J. W. v. Goethe's Biographie

By Heinrich Döring

The Project Gutenberg eBook, J. W. v. Goethe's Biographie, by H. Doering


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Title: J. W. v. Goethe's Biographie

Author: H. Doering

Release Date: February 28, 2005  [eBook #15213]

Language: German


***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK J. W. V. GOETHE'S BIOGRAPHIE***


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Transcriber's notes: _ Kursiv / italic
                    [] Korrektur von Satzfehlern / correction of typos





Biographien
deutscher Classiker.

Supplement zu der Göschen-Cottaischen Ausgabe "deutscher Classiker."

Zweites Bändchen.

Joh. W. v. Goethe.

Jena, 1853.

J. W. v. Goethe's Biographie

von

Dr. H. Doering

Complet in Einem Bändchen

Jena, 1853.







Goethe's Leben.




_Johann Wolfgang Goethe,_ später in den Adelstand erhoben, war zu Frankfurt
am Main den 28. August 1749 geboren. Sein Großvater, _Friedrich Georg_, war
Gastgeber zum Weidenhof. Eine glänzendere Stellung behauptete sein
Großvater mütterlicher Seite _Johann Wolfgang Textor_ als Kaiserlicher
Schultheiß. Er war ein ernster, in sich gekehrter, ziemlich wortkarger
Mann, dabei sehr gewissenhaft und pünktlich in der Erfüllung seiner
Berufsgeschäfte. In seinem ruhigen, leidenschaftslosen Charakter zeigte
sich kaum eine Spur von Heftigkeit. Sehr behaglich fühlte er sich in seiner
einförmigen Lebensweise, die ihn früh Morgens auf's Rathhaus, hierauf an
seinen Mittagstisch und von diesem zu einem Schläfchen in seinen
alterthümlichen Sessel führte. An seine Wohnung in der Friedberger Straße
stieß ein theils mit Weinstöcken, theils mit Küchengewächsen und Blumen
bepflanzter Garten, der in Mußestunden sein Lieblingsaufenthalt war. Die
Blumenzucht und das Inoculiren der verschiedenen Rosenarten gewährte ihm
eine angenehme Beschäftigung. Er trug dann gewöhnlich einen langen weiten
Schlafrock und auf dem Kopfe eine faltige schwarze Sammetmütze. Die
allgemeine Achtung, in der er stand, ward noch gesteigert durch ein ihm
eigenthümliches Ahnungsvermögen, besonders in Dingen, die ihn selbst
betrafen. In seinen Büchern und Schreibkalendern pflegte er seine Ahnungen
und Träume kurz aufzuzeichnen.

Mit einer fast peinlichen Strenge hing Goethes Vater, _Johann Caspar_, an
allem Gewohnten und Herkömmlichen. Ein ernster Lakonismus gehörte zu den
Grundzügen seines Charakters. Er handelte nach festen, aber durchaus
rechtlichen Principien. Lernbegierig von früher Jugend an, hatte er auf dem
Gymnasium zu Coburg rasche Fortschritte gemacht in seiner
wissenschaftlichen Bildung, dann in Leipzig die Rechte studirt, und zu
Gießen durch Vertheidigung seiner Dissertation: Electa de aditione
hereditatis die juristische Doctorwürde erlangt. Seine Welt- und
Menschenkenntniß hatte er, nach beendigten Studien, auf einer Reise durch
Deutschland und Italien vermehrt, und war dadurch zu dem Besitz einer
Gemälde- und Antikensammlung gekommen, die er sehr werth hielt und sie
Fremden, die ihn besuchten, gern zeigte. In seinem, von öffentlichen
Geschäften befreiten Leben fand er hinlängliche Muße zu Privatstudien, bei
denen ihn seine ansehnliche und ausgewählte Bibliothek unterstützte. Mit
dem Titel eines Kaiserlichen Raths führte er das Leben eines Privatmannes,
das sich mit seinen Vermögensumständen vertrug. Von seinen Kindern, deren
Unterricht ihn neben seinen mannigfachen Studien beschäftigte, waren die
meisten früh gestorben, so daß zuletzt nur der Dichter und dessen Schwester
_Cornelia_ übrig blieb. Er starb am 27sten May 1782 in seiner Vaterstadt
Frankfurt am Main.

Goethes Mutter, _Catharina Elisabeth_, eine Tochter des früher erwähnten
Schultheißen _Johann Wolfgang Textor_, besaß keine gelehrte Bildung im
eigentlichen Sinne dieses Worts. Doch beschäftigte sie sich, wenn sie das
Hauswesen pünktlich und gewissenhaft besorgt hatte, mit dem Lesen irgend
eines guten deutschen oder italienischen Buchs. Ihr Sinn war im Allgemeinen
mehr auf das Praktische gerichtet. Eine eigenthümliche Scheu hatte sie vor
heftigen und gewaltsamen Gemüthseindrücken, die sie in allen Lagen ihres
Lebens möglichst von sich zu entfernen suchte. Nachdrücklich schärfte sie
ihren Dienstboten ein, ihr nichts Schreckhaftes, Verdrießliches oder
Beunruhigendes zu hinterbringen, was in ihrem Hause, in der Stadt oder in
der Nachbarschaft vorgefallen. Sie ging darin so weit, daß sie, als ihr
Sohn, der Dichter, längst von ihr entfernt, zu Weimar 1805 gefährlich
erkrankt war, erst nach seiner Wiedergenesung das Gespräch auf einen
Gegenstand lenkte, der ihrem treuen Mutterherzen nicht gleichgültig seyn
konnte. Eigen war ihr eine reiche Ader von Witz und Humor. Gutmüthig von
Natur deckte sie in Bezug auf ihre Kinder manches mit dem Mantel der Liebe
zu, was ihres Gatten Ernst und Strenge scharf gerügt haben würde. Eine nie
versiegende Quelle heiterer Unterhaltung bot ihr in spätern Lebensjahren
der Umgang mit Bettina Brentano, der Schwester des bekannten Dichters und
der nachherigen Gattin des Schriftstellers Ludwig Achim von Arnim. Als in
höherem Alter ein langes Krankenlager ihre Kräfte erschöpft hatte und ihre
bisherige Fassung und Heiterkeit von ihr gewichen war, machte sie sich oft
bittere Vorwürfe über ihre Ungeduld im Leiden. "Ich habe mich," schrieb
sie, in [sie, in] ihrem eigenthümlichen Frankfurter Dialect, "recht derb
ausgescholten, und zu mir gesagt: Ei, schäme dich, alte Räthin! Hast gute
Tage genug gehabt in der Welt, und den Wolfgang dazu; mußt, wenn die bösen
kommen, nun auch vorlieb nehmen, und kein so übel Gesicht machen. Was soll
das mit dir vorstellen, daß du so ungeduldig und garstig bist, wenn der
liebe Gott dir ein Kreuz auflegt? Willst du denn immer auf Rosen gehen, und
bist über's Ziel, bist über siebenzig Jahre hinaus? Schauen's, so hab' ich
zu mir selbst gesagt, und sogleich ist ein Nachlaß gekommen und ist besser
geworden, weil ich selbst nicht mehr so garstig war." Ihren Gatten
überlebte sie sechs und zwanzig Jahre. Sie starb zu Frankfurt am Main den
13. September 1808.

Manche ihrer Eigenschaften waren auf Goethe übergegangen. Er war ein
munterer Knabe, aufgeweckt zu allerlei muthwilligen Streichen. Durch seine
Spielkameraden, die Söhne des dem elterlichen Hause gegenüber wohnenden
Schultheißen v. Ochsenstein, ließ er sich einst verleiten, mehrere
Schüsseln und Töpfe, mit denen er gespielt, von einem obern Stockwerk auf
die Straße zu werfen, und freute sich herzlich über das dadurch verursachte
Geräusch. Einen günstigen Einfluß auf seine früh erwachte Wißbegierde, die
ihn zu mancherlei Fragen über die verschiedenartigsten Gegenstände antrieb,
hatte seine Großmutter väterlicher Seite, Cornelia, eine sanfte,
wohlwollende Frau, die ihren Enkel gern belehrte.

Früh entwickelte sich in dem Knaben der Sinn für die Schönheiten der Natur,
die er besonders in ihren erhabenen Erscheinungen, bei aufsteigenden
Gewittern gern betrachtete. Sein Lieblingsaufenthalt im elterlichen Hause
war ein hochgelegenes Zimmer, von welchem er über die Stadtmauern und Wälle
die schöne und fruchtbare Ebne nach Höchst hin überschauen konnte. Oft
ergötzte ihn dort der Anblick der untergehenden Sonne. Eine ernste
ahnungsvolle Gemüthsstimmung, die ihn, seines lebhaften Temperaments
ungeachtet, oft in seinem Knabenalter ergriff, weckte in ihm das Gefühl der
Einsamkeit. Von der Furcht, die ihn bei eintretendem Abenddunkel in dem
düstern, winkelhaften elterlichen Hause ergriff, suchte ihn sein Vater
frühzeitig zu heilen. Mit umgewandtem Schlafrock, wie eine Spukgestalt,
trat er dem Knaben und seiner Schwester Cornelia entgegen, wenn sie aus
Furcht ihr einsames Schlafzimmer verließen und sich in die Kammern des
Gesindes flüchteten. Ein wirksameres Mittel wandte Goethe's Mutter an,
indem sie ihren Kindern, wenn sie Nachts ihre Furcht überwänden, Obst und
allerlei Näschereien versprach.

Die Betrachtung von Gemälden und Prospecten, die sein Vater aus Italien
mitgebracht hatte, und ein Puppenspiel, mit welchem seine Großmutter ihn an
einem Weihnachtsabend überraschte, beschäftigten in mehrfacher Weise
Goethe's Einbildungskraft. Der Unterricht, den er bisher im elterlichen
Hause genossen, ward geregelter, als sein Vater ihn in die Stadtschule
schickte. Aus der strengen Zucht des elterlichen Hauses sah er sich in
einen Freiheitskreis versetzt, der mit seinen Neigungen harmonirte. Seine
an Alterthümern und Merkwürdigkeiten reiche Vaterstadt und ihre Umgegend
lernte Goethe auf mancherlei Streifzügen kennen, die er mit einigen
Schulkameraden unternahm. An der Mainbrücke fesselte seine Aufmerksamkeit
das emsige Treiben der Handelswelt mit ihren den Strom auf- und abwärts
segelnden Schiffen. Dann und wann verwandte er auch einige Kreuzer zur
Ueberfahrt nach Sachsenhausen. Von besonderem Interesse war für ihn das
Rathhaus, der sogenannte Römer, mit seinen gewölbten Hallen und besonders
dem zur Wahl und Krönung des Kaisers dienenden Prunkzimmer, das mit den
Brustbildern Karls des Großen, Rudolphs von Habsburg, Karls IV., Günthers
von Schwarzburg und anderen hohen Häuptern geziert war.

Von der Außenwelt wandte sich Goethe's Blick wieder nach dem elterlichen
Hause zurück, das durch einen bedeutenden Bau erweitert und verschönert
worden war. Seine Wißbegierde lockte ihn bisweilen in seines Vaters
Bibliothek, die außer mehreren juristischen Werken, auch Schriften über
Alterthumskunde, Reisebeschreibungen und einzelne Dichter enthielt. Es
waren jedoch, außer Virgil, Horaz u.a. römischen Classikern, größtenteils
italienische Poeten, wie Tasso, Ariost u. A., von denen der Knabe, bei
seiner Unkenntniß der italienischen Sprache keinen Gebrauch machen konnte.
Einen immer neuen Genuß gewährten ihm die Gemälde und Landschaften von
Trautmann, Schütz, Junker, Seekatz u.a. Frankfurter Künstlern. Diese
Gemälde, früher hie und da in der elterlichen Wohnung an mehreren Orten
zerstreut, waren von Goethe's Vater bei dem Umbau seines Hauses in einem
besondern Zimmer vereinigt worden. Goethe's Sinn für die Kunst ward zuerst
geweckt durch die Betrachtung jener Werke.

Nur durch anhaltenden Fleiß und Wiederholung des Gelernten war Goethe's
Vater zum Besitz mannigfacher Kenntnisse gelangt. Um so mehr schätzte er
das angeborne Talent seines Sohnes, der durch eine schnelle Auffassungsgabe
und ein treffliches Gedächtniß bald dem von seinem Vater und seinen Lehrern
ihm ertheilten Unterricht entwachsen war. Den grammatischen Regeln, mit
ihren mannigfachen Ausnahmen, vermochte er zwar keinen sonderlichen
Geschmack abzugewinnen. Doch machte er sich mit den Sprachformen und
rhetorischen Wendungen schnell bekannt. Sein heller Kopf zeigte sich
vorzüglich in der raschen Entwicklung von Begriffen. Durch seine
schriftlichen Aufsätze, ihrer Sprachfehler ungeachtet, erwarb er sich im
Allgemeinen seines Vaters Zufriedenheit, und manches kleine Geschenk
belohnte seinen Fleiß. Der Privatunterricht, den er gemeinschaftlich mit
mehreren Knaben seines Alters erhielt, förderte ihn wenig, da die von
seinen Lehrern eingeschlagene Methode nicht geeignet war, ihm ein
besonderes Interesse an wissenschaftlichen Gegenständen einzuflößen.
Ueberdieß beschränkte sich jener Unterricht fast nur auf die Erklärung des
Cornelius Nepos und auf das Neue Testament.

Durch das Lesen deutscher Dichter bemächtigte sich seiner, wie er in
spätern Jahren gestand, "eine unbeschreibliche Reim- und Versewuth." In dem
Kreise seiner Jugendfreunde fanden seine poetischen Versuche großen
Beifall. Um so mehr fand sich seine jugendliche Eitelkeit gekränkt, als
einer seiner Mitschüler durch höchst mittelmäßige Verse ihm seinen
Dichterruhm streitig zu machen suchte. Darüber entrüstet, stockte seine
poetische Fruchtbarkeit ziemlich lange, bis ihn sein erwachtes Selbstgefühl
und eine von seinen Lehrern mit Beifall aufgenommene Probearbeit über seine
Anlagen und Fähigkeiten beruhigte.

Reiche Nahrung für seine Wißbegierde fand Goethe in dem Orbus pictus, in
Merians Kupferbibel, in der Acerra philologica und ähnlichen Werken, die
damals die Stelle einer noch nicht vorhandenen Kinderbibliothek vertraten.
Ovids Metamorphosen machten ihn mit der Mythologie bekannt. Seine Phantasie
ward dadurch vielfach angeregt zu allerlei poetischen Entwürfen. Eine
wohlthätige Wirkung auf sein Gemüth verdankte er den moralischen
Schilderungen in Fenelon's Telemach. Unterhaltung und Belehrung schöpfte er
ais Robinson Crusoe und aus der Insel Felsenburg. Aus dem romantischen
Gebiet ward er wieder in die Wirklichkeit zurückgeführt durch die
anziehenden Schilderungen in Anton's Reise um die Welt. Ein Zufall verhalf
ihm in dem Laden eines Antiquars zum Besitz einer Reihe mannigfacher
Schriften. Darunter befanden sich der Eulenspiegel, die vier Haimonskinder,
die schöne Magelone, der Kaiser Octavian, Fortunatus und ähnliche
Volksbücher.

Dieser anmuthigen Lectüre mußte Goethe, als sie kaum begonnen, wieder
entsagen. Er ward von den Blattern befallen, und brachte unter einem
heftigen Fieber mehrere Tage beinahe blind zu. Die Aeußerung einer seiner
Tanten: "Ach, Wolfgang, wie häßlich bist Du geworden?" kränkte ihn um so
mehr, da die Blattern auf seinem Gesicht durchaus keine Spur zurückgelassen
hatten. Auch von den Masern blieb er nicht verschont, und hatte dadurch
Gelegenheit, sich im Stoicismus zu üben. Einigen Trost gewährte es ihm, daß
er auf seinem Krankenlager an seinem jüngern Bruder Jacob, der in der
Blüthe seiner Jahre starb, einen Leidensgefährten hatte.

Seines Vaters Strenge nöthigte ihn, durch verdoppelte Unterrichtsstunden
das während der Krankheit Versäumte wieder nachzuholen. Die Wohnung seiner
Großeltern und ein daran stoßender Garten in der Friedberger Straße bot ihm
dann und wann einen Zufluchtsort, sich seinen Lectionen zu entziehen.
Besonders angenehm war ihm auch der Aufenthalt in dem Laden seiner Tante,
Maria Melber, der Gattin eines Gewürzhändlers, die ihn mit allerlei
Naschwerk beschenkte. Ihre Schwester war mit dem Pfarrer und
Consistorialrath Stark verheiratet, in dessen Bibliothek ein anderer
geistiger Genuß sich ihm darbot. In der Büchersammlung jenes gelehrten
Mannes fand Goethe eine prosaische Uebersetzung des Homer. Dieser Dichter
und bald nachher Virgil machten einen tiefen und bleibenden Eindruck auf
das poetisch gestimmte Gemüth des Knaben.

Weniger befriedigte sein Herz die trockene Moral, die ihm der bisher
ertheilte Religionsunterricht gepredigt hatte. Er ward irre an den
christlichen Dogmen. Entzweit mit seinen religiösen Begriffen, kam ihm der
sonderbare Gedanke, nach dem Beispiel der Separatisten, Herrnhuter und
anderer Secten, mit dem höchsten Wesen, das er aus seinem Walten in der
Natur längst erkannt, sich in eine Art von unmittelbarer Verbindung zu
setzen, und demselben nach alttestamentlicher Weise einen Altar zu
errichten. Dazu benutzte er ein rothlakirtes, mit goldnen Blumen verziertes
Musikpult, auf welchem er mehrere Räucherkerzen anzündete. Das
Andachtsopfer stieg empor, mißlang jedoch bei der Wiederholung durch einen
unglücklichen Zufall so gänzlich, daß die damit verbundene Feuersgefahr ihn
warnte, in solcher Weise wieder dem höchsten Wesen sich zu nähern.

Aus den friedlichen und ruhigen Zuständen, in denen Goethe seine Kindheit
verlebt hatte, ward er aufgeschreckt durch den Ausbruch des siebenjährigen
Krieges im Jahr 1756. Er war damals acht Jahre alt. Was er von Friedrich II
und seiner Persönlichkeit erzählen gehört, begeisterte ihn. Er schrieb sich
die Kriegslieder ab, durch welche Gleim unter der Maske eines preußischen
Grenadiers die Heldenthaten des großen Königs verherrlichte. Seinen
Lieblingshelden verkleinern zu hören, war ihm ein unerträgliches Gefühl.
Als sich nach einigen Jahren durch die Theilnahme Frankreichs der
Kriegsschauplatz bis in die Nähe Frankfurts zu ziehen drohte, hatte dieß
für Goethe die Folge, daß er weniger, als bisher, das elterliche Haus
verlassen durfte.

Unter mannichfachen Beschäftigungen griff er wieder nach den Figuren des
Puppenspiels, das er von seiner Großmutter zum Geschenk erhalten hatte. Mit
Hülfe einiger Jugendgespielen ward das frühere Drama, für welches die
Puppen hinreichten, mehrmals vorgestellt. Die Garderobe und die
Decorationen nach und nach zu verändern, war eine Lieblingsbeschäftigung
des Knaben. Sein Versuch, größere Stücke ufzuführen [aufzuführen],
scheiterte jedoch an dem beschränkten Schauplatz. Unter diesen Umständen
leistete ihm ein Bedienter seines Vaters wesentliche Dienste, indem er ihm
Panzer und Rüstungen verfertigen half. Goethe und seine Gespielen ergötzten
sich eine Zeitlang an den gegenseitigen Parteiungen und Gefechten, die
mitunter in ernsthafte Händel ausarteten, bei denen es ohne derbe Schläge
nicht abging.

Durch einen andern Zeitvertreib, durch das Talent, Mährchen zu erzählen,
die er meist selbst erfunden, empfahl sich Goethe seinen Jugendfreunden.
Eins dieser Mährchen, "der neue Paris" betitelt, hat sich in Goethe's
gesammelten Werken erhalten. Er bediente sich dabei des Kunstgriffs, in
eigner Person zu sprechen, wodurch die von ihm geschilderten
abenteuerlichen Ereignisse den Anschein bekamen, als wären sie ihm selbst
begegnet. Durch die Localitäten, die er in seine Mährchen verwebte, erhöhte
er ihre Wirkung auf seine Zuhörer, die unter lautem Beifall sich beeilten,
den in dem Mährchen "der neue Paris" erwähnten Ort mit den Nußbäumen, der
Tafel und dem Brunnen aufzusuchen, in ihren Berichten über das, was sie
gefunden, jedoch sehr variirten. Erhalten hat sich noch aus jener Zeit
(1757) in einem alten Exercitienheft Goethe's ein von ihm verfaßtes
Gespräch, "Wolfgang und Maximilian" überschrieben. In diesem Dialog, dem
ersten dramatischen Versuch des achtjährigen Knaben trat besonders die
Naivität hervor, womit Goethe, durch seinen Vornamen Wolfgang bezeichnet,
seinem Schulcameraden Maximilian gegenüber, sich als den Soliden und
Wohlerzogenen geschildert hatte.

Einen tiefen Eindruck auf Goethe's poetisch gestimmtes Gemüth machte um
diese Zeit (1757) Klopstocks Messias. Er mußte dies berühmte Epos heimlich
lesen, denn sein Vater, durch Canitz, Hagedorn, Gellert und andere Dichter
an den Reim gewöhnt, äußerte die entschiedenste Abneigung gegen den
Hexameter, oder, wie er sich ausdrückte, gegen Verse, die eigentlich gar
keine Verse wären. Goethe und seine Schwester Cornelia benutzten jede
Freistunde, um in irgend einem Winkel verborgen, die zartesten und
ergreifendsten Stellen der Messiade sich einzuprägen, nächst Portia's Traum
besonders das verzweiflungsvolle Gespräch zwischen Satan und Adramelech im
zehnten Gesange der Klopstockschen Dichtung. Als jene geistlichen
Verwünschungen, die sie schon oft recitirt, einst ziemlich laut hinter dem
Ofen, wo sie sich verborgen hatten, hervorschollen, ließ der Barbier, der
eben Goethe's Vater rasirte, vor Schreck das Seifenbecken fallen, wodurch
der Alte, über und über beschüttet, doch nicht von seiner Abneigung gegen
die Hexameter, denen er jenes Unheil beimaß, geheilt ward.

Goethe's Kunstsinn ward geweckt und genährt, als der französische
Königslieutenant Graf Thorane, ein enthusiastischer Freund und Kenner von
Gemälden, bald nach der Besitznahme Frankfurts durch die französischen
Truppen, in Goethe's elterlichem Hause einquartirt ward. Das Mansardzimmer,
welches Goethe bisher bewohnt hatte, war dem Grafen zu einem Atelier
eingeräumt worden, in welchem er mehrere Frankfurter Künstler für sich
arbeiten ließ. Für Goethe, der ihn dort oft besuchte, ging daraus noch der
Vortheil hervor, daß er in der französischen Sprache, die er bisher sehr
vernachlässigt, sich immer mehr vervollkommnete. Mangelhaft blieb jedoch
seine Kenntniß des Französischen, da er sie nicht auf dem Wege eines
grammatikalischen Unterrichts erlangt hatte.

Dies ward ihm besonders fühlbar, als ein Freibillet ihm den Eintritt in das
französische Theater verschaffte, das damals in Franfurt errichtet worden
war. Da er, besonders im Lustspiel, wo sehr schnell gesprochen ward, nur
wenig von den Reden der Schauspieler verstand, richtete er seine
Aufmerksamkeit vorzugsweise auf die Bewegung der auftretenden Personen und
auf ihre Mimik. Er gelangte dadurch zu einer, wenn auch nur oberflächlichen
Kenntniß des französischen Lust- und Trauerspiels, und ward einigermaßen
vertraut mit den dramatischen Regeln der französischen Bühne. Der
abgemessene Schritt, in dem sich die Tragödie bewegte, der gleichmäßige
Tact der Alexandriner machte auf ihn einen wunderbaren Eindruck. Aus
Racine's Trauerspielen, die er in seines Vaters Bibliothek fand, recitirte
er mehrere auswendig gelernte Stellen nach Art und Weise der französischen
Schauspieler, deren Ton und Accent sich seinem Ohr scharf eingeprägt hatte.
Fast noch mehr als die Tragödie, behagten ihm die damals sehr beliebten
Lustspiele von Destouches, Marivaux, la Chaussée und andern französischen
Dichtern. Auch mehrere Opern und Schäferspiele sagten seinem damaligen
Geschmacke zu, und noch lange nachher erinnerte er sich mit Vergnügen
einzelner Scenen und der darin auftretenden Personen.

Seinem Wunsch, auch mit der innern Einrichtung des Theaters bekannt zu
werden, kam ein französischer Knabe, Derones mit Namen, zuvor, der ihn auf
die Bühne und in die Garderobe führte. Der Uebermuth und die Prahlerei
seines jungen Freundes ward ihm jedoch bald so lästig, daß zwischen beiden
ein sehr gespanntes Verhältniß eintrat, welches sogar eine Herausforderung
und ein Duell in ächt theatralischer Weise, dann aber wieder eine
aufrichtige Versöhnung zur Folge hatte. Erleichtert ward ihm dadurch sein
häufiger Theaterbesuch, den aber sein Vater sehr lebhaft mißbilligte. Die
Bühne, meinte er, habe durchaus keinen Nutzen. Goethe bot seinen ganzen
Scharfsinn auf, ihn vom Gegentheil zu überzeugen. Lessing's Trauerspiel,
Miß Sara Sampson, der Kaufmann von London und ähnliche Stücke lieferten ihm
die Beweise, wie das Laster im Glück, die Tugend im Unglück durch die
poetische Gerechtigkeit wieder ausgeglichen werde. Dieser Behauptung, gegen
die er nichts einzuwenden vermochte, stellte Goethes Vater den Einwurf
entgegen, daß die in die theatralischen Vorstellungen oft verwebten
Schelmstreiche und Betrügereien auf das unverdorbene Gemüth der Jugend
nicht anders als nachtheilig wirken könnten. Wenn ihn irgend etwas mit der
Bühne versöhnen konnte, so war es die Bemerkung, daß sein Sohn dadurch
seine französischen Sprachkenntnisse vermehrte.

Diese Kenntnisse benutzte Goethe zum Entwurf eines dramatischen Products,
in welchem meistens allegorische Personen, wie Jupiter, Merkur und andere
Götter mit ihren bekannten Attributen auftraten. Das Stück bestand
größtentheils in Reminiscenzen aus Ovid's Metamorphosen. Seine
Autoreitelkeit fühlte sich jedoch gekränkt, als der unlängst erwähnte
französische Knabe, welchem er sein Product mitgetheilt und ihn um sein
Urtheil gebeten, sich erlaubte, mehrere Stellen, ja ganze Scenen zu
streichen. Für Goethe hatte dies Verfahren den Nutzen, daß er mit der
französischen Dramaturgie, gegen deren Regeln er gefehlt haben sollte, sich
näher bekannt machte. Zu diesem Zweck las er Corneille's Abhandlung über
die Aristotelische dreifache Einheit, und studirte Racine's Werke, die ihm
zum Theil schon bekannt waren, da er einige Jahre früher auf einem
Kindertheater in dem Trauerspiel Brittannicus den Nero gespielt hatte. Bei
seiner immer noch sehr mangelhaften Kenntniß des Französischen förderten
ihn jedoch diese Studien äußerst wenig, und er gab sie wieder auf, als er
nicht ohne Mühe die Vorreden gelesen hatte, in denen Corneille und Racine
sich gegen die Kritiker und das Publikum vertheidigten.

Entschieden regte sich in dem Knaben der in spätern Jahren wachsende Trieb,
mancherlei Naturgegenstände, deren innere Beschaffenheit sich dem Auge
entzog, näher kennen zu lernen. Er zerpflückte Blumen, um zu sehen, wie die
Blätter in ihren Kelch eingefügt waren. Seine jugendliche Neugier und
Forschungslust beschäftigte sich mit den verschiedenartigsten Gegenständen.
Er bewunderte die geheime Anziehungskraft des Magnet's, und ermüdete nicht,
jene ihm unerklärliche Wirkung an Feilspänen und Nähnadeln zu erproben. Mit
Hülfe eines alten Spinnrades und einiger Arzneigläser versuchte er
fruchtlos den Effect einer Electrisirmaschine hervorzubringen. Weniger aus
eigner Neigung, als aus Gefälligkeit gegen seinen Vater, unterzog er sich
dann und wann der Wartung und Pflege der im elterlichen Garten gehegten
Seidenwürmer.

Dieser geschäftige Müssiggang behagte ihm mehr, als der Unterricht im
Englischen, zu welchem er von seinem Vater mit Strenge angehalten ward.
Indeß gelangte er durch Fleiß in kurzer Zeit zu einer ziemlichen Fertigkeit
im Englischen. Auch seine übrigen Sprachstudien vernachlässigte er nicht
ganz. Seinem Wunsche, hebräisch zu lernen, um das Alte Testament in der
Ursprache lesen zu können, gab Goethe's Vater seine Zustimmung. Durch den
Magister Albrecht in der genannten Sprache unterrichtet, machte er darin
ziemlich rasche Fortschritte.

Wichtig und einflußreich wurden Goethe's Bibelstudien besonders dadurch,
daß sie ihn zu einem epischen Gedicht begeisterten. Den Stoff dazu fand er
in der Geschichte Josephs. Ueber die Form jedoch war er lange Zeit mit sich
nicht einig. Nach reiflicher Ueberlegung wählte er die Prosa. Von jenem
Gedicht, das einen ziemlichen Umfang gewann, hat sich nicht einmal ein
Fragment erhalten. Auch manche lyrische Poesien, unter andern mehrere
Gedichte in Anakreons Manier, gingen verloren. Einigen geistlichen Oden und
andern religiösen Dichtungen, unter andern einer "Höllenfahrt Christi",
zollte Goethe's Vater besondern Beifall. Auch durch mehrere Predigtauszüge,
die er Sonntags in einem verborgnen Kirchstuhl entwarf, empfahl Goethe sich
seinem Vater, zog sich jedoch seine lebhafte Mißbilligung zu, als er jene
Arbeit wieder saumseliger betrieb und zuletzt gänzlich unterließ.

Seinen Sohn zu einem tüchtigen Juristen zu bilden, war ein väterlicher
Lieblingswunsch. Goethe erhielt von seinem Vater ein in catechetischer Form
abgefaßtes Büchlein. Dadurch sollte ihm das Studium des Corpus Juris
erleichtert werden. Er erlangte auch ziemliche Gewandtheit im Aufschlagen
einzelner Stellen, vermochte jedoch, als er später das Struvische
Compendium erhielt, der Rechtswissenschaft keinen sonderlichen Geschmack
abzugewinnen. Damit es ihm nicht an der nöthigen körperlichen Bewegung
fehlen möchte, ließ sein Vater ihn das Fechten, späterhin auch die
Reitkunst lernen. Es war im Herbst 1761, als er auf die Reitbahn geschickt
ward. Seines Lehrers pedantische Methode war jedoch nicht geeignet, ihn für
die Reitkunst besonders zu interessiren.

Der Dichtkunst war Goethe nicht untreu geworden. Eine für einen
Jugendfreund geschriebene poetische Epistel, die sich leider nicht erhalten
hat, empfahl sich durch ihre innere Wahrheit und Naivität, und hob jeden
Zweifel, der über sein poetisches Talent noch obwalten konnte. Sein Product
in mehreren Händen zu sehen, schmeichelte seiner jugendlichen Eitelkeit. Er
theilte es daher mehreren jungen Leuten mit, die er zufällig kennen gelernt
hatte. Die nähere Berührung, in die er mit ihnen trat, ward um so
entscheidender für ihn, da sich daran ein Liebeshandel mit einem jungen
Mädchen knüpfte, deren Namen er späterhin in seinem "Faust" verewigte.
Seinem Stande nicht angemessen und für seine sittlichen Grundsätze von
keinem wohlthätigen Einflusse war der Kreis, in den er eingetreten war, und
der ihn von seiner geregelten Lebensweise entfernte und zu manchen
Abentheuern und jugendlichen Uebereilungen verlockte. Nach seinen eignen
Aeußerungen in spätern Jahren bestand jener Kreis aus jungen Menschen,
sämmtlich älter als er, die der mittlern und niedern Volksklasse
angehörend, mit oberflächlichen Schulkenntnissen, durch Abschreiben, durch
Besorgung kleiner Geschäfte für die Kaufleute und Mäkler sich einen
nothdürftigen Erwerb sicherten. Ihr zweideutiger Ruf war ihm unbekannt, und
ein Licht darüber ging ihm erst auf, als seine Eltern ihn über den
gewählten Umgang und seinen jugendlichen Leichtsinn die bittersten Vorwürfe
machten. Ein tiefes Gefühl von Scham ergriff ihn, als er erfuhr, daß seine
Genossen zum Verfälschen von Papieren, zur Nachahmung von Handschriften und
andern sträflichen Handlungen ihre Zuflucht genommen hatten.

Von der trostlosen Stimmung, in die er dadurch versetzt ward, konnte ihn
nur Fleiß und Thätigkeit befreien. Er hatte aber auch noch manches
nachzuholen, um sich zur Universität vorzubereiten, die er bald beziehen
sollte. Ein weites Feld zu mannigfachen Betrachtungen eröffneten ihm seine
fortgesetzten philosophischen Studien, größtenteils nach Brucker's
Compendium. Dieser Beschäftigung ward er wieder untreu, als der eintretende
Frühling ihn in die freie Natur lockte. Mit seinen Freunden besuchte er die
in der Umgegend von Frankfurt gelegenen Vergnügungsorte. Noch mehr aber
behagte ihm, in seiner Gemüthsstimmung die Einsamkeit der Wälder. In dem
dunkeln Schatten alter Eichen und Buchen weilte er am liebsten.
Unwillkührlich regte sich in ihm wieder der schon früh im elterlichen Hause
erwachte Trieb, nach der Natur zu zeichnen. Alles, was er sah, gestaltete
sich ihm zum Bilde. Fühlbar aber ward ihm bald, daß ihm nur die Gabe
verliehen war, die ihm entgegentretenden Gegenstände im Ganzen aufzufassen.
Zum Zeichnen des Einzelnen schien ihn die Natur aber so wenig bestimmt zu
haben, als zum betreibenden Dichter. Demungeachtet setzte er seine Uebungen
mit einer gewissen Hartnäckigkeit fort. Er ermüdete nicht in der
schwierigen Zeichnung eines alten Baumstammes, an dessen gekrümmte Wurzeln
sich blühende Farrenkräuter hingen.

Mit Goethe's Skizzen, so unvollkommen sie auch seyn mochten, war sein Vater
im Allgemeinen zufrieden, wenn er auch Einzelnes daran tadelte. Gern ließ
er seinen Sohn umherstreifen, weil er von solchen Ausflügen eine neue
Zeichnung erwartete. Zu Fußwanderungen mit einigen Freunden gönnte er ihm
völlige Freiheit. Einen besondern Reiz hatten für Göthe [Goethe] die
Gebirgsgegenden. Er besuchte Homburg, Kroneburg, bestieg den Feldberg und
Königsstein, verweilte einige Tage in Wiesbaden und Schwalbach, und kam bis
an den Rhein. Den jugendlichen Sinn, der sich mehr in der großen Natur, als
in abgeschlossenen Räumen gefiel, konnte Mainz nicht fesseln. Einen
erfreulichen Eindruck auf Goethe machte die anmuthige Lage von Biberich.
Von da kehrte er in seine Vaterstadt zurück, mit einer ziemlich reichen
Ausbeute von landschaftlichen Skizzen und Zeichnungen der verschiedensten
Art, unter denen manche seines Vaters Beifall erhielten, andere jedoch auch
scharf von ihm getadelt wurden.

Dadurch verstimmt, schloß sich Goethe enger an seine Mutter an, die ihm
mehr Milde und Nachsicht bewies, und selbst noch jugendlich, mit seinen
Gefühlen und Lebensansichten mehr harmonirte, als der ernster gestimmte
Vater. Ein fast noch innigeres Verhältniß bestand zwischen Goethe und
seiner ungefähr ein Jahr jüngern Schwester Cornelia. Gemeinschaftliches
Spiel und Lernen in den Jahren der Kindheit hatte späterhin, als sich
beider physische und geistige Kräfte entwickelten, ein festes Vertrauen
und eine wahrhaft geschwisterliche Liebe erzeugt. Goethe ward von
seiner Schwester zum Vertrauten aller ihrer Empfindungen und
Herzensangelegenheiten gewählt. Ziemlich gut bestand er im Allgemeinen, als
sein Vater seine Kenntnisse in einzelnen Materien der Jurisprudenz prüfte.
Mehrere wissenschaftliche Fächer beschäftigten seinen strebenden Geist,
vorzüglich die Geschichte der ältern Literatur. Durch das fortgesetzte
Studium von Geßners Isagoge und Morhofs Polyhistor, gerieth er fast auf den
Irrweg, selbst ein Vielwisser zu werden. Sein Tag und Nacht fortgesetzter
Fleiß drohte ihn eher zu verwirren, als wahrhaft zu bilden. Bayle's
historisch-kritisches Wörterbuch führte ihn vollends in ein Labyrinth, aus
welchem er sich kaum wieder herauszufinden wußte. Von der großen
Wichtigkeit einer gründlichen Sprachkenntniß hatte er sich längst
überzeugt. Das Hebräische war allmälig in den Hintergrund getreten. Auch
Goethe's Kenntnisse in der griechischen Sprache reichten nicht viel weiter,
als zum Verständniß des Neuen Testaments im Urtexte. Ernstlicher hatte er
sich mit dem Lateinischen beschäftigt. Er war, obschon er keinen
grammatikalischen Unterricht genossen, ziemlich bewandert in den römischen
Classikern.

Unter diesen Sprachstudien regte sich wieder in ihm der nie ganz
schlummernde Trieb poetischer Nachbildung. Seine Productionskraft, die
Leichtigkeit, womit er die Erzeugnisse seines Geistes niederschrieb, hatte
sich vermehrt. Jugendliche Eitelkeit ließ ihn seine poetischen Producte mit
einer gewissen Vorliebe betrachten. Der Tadel, den sie mitunter erfuhren,
raubte ihm nicht die Ueberzeugung, künftig wohl Geisteserzeugnisse zu
liefern, die sich mit denen eines Gellert, Uz, Hagedorn und andern damals
hochgefeierten Dichtern messen könnten. Aber die poetische Laufbahn, so
viel Lockendes sie auch für ihn hatte, schien ihm doch zu schwankend und
unsicher, um sie zu seinem künftigen Lebensberuf zu wählen. Ein
akademisches Lehramt lag im Bereich seiner Wünsche. Dazu wollte er sich
fähig machen, um zur Bildung Anderer, wie zu seiner eigenen, etwas
beitragen zu können.

Viel Lockendes hatte für Goethe der Aufenthalt in Göttingen, wo Heyne,
Michaelis und andere berühmte Männer lehrten. Sein Vater bestand jedoch
darauf, daß er seine akademische Laufbahn in Leipzig beginnen sollte.
Wiederholt schärfte er ihm zugleich ein, seine Zeit auf's Zweckmäßigste zu
benutzen. Von seinem Vater ward er hierin so ausführlich belehrt, daß er,
ohnedies verstimmt durch das Aufgeben eines Göttinger Lieblingsplans,
beinahe den Entschluß faßte, in seiner Studien- und Lebensweise seinen
eignen Weg zu verfolgen. Diese Idee schien ihm nicht blos romantisch,
sondern auch ehrenvoll. Er dachte an seinen Landsmann Griesbach, der einen
ähnlichen Weg einschlagen und sich als gelehrter Theolog und Schriftsteller
einen allgemein geachteten Namen erworben hatte.

Immer näher rückte indeß die Zeit, wo Goethe Frankfurt verlassen sollte.
Begleitet von den Glückwünschen seiner Eltern und Freunde, fuhr er im
October 1765 nach Leipzig. Seine Reisegenossen waren der in Frankfurt
ansässige Buchhändler Fleischer und dessen Gattin, eine Tochter des damals
geschätzten Dichters Triller, die ihren Vater in Wittenberg besuchen
wollte. Die Jahreszeit, in der Goethe seine Reise antrat, war höchst
unfreundlich. Durch den fast ununterbrochenen Regen waren die Wege fast
unfahrbar geworden, und in der Gegend von Auerstadt blieb der Wagen völlig
stecken. Es war die Zeit der Messe, als er in Leipzig ankam. In der
sogenannten Feuerkugel, zwischen der Universitätsstraße und dem Neumarkt,
bezog Goethe zwei nach dem Hofe hinaus gelegene Zimmer, die er während der
Messe gemeinschaftlich mit seinem Reisegefährten, dem Buchhändler
Fleischer, später jedoch allein bewohnte.

In dem Hause des Professors Böhme, der Geschichte und Staatsrecht lehrte,
fand Goethe, nachdem er seine Empfehlungsbriefe abgegeben, eine freundliche
Aufnahme. Als er jedoch seine Abneigung gegen die Jurisprudenz sich merken
ließ, und mit dem Plan hervortrat, sich den alten Sprachen und schönen
Wissenschaften widmen zu wollen, mißbilligte Böhme, der die Dichter, selbst
den allgemein gefeierten Gellert nicht leiden konnte, dies übereilte
Vorhaben. Dringend empfahl er das Studium der römischen Alterthümer und der
Rechtsgeschichte, und schloß seine Ermahnungen mit der Bitte, den gefaßten
Entschluß reiflich zu überlegen. Seine Ueberredung wirkte. Goethe gab
seinen Plan auf, und entschied sich für die Jurisprudenz. Nach Böhme's Rath
sollte er zuerst Philosophie, Rechtsgeschichte und die Institutionen hören.
Er ließ sich jedoch, ungeachtet der Abneigung Böhme's gegen Gellert, nicht
abhalten, auch dessen Auditorium zu besuchen, besonders die Collegien über
Literaturgeschichte, die jener hochgefeierte Mann nach Stockhausens
bekanntem Compendium las. Nach der Schilderung, welche Goethe in spätern
Jahren von Gellert entwarf, war er von Gestalt nicht groß, schwächlich,
doch nicht hager. Er hatte sanfte, fast traurige Augen, eine sehr schöne
Stirn, eine nicht übertriebene Habichtsnase, einen feinen Mund und ein
gefälliges Oval des Gesichts, was, verbunden mit der Freundlichkeit in
seinem Benehmen, einen angenehmen Eindruck machte.

Durch die Vorlesungen, die Goethe, wenigstens anfangs, sehr regelmäßig
besuchte, ward er nicht sonderlich gefördert. In den philosophischen
Collegien fand er nicht die gehofften Aufschlüsse über einzelne, ihm dunkle
Materien. Er ward bald nachlässig im Nachschreiben seiner Hefte. Sie wurden
immer unvollständiger, besonders in den philosophischen Collegien, die der
Professor Winkler las. Auch die juristischen Vorlesungen behagten ihm nicht
lange. Was durch ein wissenschaftliches System in enge, schroffe Grenzen,
in dürre Begriffe ohne Leben eingeschlossen worden war, konnte seinem
poetisch gestimmten Gemüth nicht zusagen.

Zu diesem Zwiespalt mit dem starren Facultätswesen und dem Geiste der
akademischen Vorlesungen gesellten sich noch kleine Unannehmlichkeiten des
Lebens, die ihm, verbunden mit seinen unbefriedigten Erwartungen, den
Aufenthalt in Leipzig verleideten. Er mußte hier und da manchen Spott hören
über seine altmodische Kleidung, die er aus dem elterlichen Hause
mitgebracht hatte. Diese Kleidung mit einer andern zu vertauschen, die den
Anforderungen der Mode mehr entsprach, ward Goethe erst veranlaßt, als er
in einem damals sehr beliebten Lustspiel von Destouches den Herrn von
Masuren in einem ähnlichen Tressenkleide, wie er selbst es trug, auftreten
sah. Auch sein fremder Dialekt ward ein Gegenstand des Spotts. Unmuthig
darüber, blieb er aus geselligen Cirkeln weg, in die er eingeführt worden
war. Die Gattin des Professors Böhme, eine vielseitig gebildete Frau, in
der er eine zweite Mutter fand, machte ihm seine Verstöße gegen die feine
Lebensart bemerklich. Auch auf seinen ästhetischen Geschmack übte sie, wenn
auch nur negativ, einen wohlthätigen Einfluß aus, indem sie dazu beitrug,
ihm Gottsched's und seiner Anhänger Poesie zu verleiden. Ihr scharfes
Urtheil über talentvolle Dichter, unter andern ihren bittern Tadel des von
Weiße geschriebenen Lustspiels: "die Poeten nach der Mode," konnte Goethe,
dem dieß Stück sehr gefiel, ihr nicht verzeihen. Seine eigene
Autoreitelkeit fühlte sich verletzt durch ihre Aeußerungen über einige
seiner lyrischen Gedichte, die er ihr anonym mittheilte.

Kaum seinen Ohren traute Goethe, als er hörte, wie Gellert in einem seiner
Collegien seine Zuhörer vor der Dichtkunst warnte, und sie zu prosaischen
Ausarbeitungen aufforderte. Demungeachtet wagte Goethe, ihm einige seiner
poetischen Versuche zu zeigen, die er, wie alle übrigen, mit rother Dinte
corrigirte und die zu große Leidenschaftlichkeit in Styl und Darstellung,
mitunter auch einige psychologische Verstöße tadelte. Eine scharfe Rüge,
die seinen Lieblingsdichter Wieland traf, machte ihn so irre an seinem
poetischen Talent, daß er in seinem Unmuth eines Tages alles, was er in
Versen und Prosa geschrieben, den Flammen übergab. Ihn in seinem poetischen
Streben zu fördern war der damalige Zustand der schönen Literatur in
Deutschland nicht sonderlich geeignet. Aus den Dichtern, die Goethe sich
hätte zum Muster nehmen können, aus Gellert, Lessing, Klopstock, Wieland u.
A. blickte eine zu entschiedene Individualität hervor. Vor sclavischer
Nachahmung bewahrte ihn sein besseres Gefühl. Was die Poesie der genannten
Dichter Vortreffliches hatte, glaubte er nicht erreichen zu können; aber er
fürchtete, in ihre Fehler zu verfallen. Er hatte zu sich und seinem Talent
das Vertrauen verloren, und fand es erst wieder in dem Umgange mit mehreren
gebildeten und kenntnisreichen jungen Männern, zu denen unter andern sein
Landsmann und nachheriger Schwager Schlosser gehörte, der damals als
geheimer Secretär des Herzogs Ludwig von Würtemberg diesen Fürsten nach
Leipzig begleitet hatte.

Durch Schlosser, der als Schriftsteller nicht unrühmlichbekannt war,
erhielt Goethe Zutritt zu manchen gelehrten und einflußreichen Männern.
Auch mit Gottsched, dem damaligen Tonangeber des ästhetischen Geschmacks,
dessen Aussprüche, seinem Antagonisten Breitinger zum Trotz, noch immer als
Orakel galten, ward Goethe auf die erwähnte Weise bekannt. Er fand ihn im
ersten Stockwerk des goldnen Bären, welches ihm von seinem Verleger
Breitkopf, aus Erkenntlichkeit für den großen Absatz seiner Schriften, zur
lebenslänglichen Wohnung eingeräumt worden war. In einem Schlafrock von
grünem Damast, mit rothem Taft gefüttert, trat Gottsched, wie Goethe in
spätern Jahren erzählte, ihm und Schlosser entgegen. In demselben
Augenblicke aber eilte ein Diener herbei, und reichte ihm eine große
Perücke, um sein kahles Haupt zu bedecken. Der Saumselige bekam jedoch eine
tüchtige Ohrfeige, worauf Gottsched mit großer Ruhe und Gleichgültigkeit
die beiden Fremden zum Sitzen nöthigte und sich mit ihnen in ein Gespräch
einließ, das meistens literarische Gegenstände betraf.

Die beliebtesten englischen Autoren sich zum Muster zu wählen, hielt Goethe
für das wirksamste Mittel, um sich von dem seichten Geschmack Gottsched's
und seiner Schule frei zu erhalten. Aber auch zu einem gründlichen Studium
der bessern deutschen Schriftsteller, die der Literatur eine neue Richtung
gaben, ward Goethe durch den Umgang mit mehreren vielseitig gebildeten
jungen Männern geführt, zu denen, außer einigen gebildeten Livländern, ein
Bruder des Dichters Zachariä, der nachherige Privatgelehrte Pfeil und der
durch seine geographischen und genealogischen Compendien bekannte
Schriftsteller Krebel gehörten. Fleißig las Goethe in Lessings, Gleims,
Hallers, Ramlers u. A. Schriften. Keiner dieser Dichter aber raubte ihm die
Vorliebe für Wieland. Den Eindruck, den das Lehrgedicht "Muserion" damals
auf ihn gemacht, schilderte er in spätern Jahren mit den Worten: "Hier, in
diesem Gedicht war es, wo ich das Antike lebendig und neu vor mir zu sehen
glaubte. Alles, was in Wielands Natur plastisch war, zeigte sich hier aufs
Vollkommenste, und da der zu unglückseliger Nüchternheit verdammte
Phanias-Timon sich zuletzt wieder mit seinem Mädchen und mit der Welt
versöhnte, so mochte ich die menschenfeindliche Epoche wohl mit ihm
durchleben."

Ein flüchtiges Interesse nahm Goethe an der lange dauernden literärischen
Fehde, welche die Verschiedenheit religiöser Meinungen zwischen den beiden
Leipziger Professoren Ernesti und Crusius hervorrief. Jener ging
bekanntlich in der biblischen Hermeneutik von allgemeinen philologischen
Grundsätzen aus, während Crusius zu einer mystischen Erklärungsweise der
heiligen Schrift sich hinneigte. Lebhafter, als für diese theologische
Polemik, interessirte sich Goethe, neben seiner Beschäftigung mit der
Dichtkunst und den schönen Wissenschaften, für die eifrigen Bemühungen
Jerusalems, Zollikofers, Spaldings und anderer berühmten Theologen, in
Predigten und Abhandlungen der Religion und Moral aufrichtige Verehrer zu
verschaffen. Zurückgeschreckt durch die barocke Schreibart der Juristen,
bildete Goethe nach jenen Mustern, besonders nach Mendelssohn und Garve,
seinen Styl.

Poetischen Stoff sammelte er auf einsamen Spaziergängen durch das
Rosenthal, nach Gohlis und andern benachbarten Orten. Zu einer Idylle, auf
die er noch in spätern Jahren einigen Werth legte, begeisterte ihn Annette,
die Tochter eines Wirths, bei welchem er mit mehreren Freunden seinen
Mittagstisch hatte. Ueber sein Liebesverhältniß entwarf Goethe in spätern
Lebensjahren eine anziehende Schilderung in den Worten: "Ich war nach
Menschenweise in meinen Namen verliebt, und schrieb ihn, wie junge Leute zu
thun pflegen, überall an. Einst hatte ich ihn auch sehr schön und genau in
die glatte Rinde eines Lindenbaums geschnitten. Den Herbst darauf, als
meine Neigung zu Annetten in ihrer besten Blüthe war, gab ich mir die Mühe,
den ihrigen oben darüber zu schneiden. Indeß hatte ich gegen Ende des
Winters, als ein launischer Liebhaber, manche Gelegenheit vom Zaun
gebrochen, sie zu quälen und ihr Verdruß zu machen. Im Frühjahr besuchte
ich zufällig die Stelle. Der Saft, der mächtig in die Bäume trat, war durch
die Einschnitte, die ihren Namen bezeichneten, und die noch nicht
verharrscht waren, hervorgequollen, und benetzte mit unschuldigen
Pflanzenthränen die schon hart gewordenen Züge des meinigen. Sie hier über
mich weinen zu sehen, der ich oft durch mein Benehmen ihre Thränen
hervorgerufen hatte, versetzte mich in Bestürzung. In Erinnerung meines
Unrechts und ihrer Liebe kamen mir selbst die Thränen in die Augen. Ich
eilte, ihr Alles doppelt und dreifach abzubitten, und verwandelte jenes
Ereigniß in eine Idylle, die ich niemals ohne Rührung lesen oder Andern
mittheilen konnte."

Aus der poetischen Gattung, zu der jenes Gedicht gehörte, ward Goethe bald
wieder auf die dramatische Dichtkunst hingewiesen durch den tiefen und
bleibenden Eindruck, den Lessings Minna von Barnhelm auf ihn machte. Dieß
ganz eigentlich aus dem Leben gegriffene Lustspiel von ächtem
Nationalgehalt, lenkte seinen Blick zugleich auf die großen Weltereignisse
des siebenjährigen Krieges. Neben dem bedeutenden Stoff bewunderte er
besonders die concise Behandlung. Ein solches Muster zu erreichen, traute
er sich nicht zu. Schon sein beschränkter Umgang mit vielseitig gebildeten
Personen verhinderte ihn daran. In den eignen Busen mußte er greifen, wenn
es ihm darum zu thun war, seinen Gedichten durch Empfindung oder Reflexion
eine feste Basis zu geben. Fühlbar ward ihm wenigstens, daß er, um bei
seinen poetischen Producten zu einer klaren Anschauung der einzelnen
Gegenstände zu gelangen, aus dem Kreise, der ihn umgab und ihm ein
Interesse einflößte, nicht heraustreten durfte. Solchen Ansichten
verdankten mehrere lyrische Gedichte Goethe's, von denen sich jedoch nur
wenige erhalten haben, ihre Entstehung. Goethe gab diesen Gedichten
meistens die Form des Liedes, bisweilen auch ein freieres Versmaß. Es waren
weniger Produkte einer sehr lebhaften Phantasie, als des ruhigen
Verstandes, wofür schon die epigrammatische Wendung in einigen jener
Gedichte zu sprechen schien. Unverändert blieb seinem Geiste die Richtung,
Alles, was ihn erfreute, beunruhigte oder überhaupt in irgend einer Weise
lebhaft beschäftigte, in ein poetisches Gewand zu kleiden. Seine Natur, die
leicht von einem Extrem in's andre geworfen ward, gelangte dadurch zu einer
gewissen Ruhe.

Aus seinem, durch eigene Schuld, vorzüglich durch grundlose Eifersucht
wieder aufgelösten Lebensverhältniß schöpfte Goethe die Idee zu seinem
ersten dramatischen Werke. 1769 dichtete er sein Schauspiel: "die Laune des
Verliebten", das er jedoch erst nach einer bedeutenden Reihe von Jahren dem
Druck übergab. Seinem Inhalt nach war das Stück dem später gedichteten
Schauspiel: "Erwin und Elmire" ähnlich, so wesentlich es sich von demselben
durch die Form und Behandlungsart unterschied. Erhalten hat sich unter
mehreren literarischen Entwürfen aus jener Zeit nur der Anfang einer in
Alexandrinern verfaßten Uebersetzung von Corneille's Lustspiel: Le
Menteur, unter dem Titel: "der Lügner", und außerdem das Fragment eines in
Briefen zwischen "Arianne und Wetty" geschriebenen Romans. Man findet diese
Bruchstücke in den neuerlich von A. Scholl herausgegebenen Briefen und
Aufsätzen Goethes aus den Jahren 1766-1786. Vollendet ward von Goethe nur
das Lustspiel: "Die Mitschuldigen." Er bedauerte in spätern Jahren, daß er
über der ernsten Richtung in seinen ersten dramatischen Werken manchen
heitern Stoff, den ihn das Studentenleben darbot, unbenutzt gelassen hatte.
Seine Empfindungen legte er in einzelnen Liedern und Epigrammen nieder, die
jedoch, nach seinem eignen Geständnisse in späterer Zeit, zu subjectiv
waren, um außer ihn selbst, noch irgend Jemand zu interessiren.

Einen frühen Jugendeindruck erneuerte in Goethe Gellerts wiederholte und
dringende Ermahnung an seine Zuhörer, sich dem öffentlichen Gottesdienste
und dem Genuß des heiligen Abendmahls nicht zu entziehen. Etwas Furchtbares
hatte für Goethe von jeher die neutestamentliche Vorstellung gehabt: wer
das Sakrament unwürdig genösse, äße und tränke sich selbst den Tod. Von
mannigfachen Gewissensscrupeln beunruhigt, hatte er sich der
Abendmahlsfeier lange entzogen, und Gellerts Ermahnungen fielen ihm um so
schwerer aufs Herz. Ueber die ernsten Betrachtungen, denen er sich eine
Zeit lang überließ, siegte indeß bald wieder angeborner Humor und
jugendlicher Leichtsinn.

Einflußreich und belehrend durch seine vielseitigen Sprach- und
Literaturkenntnisse ward für Goethe die Bekanntschaft mit dem Hofmeister
eines jungen Grafen von Lindenau. Er hieß Behrisch, und war, nach Goethes
eigner Schilderung, ungeachtet seines redlichen Charakters und seiner
vielen löblichen Eigenschaften, einer der größten Sonderlinge. Trotz der
Würde seines äußern Benehmens war er immer zu allerlei muthwilligen Possen
aufgelegt. Durch seine sarkastischen Bemerkungen weckte er in Goethe den
Hang zur Satyre. Zur besondern Zielscheibe seines Witzes wählte sich dieser
den Professor Clodius, der die stylistischen Vorlesungen übernommen, welche
Gellert, seiner Kränklichkeit wegen, hatte aufgeben müssen. Durch den Tadel
eines Gedichts, mit welchem Goethe die Hochzeit eines Oheims in Frankfurt
verherrlichen wollte, hatte Clodius seine Autoreitelkeit verletzt.
Gemeinschaftlich mit seinem Freunde Behrisch rächte sich Goethe durch
lauten Spott über die mittelmäßigen Oden, mit denen Clodius mehrmals bei
feierlichen Gelegenheiten hervorgetreten war. Die darin enthaltenen
Kraftsprüche und Sentenzen benutzte Goethe zu einer Parodie. Es war ein an
den damals sehr beliebten Conditor Händel gerichtetes Gedicht, welches zwar
nicht gedruckt, doch bald in mehreren Abschriften verbreitet ward. Die
Wirkung seiner Parodie verstärkte Goethe noch durch einen satyrischen
Prolog, den er bald nachher zu dem von Clodius geschriebenen Lustspiel:
"Medon oder die Rache des Weisen" dichtete. Nach seiner eignen Schilderung
in spätern Jahren hatte Goethe in jenem Prolog Harlekin mit zwei Säcken
auftreten lassen, mit moralisch-ästhetischem Sande gefüllt, den die
Schauspieler den Zuschauern in die Augen streuen sollten. Der eine Sack,
äußerte Harlekin, sei mit Wohlthaten gefüllt, die nichts kosteten, der
andere mit allerlei hochtrabenden Sentenzen, hinter denen nichts stecke.
Darum möchten die Zuschauer ja die Augen zudrücken u.s.w.

Getrennt von seinem Freunde Behrisch, dem seine vielseitigen Kenntnisse die
Stelle eines Erziehers des Erbprinzen von Dessau verschafft hatten, sank
Goethe wieder aus Mangel an Selbstständigkeit in das vielfach bewegte und
leidenschaftliche Treiben zurück, dem er durch Behrisch kaum entrissen
worden war. Auf einen bessern Weg führte ihn das Studium der Kunst. Bei dem
berühmten Oeser, der als Director der Leipziger Zeichnenakademie in dem
alten Schlosse Pleißenburg wohnte, nahm Goethe Unterricht im Zeichnen.
Durch die Betrachtung vorzüglicher Werke und Oesers geistreiche Bemerkungen
darüber ward sein früh erwachter Kunstsinn wieder vielfach angeregt und
genährt. Reichen Genuß verschafften ihm besonders die werthvollen Gemälde-
und Kupferstichsammlungen mehrerer Leipziger Kunstfreunde. Er vermehrte
dadurch seine Kenntnisse in einem Fache, worin er, nach einer Aeußerung in
spätern Jahren, "einst die größte Zufriedenheit seines Lebens finden
sollte." Von der bloßen Anschauung zum Denken erhob er sich durch das
Studium der Schriften d'Argenville's, Christs, Winkelmanns u.A. Völlig klar
ward ihm jedoch der Unterschied zwischen den bildenden und den Redekünsten
erst durch Lessings Laokoon. Der Triumph des Schönen über das Häßliche
zeigte sich ihm in der Vorstellung der Griechen, die sich den Tod als den
Bruder des Schlafs und diesem bis zum Verwechseln ähnlich dachten.

Einen reinen Kunstgenuß bot ihm ein kurzer Aufenthalt in Dresden und die
Betrachtung der dortigen Gemäldegallerie. Vielfache Belehrung verdankte er
dem Inspector Riedel. Kurz vor seiner Rückreise nach Leipzig lernte er auch
den Director der Kunstakademie, v. Hagedorn, einen Bruder des Dichters,
persönlich kennen. In Leipzig fühlte Goethe, obgleich er jenen reichen
Kunstgenuß dort entbehren mußte, nach seinem eignen Geständniß, sich ganz
behaglich durch freundschaftlichen Umgang und einen Zuwachs an Kenntnissen.
Beides fand er in dem Hause des Buchhändlers Breitkopf, der auf dem
Neumarkt im silbernen Bären wohnte. Der älteste Sohn jenes Mannes spielte
mit ziemlicher Fertigkeit die Violine, und componirte einige von Goethe's
Gedichten, die ohne Angabe des Druckorts 1768 zu Leipzig in Quart
erschienen. Oft wurden in Breitkopfs Hause, dessen zweiter Sohn ebenfalls
musikalisch war, Concerte veranstaltet. Manchen Genuß und Nutzen schöpfte
Goethe auch aus Breitkopfs auserlesener Bibliothek, welche vorzüglich an
Werken reich war, die sich auf den Ursprung und die Fortschritte der
Buchdruckerkunst bezogen.

Wichtig ward für Goethe die Bekanntschaft des aus Nürnberg gebürtigen
Kupferstechers Stock, der ein Mansardzimmer im Breitkopfischen Hause
bewohnte. Die Technik der Kupferstecherkunst hatte für Goethe einen so
unwiderstehlichen Reiz, daß er der Begierde nicht widerstehen konnte, sich
selbst in diesem Fache zu versuchen. Zur Zufriedenheit seines Lehrers Stock
radirte er einige Landschaften nach Thiele und andern Künstlern. Erhalten
haben sich aus jener Zeit noch zwei radirte Blätter Goethe's. Beide stellen
Landschaften dar, mit kleinen Cascaden, umschlossen von Felsen und Grotten.
An dem untern Rande beider Landschaften befinden sich die Worte. Peint par
A. Thiele, gravé par Goethe. Das eine Blatt hatte Goethe mit den
nachstehenden Worten seinem Vater gewidmet: Dedié à Monsieur Goethe,
Conseiller actuel de S.M. Imperiale, par son fils très-obeissant. Das
andere Blatt führt die Unterschrift: Dedié à Mr. le Docteur Hermann,
Assesseur de la cour provinciale supréme de justice S. A. Elect. de Saxe et
Sénateur de la ville de Leipsic, par son ami Goethe. Eine genaue und
ausführliche Beschreibung der erwähnten Blätter lieferte ein Aufsatz Karl
Buchner's im Morgenblatt vom Jahr 1828. No. 3-6.

Den der Gesundheit nachtheiligen Dünsten, die sich beim Aetzen von
Kupferstichen entwickelten, gab Goethe eine gefährliche Brustbeklemmung
schuld, die er sich aber auch wohl durch den zu reichlichen Genuß des
Merseburger Biers und starken Kaffees zugezogen haben mochte. Der
Organismus seiner Natur ward so heftig erschüttert, daß er einst Nachts von
einem heftigen Blutsturz erwachte. Die ärztliche Hülfe des Doctor Reichel
beschleunigte seine Genesung. Er ward wieder heiter gestimmt für den Umgang
mit seinen Freunden, die er durch Kränklichkeit und üble Laune von sich
gescheucht hatte.

Die Zeit, wo Goethe nach beendigten Studien wieder in das elterliche Haus
zurückkehren sollte, war nahe. Kurz vor seiner Abreise ereignete sich ein
Tumult zwischen den Studenten und Stadtsoldaten. Goethe hatte keinen
Antheil an diesen Händeln. Mit jenem Nachklange akademischer Großthaten
verließ er Leipzig im September 1768. Er hatte dort manche
Freundschaftsverhältnisse angeknüpft. Den Einfluß, den der Aufenthalt in
Leipzig auf seine Bildung gehabt, konnte er nicht verkennen. Gestehen mußte
er sich freilich, daß er den Aussichten und Hoffnungen seiner Eltern nicht
sonderlich entsprochen. Er hatte sich ganz andern Studien gewidmet, als
sein Vater wünschen mochte, der nur mühsam den Unmuth verbarg, seinen Sohn,
der nun promoviren und die ihm vorgeschriebene Bahn durchlaufen sollte,
noch nicht hinlänglich dazu vorbereitet, und überdieß geistig und
körperlich leidend heimkehren zu sehen.

Goethe aber bereute nicht den selbst gewählten Pfad, und seine Dankbarkeit
vergaß nie den Mann, der ihn zuerst darauf hingeleitet. Den 9. November
1768 schrieb er nach Leipzig an Oeser: "Was bin ich Ihnen nicht alles
schuldig, daß Sie mir den Weg zum Wahren und Schönen gezeigt, daß Sie mein
Herz für den Reiz fühlbar gemacht haben. Ich bin Ihnen mehr schuldig, als
ich Ihnen danken könnte. Der Geschmack, den ich am Schönen habe, meine
Kenntnisse, meine Einsichten, hab' ich die nicht alle durch Sie? Wie gewiß,
wie einleuchtend wahr ist mir der seltsame, fast unbegreifliche Satz
geworden, daß die Werkstatt eines großen Künstlers mehr den keimenden
Philosophen, den keimenden Dichter entwickle, als der Hörsaal des Weisen
und des Kritikers. Lehre thut viel, aber Aufmunterung thut Alles.
Aufmunterung nach dem Tadel ist Sonne nach dem Regen, fruchtbares Gedeihen.
Wenn Sie meiner Liebe zu den Musen nicht aufgeholfen hätten, ich wäre
verzweifelt. Sie wissen, was ich war, als ich zu Ihnen kam, und was ich
war, als ich von Ihnen ging. Der Unterschied ist Ihr Werk."

Als Göthe [Goethe] diesen Brief schrieb, war er unlängst genesen von einer
gefährlichen Krankheit, die durch gestörte Verdauung und ein dadurch
erzeugtes Asthma die lebhaftesten Besorgnisse seiner Eltern erregte.
Unvergeßlich blieb ihm die liebreiche Pflege seiner Mutter und die
zärtliche Theilnahme seiner Schwester Cornelia. Durch seine Krankheit allen
irdischen Angelegenheiten entfremdet, wandte sich sein Geist dem
Himmlischen zu. Mit der ganzen Wärme und Innigkeit seines Gefühls suchte er
das Unsichtbare zu ergreifen. Wie ihn als Kind vorzugsweise das Alte
Testament angesprochen, so beschäftigte er sich nun, von einem ähnlichen
schwärmerischen Enthusiasmus ergriffen, mit den neutestamentlichen
Schriften.

In dieser Geistesrichtung begegnete ihm eine seelenkranke Freundin seiner

Mutter, ein Fräulein von Klettenberg, aus deren Unterhaltungen und Briefen
Goethe später den Stoff hernahm zu den in seinem "Wilhelm Meister"
enthaltenen "Bekenntnissen einer schönen Seele." Sein Verhältniß zu dem
Fräulein von Klettenberg blieb, ungeachtet der schwärmerischen Richtung
ihres Geistes, der dem irdischen Daseyn gänzlich entfremdet, sich nur mit
dem ewigen Heil der Seele beschäftigte, doch nicht ohne Einfluß auf
Goethe's moralische Veredlung. Jedenfalls hätte er indeß seine Zeit besser
verwenden können, als zu dem Lesen von allerlei mystischen Schriften. Durch
Theophrast, Paracelsus u. A. ward er in das Gebiet der Chemie geführt. Mit
Hülfe eines kleinen Laboratoriums machte er, nach Anleitung des
Boerhave'schen Compendiums einige chemische Experimente, die, so
unvollkommen sie auch ausfielen, seine Kenntnisse in mannigfacher Weise
bereicherten. Auch das Zeichnen, Aetzen und Radiren trat wieder in die
Reihe seiner Lieblingsbeschäftigungen. Nach den mannigfachsten Richtungen
schweifte seine Thätigkeit, die erst eine feste Basis gewonnen zu haben
schien, als er sich wieder zu philosophischen Studien wandte.

Den Weg, den seine Bildung nahm, zeigte ein Brief an die Tochter seines
Freundes Oeser, vom 13. Februar 1769. "Meine gegenwärtige Lebensart,"
schrieb Goethe, "ist der Philosophie gewidmet. Eingesperrt, allein, Cirkel,
Papier, Feder und Dinte und zwei Bücher ist mein ganzes Rüstzeug; und auf
diesem einfachen Wege komme ich der Erkenntniß der Wahrheit oft so nah und
weiter, als Andere mit ihrer Bibliothekswissenschaft. Ein großer Gelehrter
ist selten ein großer Philosoph, und wer mit Mühe viel Bücher durchblättert
hat, verachtet das leichte, einfache Buch der Natur, und es ist nichts
wahr, als was einfältig ist. Freilich eine Recommendation für die wahre
Weisheit! Wer den einfältigen Weg geht, der gehe ihn, und schweige still.
Demuth und Bedächtlichkeit sind die nothwendigsten Eigenschaften unserer
Schritte darauf, deren jeder endlich belohnt wird. Ich danke es Ihrem
lieben Vater, er hat meine Seele zuerst zu diesem Wege bereitet. Die Zeit
wird meinen Fleiß segnen, daß er ausführen kann, was angefangen ist. Wenn
man anders denkt, als große Geister, so ist es gewöhnlich ein Zeichen eines
kleinen Geistes. Ich mag nicht gern Eins und das Andere seyn. Ein großer
Geist irrt so gut wie ein kleiner; jener, weil er keine Schranken kennt,
dieser, weil er seinen Horizont für die Welt nimmt. O meine Freundin, das
Licht ist die Wahrheit, von der doch das Licht quillt. Die Nacht ist
Unwahrheit. Und was ist Schönheit? Sie ist nicht Licht und nicht Nacht,
Dämmerung, eine Geburt von Wahrheit und Unwahrheit, ein Mittelding. In
ihrem Reiche liegt ein Scheideweg, so zweideutig, so schielend, ein
Herkules unter den Philosophen könnte sich vergreifen."

In dankbarer Rückerinnerung an seinen "lieben Oeser" schrieb Goethe den 20.
Februar 1770 an den Buchhändler Reich in Leipzig: "Nach Oeser und
Shakspeare ist Wieland der Einzige, den ich für meinen ächten Lehrer
erkenne. Andere hatten mir gezeigt, daß ich fehlte; diese zeigen mir, wie
ich's besser machen sollte." Der erwähnte Brief enthielt zugleich einige
charakteristische Bemerkungen über Wieland. "Mein Urtheil über den Diogenes
von Sinope," schrieb Goethe, "werden Sie nicht verlangen. Empfinden und
Schweigen ist Alles, was man bei dieser Gelegenheit thun kann, denn so gar
loben soll man einen großen Mann nicht, wenn man nicht so groß ist, wie er.
Aber geärgert hab' ich mich schon auf Wielands Rechnung, und ich glaube mit
Recht. Wieland hat das Unglück, oft nicht verstanden zu werden. Vielleicht
ist manchmal die Schuld sein, doch manchmal ist sie es nicht, und da muß
man sich ärgern, wenn Leute ihre Mißverständnisse dem Publikum für
Erklärungen verkaufen." Seine Verehrung Wielands sprach Goethe am Schlusse
seines Briefes in den Worten aus. "Wenn Sie diesem großen Autor schreiben
oder ihn sprechen, so haben Sie die Güte, ihm einen jungen Menschen bekannt
zu machen, der zwar nicht Mann's genug ist, seine Verdienste zu schätzen,
aber doch ein genug zärtliches Herz hat, sie zu verehren."

Wie geringen Werth Goethe seinen in Leipzig entstandenen Gedichten beimaß,
bewies er durch den ausgeführten Entschluß, den größten Theil derselben,
bald nach seiner Ankunft in Frankfurt, den Flammen zu opfern. Auch mehrere
unvollendete dramatische Werke traf dies Schicksal. Verschont blieben nur
"die Laune des Verliebten" und "die Mitschuldigen." Das zuletzt genannte
Stück erhielt noch einige Verbesserungen. Diese poetischen Beschäftigungen
wurden unterbrochen durch seine nahe Abreise nach Straßburg. Dort sollte
Goethe nach seines Vaters Wunsch, seine Studien vollenden und sich den
juristischen Doctorhut erwerben. Noch immer gab Goethes Vater die Hoffnung
nicht auf, aus seinem Sohne einen tüchtigen Rechtsgelehrten zu bilden.

Vom Münster betrachtete Goethe bald nach seiner Ankunft in Straßburg, die
Stadt und die Umgegend. Er pries sein Schicksal, das ihm einen so
anmuthigen Aufenthalt bestimmt hatte. An der Sommerseite des Fischmarktes,
einer langen und sehr belebten Straße, bezog er eine freundliche Wohnung.
Den Mittagstisch hatte er in einer sehr gebildeten Kaufmannsfamilie, an die
er empfohlen worden war. Ein großer Theil der Studirenden in Straßburg
widmete sich der Arzneikunde. Dadurch gewann auch Goethe ein Interesse an
der Medicin. Im zweiten Semester hörte er Chemie bei Spielmann, und
Anatomie bei Lobstein, ohne darüber sein Berufsfach, die Jurisprudenz, zu
vernachlässigen. Mit Hülfe eines Repetenten, den ihm einer seiner Freunde,
der Actuar Salzmann, empfahl, ergänzte Goethe, was ihm noch fehlte, um in
dem juristischen Examen mit Ehren zu bestehen.

An Zerstreuung und Zerstückelung seiner Studien fehlte es ihm in Straßburg
eben so wenig, wie während seines Aufenthalts in Leipzig. Lockend war für
ihn das fröhliche Leben im Elsaß. Manchen Sommerabend brachte er mit
einigen Freunden in öffentlichen Gärten und andern Lustorten zu. Auch
unternahm er häufig Ausflüge, vorzüglich in die romantischen
Gebirgsgegenden. Seine anmuthige Gestalt, sein offenes Wesen empfahlen ihn
überall, und er gewann Zutritt zu den vornehmsten Cirkeln. Den
Anforderungen des akademischen Lebens entsprach er durch seine Gewandtheit
im Fechten. Aber auch dem Tanz und dem Kartenspiel, das er eigentlich nicht
liebte, huldigte Goethe, um nicht gegen den feinen Gesellschaftston zu
verstoßen.

Unstreitig das wichtigste Ereigniß während seines Aufenthalts in Straßburg
war die persönliche Bekanntschaft mit Herder, der als Reisebegleiter des
gemüthskranken Prinzen von Holstein-Eutin nach Straßburg kam. Einen lange
gehegten Lieblingswunsch sah Goethe erfüllt, als ihm gegönnt war, sich dem
berühmten Manne zu nähern, der durch seine "Fragmente zur deutschen
Literatur", durch seine "kritischen Wälder" und andere Schriften das
Interesse des gebildeten Publikums entschieden auf sich gelenkt hatte. In
dem Gasthofe, wo Herder eingekehrt, machte ihm Goethe seine Aufwartung.
Herder trug ein schwarzes Kleid und einen seidnen Mantel von gleicher
Farbe. Sein gepudertes Haar war in eine runde Locke aufgesteckt, wodurch er
einem Geistlichen ähnlich sah. Nach der Schilderung, welche Goethe in
spätern Jahren von Herders Persönlichkeit entwarf, war "sein Gesicht rund,
die Stirn bedeutend, die Nase etwas stumpf, der Mund ein wenig aufgeworfen,
aber höchst individuell angenehm und liebenswürdig. Unter schwarzen
Augenbraunen blitzten ein Paar kohlschwarze Augen hervor, die ihre Wirkung
nicht verfehlten, ungeachtet das eine Auge roth und entzündet war, und von
Lobstein operirt werden sollte."

Durch einen reichen Schatz von Lebenserfahrungen, verbunden mit einer
eigenthümlichen Anziehungskraft, übte Herder, obgleich er nur fünf Jahre
älter war als Goethe, auf diesen einen so unwiderstehlichen Reiz aus, daß
er ihm mit Offenheit eine treuherzige Schilderung seiner
Jugendbeschäftigungen und Liebhabereien entwarf. Herders scharfer Tadel und
seine sarkastischen Bemerkungen vermochten ihn nicht in der Achtung
herabzusetzen, die Goethe für ihn empfand. Er verdankte ihm einen großen
Zuwachs an neuen Ideen und den mannigfachsten Kenntnissen. In einem ganz
andern Lichte erschien ihm das Lieblingsbuch seiner Jugend, die Bibel,
durch die von Herder in seinem Werke: "Vom Geist der hebräischen Poesie"
gesammelten Blüthen morgenländischer Dichtkunst. Ueberall eröffnete ihm
Herder einen freiern Blick in das große Gebiet der Literatur. Besonders
ward Goethe durch ihn mit den vorzüglichsten Erzeugnissen der englischen
Literatur bekannt. Einen noch entschiedeneren Einfluß würde Herder auf
Goethe's Bildung gewonnen haben, wenn er seine unersättliche Wißbegierde
nicht oft zurückgeschreckt hätte durch allerlei sarkastische Bemerkungen,
die besonders Goethe's Selbstgefälligkeit und Eitelkeit trafen. Aus Furcht
vor Herders Tadel verbarg ihm Goethe daher auch sein Interesse an
poetischen Gegenständen, und namentlich die Idee, den biedern und tapfern
Ritter Götz von Berlichingen zu einem dramatischen Helden zu wählen.

Zu dem Kreise, in welchem sich Goethe damals bewegte, gehörten außer
Herder, noch einige andere, mehr oder minder ausgezeichnete Individuen. Der
unter dem Namen Jung-Stilling bekannte Schriftsteller befand sich damals in
Straßburg. Goethe rühmte in spätern Jahren an ihm seinen Enthusiasmus für
alles Gute, Wahre und Rechte. "Unverwüstlich, äußerte Goethe, war sein
Glaube an Gott und an eine unmittelbar von ihm ausgehende Hülfe. Sein
Glaube duldete keinen Zweifel, und seine Ueberzeugung keinen Spott." Eine
eigenthümliche Treuherzigkeit und ein leichter Humor charakterisirte, nach
Goethe's eignem Geständniß, seinen Freund Franz Lerse. Seine Gewandtheit im
Fechten qualificirte ihn zum Schieds- und Kampfrichter bei allen Händeln,
die in der Studentenwelt sich nicht durch Worte und Erklärungen beseitigen
ließen. Den Namen seines Freundes verewigte Goethe später in seinem "Götz
von Berlichingen." Erst in der letzten Zeit seines Aufenthalts lernte er
den als genialen Sonderling bekannten Dichter Lenz kennen, der später
(1792) in Geisteszerrüttung zu Moskau starb. Die Excentricität Shakspeare's
und den unvergleichlichen Humor des Britten zu empfinden und nachzubilden,
war Niemand geeigneter, als Lenz, wie er durch seine Uebersetzung von
Love's labour's lost und durch die derselben beigefügten Anmerkungen über
das Theater bewies. Wie er, fühlte sich auch Goethe nicht zurückgestoßen
durch die Derbheit in Shakspeare's Werken, vielmehr reichlich entschädigt
durch die darin herrschende Wahrheit und Natur. In ihren geselligen Cirkeln
bediente Goethe mit seinen Freunden sich der von Shakspeare gebrauchten
Worte und Redensarten. Er ward ihr Vorbild im Dichten, wie im Leben.

Das früh in Goethe erwachte Gefühl für Naturschönheiten lockte ihn in die
anmuthige Umgegend Straßburgs. Mit einigen dortigen Freunden besuchte er
Zabern, Buchsweiler, Lützelstein, Saarbrück und andere Städte und Flecken
im Elsaß. Auf diesen Excursionen lernte er mehrere Familien kennen, bei
denen er eine gastfreie Aufnahme fand. Vorzüglich war dieß der Fall bei dem
Pfarrer Brion in dem etwa sechs Stunden von Straßburg entfernten Dorfe
Sesenheim. Ein besonderes Interesse erhielt diese Bekanntschaft für Goethe
durch ein Liebesverhältnis zur dritten Tochter jenes Geistlichen. Nach
übereinstimmenden Zeugnissen war Friederike Brion ein Mädchen von schönem
Wuchs, blondem Haar und blauen Augen. Was ihr an äußern Reizen abging,
ersetzte sie durch Anmuth in ihrem Wesen und durch das Talent geselliger
Unterhaltung. Sie hatte ihren Geist durch das Lesen der besten
Schrifsteller [Schriftsteller] gebildet, und war musikalisch. Oft
durchwanderte Goethe mit ihr die anmuthige Gegend. Ein Buchenwäldchen war
sein Lieblingsplatz. Gesellige Zerstreuungen, mitunter Pfänderspiele, bei
denen Goethe durch seinen Witz und Humor glänzte, erheiterten den Kreis von
Freunden und Verwandten in des Pfarrers Brion Wohnung zu Sesenheim, wenn
Goethe, nach Straßburg zurückgekehrt, dort wieder erschien. Er verweilte
mitunter mehrere Wochen in Sesenheim. Den Taumel von Zerstreuungen, in
denen er sich befand, schilderten einzelne Stellen in seinen Briefen an den
Actuar Salzmann in Straßburg.

"Getanzt hab' ich," schrieb er unter andern, "am Pfingstmontage von 2 Uhr
nach Tisch bis zwölf Uhr in der Nacht, in einem fort, außer einigen
Intermezzo's von Essen und Trinken. Wir hatten brave Schnurranten erwischt,
da ging's wie Wetter. Das ganze Ich war in das Tanzen versunken." Er
schadete durch das Uebermaß seiner Gesundheit. Geplagt von einem
hartnäckigen Husten, schrieb er einige Tage später: "Man lebt doch nur
halb, wenn man nicht Athem schöpfen kann. Und doch mag ich nicht in die
Stadt zurück. Die Bewegung und freie Luft hilft wenigstens, was zu helfen
ist." Nicht ohne einen Anflug von Trübsinn schloß er seinen Brief mit den
Worten: "Die Welt ist schön, so schön! Wer's genießen könnte! Ich bin
manchmal ärgerlich darüber, und manchmal halte ich mir erbauliche
Erbauungsstunden über das Heute, über diese Idee, die unserer
Glückseligkeit so unentbehrlich ist, und die mancher Professor der Ethik
nicht faßt, und keiner gut verträgt."

Sein immer leidenschaftlicher gewordenes Verhältniß zu Friederiken fing an
ihn zu beunruhigen. Goethe fühlte, daß es sich bald, vielleicht für immer
auflösen mußte, da die Zeit seiner Abreise von Straßburg nahe war. Seine
Besuche in Sesenheim wurden Seltener, aber sein Briefwechsel mit
Friederiken dauerte fort. Goethes Zeit war freilich beschränkt. Er mußte an
die Ausarbeitung seiner Dissertation denken, die ihm die juristische
Doctorwürde verschaffen sollte. Das von ihm gewählte Thema war nach seiner
eignen Aeußerung in spätern Jahren: "der Gesetzgeber sei nicht allein
berechtigt, sondern verpflichtet, einen gewissen Cultus festzusetzen, von
welchem weder die Geistlichkeit, noch die Laien sich lossagen dürften."
Unter dem Vorsitz der Straßburger Professoren Koch und Oberlin fand die
Disputation am 6. August 1771 statt. Einige von Goethes akademischen
Freunden waren die Opponenten.

Mit Thränen nahm Friederike von ihm Abschied, als er ihr vom Pferde herab
nochmals die Hand reichte. Sie hatte ihn wahrhaft geliebt. Sie soll später
mehrere Heirathsanträge mit der Aeußerung zurückgewiesen haben: "wer einmal
Goethe'n geliebt, könne keinen Andern lieben." Ein sonderbarer Zufall
begegnete ihm nach jenem schmerzlichen Abschiede auf seinem Ritt nach
Drusenheim. Seine eigene Gestalt glaubte er zu erblicken, die ihm zu Pferde
entgegenkam, in einem hechtgrauen, mit Gold verbrämten Kleide, wie er es
wirklich nach acht Jahren trug, als er noch einmal in Sesenheim einen
Besuch machte. Friederike sah ihn seitdem nicht wieder. Sie soll jedoch,
nach seinen brieflichen Aeußerungen, schon damals sich mit dem Gedanken
vertraut gemacht haben, auf seinen Besitz zu verzichten.

Goethe's Empfang im elterlichen Hause übertraf seine Erwartungen. Erfreut,
seinen Sohn durch die erlangte Doctorwürde seinem künftigen Beruf um einen
Schritt näher gerückt zu sehen, ließ Goethe's Vater den Beifall, den er der
Dissertation gezollt, auch auf mehrere Gedichte, Aufsätze und Skizzen
übergehen, die Goethe während seines Aufenthalts in Straßburg entworfen
hatte. Von seinen Leipziger Bekannten fand Goethe in Frankfurt, außer
seinem Landsmann und nachherigen Schwager Schlosser, auch dessen Bruder,
einen tüchtigen Juristen, der nebenher der Poesie huldigte, und die
Hochzeit von Goethe's Schwester Cornelia durch ein zu Frankfurt 1773 in
Folio gedrucktes Gedicht verherrlichte.

Wichtig und einflußreich ward für Goethe die Bekanntschaft mit Merk, der
damals als Kriegszahlmeister in Darmstadt lebte, und mit mannigfachen
Kenntnissen und einer vielseitigen Bildung, unerschütterliche Redlichkeit
und einen offenen, geraden Charakter verband. Lebhaft interessirte er sich
in mehrfacher Hinsicht für Goethe und dessen Talente, und väterlich warnte
er ihn, seine Thätigkeit nicht nach den verschiedenartigsten Richtungen zu
zersplittern. Er ermunterte ihn, seine Fähigkeiten und Kräfte zu
concentriren, und tadelte ihn, wenn er eine begonnene literarische Arbeit
wieder aufgab, und immer nur Skizzen und Fragmente lieferte. Unter solchen
Aufmunterungen entwarf Goethe die ersten Umrisse zum "Faust" und "Götz von
Berlichingen."

Durch die Beschäftigung mit dem zuletzt genannten dramatischen Werk war
Goethe in das fünfzehnte und sechszehnte Jahrhundert zurückgeführt worden.
Luthers Leben und Thaten, die in jenem Zeitraum so herrlich hervorglänzten,
näherten ihn wieder der heiligen Schrift und der Betrachtung religiöser
Gefühle und Meinungen. Er übte seinen Scharfsinn an dem Alten und Neuen
Testament in exegetisch kritischen Untersuchungen. Zu einem besondern
Studium machte er das Dogma von der Erbsünde. Ausführlich erörterte er
diese Lehre in einem dem Druck übergebenen Briefe, den er unter der Maske
eines Landgeistlichen an seinen Amtsbruder richtete. Ebenfalls angeblich
von einem Landpfarrer in Schwaben verfaßt, war der von Goethe
herausgegebene "Versuch einer gründlichen Beantwortung einiger bisher
unerörterten biblischen Fragen." Ueber den Inhalt der zuletzt genannten
Schrift legte Goethe selbst in spätern Jahren das offene Bekenntniß ab:
"Ich gerieth damals auf die wunderlichsten Einfälle. Ich glaubte gefunden
zu haben, daß nicht unsere zehn Gebote auf den Tafeln Moses gestanden, daß
die Israeliten keine vierzig Jahre, sondern nur kurze Zeit durch die Wüste
gewandert wären u.s.w. Auch das Neue Testament war vor meinen
Untersuchungen nicht sicher. Ich verschonte es nicht mit meiner
Sonderungslust, und glaubte auch in dieser Region allerlei Entdeckungen zu
machen. Die Gabe der Sprachen am Pfingstfest in Glanz und Klarheit
ertheilt, deutete ich mir auf eine etwas abstruse Weise, nicht geeignet,
sich viele Theilnahme zu verschaffen." Die erwähnten kleinen Schriften, ein
Verlagsartikel des Buchhändlers Eichenberg in Frankfurt am Main, erschienen
1773 ohne Angabe des Druckorts und Verlegers, und wurden in die neuesten
Ausgaben von Goethe's Werken aufgenommen. Aus diesem Ideenkreise ward er
wieder entfernt durch das wachsende Interesse an seinem Ritterschauspiel
"Götz von Berlichingen." Manche historische Studien waren ihm dabei
unerläßlich. Dem Werke von Datt: de pace publica verdankte er manche
Aufklärung der dunkeln Zeitperiode, in der sein Stück spielte. Seine
Stimmung, während er mit seinem dramatischen Werke beschäftigt war,
schilderte er den 28. November 1771 in einem Briefe an seinen Freund, den
Actuar Salzmann in Straßburg. "Sie kennen mich so gut," schrieb er, "und
dennoch wett' ich, Sie errathen nicht, warum ich nicht schreibe. Es ist
eine Leidenschaft, eine ganz unerwartete Leidenschaft; Sie wissen, daß mich
dergleichen in ein Cirkelchen werfen kann, daß ich Sonne, Mond und die
lieben Sterne darüber vergesse. Ich kann nicht ohne das seyn, Sie wissen es
lange, und koste es was es wolle, ich stürze mich drein. Dießmal sind keine
Folgen zu befürchten. Mein ganzer Genius liegt auf einem Unternehmen,
worüber Homer und Shakspeare und Alles vergessen werden. Ich dramatisire
die Geschichte eines der edelsten Deutschen, rette das Andenken eines
braven Mannes, und die viele Arbeit, die mich's kostet, macht mir einen
wahren Zeitvertreib, den ich so nöthig habe. Es ist traurig, an einem Orte
zu leben, wo unsere ganze Wirksamkeit in sich selbst summen muß. Ich ziehe
mit mir selbst auf dem Felde und auf dem Papier herum. Es wäre aber eine
traurige Gesellschaft, wenn ich nicht alle Stärke die ich in mir fühle, auf
ein Object würfe, und das zu packen und zu tragen suchte, so viel mir
möglich, und was nicht geht, das schleppe ich. Ich hoffe Sie nicht wenig zu
vergnügen, wenn ich Ihnen einen edlen Vorfahren, die wir leider nur von
ihren Grabsteinen kennen, im Leben darstelle. Wie oft wünsche ich Sie
hierher, um Ihnen ein Stückchen Arbeit zu lesen und Urtheil und Beifall von
Ihnen zu hören. Hier ist Alles um mich herum todt. Frankfurt bieibt
[bleibt] das Nest, Nidus, wenn Sie wollen, wohl um Vögel auszubrüten,
sonst auch figürlich Spelunca. Gott helfe aus diesem Elend, Amen." In
einem spätern Briefe an Salzmann vom 3. Februar 1772 dankte Goethe dem
Freunde für den Beifall, den er den ihm mitgetheilten Proben des Götz von
Berlichingen zollte, und fügte hinzu. "Das Diarium meiner Umstände ist, wie
Sie wissen, für den geschwindesten Schreiber unmöglich. Inzwischen haben
Sie aus dem Drama gesehen, daß die Intentionen meiner Seele dauernder
werden, und ich hoffe, sie soll sich nach und nach bestimmen. Aussichten
erweitern sich täglich, und Hindernisse räumen sich weg. Ein Tag mag bei
dem andern in die Schule gehen; denn einmal für allemal, die Minorennität
läßt sich doch nicht überspringen."

So stark auch das Interesse an seinem dramatischen Werke seyn mochte, ließ
sich doch der andere Eindruck auf Goethe's Gefühl dadurch nicht
beschwichtigen. Tief ergriffen hatte ihn ein Brief aus Sesenheim. Er fühlte
Friederikens Schmerz, ohne ihn lindern zu können. Losreißen mußte er sich
von der düstern Stimmung, die sich seiner bemächtigte und seine ganze
Thätigkeit zu lähmen drohte. Er bedurfte der Zerstreuung. Erst in der
freien Natur fühlte er sich wieder wohler. Seine Freunde nannten ihn den
Wanderer, weil er oft mehrere Tage in der Umgegend von Frankfurt
umherstrich, und bisweilen selbst den Weg nach Darmstadt und Homburg
einschlug. Auf diesen einsamen Wanderungen entstanden mehrere seiner
lyrischen Poesieen, unter denen sich nur das Gedicht: "Wanderers
Sturmlied", das er, während er einem furchtbaren Wetter entgegenging, vor
sich hin recitirte, in seinen Werken erhalten hat. Bisweilen beschränkte er
seine Streifzüge blos auf Frankfurt und die Vorstädte dieses Orts. Er kam
dadurch mit den verschiedenen Ständen und Volksklassen in Berührung. In
einem Briefe vom ersten Juni 1773 erzählte Goethe, wie er rüstig Wasser
herbeigeschleppt, um ein Nachts in der Judengasse ausgebrochenes Feuer
löschen zu helfen. "Die wundersamsten, innigsten, mannigfachsten
Empfindungen", schrieb er, "haben mir meine Mühe auf der Stelle belohnt.
Ich habe bei dieser Gelegenheit das gemeine Volk wieder kennen gelernt und
bin überzeugt worden, daß es doch die besten Menschen sind."

Durch seine scheinbar zerstreute Lebensweise ward Goethe's Thätigkeit nicht
unterbrochen. Wenigstens entging ihm keine der neuern literarischen
Erscheinungen in dem Gebiete der Literatur. Von dem Eindruck, den Herders
"älteste Urkunde des Menschengeschlechts" auf ihn gemacht, konnte er sich
selbst kaum Rechenschaft geben. In einem Briefe an einen Freund des
elterlichen Hauses, an den damals in Algier lebenden dänischen Consul
Schönborn, vom 8. Juni 1773, nannte er Herder's Werk "ein so mystisch
weitstrahlsinniges Ganze, eine in der Fülle verschlungener Aeste lebende
Welt, daß weder eine Zeichnung nach verjüngtem Maßstabe einigen Ausdruck
der Riesengestalt nachäffen, noch eine treue Silhouette einiger Theile
melodisch und mit sympatethischem Klang in der Seele anschlagen könnte.
Herder", fügte er hinzu, "ist in die Tiefen seiner Empfindung
hinabgestiegen, hat darin alle die hohe heilige Kraft der simpeln Natur
aufgewühlt, und führt sie nun in dämmerndem, wetterleuchtendem, hie und da
morgenfreundlich lächelnden orphischem Gesange vom Aufgange herauf über die
neue Welt, nachdem er vorher die Lasterbrut der neuern Geister, Deisten,
Atheisten, Philologen, Textverbesserer, Orientalisten u. s. w. mit Feuer
und Schwert und Fluthsturm ausgetilgt."

Mit dieser glühenden Begeisterung für Herder contrastirte ein in diesem
Briefe enthaltener heftiger Ausfall gegen Wieland, der durch eine nicht
sonderlich günstige Beurtheilung des Götz von Berlichingen im deutschen
Merkur Goethe's Autoreitelkeit gekränkt hatte und dadurch in seiner frühern
Achtung sehr gesunken war. Klopstock ward Goethe's Lieblingsdichter. Die
Messiade hatte ihn schon in seiner Jugend begeistert. Sorgfältig schrieb er
sich aber auch die einzelnen Oden und Elegien jenes Sängers ab, und freute
sich sehr, als die Landgräfin Caroline von Hessen-Darmstadt die erste
Sammlung von Klopstocks Gedichten veranstaltete. Auch für die von diesem
Schriftsteller damals herausgegebene "Deutsche Gelehrtenrepublik"
interessirte sich Goethe lebhaft. "Dies herrliche Werk", schrieb er, "hat
mir neues Leben in die Seele gegossen. Die einzige Poetik aller Zeiten und
Völker, die einzigen Regeln, die möglich sind! Das heißt Geschichte des
Gefühls, wie es sich nach und nach festigt und läutert, und wie mit ihm
Ausdruck und Sprache sich bilden. Und die biedersten Aldermans-Wahrheiten
von dem, was edel und menschlich ist am Dichter, alles das aus dem tiefsten
Herzen, eigenster Erfahrung, mit einer bezaubernden Simplicität
hingeschrieben. Der unter den Jünglingen, den das Unglück unter die
Recensentenschaar geführt hat, und der nun, wenn er dies Werk liest, nicht
seine Feder wegwirft, alle Kritik und Kritelei verschwört, sich nicht wie
ein Quietist zur Contemplation seiner selbst niedersetzt, aus dem wird
nichts; denn hier fließen die beiden Quellen bildender Empfindung lauter
aus dem Thron der Natur."

Eine der eigenthümlichsten Erscheinungen in der damaligen literarischen
Welt war Lavater. Es hieß, er werde nach Frankfurt kommen. Diesen
merkwürdigen Mann kennen zu lernen, war für Goethe von hohem Interesse. In
einem Briefe an Schönborn vom 8. Juni 1773 beklagte er Lavater's "Mangel an
selbstständigem Gefühl," und entwarf von ihm eine Art von Charakteristik in
den Worten: "Die beste Seele wird von dem Menschenschicksal so innig
gepeinigt, weil ein kranker Körper und ein schweifender Geist ihm die
collective Kraft entzogen und so der besten Freude des Wohnens in sich
selbst, beraubt hat. Es ist unglaublich, wie schwach er ist, und wie man
ihm, der doch den schönsten, schlichtesten Menschenverstand hat, sogleich
Räthsel und Mysterien spricht, wenn man aus dem in sich und durch sich
lebenden und wirkenden Herzen redet."

Sein Urtheil über Lavater änderte Goethe, als er ihn bald nachher
persönlich kennen lernte. "Er war", schrieb er den 4. Juli 1773, "vier Tage
bei uns, und ich habe wieder gelernt, daß man über Niemand reden soll, wenn
man ihn noch nicht gesehen hat. Wie ganz anders ward doch Alles! Lavater
sagt so oft, daß er schwach sei, und ich habe noch Niemand gekannt, der
schönere Stärken gehabt hätte, als er. In seinem Element ist er unermüdet
thätig, fertig, entschlossen, und eine Seele voll der herrlichste Liebe und
Unschuld. Ich habe ihn nie für einen Schwärmer gehalten, und er hat noch
weniger Einbildungskraft, als ich mir vorstellte. Aber weil seine
Empfindungen ihm die wahrsten, so sehr verkannten Verhältnisse der Natur in
seine Seele prägen, er daher jede Terminologie wegwirft, aus vollem Herzen
spricht und handelt, und seine Zuhörer in eine fremde Welt zu versetzen
scheint, indem er sie in die ihnen unbekannten Winkel ihres eignen Herzens
führt,--kann er dem Vorwurf eines Phantasten nicht entgehen.--Seine
Physiognomik giebt ein weitläufiges Werk mit vielen Kupfern. Es wird große
Beiträge zur bildenden Kunst enthalten, und dem Historien- und
Portraitmaler unentbehrlich seyn."

Während Goethe die deutsche Literatur und ihre Vertreter mit scharfem Blick
beobachtete, ruhte nicht seine eigene literarische Thätigkeit. Einige
Auskunft über mehrere schriftstellerische Arbeiten gab er in einem Briefe
an Schönborn vom 1. Juni 1773. "Allerlei Neues," schrieb er, "hab' ich
gemacht. Eine Geschichte des Titels: Die Leiden des jungen Werthers, darin
ich einen jungen Menschen darstelle, der mit einer tiefen reinen Empfindung
und wahrer Penetration begabt, sich in schwärmende Träume verliert, sich
durch Speculation untergräbt, bis er zuletzt durch dazu tretende
Leidenschaften, besonders eine endlose Liebe zerrüttet, sich eine Kugel vor
den Kopf schießt. Dann hab' ich ein Trauerspiel gearbeitet: Clavigo, eine
moderne Anecdote dramatisirt, mit möglichster Simplicität und
Herzenswahrheit. Mein Held ist ein unbestimmter, halb groß, halb kleiner
Mensch, der Pendant zum Weislinger im Götz, vielmehr Weislinger selbst in
der ganzen Rundung einer Hauptperson. Auch finden sich hier Scenen, die ich
im Götz, um das Hauptinteresse nicht zu schwächen, nur andeuten konnte.
Noch einige Pläne zu großen Dramen hab' ich gefunden und in meinem Herzen."

In diesem Briefe gestand Goethe, daß er "zwar nicht aus Frankfurt gekommen,
doch ein so verworrenes Leben geführt habe, daß es ihm an neuen
Empfindungen und Ideen nie gemangelt." Der Zeitpunkt war indeß nahe, wo er,
nach seines Vaters Wunsch, Frankfurt wieder verlassen, und sich nach
Wetzlar begeben sollte, um sich in dem dortigen Reichskammergericht in der
juridischen Praxis zu üben. Dieser Ortswechsel hatte wenig Lockendes für
ihn. Er fürchtete, daß in Wetzlar, außer dem Civil- und Staatsrecht, ihm
nichts Wissenschaftliches entgegen treten, und daß besonders seine Liebe
zur Poesie dort wenig Nahrung finden möchte. In letzterer Hinsicht sorgte
das Schicksal für ihn, indem es ihm in Wetzlar zur Bekanntschaft Gotter's
verhalf. Die entschiedene Vorliebe dieses Dichters für die französischen
Dramatiker konnte Goethe zwar nicht theilen. Gleichwohl fand zwischen ihm
und Gotter ein lebhafter Ideenaustausch statt. Durch seinen neuen Freund
ward Goethe zu mehreren lyrischen Gedichten angeregt, die zum Theil, wie
unter andern das treffliche Gedicht: "der Wanderer," in dem Göttinger
Musenalmanach aufgenommen wurden. Dadurch kam Goethe in nähere Berührung
mit dem Göttinger Dichterbunde, zu welchem die Grafen Stolberg, Voß,
Bürger, Hölty u.A. gehörten. Die hohe Verehrung, welche die genannten
Dichter Klopstock zollten, konnte Goethe nicht in gleichem Maße theilen.
Seine frühere Begeisterung für den Sänger des Messias hatte eine Grenze
gefunden, seit Klopstock in seinen Oden, statt der griechischen Mythologie,
die Nomenclatur der nordischen Götterlehre eingeführt hatte.

Unter seinen mannigfachen poetischen Beschäftigungen, besonders einem
eifrigen Studium des Homer, ward Goethe durch täglich wiederkehrende
Gespräche über den Zustand des Visitationsgerichts und über so manche dabei
obwaltende Hindernisse und Mängel auf unangenehme Weise daran erinnert, daß
er sich in Wetzlar befand. Das kleinliche Detail von Nachlässigkeiten,
Versäumnissen, Ungerechtigkeiten, Bestechungen u.s.w. ermüdete ihn.
Zerstreut durch öffentliche Amtsgeschäfte, wollte ihm keine ästhetische
Arbeit gelingen. Erwünscht kam ihm die durch Merk in Darmstadt an ihn
ergangene Aufforderung zu Beiträgen für die Frankfurter gelehrten Anzeigen.
Goethe's Schwager, Schlosser, war der Herausgeber jenes Blattes. Die von
Goethe für die Frankfurter gelehrten Anzeigen gelieferten Recensionen waren
großentheils Nachklänge seiner akademischen Jahre. Ueberall zeigte sich
darin die frisch hervorbrechende Naturkraft des Dichters, die allem
trocknen Theorieenwesen abhold, sich in jeder Weise Luft zu machen suchte.
Heftig bekämpfte er alles Falsche, Schiefe und Unnatürliche in jenen
Recensionen, die kaum eine Spur enthielten von der in spätern Jahren ihm
eignen Ruhe und Besonnenheit.

Willkommene Zerstreuung fand er auf einer Rheinreise, zu der ihn Merk in
Darmstadt aufgefordert hatte. In Coblenz lernte er Wielands Jugendfreundin
Sophie la Roche, und außer ihr besonders den durch seine anziehende
Unterhaltungsgabe bekannten Schriftsteller Leuchsenring kennen, dessen
Charakter Goethe später mit vielem Humor in seinem Fastnachtsspiel "Pater
Brey" schilderte. Manche Ausflüge unternahm Goethe in die Umgegend, unter
andern nach Ehrenbreitstein.

Seine schriftstellerische Thätigkeit hatte eine Zeit lang geruht. Erst als
er Wetzlar verlassen und wieder nach Frankfurt zurückgekehrt war,
gestaltete sich der Stoff zum "Götz von Berlichingen", den er lange mit
sich herumgetragen, zu einem eigentlichen Ganzen. Dies Sujet hatte sich vor
seiner Einbildungskraft so weit ausgedehnt, daß es die Grenzen der
dramatischen Form völlig zu überschreiten drohte. Seine Schwester Cornelia
konnte die Vollendung des Werks kaum erwarten. Sie äußerte oft ihre Zweifel
an Goethe's Beharrlichkeit. Wie er in spätern Jahren erzählte, war er mit
seiner Arbeit in sechs Wochen fertig. Weder Merk's, noch Herder's Urtheil,
denen er sein Manuscript mittheilte, befriedigte ihn. Wie er selbst über
sein dramatisches Product dachte, schilderte Goethe in spätern Jahren. Mit
den ersten Acten seines Schauspiels war er im Allgemeinen zufrieden; in den
folgenden aber, besonders gegen das Ende, habe ihn, meinte er, eine
wunderbare Leidenschaft unbewußt hingerissen.

"Ich hatte," gestand Goethe, "indem ich mich bemühte, Adelheid
liebenswürdig zu schildern, mich selbst in sie verliebt. Unwillkürlich war
meine Feder nur ihr gewidmet. Das Interesse an ihrem Schicksal nahm
überhand, und wie ohnehin gegen das Ende des Stücks Götz außer aller
Thätigkeit gesetzt, nur zu einer unglücklichen Theilnahme am Bauernkriege
zurückkehrte, so war nichts natürlicher, als daß eine reizende Frau ihn bei
mir ausstach. Diesen Mangel, oder vielmehr diesen tadelhaften Ueberfluß
erkannt' ich bald. Ich suchte daher meinem Werke immer mehr historischen
und nationalen Gehalt zu geben, und das, was daran fabelhaft oder blos
leidenschaftlich war, auszulöschen, wobei ich freilich manches aufopferte.
So hatte ich mir z. B. etwas Rechtes zu Gute gethan, indem ich in einer
grausen nächtlichen Zigeunerscene Adelheid auftreten, und ihre schöne
Gegenwart Wunder thun ließ. Eine nähere Prüfung verbannte diese Scene, so
wie auch der im vierten und fünften Act umständlich ausgeführte
Liebeshandel zwischen Franz und seiner gnädigen Frau sich in's Enge zog,
und nur in seinen Hauptmomenten hervorleuchtete."

Goethe entschloß sich zu einer Umarbeitung seines Schauspiels, die er in
einigen Wochen vollendete. In seinen gesammelten Werken findet man auch den
"Götz von Berlichingen" in seiner ursprünglichen Gestalt und eine spätere
Theaterbearbeitung jenes Schauspiels vom Jahr 1804. Niemand war jedoch
unzufriedener mit dieser Umformung seines Stücks, als Merk. Er drang auf
die Herausgabe des Schauspiels, und erbot sich, als Goethe, wie schon
früher bei den "Mitschuldigen," keinen Verleger finden konnte, die
Druckkosten zu übernehmen, wenn Goethe für die Anschaffung des Papiers
sorgen wollte. So ward der "Götz von Berlichingen" 1773 zu Hamburg gedruckt
und bereits im nächsten Jahre neu aufgelegt in der Vaterstadt des Dichters,
der sich, nach seinem eignen Geständnisse aus späterer Zeit, "bei sehr
erschöpfter Casse in großer Verlegenheit befand, wie er das Papier bezahlen
sollte, auf welchem er die Welt mit seinem Talent bekannt gemacht hatte."

Der Stoff, den Goethe gewählt, war zu einer weit verbreiteten Wirkung
geeignet. Indem er seinem eignen Freiheitsgefühl Luft machte, hatte er den
deutschen Patriotismus genährt, der durch Klopstocks "Hermannsschlacht" und
die Bardenlieder geweckt worden war. Der Antheil des Publikums an jener
"wilden dramatischen Skizze," wie Goethe sein Schauspiel in spätern Jahren
nannte, war um so größer, je edler und einnehmender die poetische Gestalt
des historischen Götz von ihm gezeichnet worden war, der in einer wilden,
gesetzlosen Zeit kein Bedenken trug, zur Selbsthülfe zu greifen. Unter dem
Lobe, das dem Dichter sowohl der Schilderung der einzelnen Charaktere, als
auch des Styls wegen gespendet ward, traf ihn auch mancher bittere Tadel,
besonders der Vorwurf, das Faustrecht mit zu glänzenden Farben geschildert,
und der gesetzlosen Willkühr dadurch das Wort geredet zu haben. Goethe
schien sich um die über sein dramatisches Product gefällten Urtheile wenig
zu kümmern. Belustigend aber war für ihn die Idee eines Buchhändlers, der
ihn aufforderte, ein Dutzend solcher Stücke zu schreiben, und sie gut zu
honoriren versprach.

Mit Goethe's mannigfachen poetischen Entwürfen harmonirten nicht die völlig
heterogenen Geschäfte, denen er sich in Wetzlar widmen mußte. Die kalte
Wirklichkeit, die seine Ideale zerstörte, erzeugte in ihm einen tiefen
Unmuth und beinahe völligen Lebensüberdruß, der noch verstärkt ward
durch die leidenschaftliche Neigung zu einem ihm versagten Gegenstande.
Durch den vertrauten Umgang mit Charlotte Buff, der Tochter eines
Amtmanns in Wetzlar, die mit dem dort sich aufhaltenden Bremischen
Gesandschaftssecretär Kestner verlobt war, suchte Goethe die Leere
auszufüllen, die das aufgelöste Verhältniß mit der Pfarrerstochter in
Sesenheim in seinem Herzen zurückgelassen hatte. Oft allein mit dem
Gegenstande seiner Neigung, im Garten und auf einsamen Spaziergängen,
fühlte er das Verderbliche seiner wachsenden Leidenschaft. Das Leben ward
ihm gleichgültig, da seine hochfliegende Phantasie überall an die Schranken
einer bürgerlichen Existenz im gewöhnlichsten Sinne des Worts stieß, die
ihm keinen heitern Blick in die Zukunft gewährte. In seiner unmuthigen
Stimmung kam ihm sogar einige Mal der Gedanke, sich selbst das Leben zu
nehmen. Um so erschütternder wirkte auf ihn der Selbstmord eines seiner
Bekannten. Es war Karl Wilhelm Jerusalem, ein Sohn des bekannten
Braunschweiger Theologen. Gepeinigt von einer unbefriedigten Leidenschaft
zu eben dem Gegenstande, welchem Goethe nicht ohne harten Kampf entsagt,
hatte jener unglückliche junge Mann sein Leben durch eine Kugel geendet.

Tief ergriffen von der genauen Schilderung jenes tragischen Ereignisses,
unternahm es Goethe, in seinem "Werther" den qualvollen Zustand zu
schildern, den er aus eigner Erfahrung kannte. Was er selbst empfunden,
setzte sein Gemüth in eine leidenschaftliche Bewegung, und so geschah es,
daß er seinem Roman das Feuer und die Gluth einhauchte, die keinen
Unterschied zuläßt zwischen der Dichtung und der Wirklichkeit. Nach
Goethe's eignem Geständniß in späterer Zeit schrieb er, jede äußere Störung
so viel als möglich vermeidend, den "Werther" in vier Wochen, ohne zuvor
einen eigentlichen Plan entworfen oder einzelne Theile seines Romans
ausgeführt zu haben. Er ward beinahe vergöttert wegen seines Werks, fand
aber auf der andern Seite auch zahlreiche Gegner, besonders als das
unglückliche Ende seines schwärmerischen Helden manche zu gleicher That
reizte.

Dem vielfachen Unheil, daß man jenem Roman mit und ohne Grund beimaß, wäre
zufälliger Weise beinahe vorgebeugt worden, wenn Goethe, verstimmt durch
die Gleichgültigkeit Merk's bei der Mittheilung seines Romans, den
Entschluß ausgeführt hätte, ihn sofort zu verbrennen. Mit dem Buchhändler
Weygand in Leipzig war Goethe über den Verlag seines Romans einig geworden.
Gerade an dem Hochzeitstage seiner Schwester Cornelia kam der Brief
Weygands an, der ihn aufforderte, das Manuscript nach Leipzig zu senden.
Der "Werther" erschien 1774, und bereits im nächsten Jahre eine neue
Ausgabe mit einigen Zusätzen und mit einigen späterhin weggelassenen Versen
auf dem Titelblatte der beiden Theile des Romans.

Goethe war, als er sein Werk vollendet, wieder heiterer geworden. Er hatte
sich, nach seinem eignen Geständniß in spätern Jahren, "aus einem
stürmischen Element gerettet auf dem er durch eigene und fremde Schuld,
durch zufällige und gewählte Lebensweise, durch Vorsatz und Uebereilung
umhergetrieben worden war."

In Bezug auf die zahllosen Nachahmungen, Kritiken und Parodien seines Werks
äußerte er sich unmuthig in einem Briefe vom 6. März 1775 mit den Worten:
"Ich bin des Ausgrabens und Secirens meines Werther herzlich satt. Der Eine
schilt, der Andere lobt, der Dritte sagt, es gehe doch noch an, und so
hetzt mich Einer wie der Andere. Nimmt mir's doch," fügte er hinzu, "nichts
von meinem Ganzen, rührt's und rückt mich's doch nicht in meinen Arbeiten,
die immer nur die aufbewahrten Freuden und Leiden meines Lebens sind." An
einer von dem Berliner Buchhändler Friedrich Nicolai herausgegebenen
Schrift, "die Freuden des jungen Werther" betitelt, rächte sich Goethe
durch ein satyrisches Gedicht: "Nicolai an Werthers Grabe" und durch einen
in Prosa geschriebenen Dialog zwischen Lotte und Werther. Beide Producte
blieben ungedruckt.

Den mannigfachen Fragen, die über das Leben und den Charakter des
unglücklichen Jünglings, den er in seinem Roman geschildert, an ihn
gerichtet wurden, suchte Goethevergebens auszuweichen. Die Neugier des
Publikums befriedigte einigermaßen der unbekannte Verfasser einer damals
(1775) erschienenen Schrift: "Berichtigung der Geschichte des jungen
Werthers." Ungeachtet der ihm lästigen Zudringlichkeit fühlte sich Goethe
doch als Autor geschmeichelt, daß mehrere talentvolle junge Männer seine
Bekanntschaft suchten oder den Umgang mit ihm erneuerten. Am innigsten
schloß sich, als er wieder nach Frankfurt zurückgekehrt war, der Dichter
Lenz an ihn an, den er schon, wie früher erwähnt, in Straßburg kennen
gelernt hatte. Er zeigte ihm mehrere seiner dramatischen Produkte, den
"Hofmeister," den "neuen Mendoza" u.a.m. Auch Wagner, der als Doctor der
Rechte und Advokat in Frankfurt, gleichfalls der Poesie huldigte, kam dem
Verfasser des Götz und Werther mit treuherziger Offenheit entgegen. Er
täuschte jedoch Goethe's Vertrauen, der ihm mehrere seiner dramatischen
Pläne mitgetheilt hatte. Gretchens Katastrophe im Faust benutzte Wagner
unter andern für ein von ihm geschriebenes Trauerspiel, "die
Kindesmörderin" betitelt. Reiner und inniger war das Verhältniß Goethe's zu
seinem Landsmann, dem Dichter Klinger.

Mit Lavater hatte Goethe schon längere Zeit in Briefwechsel gestanden, und
ihm, außer mehreren literarischen Entwürfen, den "Werther" im Manuscript
mitgetheilt. Den 20. August 1774 schrieb er an Lavater: "Du wirst großen
Antheil nehmen an den Leiden des lieben Jungen, den ich darstelle. Wir
gingen neben einander, an die sechs Jahre, ohne uns zu nähern; und nun hab'
ich seiner Geschichte meine Empfindungen geliehen, und so macht's ein
wunderliches Ganze." In Bezug auf seine Thätigkeit bemerkte er in diesem
Briefe: "Ich bin nicht laß; so lange ich auf der Erde bin, erobere ich
gewiß meinen Schritt Landes täglich." Ueber seine Beschäftigungen ertheilte
er einige Auskunft in einem spätern Schreiben vom 18. October 1774. "Meine
Arbeit," äußerte er, "hat bisher in Portraits im Großen und in kleinen
Liebesliedern bestanden. Ich habe seit drei Tagen mit dem mir möglichsten
Fleiße gearbeitet, und bin noch nicht fertig. Es ist gut, daß man einmal
Alles thue, was man thun kann." Lavaters Vorwürfe über die Zersplitterung
seiner Zeit und Kräfte fertigte Goethe mit den Worten ab: "Was neckst Du
mich wegen meiner Amüsements? Ich wollte, ich hätte eine höhere Bestimmung,
so wollte ich weder meine Handlungen Amüsements nennen, noch mich, statt zu
handeln, amüsiren."

Eine fortwährende Anregung gab dem Briefwechsel Goethe's mit Lavater, außer
den Artikeln, die jener für dessen Physiognomik lieferte, besonders
Lavaters Lieblingsthema, der Streit zwischen Wissen und Glauben. Ein Brief
Goethe's, vom 24. November 1774, an Lavater und dessen Freund, den Diakonus
Pfenninger in Zürich zugleich gerichtet, enthielt in dieser Hinsicht einige
charakteristische Bemerkungen. Mit Herzlichkeit und in dem vertraulichen
Tone schrieb Goethe: "Glaube mir, lieber Bruder, es wird die Zeit kommen,
da wir uns verstehen werden. Du redest mit mir, wie mit einem Ungläubigen,
der begreifen will, der bewiesen haben will, der nicht erfahren hat; und
von alle dem ist gerade das Gegentheil in meinem Herzen.--Bin ich nicht
resignirter im Begreifen und Beweisen, als ihr? Ich bin vielleicht
ein Thor, daß ich euch nicht den Gefallen thue, mich mit euren
Worten auszudrücken, und daß ich nicht einmal durch eine reine
Experimental-Psychologie meines Innern euch darlege, daß ich ein Mensch
bin, daher nicht anders sentiren kann, als andere Menschen, und daß Alles,
was unter uns Widerspruch scheint, nur Wortstreit ist, der daraus entsteht,
weil ich die Sachen unter andern Combinationen sentire, und darum,
ihre Relativität ausdrückend, sie anders benennen muß, welches aller
Controversen Quelle ewig war und ewig bleiben wird.--Und daß du mich ewig
mit Zeugnissen quälen willst! Wozu das? Brauch ich Zeugniß, daß ich bin?
Zeugniß, daß ich fühle? Nur so schätze, liebe, bete ich die Zeugnisse an,
die mir darlegen, wie Tausend oder Einer vor mir eben das gefühlt haben,
was mich kräftigt und stärkt. Und so ist das Wort der Menschen mir Wort
Gottes, mögen's Pfaffen oder Huren gesammelt, und es zum Kanon gerollt
oder als Fragmente hingestreut haben. Und mit inniger Seele fall' ich
dem Bruder um den Hals--Moses! Prophet! Evangelist! Apostel! Spinoza
oder Macchiavell! Darf aber auch zu Jedem sagen: Lieber Freund, geht
dir's doch wie mir. Im Einzelnen sentirst Du kräftig und herrlich; das
Ganze aber ging in deinen Kopf so wenig, als in den meinigen."

Der briefliche Ideenaustausch Goethe's mit Lavater verwandelte sich, als
dieser 1774 wieder nach Frankfurt kam, in mündliche Ueberlieferung. Das
Phantastische in Lavaters Natur verkannte Goethe nicht, aber er fand es,
wie er in einem früher erwähnten Briefe sich ausgedrückt hatte, "mit dem
schönsten, schlichtesten Menschenverstande gepaart." Ihn fesselte damals
jede Natur, mochte sie auch von der seinigen noch so verschieden seyn. Nach
Ems, wohin sich Lavater begab, begleitete ihn Goethe. Kaum wieder nach
Frankfurt zurückgekehrt, traf er dort mit Basedow zusammen, der damals in
der Pädagogik ein helleres Licht angezündet hatte, doch in allerlei
seltsamen religiösen Ansichten befangen war, die er aufs Lebhafteste
vertheidigte. Durch das Cynische in seinem Aeußern und ganzen Wesen fühlte
sich Goethe zurückgestoßen, besonders durch den Geruch des schlechten
Tabaks, den Basedow auf der Reise nach Ems, wohin ihn Goethe begleitete,
fortwährend in die Luft blies. In mehrfacher Weise störte Basedow die
gesellige Unterhaltung in dem Hause der Frau v. Stein zu Nassau. Als Goethe
mit Lavater und Basedow wieder nach Frankfurt zurückkehrte, und, wie er in
einem noch erhaltenen Gedicht sagt: "als das Weltkind zwischen zwei
Propheten saß," benutzte er Basedows entschiedene Abneigung gegen die
Trinitatslehre zu einer lustigen Rache. Er hieß den Kutscher schnell
vorüberfahren bei einem Wirthshause, in welchem Basedow seinen brennenden
Durst stillen wollte. Indem Goethe auf das mit zwei verschränkten Triangeln
versehene Gasthofsschild hinwieß, äußerte er schalkhaft, daß Basedow, der
schon über Einen Triangel außer Fassung gerathe, bei diesem Anblick
geradezu verrückt hätte werden müssen.

Unbefriedigt und verletzt durch die ungleichartigen Naturen Lavaters und
Basedows, schloß sich Goethe mit größerer Innigkeit den Gebrüdern Jacobi
an, die er in Cöln kennen gelernt hatte. Der Dichter I.G. Jacobi verzieh
ihm den Spott, den er sich über seine mit Gleim gewechselten Briefe und
Gedichte, die damals im Druck erschienen waren, erlaubt hatte. Das offene
Vertrauen, mit welchem ihm besonders F.H. Jacobi entgegenkam, gewann
Goethe's Herz. Aber auch sein Geist fand Befriedigung in mannigfachen
philosophischen Gesprächen, besonders über das System und die Lehre
Spinoza's. Im wechselseitigen Austausch ihrer Ideen fühlten sich die
Freunde sehr glücklich. Jacobi schrieb damals, den 27. August 1774, an
Wieland: "Was Goethe und ich einander seyn sollten, seyn mußten, war,
sobald wir vom Himmel herunter neben einander gefallen waren, sogleich
entschieden. Jeder glaubte von dem Andern mehr zu empfangen, als er ihm
geben konnte; Mangel und Reichthum auf beiden Seiten umarmten einander; so
ward die Liebe unter uns."

In der Gemäldegallerie zu Düsseldorf, wohin Goethe mit den Gebrüdern Jacobi
gereist war, fand sein Kunstsinn volle Befriedigung. Mit einem seiner
Straßburger Bekannten, mit Jung-Stilling, traf Goethe in Elberfeld
zusammen. Heinse, der Verfasser des Ardinghello, den er dort kennen lernte,
bewunderte, nach einer brieflichen Aeußerung, an dem damals fünf und
zwanzigjährigen Goethe "das Genie, vom Wirbel bis zur Zehe, den Geist mit
Adlersflügeln."

Nach den verschiedenartigsten Richtungen verlor sich, als er wieder nach
Frankfurt zurückgekehrt war, Goethe's literarische Thätigkeit. Er äußerte
sich darüber in einem damaligen Briefe: "Geschrieben hab' ich allerlei,
gewissermaßen wenig, im Grunde nichts. Wir schöpfen den Schaum von dem
großen Strom der Menschheit mit unsern Kielen, und bilden uns ein,
wenigstens schwimmende Inseln gefangen zu haben." So bezeichnete Goethe
seine mannigfachen literarischen Entwürfe, von denen fast keiner ausgeführt
ward. Längere Zeit beschäftigte ihn die Idee, das Leben Mahomet's
dramatisch zu behandeln. Mehrere Scenen wurden theils skizzirt, theils
vollendet. Erhalten hat sich jedoch von jenem Stück nichts weiter, als das
in Goethe's Werken aufbewahrte Gedicht: "Mahomet's Gesang." Die bekannte
Geschichte von dem ewigen Juden, die sich ihm schon früh durch die
Volksbücher eingeprägt hatte, wollte er zu einem Epos benutzen. Auch die
Fabel vom Prometheus hielt er für eine dramatische Bearbeitung geeigenet,
von der sich jedoch nichts weiter erhalten hat, als das in Goethe's Werken
aufbewahrte Gedicht "Prometheus." Vollendet ward von Goethe um diese Zeit
(1774) nur das Trauerspiel "Clavigo", wozu ihm die von Beaumarchais
geschriebenen Memoiren die nächste Veranlassung gegeben hatten.
Gleichzeitig veröffentlichte Goethe aber auch unter dem Titel einer Farçe
seine dramatische Dichtung: "Götter, Helden und Wieland." In den
Anmerkungen zu seiner Uebersetzung Shakspeare's hatte Wieland den großen
Britten scharf getadelt. Durch diesen Tadel und die zu moderne Behandlung
der griechischen Götter in dem von Wieland geschriebenen Singspiel
"Alceste" gereizt und aufgeregt, schrieb Goethe jenes satyrische Product,
das seinen bisherigen Verhältnissen unvermuthet eine ganz andere und für
sein späteres Leben einflußreiche Wendung gab.

Durch jene Posse hatte Goethe die Aufmerksamkeit eines jungen Fürsten
erregt, der sich für den Verfasser des Götz und Werther bereits lebhaft
interessirt hatte. Es war der damalige Erbprinz und nachheriger Großherzog
Carl August von Sachsen-Weimar, der begleitet von seinem jüngern Bruder,
dem Prinzen Constantin und dessen Erzieher v. Knebel, auf einer damalichen
Reise Frankfurt berührte. Goethe ward den beiden Fürsten auf deren Wunsch,
vorgestellt und bald nachher, im November 1775, als geheimer Legationsrath
nach Weimar gerufen, wo er im damaligen geheimen Consilium Sitz und Stimme
erhielt. Sein neues Verhältniß schilderte er in einem Briefe an Lavater vom
21. December 1775 mit den Worten: "Ich bin hier in Weimar wie unter den
Meinigen. Der Herzog wird mir immer werther, und ich ihm immer
verbundener." In einem spätern Briefe vom 22. Januar 1778 meldete Goethe
seinem Freunde Merk: "Ich bin nun ganz in alle Hof- und politische Händel
verwickelt. Meine Lage ist vorteilhaft genug, und die Herzogthümer Weimar
und Eisenach sind immer ein Schauplatz, um zu versuchen, wie einem die
Weltrolle zu Gesichte steht."

Mit vielem Humor charakterisirte Goethe seinen heterogenen Geschäftskreis
in einem Briefe an Merk vom 5. August 1778. "Im Innern", schrieb er, "geht
mir alles nach Wunsch. Das Element, in dem ich schwebe, hat alle
Aehnlichkeit mit dem Wasser; es zieht Jeden an, und doch versagt dem, der
auch nur bis an die Brust hineinspringt, im Anfange der Athem. Muß er nun
gar gleich tauchen, so verschwinden ihm Himmel und Erde. Hält man's dann
eine Weile aus, und kriegt das Gefühl, das einem das Element trägt, und daß
man doch nicht untersinkt, wenn man gleich nur mit der Nase hervor guckt,
nun so findet sich im Menschen auch Glied und Geschick zum Froschwesen, und
man lernt mit wenig Bewegung viel thun."

Dieser Brief Goethe's enthielt auch eine Schilderung seiner durch ein
bekanntes Gedicht verewigten Harzreise. "Letzten Winter", schrieb er, "hat
mir eine Reise auf den Harz das reinste Vergnügen gegeben. Du weißt, so
sehr ich's hasse, wenn man das Natürliche abentheuerlich machen will, so
wohl ist mir's, wenn das Abenteuerliche natürlich zugeht. Ich machte mich
ganz allein auf, etwa den letzten November, zu Pferde, mit einem
Mantelsack, und ritt durch Schloßen, Frost und Koth aus Nordhausen den Harz
hinein in die Baumannshöhle, über Wernigerode, Goßlar, auf den hohen Harz,
das Detail erzähl' ich dir einmal, und überwand alle Schwierigkeiten, und
stand am 8. December, glaub' ich, Mittags um Eins auf dem Brocken, oben in
der heitersten, brennendsten Sonne, über dem anderthalb Ellen hohen Schnee,
und sah die Gegend von Deutschland unter mir, Alles von Wolken bedeckt, daß
der Förster, den ich mit Mühe persuadirt hatte, mich zu führen, selbst vor
Verwunderung außer sich kam, sich da zu sehen, da er viele Jahre am Fuße
wohnend, das immer für unmöglich gehalten hatte. Da war ich vierzehn Tage
allein, daß kein Mensch wußte, wo ich war. Von dem Gedanken der Einsamkeit
findest du auf dem beiliegenden Blatt fliegende Streifen." Dies Blatt
enthielt das bekannte Gedicht: "Harzreise im Winter." Mehrere Stellen darin
bezogen sich auf den Sohn des Superintendenten Plessing in Wernigerode,
einen talentvollen, doch zum Theil durch das Lesen des "Werther" in eine
unheilbare Schwermuth versunkenen jungen Mann, den Goethe im Gasthofe zu
Wernigerode kennen gelernt hatte.

Was Goethe selbst in spätern Jahren sich zum Vorwurf machte, daß er durch
sein zerstreutes und vielfach bewegtes Leben die Wirksamkeit seines
poetischen Talents beschränkt und beinahe zerstört habe, rügte schon damals
sein Freund Merk mit den Worten: "Was Teufel fällt dem Wolfgang ein, am
Hofe herumzuschranzen und zu scherwenzeln? Giebt es nichts Besseres für ihn
zu thun?" Die Wahrheit dieser auch von Andern ihm gemachten Vorwürfe fühlte
Goethe. Aber er erkannte und schätzte auch das Wohlwollen und die
Freundschaft seines Fürsten, und bemühte sich dem ihm geschenkten Vertrauen
auf jede Weise zu entsprechen. Mit seinem Beruf, wenn ihm derselbe
vielleicht auch nicht völlig klar war, meinte er es jedenfalls redlich. In
einem seiner damaligen Briefe gestand er: das ihm aufgetragene Tagwerk, das
ihm täglich leichter und schwerer werde, erfordere wachend und träumend
seine Gegenwart.

"Diese Pflicht", schrieb er, "wird mir täglich theurer, und darin wünschte
ich's den größten Menschen gleich zu thun, und in nichts Größerem. Diese
Begierde, die Pyramide meines Daseyns, deren Basis mir angegeben und
gegründet ist, so hoch als möglich in die Luft zu spitzen, überwiegt alles
Andere, und läßt kaum augenblickliches Vergessen zu. Ich darf nicht säumen,
ich bin schon weit in Jahren vor, und vielleicht bricht mich das Schicksal
in der Mitte, und der babylonische Thurm bleibt stumpf unvollendet.
Wenigstens soll man sagen, er war kühn entworfen, und wenn ich lebe,
sollen, will's Gott, die Kräfte hinaufreichen."

Begrenzt ward dieser weit aussehende Lebensplan Goethe's durch das in ihm
erwachte lebhafte Interesse an theatralischen Vorstellungen. Zu Ettersburg
und Tiefurt waren mehrere kleine Stücke und Operetten in den Buchenwäldern
an der Ilm aufgeführt worden. Einsiedel, Seckendorf, Musäus u.A. hatten
jenem Bedürfniß durch dramatische Producte gehuldigt, und Goethe selbst
hatte zu diesem Zweck seine "Fischerin", und die Singspiele "Erwin und
Elmire" und "Claudine von Villa Bella" gedichtet. Später übernahm er die
Leitung eines in Weimar errichteten Liebhabertheaters, bei welchem der Hof
die Kosten der Garderobe, Musik, Beleuchtung u.s.w. bestritt. Eine
Hauptzierde jener Bühne war die talentvolle Carona Schröter, damals
Hofsängerin, welcher Goethe später in seinem Gedicht: "Miedings Tod" ein
unvergängliches Denkmal setzte. Auch Goethe trat in jenem Lieblingstheater
auf, als Alcest in den "Mitschuldigen", später als Orest in seiner
"Iphigenie" auf. Sein Spiel in ernsten Rollen soll zu leidenschaftlich und
ungestüm gewesen seyn. Besser gelang ihm die Darstellung humoristischer
Charaktere, vorzüglich in den von ihm gedichteten Fastnachtsspielen, als
Hamann, als Marktschreier in dem "Jahrmarkt von Plundersweilern" u.a.m. Für
theatralische Zwecke schrieb Goethe, außer seinen größern Werken, noch das
dramatisch vorgestellte Gedicht "Epiphanias."

Ueber einen kurzen Aufenthalt in Berlin, wohin er 1778 den Herzog von
Weimar begleitete, schrieb Goethe an Merk: "Ich war nur wenige Tage in
Berlin, und guckte nur drein, wie das Kind in den Schön-Raritäten-Kasten.
Aber du weißt, wie ich im Anschauen lebe; es sind mir tausend Lichter
aufgegangen. Und dem alten Fritz bin ich recht nahe worden; da hab' ich
sein Wesen gesehen, sein Gold, Silber, Marmor, Affen, Papageien und
zerrissene Vorhänge, und habe über den großen Menschen seine eignen
Lumpenhunde räsonniren hören. Die Generäle, die ich halbdutzendweise bei
Tisch mir gegenüber gehabt, machen mir den jetzigen König gegenwärtiger.
Mit Menschen hab' ich sonst gar nichts zu verkehren gehabt, und habe in
preußischen Staaten kein laut Wort hervorgebracht, daß sie nicht könnten
drucken lassen, dafür ich gelegentlich als stolz u.s.w. ausgeschrieen
worden bin."

Einen weitern Ausflug unternahm Goethe 1779 nach der Schweiz. Er machte
diese Reise in Gesellschaft seines von ihm hochverehrten Fürsten, der ihn
kurz zuvor zum Geheimen Rath ernannt hatte. Die glückliche Heimkehr
wünschte Goethe durch ein Denkmal zu verewigen, das er dem Herzog im
Weimarischen Park errichten lassen wollte. Sehr ausführlich äußerte er sich
in einem im November 1779 geschriebenen Briefe an Lavater über diese Idee,
bei der er auf die Mitwirkung des rühmlich bekannten Malers Füßli in Zürich
rechnete. "Mein erster Gedanke," schrieb Goethe, "war so. Ich wollte dem
Monument eine viereckige Form geben. Von drei Seiten sollte jede eine
einzelne bedeutende Figur, und die vierte eine Inschrift haben. Zuförderst
sollte das gute heilsame Glück stehen, durch das die Schlachten gewonnen
und die Schiffe regiert werden, günstigen Wind im Nacken, die launische
Freundin und Belohnerin kecker Unternehmungen mit Steuerruder und Kranz. Im
Felde zur Rechten hatte ich mir den Genius, den Antreiber, Wegmacher,
Wegweiser, Fackelträger muthigen Schrittes gedacht. In dem Felde zur Linken
sollte Terminus, der ruhige Grenzbeschreiber, der bedächtige, mäßige
Rathgeber stillstehend mit dem Schlangenstabe einen Grenzstein bezeichnen,
jener lebend rührig vordringend, dieser ruhig, sanft in sich gekehrt, zwei
Söhne, eine Mutter--der ältere jener, der jüngere dieser. Das hintere Feld
hatte die Inschrift: Fortunae Duci Reduci Natisque Genio Et Termino Ex
Voto. Du siehst, was ich für Ideen damit zusammenbinden wollte. Sowohl auf
dieser Reise als im ganzen Lande, als im ganzen Leben, sind wir diesen
Gottheiten sehr zu Schuldnern geworden. Das erste Mal, wo wir nach einer
langen, nicht immer fröhlichen Zeit, in die freie Welt kommen, zusammen den
ersten bedeutenden Schritt wagen, gleich mit dem schönsten Hauche des
Glücks fortgetrieben zu werden, in der spätern Jahreszeit, Alles mit
günstiger Sonne und Gestirnen. Den ganzen Weg, den wir machen, begleitet
von einem guten Geiste, der überall die Fackel vorträgt, hierhin ladet,
dorthin treibt, daß, wenn ich zurück sehe, wir zu so manchem, das unsere
Reise ganz macht, nicht durch unsere Wege und Wollen geleitet worden sind,
und dann am Ende, daß wir auch durch den schönen Glückssohn bedeutet
wurden, wo wir aufhören, wo wir einen Grenzbogen beschreiben und wieder
zurückkehren sollten, was wieder einen unglaublichen Einfluß auf unsere
Zurückgelassenen hat und haben wird. Das alles zusammen giebt mir die
Empfindung, die ich nicht schöner zu ehren weiß, als womit alle Zeiten
durch die Menschen Gott verehrt haben." Das in diesem Briefe ausführlich
beschriebene Denkmal, das aus einem "lichtgrauen Stein" bestehen sollte,
"der an den Marmor grenze," kam nicht zu Stande. Die Ausführung dieser
Idee mochte ihre Schwierigkeiten haben. Ob der Maler Füßli die von ihm
gewünschte Zeichnung wirklich lieferte, ist zweifelhaft. So viel ist gewiß,
daß sie im Frühjahr 1780 noch nicht vorhanden war.

Mit Lavater, der sich darüber in einem seiner Briefe bitter beklagte, hatte
Goethe in der Schweiz genußreiche Tage verlebt. Er freute sich sehr, ihn
wieder zu sehen, und seine Gedanken mit ihm austauschen zu können, so wenig
beide auch, besonders in ihren Ansichten über religiöse Gegenstände, mit
einander übereinstimmten. "Nicht allein vergnüglich", schrieb Goethe den
28. October 1779, "sondern gesegnet uns beiden, soll unsere Zusammenkunft
seyn. Für ein Paar Leute, die Gott auf so verschiedene Art dienen, sind wir
vielleicht die einzigen, und ich denke, wir wollen mehr zusammen überlegen
und ausmachen, als ein ganzes Concilium mit seinen Pfaffen, Huren und
Mauleseln. Eins aber werden wir doch wohl thun, daß wir einander unsere
Particular-Religionen ungehudelt lassen. Du bist gut darin, aber ich bin
manchmal hart und unhold. Da bitt' ich dich im Voraus um Geduld. So hat mir
z. B. Tobler deine Offenbarung Johannis gegeben. An der ist mir nun nichts,
als deine Handschrift, darum hab' ich sie auch zu lesen angefangen. Es
hilft nichts, ich kann das Göttliche nirgends, und das Poetische nur hie
und da finden. Das Ganze ist mir fatal; mir ist's, als röche ich überall
einen Menschen durch, der gar keinen Geruch von dem gehabt, der da ist A.
und O.--Ich bin ein sehr irdischer Mensch; mir ist das Gleichniß vom
ungerechten Haushalter, vom verlornen Sohn, vom Säemann, von der Perle u.
s. w. göttlicher--wenn je was Göttliches da seyn soll--als die sieben
Botschafter, Leuchter, Hörner, Siegel, Sterne und Wehe. Ich denke auch aus
der Wahrheit zu seyn, aber aus der Wahrheit der fünf Sinne, und Gott habe
Geduld mit mir, wie bisher.--Gegen deine Messiade hab' ich nichts; sie
liest sich gut, wenn man einmal das Buch mag, und was in der Apokalypse
enthalten ist, drückt sich durch deinen Mund rein und gut in die Seele. Das
willst du da; wozu denn aber die ewigen Trümpfe, mit denen man nicht
sticht, und kein Spiel gewinnt, weil sie kein Mensch gelten läßt? Du
siehst, ich bin noch immer der Alte, und falle dir wieder von eben der
Seite, wie vormals, zur Last. Ich war schon in Versuchung, das Blatt zu
zerreißen; doch da wir uns sehen werden, so mag es gehen."

Die in diesem Briefe enthaltenen Aeußerungen zeigten, wie Goethe den
nüchternen gesunden Menschenverstand den schwärmerischen Ansichten Lavaters
gegenüber geltend machte. Im mündlichen Austausch ihrer Ideen, im
traulichen Gespräch hatten sie sich wenigstens so weit genähert, als ihre
individuelle Denk- und Empfindungsweise erlaubte. Selbst das mißbilligende
Urtheil über manche Schriften Lavaters nahm Goethe zurück. "Deine
Offenbarung Johannis," schrieb er den 2. November 1779, "hat mir viel
Vergnügen gemacht. Ich habe sie recht und vieles davon mehr als einmal
gelesen. Da ich hörte, du habest darüber von Amtswegen gepredigt, gab es
mir ein ganz neues Interesse, denn ich konnte nun mehr begreifen, wie du
dich mit diesem Buche so lange beschäftigt, es ganz in dich hinüber
empfunden hast, und es in einem so fremden vehiculo ohne fremden,
vielleicht eigentlich heterogenen Zusatz wieder aus dir herausquellen
lassen konntest; denn nach meiner Empfindung macht deine Ausmalung keinen
andern Eindruck, als die Originalskizze macht, wenigstens einer Seele aus
diesem Jahrhundert, wo man die Ideen, die du hineinlegst, selbst von
Kindheit an hineinzulegen pflegt. Die Arbeit selbst ist dir glücklich von
statten gegangen; einige treffliche Züge der Auslegung und Empfindung sind
darin. Ausgemalt sind viele Stellen ganz trefflich, besonders alle, die der
innern Empfindung von Zärtlichkeit und Kraft, wie z. B. die Verheißung des
ewigen Lebens, das Weiden der Schafe unter Palmen u. s. w. In einigen
Gestalten und Gleichnissen hast du dich auch gut gehalten; nur schwinden
deine Ungeheuer für mich zu schnell in allegorischen Dampf. Doch ist auch
dieß, wenn ich's recht bedenke, das klügste Theil, das du ergreifen
kannst." Der Brief schließt mit den herzlichen Worten: "Laß uns ja einander
bleiben, einander mehr werden. Neue Freunde und Lieben mag ich nicht.
Leider fühl' ich meine dreißig Jahre und Weltwesen. Schon einige Ferne von
dem werdenden, sich entfaltenden, ich erkenn' es noch mit Vergnügen, mein
Geist ist ihm nah, aber mein Herz ist fremd. Große Gedanken, die dem
Jüngling ganz fremd, füllen jetzt meine Seele."

In einem Briefe an Merk, vom 7. April 1780, meldete Goethe seine Genesung
von einer langwierigen Krankheit, die ihn bald nach der Rückkehr aus der
Schweiz befallen. "Schon in Frankfurt," schrieb er, "und als wir in der
Kälte an den Höfen herumzogen, war mir's nicht just. Die Bewegung der Reise
ließ es nicht zum Ausbruch kommen. Doch hatte ich eine böse
Zusammengezogenheit, eine Kälte, und Untheilnehmung, die Jedermann auffiel
und gar nicht natürlich war. Jetzt geht Alles wieder ganz gut."

Dieser Brief Goethe's enthielt zugleich flüchtige Andeutungen über manche
literärische Entwürfe, die jedoch größtentheils unausgeführt blieben. "Der
wichtigste Theil meiner Schweizerreise," schrieb er, "ist aus einzelnen, im
Moment geschriebenen Blättchen und Briefchen durch eine lebhafte Erinnerung
componirt. Wieland declarirte es für ein Poema. Ich habe aber noch weit
mehr damit vor, und wenn es mir glückt, so will ich mit diesem Garn viele
Vögel fangen. Zur Geschichte Herzog Bernhards von Weimar hab' ich viele
Documente und Collectaneen zusammengebracht, kann sie schon ziemlich
erzählen, und will, wenn ich erst den Scheiterhaufen gedruckter und
ungedruckter Nachrichten, Urkunden und Anecdoten recht zierlich
zusammengelegt, ausgeschmückt, und eine Menge schönen Räucherwerks und
Wohlgeruchs darauf herumgestreut habe, ihn einmal bei schöner trockner
Nachtzeit anzünden, und auch dieses Kunst- und Lustfeuer zum Vergnügen des
Publici brennen lassen."

Auch in einem spätern Briefe an Lavater, vom 5. Juni 1780, nahm Goethe die
Idee einer Biographie des Herzogs Bernhard wieder auf. "Ich scharre",
schrieb er, "nach meiner Art, Vorrath zu einer Lebensbeschreibung dieses
als Helden und Herrscher wirklich sehr merkwürdigen Mannes, der in seiner
kurzen Laufbahn ein Liebling der Menschen gewesen ist, allmählich zusammen,
und erwarte die Zeit, wo mir's vielleicht glücken wird, ein Feuerwerk
daraus zu machen. Seine Jahre fallen in den dreißigjährigen Krieg. Sein und
seiner Brüder Familiengemälde interessirt mich noch am meisten, da ich
ihren Urenkeln, in denen so manche Züge leibhaftig wiederkommen, so nahe
bin. Uebrigens versuche ich allerlei Beschwörungen und Hocus pocus, um
die Gestalten gleichzeitiger Helden und Lumpen in Nachahmung der Hexe zu
Endor wenigstens bis an den Gürtel aus dem Grabe steigen zu lassen, und
allenfalls irgend einen König, der an Zeichen und Wunder glaubt, in's
Bockshorn zu jagen."

Ueber jene Idee, die er wieder aufgab, äußerte sich Goethe in späteren
Jahren mit den Worten: "Manche Zeit und Mühe ward auf den Vorsatz, das
Leben Herzog Bernhards zu schreiben, vergebens aufgewendet. Nach vielfachem
Sammeln und mehrmaligem Schematisiren ward zuletzt nur allzu klar, daß die
Ereignisse des Helden kein Bild machten. In der jammervollen Ilias des
dreißigjährigen Krieges spielte er eine würdige Rolle, ließ sich aber von
jener Gesellschaft nicht absondern. Einen Ausweg glaubte ich jedoch
gefunden zu haben. Ich wollte das Leben schreiben wie einen ersten Band,
der den zweiten nothwendig machte. Ueberall sollten Verzahnungen stehen
bleiben, damit Jedermann bedauerte, daß ein frühzeitiger Tod den Baumeister
verhindert habe, sein Werk zu vollenden. Für mich war diese Bemühung nicht
unfruchtbar; denn wie das Studium zu Götz von Berlichingen mir tiefere
Einsicht in das funfzehnte und sechszehnte Jahrhundert gewährte, so mußte
mir diesmal die Verworfenheit des siebzehnten sich mehr entwickeln, als
sonst vielleicht geschehen wäre."

Auch durch anderweitige Beschäftigungen mochte Goethe jener historischen
Arbeit entzogen worden seyn. Noch immer betrieb er mit lebhaftem Interesse
die seit frühester Jugend ihm liebgewordenen Kunststudien. Seine Briefe an
Merk und Lavater enthielten mannigfache Aeußerungen über den Entwurf und
die Ausführung werthvoller Landschaften, Blätter und Skizzen, die er theils
besaß, theils zu erhalten wünschte, um seine Sammlung zu vervollständigen.
Ueber Albrecht Dürer schrieb er den 6. März 1780 an Lavater: "Ich verehre
täglich mehr die mit Gold und Silber nicht zu bezahlende Arbeit des Mannes,
der, wenn man ihn recht im Innersten erkennen lernt, an Wahrheit,
Erhabenheit, und selbst Grazie nur die ersten Italiener zu seines Gleichen
hat. Dieses wollen wir laut sagen." In diesem Briefe erwähnte er den Besitz
einer Sammlung von "geistigen Handrissen, besonders in Landschaften", die
er zu vermehren wünschte. Er schrieb darüber an Lavater: "Passe doch auf,
dir geht so vieles durch die Hände. Wenn du so ein Blatt findest, worauf
die erste, schnellste, unmittelbarste Aeußerung des Künstlergeistes
gedruckt ist, so lasse es dir nicht entwischen, wenn du's um leidliches
Geld haben kannst. Mir macht's ein besonderes Vergnügen."

Genährt ward Goethe's Kunstinteresse durch einen vierzehntägigen Aufenthalt
Oeser's in Ettersburg. Nichts konnte ihm erfreulicher seyn, als das
Wiedersehen seines alten Leipziger Freundes und Lehrers, dem er, nach
seinem eignen Geständniß in früher mitgetheilten Briefen, einen großen
Theil seiner Bildung verdankte. Oeser war vielfach beschäftigt mit der
Einrichtung und Anordnung des Liebhabertheaters in Ettersburg, auf welchem
das von Goethe nach Aristophanes bearbeitete Lustspiel: "die Vögel"
vorgestellt werden sollte. Goethe schrieb über Oeser: "Der Alte hatte den
ganzen Tag etwas zu kramen, anzugeben, zu verändern, zu zeichnen, zu
deuten, zu besprechen, zu lehren u.s.w., daß keine Minute leer war. Seitdem
er fort ist, gehts freilich ein wenig stiller und einfacher zu."

Durch Oeser's Abreise wich Goethe's Neigung zur Kunst allmählich dem in
späteren Jahren wachsenden Interesse an mannigfachen Naturgegenständen.
Seinem Freunde Merk hatte er in einem Briefe vom 3. Juli 1780 die Nachricht
mitgetheilt, daß der Bildhauer Klauer Oeser's Kopf "allerliebst bossirt",
und daß derselbe in Gyps gegossen und in grauen Stein gehauen werden solle.
"A propops", fügte er hinzu, "von Steinen hab' ich jetzt etwas sehr
Angenehmes und Unterhaltendes angefangen. Durch einen jungen Menschen, den
wir zum Bergwesen herbeiziehen, lasse ich eine mineralogische Beschreibung
von Weimar, Eisenach und Jena machen. Er bringt alle Steinarten mit seiner
Beschreibung überein, und numerirt mit, woraus ein sehr einfaches aber für
uns interessantes Cabinet entsteht. Wir finden auch mancherlei, was gut und
nützlich, ich will aber nicht sagen, einträglich ist." Seinen Brief schloß
Goethe mit der an Merk gerichteten Bitte: "Du thust mir einen großen
Gefallen, wenn du mir gelegentlich ein Stück von den Graniten schicktest,
die nicht weit von euch im Gebirge liegen, wo große abgesägte Stücke davon
glauben machen, daß die Römer ihre Obelisken daher geholt haben. Wenn du
einmal Gelegenheit findest zu erforschen, was der Felsberg auf seiner
höchsten Höhe für Steine hat, wird es mir auch sehr angenehm seyn."

Während Goethe das Gebiet der Wissenschaft und Kunst nach den
mannigfachsten Richtungen durchstreifte, schien seine poetische Thätigkeit
zu schlummern. Geweckt ward sie wieder durch die Erscheinung von Wielands
Oberon. Er schrieb darüber an Merk den 7. April 1780: "Du wirst den Oberon
gelesen und dich daran erfreut haben. Ich habe Wielandn' dafür einen
Lorbeerkranz geschickt, der ihn sehr erfreut hat." Nach einem spätern
Briefe an Lavater vom 3. Juli 1780 war Goethe überzeugt: "so lange Poesie
Poesie, Gold Gold und Crystall Crystall bleibe, werde auch Wieland's Oberon
als ein Meisterstück poetischer Kunst geliebt und bewundert werden."

Von dem genannten Epos begeistert, warnte er in einem Briefe vom 24. Juni
1780 vor der seichten und anmaßenden Kritik, die auch das Trefflichste
nicht verschone. "Bei Gelegenheit von Wieland's Oberon", schrieb er an
Lavater, "brauchst du das Wort Talent, als wenn es der Gegensatz von Genie
wäre, wo nicht ganz, doch wenigstens etwas Subordinirtes. Wir sollten aber
bedenken, daß das eigentliche Talent nichts weiter seyn kann, als die
Sprache des Genies. Ich will nicht chikaniren, denn ich weiß wohl, was du
im Durchschnitt damit sagen willst, und ich zupfe dich nur beim Aermel. Wir
sind oft gar zu freigebig mit allgemeinen Worten, und schneiden, wenn wir
ein Buch gelesen haben, das uns von Seite zu Seite Freude gemacht, und
aller Ehren werth vorgekommen ist, endlich gern mit der Scheere so gerade
durch, wie durch einen weißen Bogen Papier. Wenn ich ein solches Werk auch
blos als ein Schnitzbildchen ansehe, so wird es doch der feinsten Scheere
unmöglich, alle kleinen Formenzüge und Linien, worin der Werth liegt,
herauszusondern. Es ist nachher noch eins, was man nicht so leicht an einem
solchen Werke schätzt, weil es so selten ist: daß nämlich der Autor nichts
hat machen wollen und gemacht hat, als was eben da steht. Für das Gefühl,
die Kunst und Freiheit, vieles wegzulassen, gebührt ihm freilich der größte
Dank, den ihm aber auch nur der Künstler und Mitgenosse giebt."

Damit beruhigte sich Goethe bei dem einseitigen Urtheil, das von mehreren
Seiten seinen "Triumph der Empfindsamkeit" traf, eine harmlose Satyre auf
das damalige Weimarische Theaterpersonal, mit Anspielungen auf mancherlei
Vorfälle und Tagesereignisse. Manchen Tadel mußte er auch vernehmen über
die vorherrschende Sentimentalität in dem von ihm geschriebenen Schauspiel
"Lila", in dem Drama "die Geschwister," und in andern seiner damaligen
Producte. In eine dramatische Form kleidete Goethe auch mehrere theils
ernste, theils scherzhafte Gedichte, zu denen er durch Festlichkeiten des
Weimarischen Hofes veranlaßt ward.

Eine höhere poetische Idee lag seiner "Iphigenie" zum Grunde. Der erste
Entwurf dieses Schauspiels und seines erst mehrere Jahre später vollendeten
Romans: "Wilhelm Meisters Lehrjahre" fällt in diese Periode von Goethe's
Leben. Das Urtheil seiner Freunde, denen er mehrere von seinen damaligen
Producten handschriftlich mittheilte, war ihm nicht gleichgültig. Den 24.
Juli 1780 schrieb er an Lavater: "Daß du Freude gehabt hast an meiner
Iphigenie, ist mir ein außerordentliches Geschenk. Da wir mit unsern
Existenzen so nahe stehen, und mit unsern Gedanken und Imaginationen so
weit auseinander gehen wie zwei Schützen, die mit dem Rücken aneinander
lehnend, nach ganz verschiedenen Zielen schießen, so erlaube ich mir
niemals den Wunsch, daß meine Sachen dir etwas werden könnten. Ich freue
mich deswegen recht herzlich, daß ich auch mit diesem Product wieder an's
Herz gekommen bin."

In solcher Stimmung verschmerzte Goethe den Verdruß und Unmuth, den ihm ein
gewinnsüchtiger Buchhändler, Himburg in Berlin, bereitet hatte, als er ohne
Goethe's Mitwissen eine Sammlung seiner bisherigen Schriften in zwei
Octavbänden veranstaltete. Goethe erhielt von ihm einen Brief, in welchem
er dem Publikum einen großen Dienst erwiesen zu haben meinte, und sich
erbot, dem Dichter als einen Beweis seiner Erkenntlichkeit einiges Berliner
Porcellan zu schicken. Empört über die Anmaßung des unberufenen Verlegers
seiner Schriften, ließ Goethe das an ihn gerichtete Schreiben
unbeantwortet, und rächte sich im Stillen durch einige satyrische Verse.

Wissenschaftliche Forschungen der verschiedensten Art behielten für ihn ein
lebhaftes Interesse. Immer neuen Genuß schöpfte er aus der Betrachtung der
Natur, auch der anorganischen, auf seinen öftern Reisen in die Umgegend,
besonders nach Franken, als Begleiter des Herzogs von Weimar. In Bezug auf
seine mineralogischen Studien bemerkte Goethe in einem Briefe an Merk vom
11. October 1780: "Ich habe mich diesen Wissenschaften mit völliger
Leidenschaft ergeben, und habe eine sehr große Freude daran. Dabei schränke
ich mich aber nicht, wie die neuesten Chursachsen, philisterhaft darauf
ein, ob jener Berg dem Herzog von Weimar gehört oder nicht. Wie ein Hirsch,
der ohne Rücksicht des Territoriums sich äset, so denk' ich, muß der
Mineralog auch seyn. Und so hab' ich vom Gipfel des Inselbergs, des
höchsten vom Thüringerwalde, bis in's Würzburgische, Fuldaische, Hessische,
Chursächsische, bis über die Saale hinüber, und wieder so weiter bis
Saalfeld und Coburg herum, meine schnellen Ausflüge getrieben; habe die
meisten Stein- und Gebirgsarten von allen diesen Gegenden beisammen, und
finde in meiner Art zu sehen, das bischen Metallische, das den mühseligen
Menschen in die Tiefen hineinlockt, immer das Geringste. Durch dieses alles
zusammen und durch die Kramereien meiner Vorgänger bin ich im Stande, einen
kleinen Aufsatz zu liefern, der gewiß interessant seyn soll. Ich habe jetzt
die allgemeinsten Ideen und gewiß einen reinen Begriff, wie alles auf
einander steht und liegt, ohne Prätension auszuführen, wie es auf einander
gekommen ist. Da ich einmal nichts aus Büchern lernen kann, so fang' ich
erst jetzt an, nachdem ich die meilenlangen Blätter unserer Gegenden
umgeschlagen habe, auch die Erfahrungen Anderer zu studiren und zu nutzen.
Dies Feld ist, wie ich jetzt erst sehe, kurze Zeit her mit großem Fleiße
bebaut worden, und ich bin überzeugt, daß bei so viel Versuchen und
Hülfsmitteln ein einziger großer Mensch, der mit den Füßen oder dem Geist
die Welt umlaufen könnte, diesen seltsam zusammengebauten Ball ein- für
allemal erkennen und beschreiben könnte, was vielleicht schon Büffon im
höchsten Sinne gethan hat, weßhalb auch Franzosen und Deutschfranzosen
sagen, er habe einen Roman geschrieben, welches sehr wohl gesagt ist, weil
das ehrsame Publikum alles Außerordentliche nur durch den Roman kennt."

Durch diese Studien und andere Lieblingsneigungen ward Goethe nicht der
Amtsthätigkeit entzogen, die seine Stellung als Geheimer Rath mit Sitz und
Stimme in mehreren Collegien von ihm forderte. Die Huld seines Fürsten
hatte ihn von manchen lästigen Geschäften befreit. Auch ward ihm, nach
einem früher mitgetheilten Geständnisse, "sein Tagewerk leicht." Gleichwohl
beklagte er sich in einem im Februar 1781 an Lavater geschriebenen Briefe,
daß er fast zu viel auf sich lade. Er fügte hinzu: "Staatssachen sollte der
Mensch, der darein versetzt ist, sich ganz widmen, und ich möchte doch auch
so vieles Andere nicht fallen lassen."

In gleichem Sinne hatte er schon in einem frühern Briefe an Lavater
geäußert: "Den guten Landes- und Hausvater würdest du näher nur bedauern.
Was da auszustehen ist, spricht keine Zunge aus. Herrschaft wird Niemand
angeboren, und der sie ererbte, muß sie so bitter gewinnen, wie der
Eroberer, wenn er sie haben will, und bitterer. Es versteht dieß kein
Mensch, der seinen Wirkungskreis aus sich geschaffen und ausgetrieben hat."
Dann tröstete er sich wieder mit dem behaglichen Gefühl der Gesundheit. In
einem Briefe an Lavater vom 18. März 1781 sprach er den Wunsch aus, daß
Gott ihn noch lange auf dieser schönen Welt erhalten und ihm Kraft
verleihen möchte, ihr zu dienen und sie zu nutzen. "Mit mir steht's gut,"
schrieb er, "besonders innerlich. In weltlichen Dingen erwerb' ich täglich
mehr Gewandtheit, und vom Geiste fallen mir täglich Schuppen und Nebel, daß
ich denke, er müßte ganz nackt dastehen, und doch bleiben ihm noch Hüllen
genug."

Was ihn besonders über den Druck und Wechsel äußerer Lebensverhältnisse
erhob, war Goethe's Sinn für die Schönheiten der Natur. Mannigfachen Genuß
bot ihm sein am Weimarischen Park gelegener Garten. "Die nächsten Wochen
des Frühlings," schrieb er den 9. April 1781 an Lavater, "sind mir
gesegnet. Jeden Morgen empfängt mich eine neue Blume oder Knospe. Die
stille, reine, immer wiederkehrende, leidenlose Vegetation tröstet mich oft
über der Menschen Noth, ihre moralischen und noch mehr physischen Uebel."
Aehnliche Aeußerungen enthielt ein späterer Brief an Lavater vom 22. Juni
1781. "Glaube mir," schrieb Goethe, "unsere moralische und politische Welt
ist mit unterirdischen Gängen, Kellern und Kloaken minirt, wie eine große
Stadt zu seyn pflegt, an deren Zusammenhang und ihrer Bewohner Verhältnisse
wohl Niemand denkt und sinnt. Nun wird es dem, der davon einige Kundschaft
hat, viel begreiflicher, wenn da einmal der Erdboden einstürzt, und dort
einmal ein Rauch aufgeht aus einer Schlucht."

Von solchen Betrachtungen wandte sich Goethe, wie er es schon in seiner
Jugend gethan, zum Uebersinnlichen. "Ich bin," schrieb er an Lavater,
"geneigter als Jemand, noch an eine Welt, außer der sichtbaren, zu glauben,
und ich habe Dichtungs- und Lebenskraft genug, sogar mein eignes
beschränktes Selbst zu einem Swedenborgischen Geister-Universum erweitert
zu fühlen. Alsdann mag ich aber gern, daß das Alberne und Ekelhafte
menschlicher Excremente durch eine feine Gährung abgesondert, und der
reinlichste Zustand, in den wir versetzt werden können, empfunden werde."

Unter mannigfachen Arbeiten und Zerstreuungen war Goethe, nach seinen
eignen Worten, wieder zur Poesie zurückgekehrt. Neben der noch
unvollendeten "Iphigenie" beschäftigte ihn die Idee, Torquato Tasso, den
Dichter des befreiten Jerusalems, zum Helden eines Drama's zu wählen.
Den Stoff zu den Umgebungen seines Schauspiels fand er an dem Hofe der
Herzogin Amalie von Weimar. Dort lernte er den Ton kennen, der solchen
Umgebungen ziemte. Seinem Freunde Lavater berichtete Goethe den 14.
November 1781, er habe den ersten Act seines "Tasso" vollendet. "Ich
wünsche," fügte er hinzu, "daß er auch für dich geschrieben seyn
möchte." Goethe befand sich übrigens in einer Stimmung und in
Verhältnissen, die der raschen Förderung seines Werks nicht günstig
schienen. "Die Unruhe, in der ich lebe," schrieb er, ["]läßt mich nicht
über dergleichen vergnügliche Arbeiten bleiben, und so sehe ich auch
noch nicht den Raum vor mir, die übrigen Acte zu enden. Es geht mir, wie
es den Verschwendern geht, die in dem Augenblicke, wenn über Mangel an
Einnahme, überspannte Schulden und Ausgaben geklagt wird, gleichsam von
einem Geiste des Widerspruchs außer sich gesetzt, sich in neue
Verbindungen und Unkosten zu stürzen pflegen."

Treffend hatte Goethe in diesem Briefe sich selbst und die Beweglichkeit
seines Geistes geschildert, die ihn nicht lange bei einem und demselben
Gegenstande verweilen ließ. Auch das dramatische Interesse vermochte ihn
nicht ausschließlich zu fesseln. In dem eben erwähnten Briefe meldete
Goethe: "Auf unserer Zeichnungsakademie hab' ich mir diesen Winter
vorgenommen, mit den Lehrern und Schülern den Knochenbau des menschlichen
Körpers durchzugehen, sowohl um ihnen als mir zu nützen, sie auf das
Merkwürdige dieser einzigen Gestalt zu führen, und sie dadurch auf die
erste Stufe zu stellen, das Bedeutende in der Nachahmung sichtlicher Dinge
zu erkennen und zu suchen. Zugleich behandle ich die Knochen als einen
Text, woran sich alles Leben und alles Menschliche anhängen läßt; habe
dabei den Vortheil, zweimal die Woche öffentlich zu reden, und über Dinge,
die mir werth sind, mich mit aufmerksamen Menschen zu unterhalten.["] Das
sei, meinte er, ein Vergnügen, dem er in dem gewöhnlichen Welt-, Geschäfts-
und Hofleben entsagen müßte. Seine Jahre spornten ihn zu verdoppelter
Thätigkeit. "Mit meinem Leben," schrieb er, "rückt es stark vor, und ich
fange nun bald an zu begreifen, warum wir, sobald wir uns hienieden
einzurichten angefangen haben, wieder weiter müssen."


Ueberhäufte Amtsgeschäfte nahmen damals Goethe's Kräfte fast übermäßig in
Anspruch. Den 16. Juli 1782 schrieb er an Merk: "Es geht mir, wie dem
Treufreund in meinen Vögeln. Mir wird ein Stück des Reichs nach dem andern
auf einem Spaziergange übertragen. Diesmal muß mir's nun freilich Ernst,
sehr Ernst seyn, denn mein Herr Vorgänger hat mir viel Arbeit gemacht.
Manchmal wird mir's sauer, denn ich stehe redlich aus. Dann denk' ich
wieder: Hic est aut nusquam, quod quaerimus." Auf ähnliche Weise äußerte
sich Goethe in einem spätern Briefe vom 29. Juli 1782: "Von mir hab' ich
nichts zu sagen, als daß ich mich meinem Beruf aufopfere, in dem ich nichts
weiter suche, als wenn es das Ziel meiner Begriffe wäre."

Von den irdischen Angelegenheiten wandte sich Goethe wieder zu dem
Uebersinnlichen. Sein Interesse daran ward durch den Briefwechsel mit
Lavater lebendig erhalten. "Daß du", schrieb er den 4. October 1782, "mir
noch einmal den innern Zusammenhang deiner Religion vorlegen wolltest, war
mir sehr willkommen. Wir werden ja nun wohl bald einmal einander über
diesen Punkt kennen und in Ruhe lassen. Großen Dank verdient die Natur, daß
sie in die Existenz eines jeden lebenden Wesens auch so viel Handlungskraft
gelegt hat, daß es sich, wenn es an einem oder dem andern Ende zerrissen
wird, selbst wieder zusammenflicken kann; und was sind tausendfältige
Religionen anders, als tausendfache Aeußerungen dieser Heilungskraft? Mein
Pflaster schlägt bei dir nicht an, deins nicht bei mir; in unsres Vaters
Apotheke sind viel Recepte. So hab' ich auf deinen Brief nichts zu
antworten, nichts zu widerlegen; aber dagegen zu stellen hab' ich vieles.
Wir sollten einmal unsere Glaubensbekenntnisse in zwei Columnen neben
einander setzen, und darauf einen Friedens- und Toleranzbund errichten."

Näher, als diese religiösen Betrachtungen, lagen Goethe's Liebe zur Natur
und seinem heitern Weltsinn seine geognostischen und mineralogischen
Studien. Auch die Osteologie hatte er, wie bereits erwähnt, in den Kreis
seiner Forschungen gezogen. "Ich freue mich", schrieb er den 23. April 1784
an Merk, "daß du so frisch fort arbeitest in deinem Knochenwesen. Ich habe
die Zeit über auch Verschiedenes in anatomicis, wie es die Zeit erlauben
wollte, gepfuscht, wovon ich vielleicht ehestens etwas werde produciren
können." In einem spätern Briefe an Merk, vom 6. August 1784, schrieb
Goethe: "Schicke mir den Schädel deiner Myrmecophaga sobald als möglich;
du erzeigst mir dadurch einen außerordentlichen Gefallen. Ich brauche ihn
zu meiner Inauguraldisputation, durch welche ich mich in eurem docto
corpore zu legitimiren gesonnen bin. Das eigentliche Thema halte ich noch
geheim, um euch eine angenehme Ueberraschung zu machen. Ich komme nunmehr
wieder auf den Harz, und werde meine mineralogischen und oryktologischen
Beobachtungen, in denen ich bisher unermüdet fortgefahren, immer weiter
treiben. Ich fange an, auf Resultate zu kommen, die ich aber bis jetzt noch
für mich behalte." Diese Resultate theilte Goethe bald nachher in einer in
seinen Werken aufbewahrten Abhandlung mit, in welcher er zu beweisen
suchte, "daß den Menschen, wie den Thieren, ein Zwischenknochen der obern
Kinnlade zuzuschreiben sei."

Goethe's Dichtertalent schien unter so heterogenen Beschäftigungen zu
schlummern. Die früher erwähnten Anfänge des "Wilhelm Meister" hatten lange
geruht. Eine ganz neue Richtung erhielten Goethes Lebensverhältnisse und
seine Thätigkeit, als die Huld seines Fürsten ihm vergönnte, das Land zu
sehen, das von frühester Jugend an ein Gegenstand seiner Sehnsucht gewesen.
Im September 1786 reiste er nach Italien. Dort fand sein reiches Gemüth die
gleiche Empfänglichkeit für das Hohe und kindlich Liebliche, sein tiefer
Sinn für Natur und Kunst die vollste Befriedigung.

Das unvollendete Manuscript seiner "Iphigenie" hatte Goethe nach Italien
mitgenommen. Dieser erste Entwurf, völlig abweichend in der Form, die jenes
Schauspiel später erhielt, ist von A. Stahr (Oldenburg 1839) veröffentlicht
worden. Goethe schrieb darüber den 8. September 1786: "Das Stück, wie es
gegenwärtig da steht, ist mehr Entwurf, als Ausführung; es ist in
poetischer Prosa geschrieben, die sich manchmal in einen jambischen
Rhythmus verliert, auch wohl andern Sylbenmaßen ähnelt. Dies thut freilich
der Wirkung großen Eintrag, wenn man es nicht sehr gut liest und durch
gewisse Kunstgriffe diese Mängel zu verbergen weiß. Herder legte mir dies
so dringend an's Herz, und da ich meinen größern Reiseplan ihm, wie Allen,
verborgen hatte, so glaubte er, es sei nur wieder von einer Bergwandrung
die Rede, und weil er sich gegen Mineralogie und Geologie immer spöttisch
äußerte, meinte er, ich sollte, statt taubes Gestein zu klopfen, meine
Werkzeuge an diese Arbeit wenden. Jetzt sondere ich die Iphigenie aus dem
Packet, und nehme sie mit mir in das schöne warme Land als Begleiterin. Der
Tag ist so lang, das Nachdenken ungestört, und die herrlichen Bilder der
Urwelt verdrängen keineswegs den poetischen Sinn; sie rufen ihn vielmehr,
von Bewegung und freier Luft begleitet, nur desto schneller hervor."

Am [Am] 28. September 1786 war Goethe in Venedig angekommen. "Ich bin
hier," schrieb er, "gut logirt in der Königin von England, nicht weit vom
Marcusplatze. Meine Fenster gehen auf einen schmalen Canal zwischen hohen
Häusern. Gleich unter mir befindet sich eine einbogige Brücke, und
gegenüber ein schmales, belebtes Gäßchen. So wohn' ich, und die Einsamkeit,
nach der ich oft so sehnsuchtsvoll geseufzt, kann ich nun recht genießen;
denn nirgends fühlt man sich einsamer, als im Gewimmel, wo man sich, Allen
ganz unbekannt, durchdrängt."

Ermüdet von einer Wandrung durch die Stadt mit ihren Canälen, Brücken und
Brückchen, setzte sich Goethe am Michaelisfeste, wo eine ungeheuere
Menschenmasse über den Rialto nach der Kirche zog, in eine Gondel. Durch
den nördlichen Theil des großen Canals fuhr er in die Lagunen bis gegen den
Marcusplatz. Er überließ sich seinen einsamen Betrachtungen. "So war ich
nun," schrieb er, "auf einmal ein Mitherr des adriatischen Meeres, wie
jeder Venetianer sich fühlt, wenn er sich in seine Gondel legt. Ich
gedachte dabei meines Vaters, der nichts Besseres wußte, als von diesen
Dingen zu erzählen. Wird mir's nicht auch so gehen? Alles, was mich
umgiebt, ist würdig, ein großes Werk versammelter Menschenkraft, ein
herrliches Monument, nicht eines Gebieters sondern eines Volkes. Und wenn
auch ihre Lagunen sich nach und nach ausfüllen, böse Dünste über dem Sumpfe
schweben, ihr Handel geschwächt, ihre Macht gesunken ist, so wird die ganze
Anlage der Republik und ihr Wesen nicht einen Augenblick dem Beobachter
unehrwürdig seyn. Sie unterliegt der Zeit, wie Alles, was ein erscheinendes
Daseyn hat."

Einen genußreichen Abend versprach sich Goethe im Theater St. Chrysostomo.
Die Vorstellung von Crebillon's Electra befriedigte ihn nicht, ungeachtet
des im Allgemeinen braven Spiels. "Indessen," schrieb er, "hab' ich doch
wieder gelernt. Der italienische, immer einsylbige Jambe hat für die
Deklamation große Unbequemlichkeit, weil die letzte Sylbe durchaus kurz
ist, und wider den Willen des Declamators in die Höhe schlägt."

Lebhafter, als für die italienische Bühne, interessirte sich Goethe für die
Baukunst, die, nach seinen eignen Worten, "wie ein Geist aus dem Grabe
hervorstieg." Fleißig studirte er den Vitruv, Palladio und andere
Schriftsteller, um so zu einer klaren Vorstellung von jenen werthvollen
Ueberresten vergangner Zeit zu gelangen. Als er nach einem vierzehntägigen
Aufenthalt in Venedig am 14. October 1786 die Stadt wieder verließ, und
über Ferrara, Cento, Bologna, Lugano, Perugia, Terni und Citta nach Rom
reiste, glaubte er sich das Zeugniß geben zu können: "Ich bin nur kurze
Zeit in Venedig gewesen, aber ich habe mir die dortige Existenz genugsam
zugeeignet, und weiß, daß ich, wenn auch einen unvollständigen, doch einen
ganz klaren und wahren Begriff mit wegnehme."

Begeistert von dem Eindruck mehrerer Gemälde Raphael's, die er in Bologna
betrachtet hatte, besonders einer heiligen Agathe, schrieb Goethe den 19.
October 1786: "Ich habe mir die Gestalt wohl gemerkt, und werde ihr im
Geist meine Iphigenie vorlesen, und meine Heldin nichts sagen lassen, was
diese Heilige nicht aussprechen möchte.--Da ich einmal dieser süßen Bürde
gedenke, die ich auf meinen Wandrungen mit mir führe, so kann ich nicht
verschweigen, daß zu den großen Kunst- und Naturgegenständen, durch die ich
mich durcharbeiten muß, noch eine wundersame Folge von poetischen Gestalten
hindurchzieht, die mich beunruhigen. Von Cento herüber wollte ich meine
Arbeit an Iphigenie fortsetzen; aber was geschah? Der Geist führte mir das
Argument der Iphigenie von Tauris vor die Seele, und ich mußte es
ausbilden. So kurz als möglich sei es hier verzeichnet: Electra, in
gewisser Hoffnung, daß Orest das Bild der Taurischen Diana nach Delphi
bringen werde, erscheint in dem Tempel des Apoll, und widmet die grausame
Axt, die so viel Unheil in Pelops Hause angerichtet, als schließliches
Sühnopfer dem Gotte. Zu ihr tritt leider einer der Griechen, und erzählt,
wie er Orest und Pylades nach Tauris begleitet, die beiden Freunde zum Tode
führen sehen, und sich glücklich gerettet habe. Die leidenschaftliche
Electra kennt sich selbst nicht, und weiß nicht, ob sie gegen Götter oder
Menschen ihre Wuth richten soll. Indessen sind Iphigenie, Orest und Pylades
gleichfalls in Delphi angekommen. Iphigenie'ns heilige Ruhe contrastirt gar
merkwürdig mit Electra's irdischer Leidenschaft, als die beiden Gestalten,
wechselseitig unerkannt, zusammentreffen. Der entflohene Grieche erblickt
Iphigenie'n, erkennt die Priesterin, welche die Freunde geopfert, und er
entdeckt es Electra. Diese ist im Begriff, mit demselben Beil, welches sie
dem Altar wieder entreißt, Iphigenie'n zu ermorden, als eine glückliche
Wendung dieses letzte schreckliche Uebel von den Geschwistern abwendet."
Wenn diese Scene gelänge, meinte Goethe, dürfte nicht leicht etwas Größeres
und Rührenderes auf der Bühne gesehen worden seyn. "Aber," fügte er hinzu,
"wo soll man Hände und Zeit hernehmen, wenn auch der Geist willig wäre?"

Groß und gewaltig war der Eindruck, den die "Hauptstadt der Welt" auf
Goethe's Gemüth machte. So nannte er Rom in einem Briefe vom 1. November
1786. In lebhafter Erinnerung an die römischen Prospecte im elterlichen
Hause, schrieb Goethe: "Alle Träume meiner Jugend seh' ich nun erfüllt, ich
sehe die ersten Kupferbilder wieder. Was ich in Gemälden, Zeichnungen und
Holzschnitten schon lange gekannt, steht nun beisammen vor mir. Wohin ich
gehe, finde ich eine Bekanntschaft in einer neuen Welt. Es ist Alles, wie
ich mir's dachte, und Alles neu. Eben dies kann ich von meinen
Betrachtungen, von meinen Ideen sagen. Ich habe keinen ganz neuen Gedanken
gehabt, nichts ganz fremd gefunden; aber die alten Ideen sind so bestimmt,
so lebendig, so zusammenhängend geworden, daß sie für neu gelten können."

Zu Goethe's vorzüglichsten Bekanntschaften in Rom gehörte der Fürst
Lichtenstein, der italienische Dichter Monti, der besonders durch seine
mythologischen Forschungen bekannte Schriftsteller Moritz und der
Historienmaler Tischbein. Mit dem Letztern hatte Goethe schon früher in
Briefwechsel gestanden. Durch Tischbein gelangte er zu einem klaren
Verständniß und einer richtigen Würdigung der zahlreichen und unschätzbaren
Gemälde Raphael's, Michel Angelo's u.A. in der Peterskirche und besonders
in der Sixtinischen Capelle.

Eine treuere Anhänglichkeit und eine an Schwärmerei grenzende Vorliebe für
seine literarischen Erzeugnisse, besonders für den Werther, zeigte keiner
von Goethe's Freunden in solchem Grade, als Moritz. Goethe interessirte
sich lebhaft für ihn, und nahm innigen Antheil an seinem Schicksal, als
Moritz durch einen unglücklichen Fall den Arm brach. Goethe schrieb
darüber: "Was ich bei diesem Leidenden als Wärter, Beichtvater und
Vertrauter, als Finanzminister und geheimer Secretär erfahren und gelernt,
mag mir in der Folge zu Gute kommen. Die fatalsten Leiden und die edelsten
Genüsse gingen diese Zeit über immer einander zur Seite."

Charakteristisch in mehrfacher Hinsicht war ein Schreiben, welches Goethe
im November 1786 an den Herzog von Weimar richtete. "Wie dank' ich Ihnen,"
schrieb er aus Rom, "daß Sie mir diese köstliche Muße geben und gönnen. Da
doch einmal von Jugend auf mein Geist diese Richtung genommen, so hätt' ich
nie ruhig werden können, ohne dies Ziel zu erreichen. Mein Verhältniß zu
den Geschäften ist aus meinem persönlichen zu Ihnen entstanden; lassen Sie
nun ein neues Verhältniß zu Ihnen nach so manchen Jahren aus dem bisherigen
hervorgehen. Ich darf wohl sagen, ich habe mich in dieser Einsamkeit selbst
wiedergefunden. Aber als was? Als Künstler! Was ich sonst noch bin, werden
Sie beurtheilen und nutzen. Sie haben durch Ihr fortdauerndes wirkendes
Leben jene fürstliche Kenntniß, wozu die Menschen zu benutzen sind, immer
mehr erweitert und geschärft, wie mir jeder Ihrer Briefe deutlich sehen
läßt. Dieser Beurtheilung unterwerfe ich mich gern. Fragen Sie mich über
die Symphonie, die Sie zu spielen gedenken; ich will gern und ehrlich
jederzeit meine Meinung sagen. Lassen Sie mich an Ihrer Seite das ganze Maß
meiner Existenz ausfüllen, so wird meine Kraft, wie eine neu geöffnete,
gesammelte, gereinigte Quelle, von einer Höhe nach Ihrem Willen leicht da
oder dorthin zu leiten seyn. Schon sehe ich, was mir die Reise genützt, wie
sie mich aufgeklärt und meine Existenz erheitert hat. Wie Sie mich bisher
getragen, sorgen Sie ferner für mich. Sie thun mir mehr wohl, als ich
selbst kann, als ich wünschen und verlangen darf. Ich habe so ein großes
und schönes Stück Welt gesehen, und das Resultat ist, daß ich nur mit Ihnen
und den Ihrigen leben mag. Ja, ich würde Ihnen noch mehr werden, als ich
oft bisher war, wenn Sie mich nur das thun lassen, was Niemand als ich thun
kann, und das Uebrige Andern auftragen. Ihre Gesinnungen, die Sie mir in
Ihrem Briefe zu erkennen gaben, sind so schön, für mich bis zur Beschämung
ehrenvoll, daß ich nur sagen kann: Herr, hier bin ich, mache aus deinem
Knechte, was du willst."

In einem spätern Schreiben an den Herzog von Weimar sprach Goethe den
Wunsch aus, das Land seines Fürsten nach seiner Rückkehr "als Fremder
durchreisen zu dürfen." Mit ganz frischem Auge, meinte er, würde ihn dann
die Gewohnheit, Land und Welt zu sehen, jede Provinz betrachten lassen.
"Ich würde," fügte er hinzu, "mir nach meiner Art ein neues Bild machen,
einen vollständigen Begriff erlangen, und mich zu jeder Art von Dienst
gleichsam auf's neue qualificiren, zu dem mich Ihre Güte, Ihr Zutrauen
bestimmen will. Bei Ihnen und den Ihrigen ist mein Herz und Sinn, wenn sich
gleich die Träume einer Welt in die Wagschale legen. Der Mensch bedarf
wenig; Liebe und Sicherheit seines Verhältnisses zu dem einmal Gewählten
und Gegebenen kann er nicht entbehren." So bewahrte Goethe mit reiner
Pietät die treue Anhänglichkeit und innige Verehrung für einen Fürsten, dem
er sein Lebensglück und die Muße zu seiner literarischen Thätigkeit
verdankte.

Fleißig beschäftigte sich Goethe in Rom mit der Fortsetzung und Vollendung
der Iphigenie. Zu Anfange des Jahres 1787 war er damit fertig geworden. In
einem Briefe vom 6. Januar machte er die Orte namhaft, wo er sich
vorzugsweise mit seiner dramatischen Dichtung beschäftigt hatte. Er schrieb
darüber: "Am Garda-See, als der gewaltige Mittagswind die Wellen an's Ufer
trieb, und wo ich wenigstens so allein war, als meine Heldin am Gestade von
Tauris, zog ich die ersten Linien der neuen Bearbeitung, die ich in Verona,
Vicenza, Padua, am fleißigsten aber in Venedig fortsetzte. Dann aber
gerieth die Arbeit in Stocken. Ich ward auf eine neue Erfindung geführt,
nämlich Iphigenie auf Delphi zu schreiben, was ich auch sogleich gethan
hätte, wenn nicht die Zerstreuung und ein Pflichtgefühl gegen das ältere
Stück mich davon abgehalten hätten."

Was ihn dazu bewog, seine Iphigenie ursprünglich in Prosa zu schreiben,
war, nach seinen eignen Worten "die Unsicherheit, in der die deutsche
Prosodie schwebe." "Es ist auffallend," schrieb er, "daß wir in unserer
Sprache nur wenige Sylben finden, die entschieden kurz oder lang sind; mit
den übrigen verfährt man nach Geschmack und Willkühr." Ungeachtet dieser
Bemerkungen gab er späterhin seinem Schauspiel eine metrische Form. Das
vollendete Manuscript hatte er nach Weimar gesandt, um das Urtheil seiner
Freunde zu vernehmen. In den ruhigen Gang des Stücks konnten sie sich nicht
sogleich finden. Sie hatten mehr leidenschaftliche Bewegung erwartet,
"etwas Berlichingisches", wie Goethe sich darüber äußerte. Immer dachten
sie sich den Dichter noch in seiner poetischen Sturm- und Drangperiode, die
längst für ihn vorüber war.

In einem Briefe vom 21. Februar 1787 beklagte sich Goethe, noch kein
gründliches und erschöpfendes Urtheil über die Iphigenie gehört zu haben.
Das könnte ihm, meinte er, zur Leitung dienen bei seinem "Tasso", denn das
sei doch eine ähnliche Arbeit. Von diesem Schauspiel hatte er damals die
ersten Scenen entworfen. "Der Gegenstand," schrieb er, "ist fast noch
beschränkter, als in der Iphigenie, und will daher im Einzelnen noch mehr
ausgearbeitet seyn. Doch weiß ich noch nicht, was es werden wird. Das
Vorhandene muß ich ganz zerstören. Es hat zu lange gelegen, und weder die
Personen, noch der Plan, noch der Ton haben mit meiner jetzigen Ansicht die
geringste Verwandtschaft."

Bestärkt ward Goethe in diesem Entschluß durch den Beifall, der von
einsichtsvollen Freunden seiner Umarbeitung der Iphigenie gezollt ward. Ihn
selbst ließ sein Schauspiel auch in der veränderten Form unbefriedigt.

Indeß tröstete er sich darüber in einem Briefe vom 16. März 1787. Eine
solche Arbeit, meinte er, werde eigentlich nie fertig; man müsse sie für
fertig erklären, wenn man nach Zeit und Umständen das Möglichste gethan
habe. "Das soll mich aber," fügte er hinzu, "nicht abschrecken, mit dem
Tasso eine ähnliche Operation vorzunehmen. Lieber würfe ich ihn in's Feuer.
Aber ich will bei meinem Entschluß beharren, und da es einmal nicht anders
ist, so wollen wir ein wunderlich Werk daraus machen."

Beschäftigt mit seiner dramatischen Dichtung, blieb Goethe, wenn man den
Umgang mit dem Landschaftsmaler Hackert ausnimmt, dessen Leben er später so
anziehend beschrieb, auch in Neapel "dem eigensinnigen Einsiedlersinn"
treu, der ihm schon in Rom von seinen Freunden zum Vorwurf gemacht worden
war. "Freilich scheint es," schrieb er, "ein wunderliches Beginnen, daß man
in die Welt geht, um allein bleiben zu wollen." Während Goethe sich aber
dem geselligen Leben entzog, streifte er in der Umgegend umher. "Neapel ist
ein Paradies," äußerte er in dem vorhin mitgetheilten Briefe. "Jedermann
lebt in einer Art von trunkener Selbstvergessenheit. Mir geht es eben so.
Ich erkenne mich kaum, ich scheine mir ein ganz anderer Mensch."

Längere Zeit schwankte Goethe in dem Entschluß, auch Sicilien zu besuchen.
"Eine Seereise," schrieb er, "fehlt mir ganz in meinen Begriffen. Die
kleine Ueberfahrt, vielleicht eine Küstenumschiffung, wird meiner
Einbildungskraft nachhelfen und mir die Welt erweitern. Und so geh' ich
denn Donnerstag den 29sten mit der Corvette, die ich, des Seewesens
unkundig, in meinem vorigen Briefe zum Rang einer Fregatte erhob, nach
Palermo."

Von der Seekrankheit befallen, wagte sich Goethe längere Zeit nicht wieder
auf's Verdeck, und mußte so den herrlichen Anblick der Küsten und Inseln
entbehren. "Abgeschlossen von der äußern Welt," schrieb er, "ließ ich die
innere walten, und da eine langsame Fahrt vorauszusehen war, gab ich mir
gleich zu bedeutender Unterhaltung ein starkes Pensum auf. Die zwei ersten
Acte des Tasso, in poetischer Prosa geschrieben, habe ich von allen
Papieren allein mit über See genommen. Diese beiden Acte, schon vor
mehreren Jahren geschrieben, hatten etwas Weichliches, Nebelhaftes, welches
sich jedoch bald verlor, als ich, nach neueren Ansichten, die Form
vorwalten und den Rhythmus eintreten ließ."

Einen begeisternden Eindruck machte auf Goethe der majestätische Anblick
des Meeres mit seinen zahllosen Inseln. In dieser lebendigen Umgebung
glaubte er, nach seinen eignen Worten, den besten Commentar zu Homers
Odyssee zu finden, deren Lectüre ihn damals beschäftigte. "Was den Homer
betrifft," schrieb er an Herder, "so ist mir eine Decke von den Augen
gefallen. Die Beschreibungen, die Gleichnisse u.s.w. kommen uns poetisch
vor, und sind doch unsäglich natürlich, aber freilich mit einer Reinheit
und Innigkeit bezeichnet, vor der man erschrickt. Selbst die sonderbarsten
erlogensten Begebenheiten haben eine Natürlichkeit, die ich nie so gefühlt
habe, als in der Nähe der betriebenen Gegenstände. Ich möchte den Gedanken
kurz so ausdrücken: _sie_ stellen die Existenz dar; _wir_ gewähren den
Effect; _sie_ schildern das Fürchterliche; _wir_ schildern fürchterlich;
_sie_ das Angenehme, _wir_ angenehm. Daher kommt alles Uebertriebene, alle
falsche Grazie, aller Schwulst. Wenn das, was ich sage, nicht neu ist, so
hab' ich es doch bei neuem Anlaß recht lebhaft gefühlt. Nun ich alle diese
Küsten und Vorgebirge, Golfe und Buchten, Inseln und Erdzungen, Felsen und
Sandstreifen, buschige Hügel, sanfte Wälder, fruchtbare Felder, geschmückte
Gärten, gepflegte Bäume, hängende Reben, Wolkenberge und immer heitere
Ebenen, Klippen und Bänke und das alles umgebende Meer mit so vielen
Abwechselungen und Mannigfaltigkeiten vor mir habe--nun ist mir erst die
Odyssee ein lebendiges Wort."

Ergriffen von diesen Ideen, wollte Goethe in der Heldin einer Tragödie,
"Nausikaa" betitelt, von welcher sich jedoch nur die zwei ersten Scenen des
ersten Acts in Goethe's Werken erhalten haben, nach seinen eignen
Aeußerungen, "eine treffliche, von Vielen umworbene Jungfrau darstellen,
die keiner Neigung sich bewußt, alle Freier bisher ablehnend behandelt,
durch einen sittsamen Fremdling aber gerührt, aus ihrem Zustande
herausträte und durch eine voreilige Aeußerung ihrer Neigung sich
compromittirte." Von dieser Situation versprach sich Goethe eine große
tragische Wirkung. Der Reichthum der subordinirten Motive und besonders das
Meer- und Inselhafte der Ausführung sollte, nach Goethe's Ansicht, jener
einfachen Fabel ein besonderes Interesse geben. Er war so ergriffen von
seinem Gegenstande, daß er darüber, wie er äußerte, "seinen Aufenthalt zu
Palermo, ja den größten Theil seiner übrigen sicilianischen Reise
verträumte."

Der lebendige Antheil an jenem Süjet verlor sich jedoch bald wieder. In
einem Briefe vom 17. April 1787 beklagte sich Goethe "über das wahrhafte
Unglück, von vielerlei Geistern verfolgt und versucht zu werden." In einem
öffentlichen Garten weckte die Betrachtung mehrerer dort blühender Gewächse
in ihm eine alte Lieblingsidee. Er wollte, wo möglich, unter dieser Schaar
die Urpflanze entdecken. Eine poetische Form gab Goethe dieser Idee in
seinem Gedicht. "die Metamorphose der Pflanzen." Wissenschaftlich erörterte
er jenen Gegenstand in seinem 1790 gedruckten "Versuch, die Metamorphose
der Pflanzen zu erklären."

Wie Goethe die Natur überhaupt, besonders aber im

Gegensatze zur Kunst betrachtete, zeigten die nachfolgenden Aeußerungen in
einem Schreiben an die Herzogin Luise von Sachsen-Weimar: "Das geringste
Product der Natur hat den Kreis seiner Vollkommenheit in sich, und ich darf
nur Augen haben, um zu sehen, so kann ich die Verhältnisse entdecken; ich
bin sicher, daß innerhalb eines kleinen Cirkels eine ganze wahre Existenz
beschlossen ist. Ein Kunstwerk hingegen hat seine Vollkommenheit außer
sich; das Beste liegt in der Idee des Künstlers, die er selten oder nie
erreicht; alles Folgende in gewissen angenommenen Gesetzen, welche zwar aus
der Natur der Kunst und des Handwerks hergeleitet, aber doch nicht so
leicht zu verstehen und zu entziffern sind, als die Gesetze der lebendigen
Natur. Bei den Kunstwerken ist viel Tradition, die Naturwerke sind immer
wie ein frisch ausgesprochenes Wort Gottes."

Ueber die vorhin erwähnte Idee einer Metamorphose der Pflanzen erklärte
sich Goethe näher in einem Briefe an Herder vom März 1787. Er äußerte
darin, daß er dem Geheimniß der Pflanzenerzeugung und Organisation ganz
nahe gekommen sei, und meinte, daß es nichts Einfacheres gehen könnte.
Unter dem italienischen Himmel ließen sich darüber die herrlichsten
Beobachtungen anstellen. "Den Hauptpunkt, wo der Keim steckt," schrieb
Goethe, "hab' ich ganz klar und zweifellos gefunden. Alles Uebrige sah ich
schon im Ganzen, und nur noch einige Punkte müssen bestimmter werden. Die
Urpflanze wird das wunderlichste Geschöpf von der Welt, um welches die
Natur selbst mich beneiden soll. Mit diesem Modell und dem Schlüssel dazu,
kann man alsdann Pflanzen in's Unendliche erfinden, die consequent seyn
müssen, d. h. die, wenn sie auch nicht existiren, doch existiren können,
und nicht etwa malerische und dichterische Schatten und Scheine sind,
sondern innerliche Wahrheit und Nothwendigkeit haben." Dasselbe Gesetz,
meinte Goethe, werde sich auf alles übrige Lebende anwenden lassen.

In mehreren von Goethe's damaligen Briefen regte sich die Sehnsucht, wieder
in seine Heimath zurückzukehren. Besonders freute er sich auf das
Wiedersehen Herders, mit dem er stets in innigen Verhältnissen gelebt
hatte. An ihn schrieb er den 17. März 1787. "Wir sind so nahe in unserer
Vorstellungsweise, als es möglich ist, ohne eins zu seyn, und in den
Hauptquellen am nächsten. Wenn du diese Zeit her viel aus dir selbst
geschöpft hast, so hab' ich viel erworben, und ich kann einen guten Tausch
machen. Ich bin freilich mit meiner Vorstellung sehr an's Gegenwärtige
geheftet, und je mehr ich die Welt sehe, desto weniger kann ich hoffen, daß
die Menschheit je Eine weise, kluge, glückliche Masse werden könne.
Vielleicht ist unter den Millionen eine, die sich des Vorzugs rühmen kann;
bei der Constitution der unsrigen bleibt mir so wenig für sie, als für
Sicilien bei der seinigen zu hoffen."

In dieser Stimmung versprach sich Goethe viel von dem damals noch
ungedruckten dritten Theil von Herders Ideen zu einer Geschichte der
Philosophie der Menschheit. "Ich glaube selbst," schrieb Goethe, "daß die
Humanität endlich siegen wird. Nur fürcht' ich, daß zu gleicher Zeit die
Welt ein großes Hospital, und Einer des Andern humaner Krankenwärter seyn
werde." Als ihn nun das sehnlich erwartete Buch begrüßte, schrieb er den
12. Oktober 1787 an Herder: "Den lebhaftesten Dank für die Ideen. Sie sind
mir als das liebwertheste Evangelium gekommen. Die interessantesten Studien
meines Lebens laufen da zusammen."

Lockerer ward nach Goethe's Rückkehr aus Italien das Band zwischen ihm und
Herder. Was beide von einander trennte, war ihre verschiedenartige Stellung
zu der Kantischen Philosophie, die damals ihren sich immer weiter
ausbreitenden Einfluß geltend machte, und für die Wissenschaft, wie für
Poesie und Kunst, ganz neue Principien aufstellte. Als Kant mit seiner
"Kritik der reinen Vernunft" hervorgetreten war, erklärte sich Herder,
obgleich er ein Schüler Kant's gewesen war, für einen seiner
entschiedensten Gegner. Goethe aber, obgleich er für Philosophie im
strengsten Sinne des Worts eigentlich kein Organ hatte, hielt sich doch zur
Parthei derjenigen, die mit Kant behaupteten: wenn auch alle menschliche
Erkenntniß mit der Erfahrung beginne, so entspränge sie darum doch nicht
immer unbedingt aus der Erfahrung.

Während seines Aufenthalts in Rom hatte Goethe mit Moritz viel über Kunst
und Kunsttheorie gesprochen. Immer hatte ihm eine feste Basis gefehlt.
Diese glaubte er in einem spätern Werke Kant's, in der "Kritik der
Urtheilskraft" zu finden. Daraus entsprang seine Vorliebe für dieß Buch und
seine Abneigung gegen Herder, der es ihm zu verleiden suchte. Goethe
glaubte diesen philosophischen Studien mannigfache Belehrung zu verdanken.
Wenn er auch im Einzelnen nicht immer mit der Vorstellungsart und Ansichten
Kant's übereinstimmen konnte, so schienen doch die Hauptideen in der
"Kritik der Urtheilskraft" seiner Denk- und Empfindungsweise im Allgemeinen
analog. Das innere Leben der Kunst, wie der Natur, ihr beiderseitiges
Wirken von innen heraus schien ihm klar ausgesprochen in jenem Werke
Kant's, das kurze Zeit jene andere Lectüre verdrängte. Seine innere
Ueberzeugung mußte ihm jedoch bald sagen, daß er für abstracte Philosophie
und ihre metaphysischen Träume nicht geschaffen sei.

Ein höheres Interesse gewann für Goethe, bald nach seiner Ankunft in
Weimar, das frische Naturleben, besonders als seine Vorliebe für Botanik
durch Batsch, Göttling u.a. ausgezeichnete Männer in der benachbarten
Universitätsstadt Jena aufs Neue angeregt ward. Die Aufsicht über die
dortigen wissenschaftlichen Anstalten, die Einrichtung und Anordnung der
Museen, die Pflege des botanischen Gartens gaben ihm eine ebenso angenehme,
als lehrreiche Beschäftigung. Die Betrachtung der Natur, verbunden mit dem
Studium der Botanik, entschädigte ihn für den Mangel eines Kunstlebens, wie
er es in Italien genossen hatte. Immer kehrte Goethe, auch wenn er sich
eine Zeit lang daraus entfernte, wieder in dieß Gebiet zurück. Ihm blieb
ein lebendiges Interesse, der Bildung und Umbildung organischer Naturen
nachzuforschen. Die von ihm selbst in seiner "Metamorphose der Pflanzen"
aufgestellte Theorie diente ihm dabei zum Wegweiser. Aber die Natur schien
ihm zugleich synthetisch zu handeln, indem sie völlig fremdartig scheinende
Verhältnisse einander näherte und sie zusammen in Eins verknüpfte.

Unter diesen Forschungen wandte sich Goethes Thätigkeit abwechselnd wieder
zu anderweitigen Beschäftigungen. Sein poetisches Talent übte sich, nach
der Vollendung der "Iphigenie" und des "Tasso" an dem Trauerspiel "Egmont."
Merkwürdig war ihm der Umstand, daß nach den Zeitungen die von ihm
geschilderten Scenen sich in Brüssel fast wörtlich erneuert hatten. Noch
vor dem Ausbruch der französischen Revolution hatte die berüchtigte
Halsbandgeschichte, während seines Aufenthalts in Italien einen tiefen
Eindruck auf ihn gemacht. Er hatte die über jenen Vorfall erschienenen
Proceßacten mit Aufmerksamkeit gelesen. Die in Sicilien von ihm gesammelten
"Nachrichten über Cagliostro und seine Familie" benutzte Goethe zu seinem
Lustspiel: "Der Großcophta." Nach einzelnen, von dem Capellmeister
Reichardt componirten Liedern zu schließen, hätte sich jener Stoff
vielleicht noch besser zu einer Oper geeignet. Goethe versuchte sich indeß
auch in der eben genannten Gattung der Poesie. Unvollendet blieb jedoch
sein Singspiel: "die ungleichen Hausgenossen." Nachklänge seines
Aufenthalts in Italien waren die "römischen Elegien" und die
"venetianischen Epigramme." Sie wurden jedoch erst gedichtet nach einem
abermaligen längern Aufenthalt Goethe's in Rom und Venedig (1790) im
Gefolge der Herzogin Amalie von Sachsen-Weimar.

Kaum wieder aus Italien zurückgekehrt, begleitete Goethe den Herzog von
Weimar nach Schlesien, wo die preußischen und österreichischen Gesandten
sich auf dem Congreß zu Reichenbach versammelten. In Breslau, mitten unter
der allgemeinen Bewegung, welche die Truppenmärsche und Manöver der
verschiedenen Regimenter veranlaßten, ward Goethe wieder von der alten
Lieblingsidee ergriffen, sich völlig zu isoliren, und mit Naturstudien,
besonders aber mit der vergleichenden Anatomie sich zu beschäftigen. Zur
festen Ueberzeugung ward ihm die Idee, daß ein allgemeiner, durch
Metamorphose erzeugter Typus durch die sämmtlichen organischen Geschöpfe
hindurchgehe und in allen seinen Abstufungen sich beobachten lasse. In
mehreren, zum Theil ungedruckt gebliebenen Abhandlungen zergliederte Goethe
dieß Thema. Er fand jedoch bald, daß die Aufgabe zu groß war, um genügend
gelöst zu werden. Auf andere wissenschaftliche Gegenstände lenkte sich
daher, als er wieder nach Weimar zurückgekehrt war, Goethe's Thätigkeit.
Eine geräumige dunkle Kammer in seinem freigelegnen Wohnhause mit dem daran
stoßenden Garten begünstigte seine chromatischen Untersuchungen, die damals
ein lebhaftes Interesse für ihn gewonnen hatten. Zu einem besondern
Gegenstande seiner Aufmerksamkeit machte er die prismatischen
Erscheinungen. Die Resultate seiner Forschungen veröffentlichte Goethe in
seinen "optischen Beiträgen," von denen 1791 das erste Stück erschien.

Seinem Dichtergenius und der Liebe zur dramatischen Poesie ward er wieder
zurückgegeben, als er um diese Zeit die Leitung des Weimarischen
Hoftheaters übernahm. Diese Bühne hatte sich aus den in Weimar
zurückgebliebenen Mitgliedern der Bellomo'schen Schauspielertruppe
gebildet, welche seit 1784 nicht ohne Beifall in der genannten Residenz
gespielt hatte. Die unermüdliche Thätigkeit des Concertmeisters Cranz
verschaffte besonders den italienischen und französischen Opern, welche
Vulpius für das Theater bearbeitete, dort längere Zeit Aufnahme und
Beifall. Beschäftigung und Unterhaltung zugleich fand Goethe, der die
Leitung des Ganzen übernommen hatte, in den mannigfachen Versuchen, das
Talent der Schauspieler zu wecken, und ihrem Spiel, wie der technischen
Einrichtung der Bühne, eine immer höhere Vollkommenheit zu geben. In diesen
Bemühungen unterstützte ihn besonders Einsiedel, der, mit gleicher Vorliebe
für die Oper, im Gefolge der Herzogin Amalie aus Italien nach Weimar
zurückgekehrt war. In diesem heitern Lebenskreise erhielt Goethe's Geist
eine ernstere Richtung durch den Blick auf die damaligen Zeitereignisse
nach dem Ausbruch der französischen Revolution. In den "Unterhaltungen
deutscher Ausgewanderten," in den Lustspielen "der Bürgergeneral" und "die
Aufgeregten", von denen das zuletzt genannte Stück unvollendet blieb,
beschäftigte sich Goethe's Phantasie, einzelne Scenen des damaligen
Kriegstheaters darzustellen, das er bald aus eigner Anschauung kennen
lernen sollte. Es war um diese Zeit, als er den Herzog von Weimar auf dem
Feldzuge in die Champagne begleitete. Ueber Frankfurt, Mainz, Trier und
Luxemburg begab sich Goethe 1792 nach Longwi, welches er den 26. August
schon eingenommen fand, von da nach Valmy und von Trier die Mosel hinab
nach Coblenz.

Auch in diesem vielfach bewegten und zerstreuten Leben verlor Goethe seine
wissenschaftlichen Forschungen nicht völlig aus den Augen. Manche
Naturbeobachtungen und die fortgesetzte Beschäftigung mit seinen
chromatischen Arbeiten lenkten seinen Blick von den Kriegsereignissen
hinweg. Der Entwurf zu einer allgemeinen "Farbenlehre" fiel in diese Zeit.
Aber auch Goethe's Dichtertalent regte sich wieder auf mannigfache Weise,
unter andern in einer freien Umarbeitung des altdeutschen Gedichts
"Reinecke Fuchs," für welches er statt der Jamben Hexameter wählte, um sich
in diesem, ihm noch wenig geläufigen Versmaß auch einmal zu versuchen.

In dem allgemeinen Kriegstumult, der ihn umgab, als er der Belagerung von
Mainz beiwohnte, ward Goethe an die ruhigen bürgerlichen Verhältnisse
seiner Vaterstadt Frankfurt erinnert durch einen Brief seiner Mutter, die
ihm Aussichten eröffnete zu einer durch den Tod seines Oheims Textor
erledigten Rathsherrnstelle. Viel Lockendes hatte die Aussicht für ihn, in
seiner Vaterstadt rasch empor zu steigen von einer Ehrenstufe zur andern,
und auf die reichsstädtische Verfassung Frankfurts einen bedeutenden
Einfluß zu gewinnen. Aber das unumschränkte Vertrauen, das der Herzog von
Weimar in ihn gesetzt, die mannigfachen Beweise der Huld seines Fürsten und
ein nicht zu unterdrückendes Gefühl der Dankbarkeit waren für ihn mehr als
hinreichend, jenen Antrag abzulehnen. Auch täuschte er sich wohl nicht,
wenn er den neuen Wirkungskreis, in den er treten sollte, weder seinen
Fähigkeiten, noch seinen Neigungen angemessen hielt.

Genußreiche Tage verlebte Goethe damals mit seinem Jugendfreunde Jacobi in
Pempelfort, wo ihn eine geräumige und geschmackvoll decorirte Wohnung mit
einem daran stoßenden Garten empfing. Der Tag ward meistens in der freien
Natur zugebracht. Die Abende waren größtentheils der geselligen
Unterhaltung über die neusten Erscheinungen im Gebiet der schönen Literatur
gewidmet. Auch hier erlebte Goethe ein ähnliches Schicksal, wie bei der
ersten Mittheilung des Manuscripts seiner "Iphigenie". Seine Freunde
konnten sich nicht sogleich finden in den Ton und Charakter seiner neusten
poetischen Producte, ungeachtet er in denselben doch mit seinem Lebensgange
immer gleichen Schritt gehalten zu haben glaubte. Das Verhältniß zu seinen
Freunden ward dadurch nicht gestört. Er schied von ihnen mit den
wohlthuenden Eindrücken, welche die Betrachtung der Gemäldegallerie in dem
benachbarten Düsseldorf auf ihn gemacht hatte.

In Duisburg fand Goethe einen alten Bekannten wieder, den Sohn des
Professors Plessing, den er vor sechzehn Jahren, wie früher erwähnt, auf
seiner damaligen Harzreise in dem Gasthofe zu Wernigerode kennen gelernt
hatte. Plessing hatte sich seitdem zu einem geachteten Schriftsteller
erhoben. Aber sein früherer Trübsinn war nicht von ihm gewichen. Noch immer
schien er nach einem Unerreichbaren zu streben. Das Gespräch zwischen ihm
und Goethe gerieth bald in Stocken, als die Erinnerung an frühere
Verhältnisse, auf die er immer wieder zurückkam, erschöpft war.

Freundlich und zuvorkommend war die Aufnahme, welche Goethe im November
1792 bei der vielseitig gebildeten Fürstin Amalie von Gallizin in Münster
fand. Die Betrachtung einer kostbaren Sammlung von geschnittenen Steinen
veranlaßte den Dichter zu der Bemerkung, daß die christliche Religion sich
mit der bildenden Kunst von jeher in einer Art von Zwiespalt befunden habe,
da jene sich von der Sinnlichkeit zu entfernen strebe, diese dagegen das
sinnliche Element für ihren eigentlichen Wirkungskreis erkenne und darin
verharre. Diese Idee legte Goethe dem sinnigen Gedicht: "der neue Amor" zum
Grunde, welches man in der Sammlung seiner Werke findet.

Das vielfach bewegte Reiseleben hatte Goethe wieder mit den ruhigen
Verhältnissen in Weimar vertauscht. Von den politischen Ereignissen, welche
die Welt bedrohten, war er zum Theil ein Zeuge gewesen. Den Bürger, den
Bauer, den Soldaten hatte er mit mannigfachen Drangsalen kämpfen sehen.
Noch immer dauerten die ungeheuern Bewegungen fort, die die Revolution im
Innern Frankreichs hervorgerufen hatte. Der Tod Ludwigs XVI. und seiner
Gemahlin, die Greulthaten Robespierre's, Danton's und anderer damaliger
Machthaber erfüllten die Welt mit Schrecken, und bei den raschen
Kriegsschritten der aufgeregten französischen Nation schien eine
Veränderung, wo nicht ein völliger Umsturz aller bestehenden Verhältnisse
zu fürchten. Ueberall hörte man von Kriegsrüstungen und von Flüchtlingen,
die in ihrer Heimath bedroht, anderswo ein Asyl suchten. Vergebens bot
Goethe seiner Mutter einen ruhigen Aufenthalt in Weimar an. Sie fühlte
keine Besorgniß für ihre eigne Person, tröstete sich durch Bibelstellen,
und wollte sich durchaus nicht trennen von ihrer Vaterstadt Frankfurt, mit
der sie, wie Goethe sich ausdrückte, "ganz eigentlich zusammengewachsen
war."

Von dem bewegten Treiben der Außenwelt wandte sich Goethe, seiner
Gewohnheit nach, wieder zu mannigfachen literarischen Beschäftigungen. Das
Gedicht "Reinecke Fuchs" ward um diese Zeit vollendet. Auch der Druck des
ersten Bandes von "Wilhelm Meisters Lehrjahren" hatte begonnen. Seinen
botanischen und mineralogischen Studien widmete sich Goethe ebenfalls
wieder mit großem Eifer. Erfreulich war für ihn in dieser Hinsicht der
unterhaltende und belehrende Umgang mit Göttling, Batsch, Voigt und andern
Professoren der Universität Jena. Ein besonderer Gegenstand seiner
Aufmerksamkeit war das Bergwesen in Ilmenau, und mancher Ausflug in jene
Gegend ward von ihm unternommen. Goethe freute sich über die Fortschritte
jenes Unternehmens, die bei beschränkten Mitteln freilich nur mäßig seyn
konnten.

Unstreitig das wichtigste Ereignis in Goethe's Leben war das um diese Zeit
(1794) sich entwickelnde nähere Verhältniß zu Schiller. Aus entschiedener
Abneigung gegen die frühern Producte dieses Dichters, die ihn an die
poetische Sturm- und Drangperiode erinnerten, der er längst entwachsen war,
hatte er sich bisher von Schiller entfernt gehalten. Zwar war er ihm 1789
behülflich gewesen zu einer Professur in Jena, aber an ein näheres
Verhältniß schienen beide nicht zu denken. Ein philosophisches Gespräch in
einer Sitzung der von dem Professor Batsch in Jena gegründeten
naturforschenden Gesellschaft bewirkte die erste Annäherung der beiden
Dichter. Das von Schiller damals herausgegebene Journal: "die Horen" ward
das vermittelnde Band zwischen ihm und Goethe, der ebenfalls Beiträge zu
jener Zeitschrift lieferte.

Das Verhältniß zwischen beiden Dichtern ward bald immer inniger. An
Schillers Arbeiten nahm Goethe das lebhafteste Interesse, das durch die
Uebereinstimmung ihrer Ideen immer wieder aufs neue angeregt ward. Ueber
eine damals noch ungedruckte Abhandlung Schillers schrieb Goethe den 4.
September 1794: "Ich habe Ihre Entwickelung des Erhabenen mit vielem
Vergnügen gelesen, und mich daraus aufs neue überzeugt, daß uns nicht
allein dieselben Gegenstände interessiren, sondern daß wir auch in der Art,
sie anzusehen, meistens übereinkommen. Ueber alle Hauptpunkte, seh' ich,
sind wir eins, und was die Abweichungen, die Standpunkte, die Verbindungen
des Ausdrucks betrifft, so zeugen diese von dem Reichthum des Objects und
der ihm correspondirenden Mannigfaltigkeit der Subjecte." Dieser Brief
enthielt zugleich eine an Schiller gerichtete Einladung, nach Weimar zu
kommen, und in Goethe's Hause zu wohnen. "Wir unterhielten uns", schrieb
Goethe, "sähen Freunde, die uns am ähnlichsten gesinnt wären, und würden
nicht ohne Nutzen von einander scheiden." Schillers Individualität
berücksichtigend fügte Goethe noch hinzu: "Sie sollen ganz nach ihrer Art
und Weise leben, und sich ganz wie zu Hause einrichten." Schiller folgte
jener Einladung, und Goethe schrieb den 1. October 1794: "Nach unserer
vierzehntägigen Conferenz wissen wir nun, daß wir in Prinzipien einig sind,
und die Kreise unsers Empfindens, Denkens und Wirkens theils coincidiren,
theils sich berühren."

Zur Aufnahme in die von Schiller herausgegebenen "Horen" sandte Goethe,
seine "römischen Elegien", zwei "Episteln", denen noch eine dritte folgen
sollte, und andere poetische Beiträge. Auch zu einigen Aufsätzen hoffte er
noch Muße zu finden unter der fortwährenden Beschäftigung mit seinem
"Wilhelm Meister." "Zu kleinen Erzählungen", schrieb er den 27. November
1794, "hab' ich große Lust, nach der Last, die einem so ein Pseudo-Epos,
wie der Roman, auferlegt. Ich denke dabei wie die Erzählerin in der Tausend
und Einen Nacht zu verfahren."

Lebhaft interessirte sich Goethe für Schillers "Briefe über ästhetische
Erziehung." Diese Abhandlung harmonirte im Wesentlichen mit seinen eignen
Ansichten und Ideen. Er schrieb darüber den 26. October 1794: "Wie uns ein
köstlicher, unserer Natur analoger Trank willig hinunterschleicht und auf
der Zunge schon durch gute Stimmung des Nervensystems seine heilsame
Wirkung zeigt, so waren mir diese Briefe angenehm und wohlthätig, und wie
sollte es anders seyn, da ich das, was ich für recht seit langer Zeit
erkannt, auf eine so zusammenhängende und edle Weise vorgetragen fand. In
diesem behaglichen Zustande hätte mich ein Billet Herders beinahe gestört,
der uns, die wir an dieser Vorstellungsart Freude haben, gern einer
Einseitigkeit beschuldigen möchte. Da man aber im Reiche der Erscheinungen
es überhaupt nicht so genau nehmen darf, und es immer schon tröstlich genug
ist, mit einer Anzahl geprüfter Menschen eher zum Nutzen als Schaden seiner
selbst und seiner Zeitgenossen zu irren, so wollen wir getrost und
unverrückt so fortleben, und wirklich und in unserm Seyn und Wollen ein
Ganzes denken, um unser Stückwerk nur einigermaßen vollständig zu machen."

Treffend bezeichnete Goethe so seine unvollendeten literarischen Arbeiten.
Der "Faust", zu dessen Fortsetzung ihn Schiller ermuntert hatte, ruhte
längst. "Ich wage nicht," schrieb Goethe, "das Packet aufzuschnüren, das
ihn gefangen hält." Seine Thätigkeit zersplitterte sich in mannigfachen
Plänen und Entwürfen, die er großentheils für die "Horen" auszuführen
gedachte. Einer seiner gehaltvollsten Beiträge für dieses Journal waren die
bisher ungedruckt gebliebenen "Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter."
Den Werth und Gehalt seiner Producte machte Goethe fast ohne Ausnahme von
Schillers Urtheil abhängig. Durch ihn gewann er auch das fast verlorene
Vertrauen zu seinem Roman wieder. Er glaubte, als er denselben begann, das
Publikum zu Anforderungen berechtigt zu haben, die er sich nicht zu
erfüllen getraute.

Beruhigt über das im Allgemeinen günstig lautende Urtheil Schillers, dem er
einen Theil des Manuscripts gesandt hatte, schrieb Goethe an ihn den 10.
December 1794: "Sie haben mir sehr wohl gethan durch das gute Zeugniß, daß
sie dem ersten Buche meines Romans geben. Nach den sonderbaren Schicksalen,
welche diese Production von innen und außen gehabt hat, wäre es kein
Wunder, wenn ich ganz und gar confus darüber würde. Ich habe mich zuletzt
blos an meine Idee gehalten, und will mich freuen, wenn sie mich aus diesem
Labyrinth herausleitet." Schiller war ihm hierzu durch seinen Rath
behülflich, und dankbar erkannte er des Freundes Bemühungen. Er gewann
dadurch wieder Muth zur Fortsetzung seines Werks. Ein Brief vom 11. März
1795 enthielt das Geständniß, daß er den größten Theil des vierten Buchs
vom "Wilhelm Meister" zum Druck abgesandt, und außerdem noch eine Novelle,
"der Procurator", geschrieben habe.

Aus dem Carlsbade zurückgekehrt, wohin ihn im Juni 1795 seine
Kränklichkeit, besonders katarrhalische Zufälle genöthigt hatten, unternahm
Goethe häufige Ausflüge nach Jena. Außer Schiller fand er dort auch
Alexander und Wilhelm von Humboldt. Er verlebte in Jena genußreiche Tage.
Naturwissenschaftliche Betrachtungen wechselten mit Gesprächen über Poesie
und Kunst. Zur Fortsetzung des "Wilhelm Meister" und zu Beiträgen für die
"Horen" ermunterte ihn Schiller, so wenig auch dessen Erwartungen die
genannte Zeitschrift entsprach. Schiller hatte von jenem Journal eine
allgemein verbreitete großartige Wirkung gehofft, und stieß dagegen von
Seiten des Publikums überall auf Mangel an Empfänglichkeit und auf
kleinliche Ansichten. Goethe theilte seines Freundes Begeistrung für alles
Treffliche, den lebendigen Haß gegen falschen Geschmack und gegen jede
Beschränkung der Wissenschaft und Kunst. Entrüstet über die kalte Aufnahme
der "Horen" und über die einseitige Beurtheilung dieser Zeitschrift in
mehreren kritischen Blättern, schrieb Goethe: "Ueberall spukt doch dieser
Geist anmaßlicher Halbheit. Welch eine sonderbare Mischung von Selbstbetrug
und Klarheit diese Personen zu ihrer Existenz brauchen, und was dieser
Cirkel sich für eine Terminologie gemacht hat, um das zu beseitigen, was
ihnen nicht ansteht, und das, was sie besitzen, als die Schlange Mosis
aufzustellen, ist in der That merkwürdig."

In solcher Stimmung vereinigte sich Goethe mit Schiller zur Abfassung der
unter dem Namen "Xenien" bekannten Epigramme. Ein damaliger Brief Schillers
bezeichnete sie als "wilde Satyre, besonders gegen Schriftsteller und
schriftstellerische Producte gerichtet, untermischt mit einzelnen
poetischen und philosophischen Gedankenblitzen." Lebhaft ergriff Goethe
diese von ihm ausgegangene Idee. Er schrieb darüber an Schiller den 23.
December 1795: "Den Einfall, auf alle Zeitschriften Epigramme zu machen,
wie die Xenien des Martial sind, der mir diese Tage zugekommen ist, müssen
wir cultiviren, und eine solche Sammlung in Ihren Musenalmanach des
nächsten Jahres bringen."

Nur auf wenige subordinirte Geister hatte sich anfangs der Witz in den
erwähnten Epigrammen beschränkt. Der Stoff breitete sich jedoch immer mehr
aus, und die Pfeile der Satyre verschonten auch nicht Namen, die der
deutschen Literatur zur Ehre gereichten. Die bedeutendsten unter den
zahlreichen Gegenschriften, welche die Xenien veranlaßten, waren von Gleim,
Claudius, Jenisch, Dyk, Manso u.A. Mit vielem Scharfsinn und mit der
feinsten Ironie suchte Wieland, der ebenfalls in den Xenien nicht geschont
worden war, in einem gedruckten Briefe einen Freund zu überzeugen, daß
Schiller und Goethe, nach ihren bisherigen ausgezeichneten Producten,
unmöglich die Verfasser der Xenien seyn könnten. Ueber die
Gewissensscrupel, durch die das in jenen Producten mitunter verletzte
Zartgefühl sich an seinem Freunde Schiller rächte, setzte sich Goethe's
heiterer Weltsinn hinweg. "Daß man," schrieb er, "nicht überall mit uns
zufrieden seyn sollte, war ja unsere Absicht, und da das literarische
Faustrecht noch nicht abgeschafft ist, so bedienen wir uns der reinen
Befugniß, uns selbst Recht zu verschaffen. Ich erwarte nur, daß mir Jemand
etwas merken läßt, wo ich mich denn so lustig und artig als möglich
expectoriren werde."

Neben den "Xenien" entstanden damals mehrere Gedichte Goethe's, die zu dem
Trefflichsten gehören, was die deutsche Poesie aufzuweisen hat, so unter
andern die Elegie "Alexis und Dora", und, durch einen Wetteifer mit
Schiller veranlaßt, mehrere Balladen: "die Braut von Corinth, der Gott und
die Bajadere, das Blümlein Wunderschön, der Junggesell und der Mühlbach,
der Müllerin Verrath" u.a.m. Auch mehrere humoristische Gedichte fielen in
diese Zeit, wie unter andern das bekannte Tischlied: "Mich ergreift, ich
nicht wie u.s.w." Für die "Horen" lieferte Goethe, außer andern Beiträgen,
einzelne Fragmente aus seiner damals noch unvollendeten Biographie des
Florentinischen Goldschmids "Benvenuto Cellini." Immer aber blieb der
"Wilhelm Meister" seine Hauptbeschäftigung.

In Bezug auf Schillers kritische Bemerkungen über das ihm mitgetheilte
Manuscript seines Romans, bemerkte Goethe treffend: "Der Fehler, den Sie
mit Recht bemerken, kommt aus meiner innersten Natur, aus einem gewissen
realistischen Tic, durch den ich meine Existenz, meine Handlungen, meine
Schriften den Menschen aus den Augen zu rücken behaglich finde. So werde
ich immer gern incognito reisen, das geringere Kleid vor dem bessern
wählen, den unbedeutenden Gegenstand oder doch den weniger bedeutenden
Ausdruck vorziehen, mich leichtsinniger betragen, als ich bin, und mich so,
ich möchte sagen, zwischen mich selbst und meine eigene Erscheinung
stellen. Nach dieser allgemeinen Beichte will ich gern zur besondern
übergehen, daß ich ohne Ihren Antrieb und Anstoß wider besser Wissen und
Gewissen, mir auch diese Eigenheit bei einem Roman hätte hingehen lassen,
welches denn doch bei dem ungeheuren Aufwande, der darauf gemacht ist,
unverzeihlich gewesen wäre, da alles das, was gefordert werden kann, theils
so leicht zu erkennen, theils so bequem zu machen ist. Es ist keine Frage,
daß die scheinbaren, von mir ausgesprochenen Resultate viel beschränkter
sind, als der Inhalt des Werks, und ich komme mir vor, wie einer, der,
nachdem er viele und große Zahlen über einander gestellt, endlich
muthwillig selbst Additionsfehler macht, um die letzte Summe, Gott weiß,
aus was für einer Grille, zu verringern. Ich bin Ihnen den lebhaftesten
Dank schuldig, daß Sie noch zur rechten Zeit, auf eine so entschiedene Art,
diese perverse Manier zur Sprache bringen, und ich werde gewiß, in wiefern
es mir möglich ist, Ihren gerechten Wünschen entgegen gehen."

Ueber die einseitigen Urtheile, welche seinen Roman, den er 1796 vollendet
hatte, von mehreren Seiten trafen, machte sich Goethe in den unmuthigen
Worten Luft: "Möchte bei solchen Aeußerungen nicht die Hippokrene zu Eis
erstarren, und Pegasus sich mausern! Doch das war vor fünf und zwanzig
Jahren, als ich anfing, eben so, und wird so seyn, wenn ich lange geendigt
habe. Indeß ist es nicht zu leugnen, daß es doch aussieht, als wenn gewisse
Einsichten und Grundsätze, ohne die man sich eigentlich keinem Kunstwerke
nähern sollte, nach und nach allgemeiner werden müßten."

Den Eindruck, den die mannigfachen, gegen die "Xenien" gerichteten
Broschüren auf ihn gemacht hatten, schilderte Goethe in einem Briefe an
Schiller vom 7. December 1796. "Wenn ich aufrichtig seyn soll," schrieb er,
"so ist das Betragen des Volks ganz nach meinem Wunsch. Es ist eine nicht
genug gekannte und geübte Politik, daß Jeder, der auf einigen Nachruhm
Anspruch macht, seine Zeitgenossen zwingen soll, alles, was sie gegen ihn
in petto haben, von sich zu geben. Den Eindruck davon vertilgt er durch
die Gegenwart, Leben und Wirken jederzeit wieder. Was half es manchem
bescheidenen, verdienstvollen und klugen Manne, den ich überlebt habe, daß
er durch unglaubliche Nachgiebigkeit, Unthätigkeit, Schmeichelei, Rücken
und Zurechtlegen einen leidlichen Ruf zeitlebens erhielt? Gleich nach dem
Tode sitzt der Advokat des Teufels neben dem Leichnam, und der Engel, der
ihm Widerpart halten soll, macht gewöhnlich eine klägliche Gebehrde. Ich
hoffe, daß die Xenien auch eine ganze Weile wirken, und den bösen Geist
gegen uns in Thätigkeit erhalten werden. Wir wollen indeß unsere positiven
Arbeiten fortsetzen, und ihm die Negation überlassen. Nicht eher, als bis
sie ganz ruhig sind und sicher zu seyn glauben, müssen wir, wenn der Humor
frisch bleibt, sie noch einmal recht aus dem Fundament ärgern."

Dieser Vorsatz unterblieb. Einen würdigern Gebrauch machte Goethe von
seinem poetischen Talent in dem epischen Gedicht "Hermann und Dorothea,"
das er um diese Zeit entworfen hatte. Er schrieb darüber den 18. Januar
1797 an Schiller, die wunderbare Epoche, in der er eingetreten, sei ihm
höchst merkwürdig. "Ich schleppe von der analytischen Zeit noch so vieles
mit, das [daß] ich es nicht loswerden und kaum verarbeiten kann. Indessen
bleibt mir nichts übrig, als auf diesem Strom mein Fahrzeug so gut zu
lenken, als es nur gehen will. In's Ferne und Ganze läßt sich nichts
voraussagen, da diese regulirte Naturkraft, wie alle unregulirten, durch
nichts in der Welt geleitet werden kann, sondern sich selbst bilden muß,
auch aus sich selbst und auf ihre Weise wirkt.["]

Goethe blieb seiner Natur und schnell wechselnden Geistesrichtung treu.
Schon eilf Tage später, am 29. Januar, beklagte er sich, "daß für ihn an
keine ästhetische Stimmung zu denken sei." Seine Thätigkeit wandte sich
wieder zu wissenschaftlichen Gegenständen. "Die Farbentafeln," schrieb er,
"schließen sich immer fester an einander, und in Betrachtung organischer
Naturen bin ich auch nicht müßig gewesen. Es leuchten mir in diesen langen
Nächten ganz wundersame Lichter. Ich hoffe, es sollen keine Irrlichter
seyn." In einem spätern Briefe an Schiller vom 8. Februar 1797 gestand
Goethe, er sei wie ein Ball, den eine Stunde der andern zuwerfe. "In den
Frühstunden," schrieb er, "suche ich die letzte Lieferung des Benvenuto
Cellini zu bearbeiten. Ueber die Metamorphose der Insekten gelingen mir
allerlei gute Bemerkungen. Die Raupen, die ich im Winter in der warmen
Stube hielt, erscheinen schon nach und nach als Schmetterlinge, und ich
suche sie auf dem Wege zu dieser neuen Verwandlung zu ertappen."

In diese stillen Beschäftigungen griffen die damaligen politischen
Ereignisse störend ein. Die mannigfachen Truppenmärsche der europäischen
Mächte ließen auf den nahen Ausbruch eines allgemeinen Kriegs schließen.
Erst als die Besorgnisse allmälig verschwanden, gewann Goethe wieder Muth
zur Fortsetzung seines noch unvollendeten Gedichts "Hermann und Dorothea."
Unterbrochen ward er jedoch darin durch physische Leiden, besonders durch
einen hartnäckigen Katarrh, der ihn während seines Aufenthalts in Jena
heimsuchte. An Schiller schrieb er den 27. Februar 1797: "Ich bin wirklich
mit Hausarrest belegt, sitze am warmen Ofen, und friere von innen heraus.
Der Kopf ist mir eingenommen, und meine ganze Intelligenz wäre nicht im
Stande, durch einen freien Denkactus den einfachsten Wurm zu produciren;
vielmehr muß sie dem Salmiak und dem Liquiriziensaft, als Dingen, die an
sich den häßlichsten Geschmack haben, wider ihren Willen die Existenz
zugestehen. Wir wollen hoffen, daß wir aus der Erniedrigung dieser realen
Bedrängnisse zur Herrlichkeit poetischer Darstellungen nächstens gelangen
werden, und glauben dies um so sicherer, als uns die Wunder der stetigen
Naturwirkungen bekannt sind."

Am 1. März 1797 meldete Goethe, daß "der Katarrh zwar im Abmarsch sei," er
aber noch das Zimmer hüten müßte. "Die Gewohnheit", schrieb er, "fängt an,
mir diesen Aufenthalt erträglich zu machen." Er äußerte in diesem Briefe
die Hoffnung, sein Gedicht "Hermann und Dorothea," wovon er den vierten
Gesang vollendet habe, glücklich zu Ende zu bringen. "So verschmähen also,"
schrieb er, "die Musen den asthenischen Zustand nicht, in welchem ich mich
durch das Uebel versetzt fühle. Vielleicht ist es gar ihren Einflüssen
günstig." Bereits am 4. März meldete Goethe, daß die Arbeit fortrücke, und
schon anfange, Masse zu machen. "Nur auf zwei Tage," schrieb er, "kommt es
noch an, so ist der Schatz gehoben, und ist er erst einmal über der Erde,
so findet sich alsdann das Poliren von selbst." Merkwürdig sei es, fügte
Goethe hinzu, wie das Gedicht gegen das Ende sich ganz zu seinem
idyllischen Ursprung hinneige.

Die Erfindung, die Wahl des Stoffs hielt Goethe bei jedem poetischen Werke
für die Hauptsache. Form und Darstellung, meinte er, seien nur Nebendinge.
Er schrieb darüber an Schiller den 5. April 1797: "Sie haben ganz Recht,
daß in den Gestalten der alten Dichtkunst, wie in der Bildhauerkunst, ein
Abstractum erscheint, das seine Höhe nur durch das, was man Styl nennt,
erreichen kann. Es giebt auch Abstracta durch Manier, wie bei den
Franzosen. Auf dem Glück der Fabel beruht freilich alles; man ist wegen des
Hauptaufwandes sicher, die meisten Leser und Zuschauer nehmen dann doch
nichts weiter davon, und dem Dichter bleibt doch das ganze Verdienst einer
lebendigen Ausführung, die desto fleißiger seyn kann, je besser die Fabel
ist."

Abgelenkt ward Goethe wieder von der Beschäftigung mit seinem Epos durch
eine jugendliche Lieblingsidee, die in ihm auftauchte. Die Bibel ward für
ihn ein Gegenstand mannigfacher Forschungen. "Indem ich den
patriarchalischen Ueberresten nachspürte," schrieb er den 12. April 1797,
"bin ich in das Alte Testament gerathen, und habe mich auf's Neue nicht
genug verwundern können über die Confusion und die Widersprüche der fünf
Bücher Mosis, die freilich, wie bekannt, aus hunderterlei schriftlichen und
mündlichen Traditionen zusammengestellt seyn mögen. Ueber den Zug der
Kinder Israel in der Wüste hab' ich einige artige Bemerkungen gemacht, und
es ist der verwegene Gedanke in mir entstanden, ob nicht die große Zeit,
welche sie darin zugebracht haben, erst eine spätere Erfindung sei."

Näher erklärte sich Goethe hierüber in einem Briefe vom 15. April 1797.
"Noch immer," schrieb er, "hab' ich die Kinder Israel in der Wüste
begleitet. Meine kritisch-historisch-poetische Arbeit geht davon aus, daß
die vorhandenen Bücher sich selbst widersprechen und sich selbst verrathen;
und der ganze Spaß, den ich mir mache, läuft dahin hinaus, das menschlich
Wahrscheinliche von dem Absichtlichen und blos Imaginirten zu sondern, und
doch für meine Meinung überall Belege aufzufinden. Alle Hypothesen dieser
Art bestehen blos durch das Natürliche des Gedankens und durch die
Mannigfaltigkeit der Phänomene, auf die er sich gründet." Es sei ihm, fügte
Goethe hinzu, "recht wohl zu Muthe, wieder einmal etwas auf kurze Zeit zu
haben, bei dem er mit Interesse im eigentlichen Sinne des Worts spielen
könne, denn die Poesie, wie er sie seit einiger Zeit treibe, sei doch eine
gar zu ernste Beschäftigung."

Neben diesen Bibelstudien, bei denen ihm Eichhorn's Einleitung in das Alte
Testament wesentliche Dienste leistete, hatten sich die einzelnen Gesänge
von "Hermann und Dorothea" nach und nach zu einem Ganzen gerundet. An
Schiller schrieb Goethe den 28. April 1797: "Mein Gedicht ist fertig. Es
besteht aus zweitausend Hexametern, und ist in neun Gesänge getheilt, und
ich sehe darin wenigstens einen Theil meiner Wünsche erfüllt. Die höchste
Instanz, vor der es gerichtet werden kann, ist die, vor welche der
Menschenmaler seine Compositionen bringt, und es wird die Frage seyn, ob
man unter dem modernen Costüm meines Gedichts die wahren ächten
Menschenproportionen anerkennen werde. Der Gegenstand selbst ist äußerst
glücklich, ein Süjet, wie man es in seinem Leben nicht zweimal findet; wie
denn überhaupt die Gegenstände zu wahren Kunstwerken seltener gefunden
werden, als man denkt, woher auch die Alten sich nur beständig in einem
gewissen Kreise bewegen. In der Lage, in der ich mich befinde, habe ich mir
zugeschworen, an nichts mehr Theil zu nehmen, als an dem, was ich so in
meiner Gewalt habe, wie ein Gedicht, wo man weiß, daß man zuletzt nur sich
zu tadeln oder zu loben hat; an einem Werke, an dem man, wenn der Plan
einmal gut ist, nicht das Schicksal des Penelopeischen Schleiers erlebt.
Leider lösen in allen übrigen Dingen einem die Menschen gewöhnlich wieder
auf, was man mit großer Sorgfalt gewoben hat, und das Leben gleicht jener
beschwerlichen Art zu wallfahrten, wo man drei Schritte vor, und zwei
zurück thun muß."

So wenig auch Goethe's individuelle Natur, die Vielseitigkeit seines
Geistes ihm erlaubte, bei dem in diesem Briefe ausgesprochenen Entschlusse
ernstlich zu beharren, so schien er doch diesmal demselben treu bleiben zu
wollen. "Ich habe," schrieb er den 22. Juni 1797, "mich entschlossen, an
meinen Faust zu gehen, und ihn, wo nicht zu vollenden, doch wenigstens um
ein gutes Theil weiter zu bringen, indem ich das, was gedruckt ist, wieder
auflöse, und es mit dem, was schon fertig oder erfunden ist, in große
Massen disponire, und so die Ausführung des Plans, der eigentlich nur eine
Idee ist, näher vorbereite. Nun hab' ich eben diese Idee und deren
Darstellung wieder vorgenommen, und bin mit mir selbst ziemlich einig. Da
die verschiedenen Theile dieses Gedichts in Absicht auf die Stimmung
verschieden behandelt werden können, wenn sie sich nur dem Geist und Ton
des Ganzen subordiniren, und da übrigens die ganze Arbeit subjectiv ist, so
kann ich in einzelnen Momenten mich damit beschäftigen, und so bin ich auch
jetzt etwas zu leisten im Stande. Ich werde vorerst die großen erfundenen
und halb bearbeiteten Massen zu enden, und mit dem, was gedruckt ist,
zusammen zu stellen suchen, und so lange treiben, bis sich der Kreis selbst
erschöpft."

Unterbrochen ward Goethe's Beschäftigung mit dem "Faust", so wie seine
ganze literarische Thätigkeit durch eine Reise nach der Schweiz. Den 30.
Juli 1797 verließ er Weimar. Unterwegs beschäftigte ihn die genaue
Betrachtung der Gegenden, besonders in Bezug auf Geognosie und die darauf
gegründete Cultur des Bodens. Genußreiche Tage verlebte er in seiner
Vaterstadt Frankfurt. Unter mehreren Bekanntschaften, die er dort theils
anknüpfte, theils erneuerte, war besonders Sömmering für ihn belehrend
durch seine geistreiche Unterhaltung, durch Präparate und Zeichnungen. Zur
Ausführung einiger poetischen Entwürfe fehlte ihm die nöthige Stimmung, die
er erst nach der Rückkehr von einem ruhigen Zustande erwartete. Von
Frankfurt a.M. ging er über Heidelberg, Heilbronn und Ludwigsburg nach
Stuttgart, wo er den kunstliebenden Kaufmann Rapp und die Bildhauer
Dannecker und Scheffauer kennen lernte. In der Schweiz, wohin er sich im
September 1797 begab, fand sein poetisches Talent mannigfache Anregung
durch die Betrachtung der schönen Natur. "Herrliche Stoffe zu Idyllen und
Elegien," schrieb er, "habe ich aufgefunden, und Einiges schon wirklich
gemacht." Am längsten verweilte er bei der Idee, den Befreier der Schweiz
zum Helden eines epischen Gedichts zu wählen. Er schrieb darüber den 14.
October 1797: "Ich bin fest überzeugt, daß die Fabel vom Tell sich werde
episch behandeln lassen, und es würde daher, wenn es mir, wie ich vorhabe,
gelingt, der sonderbare Fall eintreten, daß das Mährchen durch die Poesie
erst zu seiner vollkommnen Wahrheit gelangte, anstatt daß man sonst, um
etwas zu leisten, die Geschichte zur Fabel machen muß. Das beschränkte,
höchst bedeutende Local, worauf die Begebenheit spielt, hab' ich mir wieder
recht genau vergegenwärtigt, so wie die Charaktere, Sitten und Gebräuche
der Menschen in diesen Gegenden, so gut in der kurzen Zeit möglich,
beobachtet, und es kommt nun auf gut Glück an, ob aus diesem Unternehmen
etwas werden kann."

Andere Gegenstände verdrängten die Ausführung dieser Idee. Indeß meinte
Goethe doch, daß nur ein wenig Gewohnheit dazu gehöre, die literarische
Thätigkeit, an die man daheim gewöhnt sei, auch auswärts fortzusetzen.
"Wenn die Reise," schrieb er, "zu gewissen Zeiten zerstreut, so führt sie
uns zu andern Zeiten desto schneller auf uns selbst zurück. Der Mangel an
äußeren Verhältnissen und Verbindungen, ja die lange Weile ist demjenigen
günstig, der manches zu verarbeiten hat. Die Reise gleicht einem Spiel; man
empfängt mehr oder weniger, als man hofft, man kann ungestört eine Weile
hinschlendern, und dann ist man wieder genöthigt, sich einen Augenblick
zusammenzunehmen. Für Naturen, wie die meinige, die sich gern festsetzen
und die Dinge festhalten, ist eine Reise unschätzbar; sie belebt,
berichtigt, belehrt und bildet."

Bei seiner Rückkehr nach Weimar widmete Goethe vorzugsweise seine
Aufmerksamkeit dem Theater. Sein Interesse an der Bühne, durch die
schriftliche und mündliche Unterhaltung mit Schiller immer auf's neue
belebt, ward noch höher gesteigert, als Iffland im April 1798 eine Reihe
von glänzenden Darstellungen gab. Vielfach thätig war Goethe bei dem neuen
Theatergebäude, das damals durch den Architekten Thouret aus Stuttgart in
Weimar errichtet und mit einem Prolog Schillers eröffnet ward, welchem eine
Vorstellung von Wallensteins Lager folgte. Goethe fühlte sich der
dramatischen Gattung seit längerer Zeit entfremdet. Er gestand dies in
einem Briefe an Schiller vom 9. December 1797. "Ohne ein lebhaftes
pathologisches Interesse," schrieb er, "ist es mir nie gelungen, irgend
eine tragische Situation zu bearbeiten, und ich habe sie daher eher
vermieden, als aufgesucht. Sollte es wohl auch einer von den Vorzügen der
Alten gewesen seyn, da bei uns die Naturwahrheit mitwirken muß, um ein
solches Wesen hervorzubringen? Ich kenne mich zwar nicht selbst genug, um
zu wissen, ob ich eine wahre Tragödie schreiben könnte; ich erschrecke aber
blos vor dem Unternehmen, und bin überzeugt, daß ich mich durch den bloßen
Versuch zerstören könnte."

In der Beilage zu einem an Schiller gerichteten Briefe hatte Goethe den
Unterschied zwischen epischer und dramatischer Dichtung scharf bezeichnet.
Doch blieb er der erstern treu, weil sie mit seinen Naturanlagen mehr
harmonirte. Das fortgesetzte Studium des Homer führte ihn zu dem Entwurf
eines epischen Gedichts unter dem Titel "Achilleis", das jedoch unvollendet
blieb. Den 6. December 1797 schrieb Goethe: "Ich habe diese Tage
fortgefahren, die Ilias zu studiren, und zu überlegen, ob zwischen ihr und
der Odyssee nicht noch eine Epopöe inne liege. Ich finde aber eigentlich
nur tragische Stoffe, es sei nun, daß es wirklich so ist, oder daß ich nur
den epischen nicht finden kann. Das Lebensende des Achill mit seinen
Umgebungen ließe eine epische Behandlung zu, und forderte sie gewissermaßen
wegen der Breite des zu bearbeitenden Stoffs. Nun würde die Frage
entstehen, ob man wohl thue, einen tragischen Stoff ebenfalls episch zu
behandeln. Es läßt sich allerlei dafür und dagegen sagen. Was den Effect
betrifft, so würde ein Neuer, der für Neue arbeitet, immer dabei im
Vortheil seyn, weil man ohne pathologisches Interesse sich wohl schwerlich
den Beifall der Zeit erwerben wird."

Noch in mehreren seiner Briefe kam Goethe wieder auf diese Idee zurück, die
er jedoch, der Ermunterungen Schillers ungeachtet, nicht realisirte.
Dankbar erkannte er jedoch des Freundes wohlthätigen Einfluß auf seine
poetische Thätigkeit. Er schrieb darüber den 6. Januar 1798 an Schiller:
"Das günstige Zusammentreffen unsrer beiden Naturen hat uns schon manchen
Vortheil verschafft. Wenn ich Ihnen zum Repräsentanten mancher Objecte
diente, so haben Sie mich von der allzustrengen Beobachtung der äußern
Dinge und ihrer Verhältnisse auf mich selbst zurückgeführt. Sie haben mich
die Vielseitigkeit des innern Menschen mit mehr Billigkeit anzuschauen
gelehrt, Sie haben mir eine zweite Jugend verschafft, und mich zum Dichter
gemacht, welches zu seyn ich so gut als aufgehört hatte."

Seine poetische Unfruchtbarkeit erklärte sich Goethe aus den noch immer
fortdauernden Nachwirkungen seines zerstreuten Reiselebens. "Das Material,
das ich erbeute," schrieb er, "kann ich zu nichts brauchen, und ich bin
außer aller Stimmung gekommen, irgend etwas zu thun. Ich erinnere mich aus
früherer Zeit eben solcher Wirkungen, und es ist mir aus manchen Fällen und
Umständen wohl bekannt, daß Eindrücke bei mir sehr lange wirken müssen, bis
sie zum poetischen Gebrauch sich willig finden lassen. Ich habe auch
deshalb ganz pausirt, und erwarte nun, was mir mein erster Aufenthalt in
Jena bringen wird."

Die erwartete poetische Ausbeute bestand jedoch nur in einzelnen kleinen
Gedichten, unter denen die "Weissagungen des Bakis" vielleicht die
bedeutendsten waren. Goethe wandte sich zur bildenden Kunst. Ihn
beschäftigten die Vorarbeiten zur Herausgabe einer Zeitschrift, "die
Propyläen" betitelt. Gleichzeitig setzte er die Biographie des "Benvenuto
Cellini" fort, als Anhaltspunkt der Geschichte des sechzehnten
Jahrhunderts. Daran reihten sich mannigfache andere Beschäftigungen, die in
der rauhen und unfreundlichen Witterung des Januar ihm die Zeit verkürzten.
Er nahm unter andern seine "Farbenlehre" wieder zur Hand.

Seinem Freunde Schiller kam er aufmunternd entgegen durch das lebhafte
Interesse an dem "Wallenstein." Gemeinschaftlich mit Schiller entwarf er
die Idee, mehrere ältere Schauspiele dem Geschmack der neuern Zeit zu
nähern, und sie in einer Umbildung auf die Bühne zu bringen. Dem deutschen
Theater sollte dadurch zu einem soliden Repertoir verholfen werden. Goethe
machte hiezu den Anfang mit seiner Uebersetzung des Mahomet und Tancred von
Voltaire, Schiller mit der Umarbeitung von Shakespeare's [Shakspeare's]
Macbeth.

Durch den Beifall, mit welchem Schillers "Wallenstein," seine "Maria
Stuart" u.a. seiner spätern dramatischen Werke bei der Vorstellung auf der
Bühne aufgenommen wurden, fühlte sich Goethe ermuntert, in einer ihm seit
mehrern Jahren beinahe fremd gewordenen Gattung sich wieder zu versuchen.
Die Memoiren der Stephanie von Bourbon boten ihm den Stoff zu einer
Tragödie, die er später unter dem Titel "die natürliche Tochter" herausgab.
Nach seinem eignen Geständniß wollte er darin "wie in einem Gefäß alles
niederlegen, was er über die französische Revolution und ihre Folgen theils
gedacht, theils niedergeschrieben hatte." Während der Beschäftigung mit
diesem Werke blieb er thätig für die "Propyläen." Manche Mußestunde widmete
er auch, durch Schelling's Naturphilosophie angeregt, verschiedenen damit
zusammenhängenden Studien. Aus seiner Gartenwohnung am sogenannten Stern,
einem Theil des Weimarischen Parks, beobachtete er durch ein
Spiegeltelescop den Mondwechsel mit seinen wunderbaren Erscheinungen.
Daneben beschäftigte ihn die Lectüre von Herder's "Fragmenten zur
Geschichte der Literatur", von "Winkelmanns Briefen" und von Milton's
"verlorenem Paradiese", um, nach seinem eignen Geständniß, "die
mannigfachsten Zustände, Denk- und Dichtweisen sich zu vergegenwärtigen."

Wie Goethe die Literatur überhaupt, insonderheit aber die Poesie
betrachtete, zeigte folgende Stelle in einem Briefe vom 6. März 1800: "Was
die großen Anforderungen betrifft, die man jetzt an den Dichter macht, so
glaube ich, daß sie nicht leicht einen Dichter hervorbringen werden. Die
Dichtkunst verlangt ein Subject, das sie ausüben soll, eine gewisse
gutmüthige, in's Reale verliebte Beschränktheit, hinter welcher das
Absolute verborgen liegt. Die Forderungen von oben herein zerstören jenen
unschuldigen productiven Zustand, und setzen vor lauter Poesie an die
Stelle der Poesie etwas, das nun ein für allemal nicht Poesie ist, wie wir
in unsern Tagen leider gewahr werden, und so verhält es sich mit den
verwandten Künsten, ja mit der Kunst im weitesten Sinne. Dies ist mein
Glaubensbekenntnis welches übrigens keine weitern Ansprüche macht."

Unter den mannigfachen Beschäftigungen, auf die sich die Vielseitigkeit
seines Geistes lenkte, überraschte ihn eins der trübsten Ereignisse, der
Tod Schillers am 9. Mai 1805. Mit seiner eigenen Kränklichkeit hatte Goethe
den Freund unter seinen physischen Leiden zu trösten gesucht. Scherzend
schrieb er ihm den 24. Januar 1805: "Ob nach der alten Lehre die humores
peccantis im Körper herumspazieren, oder ob nach der neuern die
verhältnißmäßig schwächern Theile in désavantage sind, genug, bei mir
hinkt es bald hier, bald dort, und sind die Unbequemlichkeiten in den
Gedärmen in's Diaphragma, von da in die Brust, ferner in den Hals und so
weiter in's Auge gefahren, wo sie mir denn am allerwenigsten willkommen
sind."

Die scherzhafte Stimmung in diesem Briefe wich bald dem Gefühl der Wehmuth
und Trauer bei dem lange gefürchteten Verlust seines Freundes. Als Goethe,
mehrere Wochen an sein Zimmer gefesselt, zu Anfange Mai sich zum ersten Mal
aus dem Hause wagte, traf er Schiller, der eben im Begriff war, in's
Theater zu gehen. "Ein Mißbehagen," erzählt Goethe selbst, "hinderte mich,
ihn zu begleiten, und so schieden wir vor seiner Hausthür, um uns nie
wiederzusehen. Bei dem Zustande meines Körpers und Geistes wagte Niemand,
die Nachricht von seinem Scheiden in meine Einsamkeit zu bringen. Schiller
war am neunten Mai verschieden, und ich nun von allen meinen Uebeln doppelt
und dreifach angefallen." Seine Stimmung schilderte folgende Stelle in
einem Briefe vom 1. Juni 1805. "Ich dachte mich selbst zu verlieren, und
verliere einen Freund, und in demselben die Hälfte meines Daseyns.
Eigentlich", fügte er hinzu, "sollte ich eine neue Lebensweise anfangen.
Aber dazu ist in meinen Jahren auch kein Weg mehr. Ich sehe also jetzt
jeden Tag unmittelbar vor mich hin, ohne an eine weitere Folge zu denken."

Mehr als jemals, fühlte Goethe das Bedürfnis einer anhaltenden Thätigkeit.
Manche Hindernisse stellten sich der Ausführung des Plans entgegen, das von
Schiller unvollendet zurückgelassene Trauerspiel "Demetrius" zu beenden.
Unterstützt durch mehrere schätzbare Beiträge F.A. Wolfs gab Goethe damals
(1805) das für die Kunstgeschichte wichtige Werk: "Winkelmann und sein
Jahrhundert" heraus, und gleichzeitig einen aus dem Französischen
übersetzten Dialog Diderots, unter dem Titel: "Rameau's Neffe."

Trübe Tage brachte ihm die Schlacht bei Jena am 14. October 1806 und die
allgemeine Plünderung, welche die Stadt Weimar traf. Mitten unter jenen
Kriegsstürmen reichte Goethe, in bereits vorgerücktem Alter einer
vieljährigen Freundin am Altar die Hand. Es war Christiane Vulpius, eine
Schwester des bekannten Romanschriftstellers und nachherigen
Oberbibliothekars in Weimar.

Neben einer genauen Durchsicht seiner bisherigen Schriften, die in einer
zwölfbändigen Gesammtausgabe 1806 erschienen, beschäftigte sich Goethe mit
seinen wissenschaftlichen Forschungen, vor allen mit seiner "Farbenlehre,"
die 1808 mit einer Zueignung an die Herzogin Louise von Sachsen-Weimar ans
Licht trat. Jene Forschungen weckten in ihm die Idee zu einem Roman, in
welchem er unter dem Titel "die Wahlverwandtschaften" nach seinem eignen
Geständniß, "das Leben von seiner täglichen Licht- und Schattenseite
darstellen, und zugleich die Macht begreiflich machen wollte, die das Spiel
geheimer Naturgesetze über menschliche Verhältnisse ausübt." Die von ihm
begonnene Biographie des Landschaftsmalers Philipp Hackert, mit dem er in
Rom genußreiche Tage verlebt hatte, trat in den Hintergrund durch Goethe's
Beschäftigung mit seiner Selbstbiographie, die er unter dem Titel:
"Dichtung und Wahrheit aus meinem Leben" in mehrern Bänden herausgab.
Ungeachtet seiner Abneigung gegen alle politischen Tendenzen, verewigte
Goethe die Befreiung seines Vaterlandes von französischer Botmäßigkeit
durch das Festspiel: "Des Epimenides Erwachen", das zuerst in Berlin
vorgestellt ward. Die Stimmung, in welcher er dies Stück, welchem eine alte
griechische Mythe zum Grunde lag, gedichtet hatte, kehrte ihm wieder, und
er verfaßte die Inschrift für das dem Fürsten Blücher in seiner Vaterstadt
Rostock errichtete Denkmal.

Das Interesse an botanischen und mineralogischen Studien ward in Goethe
erhalten durch seine jährlich nach Carlsbad und Töplitz unternommenen
Badereisen, zu denen ihn sein Gesundheitszustand nöthigte. Einer seiner
Freunde erzählte, wie er unterwegs aus dem Wagen gestiegen sei und mit
einem Hammer Steine zerklopft habe. Seine Vaterstadt Frankfurt, die er nach
siebzehn Jahren (1814) zum ersten mal wieder besuchte, ehrte ihn durch eine
Vorstellung seines "Tasso", und feierte auf eine noch glänzendere Weise
(1818) seinen siebzigsten Geburtstag durch Ueberreichung eines goldenen
Lorbeerkranzes, der an Werth die Summe von 1500 Fl. überstiegen haben soll.
Goethe dankte seinen Verehrern durch das in seinen Werken aufbewahrte
Gedicht: "Die Feier des 28. August dankbar zu erwiedern."

Das von ihm unter dem Titel: "Kunst und Alterthum" 1816 herausgegebene
Journal, welches kurze Reiseberichte, und Recensionen über neuere Werke der
Dichtkunst, Malerei und Plastik enthielt, war eine Art von Fortsetzung der
Aufsätze, die Goethe früher in Verbindung mit den Weimarischen
Kunstfreunden in den "Propyläen" und in der Allgemeinen Literaturzeitung
mitgetheilt hatte. Für den Theil seiner Studien, dem er seit früher Jugend
unverändert treu geblieben war, gründete er eine, in einzelnen Heften
fortlaufende Zeitschrift: "Zur Morphologie und Naturwissenschaft überhaupt"
betitelt. Das Gebiet der Poesie, aus dem er sich längere Zeit entfernt
hatte, betrat er wieder in einer Art von Fortsetzung seines Romans "Wilhelm
Meister", die er unter dem Titel "Wilhelm Meisters Wanderjahre" herausgab.
In eigentümlicher Weise suchte er in seinem "Westöstlichen Divan" die
orientalische Poesie auf den deutschen Boden zu verpflanzen. An der Bühne
und ihren Vorstellungen nahm er wenig Antheil mehr. Das Auftreten eines
Thieres in dem bekannten Drama. "Der Hund des Aubry" hielt er für eine so
tiefe Herabwürdigung der Bühne, daß er sich dadurch bewogen fand, 1817 die
bisher von ihm geführte Theaterdirection niederzulegen.

Die ruhige Besonnenheit und Klarheit, die seinem Geiste stets eigen war und
die sich im höhern Alter noch steigerte, vermißte Goethe in der neuern
Literatur. Mit der Richtung, die sie genommen, konnte er sich eben so wenig
befreunden, als mit den eigenthümlichen Fortschritten der Cultur überhaupt.
Nicht ohne Bitterkeit äußerte er sich darüber in einem Briefe vom 9. Juni
1825 mit den Worten: "Alles ist jetzt ultra, alles transcendirt
unaufhaltsam, im Denken, wie im Thun. Niemand kennt sich mehr. Niemand
begreift das Element, worin er schwebt und wirkt, Niemand den Stoff, den er
bearbeitet. Von reiner Einfalt kann die Rede nicht seyn; einfältiges Zeug
giebt es genug. Junge Leute werden viel zu früh aufgeregt, und dann im
Zeitstrom fortgerissen. Reichthum und Schnelligkeit ist es, was die Welt
bewundert. Eisenbahnen, Schnellposten, Dampfschiffe und alle möglichen
Facilitäten der Communication sind es, worauf die gebildete Welt ausgeht,
sich zu überbilden, und dadurch in der Mittelmäßigkeit zu verharren.
Eigentlich ist es das Jahrhundert für die fähigen Köpfe, für
leichtfassende, practische Menschen, die, mit einer gewissen Gewandtheit
ausgestattet, ihre Superiorität über die Menge fühlen, wenn sie gleich
selbst nicht zum Höchsten begabt sind."

Eine ruhigere Stimmung herrschte in einem Briefe Goethe's vom 3. November
1825. "Von mir," schrieb er, "kann ich so viel sagen, daß ich, meinem Alter
und Umständen nach, wohl zufrieden seyn darf. Die Verhandlungen wegen einer
neuen Ausgabe meiner Werke geben mir mehr als billig zu thun; sie sind nun
ein ganzes Jahr im Gange. Alles läßt sich aber so gut an, und verspricht
den Meinigen unerwartete Vortheile, um derentwillen es wohl der Mühe werth
ist, sich zu bemühen. Auch fehlt es nicht mitunter an guten Gedanken und
neuen Ansichten, zu denen man auf der Höhe des Lebens gelangt."

Erhalten ward Goethe in dieser heitern Stimmung durch seinen lebhaften
Antheil an zwei Dichtern des Auslandes, mit denen er um diese Zeit in
schriftliche Berührung kam. Den Italiener Manzoni, für dessen Tragödie:
"Der Graf von Carmagnola," sich Goethe lebhaft interessirte, nannte er in
einem seiner Briefe "einen Dichter, der verdiene, daß man ihn studire."
Durch die eigentümliche Art und Weise, wie der Lord Byron die dem "Faust"
zu Grunde liegende Idee des unbefriedigten Strebens eines reichen, aber in
sich zerfallenen Gemüths für das Drama: "Manfred" benutzt hatte, lenkte
sich Goethe's Aufmerksamkeit auf diesen Dichter, dessen großes poetisches
Talent er zwar anerkannte, doch zugleich sich wieder von ihm zurückgestoßen
fühlte durch Byron's an Verzweiflung grenzende Unzufriedenheit mit der Welt
und ihren Verhältnissen.

Zu den erfreulichsten Erscheinungen für Goethe in seinem höheren Alter
gehörte die durch zahlreiche Gedichte seiner Freunde und Verehrer und durch
sonstige werthvolle Gaben gefeierte Wiederkehr seines Geburtstages. Innig
freute er sich, daß sein Talent noch immer eine Anerkennung fand zu einer
Zeit, wo eine einseitige und befangene Kritik ihm seinen wohlverdienten
Dichterruhm zu schmälern suchte. Zu einer allgemeinen und würdigen Feier,
nicht blos in Weimar, sondern auch in mehreren andern Städten Deutschlands
ward Goethe's Jubelfest im Jahr 1825. Die funfzigste Wiederkehr des Tages,
an welchem Goethe in den Weimarischen Lebenskreis eingetreten war, sollte
zugleich als sein Dienstjubiläum gefeiert werden. Dies geschah auf den
Wunsch seines Fürsten, dem er ein halbes Jahrhundert hindurch seine treue
Gesinnung als Staatsmann, Dichter, Rathgeber und Freund im höchsten Sinne
des Worts in mannigfacher Weise bethätigt hatte. Aehnliche Festlichkeiten,
von denen eine in Weimar erschienene Schrift eine ausführliche Beschreibung
lieferte, hatten einige Monate früher, den 5. November 1825 bei dem durch
Goethe mehrfach verherrlichten Regierungsjubiläum seines Fürsten statt
gefunden.

Goethe war dadurch seiner gewohnten stillen Thätigkeit entzogen worden. Die
Nachwirkungen jener geräuschvollen Tage schien er noch lange zu empfinden.
Er schrieb darüber den 16. November 1825: "Wie der Eindruck des Unglücks
durch die Zeit gemildert wird, so bedarf das Glück auch dieses wohlthätigen
Einflusses. Erst nach und nach erhole ich mich vom 7. November. Solchen
Tagen sucht man sich im Augenblick möglichst gleich zu stellen, fühlt aber
erst hinterher, daß eine solche Anstrengung nothwendig einen abgespannten
Zustand zur Folge hat. Ich bin höchst bedrängt, zwar nicht von Sorgen, aber
doch von Besorgungen, und das kann sich zuletzt zu einem Grade steigern,
daß es fast dasselbe wird."

Den Standpunkt, aus welchem Goethe im höheren Alter das Leben mit seinen
mannigfach wechselnden Erscheinungen betrachtete, zeigte folgende Stelle in
einem Briefe vom 19ten März 1827: "Mir erscheint der zunächst mich
berührende Personenkreis wie ein Convolut sibyllinischer Bücher, deren eins
nach dem andern, von Lebensflammen aufgezehrt, in der Luft zerstiebt, und
dabei den übrig bleibenden von Augenblick zu Augenblick höhern Werth
verleiht. Wirken wir fort, bis wir, vor oder nach einander, vom Weltgeist
berufen in den Aether zurückkehren. Möge dann der ewig Lebendige uns neue
Thätigkeiten, denen analog, in welchem wir uns schon erprobt, nicht
versagen. Fügt er sodann Erinnerung und Nachgefühl des Rechten und Guten,
was wir hier schon gewollt und geleistet, väterlich hinzu, so werden wir
gewiß um desto rascher in die Kämme des Weltgetriebes eingreifen. Die
entelechische Monade muß sich nur in rastloser Thätigkeit erhalten; wird
ihr diese zur andern Natur, so kann es ihr in Ewigkeit nicht an
Beschäftigung fehlen. Man verzeihe mir diese obstrusen Ausdrücke. Hat der
Mensch sich doch von jeher in solche Regionen verloren, in solchen
Spracharten sich mitzutheilen versucht, da, wo die Vernunft nicht
hinreichte, und wo man doch die Unvernunft nicht wollte walten lassen."

Unter Goethe's poetischen Entwürfen beschäftigte ihn vorzüglich eine
Fortsetzung seines "Faust." Diese Tragödie, zu welcher er ein
Zwischenspiel, "Helena" betitelt, gedichtet hatte, sollte einen zweiten
Theil erhalten. Mit dieser poetischen Arbeit beschäftigte er sich
größtentheils in seiner am Park gelegenen Gartenwohnung. Heiter gestimmt
ward er durch den Anblick der freien Natur. "Die Vegetation," schrieb er,
"hat sich dieses Jahr in der ganzen Umgegend auch an alten Bäumen
bemerklich gemacht, und so freue ich mich des lange Versäumten und
Vernachlässigten noch mehr, als eines Vermißten und Ersehnten. Ich fühle
mich genöthigt, jeden Tag wenigstens einige Stunden in meinem Garten
zuzubringen." Den 21. November 1827 meldete Goethe, der zweite Theil des
Faust rücke rasch fort. "Die Aufgabe," schrieb er, "ist hier, wie bei der
Helena, das Vorhandene so zu bilden und zu richten, daß es zum Neuen passe
und klappe, wobei manches zu verwerfen, manches umzuarbeiten ist."


Sein selten wankender Gesundheitszustand gönnte ihm eine rastlose
Thätigkeit. Er hatte daher auch seit einigen Jahren seine gewöhnlichen
Sommerreisen nach Carlsbad und Töplitz aufgegeben. Hinsichtlich seiner
Arbeiten meinte er in einem Briefe vom 22. April 1828: "Wenn der Mensch
nicht von Natur zu seinem Talent verdammt wäre, so müßte man sich als
thöricht schelten, daß man in einem langen Leben immer neue Pein und
wiederholtes Mühsal sich aufläde."

Den Eindruck, den der Tod seines von ihm innig verehrten Fürsten, des
Großherzogs Carl August von Sachsen-Weimar, der den 14. Juni 1828 zu
Graditz bei Torgau gestorben war, auf Goethe machte, schilderte ein aus
Dornburg vom 10. Juli datirter Brief. "Bei dem schmerzlichsten Zustande
meines Innern," schrieb Goethe, "mußte ich wenigstens meine äußern Sinne
schonen. Ich begab mich daher den 7. Juli hieher, um den düstern Functionen
zu entgehen, wodurch man, wie billig und schicklich, der Menge symbolisch
darstellt, was sie im Augenblicke verloren hat, und was sie diesmal gewiß
auch in jedem Sinne empfindet."

Linderung für seinen Schmerz fand Goethe in der schönen Natur Dornburgs und
der Umgegend, wo er längere Zeit verweilte. "Ein reich ausgestatteter
Blumengarten," schrieb er, "vollhängende Weingelände sind mir überall zur
Seite, und da thut sich dann die alte wohlfundirte Liebschaft wieder auf.
Gründliche Gedanken sind ein Schatz, der im Stillen wächst, und Interessen
zu Interessen schlägt. Davon zehre ich denn auch gegenwärtig, ohne den
kleinsten Theil aufzehren zu können. Denn das ächte Lebendige wächst nach,
wie das Bösartige der Hydra auch nicht zu tilgen ist." Diese Aeußerung
entlockten dem greisen Dichter die mannichfachen Versuche seiner Gegner,
seine poetischen und wissenschaftlichen Bestrebungen in einem falschen
Lichte zu zeigen, und ihn dadurch in der Achtung des Publikums
herabzusetzen. Goethe äußerte sich darüber mit den Worten: "Von allem, was
gegen mich geschieht, keine Notiz zu nehmen, wird mir im Alter, wie in der
Jugend erlaubt seyn. Ich habe Breite genug, mich in der Welt zu bewegen,
und es darf mich nicht kümmern, ob sich irgend einer da oder dort in den
Weg stellt, den ich gegangen bin."

Ueber die ungenügenden und fehlerhaften Geisteserzeugnisse mancher neueren

Schriftsteller, vorzüglich auf dem wissenschaftlichen Felde, äußerte sich
Goethe unmuthig in einem Briefe vom 2. Januar 1829. "Es giebt," schrieb er,
"sehr vorzügliche Leute, aber die Hansnarren wollen alle von vorn anfangen,
und unabhängig, selbstständig, original, eigenmächtig, uneingreifend,
gerade vor sich hin, und wie man die Thorheiten alle nennen möchte, wirken,
und dem Unerreichbaren genug thun. Ich sehe diesem Gange seit 1789 zu, und
weiß, was hätte geschehen können, wenn irgend Einer rein eingegriffen, und
nicht jeder ein Peculium für sich behalten hätte. Mir ziemt jetzt 1829
über das Vorliegende klar zu werden, es vielleicht auszusprechen. Doch wenn
mir das auch gelingt, wird's doch nichts helfen; denn das Wahre ist einfach
und giebt wenig zu thun; das Falsche giebt Gelegenheit, Zeit und Kräfte zu
zersplittern."

Wissenschaftliche Forschungen behielten für Goethe noch immer ein sehr
lebhaftes Interesse. "Ich suche," schrieb er, "meine Stellung gegen
Geologie, Geognosie und Oryktognosie klar zu machen, weder polemisch, noch
conciliarisch, sondern positiv und individuell. Das ist das Klügste, was
man in alten Tagen thun kann. Die Wissenschaften, mit denen wir uns
beschäftigen, rücken unverhältnißmäßig vor, manchmal gründlich, oft
übereilt und modisch. Da dürfen wir denn nicht unmittelbar nachrücken, weil
wir keine Zeit mehr haben, auf irgend eine Weise leichtsinnig in der Irre
zu gehen. Um aber nicht zu stocken und allzuweit zurück zu bleiben, sind
Prüfungen unserer Zustände nöthig. Mich bringt nichts ab von meinem alten
erprobten Wege: die Probleme sacht wie Zwiebelhäute zu enthüllen, und
Respect zu behalten vor allen wahrhaft stilllebenden Knospen. Je älter ich
werde, desto mehr vertrau' ich auf das Gesetz, wonach die Rose und Lilie
blüht."

Manche erfreuliche Anerkennung ward Goethe's Talenten im In- und Auslande
gezollt. Mehrere seiner Freunde und Verehrer in England und Schottland
überraschte ihn bei der Wiederkehr seines Geburtstages am 28. August durch
das Geschenk eines kostbaren, mit großer Kunstfertigkeit gearbeiteten
Petschafts. Fast gleichzeitig erhielt er seine von dem französischen
Bildhauer David gefertigte Colossalbüste, anderer werthvollen Geschenke und
Auszeichnungen nicht zu gedenken. Sein Leben war in mehrfacher Hinsicht ein
glückliches zu nennen. Gleichwohl blieb er nicht verschont von bittern
Erfahrungen. Seinen einzigen Sohn, den Kammerrath August v. Goethe, entriß
ihm der Tod zu Rom in der Blüthe seiner Jahre, am 28. October 1830.
Goethe's Fassung bei diesem Verlust schilderte folgende Stelle in einem
seiner damaligen Briefe. "Hier kann allein der große Begriff der Pflicht
uns aufrecht erhalten. Ich habe keine Sorge, als mich im Gleichgewicht zu
erhalten. Der Körper muß, der Geist will, und wer seinem Wollen die
nothwendige Bahn vorgeschrieben sieht, der braucht sich nicht viel zu
besinnen."

So ward eine verdoppelte Thätigkeit, die seiner Natur ein dringendes
Bedürfniß war, für Goethe zugleich das wirksamste Mittel, schmerzhaften
Eindrücken kräftig zu begegnen. Beschäftigte ihn irgend eine große Idee, so
entsagte er oft ganze Monate jeder Lectüre, um sich nicht durch andere
Gegenstände zu zerstreuen. "Es ist doch," schrieb er, "genau betrachtet,
nur eine Philisterei, wenn wir demjenigen zu viel Antheil schenken, worin
wir nicht wirken können. Und dann darf ich wohl sagen: ich erfahre das
Glück, daß mir in meinem hohen Alter Gedanken aufgehen, welche zu verfolgen
und in Ausübung zu bringen, eine Wiederholung des Lebens gar wohl werth
wäre. Daher wollen wir uns, so lange es Tag ist, nicht mit Allotrien
beschäftigen."

Eine gewisse Begrenzung der Thätigkeit hielt Goethe für nothwendig. "Es ist
ganz eins," schrieb er, "in welchem Kreise ein edler Mensch wirkt, wenn er
nur diesen Kreis genau kennen zu lernen und völlig auszufüllen weiß. Wofür
aber der Mensch nicht wirken kann, dafür sollte er auch nicht ängstlich
sorgen, nicht über Bedürfniß und Empfänglichkeit des Kreises hinaus, in den
ihn Gott und die Natur gestellt, anmaßlich weiter wirken wollen. Alles
Voreilige schadet; die Mittelstraße zu überspringen, ist nicht heilsam.
Thue nur jeder an seiner Stelle das Rechte, ohne sich um den Wirrwarr zu
bekümmern, der fern oder nah die Stunden auf die unseligste Weise verdirbt,
so werden Gleichgesinnte sich bald ihm anschließen, und Vertrauen und
wachsende Einsicht von selbst immer größere Kreise bilden."

Diesen Lebensregeln und seiner rastlosen Thätigkeit auch in höherem Alter
treu zu bleiben, war ihm durch die fast ununterbrochene Dauer seiner
Gesundheit gegönnt. Er genas bald wieder von einem Blutsturz, der ihn 1831
befiel, als er sich mit dem Ordnen seines literarischen Nachlasses und mit
dem zweiten Theil des "Faust" beschäftigte. Im August des genannten Jahres
ging er nach Ilmenau. Nach seinem eignen Geständniß hatte er sich dorthin
begeben, um den persönlichen Huldigungen auszuweichen, die ihn bei der
Wiederkehr seines Geburtstages zu überraschen pflegten.

Sichtbar gestärkt kehrte er wieder nach Weimar zurück. Die Kraft und
Munterkeit des Geistes im Gespräch mit seinen Freunden ließ kaum ahnen, daß
ihm sein Lebensende sehr nahe war. Ein Engländer, der ihn besuchte,
schilderte ihn noch so jung und kräftig wie einen Vierziger. Dem kalten
Luftzug, der ihn auf dem Gange aus seiner Studirstube nach den vordern
Zimmern angeweht habe, schrieb Goethe ein heftiges Bruststechen zu, das
nach einer unruhigen Nacht noch am Morgen fortdauerte. Er ahnte keine
Gefahr, als ärztliche Mittel jenes Uebel und den fieberhaften Zustand
beseitigt hatten. Sein Athem war jedoch noch immer beengt, und in Gegenwart
seines Arztes, des Dr. Vogel, den er den 20. März 1832 hatte rufen
lassen, preßte ihm der Schmerz schneidende Töne aus. Von einer innern Angst
bald in das Bette, bald in den daneben stehenden Lehnstuhl getrieben,
fürchtete er eine Wiederkehr des Blutsturzes, der ihn das Jahr zuvor
befallen. Seine Gesichtszüge waren verzerrt, das Antlitz graublau, der
ganze Körper kalt, und von triefendem Schweiß bedeckt. Er fühlte sich sehr
matt, und es traten Augenblicke völliger Bewußtlosigkeit ein. Mitunter
phantasirte er, indem er ruhig in seinem Lehnstuhl saß. "Seht," sprach er
unter andern, "seht den schönen weiblichen Kopf mit schwarzen Locken, in
prächtigem Colorit, mit dunkelm Hintergrunde!" Unter solchen und ähnlichen
Phantasieen und Rückerinnerungen an seinen ihm vorangegangenen Freund
Schiller, rief er seinem Diener zu, doch den zweiten Fensterladen zu
öffnen, damit mehr Licht in's Zimmer komme. Es sollen seine letzten Worte
gewesen seyn. Immer schwerer athmend, drückte er sich in die linke Seite
seines Lehnsessels. Es war am 22. März 1832, als er wie es schien,
schmerzlos verschied.

Jenen Tag, an welchem sieben Jahre früher ein unglücklicher Brand das
Weimarische Theater vernichtet, hatte Goethe, dem Glauben an Ahnungen von
jeher geneigt, immer für einen tragischen und unglücksschwangern Tag
gehalten. Mehrmals hatte er gefragt, der wievielste Tag im März heute sei,
und der Zufall wollte, daß er an demselben Tage, in derselben Stunde starb,
wo vor dreizehn Jahren sein vieljähriger Freund und Amtscollege, der
Minister v. Voigt, verschieden war.

"Am Morgen nach Goethe's Tode," erzählt einer seiner jüngern Freunde,
"ergriff mich eine tiefe Sehnsucht, seine irdische Hülle noch einmal zu
sehen. Sein treuer Diener Friedrich schloß mir das Zimmer auf, wo man ihn
hingelegt hatte. Auf den Rücken ausgestreckt, ruhte er wie ein Schlafender.
Tiefer Friede und Festigkeit waltete auf den Zügen seines erhabenen edeln
Gesichts. Die mächtige Stirn schien noch Gedanken zu hegen. Ich hatte das
Verlangen nach einer Locke von seinen Haaren, doch die Ehrfurcht hinderte
mich, sie ihm abzuschneiden. Der Körper lag nackend in ein weißes Betttuch
gehüllt. Große Eisstücke hatte man in einiger Nähe umhergestellt, um ihn
selbst frisch zu erhalten so lange als möglich. Friedrich schlug das Tuch
auseinander, und ich erstaunte über die göttliche Pracht dieser Glieder.
Die Brust überaus mächtig, breit und gewölbt; Arme und Schenkel voll und
sanft muskulös; die Füße zierlich und von der reinsten Form, und nirgends
am ganzen Körper eine Spur von Fettigkeit oder Abmagerung und Verfall. Ein
vollkommener Mensch lag in großer Schönheit vor mir, und das Entzücken, das
ich darüber empfand, ließ mich auf Augenblicke vergessen, daß der
unsterbliche Geist eine solche Hülle verlassen. Ich legte meine Hand auf
sein Herz--es war eine tiefe Stille--und ich wendete mich abwärts, um
meinen verhaltenen Thränen freien Lauf zu lassen."

Die allgemeine Liebe und Verehrung, die er im Leben genossen, zeigte
Goethe's glänzende Begräbnißfeier am 26. März 1832. Eine öffentliche
Ausstellung seiner Leiche war der Beerdigung vorangegangen. Seine irdischen
Ueberreste empfing die fürstliche Gruft. Die Weimarische Bühne blieb an
Goethe's Begräbnißtage geschlossen, und ward am 27. März mit einer
Vorstellung seines "Tasso" eröffnet. Am Schlusse des Stücks sprach der
Schauspieler Durand einen von dem Geh. Rath und Kanzler v. Müller
gedichteten, alle Gemüther tief ergreifenden Epilog. Auch mehrere Gedichte
von Goethes Freunden und Verehrern sagten seinen Zeitgenossen, was sie an
ihm verloren. In mehrfacher Hinsicht paßten auf ihn selbst die Worte, die
er einst am Grabe der Herzogin Amalia von Sachsen-Weimar gesprochen: "Das
ist der Vorzug edler Naturen, daß ihr Hinscheiden in höhere Regionen
segnend wirkt, wie ihr Verweilen auf der Erde, daß sie uns von dorther,
gleich Sternen, entgegen leuchten, als Richtpunkte, wohin wir unsern Lauf
bei einer nur zu oft durch Stürme unterbrochenen Fahrt zu lenken haben; daß
diejenigen, zu denen wir uns oft als zu Wohlwollenden und Hülfreichen im
Leben hinwendeten, nun die sehnsuchtsvollen Blicke nach sich ziehen, als
Vollendete, Selige."



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The Foundation is committed to complying with the laws regulating
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States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
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While we cannot and do not solicit contributions from states where we
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International donations are gratefully accepted, but we cannot make
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Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
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works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

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