Gabriel Schillings Flucht: Drama

By Gerhart Hauptmann

Project Gutenberg's Gabriel Schillings Flucht, by Gerhart Hauptmann

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Title: Gabriel Schillings Flucht
       Drama

Author: Gerhart Hauptmann

Release Date: February 25, 2014 [EBook #45009]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GABRIEL SCHILLINGS FLUCHT ***




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[Illustration: SFV]




                    Gabriel Schillings
                          Flucht


                          Drama

                           von

                    Gerhart Hauptmann

                     [Illustration]

                S. Fischer Verlag / Berlin


                    Dritte Auflage.

  Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.

      Den Bühnen und Vereinen gegenüber Manuskript.

        Copyright 1912 S. Fischer, Verlag, Berlin.

      60 Exemplare sind auf handgeschöpftes Büttenpapier
      abgezogen und numeriert, davon 50 zum Verkauf.


     »Einige ... versichern, Eunostus sei ihnen begegnet, ans Meer
     eilend, um sich zu baden, weil ein Weib sein Heiligtum betreten
     habe.«

                                  Plutarch, Moralische Schriften.




Dramatis Personae


  Gabriel Schilling, Maler.
  Eveline, seine Frau.
  Professor Mäurer, Bildhauer und Radierer.
  Lucie Heil, Violinistin.
  Hanna Elias.
  Fräulein Majakin.
  Doktor Rasmussen.
  Klas Olfers, Wirt im Krug auf Fischmeisters Oye.
  Kühn, Tischlermeister.
  Der Lehrjunge.
  Schuckert.
  Mathias, Fischer.
  Magd bei Olfers.
  Fischer, Frauen und Kinder der Fischer.

          Das Drama spielt auf Fischmeisters Oye,
                einer Insel der Ostsee.

                    Zeit: um 1900.

    »Gabriel Schillings Flucht« wurde geschrieben im Jahre 1906.




Erster Akt


     Strand. Im Hintergrund das Meer im Spätnachmittagslichte eines
     klaren Tages Ende August. Rechts der Schuppen einer
     Rettungsstation, an dessen Mauer die Gallionfigur eines
     gestrandeten Schiffes angebracht ist. Sie ist aus bemaltem Holz und
     stellt eine Frau mit bauschigen Röcken dar, deren Kopf
     zurückgeworfen ist, so daß ihr bleiches Gesicht mit
     nachtwandlerischem Ausdruck dem Himmel sich darzubieten scheint.
     Ihr langes schwarzes Haar fließt offen über die Schulter. -- Am
     Strande, im Trockenen, steht ein Fischerboot. Links vorn auf der
     Düne, dem Schuppen gegenüber, ein Signalmast mit Strickleitern usw.

     Ein junges Mädchen, weiß und sommerlich gekleidet, liegt mit einem
     Buch zwischen Schuppen und Signalmast auf der niedrigen Düne: Lucie
     Heil.

     Von rechts vorn kommt der etwa 45jährige Tischlermeister Kühn,
     gefolgt von einem Lehrling. Sie tragen blaue Schürzen, keiner von
     beiden eine Mütze. Der Meister grüßt Lucie, der Lehrling grinst sie
     an. An der Rückwand des Rettungsschuppens liegt ein Stapel
     fichtener Bretter. Zwei davon lädt Kühn dem Lehrling auf, und
     dieser trägt sie davon.

Kühn:

Na, sind Sie auch wieder da, Freilein?

Lucie:

Das gehört sich doch, Meister!

Kühn:

Sie kommen immer, wenn die Zugvögel abreisen! Wenn die vielen Zugvögel
bei uns Station machen, kommen Sie auch.

Lucie:

Das stimmt.

Kühn:

Wir warten immer drauf, daß der Herr Professor Ottfried Mäurer sich am
Ende doch noch anbaut auf der Insel.

Lucie:

Im vorigen Herbst war es nahe daran; aber der Windmüller ging mit seinem
Preis plötzlich zu hoch hinauf.

Kühn:

Die Leute sind dumm! Sie wissen nicht, was sie von der Hand weisen. Wenn
so'n Mann, wie Professor Mäurer, sich hier auf der Insel ein Tuskulum
hinsetzt, das würde doch für jeden hier von größtem Vorteil sein.

Lucie:

Es wäre gar nicht gut, wenn die Insel bekannt würde; denn käme erst mal
das ganze Großstadtgewimmel darüber hereingebrochen, dann wär's mit
ihrer Schönheit wohl aus.

Kühn:

Ist der Herr Professor Ihr Onkel, Freilein?

Lucie

     (lacht):

Nein, ich bin seine Großmutter, Meister Kühn.

     Ottfried Mäurer erscheint vom Strande her über die Dünen. Er ist
     ein mittelgroßer, etwa 36jähriger blonder Mann mit rötlich blondem
     Spitzbart. Sein Kopfhaar ist kugelrund geschoren; die Stirne breit.
     Ein Ausdruck schmunzelnder Schalkhaftigkeit belebt zuweilen den
     scharfblickenden Ernst seines Gesichts hinter der goldnen Brille
     und dem Kneifer. Er ist unauffällig gekleidet, hat einen Mantel um,
     einen weichen Filzhut auf dem Kopf, einen gewöhnlichen Stock an den
     Arm gehakt, und ein Buch, Quart, mit weißem Schweinslederdeckel in
     der Hand.

Mäurer:

Guten Tag, Meister Kühn.

Kühn:

Schön'n Dank, Herr Professor! -- Glücklich wieder auf Fischmeisters Oye
angelangt?

Mäurer:

Gott sei Dank, Meister. -- Aber ich hatte es diesmal verdammt nötig.

Kühn:

Na, ja, wir haben's ja in der Zeitung gelesen.

Mäurer

     (schmunzelnd):

Was haben Sie denn in der Zeitung gelesen?

Kühn:

Von die schöne Bildsäule, die in Bremen errichtet worden ist.

Mäurer:

Die hat mir verflucht Arbeit gemacht, können Sie mir glauben, die schöne
Bildsäule. Ich bin froh, daß sie mir aus dem Gehege ist.

Kühn:

Nu gehn Sie aber doch gleich schon wieder nach Griechenland?

Mäurer:

Hat das etwa auch schon wieder in der Zeitung gestanden?

Kühn:

Jawohl! Es gibt ja wohl Marmorbrüche dort, und da wollen Sie ja wohl
Steine für neue Standbilder aussuchen.

Mäurer:

Na, Gott sei Dank bin ich mal erst vorläufig hier! -- Ich habe schon
manchmal ganz gemütlich in Berlin in einer Weinkneipe gesessen und in
der Zeitung gelesen, ich befände mich augenblicklich in Konstantinopel
und modellierte die Tochter des Sultans. -- Übrigens, wem gehört denn die
Gallionfigur?

Kühn:

Die hat der große Nordweststurm vor zwei Jahren an Land gebracht.

Mäurer:

Sie gefällt mir; ich würde sie gerne kaufen.

Kühn:

»Ilsebilse, niemand will se, kam der Koch und nahm se doch.« -- Schuckert,
glaub' ich, hat sie gefunden.

Mäurer:

Ist das der junge Schuckert?

Kühn:

Jawohl. Bei Schuckerten finden Se immer so was. Der Alte hat mal einen
dicken goldnen Armring aus'm Wasser rausgebracht. Soll ich vielleicht
mal mit ihm reden?

Mäurer:

Ja, bitte, Meister; tun Sie das!

Kühn:

Übrigens hat's mit dem Dinge, wie mir einfällt, ne kuriose Bewandtnis.
Die dänische Brigg, von der's wahrscheinlich stammt und die hier draußen
gesunken ist, hat der junge Schuckert zwei oder drei Tage vorher, jenau
mit die Figur, bei schönstem Wetter wafeln gesehn.

Mäurer:

Weißt du, was wafeln ist, Lucie?

Lucie:

Nein.

Mäurer:

In Schottland nennt man es %second-sight%.

Lucie:

Ach so, etwas mit dem zweiten Gesicht sehen.

Mäurer:

Ja, zum Beispiel sein eignes Begräbnis.

Kühn:

Gott sei Dank, ich leide nicht dran, trotzdem ich alle Augenblick mal
mit Sargbretter zu tun habe.

Mäurer:

Ist jemand gestorben?

Kühn:

Nee, vorläufig nich; aber Vorrat muß sein.

     (Er legt sich zwei Bretter auf die Schulter und geht.)

Adje, Herr Professor!

Mäurer:

Wiedersehn, Meister Kühn. -- -- --

     (Lucie und Mäurer allein.)

Mäurer:

Na, Schusterchen, ich bin ja im höchsten Grade überrascht, dich hier zu
sehen.

Lucie:

Ich erst recht. Ich dachte, du bist auf die Südspitze zugegangen:
deshalb habe ich mich hier in den Norden geschlängelt; es war wirklich
nicht meine Absicht, dir aufzulauern.

Mäurer

     (schmunzelnd, klug, stoßweise):

So! So! Wirklich? Na na! Ein Musterkind! -- Übrigens hast du gewafelt bei
mir; denn ich wollte eben mal über unser grünes Kuhländchen nach dir
Auslug halten. -- Was liest du denn da?

Lucie:

Rate! --

Mäurer:

Dann ist es nicht schwer zu raten: die Droste. -- Wie lange liegst du
schon hier, mein Kindchen?

Lucie:

Schon lange Zeit. -- Mit wem hat diese Figur dort eine gewisse
Ähnlichkeit?

Mäurer

     (faßt die Gallionfigur ins Auge):

Ich weiß es nicht! Etwa mit deiner Mutter?

Lucie:

Mit Mutter, gewiß.

Mäurer:

Das finde ich nicht.

Lucie:

Ich würde vielleicht auch nicht darauf gekommen sein; aber ich habe von
Mutter geträumt. Ich ging mit ihr unten am Strand spazieren, nachts, und
da hatte sie ihre Hand mit dem bloßen Unterarm auch so an der Halskette
und auch einen Kranz auf, wie diese Figur ihn hat. Ich hatte wohl also
Mutters Bild und dies hier unwillkürlich verschmolzen. -- Ich träume hier
überhaupt furchtbar lebhaft und schleppe, merkwürdigerweise sogar mitten
im hellen Sonnenschein, einen heißen Kopf und den Spuk der Nacht mit mir
herum.

Mäurer

     (lächelnd, gehoben):

Aber sonst ist es wieder göttlich hier. Ich habe jetzt wieder Stunden
erlebt, die unvergleichlich sind. Diese Klarheit! Dieses stumme und
mächtige Strömen des Lichtes! Dazu die Freiheit im Wandern über die
pfadlose Grastafel. Dazu der Salzgeschmack auf den Lippen. Das geradezu
bis zu Tränen erschütternde Brausen der See, -- siehst du, hier hinter der
Brille ist noch ein Tropfen! -- Dieses satte, strahlende Maestoso, womit
sie ihre Brandungen ausrollen läßt. Köstlich!

Lucie:

Da hast du gewiß wieder interessante Ideen gehabt. (Sie nimmt sein
Skizzenbuch.)

Mäurer:

Nichts. Auf Ehrenwort, keine Linie. Schreibtafel her, ich muß mir's
niederschreiben: Ich werde zwar diese unmoderne Gewohnheit nicht
los, -- aber vor so etwas heißt es einpacken. -- Sag' mal, den Brief von
Schilling hattest du doch?

Lucie:

Ich hatte ihn dir heut morgen wiedergegeben.

Mäurer

     (sucht in den Taschen und findet den Brief):

Richtig, freilich, da ist ja das Schriftstück. -- Es hat sich mit meiner
Depesche gekreuzt. -- Ich würde mich mächtig freuen, wenn Schilling sich
endlich mal aus seiner Misere mit einiger Energie herauslöste. -- Hältst
du's für möglich, nach diesem Brief? Du bist doch in solchen Sachen sehr
schlau, Schusterchen.

Lucie

     (zuckt mit den Achseln):

Nach diesem Brief, Ottfried, allerdings. Freilich, sicher kann man es,
wie die Sachen mit Schilling liegen, nicht voraussagen. Er scheint ja in
einer Krisis zu sein, aber sag' mal selbst, sein Verhältnis zu Hanna
Elias ist schon manchmal in einer Krisis gewesen; und doch renkte sich
alles immer wieder zu unsrem beiderseitigen Mißfallen ein. -- Du weißt
ja, was sie für Mittel hat! Wenn sie es absolut will, daß er bei ihr
bleibt, na, so geht sie zu Bett und kriegt vier Wochen lang
Nasenbluten. --

Mäurer:

Äh, ich mag sie nicht! Ich bin in keiner Beziehung, nicht wahr, ein
Weiberfeind; sie brauchen auch, weiß Gott, um mir zu gefallen, nicht
alle deutsche Gänse zu sein. Aber diese Hanna macht mich ganz wild.
Wenn ich sie ansehe, fast leichenhaft wächsern, wie sie ist, dann
begreife ich nicht, wie sie leben kann, und hoffe, sie muß jeden
Augenblick abschieben. Keine Ahnung! Sie lebt; sie denkt nicht daran und
wird uns alle womöglich noch einbuddeln.

Lucie:

Ja, Ottfried, das kann ganz gut möglich sein.

Mäurer:

Verzeih mir's Gott, wenn keine Aussicht vorhanden ist, daß sie in Bälde
das Zeitliche segnet, dann muß mit Schilling erst recht was geschehn;
dann muß man erst recht mit ihm einen letzten, rücksichtslosen Versuch
machen. Dazu ist er zu gut, um an dieser Schürze zugrunde zu gehn.

Lucie:

Wer weiß, vielleicht ist deine telegraphische Einladung gerade zur
rechten Stunde gekommen.

Mäurer:

Merkwürdig, dieser ruhige, schlichte Mensch, der mehr als wir alle in
seinem gelassenen Wesen gefestigt schien, ist durch diese Person ganz
aus der Bahn gerissen. Als sie auftauchte, dacht' ich das Gegenteil.
Seine Heirat mit Eveline war Unsinn. Sie hat ihn sich, weil er immer
gegen die Äußerlichkeiten des Lebens gleichgültig war, wenn man ihn nur
ungestört malen ließ, einfach angetraut. Und da war er mit einemmal ihr
Ernährer. Hanna hat mehr Reiz, mehr Selbständigkeit, und so glaubt ich
am Anfang, sie würde für seine Kunst _das Rinascimento des vierten
Jahrzehntes_ sein. Statt dessen stellt sie seine Existenz als Künstler
und Mann überhaupt in Frage.

Lucie:

Woraus erhellt, da sie ebenfalls von orientalischer Faulheit ist, daß
Weiber, die nichts zu tun haben, bloß Unfug stiften; und ich habe mir
deshalb fest vorgesetzt, ich will diesen Winter sehr viel Kolophonium
für meinen Geigenbogen verbrauchen.

Mäurer:

Hast du die tausend und abertausend Stare und Schwalben auf den
Strohmützen der Fischerkaten drüben in Vitte gesehn? Diese Aufregung,
dieser Eifer, diese entzückende Reiselust! Packt es dich da nicht auch
wieder mächtig?

Lucie:

Wenn ich am Meer sein kann, mit dir allein, und an einem versteckten
Platz, wo uns niemand beunruhigt, so weißt du ja, daß ich sträflich
bedürfnislos und zufrieden bin. -- Weißt du übrigens, was mich der Fischer
gefragt hat?

Mäurer:

Nun?

Lucie:

Ach Unsinn, nichts! -- Bloß, ob du ein Onkel von mir bist. -- Ich habe
gesagt, ich bin deine Großmutter.

Mäurer:

Was die Menschen doch wie die Teufel neugierig sind! Aber laß das,
Schusterchen, ärgere dich nicht! Klatsch macht man durch absolute
Verachtung unschädlich! Hör' lieber zu, was ich beschlossen habe.
Nämlich, dem guten Schilling gegenüber ist mein Gewissen nicht ganz
rein. Moralische Urteile sind eigentlich nur Bequemlichkeit; und doch
hab' ich mich dieser Bequemlichkeit dem Freund gegenüber, als ich seine
Handlungsweise nicht recht mehr verstand, leider schuldig gemacht. Wenn
es ginge, möchte ich das gern jetzt wieder ausgleichen. Aber das ist
vielleicht Selbstbetrug. Ich bin vielleicht nur gut aufgelegt und möchte
mein Wohlbefinden noch steigern.

Lucie:

Nun, ein ganz, ganz schlechter Kerl bist du ja gerade nicht.

Mäurer:

Keinesfalls sehr viel schlimmer, als andere! -- Das Stück Geld unterm
Großmast, was nicht nur nach dem Aberglauben der Fischer darunter
gehört, hat Schilling leider immer gefehlt; er wäre sonst zweifellos
besser gesegelt. Und man ist in Geldsachen ja leider, wo Not an Mann
ist, auch nicht immer durchweg zum Anstand geneigt. Aber jetzt, wo die
Bremer nicht knausrig gewesen sind, will ich mal alles wieder gut
machen. Ihr müßt beide mit mir nach Griechenland.

Lucie

     (lustig):

Herrlich. Deine Brille funkelt ja förmlich, wie du das sagst. Und dein
Haar sieht dabei schon wie eine Flamme auf einem Opfertiegel in Delphi
aus.

Mäurer:

Also will ich dir auch gleich mal was weissagen: jetzt schwöre ich dir,
daß Schilling kommt.

Lucie:

Und ich glaube es auch, ich kann es bestätigen, daß er drüben auf dem
Fußsteige durch das Moor schon mehrmals gewafelt hat.

Mäurer

     (beobachtet in die Ferne):

Wirklich, ein Mensch kommt über das Moor gelaufen.

Lucie:

Vor kaum zehn Minuten hat der kleine Dampfer von Stralsund drüben in
Grobe angelegt. -- Das ist er.

Mäurer:

Er rennt wie ein Bürstenbinder. Teufel noch mal, das könnte wahrhaftig
der Maler Schilling mit seinem Rucksack und seinem Pastellkasten sein!
(Er ruft.) Ku ui!

Lucie:

Da will ich euch erst mal allein lassen!

Mäurer

     (blickt aus, zieht sein Taschentuch, schwenkt es und ruft):

Ku u i! Ku u i!

Lucie

     (ruft schon von weitem):

Was ist denn das für ein Ruf?

Mäurer:

Ku u i! So rufen die afrikanischen Buschleute.

Lucie:

Er bleibt stehen. (Sie will fort.) Adieu!

Mäurer:

Adieu, mein Kind, adieu! Ich will mal kurzen Prozeß machen. Wenn er es
nicht ist, komm ich dir nachgerannt.

Mäurer

     (läuft nach rechts hin ab).

Lucie

     (blickt noch immer über die Dünen ihm nach, kommt plötzlich
     hervorgeeilt, klettert einige Stufen sehr gewandt die Strickleiter
     am Signalmast hinauf, dort schwenkt sie das Taschentuch und ruft):

Ku u i! Ku u i! Ihr findet mich bei Klas Olfers im Krug!

     (Um den Schuppen herum kommt abermals Tischlermeister Kühn.)

Kühn:

Kommt neuer Besuch?

Lucie:

Ein ganzer Gesangverein, Meister, der Professor Mäurer ein Ständchen
bringt.

     Sie springt herunter und läuft davon, ab. Von links kommen eine
     Anzahl Fischer mit aufgekrempelten Hosen und blauen Jacken über die
     Dünen. Der junge Schuckert ist darunter. Es sind meist große,
     breitschultrige blonde Gestalten mit gedrungenen Bärten. Einige
     tragen ihre Transtiefel in der Hand. Etwas Lautloses, Visionartiges
     ist in ihren Bewegungen.

Kühn:

Schuckert!

Schuckert:

Wat is?

Kühn

     (hat sein Brett auf seine Schulter geladen):

Help mi man noch een Brett up de Schuller.

Schuckert

     (kommt zu ihm herüber):

Na denn fix tau!

Kühn:

Wirst du dat Ding doa baben verkoopen?

Schuckert:

Wat denn for'n Ding?

Kühn:

Dat Weib ohne Fiet.

Schuckert:

Hähähä! Wat hast du woll in din Breegenkasten, det du dat Unglück
erhanneln wilt!

Kühn:

Wer seggt dir, dat ick dat erhanneln will. De fremde Professor will et
erhanneln!

Schuckert:

De Fremde, de bi Klas Olfers is? Hähähä! Tschä, worum nich. Dat wier
woll am Enn all mieglich to maken. -- Adjüs Kühn! (Er setzt seinen Weg
über die Dünen fort, nachdem er dem Tischler noch zwei Bretter
aufgeladen.)

Kühn:

Hierst, bring dat Ding dal in'n Krug. Wist nich?

Schuckert:

Jau, jau.

Kühn:

De fremde Professor zahlt proper, segg ick!

Schuckert:

Hei soll ja wull hier baben een bisken sin! (Tippt sich mit dem Finger
an die Stirn.)

     Schuckert folgt den anderen Fischern und stößt mit ihnen unten vom
     Strand ein Segelboot durch das flache Wasser ins tiefe Meer.
     Meister Kühn rückt die Bretter auf die Schulter zurecht, dabei
     fällt ihm eins wieder herunter. Gleich darauf taucht Mäurer und
     sein Freund Schilling auf. Dieser ist ein hoher, blonder, bartloser
     Mensch, mehr der Typus eines feingeistigen Schweden, als eines
     Deutschen. Die Kleider hängen sehr lose um seinen mageren und
     eleganten Körper. Das Gesicht wirkt durch tiefliegende große Augen
     und Magerkeit etwas verfallen. Strohhut, Sommerüberzieher,
     Pastellkasten.

Schilling:

Halten Sie mal, bleiben Sie mal stehen, Mann! (Er stolpert herzu, läßt
den Malkasten fallen und faßt das heruntergefallene Brett an einem Ende
mit zwei Händen an.) Komm, faß mal die andre Seite an, Ottfried!

Kühn:

Sie sind ja zu gütig! Recht scheenen Dank, meine Herren!

Mäurer

     (springt herzu, faßt die andere Seite des Brettes und er und
     Schilling fangen an, damit zu wippen):

Na also, da sind wir ja wieder mal drei vergnügte Berliner
zufälligerweise auf einer unentdeckten, einsamen Insel zusammengeschneit.

Schilling

     (wippend):

»Berlin, Berlin, du dauerst mir!«

     (Sie legen dem Tischler das Brett auf die Schulter)

Mäurer:

Das ist nämlich 'n richtiger Berliner, mein Sohn.

Kühn:

Ich habe nämlich, wie dat so is, und dat mein Metier so mit sich bringt,
een jroßes Pläsier an d' Särge machen. Särge hab ick sehr jern, bloß
meinen eignen nich. Und wie nu mal, draußen am schlesischen Bahnhof hab
ick jetischlert, der Fremde kam, der wo so klapprige Beene hat, und uzte
mir, dat ick ma nu sollte meinen eignen hölzernen Schlafrock machen, da
dachte ick mir, vorwärts, nu aber raus aus Berlin. Jawoll, de Ärzte
hatten mir uffgegeben, und hier bin ick wieder fuchsmunter jeworn. (Er
nickt und geht mit seinen Brettern auf der Schulter ab.)

Schilling

     (stutzt, betrachtet abwechselnd seine offenen Hände, die er sich
     harzig gemacht hat, und sieht dem Tischler nach):

Komisch, wie so ne Stimme hier anders klingt, und wie so'n
gleichgültiger Kerl hier anders aussieht, als wie in Berlin -- und wie
so'n Brett sich anders anfaßt. (Er ruckt sich zusammen und nimmt seinen
Malkasten wieder auf.)

Mäurer:

Mensch, es war der allerschlauste Gedanke, den du seit Jahren gehabt
hast, daß du gekommen bist.

Schilling

     (kurz, befremdlich):

Es hat sich gemacht.

Mäurer:

Na also, es mußte sich auch mal machen. Das war doch zum Beinausreißen
mit uns; man konnte deiner ja gar nicht mehr habhaft werden. Wie geht's,
wie steht's?

Schilling:

Wie du siehst, famos!

Mäurer:

Wirklich, du siehst ausgezeichnet aus. Etwas spack natürlich, das macht
die Stadt; aber wie du daherkamst, mit Jünglingsschritten, da sahst du
wie 'n mittlerer Zwanziger aus.

Schilling:

Ja, das macht das geregelte Leben, mein Sohn. Hübsch ausschlafen,
nachts! Keine gegipsten Weine trinken! Nimm dir ein Beispiel, wenn du
kannst, denn deine Nase hat etwas Verdächtiges.

Mäurer

     (faßt sich an die Nase):

Stimmt! Aber sage, Junge, was soll man tun? Unsereiner, der wie ein
Maurer arbeitet, kann ohne was Geistiges eben nicht sein. Du hast dir
das Trinken abgewöhnt?

Schilling:

Das will ich nicht grade behaupten, Ottfried.

Mäurer:

Nanu, Augen grad aus! Ist das nu was oder nicht? Ist so'n Anblick die
acht Stunden Bummelzug etwa nicht wert, mein Sohn?

     Sie vertiefen sich beide in den Anblick der See, die man laut und
     gleichmäßig rauschen hört, und in das Leuchten des blutroten
     Abendhimmels.

Schilling

     (dem die Augen vor Erschütterung überlaufen):

Es ist verflucht, wie unsereiner nervös auf dem Hunde ist. Man merkt das
vor so einem plötzlichen Eindruck.

Mäurer:

Das ging Lucie und mir nicht anders, Schilling. Als plötzlich die langen
Schaumlinien auftauchten -- wir kamen zu Fuß vom Fährhaus herüber zum
westlichen Strand! -- das hat uns beide höllisch überrumpelt; und ich
glaube, wir haben beide, ich weiß nicht wieso, wie Kinder geflennt.
Übrigens weißt du ja wohl, ist im Frühjahr Luciens Mutter gestorben.

Schilling

     (sonderbar ängstlich):

So? Ist sie gestorben? Ach! Woran?

Mäurer:

Hat dir Rasmussen nicht davon gesprochen?

Schilling:

Rasmussen hab ich jetzt nicht gesehen ... wie lange? -- Gut anderthalb
Jahre nicht.

Mäurer:

Er hat Frau Heil zuletzt noch behandelt.

Schilling

     (nach längerem Stillschweigen):

Ja, wie das mit einem so eigensinnigen, in seinem Fach bornierten
Menschen, wie Rasmussen, eben ist. Wessen unsereiner bedarf, das
begreift er nicht. Ich hasse auch alle Moralphilister! Und er hat einen
förmlichen Haß auf die Kunst. Wissenschaft! Nur immer Wissenschaft!
Wissenschaft hier und Wissenschaft dort! Und im Namen der Wissenschaft
jeglichen Unsinn. Und nun erst in Geschmacksdingen -- : hottentottenhaft!
Ich mußte mal mit ihm reinen Tisch machen.

Mäurer:

Du, du, vermiese mir unsern Rasmussen nicht. Ein Kerl ... na, mit einem
Wort: nicht zu spaßen. Solid! Wo man ihn anfaßt, ist auch was.

Schilling:

Sag mal, an was ist Frau Heil gestorben?

Mäurer:

Ein Herzleiden scheint es gewesen zu sein.

Schilling

     (tief atmend):

Kein Wunder, wenn man bedenkt, in welch stickige Atmosphäre die Menschen
der Großstadt lebenslang eingekerkert sind. Leben heißt ihnen, sich
aufregen, und an diesem ununterbrochenen Überreizungen sterben sie dann
natürlich frühzeitig scharenweise elend hin! -- Du kannst dir nicht
denken, Ottfried, wie sehr ich diesmal nach dem Anblick gelechzt habe.

Mäurer:

Warum nicht? Es ging mir genau so wie dir.

Schilling:

Unmöglich! Ich habe mitten im Lärm und Asphaltgestank der
Friedrichstraße schon immer das Meer vor Augen gesehen, tatsächlich,
als richtige Luftspiegelung. Ich habe immer danach gegriffen! -- Ich bin
wie ein Seehund! Ich möchte gleich Hals über Kopf mitten hinein.

Mäurer:

Das finde ich schließlich auch weiter nicht merkwürdig. Du solltest mal
Lucie reden hören in ihrer fanatischen und direkt waghalsigen Badewut.

Schilling:

Das ist auch was andres, das meine ich nicht. Ich glotze diesmal die See
mit Augen an ... wovon ihr keine Ahnung habt, Kinder. Als wenn einem der
Star gestochen worden ist. Dort stammen wir her, dort gehören wir hin.

Mäurer

     (lachend):

Du bist Wasser und sollst zu Wasser werden! -- Wie geht's deiner Frau?
Willst du was rauchen, Schilling?

Schilling

     (fahrig, zerstreut):

Wie Pauken und Zymbeln klingt das im Kopf! -- Rauchen? -- Eveline ist
munter, Gott sei Dank! Soweit das bei ihr überhaupt möglich ist,
nämlich. Eigentlich hab ich sie, ehrlich gestanden, nie wirklich bei
guter Laune gesehn. (Er läßt sich auf der Düne nieder.) Sprechen wir
lieber von was andrem. -- Es kommt nämlich immer darauf an, wenn es sich
um Miseren handelt, ob man imstande ist, sie zu beheben. Hat man das
aber bis zur Verblödung auf jede erdenkliche Weise vergeblich versucht,
so erscheint der gloriose Moment, wo man hunde-schnauzen-gleich-gültig
wird: und dieser Moment ist bei mir erschienen!

Mäurer

     (klopft ihm auf die Schulter):

Fortschritt, mein Junge, wenn es so is!

Schilling:

Na natürlich, Fortschritt! Etwa nicht? Glaubst du, ich wäre sonst
hergekommen? -- Sonst hätt ich mich nicht aus dem Staube gemacht!

     Längeres Stillschweigen.

Mäurer:

Wie wär's, wenn wir nun als zwei alte Freunde, Schilling, auf alle
Umschweife ganz verzichteten, und auf sogenanntes Zartgefühl. Nehmen wir
mal an, unsre Gefühle füreinander sind ehrlich und anständig; warum
sollen sie denn da nicht offne und starke sein! Wenn du's also nicht
krumm nimmst, so frage ich dich ...

Schilling:

Mit Hanna Elias ist es zu Ende.

     Längeres Stillschweigen.

Ich kann dir sagen, du glaubst es nicht, wie ich die Zeit ... die mir
immerhin früher mal kostbare Zeit! -- diesen Sommer wieder mit Scheffeln
und Mollen wahnsinnig verschleudert habe. Ich kann keine Wanduhr mehr
ticken hören, ich erschrecke bei jedem Pendelschlag.

Mäurer:

Wer hat nicht mit Weibern Zeit verloren! Ja, welcher Mann, der wirklich
einer ist, hat sich nicht selbst mehr als einmal an Weiber verloren. Das
schadet nichts! Man läßt sich fallen, man hebt sich auf, man verliert
sich und man findet sich wieder. Hauptsache bleibt, daß man Richtung
behält. Wenn man Richtung behält und entschlossen fortlebt, so wette ich
tausend gegen eins, was schlecht geheißen hat in der Zeit, muß dann in
der Zeit auch wieder mal gut heißen.

Schilling:

Ach, Junge, ich habe in meinem verpfuschten Leben zu schrecklich viel
niederträchtigen Unsinn verdaut. Mit meiner unanständig anständigen
Anlage habe ich, weiß der Teufel, so oft Fiasko gemacht, daß ich allen
Ernstes darüber gegrübelt habe, wie man es anfängt, recht grundgemein,
schweinemäßig praktisch zu sein. Ich bin talentlos, ich kann es nicht.
Dabei hab ich die Welt auf die allerverschiedenste Weise beguckt: durch
die hohle Hand, durch die Beine, von oben, von unten, von hinten, von
vorn. Und ich kann mir nicht helfen, ich habe immer nur eins gesehen:
von weitem macht sie sich ziemlich entfernt, aber aus der Nähe dafür
über alle Begriffe stupide, gemein und unanständig.

Mäurer:

Schilling, ich lasse die Welt, wie sie ist; wir wollen uns damit weiter
nicht aufhalten. Ich habe dir selber, glaub ich, auch nicht immer bloß
die schöne Fassade gezeigt. Laß das, vergiß es, denk nicht daran! Und
jetzt, Junge, sag ich mal etwas Mystisches: wir sind aus der gleichen
Generation. Ich behaupte, da wir beide im gleichen Jahre an der
Außenfläche unsres Planeten erschienen sind, so sind wir auch schon
vorher miteinander gewandert, in ähnlichem Rhythmus, in ähnlichem
Schritt. Und wenn wir auch äußerlich nicht vereint gewesen sind, so
sind wir jetzt, wo wir uns wiedertreffen, im tieferen Sinne gleich weit
gelangt. Also schreiten wir nur mal wieder eine gute Strecke stramm
bewußt miteinander.

Schilling

     (forciert):

Topp Kinder, hier wollen wir lustig sein! Deibel nochmal, tüchtig
deutschen Sekt saufen und so tun, als wären wir siebzehn Jahr mit den
allergrößten Rosinen im Sack und hätten die Nase nicht voll gekriegt.
(Beide Freunde geraten in eine nervöse Heiterkeit; alsdann stutzt
Schilling, die Gallionfigur gewahrend.) Eiapopeia, was raschelt im
Stroh! Was ist denn das für 'ne seltsame Heilige?

Mäurer:

Das ist von einem gestrandeten Schiff die Gallionfigur.

Schilling:

Äh, überall diese wahnwitzigen Weibsbilder!

Mäurer:

Etwas übergeschnappt sieht sie wirklich aus.

Schilling:

Sag mal, findest du da keine Ähnlichkeit?

Mäurer:

Lucie behauptet mit ihrer Mutter.

Schilling:

Nein, Luciens Mutter meine ich nicht. -- Im Ausdruck das Haar, auch in der
Bewegung.

Mäurer:

Mir dämmert es schon! Aber ich billige dieses Ähnlichkeitsaufstöbern
nicht. -- Trau einem alten, gezausten Fuchs wie mir, mein Sohn: verwickle
dich nicht in Ähnlichkeiten. Das sind Schlingen, die man sich selber
legt. Und wenn wirklich die Holzpuppe Hanna Elias ähnlich sieht, so
mache dir klar, sie hat mit ihrer lüsternen Nase ihr ganzes Schiff in
einen nicht grade feucht-fröhlichen Abgrund verführt. -- Atme, Mensch,
trinke die starke Luft, und laß das Gespenst deines Lebens von gestern
dein wirkliches Leben von heut nicht mattsetzen.

Schilling:

Da ist keine Gefahr mehr, Gott sei Dank! -- Ich sage dir ja, diese Sache
mit Hanna ist versunken. Wir haben uns endlich mal so vollkommen
geklärt, so in alle Winkel unsrer Beziehung hinabgeleuchtet, daß da
absolut nichts mehr zu erörtern bleibt.

Mäurer:

Dann gratulier ich von Herzen, Schilling.

Schilling:

Verdorben, gestorben, eingesargt, zwölf Klafter tief unter die Erde
begraben. -- Und, Ottfried, den Gefallen mußt du mir tun: kein Wort,
keinen Laut mehr von dieser Geschichte. -- Du kennst mich ja; ein für
allemal, Ottfried: wenn mir mal ne Erinnerung über die Leber läuft,
bitte, laß mich, bemerke es nicht. Es sind manchmal läppische
Kleinigkeiten!

Mäurer:

Ähnlichkeiten!

Schilling:

Ein dunkles Auge ... irgendein Zug um den Mund, das kann Tote wieder
lebendig machen! Aber dann laß mich, störe mich nicht! Denn das lähmt
mich in meiner Brutalität. Man muß brutal sein, man braucht alle Kraft,
um so eines bleichen gestrigen Wesens Meister zu sein! (Er springt auf,
wirft Hut, Stock und Rucksack weg und beginnt sich auszukleiden.) Und nu
Junge, Reinheit, Freiheit! Luft! Gott sei Dank, ja, man kann hier wieder
mal atmen! Hoffentlich kommt bald 'n Sturm! So was Wildes, Frisches,
Tolles, Brausendes, Salzhaltiges brauche ich! -- ein Bad! -- Kein
Weibergeplärr! Kein Zungengedresch in Nachtcafés! In Freiheit zugrunde
gehn, meinethalb -- nur nicht vergurgeln in einem Abraumkanale! (Er rennt,
halb entkleidet, gegen die See hin.)

Mäurer:

Nicht zu weit hinein, Schilling!

Schillings Stimme:

Bade mit, Ottfried! Herrlich! Ahoi, ahoi!




Zweiter Akt


     Das enge, niedrige Wohnzimmer der Familie Klas Olfers in Klas
     Olfers' Gasthaus auf Fischmeisters Oye. Durch eine Tür in der
     Hinterwand erblickt man den Flur und eine leiterartige Stiege ins
     Dachgeschoß. Jenseits des Flurs durch eine andere offne Tür das
     geräumige Gastzimmer. Die Wand rechts im Wohnzimmer ist ebenfalls
     mit einer Türe versehen, die zu einem dunklen und überfüllten
     Ladenraume führt, worin Klas Olfers Waren für die Bedürfnisse der
     armen Fischer hält. An der gleichen Wand steht ein altes Ledersofa,
     davor ein Tisch, über diesem ist eine billige Hängelampe
     angebracht, um ihn herum stehen gelbpolierte Stühle aus
     Fichtenholz; etwas seitlich davon eine kleine Wanduhr. Die Wand
     links enthält ein kleines Fensterchen mit Mullgardinen. Am Fenster
     ein kleiner Nußbaumnähtisch; in der Ecke links ein Schreibsekretär
     aus gleichem Holz, in der Ecke rechts ein weißer Kachelofen, über
     dem Sofa ein Öldruck der kaiserlichen Familie, auf dem Fußboden ein
     Teppich aus zusammengestückelten Läppchen, eine rot und weiß
     karierte Decke auf dem Tisch. Auf einer Kommode an der Fensterwand
     eine Porzellanuhr mit Glocke und einige Steingutväschen mit
     Papierblumen. Auf dem gehäkelten Deckchen des Nähtisches
     Familienphotographien in stehenden Papprähmchen. Oben auf dem
     Nußbaumsekretär befindet sich eine ausgestopfte Seemöve, die mit
     ihrem Kopf die weißgetünchte Zimmerdecke berührt. Das Ganze macht
     einen ungemütlichen, höchst bescheidenen Eindruck.

     Es ist Morgen, gegen acht Uhr. Klas Olfers, über fünfzig Jahre alt,
     graubärtig, von pergamentener Haut und beängstigend bläulicher
     Gesichtsfarbe, sieht zu, wie die Magd den Tisch für das erste
     Frühstück zurecht macht. Die Ereignisse des ersten Aktes liegen
     drei Tage zurück.

     Vor der Tür wird lebhaft mit einer Peitsche geknallt.

Klas Olfers

     (wird aufmerksam):

Nanu? Wat wie det?

Die Magd:

Det is de olle Mathias von de Fährinsel mit sinen loahmen Grauschimmel.
He bringt twee fremde Doamens up sin Brettwoagen.

Klas Olfers

     (am Fenster):

He, Mathies! Wat hest du woll bei die Herrgottsfrühe schon for'n Butt ut
de Rois'n holt!

Stimme des Mathias:

Tschä! Det is nu nich anders, Klas Olfers.

Klas Olfers:

Ick komm gliek rut! -- Spring man fix tau, Dearn. Help de Doamen ut de
Karreet!

Die Magd:

Et is man bloß noch eene im Wagen drin.

     Hanna Elias steht in der Flurtür. Auf dem rabendunklen Haar trägt
     sie einen dunklen, breiten Strohhut mit Mohnblumen garniert. Die
     Haut ihres Gesichtes ist von wächserner Blässe und
     Durchsichtigkeit. Ihre Züge sind äußerst fein und dabei
     intelligent. Ihre Augen sind groß, dunkel, unruhig. Über all ihren
     Bewegungen liegt etwas Unstätes. Sie kann die Finger nicht still
     halten. Ein Zug des Nachdenkens, gleichsam über ein Problem, dessen
     Lösung ebenso aussichtslos als unbedingt notwendig ist, befällt sie
     immer, sofern nicht äußere Eindrücke sie ablenken. Ihre Kleidung im
     ganzen zeugt von exotischem Geschmack, wie denn überhaupt der
     Eindruck, den sie hervorruft, fremdartig ist. Sie ist zart, eher
     klein als groß und gehört jenen Frauen an, bei denen nicht ohne
     weiteres zu entscheiden ist, ob sie die Zwanzig kaum überschritten
     haben, oder ob sie über die Dreißig sind.

Hanna

     (gut deutsch, nur leicht fremdartig im Ausdruck):

Bekommt man hier auf ein bis zwei Nächte Unterkunft?

Klas Olfers:

Tschä! gewiß! Dat schell uns woll keene Kopfschmerzen maken, min
Freilein! Es is zwar alles knüppeldickvoll bei Klas Olfers, aber von die
zwölf Gastzimmer ... Stücker dreizehn sind deswegen immer noch frei.
Wünschen Sie en Zimmer oder zwei?

Hanna

     (in den Hausflur sprechend):

Wir nehmen doch zwei Zimmer, Fräulein Majakin?

Fräulein Majakin

     (im Hereintreten):

Wenn ich bitten darf, nehm ich für mich ein Zimmer.

     Fräulein Majakin ist eine siebzehnjährige Russin aus Petersburg.
     Obgleich sie nicht groß ist, muß man sie, da ihr alles
     Backfischartige, Halbreife abgeht, für älter halten. Ihre Kleidung
     ist durchaus schlicht und unauffällig.

Klas Olfers

     (der sein gesticktes Käppi in der Hand dreht):

Se kennen twee Zimmer nebeneinander hoaben, meine Doamens, nach See rut.
Wollen Sie glik auf't Zimmer gehn?

Fräulein Majakin:

Wenn Sie hierbleiben wollen etwa, Frau Hanna, ich gehe doch vorher
einmal hinauf.

Hanna

     (die unschlüssig schien):

Ich auch, natürlich.

Klas Olfers:

Fix, Dearn, spring vorut! (Die Magd drückt sich eilig an den Damen
vorbei in den Flur und man hört sie laut polternd die Holzstiege
hinaufstürmen. Klas Olfers fährt fort.) Denn dürft ich woll freundlichst
gebeten haben!?

     Er postiert sich, das Käppi in der Hand, an der Flurtür, die Damen
     folgen, nachdem Hanna das Zimmer mit den Augen durchforscht und ihr
     Sonnenschirmchen an einen der Stühle gelehnt hat, dem
     Dienstmädchen, Klas Olfers den Damen, so daß der Raum leer bleibt.


     Ein Fischer in blauer Jacke steckt seinen hellblonden, bärtigen
     Kopf aus dem Laden herein. Es ist Schuckert.

Schuckert:

He! -- Klas Olfers! -- Ick wull gern een Stücker twelf Meter Tau
hebben! -- He, Klas!

     Respekt vor der guten Stube, dem gedeckten Frühstückstisch
     bewirken, daß Schuckert seine Stimme dämpft.

     Durch den Hausflur trägt der alte, mächtige, schwarzhaarige Fischer
     Mathias das Gepäck der Damen vorüber. Klas Olfers kommt ihm die
     Treppe herab entgegen.

Klas Olfers

     (im Hausflur):

Lat et man lieber unnen stehn, Mathies! 'n Kierl wie du mit diene
Transtebel bricht mie sünst noch miene Stiegen dörch! -- Komm in de
Gaststub, trink 'n Glas Beer!

Mathias

     (läßt den Gepäckhaufen liegen, richtet sich auf, nimmt die blaue
     Schildmütze ab, so daß die Luft an den Scheitel kann, hält sie aber
     in einiger Entfernung über dem Kopfe fest und streift mit dem
     Handrücken der Rechten den Schweiß von der Stirn. Dabei pustet er
     erleichtert):

't makt warm, Klas Olfers! 't makt wedder warm hüt!

Klas Olfers

     (zu dem Mädchen, das eilig die Treppe herunterkommt):

Bring das Gepäck na baben, Dearn!

Schuckert

     (hat über den Vorgängen im Flur den Zweck seines Kommens vergessen.
     Erinnert sich nun wieder und ruft):

He! -- Klas Olfers! Ick wull giern een Enn Tau hebben! -- Klas! -- Unn twee
Meter ... twee Meter Sägellinwand .... (Als niemand auf ihn hört) ...
Sägellinwand wull ick girn hebben.

Klas Olfers

     (indem er mit Mathias die Gaststube gegenüber betritt):

Na, Mathias, wie is? Wenn kenn wi mal wedder scheunen, fetten Oal
hebben?

     Sie verschwinden im Gastzimmer. Man hört zuweilen von dort den
     schweren Schritt des Fischers, Klappern von Bierseideln und das
     undeutliche Geräusch plattdeutscher Unterhaltung. Nun kommt die
     Treppe herunter und in das Zimmer herein Mäurer, ein Buch und
     einige Drucksachen in der Hand. Er nimmt am Tisch Platz. Schuckert
     hat seinen Kopf zurückgezogen. Mäurer entfaltet eine Karte und
     blickt kopfschüttelnd auf, als das geschäftige, laute Gepolter von
     Tritten auf der Treppe nicht abreißt. Plötzlich steckt Lucie ihren
     Kopf zum Fenster herein.

Lucie:

Guten Morgen, Herr Mäurer!

Mäurer:

Na, endlich jemand. Wo steckt ihr denn? Glaubt ihr, ich kann von der
Luft leben?

Lucie:

Bist du allein?

Mäurer:

Mutter-Hund, so zu sagen, eine geschlagene Stunde lang.

     Lucie verschwindet vom Fenster, kommt schnellfüßig durch den
     Hausflur ins Zimmer, schließt die Türe hinter sich, die Tür nach
     dem Laden ebenfalls, geht wortlos auf Mäurer zu, umhalst ihn, zieht
     ihn nach rückwärts, so daß der Stuhl kippt, und küßt ihn zu vielen
     Malen mit frischer, gesunder Leidenschaftlichkeit. Sie ist im
     fußfreien Leinwandkleidchen vom Baden gekommen, trägt die Wäsche
     noch unterm Arm und das Haar zum Trocknen offen. Mäurer wehrt sich
     zunächst nicht, dann zieht er das Mädchen auf seinen Schoß und küßt
     sie, merklich erwärmt, auf den Mund, wobei er den Duft ihres
     erfrischten Körpers einzusaugen scheint.

Mäurer:

Frische Seejungfer!

Lucie:

Gott sei Dank, daß ich dich endlich mal allein habe. Das kommt jetzt gar
nicht mehr bei uns vor.

Mäurer:

Außer, wenn die Hunde den Mond anbellen!

     (Stillschweigen und erneute Küsse.)

Lucie:

Ich schlafe hier furchtbar wenig, Ottfried. Es war wieder taghell diese
Nacht. Ich habe nach zwölf Uhr noch ohne Kerze gelesen. -- (Sie küßt ihn
wieder.)

Mäurer

     (von ihr umhalst):

Halt, Lucie, sei nicht so unvorsichtig!

Lucie

     (stutzt und verstummt einen Augenblick, dann lacht sie mit
     verdoppelter Lustigkeit aus gesunder, übermütiger Kinderseele
     heraus, toll und hinreißend):

Man merkt, daß du heuer noch kein Seewasser geschluckt hast, Ottfried!
Sonst würden dir sämtliche Spießbürger der Welt, so wie mir,
piepschnuppe sein; -- (sie gerät wieder in einen neuen gesunden Lachkrampf
von innen heraus, dann Olfers nachahmend): »Heute mittag woll wi zur
Abwechslung wieder mal Kabeljau essen!« Bis zur Übelkeit Kabeljau! Jau,
jau, Kabeljau!

Mäurer:

Kriege bloß keinen Lachkrampf, liebe Lucie!

Lucie:

Und dann lassen wir uns von Klas Olfers seinem gestickten Käppi eine
Bouillon kochen.

Mäurer:

In solchen Fällen pflegte meine Schwester früher immer zu mir zu sagen:
du ahnst etwas!

Lucie:

Die See! Die See! Die See! Die See! Wenn ihr wollt, daß ich wieder
lebendig und fuchsfidel munter werde, wenn ich mal sollte gestorben
sein, so braucht ihr mich bloß in Seewasser zu tunken!

     Sie nimmt vor einem kleinen Spiegelchen ihr Haar zusammen.

Mäurer:

Sag mal, hast du Schilling gesehen?

Lucie:

Schilling treibt's mit dem Baden viel toller als ich. Er schwimmt, bis
man ihn aus den Augen verliert; der kann aus dem Wasser erst recht nicht
herausfinden.

Mäurer:

Ich finde, daß seine Laune zusehends besser wird.

Lucie:

Na, ganz gewiß.

Mäurer:

Auch sein Betragen ist wieder viel offner und freier, mehr, wie es in
alten Zeiten war.

Lucie:

Ich finde ihn geradezu ausgelassen. Ich habe ihn so überhaupt nicht
gekannt.

Mäurer:

Da hast du wohl recht. Das kannst du wohl sagen. In der Zeit, als du ihn
zum erstenmal sahst, hatte er schon seinen Klaps weggekriegt.

     (Schilling erscheint am Fenster.)

Schilling

     (mit blauen Lippen und vor Frost klappernd):

Jetzt aber ein Königreich für einen heißen Kaffee, Kinder!

Mäurer:

Schilling, ich sage dir, wenn du so wahnsinnig übertreibst, wirst du
nochmal so oder so dran glauben müssen: entweder ersaufst du, oder du
kriegst einen Schnupfen weg, an dem du dein Lebelang zu niesen hast!

Schilling:

Den brauch ich nicht kriegen, den hab ich schon.

Lucie:

Haben Sie jemals in Ihrem Leben eine solche wasserscheue Unke gesehen?

Schilling:

Landratze! Unverbesserliche, feige Landratze! --

     (er singt):

    Am Woasser, am Woasser
    Am Woasser bin i z'haus!

     Singend und mit den Fingern schnipsend, wie ein
     Schuhplattlertänzer, entfernt er sich vom Fenster. Lucie und Mäurer
     lachen ununterbrochen, während Schilling singend durch den Flur und
     ins Zimmer kommt.

Mäurer:

Nanu aber Frühstück! Kaffee! Wirtschaft!

Schilling:

Klas Olfers! Wirtschaft! Wir demolieren das ganze Haus!

     Alle drei trommeln in ausgelassener Lustigkeit auf dem Tisch herum.
     Klas Olfers kommt mit komischem Entsetzen aus der Gaststube über
     den Flur herein.

Klas Olfers:

Um Gottes willen! Wo fehlt et denn, meine Herrschaften?

Mäurer:

Im Magen, Herr Olfers.

Klas Olfers:

Dat is immer better als im Kopp.

Schilling:

Oder in der Westentasche.

     Das Dienstmädchen kommt feuerrot mit einem schwerbeladenen
     Kaffeebrett.

Klas Olfers:

Dearn, bring Kaffee!

Die Magd:

Gehn Se man aus'n Weg, Herr Olfers! (Olfers drückt sich schnell
beiseite.)

Lucie:

Sehn Sie, Herr Olfers, Ihre Bemühungen um die Wirtschaft werden noch
nicht mal anerkannt.

Klas Olfers:

Mit de Fruenslüt möt een klogen Mann dat gewehnt sin, Freilein!

Mäurer:

Sie haben wohl neue Gäste gekriegt?

Klas Olfers:

Twee Fruenslüt von Breege dröben per Sägelboot. Se sünd all in Breege up
Rügen dröben to Boadekur.

Schilling:

Jung oder alt?

Klas Olfers:

Scheune Matjeshäringe! Ick segg awer, det et unbedingt müssen
ausländ'sche Doamen sin!

Mäurer:

Fischmeisters Oye wird Weltbad, Olfers!

     Die Magd hat den Tisch geordnet und sich entfernt. Mäurer,
     Schilling und Lucie fangen sogleich an, lebhaft einzuhauen. Milch
     und Kaffee werden eingegossen, Eier zerklopft, Brote mit Butter
     gestrichen, Aufschnitt geschnitten. Formen werden dabei nicht
     pedantisch gewahrt.

Klas Olfers

     (steht, sieht zu und dreht befriedigt einen Daumen um den andern.
     Nach einer Weile sagt er):

Die See macht Apptit! -- Na, wenn't man schmeckt!

Mäurer:

Vorzüglich! -- Sagen Se mal, Herr Olfers, kriegen wir heut mittag
Schweinebraten?

Klas Olfers:

Joa! Det kann am End wohl lickt angängig sin.

Mäurer:

Ich dachte mir's.

Klas Olfers:

Worum dachten sich det?

Mäurer:

Na, ich denke, das Schwein is heut nacht an Rotlauf draufgegangen!

Klas Olfers:

Tschä! Got, dat ich versichert woar.

     Lucie und Schilling platzen heraus.

Klas Olfers

     (dem der Spaß jetzt einleuchtet):

I wat? Von düß Swin Swinebroten? Nee, Herrschaften, dat gift et bie Klas
Olfers nu und nimmermehr!

Schilling:

Wo beziehen Sie denn Ihren Kaffee her?

Klas Olfers:

Allet ut Stroalsund.

Schilling:

Gibt's denn in Stralsund so große Kornfelder?

Klas Olfers:

Ooi, oi, oi! Mine Herrschaften, Si foppt mi!

     (Er läuft mit Zeichen gemütlichen Entsetzens hinaus.)

Lucie:

Kinder, ärgert den alten Trottel nicht immer so schrecklich!

Schilling:

So! Und jetzt kann man sich endlich in aller Ruhe eine Importe für zehn
Pfennig ins Gesicht stecken. (Er lehnt sich zurück und zieht sein
Zigarrenetui.)

Mäurer:

Du hast aber gar nicht soviel Hunger gehabt!

Schilling:

Meistens Durst. -- Leichtes Getränk! -- Sogar das einfache
Lagerbier ist mir zu schwer. -- Es muß was sein, wovon man viel
trinken kann! -- Das grasgrüne, sogenannte Trinkwasser hier auf
der Insel ist ganz scheußlich! Geradezu eine Kalamität!

Mäurer

     (sich zurücklehnend):

Na, wie denkst du heut über Griechenland?

Schilling:

Wie immer! Ein formidabler Gedanke!

Mäurer:

Möchtest du nicht mal endlich dorische Säulen sehen, dort, wo sie
gewachsen sind?

Schilling:

Na ob und wie!

Mäurer:

Nu aber mal ernsthaft! Wir müssen darüber mal ernsthaft nachdenken.

Schilling:

Darüber denke ich seit meinem sechzehnten Jahre ernsthaft nach.

Mäurer:

Aber nicht über meine präzisen Vorschläge.

Lucie:

Diese Nacht im Traum bin ich ununterbrochen mit ziemlichen
Schwierigkeiten von einer griechischen Insel zur andern voltigiert.

Schilling:

Redet mir bloß nicht von Träumen, Kinder! Meine Seele war diese Nacht in
dem Aal, den ich gestern abend gegessen habe. Wahrhaftigen Gott! Und ich
schrie, als der Aal, weil ich schreckliche Angst vor einem ekligen
Aalnetze hatte!

Mäurer

     (lachend):

Bleiben wir mal bei der Stange, mein Sohn. Es ist jetzt die Rede von
Griechenland. Du weißt, daß ich mir bei einigem guten Willen einreden
kann, daß ich hin muß. Und es ist auch mein fester Vorsatz. Nun weiß
ich nicht, was du dagegen haben kannst, mit uns mal zum Zwecke einer
allgemeinen Aufpolsterung dort unten herumzusteigen?

Schilling

     (mit verändertem Ton):

Mein Junge, ich ziehe mir morgens die Kleider an und finde das manchmal
schon zu umständlich. Ich ziehe sie abends wieder aus und habe etwas
mehr Spaß daran; damit habe ich mehr als genug zu tun. Was darüber
hinausgeht, ist mir zu weitläufig.

Mäurer:

Ist das die Wirkung von euren Seebädern?

Schilling:

Weiß Gott, wovon das die Wirkung ist! Sieh mal, es gab mal bei mir eine
Zeit, da braucht ich an einem grauen Tag nur in der Ferne, zum Beispiel
an einem Berg oder an einem der märkischen Seeufer irgendeinen von der
Sonne beschienenen Fleck zu erblicken, sofort verlegte ich auch ein
Stück Eden dahin. Was sollte ich heute in Griechenland? Ich kann in die
Dinge nichts mehr hineinlegen. Äh, stellen wir erst die Uhr mal ab. (Er
steht auf und stellt den Pendel der Wanduhr still.)

Mäurer:

»Es gab eine Zeit«! was tu ich damit? Du solltest eine so schwächliche,
sentimentale Altweibersommermeditation wahrhaftig anderen überlassen.
Und die Uhr wird auch nicht mehr abgestellt! (Er springt auf und stößt
den Pendel der Uhr wieder an, so daß sie geht. Lucie bricht in Gelächter
aus.) Taten, mein Junge! Malen! Arbeiten! Was meinst du wohl, wie gesund
das ist!

Schilling:

Nanu will ich dir mal was anderes sagen: ich reise seit meinem
sechzehnten Jahre jedes Frühjahr und jeden Herbst mittels einer sehr
lebhaften Phantasie nach Griechenland. In Wirklichkeit bin ich nie
hingekommen; da glaubt man nu mal so recht nicht mehr dran.

     Lucie nimmt eine Gitarre vom Sofa und zupft darauf leise die
     »Ruinen von Athen« von Beethoven.

Mäurer:

Das ist Sache der Berlin-Wien-Triester Eisenbahn und des
Österreichischen Lloyd, keine Glaubenssache. Man kauft ein Billett, und
dann ist man dort. Und wenn man erst dort ist -- in lumpigen vier, fünf
Tagen kann man es sein, Schilling! -- so sieht man das bißchen Kehricht
im Winkel eines Berliner Ateliers ganz anders an. Man sieht's überhaupt
nicht mehr, kann ich dir sagen. -- Man muß doch mal deutlich mit dir sein.

Schilling

     (mit lauter, scheinbarer Zustimmung):

Na los, Kinder, woll'n wir heut mittag abreisen! -- Ich rauche noch
meinen Glimmstengel aus, und dann fang ich an, meine Sachen zu packen,
und nu red aber einer noch 'n Wort.

     Lebhafter Heiterkeitsausbruch von Lucie und Mäurer ob des drolligen
     Auftrumpfens. Schilling ist aufgestanden und geht heftig paffend im
     Zimmer umher. Mäurer erhebt sich ebenfalls, hält eine Zigarre in
     der Hand und versucht mehrmals vergeblich ein Streichholz
     anzuzünden.

Mäurer:

Weiß der Teufel, ich kann vor Erregung kein Streichholz mehr ankriegen,
so oft die Idee, das Land des goldelfenbeinernen Zeus -- das Land, in dem
beinahe mehr Götter aus Erz und Marmor als Menschen gewesen sind -- mal
wiederzusehen, mich packt. Die Welt der Barbarenhorden, in der wir
leben, ist ja doch nur von grimassenschneidenden Affen erfüllt!

Schilling:

Anwesende hoffentlich ausgeschlossen.

Mäurer:

Allerdings; denn nach Rasmussen ist es klar, daß die alten Griechen,
genau wie wir, langschädlige, blonde Kerle gewesen sind.

Schilling:

Ich bitte dich, rede mir bloß nicht von Rasmussen.

Mäurer:

Er mag manchmal so lächerlich und so verbohrt wie möglich sein: wenn du
ihn mal brauchst, so wirst du ihn finden!

Schilling:

Gott sei gedankt, getrommelt und gepfiffen, ich brauche ihn nicht.

Lucie

     (legt die Gitarre weg und springt auf):

Kinder, ich werde mich jetzt ein bißchen umziehen und anziehn gehn; dann
werde ich einige Kreutzeretüden herunterhaspeln, denn wenn ihr wirklich
nach Griechenland reist, so laß ich mich unten in Athen doch natürlich
vor der Königin hören.

     Sie eilt durch den Flur die Treppe hinauf ab, gleich darauf hört
     man von oben Geigenspiel.

Schilling:

Nee, Hellas und Rasmussen vertragen sich nicht.

Mäurer:

Laß ihn, es handelt sich jetzt nicht um Rasmussen. Es handelt sich jetzt
um dich und mich. Meine Idee wäre, daß wir vielleicht erst ein bißchen
nach Kleinasien gehn, von da nach Athen, dann bleiben wir in Korfu zwei,
drei Wochen lang; und im März sind wir unten in Florenz, wo ich ja Gott
sei Dank meine Ateliermiete vor kurzem, und zwar noch im letzten
Augenblick, für drei Jahre erneuert habe. Dort kannst du auch, von den
Uffizien gar nicht zu reden, mal wieder nackte Modelle sehn.

Schilling:

Ich möchte dran glauben, wahrhaftig, Ottfried! Beinahe kann ich's, es
geht aber nicht! -- Sieh mal, mir dreht sich die Galle im Leibe um, wenn
ich denke, wieviel ich in den letzten fünf Jahren endgültig und
unwiederbringlich verlumpt habe. Es ist zu spät, man holt's nicht mehr
ein!

Mäurer:

Bis zum siebenunddreißigsten Jahr kommt niemand ohne Blessur durch die
Welt. Wir haben alle ein verknotetes Schicksal als Aufgabe, und die
Lösung kann immer wieder nichts anderes sein als die Tat.

Schilling:

Du stehst breit und fest und kraust dir den Bart. Dir gereicht eben
alles zum Guten schließlich, und mir schlägt es zum Miserablen aus.

Mäurer:

Nein, ich habe nur immer den Grundsatz gehabt, den ich auch dich zu
befolgen bitte und der: »Nimm Kraft aus deiner Schwäche« heißt.

Schilling:

Ich hab keinen Pfennig Geld in der Tasche.

Mäurer:

Daß du das immer wieder betonst, ist bei einer alten Freundschaft wie
unserer lächerlich.

Schilling:

Das hab ich auch schon ... das klingt sehr verlockend!... das hab ich
auch schon von Frauenzimmern gehört. Und dann ist es mir ziemlich übel
bekommen.

Mäurer:

Frauenzimmer und Freund ist ein ander Ding. Muß ich dich dran erinnern,
Schilling, daß ich in alten Zeiten als Hungerleider mal vor deiner Tür
um fünfzig Pfennig bitten gewesen bin, um nur mal wieder zu mittag zu
essen?

Schilling:

Es hält mich nichts, es hindert mich nichts. Ich bin bereit, und im
Augenblick meinethalben, mit dir nach dem Monde zu reisen. Und doch
glaub ich an die Geschichte nicht! -- Sieh mal, von meiner »Gattin«
Eveline bekam ich noch gestern abend hier diesen Brief. Du weißt
vielleicht nicht, daß sie über die neue Wendung der Dinge mit ... mit
Hanna im siebenten Himmel ist. -- Ja, ich hatte ihr scherzweise etwas von
deinen Absichten angedeutet. Ich hatte das Maul etwas vollgenommen, so
etwa wie: meine ganze bisherige Tätigkeit wäre eigentlich lauter
Vorarbeit und so weiter, und hoffte jetzt wirklich mit dem wirklichen
Werk mal anzufangen; was man so, um Seiten zu füllen, schreibt. Und da
lies mal gefälligst den Dithyrambus! (Er wirft Mäurer den Brief hin):
Also! Was sollte mich also festhalten? -- vorausgesetzt, daß von dem
Reisegeld etwas für die Mäuler zu Hause übrig bleibt.

Mäurer:

Was willst du mit siebenunddreißig Jahren, mein Junge, denn anders
gemacht haben als die Vorarbeit? Der Japaner Hokusai sagt: alles, was er
im Alter vor siebzig Jahren gemalt habe, sei nicht der Rede wert. Und du
willst im Alter des Schülers verzweifeln.

Schilling:

Na, Teufel, da will ich mir noch eine anstecken! -- (Merkbar erregt,
zündet er seine zweite Zigarre an): Weshalb auch nicht? -- Na, alsdann!
Versuchen wirs eben noch mal. -- Schneid hätt ich eigentlich immer, bloß
eigentlich keine Traute nicht. Es ist wahr, ich fühle mich hier etwas
anders. Ich fühle mich hier -- ich finde wirklich, daß feste Entschlüsse
ganz günstig wirken! -- ich fühle mich hier sogar aufgefrischt! Ich könnte
beinahe glauben -- beinahe wieder glauben, es gibt außer dem
jammerwürdigen Sackhupfen nach der Krume Brot und ähnlichen kläglichen
Amüsements noch einen anderen Zustand in der Welt. Die Erinnerung an ...
an ... an den Gestank fängt an zu verblassen in ... in der salzigen
Inselluft. Man bildet sich ein ... ganz ohne Spaß, man bildet sich ein
... man fragt sich, ob man sich denn tatsächlich in diesen verdammten,
rückwärtigen Trichter muß hineinziehen lassen? -- Warum denn? Nein! Ich
glaube das nicht! Ich werde mal ganz entschieden nein sagen! Warum laß
ich nicht alles mal sitzen und liegen und hocken und quetschen und
stinken nach Herzenslust? Warum nicht? Denkst du vielleicht, ich kann
das nicht? Was denn? Sie saugen sich an wie die Blutegel, sie binden
einem Hände und Füße delilahaft, sie gießen einem Blei ins Hirn, sie
knebeln einem das Maul mit Gemeinplätzen und pauken einem mit einem
täglichen Hagel von faustdicken Dummheiten das letzte bißchen Ehrgefühl
aus dem Tempel raus. Sucht mich im Peloponnes, meine Herrschaften!
(Während seines halb ernsten, halb drolligen Ausbruchs hat Schilling
sich erhoben und läuft umher. Gemeinsames Gelächter beider Freunde
beschließt die Rede.)

Mäurer:

Bravo! Man muß sich die Leber mal freipulvern!

     Schilling entdeckt plötzlich das Schirmchen der Hanna Elias. Er
     nimmt es auf und besieht es von allen Seiten.

Schilling

     (immer noch in Betrachtung des Schirmchens vertieft):

Sage mal, wem gehört denn das?

Mäurer

     (das Schirmchen prüfend):

Das wird 'n Schirmchen von Lucie sein! -- Aber nein: die trägt ja nie
solche Dinger.

Schilling

     (betrachtet das Schirmchen, blickt dann mit einem fragenden
     Ausdruck in Mäurers Augen, dann wieder auf den Schirm, den er
     aufspannt. Er untersucht den Griff, liest von einem
     Silberplättchen):

-- »Zum 13. Juni 99« -- (sieht wiederum Mäurer an, tut wie abwesend einige
Schritte langsam und dumm lächelnd auf die Flurtür zu, bleibt stehen,
schließt das Schirmchen, sagt halb abwesend, mit dem Ausdruck der
Verlegenheit): -- Ganz unbegreiflich! -- (scheint dann aufzuwachen und geht
mit den Worten): Entschuldige mich mal einen Augenblick! -- (durch den
Flur in das Gastzimmer, um Klas Olfers zu suchen.)

Mäurer

     (ergreift einen Spazierstock und stößt dreimal gegen die
     Zimmerdecke. Sogleich verstummt das Geigenspiel und Lucie kommt die
     Treppe heruntergepoltert und ins Zimmer.)

Lucie:

Ist Schilling hier?

Mäurer:

Nein. Was ist denn los?

Lucie:

Ich habe in diesem Augenblick oben auf dem engen Gange zwischen den
Zimmern eine Dame getroffen, die sah wie Hanna Elias aus!

Mäurer:

Hanna Elias? Das ist ja unmöglich. Hast du sie angeredet?

Lucie:

Nein. Ich war so verdutzt, ich hätte kein Wort hervorgebracht. Und
außerdem war ich auch nicht ganz sicher. Es ist in dem Gange nicht hell
genug.

Mäurer:

Deshalb wirst du dich auch wahrscheinlich getäuscht haben; -- das heißt
--: Schilling hat eben jetzt hier ein kleines grünes Schirmchen entdeckt!
-- Sollte das Unheil doch in der Luft liegen? -- Na, jedenfalls red ich
mit ihr kein Wort.

Lucie

     (hält noch immer die Klinke der Tür, die sie hinter sich zugezogen
     hat, fest):

Fragen wir doch mal Olfers, Ottfried!

Mäurer:

Oder hole doch mal das Fremdenbuch! Ich sah vorhin schon den Olfers, der
ja doch neugierig wie ein Rotschwanz ist, mit der fettigen Kladde um die
Zimmertüren der Fremden herumschleichen.

     Lucie eilt resolut in das Gastzimmer hinüber und ist sogleich mit
     dem Fremdenbuch wieder bei ihm.

Lucie

     (hat das Fremdenbuch auf den Tisch gelegt, blättert hastig):

Also -- -- : Frau Hanna Elias! -- Hier stehts.

Mäurer

     (er tritt heran, überzeugt sich, daß der Name wirklich dasteht, und
     Lucie und er blicken einander längere Zeit sprachlos an, dann sagt
     er):

Das ist doch tatsächlich ein -- Aas, dieses Frauenzimmer!

Lucie:

Pst. Ottfried! Ich glaube, sie kommen schon.

Mäurer:

Dann kriech ich durchs Fenster, liebes Kind. Ich kann diese blutleere
Fratze nicht sehen. Diesen lemurischen Wechselbalg. Ich kriege das
Grausen vor dieser Larve. Ich fürchte mich, wenn ich nachts unter einem
Dache mit diesem Gespenste bin. Ich bin überzeugt, es springt ihr nachts
eine weiße Maus oder was ähnliches aus dem offenen Mund und saugt sich
einem im Schlaf an die Pulsader. Adieu: komm nur nach, ich kneife
aus! -- (Er steigt, während man die Stimmen von Hanna Elias und Schilling
laut auf der Treppe hört, eilig zum Fenster hinaus.)

Lucie:

Ottfried, Ottfried! Sei doch nicht unsinnig. --
     (Sie ist allein und wird von lautlosem Lachen geschüttelt. Nachdem
     sie ein wenig die Fassung gewonnen hat, horcht sie an der Tür und
     wischt dann, diese aufstoßend, ebenfalls schnell hinaus.)

Hanna Elias und Schilling kommen jetzt die Treppe herunter, dieser voran
ins Zimmer, sie folgt.

Schilling

     (dessen Antlitz jäh von einer beängstigenden Blässe befallen ist):

Sie sind nicht mehr da. -- Sie sind schon fort. -- Wahrscheinlich schon an
den Strand gegangen. -- Wart, ich häng deine Jacke auf, oder ... willst
du den Hut aufbehalten? -- (Seine Bewegungen sind unsicher, seine Hände
zittern vor Erregung. Er steckt den Kopf durchs Fenster hinaus und
ruft): Ottfried! Ottfried! Fräulein Lucie! -- Nein! -- Nun setz
dich, Hanna. Das ist unsere separate Klause hier. Olfers hat sie
uns eingeräumt, damit wir nicht immerfort von den Gemeinplätzen
der anderen Gäste belästigt werden. So! -- (Die Tür ist
geschlossen, er schließt auch noch das Fenster.) Jetzt aber bitte
ich dich, kläre mich auf.

Hanna

     (nur auf dem Rande eines Stuhles sitzend, die Arme ausgestreckt auf
     dem Tisch ruhen lassend, zerpflückt ein Papier):

Du bist nicht sehr froh, daß ich bei dir bin?!

Schilling:

Ich bin zunächst mal überrascht, liebe Hanna. Das kann schlechterdings
auch nicht anders sein, wie du zugeben wirst. Alles andere ist dabei
Nebensache.

Hanna

     (wie vorher):

Ja, das sagst du -- : für mich leider noch immer nicht.

Schilling:

Hanna, du sollst mich nicht falsch verstehen. Natürlich freu ich mich,
daß du da bist, aber sag mal selbst -- erwarten konnt ich dich doch nach
dem, was geschehen ist, nicht; und nun gar auf dieser entlegenen
Insel. -- (Er reißt plötzlich wieder das Fenster auf und ruft):
Ottfried! -- Es war mir, als ob ich seinen Schritt hörte.

Hanna

     (wie vorher):

Das klang ja beinah wie ein Hilferuf!

Schilling:

Mich beunruhigt nur, wenn sie nicht Bescheid wissen. Wir pflegen nämlich
fast jeden Morgen in die Gegend des Leuchtturms hinaufzugehn, oder
treffen uns an der Kirchhofmauer im Kloster, wo man einen umfassenden
Ausblick hat. Ich will nur, daß sie nicht auf mich warten.

Hanna:

Laß dich nicht stören, Gabriel, wenn du vielleicht eine Verabredung
hast.

Schilling

     (gutmütig aufbrausend):

Wie? Was? Du spaßest wahrscheinlich, Hanna.

Hanna

     (nach längerem Stillschweigen):

Ja -- um dir nun doch die Aufklärung einigermaßen zu geben, die ich dir
vielleicht schuldig bin: wir wohnen zur Kur in Breege auf Insel Rügen
drüben. Und zwar war ich letzten Freitag beim Arzt und er also hat uns
dorthin geschickt -- und da hörten wir auf dem Schiff ganz zufällig von
Ottfried Mäurer, daß er auf Fischmeisters Oye ist. Und da ich schon in
Berlin erfuhr, du bist mit Ottfried Mäurer zusammen, so wußt ich auch
deinen Aufenthalt.

Schilling

     (mißtrauisch):

Der Arzt hat dich nach Breege geschickt?

Hanna:

Ich hatte wieder drei Tage lang Bluthusten.

Schilling

     (nervös, als habe er selbst diesen Husten):

Menschenkind! Daß du nicht einmal gründlich Wandel schaffst! Es ist ja
horrend, was du armes, schwaches Geschöpf mußt durchmachen. (Er hat
impulsiv ihre Hand ergriffen. Leise macht sie sich los und nestelt ihren
Hut vom Kopfe.)

Hanna:

Und dabei kam ich eigentlich für den Arzt nicht einmal in Betracht. Ich
hatte ihm gar nicht von mir gesprochen.

Schilling

     (streicht über das nun freigelegte Haar):

Und also von wem?

Hanna:

Ach, es betraf nur, du weißt, meinen Kleinsten. Es betraf nur ...

Schilling:

Den kleinen Gabriel?

Hanna:

Er kann sich noch immer nicht recht grade aufrichten.

Schilling

     (verfinstert sich plötzlich und geht mit düsterem und verbittertem
     Gesichtsausdruck auf und ab, nachdem er seine Hand von dem Scheitel
     Hannas genommen hat):

Liebe Hanna, ich habe die Welt nicht gemacht. Es tut mir leid: ich bin
für die grausige Spaßhaftigkeit des Daseins nicht verantwortlich. Wenn
ich könnte, so würd' ich den kleinen, erbärmlichen armen Schlucker von
Jungen sofort gesund machen. Es ist mir unmöglich. Ich kann es
nicht! -- Ich habe Tage und Nächte gehabt ... es geht nicht! -- Hanna, ich
kann nicht mehr! -- Ich kann nur dem Fatum seinen Lauf lassen.

Hanna:

Es ist gut, daß das Fatum ist!

Schilling:

Wieso?

Hanna:

Man kann auf das Fatum vieles abwälzen.

Schilling

     (schweigt, hält mit beiden Händen seine Schläfen und blickt, von
     Hanna, abgehetzt, verzweifelt, gegen die Zimmerdecke; so stehend,
     sagt er nach einer Weile):

Weshalb bist du gekommen, liebe Hanna?

Hanna

     (wie vorher, ruhig, aber mit bebender Stimme):

Weil ich nicht ohne dich sein kann, Lieb.

Schilling

     (aus gepeinigter Seele, wie unter einem neuen Peitschenschlag):

Das ist eine Lüge! Das glaub ich dir nicht!

Hanna

     (sehr ruhig, sehr bleich):

Wieso ist das eine Lüge, Liebling?

Schilling

     (nach einigem Stillschweigen, mit scheinbarer Festigkeit):

Hanna, dies alles liegt hinter mir. Ich bin soweit ... ich habe es
hinter mich gebracht ... mit Gottes Hilfe nun überwunden. Ich habe es
mit unendlicher Mühe, sag ich dir, endlich in den gehörigen Abstand von
mir gebracht. Es ist nicht anders. Es ist zu Ende!

Hanna:

Gut! (Sie erhebt sich.) Du bist gegen mich eingenommen durch irgendwen.
Irgendjemand, den ich nicht fassen kann, hat mich in deine Ohren
verleumdet. Gut! Ich werde dir aus dem Wege gehen. Obgleich ich nicht
weiß, womit ich gefehlt habe. Aber, Liebling, ich bitte dich, sofern es
dir irgend genehm sein sollte: nimm mir den marternden Schmerz der
nagenden Grübelei aus der Brust; gewähre mir, wenn es sein kann, die
eine letzte Gelegenheit, den Schandfleck von meinem Leibe zu waschen,
der ihn in deiner Erinnerung sonst für ewig entstellen wird: Wie habe
ich dich belogen, Liebling?

Schilling:

Frage, wo du mich nicht belogen hast! Ich gebe ja zu, daß es für eine
Frau, wie dich, für eine so geniale Frau nicht immer so absolut leicht
ist, Lüge von Wahrheit zu unterscheiden. Aber laß das! Erpresse mir
diese bittren Bekenntnisse nicht! -- Es ist nicht schön, wenn die Leute
abrücken; glaube mir, es war kein erhabener Moment, als mir der erste
den Rücken kehrte -- dann der zweite, der dritte, der vierte Schlaukopf
im Künstlerklub. Das ist keine spaßhafte Überraschung, die einem da
widerfahren ist! Aber Teufel, was wäre mir schließlich das!? Auch daß
ihr beide, dein Herr Gemahl und du, mich in eure östliche
Schmutzfinkenwirtschaft eingewickelt habt, in eure kaltblütig vorher
abgekartete Trennungskomödie, ist es nicht! Eure Vorurteilslosigkeit
ließ das erwarten. Was aber hernach deine wunderbare Liberalität gegen
deine Landsleute dir tatsächlich noch möglich machte, das zu berühren
fehlt mir der Handschuh auf der Hand.

Hanna:

Verleumdung!

Schilling:

Richtig! (Er zündet die ausgegangene Zigarre wieder an und sagt kalt,
mit verändertem Ton): Sag mal, Hanna, wann wirst du abreisen!

     Ihn überkommt nun plötzlich eine auffallende Gleichgültigkeit. Er
     läßt sich auf das Sofa fallen, pafft, und scheint sich
     ausschließlich seiner Zigarre zu widmen. Hanna dagegen schreitet
     nun erregt im Zimmer umher.

Hanna:

Dies ist, wie mir scheint, hier ein Gasthaus für jedermann, der die
Zeche nicht schuldig bleibt! -- Ich werde reisen, wann mir's
beliebt. -- Ich werde keinesfalls vor dem morgenden Tage abreisen! --
Schon deshalb nicht; ich habe eine Freundin aus Rußland mit und kann
mich unmöglich lächerlich machen.

Schilling:

Warum hast du die Freundin mitgebracht?

Hanna:

Warum lebst du denn hier mit deinen Freunden? -- Mir liegt nichts an ihr,
ich brauche sie nicht. Nun also: Sie hat sich an mich gehangen, sie ist
ohne Bekannte in Berlin; -- sie ist eine harmlose kleine Person; und ich
bin ein Weib, von allen verlassen. (Sie steht am Fenster und weint
leise.)

Schilling

     (nach längerem Stillschweigen, leise):

Ich rate dir, wieder zu deinem Mann zu gehn.

Hanna

     (fährt auf, mit leidenschaftlicher Heftigkeit):

Nie! Niemals! Warum sagst du das, Gabriel? Wo du doch weißt, wie bis ins
Herz hinein mich das kränkt. Ich habe nichts mehr mit ihm zu tun. Ich
werde mit meinem Kind trockenes Brot essen, aber niemals werd ich auch
nur einen Pfennig bei ihm erbitten gehn. Viel lieber selbst nach Odessa
zurück und von dort mit dem Kinde im Arm nach Sibirien.

Schilling

     (erhebt sich, seufzt tief und geht umher.)

Hanna:

Ihr quält eine Frau, das vermag nur der Deutsche!

Schilling:

Gut, Hanna, nehmen wir das mal an! -- Jetzt sei so gut, Hanna, beruhige
dich! Ja? Laß deinen bewährten Verstand mal aufleuchten! -- Laß mich!
Verfolge mich einige Wochen, einige Monate lang nicht! Die Sache ist
die: ich bin nicht mehr ich! Mein ganzes Wesen, meine ganze
ursprüngliche Art zu sein, ist durch das Leben mit dir umgebildet;
glaube mir, daß ich mir selber entfremdet bin. Ich bin alledem entrückt
und entfremdet worden, womit und wozu ich geboren bin, und wodurch ich
allein existiere und wachse. Das hab ich verloren, das suche ich nun.
Und dazu muß ich allein sein, Hanna. Ich muß mich besinnen, ich muß
blindlings fast wieder zum Kinde werden! Erst wieder neu gehen lernen,
genau wie ein Kind!

Hanna:

O, ich weiß wohl; ich kenne die ganze Intrige. Ich kenne den Mann, der
ihr Urheber ist. -- Er hat mich gemieden von Anfang an; schon als du uns
das erstemal vorstelltest, wußte ich gleich, er ist mein Feind. -- Nun,
ich verlange von ihm nicht Gerechtigkeit -- aber wenn er behauptet, und
wenn er sagt, er wolle dein Bestes mehr als ich ... wenn Ottfried Mäurer
das sagen will, Gabriel, so achte ich diese niedrige Lügen auch nur im
allergeringsten nicht!

Schilling

     (preßt ihr Handgelenk, wird von einer anderen Empfindung mehr und
     mehr überwältigt):

Verstehe! Begreife, geliebte Hanna! Ich möchte schreien ... ich möchte
dir klar machen ...

Hanna:

Und ich wünschte, ich wäre weit fort von hier!

Schilling

     (in heißer Umarmung):

Bleib! Bleib! Verzeih mir, geliebte Hanna!




Dritter Akt


     Zwischen zwei Sandhügeln zieht sich ein breiter Feldweg nach dem
     Hintergrunde zu, zwischen anderen Hügeln, gegen das Meer hin
     verschwindend. In dem Winkel, den die ferneren Hügel bilden, steht
     die See als tiefblaue Wand. Darüber das hellere Blau des
     wolkenlosen Himmels. Rechts vom Wege, im Vordergrund, liegt ein
     wenig höher hinauf ein Kirchhof; ein Teil seiner niedrigen
     Umfassungsmauer ist sichtbar, über die Mauer ragt ein altes
     Kruzifix. Ziemlich weit vorn steht, in die Mauer eingebaut, die
     kleine alte, mit Schindeln bedeckte Leichenhalle. Außer einem
     zerzausten Hollunderstrauch an der oberen Ecke, außerhalb der
     Mauer, zeigt sich keine Vegetation. Nahe bei diesem
     Hollunderstrauch ist aus vier Pfählen und einem Brett vor Jahren
     eine Bank errichtet worden, die stark verwittert, noch steht. Links
     vom Wege liegt ein imposantes, aber stark verfallenes Mauerwerk,
     Reste eines alten Klosters. Das besterhaltene Stück ist ein
     Torbogen aus braun-rötlichen Ziegelsteinen. Einige sehr alte
     Pappeln und Eschen erheben sich dahinter. Etwas romantisch Düsteres
     liegt über diesem Gebiet.

     Nicht mehr als zwei Stunden sind vergangen seit den Geschehnissen
     im zweiten Akt.

     Lucie liegt unweit der kleinen Bank lesend im Thymian. Mäurer kommt
     vom Meer her den Weg hervor und zu ihr.

Mäurer:

Bravo! Du bist noch allein, Schusterchen. Puh! Ich fürchtete, es würde
womöglich um dich her schon russisch gesprochen. Eine verfluchte
Geschichte ist das!

Lucie:

Ich glaube, der arme Schilling mit seinen Damen kommt nicht, er fürchtet
sich.

Mäurer:

Wie kann man um Gottes willen ein Weib so wenig im Kusch halten, daß sie
einem wie eine Bracke überall auf der Fährte liegt! Die ganze Insel ist
mir verleidet. Sie hat längst, kannst du mir glauben, die Witterung, daß
wir mit Schilling etwas vorhaben. Das muß sie durchkreuzen. Davon hält
sie kein Anstandsgefühl und nichts in der Welt überhaupt zurück. -- Aber
sie kann ganz sicher sein, ich habe mir das jetzt auf meinem Gange alles
durchüberlegt -- sie hat in mir einen zum letzten entschlossenen Gegner
gefunden. Diese Beute jag ich ihr ab.

Lucie:

Vielleicht steht es gar nicht so schlimm, wie du denkst, Ottfried, und
Schilling hat Energie genug für sich allein.

Mäurer:

Sobald sich's um Energie handelt, trau ich ihm nicht. Nein! Besonders
jetzt nicht. Da dürfte doch ein sehr entschiedenes Nachhelfen unbedingt
nötig sein; daran soll es nicht fehlen, ich werde schon nachhelfen.
Aber, ob es gegenüber ihrer überlegenen weiblichen Strategie und ihrem
Arsenal gegenüber was nützen kann, weiß ich nicht.

Lucie

     (lacht):

Du wirst sie mir schließlich noch ganz interessant machen.

Mäurer:

Daß sie interessant ist, leugne ich nicht. Ich muß sogar manchmal an
Goya denken. Ich kann mir ohne Schwierigkeit vorstellen, daß sie dort
oben (er weist auf den Kirchhof) hinter der Mauer zu Hause ist, in
Gräbern haust und in Ewigkeiten verurteilt sein könnte, sich durch
heißgesogenes Männerblut für ein grausiges Scheindasein aufzuwärmen.

Lucie

     (lachend):

Wenn das wahr wäre, müßte man ihr verzeihn.

Mäurer:

Durchaus nicht. Ich hätschele keine Gespenster.

Lucie:

Wenn ich dir nun aber sage, Ottfried: ich weiß nicht, wieso mir hier
alles gespenstisch ist; das Meer am Tage, das ununterbrochene Wuchten
und Brausen der Brandung die ganze Nacht! Die Sterne, die Milchstraße
ist mir gespenstig! Und ich freue mich, daß alles hier so gespenstig
ist! Deshalb lieg ich auch hier an der Mauer so gerne.

Mäurer:

Ich kann dir eine andre Empfindung zugeben, die den meisten Menschen
abhanden gekommen ist: das klare Gefühl, das sich hier ununterbrochen
meldet, daß hinter dieser sichtbaren Welt eine andre verborgen ist. Nahe
mitunter, bis zum Anklopfen. Dieses Gefühl soll dir, wenn du das meinst,
erlaubt sein, Schusterchen. Im übrigen aber bin ich für dich
verantwortlich, und ich habe eigentlich, als ich dich mit hierher nahm,
nicht den Gedanken gehabt, dich in trübe Vorstellungskreise
zurückzuverwickeln.

Lucie:

Du meinst, daß mir das Träumen von Mutter was Trübes ist?

Mäurer:

Mit offenen Augen soll man nicht träumen; am hellichten Tage träumt man
nicht. Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, daß alle diese Gespenster
Blut trinken. Und das auf die Dauer auszuhalten, haben wir alle nicht
Blut genug.

Lucie:

Du irrst dich, wenn du meinst, daß mir der eigentümliche Zustand, dem
ich so gern hier nachhänge, schädlich ist. Er wirkt angenehm; er ist mir
wohltätig. Es ist ungefähr so, als wenn jemand durch eine Tür in
unbekannte Räumlichkeiten gegangen ist, und während die Tür sich öffnet
und schließt, folgt man ihm mit dem Blick und der Seele ein Stück ins
Unbekannte hinein.

Mäurer:

Ich weiß, wie sehr dieser Zustand verlockend ist ... dieser
Zwischenzustand, könnte man sagen, wo das Schemenhafte sich überall ins
reale Leben mischt; wo man mit einem Fuß auf der Erde steht und mit dem
andern im Übersinnlichen. Und doch schaudert der Mensch vor dem Eindruck
von Todesfällen und den damit verknüpften aufwühlenden Folgezuständen
ganz vernünftigerweise zurück.

Lucie:

Es ist mir heiter, es ist mir nicht aufwühlend. Ich wiege mich einfach
in dem bestimmten Bewußtsein, daß ich mit Mutter verbunden bin. -- Es hat
außerdem alles um mich etwas eigentümlich Interimistisches. Ich weiß
nicht, ich glaube nicht, daß das alles: das Rauschen, das Licht, das
Lerchengetriller endgültig ist.

Mäurer

     (legt den Arm um Lucie):

Aber hoffentlich sind wir beide endgültig.

Lucie:

Meinst du, Liebster? Ich weiß es nicht! (Er küßt sie inbrünstig.)

Mäurer:

Dich nehm ich in alle Ewigkeit über alle Fixsterne und Planeten des
Weltalls mit.

Lucie:

Wirklich?

Mäurer:

Was hast du denn eigentlich, Lucie?

Lucie:

Nichts. (Sie sieht ihn mit großen, feuchten Augen grade an): Ich denke
nur manchmal -- man sieht es zum Beispiel auch in der Sache mit
Schilling -- daß wenn bei dir Liebe und Kunst in Konflikt kommen, daß dir
dann die Kunst das vor allem Wichtige ist.

Mäurer:

Ja, aber bei uns gehen sie Hand in Hand, kleines Liebchen.

Lucie:

Hat diese Hanna nicht vor zwei Jahren noch einen Sohn gehabt?

Mäurer:

Sie behauptet sogar von Schilling.

Lucie:

Nun, und?

Mäurer:

Jawohl, es kann ganz gut möglich sein. Es ist ein entzückender blonder
Strunk; nur leider, wie's scheint, nicht recht lebensfähig.

Lucie:

Na, und Schilling?

Mäurer

     (zuckt mit den Achseln):

Er hat mir die Photographie gezeigt. -- Das Schicksal eines Kindes, Lucie,
ist während der ersten Jahre die Mutter. Sie vernachlässigt es, weil sie
lieber Tee trinkt und in Wiener Cafés mit verlumpten Studenten
kannegießert. Wenn sie es braucht gegen Schilling, denkt sie daran. Ich
wundre mich überhaupt, daß sie diesmal auf den Effekt, mit dem Kindchen
im Arm als verlassene Mutter aufzutreten, verzichtet hat.

Lucie:

Eigentlich bist du sehr hart -- doch ich hab dich lieb, Ottfried.

Mäurer

     (lacht):

Dafür bin ich dann auch ein Dauerspielzeug. -- Oder ist es nicht wahr,
daß ihr, wie Kinder, was ihr liebt, am liebsten zunichte macht?

Lucie:

Pst, Ottfried! Sie kommen. Wir wollen ihnen um Schillings willen
entgegengehn.

Mäurer:

Ungern, äußerst ungern, Schusterchen.

     Auf dem Wege im Hintergrunde tauchen Köpfe auf. Schilling, Hanna
     Elias und Fräulein Majakin. Lucie ist elastisch aufgesprungen,
     Mäurer erhebt sich langsam und widerwillig, geht aber, nachdem er
     sich abgeklopft hat, mit Lucie den Ankommenden entgegen.

Schillings Stimme:

Kuui!

     Mäurer antwortet nicht im Weiterschreiten. Im Hintergrund findet
     dann die Begegnung statt. Von der Begrüßung sieht man die
     Verbeugungen und hört undeutliche Stimmen. Wiederum fliegt eine
     Möve von links hinten nach rechts vorn durch das Dünental über den
     Kirchhof. Nach einiger Zeit lösen sich Mäurer und Fräulein Majakin
     aus der Gruppe und kommen nach vorn. Die übrigen bewegen sich in
     der Ferne die Hügel links hinauf, stehen einige Zeit in den
     Anblick des Meeres versunken und verschwinden dann aus dem
     Gesichtskreis.

Mäurer:

Sie kennen Frau Hanna Elias schon lange?

Fräulein Majakin

     (langsam und überlegt redend, in der Aussprache die Russin
     verratend):

Oh nein! Ich kenne sie erst seit kurze Zeit. Wir trafen zusammen auf
eine Sitzung in Berlin dieses Frühjahr von die letztverwichene große,
internationale Frauenkongreß. Mein Vater ist Arzt, meine Mutter ist tot.
Ich reise schon seit vier Jahren mit meinem Papa in Europa umher. Er hat
seine ... wie man sagt? Praxis? -- er hat seine Praxis aufgegeben.

Mäurer:

Ich war der Meinung, Ihre Bekanntschaft mit Frau Hanna datiere sich
schon von Rußland her.

Fräulein Majakin:

Oh nein! Wie gesagt, erst seit kurze Zeit. Aber ich bewundre sehr Frau
Hanna, ich verehre ihr sehr, ich liebe ihr sehr. Ich finde, sie ist eine
Frau von Bedeutung, sehr überraschend, sehr wunderbar interessant und
klug.

Mäurer:

Worin sehen Sie ihre Bedeutung, mein Fräulein?

Fräulein Majakin:

Ich liebe nicht Frauen, die Sklavinnen sind, und die sich ihr Recht am
Dasein verkümmern lassen. Ich verehre ihr sehr, ich verdanke sie viel.
Ich kann beinah sagen, sie hat mir zu eine neue Religion ... zu die
Religion von Schönheit verholfen.

Mäurer:

Haben Sie denn in Rußland nicht solche Frauen massenhaft?

Fräulein Majakin:

Nein. Wir haben Frauen, sie sprechen den ganzen Tag von die Politik und
gar nicht von Kunst. Sie sind oberflächlich. Man sieht selten sie
fasziniert von Kunst. Und es ist sehr schön zu bemerken, wie sehr
fasziniert von die große Kunst von Professor Schilling Frau Hanna ist.

Mäurer

     (mit einem sardonischen Lächeln, das liebenswürdig sein soll):

Tja! Das ist sehr hübsch, was soll man da sagen? -- Und Sie haben nun
also die Religion von Frau Hanna auch in sich aufgenommen? Was?

Fräulein Majakin:

Nun, ich bin leider noch jung und sehr ungelehrt. Ich kann mir natürlich
nur wenig von ihre Verständnis anmaßen. Sie müssen mit mir, wenn ich
bitten darf, nachsichtig sein. Aber ich habe sogleich in die
Nationalgalerie begriffen, daß Professor Schilling ein großer Künstler
ist.

Mäurer:

Wo haben Sie das begriffen, mein Fräulein?

Fräulein Majakin:

In das Museum zu Berlin, wo mir Frau Hanna so freundlich war und hat mir
vor die berühmte Werke von Professor Schilling geführt.

Mäurer:

Ich glaube, wenn Sie das mal dem guten Schilling sagen, daß er Professor
ist und Werke in der Nationalgalerie hat, würden Sie ihm einen
diebischen Spaß machen.

Fräulein Majakin:

Wie sagen Sie?

Mäurer:

Nichts. Es war weiter nichts.

Fräulein Majakin:

Es ist schade um diesen bedeutenden Menschen.

Mäurer

     (nachdem er sie verdutzt eine Weile von der Seite angesehen hat):

Das stimmt vielleicht. Ich hoffe indes, daß es noch nicht zu spät mit
ihm ist. Woher kommt Ihnen aber die Einsicht, mein Fräulein?

Fräulein Majakin:

Oh, es ist nicht so schwer, in seine fieberhaft peinvolle Augen zu lesen
und in die Linie von sein schweres Leiden in seine schönen, verfallenen
Gesicht.

Mäurer

     (beinah erschrocken):

Meinen Sie, daß er körperlich leidend ist?

Fräulein Majakin:

Von seine psychische Leiden spreche ich begreiflicherweise nicht.

Mäurer:

Nun, es macht mir eigentlich jedesmal Spaß, wenn Leute über Schilling
erschrecken. Es geschieht nämlich meistens, wenn sie ihn sehen, beim
erstenmal. Schon vor achtzehn Jahren sah Schilling so aus. Er selbst
pflegt immer den Witz zu machen, man könne durch dunkle Ringe um beide
Augen die Welt viel genauer und gründlicher sehn.

Fräulein Majakin

     (ohne darauf einzugehen):

Denken Sie, ich habe mir nach die Radierungen, die ich sehr liebe, in
die Kupferstichkabinette zu Petersburg von Ihre Person, Herr Professor,
auch eine solche Idee gemacht.

Mäurer:

Wieso? Sie kennen meine Radierungen?

Fräulein Majakin:

Oh, ich habe sie schon im zwölften, dreizehnten Jahr durch meinen Papa
in die russischen Sammlungen kennen gelernt.

Mäurer:

Wenn Sie einen solchen Papa haben, brauchen Sie doch eine Hanna Elias
nicht!

Fräulein Majakin:

Ich habe gedacht an eine lange, bleiche Gestalt mit kohlschwarze Augen
und dünne Lippen, an einen Mensch, der vor die viele große und
furchtbare Visionen wie von eine Fieber ausgehöhlt und gefoltert ist.
Und nun sehe ich eine gesunde Gelehrten.

Mäurer

     (zuckt mit den Achseln, lacht):

Ja, so geht's einem, Fräulein, wie das so ist. Man muß nie den
unverzeihlichen Fehler begehn, seinen Idealen zu nah auf den Leib zu
rücken.

     Sie sind während der Unterhaltung, zuweilen stehend bleibend,
     zuweilen schreitend, zu der kleinen Bank an der Mauer gelangt.

Mäurer:

Aber, bitte, wenden Sie nun Ihren Blick von dem unschuldigen Gegenstand
Ihrer Enttäuschung einmal ab und betrachten Sie unsre wundervolle
Umgebung.

Fräulein Majakin:

Sie lieben, scheint es, über alles die Einsamkeit.

Mäurer

     (lustig erregt):

Ich bin ein Gott, wenn ich sechs bis acht Stunden täglich ausschließlich
mir überlassen bin. Ein Tag in Gesellschaft macht mich zu jenem
geschlagenen, ausgeplünderten, armen Mann, der von Jerusalem nach
Jericho zog und unter die Mörder fiel.

Fräulein Majakin:

Oh, ich liebe Gesellschaft, ich liebe die Menschen!

Mäurer:

Und also gefällt Ihnen höchst wahrscheinlich unsre Insel, wo es keine
Wiener Cafés, keine Konzerte und keine Theater gibt, nicht?

Fräulein Majakin:

Oh nein, ich begreife wohl, wie dies alles von eine beängstigend kalte
Größe und Schönheit ist. Nur ich leide in solche Umgebung an eine
schwere Empfindung von die eigne Geringfügigkeit und Verlassenheit.
Dagegen ich liebe, wie eine Gott: der Mensch! Mir sagen nichts diese
tote Sandhügel, wo nichts auf die Schrei meines Herzens hört. Ich bin
für ihr nicht, und sie sind für mir nicht, und nur der Mensch ist dem
Menschen Gott, Himmel, Welt, Heimat und Zufluchtsort. Ich kann in die
tote Natur keine Sinn bringen.

Mäurer

     (verdutzt):

Wie alt sind Sie denn, Fräulein Majakin?

Fräulein Majakin:

Ich bin vor drei Tagen siebzehn geworden.

Mäurer:

Da gratulier ich nachträglich noch!

     Lucie kommt in ihrer temperamentvollen Art über die Dünen nach
     vorn.

Lucie:

Du läßt uns ja auf hinterlistige Weise im Stich, lieber Ottfried!

Mäurer

     (kühl):

Wieso?

Lucie:

Ich störe doch nicht hier ebenfalls?

Mäurer

     (kurz trocken):

Wieso ebenfalls? -- Keineswegs doch, Lucie.

     Lucie stutzt, lacht und nimmt mit einigem Abstand auf der Erde
     Platz. Sie zupft Halme aus und kaut sie, zugleich Mäurer und
     Fräulein Majakin unauffällig beobachtend.

Lucie:

Dein schnelles Abbiegen hat, glaub ich, den guten Schilling etwas
gekränkt, Ottfried.

Mäurer

     (antwortet Lucien durch einen Blick über die Augengläser, wobei er
     erstaunt und mit Mißbilligung ihrer Indiskretion den Kopf
     schüttelt, schließlich wendet er sich mit Achselzucken von ihr ab
     und zu Fräulein Majakin):

Wovon sprachen wir doch, Fräulein Majakin?

Fräulein Majakin:

Oh, verzeihen Sie, Herr Professor, was mögen dies wohl für alte Ruinen
sein?

Mäurer:

Es sind Reste von einem Kloster einer alten, ehemaligen
Franziskaneransiedlung. Hier hausten die grauen Mönche von Stralsund.
Man findet noch alte Kellergewölbe, und ich weiß bestimmt, wer an
Geister glaubt, der kann die Fratres und Patres noch sehen nachts ihre
Messe zelebrieren und Umzug halten.

Lucie:

Kannst du mir eigentlich sagen, Ottfried, ob dort nach Westen zu in der
See noch andre Inseln sind?

Mäurer:

Nein.

Lucie:

Ich höre den ganzen Tag, und zwar ununterbrochen, Glockenläuten.

Mäurer:

Ich auch. Es kann eine Glockenboje, aber noch wahrscheinlicher absolute
Gehörstäuschung sein.

Fräulein Majakin:

Ich zweifle fast an die Wirklichkeit, wenn ich denke, daß mich der
glühende Wunsch von meine unreife Mädchenjahre, Sie zu sehen, nun auf
diese unbekannte, einsame Insel, in diese fremde, sonderbare Umgebung
auf einmal ganz wunderbar erfüllt worden ist. (Sie blickt auf ihre
Hände, die etwas zerpflücken.)

     Schilling und Hanna Elias erscheinen im Hintergrund.

Schilling

     (mit faxenhaften Gebärden, schreiend):

Ahoi! -- Kuckuck! Ahoi, Kuckuck!

Mäurer

     (nervös beunruhigt):

Beinahe möchte ich gegen Sie ehrlich sein. Ich stimme nicht ... ich weiß
nicht, woran es liegt ... ich sympathisiere mit Ihrer Freundin Hanna
Elias nicht. Ich gerate in einen, wir Deutsche nennen das rappligen
Zustand. Ich bin ungerecht, es reizt mich an dieser Persönlichkeit jede
Miene, jede Bewegung, jedes Wort. Wenn es Ihnen recht ist und Sie meine
Gesellschaft nicht lästig finden, so könnten wir ihnen vielleicht noch
für einige Zeit, um die Kirchhofmauer herum, aus dem Wege gehn.

Lucie

     (mit Entschlossenheit):

Damit würdest du Schilling bitter beleidigen!

Schilling

     (wie vorher, etwas näher):

Ahoi, Kuckuck!

     Der Kuckucksruf, den Schilling laut und ziemlich getreu nachmacht,
     wird vom Echo, aus der Gegend des Kirchhofs, jedesmal stark und
     deutlich wiederholt.

Mäurer

     (zuckt mit den Achseln, wird vor Ärger rot und sagt scheinbar
     gleichgültig):

Wo werden Sie denn im kommenden Winter sein, Fräulein Majakin?

Fräulein Majakin:

In Berlin. Mein Vater gedenkt bis zu Ende März in die dortige Bibliothek
zu arbeiten.

Schilling

     (noch näher):

Kuckuck! -- (Echo: Kuckuck!) -- Ahoi! -- (Echo: Ahoi!) Hört ihr
den Kuckuck, Kinder?

Mäurer

     (ruft dagegen):

Im Herbst einen Kuckuck? Botanik schwach!

Schilling

     (äußerlich übertrieben forsch, in heimlich bettelnder
     Verlegenheit):

Ehrenwort, Ottfried! Kannst du nicht hören?

Lucie

     (zu Ottfried):

Du kannst dich auch überzeugen, daß unter den toten Vögeln, die nachts
an den Scheiben des Leuchtfeuers zugrunde gehn, und die um den
Leuchtturm unten herum liegen, auch der Kuckuck ist.

Schilling

     (wie vorher):

Kuckuck! -- (Echo: Kuckuck) -- Kuckuck! -- (Echo: Kuckuck).

Mäurer:

Du bist ja recht spaßhaft aufgelegt.

Schilling:

Ihr lacht, weil ihr nicht wißt, wer da eigentlich antwortet.

Mäurer:

Na, ich denke ein Kuckuck!

Schilling:

Ja Kuchen, Ottfried! Das ist der spaßhafte Anton mit der Sense, der
hinter der Leichenhalle sitzt! -- Hört ihr ihn denn nicht dengeln, Kinder?
(Man hört das Geräusch eines Dengelnden.) Kuckuck! -- (Echo: Kuckuck!
lauter, als vorher.) (Die Gesellschaft bricht in krampfhaftes Lachen
aus.) Wer hat gute Augen von den Herrschaften? Der lese mal, was hinten
auf dem Spritzenhaus, oder wollte sagen auf der Totenkapelle,
geschrieben steht!

Lucie

     (liest langsam und laut):

»Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle,
wo ist dein Sieg? Erster Corinther fünfundfünfzig.«

Schilling

     (mit theatralischer Geste und Wildheit):

Kuckuck! -- (Echo: Kuckuck!) -- Kuckuck -- (Echo) -- Kuckuck -- (Echo).

Mäurer:

Nanu hör aber mal auf mit dem gruseligen Unsinn.

     (Schilling ist mit Hanna Elias, die sehr bleich ist,
     herangekommen.)

Schilling

     (krampfhaft unbefangen):

Ich gestatte mir, vorzustellen: Ottfried Mäurer, Frau Hanna Elias,
langjährige, brave Freundin meinerseits. Ein Königreich für ein Glas
Pilsener Bier, meine Herrschaften.

Mäurer:

Wieder verschwitzt -- Donnerwetter noch mal! Gleich, wenn wir zu Hause
kommen, wird nach Stralsund telegraphiert, und morgen hast du ein ganzes
Faß davon.

Hanna

     (laut zu Fräulein Majakin):

Er war schrecklich niedergedrückt, wie er sagt, und nun ist ihm die
heitere Laune wiedergekommen.

Schilling

     (mit ironischer Begeisterung):

Das ist die unendliche Freude, Freude, Freude, mein liebes Kind!

Hanna

     (finster):

Oh, ich nehme nicht an, daß etwa nur ich die einzige Ursache deiner
Freude bin. Dennoch fühl ich sehr wohl, wie wichtig es war, hierher zu
kommen.

Schilling

     (mit ironischem Pathos):

Ich danke, du opferfreudiges Weib.

Mäurer:

Vielleicht interessiert es Sie, Fräulein Majakin, einen Blick auf die
ärmlichen, namenlosen Gräber zu tun.

Schilling:

Willst du dich wieder drücken, Ottfried?

Mäurer:

Mich drücken? Wieso? Ich verstehe dich nicht.

Schilling:

Weil dir vielleicht die Gesellschaft eines Künstlers, der nicht so viel
solides Sitzfleisch hat wie du, störend ist.

Mäurer

     (schneidend):

Ich stehe bei meiner Arbeit meistens. -- Wir kommen gleich wieder; ich
zeige der Dame nur mal einige der eigentümlichen Inschriften, die auf
dem Kirchhof sind.

Schilling:

Ein toter Heuschreck hopst nicht mehr.

Mäurer:

Wie meinst du?

Schilling:

Das wäre auch so 'ne nette Inschrift. Dort oben liegen nämlich Leute,
die ohne zu wissen wie auf diese Insel gekommen sind.

Mäurer:

Jawohl, es sind gestrandete Seeleute.

Schilling:

Sie sind sonst ziemlich mit heiler Haut, die Füße voran, hier angelangt.
Nur mit etwas durchnäßten Unterhosen. Aber die trocknen schon wieder mit
der Zeit. Manche ohne Hut, einige sogar ohne Strümpfe. Einem wackren
Seemanne macht das nichts! Man kann ja pumpen, pumpen, pumpen sein Leben
lang.

Mäurer:

Wenn das deine neuerworbene gute Laune sein soll, lieber Schilling, dann
wünsch ich mir wirklich deine sogenannte schlechte Stimmung von heute
morgen zurück! -- Entschuldige uns einen Augenblick.

     Mäurer entfernt sich mit Fräulein Majakin, und man sieht ihn durch
     eine kleine Gitterpforte den Kirchhof betreten. Schilling blickt
     ihnen nach, zuckt die Achseln, lacht kurz in sich hinein, nimmt auf
     der Bank Platz und zieht Hanna neben sich, mit dem Blick immer noch
     das Paar auf dem Kirchhof verfolgend. Alsdann fährt er schnell
     herum und sieht mit einem verlorenen Lächeln Lucie an, die noch
     ruhig im Sande liegt.

Schilling:

Ja ja, so geht's in der Welt, Fräulein Lucie.

Lucie

     (antwortet, in dem sie Thymian in der Handfläche reibt, mit
     Bedeutung):

Der Mensch denkt, und der Kutscher lenkt.

Hanna:

Gott sei Dank, ich habe es schon auf der Züricher Universität verlernt,
mir von Männern, die unhöflich sind, imponieren zu lassen.

Schilling:

Und auch Leute, die auf ihren Erfolgen, wie auf Stelzen gehn, imponieren
mir nicht.

Lucie:

Das kommt Ihnen nicht aus dem Herzen, Schilling. -- (Sie erhebt
sich): -- Übrigens, Schilling, wenn Ottfried wiederkommt, und er etwa
mich, was ich nicht glaube, vermissen sollte, sagen Sie, bitte, ich wäre
zuhaus.

Schilling

     (mit Beziehung auf Fräulein Majakin, Luciens Worte wiederholend):

Der Mensch denkt, und der Kutscher lenkt! Es ist kein Verlaß in solchen
Sachen. Die Überraschungen hören nicht auf. -- (Mit Augenzwinkern): --
Wollen wir mal schlau nach dem Rechten sehn?

     Schilling hat sich erhoben und schleicht mit komischer Vorsicht,
     als ob er Mäurer und Majakin belauschen wollte, gegen die
     Kirchhofmauer, die er erklettert.

Lucie

     (unwillkürlich lachend):

Fallen Sie bloß nicht da runter, Schilling!

Schilling:

Und besonders nicht nach innen hinein!

Lucie:

Nein; lieber, wenn's geht, noch mal nach außen.

     Schilling tut einen absichtlich komischen Fall von der Mauer nach
     außen. Lucie läuft lachend davon und verschwindet. Schilling steht
     da und putzt sich die Kleider ab.

Hanna:

Gabriel, hast du dir weh getan?

Schilling:

Keine Spur! Ich glaube, ich rutschte freiwillig runter. -- (Sie an sich
ziehend, heiß, ihr ins Ohr): -- Woll'n wir nochmal in die Dünen
gehn? -- Bernstein suchen, mein ich natürlich.

Hanna

     (bleich und erregt):

Tu alles nach deinem Belieben mit mir.

Schilling:

Komisch, die wilden Schwäne, die über uns hinleierten! Bist du
erschrocken?

Hanna:

Ein wenig!

Schilling:

Ich nicht. Meinethalben könnten es Viecher mit Klauen gewesen sein, ich
hätte dich doch nicht losgelassen! Du Schwarze, du Schneekühle, du Braut
von Korinth! -- (Er stutzt): Siehst du Mäurer?

Hanna:

Gott sei Dank, nein, ich sehe ihn nicht.

Schilling

     (schadenfroh, geheimnisvoll):

Er hat auf die Majakin angebissen.

Hanna:

Nun, weder als Künstler, noch auch als Mensch, ich bewundere ihn nicht.
Er kann nur wehrlose Frauen beleidigen.

Schilling

     (mit spaßhafter Entrüstung):

Ja, es ist wahr, Hanna; soll ich ihn fordern?

Hanna:

Du scherzest; ich weiß. Du sollst es nicht tun und tust es auch nicht.

Schilling:

Durst. (Er läßt sich auf die Erde nieder, mit dem Munde über eine Lache,
und trinkt.) -- Oh, schmeckst du prächtig! -- (Er gewahrt sein Spiegelbild
in der Lache und erschrickt): -- Kruzitürken, bin denn das ich?!

Hanna:

Du trinkst doch aus dieser grünlichen Lache nicht?!

     Eine Krähe schreit.

Schilling:

Verfluchte Krähe! Willst du dein Maul halten! -- Komm mal her. Hanna,
sieh mich mal an -- -- ? Wie seh ich aus?

Hanna:

Ganz wie immer, Liebster!

Schilling:

Na, alsdann! Wozu soll ich nach Griechenland? -- (Er ist aufgestanden
und starrt bewegungslos gegen das Meer hin.)

Hanna

     (vermag ihre heimliche Beängstigung durch seinen eigentümlichen
     Zustand nicht mehr zu verbergen):

... Und wenn du mir diesen Augenblick die Weisung geben willst, Gabriel:
reise ab, in derselben Stunde will ich noch abreisen. Befiehl mir! Ich
weiß, daß du von diesem kalten, herzlosen Menschen abhängig bist. Ich
will deine Hand küssen und will abreisen. Ich sehe wohl ein ... ich will
nicht, daß du gepeinigt bist.

Schilling:

Horch mal, die See rauscht bis hier herauf. -- (Er horcht, erhebt
plötzlich aus starrer Versonnenheit ekstatisch die Arme, als ob er eine
überirdische Vision sähe): Oh! Oh!! Oh!!! Oh!!!! Das Element! Das
Element! (Wie geblendet von einem überirdischen Glanz, in den er sich
auflösen möchte, beginnt er zu wanken.)

Hanna:

Um Himmels willen, was ist dir denn, Gabriel?

Schilling:

Nichts! Gar nichts! Ruhn! Müde! Nur ausruhn, Liebchen!

     Er hängt schwer in Hannas Armen, die ihn zur Erde niedergleiten
     läßt.

Hanna:

Gabriel! Gabriel! Gabriel!




Vierter Akt


     Ein Zimmer im ersten Stock des Saalbaues von Klas Olfers Gasthaus;
     weiß getüncht mit zwei Fenstern in der Hinterwand. Der Blick durch
     diese Fenster geht frei auf die See, die wiederum wie eine blaue
     Wand die Rahmen so weit ausfüllt, daß nur ein kleines Stück Himmel
     oben sichtbar ist. Wiederum ist ein strahlend heller Herbsttag. Je
     eine Tür links und rechts verbindet den Raum mit anderen
     Gastzimmern. Er hat links an der Wand die einfache helle
     Holzbettstelle mit Strohsack usw. und bunter Decke. Rechts ein
     kleines Sofa mit Tisch davor. Eine primitive Wascheinrichtung mit
     Spiegel, einen Kleiderschrank, darin Mäurer, der das Zimmer inne
     hat, seine Garderobe unterbringt. An einigen Kleiderhaken hängen
     Mäurers Hut, Wettermantel, Stock usw. Auf dem Tisch, der mit einer
     grünlichen Decke bedeckt ist, steht eine Wasserflasche und Gläser.
     In einer Zimmerecke befindet sich Mäurers geschlossener
     Reisekoffer. Lucie sitzt am Tisch und schreibt Briefe. Hanna Elias
     kommt leise aus der Tür links.

Lucie:

Schläft Schilling wieder?

Hanna:

Jawohl, er schläft. Er ist eine Minute aufgewacht und hat gefragt noch
Doktor Rasmussen. Wann kann Herr Rasmussen frühestens hier sein?

Lucie:

Mäurer hat gleich, noch bevor Schilling gestern den Wunsch äußerte ...
gleich nach dem Anfall telegraphiert.

Hanna:

Und meinen Sie, daß er die weite Reise wird machen?

Lucie:

Aber ohne Zögern, ganz unbedingt.

Hanna

     (nimmt am Tisch Platz):

Er verlangt sehr dringend nach Doktor Rasmussen. -- (Nach kurzem
Stillschweigen fortfahrend): Ich werde nicht vergessen den gestrigen Tag
und die heutige Nacht, die ich auf dieser Insel verlebt habe.

Lucie

     (abwechselnd zuhörend, schreibend oder über den Brief nachdenkend):

Das glaube ich wohl.

Hanna:

Sie sehen, wie gut es war, Fräulein Lucie, daß ich gekommen bin.

Lucie

     (verdutzt):

Das kann ich nicht recht verstehen, Frau Hanna.

Hanna:

Ich habe gefühlt in der letzten Zeit, daß mit Schilling vorgegangen ist
eine tiefe Veränderung. Das hab ich gewußt und das hat mich beunruhigt.

Lucie:

Dann hätten Sie sich aber doch sagen sollen, daß es gut für ihn wäre,
mal für einige Zeit von seinen Sorgen befreit zu sein.

Hanna:

Er ist so zerrüttet von die schreckliche Quälereien von seine echt
deutsche Ehefrau, daß er hundertmal zu mir gesagt hat: »Hanna, nur wenn
du bei mir bist, habe ich ein Gefühl von Geborgenheit.« Es ist ein
Verbrechen, was eine solche Frau an dem Manne begeht, mit ihren
Vorwürfe, ihre ewige Tränen und Anklagen, mit ihre täglichen Forderungen
um Geld, wo er doch nicht, trotz aller Arbeit, verdienen kann, und sie
könnte mit ihrem Klavierunterricht viel besser als er das Leben
verdienen.

Lucie:

Mag sein, daß Frau Eveline nicht sehr besonders tatkräftig ist; sie soll
es ja früher, als sie von England zurück als Gouvernante kam, reichlich
gewesen sein.

Hanna:

Ich habe diesen Mann im Elend gefunden, im Elend geliebt! Weil er elend
war, hab ich ihn geliebt. Ich wollte ihm helfen in seine Verzweiflung.
Ich nahm nie einen Pfennig Geld von ihm. Eher sucht ich es, wo ich es
finden konnte! Ich wollte ihn aus der Sorge reißen. Ich wollte nicht,
wie Eveline, durch ihn versorgt und erhalten sein. Sie wirft auf den
armen Schilling jede Verantwortung. Ich trage selbst die Verantwortung.
Ich weiß, seine Kunst ist viel zu gut! Und er kann unmöglich damit viel
Geld machen. Er braucht mich, ich bin ihm unentbehrlich, ich teile mein
letztes Stück Brot mit ihm.

Lucie:

-- Ich würde mir jedenfalls niemals einreden können, daß irgendein Mensch
nicht ohne mich existieren kann.

Hanna:

Das ist bei Ihnen und Mäurer ein anderer Fall. (Lucie lacht kurz und
leicht auf.) Aber ich habe zu ihm gesagt: ich will deine Arbeit, ich
will dein Glück. Ich werde gehen und nicht wieder auftauchen, wenn du
mit deine Frau glücklicher bist. Ich dachte, er schläft auf einer
elenden Feldbettstelle in eine feuchten und eisigen Atelier. Soll er
lieber bei seine Frau schlafen, hab ich gesagt, wenn es gut für ihn
ist. Nun, er antwortet mir: nur das nicht! Er hat gestanden vor meine
Haustür, wo ich habe russische Herren gehabt zu Besuch in meine Wohnung,
bei achtzehn Grad Kälte stundenlang. Um elf Uhr ist er fortgegangen
darnach, weil ich nicht habe bemerkt, daß er da ist, und ist nachts halb
ein Uhr, wo alles still war, wiedergekehrt und hat mich geweckt mit
Steinchen am Fenster. So habe ich ihn glücklicherweise entdeckt.

Lucie

     (trocken):

Da wird der gute Schilling wohl etwas verfroren gewesen sein.

Hanna:

Er war halbtot, als er zu mir kam, und hat sich erst gegen Morgen
erwärmt.

Lucie:

Hat er denn solche Anfälle, wie den gestrigen, schon früher gehabt?

Hanna:

Ich weiß, seine Frau hat ihm aufgeregt. Sie hat ihm gedroht, sie wird
sich töten, wenn er nicht aufgibt seine Liebe zu mir. Wie kann er denn
diese Liebe aufgeben? Wo sie ihm doch der einzige Sinn seines Lebens
ist, die Rettung von ihre Banalität. Soll er denn seine Kunst aufgeben,
wo er sagt, daß seine Liebe zu mir von seine Kunst die innerste Seele
ist?

Lucie:

Leider hat er in den letzten Jahren nichts mehr gearbeitet.

Hanna:

Oh, er hat ein süßes Kinderporträt gemacht von meine kleinen Sohn
Gabriel.

Lucie:

Wenn man aber bedenkt, daß in mehreren Jahren nur dieses Bildnis
entstanden ist, so kann man doch wohl nicht anders sagen, als daß seine
Kraft darniederliegt.

Hanna:

Sie liegt durchaus nicht darnieder gänzlich. Er bewundert wie nichts in
der Welt meine Akt. Nun, ich bin selber viele Monate krank gewesen und
habe nicht können in seinem ungesunden und kalten Atelier und ohne
Bekleidung stehn, und in eine sehr verbogene Stellung für seine Geburt
der Venus, als Modell. Ich habe es aber mit Anstrengung meiner letzten
Kräfte getan, bis ich bin von der Kiste, auf die ich stand, mit eine
Ohnmacht zusammengebrochen.

Lucie:

Ich setze voraus, daß es an Ihrem guten Willen nicht liegt; das Resultat
ist doch aber klar. Und Sie sollten doch verständigerweise die Absichten
Mäurers unterstützen.

Hanna

     (steht auf):

Er sagt, daß Mäurer ihn deprimiert; er sagt mir, daß Mäurer ihn
entmutigt.

Lucie

     (lacht herzlich, mit einem Anflug von Bitterkeit):

Nun, was die Menschen alles Widersprechende durcheinander schwatzen,
unter einen Hut zu bringen, verstehe ich nicht.

Schillings Stimme:

Hanna!

Hanna:

Sie sehen, er ruft mich, Fräulein Lucie. --

     (Sie geht zu Schilling hinein, ab.)

     Kaum, daß Hanna Elias verschwunden ist, als ziemlich geräuschvoll
     Rasmussen eintritt. Er ist als Typus den Fischern der Insel
     verwandt. Sein Scheitelhaar ist ergraut, der rötlich blonde Bart
     noch ohne weiße Fäden. Seine Kleidung ist schlecht und recht. Sein
     Schuhwerk massiv. Er hat eine Ledertasche umgehängt, einen
     Sommerpaletot überm Arm, einen weichen schwarzen Hut in der Hand,
     in der Rechten einen kräftigen Stock.

Rasmussen

     (mit einem großen Schritt über die Schwelle, laut):

Na, da bist du ja, Lucie; na, was gibt's? Was habt ihr denn wieder
ausgefressen? Guten Tag! Wo ist denn Ottfried? Wie gehts euch denn?

Lucie

     (beschwichtigend):

Pst! Stille! Schilling liegt nebenan.

Rasmussen:

Pst! Ach so. Entschuldige, Lucie.

Lucie

     (in halbem Humor):

Für einen Arzt, der nicht praktiziert, hast du eine ziemlich lebhafte
Praxis, Rasmussen.

Rasmussen:

Nächstens erheb ich Honorar. Ihr macht mir wirklich ein bißchen viel
Umstände. Übrigens muß irgendein böser Stern in diesen Jahren über uns
Freunden wirksam sein; vor noch nicht dreizehn Monaten habe ich meinen
Vater verloren, letzten Dezember den Bruder, gleich darauf rieft ihr
mich, und ich habe das nahe Ende deiner Mutter prognostiziert; dann
liegt noch der Tod einer alten Wohltäterin dazwischen, und nun ist
womöglich hier wieder was los. Übrigens kannst du mir glauben, daß die
Reise mit Eveline keine angenehme Zugabe gewesen ist.

Lucie:

Die Reise mit wem?

Rasmussen:

Mit Eveline. Sie kann übrigens noch nicht unten sein. Ich habe mich
gleich auf der Färinsel, wo wir gelandet sind, losgemacht und bin zu Fuß
durch die Dünen gelaufen. Eh der Wagen sich durch die Sandwege mahlt,
vergeht sicher noch gut eine halbe Stunde. -- Denk mal, ich habe jetzt
über drei Jahre die See nicht gesehn, obwohl ich geborner Wolliner bin.

Lucie:

Erlaube mal, Rasmussen, das ist nicht gut möglich, was du da sagst; denn
Hanna Elias ist drin bei Schilling.

Rasmussen:

Ja, um Gottes willen, ich denke, die Sache ist abgetan?!

Lucie:

Das ist leicht gesagt, und schwer durchgeführt bei einer Natur wie Hanna
Elias.

Rasmussen:

Du kannst mir glauben, daß Eveline ebenfalls dieser Überzeugung ist, die
Sache sei aus. -- Das ist ja aber ein Unglück, Herrschaften! -- Warum habt
ihr mir eigentlich nicht ein Sterbenswort in eurer Depesche angedeutet?

Lucie:

Ich wundre mich auch, daß Ottfried, der mir sonst immer wegen meiner
Gedankenlosigkeit Vorwürfe macht, in diesem Falle nicht überlegter
handelt.

Rasmussen:

Was soll ich denn tun? Ich lese: Herkommen, Schilling
erkrankt! -- Natürlich lauf ich zu seiner Frau Eveline. Ich nahm doch an
und mußte doch annehmen, daß sie besser als ich unterrichtet ist. Und
wenn man als Arzt auf eine weltabgeschiedene Hallig berufen wird, so muß
man doch irgend 'n Anhalt haben! Apotheke und sonstige Hilfsmittel
gibt's doch hier nicht. -- Du siehst übrigens auch nicht besonders aus!

Lucie

     (ausweichend):

Wir haben alle wenig geschlafen.

Rasmussen:

Donnerwetter nochmal, was machen wir nu!? Ich kann mir an dieser fatalen
Geschichte eine Schuld unter keiner Bedingung beimessen. Sogar ... ich
habe sogar noch versucht, als ich merkte, daß Eveline nicht unterrichtet
war, sie von der Reise zurückzuhalten. Schließlich und endlich: ich
wußte nicht, was geschehen war, und also, da sie partout doch mitwollte,
was konnte ich ernstlich dagegen tun? Ich hatte im Grunde kein Recht
dazu.

Lucie:

Dem armen Schilling soll gar nichts erspart bleiben! --

Schillings Stimme

     (singend):

    Am Woasser, am Woasser,
    Am Woasser bin i z' Haus.

Rasmussen

     (horcht und lacht):

Na, da wird's ja so schlimm noch nicht sein, Kinder. -- Was ist denn also
mit Schilling passiert?

Lucie:

Ach, wir waren eigentlich sehr froh und vergnügt, bevor diese
Fledermäuse hier auftauchten. Wir hatten Reisepläne und große Ideen.
Jetzt hab ich dafür nur einen Plan, irgendwie unabhängig tätig zu sein.

Rasmussen:

Wo ist denn Ottfried?

Lucie:

Er wandelt auf Pfaden höheren Lebens mit einer Verehrerin, Fräulein
Majakin.

Rasmussen:

Kinder, seid ihr denn alle verdreht geworden? Ich hätte nun wirklich
drauf geschworen, daß ein strammer, kurznackiger Kerl wie Mäurer, in
seinem Alter, nach dem, was er alles erfahren hat und mit -- ich bin kein
Schmeichler, Lucie! -- dem unverdienten Glück in der Hand, von
Experimenten kuriert sein würde. Aber obgleich er das ganze Gegenteil
von dem armen Schilling ist, so kriegt er zuweilen doch einen Raptus,
der ihn auf einmal eigensinnig und unzuverlässig macht -- kurz nachdem man
vielleicht zehn Eide auf seine Verläßlichkeit geschworen hätte.

Schillings Stimme:

Ist das nicht Rasmussen?

Rasmussen

     (laut):

Jawohl!

Schillings Stimme:

Immer rein!

Rasmussen

     (öffnet die Tür zu Schillings Zimmer ein bißchen und ruft hinein):

Na, mein Junge, werd ich nu wieder zu Gnaden angenommen?

Schillings Stimme:

Rede bloß keinen Unsinn, Rasmussen!

Rasmussen:

Nee, das muß ich erst wissen, sonst schmeißt du den Kunstbarbaren
womöglich zur Türe hinaus. -- Nu sag mal, was heißt denn das, Gabriel?

     Er geht zu Schilling hinein und schließt die Tür hinter sich. Lucie
     legt ihre Schreibutensilien zusammen, nachdem sie ihren Brief
     adressiert und mit einer Marke beklebt hat. Darnach tritt Ottfried
     Mäurer ein, sogleich ohne weiteres Hut und Stock an den
     Kleiderhaken hängend.

Mäurer:

Herrliches Wetter! Man hört auch wieder den ganzen Morgen deine
Glockenboje oder was es ist; als ob die Fische im Wasser Sonntag
feierten. Das Inselchen gefällt sogar jetzt Fräulein Majakin. Wir haben
den Leuchtturmwärter besucht. Ich habe dir sogar einen wirklichen toten
Kuckuck mitgebracht, den wir am Fuße des Turms unter einem wahren
Massenmordfeld aller unserer Vogelarten gefunden haben.

Lucie:

Einen toten Vogel bringst du mir mit, Ottfried?

Mäurer:

Bewundere meinen Edelmut, Schusterchen. Da du neulich behauptet hattest,
der Kuckuck beehre auch Fischmeisters Oye auf seiner Wanderschaft -- du
weißt ja, als Schilling so gruselig das Echo herausforderte -- so wollte
ich dir das noch extra bestätigen.

Lucie

     (beziehungsreich):

Da bringst du mir also einen Vogel, der die Dummheit beging, im
Stockfinstern gegen ein »großes Licht« zu fliegen, und der sich bei
dieser Gelegenheit den Schädel zerschmettert hat.

Mäurer:

Jawohl: der betrogene Idealist liegt unten auf dem Tisch in der
Gaststube. Ich gebe dir zu, daß dieser eigentümliche Mißbrauch gläubiger
Sehnsucht der Kreatur ohne einen zehnfach eingeteufelten Teufel, einen
gesteinigten, höllischen Satan, schwer zu erklären ist.

Lucie:

Hat Fräulein Majakin sich an die schreckliche Sprache der Fischer
einigermaßen gewöhnt?

Mäurer:

Sie sagt, wenn die Fischerweiber und -männer sich unterhielten, das
klänge wie eine Versammlung von Seemöwen. Dann hat sie noch eine andere,
äußerst nette Bemerkung gemacht: das Geräusch der Brandung erzeuge aus
einiger Ferne die Vorstellung eines gewaltigen Stiers, der eifrig Gras
rupft und dann wieder ausschnauft. Genau so klingt es, beobachte das
mal! Und nun ist sie der Meinung, daß dadurch die Sage von Zeus als
Stier und von der Europa entstanden ist.

Lucie:

Ich glaube, daß diese Idee, die du vor zwei Jahren mal hier improvisiert
hast, den Weg über mich zu Schilling, von Schilling zu Hanna, von Hanna
zu Fräulein Majakin genommen hat.

Mäurer:

Von mir soll das stammen? Das glaub ich nicht!

Lucie:

Übrigens, Rasmussen ist bei Schilling.

Mäurer:

Rasmussen ist angekommen?

Lucie:

Er wundert sich, daß du ihm gar kein Wort von Hanna Elias gedrahtet
hast.

Mäurer:

Inwiefern denn, Lucie, von Hanna Elias?

Lucie:

Wenn du ihn unterrichtet hättest, daß sie hier ist, dann hätte er
Eveline Schilling nicht mitgebracht.

Mäurer:

Eveline ist hier? (Er wird bleich, zuckt aber, etwas verstockt, die
Achsel.) Ja, das tut mir leid! Man soll eigentlich überhaupt seine Hände
nicht in fremde Angelegenheiten hineinstecken; aber man will immer
wieder Herrgott spielen und Schicksal sein. (Er rafft sich zusammen und
tut einige Schritt gegen Schillings Tür.) Na, man muß doch mal Rasmussen
guten Tag sagen.

Lucie:

Hast du also die Idee ganz aufgegeben mit Griechenland?

Mäurer:

Es geht nicht, glaub ich; die Sachen machen sich nicht; ich muß diesen
Winter in Berlin bleiben.

Lucie:

Wann hast du denn diesen Entschluß gefaßt?

Mäurer:

Ich hab ihn nach Durchsicht meiner Verträge leider fassen müssen,
Schusterchen.

Lucie

     (beziehungsreich):

Der alten, oder neuer Verträge?

Mäurer:

Der alten natürlich! Neue schließt man auf Fischmeisters Oye doch nicht!
(Er ist zu ihr getreten und streichelt sie.)

Lucie:

Warum nicht? -- -- Du bist ja so zärtlich, Ottfried!

Mäurer:

Wie immer, Schusterchen.

Lucie

     (sieht ihn groß und ruhig an):

Na, geh nur zu deinem armen, verunglückten Griechenlandfahrer hinein!

Mäurer:

Bist du verstimmt, Lucie?

Lucie:

Nein, nur etwas nachdenklich.

     Sie blickt vor sich nieder und tippt mit dem Finger der rechten
     Hand auf den Tisch. Mäurer küßt ihre herabhängende Linke und begibt
     sich zu Schilling hinein ab. Lucie stößt einen resignierten Seufzer
     aus und will sich durch die Tür rechts hinausbegeben, wird aber
     durch Klopfen an dieser Tür zurückgehalten.

Lucie:

Herein! Bitte eintreten!

     Die Tür wird geöffnet und Klas Olfers bedeutet einer mageren,
     dürftig gekleideten, tief verschleierten Frau einzutreten. Es ist
     Gabriel Schillings Frau, Eveline Schilling.

Klas Olfers:

Ich denke, et würd det Beste sin, wi fragen bei det gnädige Freilein mal
nach.

     Lucie, schnell gefaßt, hält Frau Schilling unauffällig im Türrahmen
     zurück.

Lucie:

Herr Olfers, das muß wohl ein Irrtum sein. Die Dame will wahrscheinlich
zu Herrn Rasmussen.

Eveline

     (ohne den Schleier zu öffnen):

Ist Rasmussen nicht hier?

Lucie

     (tief errötend):

Sie sehen, nein!

Eveline:

Sie sind Fräulein Lucie Heil, meine Dame.

Lucie

     (wie vorher):

So heiße ich. Woher kennen Sie mich?

Eveline:

Sie haben mal bei einer Matinee in der Singakademie eine Sonate von
Schubert gespielt.

     (Klas Olfers entfernt sich achselzuckend.)

Darf ich bei Ihnen etwas ablegen? Sie werden vielleicht schon erraten
haben, daß ich die unglückselige Frau von Gabriel Schilling bin. (Sie
nimmt Schleier und Hut ab, ohne Luciens Erlaubnis abzuwarten.)

Lucie

     (sehr unruhig):

Dies ist hier Professor Mäurers Zimmer. Wenn es Ihnen recht wäre,
gnädige Frau, könnten wir lieber in mein Bereich hinübergehn.

Eveline:

Vor allen Dingen, wo ist mein Mann?

     Frau Schilling enthüllt sich nun als eine verhärmte, gealterte Frau
     mit tiefliegenden Augen, hervorstehenden Backenknochen und
     hektischer Röte auf den Wangen. Sie ist über das fünfunddreißigste
     Jahr hinaus, erscheint aber älter und ohne weiblichen Reiz.

Lucie:

Sie werden den Wunsch haben, sich etwas zu restaurieren, gnädige Frau?
Ich nehme an, Sie sind die Nacht durchgereist; vielleicht ruhen Sie auch
erst eine halbe Stunde? Herr Schilling schläft, und jedenfalls dürfte
ein Grund zu unmittelbarer Besorgnis nicht vorhanden sein.

Eveline

     (läßt sich auf einen Stuhl nieder):

Heiraten Sie niemals, liebes Fräulein! (Sie weint still in sich hinein.)

Lucie

     (in peinlicher Verlegenheit):

Sie sind übermüdet, gnädige Frau! Sie sind von der Nachtfahrt nervös
überreizt und abgespannt. Wollen Sie sich bitte in meine Hand geben.
Sie brauchen Ruhe, ich kenne das. Ich habe eine lange Pflege bei meiner
armen Mutter hinter mir. Mit Denken und Grübeln ist gegen nervöse
Depressionen nicht anzukämpfen.

Eveline

     (mit dem Versuch, sich zu raffen):

Es geht schon vorüber, lassen Sie mich!

Lucie:

Ich möchte Sie aber wirklich gern dazu bewegen, mit mir auf mein Zimmer
zu gehn!

Eveline:

Wissen Sie, wie mir mein Leben vorkommt, Fräulein? -- Sie sind eine Frau,
warum soll ich nicht offen zu Ihnen sein? -- Man baut mit unendlicher
Mühe, mit blutigem Mörtel und schweren Steinen ein festes Gebäude, und
wenn es fertig ist, ist es ein Kartenhaus.

Lucie:

Sie sehen in diesem Augenblick die Welt in einem zu trüben Lichte.

Eveline:

Ja, ich sehe sie wie etwas vollkommen Fremdes, etwas vollkommen
Uninteressantes, abschreckend Gleichgültiges an. Trostlos ist sie, leer
und stockfinster. -- Sie glauben, ich übertreibe, Fräulein! Aber ich habe
wahrhaftig keine unbescheidnen Wünsche gehegt! Ein Familienleben! Ein
bescheidnes Auskommen! Selbst das wenige hat mir der Himmel in seiner
unergründlichen Güte versagt. Ja, er hat sich erschlichen, was ich mir
verdient habe. Ich war jung wie Sie und vielleicht unternehmender, als
Sie sind. Ich weiß es nicht. Ich ging nach England, ich machte
Ersparnisse. Ich war gut gekleidet. In meinen Ferien konnte ich reisen.
Meine Freundin und ich, wir besuchten Holland, die Normandie, wir
brauchten nicht knausern, wir speisten in den ersten Hotels an der Table
d'hôte! Und nun kam Schilling! Ich dachte, er ist ein redlicher Mensch!
Ich dachte, er wird seine Pflichten achten und mein bißchen Erspartes
ist bei ihm, dacht ich, in guter Hand. Ja freilich! Sehen Sie mich nur
an. (Sie zeigt die großen Flicken in ihrem Rock und das zerrissene
Futter ihres schäbigen Jacketts.) Ich habe alles hingegeben, alles
umsonst zum Opfer gebracht.

Lucie

     (mit Überwindung):

Es werden bessere Zeiten kommen!

Eveline:

Immer morgen, morgen, heute nicht. Heute borg ich mir, was sag ich,
erbettle ich mir zwanzig Mark zur Reise von Doktor Rasmussen, und morgen
zahl ich vielleicht ein Billett erster Klasse rund um die Welt. Heute
leb ich mit meiner Tochter von einer altbacknen Schrippe und etwas
abgelassener Milch, und morgen werd ich bei Dressel und Uhl essen. Das
ist mir nichts Neues, ich kenne das! Von diesem »morgen« wird man nicht
satt. Das ist höchstens für arme, hungrige Säuglinge der mit Essig und
Galle getränkte Lutschpfropfen. Man denkt: dein Mann hat dich heute
verlassen und morgen kommt er wieder zu dir zurück. Jawohl. Aber wie?
Von vier Männern getragen, vielleicht auf dem Sterbebette. -- Ich muß ihn
sehn! Wo ist Gabriel?

Lucie:

Sie werden sich jedenfalls erst beruhigen! Vielleicht sehen Sie ein, daß
eine Begegnung in diesem Zustand für beide Teile nicht ratsam ist!

Eveline:

Was heißt das? Was tut ihr alle mit mir? Warum laßt ihr mich nicht zu
Gabriel? Warum sagt ihr mir nicht, was geschehen ist? Es ist mir alles
hier so unheimlich! Was sind das für Stimmen hier nebenan?

Lucie

     (lügt):

Fremde! Vater und Sohn aus Stralsund!

     Hanna Elias tritt aus Schillings Zimmer. Die Frauen betrachten sich
     einige Sekunden lang mit grenzenlosem Staunen.

Eveline

     (in einem Tone des Erstaunens, in dem keine Spur der eben noch
     vorherrschenden, angstvoll weinerlichen Erregung mehr ist):

Hanna, du bist es? -- Was treibst du hier?

Hanna:

Laß uns vor allen Dingen, Eveline, da wir nun einmal
unbegreiflicherweise hier zusammengetroffen sind, wie zwei vernünftige
Menschen sein.

Eveline:

Unbegreiflicherweise zusammengetroffen?

Hanna:

Zufälligerweise jedenfalls!

Eveline:

Also ist deine Anwesenheit hier zufällig!? Oder meinst du, daß es
unbegreiflicherweise und zufällig ist, wenn sich eine Frau zu ihrem
angetrauten Manne begibt, nachdem sie erfahren hat, daß er vielleicht
lebensgefährlich krank geworden ist? Wie kommst du hierher, was willst
du hier?

Hanna:

Es handelt sich nicht um uns augenblicklich, sondern meinethalben um
deines Mannes Wohlergehen. Also bitt ich dich, frage mich jetzt nicht
weiter. Jedenfalls nicht hier, denn ich sage dir, daß es Schilling
erspart werden muß, einen Zank zwischen uns zu sehn. Ich gehe mit dir an
den Strand hinunter. Dort will ich dir Rede und Antwort stehn.

Eveline:

Bitte, bitte, Hanna, ganz ohne Umschweife: wie kommst du hierher, was
suchst du hier? Das Rätsel möcht ich gerne gelöst wissen. Wie kommt's,
daß ihr auseinander seid, und ich betrogener, armer Esel von einer Frau
glaube daran, daß es aus mit euch ist, und ihr lacht mich aus hinter
meinem Rücken! -- Hast du ihn wieder rumgekriegt? -- Hast du ihm wieder
weisgemacht, daß du keine Allerweltsdame bist? Oder muß man vielleicht
Allerweltsdame sein, um dem eigenen Gatten zu gefallen?

Hanna

     (für einen Augenblick ohne Selbstbeherrschung):

Eher bist du eine Allerweltsdame! -- Und ich bitte dich, höre jetzt auf
damit! -- Wenn du ein Gefühl von weibliche Würde hast, so höre jetzt auf
mit diesen Ton und solche Beleidigungen, in diesen Augenblick.

Eveline

     (zu Lucie):

Diese Dame spricht von weiblicher Würde!

Hanna:

Ich spreche von weiblicher Würde, gewiß!

Lucie:

Meine Damen, Sie sind hier in einem kleinen Gasthause, bedenken Sie das!
Wir dürfen kein solches Aufsehen machen. Es ist unmöglich, daß Sie so
fortfahren. Schon allein um des Kranken willen nicht.

Eveline

     (zu Lucie):

Lassen Sie sich mal von dieser Dame erzählen, Fräulein, mit welchen
Mitteln, welchen Schlichen sie hinter Gabriel her gewesen ist, bis sie
ihn so weit bekommen hat. Wie sie mir erst hat Freundschaft geheuchelt:
»Du bist zu geduldig! Du mußt mehr beanspruchen! Du mußt ihm klar
machen, daß du ein gleichberechtigter Mensch und nicht eine Sklavin
bist. Ihr deutschen Frauen seid alle Sklavinnen.« So hieß es, so ging es
in einem fort, und ich bin auch zuerst drauf reingefallen, bis ich dann
merkte, worauf es hinauslief, und daß sie sich Gabriel kapern wollte,
weil der eigene Mann ihr überdrüssig war. Eine schöne Gesellschaft! Eine
brave Familie! Erzähle doch! Immer erzähle doch! Da hast du
Gesprächsstoff, beste Hanna! Da hast du für deine Suade genug!

Hanna:

Solche fantastische, krankhafte Märchen, ausgebrütet von einer sich
beleidigt glaubenden Frau, berühren mich nicht.

     Rasmussen fährt wild aus Schillings Tür heraus, die er hinter sich
     sorgfältig ins Schloß klinkt, ehe er spricht.

Rasmussen:

Donnerwetter, was ist hier los, Herrschaften?! Was macht ihr euch
eigentlich von Schillings Zustand für eine Vorstellung? Er wird unruhig,
er fragt; was soll ich ihm antworten? Verlegt euren Kampfplatz wo anders
hin!

     Eveline vergißt Hanna und starrt Rasmussen an. Hanna weicht mit
     Entschluß und geht zur Tür rechts hinaus.

Eveline

     (will an Rasmussen vorüber zu Schilling hinein):

Wo ist mein Mann?

Rasmussen

     (sie zurückhaltend):

Immer erst hübsch abwarten!

Schillings Stimme:

Rasmussen!

Rasmussen

     (Eveline energisch festhaltend, die bestrebt ist, sich
     loszumachen):

Ich sage dir, wenn du noch einen Funken Besinnung hast, wenn du noch
einen Funken Liebe aufbringen kannst für deinen Mann, wenn dir daran
liegt, ihn noch einige Zeit zu behalten, am Leben überhaupt zu erhalten,
mein ich, so geh jetzt nicht zu ihm hinein.

Eveline

     (mit einem unwillkürlich hervorbrechenden, hilferufartigen und
     eigensinnigen Schrei):

Gabriel!

Schillings Stimme

     (schnell und erschrocken):

Der bin ich! (Schilling erscheint in der Tür. In dem edlen, aber
furchtbar veränderten Gesicht liegt Bestürzung und Staunen): Was ist
denn passiert??

Rasmussen:

Nichts! Es ist gar nichts weiter passiert! Es hat sich nur wieder
herausgestellt, daß eine Frau und gesunde Vernunft nicht vereinbar sind.

Eveline

     (die Worte mühsam hervorwürgend):

Du hast mich belogen, Gabriel! Warum hast du mich hintergangen, gerade
in einem Augenblick, wo ich wieder in meinem Innern Hoffnung schöpfte?
Du sagtest, du habest dich freigemacht. Du sagtest, du habest mit Hanna
gebrochen, und gerade in diesem Augenblick entdecke ich, daß du ein
kalter, grausamer, hartgesottener Betrüger bist. Gabriel, warum tatest
du das? Warum zerstörst du in mir den letzten erbärmlichen Rest von
Achtung für dich? -- Nein, ich kann einen Menschen wie dich nicht mehr
achten!

Schilling

     (hat abwechselnd errötend und erblassend mit einem gespannten, fast
     blöde fragenden Ausdruck zugehört. Er läßt seinen Blick, wie um
     Auskunft bittend, von Lucie zu Rasmussen wandern und sagt dann mit
     einem erstickten kurzen Auflachen):

-- So! Diese Ansicht teile ich. -- -- -- Was führt dich eigentlich her,
Eveline?

Eveline:

Frage lieber, was Hanna hierher führt, Gabriel.

Rasmussen:

Und nun ist die Kontroverse geschlossen. -- Ich bin Arzt, Eveline, dein
Mann ist krank ...

Schilling:

Red keinen Unsinn, ich bin nicht krank! -- Du hast doch nicht am Ende
gedacht, Eveline, es ist Matthäi am letzten mit mir? -- Den Gefallen tu'
ich der Welt noch nicht! -- Wenn du's nicht glauben willst, frage mal
Rasmussen! -- Die ganze Geschichte, Eveline, läuft einfach auf einen etwas
geschmacklosen Spaß hinaus, den ich mir leider gestern gemacht habe.

Eveline

(faßt sich an den Kopf, wie besinnungslos):

Fort, fort, sonst verliere ich meinen Verband! -- (Sie will hinaus.)

Schilling:

Eveline, du wirst jetzt hierbleiben!

Eveline:

Ich kann nicht bei einem Menschen bleiben, der mein Mann, mein
angetrauter Ehemann, Vater meines Kindes und dabei willenloser Sklave
einer gemeinen Dirne ist.

Rasmussen:

Na, na, na, na! Jetzt aber Schluß, Eveline!

Schilling

     (nach kurzem Schweigen, mit demselben hilflos fragenden Ausdruck
     wie vorher):

Ja, woran liegt das alles? Ich weiß es nicht. Ich habe nach etwas ...
wie soll ich sagen? Ich habe nie bewußt nach dem Schlechten gestrebt!
Ich hatte wirklich nie böse Absichten!

Eveline:

Stelle dich gleichgültig, Gabriel; es wird ein Tag kommen, wo du den
Unterschied zwischen einer Frau, die du jetzt mißhandelst, und einer
Hanna Elias einsehen wirst.

     Hanna Elias stürzt in vollständig zügelloser Raserei herein und auf
     Eveline los, kreischend und mit geballten Fäusten.

Hanna:

Es ist mich gleichgültig, was du von mir sagst! Ich speie darauf, es ist
mich gleichgültig! Ich speie auf deine verfluchte Liebe! Du hast keine
Liebe! Du lügst, du lügst! Du hast dicken, geschwollenen Vipernhaß! Du
hast Gift, du hast Stachel, du hast keine Liebe! Wie quälst du jetzt
deinen kranken Mann! Pfui! Schamlose, Schlechte, Niederträchtige! Keinen
Funken von Herz, keinen Funken von Gott! Da, stich mich! Triff mich mit
deine Augen! Triff mich mit deine Dolch von Blick! Triff mich mit einer
richtigen Dolchspitze! Da! Was ist mir Leben! Was liegt mir daran? Nur
geh, geh und laß meinen Gabriel! Er ist nicht dein! Du hast ihn
verspielt! Mein, mein! Ich fühl's! Er ist mein, mein Gabriel!

     Unter den Fenstern erschallt plötzlich das mißtönige Geräusch eines
     kleinen erregten Janhagels. Kinder, Weiber und halbwüchsige
     Burschen miauen, husten und schreien: »hoho«. Der Lärm wird durch
     die energische Stimme von Klas Olfers beschwichtigt: »Ruhe, macht,
     dat ji wegkommt! Wat wollt ihr hier!« Rasmussen hat, um sie zu
     beruhigen und ihre wahnsinnige Erregung zu dämpfen, Hanna in seine
     Arme geschlossen. Er drängt sie langsam hinaus. Mäurer hat den
     größten Teil der letzten Szene miterlebt, hinter Schilling in der
     Tür stehend. Eveline ist stumm und besinnungslos vor Entsetzen. Ihr
     Blick bleibt, solange sie im Zimmer ist, mit grauenvollem Staunen
     auf Schilling haften. Dieser steht bewegungslos und schluchzt nur
     einige Male krampfhaft. Seine weitgeöffneten Augen stehen voll
     Wasser. Das Taschentuch wie einen Knebel im Mund, geht Eveline an
     Schilling vorüber, von Lucie geführt, hinaus. Stillschweigen.

Rasmussen

     (nach einigem Stillschweigen zu Schilling):

Na, es kommt auch mal wieder anders, Schilling!

Mäurer

     (legt mit einem leichten Schlag seine Hand auf Schillings
     Schulter):

    Duck dich und laß vorübergahn,
    Das Wetter will sein' Willen han.

Schilling

     (mit unendlichem Grauen im blutlosen Gesicht):

Wir sind keine Griechen, mein lieber Junge!

     Mäurer klopft ihm weiter auf die Schulter, sehr bewegt;
     unwillkürlich umarmt er ihn. Eine Weile herrscht Schweigen.
     Rasmussen tritt dazu.

Schilling

     (indem er beide ein wenig beiseite zieht, mit qualvollem innerem
     Ausbruch):

Der Ekel erwürgt mich. Gift! Gebt mir Gift! Ein starkes Gift,
Rasmussen!




Fünfter Akt


     Die Strandgegend wie im ersten Akt. Der Schuppen der
     Rettungsstation, die Gallionfigur, das Fischerboot auf der Düne,
     der Signalmast, die Bretter hinter dem Schuppen. Die Sonne ist
     hinunter, allein es bedeckt den Himmel eine starke Abendröte, so
     daß eine magische Helligkeit verbreitet ist. Lucie und Fräulein
     Majakin kommen langsam vom Strande herauf.

Lucie:

Ich muß Ihnen sagen, ich habe vor alledem jetzt, nach allem, was
vorgefallen ist, einen so ausgesprochenen Widerwillen, daß ich lieber
freiwillig alles hingeben würde, als nur den kleinsten Versuch in der
Art dieser Weiber zu tun.

Fräulein Majakin:

Man kämpft doch aber für das, was man liebt -- und naturgemäß, scheint
mir, Fräulein Heil.

Lucie:

Ich würde unter gar keinen Umständen dafür kämpfen. Ich habe von Harpyen
gelesen. Sie sind wie Harpyen, diese Weibsbilder. Niemals geben sie,
wenn sie es erst in den Klauen haben, ihr Opfer frei. Nur daß sie schön
singen, kann ich nicht finden!

Fräulein Majakin:

Wie geht es Herrn Schilling?

Lucie:

Schilling schläft! Einen totenähnlichen Schlaf, seit Stunden.

Fräulein Majakin:

Es gibt bei manche Krankheiten zuletzt einen solchen furchtbaren Schlaf,
aus dem kein Erwachen ist.

Lucie:

Das hat mir auch Rasmussen angedeutet.

     (Kurzes Stillschweigen.)

Fräulein Majakin:

Herr Mäurer scheint sehr an Ihnen zu hängen, Fräulein Heil.

Lucie:

Ich betrachte Mäurer als meinen Freund und werde ihn immer dafür
betrachten. Wie er sein Leben im übrigen einrichtet, kümmert mich nicht.
Er ist frei! Ich verlange durchaus nichts von ihm. Ich danke Gott, daß
ich durch mein bißchen Begabung immer sozusagen mein Brot finde.

Fräulein Majakin:

Ist es richtig, Sie waren angestellt zwei Winter lang in Dresden an die
Opernorchester?

Lucie:

Das ist allerdings wahr. Wenn ich aber jetzt etwas unternehme, so werd
ich vielleicht in irgendeiner Mittelstadt eine kleines Musikinstitut
errichten.


Fräulein Majakin:

Glauben Sie, ob Professor Mäurer jemals wird heiraten?

Lucie

     (lacht):

Das weiß ich nicht! -- Wenn man betrachtet, was er mit seinen Freunden
erlebt, so ist es kein Wunder, wenn er sich ängstet.

Fräulein Majakin:

Es scheint mir auch. Er scheint mir ein Feind von die Ehe zu sein.

Lucie:

Sind Sie vielleicht eine Freundin vom Heiraten?

Fräulein Majakin:

Ich kann mich denken, daß eine Frau von ein Mann, wie Professor Mäurer
ist, durch ein ganzes Leben gefesselt wird. Das kann ich mich denken,
Fräulein Lucie.

Lucie:

Aber daß Sie ihn ebenso lange fesseln, glauben Sie das?

Fräulein Majakin:

Ich kann überhaupt nicht Herr Mäurer fesseln. Er hat eine sehr große
Liebe, eine sehr große Bewunderung für eine ganz andere Dame als mich.
-- Wissen Sie, daß wir werden abreisen?

Lucie:

Warum wollen Sie denn schon abreisen, Fräulein Majakin? Lassen Sie Hanna
Elias abreisen! Möchte sie sein, wo der Pfeffer wächst. Geben Sie ihr
Eveline Schilling mit! Wenn es Ihnen hier so gut gefällt, wie Sie sagen:
bleiben Sie doch!

Fräulein Majakin:

Ich glaube kaum, daß dies ist, was Sie sagen, Ihr Ernst, Fräulein Lucie.
Und wenn es wirklich wäre der ganze Ernst Ihres Frauenherzens, ich
bleibe nicht. Auch ich bin, glauben Sie mir, durch das, was ich habe
sehen und hören müssen, mit diese traurige Liebesschicksal von diese
arme, gebrochene Künstler und Mann ... auch ich bin ein wenig erschreckt
davon.

Lucie:

Ich bin so wütend, ich könnte diese Weibsbilder prügeln, glauben Sie
mir, ich möchte sie ganz gehörig mit beiden Fäusten schrecklich
durchprügeln.

Fräulein Majakin:

Und mich dazu?

Lucie:

Nein. Sie, Fräulein Majakin, würd ich nicht durchprügeln. Ich würde nur
wünschen, daß Sie ganz ruhig zurück zu Ihrem Herrn Vater gehn. -- Glauben
Sie nicht, daß Mäurer ein Mann wie Schilling ist! Mäurer nimmt »eins
zwei drei«, was er haben will, und dann geht er und modelliert seine
Statuen. Skrupel macht er sich weiter nicht.

Fräulein Majakin:

Dann hat er die rechte noch nicht gefunden.

Lucie

     (lacht):

Vielleicht; wer weiß, Fräulein Majakin.

Fräulein Majakin:

Es liegt immer daran, wenn ein Mann so unstät ist, daß ihm die Frau, die
ihn versteht, bis in die geheimste Regung der Seele, noch nicht begegnet
ist.

Lucie:

Vielleicht wissen Sie eine Frau für ihn! Jede Frau denkt allerdings, sie
sei die rechte. Ich schwöre sogar, die arme Eveline ist überzeugt davon,
daß sie für Schilling die ausgesucht einzig richtige Gattin ist. Aber
man kann ja nicht wissen, ob Ihr Instinkt nicht wirklich das Richtige
trifft, Fräulein Majakin. (Kurzes Stillschweigen.) Finden Sie nicht, es
ist etwas so Verhaltenes, etwas, was förmlich beängstigt, in der Luft?

Fräulein Majakin:

Etwas Totes, ja. Das macht die Windstille.

Lucie:

Es drückt! Sehen Sie mal. Wie jedes Boot doppelt auf der absolut
spiegelglatten Fläche liegt. Ich möchte um Schillings willen, daß Wind
käme. Er hat sich so sehr einen Sturm gewünscht.

Fräulein Majakin:

Meistens erschrickt der Mensch vor die Natur; manchmal scheint die Natur
vor den Mensch zu erschrecken.

Lucie:

Mit Schilling, glaub ich, ist es aus.

     Schon seit einiger Zeit hat man in der Ferne rufen gehört. Fischer
     laufen unten am Strand hin und her. Lucie und Fräulein Majakin
     schenken diesen Vorgängen keine Aufmerksamkeit. Sie sind nun immer
     weiter nach vorn hin schreitend, rechts zwischen den Dünen
     verschwunden. Der Tischlermeister Kühn kommt mit seinem Lehrjungen,
     der eine Radwer führt. Sie beginnen Bretter aufzuladen.

Kühn:

Junge, mach fix, et gibt Wind!

Der Junge:

Wat haben denn de Fischers unten am Strande, Meester?

Kühn:

De Häring kommt.

Der Junge:

Sehen Se nicht de Lichter draußen uf See, Meester? Unsre Fischer sind
alle schon draußen.

Kühn:

Na, denn laß se man machen und lade de Bretter uf.

Der Junge:

Ob wohl der Kunstmaler aus Berlin sterben wird, Meester?

Kühn:

Halts Maul! wat jeht uns dat an!

Der Junge:

Ick dachte bloß, weil wir dem kienenen Sarg machen.

Kühn:

Für wen man so'n Sarg machen dut, det weeß Jott!

Der Junge:

Meester, Meester, dort kommt er ja.

Kühn:

Wer denn?

Der Junge:

Denn is er ja jar nich krank, Meester.

     Gabriel Schilling kommt von links, aus den Dünen. Er ist
     unzureichend bekleidet: Hemd, Beinkleider, Jackett, keine Weste,
     kein Hemdkragen, keine Strümpfe in den Schuhen. Er geht schnell,
     wie ein Nachtwandler, gerade auf die Gallionfigur zu, die im
     Scheine des Blinkfeuers vom Leuchtturm in bestimmten Zwischenräumen
     heller beleuchtet wird. Nahe herangekommen, steht er still und
     blickt zu ihr hinauf.

Kühn:

'N Abend.

Schilling

     (mit verrosteter Stimme, erschrocken):

Guten Abend. Wer sind Sie denn?

Kühn:

Sind Sie vielleicht der Herr Maler Schilling, wenn ich fragen darf?

Schilling:

Pst! Namen und Stand tut hier nichts zur Sache. -- Sagen Sie mal, wie
kommt denn das, daß diese Figur dort oben immer abwechselnd hell und
dunkel wird?

Kühn:

Na, das kommt ganz natürlich von dem Blinkfeuer.

Schilling:

Ich habe das schon eine ganze Weile von ferne beobachtet. Ich wußte gar
nicht, was es bedeutet.

Kühn:

Wieso bedeutet?

Schilling:

Ich wollte erst nicht herüberkommen. Schließlich dacht' ich mir aber,
daß es doch was bedeuten muß. -- Woher stammt denn eigentlich diese Figur?

Kühn:

Sie stammt von einer dänischen Brigg, die hier draußen gesunken ist.

Schilling:

Richtig! Natürlich! Schiff und Mannschaft natürlicherweise zugrunde
gerichtet.

Kühn:

Da haben Sie ganz recht. So ist et och.

Schilling:

Wie hieß denn die Brigg?

Kühn:

Sie hieß doch Ilsabe.

Schilling:

Den Namen kenn ich von irgendwo her.

Kühn:

Sie werden ihn auf 'm Kirchhof gelesen haben, wo die gelandeten Leichen
von der Ilsabe begraben worden sind. Da ist ja 'n Kreuz und auf dem
steht Ilsabe.

Schilling:

Eigentlich liegen wir recht gut, da oben im Sande.

Kühn:

Wie sagen Sie, wenn ich bitten darf?

Schilling:

Na, eine schönere Stelle, begraben zu werden, gibt's doch nicht. Oder
möchten Sie etwa lieber in Berlin auf so einen Massenkirchhof begraben
werden?

Kühn:

Na, so weit bin ich überhaupt noch lange nicht.

Schilling:

Keine Automobilomnibusse, keine Straßenbahnwagen, immer nur die
rennenden, springenden, kleinen Sandkörnerchen! Frischer, gesunder,
nasser Sturm! Der schöne Salut des Meers überm Grabhügel!

Kühn:

I, da hat man ja nischt mehr von!

Schilling:

Das sagen Sie so! Wer weiß denn das, Meister? Ich hab aber irgendwo mal
gelesen: »Gott löscht nicht aus im dunklen Grabesschoß, was er entzündet
hat im dunklen Mutterschoß«. -- Übrigens, gucken Sie doch mal hinter sich.

Kühn

     (tut es):

Warum nicht? Wat soll denn dort sind, Herr Professor?

Schilling:

Das versteht sich von selbst. Da brauchen Sie meine Erklärung nicht. Da
hat wahrscheinlich das Wasser noch einen armen Teufel auf den Strand
gespült.

Kühn

     (der nichts sieht, verdutzt):

Was denn für 'n armen Teufel?

Schilling

     (immer starr blickend):

Gott, ich weiß ja nicht, wer das ist, den sie da begraben. Ist das bei
Ihnen immer so, daß der Pfarrer der erste ist und dann erst die Kinder
mit dem Kruzifix kommen? Komisch ist bloß: sie singen ja nicht.

Kühn:

I, Sie wollen man mit mich Ihren Spaß haben!

Schilling:

Dem armen Schlucker von der Ilsabe haben Sie doch den hölzernen
Schlafrock auch gemacht!?

Kühn:

Denn müssen Sie mehr als unsereener zu sehen kriegen. Anders versteh ich
det nich.

Schilling:

Glauben Sie denn, ich erkenne meinen alten Freund Mäurer nicht, weil er
einen Zylinder auf hat, einen Regenschirm in der Hand hält, und weil es
ein bißchen stürmt und graupelt?

Der Junge:

Meester, ich furcht mir, der is jo wahnsinnig!

Schilling:

Und die Damen, glauben Sie, kenn ich nicht? Die Weibsleute, die da
hinterdrein laufen und die ... und die ... und die ihre Röcke so
sorgfältig hoch nehmen, weil ihnen bei dem Regen das die größte
Hauptsache ist?

Kühn:

Aber et fällt ja keen Troppen vom Himmel, Herr Schilling.

Schilling

     (schlägt sich vor den Kopf):

Ja, Donnerwetter noch mal, Sie haben ja recht, wo ist man denn? (Er hält
die Hand in den vermeintlichen Regen.) Kein Tropfen, wahrhaftig. Na,
einerlei. Ich hätte geschworen, daß da so etwas geflunkert hat. Na nu
aber, nu aber, sehn Se mal, Meister: sind das nun sechs Fischer, die die
lange gelbe Kiste auf den Schultern tragen, ja oder nein, Meister? Na
nu müssen Sie doch zufrieden sein.

Kühn:

Wenn Sie aber nun noch so weiter reden, bester Herr, denn kriege ick
Angst, det et umgeht hier uf de Insel, und denn mach ick mir lieber ...

Schilling:

Sie haben recht. Ich merke das ja. Ich vermenge nämlich immer ganz
einfach Wirklichkeit und Einbildung.

Kühn:

Da kommen Leute, die suchen nach Sie, Herr Schilling.

Schilling:

So? -- Wo denn? -- Wenn Sie etwa irgendwer fragen sollte ... Nichts! sagen
Sie nichts! Oder sagen Sie, daß ich tausendmal lieber ... oben in der
Nähe von dem Kreuz von der Ilsabe eingebuddelt bin als im schönsten
Berliner Mausoleum. Und daß man, wenn man die Hände so aufhebt, nur
immer gradaus, immer geht, nur geht -- man auch draußen im Meer schlafen
kann.

Kühn

     (lacht):

Gut!

Schilling

     (der seine Arme, ähnlich wie ein Beter gegen das Meer hochgehoben
     hat):

Und wenn Sie noch jemand nach mir fragt, dann sagen Sie: der Maler
Schilling hat hier auf Fischmeisters Oye die beste Idee seines Lebens
gehabt ... oder sagen Sie lieber bloß, ich bin baden gegangen.

     Von dem Gallion, das er noch immer hungrig anstarrt, sich mühsam
     losreißend, verschwindet Schilling, eigentümlich lachend, mit
     hocherhobenen Händen in der Dunkelheit.

Kühn:

Nu soll mich noch eener sagen, wenn der nich sein eignes Totenbejängnis
jesehn hat!

     Kühn und der Junge mit einem Stapel Bretter auf der Radwer ab. Dr.
     Rasmussen und Professor Mäurer kommen von rechts, im Gespräch ruhig
     schreitend, gelegentlich stehen bleibend.

Rasmussen

     (zurückblickend):

Was mag denn eigentlich bei Klas Olfers los sein? Da kommen ja in einem
fort Leute mit Laternen aus dem Haus.

Mäurer:

Es ist wohl 'n neuer Schub Fremder gekommen.

Rasmussen:

Eveline wacht jedenfalls vor morgen früh nicht auf. In solchen Fällen
ist wirklich das einzig Wahre: Morphium.

Mäurer:

Schilling schläft ohne Morphium. Kannst du mir denn um Gottes willen
nicht sagen, was diese bleierne Betäubung, in die er verfallen ist,
eigentlich zu bedeuten hat?

Rasmussen:

O, ja. Der medizinische terminus technicus interessiert dich wohl nicht.
Mach dir nur einfach klar, es ist ein Schlafzustand, aus dem nur noch
ein vorübergehendes Erwachen möglich ist.

Mäurer:

Wieso denn »nur noch«? Was soll das heißen?

Rasmussen:

Gut, reden wir weiter nicht davon.

Mäurer:

Ich nehme noch an, du willst doch damit nicht sagen, Rasmussen, daß für
Schilling keine Rettung mehr ist.

Rasmussen:

Allerdings, Ottfried, will ich das sagen.

Mäurer:

Deutsch und deutlich: daß Schilling sterben wird?

Rasmussen:

Hör mal, rege dich weiter nicht auf, Ottfried. Das Leiden hat in
schleichender Form wahrscheinlich seit einem Jahrzehnt in ihm gesteckt.
Seine moralische Schlappheit wird dadurch erklärlich. Sonst hätte er
wahrscheinlich den Weibern und allen korrumpierenden Einflüssen, seiner
Natur nach, mehr Energie entgegengesetzt. Jedenfalls bin ich froh, daß
ich noch meinen Frieden mit ihm gemacht habe.

Mäurer

     (drückt furchtbar Rasmussens Arm):

Willst du denn damit sagen ... unmöglich ... das wäre ja grauenvoll.

Rasmussen:

Ja, ja, ja, ja, mein Lieber, daran ist wahrhaftig nichts zu ändern.
Zerbrich mir nicht meinen Unterarm. Schilling ist ein verlorener Mann
und wird diese Insel nicht lebend verlassen.

Mäurer:

Und du willst behaupten, ein Zweifel ist ausgeschlossen?

Rasmussen:

Wenn es dir Spaß macht, zweifle daran. Aber schließlich war Schilling
schon so wie so ein bißchen unter die Räder geraten. Seine Integrität
als Gentleman hatte sogar einen unangenehmen Flecken gekriegt, weshalb
ja, wie dir besser bekannt ist als mir, seine eigenen Fachkreise von ihm
abrückten.

Mäurer

     (aufbrausend):

Das war eine unqualifizierbare Hetzerei, Rasmussen. Dort steckt die
Gemeinheit, wo man dieser grundnoblen Natur nachgeredet hat, er ließe
sich von Hanna Elias und von den Geldern ihrer Liebhaber aushalten.
Meine Hand ins Feuer, das war ja gerade der Fehler dieses armen Kerls,
daß es ihm gegen den Anstand ging, seinen Arm auch nur nach einer Mark
auszustrecken.

Rasmussen:

Schön! Aber damit erreicht man eben doch schließlich nichts.

Mäurer:

Meiner Ansicht nach hätte Schilling in der Kunst sehr möglicherweise
trotzdem noch was Passables erreicht. Man mußte nur seinem trägen
Willen nachhelfen. Du hätt'st ihn sehen sollen, noch wie er vor einigen
Tagen war, als wir ihn hier tüchtig aufgepolstert hatten und bevor sein
Verhängnis, in Gestalt dieser Hanna, hier auftauchte. Und deshalb
behaupt' ich auch, wenn sein Leiden älteren Datums ist, so ist es doch
erst seit der Ankunft der Weiber in das galoppierende Stadium
eingetreten. Als er oben am Kirchhof zusammengebrochen war und wir kamen
dazu und sahen diese Hanna über ihm, da kam es mir vor, als müßte nun
irgendwelche höllische Hakelberend zu dieser vollendeten Hatz Halali
blasen.

Rasmussen:

Wo es dann aber noch ärger gekommen ist. Hüte dich nur vor der Majakin.

Mäurer:

Ich bin kein Gabriel Schilling, Rasmussen. In vierzehn Tagen pack' ich
mir meine Lucie ein und rutsche mit ihr nach Florenz hinunter.

Rasmussen:

Warum heirat'st du denn das Mädel nicht?

Mäurer:

Weil das für unsereinen immer die Klippe ist.

     (Klas Olfers kommt.)

Klas Olfers:

     (schon aus einiger Entfernung):

't gibt Sturm, Herrschaft. Is Herr Moaler Schilling hier bei Sie, meine
Hern?

Mäurer:

Gott sei's geklagt, da können wir leider nicht mit Ja antworten. Mensch,
schlag mich tot, ich kann das nicht in meinen Hirnkasten kriegen, daß es
da wirklich keinen Ausweg geben soll.

Rasmussen:

Ich denke, das ist doch'n Ausweg, Ottfried.

Klas Olfers:

Herr Schilling is nich tu Hus. Hei is heidi up und davon loopen.

Mäurer:

Mein braver Herr Olfers, Sie täuschten sich.

Klas Olfers:

In goar keenen Fall, ich täusche mich nich, Herr Professor; 's Bett is
leer, wir suchen em und wi finden em nich.

Rasmussen:

Weit kann er gar nicht gegangen sein. Vielleicht hat er sich auf den
Flur geschleppt und wird möglicherweise in einem Ihrer leeren Zimmer
liegen.

Klas Olfers:

Nee, is nich! Ick und Frau Elias, wi hoaben oalle Zimmer bis unner de
Betten abgesucht. Hei is fort! Hei is gegen den Strand hin loopen!

Mäurer

     (ruft durch die hohlen Hände):

Schilling! Schilling!

Rasmussen:

Kinder, da müssen wir allerdings stramm suchen gehn. Es ist gar nicht
unmöglich, daß er hier draußen irgendwo halb oder ganz bewußtlos liegt.
Er kann die Nacht durch hier draußen nicht liegen bleiben.

Mäurer

     (wie vorher):

Schilling! Schilling!

Rasmussen:

Ich glaube schwerlich, daß er dich hört.

     Schuckert mit zwei anderen Fischern kommt. Schuckert trägt eine
     brennende Laterne.

Klas Olfers:

Na, Schuckert, wat is?

Schuckert:

Wi hewen nix funden. Wi hewen binoah den ganzen Strand bis Grobe hin
abgesucht.

Klas Olfers:

Und da häbt jie nix von dem Moaler Schilling, ock in den Dünen nich,
gespürt?

Schuckert:

Nich an Strand unten und ock nich in den Dünen. (Er schreit durch die
Hände): Ahoi! Ahoi!

     (Fischer rechts am Strande antworten.)

Die Fischer:

Ahoi! Ahoi!

Schuckert:

Häbt jie wat funden?

Die Fischer

     (rufen zurück):

Nä, wi nich!

Mäurer:

Wer kommt denn dort?

     Der Wind bricht los mit gesteigerter Heftigkeit. Alle können nur
     mühsam gegen ihn ankämpfen. Lucie kommt.


Lucie:

Famos, Ottfried, daß Schilling doch seinen Sturm noch kriegt!

Mäurer:

Wir sind auf der Suche nach Schilling, Lucie! Schilling ist nämlich aus
dem Bett gestiegen und hat sich leise davongemacht.

Rasmussen:

Wir wollen mal überlegen, Kinder!

Lucie

     (spontan):

Flucht! begreiflicherweise Flucht! -- Dann ist das doch Hanna Elias
gewesen. Es schreit nämlich eine weibliche Stimme dort unten in der
Nähe, wo Fischer Kummer wohnt, fortwährend mit einigen Leuten herum.

Mäurer:

Schusterchen, geh und such sie auf. Gib mal acht: du hast die Aufgabe,
sie möglichst von Schilling fernzuhalten.

     Der Tischler Kühn tritt aus der Dunkelheit heran.

Kühn:

Suchen Sie den Herrn Maler Schilling, meine Herrn?

Mäurer:

Jawohl, jawohl!

Kühn:

Herr Schilling ist eben, vor eene kleene Viertelstunde erst, hier
gewesen.

Mäurer:

Wo ist er gewesen?

Kühn:

Hier, meine Herren.

Mäurer:

Täuschen Sie sich da etwa nicht, Meister?

Kühn:

Ich hab sojar jesprochen mit ihm.

Mäurer:

Was haben Sie denn mit ihm gesprochen?

Kühn:

So allerhand! Und dann ooch was, was mir jetzt erst uf die Seele
gefallen ist. Ich sollte gehn und sollte Ihnen sagen, daß Herr Schilling
baden gegangen is!

Klas Olfers:

Nanu, Schuckert, nu woll wi den Schuppen ufmaken! Nu woll wi dat kleene
Boot flottmachen. Komm man fix. Hast du den Slissel mitbrockt, Tjung?

Schuckert:

Tja, Klas Olfers, ick hebb em all.

     Schuckert verschwindet hinter dem Schuppen, man hört den großen
     Schlüssel knarren und danach das große Tor aufgähnen.

Rasmussen:

Herr Olfers, ich werde mit ins Boot steigen. (Zu Mäurer): Es ist
tatsächlich nicht ausgeschlossen, daß Schilling in seiner Wassergier
noch mal hinausgeschwommen ist.

     Er läuft mit Klas Olfers und den anderen Leuten hinter den
     Schuppen, von wo man hört, wie alle zusammen das kleine
     Rettungsboot herausschaffen. Zuweilen dringt das dumpfe Poltern der
     Ruder durch den zunehmenden Wind. Das Meer beginnt stärker zu
     rauschen.

Lucie:

Ich suche Hanna Elias auf.

Mäurer:

Wart mal! Wenn der arme Kerl wirklich mit Selbstmordgedanken etwa
hinausgeschwommen ist, und ihn draußen womöglich Reue anwandelt ...
Komm, wir machen ein Feuer an.

Lucie:

Die Pechpfanne brennt ja schon vor dem Schuppen.

     Das rote Licht der Pechpfanne und beleuchteter Rauch dringen
     hinterm Schuppen hervor. Mehr und mehr Fischerweiber und Kinder
     kommen, in den Wind schwatzend und schreiend, aus der Dunkelheit.
     Sie fragen einander, dringen auf die Männer ein, um zu erfahren,
     was los ist; diese aber scheinen wortkarg nur damit beschäftigt,
     das Boot klarzumachen. Die Jungen klettern auf das umgestülpte Boot
     auf der Düne; einige die Strickleiter am Signalmast empor. Das Boot
     ist inzwischen ins Wasser gebracht.

Mäurer

     (zu den Leuten, die ihn bestürmen):

Ich weiß nicht! Ich kann keine Auskunft geben! -- Ich weiß nicht! -- Ich
weiß nicht! -- Es tut mir leid!

     Hanna Elias, in aufgelöstem Zustande, dringt durch die Menge
     hervor.

Hanna:

Herr Professor Mäurer, ist er gefunden?

Mäurer:

Nein. Eben erst ist das Boot flottgemacht.

Hanna:

Er ist immer noch nicht gefunden?

Mäurer:

Nein.

Hanna:

Ich will mit ins Boot, ich muß mit hinausfahren.

     Sie reißt sich los und eilt fliegenden Haares gegen das Boot
     hinunter.

Lucie:

Ich weiß nicht, ich kann ihr nicht böse sein!

Mäurer:

Wie denkst du? Wollen wir uns auch anschließen?

Lucie:

Sieh mal, wie das gespenstisch ist! Das ganze Meer sieht wie Steinkohle
aus! Und es wirft schon wieder ziemliche Schaumkämme.

Mäurer:

Auch förmlich wie gelber Steinkohlenschaum.

Lucie:

Schön! Und sieh mal im nassen Sande die gelben Reflexe.

Mäurer:

Ja, gelb und dahinter purpurrot! -- Sag mal, du bist ja so ruhig,
Schusterchen.

Lucie:

Ich weiß nicht, seit der Wind so auffrischt, kommt so ein neues,
frisches, freies Gefühl über mich. -- Ich glaube nämlich ... jetzt ist er
für ewig geborgen!

Mäurer:

Hast du Schilling gern gehabt?

Lucie

     (zu ihm aufblickend):

Nicht so, wie dich!

Mäurer:

Wollen wir immer beisammen bleiben?

Lucie

     (fatalistisch):

So lange es dauert in dieser Welt. -- Still! Sie rufen dort unten so
unheimlich!

Mäurer:

Am Ende ist er gefunden. Komm!

Lucie:

Nein, Ottfried, ich gehe nicht mit.

Mäurer:

Warum nicht?

Lucie:

Ich mag nicht! Ich kann das nicht. Wenn Schilling wirklich geflohen ist
... nein, nicht mehr ... nicht mehr wie die Jagdhunde nachlaufen.

Mäurer:

Gut. Amen.

Lucie

     (schnell):

Wahrhaftig, sie bringen ihn.

     Dunkle Gestalten werden sichtbar, Fischer, die eine Bahre tragen,
     auf der Schilling tot liegt. Fischerweiber und Kinder folgen.
     Rasmussen geht neben der Bahre. Der Zug bewegt sich schweigend,
     hinter dem Schuppen hervor, unter dem Gallion vorüber, nach links
     vorbei. Lucie und Mäurer blicken Hand in Hand von einem erhöhten
     Standpunkt auf ihn herunter. Etwas Lautloses, Unwirkliches liegt in
     dem Vorgang.


Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig.




Gerhart Hauptmanns Werke in Einzelausgaben


  Bahnwärter Thiel -- Der Apostel.    Novellist. Studien. 8. Aufl.
  Vor Sonnenaufgang.    Bühnendichtung.               13. Auflage.
  Das Friedensfest.    Soziales Drama.                 7. Auflage.
  Einsame Menschen.    Drama.                         27. Auflage.
  De Waber.    Schauspiel.    (Originalausgabe.)       2. Auflage.
  Die Weber.    Schauspiel.    (Übertragung.)         43. Auflage.
  Kollege Crampton.    Komödie.                        9. Auflage.
  Der Biberpelz.    Eine Diebskomödie.                14. Auflage.
  Hanneles Himmelfahrt.    Eine Traumdichtung.        23. Auflage.
  Florian Geyer.                                       9. Auflage.
  Die versunkene Glocke.    Ein deutsches Märchendrama.  80. Aufl.
  Fuhrmann Henschel.    Schauspiel.    (Originalausg.)   16. Aufl.
  Fuhrmann Henschel.    Schauspiel.    (Übertragung.)    16. Aufl.
  Schluck und Jau.    Spiel zu Scherz und Schimpf.       10. Aufl.
  Michael Kramer.    Drama.                           10. Auflage.
  Der rote Hahn.    Tragikomödie.                      8. Auflage.
  Der arme Heinrich.    Dramatische Dichtung.         23. Auflage.
  Rose Bernd.    Schauspiel.                          18. Auflage.
  Elga.                                                7. Auflage.
  Und Pippa tanzt!    Ein Glashüttenmärchen.          10. Auflage.
  Die Jungfern vom Bischofsberg.    Lustspiel.         4. Auflage.
  Kaiser Karls Geisel.    Drama.                       6. Auflage.
  Griechischer Frühling.                               7. Auflage.
  Griselda.                                            6. Auflage.
  Der Narr in Christo Emanuel Quint.    Roman.        18. Auflage.
  Die Ratten.    Berliner Tragikomödie.                7. Auflage.


Gerhart Hauptmanns Gesammelte Werke in sechs Bänden

Geheftet 24 Mark, in Halbpergament gebunden 30 Mark, in Ganzpergament 36
Mark.

  1. Band: Soziale Dramen: Einleitung -- Vor Sonnenaufgang
     -- Die Weber -- Der Biberpelz -- Der rote Hahn.

  2. Band: Soziale Dramen u. Prosa: Fuhrmann Henschel
     -- Rose Bernd -- Bahnwärter Thiel -- Der Apostel.

  3. Band: Familiendramen: Das Friedensfest -- Einsame
     Menschen -- Kollege Crampton -- Michael Kramer.

  4. Band: Märchendramen: Hanneles Himmelfahrt --
     Die versunkene Glocke -- Der arme Heinrich.

  5. Band: Historische Dramen: Florian Geyer.

  6. Band: Märchendramen und Fragmentarisches: Elga --
     Schluck und Jau -- Und Pippa tanzt -- Helios -- Das
     Hirtenlied.

     Niemand wird das tiefgewurzelte Gefühl der Dankbarkeit in uns
     zerstören können, daß diese Werke da sind. Als Ausdruck des
     dichterischen Geistes unserer Tage -- sei er nun groß oder klein,
     doch er ist unser -- sind und bleiben sie uns Deutschen kostbar.
     Deutsch sind sie bis ins Letzte, voll keuscher Beseeltheit, voll
     inniger Fülle. Dies _fühlen_ wir auch jenseits alles Urteilens und
     Verstehens. Und darum lieben wir, wir können gar nichts anders.
     (Neue Freie Presse, Wien)


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  | Anmerkungen zur Transkription:                                     |
  |                                                                    |
  | Folgende Korrekturen wurden vorgenommen:                           |
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  |  "d'hote" in "d'hôte" geändert.                                    |
  |  "Eunosthus" in "Eunostus" geändert.                               |
  |  "Kreuzeretüden" in "Kreutzeretüden" geändert.                     |
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  | Folgende Schreibweisen wurden nicht geändert, da sie früher        |
  | gebräuchlich waren:                                                |
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  |  Gallion, Gallionfigur                                             |
  |  Gehörstäuschung                                                   |
  |  hellichten                                                        |
  |  Hollunderstrauch                                                  |
  |  Möve, Seemöve                                                     |
  |  unstät, Unstätes                                                  |
  |                                                                    |
  | In der wörtlichen Rede sind Worte so geschrieben, wie sie          |
  | gesprochen werden, ohne Auslassungszeichen zu verwenden. Das ist   |
  | so beibehalten worden, wie beispielsweise:                         |
  |                                                                    |
  | altbacknen ander anziehn ausruhn begehn bescheidnes bitt bittren   |
  | borg dacht eignes entgegengehn erheb fühl geborner gehn gehts      |
  | geschehn gesehn grad gratulier häng hätt heut hinübergehn jag kenn |
  | konnt kriech leb lieg möcht nehm nich offne red Ruhn seh sehn      |
  | stehn stehts überm unbescheidnen verzeihn wackren werd Wiedersehn  |
  | wirs wünsch zuhaus                                                 |
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  | Folgende Schreibweisen wurden uneinheitlich belassen:              |
  |                                                                    |
  |  "Ku ui", "Kuui" und "Ku u i"                                      |
  |                                                                    |
  | Folgende Schreibweisen wurden zu der meist gebrauchten             |
  | Schreibweise vereinheitlicht:                                      |
  |                                                                    |
  |  "Jaketts" (getrennt als Ja-ketts geschrieben) zu "Jacketts"       |
  |                                                                    |
  | An folgenden Stellen wurde die Interpunktion geändert:             |
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  |  ... von der Mauer nach außen. Lucie läuft ... (Punkt eingefügt)   |
  |  ... solche Anfälle, wie den gestrigen, schon früher gehabt? (2.   |
  |                          Komma eingefügt)                          |
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  | Die folgenden Sätze wurden geändert, der ersetzte Buchstabe als    |
  | Setzfehler gewertet:                                               |
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  |  wenn wir mal ne Erinnerung über die Leber lauft (Original)        |
  |  wenn mir mal ne Erinnerung über die Leber läuft (Transskript)     |
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  | Die folgenden Sätze wurden geändert, die falsche Grammatik         |
  | erlaubte kein flüssiges Lesen der Textstellen:                     |
  |                                                                    |
  |  Warum lebst du denn hier mit deine Freunde? (Original)            |
  |  Warum lebst du denn hier mit deinen Freunden? (Transskript)       |
  |                                                                    |
  | (Original) krankhafte Märchen, ausgebrütet von eine sich beleidigt |
  | glaubenden Frau, (Transskript) krankhafte Märchen, ausgebrütet von |
  | einer sich beleidigt glaubenden Frau,                              |
  |                                                                    |
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Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
Gutenberg-tm License available with this file or online at
  www.gutenberg.org/license.


Section 1.  General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
electronic works

1.A.  By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement.  If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B.  "Project Gutenberg" is a registered trademark.  It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement.  There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement.  See
paragraph 1.C below.  There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
works.  See paragraph 1.E below.

1.C.  The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
Gutenberg-tm electronic works.  Nearly all the individual works in the
collection are in the public domain in the United States.  If an
individual work is in the public domain in the United States and you are
located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
are removed.  Of course, we hope that you will support the Project
Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
the work.  You can easily comply with the terms of this agreement by
keeping this work in the same format with its attached full Project
Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.

1.D.  The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work.  Copyright laws in most countries are in
a constant state of change.  If you are outside the United States, check
the laws of your country in addition to the terms of this agreement
before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
creating derivative works based on this work or any other Project
Gutenberg-tm work.  The Foundation makes no representations concerning
the copyright status of any work in any country outside the United
States.

1.E.  Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1.  The following sentence, with active links to, or other immediate
access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org

1.E.2.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
and distributed to anyone in the United States without paying any fees
or charges.  If you are redistributing or providing access to a work
with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
1.E.9.

1.E.3.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
terms imposed by the copyright holder.  Additional terms will be linked
to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
permission of the copyright holder found at the beginning of this work.

1.E.4.  Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5.  Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6.  You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
word processing or hypertext form.  However, if you provide access to or
distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
form.  Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7.  Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8.  You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
     the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
     address specified in Section 4, "Information about donations to
     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
your equipment.

1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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