
ich dem Schicksal, welches mich ein halbes Jahrtausend später in die Welt
warf.«

Mit solchen Gesprächen verkürzten sich unsre Pilger den Weg. _Josselin_
fühlte sich dann jedesmal einen Grad trauriger, _Florentin_ einen Grad
fröhlicher.

Sie kehrten unterwegs gewöhnlich bei den Pfarrern auf dem Lande ein, welche
im Durchschnitt Männer von Kenntniß und Erfahrung waren, die so viel Gehalt
besaßen, daß sie _ohne Nahrungssorgen_ gemächlich leben _und_ sich ihrem
wichtigen Amte _ganz_ widmen konnten.

Die Wichtigkeit ihres Amtes bestand aber nicht darin, daß sie ihre
Catechismusschüler zu _Papageichristen_ bildeten, sich _magre_ Predigten
und _fette_ Aecker besorgten, auf Beichtgroschen lauschten oder in träger
Muße ihre Tage gedankenlos hinhungerten: sondern sie waren die
Sittenrichter, die Lehrer, die Seelenärzte ihrer Gemeinde, und ausserdem
die _leiblichen_ Aerzte derselben. Jeder Landprediger mußte Medicin
studirt, und so gründlich studirt haben, daß er im _Collegio medico_ der
Hauptstadt reif befunden wurde. Dies gab den guten Pfarrern in ihren
Bezirken einen doppelten Werth und doppeltes Verdienst. -- Statt der
_Septuaginta, Concordanz_ und _hebräischen Bibel_ fand man in ihren Zimmern
ein _Arzneischränkchen_, welches auf Unkosten der Gemeinde immer im Stande
gehalten ward.

Aber unsre Wandrer entdeckten auch auf ihrer ganzen Reise kein Dorf, in
welchem der Leib- und Seelenarzt nicht der Liebling, der Allgemeinverehrte
war; wo nicht mit Freundlichkeit und kindlichen Vertrauen sich ihm
jechlicher nahte. Mit welchem Gefühl mußte so ein Mann auf der Kanzel
stehn, wenn er die um sich versammelt sah, welche ihm oft die Rettung des
Lebens, oft die Rettung der Seele zu danken hatten!

»Ja, meine Herrn,« sagte einstmals ein Landgeistlicher im Gefühl seines
Werths zu unsern Abentheurern: »ich gesteh es gern, daß der Stand, in
welchem ich lebe, ein beneidenswürdiges Glück mit sich führt für jedes gute
Herz. Wer in der Welt kann sich der Freude rühmen, so täglich mit eignen
Augen die Saat reifen zu sehn, welche er auswarf? Meine Gemeinde ist meine
Familie; ich bin ihr Vater, ihr Vertrauter zu dem sie in Verlegenheit
flieht, der Schöpfer ihres guten Herzens, der Beschirmer ihrer Gesundheit.«

»Ein schönes Loos!« rief _Florentin_: »vorzeiten wars nicht so. Da mußte
der Landgeistliche hebräisch und grichisch verstehn; man hätte ihn
ausgelacht, wenn er statt dessen seine medicinischen Kenntnisse zeigen
wollte.«

»Das war _vorzeiten_! Gott seys gedankt, wir leben in einem _vernünftigern
Jahrhundert_, wo die Lehrer des Volks den _ersten_ Lehrern des
Christenthums ähnlicher werden. Waren nicht auch Christus und die meisten
seiner Apostel Leib- und Seelenärzte? -- So lange man in den Kirchen noch
_hölzerne Kelche_ besaß, hatte man noch _goldene Priester_; seitdem die
Christen sich _goldner Kelche_ freuten, hatten sie _hölzerne Priester_. --
Sehn Sie, es wäre ja traurig wenn mir uns nicht endlich wieder über das
barbarische Alterthum emporschwingen wollten.«

Nicht genug, sich nur mit den Honoratioren in den Dörfern vertrauter zu
machen, besuchte _Florentin_ auch die glücklichen Landleute in ihren
Wohnungen. -- Ueberall ward er mit Höflichkeit und patriarchalischer
Gastfreundschaft empfangen; niemand fragte auch nur mit einem scheelen
Blick: wer bist du? was willst du? -- Selbst der Aermste sezte ihm ein
reinliches Butterbrod, ein klares Glas Wassers vor.

»Gott! welch ein herrliches Volk ist das!« rief _Duur_ mehr, als einmal:
»und Du, Josselin, kannst da so ruhig, so gefühllos stehn, -- auch nicht
einmal eine Spur von Freude äussern?«

»Ich sehe nicht ein, warum ich immer, wie Du, den Entzückten spielen soll?«
entgegnete _Josselin_: »ists denn so was Wunderbares, daß der Bauer kein
_Vieh_, sondern ein _Mensch_ ist?«

Einigemal hatten unsre Pilger das Vergnügen, einem Bauernexamen
beizuwohnen, einer Sitte, welche _Josselinen_ selbst neu war, weil sie erst
auf landesherrlichen Befehl seit Kurzem eingeführt war.

Jeder Bauer nämlich, welcher sich in einem Dorfe häuslich niederlassen,
oder sich verheurathen wollte, mußte sich vorher einer gewissen Prüfung
unterwerfen, die der _Prediger_ und der _Oberbauer_ des Dorfes führten. Er
mußte beweisen, daß er Kenntnisse genug habe, um ein guter Mensch, ein
guter Unterthan, ein guter Gatte, ein guter Landmann zu seyn.

Diese Kenntnisse konnten leicht erworben werden, theils durch den
Schulunterricht, theils durch das Lesen nützlicher Bücher, welche für den
Landmann geschrieben waren.

In den Schulen lehrten nun freilich keine _Invaliden_, keine _verlaufne
Schneidergesellen_, wie im _philosophischen_, _achtzehnten_ Jahrhundert,
sondern zu diesem Unterricht gebildete Männer. Ihre Schüler lernten nicht
nur lesen, schreiben, rechnen, Religions- und Sittenlehren, sondern auch
allerlei nützliche Haus- und Wirthschaftsregeln, und andre im gemeinen
Leben heilsame Dinge.

Dazu kam noch, daß jeder Hausvater für seine Familie einige vom Landesherrn
vorgeschriebne Bücher halten mußte, die deutlich und faßlich über allerlei
Gegenstände der Natur und des häuslichen Lebens, vom Benehmen bei Feuer-
und Wassergefahr, bei Gewittern, bei Kranken und Sterbenden, u. s. w.
handelten. Ohne diese Bücher konnte kein Bauer so wenig ein Hausvater, als
vordem ohne Bibel, Catechismus und Gesangbuch ein Christ werden.

»Schmäle, so viel Du willst,« sagte _Duur_: »meine Freude ist eben so
gränzenlos, als meine Verwunderung! Ich begreif es in Ewigkeit nicht, wie
man den Landmann zu einer solchen Stufe der Polizirung hinanbringen
konnte.«

Josselin. (lächelnd.) Das find ich nicht unbegreiflich. Kann man doch Bären
tanzen und Hunde exerziren lehren.

Duur. An der Fähigkeit des Bauern, ein Mensch zu _werden_, zweifle ich
nicht. Ich wundre mich nur über den Willen, -- daß man ihn zum Menschen zu
machen _gewollt_ habe.

Josselin. _Gewollt_? ich verstehe Dich nicht.

Duur. Das glaub' ich gern. Zu meiner Zeit hieß es noch: wozu hat der Bauer
die Bildung des Herzens und des Verstandes nöthig? -- das ist Ueberfluß. Es
ist genug, wenn er sein Feld bestellen und zur gehörigen Zeit seine Abgaben
entrichten kann. -- Ob so ein wirklich _unglückliches_ Wesen nicht eben so
gut Ansprüche auf die höhern Freuden der Menschheit, auf die Freuden des
Herzens und des Geistes, auf gewisse Bequemlichkeiten u. s. w. habe, als
der Stadtbewohner, darauf ward gar nicht einmal Rücksicht genommen. Kurz,
er war ein Bauer, ein _gebornes_ Lastvieh in der Welt.

Josselin. Das ist schändlich gedacht.

Duur. Glaube mir, daß ich ausgelacht geworden wäre, wenn ich im achtzehnten
Jahrhundert nur prophezeit und vorgeschlagen hätte, was izt Wirklichkeit
ist.

Josselin. Das sieht dem achtzehnten Jahrhundert ähnlich.

Duur. Freilich entdeck' ich nicht, woher die Kosten zur Besoldung der
Schulmeister, Prediger, Anschaffung der Bücher und dergleichen mehr
gewonnen sind.

Josselin. Ich bin zu unbewandert in der speciellen Geschichte der Staaten
und ihrer Finanzveränderungen, um Dir das Räthsel zu lösen. So viel aber
weiß ich, unsre Fürsten füttern an ihren Höfen keine Ceremonienmeister,
Hofmarschälle und Castraten mehr, wie sonst; sie vertheilen das ungeheure
Gehalt solcher unnützen Staatsfiguranten, und befördern damit die Cultur
ihrer Unterthanen.

Duur. (ihn anstarrend.) Bist Du -- -- -- ach, verzeih, ich lebe ja im
dreiundzwanzigsten Jahrhundert! -- So ist wirklich also die Polizirung der
obern und niedern Glieder des Staatskörpers in gleichen Verhältnissen
gewachsen.

Josselin. Ei nun, die Welt wird ja mit jeder Periode älter, sollte sie
nicht auch klüger werden? Man hat ja traurige Erfahrungen genug erlebt;
sollte man sie nicht benutzen? Der Staat wurde schon von den alten
Politikern mit dem menschlichen Körper verglichen, aber sie umfaßten den
großen Sinn des schönen Vergleichs nicht. -- Wenn der Kopf alles Blut aus
dem Leibe an sich ziehn will: so entsteht aus diesem falschen Verhältniß
gewöhnlich Schwindel und Ohnmacht; die Füße schwanken und versagen beim
besten Willen den Dienst -- ein Schlagfluß zerstört dann am Ende wohl die
ganze Maschine. So ists mit dem Staat. Der regierende Stand ist das Haupt;
Bauer und Bürger tragen und erhalten den Körper; das cirkulirende Geld ist
das Blut. Das Haupt muß freilich _verhältnißmäßig_ immer das meiste Blut,
der regierende Stand den meisten Reichthum haben. Zerstört dieser aber die
Ordnung der Natur, zieht er den Reichthum _allein an sich_, schmachtet der
erwerbende und ernährende Stand in Armuth: so verlieren die _Füße_ ihre
Kraft, und der Körper stürzt unter dem falschen Verhältniß ohnmächtig
nieder. -- Eine Reihe schrecklicher Revolutionen hat endlich im Catechismus
der Politiker mit _blutiger Schrift_ das richtige Verhältniß der
_verzehrenden_ und _ernährenden_ Volksklasse bestimmt.

Duur. Es ist traurig, daß die Menschen keine andre Lehren lieben können,
als solche, die unter Donner und Blitz von Sinai herab gegeben, oder von
der Erfahrung mit blutigem Finger geschrieben wurden.

Josselin. Das ist Menschenloos bis an der Welt Ende! Die Sterblichen
gebrauchen die Vernunft, wie ihre Taschenuhren, mehr um mit den _Berloken_
derselben zu _glänzen_ und zu _spielen_, als sich nach ihrem _Weiser zu
richten_. Daher sind die wenigsten Uhren aufgezogen, noch weniger richtig
gestellt. Mit der menschlichen Vernunft stehts nicht besser.

_Florentin_ seufzte tief auf.

Sie erreichten endlich eine ansehnliche Stadt, worin _Florentin_ für seine
Wißbegierde keine gemeine Nahrung zu finden hoffte.

»Zuerst ins Tollhaus!« rief _Josselin_: »damit Du Dich von Deinem Entzücken
über die Menschheit etwas erholest.«




Sechstes Kapitel.
Was ist der Mensch!


Am folgenden Tage, als sie sich von den Ermüdungen der Reise etwas erholt
hatten, wanderten sie wirklich, _Josselins_ Vorschlag gemäß, den
Behausungen des Elendes zu.

Abgesondert von der Stadt, auf einer Anhöhe lag, umgeben von hohen,
unübersteiglichen Mauern, der Ort, welcher von den Einwohnern des Landes
_die Jammerburg_ genannt wurde -- ein charakteristischer Name für das
Aeussre und Innre dieser Stätte.

Der Weg führte über eine schmale Zugbrücke zum Eingang durch die Ringmauer.
Ueber dem Thore lag, in Stein gehauen, der trauernde _Genius der
Menschheit_, mit erloschner Fackel, die er an dem Altarfeuer, bei welchem
die _Tugend_ und _Vernunft_ wachen, wieder anzünden zu wollen scheint. --
Darunter stand die goldne Inschrift: _Eingang zum Siechenhause des
menschlichen Verstandes_.

»Du darfst aber nicht glauben,« sagte _Josselin_: »daß hier nur der
Aufenthalt der Wahnsinnigen und Rasenden sey; nein, hier werden auch
Verbrecher jeder Art aufbewahrt, die, abgesondert von der glücklichen
Menschheit, ihre Sünden mit dem Verlust der Freiheit und bitter schwerer
Arbeit büßen müssen. -- Man rechnet also auch die unmoralischen Handlungen
und Gesinnungen zu den Krankheiten des Verstandes.«

Der Aufseher der Jammerburg, ein dem Anscheine nach sehr
menschenfreundlicher Mann, führte unsre Pilger, so lange sie wollten, durch
alle Zimmer der Unglücklichen, die nach den verschiednen Arten ihrer
Krankheiten in verschiednen Revieren wohnten.

Am auffallendsten waren unserm _Duur_ zwei Erscheinungen, nämlich, das der
größte Theil der Wahnwitzigen in der Jammerburg die Rolle der _Philosophen_
spielte, und daß die meisten von denen, welche in theologische Narrheiten
verfallen waren, entweder _Schuster_ oder _Mediciner_ gewesen.

Unter den _philosophischen Narren_ zeichnete sich vorzüglich ein gewisses
Faulthier aus, welches nichts anders that, als as und trank, schlief und
träumte, und auch mit den größten Martern zu keiner nützlichen Arbeit
bewogen werden konnte. Es war ein Mann in den besten Jahren, reich an
Kenntnissen, aber ohne Gefühl für Ehr und Schande, für Tugend und Laster --
und das sonderbarste von allem, er war, was er war, aus _Grundsätzen_.

Wenn er sich ja noch einer Beschäftigung unterzog, so war es die, zu
schriftstellern, nicht aber damit der Welt, sondern nur der Ausbildung
seines eignen Ichs zu nützen, wie er vorgab. Seine Gedanken waren schön
gesagt, zusammengreifend, oft sehr scharfsinnig. Er duldete es auch, daß
sie gedruckt wurden, aber bald duldete es die Landesregierung nicht mehr.
Denn sein philosophisches System, welches er aus den Systemen des
Idealismus und Salomonismus zusammengeflickt hatte, machte Proselyten, und
ein Dutzend Narren mehr, von seinem Schlage.

Er bildete sich ein, daß er ein höheres Etwas, ein Lieblingswesen des
unbekannten Welturhebers sey, welcher ihn dazu bestimmt habe, ihn zu sich
und zur seligen Theilnahme an seinen Vollkommenheiten zu erheben. Zu diesem
Zwecke führe das höchste Wesen ihn durch die Schule des Universums, um ihn
zu der großen Stufe auszubilden, welche er dereinst betreten solle. Er
behauptete, schon früher existirt zu haben, als auf dem Wandelstern,
welchen wir Erde nennen; allein von dieser Präexistenz seines Ichs sey nur
eine dumpfe Ahndung in dem Gedächtniß heimgeblieben.

Die Welt, mit allen ihren Theilen, sagte er ferner, sey -- nicht für das
höchste Wesen, denn dieses bedarf keiner Schule, keiner elenden Sinnenlust
für sich, sondern -- für ihn erschaffen. Alle Gegenstände, ausser ihm,
wären nur Erscheinungen, und für ihn da, um seinen Verstand daran zu üben.
Diese vergänglichen Erscheinungen -- welche bei seinen Uebergang in eine
höhere Schule auf immer verschwinden, wie die belustigenden Bilder einer
Laterna magica, nachdem sie nicht mehr nöthig sind -- wären ein Spiel der
Nothwendigkeit, nach dem Plan des höchsten Wesens, zu seiner Bildung; es
habe daher eigentlich nichts einer wirklichen Freiheit sich zu rühmen --
Tugend und Laster, Ehr' und Schande sehen nichts als Begriffe, an deren
Bearbeitung und Pflegung sein Ich nichts, als mehr subjektive Fertigkeit
des Denkvermögens in ihm, gewönne. Die Begebenheiten der Vorwelt seyen
nicht wirklich geschehn, sondern gehörten mit zu dem Schein, zu den
Bildern, welche zur Veredlung seines Ichs aufgestellt, und in andern
Mittelwesen eingepflanzt wären, um sie ihm vorzuhalten. -- Der Zweck seines
Daseyns sey daher, nicht etwa zu arbeiten und mit dem ihm umgebenden Schein
sich, als mit Realitäten, einzulassen, sondern nur in contemplativer Ruhe
das für ihn aufgeführte Schauspiel zu betrachten, und darüber weiter
nachzugrübeln. -- Was man ihm vom Tode sagte, sey nichts anders, als ein
Wink, welchen ihm das höchste Wesen geben wolle über den Hintritt in eine
andre Schule. Der Tod, oder die Vernichtung des gegenwärtigen Schauspiels,
sey daher nichts weniger, als furchtbar, sondern ihm willkommen. Er müßte
aber geduldig warten, bis ihn das große Weltwesen abrufen würde, mittelbar
oder unmittelbar. -- Die Schmerzen und Einschränkungen, die er in seiner
gegenwärtigen Lage zu erdulden habe, müßten mit in den großen, für ihn izt
noch unbegreiflichen Plan des ersten Urhebers der Dinge liegen, sonst
begriffe er nicht, wie er dazu käme, noch wozu sie ihm nüzten. Die
Anstalten, welche man getroffen habe, ihn von seinen Ideen zurückzubringen,
seyen von seinem Erzieher angeordnet, ihn darin fester zu machen, weil er
dadurch Gelegenheit gewönne, noch mehr über die Täuschung und den Schein
der Dinge nachzudenken, und seine Kraft beim Widerstande zu üben.

Stellte man diesem Philosophen vor, was aus der menschlichen Gesellschaft
werden würde, wenn jeder einen ähnlichen Egoismus in sich nährte, so
antwortete er: die mir scheinbar ähnlichen Gestalten hängen so wenig von
ihrer, als meiner Willkühr ab; sie _müssen_ sich so bewegen, so handeln, so
zu wollen scheinen, als es dem Plan des höchsten Bildners entsprechend ist.
Sie _können_ folglich nichts, können auch nicht einmal _wollen_.

_Duur_ fragte ihn: »womit er sich denn bewiese, daß alles ausser ihm nur
Spiel und Schein, er allein nur das Lieblingswesen des höchsten Urhebers
sey? -- und womit er diesen ausschliessenden Vorzug verdient habe?«

»Womit ichs verdient habe?« antwortete der Philosoph: »da müßtest Du nicht
_mich_, sondern das höchste Wesen fragen, wenn Du _könntest_. Ich bin ohne
Verdienst; es ist aber nun so der Wille des grossen Weltwesens, mein Ich zu
schaffen und zu bilden. -- Womit ich beweise daß außer mir nur alles Spiel
und Schein sey? -- Dies sagt mir erstlich mein innres, vom Weltwesen mir
gegebnes, leitendes Gefühl, zweitens weil ich wirklich von der Außenwelt
auch durchaus _nichts anders weiß_, als daß sie eine Reihe vorübergehnder
Erscheinungen sey, die sich auf mich bezieht. Noch hat mir das Gegentheil
keiner bewiesen.«

»Warum aber sollte das Urwesen sich nur _einen_ Liebling geschaffen haben,
warum nicht _mehrere_ glücklich machen wollen?«

»Warum sollte das Urwesen _mehrere_ Lieblinge sich erkoren, und nicht an
_einem_ sich begnügt haben?«

»Stimmt jenes nicht harmonischer mit dem großen Ideal, welches der
menschliche Geist sich von der Gottheit entwerfen _muß_?«

»Freilich _muß_! -- Du _kannst_ nicht anders, als _so_ denken, wie Du
denkest. Hast Du aber Deines Ideales reelles Objekt jemals kennen gelernt?
Hast Du dem verborgnen Weltwesen in den ewigen, willkührlichen Plan
geschaut?« --

Bei diesen Worten wandte sich der Philosoph mit vieler Ruhe und
Selbstzufriedenheit von dem Frager ab, wahrscheinlich, um über diese
Unterredung weiter zu speculiren.

_Duur_ konnte sich einer Verwundrung über die sonderbare Mischung von
_Scharfsinn_ und _Narrheit_ nicht erwehren.

»O,« rief _Josselin_ lächelnd: »wundre Dich nicht. Es giebt der
philosophischen Narren in Deutschland heuer so viele, daß nicht diese
Jammerburg, und wäre sie dreimal größer, sie beherbergen könnte, wenn sie
versammelt würden. Aber man läßt sie frei unter den Menschen umherwandern,
wohl gar von den _Cathedern_ predigen, weil sie zum Glück ihre Theorien
nicht im gemeinen Leben anwendbar machen.«

»Sie haben recht,« sagte der _Aufseher_, indem er ein andres Gemach
eröffnete: »auch dieser Mensch hier hat in der Theorie noch viele seines
Gleichen. Er ist ein theologischer Narr, dem die Schriften des Bischofs von
Hippo den Kopf verrückt haben. Er glaubt und, lehrt, daß Gott, ohne
Rücksicht auf die Handlungen der Menschen, einen Theil der Erdbürger zur
ewigen Lust, den andern zur ewigen Quaal verdammt habe, und eben darum nahm
ers sich nicht übel, seinen einzigen Sohn tödtlich zu verwunden, weil
dieser das Gegentheil behauptet hatte.«

_Duur_ seufzte: »treibt das Augustinische Gespenst auch noch im drei und
zwanzigsten Jahrhundert seine Spuckerei?«

»Weißt Du nicht, daß von tiefen Wunden wenigstens tiefe Narben bleiben?«
entgegnete _Josselin_.

»O!« fuhr _dieser_ fort, als sie nach einigen Stunden die Jammerburg wieder
verlassen, und noch immer die grausenhaften Bilder des Elendes vor der
Seele schweben hatten: »wo bleibt _hier_ des Menschen schönste Hoffnung,
sein seligmachender Traum von Hoheit und Majestät der menschlichen Natur?
-- Worin gründet sich diese Majestät, oder der Traum von ihr? -- gewißlich
leider in unsre Unwissenheit über uns selbst, wo Eitelkeit und Phantasie
das liebliche Lustschloß hinbauten, ohne den Boden zu prüfen! -- Elend und
gebrechlich erscheinen wir in der Welt, oft ohne Absicht unsrer Urheber.
Wer dachte an uns in der fröhlichen Stunde, darin wir gezeugt wurden, wo
nicht wir, sondern die Stillung eines wilden Nervenkützels lezter Zweck
war? -- _daß_ wir erschienen, war die Folge einer Tändelei, wozu ein
Gläschen Weins, Einsamkeit und Ohngefähr das Signal gaben.«

»Eben so gehn wir hinaus aus der Welt, und bleiben uns am Ende der kurzen
und mühseligen Laufbahn selbst die Antwort zur Frage schuldig: _wozu waren
wir da?_ -- Wir kamen, ohne unsern Willen, und müssen davon, ohne daß wirs
wünschen. Wir haben im Leben kein Auge für den Tod; er wandelt uns immer
zur Seite. Wir trinken seinen Gift aus Weinkelchen und Arzeneigläsern; im
frohsten Tanze springt unsichtbar der Würger mit.«

»Das Beste hoffen wir freilich von unsrer unsterblichen Seele und ihrer
Fortdauer in andern Welten. Aber es ist traurig, daß von den Gegenden
jenseits des Grabes immer nur diejenigen erzählten, schrieben und,
schwärmten, welche das goldne Eldorado selbst nur erst aus _Büchern_
kannten. Niemand, welcher dahin wanderte, drehte sein Angesicht zu uns
zurück und rief: Land! Land!« --

»Wir schmeicheln uns unnennbare Vollkommenheiten vor, welche drüben das
Eigenthum den Geistes werden sollen. Die gutwillige Einbildungskraft leiht
zu dem Gemälde ihre schönsten Farben her, und unsre Philosophie behauptet
mit weisem Ernst: Vervollkommnerung ist das hohe Ziel unsers Daseyns!« --

»Aber wenn wir nun schon auf Erden abfallen sehn, nach einem gewissen
Zeitpunkte, die Blüten und Früchte der Vollkommenheit? wenn wir nun sehn,
wie der _gereifte Mann_ allmählig wieder zum _welken Greise_ abstirbt, und
mit dem _Körper_ zugleich der _Geist_? -- Wenn wir den Mann, welcher die
höchste Ausbildung in sich trug, der die Sterne und ihre Bahnen maß, die
Wunder der Natur entschleierte, oder Welttheilen Gesetze schrieb, wenn wir
ihn in einem Alter von siebzig, achtzig Jahren wieder entkleidet finden von
seinen Vollkommenheiten, und sehn ihn wieder _kindisch mit seinen Windeln_
spielen? -- was sagen wir da? was sollen wir dann noch hoffen? Wohl dem,
der dann die Augen wegdrehen kann; wehe dem, der mit dumpfen Erstaunen das
Bild der Vergänglichkeit durchforscht!«

»Welch ein Bewandniß muß es mit unserm unsterblichen, zur ewigen
Vervollkommnerung berufnen Geist haben, wenn eine Zerschellung des
Hirnschädels seine Systeme zerrütten, sein Gedächtniß verwüsten, seine
Einbildungskraft verwirren, seinen Verstand zertrümmern kann? Tödte einen
Nerven in Deinem Hinterhaupte, wo man der unsterblichen Seele die Residenz
anweiset, und Du tödtest mit dem Nerven eine Million Vorstellungen
zugleich! -- Wenn einst dieser Nerven Spiel erstarrt, und ihre Organisation
im Grabe von der Fäulniß verwüstet liegt, wird dann noch dem mörderischen
Arm der Verwesung etwas entrinnen, was einer Vorstellung ähnlich sieht? --
Wird dann noch entfliehn, das was bis dahin in uns _Kraft_ hieß? Wenn der
Baum, welcher einst lachende Früchte trug, so lang er mit seinen Wurzeln
unter der Erde sog, dieser Erde entrissen ist, hat er dann noch die _Kraft_
zum Blütetreiben und Fruchtbringen?«

»Ach, Duur, lieber Duur, _was ist der Mensch_?«




Siebentes Kapitel.
Das Fest der Menschheit.


Die Wandrer kamen in die Stadt zurück. Es war schon spät. Traurig und
verstimmt legten sie sich zu Bett. -- »Hier ist Wohlseyn!« rief _Duur_.

»Ja wohl,« entgegnete _Josselin_: »_Nichts_ haben, _nichts_ empfinden,
_nichts_ wissen, ist auch ein Reichthum, auch ein Glück!«

»Unser ewiger Reichthum im Grabe!« sezte _Florentin_ hinzu.

Unter dem lärmenden Schall der Trompeten und Pauken erwachten sie am andern
Morgen. Die Sonne war schon hoch herauf. Man brachte das Frühstück;
_Florentin_ und _Josselin_ warfen sich ins Fenster um sich am bunten
Getümmel der Menschen in den Straßen unten zu weiden.

»Es scheint heut ein wichtiger Tag dieser Stadt zu seyn!« sagte _Duur_,
indem er mit Verwundrung und Vergnügen die vielen fröhlichen Gesichter
zählte.

»Das Fest der Menschheit!« erwiederte mit lachender Miene der _Aufwärter_.

»Ein herrliches Volksfest!« intonirte _Josselin_: »Heut wollen wir wieder
selig seyn, und die düstre Jammerburg vergessen.«

»Wie so?«

»Es ist ein Tag der allgemeinen Freude, ein Festtag der Liebe, der
Barmherzigkeit und jeder gesellschaftlichen Tugend! Hurtig, wir wollen uns
ankleiden, und unsre Börsen füllen, um den Armen wohl zu thun.«

»Du bist ja einem Entzückten gleich.«

»Und Du einem Erstaunten. Es ist wahr, ich dachte nicht daran, daß Du ein
Kind des achtzehnten Jahrhunderts seyst; aber wer kann sich auch immer
daran erinnern? -- Ich muß Dir nun wohl erst eine umständliche Vorbereitung
geben, wenn Du den heutigen Tag recht schmecken sollst. Aber wahrhaftig,
ich bin grade izt zu den Vorbereitungen wenig aufgelegt.«

»Nur kurz und bündig den Inhalt und die Ursach des Festes!«

»Das ists eben, wovor ich mich fürchte; da muß ich Dir ja eine besondre
Rede über unsre Feste halten.«

»Nur Skizze!«

»Wahrhaftig, mehr sollst Du auch heut nicht von mir fodern dürfen. -- Also
_Ursach_ und _Inhalt_ des Fests? -- Ursachen kann ich Dir von dieser
Feierlichkeit nicht mehr und nicht weniger angeben, als von jeder andern.
Man will dadurch Herz und Geist des Volks erfreun, den Umlauf des Geldes
rascher befördern, Gemeingeist und Brudersinn erwecken und was man nun von
solchen Gelegenheiten mehr anzugeben pflegt. -- Vor Zeiten wurden mehr
Kirchen- als Nationalfeste gefeiert; seit anderthalbhundert Jahren sind
mehr National- als Kirchenfeste. Vor Zeiten war fast jeder _Sonntag_ ein
christlicher _Festtag_, izt ist der Sonntag nur _Ruhetag_ und großer
Volksfeste haben wir in jedem Jahresviertel nur ein _einziges_.«

»Und die christlichen _Kirchenfeste_?«

»Sind beinah sammt und sonders secularisirt. Die Welt hat an ihnen nichts
verloren; gewiß aber mit ihrem Verlust gewonnen.«

»Das möcht' ich nicht behaupten. Die _Religion der Christen_ hat
_unstreitig_ durch die Aufhebung oder Secularisirung der Feste von ihrer
Autorität und Wirksamkeit vieles eingebüßt.« --

»Laß doch die _Religion_ einbüßen, wenn die _Menschheit_ nur Vortheile
erringt.«

»Ist eins ohne das andre _möglich_?«

»Gewiß; nur ehrlich Nach- und Vortheile gegen einander abgewogen! -- Wozu
wurden die Kirchenfeste angeordnet? Wir wollen den Stiftern den _edelsten_
Zweck beimessen, wollen nicht daran denken, daß der hierarchische Sinn der
ersten Anordner vielen Antheil daran hatte, sondern glauben: daß man sie
einsezte, um durch die Feier der wichtigsten Begebenheiten des ersten
Christenthums einen Enthusiasmus für die Religion selbst zu befördern.«

»Ich bin mit dem Zweck zufrieden.«

»Wurd' er _erreicht_? -- Selten war darunter ein Fest der Freude -- es
waren mehrentheils _Buß_- und _Bettage_, welche den durch tausend
Widerwärtigkeiten niedergebeugten Geist nicht im Stande waren aufzurichten
und zu erquicken für die folgenden Schicksale. Das alte Sündenregister ward
unaufhörlich revidirt und in der Nachbarschaft des Himmels der höllische
Flammenpfuhl gewiesen. Eine schwermüthige, düstre Schwärmerei war
gewöhnlich die ganze Frucht des Festes für den, welcher es mit ganzer
Seele, nach der jedesmaligen Anlage der Tagesfeier, begangen hatte.« --

»Aber wie viele begingen es so?«

»Desto schlimmer; so ward die ganze Absicht der Stiftung verfehlt. Der
Reichere, oder sich aufgeklärt Dünkende, erinnerte sich nicht an den Sinn
des Festes, sondern machte dieses zu einer Gelegenheit größerer
Lustbarkeiten. Man verpraßte den kostbaren Tag in dem Ringe seiner Tisch-
und Kellerfreunde, und des Nothleidenden gedachte man grade dann am
seltensten. Der Stolz des gemeinen Mannes feierte das Fest wieder auf eine
besondre Weise; neue Kleider mußten an diesem Tage figuriren, und ein Wein-
oder Brannteweinsrausch Leib und Gemüth erquicken. -- Was gewann dabei die
_Religion_, was die _Menschheit_?«

»Ich kann Dir nicht widersprechen.«

»So lange die Deutschen mehr Kirchen- als Volksfeste hatten, war an keinen
_Gemeingeist_ zu denken; nicht einmal an Gemeingeist in einzelnen
_Städten_; ich will nicht von _Staaten_ sprechen. Man ließ die bequemste
Gelegenheit ungenüzt entschlüpfen, das schöne Band der Eintracht um die
Herzen der Bürger zu schlingen und für Tugend und Vaterland zu begeistern.
Nie wurde ein Versuch gemacht, die Menschen einander, als _Brüder und
Schwestern_, näher zu führen; nie wurde ein Versuch gemacht, den
schneidenden Unterschied der Stände zu mildern, Stolz und Neid, Egoismus
und Kabale, und alle tausend Wurzeln oder Nebenzweige des Partheigeistes,
trotz seiner Verderblichkeit für das gemeine Wesen, zu vernichten. Es
fehlte daher den Deutschen Deiner Zeit an dem, was _allein_ Nationen, so
wie einzelne Familien, _liebenswürdig_ macht, -- _Geselligkeit, Humanität_!
Der Vorwurf, welcher ihnen von jeher gemacht ward, gebührte ihnen
_rechtens_; sie waren im Durchschnitt, halbpolizirte, steife, träge Thiere,
unter sich selbst nie Freunde, sondern mit hündischem Geiz nur das eigne
Intresse bewachend.«

Unter diesem Gespräch hatten sie sich beide angekleidet.

»Vom Inhalt des heutigen Festes magst Du Dich mit Deinen eignen Sinnen
belehren!« sagte _Josselin_ und führte seinen Freund hinaus auf die Straße,
wo alles von Fußgängern, Reutern und Wagen wimmelte.

_Florentin_ konnte sich des Lächelns nicht erwehren beim nähern Anblick
dieses bunten Getümmels -- es war ihm die größte Maskerade, welche er je
erlebt hatte, wenigstens einer Maskerade nicht ungleich.

Greise und Kinder, Männer und Weiber, Hohe und Niedre, Arme und Reiche
tummelten sich freundlich durch einander. Jeder prangte, (so brachte es die
Ordnung des Festes mit sich) mit dem besten Theil seiner Garderobe; alles
erhielt dadurch einen glänzenden Anstrich von Wohlhabenheit und
Feierlichkeit, und der Contrast des Reichthums und der Armuth ungemein viel
Auffallendes.

Aber alles dies war das Unbedeutendste in der ganzen Erscheinung; nein die
sonderbare Verbindung der Wandelnden machte das Schauspiel einer Maskerade
ähnlich. Hier führte ein biedrer Handwerksbursch eine stattlich geschmückte
Dame; dort führte ein junges, blühndes Mädchen einen alten, blinden Mann.
Drüben schlenderte Hand in Hand ein christlicher Prediger mit einem
jüdischen Lehrer; ein kraftvoller, schöner Jüngling stüzte dort einen
schwachen, halbgenesenen Kranken.

»Wo bin ich?« rief _Florentin_ lachend.

»Unter _Menschen_!« entgegnete _Josselin_.

»Wohin solls gehn?«

»Wohin Du willst. Hinaus zur Stadt, ins Feld, in die Gärten. Allenthalben
wirst Du Gesellschaft finden. Aber izt wollen wir uns den Gesetzen dieses
schönen Tages unterwerfen: wir müssen uns trennen. Bekannte und Freunde
dürfen heut nicht beisammen bleiben, Familien dürfen nicht an
einanderhalten, sondern müssen sich unter die Fremden zerstreuen, sich den
Unbekannten nähern, Freundschaften stiften und Bekanntschaften; Freude
verbreiten, wo sie können; die Armen freigebig bewirthen; Krüppel, Lahme
und Blinde das Ungemach ihres traurigen Geschicks vergessen machen.« --

»Träumst Du, oder träum' ich?«

»Keiner von uns. Ich verspreche Dir viel Vergnügen; wer ein reines Herz und
einen gesunden Menschenverstand zu diesem Feste bringt, kann hier nicht
anders denn glücklich seyn. Denke doch nicht ewig an die grauen, läppischen
Thorheiten Deines Jahrhunderts, wo man sichs nicht einbilden konnte, daß
die Menschen, wie Brüder und Schwestern, wie Glieder einer und derselben
Familie unter einander zu wohnen im Stande wären. Siehe hier ist der
allgemeine Pickenick, wo jeder sein freiwilliges Contingent zur Freude des
Ganzen liefert, hier sind die Agapen des ersten Christenthumes wieder, wo
der Reiche dem Armen seine Noth, der Frohe dem Weinenden die Thränen
vergessen macht; hier ist wahre Polizirung des Volks und eben darum
natürliche Einfalt, Wegwerfung des künstlichen und natürlichen
Unterschiedes -- denn die lezte Sprosse auf der Leiter der Menschencultur
ist wieder _Natur_. -- Geh hin, und werde froh, indem Du andre fröhlich
machst. Heut Abend, oder morgen früh finden wir uns wieder zusammen.«

Mit einem herzlichen Kusse entfernte sich _Josselin_, und ergriff die Hand
eines vorübergehnden Bürgers, welcher sich so freundlich mit ihm
unterhielt, als hätt' er einen alten Bekannten wiedergefunden.

_Florentin_ stand lange da, wie ein Träumer. »Mein Gott! mein Gott! welche
Menschen leben izt, welch' ein Jahrhundert ist dieses!« sprach er bei sich,
und zerdrückte mit den Augenwimpern eine Thräne, die sich unwillkührlich
hervordrängte: »O, mein Oheim, könntest du mit mir feiern das Fest der
Menschlichkeit und Menschheit!«

Indem er so vor sich hinstarrte, und sein Herz voll war von Rührung und
Seligkeit, fühlte er den sanften Druck einer Hand auf seiner Achsel.

»So traurig?« fragte ein wohlgekleideter, ältlicher Mann, mit biedrer
Herzlichkeit.

»Nichts weniger, als das!« antwortete _Duur_: »ich sah mich nach einem
Gefährten um.«

»Kommen Sie mit mir.«

»Mit Vergnügen. Ich bin ein Fremdling in dieser Stadt; führen Sie mich,
wohin Sie wollen.«

Der Fremde lehnte sich freundlich an ihn, und so wanderten sie durch die
Stadt ins Freie hinaus, von Promenade zu Promenade, von Garten zu Garten,
wo sie allenthalben Geselligkeit und Freude fanden.

»Ich wundre mich,« sagte _Duur_: »daß alles in so guter Ordnung bei so
gemischter Gesellschaft bleibt.«

»Vielleicht eben daher, weil die Gesellschaft zu gemischt ist; es finden
keine Partheien, keine Faktionen statt. Der gemeine Mann mässigt sich und
verfeinert sich selbst im Umgang mit den Vornehmern und Gebildetern; man
erlaubt sich nicht so leicht auch nur die kleinsten Ausschweifungen, und
vielleicht eben darum, weil man, alles Zwanges los, keine grössere Freiheit
wünschen kann. -- Zur Vorsicht für die Ruhestöhrer sind freilich
allenthalben Wachen beordert, inzwischen hat man seit sechs Jahren keine
Beschäftigung für diese gefunden.« --

»Wird aber nicht mancher durch solche Gelegenheit zu einem übermässigen
Aufwand verführt?«

»Ein Narr wäre, wer sich verführen liesse. Der Reiche giebt, der Arme
empfängt. Jeder thut, so viel er kann, so weit seine Kräfte reichen. Der
stockende Kreislauf des Geldes erhält hier einen neuen Anstoß; selbst der
filzigste Kaufmann wird durch das allgemeine Beispiel der Humanität zur
Freigebigkeit gereizt; Geldkasten, welche, sonst immer verschlossen, ihr
goldnes Eingeweide sparten, öffnen sich an diesem Tage zur Wohlthätigkeit.«

In einem grossen, volkreichen Garten trennte sich im Getümmel der Fremde
von unserm Pilger, welcher bald wieder neue Bekanntschaften anspann, und in
der fröhlichen Gesellschaft von Männern und Frauenzimmern aus allen
Ständen, Altern und Religionen sein Mittagsbrod verzehrte. Er genoß dabei
das Vergnügen, einen armen Knaben, welcher in seiner Nähe war, auf eigne
Kosten, zu speisen und zu tränken.

Von Wein und Freude berauscht, durchschwärmten sich die zahllosen Tausende
izt wilder, welche hier allein das heilige Band der Menschheit und
Menschlichkeit umschlang. --

Der braune Abend sank herab. Musik brach aus allen Gebüschen hervor; Tänze,
um Mittag, beim hellen Sonnenlicht begonnen, wurden im Schimmer des Mondes,
der Lampen und Fackeln fortgesezt.

_Florentin_, allenthalben und nirgends, ward von einer reizenden Bacchantin
aus einem Cedernbüschchen entführt, worin er sich selbst überlassen, den
schönen Göttergang des Menschengeschlechts übersinnend, umher lustwandelte.

Zu nahe an ihre zaubrischen Wirbel gelockt, überließ er sich der
verführerischen Charybdis -- tanzend verweilte er hier bis gegen
Mitternacht. Dann entschlüpft er heimlich wieder um auszuruhn; aber seine
Führerin verließ ihn nicht; schmachtend hing sie an seinem Arm, schmachtend
sank sie neben ihm nieder auf das Rasenbänkchen einer matt erleuchteten
Laube.




Achtes Kapitel.
Ach!


Nahe vor der Laube erhob sich unter einer Anzahl mehrerer Statüen eine, als
einzig und vorzüglich über alle empor; beschirmt von dem gewaltigen Arm
einer alten Eiche, überflossen vom Licht des Mondes. -- _Duur_ hatte sie
schon, vor dem Eintritt in die Laube näher betrachtet, und die Gestalt
_Friedrichs des Einzigen_ erkannt.

Wovon sollt' er mit der ermüdeten Führerin plaudern im heimlichen Dunkel
der Laube?

»Sie heissen?« fragte das schwarzäugigte Mädchen, indem es die düstern
Haarlocken von Stirn und Nacken sich zurückwarf, und bei der Gelegenheit
einen weissen, sanft gerundeten Arm an den Strahl der Lampe sichtbarer
werden ließ.

»Duur!« Antwortete der Befragte, und drückte der Fragerin die Hand: -- »und
Sie?«

»Imada.«

»_Imada_? -- _Imada_?« fuhr _Florentin_ auf, als wenn vom klaren
wolkenlosen Himmel ein schwerer Blitz herabstürzte.

»Sie erschrecken mich!« sagte _Imada_: »warum springen Sie so auf?«

»Warum? -- ich -- ich liebe den Namen -- ich liebe alles, was ihn führt --
der Name hat etwas Magisches für mein Ohr und mein Herz.«

»Dann sind Sie sehr unglücklich. Wie viele Mädchen tragen den gefährlichen
Namen, wie viele Mädchen müssen Sie nicht lieben!«

»Ich hörte ihn nirgends und nirgends so oft, als in dieser Gegend, worin
ich ein Fremdling bin.«

»Ein Fremdling? -- So muß ich denn wohl natürlich fragen: wie Sie sich
diesen Tag über bei uns gefallen haben?« --

»Wie im Himmel.«

»Sind Sie denn schon mit dem Himmel so vertraut?«

»Seit ich bei Ihnen bin, kann ich ja sagen.«

»So haben Sie ein gnügsames Herz, wenn Sie vom Himmel nicht mehr erwarten,
als von meiner Gesellschaft.«

»Sie können die Grade meiner Seligkeit versteigern, können mich weit über
meine Erwartungen hinausführen.«

»Ich versteh Sie nicht. Wohin führen?«

»Wohin Gefühl und Einsamkeit in einer nächtlichen Laube führen _können_.«
Antwortete _Duur_ und sah dabei dem liebenswürdigen Mädchen tief ins Auge.

Ihre Hände verstrickten sich von beiden Seiten fester in einander, ihre
Blicke verloren sich in einander. -- Das Mädchen lächelte ihn unbefangen
an, und schüttelte den Kopf zu seinen Worten.

_Duur_ fand sich in einer kleinen Verlegenheit; er kannte seine Gegnerin zu
wenig, und zu wenig den Charakter der itzigen Zeitgenossinnen.

Er nahm sichs vor, diese Gelegenheit zur Bereicherung seiner Erfahrung zu
benutzen, obwohl schüchtern; denn er wußte nicht, wer zulezt in der
gefährlichen Prüfung mehr verlieren könnte, er, oder das Mädchen.

Das Umhertreiben seiner Gedanken machte ihn ein Weilchen stumm. Gott weiß,
womit sich inzwischen des Mädchens Geist beschäftigte; es maß und musterte
den sonderbaren Fremdling, und schien doch dabei immer mehr, mit sich, als
mit ihm zu schaffen zu haben.

Beide wurden der unartigen Pause inne; beide hatten den Faden des Gesprächs
verloren; beide suchten ihn ängstlich auf und keiner wußte ihn zu finden.

»Wem mag die hohe Statue vorstellen sollen unter der Eiche?« sagte er,
indem er mit der Hand auf Friedrichs Bild hinauszeigte, und nicht bemerkte,
daß in eben dem Augenblick ein junger Mann und ein Mädchen, an die
Bildsäule gelehnt, sich schweigend umarmten.

»Wahrscheinlich einen weissen Raben;« antwortete _Imada_, und schlug die
Augen nieder.

»Einen weissen Raben?« entgegnete _Duur_.

»Nun ja, einen _guten_ König aus der barbarischen Vorwelt. Das Gute muß
damals, und besonders unter den Königen, äusserst selten gewesen seyn, daß
man es in steinernen Denkmahlen verewigte.«

»Ist die Gruppe darunter auch ein Bild der Barbarei?« lächelte _Duur_.

»Vielleicht!« antwortete verschämt das Mädchen.

»So wünscht' ich unaufhörlich unter Barbaren zu leben.«

»Dann würd' ich Ihren barbarischen Geschmack bemitleiden.«

»Bemitleiden?«

»Gehn Sie hin, Sie werden noch viele Weiber, viele Mädchen Ihres Sinnes
finden, die die öffentliche Tugend zum Toilettenstück machen, und sie
Abends, oder in der Einsamkeit wo der Putz lästig ist, mit dem übrigen
Schmuck ablegen.«

»Ich liebe die Damen nicht, welche die Schminkdose und die Tugend neben
einander liegen haben.«

»Sie scheinen sich izt auch zu schminken.«

»Gewiß nicht -- nie gern -- bei Ihnen am aller wenigsten.«

»Ich möchte den Versuch nicht machen, Ihnen die Schminke abzublasen!«

»Ich würde bei der Prüfung nicht verlieren.«

»Held!« antwortete das Mädchen mit ironischem Lächeln und klopfte ihm
schalkhaft auf die Wangen.

Sie schwiegen.

Aus den fernen Gebüschen herüber tönte lieblich die Musik durch die Nacht;
das Getümmel der Menschen ward leiser; nur hin und wieder schlich verloren
durch die einsamen Gänge ein liebendes Pärchen. Wie Sterne aus schwarzen
Wolken funkelten die Lampen in der Ferne aus Bäumen und hohen Gesträuchen.

»Die Tänze haben mich ermüdet!« seufzte _Imada_, und lehnte sich an den
Fröhlichen, der mit Sehnsucht und Schüchternheit seinen Arm um das Mädchen
warf. _Imada's_ Stirn berührte seine Wange. Er schwieg, und ward immer
unruhiger. Heiß glühten alle Adern in ihm auf, sein Odem flog schneller,
denn ach, die er im Arme hielt, war wirklich schön, und wurde schöner vor
seinen Augen in jeder Minute, und -- _Imada_ war ihr Name.

Draussen wards immer stiller und stiller -- hier und da erstarb die Musik
-- aber in ihm wards immer lauter, immer stürmischer.

»Sie wagen viel, schöne Imada!« stotterte er.

»Wagen? was wag ich?«

»Tanz, Wein und Gesang und leichtes Blut, Einsamkeit, halbe Ermüdung und
Nacht, welche gefährliche Feinde unsrer Tugend!«

»Wir haben von Wein, Tanz, Gesang und Einsamkeit nichts zu fürchten -- sie
sind keine Feinde der Tugend -- nur die _Männer_ sinds!« lispelte sie und
lächelte mit schelmischem Blick zu ihm hinauf.

»Das war bitter! dafür verdient dieser lose Mund die härteste Strafe!«
entgegnete _Duur_ und küßte des Mädchens Lippen. -- Sie küßte zurück -- wie
brennendes Feuer durchliefs ihm Adern und Nerven.

Man schwieg; wie konnte in so süßen Beschäftigungen der Mund zum Plaudern
gemißbraucht werden? _Duur_ ward ungestümer -- matten Widerstand leistete
die Müde. Man zankte flüsternd und versöhnte sich küssend.

»Eva's Töchter bleiben sich gleich durch alle Jahrhunderte!« dachte _Duur_,
und sank berauscht mit seinen Lippen auf ihren schönen Busen.

Plötzlich brach die -- _Unbesiegte_ in ein helles Gelächter aus: »Sie sind
geschminkt; geschminkt! ich hab' Ihnen abgeblasen Ihre Tugend!« rief sie
lachend, stand auf, entschlüpfte aus seinem Arm, aus der Hütte und
verschwand im Gebüsch.

Tiefbeschämt und erröthend verweilte _Duur_ einen Augenblick auf der Stelle
-- bald sammelte er sich wieder, flog der Fliehenden nach und rief ihren
Namen.

»Imada!«

Er sah sie nicht; statt ihrer erblickte er ein andres Frauenzimmer,
welches, aufmerksam durch sein Rufen sich zu ihm hindrehte. Im hellen
Mondenschein erkannt' er das Gesicht der Fremden -- sie war ihm sehr
bekannt -- sie war -- _Imada_, _Gabonnens_ Nichte!

»Ach!« rief _Florentin_, und blieb wie festgewurzelt stehn.

»Ach!« rief _Imada_, indem sie bei _Florentins_ Anblick einen Schritt
rücklings bebte.




Neuntes Kapitel.
Hoffnungen. -- Die Todtenfeier.


Solch' ein Wiederfinden, dem einen sowohl als dem andern unvermuthet und
überraschend, mußte sie Beide auf einige Augenblicke entgeistern.

Er näherte sich der schönen Erscheinung, begrüßte sie schüchtern und
erinnerte sich seines schändlichen Sündenfalls in der Laube. Er freute
sich, die »Theure, Liebe,« so bald, so unerwartet wiedergefunden zu haben
-- und doch war ihm die plötzliche Erscheinung so demüthigend in diesem
Augenblick, daß er vieles darum gegeben hätte, seinem Herzen die
unangenehme Empfindung zu sparen.

»Ich suche meinen Oheim,« sagte _Imada_, indem sie sich an seinen Arm
lehnte: »er befindet sich drüben, in jenem Lusthause. Wollen Sie mich
begleiten?«

_Duur_ gehorchte gern.

»Mein Oheim will sich einen ruhigen Winter in Mont-Rousseau bereiten;
deswegen hat er einige Reisen zu machen, auf welchen ich ihm Gesellschaft
leiste. Wir fahren in einer Stunde wieder ab. -- Wo haben Sie Ihren Freund
_Josselin_?«

»Er hat mich schon heut früh verlassen; Gott weiß, wo er umherschwärmen
mag.«

»Und Sie riefen meinen Namen? -- galt er mir, oder einem andern
Frauenzimmer?«

»Liebe Imada!«

»Sie waren so eilig -- so, ich weiß nicht wie? -- hatten Sie mich erkannt,
wußten Sie -- -- --«

»Nein -- ich wußte nichts -- ich vermuthete Ihre Nähe nicht -- -- -- ich
war im Begriff, eine Sünde wieder gut zu machen.«

»Eine Sünde?«

_Florentin_ wurde feuerroth; -- aber die Dunkelheit verhinderte _Imaden_,
es zu bemerken.

»Eine Sünde?« fragte sie nochmals.

_Florentin_ ward immer verlegener. Er wußte nicht, ob er bekennen oder
schweigen sollte. Er übersann die ganze Begebenheit mit seiner Tänzerin; es
lag izt viele Wahrscheinlichkeit darin, daß _Gabonnens_ Nichte selbst bei
dem verdrüßlichen Handel eine Rolle mitgespielt, wohl gar die _Imada_ in
der Laube instruirt habe, um ihn -- auf die Probe zu stellen.

Auf die Probe? sehr unwahrscheinlich, da _Gabonnens_ schöne Nichte schon
die versprochne Braut eines andern war. -- Aber wie wäre die unbekannte
Tänzerin darauf gekommen, sich in der Nähe eines kritischen Augenblicks
_Imada_ zu nennen? -- und dann, bei aller möglichen Nachgiebigkeit, zulezt
so rasch zu entfliehn, und ihn auf diese Weise der _eigentlichen_ Imada in
die Hände zu liefern? -- Beantworten ließ sich die Frage wohl; _Imada_ war
ein Vorname, welcher mehrern Frauenzimmern angehörte; -- und daß _Imada_
die Geliebte grade da stand, wohin die Unbekannte entfloh, konnte ja ein
Spiel des Zusalls seyn.

Um sich auf jeden Fall zu sichern, beschloß _Duur_ ein reuiges Geständniß
seiner Sünde abzulegen, und _Imada's_ Richterspruch abzuwarten. Er
beichtete also die ganze Begebenheit, und kleidete sie so behutsam, als
möglich, in seine Worte, daß die ganze Begebenheit zulezt den Schein
gewann, als sey er der Prüfende, die Unbekannte aber die Geprüfte gewesen.

»Man muß sich vor Ihnen in Acht nehmen,« sagte _Imada_: »wer bürgt mir
dafür, daß Sie mich nicht auch in _Gobby's_ Garten auf die Probe stellten?«
--

Die Sache, welche anfangs von schweren Folgen zu seyn schien, wurde nun
vergessen; _Florentin_ fühlte sich wieder beglückt in der Nähe der _Louise_
des drei und zwanzigsten Jahrhunderts. Was hätt' er darum gegeben, so Arm
in Arm mit ihr durch das ganze Leben wandern zu können?

Er bat sie, nebst ihrem Oheim nur noch einige Tage in dieser Gegend zu
verweilen. _Imada_ gestand es gern, daß sie mit Vergnügen seinen Wunsch,
der zugleich der ihrige wäre, erfüllen möchte, wenn die Geschäfte des alten
_Grafen von Gabonne_ nicht jeden stündlichen Verzug unerlaubt machten.

Indem sie sich so dem Lusthause näherten, bemerkten sie, ohngefähr tausend
Schritt von sich, ein großes helles Feuer, von unzähligen Menschen umringt.

»Gewiß die lezte Feierlichkeit über einen Verstorbnen!« sagte schaudernd
_Imada_ und blieb stehn: »lassen Sie uns einen Augenblick von dieser
Todtenfeier einen Zuschauer abgeben.«

»Gern, sehr gern -- es ist ein Trauerfest für mein eignes Herz -- so werd'
ich nie wieder stehn dürfen in dieser Welt neben _Imada_. Ein
eifersüchtiges Auge Wird _sie_ bewachen, und _mich_ und meine Schritte
hüten, meine Blicke belauern, meine Worte auf Wagschaalen legen.«

_Imada_ lächelte ihn schalkhaft an; ihr leiser Händedruck, der feurige
Spruch ihres Auges ließ ihm alles Schöne dieses Lebens für sich sehn und
hoffen, -- »Nun« -- flüsterte sie: »den ersten September nicht zu
vergessen!« --

»Vergessen? -- so leicht vergißt man den Sterbetag seiner Freuden nicht.«

»Nennen Sie ihn nicht so. Ich hab es beschlossen; Sie sollen ihn vergnügt
feiern, und wenn sich die ganze Welt sich dawider auflehnte. Aber Sie
kommen doch gewiß mit _Josselin_!«

»Gewiß!«

»Dann will ich Sie dreimal mehr, als heut lieben, und -- -- -- doch ich
verspreche gern weniger, um doppelt mehr zu leisten.«

»Imada!« tief _Duur_ und schlang seinen Arm mit Entzücken um das holde
Weib: »wie dürft' ich in meinen frechsten Träumereien wohl bis da
hinausschwindeln!« --

Es erfolgte eine Pause.

Der Mond sank in ein düstres Meer von Wolken -- hin und wieder schimmerte
das zitternde Licht einer verglimmenden Lampe; in der Ferne das Todtenfeuer
-- sonst tiefe Dunkelheit um die beiden, deren Lippen schwiegen, deren
Seelen feierlich zu einander sprachen.

Vertraulicher durch Nacht, verheelte Lieb' und das goldne Ohngefähr,
welches, sonderbar genug, sie hier zusammenführte, schlossen sie sich
dichter an einander, und überliessen sie sich fessellos dem sanften Drange
ihrer Empfindungen.

»Du naschest von verbotner Frucht!« lispelte _Imada_.

»Und sie ist so süß!« erwiederte _Duur_. Er stammelte ihr dass heiligste
und theuerste Wort jeder Sprache, das Wort: _Liebe_ vor, ungeachtet er sein
Unglück voraussah, wenn ein andrer dereinst _Imaden_ vor dem Altar an sich
fesseln würde. Aber eben der Gedanke an diesen möglichen Augenblick
erfüllte ihn mit Muth; er wollte einen _Raub_ begehn; er fühlte es
tröstlich für sein eignes Herz _Imada's_ Herz zu überwinden; --
»vielleicht,« dacht' er: »wenn ich sie abwendig mache von dem glücklichen
Gegner, und das Ohngefähr einst ihren Oheim sanfter gegen mich stimmt --
vielleicht giebt sie mir dann meine verwegensten Wünsche erfüllt zurück.«

_Imada_, viel zu schlau, nicht den glücklichen Moment zu benutzen in der
Gesellschaft eines Mannes, der in ihrem schönen Herzen schon eine Stelle
erobert hatte, ehe er seine Siege selber wußte, _Imada_ stammelte
»_Liebe_,« und verbarg ihr Angesicht schaamhaft an seine Brust.

»Können Sie denn wirklich ein Mädchen lieben, welches dem einstigen Gemahl
schon treulos wird, ehe einmal der Frühling der Ehe begonnen ist?«

»War der Frühling nicht von jeher dem Winter treulos? Sollen Sie allein die
Ausnahme machen? Sie sollen einen Mann lieben, der wie Sie mir selbst
sagten, an Gold und Jahren reich ist, aber von dessen Herz Sie nicht die
mindeste Kundschaft besässen, wie kann man da Ihrem Herzen verargen, wenn
es sich nach den goldnen Abwegen der Freiheit sehnt?«

»Duur! Duur! Sie sind ein Bösewicht, ein fürchterlicher Bösewicht, der
seine Beredtsamkeit nie mit besserm Glück, als bei den Weibern verwendet.
Duur ist das Recht? -- Was würden Sie sagen, wenn Sie sich ein Mädchen
gewählt hätten, um mit ihm das Erdenleben himmlisch hinzubringen; wenn Sie
wirklich von diesem Mädchen nicht gehaßt, sondern geschäzt, wenn auch noch
nicht geliebt, würden, und ein andrer käme und schwazte mit süßem Munde ihm
Herz und Liebe ab -- Duur, und Sie müßten eine Treulose zum Altar führen!«

»Imada!«

»Was würden Sie sagen, wenn die Gattin in Ihrem Arm entschlummerte, um von
einem Geliebtern zu träumen? wenn sie sich, beim heissesten Kusse, bei der
glühendsten Umarmung einen andern dächte? wenn sie in der Einsamkeit nach
einem Fremdling seufzte und ihre Thränen nicht Ihnen flössen? -- Und Sie
spürten die traurige Verrätherei, sahen sich um die Paradiese betrogen,
welche Ihnen die Liebe des Mädchens aufzuschliessen versprach.« --

»Imada -- ich fühl' es -- ich bekenne es.« --

»Duur, Duur, es ist grausam, es ist gottlos, einen Feuerbrand in die
friedliche Wohnung glücklicher Menschen zu werfen, und doch ihn nicht
löschen können und wollen. Aber es ist noch unendlich grausamer, ein Herz
um seinen Frieden zu betrügen, das stille Glück einer Ehe zu vergiften,
ohne dafür etwas wieder geben zu können. Niedergebrannte Städte können
endlich wieder erbaut werden, aber Hymens Rosenbande, einmal zerrissen,
können nie wieder so innig, als vorher, zusammen geflochten werden.«

_Duur_ war durch diese Rede bis in sein Innerstes erschüttert -- er drückte
wehmüthig _Imada's_ Hand.

»Ist wirklich Ihr einstiger Gatte zweimal und dreimal Ihnen an Jahren
überlegen?«

»Er ists.«

»Sind Sie gezwungen, sich mit ihm zu vermählen?«

»Ich bins. Noch mehr, ich hab' ihm meine Hand angetragen, selbst
angetragen, und _will_ sie ihn nicht wieder rauben.«

»Dann leben Sie wohl, Imada! -- dann verzeihn Sie, daß ich die Ruhe Ihres
Herzens anzugreifen wagte. -- Ach, ich bin zu entschuldigen, sehr zu
entschuldigen; Sie sollten meine Schicksale, und den wunderbaren Gang
derselben kennen, und Sie würden mir Ihr Mitleid nicht verweigern.«

»Nur Mitleid?« rief lachend _Imada_: »ich verweigre Ihnen ja meine _Liebe_
nicht.«

»Leben Sie wohl!« rief _Duur_, als sie ganz in der Nähe des Lusthauses sich
befanden: »Leben Sie wohl, Imada!«

_Imada_ wollte ihn festhalten; er aber drückte einen Kuß auf ihre Wangen
und entfloh.

Jezt war ihm durch das traumhafte Abentheuer alle Lust, alle Freude dieses
Tages wieder vergällt. Mismüthig schlich er vor sich hin, um Menschen zu
finden, in deren Gesellschaft er zur Stadt kommen konnte.

Er erreichte den flammenden Scheiterhaufen, um welchen Tausende versammelt
standen, und in ernster feierlicher Stille, bei den dumpfen Tönen einer
schönen Klagemusik, dem Spiel der Flammen zusahn.

Die Scene, so grell sie auch neben den heitern Bildern des vergangnen Tages
abstach, war izt seinem Herzen willkommen. Seine Seele schwelgte in den
traurigen Accorden der Musik. Er fand Beruhigung und Zerstreuung, ohne sie
zu suchen.

Je länger er über _Imada's_ Betragen nachsann, je verwickelter erschien ihm
der Charakter dieses Mädchens. _Imada_ lächelte, wo sie weinen sollte, und
ihre Klagen, ihre Vorwürfe, welche sie ihm hören ließ, waren immer in einem
Ton gesprochen, als triebe sie Scherz. -- Unwillkührlich verband sich mit
diesen Gedanken die Erinnerung an den Abschied auf _Gobbys_ Landhause, wo
ebenfalls das räthselhafte Lachen, die Stelle der Thränen ersetzen mußte.

Beinah hätt' er an die Verwandlung der menschlichen Natur und ihre Freuden-
und Schmerzäusserungen glauben mögen, um sich das Widersprechende in den
sonderbaren Erfahrungen aufzulösen.

Eben so viel Widersprechendes fand er auch in diesem Augenblick bei dem
gegenwärtigen Auftritt am Scheiterhaufen. Er sah in seiner Nachbarschaft
betrübte Gesichter, und wer bringt diese wohl zu einem Scheiterhaufen. Er
hörte Trauermusik, welche man sonst nur geliebten Verstorbnen, aber keinen
bestraften Missethätern brachte.

»Er ist doch nicht lebendig verbrannt?« sagte er zu seinem Nachbar, um ein
Gespräch anzuzetteln.

»_Lebendig_?« gegenfragte dieser, und schüttelte den Kopf und zuckte
mitleidig die Achsel: »wer wird denn Menschen lebendig verbrennen?«

_Florentin_ wollte weiter reden, aber der Befragte wandte sich unwillig von
ihm, und wollte nichts mehr hören. -- _Duur_ verließ die Stelle, und suchte
einen gefälligern Mann auf.

»Was hat der Verbrannte verbrochen?« fragte er einen andern, der ihm
freundlicher aussah.

»Verbrochen?« antwortete dieser und machte große Augen: »Bei Gott, es war
ein würdiger Mann, der Liebling unsrer Stadt, der Wohlthäter aller
Unglücklichen.«

»Ich bin hier ein Fremdling.«

»Das verrieth Ihre seltsame Frage.«

»Nun sagen Sie mir nur, warum läßt ihn denn die Obrigkeit nach seinem Tode
noch -- --«

»Nicht die Obrigkeit -- seine Erben erweisen sich den Liebesdienst.«

»Das ist sonderbar.«

»Ich find' es nicht.«

»Bei mir zu Lande pflegt man Missethäter nur auf den Scheiterhaufen zu
legen und sie in Asche zu verwandeln, um -- -- --«

»Wo sind Sie denn zu Hause?«

_Florentin_ gerieth in Verlegenheit und blieb die Antwort schuldig, indem
er sich davonschlich.

Ein glückliches Ohngefähr leitete ihn zu seinem Freunde _Josselin_, welcher
mitten unter den Zuschauern stand. Dieser gab ihm nun mit willigem Herzen
über alles eine befriedigende Aufklärung.

»Zu Deiner Zeit,« sagte er: »warf man nur die Leichname der gröbern
Verbrecher auf den Scheiterhaufen -- izt behält man diese Art der Auflösung
nur den Leichnamen reicher und würdiger Personen auf. Das Verbrennen der
Körper ist ein besondrer Zweig des tragischen Luxus. So verändern Schand'
und Ehre ihre willkührlichen Trachten und Beziehungen!« --

»Ich erstaune.«

»Warum? ich gestehe, mir selbst gefällt dieser Luxus, der, wie immer, seine
besondern Abstufungen hat. _Das Verbrennen auf_ _dem Scheiterhaufen_ ist
kostbar, und darum selten, unsre Verfahren haben, ihrem Egoismus zufolge,
uns Nachkommen herzlich schlecht mir Holz bedacht. Sie haben ganze Wälder
zerstört und in Aecker verwandelt, das Holz üppig vergeudet und selten an
Ersatz gedacht. Deswegen ist der Gebrauch des Brennholzes, besonders zu den
Werken des Luxus, nach den Landesgesetzen, sehr kostspielig. -- Auf eine
wohlfeilere und gewöhnlichere Weise werden daher die Leichname durch einen
chemischen Proceß in Staub verwandelt; nur die Armen werden noch unter die
Erde begraben, so auch Missethäter und Menschen, welche ihrer Familie nicht
theuer genug gewesen sind, um ihre Asche aufzubewahren.«

»Das ist nun freilich einerlei, _wie_ wie verwesen, ob im Grabe, oder in
der Flamme.«

»Nein, Freund, den hinterlassnen Freunden ist es nicht so ganz
gleichgültig. Ich muß bekennen, daß der heiligste Schatz für mich zwei
Urnen sind, welche den Staub meines Vaters und meiner Mutter umfassen. Ich
finde ein Glück darin, von diesen beiden Theuern noch die köstlichen
Ueberbleibsel zu besitzen, und zu wissen, daß ihre faulenden Cadaver nach
dem Tode nichts zur Verpestung der Luft beigetragen haben.«

»Wie? die Asche der Verstorbenen wird aufbewahrt?«

»Das wird sie; und ich wette hundert gegen eins, daß das Verbrennen der
Leichname in der physischen und moralischen Welt ungleich mehr Vortheile
bringt, als das Vergraben der Todten.« --

»Ich kanns zwar dunkel beahnden -- aber, Du thätest wohl daran, mir diese
Vortheile einleuchtender zu machen. Denn unter uns gesagt, es schaudert
mich, wenn ich daran denke, daß mein Leichnam -- --«

»Schaudert? pfui! was _ist schauderlicher und ekelhafter_, durch die
_Flamme_ in reine Theile aufgelöst zu werden und als Staub in Urnen
verwahrt zu ruhn -- oder, mit Fleisch und Blut unter der Erde zu _faulen_,
von schwelgenden Würmern durchwühlt zu werden, und nach funfzig Jahren
nackte Knochen und hohle Schädel für den Muthwillen der Kinder zu liefern,
die auf den Gräbern mit den Gebeinen ihrer gottseligen Ahnen zu spielen
gekommen sind? -- Antworte!«

»Freilich, es ist zulezt wohl einerlei, ob -- -- --«

»_Nicht_ einerlei! um Gotteswillen nicht. -- Nutzen, Nutzen! Dies ist die
ewiggeltende Foderung aller Lebendigen; auch die Todten müssen mehr noch
nützen, als mit ihrem Fette einen unbesäeten Strich Landes düngen. --
Keiner, der verbrannt oder chemisch aufgelöst seyn will, hat zu fürchten,
im Grabe lebendig, von einem Scheintode wieder zu erwachen -- schreckliche
Fälle, die man in der Vorwelt zu oft erlebt hat. Nach den Landesgesetzen
darf kein Leichnam, ohne Erlaubniß und vorherige Besichtigungen vom Land-
oder Stadtphysikus zur Auflösung abgeliefert werden. Ist er einmal
aufgelöst worden: so darf niemand das Wiedererwachen auch nur als eine
bloße Möglichkeit fürchten.«

»Es läßt sich hören.«

»Da ich einmal die Apologie meines Zeitalters übernommen habe, so höre mich
geduldig weiter an. Ehmals, in den Tagen des Aberglaubens und der
Bigotterie, ließ man die Todten in der Stadt, in den Kirchen und bei den
Kirchen, närrischer Hoffnungen, lächerlicher Meinungen willen beerdigen.
Späterhin, als mit der fortschreitenden Kultur sich auch die Nasen zu
verfeinern schienen, quartirte man die Todten ausser der Stadt, wo mans der
Laune des Windes überließ, die pestilenzialischen Ausdünstungen der Aeser
nach Süden oder Norden zu führen. Jezt, da die Sitte der chemischen
Auflösung so allgemein geworden, und wirklich wohlfeiler ist, als das
ehmalige Beerdigen mit unnützem Sang und Klang, izt, sag ich, da der
gemeinste Mann seinen Erben so viel Scheidemünze hinterläßt, um ihn dafür
veraschen zu lassen, izt hat man von der giftigen Athmosphäre der Leichname
nichts zu befürchten. Noch mehr -- -- --«

»Vergiß Dich nicht; Du erwähntest auch gewisser moralischen Vortheile. Ich
bin sehr neugierig, sie zu kennen; denn ich fürchte grade, vom Verbrennen
zum Beispiel, das Gegentheil.«

»Unmoralische Erfolge?«

»Natürlich. Denn wenn sich die bravsten Bürger als Leichname verbrennen
lassen: so ist der Scheiterhaufen für die Missethäter weder Strafe noch
Schande.«

»Sonderbarer Mensch, Du wirst doch nicht glauben, daß man in unsern Tagen
noch lebendige Menschen »von Gottes- und Rechtswegen« verbrenne? Aus der
Barbarei sind wir endlich heraus. -- Und überdem, war der Scheiterhaufen
wohl noch für den _todten_ Verbrecher eine _Strafe_, oder für ihn eine
_Schande_? -- Doch, ich will Dirs auch angeben, wie die Asche der
Verstorbnen noch einen, wiewohl immer nur zufälligen, moralischen Nutzen
stiften könne.«

»Welches Kind liebt nicht seine Eltern? ich führe dies Beispiel an, weil es
mir das rührendste und ehrwürdigste ist. Kann nach dem Tode eines
zärtlichgeliebten Vaters der Sohn wohl ein köstlicheres Denkmal von ihm
übrig behalten, als den Staub des Leibes, welcher ihn zeugte, und in dessen
Bezirk einst ein wohlthätiger menschenfreundlicher Geist wohnte?«

»Wir haben Erfahrungen, daß der Anblick der väterlichen Asche verführte
Jünglinge von ihren Irrwegen zurückgebracht habe; wir haben Erfahrungen,
daß manches Mädchen ihre Unschuld gerettet hat, wenn die Stauburne ihrer
Mutter und das Bild der Vergänglichkeit sie zu ernstern Vorstellungen
necessitirte. -- Die Vasen, welche Du fast in allen Wohnungen, mit Blumen
bestreut, unter den Spiegeln findest, sind mehrentheils heilige
Todtenurnen; Kann man einen bessern Prediger wider die Eitelkeit, einen
beredsamern Ermahner zur Tugend dahinstellen, wohin jeden Morgen Jünglinge
und Mädchen eilen?«

»Von dem Eindruck eines solchen Gegenstandes überzeugt, werden in den
_Gerichtshöfen_ die Todtenurnen auch beim _Eide_ gebraucht. Der Sohn muß
über der Asche seines Vaters schwören, der Bruder über der Asche seiner
Schwester, die Gattin über den Staub ihres Geliebten, oder ihrer Kinder u.
s. f. -- Der muß ein verstockter, arger Bösewicht seyn, welcher ohne Gefühl
die Asche seiner Lieblinge zum Spiel seiner Meineide macht!« --




Zehntes Kapitel.
Die Fußtapfen der schwarzen Brüder.


Wie konnte _Florentin_ müde werden, immer weiter zu fragen und zu forschen
unter den Bürgern dieses Jahrhunderts? -- Schon einmal, nun von einem
günstigen Vorurtheil bestochen, sah er allenthalben das Gute nur und
drückte gefällig das Auge zu, wenn er den Scenen des menschlichen Elendes
begegnete. -- Ihm wars, als wandelt' er auf einer neuen Erde, als wölbte
sich über ihn ein neuer Himmel.

Unter allem was er sah und hörte, intressirte ihn bald nichts mehr so sehr,
als die Religion dieses Zeitalters. Ueberzeugt vom wechselseitigen Einfluß
religiöser Meinungen auf den Charakter des Volks, und des Charakters auf
die Meinungen, vertraut mit dem Geiste des Christenthums, der Geschichte
und den mannigfaltigen Verwandlungen desselben, beschloß er auch hier,
einen unermüdeten Forscher abzugeben. --

»Wird Jesus Christus noch verehrt in Euern Tempeln?« -- fragte er eines
Tages seinen Freund und Gefährten.

»Es ist wahr, wir haben auch noch nicht einmal die Kirchen besucht;«
antwortete dieser: »Ich verwechsle noch immer mein Interesse mit dem
Deinigen. Er wird verehrt!«

»Es gab eine Zeit, da der Stand der Prediger in denjenigen Provinzen,
welche sich der Aufklärung rühmten, immer tiefer und tiefer in der
öffentlichen Achtung sank. Wer für einen Wizling gelten wollte, mußte
gewisse Waidsprüche und Anekdoten über Pfaffen auftischen können.« --

»Wie?« rief _Josselin_ erstaunt: »in Euerm Zeitalter, da die römischen
Fürsten sich noch Christi Statthalter nannten und als geistliche Regenten
angesehn seyn wollten, in Euerm Zeitalter, da -- -- --«

»Halt! Du sprachst von Römerfürsten -- meinst Du -- --«

»Die sonst Päbste hiessen.«

»Ist es möglich?«

»Was ich Dir sage. Die Römer haben ihre Oberherrn aus eben dem Grunde
secularisirt, aus welchem das Volk Gottes weiland die Theokratie in eine
Monarchie verwandelte. Das Licht der Wahrheit brannte längst auch in den
Klosterzellen Italiens, wenn gleich versteckt; eine starke politische
Erschüttrung brachte dies Licht zur öffentlichen Erscheinung. Vor ohngefähr
neunzig Jahren war das falsche Verhältniß des Reichthunis bis aufs
äusserste getrieben; der Bürger war ärmer, als weiland ein Leibeigner, Adel
und Geistlichkeit besaßen alles. Hier durfte nun kein neuer _Cola di
Rienzo_ wider die _Colonna's_ auferstehn -- es erstand das ganze Volk und
die Revolution war begonnen und vollendet. Eine Folge der Begebenheit,
welche den witzigen Köpfen vielen Spas machte, war die Secularisirung der
Pabstheit.«

»Das ist mehr, als ich erwartete.«

»Ich hoffte, Du würdest sagen: _weniger_.«

»Und die christliche Religion?«

»Dauert ewig fort. Freilich giebt es noch immer _Partheien_ und _Sekten_
ohne Zahl, denn dies liegt einmal in der Natur des Menschen und seiner
Religion, aber man kennt keine Ketzer mehr.«

»Herrlich!«

»Die herrschende oder die zahlreichste Kirchparthei ist anizt die, welche
sich ohne Zusatz _die christliche_ nennt. Wir haben übrigens noch
Lutheraner, Calvinisten, Katholiken und andre kleine Sekten, welche aber
sämmtlich im Aussterben begriffen sind.«

»Führe mich in eine _christliche_ Kirche.«

Sie gingen. -- Es war Sonntag, und öffentliche Versammlung zum
Gottesdienste.

Voll stiller Neugier trat _Duur_ in den Tempel der Christen, welche weder
Lutheraner noch Calvinisten, weder Catholiken noch Socinianer, weder
Orthodoxe noch Dissenters seyn wollten, welche, wie _Josselin_ sagte, sich
von allen übrigen Sekten schelten und verdammen liessen, ohne wieder zu
schelten und zu verdammen.

Ihr Tempel war einfach, ungeziert, rein, ohne Spielwerk für Aug' und
Phantasie, ohne dämmernde Tiefen und gothische Winkel -- ein Symbol ihres
Glaubens.

Ein kurzer, rührender Gesang ging der Predigt voran; die Predigt selbst
beschäftigte sich mit der Entwickelung einer Christenpflicht, und deutete
besonderes auf die verschiednen Abwege, welche sich die Menschen bei
Erfüllung dieser Pflicht so gern zu erlauben pflegen. --

Man sah, man hörte, daß der Prediger vor einem Auditorium des drei und
zwanzigsten Jahrhunderte stand. Eine scharfsinnige Absonderung und
Verbindung der Vorstellungen und Theile der Rede; ein schönes Gewand von
Seiten der Einbildungskraft über das Ganze; studirtes Mienenspiel,
schwesterliche Harmonie unter Tönen und Geberden -- alles verrieth die hohe
Stufe der Polizirung, von welcher den Bürgern der Vorwelt kaum eine
Möglichkeit im Traume anschwebte.

»Hier wirst Du nicht viel Neues erblickt haben; unser Gottesdienst ist ohne
Aufwand, ohne Ceremoniel, einfach und belehrend!« sagte _Josselin_.

»Eben dies ist das Neue.«

»Die Illustration der Christen durch die Taufe und die schöne Feier des
Abendmahls sind allein noch üblich.«

»Desto ehrenvoller für Euch. Ceremonien und Symbole sind zur Unterstützung
der sinnlichen Menschheit, ein Leitband für die noch schwache Vernunft,
nothwendig in der Kindheit, überflüssig und wohl belästigend im reifern
Alter des menschlichen Geistes. Ihr seid des Gängelbandes nicht mehr
bedürftig, aber für die Christen des achtzehnten Jahrhunderts war es
durchaus nothwendig. -- Nichts fiel mir in Euern Tempel von den Zuhörern
mehr auf, als daß ich unter ihnen keine Kinder entdeckte. Sind diese vom
öffentlichen Gottesdienst ausgeschlossen, oder war ihre sämmtliche
Abwesenheit ein Zufall?«

»Nichts weniger, denn Zufall. Wen ich mich recht erinnre: so ward einmal
eine Preisfrage über die Ursachen am Verfall des öffentlichen
Gottesdienstes gegeben. Sonderbar stimmten ohne Ausnahme alle Antworten
auch darin überein, daß ein zu früher, gezwungner Besuch der Kirche in den
Kinderjahren einen gewissen Widerwillen, eine schädliche Gleichgültigkeit
gegen den öffentlichen Gottesdienst erzeuge. -- Seit dieser Zeit wurden die
Kinder allmählig, bis zu ihrem reifern Alter, ausgeschlossen.«

»Das gefällt mit nicht ganz. Ich fürchte, daß auch _diese_ Sitte die Liebe
und Achtung für den Gottesdienst schwäche.«

»Gewiß nicht. Die Erfahrung überzeugt uns vom Gegentheil. Eltern und
Erzieher reden nur in den ehrfurchtsvollsten Ausdrücken von der
öffentlichen Gottesverehrung, und flössen dadurch ihren Zöglingen eine
gleiche Ehrfurcht ein, welche theils durch die Neugier und das Verlangen,
endlich in das Allerheiligste eintreten zu dürfen, theils durch einen
gewissen Stolz, nun dem feierlichen Schritte näher zu seyn, vergrößert
wird. -- Der Tag, an welchem der junge Christ zum erstenmal am Genuß des
Abendmahls Theil nimmt, ist der erste Tag, an welchem er dem öffentlichen
Gottesdienst beiwohnt. Eingeweiht mit den Thränen seiner Eltern,
eingesegnet von seinen Lehrern, umringt von einer andachtsvollen Menge,
welche einstimmig singt und betet, einmüthig höret und lernet, wird ihm
dieser Tag einer der rührendsten und feierlichsten seinen Lebens. Er
erinnert sich seiner nie ohne ein Wiedererwachen aller damaligen
Empfindungen; er erneuert dieses Fest, so oft neue Mitglieder in die
Versammlung eingeweiht werden. Er prägt seinen Kindern nachmals eben
dieselben Vorstellungen ein und spannt ihr Verlangen zur Gemeinschaft und
Theilnahme an der feierlichen Verehrung Gottes.«

»Ich selbst« fuhr _Josselin_ fort: »bin jenes heiligen Tages noch immer
nicht ohne Rührung eingedenk; unauslöschlich währen jene Eindrücke in mir
fort, welche damals das _Ungewöhnliche_ erzeugte. -- Und wie läßt es sich
auch wohl denken, daß Kinder, welche gequält von heimlicher Langeweile,
vielleicht wohl umringt von plaudernden, lachenden oder schlafenden
Gefährten, Achtung und Liebe für den öffentlichen Gottesdienst erhalten
sollten? Man hat Gelegenheit, hin und wieder, besonders in den lutherischen
und den weiland auch sogenannten reformirten Kirchen lehrreiche Bemerkungen
über diesen leztern Punkt zu machen.«

_Duur_ wollte nicht widerstreiten, denn im Gebiet der Erfahrung ist nur die
_Erfahrung_ Schiedsrichterin; er erkundigte sich statt dessen mit
brennender Neugier nach dem Lehrbegriff der Christen.

»Die Religion,« sezte _Duur_ hinzu: »ist wirklich für das menschliche
Gemüth alles das, und mehr, als Gold und Lorbeerkränze nur jemals für die
Sinnlichkeit seyn und werden können. Der heisse Trieb zum Leben, das
unvergängliche, mit jedem Jahre anwachsende Verlangen unsterblich
fortzudauern nach der Todesstunde; das falsche quälende Verhältniß, in
welcher oft auf Erden die Tugend und das irrdische Wohlseyn stehn; die nie
gerächten Thränen der Unschuld, die ungestraften, glänzenden Triumpfe der
Bosheit, -- alles treibet hin zum Glauben an die hohen Lehren von Gottheit,
Ewigkeit, Vergeltung, -- zur Umarmung einer Religion.«

»Und doch, was hat nicht oft den schönen Namen tragen müssen? der Pfaffen
schlauer Witz, der Laien blinde Thorheit hieß oft Jahrhunderte hinab
Religion. -- Wie viele tausend glückliche Erdensöhne bluteten ihr Leben aus
für ihre Religion? Wo sind noch Foltern, Todesmartern, die nicht für die
Religion von Pfaffen in Requisition gesezt sind?«

_Josselin_ hörte ihm lächelnd zu: »Wie, Mann des philosophischen
Jahrhunderts, sprichst Du von Deiner Zeit?«

»Nein und Ja!« antwortete _Florentin_: »Wenn selbst in protestantischen
Staaten die freien Protestanten nicht von neuen in die alten Ketten der
Symbole geschlagen, Inquisitionen und ew'ge Kerker, Scheiterhaufen und
dergleichen eingeführt, und das Volk in seine halbverlassne Finsterniß
zurückgetrieben wurde, so lag die Schuld wahrhaftig nicht am Willen der
Pfaffen. Versuche sind gemacht, ob sie gelungen sind -- -- --«

»Wie kannst Du dieses fürchten?« fiel _Josselin_ ihm ins Wort: »Der Gang
der Menschheit zur Vollendung ist nicht Plan, nicht freie Ausführung von
Menschen selber, sondern Nothwendigkeit, Vollstreckung eines dunkeln Plans,
den eine höhere Hand entwarf. Der Menschheit Gang ist Wogenbruch durch neue
Ufer; mag sich hie und da doch immerhin ein Strauch, ein Baum dem Laufe
widerstämmen, er hindert nichts, er macht den Strom, wenns viel ist, etwas
lauter.«

»Du fragst mich nach dem Lehrbegrif der Christen? Ein fester Lehrbegrif ist
hier nicht geltend. Ein jeder glaubt und meint uneingeschränkt, was nach
der Disposition und Stärke oder Schwäche seines Geistes ihm das beste
scheint. Glaubensformen gelten nicht mehr, denn endlich hat die Welt
gelernt, daß über Glaubenssachen kein fremder Spruch entscheidend gilt, und
daß der Zepter eines Herrn der halben Welt sich auch nicht über das
unbedeutendste Produkt im Geisterreich erstreckt.«

»Allein ich sollte glauben, die Christen würden doch gewisse Lehren unter
sich gemeinschaftlich hegen, wodurch sie sich von andern Sekten trennen.«

»Nun ja, die haben sie. Sie glauben einen Gott, der unaussprechlich,
unbeschreiblich ist, das höchste Ideal der reinsten Sittlichkeit, der sich
nur matt im Wesen der Vernunft und in den Wundern der Natur nach eingen
Eigenschaften offenbart. Sie nennen ihn den Weltgeist, der Dinge Urkraft;
in ihm leben, weben und sind wir.«

»Die Menschheit weiter in des Lebens grosser Schule zu führen, sandt' er
Lehrer, welche unter glücklichen Verhältnissen von ihm und unsern Pflichten
predigten. Der Erste, Einzige und Unnachahmliche ist Jesus Christus. -- Nur
was _er_ lehrte ist den Christen heilig; sie sehen nur auf _ihn_, als ihren
Führer, sie glauben _seinen_ Worten nur. Was andre _von ihm_ zu andern,
unter anderen Convenienzen in anderen Verbindungen predigten, das
entkleiden sie vom Ausserwesentlichen, welches die Verhältnisse liehen. --
Vernunft und Christenthum, Vernunft und Glauben haben unter sich die alte
Zwietracht aufgehoben. Wer die Vernunft verehrt, ist heut zu Tag ein
Christ, wer Christ seyn will, huldigt die Vernunft.«

»Auch hier ein großer Schritt zur allgemeinen Seligkeit, zur wahren
Menschenwürde!«

»Beinah ist die Religion in unsern Tagen, was sie seyn soll -- werden kann.
Im Ganzen fühlt die menschliche Gesellschaft sich in ihrem Schutze sicher
und getröstet. Wir haben wenigstens so viel gewonnen, daß kein blutiger
Partheigeist, keine Proselytenmacherei, kein Verdammen, kein Verketzern
unter uns mehr gilt. -- Uebrigens haben wir noch immer Narren, Schwärmer,
Seher unter uns; allein die meisten wandern endlich den Weg ins Irrenhaus.
Es kränkeln freilich auch noch izt so manche Pfaffen, vom Egoismus
verführt, und von den Begebenheiten der Vorwelt aufgehezt, am
Hierarchenfieber; doch ihre Pfeile, auf das Herz der Menschheit gerichtet,
fallen kraftlos an der vorgestreckten Aegide der Vernunft zurück.«

_Josselin_ schwieg. _Duur_ pries die Menschen dieser Tage glücklich, und
jammerte bei der Erinnrung an die traurige Vorwelt.




Eilftes Kapitel.
Sie wandern weiter.


Der erste September näherte sich immer mehr; unsre Pilger fingen an, öftrer
an Mont-Rousseau zu denken, _Josselin_ mit Vergnügen, _Duur_ mit heimlichen
Grauen.

Zwar hatte _Duur_ von der neuen Welt nur immer noch sehr wenig gesehn und
erfahren; aber was er gesehn und gehört, machte ihn nur noch lüsterner auf
das Uebrige.

»Begnüge Dich mit diesem,« rief dann _Josselin_ oft: »ehe Du mehr siehest
und Du zu Reue Ursachen erhältst, in diesem Zeitalter zu leben. -- Komm
nach Mont-Rousseau, da wohnt für uns der Himmel.«

»Für mich nicht!« seufzte _Duur_.

»Kannst Du der Zukunft ins Herz sehn? Damit Du inzwischen doch noch einen
Deiner Wünsche stillest, so wollen wir die Gegenden aufsuchen, in welchen
weiland die Sorbenburg stand, und wo Du so glücklich Deine Kinderjahre
vertändelt hast.«

»Das Grab meinen Oheims! -- Das Grab meines Rikchens!« rief _Duur_ und die
Abreise war beschlossen.

Sie zogen von dannen, durch Dorf und Stadt, und allenthalben erblickte der
Sohn des achtzehnten Jahrhunderts den schönsten Kontrast zwischen dieser
Zeit und der Vergangenheit.

»Hier laß uns ausruhn!« rief eines Tages _Josselin_, und warf sich am Fuße
eines grünen Hügels nieder, auf dessen Rücken alt und baufällig Galgen und
Rad standen.

»Hier? -- die Aussicht ist nicht intressant.«

»Sehr!«

»Galgen und Rad über uns.«

»Eben deswegen. Weißt Du was das Merkwürdigste von jenem Gerüste ist? --
betrachte es genau.«

_Duur_ sah hinauf, aber er erblickte überall nichts, was seinen Blick
fesseln konnte.

»Was denkst Du Dir dabei?« fragte _Josselin_.

»Wahrhaftig wenig!«

»Es ist, was Du siehest, eine Reliquie der Vorwelt, der _lezte Galgen in
Deutschland_ und das _lezte Rad_!«

»Da ists der Mühe werth noch einmal hinaufzusehn. -- Aber wie? Sind die
Todesstrafen durchgängig aufgehoben?«

»Die Todesstrafen nicht, aber diese Arten der Todesstrafen.«

»Damit ist wenig gewonnen.«

»Immer genug für die Menschlichkeit; Muß es nicht ein abscheulicher,
empörender Anblick gewesen seyn, wenn man verwesende Knochen und faules
Menschenfleisch auf solchen Gerüsten, umringt von hungrigen Raben und
Krähen, erblickte? -- Es ist wirklich ein redender Beweis von Rohheit und
Barbarei, wo solch ein grausames Schauspiel noch Beifall finden konnte.«

»Gefallen hatte gewiß niemand daran.«

»Desto schlimmer. Der Tod war für den Verbrecher genug, und _hart_ genug.
Ob sein Leichnam nachher von den Vögeln des Himmels beschmaußt, zum Ekel
und Entsetzen aller Vorübergehnden dalag, oder unter der Erde verborgen
ruhte, konnte ihm gleichviel gelten. Nach dem Tode sind uns _Ehrensäulen_
und _Schandpfähle_ gleich theuer. -- Dies weiß jeder, auch jeder Bösewicht
wußte es, so gut, wie ein andrer. Die ekelhafte Ansicht war folglich ganz
zwecklos. Ja, die Erfahrung hat es gelehrt, daß, so wie ehmals in Italien,
wo die Statthalter Christi unaufhörlich fulminirten, die meisten
Freigeister lebten, eben so auch in denjenigen Staaten die meisten
Verbrechen begangen wurden, wo Galgen und Rad am gewöhnlichsten waren.«

»Daran hatten Galgen und Rad wenigstens die geringste Schuld.«

»Und ich möchte sagen: die meiste. Ein Volk muß noch sehr verwildert seyn,
wenn die Glieder desselben dass Landesgesetz nur aus Furcht vor Rad und
Galgen respektiren. Je seltner überhaupt die Todesstrafe in einem Lande
wird, jemehr kann man darauf rechnen, daß der Geist der Nation veredelter
und die Gesetzgebung vernünftiger geworden seh. Wenn endlich die
Todesstrafen sich ganz verlieren im Codex des Criminalwesens; wenn der
Staat mehr dahinstrebt das Volk zur Tugend selbst _hinzulenken_ statt es
nur von Lastern _abzuhalten_, so hat die Gesetzgebung sich dort den lezten
und herrlichsten Lorbeer gepflückt.«

»Ich verstehe Dich nicht ganz.«

»Daran hat vielleicht nur die Dir vom achtzehnten Jahrhundert eigenthümlich
gewordne Denkart schuld. Ich will mich aber deutlicher erklären und Dir bei
dieser Gelegenheit zeigen, wie weit wir wirklich das _philosophische_
Jahrhundert hinter uns zurückgelassen haben.«

»Zu Deiner Zeit bildete man sich etwas Großes darauf ein, daß die _Foltern_
abgeschaft wurden, nannte sie eine Erfindung der Barbarei und Grausamkeit,
fand es übrigens gar nicht anstössig, an den öffentlichen Landstrassen
stinkende Menschenkörper auf dem Rade geflochten zu sehn; fand es nicht
anstössig, wenn Kindermörderinnen und andere Verbrecher, die den Gang ihres
Verbrechens selten in kalter Ueberlegung entwarfen und vollendeten, sondern
entweder in betäubender Verzweiflung oder verdorbner Erziehung sündigten,
kurz und bündig vom Leben zum Tode gebracht wurden.«

»Jezt kennt man die Folter nur den Namen nach, und mit dem Tode wird nur
der bestraft, dessen Leben nothwendig mit der Ruhe und dem Glücke der
menschlichen Gesellschaft im Zweikampf stehen müßte. Die härteste Strafe
ist eine _ewige Beraubung der Freiheit_; sie ist _härter_, als der _Tod_
selbst; eben darum _schrecklicher_, als er. Der Feind des öffentlichen
Wohls wird dann gezwungen, den Schaden, welchen er stiftete, auf einge Art
wieder zu vergüten.«

»Der Tod ist für manchen Bösewicht ein wünschenswerthes Gut; besonders wenn
er so gegeben wird, wie ehmals, da noch Priester den Delinquenten zur
Schädelstätt begleiteten, und seine Phantasie mit angenehmen Bildern von
den nahen Freuden der Ewigkeit erhizten, um ihm die Schauer des Todes
minder empfindlich zu machen. Folglich war der Tod kaum einmal eigentliche
Strafe des Sünders, und durch den Verlust seines Lebens ersprang dem
gemeinen Wesen wenig Heil.«

»Man begnügte sich in Deinem Zeitalter überhaupt nur die negativen Zwecke
der Staatsverbindungen zu erfüllen; man dachte nicht daran, ein
_glückliches_, sondern nur ein _ruhiges_, _gesichertes_ Volk, nicht
_aufgeklärte Bürger_, sondern nur _keine Wilden_; nicht _Edle_ und
_Tugendhafte_, sondern nur _keine Bösewichte_ zu haben.«

»Die Gesetzbücher Deiner Zeit prangen daher gewöhnlich mit Galgen und Rad,
Schwerd und Scheiterhaufen; sie _drohen_ überall, verheissen aber
nirgends.«

»In unsern Tagen sind im Gefolge der Gesetze nicht nur die _öffentlichen
Strafen_ für den _Uebertreter_, sondern auch die _öffentlichen Belohnungen_
für den _Erfüller_. Unsre Bürger werden weit mehr zur Umarmung der Tugend
_gelockt_, als vom Verbrechen _zurückgeschreckt_. Und es kömmt darauf an,
in welcher Schule die besten Kinder gezogen werden? Da, wo die Ruthe
ewiglich herrscht, oder wo am Ziel eine schönvergeltende Palme weht?«

_Duur_ starrte verwundert, mit freudiger Seele, den Mann dieses
Jahrhunderts an.

»Ich schwöre Dirs!« rief er: »ich schwöre Dirs, Josselin, so weit strebte
die Kühnheit unsrer verwegensten Politiker nicht; ich schwöre Dirs, daß
_solch ein großer Gedanke_ durch die Seele der wenigsten gegangen ist --
daß man im achtzehnten Jahrhundert noch an der Möglichkeit verzweifelte, ob
ein Staat jemals zu solch einer idealischen Höhe der Cultur gehoben werden
könne. -- Ja, ich bekenne es nun gern, ich habe gelebt unter Barbaren, für
welche das Gesetz nur Zuchtruthen, aber keine Palmen hatte; die menschliche
Gesellschaft erscheint mir von jenen Zeiten wie ein zusammengetriebener
Haufe wilder Thiere, welcher nur _gezähmt_ werden sollte, aber nicht
_beglückt_.«

»Du bist schon wieder hoch entzückt, und doch seh ich überall keine
durchgreifende Ursachen. Verdient es denn unser Entzücken, nicht unter
wilden Bestien zu wohnen, verdient es unsre Freudenthräne, wenn die
Menschen endlich _sich selber ähnlicher_ werden, oder geworden sind?«

»Diese Vorwürfe sind Dein Ernst nicht, Josselin. Gedenke der Menschheit,
was sie war vor einem halben Jahrtausend, wie sie damals noch schmachtete
in ihrer _Knechtschaft_, und zitterte unter der Ruthe des Gesetzes, und
gedenke ihrer izt, wo sie _wahrhaftig frei_ ist, selbst in den
souverainesten Monarchien! -- Ich müßte ohne Gefühl seyn, wenn ich hier
kalt bliebe. Ach, Gott! an Belohnung des _guten Bürgers_, des
ausgezeichneten Biedermanns dachte man _selten_ -- zum Gefängniß und zum
Schaffot schickte man _öfters_; die Obern fragten nicht nach der Tugend und
Aufklärung ihrer Unterthanen, sondern nach deren Gehorsam und richtigen
Abgaben nur. Die Hirten schüzten ihre Heerden und führten sie nur darum auf
gute Weiden, um bessere Wolle scheeren zu können. Die genaue
Verschwisterung der Politik und Moral waren Dichterschwärmereien, und izt?
-- -- --«

»Nun ja, wir haben die Knechtschaft verloren, und den Geist der Kindschaft
empfangen. Was sonst die Ruthe bewirkte, wirkt izt das vorgehaltne
Zuckerplätzchen. Es ist nichts mehr, als eine Vertauschung der Mittel in
der Erziehung. Aber _Männer_ sind wir noch nicht, die die Tugend lieben,
nicht aus Furcht vor der Strafe, nicht aus Lust zur Belohnung, sondern um
ihres eignen Werths, den sie für die Vernunft besizt.«

»O, Josselin, es ist noch eine große Frage: ob wir Menschen in dieser Welt
jemals mehr werden können, denn _gute Kinder_; ob wir jemals in dieser
Schule _männlichen Geist_ empfahen können?«




Zwölftes Kapitel.
Die Heimath.


»Wo nun?« fragte _Josselin_ nach einigen Tagen, als sie die Gegenden
erreicht hatten, wohin _Florentin_ seufzte, da wo er die Tage seiner
Kindheit einst so glücklich verlebte.

»Ich kenne diese Gegend nicht mehr;« antwortete _Florentin_: »Aber nun
hinauf auf diesen Hügel, den ein kleiner Fichtenwald bedeckt. Einst stand
dieser Wald nicht, sondern auf dem Gipfel ragte einsam ein einziger Baum
nur empor. -- Das ist nun so alles anders worden, und ich kenne meine
Heimath nicht wieder.«

Sie klimmten den Hügel hinan. Wehmuthsvoll stand der Sohn der Vorwelt da,
im Strahl der Abendsonne, und sah hinab auf die veränderte Bühne seiner
Kinderzeiten. Er stand da, sprachlos und unbeweglich; große Thränen perlten
ihm über die Wangen.

»Hier ists!« rief er: »hier ists! -- ich erkenne diesen Hügel, diese
Landschaft wieder an matten Aehnlichkeiten mit der Vergangenheit; auch der
Greis behält ja noch manchen Zug von dem Kindheitsalter, wenn er gleich
schärfer und fester worden. Dies ist der Hügel, ich kenne ihn, wo ich mit
Rikchen oft gesessen, und mich der schönen Aussicht freute; hier lasen wir
so gern unsern _Geßner_, unsern _Ossian_ und wiegte uns ein in schöne
Träume unser _Wieland_. -- Hier unten ist der kleine Bach, auf welchem ich
so manche Flotte von Papier und Eichenrinde seegeln ließ und scheitern sah.
-- Ach alles, alles ist nun anders worden! Wo ist das Dorf geblieben, wo
das väterliche Schloß von Ulmen umringt? -- Dort drüben ist die Stätte, und
-- sie ist leer!« --

Sie stiegen schweigend den Hügel von der andern Seit' hinab; sie wandelten
am krummen Bach entlang; sie sahn umher und suchten noch die Spuren der
Vergangenheit, und fanden endlich hinter wuchernden Gesträuchen einige
Ruinen vom ehemaligen _Duurschen_ Schlosse, izt fast der Erde gleich.

_Florentin_ konnte izt sich nicht ermannen; er weinte wie ein Kind, und
stürzte nieder und küßte das kalte Gestein, die lezten Reste der
väterlichen Burg.

»Mein Oheim! -- o mein Rikchen!« schluchzte er: »so ists vorüber, alles nun
vorüber! -- Eure Asche ist verweht, verweset euer Name im Gedächtniß der
Lebendigen, verwittert eure Wohnung. Ach, und ihr waret doch so gut, -- so
gut! wir waren alle einst so glücklich!«

_Josselin_ wurde durch seines Freundes bittre Wehmuth zum Mitgefühl
gestimmt: -- »die Welt ist ein Theater nur; ein jeder Akt hat andre
Decorationen, andre Spieler, und das Vergangene läßt keine Spur; -- Wir
spielen noch und gehen ab, und wissen nicht, warum wir spielen mußten? --
Was haben wir zulezt von unserm Seyn gerettet? Unsterblichkeit des Namens?
-- Das ist noch weniger, als der Schatten unsers Ichs. Fürwahr der Nachruhm
ists nicht werth, daß man ihm für _Jahrtausende_ auch _eine_ einzige
Lebenslust nur opferte.«

»Hier steh ich nun zum leztenmal!« rief _Duur_: »ach wär' es auch die lezte
Thräne, die ich dir nachweinte, heilige Vergangenheit! -- Auch ich werde
bald meine Rolle auf diesem Theater zu Ende gespielt haben; bald wird mein
Vorhang fallen -- o Gott! o Gott! was bin ich dann gewesen? wofür hab' ich
die tausend Thränen dann geweint? wofür so viele Leiden, so manchen
namenlosen Schmerz getragen?« --

Die Sonne sank unter. In ihrem röthlichen Wiederschein glänzten noch die
Wipfel der Gebüsche, aus welchem die Finsterniß der Nacht hervorschlich.

»Jezt hin zur neuen Heimath, Florentin!« sagte _Josselin_ nach einem langen
Stillschweigen: »hin auf _Idalla's_ schöner Insel, wo in sel'gem Frieden
wir unser Leben schliessen wollen. Sey doch der Zweck unsers Hierseyns auf
Erden, welcher er wolle; mag jenseits des Grabes die abgestorbne Blume
unsers Ichs von neuem aufblühn, oder mit Saat und Wurzel auf ewig verwesen,
so wollen wir uns nicht muthlos machen lassen; Leben wollen wir, als würde
jenseits nichts mehr seyn; und sterben, als hätten wir das Beste noch von
drüben zu erwarten.«

Sie brachen auf, und verliessen traurig die Ruinen des Duurschen Schlosses.

»Gute Nacht; mein Oheim! gute Nacht, Rikchen! gute Nacht, du liebe, theure
Heimath meiner Jugend!« rief weinend _Florentin_.

Ein Westwind säuselte durch die dunkeln Gesträuche; ein leiser Schauer
umwallte die Wandrer; im Flüstern des Windes wars, als lispelten die
Geister der Entschlummerten ihm ein stilles Lebewohl nach.




Vierter Abschnitt.





Erstes Kapitel.
Mont-Rousseau.


»So sey es denn! Ich bin des Wanderns müde. Die Reise war der Mühe werth;
die kleine Mühe ist mir herrlich belohnt. -- Ich bins zufrieden, Josselin,
laß uns eilen nach Mont-Rousseau. Der erste September liegt nahe vor der
Thür; Du sehnest Dich nach Deiner _Rosalia_, und ich mich endlich nach
Ruhe!« --

Herzlich stimmte _Josselin_ in den Willen seines Reisegefährten; sie
kehrten um, und zogen graden Wegs nach Mont-Rousseau.

»Die wengen bittern Stunden dort werd' ich ja auch noch überleben, und dann
weg von der Welt, aus welcher ich nichts mitnahm, als ein blutendes Herz,
auf ewig in den Schoos der Einsamkeit!«

_Josselin_ lachte bei diesen Seufzern seines Freundes. _Duur_ sah ihn
verlegen an; das Lachen war ihm räthselhaft, so räthselhaft wie einst beim
Abschiede von _Gobby_.

Er konnte länger nicht seine Verwundrung verheelen. Er bat den Lacher um
Aufschluß; aber statt dessen erhielt er eine Menge Worte mit unbedeutendem
Sinn.

In der nächsten Stadt ward zur mehrern Bequemlichkeit ein Reisewagen
angeschafft, und nun gings ohne Rast dem Ziel entgegen.

Glücklich trafen sie am lezten Tage des Augusts an dem erwünschten Orte
ein, Schon war es gegen Abend, als ihnen die Kuppeln und Söller eines
prächtigen Schlosses, hinter hohen Eichbäumen halb versteckt,
entgegenfunkelten.

Sie stiegen ab vom Wagen, als sie eben aus einem kleinen Birkenwalde
hervortraten. Der Wagen blieb zurück; sie wanderten zu Fuß voran, um ihre
Freunde unverhofft zu überfallen, allein sie hatten sich verrechnet. --

Kaum waren sie einige Schritte vorwärts geeilt, als ein Pistolenschuß in
ihrer Nähe fiel. Auf diesen Schuß folgten mehrere. Dies Signal machte bald
die hohe Kastanienallee, die sie zu durchwandern hatten, lebendig von
allerlei Spaziergängern.

»Wir sind verrathen!« sagte _Josselin_: »der Lärmen gilt uns!«

_Duur_ schwieg. Eine sonderbare Empfindung bemächtigte sich seiner -- es
waren Schmerz und Vergnügen, welche mit jedem Schlage des Pulses in ihm
abwechselten. -- Er sollte wiedersehn, zum leztenmale wiedersehn die Holde,
welche er über alles liebte, und deren Miene, Blicke, Sprache, Kuß und
Händedruck ihm Gegenliebe verheissen hatte; er sollte sie wiedersehn, an
welcher sein ganzes Seyn, die ganze Seligkeit seiner Erdentage hing -- um
sie auf immer wieder zu verlieren.

Er ging, und jeder Schritt ward ihm ein Schritt zum unaussprechlichen
Unglück. Er blieb stehn, schwankte wieder vor, blieb abermals stehn,
inzwischen _Josselin_ ihm schon weit vorausgeeilt war, und sich in einer
jauchzenden Versammlung, in unaufhörlichen Umarmungen, von Brust zu Brust,
von Mund zu Mund stürzte.

»Ach, es ist peinlich, dazustehn, wie ein Verwiesener aus dem Lande der
Freude, und arm an aller Lust unter Glücklichen zu wohnen!« seufzte er: »es
ist peinlich, unter den Frohen mitzulächeln, inzwischen das Herz blutet und
die Augen ihre Thränen mühsam verbergen müssen.«

Er schlenderte langsam weiter. Schon hörte er näher und lauter das Geräusch
der Kommenden, ihr Frohlocken, ihr lustiges Geschwätz, ihr
Entgegenjauchzen. -- Er rieb sich hurtig von den Wimpern eine Thräne, und
eilte ihnen mit verstellter Lust zu.




Zweites Kapitel.
Das Willkommen.


»Willkommen!« rief der ehrwürdige _Graf von Gabonne_ indem er unserm
Betrübten entgegenwankte, und ihn mit Jünglingskraft an seine Brust
drückte. »Fast verzweifelten wir an Ihrer Heimkunft; aber -- so ists recht!
-- nun ist die Reihe an uns, Ihre Liebe zu vergelten. Was Wetter -- mir
ists, als hätten Sie eine Thräne in den Augen. -- Was will der ungebetne
Gast in diesen Wohnungen der Freude? Weg mit ihm, wenn Freude nicht seine
Mutter heißt!«

»Gewiß heißt Freude seine Mutter -- ich bin ja wieder unter den Meinigen;
ich sehe ja meine Lieblinge in der Welt alle wieder beisammen, und Sie an
der Spitze derselben!«

»Seyn Sie uns gegrüßt, Wandersmann!« jauchzte der wackre Commendant
_Silberot_, und schüttelte _Florentinem_ herzlich die Hand: »haben Sie sich
endlich müde geschwärmt? -- Nach der Arbeit ist die Ruhe süß! -- Ich will
nun auch ruhn, von meiner Arbeit. Mein Haar ist weiß worden; meine Kräfte
erlahmen. -- Wie gefällt Ihnen hier die Gegend?«

»Sie ist romantisch!« antwortete _Florentin_.

»O, da sollten Sie sie nur erst näher kennen lernen. Ein irrdisches
Paradies blüht hier. Da sind Wälder, Felsen, Thäler, Seen, Wiesen, Bäche in
einer prächtigen Mischung durcheinander geworfen, daß es eine Lust ist,
anzuschaun; und nun, wissen Sie was neues? Hier werd' ich mir eine Hütte
baun, und mich ansiedeln, und wohnen darin mein Lebelang. Commendant bin
ich nicht mehr!«

»Ich wünsche Glück!« lächelte _Duur_.

»Ihm nicht allein!« unterbrach ihn der sanfte _Gobby_. »Mein Wohnhaus lehnt
sich dicht an meines _Silberots_ Hütte. Ich wohne mit ihm hier, bis er mit
meiner Asche eine Urne füllt. Willkommen indessen, Herr Revolutionair,
haben Sie nicht auch Kanella besucht, um die Eitelkeit des menschlichen
Dichtens und Trachtens zu bejammern?«

»Nein, nimmermehr wär ich dahin gegangen! Es ist ja nichts mehr daran
gelegen, ob die Staaten einen Freiheitshut, oder eine Fürstenkrone im Wapen
führen; die Bürger dieser Welt sind von den Tändeleien längst
zurückgekommen, und ich mit ihnen!« sagte _Florentin_, und schloß den
liebenswürdigen Greis in seinen Arm.

Indem er ihn küßte, hatten sich die Damen allmählig rings umher versammelt.
Eine derselben hielt ihm die Augen zu. Errathen sollt' er ihren Namen, er
rieth her und hin und errieth ihren Namen nicht. -- Sie ließ los.

»Ach, Gott, Idalla! Idalla!« rief _Florentin_ mit lebhafter Freude, und
drückte das liebe Weib an sein Herz, als wär es seine Schwester.

»Endlich hat man Dich wieder, Du lieber Irrgeist, endlich!« stammelte
Idalla, voll herzlicher Rührung, und ein helles, schönes Thränenpaar
funkelte in ihren Augen.

»Sieh mich nur an, Du Irrgeist, und sage mir, wie hast Du so lange fern
leben können von Deinem _Karlchen_, von _Holder_ und _mir_. Ach, tausendmal
haben wir Dein gedacht an jedem Tage, und tausendmal heim Dich gewünscht zu
unsrer Insel! Und Du bist nicht gekommen.«

»Nun bleib ich ewig bei Dir; nun will ich Dich nicht wieder verlassen, bis
der Tod einen von uns abruft.« Antwortete _Duur_ und sank ihr von neuem in
die Arme.

_Karlchen_ umklammerte izt seinen Leib, und rief »Vater! Vater!« ihm zu.

»O das ist der Seligkeit zu viel auf einmal!« jauchzte _Duur_, und hob den
lieblichen Knaben zu sich empor und hielt ihn Minutenlang und konnte sich
an ihm nicht satt sehn, satt küssen, satt freuen.

»Aber mich wirst Du doch nicht ganz übersehn und vergessen wollen?« tönte
eine andre Stimme seitwärts. _Holder_, der alte treue Reisegefährte durch
Leben und Tod, _Holder_ eilte ihm mit weit ausgebreiteten Armen entgegen.
--

»Nein!« rief _Duur_: »wie sollt' ich Dich übersehen, Dich meinen Genius in
zweien Welten, meinen ältesten und zärtlichsten Freund! -- O Holder,
Holder, wieviel hab' ich Dir zu erzählen; die Wunder dieses Zeitalters sind
es werth, daß man ihrentwillen fünf Jahrhunderte verschläft; sie müssen
selbst gesehn und erfahren werden, denn in der besten Beschreibung
verlieren sie an Glanz, und bleiben dennoch unglaublich.«

»Desto besser, daß Du mein Referent seyn wirst, denn Dir glaub' ich mehr,
als zehn beeidigten Zeugen.«

»Auch, Bruder, auch Rikchens, _Deines Rikchens Grab_, -- auch meines
theuern Oheims Burg und Grab, den Schauplatz meiner Jugendspiele habe ich
aufgesucht; und in seiner wilden Verwandlung kaum wieder entdeckt. Das alte
Duursche Schloß ist izt ein kleiner Hügel verwitterten Gesteins vom
Fundament; die Gräber, ihre Spuren, sind verweht.«

»Dies wäre grade noch für mich das Sehenswürdigste gewesen.«

Indem sie sprachen, und die drei biedern Greise, _Gabonne_, _Gobby_,
_Silberot_ sich in das trauliche Geschwätz mischten, erschien _Idalla_
seitwärts, an ihrem schwesterlichen Arm gelehnt, verschämt und selig --
_Imada_.

_Duur_ erblaßte, als er seine Augen aufschlug und sie erkannte; ein
brennendes Roth flog dann wieder über die Leichenfarbe seines Angesichts;
er konnte kaum sich nur ermannen, kaum einge Höflichkeiten stammeln, kaum
einen Kuß mit starren Lippen auf ihre Hand pressen.

Da stand sie nun vor ihm, die ihn allein zum Gott auf dieser Welt hätte
machen können, und welche nicht die Seine werden _konnte_, und _wollte_;
stand vor ihm, angethan mit allen Liebreiz, welche Jugend und
Harmlosigkeit, Kunst und Natur verschwenden können; stand vor ihm, bebend
und schweigend und erröthend, und sah ihn an mit einem Blick, der so
unaussprechlich mild und verführerisch war und doch nicht das verheissen
durfte, was _Florentinen_ allein nur glücklich machen konnte.

Eingedenk der lezten, sonderbaren Unterredung in der Nacht, beim Schimmer
des Todtenfeuers, wagte ers auch nicht, nur mit einem einzigen Blick, die
quälenden Empfindungen verrathen zu geben, welche in seinem Innern tobten.

»Und so kalt?« fragte _Gabonne_, der lächelnd ihnen beiden zur Seite stand:
»Pflückt Rosen, so lange Ihr _dürfet_! -- hurtig, ich weiß, daß Ihr im
Leben das Küssen nicht verschworen habt, gebt Euch Küsse, eh' der Bräutigam
kommt und dem Spiel ein Ende macht.«

Er schloß beide in seine Arme. Erröthend näherten sie sich einander unter
dem sanften Zwange; ihre Lippen hingen unauflöslich in einem entseelenden
Kusse zusammen.

»Es verdrießt mich doch, daß die Dinge solch' einen Gang nahmen!« brummte
der _silberlockigte Gabonne_ halb freundlich, halb böse: »würdet Ihr beiden
Leutchen nicht das beneidenswürdigste Ehepaar auf Erden geworden seyn, wenn
-- -- -- Doch, vergangene Dinge sind nicht zu ändern. Aber lieb wär mirs
doch gewesen, wenn Ihr Beide so eins geworden wäret!«

_Florentin_ warf einen schwermüthigen Blick auf den plaudernden Alten.
_Imada_ lächelte. _Duur_ seufzte.

An _Josselins_ Arm erschien, blühend wie eine Frühlingsrose _Rosalia_. --

Mit schwesterlicher Unbefangenheit umarmte sie ihren _Professor der
Alterthumskunde_, und half ihn, wie im Triumpf, sie auf der einen, _Imada_
auf der andern Seite, einführen in die Burg des _Grafen von Gabonne_.

»Wo ist Ihr Bräutigam?« flüsterte _Duur_ unterwegs _Imada'n_ ins Ohr.

»Noch ist er nicht hier,« antwortete sie: »er kennt Sie sehr gut und liebet
Sie herzlich. Aber hüten Sie sich doch etwas vor ihm, denn er soll sehr
_eifersüchtig_ seyn. Bis dahin wollen wir beide unter uns allen Zwang
vergessen.«




Drittes Kapitel.
Die Flucht.


Sie traten ins Schloß des Grafen von _Gabonne_. Leben und Freude theilte
sich allen Versammelten mit; nur _Florentin_ war allein der einzige,
welcher bei allem Vergnügen düster und mißmüthig blieb. Vergebens waren
alle Aufmunterungen; er konnte nicht froher werden.

An seinen sehr erklärlichen Trübsinn schloß sich eine neue Art des
Mißvergnügens, welche aus der unangenehmen Bemerkung entstand, daß man sich
im Grunde auch nicht zu viel Mühe zu geben schien, seine Aufheiterung zu
bewerkstelligen, sondern sich sogar unter einander, lachend und flüsternd,
wie heimlich, verband, ohne ihn in diesen Kreis einzuschliessen.

»Der Leidende ist der einzige Ueberflüssige in der Gesellschaft der
Fröhlichen!« dachte er bei sich und der Plan war entworfen, der Entschluß
gefaßt, mit einbrechender Nacht wieder davon zu reisen, bis die
Hochzeitsfeierlichkeiten vorüber wären, und dann zurückzukommen, um den
Heimweg nach _Idalla's_ Insel anzutreten.

Er ging hinaus; der Fuhrmann ward in aller Stille bestellt; er kam zurück
und stellte sich froher.

Der Abend schlich allmählig vorüber. Um den künftigen Morgen desto besser
zu geniessen, beschloß man ein frühes Zubettegehn.

»Gute Nacht!« sprach beim Abschiede der freundliche _Graf von Gabonne_ zu
seiner Nichte: »morgen hast Du einen andern Freund, einen andern Beschützer
an Deinem Gemahl. -- Heut hab' ich die Rolle zum leztenmal gespielt, und
ich bins sehr zufrieden. Wahrhaftig, nichts ist gefährlicher, als ein
Mädchen zu hüten; ich hätte bei meiner Ritterschaft leicht einmal das Leben
eingebüßt.«

»Das Leben?« fragte Holder.

»Es war kein Scherz.« antwortete der Graf: »aber eben der fatalen
Begebenheit hat _Imada_ ihre erste Bekanntschaft mit unserm _Florentin_ zu
danken. -- Im lezten Kriege hatte Imada das Unglück, von den Feinden in
ihrem verwaisten, väterlichen Schlosse überfallen und gefangen zu werden.
Es geschah dies nicht ohne Absicht. Der feindliche General war ein alter
Liebhaber meiner Nichte. Weil der Himmel aber keine Sünde unbestraft läßt,
so fügte ers, daß der General bei einer Rekognoscirung grade in meine Hände
fiel. Ich ward zwar dabei verwundet, allein er mußte sich nun mit seiner
Geliebten ranzioniren; aber ehe er den Vertrag unterschrieb, ward _Imada_
als Deserteur, in männlicher Kleidung, zu uns ins Lager gebracht. Niemand
war froher, als ich; sobald ichs durfte, rüstete ich einige Luftgondeln
aus, um meine Beute in eine entfernte Gegend zur Sicherheit zu bringen.
Unterwegs erhielten wir die Nachricht vom Friedensschluß, vom Zurückzug der
Armeen, und wir begaben uns also hieher nach Mont-Rousseau, wo wir denn vor
weitern Anfechtungen geschüzt waren. Auf der Reise nach Mont-Rousseau fand
_Imada_ unsern _Florentin_, wie einen Arkadier im Holze.«

Man scherzte noch vielerlei über das gefährliche Abentheuer; besonders gab
_Imadas_ Heroismus, in Mannskleidern aus dem feindlichen Lager zu
entwischen, zum Lachen manchen Stoff. Nur _Florentin_ nahm keinen Theil
daran, indem er selbst schon mit dem Plan _seiner_ Flucht zu sehr
beschäftigt war.

Die Freunde schieden aus einander; jeder erhielt sein Zimmer; _Florentin_
schrieb einige Zeilen, worin er seinen Schritt rechtfertigte, und als er
alles im tiefen Schlafe wähnte, machte er sich auf, und entkam glücklich
aus dem Schlosse.

Es war eine schöne Mondscheinnacht. Er hatte den Fuhrmann befohlen seiner
am Ende der Allee zu erwarten. Wie erschrak aber unser Flüchtling, als er
Pferd' und Wagen nicht weit vom Schlosse stehend fand! Wie leicht konnt' er
hier entdeckt werden!

Um keine Zeit zu verlieren, eilte er sogleich zum Wagen und warf sich
hinein.

»Um Gotteswillen, wer ist hier?« rief er bestürzt, als er eine weibliche
Figur neben sich erblickte, die er in Angst und Eil nicht gesehn hatte.

»Eine Reisegefährtin!« lispelte ihm eine süße Stimme zur Antwort.

_Duur_ war ausser sich. _Imada_ selbst sas neben ihn. Seine Flucht war
verrathen durch die Unvorsichtigkeit des Fuhrmanns.

In größerer Verwirrung und Bestürzung hatte _Florentin_ sich nie befunden.
Er konnte kaum ein Wort zu seiner Entschuldigung hervorstammeln. Er
fürchtete die bittersten Vorwürfe, aber -- _Imada_ lächelte.

»So haben wir nicht gewettet!« sagte sie in einem scherzenden Tone. »Nicht
so, die Geschichte von meiner Desertion hat sie verführt?«

»Imada!«

»Nein, so entrinnen Sie nicht. Hier stehn Weiber auf der Wacht, und mich
hüteten nur Männer damals, die ihr Geschäft handwerksmäßig betrieben.
Weiber, wissen Sie ja wohl, sind in solchen Fällen wegen ihrer Schlauheit
berühmt.«

»Sie sind grausam mit Ihrem Spotte.«

»Wollen Sie sich ergeben?«

»Ihnen? o wie gern!«

»Auf Gnad' und Ungnade?«

»Ich muß.«

»Und zugleich gestehn, warum Sie uns so ohne Abschied entrinnen wollten?«

»Um glücklicher zu sein, wenn ich mich und meinem Kummer selbst überlassen
war. Ich wollte die Gesellschaft der Fröhlichen nicht stören.«

»Welcher Kummer quält Sie?«

»O Imada, können Sie noch fragen?«

»Allerdings. Hab' ich Ihnen von Ihrem Aufenthalte bei uns nicht alles Lieb'
und Gute verheissen?«

»Aber nur das nicht verheissen, was mich in der Welt allein glücklich
machen, und mit meinem unglücklichen Leben allein aussöhnen könnte.«

»Lieben Sie mich wirklich?«

»Imada -- zweifeln Sie wirklich?«

»So kommen Sie, ohne daß uns eine Seele bemerkt, sogleich wieder ins Schloß
zurück.«

»Lassen Sie mich fliehn. Ich fürchte den morgenden Tag. Ich kann diesen
schrecklichen Tag unmöglich in Ihrer Gesellschaft überleben. Lassen Sie
mich fliehn.«

»Sie wollen also davon, und wissen doch, wie unaussprechlich theuer Sie mir
sind? -- Nun, so muß ich Gebrauch von meiner Gewalt machen. -- He, herbei!
der Deserteur ist gefangen!«

Kaum hatte sie diese Worte gerufen, als lachend die ganze Schaar, welche
_Florentin_ längst im tiefsten Schlummer glaubte, aus dem Schloßthore
hervoreilte, _Josselin_, _Gabonne_, _Holder_, _Gobby_, _Silberot_ und die
Damen.

_Florentin_, umringt von der scherzenden Menge, welche ihn mit freundlichen
Vorwürfen bestürmte, mußte sich gern oder ungern zum Kriegsgefangnen
ergeben.

»Es schlafen nicht alle, welche die Augen verschliessen!« rief lachend der
alte _Gabonne_: »Glauben Sie nicht, daß ich in meinem eignen Hause ein
sorgloser Commendant sey. Ihre Flucht war mit verrathen, als Sie den ersten
Schritt zur selbigen gethan hatten -- morgen soll Kriegsrecht über Sie
gehalten werden. Jezt sind Sie unser Gefangner.«

_Florentin_, immer verlegner, mißmühiger, doch zu discret, um den
gutmüthigen Scherz zu verderben durch seinen Ernst, stotterte nur
Entschuldigungen.

»Seyn Sie ruhig, lieber Deserteur!« sagte der Graf: »Ich muß Ihnen
offenherzig bekennen, daß Sie mir durch ihre Desertion noch liebenswürdiger
geworden sind, und dies wird Ihre Strafe morgen sehr lindern. -- Verlassen
Sie sich darauf. Inzwischen, damit Sie mir nicht den Versuch zur Flucht in
dieser Nacht wiederholen, so sollen Sie eine Wache von eitel Frauenzimmern
empfangen. -- Rechts und links neben Ihrem Zimmer liegen die Schlafzimmer
von unsern Damen. Wollen Sie also entfliehn, so müssen Sie erst vor den
Betten Ihrer Wächterinnen vorüber. Und wehe Ihnen dann!«

Man brachte ihn wie im Triumpf zurück ins Schloß. _Holder_ sah seinem
niedergeschlagnen Freund lächelnd ins Gesicht, sprach zwar kein Wort, aber
blinkte ihm mit den Augen Muth zu.

Die Greise übergaben den versammelten Damen, zu welchen sich auch mehrere
Fremde gesellt hatten, den Gefangnen feierlich in Verwahrung. -- Diese
führten ihn nun, als Siegerinnen, die Treppen hinauf, in sein schönes
Gefängniß, vor welchem sie selber die Wacht halten sollten.

Jede empfahl sich ihm mit einem Kuß der Versöhnung -- _Imada_ war die
lezte.

»Ich habe sie nicht verdient, diese Liebe diese peinigende Freundlichkeit!«
rief er: »ich kann sie auch nicht erwiedern. -- O Imada, wie wäre der
Schluß im Roman meines Lebens so schön gewesen, wenn Ihre Liebe mich
schadlos gehalten hätte für die unzähligen Leiden, die ich trug.«

»Lieb ich Dich nicht, Flüchtling?« flüsterte sie, und es schauerte ihm warm
durch sein ganzes Wesen bei dem vertraulichen Du.

»Aber morgen?«

»Morgen?«

»Verlier ich dies Herz, diese Hand und das vertrauliche Du. Doch ich wills
erwarten. Sehn will ich den Mann wenigstens, welchen _Imada_ zum irrdischen
Gott macht.«

»Hättest ihn beinah nicht gesehn. Er ist zwar schon gekommen -- -- --«

»Schon hier?«

»Freilich. Allein, da er ankam, ließ er sogleich wieder umwenden, als er
von Deiner Anwesenheit hörte. Er ist wirklich eifersüchtig; ich hätt' es,
seinem Alter nach, nicht von ihm geglaubt. Mühsam gelang es mir, ihn fest
zu halten.«

»Ach hättest Du -- -- --«

»Ihn _laufen_ lassen. Nicht so? Nein, Wort muß man halten. Sieh, ich will
mich theilen. Meine Person gehört _ihm_ ein für allemal an; _Dir_ aber
meine Liebe, mein Herz?«

»Wolltest Du das? Könntest Du das? Nein, Imada, ich wills, ich kanns nicht.
Gieb Dich ihm ganz hin. Erinnre Dich, was Du sprachest, als wir unverhofft
uns im Garten bei der Todtenfeier fanden vor einigen Wochen.«

»O Florentin, wir Weiber schwatzen manches, von dem unser Herz keine Sylbe
soufflirt hat. Worte sind nicht immer der Wiederschall unsrer Empfindungen
und Wünsche. -- Dabei bleibts. Morgen siehst Du meinen künftigen Gemahl,
und er soll seinen beglückten Nebenbuhler sehn. Ich hoffe, Ihr werdet Beide
in freundlicher Eintracht mit einander leben. Damit er aber nicht Ursach
hat, vor der Zeit eifersüchtig zu werden ohne Noth, so sag ich izt:
Florentin, gute Nacht! Denn wenn er erführe, daß seine Braut um Mitternacht
mit Dir allein in einem Zimmer kosete: so möchte ihm dies doch nicht die
besten Gedanken erregen.«

Bei diesen Worten schmiegte sie sich freundlich an ihn. _Florentin_ nahm
Abschied in einem langen süßen Kuße -- _Imada_ entwischte, und mit
unruhigem Herzen schlummerte, träumte und wachte alles dem kommenden Morgen
entgegen.




Viertes Kapitel.
Der Bräutigam erscheint.


Die Natur feierte einen Festtag; duftiger, erquickender strahlte das
mannigfache Grün herab von Bäumen, Gebüschen und Hügeln; schöner sangen die
kleinen Sänger in den düstern Hecken und unter des Frühhimmels azurnem
Gewölbe; majestätischer erschien der Sonne Aufgang am flammenden Horizont,
in jeder Sekunde mit verwandeltem Farbenspiele an dem schwebenden Gewölk.
--

_Florentin_ verließ das Bett; er eilte dem Fenster zu, um sich zu laben an
dem erquickenden Anblick der aufwachenden Landschaft. Der emporsteigende
Duft von Blumen und Kräutern, die im Morgenschimmer verklärten Gestatten
einer anmutigen Gegend, alles machte einen wundersamen, wohlthätigen
Eindruck auf sein Herz.

Er fühlte sein ganzes Wesen leichter, ruhiger sein Herz und abgeschieden
von aller Leidenschaft. Er sah die Bilder der gestrigen Nacht, des
gestrigen Tages, der ganzen stürmischen Vergangenheit, wie einen
zurückgelegten Traum in nebelhafter Ferne noch schweben vor seinem Geist.

Ihm wars so wohl in dieser Verwandlung; sein lebendigster Wunsch wars izt,
daß diese liebliche Wiedergeburt nicht das vergängliche Spiel einer
angenehmen Morgenlaune seyn möchte. -- Er war so zufrieden mit sich, er
hätte -- beten mögen.

Was hätt' er darum geben mögen, wenn er diese feierliche Stille in seiner
Natur mehr einem philosophischen Siege seines Geistes über die rebellische
Sinnlichkeit, als der einstweiligen Disposition seines Körpers zu danken
gehabt hätte!

Bald darauf wards neben ihm in den Zimmern lebendiger. Er hörte das
Flüstern und verstohlne Gelächter der Damen. Es dauerte nicht lange, so
öffneten sich von beiden Seiten die Thüren.

Umringt von blühenden Jungfrauen erschien _Imada_, in einem einfachen
Morgenkleide, einen lebendigen Blumenkranz durch das freischwebende Haar
geschlungen.

Sie war nicht mehr _Imada_, sie war eine Göttin in allen ihren Bewegungen.
Mit Seligkeit und Liebe umkleidet schienen die übrigen Mädchen und Weiber
nur Reize von ihrer Nähe zu erborgen -- eine Sonne unter leuchtenden
Gestirnen, wandelte sie.

_Florentin_ bebte ihr näher. Der süßeste Morgengruß ward gegeben und
genommen. _Florentin_ war entzückt, aber er ahndte es, wie bald dies
Entzücken Verzweiflung werden würde.

»Im Namen meines Oheims und der übrigen lieben Gesellschaft befehle ich
Ihnen, als meinem Gefangnen, mir zu folgen, um für Ihre gestrige Flucht
Red' und Antwort zu geben, und Urthel und Recht zu empfahen, als es billig
ist!« sagte _Imada_ lächelnd.

_Florentin_ wollte der Holdseligen eine Antwort geben, aber _Imada_ winkte;
_Idalla_ und _Rosalia_ ketteten sich an seine Arme und führten ihn, als
einen Staatsverbrecher, mit muthwilligem Ernste davon.

Sie führten ihn hinab zum Verhör; eine hohe Thür sprang vor ihnen auf;
_Florentin_ stand in einem großen Säulensaal, voll königlicher Pracht. In
der Ferne ein Altar, mit brennenden Kerzen; von beiden Seiten eine
zahlreiche Versammlung.

Freundlich begrüßte sich unter einander die Menge, aber bald trat die
vorige, feierliche Stille wieder ein.

Der _Graf von Gabonne_ trat lächelnd in die Mitte der Versammlung, kündigte
nochmals die Vermählung _Rosaliens_ und _Imada's_ an, sprach darauf von
_Florentins_ frevelhaften Beginnen, in der Nacht zu entfliehn, und kündigte
ihm im Namen der Gesellschaft, im Fall er Besserung geloben wolle,
Erlassung der schweren, wohlverdienten Strafe an.

»Aber,« fuhr der liebe Greis in seinem feierlichen Sermon fort: »aber da
wir, die wir hier um Dich, Flüchtling, versammelt stehn, wir _Gabonne_,
_Gobby_ und _Silberot_, _Josselin_ und _Rosalia_, _Holder_ und _Idalla_
beschlossen haben, in dem romantischen Reviere Mont-Rousseaus fernerhin zu
wohnen, gemeinsam uns einträchtig, bis der Tod das Band unsrer Gesellschaft
auflösen wird, -- da wir befürchten müssen, daß Du Deine Versuche zur
Flucht erneuern möchtest; so diktiren wir Dir hiemit _eine ewige
Gefangenschaft_!«

»Um selbst sichrer zu seyn, vertrauen wir Dich ganz besonders der
Wachsamkeit unsrer _Imada_ an, und binde ich Dich durch dieses Wort auf
ewig an sie!«

_Florentin_ horchte, und traute seinen Sinnen nicht. Er war am Ziele, mit
welchem man ihn überraschte, da er sich am fernsten von ihm glaubte. Er
hörte nichts, er fühlte nichts mehr. Sprachlos sank er in _Gabonnens_ und
_Imadas_ Arm; träumend stand er mit _Imada_, an _Josselins_ und _Rosaliens_
Seite vor dem Altar, und empfing er den Segen des Greises _Gabonne_.

»So, Vinzenz!« rief _Gobby_ lächelnd: »lohnen Dich die schwarzen Brüder!«

Betäubt, entnervt vom gewaltsamen Gefühl seines unaussprechlichen Glücks
sank er in _Holders_ offnen Arm. _Imada_ küßte ihn als Weib, und _Josselin_
rief: »Segen über diesen Augenblick! so wollen wir gründen die Colonie der
Glücklichen!«




Fünftes Kapitel.
Epilog an die Leser.


Der Vorhang fällt; das Schauspiel ist geschlossen! -- Man legt das Buch
zurück; man rümpft die Nase, spizt den Mund, und sinnt auf ein Bonmot. Der
Kritiker schnizt seine Feder, um das Märchen, welches ich auf gutes Glück
erzählte, nach Gebühr zu würdigen und zu verdammen. -- Ich sehe
allenthalben krause Stirnen, keiner will mir einen stillen Dank
entgegenlächeln.

Wohlan, es sey; ich habe nichts dagegen. Vergessenheit sey meines Buches
Loos. -- Auch Tadeln macht Vergnügen, denn es giebt dem Gefühl unsers
Besserseyns zweifaches Leben.

Wer aber in den Labyrinthen meiner Träumerein ein frohes Stündchen schlagen
hörte; wem ich durch mein Geschwätz nach ernstern Geschäften den Augenblick
der Ruh versüßte; wer bei den Abentheuern meiner Helden sein eignes Leid
auf einge Zeit vergaß; wem hie und da ein frommer Wink, ein Wort aufs Herz,
wie Funken auf den Zunder fiel, -- der zürne wenigstens mir nicht, daß ich
nichts bessers gab.

Ich hätte freilich manches -- manches Gemälde noch aus dem drei
undzwanzigsten Jahrhundert liefern können: das Feld war groß, der Beute
viel; allein ein andrer mag den Faden nehmen und die Erzählung weiter
spinnen, ich schweige still und höre selber zu.




Anmerkungen zur Transkription


Die kräftig variierende Schreibweise, Grammatik und Interpunktion des
Originales wurden unverändert beibehalten. Lediglich offensichtliche
Druckfehler wurden korrigiert.





End of the Project Gutenberg EBook of Die schwarzen Brüder. III. (of 3), by 
Heinrich Zschokke

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