Bahnwärter Thiel

By Gerhart Hauptmann

The Project Gutenberg EBook of Bahnwärter Thiel, by Gerhart Hauptmann

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org


Title: Bahnwärter Thiel

Author: Gerhart Hauptmann

Release Date: July 11, 2009 [EBook #29376]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BAHNWÄRTER THIEL ***




Produced by Jana Srna, Norbert H. Langkau and the Online
Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net






  [ Anmerkungen zur Transkription:

    Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen;
    lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Eine Liste
    der vorgenommenen Änderungen findet sich am Ende des Textes.

    Im Original gesperrt gedruckter Text wurde mit _ markiert.
  ]




                          Fischers Bibliothek
                        zeitgenössischer Romane




                            Bahnwärter Thiel
                                  von
                           Gerhart Hauptmann


                       S. Fischer, Verlag, Berlin




       Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung, vorbehalten




Inhalt


  Bahnwärter Thiel       7

  Der Apostel           71




Bahnwärter Thiel


1

Allsonntäglich saß der Bahnwärter Thiel in der Kirche zu Neu-Zittau,
ausgenommen die Tage, an denen er Dienst hatte oder krank war und zu
Bette lag. Im Verlaufe von zehn Jahren war er zweimal krank gewesen;
das eine Mal infolge eines vom Tender einer Maschine während des
Vorbeifahrens herabgefallenen Stückes Kohle, welches ihn getroffen
und mit zerschmettertem Bein in den Bahngraben geschleudert hatte;
das andere Mal einer Weinflasche wegen, die aus dem vorüberrasenden
Schnellzuge mitten auf seine Brust geflogen war. Außer diesen beiden
Unglücksfällen hatte nichts vermocht, ihn, sobald er frei war, von der
Kirche fernzuhalten.

Die ersten fünf Jahre hatte er den Weg von Schön-Schornstein, einer
Kolonie an der Spree, herüber nach Neu-Zittau allein machen müssen.
Eines schönen Tages war er dann in Begleitung eines schmächtigen und
kränklich aussehenden Frauenzimmers erschienen, die, wie die Leute
meinten, zu seiner herkulischen Gestalt wenig gepaßt hatte. Und wiederum
eines schönen Sonntag Nachmittags reichte er dieser selben Person am
Altare der Kirche feierlich die Hand zum Bunde fürs Leben. Zwei Jahre
nun saß das junge, zarte Weib ihm zur Seite in der Kirchenbank; zwei
Jahre blickte ihr hohlwangiges, feines Gesicht neben seinem vom Wetter
gebräunten in das uralte Gesangbuch --; und plötzlich saß der Bahnwärter
wieder allein wie zuvor.

An einem der vorangegangenen Wochentage hatte die Sterbeglocke geläutet:
das war das Ganze.

An dem Wärter hatte man, wie die Leute versicherten, kaum eine
Veränderung wahrgenommen. Die Knöpfe seiner sauberen Sonntagsuniform
waren so blank geputzt als je zuvor, seine roten Haare so wohl geölt und
militärisch gescheitelt wie immer, nur daß er den breiten, behaarten
Nacken ein wenig gesenkt trug und noch eifriger der Predigt lauschte
oder sang, als er es früher getan hatte. Es war die allgemeine Ansicht,
daß ihm der Tod seiner Frau nicht sehr nahe gegangen sei; und diese
Ansicht erhielt eine Bekräftigung, als sich Thiel nach Verlauf eines
Jahres zum zweiten Male, und zwar mit einem dicken und starken
Frauenzimmer, einer Kuhmagd aus Alte-Grund, verheiratete.

Auch der Pastor gestattete sich, als Thiel die Trauung anmelden kam,
einige Bedenken zu äußern:

»Ihr wollt also schon wieder heiraten?«

»Mit der Toten kann ich nicht wirtschaften, Herr Prediger!«

»Nun ja wohl -- aber ich meine -- Ihr eilt ein wenig.«

»Der Junge geht mir drauf, Herr Prediger.«

Thiels Frau war im Wochenbett gestorben, und der Junge, welchen sie zur
Welt gebracht, lebte und hatte den Namen Tobias erhalten.

»Ach so, der Junge,« sagte der Geistliche und machte eine Bewegung, die
deutlich zeigte, daß er sich des Kleinen erst jetzt erinnere. »Das ist
etwas andres -- wo habt Ihr ihn denn untergebracht, während Ihr im
Dienst seid?«

Thiel erzählte nun, wie er Tobias einer alten Frau übergeben, die ihn
einmal beinahe habe verbrennen lassen, während er ein anderes Mal von
ihrem Schoß auf die Erde gekugelt sei, ohne glücklicherweise mehr als
eine große Beule davonzutragen. Das könne nicht so weiter gehen, meinte
er, zudem da der Junge, schwächlich wie er sei, eine ganz besondere
Pflege benötige. Deswegen und ferner weil er der Verstorbenen in die
Hand gelobt, für die Wohlfahrt des Jungen zu jeder Zeit ausgiebig Sorge
zu tragen, habe er sich zu dem Schritte entschlossen. --

Gegen das neue Paar, welches nun allsonntäglich zur Kirche kam, hatten
die Leute äußerlich durchaus nichts einzuwenden. Die frühere Kuhmagd
schien für den Wärter wie geschaffen. Sie war kaum einen halben Kopf
kleiner wie er und übertraf ihn an Gliederfülle. Auch war ihr Gesicht
ganz so grob geschnitten wie das seine, nur daß ihm im Gegensatz zu dem
des Wärters die Seele abging.

Wenn Thiel den Wunsch gehegt hatte, in seiner zweiten Frau eine
unverwüstliche Arbeiterin, eine musterhafte Wirtschafterin zu haben, so
war dieser Wunsch in überraschender Weise in Erfüllung gegangen. Drei
Dinge jedoch hatte er, ohne es zu wissen, mit seiner Frau in Kauf
genommen: eine harte, herrschsüchtige Gemütsart, Zanksucht und brutale
Leidenschaftlichkeit. Nach Verlauf eines halben Jahres war es
ortsbekannt, wer in dem Häuschen des Wärters das Regiment führte. Man
bedauerte den Wärter.

Es sei ein Glück für »das Mensch«, daß sie ein so gutes Schaf wie den
Thiel zum Manne bekommen habe, äußerten die aufgebrachten Ehemänner; es
gäbe welche, bei denen sie greulich anlaufen würde. So ein »Tier« müsse
doch kirre zu machen sein, meinten sie, und wenn es nicht anders ginge,
denn mit Schlägen. Durchgewalkt müsse sie werden, aber dann gleich so,
daß es zöge.

Sie durchzuwalken aber war Thiel trotz seiner sehnigen Arme nicht der
Mann. Das, worüber sich die Leute ereiferten, schien ihm wenig
Kopfzerbrechen zu machen. Die endlosen Predigten seiner Frau ließ er
gewöhnlich wortlos über sich ergehen, und wenn er einmal antwortete, so
stand das schleppende Zeitmaß, sowie der leise, kühle Ton seiner Rede in
seltsamstem Gegensatz zu dem kreischenden Gekeif seiner Frau. Die
Außenwelt schien ihm wenig anhaben zu können: es war, als trüge er etwas
in sich, wodurch er alles Böse, was sie ihm antat, reichlich mit Gutem
aufgewogen erhielt.

Trotz seines unverwüstlichen Phlegmas hatte er doch Augenblicke, in
denen er nicht mit sich spaßen ließ. Es war dies immer anläßlich
solcher Dinge, die Tobiäschen betrafen. Sein kindgutes, nachgiebiges
Wesen gewann dann einen Anstrich von Festigkeit, dem selbst ein so
unzähmbares Gemüt wie das Lenes nicht entgegenzutreten wagte.

Die Augenblicke indes, darin er diese Seite seines Wesens herauskehrte,
wurden mit der Zeit immer seltener und verloren sich zuletzt ganz. Ein
gewisser leidender Widerstand, den er der Herrschsucht Lenens während
des ersten Jahres entgegengesetzt, verlor sich ebenfalls im zweiten. Er
ging nicht mehr mit der früheren Gleichgültigkeit zum Dienst, nachdem er
einen Auftritt mit ihr gehabt, wenn er sie nicht vorher besänftigt
hatte. Er ließ sich am Ende nicht selten herab, sie zu bitten, doch
wieder gut zu sein. -- Nicht wie sonst mehr war ihm sein einsamer Posten
inmitten des märkischen Kiefernforstes sein liebster Aufenthalt. Die
stillen, hingebenden Gedanken an sein verstorbenes Weib wurden von denen
an die Lebende durchkreuzt. Nicht widerwillig, wie die erste Zeit, trat
er den Heimweg an, sondern mit leidenschaftlicher Hast, nachdem er
vorher oft Stunden und Minuten bis zur Zeit der Ablösung gezählt hatte.

Er, der mit seinem ersten Weibe durch eine mehr vergeistigte Liebe
verbunden gewesen war, geriet durch die Macht roher Triebe in die Gewalt
seiner zweiten Frau und wurde zuletzt in allem fast unbedingt von ihr
abhängig. -- Zuzeiten empfand er Gewissensbisse über diesen Umschwung
der Dinge und er bedurfte einer Anzahl außergewöhnlicher Hilfsmittel, um
sich darüber hinweg zu helfen. So erklärte er sein Wärterhäuschen und
die Bahnstrecke, die er zu besorgen hatte, insgeheim gleichsam für
geheiligtes Land, welches ausschließlich den Manen der Toten gewidmet
sein sollte. Mit Hilfe von allerhand Vorwänden war es ihm in der Tat
bisher gelungen, seine Frau davon abzuhalten, ihn dahin zu begleiten.

Er hoffte es auch fernerhin tun zu können. Sie hätte nicht gewußt,
welche Richtung sie einschlagen sollte, um seine »Bude«, deren Nummer
sie nicht einmal kannte, aufzufinden.

Dadurch, daß er die ihm zu Gebote stehende Zeit somit gewissenhaft
zwischen die Lebende und Tote zu teilen vermochte, beruhigte Thiel sein
Gewissen in der Tat.

Oft freilich und besonders in Augenblicken einsamer Andacht, wenn er
recht innig mit der Verstorbenen verbunden gewesen war, sah er seinen
jetzigen Zustand im Lichte der Wahrheit und empfand davor Ekel.

Hatte er Tagdienst, so beschränkte sich sein geistiger Verkehr mit der
Verstorbenen auf eine Menge lieber Erinnerungen aus der Zeit seines
Zusammenlebens mit ihr. Im Dunkel jedoch, wenn der Schneesturm durch die
Kiefern und über die Strecke raste, in tiefer Mitternacht beim Scheine
seiner Laterne, da wurde das Wärterhäuschen zur Kapelle.

Eine verblichene Photographie der Verstorbenen vor sich auf dem Tisch,
Gesangbuch und Bibel aufgeschlagen, las und sang er abwechselnd die
lange Nacht hindurch, nur von den in Zwischenräumen vorbeitobenden
Bahnzügen unterbrochen, und geriet hierbei in eine Ekstase, die sich zu
Gesichten steigerte, in denen er die Tote leibhaftig vor sich sah.

Der Posten, den der Wärter nun schon zehn volle Jahre ununterbrochen
innehatte, war aber in seiner Abgelegenheit dazu angetan, seine
mystischen Neigungen zu fördern.

Nach allen vier Windrichtungen mindestens durch einen
dreiviertelstündigen Weg von jeder menschlichen Wohnung entfernt, lag
die Bude inmitten des Forstes dicht neben einem Bahnübergang, dessen
Barrieren der Wärter zu bedienen hatte.

Im Sommer vergingen Tage, im Winter Wochen, ohne daß ein menschlicher
Fuß, außer denen des Wärters und seines Kollegen, die Strecke passierte.
Das Wetter und der Wechsel der Jahreszeiten brachten in ihrer
periodischen Wiederkehr fast die einzige Abwechslung in diese Einöde.
Die Ereignisse, welche im übrigen den regelmäßigen Ablauf der Dienstzeit
Thiels außer den beiden Unglücksfällen unterbrochen hatten, waren
unschwer zu überblicken. Vor vier Jahren war der kaiserliche Extrazug,
der den Kaiser nach Breslau gebracht hatte, vorübergejagt. In einer
Winternacht hatte der Schnellzug einen Rehbock überfahren. An einem
heißen Sommertage hatte Thiel bei seiner Streckenrevision eine verkorkte
Weinflasche gefunden, die sich glühend heiß anfaßte und deren Inhalt
deshalb von ihm für sehr gut gehalten wurde, weil er nach Entfernung des
Korkes einer Fontäne gleich herausquoll, also augenscheinlich gegoren
war. Diese Flasche, von Thiel in den seichten Rand eines Waldsees
gelegt, um abzukühlen, war von dort auf irgend welche Weise abhanden
gekommen, so daß er noch nach Jahren ihren Verlust bedauern mußte.

Einige Zerstreuung vermittelte dem Wärter ein Brunnen dicht hinter
seinem Häuschen. Von Zeit zu Zeit nahmen in der Nähe beschäftigte Bahn-
oder Telegraphenarbeiter einen Trunk daraus, wobei natürlich ein kurzes
Gespräch mit unterlief. Auch der Förster kam zuweilen, um seinen Durst
zu löschen.

Tobias entwickelte sich nur langsam: erst gegen Ablauf seines zweiten
Lebensjahres lernte er notdürftig sprechen und gehen. Dem Vater bewies
er eine ganz besondere Zuneigung. Wie er verständiger wurde, erwachte
auch die alte Liebe des Vaters wieder. In dem Maße, wie diese zunahm,
verringerte sich die Liebe der Stiefmutter zu Tobias und schlug sogar in
unverkennbare Abneigung um, als Lene nach Verlauf eines neuen Jahres
ebenfalls einen Jungen gebar.

Von da ab begann für Tobias eine schlimme Zeit. Er wurde besonders in
Abwesenheit des Vaters unaufhörlich geplagt und mußte ohne die geringste
Belohnung dafür seine schwachen Kräfte im Dienste des kleinen
Schreihalses einsetzen, wobei er sich mehr und mehr aufrieb. Sein Kopf
bekam einen ungewöhnlichen Umfang; die brandroten Haare und das kreidige
Gesicht darunter machten einen unschönen und im Verein mit der übrigen
kläglichen Gestalt erbarmungswürdigen Eindruck. Wenn sich der
zurückgebliebene Tobias solchergestalt, das kleine, von Gesundheit
strotzende Brüderchen auf dem Arme, hinunter zur Spree schleppte, so
wurden hinter den Fenstern der Hütten Verwünschungen laut, die sich
jedoch niemals hervorwagten. Thiel aber, welchen die Sache doch vor
allem anging, schien keine Augen für sie zu haben und wollte auch die
Winke nicht verstehen, welche ihm von wohlmeinenden Nachbarsleuten
gegeben wurden.


2

An einem Junimorgen gegen sieben Uhr kam Thiel aus dem Dienst. Seine
Frau hatte nicht so bald ihre Begrüßung beendet, als sie schon in
gewohnter Weise zu lamentieren begann. Der Pachtacker, welcher bisher
den Kartoffelbedarf der Familie gedeckt hatte, war vor Wochen gekündigt
worden, ohne daß es Lenen bisher gelungen war, einen Ersatz dafür
ausfindig zu machen. Wenngleich nun die Sorge um den Acker zu ihren
Obliegenheiten gehörte, so mußte doch Thiel einmal übers andre hören,
daß niemand als er daran schuld sei, wenn man in diesem Jahre zehn Sack
Kartoffeln für schweres Geld kaufen müsse. Thiel brummte nur und begab
sich, Lenens Reden wenig Beachtung schenkend, sogleich an das Bett
seines Ältesten, welches er in den Nächten, wo er nicht im Dienst war,
mit ihm teilte. Hier ließ er sich nieder und beobachtete mit einem
sorglichen Ausdruck seines guten Gesichts das schlafende Kind, welches
er, nachdem er die zudringlichen Fliegen eine Weile von ihm abgehalten,
schließlich weckte. In den blauen, tiefliegenden Augen des Erwachenden
malte sich eine rührende Freude. Er griff hastig nach der Hand des
Vaters, indes sich seine Mundwinkel zu einem kläglichen Lächeln
verzogen. Der Wärter half ihm sogleich beim Anziehen der wenigen
Kleidungsstücke, wobei plötzlich etwas wie ein Schatten durch seine
Mienen lief, als er bemerkte, daß sich auf der rechten, ein wenig
angeschwollenen Backe einige Fingerspuren weiß in rot abzeichneten.

Als Lene beim Frühstück mit vergrößertem Eifer auf vorberegte
Wirtschaftsangelegenheit zurückkam, schnitt er ihr das Wort ab mit der
Nachricht, daß ihm der Bahnmeister ein Stück Land längs des Bahndammes
in unmittelbarer Nähe des Wärterhauses umsonst überlassen habe,
angeblich weil es ihm, dem Bahnmeister, zu abgelegen sei.

Lene wollte das anfänglich nicht glauben. Nach und nach wichen jedoch
ihre Zweifel, und nun geriet sie in merklich gute Laune. Ihre Fragen
nach Größe und Güte des Ackers sowie andre mehr verschlangen sich
förmlich, und als sie erfuhr, daß bei alledem noch zwei Zwergobstbäume
darauf stünden, wurde sie rein närrisch. Als nichts mehr zu erfragen
übrigblieb, zudem die Türglocke des Krämers, die man, beiläufig gesagt,
in jedem einzelnen Hause des Ortes vernehmen konnte, unaufhörlich
anschlug, schoß sie davon, um die Neuigkeit im Örtchen auszusprengen.

Während Lene in die dunkle, mit Waren überfüllte Kammer des Krämers kam,
beschäftigte sich der Wärter daheim ausschließlich mit Tobias. Der Junge
saß auf seinen Knien und spielte mit einigen Kieferzapfen, die Thiel mit
aus dem Walde gebracht hatte.

»Was willst du werden?« fragte ihn der Vater, und diese Frage war
stereotyp wie die Antwort des Jungen: »ein Bahnmeister.« Es war keine
Scherzfrage, denn die Träume des Wärters verstiegen sich in der Tat in
solche Höhen, und er hegte allen Ernstes den Wunsch und die Hoffnung,
daß aus Tobias mit Gottes Hilfe etwas Außergewöhnliches werden sollte.
Sobald die Antwort »ein Bahnmeister« von den blutlosen Lippen des
Kleinen kam, der natürlich nicht wußte, was sie bedeuten sollte, begann
Thiels Gesicht sich aufzuhellen, bis es förmlich strahlte von innerer
Glückseligkeit.

»Geh, Tobias, geh spielen!« sagte er kurz darauf, indem er eine Pfeife
Tabak mit einem im Herdfeuer entzündeten Span in Brand steckte, und der
Kleine drückte sich alsbald in scheuer Freude zur Türe hinaus. Thiel
entkleidete sich, ging zu Bett und entschlief, nachdem er geraume Zeit
gedankenvoll die niedrige und rissige Stubendecke angestarrt hatte.
Gegen zwölf Uhr mittags erwachte er, kleidete sich an und ging, während
seine Frau in ihrer lärmenden Weise das Mittagbrot bereitete, hinaus auf
die Straße, wo er Tobiäschen sogleich aufgriff, der mit den Fingern Kalk
aus einem Loche in der Wand kratzte und in den Mund steckte. Der Wärter
nahm ihn bei der Hand und ging mit ihm an den etwa acht Häuschen des
Ortes vorüber bis hinunter zur Spree, die schwarz und glasig zwischen
schwach belaubten Pappeln lag. Dicht am Rande des Wassers befand sich
ein Granitblock, auf welchen Thiel sich niederließ.

Der ganze Ort hatte sich gewöhnt, ihn bei nur irgend erträglichem Wetter
an dieser Stelle zu erblicken. Die Kinder besonders hingen an ihm,
nannten ihn »Vater Thiel« und wurden von ihm besonders in mancherlei
Spielen unterrichtet, deren er sich aus seiner Jugendzeit erinnerte. Das
Beste jedoch von dem Inhalt seiner Erinnerungen war für Tobias. Er
schnitzelte ihm Fitschepfeile, die höher flogen wie die aller anderen
Jungen. Er schnitt ihm Weidenpfeifchen und ließ sich sogar herbei, mit
seinem verrosteten Baß das Beschwörungslied zu singen, während er mit
dem Horngriff seines Taschenmessers die Rinde leise klopfte.

Die Leute verübelten ihm seine Läppschereien; es war ihnen unerfindlich,
wie er sich mit den Rotznasen so viel abgeben konnte. Im Grunde durften
sie jedoch damit zufrieden sein, denn die Kinder waren unter seiner
Obhut gut aufgehoben. Überdies nahm Thiel auch ernste Dinge mit ihnen
vor, hörte den Großen ihre Schulaufgaben ab, half ihnen beim Lernen der
Bibel- und Gesangbuchverse und buchstabierte mit den Kleinen »a« -- »b«
-- »ab«, »d« -- »u« -- »du« und so fort.

Nach dem Mittagessen legte sich der Wärter abermals zu kurzer Ruhe
nieder. Nachdem sie beendigt war, trank er den Nachmittagskaffee und
begann gleich darauf sich für den Gang in den Dienst vorzubereiten. Er
brauchte dazu, wie zu allen seinen Verrichtungen, viel Zeit; jeder
Handgriff war seit Jahren geregelt; in stets gleicher Reihenfolge
wanderten die sorgsam auf der kleinen Nußbaumkommode ausgebreiteten
Gegenstände: Messer, Notizbuch, Kamm, ein Pferdezahn, die alte
eingekapselte Uhr in die Taschen seiner Kleider. Ein kleines, in rotes
Papier eingeschlagenes Büchelchen wurde mit besonderer Sorgfalt
behandelt. Es lag während der Nacht unter dem Kopfkissen des Wärters und
wurde am Tage von ihm stets in der Brusttasche des Dienstrockes
herumgetragen. Auf der Etikette unter dem Umschlag stand in
unbeholfenen, aber verschnörkelten Schriftzügen, von Thiels Hand
geschrieben: Sparkassenbuch des Tobias Thiel.

Die Wanduhr mit dem langen Pendel und dem gelbsüchtigen Zifferblatt
zeigte dreiviertel fünf, als Thiel fortging. Ein kleiner Kahn, sein
Eigentum, brachte ihn über den Fluß. Am jenseitigen Spreeufer blieb er
einige Male stehen und lauschte nach dem Ort zurück. Endlich bog er in
einen breiten Waldweg und befand sich nach wenigen Minuten inmitten des
tiefaufrauschenden Kiefernforstes, dessen Nadelmassen einem
schwarzgrünen, wellenwerfenden Meere glichen. Unhörbar wie auf Filz
schritt er über die feuchte Moos- und Nadelschicht des Waldbodens. Er
fand seinen Weg ohne aufzublicken, hier durch die rostbraunen Säulen des
Hochwaldes, dort weiterhin durch dicht verschlungenes Jungholz, noch
weiter über ausgedehnte Schonungen, die von einzelnen hohen und
schlanken Kiefern überschattet wurden, welche man zum Schutze für den
Nachwuchs aufbehalten hatte. Ein bläulicher, durchsichtiger, mit
allerhand Düften geschwängerter Dunst stieg aus der Erde auf und ließ
die Formen der Bäume verwaschen erscheinen. Ein schwerer, milchiger
Himmel hing tief herab über die Baumwipfel. Krähenschwärme badeten
gleichsam im Grau der Luft, unaufhörlich ihre knarrenden Rufe
ausstoßend. Schwarze Wasserlachen füllten die Vertiefungen des Weges und
spiegelten die trübe Natur noch trüber wider.

»Ein furchtbares Wetter,« dachte Thiel, als er aus tiefem Nachdenken
erwachte und aufschaute.

Plötzlich jedoch bekamen seine Gedanken eine andere Richtung. Er fühlte
dunkel, daß er etwas daheim vergessen haben müsse, und wirklich vermißte
er beim Durchsuchen seiner Taschen das Butterbrot, welches er der langen
Dienstzeit halber stets mitzunehmen genötigt war. Unschlüssig blieb er
eine Weile stehen, wandte sich dann aber plötzlich und eilte in der
Richtung des Dorfes zurück.

In kurzer Zeit hatte er die Spree erreicht, setzte mit wenigen kräftigen
Ruderschlägen über und stieg gleich darauf, am ganzen Körper schwitzend,
die sanft ansteigende Dorfstraße hinauf. Der alte, schäbige Pudel des
Krämers lag mitten auf der Straße. Auf dem geteerten Plankenzaune eines
Kossätenhofes saß eine Nebelkrähe. Sie spreizte die Federn, schüttelte
sich, nickte, stieß ein ohrenzerreißendes »krä«, »krä« aus und erhob
sich mit pfeifendem Flügelschlag, um sich vom Winde in der Richtung des
Forstes davontreiben zu lassen.

Von den Bewohnern der kleinen Kolonie, etwa zwanzig Fischern und
Waldarbeitern mit ihren Familien, war nichts zu sehen.

Der Ton einer kreischenden Stimme unterbrach die Stille so laut und
schrill, daß der Wärter unwillkürlich mit Laufen innehielt. Ein Schwall
heftig herausgestoßener, mißtönender Laute schlug an sein Ohr, die aus
dem offenen Giebelfenster eines niedrigen Häuschens zu kommen schienen,
welches er nur zu wohl kannte.

Das Geräusch seiner Schritte nach Möglichkeit dämpfend, schlich er sich
näher und unterschied nun ganz deutlich die Stimme seiner Frau. Nur noch
wenige Bewegungen, und die meisten ihrer Worte wurden ihm verständlich.

»Was, du unbarmherziger, herzloser Schuft! Soll sich das elende Wurm die
Plautze ausschreien vor Hunger? -- wie? Na wart nur, wart, ich will
dich lehren aufpassen! -- Du sollst dran denken.« Einige Augenblicke
blieb es still; dann hörte man ein Geräusch, wie wenn Kleidungsstücke
ausgeklopft würden; unmittelbar darauf entlud sich ein neues Hagelwetter
von Schimpfworten.

»Du erbärmlicher Grünschnabel,« scholl es im schnellsten Tempo herunter,
»meinst du, ich sollte mein leibliches Kind wegen solch einem
Jammerlappen, wie du bist, verhungern lassen?« »Halts Maul!« schrie es,
als ein leises Wimmern hörbar wurde, »oder du sollst eine Portion
kriegen, an der du acht Tage zu fressen hast.«

Das Wimmern verstummte nicht.

Der Wärter fühlte, wie sein Herz in schweren, unregelmäßigen Schlägen
ging. Er begann leise zu zittern. Seine Blicke hingen wie abwesend am
Boden fest, und die plumpe und harte Hand strich mehrmals ein Büschel
nasser Haare zur Seite, das immer von neuem in die sommersprossige
Stirne hinein fiel.

Einen Augenblick drohte es ihn zu überwältigen. Es war ein Krampf, der
die Muskeln schwellen machte und die Finger der Hand zur Faust
zusammenzog. Es ließ nach, und dumpfe Mattigkeit blieb zurück.

Unsicheren Schrittes trat der Wärter in den engen, ziegelgepflasterten
Hausflur. Müde und langsam erklomm er die knarrende Holzstiege.

»Pfui, pfui, pfui!« hob es wieder an; dabei hörte man, wie jemand
dreimal hintereinander mit allen Zeichen der Wut und Verachtung ausspie.
»Du erbärmlicher, niederträchtiger, hinterlistiger, hämischer, feiger,
gemeiner Lümmel.« Die Worte folgten einander in steigender Betonung, und
die Stimme, welche sie herausstieß, schnappte zuweilen über vor
Anstrengung. »Meinen Buben willst du schlagen, was? Du elende Göre
unterstehst dich, das arme, hilflose Kind aufs Maul zu schlagen? -- wie?
-- he, wie? -- Ich will mich nur nicht dreckig machen an dir, sonst ...«

In diesem Augenblick öffnete Thiel die Tür des Wohnzimmers, weshalb der
erschrockenen Frau das Ende des begonnenen Satzes in der Kehle stecken
blieb. Sie war kreidebleich vor Zorn; ihre Lippen zuckten bösartig; sie
hatte die Rechte erhoben, senkte sie und griff nach dem Milchtopf, aus
dem sie ein Kinderfläschchen voll zu füllen versuchte. Sie ließ jedoch
diese Arbeit, da der größte Teil der Milch über den Flaschenhals auf den
Tisch rann, halb verrichtet, griff vollkommen fassungslos vor Erregung
bald nach diesem, bald nach jenem Gegenstand, ohne ihn länger als einige
Augenblicke festhalten zu können und ermannte sich endlich soweit, ihren
Mann heftig anzulassen: was es denn heißen solle, daß er um diese
ungewöhnliche Zeit nach Hause käme, er würde sie doch nicht etwa gar
belauschen wollen; »das wäre noch das Letzte,« meinte sie, und gleich
darauf: sie habe ein reines Gewissen und brauche vor niemand die Augen
niederzuschlagen.

Thiel hörte kaum, was sie sagte. Seine Blicke streiften flüchtig das
heulende Tobiäschen. Einen Augenblick schien es, als müsse er gewaltsam
etwas Furchtbares zurückhalten, was in ihm aufstieg; dann legte sich
über die gespannten Mienen plötzlich das alte Phlegma, von einem
verstohlnen begehrlichen Aufblitzen der Augen seltsam belebt.
Sekundenlang spielte sein Blick über den starken Gliedmaßen seines
Weibes, das, mit abgewandtem Gesicht herumhantierend, noch immer nach
Fassung suchte. Ihre vollen, halbnackten Brüste blähten sich vor
Erregung und drohten das Mieder zu sprengen, und ihre aufgerafften Röcke
ließen die breiten Hüften noch breiter erscheinen. Eine Kraft schien von
dem Weibe auszugehen, unbezwingbar, unentrinnbar, der Thiel sich nicht
gewachsen fühlte.

Leicht gleich einem feinen Spinngewebe und doch fest wie ein Netz von
Eisen legte es sich um ihn, fesselnd, überwindend, erschlaffend. Er
hätte in diesem Zustand überhaupt kein Wort an sie zu richten vermocht,
am allerwenigsten ein hartes, und so mußte Tobias, der in Tränen gebadet
und verängstet in einer Ecke hockte, sehen, wie der Vater, ohne sich
auch nur weiter nach ihm umzuschauen, das vergessene Brot von der
Ofenbank nahm, es der Mutter als einzige Erklärung hinhielt und mit
einem kurzen, zerstreuten Kopfnicken sogleich wieder verschwand.


3

Obgleich Thiel den Weg in seine Waldeinsamkeit mit möglichster Eile
zurücklegte, kam er doch erst fünfzehn Minuten nach der ordnungsmäßigen
Zeit an den Ort seiner Bestimmung.

Der Hilfswärter, ein infolge des bei seinem Dienst unumgänglichen,
schnellen Temperaturwechsels schwindsüchtig gewordener Mensch, der mit
ihm im Dienst abwechselte, stand schon fertig zum Aufbruch auf der
kleinen, sandigen Plattform des Häuschens, dessen große Nummer schwarz
auf weiß weithin durch die Stämme leuchtete.

Die beiden Männer reichten sich die Hände, machten sich einige kurze
Mitteilungen und trennten sich. Der eine verschwand im Innern der Bude,
der andere ging quer über die Strecke, die Fortsetzung jener Straße
benutzend, welche Thiel gekommen war. Man hörte sein krampfhaftes Husten
erst näher, dann ferner durch die Stämme, und mit ihm verstummte der
einzige menschliche Laut in dieser Einöde. Thiel begann wie immer so
auch heute damit, das enge, viereckige Steingebauer der Wärterbude auf
seine Art für die Nacht herzurichten. Er tat es mechanisch, während sein
Geist mit dem Eindruck der letzten Stunden beschäftigt war. Er legte
sein Abendbrot auf den schmalen, braungestrichenen Tisch an einem der
beiden schlitzartigen Seitenfenster, von denen aus man die Strecke
bequem übersehen konnte. Hierauf entzündete er in dem kleinen, rostigen
Öfchen ein Feuer und stellte einen Topf kalten Wassers darauf. Nachdem
er schließlich noch in die Gerätschaften Schaufel, Spaten, Schraubstock
usw. einige Ordnung gebracht hatte, begab er sich ans Putzen seiner
Laterne, die er zugleich mit frischem Petroleum versorgte.

Als dies geschehen war, meldete die Glocke mit drei schrillen Schlägen,
die sich wiederholten, daß ein Zug in der Richtung von Breslau her aus
der nächstliegenden Station abgelassen sei. Ohne die mindeste Hast zu
zeigen, blieb Thiel noch eine gute Weile im Innern der Bude, trat
endlich, Fahne und Patronentasche in der Hand, langsam ins Freie und
bewegte sich trägen und schlürfenden Ganges über den schmalen Sandpfad,
dem etwa zwanzig Schritt entfernten Bahnübergang zu. Seine Barrieren
schloß und öffnete Thiel vor und nach jedem Zuge gewissenhaft, obgleich
der Weg nur selten von jemand passiert wurde.

Er hatte seine Arbeit beendet und lehnte jetzt wartend an der
schwarzweißen Sperrstange.

Die Strecke schnitt rechts und links gradlinig in den unabsehbaren,
grünen Forst hinein; zu ihren beiden Seiten stauten die Nadelmassen
gleichsam zurück, zwischen sich eine Gasse freilassend, die der
rötlichbraune, kiesbestreute Bahndamm ausfüllte. Die schwarzen
parallellaufenden Geleise darauf glichen in ihrer Gesamtheit einer
ungeheuren, eisernen Netzmasche, deren schmale Strähne sich im äußersten
Süden und Norden in einem Punkte des Horizontes zusammenzogen.

Der Wind hatte sich erhoben und trieb leise Wellen den Waldrand hinunter
und in die Ferne hinein. Aus den Telegraphenstangen, die die Strecke
begleiteten, tönten summende Akkorde. Auf den Drähten, die sich wie das
Gewebe einer Riesenspinne von Stange zu Stange fortrankten, klebten in
dichten Reihen Scharen zwitschernder Vögel. Ein Specht flog lachend über
Thiels Kopf weg, ohne daß er eines Blickes gewürdigt wurde.

Die Sonne, welche soeben unter dem Rande mächtiger Wolken herabhing, um
in das schwarzgrüne Wipfelmeer zu versinken, goß Ströme von Purpur über
den Forst. Die Säulenarkaden der Kiefernstämme jenseit des Dammes
entzündeten sich gleichsam von innen heraus und glühten wie Eisen.

Auch die Geleise begannen zu glühen, feurigen Schlangen gleich, aber sie
erloschen zuerst. Und nun stieg die Glut langsam vom Erdboden in die
Höhe, erst die Schäfte der Kiefern, weiter den größten Teil ihrer Kronen
in kaltem Verwesungslichte zurücklassend, zuletzt nur noch den äußersten
Rand der Wipfel mit einem rötlichen Schimmer streifend. Lautlos und
feierlich vollzog sich das erhabene Schauspiel. Der Wärter stand noch
immer regungslos an der Barriere. Endlich trat er einen Schritt vor. Ein
dunkler Punkt am Horizonte, da wo die Geleise sich trafen, vergrößerte
sich. Von Sekunde zu Sekunde wachsend, schien er doch auf einer Stelle
zu stehen. Plötzlich bekam er Bewegung und näherte sich. Durch die
Geleise ging ein Vibrieren und Summen, ein rhythmisches Geklirr, ein
dumpfes Getöse, das, lauter und lauter werdend, zuletzt den Hufschlägen
eines heranbrausenden Reitergeschwaders nicht unähnlich war.

Ein Keuchen und Brausen schwoll stoßweise fernher durch die Luft. Dann
plötzlich zerriß die Stille. Ein rasendes Tosen und Toben erfüllte den
Raum, die Geleise bogen sich, die Erde zitterte -- ein starker Luftdruck
-- eine Wolke von Staub, Dampf und Qualm, und das schwarze, schnaubende
Ungetüm war vorüber. So wie sie anwuchsen, starben nach und nach die
Geräusche. Der Dunst verzog sich. Zum Punkte eingeschrumpft, schwand der
Zug in der Ferne, und das alte heilge Schweigen schlug über dem
Waldwinkel zusammen.

                   *       *       *       *       *

»Minna,« flüsterte der Wärter wie aus einem Traum erwacht und ging nach
seiner Bude zurück. Nachdem er sich einen dünnen Kaffee aufgebrüht, ließ
er sich nieder und starrte, von Zeit zu Zeit einen Schluck zu sich
nehmend, auf ein schmutziges Stück Zeitungspapier, das er irgendwo an
der Strecke aufgelesen.

Nach und nach überkam ihn eine seltsame Unruhe. Er schob es auf die
Backofenglut, welche das Stübchen erfüllte, und riß Rock und Weste auf,
um sich zu erleichtern. Wie das nichts half, erhob er sich, nahm einen
Spaten aus der Ecke und begab sich auf das geschenkte Äckerchen.

Es war ein schmaler Streifen Sandes, von Unkraut dicht überwuchert. Wie
schneeweißer Schaum lag die junge Blütenpracht auf den Zweigen der
beiden Zwergobstbäumchen, welche darauf standen.

Thiel wurde ruhig und ein stilles Wohlgefallen beschlich ihn.

Nun also an die Arbeit.

Der Spaten schnitt knirschend in das Erdreich; die nassen Schollen
fielen dumpf zurück und bröckelten auseinander.

Eine Zeitlang grub er ohne Unterbrechung. Dann hielt er plötzlich inne
und sagte laut und vernehmlich vor sich hin, indem er dazu bedenklich
den Kopf hin und her wiegte: »Nein, nein, das geht ja nicht,« und
wieder: »nein, nein, das geht ja gar nicht.«

Es war ihm plötzlich eingefallen, daß ja nun Lene des öftern
herauskommen würde, um den Acker zu bestellen, wodurch dann die
hergebrachte Lebensweise in bedenkliche Schwankungen geraten mußte. Und
jäh verwandelte sich seine Freude über den Besitz des Ackers in
Widerwillen. Hastig, wie wenn er etwas Unrechtes zu tun im Begriff
gestanden hätte, riß er den Spaten aus der Erde und trug ihn nach der
Bude zurück. Hier versank er abermals in dumpfe Grübelei. Er wußte kaum
warum, aber die Aussicht, Lene ganze Tage lang bei sich im Dienst zu
haben, wurde ihm, so sehr er auch versuchte, sich damit zu versöhnen,
immer unerträglicher. Es kam ihm vor, als habe er etwas ihm Wertes zu
verteidigen, als versuchte jemand sein Heiligstes anzutasten, und
unwillkürlich spannten sich seine Muskeln in gelindem Krampfe, während
ein kurzes herausforderndes Lachen seinen Lippen entfuhr. Vom Widerhall
dieses Lachens erschreckt, blickte er auf und verlor dabei den Faden
seiner Betrachtungen. Als er ihn wiedergefunden, wühlte er sich
gleichsam in den alten Gegenstand.

Und plötzlich zerriß etwas wie ein dichter, schwarzer Vorhang in zwei
Stücke, und seine umnebelten Augen gewannen einen klaren Ausblick. Es
war ihm auf einmal zumute, als erwache er aus einem zweijährigen
totenähnlichen Schlaf und betrachte nun mit ungläubigem Kopfschütteln
all das Haarsträubende, welches er in diesem Zustand begangen haben
sollte. Die Leidensgeschichte seines Ältesten, welche die Eindrücke der
letzten Stunden nur noch hatten besiegeln können, trat deutlich vor
seine Seele. Mitleid und Reue ergriff ihn, sowie auch eine tiefe Scham
darüber, daß er diese ganze Zeit in schmachvoller Duldung hingelebt
hatte, ohne sich des lieben, hilflosen Geschöpfes anzunehmen, ja, ohne
nur die Kraft zu finden, sich einzugestehen, wie sehr dieses litt.

Über den selbstquälerischen Vorstellungen all seiner Unterlassungssünden
überkam ihn eine schwere Müdigkeit, und so entschlief er mit gekrümmtem
Rücken, die Stirn auf die Hand, diese auf den Tisch gelegt.

Eine Zeitlang hatte er so gelegen, als er mit erstickter Stimme mehrmals
den Namen »Minna« rief.

Ein Brausen und Sausen füllte sein Ohr, wie von unermeßlichen
Wassermassen; es wurde dunkel um ihn, er riß die Augen auf und erwachte.
Seine Glieder flogen, der Angstschweiß drang ihm aus allen Poren, sein
Puls ging unregelmäßig, sein Gesicht war naß von Tränen.

Es war stockdunkel. Er wollte einen Blick nach der Tür werfen, ohne zu
wissen, wohin er sich wenden sollte. Taumelnd erhob er sich, noch immer
währte seine Herzensangst. Der Wald draußen rauschte wie Meeresbrandung,
der Wind warf Hagel und Regen gegen die Fenster des Häuschens. Thiel
tastete ratlos mit den Händen umher. Einen Augenblick kam er sich vor
wie ein Ertrinkender -- da plötzlich flammte es bläulich blendend auf,
wie wenn Tropfen überirdischen Lichtes in die dunkle Erdatmosphäre
herabsänken, um sogleich von ihr erstickt zu werden.

Der Augenblick genügte, um den Wärter zu sich selbst zu bringen. Er
griff nach seiner Laterne, die er auch glücklich zu fassen bekam, und in
diesem Augenblick erwachte der Donner am fernsten Saume des märkischen
Nachthimmels. Erst dumpf und verhalten grollend, wälzte er sich näher in
kurzen, brandenden Erzwellen, bis er, zu Riesenstößen anwachsend, sich
endlich, die ganze Atmosphäre überflutend, dröhnend, schütternd und
brausend entlud.

Die Scheiben klirrten, die Erde erbebte.

Thiel hatte Licht gemacht. Sein erster Blick, nachdem er die Fassung
wieder gewonnen, galt der Uhr. Es lagen kaum fünf Minuten zwischen jetzt
und der Ankunft des Schnellzuges. Da er glaubte, das Signal überhört zu
haben, begab er sich, so schnell als Sturm und Dunkelheit erlaubten,
nach der Barriere. Als er noch damit beschäftigt war, diese zu
schließen, erklang die Signalglocke. Der Wind zerriß ihre Töne und warf
sie nach allen Richtungen auseinander. Die Kiefern bogen sich und rieben
unheimlich knarrend und quietschend ihre Zweige aneinander. Einen
Augenblick wurde der Mond sichtbar, wie er gleich einer blaßgoldenen
Schale zwischen den Wolken lag. In seinem Lichte sah man das Wühlen des
Windes in den schwarzen Kronen der Kiefern. Die Blattgehänge der Birken
am Bahndamm wehten und flatterten wie gespenstige Roßschweife. Darunter
lagen die Linien der Geleise, welche, vor Nässe glänzend, das blasse
Mondlicht in einzelnen Flecken aufsogen.

Thiel riß die Mütze vom Kopfe. Der Regen tat ihm wohl und lief vermischt
mit Tränen über sein Gesicht. Es gärte in seinem Hirn; unklare
Erinnerungen an das, was er im Traum gesehen, verjagten einander. Es war
ihm gewesen, als würde Tobias von jemand mißhandelt und zwar auf eine so
entsetzliche Weise, daß ihm noch jetzt bei dem Gedanken daran das Herz
stille stand. Einer anderen Erscheinung erinnerte er sich deutlicher. Er
hatte seine verstorbene Frau gesehen. Sie war irgendwoher aus der Ferne
gekommen, auf einem der Bahngeleise. Sie hatte recht kränklich
ausgesehen und statt der Kleider hatte sie Lumpen getragen. Sie war an
Thiels Häuschen vorübergekommen, ohne sich danach umzuschauen und
schließlich -- hier wurde die Erinnerung undeutlich -- war sie aus
irgend welchem Grunde nur mit großer Mühe vorwärts gekommen und sogar
mehrmals zusammengebrochen.

Thiel dachte weiter nach, und nun wußte er, daß sie sich auf der Flucht
befunden hatte. Es lag außer allem Zweifel, denn weshalb hätte sie sonst
diese Blicke voll Herzensangst nach rückwärts gesandt und sich weiter
geschleppt, obgleich ihr die Füße den Dienst versagten. O diese
entsetzlichen Blicke!

Aber es war etwas, das sie mit sich trug, in Tücher gewickelt, etwas
Schlaffes, Blutiges, Bleiches, und die Art, mit der sie darauf
niederblickte, erinnerte ihn an Szenen der Vergangenheit.

Er dachte an eine sterbende Frau, die ihr kaum geborenes Kind, das sie
zurücklassen mußte, unverwandt anblickte, mit einem Ausdruck tiefsten
Schmerzes, unfaßbarer Qual, jenem Ausdruck, den Thiel ebensowenig
vergessen konnte, als daß er einen Vater und eine Mutter habe.

Wo war sie hingekommen? Er wußte es nicht. Das aber trat ihm klar vor
die Seele: sie hatte sich von ihm losgesagt, ihn nicht beachtet, sie
hatte sich fortgeschleppt immer weiter und weiter durch die stürmische,
dunkle Nacht. Er hatte sie gerufen: »Minna, Minna,« und davon war er
erwacht.

Zwei rote, runde Lichter durchdrangen wie die Glotzaugen eines riesigen
Ungetüms die Dunkelheit. Ein blutiger Schein ging vor ihnen her, der die
Regentropfen in seinem Bereich in Blutstropfen verwandelte. Es war, als
fiele ein Blutregen vom Himmel.

Thiel fühlte ein Grauen, und je näher der Zug kam, eine um so größere
Angst; Traum und Wirklichkeit verschmolzen ihm in eins. Noch immer sah
er das wandernde Weib auf den Schienen, und seine Hand irrte nach der
Patronentasche, als habe er die Absicht, den rasenden Zug zum Stehen zu
bringen. Zum Glück war es zu spät, denn schon flirrte es vor Thiels
Augen von Lichtern, und der Zug raste vorüber.

Den übrigen Teil der Nacht fand Thiel wenig Ruhe mehr in seinem Dienst.
Es drängte ihn daheim zu sein. Er sehnte sich, Tobiäschen wiederzusehen.
Es war ihm zumute, als sei er durch Jahre von ihm getrennt gewesen.
Zuletzt war er in steigender Bekümmernis um das Befinden des Jungen
mehrmals versucht, den Dienst zu verlassen.

Um die Zeit hinzubringen beschloß Thiel, sobald es dämmerte, seine
Strecke zu revidieren. In der Linken einen Stock, in der Rechten einen
langen, eisernen Schraubschlüssel schritt er denn auch alsbald auf dem
Rücken einer Bahnschiene in das schmutzig graue Zwielicht hinein.

Hin und wieder zog er mit dem Schraubschlüssel einen Bolzen fest oder
schlug an eine der runden Eisenstangen, welche die Geleise untereinander
verbanden.

Regen und Wind hatten nachgelassen, und zwischen zerschlissenen
Wolkenschichten wurden hie und da Stücke eines blaßblauen Himmels
sichtbar.

Das eintönige Klappen der Sohlen auf dem harten Metall, verbunden mit
dem schläfrigen Geräusch der tropfenschüttelnden Bäume beruhigte Thiel
nach und nach.

Um sechs Uhr früh wurde er abgelöst und trat ohne Verzug den Heimweg an.

Es war ein herrlicher Sonntagmorgen.

Die Wolken hatten sich zerteilt und waren mittlerweile hinter den
Umkreis des Horizontes hinabgesunken. Die Sonne goß, im Aufgehen gleich
einem ungeheuren blutroten Edelstein funkelnd, wahre Lichtmassen über
den Forst.

In scharfen Linien schossen die Strahlenbündel durch das Gewirr der
Stämme, hier eine Insel zarter Farnkräuter, deren Wedel feingeklöppelten
Spitzen glichen, mit Glut behauchend, dort die silbergrauen Flechten
des Waldgrundes zu roten Korallen umwandelnd.

Von Wipfeln, Stämmen und Gräsern floß der Feuertau. Eine Sintflut von
Licht schien über die Erde ausgegossen. Es lag eine Frische in der Luft,
die bis ins Herz drang, und auch hinter Thiels Stirn mußten die Bilder
der Nacht allmählich verblassen.

Mit dem Augenblick jedoch, wo er in die Stube trat und Tobiäschen
rotwangiger als je im sonnenbeschienenen Bette liegen sah, waren sie
ganz verschwunden.

Wohl wahr! Im Verlauf des Tages glaubte Lene mehrmals etwas
Befremdliches an ihm wahrzunehmen; so im Kirchstuhl, als er, statt ins
Buch zu schauen, sie selbst von der Seite betrachtete, und dann auch um
die Mittagszeit, als er, ohne ein Wort zu sagen, das Kleine, welches
Tobias wie gewöhnlich auf die Straße tragen sollte, aus dessen Arm nahm
und ihr auf den Schoß setzte. Sonst aber hatte er nicht das geringste
Auffällige an sich.

Thiel, der den Tag über nicht dazu gekommen war, sich niederzulegen,
kroch, da er die folgende Woche Tagdienst hatte, bereits gegen neun Uhr
abends ins Bett. Gerade als er im Begriff war einzuschlafen, eröffnete
ihm die Frau, daß sie am folgenden Morgen mit nach dem Walde gehen
werde, um das Land umzugraben und Kartoffeln zu stecken.

Thiel zuckte zusammen; er war ganz wach geworden, hielt jedoch die Augen
fest geschlossen.

Es sei die höchste Zeit, meinte Lene, wenn aus den Kartoffeln noch etwas
werden sollte, und fügte bei, daß sie die Kinder werde mitnehmen müssen,
da vermutlich der ganze Tag draufgehen würde. Der Wärter brummte einige
unverständliche Worte, die Lene weiter nicht beachtete. Sie hatte ihm
den Rücken gewandt und war beim Scheine eines Talglichtes damit
beschäftigt, das Mieder aufzunesteln und die Röcke herabzulassen.

Plötzlich fuhr sie herum, ohne selbst zu wissen aus welchem Grunde, und
blickte in das von Leidenschaften verzerrte, erdfarbene Gesicht ihres
Mannes, der sie, halb aufgerichtet, die Hände auf der Bettkante, mit
brennenden Augen anstarrte.

»Thiel!« -- schrie die Frau halb zornig, halb erschreckt, und wie ein
Nachtwandler, den man bei Namen ruft, erwachte er aus seiner Betäubung,
stotterte einige verwirrte Worte, warf sich in die Kissen zurück und zog
das Deckbett über die Ohren.

Lene war die erste, welche sich am folgenden Morgen vom Bett erhob. Ohne
dabei Lärm zu machen, bereitete sie alles Nötige für den Ausflug vor.
Der Kleinste wurde in den Kinderwagen gelegt, darauf Tobias geweckt und
angezogen. Als er erfuhr, wohin es gehen sollte, mußte er lächeln.
Nachdem alles bereit war und auch der Kaffee fertig auf dem Tisch stand,
erwachte Thiel. Mißbehagen war sein erstes Gefühl beim Anblick all der
getroffenen Vorbereitungen. Er hätte wohl gern ein Wort dagegen gesagt,
aber er wußte nicht, womit beginnen. Und welche für Lene stichhaltigen
Gründe hätte er auch angeben sollen?

Allmählich begann dann das mehr und mehr strahlende Gesichtchen seinen
Einfluß auf Thiel zu üben, so daß er schließlich schon um der Freude
willen, welche dem Jungen der Ausflug bereitete, nicht daran denken
konnte, Widerspruch zu erheben. Nichtsdestoweniger blieb Thiel während
der Wanderung durch den Wald nicht frei von Unruhe. Er stieß das
Kinderwägelchen mühsam durch den tiefen Sand und hatte allerhand Blumen
darauf liegen, die Tobias gesammelt hatte.

Der Junge war ausnehmend lustig. Er hüpfte in seinem braunen
Plüschmützchen zwischen den Farnkräutern umher und suchte auf eine
freilich etwas unbeholfene Art die glasflügligen Libellen zu fangen, die
darüber hingaukelten. Sobald man angelangt war, nahm Lene den Acker in
Augenschein. Sie warf das Säckchen mit Kartoffelstücken, welches sie zur
Saat mitgebracht hatte, auf den Grasrand eines kleinen Birkengehölzes,
kniete nieder und ließ den etwas dunkel gefärbten Sand durch ihre harten
Finger laufen.

Thiel beobachtete sie gespannt: »Nun, wie ist er?«

»Reichlich so gut wie die Spree-Ecke!« Dem Wärter fiel eine Last von der
Seele. Er hatte gefürchtet, sie würde unzufrieden sein, und kratzte
beruhigt seine Bartstoppeln.

Nachdem die Frau hastig eine dicke Brotkante verzehrt hatte, warf sie
Tuch und Jacke fort und begann zu graben, mit der Geschwindigkeit und
Ausdauer einer Maschine. In bestimmten Zwischenräumen richtete sie sich
auf und holte in tiefen Zügen Luft, aber es war jeweilig nur ein
Augenblick, wenn nicht etwa das Kleine gestillt werden mußte, was mit
keuchender, schweißtropfender Brust hastig geschah.

»Ich muß die Strecke belaufen, ich werde Tobias mitnehmen,« rief der
Wärter nach einer Weile von der Plattform vor der Bude aus zu ihr
herüber.

»Ach was -- Unsinn!« schrie sie zurück, »wer soll bei dem Kleinen
bleiben?« -- »Hierher kommst du!« setzte sie noch lauter hinzu, während
der Wärter, als ob er sie nicht hören könne, mit Tobiäschen davonging.

Im ersten Augenblick erwog sie, ob sie nicht nachlaufen solle, und nur
der Zeitverlust bestimmte sie, davon abzustehen. Thiel ging mit Tobias
die Strecke entlang. Der Kleine war nicht wenig erregt; alles war ihm
neu, fremd. Er begriff nicht, was die schmalen, schwarzen, vom
Sonnenlicht erwärmten Schienen zu bedeuten hatten. Unaufhörlich tat er
allerhand sonderbare Fragen. Vor allem verwunderlich war ihm das Klingen
der Telegraphenstangen. Thiel kannte den Ton jeder einzelnen seines
Reviers, so daß er mit geschlossenen Augen stets gewußt haben würde, in
welchem Teil der Strecke er sich gerade befand.

Oft blieb er, Tobiäschen an der Hand, stehen, um den wunderbaren Lauten
zu lauschen, die aus dem Holze wie sonore Choräle aus dem Innern einer
Kirche hervorströmten. Die Stange am Südende des Reviers hatte einen
besonders vollen und schönen Akkord. Es war ein Gewühl von Tönen in
ihrem Innern, die ohne Unterbrechung gleichsam in einem Atem
fortklangen, und Tobias lief rings um das verwitterte Holz, um, wie er
glaubte, durch eine Öffnung die Urheber des lieblichen Getöns zu
entdecken. Der Wärter wurde weihevoll gestimmt, ähnlich wie in der
Kirche. Zudem unterschied er mit der Zeit eine Stimme, die ihn an seine
verstorbene Frau erinnerte. Er stellte sich vor, es sei ein Chor seliger
Geister, in den sie ja auch ihre Stimme mische, und diese Vorstellung
erweckte in ihm eine Sehnsucht, eine Rührung bis zu Tränen.

Tobias verlangte nach den Blumen, die seitab standen, und Thiel wie
immer gab ihm nach.

Stücke blauen Himmels schienen auf den Boden des Haines herabgesunken,
so wunderbar dicht standen kleine, blaue Blüten darauf. Farbigen Wimpeln
gleich flatterten und gaukelten die Schmetterlinge lautlos zwischen dem
leuchtenden Weiß der Stämme, indes durch die zartgrünen Blätterwolken
der Birkenkronen ein sanftes Rieseln ging.

Tobias rupfte Blumen und der Vater schaute ihm sinnend zu. Zuweilen auch
erhob sich der Blick des letzteren und suchte durch die Lücken der
Blätter den Himmel, der wie eine riesige, makellos blaue Kristallschale
das Goldlicht der Sonne auffing.

»Vater, ist das der liebe Gott?« fragte der Kleine plötzlich, auf ein
braunes Eichhörnchen deutend, das unter kratzenden Geräuschen am Stamme
einer alleinstehenden Kiefer hinanhuschte.

»Närrischer Kerl,« war alles, was Thiel erwidern konnte, während
losgerissene Borkenstückchen den Stamm herunter vor seine Füße fielen.

Die Mutter grub noch immer, als Thiel und Tobias zurückkamen. Die Hälfte
des Ackers war bereits umgeworfen.

Die Bahnzüge folgten einander in kurzen Zwischenräumen, und Tobias sah
sie jedesmal mit offenem Munde vorübertoben.

Die Mutter selbst hatte ihren Spaß an seinen drolligen Grimassen.

Das Mittagessen, bestehend aus Kartoffeln und einem Restchen kalten
Schweinebraten, verzehrte man in der Bude. Lene war aufgeräumt, und auch
Thiel schien sich in das Unvermeidliche mit gutem Anstand fügen zu
wollen. Er unterhielt seine Frau während des Essens mit allerlei Dingen,
die in seinen Beruf schlugen. So fragte er sie, ob sie sich denken
könne, daß in einer einzigen Bahnschiene sechsundvierzig Schrauben
säßen und anderes mehr.

Am Vormittage war Lene mit Umgraben fertig geworden; am Nachmittag
sollten die Kartoffeln gesteckt werden. Sie bestand darauf, daß Tobias
jetzt das Kleine warte und nahm ihn mit sich.

»Paß auf ...« rief Thiel ihr nach, von plötzlicher Besorgnis ergriffen,
»paß auf, daß er den Geleisen nicht zu nahe kommt.«

Ein Achselzucken Lenes war die Antwort.

                   *       *       *       *       *

Der schlesische Schnellzug war gemeldet und Thiel mußte auf seinen
Posten. Kaum stand er dienstfertig an der Barriere, so hörte er ihn auch
schon heranbrausen.

Der Zug wurde sichtbar -- er kam näher -- in unzählbaren, sich
überhastenden Stößen fauchte der Dampf aus dem schwarzen
Maschinenschlote. Da: ein -- zwei -- drei milchweiße Dampfstrahlen
quollen kerzengrade empor, und gleich darauf brachte die Luft den Pfiff
der Maschine getragen. Dreimal hintereinander, kurz, grell,
beängstigend. Sie bremsen, dachte Thiel, warum nur? Und wieder gellten
die Notpfiffe schreiend, den Widerhall weckend, diesmal in langer,
ununterbrochener Reihe.

Thiel trat vor, um die Strecke überschauen zu können. Mechanisch zog er
die rote Fahne aus dem Futteral und hielt sie gerade vor sich hin über
die Geleise. -- Jesus Christus! war er blind gewesen? »Jesus Christus --
o Jesus, Jesus, Jesus Christus! was war das? Dort! -- dort zwischen den
Schienen ... Ha--alt!« schrie der Wärter aus Leibeskräften. Zu spät.
Eine dunkle Masse war unter den Zug geraten und wurde zwischen den
Rädern wie ein Gummiball hin und her geworfen. Noch einige Augenblicke,
und man hörte das Knarren und Quietschen der Bremsen. Der Zug stand.

Die einsame Strecke belebte sich. Zugführer und Schaffner rannten über
den Kies nach dem Ende des Zuges. Aus jedem Fenster blickten neugierige
Gesichter und jetzt -- die Menge knäulte sich und kam nach vorn.

Thiel keuchte; er mußte sich festhalten, um nicht umzusinken wie ein
gefällter Stier. Wahrhaftig, man winkt ihm -- »nein!«

Ein Aufschrei zerreißt die Luft von der Unglücksstelle her, ein Geheul
folgt, wie aus der Kehle eines Tieres kommend. Wer war das?! Lene?! Es
war nicht ihre Stimme und doch ...

Ein Mann kommt in Eile die Strecke herauf.

»Wärter!!«

»Was gibt's?«

»Ein Unglück!« ... Der Bote schrickt zurück, denn des Wärters Augen
spielen seltsam. Die Mütze sitzt schief, die roten Haare scheinen sich
aufzubäumen.

»Er lebt noch, vielleicht ist noch Hilfe.«

Ein Röcheln ist die einzige Antwort.

»Kommen Sie schnell, schnell!«

Thiel reißt sich auf mit gewaltiger Anstrengung. Seine schlaffen Muskeln
spannen sich; er richtet sich hoch auf, sein Gesicht ist blöd und tot.

Er rennt mit dem Boten, er sieht nicht die todbleichen, erschreckten
Gesichter der Reisenden in den Zugfenstern. Eine junge Frau schaut
heraus, ein Handlungsreisender im Fes, ein junges Paar, anscheinend auf
der Hochzeitsreise. Was geht's ihn an? Er hat sich nie um den Inhalt
dieser Polterkasten gekümmert; -- sein Ohr füllt das Geheul Lenens. Vor
seinen Augen schwimmt es durcheinander, gelbe Punkte, Glühwürmchen
gleich, unzählig. Er schrickt zurück -- er steht. Aus dem Tanze der
Glühwürmchen tritt es hervor, blaß, schlaff, blutrünstig. Eine Stirn,
braun und blau geschlagen, blaue Lippen, über die schwarzes Blut
tröpfelt. Er ist es.

Thiel spricht nicht. Sein Gesicht nimmt eine schmutzige Blässe an. Er
lächelt wie abwesend; endlich beugt er sich; er fühlt die schlaffen,
toten Gliedmaßen schwer in seinen Armen; die rote Fahne wickelt sich
darum.

Er geht.

Wohin?

»Zum Bahnarzt, zum Bahnarzt,« tönt es durcheinander.

»Wir nehmen ihn gleich mit,« ruft der Packmeister und macht in seinem
Wagen aus Dienströcken und Büchern ein Lager zurecht. »Nun also?«

Thiel macht keine Anstalten, den Verunglückten loszulassen. Man drängt
in ihn. Vergebens. Der Packmeister läßt eine Bahre aus dem Packwagen
reichen und beordert einen Mann, dem Vater beizustehen.

Die Zeit ist kostbar. Die Pfeife des Zugführers trillert. Münzen regnen
aus den Fenstern.

Lene gebärdet sich wie wahnsinnig. »Das arme, arme Weib,« heißt es in
den Kupees, »die arme, arme Mutter.«

Der Zugführer trillert abermals -- ein Pfiff -- die Maschine stößt
weiße, zischende Dämpfe aus ihren Zylindern und streckt ihre eisernen
Sehnen; einige Sekunden und der Kurierzug braust mit wehender Rauchfahne
in doppelter Geschwindigkeit durch den Forst.

Der Wärter, anderen Sinnes geworden, legt den halbtoten Jungen auf die
Bahre. Da liegt er da in seiner verkommenen Körpergestalt, und hin und
wieder hebt ein langer, rasselnder Atemzug die knöcherne Brust, welche
unter dem zerfetzten Hemd sichtbar wird. Die Ärmchen und Beinchen, nicht
nur in den Gelenken gebrochen, nehmen die unnatürlichsten Stellungen
ein. Die Ferse des kleinen Fußes ist nach vorn gedreht. Die Arme
schlottern über den Rand der Bahre.

Lene wimmert in einem fort; jede Spur ihres einstigen Trotzes ist aus
ihrem Wesen gewichen. Sie wiederholt fortwährend eine Geschichte, die
sie von jeder Schuld an dem Vorfall reinwaschen soll.

Thiel scheint sie nicht zu beachten; mit entsetzlich bangem Ausdruck
haften seine Augen an dem Kinde.

Es ist still ringsum geworden, totenstill; schwarz und heiß ruhen die
Geleise auf dem blendenden Kies. Der Mittag hat die Winde erstickt, und
regungslos wie aus Stein steht der Forst.

Die Männer beraten sich leise. Man muß, um auf dem schnellsten Wege nach
Friedrichshagen zu kommen, nach der Station zurück, die nach der
Richtung Breslau liegt, da der nächste Zug, ein beschleunigter
Personenzug, auf der Friedrichshagen nähergelegenen nicht anhält.

Thiel scheint zu überlegen, ob er mitgehen solle. Augenblicklich ist
niemand da, der den Dienst versteht. Eine stumme Handbewegung bedeutet
seiner Frau, die Bahre aufzunehmen; sie wagt nicht, sich zu widersetzen,
obgleich sie um den zurückbleibenden Säugling besorgt ist. Sie und der
fremde Mann tragen die Bahre. Thiel begleitet den Zug bis an die Grenze
seines Reviers, dann bleibt er stehen und schaut ihm lange nach.
Plötzlich schlägt er sich mit der flachen Hand vor die Stirn, daß es
weithin schallt.

Er meint sich zu erwecken, »denn es wird ein Traum sein, wie der
gestern,« sagt er sich. -- Vergebens. -- Mehr taumelnd als laufend
erreichte er sein Häuschen. Drinnen fiel er auf die Erde, das Gesicht
voran. Seine Mütze rollte in die Ecke, seine peinlich gepflegte Uhr fiel
aus der Tasche, die Kapsel sprang, das Glas zerbrach. Es war, als hielt
ihn eine eiserne Faust im Nacken gepackt, so fest, daß er sich nicht
bewegen konnte, so sehr er auch unter Ächzen und Stöhnen sich frei zu
machen suchte. Seine Stirn war kalt, seine Augen trocken, sein Schlund
brannte.

Die Signalglocke weckte ihn. Unter dem Eindruck jener sich
wiederholenden drei Glockenschläge ließ der Anfall nach. Thiel konnte
sich erheben und seinen Dienst tun. Zwar waren seine Füße bleischwer,
zwar kreiste um ihn die Strecke wie die Speiche eines ungeheuren Rades,
dessen Achse sein Kopf war; aber er gewann doch wenigstens so viel
Kraft, sich für einige Zeit aufrechtzuerhalten.

Der Personenzug kam heran. Tobias mußte darin sein. Je näher er rückte,
um so mehr verschwammen die Bilder vor Thiels Augen. Am Ende sah er nur
noch den zerschlagenen Jungen mit dem blutigen Munde. Dann wurde es
Nacht.

Nach einer Weile erwachte er aus einer Ohnmacht. Er fand sich dicht an
der Barriere im heißen Sande liegen. Er stand auf, schüttelte die
Sandkörner aus seinen Kleidern und spie sie aus seinem Munde. Sein Kopf
wurde ein wenig freier, er vermochte ruhiger zu denken.

In der Bude nahm er sogleich seine Uhr vom Boden auf und legte sie auf
den Tisch. Sie war trotz des Falles nicht stehengeblieben. Er zählte
während zweier Stunden die Sekunden und Minuten, indem er sich
vorstellte, was indes mit Tobias geschehen mochte: Jetzt kam Lene mit
ihm an; jetzt stand sie vor dem Arzte. Dieser betrachtete und betastete
den Jungen und schüttelte den Kopf.

»Schlimm, sehr schlimm -- aber vielleicht ... wer weiß?« Er untersuchte
genauer. »Nein,« sagte er dann, »nein, es ist vorbei.«

»Vorbei, vorbei,« stöhnte der Wärter. Dann aber richtete er sich hoch
auf und schrie, die rollenden Augen an die Decke geheftet, die erhobenen
Hände unbewußt zur Faust ballend und mit einer Stimme, als müsse der
enge Raum davon zerbersten: »Er muß, muß leben, ich sage dir, er muß,
muß leben.« Und schon stieß er die Tür des Häuschens von neuem auf,
durch die das rote Feuer des Abends hereinbrach, und rannte mehr als er
ging nach der Barriere zurück. Hier blieb er eine Weile wie betroffen
stehen und schritt dann plötzlich, beide Arme ausbreitend, bis in die
Mitte des Dammes, als wenn er etwas aufhalten wollte, das aus der
Richtung des Personenzuges kam. Dabei machten seine weit offenen Augen
den Eindruck der Blindheit.

Während er, rückwärts schreitend, vor etwas zu weichen schien, stieß er
in einem fort halbverständliche Worte zwischen den Zähnen hervor: »Du --
hörst du -- bleib doch -- du -- hör doch -- bleib -- gib ihn wieder --
er ist braun und blau geschlagen -- ja ja -- gut -- ich will sie wieder
braun und blau schlagen -- hörst du? bleib doch -- gib ihn mir wieder.«

Es schien, als ob etwas an ihm vorüberwandle, denn er wandte sich und
bewegte sich, wie um es zu verfolgen, nach der anderen Richtung.

»Du, Minna« -- seine Stimme wurde weinerlich, wie die eines kleinen
Kindes. »Du, Minna, hörst du? -- gib ihn wieder -- ich will ...« Er
tastete in die Luft, wie um jemand festzuhalten. »Weibchen -- ja -- und
da will ich sie ... und da will ich sie auch schlagen -- braun und blau
-- auch schlagen -- und da will ich mit dem Beil -- siehst du? --
Küchenbeil -- mit dem Küchenbeil will ich sie schlagen, und da wird sie
verrecken.«

»Und da ... ja mit dem Beil -- Küchenbeil ja -- schwarzes Blut!« Schaum
stand vor seinem Munde, seine gläsernen Pupillen bewegten sich
unaufhörlich.

Ein sanfter Abendhauch strich leis und nachhaltig über den Forst, und
rosaflammiges Wolkengelock hing über dem westlichen Himmel.

Etwa hundert Schritt hatte er so das unsichtbare Etwas verfolgt, als er
anscheinend mutlos stehenblieb, und mit entsetzlicher Angst in den
Mienen streckte der Mann seine Arme aus, flehend, beschwörend. Er
strengte seine Augen an und beschattete sie mit der Hand, wie um noch
einmal in weiter Ferne das Wesenlose zu entdecken. Schließlich sank die
Hand, und der gespannte Ausdruck seines Gesichts verkehrte sich in
stumpfe Ausdruckslosigkeit; er wandte sich und schleppte sich den Weg
zurück, den er gekommen.

Die Sonne goß ihre letzte Glut über den Forst, dann erlosch sie. Die
Stämme der Kiefern streckten sich wie bleiches, verwestes Gebein
zwischen die Wipfel hinein, die wie grauschwarze Moderschichten auf
ihnen lasteten. Das Hämmern eines Spechtes durchdrang die Stille. Durch
den kalten, stahlblauen Himmelsraum ging ein einziges verspätetes
Rosengewölk. Der Windhauch wurde kellerkalt, so daß es den Wärter
fröstelte. Alles war ihm neu, alles fremd. Er wußte nicht, was das war,
worauf er ging, oder das, was ihn umgab. Da huschte ein Eichhorn über
die Strecke, und Thiel besann sich. Er mußte an den lieben Gott denken,
ohne zu wissen warum. »Der liebe Gott springt über den Weg, der liebe
Gott springt über den Weg.« Er wiederholte diesen Satz mehrmals,
gleichsam um auf etwas zu kommen, das damit zusammenhing. Er unterbrach
sich, ein Lichtschein fiel in sein Hirn, »aber mein Gott, das ist ja
Wahnsinn.« Er vergaß alles und wandte sich gegen diesen neuen Feind. Er
suchte Ordnung in seine Gedanken zu bringen, vergebens! Es war ein
haltloses Streifen und Schweifen. Er ertappte sich auf den unsinnigsten
Vorstellungen und schauderte zusammen im Bewußtsein seiner
Machtlosigkeit.

Aus dem nahen Birkenwäldchen kam Kindergeschrei. Es war das Signal zur
Raserei. Fast gegen seinen Willen mußte er darauf zueilen und fand das
Kleine, um welches sich niemand mehr gekümmert hatte, weinend und
strampelnd ohne Bettchen im Wagen liegen. Was wollte er tun? Was trieb
ihn hierher? Ein wirbelnder Strom von Gefühlen und Gedanken verschlang
diese Fragen.

»Der liebe Gott springt über den Weg,« jetzt wußte er, was das bedeuten
wollte. »Tobias« -- sie hatte ihn gemordet -- Lene -- ihr war er
anvertraut -- »Stiefmutter, Rabenmutter,« knirschte er, »und ihr Balg
lebt.« Ein roter Nebel umwölkte seine Sinne, zwei Kinderaugen
durchdrangen ihn; er fühlte etwas Weiches, Fleischiges zwischen seinen
Fingern. Gurgelnde und pfeifende Laute, untermischt mit heiseren
Ausrufen, von denen er nicht wußte, wer sie ausstieß, trafen sein Ohr.

Da fiel etwas in sein Hirn wie Tropfen heißen Siegellacks, und es hob
sich wie eine Starre von seinem Geist. Zum Bewußtsein kommend, hörte er
den Nachhall der Meldeglocke durch die Luft zittern.

Mit eins begriff er, was er hatte tun wollen: seine Hand löste sich von
der Kehle des Kindes, welches sich unter seinem Griffe wand. -- Es rang
nach Luft, dann begann es zu husten und zu schreien.

»Es lebt! Gott sei Dank, es lebt!« Er ließ es liegen und eilte nach dem
Übergange. Dunkler Qualm wälzte sich fernher über die Strecke, und der
Wind drückte ihn zu Boden. Hinter sich vernahm er das Keuchen einer
Maschine, welches wie das stoßweise gequälte Atmen eines kranken Riesen
klang.

Ein kaltes Zwielicht lag über der Gegend.

Nach einer Weile, als die Rauchwolken auseinandergingen, erkannte Thiel
den Kieszug, der mit geleerten Loren zurückging und die Arbeiter mit
sich führte, welche tagsüber auf der Strecke gearbeitet hatten.

Der Zug hatte eine reichbemessene Fahrzeit und durfte überall anhalten,
um die hie und da noch beschäftigten Arbeiter aufzunehmen, andere
hingegen abzusetzen. Ein gutes Stück vor Thiels Bude begann man zu
bremsen. Ein lautes Quietschen, Schnarren, Rasseln und Klirren
durchdrang weithin die Abendstille, bis der Zug unter einem einzigen
schrillen, langgedehnten Ton stillstand.

Etwa fünfzig Arbeiter und Arbeiterinnen waren in den Loren verteilt.
Fast alle standen aufrecht, einige unter den Männern mit entblößtem
Kopfe. In ihrer aller Wesen lag eine rätselhafte Feierlichkeit. Als sie
des Wärters ansichtig wurden, erhob sich ein Flüstern unter ihnen. Die
Alten zogen die Tabakspfeifen zwischen den gelben Zähnen hervor und
hielten sie respektvoll in den Händen. Hie und da wandte sich ein
Frauenzimmer, um sich zu schneuzen. Der Zugführer stieg auf die Strecke
herunter und trat auf Thiel zu. Die Arbeiter sahen, wie er ihm feierlich
die Hand schüttelte, worauf Thiel mit langsamem, fast militärisch-steifem
Schritt auf den letzten Wagen zuschritt.

Keiner der Arbeiter wagte ihn anzureden, obgleich sie ihn alle kannten.

Aus dem letzten Wagen hob man soeben das kleine Tobiäschen.

Es war tot.

Lene folgte ihm; ihr Gesicht war bläulich-weiß, braune Kreise lagen um
ihre Augen.

Thiel würdigte sie keines Blickes; sie aber erschrak beim Anblick ihres
Mannes. Seine Wangen waren hohl, Wimpern und Barthaare verklebt, der
Scheitel, so schien es ihr, ergrauter als bisher. Die Spuren
vertrockneter Tränen überall auf dem Gesicht; dazu ein unstetes Licht in
seinen Augen, davor sie ein Grauen ankam.

Auch die Tragbahre hatte man wieder mitgebracht, um die Leiche
transportieren zu können.

Eine Weile herrschte unheimliche Stille. Eine tiefe, entsetzliche
Versonnenheit hatte sich Thiels bemächtigt. Es wurde dunkler. Ein Rudel
Rehe setzte seitab auf den Bahndamm. Der Bock blieb stehen mitten
zwischen den Geleisen. Er wandte seinen gelenken Hals neugierig herum,
da pfiff die Maschine, und blitzartig verschwand er samt seiner Herde.

In dem Augenblick, als der Zug sich in Bewegung setzen wollte, brach
Thiel zusammen.

Der Zug hielt abermals, und es entspann sich eine Beratung über das, was
nun zu tun sei. Man entschied sich dafür, die Leiche des Kindes
einstweilen im Wärterhaus unterzubringen und statt ihrer den durch kein
Mittel wieder ins Bewußtsein zu rufenden Wärter mittelst der Bahre nach
Hause zu bringen.

Und so geschah es. Zwei Männer trugen die Bahre mit dem Bewußtlosen,
gefolgt von Lene, die, fortwährend schluchzend, mit tränenüberströmtem
Gesicht den Kinderwagen mit dem Kleinsten durch den Sand stieß.

Wie eine riesige purpurglühende Kugel lag der Mond zwischen den
Kieferschäften am Waldesgrund. Je höher er rückte um so kleiner schien
er zu werden, um so mehr verblaßte er. Endlich hing er, einer Ampel
vergleichbar, über dem Forst, durch alle Spalten und Lücken der Kronen
einen matten Lichtdunst drängend, welcher die Gesichter der
Dahinschreitenden leichenhaft anmalte.

Rüstig, aber vorsichtig schritt man vorwärts, jetzt durch enggedrängtes
Jungholz, dann wieder an weiten hochwaldumstandenen Schonungen entlang,
darin sich das bleiche Licht wie in großen, dunklen Becken angesammelt
hatte.

Der Bewußtlose röchelte von Zeit zu Zeit oder begann zu phantasieren.
Mehrmals ballte er die Fäuste und versuchte mit geschlossenen Augen sich
emporzurichten.

Es kostete Mühe, ihn über die Spree zu bringen; man mußte ein zweites
Mal übersetzen, um die Frau und das Kind nachzuholen.

Als man die kleine Anhöhe des Ortes emporstieg, begegnete man einigen
Einwohnern, welche die Botschaft des geschehenen Unglücks sofort
verbreiteten.

Die ganze Kolonie kam auf die Beine.

Angesichts ihrer Bekannten brach Lene in erneutes Klagen aus.

Man beförderte den Kranken mühsam die schmale Stiege hinauf in seine
Wohnung und brachte ihn sogleich zu Bett. Die Arbeiter kehrten sogleich
um, um Tobiäschens Leiche nachzuholen.

Alte erfahrene Leute hatten kalte Umschläge angeraten, und Lene befolgte
ihre Weisung mit Eifer und Umsicht. Sie legte Handtücher in eiskaltes
Brunnenwasser und erneuerte sie, sobald die brennende Stirn des
Bewußtlosen sie durchhitzt hatte. Ängstlich beobachtete sie die Atemzüge
des Kranken, welche ihr mit jeder Minute regelmäßiger zu werden
schienen.

Die Aufregungen des Tages hatten sie doch stark mitgenommen und sie
beschloß, ein wenig zu schlafen, fand jedoch keine Ruhe. Gleichviel ob
sie die Augen öffnete oder schloß, unaufhörlich zogen die Ereignisse der
Vergangenheit daran vorüber. Das Kleine schlief. Sie hatte sich entgegen
ihrer sonstigen Gewohnheit wenig darum bekümmert. Sie war überhaupt eine
andere geworden. Nirgend eine Spur des früheren Trotzes. Ja, dieser
kranke Mann mit dem farblosen, schweißglänzenden Gesicht regierte sie im
Schlaf.

Eine Wolke verdeckte die Mondkugel, es wurde finster im Zimmer, und Lene
hörte nur noch das schwere, aber gleichmäßige Atemholen ihres Mannes.
Sie überlegte, ob sie Licht machen sollte. Es wurde ihr unheimlich im
Dunkeln. Als sie aufstehen wollte, lag es ihr bleiern in allen Gliedern,
die Lider fielen ihr zu, sie entschlief.

Nach Verlauf von einigen Stunden, als die Männer mit der Kindesleiche
zurückkehrten, fanden sie die Haustüre weit offen. Verwundert über
diesen Umstand stiegen sie die Treppe hinauf, in die obere Wohnung,
deren Tür ebenfalls weit geöffnet war.

Man rief mehrmals den Namen der Frau, ohne eine Antwort zu erhalten.
Endlich strich man ein Schwefelholz an der Wand, und der aufzuckende
Lichtschein enthüllte eine grauenvolle Verwüstung.

»Mord, Mord!«

Lene lag in ihrem Blut, das Gesicht unkenntlich, mit zerschlagener
Hirnschale.

»Er hat seine Frau ermordet, er hat seine Frau ermordet!«

Kopflos lief man umher. Die Nachbarn kamen, einer stieß an die Wiege.
»Heiliger Himmel« und er fuhr zurück, bleich, mit entsetzensstarrem
Blick. Da lag das Kind mit durchschnittenem Halse.

Der Wärter war verschwunden; die Nachforschungen, welche man noch in
derselben Nacht anstellte, blieben erfolglos. Den Morgen darauf fand ihn
der diensttuende Wärter zwischen den Bahngeleisen und an der Stelle
sitzend, wo Tobiäschen überfahren worden war.

Er hielt das braune Pudelmützchen im Arm und liebkoste es ununterbrochen
wie etwas, das Leben hat.

Der Wärter richtete einige Fragen an ihn, bekam jedoch keine Antwort und
bemerkte bald, daß er es mit einem Irrsinnigen zu tun habe.

Der Wärter am Block, davon in Kenntnis gesetzt, erbat telegraphische
Hilfe.

Nun versuchten mehrere Männer ihn durch gutes Zureden von den Geleisen
fortzulocken; jedoch vergebens.

Der Schnellzug, der um diese Zeit passierte, mußte anhalten, und erst
der Übermacht seines Personales gelang es, den Kranken, der alsbald
furchtbar zu toben begann, mit Gewalt von der Strecke zu entfernen.

Man mußte ihm Hände und Füße binden, und der inzwischen requirierte Gendarm
überwachte seinen Transport nach dem Berliner Untersuchungsgefängnisse,
von wo aus er jedoch schon am ersten Tage nach der Irrenabteilung der
Charité überführt wurde. Noch bei der Einlieferung hielt er das braune
Mützchen in Händen und bewachte es mit eifersüchtiger Sorgfalt und
Zärtlichkeit.




Der Apostel


Spät am Abend war er in Zürich angelangt. Eine Dachkammer in der
»Taube«, ein wenig Brot und klares Wasser, bevor er sich niederlegte:
das genügte ihm.

Er schlief unruhig wenige Stunden. Schon kurz nach vier erhob er sich.
Der Kopf schmerzte ihn. Er schob es auf die lange Eisenbahnfahrt vom
gestrigen Tage. Um so etwas auszuhalten mußte man Nerven wie Seile
haben. Er haßte diese Bahnen mit ihrem ewigen Gerüttel, Gestampf und
Gepolter, mit ihren jagenden Bildern; -- er haßte sie und mit ihnen die
meisten anderen der sogenannten Errungenschaften dieser sogenannten
Kultur.

Durch den Gotthard allein ... es war wirklich eine Tortur, durch den
Gotthard zu fahren: dazusitzen, beim Scheine eines zuckenden Lämpchens,
mit dem Bewußtsein, diese ungeheure Steinmasse über sich zu haben. Dazu
dieses markerschütternde Konzert von Geräuschen im Ohr. Es war eine
Tortur, es war zum Verrücktwerden! In einen Zustand war er
hineingeraten, in eine Angst, kaum zu glauben. Wenn das nahe Rauschen so
zurücksank und dann wieder daherkam, daherfuhr wie die ganze Hölle und
so tosend wurde, daß es alles in einem förmlich zerschlug ... nie und
nimmer würde er nochmals durch den Gotthard fahren!

Man hatte nur einen Kopf. Wenn der einmal aufgestört war -- der
Bienenschwarm da drinnen -- da mochte der Teufel wieder Ruhe schaffen:
alles brach durch seine Grenzen, verlor die natürlichen Dimensionen,
dehnte sich hoch auf und hatte einen eigenen Willen.

Die Nacht hatte es ihn noch geplagt, nun sollte es damit ein Ende haben.
Der kalte, klare Morgen mußte das seinige tun. Übrigens würde er von
hier ab nach Deutschland hinein zu Fuße reisen.

Er wusch sich und zog die Kleider über. Als er die Sandalen unterband,
tauchte ihm flüchtig auf, wie er zu dem Kostüm, das er trug und das ihn
von allen übrigen Menschen unterschied, gekommen war: die Gestalt
Meister Diefenbachs ging vorüber. -- Dann war es ein Sprung in frühe
Jahre: er sah sich selbst in der sogenannten Normaltracht zur Schule
gehen -- der Glatzkopf des Vaters blickte hinter dem Ladentische der
Apotheke hervor, die Tracht des Sohnes milde bespöttelnd. Die Mutter
hatte doch immer gesagt, er sei kein Hypochonder. Der Glatzkopf und das
junge Frauengesicht schoben sich nebeneinander. Welch ein ungeheurer
Unterschied! Daß er das früher nie bemerkt hatte.

Die Sandalen saßen fest. Er legte den Strick, der die weiße Frieskutte
zusammenhielt, um die Hüften und eine Schnur rund um den Kopf.

Auf dem Hausflur der Herberge war ein alter Spiegel angebracht. Einen
Augenblick im Vorübergehen hielt er inne, um sich zu mustern. Wirklich!
-- er sah aus wie ein Apostel. Das heilige Blond der langen Haare, der
starke, rote, keilförmige Bart, das kühne, feste und doch so unendlich
milde Gesicht, die weiße Mönchskutte, die seine schöne, straffe Gestalt,
seinen elastischen, soldatisch geschulten Körper zu voller Geltung
brachte.

Mit Wohlgefallen spiegelte er sich. Warum sollte er es auch nicht? Warum
sollte er sich selbst nicht bewundern, da er doch nicht aufhörte, die
Natur zu bestaunen in allem, was sie hervorbrachte? Er lief ja durch
die Welt von Wunder zu Wunder, und Dinge, von anderen nicht beachtet,
erzeugten in ihm religiöse Schauer. Übrigens nahm sie sich gut aus --
die Neuerung dieses Morgens: man konnte ja denken, diese Schnur um den
Kopf habe den Zweck, das Haar zusammenzuhalten. Daß sie einem
Heiligenscheine ähnelte, hatte nichts auf sich. Heilige gab es nicht
mehr, oder besser: der Heiligenschein kam jedem Naturerzeugnis, auch dem
kleinsten Blümchen oder Käferchen zu, und dessen Auge war ein profanes
Auge, der nicht über allem solche Heiligenscheine schweben sah. -- --

Auf der Straße war noch niemand: einsamer Sonnenschein lag darauf; hie
und da der lange, ein wenig schräge Schatten eines Hauses. Er bog in ein
Seitengäßchen, das bergan stieg, und klomm bald zwischen Wiesen und
Obstgärten hin aufwärts.

Bisweilen ein hochgiebliges, altväterisches Häuschen, ein enges, mit
Blumen vollgepfropftes Hausgärtchen, dann wieder eine Wiese oder ein
Weinberg. Der Ruch des weißen Jasmins, des blauen Flieders und des
dunkelbrennenden Goldlacks erfüllte stellenweise die reine und starke
Luft, daß er sie wohlig in sich sog wie einen gewürzten Wein.

Er fühlte sich freier nach jedem Schritt.

Wie wenn ein Dorn aus seinem Herzen sich löste, war ihm zu Sinn, als es
ihm das Auge so still und unwiderstehlich nach außen zog. Das Dunkel in
ihm ward aufgesogen von all dem Licht. Die Köpfchen des gelben
Löwenzahns, gleich unzähligen, kleinen Sonnen in das sprießende Grün des
Wegrandes gelegt, blendeten ihn fast. Durch den schweren Blütenregen der
Obstbäume schossen die Sonnenstrahlen schräg in den wiesigen Grund, ihn
mit goldigen Tupfen überdeckend. So honigsüß dufteten die Birken. Und so
viel Leben, Behaglichkeit und Fleiß sprach aus dem verlorenen Sumsen
früher Bienen.

Sorgfältig vermied er im Aufsteigen irgend etwas zu beschädigen oder gar
zu vernichten, was Leben hatte. Das kleinste Käferchen wurde umgangen,
die zudringliche Wespe vorsichtig verscheucht. Er liebte die Mücken und
Fliegen brüderlich, und zu töten, -- auch nur den allergewöhnlichsten
Kohlweißling -- schien ihm das schwerste aller Verbrechen.

Blumen, halbwelk, von Kinderhänden ausgerauft, hob er vom Wege auf, um
sie irgendwo ins Wasser zu werfen. Er selbst pflückte niemals Veilchen
oder Rosen, um sich damit zu schmücken. Er verabscheute Sträuße und
Kränze; er wollte alles an seinem Ort.

Ihm war wohl und zufrieden. Nur, daß er sich selbst nicht sehen konnte,
bedauerte er. Er selbst mit seinem edlen Gange, einsam in der Frühe auf
die Berge steigend: das hätte ein Motiv abgegeben für einen großen
Maler --: und das Bild stand vor seiner Phantasie.

Dann sah er sich um, ob nicht doch vielleicht irgendeine menschliche
Seele bereits wach sei und ihn sehen könne. Niemand war zu erblicken.

Übrigens fing das merkwürdige Schwatzen -- im Ohr oder gar im Kopf
drinnen, er wußte nicht wo -- wieder an. Seit einigen Wochen plagte es
ihn. Sicherlich waren es Blutstockungen. Man mußte laufen, sich
anstrengen, das Blut in schnelleren Umlauf versetzen --

Und er beschleunigte seine Schritte.

Allmählich war er so über die Dächer der Häuser hinausgekommen. Er stand
ruhend still und hatte alle Pracht unter sich. Eine Erschütterung
überkam ihn. Ein Gefühl tiefer Zerknirschung brannte in ihm angesichts
dieser wundervollen Tiefe. -- Lange ließ er das verzückte Auge
umherschwelgen: -- über alles hin, zu der Spitze des jenseitigen
Berges, dessen schründige Hänge zartes, wolliges Grün umzog. --
Hinunter, wo die veilchenfarbne Fläche des Sees den Talgrund ausfüllte,
wo die weichen, grasigen Uferhügel daraus hervorstiegen, grüne Polster,
überschüttet, soweit die Sehkraft reichte, mit Blüten und wieder Blüten.
Dazwischen Häuschen, Villen und Dörfer, deren Fenster elektrisch
aufblitzten, deren rote Dächer und Türme leuchteten.

Nur im Süden, fern, verband ein grauer, silberiger Duft See und Himmel
und verdeckte die Landschaft; aber über ihm, fein und weiß leuchtend,
auf das blasse Blau der Luft gelegt, schemenhaft tauchten sie auf --
einem ungeheuren Silberschatz vergleichbar -- in langer sich
verlierender Reihe: die Spitzen der Schneeberge.

Dort haftete sein Blick -- starr -- lange. Als es ihn los ließ, blieb
nichts Festes mehr in ihm. Alles weich, aufgelöst. Tränen und
Schluchzen.

Er ging weiter.

Von oben her, wo die Buchen anfingen, traf das Geschrei des Kuckucks
sein Ohr: jene zwei Noten, die sich wiederholen, aussetzen, um dann
wieder und wieder zu beginnen. Er ging weiter, nunmehr für sich und
grüblerisch.

Mysteriöse Rührungen waren ihm angesichts der Natur nichts
Ungewöhnliches, so stark und jäh wie diesmal indes hatten sie ihn noch
niemals befallen. -- Es war eben sein Naturgefühl, das stärker und
tiefer wurde. Nichts war begreiflicher, und es tat nicht not, sich
darüber hypochondrische Gedanken zu machen. Übrigens fing es an, sich in
ihm zu verdichten, zu gestalten, zu erbauen. Kaum daß Minuten vergingen,
und alles in ihm war gebunden und fest.

Er stand still, wieder schauend. Nun war es die Stadt unten, die ihn
anzog und abstieß. Wie ein grauer, widerlicher Schorf erschien sie ihm,
wie ein Grind, der weiter fressen würde, in dies Paradies hineingeimpft:
Steinhaufen an Steinhaufen, spärliches Grün dazwischen. Er begriff, daß
der Mensch das allergefährlichste Ungeziefer sei. Jawohl, das stand
außer Zweifel: Städte waren nicht besser als Beulen, Auswüchse der
Kultur. Ihr Anblick verursachte ihm Ekel und Weh.

Zwischen den Buchen angelangt, ließ er sich nieder. Lang ausgestreckt,
den Kopf dicht an der Erde, Humus- und Grasgeruch einziehend, die
transparenten, grünen Halme dicht vor den Augen, lag er da. Ein Behagen
erfüllte ihn so, eine schwellende Liebe, eine taumelnde Glückseligkeit.
Wie Silbersäulen die Buchenstämme. Der wogende und rauschende,
sonnengolddurchschlagene, grüne Baldachin darüber, der Gesang, die
Freude, der eifrige und lachende Jubel der Vögel. Er schloß die Augen,
er gab sich ganz hin. -- --

Dabei stieg ihm der Traum der Nacht auf: eine fremde Stimmung zuerst,
ein Herzklopfen, eine Gehobenheit, die eine Vorstellung mitbrachte, über
deren Ursprung er grübeln mußte. Endlich kam die Erinnerung --: zwischen
Tag und Abend. Eine endlose, staubige, italienische Landstraße, noch
erhitzt, flimmernde Wärme ausströmend. Landleute kommen vom Felde,
braun, bunt, zerlumpt. Männer, Weiber und Kinder mit schwarzen,
stechenden und glaubenskranken Augen. Ärmliche Hütten schräg drüben.
Über sie her einfältiges, katholisches Aveglockengebimmel. Er selbst
bestaubt, müde, hungernd, dürstend. Er schreitet langsam, die Leute
knien am Wegrand, sie falten die Hände, sie beten ihn an. Ihm ist weich,
ihm ist groß.

Er lag und hing an dem Bilde. Fieber, Wollust, göttliche Hoheitsschauer
wühlten in ihm. Er erhob sich Gott gleich.

Nun war er bestürzt, als er die Augen auftat. Wie eine Säule aus Wasser
brach es zusammen und verrann.

Sich selbst fragend und zur Rede stellend, drang er ins Waldinnere. Er
machte sich Vorwürfe über sein verzücktes Träumen; es kam wider seinen
Willen und Entschluß. Die Wucht seiner Gefühle machte ihm bange, dennoch
aber: es konnte sein, daß seine nagende Angst ohne Grund war.

Übrigens wuchs die Angst, obgleich es ihm jetzt gerade ganz klar wurde,
daß sie grundlos war.

Sie hatten ihn wirklich verehrt, die Italiener, deren Dörfer er zu Fuß
durchzogen hatte. Sie waren gekommen, um ihre Kinder von ihm segnen zu
lassen. Warum sollte er nicht segnen, wenn andere Priester segnen
durften? Er hatte etwas -- er hatte mehr mitzuteilen als sie. Es gab ein
Wort, ein einziges wundervolles Wortjuwel: Friede! Darin lag es, was er
brachte, darin lag alles verschlossen -- alles -- alles.

Blutgeruch lag über der Welt. Das fließende Blut war das Zeichen des
Kampfes. Diesen Kampf hörte er toben, unaufhörlich, im Wachen und
Schlafen. Es waren Brüder und Brüder, Schwestern und Schwestern, die
sich erschlugen. Er liebte sie alle, er sah ihr Wüten und rang die
Hände in Schmerz und Verzweiflung.

Mit der Stimme des Donners reden zu können wünschte er glühend.
Angesichts der tosenden Schlacht, auf einem Felsblock, allen sichtbar,
stehend, mußte man rufen und winken. Zu warnen vor dem Bruder- und
Schwestermord, hinzuweisen auf den Weg zum Frieden war eine Forderung
des Gewissens.

Er kannte diesen Weg. Man betrat ihn durch ein Tor mit der Aufschrift:
Natur.

Mut und Eifer hatte die Angst seiner Seele allmählich wieder verdrängt.
Er ging, nicht wissend wohin, predigend im Geiste und bei sich selbst zu
allem Volke redend: ihr seid Fresser und Weinsäufer. Auf euren Tafeln
prangen kannibalisch Tierkadaver. Laßt ab vom Schlemmen! Laßt ab vom
ruchlosen Morde der Kreaturen! Früchte des Feldes seien eure Nahrung!
Eure seidnen Betten, eure Polster, eure kostbaren Möbel und Kleider,
tragt alles zusammen, werft die Fackeln hinein, daß die Flamme himmelan
schlage und es verzehre! Habt ihr das getan, dann kommt -- kommt alle,
die ihr mühselig und beladen seid und folgt mir nach! In ein Land will
ich euch führen, wo Tiger und Büffel nebeneinander weiden, wo die
Schlangen ohne Gift und die Bienen ohne Stachel sind. Dort wird der Haß
in euch sterben und die ewige Liebe lebendig werden.

Ihm schwoll das Herz. Wie ein reißender Strom stürzte der Schwall
strafender, tröstender und ermahnender Worte. Sein ganzer Körper bebte
in Leidenschaft. Mit hinreißender Stärke überkam ihn der Drang, seine
ganze Liebe und Sehnsucht auszuströmen. Als müsse er den Bäumen und
Vögeln predigen, war ihm zumut. Die Kraft seiner Rede mußte
unwiderstehlich sein. Er hätte das Eichhorn, welches in Bogensprüngen
zwischen den Stämmen hinhuschte, mit einem einzigen Worte bannen und zu
sich rufen können. Er wußte es, wußte es sicher, wie man weiß, daß der
Stein fällt. Eine Allmacht war in ihm: die Allmacht der Wahrheit.

Plötzlich hörte der Wald auf. Fast erschreckt, geblendet, wie jemand,
der aus einem tiefen Schacht aufsteigt, sah er die Welt. Aber es hörte
nicht auf in ihm zu wirken. Mit eins kam Richtung in seine Schritte. Er
stieg niederwärts, den abschüssigen Weg laufend und springend.

Wie ein Soldat, der stürmt, das Ziel im Auge, kam er sich nun vor.
Einmal im Laufen, war es schwer sich aufzuhalten. Die schnelle, heftige
Bewegung aber weckte etwas: eine Lust, eine Art Begeisterung, eine
Tollheit.

Das Bewußtsein kam, und mit Grausen sah er sich selbst in großen Sätzen
bergab eilen. Etwas in ihm wollte hastig hemmen, Einhalt tun, aber schon
war es ein Meer, das die Dämme durchbrochen hatte. Ein lähmender Schreck
blieb geduckt im Grunde seiner Seele und ein entsetztes, namenloses
Staunen dazu.

Sein Körper indes, wie etwas Fremdes, tobte entfesselt. Er schlug mit
den Händen, knirschte mit den Zähnen und stampfte den Boden. Er lachte
-- lachte lauter und lauter, ohne daß es abriß.

Als er zu sich kam, zitterte er. Fast gelähmt vor Entsetzen, hielt er
den Stamm einer jungen Linde umklammert. Nur mit Vorsicht und stets in
Angst vor der Wiederkehr des Unbekannten, Fürchterlichen ging er dann
weiter. Aber er wurde doch wieder frei und sicher, so daß er am Ende
über seine Angst lächeln konnte.

Nun, unter dem festen Gleichmaß seiner Schritte, angesichts der ersten
Häuser, kam die Erinnerung seiner Soldatenzeit. Wie oft, das Herz mit
dem tauben Hochgefühl befriedigter Eitelkeit zum Bersten gefüllt, hatte
er als Leutnant, an der Seite der Truppe, unter klingendem Spiele Einzug
gehalten. Er dachte es kaum, und schon hatte in seinem Kopfe die
markige, feurige Marschmusik eingesetzt, durch die er so oft fanatisiert
worden war. Sie klang in seinem Ohr und bewirkte, daß er die Füße in
Takt setzte und Kopf und Brust ungewöhnlich stolz trug. Sie legte das
sieghafte Lächeln um seine Lippen und den lebendigen Glanz in seine
Augen. So marschierend lauschte er zugleich in sich hinein, verwundert,
daß er so jeden Ton, jeden Akkord, jedes Instrument scharf unterschied,
bis auf das Nachschüttern des Zusammenschlags von Pauke und Becken. Er
wußte nicht, sollte ihn die Stärke seiner Vorstellungskraft beunruhigen
oder erfreuen. Ohne Zweifel war es eine Fähigkeit. Er hatte die
Fähigkeit zur Musik. Er würde sicher große Kompositionen geschaffen
haben. Wie viele Fähigkeiten mochten überhaupt in ihm erstickt worden
sein! Übrigens war das gleichgültig. Alle Kunst war Unsinn, Gift. Es gab
andere, wichtigere Dinge für ihn zu tun.

Ein Mädchen in blauem Kattun, mit einem rosa Brusttuch, eine Kanne aus
Blech in der Hand, welches augenscheinlich Milch austrug, kam ihm
entgegen. Er hatte sie mit dem Blick gestreift und bemerkt, wie sie
erstaunt über seinen Anblick still stand und groß auf ihn blickte. Sie
grüßte dann kleinlaut mit ehrfürchtiger Betonung, und er ging gemessen
und ernst dankend an ihr vorüber.

Sofort war alles in ihm verstummt. Weit hinaus wuchs er im Augenblick
über seine bisherigen kleinen Vorstellungen. Wenn er noch etwas wie
Musik in seinem Ohre trug, so war es jedenfalls keine irdische Melodie.
Mit einer Empfindung schritt er, wie wenn er trockenen Fußes über Wasser
ginge. So hehr und groß kam er sich vor, daß er sich selbst zur Demut
ermahnte. Und wie er das tat, mußte er sich an Christi Einzug in
Jerusalem erinnern und schließlich der Worte: Siehe, dein König kommt zu
dir, sanftmütig.

Noch eine Zeitlang fühlte er den Blick des Mädchens sich nachfolgen. Aus
irgendwelchem Grunde hielt er im Gehen möglichst genau die Mitte des
Fahrdamms inne, auch als er eine Biegung machte in eine breite, weiße,
sich abwärts senkende Straße hinein. Dabei wie unter einem Zwange
stehend, mußte er immer und immer wiederholen: Dein König kommt zu dir.

Kinderstimmen sangen diese Worte. Sie lagen ihm noch ungeformt zwischen
Gaumen und Zunge. Aus dem unartikulierten Geräusch seines Atems konnte
er sie heraushören. Dazwischen Hosianna, rauschende Palmenwedel,
Jauchzen, bleiche, verzückte Gesichter. Dann wieder jähe Stille --
Einsamkeit.

Er sah auf, voll Verwunderung. Wie leere Kulissen alles. Häuser aus
Stein rechts und links, stumm, nüchtern, schläfrig. Nachdenklich prüfte
er. Allmählich, da es feststand, begann sein Inneres sich daran zu
ordnen. So wurde er klein, einfach, und fing an nüchtern zu schauen.

Hier und da war ein Fenster geöffnet. Der Kopf eines Hausmädchens wurde
sichtbar, man klopfte einen Betteppich aus. Ein Student, schwarzhaarig,
mit wulstigen Lippen, augenscheinlich ein Russe, drehte auf dem
Fensterbrett seine Frühstückszigarette. Und schon wurde es lebendiger
auf der Straße. Die Augen auf den Boden geheftet, unterließ er es doch
nicht, verstohlen zu beobachten. Oft sah er mitten hinein in ein
breites, freches Lachen. Oft bemerkte er, wie Staunen den Spott bannte.
Aber hinter seinem Rücken befreite sich dann der Spott, und dreiste
Reden, spitz und beißend, flogen ihm nach.

Mit jedem Schritt unter so viel Stichen und Schlägen wurde ihm
alltäglicher zu Sinn. Ein Krampf saß ihm in der Kehle. Der alte bittere,
hoffnungslose Gram trat hervor. Wie eine Mauer, dick, unübersteiglich,
richtete sie sich auf vor ihm, die grausame Blindheit der Menschen.

Nun schien es ihm auf einmal, als ob alles Leugnen unnütz sei. Er war
doch wohl nur eine eitle, kleine, flache Natur. Ihm geschah doch wohl
recht, wenn man ihn verhöhnte und verspottete. So empfand er minutenlang
die Pein und Scham eines entlarvten Hochstaplers und den Wunsch, von
aller Welt fortzulaufen, sich zu verkriechen, zu verstecken, oder auf
irgendeine Weise seinem Leben überhaupt ein Ende zu machen.

Wäre er jetzt allein gewesen, würde er den Strick um seinen Kopf, der
wie ein Heiligenschein aussah, heruntergerissen und verbrannt haben. Wie
unter einer Narrenkrone aus Papier, halb vernichtet vor Scham, ging er
darunter.

In enge, labyrinthische Gäßchen ohne Sonne hatte er eingelenkt. Ein
kleines Fensterchen voller Backware zog ihn an. Er öffnete die Glastür
und trat in den Laden. Der Bäcker sah ihn an -- die Bäckersfrau -- er
wählte ein kleines Brot, sagte nichts und ging.

Vor der Tür hatte sich eine Schar Neugieriger angesammelt: eine alte
Frau, Kinder, ein Schlächtergesell, die Mulde mit roten Fleischstücken
auf der Schulter. Er überflog ihre Gesichter, es war nichts Freches
darin, und ging mitten durch sie hin seines Weges.

Mit welchem Ausdruck sie ihn alle angeblickt hatten! Erst die
Bäckersleute. Als ob er des kleinen Brotes nicht zum Essen bedürfe,
sondern vielmehr, um damit ein Wunder zu tun. Und weshalb warteten die
Leute auf ihn vor den Türen? Es mußte doch einen Grund haben. Und nun
gar das Getrappel und Geflüster hinter ihm drein. Weshalb lief man ihm
nach? Weshalb verfolgte man ihn?

Er horchte gespannt und wurde bald inne, daß er ein Gefolge von Kindern
hinter sich hatte. Durch Kreuz- und Quergehen über kleine Plätze mit
alten Brunnen darauf, absichtlich umkehrend und die Richtung wechselnd,
vergewisserte er sich, daß der kleine Trupp nicht von ihm abließ.

Warum verfolgten sie ihn und ließen sich nicht genügen an seinem
Anblick? Erwarteten sie mehr von ihm? Hofften sie in der Tat von ihm
etwas Neues, Außergewöhnliches, Wundervolles zu sehen? Es kam ihm vor,
als spräche aus der eintönigen Hast der Geräusche ihrer Füße ein starker
Glaube, ja mehr als dies: eine Gewißheit. Und plötzlich ging es ihm hell
auf, weshalb Propheten, wahrhaftige Menschen voll Größe und Reinheit, so
oft am Schluß zu gemeinen Betrügern werden. Er empfand auf einmal eine
brennende Sucht, einen unwiderstehlichen Trieb, etwas Wundervolles zu
verrichten, und die größte Schmach würde ihm klein erschienen sein im
Vergleiche zu dem Eingeständnis seiner Unkraft.

Bis an den Limmatquai war er inzwischen gelangt, und noch immer folgten
ihm die Kleinen. Einige trabten, die größeren machten unmäßig lange
Schritte, um ihm nachzukommen. In abgebrochenen Worten, mit dem
feierlichen Flüsterton der Kirche vorgebracht, bestand ihre
Unterhaltung. Es war ihm bisher nicht gelungen, etwas von dem, was sie
sprachen, zu verstehen. Plötzlich aber -- er hatte es ganz deutlich
gehört -- wurden die Worte »Herr Jesus« ausgesprochen.

Die Wirkung eines Zaubers lag in diesen Worten. Er fühlte sich
aufgehoben durch sie, gestärkt, wiederhergestellt.

Jesus war verhöhnt worden: man hatte ihn geschlagen, angespien und ans
Kreuz genagelt. In Verachtung und Spott bestand der Lohn aller
Propheten. Sein eigenes bißchen Leiden kam nicht in Betracht. Kleine,
feige Nadelstiche hatte man ihm versetzt. Ein Zärtling, der daran
zugrunde ging!

Zum Kampf war man da. Wunden bewiesen den Krieger. Spott und Hohn der
Menge ... wo gab es höhere Ehrenzeichen?! Die Brust damit geschmückt,
durfte man stolz und frei blicken. Und überdies: aus dem Munde der
Unmündigen und Säuglinge hast du dir dein Lob zugerichtet.

Vor einer Frau, die Orangen feilbot, blieb er stehen. Sogleich hielten
auch die Kleinen im Laufen inne, und ein Haufe Neugieriger staute sich
auf dem Bürgersteig. Er hätte seine Früchte gern ohne alles Reden
gekauft. Mit einer Spannung warteten die Leute auf sein erstes Wort, die
ihn befangen und scheu machte. Ein sicheres Gefühl sagte ihm, daß er
eine Illusion zu schonen hatte, daß es von der Art, wie er sprach,
abhing, ob seine Hörer ihm weiter folgten oder enttäuscht
davonschlichen. Aber es war nicht zu vermeiden, die Hökerfrau fragte und
schwatzte zu viel, und so mußte er endlich reden.

Er war beruhigt und zufrieden, sobald er seine eigene Stimme vernahm;
etwas Singendes und Getragenes lag darin, eine feierliche und gleichsam
melancholische Würde, die, wie er überzeugt war, Eindruck machen mußte.
Er hatte sich kaum je so reden hören, und indem er sprach, wurde ihm das
Reden selbst zum Genuß, wie dem Sänger der Gesang. Auf der Brücke, unter
die hinein der blaugrüne See seine Wellen schlug, hielt er abermals an.
Über das Geländer gebeugt, nahm er aufs neue Licht, Farbe und Frische
des Morgens in sich auf. Der ungestüme, stärkende Wind, der den See
herauffuhr, wehte ihm den Bart über die Schulter und umspülte ihm Stirn
und Brust wie ein kaltes Bad.

Und nun aus der mutigen Aufwallung seines Innern stieg es auf als ein
fester Entschluß. Die Zeit war gekommen. Etwas mußte geschehen. In ihm
war eine Kraft, die Menschheit aufzurütteln. Jawohl! und sie mochten
lachen, spotten und ihn verhöhnen, er würde sie dennoch erlösen, alle,
alle!

Nun fing er an, tief und verschlossen zu grübeln. _Daß_ es geschehen
würde, stand nun fest; _wie_ es geschehen würde, mußte erwogen werden.
Man feierte heute Pfingsten, und das war gut. Um Pfingsten hatten die
Jünger Jesu mit feurigen Zungen geredet. Die Feierstimmung bedeutete
Empfänglichkeit. Einem erschlossenen Acker gleichen die Seelen der
Menschen an Feiertagen.

Tiefer und tiefer ging er in sich hinein, bis er in Räume eindrang,
weit, hoch, unendlich. Und so ganz versunken war er mit allen Sinnen in
diese zweite Welt, daß er wie ein Schlafender nur willenlos sich
fortbewegte. Von allem, was ihn umgab, drang nichts mehr in sein
Bewußtsein außer dem Getrappel der Kinderfüßchen hinter ihm.

Gleichmäßig eine Zeitlang, schwoll es allmählich an, wie wenn den
Wenigen, die ihm folgten, andere sich angeschlossen hätten. Und stärker
und stärker immer, als ob aus Einzelnen Hunderte, aus Hunderten Tausende
geworden wären.

Ganz plötzlich wurde er aufmerksam, und nun war es, als ob hinter ihm
drein Heeresmassen sich wälzten.

In seinen Füßen bis in die Knöchel hinauf spürte er ein Erzittern des
Erdreiches. Er vernahm hinter sich starkes Atmen, heißes, hastiges
Geflüster. Er vernahm Frohlocken, kurz abgerissen, halb unterdrückt, das
sich weit zurück fortpflanzte und erst in tiefen Fernen echohaft
erstarb.

Was das bedeutete, wußte er wohl. Daß es so überraschend schnell kam,
hatte er nicht erwartet. Durch seine Glieder brannte der Stolz eines
Feldherrn, und das Bewußtsein einer unerhörten Verantwortung lastete
nicht schwerer auf ihm wie der Strick auf seinem Kopfe. Er war ja der,
der er war. Er wußte ja den Weg, den er sie führen mußte. Er spürte ja
aus dem Lachen und Drängen seiner Seele, daß es ihm nahe war, jenes
Endglück der Welt, wonach die blinden Menschen mit blutenden Augen und
Händen so viele Jahrtausende vergebens gesucht hatten.

So schritt er voran -- er -- er -- also doch er! und in die Stapfen
seiner Füße stürzten die Völker wie Meereswogen. Zu ihm blickten sie
auf, die Milliarden. Der letzte Spötter war längst verstummt. Der letzte
Verächter war eine Mythe geworden.

So schritt er voran, dem Gebirge entgegen. Dort oben war die Grenze,
dahinter lag das Land, wo das Glück im Arme des Friedens ewig ruhte. Und
schon jetzt durchdrang ihn das Glück mit einer Wucht und Gewalt, die ihm
bewies, daß man athletische Muskeln nötig hatte, um es zu ertragen.

Er hatte sie, er hatte athletische Muskeln. Sein Leben, sein Dasein war
jetzt nur ein wollüstiges, spielendes Kraftentfalten.

Eine Lust kam ihn an, mit Felsen und Bäumen Fangball zu spielen. Aber
hinter ihm rauschten die seidenen Banner, drängte und dröhnte
unaufhaltsam die ungeheure Wallfahrt der Menschen.

Man rief, man lockte, man winkte; schwarze, blaue, rote Schleier
flatterten; blonde offene Frauenhaare; graue und weiße Köpfe nickten;
Fleisch bloßer, nerviger Arme leuchtete auf; begeisterte Augen, zum
Himmel blickend, oder flammend auf ihn gerichtet, voll reinen Glaubens:
auf ihn, der voranschritt.

Und nun sprach er es aus, ganz leise, kaum hörbar, das heilige
Kleinodwort: -- Weltfriede! Aber es lebte und flog zurück von einem zum
andern. Es war ein Gemurmel der Ergriffenheit und Feierlichkeit. Von
ferne her kam der Wind und brachte weiche Akkorde beginnender Choräle.
Gedämpfte Posaunenklänge, Menschenstimmen, welche zaghaft und rein
sangen; bis etwas brach, wie das Eis eines Stromes, und ein Gesang
emporschwoll wie von tausend brausenden Orgeln. Ein Gesang, der ganz
Seele und Sturm war und eine alte Melodie hatte, die er kannte: »Nun
danket alle Gott.«

Er kam zu sich. Sein Herz hämmerte. Er war nahe am Weinen. Vor seinen
Augen schwammen weiße Punkte durcheinander. Seine Glieder waren wie
zerschlagen.

Er setzte sich auf eine Bank nieder, die am See stand, und fing an, das
Brot zu essen, das er sich gekauft hatte. Dann schälte er die Orange und
drückt die kalte Schale an seine Stirn. Mit Andacht, wie der Christ die
Hostie, genoß er die Frucht. Noch war er damit nicht zu Ende, als er
müde zurücksank. Ein wenig Schlaf würde ihm willkommen gewesen sein. Ja,
wenn das so leicht wäre: ausruhen. Wie soll man ruhen, wenn es im Kopfe
drinnen endlos wühlt und gärt? Wenn das Herz heraus will, wenn es einen
zieht ins Unbestimmte, -- wenn man eine Mission hat, die verlangt, daß
man sich ihr unterziehe -- wenn die Menschen draußen warten und sich die
Köpfe zerbrechen? Wie soll man ruhen und schlafen, wo es not tut zu
handeln?

Es war ein peinigender Zustand, wie er so dalag. Fragen und Fragen und
nie eine Antwort. Graue, quälende Leere, mitunter schmerzende
Stockungen. An einen Ziehbrunnen mußte er denken. Man steht, zieht mit
aller Kraft am Seil, aber das Rad, worüber es geht, dreht sich nicht
mehr. Man läßt nicht nach mit Zerren und Stemmen. Der Eimer soll herauf.
Man dürstet zum Verschmachten. Das Rad gibt nicht nach. Weder vor- noch
rückwärts schiebt sich das Seil. -- Eine Plage war das, eine Qual --
beinahe ein physisches Leiden. Als er Schritte vernahm, freute er sich
der Ablenkung. Ja, du lieber Gott! Was war das überhaupt für ein Gedanke
gewesen, jetzt schlafen zu wollen! Er stand auf, verwundert, daß er sich
in seiner Kammer befand, und öffnete die Tür nach dem Flur. Seine
Mutter, wie er wußte, stand auf dem Gange, und er mußte sie
hereinlassen. Sie kam, sah ihn an mit strahlender Bewunderung, ihre
Lippen zitterten, und sie faltete in Ehrfurcht ihre Hände. Er legte ihr
die Hände aufs Haupt und sprach: stehe auf! -- und -- die Kranke erhob
sich und konnte gehen. Und wie sie sich aufrichtete, erkannte er, daß es
nicht seine Mutter war, sondern er, der Dulder von Nazareth. Nicht nur
geheilt hatte er ihn; er hatte ihn lebendig gemacht. Noch wehten die
Grabtücher um Jesu Leib. Er kam auf ihn zu und schritt in ihn hinein.
Und eine unbeschreibliche Musik tönte, als er so in ihn hineinging. Den
ganzen geheimnisvollen Vorgang als die Gewalt Jesu in der seinigen sich
auflöste, empfand er genau. Er sah nun die Jünger, die den Meister
suchten. Aus ihnen trat Petrus auf ihn zu und sagte: Rabbi! -- »Ich bin
es,« gab er zur Antwort. Und Petrus kam näher, ganz nahe, berührte
seinen Augapfel und begann ihn zu drehen: der Jünger drehte den Erdball.
Die Stunde war da, sich dem Volke zu zeigen. Auf den Balkon des Saales,
den er bewohnte, trat er hinaus. Unten wogte die Menge, und in das
Brausen und Wogen sang eine einzige dünne Kinderstimme: »Christ ist
erstanden.«

Sie hatte kaum begonnen, als das Eisen des Balkons nachgab. Er erschrak
heftig, wachte auf, rieb sich die Augen und wurde inne, daß er auf der
Bank eingeschlafen war. --

Gegen Mittag mochte es sein. Er wollte wieder hinauf in den Buchenwald,
um seine Zeit abzuwarten Die Sonne sollte ihn weihen, dort oben.

Noch immer kühle und reine Luft, wie er den Berg hinanstieg. Hymnen der
Vögel. Der Himmel wie eine blaßblaue, leere Kristallschale. Alles so
makellos. Alles so neu.

Auch er selbst war neu. Er betrachtete seine Hand, es war die Hand eines
Gottes; und wie frei und rein war sein Geist! Und diese Ungebundenheit
der Glieder, diese völlige innere Sicherheit und Skrupellosigkeit.
Grübeln und Denken lag ihm nun weltfern. Er lächelte voll Mitleid, wenn
er an die Philosophen dieser Welt zurückdachte. Daß sie mit ihrem
Grübeln etwas ergründen wollten, war so rührend, wie wenn etwa ein Kind
sich abmüht, mit seinen zwei bloßen Ärmchen in die Luft zu fliegen.

Nein, nein -- dazu gehören Flügel, breite Riesenschwingen eines Adlers
-- Kraft eines Gottes!

Er trug etwas wie einen ungeheuren Diamanten in seinem Kopfe, dessen
Licht alle schwarzen Tiefen und Abgründe hell machte: da war kein Dunkel
mehr in seinem Bereich ... Das große Wissen war angebrochen. --

Die Glocken der Kirchen begannen zu läuten. Ein Gewühl und Gebrause von
Tönen erfüllte das Tal. Mit einer erznen Zunge schien die Luft zu
sprechen.

Er beugte sich vor und lauschte, als es zu ihm heraufkam. Er senkte das
Haupt nicht, er kniete nicht nieder. Er horchte lächelnd wie auf eines
alten Freundes Stimme, und doch war es Gottvater, der mit seinem Sohne
redete.

                                  Ende




Werke von Gerhart Hauptmann:


  Vor Sonnenaufgang. Bühnendichtung.                  13. Auflage.
  Das Friedensfest. Soziales Drama.                    8. Auflage.
  Einsame Menschen. Drama.                            30. Auflage.
  Die Weber. Schauspiel.                              46. Auflage.
  Kollege Crampton. Komödie.                           9. Auflage.
  Der Biberpelz. Eine Diebskomödie.                   16. Auflage.
  Hanneles Himmelfahrt. Eine Traumdichtung.           26. Auflage.
  Florian Geyer.                                      10. Auflage.
  Die versunkene Glocke. Ein deutsches Märchendrama.  85. Auflage.
  Fuhrmann Henschel. Schauspiel. (Originalausg.)      16. Auflage.
  Fuhrmann Henschel. Schauspiel. (Übertragung.)       18. Auflage.
  Schluck und Jau. Spiel zu Scherz und Schimpf.       10. Auflage.
  Michael Kramer. Drama.                              11. Auflage.
  Der rote Hahn. Tragikomödie.                         8. Auflage.
  Der arme Heinrich. Dramatische Dichtung.            23. Auflage.
  Rose Bernd. Schauspiel.                             18. Auflage.
  Elga.                                                8. Auflage.
  Und Pippa tanzt! Ein Glashüttenmärchen.             10. Auflage.
  Die Jungfern vom Bischofsberg. Lustspiel.            4. Auflage.
  Kaiser Karls Geisel. Drama.                          6. Auflage.
  Griechischer Frühling.                               7. Auflage.
  Griselda.                                            6. Auflage.
  Der Narr in Christo Emanuel Quint. Roman.           18. Auflage.
  Die Ratten. Berliner Tragikomödie.                   7. Auflage.
  Gabriel Schillings Flucht. Drama.                   10. Auflage.
  Atlantis. Roman.                                    27. Auflage.
  Festspiel.                                          32. Auflage.
  Der Bogen des Odysseus.                              7. Auflage.




Gesamtausgaben moderner Dichter


Björnstjerne Björnson

Gesammelte Werke. Volksausgabe in fünf Bänden. In Leinen 15 Mark.


Richard Dehmel

Gesammelte Werke in zehn Bänden. Geheftet 30 Mark, in Halbpergament
40 Mark, in Ganzpergament 50 Mark.

Gesammelte Werke in drei Bänden. In Leinen 12 Mark 50 Pfennig, in
Halbleder 16 Mark.


Theodor Fontane

Gesammelte Werke. Auswahl in fünf Bänden. In Leinen 20 Mark.


Gustaf af Geijerstam

Gesammelte Romane in fünf Bänden. Geheftet 12 Mark, in Leinen 15 Mark.


Otto Erich Hartleben

Ausgewählte Werke in drei Bänden. Geheftet 8 Mark, in Pappbänden
10 Mark, in Ganzpergament 15 Mark.


Gerhart Hauptmann

Gesammelte Werke. Gesamtausgabe in sechs Bänden. In Leinen 24 Mark, in
Halbleder 30 Mark.


Henrik Ibsen

Sämtliche Werke in deutscher Sprache. Zehn Bände. Geheftet 35 Mark, in
Leinen 45 Mark.


Henrik Ibsen

Sämtliche Werke. Volksausgabe in fünf Bänden. In Leinen gebunden
15 Mark.


Peter Nansen

Ausgewählte Werke in drei Bänden. In Leinen gebunden 12 Mark.


Arthur Schnitzler

Gesammelte Werke. I. Die erzählenden Schriften in drei Bänden. In Leinen
10 Mark, in Halbleder 13 Mark, in Ganzleder 17 Mark.

II. Die Theaterstücke in vier Bänden. In Leinen 12 Mark, in Halbleder
16 Mark, in Ganzleder 21 Mark.


Bernard Shaw

Dramatische Werke. Auswahl in drei Bänden. In Leinen 12 Mark.




Sammlung von Schriften zur Zeitgeschichte

Jeder Band gebunden 1 Mark


1. Band: Aus den Kämpfen um Lüttich. Von einem Sanitätssoldaten.

2. Band: Weltwirtschaft und Nationalwirtschaft. Von Franz Oppenheimer.

3. Band: Der englische Charakter, heute wie gestern. Von Theodor Fontane.

4. Band: Preußische Prägung. Von Lucia Dora Frost.

5. Band: Friedrich und die große Koalition. Von Thomas Mann.

6. Band: Die Fahrten der Emden und der Ayesha. Mit 20 Abbildungen. Von
Emil Ludwig.

7. Band: In England -- Ostpreußen -- Südösterreich. Von Arthur Holitscher.

8. Band: Der deutsche Mensch. Von Leopold Ziegler.

9. Band: Russischer Volksimperialismus. Von Karl Leuthner.

10. Band: Die Flüchtlinge. Von einer Reise durch Holland hinter die
belgische Front. Von Norbert Jacques.

11. Band: Zwischen Lindau und Memel während des Krieges. Von Paul
Schlenther.

12. Band: Deutsche Kunst. Von Karl Scheffler.

13. Band: Gedanken zur deutschen Sendung. Von Alfred Weber.




                      S. Fischer · Verlag · Berlin




  [ Im folgenden werden alle geänderten Textzeilen angeführt, wobei
    jeweils zuerst die Zeile wie im Original, danach die geänderte Zeile
    steht.

  die Straße, wo er Tobiaschen sogleich aufgriff, der mit den Fingern Kalk
  die Straße, wo er Tobiäschen sogleich aufgriff, der mit den Fingern Kalk

  spiegelten die trübe Natur noch trüber wieder.
  spiegelten die trübe Natur noch trüber wider.

  »Ein fruchtbares Wetter,« dachte Thiel, als er aus tiefem Nachdenken
  »Ein furchtbares Wetter,« dachte Thiel, als er aus tiefem Nachdenken

  Charite überführt wurde. Noch bei der Einlieferung hielt er das braune
  Charité überführt wurde. Noch bei der Einlieferung hielt er das braune

  ]





End of the Project Gutenberg EBook of Bahnwärter Thiel, by Gerhart Hauptmann

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BAHNWÄRTER THIEL ***

***** This file should be named 29376-8.txt or 29376-8.zip *****
This and all associated files of various formats will be found in:
        http://www.gutenberg.org/2/9/3/7/29376/

Produced by Jana Srna, Norbert H. Langkau and the Online
Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net


Updated editions will replace the previous one--the old editions
will be renamed.

Creating the works from public domain print editions means that no
one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
(and you!) can copy and distribute it in the United States without
permission and without paying copyright royalties.  Special rules,
set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark.  Project
Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
charge for the eBooks, unless you receive specific permission.  If you
do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
rules is very easy.  You may use this eBook for nearly any purpose
such as creation of derivative works, reports, performances and
research.  They may be modified and printed and given away--you may do
practically ANYTHING with public domain eBooks.  Redistribution is
subject to the trademark license, especially commercial
redistribution.



*** START: FULL LICENSE ***

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
Gutenberg-tm License (available with this file or online at
http://gutenberg.org/license).


Section 1.  General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
electronic works

1.A.  By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement.  If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B.  "Project Gutenberg" is a registered trademark.  It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement.  There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement.  See
paragraph 1.C below.  There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
works.  See paragraph 1.E below.

1.C.  The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
Gutenberg-tm electronic works.  Nearly all the individual works in the
collection are in the public domain in the United States.  If an
individual work is in the public domain in the United States and you are
located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
are removed.  Of course, we hope that you will support the Project
Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
the work.  You can easily comply with the terms of this agreement by
keeping this work in the same format with its attached full Project
Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.

1.D.  The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work.  Copyright laws in most countries are in
a constant state of change.  If you are outside the United States, check
the laws of your country in addition to the terms of this agreement
before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
creating derivative works based on this work or any other Project
Gutenberg-tm work.  The Foundation makes no representations concerning
the copyright status of any work in any country outside the United
States.

1.E.  Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1.  The following sentence, with active links to, or other immediate
access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org

1.E.2.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
and distributed to anyone in the United States without paying any fees
or charges.  If you are redistributing or providing access to a work
with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
1.E.9.

1.E.3.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
terms imposed by the copyright holder.  Additional terms will be linked
to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
permission of the copyright holder found at the beginning of this work.

1.E.4.  Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5.  Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6.  You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
word processing or hypertext form.  However, if you provide access to or
distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
form.  Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7.  Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8.  You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
     the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
     address specified in Section 4, "Information about donations to
     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
your equipment.

1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH F3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit: http://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     http://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.