Abaellino der große Bandit

By Heinrich Zschokke

Project Gutenberg's Abaellino der große Bandit, by Heinrich Zschokke

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Title: Abaellino der große Bandit

Author: Heinrich Zschokke

Release Date: August 4, 2016 [EBook #52718]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ABAELLINO DER GROßE BANDIT ***




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Dresden









                              Abaellino
                          der große Bandit.


                                 von
                               J h d z.

                            F. P. Kybnitz.

                        Frankfurt und Leipzig,
                                 1794




                               Vorrede.


Troz dem, daß man in unserm Decennio nur romantische Szenen der Vorwelt,
Rittergeschichten, Sagen der Vorzeit, Begebenheiten aus den Tagen des
Faustrechts lesen will, schreib ich doch, wenn ich denn einmal etwas zum
Lesen schreiben will, nichts davon. Ich habe den Grundsaz, der
Schriftsteller müsse sich nie nach den Launen der Leser, sondern der
Leser nach den Launen des Dichters bequemen. All unsre Romanschreiber,
die dem Publikum mit Rittermärchen aufwarten, haben eine große
Aehnlichkeit mit den Musikanten, die nach der Laune der Tänzer bald eine
Menuet leiern, bald einen Walzer geigen müssen.

Sobald ich nun einmahl den Einfall habe _meinen_ Lesern etwas zu
erzählen; so ists mir gleichviel, _was_ ich ihnen erzähle, aber mehr
darauf denk' ich _wie_ ich ihnen erzähle. Es gilt mir gleichviel, ob ich
ihnen ein morgenländisches oder abendländisches Märchen, eine Lüge oder
Wahrheit vorschwazze, aber in allen diesen Plaudereien bemühe ich mich
die Natur, wie sie _ist_, oder sein _könnte_, darzustellen. Ich nehme
gewisse Karaktere und führe sie durch eine Reihe von Situazionen, und
beobachte, wie sie sich in all diesen Verhältnissen ausnehmen. Darüber
freu' ich mich selber.

Aber diese Karaktere, so genau ich sie auch immerhin zeichnen mag,
pflegen gewöhnlich am Ende der Geschichte ganz anders dazustehn, als im
Anfang. Nun muß man darüber nicht böse werden und denken: die Karaktere
werden sich untreu! nein. Ein andres ists mit der Schilderung des
Menschen im Roman, und ein andres in dem _Drama_.

Das Drama umfaßt, wenn es regelmäßig ist, nur einen kurzen Zeitraum. In
einem Tage oder drei Stunden verwandeln sich die Menschen nicht so
leicht -- hier kann sich ihr Karakter von der ersten bis zur lezten
Szene gleich bleiben; hier veranlassen die Karaktere gewisse Ereignisse,
Handlungen, und große Begebenheiten.

Aber im Roman veranlassen und bilden gewisse Ereignisse und
Begebenheiten den Karakter des Menschen, wiewohl auch dieser Einfluß auf
jene hat; das menschliche Gemüth wenn es durch eine Reihe von
Begebenheiten geführt wird, nimmt von der Farbe einer jeden etwas an
sich, diese vermischet sich endlich und daher oft der bunte Karakter
mancher Menschen. Drängt sich der Sterbliche durch viele schwarze
Situazionen, kein Wunder, wenn seine Gemüthsstimmung zulezt dunkel und
ernst wird; wird er geführt durch rosenfarbne Verhältnisse, wer wundert
sich dann noch über seinen frohen Humor?

Aber nicht genug, daß ich Menschenkaraktere unter allerlei
Gesichtspunkten und Verhältnissen betrachte: so hab ich auch das einzig
mögliche Prinzip jeder psychologischen Aesthetik, den Zwek der edlen
Kunst stets vor mir, wodurch die Künste allein zur möglich erhabensten
Stufe der Vollkommenheit emporgeführt werden können:

            _Regelmäßige Mittheilung guter Empfindungen._

Und erreiche ich diesen Zwek, errege ich in meinen Lesern nur dann und
wann das moralische Gefühl, jenes reine Wohlgefallen an große,
tugendhafte Handlungen und Gesinnungen, schwillt von Liebe, Mitleid und
Freundschaft nur _ein_ Busen; spricht nur _ein_ Leser zu sich selber:
handle in _deinen_ Verhältnissen, bei deiner Erziehung, bei deinen
Kenntnissen so gut, so schön, als dieser, oder jener in dieser
Erzählung; fache ich nur einem Herzen den Enthusiasmus für Sittlichkeit
und Tugend an, dann -- dann hab ich überwunden, dann ruf' ich: Triumph!
auch die mir sparsam zugemessenen Augenblikke der Einsamkeit und
Erhohlung von ernstern Geschäften sind meinen Mitbrüdern wohlthätig
geworden!

So, meine Leser, kleid' ich in das Gewand der Fabel _Natur_ und
_Wahrheit_, und bezielte jeder Dichter diesen herrlichen Gegenstand,
wahrlich: so würden wir nicht so viel unleidliches, geistloses Gewäsch
anhören müssen, woran sich heuer unsre entnervten Knaben und Mädchen bas
ergözzen; so würden unsre Kunstrichter und Rezensenten nicht auf die
Fabel, sondern auf ihren innern Werth, nicht auf das ^Continens^ sondern
das ^Contentum^ sehn. Der Dichter ist in dieser Rüksicht zu beurtheilen
wie ein Maler, der Ideale oder Wirklichkeiten, Menschen mit Flügeln,
oder im Uiberrok hinzeichnet, nicht um der Flügeln, oder um des
Uiberroks willen, sondern um Empfindungen des Guten, Edlen und Schönen
im Zuschauer zu entwikkeln.

Leute, die mich persönlich kennen, dürften mir auch hier wieder den
Vorwurf machen: warum schreiben Sie nichts solideres, nichts
nüzlicheres?

Antwort: sobald ich fühle, etwas Neues, Gutes, Nüzliches in andern
Disziplinen der menschlichen Erkenntniß anzeigen zu können, werde ich
nicht dazu träge sein. Aber das Sprüchwort: ^quid valeant humeri, quid
ferre recusent^ bedenk' ich auch hier.

Der Dichter ist überdies, wenn er den Zwek seiner Bestimmung erreicht,
der menschlichen Gesellschaft so nützlich, als der Staatsmann im
Ministerio und der Gelehrte auf dem Katheder. Ein elender Dichter im
Gegentheil ist eine eben so große Null in der Schöpfung, als das Genie
eines Holzhakkers im Ministerio und ein geistloser Kohlkopf auf dem
Katheder.

Ich wünschte gern durch Winke guter Kunstrichter das erhabne Ziel des
Dichters erreichen zu können -- also keinen Vorwurf darüber, daß ich --
nur einen _Roman_ schrieb! --

                                Amen!




                               Innhalt.



                    Erstes Buch.
                  Erstes Kapitel.
   Venedig.                                 S. 1.
                  Zweites Kapitel.
   Die Banditen.                               8.
                  Drittes Kapitel.
   Die Banditenwohnung.                       12.
                  Viertes Kapitel.
   Banditenphilosophie.                       17.
                  Fünftes Kapitel.
   Die Einsamkeit.                            23.
                 Sechstes Kapitel.
   Rosamunde, die schöne Nichte des Dogen.    27.
                 Siebentes Kapitel.
   Fortsezzung.                               33.
                  Achtes Kapitel.
   Entdekkungen.                              36.
                  Neuntes Kapitel.
   Mollas Häuschen.                           45.

                   Zweites Buch.
                  Erstes Kapitel.
   Der Geburtstag.                            56.
                  Zweites Kapitel.
   Flodoard.                                  68.
                  Drittes Kapitel.
   Neuer Lärm.                                76.
                  Viertes Kapitel.
   Das Veilchen.                              81.
                  Fünftes Kapitel.
   Abaellino.                                 92.
                 Sechstes Kapitel.
   Die Entdekkung.                            97.

                   Drittes Buch.
                  Erstes Kapitel.
   Flodoard und Rosamunde.                   104.
                  Zweites Kapitel.
   Ein fürchterliches Versprechen.           111.
                  Drittes Kapitel.
   Die nächtliche Verschwörung.              121.
                  Viertes Kapitel.
   Der wichtige Tag.                         127.
                  Fünftes Kapitel.
   Höllenangst.                              134.
                 Sechstes Kapitel.
   Geistererscheinungen.                     140.
                 Siebentes Kapitel.
   Nachschrift.                              156.




                     Abaellino, der große Bandit.





                             Erstes Buch.




                           Erstes Kapitel.
                               Venedig.


Es war Abend. Ungeheure Wolkenstreifen, halb vom Schimmer des Mondes
erleuchtet, bogen sich rippenförmig am Horizont hinab und durch ihnen
schwamm der Vollmond in stiller Majestät hin, und sah sich verherrlicht
von jeder Welle des adriatischen Meers. Still wars umher, leise tanzten
die Wogen am Winde, leise hauchte der Nachtwind über die todten Palläste
Venedigs hin.

Da sas noch ein junger Mann, einsam und traurig in der
Mitternachtsstunde am _langen_ Kanal; bald hob er das Auge zu den
stolzen Zinnen und Thürmen von Venedig empor, bald senkte er den Blik in
die Wellen. Nach einer Weile sprach er:

»Verdammt! da sizze ich nun in Venedig, und weis nicht, wie weiter! Was
soll daraus werden? Alles schläft, nur ich nicht. Der Doge wälzt sich
auf seinem Dunenlager, der Bettler auf seinem Strohbett -- und ich lieg
hier auf der kalten, nakten Erde. Der elendeste Gondelier, der ärmste
Bootsknecht kennt am Tage seine Arbeiten und Nachts seine Ruhestatt, und
ich -- und ich -- o es ist ein schrekliches Schiksal, das mit mir sein
Spiel treibt! --«

Er fing an seine Taschen zu untersuchen, mit den Fingern jede Falte des
Kleides zu biegen, und zu visitiren.

»Auch keinen Heller! -- und mich hungert doch!«

Er besah seinen Degen im Mondschein und seufzte: »Nein, alter, treuer
Gefährte, dich verkauf ich nicht; sollst mein bleiben und wenn ich
verhungerte. Nicht wahr, damahls wars noch goldne Zeit, als dich
_Emmoine_ mir gab, mir das Bandelier über die Achseln warf, und ich dich
und Emmoinen küßte -- (Pause) Sie ist nun tod, wir beide leben noch!«

Er wischte sich eine Thräne von den Wimpern.

»Nein, das war keine Thräne; die Nachtluft geht kühl und da wird das
Auge leicht nas. (Lächelnd) Hm, ich weinen! -- _weinen_! ha, ha, ha! --«

Der Unglükliche, dies schien er, wenigstens seinen Reden nach zu sein,
stämmte den Ellbogen auf die Erde, wollte mit den Zähnen knirschen --
und pfiff. -- »Ich müßte nicht Ich sein, dachte er bei sich: wenn ich
kleinmüthig würde unter dem Fluch des Schiksals.«

In dem Augenblik hörte er in der Nachbarschaft ein Geräusch. Er sah in
einem vom Monde halbhellen Nebengäschen einen Kerl auf und
niederschleichen.

»Den führt mir Gott zu -- ich will -- ich will betteln! Betteln ist
keine Schande, aber neapolitanische Schurkereien schänden. Auch, der
Bettler kann _gros_ denken.«

Mit diesen Worten sprang er auf und ging in die Winkelstraße. In eben
den Moment trat von der andern Seite ein Mensch in diese Gasse. Der
schleichende Kerl trat mit einemmale in den Schatten zurük, als
verstekte er sich vor dem Ankommenden.

»Was soll das bedeuten?« dachte unser Bettler: »ist der Schleicher dort
etwa ein unbefugter Handlanger des Todes? haben ihn auch Vettern und
Basen bestochen, um das Geld desto ruhiger in Besiz zu nehmen, was dem
armen Schelm izt noch angehört, der dort so unbefangen herschlendert?
warte!«

Er zog sich in den Schatten zurük und schlich dem Lauerer nahe, der
keine Bewegung machte. Der fremde Mann war schon dem Lauerer und unserem
Bettler vorüber, als jener mit bangen Schritten rasch hinter ihn her
schlich, die rechte Hand erhob, worinn ein Dolch schimmerte, und eh' er
sich versah von dem _Bettler_ zu Boden gestürzt wurde.

Der _fremde Herr_ drehte sich um; der _Bandit_ sprang auf und entfloh;
der Bettler lachte.

»Was war das?« fragte der _Fremde_?

»»Ein Spas, der Euch, mein Herr, das Leben rettete.««

»Mir? Wie so?«

»»Die flüchtige Massette schlich hinter Euch her wie ein lauernder Kater
und hatte den Dolch schon gehoben. -- Ich dachte Ihr gäbet mir dafür ein
Stück Geld, denn bey meiner armen Seele, mich hungert und dürstet und
friert.««

»Euch Spitzbuben, und eure Kniffe kennt man; Ihr habt euch zu dem Spas
beredet, um mir die Börse abzuplündern und einen großen Dank für mein
gerettetes Leben dazu. Geht mir, geht, und grellt die Leichtgläubigkeit
des Dogen selber, nur an Buonarotti wagt euch nicht!«

Der arme, hungernde Bettler stand bestürzt da und sah den pfiffigen
Herrn an.

»Nein, so wahr ich lebe, Herr, ich lüge Euch nichts vor -- es ist mein
Ernst, ich sterbe die Nacht vor Hunger.«

»»Geht, sag ich Euch, oder -- --«« der Unbarmherzige zog bey diesen
Worten ein geheimes Schiesgewehr hervor und drohte.

»Donner und Wetter, bezahlt man in Venedig die guten Thaten so?«

»»Die Sbirren sind in der Nähe, wie Ihr wißt, also -- --««

»Zum Teufel, seht Ihr mich denn für einen Banditen an?«

»»Ich sage Euch, mache keinen Lärmen!««

»Hört, Buonarotti heißt Ihr? ich will mir doch den Namen des zweiten
Schurken aufschreiben, den ich in Venedig kennen lernte. (Mit
schreklicher Stimme) Und wenn du, Buonarotti, jemals den Namen
_Abaellino_ hören solltest, dann zittre!«

_Abaellino_ drehte sich um und verlies den Unerbittlichen.




                           Zweites Kapitel.
                            Die Banditen.


Der Unglükliche durchkreuzte izt Venedig, er haderte mit dem Schiksal,
lachte und fluchte, stand zuweilen still, als übersänn' er einen großen
Plan, eilte zuweilen fort, als flög er ihn zu vollführen.

An einem Ekstein der prächtigen Signoria gelehnt, überdachte er die
ganze Summe seines Elendes. Es schien sein irres Auge Trost zu suchen,
aber er fand ihn nicht.

»Das Schiksal bat mich zum Abentheurer oder gar zum Bösewicht verdammt!
tief er in einer Ekstase seines Mismuths: denn warum muß der Sohn des
reichsten Neapolitaners als Bettler, die Barmherzigkeit der Venetianer
anflehen? Ich, der ich Geist und Kraft zu großen Thaten in mir fühle,
muß hier umherschleichen und darauf sinnen, wodurch ich mir das Leben
wider den Hunger bewahre. Menschen, die ich sonst satt fütterte, die an
meiner Tafel im Cyprier ihre Mükkenseelen berauschten und die
Lekkerbissen fremder Welttheile von meinen Schüsseln naschten, werfen
mir jezt keine verschimmelte Brodrinde zu. -- O, das ist abscheulich,
abscheulich von Menschen und vom Himmel! --« Er schwieg, schlug die Arme
untereinander und seufzte: »Doch, nein, so ists recht, ich will alle
Grade des menschlichen Elendes durchwandern, und allenthalben mir gleich
bleiben, und allenthalben gros sein. -- Jezt bin ich nicht mehr der Graf
Obizzo, um den Neapel einst buhlte -- ich bin der _Bettler Abaellino_.
Ein Bettler! in der Ordnung menschlicher Stände der lezte, aber doch --
im alphabetischen Namenverzeichnis aller Hungerer, Pflastertreter und
Taugenichtse der _erste_!«

Ein Geräusch entstand. _Abaellino_ horchte umher, er war den Schleicher
gewahr, den er vor einer halben Stunde zu Boden geworfen hatte, in
Gesellschaft dreier andern. -- Sie suchten. »Und sie suchen dich!« sagte
Abaellino leise zu sich selber, und gieng ein paar Schritt vor, und
pfiff ihnen.

Die Kerls blieben stehn. Sie besprachen sich unter einander und schienen
unentschlossen zu sein.

_Abaellino_ pfiff zum andernmal.

»Er ists!« hörte er einen von ihnen deutlich genug sprechen -- und in
dem Augenblik kamen sie langsam gegen ihn angewandert.

Abaellino blieb stehn, und zog den Degen. Die drey Verkappten standen
einige Schritte von ihm entfernt.

»Was soll das? he, warum ziehst du Gauch den Degen?« fragte einer von
ihnen.

»»Wir müssen uns nicht zu nahe kommen, denn Ihr guten Leute lebt vom
Leben anderer, ich kenn' euch;«« antwortete Abaellino.

Ein Kerl. Galt nicht dein Pfeifen _uns_?

Abaellino. Nun ja.

Ein Kerl. Was willst du?

Abaellino. Hört, ich bin ein armer Schelm, gebt mir doch von eurer Beute
ein Allmosen.

Ein Kerl. Allmosen? ha, ha, ha! mein Seel, das ist lustig! Allmosen von
uns! doch, es gefällt mir, warum nicht?

Abaellino. Oder strekt mir funfzig Zechinen vor, ich will mich zu euch
in den Dienst geben und die Schuld abarbeiten.

Ein andrer. Wer bist du denn?

Abaellino. Zur Stunde der ärmste Schlucker in der Republik. Kräfte hab
ich, und lägen drei Panzer vor einem Herz, ich durchbohr' es; und Augen,
daß ich in egyptische Finsternis nicht fehlstoßen würde.

Ein dritter. Warum warfst du mich vorhin nieder?

Abällino. Geld zu verdienen; aber der Kerl gab mir für sein Leben keinen
rothen Heller.

Ein andrer. Das gefällt mir! meinsts redlich?

Abällino. Die Verzweiflung lügt nicht.

Der dritte. Kerl, wenn du aber ein Schurke wärst!

Abaellino. So wären wir nicht weit von einander -- und eure Dolche sind
ja immer geschliffen.

Die drei gefährlichen Burschen sprachen leise mit einander und stekten
ihre Gewehre ein.

»Na, komm zu uns, hier auf der Straße läßt sichs nicht gut von gewissen
Sachen reden.« Sprach einer.

»»Aber weh euch, wenn einer feindseelig wider mich handelt! Du Kerl,
vergieb mir, daß ich dir vorhin die Rippen etwas zerdrükte -- es soll
nicht wieder geschehn! Ich will euer Gesell werden!«« sagte Abaellino.

»Auf Ehre, riefen alle; wir thun dir nichts Leides; der ist unser Feind,
der dir übel thut, ein Kerl wie du, gefällt uns! komm!«

Sie giengen, _Abaellino_ in ihrer Mitte. Mistrauisch schielte er von
allen Seiten, aber in den Banditen schien kein böser Gedanke zu
erwachen, Sie führten ihn seitwärts, gelangten an einen Kanal, sie
banden eine Gondel los, sezten sich ein und ruderten zur entlegensten
Spitze Venedigs. Man stieg aus; durchkroch verschiedne enge Straßen;
klopfte endlich an ein niedliches Haus; ein junges Weib schlos auf,
führte die Herrn in ein simples, aber reinliches Zimmer und beantlizte
den bestürzten halbfrohen, halbängstlichen Abaellino, der noch immer
nicht wußte, woran er war, und immer noch an der Sicherheit der
Banditenparole zweifelte.




                           Drittes Kapitel.
                         Die Banditenwohnung.


Die drey Herrn vermehrten sich bald durch zwei Neuankommende, die ihren
unbekannten Gast von allen Seiten betrachteten.

»Nun laß dich doch beschauen!« riefen die Führer und Bekannten des
Abaellino, und stellten sich beym Schimmer einer brennenden Lampe um ihn
her.

»Pfui, ein häslicher Bube!« rief _Molla_, so hies die Wirthin und drehte
sich von ihm hinweg und Abaellino wälzte einen gräslichen Blik auf sie
hin.

»Kerl, sezte ein andrer hinzu: dich hat die Natur schon zum Banditen
gestämpelt; welchem Zuchthause bist du entronnen, welcher Galeere hast
du Valet gesagt?«

_Abaellino_ stämmte die Arme in die Seite. »Desto besser, sagte er mit
einer heisern, fürchterlichen Stimme: so darf der Himmel zu meiner
künftigen Lebensart nicht sauer sehn, wenn er mich selber dazu
geschaffen hat.«

Die fünf Herrn giengen beiseite und besprachen sich mit einander; den
Stof ihrer Unterhaltung können wir leicht errathen. Abaellino warf sich
schweigend auf einen Sessel.

Nach einigen Minuten kamen sie wieder zu ihm. Der stärkste und wildeste
von ihnen trat hervor, und redete Abaellino'n an.

»Höre, Venedig ernährt fünf Banditen, wie du sie hier siehst, und für
den sechsten, der du bist, wird sich auch Brod finden. Ich bin _Matteo_
und der älteste von allen, der Rothkopf dort heißt _Baluzzo_, der mit
dem glimmernden Kazzenauge da ist _Thomas_, ein Erzschelm; der Kerl
dort, dem du die Rippen zerschelltest, ist _Petrini_, und der Wicht, der
da bei der Molla steht, mit den dikken Mohrenlippen, ist _Struzza_. Jezt
kennst du uns alle. Wir wollen dich zünftig machen, weil du ein armer
Teufel bist; aber höre, bist du auch ein ehrlicher Kerl?«

Abaellino lächelte, oder vielmehr grinste, und brummte: mich hungert!

»Bist du ein ehrlicher Kerl?«

»»Das soll die Folge entscheiden.««

»Sieh, Bursch, die erste Treulosigkeit kostet dir das Leben. Wirf dich
dem Dogen in den Schoos und umschanze dich mit aller Macht der Republik,
wir ermorden dich im Arm des Dogen, hinter hundert Kanonen. Sez dich auf
den Hochaltar, wir schleppen dich vom Kruzifix hinweg und ermorden dich.
-- Kerl, besinne dich, wir sind _Banditen_!«

»»Das weis ich. Aber gebt mir nur Essen, dann will ich plaudern, so viel
ihr wollt. Ich habe seit vier und zwanzig Stunden fasten müssen.««

_Molla_ dekte einen kleinen Tisch, trug nach ihrem besten Vermögen auf
und füllte die silbernen Becher mit herrlichem Wein.

»Wenn er nur leidlicher, nur wie andre Menschenkinder aussähe!« brummte
sie: »aber seiner Mutter ist gewiß in ihrer Schwangerschaft der Teufel
erschienen, und da kam denn die abscheuliche Larve zur Welt!«

_Abaellino_ lies sich nicht stöhren, sondern aß und trank als wollte er
sich für ein halbes Jahr satt essen. Die Banditen sahn ihm mit
Wohlgefallen zu, und stießen auf die glükliche Eroberung an, die sie
hier gemacht hatten.

Will sich der Leser diesen Abaellino denken, so stelle er sich einen
jungen, starken Kerl vor, von dem man sagen würde, er sei schön geformt,
wenn nicht das häslichste Gesicht, welches je ein Karrikaturmaler
ersonnen, oder _Milton_ dem häslichsten seiner gefallenen Engel
aufgesezt, die übrigen Schönheiten entstellte. Schwarz und glänzend,
aber weich und lang flog sein Haar verwildert ihm um den braunen Hals
und um das gelbe Gesicht. Der Mund schien in einer ewigen Verzerrung zu
grinsen und dehnte sich bis zu den Ohren aus; die Augen lagen tief ins
Fleisch vergraben und zeigten fast immer das Weisse; die gröbsten Züge,
die je ein Holzschnittsgesicht aufzuweisen hat, traf man hier in einer
abscheulichen Zusammensezzung an, und verlegen war man, ob diese
widerliche Physiognomie Dummheit oder Tükke des Herzens, oder beides
zugleich verrieth.

»Nun bin ich satt!« brüllte _Abaellino_, und stürzte den vollen
Weinbecher hinter. »Was habt ihr nun zu fragen, ich bin bereit zu
antworten.«

»Ich dächte, hub _Matteo_ an: ich dächte, du legtest einmahl ein
Probestük von deiner Stärke ab, denn diese kömmt bei uns sehr in
Anschlag. Bist du gewandt im Ringen.«

»»Ich weis nicht.««

»Molla, sezz' alles beiseite! -- Abaellino, mit wem nimmst du's unter
uns auf? wen glaubst du so niederschmeisen zu können, wie den Poeten da,
den Petrini?«

»»Euch alle, wie ihr da seid, und ein halbes Duzzend solcher Lumpenbunde
dazu!«« rief Abaellino, warf den Degen auf den Tisch, sprang auf und
schielte die Bande an.

Die Kerls lachten.

»Na, macht das Probestük!« rief Abällino! was zaudert ihr.

»Hör, Bursche, entgegnete _Matteo_: versuchs mit mir allein; und fühle
erst, wer wir sind! denkst du, es stehn hier Knaben, oder saftlose
Süsherrchen, die ihre Kraft in den Eiderdunen verschwizzen, oder feilen
Mezzen vergeuden, oder dem Onan opfern?«

Abaellino lachte. -- _Matteo_ wurde wild; die übrigen jauchzten.

»Halloh!« rief Abaellino: »ich habe Lust zu rasen, macht euch gefaßt!«
und in einen Klumpen stürzte er zusammen, warf den Riesen Matteo über
sich hin, wie eine Puppe, schleuderte den Baluzzo rechts, den Petrini
links, kehrte dem Thomas das oberst zu unterst, und strekte den Struzza
unter die Bänke.

Drei Minuten lagen die Ueberwundnen ohne sich zu regen am Erdboden
umher, und Abaellino jauchzte und die bestürzte Molla zitterte bei dem
schreklichen Schauspiel.

»Beim heiligen Klas! rief _Matteo_ und rieb sich die mürben Schenkel:
der ist unser Meister! Molla, dem Kerl ein gutes Nachtlager!«

»»Er hat mit dem Teufel einen Bund!«« murmelte _Thomas_, und renkte die
verschobne Gelenke in ihre Fugen.

Niemand war nach einem neuen Probestük lüstern; spät wars in der Nacht,
oder vielmehr, es graute der Morgen schon über das Meer empor und jeder
begab sich in sein Schlafgemach.




                           Viertes Kapitel.
                         Banditenphilosophie.


_Abaellino_, dieser furchtbare Riese, konnte nicht lange, ohne sich eine
unbegränzte Hochachtung von allen seinen Spiesgesellen zu erwerben, in
der Mitte dieser Leute leben. Jeder liebte, jeder schäzte ihn, wegen
seiner Banditentalente, wozu nicht allein die ungeheure Kraft seines
Körpers, sondern auch seine Klugheit, sein Wiz zu dummen Streichen
gehörte. Auch die kleine _Molla_ hätte ihn wohl geliebt, aber -- er war
gar zu häslich.

_Matteo_ war, wie Abaellino nun bald erfuhr, der Herr dieser
gefährlichen Bande. Er war ein raffinirender Bösewicht, unerschrokken
vor jeder Gefahr, wizzig und schlau und gewissenloser, als ein
französischer Finanzpächter. Er empfing die Beute und die Bezahlung,
welche seine Untergebnen täglich einbrachten, gab davon jedem sein Theil
und behielt für sich selbst nie mehr, als jeder andre bekam. Die Zahl
derer, welche er schon in die andre Welt befördert hatte, war schon zu
gros, als daß er sie angeben konnte. Sein größtes Vergnügen war, in
einsamen Stunden diese Mordgeschichten zu erzählen, um durch sein
Beispiel die andern zu begeistern. Er hatte seine besondre Rüstkammer;
hier fand man Dolche von verschiednen Gestalten, mit und ohne
Widerhaken, breit, zwei- drei- und vierschneidig. Hier fand man
Windbüchsen, Terzerole, Pistolen gros und klein; Gifte verschiedner Art
und verschiedner Wirkung; Kleider zu allen möglichen Verkappungen;
Mönchs- Juden- Taglöhner- Senatoren- Soldaten- Bettlertrachten.

Eines Tages rief er den Abaellino zu sich. »Höre, sagte er: Du wirst ein
braver Kerl werden, das seh ich voraus. Fange nun auch an, das Brod, was
wir dir geben, selber zu verdienen. -- Hier hast du einen Dolch vom
feinsten Stahl; du läßt dir jeden Zoll daran bezahlen. Stichst du nur
_einen_ Zoll tief in das Fleisch deines Gegners, so foderst du von dem,
der dich besoldete, eine Guinee. Zwei Zoll, zehn Guineen; drei Zoll
zwanzig, der ganze Dolch so viel du selber willst -- das ist so die
Taxe. Hier hast du einen gläsernen Dolch; an ihn hängt der unfehlbare
Tod dessen, dem er ins Fleisch gestossen wird -- kaum ist der Stich
geschehn, so brichst du ihn in der Wunde ab, das Fleisch schließt sich
über die abgebrochne Spizze zusammen, die bis zum Auferstehungstage
darin ihr Quartier behält. -- Hier dieser metallne Dolch bewahrt in
seiner Höhlung ein subtiles Gift; stoß ihn, wem du willst, in den Leib,
drükke hart an diese Feder, und du sprüzzest in eben den Augenblik den
Tod in die Adern des Verwundeten. -- Nimm die Dolche, ich gebe sie dir
zum Geschenk, ein Kapital, das goldne, schwere Zinsen trägt!«

_Abaellino_ nahm die Mordinstrumente mit einem leisen Schauer in die
Hand. --

»Ihr müßt euch doch schon ein großes Vermögen zusammengestohlen haben!«

»»Schurke, entgegnete Matteo beleidigt: wer stiehlt unter uns. Hältst du
uns für Straßenräuber, Beutelschneider, oder für Verwandte dieses
Lumpengesindels?««

»Vielmehr für noch etwas ärgers; denn offenherzig gesprochen, Matteo,
jene plündern doch nur die Schränke und Geldbörsen, die sich immer
wieder füllen lassen, aber wir nehmen dem Menschen ein Kleinod, das er
nur einmahl hat und einmal nur verlieren kann. Sind wir nicht noch
tausendmahl ärgere Räuber?«

»Beim heiligen Klas, Abaellino, ich glaube, du willst moralisiren?«

»»Ha, ha, ha, ha!««

»»Nun was schwazzest du da?««

»Höre, Matteo, noch eine Frage: wie finden wir uns dereinst mit dem
Weltrichter ab?«

»»Ha, ha, ha!««

»Glaube nicht, daß es dem Abaellino am Muth fehlt; sieh, ich will auf
deinen Befehl das halbe Venedig erwürgen, aber -- --«

»»Närrchen, als Bandit mußt du dich über die Fabel von Tugend und Sünde
hinweg sezzen. Was ist Tugend, was ist Laster? nichts, als ein Etwas,
welches die Landesverfassung, Gewohnheit, Sitte, Erziehung geheiligt
hat; und was _Menschen_ heiligen, können auch Menschen _entheiligen_;
hätte der Senat die freimüthigen Urtheile über die venetianische Polizei
nicht verboten: so wäre die Aeusserung solcher Urtheile keine Sünde.
Gott frägt nicht nach Menschensazzungen, sondern nach seinem Willen. Wen
er von uns zur Seligkeit bestimmt hat, der wird einmal selig, und wen er
verdammt hat, der bleibt verdammt in alle Ewigkeit, und wenn er gleich
nach menschlicher Meinung ein Heiliger wäre. Also über die Sorgen sezz'
dich hinweg. Wir sind Menschen, so gut wie der Doge und seine Senatoren;
wir können so gut, wie sie Gesezze geben, und aufheben, und bestimmen,
was Sünde und Tugend sein soll.««

_Abaellino_ lächelte.

»»Sagst du, wir treiben ein ehrloses Gewerbe? was ist Ehre? ein Wort,
ein leerer Schall und ein leeres Hirngespinnst. Der Knikker sagt: Ehre
ist es reich zu sein, und die Goldstükke zu Tausenden zählen zu können.
Ehre, sagt der Wollüstling, ist es von jedem Mädchen angebetet zu werden
und jedes schöne Weib zu besiegen. Nein, sagt der Feldherr, Städte zu
erobern, Armeen zu schlagen, Dörfer zu verheeren, das bringt Ehre. Der
Gelehrte sezt seinen Ruhm in die Menge der Folianten die er geschrieben,
oder gelesen hat; der Kesselflikker in die Kunst Scherben wieder genau
zusammen zu kitten; die Nonne in der großen Zahl ihrer Andachtsübungen;
die Weltdame in die Menge ihrer Vergötterer; die Republik in die Größe
ihrer Provinzen und so, Freundchen, sezt jeder seine Ehren in etwas
anders. Warum ist es ehrlos, wenn wir uns in unsrer Kunst Glanz und
Vollkommenheit erringen.««

»Schade, an dir verliert der Lehrstuhl einen braven Philosophen.«

»»Meinst du? sieh nur Abaellino, ich bin im Kloster erzogen; mein Vater
war ein Prälat in Lukka, meine Mutter eine keusche Nonne vom Orden der
Urselinerinnen. Da hab ich studieren sollen, mein Vater wollte mich zu
einem Kirchenlicht machen, aber ich fühlte mich zu einer
Mordbrennerfakkel tauglicher. Als ich bei dem alten Pater _Hieronimus_
die Moral studierte, sagte er mir oft, _Selbstliebe_ sei das große
Triebrad aller menschlichen Handlungen, das Urprincip jeder Sittenlehre.
Hieronimus hatte Recht. Gott schuf aus Selbstliebe das unermeßliche
Universum, um sich selber zu verherrlichen, und verherrlicht zu sehn;
jedes Thier handelt den Naturgesezzen gemäs, nach dem ehrwürdigen
Grundsaz der Selbstliebe -- jeder Mensch ordnet seine Thaten diesem
großen Gesez unter, und wer hat nun wider die Sittlichkeit unsers
Geschäfts etwas einzuwenden, da wir eben dem Gesez gehorchen, dem das
Universum Gehorsam leistet? -- Mit einem Worte, zittre nicht vor den
Selbstgespinnsten deiner Einbildungskraft!««




                           Fünftes Kapitel.
                           Die Einsamkeit.


Schon über sechs Wochen war _Abaellino_ in Venedig, aber noch hatte er
von seinen Dolchen keinen Gebrauch machen können oder wollen. Denn
theils war er in den Straßen, Schlupfwinkeln, Pallästen und Kajütten
Venedigs zu unbekannt, theils fehlten ihm auch noch Kunden, deren
mörderische Aufträge er hätte executiren können.

Diese Geschäftlosigkeit ekelte ihm, er wollte handeln und konnte nicht.

Melancholisch schlich er umher, und seufzte. Er besuchte die
öffentlichen Pläzze Venedigs, die Wirthshäuser, Garten- und Lustpläzze,
aber nirgends fand er, was er suchte -- Ruhe.

An einem Abend hatte er sich in einem Garten verspätet, der auf einer
niedlichen Insel Venedigs gelegen war. Er schlich von Laube zu Laube,
sezte sich am Ufer des Meeres nieder und sah dem Spiel der Wellen im
Schein des Mondes zu.

»So ein schöner Abend wars vor zwei Jahren, da ich Emmoinen den ersten
Kuß raubte, und Emmoine mir Liebe schwor!« seufzte er, und schwieg und
wehmüthige Empfindungen stiegen in ihm auf.

Es war so stille. Kein Lüftchen bog die Hälmchen des Grases; aber in
_Abaellinos_ Busen stürmte es.

»Hätt' ich es vor zwei Jahren träumen können, daß ich einmahl in Venedig
als Bandit meine Rolle spielen würde? O wo sind die goldnen Hofnungen,
die lieblichen Pläne, welche meine Jugend umgaukelten? -- Ich bin ein
Bandit, noch weniger, als ein Bettler! --«

»Wenn mein grauer Vater oft im Enthusiasmus mich umschlang und rief:
Sohn, du wirst den Namen Obizzo glänzend machen! Gott, wie bebte ich da,
was dacht ich, was empfand ich, was wollt' da nicht alles! und der Vater
ist tod, und sein Sohn -- -- ein venetianischer Bandit! -- wenn meine
Lehrer mich bewunderten und liebkoseten, und sie entzükt mir zuriefen:
Graf, ihr verewiget einst das alte Geschlecht von Obizzo! ha, was
versprach ich mir da nicht in seliger Trunkenheit von der Zukunft! --
Als mich Emmoinna von einer schönen That zu sich heimkehren sah, und sie
die Arme mir entgegenstrekte und mich an ihren Busen schlos und mir ins
Ohr lispelte: wer sollte den großen Obizzo nicht lieben, -- -- oh, oh!
hinweg ihr Bilder der Vergangenheit, euer Erscheinen führt zum
Wahnsinn!«

Er schwieg, bis die Lippen zusammen, hielt die flache Hand vor die Stirn
und krallte die andre zusammen.

»Ein Meuchelmörder, ein Diener der Niederträchtigkeit und Büberei, einer
der größten Schurken, den die venetianische Sonne bescheint ist -- der
_große Obizzo_! -- pfui! -- und doch hat mich das Schiksal selber zu
diesem unseligen Loose verdammt. --«

Plözlich sprang er nach einem langen Stillschweigen auf, sein Auge
funkelte, seine Miene verwandelte sich, sein Odem flog lauter.

»Ja, beim Himmel, ja, gros konnt' ich als Graf Obizzo nicht sein, aber
wer wehrt mirs, gros, als Bandit, zu werden? -- Vater, mein Vater!« rief
er und sank von ungewöhnlichen Gefühlen bestürmt nieder auf die Kniee,
und strekte die Finger empor zum Himmel, als zu einem Eide:

»Geist meines Vaters, Geist meiner Emmoina, ich will eurer nicht unwerth
sein! hört mich, wenn ihr mich umschweben dürfet, hört mich, ich will
auch als Bandit meinen Ursprung nicht verläugnen, eure Hofnungen, mit
denen ihr aus dieser Welt schiedet, nicht vernichten -- o, so wahr ich
lebe, ich will der _einzige_ meiner elenden Zunft sein und werden, und
die Nachwelt soll den Namen verehren, den ich verherrlichen kann. --«

Er berührte mit seiner Stirn den Erdboden und weinte. Die Zweige
lispelten leise im Abendwinde um ihn her, leise lispelten die Gebüsche
und das dunkle Schilf am Gestade.

Länger als eine Viertelstunde verharrte er in dieser Situazion. Große
Gedanken flogen vor seinem Geiste vorüber; über ungeheuern Plänen
schwindelte er und er sprang auf sie zu realisiren.

»Mit fünf erbärmlichen Gaunern mach ich kein Complot wider die
Menschheit. Ich allein muß die Republik zittern machen, und jene
meuchelmörderischen Buben sollen in acht Tagen hängen. Fünf Banditen
soll Venedig nicht füttern, aber einen, _einen einzigen_, und dieser
soll dem Dogen die Spizze bieten, soll über Recht und Unrecht in der
Republik wachen. Ehe acht Tage verfliegen, soll der Staat gereinigt sein
von dem Auswurf des menschlichen Geschlechts, und dann steh ich noch
allein da. An mich allein müssen sich alle jene Schurken von Venedig
wenden, welche meine Spiesgesellen vormahls zum Morde der Rechtschaffnen
gedungen haben. Ich lerne nun die feigen Mörder, die vornehmen Buben
kennen, die den Matteo sonst und seine Knechte bezahlten -- ha,
Abaellino! Abaellino! -- --«

Er taumelte, trunken von seinen Hofnungen durch den Garten, rief einen
Gondelier herbei, sezte sich in die Gondel und eilte zu der Wohnung der
kleinen _Molla_, wo alles schon im Arm des Traumgotts hingestorben lag.




                          Sechstes Kapitel.
               Rosamunde, die schöne Nichte des Dogen.


»Hör Bursche!« sprach _Matteo_ am folgenden Morgen zum Abaellino: »heute
sollst du dein Probestük in der Kunst machen!«

»»Heute?«« murmelte _Abaellino_ durch die Zähne: »Wem gilts?«

»Es ist freilich nur ein Weib, allein man muß jedem den Anfang
erleichtern. Ich will dich selber begleiten, und sehn, wie du dich bei
dieser Probearbeit benehmen wirst!«

»»Hm!«« sagte _Abaellino_, und maß den Matteo vom Wirbel bis zu den
Sohlen.

»Heut Nachmittag um die vierte Stunde gehn wir mit einander, gut
gekleidet in den Garten von Dolabella, auf der Südseite von Venedig.
Hier pflegt die Nichte des Dogen Andreas Gritti, die schöne Rosamunde
von Corfu zu baden, und nach dem Bade allein zu lustwandeln. Und dann --
nun weißt du's.«

»»Und du begleitest mich?««

»Ich will von deiner ersten That ein Zuschauer sein; so pfleg ichs zu
halten bei jedem! --«

»»Wie tief der Stos?««

»Bis aufs Leben! die Bezahlung ist fürstlich; ich empfange sie nach
Rosamundens Tode.«

Es wurde alles übrige verabredet. Der Nachmittag erschien. Es schlug in
der benachbarten Benediktinerkirche vier Uhr, und Matteo und Abaellino
machten sich auf den Weg.

Sie kamen in den Dolabellischen Garten, der heut ungewöhnlich volkreich
war; Menschen beiderlei Geschlechts durchirrten die umbüschten Gänge; in
allen Lauben sassen die Edlen von Venedig; in allen Winkeln seufzten
liebende Paare der angenehmern Dämmerung des Abends entgegen; und von
jeder Seite scholl Vokal- und Instrumentalmusik um das schwelgende Ohr.

_Abaellino_ mischte sich unter die Spaziergänger; er hatte seinen Kopf
in eine ehrwürdige Perükke verstekt, die Attitüde eines podagrischen
Alten angenommen und schlich so an einem Krükkenstok durch die
Versammlung. Seine goldreiche Kleidung verschaffte ihm allenthalben
Zutritt, jeder lies sich mit ihm in Gespräche über Witterung, Kommerz
der Republik und die Kriege der Ausländer ein, und Abaellino wußte
angenehm zu unterhalten.

So erfuhr er nun auch, daß Rosamunde im Garten sei, wie sie sich heut
gekleidet, und in welcher Gegend sie wandele.

Sogleich schlich er dahin. _Matteo_ verfolgte ihn auf den Fus.

In einer entlegnen Laube sas die größte Schönheit Venedigs, _Rosamunde
von Corfu_.

_Abaellino_ näherte sich der Laube; er wankte vor dem Eingang derselben,
als ein Ohnmächtiger umher, und erregte Rosamundens Aufmerksamkeit.
»Ach!« seufzte er: »ist denn niemand, der sich eines schwachen Greises
erbarmet?«

Die schöne Nichte des Dogen sprang eilig hervor aus der Laube, dem alten
Mann zu helfen. »Was ist Euch, lieber Vater?« fragte sie mit einer süßen
Stimme, und besorgtem Blik.

Abaellino winkte mit der Hand zur Laube hin; Rosamunde führte ihn hinein
und sezte ihn auf ein Rasenbänkchen.

»Gottes Lohn!« stammelte Abaellino mit schwacher Stimme, und sah
Rosamunden ins Auge und erröthete.

_Rosamunde_ stand schweigend vor dem verlarvten Banditen und zitterte in
zärtlicher Sorge -- und diese Bekümmernis macht das schöne weibliche
Geschöpf noch schöner. -- Bebend bog sie sich mit dem halben, schlanken
Leibe über ihren gedungnen Mörder und fragte nach einer Weile: »ists
Euch besser?«

»Besser!« stammelte der Betrüger mit matten Lippen. -- »Ihr seid die
edle Rosamunde von Corfu, des Dogen Nichte?«

»Wohl bin ichs, lieber Alter!«

»»O, Fräulein, da hab ich Euch etwas wichtiges zu entdekken -- ach, du
lieber Gott, wie können die Menschen so grausam sein -- seht nur, man
steht Euch nach Euerm Leben.««

Das Mädchen bebte erblassend zurük.

»Wollt ihr Euern Mörder kennen lernen? -- Ihr sollt nicht sterben, aber
thut mir den Gefallen und verhaltet euch ganz still!«

_Rosamunde_ wußte nicht, was sie zu den Worten des Greises denken
sollte; es wurd ihr bange in der Gesellschaft dieses alten Mannes.

»Fürchtet nichts, Fräulein, fürchtet nichts, seid unbesorgt. -- Der
Mörder soll vor euern Augen sterben.«

_Rosamunde_ machte eine Bewegung, als wollte sie entfliehn. Aber
plözlich verwandelte sich der schwache Greis vor ihren Augen. Er der vor
einer Minute ohnmächtig nur lallen konnte, und zitternd da sas, sprang
auf wie ein Riese und hielt sie zurük in seinen Arm.

»Um Gotteswillen, laßt mich!« rief sie.

»»Fräulein, seid sorglos, ich beschüzze euch!«« entgegnete Abaellino
nahm ein kleines Blech in den Mund und pfiff.

Plözlich sprang der lauernde Matteo aus einem Gesträuch hervor und in
die Laube hinein. Abaellino zog den Dolch, schleuderte Rosamunden hinter
sich, gieng dem Matteo einen Schritt entgegen und stieß ihm das Messer
ins Herz.

Ohne einen Laut von sich zu geben, stürzte der Banditenhauptmann zu
Abaellinos Füßen nieder und röchelte und gab nach vielen gräslichen
Verzukkungen den Geist auf.

Jezt sah der Mörder Matteo's hinter sich, und erblikte Rosamunden
halbohnmächtig auf der Rasenbank.

»Nun ist dein Leben gerettet, schöne Rosamunde, sagte er: da liegt der
Schurke, der mich zu deiner Ermordung hieher führte. Sei ruhig, geh hin
zu deinem Oheim Andreas Gritti, und sage, Abaellino habe dein Leben
erhalten!«

_Rosamunde_ konnte nicht sprechen. Bebend strekte sie ihre Arme aus,
ergrif Abaellinos Hand und küßte sie mit stummer Dankbarkeit.

_Abaellino_ sah die schöne Leidende an, und wer konnte hier gefühllos
bleiben? Man denke sich ein Mädchen, das kaum neunzehn Sommer dieses
Lebens gesehen hatte; den schlanken Gliederbau verstekt in ein weises,
tausendfaltiges leichtes Gewand, mit einem großen, blauen Augenpaar, aus
welchem die reinste Unschuld sprach, einer Stirn, weis wie Elfenbein,
über welcher das schwarze lokkigte Haar sanftgeringelt herabquoll,
Wangen, die der Schrek izt gebleicht hatte, Lippen, die nie ein
Verführer mit seinem Kusse vergiftet, einen Busen, den der keusche
Flornebel vergebens verbergen wollte. Man denke sich dieses Geschöpf,
woran die liebende Natur nichts vergas, um es zum Ideal weiblicher
Schönheit zu erheben -- und man wirds dem ungestümen Abaellino nicht
verargen, wenn er einige Minuten entgeistert dastand und sich um die
Ruhe seines Herzens betrog. --

»O, bei Gott! rief er: Rosamunde, du bist schön, schön wie Emmoina! --«
Er bog sich über sie hin und drükte einen brennenden Kuß auf ihre blasse
Wange.

»»Geh, schreklicher Mensch!«« lispelte sie.

»Ach, Rosamunde, warum bist du so schön, und warum bin ich -- weißt du
wer dich küßte, geh, und sage dem Dogen laut: _der Bandit Abaellino_!«

Er sprachs und verschwand aus der Laube.




                          Siebentes Kapitel.
                             Fortsezzung.


Und in der That hatte _Abaellino_ Ursach zu eilen; denn wenige Minuten,
nachdem er die Laube verlassen hatte, verirrten sich mehrere
Spaziergänger in dieser Gegend her, die bald den ermordeten Matteo, und
die todtenblasse Rosamunde erblikten.

Man versammelte sich um die Laube: es strömten immer mehrere Personen
herbei und _Rosamunde_ mußte fast jedem die Begebenheit der vergangnen
Augenblicke erzählen.

Es befanden sich unter den Herbeieilenden verschiedne Hofleute des
Andreas Gritti; man rief ihre Gesellschaftsdamen und Zofen herbei, rief
ihrer Gondel und so begab sich das arme Mädchen in den Pallast ihres
Oheims zurük.

Vergebens hielt man alle andern Gondeln an, vergebens untersuchte man
alle Gäste des Dolabellischen Gartens, der sogenannte Bandit Abaellino
war verschwunden. --

Der Ruf dieser Geschichte flog durch ganz Venedig; jedermann bewunderte
Abaellinos That, bedauerte die arme Rosamunde, verfluchte denjenigen,
der den Matteo zu ihrem Morde besoldet hatte, und suchte alle diese
unzusammenhängenden Fragmente mit dem Kitt der Hypothesen, so gut, wie
gewisse deutsche Philosophen ihre Systeme, zusammenzuflikken.

Am Ende entspann sich hieraus der schönste Stoff zu einem
abentheuerlichen Roman, oder Trauerspiel, betitelt: _Die Gewalt der
Schönheit_. Denn Abaellino hätte wahrscheinlich Rosamunden den Dolch ins
Herz gestossen, meinten die venetianischen Damen und Herrn, wäre
Rosamunde minder schön gewesen.

Zulezt beneideten die Venetianerinnen Rosamunden sogar um das
Abentheuer; man fieng schon an über den Kus des Banditen zu medisiren.
Hm! sagten einige: was kann die schöne Rosamunde ihrem Erretter nicht in
der Angst erlaubt haben! -- Und wird, riefen andere: und wird der Kerl
mit einem schönen Mädchen, dem er das Leben erhielt, allein sich mit
einem einzigen Kusse begnügt haben? -- Freilich! entgegnete man:
Banditen pflegen sonst so sehr galant nicht zu sein und in der Liebe zu
platonisiren! --

Mit einem Worte, Rosamunde und der häsliche Abaellino waren so lange der
Gegenstand müßiger Schwäzzer und Schwäzzerinnen, bis man endlich die
Nichte des Andreas Gritti die _Banditenbraut_ betitelte.

Keiner aber war aufgebrachter, als der Doge. Er gab sogleich Befehl, man
solle wachsamer als je auf alle und jede verdächtige Personen sein; die
Nachtwachen wurden verstärkt, es wurden alltäglich Spione ausgesandt,
aber vergebens, man entdekte keine Spur von den Banditen.




                           Achtes Kapitel.
                            Entdekkungen.


»Verdammt!« rief am andern Tage der wilde _Parozzi_, ein venetianischer
Nobile erstern Ranges, und ging mit großen Schritten durch sein Gemach:
»Verdammt sei die Ungeschiklichkeit des Schurken! aber in der That, ich
begreif es noch gar nicht, wie sich das alles zugetragen hat! -- Weis
man von meinen Plänen? hat Bembi Rosamundens Liebe? Wer hat den
Abaellino wider den Matteo ausgeschikt? -- Bembi vielleicht? -- gewis!
-- Und wird der Doge nun nicht fragen: wer hat Mörder wider meine Nichte
ausgesandt? wer kann es anders gewesen sein, als _Parozzi_, der
unglükliche Liebhaber, dem die schöne Rosamunde einen Korb gab, und
Andreas Gritti unhold ist? wird man sagen. -- Pfui! -- Parozzi --
Parozzi! und wenn der schlaue Gritti all deine Pläne entdekte, wenn er
wüßte, daß du an der Spizze mehrerer Leichtsinnigen -- Leichtsinnigen?
ja doch, was sind die Knaben anders, die um der Ruthe zu entgehn, den
Eltern das Haus übern Kopf anzünden wollen? -- Parozzi, wenn das alles
dem Gritti verrathen würde!«

Er wurde in seinen Betrachtungen gestört. _Memmo_, _Falieri_ und
_Contarino_ traten herein, drei junge Venetianer vom besten Adel,
Parozzis tägliche Gesellschafter, am Geist und Körper verdorbne
Menschen, Springinsfelde, Bonvivants, die allen Wucherern in Venedig
mehr schuldig waren, als sie jemals mit ihrem väterlichen Erbe bezahlen
konnten.

»Aber, Brüderchen, rief Memmo, dem das Laster in der grauen
Gesichtsfarbe, dem trüben Blik und den rothblauen Ringen um den Augen
verrieth; um des Himmels Willen, ich bin ausser mir, hast du den Matteo
wider die Nichte des Andreas Gritti ausgeschikt?«

»»Ich?«« sagte Parozzi, und drehte sich um, um die Todtenblässe zu
verstekken, die ihm über das Gesicht flog: »»kein Gedanke -- ich glaube,
du schwärmst!««

Memmo. Wahrhaftig, ich spreche im ganzen Ernst; frag nur den Falieri,
der kann dir mehr erzählen.

Falieri. Höre, Parozzi, der Procurator _Sylvio_ hats dem Dogen als eine
heilige Wahrheit beschworen, daß kein andrer, als du, den Matteo zu
Rosamundens Ermordung bestellt habest.

Parozzi. Nun, und ich sage euch, der Kerl raset.

Contarino. Aber nimm du dich in Acht. Gritti ist fürchterlich.

Falieri. Der Doge ist der elendeste Gauch von der Welt; er kann ein ganz
guter Soldat sein, aber Kopf hat er nicht.

Contarino. Und ich schwöre dirs, Gritti ist wild wie ein Löwe und schlau
wie ein Fuchs.

Falieri. Durch das verdammte Kleeblat, davon er der Stiel ist, der es um
sich zusammen hält. Man nehme ihm den Sylvio, Conari, und Dandoli, so
wird er dastehn, wie ein Schulknabe im Examen, dem mans Concept
gestohlen hat.

Parozzi. Falieri hat Recht.

Memmo. Ja, wahrhaftig.

Falieri. Und stolz ist der Gritti, wie ein Bauer, dem man ein
Purpurkleid angezogen hat. Bei Gott, er ist unleidlich. Bemerkt ihr denn
gar nicht, wie er täglich seinen Hofstaat vermehrt?

Memmo. So wahr ich lebe, du hast Recht.

Contarino. Und welche Gewalt er sich allenthalben anmaßt? Die Signoria,
die Quaranti, die Procuratoren di St. Marco, die Avogadori wollen und
wünschen nichts anders, als was dem Gritti gefällt. Alle hängen sie an
dem Faden seiner Launen wie Marionetten, die ihre Holzköpfe schütteln
oder verneigen, nachdem sie gezogen werden.

Parozzi. Und das Volk vergöttert diesen Gritti.

Memmo. Ja, das ist eben das schlimmste.

Falieri. Aber ich will verdammt sein, wenn sich das Spiel nicht bald
dreht.

Contarino. Ja, nur angefangen, Leute. Aber was thun wir? da liegen wir
in den Weinhäusern und Bordellen, saufen und spielen, stürzen uns in ein
Meer von Schulden hinein, wo zulezt der beste Schwimmer ertrinken muß.
Laßt uns den Anfang machen -- laßt uns werben, laßt uns angreifen, die
Verhältnisse müssen sich ändern, oder es geht in dieser Welt mit uns
nicht gut.

Memmo. (seufzend) Freilich, freilich, die Gläubiger zerklopfen mir schon
seit einem halben Jahr die Thüren, wekken mich des Morgens aus dem
Schlaf und lullen mich des Abends mit ihren Klagen wieder ein.

Parozzi. Ha, ha, ha! nun ihr wißt ja, wie mirs geht! --

Falieri. Hätten wir minder flott gelebt: so würden wir izt ruhig sizzen
können in unsern Pallästen, und -- Aber izt --

Parozzi. Nun, wahrhaftig, ich glaube Falieri hält uns eine Buspredigt.

Contarino. So machens die alten Sünder sammt und sonders, wenn sie nicht
mehr sündigen können, dann geloben sie hoch und theuer Reue und
Besserung. Nein, ich bin zufrieden mit meinen Ausschweifungen; ich seh
doch daraus, daß ich kein Alltagsmensch bin, der mit seinem Pflegma
hinter dem Ofen zusammenschurrt, Federn spizt, Männerchen malt und vor
ungewöhnlichen Einfällen schaudert. Die Natur hat mich einmal zum
Wildfang geboren, und ich will meine Bestimmung erfüllen. -- Brächte der
Himmel nicht zuweilen Geister wie die unsrigen hervor: so würden die
Menschen endlich einschlafen. Aber wir treiben die alte Ordnung aus
ihren Fugen, und die Menschen aus ihrem Schnekkengang, geben einer
Million Müßiggänger Räthsel auf, jagen einige hundert neue Ideen durch
die Köpfe der großen Menge, verursachen allgemeine Gährung und sind
zulezt der Welt so nüzlich, wie ein Sturmwind der trägen, sich selbst
vergiftenden Natur.

Falieri. Prächtige Floskeln, so wahr ich Falieri heiße; Contarino; das
alte Rom vermißt dich. -- Allein Jammer und Schade, daß an dem Geklimper
deiner Worte so wenig Realitäten hängen! -- siehst du, inzwischen du
vielleicht mit deinem Rednertalent barmherzigen Ohren ermüdet hast, hat
Falieri gehandelt. Der Kardinal Grimaldi ist mit der Regierung
unzufrieden, Gott weis es, wodurch ihn Gritti wider sich aufgehezt hat
-- kurz Grimaldi ist von unsrer Parthei.

Parozzi. (erstaunt und froh) Falieri, bist du toll -- der Kardinal
Grimaldi?

Falieri. Und er hängt an uns mit Leib und Seele. Freilich, ich habe ihm
viel von unsern edeln Absichten, von unserm Patriotismus, von unsrer
Freiheitsliebe vorneindbeuteln müssen, aber Grimaldi -- ist ein Pfaffe,
das heißt, ein Gauner! und so taugt er für uns.

Contarino. (reicht dem Falieri die Hand) Bravo, -- Herr Bruder, wir
spielen den Katilina zu Venedig! -- Was mich betrifft, so hab auch ich
gehandelt. Zwar hab ich für uns noch keinen großen Fang gethan, aber
doch besizze ich ein großes allmächtiges Nez, womit ich den besten Theil
Venedigs zu unsern Plänen zusammenfischen werde. -- Ihr kennt doch die
Markise Almeria?

Parozzi. Hält nicht jeder von uns eine Liste der Venetianerinnen, und
wir sollten ^No. I^ vergessen haben?

Falieri. Almeria und Rosamunde, die Losung aller Venetianer.

Contarino. Almeria ist mein.

Falieri. Was?

Memmo. (durch die Zähne) Pest!

Parozzi. Almeria?

Contarino. Nun, gafft ihr mich nicht an, als weissagt ich euch den
Einsturz des Himmels? -- Kurz, ich bin Almeriens Favorit, und mit ihr
aufs innigste vertraut. Aber unsre Liebschaft wird verdekt gehalten; was
ich will, will auch sie, und wie sie pfeift, so tanzt Venedigs halber
Adel.

Parozzi. Contarino, du bist unser Meister.

Contarino. Und nun ahndet ihr doch nicht, welche Macht ich in den Händen
habe?

Parozzi. Ich schäme mich vor euch, denn noch hab ich nichts gethan. Wär'
Rosamunde ermordet: so würd' ich, wenigstens euch vorlügen können, daß
ich sie für mein Geld habe in den Himmel bringen lassen, damit Gritti
den Hamen verlöre, womit er Venedigs erste Männer an sich gefangen hält.
Lebt Rosamunde nicht mehr: so verliert Gritti allen Reiz; die
glänzendsten Häuser werden von ihm ablassen, wenn ihre Hofnung zu Grabe
geht, sich mit dem Gritti durch Rosamundens Verheurathung zu verbinden.
Sie erbt einmahl vom Dogen.

Memmo. Und damit ich eurer würdig sei, will ich -- Geld schaffen. Mein
alter, grämlicher Oheim hinterläßt mir dem Universalerben volle Kisten
-- und der alte Filz, kann ja sterben, wenns mir gefällt.

Falieri. Er hätte längst sterben können.

Memmo. Ich war nur zu ängstlich -- wahrhaftig Leutchen, ihr glaubts
nicht, ich bin zuweilen so hypochondrisch, daß es mir ist, als hätt' ich
Gewissensbisse.

Contarino. Freund, nimm einen guten Rath an. -- Geh ins Kloster!

Memmo. He, he, he, he!

Falieri. Wir müssen die alten Freunde, -- Matteo's Gesellschaft
aufsuchen; die Gauner lassen sich jezt nirgends wittern.

Parozzi. Und vor allen Dingen muß das Kleeblatt des Dogen verdorren oder
abgerissen werden.

Contarino. Vortrefliche Vorsäzze! wahrhaftig, wenn sie nur so schnell
erreicht, als geträumt wären. -- Kurz, Freunde, wir begraben entweder
unser Elend unter den Ruinen der alten Staatsverfassung, oder wir
befestigen dieselbe noch mehr durch unsere Todtenschädel. -- In beiden
Fällen erlangen wir Ruhe. Die Noth hat uns mit ihrer Geissel nun
hinaufgepeitscht auf den lezten Gipfel ihres Felsen, wo wir entweder uns
durch einen Geniestreich erretten, oder von der andern Seite in den
Abgrund ewiger Vergessenheit und Schande hinunterschwindeln müssen. --
Laßt uns izt nur raffiniren: woher Geld zu den nöthigsten Unkosten und
woher Theilnehmer an unsern Plänen? Geht hin, und erobert die
berühmtesten Mezzen Venedigs, auf deren Altären der Staatsmann, Mönch
und Bürger opfert. Was wir mit aller Beredsamkeit, Banditen mit ihren
Dolchen, Prinzen mit ihren Geldbörsen nicht vermögen, kann solch eine
Phryne mit einem einzigen Blik. Wo der Wiz des Pfaffen scheitert und die
Gewalt des Kriminalrichters ohnmächtig wird, kann noch ein Kus, ein
süsses Versprechen Wunder thun. An dem wollüstigen Busen solcher Weiber
schläft endlich die wachsamste Treue ein: ein Kus von solchem Weibe
thaut der stummen Verschwiegenheit die Lippen auf und eine Schäferstunde
kann die heiligsten Grundsäzze zu Grabe läuten.

Oder will euch das Glük bei den Weibern nicht wohl, oder fürchtet ihr
euch selber in den Nezzen verwirren zu können, die ihr für andere
ausspannt: so versuchts mit den Pfaffen. Schmeichelt den Stolz dieser
Hochmüthigen, malt ihnen auf das leere Blatt der Zukunft Kardinalshüte,
Patriarcheninsuln, Bischofsstäbe und Pontificalien. Ich schwör es euch,
sie haschen zu, und ihr habt sie in eurer Gewalt. Sie, die
Gewissensräthe der bigotten Venetianer, lenken Mann und Weib, Edelmann
und Bettler, Gondolier und Dogen, Gelehrte und Laien am Zaum des
Aberglaubens. Habt ihr die Pfaffen für euch: so könnt ihr Tonnen Goldes
ersparen, um die Gewissen zu bestechen, denn sie handeln mit dem lieben
Gott in Compagnie, und verschenken nach ihrem Gefallen bald die ewige
Seligkeit bald die höllische Verdammnis.




                           Neuntes Kapitel.
                           Mollas Häuschen.


Kaum hatte _Abaellino_ die berüchtigte That vollbracht, die nun allen
Venetianern Stoff zum Plaudern gab: so entwischte er so glüklich, daß
man auch nicht den geringsten Umstand vorfinden konnte, der ihn, als dem
Thäter verrathen, oder die Spuren seiner Flucht entdekken konnte.

Er kam an Molla's Häuschen -- es war schon gegen Abend. Molla öffnete
die Thür und er begab sich ins Zimmer. »Wo sind die andern?« fragte er
in einem wilden Ton. _Molla_ erschrak:

»Sie schlafen schon seit dem Mittag. Wahrscheinlich wollen sie in der
Nacht auf die Jagd gehn.« --

_Abaellino_ warf sich gedankenvoll auf einen Sessel.

»Aber du bist ja so düster, Abaellino? sieh nur, du wirst dadurch so
häslich. Weg mit den Falten von der Stirn, sie entstellen dich noch
mehr.«

_Abaellino_ antwortete ihr nicht.

»Aber ich fürchte mich endlich vor dir. Sei doch freundlich du Riese!
ich fange wirklich schon an dir gut zu werden, und deinen Anblik zu
ertragen und« -- -- --

»»Wekke die Schläfer!«« brummte der Bandit.

»Ei, laß sie doch schlafen, die trägen Kerls, fürchtest du dich denn mit
mir allein zu sein? Seh ich denn so schreklich aus, wie du? -- sieh mich
doch einmal an.«

Sie stellte sich in ihrer kleinen, runden Figur vor ihm hin, und
schielte lächelnd mit lüsternen Augen zu ihm hinüber. -- Molla war in
der That nicht häslich; ihr Stumpfnäschen, ihr brennendes Auge, ihr
blondes Haar, das hinter der Haube wild über den vollen Busen
herabstürzte, der in diesen Augenblikken ohnedies nur sehr leicht bedekt
war, machte sie niedlich. Allein Molla wußte auch, daß sie ein
Stumpfnäschen, einen sprechenden Blik, ein blondes Haar, und einen
vollen Busen hatte. Und ihr Karakter war daher -- wie der Karakter der
meisten Mädchen und Weiber in einem gewissen Alter, in allen Ständen.
Ein Mädchen, die es ihrem Spiegel und ihren Schmeichlern glaubt, es sei
schön, ist auf dem halben Wege, ihre Unschuld zu verlieren. -- Molla
übrigens war weder Mädchen noch Weib, sondern -- -- -- was viele ihres
Alters und Geschlechts sind.

»Aber sei doch nicht so tükkisch, lieber Abaellino!« sagte sie und sezte
sich dicht neben ihn nieder und strich ihm mit ihrer runden Hand die
schwarzen Lokken von der Stirn.

»»Wekke die Schläfer!«« rief _Abaellino_, und stierte sie verdrüslich
an.

»Ei, ich glaube gar, der Schelm will trozzen!« sagte sie und stand auf,
warf sich auf seinen Schoos, sah ihn in die Augen -- und das Halstuch
fiel ab.

»Bösewicht! rief sie, was machst du?«

_Abaellino_ konnte sich des Lächelns nicht erwehren.

»Lache nur noch!« sagte sie lächelnd und faltete die Stirn, um zornig zu
scheinen, vergab ihm aber bald die nicht begangne Sünde, schlang ihre
Arme um ihn und drükte ihn an sich.

»»Du bist ein gutes Mädgen, Molla!«« entgegnete er, sties sie sanft
zurük und stand auf: »»in einer halben Stunde wollen wir uns beide mehr
erzählen, jezt rufe die Schnarcher herbei, ich muß sie sprechen!««

_Molla_ entfernte sich schweigend und drohte ihm im Zurüksehn mit dem
Zeigefinger.

_Abaellino_ gieng mit starken Schritten durchs Zimmer, den Kopf auf die
Brust gesenkt, die Arme untereinander geschlagen. »Der erste Schritt,«
dachte er bei sich! »der erste Schritt ist gethan; ein moralisches
Ungeheuer weniger in der Welt. Ich habe in diesem Morde nicht gesündigt,
sondern mich geheiliget. -- Gott, steh mir bei, ich habe ein großes Werk
vor mir. -- Ach, und dann soll Rosamunde der Lohn meiner Mühseligkeiten
-- Rosamunde? die Nichte des Dogen dem verworfnen Abaellino -- o, in
Ewigkeit geht es hier nicht gut zu Ende. Aber welch ein toller Einfall,
ein Mädchen beim ersten Anblik -- -- Aber auch nur eine Rosamunde kann
durch ihr erstes Erscheinen fesseln. -- Rosamunde und Emmoina! -- --
Doch es ist schön nach Unmöglichkeiten zu haschen, es belustigen Träume
wenigstens, und der arme Abaellino bedarf Belustigung. O wüßte die Welt,
was Abaellino vollführen wird, ach sie würde ihn gewis lieben und
bemitleiden! --«

_Molla_ trat herein. Ihr nach folgten schlaftrunken, gähnend und schlaff
Thomas, Baluzzo, Petrini und Struzza.

»Reibt euch den Schlaf von den Augen, und überzeugt euch, daß ihr
wachend seid, denn ihr sollt etwas hören, was ihr kaum im Traume glauben
würdet.«

Alle sahn ihn gleichgültig an. »Nun was ists denn?« fragte _Thomas_ und
dehnte sich schläfrig.

»Nichts mehr und nichts weniger, als daß unser braver, schlauer, tapfrer
Matteo -- _ermordet_ ist.«

»»Wie? -- ermordet!«« lallte jeder und starrte den Hiobsboten mit
erschroknen Blikken an, und Molla schlug die Hände über den Kopf
zusammen und sank kreischend auf den Sessel nieder, auf welchem sie vor
wenigen Minuten noch um Abaellinos Zärtlichkeit buhlte.

Es herrschte eine allgemeine Stille.

»Donner und Wetter!« rief endlich Struzza und trat ein paar Schritt
zurük.

Thomas. Von wem?

Baluzzo. Wo?

Petrini. Diesen Nachmittag?

Abaellino. Vor einigen Stunden im Dolabellischen Garten, wo er die
Nichte des Dogen aufgesucht hatte -- wer ihn ermordet, das weis der
Himmel.

Molla. (heulend) Der arme Matteo.

Abaellino. Morgen um diese Zeit findet ihr seinen Leichnam auf dem
Rabenstein.

Petrini. Hat man ihn denn erkannt?

Abaellino. Freilich.

Molla. Der arme Matteo!

Thomas. Ein verdammter Streich!

Baluzzo. Verflucht, das hat ihn nicht geahndet, da er von uns ging, und
uns allen nicht.

Abaellino. Nun, ihr scheint darüber bestürzt zu sein? --

Struzza. Ich kann mich noch nicht erhohlen -- Der Schrek hätte mich fast
zu Boden geschlagen.

Abaellino. Ei, beileibe, ich lachte, als ich die Botschaft erfuhr. So
früh schon am Ziele! dacht ich.

Thomas. Was?

Baluzzo. Ich sähe darinn nichts lächerliches wahrhaftig!

Abaellino. Ihr fürchtet euch doch nicht davor, eine Gabe zu empfangen,
die ihr selber so gern austheilt? -- Wohin strebt ihr? was dürfen wir am
Ende unsrer Arbeiten zum Dank fodern, als Galgen und Rad und
Scheiterhaufen? welche Monumente dürfen wir für unsre Thaten fodern: als
Schandsäulen und Rabensteine? Wem es gelüstet auf dem großen Welttheater
die Rolle des Banditen zuspielen, der muß vor dem Tode nicht schaudern,
er komme in Gesellschaft des Arztes, oder des Henkers. Also lustig!

Thomas. Das sei hier der Gottseibeiuns, ich kanns nicht sein.

Struzza. Mir klappern die Zähne.

Petrini. Hör', Abaellino, laß uns ein vernünftiges Wort mit einander
sprechen. Dein Wiz wird hier fürchterlich.

Abaellino. Ha, ha, ha, ha!

Molla. Ach du armer, unglükseliger Matteo!

Abaellino. Nicht doch, Molla, mein Schäzchen, wer wollte so sehr
verrathen, daß man ein Weib sei. Komm und laß uns das Gespräch
fortsezzen, das ich vorhin zerriß. Sez dich zu mir und gieb mir ein
Mäulchen. --

Molla. Geh, Ungeheuer.

Abaellino. Hat Liebchen die Laune verloren? Nun wohl, sie wird schon
zurükkehren, und wer weis, wie es dann um die meinige steht.

Baluzzo. Daß dich der Geier fasse, Abaellino, du bist unausstehlich!

Abaellino. Bist du eifersüchtig? Ho, ho, befürchte nichts!

Baluzzo. Verdammt seist du mit deinem hirnlosen Gewäsch; saalbadre ein
andermahl. Jezt laß uns überlegen, was zu thun sei?

Petrini. Freilich, es ist hier nicht die Zeit zum Spassen.

Thomas. Abaellino, ich halte dich für einen gewizten Kerl, gieb Rath,
was sollen wir thun?

Abaellino. (nach einer Pause) Nichts oder vieles. Entweder wir bleiben,
_was_ wir sind, und wo wir sind, morden für Geld und gute Worte einem
Schurken zum Gefallen jeden ehrlichen Mann, lassen uns zulezt hängen,
rädern, braten, an die Galeeren schmieden, kreuzigen und köpfen, je
nachdem es der blinden Justiz behagt, oder -- --

Einige. Oder?

Abaellino. Oder wir theilen unsern Raub, verlassen die Republik,
beginnen ein ehrliches Leben, und söhnen den Himmel wieder mit uns aus.
Seht, ihr habt izt soviel, daß ihr zeitlebens nicht in die verlegne
Frage gerathen dürfet: woher nehmen wir Brod? -- Ihr kauft euch in einem
fernen Lande eine Villa, oder ein Wirthshaus, oder treibt Handel, oder
ein Gewerbe, welches euch besser gefällt, als die Meuchelmörderei. Ihr
mustert die Schönen, wählt euch ein Weibchen, zeugt Söhne und Töchter,
eßt und trinkt und wezt die Scharten aus, durch eure Ehrlichkeit, die
ihr durch Büberei schluget.

Thomas. Ha, ha, ha!

Abaellino. Was ihr thut, will auch ich thun, in eurer Gesellschaft laß
ich mich entweder hängen und rädern, oder zum ehrlichen Kerl machen. --
Nun wählt!

Thomas. Ein alberner Rath!

Baluzzo. Die Wahl hält nicht schwer.

Abaellino. Ich sollt' es auch glauben.

Thomas. Wir bleiben beisammen, und treiben nach wie vor unser altes
Gewerbe. Das bringt Geld und ein flottes Leben.

Petrini. Mein Seel, Kerl, du sprichst mir aus dem Herzen.

Thomas. Wir sind zwar Banditen, aber doch ehrliche Kerls, und der Donner
über den, der dies läugnet. Vor allen Dingen aber müssen wir uns einige
Tage eingezogen halten, damit wir nicht etwa verrathen werden, denn der
Doge hat gewis izt seine Spione allenthalben. Dann aber schleichen wir
uns, erkundigen uns nach dem Mörder Matteo's und erdrosseln ihn zum
warnenden Beispiel ^gratis^.

Alle. Bravo! bravissimo!

Petrini. Und du, Thomas, bist dafür von heut an unser Meister.

Baluzzo. Ja, an Matteo's Stelle.

Alle. Ja, ja!

Abaellino. Und ich sage, als ein braver Gesell hierzu mein herzliches
_Amen_.




                            Zweites Buch.




                           Erstes Kapitel.
                           Der Geburtstag.


In ängstlicher Einsamkeit, eingeriegelt in ihren dumpfen Kammern,
betrauerten die Banditen den Tod ihres Matteo; jeder Schlag an ihre
Thüren machte sie zittern; jedes Geräusch auf der Straße machte sie
grausen.

Fröhlicher aber und herrlicher gings im herzoglichen Pallast einher. Der
_Doge_ feierte den Geburtstag seiner schönen Nichte Rosamunde, und
Venedigs Adel, die Gesandten und hohen Fremden machten mit ihrer
Gegenwart dieses Fest zum glänzendsten in seiner Art.

Keine Herrlichkeit war hier gespart, keine Quelle der Freude
verschlossen geblieben. Ueppig buhlten alle Künste um den Vorrang;
Venedigs erste Dichter besangen diesen Tag schöner, als je, denn sie
sangen Rosamunden; die Tonkünstler und Virtuosen verschwendeten hier die
Allmacht der Musik, denn es galt Rosamunden; alle athmeten Seligkeit,
alles schwelgte in der seltnen Verbindung jeder Freude; der Geist des
Vergnügens umschwebte den Greis und den Jüngling, die Matrone und das
Mädchen.

Selten hatte man den alten Dogen heiterer erblikt, als an diesem Tage.
Er war ganz Leben, die fröhlichste Laune schwebte um seinen Lippen;
gnädig und herablassend lies er niemanden seine Hoheit beahnden. Er
scherzte bald mit den Damen, schwärmte bald unter den Masken umher, die
den Ball glänzend machten, spielte bald mit den Feldherrn und Admiralen
der Republik im Schach, überwand und lies sich überwinden, bald nekte er
Rosamunden, und warnte sie, ihr Herz zu bewahren.

_Dandoli_, _Sylvio_ und _Canari_, seine treuen Freunde und Räthe
vergaßen ihr graues Alter; mischten sich unter die jungen
Venetianerinnen und trugen scherzend jeder ihre Liebe an, nekten und
ließen sich nekken.

»Als wir vor _Scardona_ lagen, Canari, und die Türken uns dort den Sieg
so schwer machten, da waren wir nicht so vergnügt, als an diesem Abend.
Nicht so?« rief _Andreas Gritti_ dem alten Canari zu, der in eben dem
Augenblik in das Seitenzimmer hinein trat, worin sich der Doge mit
seiner Nichte allein befand.

»Warlich nicht, gnädigster Herr aber es ruht sich nach solchen Arbeiten
schön! -- Ich denke noch immer mit frohem Schauder an den neblichten
Novemberabend, da wir Scardona eroberten und den halben Mond von den
Stadtmauern hinunterstürzten! Bei Gott, unsre Venetianer fochten wie die
Löwen!«

Gritti. Nun, alter Kriegsgefährte, trinkt; wir haben uns Ruhe
erstritten.

Canari. Ruh und Lorbeern. -- O, bei Gott, ich bin glüklich und glüklich
ist jeder der unter euern Fahnen gefochten. Ihr, gnädigster Herr, habt
mich verewigt; wer hätte in der Welt an Canari gedacht, wenn Canari
nicht mit dem großen Gritti gefochten hätte, und in Sicilien und
Dalmatien die ewigen Trophäen der Republik Venedig aufgepflanzt hätte
mit dem großen Gritti.

Gritti. (sanftlächelnd) Der Cyprier besticht eure Fantasie, braver
Canari.

Canari. Freilich sollt ich euch nun wohl nicht gradezu den Großen
nennen, und in eurem Beisein loben, aber ich bin alt, und mag mich nicht
verstellen; mögen das unsre jungen Hofschranzen thun, die noch nicht im
Pulverdampf da standen und für Venedig und Andreas Gritti fochten. --

Gritti. Alter Schwärmer! -- wird der deutsche Kaiser auch so denken?

Canari. Wenn Karl der fünfte nicht betrogen wird, oder sein Stolz noch
die Größe eines andern ertragen kann: so muß er bekennen: Ich fürchte
den Gritti von Venedig, aber auch er nur allein ist mir auf Erden
überlegen! bei Gott, das muß Karl.

Gritti. Sollte ihn die Antwort beleidigen, die ich seinem Gesandten gab,
da er mir die Gefangennehmung des Königs von Frankreichs notifizirte? --

Canari. O, gewiß, gnädigster Herr, gewiß. Aber sei es auch. Venedig
zittert, so lange Gritti lebt, nicht. -- Aber gnädigster Herr, wenn ihr
einmal werdet heimgegangen sein zur ewigen Ruhe und eure Helden mit
euch! O, Venedig, Venedig, ich fürchte deine goldne Zeit neiget sich zum
Untergange!

Gritti. Lassen nicht unsre jungen Offiziere vieles hoffen?

Canari. Ach was sind die meisten? Helden in den Feldern der Liebe;
Helden hinter den Pokalen; entnervte Jünglinge, schlaff an Körper und
Geist. Doch halt, -- nein! o, wenn man alt wird, oder neben einen
Andreas Gritti steht, da vergißt man doch so leicht das wichtigste. --
Ich habe eine Bitte an euch, mein Doge, eine große Bitte.

Gritti. Ich bin neugierig.

Canari. Seit acht Tagen befindet sich hier ein junger florentinischer
Edelmann, Flodoard heißt er, ein herrlicher, vielversprechender Mann.

Gritti. Nun?

Canari. Sein verstorbner Vater war mein sehr guter Freund, er ist nun
gestorben, der alte ehrliche Graf. Er diente in seiner Jugend mit mir
auf einem Schiffe, hat manchen Türkenkopf hinweggesäbelt. -- Es war ein
braver Soldat!

Gritti. Ihr vergeßt seinen Sohn.

Canari. Sein Sohn hält sich jezt in Venedig auf und will in Dienste der
Republik gehn. Ich bitte bei euch für ihn, stellt den jungen Mann irgend
wo an; er wird einmal Venedigs Stolz sein, wenn unsre Asche vom Winde
verweht ist. Ja, bei Gott, das wird er!

Gritti. Hat er Kopf?

Canari. Kopf und Herz, wie sein Vater. Wollt ihr ihn sehn, ihn sprechen?
er ist unter den Masken dort im großen Saale. -- Noch eins -- er hat von
den Banditen gehört, die in Venedig umherspuken, das erste Probestük
seiner Schlauheit will er euch dadurch ablegen, daß er dieß unsichtbare
Gesindel, dem unsre Polizei vergebens nachspürt, dem Criminalgericht in
die Hände spielt.

Gritti. (verwundert) Wie ist das möglich? Graf Flodoard heißt er? sagt
diesem Flodoard, ich verlange ihn zu sprechen.

Canari. O, nun hab ich schon die Hälfte oder alles gewonnen. Denn
Flodoarden sehn, und nicht lieben, hält so schwer, als einen Blik ins
Paradies thun und ohne Lüsternheit zu verbleiben. Flodoarden sehn und
ihn hassen ist so unmöglich, wie den Blindgebohrnen das Tagslicht zu
hassen, das er zum erstenmahl erblikt, da ihm der Staar vom Auge
gezogen, wird.

Gritti. (lächelnd) Ich habe meinen alten Canari nie so schwärmerisch
gefunden, als diesen Abend.

Canari. O, bei Gott, gnädigster Herr, die Flodoarde waren seit den
frühsten Zeiten gros. Ihres Geschlechts Stamm trug schon damals
herrliche Zweige, als das Geschlecht der Gritti, Canari, Dandoli und
Falieris noch unter den wilden Gesträuchen keimte. Und ich glaube, jede
Ceder grünt noch und giebt berühmte Zweige von sich, wenn unsre Familien
rings umher ausgestorben sind, wie dürres, schwaches Pflanzwerk.

Gritti. Zeiget mir doch den Wundermann!

Canari. (im Aufstehn.) Ich werd ihn herbeirufen. Ach, es thut mir wohl
meinen alten verstorbnen Waffenbruder Flodoard in seinem Sohn wieder
lieben zu können. -- Und, ihr edle Donna, hütet euch! hütet euch! (geht
ab)

Rosamunde. Führt nur euern Helden vor, ihr habt meine Neugierde
gespannt.

Gritti. Warum sonderst du dich so lange von den Tänzern ab, Rosamunde?

Rosamunde. Ich bin ermüdet, und jezt fesselt mich noch die Neugier, den
hochgepriesenen Flodoard zu sehn. -- Ach, lieber Oheim, mir deucht, ich
kenne ihn schon. Unter allen Masken zeichnet sich vorzüglich eine
griechische aus, und zeichnet sich so aus, daß man sie mit dem
flüchtigsten Blik unter tausenden erkennt. Eine schlanke, große Gestalt,
in jeder Bewegung so angenehm, -- und tanzt so treflich.

Gritti. (lächelnd mit dem Finger drohend) Nichte! Nichte!

Rosamunde. O, fürwahr, lieber Oheim ich lüge nicht -- aber doch kann es
sein, daß der florentinische Flodoard und der Grieche zwei Personen --
-- seht, Oheim, seht dort hinunter, da, da steht der Grieche!

Gritti. Und Canari neben ihm. -- Sie kommen! Nun, du bist im Errathen
glüklich -- --

Der Doge hatte kaum seine Worte vollendet, als der alte _Canari_
hereintrath, einen schlanken Griechen an seiner Hand führend.

»Seht hier den Grafen Flodoard, der um eure Gnade bittet!« sagte Canari,
und _Flodoard_ entblößte ehrerbietig sein Haupte, zog die Larve vom
Gesicht und verneigte sich tief vor Venedigs großen Dogen.

Gritti. Ihr wollet in die Dienste unsrer Republik treten?

Flodoard. Wenn. Ew. Durchlaucht mich für dieselben würdig finden.

Gritti. Canari versprach mir viel Gutes von euch. Warum hat euch euer
Vaterland nicht behalten?

Flodoard. Weil dort kein Gritti lebt.

Gritti. Bestätigt es sich, daß ihr die Banditen in Venedig aufgespürt
habt?

Flodoard. Ich zweifle nicht daran sie aufspüren, und sie euren Gerichten
überliefern zu können.

Gritti. Das wäre in der That von einem Fremdling viel. Ich bin begierig
zu wissen ob ihr Wort halten könnet.

Flodoard. Morgen oder Uebermorgen Durchlauchtigster Herr, hab ich mein
Versprechen erfüllt.

Gritti. Und das verspreche ihr so fest? Wißt ihr was es heißt, Banditen
zu fangen? dies Gesindel ist unsichtbar und allgegenwärtig, man sieht es
allenthalben, und nirgends, und noch ist es den Polizeibedienten der
Republik nicht möglich gewesen diese Brut zu erhaschen, wiewohl kein
Winkel in Venedig existirt, den unsre Spione nicht kennen, nicht
durchstöbern.

Flodoard. Ich schäzze mich glüklich dem großen Dogen von Venedig mich
durch solches Probestük empfehlen zu können.

Gritti. Wenn ihrs vollbracht habt, dann kommt zu mir. Jezt wollen wir
uns der Freude überlassen, der dieser Tag geheiligt ist. -- Führt meine
Nichte zum Tanz, wenn ihr wollet.

Flodoard. Ein angenehmer Befehl. --

Rosamunde stand an den Sessel ihres ehrwürdigen Oheims gelehnt, und
musterte den Grafen, und dachte an Canari's Worte: ihn sehn und ihn
nicht lieben hält so schwer, als einen Blik ins Paradies werfen, ohne
lüstern zu werden. Und Rosamunde gab dem alten Canari recht. Ein helles
Roth überflog sie, da der Oheim den Befehl gab, sie war verlegen, und
wußte nicht, ob sie vor oder zurüktreten müßte.

Und wären manche meiner Leserinnen in Rosamundens Stelle gewesen, so
zweifle ich gar nicht, daß sie in gleiche Verlegenheit gerathen wären.
Denn eine Gestalt, wie die Gestalt des Flodoard, ein Gesicht mit einer
so empfehlenden Physiognomie, mit solchen karakteristischen Zügen, die
dem Künstler nichts mehr übrig ließen, wenn er das Ideal männlicher
Schönheit darstellen wollte, Züge, welche laut sprachen, dieser Jüngling
trägt ein Heldenherz im Busen -- ach, die können ein armes, schwaches,
unbefangnes Mädchen leicht in Verlegenheit sezzen.

Flodoard nahm Rosamundens Hand und führte sie in den Saal der Tänzer.
Hier drehte, hier schwang sich alles nach den Harmonien des rauschenden
Orchesters in lieblichen Gruppen beim Schimmer der brennenden Kerzen.
Aber Flodoard gieng bebend und bebend Rosamunde an Flodoards Hand vor
den Reihen der Tänzer vorüber -- sie verloren sich bis zum fernsten Ende
des herzoglichen Saals und blieben sprachlos an einem Fenster stehn, und
sahn sich an, und sahn zu den Tänzern, und dann zum Mond hin und
vergaßen sich und Tänzer und Mond und waren jeder allein mit sich
beschäftigt.

»Fräulein, sagte _Flodoard_ endlich nach langem Stillschweigen: das heiß
ich unglüklich sein!«

»»Unglüklich? Ich verstehe euch nicht, Herr Graf, wer ist denn
unglüklich?«« entgegnete die schöne Rosamunde, und sah dem Jüngling ins
Auge, und lächelte sanft.

»Der, der in Elysium hineintritt und mit allem fremd ist; der, dem da
dürstet, und den Pokal vor sich sieht, welcher nicht für ihn gefüllt
ist.«

»»Seid ihr der Fremdling in Elysium etwa, oder der Dürstige neben dem
Pokal, der nicht für ihn gefüllt ist? Es scheint, als wolltet ihr, daß
ich eure Worte so verstände.««

»Ihr habt es verstanden, schöne Rosamunde. Und, sagt, bin ich nicht
recht sehr unglüklich?«

»»Wo ist denn das Elysium, in welchem ihr fremd wäret?««

»Um Rosamunden ist Elysium.«

Rosamunde schlug die Augen nieder.

»Seid ihr böse? hat euch diese Offenherzigkeit gekränkt?« fuhr Flodoard
schnell fort, und zog schüchtern ihre schöne Hand an sich. --

»»Herr Graf, Florenz ist eure Vaterstadt? in Venedig haßt man
Galanterien dieser Art. Wenigstens haß _ich_ sie, und von euch wünsch
ich sie am wenigsten zu hören.«« Sagte Rosamunde.

»Nein, Fräulein, so wahr ich lebe, hier lauschte hinter den Worten keine
Schmeichelei.«

»»Dort tritt der Doge in den Saal -- Canari und Sylvio neben ihm, er
wird uns im Tanze vermuthen. Kommt zu den Tänzern!««

Flodoard folgte ihr schweigend. Der Tanz begann. -- Himmel, wie schön
war Rosamunde, wenn sie um Flodoarden nach den süssen Akzenten der Musik
hinschwebte -- wie schön war Flodoard, wenn er durch die unabsehbare
Reihe der Tanzenden hinflog, und sein Auge Rosamunden suchte! Er war
entlarvt noch und baarhäuptig, aber jedes Auge glitschte ab von den
Federhüten und Helmen, und hin zu dem wilden hochfliegenden schwarzen
Haargekräusel des schönen Flodoard. -- Im Saal erhob sich ein Geflüster;
die Tänzerinnen vergaßen ihre Touren, und die Herzen ihren gewöhnlichen
Takt.




                           Zweites Kapitel.
                              Flodoard.


Einige Abende nachher sas _Parozzi_ mit dem _Memmo_ und _Falieri_ auf
seinem Zimmer, trübe leuchteten die Kerzen, trübe und stürmisch wars
draußen am Himmel und düster wars in der Seele dieser Wüstlinge.

Parozzi. (nach einer langen Stille) Seid ihr eingeschlafen? He, Falieri,
Memmo, trinkt doch.

Memmo. (verdrüslich) Ach!

Falieri. Dein Wein schmekt mir heut wie Galle.

Parozzi. Die verdammten Schurken!

Memmo. Du meinst die Banditen?

Parozzi. Keiner läßt sich wittern. Es ist bis zum sterben ärgerlich.

Falieri. Und die Zeit verstreicht, unsre Pläne werden verrathen, und wir
sizzen dann in den venetianischen Staatskerkern dem Pöbel zum
Hohngelächter.

(abermahlige Stille)

Parozzi. (seufzend) Flodoard! Flodoard!

Falieri. Der Kardinal Grimaldi erwartet mich noch diesen Abend.

Memmo. Nun ich denke Contarino kann nicht mehr lange ausbleiben.

Falieri. Er schwelgt gewis in diesen Augenblikken bei Almerien und
vergißt Gott, uns, die Republik und Banditen.

Parozzi. Also ihr kennt den Flodoard nicht?

Memmo. Ich kenne ihn nur von Rosamundens Geburtsfest.

Falieri. Parozzi ist eifersüchtig.

Parozzi. O wahrhaftig nicht. Mag Rosamunde ihre Hand dem deutschen
Kaiser oder dem ärmsten Gondelier in Venedig schenken, es wird mir
gleichgültig sein.

Falieri. Ha, ha, ha, ha!

Memmo. Aber gestehn muß es der Neid, daß Flodoard der schönste Mann
unterm Monde ist. -- Bei Gott, wär ich ein Weib, ich müßte ihn lieben.

Parozzi. Nun ja, wenn die Weiber Närrinnen deines Kalibers wären, und
auf die Schale mehr, als auf den Kern achteten -- --

Memmo. Wie denn die Weiber einmal sind.

Falieri. Der alte Canari scheint mit dem Flodoard schon seit alten
Zeiten bekannt gewesen zu sein.

Memmo. Freilich, der Graukopf hat ihn ja dem Dogen vorgeführt.

Parozzi. (knirschend) Brüder, es nimmt ein trauriges Ende.

Memmo. (seufzend) Dem Himmel seys geklagt.

Parozzi. Still! -- es wird unten gepocht.

Memmo. Contarino ist's. Nun werden wir bald hören, ob er die Banditen
gefunden.

Falieri. (aufspringend) Es ist sein Gang.

Die Thür sprang auf. Contarino in einen Mantel verhüllt, trat herein.
»Guten Abend!« sagte er und warf den Mantel ab -- und Parozzi, Memmo und
Falieri bebten erschrokken zurük, und riefen: Du blutest! was hast du
gemacht.

»Kleinigkeiten« rief Contarino: »He, ist Wein da? gießt mir den ersten
besten Becher voll, mich dürstet!«

Memmo. Aber Herzensbrüderchen, du bist sehr erhizt.

Contarino. (trinkt den Becher leer) Gift! Gift! schenkt ein.

Falieri. (gießt den Becher voll) Du blutest!

Contarino. Das weis ich; meine Schuld ists nicht.

Parozzi. Laß dich verbinden und dann erzähle! was ist vorgefallen?

Contarino. (trinkt) tausend Spas! he, füllt den Pokal!

Memmo. Nun, da stehn mir die Sinne still,

Contarino. Nicht so? Siehst du, Memmo, dafür bin ich auch Contarino, und
nicht Memmo. -- Die Wunde blutet zwar, aber gewiß sie ist nicht
gefährlich. (reißt das Wamms auf und entblößt die Brust) da, seht her,
was ists mehr, als ein Hieb von zwei Zoll Länge durchs Fleisch.

Memmo. (schaudernd) Brr, ein gräslicher Anblik.

Parozzi. (hohlt Pflaster herbei und verbindet die Wunde, nachdem er sie
ausgewaschen.)

Contarino. Vater Horaz hat recht! der Philosoph ist alles was er sein
will, Schuster und König und Wundarzt. Da sehe mir einer den Philosoph
Parozzi, mit welcher Grandezza er mich zu bepflastern weis. -- Magst
Dank haben. Nun, Leutchen, sezt euch um mich her in einen Kreis, ich hab
euch wunderliche Geschichten zu erzählen.

Falieri. Erzähle.

Contarino. Ich gieng um die Abenddämmerung aus, die Banditen
aufzusuchen. Ich kannte die Kerls von Person nicht, und sie mich eben so
wenig. Ein abentheuerliches Unternehmen, werdet ihr sagen: Allein, ich
thats, um euch zu überführen, man könne alles, wenn man nur können
_will_. Ich hatte schon Notizen genug, und siehe da, in meiner
Verkleidung lies ich mich mit einem Gondelier ins Gespräch ein. Ich
merkte fast, daß er von dem Aufenthalt der Bravo's etwas wisse, ich
rükte mit Geld und guten Worten näher, er desgleichen, zulezt erfuhr
ich, daß er selber eines des saubern Gelichters sei. Ich schloß mit ihm
einen Kontrakt, er fuhr mich auf seiner Gondel durch ganz Venedig, bald
links, bald rechts, zulezt wußt ich in der Dunkelheit selber nicht mehr,
in welchem Viertel der Stadt ich mich befände. Er verband mir endlich
sogar die Augen und ich mußte mirs gefallen lassen. -- Nach einer
Viertelstunde, hielt er die Gondel an, befahl mir auszusteigen, führte
mich durch ein paar Straßen in ein Haus, und da in eine enge kleine
Stube. Hier riß er mir die Binde von den Augen, ich sah mich in der
Mitte von drei fremden Kerln und einer Weibsperson.

Falieri. Ein Wetterkerl der Contarino.

Contarino. Hier war keine Zeit zu verlieren: sondern ich warf mein Geld
auf den Tisch, versprach ihnen goldne Berge und machte sie mit gewissen
Tagen, Stunden und Zeichen bekannt, durch welche wir uns irgendwo
zusammenfinden wollten. Gab ihnen zugleich den Befehl, den Canari,
Sylvio und Dandoli aus dem Wege zu räumen.

Alle. Bravo!

Contarino. Kurz, es gieng alles glüklich von Statten; aber plözlich
wurden wir durch einen unerwarteten Besuch gestört.

Parozzi. Nun?

Memmo. (ängstlich) Um Gotteswillen -- --

Contarino. Man klopfte. Die Weibsperson sprang hinaus, öffnete die Thür
und kam todtenblaß wieder zurükgestürzt in unser Zimmer und rief:
flieht! flieht!

Falieri. Nun?

Contarino. Bewafnet und bewehrt traten Polizeioffiziere und Sbirren
herein, und an ihrer Spizze der Fremdling von Florenz mit dem Degen in
der Faust.

Alle. Flodoard? Flodoard?

Contarino. Flodoard!

Falieri. Welcher Teufel führt den dahin?

Parozzi. Hagel und Wetter, warum war ich nicht bei dir!

Memmo. Da siehst du nun, Parozzi, da siehst du's, daß Flodoard kein
feiges Weiberherz hat?

Falieri. Still, laß ihn erzählen!

Contarino. Wir standen, wie angedonnert, da, und keiner rührte sich. Im
Namen der Republik und des Dogen, ergebt euch! schrie Flodoard! Der
Satan ergiebt sich dir eher, als wir! rief ihm mein Gondelier zu und
grif nach einem Degen; die andern rissen die Flinten von der Wand und
ich zog die Klinge und schlug die Lampen um, damit keiner den andern
sähe. Aber der Mond schimmerte trüb durch die Fensterscheiben. -- Ich
dachte, hier wirds heißen: mit gefangen mit gehangen! und gieng dem
Flodoard mit der Klinge zu Leibe. Aber meine Schläge glitten jedesmal
von seinem Säbel ab, der wie ein Bliz um ihn herumflirrte. Ich schlug
wie ein Rasender um mich her, aber hier ward meine Kunst zu Schanden,
und eh ichs mir versah schlizte er mir die Brust auf. Ich fühlte die
Wunde, sprang zurük, es fielen ein paar Schüsse, im Pulverbliz erkannte
ich eine unbesezte Nebenthür, ich entwischte glüklich in die eine
Kammer, schlug mit einem Faustschlag ein Fenster durch, sprang hinunter,
lief einen Hofraum durch, überkletterte ein Paar Zäune, kam an den
Kanal, ein Gondelier fuhr mich zum Marcusplaz und nun rannt ich zu Fus
hieher. Da habt ihr das vermaledeite Abentheuer!

Parozzi. (aufspringend) Ich werde rasend.

Falieri. Alles, alles geht mit uns den fürchterlichen Krebsgang!

Memmo. Der Himmel warnt uns!

Contarino. Kleinigkeiten! So muß es sein. Je mehr Hindernisse, je größer
mein Muth!

Falieri. Haben dich die Banditen erkannt?

Contarino. Nein, sie wissen nicht wer ich bin, noch wer sie zum Morde
des herzoglichen Kleeblatts besolden wollte.

Memmo. Ich danke Gott, daß du so glüklich davon gekommen bist.

Falieri. Aber wie hat Flodoard den Aufenthalt der Banditen erfahren, da
er doch in Venedig fremd ist?

Contarino. Wahrscheinlich durchs Ohngefähr, wie ich. -- Aber meine
Brustwunde soll er noch bezahlen!

Falieri. Flodoard macht sich zu schnell merkwürdig.

Parozzi. (hebt den Becher auf) Sein Tod!

Contarino. (trinkt) Gift für ihn!

Falieri. Ich muß mit ihm bekannter werden.

Contarino. He, Memmo, schaff Geld! wann fährt dein Alter dahin?

Memmo. Morgen Abend! --




                           Drittes Kapitel.
                            Neuer Lärmen.


Der schöne Fremdling von Florenz war seit dem Geburtsfest der Rosamunde
von Korfu das tägliche Gespräch und der ewige Gedanke aller
Venetianerinnen geworden, die irgend nur entlegne Ansprüche auf
Schönheit und Eroberungen machen konnten. Manches Mädchen schlief jezt
unruhiger, und träumte jezt schwerer, manche vermählte Donna stellte
jezt Vergleichungen an und seufzte; manche eingezogne Spröde besuchte
jezt die vorzüglichsten Spaziergänge und Gärten Venedigs, wo Flodoard
sich etwa sehn lassen dürfte.

Allein seit der Zeit, daß eben dieser Flodoard an der Spizze der Sbirren
die Banditen in ihrem Neste überfallen und mit Lebensgefahr gefangen
genommen hatte, wurde er nun auch der Aufmerksamkeit der Männer
würdiger. Man bewunderte nicht sowohl seine Entschlossenheit, seine
Kühnheit, als vielmehr die Schlauheit, durch welche er die Wohnung der
Bravo's erspäht und die scharfsichtige weltberühmte Polizei der
Venetianer beschämt hatte.

Der Doge _Andreas Gritti_ zog ihn nun öfterer zu sich in Gesellschaft,
und fieng an, diesem wunderbaren jungen Mann mit vorzüglicher
Hochachtung zu begegnen. Er machte ihm ein königliches Geschenk für
seine That, wodurch er der Republik so nüzlich geworden war, und erhob
ihn zu einer ansehnlichen Civilcharge.

Allein bescheiden lehnte der liebenswürdige Florentiner diese
Ehrenbezeugungen von sich ab. Er bat den Dogen ihm noch ein Jahr
wenigstens zu erlauben, frei und unabhängig in Venedig leben zu dürfen;
dann wolle er selber um ein Amt anhalten. --

_Flodoard_ wohnte in dem prächtigen Pallast des alten Canari, aber lebte
hier sehr eingezogen, studierte in den Schriften der Alten und Neuern,
verschloß sich Tagelang in seinen Zimmern, und erschien selten nur auf
den gewöhnlichen Promenaden.

Aber _Canari_, der _Doge_, wie auch _Sylvio_ und _Dandoli_, Männer, die
Venedigs Ruhm für Jahrhunderte gegründet hatten und glänzend erhielten,
Männer, in deren Gesellschaft man sich aus dem Zirkel der
Alltagsmenschen gerissen fand und im Umgang mit höhern Wesen zu leben
glaubte, Männer, die den ausserordentlichen Jüngling Flodoard jezt in
ihre Mitte aufnahmen, um ihn zum großen Mann auszubilden; _Canari_,
_Gritti_, _Sylvio_ und _Dandoli_ sag ich bemerkten leicht, daß Flodoards
Heiterkeit ein verstelltes Wesen sei, daß ein geheimer Gram an seinem
Herzen nage.

Vergebens durchforschte ihn Canari, der ihn, wie seinen eignen Sohn
liebte, vergebens heiterte ihn der ehrwürdige Doge auf -- Flodoard
blieb, wie er war, schwermüthig.

Und _Rosamunde_? Rosamunde hätte kein Mädchen sein müssen, wenn sie
heiter geblieben wäre: düster und melancholisch schlich sie umher, sie
ward blas und immer blässer, der Doge, der sie zärtlich liebte, wurde
besorgt für ihre Gesundheit, -- Rosamunde wurde zulezt wirklich krank
und schwach, die venetianischen Aerzte verschwendeten hier umsonst ihre
Kunst, Rosamunde mußte das Bett hüten und fieberte.

In dieser Unruhe, worin sich der Doge und seine Lieblinge befanden,
erfuhren sie eines Morgens etwas, welches ihre Sorgen allerdings aufs
höchste treiben mußte. Denn eine solche Verwegenheit war bisher in
Venedig unerhört gewesen, als diejenige war, welche jezt begangen ward.

Die durch den Flodoard gefangenen Banditen, _Petrini_, _Struzza_,
_Thomas_ und _Baluzzo_ lebten längst in gefänglichem Verhaft, mußten ein
tägliches Verhör dulden und sahn mit jedem Tage ihrer Todesstunde
entgegen -- jezt glaubten Gritti und seine Vertrauten, es sei nichts
mehr für die öffentliche Ruhe zu fürchten und Venedig gesäubert von all
dem Gesindel, welches sich zu Werkzeugen des Lasters gebrauchen läßt --
als mit einemmahle an den vorzüglichsten Statüen, Straßenekken und
öffentlichen Gebäuden folgende Addresse angeschlagen gefunden wurde.

   Venetianer!

   Struzza, Thomas, Matteo, Petrini, und Baluzzo, die bravsten
   Männer von der Welt, die, wenn sie an der Spizze einer Armee
   gestanden hätten, Helden heißen würden und izt als Banditen
   der Staatsetikette zum Opfer gebracht worden sind, existiren für
   euch zwar nicht mehr, aber mit Leib und Seele noch einer,
   dessen Name diesem Blatte unterschrieben steht. Lächerlich ist
   mir Venedigs Polizei, lächerlich der Stolz des schlauen Flodoard,
   der meine Brüder zur Schlachtbank hinschleppte. Ich lebe noch!
   Wer meiner bedarf, der suche mich, er wird mich allenthalben
   finden, wer mir verrätherisch nachspürt, wird mich nirgends sehn!
   -- Venetianer, ihr versteht mich! Wehe dem, der mich verfolgt;
   sein Leben und sein Tod ruhn in meiner Hand. -- Ich bin der
   venetianische Bandit

                                                          _Abaellino_.

»Hundert Zechinen!« rief der brave Doge von Venedig: »hundert Zechinen
dem, der mir das Ungeheuer entdekt, und tausend dem, der mir es
liefert!« --

Allein umsonst flogen die Spione der Polizei umher; sie trafen keinen
_Abaellino_. Umsonst paßten jezt alle Müßiggänger, Pflastertreter,
Lungrer und Banqueroteurs auf, um tausend Zechinen zu gewinnen,
Abaellino machte ihren Wiz zu Schanden.

Aber allenthalben wollte man izt den Abaellino gesehn haben, der eine in
der Gestalt eines Greises, der andre in der eines Knaben, der dritte in
einem Weiberrok, der vierte in der Mönchskutte; es hatte ihn jeder
gesehn und keiner.




                           Viertes Kapitel.
                            Das Veilchen.


Ich erzählte den Lesern im Anfang des vorigen Kapitels, daß _Flodoard_
so traurig und Rosamunde so düster geworden wären, aber das _warum?_ hab
ich ihnen noch nicht entdekt.

_Flodoard_, der sonst so heiter und die Seele der Gesellschaften gewesen
war, fing seit einem _gewissen Tage_ an, ernster zu werden, und von eben
dem Tage an verlor auch die fröhliche Rosamunde ihren Humor.

An diesem Tage nämlich führte die Hand des launenhaften Ohngefährs, oder
die Göttin Liebe, die nun zuweilen auch ihre Grillen hat, Rosamunden in
ihren Oheimes Garten, der nur den Vertrauten des Dogen offen stand, und
in welchem er selber in stiller Einsamkeit oft am Abend eines schwülen
Tages ausruhte.

_Rosamunde_ gieng hier die breiten, sandigen Wege auf und nieder, tief
in Betrachtungen verloren. Sie rupfte die unschuldigen Blätter von den
Hekken ab, und streute sie gedankenlos vor sich hin; blieb zuweilen
plözlich stehn, gieng dann wieder einige Schritte vor, blieb wieder
stehn, sah bald den blauen Himmel, bald die Erde an: zuweilen schwoll
ihr schöner Busen stürmisch empor, zuweilen flog ein halbunterdrükter
Seufzer über ihre kleinen Lippen. --

»Aber er ist doch schön!« sprach sie leise, und starrte schmachtend vor
sich hin, als sähe ihr Auge ein Etwas, das gewöhnlichen Blikken
verschleiert ist.

»Doch _Iduella_ hat auch Recht!« fuhr sie dann wieder fort, und sah böse
aus, als wenn Iduella Unrecht gehabt hätte.

Diese _Iduella_ war ihre Gouvernantin Freundin und Vertraute, eine der
würdigsten Damen ihres Geschlechts. Rosamunde hatte nämlich ihre Eltern
früh verloren. Die Mutter starb, da Rosamunde kaum den Mutternamen
lallen konnte, und ihr Vater _Guiscardo_ von _Korfu_, Kommandeur eines
venetianischen Schiffes, war vor acht Jahren mit seinem Schiffe in einem
Seetreffen wider die Türken untergegangen, da er noch ein Mann in den
besten Jahren war. _Iduella_ wurde nun die Erzieherin und Mutter
Rosamundens, und nun Freundin und Vertraute ihrer kleinen Geheimnisse.

Indem nun Rosamunde noch mit sich selber plauderte, trat die ehrwürdige
_Iduella_ aus einem Seitengang hervor.

Rosamunde. (bestürzt) Bist du auch hier?

Iduella. (sanftlächelnd) Nun ja, du nennst mich ja gewöhnlich deinen
Schuzgeist, und Schuzgeister müssen nie von ihren Lieblingen fern sein.

Rosamunde. Höre, Iduella, ich habe deine Reden überdacht, und gefunden,
daß sie zwar richtig und sehr weise gesprochen sind, allein -- --

Iduella. Was deine Vernunft bejaht, verneint dein Herz?

Rosamunde. Gewis.

Iduella. Ich tadle dich auch gar nicht, liebes Kind, sondern ich habe
dir ja selber gestanden, daß, wär ich in deinem Alter, und ein Flodoard
erschiene, und bettelte oder bettelte nicht um meine Gunst, ich ihm
gewis nicht böse sein würde. -- Flodoard bleibt unstreitig ein
angenehmer, und, für jedes Mädchen von Geschmak, sehr gefährlicher
junger Mann. Er hat viel Einnehmendes in seiner Gestalt, viel Reiz in
seinem Umgang, viel schöne Züge in seinem Karakter -- -- aber er ist ein
armer Edelmann, dem der Doge von Venedig unmöglich seine Nichte zur
Gemahlin geben kann und wird.

Rosamunde. (lächelnd) Ei, wer spricht denn von Gemahlin werden? ich will
ihm ja nur -- -- nur gut sein.

Iduella. So? also, würdest du zufrieden sein, wenn Flodoard sich mit
einer andern Venetianerin -- -- --

Rosamunde. (schnell) O das thut er gewiß nicht.

Iduella. (lächelnd) Liebes Kind, du willst dich so gern selbst betrügen.
Aber thu es nicht. Ein Mädchen, welches liebt, verknüpft mit den
Gedanken an ihre Liebe zugleich den Wunsch einer ewigen Verbindung. Und
den Wunsch darfst du hier gar nicht hegen, ohne deinen Oheim zu
beleidigen, der, er mag der beste Mann von der Welt sein, doch dem
eisernen Gesez der Politik und Etikette gehorchen muß.

Rosamunde. Ja, ja, ich weis das sehr gut. Sieh nur, ich will ihn auch
nicht lieben, sondern, ich will nur seine _Freundin_ sein. Und er
verdiente gewiß, daß ich ihm gut bin; ach, glaube nur Flodoard verdient
noch weit mehr.

Iduella. Und Freundschaft und Liebe, -- o, Rosamunde, du kennst diese
Gäste nicht. Freundschaft und Liebe vertauschen oft ihre Masken unter
einander. Die Liebe hängt oft den Mantel der Freundschaft um, wenn man
sie in ihrer eigenthümlichen Gestalt nicht dulden will. -- Mit einem
Worte, liebes Kind, denk an deinen Oheim, denke daran wieviel du ihm
schuldig bist, und opfre ihm eine Grille deines Herzens auf.

Rosamunde. Ja, ich glaube beinah selber, daß nur eine vorübergehende
Laune bei mir ist. Ich will den Flodoard nicht mehr lieben. Du kannst
dich darauf verlassen. -- Ich bin ihm jezt gar nicht mehr gut, wenn ich
daran denke, daß er mich von meinem lieben Oheim abwendig machen will.

Iduella. (lächelnd) Solltest du so viele Gewalt über deine rebellischen
Empfindungen haben?

Rosamunde. Gewiß. Es wird sich zeigen. Ich bin ihm gar nicht mehr gut,
dem Verführer.

Iduella. (mit einem scharfen Blik auf sie) _Gar nicht mehr gut?_

Rosamunde. (seitwärts blikkend) I nun ja, wohl noch _etwas_; denn hassen
kann ich doch den armen Flodoard nicht; das hat er nicht verschuldet.

Iduella. Nun, wir sprechen uns wieder. Vergiß deinen schnellen Vorsatz
nicht so rasch, als er dir auflog. Ich will einen Besuch ablegen; die
Gondel erwartet mich.

Iduella verlor sich in den Gängen des Gartens und Rosamunde schlich
langsam umher und träumte und dachte, wünschte und verdammte, sehnte
sich wonach und wollte sich nicht das Ziel ihrer Sehnsucht gestehn.

Es war ein heißer Sommernachmittag, und Rosamunde sah sich um nach einem
schattigten Pläzchen. Sie suchte die Fontaine auf, neben welcher eine
kleine Rasenbank angelegt war, worüber die zauberischen Hände der Kunst
und Natur ein Nez von Jasmin und Epheu gewebt hatten. Dieß Pläzchen
suchte sie auf; sie kam zur Fontaine, drehte sich um die Hekken und --
ach! erröthend flog sie zurük, denn _Flodoard_ sas auf dem Rasenbänkchen
unter dem Jasmin- und Epheunez neben der Fontaine und las in einem
Bündel Schriften.

Rosamunde wußte nicht ob sie fliehn, oder stehn bleiben müsse. --
_Flodoard_ sprang auf, so bestürzt er auch war, und rettete sie aus der
Verlegenheit, indem er ihr die Hand küßte.

Jezt, wenn sie nicht wider allen guten Ton sündigen wollte, _mußte_ sie
stehn bleiben.

Flodoard behielt ihre Hand in der seinen -- was konnte sie davor, daß er
auf den sehr natürlichen Einfall kam? die Hand zurükzuziehn? -- je nun,
er that ja der Hand nichts zu leide, und schien in ihrem Besiz so
glüklich zu sein -- und wie konnte Rosamunde die namenlose Grausamkeit
begehn, und jemanden ein Glük rauben, das ihrem Glükke nicht
widersprach?

»Fräulein, sagte Flodoard, um doch etwas zu sagen; der schöne Nachmittag
ists werth, daß man ihn im Freien verlebt!«

»»Aber ich störe Euch im Studieren, Herr Graf.««

»Wird man gestört in seiner Pflicht, wenn sich uns eine angenehmre
aufdringet?«

Nun war das Gespräch zu Ende. Sie sahn sich beide an, schlugen beide die
Augen nieder, sahn beide umher nach Luft, Beeten, Himmel, Bäumen und
Blumen, suchten Stoff für ein Gespräch und je ämsiger sie suchten, je
weniger fanden sie, und in der peinlichsten Verlegenheit verflogen zwei
kostbare Minuten.

»Ach ein niedliches Veilchen!« rief plözlich Rosamunde, um doch etwas
vorzunehmen, und sprang hin, bükte sich und pflükte das Blümchen,
welches sie gewiß zu jeher andern Zeit nicht gepflükt haben würde.

»»Eine schöne Blume!«« sagte _Flodoard_ und ärgerte sich über diese
leeren Worte.

»Eine herrliche Farbe!« fuhr _Rosamunde_ fort: »_Violet_, roth und blau
so schön unter einander gemischt, wie kein Maler die Farben mischen
kann.«

»»Und ein bedeutungsvolles Blümchen! sezte er hinzu: _Roth_ die Farbe
der Freude, _Blau_ die Farbe der Freundschaft und -- -- ach, wie
glüklich wäre der Mann, Rosamunde, dem ihr die Blume gäbet! --
Freundschaft und Seeligkeit hängen unauflöslich aneinander, Freundschaft
und Seeligkeit sind inniger vermischt, als dieß Roth und Blau des
bedeutungsvollen Veilchens!««

»Was ihr nicht über eine simple Blume schönes zu sagen wißt!«

»»Aber, wem wird einstens Rosamunde _das_ geben, was diese Blume
bezeichnet? -- doch, eine alberne Frage -- ich weis auch gar nicht, wie
ich heut beschaffen bin -- verzeiht mir den lächerlichen Vorwiz,
Fräulein!««

Er war still. Rosamunde war still; Stille herrschte am Himmel und auf
Erden, aber nicht im Herzen der Liebenden.

Aber wenn sie auch ihrer Zunge gebieten konnten, daß sie nicht Verräther
der geheimen Leidenschaft wurde, wenn gleich die Lippen Rosamundens
nicht gestanden: du bist es, Flodoard, dem dies Veilchen von mir gegeben
werden soll; wenn gleich Flodoards Mund nicht fragte: Rosamunde, gieb
mir die Blume und das was sie bedeutet! o so schwiegen doch ihre Augen
nicht. Diese treulosen Dollmetscher heimlicher Gefühle bekannten hier
mehr, als das Herz sich selber eingestand. --

Flodoard und Rosamunde standen in süsse Quaalen versunken vor einander
da; ihre Blikke ruhten auf einander und wurden die Herolde der
wachsenden Empfindung. Mit einem namenlosen schwärmerischen Lächeln
starrte die unschuldige Rosamunde den auserkornen Liebling an; und
schüchtern zweifelnd studierte der schöne Jüngling dieß Lächeln
Rosamundens. Und er verstand es; und das Herz pochte lauter, und rascher
flog sein Odem.

Rosamunde bebte; ihr Busen erhob sich ungestümmer; sie wurd es gewahr
und ein liebliches Roth der Schaamhaftigkeit strömte über ihr Angesicht
hinab.

Ach, eine Ewigkeit so dazustehn, sich spiegeln zu können im liebenden
Auge des Geliebten, hören zu können die leisen Seufzer der Sehnsucht,
berechnen zu können am Aufwallen und Sinken des Busens, die Ebbe und
Flut der Empfindungen -- dieß ist der erste Himmel, zu welchem die Liebe
führt.

»Rosamunde!« seufzte Flodoard unwillkührlich, und unwillkührlich
lispelte sie: »Flodoard!«

»Gieb mir das Veilchen, o mir!« stammelte er, und zitterte nicht vor
seiner kühnen Foderung.

Rosamunde hielt die Blume fest.

»Fodre, fodre dafür eine Königskrone, ich will sie dir stehlen.
Rosamunde, mir die Blume!«

Sie sah den Bittenden an und schwieg.

»Mein Glük, meine Ruhe, mein Leben hängt an dieser Blume. So wahr ein
Gott lebt, ich thue dann Verzicht auf alles, was die Erde Schönes
trägt!«

Die Blume schwankte in ihrer schönen Hand.

»Du erhörst mich, Rosamunde? Ich bettle nicht umsonst?«

Bei dem Wort _betteln_ fiel ihr Iduella ein. Wo bleibt dein Versprechen,
dein Vorsaz? sagte sie zu sich selber: flieh, flieh! du wirst dir und
Iduellen und deinem Oheim treulos.

Und sie zerriß die Blume.

»Ich verstehe euch, Flodoard, sagte sie: aber gebt eure Pläne auf -- und
so wie jezt laßt uns nimmer in diesem Leben wieder beisammen stehn.«

Sie sprachs, drehte sich um und lies den armen Flodoard angedonnert
stehn.




                           Fünftes Kapitel.
                              Abaellino.


Kaum war sie auf ihrem Zimmer, o so beweinte sie auch schon ihre
Heldenthat. -- Es that ihr wehe, ihn so beleidigt zu haben. Sie dachte
sich den armen Jüngling, wie er nun nach ihrer Flucht dagestanden habe,
niedergeschlagen, hoffnungslos mit nassen Augen. Sie sah ihn im Geiste
sich härmen, und trostlos jammern; sah ihn, wie er nun freudenlos
umherschlich, die Mörderin seiner Seelenruhe verdammte, dem Grabe
entgegen hoffte und sich demselben mit jeder Thräne, die er ihrentwillen
verweinte, näherte; sie hörte schon im Geiste die Nachricht: Flodoard
ist gestorben! sah nun schon das Volk um seine Gruft versammelt weinen,
um ihn, den das halbe Venedig anbetete, und die ganze Stadt und seine
Feinde selbst bewunderten.

»Nein, nein!« rief sie: »das war eine erbärmliche Heldenthat! nein,
Flodoard, ich habe es nicht so gemeint, als ich sprach, ich liebe dich
doch, ich will dich lieben, und wenn auch Iduella zürnt, und mein Oheim
mich hasset!«

Einige Tage nachher erfuhr sie, daß Flodoard allen seinen Bekannten sehr
verwandelt erscheine, daß er melancholisch umherirre und sich in den
Zirkeln der Freude nur selten hineinmische.

Dies war ihrem weichen Herzen eine schrekliche Post. -- Sie floh in die
Einsamkeit ihres Gemachs, weinte sich satt, und büßte mit tausend
Thränen der Reue ihr Verbrechen.

Niemand kannte ihrer Schwermuth Quelle niemand ihrer Krankheit Ursprung.
Darf es uns noch wundern, wenn Rosamunde zulezt die ängstlichen Sorgen
den alten Oheims wekte, und jeder um ihr Leben zitterte. Darf es uns
noch wundern, wenn Flodoard sich mit seinem Seelengram den Augen der
Welt entzog und vergebens den harten Kampf mit einer Leidenschaft
begann, welche schon jede andre Empfindung in ihre Wirbel verschlungen
hatte?

Doch wir verlassen Rosamundens Krankenbett auf einige Augenblikke und
besuchen zur Abwechslung die Wohnung der Rebellen, die in ihren Planen
immer weiter rükten, immer zahlreicher, immer mächtiger und für den
alten Andreas Gritti und sein Venedig fürchterlicher wurden.

_Parozzi_, _Memmo_, _Contarino_, _Falieri_ die Häupter der werdenden
Verschwörung versammelten sich jezt öfter im Pallast des Kardinal
_Grimaldi_, wo sie ihre Entwürfe zur Staatsveränderung Venedigs
gemeinsam spannen. -- Jeder handelte hier angetrieben von seinem
Privatintresse; der eine um seiner ungeheuer angelaufnen Schulden mit
einemmale quitt zu werden, der andre um seinem Ehrgeiz ein Opfer zu
bringen, der dritte um Rache zu üben für gewisse längst vergährte
Kränkungen, der vierte um seine Rechte ausgebreiteter zu machen u. s. f.

Diese schreklichen Menschen, welche nichts geringers als entweder
Venedigs Umsturz, oder Erfüllung ihrer überspannten Foderungen
verlangten, hatten um so mehr zur Ausführung ihrer Schwindeleien Muth,
da der größte Theil des venetianischen Pöbels, der über die neuen
Auflagen und Steuern klagte, sich an sie schlos.

Reich genug an Menschen, reich genug an Geldern, um die fürchterlichen
Projekte zu realisiren, reich genug an kühnen, verwegnen, schlauen
Männern, die fähig genug waren Revoluzionen anzuzetteln und
durchzuführen, sahn sie schon stolz herab auf den guten Doge Andreas
Gritti, der von diesem höllischen Komplot nichts beahndete.

Allein ein fürchterlicher Schall wars ihren Ohren, als man die arme
Sünderglokke läutete und die gefangnen Banditen zum Richtplaz führte,
auf welche sie einen großen Theil ihrer Hofnungen gesezt hatten. Desto
froher aber machte sie der Stolz des verwegnen Banditen _Abaellino_, der
öffentlich aufzuschlagen sich erkühnte, er lebe noch in Venedig, und man
solle nicht verzagen.

Der Tollkopf ist ein Mann für uns, riefen alle entzükt, und jezt lag
alles daran den verwegnen Menschen in ihre Verschwörung zu verzetteln.

Es gelang ihnen wirklich. Abaellino fand sich zuweilen bei ihnen ein,
aber er war in seinen Foderungen eben so vermessen, als in seinen
Versprechungen.

Alle verlangten zuerst den Tod des Prokurator Sylvio, ein Mann, der zu
den wärmsten Freunden des Dogen gehörte, ein Mann, vor dessen Falkenblik
sich ihr lichtscheues Gewissen fürchtete, und der den Kardinal Grimaldi
bei dem Dogen verdrängt hatte.

Aber _Abaellino_ verlangte für das Leben dieses einzigen ungeheure
Goldsummen.

»Ich versprech' es euch, sagte er, als ein ehrlicher Kerl, daß wenn ihr
mir mein Geld gebt, der Prokurator Sylvio in der andern Stunde die Augen
auf immer schließt. Er hänge am Himmel, oder verkerkere sich in der
Hölle, ich finde ihn, und treffe ihn.«

Was sollte man thun. Handeln ließ sich Abaellino nicht; der Kardinal
wollte so gern seinem Ziele näher rükken, über Sylvios Grab aber führte
sein Weg.

_Abaellino_ empfieng das Geld, und am andern Morgen fehlte der
verehrungswürdige Sylvio, der Liebling den, braven Gritti, der Stolz
Venedigs in der Gesellschaft der Lebendigen.

»Ein fürchterlicher Kerl, der Abaellino!« riefen die Verschwornen, und
feierten triumphirend an der Tafel des Kardinals das Todesfest des
Prokurators.

Der Doge war bestürzt und lange ausser sich vor Schrek. Er sezte eine
große Prämie darauf, wer denjenigen entdekken würde, der den Freund des
Dogen aus der Welt geschafft hätte. -- --

Es wurde dieser Wille des Dogen an allen Straßenekken ausgerufen, in der
ganzen Republik bekannt gemacht, und einige Morgen nachher fand man
folgenden Zettel angeschlagen an die Hauptpforte der venetianischen
Signoria:

   Venetianer!

   Bemüht euch nicht den Preis zu verdienen, der auf meine
   Entdekkung gesezt ist. Ich selber bekenne hiemit: _Abaellino_ war
   _Sylvios Mörder, und wer ihn hascht, den will er königlich
   belohnen._

                                                            Abaellino.




                          Sechstes Kapitel.
                           Die Entdekkung.


Ich darfs gewiß meinen Lesern nicht erst erzälen, daß Venedig ob dieser
Frechheit ausser sich war. Nie hatte noch ein Mensch so etwas gewagt,
nie einer so voll stolzen Uibermuthes der berühmten Polizei Venedigs und
der Gewalt des Dogen gespottet. Alles gerieth in Bewegung, die
Patrouillen wurden verdoppelt, die Wachen verstärkt, die Sbirren
umhergesandt, und niemand sah und hörte und spürte etwas von dem
Abaellino.

Die Pfaffen predigten von dem stolzen Verbrecher, und riefen die
schlummernde Rache Gottes auf, solchen Greuel zu rügen. Die Damen
zitterten vor dem Namen Abaellino's, denn wer konnte ihnen dafür stehn,
daß er sie nicht, wie ehmals Rosamunden, zu seiner Braut einweihte. Die
alten Mütterchen behaupteten fest, Abaellino hab sich dem Teufel
verkauft und mit dessen Beistand spotte er der gerechten Wuth aller
frommen Venetianer. Kardinal Grimaldi, Parozzi und seine Gesellen waren
stolz auf diesen furchtbaren Bundesgenossen, und pochten jezt schon
lauter und sahen eine Zukunft voller Triumphe. Die verwaiste Familie des
ermordeten Sylvio rief Fluch herab auf den Mörder, und jede Thräne,
welche sie verweinte, wünschten sie in ein Schwefelmeer verwandeln zu
können, worinn sie den Abaellino hinabstürzen könnten. Der Doge und
seine Getreuen betrauerten lange ihren verlornen Freund und schwuren
nicht eher zu rasten, bis sie den heillosen Verbrecher ertappt, und
schreklich bestraft haben würden.

»Aber bei alle dem, sagte _Andreas Gritti_: bei alle dem muß ich dennoch
gestehn, der Abaellino ist ein seltner Mensch, der, wenn er vielleicht
an der Spizze eines Heers stände, die halbe Welt erobern würde. Ich
möchte wenigstens den Mann nur einmal sehen!

Ich will deinen Wunsch erfüllen! sagte eines Abends, da _Gritti_ allein
in dem Garten seiner Familie auf und niederwandelte, ein unbekannter
Mensch zu ihm: Ich will deinen Wunsch erfüllen. Sieh hier den
_Abaellino_, den Freund des erschlagnen Sylvio und deinen und der
Republik allgetreusten Diener! --«

_Gritti_ sah auf und bebte zurük. Eine, halb in ihren Mantel vermummte
Gestalt, mit dem scheuslichsten Angesicht von der Welt, stand vor ihm
und röchelte ihm diese Worte zu. Er, der in den Feld- und Seeschlachten
nie gezittert, und von keiner Gefahr aus seiner Gleichmüthigkeit gestört
war, er, der tapfre Doge verlor in diesem Augenblik auf einige Minuten
seine Geistesgegenwart. Sprachlos starrte er den Banditen an, der
furchtlos vor ihm da stand, und nicht von der Majestät des Ersten in
Venedig gerührt wurde.

_Abaellino_ grinste ihn freundlich an.

»Du bist ein fürchterlicher -- ein abscheulicher Mensch!« sprach
_Gritti_ indem er sich wieder sammelte.

»_Fürchterlich?_« entgegnete der Bandit: »das freut mich! --
_Abscheulich?_ das möcht ich nicht sagen. Freilich mein Aushängeschild
zeugt von einem abscheulichen Handwerke, aber Doge, was meinst du?
vielleicht sind wir beide die größten Männer Venedigs, du in deiner, ich
in meiner Art!«

Der Doge lächelte unwillig.

»O!« fuhr _Abaellino_ fort: »lächle nicht so ungläubig. Erlaub es
immerhin, daß ich mich, als Bandit, mit einem Dogen vergleiche; ich
denke immer, man darf sich mit _dem_ vergleichen, mit wem man sich
messen darf! --«

Der Doge machte eine Bewegung ihn zu verlassen.

»Nicht doch!« rief der Bandit schmunzelnd: »das Ohngefähr führt solch
ein Paar großer Männer nicht sobald wieder auf diesen kleinen Landstrich
zusammen. Bleib doch!«

»Höre Abaellino,« redete ihn der Doge an, mit aller Hoheit, die in
seiner Gewalt stand: »Du hast große Talente vom Himmel empfangen, warum
wucherst du mit denselben nicht besser. -- Ich verkündige dir völlige
Verzeihung und Amnestie über alles das, was geschehen ist, unter der
Bedingung, daß du mir den nennst, der dich zu Syivios Mörder gedungen,
und daß du das Gebiet der Republik verlassest. --«

»Hi, hi!« entgegnete Abaellino: »Über die Grillen bin ich längst
hinweggesprungen. Menschen können für meine Sünden keinen Ablaß
ertheilen, und an jenem Tage, wenn alle Menschen ihren Schuldbrief
vorzeigen, werd' ich auch den meinigen aufzeigen können. Den Namen
dessen, der mich zu Sylvios Mord bezahlte, wirst du, aber nur heute
nicht erfahren. Ich soll das Gebiet der Republik räumen? -- warum? aus
Furcht vor dir? hi, hi! aus Furcht vor der Republik? -- ha, die fürchtet
den Abaellino, aber Abaellino sie nicht! Doch unter einer Bedingung
könnt' ichs vielleicht thun -- --«

»Und die wäre?« fragte der _Doge_: »willst du zehntausend Goldstükke?
--«

»Ich gäbe dir selber gern zehntausend Goldstükke, wenn du deine
häßlichen Worte ungesagt machen könntest. -- Nein, gieb mir deine Nichte
_Rosamunde_, die, Tochter des _Guiscardo_ von _Korfu_ zur Gemahlin!«

»Unmensch!«

»Hi, hi! Geduld! -- Du willst nicht? --«

»Fodre Geld und Gut, ich gäbe dirs. Und wenn die Republik eine Million
an dich verlöre, sie gewönne dabei, wenn du ihre Luft nicht mehr
verpesten wolltest!«

»Wahrhaftig? -- sieh eine halbe Million beinah hab ich schon wieder
bekommen für das Leben deiner treusten Freunde, für Kanaris und Dandolis
Kopf! gieb mir Rosamunden, oder -- --«

»Schurke!«

»In vier und zwanzig Stunden sind Kanari und Dandoli zum Teufel! sag,
Abaellino hats gesagt!«

Bei diesen Worten zog der Bandit ein Terzerol hervor, schos es in die
Luft ab -- der _Herzog_ prallte zurük, und als er sich umsah, war
_Abaellino_ verschwunden.

An eben demselben Abend, oder vielmehr in der Mitternachtsstunde stand
Abaellino im Pallaste des Kardinal _Grimaldi_ unter den Verschwornen.
_Parozzi_, _Memmo_, _Falieri_, _Kontarino_, welche wir schon kennen und
andre ihres saubern Gelichters waren gegenwärtig.

Man sas eben bei Tische und schwenkte die vollen Pokale. _Grimaldi_
erzählte, wie er sich beim Dogen eingeschmeichelt und den Parozzi, Memmo
Kontarino und Falieri empfohlen hätte; _Kontarino_ prahlte mit der
erledigten Procuratorstelle, wie sie ihm gewiß nicht entgehn würde,
_Parozzi_ zweifelte gar nicht an Dandolis oder Kanaris Stelle beim
Herzog Plaz nehmen zu können, wenn sie nur erst hingerichtet sein würden
und -- in dem Augenblik stand _Abaellino_ vor ihnen.

»Na, rief er: Wein her! das Werk war vollbracht! Dandoli und Kanari
sizzen jezt beim Teufel zum Nachtmahl! --«

Alle sprangen erstaunt auf.

»Und den Dogen hab ich persönlich Wahrheiten gesagt. Seid ihr nun
zufrieden mit mir, ihr Bluthunde?«

»Flodoarden noch!« schrie jauchzend _Parozzi_, und _Abaellino_ rief:
Brr! Brr!




                            Drittes Buch.




                           Erstes Kapitel.
                       Flodoard und Rosamunde.


_Rosamunde_, Venedigs Liebling, war krank: _Iduella_ seufzte sich müde
am Lager der schönen Elwin und seufzte sich wach daran. _Rosamunde_ war
krank, ein stiller Seelenharm nagte an der Blüte ihrer Reize, -- ach,
sie liebte den edeln _Flodoard_; aber wer hätte Flodoarden auch _hassen_
können. -- Sein Heldenwuchs, sein schönes Angesicht, sein
schwärmerischer Blik, sein ganzes Wesen predigte laut: seht hier den
Favoriten der Natur -- und Rosamunde? -- Rosamunde liebte die Natur so
sehr!

Aber _Flodoard_ war auch kränklich. Er schlos sich oft ein: vermied alle
Gesellschaften, oder reiste zur Erheiterung seines Geistes durch die
Städte der Republik. Oft war er Wochenlang abwesend, und wenn er dann
wieder kam, o, wie sehnsuchtsvoll erwartete ihn dann jeder
Familiencirkel, in welchen er eingeweiht war!

Jezt war er drei Wochen von Venedig abwesend gewesen. Niemand wußte von
ihm, in welchen Gegenden er umherschwärmte. Der Doge hätte ihn so gern
jezt gehabt, um sich nach so vielen Fatalitäten etwas in seiner
Gesellschaft zu zerstreuen, und -- wie gerufen -- erschien er nun.

»Lieber Flodoard!« seufzte der _Doge_, als _Flodoard_ zu ihm in das
Zimmer trat: »ihr müßt euch nicht nicht so lange von uns entfernen. Ich
bin jezt ein verwaister Mann. Ihr wißt doch schon, daß mein Kanari, mein
Dandoli --« -- --

»Alles« entgegnete _Flodoard_ mit verbißnem Schmerz.

»Es schleicht der Teufel durch Venedig, unter dem Namen _Abaellino's_,
und raubt mir alles, was mir theuer ist. Flodoard, ich zitterte auch
schon für euch. -- Wir haben vieles, vieles mit einander zu reden, aber
jezt gebricht mir die Zeit. Es hat sich ein Fremder melden lassen; ich
muß ihn empfangen. Aber --« --

In diesem Augenblik schwankte _Rosamunde_ aus einem Nebenzimmer herein.
Sie sah Flodoarden und bebte seitwärts. Flodoard schlug die Augen nieder
und begrüßte bebend die holde Nichte des bekümmerten Dogen.

»In einer halben Stunde werd' ich euch rufen lassen;« fuhr der Herzog
fort; »unterhaltet meine kranke Nichte.«

Der ehrwürdige _Gritti_ verlies den bestürzten Jüngling. _Rosamunde_
trat an ein Fenster. Flodoard schlich ihr langsam nach.

Verlegen standen sie beide da -- sahen bald hinaus auf den St.
Markusplaz, bald nach den herrlichen Gemälden des herzoglichen Zimmers,
bald auf ihre Fingerspizzen.

»Ihr zürnet noch?« stammelte endlich Flodoard, und dachte an die fatale
Gartenscene.

»Ich zürne nicht,« antwortete Rosamunde, und ein schönes Roth flog über
die blassen Wangen.

Flodoard. (mit festerer Stimme) Und ihr habt mir meine Sünde ganz
vergeben?

Rosamunde. (vor sich nieder lächelnd) _Sünde?_ -- nun ja, ganz vergeben.
-- Ein Sterbender muß ja gern verzeihn, damit Gott in seinem Gericht
auch gern verzeihe. Und ich bin eine Sterbende -- ich fühl es.

Flodoard. Sennora!

Rosamunde. Zweifelt nicht. Seit gestern hab ich zwar das Krankenlager
verlassen, aber, es ahndet' mir, ich werd' es bald wieder aufsuchen, um
es nie wieder zu verlassen. Und darum -- darum bitt ich auch von euch
Verzeihung, wenn ich euch gekränkt haben sollte.

Flodoard. (schweigt)

Rosamunde. Ihr scheinet sehr rachsüchtig, sehr unversöhnlich zu sein.

Flodoard. (lächelt sie wehmüthig an)

Rosamunde. (ihm die Hand reichend) Nun, Signor, alles vergessen?

Flodoard. Nein, nein! das kann ich nicht. Ich kann nichts vergessen, was
ich mit euch gelebt habe. Ich will nichts vergessen, die Auftritte sind
mir zu heilig. -- Aber verzeihen? (indem er ihre Hand an seinen Mund
drükt) Ach, wollte Gott, ihr hättet mich recht sehr beleidigt, theure
Sennora, recht sehr beleidigt, dann könnt ich euch auch sehr vieles
verzeihn -- aber jezt kann ich nichts vergeben. (lange Pause)

Rosamunde. Ihr habt wohl viel umhergeschwärmt seit den lezten Wochen.

Flodoard. Viel.

Rosamunde. Und hattet vieles Vergnügen?

Flodoard. (schnell) Warum nicht? man sprach ja allenthalben mit mir von
Rosamunden.

Rosamunde. (mit einem strafenden Blik und sanften Ton) Flodoard?

Flodoard. Und wißt ihr, welchen Plan ich nun habe?

Rosamunde. Wieder fortzureisen?

Flodoard. Getroffen, und zwar um nie wieder nach Venedig heimzukehren.

Rosamunde. (überrascht) Nicht doch, Flodoard! Flodoard, das solltet ihr
können? (vor ihren Worten erröthend. ) Ihr -- ihr scherzt!

Flodoard. So wahr Gott lebt, ich habe nie ernster gesprochen!

Rosamunde. (mit einem intressanten Blik) Nein, Flodoard, ich glaub es
euch in Ewigkeit nicht.

Flodoard. Hab ich schon allen Glauben bei euch verloren?

Rosamunde. Und wohin wollt ihr, wenn ich darum fragen darf?

Flodoard. Nach Maltha, und mit den Malthesern wider die Korsaren. Der
Himmel wirds doch geben, daß ich mich zum Kommandeur eines Schiffs
aufschwinge -- das Schiff führe dann den Namen _Rosamunde_, und das
Schlachtgeschrei sei _Rosamunde_! Ich hin dann gewiß unüberwindlich! --

Rosamunde. Ihr spottet bitter, aber bei Gott, das hat Rosamunde um euch
nicht verdient.

Flodoard. Spott? -- ich euch verspotten? -- wahrhaftig ich spotte nicht,
die Zeitungen mögen über Jahr und Tag mich und diese Stunde
rechtfertigen.

Rosamunde. (ihn anstarrend) Ihr treibt es weit mit euern Wiz.

Flodoard. (lächelnd) Nun ja, und wem verdank' ich diesen Wiz? kurz und
gut, Sennora, ich verlasse Venedig, um euch keine unangenehme
Augenblikke zu schaffen. Vielleicht sehn mich die türkischen Freibeuter
lieber.

Rosamunde. Man sollte auf euch Jagd machen; ihr freibeutert nur zu sehr
und selbst auf festem Lande.

Flodoard. Gott weis es, und bin ein sehr unglüklicher Freibeuter auf
festem Lande, denn ich gerathe da in Gefangenschaft, wo ich zu siegen
träumte.

Rosamunde. (ausweichend) Und ihr könntet den Dogen verlassen, der euch
so sehr schäzt?

Flodoard. Die Liebe des Dogen ist mir theuer. Aber, bei Gott, Rosamunde,
sie macht mich nicht glüklich, und wenn man mir Königreiche zu Füssen
legte, sie machten mich nicht glüklich --

Rosamunde. Bedürft ihr zu euerm Glük soviel?

Flodoard. Viel, unendlich viel! -- ich habe darum gebettelt -- (indem er
sie anstarrt und ihre Hand heftig drükt) ich habe darum gebettelt --
Rosamunde, und man hat mirs abgeschlagen.

Rosamunde. Ihr seid ein Schwärmer!

Flodoard. (sich näher an sie schließend) Rosamunde!

Rosamunde. (zitternd) Was wollt ihr?

Flodoard. (halbleise) Mein Glük!

Rosamunde. (sieht ihn ein Weilchen an, zieht ihn zu sich, stößt ihn
wieder zurük) Geht! geht! um Gotteswillen geht! --

Flodoard. (wandelt langsam und traurig mit untereinander geschlagnen
Atmen durchs Zimmer)

Rosamunde. (schwankt ihm nach, nimmt seine Hand -- sinkt an seine Brust)
Flodoard!




                           Zweites Kapitel.
                   Ein fürchterliches Versprechen.


Heil dem glüklichen _Flodoard_, er hatte überwunden! er hielt das
liebende Mädchen in seinen Armen fest, und glaubte eine Gottheit zu
umarmen. Fest schlang sich Rosamundens Hand um Flodoardens Nakken; er
war der ihrige, dem sie so manche Thräne geweint, so manchen Seufzer
geseufzt, so manchen Traum geträumt hatte.

Dicht in einander verschlungen, standen sie da, eine herrliche Gruppe
für den Pinsel einer Angelika Kaufmann -- und die Engel Gottes schwebten
unsichtbar über die Liebe dieser Heiligen.

Nur einmahl schlägt unter allen tausend Stunden des Lebens dem
Sterblichen eine _solche_ Stunde: Heil dem, der sie noch erwartet, Heil
dem, der sie noch genießet! Man sage immerhin, es ist doch nur
Gaukelspiel der entzükten Einbildungskraft, ein leicht verdunstender
Rausch der Sinnlichkeit -- o, nennt mir unterm Mond eine Seeligkeit,
welcher die Einbildungskraft ihren Zauber nicht leiht! --

Flodoard und Rosamunde vergaßen nun zum erstenmahle, daß sie Menschen
wären. Das Zimmer um ihnen her ward zum Himmel; die Erde der Altar
Gottes, ihre Seufzer, ihre Küsse wurden Lobgesänge dessen, der das
Hochgefühl der Liebe gab!

»Ich bin dir gut!« lispelte Rosamunde und gedachte nicht ihrer Iduella:
»ach, ich bin dir nur zu gut, Flodoard! --«

Der _Jüngling_ antwortete nichts. _Rosamunde_ stammelte ein leises, Ach!
und Lippe glühte an Lippe, Busen stürmte an Busen, Arme hingen gewunden
um Arme.

Und -- plözlich eröffnete sich die Seitenthür.

Der Doge _Andreas Gritti_ trat schon wieder herein. Der erwartete Fremde
war, Kränklichkeiten halber, nicht erschienen. --

_Flodoard_ und _Rosamunde_ hörten den Hereinkommenden nicht.

_Gritti_ stand bestürzt da, er sah der Scene einige Augenblikke zu,
seine Mienen verzogen sich in ein sanftes Lächeln, er drehte sich um und
ging wieder zurük.

Das Geräusch seines Kleides an der hohen Flügelthür erwekte die Trunknen
aus ihrem Wonnetraum. _Rosamunde_ riß sich mit Entsezzen los; _Flodoard_
verlor seine Geistesgegenwart aber keineswegs.

»Gnädigster Herr!« rief er dem Dogen nach -- --

Der _Herzog_ wandte sich um und _Flodoard_ lag zu seinen Füssen.

Gritti sah mit stiller Würde und mit Ernst auf den Knieenden hernieder.

»Ich mag eure Vertheidigung nicht hören!« sagte der Doge mit steigender
Stimme.

»Nein,« entgegnete _Flodoard_, mit festem Tone: »nein, gnädigster Herr,
_ich_ bedarf keiner Vertheidigung, daß ich Rosamunden liebe, wohl muß
sich _der_ vertheidigen, der sie _nicht_ liebte! Ists aber ein
Verbrechen, daß ich Rosamunden anbete, o so mag mich Gott von dieser
Sünde frei sprechen, weil er Rosamunden so schön erschuf.« --

»Ihr scheint auf eure wizzige Apologie vielen Fleiß verwandt zu haben;
aber sie verfehlt ihren Zwek,« versezte _Gritti_.

»Ich sag es noch einmahl, gnädigster Herr!« erwiederte _Flodoard_, und
stand auf: »entschuldigen will ich mich nicht. Aber ich will mehr, ich
bitte bei euch um Rosamunden.«

Gritti stierte den Kühnen mit einem fremden Blik an.

»Freilich, gnädigster Herr, freilich bin ich ein armer Edelmann, und es
scheinet Verwegenheit zu sein, wenn ein solcher um die Nichte des
Venetianischen Doge buhlt. Aber, beim Himmel, ich glaube der große
Gritti wird seine Rosamunde nicht an Männer verschenken, die nur mit
Goldstükken, Grafschaften, und Titeln prahlen, oder sich in den Glanz
ihrer Ahnen verhüllen, wenn sie nicht selber glänzen. -- Ich gesteh es
freilich, noch besizze ich keine Verdienste, die mich eurer Rosamunde
würdig machen könnten, aber ich will sie mir erwerben. -- --«

Der Doge drehte sich unwillig um. _Rosamunde_ flog herbei und schlang
ihren Arm um Grittis gebeugten Nakken. --

»Zürnet nicht!« rief sie und verbarg ihr bethräntes Antliz an dem Busen
ihres Oheims.

»Fodert!« rief _Flodoard_; »was muß ich sein, was soll ich thun, um
Rosamunden zu erhalten von euch. Fodert, es soll mir das Schwerste ein
Kinderspiel werden. Beim Himmel, ich wünschte Venedig läge unter der
gräslichsten Gefahr, oder euer Leben würde von zehntausend Dolchen
bedroht -- dann dürft ich hoffen Rosamunden zu verdienen. Ich rettete
Venedig und schlüge zehntausend Klingen zurük. --«

Gritti lächelte bitter. »Ich habe,« sagte er: »ich habe der Republik
viele Jahre gedient; ich habe Leben und Blut gewagt, ich erwartete
wenigstens zur Belohnung ein sanftes, glükseliges Alter -- aber ich habe
mich betrogen. Meine alten Freunde werden mir durch Banditen geraubt und
-- ihr, Flodoard, ihr nehmt mir nun noch diese einzige, die bisher meine
lezte Freude war. -- -- Höre, Rosamunde, liebst du den Flodoard
wirklich?«

Flodoard zitterte. _Rosamunde_ ergriff des Jünglings Hand und --
schwieg.

Gritti wandte sich aus Rosamundens Arme, und gieng langsam mit tiefem
Ernste im Zimmer auf und nieder. Rosamunde warf sich auf einen
benachbarten Sessel; und weinte. _Flodoard_ beobachtete den Dogen.

So verstrichen einige Minuten. Es herrschte im Zimmer eine feierliche
Stille; _Gritti_ schien mit einem fürchterlichen Entschlusse schwanger
zu gehn. Bekümmert erwarteten die Liebenden den Ausgang der Geschichte.

Plözlich blieb der Doge in der Mitte des Zimmers stehn. »Flodoard!«
sprach er, und Flodoard nahte sich ihm ehrerbietig: »Flodoard, ich habe
den Entschluß gefaßt: Liebt euch meine Rosamunde, wohl, so mag sie es
thun; ich will der Wahl ihren Herzens keine Schranken bauen. Aber
Rosamunde ist mir viel zu theuer, als daß ich sie dem ersten besten
überlassen könnte, der sie fodert. Der Mann, dem ich Rosamunden lasse,
muß Rosamundens werth sein; sie soll eine Belohnung seiner Verdienste
werden. Noch habt ihr euch nur geringe Verdienste um unsern Staat
erworben -- es ist jezt Gelegenheit da, euch ein sehr großes zu
verschaffen. Schafft mir den Mörder Sylvios, Kanaris und Dandoli's --
schafft mir den fürchterlichen Banditenkönig _Abaellino_ tod oder
lebendig! --«

Flodoard trat bei dieser Foderung, an deren Erfüllung sein Wohl und Weh
hieng, erblassend zurük. »Gnädigster Herr -- --« stammelte er.

»Ich weis, fuhr _Andreas Gritti_ fort: ich weis sehr gut, welch eine
Foderung ich wage, wenn ich den _Abaellino_ fodre. Lieber will ich
selber mich durch eine türkische Flotte schlagen und das Admiralschiff
aus ihrer Mitte stehlen, als diesen Abaellino fangen, der mit der Hölle
einen Bund geschlossen zu haben scheint, der allenthalben und nirgends
ist, den viele gesehn haben und den keiner kennt, der den Wiz unserer
Staatsinquisitoren, des Collegiums der zehn Männer und ihrer Spione zu
Schanden macht; vor dem jeder edle Venetianer zitiert, vor dessen Dolch
ich selber auf meinem Throne nicht sicher bin. -- Ich weis es, was ich
fodre, aber, Flodoard, ich weis auch, was ich gebe. Ihr seid verlegen?
-- Ihr schweiget? -- Flodoard, ich habe euch lange genug beobachtet, ich
habe in euch Spuren eines wahrhaft großen Geistes entdekt -- darum wag
ich die Foderung, ists einer vermögend, den Abaellino zu fassen, so
glaub ich seid ihrs. -- Nun?«

Flodoard gieng schweigend vor sich umher; ein fürchterliches Wagestük
wars, das er unternehmen sollte, wehe, wenn Abaellino sein Vorhaben
erfuhr! aber _Rosamunde_ war der _Preis_! Er warf einen Blik auf das
Mädchen, und sein Plan war entworfen, alles zu wagen.

Er gieng zum Dogen.

Gritti. (sanft) Nun, Flodoard?

Flodoard. (mit großem Nachdruk) Erhalt' ich warlich dann Rosamunden,
wann ich euch den Abaellino überliefre? --

Gritti. Nicht eher.

Rosamunde. Flodoard! Flodoard! das Spiel endet sich schreklich -- hüte
dich selber vor Abaellinos Dolch!

Flodoard. (indem er mit den Zähnen knirscht) Still! -- (gefaßt)
Gnädigster Herr, gebt mit eure Herzogliche Hand darauf.

Gritti. Ich schwör es euch, Flodoard, schafft ihr mir den schreklichen
Feind der Republik lebendig oder tod, so geb ich euch Rosamunden mit
fürstlicher Aussteuer zur Gemahlin!

Flodoard. (hält schweigend die Hand hin)

Gritti. Hier empfangt meine Herzogliche Rechte.

Flodoard ging in Gedanken verloren durch das Zimmer. Im Thurme der St.
Markuskirche schlug es fünf Uhr.

»Der Abend übereilt uns!« tief _Flodoard_ »wohlan so sei's; in _vier und
zwanzig Stunden_ überliefr' ich euch den fürchterlichen Banditen
Abaellino.«

Gritti. (betroffen) Junger Mensch, versprecht weniger und leistet mehr.

Flodoard. (ernst und fest) Es gehe wie es gehe, ich halte entweder mein
Wort, oder trete nimmermehr wieder über die Schwelle eures Pallastes.
Ich habe Spuren und sichre Merkmahle von dem Bösewicht -- entweder spiel
ich morgen um diese Zeit ein Lustspiel, oder es werde in Gottesnamen ein
Trauerspiel!

Gritti. Uebereilung ist gefährlich.

Flodoard. (mit Stolz) Ueber die Jahre der Uebereilung denk ich in meinem
Leben hinweggesprungen zu sein. --

Rosamunde. (seine Hand fassend) Flodoard, Flodoard besinnet euch. Mein
Oheim liebt euch, -- nehmet euch vor Abaellinos Dolch in Acht!

Flodoard. Eben deswegen muß alles in vier und zwanzig Stunden, oder nie
gethan werden. Wohlan, gnädigster Herr, ich will beweisen, daß die Liebe
alles wagen kann -- --

Gritti. _Wagen_ freilich, aber ob _erringen_?

Flodoard. (dem man eine wachsende Verlegenheit ansieht) Macht mich nicht
kleinmüthig, gnädigster Herr, seht, ich will euch bessern Muth geben.
Habet die Gnade morgen Nachmittag in diesem Zimmer große Gesellschaft
zusammenzubitten, Damen und Herrn, denn gewinn' ich morgen den Sieg, so
erleb ich ein großes Fest. Ladet vorzüglich die Beisizzer des
ehrwürdigen Gerichts der zehn Männer ein, damit sie doch den Abaellino
von Angesicht zu Angesicht kennen lernen, mit dem sie so lange vergebens
im Kriege lebten.

Gritti. (sieht ihn lange bedenklich an, endlich:) Sie sollen erscheinen.

Flodoard. Und ihr habt ja wohl, wenn ich nicht irre, einige neue Freunde
an dem Kardinal Grimaldi, dem Nobile Kontarino, Memmo, Falieri und
Parozzi erhalten. Sie sind auch meine Freunde vor kurzer Zeit geworden;
ich wünschte sie wären morgen gegenwärtig.

Gritti. Sie sollen gegenwärtig sein.

Flodoard. Aber noch eins. Sagt niemanden früher die Ursach der
Zusammenkunft, ehe sie nicht alle angekommen sind. Dann stellt rings um
eueren Pallast Wache mit geladnen Gewehren und selbst vor den Thüren
dieses Zimmers, mit dem strengen Befehl, jeden herein, niemanden, bei
Todesstrafe, heraus zu lassen. Denn vor Abaellino ist niemand sicher.

Gritti. Es wird geschehn.

Flodoard. Morgen mit dem Glokkenschlage fünf, oder nie, sehn wir uns
wieder!

Flodoard empfahl sich schnell. _Rosamunde_ bebte am Arme des Herzogs und
_Gritti_ schüttelte den Kopf.




                           Drittes Kapitel.
                     Die nächtliche Verschwörung.


»Juchheisa!« rief in der Mitternachtsstunde _Parozzi_ im Zimmer des
Kardinals _Grimaldi_, wo das ganze höllische Complot wieder beisammen
war: die Sachen gehn treflich. Flodoard ist heut angekommen und
Abaellino schon richtig bezahlt!

Grimaldi. Der Flodoard ist ein Schlaukopf, ich wünschte lieber, er
bliebe am Leben und schlüge sich zu unsrer Parthei. Ich sage euch,
Flodoard ist ein Schlaukopf!

Parozzi. Wie die Vagabonden immer sind.

Memmo. Und stolz ist er, stolz, als wär er Venedigs Herrgott.

Falieri. Rosamunde, wie ich erfahren habe, soll ihm nicht unhold sein.

Parozzi. O, Geduld, Abaellino bricht ihm den Hals, dann kann er mit dem
Teufel und seiner Grosmutter liebeln.

Kontarino. Uebrigens hab ich troz aller Kundschaft seinetwegen in
Florenz wenig erfahren. Es sollen einmahl, schreibt man mir, es sollen
einmahl Flodoardo's in Florenz existirt, aber sich längst von da hinweg
begeben haben, man wisse nicht, wohin? und zu dieser Familie Flodoardo
müsse denn wohl unser Vagabond gehören.

Grimaldi. Der Doge hat euch also sämmtlich auf morgen Nachmittag zu sich
eingeladen?

Alle. Wahrhaftig! wahrhaftig!

Grimaldi. (mit Selbstgefühl) Das freut mich, das freut mich. Ich sehe
mit Vergnügen, daß meine Empfehlung bei ihm so vieles gewirkt hat. --
Und morgen Abend ist bei ihm Ball mit Masken, wie mir sein Kammerdiener
sagte?

Falieri. Freilich!

Memmo. Wenn er nur nicht um unsre Verschwörung weis -- ich wäre des
Todes!

Grimaldi. Er kann unmöglich davon wissen.

Memmo. Ei, zum Teufel, jeder Beutelschneider, Pflastertreter,
Abentheurer, Bettler und wie das Lumpengesindel heissen mag, welches
unsre Armee ausmacht, weis davon und er sollte noch nichts gewittert
haben?

Kontarino. Du Narr, da gehts ihm, wie betrognen Ehemännern; jedermann
weis, daß sie Hörner tragen, nur sie selber haben keine Notiz davon.
Aber, wahrhaftig, wir müssen nun den Anfang machen, unsre Projekte zu
realisiren, oder wir werden endlich verrathen. --

Falieri. Du hast recht, Bruder.

Parozzi. Die Misvergnügten, die sich auf unsre Seite geschlagen haben,
sinds zufrieden, wenn der Betteltanz in dieser Nacht vor sich gienge.

Kontarino. Ich nehme morgen den Dogen auf mich, und steche ihn nieder.
Dann ergeh es, wie es wolle. Entweder wir sind dann aus allen
Bedrängnissen durch allgemeinen Aufruhr der Republik gerettet, oder wir
seegeln mit vollem Winde aus dieser vermaledeiten Zeitlichkeit ab.

Parozzi. Wir versehn uns alle mit Gewehr.

Grimaldi. Das Kollegium der Zehnmänner ist sammt und sonders morgen
gegenwärtig -- --

Falieri. Alle müssen sie niedergemacht werden!

Memmo. Wenns nur zulezt nicht schreklich für uns selber abläuft.

Kontarino. Ei, du verdammter feiger Knabe, bleib zu Hause hinterm Ofen;
aber sind wir durchgedrungen, so komm nicht und fodre deine Geldsummen
wieder.

Memmo. Bei meiner Seel, Kontarino, an Muth fehlts mir nicht; willst du,
ich messe mich mit dir in diesem Augenblik mit der Klinge. Aber dein
unseeliger Hitzkopf fehlt mir.

Grimaldi. Und wenn alles verdorben ist, so macht es die Kirche wieder
gut und das große Wort Sr. Heiligkeit.

Memmo. Aber wo sind denn die Briefe vom Pabst?

Grimaldi. (wirft ihm zwei Papiere vor) Lies, ungläubiger Thomas!

Memmo. Donner und Wetter, wir treiben also eine privilegirte Schurkerei!
--

Grimaldi. Der Pabst muß uns schüzzen, ich sage, er _muß_, denn wir
vertheidigen als gute Christen die Gerechtsame seines Stuhls in der
Republik Venedig -- schon das kann euch eine Quelle des Muths werden,
wenn in der lezten Noth alles scheitern sollte. Keine Hand darf euch
verlezzen!

Kontarino. Höre, Parozzi, es bleibt nach unsrer Abrede dabei, du
bestellst unsre Bundesgenossen mit Waffen und Wehr in deine Behausung.
Um Mitternacht verläßt du den Ball, und bemächtigst dich des Arsenals.
Der Hauptmann Sebilli ist unser, und hält dort die Wache.

Grimaldi. Der Schiffkapitain Adormo wird auf das Signal der Sturmglokke
zu uns stossen mit seinen Leuten.

Falieri. Es kann gar nicht fehlen!

Kontarino. Macht nur die Verwirrung so gros, als möglich, Freunde und
Feinde müssen durcheinander wüthen, keiner muß wissen woher der Aufruhr,
warum, und wohin! --

Parozzi. Bei meiner Seele, ich danke Gott, daß es endlich so weit
gediehen ist.

Falieri. Hast du die weißen Armbinden unter unsre Leute ausgetheilt,
Parozzi?

Parozzi. Schon vorgestern.

Kontarino. Halloh, Brüder, die Kelche gefüllt! so wie jezt sizzen wir
nicht sobald wieder beisammen, als nach vollbrachter Arbeit! --

Memmo. Laßt uns noch einmahl alles weislich überlegen!

Kontarino. Pfui! Ueberlegung ist das Kind der kalten Vernunft, und diese
gilt in der Rebellion nicht. Hier spricht die Verzweiflung. Nur erst das
Werk begonnen, das Staatssystem Venedigs mit Heldenmuth über einander
geworfen, bis keiner mehr weis, wer Herr, und wer Unterthan sei, dann
kann die Ueberlegung kommen, um zu rathen, wie weiter! -- lustig,
eingeschenkt! -- Der Doge bietet uns durch seinen Ball die Hand -- ha,
ha, ha!

Parozzi. Den Abaellino müssen wir nothwendig vorher sprechen.

Kontarino. (schwänkt den Weinbecher) Es lebe Abaellino!

Alle. (trinkend) Abaellino! Abaellino!

Grimaldi. Und glüklichen Ausgang der künftigen Nacht!

Memmo. Ja, wohl! ja wohl!

Alle. Ein glüklicher Ausgang!

Parozzi. Wo sizzen wie übermorgen Nacht?




                           Viertes Kapitel.
                          Der wichtige Tag.


Am folgenden Morgen war alles so ruhig in Venedig, als wäre nichts
geschehn, und doch war es gewiß, daß dieser Tag einer der merkwürdigsten
in diesem Staate werden mußte.

Im Herzoglichen Pallaste war alles schon sehr früh erwacht. Der
bekümmerte _Gritti_ verlies ungewöhnlich zeitig das Nachtlager, auf
welchem er sich dießmal schlaflos und sorgenvoll hin und her gewälzt
hatte. _Rosamunde_ hatte vom schönen Flodoard geträumt und wachend sezte
sie ihre Träumereien fort. _Iduella_ hatte unruhig geschlafen; sie
liebte Rosamunden zu sehr und wußte schon welch ein intressanter Tag für
das arme liebende Geschöpf der heutige werden würde. Aber Rosamunde war
ungemein heiter; sie scherzte mit Iduellen, sezte sich zu ihrer Harfe
und sang sich das Lied ihres Lieblingsdichters:

   Liebe, Liebe, Kind des Himmels,
   Aller Welten Königin,
   Durch die Graun des Weltgetümmels
   Warst du meine Führerin.
   Früh hat mich dein Arm umschlungen,
   Früh dein holder Geist bezwungen,
   Früh dein Rosenmund geküßt.

   In dem Morgentraum des Lebens
   Sog des Lebens erste Lust
   Stiller Wonne, frohen Lebens
   Lieb o Lieb an deiner Brust!
   Ach, von deinem Arm geschaukelt,
   Deinen Tändelein umgaukelt
   Froh zu früh der Morgentraum!

   Deinen Namen, deinen Stämpel
   Trägt die Schöpfung immerdar;
   Sieh, der Himmel ist dein Tempel
   und die Erde dein Altar --
   Ja, so lange meine Augen
   Noch den Reiz der Schöpfung saugen,
   Bet' ich dich, o Liebe, an!

Aber _Rosamundens_ selige Laune verschwand, als der Mittag heranrükte
und vorüberzog. Aengstlich wankte sie hier und dahin; ihr Herz klopfte
ungestüm, in Erwartung fürchterlicher Auftritte.

Schon versammelten sich die Vornehmen Venedigs im Pallast ihres Oheims,
schon war der schrekliche Nachmittag da, und der Doge sandte Iduellen an
sie ab, in den großen Saal sie zu führen, wo die Herrn und Damen ihrer
harrten.

»Gott! o mein Gott!« rief sie leise: »laß alles wohlgelingen.«

Blas wie eine Leiche trat sie in das Zimmer, in welchem sie gestern
ihren Flodoard Liebe bekannt hatte und Flodoard -- war noch nicht da.

Die Gesellschaft war glänzend und heiter gestimmt; man sprach von
Stadtnovellen, europäischen Staatsangelegenheiten. _Kontarino_ und
_Grimaldi_ unterhielten sich mit dem Dogen; _Memmo_, _Falieri_ und
_Parozzi_ standen in einem Winkel schweigend beisammen.

Draussen wars trübe und dunkel; es stürmte der Wind in den Wellen des
Kanals und den Wetterfahnen der Palläste am Markusplaz; ein Regenschauer
folgte dem andern.

Es schlug vier Uhr. Rosamunde ward blässer, als vorher. _Gritti_ befahl
dem Kammerdiener etwas leise ins Ohr. Man hörte bald darauf Männer von
aussen wanken, und Waffen klirren an den Thüren des Saals.

Eine plözliche Stille herrschte durch die Gesellschaft. Die jungen
Nobili stokten in ihren Liebeserklärungen vor den Damen; die Damen
vergaßen ihre Modeneuigkeiten; die Staatsmänner starrten sich an und
brachen ihre politischen Discourse ab.

Der Doge trat langsam in die Mitte der Versammlung. Jedes Auge wandte
sich zu ihm. Hoch schlug den Verschwornen das Herz.

»Wundert euch nicht, meine Lieben, über jene seltsamen Anstalten!«
redete _Andreas Gritti_, Venedigs Herzog, sie an: »Es hat nichts zu
bedeuten, was dem Vergnügen dieser Gesellschaft gefährlich sein könnte.
Euch allen wird der Bandit _Abaellino_ bekannt sein, der Mörder des
braven Prokurator Sylvio und meiner getreuen Räthe Kanari und Dandoli.
Dieser, vor welchem jeder rechtschaffne Republikaner zittern muß, dem
nichts heilig und ehrwürdig heißt, der allen Troz bietet, die ihm
drohen, -- dieser höllische Auswurf wird vielleicht binnen einer Stunde
in diesem Saale vor unsern Augen erscheinen!«

Alle. (erstaunt) Abaellino? Abaellino?

Grimaldi. Freiwillig?

Gritti. Nein, freiwillig in der That nicht. Aber Flodoard von Florenz
hat gelobt unsrer Republik diesen wichtigen Dienst mit Gefahr seines
Lebens zu leisten, es koste was es wolle, den Abaellino zu fangen, und
hieher zu bringen.

Einer der Beisizzer des Zehengerichts. Viel, unendlich viel gelobt!

Ein andrer. Ich zweifle an der Vollführung des Gelübdes!

Ein dritter. Aber bei Gott, Flodoard machte sich uns die Republik zu
großen Schuldnern.

Ein Vierter. Wahrhaftig, wie soll der Staat dem Flodoard vergelten.

Gritti. Die Vergeltung übernehm ich allein. Flodoard hat um die Hand
meiner Nichte angehalten -- ich gebe sie ihm.

Alle. (sehn sich schweigend unter einander an, theils mit Blikken der
höchsten Zufriedenheit, theils des Erstaunens)

Falieri. (leise) Parozzi, was meinest du?

Memmo. Ich habe das kalte Fieber, so wahr Gott lebt!

Parozzi. (heimlich lachend) Abaellino wird sich fangen lassen! --

Kontarino. Meine Herrn, hat einer von euch schon den Abaellino von
Angesicht zu Angesicht gesehn?

Einige. Wir nicht! wir nicht!

Ein andrer. Es ist ein Gespenst, der nur dann und wann und sehr
unverhoft und ungebeten erscheint.

Rosamunde. Ich vergesse das Ungeheuer nicht -- (sie erzählt einigen
Damen leise)

Gritti. Und wie er mir erschienen ist, wird euch bekannt sein.

Memmo. (zu einigen Senatoren) Ich habe mir von dem Ungeheuer tausend
Wunderdinge erzählen lassen -- er ist der Teufel in menschlicher Gestalt
-- ich halte nicht für gut, daß man ihn in diese Versammlung bringt,
denn er ist fähig hier ohne Gnade einen nach dem andern zu erwürgen.

Mehrere Damen. Gott bewahre, in dieses Zimmer?

Kontarino. Die Hauptsache ist, ob ihm Flodoard, oder er den Flodoard
besiegt. Und ich geh eine schwere Wette darauf ein, daß Flodoard
unverrichteter Sache abzieht.

Ein Senator. Und ich halte die Wette mit, daß nur ein einziger Mann in
Venedig es unternehmen darf den Abaellino zu fangen -- und der eine ist
_Flodoard von Florenz_; eben der, von dem ich längst prophezeit habe, er
werde in den Jahrbüchern der Welt einmahl eine glänzende Rolle spielen
--

Ein andrer. Ihr habt recht, Sennor, ich bin erstaunt über ihn, als ich
zum erstenmahle in seine Gesellschaft trat.

Kontarino. Tausend Zechinen! Abaellino läßt sich nicht greifen, oder er
wäre denn gestorben.

Der erste Senator. (hizzig) Tausend Zechinen, Flodoard hascht ihn --

Gritti. Und liefert ihn tod oder lebendig.

Kontarino. Ihr, edle Venetianer, seid Zeugen: (er reicht dem Senator die
Hand) (sie geben sich die Hände.)

Senator. Die Wette gilt.

Kontarino. (lachend) Ich danke euch für die tausend Zechinen, Sennor!
Abaellino ist ein feiner Gauch -- gewiß Flodoard hat Ursach sich zu
hüten.

Grimaldi. Hat Flodoard die Sbirren zur Hülfe?

Gritti. Keinen, als sich selber. Seit gestern ist er nun schon abwesend,
um auf den Banditen Jagd zu machen.

Grimaldi. (mit einem triumphirenden Lächeln zu Parozzi) Glük zu, Sennor!

Parozzi. (mit einer erfurchtsvollen Verbeugung) Gewiß, Ew. Eminenz
prophezeien wahr.

Memmo. Ich lebe wieder auf. Nun, nun! man wird doch sehen!

Drei und zwanzig Stunden waren vorüber, seit dem Gelübde des kühnen
Flodoard -- die vier und zwanzigste brach an und er kam noch nicht.




                           Fünftes Kapitel.
                             Höllenangst.


Der Doge wurde unruhig. Der Senator fieng an für seine tausend Zechinen
zu zittern, und _Kontarino_ und seine Parthei lachten schadenfroh, wie
wohl Kontarino laut bekannte: er wünsche lieber tausend Zechinen und
zwei tausend zu verlieren, weil mit der Gefangenschaft Abaellinos die
allgemeine Sicherheit der Republik gewönne.

Es schlug im Thurme der St. Markuskirche fünf Uhr -- Rosamunde bebte;
Todesschweis perlte von ihrer schönen Stirn. _Flodoard_ kam noch nicht.

Der alte _Andreas Gritti_ liebte Flodoarden wirklich -- jezt schauderte
er zum erstenmal vor dem Gedanken, daß Abaellinos Dolch gesiegt haben
könne.

Rosamunde gieng zum Herzog, sie schien ihm etwas sagen zu wollen, aber
die Angst lähmte ihre Zunge, eine Thräne quoll in ihrem Auge hervor. Sie
verbarg die Angst und ihre Thräne so meisterhaft, als es sich immer hier
thun lies -- in einem Winkel warf sie sich auf einen Sessel nieder, rang
die Hände und ihre Seufzer flehten Hülfe von dem barmherzigen _Gott_.

Die übrige Gesellschaft trippelte in sichtbarer Verlegenheit umher; man
wollte fröhlich sein, aber auch nicht einmal der Schein der Fröhlichkeit
konnte affektirt werden.

So verflos wieder eine Stunde, und _Flodoard_ kam nicht.

Jezt brach die Abendsonne lächelnd hinter den Regengewölken hervor, ein
Strahl der sinkenden Tageskönigin fiel auf Rosamunden -- und Rosamunde
wurde, sie wußte nicht, warum? froh.

Kontarino. Um fünf Uhr wollte Flodoard den Abaellino liefern! -- es sind
anderthalb Stunden darüber.

Senator. Wenn er ihn nur liefert, mögen dann auch anderthalb Wochen
darüber sein.

Gritti. Nein! -- still! -- ich höre draussen Geräusch. -- --

Die Flügelthüren sprangen auf und _Flodoard_ trat allein herein im
Reisekleide und Regenmantel. Wild und wüst flog sein Haar, düster rollte
sein Auge durch die Gesellschaft. Er ris den Federhut vom Kopf herab und
begrüßte die Versammlung.

Alles drehte sich zu ihm hin, jeder Mund schien zehn Fragen zu haben,
jedes Auge studierte seine Mienen.

»Jesus! schrie _Memmo_: mir ahndet was!«

»Seid ohne Sorgen, Sennor!« murmelte _Kontarino_.

»Edle Venetianer, sprach Flodoard, und seine Sprache war die Stimme des
Helden: wahrscheinlich hat unser Durchlauchtigster Herr euch die Ursach
dieser Zusammenkunft gemeldet -- ich will jezt eure Sorgen lösen. Aber
vorher frag ich noch einmahl, gnädigster Herr, wird Flodoard Rosamunden
zur Gemahlin erhalten, wenn er den Abaellino in eure Hände liefert?«

Gritti. (ihn mit den Augen messend) Habt ihr den Abaellino?

Flodoard. Empfang ich Rosamunden?

Gritti. Ohne Widerspruch, ja! ihr empfangt sie mit einem fürstlichen
Brautschaz.

Flodoard. Ihr Edeln von Venedig, ihr habt das Wort des Dogen gehört!

Viele Senatoren. Wir haben's gehört!

Flodoard. (indem er drei Schritt durch den Saal macht) Wohlan,
Abaellino, ist in meiner und eurer Gewalt!

Alle. (im wilden Tumult) Hilf Himmel! -- Wo ist er! -- Jesus Sohn
Gottes! -- Abaellino!

Gritti. Tod oder lebendig?

Einige. Tod oder lebendig, Sennor?

Flodoard. (ernst) lebendig!

Alle (in sprachloser Verwunderung oder mit Entsezzen ihm nachlallend):
Lebendig! lebendig!

Grimaldi. (mit der Hand über die Stirn fahrend) Lebendig!

Kontarino. Das geht ins weite.

Rosamunde. (Iduellens Hand küssend) Hörst du, Iduella! Iduella!
lebendig!

Senator. Sennor Kontarino, tausend Zechinen!

Kontarino. (durch die Zähne) Mit Vergnügen!

Flodoard. (mit einem schweren Seufzer) O gnädigster Herr -- --

Gritti. (sanftlächelnd) Die Republik ist deine Schuldnerin, mein Sohn.

Einige Senatoren. Und wir danken euch jezt, heldenmüthiger Florentiner,
für eure unbegreifliche Heldenthat. Die Republik wird vergelten.

Flodoard. (den Arm traurig nach Rosamunden ausstrekkend) Dort, seht sie
dort meine Vergeltung.

Gritti. (mit Freudestrahlenden Antliz) Führe den Bluthund Abaellino
hieher -- ich kenne ihn. Es war eine Zeit, da sagte er zu mir: Herzog,
ich messe mich mit dir, die Erde trägt selten auf einem so schmalen
Strich Landes zwei so große Männer -- führe doch den grossen Mann
hieher!

Senatoren. Wo ist er? wo ist er?

Einige Damen. (in schreklicher Furcht) Um Gotteswillen -- --

Flodoard. (schmerzhaft lächelnd) Fürchtet euch nicht mehr vor ihm,
schöne Venetianerinnen, er hat ja nun seine Braut! (indem er auf
Rosamunden deutet)

Falieri. (erblassend) Ist er hier schon im Pallast?

Flodoard. Hier im Pallast.

Ein Senator. Warum laßt Ihr uns so lange in banger Erwartung schweben?

Flodoard. (führt den Dogen zu einem Lehnsessel) Wohlan, so mag die
Komödie beginnen! -- Abaellino soll erscheinen. Tretet alle an die
Seiten!

Wie von einem Sturmwind fortgerissen flog alt und jung erschrokken zurük
nach den Wänden. Allen klopfte hoch das Herz; keinen aber mehr, als den
Verschwornen, die mit Höllenangst der Erscheinung Abaellinos
entgegenharrten.

Der Doge _Andreas_ sas ernst und ruhig in seinem Stuhle, wie ein Richter
zum Gericht des Banditenfürsten. Einzeln, in besondern Gruppen standen
die Anwesenden mit verschiednem Mienenspiel da -- wie am
Weltgerichtsmorgen die Schatten der Seeligen und Verdammten einst
untereinandergemischt, und doch grell von einander verschieden dastehn
werden. Die schöne _Rosamunde_ lehnte sich in ruhiger Engelsunschuld an
Iduellens Achsel und musterte mit durstgen Augen ihren großen Liebling.
Die Verschwornen mit langen, bleichen Gesichtern und hin stierenden
Augen formirten den Hintergrund. Dumpfe Stille waltete über die
Versammlung; kein Odemgeräusche störte sie.

»Und nun soll der schrekliche Abaellino vor euch erscheinen; zittert
nicht, er wird keinen verlezzen!« rief _Flodoard_ aus, drehte sich um,
ging zur Flügelthür, wischte sich über das Gesicht, warf den Mantel ab,
kehrte wieder um -- und wie durch ein Gaukelspiel, war _Flodoard_ in
_Abaellino_ verwandelt! --




                          Sechstes Kapitel.
                        Geistererscheinungen.


Ein lautes Zetergeschrei scholl plözlich durch den Saal -- _Rosamunde_
stürzte ohnmächtig zusammen, die _Verschwornen_ schnappten nach Luft,
die _Damen_ kreuzigten und segneten sich, die _Senatoren_ standen leblos
wie steinerne Puppen umher und _Andreas Gritti_ verlor im Schrek Gehör
und Gesicht.

_Abaellino_ stand ruhig da in seiner ganzen furchtbaren Häßlichkeit, in
seinem Banditenhabit, mit dem Gürtel voller Pistolen und Dolche, mit dem
abscheulichen verzerrten, gelben Gesicht, über dem rechten Auge ein
Pflaster, das linke hinter Fleischrunzeln halb verschwollen. Er grinste
nach einer Minute rings umher, und trat dann ·zum erstarrten Doge.

»He!« rief er mit heisrer, grölzender Stimme: »kennt ihr noch den
Abaellino, hier ist er, mit Leib und Seele ist er hier, gnädiger Herr,
um seine Braut einzuhohlen!«

_Andreas Gritti_ seufzte tief auf, starrte den Ausbund der Hölle mit
einem schreklichen Blik an und rief: »so bin ich noch nie hintergangen!«

»Wache! Wache!« schrie _Grimaldi_, der Kardinal, und _Abaellino_ zog
eine Pistole hervor aus dem Gürtel, spannte den Hahn und drohte zu ihm
herüber: »der erste,« rief er, »der erste, der Wache schreit, oder eine
Bewegung macht, ist in dieser Minute des Todes. Glaubt ihr, daß ich mich
selber hier überliefern, selber die Wachen an den Thüren bestellt haben
würde, wenn ich mich vor ihnen fürchtete, oder wenn ich euch entrinnen
wollte? Ja, ich will euer Gefangner sein, aber ohne Gewalt; ich will
euer Gefangner sein, dazu bin ich hier erschienen. Fangen soll den
Abaellino kein Mensch, er muß selber kommen, um sich seinen Richtern zu
überantworten. Oder glaubt ihr, der Abaellino sei der gewöhnlichen
Bravo's einer, der vor den Sbirren läuft, aus Armuth oder Leidenschaft
meuchelmordet? nein, beim Himmel, nein, der bin ich nicht! war ich
Bandit, so war ich Bandit aus Grundsäzzen! --«

Gritti. (die Hände zusammenwerfend) Großer Gott, ist es möglich?

Ein schauerliches Stillschweigen wohnte im Saale. Jeder gehorchte der
Stimme des großen Banditen, der mit der Majestät des höllischen
Monarchen durch den Saal schritt, wenn anders der Teufel Majestät
besizzen kann.

_Rosamunde_ schlug die Augen auf -- ihr erster Blik haftete auf den
verwandelten _Flodoard_.

»O!« rief sie: »Allbarmherziger, es ist nicht möglich -- es ist ein
satanisches Blendwerk!«

Abaellino. (zu ihr tretend) Nein, kein Blendwerk, Rosamunde; dieser
Bandit Abaellino ist dein Flodoard von Florenz.

Rosamunde. Geh, geh, entsezlicher Lügner, es ist nicht möglich! -- du
und Flodoard, Seraph und Satan! wer schmilzt die zusammen? Flodoard
handelte gros und gut, wie ein Halbgott -- ich habe von ihm gelernt
tugendhaft zu handeln. Er war ohne Leidenschaft, zu jeder schönen That
willig. Elend und Kummer ertrug er um des Guten willen, die Thränen der
Leidenden abzutroknen -- das waren seine Triumpfe! -- Höllischer
Bösewicht, den die Schaaren der Ermordeten vor Gottes Richterstuhl
längst verklagt haben, prahle nicht mit Flodoards Namen.

Abaellino. (mit Stolz) Rosamunde, du bist -- -- -- ein Weib. Sieh her,
ich und dein Flodoard sind eins -- sieh her! sieh her!

Abaellino riß das Pflaster vom Auge, rieb mit seinen Tuch im Gesicht
umher, faltete die verzognen Mienen in ihre natürliche Ordnung zurük,
strich die schwarzen Haare von der Stirn, und siehe da, der schöne
Flodoard stand in Abaellinos Banditentracht vor den Augen der
Versammlung.

Abaellino. Sieh, Rosamunde, siebenmahl will ich mein Gesicht noch
verwandeln vor deinen Augen, und so täuschend, daß du mich in Ewigkeit
nicht erkennen solltest. Aber dieß Gesicht ist Flodoards Angesicht, ich
will es vor der Hand beibehalten.

Grimaldi. Entsezlich!

Die Senatoren. (durch einander murmelnd) Unerhört! Schreklich!

Abaellino. (liebreich zu Rosamunden) Nun? -- versöhnst du dich mit mir?

Rosamunde. (ihn anstarrend) Flodoard, du bist kein Mensch!

Abaellino. (sich zu ihr hinabbeugend) Rosamunde -- Rosamunde -- bist du
mein?

Rosamunde. (mit schaudernder Verlegenheit) Flodoard -- ach, daß ich dich
nie gesehn, nie geliebt hätte!

Abaellino. Willst du nun noch die Braut Flodoards -- die Banditenbraut
sein?

Rosamunde. (sieht ihn schweigend an, mit sich selber im fürchterlichen
Kampf.)

Abaellino. Sieh, Mädchen, um deinetwillen hab ich mich selber verrathen
-- selber hingeliefert -- -- ach, Rosamunde, ich könnte noch mehr thun!
-- doch still! Rosamunde, nur eine Sylbe laß mich hören von deiner
Lippe, nur ein armseliges Nein, oder Ja! Rosamunde, liebst du mich noch?
-- --

Rosamunde antwortete nicht. Ihr Auge sah zu ihm empor, schuldlos und
liebevoll, wie das Auge eines Engels, und ihr Blik bekannte dem
verführerischen Bösewicht, Liebe. Ihr Busen stürmte ungestüm -- ungestüm
wie das Meer der Gedanken und Empfindungen in ihrer Seele. Sie sank in
_Iduellens_ Arm zurük und _Iduella_ weinte eine mitleidige Thräne auf
ihren Liebling herab.

Der _Doge_ sprang in diesem Augenblik wild vom Sessel auf; sein Auge
blizte Wuth, seine Unterlippe zog sich höher hinauf; sein Odem flog
heftiger. -- Die Senatoren sahn ihn, warfen sich ihm vor und hielten ihn
gewaltsam zurük. _Abaellino_ inzwischen gieng ihm mit befremdender Kälte
entgegen, und bat ihn sich zu beruhigen.

»Werdet ihr mir euer Wort halten, gnädigster Herr? -- ihr gabt es mir,
des sind jene edeln Venetianer und Venetianerinnen Zeuge.«

Gritti. (wild) Abscheulicher Bösewicht, dein Plan ist fein, boshaft und
schreklich angelegt, mich zu betrügen. Sagt, Venetianer, bin ich
verpflichtet, einem solchen fürchterlichen Gauner Wort zu halten? Da
geht er hin und spielt eine betrügerische blutige Rolle: mordet Venedigs
bravste Männer für Lohn, um mit dem Blutgelde in Venedig Aufwand zu
machen. Dann kömmt der abgefeimte Abentheurer unter der Maske eines
Biedermanns, verführt meine unglükliche Rosamunde zur Liebe, fodert mir
das Mädchen ab, unter der Bedingung den Abaellino zu schaffen -- stellt
sich dann selber ein, verlangt die Erfüllung meines Versprechens und
erwartet schlau genug zugleich Amnestie seiner Verbrechen. -- Sagt,
Venetianer, darf ich dem Bösewicht Wort halten.

Alle. Nimmermehr, nimmermehr!

Abaellino. (mit Ernst) Auch dem Fürsten der Finsternis müsset ihr euer
Versprechen halten, wenn ihrs einmahl von euch gabet. O, Pfui, pfui,
Abaellino, so hast du dich denn schreklich verrechnet: mit Biedermännern
glaubt ich zu handeln, pfui, und ich lies mich betrügen! -- (mit
schreklichem Ernst) Noch einmahl und zum leztenmahle: soll das
herzogliche Wort gebrochen sein?

Gritti. (richterlich) Entwaffnet euch.

Abaellino. Und ihr wollt mich verstoßen -- ich habe mich umsonst in eure
Hände geliefert?

Gritti. Dem braven Flodoard hätt ich Rosamunden nicht verweigert, aber
dem Mörder Abaellino hab ich nichts in der Welt versprochen.

Abaellino. Hi, hi! meine Mordthaten drükken euch ja nicht, sondern mich;
dereinst will ich die Sache vor dem Richter der Welt schon ausfechten.

Grimaldi. (zum Doge) Welche Gotteslästerung!

Abaellino. O, Herr Kardinal, bittet doch für mich -- ihr kennt mich ja,
ich bin ein guter Kerl.

Grimaldi. (mit Zorn und geistlicher Hoheit) Elender, was hab ich mit dir
zu schaffen?

Abaellino. Soll ich also wahrhaftig verdammt werden? He da, nimmt sich
keiner von euch des armen Abaellino an? (Eine Pause) Alle schweigen?
gut, so eile denn alles zu Ende mit mir!

Rosamunde. (aufspringend, und zu den Füssen des Dogen) Gnade! Gnade!
Barmherzigkeit für ihn!

Abaellino. (mit Seeligkeit) Oh, oh! ein Engel betet für mich in der
leztcn Stunde.

Rosamunde. Erbarmen für ihn, mein Vater, Erbarmen für ihn! war er ein
Sünder, so richte Gott über ihn! -- ach, ich liebe ihn noch!

Gritti. (sie von sich stoßend) Weg, Geschöpf, ich kenne dich nicht!

Abaellino. (steht mit verschränkten Armen da und weidet sich an der
Szene)

Rosamunde. (auf dem Erdboden sich halb erhebend) Habet ihr mit ihm kein
Erbarmen, so habet es nur mit mir nicht. Richtet ihr ihn, so richtet
mich zuvor! -- -- Vater, -- Vater! verstoßet mich nicht.

Gritti. (zum Abaellino im ernsten Ton) Entwaffnet euch!

Abaellino. Und ihr könnt es kalten Auges ansehn, wie sich dies Lamm zu
euern Füssen windet? -- geht, ihr habt sie nie geliebt, diese Rosamunde.
-- (Er hebt sie vom Boden auf und trägt sie zu Iduellen) Jezt ist sie
mein! -- ich sag es euch, jezt ist sie mein, und der Tod soll uns erst
von einander scheiden.

Venetianer, es scheinet als wollet ihr jezt Gericht über mich halten, es
scheint, als wolltet ihr den Stab über mich brechen -- wohlan, es sei
euch erlaubt! aber zuvor will ich mit mehrern von euch erst richten.

Seht hier, ich bin der Mörder Sylvios, der Mörder Dandolis, der Mörder
Kanari's! ich leugne es nicht; wollt ihr nun die Herren kennen lernen,
die mich dazu besoldeten -- so seht, Venetianer, seht auf jene Schurken
da -- ein, zwei, drei, vier -- Grimaldi, Parozzi, Memmo, Falieri und
Kontarino. -- Diese laßt in Verhaft nehmen.

Versteinert und entgeistert standen die genannten da -- das
verrätherische Gewissen blinzelte durch die starren Augen, durch die
bleichen Wangen hervor und Abaellino wurde von keinem widerlegt.

»Was ist das?« frugen sich die Senatoren erschrokken untereinander.

»Ein schändlicher Gaunerkniff!« lallte der Kardinal _Grimaldi_,
»rachsüchtig will nun der Boshafte uns in seinen Prozeß verwikkeln, da
er sieht, daß ihm nichts zu seiner verlornen Freiheit verhilft!«

Kontarino. (sich ermannend) Er war in seinem Leben der größte Bösewicht
und will es nun auch im Tode sein.

Abaellino. (mit Majestät) Schweigt! ich kenne euer ganzes Komplot, kenne
eure Proscriptionslisten, kenne euern Anhang, und indem wir hier mit
einander sprechen, nimmt man die Herrn mit den _weissen Armbinden_
gefangen, die in der kommenden Nacht Venedig umdrehn sollten. --
Vertheidigt euch nicht.

Gritti. (erstaunend) Was soll das sein?

Abaellino. Nichts mehr und nichts weniger, gnädigster Herr, als eine
enthüllte Verschwörung wider den Staat und euer Leben. -- Seht, so
erhält euch ein Bandit zur Dankbarkeit euer Leben, weil ihr ihm bald das
seinige rauben werdet.

Ein Senator. (zu den Angeklagten) Edle Venetianer, ihr schweiget.

Abaellino. Hier sind alle Vertheidigungen fruchtlos -- ihre Bande ist
auf meinem Befehl jezt desarmirt, und in die Gefängnisse des Staats
vertheilt -- besuchet sie, da werdet ihr mehr erfahren. -- Uebrigens
bildet euch nicht ein, daß ich um und in diesen herzoglichen Pallast die
bewaffneten Soldaten um des fürchterlichen Banditen Abaellinos willen
hinstellte, nein, sondern um jene Helden dort in engere Verwahrung zu
führen. --

Und nun, Venetianer, ich habe mit Gefahr meines Lebens den Staat
gerettet, ich habe mich als Bandit in die Versammlungen der Gottlosen
gewagt, habe Sturm und Regen, Frost und Hizze ertragen, habe, wenn ihr
schliefet, für Venedig gewacht, und ich darf noch auf keine Belohnung
Ansprüche, machen? Das alles hab ich für Rosamunde von Korfu gethan, und
ihr wollt sie mir verweigern; ich habe euch euer Leben, euch das Leben
eurer Weiber und Kinder erhalten -- Menschen, Menschen und ihr wollt mir
das meinige rauben. --

Seht doch, wie jene Bösewichter dastehn, von Gott verdammt und ihrem
innern Richter. Oeffnet sich wohl ein Mund zur Rechtfertigung? widerlegt
mich einer auch nur mit einem Kopfschütteln? -- Ich will euch von meiner
Ehrlichkeit noch besser überzeugen. (Indem er sich zu den Verschwornen
wendet.) He da, bekennet die Wahrheit -- derjenige, der sie unter euch
zum ersten gesteht, soll Gnade erhalten im Gericht, das versprech ich,
der Bandit Abaellino.

Die Verschwornen schwiegen. Endlich nahte sich _Memmo_ einem der
Senatoren zitternd. -- »Venetianer!« lallte er: »Abaellino lüget nicht!«
--

»Er lüget! er lüget!« riefen mit einemmahle _Falieri_, _Grimaldi_,
_Kontarino_ und _Parozzi_.

Still! schrie Abaellino und fürchterlicher Grimm blizte aus seinen
Gebehrden: »Still! laßt mich sprechen -- oder besser noch, laßt die
Geister der Ermordeten sprechen. Hollah, ho!« schrie der Fürchterliche
und sprengte die Flügelthüren voneinander und siehe die längst
beweinten, längst betrauerten Edeln traten herein, _Sylvio_, _Kanari_
und _Dandoli_!

»Verrätherei!« brüllte _Kontarino_ und sties sich einen verborgen
gehabten Dolch ins Herz.

Welch ein Auftritt!

Weinend sank _Andreas Gritti_ in den Arm seiner todgewähnten Freunde;
weinend schlang das lebende Kleeblatt großer Männer sich um den Freund
und Waffenbruder und Herzog. -- Erst in den Wohnungen des Himmels
glaubten sich diese schönen Seelen, diese Helden, wieder finden zu
können, und sie fanden sich nun auf Erden wieder zusammen. Sie die
einstens als Jünglinge mit einander aufwuchsen, mit einander für das
Wohl ihres Vaterlandes fochten, hingen jezt als Greise hier umeinander.
Gerührt standen die Zuschauer da, und die alten ehrwürdigen Senatoren
konnten sich bei dieser heiligen Szene der Thränen nicht erwehren. Man
hörte und sah in dieser seeligen Trunkenheit nichts -- hörte und sah
nicht, daß die Verschwornen und der Selbstmörder _Kontarino_ der Wache
überliefert wurden -- hörte und sah nicht Rosamunden, die sich
schluchzend an die Brust des schönen _Abaellino_ warf und überlaut
schrie: Dieser -- _dieser ist kein Mörder_!

Aber man ermannte sich endlich. Die Besonnenheit kehrte zurük. -- »Heil
dem Erretter der Republik!« schrie man und weinte man laut und umringte
den Abaellino.

Abaellino, vor einigen Minuten noch von allen verdammt, stand hehr und
gros unter der entzükten Menge da, wie ein Gott, und an ihm hinauf
schlang sich die schöne Rosamunde.

»Ich bin nicht Abaellino, nicht Flodoard von Florenz,« sprach er sanft
lächelnd: »ich bin der vertriebne Graf Obizzo von Neapel. Ich kam hieher
als ein Bettler; Banditen nahmen mich in ihren Bund auf, und ich ergrif
mit Freuden ihr unseeliges Gewerbe, theils um Venedig von dieser
Menschenklasse selber zu reinigen, theils um auch diejenigen Buben
kennen zu lernen, in deren Solde diese Meuchelmörder standen. Ich
überlieferte euch die Banditen, und ihren Anführer ermordete ich vor
Rosamunden mit eigner Hand. Ich war in Venedig der einzige Bandit; an
mich mußten sich alle Schurken wenden; ich lernte sie und ihre Pläne
kennen und ihr kennt sie jezt auch. _Sylvio_, _Kanari_ und _Dandoli_
sollten hingerichtet werden -- wollten diese Männer nicht durch die
Dolche andrer fallen: so mußten sie mit mir flüchten. Ich brachte sie
durch Gewalt, Güte und List an einen Ort, wo sie sicher vor jeder
Entdekkung waren, bis zum heutigen Tage. Sie entwarfen mit mir Pläne für
die Zukunft und wie man die Verschwornen fassen müsse -- das alles ist
jezt ausgeführt und nun Venetianer, wollt ihr mich noch verdammen?«

»_Dich verdammen?_« riefen Doge, Senatoren und Nobili, und jeder ris ihn
an sich, und drükte ihn nassen Auges an sein Herz.

»O!« rief _Andreas Gritti_, indem er seine Augen trocknete: »ich gebe
meine herzogliche Müzze dahin, wenn ich ein Bandit werden konnte, wie
du! -- _Grosser Bandit_, du hast mich überwunden, du bist größer, als
ich! Nimm hin meine Rosamunde, nimm hin; etwas bessers hab ich nicht,
sie gilt mir theuerer, als ein Kaiserthum -- nimm sie hin!«

»Abaellino!« jauchzte _Rosamunde_, und küßte den schönen Banditen mit
Glut.

»Rosamunde!« rief _Abaellino_ und vergas in dieser Umarmung die ganze
Welt.




                          Siebentes Kapitel.
                             Nachschrift.


Freilich wär es so unrecht nicht, wenn man sich jezt zwischen den Graf
Obizzo der schönen Rosamunde und dem alten Doge hinsezzen, und Obizzo's
Erzählung von seiner Herkunft und seinen ehmahligen Abentheuern, die ihn
nach Venedig trieben, mit anhören könnte -- allein hier sind vorläufig
nur zwei Fragen zu beantworten, die alles entscheiden. _Erstlich:_ hört
man mir gern zu, wenn ich Märchen erzähle? -- _Zweitens:_ Hab ich auch
Zeit genug übrig Märchen zu erzählen? --




Anmerkungen zur Transkription


Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Hervorhebungen, die im
Original g e s p e r r t sind, wurden mit Unterstrichen wie _hier_
gekennzeichnet. Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt sind,
wurden ^so^ markiert.

Die kräftig variierende Schreibweise, Grammatik und Interpunktion des
Originales wurden unverändert beibehalten. Lediglich offensichtliche
Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):

   [S. 13]:
   ... und der Wicht, der da bei der Molda steht, ...
   ... und der Wicht, der da bei der Molla steht, ...

   [S. 21]:
   ... wird einmal selig, und wenn er verdammt hat, ...
   ... wird einmal selig, und wen er verdammt hat, ...

   [S. 22]:
   ... der großen Zahl ihrer Andachstübungen; die Weltdame ...
   ... der großen Zahl ihrer Andachtsübungen; die Weltdame ...

   [S. 29]:
   ... Abbaellino mischte sich unter die Spaziergänger; ...
   ... Abaellino mischte sich unter die Spaziergänger; ...

   [S. 34]:
   ... den Dolch ins Herz gestossen, meinten die venetiaschen ...
   ... den Dolch ins Herz gestossen, meinten die venetianischen ...

   [S. 37]:
   ... du den Matteo wider die Nichte des Andreas Griti
       ausgeschikt?« ...
   ... du den Matteo wider die Nichte des Andreas Gritti
       ausgeschikt?« ...

   [S. 38]:
   ... Parrozi. Falieri hat Recht. ...
   ... Parozzi. Falieri hat Recht. ...

   [S. 50]:
   ... und sank kreischend auf den Sessell nieder, ...
   ... und sank kreischend auf den Sessel nieder, ...

   [S. 54]:
   ... Balluzo. Die Wahl hält nicht schwer. ...
   ... Baluzzo. Die Wahl hält nicht schwer. ...

   [S. 55]:
   ... Balluzo. Ja, an Matteo's Stelle. ...
   ... Baluzzo. Ja, an Matteo's Stelle. ...

   [S. 55]:
   ... Abellino. Und ich sage, als ein braver Gesell ...
   ... Abaellino. Und ich sage, als ein braver Gesell ...

   [S. 61]:
   ... hassen, daß er zum erstenmahl erblikt, da ihm ...
   ... hassen, das er zum erstenmahl erblikt, da ihm ...

   [S. 91]:
   ... Sieh sah den Bittenden an und schwieg. ...
   ... Sie sah den Bittenden an und schwieg. ...

   [S. 117]:
   ... Geistes endekt -- darum wag ich die Foderung, ...
   ... Geistes entdekt -- darum wag ich die Foderung, ...






End of Project Gutenberg's Abaellino der große Bandit, by Heinrich Zschokke

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ABAELLINO DER GROßE BANDIT ***

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