Rumänisches Tagebuch

By Hans Carossa

The Project Gutenberg EBook of Rumänisches Tagebuch, by Hans Carossa

This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
whatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
www.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll have
to check the laws of the country where you are located before using this ebook.

Title: Rumänisches Tagebuch

Author: Hans Carossa

Release Date: October 9, 2020 [EBook #63410]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RUMÄNISCHES TAGEBUCH ***




Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This book was
produced from images made available by the HathiTrust
Digital Library.






                              Hans Carossa




                          Rumänisches Tagebuch


                                  1924
                       Im Insel-Verlag zu Leipzig


             »Raube das Licht aus dem Rachen der Schlange!«






_Libermont (Nordfrankreich), 4. Oktober 1916_ zerbrach ich am Waschtisch
den kleinen geschliffenen Spiegel der Madame Varniers und ging zu ihr,
um mich zu entschuldigen und Bezahlung anzubieten. Gewiß war der alten
Frau sehr leid um das hübsche Stück; sie ließ aber nichts merken und
versetzte lächelnd, es habe gar nichts zu sagen, wo doch die halbe Welt
in Trümmer gehe, was liege an einem Spiegel? Dann zählte sie die vielen
Besitztümer auf, die ihr im Kriege vernichtet worden, und alles »pour
rien«! Zum Glück war eben eine Sendung Schokolade-Makronen aus München
gekommen; ich gab ihr die volle Schachtel, die sie ohne Umstände in ihre
zittrigen Hände nahm und sogleich davontrug, um sie mit ihrem Manne zu
teilen. Später, gleichsam als Gegengabe, stellte sie mir ein
Zierbäumchen ans Fenster, eine Art Araukarie, dem Wuchse nach an eine
Fichte erinnernd, starrend von harten schwarzgrünen Blättchen, die sich
aufsträuben, als warnten sie jeden, sich an der strengen Schönheit des
Ganzen zu vergreifen. Von Zeit zu Zeit kommt sie wieder herein, tritt
zum Bäumchen, pustet über die Zweige hin, als läge Staub darauf,
trommelt eine Weile mit den Fingern an den Scheiben, seufzt, murmelt
etwas vor sich hin und geht wieder. Von der Somme herunter donnert es in
unsern Müßiggang; es klingt, als wäre im Kamin ein stark loderndes
Feuer. Alle Fenster klirren; die Türen, wie von Zornigen geworfen,
schlagen auf und zu.

                   *       *       *       *       *

Ich reite nun wieder täglich nach dem Dienst gegen Guiscard hinaus und
bilde mir dann ein, die See zu wittern, als käme mir ein Gruß aus der
freien großen Welt, von der uns Deutsche das Geschick ausgeschlossen
hat, wer weiß, für wie lange. Gefühl der Meeresnähe, ja, das ists, was
mir diese Landschaft ein wenig verklärt, in der sonst nicht gut wohnen
ist für unsereinen, so abgewandt ist jeder Baum, jeder Stein. Das immer
ein wenig verstimmte Blau des Himmels über den leeren Flächen und
flachen Hügeln, die gepflasterte Heerstraße, die Bonaparte mit dem
Lineal gezogen hat, die grauen, wie Negerhütten spitzdächigen
Streuschober, auf denen uns Raben und Elstern beobachten -- es kann uns
alles an nichts gemahnen und verrät uns nichts von seiner Innigkeit, die
man doch manchmal ahnt. Wären nicht die deutschen Bauernsöhne, die das
allen heilige Erdreich pflügen, und unsere jungen, starkbrüstigen
Pferde, die, frei von Zaum und Sattelzeug, in den Hürden grasen, der
Blick hätte nirgends ein freudiges Ruhen.




                                                            5. Oktober


Die Division verlangt einen Bericht über unsere Gefechtsstärke. Die
Gasmasken sollen abermals geprüft werden. Das ganze Bataillon wird
morgen gemustert, und ich muß alle Mannschaften aussondern, denen ich
nicht genügend Kraft zu großen Leistungen zutraue. Sie kommen zu den
Ersatzbataillonen; die bleibenden werden gegen Cholera geimpft. Über das
Wohin verlautet nichts. Die Schutzimpfung gegen Cholera spricht für den
östlichen Kriegsschauplatz. Offiziere und Mannschaften sind, wie vor
jeder Veränderung, sehr aufgeräumt, obgleich ihnen Maurepas noch in den
Nerven zittert. Alle verwünschen schon wieder die sogenannte Ruhe mit
karger Kost, unaufhörlichen Besichtigungen, Übungen, Appellen, Alarmen
und Ehrfurchtsgebärden vor unversehrten Uniformen. Viele sehnen sich
wieder nach dem gefährlicheren und härteren, aber würdigeren und
freieren Leben vor dem Feind.




                                                                Abends


Eben las ich zum drittenmal Vallys Brief, der fast nur von dem kleinen
Wilhelm handelt. Wie schön ist es doch, wenn ein Mensch dem andern durch
feinste, beleuchtendste Züge versäumte Gegenwarten ersetzen möchte!
Neulich, während eines heftigen Sturms, läuft der Knabe im Garten von
Staude zu Staude, greift schließlich in eine Buchshecke hinein, wo der
Wind gerade am stärksten wühlt, preßt die Hand fest zusammen und rennt
zur Mutter: »Jetzt hab ich den Wind gefangen«, schreit er in atemlosem
Entzücken, indem er vorsichtig die Faust öffnet, und ist sehr erstaunt,
weil da nichts zu sehen ist, als ein paar Blätter und Stengel.




                                                            8. Oktober


Die Musterung dauerte den ganzen Tag. Den Abend verbrachte ich mit
Leutnant T. in seinem Quartier. Er war verdrießlich, weil er solche
Massen abgehender Briefpost zensieren mußte, und gestattete nach einigem
Knurren, daß ich ihm wieder ein wenig dabei half. Kein Brief darf
durchkommen, durch den die bevorstehende Ablösung verraten werden
könnte. Fast unwillkürlich suchte ich nach der steilen, klaren
Handschrift des jungen Glavina, der oft an seine Freunde so wunderliche
Sätze schreibt. »Was wäre das für eine geistige Einheit, die wegen der
Explosion einer dummen Granate gleich auseinanderspränge?« las ich
diesmal.




                                            Pronville, 9. Oktober 1916


Um drei Uhr früh weckte mich Rehm. Ich trank den Tee im Bett, blieb noch
eine Viertelstunde liegen, bedachte manches. Das Einpacken ging schnell.
Einige Bildchen ließ ich, den Dämonen zum Opfer, an der Wand hängen.
Wilhelms Zeichnung, ein Ding halb wie ein Schiff, halb wie ein Vogel,
nahm ich am Ende doch mit. Beinah wäre die rote Wachshand der kleinen
Regina in der Schublade liegen geblieben. Ich hatte das Kästchen gestern
beim Umräumen übersehen. Nun sind es zwei Jahre. Was Kindern für
Einfälle kommen! Aber eigentlich hatte die Mutter schuld daran. Warum
zwang sie das Mädchen, eine wächserne Hand auf den Mariahilfberg zu
tragen? Da wars kein Wunder, daß Regina dachte: der Doktor hat mehr Mühe
gehabt als die Mutter Gottes, warum soll er leer ausgehn? Daß ich die
Reliquie immer bei mir haben soll, war freilich ein Verlangen. Aber
schließlich schleppe ich nicht schwer daran. Ists nicht Liebe, so ists
Aberglaube; auch der hat viel Gewalt.

Die alten Varniers waren bereits aufgestanden und angekleidet, als ich
in die Küche kam, um Abschied zu nehmen und Dank zu sagen. Sie wehrten
ab, -- »on remplit son devoir«, sagte die Dame höflich. Doch drückten
wir uns kräftig die Hände. Um halbfünf Uhr, bei Finsternis, rückten wir
ab und erreichten Ham um halbneun Uhr. In sehr langsamer Fahrt, über
Cambrai hinaus, verging der kurze Tag; es dunkelte schon wieder, als der
Marsch nach Pronville begann. Der Mond stand hinter Wolken; doch ferne
Felder schimmerten von ihm. Im Winde war ein Gurren wie von Lachtauben;
dürres Laub lief über den Boden wie Mäuse. Von der Somme her tost es wie
Weltuntergang; von tausend Mündungsblitzen und Leuchtraketen fiebert der
Himmel.

Um Mitternacht, auf der Landstraße, aßen wir bei den Feldküchen Bohnen
und Büchsenfleisch; das war Mittag- und Abendessen zugleich und
schmeckte köstlich. Gern hätte man sich den Teller noch einmal füllen
lassen; aber die Vorräte sind bedenklich knapp geworden, und der
Mannschaft ein Beispiel tüchtigen Hungers zu geben, kaum rätlich.
Während wir noch aßen, zersetzte sich das Gewölk zu Flocken; der Himmel
»häutete sich«, wie wir in Bayern sagen, der Mond wurde frei.

Die Straße ist voll ziehender Kolonnen; erst kommt preußische
Infanterie, bringt böse Kunde, Maurebas verloren, Péronne gefährdet,
klagt über viel zu geringe Wirksamkeit unserer Artillerie, ja ohne die
ungeheure Leistung der Infanterie, meint ein Offizier, wäre die Front
gewiß bereits durchbrochen. Bald hierauf kommen preußische
Artilleristen, bestätigen die schlimmen Nachrichten, schmälen über das
arge Nachlassen der Infanterie und begreifen nicht, warum wir alle
herzlich lachen, als sie beteuern, die Artillerie ganz allein halte noch
die Front.

Franzosen in langen dunklen Mänteln, die Schultern fröstelnd
hochgezogen, marschieren in Gefangenschaft. Einige von unseren jungen
Tapsen nähern sich ihnen, scharren ihre paar Vokabeln zusammen, möchten
gerne wissen, wieviel sie drüben Löhnung, was für Essen sie haben, wann
Friede werde und dergleichen. Die Fremden scheinen nicht recht zu
verstehen; ihre bleichen Gesichter starren undurchdringlich im
Mondlicht, und in ihrer Lage, mitten in ihrem zerstörten Lande, ist es
ihnen kaum zu verdenken, wenn sie der naturhaften süddeutschen
Zutraulichkeit wenig entgegenkommen.

Endlich kam bayrische Artillerie auf dem Weg in Ruhequartiere.
Infanterist Wimmer von der 6. Kompagnie tritt mich kräftig auf den Fuß,
rennt mit flüchtigster Entschuldigung weiter, leuchtet jedem
Artilleristen mit der Taschenlampe ins Gesicht. »Licht aus!« ruft man
ihm zornig zu. »Es sind ja die Achter!« schreit er verzweifelt; »bei
denen ist mein Vater Kanonier«, dreht aber das Lämpchen doch ab. Zum
Glück wird bei den Batterien Halt befohlen, und bald gelingt es durch
eifriges Fragen wirklich, den Kanonier Wimmer zu finden. Er ist ein
hagerer, schon ergrauender Mann mit hartem, rasiertem Gesicht voll
kleiner Falten, die Mundwinkel eingekniffen; der Mondschein fiel gerade
auf ihn, so daß ich sah, wie seine Augen vor Staunen und Freude groß
wurden. Die beiden schauten sich an, hielten sich bei den Händen, kamen
lange in kein Gespräch. Die Kunde von dem ungewöhnlichen Zusammentreffen
läuft schnell herum, und man zieht sich zurück, um die zwei nicht zu
stören. Schließlich nimmt der Vater ein Päckchen aus der Tasche und gibt
es dem Sohn. Die Kompagnieführer verzögern den Abmarsch; endlich aber
ertönt der Ruf: An die Gewehre! Der lange, schon eingereiht, gibt im
Augenblick des Abmarsches seiner Ergriffenheit unwillkürlich den
einzigen Ausdruck, der ihm innerhalb der soldatischen Form zur Verfügung
sieht: er macht vor dem zurückbleibenden Vater eine regelrechte
Ehrenbezeigung, obgleich dieser keinerlei Charge bekleidet, eine
rührende Gebärde, die unter den anderen ein leises gutmütiges Lachen
hervorruft.

Nach Mitternacht erreichten wir Pronville. Ich wurde in ein
schloßartiges, parkumgebenes Gebäude verwiesen. Auf dem Flur erschien
ein Offiziersdiener, der mir vertraulich riet, lieber in die
Nachbarschaft zu ziehen, dort wären saubere Räume frei, hier dagegen
wimmele es von Läusen. Ich vermutete gleich, was bald herauskam, daß der
Bursche auf einen Zweck hinredete. Sein Herr hatte bis jetzt in zwei
Zimmern recht bequem gewohnt; nun sollte er eins davon mir einräumen,
und diese Pein suchte der treue Diener von ihm abzuwenden. Auch Rehm
durchschaute den Schlauen und überhob mich der Antwort, indem er
freundlich erklärte, wir fürchteten uns nicht vor Läusen, es könnte
sogar sein, daß wir etliche mitbrächten, worauf jener wie ein mit
Weihwasser besprengtes Gespenst verschwand.




                                                           12. Oktober


Ein Lager von Edamer Käsen ist im Keller unsers Quartiers entdeckt
worden; der Jubel war ungeheuer. Der Major, der gerade dazukam,
behandelte die Sache sehr dienstlich; vor aller Augen sollte der Schatz
im Hof auf Zeltbahnen geschüttet, von Schutt und Schimmel gesäubert und
unter die Kompagnien verteilt werden. Der Feldwebel, der die Käse
zählte, bemerkte, daß sie beim Fallen recht hart aufklangen, und zog
sein Messer, um einen anzuschneiden, was sich aber als unmöglich
herausstellte; die Masse war wie verbeint. Schweigsam standen die
Soldaten umher; hinter den etwas vergrauten radieschenroten Schalen
mochte sich jeder ein fettes, weiches Gelb erträumt haben, und noch gab
keiner seine Hoffnung auf. Manche hielten sich nicht mehr, zogen auch
ihre Messer und stachen in die nächsten Rotköpfe, fanden aber den
gleichen Widerstand. Viele entfernten sich jetzt, einige mit Hohnrufen,
andere mit verzichtenden Mienen, als wüßten sie schon, daß ihnen nichts
Gutes gegönnt sei. Dem häuslichen Sinn des Majors aber widerstrebte es,
den froh begrüßten Fund preiszugeben; er befahl, die Käse
auseinanderzusägen, indem er hoffte, sie würden sich wenigstens auf
Parmesanart zerpulvern lassen. Aber das Innere zeigte sich nicht nur
durchaus fest, sondern auch überall mit einem rötlichgrünen
Zersetzungsnetz durchzogen, das freilich gleichfalls der Verhärtung
anheimgefallen ist. Die Leute, die noch gewartet hatten, gingen jetzt
ärgerlich lachend auseinander, ohne sich jedoch zu äußern; nur
Infanterist Kristl mußte wieder einmal seinen immer arbeitenden Grimm
entladen, indem er vorschlug, die Käse doch an des Kaisers Hoftafel nach
Spa zu schicken. Er sprach so laut, daß der Major es hören mußte; der
aber weiß ja längst, wie gerne Kristl in ein Strafverfahren verwickelt
würde, um auf Gefängnisumwegen in die Heimat zu gelangen, und so nahm er
von dem frechen Wort keine Kenntnis.

Zehn Minuten später ist ein Fußballspiel mit den roten Kugeln im Gang.
Auch Kristl beruhigt sich. An einem Baum lehnend schnitzt er aus einem
abgesägten Stück eine Tierfigur, durch kluge Verwertung der
Schimmelstreifen schön getigert. Endlich aber ist die Masse doch zu
brüchig, die halbfertige Form zerbröselt; heftig wirft er sie auf den
Kies.

Der Abend wird kalt. Aus hochgestuften braungesäumten Wolken stehen
schräge breite Strahlen wie Flügel einer Windmühle. Bei Bapaume entsteht
eine neue Schlacht; viele glauben, daß man uns dort einsetzen wird. Eben
hüpft aber ein Gerücht umher, als wären wir für die rumänische Front
bestimmt. Feldpost kommt. Das Söhnchen ist wieder gesund und will immer
zeichnen und bauen.






_Am 13. Oktober_ gegen abend wurden wir in Aubigny-au-Bac mit
unbekanntem Ziele verladen. Es vollzog sich langsam und umständlich. Der
kleine Kommandeur hält noch immer nicht viel von schwäbisch-bayrischer
Gewandtheit und Findigkeit und will wieder alles allein tun, jede
Feldküche, jedes Maschinengewehr selbst verstauen. Alles lacht und
schimpft über ihn wie über das Urböse, während er mit kummervoll
verbissenem Gesicht und heftigen spastischen Gebärden Befehle bellt,
welche niemand versteht, bis endlich der Bahnhofkommandant ungeduldig
wird und ihm hochmütig droht, er werde den Zug in fünf Minuten unter
allen Umständen abfahren lassen. Dies gerät nun unserem aufgeregten
Gebieter zum Heile; mit einem Schlag regen sich alle Hände für ihn. Denn
wenn er uns auch oft gar zu sehr in Atem hält und mancher ihm eine
kleine Unannehmlichkeit wohl gönnte, er ist doch unser Kamerad, und sein
dürftiges, fahlgraugrünes Umhängchen, stearinsteif von den
Kerzenlichtern vieler Unterstände und verdreckt von allen Erden
Frankreichs und Flanderns, ist uns wahrlich ehrwürdiger als der
nagelneue Prunkmantel des Herrn Oberstleutnants vom Bahnhof. Ungeheißen
greift jetzt jeder zu, ein Viertelstündchen, und der Zug steht bereit.

Es begann aus tiefen Wolken zu regnen; ich fand Platz bei zwei
Kompagnieführern, aß noch einen Apfel und wickelte mich in die Decke.
Etwas Fieber scheint mir im Blute zu spuken, -- wie froh bin ich, daß
Ruhetage kommen und hinter ihnen eine große Reise! Ich schlief bald ein
und träumte mancherlei. Einmal sah ich Vally mit Wilhelm an einem
Tischchen sitzen. Sie hatten Spielkarten zu Reihen gelegt und sahen, die
Stirnen in die Hände gestützt, Schachspielern ähnlich, darauf nieder.
Später kam auch die kleine Regina, setzte sich zu ihnen und tat wie sie.
Plötzlich zog sie einen versiegelten Brief hervor, hielt ihn mir hin,
ohne von den Karten aufzublicken und sagte: »Es ist nichts Eiliges. Nur
eine Botschaft vom Heiligen Geist.« Beim Erwachen war mein Rücken
feucht; ich merkte, daß das Fieber geschwunden war.




                                                           14. Oktober


Frühstück in Charleroi. Vor einem Jahr, um die nämliche Stunde, bin ich
auf dem Wege zur Front hier durchgefahren. Den spitzen Schlackenbergen
ist seither noch etwas mehr Grün angeflogen; bald werden sich
Rasenflächen ausbreiten, dort und da steht schon ein Bäumchen. Ich
freute mich wieder der nahen Kanäle mit den Pappelreihen, die der
Meerwind seltsam zugeformt hat, der alten Männer und Frauen, die an
Seilen ihre behäbigen Barken dahinziehen, der lieben blonden Kinder, die
zutraulich heranspringen und um Brot bitten. Am Fuß der schwarzen Berge
steht ein Wasser mit fettig schillernder Haut, aus der wie Speere einer
versunkenen Phalanx lange dürre Schilfrohre schräg aufstarren. Schafe
liegen kauend im Gras; der Himmel ist niedrig und grau, voll
silberheller narbiger Einziehungen.




                                                           15. Oktober


Noch schlafen alle; mich allein haben Licht und Kälte geweckt. Der Zug
fährt auf hohem Viadukt über einem Tale voll Nebelrauch; spitztürmig
steht ein Schattendörfchen vor dunkelblau durchscheinendem Hügel,
darüber die Sonne als überströmender Glanz in zerhöhltem Gewölk. Essen
veratmen graugelben Dampf, der am Rand ins Purpurne spielt. Ich sah in
die rote Glut eines Hochofens hinein, schwarze Männer gingen hin und
her, so hab ich mir als Kind Salamander im Feuer geträumt. Nach diesem
Anblick schlief ich noch einmal ein.

                   *       *       *       *       *

Immer schneller gegen Osten. Diesen Tag will ich keine Bezeichnungen der
Bahnhöfe, keine Plakate, keine Dorfnamen lesen, auch nicht hinhören,
wenn sich die andern darüber unterhalten. Auf die namenlose Landschaft
will ich achten, wie sie sich leise ändert und die Tönung des Himmels
über ihr.




                                                     ½3 Uhr nachmittag


Überall braunrotes Ackerland, mit Wintersaat lichtgrün bestäubt, die
Bäume schon viel mehr vergilbt als in Pronville und Libermont. Eine
rötliche Straße führt zu kleinen Ortschaften und darüber hinaus zu Höhen
mit Gehölz und Gestrüpp. Langsam fahren wir durch einen kleinen Bahnhof;
eine alte Bäuerin steht allein an der Sperre. Ihr schwarzes Kopftuch
bildet über der Stirne ein spitzbogiges Vordächlein, und auch die vielen
tiefen Furchen des Gesichtes streben gotisch zueinander auf.
Die Bahnhofuhr zeigt eine falsche Stunde; darunter liegen,
aneinandergefesselt, Kirchenglocken, die Klöppel ausgerissen, die
Sprüche und verzierenden Figuren mit nassen Blättern beklebt. Sie müssen
zum Einschmelzen für neue Geschütze bestimmt sein. So bin ich diesmal
schlafend über den Rhein gefahren. Wir sind in Deutschland.




                                                           16. Oktober


Es regnet, und man bringt das Frösteln nicht los. Als ich eben zu mir
kam, lachten die Kameraden und sagten, ich habe zwölf Stunden geschlafen
und schon zweimal das Essen versäumt. Einmal aber muß ich doch wach
gewesen sein, vielleicht gestern abend. Wir fuhren gerade an Leipzig
vorbei, und ich erstaunte, daß die Stadt so unversehrt unter dem
Gewitterhimmel ruhte, daß nicht jedes Haus, jeder Turm zertrümmert war,
eine sonderbare Täuschung des Fiebers.

Die Stunden werden lang; die andern spielen Karten und rauchen; ich habe
einen Aufsatz über Atome und Elektronen nahezu auswendig gelernt, sodann
im Notizbuch abgerissene Sätze gefunden, die ich in Briefen Glavinas
gelesen und nie ganz vergessen hatte, so daß ich sie später leidlich
getreu nachschreiben konnte. Nun suche ich den einen oder andern in
meiner Sprache zu entwickeln, fürchte nur, daß dann etwas anderes daraus
wird, daß der ursprüngliche Jugendklang verloren geht.

                   *       *       *       *       *

»Es gab wilde Zeiten, da riß der Sieger dem erlegten Feinde das Herz aus
der Brust und aß es auf, weil er dadurch die Tugenden und Kräfte des
Toten zu erben hoffte. Zugegeben, daß dies ein kindisch-grausames
Verfahren war; aber so völlig sinn- und ehrfurchtslos, wie es dem ersten
Blick erscheinen mag, ist es doch nicht. Haß, ist er mit Liebe nicht aus
einer Wurzel? Der Meister der Menschen, ernährt er nicht seit
zweitausend Jahren mit seinem Herzen unzählige Seelen? Mir ist, als sei
keiner von uns zu langem Leben berufen, -- erkennen wir es doch! Opfern
wir uns bewußt und freudig dem unbekannten Geiste der Zukunft, bevor uns
ein armseliger Zufall ereilt und sinnlos zerfleischt!«

                   *       *       *       *       *

»Durchsichtig-dichte Jahre der Kindheit! Wo man sich wunderte, weil in
der Welt nur immer gerade so viel Wichtiges und Gefährliches geschah,
daß die Zeitung davon genau voll wurde, nie mehr und nie weniger!
Meistens, wenn die Blätter ins Haus kamen, teilten sich Vater und Mutter
darein; gespannt und sorgenvoll blickten sie auf die bedruckten Seiten,
es mußte ruhig im Zimmer sein, und ich durfte meine Angelegenheiten
nicht zur Sprache bringen. Aber wie Sonnenfinsternis ging der ängstliche
Zustand vorüber; verächtlich wurden die Papiere weggelegt, und alles
Fremde war damit unschädlich gemacht und abgetan. Heute nacht nun hatte
ich einen seltsamen Traum. Ich war wieder Kind und ging während eines
Gewitters über steinige Berge. Ein weißes Blatt hielt ich in Händen und
wandte keinen Blick davon. Frage ich mich jetzt, was auf der weißen
Fläche stand, so muß ich bekennen, daß sie ganz leer war, ohne Schrift,
ohne Zeichen; dennoch las ich mit Entzücken darin. Tiefziehende Wolken
besprühten das Blatt, Blitze loderten darüber hin, Himmel und Felsen
ertönten, und schaurig aus der Ferne riefen die Geister der Toten. Ich
aber las auf dem leeren Weiß unsagbar selige Begebenheiten und kümmerte
mich nicht um Gewitter und Rufe der Toten.«

                   *       *       *       *       *

»O Freund, ich selber würbe gern ein Heer zu wunderbarem, nie gewagtem
Feldzug; aber es ist noch zu früh, der Feind, den wir überall spüren,
hütet sich zu erscheinen, in keiner Sprache noch läßt sich die Parole
ausgeben, und die ich wecken soll, die schlafen noch zu tief. Ists da
unklug, wenn ich so, wie früher Königssöhne taten, einstweilen in einer
anderen Armee diene, damit ich mich schon jetzt an kriegerisches Treiben
gewöhne? Ja, suchen wir Gefahr und Mühsal, wie sie sich gerade bieten,
so bereiten wir uns für höhere Mühsal, wahrere Gefahr. Mir ist wie einem
Täter, der seine Tat noch nicht kennt. >Raube das Licht aus dem Rachen
der Schlange!< Was ist es für eine Stimme, die mir dies Wort manchmal
zuruft aus tiefem Schlaf?«






_17. Oktober_ erwachte ich zum ersten Male wieder mit gesundem Blick,
doch gab es zunächst nichts zu sehen als unendlichen Nebel, der sogar
die Namen der Bahnhöfe verdeckte. Der Kompaß zeigte Zugrichtung Südost.
Als es nach zwölf Uhr sich lichtete, glaubten wir uns großen
Schilfgebieten zu nähern, die sich später als abgeerntete Maisfelder
erklärten. Der Dunst stieg auf und wurde Gewölk, das gegen Abend in
unzählige spitze Hütchen auseinanderfiel, als wäre fern im Raum ein
Lager weißer Zelte aufgeschlagen. In großflächiger Landschaft mit
Gebirgshintergründen kam die Donau näher, geschmückt mit herbstlichen
Inseln, deren eine von Pappelsilberlaub wie blühend schimmerte. Auf
rundem Hügel steht ein griechisches Tempelchen, in dessen Kuppelmessing
sich der letzte Abendglanz verfängt. Von Kisgöd aus, das unter den roten
Gefiedern alter Akazien halb verborgen liegt, fuhren wir immer schneller
der ungarischen Hauptstadt zu. Küchenordonnanz Klingensteiner, Kerzen
bringend, verrät uns, stotternd vor Entzücken, daß wir in Budapest
Stadtquartiere beziehen werden. Einige umarmen einander vor Freude,
Koffer werden aufgesperrt, leichte Stiefel und Urlaubsmützen
hervorgeholt. Leutnant H. und ich beschlossen, ein Kaffeehaus in der
Andrássystraße zu besuchen, einer wünschte vor allem das
Parlamentsgebäude zu sehen, ein anderer die Burg; alle drängten wir zum
Fenster. Nahe den ersten Vororten bog aber der Zug nach Süden ab und
trug uns mit gewaltiger Eile von der türmeschimmernden Stadt hinweg in
die Nacht hinein. Mützen und Stiefel wurden wieder eingepackt, wie immer
die Kerzen angezündet und in leere Konservenbüchsen gestellt, ein
Kartenspiel auf ausgespannter Zeltbahn begonnen. Klingensteiner, Tee,
Brot und Wurst auf dem Brettchen tragend, wagt sich kaum herein, böser
Worte gewärtig; nahezu weinend entschuldigt er sich, er müsse eine
Äußerung des Adjutanten falsch verstanden haben. Spät kam noch der Major
herüber, verdrießlichen Gesichts; es war, als ob er einem das bißchen
Licht wegnähme. Seine Natur ist mehr agil als aktiv; ruhende Menschen zu
sehen, macht ihm Pein. Er sah von einem zum andern; endlich erkundigte
er sich bei mir nach der Gesundheit der Mannschaft. Ich war unbedacht
genug, ohne viel Erörterung das Günstigste zu berichten. Er meinte,
darüber ließe sich doch nicht so leichthin urteilen, das beste wäre,
wenn ich von morgen an täglich bei größerem Aufenthalt mit meinem
Unteroffizier den Zug entlangginge und von Wagen zu Wagen ausdrücklich
fragte, ob niemand erkrankt sei. Die suggestive Wirkung solcher Fragen
bedenkend, ließ ich mir ein unziemliches Lächeln zu schulden kommen, was
der alte Herr schlimm vermerkte; er spitzte seinen Rat zum Befehl und
verließ uns ohne Gruß. Wir sprachen vor dem Einschlafen noch eine Weile
von ihm. Leutnant H., der Götter- und Sagenkundige, erinnerte, daß nach
altem nordischen Glauben die bösesten Mächte sich in gute verwandeln,
wenn es ein einziges Mal gelingt, sie zum Lachen oder auch nur zum
Lächeln zu bringen; es wäre an der Zeit, meinte er, dieses Mittel bei
unserem finstern Gebieter zu versuchen.




                                                           18. Oktober


   Im Uferwald verborgen
   lag die Morgensonne.
   Wir stießen vom Strand.
   Sie sprang ins Wasser,
   gab über den Strom uns
   ein funkelnd Geleite.

Diese alten Verse fielen mir heute beim Erwachen ein, als wir eben über
einen Fluß fuhren, wo die Sonne tiefgespiegelt neben uns mitreiste.
Nachts war ich mehrmals munter geworden, während irgendwo der Zug
stillstand; so glaubte ich, wir seien kaum weitergekommen und sprach den
Fluß noch als die Donau an, es war aber die Theiß. Bald sahen wir in
weiter Ebene Gehöfte mit haushohen Ziehbrunnen, Herden schwarzwollig
behaarter Schweine, junge Feldarbeiterinnen mit weißen, blaugestreiften
Kopftüchern, die am Rand eines Kukuruzackers Kürbisse sammelten. Als die
Soldaten ihnen zuwinkten, kreuzte eine die Arme heftig über der Brust,
um sie dann, mit fremdartigem Ungestüm, dem enteilenden Zuge
nachzustrecken.

                   *       *       *       *       *

In Békéscsaba stieg ein himmelblaues Urlaubsoffizierchen zu uns herein,
ungarischer Kavallerist, dessen knabenhafter Überschwang ein Weilchen
wie Kolibrigeschwirr die ernsten deutschen Käuze unterhielt. Er duzte
uns alle, wie es im verbündeten Heere üblich ist, verteilte seinen
halben Zigarettenvorrat, ließ uns die Photographie seiner Braut
bewundern und versicherte uns auf ewig seiner unbedingten Freundschaft,
vergaß auch nicht, uns zu erinnern, es gäbe nur den Sieg oder den Tod
für uns, kein drittes. Als wir uns Arad näherten, überreichte er jedem
eine Postkarte mit seinem Bild und erbat sich Gegengaben. Vergeblich
suchten wir lange in allen Taschen; doch fand sich endlich bei mir ein
wunderschönes Lichtbildchen der Tänzerin Clotilde von Derp, von Meister
Holdt wie ein Gemälde aufgenommen und nach Libermont gesandt; dies gab
ich schließlich mit bösem Gewissen hin. »Deine Braut?« schrie der Ungar
und äußerte maßlos Dank und Entzücken. Ich überlegte, während er die
Reize der zarten Gestalt wie ein Kenner hervorhob, ob ich eingestehen
sollte, daß ich leider nie die herrliche Künstlerin von Angesicht zu
Angesicht gesehen, sagte mir aber, daß dies albern wäre, und ließ mich
getrost als den glücklichsten der Männer feiern und beneiden.

In Arad kaufte ich zwei Flaschen Tokaier und verwahrte die eine im
Sanitätswagen; die andere teilte ich mit Raab, so daß wir bald in die
Laune gerieten, den Befehl von gestern auszuführen. Eindringlich fragten
wir vor jedem Wagen die guten Leute nach ihrem Befinden. Einige
lächelten verlegen, andere erschraken sehr, da sie glaubten, wir hätten
irgend etwas Niederträchtiges mit ihnen vor. Als ihnen aber klar wurde,
daß die Frage ernst gemeint sei, da spürte der eine oder andere bald ein
Ziehen, Drücken oder Schneiden; ja mancher brave Junge, der noch vor
fünf Minuten seiner Gesundheit allerhand Proben zugetraut hätte, begann
sich ein wenig lazarettreif zu fühlen. Ich begnügte mich für heute mit
zwölf Krankmeldungen; es wären aber leicht vierzig oder fünfzig zu
erreichen gewesen. Die Meldung, die ich nach dem Mittagessen im Bahnhof
zu Arad erstattete, rief den erwarteten Schrecken hervor, und als ich
nun ehrerbietig meine Gründe gegen das neue Verfahren vorbrachte, fand
ich keinen Widerspruch. Besänftigend fügte ich übrigens hinzu, daß ich
bisher noch keinen der Erkrankten in ein Lazarett überwiesen habe,
sondern versuchen wolle, sie bei der Truppe zu behandeln. Gegen Abend
fuhren wir zwischen Waldbergen einem neuen Fluß entlang, der uns seither
nicht mehr verläßt; es ist die Maros.




                                              Parajd, 19. Oktober 1916


Kurz vor Mitternacht fuhren wir in den Bahnhof Maros-Vásárhely ein, doch
nur zu flüchtigstem Aufenthalt. Stab und fünfte Kompagnie sollten
bergaufwärts weiter bis Parajd. Während der Viertelstunde, die wir in
den Wartesälen verbrachten, umdrängten uns Frauen und alte Männer aller
Stände und baten mit einer verzweifelten Inständigkeit um etwas Tabak.
Unendliche Verdrossenheit spricht aus allen Mienen; die rasche
Entziehung des jahrhundertelang gewöhnten Giftes hat die Menschen
furchtbarer ernüchtert als feindlicher Einbruch und Hunger.

Um einhalbein Uhr bestiegen wir die Schmalspurbahn. Fünf Stunden
gedachte ichs im bloßen Mantel wohl auszuhalten und ließ meine beiden
Decken beim großen Gepäck zurück. Aber dem Wagen fehlten sämtliche
Fenster, die Kälte stieg mit den Kilometern, aus Regen wurde Schnee, den
der Wind auf uns hereinwarf. Erstarrt sah ich morgens um sechs Uhr das
Türmchen von Parajd. Wir standen vier Stunden in Bahnhofnähe zwischen
zerstörten Geleisen, auf welche wie zerrissene Nervenbündel abgesprengte
Telephonstränge niederhingen. Schließlich verlautete, unsere Nachtfahrt
sei unnötig und dem Versehen eines Generalstabsoffiziers zu verdanken
gewesen. Junge fluchten, Alte murrten; alle aber verstummten, als uns
echtes Unglück entgegentrat. Von der Bahnhofstraße, deren Rand
unabsehbare Reihen von Flüchtlingen besetzt hielten, sahen wir
österreichische Krankenträger auf uns zukommen, die vorsichtig auf
Bahren drei kleine verhüllte Gestalten dahertrugen. Es waren Kinder
einer Flüchtlingsfamilie, die beim Spielen eine scharfe Handgranate
gefunden, sich darum gebalgt und dabei die Schnur herausgezogen hatten.
Die Explosion hatte die Mutter, die gerade Kochfeuer anzünden wollte,
getötet, die drei Kleinen schwer verwundet. Die Großmutter, Siebenbürger
Sächsin, die weinend den stillen Zug begleitete, meinte, man müsse
solche Vorfälle den Kaisern und Königen der ganzen Welt zu wissen
machen, damit sie traurig würden und von dem gottlosen Kriegführen
abließen. Indessen war auf einmal die Sonne frei geworden und
beleuchtete sehr hell einen hohen Berg, der allen auffiel. Der untere
Teil zeigte fahlgrüne, mit Steinen durchsetzte Matten, dann folgte, wie
mit Sorgfalt umgelegt, ein schmaler Tannengürtel, und aus diesem spitzte
sich schneeglänzend eine mächtige Pyramide in das zerfließende Grau. Der
feierliche Anblick bannte jeden; sogar die alte Frau verstummte, und
ich, darf ich mirs zugeben, daß das Jammerbild der zerfetzten Kinder mir
im Nu völlig ausgelöscht war? Daß es mir in der herrlichen Schau
zerschmolz, als wäre es zufällig und nur am Rande geschehen wie die
meisten Begebenheiten der Zeit, dort aber, geltend und geisterbehütet,
stünde ein geheimes Gesetz, das längst all unsere Leiden und Schrecken
übernommen hat?

Um elf Uhr wurden Quartiere bezogen. Ich stellte alle Müdigkeit zurück
und holte erst nach Revierdienst und Fußappell den versäumten Schlaf ein
wenig nach. Vor Mitternacht -- wir saßen noch lesend und plaudernd
beisammen -- hörte man auf der Straße Pferdegetrappel und -geklingel,
dann wurde schüchtern die Hausglocke geläutet. Jemand bat um Einlaß,
obgleich die Türe nicht verschlossen war. Es war der Eigentümer des
Hauses, ein älterer Mann, der mit seiner Familie vor den Rumänen
geflohen war und nun vorderhand allein zurückkehrte, um Lage und
Aussichten zu erfahren. Höflich ließ er um einen kleinen Schlafraum
bitten und blieb geduldig vor seinem erleuchteten, von Fremden besetzten
Hause stehen, bis er Bescheid erhielt. Der Major ging selbst hinunter,
um ihn zu begrüßen, und bot ihm ein Abendessen an, das jener bescheiden
ablehnte, völlig zufrieden, in seinem Anwesen ein dürftiges Obdach zu
erhalten.




                                                           20. Oktober


Heut ist Ruhetag, und endlich führten wir die Typhusimpfung durch, die
schon seit August fällig ist. Zwei große Schulzimmer waren
uns überlassen. Um Raum zu gewinnen, hatte man die Bänke
übereinandergestellt. Auf dem Katheder lagen noch spanisches Röhrchen
und Kreide; an der Wand hingen Tafeln mit Abbildungen von Pflanzen,
Tieren und allen Menschenrassen der Erde. Mir war ein wenig bang vor
dieser Impfung, und gern hätte ich sie noch einmal verschoben. Denn
wieder sind die neuen Kanülen, die vielmals angeforderten, nicht
eingetroffen; die alten aber haben bereits arge Widerhäkchen an den
Spitzen, wodurch der Einstich und das Herausziehen sehr schmerzhaft
werden. Aber es gab kein Verzögern, und so half ich mir denn, wie ich
konnte, und verfiel schließlich darauf, ein bißchen Theater zu machen,
um die Aufmerksamkeit der Mißhandelten abzulenken. Zuerst entkleidete
ich mich selbst und versetzte mir vor der harrenden Mannschaft den bösen
Stich, wobei meine Mienen, glaube ich, in guter Ordnung blieben. Dann
kamen Dehm und Raab daran; sie waren wohl belehrt und hüteten sich, zu
zucken. Später nahm ich die Bildertafel mit den vielen wilden Völkern
zum Anlaß und gab, indessen ich die Haut der armen Burschen zerschund,
manches zum besten, was ich dereinst über Indianer und Malaien gelesen.
Sonderbarer Sitten der wilden Timmes wurde gedacht, die den Genossen,
den sie zum König wählen wollen, am Tage vor der Krönung fast zu Tode
prügeln, so daß er zuweilen seine Thronbesteigung nur kurze Zeit
überlebt, auch die Fidschi-Inseln nicht vergessen, wo liebreiche Kinder
unter vielen Tränen ihren Vater lebendig begraben, festen Glaubens, daß
er dann jenseits in aller Kraft und Herrlichkeit des Todestages ewig
weiterleben werde. Die guten Soldaten lauschten aufmerksam und schienen
über jenen ungeheuerlichen Grausamkeiten die kleinen wespigen
Einspritzungen wirklich leicht zu verschmerzen. Als alle Kompagnien
schon abgerückt waren, kam auch noch der Herr Oberst, um sich impfen zu
lassen, fuhr aber dabei so heftig zusammen, daß die Nadel schier
zerbrach und äußerte sich gar ungnädig. Den Mannschaften gegenüber war
er freilich sehr im Nachteil, da ich ihn leider ehrerbietig-schweigsam
verletzen mußte, ihm schicklicherweise weder Gebräuche der Wilden noch
sonst etwas erzählen konnte.

Die Stunde vor dem Abendessen verschlief ich. Das Impfgift wirkte wie
immer, ich träumte viel. Mir war, als lägen Jahre des Wachens, Denkens,
nach innen Gerichtetseins hinter mir. Nun aber saßen wir im Kreis um
einen französischen Kamin, Vally, Stefanie, klein Wilhelm, die Freunde,
etwas abseits Regina. Wir froren und streckten die Hände zum Feuer.
Regina trug ihr schwarzes Zöglingskleid mit rotem Gürtelband. Ihre Hand
war verbunden, aber auch alle anderen trugen Verbände. Wilhelm hatte
eine schwarze Binde über einem Auge. Doch waren wir guter Dinge und
plauderten viel von unserm früheren Leben. Auf einmal sagte Regina: Die
Männer sind schlecht. Sie fürchten sich vor mir und laufen nach
Frankreich zum bösen Feind. Da lachten die anderen hellauf; aber indem
sie lachten, wurden sie sehr unruhig und ganz durchsichtig; schließlich
verzog sich eines nach dem andern in den Kamin hinein und entschwand mit
den Flammen.

Als ich erwachte, war eben die Feldpost gekommen, und vor dem klaren
Klang des Lebens zerstob aller Trug der Träume. Auch Wilhelm hat ein
paar Zeilen angefügt; es mag ihm sauer geworden sein. »Ein Urlauber«,
schreibt er, »hat uns verraten, daß du nach Siebenbürgen kommst. Das
freut mich. Dort gibt es Gold in den Bergen und Flüssen. Der Oskar Appel
hat es in der Erdkunde gelernt. Nimm so viel du tragen kannst und bring
es mir mit! Ich kann es gut brauchen.« Der Brief war einem schönen
silbergrauen Umhang mit breitem, dunkelblauem Kragen angeheftet, den
mehrere unserer Offiziere, die ihn später sahen, mit Entrüstung als
vorschriftswidrig bezeichneten. Höchstens Generale der Artillerie
dürften einen so breiten Kragen haben, auf der Stelle müsse ich ihn von
einem Kompagnieschneider abändern lassen. Der Major aber sagte lachend,
für die Ärzte des Landsturms gebe es keine eindeutigen Vorschriften, ich
solle mir das Zeug ruhig umhängen, es könne mir nur zum Vorteil
gedeihen.




                                          Szentlélek, 21. Oktober 1916


Ehe wir Parájd, beim ersten Zwielicht, verließen, konsultierte mich der
Major. Sein Hüftnerv ist entzündet; er hat Fieber und kann sich vor
Schmerz kaum auf dem Pferde halten, will aber seinen Posten nicht
aufgeben und daher das Lazarett vermeiden. Schließlich gab er mir in
Scherz und Ernst den dienstlichen Befehl, ihn abends zu besuchen und bis
zum andern Morgen zu heilen. Mir fiel ein, daß noch die starken
Maretin-Laudanon-Pulver in der Brieftasche stecken mußten, doch erwähnte
ich nichts davon.

Das Ding will bedacht sein. Der kleine alte Herr ist unbequem,
quälerisch, aufsässig; aber er ist es nicht nur nach unten, sondern mehr
noch nach oben, ein seltener Fall in der Armee. Niemals läßt ers um sich
herum gemütlich werden -- aber sind wir denn hier, um es gemütlich zu
haben? Er weiß Nüchternheit und Mäßigkeit zu erzwingen, -- soll ich
leugnen, daß ich mich gesund und frei dabei fühle? Und einer, der uns
öfters reizt und beizt, entwickelt er uns nicht am Ende kräftiger als
einer, der uns freundlich gehen läßt? Nein, der kleine graue Dämon
gehört schon einmal zu uns und unserm Schicksal, -- vielleicht helfen
die Pülverchen, er soll sie haben!

Langsam stiegen wir die Straße nach Szentlélek hinan, die ein heißer
Wind schnell auftrocknete. Der Himmel sah seltsam aus; mein früher
Traum, als ob jede Stadt, jede Landschaft an der Formung ihrer Gewölke
mitwirke, meldete sich wieder. Ich sah lichtweiße schwarzgekernte Bälle,
dazwischen Meeresbrandungen mit abgesprühtem Schaum, dahinter eine graue
Bank, besetzt mit spitzen silbernen Bäumchen. Bald wurden wir inne, daß
wir uns durch eine der salzreichsten Gegenden Europas bewegen; rein und
weiß tritt hier und da der Salzstein aus dem grauen Mergel. Mancher
bricht in der Marschpause ein Stückchen ab, wägt es betrachtend und
steckt es wie einen Edelstein in den Tornister.

In den Dörfern sind alle Häuser mit gleichem stumpfem Blau getüncht; um
jedes läuft eine Galerie mit schlanken hölzernen Säulen, die das
vierflächige steile Walmdach tragen helfen. Die Grate, mit vielen
schrägen Zacken besetzt, sehen wie gestreckte Wirbelsäulen aus. Alte
Leute, traurig und freundlich, standen vor den Türen; einmal drängten
sich schwarzäugige Madjarinnen heran und berichteten schreiend
schauerliche Untaten der Rumänen, worauf blonde deutsche Frauen, die
seit ihrer Kindheit im Dorfe wohnen, besonnen-still, sichtlich auf
Gerechtigkeit bedacht, jene überschweren Anklagen auf ihr Maß
zurückführten.

Gegen zwölf Uhr gelangten wir vor das große Dorf Szentlélek, rückten
aber nicht ein, sondern lagerten samt großer und kleiner Bagage auf
einem heckenumflochtenen Anger, wo sogleich die Feldküchen geheizt
wurden. Kirchengänger, von der Sonntagsmesse heimkehrend, ungeheure
Gebetbücher im Arm, näherten sich auf allen Wegen, die Männer zögernd,
die Frauen mit lüftigem, zuversichtlichem Schritt. Unter vielen Worten
machten diese verheißende Zeichen und liefen auf einmal alle in die
Häuser, von wo sie bald mit Körben voll Obst und Eimern voll Milch
zurückkehrten. Das Dorf hat noch vor drei Tagen unter dem rumänischen
Einbruch zu leiden gehabt; nun freut es sich über den Vormarsch der
Deutschen und erschöpft sich in Gebelust. Milch schäumt in alle
Feldbecher, und mit goldensten Parmänen füllen sich die Taschen. Langsam
kommen auch Männer herbei, voran der uralte Pfarrer. Ihm haben die
Eindringlinge, da sie deutsche Bücher in seiner Stube fanden, zur Strafe
den ganzen Meßwein und obendrein die goldene Brille weggenommen. Während
er dies in leidlichem Deutsch mit gelassenem Humor erzählt, packt
Leutnant N. seine lange gesparte Flasche Burgunder aus; der Greis nimmt
das Geschenk als ein der Kirche dargebrachtes ohne Zögern an und
verspricht seine nächste Messe für den Spender zu lesen. Die übrigen
Männer treibt eine Hoffnung, Tabak zu erhalten, immer näher. Seltsame
Tauschgeschäfte kommen zustande. Für drei Zigaretten erhält ein Soldat
ein Dutzend Eier, ein anderer für zwei Päckchen Knaster eine fette Gans.
Mich aber suchten die Kranken des Dorfes; der Sanitätswagen wird
erschlossen, Verbandstoff und Arzneien freigebig verspendet, bis Raab
erschrocken gemahnt, daß uns im Gebirge niemand ersetzen wird, was wir
hier unbedacht hingeben. Indessen hat uns die Regimentsmusik eingeholt;
sie stellt sich in der Angermitte auf, spielt madjarische Lieder. Die
Kranken vergessen ihre Übel, Soldaten und Mädchen tanzen, die Stunde
wird zum Fest.

Um drei Uhr war es Zeit, das Dorf zu besetzen, damit uns nicht
nachrückende Bataillone die Quartiere wegnähmen. Mir ist eine
balkengedeckte Stube in einem alten Bauernhause zugewiesen. Es ist sehr
dumpf und düster innen, die Fenster klein, das Lager hart, schmal. Von
Bewohnern hab ich bisher nur den Bauer gesehen, einen kränklich und
grämlich aussehenden Mann, der uns aus dem Wege geht. Um die besonnte
Galerie draußen ist ein singendes Geschwebe winziger Holzwespen; die
haben Säulen und Geländer tausendfach durchlöchert und schlüpfen
unermüdlich ein und aus. Morsch, einsinkend ist alles, um so wundersamer
das ganz neue, reichgeschmückte Hoftor. Es hat hohe, breite Flügel mit
zierlichen Gittern und schön geschnitzten und bemalten Flächen. Gewinde
von Tieren und Pflanzen umkränzen beiderseits einen blauen Leuchter mit
gelbrot brennender Kerze, zu der sich eine grüne Schlange hinaufringelt.
Oben auf den Torpfosten ruht ein langes niedriges Gehäuse, eine Art
Arche, bemalt mit roten Täubchen, zwischen denen durch runde Luken
wirkliche Tauben verkehren. Sah denn das Tor dem ersten Blick so fremd
und gestohlen aus, als wärs von einem großen Gutshofe herverschleppt
worden, so merkt man bei längerem Vergleichen doch, daß es aus dem alten
Hauswesen hervorgewachsen ist. Ein sonderbarer Einfall war es freilich,
statt beim Hause beim Tor zu beginnen; immerhin errät man, wie das Ganze
werden soll. Der Krieg hat auch dieses Wachstum unterbrochen, und
vielleicht ist nur darum der Bauer so gedrückt und scheu, weil er seinen
Hof nicht erneuern kann und sich dabei verkümmern fühlt. »Wer baut,
erbaut sich selber«, -- es gilt das alte heilige Wort.

                   *       *       *       *       *

Nach dem Revierdienst zum Kommandeur befohlen. Er lag in einem breiten
Bett, mit Schafpelzen bedeckt, vom Fieber geschüttelt. Sehr ungehalten
zeigte er sich, als ich ihm Arznei geben wollte.

»Was soll mir das Gift?« rief er. »Gibt es etwas Frevelhafteres, als daß
man chemische Substanzen in das Blut bringt?«

Ich entgegnete, daß wir doch selbst aus lauter chemischen
Zusammensetzungen bestünden, die nur zuweilen unrichtig
ineinandergriffen, und dann müßte eine neue eingeführt werden, welche
die falschen Verbindungen löste. Als er noch zögerte, erinnerte ich ihn
daran, daß erkrankte Tiere sich öfters Kräuter und Blätter suchten, die
sie sonst niemals fräßen, und rasch davon gesund würden. Dies ließ er
gelten und nahm nun das Pulver fast gierig.

Den Abend verbrachte ich mit Offizieren in meinem Quartier. Eine der
Patientinnen vom Vormittag hat zwei Enten geschickt, die ließen wir
braten und tranken Apfelmost dazu. Die frohe Stunde auf dem Anger klingt
noch in allen; viele glauben, es werde sehr bald Friede geschlossen
werden. Einer erwartet vom deutschen, ein anderer vom russischen Kaiser,
ein dritter von Wilson das weltbefreiende Wort. Mancher dieser lieben
Menschen spürt im innersten Herzen vielleicht schon den nahen Tod und
sieht nun in wunderbarer Verwechslung das Ende des Krieges gekommen.

Immer um uns herum ging indessen die Hausfrau, ein nicht mehr junges
Weib, derbe Gestalt, welche sich aber im schönsten Maße bewegt,
hellgraue Augen, darunter breite braune, leicht geschwollene Schatten,
die von feinen blauen Venen umlaufen sind, schwarzes Kopftuch, unter dem
rauhes rotes Haar hervorsieht. Sie kostet von Most und Speisen, bringt
Äpfel und Pflaumen dafür und lehrt uns madjarische und rumänische Worte.
Mich hatte sie zuerst für den Feldgeistlichen gehalten und mit großer
Scheu behandelt; nun sie weiß, daß ich ein ungesalbter Mann bin wie die
andern, wird sie sehr zutraulich und sucht mich als ihren Wohngast und
Ältesten der Tafelrunde zu ehren, indem sie oft nach meinen Wünschen
fragt und mich dabei jedesmal auf zeremoniöse Weise halb umarmt, ein
Benehmen, das am Tische viel Gelächter hervorruft; aber darum kümmert
sie sich nicht. Zuweilen spricht sie mit sich selber, in anmutigem
Wahnsinn scheint ihr Wesen zu kreisen. Von Zeit zu Zeit ging sie in die
Wohnstube hinüber, wo ihr Mann finster, unteilnehmend am Herde saß, gab
ihm Zigaretten, die wir ihr geschenkt hatten, und redete ihm, wie mir
vorkam, begütigend zu. Zuletzt, wie ein Kind, brachte sie Schachteln mit
Karten, Briefen und Heiligenbildchen zum Betrachten. Wie sehr erstaunte
ich, darunter ein Blättchen mit der Skizze jener am Hoftor ausgeführten
Zeichnung zu finden! Hier, wo sich das Ornament als ein erst
entstehendes zeigte, regte es die Einbildung stärker an: ich konnte es
nicht lassen, mußte ein Meldeblatt nehmen und nachzuzeichnen versuchen.
Dabei wurde, wie stets in solchen Fällen, etwas anderes daraus. Ein
stattliches siebenbürgisches Haus im Hintergrund anzugeben, gelang
einigermaßen; vorn am Tor aber hat die Schlange den Flammenkern von der
Kerze gebissen und trägt ihn zwischen den Zähnen fort. Darunter schrieb
ich den Satz, den ich einst bei Glavina gelesen: Raube das Licht aus dem
Rachen der Schlange! Die Kameraden lachten, sie meinten, der Most sei
mir beträchtlich in den Kopf gestiegen; die Frau sah lächelnd dem
Gekritzel zu, schließlich fragte sie mit Gebärden an, ob sie's nehmen
dürfe, worauf sie ging, um es ihrem Manne zu zeigen.




                                                           22. Oktober


Um fünf Uhr waren wir marschbereit. Die Frau, beim Abschied, brach
Zweige von einem getrockneten Pflanzenbüschel, der am Stubengebälk
befestigt ist, und reichte sie mir mit bedeutsamem Blick. Vermutlich ist
es als Talisman gemeint; der Geruch erinnert halb an Thymian, halb an
Rosmarin. Sie redete noch viel und eindringlich, als ich das Pferd
bestieg; verstand ich recht, so wollte sie mich einladen, dereinst nach
dem Kriege wieder als Gast in ihrem neugebauten Hause einzukehren. --
Der Major, noch vor neun Stunden im Fieber ächzend, sitzt fest auf
seinem Rappen und berserkert wider Offizier und Mann. »Was haben Sie dem
Kerl für Zeug gegeben?« schrie mir Leutnant F. zu. Ich sagte, mir könne
es recht sein, daß er meinen Mittelchen so viel Wirkung zutraue, aber
der Alte wisse genau, daß ihn viele weit weg wünschten, das sei auch
keine schlechte Arznei.

In langen Märschen entschleppte sich der Tag. Es ging über kahle und
bewaldete Hügel, und immer durch gleiches Regenperlengrau der Luft sah
man das gleiche stumpfe Blau der Häuser. Die Soldaten, geblendet noch
vom Glanz des Gestern, empfanden mürrisch Obdachlosigkeit, karges Essen,
zerrissene Stiefel und ungewisses Ziel, und an allem gaben sie dem Major
die Schuld, dem sie überdies seine Genesung nicht verzeihen können.
Laute Flüche schrieen sie ihm zu, wenn er vorüberritt; er stellte sich
taub und nahm Rache, indem er übermäßig lang auf eine Marschpause warten
ließ, die schließlich der Adjutant auf meinen Wunsch von ihm erbat.

In Székely-Udvarhely waren mehrere Gebäude gründlich zerstört, die Luft
noch voll Brandgeruch. Auf den Hügeln aber, in geringen Abständen,
staken blanke Nähmaschinen, treffliche deutsche Ware, bald im
Straßenschlamm, bald in der Ackererde. Ungern mag sich der fliehende
Gegner dieser wertvollen Beutestücke entledigt haben.

Abends klagten viele über äußerste Ermüdung. Vielleicht wirkt noch die
Typhusimpfung im Blut. Ich selbst spüre wenig, obgleich ich, um das
kranke Pferd zu schonen, den Weg, mit Gepäck beladen, zu Fuß
zurückgelegt habe. Die Mäßigkeit, die ich mir seit Beuvraignes verordne,
scheint zu nützen; auch lebe ich, vielleicht unter Glavinas Eingebungen,
wachsamer als früher und mache mir aus unserm Zug nicht viel mehr und
nicht viel weniger als ein großes Abenteuer. Damit gewinne ich viel: der
unfreie Dienst wird mir leichter und läßt einen freieren ahnen, der
vielleicht aus ihm hervorgehen wird. Von den Mitteln, die man gegen
Erschöpfung anpreist, laß ich Tee und Kaffee gelten; grobtäuschende, wie
Tabak und Branntwein, hab ich vorderhand ausgeschieden. Den leichtesten
und geistigsten möchte ich am liebsten trauen. Wie wenige kennen die
unbemeßbaren, immer wirkungsbereiten Energien des lebendigen Wortes! Daß
es bei Dichtern Strophen gibt, herzgeborene, geladen mit der Kraft
ganzer Geschlechter, vergleichbar den radioaktiven Elementen, aber weit
wunderbarer, da sie, schon irdisch vernichtet, noch die Kräfte der Welt
anziehen und Fluten von Erneuerung verströmen, wer weiß etwas davon?
Mächtig genug wären manche, um das Schwungrad auch der ermüdetsten Seele
neu anzutreiben, und vielleicht sind schon sie allein es wert, daß man
sich eine Weile auf den Bergen des Todes aufhalte, weil sie dort gewiß
am reinsten und stärksten klingen. Schwingt aber die Seele frei, was
brauchen die Sinne viel Aufreizung? Brot, Früchte, eine Handvoll
felsgeschöpften Wassers, ein Geruch wilder Minze sind Erquickung genug.

Es war schon tiefe Nacht, als wir ankamen. Den Namen des Dorfes hab ich
vergessen. Alle Häuser sind mit Infanterie bereits überfüllt; wir sind
gerade noch in einem verlassenen, ausgeplünderten Hüttchen
untergekommen, wo sich auch etwas Heu gefunden hat. Die anderen haben
sich schon unter ihre Decken und nassen Mäntel gestreckt, mein
Kerzenstümpfchen flackert zu Ende, ich muß eilen, mir noch ein Lager zu
sichern.

»Die Welt, die rauhe, rohe, ungeheure, ich lebe jetzt in ihr wie in dem
Innern einer feinen, heftig schillernden Seifenblase und halte den Atem
an, um sie nicht zu zersprengen«, las ich bei Glavina.




                                             Ottelve, 24. Oktober 1916


Bis Mittag stiegen wir durch windgetriebene Nebelwolken über bewaldete
Hügel. Nach ein Uhr klärte sich unter uns das Tal von Csik Szereda, in
das wir hinabstiegen. Hier war die Luft still und warm.

Um die Stadt rankt sich ein Kranz neuer Gräber. Innen sind viele Gebäude
zerstört und ausgeraubt, die eisernen Schutzläden vielfach mittels
Handgranaten zerrissen. Fliehende Rumänen hatten die Alutabrücke
gesprengt; nun ist von preußischen Pionieren eine hölzerne Notbrücke,
ein kühnes, fast zierliches Bauwerk, in wenigen Stunden errichtet
worden.

Vor Ottelve gab es ziemlich lange keine Marschpause. Eben kamen die
siebenbürgisch-rumänischen Grenzberge zum erstenmal in Sicht, da
erscholl aus einem der vorderen Züge ein lautes Halt!, das nach hinten
weitergegeben wurde. Die Gruppen gerieten in Unsicherheit; einige
wollten stehenbleiben, andere weitergehen. Bald stellte sich heraus, daß
weder der Major noch Leutnant Leverenz, die beide eine Strecke
vorausgeritten waren, einen Haltbefehl erteilt hatte. Irgendein Mann
mußte gerufen, ein anderer den Ruf weitergegeben haben. Der Marsch wurde
fortgesetzt. Als wir bald nachher auf einer Wiese lagerten, verbot
Leverenz seiner Kompagnie das Abnehmen der Tornister, ließ sie in voller
Ausrüstung antreten und erklärte, daß er sie so lange stehen lassen
werde, bis ihm der freche Störer gemeldet sei. Unterdrückte
Verwünschungen wurden hörbar; den Gehorsam zu verweigern wagte aber
keiner, ja mehrere, die den Tornister bereits abgelegt hatten, nahmen
ihn zwar murrend, aber hurtig wieder auf. An etwas erhöhter Stelle trat
Leverenz mitten vor die Mannschaft und, wiederholte seinen Beschluß. Er
setze voraus, sagte er, daß nahezu alle den meuterischen Rufer
verurteilten; sei der zu feig, um sich zu nennen, so müsse es ein
anderer tun. Geschehe dies noch während der Ruhestunde, so werde der
Schuldige bestraft, und damit habe es sein Bewenden, wo nicht, so werde
die ganze Kompagnie, die Herren Zugführer nicht ausgenommen, zu büßen
haben. Keiner murrte jetzt mehr; es wurde sehr still, Soldaten anderer
Züge kamen auf einige Entfernung heran, neugierig, wie das ausgehen
werde. Der Anblick war beklemmend. Hier stand einer der besten Offiziere
der Division, mit seinen meisten Untergebenen stamm- und artverwandt,
vielgerühmt als furchtlos und besonnen, verehrt als einer, der niemals
aus bloßem Ehrgeiz die Seinigen in gefährliche Lagen brachte, im Kriege
früh alternd, mit Narben geschmückt, jetzt bleich vor Erbitterung über
die ihm vermeintlich angetane Schmach, die scharfen runden Augen ein
wenig auf Uhuart einander zugedreht, einen Mann um den andern fixierend,
sichtlich entschlossen, die Sache zum Äußersten zu treiben, dennoch
weise genug, sie vorderhand gewissermaßen unter vier Augen austragen zu
wollen, -- ihm gegenüber die abgemattete Mannschaft, über sich selbst
erschrocken, eben sich noch dumpf in einem Rechte fühlend, das aber,
sobald es ausgesprochen werden sollte, zu Nichts zerfiel, im stillen die
Haltung des Führers vielleicht schon bewundernd, -- wo las ich doch
einmal, daß eulenhafte Menschen allen andern überlegen seien?

Suchte man sich den Vorgang ins klare zu denken, so sah man eigentlich
nur ein Übel akut aufbrechen, das nun schon lange unter uns umschleicht.
Ins dritte Jahr zieht sich der Krieg; der Soldat, vielfach unberufen,
spärlich ernährt, mangelhaft gekleidet und beschuht, selten beurlaubt,
im Urlaub von Mutlosen entmutigt, verliert Nervenkraft und Zucht. Die
Offiziere wissen es und lassen, besonders die jüngeren, aus Verlegenheit
manches hingehen, überhören sträfliche Zurufe, reden sich auch wohl ein,
diese seien nicht böse gemeint und werden in der Nähe des Feindes von
selber verstummen. Solch lax-zweideutiges Verhalten muß einer klaren
Kriegernatur wie Leverenz' durchaus bedenklich und unwürdig vorkommen,
und wenn er nun sein ganzes Ansehen einsetzt, um wenigstens seinen
kleinen Bereich gewaltsam in die Ordnung zurückzubiegen, so fühlt man
mit ihm wie mit einem Arzt, welcher einen Eingriff auf Tod und Leben
wagt.

Der Major indessen saß abseits, in einem Notizbuch blätternd wie
unbeteiligt, und gewiß war es sein bester Geist, der ihm eingab, sich
zunächst nicht in den Handel zu mischen.

Schon dehnte sich die Szene schier unerträglich, da fand sie höchst
unverhofft eine Entspannung. Hervor mit kleinen schnellen Schritten trat
Infanterist Kristl und bekannte sich klar und bündig als den Mann, der
»Halt« gerufen habe. Eine Weile standen alle wie erstarrt, dann ging
eine leichte behagliche Regung durch die büßende Kompagnie. Mir war ja
diese Selbstbezichtigung nicht unverdächtig, denn Kristl war keineswegs
vorne, sondern eher in der Mitte marschiert; aber wie er nun dastand,
bleich und zusammengenommen, in seinem ganz verfärbten Waffenrock, die
schwachen silbrigen Augenbrauen hoch hinaufgezogen, Leverenz
anblinzelnd, als ob dessen Anblick ihn blende, da konnte einen sein
Geständnis wirklich überzeugen. Durch des Leutnants ernstes Gesicht
flimmerte jetzt ein überaus flüchtiges Lächeln, seltsam zu sehen, als ob
ein steinerner Gott einen Atemzug lang Mensch würde. Vielleicht ging es
ihm wie mir, und er hielt es für möglich, daß Kristl sich falsch
beschuldigte, um die ersehnte Entfernung von der Front zu bewirken, und
er bedauerte ihn ein wenig wie einen, der eine Sache immer wieder
verkehrt anfängt, war ihm wohl auch heimlich einigermaßen dafür dankbar,
daß der Bogen nicht mehr stärker gespannt zu werden brauchte, --
jedenfalls griff er zu: ohne Verhör, kühl, streng erkannte er den Täter
an und verkündete, daß er Entziehung des Urlaubs auf ein Jahr als Strafe
beantragen werde, stellte jedoch Nachlaß in Aussicht, falls Kristl sich
vor dem Feind auszeichnen werde. Jemand lachte bei diesem Wort, aber
niemand lachte mit. Unverzüglich wurde die Kompagnie freigelassen,
während Kristl verwirrt und, wie es schien, enttäuscht, noch eine Weile
stehen blieb.

Unter Gewitterhimmel, den ein zartes nervenbeschwichtigendes Lilalicht
weithin durchatmete, zogen wir eine Stunde später nach Ottelve weiter;
Zuversicht und Gefühl des Zueinandergehörens waren plötzlich mächtiger
als seit langer Zeit. Das gemeinsam Erlebte so vieler Monate, Aufbrüche,
Nachtmärsche, Kampf, Wut, Todesangst, -- man merkt mit einer Art
Schrecken, daß es Eigentum und innerster Bestand geworden ist, daß man
es, ohne von sich selber abzufallen, nicht mehr wegwerfen kann. Kristl,
heute der einzige Handelnde unter lauter Leidenden, ist zu einem
wundersamen Ansehen gelangt. Ob er wirklich der Haltrufer gewesen,
danach fragt niemand. Aber jeder bietet ihm irgend etwas an, Zigaretten,
Schokolade, Nüsse. Auch Leute von den anderen Kompagnien grüßen
freundlich den sonderbaren Menschen und bekräftigen sein Lob.




                                             Koczmás, 25. Oktober 1916


Heute gelangten wir den ganzen Tag nicht aus dem Nebel. Eine Art
Blindheit befiel die Augen, und als wir nach vier Uhr in Koczmás
ankamen, erfuhr ich ein Verfließen äußeren und inneren Gesichts, von dem
ich mir guten Gewissens berichte, weil der Geist frei blieb und der
Täuschung gelassen zusah. Ich hatte mich bei einem Fußkranken
aufgehalten, fand mich schließlich allein auf der Straße und suchte auf
einem Seitenweg mein Quartier, dessen Richtung mir bezeichnet worden
war. Als ich einmal stehenblieb, um mich zurechtzufinden, hörte ich ein
Rauschen in der Nähe; es klang wie der Brunnen vor dem Hause der Mutter
in S., und gleich kamen mir Weg, Zaun und Nebelbäume bekannt vor. Jeden
Pfahl, jeden Stein hatte ich früher schon einmal gesehen, und nun hörte
ich auch das breite Brausen der Donau. Ein Haus aber, das verschwommen
im Dunst erschien, formte sich bis in Einzelheiten zu dem mütterlichen
Häuschen aus. Kaum eine Viertelminute dauerte der angenehme Trug; ich
folgte dem Rauschen, das sich aber auf einmal abschwächte, und als ich
vor der Haustür stand und meinen Namen las, den der Quartiermacher mit
Kreide daran geschrieben hatte, war alles vorüber. Eine ganz alte Frau
trat heraus und führte mich in ein Stübchen, das ich mit Leutnant T.
teilen soll. Später brachte sie sonderbare Milchspeise, die mit einer
dicken Zimt- und Zuckerkruste überzogen war, dazu sehr scharfen, mir
ungenießbaren Schafkäse. Ich habe mich beim Stab entschuldigen lassen
und esse mit T. zu Abend, helfe ihm auch wieder beim Zensieren der
Briefe. Die alte Frau erscheint von Zeit zu Zeit, stellt sich mit
verschränkten Armen in die Tür und betrachtet uns unverwandt. Ihre
Mienen sind kummervoll, ihr Blick ungesammelt, und wenn ich der Frau von
Szentlélek gedenke, muß ich mich fragen, ob es hierzulande nicht mehr
verwirrte und entrückte Menschen gibt als anderswo. Dann und wann kommt
eine stämmige blonde Tochter, stellt die Alte wegen ihres zudringlichen
Verweilens zur Rede und führt sie wie ein unverbesserliches Kind immer
wieder hinaus.




                                           26. Oktober. Auf dem Marsch


Bei klarem Wetter vergißt man die nächtlichen Träume schnell; im trüben
haften sie lang. Vor einem Turmeingang hatte ich den kleinen Wilhelm
zurückgelassen und ihm zu warten befohlen. Ich stieg die Wendeltreppe
hinauf. Die rohe Ziegelwand hatte Nischen; die schienen tief in
Katakombenfinsternis hineinzuführen. Ich sah hohe schmale silberne
Wiegen; in jeder lag, puppenklein, ein toter deutscher oder
französischer Soldat, die gläsernen Augen weit offen; einzelne
Lorbeerblätter, wie kleine Flügel, standen auf Blutgerinnseln an Stirn
und Haar. Ich stieg weiter und befand mich auf einmal vor dem schönen
jungen Wolf, den wir im Tierpark zu Hellabrunn öfters gefüttert haben;
seine rechte Vorderpfote war zwischen zwei Stufen eingeklemmt,
erwartungsvoll sah er mich an. Eine Berührung genügte, um ihn zu
befreien; vorsichtig hinkend ging er mir nach oben voraus. Dabei merkte
ich, daß von den Schultern an sein Fell eigentlich ein Gefieder war,
breite graue, silbern geaugte Federn, in einem Pfauenschweif endend. Ich
sah empor, da flog hinter Wolken der Mond, Wind pfiff um die Ohren, ich
stand auf weiter Heide. Drei weibliche Gestalten, in weiße Decken
gehüllt, schliefen unter eisklirrenden Bäumen. Die vordere war Vally;
dahinter größer, wesenloser, lagen Mutter und Schwester. Ich beugte mich
nieder, da sah ich, daß die weißen Decken aus lauter Schneeflocken
bestanden, die wie ein Federkleid aneinanderhingen. Der Wolf ging im
Kreise herum und beschnupperte die drei Frauen. Jetzt erwachten sie, mit
verstörten Gesichtern; keine kannte mich. »Der Wolf wird euch fressen,
wenn ihr schlaft auf der Heide!« rief ich ihnen zu. Sie lächelten
einander verlegen an. »Geht in den Turm! Dort sind silberne Wiegen«,
setzte ich hinzu. Ich wollte es freundlich und ermutigend sagen, aber es
kam hart und drohend heraus. Sie erkannten mich nicht und fürchteten
sich vor mir. Vally, frostgeschüttelt, zog die Schneedecke über sich und
rief dabei leise dem Wolf etwas zu. Der legte sich den Schläferinnen zu
Füßen, schlug ein Pfauenrad und bedeckte alle drei mit seinem ungeheuren
grauen, silbern spiegelnden Gefieder. Da hörte ich ganz laut und klar
das Söhnchen aus der Tiefe rufen: »Vater, bist du schon oben?« und war
wach.

Am Abend stieg der Nebel auf und formte sich zu hellen, tiefgekerbten
Wolken auseinander. Die Berge sind wieder weiter zurückgetreten. Das
Fernglas zeigt eine kleine, schimmernd weiße Stadt; es muß
Kézdi-Vásárhely sein.




                                           Esztelnek, 30. Oktober 1916


Nach etlichen Ruhetagen scheint es nun gewaltig zu schlaunen:
Eilmärsche, mit Gefechtsübungen verbunden, brachten uns heute bis
Esztelnek, dessen weißer Turm, ein Campanile, sich einige Schritte vom
Kirchlein fernhält. Als mich meine Quartierwirtin im Hof willkommen
hieß, erschrak ich vor der fast unnatürlichen Ähnlichkeit, womit mich
Gesicht und Gebaren dieser Bäuerin an Frau Nikola, die verstorbene
Oberin, erinnerte. So gibt es auch da kein Ende, und immer schaut
gleiche Seele mit gleichen Augen durch die Schichten der Zeit. Jene zwar
verließ ihr Leben lang das Kloster nicht; diese ist Mutter, dabei aber
herb und ernst, wie vom Gesetz eines Ordens begrenzt, und all ihr Tun
spielt sich im Rhythmus geistlicher Übungen ab. Sie entschuldigte sich
sehr, daß sie fast kein Deutsch verstehe, und führte mich in eine Stube,
deren helle Nüchternheit mein Gefühl bestätigte. Die Frau brachte
Weißbrot und Äpfel, entfernte sich, kam aber bald wieder und stellte
Photographien ihres Mannes und ihrer zwei Söhne auf den Tisch. Dann
faltete sie in Schulterhöhe die Hände nach der Seite zusammen, neigte
den Kopf darauf, indem sie eine Schlafende nachahmte, deutete hierauf
zur Erde, sagte »In Galizia« und ging wieder. Die Bilder ließ sie bei
Brot und Früchten stehen, als wünschte sie, daß ich, die Gaben des
Hauses genießend, auch der Toten des Hauses gedächte.

Der Nachmittag verging im Dienst. Unser Wohin ist noch immer unbekannt.
Die verheißene Stiefelsendung ist nicht eingetroffen. Das Bataillon wird
mit löchrigen Sohlen in den Gebirgskrieg marschieren. Aus der Heimat
kommt keine Nachricht. Am Abend, vielleicht vom Turmtraum gewiesen,
bestieg ich den Campanile. Wenn das Dunkel die Grenzen der einzelnen
Besitztümer aufhebt und schließlich nur noch die staubweißen
allhinführenden Straßen erkennbar bleiben, die jedem und keinem gehören,
so schickt man gern seine besonderen Wünsche schlafen.




                                                Esztelnek, 31. Oktober


Um fünf Uhr marschierten wir ab. Es wehte scharf aus Nordost. Bald fror
ich im Reiten und ging lieber zu Fuß. Dunkelgrüne Wintersaaten breiten
sich bis zu den Bergen hinan, denen wir uns rasch näherten. Über den
Gipfeln lagen erdgraue Wolkenschichten, die sich nach und nach rötlich
fleckten und auf einmal Feuer fingen. Schließlich aber ging die Sonne
nicht an dem Punkt auf, wo es am heftigsten flammte, sondern etwas links
davon in gleichmäßig hellem Gewölk. Wir erblickten bereits das Türmchen
von Bereczk, da kam ein Befehlträger nachgesprengt und übergab dem Major
ein Blatt, gleich scholl ein Halt, und nach Minuten folgte Befehl:
Zurück in die alten Quartiere! Mit lauten Rufen bezeugten die Kompagnien
ihre Freude. Vielleicht war ich der einzige, der im Augenblick den
Marsch lieber fortgesetzt hätte. Ist Aufschub einer Entscheidung dem
vorwärtsgerichteten Geiste doch immer gespenstisch, als verböge sie den
geraden Gang des Geschicks. Um zehn Uhr gelangten wir nach Esztelnek
zurück, wo uns die gestern noch so freundlichen Dörfler mit bestürzter
Zurückhaltung betrachteten. Unsere Wiederkehr kommt ihnen überaus
verdächtig vor; sie vermuten dahinter den Beginn eines deutschen
Rückzugs und sehen uns im Geiste bereits über die Maros gejagt. Meine
gute Wirtin dagegen begrüßte mich mit unverhohlener Freude; sie schien
mich erwartet zu haben. Jemand hatte ihr nachträglich die ärztlichen
Zeichen an meinem Kragen gedeutet, nun wollte sie Versäumtes nachholen.
Über Stufen führte sie mich in eine Kammer, wo Heiligenbilder in
russischem Stil an den Wänden hängen und leere zierlich bemalte
Ostereier den Deckenbalken entlang an Nägelchen aufgespießt sind. In
einem zum Fenster gerückten Bett mit grellroter Decke lag eine kaum
Sechzehnjährige, von der Schwindsucht gezeichnet. Die Mutter geriet ganz
aus ihrer Gehaltenheit und redete viel und schnell. Wenn ich zu erklären
versuchte, daß ich nicht eines ihrer Worte verstünde, nickte sie mir zu
mit solchem Beifall, als wärs gerade das, was sie zu hören wünschte.
Wozu auch Worte! Sie suchte Hilfe, das war leicht zu begreifen. Das Kind
ist schön; schwarzes feuchtes Haar über dem Schwächeglanz der Stirne
hoch emporgekämmt, in den Augen brennt das ganze in die Enge getriebene
Leben, wie eine Flamme in reinem Sauerstoff brennt. Der Leib ist
schrecklich eingeschmolzen; die Brüste nur, steil und straff, trotzen
noch selig dem Tod.

Während des Untersuchens wurde wieder einmal offenbar, wie sehr doch das
lange Kriegsleben die innere Gestalt verändert. Was durch Jahre
tägliches Geschäft gewesen war, das Durchspüren der Organe nach den
Herden des Zerfalls, es will nicht mehr so recht von der Hand gehen. Ja,
mir kam vor, als wärs ein gröbliches verfängliches Beginnen, blasse
Magie, die weder guten Tod noch gutes Leben bringt. Ich glaube, mancher
Arzt wird künftig seinen Kranken anders gegenüberstehen als bisher.
Vielleicht müßte man sich selber gewissen Übungen und Enthaltungen
unterwerfen, wenn man tiefe Verschattungen einer anderen Natur
durchdringen und auflösen will, vielleicht auch viele Kranke abweisen,
um wenige desto sicherer zu heilen. Für diesmal war es nur ein
Scheindienst, was ich leistete; und als ich nach der Untersuchung
andeutete, daß ich Arzneien aus dem Sanitätswagen holen wolle, waren
Mutter und Tochter für den Augenblick zufrieden und getröstet. Die Frau
ging und brachte einen Teller mit Pflaumen, bot erst mir, dann der
Kranken und aß auch selber davon. Schweigend saßen wir nun beisammen,
sie meiner, ich ihrer Sprache unkundig. Heiße Nachmittagssonne schien
herein, sie durchleuchtete rötlich die braunen Paprikaschoten, die wie
kleine Hörner in Büscheln am Fenster hängen. Wespen summten, und leiser
Geschützdonner kam von den Bergen herüber. Auch die Mutter sprach nicht
mehr; zuweilen, wenn sie mich zum Essen ermahnen wollte, rührte sie mit
der Hand leicht an mein Kinn und deutete dann auf die Früchte. Bald
stand ich auf und ging. Wie ein ewiger Abschied von allem dumpf
Leidenden, Schwindenden war mir die Szene. Und seltsam, nicht mehr als
niedrig-widriges Zehrergezücht erschien mir auf einmal das dunkle Reich
der Mikroben, vielmehr als eine heilig-schreckliche Macht, verbunden und
pflichtig den stärksten Energien der Natur. Solche zu bekämpfen kann
jetzt kaum unser Dienst sein. Schon deuten sich andere Gewalten an,
denen wir uns entgegenstellen oder denen wir uns verbünden müssen.

»Es gibt abwartende Gifte, die das Blut nicht beschädigen, solange sich
das vergiftete Wesen im Finstern hält, wogegen sie bei hellem Tage
sogleich zu gären und zu töten beginnen.« Wie klärt sich mir langsam
dies dunkle Wort!

Vor dem Abendessen verschlief ich eine halbe Stunde. Mir träumte von
meinem Pferd. In dem Augenblick, da ich es besteigen wollte, verwandelte
es sich in ein junges nacktes Weib.

Der Adjutant kündigt an, daß es morgen in aller Frühe weitergeht. Er
versichert uns, daß wir diesmal nicht zurückgerufen werden.




                                           Bakó tetö, 1. November 1916


Um die gleiche Stunde wie gestern verließen wir Esztelnek und erreichten
bei trüb grauendem Tage das große Dorf Bereczk. Viel Volk stand auf der
Straße, meist Frauen. Ein zierliches, vom Alter gekrümmtes Matrönchen
lief neben der Kolonne her und spähte aufgeregt von einem Kopf zum
andern: die Stahlhelme, die wir seit gestern tragen müssen, haben ihrs
angetan. Endlich, da wir gerade langsamer marschierten, faßte sie Mut,
huschte an den kleinsten Flügelmann heran und beklopfte mit scharfem
Finger seinen Helmrand. Vielleicht hatte sie gemeint, es sei Holz oder
Pappe; nun erkennt sie, daß es Metall ist, verschränkt zufrieden die
Arme und bleibt zurück.

Ein sehr alter Mann stand vor seinem Häuschen und schrie, den Hut
schwingend, in schauerlichem Gleichton unaufhörlich: Gott helfe den
Deutschen! Gott helfe den Deutschen!

Die Gefechtsbagage blieb im Dorf; Zahlmeister und Verpflegungsoffiziere
nahmen Abschied und wünschten uns Glück. Es ging bei leichtem Regen ins
Gebirge empor. Man sah ferne Felsen mit schwarzen Klüften, die wie
Schlünde Nebel ein- und ausatmeten. Um neun Uhr hielten wir auf dem
Punkt Madjaros, wo nun auch die Pferde und ihre Wärter uns verließen.
Auf sumpfiger Waldwiese kochten die Feldküchen ab, es gab eine lange
notwendige Rast; schon hatten wir fünf Wegstunden hinter uns, und vor
uns ragten steile Hänge. Nach dem Essen ging ich eine Strecke voraus und
setzte mich auf einen Stein, wo ich zu warten beschloß, bis die andern
mich einholten. Es wurde düster, Nebel fiel von oben, und während ich
ihm entgegensah, war ich von abgewehten Fransen schon überzüngelt und
umschlungen. Wie seltsam das ist, von der ferngewohnten geistigen Wolke
berührt und aufgenommen zu werden wie von einem blütigen Wesen! Alle
Heimatgestalten glänzen auf, und zugleich erschwingt ein grenzenloses
Vertrauen in die strömenden und untergrabenden Kräfte der Welt. Wie aus
großer Ferne hörte ich das Bataillon aufbrechen und regte mich nicht,
bis die ersten Gruppen zu mir stießen.

Es ging nun stetig aufwärts. Der Adjutant sagte, nur fünfzehn Kilometer
hätten wir bis zur Stellung zurückzulegen, aber man hörte keinen Schuß.
Der Nadelwald setzte streckenweise aus, Wacholder, strotzend von
lilagrünen Früchtchen, wuchert zwischen Felsblöcken. Viele Gräber
kommen; nach den Inschriften, die sie tragen, sind sie erst fünf Tage
alt. Carp, rumänischer Leutnant, stand auf einem Holzkreuz. Gegen zwei
Uhr durchstiegen wir eine kahle, nebelüberstrichene Senke; dort wurde
uns ein rätselhafter, erschütternder Anblick. Ein einsames,
niedergebranntes Haus stand in der Mitte; es rauchte noch leicht aus den
Kohlen. Die Wände waren stehen geblieben, und unter der Verschwärzung
erkannte man die blaue Tünche; vom Dach aber sah man bloß das verkohlte
Geripp. Hinter einer unversehrten Pfahlhütte befanden sich zwei Gräber
ohne Kreuze, nur mit Wacholder geschmückt. Eine große, sehr alte Frau,
nackt bis zum Gürtel herab, dem Gesichte nach Madjarin, das graue Haar
zerrauft und beschmutzt, schlich um die Hügel und redete zutraulich mit
etwas Unsichtbarem. Als wir uns näherten, reckte sie sich auf und drohte
mit der Hand, als wollte sie uns von dem Orte verscheuchen. Plötzlich
wandte sie sich ab und rang unter grausigem Geheul die Hände gegen
Osten. Leutnant F., im Vertrauen auf sein bißchen ungarische
Sprachkenntnis, versuchte mit ihr zu reden. Sie aber bückte sich,
scharrte Erde vom nächsten Grab und streute sie ihm entgegen; doch war
diese Bewegung mehr warnend und beschwörend als feindselig. F. sprang,
halb ärgerlich, halb erschrocken, zurück und marschierte mit seinem Zuge
weiter. Von den übrigen Offizieren und Mannschaften blieb niemand
stehen. Zwar wurden Vermutungen ausgewechselt, was der Frau widerfahren
sein könnte; die meisten aber mochten den Gang einer Tragödie spüren,
vor welcher kein zudringliches Mitleid gilt, und stiegen schweigsam
weiter im Gewölk empor, das die schauerlich große Erscheinung bald
verhüllte.

Als wir um halb vier Uhr den Bako tötö erklommen, tauchten wir aus der
Dunstwelt in blauen Tag. Eine moosige, mit Silberdisteln bewachsene
Fläche zwischen zwei bewaldeten Kuppen wurde als Rastplatz gewählt.
Riesige Haufen rostender Konservenbüchsen zeigten an, daß vor uns
bereits andere Truppen hier gelagert hatten. Ich tat wie die meisten,
wickelte mich in meine Decke und legte mich, schweißdampfend wie ich
war, auf den überfrorenen Boden, wo ich sofort einschlief und nach einer
halben Stunde, trotz einigem Frösteln sehr erquickt, erwachte.

Aus dem Wald über uns kam ein Mann in langem, grünem Mantel herab, den
turbandick verbundenen Kopf mit beiden Händen festhaltend. Es war ein
verwundeter Rumäne, der ohne Bewachung, sich selbst überlassen, seinen
Weg in die Gefangenschaft suchte. Beim Näherkommen sah man die
durchbluteten Kompressen und Mullbinden verschoben, am Hals eine
klaffende Wunde halb entblößt. Das rechte Auge war schwarz
zugeschwollen, das unbeschädigte linke hatte ein schönes Hellbraun. Die
ärztlichen Zeichen erkennend, blieb er vor mir und R. stehen, deutete
schweigend auf seine Wunde. Diese zu sondieren hüteten wir uns, nahmen
auch den ersten Verband nicht ab, sondern legten dicht und fest einen
frischen darüber, worauf der Unglückliche seinen Kreuzweg
weiterschwankte, gefolgt von dem grimmigen Lachen unserer Infanteristen,
die vielleicht, ohne es zu bedenken, in dem erniedrigten Bilde des
feindlichen Genossen sich selber verhöhnten: Heute du -- morgen wir! Wir
marschieren nicht weiter; Befehl ist gekommen, an Ort und Stelle zu
biwakieren. Jetzt werden die Gewehre zu Pyramiden gegeneinandergestellt,
die Helme darangehängt, Zelte aufgeschlagen. Verbündete Truppen ziehen
über den Berg; Fetzen unbekannter Sprachen flattern vorbei. Der Mond,
blaßgrün, schmal wie ein Grashalm, geht in kleinem Bogen über den
Himmel, das Flammen der Sterne beginnt. Die Kompagnien haben Feuer
angezündet, um die sich bald alles versammelt. Auch österreichische
Offiziere kommen für eine Weile, um sich zu wärmen. Einer von ihnen hat
ebenfalls die Frau bei den Gräbern getroffen und vergeblich zu beruhigen
versucht. Er hat sich auch in dem Pfahlhüttchen umgesehen. Kleider,
Felle, bunte Decken und Lebensmittel, sagt er, gebe es darin genug. Er
habe einen Mantel herausgeholt und der Wahnsinnigen über ihre Nacktheit
gelegt, sie habe ihn wieder herabgleiten lassen. Übrigens sei das Haus
ein Grenzhaus gewesen, die Rumänen, auf ihrem Vormarsch, hätten Vater
und Sohn, die beiden Grenzwächter, niedergemacht; jedoch ergibt sich aus
ferneren Reden, daß auch dies nur Vermutung ist. Fast war ich froh, als
das Gespräch zum Gewöhnlichen zurückflachte. Was liegt am Geschehen? Den
Schmerz, der den Menschen dahin verhärtet, wo es kein Hungern, kein
Frieren, keine Tränen mehr gibt, den Schmerz, der Trost und Wohltat mit
weihender Beschwörung zurückweisen muß, dies letzte große Heiligtum der
Menschen, jedem höchsten Genius verwandt, soll man es zerschwatzen? Eine
Angelegenheit für Greuelerzähler und Seelenspäher daraus machen?

Die Nacht wird kalt. Einer um den andern gesteht sich ein, daß er für
einen Gebirgswinterkrieg eigentlich nicht ausgerüstet ist. Keiner spürt
Lust, in das dünne Zelt zu kriechen. Ich will als Gast von Feuer zu
Feuer wandern, bis mich der Schlaf übermannt.




                                                           2. November


Ich erwachte mit dem Gefühl absterbender Zehen, verließ das Zelt und
umschritt stampfend das Lager. Später meldeten sich einige Soldaten mit
wirklich abgefrorenen Zehen und Ohren. Bei mir brachten Gespräch,
Bewegung und heißer Kaffee, dem nur gar zu viele Wacholdernadeln
beigemischt waren, das Blut bald wieder in seinen Lauf. Aus den
rumänischen Bergen aber hob sich die Sonne, und wunderbar zeigte sich
heute die strahlenbeugende Kraft irdischer Atmosphäre: nicht als
kreisrunde Scheibe, sondern als mächtiges karminrotes Ei lag das Gestirn
minutenlang über schwarzen Wäldern, bis es nun, langsam steigend, sich
entrötet und rundet. In den Tiefen aber ist unermeßliches Weiß
ausgegossen, ein glattes, dichtes, mit Gipfelinseln überstreutes Meer
von Flaum, das uferlos mit lilablauem Strich im Westen endet. An dem uns
nahen Rande, wo es noch seicht ist, läßt es Felsen und Bäume
durchscheinen; man könnte glauben, diese spiegelten sich darin.

Der Marsch, der um neun Uhr begann, war oft von Rastpausen unterbrochen;
vermutlich durften wir nicht zu früh ankommen. Die Mittagstunde
verbrachten wir nahe dem Gipfel des Berges Kishavas auf einer moosigen,
mit Steinblöcken und Wacholderbüschen besetzten Fläche voll neuer
Gräber. Einige Kreuze sind sorgfältig mit Grün umwunden, manchmal nur
ein kleiner Stecken einem größeren mit Waldreben zu flüchtigstem
Gedenken angeknüpft. Zwischen zwei Steinen steht ein Pfahl mit
aufgeschnitztem Halbmond und der Inschrift: Brica Hamid, 29. X. 16.
Durch kalten Wind wirken scharfe Höhestrahlen, Reifkörner verdampfen an
den Spitzen des Wacholders, von Stunde zu Stunde bräunen sich die
Gesichter. Es ist sehr still, die Lust zu sprechen gering, der Geist
unterhält sich noch immer mit jenem unendlichen Weiß.

Ein ungarischer Beobachter gesellte sich zu uns; er lud mich und H.
schließlich ein, auf seinem Standort mit ihm Tee zu trinken, und ließ
uns durch sein Scherenfernrohr schauen. Wie man das Blickfeld eines
Mikroskops nach den schädlichen rot oder blau gefärbten Pilzen absucht,
so wird hier nach den moosgrün gekleideten rumänischen Soldaten
gefahndet. Der Offizier hatte die Höhe Lespédii eingestellt; er verriet
uns, daß unser Bataillon sie werde erstürmen müssen, und zwar bald. Im
übrigen war er ärgerlich, weil keiner der Grünen sich zeigen wollte; gar
zu gern hätte er ihnen ein paar Granaten hinübergesandt. Ich sah im Glas
einen kleinen steinigen Hügel mit etwas Baumwuchs und viel Gestrüpp. An
einem Schräubchen drehend, entdeckte ich auf einmal hinter
Wacholderbüschen eine ganze Gruppe schanzender Rumänen, wollte schon den
Beobachter aufmerksam machen, fühlte mich aber gehemmt und schwieg. Zum
ersten Male stand ich gewissermaßen vor der Pflicht, den Tod auf
Menschen zu lenken; denn der verschonte Gegner kann im nächsten
Augenblick die eigenen Landsleute gefährden. Anderseits waren die
arbeitenden Leute von drüben hier in dem kleinen Glase gleichsam in
meine Hand gegeben; ich sah, wie der eine sich eben eine Pfeife stopfte,
ein anderer aus der Feldflasche trank, sie hielten sich für völlig
sicher, und solange ich sie nicht verriet, geschah ihnen auch nichts, --
ein seltsamer Fall für einen Menschen, der nicht Soldat ist und mit sich
selber in leidlichem Frieden lebt. Während mir das Herz wunderlich zu
klopfen begann, trat ein älterer bosnischer Hauptmann herzu, der nachts
aus dem Urlaub zurückgekehrt ist, und wandte durch lebhaftes Erzählen
alle Aufmerksamkeit auf sich, so daß der magische Spiegel ganz in
Vergessenheit geriet. Die Hofburg in Wien, berichtete jener, soll Tag
und Nacht von Massen hungernden Volks umlagert sein, die den alten
Kaiser beschwören, er möge einen Schritt für den Frieden tun.

Als wir zum Lager zurückkehrten, sahen wir eine Karawane von Tragtieren
dem großen Wolkenglanz entsteigen; die Führer sagen, es gebe drunten im
Lande einen trüben Tag. Um drei Uhr rückten wir, durch dichten Wald
absteigend, in die Stellungen, wo wir bosnische Infanterie ablösten.
Eine Moos- und Reisighütte wurde mir als Befehlsstelle bezeichnet; hier
ließ ich mein Gepäck zurück und ging weiter, um die Verteilung der
Kompagnien zu erfahren. Die Rumänen verhalten sich still; doch entgeht
ihnen schwerlich, daß eine neue Art Feind in den Wald eingezogen ist.
Hatten sich nämlich die tapferen, aber etwas bequemen Bosniaken lieber
der dauernden Todesgefahr ausgesetzt und Nächte durch gefroren, als daß
sie sich mit dem Ausbau der Stellung abgaben, so geht es jetzt unter
unbändigem Jauchzen und Gesang an ein deutsch-gründliches Graben,
Baumfällen, Sägen und Hämmern, als stünden wir auf heimatlichem Grund
und müßten für Kind und Kindeskind Häuser bauen.




                                                           4. November


Das Lager aus Fichtenzweigen, das Rehm aufgeschichtet und mit einer
Zeltbahn überdeckt hat, bewährte sich gut; wir schliefen alle weit in
den Morgen hinein. Die Rumänen bleiben ruhig. Die Unsrigen bauen
Unterstände. Es verlautet aber, daß wir nicht lange hierbleiben.

Beim Frühstück, als der Major Marmelade aus dem Topf nehmen wollte,
brachte er mit dem Löffel eine kleine tote Maus zum Vorschein. Wie sie
in das Gefäß geraten ist, wer weiß es? Mäuse gibt es ja hier genug, es
sind hübsche bräunliche, mit Augen wie schwarze Fischrogenkörnchen; beim
Aufwachen heute sah ich eine über mir im Gezweig, die mich beobachtete.
Klingensteiner wurde gerufen und zur Rechtfertigung aufgefordert, konnte
aber keine andere Erklärung abgeben, als daß der Topf über Nacht
vermutlich unbedeckt stehen geblieben sei. Er wurde hart angelassen, was
er schweigend hinnahm; schließlich erbot er sich schüchtern, eine neue
Büchse zu öffnen. Der Major schien zu schwanken, aber nur einen
Augenblick, dann wies er das Anerbieten zurück, ließ die Mäuschenleiche
entfernen und begann, während ihm vor Widerwillen die Augen aus dem
Kopfe traten, sein Brot zu bestreichen, schob auch uns das
Marmeladegefäß zu. Da er uns schaudern sah, bestrich er das Brot noch
etwas dicker und erklärte knapp und brüsk, die Maus könne erst heute
nacht hineingefallen, von Verwesung also noch keine Rede sein, in den
Städten Deutschlands herrsche der Hunger, tausend Mütter würden sich
dort glücklich schätzen, wenn sie ihren Kindern solche Marmelade auf ihr
elendes Kleienbrot schmieren dürften. Dabei kaute und schluckte er
gewaltsam, die Mienen von grenzenlosem Ekel verzerrt. Endlich stand er
auf, strich sich stehend ein zweites Brot und ging, ohne abzuwarten, ob
wir seinem Beispiel folgten, davon. Einige lachten jetzt, und einer
nannte ihn ein Schwein, doch war eine gewisse Angefochtenheit bei jedem
zu merken. Einer meinte schließlich, er hätte ja die Marmelade
stehenlassen und mit dem trockenen Brote vorliebnehmen können; aber dies
Wort ging daneben, jeder hatte gespürt, daß der Alte den Ekel mit
Bewußtsein erleiden und zeigen, ja, daß er uns damit peinigen und
beschämen wollte. Im stillen mochte sich auch jeder sagen, daß ein Volk,
worin alle dächten und handelten wie er, ewig unüberwindbar bliebe; doch
scheint es manchem befremdlich, daß aus dem bitteren kleinen Greise, der
uns allzuoft halb eine Belustigung, halb ein Ärgernis gewesen ist, auf
einmal etwas wie echter Schmerz und echte Größe hervorwachsen will. Sich
selber traut ja jeder Erneuerungen zu; den andern aber, besonders den
älteren, hält man gern für eine starre Gewordenheit und ist fast
ungehalten, wenn er einem plötzlich Beweise vom Gegenteil gibt.

Bald redete keiner mehr; nachdenklich saßen alle um den Marmeladetopf,
bereit, wenn es gegolten hätte, davon zu essen, aber einer durch des
andern Gegenwart gehemmt.

                   *       *       *       *       *

Nach Mittag durchging ich mit dem Ordonnanzoffizier unsern ganzen
Frontbereich. Die Gegend ist wie absterbend; manchmal knistert es im
Gezweig, eine Staude wird geschüttelt, aber man sieht kein Wild, keinen
Vogel. Der Wald ist Urwald; filzig-strähnige Flechtengewebe verbinden
die Baumkronen und verdünnen das Licht. Ungeheure Stämme, halb
aufgelöst, manche wie durchwärmte Kerzen verbogen, glühend in allen
Röten und Bräunen des Verwesungsrostes, liegen auf- und nebeneinander,
und überall ringt Alge, Moos und Pilz zur Welt. Ja, was höhere Natur in
veredelter und festerer Form lange bewahrt und entwickelt, bis es
endlich mit Augen blickt oder sich mit Flügeln auflüftet, hier, im
feilsten hinfälligsten Stoff, ist es vorgeträumt seit Äonen und
zerfällt, kaum geworden, in haltloser Brunst. Es gibt Schwämme, die wie
Rebhuhnfittiche den Boden überbreiten, andere gleichen schwarzen
Muschelschalen, aus denen ein amethystenes Geriesel kommt. Ein Flor
violetter Posaunen bedeckt ganze Flächen, aus lockigem Gekräusel stehen
weiße Glieder, und winzige verstümmelte Hände, lichtgrün, mit einem
siegellackroten Tröpfchen statt fehlender Fingerspitzen, greifen aus
morschen Rinden hervor.

Plötzlich standen wir vor einem Toten, und als hätte uns dieser den
Blick geöffnet, sahen wir nun den Wald voller Leichen. Um die Höhe
Lespédii herum liegen sie zu Reihen hingestürzt, lauter Rumänen; die
Österreicher hat man wohl bereits begraben. Sie tragen zwiefach
gespitzte Mützen, denen vorne bloß ein Goldknöpfchen fehlt, um an alte
deutsche Schalkskappen zu erinnern. Alle haben ganz neue Uniformen, dazu
Halbschuhe, die aus einem einzigen Stück Leder geschnitten und oben mit
starker grüner, durch Löcher laufender Schnur zusammengezogen sind. Der
Ausrüstung ist anzumerken, daß die Führer mit einem raschen Siegeslauf
gerechnet haben.

Wir besuchten unsere sämtlichen Kompagnien; später gesellte sich
Leutnant K. zu uns, der vor acht Tagen zum erstenmal an die Front
gekommen ist, und wir schritten zu dritt einen weiten Bogen aus, wobei
der Ordonnanzoffizier sehr anschaulich die Lage des Oitózpasses
beschrieb. Der Leutnant ist ein zarter Junge, wie ihn früher kein Heer
aufgenommen hätte, sein Gesicht so bleich, als wäre er erst vom
Krankenbett aufgestanden. Die Begegnung mit so vielen Toten schien ihn
anzugreifen; er fragte, wann sie denn begraben würden, worauf der
Ordonnanzoffizier meinte, das eile nicht so sehr, der Frost bewahre die
Leichen gut und lasse keine Verwesung herankommen, es gäbe für den
Augenblick Wichtigeres zu tun. In einer kleinen Lichtung blieben wir
stehen und betrachteten die Höhe Lespédii, die das Bataillon in den
nächsten Tagen erstürmen soll. Sie nahm sich jetzt noch unbedeutender
aus als gestern im Fernrohr; mit gelbem Gestein und braunem Gestrüpp
glich sie dem räudigen Fell eines scheckigen Tieres, und Leutnant K.
sprach nur mein eigenes Empfinden aus, als er fragte, ob es denn
irgendeinen taktischen Zweck habe, für den elenden Steinhaufen deutsches
Blut zu opfern, man möge ihn doch in Gottes Namen den Rumänen lassen.
Der Ordonnanzoffizier sah den jungen Kameraden verwundert an wie einen
Mitspielenden, der sich nicht an die Spielregeln hält, und erklärte
dann, es handle sich keineswegs darum, Berge zu erobern, sondern
feindliche Kräfte hier festzuhalten und wichtigere deutsche Fronten zu
entlasten, und übrigens sei es an der Zeit, daß wir ins Gefecht kämen,
eine lange Defensive zerstöre den Mut, ja der beste Soldat werde
schlecht ohne Kampf und Gefahr.

Der Leutnant schwieg lange. Erst als wir schon den Rückweg angetreten
hatten, fragte er unvermittelt, ob sich von den Friedensgerüchten, die
neulich umliefen, etwas bestätigt habe. Wir verneinten es. Nun geriet er
mehr und mehr in ein fieberisch-verworrenes Gerede hinein; schließlich,
lachend und doch sehr erregt, erzählte er von einer Tante in Augsburg,
die darauf schwöre, niemand anderer als Mars, der nahe rote Planet, habe
uns den Krieg gesandt, er herrsche auf sieben Jahre über die Erde und
sauge an ihren Geistern, bis sie einander aus der warmen Behausung des
Lebens jagen. Der Ordonnanzoffizier war immer einsilbiger geworden; auf
das letzte hin schwieg er ganz, und ich glaube, er hatte recht. Vor den
Antlitzen der Toten erstirbt jedes nicht ganz wahre, nicht ganz
nüchterne Wort wie in luftleerem Raum. Im Grunde fühlt wohl jeder einen
Sinn in sich, der mit und über allen Planeten weiß und wirkt. Bleiben
wir im engsten Kreise wachsam! Wenn einer vom eigenen Mittelpunkt aus
das Nächste, Notwendige erkennt und löst, wie kann ein wandelnder Stern
gegen ihn sein? Er hat sich dem Geist aller Sonnen verbunden, immer
dient er den Gängen des ewigen Spiels.

In das obere Waldgebiet zurückkehrend, sahen wir die schwarze
Fichtenfensterung rot und blaugolden wie mit Scheiben ausgelegt, unter
uns aber, schon von Halbnacht umgeben, die große weiße Dunstsee
hingebreitet, an deren östlichem Saum einzelne kleine Lichter
flimmerten. Während wir uns fragten, ob diese noch unserer eigenen oder
schon der gegnerischen Zone angehörten, bemerkten wir am Boden etwas
Seltsames, ein kleines dunkles Tier, das, einer aufziehbaren Blechmaus
ähnlich, in engen Kreisen unaufhörlich einen Baum umlief. Sein Gebaren
erinnerte an die japanischen Tanzmäuse, die Wilhelm in Hellabrunn immer
so viel Spaß gemacht haben; es war aber größer und nahezu schwarz. Wir
näherten uns vorsichtig, da huschte es den Stamm hinauf und war
verschwunden. -- Im Unterstand wurde mir eröffnet, daß ich laut
Brigadebefehl für die Kampftage zum Regimentsstab abkommandiert bin, wo
ich einen Verbandplatz errichten soll. Das bedeutet, aus Gefahr und
feuchter Niederung der Leichenwälder in Sicherheit und golden-trockene
Höhenluft versetzt werden. Alle wünschen mir Glück. Ich wäre aber lieber
beim Bataillon geblieben.






_6. November_ stieg ich mit Rehm, Dehm und Raab auf den Gipfel des
Kishavas, meldete mich beim Oberst und nahm sogleich einen Verwundeten
in Empfang. Er ist bei einer Erkundung in die linke Seite geschossen
worden; die Kugel steckt in der Lunge. Uneingedenk des Todes, der ihm
wie ein feiner sichelförmiger Glanz aus den schon umnebelten Augen
blickt, verlangt er hartnäckig Schnaps und hofft, mit ihm seine Schwäche
zu überwinden, um unzählige Rumänen erschießen zu können. Nie sah ich so
brennende Rachsucht in so leidender Natur.

Beim Abendessen besprach ich mit dem Oberst Ort und Art des zu bauenden
Unterstandes. Wir einigten uns auf einen geschützten Platz am Waldrand.
Ich bat ihn auch, mir Leute zur Arbeit zuzuweisen; aber bevor er nur
antworten konnte, erklangen von allen Seiten die schönsten
Versprechungen: Adjutant, Feldgeistlicher und Ordonnanzoffizier
überbieten sich in Hilfsbereitschaft, jeder wird mir morgen in aller
Frühe seinen Diener senden.




                                                           7. November


Die Nächte sind hier kälter als unten. Wir haben Erde tief und breit
ausheben lassen und über diese Grube Zeltbahnen ausgespannt, so friert
man weniger. Noch etwas besser wäre das Lager ohne die vielen verholzten
Wacholderwurzeln, die sich zuweilen scharf gegen die Rippen stemmen,
wenn man im Schlaf die Lage verändern möchte. Doch wacht man jetzt gern
einmal eine Stunde, wenn Mondlicht ist über unserer vorzeitigen Gruft
und Gräser und Stauden, zart abgeschattet, über dem Zelttuche schwanken.
Heut mußte ich viel an Glavina denken, der tief auf dem Grunde des
Nebelmeers atmet, wo der Mond wohl nur als blaßgrauer Silberdunst
hinabreicht. Gern läse ich wieder einmal eins von seinen Worten oder
spräche mit ihm; aber er ist unnahbar scheu, und Briefe gehen keine mehr
durch meine Hand. Oft ist mir, als ob mich seine Sprüche leicht und
stark in die Zukunft hinüberzögen. Es hat sich nun doch so lenken
lassen, daß er nicht mehr im Graben, sondern fast nur noch als
Befehlträger verwendet wird.




                                                           8. November


Das Wetter hält an; jeder Morgen bringt Nebel und ist wie eine graue
Puppe, aus welcher blau der Tag emporfliegt.

Mit meinem Unterstand ist es etwas anders gegangen, als ich gestern
meinte; aber er steht da, trotz allem, -- was will ich mehr? Es ist bei
einem Regimentsstab wie an einem kleinen Hofe; man sieht einander
weniger in die Augen als auf die Achselstücke, und da mir solche fehlen,
so zeigten die Zusagen von gestern keine rechte Haltbarkeit; vielleicht
haben sie mehr dem Obersten gegolten als meinem Unternehmen. Als am
Morgen die Diener ausblieben, erlaubte ich mir die Herren an ihr
Versprechen zu erinnern; aber da war gerade jeder unmäßig in Anspruch
genommen, keiner könnte im Augenblick seinen Burschen entbehren, einer
um den anderen vertröstete mich auf später. Ich drängte nicht, sondern
begann sofort mit Raab, Dehm und Rehm allein zu arbeiten. Das ging aber
gar langsam; wir mußten doch nach anderen Händen ausschauen. So nach
zehn Uhr, als ich die Offiziere fest in den Dienst gestrengt wußte, da
machte ich mich wie ein geheimer Werber an die Diener heran und lockte
sie mit Geld und Tabak zur Mithilfe. Es sind lauter gewandte Leute, die
gleich auf alles eingingen. Doch beschäftigte ich nicht alle zugleich;
zwei mußten immer für die Herren erreichbar bleiben, um statt der
fehlenden einzuspringen. Das Werk schoß auf wie eine Morchel; mittags
waren aus Pfählen und Erdklötzen schon Wände errichtet, um ein Uhr hatte
Dehm ein Dach aus Latten, Gezweig, Erdreich und Steinen darübergelegt,
bald sah ich Pritschen übereinandergebaut, sogar einen Tisch und zwei
Stühle aus Birkenästen gezimmert, dazu kam noch ein Felsenofen mit einem
Rauchrohr aus ineinandergesteckten Konservenbüchsen, denen man den Boden
ausgeschnitten hatte. Von Zeit zu Zeit ließ ich mich bei der
Befehlsstelle sehen, wo nun alles kriegerisch webert und in
Ferngesprächen der Angriff erläutert wird. Der Ordonnanzoffizier, vom
Apparat herüber quer lächelnd, fragte nach meinem Unterstand. Ich klagte
über Arbeitermangel; er meinte zerstreut-verbindlich, das werde sich
geben, es eile ja nicht, auf jeden Fall werde er mir morgen seinen
Burschen schicken. Nun freute mich erst der Spaß. Meine lieben Jungen
werkten wie für die Ewigkeit; mir fiel der Bauer von Szentlélek ein, --
möge ihm sein groß geplanter Hof so glücklich geraten wie mir diese
Hütte! Nach dem Abendessen fragte der Oberst, ob ich den Unterstandbau
bereits begonnen habe. Die Verwunderung, als ich sagte, der sei fertig,
war lebhaft am ganzen Tisch. Alle wollten ihn sehen. Ich führte sie zum
Walde hinüber, lud sie ein, auf Stühlen und Pritschen Platz zu nehmen
und spendete Zigaretten. Die Baumeister Dehm, Rehm und Raab wurden vom
Oberst gerufen und belobt. Niemand fragte, wer sonst noch geholfen habe.

Es ist ein Abend, so ätherhell wie man ihn auf geklärteren Planeten
ahnt. Herrlich brannte die Sonne hinab, und während noch der Westen
haselnußbräunlich nachleuchtet, steigt aus lavendelblauen rumänischen
Bergen der Mond.




                                                          11. November


Vormittags um zehn Uhr, als die Sonne sehr grell gegen die feindliche
Stellung fiel, wurde durch verwegenen Überfall mit einer Handvoll Leuten
der 6. und 7. Kompagnie den Rumänen Lespédii entrissen. Jetzt ist es
vier Uhr, und bereits haben sie den siebenten Sturmlauf unternommen, um
das Hügelchen zurückzugewinnen. Die Unsrigen rühmen die große
Todesverachtung der Gegner, sagen aber, daß es ihnen an Besonnenheit und
Erfahrung fehle. Jedesmal, ehe sie ansetzen, hört man, wie drüben ein
Führer eine Rede hält, worauf ein wilder Marsch ertönt, bei dessen
Klängen sie heranrasen wie Trunkene. So wird Musik, die reine Kunst, zu
einem Fluidum, das den Menschen über seine Grenzen hinaustreibt und mit
Gefühl des Lebens dermaßen überlädt, daß er sich sehnt, es abzuwerfen.

Schon zeigt sich, daß der kleine Gesteinshaufen weit mehr Opfer kosten
wird, als wir vermutet hatten; die Fortschaffung der Verwundeten muß bis
morgen in eine heillose Stockung geraten. Ich beschloß, noch einige
Gruppen von Trägern anzufordern. Unwillig überließ mir der Adjutant das
Telephon. Ich erfuhr, daß unser Divisionsarzt samt seiner
Sanitätskompagnie einem andern Frontabschnitt zugeteilt worden ist.
Andere deutsche Stellen erwiderten mit vagen Vertröstungen; schon sah
ich die mir anvertrauten Verwundeten der Erfrierung und dem Hunger
ausgesetzt und wollte den Apparat verlassen, um beim Oberst Gehör zu
erbitten, da lehnte an einer Fichte, schlank, leicht gebückt, mit
klarer, steiler Stirne ein junger ungarischer Kadett neben mir, dessen
kühle graue Augen mit einiger Teilnahme auf mich gerichtet waren.

»Darf ich Ihnen einen Rat geben?« sagte er, höflich grüßend. »Wenn Sie
an irgend etwas Mangel haben, wenden Sie sich stets an den
österreichischen Hauptmann Gebert in Bereczk. Er hilft immer.«

Der junge Mann glich eher einem stillen Gelehrten als einem Soldaten;
vielleicht gerade deshalb faßte ich Vertrauen. Und wirklich, sehr
aufgeräumt wie ein Kaufmann, der gute Geschäfte zustande kommen sieht,
antwortete der fern Gerufene:

»Warum nur sechs Gruppen? Ich schicke lieber zwölf! Haben Sie denn genug
Verbandstoff?«

Ich bat um eine mäßige Menge, und er versprach, ein Eselchen, mit
Kompressen und Binden beladen, den Trägern bald nachzuschicken. »Bis
fünf Uhr morgens ist alles bei Ihnen«, setzte er hinzu. Nie war ich
froheren Herzens von einem Telephon weggetreten. Ich wandte mich, um dem
unverhofften Schutzgeist Dank zu sagen; der aber hatte seine Natur auch
dadurch bewiesen, daß er indessen unsichtbar geworden war.




                                       12. November, sechs Uhr morgens


Da der Verbandraum längst überfüllt ist, haben wir die neuen Verwundeten
in ein ganz nahes Tälchen gelegt und ein großes Feuer angezündet, um die
Luft zu erwärmen. Die Toten werden auf einer moosigen Fläche
zusammengetragen, etwas jenseits des Feuers, das sich unter dem Winde zu
ihnen hinüberstreckt, wie um sie zu verzehren. Der junge Leutnant, der
uns neulich auf dem Weg durch die Stellung begleitet hat, ist unter
ihnen. Kurz vor Mitternacht kommt eine Meldung, daß die Rumänen von der
Front zurückgezogen und durch ein russisches Regiment ersetzt worden
seien.

Es wurde nun still in der Tiefe, und nach ein Uhr kamen keine
Verwundeten mehr. Ich legte mich um zwei Uhr in das Zelt und schlief
ein. Da hatte ich einen Traum. Ich befand mich bei Vally und Wilhelm in
unserm Wohnzimmer zu Passau. Es sah darin sehr kahl und ärmlich aus;
fast alle Möbel waren entfernt, die Wände voller Sprünge, der Spiegel
blind. Vally, mit magerem weißem Gesicht, lag in einem schlechten,
zerschlissenen Bett und sagte gelassen, fast heiter, daß sie schon lange
nichts mehr zu essen hätten. Wilhelm saß an seinem Tischchen und schrieb
auf einer Schiefertafel. Von Zeit zu Zeit legte er den Griffel weg, nahm
ein Spritzkännchen, ging ans Fenster und begoß Pflanzen, die dort in
Scherben wuchsen. »Was tust du?« fragte ich. »Ich muß die Königsblumen
gießen«, gab er mit großem Ernst zur Antwort und schrieb wieder. »Ja,
das sind kostbare Gewächse,« sagte Vally, »schau sie dir an! Die
meisten, leider, verwelken, bevor sie zum Blühen kommen; die mittlere
aber, die große, wird sicherlich aufgehen, das ist genug. Sie wird uns
alles geben, was wir brauchen, Kleider und Schuhe, Brot und Wein.«
»Kleider, Schuhe, Brot und Wein«, wiederholte das Söhnchen in singendem
Ton, stand auf und begann wieder zu gießen. Ich betrachtete die Pflanze;
es war eigentlich nur eine große blaßgrüne Knospe von unregelmäßiger
Form, die aus einem behaarten fleischroten Stengel hervorwuchs. Sah man
sie länger an, so konnte man in der Tat finden, sie gleiche einem
unentfalteten grünen Figürchen mit winzigen gelben Kronenzacken. Und auf
einmal war auch mir zumute wie den beiden, so verarmt und so voll
rätselhafter Hoffnung. Zugleich aber fiel mir ein, daß ich ja Brot und
Wein bei mir trug, echten Tokaier, in Arad gekauft, und frisches weißes
Brot aus Esztelnek. Rasch packte ich aus, rückte das Tischchen zum Bett,
und wir aßen und tranken, enthielten uns aber jeder Liebkosung, ja jedes
innigen Wortes, als hätten wir ein tiefes Wissen, daß wir nur Traumwesen
waren und uns durch Berührung oder durch ein Übermaß gezeigten Gefühls
zerstören konnten. Vallys Wangen röteten sich, ihre Augen glänzten; der
Kleine wurde sehr fröhlich: »Ich will der Blume Wein zu trinken geben,
damit sie schneller wächst!« sagte er, schüttete ein wenig auf die hohle
Hand und ließ es auf die Knospe tropfen; diese wuchs gewaltig, auch
prägte sich die Figur deutlicher aus -- plötzlich, mit feinem Klingen,
zuckte ein Licht, ein schmaler Strahl, purpurgolden, zwischen Blättern
hervor, der Knabe, entzückt und erschrocken, trat einen Schritt zurück
-- »die Zeit ist da!« rief Vally und erhob sich aus den Kissen, ich aber
hörte mich mit rauher Stimme angeredet und erwachte. Jemand hatte das
Zelt geöffnet, ich sah den rötlich dämmernden Himmel, darüber hart
funkelnd einen Stern, am Boden aber einen gebückten knienden Mann in,
österreichischer Uniform, der mir eifrig und respektvoll mit mühsamem
Deutsch etwas zu erklären suchte. Raab, der herzutrat, sagte, es sei ein
bosnischer Sanitätsfeldwebel, der Führer der eben eingetroffenen
Verwundetenträger, der Mann lasse sichs nicht nehmen, er wolle deren
Ankunft unverzüglich melden und um Befehle bitten. Ich behalte eine
Gruppe für besondere Fälle bei mir; die anderen bekommen Rast und
Speise, dann beginnen sie ihren schweren Dienst. Es sind stämmige Männer
in reifem Alter; sämtliche haben den sicheren federnden Gang, der dem
Getragenen viele Schmerzen erspart. Auch das Eselchen ist schon da, ein
rabenschwarzes mit weißen Ringen um die Augen, am ganzen Leibe noch
dampfend von seiner frommen Mühsal. Alle sammeln sich darum, jeder
streichelt es, jeder will sein Brot mit ihm teilen, und wie Völker alter
Zeit sind wir nahe daran, das Unschuldig-Vernunftlose als das höchste
Göttliche zu verehren.

Drunten halten sie noch Ruhe. Manchmal, wie Gasperlen aus einem Sumpf,
brodelt eine Schießmaschine. Die Verwundeten warten geduldig. Leichte
Gifte lösen den Schmerz, und das große Feuer heizt weithin die Luft; sie
flimmert wie fließendes Glas. Die Bosnier haben sich rings herumgesetzt;
sie singen langtönige Lieder, in denen der Trochäus überwiegt. Ein
starker Wind zerrt an den blauen Wurzeln der Flammen und wirft Funken
und Fetzen brennenden Wacholders auf die Toten.




                                                 12. November, mittags


Die Kälte nimmt zu. Spärlich wirbeln Flocken, man weiß nicht recht,
woher; nur wenige lockere Wolken stehen über uns. Unruhiger Morgen. Der
Feind hat Geschütze herangeholt; man rechnet mit einem Gegenangriff.
Österreichische Truppen ziehen über den Berg, lagern zuweilen. Ich sah,
etwas abseits im Walde, einen polnischen Offizier, einen
bleichgesichtigen jungen Mann, wie er einen älteren Bosniaken, der
Befehle nicht zu verstehen schien, mit geballter Faust immer wieder auf
Kopf und Schultern schlug. Solche Szenen sollen sich seit kurzem in der
verbündeten Armee ab und zu ereignet haben. Gar zu scheckig ist ja
dieses Heer, und eine Farbe haßt die andere; ja es kommt vor, daß der
Führer die Sprache seiner Leute weder spricht noch versteht und sich für
zu vornehm hält, sie zu lernen. Hier übrigens war das Empörende des
Vorgangs bis ins Lächerliche übertrieben und fast aufgehoben, und zwar
durch das Benehmen des Mißhandelten. Die gebührend ehrerbietige Haltung
nicht eine Sekunde lang verlassend, ertrug er die Beleidigung mit der
nachsichtigen Überlegenheit eines Riesen, der sich Püffe und Knüffe
eines betrunkenen Gnomen gefallen läßt. Spaßverstehen lag breit auf dem
ehrlich-pfiffigen Bauerngesicht; kaum unterschied man, wer da schlug und
wer geschlagen wurde. Wäre der junge Offizier nicht von aller
Wachsamkeit des Geistes verlassen gewesen, er hätte das Unmögliche,
Unwirkliche seines Tuns entdecken müssen. Der Anblick war unerträglich:
man mußte sich abwenden oder auf Heilung sinnen. Da nahte mir ein
mutwilliger Geist; im Nu war der große silbergraue Umhang aus dem Sack
gezogen und angetan; ich nahm eine Zigarette in die Hand, ging zu dem
Tobenden und bat unbefangen um Feuer. Und schön entfaltete der
unstatthafte Kragen seine Magie: der Leutnant ließ die Hände sinken,
versicherte mich seines gehorsamsten Respekts und bediente mich mit
seinem silbernen Benzinbüchschen, das durchaus nicht brennen wollte,
geduldig und artig, bedeutete auch dabei mit Augenwink dem Bosnier, daß
er sich entferne. Dieser ging davon, aufrecht, ungedemütigt; seinen
Schultern merkte man an, daß es ihn innerlich vor Lachen schüttelte.
Jenem aber, sei es zur Ehre gesagt, daß er seine Höflichkeit um keinen
Grad zurückschraubte, als er nach und nach die Hohlheit meiner
prächtigen Hülle erkannte. Die lange Dauer des Kriegs und die traurige
Verfassung seiner Nerven beklagend, ging er mit mir noch eine Strecke in
den Wald hinein und stellte mir in seinem nahen Unterstand einen Becher
Tee in Aussicht, als in der Tiefe plötzlich ungeheurer Lärm losbrach,
der uns beiden schnelle Rückkehr zu unseren Dienststellen befahl. Beim
Stab erfuhr ich, ein Angriff der Rumänen sei im Gang; man hatte sich
aber vorgesehen und erwartete ruhig die weiteren Meldungen. Nach einer
Viertelstunde waren die Gegner zurückgeschlagen, einige gefangen. Das
Gerücht vom Einsatz russischer Kräfte hat sich nicht bestätigt.




                                                                Abends


Gefangene, 1 Offizier und 21 Mann, wurden auf der freien Fläche bei den
Gräbern zum Abmarsch aufgestellt. Man sieht es diesen Rumänen an, daß
sie gegen uns Deutsche kein gutes Gewissen haben; der Offizier, ein
Unterleutnant, senkte beim Salutieren sehr den Kopf, als der Oberst in
seiner gottväterlichen Breite an ihm vorüberging. Ein Jude von etwa
Dreißig, untersetzt, vollbärtig, macht sich durch Deutschsprechen
bemerkbar. »Wir alle«, sagte er, »sind verwundert gewesen, hier auf
Deutsche zu stoßen. Wir hassen die Ungarn, ja; aber wir bewundern die
Deutschen. Sie sind das wichtigste Volk der Welt, man lernt von ihnen,
und sie haben uns nichts Böses getan.« Der Mann sprach in einem erregten
und wohlmeinenden Ton; vielleicht hatte er Furcht, vielleicht war er
längere Zeit in Deutschland gewesen. Niemand gibt ihm Antwort. Wo er
hinredet, stößt er auf Schweigen; nicht einmal die naheliegende Frage,
welche die Franzosen den Unsrigen gern entgegenwerfen, wenn sie in ihre
Hand fallen: Warum habt ihr uns Krieg erklärt? richtet man an ihn.
Endlich verstummt er.




                                                          13. November


Nachts hatte man von den umliegenden Bergen herüber Wolfsgeheul
vernommen; die Maultierführer deuten es auf nahen Schneesturm. In unsere
Stellung rückten wieder Bosnier; wir verließen um acht Uhr, bei
bedecktem Himmel, den Kishavas, nachdem die Quartiermacher schon in der
Dämmerung nach Lemhény vorausgegangen waren. Beim Hinuntersteigen mußte
ich der irren alten Frau gedenken, doch schlug der Stab einen anderen
Pfad ein, und später erfuhr ich, daß jener Steig, als beschwerlicher
Umweg, von den Truppen gemieden wird. Es mochte zehn Uhr sein, als uns
zum erstenmal die Ebene mit Äckerbraun und Häuserblau erschien, um
gleich wieder zu verschwinden, bis plötzlich, im tiefen Winkel zweier
blaudunkler Hänge, das Campanilchen von Esztelnek aufschimmerte. Alle
erkannten es und jubelten ihm zu; wie ohne Tornister, mit lautem Gesang,
eilten die Kolonnen. Aber in raschester Fahrt, mit schrillen Signalen,
holten uns österreichische Generalstabsoffiziere ein, winkten den Oberst
heran und breiteten Karten vor ihm aus. Ein mächtiges Halt ertönte,
Ordonnanzen mußten ihre Räder besteigen, um die vorausmarschierenden
Kompagnien zum Stehen zu bringen. Der Gesang brach ab; mißtrauisch im
beginnenden Regen wartete die Mannschaft. Nach wenigen Minuten erfolgt
Befehl zur Umkehr; es geht unter überfließenden Regenwolken in das
Gebirg zurück. Der Oberst berichtet uns, daß wichtige Höhen
verlorengegangen seien, darunter der wichtige Grenzberg Runcul mare, der
unverzüglich wiedererobert werden müsse. In Oitóz sahen wir den Grafen
Tisza, der in bequemer Pelzjoppe, eine graue Mütze in der Hand zwischen
Offizieren stand und ein Szeklerregiment an sich vorbeiparadieren ließ.
Die Kompagnien wurden in ungeheuren Holzbaracken untergebracht.

Vom Oberst entlassen, suchte ich ohne Verzug den Major und meldete, daß
ich den Dienst beim Bataillon wieder übernehme. Er saß allein in einem
armseligen Quartier auf zerbrochenem Stuhl und studierte Karten. Der
feuchte, finstere Abhang des Kishavas hat sein Leiden wieder aufgestört;
er fragte gleich, ob ich noch etliche Pulver habe. Zum Glück war ein
kleiner Vorrat geblieben; auch von Vallys trefflicher Schokolade fand
sich im Brotbeutel ein letztes Täfelchen. Dieses verzehrend, saßen wir
eine halbe Stunde in der windigen Stube beisammen, ohne viel zu reden.
Vom Lazarett will er auch jetzt nichts wissen, und ihm vorzuhalten, daß
er mit seinen fünfzig Jahren ohne Vorwurf zu Hause sitzen könnte, statt
hier in einem unübersehbaren Krieg immer neue winterliche Berge zu
erstürmen, hinter denen doch nur neue Feinde stehen werden, wäre kaum
angebracht. Im stillen ertappte ich mich auf einer rechten Freude,
wieder bei ihm zu sein; so ist wohl einem Raucher zumute, der sein
scharfes aber würziges Kraut nach längerer Entbehrung wieder anzündet.

Die Soldaten haben unterdessen Münchener Bier erhalten, und da sie
hören, daß wir vorerst nur in Bereitschaft liegen sollen, ja vielleicht
gar nicht ernsthaft eingesetzt werden, sind sie, wie Kinder, gleich
wieder guter Dinge. Niemand will schlafen; Lärm und Singsang dauern bis
Mitternacht.




                                                          14. November


Um sieben Uhr weiter bei Regen und Nebel. Drei Leute mußten, als
Flecktyphusverdächtige, in Oitóz zurückbleiben. Die Laus, die
Einimpferin der Seuche, vor kurzem nur lächerlich und ekelhaft, zeigt
sich allmählich als teuflischer unabwehrbarer Feind. Seit Monaten quält
sie den Leib; oft ist es, als ob sich die Haut an tausend einzelnen
Pünktchen entzünde, sie zersetzt Gedanken und Träume, jetzt versucht sie
zu töten. Am Kishavas war mir aufgefallen, daß die Stelle meines Hemdes,
über welcher die Zweige der Frau von Szentlélek stecken, fast läusefrei
geblieben ist. Ich schloß daraus, daß die ätherischen Öle gewisser
Pflanzen dem Ungeziefer noch verhaßter sein müßten, als das Naphthalin,
das uns ohnehin immer spärlicher zugewiesen wird, und raufte wilde Minze
ab, die dort noch vielfach in fetten bläulich-grünen Stauden wächst.
Zweimal am Tage zerrieb ich mir Blätter und Stengel an der Haut, habe
mir auch einen guten Vorrat mitgenommen. Anfangs verschärften sich
Jucken und Brennen; die Nachwirkung aber ist vorderhand wohltätig.

Um ein Uhr ganz nahes Geknall; Kugeln zischten über uns. Wir machten
halt an einem früheren Zollgebäude, wo schon ein Verbandplatz unseres
Regiments errichtet ist. Das dritte Bataillon steht mit Rumänen im
Gefecht. Verwundete liegen in allen Räumen, viele draußen im Regen auf
Gras und Spreu. Ein Priester, leuchtend-bleichen Gesichts, wandelt
zwischen Sterbenden, flüstert ihnen vertraulich zu, netzt sie mit
geweihtem Öl, fragt nach ihren letzten Vermächtnissen und Wünschen, dazu
nach den Adressen ihrer Angehörigen; dies alles schreibt er sorglich in
ein dunkelgrün gebundenes Buch.

Ich ließ mich zu Dr. Fellerer, dem neuen Regimentsarzt, führen, von dem
ich Starrkrampf-Serum zu erhalten hoffte. In einem Saal neben dem
Hausflur bemühte er sich um gefährlich Verletzte; mein Eintreten
bemerkte er nicht. Jetzt ihn zu stören war nahezu frevelhaft; aber mein
Zweck hielt mich fest, und auch als Zuschauer blieb ich gerne; denn nie
hatte ich einen schwierigen Dienst mit solcher Leichtigkeit, Sicherheit,
Freiwilligkeit vollbringen gesehen. Diesen Arzt scheint nichts zu
drängen und zu hetzen, und ob er blutende Schlagadern unterbindet oder
zerbrochene Glieder in Schienen schmiegt, seinen Händen legt sich alles
wie von selber zurecht. Das innig-nüchterne Handeln, zu dem auch wir
hinstreben, hier geschah es inmitten ungeheurer Zerstörungen still und
klar.

Endlich traf mich sein Blick, und nun erhielt ich Serum zugeteilt,
soviel ich wünschte, hatte nur etwas Morphium dagegen zu liefern.

Sechs Leute, Deutsche und Rumänen, liegen abgesondert auf Stroh. Es sind
Bauchschüsse, für die noch keine geeigneten Träger zur Stelle sind; sie
bekommen alle zehn Minuten heiße Kompressen aufgelegt, und Fellerer
bittet mich, dieses Verfahren gleichfalls anzuwenden. Er hat öfters
davon Heilungen gesehen.

Wir hatten erwartet, sogleich eingesetzt zu werden; aber man bedarf
unser noch nicht.

Unter einem Regen, der fallend gefror und halb in Tropfen, halb in
Eisperlen auftraf, stiegen wir in eine Schlucht hinab und schlugen
zwischen sehr alten, mit Islandflechte verkleideten Fichten die Zelte
auf. Ein hoher Berg deckt uns vor dem Feind; es ist gestattet, Feuer
anzuzünden, aber das nasse Holz will nicht brennen. Auch der Hunger
begann zu nagen. Das Brot ist diesmal schlecht gebacken, halb noch Teig,
halb verschimmelt. Immerhin hätte man gern das leidlich Eßbare
ausgeschnitten, wenn sich etwas Marmelade dazu gefunden hätte; aber
diese ist ausgeblieben. Da gedachte ich der großen Blechbüchse, welche
die gute Frau Margarete von Schalding, erkenntlich für längst verjährte
Hilfe gegen schleichende Krankheit, mir gesandt hatte, als wir noch in
Libermont lagen. Den Inhalt kannte ich nicht; schwerlich war er in
unsrer Lage unwillkommen. Rehm grub sie vom Grunde des Rucksacks herauf
und schnitt behutsam den Deckel los; mit goldbraunflüssigem Bienenhonig
war sie bis zum Rande gefüllt. Und nun scheint sich das Wunder der
Vermehrung zu erneuern: die Bewohner dreier Zelte sind schon erquickt
und noch immer das Gefäß bis über die Hälfte voll.




                                                      Abends sechs Uhr


Noch einmal ist mir die Rolle des Helfers zugefallen. Als gar kein Feuer
zustande kommen wollte, fiel mit Reginas wächserne Reliquie ein, die
sich in einem Seitenfach der Verbandtasche befinden mußte. Mein Zelt
steht etwas abseits von den andern hinter einem Stamm; niemand gab
gerade auf mich acht. Im Nu war das Kästchen zu Spänen zerschnitzt und
angezündet, sodann die wächserne Hand daraufgelegt. Das Rot schmolz ab,
der weiße Kern kam zum Vorschein, und bald schlug mit Geprassel das
wachsbetropfte harzreiche Holz zu Flammen auf. Jubelnd begrüßten die
Genossen mein unverhofftes Opferfeuer, aus allen Zelten kamen sie, um
Glut zu holen, und Reginchen selber müßte sich daran freuen, wie nun die
ganze Schlucht von Bränden lodert und sprüht.




                                                     16. November 1916
                                      Hallesul, am Fuß des Runcul mare


Um halb zwei Uhr wurden wir geweckt, die Zelte abgebrochen, alles rasch
zusammengepackt; fast schlaftrunken brachen wir auf. Eine Strecke
leuchteten uns herabgebrannte Lagerfeuer nach, dann tappten wir in
Waldfinsternis aufwärts. Jeder sucht irgendeine Helligkeit an der Figur
des Vorausgehenden; mich führte der schwache Glanz eines Zinnbechers an
einem Gürtel. Schnee fiel durch Nebel; es wurde dabei lichter: der Mond
mußte über uns stehen. Immer schneller vollzog sich die Bewegung, bald
an Abgründen, bald über Stege, bald um Felsen herum, stundenlang. Die
Soldaten trugen das leichteste Sturmgepäck; die Tornister sind in Oitóz
aufbewahrt.

Als wir in das bewaldete Tälchen gelangten, das Hallesul heißt, erhob
sich durch den Dunst eine mächtige Bergform; im Nu spürte jeder: wir
sind da. Hier war eine andere Aufgabe gestellt als vor dem Hügelchen
Lespédii: ein steiler, vom Feinde stark besetzter Grenzberg, der, nahe
dem wichtigsten Paß, das Land Siebenbürgen bedrohte, war zu erstürmen.
In einer halben Stunde mußte es geschehen sein, oder es geschah
niemals. Auf Kanonenhilfe war verzichtet; indianerhaft, in weit
auseinandergezogenen Gruppen sollten zwei Kompagnien anschleichen, um
gewaltsamsten Angriffs von Mann zu Mann den Gegner in Entsetzen und
Flucht oder in den Tod zu jagen. Nahe dem Punkt, wo die Züge unter
Leitung des Majors zu gesondertem Vorgehen verteilt wurden, blieben wir
Ärzte mit dem Adjutanten zurück und erwarteten weitere Befehle. Wir
sahen uns um, wo vielleicht ein Verbandplatz zu errichten wäre; aber da
fand sich weder Unterstand noch fließendes Wasser. Schon zeigt die
phosphoreszierende Uhr die Zeit fast überschritten, ein vager Gedanke
regt sich, es könnte noch in letzter Sekunde die Aktion widerrufen
worden sein oder gar bereits eine Friedensbotschaft draußen die finstere
Welt umfliegen, -- da rast das deutsche Kampfgeschrei, ein Augenblick
tiefer Stille folgt, und nun setzt ein Feuer ein, wie wir es in solcher
Verdichtung nie gehört haben. Deutlich unterscheiden wir die hellen,
gezielten Salven der Unsrigen von den dumpfen vereinzelten Schüssen der
Aufgescheuchten. Ohne Befehl abzuwarten, verließen wir den Wald, und nun
war wie mit einem Ruck Morgen geworden. Entgegen stand uns ein kahler,
zerklüfteter Kegel, von dem dünne Dunstschwaden ins Blaue wehten. Als
erste Gestalten erblickten wir gefangene Rumänen, die behutsam deutsche
Schwerverwundete zu Tal trugen, und unversehens fanden wir uns unter
Leidenden und Sterbenden gezwungen, den ungeschützten Platz, wo wir uns
eben befanden, zum Verbandplatz zu machen. Schon hatte eine Granate
zwischen uns eingeschlagen und zwei Verwundete getötet, da kam der
Hauptmann einer ungarischen Reservekompagnie des Weges und verriet uns
die Nähe eines leidlich eingerichteten Sanitätsunterstandes, auf einem
Felsen im Walde. Wir ließen pfadweisende Täfelchen an Bäume nageln und
brachten die Verwundeten in den fast leeren Raum, dem eine schmale
Ärztezelle mit Pritschen und einem Tischchen angefügt ist. Zwei sehr
junge ungarische Sanitätsfähnriche geschmeidig-zart, rotseidene Genfer
Kreuze auf schneeweißen Armbinden, begrüßten uns, boten sich als
Gehilfen an und begannen die Arbeit mit einer Geübtheit, die wir ihren
feinen Knabenhänden kaum zugetraut hätten. In hundert Formen wogte
Leiden heran, und sehr ungelegen kam ein Bote des Majors, der um neun
Uhr mich und den Kollegen R. zur Befehlsstelle berief. Wir übereilten
uns nicht und begannen den Aufstieg erst nach zehn Uhr.

Es ist ein Berg der Blindnis und des Todes, den wir langsam erklimmen.
Vom östlichen Hang herüber, wo der Kampf noch nicht abgeschlossen ist,
schallen durch Gewehrgeknatter wilde Schreie; hüben aber in unserem
Bereich beginnt eben der Feind, den Eroberern das Eroberte zu verleiden.
Wie Hornisse zerstechen Granaten das Gefelse, Fleisch reißend aus
Lebendigen und Toten. Bald rufen uns deutsche Verwundete an, bald
rumänische, die nun das Eisen ihrer Brüder zum zweiten Male verstümmelt
hat. Manche leiden regungslos; viele krümmen sich wie Schlangen. Mitten
aber durch tödliche Zone sahen wir deutsche Leichtverletzte nach unten
steigen, einige bleich, verstört, andere voll Übermut, mit bunten
Gürteln, Westen, Ordenszeichen toter Gegner wie zum Karneval aufgeputzt.
Einer hat aus der rumänischen Stellung ein Grammophon mitgenommen; nun
kommt ihm der Einfall, es aufzuziehen und auf einen Stein zu stellen,
der Page aus dem Figaro beginnt zu singen, und wie die Stimme eines
Irren klingt Mozarts Lied in zerrütteter Welt. An einer Granitplatte,
nahe der Kommandostelle, lehnte der Befehlträger Glavina, noch atmend,
aber schon ganz mit der einsichtigen Miene der Toten. Man sah kein Blut.
Schmerz und Schauder zurückscheuchend, suchten wir die Wunde und fanden
endlich einen feinen, in den Nacken eingedrungenen Splitter. Bald stand
die Atmung still. Einige dichtbeschriebene Meldezettel, die ihm aus der
Tasche gefallen sein mußten, nahm ich mit, um sie dem Adjutanten zu
geben, merkte aber auf dem Wege, daß sie nichts Dienstliches enthielten;
nun verwahre ich sie vorderhand bei mir. Dem Major sagten wir, daß die
bestellten bosnischen Verwundetenträger noch nicht eingetroffen seien;
er versprach, die Division anzurufen, und sandte uns bald in den
Hallesul zurück.

Indessen hatte sich das Wetter verfinstert; es fing zu schneien an. Ein
fließender weißer Vorhang nahm den Geschützen das Ziel; eines nach dem
andern verstummte, fast ungefährdet gingen wir hinab. Ein Rumäne,
zwischen zwei Birkenstämmen hingestreckt, lag mir im Wege; ich hielt ihn
für tot und wollte über ihn wegsteigen, vernahm aber ein Ächzen und
fühlte mich mit schwacher, doch spürbarer Gewalt am Mantel gefaßt.
Zurücktretend sah ich das Leichengesicht eines kaum Dreißigjährigen, die
Lider fast geschlossen, die Mundwinkel äußerst schmerzlich verzogen. Die
Finger hielten noch immer den Zipfel meines Mantels fest. Durch einen
grauen Umhang, der seine Brust bedeckte, dampfte es leicht; R. schlug
zurück, unter aufgesprengten Rippen lagen die Brustorgane frei, das Herz
zuckte schlaff. Mehrere silberne und kupferne Heiligenmedaillen, die er
an schwarzem Band um den Hals getragen hatte, waren tief ins Fleisch
hineingetrieben, einige stark verbogen. Wir deckten wieder zu. Der Mann
öffnete halb die Augen, bewegte die Lippen. Um nur etwas zu tun, füllte
ich die Morphiumspritze, und wirklich schien er etwas dergleichen
gewünscht zu haben: er ließ den Mantel los und bemühte sich, mir den Arm
zurechtzulegen. Schwer erklärbares Verhalten eines fast schon
Gestorbenen! Aber vielleicht gibt es einen unendlich scharfen, unendlich
peinlichen Schmerz, den der wach Sterbende um jeden Preis los haben
will, weil er ihn brennend im Leben festhält, ihn am freien klaren
Scheiden hindert, wer weiß es? Nach der Einspritzung legte er fast
bequem seinen Kopf an der Birke zurecht und schloß die Augen, in deren
tiefe Höhlen sogleich große Schneeflocken fielen. Wir gingen eilig
weiter; es war fast ein Uhr, als wir im Hallesul ankamen.

Der Schneefall dauert an. Die Geschütze ruhen. Immer aber streifen oben
Gewehrkugeln durch die Baumkronen; die Luft ist voll Harzgeruch des
tausendfach verletzten Waldes. Vergeblich warten wir auf die bosnischen
Träger. Sie müssen sich verirrt haben. Im Unterstand ist kaum noch Raum
für Madjaren und Deutsche; die schwerverwundeten Rumänen liegen draußen
zwischen den Fichten im Schnee. Einen ihrer Sanitätsunteroffiziere,
einen jungen Juden, haben wir bei ihnen gelassen. Er hat ihnen ein Feuer
angezündet, das kümmerlich brennt und unter Schneeflocken zischt. Einige
halten die Hände darüber. Ein anderer lächelt immer und bekreuzigt sich
von Zeit zu Zeit.

Im Unterstand verdunstet immer dichter das Blut. Mit klebrig-tierischem
Gestank reizt und verdüstert es die Nerven; man läuft immer wieder ins
Freie. Der rote Saft, an den das Leben mit Lust, Qual, Wut,
Barmherzigkeit, Wahnsinn und Weisheit gebunden ist, warum erregt er,
sobald er verschüttet wird, unleidlichen Ekel?




                                                                Abends


Wirklich sind die Bosniaken ausgeblieben, vielleicht von einer anderen
Truppe weggefangen. Unsere gefährlichst Verwundeten nach Oitóz zu
tragen, haben sich mehrere Leichtverletzte erboten; bis Mitternacht
werden sie dort ankommen. Nun konnten die Bleibenden besser gelagert,
auch fünf Rumänen in den Unterstand aufgenommen werden. Von den übrigen
starben noch drei; die anderen drängten sich dicht um ihr Feuer, wobei
sich einige die Stiefel verbrannten. Es sind lauter junge Leute,
glattgefällige Vollgesichter, -- wie mager, wie geprägt, wie
grüblerisch-versonnen, wie kriegsgealtert sehen dagegen die jungen
deutschen Soldaten aus! Der jüdische Unteroffizier, des Deutschen
kundig, fragte mich im Namen aller, wann sie wohl in ein Lazarett
befördert würden, worauf ich nach der Wahrheit erklärte, daß das nächste
Lazarett mehr als zwanzig Stunden entfernt sei, auch daß die bestellten
Sanitätssoldaten uns verfehlt hätten und schwerlich vor morgen
eintreffen würden. Sichtlich ungern übersetzte der Dolmetsch die
schlimme Auskunft, und in der Tat war die Verzweiflung, die nun auf
allen Gesichtern erschien, so fürchterlich, daß ich mich zu einer
Torheit verleiten ließ, indem ich, wie man Kinder durch leichtfertige
Verheißungen zu beschwichtigen sucht, ihnen aufs Geratewohl sagte, sie
sollten sich nur noch ein Weilchen behelfen und gedulden, ob nun die
Träger kämen oder nicht, in jedem Fall würde ich sie alle noch vor
Dunkelheit unter Dach bringen und ihnen reichlich zu essen geben lassen.
Wort um Wort übersetzte der Jude; ermutigt horchten sie auf. Kaum aber
war das Versprechen gegeben, da fiel es mir in seiner ganzen
Unsinnigkeit auf das Herz. Wir haben kaum Unterkunft für die Unsrigen,
dazu so kärgliche Nahrung, daß immer die Lebenden sich gierig auf die
Brote der Gefallenen stürzen, auch fehlt mir jede Befehlsgewalt, -- wie
hatte ich dies alles vergessen können? Gefreiter W. meinte, die Kerle
verdienten nicht so viel Federlesens, auch unsere Kameraden lägen auf
dem Berg in Eis und Schnee, Krieg sei Krieg, die Rumänen hätten ihn vom
Zaun gebrochen, sie sollten ihn nur spüren. Darauf war im Augenblick
nichts zu erwidern; ich erneuerte mir indessen die Hoffnung, daß die
Bosniaken doch noch kommen Würden, und ging, da im Unterstand gerade
nichts zu tun war, ein wenig den Berg hinauf, anfangs dicht hinter der
Linie, wo Posten, bekleidet mit weißen Schneehemden und -mützen, wie
Priester, die eine stille Messe zelebrieren, hinter ihren Brustwehren
standen. Befehlbringer kamen und gingen; mit singendem Ton strichen
Kugeln. Höher gelangend, sah ich durch das Gestöber einen huschenden
rötlichen Schein; dieser konnte nicht mehr unserm Bereich angehören, da
schräg über die nächste Höhe schon die feindliche Stellung läuft.
Gestalten traten in den Glanz, nahmen eine Bahre auf und trugen sie
davon, da verlosch die Erscheinung. Ich stieg weiter und kam an einen
hohen Baum, durch dessen Astwerk ein weißgrauer Vogel flatterte, fast
amselgroß, vielleicht ein Schneefink, der erste Vogel, der mir in diesen
stummen Wäldern zu Gesicht gekommen ist. Schnee fiel noch immer; in
Millionen Stückchen schien der Weltraum herzusinken, man spürte die
saugenden und belebenden Wellen des Nichts.

Als ich in den Hallesul zurückkehrte, wurde mir eine Überraschung. Ich
spähte nach meinen Rumänen; keiner war da. Nur die Toten, schon
zugeschneit, lagen bei den verrauchenden Kohlen. So sind die Träger doch
gekommen, dachte ich und wollte weitergehen, traf aber den ungarischen
Kompagnieführer, der uns am Morgen den Verbandplatz gezeigt hat; er
schien mich erwartet zu haben. Und nun erfuhr ich, was in kleiner wie
großer Menschenwelt hie und da einmal vorkommen mag, daß irgendeiner
halten muß, was ein anderer leichtfertig versprochen hat. Mit knappen
Worten entschuldigte sich der Hauptmann, weil er die deutschen
Kompetenzen ein wenig verletzt und in meiner Abwesenheit die Gefangenen
an einen anderen Ort habe schaffen lassen, seine Leute hätten mich
überall vergeblich gesucht. Durch das runde Fensterchen seines nahen
Unterstandes habe er den ganzen Tag wie vor einer Zauberlaterne die
Gruppe der Verwundeten und Sterbenden mit ihrem armseligen Feuer vor
Augen gehabt, allmählich sei es seinen etwas anfälligen Nerven zu viel
geworden. Abseits in einer Schlucht stehe eine leere Reisighütte, dort
befinden sich die Leute jetzt, er habe ihnen auch warmes Essen
geschickt. Ich erwiderte etwas Verbindliches; er wollte nichts hören.
»Ihr armen Deutschen«, sagte er lachend, »habt ja selber nichts mehr zu
brechen und zu beißen, während wir Ungarn vorderhand noch im Überflusse
schwimmen.« Damit führte er mich durch Gestrüpp und Schneewehen in die
Schlucht hinein. In der Hütte bei Kerzenschein lagen die Verwundeten auf
Tannenzweigen. Sie aßen Fleisch aus Blechbüchsen und tranken aus ihren
Feldbechern heißen Tee. Der Unteroffizier stand auf, erstattete dem
Offizier in deutscher Sprache eine Meldung, wandte sich sodann zu mir
und sprach im Namen aller für Unterkunft und Speisung seinen Dank aus.
Befremdet sah mich der Ungar an. Ich suchte den einen über seinen Irrtum
aufzuklären und bekannte dem andern mein unbesonnenes Versprechen; beide
lächelten höflich, doch scheint mich keiner so recht verstanden zu
haben.

Als wir wieder ins Freie traten, hatten Deutsche und Rumänen schon
begonnen, durch Aufsenden unzähliger Leuchtkugeln einander zu warnen und
zu bewachen; grellrot und grün flackerte der ganze Hallesul bis zu den
Bergen hinauf, und wie Konfetti fiel durch die farbenwechselnde
Beglänzung der Schnee. Selten wird ein Schuß abgegeben; zuweilen, durch
das Raketenzischen, hört man wieder, wie am Kishavasberg, aus großer
Entfernung Wölfe heulen.




                                                          17. November


Bei Tagesgrauen Gewehrfeuer, das bald verstummte. Nach Sonnenaufgang
öffnete sich der trübe Himmel; man sah hinter durchsichtigem
Wolkenhäutchen den abnehmenden Mond als embryonenhafte Goldgestalt. Die
Krankenträger sind eingetroffen, und nach und nach werden alle
Verwundeten fortgetragen. Pirkl muß hierbleiben; er ist fast ohne Puls
und würde vermutlich als Leiche nach Ojtóz kommen. Sein Bruder hat auf
eine Stunde Erlaubnis erhalten, ihn zu besuchen. Da er sich nicht mehr
mit ihm verständigen kann, so benutzt er die Frist, um dem noch Lebenden
ein Grab zu graben und ein Kreuz zu schnitzen, auf dem er sehr
sorgfältig mit blauem Stifte den Namen des Gefallenen verzeichnet.

Um neun Uhr erscheinen unter Führung eines fahnentragenden Rabbiners
dreizehn Rumänen mit Gewehren und Munition, erbitten Gehör bei dem
ungarischen Hauptmann und ergeben sich ihm in aller Form. Der Aufzug war
ein bißchen bühnenmäßig, wofür Ungarn wie Rumänen gewiß mehr Sinn haben
als wir. Der Tag vergeht ruhig. Die Kälte hat nachgelassen; Föhnwind
leckt Eis und Schnee von den schwarzen Felsen. Oft geht man durch eine
Welle sehr warmer Luft, als ob Öfen in der Nähe stünden. Blasse Sonne,
breit zerfließend, steht in löschpapierweißem Dunst. Am Abend ziehen die
ungarischen Sanitätsfähnriche lange Flaschen aus ihren geräumigen
Tragkörben, dazu feine geschliffene Gläser und erquicken sich und uns
mit heißem Wein.




                                                          18. November


Kein Wunder, daß man viel schläft und viel träumt in dem
Winterwaldzwielicht. Wehrt man sich dagegen, so wird es nur schlimmer.
In Frankreich, vor dem Urlaub, als ich noch an ein sehr nahes Ende des
Krieges glaubte, war aller Traum nur Träumerei; locker und sinnlos fand
ich mich unter Frauen und Freunde verspielt, kein Traum wußte etwas vom
andern. Seit aber von Frieden und Heimkehr nicht mehr die Rede ist,
scheint nicht nur die Leuchtkraft aller Gesichte zu wachsen; es ist
auch, als versteckten sie vor mir ein geheimes Ziel, dem sie mich auf
Umwegen zuführen wollen. Zuweilen werden sie durch ein äußeres Ereignis
von ihrer breiten Entwicklung abgedrängt und grob skizzenhaft beendet.
Heute morgen schlug eine Granate vor dem Unterstand ein und weckte mich
aus einem Traum, der seltsam deutlich blieb, weil er, wie ein jäh
aufgedeckter Maulwurf, keine Zeit mehr fand, sich zu verschlüpfen. Ich
war nachts einmal aufgewacht und hatte bemerkt, daß der Unterstand von
Mäusen bewohnt ist. Sie huschten über das Tischchen, knabberten am Brot
und streiften einige Male so kunstreich an den geschliffenen Gläsern der
Ungarn hin, daß es eine gar liebliche Folge heller Klänge gab. Dadurch
war das Widerliche des Getiers auf einmal aufgehoben, etwas geisterlich
Koboldisches lag in der Luft, und vor einem ganzen Theater lustigster
Mäusemetamorphosen schlief ich ein. Immer mehr entfärbten sich dabei die
Tiere; schließlich waren sie alle glänzend weiß und liefen auf einer
grünen Fläche hin und her. Als ich sie aber näher betrachten wollte,
stand ich am Billardtisch eines dunstigen Kaffeehauses, wo ein
unsichtbares Orchester fernher dudelte, und statt der Mäuse sah ich
weiße Kugeln auf dem grünen Tuche laufen. Einziger Spieler am Billard
war jener Rumäne, dem wir auf dem Berge das Morphium eingespritzt haben.
Mit wiegendem Tänzerschritt umkreiste er den Tisch und hielt mit leisen
deutenden Bewegungen seines Stabes die weißen Bälle in Lauf, ohne sie zu
berühren. Diese wurden immer glänzender; wie Kreisel summend, mit
sphärischer Sicherheit rollten sie hin und her auf dem grünen Stoff;
keiner störte den andern, und wenn sie von einem Rande zurückschnellten,
verstärkten sie Geschwindigkeit und Licht. Eigentlich glichen sie
einander genau; doch dünkte mich bald einer besonders herrlich, ja, ich
fühlte mein ganzes Schicksal an ihn gebunden, -- wenn er stillstand oder
mit einem anderen zusammenstieß, mußte grenzenloses Unheil geschehen. In
einiger Entfernung ging Regina als Scheuermädchen von Tisch zu Tisch,
las Zigarrenstummel und zerbrochene Gläser auf und warf sie in einen
Kehrichteimer, den sie mühsam daherschleppte. Plötzlich stand sie bei
mir und flüsterte: »Weißt du's schon? Eben bin ich deinem Schatten
begegnet.« Dann trat sie an das Billard, ergriff gelassen meine
wunderbare Kugel, warf sie zu dem übrigen Kehricht und setzte den Deckel
auf den Eimer. Der Rumäne, der nun auf einmal Glavina glich, spielte
weiter; seine Augenhöhlen waren voll Schnee, er schien nichts zu
vermissen. Ich aber hob die Hand und schlug Regina auf die Stirne, da
schlief sie stehend mit unbeschreiblich seligem Lächeln ein. Der Ball
jedoch gab im Eimer keine Ruhe; man hörte ihn mit immer höherem Tone
weiter kreiseln und mitunter pfeifen, wie Mäuse pfeifen. Dabei wurde der
Boden unruhig; ich hatte Mühe, mich aufrechtzuhalten. Alles schwankte;
Regina, die schlaferstarrte, noch immer lächelnd, neigte sich wie eine
Bildsäule, übermenschlich groß, zu mir herüber, wie um mich zu
erschlagen. Und das war die Sekunde, wo draußen mit heulendem Knall das
Geschoß zersprang! Ich stand im Nu auf den Beinen. Ein langhallender
Schrei erscholl, der plötzlich abbrach, als hätte er die Stimmbänder des
Schreienden zerrissen. Raab, Rehm und einige Verwundete rannten zur Tür;
andere, schutzsuchend, drängten von außen herein. Neben dem Trichter lag
ein ungarischer Soldat, bereits tot. Sonst ist niemand verletzt. Die
Granate muß ein Irrgänger gewesen sein; keine weitere ist nachgefolgt.

                   *       *       *       *       *

Infanterist Pirkl, nachdem er nun zwei Tage lang ohne Bewußtsein
im Verbandraum gelegen, bekam heute, nach der zehnten
Digipuratum-Einspritzung, einen kräftigen Puls, begann auch wieder tief
zu atmen. Völlig zu sich gekommen trank er einen halben Feldkessel Tee
und aß Konservenfleisch. In seinem eignen Kote liegend, fühlte er sich
höchst unbehaglich, stand alsbald auf und ging ins Freie, sich zu
reinigen, wobei er plötzlich das Kreuz zu sehen bekam, das sein Bruder
für ihn geschnitzt hat. Aufmerksam las er darauf seinen Namen, sah dann
ins offene Grab hinein und rieb sich lange die Augen. Auf einmal fing er
so herzlich zu lachen an, daß der Verband, der locker geworden war, wie
eine Haube hinten hinabfiel. Dabei schnippte er mit den Fingern, wie
einer, der einem Mordsspaß auf die Spur gekommen ist, und setzte lachend
seinen Weg fort. Ohne Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen ist seine
Verwundung kaum erklärbar. Die Kugel ist augenscheinlich gar nicht in
den Schädel selbst eingedrungen, sondern hat nur die Halswirbelsäule,
dicht unter dem kleinen Hirn, verletzt.




                                                          20. November


Der trübe Tag vergeht ohne größere Gefechte. Regen hat alle Toten aus
dem Schnee hervorgewaschen; einer nach dem andern wird nun begraben.
Viele Leute melden sich krank; eine trockene, schmerzhafte
Augenentzündung befällt uns fast alle. Manche fiebern, und wieder sind
einigen die Zehen erfroren. Dazu fallen immer wieder Unvorsichtige den
feindlichen Scharfschützen zum Opfer, die sich auf Bäumen versteckt
halten. Halbe Tage lauern sie voll Tiergeduld, ob keiner der Unsrigen
sich einmal vergißt und seine Deckung verläßt, ein katziges Kriegführen,
zu dem gewiß kein Soldat der Erde weniger taugt als der deutsche. Wer
noch leidlich gesund ist, sieht übrigens nicht ohne Genugtuung die
sogenannte Gefechtsstärke dem Minimum entgegensinken, das Ablösung
bedeutet, und nachsichtig schweigt sogar der Major, wenn ich mich beim
Überweisen in die Lazarette ziemlich liberal verhalte. Leutnant Leverenz
behauptet freilich, daß ich ärger als der Feind den Bestand an Gewehren
vermindere, gibt aber zu, daß auch dem Tüchtigsten hier nicht mehr als
drei Tage und Nächte zugemutet werden können. Es gibt keine Unterstände
auf dem Berg; hinter Steinen und Bäumen liegt der Soldat im nassen
Schnee, er darf kein Feuer anzünden und, solang es hell ist, den Kopf
nicht erheben. Die größte Pein aber ist für uns alle der Durst, der mit
ungeheurem Ekel vor dem Trinken verbunden ist. Im Schmelzwasser, das von
den blutüberstrudelten Hängen heruntersickert, ist beginnende Verwesung
so reichlich gelöst, daß wir es nicht einmal zum Teekochen, noch weniger
zum Trinken gebrauchen mögen.




                                        Kézdi-Almás, 22. November 1916


Gestern am Abend von preußischer Landwehr abgelöst, stiegen wir durch
feuchtes Gestöber nach Ojtóz hinab, wobei uns mehrmals im Dunkel der Weg
abhanden kam. Ob es möglich sei, daß der Kopf sekundenlang schläft,
während sich die Beine regelrecht weiterbewegen, entscheide ich nicht,
weiß nur, daß mir einmal auf diesem Nachtmarsch eine blaue Schale mit
goldenen Zeichen dicht vor den Augen erschien, worauf ich wie aufwachend
emporfuhr und mich deutlich erquickt fühlte. Nach Mitternacht erreichten
wir die Baracken. Früh nach acht Uhr, bei aufgehelltem Wetter, zogen wir
weiter, nachdem die Leute ihre Tornister zurückerhalten hatten; die
Tornister der Toten wurden auf einem großen Wagen nachgefahren. Das
Bataillon ist klein geworden; auf der Landstraße fiel dies recht in die
Augen. Eine Strecke vor Kézdi-Almás sahen wir den Oberst mit
Regimentsstab und vollzähliger Musikkapelle stehen; sie warteten auf
uns. Als wir in gute Hörnähe gekommen waren, flog ein heller
Trommelwirbel auf, dem leichte Melodien folgten, dann schmetterte sich
ein Marsch aus >Carmen< gewaltig aus. Unsere schmutzgraue Schar, die so
gebeugt und müde dahinschwankte, als wäre sie besiegt, begann sich zu
straffen; allmählich begriff sie die Ehrung, die der alte Oberst ihr
erweisen ließ. Nach >Carmen< folgte das Lied vom guten Kameraden, und
nun endete die Musik nicht mehr, bis unsere Spitze das Dorf erreichte,
dessen Kinder, von den Klängen gelockt, uns mit entzückten Gesichtern
entgegenliefen.

Der Tag vergeht ruhig, doch meldeten sich mehrere Leute wegen
Brustbeklemmungen in das Revier. Beim Untersuchen zeigt sich ein
häufiges Ausbleiben der Herzschläge. In das Lazarett will keiner; jeder
hofft auf Ruhewochen und gibt sich mit Baldriantropfen zufrieden. Als
Raab den Sanitätswagen aufsperren wollte, fehlte der Schlüssel, und kein
Schlosser läßt sich im Dörfchen auftreiben. Für den Augenblick freilich
genügen die Vorräte, die wir noch in den Verbandtaschen haben. Dehm und
Raab sind sich fast böse geworden, weil einer dem andern den
Schlüsselverlust vorwirft.

Die Quartiere werden gelobt. Ich habe eine große Stube, deren Boden mit
feinem Sande bestreut ist; ein Drudenkreuz, mit Werkzeug behangen, ist
an der Wand befestigt, das breite Bett mit rotgefärbten Fellen
überbreitet. Das Schönste ist ein großer Apfelgarten hinter dem Hause.
Von hohen dichten Weidengeflechten umgeben, liegt er wie in einem Korb.
In einer Ecke blüht noch ein hoher Sonnenblumenspätling. Der
schwarzgelbe Teller hat sich weit vorgestülpt und am Rande nach unten
umgebogen, so gewaltig war im Sommer der Wille der Blume, dem
Sonnenstand überallhin zu folgen. Jetzt ist stellenweise der blühende
Samt leichenfarb gefleckt oder ausgefallen, die graue Samenmosaik
entblößt. Als ich eben vorbeiging, flog ein grauer Vogel ab, einen Kern
im Schnabel, und entschwirrte in die Dämmerung.




                                        Kézdi-Almás, 25. November 1916


Für die nächsten zwei Tage scheinen wir noch sicher vor Alarmierung. Man
richtet sich ein; viele packen Bücher und gute Uniformen aus, mancher
stellt eine Photographie auf den Tisch. Mein Quartier ist voll Unruhe;
alle Nachbarn gehen ein und aus, ein altes Weib war eben hier und
bettelte um Schnaps. Heute mittag wurde ich Zeuge einer Szene, die, für
sich betrachtet, vielleicht nichts bedeutet, und doch ist mir, als ginge
sie mich und manchen andern an. Vor Wochen sind im Hause viele Katzen
zur Welt gekommen, die nun lästig werden, zumal es an Milch für sie
fehlt. Ein etwa fünfzehnjähriger Bursche, der hier bedienstet ist,
scheint Auftrag erhalten zu haben, die überzähligen Tiere zu beseitigen.
In der Stube schreibend, sah ich, wie er sie über den Hof trug, und,
bevor ich seine Absicht erkannte, eines nach dem andern unglaublich
geschwind an die Scheunenwand schmetterte, vor der sie liegen blieben;
dann kehrte er pfeifend, die Arme schlenkernd, wie es seine Art ist, in
die Küche zurück, wo gerade das Essen aufgetragen wurde, setzte sich zu
den andern und aß gemütlich. Eines aber der hingerichteten Kätzchen, ein
blaugraues, weiß von Gesicht, Brust und Beinen, mit einem silberhellen
Flöckchen im Nacken, von den anderen durchaus verschieden, war nur
betäubt worden und erholte sich nach und nach. Taumelig versuchte es
kleine Schritte, blieb stehen, wischte sich mit dem Pfötchen einige Male
über die Ohren, als ob es dadurch schneller zur Besinnung käme, und,
schlich sodann über den Hof in das Haus zurück. Nun erst bemerkte ich,
daß es am Kinn blutete, sonst schien es unversehrt. Zögernd kam es zur
Küchentür herein und blickte sich um. Als es die schmausenden Leute sah,
bemühte es sich, auf die Bank zu springen, was ihm, nach etlichen
Ansätzen, auch gelang; dann saß es eine Weile still. Endlich schmiegte
es sich, zutraulich bittend, an den Ellenbogen seines behaglich kauenden
Mörders. Ich konnte ihn von meinem verborgenen Tischchen aus beobachten,
kein Zug ging mir verloren. Als er das Tier gewahrte, aß er zuerst noch
ein Weilchen weiter; auf einmal wars, als kämpfe er mit einer Übelkeit,
er bekam eine Art Schlucken und legte den Löffel weg. Sobald die andern
fortgegangen waren, berührte er das Kätzchen vorsichtig, wie wenn er
sich vor ihm fürchtete oder seine leibhaftige Gegenwart bezweifelte.
Schließlich stellte ers mit aller Behutsamkeit, deren er wohl fähig ist,
als wärs eine Porzellanfigur, auf den Tisch und bröckelte ihm seine
stehengelassenen Fleisch- und Brotreste hin. Es fraß ein wenig davon,
und das freute ihn sichtlich. Als die Hausfrau hereinkam, redete er sehr
eindringlich auf sie los; ich vernahm öfters das Wort Matschka, dabei
deutete er immer wieder auf die Katze. Die Frau sah das Tier schweigend
an und entfernte sich wieder. Der Bursche geht seither wieder auf dem
Hofe seiner Arbeit nach. Die totgebliebenen hat er so vorsichtig wie das
lebendige aufgenommen und weggetragen. Er kommt mir in seinem Wesen
einigermaßen verändert vor, wacheres Gesicht, festerer Gang, auch hab
ich ihn seither nicht pfeifen gehört.

Morgen kommt der österreichische Thronfolger und hält bei Lemhény eine
Truppenbesichtigung ab. Ich erkläre mich als erholungsbedürftig und
bitte, in Kézdi-Almás bleiben zu dürfen. Es wird sehr windig und kalt.




                                                          28. November


Das blaugraue Kätzchen ist heute verendet, und weil mir eine freie
Stunde gegönnt ist, will ich mir die kurze Geschichte seines Leidens
aufzeichnen; gehört sie doch auch zu meinem Tag. Früh weckte mich
gestern leises Wimmern und Murren. In der großen Stube, mit ganz
verschaudertem Gesicht, kauerte der junge Ungar am Boden und schob dem
Tier bald ein Wasser-, bald ein Milchnäpfchen zu. Es hatte nachts Blut,
morgens Galle gespien. Die Milch beachtete es gar nicht; auf das Wasser
blickte es unverwandt. Als ich mich näherte, hob es langsam den Kopf wie
ein müder, trauriger Mensch. Das Gesicht war viel kleiner geworden, das
goldumrandete Bernsteingelb der Augen getrübt, die Nase sehr heiß. Es
hatte gewiß Fieber und brennenden Durst. Bald weinend, bald brummend
näherte es nun seine Schnauze dem Wasser, zitterte aber bei jeder
Berührung mit einem zornigen Laut zurück; es war zu sehen, daß ihm der
Trinkversuch Schmerz bereitete. Aber immer wieder trieb es rasende
Begierde dem Wasser zu. Plötzlich tauchte es eine Vorderpfote ein, dann
die andere; schließlich wollte es ganz in den Topf hineinsteigen, der
aber viel zu klein war. Man füllte eine große Schüssel; da legte es sich
hinein mit seinem ganzen inneren Brand und blieb eine Weile ruhig.

Indessen war die Bäuerin eingetreten; Kinder und Nachbarinnen kamen, ein
Kreis von Neugier und Erbarmen zog sich um das arme Tier und seine Qual.
Noch vorgestern hatte man es achtlos fortgeworfen; jetzt aber dachte
niemand daran, es durch schnelle Tötung zu erlösen; jeder fand nur, daß
es ein reizendes Kätzchen sei, und wußte einen Rat, ein Mittelchen, um
es zu heilen. Als wäre es durch sein Leiden in göttliche Nähe gerückt,
hatte man fast Ehrfurcht vor ihm, besonders die Kinder. Und wirklich war
etwas Bewundernswertes in der Haltung der kleinen Katze, etwas kaum
Beschreibliches, das sie über ihren Zustand erhöhte, eine Art Stolz, ein
Bewußtsein ihrer eingebornen wilden Anmut, welche der Tod wohl nach und
nach abtragen oder zertreten, aber keineswegs beugen konnte. Wie es, vom
eigenen Elend wegblickend, sich bemühte, seinem Wesen treu zu bleiben,
wie es, schon von der Vernichtung geschüttelt, seine Würde behielt und
die feine Neigung des Köpfchens nicht aufgab, dies war es, was alle
sicherlich viel stärker ergriff, als das Leiden selbst. Etwas Geistiges
ist hier verbürgt, und die alten Ägypter haben wohl gewußt, warum sie
dieses Tier heilig hielten und seine Mörder bestraften.

Bald hatten übrigens die Leutchen von Kézdi-Almás all ihren guten Rat
erschöpft und sahen schließlich voll Erwartung auf mich. Dehm, der
gerade dazu kam, riet zu Morphium, ich gab Atropin dazu. Wir ließen das
Kätzchen aus dem Bade heben und spritzten ihm eine winzige Menge der
Lösung in den Schenkel, worüber ein kleines Mädchen laut aufschrie.
Matschka jedoch zuckte bei dem Einstich nicht einmal, so ganz war sie
von der Pein ihrer Eingeweide erfüllt. Nach drei Minuten ging sie auf
ein Fleckchen Sonnenschein zu, das auf der Diele leuchtete, streckte
sich behaglich aus, legte den Kopf auf die Vorderpfoten und schlief ein,
zuweilen im Traum leise knurrend. So fanden wir sie noch spät, als
längst keine Sonne mehr schien, da begann wieder das vergebliche Wandern
zum Wasser. Wir wiederholten die Einspritzung in dreifacher Stärke.
Daraufhin wurde sie zunächst sehr munter, fast ausgelassen und machte
sonderbar schelmische Gebärden, als verändere ein beginnender Wahnsinn
ihre Natur, doch blieb sie immer schön im Einklang ihrer Bewegungen.
Plötzlich sprang sie zu mir herauf und umschnupperte mein Gesicht. Ich
hob sie weg zu meinen Füßen hinunter; sie ließ es brummend geschehen und
schlief auf einmal ein. Um zwei Uhr erwacht, beleuchtete ich sie mit der
Taschenlampe; sie schlief unter leichten Zuckungen. Den Schweif hatte
sie bequem um sich herumgelegt, der Kopf ruhte auf meinem linken Fuß.
Die Lage war lästig, und ich wollte den Fuß wegziehen, da erhob sie aber
ein sehr ärgerliches Geknurr und tat gar, als wolle sie mich in die
Zehen beißen. So faßte ich mich denn in Höflichkeit, die wir einem
sterbenden Wesen wohl schuldig sind, und rührte mich nicht weiter. Durch
das kleine Tier zur Ruhe gezwungen, bemerkte ich übrigens bald eine
Veränderung an mir, eine seltsame innere Stille und Gesammeltheit, wie
sie, glaub ich, die Mönche als Einkehr bezeichnen. Der Körper empfand
sich leichter, das Denken geschah freier und sicherer als sonst.
Lebhafte Vorstellungen vom Wesen gewisser Krankheiten drängten sich als
erstes auf; ich wußte plötzlich, daß man sie weit einfacher behandeln
könnte als bisher. Dabei blieb mir immer bewußt, daß es Matschka war,
der ich den gesteigerten Zustand verdankte, und nie vielleicht bin ich
mehr davon überzeugt gewesen, daß wir nicht nur von Menschen, Geistern
und Sternen, sondern oft auch von Tieren, Pflanzen, ja sogar von
unbelebten Stoffen unmerklich zu uns selber geführt werden, worauf am
Ende doch alles hinausgeht, was wir Gnade nennen. Und nun flog mir
geschwind und klar alles durch den Kopf, was ich jemals über Katzen
Gutes gehört und gelesen, zuletzt auch die rührende Mythe von jener
sintflutartigen Überschwemmung, welche die Mutter so oft erzählt hatte.
Ein Knäblein schwamm in seiner Wiege mitten auf dem unendlichen
windbewegten Gewässer. Bei ihm befand sich eine Katze, und jedesmal,
wenn die Wiege umzukippen drohte, sprang das behende Tier auf die andere
Seite, um das Gleichgewicht herzustellen, bis endlich das kleine Boot in
der Krone einer hohen Eiche hängen blieb. Die Flut verlief sich, man
holte die Wiege herunter und fand Kind und Katze lebend und unversehrt.
Da man des Knäbleins Eltern nicht kannte, so nannte man es Dold, was
soviel heißt als Wipfel, und es wurde der Stammvater eines großen
berühmten Geschlechts.

Von solchen Erinnerungen aus lief das Denken weiter durch manches
Gebiet, um endlich in das nächste, nüchternste, für den Augenblick
erwünschteste heimzukehren. Mit einem Male wußte ich nämlich genau, daß
in einer der großen Ledertaschen, zwischen Verbandpäckchen und
Instrumenten, der Schlüssel zum Sanitätswagen liegen müsse; vermutlich
hab ich ihn selber dorthin verräumt. Dieser Sorge ledig, nickte ich fast
wider Willen ein und schlief, bis mich Rehm, Tee bringend, weckte.
Sogleich ließ ich den Schlüssel suchen; wirklich fand er sich an der
gedachten Stelle. Matschka aber erwachte nicht mehr. Während ich
aufstand, setzte ihr Atem aus, dann kam ein schnelles hartes Gestöhn,
endlich noch ein tiefer, fast behaglicher Atemzug.

Eben bringt eine Ordonnanz den Alarmbefehl. Die Truppenbesichtigung bei
Lemhény ist abgebrochen worden. Wir packen ein. Welch Glück, daß der
Schlüssel gefunden ist! Die schönen Uniformen werden abgestreift, die
Bilder verschwinden von den Tischen. Der junge Ungar kniet vor der toten
Katze und streichelt sie weinend. Schön ist es immer anzuschauen, wenn
den rohen Menschen das Ewige anfällt, -- ehren wir jede Erleuchtung,
jeden verwandelnden Schrecken! -- ich möchte dafür einstehen, daß der
Knabe nie wieder seine Hand gegen die Kreatur erheben wird, -- gebe Gott
jedem sein Tier und seine Sünde, die ihn erwecken! Es muß aber noch
andere Erleuchtungen geben, wo aus noch viel reinerem Schrecken eine Tat
aufsteigt wie ein Stern.

Der Himmel hängt voll Schneewolken. Frost ist eingetreten, Reif liegt
auf der alten Sonnenblume. Die Samenkerne sind nun festgefroren, der
Abendvogel wird Mühe haben, sie herauszupicken. Der Osten dröhnt von
Geschützen. Es ist vier Uhr. Wir marschieren gegen Kézdi-Vásárhely ab.




                                        Középlak, 29. November, abends


Auf 29 Automobilen wurde nachts das Regiment über den Gyimespaß nach dem
Hidegségtal herübergebracht. Es sind offene plumpe Lastwagen, die Räder
bereits wie drinnen im Land ohne Gummireifen; immer gefährlicher
schwankte der unsrige auf dem holprigen Boden, und plötzlich fuhren wir
schräg in einen Straßengraben, gerade noch, ohne zu stürzen. Umsonst war
jeder Versuch, das Gefährt wieder heraufzuziehen. Von den Wagen, die,
glücklicher gelenkt, in großen Abständen nachfuhren, überholten uns
fünf; jeden riefen wir um Beistand an, jeden vergeblich. In dumpfer Wut
harrte die Besatzung; nur da und dort lachte einer, als böte das
Ungemach des Augenblicks vor dem großen Schicksal einen Schlupf. War
Hilfe hier nicht erbittlich, so war sie vielleicht erzwingbar; ich riet
den Leuten, sich in ganzer Straßenbreite aufzustellen und dem nächsten
Wagen eine drohende Haltung zu zeigen. Das höchst verfängliche Mittel
wirkte: der Führer, als er die entschlossene Gruppe bemerkte, stoppte
sofort. Nun ward in Minuten unser Fahrzeug dem andern angekettet und auf
die Straße gezerrt.

So fuhren wir weiter, mit frierenden Augen, durch die sternenlose Nacht,
immer nur auf den grellen Lichtkegel blickend, den wir vor uns
herjagten. Ich saß vorne beim Lenker, einem sehr jungen Polen, dessen
ungeübte und ängstliche Hand uns noch öfters dicht an Abgründe brachte.
Mahnungen und Einreden konnten da wenig frommen; gewiß war es das beste,
ihn gewähren zu lassen und ihm heimlich alle guten Kräfte zuzubeten. Als
die Paßhöhe erreicht war, graute der Morgen. Ein vereisender Wind pfiff
aus Nordosten; die Wolken standen hoch. Öde Landschaft erschien, greises
Gebirge, stark abgetragen, die kahlen Hänge voll kleiner Buckel und
grauer Steinwürfel, dazwischen Hütten, die den Steinen glichen, in der
Tiefe ein halbverkiester Fluß mit angelagerten Häusern. Beim
Hellerwerden erkannte man auf Tal- und Bergstraßen unübersehbare, gegen
Osten marschierende Kolonnen. Düster, schicksalshaft anzuschauen ist
solch ein Dahinziehen Tausender, die wie auf Speichen des nämlichen
Rades einer unsichtbaren glühenden Achse zustreben. Gäbe es doch ein
groß vorleuchtendes Zeichen, das allen ihre Mühsal süß macht! Aber ihr
Bestes ist verwahrt in einem Traum der Menschheit, den sie vielleicht
nie erfahren, und nur manchmal mag es einen gemahnen, daß er einem
unbekannten Herrn der Zukunft dient.

Um acht Uhr morgens erreichten wir das Dorf Középlak, dessen Gebäude
sehr weit auseinander liegen. Ein großes gelbes Haus, nah bei der
Kirche, wurde mir als Stabsquartier bezeichnet. Es besteht aus zwei
kleinen Zimmern und einem geräumigen Saal, den ein brüchiger Ofen mit
Rauch erfüllt. Der Assistenzarzt lag schlafend in Mantel und Stiefeln am
Boden; das abgemagerte verstaubte Gesicht glich vor übermäßiger Ermüdung
dem eines Toten. In einer Ecke, gebeugt über Karten, saßen flüsternd
Major und Adjutant; gegenüber sprach ein rotbärtiger österreichischer
Hauptmann unter vielen Verbeugungen in ein Telephon hinein. Ich spürte
zwischen drüben und hüben eine Verstimmung ziehen, die mir später
erklärt wurde. Der Österreicher, zugleich Munitionsoffizier und
Ortskommandant, hatte unserem Major vorgestellt, es gebe kein
unbesetztes Haus mehr in ganz Középlak, und ihn höflich eingeladen, sein
eigenes bequemes Quartier mit ihm und seinen Offizieren zu teilen,
worauf unser Gebieter ihn gleichwohl bündig ersuchte, das Gebäude zu
räumen. Dies Ansinnen wurde zurückgewiesen, und der Major brach die
Unterhaltung mit einigen allgemeinen Ausfällen gegen die österreichische
Armee ab. Der Rotbart zog sich weltmännisch-gelassen zurück, nicht ohne
zu bemerken, er habe zwar bereits angeordnet, daß in seiner Küche für
die deutschen Herren mit gekocht werde, müsse dies aber, auf soviel
Unfreundlichkeit hin, leider zurücknehmen und sich auf den bloßen
Dienstverkehr beschränken.

Ich legte mich neben den Assistenzarzt und schlief bis elf Uhr. Dann
ging ich nach kurzem Dienst zum Hidegség hinab. Wird einem doch, als
habe man teil an allen Gütern und Geistern der Länder, sobald man ein
Ufer betritt. Einwohner kamen des Weges, zuerst alte Männer, dann junge
Frauen und Mädchen. Diese sind ein stattlicher Schlag mit leichtem,
freiem, brüstestolzem Gang, gesunde Rundgesichter, vom Geist der Rasse
schön beherrscht, so daß immer eins das andere bestätigt. Man denkt
zuerst an Italien; aber es ist noch etwas anderes darin, etwas tierhaft
Geschmeidiges, dazu etwas Verschlossenes, nach innen Horchendes, wilder
alter Adel, der nach Asien weist. Die unechten städtischen Kostüme, die
wir noch gestern sahen, sind verschwunden; die Weiber scheinen hier nur
am Leibe zu tragen, was sie selber hergestellt haben, statt des Rockes
ein dunkles buntgestreiftes Tuch, das einfach übereinandergeschlagen
wird, so daß man beim Gehen die Beine sieht, die in engen, weißwollenen
Hosen stecken, um die Brust Pelzwesten, das Fell einwärts, das weiße,
kunstreich bestickte Leder nach außen gewendet, schwarzes Kopftuch,
spitze Schnabelschuhe. Wenn Truppen vorbeimarschieren, bleibt keine
stehen, um zu gaffen, wie sonstwo Landleute tun; man spürt eine Gegend
beginnen, wo die Menschen hart und sich selber genug sind, und wo sich
Schicksale schnell und klar erfüllen.

Das Ufer sieht seltsam aus. Vor wenigen Tagen muß es noch überschwemmt
gewesen sein; dann kam plötzlich die Kälte, eine dünne Eisdecke bildete
sich, unter der aber das Wasser bald wieder sank. Nun haftet noch das
Eis als brüchiger Glasring an Stamm und Strunk, als Brücke, mit
Glöckchen behangen, überbaut es den Spiegel oder umschließt als
muschelhaft geschweifte reifbefranste Schale die großen schwarzen
Ufersteine.

Mittags, während wir Deutschen, feindselig abgesondert, bei bitterem
Kaffee sehr hartes Brot und überdrüssiges Büchsenfleisch aßen, erklang
im gleichen Saal an der Tafel der Verbündeten der Wein, und
österreichische Ordonnanzen, die Blicke mit vorgeschriebener Starrheit
auf uns gerichtet, schleppten schöne Braten und Pfannkuchen von der
Küche herein an uns vorüber. Wir jüngeren, Geringeren verschmerzten aber
die entgehenden Genüsse um so leichter, als unserm sonst so mäßigen
Befehlshaber gerade diesmal Entsagung unerträglich wurde. Allen Stolz
vergessend, suchte er unsern Koch zu bereden, daß er sich mit den
österreichischen Küchensoldaten anfreunde und wenigstens etliche Kuchen
für uns erschmeichle. Der aber schnitt jede Hoffnung ab: »Die
Österreicher verkehren nicht mit uns«, sagte er.

Am Nachmittag war von Osten her scharfes Geschützfeuer zu hören. Der
Adjutant blieb an das Telephon gebunden. Gegen fünf Uhr wurde
Marschbereitschaft befohlen, um sechs Uhr der Befehl wieder aufgehoben.




                                    Hosszuhavas-Rakottyás, 1. Dezember


Die Nacht zum letzten November blieb ruhig. Um zwölf Uhr mittags wurden
wir alarmiert, und sogleich folgte der Aufbruch. Es verlautete, Russen
und Rumänen hätten die ungarische Linie durchstoßen, den Berg
Mihályszállás erstürmt. Unserm Bataillon falle die Aufgabe zu, den Feind
aufzuhalten, den Berg zurückzunehmen. Man suchte auf der Karte den
Mihályszállás und war verwundert, sich in solcher Nähe des Gegners zu
befinden. Die Feldküchen, die bereits geheizt hatten, kochten während
des Marsches weiter. Auf dem Ufergeröll wurde das Essen eingenommen,
dann ging es eilig den Fluß entlang. Anfangs hatten uns Frauen und
Kinder von Középlak neugierig begleitet; bald blieben sie mit
zweifelnden Gebärden stehen. Ein verirrtes rabenschwarzes Schweinchen
lief arglos eine Weile zwischen unseren Leuten mit, schon stritten sich
zwei Gruppen der 8. Kompagnie um den sicheren Fang; aber ein kleiner
Junge kam nachgelaufen und jagte es mit hellen Jubelrufen ins Dorf
zurück.

Der Tag war kurz und düster. Nebel wuchs wie Schimmel um die niedrigen
Fichten, mit welchen die Hügel spärlich besetzt sind. Gruppen von
Flüchtlingen mit Haustieren und Fahrzeugen begegneten uns in der
Dämmerung, zuletzt ein kleiner Leiterwagen, von schön gehörnten
silbergrauen Stieren gezogen. Führerin des Gespanns war eine große Frau
mit schwarzem Kopftuch, langem braunem Mantel und einem Stab in der
Hand. Ein Kind, sein Püppchen an sich gepreßt, saß oben auf wirr
zusammengeraffter Habe; ein alter Mann und ein junges Mädchen schoben
nach und lasen auf, was etwa herabfiel. Ein Knabe, kaum zehn Jahre alt,
mit wunderbar entrücktem, unbegreiflich heiterem Gesichtchen, lief neben
dem Wagen her und summte wie aus tiefer Geborgenheit eine Weise. Unter
dem linken Arm trug er ein schwarz eingerahmtes Bild, mit der Rechten
langte er von Zeit zu Zeit Maiskörner aus der Tasche und gab sie einem
Stierkälbchen zu fressen, das, am Wagen angebunden, mithüpfte. Diese
Gestalten wurden mir im Geiste sogleich statuarisch, besonders die
mütterliche Führerin, und ich verstand, was Glavina meinte, als er
schrieb, es sei etwas Heiliges um den Fremdling, der nur einmal an uns
vorübergehe, nicht befleckt von gleichgültiger Erfahrung. Die Haltung
stolz, frei, das Antlitz reife, gebietende Jugend, die starken Brauen
schmerzlich zusammengezogen, blickte sie geradeaus, ohne uns zu
beachten, als wäre sie das wahre ganze Leben, wir aber abgefallen und
verirrt.

Es wurde Nacht; wie Asche fiel der Nebel, endlos entzog sich das Tal.
Streckenweise wateten wir im Wasser, das mit Gurgeln unsere löcherigen
Stiefel füllte. Einmal riß die 6. Kompagnie ab und verirrte sich in ein
Seitental: mit schreienden Boten und Lichtsignalen wurde nach einer
halben Stunde die Verbindung wiederhergestellt. Unendliche Müdigkeit
zermürbt die Seelen. Mancher brüllt Wut und Verzweiflung geradehinaus:
»Gebt uns wenigstens ganze Stiefel, wenn ihr Krieg führen wollt!« murrt
eine Stimme. »Ein Narr, wer noch mitläuft! Ich bleibe zurück!« kreischt
eine andere. Die Offiziere aber kümmern sich nicht um aufrührerische
Rufe. Sie haben selber zu dulden genug. Auch wissen sie, daß die
Schreier ja doch mitkommen werden. Wer ohne gültiges Zeugnis die Truppe
verläßt, vermindert wohl Mühe und Gefahr, aber neue und schimpfliche
Leiden beginnen für ihn. Im fernen Dunkel flammt es zweimal bläulich,
man hört Abschüsse, dann heult es an, und scharf nacheinander stoßen
Granaten in den Kies. Ein Mann bricht zusammen. Leutnant S. ist
verwundet. Wir verbinden ihn, so gut es im Dunkeln geht. Vermutlich
hatten unsere Signale die Geschosse hergelenkt. Ein strenges Verbot,
Licht anzuzünden, wird ausgegeben. Mit dem Aufbegehren ist es zu Ende.
Vom Feinde selber in die Zucht gescheucht, beginnen die Leute ruhig zu
plaudern; eine gefaßte, aufgeräumte Stimmung nimmt überhand.

Um zwölf Uhr gelangten wir auf trockenen, ebenen Boden. Der Adjutant,
der mit dem Major eine Strecke vorausgeritten war, kam uns entgegen. Von
einem Nachtgefecht, erklärte er, sei nicht mehr die Rede, die Gegner
hätten den Berg zur Hälfte wieder aufgegeben und sich in der Nähe
festgegraben, wir stünden in dem Dorfe Hosszuhavas und bekämen
Quartiere, freilich Alarmquartiere, niemand dürfe die Stiefel ausziehen.

Mit Offizieren und vielen Mannschaften fand ich Unterkunft in einem
Bauernhause, das von seinen Eigentümern verlassen war. Auf dem Tische
stand bei Brot und Äpfeln ein schräg abgeschabter Salzkegel, daneben,
mit Öl gefüllt, eine Lampe, die wir anzündeten. Ein Stapel Brennholz lag
hinter dem Ofen; unter einer Bank, in Käfigen, waren Hühner
untergebracht. Auf diese stürzten sich im Nu die halbverhungerten
Soldaten, um sie einem Kochkundigen zu überliefern. Die Stube war voll
Zeichen übereilter Flucht. In dem gewaltigen Webstuhl steckte noch ein
Stück Leinwand. Schrank und Lade standen halb offen. Einiges war
herausgerissen und wieder hineingeworfen worden; darunter aber, in
schimmernder Ordnung, lagen ganze Schichten fein und rauh gewebter
Tücher und gestickter Hemden. Bunte Decken verkleideten die Wände;
darüber hingen Heiligenbilder mit getrockneten Sträußen, daneben ein
Teller mit dem goldgemalten Namen Julesa.

Da ich die herrlich durchstickten Linnen so sehr bewunderte, vermuteten
mehrere Leute, ich wolle sie besitzen, und redeten mir zu, ich solle
doch unbedenklich etwas besonders Hübsches zum Andenken mitnehmen.
Vielleicht gelüstete manchen selbst nach solchem Schatz, und hätte ich,
als einer der Älteren, mir ein Stück angeeignet, wärs am Ende die Losung
zum allgemeinen Raub geworden. Eigentlich stachen mir die reizenden
Muster sehr in die Augen, auch stellte ich mir Vallys und Wilhelms
Entzücken vor, falls ich mit solchen Mitbringseln in die verarmende
Heimat käme, mußte überdies den Kameraden recht geben, die da sagten,
verloren sei doch einmal alles, in wenigen Stunden würden wir vor- oder
zurückgeben und das Verschonte andern deutschen Truppen oder dem Feind
überlassen. Auf einmal standen mir die Flüchtlinge vor dem Blick, die
uns begegnet waren; der Gedanke, daß gerade dieses Haus ihr verlassenes
Eigentum sein könnte, gewann eine seltsame Macht, und nun erst ermaß ich
die Größe ihres Unglücks. Gesichthaft nahe trat die königliche Führerin;
um Wirklichkeit unbekümmert sprach ich sie als Hausherrin an und schloß
mit ihr einen Bund. Sie aber schien einfach zu sagen: Was willst du? Die
Winternächte des Wachens und Webens, kennst du sie? Hemden liegen hier
für Großväter, Väter, Mütter und Kinder, -- auch unsere Leichenhemden,
bedenk es wohl! Möchtest du deine Frau oder dein Kind darein hüllen? Die
Deutschen, sagt man, sind ein hartes, verwegenes, den andern oft schwer
begreifliches, im Grund aber ein frommes Volk, -- seht doch, wie alles
offen vor euch daliegt! Nichts haben wir vor euch versteckt, nichts
verhehlt, eurer Großmut alles anvertraut. Nehmt, was not ist, um Durst
und Hunger zu stillen, aber an den Geweben der Mütter geht vorüber!

Plötzlich zuckten wir alle zusammen; das Heulen und Weinen kam wieder
durch die Luft, es war, als flöge feiner Flaum über die Wimpern, und in
größter Nähe fiel der Schlag. Das Haus schien sich in seinem Grunde zu
lockern, Geschirr und Fensterglas klirrten herab, die Lampe erlosch. Ein
schlimmes Versäumnis kam in diesem Augenblick jedem zum Bewußtsein.
Keinem war eingefallen, die Fenster zu verhängen, und so hatte die
weithin leuchtende Lampe den Feind gereizt. Im Finstern harrten wir auf
den zweiten Schuß, er blieb aus. Nun wurden sorgfältig alle Fenster von
außen mit Zelttüchern überspannt und erst nachher wieder Licht gemacht.
Der Koch war gelassen bei den Hühnern stehengeblieben, deren Bratenduft
allmählich die Luft würzte; ich aber hatte in aller Stille die lockenden
Laden hineingeschoben, fand es auch für gut, sie mit Unnahbarkeit zu
umgeben, indem ich die großen ledernen Verbandtaschen davor, aufbauen
ließ und meinen Mantel darüberlegte.




                                                           2. Dezember


Das Schicksal geht gelinde mit mir um. Ich habe als Verbandplatz
ein leeres Gendarmeriewachthaus mit weitem Blick über die
Hidegséglandschaft, ungefähr in der Mitte zwischen Bataillonsstab und
Front. Während die Kompagnien in die Stellung stiegen, konnte ich den
ganz versäumten Nachtschlaf ein wenig ersetzen. Nach zwei Stunden
erwachte ich in einem Zustande, der in ähnlicher Form gewiß vielen
bekannt ist, nur achtet nicht jeder auf dergleichen. Ich empfand mich
als einen ovalen, durchaus leeren Raum, etwa drei Sekunden lang, dann
fing ich an, mit unbändiger Gewalt von der linken Seite her ein
unsichtbares Fluidum in mich hereinzusaugen, womit zugleich alle
möglichen Bilder, Gedanken und Worte einströmten, Bekanntes und
Unbekanntes. Plötzlich war ich angefüllt wie ein Luftballon, da wurde
ich erst vollends wach. Dabei hatte ich ein Empfinden, als wäre Glavina
in dem Fluidum aufgelöst gewesen.

Schnee fiel bis zum Abend; nun folgt Klarheit und Frost. Die Russen
sitzen ruhig in ihren Stellungen. Den Gipfel halten sie fest; den
westlichen Hang haben sie aufgegeben. Unten im Tale läuft ihre Linie
dicht vor Hosszuhavas. Auf unserer Seite werden viele Geschütze
eingebaut.




                                                           3. Dezember


Ich richte mich ein, so gut es geht, am Abhang des Berges, während oben
schon um den Gipfel gekämpft wird. An einer Hauptstraße, nahe der Front,
liegt eine preußische Sanitätskompagnie; die fängt fast alle Verwundeten
ein und leitet sie weiter. So hab ich ziemlich freie Zeit, bleibe viel
für mich, schreibe Briefe und lese zuweilen in Glavinas Blättern. Die
Schrift ist undeutlich, zum Teil durch Nässe verwischt; so viel hab ich
aber herausgebracht, daß es sich zwar nur um einzelne Sätze handelt, daß
aber sichtlich ein Ganzes, vielleicht ein Gedicht, geplant war. Wären es
bloß feine, kluge, wohlgesetzte Worte, so wollte ich mir nicht viel Mühe
geben; aber oft klingt es wie Rufe eines Wahnsinnigen und umschwebt wie
Bienen das Herz, man möchte sich davon entfernen und muß doch immer
wieder hinhorchen.

Durch die Fenster des Verbandplatzes überblickt man das ausgeweitete,
reif- und schneeglänzende Tal, über das die Siedelungen verstreut sind
wie Raupen über ein Kohlblatt. Auch das blaue Haus, in dem die
Leinwandschätze ruhen, ist sichtbar. Es hat sich gefügt, daß unsere
Telephonisten dort einquartiert wurden, gute, besinnliche Leute, die
noch den Hausgeist ehren. Abends gehe ich hinunter, frage nach der
eingelaufenen Post, überzeuge mich, daß alles unverändert ist, und kehre
zur Höhe zurück. Wie gut weiß ich, daß es im gemeinen Sinne gar nichts
bedeutet, ob unter tausend geschädigten Wohnungen eine einzelne
unversehrt bleibt! Aber solcher halberträumter Schutzstätten bedarf der
Geist; sie sind ihm Horst und Beute zugleich, darum bewacht er sie. Weiß
er denn selbst, für wen er wacht? Vielleicht für einen, der schon in der
Wiege liegt, einen, der alle schrecklichen Schreie der Wut und der
Schmerzen umstimmen wird in Lieder und Hymnen ... Es ist ein kalter Tag.
Die Sonne glänzt weiß und klein über uns, die Luft ist blinkend von
schwebenden Kristallen, an den Bäumen haftet Reif wie Stahlsplitter an
Magneten.




                                                           4. Dezember


»Laßt uns den Hügel bauen am Berge Kishavas, ein Mal den Getöteten auf
der bereiften Felsen- und Wacholderflur!«

Gleich nach dem Aufstehen wollte ich Glavinas Aufzeichnungen entziffern;
aber da trafen unvermutet ganze Züge Verwundeter ein, deutsche und
russische. Die Russen sollten über den Mihályszállás geworfen werden;
aber die 6. Kompagnie verirrte sich im Nebel und kam um eine Stunde zu
spät, so daß der Angriff nur zur Hälfte gelang und der Gipfel dem Gegner
verblieb. Die Russen sind durchwegs junge, kräftige Gestalten, blond,
blauäugig, seltsam kindhaft in ihrem Gebaren. Zutraulich reden sie ohne
Pausen auf uns ein, als wären wir längst Bekannte; sie scheinen
vorauszusetzen, daß wir sie verstehen. Laut weinend zeigen sie einander
ihre Wunden, und während die Unsrigen ihre Schmerzen stumm verbeißen,
schreien sie die ihrigen geradehinaus. Übrigens sind wenig
Schwerverwundete darunter. Den Verkehr mit dem Feldlazarett vermitteln
heute große Leiterwagen; es geht rasch und sicher, schon leert sich der
Verbandraum. Der Angriff wird übermorgen wiederholt. Man baut immer mehr
Geschütze ein.

Es war nach drei Uhr, da brachte der Unteroffizier Dehm den
Infanteristen Kristl; er soll im Gefecht ungemeinen Mut bewiesen,
hernach aber plötzlich den Verstand verloren haben. Einige glaubten, er
verstelle sich nur, um endlich dem Kriegsdienst zu entkommen; aber man
braucht nicht Arzt zu sein, um hier die Echtheit der Verstörung zu
erkennen. Unendliche Angst verzerrt das eckige, bleiche Gesicht; bald
sucht er dem Unteroffizier zu entkommen, bald klammert er sich an seinen
Arm. Bei meinem Anruf nimmt er, schläfrig lächelnd, Haltung an, wird
aber gleich wieder äußerst erregt; plötzlich fällt er auf die Knie und
bittet mit gefalteten Händen, ich möge ihn doch nicht den Russen
ausliefern, er sei schon unglücklich genug. Dabei reißt er sich
Waffenrock und Hemd auf, zieht den Brustbeutel heraus und entnimmt ihm
drei Goldstücke, die will er mir schenken, wenn ich ihn nicht zum Feind
hinüberjage. Ja, traurig, traurig sei er zugerichtet, einer habe ihn in
die linke Seite gestochen, es blute noch immer. Er reißt das Hemd noch
weiter auf und deutet auf eine vermeintliche Wunde. Sein Vater besitze
übrigens noch viele Goldstücke, daheim unter dem Hollerbaum seien sie
vergraben, er selber habe dabei mitgeholfen, leider, das sei schlecht
von ihm gewesen, hätte er die Finger davongelassen und das Gold in die
Reichsbank getragen, so wäre alles anders gekommen, und wir hätten einen
noblen Frieden. Unverwandt hält er die drei Zwanzigmarkstücke auf
hingestreckter Hand in die Sonne, damit ich sehe, wie sie funkeln.
Plötzlich erheitert er sich, zieht seine Uhr, steckt sie, ohne sie
angesehen zu haben, samt den Goldstücken wieder ein, sagt, es sei
höchste Zeit, er müsse Posten stehen, will auf und davon und beginnt zu
toben, da man ihn zurückhalten will.

Der Zustand des Menschen bringt Verlegenheit. Weder ein Wagen ist mehr
verfügbar noch eine Begleitung; auch möchte man den Fall nicht gerade
der nächsten besten Hand überantworten. Meine Sachen durchkramend, fand
ich schließlich ein paar Ampullen mit gelöstem Scopolamin. Kristl wehrte
sich kaum gegen die Einspritzung. Die sonst so wenig haltbare
Zusammensetzung wirkte sofort; vor zwölf Stunden wird er nicht
aufwachen. Vielleicht ist es genug, um die Enden des zerrissenen Geistes
wieder aneinander zu heilen.

Vor dem Essen ging ich, da nur noch Leichtverwundete gekommen
sind, zum Ufer. Das Eis ist hier vielfach zu klaren Figuren
durcheinandergeschossen; weiße Nadeln, Blätter, Hellebarden, winzige
gotische Gestaltungen, oft nur begonnen, manchmal fein ausgeführt,
stecken überall zwischen den Steinen. Zuhöchst am reinen Himmel sprießen
Rispen, an denen blumenrötliches Gefieder wächst, und man merkt es
diesen Wölkchen an, daß auch sie aus Eiskristallen bestehen.




                                                           5. Dezember


Ich verbrachte den Vormittag bei den Pionieren im Walde, wo sie einen
halb zugewachsenen Weg für die Verwundeten der nächsten Tage aushauen
müssen, da scholl über Hosszuhavas her Geschrei und Schießen.
Zurückgekehrt erfuhr ich, daß links von unserm Abschnitt Russen die
österreichische Linie durchbrochen haben, dadurch soll unsere Stellung
gefährdet und wertlos geworden sein. Um den Gipfel ist noch Ruhe. Eine
Ordonnanz überbringt Befehl zur Marschbereitschaft; Verletzte und Kranke
sind ohne Verzug nach Palanka zu schicken. Was fang ich mit Kristl an?
Er schläft noch immer. Ihn jetzt wegzuschaffen ist unmöglich; auch warnt
mich etwas davor. Das Getöse kommt näher. Rehm sieht mich immer an; er
errät meine Sorge. Endlich kann er nicht mehr schweigen. An der Somme,
meint er, habe die Lage zuweilen schrecklicher ausgesehen und sei
dennoch wiederhergestellt worden; drunten im Dorf, noch uneingesetzt,
lägen zwei Reservekompagnien unseres Regiments, da könne nichts fehlen.
Ich lasse ihn Tee bereiten und buchstabiere ein wenig in Glavinas
Zetteln. Die Schrift ist kaum lesbar; aber ich bin einem Rhythmus auf
der Spur. In diesem schwingend finde ich Sinn genug; schon hab ich mir
manches vereignet und verinnigt, und wo auch nur ein Wort hingeworfen
oder eine Strophe schwach angeschlagen ist, erklingt wie von selber die
Folge:

»Wer aber heimkehrt, halte Bereitschaft! Jeden mit anderer Stimme ruft
Gott. Ein wacher Wandel ist euer, ein langer Werktag, selten ein Fest,
selten ein feiernd Lied. Schlummert wachsam wie die Gemse schläft!«

                   *       *       *       *       *

Es ist drei Uhr. Das Feuer hat zugenommen, doch überwiegt im Augenblick
das russische nicht. Ich ging wieder zu Kristl, schüttelte ihn an der
Schulter und rief ihn beim Namen. Umsonst. Er schläft zu tief.

»Die strengen, bindenden Worte fallen aus Kindes Gedächtnis. Raben
tragen die goldnen Bücher aus dem Heiligtum.«

»Opfer, was frommen sie noch dem, der den Ruf überhörte? Der Dom stürzt
ein über Altar und Beter, und abgesprengt, noch klingend vom
Pilgerbittgesang, ins Meer hinaus, verbrennend, schwimmt die Brücke.«

»Der Geist wird stehn vor seinem eigenen Hause und nicht heim finden
...«

                   *       *       *       *       *

Einhalb vier Uhr. Der Lärm nimmt noch immer zu. Die Schau durchs Fenster
blendet. An einigen Erhebungen des Geländes treffen so viele
Schneeleuchten zusammen, daß das Auge kein Weiß mehr erträgt und es als
grünlich empfindet. -- Jetzt haben, in weiten Abständen, unsere
bereitgestellten Züge den Plan betreten. Der Gegner bemerkt sie.
Geschosse platzen über den blinkenden Helmen, eine neue Art von
Schrapnellen, welche zweifarbige Wölkchen ausstoßen: es ist, als ob aus
unsichtbaren Eiern Vögel schlüpften mit einem roten und einem schwarzen
Flügel. Die Soldaten eilen, sie laufen fast. Plötzlich fahren, kaum
gedeckt, preußische Kanonen am Dorfrand auf und feuern ohne Pause,
Schlag auf Schlag. Von dem Luftdruck zerspringt uns im Verbandraum ein
Fenster.

                   *       *       *       *       *

»Wie soll auferstehn, was nie begraben ward? Geht um in zwölften
Stunden! Lest auf aus taubem Schutte das oft zerbrochne Menschenbild!
Mauert es heimlich ein unter die neuen Gebäude!«

                   *       *       *       *       *

Einhalb fünf Uhr. Heftigen Schrittes tritt ein der Major, mit ihm der
Adjutant. Hinterher kommen verwundete Deutsche und Russen. Unverwundet
ist nur ein junger Russe mit grünlichbraunem Gesicht und überhellen
Sperberaugen. Er soll vernommen werden; aber niemand spricht Russisch.
Aus verbündeten Truppenteilen, die in der Nähe liegen, werden Leute
zusammengeholt, ein Bosnier, ein Pole und ein Ukrainer, der wohl
Russisch, nicht aber Deutsch versteht. Durch vier Sprachen gehen Frage
und Antwort hin und her. Der junge Bursche, scharf befragt über Stellung
und Stärke seines Regiments, spielt auf kindlichste Weise den
Einfältigen, sagt lauter unmögliche Dinge. Der Major läßt ihm zwei
Fasttage androhen, falls er nicht vernünftig antworte. Er zuckt zusammen
wie gepeitscht, senkt den Kopf, spricht keine Silbe mehr. »Braver Kerl«,
brummt der Alte und bedrängt ihn nicht länger. Plötzlich sucht der Russe
in seinen Taschen herum, schüttelt verzweiflungsvoll den Kopf, redet
heiser auf den Ukrainer ein. Spannung entsteht, Aufschlüsse werden
erwartet, der Adjutant überspitzt seinen Bleistift. Aber ein Dolmetsch
nach dem andern lacht. Was wir erfahren ist nur, daß der Gefangene im
Gefecht seinen Tabak verloren hat; flehentlich läßt er um etliche
Zigaretten bitten. Der Bosniak erfüllt seinen Wunsch, der Russe zündet
an und setzt sich, da sich niemand weiter um ihn kümmert, auf einen
nahen Stuhl, wo ihm Kopf und Arme sogleich niedersinken. Die Zigarette
entfällt seiner Hand; er schnarcht.

Ordonnanzen kommen. Der Angriff ist abgeschlagen. Der Feind hat alles
gewonnene Gelände wieder verloren. Die Ebene wird leer. Ein Rabenzug
fliegt niedrig über das Tal. Der junge Russe wird unsanft zum Abmarsch
geweckt. Der Major befiehlt mich für morgen zum Mittagessen nach
Hosszuhavas.

Es war schon ganz finster, als ich mich im Nebenraum nach Kristl umsah.
Er hatte sich aufgerichtet.

»Sind Russen da?«

»Ja, Gefangene. Sind schon abgeführt.«

»Ach so, Gefangene«, wiederholt er mißtrauisch.

»Aber der General Brussilow ist doch vorbeigefahren auf einem feurigen
Wagen?«

Ein kleiner ungarischer Schlitten mit zwei brennenden Laternchen war vor
einer Minute am Fenster vorbeigekommen. Das muß der feurige Wagen
gewesen sein. Ich bewies es ihm umständlich, und er schien es nicht zu
verwerfen. Erklärte ihm auch, daß er morgen nach Palanka gehen und von
dort aus in die Heimat fahren dürfe. Er zeigte keine Freude. »Dahinten
sind lauter fremde Leute«, sagte er.

Sehr bestimmt kündigte ich ihm schließlich an, er werde jetzt gleich
wieder einschlafen, morgen früh aber, sobald ich ihn kräftig anhauche,
wieder erwachen, ohne Furcht aufstehen, Tee trinken, Weißbrot mit
Marmelade essen und guter Dinge sein. Er versuchte eine stramme Haltung
und sagte: Zu Befehl. Es bedurfte nur einiger streichender Bewegungen
über sein Gesicht, um ihn wieder einzuschläfern.

Bevor ich mich niederlege, noch einmal zu Glavina:

»Auf Rinden und Gesteinen wie Wandrer alter Zeit hinterlaßt ihr einander
Zeichen, sogar in Sand und Schnee, und fällt euch der Tod an am Wege,
vergehend lockt ihr noch mit Speise und sanfter Beschwörung wilde Vögel
vom Himmel, schreibt auf weißen Fittich purpurne Liebesrunen.«




                                                  6. Dezember, mittags


Die Aktion begann im Morgengrauen und ging auf wie eine Gleichung; seit
neun Uhr steht kein Russe mehr auf dem Mihályszállás; sie sind bis zum
Monte Ardelle zurückgegangen. Die Aufgabe ist gelöst; vor zehn Uhr sind
bereits ungarische Offiziere eingetroffen, um die Stellung kennen zu
lernen, die morgen ihr Bataillon von uns übernehmen soll.

Kristl ward um elf Uhr wachgehaucht, stand sofort auf, aß mit großem
Hunger. Nun wir ihm aber eröffnen, daß er, mit einem ärztlichen Bericht
versehen, nach Palanka gehen dürfe, um von dort aus nach Bayern zu
kommen, will sich sein Gesicht gleich wieder ins Störrische verziehen,
doch nimmt er sich zusammen und bittet schließlich mit überlegten und
herzlichen Worten, ich solle ihn doch hier lassen. Fast könnte man
glauben, sein Gedächtnis für die Heimat sei abgeschwächt; jede
Veränderung scheint er zu fürchten und an unseren paar Gesichtern zu
hängen, als wären sie die Welt. Aber was tu ich mit einem so
zerspringlichen Wesen in dieser schwelenden Luft? Und der Major und
Leverenz, was werden sie dazu sagen? Voreilig äußert Raab, wir würden ja
nun doch in Ruhe kommen; falls Kristl vom Sanitätsdienst etwas verstehe,
könne er wohl noch etliche Tage bleiben und im Revier ein wenig helfen.
»Ich bin als Krankenträger ausgebildet«, fällt Kristl eifrig ein;
»Verbände mache ich die allerschönsten, auch Arm- und Beinschienen.« Ich
versprach, mir die Sache zu überlegen und mit Kommandeur und
Kompagnieführer zu besprechen. Vorderhand bleibt er als Revierkranker in
Beobachtung und meldet sich zweimal am Tage bei mir. Er geht sogleich
mit Raab, sucht sich nützlich zu machen, putzt Flaschen und Instrumente,
wickelt Mullbinden auf.




                                                                Abends


Während des Mittagessens tritt, ohne anzuklopfen, ein junger Mann in
ungarischer Tracht herein, lächelt freundlich nach allen Seiten, geht,
ohne den buntumschnürten braunen Filzhut abzunehmen, um uns herum, redet
kein Wort, betrachtet die Wände, betastet zärtlich Schrank, Bild,
Spiegel und Fensterglas, dann sieht er mit großer Innigkeit auf uns, man
merkt ihm an, daß er unendlich viel zu sagen hätte. Der Major, erzürnt
über die Störung, springt auf und bedeutet ihm, sich zu entfernen. Der
Bursche, ohne jedes Zeichen des Unmuts oder der Verwunderung, tritt
näher, streift den Ärmel hinauf und zeigt schweigend eine lange, tief
eingezogene noch frischrote Narbe. Endlich, indessen der Major
weiterschilt, geht er sehr langsam hinaus, nicht ohne uns unter der Tür
noch einmal zuzulächeln. Kaum ist er draußen, scheint unsern Gebieter
sein Zorn zu reuen, und schnell bediene ich mich der gemilderten
Stimmung, um mein Anliegen vorzutragen, sage, daß Kristl als Infanterist
nicht mehr tauge, daß er in die Heimat gesandt oder probeweise anderswie
verwendet werden müsse. »Wie wäre er verwendbar?« -- »Als
Krankenträger.« -- »Ist er als solcher ausgebildet?« -- »Ja.« Die
Versetzung wird gutgeheißen und gleich durch Ferngespräch mit Leverenz
geregelt, der bei guter Laune ist, Kristl einen Weihnachtsurlaub zudenkt
und das Eiserne Kreuz für ihn bereitgelegt hat.




                                     Bálványos-Patak, 7. Dezember 1916


Mittags abgelöst brachen wir auf nach dem Bálványostal, das nahe bei
Gymesbükk zum Trotusul herabfällt. Auf Gebirgswegen zogen die
Kompagnien; wir drei, Major, Adjutant und ich, ritten den zugefrorenen
Hidegség entlang, zuweilen über ihn weg. Vom starken Glanz eines
zertrümmerten Eisblocks geblendet, scheuten die drei Gäule auf einmal
und wollten in hohen Sprüngen davon, beruhigten sich aber bald. In
scharfem Trab ging es weiter, oft im Galopp, wozu die Pferde nicht viel
Ansporn brauchten; sie fühlen sich bei sachter Gangart auf dem Eise
nicht sicher und freuen sich, die Hufe mit aller Kraft einzuschlagen.
Wir holten einen Verwundeten ein, der durch gelockerten Verband
nachblutete; bei ihm verhielt ich mich und ritt alsdann allein weiter.
Der Himmel streifte sich, es roch nach Schnee. Schon traten die Häuser
von Gymesbükk hervor, da sah ich einen ländlichen Zug mit vielen
hochbepackten Wagen auf dem anderen Ufer entgegenkommen. Das erste
Gespann mutete mich bekannt an; ich lenkte hinüber und erkannte wirklich
die schönen silbergrauen Stiere, daneben die große Frau, die jetzt als
Führerin vieler Familien erschien. Als letzte mochte sie geflohen sein;
als erste kehrte sie zurück. Das Kind, in Decken gewickelt, mit Pelzen
bedeckt, schlief auf dem Wagen, die Tochter schob nach, der Greis, mit
bereiftem Bart, schleppte sich hinterdrein. Abseits, dicht am Ufer, ging
der Knabe, dick behandschuht, das Bild unterm Arme, man sah unter
zersprungenem Glas ein segnendes Jesuskind mit rotem Kleidchen auf
Silbergrund. Ich rief einen madjarischen Gruß, -- »Isten hozta« gab die
Mutter mit klarer Stimme zurück und näherte sich, wie um etwas zu
fragen. Ich mußte äußeres und inneres Ohr scharf anspannen, um sie zu
verstehen. Vor allem wünschte sie zu wissen, ob Häuser in Hosszuhavas
zerstört worden seien, und war sichtlich froh, als ich dies verneinte.
Dann fragte sie, was für Gegner wir gehabt hätten. Als ich sagte
»Russen«, lächelte sie und meinte, dann hätten sie kaum zu fliehen
brauchen, die Russen täten kleinen Bauersleuten nichts zuleide, auch
hätten sie mehr Ehrfurcht vor den Frauen als die Rumänen. Als ich
weiterreiten wollte, zog sie ein Säckchen vom Wagen und reichte mir
daraus eine Handvoll gedörrter Birnen. Ich hatte nichts bei mir, um
diese fromme Gebärde zu erwidern, als einen frischen Kommißlaib; aber
gerade damit schien ich Freude zu erwecken, und nun erst fiel mir auf,
daß sie alle sehr blaß und elend aussahen, gewiß hatten sie Mangel
gelitten. Der Knabe wurde gerufen; behutsam lehnte er die Jesustafel an
einen Stein und sprang vergnügt heran, um sein Stück zu erhalten. Beim
Eingang in das Tälchen wartete Rehm. Hier sah ich noch einmal zurück:
die Karawane überquerte gerade den Hidegség, hell blinkte der
Silbergrund des Bildes in der Abendsonne. Um halb fünf Uhr erreichten
wir das Quartier. Es ist wieder eine Bauernstube mit niedrigen,
teppichverhangenen Wänden. Wir sind jetzt elf Kilometer hinter der
Front; die Einwohner gehen wie im Frieden ihrem Tagewerk nach.




                                                           9. Dezember


Seit ich mein Gepäck immer so klein und nah beisammenhalte, bin ich
stets zum Aufbruch bereit und kann mir in den Minuten, wo ich mich sonst
in der Sorge, nicht fertig zu werden, abhetzte, das eben Erlebte ein
wenig zu erklären suchen. Der Vormittag verging mit Lesen und Schreiben;
auf drei Uhr war die Gesundheitsprüfung angesetzt, für welche sich der
große Stadel bei der Krankenstube gut eignete. Der Kälte wegen trieb ich
zur Eile. Niemand zeigte sich einer Ansteckung verdächtig; das Geschäft
verlief ohne Aufenthalt, doch gab es zum Schluß eine seltsame Störung.
Während an der hellsten Stelle der Scheune die letzte Reihe völlig
entkleideter Soldaten an mir vorüberzog, kam unversehens, halb
schwankend, halb tanzend, die junge Frau des Hauses herein, in der
linken Hand einen Krug schwingend, die Rechte wie zum Greifen
ausgestreckt, und ging geradenweges auf die nackten Männer zu, wobei sie
unverständliche Worte, rumänisch mit ungarisch vermischt, vor sich hin
sang. Wie wir gehört haben, ist sie die kinderlose Witwe eines in
Rußland Gefallenen und verwaltet nun mit Hilfe eines alten Knechtes und
einiger Mägde ihr Anwesen so gut es geht. Ob sie in ihrem Kummer
überhaupt der Trunksucht verfallen ist, wissen wir nicht; jedenfalls hat
sie gestern, als uns Freiwein gewährt wurde, mehreren Leuten einen Teil
ihres Maßes gegen Milch und Eier abgetauscht und, wie es scheint, einen
ansehnlichen Vorrat zusammengebracht. In ihrem Rausche muß sie,
vielleicht vom Stall aus, unsere ungewöhnliche Parade erspäht haben, und
es ließ ihr keine Ruhe, bis sie eingedrungen war. Eigentlich hätte ich
sie ohne Verzug hinausweisen sollen; aber die Erscheinung war voll
bannender Kraft, nie vorher hatte ich Besessenheit so vollkommen
gesehen, man konnte sich nicht abwenden, und alle Bedenken schwiegen.
Das Gesicht ist von der halb madjarischen, halb romanischen Schönheit,
die einem hierzulande oft begegnet; bei nüchternen Sinnen mag es ein
sehr anmutiges, eher schüchternes Wesen sein. Jetzt aber drückten ihre
Züge zugleich Erstarrung und Entfesselung aus; kein Lachen oder Lächeln
hatte Raum in diesem Antlitz, vor Lebensgier erschien es totenhaft.
Augenscheinlich ist auch, daß sie sich, trotz dem Werktag, mit ihrem
Sonntagsstaat angetan hat; das Kopftuch ist von feiner schwarzer Seide,
die pergamentgelbe Weste mit Gold- und Farbenstickereien überreich
verziert. Es waren gerade die jüngsten Leute des Bataillons, die noch
nackt vor mir dastanden; ihnen näherte sie sich, hob ihnen den Krug
entgegen und trank ihnen zu. Nun merkte ich erst, daß ihre Augen fast
ganz geschlossen waren; sie schien durch die Lider zu blicken, als wären
diese von durchsichtigem Stoff. Als sie einem der Jünglinge den Krug
anbieten wollte, reichte sie ihn vorüber einem Unsichtbaren, so daß ihr
Gehaben ein wenig an jene wahnsinnige Greisin vom Berge Kishavas
erinnerte. Die jungen Leute hatten sich indessen von ihrem Staunen
erholt; sie begannen sich zu schämen und warfen ihre Hemden über. Nun
war es Zeit, die Szene zu beenden. Dehm und Raab führten die Frau
hinaus. Sie ließ es geschehen, ging aber dabei rücklings, den Blick
immer ins Innere des Raums gerichtet, singend und mit dem erhobenen Krug
winkend.

Nach beendetem Dienste stieß ich im Hof auf den Gefreiten, der den
Abmarschbefehl überbrachte. Ihm folgte ein sehr alter Mann in
rumänischer Tracht, ein dicht verhülltes Kind im Arm, nahm den Hut ab
und fragte, ob ich der Feldgeistliche wäre. Der Säugling, sein
Urenkelkind, sei auf den Tod erkrankt und noch ungetauft, kein Priester
weit und breit zu finden, ob ich es nicht übernehmen wolle, ihm das
Sakrament zu spenden. Mir fiel Unteroffizier Stelzer ein; er ist
Kandidat der Theologie und hat bereits die niederen Weihen, -- ihn ließ
ich rufen und übergab ihm das Neugeborene, dessen Zustand wenig Hoffnung
läßt. Auf der Straße sammelte sich bereits das Bataillon, keine Zeit war
zu verlieren, und so vollzog der künftige Priester die einfache
Handlung, zu der im Notfall eigentlich jeder Christ berechtigt wäre,
gleich in der Stube der jungen Bäuerin, die noch immer nicht aufhörte,
zu trinken und zu jauchzen, bis Dehm sie heftig anfuhr und ihr
unverzüglich Wasser zu bringen befahl, was sie einigermaßen ernüchterte.
Die gelassene hart scheinende Art, wie er auch weiterhin mit dem Weibe
umging, gefiel mir sehr; sie hob ihn über sein gewöhnliches Wesen
hinaus, mir war, als sähe ich ihn zum erstenmal. Indem er fortfuhr, böse
mit ihr zu tun, legte er ihr schließlich das Kind in die Arme und gebot
ihr, es über das Becken zu halten und zu schweigen. Der junge Stelzer
waltete begeistert seines Amtes; klar und ohne Hast sprach er sein
lautes Ego te baptizo, während auf der Straße draußen die Kompagnien
bereits ihre Tornister aufnahmen. Die schöne Bacchantin nahm sich
gewaltig zusammen; eingeschüchtert von der Würde des Vorgangs wandte sie
keinen Blick von dem Kinde, dessen Patin sie nun unversehens geworden
war. Allmählich war es, als füge sie sich mit heimlicher Lust in ihre
sanfte Demütigung; einmal hörte man sie schluchzen, und plötzlich fielen
Tränen auf den Täufling nieder, der immer schwächer dem Tod
entgegenröchelte.

Ich muß schließen; das Pferd stampft und blickt wiehernd nach mir um.
Der Himmel wölkt sich tief herab; kleine Flocken wirbeln. Major und
Adjutant sind unruhig und geben keine Antwort, wenn jemand sie nach dem
Ziel des Marsches fragt. Wieder soll ein großer Berg an die Russen
verloren gegangen sein.




                                            Palanka, 10. Dezember 1916


Erwachend glaubte ich durch das dunstige Fenster zwei weiße Tauben zu
sehen und stand auf, um mir das Pärchen genauer zu betrachten: da waren
es die zwei Ohren eines Maultierschimmels, die sich bewegten. Das
abgemagerte Tier stand eingespannt vor einem Schlitten, den Rücken ganz
verschneit, zuweilen den Boden aufscharrend, um ein Moos oder eine
Wurzel zu finden. Von der Brigade kommt ein Fernruf: der Marsch
unterbleibt! Gern läse ich in Glavinas Blättern, bin aber niemals allein
am Tisch, nun summen die Sprüche von selber dahin. Drunten am Trotusul
ist das Ufer stellenweise noch frei von Eis; klarstes Wasser läuft über
Kiesel, die so golden schimmern, daß mir Wilhelms Briefchen einfiel; dem
Kleinen zum Gedenken hob ich denn ein paar besonders glänzige heraus,
aber da war alles Leuchten verloschen. Dennoch steckte ich einige in die
Tasche; dem Söhnchen wird es nicht schaden, wenn ihm sein Vater statt
Gold Steine bringt, es sind gar hübsche darunter, alabasterweiße mit
lila Geäder, mattgrüne wie Vogeleier getupfte, rötliche und gelbe.
Emporsteigend kam ich durch Fichtenwald. Überhängender Fels hält von
einem kleinen mit Moos und breitblättrigem Efeu bewachsenen Flecken den
Schneefall ab. Dort fand ich auch die Pflanze wieder, die einst dem
Knaben palmenhaft begegnet war; in allen Stufen ihres Wachstums umsäumt
sie die grüne Insel. Aber liegt es an meinen Augen, die nicht mehr
kindlich sind, oder hat sich wirklich das Gewächs von seiner Grundfigur
entfernt: nur wenige Stauden erinnern hier ein wenig an die Palme, die
meisten sind, indem sie schon unten vom Schaft aus Blätter
hervortrieben, wuchernder Entartung verfallen. So mag es oft gehen, daß
der Geist des Lebens einen hohen Gedanken denkt; aber das Geschöpf, dem
er auferlegt ist, vermag sich beim Nahen der Entwicklung nicht zu
halten, lüstern, sich selbst übertreibend, zerbricht es die Melodie, und
alles zerstiebt. Was liegt aber dem Leben an milliardenfachem Mißlingen?
Es kann den Dorn zum Blatt, das Blatt zur Rose formen; es hat Zeiten und
Sterne genug, um umzuzeugen und umzugebären, einmal wird es doch
schwingen, wie der Geist es will. Am Heimweg hörte ich in den Baracken
fröhlichen Lärm und Gesang, Schnee fällt noch immer; eine stetige weiße
unendlich beschwichtigende Bewegung ist der Tag.




                           Kóstelek, 13. Dezember 1916, ½12 Uhr nachts


Alle schlafen, auch ich schon zur Hälfte; dennoch will ich mir Weg und
Ankunft vergegenwärtigen, morgen ist vielleicht keine Zeit. Früher wußte
ich ja nicht, wozu man Aufzeichnungen schreibt; jetzt aber sind sie mir
wie die Brotkrümchen, welche Hänsel und Gretel im Walde ausstreuten, um
gewiß wieder nach Hause zu finden. Freilich, als die Kinder dann
wirklich den Heimweg antreten wollten, da hatten die Vögel alles
aufgepickt, -- aber da beginnt ja auch erst das eigentliche Märchen.

Der Schneefall dauerte noch den ganzen Vormittag. Die Leute hatten
innerhalb der Baracken in großen Blechkesseln Feuer angezündet; einige
wuschen sich, andere lagen rauchend und lesend auf dem halbgrünen
Maisstroh. Jeder spürte nun erst seine ganze Ermüdung, jeder lobte das
beharrliche, ruheverbürgende Gestöber. Draußen sah ich einen Mann, der
aus Übermut Brot in Schnee packte und über das Barackendach warf. So
besprengt man da und dort in Niederbayern zur Weihnachtszeit
Schneeballen mit geweihtem Wein und schleudert sie über das Haus, um es
vor Unglück zu bewahren. Aber nach zwölf Uhr schneite es nicht mehr;
Ostwind öffnete den Himmel, und bald hörte man wieder Schüsse aus
schwerem Geschütz das Tal durchhallen. Um die zweite Stunde kam der
Marschbefehl. Dem Trotusul entlang zogen wir bald über ungarisches, bald
über rumänisches Gebiet. Eine Strecke ging es durch das Gesichtsfeld der
Russen, deren Bergstellungen sich dort nahe heranbiegen. Sie bemerkten
uns, zielten aber schlecht; Granaten schlugen in den Fluß und jagten
Wassersäulen auf, beschädigt wurde niemand. Ciugesu durcheilten wir ohne
Aufenthalt und stiegen dann durch ein Seitental aufwärts. Überall ist
Schnee zu hohen Wehen durcheinander gebaut; blaue Schattenwände stießen
an Wände von brennendem Silber. In Cyges warteten wir über eine Stunde,
niemand wußte, worauf. Der Major war vorausgeritten; der Adjutant,
wunderlich verstimmt und verstockt, gab keine Auskunft über das Ziel der
Bewegung. Einmal, an kahler Gegenwand, springt die Straße schräg nach
oben zurück, und während wir als Letzte noch tief unten in Schattenkälte
gingen, sahen wir unsere vordersten Gruppen bereits hoch über uns vor
orangerot beleuchtetem Gestein aufsteigen und dahinter verschwinden.
Diese gehorsam-stetige Prozession grauer Männer, die aus der scharf
abscheidenden Helle ins Unbekannte wanderte, zog immer wieder den Blick
empor; man freute sich, auch bald auf den hochbeglänzten Steig zu
gelangen und vergaß darüber den beschwerlichen Weg.

Oben, während einer kurzen Rast auf weitem Schneefeld, meldete sich ein
Infanterist krank, einer der Neulinge, die erst in Palanka zu uns
gekommen sind. Während er sich nähert, muß er von Leuten seines Zuges
harte Worte hören, ja einer macht Miene, ihm den Weg zu vertreten, und
weicht erst auf meinen Anruf zurück. »Achtundzwanzig Monate wart ich auf
Urlaub,« schreit der alte Lutz; »krumm und grau werd ich im Krieg, und
du, papieriger Kerl, willst dich am zweiten Tage drücken!« »Durchhalten,
Herr Kamerad, durchhalten!« höhnt ein anderer. Der junge Mensch, ein
verwöhntes Knabengesichtchen unter viel zu großem Stahlhelm, erklärt
fast weinend, er habe sich freiwillig zur Front gemeldet und werde
wiederkommen, sobald er gesund sei, jetzt aber könne er nicht mehr. Man
lacht ihn aus. Sein Atem stößt weißrauchend in die Kälte, und die Augen
glänzen von Fieber; aber dafür haben die andern jetzt keinen Blick. Von
Müdigkeit und ungewisser Zukunft überreizt, hassen sie wie Verdammte
einen jeden, der sich der gemeinsamen Hölle entziehen will. Ich
beschloß, die zudringlichen Schreier einfach zu überhören und die Sache
kurz zu machen, fühlte den Puls, fragte nach bestimmten Symptomen und
wollte eben eins der rotgeränderten Täfelchen nehmen, um die nötigsten
Angaben daraufzuschreiben und es dem Kranken an den Mantel zu heften,
damit er seinen Weg ins Lazarett antreten könne, da rennt, mit
ängstlicher Miene, Dehm daher, entschuldigt sich wegen Verspätung und
beginnt nun aus der alltäglichen Sache eine große Angelegenheit zu
machen, schiebt die zwei riesigen Ledertaschen auf dem Schnee zusammen,
läßt den Mann darauf lagern, befiehlt ihm, Mantel und Rock auszuziehen
und meldet mir gestreng, daß Infanterist Löhr zur Untersuchung
bereitliege. Nach und nach fing ich wieder einmal an, Dehms überlegene
Weisheit zu begreifen. Er hat bedacht, wie gar ansteckend die Neigung,
sich krank zu melden, in solchen Fällen werden kann; selber Soldat von
festestem Holz, will er lieber grausam scheinen, als die längst
gefährdete Zucht gelockert sehen. Ja, die mißtrauischen Späher sollen
erfahren, daß es bei uns keine Läßlichkeit gibt, daß wir peinlich wie
Krämer die Schwere der Krankheit abwägen wollen. Achtungsvoll, doch
unerbittlich, leitet er mich in die Rolle des höchst schwierigen
Sanitätsoffiziers hinein, -- was bleibt mir übrig, als den frierenden
Menschen umständlich abzuklopfen, abzuhorchen, ihm den Fiebermesser
einführen zu lassen wie im Spital? Still wird es um uns; im Banne der
klinischen Zeremonien erstirbt jedes widerwärtige Wort. An dem schwach
Darniederliegenden erkennen die andern allmählich, wie sehr sie selber
doch stark und aufrecht sind, und als der Junge wieder angekleidet,
gegürtet und mit seinem Krankentäfelchen behangen ist, stapft er
unbehelligt wie ein Räudiger gegen Palanka davon.

Vor fünf Uhr hielten wir an einem hohen steilen Hang; man sah in das Tal
eines halbvereisten Flusses hinab. Zwischen Häusern brannten Lagerfeuer,
in deren Schein österreichische Soldaten ruhig hin und her gingen. Wir
standen und schauten. Von Osten scholl Kampflärm; ein breiter Gipfel
erschien von Leuchtraketen und Einschlägen vulkanisch, doch nur eine
Minute lang, dann reihte sich der Berg unscheinbar grau zu vielen
andern. Rings aber schuf der letzte Sonnenrand ein seltsames Licht.
Hellgrün lagen die Schatten auf rötlichem Schnee, ein Birkenbäumchen war
mit reinstem Smaragd hingezeichnet, und wer vor sich hinsah, erblickte
sich selber als grüne Gestalt. Niemand hatte Lust zu reden; man hörte
Stückchen gefrorenen Schnees klingend hinunterhüpfen wie leichtes
Metall. Auf einmal wehte es kälter, da war auch schon das untergängliche
Licht vom Weiß der Landschaft abgelaufen wie von Porzellan. Der
Adjutant, auf der Karte suchend, erläuterte, wir stünden über dem
Sulta-Tal, und die Häuser gehörten zu dem ungarischen Grenzdorf
Sóstelek, von hier aus hätten wir noch sechs Kilometer nach Kóstelek
zurückzulegen.

Da sich kein Fußweg fand, stiegen und rutschten wir hinunter wie es
ging. An den Feuern vorbei, deren Glut unsere Wangen streifte, zogen wir
auf der Straße weiter, von jetzt ab die Front im Rücken. Nach manchen
Aufenthalten erreichten wir Kóstelek um elf Uhr. Der abnehmende Mond
stand schon hoch, zwei ruhig leuchtende Planeten dicht über ihm. Mit dem
Adjutanten, dem Assistenzarzt, dem Ordonnanzoffizier und einigen
Telephonisten bin ich in der großen Stube eines Häuschens untergebracht,
das abgesondert auf einem Hügel steht. Von einem qualmenden Lämpchen war
der Raum halb hell. Ein schönes Weib erhob sich, als wir eintraten,
völlig angekleidet, mit zwei ganz verschlafenen Mädchen von einem
breiten, mit Heu gefüllten Bettgestell. Sie sah uns an, gefaßt, wachsam.
Endlich, mit stolz-gastfreundlicher Geste, gab sie zu verstehen, daß sie
uns das Lager abtreten und auf Stroh neben dem Ofen schlafen wollten, in
allen übrigen Räumen des Hauses sei es für die Kinder zu kalt. Wir
lehnten dies ab und ließen merken, daß wir für uns bleiben und ihre Ruhe
so wenig als möglich stören wollten.

Während wir uns zu Tische setzten, kehrten sich die drei zur Wand und
sprachen halblaut ein Gebet, manchmal sich verneigend oder sich
bekreuzigend, wobei das kleine Schwesterchen sich jedesmal mit aller
Faustkraft in die Magengrube schlug. Ich beugte mich vor, um das
Kruzifix oder Heiligenbild zu sehen, dem sie solche Verehrung erwiesen;
aber da war nur ein Haken, darunter ein heller viereckiger Fleck mit
schwarzem Saum an der leeren Wand. Hier also hatte das Bild gehangen,
gewiß viele Jahre; nun ist es verschwunden, vielleicht von Soldaten als
Brennholz verwendet, wer weiß es, dem Blick der Frommen aber sichtbar
alle Zeit. Glavinas Traum fiel mir ein, wie er als Kind über Gebirge
ging und auf einem leeren Blatt beseligende Dinge las, unbekümmert um
Gewitter und Rufe der Toten.

Die Mädchen schliefen bald wieder; die Frau saß noch eine Zeit am Bette,
das Kinn in der Hand. Ihr schmales bleiches Gesicht ist durch allen
Kummer hindurch von wunderbarer Beständigkeit und Klarheit. Sie muß
Böses erlitten haben und erwartet auch von uns nichts Gutes. Mir kam nun
erst die schreckliche Kahlheit des Zimmers zum Bewußtsein. Nicht nur das
eine Heiligenbild fehlt, auch andere Tafeln sowie Kreuz und Uhr sind
bloß durch Staub und Spinnenweben angedeutet.

Der Adjutant wurde jetzt gesprächiger; er verriet uns, daß die Russen
weit vorgedrungen seien und den Gymespaß gefährdeten, wir müßten uns auf
unruhige Tage gefaßt machen. Übrigens sei die Lage nicht klar, er
wenigstens wisse keineswegs genau, welche Berge vom Gegner besetzt
seien.




                                      13. Dezember, sieben Uhr morgens


Immer weniger gern ruf ich mir Träume zurück; der aber war so klar, so
voll Hindeutung. Wir lagen wieder in Frankreich, in dem traurigen
verödeten Gebiet bei Margny-aux-cerises in Bereitschaft. Starker Wind
wehte; Granaten wechselten eintönig über uns. Furcht lag auf mir. Mein
Leib hatte nahezu völlig sein Gewicht verloren; ich fühlte mich wie eine
Flaumfeder leicht und mußte gewärtigen, daß der zunehmende Wind mich
alsbald emporheben und zu den Franzosen hinübertragen werde. Da
schmiegte sich etwas an meinen Ellenbogen, und siehe, es war Matschka,
das graue Kätzchen, das ich in Kézdi-Almás hatte sterben sehen. Groß und
hübsch war es geworden, das weiße Flöckchen im Nacken glänzte wie ein
Licht. »Wie geht es dir?« sagte ich und wollte es streicheln; da sprang
es mit weitem Satz in einen der wassergefüllten Granattrichter,
verschwand und tauchte nach einer Weile wieder auf, eine schimmernde,
mit roten Zeichen bemalte Granate im Maul, die es herantrug und in
demütiger Haltung vor mich hinlegte. Wie froh war ich! Die Granate ist
schwer, sagte ich mir, -- wenn ich sie in der Hand halte, kann mich der
stärkste Wind nicht mehr mitnehmen. Als ich sie aber ergriff, war es
kein Geschoß mehr, sondern ein zappelnder, goldgrauer Fisch mit
rötlichen Punkten. »Der muß gebraten werden!« rief eine wohlbekannte
Stimme hinter mir. Ich sah mich um, da stand Vally vor einem Herdfeuer,
neben ihr Wilhelm, und auch dieser schrie: »Der muß gebraten werden!«
Sonderbar lächelnd nahm Vally den Fisch und übergab ihn dem Söhnchen,
das ihn zum Herde trug. Dann legte sie sich zu mir nieder; wir umarmten
uns und drängten uns innig aneinander, wobei mir ein wenig auffiel, daß
sie wohl Vally war, zugleich aber auch Regina, dann wieder die Ungarin,
die hier in der fremden Stube schlief. Aber wie liebte ich die drei
Frauen in der _einen_ Gestalt! Wie waren sie wirklich _ein_ Wesen,
mächtig seiend eine in der andern! Freilich, irgendwo in der Tiefe, wo
der Traum selber zu träumen schien, war etwas Dunkles, ein stiller
Einwand, der uns nicht ganz zur Freude kommen ließ; aber auch das ging
vorüber. Sie versteht kein Deutsch, ich kein Madjarisch, fuhr es mir
durch den Sinn, und dieser Gedanke gab mir unendliche Freiheit; selig
fühlte ich meine Schwere in mich zurückkehren. Dabei löste sich eine
blaue, aus innen leuchtende Wolke von uns ab, stieg empor und entfernte
sich bis zum Horizont hinaus. Wir standen auf und betrachteten
aufmerksam dieses Gewölk, an dessen Rande sich lange Reihen winziger
blinkender Wesen, Insekten ähnlich, entwickelten. Sie näherten sich und
wurden dabei groß und kriegerisch. Am Ende waren es wirkliche Soldaten
mit silberblauen Stahlhelmen, von rotgeflügelten Generalen geführt; in
schräger glänzender Flucht zogen sie zahllos über uns hin und durch uns
hindurch wie durch Rauch. Auf einmal stand Wilhelm neben mir, zur Reise
gegürtet, einen Stab in der rechten Hand, in der linken einen Teller mit
dem Fisch. Ich stand auf, gab dem Knaben zu essen und aß dann selber.
Kaum hatte ich einen Bissen hinuntergeschluckt, da begann ich zu
begreifen, daß es doch eigentlich drei verschiedene Frauen gewesen
waren, die ich umarmt hatte, und das bekümmerte mich sehr. Wilhelm aber
ließ mir keine Zeit zu grübeln, -- »Vater, es ist Zeit!« rief er und
stieß ungeduldig den Stab auf den Boden. Wir gingen einer Ferne
entgegen, die ganz in Flammen stand, da machte ich die Augen auf und sah
in ein helles Ofenfeuer hinein. Die junge Frau setzte gerade einen
großen Kessel auf die zischende Platte.

                   *       *       *       *       *

Alle sind nun aufgestanden; bloß die zwei Mädchen schlafen noch. Der
Adjutant wünschte guten Morgen und fragte, ob es mich nicht sehr ermüde,
immer so viel in mein Heftchen zu kritzeln; er zerbreche sich den Kopf
darüber, was ich denn so Merkwürdiges zu verzeichnen habe, im Grunde sei
der ganze Feldzug doch ein gräßlich langweiliges Einerlei. Übrigens möge
ich doch vorsichtig sein und keinerlei militärische Tatsachen erwähnen,
wir kämen in ein schwieriges, unübersichtliches Gelände, da seien die
größten Überraschungen denkbar, und falls ich das Unglück hätte, in
Gefangenschaft zu geraten, könnte wohl Schaden entstehen. Es gelang mir,
ihn zu beruhigen. -- Die junge Frau hantiert noch immer am Herde. Von
allen Gesichtern, die mir bisher in diesem Grenzgebiet begegneten, hat
sie das feinste, klarste, entschiedenste; nichts Verschwommenes, nichts
Liegengebliebenes findet sich darin; es verhält sich zu vielen anderen
wie die Ausführung zu den Skizzen. Meine Müdigkeit von gestern ist
verflogen, die ziemlich wunden Sohlen beinah geheilt. Gewiß ist es die
gesunde Urnähe des Weibes, die den Schlaf so erquickend gemacht hat. Die
Winterluft schmeckt, als wäre ein säuerliches Mineral darin aufgelöst.
Die Sonne saugt am bläulich morschen Mond. Im Osten schimmert himmelgelb
das Eis der Sulta. Auf einmal beginnen die Kanonen zu schlagen, da
werden die Kinder wach.




                                         Sulta-Tal, elf Uhr vormittags


Um acht Uhr waren wir abgerückt und in kaum einer Stunde nach Sóstelek
zurückgelangt. In den Höfen sah man die Bewohner arbeiten; Knaben bauten
einen Schneemann. Staunendes Gedränge war um ein österreichisches
Brigadequartier; hier hing, an den Hintertatzen aufgeknebelt, eine
riesige tote Bärin zwischen ihren zwei Jungen von der Altane herab, und
eben erhoben zwei Husaren lange Messer, um die Tiere aufzuschneiden.
Soldaten und Volk, darunter viele Weiber mit mohnroten Kopftüchern,
sammelten sich um das ungewöhnliche Geschäft, und niemand verlor einen
Blick an unseren eiligen alltäglichen Zug.

Bis neun Uhr ging es weiter durch unversehrte Landschaft unter waldigen
Hügeln hin, aus denen graue Holzhütten preußischer Pioniere wie Klausen
von Einsiedlern hervorsahen; es war, als gingen wir mitten in ein altes
Bild hinein und würden ein Teil davon. Der Luft war etwas Föhn
beigemischt; abgleitender Schnee hing locker wie Tuch von starken Ästen.
Das Tal ist voller Vögel; wir sahen Raben, die immer sonderbare
Seitensprünge machten, als ob ihnen jemand auf die Zehen träte;
Dompfaffen, die Brust wie blutend, überflatterten die Straße. Auf einmal
bog sich das Tal, der Wald verschwand zuweilen, und bald, im verengten
Flußbett, verkündete sich wieder der Krieg. Zerbrochene Räder und
Lafetten standen aus dem Eis, daneben Geschützrohre mit verkrümmten und
zerrissenen Mäulern. Ein Vogelschwarm, Blaumeisen, Kleiber und
Emmerlinge, stob aus Fichtendickicht auf; darin, fast schneefrei, lag
ein vollkommenes Pferdegeripp, noch alle vier Eisen an den Hufen, das
Ganze wohl mehr vom Frost als von den mürben Kapseln der Gelenke
zusammengehalten, von Muskel oder Sehne nichts verblieben, etwas Haut am
Schädel das einzige, was den spitzen Schnäbeln der zierlichen Vögel noch
abzupicken bleibt. Fast hätten wir daneben einen schön gesäuberten und
gebleichten Totenkopf übersehen, auf dem noch verwegen die Rumänenmütze
sitzt; was etwa sonst noch von dem Manne übrig ist, liegt im Schnee
verborgen. Etliche behaupteten, von links her Gefechtslärm zu hören,
auch mir kam es so vor, andere bestritten es. Mancher hielt es für
bedenklich, in der engen, blickverstellenden Schlucht vorzurücken, da
doch niemand genau die Lage kenne. Neue Berge hatten sich erhoben,
zunächst ein breiter, schwarz bewaldeter, der das Tal östlich absperrt.
Er heißt Vadas; die Russen sollen sich vorgestern auf seinem Gipfel
verschanzt haben. Einmal teilt sich die Straße, um gleich wieder
zusammenzulaufen; in der Gabelung steht eine Dampfbrettersäge mit
ausgedehnten Seitengebäuden. Massen deutscher und österreichischer
Munition sind hier aufgestapelt, und mit gutem Fug rügte der Major, daß
dieser Vorrat, in dem ein einziges Feindgeschoß unermeßliche Wirkungen
auslösen könnte, noch nicht geräumt werden sei. Woher aber hätte man in
den zwei Tagen Fuhrwerke, Gäule und Leute genug nehmen sollen, um alles
zurückzuschaffen? So blieb auch uns nichts übrig, als tadelnd
vorbeizuziehen und alles zu lassen wie es ist. Nach einer halben Stunde
hatten wir die bretterne Hütte erreicht, in der ich jetzt mit meinen
Leuten hause. Sie ist als Verbandraum recht leidlich eingerichtet.
Stabsarzt S., den ich ablöste, erzählte sehr überzeugend seine
Erlebnisse von den letzten Tagen. Einige Züge seines Bataillons hatten
gerade das Dörfchen Sulta besetzt, das hinter dem Vadas liegt, als die
Russen, die man auf der Flucht glaubte, zurückkehrten und mitten im
Schneegestöber mit höchstem Ungestüm angriffen. Ein deutscher Zugführer
fiel; seine meisten Leute wurden gefangen oder getötet. Der Arzt konnte
sein Quartierhaus gerade noch durch die Stalltür verlassen, als bereits
ein tscherkessischer Offizier vorne den Hof betreten hatte: Zeißglas,
Verbandtasche und ein unersetzbar schöner Pelzmantel mußten
zurückbleiben. Am folgenden Morgen brachten pfälzische Truppen den
feindlichen Marsch zum Stocken; aber der Vadasgipfel ist verloren.
Übrigens bezeichnet S. die beiden hier im Tälchen verbrachten Tage als
reine Erholung; kein Schuß ist bis jetzt hereingefallen. Freilich,
meinte er lachend, könne diese verwunderliche russische Friedsamkeit
auch von dem schwierigen und ganz verschneiten Gelände kommen, das die
Beförderung der Geschütze sehr verlangsame. Unser Major meinte, mit
seinen Fernrohren überblicke der Gegner das Tal bis in die letzten
Winkel, er werde nicht lange dulden, daß wir uns hier herumtummeln. »Der
Assistenzarzt«, entschied er, »geht auf alle Fälle bis zum Fuße des
Vadas mit. Wir bauen dort einen Unterstand ein; es kann keine besser
geschützte Stelle geben. Bleiben Sie lieber hier, so will ich Ihnen
nicht entgegen sein.« Ich hatte mir indessen schon die Verteilung des
Raums zurechtgedacht und fand allerlei Gründe für mein Bleiben, merkte
aber, daß mich der Alte ungern zurückließ.




                                                       Abends neun Uhr


Es ist ruhig; weder Kranke noch Verwundete kommen, selten fällt auf dem
Berg ein Infanterieschuß. Ich verfaßte mit Raab den fälligen Rapport,
begann auch noch Briefe zu schreiben, aber der Schlaf wird übermächtig.
Die Hütte ist voll Tabaksqualm; das Paraffinflämmchen leuchtet schlecht
und schneidet mir böse Gesichter. Alle haben sich schon hingelegt; nur
Kristl schnitzt noch Schienen. Er tut immer still und willig, nur
manchmal etwas ängstlich, seinen Dienst.




                                         Freitag, 15. Dezember morgens


Im Traum sah ich eine schwarze Wolke, die sich um den Vadasgipfel legte,
und ging nach dem Erwachen gleich hinaus, um zu sehen, ob sich der erste
Traum im neuen Haus erfülle. Die Luft ist aber noch durchsichtiger als
gestern; der Frost, mit gläsernen Pranken, tritt weit in das fließende
Wasser hinein. Verwundete sind gekommen mit schlimmem Bericht;
unverhohlen freuen sie sich ihrer durchschossenen Hände und Arme. Die
Tscherkessen haben den ganzen Gipfelwald mit Stacheldraht umflochten;
unangreifbar sitzen sie hoch über der deutschen Stellung, die sie
durchaus überschauen. Die Unsrigen müssen bei Tage wieder geduckt hinter
Felsbrocken liegen; der gestrige Nachmittag kostete fünf Leuten das
Leben. Im Tälchen ist es noch still. Ich habe mir Wein eingeschenkt und
krame wieder einmal in Glavinas Zetteln. Leider sind mehrere verloren
gegangen, und ich muß wieder manches aus dem Gedächtnis hervorspinnen,
wobei wie von selber viel Eigenes dareinfließt. Was tuts! Genügen vom
Kalium permanganicum doch zwei, drei Körnchen, um ganze Krüge Wassers
rot zu färben.




                                                               Elf Uhr


Major und Stabsarzt haben doch recht vermutet: die Russen beginnen
leichte und mittlere Kaliber auf die Straße zu werfen, schon sind ihnen
einige Fußgänger zum Opfer gefallen. Viel gelacht wurde vorhin über
einen jungen Fußverletzten vom Vadas, der hartnäckig erklärte, nicht
laufen zu können und sich darauf versteifte, daß er nach Sóstelek
getragen oder gefahren werden müsse, beim ersten Granateinschlag aber
wie ein Wiesel davonlief. Rehm und Raab glauben, unser Hüttchen werde
bis in einer Stunde nicht mehr stehen. Meldung an den Major; Anfrage, ob
wir nunmehr den Verbandplatz zum Vadas vorverlegen sollen. Rehm erbietet
sich, das Blatt zu befördern, bedingt sich nur aus, daß er allein gehen
dürfe. Auf einen einzelnen Mann, meint er, werde Artillerie schwerlich
schießen. Ich gebe ihm den Rest des Weines mit und lasse zusammenpacken.




                                                             Zwölf Uhr


Wir liegen hinter einem Felsenvorsprung der Schluchtwand; ich glaube,
der Platz ist gut gewählt, eigentlich kommt weit und breit kein anderer
in Betracht. Die Russen möchten uns gerne herausschießen und sparen
keine Munition; Raab, als alter Artillerist, weiß uns aber zu
überzeugen, daß es nicht gelingen kann, sie mögen zielen wie sie wollen.
Ich hätte bei einem Haar den Augenblick verpaßt. Raab wird nicht müde zu
schildern, wie sehr eindringlich er mir vorgestellt habe, daß es an der
Zeit sei, den Platz aufzugeben, ich habe ihm, sagt er, auch beigestimmt,
ihnen vorauszugehen befohlen und unverzüglich zu folgen versprochen,
dann aber muß mich wohl Glavinas dunkle Rede länger festgehalten haben,
als mir bewußt war. Draußen fuhr eine Granate nieder, die blind im Boden
stecken blieb. Das Gebäudchen schwankte krachend; Staub und Schutt
fielen auf das Papier. Ich sah mich um und war allein, hörte aber
fernher meine Leute nach mir rufen. Sie konnten sich übrigens des
Lachens nicht erwehren, als ich, in der linken Hand meine Blätter, in
der rechten das halbvolle Weinglas, durch die Sulta zu ihnen
hinüberstieg. Bald kamen weitere Schläge, und wie ein Kartenhaus flog
die Bretterbude auseinander.




                                                              Zwei Uhr


Rehm ist heil zurückgekehrt. Der Major befiehlt, in der nächsten
Feuerpause den Verbandplatz nach Sóstelek zu verlegen. Dort, meint er,
könnten wir mehr nützen als anderswo, Beschäftigung werde nicht lange
fehlen. Rehm sagt, er habe sich mit einer Herzlichkeit, die man bisher
an ihm nie wahrgenommen, nach mir und meinen Leuten erkundigt und sich
über unsere Erhaltung sichtlich gefreut, im übrigen leider sehr gealtert
und bekümmert ausgesehen. Auch Leutnant H. sendet Grüße; von seiner
Stellung aus hat er die Talbeschießung verfolgt, freilich nur mit einem
einfachen Fernglas, und uns alle tot oder verwundet geglaubt. Noch ist
kein Gefecht im Gang, die Lage aber unerträglich; falls der Tscherkesse
nicht angreift, muß er angegriffen werden. Nächste Nacht sollen schwere
Minenwerfer hinaufgeschafft werden, um den Gipfelsitz zu zerstören. Bei
uns ist es ruhiger geworden; selten fällt noch ein Geschoß. Verzeichnen
muß ich ein Gerücht, als habe der deutsche Kaiser den Feinden Frieden
angeboten. Wir bereiten uns zum Gang nach Sóstelek.




                                                              Drei Uhr


In künftigen Kriegen, zu Wasser, zu Land und in der Luft, werden sich
gewiß absonderliche Lagen genug ergeben. Ob aber eine wie die unsrige
schon dagewesen ist? Seit halb drei Uhr hatten die Russen ihr Schießen
eingestellt; bei tiefer Stille waren wir, in gehörigen Abständen,
zurückmarschiert und etwa fünfhundert Schritt bis an das große Sägewerk
herangelangt, als eine der preußischen Batterien, die nahe vor Sóstelek
stehen, zu schießen begann. Sie muß dem Gegner etwas Arges angetan
haben; denn auf dem Fuße, Schlag um Schlag, erfolgte maßlose
Gegenwirkung, und bald konnten wir uns nicht mehr darüber täuschen, daß
auch unser kleiner Zug aufs Korn genommen wurde. Ich erwog die Umkehr,
doch schien sie fast bedenklicher als der Weitermarsch, und so liefen
wir denn fort, auf das Gebäude zu. Viele Geschosse schon waren uns
nachgerasselt, das letzte gerade noch fehlend, da kam eines, dem gleich
nach dem Abschuß anzuhören war, daß es auf uns zuhielt. Funken flogen
auf, und während ich mir mit beiden Händen den Hinterkopf zu schützen
suchte, war ich niedergeworfen und von Erdklötzen halb eingegraben, dann
trat Stille ein. Glieder und Gelenke prüfend, erkannte ich mich als
unverwundet, stand auf und sah nach den übrigen. Rehm, behangen mit Erde
und Eis, die Wangen leicht blutend, richtete sich eben empor und
lächelte mich etwas betreten an; die andern standen seitlich, wie
Statuen an die Felsen gestellt, und starrten auf den tiefen schwarzen
Trichter, der nun in ganzer Breite die Straße unterbricht. Ernstlich
verwundet war niemand. Jetzt schien sich die russische Wut von uns
abzuwenden, und froh des glimpflichen Ausgangs wollten wir unsern Weg
fortsetzen, da geschah etwas Neues. Eine Granate fuhr mitten in die Säge
hinein, die wir nahezu erreicht hatten; eine Explosion erfolgte, dann
eine zweite, dann fünf, dann unzählbare, und überall aus Dächern und
Wänden zwängten sich die Flammen. Wären wir in diesem Augenblick mit
aller Kraft weitergerannt, wir wären gewiß noch durchgekommen und säßen
vielleicht beim Bärenschmaus in Sóstelek. Aber ohnedies noch leicht
betäubt, sahen wir uns nur mit schauderndem Vergnügen das Ereignis an
und versäumten die günstige Minute. Die Gegner ihrerseits begriffen
schnell, was sie angerichtet hatten; übermütigen Knaben gleich, schossen
sie wie rasend in den Brand hinein, und noch immer, in schrecklich
langsamer Steigerung, entladen sich unaufhörlich die massenhaft
aufgeschichteten Patronen, Handgranaten, Schrapnelle, Granaten und
Minen. Wir brauchen uns nicht an die Wände der Schlucht zu schmiegen;
die starken Luftwellen pressen uns an. In uns und um uns ist ein Summen
und Beben, als würden Luft, Gestein und wir selber gleichmäßig
elektrisiert. Die Sprengstücke fliegen weit. Dem Gefreiten Junker hat
ein Splitterchen die Ohrspeicheldrüse durchschlagen; das Blut spritzt in
langem dünnem Strahl in den Schnee, ist aber leicht zu stillen. Mir ist
die linke Hand geritzt; es blutet wenig. An der Säge selbst, besonders
nach der offenen Seite hin, mag es dichte Streuungen geben. So hat uns
der Feind gewissermaßen eine Festung in den Weg gesetzt, an der wir
nicht vorbeigelangen können. Immer noch zürnt er gewaltig; unsere
fernversteckten Batterien fahren fort, ihn zu reizen, er findet sie
nicht und rächt sich an den paar Leuten, die er sieht. Der kleine
Lüttich, vielleicht von einer Art Platzangst erfaßt, kam auf den
Einfall, aus der Schlucht herauszuklettern und das offene Gelände zu
erkunden; er ist mit zerschmetterter Schulter zurückgekehrt. Die
schlecht verwaltete Festung drüben fährt fort, zu verschwenden; bald
wird sie sich ausgegeben haben. Schließt man die Augen, so hat man das
Gesicht einer fürchterlichen, auf kleinsten Raum zusammengeballten
Schlacht, von der nichts bleiben wird als Asche und Gebein. Wie langsam
rückt die Sonne! Aber auch durch böse Stunden läuft der Zeiger. Um fünf
Uhr muß es dunkeln. Um sieben Uhr können wir in Sóstelek sein.




                                                                ¾4 Uhr


Die Sonne verläßt schon die unteren Felsen. Man friert nicht; der Brand
wirkt herüber, Schnee tropft vom Gestein. Auch die rings
aufgeschichteten Bretter stehen in Flammen. Die Entladungen dauern an.
Oben am Gipfel ist man noch wachsam. Rehm glaubte nicht mehr an die
Gefahr, ging versuchsweise eine Strecke der Front entgegen, erhielt
Feuer, kehrte zurück, unverwundet. Über uns ist starre Klarheit; das
Föhnige hat sich wieder aus der Luft verloren. Auf naher Birke wippt ein
winziger grauer weißbauchiger Vogel; Schnee naschend von jedem Zweige,
hüpft er unermüdlich auf und ab. Keiner der Genossen ist niedergedrückt.
Ja, die gepreßte Stunde, wo Tod und Leben dicht beisammen sind, es ist,
als festige und läutere sie den Grundstoff der Naturen, und wie eine
schlechte Bleiglocke, getaucht in reinen Sauerstoff, auf einmal klingt
wie eine silberne, so beginnt jeder in seinem eigensten Wesen zu tönen.
Mancher erzählt von seiner Kindheit, und fast jeder will einen anderen
beschenken. Von Kristl befürchtete ich sehr einen Rückfall in die
Verstörung; aber er ist ganz gelassen. Den Lüttich hat er aufs beste
verbunden, dann aus Brot einen drolligen kleinen Bären geknetet und ihm
eine von seinen Goldmünzen ins Maul gesteckt. Wie eine Weihgabe stellt
er das Figürchen in einer Felsennische auf, die will er mit Hölzern und
Kieseln zubauen, einmal werde schon jemand das Bärlein finden, und es
solle ihm gehören samt dem Goldstück, auch wenns ein Rußki wäre.
Lüttich, unter Morphium gehalten, schläft. Mir aber vertreiben die
Sprüche des Toten die Zeit. Um einigen Überblick zu bekommen, las ich
sie einmal alle nacheinander herunter, zuerst leise für mich, bis ich
merkte, daß die Kameraden zuhorchten, dann sagte ich ihnen, daß es ein
Gedicht sei, das man bei dem gefallenen Glavina gefunden habe, und
wiederholte mit lauter Stimme:

»Laßt uns den Hügel bauen am Berge Kishavas, ein Mal den Getöteten auf
der bereiften Felsen- und Wacholderflur!

Dem Gesetze treu, ohne Klage, unbemerkt, bluten sie hin auf den fremden
Steinen, wo kein Eichbaum grünt.

Wie das endet, wer schaut? Finster brüten Völker. Habet acht, o Freunde!
Seht ihr einen Sterbenden, demütig bittet ihn, daß er heilsam sterbe,
keine Flüche denke! Bald ist alles Vorspiel nur. Alle gehn wir morschen
Weg. Tote Hände, bedeckt sie mit Wacholderzweigen bläulich düster!

Wer aber heimkehrt, halte Bereitschaft! Jeden mit anderer Stimme ruft
Gott. Ein grader Wandel ist euer, ein langer Werktag, selten ein Fest,
selten ein feiernd Lied. Schlummert wachsam wie die Gemse schläft!

Denkt grauer Wahrsagung! Feindseliger Schein traf die Länder. Kaum atmet
noch der Glühende, der vom Pol her den Fluch-Engeln wehrt.

Unsern Schlaf überschleicht ein stummer Mut-Ermüder, Vogel von Antlitz,
doch nicht beschwingt, unzeugerisch, ob auch elektrische Kräfte
verströmend. Wollüstig alle beugt er, selbst unbeugbar.

Die strengen bindenden Worte fallen aus Kindes Gedächtnis. Raben tragen
die goldnen Bücher aus dem Heiligtum.

Opfer, was frommen sie noch dem, der den Ruf überhörte? Der Dom stürzt
ein über Altar und Beter, und abgesprengt, noch klingend vom
Pilger-Bittgesang, ins Meer hinaus, verbrennend, schwimmt die Brücke.

Der Geist wird stehn vor der Tür seines eigenen Hauses und nicht heim
finden. Gras wächst auf der Schwelle des Meisters und Herrn. Dessen
Seele ist Eis geworden, klares, rundes, gediegenes Eis, und alle Lust
wund und wirr wie der Fisch unterm Eise sich freut.

Der du heimkehrst, halte Bereitschaft! Wirf ab die kleinen Träume!
Stifte klares Vergessen! Segne dich ein in ein eigenes Gebot, und bevor
du umschritten dreimal das heilige Feuer, schlafe nicht bei deiner
Braut!

Selig, wer Flügel regt mitten in Zeiten-Gruft! Heil schöpft er aus
Unheil. O, und wenn Welt vergeht und neue erst unkenntlich gärt, immer
dann schwebt eine tiefe blaue Stunde voll Freiheit und voll Hellgesicht,
wo Rhythmus-Woge Geister hebt, bis die ganz neues Ufer schaun und nun
erst recht sich freun des Flugs!

Sonne, die große Seele, weiß nichts von Auf- und Untergang, und brennt
sie nicht in uns? Geschieht nicht stündlich fern und nah beherzte
Liebestat? Das Innig-Ewige, wehts über Meere nicht von Stirn zu Stirn
als wie ein Hauch? Und sinds die zarten Hauche nicht, aus denen
Gott-Sturm wächst?

Kommet, Boten der Gnade! Wohnet nicht länger auf Bergen, besucht von
toten Sehern, bei Adlern wolkenfeucht! Erscheinen herztrunken, wo bei
verloschnen Herden Geschwister glühend harren! Wecket, weckt uns den
Ruf!

Wie soll auferstehn, was nie begraben ward? Geht um in zwölften Stunden!
Lest auf aus taubem Schutte das oft zerbrochne Menschenbild! Mauert es
heimlich ein unter die neuen Gebäude! Ihr kündet keine neue Lehre; schon
viel ist uns gelehrt. Auf schwebender Grenze von Licht und Urnacht naht
ihr euch singend. Wen ihr grüßet, der ändert sein Leben. Euer
himmlisches Lied geht über in jedes Gewissen.

Ihr wandelt harte Kette in leichten Zauberzügel. Der Gefesselte lenkt
seinen Feßler, und beide erkennen die Freiheit.

Und wer, an Erbschaft gebunden, verwurzelt in Unterwelt, mit Milch und
Korn sparsam genährt, sich als ein Bleibender wandelt, suchet am Sonntag
ihn heim! Saget auch ihm Gefahr und Herrlichkeit unsers Lebens! Dann mag
er dem Erdreich getrost vielfältige Frucht abgewinnen! Nur was ihm
zukommt, behält er. Fromm wirft er den ersten Schnitt in die Säule des
ewigen Brandes, die Nahrung der Geister zu mehren.

Auf Rinden und Gesteinen wie Wandrer alter Zeit hinterlasset ihr Zeichen
einander, sogar in Sand und Schnee, und fällt euch der Tod an am Wege,
vergehend lockt ihr noch mit Speise und sanfter Beschwörung wilde Vögel
vom Himmel, schreibt auf weißen Fittich pupurne Liebesrunen.

Wir aber bauen ein Grabmal am Berge Kishavas, ein Mal unsern Toten auf
der bereiften Felsen- und Wacholderflur!

Noch wintern Rumäniens Gipfel, am Himmel aber ist Frühling. Die Haut der
Birke wird bräunlich und blättert ab, darunter schimmert silbern schon
die neue. Wir wirbeln hin wie Laub in fremde Felder, -- was quillt aus
unserm Tod?

Glauben, sternhaft gesammelt, laßt ihn glühn mit beständigem Licht!
Vielleicht nach Monden und Jahren trifft es den reinen Kristall der
göttlich erstarrten Seele. Die zwar bleibt Eis, die schmilzt nicht mehr;
aber wie eine Linse, unwissend, biegt sie vielfarbige Strahlen zu fernem
Brennpunkt hinüber, da schlägt neue Flamme aus uraltem Boden.

Vermorscht sind schon die Leichen am Berge Kishavas, verrostet unsre
Schwerter, vergessen unser Kranz, da freuen Menschen sich wieder
unschuldig des Brotes und Weines, die uns verbittert sind. Aus wildem
Ahnendrang ist lockere Krume bereitet, die Seele frei zu nie gewagtem
Opfer. Aus erschüttertem Blut steigen kühne Beginner, und die Satzungen
sind Gesang.«




                                                        Elf Uhr abends


Das Ganze war mit Schweigen angehört worden. Endlich äußerte Raab, er
habe nur Weniges recht verstanden, doch gefalle es ihm, er sei ganz
fröhlich davon geworden. Die anderen schauten zu dem niederbrennenden
Gebäude hinüber und sagten nichts. Leider geschah noch etwas höchst
Unerwartetes. Der kleine Lüttich erhob sich auf einmal und ging stark
taumelnd auf die Säge zu. Einer schrie Halt, ein anderer lief ihm nach;
er aber, vielleicht im Fieber, vielleicht in Morphiumbenommenheit,
schwankte weiter und fiel plötzlich, weich einbrechend, zusammen. Wir
holten ihn heran, er war tot. Ein schmaler Eisensplitter stak in der
linken Schläfe. Um dreiviertel fünf Uhr feuerten die Russen noch einmal
aus allen Rohren, doch nur eine halbe Minute lang. Um fünf Uhr, wie auf
Befehl, hörten die Explosionen im Sägewerk auf. Dämmerung und Nacht
bezogen das Tal. Kristl fertigte für Lüttich ein Kreuz und schrieb Namen
und Datum darauf. Uhr und Erkennungsmarke wurden abgenommen und
verwahrt, hierauf begruben wir ihn. Der Boden ist bis tief hinab
gefroren, wir brauchten über zwei Stunden. Schnee und Sterne gaben
schwaches Licht. Um zehn Uhr erreichten wir Sóstelek.


                        Gedruckt bei Fr. Richter
                               in Leipzig


                               Hans Carossa:

   Doktor Bürgers Ende. Letzte Blätter eines Tagebuchs. _Zweite
   Auflage. In Pappband M 3.50, in Halbleder M 6.--_

   Gedichte. _Dritte, veränderte Auflage. In Pappb. M 4.--_

   Eine Kindheit. _In Pappband M 4.--_

   Hier ist dies Lied einer Jugend: Ein Arzthaus in einem
   oberbayrischen Dorf ist die unruhevolle Umgebung, in der ein Ich,
   eine Menschenseele sich bildet. Die klare Epik großer deutscher
   Erzählerart formt Szene um Szene, Bild um Bild in männlich
   aufrichtiger Realistik: aber aus dieser Wirklichkeit steigt bald der
   Duft der Liebe, blühende Lebensfroheit, ernste Gottestiefe. Diese
   »Kindheit« wird bald zu den klassischen Büchern deutscher
   Offenbarung gehören.

                                        Leipziger Neueste Nachrichten.

   Das Buch ist so ohne Anfang und ohne Ende, wie das Leben ohne Anfang
   und ohne Ende ist, und hinter den alltäglichen Vorgängen lebt ein
   Raunen und Wehen von dem tiefen Geheimnis, wie der Saft in der
   Pflanze steigt, wie das Blut in den Adern kreist, wie die Erde um
   die Sonne schwingt und wie alles untereinander zuinnerst verbunden
   ist. Ein Buch, das oft zum Aufblicken und Augenschließen und
   Nach-Denken, Nach-Fühlen zwingt, ein beseeltes Buch ist es, das von
   innen heraus ganz eigen leuchtet.

                                                  Frankfurter Zeitung.

                          INSEL-VERLAG ZU LEIPZIG


                     Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.





End of the Project Gutenberg EBook of Rumänisches Tagebuch, by Hans Carossa

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RUMÄNISCHES TAGEBUCH ***

***** This file should be named 63410-8.txt or 63410-8.zip *****
This and all associated files of various formats will be found in:
        http://www.gutenberg.org/6/3/4/1/63410/

Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This book was
produced from images made available by the HathiTrust
Digital Library.

Updated editions will replace the previous one--the old editions will
be renamed.

Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
law means that no one owns a United States copyright in these works,
so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
States without permission and without paying copyright
royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
of this license, apply to copying and distributing Project
Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
specific permission. If you do not charge anything for copies of this
eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
performances and research. They may be modified and printed and given
away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
trademark license, especially commercial redistribution.

START: FULL LICENSE

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
www.gutenberg.org/license.

Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
Gutenberg-tm electronic works

1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or
destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your
possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
1.E.8.

1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement. See
paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
electronic works. See paragraph 1.E below.

1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
works in the collection are in the public domain in the United
States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
United States and you are located in the United States, we do not
claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
displaying or creating derivative works based on the work as long as
all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when
you share it without charge with others.

1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
in a constant state of change. If you are outside the United States,
check the laws of your country in addition to the terms of this
agreement before downloading, copying, displaying, performing,
distributing or creating derivative works based on this work or any
other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no
representations concerning the copyright status of any work in any
country outside the United States.

1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear
prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work
on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the
phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed,
performed, viewed, copied or distributed:

  This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
  most other parts of the world at no cost and with almost no
  restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it
  under the terms of the Project Gutenberg License included with this
  eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the
  United States, you'll have to check the laws of the country where you
  are located before using this ebook.

1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is
derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
contain a notice indicating that it is posted with permission of the
copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
the United States without paying any fees or charges. If you are
redistributing or providing access to a work with the phrase "Project
Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
posted with the permission of the copyright holder found at the
beginning of this work.

1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
any word processing or hypertext form. However, if you provide access
to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works
provided that

* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
  the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
  you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
  to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
  agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
  within 60 days following each date on which you prepare (or are
  legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
  payments should be clearly marked as such and sent to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
  Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
  Literary Archive Foundation."

* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
  you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
  does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
  License. You must require such a user to return or destroy all
  copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
  all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
  works.

* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
  any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
  electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
  receipt of the work.

* You comply with all other terms of this agreement for free
  distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than
are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The
Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm
trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
electronic works, and the medium on which they may be stored, may
contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
cannot be read by your equipment.

1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from. If you
received the work on a physical medium, you must return the medium
with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org



Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.