Schiff vor Anker: Erzählungen

By Gorch Fock

The Project Gutenberg EBook of Schiff vor Anker, by Gorch Fock

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Title: Schiff vor Anker
       Erzählungen

Author: Gorch Fock

Editor: Aline Bußmann

Illustrator: Bernhard Klein

Release Date: February 6, 2018 [EBook #56512]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHIFF VOR ANKER ***




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                           Schiff vor Anker


[Illustration: Gorch Focks Elternhaus auf Finkenwärder, im Vordergrund
seine Mutter]

[Illustration: Gorch Focks Grab auf Stensholmen in Schweden]




                            Schiff vor Anker

                            Erzählungen von

                               Gorch Fock

                     Aus dem Nachlaß herausgegeben
                           von Aline Bußmann

                 Mit Bildern von Gorch Focks Elternhaus
                      auf Finkenwärder und seinem
                   Grabe auf Stensholmen in Schweden

                                Hamburg
                        Verlag von M. Glogau jr.
                                  1920




                            1.-10. Tausend.
               Mit Umschlagzeichnung von Bernhard Klein.


                   Zeilenguß-Maschinensatz und Druck
                   von Oscar Brandstetter in Leipzig.




Inhalt.


                               Seite

  An Gorch Focks Freunde           7

  De solten See                    9

  Herbst entgegen                 20

  Karen                           29

  Vor Ostern                      40

  Kassen Witt sin Freeree         54

  Pulli                           68

  Sonntagnachmittags              83

  Hans Otto                       89

  Ditmer Koels Tochter            99

  Schiffbrüchig                  115

  »In Gotts Nomen, Hinnik!«      123

  Auf Helgoland                  131

  Die sieben Tannenbäume         143

  Ein Sterben                    154




An Gorch Focks Freunde.


Längst ist Gorch Focks Schiff vor Anker gegangen. Und wir haben seine
Schätze davongetragen, die er in der Unendlichkeit des Meeres, in Ferne
und Nähe, in Stürmen und Stille in seine Seele gesammelt hatte. Und wir
sind mit vollen, schweren Händen davongegangen.

Nacht und dunkle Nebel haben sich nun auf das Land gelegt, für das
Gorch Fock sich hingegeben, wenig matte Sterne leuchten am verhüllten
Himmel. Wir sind noch einmal den Weg zurückgegangen zu Gorch Fock, an
seinem Schiffe glommen noch leise das rote Licht seiner Lebensliebe,
das grüne seines hoffenden, unverzagten Herzens, und inmitten der
beiden das helle, gelbe, strahlende Licht seines Daseins. Und in
dem still gewordenen Schiff haben wir noch einmal nach vergessenen,
liegengebliebenen Kostbarkeiten gesucht und fanden Dinge, die nicht
untergehen sollen in Vergessenheit.

Bunt ist die Kette, die daraus wurde, Altes und Neues ist
nebeneinandergereiht, aber in jedem ist Gorch Focks Geist, der in
allen, die ihm nahe sind, lebendig bleiben möchte.

                                                  Aline Bußmann.

Hamburg 1919.




De solten See.


Ein Tropfen Tinte sitzt in meiner Feder und will verschrieben sein.

Was ist es, das mich wiegt? Wo bin ich? Was klirrt da? Ist es mein
Schwert? Oder habe ich nur geträumt? Sind wir schon auf der Nordsee,
haben wir das Skagerrak schon hinter uns, und ist unser Ziel, das
Eiland Heiligland, schon in Sicht gekommen? Was da unter und neben mir
gluckt und plätschert und gurgelt: ist das schon das grüne Wasser der
Nordsee, von dem der Skalde gestern erzählte? Es muß wohl so sein,
denn diese Dünung ist nicht mehr so lang wie die des Atlantischen
Weltmeeres! Es wird den alten Seekönig von Herzen freuen, daß unser
Drachenschiff so schnelle Fahrt gemacht hat, in vier Tagen vom
Hardanger bis Heiligland, und er wird morgen lachen, wenn es Tag
geworden ist! Vielleicht gießt er wieder einen Becher roten fränkischen
Weins in das Meer, wie er tat, als der junge König von Heiligland
um seine Enkelin warb! O Gerda, nach der sich die Augen aller
Schiffsgenossen immer noch drehen, ob du gleich Braut bist und zu
deinem Bräutigam fährst, du bist schön wie die Sonne, die aus der See
steigt! Die stillste See kann den blauen Himmel nicht so widerspiegeln,
wie dein Auge es tut. Stünde ich mit dir auf dem hohen, roten Felsen,
blickte ich mit dir über das weite Meer, wiese ich dir die Segel in
der Tiefe und die Wolken, die an der Kimmung aus dem Wasser steigen,
du Königskind, ich wollte lachen wie der lichte Balder! Denn ich liebe
dich wie die See, und die See liebe ich wie dich -- und niemals hat ein
Wiking ein größeres und tieferes Wort gesprochen als dieses. Steuern
wir nach der Hochzeit nordwärts, der Mitternachtssonne entgegen, so
lehnst du nicht mehr mit wehendem Haar am Mast, Gerda. Niemals höre
ich dein Lachen wieder -- aber mir bleibt die See, die hohe Trösterin,
deren Atem alle Wunden heilen kann. Sie wird dem Wiking helfen! Murmelt
nur weiter, Wellen am Bug, und erzählt mir vom Meere ...

Abermals sitzt ein Tropfen Tinte in meiner Feder und will verschrieben
sein.

Ich habe die Augen geöffnet und erkenne, daß ich geträumt habe!
Ich liege nicht im Bauch des nordischen Drachens, sondern auf der
Diele eines Fischerfahrzeuges, unseres Ewers, und stecke in einem
alten, geflickten Focksegel, in das ich mich der Sommerhitze und der
aufrührerischen Wanzen wegen eingewickelt habe. Unter meinem harten
Lager strömt das Wasser, das wir im Raum haben, von einer Seite nach
der andern. Es gurgelt im Bünn, dem großen Fischkasten, und es klatscht
im Wasserfaß. Die Ölröcke und Südwester, die an der Decke hängen,
scheuern unruhig hin und her, als baumelten sie im Winde. Gegen den
Bug aber springen und hüpfen die Wellen der Nordsee und kluckern wie
junge Enten im Graben. Was sie mir erzählen wollen, das haben sie
schon Siegfried und Hagen sagen wollen, als sie die Fahrt nach Island
unternahmen! Und wenn es auch noch kein Menschenohr begriffen hat:
gefreut und erquickt hat es schon abertausend Menschenherzen und wird
sie immer erquicken, so lange es eine See auf der Welt gibt. Aber
nun singt mich wieder in Schlaf, ihr Wellen, ihr Seen, denn wir sind
mitten im Streek, fischen zwischen Helgoland und dem Weserfeuerschiff
auf Zungen, und wenn ich nicht geschlafen habe, kann ich keine gute
Wache gehen. Noch einmal blicke ich durch die offene Kapp nach dem
tiefdunklen, sternenbesäten Nachthimmel hinauf, sehe den dunklen
Großtopp durch die Sterne wandern, höre die Gaffel knarren und den
Bestmann schnarchen, dann nimmt der schwere, gleichmäßige Schritt des
wachhabenden Schiffers an Deck mich mit, und der Schlafbaas mustert
mich wieder an.

Abermals sitzt ein Tropfen Tinte in meiner Feder und will verschrieben
sein.

Immer noch dieser schwere Schritt auf dem Achterdeck! Oder ist es ein
anderer? Ja, der Schritt ist dumpfer ... Schwarz und tot treibt die
mächtige Kogge hinter Borkum auf der stillen See. Bis auf den Mann im
Krähennest und den leise summenden Posten auf dem hohen Bord scheint
das ganze Schiff zu schlafen. Über die Stengen und Wanten kriecht
der Mondschein. Wie in schwerem Bann ist die See erstarrt. Zu Stahl
scheint sie geronnen zu sein. Ringsum kein Schiff und kein Land, nur
die tote See. In der Admiralskajüte aber wacht ein Licht und wachen
zwei Menschen. Wie ein Gespenst wandelt der Schatten des langen Klaus
Störtebeker an der Wand. Ruhelos geht der junge Seeräuber auf und ab.
Mitunter hebt er das geblümte flandrische Tuch und blickt aus dem
kleinen Guckloch über die mondbeschienene Wasserfläche, dann nimmt
er seine Wanderung wieder auf. Quälen ihn seine wilden Taten, oder
hält der Madeirawein ihn wach? Der rotbärtige Godeke Michels, sein
Spießgeselle, der auf der halbmondförmigen Bank sitzt und kaum noch
die müden Augen offenhalten kann, sagt zuletzt: »Tu es, Klaus, nimm
die junge Gesina und bleib an Land, tu dem alten Grafen den Gefallen
und gib die Seefahrt auf, überlaß mir die Schiffe, laß Messen lesen
und werde ein ehrlicher Kerl an Land. Von Schottland bis Tunis gibt es
kein zweites Weib wie Gesina, und sie liebt dich.« »Sie liebt mich,«
wiederholt Störtebeker langsam. »Ein geruhiges Leben hinter Deichen,
zwischen Menschen und Weibern und Blumen, keinen Sturm und keine Not.
Gesina ist schön. Und doch: nein, Godeke! Meine Meerfahrt ist mir
lieber als das beste Weib!« »Du bist ein Hansnarr,« murrt Michels,
als Störtebeker jetzt an den alten Ostfriesen schreibt. Geräusche und
Gespräche unterbrechen jäh die nächtliche Stille an Deck: die Schaluppe
muß zu Wasser, damit der Brief sofort bestellt werde. Als das Geknarr
der Riemen in der Weite verklingt, wendet der Seeräuber sich von der
Reling, blickt noch einmal nach den riesenhaften Fledermausflügeln
hinauf und tritt wieder in seine Kajüte. Er hat sich der See
verschrieben, das weiß er.

Abermals sitzt ein Tropfen Tinte in meiner Feder und will verschrieben
sein.

Ich muß auf einer Segelöse, auf einer Kausch gelegen haben, denn
mein Rücken schmerzt. Oder hat die mütterlich-sorgliche Natur mich
geweckt, die weiß, daß wir alle drei Stunden unsere Kurre einziehen.
Ist es an der Zeit? Ich öffne die Augen: es ist hell, die Sterne
sind verblaßt! Da ruft es auch schon singend zum Einziehen. »Intehn!
Intehn!« »Jo,« antworte ich und »Jo« echot es in der Steuerbordkoje.
Wir schlafen während der Fahrt und Fischerei in voller Kleidung, ich
brauche deshalb nur die langen, schweren Seestiefel anzuziehen, die
von Tran und Schuppen glänzen; dann stehe ich an Deck und muß mich
wundern, denn von der See ist nicht das geringste zu sehen. Segeln
wir auf der Milchstraße? Alles Wasser ist mit einer dünnen, aber
dichten, undurchdringlichen Schicht weißen Gewölkes bedeckt, daß nicht
eine Welle zu erkennen ist. Und die weiße Decke liegt nicht still,
sondern fliegt schnell mit dem Morgenwind nach Osten und reißt doch
nirgends ab. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Seltsam ist es.
Wären luvwärts nicht die holländische Tjalk und der Fischdampfer in
Sicht, die mit Steven und Wanten aus der Morgenmilch ragen, ich könnte
glauben, mit einem Luftschiff über den Wolken zu fahren. Mit einem
Luftschiff, wie wir es dwars von Spiekeroog sahen, als wir, von einer
Windstille heimgesucht, mit schlaffen Segeln und schlagenden Schoten
in der stetigen Dünung trieben und nicht fischen konnten. Da stieg
es im Nordosten aus der See wie ein helles Segel. Wir wußten erst
nicht, was wir aus dem Wölkchen machen sollten, dann aber erkannten
wir durch das Glas den Zeppelin, der den Meeresflug wagte, und sahen
ihn nun in unsere Einsamkeit hineinwachsen. Immer höher stieg und
immer größer wurde die gelbe, kantige Leinwand. Da sickerte schon der
Lärm der Motoren herab. Das singende Brausen der neuen Zeit erhob
sich. Unglaublich schnell kam das Luftschiff näher: wir hatten schon
die Köpfe im Nacken, da, als es über uns stand und seinen Schatten
auf die helle See warf, senkte sich der Bug des Riesen, bis der
Kiel seiner Stahlgondeln die See berührte. Er fuhr auf dem Wasser
entlang, wie um uns recht zu verhöhnen, uns Windjammerer. Ich hätte
mich gar nicht gewundert, wenn er eine Kurre zu Wasser gelassen und
gefischt hätte. Die Leute schöpften Wasser als Ballast aus der See.
Keine dreißig Faden von unserm Ewer brauste die hohe Wand vorbei. Ich
winkte nicht mit, aber Tränen stiegen mir ob solcher Menschenkraft und
Menschenschönheit in die Augen. Das neue Geschlecht der Meeresherren!
Das alte der Meeresknechte trieb regungslos mit alten Segeln in der
Windstille und blieb meilenweit zurück. Ein Riesenvogel, der aus der
See getrunken hatte, erhob der Zeppelin sich wieder vom Wasser und
zog in Leuchtturmhöhen davon. Wie wünschte ich in diesem Augenblick
der Hilflosigkeit einen Sturm herbei, um dem fliegenden Schiff zeigen
zu können, daß auch wir lebten und webten! Wie seine deutsche Flagge
wehte! Immer mittelalterlicher und zurückgebliebener kam ich mir
vor. Erst am andern Abend, als wir ein starkes Gewitter bekamen, als
der ganze Heben eine Feuersbrunst war und der Donner uns umstürmte
und umknallte, als der Regen auf uns niederströmte, als wäre er mit
Eimern ausgegossen, als wir auf der hochgehenden Dünung tanzten, erst
dann vergaß ich des Luftfahrers. Alles konnte der Zeppelin doch nicht
machen: hier brauchte es doch noch der Schiffe und der Seeleute! Und
das tröstete mich, so viel Seen auch über den Setzbord stiegen, und
so heftige Sprünge der Ewer auch machte, wir hielten stand. Nun
stehen wir auf dem weißen Daak, lassen die Fock fallen und hieven,
schwer arbeitend, das Schleppnetz, die Kurre, auf. Wie seltsam, ob es
gleich alle Tage so ist: eben noch nichts zu erblicken, und nun sind
wir schon von hundert äugenden und schreienden Seemöwen umflogen und
umkreist! Hiev, hiev! Wer denkt an Möwen, wenn die Kurre eingezogen
wird! Hiev! hiev! Endlich haben wir den Steert, das Ende des Netzes,
in der Talje, der Knoten wird gelöst, und die See speit ihre Fische
aus, ihre Zungen und Schollen, ihre Steinbutten und Rochen, Knurrhähne
und Petermännchen. Wie glänzen die Schuppen, die weißen Bäuche in der
Morgensonne, die aus der See gestiegen ist und den weißen Nebel von der
Diele gefegt hat! Wie schnappt alles nach Wasser, wie springt alles in
Angst und Todesnot durcheinander! Sonst habe ich das nicht gesehen,
ich sah immer nur ein fröhliches Klappern und Spaddeln, das mir das
Herz erfreute, aber seit dem furchtbaren Traum habe ich Augen für die
Qualen bekommen. Wir lagen vor Wind in Bremerhaven und hatten einen
alten Janmaaten in der Kombüse, der mit unserm Bestmann verwandt war:
das gab einen Abend alter deutscher und englischer Matrosenlieder,
einen Abend Passatwind, Liniensonne und Kapsturm. Die Nacht darauf
träumte mir das Grauenhafte, daß ich an Deck ging, als gerade die
Kurre aus der See kam! Heftig erschrak ich, denn die Luft war erfüllt
von tausend Schmerzenslauten, von tausend Todesschreien, von tausend
Angstrufen! Alle Fische hatten Stimmen bekommen und jammerten ihre
Qual in die Luft! Und es schrie nicht nur bei uns, sondern auch auf
den andern Schiffen: die ganze Nordsee war erfüllt von diesem Röcheln
und Schreien, das so furchtbar anschwoll, daß wir es nicht auszuhalten
vermochten! Wir flüchteten zitternd, verkrochen uns in die Kajüte und
bebten, als erwarte uns ein Weltgericht! Furchtbares Grauen!

Abermals sitzt ein Tropfen Tinte in meiner Feder und will verschrieben
sein.

In Lee steht ein mächtiges Viermastvollschiff in der Sonne und schiebt
sich langsam vorwärts! Es ist ein deutsches! Mit hundert weißgrauen
Segeln steuert es dem Weltmeer entgegen. Meine Wünsche schwirren wie
fliegende Fische um seinen Steven, und meine Sehnsucht hängt sich an
seine höchsten Rahen! Da mit können! Große Fahrt tun! Nimm mich doch
mit, du großer Laeisz, du Königin des Atlantik! Ich sehne mich nach
hundert Tagen ohne Land, ich möchte unter der Linie getauft werden
und möchte auch das düstere Kap Horn einmal in mein Leben hineinragen
sehen! Ich möchte dich sehen, wenn du die Stürme abschüttelst, du
Viermaster!

Schöne Geschöpfe gehören dir, Meer, herrliche Kinder sind dein! Was ist
ein Haus gegen ein Schiff, was ist ein Schreiber gegen einen Seemann?
Was ist das erstarrte Land gegen dich, atmende, wogende See? Ein
Leichnam gegen einen Lebendigen!

O, ihr Schiffe auf der See, und du Dünung du! Ihr Tage und Nächte, ihr
Wolken und Winde: was seid ihr an Land? Nichts! Und was seid ihr auf
See? Alles, alles, was uns die Seele bewegt!

Ich grüße dich, du kleine Galliote, die du so tapfer deinen Kurs
steuerst. Kommst du von Schweden und willst nach England? Du kleiner
Mann auf der Back: wiegte dich deine Mutter dort in dem schönen Land
der Wälder und Seen auch so gut, wie die See dich jetzt wiegt?

Da -- das große »Vaterland«, die schwimmende Stadt, das mächtigste
Schiff der Welt! Wie eine Erscheinung! Ich hole die Flagge aus der
Achterplicht. Wir brauchen sie sonst nur, wenn ein Kriegsschiff in
Sicht kommt, aber das größte und schönste Gebilde der deutschen Hand
zu grüßen, hole ich sie dennoch freudig auf! Überschiff du! Wie der
englische Kohlenkasten qualmig auf seiner schwarzen Schornsteinpfeife
raucht, als ob es ihn verstimmte, dieses _Made in Germany_!

Noch ein Blick nach dem Schoner und den nachbarlichen Fischerkuttern,
und dann laß es genug sein, See. Die Möwen sind weggeflogen, unsere
Fische sind auf Eis gebettet, die Kurre pflügt wieder den Meeresgrund,
und das Deck ist gedweilt: ich kann wieder drei Stunden schlafen!
So wiege mich wieder in Träume hinein, du große, gute See! Und laß
mich bei der harten Fischerei niemals vergessen, daß du schön bist
wie nichts auf der Welt, wie kein Wald und kein Berg! Noch habe ich
es keinen Augenblick vergessen, und allen Witwenkleidern und Tränen
zum Trotz soll das Herz daran festhalten! Und sollte mir einmal der
Fliegende Holländer begegnen, das todverkündende Geisterschiff, sollte
die Sonne ihren Schein verlieren wie auf Golgatha, sollten meine Masten
brechen und meine Segel in den Wind fliegen, sollten die Notanker nicht
mehr halten, sollten die Luken einschlagen und die große Sturzsee ehern
heranwogen und Klar Deck machen, solltest du mich holen, schöne, wilde
See, so will ich in aller meiner Not doch erkennen, daß mein letzter
Blick deiner größten, höchsten Schönheit gegolten hat.

Ihr aber, ihr Jungen, Lebendigen, setzt weiter Segel auf! Beflaggt eure
Schiffe und grüßt die deutsche See, ihr deutschen Jungen! Wiegt euch
auf der Dünung und freut euch der Sonne auf den Meeren und Gewässern!




Herbst entgegen.


Ich schwimme beim Swiensand, südsüdost von Falkental im tiefen Priel
und ringe mit der starken Strömung. Eisigkalt ist das Wasser. Es soll
mich heilen von der Herbstmüdigkeit, von den Spinneweben, die meine
Sinne umfangen wollen. Schwere, fremde Tropfen sind in meinem Blut. Und
wären es die letzten, verzitternden Wellenkreise eines Winterschlafes
in grauen Zeiten: ich schüttle sie ab und lache ihrer. Ich brauche den
Herbst und seinen Wind, ich rufe ihn: damit meine Wimpel hoch am Mast
flattern, damit meine Segel sich blähen, damit meine Mühlen mahlen.
Mit weißen Geisterhänden greif ich aus: dreimal noch um das Boot, nein
viermal, nein solange, bis die Sonne wieder aus den Wolken kommt.
Riesengroß ist mein Fahrzeug: es überragt alle Bäume, alle Deiche,
alle Türme, alle Gipfel. Eben komme ich beim Achtersteven aus seinem
Schatten und steure auf das kleine, grüne Eiland zu. Die Weidenblätter
haben schon helle Farben. Das Reet ist graubraun geworden. Da waten
keine Störche mehr, da jagen keine Schwalben, da tanzen keine Mücken
mehr umher. Die Kuhblumen, die Butterblumen haben ausgeblüht, die
Binsen liegen schwer auf dem Schlick. Still und vereinsamt harrt der
Sand der Stürme und Hochfluten. Schwarze Muscheln liegen am Strande,
wie Fußtapfen im Schnee. Eine Nebelkrähe schreitet beschaulich am
Wasser entlang. Mitunter streckt sie den Kopf vor und gibt sich durch
tiefes Krächzen kund. Wilde Enten streben hastig dem Neste zu.

Es wird hell und blank um mich her, es blitzt und schimmert: die
Sonne ist da. Ich schwinge mich an Bord und springe von Ducht zu
Ducht, derweil die Sonne und der Wind mich abtrocknen. Um Kiel und
Steven plätschern die Wogen, sie schlucken und glucken, heimlich und
stillvergnügt. Die Augen zu: es ist, als wenn die Glocken gehen,
Hochzeitsglocken, Freudenglocken, als wenn die Kinder fern auf der
Wiese lachen und spielen, als wenn die Pappeln im Sommerwinde rauschen
und erzählen, als wenn die silbernen Quellen über glatte Kiesel und
knorrige Tannenwurzeln springen, tief, tief im Walde ... Gluck ...
gluck ... gluck ... Eine Henne lockt ihr Küchlein -- und das Küchlein
legt das Ohr an die Bordwand und horcht und lacht. Das Segel reiß
ich mit *einer* Hand empor, und der Anker kommt schnell genug ans
Tageslicht. Dann ziehe ich mich an. Das Boot schwoit, der Lappen fällt
voll, und leise gurgelt und zischt es am Steven. Gute Fahrt bei raumem
Wind und mit der Tide. Nach Schifferart einen Blick prüfend zu dem
braunen Segel hinaufgeschickt -- dann halte ich hellen Ausguck.

Der Swiensand schaut mir nach. Blanke, glatte Flächen, dunkle, krause
Windstreifen auf der Elbe. Einen langen, breiten Weg hat die Sonne
sich gepachtet: da blinkt und gleißt es, da spielen ihre strahlenden
Kinder. Hinter Schulau dehnt sich die See, da sind der Himmel und das
Wasser allein auf der Welt und halten einander still an den Händen.
Rauchwolken bei Rauchwolken, als wär's die Straße zur Hölle. Segel über
Segel teilen sich in den mächtigen Strom: graue und braune, hohe und
breite, neue und geflickte. Schleppdampfer, Seedampfer, Fischdampfer,
Fährdampfer, schwarze und bunte Schornsteine. Weiße, schimmernde
Eiderschuner, unförmige holländische Kuffen, breite, protzige,
ostfriesische Tjalken, schwere, wetterfeste Finkenwärder Fischerkutter,
spitznasige, verwitterte Altenwärder Ewer, braune, runde Lühjollen,
alles klüst nach Osten. Weiße, schlanke Leuchttürme verträumen den Tag.
Graue Heidehäupter stehn am Wege, wie Nordlandsrecken. Blankenese,
Luginsmeer und Luginsland, Utkiek und Kiekut von Hamburg -- ein
rechtes Sonntagsnest, Tag für Tag in Sonntagskleidern, immer geziert
und geschmückt. Die weißen Giebel und die blauen Dächer schauen aus
den Baumkronen. Die Fenster sind wie dunkle, kluge Vogelaugen. Helle
Streifen leuchten aus dem Grün: das ist der Herbst. An den Brücken
liegen Fährdampfer, die grünen, breit und bürgerlich, die schwarzen,
schlank und aristokratisch. Ihre weißen Rauchwolken verfliegen an
den Abhängen. Die efeuumsponnene Burg der guten Frau äugt still und
weltfremd von der waldigen Höhe: sie träumt vom grünen Rhein. Überall
spielen die bunten Farben: gelb und rot und braun in hundert Tönen.
Der liebe Nienstedter Turm spiegelt sich in der Elbe. Sein grünes Dach
und seine goldnen Zeiger glänzen im Sonnenschein. Um seinen Knauf
fliegen die Dohlen. Aus allen Schornsteinen qualmt die breite, rote
Brauerei. Auf der andern Seite grüßen die grauen und grünen Häuser
von Finkenwärder über die Hamburger Dünen hinweg. Auch die trotzige
Kirche guckt über den Deich und der Neß mit seinen Eichen. Der helle,
zierliche Wasserturm lacht herüber.

Die Mühle mahlt im Winde, und auch im Alten Lande drehen sich die
Mühlen. Brotes genug. Mein Segel giekt, mein Fahrzeug schwankt. Die
Dünung des glänzenden, hohen Amerikadampfers hat uns erreicht: mein
Boot und ich verneigen uns und danken für den Gruß aus der großen,
weiten Welt.

Sei mir gegrüßt, du bunte Welt, sei mir gegrüßt, du großes Leben. Du
rinnst und jagst durch meine Adern, reißest mich auf und wirfst mich
nieder. Nieder? Fortan nicht mehr! Wer so lachen kann, wie ich, der
läßt sich nicht mehr niederwerfen. Ich *lebe*, und hoch will ich leben.
Ich lebe mit Wissen und Willen, fühle jeden Atemzug, jeden Windhauch,
jeden Wellenschlag. Ich sehe jeden Baum und jede Wolke, deute jeden
Schritt und jeden Klang, forsche in allen Mienen und in allen Zügen.
Umflutet, umbraust, umkost -- und König meines Lebens bin *ich*!
Mittelpunkt der Welt, aller Augen warten auf mich und über meinem Kopfe
ist der Himmel am allerhöchsten. Was *ich* sehe, was *ich* tue: darauf
kommt es an, und für mich scheint die Sonne. Umreißen oder aufbauen,
das ist mir gleich, nur wirken, arbeiten, die Arme aufkrempeln können.
Und dabei singen mögen! Wenn zwei streiten: hei, dazwischen gesprungen
und mitgestritten! Leben, lachen, siegen!

Nicht angekettet sein, wie die rote Leuchtboje hier an Backbord, deren
mattes Blinkfeuer mit den Sonnenstrahlen kämpft. Von den Torfewern, die
auf die Ebbe lauern, liegt ein ganzes Rudel vor Anker. Sie sind nicht
mehr so tief geladen und haben nur noch wenig Decklasten: die unruhige
Jahreszeit ist angebrochen. Auf einem Holländer spielen die Kinder
Verstecken. Hinter dem Kompaßhäuschen, auf dem Roof, vor der Winde:
überall krabbelt es. Ein kleiner Kerl kriecht sogar in das Großsegel
hinein. Die Mutter sitzt auf den Luken, schält Kartoffeln und guckt
ihnen zu. Ein weißes Landhaus mit riesigen Eulenaugen schmiegt sich bei
Flottbek dicht an die hohen Buchen, die es einrahmen. Auf der Chaussee
schnauft ein Automobil: ein Augenblick und der Komet ist verschwunden,
nur sein Schweif verkündet noch seinen Weg. Helle Kleider, rote
Schirme. Mühelos überhole ich ein Segelboot von Neumühlen: weiße
Segel allein tun's eben nicht. Vornehm und verbindlich steht das
Parkhotel da, und die Schiffe ziehen an ihm vorbei und spiegeln sich
in seinen Fenstern. In glänzender Reihe krönen die Landhäuser den
waldigen Höhenkamm, weltklug und weltüberlegen, gegenwartkundig und
zukunftfroh. Auf dem Sande liegt junges Volk in der Sonne. Ein Mädchen
winkt mit der Hand, die beste von allen hebt nur eben das Bein zum
Gruße. Spielend rollen die Wellen hinan, kehren zurück und ergießen
sich wieder über die Steine. Die Zweige gehen im Winde auf und ab: das
ist ein immerwährendes Schmeicheln und Fächeln. Da ziehen sie schon die
Boote auf den Strand, schlagen die Segel ab und scheren die Leinen aus.
Die Herrlichkeit neigt sich. Heute aber wehen noch die Fahnen, laufen
noch die Kellner umher, sitzen noch muntre Gäste an den weißgedeckten
Tischen unter den Ulmen, perlt der Wein im Römer, paradiert die dicke
Kaffeekanne zwischen Stapeln von Kuchen.

Ree -- und mein Boot stößt hart gegen den Brückenkopf. Die Mädchen
gucken mir lachend zu, wie ich das Segel herunternehme. Und ich lache
mit, denn blühende Rosen und leuchtende Mädchenaugen ... ach was,
ich gehe raschen Schrittes dem Lande zu, wie ich immer tue, wenn die
Sonne scheint. Bunt wie ein Narrengewand ist das Laub, hier dunkelgrün,
da grau, da braun, da rot, da gelb. Rote Vogelbeeren schimmern aus
den Büschen. Hinter den Fenstern der altmodischen Lotsenhäuser bunte
Blumen. In den Gärten noch Astern und Rosen, etwas welk, zerzaust, aber
Rosen, Sommerrosen. Die Elbschlucht hinauf geht es in Sprüngen: Stufen
sind für alte Leute und dürfen nicht abgenutzt werden. Graues Laub in
allen Ecken und auf allen Wegen, das rauscht und raschelt. Recht in den
Sonnenschein setz ich mich und recht angesichts der Elbe. Vorposten!
Da unten kreist das Leben, da kräuselt sich das Wasser und wiegt sich
auf und ab. Die Schiffe kommen und gehen, und keins läuft vorbei,
das ich nicht messe und nach dem Kurs frage und ein Stücklein Wegs
begleite. Über mir spielt der West in den Blättern, und an der Erde
fegt er das abgefallene Laub auf einen großen Haufen. Dann und wann
wirbelt ein Blatt herab. Helle Wolken ziehen in der Luft. Bald scheint
die Sonne, bald läuft der Wind mit dem Schatten über die Welt. Auf dem
Dach sitzt eine Schar von Spatzen und piept laut durcheinander. Aus
den Gärten steigt ein herbstlich feuchter Odem auf. Alle Augenblicke
legt ein Dampfer an der Brücke an. Breit und schwarz steigt der Rauch
auf. Deutlich ist zu hören, wie die Stege ausgelegt werden, wie das
Wasser schäumt, wie die Räder schlagen. Dazwischen Rufe. Tuten und
Pfeifen. Hoch und leer kommen die Kohlendampfer herab: die Schraube
haut halb in der Luft und wirbelt einen Berg von Gischt auf. Einer von
Woermann, einer von Sloman, ein Neptun, ein Kosmos, ein Engländer,
ein Normann, so wechselt es ab. Eine schwedische Bark mit der neuen
Flagge. Im Südosten das Schuppen- und Masten- und Schornsteingewirr von
Kuhwärder, der riesige Laufkran. Die Schlote von Harburg, der Turm von
Altenwärder, das helle Band des Köhlbrandes. Dahinter die dunkelgrauen
Berge, die tiefblaue Geest, wo die Nebel brauen. Der Schopf des
Falkenberges, das kahle Haupt des Opferberges bewachen den Eingang der
stillen Heide.

Einzelne Boote rudern noch in der Tiefe. Es muß Hochwasser sein:
die braunen Segel erscheinen: die Strohewer, Torfewer, Steinewer,
Fruchtewer, Kornewer. Schwerfällig kreuzen sie vorbei und ist doch ein
farbenfrohes Bild. Das singt und juchheit nicht und reckt mir doch die
Arme, denn es lebt und webt und fährt mit allen Winden.

Marienfäden fliegen umher.

Die Wolken haben den ganzen Himmel überdeckt. Die Dämmerung geht über
Strom und Strand. Es dunkelt rasch. Mit Siebenmeilenschritten kommt die
Nacht, und riesenhaft ragen Bäume und Giebel in das letzte Abendrot
hinein. Die Heide verliert sich. Nur die Elbe schimmert noch grauweiß
herauf. Überall sind Lichter entglommen. Eins nach dem andern wird
angesteckt. Gelb und grün und rot, matt und hell, groß und klein. Alles
wirbelt auf dem bewegten Wasser hin und her. Irgendwo zirpt eine Grille
von gelben Ähren, rotem Mohn und blauen Kornblumen. Die Elbchaussee
entlang wanken Laternen. Zwei bei zwei halten sich die Kinder an den
Händen und blicken mit großen, dunklen Augen auf ihr gelbes Licht.
Und singen verträumt von ihrer lieben Laterne. Mählich verklingen die
feinen Stimmen in der Ferne.

Leise summe ich die schlichte Kinderweise vor mich hin, als ich langsam
den Abhang hinuntergehe. Dann ziehe ich mein Segel wieder auf und
kreuze die Elbe hinab.

Hoch und steil steigt das Ufer an und wirft seinen riesigen Schatten.
Groß und gespenstisch gehen die Schiffe an mir vorbei. Von allen
Seiten umspielen mich die Lichter. Wie Leuchtkäfer schwirren sie
durcheinander. Verhaltene Stimmen zittern durch die stille Luft.
Am Strand wird es dunkler und einsamer. Auf einem Ewer klagt eine
schwermütige Harmonika. Je weiter ich treibe, desto ruhiger,
traumvoller wird die Welt. In tiefem Frieden zieht die Elbe dahin. Nur
am Steven plätschern die kleinen Wellen.

Droben haben sich die Wolken geteilt und freundliche Sterne schauen
herab zur »Guten Nacht«.




Karen.


In *einem* Atemzuge schnob der Nordwest von Esbjerg nach Kopenhagen: so
klein war Dänemark in dieser Sturmnacht geworden. Nur als die Fackel
auf der See erlosch, hart an der jütischen Küste, die zitternde,
schwankende Notfackel, als die grauen Segel jäh aufs Wasser schlugen,
da ward es urplötzlich stiller, und es schien, als müsse der Wind sich
besinnen. Wo eben noch der gewaltige, wilde Nordlandswolf geheult hatte
und umhergesprungen war, lag eine riesenhafte, graue Katze auf der
Lauer.

Fünf weiße Häuschen, die in der Dünenmulde standen, waren die Mäuse,
die sie nicht aus den Augen ließ. Und kaum daß einer zehn zählen
konnte, richtete sie sich pfauchend und zischend auf. Der aufgewühlte
Dünensand hagelte schwer gegen die Fensterläden. Lange, wehe Klagetöne
hallten um Dächer und Giebel. Die See aber schrie noch zorniger gegen
die Wolken, hob die weißen Häupter noch höher und rollte noch wilder
über den Strand.

Es war Flut geworden.

       *       *       *       *       *

Das kleine gelbe Nachtlicht wurde unruhig.

Ein großes, starkes Mädchen stand neben dem Tisch und band sich die
Flechten auf. Eine Weile guckte sie fragend in den Spiegel und dachte:
bist bald alt geworden, Karen! -- dann suchte sie Rock und Jacke und
zog sich dick und warm an. Sie band ein schwarzes Wolltuch um den Kopf
und zog Handschuhe an.

Das Gekeuch des Windes und das Gebrüll der See hatten sie geweckt.

»Karen!«

Niels streckte sein bärtiges Gesicht aus den roten Kissen und richtete
sich halb auf. Verschlafen sah er sie an.

»Flut.«

Sie hatte sich eine Tasse Kaffee eingegossen und trank langsam.

Er brummte etwas Undeutliches, dann stieß er den neben ihm
schnarchenden Jens an und rüttelte ihn wach.

»Flut, Jens. Steh auf, Jens. Mach dich klar, Jens.«

Aber Jens schalt und knurrte. »Laßt mich schlafen. Morgen -- nachher --
gleich -- ja, ja.«

»Dann haben die andern den Strand rein,« brummte Niels, aber Jens
schnarchte und war nicht wieder zu ermuntern.

»Allein geh' ich auch nicht los,« sagte Niels und legte sich die Kissen
zurecht. Es war unter der Decke doch wärmer als draußen.

»Leg dich auch wieder hin. Schlaf noch 'ne Stunde oder zwei ...
meinetwegen ... zwei ...«

Aber Karen schüttelte den Kopf und ging hinaus.

»Wenn was da ist, holst uns,« rief Niels ihr nach und hörte noch im
halben Traum, wie die Tür klappte und der Wind aufheulte. Zugleich
fühlte er, wie die Kälte hereinschlug, und er zog ohne Bedenken die
Beine etwas höher und steckte den Kopf tiefer unter die Decke. Dann
flog die Tür zu und es wurde stiller.

Das Mädchen tastete vornübergebeugt über die Dünen nach dem Strand.
Der Wind war so stark und so kalt, daß er ihr fast den Atem benahm und
sie sich dann und wann umdrehen mußte. Wie scharfer Schnee schlug der
Sand ihr ins Gesicht. Erst als sie den Strand erreicht hatte, wurde es
besser.

Es war tiefdunkel. Kein Licht. Und die See war nicht weit zu sehen.
Nur fünfzig Faden weit leuchteten die weißen Köpfe. *Ein* Brausen und
Keuchen und Zischen und Brodeln war die Luft, war die See. Das Wasser
stieg rasch: der weiße Schaumstreifen wurde von jeder See höher an den
Strand gespült.

An diesem Strich entlang ging das Mädchen und bückte sich, wenn sie
etwas Dunkles gewahr wurde. Dann stieß sie es mit den Füßen an, zu
erfahren, was es sei. Alles Holz las sie auf und steckte es in einen
Sack, den sie unter dem Arm trug. Tang und Muscheln lagen viel da --
weiter auch fast nichts.

Als es Morgen werden wollte, hatte sie immer noch keine Tracht.

Hinter den Dünen erschien ein grauer Streifen, der höher und höher
gekrochen kam.

Der Sturm raste noch mit voller Kraft. Drohender und gewaltiger
schüttelte die See ihre Stierhäupter.

Kein Holz, kein Schiff, kein Wrack, kein Notschuß, kein Feuer -- nur
schwarzes Wasser und weißer Schaum.

Sie blieb stehen ... Da trieb etwas ... etwas Dunkles, Undeutliches,
Unförmiges ... es kam näher. Aus Gewohnheit hielt sie die Hand über die
Augen, wie sie an hellen Tagen oft getan hatte, wenn Sonnenschein um
Dach und Dünen brannte und die Luft flimmerte.

Es konnte ein Schiff sein, ein Kahn wohl oder ein Boot.

Das Seeräuberblut regte sich in ihr, ungeduldig lief sie am Strand auf
und ab. Ihre scharfen Augen unterschieden schon, ein Boot war es, voll
Wasser geschlagen, eben, daß es trieb und ausguckte. Nur wenn eine
große See es auf den breiten Rücken nahm und dann zurücklief, ragte es
höher auf. Langsam schoben die Seen es näher heran und endlich saß es
am Sand als Strandgut.

Erst wollte Karen zurücklaufen und den Vater Niels, den Bruder Jens
rufen. Aber sie besann sich anders und tat es nicht. So ging es nicht:
Die Nachbarsleute konnten unterwegs sein, fanden es und hatten es. Sie
überlegte, was sie machen sollte, dann zog sie eilig ihre Schuhe aus
und streifte die Strümpfe ab. Ihr schauderte vor Kälte. Aber was half
das? Sie schürzte den Rock auf und watete mit zusammengebissenen Zähnen
in das eiskalte Wasser.

Den Steven hatte sie erfaßt und schwang sich auf den Bordrand. Tastend
suchte sie nach der Fangleine, um das Boot aufs Trockene zu ziehen,
da stürzte eine riesengroße See heran und schäumte über das Fahrzeug
hinweg. Sie war durchnäßt. Fast hätte sie das Gleichgewicht verloren,
aber sie hielt sich im letzten Augenblick krampfhaft an der Ducht fest.

Die See hatte es gut gemeint; als sie zurücklief, saß das Boot hoch auf
dem Strand.

Wegtreiben konnte es nun fürs erste nicht mehr. Wenn sie noch den Anker
aufs Land brachte, war das Strandrecht gewahrt und sie konnte Hilfe
holen.

Sie wollte es. Es war so bitterkalt.

So kalte Hände hatte sie.

Sie schauderte vor sich selbst. Wie Totenhände waren sie, wie *fremde*
Hände. Plötzlich fühlte sie eine andere Hand ... ein Fremder war bei
ihr im Boot ... ein Toter ... Als gehöre es sich so, fühlte sie die
Haare, die Nase, den Mund ... als wenn sie träume ...

Wollte es denn nicht Tag werden?

Über den Dünen wurde es doch schon hell ...

Sie drehte sich wieder um und suchte nach der fremden Hand. Dann zog
sie den Toten halb aus dem Wasser und legte ihn mit dem Rücken auf die
Ducht.

Der stille Mann war schwer.

Er steckte in Ölzeug. Der Südwester hatte sich in den Nacken geschoben.
Die Augen waren weit geöffnet und das Gesicht schneeweiß. Die Lippen
waren fest geschlossen.

»Jung,« dachte sie, als sie keinen Bart sah.

Um die Hüften war das Bootstau geknotet -- so waren Boot und Mann
zusammengeblieben.

»Wer bist du?« murmelte Karen und beugte sich tiefer über ihn, um seine
Züge zu erkennen, aber der Tag war noch zu grau.

Wieder schlug eine große See klatschend über den Setzbord.

Da ließ sie die Hände los und löste das Tau. Auf ihren starken Armen
trug sie den Toten durch das Wasser und bettete ihn auf das Dünengras.
Leise und scheu strich sie ihm das Haar aus dem Gesicht und schaute
verwundert in die hellblauen Augen. Verwundert ... einen kurzen
Augenblick.

Dann stand sie auf und machte sich wieder mit dem Boot zu schaffen,
über das die See fortwährend schäumte. Sie zog es etwas höher, dann
entdeckte sie eine Pütz unter den Duchten und machte sich daran, das
Wasser auszuschöpfen. Wenn auch die Seen immer wieder hereinschlugen
und sie bei dem Winde kaum auf der Ducht stehen konnte, es glückte ihr
doch, und als das Boot erst Luft hatte, kam es von selbst höher aus dem
Wasser. Bald hatte sie es soweit leer, daß sie auf den Lohnen stehen
konnte.

Das Boot war fast neu. Sie beugte sich über den Achtersteven. »Gesine
von Hamburg« stand da. Von Hamburg, von Deutschland, dachte sie und sah
nach dem Toten hinüber.

Es war Tag geworden -- sie gewahrte es und hielt inne. Dann sprang sie
heraus und zog das leere Boot so hoch auf den Strand, wie sie konnte,
band das Tau um einen herangeschleppten Felsen und lief die Dünen
hinan. Der Wind wehte sie hinauf.

Oben auf der Höhe kam es über sie, als habe sie etwas vergessen; sie
mußte sich umdrehen und nach dem Toten gucken.

So sonderbar war ihr zumute. Erst hatte sie sich gefreut, Vater und
Bruder den Fund zu melden; nun war sie beklommen, war es ihr nicht mehr
recht, was sie tat.

Sie sah von oben mit einemmal auf ihr Leben hinab, auf ihr graues,
stumpfes Leben. Ein Tag war wie der andere gewesen. Und die Gesichter
immer dieselben. *Eine* Arbeit, *ein* Schelten und *ein* Gespräch.
Immer das Alte, keinen Tag etwas Neues. Fünf Häuser waren es, und fünf
Häuser blieben es. Und auf den Dünen wuchsen ewig keine Blumen. So
war es immer gewesen und sie hatte es nicht gewußt: nun aber kam es
über sie. Draußen auf der See, ganz weit hinten, daß sie eben noch zu
sehen waren, gingen mitunter Schiffe vorbei: Segelschiffe und Dampfer.
Die Segel erschienen so weiß und rein, und der Rauch stieg steil in
die Luft. Da war die Welt, da fing sie an: da sangen und lachten die
Menschen und trugen schöne Kleider. Wie oft hatte sie als Kind barfuß
auf dem Sand gestanden und gewartet, daß ein Schiff, ein einziges nur,
heransegele und sie abhole. Aber alle zogen vorbei und kamen ihr aus
den Augen. *Einer* mußte kommen, einer, der anders war, als die sie
kannte, der lachen und singen konnte, der sich freute und sie bei der
Hand nahm, der ihr erzählte und sie fragte. Der hatte immer kommen
sollen und war nicht gekommen.

Sie schauderte ... da hinten lag einer mit hellblauen Augen ... ob er
es war, der zu ihr gewollt hatte?

Sie wollte nicht -- und trat doch ins Haus.

»Vater! Jens!«

Der buschige Schopf wurde zuerst sichtbar.

»Was ist los?«

»Ein Toter, Vater.«

»Weiter nichts?«

Niels wollte sich schon wieder umdrehen.

»Ein Boot auch.«

Das half. Niels richtete sich auf.

»Ein Boot?«

Er stieß Jens heftig an.

»Ein Boot, Jens! Aufstehn!«

Das ließ sich selbst Jens nicht zweimal sagen.

Niels stand schon in der blauen Unterhose da und suchte nach seiner
seemännischen Ausrüstung. Zwischendurch fragte er in einem fort:

»Wo ist es? ... Neu? ... Treibt es noch? ... oder sitzt es schon auf
Land? ... Was steht dran? ... Und der Tote? ... Was für Zeug? ...«

Jens war auch bald reisefertig, und alle drei wateten durch den Sand.
Niels war guter Laune und erzählte von Schiffen und Gütern, die in
früheren Jahren angetrieben waren. Daß der Sturm ihm fast den Mund
verschloß, störte ihn nicht.

Karen wies mit der Hand.

»Seht! Da!«

Karen war stehen geblieben.

»Vater!«

Niels drehte sich um.

»Was willst du?«

»Dem Toten müßt ihr seine Ruhe lassen. Den dürft ihr nicht anfassen.
Versprecht mir das!«

Jens lachte höhnisch.

»Dumme Deern! Wenn das Zeug mir paßt, zieh ich's an. Der braucht nichts
mehr.«

Niels hustete.

»Und wenn wir ihn melden, müssen wir ihn beerdigen lassen und vom Boot
bleibt nichts nach. Wir begraben ihn in den Dünen und damit gut.«

Jens schüttelte den Kopf.

»Seemannsgrab, Vater, Seemannsgrab. Das wünscht sich jeder Matrose.«

»Das tut ihr nicht! Das nicht! Versprecht mir das!« flehte das Mädchen.
»Das dürft ihr nicht. Hört ihr?«

»Mach doch nicht so 'n Lärm um den toten Mann,« knurrte Niels. »Freu
dich, daß wir 'n Boot haben.«

»Dann geh ich nicht mehr mit,« drohte Karen.

»Geh meinetwegen nach Haus und koch Kaffee,« sagte Jens gleichmütig.
»Wir können's allein.«

Karen begann mit großen Schritten zum Strand zu laufen.

»Willst du hierbleiben!« rief Niels, aber Jens sagte trocken:

»Laß sie laufen!«

»Was hat sie mit einemmal?«

»Mag der Deubel wissen. -- Das Boot sieht gut aus.«

»Das können wir brauchen.«

»Nanu? Ist sie verrückt geworden?«

»Lauf, Jens, und halt sie auf.«

»Karen! Karen!«

Die beiden fingen an zu laufen, aber bei dem schweren Wind kamen sie in
dem tiefen Sand mit den großen Seestiefeln nur langsam vorwärts.

       *       *       *       *       *

Als sie am Strand ankamen, war das Boot schon ein gutes Stück vom Lande.

Karen stand auf der Ducht und schob mit dem Haken ab. Schwer haute der
Steven in die Seen, und das Fahrzeug dümpelte gewaltig hin und her,
aber das starke Mädchen zwang es.

»Karen! Karen!«

»Dumme Deern, komm her.«

Aber der Sturm verschlang jedes Wort, und das Mädchen sah sie gar
nicht; ihre Augen waren bei dem Matrosen, der still und friedlich auf
den Lohnen lag.

Als sie weit genug war, kniete sie neben ihm nieder und faßte seine
kalten Hände.

Und setzte sich so, daß die blauen Augen sie ansahen.

»Ich bring dich heim. Nach Esbjerg und nach Haus,« flüsterte sie und
strich mit der Hand weich über seine Stirn.

Sie sah die fürchterliche Flage nicht herankommen und gewahrte die
riesige See nicht, die das Boot wie einen Käfer auf den Rücken warf ...

Niels und Jens sahen es mit an.

Es war ein stürmischer Novembertag ...




Vor Ostern.


Hans Banidt las in der Bibel.

Er war grad vom Feld gekommen. Und vom Pflügen. Der dicke Schlick saß
noch an seinen Schuhen. Die wollene Mütze hatte er abgesetzt. Mit
aufgestützten Armen saß er an dem schweren Eichentisch und war mit
allen Gedanken bei Johannes, dem vierten Evangelisten.

Auf dem Hof und um die Wurt wurde es still. Die Knechte ließen das
laute Erzählen, und die Mägde gaben das Juchen auf. Das Vieh in den
Ställen verhielt sich sinniger. Die Hühner kletterten schlaftrunken auf
den Wiemen. Der Hund lag müde an der Kette und rührte sich nicht. Sogar
die Sperlinge verlegten ihre Abendschule von den Lindenzweigen nach dem
Katendeich.

Die Uhr tickte langsam und leise.

Peter, der alte Knecht, saß am Fenster. Der sah die Sonne größer und
roter werden, und tiefer und tiefer sinken. Bis sie mitten auf der Elbe
stand. Bis sie unterging. Dann guckte er um die Ecke nach dem jungen
Bauern, der so alt und gelehrt aussah und doch nichts von der Welt
gesehen hatte, kaum vom Hof hinuntergewesen war. Er sagte aber kein
Wort, der alte Peter.

Still war es. Überall.

Nur in der Küche nicht. Da klapperten Pütt und Pann und Teller und
Tassen. Da war jemand, der es hild hatte. Da sang jemand. Helle Lieder,
neue und alte. Bunt aus der Reihe. Und ließ nicht nach.

Peter freute sich heimlich.

Der Junge hatte es aber doch spitz gekriegt.

»Mok de Kökendör mol to,« sagte er, ohne aufzusehen.

Peter ging und tat es. Aber das half nichts. Der Gesang frischte auf
wie der Wind bei der Flut und wurde nur umso lauter.

Es dauerte nicht lange, da ließ Hans sich wieder vernehmen:

»De Diern schall dat Singen nolaten.«

Wieder ging der Knecht die halbe Diele entlang und unterhandelte mit
dem Feinde. Aber die Deern ließ das Singen nicht sein.

»Wenn se ne singen schall, kann se ok ne arbein, segg se.«

Damit kam Peter zurück.

Hans las Kapitel sechs noch zu Ende. Dann wurde es ihm über und er
stieß die Tür auf.

»De Heidenlarm schall uphürn,« scholl es laut und herrisch über den
Flur.

Das half auf dem Stutz. Ein paar Teller klapperten noch nach, dann flog
die Tür knallend zu, und es wurde still.

Hans Banidt konnte geruhig weiter lesen. Er tat es auch: aber lag es
nun daran, daß das siebente Kapitel ihm nicht recht in den Kram paßte,
oder daß die Schummerei schon zu hoch vor dem Fenster stand, oder daß
da sonst eine kleine Käulnis über die Schallen gelaufen war: -- genug,
er kam nicht weiter als bis zum dritten Vers. Eine Weile sah er es noch
mit an, wie die Reihen durcheinander liefen, dann stand er auf und ging
hinaus.

Er wollte nach der Scheune und nach den Kälbern gucken. Aber als er
niemand auf der Diele sah, dünkte ihn das nicht mehr so wichtig.
Er blieb bei der Küchentür stehen. Ob die auch innen so braunrot
gestrichen war? Das ging ihn wohl was an. Ganz gewiß. Er hatte die
Klinke schon in der Hand -- aber die Küche war leer. Der Singvogel
war ausgeflogen. Die Schüsseln standen noch da, und die Schürze lag
groß und breit am Boden. So unklug, die feine Schürze so hinzuwerfen.
Er mußte sich doch wohl bücken und sie aufheben. Glatt strich er sie
auch mit den großen braunen Händen. Und die Spitzen und Fransen am
Hals betrachtete er lange mit besonderer Sachkenntnis. Behutsam hängte
er sie an den Nagel, und wieder hallte sein schwerer Schritt über die
lange, dämmerdunkle Diele. Niemand war zu erblicken. Die Leute waren
wohl alle nach dem Deich gegangen und klönten mit den Fahrensleuten.

Die Fülltür stand noch sperrweit offen. Er machte sie zu und spähte wie
zufällig über die Wurt.

Dann ging er langsam auf die Bodentreppe zu. Das war keine Art von
der Deern, einfach alles stehen und liegen zu lassen. Mir nichts, dir
nichts fortzulaufen. Er wollte es ihr sagen. Morgen. Denn heute kam sie
ja doch zu spät. Oben in ihrer Stube konnte sie nicht sein. Das war
gewiß. Er brauchte gar nicht zuzusehen oder hinzuhören. Nur, damit er
seiner Sache gewiß war, stieg er hinauf.

Im Fenster glomm das Abendrot. Und am Fenster stand die Deern. Zwischen
den Truhen. Nicht in ihrer Kammer, im langen, braungetäfelten Saal,
wo bei den großen Hochzeiten getanzt worden war. Da stand sie, nur im
kurzen, roten Röckchen und im Hemd und kämmte sich ihr Haar, das dunkel
und schwer auf den Schultern lag. Der Nacken schimmerte weiß aus den
Spitzen, und die runden Arme waren rosig vom Schein des Abends. Sie
guckte hinaus.

»Uuch, de Bur,« fuhr sie plötzlich herum und lachte ihn an. Aber sie
schrie nicht auf wie die andern Mädchen, und lief nicht weg. Sie kämmte
ruhig weiter.

Er zog die Stirn in Falten.

»Schamst di gornix?«

Sie schüttelte übermütig den Kopf.

»Schamen? Weil ick lange Hoor un runne Arms hebb? Nee, Bur!«

Da holte er aber lang aus:

»Weil du jümmer rümjuchs und springs un lachs. Lachen schimpt, Diern.
Un mit jedereen geihs los und frees mit em und les di von Hans und
Franz no Hus bringen.«

So viel hatte er manche Woche nicht gesprochen.

Sie lachte.

»Ick bün *jung*, Buer.«

»Dat bün ick *ok*.«

»*Du?* Du? Mann, goh af! Du un jung? Du büs jo'n olen Knast, olen Kirl
in 'n Löhnstohl. Lachs ne un spricks ne! Gott schall mi bewohrn!«

Sie sah ihn spöttisch an.

Da trat er einen Schritt näher und vergaß viel. Noch mehr aber lernte
er hinzu. Sein Atem ging schwer.

Sie fühlte es wohl, und eine wilde Freude kam über sie. Das Weib in ihr
stand auf. Wie im Traume drehte sie sich herum.

»Jung bün ick, Hans Banidt. Un den ick mag, den nehm ick.«

Es war etwas Heiseres in ihrer Stimme, denn sie war zu weit gegangen.

Da riß es auch den ernsten Bauern mit.

»Nämst du mi ok?« fragte er schwer.

So spricht kein Herr zu seiner Magd.

Sie sah ihn von der Seite an, so seltsam --

»Wenn du jung würs.«

»Ick *bün* jung,« brach es da jach bei ihm los, wie im Sommer der erste
Donner über das stille Land hallt. Dann riß er sie in seine Arme und
drückte sein Gesicht in ihr weiches Haar und fühlte den warmen Leib und
wußte nichts mehr als:

»Du ... Du ...«

       *       *       *       *       *

Am Heben leuchteten die Sterne, und wache Träume woben um die
Pferdeköpfe am First.

       *       *       *       *       *

Den andern Morgen aber schirrwerkte Hans finster und unzufrieden auf
dem Hof und knurrte mit den Knechten und schalt, daß es zu hören war.
Über die ganze Wurt hallte seine harte Stimme. Nichts war ihm recht.
Die Knechte sahen ihn schief von der Seite an.

Geeschen stand am offenen Fenster. Die Sonne schien ihr ins Gesicht.
Und die Deern lachte in sich hinein und summte vor sich hin und freute
sich über das Geschimpfe des großen Bauern und dachte: »Ji schull'n 't
man weeten.«

Als sie zum Melken über die Diele ging, begegneten sie einander.

»Morgen, Hans Banidt,« raunte sie leise.

Er nickte nur und sah in eine Ecke.

»Du denkst der woll aber no, wanehr du no'n Pasturn hinwullt, wat?«
neckte sie.

Da ging er batz aus der Tür.

Sie aber blickte ihm sinnend nach und strich sich das Haar zurück.

       *       *       *       *       *

Als der Heben wieder mit Sternen besät war, gingen wieder junge Träume
unter dem riesigen Strohdach um. Und die Nacht hatte flüsternde Stimmen.

       *       *       *       *       *

Peter brachte das Mehl von der Mühle und die Nachricht, daß Angk, die
Katenalte, krank war und sich hingelegt hatte.

Das war Geeschens Großmutter.

Hans schickte die Deern denselben Tag noch zur Pflege hin.

       *       *       *       *       *

Dann schwieg der greise Pastor.

Der junge Bauer war aufgestanden.

»Die Bibel weiß nichts davon, Herr Pastor. Wenn die alte Frau selbst
Hand an sich gelegt hat und nicht in der Reihe liegen kann und keine
Rede kriegen kann, Herr Pastor, dann muß ich sie auf meinem eigenen
Lande beerdigen und ihr selbst ein Gebet mitgeben.«

Und seine schweren Schritte verklangen auf der Treppe.

Am Staket stand der Schimmel. Er schwang sich hinauf und ritt davon.

       *       *       *       *       *

Den Abend vor Ostern war es.

Da brannten zwei lange, dünne Kerzen in der verräucherten Kate zu
Häupten der alten, toten Frau, deren spitzes, weißes Gesicht aus dem
Sarg guckte.

In den Ecken steckte schon die Nacht.

Hans saß neben der Leiche und hatte den Kopf in die Hand gestützt und
blickte unverwandt nach der Toten. Ein tiefer, grüblerischer Zug lag um
seinen Mund.

Geeschen streifte ihn ab und zu mit scheuen Blicken. Sie war fast bange
vor dem starren Bauer, der sich nicht rührte und nicht regte. Sie
lehnte am Fenster und sah nach den Lichtern auf dem Wasser. Sie hatte
ein feines, schwarzes Kleid an, das Hans ihr aus der Truhe gesucht
hatte. Es stand ihr wunderfein. In dicken Flechten lag das Haar um den
Kopf. Und die Augen hatten nichts von ihrem Glanz verloren. An ihnen
war kein Weinen zu sehen.

Aber Hans sah davon nichts.

Die Kerzen flackerten auf, als die Tür ging und Peter eintrat.

Der Bauer stand müde auf.

»Ward Tied,« sagte er dumpf und sah Geeschen an. Fragend begegnete sie
seinem Blick. Dann begriff sie, preßte die Lippen aufeinander und ging
an den Schrein. Sie drückte die kalte Hand zum letzten Male und ging
wieder nach dem Fenster.

Peter sagte treuherzig: »Adjüst, Angk.«

Dann legte Hans das weiße Kleid zurecht, klappte leise den Deckel zu
und verschloß den Sarg.

Die beiden Männer trugen ihn langsam den Deich hinunter und setzten ihn
in den grünen Kahn, der am Bollwerk lag.

Es war eben Hochwasser gewesen.

»Du bruks ne mit. Ick kann alleen klor warn,« sagte Hans und nahm die
Riemen zur Hand.

»Wenn du 't meens,« gab Peter zur Antwort und steckte die Hände in die
Taschen und drehte bei. Unterwegs dachte er an die hundert Pülle grünen
Kohls, die er für Angk noch auf dem Felde stehen hatte. Die kriegte sie
nun nicht mehr und sie hätte sich so sehr darüber gefreut. Nun konnten
sich die Hasen freuen.

Geeschen hatte ein wollenes Tuch um den Kopf gebunden und den Kranz in
die Hand genommen. Auf der Achterducht nahm sie Platz und legte den
Kranz auf den Sarg.

Sie band das Tuch fester. Es fror sie. Der Nachtwind kam kalt von Osten.

Hans ruderte schweigend ab.

Aus dem Sielgraben waren sie bald hinaus.

Es war tiefe Nacht geworden. Tiefe, stille, feierliche Nacht. Am Heben
ging der Mond durch die weißen Wolken wie ein König durch sein Volk.
Auf dem Wasser blinkte und leuchtete er. Die Elbe war ruhig. Kaum daß
die Lichter von der andern Seite, von Nienstedten und Teufelsbrücke,
herüberglitten und -schwankten. Nur das Knarren der Riemen war zu
hören, das Surren der wilden Enten, das Tropfen und Lecken der Riemen.

Auf dem Perlenkranz stand der Mondschein starr und kalt, und über das
düstere Gesicht des Bauern huschte er fast ängstlich.

Geeschen guckte bald hierhin, bald dorthin.

»Lot dat Kieken no,« sagte er.

Da sah sie den Mond auf dem Wasser und griff mit den Händen danach. Er
zerging in Stücke und wurde wieder gelb und rund. Vollmond und Halbmond
hatte sie schon gemacht. Nun sollte das erste Viertel an die Reihe
kommen.

Da fragte Hans: »Wat heß du dor?«

»Ick griep den Mon.«

»Leß em sitten, hürs?«

Sie hatte die Hand zurückgezogen, aber es dauerte nicht lange, da hatte
sie sie wieder heimlich über Bord gestreckt und ließ sich das Wasser
durch die Finger strömen.

Er hörte es.

»Nolaten!«

»Warüm?«

Da guckte er ernst auf den Sarg und tauchte die Riemen tiefer ein.

Sie saß da mit ihrem raschen Herzen, mit ihrem warmen Leibe, mit ihrer
köstlichen, goldenen Jugend und ihrer neuen, tauigen Freiheit. Wie
Blumen und Sonne war es in ihr. Und sie mußte sich ducken, konnte nicht
singen. Mußte frieren.

Frieren? Es fror sie nicht. Nicht mehr. Das Tuch fiel ihr von den
Schultern. Der Mond spielte mit ihrem Haar und floß um ihr junges
Angesicht.

Sie hielt das Schweigen nicht mehr aus.

»Hans Banidt?«

Er sah kaum auf.

»Sitt dor ne so benüßt. Kiek mi an un snack 'n Wurd. Wi levt jo doch,
Hans Banidt. Segg doch wat. Mi ward jo rein angs un bangen.«

Er schüttelte den Kopf.

»Wi hebbt Beerdigung.«

»Hans Banidt, di deit dat leid, dat't so kamen is, ne? Du wulls, dat du
mi ne sehn hars, wat?«

Er unterbrach sie schroff.

»Wees still, Diern.«

Da gab sie es auf und schwieg.

Auf dem Neß und am Süllberg flammten Feuer auf, große, rote Feuer.

Sie wies mit der Hand hin.

»Kiek, kiek, Hans Banidt! De Ostermonen! Wo grot, wo fein! Dat is
Ostern! Ostern, Hans Banidt!«

Er knurrte. Das Gespreche störte ihn. Er wollte nichts wissen.

Sie sah ihn groß und fragend an, bis das kleine Eiland erreicht war.
Es war der Swiensand, der verlorne Posten zwischen Blankenese und dem
Alten Land, hundert Schritt im Umkreis Sand und Schlick, in der Mitte
Weidenbüsche.

Scharrend stieß der Kahn auf den Sand und saß fest. Hans stand auf und
zog ihn hoch aufs Trockene.

Da konnte Geeschen ausspringen und lief behend nach den Weiden.

»Kiek, Bur! De feinen, weeken Katten!« Und riß gleich an einem Zweig.
Aber der war zäh. Sie mußte ihn zuletzt durchbeißen.

Der Bauer hörte nicht darauf.

Er hatte den Sarg auf den weißen Sand gesetzt und war mit Schaufeln und
Äxten dabei, das Grab zu machen. Durch die Wurzeln mußte er sich hauen,
mußte graben und graben fast eine Stunde lang.

Geeschen umkreiste das kleine Land und lief in Sprüngen über den Sand.
Sie ahmte das Schreien der Möwen nach und machte sich ein Erdbeben in
dem feuchten Sand.

Von Zeit zu Zeit wischte Hans sich die Tropfen von der Stirn und schalt:

»Lot dat Speelen no.«

»Ans frier ick.« rief sie.

Dann schlich sie sich behutsam hinter ihn und strich ihm mit den
Weidenkätzchen die Backen und war wie ein Iltis davon.

Von den bunten Muscheln suchte sie einen ganzen Berg zusammen. Sie
baute aus ihnen ein Haus mit geschickten Händen.

Ordentlich warm wurde ihr dabei.

Hans kam.

»Ick mok 'n Gruft un du?«

»Ick mok 'n Hus,« sagte sie wichtig. »Kiek mol, Hans, wat för 'n Hof.«

»Du bis 'n Kind.«

Dann mußte sie mit ihm gehen.

Der Sarg stand schon in der Tiefe.

Geeschen ließ den Kranz hineinfallen, und es schauderte sie. Hans nahm
die Mütze ab und betete laut ein Vaterunser und setzte hinzu:

»Du ligs hier eensom, Angk, bi Meben und Kreien, ober still un geruhig
-- un mihr wulls du jo ne. Amen.«

Dann rauschte der Sand hinab, und Sarg und Kranz verschwanden. Als der
Hügel sich wölbte, steckte er die Schaufel beiseite und sah Geeschen an.

Langsam streckte er ihr die Hand hin.

»De Dode is versorgt. Nu kommt de Lebendigen wedder anne Reh.«

Ein fester Lebenswille stand in seinen Augen. Da legte sie ihre kleine
Hand in seine große und sah ihn lange an. Und in beider Augen glomm es
auf.

Dann lief sie fort, und als er ihr noch verwundert nachsah, da hatte
sie schon einen Haufen Feeks zusammengeworfen und zündete ihn an. Und
eine helle, rote Flamme prasselte auf.

»Wat schall dat denn nu?« fragte er.

»Is doch Ostern!« rief sie, »smiet man Feek up!«

Und er tat es. Ihm war wunderlich geworden. Größer und größer wurde das
Feuer.

Der Schein wallte auf dem Wasser, als sie heimfuhren. Da sagte er es:

»Wullt du mien Fro warn?«

Sie sah ihn groß und schweigend an, -- und schweigend fuhren sie ans
Ufer.

       *       *       *       *       *

Fern auf dem Swiensand leuchtete noch das Osterfeuer durch die Nacht.

Aber die Hähne krähten schon, und Ostern wollte es werden.




Kassen Witt sin Freeree.


Kassen Witt lewt sin Gild.

He hett dat Arbein ne mihr neudig. Söbentwintig Joahr hett he no See
foahrn, up allerhand Oart un Wies', as Jung, as Knecht, as Settschipper
un as Schipper. Doarbi hett he bi lüttjen so veel up'n Dutt kreen, datt
he dat geruhig mit ansehn kann, wenn de annern sich afrieten möt. He
hett sin lüttj egen Hus, hett Hof un Diek, hult sich 'n poar Hünner,
mokt sich 'n Swien fett -- un wat dat doarbi to schirrwarken gift, dat
kann he meist in'n wittbunten Buscherump un mit 'n Brösel in 'n Mund
af. De Nobers segt: he harr sich dat fein utklamüstert, em kunn keen
See un keen Wind wat mihr dohn, un he much woll lachen, wenn de annern
schreen müssen.

Letzt wür Kassen Witt ober ne tofreden. He kunn ne recht mihr kloar
warn un dacht, he kunn bi sin Joahrn woll noch ganz leiflich freen. As
he noch foahrn dä, harr he doar nix van af weeten, do harr he an so'n
Krom ne dacht: ober nu kreupen de Heiratsgedanken obends mit em up 'n
Bitt un stünn'n morgens mit em up. Wokeen he freen wull, harr he ok
all fastsett. Sill schull dat wesen, de swatthoarige Sill, de mit em
ut de School kommen wür un de he do woll all 'n ganz lüttig beetjen
lien mucht harr. De harr ok keen afkreen, sünder dat he jüst to seggen
wüß, worüm se oberbleeben wür. Enkelte sän, se harr ne uppaßt, oder, se
harr to veel snootert; welk meenen, se harr ne wullt, welk, se harr all
bitieds dat Hexen van ehr Mudder lihrt -- un dorüm harr doar keeneen
anto wullt. Mucht wesen as't wull: Sill wür 'n glatte Diern wesen, harr
danzt un rümjucht as de annern, se wür nu ok noch 'n troße, gohtliche
Fro. Kassen harr doar woll Lust to. Datt se beetjen to veel snacken
dä, versleu em nix, doar wull he woll mit kloar warn; he kunn ok 'n
deftigen Kurrboom snacken. Un wenn se keen hebben wullt harr: 'n gralle
Diern brukt doch ne jeden Hans un Franz to nehmen -- un kunn Sill ne
ganz god up em teuft hebben? -- Bloß mit de Hexerei wüß Kassen sich ne
recht to stilln: dat wür noch dat Leegste. Wenn Sill hexen kunn, denn
harr he den Mot woll batz sacken loten mucht, ober för gewiß wüß dat jo
keeneen un de Lüe snacken sich oberlingen eendeel trech.

Dem Deubel ook, wat wür dat noch förn fein Wief, wat güng se noch troß
langs 'n Diek! Ehr Ploten weih inne Wind. Folten würn in ehr Gesicht
noch ne gewohr to warn, un 'n Gang harr se as 'n junge Diern, de no
Musik geiht. Kassen keek ehr 'n ganze Tied noh. Ne, nu kunn he dat ne
mihr utholn. Un inne Schummeree pett he sich mol no ehr langs.

Sill seet in ehr Kök un wür bi't Knütten. De griese Koater seet blangn
ehr up de Bank.

Kassen füng an to hoffen.

»Nobend, Sill.«

»Nobend! ... Kassen? ... Non? ... Wat heß du denn, dat du mi besöchst?
Legt din Hünner keen Eier genog oder fritt din Borch ne good?«

Kassen sett sich up 'n Löhnstohl.

»Ne, Sill, dat wull jüst ne. Dat Veehwark is good up 'n Schick. Ober
ik much woll giern mol 'n Wurd mit di alleen snacken, Sill. Kiek mol,
Sill, so geiht uns dat: Du sittst hier alleen un ik sitt doar alleen,
du kookst för di und ik för mi, dat is eensom un köst duppelte Füerung.
Wenn wi nu tohoop kooken däen, Diern, schull dat ne beter gohn? Ik
gleuwt meist! Wollt wi uns Plünnen tohoop smieten?«

»Och, Kassen Witt! -- Dat harrst man leeber ne seggen schullt. Du
harrst den Krom sinnig angohn loten müßt, ne gliek so mit de Klumpfust
uppe Nees!« --

Dat güng em schetterig. He kreeg keen Been mihr anne Grund. Sill güng
mit Würden up em dol, as de Klimmer up 'n Heenküken oder as de Floot bi
vulln Moon un harten Wessenwind up 'n Diek. Wat he woll wüß un wat he
woll müß, wat he woll schull un wat he woll wull, so neihte se em. Ehr
Doog ne! Freen! Wenn se dat wullt harr, harr se noch 'n ganz annern
krien kunnt, un wenn se dat wull, denn kree se vundoog noch 'n ganz
annern. Ober nee, se wull mit de Mannslüe nix to dohn hebben, se kunn
dat so beter hebben. So güng dat lustig wieder.

Kassen dreew bannig oberstür bi düsse Gelegenheit. He füng noch 'n
poarmol wedder an to krüzen un uptoluven, ober he keem gegen Sill ne
an. Ehr Koater wür ehr leber as een Mann, sä se. Se harr ehrn Koater,
un solang se denn noch harr, wür se ne alleen. De wür trohartiger as 'n
Minsch. Doarbi nehm se dat ole griese, täsige Diert up 'n Schoot, un ei
dat van 'n Kupp bit no 'n Stiert, as wenn't ehr eegen Kind wür.

»Ne, min seute Koater?«

Dat kunn Kassen ne mit ankieken. Dat wür em all lang to stur wurden up
düsse See. He dreih bums bi un seil no Hus.

»Wi snackt doar noch mol ober, Sill,« sä he batz un rabaster den Diek
langs as 'n Peerd, dat fillenloopen is.

»Hö! Hö! Kassen, wat büs du denn so inne Foahrt?« reep Ol-Gierd em no,
ober Kassen hür doar goarne no hin un leep wieder.

As he in 'n Hus wür un blangen den Oben seet, den Krom noch mol eulich
nodacht, güng de Dör open un Ol-Gierd keem inne Dönß rin.

»Hest mi goarne antert, Kassen,« sä he un güng an 'n Disch ran. Doar
kreeg he den Tabakskassen her un stopp sich sien Piep vull.

Kassen bier, as harr he nix hürt.

»Lang mi mol 'n Rietsticken her.«

Kassen geef em Füer un Gierd füng an to paffen. Tiedlang duert, to füng
Kassen an:

»De Wieber döht all nix.«

»Non? Wat kummt dat denn? Dat lot jüm man ne wies warn, ans kratzt se
di woll dien scheune Nees twei.«

»Könnt se all weeten.«

»Kassen, wat hest denn mit jüm hatt? Hest woll freen wullt un hest
'n poar Schoh kreen? Se hebbt doar all van snackt, dat du an't Freen
dinkst.«

Kassen wör gnatterig.

»Denn lot jüm man van wat anners snacken,« gnurr he, »ik will ne mihr
freen.«

Nu kree Gierd dat Gucheln.

»Härrhärrhärr! Büs woll bi Sill wesen un hest dat Jowurd holn wullt?
Dat is nich so leicht.«

Kassen keek sin Makker scharp an, do sä he: »Kanns swiegen, Gierd?«

Gierd nicküpp: »As 'n doode Nebelkreih, dat kann ik di flüstern.«

Kassen snack sinniger.

»Denn will ik di wat seggen, Gierd. De Sill, dat is 'n Hex, 'n Hex up
'n Hauböön, mags dat gleuben oder ne. De is mit 'n Dübel verfreet, un
dorüm kann se sich ne verheiraten. Un weeß, keen de Dübel is? Ehr
griese Koater: de mok erst 'n poar Oogen as Ewerklüsen.«

»Wat sä Sill denn, as du ehr froogen däst, wat se dien Fro warrn wull?«

»Se sä: ne! Se harr dat so beter un solang se ehrn Koater noch harr,
nehm se keen Mann.«

Gierd puß, dat all meist dick van Dook inne Dönß wür. Mit 'n Mol kneep
he de Oogen tohoop:

»Mann, Kassen! Nimm ehr den Koater weg! Drull ehr dat Diert! Denn mütt
se jo 'n Mann hebben un denn nimmt se di oberlingen.«

»Mi?« Kassen wür noch ungläubig as Thomas. »Denn holt se sich 'n annern
Koater.«

»Wat woll! So'n Wief geweuhnt sich ehr an'n Mann, as an'n anner Stück
Veehwark. Drull ehr man den Koater.«

»Ik mag't ne dohn, Gierd. Dat Wief kann hexen. Wenn de Katt weg is,
kloppt se dreemol up 'n Disch: denn hett se ehr wedder.«

Gierd teuh em an'n Arm.

»Dat ward sich doarbi utwiesen,« sä he plietsch. »Hext Se di den Koater
wedder ut't Hus rut, denn is se 'n Hex un du letts ehr loopen. Ans
nimmst du ehr to Fro.«

»Ik bün man bang för den Koater, un woneem schall ik doarmit hin?«

»Sett em up din Böön fast, doar grippt he sich woll so veel Müüs, dat
he leeben kann. Jeden Dag noch 'n Schöttel Melk -- doarmit basta.«

Kassen stöker dat Füer no.

»Wees wat, Gierd? Ik nehm ehr den Koater weg.«

       *       *       *       *       *

Seit de Tied luer Kassen Witt denn nu Sill ehrn griesen Koater up. Ober
so licht as'n Snööf wür de ne to krien, dat harr Kassen bald spitz.
Wenn dat düster wür, schul he sich in'n Binnendiek langs un smeet
Fisch un Fleesch hin. Swatte und witte Katten keemen bald ankroopen un
freeten un gnurrten, ober de griese Koater wür doar ne twüschen. Oder,
wenn he mol doartwüschen seet, wür he so wild, dat he sich ne griepen
leet. Een Obend ober still Kassen sich achtern groote dicke Esch, un
do harr he Glück un kree den Koater in'n Nacken to packen. As he miaun
wull, steek he em gau in'n Sack un do in Sprüngen twüschen de Wicheln
langs un no Hus hin! De Bööntripp rup, de Dör open gereten, den Sack
utschütt, de Dör towarbelt, de Tripp dolsust: dat würn Oogenblick
Sook. Kassen frei sich, dat he dat Diert harr, ober bang wür he doch
bannig, un as dat boben an to russeln füng un to jauln, puß he bums
dat Licht ut, kreup inne Kubutz, scheuf de Bree to un weuhl sich deep
inne Küssens rien, dat he nix hürn un sehn kunn. Annern Morgen slirrk
he up Strümpfsööcken rup'n Böön, mok de Dör 'n lüttj beetjen open un
keek ünner de Pannen langs. Wat verjeuch he sich, de Kater wür narrns
to blicken. He kreup wieder inne Dör, to verjeuch he sich wedder; de
Koater leeg up 'n ol Goarn un sleep. No dat Verjohn ober frei he sich
bannig, hol den Koater 'n Stück Fleesch un 'n Schöttel vull Melk, un as
de mit de roote Tung slappen dä, to wüß Kassen, dat dat 'n euliche Katt
wür, de nix vanne Hüll afwüß, un dat Sill keen Hexenkrom moken kunn, --
un he keem sich bannig kloog vor. As he den Koater wedder bemokt harr,
steek he de Hann inne Büxentaschen un slarp gemütlich den Diek lang.
Doarbi mok he so'n unschüllig Gesicht, as wenn he keen Swien schreen
hürn kunn. Bi Sill ehr Koat bleef he bistohn un keek no't Woater
hindool. Un luer up. Richtig duer dat ok ne lang un Sill wör em gewohr.

»Kassen?« ... »Jo!« ... »Kassen?« ... »Jo!« ... »Kassen?« ... »Jo!« ...

Kassen sä jo, ober he keek ne üm.

»Vergeew noch mol to, Kassen! Hür doch mol up! Heß min Koater ne sehn?«

»Soll ich deines Katers Hüter sein?« freug Kassen un keek ehr an, as
wenn he ehr dull to wür.

»Ne, eulich! Heß em ne sehn?«

»Kiek ik no Katten? Ik hebb din Koater ne sehn! De sitt woll up 'n
Böön!«

»Nee, nee, Kassen. Up 'n Böön is he ne. De is weg.«

Kassen dach: hex em doch wedder her! un meen:

»Dien Koater is di wegloopen?«

»Wegloopen? De löppt ne weg. Drullt is he mi!«

Kassen keek no Hamborg rup:

»Anner Week is de Doom, Sill,« sä he trurig. »Doar ward 'n barg Heiße
mokt. Wokeen harr dat dacht!«

Sill leet em ne utsnacken.

»Snack ne so dwatsch,« schüll se, »kumm rin un drink 'n Taß Kaffee mit.«

Dat dä Kassen un höh sich in'n Stillen ober Sill, de noch jümmer söch
un reep. Se keek allerwärts to, ober de Koater wür weg un bleef weg. He
wull em mit seuken hilpen, sä Kassen toletzt un güng rut -- ober de un
seuken!

Middogs seh he Sill inne Höf rümstreupen un hür ehr: »Koater! Koater!«
roopen.

Annern Dag söch se noch.

»Kassen, wat komm ik ok doch an.«

He nicküpp, ober he sä nix. He leet noch sinnig 'n poar Doog vergohn.
To füng he bi lüttjen an mit ehr dorvon to snacken, wie trurig dat för
ehr wür, so ganz alleen to husen. Un se kunn doch man 'n anner Katt
nehmen.

Sill keek em an, as wenn he 'n Spleen kreen harr. Ober he mok 'n ganz
trohartig Gesicht, as wenn he ne bit fief tillen kunn.

Poar Doog loater keem he wedder.

»Sill, wat bün ik ok doch meuh. De ganzen Doog hebb ik nu wedder
rümsöcht un rümfroogt. De Koater is un blifft weg. De Lüe lacht een all
wat ut. Beduern kinnt dat Hansjochenpack ne.«

Sill schüer sich de Oogen.

»Ik weet, Kassen. Se lacht mi arme Fro all wat ut. Bloß du ne. Du büs
'n vernünftigen Kirl.«

Kassen mark up, ober he sä noch wieder nix. Langsam un wiß, dach he.
Morgen för Morgen klau he up 'n Böön rup un geef den Koater wat to
freeten, un Morgen för Morgen keek he mol bi Sill rin un beduer ehr.

Up't letzt nehm he 'n Tofoahrt:

»Sill, dat mütt di doch eensom wesen.«

»Kassen, ik bün doar unglücklich ober. Ik mag in min eegen Hus ne mihr
wesen.«

»Sill, war ne krank doarbi.«

»Kassen, dat kann kommen.«

Se snack lang so veel ne mihr, so dull nehm se sich de Geschichte to
Harten, un wenn se ne noch van ehr Mudder her swatt gohn harr, gleuf
ik stiew un fast, harr se nu swatte Kleeder anthon un üm ehrn Koater
truert.

Kassen güng Tritt för Tritt un keem jümmer beetjen wieder. Sill leep
ne mihr weg, wenn he van Heiraten snack. Toletzt kunn he ehr liekuplos
froogen, wat se em staats 'n Koater hebben wull. Se sä ne jo un sä ne
nee -- den ersten Dag, den tweeten sä se half jo und half nee, denn
drütten wör dat »jo« jümmer gröter, dat »nee« jümmer lüttjer -- un
no'n Week sä se jo, ober se sett doch noch doarbi: »Wenn ik min Koater
noch harr, denn harr ik ne mihr freet. Ober nu is't eendohnt.«

Kassen Witt keem sich vör as 'n Keunig. He güng no'n Pastur dol un leet
upbeeden un leet sich bi'n Snieder 'n nee Pattje anmeeten.

Doarbi seet de Koater noch jümmer in sin Gefängnis. Kassen dach doar
mannichmol ober no. He wüß ne recht, wat he doarmit moken schull.
Doodslogen much he em ne. Ganz toletzt säh he sich: wenn de Hochtied
wesen is, lot ik em loopen, denn is Sill min Fro un mütt bi mi blieben.

       *       *       *       *       *

So dach Kassen Witt un wüsch sien Hannen in Elwwoater un meen, sin
Streich wür em glückt.

Ober dat keem doch 'n beetjen anners.

Sill kree up'n mol Lust, Kassen sin Gewees, Hus un Hof, to bekieken,
mol to sehn, wat se as Fro all ünner de Hannen kree. Kasten dach doar
woll an, dat de Koater vullicht jauln kunn un em oahn nix goods, ober
nee kunn he doch ne seggen, wenn se ne oahnig warn schull. He wies ehr
nu den Diek, den Groaben, den Hof, dat Schuer, den Killer un teuh dat
allens gehürig inne Ling. To güng he wieder.

Ober Sill wull dat Hus noch boben sehn. He müß ehr Köök, Dönß, Komer un
Krom wiesen, ober he mok dat so gau af, as he kunn.

»So, Sill, dat wür allens,« sä he un mok de Dör open, as wenn he
weggohn wull. »Uh, kiek mol den grooten Damper doar in't Foahrwoater!«

»Den Böön hebb ik doch noch ne sehn,« sä do ober Sill un sett den Foot
up de erste Tripp.

Kassen still sich an, as wenn he nix hürt harr. He wies wedder no't
Foahrtwoater hin.

»Kumm doch mol rut, Sill,« reep he noch harter, »un kiek di bloß mol
den grooten Steamkassen an. Wat dat förn Koloß is! Dat is jo woll de
Ameriko! Wat förn Diert!«

Ober Sill keem ne.

Se reep wedder:

»Ik will mi erst den Böön besehn. Lot den Damper man susen.«

»Den Böön wies ik di morgen, dat is nu all to düster,« sä he gau un
dach: wenn se morgen kummt, sett ik den Koater solang up't Schuer, denn
ward se em ne gewoahr.

Se güng ober spöttenup.

De Sook wör mau.

»Doar kanns du ne rup, Sill,« reep Kassen iernst un keem neuger.

»Worüm ne?«

»Diern, dat geiht ne. Jerst mol is dat all to düster, un denn steiht
doar allens up 'n Kupp. Doar bricks du Arms un Been.«

»Dat deiht nix. Ik will doar wenigstem mol rupkieken,« sä se.

De Sook wör mau.

»Au ... au ... au ...« jaul Kassen.

Se stünn still.

»Wat heß?« freug se.

»Au ... au ... au ... mi is de Ramm int Been schooten. Ik kann ne mihr
stohn. Smeer mi gau 'n beetjen.«

Ober se wür neeschierig worden un wull nu mol den Böön sehn.

»Au ... au ... au ...« jaul Kassen wedder.

Mit 'n Mool füng *de Koater up'n Böön an to jaulen*.

Sill hür dat gliek un kenn ok de Stimm gliek.

»Dat is min Koater! Verdreihte Kassen Witt! Nu weet ik Bescheed, du heß
em drullt! Teuf! Lot mi em erst mol wedder hebben!«

Doarmit se de Bööntripp rup.

Kassen sin Been wür werkwürdig gau wedder heelt, he stünn batz up, as
he den Koater miaun hür, neem sin Been inne Hand, leep in Sprüngen
den Diek dol, klau gau in'n Kohn un schipper van'n Diek af, bit he in
Sicherheit wür.

Mit de Hochtied wör dat nix, dat mark he woll, ober he wull doch
wenigstem sien gesunden Oogen un Backen beholen.

Kiek: doar keem Sill ut de Husdör un achter ehr ran de Koater. Kassen
kreup meist ünner de Ducht, ober se wör em doch gewoahr. Jüst wull se
losleggen, to schufudern, to seh se all de Lüe up'n Diek stohn, de all
de Sook markt harrn un lachen. Sill besünn sich: dat harr ok woll noch
Tied.

To nehm se ehrn Rocksoom mit de Hand up un teuh den Rock so hoch, dat
de bunte Ünnerrock to sehn wür, un güng as 'n Gräfin den Diek langs. Sä
keen Goodendag un nix.

Un de Koater mit hoogen Stiert achteran.

       *       *       *       *       *

Dat heet: twee Doog noher harr Kassen Witt doch een verbunden Gesicht,
woneem he 'n poar Weeken mit rümloopen is.

Sien Gild lewt he noch -- ober van dat Freen will he nix mihr weeten.

       *       *       *       *       *


      Anhang.

      schirrwarken=bewerkstelligen, utklamüstert=ausgetüftelt,
      leiflich=leicht, troß=stolz, gohtlich=annehmbar, Sill=Cäcilie,
      Leegste=Schlimmste, oberlingen=vielleicht, eendeel=irgendwas,
      blangen=neben, Klimmer=Habicht, bannig (unbändig)=sehr,
      all=schon, oberstür=zurück, rabastern=rasen, bier=tat,
      Gucheln=Lachen, ans=sonst, drull (v. nord. Troll)=stahl,
      stiehl, schul=schlich, he vejeuch sich (verjagte sich)=er
      erschrak, bemookt=eingesperrt, klau=kletterte, Tofoahrt=Anlauf,
      eendohnt=einerlei, Pattje=Anzug, spöttenup=treppauf, Ramm
      inne Been=Hexenschuß, schufudern=schelten, enkelte=einzelne,
      nicküpp=nickte.




Pulli.


Hamburg war Baas.

Es war Baas zu Wasser und zu Lande, weil die Sonne schien und weil
Sonntag war; ihm gehörten der grüne Sachsenwald und das rote Helgoland,
der weiße Timmendorfer Strand und die blitzenden holsteinischen Seen,
ihm eigneten die Deiche von Vierlanden bis zur Lühe, die Elbe von
Lauenburg bis zum letzten Feuerschiff, die Berge von Geesthacht bis
Schulau, die Heide von Lüneburg bis vor die Tore von Buxtehude. Das
alles, mit Wegen und Wogen, Blumen und Häusern, nahm es breit und
selbstverständlich in Besitz.

Westlich von den Zeugen der Heiden- und der Seeräuberzeit, dem
Opferberg und dem Falkenberg, zog ein hamburgisches Fähnlein tapfer
und fröhlich über die neugrünende Heide; oft blieb es stehen und hielt
Umschau, es verlängerte und verschönte sich den Weg mit Wald- und
Wanderliedern, und tat sich etwas darauf zugute, daß es Lerchen über
sich und Grillen unter sich hatte.

Zwei Schwestern waren es, schlanke, blonde Hamburger Deerns, mit
hellen Augen und kecken Nasen, ein junger Lehrer mit einem Kopf voller
Hochziele und ein kleines Schreiberlein, das aus einem der vielen
Schreibstuben ins Freie geflüchtet war. Es schritt an der Spitze der
Gruppe, hatte sogar einen Rucksack mit und war wohl guter Dinge. Auf
dem Steindamm hatte es sich den Dreien angehängt, weil es das eine
Mädchen kannte, und war bei ihnen geblieben, obgleich es schon anfing,
seinen Entschluß zu beklagen, denn es war gewohnt, allein zu wohnen
und zu wandern, auch wußte es nichts zu erzählen. Es hatte immer große
Angst, heimliche Furcht vor dem Leben und vor Menschen, zu denen es
nicht gehörte. Die empfand es auch jetzt wieder und um so schwerer, als
es sie durch äußerliche Lustigkeit verscheuchen wollte.

Armes Schreiberlein.

       *       *       *       *       *

Das stille Fischbek mit seinen Eichen und Birken war durchquert, und
die kleine Gesellschaft ging auf der großen Landstraße entlang, die von
Hamburg nach Stade führt; sie suchten den Moorweg. Dieser fand sich
auch bald: aber als sie umbiegen wollten, stand gerade an der Ecke
ein Hund, ein schönes, weiß und gelb gezeichnetes, sauberes Tier mit
blanken, klugen Augen. Unbeweglich stand es da und sah den Kommenden
entgegen, als erwarte es sie. Vor allen wurde das Schreiberlein darauf
aufmerksam. Näher gekommen, fing es an, zu locken und zu schmeicheln.

»Non, Pulli! Wat makst du denn dor?«

»O, guckt bloß mal, was für 'n schöner Hund,« rief eins der Mädchen
lebhaft.

»Feiner Kerl,« lobte auch der Lehrer.

Der Hund aber sah das Schreiberlein an, dann bellte er freudig und heiß
auf und stieß mit den Vorderpfoten heftig in den Heidesand.

»Pulli, sitt dor 'n Rott?« fragte das Schreiberlein, belustigt
teilnehmend, aber das andere Mädchen gab ihm einen Rippenstoß.

»Ratte? Er will den Stein wiederholen, Sie. Werfen Sie ihn mal weit
weg. Man zu!«

Rasch bückte das Schreiberlein sich. Der Hund wurde toll vor Eifer
und wollte zuschnappen, aber die Hand entriß ihm doch den Stein und
warf ihn ein Stück den Weg voraus. Bellend stob er nach, daß der Staub
aufwirbelte, schoß mit Schnauze und Pfoten tief in den Sand hinein,
scharrte heftig den Stein heraus, nahm ihn mit dem Maule auf und sprang
eilig und schweifwedelnd mit ihm zurück. Vor dem Schreiberlein blieb er
stehen, das ihm den Felsen abnahm und den Kopf streichelte. Es war in
Fröhlichkeit gekommen, als es das Tier so fröhlich gehorchen sah: das
war ihm noch nicht begegnet und rührte es tief.

Pulli aber wollte von Liebkosungen nichts wissen, er suchte in den
Wagenfurchen nach andern Steinen, und als er sie entdeckt hatte, blieb
er davor stehen und sprang wie vorher mit den Vorderfüßen darauf los.

»Noch een, Pulli?« fragte das Schreiberlein freundlich, griff schnell
zu und warf einen zweiten Stein, der ebenso rasch geholt wurde. Des
Hundes Eifer wurde immer größer, je mehr Steine flogen. Die Augen des
Schreiberleins strahlten, so große Freude empfand es. Aber auch die
andern sahen dem prächtigen Tier gern zu und warfen auch Steine. Alle,
wenn sie nicht gar zu groß waren, holte es gehorsamst zurück, aber
wenn es sich des Gegenstandes entledigt hatte, sah es doch zuerst nach
dem Schreiberlein, stieß mit der Nase an dessen Hand und ermunterte es
durch Bellen und Scharren zu neuen Würfen. Diese Bevorzugung behagte
dem Schreiberlein über die Maßen, und es wurde nicht müde, mit dem
Hunde zu sprechen und ihm das Fell zu glätten, soweit die Ungeduld des
Tieres es zuließ, das sich in Kreuz- und Quersprüngen nicht genug tun
konnte.

Es trug kein Halsband, so mußte es doch gewiß aus dem Dorfe sein,
dachte das Schreiberlein und war betrübt, daß es mit dem Spiel zu Ende
ging, denn sie waren mittlerweile schon weit in das Moorgebiet geraten
und mußten daran denken, den vierbeinigen Spielvogel nach Haus zu
schicken. So flog denn ein Stein weit zurück, begleitet mit dem Rufe:
»So, Pulli, den nimm mit, un denn no Hus!«

Wohl sprang der Hund bellend nach, aber er kam getreulich mit dem Stein
wieder. Das Schreiberlein klopfte ihm den Hals und nahm ihm den Fund
ab, dann wies es mit der Hand zurück: »Goh no Hus, hörst!« Aber Pulli
blieb und wedelte.

»Na, denn gah noch 'n Stremel mit,« sagte das Schreiberlein gutmütig
und liebevoll, und das alte Spiel fand seine Fortsetzung im
Weiterwandern.

»Eigentümlich, was Sie für eine Gewalt über den Hund haben,« sagte der
Lehrer.

Das Schreiberlein sagte nichts darauf, aber das Wort erfüllte es doch
mit Stolz. Zu dem Hund sagte es: »Lat dat Bellen na, kiek mal hin, wat
du di utsehn mokst!« -- und wies nach den Beinen und dem Kopf, die arg
geschwärzt waren.

»Du mußt doch noch mehr können, als bloß Steine holen,« begann es nach
einer Weile wieder und hieß den Hund stehen bleiben. Es prüfte durch,
was es von Kunststückchen an andern Hunden gesehen hatte, und bekam
heraus, daß Pulli sich totstellen konnte, daß er über den Stock sprang,
Pfote gab und auf Geheiß bellte. Nur eins wollte ihm nicht glücken,
den wirklichen Namen des Hundes zu erforschen, obgleich es ihm alles
Erdenkliche zurief. Weder bei Hektor, Juno, Bruno, noch bei Seemann,
Feldmann, Mobbi, Max rührte das Tier sich.

»Denn blift dat bi Pulli!« entschied das Schreiberlein und warf einen
Stein. O weh, der plumpste in den sumpfigen Graben. »Hier! Komm hier!«
Aber das Rufen half nicht, der Hund stand schon tief in dem moorigen,
muddigen Wasser und wühlte es mit dem Maul und den Füßen auf. Naß und
beschmutzt, sich schüttelnd, kam er zurück, daß das Schreiberlein
traurig wurde, als es das schöne Fell so entstellt sah, aber es
vertröstete sich auf den breiten Graben, der kommen mußte. In dem
sollte der Hund schwimmen und sich rein spülen, dann mußte er nach Haus
geschickt oder gejagt werden.

Der Graben war bald erreicht, und der Zuruf des Schreiberleins ließ den
anfangs zögernden Hund in das tiefe Wasser springen. Als er hin und her
geschwommen war, rief es ihn zurück.

Er war wirklich reiner geworden, als er sich abgespuddert hatte.

»So, nu sall he no Hus,« sagte das Schreiberlein ernsthaft, trat ihm
entgegen, wies mit dem ausgestreckten Arm nach der Geest und befahl:
»Pulli, no Hus! No Hus! Hus! Hus!« Aber der Hund ging nicht von der
Stelle, er tat, als hätte er nichts gehört: nur daß er von einem Fuß
auf den andern trat, mochte kund tun, daß etwas in ihm vorging.

»Kannst du nich hörn?« drohte das Schreiberlein, drängte gegen ihn,
schob ihn vorwärts, wies ihm die Fäuste und suchte ihn ernstlich
wegzujagen. Auch die andern drei stampften auf und suchten ihn zu
scheuchen. »Nach Haus!«

Da schien er zu begreifen, was sie mit ihm vorhatten, und daß es Ernst
wurde. Alle Frische und Lebhaftigkeit wich aus seinen Bewegungen, er
zwinkerte mit den Augen und schlich unruhig bald vor und bald zurück.

»Man to, man to! No Hus!« Da kam er zu dem Schreiberlein gekrochen und
setzte sich vor ihn hin, hob bittend die Vorderpfoten, leckte mit der
Zunge und bettelte mit feuchten Augen. Das mochte ein anderer ertragen
als das gute Schreiberlein, das tief erschrocken war. »Hast wohl kein
Haus?« fragte es bewegt und legte ihm zärtlich die Hand auf den Kopf.
»Wenn du bei mir bleiben willst, so tu es. Ich verjage dich nicht.«

Da wedelte der Hund freudig und folgte ihm weiter.

Wieder galt es, Steine zu holen, über den Stock zu springen und hübsch
zu machen. Das Schreiberlein schien nur noch für das Tier da zu sein,
und das eine Mädchen begann schon, verdrießlich zu werden.

»Wollen Sie ihn mitnehmen?« fragte der Lehrer.

Das Schreiberlein zögerte mit der Antwort. »Ich weiß nicht. Wenn ich
wüßte, daß er ausgesetzt wäre und kein Haus hätte, nähme ich ihn mit.«
Und es sah nachdenklich aus.

»Wollen Sie ihn denn behalten?« begehrte ein Mädchen zu wissen.

»Ich könnte ihn ja auch nach dem Tierhaus an der Süderstraße bringen,«
antwortete das Schreiberlein fast ärgerlich.

»Ach, lassen Sie ihn doch wieder laufen,« sagte das andere Mädchen.

»Geht er denn?« fragte das Schreiberlein. »Er ist ja nicht
wegzubringen, nicht mit Gewalt.« Es nahm nochmals einen Anlauf und
lief den Hund fast um, aber es hatte wieder keinen Erfolg. Das Tier
legte sich erneut aufs Betteln, und das Schreiberlein war nicht der
Mann, dem zu widerstehen. Ich kann es nicht, ich bringe es nicht übers
Herz, dachte es still und bedrückt, atmete tief auf und streichelte den
dankbar winselnden Hund.

Später lief es mit ihm um die Wette und kam den andern dabei ein
beträchtliche Stück voraus. Pulli stellte sich an den Grabenrand und
schlappte Wasser.

»Büst ok all hungrig?« fragte das Schreiberlein und schnallte den
Rucksack ab. Der Hund kam fragend näher und als er Brot und Wurst
bekam, fing er es hastig und fraß mit lebhafter Freude. So frühstückten
die beiden Wandergenossen am Wegrande, und als die Vorratskammer
ausgeräumt war, legte das Schreiberlein sich längelang ins Gras, und
der Hund ruhte neben ihm. Die Hand ruhte auf dem Kopf des Tieres.
So lagen sie zwischen Löwenzahn und Butterblumen, bis die andern
herangekommen waren.

»Ich bin vom Berg der Hirtenknab,« sagte der Lehrer launig.

»Bin ich auch!« gab das Schreiberlein stolz zurück, reckte sich und
sprang auf die Füße.

»Soll er denn nun noch weiter mit?« fragte ein Mädchen, als sie wieder
eine Strecke gemeinsam zurückgelegt hatten.

Das Schreiberlein guckte wie verloren nach dem dicken, roten
Neuenfelder Kirchturm, der inmitten der Dächer stand wie eine
Gluckhenne zwischen ihren Küchlein.

»Wir kommen gleich an die Süderelbe,« sagte es, »da soll es sich
entscheiden. In das Fährboot kommt er nicht hinein. Schwimmt er uns
aber nach, dann soll er mit mir.«

Das war aber nicht seine richtige Meinung. Es war mit dem Hund in
Gedanken schon in seiner kleinen Stube angelangt, wie Doktor Faust mit
seinem Pudel, und Goethes Worte gingen ihm durch den Sinn.

  Wie du draußen auf dem bergigen Wege
  durch Rennen und Springen ergötzt uns hast,
  so nimm nun auch von mir die Pflege
  als ein willkommner, stiller Gast.

Es wußte gewiß, daß der Hund mitlaufen und auch den Weg in das Fährboot
finden würde.

Schon blitzte die Süderelbe hell durch das Weidengebüsch. Mit reißender
Strömung flutete sie ostwärts. Das Fährboot hielt gerade wartend an
dieser Seite, so daß die Gesellschaft nicht zu läuten brauchte.

Zwei Altländer Knechte mit Rädern standen schon im Boot.

Zuerst stiegen der Lehrer und die Mädchen ein, die sorglich ihre
Kleider rafften, dann wollte das Schreiberlein folgen, ohne sich nach
dem Hund umzusehen, aber dieser sprang behend vor ihm hinein und kroch
unter die Duchten.

»Da haben wir es,« bemerkte der Lehrer laut, »was nun?«

»Wollen Sie ihn wirklich mitnehmen?« fragte das ältere Mädchen.

Armes Schreiberlein!

Sechs Menschen guckten es an. Da mußte es wohl fremd und scheu werden.
»Ach, laßt es doch, wie es ist,« sagte es ablenkend und setzte sich auf
die hinterste Ducht, immerfort nach dem Wasser guckend.

Aber der Fährmann war aufmerksam geworden.

»Hört de Hund ne dorto?« fragte er.

»Nein,« sagte das Mädchen, »er ist uns von der Geest nachgelaufen.«

»Denn schall dat Oos ok ne mit,« entschied der Fährmann. »Rut mit
di! Rut!« Er erhob das schwere Ruder und scheuchte den Hund damit
ins Wasser, daß das Tier über und über bespritzt wurde und entsetzt
zurückwich.

Dann stieß er eilig ab.

Das Schreiberlein schwieg. »Sprich, steh auf, ruf!« schrie es in ihm,
aber die alte Lebensangst und Furcht hatte sich riesenhoch in ihm
erhoben und preßte ihm die Kehle zu. Wie ein geducktes Vöglein saß es
da und sah nach dem Hund.

In dessen Augen lag ein schmerzlicher Ausdruck der Verlassenheit, als
er das Boot sich entfernen sah, er winselte und heulte und kroch auf
und ab, lief hin und her und guckte verlangend über das Wasser. Ein
Altländer rief lockend: »Komm, komm!« Auch in dem Schreiberlein rief
es: »Komm, komm!« aber über seine Lippen rang sich kein Laut.

Der Hund watete bis an den Bauch in das Wasser hinein und streckte die
Schnauze vor, als wollte er schwimmen.

»De swümmt gliek,« rief ein Knecht.

»Ja, schwimm!« dachte das Schreiberlein und fühlte, daß des Hundes
Blick an seinem Gesicht hing, aber es vermochte kein lautes Wort zu
finden.

Das Boot kam immer weiter in den Strom hinein.

Der Hund blieb lange Zeit in dem strömenden Wasser stehen, dann
watete er langsam nach dem Trockenen zurück. Noch einige Male lief er
verlangend auf und ab, stand wieder still und sah dem Boote nach, dann
drehte er sich um und lief den Damm hinauf. Oben angekommen, stand
er wieder still, sah eine lange Weile zurück, dann lief er fort und
verschwand hinter den Weidenbüschen, die den Weg umgaben.

Armes Schreiberlein.

       *       *       *       *       *

»Tut es Ihnen leid?« fragten die Wandergefährten, als sie am
jenseitigen Ufer angekommen waren und nach dem Deiche gingen.

Das Schreiberlein gab keine Antwort, es guckte sich aber immerfort
um und sah nach dem anderen Ufer, das still und verlassen dalag, und
wartete, daß der Hund wiederkomme. Dann wollte es rufen, so laut es
konnte, und er sollte herüberschwimmen. Es konnte nicht begreifen, daß
es so gekommen war, und begann den erbärmlichen Verrat zu erkennen, den
es sich an seinem treuen Genossen hatte zuschulden kommen lassen.

Der Lehrer gab sich Mühe, ihm einzureden, daß der Hund sein Haus auf
der Geest haben müsse, ein ausgesetztes Tier wäre gewiß nicht so
reinlich gewesen, daß es sich vermöge seines Geruchssinnes leicht
zurückfinden werde, vielleicht schon wieder auf der Geest spiele, aber
das Schreiberlein war nicht zu überzeugen. Es guckte nur über das
Wasser, schüttelte mit dem Kopf und sagte:

»Das mag *Sie* rechtfertigen, mich nicht!«

Schwere Dinge warf sein Herz auf. Wie brausendes Wasser gingen ihm die
Gedanken durch den Kopf. Es erkannte mit schmerzlicher Gewißheit, daß
es einen Schritt getan hatte, der es nach und nach ins Gleiten bringen
mußte.

Und der Hund erschien noch immer nicht wieder an der Fähre.

Da, als die Drei schon anfingen, sich heimlich anzustoßen, blieb das
Schreiberlein stehen und bot ihnen die Hände zum Abschied.

»Ich kann nicht weitergehen,« sagte es ernst, »ich muß zurückfahren und
den Hund suchen. Anders finde ich keine Ruhe.«

»Das ist verrückt!« rief der Lehrer, und sie redeten heftig auf ihn
ein, aber sie erreichten nichts, weder vermochten sie ihn mit dem
unwegsamen Moor zurückzuhalten, noch mit der nahen Dämmerung zu
schrecken.

Er müsse hinüber und sie müßten schon allein nach dem Dampfer gehen.
Das war alles, was sie zu hören bekamen.

Kopfschüttelnd mußten sie es schließlich aufgeben und weitergehen.

Über das Schreiberlein aber war mit dem Entschluß eine fiebernde Unruhe
gekommen. Es lief mehr, als es ging, nach der Fähre und trieb den
Fährmann zur Eile.

»Wedder röber?« fragte dieser.

»Jo, jo!« drängte das Schreiberlein, und wollte schon sagen, daß es
seinen Schirm im Altenland vergessen hätte, aber es war etwas in ihm,
das gewaltsam hervordrängte. »Ich will den Hund holen,« sagte es festen
Tones und empfand dieses Geständnis als etwas Wohltuendes.

Der Fährmann lachte, dann aber sagte er ernst: »De is all lang weg.
Ober dor sitt 'n Wulkenbank in 'n Westen, dat kann licht 'n Gewitter
geben. Blieft leber hier, ik wohrschoo jo.«

Das hatte das Schreiberlein, das immer nach dem Damm guckte, wohl gar
nicht verstanden, denn es gab keine Antwort darauf, sprang aus, noch
ehe der Kahn angelegt hatte, und lief in Sprüngen fort, daß der Mann
herzlich lachen mußte über den närrischen Kerl.

»Pulli! Pulli!«

Unbekümmert rief das Schreiberlein, einerlei, ob Menschen es hörten
oder nicht, spähte nach allen Seiten und schritt erregt weiter, dem
Moor entgegen.

Aber kein Hund war zu sehen.

Als es von dem weiten, düstern Moor umfangen war, begann schon die
Dämmerung ihre stillen Flügel ausbreiten. Da rief es lauter als zuvor,
daß die Regenspatzen in dem Schilf erschrocken das Piepen ließen. Die
Dämmerung nahm überhand, da suchte und rief das Schreiberlein noch
ängstlicher und strengte seine Augen an, daß es den vorherigen Weg
wiederfinde, was bei den vielen Moorwettern, Brücken und Stegen, bei
Kreuz- und Querstücken nicht leicht war. Die Weidenbüsche wuchsen wie
riesenhafte Tiere aus dem Gras und bekamen drohende Augen.

»Pulli, neem büst du?«

Draußen auf der Elbe war Ebbe eingetreten. Die vermochte aber nicht zu
verhindern, daß die Wolkenwand sich höher schob und sich ausbreitete.
Einige Sterne waren schon sichtbar: nun schoben sich dunkle
Wolkenhände über ihren stillen Schein.

Von den Moorburger Wiesen, den weit entfernten, scholl das ängstliche
Brüllen des Viehs. Gespenstisch schnell überzogen die Wolken den Heben.
Ferner, grollender Donner quoll langsam auf, als käme er aus dem
Wasser. Da fiel auch das erste Licht vom Heben, und ein Windstoß fegte
warnend über Baum und Halm.

Armes Schreiberlein -- warum stehst du still vor dem breiten Graben;
hattest du da einen Steg vermutet? Hast du dich verlaufen, weißt nicht
mehr, wo du bist? Und hast den Pulli immer noch nicht gefunden?

Such den Steg, das Gewitter hängt über dir. Die ersten schweren Tropfen
fallen wie Blei. Der Wind schwillt an. Den Steg!

Schreiberlein, mit Kriechen kommst du nicht von der Stelle! Da fliegt
dein Hut!

Armes Schreiberlein ...

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Als der lange Hinnik Quast am andern Morgen seine Moorkartoffeln hacken
wollte, hing etwas Braunes unter dem Steg, der über die breite Wettern
gelegt ist. Es war ein ertrunkener Mensch, der fehlgetreten sein mußte.

Armes Schreiberlein ...




Sonntagnachmittags.


Unten am Deich beim tiefen Sielgraben stehen kleine Jungen und fischen
nach Stichlingen, den Sperlingen im Reiche der Schuppen. Oft müssen
sie die runden braunen Netze auswerfen, weit hinaus bis an die Jollen,
die da ihren Winterschlaf halten, bis sie einige von den spaddelnden,
stacheligen Gesellen fangen. Das ficht sie nicht an. Sie fischen nicht
um vergängliche Erdengüter, sondern rein des Vergnügens wegen. Sie
werden gar nicht gewahr, daß das Wasser eiskalt ist und daß sie mit den
Stiefeln tief im Schlick waten, ebensowenig wie es sie stört, daß es zu
Hause für die Kleigräberei und Sabbatschändung vielleicht etwas auf die
Jacke, sicherlich aber eine gehörige Tracht Schelte geben wird -- sie
fischen und fischen und sind gesund und munter dabei.

Jung-Finkenwärder, Fischereigesellschaft mit blauen Hosen.

Dazu weißbunte Hemden. Die runde, graue Fischermütze steht ihnen wie
ein Glorienschein um die hellblonden Köpfe. Nur die blaugefrorenen
Gesichter und die lauten Reden stellen sich der Heiligkeit entgegen,
beim einen mehr, beim andern minder.

Ein grauer, stiller Wintertag will in Dunst und Nebel gehen, wie er
gekommen ist. Trübe ist der Himmel, mit farblosen Schatten behangen,
und die weite, breite Elbe liegt bleiern und matt da. Auch Blankenese
schaut düster und mürrisch drein, als könne es gar nicht blinken und
lachen. Einsam kriecht ein Stader Dampfer stromab. Der weiße Rauch
verliert sich in dem grauen Einerlei. Ein Tag ohne Sonne. Dem haftet
etwas Verlorenes an und etwas Verstimmtes. Wie Schlaf und Tod liegt
es auf der Welt, die auf einmal alt geworden zu sein scheint! Und ein
Grauen des Vergessens steht in den kahlen Ästen.

An solchen Tagen bringt es mich zu dem alten Harm Holst, der sein
kleines Haus am Deich warm und heimlich hält und weder den Ofen, noch
die Pfeife ausgehen läßt, auch nicht einmal selbst ausgeht.

Erst macht der struppige Hund wedelnd und niesend seinen Diener, und
dann gibt Harm mir nickend und lachend die Hand.

Dann sitzen wir am Fenster.

Nach den Jungen gucken wir, die immer noch fischen und kurren.

Leise nickt er mit dem Kopf: »Da hab ich auch mal gestanden und
Stichlinge gefangen.«

»Auch ich,« sage ich langsam, und wie ich so sinne, meine ich, der
kleinste aus der Schar zu sein, der am eifrigsten auswirft und am
wenigsten fängt.

Dann wird es wieder still.

In der Ecke steht breit und behaglich der hohe Kachelofen, wie eine
Bauernfrau, die in ihrer weißen Schürze dasteht und lacht ... leise
... aber doch so, daß es zu hören ist ... Oder sind es die rotbackigen
Äpfel, die in der Röhre piepen? Oder ist es der Tee, der in seiner
bunten Kanne sein mildes, feines Lied singt? Oben über dem Alkoven
aber hängt eine weise, weise Frau aus dem Schwarzwalde, mit rundem,
braunem Gesicht und gelben Ketten und Gewichten, und sagt vernehmlich
vor sich hin: »Ick weet allns! Ick weet allns!« Plattdeutsch hat sie
gut gelernt, aber es langt nur zu den drei Worten: auf eine längere
Unterhaltung läßt sie sich nicht ein. Wer alles weiß, der braucht
freilich auch nicht mehr viel zu reden.

Harm sagt in die Stille hinein:

»In Hamburg, Gorch, da ist alle Tage Sonntag. Wir haben bloß alle
sieben einen.«

Ich nickte bloß. Fast habe ich vergessen, daß es laute Straßen gibt mit
grellen Läden und sausenden Bahnen und einem dichten Gewühl elender und
glücklicher Menschen.

»Ick weet allns! Ick weet allns!« meinte wieder die Großmutter, und wir
hören ihr zu. Sanft und freundlich spricht sie uns die Sekunden ab, und
wir lassen sie gewähren.

Bis ich sage: »Nun könnt Ihr den Ofen bald kalt werden lassen.«

»Junge, wo denkst du hin? Wir haben ja noch den Februar vor uns. Und
der Februar, der ist ein strenger Mond. Was der einmal zum Januar
gesagt hat? Wenn ich soviel Kraft hätte wie du: auf der einen Seite im
Topf sollte das Wasser frieren und auf der andern Seite kochen.«

»Ick weet allns! Ick weet allns!« sagte die Stimme aus Baden.

»Da stehen sechs Fische im Kalender, Gorch. Das kann mir nicht
gefallen. Die sehen wir bald auf der Elbe.«

»Auf der Elbe?«

»Ja, Gorch. Die Seen kriegen weiße Köpfe. Sturm gibt es ... Der Sommer
ist noch weit weg, Junge. Erst muß die Natur sich noch brechen. Und
das tut sie nur im Sturm, Gorch. Erst muß sie ein paar Ewer und Kutter
kriegen, dann gibt sie uns Schollen und Zungen.«

Ich guckte ihn schweigend an.

»Das ist gewiß so, Gorch. Sieh mal: Bauern kriegt sie nicht. Was tut
der Bauer, Gorch? Die Scheune warbelt er zu und die Fenster setzt er
mit Luken zu, dann läßt er den Wind suchen und schnauben. Der wird
vergrillt und nimmt ein paar Fischerleute beim Flunk. Von denen sind ja
genug da!«

»Schwarze Kleider aber noch nicht,« setzte ich düster hinzu.

»Ick weet allns! Ick weet allns!«

»Da war auf dem Kreinhof mal ein großer Bauer, Gorch. Im Frühjahr, wenn
es ans Pflügen gehen sollte, fragte er einfach: Wieviel Fischer sind
geblieben? Erst wenn es drei waren, holte er den Pflug aus der Scheune.
Er wußte, was er tat, Gorch! Waren noch keine Fischer geblieben, so
waren auch die Stürme noch nicht dagewesen -- und die Stürme gingen mit
der Elbe über seinen niedrigen Deich und spülten die Furchen glatt,
wenn er vorher gepflügt hatte.«

Die Dämmerung ging säend über das Land und streute tausend dunkle
Körner über Weg und Wasser. Die Jungen packten die Netze zusammen,
nahmen die Eimer in die Hand und gingen fort, der dampfenden Pfanne und
dem rauchenden Stock entgegen.

An der andern Seite, zu Nienstedten und Blankenese, stecken sie die
Lichter an, eins nach dem andern. Immer stiller wird es.

Wir bleiben noch in der Schummerei sitzen und haben die Augen auf dem
Wasser, über das der Schein der Lampen zittert. Und weil es so geruhig
ist und so sinnig und die Formen weicher und unbestimmter werden, weil
die Dinge größer und geheimnisvoller erscheinen, erzähle auch ich
eine Geschichte, die ich gelesen, von Kai Jans, dem Matrosen, dem
Gottsucher, der um die ganze Welt segelte und Hilligenlei suchen wollte
und nur von ferne einen großen, guten Menschen stehen sah.

»Hast du dir die Geschichte ausgedacht, Gorch?«

»Nein, ein Dichter, Harm, einer, der früher Pastor gewesen ist, bei
Büsum da.«

»Den möcht ich mal sehen, Gorch. Der macht aus Jesus einen Menschen.
Das ist gut, Junge. Aber dann mußte er auch aus dem Menschen einen
Jesus machen, Gorch. Warum hat er das nicht getan?«

»Ick weet allns! Ick weet allns!« sagte wieder die Muhme von oben.

Und nun die Lampe brennt, wird es noch stiller in dem Stübchen, und wir
sagen gar nichts mehr.




Hans Otto.


Die Kugelbake vor Cuxhaven ist die große Nebelfrau der Elbmündung. Wer
sie einmal bei Daak und Dunst über die Watten starren gesehen hat, weiß
das. Vor ihr stand bei Nebel und trüber Luft eine Fischersfrau von
Döse, ein armes, irres Weib, das ihren verschollenen Mann auf der See
suchte; jahrelang hat sie dort gestanden, alle alten Schiffer haben sie
gesehen, -- bis die riesige Bake sie ablöste.

An dem Balkengestell dieser Bake zog ich die Schuhe aus, streifte die
Strümpfe ab, nahm auch meine Mütze in die Hand und watete barhäuptig
und barfüßig, von der Sonne erwärmt und von dem salzigen Wasser
gekühlt, über das weite Watt dem stillen Duhnen entgegen.

Die auf der Reede von Cuxhaven -- twüschen de Baaken, wie die Schiffer
sagen -- liegenden drei großen, dicken Barken kamen aus Sicht, dafür
aber stieg der graue Normannsturm von Neuwerk höher aus den Watten,
die beiden binnensten Feuerschiffe der Elbe leuchteten herüber, und
vor und hinter ihnen wurde es nicht leer von Schiffen. Krabbenjollen
und Fischerewer segelten ein, Tjalken und Gaffelschuner kreuzten
seewärts, tiefgehende, schwarze Kohlendampfer zogen zu zweien und
dreien ostwärts, Holzdampfer mit gelbleuchtender Decksladung pflügten
gen Westen. Sogar hinter der Kimmung, ganz im Norden, hatte der Handel
noch schwache Rauchwolken auf der See. Lloydkähne, braunrot, mit
großen gelben Nummern an den Seiten, an langen Trossen hinter ihrem
zierlichen Schlepper, klüsten von der Weser herüber. In der Weite
standen die dunkelbraunen Segel eines Störfischers regungslos auf dem
weißen Wasser, und dahinter tauchten wie Maulwurfshügel die Bäume von
Büsum-Hilligenlei auf. Seenot und Seeluft erfüllten mein Herz, als
ich vor meinen Füßen nach fliehenden, spinneflinken Krabben und auf
der See nach Schiffen suchte. Dann dachte ich an die beiden Türme von
Altenbruch, die wir vorher passiert hatten, und an das Schifferwort:
»Wenn de beiden Turns upenanner stoht, denn hett de Froo dat Seggen
an Burd« -- also daß die Frau so gut wie gar keine Zeit an Bord zu
sagen hat, -- an den kleinen, zwergenhaften Mann dachte ich, der mir
gegenüber gesessen hatte, mit dünnen Mädchenfingern und einem alten
Gesicht, aber mit großen, unschuldigen, neugierigen Kinderaugen, die
guckten, als sähen sie zum ersten Male ein Schiff, die von den großen
Leuten ängstlich abirrten und sich vertrauend den Kindern zuwandten,
-- und an das schöne, braune Mädchen dachte ich, mit dem viel zu
großen Hut, das von einem Kranze junger Herren und Damen mit heftigen
Vorwürfen überschüttet wurde, weil sie sich zu lange im Tanzkreis
aufgehalten und mit anderen Herren schön getan haben sollte. Erst
verteidigte sie sich klug und gewandt: ein Mädchen dürfe nichts tun,
das ihm nicht verdacht werde, hörte ich als heimlicher Lauscher heraus;
dann, als die Meute nicht nachgab, schwieg sie, und ihre blaugrauen
Augen sahen in die Weite, während ihre Lippen zuckten. Nachher kam
sie an die Reihe beim Rundgesang: sie richtete sich auf, warf den
Kopf zurück und sang keck, trotzig und übermütig aus dem Rigoletto:
»... Ach, wie so trügerisch sind Weiberherzen ...« Je mehr sie sang,
desto lauter und bitterer wurden die Worte »... alles ist Lüge ...« da
überwältigte sie das Gefühl, und sie barg aufschluchzend ihr Gesicht
und ihre Tränen in ihr Tuch ... Die Gesellschaft wurde stumm und
verlegen und schämte sich ihrer fast.

Als ich unter solchen Gedanken eine Stunde der Gilde der Wattenläufer
angehört hatte, verspürte ich Hunger, und weil ich einiges Eßbares
mitgenommen hatte, suchte ich mir am Dünenrande einen sonnigen Fleck
aus und legte mich auf den weißen, reinen Sand nieder, kurz vor den
ersten Zelten und Körben von Duhnen.

Zum Zeichen meiner Rast aber steckte ich den langen Erlenstock, den
ich unterwegs aufgefischt hatte, fest in den Sand und knotete mein
Taschentuch daran, das nun flatternd im Winde wehte. Das war gut so,
denn wer weiß, ob Hans Otto sich sonst nach mir umgesehen hätte, oder
ob er von so viel Zutrauen erfaßt worden wäre.

Ich saß noch nicht recht, da rief es von weitem:

»Ist das deine Fahne? Ist das deine Fahne?«

Und als ich mich umwandte, kam ein sonnenbraunes Kerlchen von
vielleicht drei Jahren, nur mit einer Hemdhose bekleidet, in Eile
herangestäubt und rief immerfort:

»Ist das deine Fahne? Ja?«

Das war Hans Otto.

Ich mußte seine Frage bejahen. Er winkte, stellte sich neben mich und
begutachtete nun die Fahne nach Farbe und Größe, er prüfte, ob der
Flaggenstock fest genug stand, ob die Knoten ihrer Bestimmung Genüge
leisten konnten, und ob der Wind von der rechten Seite kam. Nach einem
Rundgang um den Flaggenhügel wandte er sich wieder mir zu:

»Hast du die Fahne selbst gemacht?«

»Wenn es nicht unbescheiden klingt, mein Junge, ja.«

»Du kannst fix was!« lobte er.

Ich wehrte ab: »Nur mit Einschränkungen, mein Junge, in andern Dingen
bin ich ein großer Stümper.«

»Nun weht sie ja nicht mehr,« klagte er dann.

»Man hat es oft am Mittag, daß der Wind mit einem Male einschläft,«
sagte ich auskunftgebend. »Die Schiffer draußen auf See wecken ihn dann
schnell wieder auf.«

»Wie machen sie das?« begehrte er zu wissen.

»Sehr einfach. Sie kratzen am Mast. Tu du es auch. Ich will dir aber
gleich sagen, daß es ein toller Aberglaube ist.«

Und der kleine Kerl bearbeitete den Stock mit den Nägeln so eifrig, daß
ich für die Fahne fürchtete, und rief aus Leibeskräften:

»Wind! Wind!«

Zufälligerweise frischte der Wind in diesem Augenblick wesentlich auf,
und der Kleine freute sich königlich über die Zauberei.

Seine junge Mutter, die drüben in der Sonne lag, rief ihn: »Hans Otto,
komm! Komm hierher!« Aber er verwies ihr solche Störung ernstlich mit
der keinen Widerspruch duldenden Antwort: »Du, ich hab' jetzt kein'
Zeit!« Diese Sentenz wiederholte er mehrfach, so daß ich darin eins
seiner geflügelten Worte anzusprechen geneigt bin.

Als er indessen hinsah, wurde er gewahr, daß seine Mutter ihm auch
eine Fahne gemacht hatte: er lief hin und brachte sie schnell in unser
Lager, wo wir sie neben meiner aufpflanzten. Wir stellten fest, daß
jede ihre besonderen Vorzüge hatte: meine war bunt, seine weiß, meine
klein, aber sie wehte hoch, seine groß, aber sie wehte niedrig.

Danach besann Hans Otto sich auf sein Spiel, das er beiseite geworfen
hatte, als er meine Flagge flattern sah, und er unterwies mich in
seinem ebenso umfangreichen, wie verzwickten Straßenbahnbetrieb, den er
ohne Schienen und Drähte nur mittels eines deichsellosen Groschenwagens
und mit Hilfe seiner Hände und einer Anzahl Steine und Korkstücke
auf dem Strand von Duhnen unterhielt. Ich arbeitete mich allmählich
ein und lernte auch die Haltestellen von Hans Ottos Lingelingbahn
kennen und -- was schon schwieriger war -- unterscheiden, die wohl
auch die Haltestellen seiner kleinen Lebensreise waren: Sternschanze,
Hauptbahnhof, Wilhelmsburg, Altona, Kiel und Blankenese. Die ganze Bahn
war eigentlich nur eine Familiengründung, denn Hans Otto beförderte
ausschließlich Onkel und Tanten. Und sonderbare Onkel und Tanten waren
darunter. Tante Emma zum Beispiel (ein großes Korkstück) war sehr dick
und ging nicht gern, weshalb wir sie immer bis zur Endstation mitnehmen
mußten. »Onkel Hermann müssen wir stets einen Fensterplatz einräumen,
weil er zu gern ausgucken mag.« Tante Wilhelmine war schwerhörig und
kurzsichtig -- die arme Frau! -- und wir mußten ihr deshalb den Namen
von jeder Haltestelle ganz laut ins Ohr trompeten. Onkel Fritz war
dreist und ging immer mit der brennenden Zigarre in den Wagen, weshalb
wir ihn jedesmal auffordern mußten, die Zigarre wegzuwerfen oder nach
draußen zu gehen. Weiß Gott, es gab mancherlei zu bedenken und zu
beachten!

Als wir unseren Betrieb stillegten, um zu frühstücken, setzte Hans
Otto sich neben mich und half mir wacker bei der Mettwurst, mehr noch
beim Kuchen und am allermeisten bei den Bananen. Der geneigte Leser
mag daraus ersehen, daß Hans Otto ein Leckermaul ist; fragte er aber
weiter nach ihm, so bliebe ich stumm, denn ich weiß Hans Ottos Zunamen
nicht, auch weiß ich nicht, wo er wohnt. Wir haben einander nicht nach
dem Namen gefragt: ich mochte es schon deswegen nicht tun, weil ich als
Arbeiter bei der Straßenbahn doch gewissermaßen sein Untergebener war.

Die Einwände seiner kopfschüttelnden Mutter gegen unsere gemeinsame
Tafel wehrte ich lachend ab und er mit seiner bekannten und beliebten
Redensart: »Du, ich hab' kein' Zeit!«

Nach dem Essen erbot ich mich, dreister geworden, ihm ein Blankenese
zu bauen, wenn er mir dabei an die Hand gehen wolle. Er sagte es zu,
und wir gingen an den Bau wie die Fronarbeiter an die Pyramiden. Armer,
kleiner Hans Otto. Du hattest nicht einmal eine Schaufel und nanntest
auch keinen Eimer dein eigen, aber ist es nicht dennoch gut gegangen?

Haben wir nicht unermüdlich mit Händen und Füßen gebaut und gegraben
und ausgeschachtet? Haben wir nicht ein breites tiefes Bett für die
Elbe zurechtgemacht und auf ihr Nordufer einen hohen, gewaltigen Berg
getürmt, das getreue Abbild des Süllbergs, fast so groß wie du, Hans
Otto? Hätte da einer kommen und zweifelnd fragen können: Soll das etwa
Helgoland sein? Gewiß nicht, was?

Und als der Berg hoch und breit genug war, haben wir die Abhänge platt
und glatt geklopft, ich mit meinen großen Händen und du mit deinen
kleinen.

Haben wir dann nicht aus roten Steinen einen Turm auf den Gipfel
gebaut, hatte der Turm nicht eine richtige Flaggenstange und wehte von
ihrem Topp nicht ein Tanghälmchen als Wimpel? Hast du nicht hundert
rote, weiße und blaue Häuser herangeschleppt, Steine und Muscheln, und
habe ich sie nicht nach einem großartigen Bebauungsplan über den Abhang
verteilt? Entdeckten wir nicht in den Dünen eine Art von Immergrün,
vortrefflich geeignet für die Bepflanzung unseres Berges mit Baum und
Strauch?

Und als alles fertig war und wir etwas zurücktraten, um es besser
überschauen zu können, hat es da nicht überaus prächtig und lustig
ausgesehen, unser buntes großes Blankenese? Sind nicht die Leute
bewundernd stehen geblieben und hat dein kleines Ohr auch nur eine
ungünstige Kritik gehört? Von deiner eigenen Freude will ich ja noch
gar nicht mal so viel Aufhebens machen, denn du warst als Teilhaber
und Miterbauer vielleicht nicht ganz objektiv; aber sind nicht sogar
die drei Marineartilleristen, die großen braunen Gestalten, stehen
geblieben, die doch gewiß schon an Brockeswalde und an die Mädchen
dachten; haben sie nicht Lobesworte gefunden und nicht gleich auf
Blankenese geraten?

Wir können auf alle diese Fragen getrost und freudig Ja antworten, Hans
Otto, und wir werden der Wahrheit am nächsten sein. -- Wie lange wir
noch dagestanden und uns unseres Werkes gefreut haben ... ich weiß es
nicht, wie ich auch nicht weiß, ob die großen Baggerungen in der Elbe,
die wir noch unternahmen, wirklich notwendig waren oder ob sie hätten
gespart werden können.

Auch das weiß ich nicht, warum ich dann mit einem Male aufstand und
weiterging, Duhnen zu, denn es lag mir im Grunde nichts mehr an Duhnen
...

Du hast mich nicht festgehalten, Hans Otto, als ich dir zum ersten und
letzten Male die Hand gab. Nur gesorgt hast du dich, ob ich morgen
wiederkäme, und ich habe es bejaht. Ich sehe noch dein betroffenes
Gesicht, als ich wegging. Es war, als könntest du nicht glauben, daß
ich von dir ginge. Ratlos standest du neben dem großen Süllberg und
sahst mir nach. Und wie lange hast du mir nachgesehen!

       *       *       *       *       *

Als ich im Abenddunkel mit der »Cobra« zurückfuhr und nach den Feuern
und Lichtern der dunklen Elbe guckte, da habe ich an dich gedacht, Hans
Otto, und es ist mir sogar aufs Herz gefallen, daß ich dich belog, als
ich dir sagte, daß ich am anderen Tage wiederkommen wolle. Wie wirst du
nach der Kugelbake blicken, daß ich kommen soll, dein Blankenese von
neuem aufzubauen, das die übermütigen Mädchen in der Nacht, als die
Matrosen sie zu greifen versuchten, zertreten haben ...

... und nun sitze ich in deinem Hamburg, Hans Otto, zwischen
scharrenden Federn und klappernden Schreibmaschinen und blicke in
Bücher und auf Papiere, rechne mit Dollaren und Peseten und kann es
doch nicht verhindern, daß ich geheimerweise auf einen Rechenzettel
schreibe: Hans Otto.

Das soll ein Gruß für dich sein!




Ditmer Koels Tochter.


Der kleine, dicke Bäckergeselle, den die Sonne von 1525 besonders
freundlich beschien, als er breitbeinig auf der Kaje saß und mit
Steinen nach den Stichlingen warf, die um die Bollwerkspfähle
schwärmten, dachte nicht an seine Stutenmacherei, sondern an Venedig
und Grönland, an Apfelsinen und Eisbären. Er erschrack sehr, als ihm
mit einemmal ein schweres Tau auf den Buckel sauste, und glaubte in die
Hände von Seeräubern zu fallen: da erblickte er zu seiner Beruhigung
aber nur einen Norderneyer Schellfischangler, der mit seiner grünen
Schaluppe heranglitt, und ihm zurief, in jenem selbstverständlichen
Ton, den unsre Schiffer noch heute führen: »Hak mal öber!«

Der Gesell tat es, rächte sich aber doch für die Apfelsinen und
Eisbären und fuhr den Eilandsmann giftig an: »Wat wullt du Spöcker hier
up'n Namiddag? *Morgens* köpt wi Schellfisch: nu is de Brück leddig!«
-- »Mien gode Jung, ick heff ok keen Fisch,« sagte der Schiffer
gemütlich, »ik heff moi Tiding for den ehrbaren Rat. Moi Tiding! Ik
will mi blos'n beeten afdweilen, denn seil ik up't Rathus.«

»O vertell, Schipper! Wat de Borgermester eten kann, dat smeckt ok wol
'n lütten Bäckergesellen,« bat darauf der Gesell und er gab nicht nach,
versprach zu schweigen wie eine tote Krähe, und bettelte solange, bis
der Fischer sich herbeiließ, ihm zu erzählen, daß er Nachricht von den
Schiffen hätte, die seit Pfingsten die Seeräuber jagten. Die See wäre
rein gefegt: die Gallion, der flegende Geest, der Bartum und die Jacht
seien im Sturm genommen, Klaus Rode sei von den ergrimmten Bootsleuten
in Grapenbratenstücke gehauen, dazu zweihundert Mann erschlagen: der
Rest von einhundertsechzig Mann aber und der Hauptmann Klaus Kniphof
seien von Ditmer Koel gefangen genommen. Diese Seeschlacht sei in der
Osterems geschehen und hätte acht Stunden gedauert. Das Geschwader
liege windeshalber achter den Greeten: die erste gute Luft könne es
aber schon nach der Elbe wehen ...

Hier sprang der Gesell auf, schüttelte sich und rief: »Un wenn de Dübel
mi halt, dit kann ik nich verswiegen. Back mi tein Pickplasters up'n
Mund, un dat mutt doch rut!« Und ohne auf den fluchenden Norderneyer zu
achten, sprang er an Land und rannte stadtein. Die Hände an den Mund
gelegt, gröhlte er laut und durchdringend: »Tiding von uns' Schepen,
gode Tiding! Ditmer Koel, unse Admiral, hefft Klaus Kniphof mit alle
Schepen und alle Mann gefangen genommen!« So schrie er ins Millerntor
hinein und ließ nicht nach, und bald hatte er einen Haufen von Kindern
und Burschen um sich, die seinen Ruf aufnahmen und ihn gewaltig
verstärkten. Nicht lange dauerte es: da hatte man sogar schon eine
Weise für die Zeitung erfunden, die also lautete:

  »Gode Tiding von uns' Schepen!
  Ditmer Koel hefft Kniphof grepen!
  Söben Schep un hunnert Mann,
  öbermorgen kommt se an.«

Wie eine Windflage, die Staub und Blätter aufwirbelt, so drängte es
durch die engen Straßen, und die Rotte vergrößerte sich von Ecke zu
Ecke. Hamburg, das schon mondelang auf eine Kunde geharrt hatte,
horchte auf, lachte und freute sich des Sieges. Da wurden Fenster
aufgestoßen, da wurde gefragt und getan, da traten die Handwerker
aus den Türen zu nachbarlichen Gesprächen. Einige steckten die alten
Schiffsflaggen heraus, andere ließen einen Krug Braunbiers aus dem
Keller holen und machten sich einen lustigen Tag aus der Begebenheit.

Die brausende Woge brandete auch an das Fachwerkhaus, das sich an
der Nigentwiete in beschaulicher Stille sonnte und dem Schiffer und
Admiral Ditmer Koel gehörte. Die Großmutter des Hauses saß feiernd
am halbgeöffneten Fenster und horchte auf die Stille, die hinter all
den feinen Geräuschen des Tages ruhte. Neben ihr lehnte Ditmer Koels
Tochter, die schöne Gesa, ein blühendes, taufrisches Mädchen von
achtzehn Jahren, am Fensterpfosten und spielte nachlässig mit den zwei
kleinen grauweißen Katzen, die auf dem Brett übereinander kugelten ...

»... Ditmer Koel hefft Kniphof grepen ...« Das Siegeslied brach um
die Ecke und erfüllte die Twiete. -- »Grotmoder, hört ji? hört, hört!
Se singt von Vader! He kummt wedder!« rief das Mädchen vor Freude
erglühend, warf die Kätzchen ritsch -- ratsch auf den Fußboden, stieß
das Fenster vollends auf und beugte sich hinaus, um zu sehen und zu
hören, was da nahte. »O, wat frei ik mi, Grotmoder!«

Grad unter dem Fenster machte der kleine Bäckergesell halt, der schon
vor Heiserkeit kaum noch sprechen konnte. »Leewe Gemeende,« krächzte
er roten Kopfes, »mal 'n Spier Gehühr!« Und als der Lärm sich etwas
verminderte, denn alle warteten, daß nun etwas abfallen sollte: da
berichtete er den Frauen weit ausholend und mit umständlichen Gebärden
alles, was er wußte und was sich so up'n Stutz schicklicherweise
hinzulügen ließ. Zum Schluß nahm er seine Mütze ab und hielt sie
treuherzig-verlangend auf. »De Kehl is all bannig drög, aber wat
deiht'n Hamborger Jung nich all for unsen Admiral Ditmer Koel.«

Die Greisin schüttelte halb belustigt, halb geärgert den Kopf.

»Wat hett se seggt?« -- »Se seggt, Water smeckt söt!« -- »O Mann, wat
is de Olsch nährig!« »Free Licht bi Dagen un wieder nix!«

Aber Ditmer Koels Tochter sprang leichtfüßig ins Zimmer zurück und
durchsuchte Schrank und Schublade, bis sie eine Hand voll Münzen
gefunden hatte, die sie dem Gesellen laut klirrend in den Hut warf.

»Ho -- nu drinkt Warmbeer un lat Ditmer Koel hoch leben!« rief sie in
fröhlicher Unbefangenheit den Weiterdrängenden nach.

Dann fiel sie der Ahne um den Hals: »Grotmoder, lat mi doch nich alleen
lachen: Freit jo doch mit! Vader kummt ja doch!« Die Alte strich ihr
das blonde Haar aus der Stirn. »Büst so wild, Deern, so wild!« -- »As
du fröher west büst, nich, Grotmoder?« fragte das Mädchen schalkhaft
und erhielt es lächelnd bestätigt. »Ja, Kind, as ick west bün.«

Und dann horchten sie auf den schon halb verschollenen Lärm, dem sich
noch die Rufe mühsam entrangen:

»Ditmer Koel schall leben: een, twee, dree ...«

       *       *       *       *       *

Ditmer Koel sollte leben: er *lebte* -- und es kamen der Tag und
die Flut, die ihn mit der hamburgischen Kriegsflotte, den Kraffeln
(Caravellen) und Bojers, bei raumem Wind die Elbe heraufbrachte. Mit
den erbeuteten Koggen war das Geschwader zehn Schiffe stark und nahm
den ganzen Strom ein. Von allen Toppen flatterten die Wimpel. Am Hafen
war kein Platz unbestanden: es wimmelte am ganzen Ufer von Menschen,
die den Seeräuber und seine Maaten sehen wollten. Der Katarinenglöckner
läutete die Glocken.

Der Admiral Ditmer Koel, mit dem bloßen Schwert gegürtet, trug in
der Rechten trotzig die zerschossene Flagge des Seeräubers. Er war
immer ein hoher, aufrechter Mann gewesen: aber nie ist er größer
und gewaltiger erschienen als an diesem Tage, auch dann nicht, als
er Ratmann und Bürgermeister geworden war. Sein Gesicht war erregt;
nur als er seine Tochter erblickte, die in einem Kränzlein ihrer
Altersgenossinnen stand, lief ein freudiges Lächeln über seine Züge.
Neben ihm gingen die Schiffer Simon Parseyal, Klaus Hasse und Dietrich
von Minden und wechselten hier und da einige Worte mit den ihnen
bekannten Bürgern.

Pfeifen- und Trommelklang nahte. Fünf Fähnlein folgten, und hinter
ihnen schritt, geleitet von zwei Edelleuten, der Seeräuber Klaus
Kniphof, der Hauptmann. Der jugendliche, vierundzwanzigjährige
Kopenhagener sah blaß aus, doch war nichts Unmännliches in seinem
Gesicht. Er war barhäuptig und trug ein weiches Hemd, dessen Ärmel von
Kugeln durchlöchert waren, ein zugeschnittene Wams und blaue Hosen.
Hinter ihm gingen die hamburgischen Hauptleute, die Kriegsknechte und
das Schiffsvolk, in ihrer Mitte die Menge der einhundertzweiundsechzig
Seeräuber, gefesselt und gekettet.

Als Klaus Kniphof die Gruppe der schönen Mädchen gewahrte, sah er mit
großen hungrigen Augen hin. Er war von Jugend auf Seemann gewesen und
hatte nach den Hoffrauen Karstens von Dänemark und Margaretens von
Burgund nur braune, friesische Muschelsucherinnen gesehen: da war ihm
der Anblick dieser weißen, glänzenden Jugend wie ein Blick in die
Sonne. Ditmer Koels Tochter erschauerte bis ins Herz vor seinen Augen,
und ihr verging Lachen und Neugierde zugleich. Die Trommeln wirbelten
dumpf: der Zug ging weiter. Die Mädchen wurden von Mitleid ergriffen
und erzählten von dem Jüngling, der dem flüchtigen Dänenkönig sein
Reich hatte zurückerobern wollen und dabei ein Seeräuber geworden
war. Ditmer Koels Tochter stand wie im Traum und sagte kein Wort.
Sie sah nur dem Hauptmann mit dunklen Augen nach, und er erwuchs ihr
zum treuesten Helden, zum Hagen, der für seinen König in Not und Tod
gegangen war. Es war mehr als Mitleid, was sie erfüllte, und in ihrer
Mädchenseele regte sich unbewußt ein namenloses Geschöpf, das Weib.
Da haßte sie beinahe ihren Vater, dessen gewaltiges Haupt alles Volk
überragte. Dann wieder sah sie unverwandt nach dem blonden Scheitel des
Dänenhauptmannes.

Ihre Freundinnen hatten genug zu gucken und achteten nicht sonderlich
auf sie: aber einem Mannesblick blieb nicht verborgen, was in ihr
vorging. In der hintern Reihe, nicht weit von ihr, hatte schon lange
ein bleicher, junger Mönch gestanden und sich schier nicht satt sehen
können an ihrem lieblichen Gesicht und ihrer schlanken Gestalt. Stefan
Kempe war es, der »Ketzermönch« aus dem Magdalenenkloster, einer von
den Lutherischen. Seit drei Jahren schon hing seine Feuerseele dem
Wittenberger Doktor an, und er predigte laut und unerschrocken das
lautere Gotteswort, dem Volk zu freudigem Aufhorchen, den Papisten
zu großem Ärgernis. Viel verklagt und verdächtigt, geschmäht und
gescholten, blieb er unverzagt bei der neuen Lehre und vertraute seinem
Gott. Im Anschauen des reinen Mädchens stieg wie ein Stern am Himmel
in seiner Seele der Gedanke an einen lieben Kameraden in ihm auf und
bekränzte sein Herz mit roten Rosen: er dachte daran, alle Fesseln zu
sprengen, das dunkle Gewand abzulegen und sein Leben zu krönen, wie
Luther es getan hatte, als er die Nonne freite.

Da aber sah er, wie Ditmer Koels Tochter nach dem Seeräuber sah, und er
fühlte, wie seine Augen schmerzten. Leise wandte er sich ab und ging
davon.

Die Arbeitsleute aber spotteten der Seeräuber, und derbe holländische
und dänische Flüche schollen hinwider.

       *       *       *       *       *

Der Admiral wurde seiner Tochter fremder in jenen Tagen, als er sich
der Freude über seine Seefahrt überließ und versicherte, daß Klaus
Kniphof als ein Seeräuber dem Scharfrichter verfallen sei. Sie kam
nicht, um Abenteuer zu erfahren, und sprach weniger als sonst. Er
jedoch machte sich wenig Sorge darum, er dachte an nichts als an seine
Sache. Kniphofs Fähnlein hänge im Dom unter der Kanzel, verkündigte er
eines Tages. Da ging Gesa hinaus, ohne ein Wort zu sagen, und weinte
sich auf ihrer Kammer aus. Und als er ein andermal wieder von der Ems
erzählte, wie er seinen Leuten zuvor ein kräftig Süpplein zu kosten
gegeben hätte, Warmbier mit Büchsenkraut (Schießpulver), das sie
teufelswild gemacht hätte, da kam ein Grauen über sein Kind, das es
nicht abschütteln konnte. Über ihre Träume aber schaltete der junge,
blonde Hauptmann, der auf dem obersten Boden des Winserturmes saß und
durch die Eisenstangen auf Fleete und Schuten starrte.

Kniphof hatte um einen rechtskundigen Mann gebeten, dem er seine
Sache betrauen wolle: der Rat hielt es aber für geratener, ihm einen
Beichtvater zu bestellen. Das war der Ketzer Stefan Kempe, der nun
jeden Tag die Hühnerstiege hinankletterte und dem Gefangenen Trost
zuzusprechen suchte. Kniphof jedoch hatte noch Segel und Wind. Er
berief sich auf den Kaperbrief der Burgunderin und auf seines Königs
Bestallung. Als kriegsführende Macht habe er den Gebrechen der Vitalie
steuern können, ohne darum ein Seeräuber zu werden. Margarete von
Burgund, seines Königs Schwägerin, Karls des Fünften Tochter, werde ihn
schützen. Der Rat schickte nach Brüssel und ließ hansisch-stolz fragen:
wat se mit den steden to donde hadde? -- worauf Margarete den Brief
verleugnete und den Seeräuber fallen ließ. Kniphof aber wollte es nicht
glauben.

Ditmer Koels Tochter ging hellhörig um ihren Vater herum, bis sie
wußte, daß Kniphof noch eine Mutter hatte, die bei Kopenhagen lebte.
Da packte sie sich heimlich hinter Schiffer und Kaufleute, die die
Ostsee befuhren, schrieb der Greisin, gab ihr von allem Kunde und bat
sie dringend, nach Hamburg zu kommen. Die alte Frau kam auch zu Schiff
herüber, und Gesa Koel nahm sich ihrer liebevoll und zärtlich an,
brachte sie im Kloster unter und stand ihr bei, daß sie vom Rat die
Gnade erwirkte, ihren Sohn wiederzusehen.

Es kamen aber zwei Frauen und begehrten Einlaß, und die zweite nannte
sich die Schwester von Kniphof. Der Turmhauptmann kratzte sich am Kopf
und machte Einwendungen, denn der Ratsbrief ging nur auf die Mutter,
aber weil die Schwester ein schönes Weib war, erhoffte er sich einige
Gunst und ließ sie mit hinein.

Klaus Kniphof war im Gespräch mit seinem Beichtvater. Als er
seine Mutter erblickte, wurde er bleich, er wollte aufstehen und
ihr entgegengehen, aber kraftlos brach er zusammen und barg laut
schluchzend sein Haupt in ihrem Schoß. Erschüttert stand Gesa Koel
dabei.

Nach einer Weile sah Kniphof auf und wurde ruhiger. Stefan Kempe,
dessen dunkle Augen um das Mädchen brannten, das er wohl erkannte,
schickte sich an hinauszugehen, aber Kniphof bat ihn, zu verweilen.
Dann erst sah der Seeräuber das Mädchen und erkannte sie wieder vom
Millerntor her und wußte, daß sie aus edlem Geschlecht sein mußte.
Er gab ihr die Hand und dankte ihr, daß sie sich seiner guten Mutter
angenommen hätte. Gesa aber wies ihn an Stefan Kempe, der der alten
Frau das Kloster erschlossen hatte und für sie sorgte. Kniphof schöpfte
neue Hoffnung, und er begann zu erzählen. Sein ganzes Leben und seine
wilde Meerfahrt breitete er vor den Frauen aus, und Stefan Kempe
lehnte düster am Fensterkreuz und kam sich armselig vor. Die Höfe von
Kopenhagen, London und Brüssel wurden bedacht: Kniphof redete sich in
Jugendlust hinein und berichtete von der holländischen Zeit: wie sie
bei Amsterdam die vier großen, schwerbestückten Schiffe ausgerüstet
hätten, wie er seine dreihundert Leute angeworben hätte, und wie er
dann mit bunten, geschwellten Segeln unter dem Donner der Kanonen in
See gestochen sei, Norwegen zu zwingen und Dänemark zurückzuerobern.
Dann kamen die Seeschlachten bei Bergen und vor Kopenhagen, der
gewaltige Nordsturm bei Skagen. Haushohe Wogen und ein unerschrockenes
Herz! Die Lust an der Meerfahrt leuchtete in Kniphofs Zügen auf: Gesa
Koel aber sah Stefan Kempe an, als wenn sie vergleichen wollte, und
dieser wußte den Blick recht zu deuten.

Kniphof kam auf die Seeräuberzeit. Sein Freibrief müsse ihn schützen,
er sei kein Seeräuber. Es könne nicht sein, daß Margarete ihn den
Städten überließe: der Bote sei wohl von Oranien abgefertigt worden. Es
müsse noch einmal geschickt werden.

Die Glocke erscholl und verkündete, daß die Besuchszeit zu Ende sei.
Kniphof verabschiedete gefaßt seine Mutter, die zu weinen begann, und
gab dem Mädchen die Hand zum Lebewohl.

Unten am Turm aber standen sich Gesa Koel und Stefan Kempe Aug in Aug
gegenüber. Das Mädchen sah ihm offen ins Gesicht, und dann kam es über
sie, daß sie ihm vertrauen könne wie einem Bruder, und sie streckte
ihm die Hand hin. Da sagte sie ihm, daß sie mit der Frau nach Brüssel
reisen und sich der Statthalterin zu Füßen werfen wolle für Kniphof,
damit er gerettet werde. Er versuchte nicht sie umzustimmen, denn er
fühlte, daß sie diesen Gang tun mußte, aber er bat sie, ein Nonnenkleid
anzulegen, das ihre Schönheit der Landstraße verhülle: er werde es ihr
bringen. Die Fahrt werde den Seeräuber nicht retten, denn Margarete
könne es nicht mit Hamburg verderben: aber um den Frieden ihrer Seele
solle sie reisen. Sie schüttelte dazu den Kopf. Dann bat sie ihn,
Kniphof noch nichts zu sagen.

       *       *       *       *       *

Einen Tag danach verließen eine alte Frau und eine verschleierte Nonne
in aller Stille die Stadt. Stefan Kempe stand am Klostertor und sah
ihnen lange nach. Wunderliche Gedanken wehten über sein Herz, und sein
Gewissen schlug, weil er nicht wußte, ob er recht getan hatte. Er lag
vor seinem Gott auf den untersten Stufen und sollte Raubmörder und
Seeräuber trösten und dem Volk einen neuen, freudigen Glauben predigen!
Und sein Kamerad zog für einen anderen davon ...

       *       *       *       *       *

Den Morgen dann, als die Greisin reise- und lebensmüde vor der hohen
Frau Margarete zu Boden sank, daß Graf Egmont sie aufrichten mußte, als
Ditmer Koels Tochter kühn und dringend für Klaus Kniphof sprach und die
Herzogin an Brief und Wort mahnte, ohne mehr erreichen zu können als
ein rasches Wort Egmonts, einen ausweichenden Spruch Margaretens und
eine abweisende Entscheidung des düsteren Oranien -- da läutete das
Armsünderglöcklein von St. Katrinen zu Hamburg und die Winser Wache
brachte Klaus Kniphof nach dem Brook. Stefan Kempe ging an seiner
Seite: Der Seeräuber war gefaßt. Er hatte das bunte Leben und die
weite See fahren lassen und sich in Gott ergeben. In dieser letzten
Stunde sagte ihm Stefan Kempe, daß die beiden Frauen nach Brüssel
gereist seien. Kniphof schüttelte den Kopf -- er glaubte nicht mehr
an die Burgunderin, aber es war ihm doch ein Trost, daß seine Mutter
ihn nicht diesen Weg gehen sah. Dann fragte er nach seinen Leuten. Und
schließlich wollte er den Namen des schönen Mädchens wissen. Da sagte
ihm der Mönch, daß sie des Mannes Tochter sei, der in der ersten Reihe
säße und am ernstesten drein schaue. Und Kniphof sah auf und erkannte
seinen gewaltigen Widersacher Ditmer Koel.

Danach aber mußte er im Angesicht der blauen Elbe den Nacken beugen.

       *       *       *       *       *

Grauer nordischer Nebel lag auf der Stadt. Stefan Kempe, der Mönch,
stand auf offenem Markt und predigte das lautere Wort der Bibel.
Schiffer und Handwerker, Bürger und Freunde umdrängten ihn, denn er
war des Wortes mächtig und sprach freundlich und gewaltig zugleich.
Noch hätte er keine Kirche, sagte er, noch müsse er in Wind und Wetter
reden, aber das Licht, das zu Wittenberg angesteckt sei, könne kein
Wind und kein Wetter mehr verlöschen, und er werde nicht ruhen, bis es
in allen Kirchen Hamburgs brenne. Es geriet aber ein Haufe von Papisten
hinzu, die ihn mit Geschrei und Gegenrede zu stören versuchten und ihn
überteufeln wollten. Er wurde Ketzer und Volksaufwiegler gescholten.
Man werde ihn beim Rat verklagen. Der Mönch wich nicht: immer
gewaltiger erhob er seine Stimme, und immer mehr Volk strömte ihm zu.

Da geschah es, daß ein Ratmann zu ihm trat und ihm sagte, er sei ein
alter Schiffer und verstünde sich auf Wolken und Wind: es würde gleich
regnen, darum wäre es besser, wenn er auf die Katrinenkanzel stiege.
Stefan Kempe lächelte und begab sich mutig mit seinem Volk in die
Kirche. Die Papisten aber liefen ob des neuen Greuels wutschnaubend
nach dem Rathaus und erhoben ein wildes Geschrei über den Ketzer.

       *       *       *       *       *

Als der Mönch dann in der Dämmerung seinem Kloster zuschritt, folgte
ihm eine Nonne, die mit in der Kirche gewesen war. Und als er sich
umwandte nach diesem Schatten, da erkannte er Ditmer Koels Tochter. Sie
sagte ihm von Burgund, und daß sie Klaus Kniphofs Mutter zu Osnabrück
begraben hätte: die Kunde von der Hinrichtung hätte sie getötet. Sie
wolle nun in ein Kloster gehen und still leben.

Da aber regte sich in Stefan Kempes Seele ein mächtiger Wind, der nicht
vom Himmel kam, sondern von der Erde. Und er sprach zu ihr wie zu einem
guten Kameraden: daß er die Kutte ausziehen und ein neuer Mensch werden
wolle. Ob sie gewillt, ihr Leben im Kloster zu vertrauern, oder ob sie
ihm helfen wolle, wie Katerine von Bora dem Luther.

Ditmer Koels Tochter gab keine Antwort, aber sie hatte doch schon den
Mut, den Abend noch an Stefan Kempes Seite zu ihrem Vater zu gehen.




Schiffbrüchig.


Auf meiner dritten Reise.

Acht Tage waren wir schon mit unserm Ewer draußen, aber wir hatten noch
nicht ein einziges Mal die Kurre aussetzen und noch keinen einzigen
Streek tun können. Drei Tage hatte es für toll gebriest, nun war es zu
still zum Fischen.

Das heißt, nur die Luft lag still, die See war noch in hoher Dünung
und warf unser Fahrzeug wie einen kleinen Kahn hin und her. Und das
Donnern und Klappern der Segel, das Quieken und Knarren der Gaffeln,
das Klirren und Hämmern der Schoten hörte sich unheimlich genug an.

Wir drei Fahrensleute waren just mit dem Abendbrot fertig und standen
an Deck. Und wie Kolumbus einst nach Indien suchte, so guckten wir
jetzt nach Wind aus.

»Vunobend kummt ok noch keen Käulns,« verkündete der Knecht, und der
Schiffer ließ sich vernehmen: »Ick gläuf, dat ward dick van Dook,« und
deutete nach Süden, wo eine blaue Wolkenwand auf dem Meere stand. Dann
sagte er, daß er die Wache nehmen wollte, -- und er hatte es noch nicht
ganz gesagt, da war von unserm Knecht auch schon nichts mehr zu hören
und zu sehen. Ich blieb oben, fühlte mich noch nicht müde, war *bange*
-- um es ehrlich zu sagen -- bange vor dem »Dook«. Vor Wind und Regen
fürchtete ich mich nicht, aber Nebel hatte ich noch nicht mitgemacht.
Der schlich und kroch, tückisch und trugvoll.

»To! Man rup'n Bitt,« mahnte der Schiffer rauh.

»Schall ick ne leber up Deck blieben?« fragte ich und sah an ihm vorbei.

»Worüm?«

»Jä, wenn 't dick van Dook ward,« sagte ich.

Nun lachte er.

»Pannkoken, ick hebb doch ok noch Ogen.«

Der Spott tröstete mich, und ich kletterte langsam hinunter, maß
meine Koje aus und stellte wieder einmal fest, daß die Diagonale
die längste Linie war. Nur daß das diesmal meine schweren Gedanken
nicht verscheuchen konnte. Das dunkle Angstgefühl wollte nicht
gehen. Und immer wieder überkam es mich, als stünde mir ein Unglück
bevor. Obgleich ich in voller Kleidung war und die Decke bis an den
Hals gezogen hatte, fror mich, und ich vermochte lange Zeit nicht
einzuschlafen.

-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --

Da -- -- -- ich weiß nicht, hatte ich schon geschlafen oder wachte
ich noch halb, ertönte ganz nahe der schrille Ton eines Dampfers.
Wie ein menschlicher Angstruf klang er. In demselben Augenblicke ein
Krachen und Donnern und Brechen, als ginge die Welt unter. Zugleich
fühlte ich einen furchtbaren Druck. Meine Beine -- saßen sie fest?
In jähem Schreck schnellte ich auf ... da neigt sich der Ewer zur
Seite ... und ich stürze kopfüber aus der Koje auf die Kajütenbohlen.
Stöhnend will ich mich wieder aufrichten, da fliegt der Knecht aus dem
gegenüberliegenden Hock und fällt mir auf den Rücken, daß ich abermals
zusammenbreche ... Herr Gott, wo waren wir? ... Ich wollte schreien und
konnte nicht ... nur ein banges Stöhnen brachte ich heraus. Ich wollte
aufstehen und konnte nicht ... wie Blei waren meine Glieder. Endlich
sah ich, wie der Knecht sich aufraffte und nach oben hastete. Das gab
mir soviel Kraft, daß ich ihm nachkriechen konnte. Da stand ich nun an
Deck und erbebte.

Stickendüster war die Nacht, meilenweit schienen unsere Lichter
entfernt zu sein, so dunkel glommen sie. Wildes, verworrene Rufen und
Schreien. Da -- -- -- eben hinter dem Großmast saß das Ungeheuer, ein
schwarzer, steil aufsteigender Dampfersteven. Bis zur Mitte des Ewers
war er hereingebrochen und schob ihn immer noch vor sich her, so daß er
sich gurgelnd seitwärts senkte.

»Stopp doch! Stopp doch!« hörte ich meinen Schiffer wie wahnsinnig
rufen, immer wieder rufen. In schrecklicher Angst versuchte ich, an der
glatten Bordwand des Dampfers hinaufzuklettern, aber vergeblich, immer
wieder rutschte ich hinunter.

Mit einem Mal ging der Dampfer rückwärts und machte sich langsam von
unserm Fahrzeug frei. Ich hatte eben einige Platten erklommen, nun
mußte ich zurück und fiel schwer auf den Setzbord nieder.

»Wi sinkt jo! Wi sinkt!« ächzte ich.

»Hol dien Flapp!« gröhlte der Schiffer mich an. »Klau inne Boot, dat wi
weg kommt.«

Das half. Hastig kletterte ich zu ihnen in das Boot und eilends machten
wir uns daran, alles überflüssige Gerümpel über Bord zu werfen. Immer
mehr sank der Ewer weg ... das Wasser spülte über das Deck ... unser
Boot wurde flott. Wir griffen nach den Riemen, um aus dem Bereich der
drohenden Segel zu kommen, die uns erdrücken wollten. Unser großes,
stolzes Schiff gurgelte tiefer und tiefer ...

Kamen wir denn nicht von der Stelle? ... Ein Ruck im Steven ... warum
bloß? ... Die Bootsleine! Die ...

Der Schiffer hatte mich am Tage vorher geneckt und gemeint, ich könne
noch nicht einmal einen richtigen Fischerknoten machen. Das ihm zu
beweisen, hatte ich die Leine an den Mast befestigt, und er war mit
meiner Sache zufrieden gewesen. Und nun -- saßen wir fest, fest an dem
untergehenden Ewer.

»Een Messer, een Biel, een Messer!« so pochten wir gegeneinander auf
und wühlten in den Taschen und rissen die Lohnen aus und tasteten
unter den Duchten, aber kein Messer, kein Beil gab sich an. Unter uns
ein Kochen und Gurgeln und Brodeln, die letzten Lebenszeichen unseres
armen Ewers. Und nun kamen *wir* an die Reihe. Wir drängten wild nach
hinten, als unser Steven sich immer weiter duckte. Dann strömte die See
schäumend um unsere Füße ... das Boot tauchte unter und mit ihm ging
der Knecht zugrunde. Sein Fuß mußte sich irgendwie festgeklemmt haben.

»Greut Finkwarder,« flüsterte er, dann stiegen Luftblasen auf.

»Helpt uns!« rief ich, und »Helpt uns!« antwortete der Schiffer, der
dicht bei mir trieb. Wer sollte uns helfen? Allein mit der Nacht und
der See und den aufschießenden Blasen.

Schwimmen hatte ich schon von jeher gut können, und so hielt ich mich
auch jetzt oben. Ja, ich wurde ruhiger und *dachte nach*, während
ich mich mit der Dünung abmühte. Ich hatte geglaubt, das Leben finge
erst an -- und nun war es zu Ende. Nun sah ich den grünen Deich und
unser kleines, weißes Elternhaus niemals wieder. Und die Sonne schien
niemals mehr. Und Mutter guckte sich umsonst die Augen nach mir aus.

Meine Kräfte ließen nach, auch fing mein Bein wieder an zu schmerzen.
Lange konnte ich es nicht mehr machen, das fühlte ich. Da kam mir der
Gedanke, umzubiegen und zurückzuschwimmen. Vielleicht, daß ich ein
Stück vom Ewer antraf. Bald stieß ich mit der Schulter an einen harten
Gegenstand. Es war unser Kurrbaum. Ich langte nach ihm. Nun war ich
fürs erste geborgen, aber noch lange nicht gerettet, denn wie oft ich
auch versuchte, mich quer über ihn zu legen, es gelang mir nicht --
jedesmal rollte er herum und ich glitt wieder ab und mußte wieder und
wieder Salzwasser schlucken. Todesmatt gab ich endlich das Ringen auf
und ließ den Baum los, um weiter zu suchen. Von meinem Schiffer hörte
und vernahm ich nichts mehr, auch dann nicht, als ich nach ihm rief:
die schweren Seestiefel hatten wohl schon das Nötige getan. Die See
wurde nun auch noch gröber. Alle Augenblicke lief mir eine Woge über
den Kopf -- und doch war ich immer noch bei klarem Bewußtsein. Wieder
blinkte die Elbe, wieder grüßte unser Haus, wieder stand Mutter vor der
Tür, wieder lachten und schwatzten die Mädchen auf dem Deiche ...

Nun ruderte ich kaum noch mit den Armen. Dann schlug mir die See über
dem Kopfe zusammen ... ich sank. Tiefer und tiefer. Und konnte doch
noch denken. War erstaunt, daß ich noch nicht ertrunken war, und
wunderte mich, daß ich den Grund noch nicht erreicht hatte, sagte mir
dann aber auch wieder, daß wir dwars vom Weserfeuerschiff in 22 Faden
waren.

Und 22 Faden ... nun war ich unten. Weicher Schlick. Bis über die
Enkel sank ich ein, dann blieb ich schräg im Wasser stehen und wurde
leise hin- und hergespült. Nun ging es auch mit meinen Gedanken
durcheinander, und ich wußte nichts mehr zu denken und zu erkennen.

War ich mit dem Kopfe an einen Stein gestoßen oder war mir etwas Hartes
auf den Schädel gefallen, ich wußte es nicht, aber ich fühlte, wie
mir ein Tau über das Gesicht scheuerte. War das nicht ein Lot, ein
Senkblei? Ja es mußte ein Lot sein! Mit allerletzter Kraft griff ich
danach, mit beiden Händen, und hielt es fest.

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Im Schweiße gebadet lag ich in meiner Koje und starrte auf das
vermeintliche Senkblei in meinen Händen. Es war -- einer meiner
sonntäglichen Schnürschuhe, der mich dadurch, daß er zur rechten Zeit
vom Bord auf meinen Kopf fiel, zwar nicht vom Ertrinken, aber doch von
meinem bösen Traum errettete. Denn: ich hatte geträumt. Ich *lebte*,
lebte, so gut, wie nur ein Fischermann leben kann, saß hoch und
trocken in meinem Bett, während mein Gegenüber derart schnarchte, daß
er das Knarren der Gaffeln übertönte.

Noch nicht eins mit mir kletterte ich an Deck.

Schön und sternenklar war die Nacht.

Der Schiffer ging summend auf und ab. Als er mich erblickte, wunderte
er sich und fragte:

»Na, wat is er los?«

»Is dat ne dick van Dook worden?« fragte ich, um etwas zu sagen.

»Ne, mien Jung,« lachte er, »büs woll wedder bang?«

»Ne, bang bün ick ne,« gab ich langsam zurück und verschwand wieder in
der Koje.




»In Gotts Nomen, Hinnik!«


Langsam ging der Schiffszimmerbaas Jan Siebert an einem
Sonntagnachmittag den grünen Elbdeich entlang und guckte mehr nach dem
Wasser als nach den Häusern.

Einige von den Booten fielen besonders durch ihre feine Bauart auf.
Kein Wunder -- Jan Siebert hatte sie gezimmert.

Einige von den Jollen segelten verteufelt fix durch die Binsen. Kein
Wunder -- Jan Siebert hatte sie gebaut.

Einige von den großen Kuttern leuchteten wie Königsschiffe über das
Wasser. Kein Wunder -- Jan Siebert hatte sie zusammengeklopft.

So grüßten ihn auf Schritt und Tritt seine Schiffe und machten ihm das
Herz warm.

Als er bei Gesine Külpers Strohdach angelangt war, sah er ihren
ältesten Sohn im Gras sitzen und einen Aalkorb ausbessern.

»Kumm mol rup, Hinnik,« rief er, und der Junge lief in Sprüngen.

»Gu'n Dag, Jan-Unkel.«

»Segg mol, Junge ... Du kummst nu Ostern ut de Schol ... Wat wullt du
denn beschicken?«

Hinrich guckte nach der Elbe.

»Ick will giern up'n groten Kutter.«

»No See, Junge?«

»Jo.«

Der Baas sah ihn lange und prüfend an.

»Dien Vadder is bleben, Hinnik.«

»Großvadder is ok bleben -- un Vadder is dorüm doch wedder no See
gohn,« antwortete der Junge.

»Is din Mudder dormit inverstohn?«

Der Junge stockte.

»Ick weet 't ne. Ick hebb' er noch ni van seggt,« gab er dann zögernd
zu.

Der Baas nickte vor sich hin. -- »Is good,« sagte er mehr zu sich als
zu dem Jungen und klinkte die Tür auf.

Hinnik aber steckte beide Hände tief in die Hosentaschen und schwankte
nach Seefahrerart von einer Seite nach der andern wie ein rollendes
Schiff, als er den Deich hinunterstieg, denn er fühlte sich schon als
Fischerjunge.

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Die schmale, schwarzgekleidete Frau erschrak heftig, und ihr Gesicht
wurde noch bleicher.

»Hett he dat seggt?« fragte sie schon zum dritten Mal. »He will no
See?«

Jan Siebert nickte ernst.

Sie faltete die mageren Hände.

»He schall ne up 't Woter. Jan Siebert, dat kann gewiß ne gohn. Segg
doch sülbst, kann he no See? Sien Vadder is verdrunken, un he will ok
no buten? Nee, nee -- ick *kann* keen wedder no See seiln sehn. Ick hol
't ne ut.«

Er schwieg.

»He mütt an Land blieben, Jan Siebert,« fuhr sie erregter fort. »Lot
em Buer warn oder Schoster oder Snieder, -- ganz egol -- ober no See
schall he ne. Du büs Vörmund: segg em dat.«

Der Baas war sich einig geworden.

»Denn is 't dat beste, wenn ick em up de Warf nehm un wi em Timmermann
warn lot. Denn süht he doch wenigstens Scheep un Woter.«

Sie atmete erleichtert auf.

»Jo, Jan Siebert, nimm em hin.«

»De dree Johr verdeent he ober nix,« sagte der Baas, aber sie
schüttelte nur den Kopf.

»Dat deit nix. Min lütj Tügloden smitt woll so veel af, dat wie Brot
hebbt.«

Er war aufgestanden.

»Schall ick 't em seggen?«

Sie bot ihm die Hand zum Abschied.

»Jo, segg du 't man. Ick kann 't ne.«

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»Hinnik!«

»Wat schall ick?«

»No See kannst du ne kommen. Dat geiht ne. Din Mudder will 't ok ne
hebben. Du kummst Ostern no mi un lierst de Timmeree. Dor hest ok jo
fix Lust to, ne?«

Der arme Junge stand regungslos da und konnte nicht Ja und nicht Nein
sagen. Ihm war, als habe man ihm das Herz in der Brust umgedreht und
ihm die Fenster, in die die liebe Sonne schien, mit großen grauen
Säcken verhängt.

»Hest du 't hürt, Junge?« fragte der Baas, als er noch immer keine
Antwort bekam.

»Jo,« sagte Hinnik da heiser und guckte traurig vor sich hin.

Erst als der Baas fortgegangen war, rührte er sich wieder und sah
finster und feindlich nach der Elbe. Die war zwischen ihn und die
See getreten. Sie war nun nicht mehr der blaue, blinkende Weg zu der
bewegten, unendlichen See: -- ein häßlicher, breiter Graben, der ihm
alles versperrte. Es war auch ganz gleich, ob er mit dem Aalkorb noch
wieder nach dem Priel hinabwatete oder ob er ihn im Gras liegen ließ.

Mit zusammengezogenen Brauen und fest aufeinander gepreßten Lippen
kletterte er müde den Binnendeich hinunter, wo er die Elbe nicht sehen
konnte, und warf sich ins Gras. Ihm war zum Weinen zumute.

Aus dem Fenster aber folgten ihm zwei todestraurige Augen, und eine
bekümmerte Mutter legte die Hände für ihr Kind zusammen.

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Seit dem Tage war Hinnik anders. Mit keinem Wort war das Geschehene
erwähnt worden -- seine Mutter vermied es ängstlich, davon anzufangen
-- aber es stand etwas zwischen ihnen, das nicht vergehen und nicht
verwehen wollte. Hinnik war scheu und zurückhaltend und wich ihren
Blicken aus. Strich sie ihm mit der Hand über die Stirn, so trat ein
gequälter Ausdruck in sein Gesicht. Sie hatten ihm die große, schöne
Lampe weggeholt und dafür ein armseliges Talglicht auf den Tisch
gestellt und glaubten, er merke keinen Unterschied: -- das konnte er
nicht verwinden.

Es war noch nicht viel besser geworden, als er schon auf der Werft
stand und mit Hobel und der Axt umzugehen lernte. Wohl begriff er
alles leicht und war anstellig und willig, aber in seinem Gesicht war
deutlich zu lesen, daß die Arbeit ihn nicht freute, und daß er nicht
mit dem Herzen dabei war.

Jan Siebert war aber dennoch guten Mutes und meinte zu Gesine, daß gut
Ding seine Weile haben wolle.

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Wer weiß -- -- --

Vielleicht wäre Hinnik doch ein Zimmermann geworden.

Wenn nicht die Elbe so nahe gewesen wäre!

Wenn nicht so viele Ewer und Kutter vorbeigesegelt wären!

Wenn nicht die alten Fahrensleute immer von draußen erzählt hätten!

Und wenn Rudolf Holst an dem Tage in Hamburg einen Koch gekriegt hätte,
wäre es vielleicht auch noch anders gekommen. Er kriegte aber keinen
und schimpfte im Vorbeigehen, daß er nun liegen bleiben müsse und doch
so gern mit der Nachttide hinuntergesegelt wäre.

Da konnte Hinnik nicht anders: er lief ihm nach und ließ sich als Junge
annehmen.

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Abends erzählte ein aufgekommener Lüttfischer, daß er ihn auf dem
Kutter gesehen habe.

»Mi hett dat ahnt,« sagte Jan Siebert zu Gesine, die trostloß dasaß.

»Den leet de See keen Ruh.«

Sie weinte nur noch mehr.

»He *will* verdrinken als sin Vadder.«

Er schüttelte verweisend den Kopf.

»So nich, min Diern. Nu he mol so wiet is un de See *sehn* hett, holt
wi em ne mihr an Land. Lot em Fischer warn. Von tein bliff doch jümmer
bloß een, un he hürt to de negen annern, de wedderkommt.«

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Der böse Ostwind hatte den Kutter schon zweimal nach der Weser gejagt,
-- nun brachte eine gängige Brise aus Westen ihn mit vollem Zeug die
Elbe herauf.

Gesine bekam gleich Order von Jan Siebert, daß er aufgekommen sei, --
und wartete am andern Tage auf ihren Jungen. Er mußte doch kommen?

Hinnik kam.

Erst zu Jan Siebert.

»Ick hebb di ok 'n poor Fisch mitbröcht,« sagte er und ließ eine Stiege
Schollen aus dem Taschentuch springen.

»Weest, wat du verdeent hest,« grollte der Baas und sah ihn schief an.
Heimlich freute er sich aber über den wetterbraunen jungen Kerl.

Der sagte keck: »Nee,« sprang aber zur Vorsicht rasch auf den Deich,
denn er war nicht sicher, ob nicht doch ein Stück Holz geflogen kam.

»Büs ok seekrank wesen?« scholl es ihm freundlicher nach.

Er lachte.

»Keen Gedanke!«

Seine Mutter saß am Tisch und stützte den Kopf in die Hände.

Er warf zwei Goldstücke hin.

»Mien Verdeenst, Mudder,« sagte er stolz. Dann knüpfte er das Tuch
auf und breitete seine Schätze aus: springlebendige Schollen, rote
Muscheln, Seeäpfel und Seesterne und eine Handvoll Bernstein.

»Ick kann di seggen, up Bremerhoben is't fein, Mudder. -- Den
Kaiser hebbt wi ok dropen, Mudder. He güng mit sien witte Jacht no
Wilhelmshoben. -- Un up Nordernee sünd wi ok an Land wesen. Wi legen
dor twee Dog för Wind.«

Er erzählte munter darauf los, ohne sich stören zu lassen. Schließlich
guckte er sie aber doch an -- und da sah er, daß ihr die Tränen in den
Augen standen.

»Wees man still, Mudder. Dat is nu mol so komen. Ick bün Fischer, lot
mi man Fischer blieben.«

Sie war aufgestanden.

»In Gotts Nomen, Hinnik!«




Auf Helgoland.


Drei Skalden waren mit ihren Drachenschiffen angekommen, hoch aus dem
Norden, von Drontheims Fjorden. Ihre Harfen klangen in der Königshalle.

Aber es erging ihnen wunderlich.

Der erste wollte von der blauen See singen und sagen: aber als er
Schön-Helgas blaue Augen sah, die so viel blauer waren, vergaß er der
See und sang von ihren Augen.

Der zweite wollte von der goldenen Sonne singen und sagen: aber als er
Schön-Helgas helles Haar sah, das so viel heller leuchtete, vergaß er
der Sonne und sang von ihrem Haar.

Der dritte wollte von den weißen Möwen singen und sagen: aber als er
Schön-Helgas weiße Hände sah, die so viel weißer waren, vergaß er der
Möwen und sang von ihren Händen.

Als die Töne verklungen waren, ward es still ringsum, wie im tiefen
Wald um Mittag.

Da legte die Königin die Hände auf den jungen Scheitel und fragte leise
und versonnen:

»Dein Haar ist weich und lockig. Ist es blond und ist dein Auge blau?«

»Ja, Ahne.«

»Blond und blau ... so war auch ich ... als ich die Sonne noch *sehen*
konnte.«

»Du siehst sie wieder und strahlender als je.«

»Das ist mein Glaube.«

Da reichte die blinde, gute Frau den Sängern die Hände und dankte ihnen.

Und vom Strand herauf drang das Lachen der spielenden Wellen.

       *       *       *       *       *

Blauer Heben und blaue See, so weit das Auge trug. Mitten darin sonnte
sich der riesige, hohe Felsen mit dem grünen Scheitel und dem weißen
Fuß.

Kein Schiff und kein Segel, kein Mast und keine Ra gaben sich an.

Eine kleine Kühlung aus Osten kräuselte das Wasser und ließ den
Sonnenschein in tausend blitzende Sternlein zerrinnen.

Die greise Königin saß gen Westen gewendet, wie sie immer zu tun
pflegte.

Schön-Helga stand neben ihr und ließ sich das Haar vom Winde kämmen.

Auf der Bank saß Herr Dietrich von Juist und schlief. Frühmorgens war
er mit seinen Schaluppen herübergekreuzt, um Schön-Helga zu freien.
Aber ehe er in das rechte Fahrwasser kam, waren das gute Essen und
der gute Wein ihm vor den Bug gekommen und hatten ihn über Stag gehen
lassen. Nun war er eingeschlafen.

»Ahne, schläfst du?«

Sie schüttelte leis den Kopf.

»Ich träume, Kind. Es tut mir wohl, wenn die Sonnenstrahlen mir das
Gesicht wärmen. Ein Gruß von dort ist es, eine milde Mahnung: Komm
bald. Sonnenbeschienen: so will ich einst hinüberschlummern in das
Sonnenland.«

»Du bist so gut und heilig, daß ich zu dir beten könnte.«

»Du bist mein Auge, Kind. Mein sonnenfreudiges Auge. Was sieht mein
Auge?«

»Die helle Sonne auf dem grünen Gras und den Wind, der durch die Halme
geht.«

»Das sieht es und die blaue See, die weißen Möwen, die helle Sonne. --
Die ganze Welt ist voller Licht und Freude.«

»Das ist sie, Ahne.«

»Blinken und schimmern unsere geschnäbelten Schiffe groß und frei auf
dem Wasser?«

»Die sind nicht da. Klaas fischt damit.«

»Mit meinen leuchtenden Königsschiffen? Klaas ist ein jämmerlicher
Grundkriecher. Statt zu jagen, zu erobern, zu gewinnen, statt sich
mit dem Schwert zu gürten, fiert er die Leine ab und wartet, bis
ein magerer Schellfisch oder eine armselige Makreel anbeißt. Wartet
geduldig -- und ist doch aus altem Wikingstamm. Sein Ohm hat in meinem
Kielwasser gesteuert, als wir südwärts segelten. Er fischt ... morgen
geht er hin und bettelt.«

»Ahne, der fremde Priester kommt.«

»*Wieder*, willst du sagen.«

Mit feierlichen Schritten kam er daher.

»Königin, der Herr sendet mich wieder zu dir.«

Sie verwandte das Gesicht nicht von der Sonne.

»Ein *Herr*? Hast du nicht von Jesus erzählt, einem milden,
freundlichen Menschen, der still und verträumt im Morgenlande ging und
segnete?«

»Er ist der Herr des Himmels und der Erden. Er nahm alle Sünde auf
sich, auch deine, er öffnet dir den Himmel: du sollst an ihn glauben
und dich taufen lassen.«

Ganz leise kamen Worte von ihren Lippen.

»Er wäre anders geworden, wenn er das Meer an die Felsen donnern
gehört hätte. Aber *so* ist er nicht für Helgoland. Hier lebt Odin,
hier walten die Nornen. Hast du schon all die Länder bekehrt, die im
Osten und Süden und Westen aus der See steigen, daß du das heilige Land
betrittst?«

»Überall wenden sie sich von den Götzen ab, überall richten sie das
Kreuz auf. Kapellen werden gebaut und Glocken geläutet. Wenn du nicht
blind wärst, Königin ...«

»Ich bin nicht blind, ich sehe, *seit* mein Auge sich trübte. Sieh:
wenn unsere Skalden singen, springt der reisige Held auf, streicht
das Haar aus der Stirn und stürmt nach den Schiffen. Eure Lieder sind
süß und lind, sie hören sich gut an, sie schläfern ein. Wer weiß,
ob Ihr nicht die ganze Welt in Traum und Schlaf singt. Wie lange
aber, Winfried? Dann stehen eherne Sänger auf und wecken sie mit
Riesenharfen, daß sie wieder nach Waffen und Feinden verlangt ... Höre,
wie die Sperlinge durcheinander schreien. Gewiß schlagen sie eine
Schlacht.«

»Wer achtet dessen?«

»Das eben ist es. Du kennst deinen Gott nur aus Büchern. Tu deine
Augen auf, und du siehst ihn vor dir und neben dir und über dir. Sogar
ein Sperling weiß von ihm zu erzählen. Und die Sonne: ist er's nicht
selbst, so licht, daß du ihn nicht anschauen kannst? Nimm dir ein Kind
und schau ihm in die Augen. Dann hast du wieder Gott, und was du dem
Kinde tust, das tust du ihm.«

Er gab keine Antwort.

»Hast du dich jemals gefreut? Einmal nur gelacht? Ich habe es nie
gehört. Seligkeit, Friede, Vergebung der Sünden: einem jungen,
sonnenstarken Volk? Ja, wenn du Sonne brächtest, Sonne und Kampf und
Freude! Aber auch dann sagt' ich noch: Nein! Wir haben genug Sonne um
uns, genug Kampf vor uns, genug Freude in uns ... Damit du nun nicht
wieder zu kommen brauchst: auf diesen Felsen kommt kein Christentum.
Ich laß es allen sagen. Wer sich taufen lassen will, mag's tun, ich
will es keinem wehren, aber den Felsen muß er verlassen. Der bleibt
Odin geweiht, und heute Nacht leuchtet ein riesiges, rotes Feuer über
das dunkle, schweigende Meer ... Geh, du stehst mir in der Sonne.«

Mittlerweile war auch der Juister munter geworden und rieb sich die
Augen. Und als er sah, daß da einer nicht recht wollte, wie er sollte,
rasselte *er* mit dem Schwert und knurrte.

Wohl richtete der Priester sich hoch auf, aber nur, um feierlich zu
gehen.

Dietrich lachte aus voller Kehle, weil er wußte, daß die Königin so
viel von Lachen und Freuen sprach.

Schön-Helga bekam er aber doch nicht.

»Eine Freude mußt du mir machen können, eine große Freude.«

Das schrieb er sich hinter die Ohren, als er im Korbe saß und sich
hinunterfahren ließ. Das Gehen wurde ihm zu sauer.

       *       *       *       *       *

Frauen und Kinder standen um den Fremden herum, der auf dem Sande stand
und von Gott erzählte. Die Fischer und Schiffer hielten sich abseits.
Was ging sie der Kram an: sie machten sich aus Göttern verdammt wenig,
mochten sie heißen, wie sie wollten. Wie's kam, war's recht: war das
Wetter gut, so fischten sie, war es schlecht, so strandete wohl ein
Schiff auf den Bänken.

Nur Klaas hörte mit halbem Ohr hin und sah den Priester dunkel fragend
an. Er war der Baas der Fischer; er hatte die Drachen von den Schiffen
geschlagen und mit dem Fischen angefangen. Er war für das Neue --
und da war etwas Neues. Er mußte der erste sein. Aber da rief Kai
Rickmers: »Richtig: dein Gott kann aber keinen Wind machen. Der läßt es
immer totstill werden. Da hört das Segeln auf: wir können rudern und
schwitzen!«

Oben auf dem Felsen stand Schön-Helga und winkte. Klaas gewahrte sie.

Als sie einander begegneten, sagte sie ihm, daß jeder den Felsen
verlassen müsse, der Christ werde.

»Habt ihr's gehört, Leute?« sagte Klaas laut.

»Was die Königin sagt, das gilt. Wer Christ wird, muß von Helgoland!«
rief Kai.

»Muß von Helgoland!« hieß es ringsum.

Da mit einem Male sagte der Priester:

»Muß *den Felsen* verlassen. Ich stehe auf dem Unterland, auf dem Sand.
Der ist für das Christentum. >Der Felsen< hat sie gesagt!«

Und er blickte frei um sich.

»Gesagt, aber nicht *gemeint*!« sagte Kai; aber die andern waren doch
still. Daran hatte keiner gedacht.

»Sie will oben allein bleiben. Siedle dich hier an, kleine Gemeinde. Es
ist Gottes Finger, der dich leitet,« mahnte der Fremde.

Klaas hatte große Augen gemacht, aber er bezwang sich und sah finster
drein.

Solchen Kunststücken fühlte er sich nicht gewachsen.

       *       *       *       *       *

»Onne Jansen ist krank?« fragte die Königin eines Tages, als sie wieder
in der Sonne saß. »Ich höre seinen Schritt nicht mehr.«

Kai Rickmers räusperte sich verlegen.

»Er hat sich taufen lassen.«

»Ja so: ich gebot. Er ist wohl nach Dithmarschen gesegelt?«

Kai hustete noch mehr.

»Er wohnt auf dem Sand.«

»Auf dem Sand?«

»Dem Unterland. Den Felsen mußt' er ja verlassen.«

»Den Felsen? Nur den Felsen? Ist dies nicht Helgoland?«

»Der Priester hat es anders ausgelegt.«

»Ausgelegt.« Sie sann eine Weile. Dann sagte sie ernst: »Es hilft uns
nicht, Kai. Er gewinnt. Nun weiß ich es. Wer *das* kann, kann alles.«

       *       *       *       *       *

Es kam so.

Von Tag zu Tag mußte sie bekannte Schritte vermissen. Die Holzschuhe,
die Filzpantoffeln, die Seestiefel: aller Klang ging nach und nach
verloren.

Es wurde oben stiller und stiller.

Die Königin saß immer noch im Sonnenschein, aber sie hörte kaum noch
hin und fragte selten.

Eines Morgens aber horchte sie hoch auf. Da stieß einer hart mit dem
Schwert auf die Bohlen und lachte. Der von Juist war es.

»Da hab ich gesucht und gegrübelt, Königin, dir eine Freude zu machen,
bin gefahren von Amsterdam nach London und von Bremen nach Köln und
hab gefragt und getan -- und war doch alles nichts Rechtes. Erst eben
unten am Strand kam es mir zupaß. Stand er da breitbeinig, der Mann im
Weiberrock. Erzählt in einem fort, ich weiß nicht was. Aber als ich
hinzukomme, wird er dreist, guckt mich frech an und will mir das Eiland
verwehren, sagt, ich solle umkehren, und ich wäre auf falschem Wege
gewesen. Grad, als wenn er was von Seefahrt wüßte. Er gibt nicht nach,
-- umkehren, umkehren; da mußt' ich ihn still machen. Der sagt kein
Wort mehr.«

Und er lachte.

Sie verzog keine Miene.

»Nein -- es macht mir keine Freude. Er hatte kein Schwert.«

»Ich hab ihn wahrhaftig erschlagen, um dir eine Freude zu machen,«
sagte er. »Sonst hätt' er meinetwegen leben bleiben können.«

Aber sie schüttelte den Kopf.

Da knirschte der Sand, und Klaas trat ein.

Dietrich von Juist riß sein Schwert heraus.

»Versuch es mit mir,« rief Klaas. »Einen Unbewaffneten schlachten, ist
keine Kunst.«

Schön-Helga schrie laut auf, aber die Königin riß sie hastig an sich.

»Still -- hier ist lange nicht gekämpft worden,« sagte sie mit
verhaltener Freude und beugte sich weit vor und horchte dem Klirren und
Schwirren.

Der Juister mußte dran glauben. Ächzend brach er zusammen und
verröchelte auf dem Estrich.

Klaas ließ die Arme sinken und starrte düster zu Boden.

Eine tiefe Stille ging durch die Halle.

Endlich sagte die Königin:

»Du kannst also doch ein Schwert führen, Klaas! Ich hätt' es nicht
gedacht.«

Da ging er mit hastigen Schritten hinaus.

       *       *       *       *       *

Den dritten Tag war *er* es, der unter den Helgoländern stand und
predigte. Es lag kein Friede auf seinem Gesicht, aber sein Mahnen war
so dringend und drohend, und er sprach so eindringlich, daß sie sich um
ihn drängten und taten, was er wollte. Sie ließen sich taufen.

Und Klaas vergaß des Schwertes, das in einer Felsenspalte rostete. Er
fand den Frieden.

Auch die letzten kamen vom Felsen.

Die Königin mußte alles hergeben, zuletzt ihre Augen. Vergeblich rief
sie nach Schön-Helga. Die kam nicht wieder. Sie stand Klaas zur Seite
und hörte ihm zu.

Da wurde es ganz still um die greise Frau.

Nur Kai Rickmers blieb bei ihr.

       *       *       *       *       *

Am Abend kam ein Wetter auf, große, graue Wolken schoben sich
ineinander, Wind und Meer brausten auf. Die Seen donnerten gegen
den Felsen. In Nacht und Sturm stand die Königin auf der Höhe und
horchte auf die Rufe. Da erscholl Gesang. Dann wieder laute Rufe. Die
Drachenschiffe leuchteten in der Sonne, die Waffen klirrten, die Segel
blähten sich auf. Und Schön-Helga war es, die im Königsboot am Mast
stand und lachte. Ihr langes Haar wehte im Winde. Und als Klaas sah,
wie sie lachte, sprang er vom Steuer auf, nahm sie in die Arme und
küßte sie. Und die Fahrgesellen schlugen an die Schilde ...

       *       *       *       *       *

Als aber die Sonne schien, saß die Königin wieder still in den
Strahlen. Die Sperlinge hüpften um sie her, und sie nickte ihnen
freundlich zu. Und sie hört, wie am Strand die Möwen lärmen, und wie
der Wind durch das Gras geht, und wie die Wellen über die Muscheln und
Steine glucksen.

Immer ist ihr Gesicht der Sonne zugewandt. Sie fragt nicht mehr nach
den Helgoländern, nicht mehr nach Klaas, auch nicht einmal mehr nach
Schön-Helga. Nur von der Sonne und von der Freude spricht sie noch.

Manchmal klingt ein Glockenton zu ihr herauf, aber sie weiß ihn nicht
zu deuten.

Im hellen Sonnenschein schläft sie ein.

       *       *       *       *       *

Trübe, graue Nebel sind gekommen. Sturm und Regen hat es gegeben. Da
haben sie es gewagt und sind wieder hinaufgezogen, die Helgoländer, als
erste Klaas und Schön-Helga. Und haben alles vergessen, haben gelebt
und gelacht.

Aber an stillen, sonnigen Tagen ist es mitunter wie ein wunderliche
Grauen über sie gekommen, und sie haben gemeint, die alte, weise
Königin säße im Sonnenschein und erzähle leise ihr Märchen von Freude
und Licht und Sonne.




Die sieben Tannenbäume.


Weit ab von den Landstraßen und noch weiter von Dörfern und Höfen
steigt ein kleiner Berg aus der weiten, braunen Heide auf. Er liegt
in Einsamkeit da, und wenn auch manchmal ein Schäfer mit Hund und
Heidschnucken vorbeigeht, so treiben doch gewöhnlich nur Krähen und
Hasen auf ihm ihr Wesen.

Einst war's anders. Da war er nicht kahl, sondern trug auf seinem
Gipfel sieben Tannenbäume, so daß man meinen mochte, er hätte sich
eine dunkelgrüne Mütze über die Ohren gezogen. Und in dem Berge hauste
ein Zwerg, den sie das rote Männchen hießen, weil er immer in einem
feuerroten Röcklein zutage kam. Ihm gehörten die sieben Tannenbäume, er
hatte sie selbst angepflanzt, hatte sie gerichtet und gepflegt, hatte
an manchem warmen Sommernachmittag aus der kühlen Tiefe des Berges
Wasser getragen -- und freute sich nun, daß er sie so weit gebracht
hatte, daß sie sich selbst helfen konnten. Und ihm selbst mußten sie
auch auf manche Art helfen. Mit ihren feinen Wurzeln hielten sie den
Sand fest, daß seiner Höhlenwohnung nicht die Decke niederrieselte,
sie sogen den Regen auf bis auf den letzten Tropfen, daß es nicht
durchleckte, sie wehrten die Sonnenstrahlen ab, daß es ihm nicht zu
heiß wurde. Jedem hatte er einen Namen gegeben: Wegweiser, Regenschirm,
Sonnendach, Windbeutel, Gesangsmeister, Stiefelknecht und Spielvogel.
Wegweiser war der größte und höchste und wies dem roten Männchen den
Weg, wenn es über Geest war. Regenschirm war am dichtesten bezweigt,
unter ihm lag der Zwerg, wenn es von den Wolken tröpfelte. Sonnendach
war breitgeästet und mußte das Männlein deshalb vor der brennenden
Sonne beschützen. Windbeutel war besonders kräftig und stämmig; er
stand an der äußersten Ecke und drängte den kalten, scharfen Ostwind
beiseite, den der Alte nicht vertragen konnte. Gesangsmeister hatte die
beweglichsten Zweige und war der lustigste von allen: bei dem leisesten
Windzug strich er mit den Nadeln über das dürre Gras und das Kraut,
so daß eine herrliche Musik für Zwergenohren vernehmlich wurde, auch
lud er Mücken, Grillen, Brummer, Bienen zu Gast, an hohen Festen sogar
eine Meise oder einen Finken: an Gesumme und Gezirpe und Gezwitscher
war kein Mangel. Stiefelknecht hatte einen krummen Stamm, den benutzte
das Männlein jeden Abend beim Stiefelausziehen; es war aber Geheimnis,
ob der Stamm krumm gewesen war und ob der Alte ihn deshalb zum
Stiefelknecht gemacht hatte, oder ob der Alte zuerst seine Stiefel an
ihm abgezogen hatte und davon die Krümmung herrührte. Spielvogel war
noch zu klein und konnte noch nichts tun; er spielte wie ein Kind mit
Wind und Sonne.

Es wurde nach und nach Herbst und Winter. Die Bienen flogen nicht mehr,
die Grillen starben, die Sonne saß hinter grauem Gewölk, kalt und
feucht wurde es auf dem Berg und in den Tälern. Da verkroch sich das
rote Männchen tief in seine Höhle, verstopfte den Eingang mit Moos und
Steinen und wartete, daß die Sonne und der schöne Sommer wiederkommen
sollten. Die sieben Tannenbäume ließ es in Wind und Wetter allein und
quälte sich nicht weiter um sie. Das einzige, was es tat, war, daß es
morgens bald den einen, bald den andern bei den Wurzeln faßte, als zöge
es ein Kind an den Füßen.

  »Bäumchen mein:
  Sonnenschein?«

fragte es dann, und antwortete das Bäumchen wahrheitsgetreu:

  »Zwerglein, nein!«

so legte es sich auf sein Bett von Heidekraut und verschlief den Tag
wie ein Murmeltier. So ging es wochenlang, da riß es wieder an den
Wurzeln, um zu wissen, was für Wetter sei -- und bekam mit einemmal
keine Antwort mehr. Es zog stärker, ja es ließ sich an den Wurzeln
baumeln, es fragte mit gräßlich lauter Stimme:

  »Bäumchen mein:
  Sonnenschein?«

aber es antwortete ihm niemand. Sehr erbost, aber auch ein bißchen
besorgt, stieß es die Tür auf -- o weh, wie erschrak es! -- alle sieben
Tannenbäume waren verschwunden. Nur Stammstümpfe standen da -- der Berg
war kahl wie ein Pfannkuchen! Da lief das Männchen umher, als wüßte
es nicht, was es tun sollte, guckte herum, schlug die Hände zusammen,
rief, fragte, weinte und grämte sich um seine Tannenbäume. Die Hasen
kamen angehüpft und erzählten ihm von den großen Menschen, die gekommen
wären, am hellen Mittag, und die Bäume abgesägt hätten; auf einen
großen Wagen hätten sie sie geworfen, und im Trab seien sie mit ihnen
weggefahren. Die Krähen kamen geflogen und wollten trösten. Aber das
rote Männchen wollte keinen Trost, es wollte seine Bäume wiederhaben.
Es wollte in die Welt hinein und sie suchen. »Du findest sie nicht,«
sagten die Krähen, »die Welt ist zu groß.« Das Männlein jammerte
wieder. Da nahmen die Krähen all ihren Verstand zusammen und dachten
nach, wie sie ihm helfen könnten, und wirklich -- sie fanden es.

»Wenn der Mond aufgeht,« sagte sie, »wollen wir ihn bitten, daß er sich
zum Spiegel der Welt mache. Dann guckst du hinauf und suchst deine
Tannenbäume.« Das war dem Männchen eine willkommene Botschaft, und da
es noch nicht dämmerte, lud es die Krähen zu Gast und setzte ihnen
Buchweizengrütze, Honig und Brot vor; darüber fielen die hungrigen
Brüder mit heißen Schnäbeln her. Als sie noch so saßen und von ihren
Reisen erzählten, da guckte der Mond groß und rötlich über die Geest.

»Fangt an!« rief das Männchen; aber die Krähen beschwichtigten es: sie
müßten noch warten, damit die Spiegelung besser werde. Endlich, nach
langem Warten, war es so weit. Der Mond stand groß und klar über dem
Heiderande.

Rauschend flogen die Krähen auf und krächzten oben in der Luft:

  »Blanker, gelber Mond am Heben,
  spiegle alles Erdenleben!«

Mehrmals und durcheinander schrien sie -- das Männlein fürchtete schon,
sie möchten es genarrt haben. Plötzlich fielen sie lautlos in das dürre
Kraut nieder, und sieh: der Mond wurde größer und größer, leuchtete
taghell auf, und wie in einem Spiegel zeigte sich auf ihm die Welt mit
allem, was darin war: Wasser und Berge, Städte und Wälder, Häuser und
Menschen und Bäume, alles war deutlich zu erkennen. Das rote Männchen
machte große Augen und suchte. Dann wies es mit beiden Händen nach
einer Gegend.

»Was für eine große Stadt ist das?« rief es zitternd.

»Hamburg,« gaben die Krähen leise zur Antwort.

»Da sind alle sieben, alle meine Tannenbäume!« rief es wieder. »Ich
sehe sie alle: Wegweiser in einer großen Kirche, Regenschirm in einem
prächtigen Herrenhause, Sonnendach vor einer Dombude, Windbeutel in
einer kleinen Stube, Gesangsmeister in einer armseligen Dachkammer,
Stiefelknecht an der Straßenecke, Spielvogel oben auf dem Schiffsmast.
O -- wie müssen sie sich nach mir und dem Berg zurücksehnen, wie mögen
sie jammern! Ich will nach Hamburg und sie holen. O -- bringt mich nach
Hamburg! Hasen und Krähen, liebe Freunde, helft mir!«

Das wollten sie. Das Männchen machte sich reisefertig, zog Handschuhe
an, setzte sich auf den Hasen, hielt sich an dessen langen Ohren fest,
und -- hast du nicht gesehn? -- ging's über die Geestberge, daß die
Heide wackelte. Als sie aber unter die Lichter von Hamburg gerieten,
warf das Hasenroß den Reitersmann ab und trabte angstbeklommen nach
Hause zurück. Das Männchen schwang sich kurzgefaßt auf den breiten
Rücken der größten Krähe und ließ sich über die Elbe nach dem
glänzenden, funkelnden Hamburg tragen. Wohl erschrak es über die Maßen
vor den hohen Türmen und den gewaltigen Häusern, wohl entsetzte es
sich vor dem vielen Licht und vor den Tausenden von Menschen und hielt
sich krampfhaft an den Nackenfedern der Krähe fest, um nicht auf die
krabbelnd vollen Straßen zu stürzen -- aber die Sorge um seine sieben
Tannenbäume hielt ihm den Kopf oben.

Auf dem Kirchendache landete das Rabenschifflein seinen Fahrgast, der
sich an dem Blitzableiter hinabgleiten ließ und durch eine Luftröhre
in die Kirche stieg. Vor all der Helle und Pracht konnte er kaum die
Augen offen halten. Orgelton und Gesang durchbrausten den Raum, in dem
kein unbesetzter Platz vorhanden war. Neben dem Altar stand ein großer,
hoher Tannenbaum, über und über mit Lichtern bedeckt: es war der
Wegweiser. Das Männchen erkannte ihn und schlich sich unter den Bänken
entlang zu ihm.

»Armer Wegweiser!« schluchzte es.

Der große Baum aber schüttelte leise die Krone, daß die Lichter
flackerten: »Arm?« fragte er, »ich bin nicht arm, ich bin der schönste
Baum auf der Erde, ich bin der Weihnachtsbaum. Sieh meine Pracht und
mein Leuchten!«

»Ist nur ein Traum, armer Wegweiser, nur ein Traum. Wenn du erwachst,
sind deine Lichter erloschen und du liegst vergessen im Winkel. Und
stirbst. Komm mit auf den Berg, eh es zu spät ist.«

Der Baum rüttelte wieder seine Krone: »Ich weise andere Wege,«
flüsterte er wie im Traum, »Wege zu Gott, Wege zur Freude, Wege zum
Kinderland, ich bin beglückt, wenn ich nur zwei Kinderaugen glänzen
machen kann. Und hier glänzen tausend. Mußt mir mein Glück schon
gönnen, rotes Männchen, und mich stehen lassen.«

Brausend erscholl Orgelton dazwischen.

»Und deine sechs Brüder?« fragte das Männchen.

»Die sind alle Weihnachtsbäume geworden,« sagte der Wegweiser, »tragen
Lichter und Nüsse und Äpfel, erfreuen arm und reich, großes und kleines
Volk. Um sie klingen Weihnachtslieder und alle Kinder lachen. Keines
geht zurück in den Wald. Einen Abend Weihnachtslichter tragen, ist die
Sehnsucht aller Tannenbäume. Ist die erfüllt, dann verdorren sie gern.
O Weihnacht!«

Als der Baum so gesprochen hatte, sah das Männchen ein, daß es ihn
nicht überreden konnte.

»Weihnachten und die Menschen sind dir in die Krone gefahren,«
sagte es und stahl sich hinaus. Die Krähe wetzte ihren Schnabel auf
dem Dach, das Männchen bestieg den Rücken, und weiter ging es. Zu
Regenschirm, der über und über mit Gold und Silber bedeckt war und
sich nach der Musik um sich selbst drehte wie ein junges Mädchen im
Tanzsaal. Zu Sonnendach, das mit elektrischen Glühlampen besteckt
von dem Karussell auf den Schwarm der Dombesucher herableuchtete. Zu
Windbeutel, der spärlich behängt eine kleine Arbeiterwohnung erhellte.
Zu Gesangsmeister, der in der Dachkammer stand, ein einziges Licht und
einen Hering trug; ein grauer Kater saß daneben und wollte sich an den
Hering machen, aber jedesmal stach Gesangsmeister ihn mit den Nadeln,
daß er miauschreiend zurückspringen mußte.

Alle vier bat das rote Männchen, aber alle antworteten ebenso wie
ihr großer Bruder, sie waren glücklich, Weihnachtsbäume geworden
zu sein und dachten nicht daran, wieder nach dem kalten, dunkeln
Berg zu wandern. Nicht einmal einen Gruß an die braune Heide hatten
sie aufzutragen, und mochte das Männlein sie treulos und undankbar
schelten, sie spiegelten sich im Schein ihrer Lichter und lachten wie
Kinder.

Traurig schwebte der Zwerg wieder durch die Luft, bis er vor
Stiefelknecht stand. Der lag auf einem großen, dunkeln Platz in einem
Haufen anderer Tannenbäume. Wegen seines alten Fußleidens hatte ihn
niemand kaufen wollen.

»Deinen Brüdern will ich es gar nicht mal so sehr verdenken,« sagte der
Alte zu ihm, »sie tragen Lichter und sind Weihnachtsbäume -- aber du
bist keiner.«

»Doch -- ich bin ein Weihnachtsbaum, so gut wie die andern,« sagte
Stiefelknecht, »der schönste Baum auf Erden. Ich sehe viele glückliche
Menschen vorbeigehen: ist das nicht Glück genug? Und vielleicht, nein,
gewiß kommt heute abend, ganz spät, noch jemand und nimmt mich mit,
steckt mir Lichter an und schmückt mich. Nach der Heide will ich nicht
zurück.«

Das Zwerglein bat und bat, aber Stiefelknecht sah nach den Kindern, die
jubelnd vorbeistürmten, und hörte nichts.

Da ging es wieder zu seinem schwarzen Rößlein und ließ sich nach dem
Hafen fliegen. Der Spielvogel, an dem sein Herz am meisten hing, würde
ihm treu bleiben, das hoffte er von seinem Lieblingsbäumchen. Aber am
Hafen war kein Spielvogel mehr zu entdecken. Das Schiff wäre schon in
See gegangen, erfuhr die Krähe von einigen weitläufigen Verwandten,
weißen Möwen, die über dem Wasser schwebten.

»Dann seewärts,« befahl das rote Männchen. Die Krähe flog westwärts
über Wasser und Deiche und Schiffsmasten hin, aber als sie bis Cuxhaven
gekommen war, setzte sie sich nieder, denn auf die große, endlose See
zu fliegen, getraute sie sich nicht. Doch rief sie eine große Seemöwe
herbei, die breitete ihre weißen Schwingen und trug das Männchen
stolz und schnell über das dunkle, schäumende Meer, bis weit hinter
Helgoland. Da tauchte ein einsames Schiff in den Wogen auf und ab und
wurde von einer Seite nach der andern geworfen. Der Wind blies gewaltig
in die großen, braunen Segel. Auf dem Topp, der höchsten Spitze des
Großmastes, tanzte ein kleines Tannenbäumchen im schneidenden Wind
auf und ab: das war Spielvogel. Er lachte hellauf und schüttelte die
Zweiglein vor Lust, wenn eine Sprühwelle zu ihm heraufspritzte. Und
guckte einer der Matrosen zu ihm hinauf, so nickte er ihm freudig zu.

»Armer Spielvogel.«

»He, he, Männlein klein, bist du's?« rief Spielvogel. »Hier ist es
lustig, nicht?«

»Komm mit nach der Geest.«

»Nein, nein, nein! Ich bin Weihnachtsbaum, der schönste Baum auf Erden.
Und was kann schöner sein, als Weihnachten auf See. Grüß die Heide! Ich
muß singen!«

Und Spielvogel sang, so laut er konnte, daß die Matrosen mitsingen
mußten und Träume von Land und Licht träumten.

       *       *       *       *       *

Da sah das rote Männchen ein, daß es seine sieben Tannenbäume verloren
hatte, er dachte daran, daß es nun ohne Wegweiser über die Geest irren
müsse, daß niemand mehr da sei, der es vor Regen, Sonne und Wind
beschützen könne, der ihm vorsinge, der ihm beim Stiefelausziehen
helfe, der es durch sein Kinderspiel erfreue -- der Berg war so kahl,
Regen drang in seine Wohnung -- armes Männchen! Mit einemmal breitete
es die Arme aus, rutschte von den Möwenflügeln und stürzte sich in das
dunkle Wasser hinab.

Seit jener Nacht schwimmt ein seltsamer, leuchtender Fisch in der
See. Die Fischer nennen ihn das Petermännchen und halten es für etwas
Besonderes, wenn sie ihn fangen.




Ein Sterben.


Es war wieder still in dem kleinen, dämmerdunklen Zimmer mit den dicht
verhängten Fenstern und der eben glimmenden Lampe, die dem Erlöschen
nahe war. Der Kranke war ruhig geworden. Er hatte die Augen geschlossen
und schien zu schlafen, denn sein Atem ging tiefer und gleichmäßiger,
und der Mund war nicht mehr so schmerzhaft verzogen. Schwere Schatten
lagen unter den Augen, und das Gesicht war fahl und eingefallen: nur
das volle, blonde Haar ließ erkennen, daß er jung war.

Heinrich, der Konfirmand, saß am Tische und hielt die Wache bei dem
Bruder. Erst hatte er gelesen, nun war er damit fertig und guckte nach
dem bunten Schnitzwerk der mächtigen eichenen Truhe und tastete mit den
Fingern über den Namen und über den Spruch und die Blumen.

Keine Uhr tickte, die Zeit war stehen geblieben.

Plötzlich rührte Gorch sich.

»Mutter!« sagte er leise.

Heinrich erschrak wie einer, der sich ertappt weiß, und zog die Hand
zurück und ließ Truhe Truhe sein.

»Mutter schläft, Gorch. Ich bin bei dir.«

Der Bruder öffnete die Augen und richtete sich mühsam im Bette auf.

»Was ist, Heinrich, Abend oder Morgen?«

»Die Klock muß so bei Zehn herum sein.«

»Ist das Wetter sichtig?«

Heinrich bog die Vorhänge etwas auseinander.

»Es ist heller Mondschein, Gorch.«

»Laß mich sehen!« bat der Kranke, und als der Junge zögerte, verlangte
er dringender: »Laß mich sehen!«

Da schob Heinrich die weißen Laken zurück. Und Gorch starrte unverwandt
hinaus und sah den dunklen Deich und die weite, graue Elbe und die
vielen Lichter, wie sie blinkten, wie sie kamen und gingen, und die
hohen, schwarzen Segel der Fischerjollen. Und sah den Mondschein, der
den Schatten der kahlen Linden auf die Steine warf, und den gelben
Mond, der groß und kalt am Heben stand.

Was in ihm vorging, was er sann und grübelte, was für Gedanken ihn
überkamen, ließ sich nicht sagen. Er sprach kein Wort und verzog keine
Miene. So blickte er lange in die Nacht, bis ihm die Augen zufielen und
er schwer in die Kissen zurücksank.

Da stand Heinrich leise auf und verhängte das Fenster wieder, und
wieder blieb die Zeit stehen.

Bis Gorch abermals erwachte.

»Mein Seefahrtsbuch, Heinrich!«

»Was willst du damit?«

»Mein Seefahrtsbuch!«

Er griff erregt in die Decken.

»Ich weiß nicht, wo es ist.«

»Mein Seefahrtsbuch!«

Heinrich zog den Mund schief, es blieb ihm aber doch nichts übrig, als
hinzugehen und es aus dem Schrank herauszusuchen. Hastig griff Gorch
danach, legte das abgegriffene Buch vor sich hin und blätterte darin
und sah nicht mehr, daß er es auf dem Kopfe hielt, und fing an zu
erzählen:

»Sieh her, Heinrich!... als Leichtmatrose mit der >Pisagua< von Hamburg
nach Iquique und zurück. Salpeter geladen, Junge. Um Kap Horn. Zweimal.
Und zweimal über die Linie. Sieh her, Heinrich!... Als Matrose mit der
>Lesum< von Bremen nach Ostindien. Um Afrika herum. Einhundertfünf
Tage. In Kalkutta von Bord. Mit dem englischen Steamer >Crawford<
nach London. Durch den Suezkanal, Heinrich. Mit einer norwegischen
Bark... der Deubel mag den Namen behalten haben... in Ballast nach
Frederikstad, zurück mit Holz nach Emden. Stille Leute, diese Norweger,
haben es aber hinter den Ohren, Heinrich. Mit der Jacht >Nebelung< in
der Levante herumgekreuzt. Feines Essen und nichts zu tun. Bloß putzen
und scheuern, rein als 'n Köksch. Mit dem Fischdampfer >Poseidon<
neun Monate bei Spitzbergen im Eise gedonnert. Eisbären gefangen,
Heinrich. Waren aber nicht zahm zu kriegen. Mit dem Viermaster >Marie<
sechshundert Polacken nach Honolulu geschafft. Böse Fracht, Junge.
Sechshundert Seekranke. Dann von Rangoon mit Reis nach Liverpool.
Mit der >Columbia< von Hamburg nach Neuyork, dreimal hin und her.
Eine Notreise mit Harm Focks Ewer. Es war gerade in der Schollenzeit,
Heinrich. Ich weiß es noch wie heute...« Er brach ab, seine Gedanken
verwirrten sich auf ihrer Weltenwanderung. Mit schwächerer Stimme gab
er drein: »Kanton... Singapore... Aden... Gibraltar... Lissabon...
Bordeaux... Reval... Stockholm... New Orleans... Kingstown...
Maracaibo...« Hier schwieg er ganz: das Fieber war gekommen und hatte
einen dicken Strich über sein Seefahrtsbuch gemacht.

Heinrich hatte genau zugehört. Wie sie sich in seinem vierzehnjährigen
Kopfe abmalten, so sah er all die fremden Häfen und Küsten vor sich:
mit hohen Leuchttürmen, mit runden Kuppeln, mit Palmen und Zedern, mit
gelben Mongolen und schwarzen Negern.

Gorch ermunterte sich wieder.

»Das alles habe ich gesehen, Heinrich. Die ganze Erde, die ganze
Welt. Im Osten und Westen, im Süden und Norden. Und nun ich krank
zurückgekommen bin und keinen Sack voll Geld mitgebracht habe, bedauern
sie mich bei Euch am Deich und sagen, mein Leben sei umsonst gewesen,
und ich hätte nichts davon gehabt. Sind große Hansnarren, Junge! Große
Hansnarren! Mein Leben ist *nicht* umsonst gewesen, und ich *habe* was
davon gehabt. Mehr, als sie denken können, und mehr, als ich selbst
glaubte. Ich habe gelebt und gelacht und gekämpft und bin immer weiter
gesteuert, immer weiter... aber, weißt du, Heinrich, immer gerade aus.«

»Hattest du kein Heimweh?« fragte der Junge.

Der Weltumsegler schüttelte den Kopf.

»Nein, Heinrich. *Da* war der Heimatswimpel schon, er lag nur ganz zu
unterst in meiner Teakholzkiste. Einmal hätte ich ihn schon aufgeholt,
aber erst wollte ich noch mehr sehen, immer mehr. Die Welt war ja so
groß und wurde immer größer. Junge, du weißt ja nicht, wie es auf dem
Kai von Singapore wimmelt von Menschen, braun, schwarz, gelb und weiß,
wie schön die Sonne auf dem Golf von Neapel blinkt, wie eigen einem
das Nordlicht vorkommt, wie viel klarer im Süden die Sterne sind, wie
im Atlantik der Sturm rast, wie es tut, wenn man hundert Tage auf dem
Wasser gewesen ist und dann einen dunklen Streifen vor sich sieht. Wie
Kolumbus begrüßt du dein Indien. Und glücklich habe ich gefahren, immer
gute Reisen, kein Schiffbruch, keine Havereien, keine Krankheit ... bis
Maracaibo. Ich tausche mit denen nicht, die bis Altona oder Helgoland
gekommen sind. Ich habe gelebt.«

Er verpustete sich einen Augenblick und schob sich das Kopfkissen unter
den Rücken.

»Nun bin ich krank. Auf den Tod krank. Und kann nicht den kleinen
Finger rühren, ohne mir weh zu tun. Und habe keinen Willen mehr, als
den: nur erst still zu sein, nur erst unter der Erde zu liegen. Ich
kann kaum sitzen und habe bei Sturm und Nacht auf der Ra gestanden.
Wäre ich hinuntergeweht. Aber so hinzuschmelzen, wie der Schnee im
Frühjahr, der auch wochenlang liegen bleibt. Und so schwach und klein
zu werden, das ist bös, Heinrich! So zu liegen und zu jammern.«

Der Fieberfrost schüttelte ihn.

»Lach mich aus, Heinrich! Du bist gesund und die Gesunden tun am
besten, wenn sie über die Kranken lachen... Und hör' nicht auf mein
Klagen, Heinrich. Wenn es zu weh tut, jammere ich mitunter, daß es
schlecht gewesen und verkehrt von mir zu fahren. Es war nicht verkehrt,
Junge! Es war recht, war schön, schön und gut. Windstille, Regen,
Nebel, Sturm: alles war schön.«

»Sprich nicht so viel, Gorch. Es tut dir weh.«

»Nicht lange mehr, Heinrich... Heinrich! Du kommst nun Ostern aus der
Schule und willst zur See. Aber du sollst nicht, weil es mit mir schief
gegangen ist, und weil Vater und Jan geblieben sind. Sie raten dir
alle ab, ich höre es ja jeden Tag. Und ich soll dir auch abraten. Aber
ich rate dir *zu*, Heinrich! Glaube mir, es ist draußen doch schöner
als binnen, und auf See weht die reinste Luft und am besten schläft es
sich, wenn die Seen an der Schiffswand plätschern und glucksen. Die
Welt ist nicht so fremd, Heinrich, wie sie erzählen, wenn sie um den
Ofen sitzen. Sie ist bloß groß. Sie wollen dich Jungen dumm schnacken,
dich breitschlagen... hör' nicht darauf ... sie sind jung *gewesen* und
können die Jungen nicht mehr verstehen.«

Heinrich sah ihn fest an.

»Ich tu auch doch, was ich will, Gorch.«

»Tu es, Junge! Begucke dir die Welt und denke an deinen Bruder, wenn du
um Kap Horn kreuzest. Und singe mit, wenn die andern Matrosen singen,
und bleibe nicht an Bord, wenn sie abends an Land gehen. Geh zur See,
Heinrich ... Und nun ... ruf' die Mutter ... ich fühle, daß ich zu Ende
bin ... ich möchte ihr gern noch einmal die Hand ...«

Damit fiel der wilde, ruhelose Weltumsegler zurück und verschied, um
höheren Ortes Verklarung abzulegen.





End of the Project Gutenberg EBook of Schiff vor Anker, by Gorch Fock

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including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
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or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
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