Wunderwelten

By Friedrich Wilhelm Mader

The Project Gutenberg EBook of Wunderwelten, by Friedrich Wilhelm Mader

This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
whatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
www.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll have
to check the laws of the country where you are located before using this ebook.



Title: Wunderwelten
       Wie Lord Flitmore eine seltsame Reise zu den Planeten
       unternimmt und durch einen Kometen in die Fixsternwelt
       entführt wird

Author: Friedrich Wilhelm Mader

Illustrator: Willi Egler

Release Date: December 26, 2015 [EBook #50770]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WUNDERWELTEN ***




Produced by Jens Sadowski





                             Wunderwelten




                             Wunderwelten


             Wie Lord Flitmore eine seltsame Reise zu den
             Planeten unternimmt und durch einen Kometen
                  in die Fixsternwelt entführt wird.

                              Erzählung
                  für Deutschlands Söhne und Töchter
                             von W. Mader
                       Illustriert von W. Egler

           Verlag für Volkskunst / Rich. Keutel / Stuttgart

                       Alle Rechte vorbehalten.

   Kunstdruckerei des Verlags für Volkskunst, Rich. Keutel, Stuttgart.




                         Inhaltsverzeichnis.


                                                Seite
        Personenverzeichnis                        VI
        Vorwort                                   VII
    1.  Ein kühnes Unternehmen                      1
    2.  Sannah, das Weltschiff                      5
    3.  Eine wunderbare Entdeckung                 10
    4.  Die Fahrt ins Leere                        13
    5.  Im Weltenraum                              20
    6.  Am Mond vorbei                             27
    7.  Eine ernste Gefahr                         34
    8.  Die großen Astronomen                      38
    9.  Der Mars                                   43
   10.  Eine Landung auf dem Mars                  46
   11.  Die Schrecken des Mars                     50
   12.  Eine Entdeckungsreise auf dem Mars         56
   13.  Die Marsbewohner                           61
   14.  Eine Marskatastrophe                       68
   15.  Im Meteorenschwarm                         79
   16.  Ein Konzert in der Sannah                  88
   17.  Die Asteroiden                             93
   18.  Die Planetoideninsel                       97
   19.  Der Komet                                 102
   20.  Die Seeschlange                           110
   21.  Jupiter                                   115
   22.  Ein Besuch auf dem Saturn                 120
   23.  Eine unfreiwillige Polarreise             126
   24.  Eine Nacht auf dem Ringplaneten           132
   25.  Eine seltsame Welt                        139
   26.  Ein Kampf um die Sannah                   146
   27.  Vom Kometen entführt                      155
   28.  Die Geheimnisse der äußersten Planeten    162
   29.  Eine Reise ins Unendliche                 164
   30.  Schimpansenstreiche                       171
   31.  Verloren im Weltraum                      176
   32.  Der Riesenkraken                          184
   33.  Ohne Luft!                                192
   34.  Ein verhängnisvoller Zusammenstoß         195
   35.  Ein Wunder                                199
   36.  In der Fixsternwelt                       204
   37.  Eine neue Erde                            209
   38.  Die Wunder Edens                          214
   39.  Sonderbare Naturgesetze                   219
   40.  Eine neue Tierwelt                        228
   41.  Eine paradiesische Nacht                  237
   42.  Höhere Wesen                              245
   43.  Im Hause des Gastfreunds                  255
   44.  Neue Erkenntnisse                         260
   45.  Heliastra                                 268
   46.  Überirdische Klänge                       272
   47.  Im Reiche des Friedens                    277
   48.  Eine Reise auf dem Planeten               282
   49.  Münchhausens Fabeln                       286
   50.  Abschied                                  290
   51.  Der Planet des Fremdartigen               295
   52.  Eine Weltkatastrophe                      299
   53.  Durch die Sonne                           303
   54.  Der Planet Merkur                         309
   55.  Zurück zur Erde!                          314
   56.  Sannah                                    318
        Nachweise                                 329




                         Personenverzeichnis.


    1. Lord Charles Flitmore.
    2. Mietje, Lady Flitmore, geborene Rijn, seine Gattin.
    3. Professor Heinrich Schultze.
    4. Kapitän Hugo von Münchhausen.
    5. Heinz Friedung.
    6. John (Johann) Rieger, Flitmores Diener.
       Zwei Schimpansen: Dick und Bobs.

                                 ----

    7. Ein alter Marsbewohner.
                                 ----
    8. Gabokol.
    9. Bleodila, seine Gattin.
   10. Fliorot, sein Sohn.
   11. Glessiblora  }  seine Töchter.
   12. Heliastra    }

                           Im Schlußkapitel:

   13. Doktor Otto Leusohn.
   14. Sannah, geborene Rijn, seine Gattin.
   15. Hendrik Rijn.
   16. Helene, seine Gattin, Doktor Leusohns Schwester.
   17. Tipekitanga, die Zwergprinzessin.
   18. Amina, ein Somalimädchen.
   19. Piet Rijn, Hendriks, Mietjes und Sannahs Vater.
   20. Frans        }
   21. Klaas        }  weitere Söhne Piet Rijns.
   22. Danie        }




                               Vorwort.


Den vollen Gewinn von dieser Erzählung wird nur die schon gereiftere
Jugend haben, die mit Verständnis und gewiß auch mit lebhaftem Interesse
die Wunder der Sternkunde kennen lernen wird. Das ganze Gebiet der
Astronomie soll ihr im Laufe der Erzählung in der Hauptsache erschlossen
werden.

Nun werden aber auch wohl jüngere Leser, für welche die
wissenschaftlichen Gespräche vielleicht noch zu hoch sind, die seltsamen
Erlebnisse und Entdeckungen der Weltall-Reisenden lesen wollen. Diese
mögen getrost die Stellen überschlagen, die ihnen noch nicht
verständlich erscheinen, namentlich in Kapitel 8, 15, 18, 26, 32 und 48.

Sollte einem oder dem andern Kritiker einiges über die Grenzen des
Wahrscheinlichen (natürlich nicht des »Möglichen«) hinauszugehen
scheinen, so möge er sich aus den Nachweisen überzeugen, ob nicht die
Wissenschaft selber die Phantasie stützt.

_Eschelbach_, im Juli 1911.

                                                         Der Verfasser




                      1. Ein kühnes Unternehmen.


Professor Dr. Heinrich Schultze lehnte sinnend in seinen Sessel zurück.
Vor ihm auf dem mit Büchern und Papieren bedeckten Schreibtisch lag ein
Brief, der seine Gedanken beschäftigte.

Da läutete es an der Eingangstüre seiner Wohnung und kurz darauf pochte
es gewaltig an die Studierzimmertüre.

»Herein!« rief der Professor, sich erhebend.

Die Türe öffnete sich und es erschien ein ältlicher, doch frisch und
blühend aussehender Mann von stattlicher Leibesfülle.

»Kapitän Münchhausen!« rief Schultze und eilte überrascht und erfreut,
auf den Mann zu, ihm beide Hände entgegenstreckend. »Welcher günstige
Monsun führt Sie von Australien nach Berlin und just in dieser Stunde?
Ich bin starr! Denken Sie, soeben weilten meine Gedanken bei Ihnen in
Adelaide und ich wünschte mir, Sie herzaubern zu können.«

»Nun! Der Zauber ist gelungen!« lachte Münchhausen: »da bin ich. Und was
mich herführt? Sie wissen, ich halte das untätige Herumsitzen auf dem
Kulturboden nicht lange aus. Na! habe ich gedacht: schaust einmal nach,
was der olle Schultze macht; vielleicht plant er wieder irgend ein
famoses Unternehmen; da muß ich dabei sein! Und plant er keins, so will
ich ihn aufrütteln und wir planen eines miteinander. He! Wie steht's
damit, Professorchen?«

»Ich sage Ihnen, Sie kommen wie gerufen. Da, setzen Sie sich her, altes
Haus.«

Unterdessen drückte der Professor auf den Knopf der elektrischen Klingel
und beauftragte den hierauf erscheinenden Diener, eine Flasche Wein und
zwei Gläser zu bringen und alsdann im Eßzimmer einen kalten Imbiß zu
richten: »Das Feinste, was wir haben,« mahnte er: »Der Kapitän ist
Feinschmecker.«

»Oho!« lachte dieser: »Habe ich mir nicht Termiten, Raupen und
Rohrratten schmecken lassen, wenn es darauf ankam? Ich nehme alles wie
es kommt.«

»Jetzt kommt aber etwas Besseres als afrikanische Hungerkost, alter
Freund; und ich weiß, Sie nehmen das Bessere gerner an als das
Schlechtere.«

»Ein Narr, wer's nicht tut! Aber nun, Professor, was planen Sie?«

»Ich habe eigentlich gar nichts geplant; aber ein andrer: Sie erinnern
sich wohl noch Lord Flitmores?«

Münchhausen lachte, daß es dröhnte: »Auf so eine Frage kann doch nur ein
weltfremder Professor verfallen! »Erinnern« ist gut! Wenn man mit einem
Manne, wie der Lord, solche Abenteuer erlebt, solche Kämpfe durchfochten
und solche herrliche Stunden durchkostet hat, wie wir zwei beide, dann
soll man ihn wohl vergessen können? Verzeihen Sie, Professor, aber Ihre
Frage ist ... na, wie soll ich sagen?«

»Dumm!« ergänzte Schultze, seinerseits lachend: »Sie haben recht, oller
Seebär. Also! Hier habe ich einen Brief von Flitmore erhalten. Er
schreibt, er habe eine kaum glaubliche Entdeckung gemacht.«

»Kaum glaublich? Hören Sie, dem glaube ich alles, dem traue ich das
Wunderbarste zu nach den Proben seines Erfindergenies, die er uns in
Afrika gegeben.«

»Das stimmt! Aber hören Sie: er schreibt, seine Entdeckung hebe die
trennenden Räume des Weltalls auf und gestatte Reisen nach dem Mond,
nach den Planeten, vielleicht gar in die Fixsternwelt. Und nun ladet er
mich ein, ihn auf seiner ersten Fahrt zu begleiten. Was halten Sie
davon? Sollte er nicht doch ein wenig übergeschnappt sein?«

»O, daß Sie Männer der Wissenschaft keine neue, erstaunliche Entdeckung
ohne Zweifel begrüßen können! Wenn die Professoren darüber zu
entscheiden hätten, alle genialen Erfinder kämen ins Irrenhaus! Ich
sagte Ihnen, dem Lord traue ich alles zu. Er ist ein Genie.
Telegraphieren Sie ihm nur gleich, ob er mich mitnimmt? Ha! das gibt
eine Reise! Das ist noch nie dagewesen, außer in der Phantasie kühner
Schriftsteller: Da muß ich mit!«

»Das ist es ja gerade: Lord Flitmore bittet mich, ihn zu begleiten, da
er weiß, daß ich mich in den letzten Jahren ganz auf die Astronomie
geworfen habe und er meine Veröffentlichungen auf diesem Gebiet mit
Interesse und Beifall verfolgte, wie er schreibt. Dann aber fragt er
nach Ihnen und nach Ihrer Adresse. Er ist voll Bewunderung für das
Automobil, das Sie erfanden, und mit dem wir Australien durchforschten.«

»Ja, ja, die Lore!« schmunzelte der Kapitän: »Sie war kein übler
Gedanke. Aber nach dem Mond -- ne! Das hätte sie doch nicht geleistet«.

     [Illustration: Kapitän Münchhausen bei Professor Schultze.]

»Also, bei Ihren technischen Kenntnissen und Ihrer Erfindungsgabe auf
diesem Gebiet glaubt der Lord keinen besseren Ingenieur und Kapitän für
sein Weltschiff finden zu können, als Sie, und wäre höchlichst erfreut,
Sie für das Unternehmen gewinnen zu können.«

»Topp!« rief Münchhausen begeistert: »Wann reisen wir?«

»Holla!« lachte Schultze: »Nicht so eilig, alter Freund! Sie sind ein
unüberlegter Jüngling. Bedenken Sie,« fuhr er ernst werdend fort: »Das
Wagnis ist mehr als kühn: es geht auf Tod und Leben. Der Lord verfehlt
nicht, dies ausdrücklich hervorzuheben: kein Mensch kann wissen, welche
Gefahren und welch ungeahnte Katastrophen dem Erdenbürger drohen, der
seinen heimischen Planeten verläßt und sich über die Atmosphäre in die
Leere des Weltenraums erhebt.«

»Ging es etwa in Afrika und Australien und wo wir sonst noch forschten,
nicht auch auf Tod und Leben? Ahnten wir im voraus die Gefahren, denen
wir entgegengingen?«

»Wohl! Aber es waren irdische Gefahren.«

Der Kapitän zuckte die Achseln: »Hören Sie, Sie tifteliger Professor:
Todesgefahr ist Todesgefahr, ob sie nun auf der Erde oder über der Erde
droht, ist meines Erachtens völlig einerlei: mehr als unser Leben können
wir hier oder dort nicht verlieren. Aber wer soll noch sonst mit? Auf
die Reisegesellschaft kommt bei so etwas viel an.«

»Eine große Gesellschaft wird es nicht werden: zunächst wird die Gattin
des Lords ihn begleiten.«

»Schau, schau! Mietje! Allen Respekt! Ein beherztes Frauenzimmer ist sie
stets gewesen, das hat sie uns damals in Ophir zur Genüge bewiesen.«

Schultze aber fuhr fort: »Ferner Flitmores Diener, John Rieger.«

»Freut mich, freut mich! Eine edle, treue Seele und ein gelungener
Mensch. Er befindet sich also immer noch in des Lords Diensten?«

»Allerdings, und er hat sich zum tüchtigen Mechaniker ausgebildet, wie
ihn Flitmore als eifriger Automobilfahrer braucht. Endlich will noch
mein junger Freund Heinz Friedung sich uns anschließen. Ich riet ihm
vergebens ab: er ist Feuer und Flamme für die Weltreise.«

»Hören Sie, Professor, den jungen Mann habe ich in mein Herz geschlossen
seit wir unsre Reise nach den Unnahbaren Bergen mit ihm machten. Das
gibt eine famose Reisegesellschaft! Was treibt denn unser Heinz seither
und wo weilt er?«

»Er hat sich auf die Sprachwissenschaften geworfen und lebt hier in
Berlin als Privatdozent. Er beginnt, sich einen Namen zu machen und hat,
wie er mir anvertraute, eine epochemachende Entdeckung auf seinem Gebiet
gemacht, doch verrät er noch nichts Näheres davon.«

Der Diener meldete, daß der Imbiß bereit stehe.

Die Beiden tranken ihre Gläser leer und begaben sich nach dem
Speisezimmer.




                      2. Sannah, das Weltschiff.


Eine Woche später landeten Schultze, Münchhausen und Heinz Friedung in
Brighton und fuhren dann mit der Bahn nach Lord Flitmores Besitzung, die
sich in der Grafschaft Sussex befand.

Ein prächtiges altes Schloß, von einem ausgedehnten Park umgeben, an den
Felder, Wiesen und Waldungen stießen -- ein ganzes kleines Königreich --
wurde den Ankömmlingen als des Lords Residenz bezeichnet.

Von weitem schon konnte man über die Baumwipfel eine Riesenkugel
emporragen sehen, die im Sonnenschein glitzerte.

»Das ist des Lords Weltschiff!« rief Heinz Friedung.

Schultze schüttelte den Kopf: »Dies Fahrzeug muß ein fabelhaftes Gewicht
haben,« meinte er: »Wie sich Flitmore damit in die Luft erheben will
oder gar über die Atmosphäre, ist mir rein unerfindlich.«

Der Kapitän aber entgegnete: »Brauchen Sie auch nicht zu erfinden,
Professor! Seien Sie getrost, das Genie unsres englischen Freundes hat
zweifellos die Aufgabe gelöst, sonst hätte er uns nicht zur Fahrt
eingeladen.«

Lord Flitmore hatte die Gäste um diese Stunde erwartet und kam ihnen mit
seiner jugendlichen Frau bis an das Parktor entgegen.

Er war ein hochgewachsener Mann mit rötlichem Backenbart. Eine ernste
Würde verlieh ihm etwas Steifes, echt Englisches; doch das war nur
äußerlich: obgleich er nicht viel Worte machte und seine Begrüßung
ziemlich trocken klang, merkte man doch die warme Herzlichkeit und die
aufrichtige Freude heraus.

Mietje, seine Gattin, eine geborene Burin aus Südafrika, gab sich
keinerlei Mühe, ihre Gefühle hinter gemessener Würde zu verbergen: sie
kam den Freunden mit strahlendem Lächeln entgegen und schüttelte allen
kräftig die Hand.

Schultze und Münchhausen waren alte Bekannte des Lords von Afrika her;
an Heinz wandte sich der Engländer mit den Worten:

»Sie, Herr Friedung, sind mir auch schon lange bekannt und wert, wenn
ich Sie auch persönlich noch nie traf; haben Sie doch in den
Schilderungen der australischen Reise meiner Freunde stets eine
hervorragende und sympathische Rolle gespielt.«

Für die Ankömmlinge war ein wahres Festmahl gerichtet und sie wurden
fürstlich bewirtet; dann gab es noch gar vieles zu berichten über ihre
Erlebnisse und Arbeiten in der Zeit, da sie den Lord nicht mehr gesehen.
Punkt zehn Uhr jedoch hielt Flitmore seine häusliche Abendandacht,
worauf sich alles zur Ruhe begab.

Am andern Morgen nach dem Frühstück führte der Lord seine Gäste auf die
weite Wiese, auf der die gewaltige Kugel ruhte, die schon bei ihrer
Ankunft das Erstaunen unsrer Freunde geweckt hatte.

»Das also ist Ihr Luftschiff?« bemerkte der Professor, als sie
bewundernd an der mächtigen Sphäre hinaufblickten.

»Weltschiff,« verbesserte Flitmore: »Ein Luftschiff ist an die
Atmosphäre gefesselt, wir aber wollen mit diesem Fahrzeug den Luftraum
verlassen, wenigstens die Lufthülle, die unsern Erdball umgibt; darum
können wir füglich von einem >Luftschiff< nicht mehr reden: Die ganze
Welt, der unendliche Raum steht diesem Vehikel offen.«

»Sie haben recht,« gab Schultze zu. »Also >Weltschiff<.«

Der Engländer aber fuhr fort:

»Ich habe übrigens meiner Kugel einen eigenen Namen gegeben. Der schöne
Gedanke, den Sie hatten, Herr Kapitän, als Sie Ihr Automobil Lore
tauften, hat mir eingeleuchtet, und so gab ich meiner Erfindung den
Namen >Sannah<.«

»Zu Ehren Ihrer liebenswürdigen Schwägerin, der mutigen Gattin unsres
Freundes Doktor Leusohn in Ostafrika?« fragte Schultze.

»Gewiß!« fiel Mietje ein: »Wir kamen beide sofort auf den Gedanken, den
Namen meiner fernen Schwester für das Gefährt zu wählen, das uns auf
einer Reise voll unbekannter Gefahren zur Heimat werden soll.«

»Freut mich!« rief Münchhausen: »Mit Sannah bin ich mit besonderer
Vorliebe gereist, und ich bin überzeugt, diese neue Sannah wird ihrem
Namen Ehre machen, uns Treue beweisen und die Reise so angenehm wie
möglich gestalten.«

»Aus was für einem Stoff besteht eigentlich Ihr Weltschiff?« fragte nun
Heinz Friedung: »Es glitzert ja wie Glimmer.«

»Diese schimmernde Hülle ist Flintglas,« erklärte Flitmore; »Wir müssen
damit rechnen, daß wir auf unsrer Fahrt Temperaturen antreffen werden,
die nicht nur unser Leben, sondern auch unser Fahrzeug vernichten
könnten. Gegen die Kälte des Weltraums, die ich übrigens nicht für gar
so schlimm halte, wie man meistens annimmt, schützt uns die elektrische
Heizung.

Wir können aber auch durch Weltnebel und kosmische Staubwolken mit einer
solchen Geschwindigkeit sausen, daß Sannah in Weißglut geriete, wie die
Meteore, die in unsre Atmosphäre stürzen; das Gleiche wird ihr drohen,
wenn wir uns der Sonne oder einem andern glühenden Weltkörper nähern.
Ich habe daher die Hülle meines Weltschiffes genau so herstellen lassen,
wie die Wandungen der feuerfestesten Kassenschränke und auch diese Hülle
noch mit dem unverbrennlichen Flintglas überkleidet, so daß wir hoffen
dürfen, ohne Schaden auch längere Zeit hindurch uns den höchsten
Temperaturen aussetzen zu dürfen.«

»Aber die Fenster?« warf Schultze ein.

»Ich habe allerdings sechs große Fenster, die aus sehr dickem Glas
bestehen und einen Ausblick nach allen Seiten gestatten. Unter jeder
dieser Scheiben befindet sich ein mächtiges Fernrohr, da wir mit bloßem
Auge meist nicht viel zu sehen bekämen. Sobald wir jedoch einer Hitze
ausgesetzt würden, die meinen Fenstern gefährlich werden könnte, genügt
der Druck auf einen Knopf im Innern des Schiffes, um im Augenblick
sämtliche Fenster mit einem Schutzdeckel völlig dicht zu schließen, wie
mit einem Augenlid.«

»Ungeheure Größenverhältnisse hat Ihr Weltschiff, das muß ich sagen!«
bemerkte der Kapitän bewundernd.

»Eigentlich sind sie gering«, erwiderte der Engländer: »Ein
Zeppelinsches Luftschiff zum Beispiel hat noch ganz andre Maße. Meine
Kugel hat 45 Meter im Durchmesser; um den Mittelpunkt befindet sich ein
Raum von 15 Metern in der Länge, Breite und Höhe, der somit 3375
Kubikmeter Rauminhalt hat. Hier sind die Reisevorräte verstaut in
mehreren pyramidenförmigen Abteilungen mit der Spitze nach unten, das
heißt nach dem Mittelpunkte zu.

Dieser Mittelraum bildet die Grundlage für die einzelnen Zimmer, die von
ihm nach sechs Seiten hin ausstrahlen bis an die Hülle hin. Jedes dieser
Zimmer, 5 Meter breit und etwa 3 Meter hoch, so daß sich allemal 5
solcher Säle übereinander befinden, deren äußerster als Wohn- und
Beobachtungszimmer dient; leiterartige Treppen führen von einem
Stockwerk zum andern. Die obersten Zimmer sind 15 Meter lang, die andern
werden nach dem Zentrum zu etwas kürzer.

Abgesehen von den äußersten Gemächern, die sich unmittelbar unter der
Wölbung der Kugelhülle befinden, bietet jede dieser dreißig
Aufenthaltsgelegenheiten einen Raum von 200 bis 225, im ganzen etwas
über 6000 Kubikmetern. Außer den Wohn- und Schlafzimmern habe ich hier
Werkstätten eingerichtet: eine Schreinerei, eine Schmiede, ein
chemisches Laboratorium; die übrigen Räume dienen abwechselnd zum
Aufenthalt, wenn die verbrauchte Luft in den andern erneuert werden muß.

Die äußersten Kammern unter der Oberfläche sind durch besondere Gänge
miteinander verbunden, die ich Meridiangänge benenne, weil sie gleichsam
als innere Längen- und Breitengrade im Innern der Kugel verlaufen.«

»Auch außen haben Sie, scheint es, Meridiane angebracht«, bemerkte
Münchhausen.

»Sie meinen die Rampen?« fragte der Lord: »Diese kleinen Geländer, die
ich für bestimmte Zwecke für vorteilhaft hielt, strahlen allerdings auch
von einem Punkte aus und kreuzen sich wieder im entgegengesetzten
Punkte, stellen also füglich Längengrade dar.

Den sechs Sälen, die sich unmittelbar unter der äußeren Umhüllung der
Kugel befinden, gab ich aus praktischen Gründen besondere Namen: zu
oberst befindet sich das Zenithzimmer, zu unterst das Antipodenzimmer;
in der Mitte, dem Äquator, wenn Sie wollen, zeigt sich vor uns das
Nordpolzimmer, dem hinten das Südpolzimmer entspricht; rechts das
Ostzimmer, links das Westzimmer. Wie Sie sehen, verfuhr ich etwas
unwissenschaftlich mit diesen Benennungen, da ich Nordpol und Südpol auf
den Äquator verlegte. Aber das ist ja alles bloß Übereinkommen:
betrachten Sie die Linie, die vom Zenithzimmer über das Ost- und
Antipodenzimmer zum Westzimmer läuft als Äquator, so stimmt die Sache
wieder und wir haben zwei einander senkrecht schneidende Äquatorlinien,
aus dem einfachen Grunde, weil meine Kugel nicht in Grade eingeteilt
ist, aus der wir eine andere Bezeichnung für den Längsäquator hernehmen
könnten und weil ich meine Rampenmeridiane vom Zenith- statt von einem
Polzimmer ausgehen ließ.«

»Mit all den genannten Räumen aber«, warf Schultze ein, »ist der Raum
Ihrer Kugel noch lange nicht ausgenützt.«

»Gewiß nicht! Mein Weltschiff hat einen Umfang von 141,3 Metern, eine
Oberfläche von 6358,5 Quadratmetern und einen Inhalt von 47688,75
Kubikmetern. Rechnen wir den Raum der 30 Zimmer, der Vorratskammern und
der Meridiangänge ab, auf die zusammen etwa 10000 Kubikmeter kommen, so
verbleiben noch beinahe 38000 Kubikmeter; von diesen werden etwa 30000
durch die Stahlkammern ausgefüllt, die gepreßten Sauerstoff enthalten
und ungefähr 8000 sind mit Ozon angefüllt; denn was wir vor allem
brauchen, ist Luft, gesunde, stets erneuerte Luft.«

»Sie erwähnten vorhin die elektrische Heizung«, nahm der Kapitän wieder
das Wort: »Ich darf wohl annehmen, daß auch Küche, Schmiedewerkstatt und
chemisches Laboratorium nur auf elektrischem Wege geheizt werden, um
jede Rauchentwicklung zu vermeiden.«

»Ganz richtig«, bestätigte Flitmore.

»Wie aber beschaffen Sie die elektrische Kraft?«

Der Lord lachte: »Sie kennen ja meine mächtigen Batterien von Afrika
her, Kapitän. Aber ich gestehe ehrlich, die Hauptsache für die
elektrische Speisung meiner Sannah verdanke ich Ihnen. Sie haben ja kein
Geheimnis aus Ihrer wunderbaren Erfindung gemacht, dem ausgezeichneten
Akkumulator, der Ihre Lore trieb. Nun, solche Akkumulatoren, System
Münchhausen, nehme ich mehrere mit und erzeuge, wie Sie, die nötige
Reibungselektrizität durch eine Maschine hauptsächlich mit Handbetrieb,
so weit meine Batterien nicht dazu ausreichen sollten.«




                    3. Eine wunderbare Entdeckung.


Nach diesen Erklärungen lud Flitmore seine Gäste ein, die Innenräume zu
besichtigen, was diese unter seiner Führung mit regstem Interesse taten.

Sie fanden alles mit größter Zweckmäßigkeit und Behaglichkeit
eingerichtet; was ihnen zunächst auffiel, war, daß sämtliche
Einrichtungsgegenstände als Tische, Stühle, Bettstellen usw. aus
Kautschuk hergestellt waren, wie auch Wände, Decken und Fußböden sich
mit dicken Gummiplatten ausgelegt erwiesen; was aber aus Holz und Metall
bestand: Hobelbank, Amboß, Herd usw. war am Fußboden festgeschraubt.

»Diese Vorsicht glaubte ich nicht außer acht lassen zu dürfen«, erklärte
der Lord, »da wir nicht wissen können, welchen Erschütterungen unsre
Sannah ausgesetzt sein kann, wenn sie etwa mit einem Meteoriten
zusammenstoßen sollte oder etwas unsanft auf irgend einem Weltkörper zum
Landen käme.«

Die Besichtigung nahm mehrere Stunden in Anspruch. Als nun alles
eingehend betrachtet und bewundert worden war, nahm Heinz Friedung das
Wort:

»Verzeihen Sie, Lord Flitmore«, sagte er: »Sie sehen uns alle überzeugt,
daß kein Fahrzeug umsichtiger und zweckmäßiger für eine kosmische Reise
ausgerüstet sein könnte, als Ihre herrliche Sannah; aber welche
Wunderkraft soll sie in den Weltraum schleudern? Das ist das Rätsel, das
ich vergeblich zu lösen versuche. Dürfen wir etwas davon erfahren oder
ist es ein Geheimnis?«

»Sie haben recht«, erwiderte Flitmore: »Ich bin Ihnen eine Erklärung
schuldig. Es handelt sich hier um eine Entdeckung, die ich zufällig
machte, und die mir erst den Gedanken und die Möglichkeit eines solchen
Unternehmens gab.

Sie kennen die Schwerkraft und ihre Gesetze und wissen auch, daß die
Wissenschaft keine Ahnung davon hat, was diese Schwerkraft ihrem Wesen
nach eigentlich ist. Die Anziehungskraft der Weltkörper ist ja wohl eine
Erklärung für die Schwerkraft, aber wir wissen eben geradesowenig, was
die Anziehungskraft ist und worauf sie beruht. Würde sie auf der
Umdrehung oder Rotation beruhen, so müßten wir zum Beispiel gegen die
Erdachse angezogen werden, während tatsächlich die Anziehung gegen den
Mittelpunkt der Erde sich richtet: es ist eine Zentripetalkraft.
Möglicherweise hängt diese Kraft mit dem Magnetismus zusammen und dieser
wieder mit der Elektrizität.

Nun wissen Sie, daß es eine positive und eine negative Elektrizität
gibt: was die eine anzieht, stößt die andre ab; so gibt es einen
positiven und einen negativen Magnetpol, einen Nord- und einen Südpol,
und der Zentripetalkraft entspricht eine Zentrifugalkraft. Mit andern
Worten, außer der Anziehung gibt es auch eine Abstoßung, und letztere
Kraft nenne ich »Fliehkraft«.

Es ist klar, daß, wenn unsre Erde neben ihrer Anziehungskraft auch eine
abstoßende Kraft besitzt, erstere bei weitem überwiegen muß in Bezug auf
ihre Wirkung auf alle irdischen Körper; denn sämtliche Körper, auf
welche die Abstoßungskraft überwiegend wirken würde, müßten sofort von
der Erde abgestoßen werden, wären also nicht mehr da. Aus diesem
einfachen Grunde bleibt uns diese zweite Kraft verborgen.

Nun habe ich aber durch zufällige Kombinationen eine Elektrizität oder
einen magnetischen Strom entdeckt, der diese Fliehkraft darstellt.

Wird der Strom geschlossen, so werden die von ihm durchströmten Körper
von der Erde abgestoßen und das mit um so größerer Kraft, je stärker der
Strom ist. Bei unterbrochenem Strom tritt die Anziehungskraft der Erde
wieder in ihre Rechte.

Meine »Fliehkraft« ist sozusagen die umgekehrte Schwerkraft, ein
Magnetismus, der vom Erdmagnetismus abgestoßen wird, und der seinerseits
auf diesen abstoßend wirkt.

Das ist das ganze Geheimnis. Alle Versuche, die ich anstellte, hatten
den gleichen Erfolg; jeder Körper, den ich mit Fliehkraft lud, und wenn
er sonst noch so schwer war, erhob sich in die Luft mit wachsender
Geschwindigkeit und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Sie begreifen, daß
mir diese Entdeckung den Gedanken nahelegen mußte, ein Fahrzeug
herzustellen, das mittelst der Fliehkraft sich dem Bereich der
Anziehungskraft unsres Erdballs entziehen könnte.«

Mit großer Verwunderung lauschten unsre Freunde diesen überraschenden
Ausführungen und Schultze meinte kopfschüttelnd: »Na, wir werden ja
sehen!«




                       4. Die Fahrt ins Leere.


Es war eine helle Nacht, wenngleich der Mond nur die Hälfte seines
beleuchteten Angesichts zeigte, als die kühne Reisegesellschaft ihre
abenteuerliche Fahrt antrat. Flitmore ließ noch einige letzte
Vorratskisten und Gebrauchsgegenstände in der Sannah verstauen. Auch die
von ihm erfundene und in Afrika erprobte Nährmaschine nahm er für alle
Fälle mit. In Kolben und Metallgefäßen verwahrte er die chemischen
Stoffe, aus denen er mittels der Maschine Tabletten von hohem Nährwert
erzeugen konnte. Dies hatte den Vorzug, daß in kleinen Behältern, die
nur sehr wenig Raum einnahmen, die Mittel zur Verköstigung auf viele
Monate mitgenommen werden konnten. Überdies vermochte er mit seiner
Maschine bei einer Landung aus jedem Erdreich, das die für den
Pflanzenwuchs nötigen Bestandteile enthielt, diese Bestandteile
auszusondern und zu verarbeiten, genau wie es die Pflanzen tun, die Mehl
und genießbare Früchte erzeugen. Wozu aber die Halme, Gesträuche und
Bäume Monate oder wenigstens Wochen benötigen, das brachte die
Nährmaschine in wenigen Stunden zuwege. So schloß diese geniale
Erfindung eine Hungersnot aus, auch wenn die reichen Lebensmittelvorräte
erschöpft werden sollten, im Falle die Reise sich über alle Erwartungen
hinaus verlängern würde.

Besonders wichtig war dem Lord auch sein photographischer Apparat, mit
dem er nach dem neuesten Verfahren Lichtbilder in natürlichen Farben
herzustellen verstand.

Heinz trug seine geliebte Violine in ihrem Kasten bei sich: er war ein
Meister im Geigenspiel und die Zartheit und Gefühlsinnigkeit seines
Strichs übertraf selbst das, was man von berühmten Virtuosen zu hören
gewohnt ist. Überdies blies er gelegentlich auch Piston mit ebensolch
vollendeter Meisterschaft.

Flitmore selber war ein begeisterter Kenner und Freund der Musik. Er
spielte nicht weniger als drei Instrumente mit gleicher Fertigkeit, das
Klavier, das Cello und die Posaune.

Da Lady Flitmore auf dem Klavier Vorzügliches leistete, John Rieger, der
Diener, Flöte blies und selbst Kapitän Münchhausen nicht unmusikalisch
war, konnte man hoffen, in der Sannah Konzerte aufzuführen, die sich
überall hätten hören lassen dürfen.

Der Lord hatte daher nicht versäumt, für solche willkommene
Veranstaltungen in der Sannah ein eigenes, glänzend ausgestattetes
Musikzimmer einzurichten, das sogar einen Flügel enthielt, dazu Blas-
und Streichinstrumente aller Art, ein ganzes Orchester. Für die nötigen
Noten und Partituren war selbstverständlich reichlich gesorgt: da sollte
keine Langeweile aufkommen!

Alle waren vor der Eingangspforte der Sannah versammelt, zum Einsteigen
bereit, als Flitmores treuer Diener John noch als Letzter erschien, und
zwar begleitet von zwei kräftigen Affen, die der Lord den erstaunten
Gefährten folgendermaßen vorstellte:

»Sie sehen hier zwei dienstbare Geister, die Schimpansen Dick und Bobs.
Der erstere verdankt seinen Namen einem schlechten Wortspiel, da er in
der Tat etwas fettleibig ist, also in deutscher Sprache als »Dick«
bezeichnet werden kann; der zweite hat eine auffallende Ähnlichkeit mit
Lord Roberts, dem Feldmarschall, den wir bekanntlich »Bobs« heißen.

Die Tiere sind äußerst intelligent und gelehrig und sind vorzüglich
eindressiert auf das Treiben der Maschine zur Speisung des elektrischen
Akkumulators. Sie mögen uns ferner von Nutzen sein, wenn das Schicksal
uns auf einen Weltkörper verschlagen sollte, der mit Pflanzenwuchs
gesegnet wäre. Da wir in solchem Fall gewärtig sein müssen, lauter uns
völlig unbekannte Früchte dort vorzufinden, werden uns die Schimpansen
davor bewahren, irgend etwas Giftiges oder Schädliches zu genießen; denn
darin ist ihr Instinkt untrüglich.«

Mit vor Erwartung klopfenden Herzen betraten unsre Freunde die unterste
Kammer der Sannah, die eher ein Saal zu nennen war, wie alle ihre Räume.
Nun mußte es sich bald zeigen, ob eine Erhebung in den unendlichen Raum
möglich sei. Und wenn es geschah, -- was würden ihrer für
Überraschungen, für Gefahren dort warten?

»Charles«, sagte Mietje zu ihrem Gatten: »Ich will mich in das oberste
Stockwerk begeben und unsre Annäherung an den Mond beobachten.«

»Vortrefflich«, stimmte Flitmore ihr zu: »Wollen Sie vielleicht so
freundlich sein, meine Frau zu begleiten, Heinz? Wir wollen unterdessen
betrachten, wie die Erde aussieht, während wir uns von ihr entfernen.
Wenn da nichts mehr zu sehen ist, kommen wir auch nach oben, und das
wird bald der Fall sein; denn nach meinen Berechnungen werden wir
schnell die Geschwindigkeit des Lichts erreichen, 300000 Kilometer in
der Sekunde.«

»Na, na!« rief der Professor zweifelnd.

»Steigen Sie die Treppe hinauf, Sie alter Zweifler«, sagte der Lord;
»wie Sie sehen, befindet sich Okular und Spiegel des Teleskops dort oben
in der Nähe der Decke. Es ist dies freilich etwas unbequem für den
Beobachter, aber was wollte ich machen, wo es gilt nach unten Ausschau
zu halten.«

»Wissen Sie auch, was oben und unten ist?« rief Heinz, der eben durch
die obere Luke in der Decke das Gemach verließ, dem Lord herab.

Niemand begriff, was er damit meinte; aber der Gedanke, der dem jungen
Gelehrten soeben aufgeblitzt war und ihn zu dieser merkwürdigen Frage
gebracht hatte, hatte seine volle Berechtigung, wie die Zurückbleibenden
binnen Kurzem erfahren sollten.

Heinz hatte inzwischen die Luke hinter sich verschlossen und stieg mit
Lady Flitmore weiter hinan von Stockwerk zu Stockwerk, bis die 14 drei
Meter hohen Treppen überwunden waren und sie im obersten Saal anlangten.

Flitmore verschloß während dieser Zeit den Eingang zum untersten Raume
hermetisch und überzeugte sich, ob alles in Ordnung und nichts vergessen
worden sei.

Der Professor saß bereits auf dem obersten Absatz der Stiege am Okular
des Fernrohrs.

»Nun denn, in Gottes Namen und im Vertrauen auf des Allmächtigen
Schutz!« rief der Lord feierlich: »Meine Herren, ich schließe den
Strom.«

Da geschah etwas völlig Unerwartetes.

Mietje und Heinz vernahmen in diesem Augenblick ein dumpfes Geräusch,
das sich durch das ganze Fahrzeug fortpflanzte.

»Was bedeutet das?« fragte die Dame.

»Es purzelt alles durcheinander«, sagte Heinz lachend: »die Herren
lernen jetzt oben und unten aus praktischer Erfahrung unterscheiden, sie
sind jedenfalls alle herabgestürzt.«

»Wieso?« frug Mietje erschrocken: »Hat mein Mann den Eingang nicht
rechtzeitig verschlossen? Unmöglich! Sie meinen doch nicht, daß sie
herausgestürzt sind, während die Sannah sich erhob?«

»Nein, nein! Überhaupt bei der guten Auspolsterung der Räume hat
es keine Gefahr, und was wir vernommen haben, ist nur das
Durcheinanderpoltern der Kisten und Ballen in den unteren
Vorratskammern; denn aus den gummibelegten Sälen kann kein Ton bis zu
uns dringen.«

Die Lady schüttelte den Kopf; sie begriff nicht recht und dachte nur,
die Abfahrt sei mit einem starken Ruck erfolgt, der dort unten einiges
durcheinandergeworfen habe. Freilich, ganz unerklärlich blieb es dann
immer noch, daß hier oben auch nicht die geringste Erschütterung zu
spüren gewesen war.

Was war geschehen?

Die Männer dort unten waren sich selbst nicht klar darüber, während das
Ereignis sich mit einer erschreckenden Plötzlichkeit abspielte.

Dem Professor auf seinem Sitz am Plafond war es plötzlich, als habe er
einen Purzelbaum gemacht und stehe nun auf dem Kopf; und doch hatte er
sich nicht geregt.

Im gleichen Augenblick kollerten Lord Flitmore und sein Diener die
Treppe herauf oder vielmehr herunter, wie es nun aussah, und kamen auf
Schultze zu liegen.

Wie eine Bombe platzte gleichzeitig Münchhausen herab, glücklicherweise
in einiger Entfernung, so daß seine Leibesfülle keinen der andern traf,
sonst hätte es ein Unglück gegeben.

Dank seinem Fettpolster und dem Guttaperchaüberzug der Decke nahm er bei
dem Sturz aus drei Meter Höhe keinen Schaden.

Sämtliche Möbel des Zimmers stürzten ebenfalls herab und kamen zum Teil
auf die zappelnden Männer zu liegen und über alles hinweg turnten die
erschreckten Schimpansen.

»Da hört sich aber doch alle Wissenschaft auf!« grollte Schultze, als
Flitmore und John die glücklicherweise so gummiweichen Sessel von sich
abgewälzt hatten und den Professor von der Last ihrer eigenen Körper
befreiten.

            [Illustration: Besichtigung des Weltschiffs.]

Alle drei richteten sich auf und Schultze stellte mit Befriedigung fest,
daß keiner verletzt war.

Dann sah er sich um.

»Weiß der Kuckuck!« rief er, »wir stehen auf dem Plafond. Wahrhaftig,
die Decke ist zum Fußboden und der Fußboden zur Decke geworden. Schauen
Sie doch: die Treppe hängt verkehrt herab und das Teleskop ist nach oben
gerichtet. Da! Sehen Sie! Die Erde schwebt über uns, ah! herrlich!«

In der Tat bot die mondbeschienene Erde einen prächtigen Anblick; sie
entfernte sich mit rasender Geschwindigkeit und schon sah man durch das
große Fenster die Umrisse der britischen Inseln wie auf einer Landkarte
sich aus dem weißglänzenden Meer erheben.

»Na! So helfen Sie doch mir erst auf die Beine«, rief Münchhausen
unwirsch, während er sich vergeblich bemühte, den großen Kautschuktisch
von sich zu wälzen, der seinen Bauch beschwerte.

Lachend befreiten ihn Schultze und John und richteten ihn dann mit
großer Anstrengung auf.

»Ich hab's!« rief in diesem Augenblick der Lord. »Nein! daß ich auch das
nicht in Rechnung zog! Wahrhaftig, Heinz Friedung beschämt uns alle. Hat
er uns nicht noch zugerufen: »Wissen Sie auch, was oben und unten ist?«
Er allein hat die Folgen geahnt, die aus der Loslösung von der
Anziehungskraft der Erde sich ergeben mußten.«

»Schafskopf, der ich bin!« rief Schultze und glaubte im Augenblick
selber an die Richtigkeit seiner Behauptung: »Das ist ja sonnenklar!
Stößt die Erde uns ab, so ist auch die Richtung nach der Erde für uns
nicht mehr unten, sondern oben! Lord, entweder müssen Sie die
Einrichtung Ihrer sämtlichen Zimmer völlig umändern oder Sie müssen
zusehen, ob Sie ihre ganze Sannah zu einer Umdrehung veranlassen können,
sonst stehen Ihre sämtlichen Stiegen auf dem Kopf.«

»Das ist meine geringste Sorge«, erwiderte Flitmore. »Die Treppen sind
leiterartig und leicht gebaut, bestehen aus Aluminium und lassen sich
aushaken. Wir können sie ohne große Mühe umdrehen; aber ich sorge, ob
Mietje und Heinz keinen Schaden nahmen, und wie wird es in meinem
chemischen Laboratium aussehen! Die Röhren und Gläser alle in Scherben.
Schade! Ein Glück, daß die elektrischen Glühbirnen an den Wänden und
nicht an den Plafonds angebracht waren, sonst ragten sie jetzt aus dem
Fußboden empor und wären durch die stürzenden Möbel zertrümmert worden.«

Es wurde beschlossen, zunächst nach der Lady und Heinz zu sehen.

Die Deckenluken waren nun zu Falltüren im Fußboden geworden und die
Treppen, die zu Aufstieg berechnet waren, galt es nun hinabzuklettern.
Hiezu mußten sie erst ausgehängt und umgedreht werden, eine Arbeit, die
zwar Mühe kostete, aber doch gelang.

Bei dem Abstieg jedoch kamen neue Überraschungen: die Decken und
Fußböden der Zimmer erschienen durchaus nicht eben noch wagrecht: sie
zeigten bedenkliche Neigungen und Steigungen. Als die ersten fünfzehn
Meter überwunden waren, hörte der Abstieg überhaupt auf: von da ab waren
Decke und Fußboden der Zimmer nicht einfach vertauscht, sondern zu
Seitenwänden geworden; die Decken- und Fußbodenluken waren hier einfache
Türen und es bedurfte gar keiner Treppe mehr, um sie zu erreichen.
Anfangs zeigten sich die neuen Fußböden, die bisher Zimmerwand gewesen
waren, nach unten geneigt, im späteren Verlauf jedoch wurden sie mehr
und mehr zu ansteigenden schiefen Ebenen und zuletzt schien auf einmal
wieder alles in Ordnung, man konnte die folgenden Treppen belassen, wie
sie waren, und statt des Abstiegs begann nun ein Aufstieg zu den letzten
fünf Zimmern. -- Kapitän Münchhausen schüttelte den Kopf, während er
keuchend seine Leibesfülle die Treppen emporschleppte: »Ihre Sannah ist
rein verhext, Lord!« rief er: »Ich komme aus diesen Verhältnissen nicht
mehr draus.«

»Sonderbar, in der Tat, sonderbar«, gestand Flitmore.

»Nein! Ganz natürlich,« belehrte der Professor überlegen; denn sein
fleißiges Nachdenken hatte ihn des Rätsels Lösung finden lassen. »Unsre
Sannah ist sozusagen selbständig geworden, ein von der Anziehungskraft
der Erde emanzipiertes Frauenzimmer, ganz modern! Sie hat nun ihre
eigene Zentripetalkraft und ihr Mittelpunkt ist für uns fortan jederzeit
unten und ihre Oberfläche überall oben. Sie ist ein Planet für sich oder
sagen wir ein Planetoid; sie ist in die Reihe der Weltkörper
eingetreten, großartig, was?«

»Sie haben recht, Professor!« stimmte Flitmore zu. »Und, sehen Sie, in
diesen oberen Räumen ist alles in Ordnung geblieben, nur daß sich Decke
und Fußboden gegen den Mittelpunkt neigen. Ein Glück, daß mein
chemisches Laboratorium sich hier befindet. Da ist kein Stück
beschädigt, nur etwas zusammengerutscht sind die Sachen, alles gegen die
Mitte hin. Wir müssen zusehen, wie wir uns mit dieser Lage der Dinge
zurechtfinden und uns so bequem als möglich einrichten. Es ist
wahrhaftig fatal, daß ich diese Folgerungen in meine Berechnungen nicht
einbezogen habe, sonst hätte ich Fußböden und Decken sämtlich als
konzentrische Kugeln angeordnet und so allein wäre unter den obwaltenden
Verhältnissen alles topfeben. Jetzt ist die Sache durch und durch
verpfuscht.«

»Na, schadet nichts, lieber Lord!« tröstete der Kapitän: »Große
Unannehmlichkeiten entstehen uns daraus nicht, nur einige Arbeit, bis
Sie in Ihrer Schreinerei die Hobelbank vom Plafond abgeschraubt haben
und in der Schmiede den Amboß von der Wand, bis schließlich alles in die
gebührende Lage zurückversetzt ist.«

Oben angekommen, fanden sie Mietje und Heinz vergnügt beieinander. Heinz
hatte der Lady inzwischen den Vorgang erklärt, wie er sich ihn ganz
richtig bedacht hatte, und beide freuten sich, daß alles ohne Schaden
für die andern abgelaufen war.




                          5. Im Weltenraum.


Über den Erklärungen und dem Geplauder, das sich nun lebhaft erhoben
hatte, war die Beobachtung der Weiterfahrt völlig vergessen worden, bis
Mietje daran erinnerte.

»Paßt auf!« sagte sie: »Wir nähern uns mit rasender Geschwindigkeit dem
Mond.«

Alle schauten nach oben.

»Allerdings,« sagte Heinz, »er sieht schon ganz stattlich aus, aber
merkwürdig düster.«

»Hollah!« rief Schultze: »Das ist ja unsre Erde! Dunkel erscheint sie in
der Tat; aber die Umrisse von Europa und Afrika lassen sich ganz
deutlich unterscheiden.«

Es war wirklich ein entzückender Anblick! Die Erde erschien als flache
Scheibe, etwa zehnmal so groß als die scheinbare Größe des Vollmonds,
und die mondbeleuchteten Kontinente zeigten sich wie auf einem
Erdglobus: Europa, Afrika und ein Teil von Asien waren ganz zu übersehen
und über Indien und Persien leuchtete schon die Morgensonne, so daß die
Küsten deutlich dem staunenden Auge erschienen.

»Was ist das wieder für ein Spuk!« polterte der Kapitän: »Ich meine
doch, hier sollten wir den Ausblick direkt auf den Mond haben und die
Erde ließen wir auf der andern Seite! Werter Lord, Sie haben mich
sozusagen als Kapitän und Steuermann Ihrer Sannah angeheuert, aber mit
solch einem vertrackten Fahrzeug weiß ich wahrhaftig nicht umzugehen.
He, Professor! Sie Alleswisser, wie erklären Sie nun wieder diese
Absonderlichkeit?«

»Herrlich!« erwiderte Schultze begeistert: »Als echter Planet, der sich
seiner Bedeutung im Weltall bewußt ist, dreht sich unsre Sannah um ihre
eigene Achse und das in ungefähr zwei Erdenstunden. Passen Sie auf, in
einer Stunde etwa sehen wir da oben wieder den Vollmond aufleuchten, und
sobald wir außer dem Bereich des Erdschattens sind, wechseln bei uns Tag
und Nacht stündlich; wir brauchen uns aber nur zu rechter Zeit in ein
andres Zimmer unter der Oberfläche unsres Planeten zu begeben, um ewigen
Tag zu genießen und unendliche Nacht, ganz nach Belieben!«

»Ich muß gestehen,« sagte Flitmore, »das alles kommt mir ganz
überraschend; meine astronomischen Kenntnisse sind nicht weit her und
ich habe diese Umstände nicht in Rechnung gezogen.«

»In der Tat,« lachte Schultze! »Auch über die
Fortbewegungsgeschwindigkeit Ihrer Sannah täuschten Sie sich. Mit der
Lichtgeschwindigkeit ist es einmal sicher nichts; sonst hätten wir den
Mond schon längst hinter uns.«

»Halt!« wandte der Lord ein: »Sie vergessen, daß wir uns noch in der
Anfangsgeschwindigkeit befinden, die beständig wächst; überdies habe ich
mit Absicht nur einen ganz schwachen Strom unsre Hülle durchkreisen
lassen, damit wir unsern Nachbarn, den Mond, mit Muße betrachten
können.«

»Wissen Sie, was uns begegnen wird?« fragte der Professor »Wir werden
als Bewohner eines regelrechten Planeten den Gesetzen der Gravitation
unterworfen werden, das heißt unsere Sannah wird in elliptischer Bahn um
die Sonne kreisen und dann sind wir hilflose Gefangene bis wir nach
Verbrauch unseres Sauerstoffvorrats ein klägliches Ende nehmen.«

»Sie sind ein unheimlicher Prophet, Herr Professor,« rief Mietje:
»Hoffentlich wird Ihre Voraussage nicht in Erfüllung gehen.«

Schultze zuckte die Achseln: »Die Gravitationsgesetze erleiden keine
Ausnahme; jeder Weltkörper ist ihnen unterworfen; und da unser
Weltschiff zu solch einem Weltkörper im unendlichen Raume geworden ist,
muß er wohl samt uns allen ein Opfer dieser Gesetze werden.«

»Was ist denn das, wenn ich mir zu fragen die Erlaubnis herausnehmen
darf,« nahm nun John Rieger, der Diener, das Wort, »diese
verhängnisreiche Kraft, woselbst Sie Gravisionskraft nennen?«

»Das ist diejenige Kraft,« klärte der Professor den Wißbegierigen auf,
»die alle Planeten, das heißt die Weltkörper, die sich um die Sonne
drehen, in ihren Bahnen erhält. Der unsterbliche Isaak Newton hat als
erster die Gesetze dieser Kraft festgestellt, die im Grunde nichts
anderes ist, als die Schwerkraft: alle Weltkörper ziehen einander an und
je größer ihre Masse ist, desto stärker ist ihre Anziehungskraft.«

»Dann aber müßte doch sozusagen einer auf den andern fallen,« warf
Rieger ein: »voraussichtlich die kleinen auf die größeren, wie zum
Beispiel der Mond auf die Erde und die Erde auf die Sonnen.«

»Sehr scharfsinnig bemerkt, mein Sohn!« lobte Schultze; »aber der Mond
wird nicht bloß von der Erde, sondern auch von der Sonne angezogen und
alle Weltkörper ziehen einander gegenseitig an. Dazu bewirkt die
Anziehungskraft die elliptische Bewegung der Planeten um die Sonne und
durch diese Eigenbewegung überwinden sie wieder bis zu einem bestimmten
Grad die Anziehungskraft, so daß es eben diese Kraft ist, die in ihren
Folgen das Weltall im Gleichgewicht erhält. Allerdings kommen auch
Störungen in der regelmäßigen Umlaufbahn vor, wenn zwei Himmelskörper
sich auf ihren Wegen nähern und dadurch eine verstärkte Anziehung
aufeinander ausüben. Dadurch wird die Berechnung sehr verwickelt.

So hat man berechnet, daß die Erde mindestens elf Bewegungen ausführt:
1. dreht sie sich in 24 Stunden um sich selbst, das nennt man ihre
Rotation; 2. bewegt sie sich um die Sonne mit einer Geschwindigkeit von
29450 Metern, also beinahe 30 Kilometern, in der Sekunde; 3. eilt sie
mit dem ganzen Sonnensystem dem Sternbild des Herkules oder der Leier
zu; 4. schwingt die Erdachse; 5. verändert sich die Form der Erdbahn um
die Sonne, indem sie sich bald der Kreisform nähert, bald wieder der
Form einer langgestreckten Ellipse; 6. dreht sich diese Ellipse selber
in ihrer eigenen Ebene in einer Periode von 21000 Jahren; 7. dreht sich
die Erdachse in 25765 Jahren in einem Kreis; 8. die Anziehungskraft des
Mondes, dem wir auch Ebbe und Flut verdanken, läßt den Pol des Äquators
in 18 Jahren und 8 Monaten eine kleine Ellipse beschreiben, da der Mond
eine Anschwellung der Erdmasse am Äquator hervorruft, die eine Art Ebbe
und Flut auch des festen Landes darstellt; 9. die Lage des Schwerpunktes
unseres Erdballs verändert sich allmonatlich ebenfalls infolge der
Mondanziehung; 10. die Planeten, namentlich Jupiter und Venus,
verursachen Störungen der Erdbahn; 11. der Mittelpunkt der jährlichen
Umdrehung der Erde um die Sonne liegt nicht im Mittelpunkt der
letzteren, sondern ist veränderlich. Es wäre übrigens leicht, noch mehr
Bewegungen auszurechnen.«

»Du siehst, John,« sagte Flitmore lachend, »wenn du in einem fahrenden
Schnellzug auf und ab spazierst, die Hände schlenkernd und dabei die
Finger bewegend, so machen deine Finger 15 Bewegungen mit und der
Bazillus, der in deinem kreisenden Blute deiner Fingerspitze schwimmt,
gar 17.«

»Aber was sagen Sie, Lord, zu der Befürchtung unseres Professors, daß
wir nun ewig um die Sonne kreisen werden?« fragte Heinz Friedung.

»Damit hat es keine Gefahr,« erwiderte Flitmore. »Schultze ließ einen
Hauptumstand außer acht. Ich habe überhaupt eine besondere Ansicht über
die Gravitation; ich glaube, daß zwei Kräfte dabei tätig sind, eine
Anziehungskraft und eine gegenseitige Abstoßungskraft, wie man ja auch
annimmt, daß die Moleküle und Atome eines Körpers einander zwar anziehen
aber doch nicht berühren, weil sie einander auch abstoßen. Der Ausgleich
dieser beiden einander entgegenwirkenden Kräfte bestimmt meiner Ansicht
nach den gegenseitigen Abstand, den die Himmelskörper einhalten; so
erkläre ich mir auch, daß die flüchtigen Stoffe der Kometen bei der
Annäherung an die Sonne bis zu einem gewissen Punkt angezogen, von da ab
aber abgestoßen werden und so die Kometenschweife bilden.

Für uns aber ist die Hauptsache, daß der Strom, der in der Sannah
kreist, die Anziehungskraft überhaupt aufhebt und nur die Fliehkraft
wirken läßt, so daß kein Weltkörper uns in seinen Bannkreis zwingen
kann, so lange der Strom geschlossen bleibt.«

»Das ist in der Tat richtig,« gab Schultze zu. »Aber hören Sie, noch
eins erscheint mir rätselhaft: wir befinden uns jedenfalls schon längst
im leeren Raum, außerhalb der irdischen Atmosphäre, deren Höhe auf etwa
180 Kilometer geschätzt wird ...«

»Erlauben Sie, daß ich Sie hier unterbreche,« bat Flitmore: »Wie stellen
Sie sich unsere irdische Lufthülle überhaupt vor?«

»Nun,« erwiderte der Professor: »Man ist der Ansicht, als ob es eine
scharfe Abgrenzung der Atmosphäre gegen den Raum überhaupt nicht gebe,
sondern bloß einen allmählichen Übergang durch stets zunehmende
Verdünnung der Luft.«

»Ganz richtig!« sagte der Lord: »Aber die Astronomen oder Astrophysiker,
die diese schöne Theorie aufstellen, vergessen offenbar, daß die Erde
bei ihrem Dahinsausen durch den Raum ihre Lufthülle mit sich nimmt. Wie
wollen wir uns das erklären, wenn diese Hülle gar keine feste Grenze
hat?«

»Das stimmt!« meinte Heinz: »Es ist klar, daß die Anziehungskraft der
Erde auf die obersten, dünnsten Luftschichten am schwächsten wirkt; in
einer bestimmten Höhe muß die Attraktion nicht mehr genügen, um die in
den leeren Raum übergehende unendlich verdünnte Luft festzuhalten und
somit muß sie alles zurücklassen, was über diese Grenze hinausgeht; wäre
also die Atmosphäre ursprünglich ohne bestimmte Grenze gewesen, so müßte
sie doch alsbald durch die Fortbewegung der Erde zu einer scharfen
Abgrenzung gelangt sein.«

»Ganz meine Ansicht,« bestätigte Flitmore: »Ich gehe noch weiter; es
wäre anzunehmen, daß die Erde immer mehr von ihrer Atmosphäre an den
leeren Raum verlöre und die Masse derselben beständig abnehmen müßte.«

»Das leuchtet mir ein,« meinte Schultze: »Jedenfalls muß die Lufthülle
der Erde gegen den Raum scharf abgegrenzt sein, da sie mit der Erde
durch die Leere saust.«

»Doch nicht!« widersprach der Lord.

»Oho!« rief Schultze verwundert: »Wie wollen Sie dann aus der Klemme
kommen?«

»Sehr einfach,« erklärte der Engländer: »Die Lufthülle der Erde ist nie
und nirgends vom raumerfüllenden Stoff scharf unterschieden, weil eben
dieser Stoff, der den Raum erfüllt, und den man Äther nennt, nichts
anderes ist als Luft.«

»Da hört sich aber doch alle Wissenschaft auf!« lachte der Professor.
»Damit werden Sie in der wissenschaftlichen Welt schwerlich
durchdringen.«

»Möglich! Aber das ist meine Überzeugung. Ein ganz allmählicher Übergang
der Atmosphäre in den umgebenden Raum ist nur dann möglich, wenn der
Raum eben die gleichen Stoffe enthält, wie die Luft, freilich in äußerst
dünner Verteilung. So mag die Erde einerseits beständig etwas von ihren
obersten dünnsten Luftschichten an den Raum verlieren, sie wird aber
andererseits auch beständig aus dem durcheilten Raum wieder Ersatz
anziehen.«

»Bravo!« rief Heinz: »Diese Theorie allein scheint mir genügend zu
erklären, wieso die Erde ihre Lufthülle durch die Jahrtausende in
gleicher Dichte und stets erneuerter Reinheit bewahren kann.«

»So ist es,« bestätigte der Lord: »Und weiter folgt daraus, daß jeder
Weltkörper entsprechend seiner Masse und Anziehungskraft, sowie seiner
Rotations- und Umlaufgeschwindigkeit sich aus dem Raum eine Atmosphäre
angezogen haben muß, die eben durch seine Attraktion verdichtet und an
seiner Oberfläche am dichtesten geworden ist.«

»Das hieße also: kein Weltkörper ohne Lufthülle?« fragte Schultze.

»Das wäre allerdings die notwendige Folge meiner Annahme.«

»Lassen wir das dahingestellt,« fuhr der Professor kopfschüttelnd fort:
»Das Rätsel, von dem ich reden wollte, ist dies: da wir uns im leeren
Raum, oder, wie Sie wollen, in äußerst verdünnter ätherischer Luft
befinden, muß in unserer Umgebung eine Temperatur herrschen, die dem
absoluten Nullpunkt nahe kommt, das heißt 273 Grad unter Null. Nun mag
die Schutzhülle unserer Sannah noch so vorzüglich sein, ebenso Ihr
Heizungssystem; wir müßten dennoch den Einfluß einer so ungeheuren Kälte
spüren. Ich aber spüre nichts Derartiges, vielmehr ist es stets
gleichmäßig behaglich warm.«

»Über die Temperaturverhältnisse des Raumes sind wir völlig im
unklaren,« entgegnete der Engländer: »Die beständige Abnahme der
Temperatur ist schon innerhalb der Erdatmosphäre widerlegt, in welcher
bekanntlich die große Inversion stattfindet: die unterste Luftschicht
ist 3 bis 4 Kilometer hoch und befindet sich in steter Unruhe und
Bewegung; über ihr befindet sich eine ruhigere, trockene, kalte
Luftschicht, in der die Temperatur bis zu 85 Grad unter Null abnimmt. In
einer Höhe von 10 Kilometern aber beginnt die dritte, sehr gleichmäßige,
ruhige und trockene Schicht, die wieder wärmer ist und bei 14 Kilometer
Höhe 52 bis 57 Grad unter Null aufweist. Die Theorie der >Strahlung< von
Licht und Wärme halte ich für eine völlig verfehlte: sie müßte zu ganz
unmöglichen Folgerungen führen. Bedenkt man, mit welcher Geschwindigkeit
die Erde durch den Raum eilt, so daß in jedem Augenblick neue, zuvor im
Raum verlorene Sonnenstrahlen sie treffen, so müßte man annehmen, daß
sie überhaupt kein Licht und keine Wärme von der Sonne empfangen könnte,
falls nicht der Raum, den sie durchwandert, erleuchtet und erwärmt wäre.
Meiner Ansicht nach pflanzt sich Licht und Wärme in der Weise fort, daß
die erleuchteten und erwärmten Stoffteile des Raumes sie einander durch
Berührung weitergeben, meinetwegen als Schwingungen. Je dünner die
Materie ist, desto rascher gibt sie die Schwingungen weiter und desto
weniger speichert sie an Licht und Wärme auf; je dichter sie ist, desto
mehr absorbiert oder verschluckt sie, speichert davon in sich auf oder
wirft die Strahlen zurück, wobei es auf die Art des Stoffes ebenfalls
ankommt, auf seine Leitungsfähigkeit, Färbung und so weiter.«

»Sie haben recht, Lord,« mischte sich nun Kapitän Münchhausen in das
Gespräch: »Auf den höchsten Berggipfeln, die infolge der mangelnden
Erdwärme ewig in Eis und Schnee starren, brennt die Sonne viel heißer
als unten in der dichten Atmosphäre. Warum? Die dünne Luft gibt ihre
Wärme rascher ab, wobei sie sich selber weniger durch Aufspeicherung
erwärmt; der Raum, durch den wir fliegen, ist jedenfalls weit kälter als
die Bergluft, aber durchaus nicht so bodenlos kalt, wie man annimmt, und
bei Tag werden wir es erfahren, daß die Sonnenstrahlen uns tüchtiger
einheizen als irgendwo auf der Erde.«

»Und da eine Hälfte unserer Sannah stets Sonnenlicht genießen wird,«
fügte Heinz bei, »so denke ich, werden wir nie unter zu starker
Abkühlung zu leiden haben.«

»Damit rechne auch ich,« schloß Flitmore: »Ich glaube, wir werden,
solange wir uns im Bereiche der Sonnenwärme befinden, überhaupt keiner
Heizung mehr bedürfen; im Gegenteil, die Schutzhülle meines Weltschiffs
wird uns vor unerträglicher Hitze bewahren müssen.«




                          6. Am Mond vorbei.


Unsere Freunde richteten nun ihr Augenmerk wieder auf den Mond, der sein
weißes Licht aufs neue durch das große Deckenfenster sandte; denn Sannah
hatte inzwischen eine zweite Umdrehung vollendet.

Er erschien nun als eine ungeheure Kugel, so nah, wie er durch das
stärkste irdische Fernrohr nicht gesehen werden kann.

»Wir stürzen geradewegs auf ihn zu!« rief Lady Flitmore nicht ohne
Besorgnis.

»Beruhige dich, Mietje,« tröstete ihr Gatte: »Die Fliehkraft gestattet
nicht, daß wir an seiner Oberfläche zerschellen, er muß uns abstoßen,
ehe wir ihm nahe kommen. Wenn wir übrigens wollten, könnten wir ihm
einen Besuch abstatten: ich brauchte nur den Strom abzustellen.«

»Ich stimme nicht dafür,« erklärte Münchhausen: »Er sieht durchaus nicht
einladend aus, dieser Sehnsuchtstraum der Poeten.«

»Und ob wir dort atmen könnten,« meinte Schultze: »Er soll ja keine
Atmosphäre besitzen.«

»Was das betrifft,« entgegnete der Lord, »so halte ich vorerst an meiner
vorhin geäußerten Meinung fest, daß jeder Weltkörper seine Lufthülle
besitzt.«

»Doch hat man nie mit Sicherheit Dämmerungserscheinungen auf ihm
beobachten können,« warf der Professor ein.

»Das beweist gar nichts,« widersprach Flitmore hartnäckig: »Erstens
wollen mehrere Astronomen Dämmerungserscheinungen auf dem Mond erkannt
haben; zweitens gibt es in reiner Luft, wie Tyndall nachwies, überhaupt
keine Dämmerungserscheinungen, diese rühren vielmehr von kleinen
Partikelchen in der Atmosphäre her; so kennen zum Beispiel auch
tropische Länder auf der Erde keine Dämmerung, und die Luft wollen Sie
ihnen doch nicht absprechen? Daß der Mond keine Wolkenbildungen zeigt,
beweist bloß den Wassermangel auf seiner Oberfläche. Andrerseits
erscheint oft ein Stern vor der Mondscheibe, ehe er hinter derselben
verschwindet, was sich am leichtesten durch die atmosphärische
Lichtbrechung erklären läßt.«

Einladend sah allerdings die Mondlandschaft nicht gerade aus, wie der
Kapitän sehr richtig bemerkt hatte: alles erschien starr, öde und tot,
ohne eine Spur von Pflanzenwuchs und Wasserläufen. Aber hochinteressant
erschien der Anblick und fesselte denn auch die Augen der Beobachter.

Die Gebirge erhoben sich zu ungeheurer Höhe über ihre Umgebung und
überall zeigten sich die dem Monde eigentümlichen Ringkrater mit ihren
himmelhohen steilen Rändern. Einzelne Erhebungen mochten eine absolute
Höhe von 10000 Metern erreichen.

Besondere Aufmerksamkeit wandten der Professor und der Lord dem Krater
Linné zu, der von Lohrmann als ein Schacht von zehn Kilometer
Durchmesser beschrieben und von Beer und Mädler als solcher mit
besonderer Deutlichkeit beobachtet wurde, 1866 aber plötzlich
verschwand. An seiner Stelle erschien später ein kleines Kraterchen, das
auch die beiden Beobachter der Sannah erblickten.

Gerne hätten sie auch den Doppelkrater Messier betrachtet, der sich
ebenfalls in merkwürdiger Weise verändert haben soll: bei nicht weniger
als 300 Beobachtungen von 1829 bis 1837 waren beide Krater rund und
einander gleich; heutzutage zeigt der eine Krater eine elliptische Form
und die Zwischenwand der beiden Schlünde ist durchbrochen.

Man glaubt auch hie und da ein wogendes Nebelmeer in diesem Krater
gesehen zu haben, vielleicht Rauchwolken. Für unsere Freunde war der
Messier unsichtbar, weil das Mare foecunditatis, wo er sich befindet, in
dunkle Nacht gehüllt war.

Von mehreren Kratern sah man helle Strahlen ausgehen. Namentlich zeigte
sich diese merkwürdige Erscheinung an dem großartigsten Ringgebirge des
Mondes, dem Tycho, von welchem mehrere hundert getrennte Streifen bis zu
1200 Kilometer Länge ausstrahlten.

Schultze glaubte in diesen rätselhaften Gebilden erstarrte Lavaströme zu
erkennen mit glatter glänzender Oberfläche. Dafür spricht der Umstand,
daß sie nur bei voller Beleuchtung durch die Sonne sichtbar sind.

Flitmore dagegen wies darauf hin, daß die Strahlen meist erst in einiger
Entfernung von den Kraterwällen begannen und dann über Ebenen, Krater,
Berge und Täler ununterbrochen hinwegliefen, um dann plötzlich am Fuße
irgendeiner Erhebung zu enden oder sich allmählich in einer Ebene zu
verlieren. Das stimmte doch nicht recht zu der Theorie der Lavaströme.

Dagegen erkannten beide Forscher deutlich das Wesen der rätselhaften
Rillen, die teils gerade, teils gekrümmt, bald vereinzelt, bald sich
verzweigend oder einander schneidend, sich in den Ebenen und um die
Berge herum zeigten, manchmal auch einen Berg durchbrechend. Sie
erwiesen sich als mehr oder weniger breite klaffende Sprünge in der
Mondoberfläche.

                    [Illustration: Mondandschaft.]

Mehr als einmal wurden auch Neubildungen auf dem Monde beobachtet, und
unsere Freunde hatten das Glück, eine solche unter ihren Augen entstehen
zu sehen: in der großen Ebene des Mare imbrium tat sich auf einmal der
Boden auf, Rauch und Glut brach hervor und es bildete sich binnen
weniger Minuten ein Krater, von dem aus ein Schlamm- oder Lavastrom sich
in die Umgebung ergoß.

»Schade, daß die Astronomen auf der Erde den neuen Vulkan nicht sehen
können,« meinte Flitmore bedauernd: »Er ist zu klein für ihre
Instrumente.«

»Wir haben den Vorgang beobachtet, das genügt!« triumphierte Schultze.

»Ja,« mischte sich Heinz darein; »Falls wir je wieder die Erde erreichen
und Kunde von diesem Vorgang dorthin bringen können.«

»Damit wäre ein alter Streit entschieden,« sagte der Professor, »wenn
man uns nämlich Glauben schenkt, was immerhin sehr zweifelhaft bleibt.«

»Was für merkwürdige Farben!« bemerkte nun Lady Flitmore und wies auf
die Gegend des Oceanus procellarum hin.

In der Tat zeigten sich dort ausgedehnte Flecken von hellgrüner und
gelblicher Färbung.

»Sollte da am Ende dennoch Pflanzenwuchs vorhanden sein?« wagte Heinz zu
vermuten.

»Achtung, meine Herren!« rief jetzt der Lord: »Wir werden nun einen
Anblick bekommen, den kein irdisches Auge noch genossen hat. Bekanntlich
kehrt der Mond der Erde stets nur ein und dieselbe Seite zu, weil er
sich genau in der gleichen Zeit um seine Axe wie um die Erde dreht. Nur
infolge seiner Libration, das heißt seiner geringen Axenschwankung,
sehen wir bald auf der einen, bald auf der andern Seite einen kleinen
Teil der von uns abgekehrten Hälfte.

Nun ist der Moment gekommen, wo wir am Erdtrabanten vorbeifliegen und
seine rätselhafte Rückseite zu Gesicht bekommen werden, und zwar aus
verhältnismäßiger Nähe; denn wir sind ihm bis auf 10000 Kilometer
nahegekommen, während er 400000 Kilometer von der Erde entfernt ist.«

Alle waren aufs höchste gespannt auf den Anblick, den die geheimnisvolle
Rückseite des Mondes ihnen gewähren würde, obgleich Schultze meinte, sie
werde nicht viel verschieden sein von dem, was man bisher geschaut.

Zur Beobachtung mußte ein andres Zimmer aufgesucht werden, da infolge
der Umdrehung der Sannah der Mond für das Zimmer, in welchem sich die
Gesellschaft befand, gerade unterging.

Der Lord beschloß, sich dem Monde noch weiter zu nähern, damit alle
Einzelheiten der zu erwartenden Erscheinungen mit voller Deutlichkeit
beobachtet werden könnten. Er stellte daher den Zentrifugalstrom ab und
mit rasender Geschwindigkeit stürzte die Sannah dem Monde zu.

Das nächste, was entdeckt wurde, war die Fortsetzung der farbigen
Flecke, die sich durch das Teleskop nun deutlich als grüne Matten und
dürre Grassteppen erkennen ließen.

»Was ist das?« rief Lady Flitmore auf einmal erschreckt aus.

Durch das Fenster fiel ein leuchtender Schein.

Der Lord sah auf und eilte dann mit einem Satz an die Stromschaltung, um
die Fliehkraft wieder in Tätigkeit zu setzen.

»Was war's?« fragte Heinz.

»Wir sind in die Mondatmosphäre eingedrungen,« erklärte der Engländer,
»und bei der Geschwindigkeit unsres Sturzes begannen die Metallränder
der Fenstereinfassung trotz des Flintglasschutzes zu glühen; doch die
Gefahr ist beseitigt; wir erheben uns bereits wieder über die
Atmosphäre.«

»Sie ist also vorhanden, diese vielbezweifelte Mondluft,« sagte
Schultze.

»Daran ist nicht mehr zu zweifeln; aber sehen Sie!« erwiderte Flitmore.

Die Mondoberfläche war kaum noch hundert Kilometer entfernt; so hoch
erhob sich der dichtere Teil ihrer atmosphärischen Hülle. Und nun
zeigten sich Landschaftsbilder von entzückender Pracht.

Auch hier herrschten die sonderbaren Ringgebirge vor; aber sie waren
bewaldet.

Die Entfernung gestattete nicht, mit bloßem Auge die Natur dieser Wälder
zu erkennen, das Fernrohr jedoch offenbarte ganz eigentümliche
Baumformen, wie sie auf der Erde kaum zu finden sind. Die meisten dieser
Gewächse glichen ungeheuren Grasbüscheln auf hohen Stämmen, so daß sie
palmenartig aussahen; doch hatten die Bäume nur selten eine eigentliche
Krone; meist waren es wagrechte Äste, die ihr buschiges Ende nach allen
Seiten hin ausstreckten.

Riesenfarnen und Nadelbäume von demselben eigentümlichen Bau waren an
andern Stellen zu sehen; die Wedel standen wagrecht von den Stämmen ab
und neigten sich zum Teil nach unten, so daß unter dem Stamm kein
Schatten zu finden sein konnte, abgesehen vom spärlichen Schatten des
Stammes selber und seines Astholzes; in ziemlicher Entfernung erst umgab
den Baum ein Kreis von schattigen Stellen.

In den Ringkratern leuchteten häufig kleinere oder größere Seen;
Wasserfälle und Bäche stürzten die steilen Bergwände herab, größere
Flußläufe und Meere waren jedoch nicht zu sehen: die Bäche ergossen sich
in kleine Binnenseen oder versandeten in der Ebene; vielfach schienen
auch Sümpfe die Niederungen zu bedecken.

Von lebenden Wesen war nichts zu entdecken und Schultze sprach die
Vermutung aus, daß eine Tier- und Vogelwelt jedenfalls vorhanden sein
dürfte, allein wahrscheinlich nur in einer geringen Anzahl von
Exemplaren von bescheidenster Größe, so daß auf solche Entfernung nichts
davon zu erkennen sei.

Wolkenbildungen schienen auch auf dieser Seite des Mondes überhaupt
nicht vorzukommen, was bei dem Mangel an bedeutenderen Wasserflächen
nicht gerade verwunderlich war. Dagegen stiegen da und dort
Nebelschleier auf, die dazu dienen mochten, das Land zu befeuchten und
die Quellen zu speisen.

Leider war der größte Teil der Mondscheibe auf dieser Seite in Nacht
gehüllt, so daß es unbekannt blieb, ob nicht noch unbekannte Wunder,
vielleicht gar Spuren menschenähnlicher Geschöpfe in den verborgenen
Gegenden zu schauen gewesen wären.

»Einen langen Tag und eine lange Nacht haben die etwaigen Mondbewohner,«
sagte Schultze. »Sie währen 14¾ unsrer Erdentage; um so kürzer ist ihr
Jahr, denn es dauert eben nur einen Tag und eine Nacht, im ganzen 29½
Erdentage.

Auf dieser Seite des Mondes wird die Erde niemals geschaut, während sie
auf der andern, jedenfalls unbelebten und unbewohnbaren Seite des Mondes
unbeweglich am Himmel steht, ohne jemals auf- oder unterzugehen oder
ihre Lage zu verändern. Sie erscheint dreizehnmal größer als uns auf
Erden der Mond erscheint und macht innerhalb 24 Stunden alle Mondphasen
durch. Welch herrlichen Anblick und welch strahlendes Licht gewährt sie
dort, wo wahrscheinlich niemand sie zu bewundern vermag!«

Lord Flitmore beschloß, von nun ab die Fahrt in die Welträume aufs
äußerste zu beschleunigen und stellte den vollen Zentrifugalstrom ein;
dann wurde eine Mahlzeit eingenommen, die John als Allerweltskünstler
inzwischen bereitet hatte.

Da die Weltallreisenden dringendes Ruhebedürfnis verspürten, wurde
beschlossen, daß sich nun jeder in sein eigenes Schlafgemach
zurückziehen solle, um einige Stunden des Schlafes zu pflegen.

Bei den zahlreichen Räumen, die Lord Flitmores Sannah enthielt, hatte
nämlich jeder ein besonderes und sehr geräumiges Schlafzimmer zur
Verfügung.

Zuvor aber wurde der Wachdienst geregelt.

Es wurde allgemein anerkannt, daß eine ständige Wache unerläßlich sei,
einmal weil bei einer Fahrt von solch rasender Geschwindigkeit, wie sie
jetzt ausgeführt wurde, unbekannte Gefahren jederzeit drohten; sodann
weil besonders interessante Erscheinungen sich bieten konnten, die sich
niemand gerne hätte entgehen lassen mögen.

Die Schlafzeit wurde auf 8 Stunden festgesetzt, und da Mietje darauf
bestand, ihren Wachdienst gleich den Männern zu versehen, wurde jede
»Nacht«, wenn man die Zeit des Schlafes so nennen wollte, in drei Wachen
eingeteilt, so daß auf jeden alle 48 Stunden eine Wache von etwa 2¾
Stunden kam; gewiß keine übermäßige Leistung, da er hernach schlafen
konnte, so lange es ihm behagte.

Der jeweilige Wachhabende hatte die Runde durch alle Beobachtungszimmer
zwei- oder dreimal zu machen, um alle Himmelsrichtungen zu beobachten.
Sah er eine Gefahr oder etwas besonders Merkwürdiges, so war er
verpflichtet, das elektrische Läutwerk erklingen zu lassen, das in allen
Gemächern zugleich ertönte und von jedem Zimmer aus durch den Druck auf
einen Knopf in Tätigkeit gesetzt werden konnte.




                        7. Eine ernste Gefahr.


Lord Flitmore übernahm die erste Wache.

Mit ungeheurer Geschwindigkeit stürzte die Sannah ins Leere.

An der Abnahme der scheinbaren Größe des Mondes berechnete der Lord, daß
sie etwa 100 Kilometer in der Sekunde zurücklegte.

»Die Geschwindigkeit wird sich mit der Zeit noch verdoppeln, vielleicht
verdreifachen,« murmelte er; »aber damit wird sie auch ihre höchste Eile
erreicht haben. Im gegenwärtigen Tempo würden wir in neun Tagen die
Marsbahn kreuzen, mit 300 Kilometern in der Sekunde in drei Tagen; dann
würden wir drei Wochen benötigen, um die Jupiterbahn zu erreichen,
weitere 25 Tage, um nach dem Saturn zu gelangen, dann 55 Tage bis zum
Uranus und etwa 62 Tage bis zum Neptun, im ganzen fünfeinhalb Monate.
Das würde elf Monate ausmachen, bis wir wieder zur Erde zurückgelangten,
und so lange kann ich wohl hoffen, daß unsere Luftvorräte ausreichen,
ganz abgesehen von der Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit, sie auf
irgend einem Planeten erneuern zu können, wodurch wir in Stand gesetzt
würden, noch unbestimmte Zeit auf die Besichtigung und Erforschung der
Planeten zu verwenden, deren Natur unserer Konstitution einen Aufenthalt
auf ihrer Oberfläche gestatten würde. So könnten wir also ohne
besonderes Risiko bis an die Grenzen unseres Sonnensystems reisen.«

»Prächtig!« rief eine Stimme.

»Oho, Sie sind's, Professor?« sagte der Lord, sich umwendend. »Sie sind
zu früh dran; erst in einer halben Stunde kommt die Wache an Sie.«

»Na! Ich habe die zwei Stunden famos geschlafen und fühle mich ganz
munter; so wollte ich Ihnen die letzte Zeit Ihrer Wache Gesellschaft
leisten; aber Sie werden müde sein; legen Sie sich nur gleich, wenn Sie
wollen, ich bin ja auf dem Posten.«

»Ich fühle nichts von Müdigkeit; ich bin es gewohnt, lange zu wachen.«

»Also bis zum Neptun können wir reisen, wenn ich Sie recht verstand? Das
ist ja famos!«

»Für mich bedeutet es vielmehr eine Enttäuschung: ich wünschte die
Welträume jenseits unsres Sonnensystems zu erforschen; aber das scheint
nun ausgeschlossen, denn wir würden bei einer Geschwindigkeit von nur
300 Kilometern in der Sekunde so beiläufig 4500 Jahre brauchen, um den
nächsten Fixstern Alpha Centauri zu erreichen.«

»Na, wissen Sie, Lord, wenn wir uns hier in der Unendlichkeit bewegen,
außerhalb des Bereichs irdischer Naturgesetze, so ist es ja wohl gar
nicht ausgeschlossen, daß wir einige tausend Jahre alt werden,« scherzte
Schultze.

»Und auf leibliche Nahrung und Atmung in gesunder Luft dabei verzichten
können,« ergänzte Flitmore. »Kann sein! Denn was ein Professor für
möglich hält, muß sein können. Aber ich fürchte, wir würden an
Langerweile zu Grunde gehen, wenn wir viereinhalb Tausend Jährlein durch
den leeren Raum reisen wollten.«

»Hören Sie, Lord,« sagte Schultze unvermittelt: »Die Sonne wird
merkwürdig klein!«

Er hatte einen Blick zum Fenster hinausgeworfen und zu seiner
Verblüffung bemerkt, daß die Sonnenscheibe kaum noch halb so groß
erschien, wie gewöhnlich und auch an Glanz in ähnlichem Verhältnis
abgenommen hatte.

Bei einer Geschwindigkeit von 360000 Kilometern in der Stunde war diese
Erscheinung ein Rätsel: vier bis fünf Tage von 24 Stunden hätte
normalerweise die Fahrt währen müssen, bis die Sonne in solcher
Entfernung sich zeigte.

Flitmore wunderte sich zunächst nicht weiter über des Professors
Bemerkung: »Ja,« sagte er, »wir entfernen uns immer mehr von unserm
Zentralgestirn.«

Dabei blickte auch er zum Fenster empor.

»Halloh!« rief er nun aber ganz verblüfft: »Was soll das bedeuten?«

Er griff sich an die Stirn, als zweifle er, ob er wache oder träume.

»Lord, die Sannah macht nicht 300, sondern 15000 Kilometer in der
Sekunde,« rief Schultze aus: »Auf diese Weise erreichen wir Alpha
Centauri bereits in 90 Jahren; wenn übrigens die Geschwindigkeit Ihres
wunderbaren Weltschiffes im gleichen Tempo noch weiter zunimmt, wie
anzunehmen ist, so können auch 90 Tage daraus werden.«

»Ausgeschlossen, völlig ausgeschlossen!« sagte nun Flitmore ruhig und
bestimmt, ging hin und unterbrach den Zentrifugalstrom.

»Was machen Sie da?« frug der Professor.

»Es war die höchste Zeit, daß wir die Sachlage entdeckten,« erklärte der
Lord: »Wir müssen bereits über die Marsbahn hinausgekommen sein. Hätte
ich mich zur Ruhe gelegt und Sie hätten die Bedeutung der auffallenden
Erscheinung nicht erkannt, so wären wir rettungslos verloren gewesen.
Ja, verloren im unendlichen Raum! Es handelt sich hier nicht um eine
fabelhafte Geschwindigkeit unseres Fahrzeugs, sondern um die rasende
Schnelligkeit, mit der unser Sonnensystem durch das Weltall saust. Da
wir die Anziehungskraft für uns aufgehoben hatten, nahm uns das
Sonnensystem auf seiner Fahrt nicht mit, sondern drohte, uns hinter sich
zurück im Raum zu lassen.«,

»Erlauben Sie, Lord! Die Sonne soll sich freilich mit ihren Trabanten
auf das Sternbild des Herkules zu bewegen, aber nur mit 16 Kilometern in
der Sekunde, so daß diese Bewegung gegen die 300 Sekundenkilometer der
Sannah kaum in Betracht kommt und keinesfalls unsre rasche Entfernung
von der Sonne erklärt.«

»Sie haben recht, Professor; aber da ist eine Bewegung, die kein
irdischer Astronom erkennen konnte, die aber geahnt und vermutet worden
ist, und die sich in diesem Augenblick enthüllt hat: Die ganze
Fixsternwelt, innerhalb deren sich die einzelnen Systeme bewegen, wie
etwa unser Sonnensystem nach dem Herkules, bildet wiederum ein großes
System, das offenbar mit 15000 oder noch mehr Sekundenkilometern wie ein
Strom durch die Unendlichkeit des Raums dahinfährt und diese Strömung
ist es, die drohte uns unser Sonnensystem in kurzer Zeit zu entführen,
so daß wir im Leeren zurückgeblieben wären, fern von allen Weltkörpern,
die uns hätten anziehen oder abstoßen können und uns so die Aussicht
gewährt hätten, irgendwo zu landen.«

»Nanu! So hätten wir eben zuwarten müssen, bis der große Weltenstrom
neue Welten in unsre Nähe geführt hätte.«

»Ein guter Gedanke; aber wer weiß, wie viele tausend Jahre wir darauf
hätten warten müssen. Jedenfalls zog ich es vor, uns wieder dem Einfluß
der Anziehungskraft zu überlassen, da es zunächst für unsre Sicherheit
notwendig erscheint, unser Sonnensystem nicht zu verlassen. Jetzt werden
wir voraussichtlich in die Attraktionssphäre des Mars geraten und müssen
aufpassen, daß wir nicht unsanft auf ihn herabstürzen. Ich werde mich
daher nicht zur Ruhe begeben, um meine Maßregeln rechtzeitig treffen zu
können.«




                      8. Die großen Astronomen.


Unsre Freunde hatten beschlossen, ihre Zeitrechnung nach irdischem
Maßstab einzuteilen, um jeglicher Verwirrung der Begriffe zu entgehen,
und so war es, wie die Uhren der Sannah anzeigten, 8 Uhr morgens, als
sich alle um den Frühstückstisch im Nordpolzimmer versammelten.

Die Schlafgemächer befanden sich sämtlich in den inneren Räumen, die auf
künstliche Beleuchtung angewiesen waren; die vier Säle, die sich in der
Äquatorlinie der Sannah befanden, hatten stets abwechselnd eine Stunde
Tag und eine Stunde Nacht; im Südpolzimmer dagegen herrschte zur Zeit
beständige Nacht, im Nordpolzimmer unaufhörlich Tag. Aus diesem Grunde
wurde letzteres zum gewöhnlichen Aufenthaltsort gewählt.

Schultze berichtete eingehend über die Vorkommnisse der vergangenen
Nacht und schloß mit den Worten: »Die Tatsache, daß die Erde mit dem
Mond so rasch aus unserem Gesichtskreis entschwand, sowie daß das ganze
Sonnensystem uns zu entfliehen drohte, ist der erste praktische Beweis
für die Richtigkeit des kopernikanischen Systems.«

»Wieso?« fragte Heinz Friedung erstaunt: »Ich meinte, nichts von der
Welt stehe so sicher wie dieses System und es sei längst schon als
zweifellos richtig erwiesen!«

»Da sieht man die Schulweisheit!« lachte der Professor: »Was einer
glaubt, verkündigt er, sei es aus Unwissenheit, sei es aus Einbildung,
gewöhnlich als zweifellose Wahrheit. So werden den Schülern und selbst
den Studenten die anerkannten wissenschaftlichen Vermutungen als
felsenfest stehende Wahrheiten verkündigt. Meist lassen sie sich dadurch
täuschen, und so kommt es, daß die große Menge sowie auch die von ihrer
eigenen Unfehlbarkeit überzeugten Gelehrten glauben, jeden verhöhnen und
als ungebildet und rückständig brandmarken zu dürfen, der ihren Glauben
nicht teilt und an dem zweifeln zu dürfen glaubt, was als modernster
Standpunkt der Wissenschaft gilt.

Es ist wahr, das kopernikanische System ist überaus einleuchtend und
erklärt am besten alle astronomischen Erscheinungen auf der
Wissensstufe, auf der wir zur Zeit stehen; ja, unser ganzes
Physikalisches Begriffssystem beruht auf der Voraussetzung seiner
Richtigkeit. Aber zweifellos bewiesen ist diese Richtigkeit so wenig,
wie irgend eine andre sogenannte »wissenschaftliche Wahrheit«. Es ist
sehr unwahrscheinlich, aber durchaus nicht undenkbar, daß ein kommendes,
fortgeschritteneres Gechlecht wieder zum ptolomäischen Weltsystem
zurückkehrt. Dann müßte allerdings die gesamte astronomische
Wissenschaft umgearbeitet und eine neue Physik erfunden werden, die sich
auf der ptolomäischen Anschauung aufbauen würde. Wie gesagt, es ist
unwahrscheinlich, daß dies geschehen wird, aber durchaus nicht
unmöglich, denn unsre Wissenschaft baut sich lediglich auf Vermutungen
auf, nicht auf Wissen: Tatsachen sind keine Wissenschaft, sondern erst
die stets unsichern Schlüsse, die wir aus den Tatsachen folgern.«

»Mit Verlaub, Herr Professor,« begann nun John Rieger, der stets
bestrebt war, seine Bildung zu vermehren: »Was ist das eigentlich, das
polemische und das koperganische Weltsystem, wenn ich mir solche Frage
aus Unbescheidenheit zu stellen gestatten darf?«

»Gewiß darfst du das, und ich will dich gerne aufklären: Claudius
Ptolomäus war ein berühmter Sternkundiger im zweiten Jahrhundert vor
Christus und lebte in der Stadt Alexandria in Ägypten. Er glaubte, die
Erde bilde den Mittelpunkt der Welt und stehe unbeweglich fest, während
Sonne, Mond und Sterne sich um sie bewegten, wie es ja für uns den
Anschein hat. Diese Meinung nennt man das ptolomäische Weltsystem, an
das man noch 1500 Jahre nach Christus allgemein glaubte.

Nikolaus Kopernikus war ein polnischer Priester, der ein Buch schrieb,
auf dem unsere jetzigen Anschauungen beruhen, und das im Jahre 1543
erschien. Hier erklärt er nicht nur, daß die Erde sich um ihre Achse
dreht, woraus Tag und Nacht entstehen, sondern daß sie auch in einem
Jahre sich um die Sonne bewegt, die den stillstehenden Mittelpunkt
unseres Sonnensystems bilde, um den sich auch die andern Planeten oder
Wandelsterne drehen. Ja, er entdeckte auch eine dritte Bewegung der
Erde, die Schwankung ihrer Achse, die er Deklination nannte, durch
welche bewirkt wird, daß das Erdenjahr nicht völlig mit einer
scheinbaren Umdrehung des Himmels zusammenfällt, so daß die Tag- und
Nachtgleichen etwas zu früh eintreten. Die Ansicht des Kopernikus nennt
man das kopernikanische Weltsystem.«

»Na!« meinte John geringschätzig: »Der Ptolomäus muß ja ein ganz
törichter und ungebildeter Mensch gewesen sein und was der Kopernikus
behauptet hat, ist nichts besonderes: Das weiß ja jedes Kind, daß sich
die Erde um die Sonne dreht!«

»Weil man es ihm in der Schule sagt, mein Freund. Aber du mußt bedenken,
dem Kopernikus hat es niemand gesagt, der hat es aus sich selbst heraus
gefunden.«

»Halt, Professor!« widersprach der Lord: »Es ist eine uralte Weisheit
der Ägypter, die Kopernikus aufwärmte, wodurch jedoch sein Verdienst
nicht geschmälert sein soll. Schon in den ältesten Zeiten gab es große
Geister, die auffallend richtige Begriffe über die Erde und unser
Sonnensystem besaßen. Sie scheinen dieselben von den ägyptischen
Priestern überkommen zu haben und diese vielleicht von den Chaldäern.
Aber das Verdienst dieser scharfen Denker ist es, daß sie diese damals
so unglaublichen Wahrheiten als richtig erkannten und auf Grund
derselben wissenschaftliche Großtaten vollbrachten.

Denken Sie an die Cheopspyramide, die 3000 Jahre vor Christus erbaut
wurde und deren Maße in überraschend genauem Verhältnis zum Umfang der
Erde und zu einigen erst in neuester Zeit wieder entdeckten
astronomischen Entfernungsmaßen stehen. Ihre Kanten sind nach den vier
Himmelsrichtungen gerichtet, und in der königlichen Leichenkammer
befindet sich ein Spiegel, der durch einen langen, geneigten Tunnel
unaufhörlich nach dem Polarstern blickt. Wer solche Berechnungen
auszuführen vermochte, besaß Fähigkeiten und wissenschaftliche
Kenntnisse, eine Beobachtungsgabe und eine Denkkraft, die auch von den
ersten Größen unserer modernen Astronomie Kopernikus, Keppler, Galilei
und Isaak Newton nicht übertroffen wurde.«

»Sie haben recht«, gab Schultze zu: »Die Alten hatten gewaltige Geister,
die ohne unsre modernen Hilfsmittel, ohne Teleskop und Spektralanalyse,
beinahe so viel erreichten, wie unsre modernsten wissenschaftlichen
Größen mit all den Vorteilen der Riesenarbeit ihrer Vorgänger und der
vollkommensten Instrumente.

Schon der griechische Weltweise Bion lehrte 500 Jahre vor Christus die
Kugelgestalt der Erde und behauptete, es müsse auf unsrer Erde Gegenden
geben, auf denen es sechs Monate lang Tag und sechs Monate Nacht sei.
Eratosthenes von Alexandria rechnete den Umfang der Erde mit
verblüffendem Scharfsinn und erstaunlicher Genauigkeit aus, wobei er zu
annähernd demselben Ergebnis kam, wie lange vor ihm die Chaldäer.

Der Geograph Strabo ahnte Amerika, da er sagte, es könne noch zwei oder
mehrere unbekannte Kontinente auf der Erdkugel geben. Aristarch wagte
es, die Entfernung und Größe des Mondes und der Sonne zu berechnen,
wobei er die Größe des Mondes und die Entfernung der Sonne fast genau so
angab, wie wir sie heute erforscht haben: das waren Maßstäbe, die für
jene Zeiten geradezu ungeheuerlich erscheinen mußten. Posidonius
lieferte eine wahrhaft wunderbare Berechnung der Erdatmosphäre und der
Lichtbrechung, und ebenso erstaunlich ist seine Berechnung der Größe der
Sonne: wir ahnen nicht, mit welchen Mitteln er solche verblüffende
Ergebnisse erreichte.

Auch Apollonius von Pergä war ein solcher Geistesriese, der den Begriff
der Parallaxe entdeckt haben soll, das heißt die Methode zur Berechnung
der Entfernung der Gestirne. Hipparch berechnete den Schattenkegel des
Mondes mit großer Genauigkeit und schloß daraus auf die Entfernung von
Sonne und Mond.

Pythagoras lehrte die Bewegung der Erde als Ursache der scheinbaren
Bewegung der Gestirne; Aristarch erkannte, daß die Erde sich um die
Sonne drehe und daß die Fixsterne sich in ungeheurer Entfernung von uns
befinden. Dies alles scheint übrigens Demokrit schon 400 Jahre vor
Christus erkannt zu haben.

Archimedes hatte schon die ersten Ideen von der Gravitation. Aber all
diese kühnen Fortschritte lagen hernach jahrhundertelang brach und
vergessen, bis Kopernikus sein großes Werk schrieb, zu dessen Prophet
sich der unglückliche Giordano Bruno aufwarf.

Dann kam Tycho Brahe, der große Beobachter, dem Kepler so viel
verdankte. Johann Kepler stellte die berühmten Gesetze der
Planetenbewegung auf, ihre elliptische Bahn um die Sonne, das Gesetz
ihrer Bewegungsgeschwindigkeit im Verhältnis zu ihrer Bahn und das
Gesetz des Verhältnisses ihrer Umlaufzeit zu ihrer mittleren Entfernung
zur Sonne.

Galilei benutzte als erster das Fernrohr, entdeckte die Monde des
Jupiter und die Mondphasen der Venus; Cassini berechnete die Entfernung
der Sonne aus ihrer Parallaxe beim Durchgang des Mars; Römer und
Leverrier maßen die Geschwindigkeit des Lichts, Newton stellte die
Gesetze der Gravitation auf; Kant und Laplace brachten das Weltall mit
seinen Bewegungsgesetzen in ein großartiges System und erklärten seine
Entstehung, Entwicklung und seine Zukunft. Endlich entdeckte Herschel
den Planeten Uranus, Piazzi, Gauß und Olbers die Planetoiden, wiederum
Herschel die Eigenbewegung der Fixsterne und das Vorhandensein von
Doppelsternen; er war es auch, der die Nebelflecke studierte.

Als nun noch im Jahre 1838 die erste Fixsternparallaxe berechnet wurde,
was uns in den Stand setzte die Entfernung und Größe der Himmelskörper
außerhalb unsres Sonnensystems zu berechnen, waren die großen
astronomischen Entdeckungen zu Ende, wenn wir absehen von den
wunderbaren Enthüllungen durch die Spektralanalyse.«

»Danke, weisester aller Professoren!« sagte Münchhausen lachend: »Sie
haben uns da einen Vortrag gehalten, der wahrhaftig ein Abriß der
Geschichte der Astronomie in den letzten 10000 Jahren genannt werden
darf. Aber in einem Punkte irren Sie: Sie haben sozusagen die großen
astronomischen Entdeckungen für abgeschlossen erklärt, und vergessen,
daß sie eben jetzt erst recht anfangen, seit wir ausgezogen sind, das
Weltall persönlich zu erforschen.«

»Und jetzt haben wir die beste Gelegenheit zu solchen Entdeckungen,«
sagte Mietje, die soeben eingetreten war. Sie hatte einen Rundgang durch
die Beobachtungszimmer gemacht, wie er abwechselnd jede halbe Stunde
ausgeführt wurde, um vor unliebsamen Überraschungen sicher zu sein.

»Was gibt's?« fragte Flitmore.

»Wir nähern uns dem Mars mit großer Geschwindigkeit«, erwiderte seine
Gattin.

Flitmore stand auf: »Lassen Sie uns sehen, meine Herren«, sagte er, und
alle folgten ihm in eines der Äquatorialzimmer, von dem aus die Lady den
Planeten beobachtet hatte.




                             9. Der Mars.


Die Sannah, die seit der vergangenen Nacht, wenn man von einer Nacht
reden konnte, nicht mehr von dem Strom der Fliehkraft durchkreist wurde,
befand sich in der Anziehungssphäre des Planeten, der seit lange den
Beobachtungseifer und die Phantasie der Astronomen am meisten angeregt
hat.

Man war ihm schon so nahe, daß man die größeren Gebilde seiner
Oberfläche deutlich unterscheiden konnte, ohne das Fernrohr zu benutzen.

»Da hört sich ja alle Wissenschaft auf!« war das erste, was Schultze
überrascht und enttäuscht ausrief: »Soll das wirklich der Mars sein? Wo
sind denn die Kanäle, meine geliebten Kanäle, die ich so fleißig
beobachtet und mit solcher Zärtlichkeit studiert habe, das Wunder, das
Rätsel des Mars?«

Von Kanälen war in der Tat keine Spur zu sehen.

Flitmore meinte, zum Professor gewendet: »Ich habe nie recht an jene
merkwürdigen Kanalbildungen glauben können und vermutete, daß es sich um
optische Täuschung handle. Der Mars ist bedeutend kleiner als unsre
Erde, sein Halbmesser beträgt wenig mehr als die Hälfte des ihrigen;
seine Polarregionen sind von ungeheurer Ausdehnung, namentlich im
Winter. Und nun sollen die mutmaßlichen Bewohner des kleinen bewohnbaren
Erdstrichs das Land mit einem gewaltigen Netz ungeheurer Kanäle
durchzogen haben?«

»Warum nicht?« fragte Schultze eigensinnig: »Wenn es die Bewässerung des
Landes verlangte.«

»Bei den ausgedehnten Eis- und Schneemassen der Pole, den ungeheuren
Schneefällen im Winter und angesichts der meist äußerst raschen
Schneeschmelze im Frühling kann ich an Wassermangel auf dem Mars nicht
glauben.«

»Na! Aber die Kanäle sollten doch den Wasserzufluß regeln, ihn über das
ganze Land verteilen und Überschwemmungen verhüten.«

»Ganz schön, wenn es Kanäle von vernünftigen Größenverhältnissen wären
und von vernünftigem Verhalten. Aber diese angeblichen Kanäle zeigten
eine Breite von 60 bis 300 Kilometern: ich bitte Sie, was soll das? Das
sind ja unsinnige Maße für einen Kanal! Wenn sie nun aber wenigstens
beständig so geblieben wären, aber da wurde ein und derselbe Kanal
einmal breiter, dann wieder schmäler; mit Vorliebe verdoppelte er sich
plötzlich, oft innerhalb 24 Stunden, ebenso rasch konnte die
Verdoppelung wieder verschwinden und hie und da der ursprüngliche Kanal
ebenfalls; dann wieder verschwand ein alter Kanal und zwei neue
erschienen an seiner Stelle.«

»Ja, ja! das waren eben die Rätsel dieser merkwürdigen Kanäle,« beharrte
der Professor.

»Und nun ist ihr Rätsel gelöst,« lachte Flitmore: »Sie sind einfach gar
nicht vorhanden, diese famosen Kanäle.«

»Das muß ich allerdings zugeben«, gestand der Gelehrte zu: »Aber die
Sache ist nur umso rätselhafter.«

Doch auch ohne diese geheimnisvollen Gebilde erschien die Landschaft
merkwürdig genug: weiß leuchtete der Nordpol mit seinen Eis- und
Schneefeldern; das schneefreie Land gegen den Äquator erschien
rötlichgelb unterbrochen von dunkelgrün bewachsenen Streifen; einige
kleine Meere oder große Seen trennten streckenweise die Kontinente und
breite Flüsse zogen silbergraue Bänder durch die Ebenen.

Überhaupt erschien fast alles eben. Größere Gebirge waren keinesfalls
vorhanden und kleinere Erhebungen ließen sich aus der Höhe, in welcher
sich die Sannah befand, nur an den Schatten erkennen, die sie warfen; wo
jedoch die Sonne die Täler voll erleuchtete, konnte Berg und Tal
überhaupt nicht unterschieden werden.

Inzwischen stürzte das Weltschiff mit blitzartiger Schnelle gegen den
Planeten und man sah alles von Sekunde zu Sekunde wachsen.

Flitmore beeilte sich daher, den Zentrifugalstrom zu schließen; ehe die
Sannah in die atmosphärische Hülle des Planeten gelangte, damit ihre
Außenwandungen nicht etwa durch die ungeheure Reibung in Glut versetzt
würden.

Der Sturz verlangsamte sich nun zusehends, bis die abstoßende Kraft die
Fallgeschwindigkeit überwand und das Weltschiff zunächst ganz langsam zu
steigen begann.

»Wollen wir eine Landung auf dem Mars unternehmen?« fragte nun der Lord.

»Hurrah!« rief Schultze begeistert.

»O ja, bitte!« schmeichelte Mietje.

»Ich bin dabei!« sagte Münchhausen: »die Kerkerhaft behagt mir auf die
Dauer nicht, wenn sie auch erst zwölf Stunden währt.«

»Das wird herrlich!« rief Heinz seinerseits begeistert.

»Und was sagst du, John?« wandte sich Flitmore an den Diener.

»Sir, ich habe nichts dareinzureden, was Ihre unmaßgebliche
Entschließungswillkür betrifft; aber was meine Spezialität in dieser
Fragesache betreffen möchte, so wäre es mir besonders genehm, freie Luft
zu schöpfen, obwohl sozusagen die Luft hier innen ausgezeichnet für die
Atmungsorkane ist.«

»Also, wir landen«, entschied der Lord, »da es einstimmig gewünscht
wird; die Schimpansen können wir ja nicht um ihre Meinung befragen und
so müssen Dick und Bobs sich der Mehrheit fügen.«

Gleichzeitig unterbrach er wieder die Fliehkraft; sobald ihm jedoch die
Sturzgeschwindigkeit in bedenklichem Maße zuzunehmen schien, schloß er
wieder den Strom auf einige Sekunden.

Durch dieses abwechselnde Öffnen und Schließen wurde ein langsames
Fallen ermöglicht, das noch durch die Marsatmosphäre gemildert wurde,
sobald man diese erreicht hatte.




                    10. Eine Landung auf dem Mars.


Sobald die Anziehungskraft des Mars auf die Sannah wirkte, verlangsamte
sich ihre Umdrehungsgeschwindigkeit und als sie sich zuletzt auf den
Planeten herabsenkte, hörte ihre Eigenbewegung ganz auf und ihr
Schwerpunkt wurde in den Mittelpunkt der Marskugel verlegt; diesmal
hatte Flitmore diese Änderungen vorausgesehen und dafür gesorgt, daß die
Gesellschaft nicht wieder durch einen Sturz gegen die Wände oder gegen
die Decke überrascht wurde.

Der Stoß, den die Landung verursachte, war im oberen Raume, wo sich alle
zu dieser Zeit aufhielten, kaum spürbar.

»Wir werden vom Nord- oder Südpolzimmer aus aussteigen müssen«, erklärte
der Lord: »dort liegen die Ausgangspforten neben den Fenstern bei unsrer
jetzigen Lage in wagrechter Linie, das heißt parallel zur
Marsoberfläche, und mittels einer Strickleiter können wir hinabsteigen.«

»Lassen Sie mich als Ersten die Sannah verlassen«, bat Heinz.

»Nein, junger Freund!« widersprach Schultze: »Ich werde zuerst
hinausgehen; wir kennen die Zusammensetzung der Marsatmosphäre nicht.
Wer weiß, ob sie nicht auf unsre Lungen eine gefährliche, vielleicht
tödliche Wirkung ausübt.«

»Eben deswegen will ich ja die erste Probe machen«, sagte Heinz.

»Nichts da!« polterte Kapitän Münchhausen: »Ich will zuerst hinaus;
meine Lungen sind die verschiedensten Dünste gewöhnt und können am
ehesten etwas aushalten.«

»Sie?« lachte der Professor: »Seien Sie froh, wenn Sie in normaler Luft
schnaufen können! Überhaupt könnten Sie in der Öffnung stecken bleiben
oder uns durch Ihr Gewicht die Strickleiter ruinieren. Sie kommen
jedenfalls zuletzt daran.«

»Ich gehe voran!« entschied Flitmore: »Es ist dies sowohl mein Recht als
meine Pflicht, da ich der Unternehmer der Weltfahrt bin.«

»Unter keinen Umständen darfst du dich einer solchen Gefahr aussetzen,
Charles«, wandte nun Mietje ein: »Ich bitte dich, laß mich den ersten
Versuch machen; ich kann ja gleich wieder zurück, wenn ich spüre, daß da
giftige Gase sind.«

»Wenn die Herrschaften gütigst zu gestatten belieben wollten,« ließ sich
der biedere John vernehmen, »so ist das alles nicht in der Richtigkeit,
als daß vielmehr meine Person den Anfang zu machen hat, indem daß mein
etwaiger Verlust auch am wenigsten wertvoll wäre.«

Aber Heinz Friedung machte diesem edlen Wettstreit ein Ende durch
folgende vernünftige Bemerkung:

»Wir haben ja die beiden Affen, Dick und Bobs; schieben wir die vor: für
sie ist auch am wenigsten Gefahr vorhanden, da ihr Instinkt sie davor
bewahren wird, das Fahrzeug zu verlassen, wenn sie draußen keine gesunde
Luft wittern.«

»Das ist die beste Lösung,« stimmte der Lord zu: »daran hätten wir auch
gleich denken können! Übrigens bin ich überzeugt, daß die Lufthülle des
Mars sich höchstens in der Dichtigkeit von der irdischen unterscheidet.«

Die luftdicht schließende Tür des Südpolzimmers, in das man sich begeben
hatte, wurde geöffnet; ein angenehmer frischer Luftzug strich herein.
Vergnügt schwangen sich Dick und Bobs durch die Öffnung und turnten an
den Rampen, die an der äußeren Hülle der Sannah angebracht waren, hinab.

»Es ist also keine Gefahr,« sagte Flitmore und befestigte mit Johns
Hilfe die Strickleiter, um dann als erster, von seiner treuen Gattin
gefolgt, den Abstieg zu wagen.

Nach Mietje kam Heinz und dann der Professor.

Schultze rief dem Kapitän zu: »Daß Sie sich nicht unterstehen, die
Strickleiter zu betreten, ehe wir andern alle den sichern Erdboden
erreicht haben, denn sonst könnte es uns schlimm ergehen, wenn die
Stricke unter Ihrer Last reißen oder die Sprossen krachen und Ihre
beträchtliche Masse auf uns herabstürzt.«

Aber Flitmore hatte bei Ankauf der Strickleitern Münchhausens Gewicht in
Betracht gezogen. Wohl ächzten die Seile und die Sprossen bogen sich
knarrend, als der Kapitän sie hinter John betrat; aber sie hielten
vorzüglich.

»Na! Daß Sie nicht in der Türöffnung stecken blieben, nimmt mich
Wunder,« lachte Schultze, als alle glücklich unten waren.

Flitmore aber erklärte: »Da ich von vornherein auf die Begleitung unsres
werten Kapitäns hoffte, habe ich sämtliche Türenmaße nach seinen
leiblichen Verhältnissen berechnet.«

»Das war vernünftig und edel von Ihnen, Lord,« erkannte Münchhausen in
gutmütiger Heiterkeit an: »Freilich, unserm bösen Professor hätte es
Spaß gemacht, mich hilflos und elend im Türrahmen stecken bleiben zu
sehen.«

Inzwischen sah sich die Gesellschaft neugierig auf ihrem neuen
Aufenthaltsort um.

Als erstes war ihnen aufgefallen, daß der Erdboden merkwürdig weich war:
die Sannah hatte sich ziemlich tief in ihn eingegraben und bei jedem
Schritt sank man ein.

Die Landschaft erschien sanft gewellt und die Bodenwellen liefen meist
parallel und geradlinig, wurden aber zuweilen von langen Hügelrücken
gekreuzt, die in andrer Richtung verliefen.

Zwischen den Erhöhungen befanden sich mehr oder weniger breite ebene
Flächen, die versumpft zu sein schienen und mit einem Gewirr von dunkeln
Pflanzen bedeckt waren. Die Hügelrücken waren zum Teil kahl, meist aber
mit Buschwerk und Wäldern bedeckt, vielfach auch mit Präriegras;
nirgends aber sah man frisches Grün: die Gräser, die Blätter der
Pflanzen und Bäume waren durchweg gelb und rot oder rotbraun, so daß
alles ein herbstliches Aussehen hatte, obgleich in diesen Marsbreiten
zur Zeit erst der Frühsommer begann.

Da sich übrigens der Abend bereits herabsenkte, wurde John beordert, aus
dem Weltschiff Zelte und Eßwaren herbeizuschaffen; denn alle freuten
sich darauf, im Freien zu kampieren.

Brennholz war reichlich vorhanden; Feuer wurden entzündet zur Bereitung
eines warmen Mahles und zur Abhaltung etwaiger wilder Tiere.

Alle, auch Mietje, waren mit Gewehren und Dolchmessern bewaffnet und mit
Explosionskugeln versehen.

Flitmore wies auf die langgestreckten Sümpfe: »Sehen Sie, Professor,«
sagte er: »Diese endlos erscheinenden dunkeln Streifen, die teils neben
einander her laufen, teils einander kreuzen, können sehr wohl bei großer
Entfernung den Eindruck von Kanälen machen.«

              [Illustration: Im Kampf mit den Würmern.]

»Aber die Veränderlichkeit der beobachteten Gebilde erklären sie nicht,«
wandte Schultze ein.

»Vielleicht finden wir auch dafür noch eine Lösung,« meinte Heinz.

»Die Marsluft ist übrigens ganz herrlich,« rühmte der Kapitän
tiefatmend: »Ich schlage vor, daß wir hier einen Luftkurort und eine
Sommerfrische gründen: ausgezeichnete Geschäfte werden wir damit
machen.«

Mietje erhub nun die Frage: »Wie lange wird die Nacht hier dauern.«

»Nicht viel länger als eine gewöhnliche Erdennacht,« belehrte sie
Schultze: »Der Mars dreht sich um seine Achse in 24 Stunden, 37 Minuten
und 22½ Sekunden. Dagegen sind die Jahreszeiten dahier verhältnismäßig
lang: ein Marsjahr hat 668 Marstage, was etwa 682 Erdentagen entspricht.
Auf der nördlichen Halbkugel, auf der wir uns befinden, hat der Frühling
191, der Sommer 181, der Herbst 149, der Winter 117 Marstage; auf der
südlichen Halbkugel sind Frühling und Sommer viel kürzer, nämlich 149
und 147 Tage, aber auch viel heißer, weil der Planet in dieser Zeit der
Sonne am nächsten kommt; der Herbst und Winter mit 191 und 181 Tagen
sind dagegen dort um so kälter, da sie mit der Sonnenferne des Mars
zusammenfallen.«

Nach eingenommenem Mahl wurden die Nachtwachen verteilt, und dann begab
man sich zur Ruhe.




                     11. Die Schrecken des Mars.


Heinz hatte die zweite Nachtwache.

Ihm war etwas unheimlich zumut auf diesem fremden Weltkörper, der völlig
neue und unbekannte Gefahren bergen mochte. Eigentliche Angst hatte der
junge Mann zwar nicht, dazu besaß er zuviel persönlichen Mut, verbunden
mit körperlicher und geistiger Gesundheit; aber eines eigentümlichen,
beklemmenden Gefühls konnte er sich nicht erwehren.

Das Lager befand sich auf einem breiten Hügelrücken, auf dem die Sannah
gelandet war und der sich ins Unendliche zu erstrecken schien. Ebenso
unendlich hatte bei Tageslicht der Sumpf ausgesehen, der die etwa 200
Kilometer breite Vertiefung zwischen dieser und der nächsten Hügelkette
ausfüllte.

Und diese sumpfige Niederung schien bei Nacht in unheimliche
Lebendigkeit zu geraten.

Bestimmte Laute konnte der junge Wächter nicht vernehmen, wohl aber ein
dumpfes Gemeng von Tönen, als ob da Tausende von Geschöpfen raschelten
und plätscherten.

Unwillkürlich kamen dem Aufhorchenden die unsterblichen Verse aus
Schillers Taucher in den Sinn:

   »Da unten aber ist's fürchterlich,
   Und der Mensch versuche die Götter nicht
   Und begehre nimmer und nimmer zu schauen,
   Was sie gnädig bedecken mit Nacht und Grauen.«

Und weiter:

   »Das Auge mit Schaudern hinunter sah,
   Wie's von Salamandern und Molchen und Drachen
   Sich regt' in dem furchtbaren Höllenrachen.
   Schwarz wimmelten da, in grausem Gemisch,
   Zu scheußlichen Klumpen geballt,
   Der stachlichte Roche, der Klippenfisch,
   Des Hammers greuliche Ungestalt.
   -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
   Und schaudernd dacht' ich's, -- da kroch's heran,
   Regte hundert Gelenke zugleich ...

Soweit war Heinz in seinen Gedanken gekommen, da kroch wirklich etwas
heran. Es schien eine Schlange zu sein, an und für sich kein besonders
großes Tier, etwa armsdick und ungefähr drei Meter lang; aber als der
Schein des Feuers den glatten, feuchten, rötlichen Leib erleuchtete, kam
es dem Jüngling doch wie ein grauenerregendes Ungeheuer vor; denn es
glich einem Regenwurm, und für einen solchen war seine Größe doch
geradezu riesenhaft.

Der spitz zulaufende Kopf zeigte zwei äußerst kleine, blasse Augen, die
kaum als solche zu erkennen waren; der Mund glich nur einem runden Loch
und schien zum Saugen und nicht zum Beißen bestimmt.

Der widerliche Wurm kroch geradenwegs auf Heinz zu und kümmerte sich
nicht um das Feuer. Hinter ihm tauchte ein zweiter auf und dann ein
dritter, -- ja der ganze Abhang schien sich zu beleben: in Scharen
rückte das Gewürm an, als habe der Sumpf seine Heere ausgesandt, die
unberufenen Eindringlinge auf dem Mars zu vernichten.

Zunächst sandte Heinz dem vordersten Wurm eine Explosionskugel in den
Leib, die ihm jedoch nur eine kleine Wunde beibrachte, da sie in der
weichen Masse auf keinen Widerstand traf und daher überhaupt nicht zum
Platzen kam.

Der Wurm krümmte und wand sich, schnellte dann aber plötzlich vor und
ringelte sich um des Schützen Fuß, in raschen Windungen an ihm
hinaufkriechend.

Von Schauer und Ekel erfaßt, griff der junge Mann nach seinem
Dolchmesser und bearbeitete das Tier mit Stichen und Schnitten; allein
er sah sich auf einmal von allen Seiten angegriffen: da erhob sich ein
schlüpfriges Haupt, dort ein zweites und drittes; und sie wanden sich an
ihm empor, all diese unheimlichen Geschöpfe und so viel Köpfe er
abschnitt, seine eigenen Kleider in der Eile der Abwehr zerfetzend, die
Zahl war zu groß, er konnte nicht mit ihnen fertig werden!

Ein stechender Schmerz im Nacken ließ ihn nach hinten greifen: er
berührte den kalten schleimigen Leib eines der Würmer, der sich dort
festgesogen hatte und ihm das Blut aussaugte; und schon hing ein andrer
der gräßlichen Köpfe an seiner Wange.

Heinz warf sich zu Boden und wälzte sich wie wahnsinnig umher; aber er
kam nicht los: nur immer neue schlüpfrige Ringe spürte er sich um seine
Glieder ziehen.

Flitmore war durch den Schuß geweckt worden und trat aus seinem Zelt.
Mit lautem Hallo weckte er die Genossen und stürzte sich selber mit dem
Messer auf das überall sich ringelnde Gewürm; denn mit dem Gewehr war
hier nichts anzufangen, das sah er gleich.

Es gelang dem Lord, den jungen Freund frei zu machen; aber er selber war
bereits von einigen der Würmer umschlungen und auch Heinz wurde alsbald
wieder angefallen.

Laut kreischend stürzte Mietje aus ihrem Zelt: die widerlichen
Sumpftiere waren dort eingedrungen und eines davon hing an ihrem weißen
Arm.

Aber wie sah es hier draußen aus! Sie schauderte, denn überall trat ihr
Fuß auf ähnliche ekelhafte Geschöpfe, die sich krümmten und an ihr
emporwanden.

Inzwischen war auch Schultze auf dem Plan aufgetaucht. Die wimmelnden
und sich bäumenden Geschöpfe, die den Boden bedeckten, erregten zunächst
sein wissenschaftliches Interesse.

»Das sind ja Ringelwürmer von fabelhafter Größe«, rief er aus:
»Lumbriciden oder Regenwürmer, nichts andres! Wirklich kolossale
Geschöpfe! Aber eigentlich nichts Auffallendes: gab es Schalentiere,
Schneckenarten von riesenhaften Formen, warum nicht auch Nacktschnecken
und Würmer? Ich vermute sogar, daß ähnliche Geschöpfe zur Zeit der
Ammoniten auch die Erde bevölkerten; Spuren ihres Daseins konnten sie
natürlich nicht hinterlassen, da sie knochenlose Weichtiere sind.«

»Helfen Sie uns lieber, Professor«, keuchte Heinz: »Später wollen wir
dann meinetwegen eine wissenschaftliche Unterhaltung über diese
Höllenbrut beginnen, falls wir mit heiler Haut davonkommen.«

»Sie haben recht«, sagte Schultze: »das scheinen ja in der Tat ganz
verflixte Kumpane zu sein: sie gehen ja geradewegs auf mich los! Aber
meine Hochachtung, junger Freund! Sie kämpfen wahrhaftig nach
Schwabenart. Bravo! Das war wieder ein Schwabenstreich!«

»Der wackre Schwabe forcht sich nit!« zitierte Münchhausen, der nun
ebenfalls, gleichzeitig mit John, auf der Bildfläche auftauchte: »Zur
Rechten sieht man, wie zur Linken, einen halben Türken hinuntersinken.«

Heinz hatte wirklich mit einem wohlgezielten Hieb den Leib eines
Ringelwurms in der Mitte durchgetrennt, so daß das Zitat gut paßte.

»Wenn nur die andern kalter Graus packte«, meinte der junge Held, der
sich am Ende seiner Kräfte fühlte: »Aber da hat es gute Wege!«

»Hu, hu! Mich packt der kalte Graus!« schrie Münchhausen, dem sich eines
der Tiere um den Hals schlang. Er riß es los und schleuderte es zu
Boden, um es mit der Wucht seiner breiten Füße zu Brei zu zertreten.

Der Professor und der Diener waren bereits in den wütendsten Kampf
verwickelt: sie hieben wie rasend mit den Messern um sich; allein der
Sumpf mußte Tausende dieser Ungeheuer beherbergen und alle just auf den
Lagerplatz der Unseligen loslassen; der Kampf schien aussichtslos.

Was waren diese Geschöpfe? Weichtiere, die ein Fußtritt, ein Dolchhieb
unschädlich machte! Sie besaßen keine Tatzen, keine Krallen, kein Gebiß;
sie waren nicht gefährlicher als Blutegel: aber ihre unerschöpfliche
Zahl machte sie unüberwindlich, und unsre Freunde sahen ein gräßliches
Ende vor Augen. Viel lieber hätten sie mit den wildesten Raubtieren, mit
Löwen, Tigern, mit einem Rudel Elefanten oder einer Büffelherde
gekämpft.

Die Schimpansen Dick und Bobs hausten mörderisch unter den Angreifern:
sie schienen rasend vor Wut. Sie warfen sich auf den Boden und würgten,
zerrissen mit vier Händen zugleich, während sie gleichzeitig mit ihrem
scharfen Gebiß Dutzende der Lumbriciden unschädlich machten.

Aber was half's? Immer neue Scharen rückten an!

Münchhausen, der sich ohnehin nur schwerfällig bewegen und nicht leicht
bücken konnte, hatte sofort erkannt, daß seine wirksamste Waffe in
seinem kolossalen Körpergewicht bestand.

Er führte einen wahren Indianertanz auf, sprang so hoch er nur immer
konnte und zerquetschte unter seinen gewaltigen Fußsohlen alles zu Brei,
was sich unter ihm regte.

Es wäre ein Anblick zum Totlachen gewesen, wie der dicke Kapitän
umherhopste, als wolle er sich zur Ballettänzerin ausbilden, wenn nicht
das Gefährliche der Lage alle Lust zur Heiterkeit erstickt hätte.

Münchhausen floß der Schweiß in Strömen herab, und doch war sein Gehüpfe
umsonst: auch er fühlte sich umringelt und umwunden, und nun glitt er
gar auf dem gar zu schlüpfrig gewordenen Boden aus, fiel hin und rollte
mitten unter das blutdürstige Ungeziefer, nicht ohne eine ganze Anzahl
davon plattzudrücken.

Die Kämpfenden, die alle mehr oder weniger Blut lassen mußten, waren
erschöpft, und noch immer kroch es in dichten Massen den Abhang herauf.
Wenn sie sich nur zu der Strickleiter hätten flüchten und in dem
Weltschiff bergen können! Aber sie hatten ihr Lager wohl hundert Meter
weit davon aufgeschlagen und zwischen ihnen und der Sannah wimmelte es
von dichten schwarzen Massen, die sich über einander zu türmen schienen.

Da erschollen schrille, heißere Schreie in der Luft; dann dumpfe
Flügelschläge, und gespenstisch rauschten mächtige schwarze Gestalten
herab.

Im Schein des immer noch hochaufflackernden Feuers ließen sich einige
dieser neuen Geschöpfe, die sich in dessen Nähe niedergelassen hatten,
erkennen.

Sie boten keinen ermutigenden Anblick, vielmehr erschienen sie selber
als schreckliche Ungeheuer: es waren Vögel, die nichts Vogelähnliches
hatten als die ungeheuren Fledermausflügel. Am ehesten erinnerten sie an
den Pterodaktylus der irdischen Urzeit; ein plumper Kopf mit
tiefeingeschnittenem Rachen und scharfen Zähnen gab ihnen Ähnlichkeit
mit diesem erstaunlichen Vogel. Ihre Größe übertraf die des Adlers um
das Doppelte; das Merkwürdigste jedoch war, daß sie vier Füße besaßen,
die mit gewaltigen Krallen bewehrt waren.

So unheimlich und gefährlich diese Vögel aussahen, wenn man sie
überhaupt als Vögel bezeichnen konnte, so erschienen sie doch als Retter
in höchster Not; denn sie räumten mit fabelhafter Gewandtheit und
Mordgier unter den Ringelwürmern auf und kamen in solchen Scharen, daß
sie sich auch der wimmelnden Mengen gewachsen zeigten.

Sie ließen sich namentlich am Rande des Hügels nieder und packten mit
ihren Krallen und Zähnen alles, was da heraufkriechen wollte. Und nun,
da keine neuen Nachschübe kamen, nahm die Zahl der Angreifer auf der
Höhe sichtlich ab und mit neuem Mut ließen unsre Freunde wieder ihre
Messer arbeiten.

Endlich erhob kein Wurm mehr sein drohendes Haupt, wenn auch die
verstümmelten Leiber am Boden sich ringelten und wanden, zuckten und
schnellten, als ob sie überhaupt nicht völlig tot zu kriegen seien.

Schultze eilte auf Münchhausen zu, der immer noch auf dem Boden
umherrollte und nicht auf die Beine kommen konnte. Und jetzt, da die
Gefahr beseitigt schien, lachte der Professor aus vollem Halse über den
erheiternden Anblick: Da wälzte sich der runde Kapitän wie eine Tonne
auf stürmischer See; an seinem Haupte hingen zwei Würmer gleich
Schmachtlocken zu beiden Seiten herab und um seinen Hals wand sich ein
allerdings geköpftes Tier wie ein dickes Halstuch.

Trotz seiner Heiterkeit beeilte sich Schultze doch, den dicken Freund
von seinen Peinigern zu befreien und ihm mit Unterstützung des
inzwischen ebenfalls herbeigeeilten Heinz auf die Beine zu helfen.

Dann ging es an das Verpflastern und Verbinden der Wunden, die
merkwürdigerweise nur äußerst klein waren. Alle hatten mehr oder weniger
Blut hergeben müssen, Münchhausen aber war entschieden am stärksten
angezapft worden.

»Tut nichts!« meinte er humorvoll: »Ich habe Vorrat und die Biester
haben bei mir mehr Fett als Blut geholt, wie ich vermute; das kann mir
bloß gut tun. Ich fühle mich geradezu erfrischt und erleichtert.«

»Aber einen Tanz haben Sie aufgeführt, Kapitän«, lachte Schultze: »Ich
sage Ihnen, eine ägyptische Bauchtänzerin ist nichts dagegen.«

»Kunststück!« sagte Münchhausen: »Wo hat eine ägyptische Tänzerin auch
solch stattlichen Bauch?«




               12. Eine Entdeckungsreise auf dem Mars.


John übernahm die Wache, während sich die andern wieder zur Ruhe
niederlegten.

Am Morgen wurden zunächst die Zelte wieder ins Weltschiff gebracht; denn
ein zweitesmal auf dem Mars im Freien zu nächtigen, dazu verspürte
niemand mehr Lust.

Das Frühstück wurde in der Nähe der Sannah eingenommen fern von den
immer noch zuckenden Leibern der erlegten Lumbriciden auf dem
nächtlichen Schlachtfeld.

»Ich schlage eine Entdeckungsreise auf dem Mars vor«, begann Schultze,
als der Imbiß vertilgt war.

Alle waren damit einverstanden.

»John«, sagte Flitmore, »du bleibst als Wache zurück; man weiß ja nicht,
was hier vorkommt. Am besten begibst du dich auf die oberste Plattform,
wo du nach allen Seiten hin weite Ausschau halten kannst. Erblickst du
etwas Verdächtiges, so läßt du die große Sirene ertönen.«

Als Rieger sich mit der pneumatisch betriebenen Sirene auf der Höhe der
Kugel befand, marschierte die kleine Gesellschaft ab; Bobs wurde
mitgenommen, während Dick dem Wächter Gesellschaft leistete.

Drunten im Sumpf sah man nichts von den widerlichen Geschöpfen, die er
beherbergte; aber an den Bewegungen der Pflanzendecke konnte man
deutlich erkennen, daß der Morast von gelenkigen Bewohnern wimmelte.

Inzwischen ging man auf dem Höhenrücken einem nahen Walde zu, der aus
niedrigen, rotbelaubten Bäumen bestand.

Diese Bäume erweckten besonders Schultzes lebhaftes Interesse, denn sie
zeigten ganz eigentümliche Formen. Die meisten hatten weder Äste noch
Zweige; die großen Blätter entsproßten an langen, dicken Stielen direkt
dem Stamm, der sich an der Spitze in ein Bündel solcher beblätterter
Stiele auflöste.

Die Blätter waren meist rund und tellergroß, andre kleeblattförmig, aus
drei vereinigten Rundscheiben bestehend; wieder andre zeigten
dreieckige, viereckige und mehreckige Bildung, boten also einen Anblick,
der Erdbewohnern völlig neu und ungewohnt war.

                [Illustration: Ein dreibeiniges Tier.]

Einzelne Baumarten, die reich verästelt waren, hatten Doppelblätter, die
sich gleich Austernschalen auf- und zuklappten und offenbar den
Insektenfang betrieben.

Übrigens war von Insekten nur wenig zu sehen: einige merkwürdige Mücken,
durchsichtig wie Glas, und Käfer ohne Beine, die fliegenden Raupen und
fliegenden Würmern glichen und sich am Boden und an den Bäumen auch
gleich solchen fortbewegten, ja geflügelte Schnecken, die einen
bläulichen Schleim aussonderten, zweibeinige Ameisen und Spinnen, das
waren die Wunder, die Schultze seinen Sammlungen einverleibte.

Auch Vögel waren nur in wenigen Arten vertreten: sie hatten alle die
Eigentümlichkeit, vierbeinig zu sein, ein Anblick, der den an irdische
Geschöpfe gewöhnten Augen äußerst sonderbar vorkam. Dazu gesellte sich
der Umstand, daß diese Vögel nicht gefiedert waren, sondern einen
behaarten oder mit Schuppen bedeckten Leib hatten, der aber in
wunderbaren bunten Farben von metallischem Glanze strahlte. Die Schnäbel
wiesen meist ein gezahntes Gebiß auf und die Flügel bestanden vorwiegend
aus fächerartig übereinandergreifenden langen und starken Schuppen oder
dünnen Hornscheiben.

Als die Wanderer eine Lichtung betraten, rauschte es im Gebüsch und das
erste Wild, das sie auf dem Mars erblickten, zeigte sich ihren Augen.

Es erschien ebenso seltsam wie die Insekten- und Vogelwelt. Groß war es
nicht, kaum größer als ein Esel; aber es hatte ein schreckliches Gebiß,
wie überhaupt der platte, lange Kopf an ein Krokodil erinnerte. Von der
Mitte des Hauptes stieg ein äußerst scharfes Horn senkrecht empor und zu
beiden Seiten über den Ohren ragten zwei kürzere Hörner wagrecht hervor,
die Spitzen nach vorne gebogen. Das Seltsamste aber war: Dieses
gefährlich aussehende Tier war dreibeinig! Es hatte zwei Vorderfüße,
aber nur einen Hinterfuß am Ende des nach hinten sich birnenförmig
zuspitzenden Leibes.

Späterhin wurden noch verschiedene Tierarten getroffen, alle klein, aber
scharf bewehrt, und alle dreibeinig wie das zuerst geschaute.

»Da hört sich doch aber alle Wissenschaft auf!« rief der Professor ein
über das anderemal: »Vierbeinige Vögel, dreibeinige Säugetiere und
zweibeinige Insekten! Das glaubt mir ja drunten auf der Erde kein
Mensch, selbst wenn ich die wohlpräparierten Beweisstücke auf den Tisch
der Wissenschaft niederlege!«

»So seid ihr Professoren!« tadelte Münchhausen: »Wenn ihr so ungefähr
innehabt, wie die Naturprodukte auf eurer kleinen Erde aussehen, so
glaubt ihr, das ganze unendliche Weltall erschöpft zu haben und bildet
euch ein, die unerschöpfliche Natur sei nie und nirgends imstande, etwas
zu schaffen, das nicht aufs Haar mit dem übereinstimmt, was sie euch auf
eurem weltverlorenen kleinen Sandkörnchen vor die Nase zu führen
beliebt.«

Schultze bedauerte unendlich, daß er nicht den Vögeln und Insekten und
Pflanzenproben, die er sich aneignete, auch ein Exemplar jeder
Tiergattung beifügen konnte. Dafür gelangen dem Lord mehrere
Momentaufnahmen, so daß die eigenartige Tierwelt wenigstens in getreuen
photographischen Abbildungen mitgenommen werden konnte. Ein besonders
merkwürdiges Säugetier, das zum Transport nicht zu schwer schien,
erlegte Heinz auf des Professors Bitte mit einem wohlgezielten Schuß.

Dieses Wild hatte die Größe eines Ebers, einen schlanken, beweglichen,
doch starknackigen Hals, auf dem sich hoch oben ein rundlicher,
possierlicher Kopf mit einer breiten Schnauze wiegte; es war dreibeinig
wie alle anderen Marssäuger und aus seinem Schädel wuchsen starke
spitzige Hörner wie die Stacheln eines Igels, im ganzen 15 Stück, wie
nach der Erlegung festgestellt wurde.

»Ich danke! Wenn solch ein Vieh mit gesenktem Kopf auf einen losstürmt!«
sagte Münchhausen.

»Ja, das würde Ihre geschätzte Leibeswölbung in ein Sieb verwandeln,«
lachte der Professor.

»Ich bin nur begierig, wie die Marsbewohner aussehen,« fuhr der Kapitän
fort: »Sind die Insekten hier zweibeinig, so vermute ich, daß die
Menschen zum mindesten sechsbeinig sind; denn daß die Natur hier
besonders mit der Zahl der Beine verblüffende Experimente macht, dürfte
nach all dem Gesehenen feststehen.«

»An die Marsmenschen glaube ich nicht,« sagte Schultze.

»Hören Sie, Professor, was _Sie_ glauben, ist völlig belanglos, indem
Sie ein Mann der Wissenschaft sind. Haben Sie etwa an vierbeinige Vögel,
dreibeinige Wildsäue und zweibeinige Spinnen geglaubt, ehe Sie solche
hier sahen?«

»Nee! Das freilich nicht; aber -- -- --«

»Nichts >aberrückläufig< genannt.«

»Ja, aber wie ist es mit den Schweifverhältnissen?« fragte der
wißbegierige John weiter.

»Ja so! Von Hause aus haben die Kometen keinen Schweif und sind sehr
lichtschwach, obgleich sie zweifellos eigenes Licht ausstrahlen. Erst
wenn sie sich unsrer Sonne nähern, leuchten sie immer heller auf und
senden eine oder mehrere, oft pendelartig schwingende Ausstrahlungen der
Sonne zu, die sich unter starker Verbreiterung zurückbiegen und den
Kometenkern mit einer strahligen Nebelmasse umhüllen, die man >Koma<
nennt.

Die umgebogenen Ausstrahlungen setzen sich fort in dem der Sonne stets
abgewendeten Schweif, der allein dem bloßen Auge sichtbar ist und oft
eine Länge von vielen Millionen Kilometern erreicht. Bei der Sonnennähe
oder kurz darauf erreicht er seine größte Länge und Helligkeit. Je mehr
sich der Komet von der Sonne entfernt, desto schwächer und kürzer wird
sein Schweif, bis er samt Koma und Ausstrahlungen verschwindet und nur
noch eine matte, runde Nebelmasse, ein leichtes Wölkchen übrig bleibt,
wie vor der Annäherung an die Sonne.

Kometen, die der Sonne nicht nahe kommen, bilden nur eine runde oder
auch unförmliche Nebelmasse, matt und verwaschen, ohne Schweifbildung.

Bis jetzt ist noch kein Komet beobachtet worden, dessen Perihel oder
Sonnennähepunkt weiter als die Jupiterbahn von der Erde entfernt wäre;
das beweist nicht, daß es nicht auch solche gibt, sondern nur, daß sie
uns nicht sichtbar werden wegen allzu geringer Leuchtkraft.

Manche Kometen entwickeln mehrere mehr oder wenig gekrümmte Schweife. So
breitete der Komet von 1744 sechs fächerförmige Schweife aus; er war so
hell, daß man ihn mit bloßem Auge zur Mittagszeit in der Nähe der Sonne
sehen konnte.«

John war noch nicht befriedigt und fragte weiter: »Wieso aber
eigentlich, falls doch die Kometen von Natur aus schweiflos sind, wächst
ihnen ein solcher, wenn sie zur Sonne gelangen?«

»Das macht die anziehende Kraft der Sonne, mein Bester. Allerdings
begreift man noch nicht zur Genüge, warum die Ausstrahlungen, die
anfangs der Sonne zustreben, zurückgebogen werden und so den der Sonne
abgewendeten Schweif bilden, dessen Krümmung abhängt von dem Verhältnis
der abstoßenden Kraft zur Bahngeschwindigkeit des Kometen. Vielfach wird
angenommen, das Sonnenlicht übe diese abstoßende Wirkung aus, andre
denken an elektrische Erscheinungen. Es können da viele Kräfte wirksam
sein, die wir noch nicht kennen. Wenn sich zum Beispiel der Schweif in
mehrere auseinandergehende Büschel spaltet, scheinen schwächere,
seitlich wirkende Kräfte wirksam zu sein. Man beobachtet zuweilen auch
im Schweif eine wolkenähnliche Verdichtung, die selber wie ein kleiner
Komet aussieht, der ebenfalls eine Mähne besitzt. Auch plötzliche
Lichtausbrüche kommen vor, seltener eine plötzliche Lichtabnahme.«

»Meine Fliehkraft erklärt alles,« warf der Lord ein: »Die vom Kometen
ausgestoßenen Stoffe sind mit Zentrifugalkraft geladen und werden daher
von der Sonne abgestoßen.«

»Mag sein!« sagte Schultze achselzuckend und fuhr dann fort: »Was nun
den Stoff betrifft, aus dem die Kometen bestehen, so scheint er von
äußerst geringer Dichte zu sein; wenigstens der Schweif muß eine äußerst
dünn verteilte Staub- oder Dampfwolke sein; denn die Sterne schimmern
unverdunkelt und ohne Lichtbrechung hindurch.

Die Spektralanalyse wies Natrium- und Eisenlinien nach, namentlich auch
Kohlenwasserstoff und Kohlenoxyd; es ist also immerhin möglich, daß so
ein Kometenschweif Petroleum enthält und andere Stoffe, auch giftige
Gase, die gefährlich werden könnten, wenn sie in die Erdatmosphäre
eindrängen. Andrerseits scheint ihre geringe Dichtigkeit jede Gefahr
wieder auszuschließen. Jedenfalls hat die Erde im Jahre 1861 den Schweif
des Halley-Kometen durchkreuzt ohne Schaden zu nehmen, ja ohne daß es
nur irgendwer merkte; erst nachträglich wurde die Tatsache bekannt. In
früheren Zeiten freilich glaubte man, die Kometen gingen von irdischen
Dünsten aus und brächten Pest und Seuchen; auch als Kriegsruten, die
großes Blutvergießen und andere schwere Katastrophen anzeigen sollten,
wurden sie angesehen.«

»Ganz ausgeschlossen ist es trotzdem nicht,« meinte der Lord, »daß unter
ungünstigen Verhältnissen die Luft der Erde durch Kometengase vergiftet
werden könnte, so daß alles Leben in einem Augenblicke zu Grunde ginge.
Was uns vor diesem Schicksal bewahrt, ist meiner Ansicht eben der
Umstand, daß die Fliehkraft die Erde veranlaßt, diese Stoffe von sich
abzustoßen. Sternschnuppenregen und Meteorfälle aber belehren uns, daß
diese abstoßende Kraft auch überwunden werden kann, und dies hängt
wahrscheinlich mit der Geschwindigkeit des Zusammentreffens ab. Begegnet
zum Beispiel die Erde dem Schweife eines sich mit außerordentlicher
Geschwindigkeit bewegenden rückläufigen Kometen, so erfolgt der
Zusammenstoß mit großer Plötzlichkeit, da beide einander entgegensausen
und sich so die Geschwindigkeit der Erde zu der des Kometen addiert. In
diesem Fall dürfte der abstoßenden Kraft die Zeit fehlen, in Wirksamkeit
zu treten.«

»Wie ist es aber,« fragte nun Mietje, »wenn ein Weltkörper, sagen wir
die Erde, mit dem Kern oder Kopf des Kometen zusammenstößt?«

»Das ist eine Frage für sich,« erwiderte der Professor. »Im allgemeinen
ist ja die Sache für den Kometen selber am gefährlichsten. Wir sehen ja,
wie die Annäherung an die Sonne einen Teil seines Kerns in flüchtige
Bestandteile auflöst, die beispielsweise beim Kometen von 1843 einen
Schweif von 320 Millionen Kilometern bildete. Ziehen nun die Kometen den
Schweif auch wieder ein, so erleiden sie doch enorme Verluste an Materie
und werden so immer geringer an Masse, bis sie sich schließlich ganz
auflösen.

Bekanntlich kam der Bielasche Komet 1845/1846 dem Jupiter so nahe, daß
man einen Zusammenstoß erwartete; doch erlitt der große Planet keinen
sichtlichen Schaden, während der Komet in zwei Teile gespalten wurde,
die späterhin ganz verschwanden oder vielmehr einen Meteorschwarm
bildeten, durch den die Erde des öfteren dahinging, bis auch er
schließlich ausblieb.

Der Septemberkomet von 1882, dessen Vorübergang vor der Sonne Finlay und
Elkin am Kap der Guten Hoffnung am lichten Tage beobachten konnten, ging
durch die Glutatmosphäre der Sonne. Wie erstaunt war man in Amerika,
hernach zu entdecken, daß er nicht weniger als sieben Junge gekriegt
hatte, die ihm folgten, wie die Küchlein der Gluckhenne.

Andrerseits kann aber nicht geleugnet werden, daß der Zusammenstoß mit
dem Kern eines Kometen auch ernste Gefahren in sich bergen kann. Manche
Kometen bewegen sich mit solch ungeheurer Geschwindigkeit, daß ein
Anprall ihrer festen Masse, wenn sie von irgendwie bedeutender
Ausdehnung ist, den getroffenen Planeten in Glut versetzen müßte. Der
Komet von 1843 vollzog seine Wendung um die Sonne mit solch fabelhafter
Schnelligkeit, daß er binnen weniger Stunden von der einen Seite nach
der andern gelangte. Dagegen ist die Geschwindigkeit unsrer Erde mit 30
Kilometern in der Sekunde ein Schneckentempo. Welche Geschwindigkeit
erst die Bestandteile seines 320 Millionen Kilometer langen Schweifes an
dessen Ende hiebei entwickeln mußten, übersteigt unsre Fassungskraft.«

»Ich meine aber,« wandte Heinz ein, »man hält neuerdings auch den Kern
der Kometen für eine nebelartige, gasförmige Masse ohne Festigkeit.«

»Das ist angesichts der Tatsachen eine ganz unhaltbare Ansicht,«
widersprach Schultze: »Denken Sie doch, daß die Meteore, die auf die
Erde fallen, zum Teil Eisenblöcke von ungeheurem Gewichte sind. Und
diese Brocken scheinen nicht einmal dem Kern, sondern dem Schweif der
Kometen zu entstammen, in dem man oft stark verdichtete Lichtknoten
beobachtet.

Allerdings glaubt man, daß die Erde 1872 und 1885 mit den beiden Köpfen
des Biela-Kometen zusammenstieß, da der Schweif eine ganz andre
Bewegungsrichtung hatte als die damals niedergehenden Sternschnuppen
oder Meteorschwärme. Sollte das richtig sein, so ist immerhin zu
berücksichtigen, daß es sich hier um einen durch Jupiter zertrümmerten
und in Auflösung begriffenen Kometen handelte.

Daß es aber überhaupt einem Kometen möglich ist, so nahe am Jupiter
vorbeizukommen oder gar durch die glühende Korona der Sonne zu sausen,
wie es auch vorkommt, ohne völlig in Dunst aufgelöst zu werden, beweist,
daß er äußerst widerstandsfähige feste Bestandteile besitzen muß.«

»Hiefür kann ich auch einen Beweis beibringen,« bestätigte Flitmore.
»Ich besuchte vor Jahren die sogenannte Teufelsschlucht in Arizona. Das
ist ein ovaler Kraterring, der sich 40 bis 50 Meter über die umgebende
Hochfläche erhebt; sein Durchmesser beträgt 1300 Meter von Ost nach
West, 1200 von Süd nach Nord. Der innere Schlund fällt 200 Meter tief
schroff ab, der Kessel ist also um 150 Meter tiefer als die Ebene rings
umher; früher muß er noch viel tiefer gewesen sein, aber Schutt und
Geröll ist jahrhundertelang hinabgerollt, denn das Gefüge des Gesteins
ist stark aufgelockert.

Nun haben Bohrungen ergeben, daß unter den Schuttmassen das Gestein
völlig zersprengt und in zelligen Bimsstein verwandelt ist. Der
zerpulverte Sandstein ist mit feinverteiltem Nickeleisen vermengt und in
einer Tiefe von 250 Metern unter der jetzigen Talsohle stieß man auf
feste Eisenmassen, die sich als Meteoreisen herausstellten.

Rings um den Krater findet man ganze Massen von Meteoreisensteinen,
deren Gewicht von einem Gramm bis zu 460 Kilogramm schwankt und die
außer dem vorwiegenden Nickeleisen Verbindungen von Phosphor, Schwefel,
Kohlenstoff, auch Diamanten enthalten.

Man ist nun in wissenschaftlichen Kreisen zu der Überzeugung gelangt,
daß hier ein fester Brocken eines Kometen vor Zeiten auf die Erde
niederstürzte und zwar von West-Nord-West in einem Winkel von 70 Grad.
Der Block hatte wahrscheinlich 150 Meter Durchmesser. Er schlug ein 350
Meter tiefes Loch in die Erde, wobei die entwickelte Hitze von etwa 2000
Grad Celsius den Sandstein in Bimsstein umschmolz. Die emporspritzenden
Gesteinstrümmer bildeten den Kraterwall um den Kessel.«

»Da haben wir's!« sagte Schultze: »Ebensogut können Felsblöcke von
mehreren Kilometern Durchmesser in solch einem Kometenkopf enthalten
sein oder noch größere Massen. Der Zusammenprall würde unter Umständen
nicht bloß alles Leben auf dem getroffenen Teil der Erde vernichten,
sondern die Umdrehung unsres Planeten könnte eine Änderung erleiden,
wodurch die Länge von Tag und Nacht eine völlig andre werden müßte;
zudem könnte die Erdachse sich derart verschieben, daß die Meere sich
gegen den neuen Äquator stürzen und das Festland verschlingen würden.«

»Hoffen wir, daß dies Theorien bleiben,« ließ sich nun Münchhausen
vernehmen. »Jedenfalls aber wollen wir uns inachtnehmen, daß nicht etwa
unsre teure Sannah mit dem Kometen dort drüben in nähere Berührung
kommt.«

»Davor schützt uns die Fliehkraft,« versicherte Flitmore. Er ahnte nicht
von ferne, daß gerade das Gegenteil der Fall sein sollte.




                         20. Die Seeschlange.


Das Gespräch über die Kometen war während des Mittagsmahls geführt
worden; deshalb hatte sich Münchhausen so wenig daran beteiligt, denn
wenn er an der gewaltigen und doch so angenehmen Arbeit war, seinen
Appetit zu stillen, ließ er die andern behaupten, was sie wollten, das
war ihm alles Nebensache.

John fühlte sich durch die neuen Lichter, die ihm über die Kometen
aufgesteckt worden waren, so erleuchtet, daß er zum Schluß begeistert
äußerte: »Die Asternomie ist doch sozusagen die hochwohllöblichste
Wissenschaft, indem daß sie das höchste Lob verdient, sowohl von wegen
ihres Verstandes der unbekanntesten und schwierigsten Probleme, sowie
von wegen der besonderen Interessantheit und Wichtigkeit ihrer
Entdeckungstatsachen.«

»Lieber Freund,« widersprach der Kapitän, den letzten Bissen mit einem
Schluck Wein begießend: »Es fehlt der Astronomie nur ein einziger
Buchstabe, um das Lob zu verdienen, das du ihr spendest. Weil ihr aber
dieser Buchstabe fehlt, kommt sie erst in zweiter Linie.«

»Und was wäre dann, wenn Sie mir gütigst zu fragen gestatten,
hochverehrtester Herr Kapitän, dieser Buchstaben?« fragte John
verwundert.

»Das G,« erwiderte Münchhausen überzeugt: »Über die Astronomie und alle
andern Wissenschaften geht die Gastronomie.«

»Die Gasternomie?« wiederholte John, hochaufhorchend. »Verzeihen Sie
bescheidenst, wenn mir das leider vollständig unbekannt zu sein der Fall
ist, daß es auch eine sobenannte Wissenschaft gibt, wo ich doch der
schmeichelhaften Meinung war, alle Wissenschaften zu kennen, aus welchem
Grunde ich Ihnen besonders zu Dankbarkeit verpflichtet wäre, wenn Sie
mich auch diese Wissenschaft lernen wollten.«

»Die lernt man nicht, die genießt man, mein Sohn; es ist eine
Wissenschaft, die einem angeboren sein muß; sie beschäftigt sich mit dem
Eßbaren und Trinkbaren und lehrt, was gut schmeckt und bekömmlich ist,
sowie was man zu tun hat, um besonders schmackhafte Speisen und Getränke
zu bereiten. Ihr Lehrbuch ist das Kochbuch, das aber ohne angeborenes
Genie geringen Wert hat. Übrigens genügt es, die leiblichen Genüsse
recht zu schätzen und zu genießen, um ein tüchtiger Gastronom zu sein,
wenn man auch ihre Zubereitung nicht selber verstünde. Schau, ohne
Astronomie und alle andern Wissenschaften kann der Mensch leben und
glücklich sein, nicht aber ohne Essen und Trinken; ja, ohne diese
notwendigste aller Beschäftigungen wäre er gar nicht imstande, irgend
einer andern Wissenschaft sich hinzugeben; daher ist die Gastronomie die
Grundlage und Seele aller andern Wissenschaften.«

»Das dürfte ja wohl sozusagen stimmen,« meinte Rieger nachdenklich: »Und
mit hungrigem Magen bin ich auch nicht für die Wissenschaften
aufgelegt.«

»Also!« triumphierte Münchhausen: »die wichtigste Frage ist nicht _die_,
wie schnell sich ein Weltkörper bewegt, wie weit er von uns entfernt ist
und was für Stoffe ihn zusammensetzen, sondern ob es auf ihm auch etwas
Gutes zu essen gibt, und das kann uns die Astronomie nicht enthüllen.«

»Viel wichtiger erscheint mir,« sagte Mietje lachend, »zu wissen, was
für Geschöpfe auf einem Planeten hausen, dem wir einen Besuch abstatten
wollen; denn solchen scheußlichen Ringelwürmern wie auf dem Mars möchte
ich doch nicht wieder begegnen.«

»Kleinigkeit!« brummte der Kapitän: »Geben Sie mir eine gute Mahlzeit
und ich pfeife auf alle Lumbriciden und andere Ungeheuer.«

»Na, na!« spöttelte Schultze: »Auf dem Mars ist Ihnen das Pfeifen doch
vergangen; Sie schienen wenigstens bereits aus dem letzten Loch zu
pfeifen, als Sie »unter Larven die einzige fühlende Brust« sich am Boden
wälzten.«

»Unsinn! Wer wie ich schon die Seeschlange bekämpft und besiegt hat,
sollte sich vor solch harmlosem Gewürm fürchten?«

»Die Seeschlange? Die echte, fabelhafte Seeschlange?« fragte Heinz
neugierig.

»Gewiß! Ein Ungeheuer, zwanzig Meter lang und dick wie eine
Hochwaldtanne.«

»Bitte, erzählen Sie uns doch dieses bemerkliche Abenteuer, wenn ich mir
die Unbescheidenheit erlauben darf,« bat John.

»Ja, das war eine schlimme Geschichte,« hub der Kapitän schmunzelnd an.
»Also! Wir fuhren auf der Höhe von Kap Horn, als der zweite Steuermann,
Petersen hieß er, auf mich zukommt und sagt: >Kapitän, dort taucht der
Rücken eines Wals aus dem Wasser.<

Ich schaue hin: >Nee,< sag ich, >das sind Delphine<, denn ich sah fünf
Rücken in einer Reihe hintereinander über dem Meeresspiegel. >Vorhin war
es bloß einer,< versicherte Petersen, >aber jetzt scheint es mir selber,
es sind Delphine.<

Die Geschöpfe bewegten sich, doch man sah weder Kopf noch Schwanz
auftauchen und plötzlich rufe ich: >Kinder, das sind auch keine
Delphine; das sind die Rückenwölbungen eines einzigen Ungeheuers: es ist
die Seeschlange!<

Das gab ein Hallo, ein Laufen und Schreien! Die Seeschlange aber, sobald
sie sich erkannt sah, gab ihr Versteckspiel auf und hob den scheußlichen
Kopf über das Wasser. Sie wuchs empor wie ein Riesenmast und bald wiegte
sich ihr Haupt über dem Schiff. Die sonst nicht so furchtsamen Matrosen
stürzten alsbald feige davon und verkrochen sich in den Lucken. Ich
allein blieb auf dem Posten und das entsetzliche Reptil streckte den
Hals nach mir aus, den gewaltigen Rachen aufsperrend.«

»Natürlich! Ein so fetter Bissen mußte ihr willkommen sein!« lachte
Schultze.

»Bitte!« verwahrte sich der Kapitän: »Ich war damals noch jugendlich
schlank und äußerst behende, wie Sie bald sehen werden. Sie wählte mich
nur deshalb zum Opfer, weil ich eben der einzige war, der sich noch an
Deck befand.

Wohl war mir nicht zumute, das gestehe ich, wie dieser mörderische
Rachen mir entgegengähnte. Hoch in den Lüften wölbte sich der dicke Hals
zu einem Bogen, während das Haupt der Schlange sich zu mir herabsenkte.

Ich springe beiseite; der Kopf fährt mir nach. Ich, in der Verzweiflung,
setze mit gewaltigem Schwung über den Leib des Ungetüms weg, dort wo er
am Bordrand auflag. Die Seeschlange fährt mit ihrem Haupte um ihren
eigenen Leib herum, immer hinter mir her.

Da, im Momente der äußersten Gefahr, kommt mir ein rettender Gedanke.
Der Oberkörper des Reptils bildete nun einen Ring über dem Verdeck und
mit der Kühnheit der Verzweiflung springe ich durch diesen gräßlichen
Ring hindurch mit gleichen Füßen. Keine Zirkuskünstlerin hätte es besser
machen können.

Was ich gehofft hatte, trat ein. Die Schlange in ihrer gedankenlosen
Verfolgungswut fährt mir auch diesmal mit dem Kopfe nach, der somit
durch den Ring schlüpft, der durch ihren eigenen Oberleib gebildet
wurde. Das gab eine regelrechte Schleife.

           [Illustration: Der Kapitän und die Seeschlange.]

Nun renne ich aus Leibeskräften das Verdeck entlang. Das Scheusal will
mich verfolgen; aber nun zieht sich die Schleife zu, es gibt einen
Knoten, der sich eng um den Hals der Seeschlange zusammenzieht. Zu spät
merkt sie diesen fatalen Umstand, es gelingt ihr nicht mehr, den dicken
Kopf zurückzuziehen; ihre wütenden Bewegungen ziehen den Knoten bloß
immer fester an, bis sie schließlich jämmerlich erstickt, von der
Schleife des eigenen Körpers erdrosselt.

Schlaff hing das widerliche Haupt mit hervorquellenden Augen herab und
mit dumpfem Fall stürzte der Oberkörper des gigantischen Reptils auf das
Schiffsdeck, während der Schweif noch eine Weile krampfhaft das Meer
peitschte.

Ich rief die zitternden Matrosen herauf und sagte ihnen: »Da, ziehet das
Vieh vollends an Bord, wir wollen es dem ozeanographischen Museum auf
den Falklandsinseln stiften. Wie ihr seht, habe ich die Schlange gut
gefaßt und trotz ihres gewaltigen Sträubens einen Knoten in ihren Hals
geschlungen, daß sie elendiglich ersticken mußte.«

Ich sage Ihnen, die Matrosen, die den so einfachen und natürlichen
Hergang nicht ahnten, bekamen nun vor mir einen wahrhaft abergläubischen
Respekt, vertrauten und folgten mir blindlings. Das hatte ich meinem
gewandten Sprung und der Unvorsichtigkeit der Seeschlange zu danken.«

»Er lebe hoch!« rief Schultze lachend und alle stimmten mit ein und
stießen an auf den gewaltigen Helden und Drachentöter, dessen fabelhafte
Geistesgegenwart, wie der Lord schalkhaft bemerkte, die ganze
Reisegesellschaft getrost allen kommenden Gefahren entgegensehen lassen
könne.




                             21. Jupiter.


Die Sannah näherte sich dem größten aller Planeten, dem Jupiter, und
Flitmore begünstigte die Annäherung durch zeitweise Unterbrechung des
Zentrifugalstroms.

»Seien Sie vorsichtig!« warnte Münchhausen: »Ich habe großen Respekt vor
dem obersten aller olympischen Götter und fürchte sehr, er könnte uns
einen Streich spielen, wie dem unseligen Biela-Kometen, wenn wir uns ihm
allzu naseweis nähern. Stellen Sie sich das Unglück vor, wenn sein
gewaltiger Einfluß unsre Sannah in zwei Hälften teilen würde, vielleicht
just während wir uns in unsern verschiedenen Schlafkojen eines sorglosen
Schlummers erfreuen. Dann würde unsre schöne Gesellschaft getrennt und
wir könnten uns vielleicht nie wieder zusammenfinden.«

»Beruhigen Sie sich,« lachte der Lord: »Ich werde mich hüten, dem
Jupiter Anlaß zu solch grausamer Maßregel zu geben. Wir wollen ihn uns
nur etwas aus der Nähe betrachten.«

»Wollen wir nicht auch auf ihm landen, wie auf dem Mars und der
reizenden Tipekitanga?« fragte Lady Flitmore eifrig.

»Das hängt ganz davon ab, wie die Verhältnisse des Planeten sich uns
darstellen.«

»Hat er überhaupt eine Atmosphäre?« erkundigte sich Heinz.

»Vermutlich sogar eine sehr dichte,« belehrte Schultze, »denn er zeigt
ein sehr starkes Albedo.«

»Die Astronomen der Erde sind sogar im Zweifel, ob ihre Teleskope ihnen
überhaupt die Oberfläche des Jupiter zeigen,« mischte sich der Lord ein:
»Sie rechnen mit der Möglichkeit, daß das, was sie sehen, nur
Kondensationsprodukte, das heißt Verdichtungserscheinungen seiner
Lufthülle sind. Jedenfalls läßt sich von ihm keine Karte entwerfen, wie
vom Mars; denn das, was man erblickt, ist äußerst veränderlich. Nur zwei
dunkle Streifen bleiben dauernd sichtbar.«

John aber hatte vorhin den Professor von einem »Albedo« reden hören, das
war ihm ein völlig unbekanntes Wort, zumal es das Vorhandensein einer
dichten Lufthülle beweisen sollte. Er konnte das nicht hingehen lassen,
er mußte sich auch hierüber belehren und fragte daher:

»Herr Professor, um keine langwierigen Umschweife zu machen, gestatten
Sie mir wohl, infolge Ihrer unabsehbaren Liebenswürdigkeit, geradeheraus
eine Frage an Sie zu richten, die mir für meine Bildungsvollkommenheit
unabgängig zu sein scheint; weil Sie nämlich soeben sich äußerten, als
habe der Jupiter ein starkes Torpedo, so ist mir das von den
Kriegsschiffen her bekannt aber nicht begreifbar, wieso das mit den
atmosphärischen Verhältnissen wesentlich zu tun habe; das muß wohl eine
ganz andre Art von Torpedo sein.«

»Ja, mein Sohn!« lachte der Professor: »Es ist eine durchaus andre Art
von Torpedo und schreibt sich Albedo. Albedo ist nämlich das mittlere
Verhältnis der ausgestrahlten Lichtmenge eines Körpers zur
eingestrahlten.«

»Ach so!« erwiderte John zögernd; offenbar war ihm die Sache sehr
unklar. Er hatte ein sehr schwaches Albedo, denn das Licht, das
Schultzes Weisheit in ihn einstrahlte, strahlte nur sehr unvollkommen
aus seinen Zügen zurück.

»Ich will dir das näher erläutern,« sagte der praktische Engländer.
»Siehst du, wenn die Sonne auf einen schwarzen Stoff scheint, so saugt
dieser das meiste Licht auf oder absorbiert es, wie die Gelehrten sagen,
damit man sie nicht so leicht verstehen soll. Der schwarze Stoff wirft
nur wenig von dem Licht zurück, das ihn bestrahlt; er hat also ein
schwaches Albedo. Fällt dagegen der gleiche Sonnenstrahl auf einen
Spiegel, so wirft dieser das Licht fast ungeschwächt zurück, er blitzt
so hell, daß du nicht hineinsehen kannst; er hat also ein sehr starkes
Albedo.

Nun weiß man, wie viel Sonnenlicht den Jupiter oder sonst einen Planeten
trifft und wie hell er uns demnach erscheinen müßte, wenn er das ganze
Licht ungeschwächt auf uns zurückstrahlte. Je geringer nun sein Glanz im
Verhältnis zu diesem eingestrahlten Licht ist, desto geringer ist sein
Albedo und umgekehrt.

Die Erde hat eine Lufthülle, die so dünn ist, daß sie das meiste Licht
durchläßt und wenig davon zurückwirft; erst der Erdboden wirft das Licht
zurück, das ihn trifft, aber nur einen Teil davon, das meiste
verschluckt er. Darum hat die Erde ein schwaches Albedo. Wäre sie mit
einer Schneedecke bedeckt, dann würde ihr Albedo weit stärker, da der
Schnee das Licht reichlich zurückstrahlt.

Eine recht dichte, dunstige und wolkige Lufthülle wirft das Licht
ebenfalls stark zurück. Wenn daher ein Planet ein starkes Albedo hat,
das heißt im Verhältnis zu seiner Bestrahlung durch die Sonne recht hell
erscheint, nimmt man an, er habe eine besonders dichte Atmosphäre; dies
ist vor allem bei Venus der Fall. Mars hat ziemlich das gleiche Albedo
wie die Erde, und Merkur ist der einzige Planet, der ein geringeres
Albedo aufweist, also eine dünnere Luft zu haben scheint.

Allerdings muß man dabei nicht vergessen, daß eine spiegelnde
Oberfläche, eine Schneedecke oder etwa eigenes Licht, das der Planet
noch ausstrahlen könnte, ebensogut das starke Albedo erzeugen können wie
eine dichte Atmosphäre; völlige Sicherheit mangelt also auch diesen
Schlüssen.«

»Hören Sie, Lord,« bruddelte Schultze, sich höchst ärgerlich stellend:
»Sie haben mich als Astronomen der Expedition angeworben; wenn Sie aber
selber in der Astronomie so gründlich bewandert sind, dann sehe ich
nicht ein, was für einen Zweck ich hier habe!«

»Beruhigen Sie sich,« lachte Flitmore: »Mit einigen astronomischen
Kenntnissen habe ich mich freilich versehen, da ich in die Sternenwelt
reisen wollte; aber ich bin durchaus nicht auf dem ganzen Gebiete so
beschlagen, wie Sie. Übrigens schadet es bei solcher Fahrt gar nichts,
wenn mehrere oder alle Teilnehmer etwas von dieser Wissenschaft los
haben. He! Münchhausen, entscheiden Sie als Sachverständiger in ganz
ähnlichem Fall. Braucht ein Schiffskapitän vom Steuern eines Schiffes
nichts zu verstehen?«

»Wo denken Sie hin!« rief der Kapitän: »Einem solchen könnte das
Kommando über ein Schiff nicht anvertraut werden; gründlich muß er's
verstehen und im Notfall selber das Steuerruder führen können.«

»Ist dann nicht ein Steuermann überflüssig, da der Kapitän ja seine
Arbeit versehen könnte?«

»Unsinn! Einen ersten und einen zweiten Steuermann sogar braucht er
höchst notwendig.«

»Da haben Sie's, Professor,« lachte der Engländer: »Das ist hier ein
ganz ähnlicher Fall.«

Bald näherte man sich dem großen Planeten, der zwölfhundertundsiebzigmal
größer als die Erde ist und fünfmal so weit von der Sonne entfernt als
sie, nämlich 773 Millionen Kilometer.

In 9 Stunden 55½ Minuten dreht sich dieser Koloß um sich selbst, seine
Tage sind also nicht halb so lang wie die irdischen; dagegen beträgt
seine Umlaufzeit um die Sonne beinahe 12 Erdenjahre, nämlich 11 Jahre,
314 Tage, 20 Stunden und zwei Minuten.

Seiner schnellen Rotation entspricht die kolossale Abplattung seiner
Pole, die nicht weniger als ein Sechzehntel beträgt.

Bei der Annäherung spürte man selbst in den geschützten Räumen der
Sannah, daß Jupiter eine starke Wärme ausströmte, weshalb sich Flitmore
nur vorsichtig seiner Anziehungskraft aussetzte und das Weltschiff sich
abwechselnd senken und wieder entfernen ließ.

Währenddessen konnte man den Planeten genau beobachten.

Zunächst sah man leuchtendes Gewölk, das von einem rasenden Orkan
dahingetrieben wurde, rascher als Jupiter selber sich um seine Achse
dreht.

Wo die zerrissenen Wolken Durchblicke gestatteten, zeigte sich ein
wogendes Meer von Glut, zwischen dem sich wenige dunkle Streifen
erstarrten Gesteins hinzogen.

»Das stimmt,« sagte Schultze, »zu der Berechnung der Dichtigkeit des
Planeten, die sich als ¼ der Erddichte ergab, also nur 1-1/3 die Dichte
des Wassers beträgt, woraus zu schließen war, daß Jupiter sich in
flüssigem Zustande befindet. Ebenso ließ sein helles Strahlen auf
eigenes Licht schließen und der unscharfe, zum Teil durchsichtige Rand
auf eine wechselnde Dunsthülle.«

»An eine Landung ist hier also nicht zu denken, meine Liebe,« wandte
sich der Lord an seine Gattin.

»Nun denn auf dem Saturn!« meinte diese.

»Dort dürfte es auch nicht besser aussehen, Mylady,« wendete der
Professor ein: »Der beringte Planet hat die geringste Dichtigkeit von
allen, nur 1/8 der Erddichte und ¾ der Dichtigkeit des Wassers.«

»Na,« behauptete Münchhausen heiter, »noch flüssiger als das Wasser soll
er sein? Dann besteht er am Ende aus steifem Grog! Da laßt uns hin!«

Mit Interesse wurden noch die vier Jupitermonde betrachtet, die nach
Schultzes Belehrung in einem Tag, 18 Stunden und 27 Minuten, 3 Tagen, 13
Stunden und 13 Minuten, 7 Tagen, 3 Stunden und 42 Minuten und in 16
Tagen, 16 Stunden und 32 Minuten um den Planeten sich drehen.

Der erste, innerste, dem Jupiter nächste Mond war von einer starken
Wolkenschicht umgeben; doch sah man an den leuchtend durchschimmernden
Stellen und den dunkeln Flecken, die sich darin zeigten, daß er in der
Erstarrung begriffen war und auf seiner glutflüssigen Oberfläche
Schlackeninseln schwammen. Er ist etwas größer als der Erdenmond.

Der zweite, bläulichweiß schimmernde Trabant, fast genau so groß wie
unser Mond, zeigte ebenfalls glutflüssige und erstarrte Stellen.

Der dritte, größte und hellste befand sich in gleichmäßiger Rotglut, die
meist ins Gelbliche spielte. Er war außerordentlich stark abgeplattet
und rotierte sehr schnell.

Der vierte Jupitermond, der zuweilen als der lichtschwächste erscheint,
zuweilen aber alle andern überstrahlt, war von einer leuchtenden,
scharfbegrenzten Wasserdampfhülle umgeben.

»Diese Monde,« bemerkte Schultze, »gewähren den kurzen Jupiternächten
eine äußerst zweifelhafte Beleuchtung, da die drei innersten stets vom
Schattenkegel verfinstert werden und auch sonst mit unsrem irdischen
Mondlicht nicht konkurrieren können.«




                    22. Ein Besuch auf dem Saturn.


Da die Hitze allmählich unerträglich wurde, mußte die Fliehkraft in
voller Stärke eingeschaltet werden, damit die Sannah möglichst schnell
aus dem Bereiche des ungastlichen Planeten gelangte.

Als dies erreicht war, verlangsamte Flitmore wieder den Flug. Er wollte
doch auch den Saturn näher in Augenschein nehmen, und da dieser Planet
auf seiner Bahn just ziemlich weit entfernt war, galt es diesmal, das
Sonnensystem sich ein wenig von der Sannah entfernen zu lassen, bis
Saturn sich soweit genähert hatte, daß man sich im Bereich seiner
Anziehungskraft befand.

Das konnte ein paar Tage dauern, wenn mit Ein- und Ausschalten des
Stroms zielbewußt abgewechselt wurde; und das war notwendig, denn bei
stetig eingeschaltetem Strom wäre das Sonnensystem in kürzester Frist
der Sannah entschwunden, diese wäre nicht bloß über die Saturnbahn,
sondern über die Neptunbahn hinausgeflogen und hätte bald kein Mittel
mehr gehabt, in das Sonnensystem zurückzukehren, weil sie über die
Anziehungssphäre der Sonne und ihrer Planeten hinausgekommen sein würde.

Wäre dagegen umgekehrt die Fliehkraft dauernd abgestellt worden, so
hätte das Weltschiff der Anziehungskraft der Sonne oder eines Planeten
erliegen müssen, vielleicht auch wäre es den Gravitationsgesetzen gemäß
selber wie ein Planet um die Sonne gekreist.

Diese Wartezeit wurde zu allerlei Arbeiten in den verschiedenen
Werkstätten benutzt; photographische Aufnahmen wurden entwickelt und
musikalische Unterhaltungen veranstaltet; auch versammelte man sich
fleißig zu gemütlicher Unterhaltung oder las ein Buch aus der
reichhaltigen Bibliothek vor, die der umsichtige Lord mitgenommen hatte.
Vor allem aber mußte Schultze astronomische Vorträge halten, da Mietje,
Münchhausen und Heinz Friedung das Bedürfnis empfanden, ihre Kenntnisse
auf dem Gebiet, das bei dieser Weltfahrt das wichtigste war, zu
ergänzen, ganz abgesehen natürlich von John Rieger, der den Vorträgen
mit besonderer Andacht lauschte und am fleißigsten das von vornherein
verkündigte Recht benutzte, den Redner jederzeit mit Fragen zu
unterbrechen.

In diesen Tagen wurde Münchhausens Geburtstag mit besonderem Glanze
gefeiert und Küche und Keller mußten das Beste dazu liefern, was sie
besaßen, beziehungsweise was Lady Flitmores und Johns Kochkunst
hervorzuzaubern vermochten. Denn wenngleich der Kapitän auch zu
entbehren, ja zu hungern vermochte, wenn es darauf ankam, so fühlte er
sich doch am aufgeräumtesten bei einer vollbesetzten Tafel mit
auserlesenen Genüssen und köstlichen Weinen.

Die Krone des Festmahls bildeten aber immer noch die unvergleichlichen
Früchte der Tipekitanga, die auch den Vorzug aufwiesen, sich völlig
frisch zu erhalten. Sie büßten weder ihre Leuchtkraft noch ihre
Nährkraft und ihren Wohlgeschmack ein.

Endlich kam der Saturn in Sicht und die Sannah wurde seiner
Anziehungskraft überlassen.

Schultze benutzte die Gelegenheit zu einer kleinen Repetition über das,
was er schon in seinen Vorträgen über den ringumkreisten Planeten gesagt
hatte.

»Wie gesagt,« führte er dabei aus, »ist Saturn nicht einmal so dicht wie
das Wasser. Er hat zweifellos eine Atmosphäre und ist der zweitgrößte
Planet, 780mal so groß wie die Erde. Seine Rotationsdauer beträgt nur
10¼ Stunden, also hat er wenig mehr als 5 Stunden Tag und 5 Stunden
Nacht bei Tag- und Nachtgleiche am Äquator. Um so länger dauert sein
Jahr, nämlich nach irdischer Rechnung 29 Jahre, 166 Tage, 5 Stunden und
16½ Minuten.«

»Herrlich!« rief Münchhausen aus: »Da lassen wir uns nieder; bedenken
Sie, wenn da einer hundert Jahre alt wird, so ist das gleich 2900 und
etlichen Erdenjahren. Da kann Methusalah nicht daran hin!«

»Nur wird es mit dem Niederlassen einige Schwierigkeiten haben,« meinte
der Professor: »Sie könnten sich da in eine schöne Sauce hineinsetzen,
vielleicht in steifen Grog, wie Sie vermuteten; darin würden Sie sich ja
wohl ganz gut konservieren.«

»Ganz famos!« bestätigte der Kapitän.

»Nun, wir werden ja bald sehen, wie die Terrainverhältnisse dort sind,«
fuhr Schultze fort: »Sollte die so undichte Masse glutflüssig sein wie
auf dem Jupiter, so werden Sie ja wohl auf eine Niederlassung darin
verzichten.«

»Unbedingt!« gab Münchhausen zu: »Doch hoffe ich nicht, daß der alte
Saturn mir solch eine Enttäuschung bereiten wird.«

»Wie gesagt, wir werden das bald sehen«, wiederholte der Professor. »Das
Interessanteste am Saturn sind jedenfalls seine Ringe; auch hat er
bekanntlich nicht weniger als acht Monde; doch weil wir ja eben im
Begriff sind, das alles selber zu schauen, will ich mich nicht weiter
darüber verbreiten, da ich, wenn es je nicht stimmte, was ich darüber zu
sagen weiß, doch nur der Blamierte wäre.«

Die Sannah war über die Saturnbahn hinausgekommen, als der Planet in
ihre Nähe kam und so senkte sie sich zunächst gegen seine Nachtseite.

Flitmore hatte erwartet, daß die Saturnringe aus Nebelmasse beständen,
obgleich er es nicht für unmöglich hielt, daß sie auch aus festen
Stoffen gefügt sein könnten oder, wie auch angenommen wird, aus einer
dichten Wolke sehr kleiner Trabanten.

Er trachtete danach, den innersten der drei Saturnringe, der
verhältnismäßig dunkel ist und verschwommene Umrisse aufweist, zu
erreichen; dies gelang ihm auch.

Dieser Ring ist trotz seiner Breite der schmälste der drei; er ist nicht
ganz so breit wie der äußere helle Ring und weniger als halb so breit
wie der mittlere.

Die Sannah fand festen Grund und ruhte auf ihm auf.

Es war gerade Zeit zur Nachtruhe und alle begaben sich schlafen bis auf
die jeweiligen Wachhabenden.

Als am andern Morgen alle beim Frühstück versammelt waren, nahm Kapitän
Münchhausen folgendermaßen das Wort:

»Professor, Sie haben behauptet, die Saturnnacht dauere durchschnittlich
5 Stunden. Warum wird es denn gar nicht Tag? Oder sollten wir den kurzen
Tag verschlafen haben?«

»Das nicht«, erwiderte Schultze, »aber wir befinden uns auf dem Ring,
auf dem die Verhältnisse wesentlich andre sind. Hier dauert nämlich Tag
und Nacht je ein halbes Saturnjahr, das sind 14¾ Erdenjahre. Während
dieser etwas dauerhaften Nacht ist der Ring auf das schwache Licht der
acht Saturnmonde und auf dasjenige des Saturns selber angewiesen, der
ihm, entsprechend seiner Rotation, periodisch leuchtet.«

»Hollah!« wetterte der Kapitän: »Und da warten wir nun wohl hier ab, bis
es Tag wird.«

»Allerdings,« schaltete Flitmore ein: »Aber beruhigen Sie sich, Kapitän,
die Sannah sitzt an einem Punkte des Rings, dem schon in zwei Stunden
die Sonne aufgehen wird, nachdem er sie seit fast 15 Jahren nicht mehr
gesehen.«

Dies bestätigte sich: zwei Stunden darauf ward es Tag; freilich, die
Sonne leuchtete weit nicht mit dem Glanze, mit dem sie die Erde
bescheint, ist sie doch von Saturn neunmal weiter entfernt als von der
Erde.

Nun wurde ein Abstieg auf den Ring gewagt. Er zeigte sich aus sehr
leichten schwammigen Stoffen gefügt und wies zahlreiche Löcher und Risse
auf, die durch und durch gingen.

Ganz entzückend und wahrhaft großartig war die Aussicht auf die
ungeheure Saturnkugel, die mächtige Gebirgszüge aufwies.

Auch der Ring war durchaus nicht eben, sondern zeigte mannigfaltige
Erhebungen, zum Teil recht stattliche Berge; aber die Wanderung wurde
jäh unterbrochen durch einen Riß, der den Ring in seiner ganzen Breite
durchlief.

Späterhin beobachteten unsre Freunde, daß alle drei Ringe durch
zahlreiche mehr oder weniger breite Spalten in einzelne Stücke geteilt
waren, die einander nicht berührten, daß aber diese Risse sich mehr und
mehr schlossen unter dem ausdehnenden Einfluß der Sonnenhitze.

Das ließ sich leicht feststellen, da die Teile des Rings, die schon
längere Zeit Tag hatten, zunehmend schmälere und schließlich gar keine
Lücken mehr aufwiesen, während auf der Nachtseite der Ringe die Klüfte
sich fortschreitend verbreiterten.

»Herrlich! Großartig! Wunderbar!« rief Schultze einmal über das andre:
»Wie ganz anders vermögen wir doch nun die Dinge dahier zu erkennen, als
die armen erdfernen Astronomen mit ihren besten Instrumenten. Wenn ich
nur bedenke, wie lange es dauerte, bis überhaupt erkannt wurde, daß
Saturn von einem Ring umgeben ist. Zwar hat ihn schon Galilei durch das
erste von einen Astronomen benutzte Fernrohr gesehen, doch glaubte er,
es handle sich um Auswüchse, die mit dem Planeten zusammenhingen. Erst
Huygens, der auch den ersten Satelliten des Saturn entdeckte, nämlich
den sechsten seiner acht Monde, erkannte, daß es ein Ring sei, der frei
um den Planeten schwebe, und Herrschel konnte dann die Rotationsdauer
des Ringes oder vielmehr der Ringe berechnen, die annähernd die gleiche
ist, wie die ihres Zentralkörpers.«

Da auch in der entgegengesetzten Richtung bald eine Spalte ein weiteres
Vordringen unmöglich machte, auch die Erforschung der Ringe wenig
Interessantes mehr zu bieten schien, wurde beschlossen, sich alsbald auf
den Planeten selber zu begeben.

Bald sank die Sannah unter die niedre Luftschicht, die um die Ringe
lagerte und nach kurzem, aber ungeheuer raschem Sturz trat sie in die
Saturnatmosphäre ein.

Hier verlangsamte Flitmore sofort die Fallgeschwindigkeit, und das
Weltschiff schwebte träge zur Oberfläche nieder.

»Mylord,« fragte währenddessen John seinen Herrn, »warum gehen wir nie
in die untern Zimmer, wenn wir einen Abstieg unternehmen? Da könnten wir
so schön alles aus der Vogelprospektiefe beobachten, wie wir näher und
näher kommen; hier oben aber sehen wir nichts als den Ring, der sich von
uns entfernt.«

Man sieht, daß John sich seinem Herrn gegenüber keiner so gewählten
Sprache befleißigte, wie wenn er den gelehrten Professor anredete; das
kam aber nicht etwa von einem Mangel an Respekt, sondern weil er aus
langjähriger Erfahrung wußte, daß der Lord viele Redensarten nicht
leiden mochte.

Flitmore gab seiner treuen Dienerseele folgende Auskunft: »Siehst du,
John, um den Fall der Sannah nicht zum verderblichen Sturz werden zu
lassen, muß ich die Fliehkraft abwechselnd ein- und ausschalten. Dadurch
wird aber jedesmal für die unteren Räume und die Seitenzimmer der
Schwerpunkt verändert: schalte ich die Zentrifugalkraft ein, so werden
wir gegen den Mittelpunkt unsres Fahrzeugs gezogen, schalte ich sie aus,
so zieht uns der Saturn an. Du wirst dich erinnern, was dies zur Folge
hatte, als wir die Erde verließen. Hier wäre es genau so: im untern
Zimmer würden wir abwechselnd von der Decke auf den Fußboden stürzen und
umgekehrt; in den Polzimmern würden wir zwischen der dem Saturn
zugekehrten Seitenwand und dem Fußboden hin- und hergeschleudert. Hier
oben aber liegt der Mittelpunkt der Sannah genau wie der Mittelpunkt des
Planeten zu unsern Füßen und meine Manöver verändern den Schwerpunkt in
keiner Weise. Das ist der Grund, weshalb wir hier wie bei unserm Abstieg
auf den Mars und die Tipekitanga auf die Beobachtung des Geländes, dem
wir uns nähern, verzichten müssen, so schade dies auch ist.

Du weißt ja, daß ich diesen Umstand beim Bau des Schiffes nicht in
Betracht gezogen habe und selber von der alles auf den Kopf stellenden
Wirkung der Fliehkraft überrascht wurde; sonst hätte ich Vorsorge
getroffen, daß wir wenigstens durch außen angebrachte Spiegel in den
Stand gesetzt worden wären, von diesem unserm Zenithzimmer aus zu
betrachten, was unter uns liegt.«

Ein sanfter Ruck zeigte an, daß die Saturnoberfläche erreicht war. Die
Sannah ruhte auf.

Daß diese Oberfläche weder flüssig noch glühend war, hatte man schon vom
Ring aus feststellen können, sonst wäre der Plan einer Landung
selbstverständlich ausgeschlossen gewesen.

Begierig zu schauen, welche neuen Wunder sich ihnen hier offenbaren
würden, verließen unsere Freunde das Fahrzeug durch das Nordpolzimmer,
nachdem die Lucke geöffnet und die Strickleiter hinabgelassen worden
war.




                  23. Eine unfreiwillige Polarreise.


Es war Nacht, als die Gesellschaft auf dem Saturn landete; aber da sich
alle sehnten, ins Freie zu kommen, wurden die Zelte errichtet, diesmal
aber in unmittelbarer Nähe der Sannah, damit ein sofortiger Rückzug
angetreten werden konnte, falls je ein gefährliches Abenteuer drohen
sollte; die schreckliche Nacht auf dem Mars war ja allen noch gar zu
frisch in Erinnerung.

Holz- und Reisigvorräte barg die Sannah zur Genüge, der Lord hatte sich
für alle Fälle vorgesehen. So brauchte man nicht in der Dunkelheit nach
Brennmaterial zu suchen.

Ein Feuer wurde entfacht und nach gehaltener Mahlzeit suchten bald alle
die Ruhe auf bis auf Heinz, der die erste Wache übernommen hatte.

Nach zwei Stunden löste ihn John ab und diesen nach weiteren zwei
Stunden Münchhausen.

Der Kapitän freute sich kindlich auf den ersten Sonnenaufgang auf dem
Saturn, und daß er der erste sein sollte, der diese neue Welt aus
nächster Nähe bei Tageslicht schauen sollte.

Aber merkwürdig, es wollte nicht tagen! Als seine zwei Dienststunden zu
Ende waren, war es noch so finster wie zuvor. Er rechnete aus, daß die
Nacht nun schon mehr als acht Stunden währte; da die Rotationsdauer des
Saturn 10¾ Stunden beträgt, hätte es eigentlich schon wieder gegen Abend
gehen sollen.

Es war ausgemacht worden, daß Münchhausen gleich nach Tagesanbruch alle
wecken sollte, aber der Tag brach nicht an und er wartete noch eine
Stunde; er hatte sich so sehr darauf gefreut, allein als Erster die
Sonne aufleuchten zu sehen.

Endlich weckte er den Professor.

»Hören Sie,« fuhr er den Schlaftrunkenen an: »Ich pfeife auf die ganze
astronomische Wissenschaft und auf die Ihrige insbesondere. Es ist
nichts mit den kurzen Saturnnächten. He! wissen Sie, wie lange diese
Nacht schon währt? Neun volle Stunden!«

Schultze hatte sich ermuntert und sah auf die Uhr.

»Wahrhaftig!« brummte er, »das stimmt!« Dann schaute er hilflos zum
Himmel, als könnte er doch irgendwo die Sonne entdecken, trotz der hier
unten herrschenden Finsternis.

»Da hört sich doch alle Wissenschaft auf!« fuhr es ihm heraus.

»Jawohl, alle Wissenschaft hört auf und blamiert sich angesichts der
Tatsachen,« grollte Münchhausen. »Wissen Sie gewiß, daß auf dem Saturn
die Nacht nicht auch 15 Jahre dauert wie auf seinen Ringen?«

»Unsinn!« rief der Gelehrte, obgleich er selber nicht mehr wußte, wo er
dran war: »Das trifft ja wohl für die Polarzonen zu, nicht aber für
diese Breiten.«

Unterdessen hatten sich auch die andern erhoben und wunderten sich, daß
es noch nicht Tag werden wollte.

Schultze war nachdenklich, während man das Frühstück einnahm: er
repetierte innerlich seine Kenntnisse des Saturn.

Plötzlich rief er: »Ich habs! Es herrscht hier eine Sonnenfinsternis,
verursacht durch den Ring des Planeten.«

»Na! dann wird sie ja bald vorübergehen,« sagte Münchhausen aufatmend;
denn die rätselhafte Dunkelheit hatte ihm wirkliche Beklommenheit
verursacht. »Freilich,« fügte er bei, »für heute ist es nun schon nichts
mehr mit dem Sonnenschein; es muß ja bald wieder Nacht werden; aber in
sechs bis sieben Stunden werden wir das Tageslicht wieder schauen.«

»Wo denken Sie hin!« widersprach Schultze. »Davon kann keine Rede sein:
Diese saturnischen Finsternisse dauern mehrere Erdenjahre. Ich vermute,
wir befinden uns hier etwa unter 23½ Grad Breite und haben dann mit
einer Sonnenfinsternis von zehn Jahren zu rechnen.«

»Sie freuen mich!« polterte der Kapitän: »Und da sollen wir wohl hier
abwarten, bis der Ringschatten sich gefälligst entfernt oder die Sonne
uns geschwind höhnisch durch eine seiner Lücken anlächelt, um dann
wieder zu verschwinden? Oder sollen wir den vertrackten Weltkörper bei
Fackelbeleuchtung untersuchen?«

»Nein!« lachte Flitmore: »Wir steigen einfach wieder auf und landen auf
einem günstigeren Breitengrade.«

»Ein ungastlicher Planet scheint Saturn doch zu sein,« meinte Mietje:
»In manchen Gegenden fast 15 Jahre Nacht, dann noch 10 Jahre
Sonnenfinsternis, das gibt ja 25 Jahre Dunkelheit und nur 5 Jahre
Tageshelle!«

»Das stimmt allerdings je nach der Zone,« bestätigte Schultze: »Aber
trösten Sie sich, es gibt ja lichtreichere Gegenden, und wir halten uns
nicht gar zu lange hier auf.«

Die Weiterreise wurde sofort angetreten.

»Leider,« bemerkte der Lord, als man wieder im Zenithzimmer versammelt
war, »ist die Sannah nicht als lenkbares Luftschiff gebaut. Das erkenne
ich jetzt als verhängnisvollen Fehler an. Mit ein paar Motoren
ausgerüstet, könnte sie ihren Weg in der Atmosphäre nach Belieben
suchen, während wir es so dem Zufall überlassen müssen, wo wir landen.
Sobald ich nämlich die Fliehkraft einschalte, nimmt unser Weltschiff
weder an der Rotation noch an dem Umlauf des Saturn mehr teil. Das
erstere ist ja belanglos, denn durch seine Umdrehung um die Axe kehrt
uns der Planet nur abwechselnd eine andere Seite zu und es macht nichts
aus, ob wir auf dieser oder jener niedergehen.

Durch seinen Umlauf auf seiner Bahn um die Sonne aber saust der Saturn
unter uns weg, sobald wir durch den Zentrifugalstrom von seiner
Anziehungskraft gelöst sind; es fehlen uns die Mittel, diese Bewegung
genau zu berechnen, und so können wir unsern Landungsort nicht nach
Belieben bestimmen.«

Das erwies sich denn auch als fatal, denn als sich der Lord nach einiger
Zeit zum Niedergehen entschloß, befand sich die Sannah in der
Nordpolarzone des Saturn.

Als die Lucke geöffnet wurde, strömte eine so eisig kalte Luft herein,
daß sich alle mit den wärmsten Pelzhüllen versahen, ehe sie ins Freie
hinaustraten.

Ein herrlicher Anblick blendete ihre Augen, als sie an der Strickleiter
hinabstiegen: unabsehbar dehnte sich eine Eis- und Schneewüste,
unterbrochen von phantastisch gezackten und wildzerklüfteten Eisbergen,
die im Glanze der Sonne in allen Farben flimmerten, je nachdem sich das
Licht im Kristall brach.

In der Ferne ragte ein ganzes Gebirge empor, das lebhaft an die
Gletscherketten der Alpen erinnerte; kurz, es war eine Landschaft voll
Großartigkeit, die ein Gefühl der Andacht in aller Herzen erweckte.

Doch hatte ein längerer Aufenthalt hier keinen Zweck: die Eiswüsten des
Saturns gedachten unsere Freunde nicht zu erforschen, so lange sie
hoffen konnten, interessantere Gebiete für ihre Entdeckungen zu finden.
Immerhin mußte die entzückende Polarlandschaft auf einigen
photographischen Platten ihre größten Reize festhalten lassen.

Plötzlich rief Mietje aus, indem sie verwundert den Himmel betrachtete:
»Wo ist denn der Ring? Er scheint verschwunden zu sein: von einem
Horizont zum andern kann ich keine Spur mehr von ihm entdecken!«

Alle schauten auf und Münchhausen erklärte: »Das ist ja ein schöner
Reinfall! Da sind wir am Ende auf einen ganz andern Planeten geraten,
wohl gar auf einen vergletscherten Saturnmond. So geht es, wenn man ins
Blaue hineinfährt und nicht einmal Ausschau halten kann, wohin man sich
bewegt und was sich unter einem befindet! Oder ist der Saturngürtel
verhext und kann sich unsichtbar machen mittelst der berühmten
radioelektrischen Strahlen Manfreds von Rothenfels? Heda, Professorchen,
lassen Sie Ihre wissenschaftliche Bogenlampe strahlen, wenn angesichts
dieses rätselhaften Verschwindens bei Ihnen nicht, wie gewöhnlich, alle
Wissenschaft sich aufhört!«

»I wo denn?« erwiderte Schultze kühl: »Da hört sich die Wissenschaft
doch gar nicht auf, ganz im Gegenteil! Das weiß jeder angehende
Astronom, daß die Saturnringe auf dem größten Teil der Polarzone
überhaupt nicht zu sehen sind, aus dem einfachen Grunde, weil sie unter
dem Horizont stehen. Weiter südlich würden wir nur den äußeren Ring
erblicken und erst beim Überschreiten des Polarkreises würden allmählich
auch die inneren Reifen auftauchen: es ist also alles in Ordnung und war
gar nicht anders zu erwarten.«

Eine merkwürdige Tatsache fiel Heinz hier noch auf, als er einen losen
Eisblock zu heben versuchte: Der stattliche Brocken erwies sich als ganz
unglaublich leicht im Verhältnis zu seiner Masse; da dies weder von
einer geringeren Anziehungskraft des Planeten herrühren konnte, noch das
Eis eine losere Struktur zeigte, als es beim irdischen Eise der Fall
ist, mußte angenommen werden, daß das Eis auf dem Saturn und demnach
wahrscheinlich auch das Wasser dort an und für sich weit weniger Gewicht
oder Dichtigkeit habe als auf der Erde.

Nachdem sich alle von der seltsamen Leichtigkeit des Blocks überzeugt
und das gleiche auch an andern Eisstücken festgestellt hatten, begaben
sie sich wieder ins Innere ihres Fahrzeugs.

»Wir dürfen nicht mehr so planlos landen,« erklärte der Engländer: »Wir
müssen ein Mittel ersinnen, das uns aus der Lage befreit, hiebei nur ein
Spielball des Zufalls zu sein. He, Professor! Strengen Sie Ihren großen
Geist an und setzen Sie uns in den Stand, unsere Landungsstelle nach
eigenem Gutdünken auszuwählen!«

Bevor Schultze recht begonnen hatte, sein Gehirn anzustrengen, trat
Heinz Friedung mit folgendem Vorschlag hervor:

»Spannen wir ein Netz unmittelbar unter dem Fenster unseres
Antipodenzimmers aus. In dieses Netz kann sich ein Beobachter legen;
wird die Fliehkraft ausgeschaltet, so liegt er eben auf dem Bauch über
dem Fenster, ist der Strom geschlossen, so fällt er auf den Rücken weich
in das Netz zurück. Jedenfalls kann er andauernd die Saturnoberfläche im
Auge behalten und uns im Zenithzimmer durch elektrische Klingelzeichen
verständigen, ob wir steigen, fallen oder uns endgültig niederlassen
sollen. Drei verabredete Zeichen genügen hiefür. Da übrigens außer dem
elektrischen Läutewerk auch ein Telephon in jedem Zimmer vorhanden ist,
kann er, wenn etwas Besonderes zu melden sein sollte, auch telephonische
Nachricht geben.«

»Ausgezeichnet!« lobte Schultze: »Den Beobachtungsposten will ich
einnehmen.«

»Nichts da!« protestierte Münchhausen: »Ich freue mich schon lange
darauf, als Erster zu schauen, wie der Saturn aus nächster Nähe
aussieht. Die Sonnenfinsternis hat mich um diese Hoffnung betrogen,
jetzt will ich wenigstens als Beobachter im Mastkorb mein Ziel
erreichen, wozu ich mich als alter Seemann auch am besten eigne.«

Der Professor schüttelte lachend den Kopf: »Ihr spezifisches Gewicht,
edler Hugo, macht die Sache zu gefährlich; wie Spinnwebe würden die
stärksten Netze reißen, wollten Sie sich ihnen anvertrauen.«

»O,« sagte Flitmore, »ich habe eine Hängematte an Bord, die aus so
starken Baststricken geflochten ist, daß selbst unseres Kapitäns paar
Zentner sie nicht aus der Fassung bringen können; auch ist sie so groß,
daß sie ihm Raum genug bietet, also gönnen wir ihm das Vergnügen.«

Der Professor hätte zwar auch gern die ersten Entdeckungen gemacht, doch
wollte er sie dem älteren Freunde nicht streitig machen, und so wurde
denn Münchhausen mit einem Feldstecher bewaffnet im »Mastkorb«, wie er
sich ausdrückte, untergebracht, sobald das Netz an Ort und Stelle
befestigt war.

Dann wurde die Fliehkraft eingeschaltet und der Kapitän schwebte, auf
dem Rücken liegend, in der Hängematte unmittelbar unter dem Fenster, das
sich von dem eisigen Grunde trennte, auf dem es bis jetzt aufgeruht
hatte.

So schaute er hinauf in die Eisgefilde, die über ihm zu schweben
schienen und mit ihren Bergen und Schroffen drohend genug aussahen. Es
war ein eigentümlicher, unheimlicher Anblick, diese blitzenden Massen so
über sich herabhängen zu sehen, als müßten sie niederstürzen und alles
zermalmen. Immerhin wußte Münchhausen ja zur Genüge, daß dies alles nur
so schien, weil die Sannah nun ihren eigenen Schwerpunkt in ihrem
Zentrum besaß, und daß der Saturn seine Oberfläche fest genug halten
würde.




                 24. Eine Nacht auf dem Ringplaneten.


Münchhausen war eifrig auf seinem Posten, stets die elektrische
Kontaktbirne in der Hand. Gab er ein kurzes Klingelzeichen, so stellte
Flitmore oben die Fliehkraft ab und der Kapitän fiel mit dem dicken
Bauch auf die Fensterscheibe, die glücklicherweise so massiv war, daß
sie noch heftigere Stöße unbeschädigt ausgehalten hätte.

In solchem Falle machte es Münchhausen den Eindruck, als hätte sich die
Welt mit Blitzgeschwindigkeit umgedreht: der Planet, zu dem er bisher
aufgeschaut hatte, weil er über ihm schwebte, schien nun plötzlich unten
zu sein und es galt, von der über ihm schwebenden Sannah auf ihn
hinabzublicken.

Gab Münchhausen dann wieder die zwei Klingelzeichen, die das Einschalten
des Stromes bedeuteten, so plumpste er gleich darauf rücklings in die
Hängematte zurück und sah das Fenster und den Saturn urplötzlich wieder
über sich.

Dieser fortwährende und ganz unvermittelte Wechsel, der jedesmal wieder
verwirrend wirkte und für einen Augenblick alle Orientierung lahmlegte,
hätte einen Unkundigen an aller Wirklichkeit und am eigenen Verstande
verzweifeln lassen können.

Man stelle sich's vor, was das für ein Gefühl sein muß, wenn die Decke,
zu der man aufschaut, innerhalb einer Sekunde auf einmal zum Fußboden
wird, auf dem man liegt, und dann wird sie eben so plötzlich wieder zur
Decke über einem; und so wechselt es alle paar Minuten, ohne daß man
selber seine Lage verändern würde oder daß der Raum, in dem man sich
befindet, sich drehte: das Weltall scheint jedesmal völlig mit einem
umzukippen, und dabei wird man nur mit einem kleinen Ruck wie ein Ball
auf und ab geschleudert: man fällt jedesmal nach oben und liegt jedesmal
unten!

Dem Kapitän machte schließlich dieses Zauberspiel einen köstlichen Spaß;
davon merkten die dort im Zenithzimmer rein gar nichts, für sie blieb
der Fußboden unverrückt unten und die Zimmerdecke oben; kein Ruck zeigte
ihnen die Änderung des Schwerpunkts an.

»Ein Glück, daß ich und nicht der Professor oder sonst eine unerfahrene
Landratte auf diesem Posten liegt«, dachte Münchhausen: »die bekämen die
Seekrankheit im höchsten Grade; mir altem Seebär jedoch bekommt die
Bewegung vorzüglich.«

Und aus lauter Lust an der Sache gab er die Zeichen viel häufiger als
notwendig gewesen wäre.

Bald aber machte er eine fatale Entdeckung: Die Sannah blieb stets dem
Nordpol des Planeten zugewendet und konnte unmöglich mehr südlichere
Gegenden des Saturn erreichen. Er hatte das Weltschiff in seiner ganzen
Länge passiert, und sobald der Fliehstrom eingeschaltet wurde, entfernte
er sich auf seiner Bahn, während die Schließung des Stroms nur ein
Stürzen gegen den Pol bewirkte.

»Wir sollten uns am Südpol befinden,« brummte der Kapitän, »dann würde
der Weltkörper unter uns durchpassieren und wir könnten uns
niederlassen, sobald etwa der Äquatorialgürtel unter uns stünde. Nun
aber ist er bereits völlig unter uns weg und kehrt nicht wieder um; da
sehe ich nicht, was noch zu machen ist.«

Er teilte diese Beobachtung durch das Telephon dem Lord mit.

Nun wurde droben beraten und ihm dann das Ergebnis der Beratung
mitgeteilt.

»Glücklicherweise,« erklärte Schultze durchs Telephon, »ist der Saturn
zur Zeit ganz nahe dem Ende seiner Bahn und muß binnen wenigen Stunden
seine Wendung vollziehen. Da wir nun in der günstigen Lage sind, uns auf
der Innenseite seiner Bahn zu befinden, das heißt zwischen ihm und der
Sonne, so werden wir jetzt den Strom ununterbrochen wirken lassen. So
wird die Sannah in einer Sehne den Bogen abschneiden, den der Planet in
den nächsten Stunden beschreibt, und sich einem Punkte seiner
rückläufigen Bahn nähern, den er bald darauf passieren muß. Dann müssen
Sie scharf aufpassen, wenn der Planet sich uns wieder nähert, damit wir
uns rechtzeitig seiner Anziehungskraft aussetzen und ihn in der Folge
durch geeignetes Öffnen und Schließen des Stroms soweit an uns
vorbeiziehen lassen, bis wir in seinen Äquatorialgegenden landen können.
Kommen Sie jetzt herauf zum Abendessen; Sie können dann ruhig fünf
Stunden schlafen, denn wir werden etwa sieben Stunden brauchen, um den
Scheitel der Ellipse durch einen möglichst kurzen Bogen abzuschneiden.«

Sechs Stunden später befand sich Münchhausen wieder auf seinem Auslug
und sah nun in der Tat, wie Saturn von der andern Seite heransauste; die
Sannah hatte ihn durch Abschneiden des Scheitelbogens seiner
ellyptischen Bahn überholt.

Nun galt es zunächst die Fliehkraft auszuschalten, um nicht wieder
zurückgeworfen zu werden durch die abstoßende Kraft in Bezug auf den
nahenden Planeten.

Dann begann wieder das abwechselnde Schließen und Öffnen des Stromes
entsprechend den Klingelzeichen des Kapitäns und damit das lustige
Ballspiel, das die Sannah mit seinem rundlichen Körper betrieb, ihn
zwischen dem Fenster und der Hängematte hin- und herschleudernd, je
nachdem der Schwerpunkt des Weltschiffes nach innen in dessen
Mittelpunkt, oder nach außen in den Mittelpunkt Saturns verlegt wurde.

Diese wechselnden Manöver verhüteten einerseits den vorzeitigen Sturz
auf die Oberfläche des Planeten, andrerseits die allzugroße Entfernung
von ihm: man blieb, nachdem die Ringe überholt worden waren, von jetzt
ab innerhalb der Saturnatmosphäre.

Als die Südpolarzone vorübergeglitten war, erschienen dem beobachtenden
Kapitän die Ringe als schmale Kreise; bei der Annäherung des Äquators
war bald nicht mehr viel weiter als die Kante des innersten Ringes zu
sehen.

Vor allem aber wurden die Blicke des Kapitäns gefesselt durch die
landschaftlichen Bilder, die vorüberflogen, teils erhabene großartige
Szenerien, teils ungemein liebliche Idyllen: Hochgebirge und Meere,
mächtige Ströme, Flüsse und Seen, sanftgeschwungene Hügelketten, grüne
Ebenen, Wiesen und geschlängelte Bäche; dann wieder schroffe Felsen und
gähnende, nachtschwarze Schluchten.

Als die Sannah die Äquatorialzone erreichte, gab Münchhausen durch
dreimaliges, langgezogenes Klingeln das Zeichen zur Landung.

Eine reizende, hügeldurchzogene Ebene war es, in welcher das Weltschiff
sich niederließ; aber wiederum sank die Nacht herein, als die
Gesellschaft die Strickleiter herabließ und den festen Boden betrat.

Von den acht Monden Saturns, deren Umlaufzzeit entsprechend ihrem
Abstand vom Zentralkörper wächst, und beim innersten nur 22½ Stunden,
beim äußersten aber nicht weniger als 79 Tage beträgt, standen die vier
innersten gleichzeitig am Himmel; doch ihr schwacher Schein genügte
nicht, um den Glanz einer irdischen Vollmondnacht hervorzuzaubern. Die
schmale Kante des Ringes war dunkel; die innerste Kante wird überhaupt
nie von der Sonne erhellt, und die beleuchtete Ringfläche zeigt sich nur
bei Tag, nie aber des Nachts.

Mietje übernahm diesmal die erste Wache und Münchhausen bestand auf der
zweiten, gegen deren Ende der Anbruch des Morgens erfolgen mußte, da
hier eine Sonnenfinsternis zur Zeit nicht herrschte, wie Schultze
versicherte, und wie man vor der Landung hatte beobachten können, als
noch die Sonne am Himmel stand.

Man wollte sich diesmal mit einem dreistündigen Schlafe begnügen, um
sich ja nichts von dem kurzen Tage entgehen zu lassen.

Lady Flitmore, auf die nur noch eine Stunde Schlafes gekommen wäre nach
ihrer zweistündigen Wache und die durchaus nicht gewillt war, den
Saturnmorgen zu verschlafen, beschloß, sich überhaupt nicht zur Ruhe zu
legen, sondern dem Kapitän bei dessen Wachzeit Gesellschaft zu leisten:
sie hatte in Voraussicht dieses Falles vor dem Abstieg einige Stunden
geschlafen und fühlte sich frisch und munter genug, um zehn, und, wenn
es sein sollte, zwanzig Stunden zu wachen, ohne zu ermüden.

Alles lag im Schlaf; nur Lady Flitmore saß als treue Wächterin in der
Nähe des flackernden Feuers, von Zeit zu Zeit ein Scheit nachlegend.

Eine kleine Erhöhung des Erdbodens diente ihr als Sitz. Der Grund
bestand hier aus kahlem Felsgestein, das sich merkwürdig warm anfühlte,
so daß Mietje es nicht für nötig gefunden hatte, eine Decke über ihren
Sitz zu breiten, zumal der Fels gar nicht hart erschien: sie glaubte, es
müsse eine Art Bimsstein sein und das bestätigte ihr die auffallende
Leichtigkeit einzelner umherliegender Steine. Ein Block von der Größe
eines Riesenkürbisses, den sie versuchsweise aufnahm, wollte ihr so
leicht wie ein Gummiball erscheinen.

Es fiel ihr dabei ein, wie merkwürdig leicht auch das Eis am Pol
befunden wurde und sie mußte denken, daß dem ein dem Saturn
eigentümliches Naturgesetz zu Grunde liegen müsse.

Dann schweiften ihre Blicke umher. Die kahle Stelle war nur von geringer
Ausdehnung; sie wurde von einem mannshohen Dickicht eingesäumt, das aus
Schilf oder Röhricht zu bestehen schien und über welches in der Ferne
ein Wald hochragender Bäume unheimlich finster herüberschaute.

Sie sah zum Himmel empor: da grüßten sie die bekannten Sternbilder so
traut, daß ihr auf einmal zumute wurde, als befinde sie sich auf der
heimatlichen Erde und die ganze Weltallreise sei bloß ein Traum gewesen.
War sie nicht auch so sonderbar, wie es sonst nur im Träumen vorkommt?

Aber mitten unter diesen altbekannten Sternbildern teilte ein dunkler
schmaler Bogen das ganze Himmelsgewölbe in zwei ungleiche Teile. Das war
die Kante des Rings, der ihr zweifellos bewies, daß sie sich auf einem
fremden Planeten befand, und das sagten ihr auch die vier Monde, die in
ungleicher Größe und verschiedener Lichtstärke am Himmel hinwandelten,
und deren einer soeben vom Schatten seines Zentralgestirns verdunkelt
wurde.

Dort strahlte auch der Komet, den sie von der Tipekitanga aus erstmals
erschaut hatte, in beinahe unheimlich blendendem Goldglanz.

Und siehe! Drunten am Horizont tauchte ein fünfter Mond auf! Ja, es war
eine fremde Welt! Trotz der Sternbilder, die um kein Haar anders
aussahen als am irdischen Himmel, war sie doch von der Erde entsetzlich
weit entfernt! Wie hatte ihr Gatte gesagt? 1260 Millionen Kilometer,
mehr als achtmal so weit als der Abstand der Erde von der Sonne beträgt!

Sie schauderte, als sie sich diese ungeheure Zahl ins Gedächtnis
zurückrief, und doch, was bedeutete sie gegenüber der Entfernung jener
Fixsterne dort oben? So gut wie nichts! Die schienen weder näher noch
ferner gerückt.

Aus diesen Gedanken wurde sie durch einen Schatten emporgeschreckt, der
den Schein des Feuers verdunkelte.

Dort flatterte ein Vogel mit kaum hörbarem Flügelschlag. Er umkreiste
die Flammen, näherte und entfernte sich, flog auf und schwebte wieder
herab.

»Ein Adler,« dachte die Lady, die ungeheure Spannweite seiner Flügel mit
den Blicken messend.

Aber merkwürdig genug erschienen diese Fittiche: Das war kein Gefieder,
auch keine Fledermausflügel waren es, diese dünnen, buntgefleckten Segel
mit dem breiten, scharfumrissenen Rand.

Mietje schüttelte den Kopf: »Wäre nicht seine ungeheure Größe, man
könnte diesen Vogel für eine Motte, einen Nachtfalter halten,« sprach
sie halblaut vor sich hin.

Da gesellten sich zu dem ersten ein zweiter und ein dritter. Lautlos
umkreisten sie das Feuer, dessen Lohe von dem Luftzug ihres
Flügelschlags gepeitscht, niederduckte, um gleich darauf um so lebhafter
emporzuzüngeln.

Jetzt kam einer dieser unheimlichen Vögel ganz nahe an der jungen Frau
vorbei. Er hatte einen eigentümlichen dicken Kopf mit einem
Elefantenrüssel von dem Umfang eines Spritzenschlauchs, zwei runde
walnußgroße Glotzaugen, zwischen denen sich zwei Wedel bewegten, gleich
riesigen Fühlern. Der Leib war zylinderförmig und stark behaart; starr
wie Igelstacheln standen die Haare empor, das Merkwürdigste aber waren
die sechs dünnen Beine, die das seltsame Geschöpf an den Leib gezogen
hielt.

Mietje faßte ein Grauen vor diesen Ungeheuern und sie riß ein brennendes
Scheit aus dem Feuer, um sie abwehren zu können, wenn sie sich ihr
nähern sollten.

Sie sollte auch alsbald in die Lage kommen, sich gegen einen Angriff zu
verteidigen; denn einer der Vögel flog geradewegs auf sie zu.

Mit dem brennenden Ende des Prügels schlug sie aus allen Kräften auf den
widerlichen Kopf. Dieser schien keinen Schädel zu besitzen, sondern aus
weicher Masse zu bestehen, denn der Schlag erschütterte die Waffe nicht
und erzeugte auch keinen weiteren Ton als ein dumpfes Aufklatschen. Aber
betäubt sank der Vogel zu Boden und als Mietje ihr Scheit auf seinen
Kopf preßte, wurde derselbe alsbald zu einer formlosen Masse
zerquetscht.

Jetzt erschien Münchhausen auf der Bildfläche. Es war eigentlich noch
nicht ganz an der Zeit, daß er zur Ablösung kam; doch hatte er in
Erwartung der Entdeckungen, die er als Erster zu machen hoffte, nur
unruhig geschlafen und war frühzeitig erwacht.

»Was haben Sie denn da für ein Scheusal erlegt, Sie kriegerische
Heldin?« fragte, er erstaunt den zuckenden Leib am Boden betrachtend.
»Fürwahr! da flattert ja noch so eines daher. Ha! das hat es auf meine
Nase abgesehen. Nein, mein Freund, die leuchtet nicht für dich!« und
gleichzeitig schmetterte er das zudringliche Ungetüm mit dem
Flintenkolben zu Boden.

Der dritte Vogel war inzwischen wieder verschwunden.

Kopfschüttelnd untersuchte der Kapitän die erlegten Geschöpfe.

»Eine Art Schmetterlingsflügel,« sagte er, »zwei Fühlhörner, ein Rüssel,
sechs hornumpanzerte Beine und im ganzen Leibe kein Knochen, -- alles
Brei! Lady Flitmore, das sind Nachtfalter; Sie lachen mich aus, aber mit
vollstem Unrecht. Ich glaube ja selber nicht, was ich sage, aber es ist
dennoch so und nicht anders. Motten sind diese Scheusale, ungeheure
Schwärmer! Sie sehen wahrhaft erschrecklich aus und es war mir
keineswegs behaglich zumut, als dieser zweigehörnte Vogel mir nach der
Nase trachtete; aber ich glaube nicht, daß diese Nachtvögel imstande
sind, unsereinem das Geringste anzuhaben. Sehen Sie, sie sind von
Butter; ein schwacher Druck genügt, ihren Leib zu einer unförmlichen
Masse zu zerquetschen.«

Das war allerdings offensichtlich und Mietje war geneigt, sich ihrer
Furcht zu schämen; aber das Unbekannte erregt stets ein gewisses Grauen,
und der Kapitän selber hatte sich ja von den Riesenfaltern einen nicht
geringen Schrecken einjagen lassen.

»Sehen Sie,« erklärte er, »das ist ganz menschlich; das Niegesehene
erschreckt zunächst jeden; denn wer kann wissen, was einem von ihm
droht. Das, was man daheim schon kannte, heimelt einen an; was aber der
Heimat fremd ist, erscheint unheimlich. So zeigt uns schon die
Entwicklung des Sprachgebrauchs, daß wir einem allgemein und uralt
menschlichen Gefühl erlagen, dessen wir uns nicht zu schämen brauchen,
wenn wir nachträglich erkannten, daß der unheimliche Spuck im Grunde
recht harmlos war und daß wir einen Heldenkampf auf Leben und Tod mit
wehrlosen Nachtfaltern geführt haben.

Aber nun begeben Sie sich zur Ruhe auf diesen Schrecken hin, meine Wache
beginnt.«

»Fällt mir nicht ein, mich jetzt zu legen,« lachte Mietje. »Ich leiste
Ihnen Gesellschaft; ich bin begierig, den ersten Morgen auf diesem
Planeten tagen zu sehen.«

»Um so angenehmer für mich,« meinte Münchhausen; »aber wollen wir uns
nicht setzen?« und damit ließ er sich auf seine Fettpolster plumpsen.




                       25. Eine seltsame Welt.


Der Tag begann zu grauen. Rosige Wölkchen schwebten über dem Horizont
und bald darauf leuchteten die fernen Berggipfel auf, vom flüssigen Gold
der ersten Sonnenstrahlen umrandet.

Münchhausen und Mietje schauten umher.

Welch eine sonderbare Landschaft! Berg und Tal, Hügel und Ebenen,
Wasserfälle und Bäche, -- nun, das mutete nicht besonders fremdartig an,
obgleich ein kleiner Wasserfall, der im nahen Hintergrund über einen
niedern Felsblock herabschäumte, bereits ein Rätsel aufgab.

Das Wasser spritzte nämlich so hoch auf und dichte Schaumflocken
schwammen gleichsam in der Luft, daß man dieses Schauspiel wohl
begriffen hätte, wenn sich das Wasser aus hundert Meter Höhe
herabgestürzt hätte, nicht aber, wo es sich um höchstens drei oder vier
Meter handeln konnte.

»Nanu!« sagte Münchhausen verblüfft: »Dieser Zwerg von einem Wasserfall
gebärdet sich ja wahrhaftig, als wollte er mit dem Niagara oder
Mosi-oa-tunia, den Viktoriafällen des Sambesi in unlautern Wettbewerb
treten.«

Weit befremdlicher aber noch erschien die Pflanzenwelt: was bei Nacht
als mannshohes Schilf erschienen war, erwies sich nun bei Tageshelle als
Gras. Da ragten grüne Büschel von zwei Meter Höhe, darüber wiegten sich
Halme mit mächtigen Samenrispen; die Gräser waren mehr als handbreit,
die Halme mehr als daumendick und der Hochwald dahinter schien aus
krautartigen Gewächsen zu bestehen mit ungeheuren saftigen Stengeln und
Blättern, deren geringste die Bananenblätter weit an Größe übertrafen.
Dazwischen schossen Blumen empor, die sich wie Sonnenschirme
ausbreiteten oder wie Kirchenglocken herabhingen.

Nirgends aber war ein Gewächs zu sehen, das einem Baume glich; die
höchsten Waldriesen, die bis zu sechzig Meter emporstreben mochten,
waren knotige Rohre von oft mehreren Metern im Umfang, mit Wedeln und
Kolben gekrönt, oder Schachtelhalme und Farnkräuter mit gigantischen
Fiederblättern.

Aber schön und überwältigend großartig erschienen diese Büsche von Gras
und diese Wälder von Kraut mit ihrer farbenleuchtenden Blütenpracht.

»Wir müssen die Schläfer wecken!« mahnte die Lady, nachdem sie von ihrer
ersten staunenden Bewunderung zu sich zurückkam.

»Ich hätte weit lieber zunächst eine Entdeckungsreise auf eigene Faust
gemacht,« brummte Münchhausen; »aber erstens wäre dies ein
heimtückischer Verrat an den Genossen, und zweitens, was das
Ausschlaggebende ist, ohne ein ordentliches Frühstück im Leibe bin ich
zu einer weltberühmten Forschungsexpedition leiblich unfähig.«

So weckten sie denn die ganze Gesellschaft, die bald, sich die Augen
reibend, vor den Zelten erschien.

»Hurrah!« rief Schultze, als er sich umsah: »Das ist wieder etwas ganz
Neues, ganz Überirdisches, diese wogenden Fluren, diese fabelhaften
Wälder! Da müssen wir vor allem andern einen Spaziergang hinein machen.«

»Nichts da!« protestierte der Kapitän: »Alles in der Ordnung! Zuerst ein
kräftiges Frühstück, dann bin ich zu allem bereit.«

»Sie haben recht,« stimmte Flitmore bei: »Es ist besser, wir erledigen
zunächst die leiblichen Bedürfnisse; dann können wir den Tag, der ja
kurz genug ist, ununterbrochen ausnützen. Das erste Bedürfnis wird
übrigens eine erfrischende Waschung sein; dort plätschert ja ein
prächtiges Bächlein ganz in unsrer Nähe.«

Das leuchtete allen ein und sie eilten dem nahen Bache zu, um Gesicht
und Oberkörper und Glieder darin abzuspülen.

»Nein, wie merkwürdig weich doch dieses Wasser ist, beinahe wie Öl,«
bemerkte Mietje zuerst.

»Es ist wahr, es scheint viel flüssiger zu sein als irdisches Wasser,«
bestätigte Heinz: »Es fließt einem durch die Finger wie Nebel und rinnt
wie Spinnenfaden so dünn an der Haut hinab.«

»Und es bildet gar keine rechten Tropfen,« fügte Schultze hinzu, »nur so
feine Sprühstäubchen, wie der Sprühregen im Nebel.«

John rannte die paar Schritte zum Lagerplatz zurück, ergriff ein dünnes
Holzscheit, mit dem er wieder angesprungen kam und das er klatschend in
den Bach warf.

Wie ein Springbrunnen spritzte das Wasser in feinverteiltem Staub wohl
drei Meter hoch empor. Alle staunten sprachlos dies neue Wunder an.
Rieger aber rief:

»Das ist ja gar kein Wasser!« und er wies auf das Holzstück, das wie ein
Stück Blei auf den Grund des Baches gesunken war, wo es liegen blieb.

»Da hört sich aber doch endgültig alle Wissenschaft auf!« rief Schultze:
»Das ist frisches, klares Wasser, aber von einer Leichtigkeit, daß es
auf unsern schwerfälligen irdischen Gewässern wie Öl oder Spiritus
schwimmen würde; es scheint entsprechend flüchtig zu sein und sehr rasch
zu verdunsten; das spüre ich schon an dem starken Prickeln, wenn es auf
der Haut trocknet. Lady Flitmore, auf dem Saturn würde Ihre größte
Wäsche in der halben Zeit trocknen, als auf unsrer mangelhaften Erde!«

Zu Münchhausens Beruhigung schritt man jetzt zur Bereitung des
Frühstücks.

Es war überraschend, wie schnell das Wasser zum Sieden kam. Der
Professor prüfte seine Wärme mit einem Thermometer: »Dachte ich's doch!«
rief er aus: »Bloß 52 Grad! Das Saturnwasser kocht also schon bei dieser
geringen Temperatur.«

Hierauf machte er sich an die Untersuchung des Grund und Bodens und
löste das Gestein mit einem Pickel, den John aus der Sannah
herbeischaffen mußte. Die Steinbrocken, die aus dem Boden gehauen
wurden, erinnerten in ihrem Bau an Knochen: sie waren voller
Hohlräume, schwammig, in Zellen eingeteilt, mit dünnen, doch sehr
widerstandsfähigen Wandungen. Die mehr oder minder großen Kammern waren
mit Luft oder Gasen gefüllt, während sich überall durch die größeren
zusammenhängenden Felsmassen Wasseradern zogen.

Ein Versuch ergab, daß die Mehrzahl der Steine auf dem Wasser des Baches
schwamm, obgleich das Wasser selber schon so leicht war.

In der Folge fanden sich auch völlig dichte Gesteinsmassen, die im
Wasser untersanken, aber immer noch fabelhaft leicht erschienen.

»Nun ist das Rätsel der geringen Dichtigkeit dieses Planeten gelöst,«
sagte Flitmore: »Die Dichtigkeit, oder was auf das gleiche herauskommt,
das spezifische Gewicht des Saturn beträgt 1/8 von dem der Erde, ¾ des
Wassers, nämlich des irdischen Wassers.

Man vermutete daher, er müsse sich in glutflüssigem Zustand befinden,
wodurch freilich so äußerst geringe Dichtigkeit nicht recht begreiflich
wird. Deshalb stellte ja auch unser Kapitän die Theorie auf, der Stoff
der Saturnmasse möchte heißer Grog sein.«

»Schade, daß dies nicht zutrifft!« meinte Münchhausen lachend.

»Nun, an Grog soll es Ihnen sobald nicht fehlen,« tröstete der Lord.
»Wir haben nun hier einen festen, widerstandsfähigen Grund entdeckt,
durchaus nicht so weich und elastisch wie die viel dichtere Marserde,
und doch von solcher Leichtigkeit, daß diese alles erklärt. Das Wasser
hat ein entsprechend geringeres Gewicht als auf Erden, und so scheint
auch die Pflanzenwelt aus leichtem Stoff gebaut, der nicht durch seine
starre Masse, sondern durch seine elastische Biegsamkeit und die
Zähigkeit der Fasern den Stürmen trotzt.«

»Gewiß ist auch die Tierwelt diesen Verhältnissen angepaßt,« vermutete
Schultze. »Brechen wir auf! Ich brenne vor Begier, eine Entdeckungsreise
zu unternehmen.«

Als unsere Freunde kurz darauf den Graswald und hinter diesem den
Hochwald der Riesenkräuter betraten, fanden sie des Professors Vermutung
voll bestätigt: nirgends begegnete ihnen ein Wirbeltier, das einen
festen Knochenbau aufgewiesen hätte; nur Insekten, Kerbtiere und
Weichtiere waren zu schauen.

Aber welch entsetzliche Ungeheuer waren dies!

Obwohl sie in Einzelheiten ihres Baues und ihrer Formen wesentlich von
allen irdischen Arten abwichen, zeigten sie doch im allgemeinen eine in
die Augen springende Ähnlichkeit mit solchen, und nach dieser wurden sie
denn auch bezeichnet.

Münchhausen erklärte gleich anfangs, man könne dies Geziefer nicht
anders unter einem Sammelnamen begreifen, als unter dem Namen »Drachen«;
denn als solche müßten sie bei ihrer unnatürlichen Größe und ihrem
entsetzenerregenden Anblick gelten.

Da fanden sich denn Schneckendrachen und Raupendrachen und solche, die
durch Füße am Vorderleib mit Käferlarven Ähnlichkeit hatten, lauter
dicke, plumpe und doch behende Geschöpfe in der Größe von Wieseln,
Katzen und Schafen. Dieser Größenvergleich konnte jedoch bei den beiden
letzteren nur für die Höhe gelten; die Länge betrug das Doppelte und
Dreifache.

Weit grauenhaftere Kriechtiere waren die Asseln und Tausendfüßler mit
ihren unzähligen Gliedern, wie Krokodile so groß krochen und wanden sie
sich daher und wenn sie sich mit halbem Leibe emporhoben, schwebten ihre
gräulichen Häupter und zappelnden Beine so bedrohlich über den Köpfen
der Wanderer, daß diese durch wohlgezielte Kugeln sich der Ungeheuer
erwehren mußten.

Ameisen- und Wanzendrachen, unheimliche Spinnen, über mannshoch,
erschienen noch gefährlicher; die wahren Riesen der Tierwelt des Saturns
aber waren die gepanzerten Käfer, die wie Flußpferde, Elefanten und
Nashörner daherstapften und mit ihren Zangen nach den fremden
Eindringlingen griffen.

Man mußte stets auf der Hut sein; denn diese Tiere kletterten an den
mächtigen Stauden umher, die sich oft unter ihrer wenn auch noch so
leichten Last beugten; doch Lord Flitmores fleißigen Momentaufnahmen
entgingen sie nicht.

Eine Art Hirschkäfer faßte einmal unversehens den Kapitän mit seinen
fürchterlichen Kiefern mitten um den Leib. Der Lord war so eifrig beim
Photographieren, daß er rasch auch dieses großartige Bild aufnahm, ehe
er dem Bedrohten zu Hilfe kam. Heinz Friedung hatte inzwischen durch
mehrere Schüsse dem Scheusal den Garaus gemacht; aber die Zangen des
toten Tieres mußten erst förmlich abgesäbelt werden, ehe Münchhausen
wieder befreit aufatmen konnte und seinen Humor wiedergewann.

»Natürlich, gleich den fettesten Bissen mußte sich dieser Schlecker
heraussuchen,« scherzte er, während ihm noch der Angstschweiß auf der
Stirne perlte.

Besonders in acht nehmen mußte man sich auch vor den Heuschrecken und
Grashüpfern, die wie Känguruhs umherschnellten.

Auch eine Art riesiger Ohrwürmer machte sich unangenehm.

In den Lüften summten Mücken, Rüsselfliegen und Bremsen mit
durchsichtigen Flügeln in Spatzen- bis Taubengröße. Weit gewaltiger
waren die Wespen und Hummeln, die geflügelten Ameisen und die
stahlglänzenden Libellenarten. Die Riesen der Vogelwelt aber, wenn hier
von Vögeln geredet werden durfte, waren die Schmetterlinge, die ganz
entzückende Färbungen aufwiesen.

Jetzt aber kroch ein plattleibiges Ungetüm heran mit langen Armen, an
deren Ende sich zwei gewaltige Zangen aufsperrten, gleichzeitig schwang
es den hoch über seinen Rücken gebogenen vielgliedrigen Schwanz gegen
Lady Flitmore. Am Ende dieses Schwanzes befand sich ein scharfer
Stachel, der über der Spitze stark verdickt war, offenbar eine Giftdrüse
enthaltend.

»Ein Skorpiondrache!« schrie Münchhausen und legte sein Gewehr an.

Doch wäre er zu spät gekommen, wenn nicht Mietje selber mit großer
Kaltblütigkeit dem Angreifer eine Kugel direkt in die geblähte Giftdrüse
gesandt hätte, so daß diese platzte, einen gelblichen Saft entleerend,
und der Stachel schlaff herabfiel.

Mit der einen Zange jedoch packte der Skorpion den Arm der jungen Frau.

Jetzt kam John zu Hilfe: er war mit einer Axt bewaffnet, um, wo es not
tat, die Wege zu bahnen. Mit einem wohlgezielten Hieb trennte er das
Zangenglied vom Leibe des Riesenskorpions, der nun von weiteren
Angriffen abstand.

Mit großer Anstrengung gelang es dann dem Lord, die krampfhaft
geschlossene Zange aufzubrechen und den Arm seiner Gattin aus der Klemme
zu befreien. Aber eine schmerzhafte Quetschung trug die mutige Dame als
Andenken von dieser Begegnung davon.

Die meisten Waldriesen hatten weiche, biegsame, saftige, doch zähe,
elastische Stämme von enormem Umfang, es waren einfach gigantische
Kräuter.

Es fanden sich aber auch Stauden, Büsche und Gesträuche mit rohrartigen
Zweigen oder von äußerst leichtem Mark erfüllten Stengeln, und
schließlich Riesenfarne und Schachtelhalme. Wirkliches Holz jedoch war
nirgends vorhanden: alles entsprach in seiner leichten, losen Struktur
der geringen Dichte des Planeten.

Dementsprechend waren die köstlichen, saftigen Riesenfrüchte fast
durchweg Beeren- und Schotenfrüchte, teils mit Steinen, gleich den
Schlehen und Wacholderbeeren, teils den Himbeeren, Brombeeren und
Maulbeeren ähnlich oder auch den Stachelbeeren; viele hingen in saftigen
Trauben herab oder in Büscheln als enorme Bananen und Bohnen; endlich
fanden sich noch haselnußartige Stauden mit hartschaligen,
kokosnußgroßen Nüssen.

              [Illustration: Eine Nacht auf dem Saturn.]

Selbstverständlich wurden all diesen Herrlichkeiten die Namen nur
vergleichsweise gegeben nach den irdischen Gewächsen, mit denen sie eine
besondere Ähnlichkeit aufwiesen; in Wirklichkeit unterschieden sie sich
nicht nur in der Größe, sondern auch in Form und Geschmack wesentlich
von allen Beeren der Erde, aber durchaus nicht zu ihrem Nachteil. Den
ersten Preis in Bezug auf Aroma und Güte erhielt nach einstimmigem
Urteil eine Art Kaktusfeige ohne Stacheln.

Die beiden Schimpansen ließen sich's wohl sein und kletterten überall
empor, wo eine Frucht lockte. Sie waren von Flitmore dazu dressiert, auf
Kommando ihre Beute herabzuwerfen, und das kam nun allen zu statten;
denn die meisten Früchte hingen so hoch, daß sie vom Boden aus nicht zu
erreichen waren, und für gewichtige Menschen war das Erklettern der
schwankenden, biegsamen und dabei meist sehr umfangreichen Stengel und
Rohre mit besonderen Schwierigkeiten verknüpft.

Auch auf Kämpfe mit den verschiedenen Ungetümen des Urwalds ließen sich
die Affen ein, wobei sie manchen Heuschrecken- und Raupendrachen
erwürgten und Riesenspinnen und Tausendfüßler zerrissen oder totbissen.
Im Handgemenge mit den gepanzerten Käfern aber zogen sie meist den
Kürzeren und trugen allerlei Wunden davon; doch wurden sie jedesmal
durch die Kugeln der Herren oder durch Johns Axt vor dem Erliegen
gerettet.




                     26. Ein Kampf um die Sannah.


Der Genuß der aromatischen Beeren, die übrigens mit den leuchtenden
Früchten der Tipekitanga nicht wetteifern konnten, wurde durch die
zahlreichen widerlichen und recht gefährlichen Geschöpfe beeinträchtigt,
die den sonderbaren Wald bevölkerten.

Aber noch etwas andres zwang unsre Freunde zu schleunigster Umkehr.

Das war ein wütender Orkan, der sich ganz unvermittelt erhob und unter
dessen Gewalt sich die Krautbäume und Stauden bis zu Boden neigten und
so das Weiterkommen beinahe unmöglich machten, ja die Wandrer in Gefahr
brachten, niedergeschmettert und erdrückt zu werden.

Das Getier flüchtete sich zum Teil in Erdlöcher, die zahlreich vorhanden
waren und der Tätigkeit der Rieseninsekten selber zuzuschreiben sein
mochten, zum Teil rettete es sich auf die Wipfel, in denen es sich
festkrallte, während der Sturm über sie wegsauste, daß alles wogte, wie
ein Meer.

Der Rückzug war schwierig und nicht ungefährlich, und obgleich man gar
nicht weit in den Wald eingedrungen war, dauerte es doch lange, bis man
ihm wieder entrann; denn mit größter Vorsicht und unter vielen Umwegen
mußte denjenigen Pflanzen ausgewichen werden, die sich so tief neigten,
daß sie buchstäblich den Boden peitschten.

So furchtbar der Sturm wütete, so knickten doch nur ganz wenige Stengel
ein, so elastisch paßte sich diese zyklopische Pflanzenwelt den
Verhältnissen an.

Endlich war der Saum des Graswäldchens erreicht, und aufatmend traten
unsere Freunde auf die kleine Lichtung hinaus, auf welcher die Sannah
vor ihren Blicken emporragte.

Sie gedachten, sofort im Innern des Fahrzeugs Schutz vor dem Orkane zu
suchen, der jetzt einen feinen, alle Kleider durchdringenden Sprühregen
niederwehte. Dieser Sprühregen, so fein verteilt er war, erfüllte doch
die Luft mit einem undurchdringlichen Nebel, so daß es noch vor
Sonnenuntergang ziemlich düster wurde und man den Eingang ins
Nordpolzimmer zu halber Höhe der Sannah, also 22½ Meter hoch, nicht mehr
erblicken konnte.

Der Schimpanse Bobs, als der gelenkigste und zugleich naseweiseste und
rücksichtsloseste der ganzen Gesellschaft, turnte als erster an der
Strickleiter empor und war schon im Nebel verschwunden, ehe die andern
noch zur Stelle waren.

Bald vernahm man aus den verschleierten Höhen ein wütendes Gekreisch.

»Hollah! Dort oben scheint nicht alles in Ordnung zu sein,« rief
Flitmore: »Es war auch ein unverantwortlicher Leichtsinn von mir, unsre
Sannah ohne männlichen Schutz in der Einsamkeit eines fremden Planeten
zurückzulassen.«

Gleich darauf kollerte ein großer, doch offenbar nicht besonders
schwerer Körper an der Strickleiter herab.

»Aha! Da hat sich scheint's ein solch scheußlicher Saturnkäfer dort oben
unnütz gemacht,« sagte der Kapitän: »Nun, Bobs hat ihm das Unverschämte
seines Verhaltens gründlich klar gemacht und ihm den Kopf abgerissen,
daß er nur noch lose mit dem widerlichen Leibe zusammenhängt.«

»Nennen Sie diese Geschöpfe nicht scheußlich und widerlich,« schalt der
Professor: »Sie sind hochinteressant!« und er betrachtete liebevoll mit
wissenschaftlichen Augen den Mistkäfer, der zu seinen Füßen lag; denn
einem solchen war das Tier von der Größe eines Kalbes am ehesten
vergleichbar.

Das Gekreisch des Affen hörte inzwischen nicht auf, und bald sah man
Bobs mit kläglicher Miene und blutenden Armen in eiliger Flucht sich an
der Strickleiter herabschwingen.

»Oho! Da haben Sie's, Professor!« rief Münchhausen: »Von Ihren
hochinteressanten Tieren haben sich scheint's noch mehrere in der Sannah
eingenistet! Ich schlage vor, daß Sie sich sofort hinaufbegeben, da Sie
den Geschöpfen so zärtliche Gefühle entgegenbringen. Da können Sie
Studien machen, ganz ungestört; denn wir werden Ihnen erst folgen, wenn
Sie damit zu Ende sind und die Einbrecher als unschädliche Präparate
Ihrer Käfersammlung einverleibt haben.«

Schultze machte ein langes Gesicht. Ne! Da traute er sich nicht hinauf,
obgleich er nichts sehen konnte als Nebel, da er emporschaute. Aber wenn
Bobs sich in die Flucht schlagen ließ, dann war die Sache nicht geheuer.

»Richten wir die Zelte wieder auf, der Sturm läßt nach!« sagte Flitmore
trocken. Der Orkan hatte sämtliche Zelte umgerissen.

»Das heißt, wir sollen die Sannah zunächst ihrem Schicksal überlassen?«
frug Heinz.

»Es hat keinen Zweck, sich in diesem Nebel bei sinkender Nacht in eine
unbekannte Gefahr einzulassen und den Kampf mit wütenden Ungeheuern
aufzunehmen,« erwiderte der Lord achselzuckend.

»Aber gegen diesen Sprühregen schützen keine Zeltwände noch Decken,« gab
der Kapitän zu bedenken: »Wir sind schon bis auf die Haut durchnäßt und
Lady Flitmore könnte sich bei dieser Gelegenheit eine gefährliche
Bronchitis zuziehen.«

»Wissen Sie denn überhaupt, ob es auf dem Saturn Krankheitsbazillen,
speziell Schnupfenbazillen gibt?« warf Schultze ein.

»Pah! Erkälten kann man sich überall«, behauptete Münchhausen, »und
davor schützt einen ein trockenes Lager, nicht aber eine gelehrte
Bazillentheorie. Ich meinesteils, als alter Seebär, kann Nässe und kalte
Luft vertragen. Mir ist es nur um Sie und namentlich die zarte Lady.«

»Zarte Lady!« lachte Mietje: »Haben Sie mich in Afrika als Wachspuppe
kennen gelernt, daß Sie mich meinen in Watte wickeln zu müssen?«

»Das nicht, aber damals waren Sie ein Burenmädchen, jetzt sind Sie eine
englische Schloßherrin.«

»Doch nicht verweichlichter als damals: mein Burenblut konnte England
mir nicht rauben.«

»Dieses Zeugnis kann ich meiner Gattin ausstellen,« bestätigte Flitmore:
»Sorgen Sie sich nicht um sie.«

»Allein,« beharrte Münchhausen, dem auch das nasse Lager trotz seiner
Seebärennatur, mit der er sich brüstete, höchst unsympathisch erschien:
»Allein, da der Professor doch einmal die Bazillenfrage aufwarf, wer
kann wissen, ob der Saturn nicht viel gefährlichere Bazillen beherbergt
als die Erde? Vielleicht auch ganz riesige!«

»Beruhigen Sie sich,« sagte Heinz plötzlich, »ich werde das Abenteuer
wagen und hoffe das Ungeziefer dort oben auszurotten.«

»Seien Sie nicht tollkühn, junger Mann,« warnte der Lord: »Es hat keinen
Zweck. Warten wir bis morgen, bis wir die Sachlage übersehen können;
auch ist zu erwarten, daß die Käfer dann freiwillig den Rückzug
antreten, schon um nach Nahrung zu suchen; denn im Nordpolzimmer finden
sie nichts, und die Zwischentüren zu öffnen wird ihnen doch nicht
gelingen.«

»Ja, lassen Sie's bleiben, junger Freund,« mahnte nun auch Schultze:
»Bobs wäre nicht geflohen, wenn die Übermacht nicht zu groß wäre.«

»Ich habe meinen Plan, bei dem ich nichts riskiere,« entgegnete Heinz.
»Tollkühnheit ist mir fremd; sehe ich, daß Gefahr für mich besteht, so
kehre ich um.«

»Na, na!« drohte Münchhausen: »In Australien haben Sie mehr als einmal
gezeigt, daß Sie keine Todesgefahr scheuen: ich traue Ihrer Vorsicht
nicht so ganz.«

»Lassen Sie mich nur machen,« rief Heinz von der Strickleiter herab, an
der er bereits gewandt wie eine Katze emporklomm, um weitere
Erörterungen abzuschneiden.

Ihm folgte der Schimpanse Dick, der eine besondere Freundschaft mit dem
jungen Mann geschlossen hatte, welcher sich stets gerne und fürsorglich
mit dem Affen abgab.

Aber auch John kletterte empor, indem er Heinz nachrief: »Ich gestatte
mir mit meiner Wenigkeit auch unbedingt Ihre Nachfolge anzutreten, indem
daß wir zu dritt berechnungsweise mehr auszurichten imstande sein
dürften, als wenn Sie mit Dick allein eine Schlacht inokulieren
wollten.« Das sollte nämlich »inaugurieren« heißen, was John als einen
vornehmeren Ausdruck für das schlichte deutsche Wort »beginnen« erkannt
hatte.

Heinz erreichte die schwarz gähnende Öffnung des Nordpolzimmers. Es war
völlig Nacht geworden und man konnte nichts im Innern des Raumes
erkennen, wohl aber hörte man ein Durcheinanderkrabbeln, Knarren und
Zirpen, das bekundete, daß da drinnen eine ganze Anzahl ungebetener
Gäste sich eingenistet hatte und es nicht geraten gewesen wäre, sich in
Nacht und Finsternis in ihre Nähe zu wagen.

Dies hatte er auch vorerst nicht im Sinn; vielmehr ergriff er nun eine
der Rampen, die das Weltschiff gleich Meridianen in seinem ganzen Umfang
umgaben und sich in seinen Scheitelpunkten kreuzten.

Das Emporsteigen an der Rampe auf der glatten, gewölbten Oberfläche der
Kugel war für einen Menschen nicht ungefährlich; allein die Dunkelheit,
die jedes Gefühl des Schwindels ausschloß, begünstigte das Wagnis und
Heinz war ein gewandter Turner. Auch John Rieger fand keine
unüberwindliche Schwierigkeit in der Kletterei, Dick, der Affe, vollends
nicht: dem war es ein Spaß.

So langten denn alle drei wohlbehalten oben an, wo sie in einer Höhe von
45 Metern über dem Saturnboden auf dem höchsten Punkte der Sannah
standen, also über deren Zenithzimmer.

Tastend fand Heinz den elektrischen Drücker zu seinen Füßen, der die
Öffnung der Luke von außen ermöglichte und nun stiegen sie auf der hier
mündenden Leitertreppe in den dunkeln Raum hinab, die Lucke hinter sich
wieder schließend.

Zunächst drehte Heinz das elektrische Licht auf und sagte zu John: »Vor
allem nehmen wir jeder einen der Gummistühle mit, das sollen treffliche
Schutzschilde gegen die Zangen und Kiefer der Unholde sein.«

»Aber dann dürfte mit Verlaub das Schießen darunter notleidend werden,«
gab der Diener zu bedenken. »Insofern zum wenigsten ich meinesteils das
Schießen mit einem einzigen gebrauchsfähigen Arm fertigzubringen der
unumgänglichen Fähigkeit entbehre.«

»Wir schießen auch nur im äußersten Notfall, Freund. Es ist so eine
Sache, mit einem weittragenden Gewehr in einem geschlossenen Raum zu
schießen; wenn auch die Kugeln angesichts der dicken Kautschukpolster an
den Wänden nicht zurückprallen dürften, so könnten wir doch
Beschädigungen und Verwüstungen anrichten, die wir besser vermeiden.«

»Aber da wären doch sozusagen Revolver im Waffenschrank, der sich dahier
befindet.«

»Ausgezeichnet! Mit denen können wir das Schießen eher wagen. Stecken
wir uns jeder solch ein Ding in den Gürtel; aber zuvor laden! Und jetzt,
unsre Hauptwaffe muß ein Hirschfänger sein; den nehmen wir in die rechte
Hand.«

»Ich würde mit Ihrer gütigsten Gestattung, sofern Sie nichts
Wesentliches dagegen einzuwenden haben sollten, das Dolchmesser lieber
auch in den Gürtel zu stecken vorziehen und diese Tomashacke, das
indianische Beil, zur Hand nehmen, da allerlei praktische
Waffengerätschaften aus aller Herren Ländern in diesem Kasten sich in
Vereinigung befinden, indem daß ich mit dem Beilhieb besser umzugehen
vermag als mit dem Dolchstoß.«

»Wie du willst, John, und den Revolver gebrauchen wir nur im Notfall;
mit dem wirst du wohl einhändig schießen können?«

»Dieses zu bejahen werde ich mir wohl schmeicheln dürfen, indem daß ich
andernfalls mich als einen ganz besonderen Tollpatsch ausweisen würde.«

»Also! Jetzt in den Gang nach dem Nordpolzimmer! Ich gehe voran, Dick
folgt mir und du schließt die Türe, nachdem du das Licht ausgedreht
hast; inzwischen erleuchte ich den Korridor. Wenn wir in das
Nordpolzimmer kommen, mache ich zuerst Licht dort: das wird die Biester
zunächst so blenden und verblüffen, daß sie uns nicht gleich angreifen
werden.«

Ehe Heinz die Türe öffnete, die vom Gang in das Nordpolzimmer führte,
löschte er das elektrische Licht im ersteren, so daß alles dunkel war,
als er den Raum betrat. Dies tat er vorsichtig, sich hinter dem
Gummisessel deckend und daran hatte er gut getan; denn hart an der Türe
stand ein Tier, das er erst fortdrängen mußte. Hiezu galt es alle Kraft
einsetzen, denn der Sechsfüßler sperrte sich gewaltig.

Jetzt drehte der junge Held das elektrische Licht auf und zwar alle
Lampen rasch nacheinander, so daß blendende Helligkeit den Raum
überflutete.

Rasch übersah er die Sachlage. Ein Dutzend Panzerkäfer von der Größe
halbwüchsiger Kälber hatte sich in der Stube eingenistet; außer ihnen
befanden sich aber auch vier mächtige Asseln im Zimmer, die Heinz wegen
ihrer Gelenkigkeit und Behendigkeit mehr Sorge machten als die Käfer mit
ihren Zangen und Kiefern.

Dick gab das Zeichen zum Angriff: beherzt sprang er hervor und setzte
auf den Rücken einer Assel die sich unter seinen würgenden Griffen und
reißenden Nägeln und beißenden Zähnen krümmte und wand, ohne ihm jedoch
beikommen zu können: der Schimpanse machte ihr rasch den Garaus.

Die Käfer standen, wie Heinz richtig vermutet hatte, zunächst geblendet
und regten sich nicht. Wie abwehrend stemmten sie die Vorderbeine und
sperrten die Kiefer auf.

»Jetzt drauf!« kommandierte der junge Mann und stürzte auf den nächsten
Feind los, ihm den Hirschfänger zwischen die Halsplatten stoßend.

John schwang indessen sein Tomahawk oder seine Tomashacke, wie er sich
ausdrückte; er hatte den Schild, der ihn behinderte, weggeworfen und
spaltete zunächst einer Assel den weichen Kopf, während Dick, der den
Kampf mit den Asseln einem Angriff auf die panzergeschützten Käfer
vorzuziehen schien, soeben die dritte zu zerfetzen begann.

Es schien eine völlig gefahrlose Schlacht zu geben, denn schon waren
acht der Ungeheuer kampfunfähig gemacht und ein neuntes war zur Lucke
hinaus entwichen, ohne daß die Helden mehr als ein paar Quetschungen
davongetragen hatten. Außerdem lagen drei Asseln tot und die vierte war
nicht mehr zu sehen.

»Nur noch drei Feinde!« jubelte Heinz: »Der Sieg ist unser!«

Allein er frohlockte zu früh, gerade diese letzten Gegner sollten noch
schwere Arbeit machen; ihre Augen hatten sich an das Licht gewöhnt und
sie waren auf ihrer Hut.

Mit dem einen befand sich Dick in verzweifeltem Kampf. Der Kerl war auf
den Rücken gefallen, aber mit den kräftigen Zangen seiner sechs
zappelnden Beine hielt er den Affen fest, kneipte und zwickte den laut
kreischenden Vierhänder und schnappte mit den Kiefern nach ihm.
Vergeblich suchte der Schimpanse, loszukommen; hätte er sich befreien
können, er hätte nur noch an den Rückzug gedacht, wie zuvor Bobs. Er biß
wütend um sich und zerbrach mit den Vorderhänden dem Scheusal zwei
Beine, aber von hinten wurde er im Schraubstock festgehalten.

Der zweite Käfer war zum Angriff auf Heinz übergegangen. Dieser hatte
sich in seiner Siegesgewißheit dessen nicht versehen und alle Vorsicht
außer acht gelassen; er hatte bisher so leichtes Spiel gehabt.

Unglücklicherweise umfaßten die Kiefer des Angreifers gerade seinen
Hals: sie waren wohl nicht imstande, ihn zu durchbeißen, wohl aber, ihn
derart zusammenzupressen, daß der Ärmste erwürgt wurde. »John, John, zu
Hilfe!« konnte er nur noch mit erstickter Stimme stöhnen, dann entfiel
ihm der Hirschfänger, mit dem er seinem Gegner einen schwachen Stich
versetzt hatte.

Aber John war außerstande, Hilfe zu bringen: auch er befand sich in
einer ekligen, wenn auch zunächst nicht lebensgefährlichen Klemme. Am
rechten Arm gepackt, konnte er sein mörderisches Beil nicht mehr
gebrauchen und tastete mir der Linken krampfhaft nach dem Revolver in
seinem Gürtel.

In diesem Augenblick höchster Not erschien Flitmore in der Lucke,
gefolgt von Schultze. Die Sorge um Heinz und John hatte ihnen keine Ruhe
gelassen. Im Emporklettern wäre es übrigens dem Lord beinahe schlimm
ergangen, denn er stieß mit dem flüchtenden Käferriesen zusammen,
der ihn fast zu Fall brachte; doch gelang es ihm, das Tier
hinunterzustürzen.

Ein Blick zeigte ihm nun, daß die Hauptarbeit getan war, daß aber auch
Heinz in dringendster Lebensgefahr schwebte. Er eilte, den Mörder zu
köpfen und dann die Zangen des abgetrennten Kopfes gewaltsam von seines
jungen Freundes Hals zu lösen. Nun stellte er Wiederbelebungsversuche an
dem Ohnmächtigen an.

Indessen war es John gelungen, durch einige Revolverschüsse auch seinem
Feinde das Lebenslicht auszublasen und dann mit Mühe seinen Arm aus der
Klemme zu befreien.

Der Professor war inzwischen dem Affen zu Hilfe gekommen, der
schleunigst den unheimlichen Ort verließ, obgleich die Gefahr nun
vorüber war.

Und doch! sie war es noch nicht ganz: auf einmal erscholl ein Schrei des
Entsetzens aus Schultzes Munde.

Die vierte der Asseln, die verschwunden schien, war nur an der Wand
hinauf gekrochen und stürzte plötzlich von der Decke herab auf den
Professor; nicht aus böswilliger Absicht, -- sie hatte einfach den Halt
verloren.

Aber was tat dies zur Sache? Der unglückselige Gelehrte fühlte sich von
einem dicken, ringelnden Leib umwunden, von zahllosen, kribbelnden Füßen
umfaßt und wähnte sein letztes Stündlein gekommen.

Nun aber kamen John und Flitmore gleichzeitig herbei und machten das
letzte der Scheusale bald unschädlich, dessen zerstückelter Leib sich,
mit den enggereihten Beinen zappelnd, am Boden krümmte.

Heinz war wieder zur Besinnung gekommen und griff sich an den Hals; er
hatte das Gefühl, als presse eine furchtbare Zange ihn immer noch
zusammen. Da war aber nichts mehr vorhanden, nur die Nachwehen des
Drucks hatten ihm dies vorgetäuscht. Bald atmete er auch wieder leichter
und konnte sich allmählich erheben.

Da trat Mietje mit gezücktem Dolch durch die Außentüre ein: sie fand zum
Glück keine Arbeit mehr für ihre Waffe. Hinter ihr tauchte Münchhausen
pustend und schweißtriefend auf, so hastig war er emporgeklettert, um
den Freunden auch seinerseits Beistand zu leisten.

»Nanu, da komme ich ja wohl zu spät,« keuchte er: »Schade, schade, daß
sich niemand in Lebensgefahr befindet, es wäre mir ein Vergnügen und
eine Ehre gewesen, ihn zu retten.«

»Sie haben jetzt das Recht zu scherzen,« sagte der Lord, »aber unserm
heldenmütigen Freund, Heinz Friedung, ging es diesmal buchstäblich an
den Kragen und um ein Haar, so wäre es um ihn geschehen gewesen.«

»Wahrhaftig! Sie sind ja ganz blau im Gesicht,« wandte sich der Kapitän
mit lebhafter Teilnahme an den Geretteten, »und Ihr Hals zeigt
Strangulationsspuren. Wir müssen Ihnen schleunigst einen Grog brauen!«

Die Tierleichen wurden jetzt hinausgeworfen und möglichst alle die
widerlichen Spuren des Kampfes entfernt; dann holte John die Zelte
herein und auch die Affen trauten sich wieder in die Sannah und halfen
beim Transport.

Die Kämpfer aber wuschen sich und zogen sich um, worauf im Zenithzimmer,
fern vom Schlachtfeld, das Nachtmahl eingenommen wurde.




                      27. Vom Kometen entführt.


»Wir wollen eine andre Gegend des großen Planeten aufsuchen,« schlug
Flitmore andern Tags vor.

»Das ist ein guter Gedanke,« sagte Schultze beifällig: »Ich sehe selber
ein, die Tierwelt hier in den Tropen ist eklig und unangenehm, so
hochinteressant sie auch erscheint. Wohl möglich, daß andre Breiten neue
Wunder und weniger Schrecken offenbaren.«

Zunächst wurden noch reichlich Früchte, besonders Nüsse eingesammelt und
in die Sannah verbracht, wußte man doch nicht, ob der nächste
Landungsplatz ebenso fruchtbar sein würde.

Dann wurden einige leere Behälter mit dem Wasser des Bächleins gefüllt,
das sich als herrliches und bekömmliches Trinkwasser erwiesen hatte. In
Eimern wurde es an einem Flaschenzug emporgewunden.

Auch diese Vorsicht wurde geübt, weil man nicht voraussehen konnte, wie
es mit den Trinkverhältnissen an anderm Orte bestellt sei.

»Hoffentlich entdecken wir auch die Saturnmenschen, das heißt
vernünftige Wesen gleich uns,« äußerte Mietje: »Ich kann mir doch nicht
denken, daß ein so ungeheuer großer Weltkörper, der alle
Lebensbedingungen für menschliche Wesen bietet, nicht auch von solchen
bewohnt sein sollte!«

»Wenn diese Menschen wie die Pflanzen- und Tierwelt der Dichtigkeit des
Planeten angepaßt sind,« scherzte Münchhausen, »so müssen sie äußerst
leichtfüßig sein, und dann besteht für uns die Gefahr, daß sie uns als
»lästige Ausländer« ausweisen.«

»Das würde wenigstens Ihnen drohen, Freund Hugo der Dicke,« meinte
Schultze: »Der lästigste Ausländer sind zweifellos Sie und die
Saturniten könnten es mit Recht als eine schwere Bedrohung ihres
leichten Planeten ansehen, wenn er mit so lästigen Lasten belastet
wird.«

»Au!« rief Münchhausen: »Solche Kalauer bringt doch nur ein geborener
Berliner fertig. Ganz der Schultze aus dem Kladderadatsch!«

»Ernstlich geredet,« begann der Professor wieder, »glaube ich nicht an
die Saturniten, da wir bisher auch nicht die Spur von Menschenwerken
entdeckten, auch die langen Winter und Sonnenfinsternisse den Aufenthalt
dahier nicht besonders menschlich gestalten.«

»Ich neige zu Lady Flitmores Ansicht,« widersprach ihm Heinz: »Die
Menschen könnten ja eben diesen Verhältnissen angepaßt sein, vielleicht
sind auch die langen Winter gar nicht besonders streng. Und was die
menschlichen Spuren anbelangt, so ist ja die Saturnwelt so ungeheuer
groß im Vergleich zu der Erde, daß es rein nichts besagen will, daß
einzelne Gegenden sich als unbewohnt, vielleicht von den Saturniten noch
unerforscht erweisen.«

»Es steht Ihnen natürlich frei, Ihre eigene Ansicht hierüber zu haben,«
entgegnete Schultze: »Aber mit was wollen Sie dieselbe begründen? Eine
unbegründete Theorie schwebt in der Luft.«

»O, ich begründe sie genau wie unsre Lady. Darin sind wir ja doch alle
einig, daß diese Wunderwelten mit ihren Pflanzen und lebenden Wesen nur
durch den Willen eines persönlichen und vernünftigen Schöpfers
hervorgerufen worden sein können?«

»Natürlich! Darüber ist kein Wort zu verlieren,« ereiferte sich
Schultze. »Daß unpersönliche Kräfte Persönlichkeiten hervorzauberten und
die vernünftige Weltordnung das zufällige Erzeugnis der
Vernunftlosigkeit ist, solchen Blödsinn zu glauben wollen wir dem
Halbgebildeten und Denkschwachen überlassen.«

»Also!« fuhr Heinz fort: »Ein persönlicher, vernünftiger Schöpfer wird
nichts ohne Zweck und Bestimmung schaffen. Der Mars zum Beispiel war von
menschenähnlichen Wesen bewohnt; er scheint seine Bestimmung vorerst
erfüllt zu haben, um auszusterben, vielleicht nur, damit er in späteren
Zeiten unter günstigeren Lebensbedingungen einem neuen Geschlecht eine
Wohnstätte biete. Der Saturn, der fast 3000mal so groß ist wie der Mars
und vernünftigen Wesen weit bessere Lebensbedingungen zu bieten scheint,
kann doch unmöglich bloß als Aufenthalt der Rieseninsekten vom Schöpfer
gedacht worden sein?«

»Bravo! So meinte ich's,« spendete Mietje ihren Beifall.

»Erlauben Sie mir, beiden Parteien recht zu geben,« mischte sich der
Lord in den Streit: »Nordamerika war Jahrtausende lang sehr dünn
bevölkert und wies ungeheure unbewohnte Länderstrecken auf, die den
Menschen doch ausgezeichnete Lebensbedingungen boten; heute hat es eine
sehr dichte Bevölkerung, und das war jedenfalls seine Bestimmung.
Dieselbe Bestimmung dürfen wir für Kanada annehmen, das sich erst in
unsern Tagen etwas mehr zu bevölkern beginnt; desgleichen weist
Südamerika noch die herrlichsten Besiedelungsflächen auf, die zur Zeit
völlig oder doch beinahe menschenleer sind.«

»Daraus sehen wir nur,« fiel Mietje ein, »daß die Bestimmung der
bewohnbaren Länder sich erst im Laufe der Zeiten erfüllt.«

»Ganz richtig, meine Liebe! Wenn ihr also mit Recht sagt, Saturn ist für
menschenähnliche Wesen bewohnbar und ist also offenbar für solche
bestimmt, so könnt ihr daraus noch lange nicht folgern, daß er zur Zeit
auch schon seine Bestimmung erfüllt, das heißt, daß jetzt solche Wesen
auf ihm leben müssen. Er kann eine Welt sein, die für spätere
Besiedelung vorbehalten ist. Vielleicht werden bald seine Ringe vollends
in Trümmer gehen und auf seine Oberfläche herabstürzen, so daß einmal
die leidigen Sonnenfinsternisse ein Ende haben. Vielleicht wird dadurch
auch seine Umlaufszeit beschleunigt; dann hindert nichts, daß er von der
Erde aus bevölkert wird, nachdem nun die Mittel gefunden sind, binnen
weniger Tage ihn zu erreichen.«

»Dagegen ist nichts einzuwenden,« meinte Schultze. »Aber, werter Lord,
da wir nun zur Abfahrt bereit sind, um eine andre Gegend des Saturn zu
besuchen, bitte ich, diesmal mir den Beobachtungsposten anzuweisen. Ich
werde mich bemühen, den meistversprechenden Landungsplatz auszuwählen.«

»Halt, halt, Professorchen!« warnte Münchhausen: »das halten Sie nicht
aus. Ich sage Ihnen, da werden Sie zwischen Plafond und Hängematte hin-
und hergeworfen, daß Ihnen alle Knochen mürbe werden, da Sie mit keinem
so ausgepolsterten, federnden Leib gesegnet sind, wie ich. Sie sind eine
Landratte und werden jämmerlich seekrank, das dürfen Sie mir glauben.«

»Ach was, Landratte! Glauben Sie denn, ich könne keine schaukelnde
Bewegung vertragen? Bin ich etwa zu Lande nach Amerika, Afrika, Asien
und Australien gereist?«

»Na! probieren Sie's; aber Sie werden noch an mich denken!«

So begab sich der Professor in die Hängematte des Antipodenzimmers und
gab das Zeichen zur Abfahrt, worauf er alsbald aus dem Netze flog und
mit der Nase auf das Fenster zu liegen kam. Bei jedem Zeichen, das er
gab, wechselte er seine Lage zwischen Matte und Zimmerdecke; aber
mannhaft ertrug er das Ballspiel, das die Sannah mit seinem Körper
aufführte, und fand die jedesmalige Veränderung der Perspektive
hochinteressant.

Aber, was war das? Plötzlich verschwand der Saturn wie ein Blitz unter
ihm und war nirgends mehr zu sehen!

Schultze rieb sich die Augen, er strengte seine ganze Sehkraft an:
entzog ihm nur der plötzliche Einbruch der Nacht den Anblick des
Planeten? Aber die Sannah hatte sich ja beim Aufstieg auf der
Tagesseite, zwischen der Sonne und der Saturnbahn befunden: so lange die
Fliehkraft eingeschaltet war, mußte der Planet dem Weltschiff stets die
sonnbeschienene Seite zukehren, weil er sich unter ihm drehte, ohne daß
es an seiner Rotation teilnahm.

Bei ständig geschlossenem Strom hätte es immerhin einige Stunden dauern
müssen, bis die Nacht eingetreten wäre.

Das also konnte es nicht sein, und doch war weit und breit nichts zu
sehen als der dunkle Weltraum; die Sonne leuchtete ja der Sannah auf der
andern Seite, im Antipodenzimmer herrschte tiefste Nacht.

So verblüfft war der Professor durch dieses völlig unerwartete und
unerklärliche Ereignis, daß er lange Zeit nur seine Augen und sein
Gehirn anstrengte, ohne weder etwas sehen zu können, noch des Rätsels
Lösung zu finden.

Endlich fiel ihm ein, daß das Vernünftigste wäre, rasch den Strom
unterbrechen zu lassen, damit die Sannah durch die Wirkung der
Anziehungskraft womöglich dem verschollenen Gestirn wieder nahe komme.

Er gab das entsprechende Zeichen mehrmals: ganz umsonst! Ruhig blieb er
im Netze liegen, der Schwerpunkt der Sannah blieb unverändert im
Mittelpunkt des Fahrzeugs.

Da mußte etwas nicht in Ordnung sein, vielleicht gelang es dem Lord
nicht, die Fliehkraft abzustellen.

»Was ist denn los dort unten?« fragte jetzt Flitmores Stimme durch das
Telephon.

»Ich möchte fragen, was dort oben los ist?« frug Schultze zurück: »Der
Saturn ist verschwunden, völlig weg! Warum unterbrechen Sie den Strom
nicht?«

»Er ist unterbrochen! Ich stellte ihn ab, gleich bei Ihrem ersten
Zeichen.«

»Dann funktioniert Ihr Schaltungsapparat nicht mehr!«

»Doch! Er ist völlig in Ordnung. Da muß etwas andres im Spiele sein;
kommen Sie nur herauf.«

Kopfschüttelnd stieg der Professor aus der Hängematte und begab sich,
zuerst absteigend, dann vom Zentrum an aufsteigend, in das Zenithzimmer.

            [Illustration: Die Sannah im Kometenschweif.]

Hier hatten die Reisenden gleich seit Beginn der Abfahrt ein ganz
einzigartiges Schauspiel genossen: trotz des blendenden Sonnenscheins
stand der Komet strahlend am Tageshimmel und bot als ein ungeheurer
Schweifstern einen entzückenden Anblick.

Flitmore hatte vorgeschlagen, dem Kometen einen Namen zu geben.

»Die Astronomen auf Erden haben ihn ja zweifellos schon benannt,« sagte
er, »aber wir wissen nicht wie und haben vorerst das Recht, ihm zu
unserm Hausgebrauch einen Privatnamen zu geben.«

Man kam überein, daß er »Amina« heißen solle, zu Ehren einer treuen
Somalinegerin, mit der man in Afrika so mannigfache Abenteuer bestanden
hatte.

Merkwürdigerweise schien der Komet immer näher zu kommen und die Sonne
immer ferner zu rücken. Einige leuchtende Körper, gleich Planetoiden,
sausten an der Sannah vorbei.

Inzwischen gab Schultze wieder einmal ein Zeichen; Flitmore stellte den
Zentrifugalstrom ab. Bald darauf aber ertönte das gleiche Zeichen
wiederholt.

»Der Professor kennt sich nicht mehr aus mit den Zeichen,« lachte
Münchhausen.

Und nun kam es zu dem Telephongespräch, infolge dessen Schultze sich
hinaufbegab.

Als er eingetreten war, wurden seine auffallenden Beobachtungen lebhaft
besprochen, ohne daß man jedoch eine Erklärung fand.

»Nehmen wir unser Mittagsmahl ein!« schlug Münchhausen vor: »Ein
ordentliches Essen schärft den Verstand.«

Der Professor beobachtete vor und während der Mahlzeit den merkwürdigen
Kometen; dann begab sich Heinz ins Antipodenzimmer und berichtete durchs
Telephon, daß vom Saturn nichts zu sehen und alles in Dunkel gehüllt
sei.

»Ich hab's!« rief Schultze: »Wir stecken mitten im Kometenschweif und
werden mit ihm fortgerissen, und zwar mit einer Geschwindigkeit, die
alle menschliche Fassungskraft übersteigt.«

»Hollah!« rief Flitmore: »Sie mögen recht haben! Beeilen wir uns, die
Fliehkraft wieder einzuschalten, daß wir nicht gar auf den Kern der
Amina stürzen.«

Und alsbald schloß er den Strom.

Aber die Wirkung war eine völlig unerklärliche: Die Sannah schien sich
dem Kopf des Kometen noch beträchtlich zu nähern; dann blieb sie
scheinbar unbeweglich an einem Fleck.

Dies konnte man daraus schließen, daß einige Meteorstücke, die sich nun
ganz in ihrer Nähe befanden, stets die gleiche Entfernung von ihr
beibehielten.

»Dieser scheinbare Stillstand,« erklärte der Professor, »beweist
lediglich, daß wir samt jenen Meteoriten, die einen Bestandteil des
Kometenschweifes bilden, unaufhaltsam im Schweife der Amina mit
fortgerissen werden.«

Der Lord machte noch einige Versuche mit Ein- und Ausschalten des
Stroms, aber diese hatten nur geringe Lageveränderungen der Sannah zur
Folge: Der Komet schien sie an einem unsichtbaren Faden festzuhalten.

Trotz der genauesten Untersuchung war nichts zu entdecken, das darauf
hätte schließen lassen, daß die Fliehkraft irgendwie nicht mehr richtig
in Tätigkeit war.

Niemand wußte Rat, niemand fand eine Erklärung.

Schließlich ließ Flitmore den Strom endgültig eingeschaltet, als
sicherstes Mittel, einen Zusammenstoß zu vermeiden und vielleicht, nach
Überwindung des rätselhaften Widerstands, vom Kometen loszukommen.

»Die Sannah wird vom Kometen regelrecht entführt, daran ist nicht zu
zweifeln!« sagte er. »Ergeben wir uns in unser Schicksal, bis vielleicht
einem von uns eine Erleuchtung kommt oder ein ebenso unbekannter Umstand
uns aus der fatalen Lage befreit.«

Die Sannah vollendete ihre Rotation und im Zenithzimmer ward es Nacht.

Nachdem die Wachen verteilt waren, begab man sich mit gemischten
Gefühlen zur Ruhe.




             28. Die Geheimnisse der äußersten Planeten.


Andern Tags kreuzte der Komet Amina, mit der Sannah in seinem Gefolge,
die Bahn des Planeten Uranus, der am 13. März 1781 von Herschel entdeckt
wurde.

»Uranus ist etwa doppelt so weit von der Sonne entfernt, wie Saturn,«
belehrte Schultze, »nämlich zirka 2850 Millionen Kilometer. Er ist 90mal
so groß wie unsere Erde und wird von der Sonne nur schwach erleuchtet
und erwärmt, da er 400mal weniger Sonnenlicht empfängt als die Erde, was
aber immerhin noch 1500 Vollmonden gleichkommt. Er erscheint
gleichförmig und düster und ist wahrscheinlich heißflüssig und daher
etwas selbstleuchtend. Seine Dichte ist nahezu die des Wassers und die
Schwerkraft beträgt auf ihm ein Zehntel weniger als auf unserm irdischen
Planeten.

Er besitzt vier äußerst kleine, lichtschwache Monde mit rückläufiger
Bewegung, das heißt, sie drehen sich um ihn von Westen nach Osten. Die
Sonne erscheint ihm 360mal kleiner als der Erde.

Sein Äquator scheint nahezu senkrecht zu seiner Bahnebene zu stehen, so
daß die Pole in der Bahnebene selber liegen und jeder Punkt auf diesem
Weltkörper das gleiche Klima besäße; allerdings ein Klima, das auch auf
jedem Punkte den außerordentlichsten Schwankungen unterliegt, denn der
längste Tag dauert bei 5 Grad Breite 2-1/3 Erdenjahre und bei 90 Grad
gar 49 Erdenjahre!«

Die Sannah kam dem Uranus ziemlich nahe, aber vergebens hoffte Flitmore,
bei Abstellung der Zentrifugalkraft durch die Anziehungskraft des
Planeten von der Amina losgerissen zu werden: der Kometenschweif riß das
Weltschiff unentwegt mit sich fort.

Doch konnte Schultze wenigstens einige neue Entdeckungen machen: er fand
einen Mond des Uranus, und zwar den von Herschel 1787 entdeckten Oberon,
mit einem Ring umgeben, ähnlich dem Saturn, eine völlige Neuheit auf
astronomischem Gebiete; ferner entdeckte er zwei weitere, sehr kleine
dunkle Monde, deren einer zwischen Oberon und Titania, der andre
zwischen Ariel und Umbriel kreiste, den zwei innersten Monden, die
Lassell 1846 entdeckt hatte.

Nach weiteren zwanzig Stunden schnitt der Komet bereits die Neptunbahn.

»Neptun,« erläuterte der unermüdliche Professor, »ist weiter von der
Sonne entfernt als Saturn und Uranus zusammengenommen, nämlich an die
4470 Millionen Kilometer.

Galle in Berlin entdeckte diesen äußersten Planeten unsres Sonnensystems
nach den Berechnungen, die sich aus den Störungen der Uranusbahn
ergaben, und die Adams und Leverrier angestellt hatten. Die Entdeckung
Neptuns machte dem Bodeschen Gesetz von dem Verhältnis der
Planetenentfernungen entgültig ein Ende, obgleich es durch die
Entdeckung der Planetoiden so schön bestätigt worden war. Es half nun
alles nichts: es stimmte einfach nicht mit der Entfernung des neuen
Planeten.

Neptun scheint nur einen Mond zu besitzen, hat anderthalbfache
Wasserdichte und ist von einer wolkigen Atmosphäre umgeben. Er empfängt
tausendmal weniger Sonnenlicht als die Erde, dafür ist sein Mond, der
sich rückläufig bewegt, größer und heller als die Uranusmonde; er
umläuft den Neptun in 5 Tagen, 21 Stunden und 4 Minuten. Der Planet
selber soll sich in heißflüssigem Zustande befinden.«

Dem Neptun kam die Sannah nicht so nahe, wie dem Uranus; dennnoch
konnten drei weitere kleine Monde entdeckt werden, von denen zwei sogar
rechtläufig waren: eine neue Gesetzwidrigkeit!

»Mit Neptun hört unser Sonnensystem auf und auch in 10000facher
Entfernung ist nichts mehr vorhanden als der leere Weltraum, den nur
Kometen und Meteoriten noch durchkreuzen.«

So lautete Schultzes Schlußbehauptung; aber er hatte sich geirrt: in
anderthalbfacher Neptunentfernung von der Sonne fand sich eine zehnte
Planetenbahn und die Weltreisenden sichteten einen dunklen Planeten, der
wenig größer als die Erde sein mochte und der eine starke Libration
aufwies.

Getreu der Sitte, die Planeten des Sonnensystems mit römischen
Götternamen zu bezeichnen, nannte Flitmore das neue Gestirn »Vulkan«,
und zwar »wegen seines hinkenden Gangs«, wie er sich ausdrückte.

Leider konnte der Planet wegen seiner Entfernung und der rasenden
Geschwindigkeit, mit welcher der Kometenschweif die Sannah mit sich
fortriß, nicht näher untersucht werden.




                    29. Eine Reise ins Unendliche.


Die Sannah kreiste in unendlicher Finsternis; die Sonne stand nur noch
als kleiner Stern am Himmel, ihre Planeten waren mit dem bloßen Auge
nicht mehr sichtbar.

Der Komet allein verbreitete Licht und erhellte die ihm jeweils
zugekehrte Seite des Weltschiffs. Seinen Schweif hatte er bald nach
Verlassen des Sonnensystems mehr und mehr wieder an sich gezogen, und
mit ihm die Sannah, die ihn nun als Trabant in geringer Entfernung
umkreiste, und von seinem gewaltigen Kerne außer dem Licht auch mäßige
Wärme empfing.

»Je weiter sich ein Komet von der Sonne entfernt, desto geringer wird
seine Geschwindigkeit,« begann Schultze eines Tages. »Das ist die Regel,
die ich anfangs auch für die Amina bestätigt fand. Inzwischen ist aber
die Geschwindigkeit unsres Kometen wieder so rasend gewachsen, daß sie
alle Begriffe übersteigt und die des Lichts weit übertrifft.«

»Bedenken wir, daß die Nägel an unsern Händen und Füßen nur ein
Tausendmillionenstel Millimeter in der Sekunde wachsen, während in der
gleichen Zeit eine Schnecke 15 Tausendstel Millimeter zurückzulegen
pflegt, ein Fußgänger gar 1-1/10 Meter, so sehen wir, daß ein Mensch im
Verhältnis zum Wachstum seiner Nägel viel rascher vorwärtskommt als
unser Komet im Verhältnis zu einem gewöhnlichen Fußgänger,« bemerkte
Flitmore lachend.

»Überhaupt, was ist Geschwindigkeit?« fragte Münchhausen. »Alles ist nur
verhältnismäßig; ein Floh übertrifft an Behendigkeit die Schnecke wie
die Schwalbe den Kapitän Hugo von Münchhausen.«

»Da haben Sie recht!« stimmte der Professor lachend zu. »Eins übertrifft
das andre, so ist es auch in der geflügelten Welt: Der Geier legt in der
Sekunde 15 Meter zurück, die Wachtel 17, die Brieftaube 27, der Adler
31, die Fliege 53, die Schwalbe 67, die Seglerschwalbe gar 89 Meter. Die
Elektrizität durchläuft den Kabeldraht mit einer Eile von 4000
Kilometern pro Sekunde, der Voltastrom leistet das Dreifache und in
einer oberirdischen Telegraphenleitung erreicht die Elektrizität gar die
Geschwindigkeit von 36000 Sekundenkilometern. Das Licht pflanzt sich im
Wasser mit 22500 Kilometern Sekundengeschwindigkeit fort, in der Luft
mit 100000 und im Weltraum mit 300000 Kilometern. Und doch braucht es
vom nächsten Fixstern bis zur Erde 4½ Jahre.

Nun schätze ich jedoch, daß unser Komet etwa das 50fache der
Lichtgeschwindigkeit erreicht, so daß er uns innerhalb fünf Wochen in
die Fixsternwelt tragen würde! Was bedeutet dagegen der sogenannte
Ausreißerstern mit seinen 300 und der große Stern im Arktur mit seinen
4-500 Sekundenkilometern?«

»Wenn uns nur die Luft solange vorhält,« meinte Mietje bedenklich.

»Wenn es richtig ist, was der Professor ausrechnet, daß wir in fünf
Wochen, oder sagen wir auch in zehn, zu den Fixsternen gelangen, so
wird, wenn keine besonderen Umstände eintreten, unser Sauerstoffvorrat
reichen,« beruhigte sie der Lord. »Wenn wir dann nur vom Kometen
loskommen und auf einem wohnlichen Stern mit gesunder Luft zu landen
vermögen.«

»Hurrah! Es geht zu den Fixsternen!« rief Heinz begeistert. »Das hätte
ich mir doch nie träumen lassen.«

»Ja, wir reisen in Gottes Wunderwelt,« bemerkte Flitmore nachdenklich.
»Nun denn! Hat uns nicht der Schöpfer seinen Boten aus der Unendlichkeit
gesandt, uns in's Schlepptau zu nehmen? Vertrauen wir ihm, daß er uns
behütet auf einer Fahrt, wie sie noch kein menschliches Wesen gemacht
oder auch nur für denkbar gehalten hat.«

Schultze entnahm dem Bücherschrank einen dicken Band und sagte:

»Hier haben Sie ein Werk, edler Lord, das uns wenig Vertrauen zu unsrer
Reise machen dürfte, falls sein Verfasser recht behielte.«

Flitmore warf einen Blick auf das Buch und zuckte die Achseln: »Die
Weltmaschine von Karl Snyder, ja, ja! Das ist so einer von den kleinen
Geistern mit engbeschränktem Horizont, die da glauben, mit ihrem
Gehirnchen das Weltall zu umfassen. Ich denke aber, wir wollen unser
Vertrauen doch lieber auf Gott setzen und nicht auf Herrn Karl Snyder.«

»Was behauptet denn dieser Mann der Wissenschaft?« fragte Münchhausen
neugierig.

»Einen Mann der Wissenschaft wollen wir ihn doch lieber nicht nennen,«
meinte Schultze lachend: »Er schreibt zwar mit gewaltigem Pathos über
die Wissenschaft und prahlt mit ihr, schwebt aber selber doch zu sehr im
Nebel seiner Phantasien, als daß er einen festen wissenschaftlichen
Boden für seine Füße gewänne. Mit einem Wort, er urteilt aus
materialistischer Voreingenommenheit heraus; es steht ihm von vornherein
fest, daß es keinen Schöpfer gibt und die göttliche Offenbarung Fabel
sei, und so versetzt er dem Christenglauben ohne irgendwelchen Anlaß und
vollends ohne irgendwelche stichhaltige Begründung Fußtritt auf
Fußtritt, wie ein ungezogener Knabe.«

»Erlauben Sie,« unterbrach der Lord den Sprechenden und nahm ihm das
Buch aus der Hand. »Ich will Ihnen so eine bei den Haaren herbeigezogene
Bemerkung vorlesen, die das von unserm Professor Gesagte gut
illustriert.«

Er blätterte ein wenig und las dann: »Einen Schritt weiter und die
Entdeckungen Galileis, vielleicht auch Keplers und Newtons, konnten
vollendet sein, bevor die römische Herrschaft ihr Pflaster auf
hellenische Kultur gesetzt und bevor das Evangelium eines rächenden
Jehova die Grenzen des kleinen Ländchens Palästina überschritten hat, um
Gotteslästerung mit der Wahrheit zu treiben.«

»Bemerken Sie«, sagte Schultze, »daß diese plumpe Bemerkung, wie unser
Lord richtig sagte, bei den Haaren herbeigezogen ist: sie hat ja mit den
Entdeckungen, von denen die Rede ist, rein nichts zu tun.«

»Jedenfalls zeugt sie entweder von grober Unwissenheit oder von einer
Böswilligkeit, die sich um Wahrhaftigkeit rein nicht kümmert«, äußerte
Mietje in tiefster Entrüstung: »denn ein _Evangelium_ eines rächenden
Jehova ist ja einfach Unsinn; das Evangelium verkündigt die Liebe und
Barmherzigkeit eines himmlischen Vaters.«

»Mit Logik und Wahrheit«, sagte Flitmore, »gibt sich der Materialismus
nicht ab, da wird alles, was von Fanatikern wider den christlichen Geist
der Liebe, wie ihn das Evangelium allein verkündigt, gesündigt wurde,
ohne weiteres der christlichen Religion selber in die Schuhe geschoben.
Da! Auf Seite 146 wird das Christentum ein >verächtlicher, grundloser
Aberglaube< geheißen, der >an Stelle der Kultur der Schönheit und
Aufklärung getreten< sei. Und gleich auf der nächsten Seite: >Nero und
die Scheusale in Purpur gingen St. Augustin und den andern Kirchenvätern
voran. Das kaiserliche Rom war der Halbschatten, das christliche der
Kernschatten<.«

»Folgerichtigkeit und Vernunft darf man von materialistischer
Voreingenommenheit nicht erwarten,« hub Schultze wieder an. »Es ist ja
schön, wie begeistert Snyder die Genies der astronomischen Wissenschaft
lobt, namentlich Aristarch und Galilei. Etwas prahlerisch redet er
davon, wie herrlich weit die Wissenschaft es gebracht habe und nennt den
Menschengeist das wahre Weltwunder. Dem gegenüber klingt es dann
geradezu lächerlich, wenn er plötzlich die Saiten umstimmt und der
Menschheit mit komischer Salbung predigt, sie solle nicht im Wahne
leben, als ob sie irgend etwas sei oder irgend eine Bedeutung habe!«

»Hören Sie weiter,« sagte der Lord. »Vom mosaischen System der Schöpfung
sagt Snyder: >Letzteres erhielt sich unter den Völkern Europas nach dem
Niedergange der hellenischen Wissenschaft bis zu den letzten Jahren des
17. Jahrhunderts. Nach dem Zeitalter Cassinis und Newtons vermochte es
nicht länger mehr einen vernünftigen Geist zu befriedigen<.«

»Das ist nicht mehr bloß Dummheit, das ist schon mehr freche Lüge,«
polterte Münchhausen entrüstet.

»Vergessen Sie nicht,« berichtigte Schultze, »daß ein Materialist nur
solchen Geistern die Ehre antut, sie vernünftig zu heißen, die sich
ebenso wie er vom mechanistischen Aberglauben blenden lassen.«

»Nun,« meinte Heinz, »ich kann diese Stelle bei Snyder nicht gar so
schroff ablehnen; überhaupt empfiehlt es sich wohl, sich in seinen
Ausdrücken etwas zu mäßigen, um nicht auf die gleiche Bildungsstufe
herabzusteigen, wie diese Menschenkinder. Aber ist es nicht richtig, daß
der mosaische Schöpfungsbericht mit den Jahrmillionen nicht vereinbar
ist, die von den Geologen für die Entwicklung unsrer Erde ausgerechnet
werden?«

»Sehen wir klar, junger Freund!« mahnte der Lord: »Zunächst berichtet
das erste Kapitel der Bibel nicht über die Weltschöpfung. Himmel und
Erde sind bereits vor Äonen erschaffen und die Erde war wüste und leer.
Hier setzt der Bericht ein mit der Schöpfung von Licht und Leben
lediglich in Bezug auf die Erde. Wir wollen nun nicht die Frage
aufwerfen, ob die Erde ursprünglich ganz andre Rotationsverhältnisse
hatte oder wie sonst die mosaischen Tage sich deuten lassen; auf den
Buchstaben kommt es wohl keinem von uns an. Aber da hören Sie, was Dr.
Klein in seinen >Kosmologischen Briefen< sagt.«

Hiebei nahm er ein Büchlein aus dem Regal, aus dem er folgende Stelle
vorlas: »Bekanntlich fehlt den Geologen bezüglich der von ihnen in der
Erdentwicklung unterschiedenen Perioden so gut wie jeder chronologische
Maßstab.«

»Das stimmt,« fiel der Professor ein; »die Jahrmillionen sind bei Licht
besehen ein Schwindel, das heißt alle diesbezüglichen Berechnungen
beruhen auf völlig unsichern Voraussetzungen. Wenn man solche Zeiträume
nicht zu brauchen glaubte, um die Entwicklungslehre einigermaßen
annehmbar zu machen, so hätte man diese Zahlen nie erfunden. Es ist
allerdings auch nur eine für den Denkenden durchsichtige Täuschung, wenn
man meint, die Entwicklung des Menschen aus der Urzelle dadurch
verständlicher zu machen, daß man sie auf viele Millionen Jahre
verteilt. Die rasche Verwandlung einer Raupe in einen Schmetterling oder
die ganz plötzliche Verwandlung eines Explosionstoffs in flüchtige Gase
wären auch nicht verständlicher, wenn sie erst auf langsamem Wege durch
Jahrmillionen erfolgten.«

»Ganz richtig«, sagte Flitmore: »Dies sind nun zwar keine Verwandlungen
in ganz andre Arten, aber ob eine Verwandlung sich in einer Sekunde oder
im Laufe von Äonen vollzieht, ist für den klaren Verstand völlig
einerlei; die scheinbare Beseitigung des Unerklärlichen durch die noch
dazu unbewiesene Erfindung ungeheurer Zeiträume ist nur eine Eselsbrücke
zur Befriedigung derer, die nicht weit denken können.«

»Wie es aber mit den Jahrmillionen steht,« sagte Schultze wieder,
»beweist Ihnen am besten, daß man für die Entstehung der Steinkohle
frischweg etliche Millionen Jahre ansetzte, ebenso für die der
Diamanten; nun hat man entdeckt, daß im Sumpf versinkende Wälder sich
binnen weniger Monate in echte Steinkohle verwandeln und daß für die
Erzeugung von Diamanten der Bruchteil einer Sekunde genügt: da haben wir
die berühmten Jahrmillionen, sie sind eine Phantasie, die zufällig
stimmen kann, wahrscheinlich aber durchaus nicht stimmt.«

»Hören Sie nur weiter,« sagte der Lord, »es kommt noch schöner: >Der
Begriff eines Schöpfers war einfach -- vielleicht im Dunkel der
anfänglichen Unwissenheit denkbar. Das ist nicht mehr länger richtig.
Unser modernes Wissen hat die Grenzen der Welt ins Unermeßliche gedehnt;
es hat uns die unmeßbar lange Dauer der Zeit enthüllt<.«

Nun mußten doch alle lachen: die Naivität dieser Behauptungen war ja gar
zu köstlich!

»Also die Begriffe von Ewigkeit und Unendlichkeit sollen wir erst dem
modernen Wissen verdanken?« sagte Münchhausen: »Und sie sollen gar den
Begriff eines Schöpfers undenkbar machen? O heilige Einfalt!«

Mietje schüttelte den Kopf: »Solche Verirrungen des menschlichen Geistes
begreife ich einfach nicht,« meinte sie. »Der Schöpferglaube war von
jeher mit den Begriffen von Ewigkeit und Unendlichkeit verknüpft, und
wenn die Wissenschaft Ewigkeit und Unendlichkeit zugeben muß, so stützt
sie damit am allerbesten den Schöpferglauben. Muß man nicht den eigenen
Verstand absichtlich totschlagen, um imstande zu sein, aus solchen
Erkenntnissen gerade das Gegenteil von dem zu folgern, was sie einem
vernünftigerweise nahelegen würden?«

»Werte Lady,« lachte Schultze, »es gibt Ansichten, gegen welche Götter
selbst vergebens kämpfen und die gerade der großen Menge derer, die
nicht alle werden, am meisten imponieren.«

Flitmore aber fuhr fort mit Vorlesung folgender Stelle: »Das Fernrohr
hat uns die Planlosigkeit des Weltalls enthüllt; der Kosmos scheint kein
Woher und kein Wohin zu kennen.«

Jetzt fuhr aber der Professor auf: »Nein! Da hört sich doch aber alle
Wissenschaft auf! Das ist starker Tabak! Der Plan, dessen unendliche
Erhabenheit ein besonders schwächliches Menschenhirnlein nicht verstehen
kann, wird in eitlem Hochmutswahn »Planlosigkeit« genannt? Na! Das ist
doch gottlob nur ein Vereinzelter! Die gescheiten Geister, namentlich
auch unter den Astronomen, hören nicht auf, die Großartigkeit der
Weltordnung zu bewundern.«

»Da haben Sie wieder recht,« bestätigte der Lord und schlug wieder Dr.
Kleins Kosmologische Briefe auf. »Hier heißt es zum Beispiel: >Trotz
dieser Einseitigkeit aber, (nämlich der Mittel des menschlichen
Forschens), erkennen wir, daß die Anordnung der Welt so ist, als wenn
sie von einer höchsten Intelligenz, die zugleich über ein unermeßliches
Schaffensvermögen gebot, getroffen worden sei. Auch haben die größten
Forscher aller Zeiten, die Begründer unsrer heutigen Naturwissenschaft,
das Vorhandensein einer solchen Intelligenz angenommen. Die Existenz
derselben folgt ebenso unzweifelhaft und notwendig aus dem ganzen
Komplexe der Naturerscheinungen, wie das Vorhandensein einer anziehenden
Kraft in der Sonne aus der Bewegung der Planeten um dieselbe in
geschlossenen Bahnen<.«

»Und Camille Flammarion,« fuhr Flitmore fort, ein anderes Büchlein
aufschlagend, »sagt in seiner >Urania<: >Was ist das für eine sonderbare
Eitelkeit, für eine einfältige Anmaßung, uns einzubilden, die
Wissenschaft habe ihr letztes Wort gesprochen! ... Die Materie ist
nicht, was sie scheint, und kein über die Fortschritte der positiven
Wissenschaften unterrichteter Mensch könnte sich heute noch für einen
Materialisten ausgeben<.«

»Bravo!« rief Schultze: »Nur sind leider die Ununterrichteten und
Halbgebildeten, die sich aber selber für hochgebildet halten, in der
Mehrzahl, und darum macht der Aberglaube so große Fortschritte in
unserer Zeit, wie die Monistenbünde beweisen.«

»Pah!« sagte Heinz: »Der Wille ist alles: diese Leute _wollen_ der
Vernunft nicht glauben, weil sie ihren Trieben unbequem ist, sie
_wollen_ lieber den Widersinn glauben, und nur darum machen sie die
Augen zu vor der Wahrheit und nennen den Wahn Vernunft.«

»Das mag stimmen,« gab der Professor zu, »zweifellos aber wird die
Gottesleugnung stets der sicherste Beweis einer geringen Intelligenz
sein.«

Nun nahm John das Wort, der bisher aufmerksam zugehört hatte: »Also
meinen die Herrschaften sozusagen alle, es sei gebildet an die Bibel zu
glauben? Ich dachte immer, es sei unter den heutzutägigen Verhältnissen
gebildeter, an keinen Gott mehr zu glauben, wie man so oft hört; aber so
ganz im Innersten war es mir immer doch so, als wenn dann etwas fehlen
müßte, die Hauptsache um zu verstehen, daß etwas da ist und daß etwas
sein und geschehen kann; und dann sah ich ja auch, daß meine gnädigste
Herrschaft so fromm sind und doch gebildet und vernünftig.«

»Ja, mein Sohn, die Sache ist so: wenn du an keinen Gott glaubst, so
werden dir die meisten Leute sagen, du seist sehr vernünftig und
hochgebildet; denn die Halbgebildeten sind, wie gesagt, stets in der
großen Mehrzahl. Hältst du aber fest am Schöpferglauben, so wird dich
diese Mehrzahl verhöhnen, aber die wirklich Gescheiten werden dich für
vernünftig und gebildet halten und du wirst es auch sein.«

»Dann will ich doch lieber glauben, wie Sie!« erklärte der gute Mann.

Inzwischen sauste die Sannah weiter durch den Raum und es war kein Ende
abzusehen.




                       30. Schimpansenstreiche.


Um die elektrische Heizung und Beleuchtung zu ermöglichen, sowie zur
Entwicklung der Fliehkraft, mußte der elektrische Akkumulator täglich
zweimal frisch geladen werden.

Dies besorgten die Affen so pünktlich und mit so viel Eifer, daß der
Lord sie ohne jede Aufsicht die Arbeit ausführen lassen konnte, die den
Tieren das reinste Vergnügen war.

Allerdings hatte Flitmore die elektrische Krafterzeugungsanlage auch
genial eingerichtet: er hatte zwei große zylinderförmige Käfige
herstellen lassen, wie diejenigen, die man in kleinerer Ausführung
gefangenen Eichhörnchen zur Verfügung zu stellen pflegt. Wenn dann die
Eichhörnchen an den Stäben emporspringen, dreht sich die Käfigwalze um
ihre Axe und die kleinen Tiere sind unermüdlich in ihrer Beweglichkeit,
mit der sie das Gitter in rasche Drehbewegung versetzen.

Genau so war es den Schimpansen offensichtlich der höchste Genuß, sich
in ihren Drehkäfigen zu tummeln, ohne daß sie ahnten, daß sie damit eine
verdienstvolle Arbeit verrichteten; denn die sinnreiche Konstruktion
verwendete die rasche Rotation der Käfige zur Erzeugung elektrischer
Energie, die im Akkumulator sich aufspeicherte.

Eines Tages erschollen aus dem Musikzimmer wunderbare Töne, eigentlich
gräßliche Mißakkorde, wie wenn ein unmündiges Kind auf einem Klavier
herumhämmert, und doch entwickelte der Missetäter eine derartige
Fingergewandtheit, daß man auf einen geübten Pianisten hätte schließen
mögen, den eine tolle Laune oder plötzlich eingetretener Wahnsinn zu
solchen Orgien veranlaßte.

Unsre Freunde waren im Zenithzimmer versammelt bis auf den Diener, der
einen Rundgang zu machen hatte; sie waren in Bücher vertieft oder
beschäftigten sich mit ihren Gedanken. Bei dieser Katzenmusik aber
horchten alle auf.

»Sollte sich John auf dem Flügel üben wollen?« rief Mietje: »So hübsch
er Flöte spielt, so fremd ist ihm die Klaviatur; aber wie er ohne alle
Kenntnis solche Griffe unternehmen kann, wobei ihm doch die Mißklänge
die eigenen musikalischen Ohren zerreißen müssen, ist mir ein Rätsel.«

»Du irrst, meine Liebe,« sagte der Lord, »John ist niemals so keck, daß
er das Instrument berühren würde; du weißt, er hat sich noch nie eine
ungebührliche Freiheit herausgenommen; darin ist er äußerst bescheiden,
beinahe zu ängstlich.«

»Das ist Geisterspuck,« sagte Münchhausen dumpf, »denn im Musikzimmer
ist es just Mitternacht.«

»Horch! Da schrillt ja gar die Posaune dazwischen! Es ist ein Duett,«
bemerkte Heinz.

»Unbegreiflich!« murmelte der Lord.

»Na! Sehen wir nach,« meinte Schultze, begierig auf die Lösung des
Rätsels.

»Ach! Wollten Sie nicht lieber zuvor einige scharfsinnige Hypothesen
aufstellen, die geeignet wären, dieses Phänomen wissenschaftlich zu
erklären, bestes Professorchen,« bat Münchhausen ironisch.

»Damit Sie mich nachher wieder auslachen können mit meiner Wissenschaft,
oller Spötter? Nee, das gibt's nicht! Ich selber stelle den Augenschein
über alle theoretischen Erklärungsversuche.«

»Na, denn man zu!« rief der Kapitän und ging voran, während alle ihm
folgten.

Jetzt erscholl ein wahrer Höllenlärm aus dem Musiksaal.

»Da spielt einer mindestens sechshändig!« lachte Heinz.

»Nein! Und die Posaune! Das sind ja unerhörte Töne!« rief die Lady und
hielt sich die Ohren zu.

Im Musikzimmer leuchtete eine elektrische Glühbirne, bei deren Schein
man Bobs vom Flügel aufspringen sah, während es Dick just gelang, die
mißhandelte Posaune vollends ganz auseinander zu reißen.

Bobs war es diesmal in seinem Drehkäfig langweilig geworden, und dem
Schlaukopf war es gelungen, die Türe von außen zu öffnen, indem er
zwischen den Gitterstäben hindurch über die hölzerne Seitenwand
hinabtastete, bis er den Riegel fand, den er zurückschob.

Als er sich in Freiheit sah, öffnete er auch Dicks Gefängnis, und zu
allen Schandtaten aufgelegt, begab er sich mit seinem gleichgesinnten
Gefährten in das weiter unten gelegene Musikzimmer. Das Öffnen der
Verbindungstüren war den intelligenten Affen längst kein Geheimnis mehr.

Hier nun faßten die beiden Verschwörer den schwarzen Plan, einmal selber
eine musikalische Unterhaltung zu veranstalten, statt immer bloß als
untätige Hörer Professor Schultze Konkurrenz zu machen.

Bobs öffnete den Flügel ohne Schwierigkeit; er versäumte auch nicht, ein
Notenheft auf die Pultleiste zu stellen, freilich waren es Noten fürs
Cello, doch das berührte ihn nicht, zumal er das Heft verkehrt
aufstellte.

Dann hockte er sich auf den Klavierstuhl nieder und begann die Tasten
mit einer Virtuosität zu bearbeiten, die seiner ihm natürlich eigenen
affenartigen Geschwindigkeit alle Ehre machte.

Dick öffnete inzwischen bedächtig den Instrumentenkasten; das hatte er
dem Lord trefflich abgeguckt. Er betrachtete sich die verschiedenen
Musikerzeuger und griff dann nach der Posaune, deren Metallglanz ihm in
die Augen stach.

O, er wußte genau, wo man das Ding in den Mund nehmen mußte und daß der
untere Teil möglichst geschwind auf- und abgeschoben werden mußte, und
es gelang ihm richtig durch heftiges Prusten einige entsetzliche Töne
hervorzuzaubern, wobei er das Mundstück zu schanden biß.

Als nun aber die ganze Gesellschaft im Zimmer erschien, ahnten die Affen
eine Art des Beifalls, die ihnen höchst unsympathisch war; sie nahmen
daher schleunigst Reißaus und flüchteten in das anstoßende chemische
Laboratorium, wo sie die Regale erkletterten, nicht ohne einige Kolben
mit ätzenden Flüssigkeiten herabzustoßen.

Münchhausen folgte ihnen auf dem Fuß und drohte mit einem Stock zu Bobs
hinauf, der die Zähne fletschte und höhnisch grinste, als wollte er
sagen: »Na, Dicker! Du drohst umsonst: bei deiner Leibesfülle wirst du's
wohl bleiben lassen, mir nachklettern zu wollen.«

Dieser sichtliche Hohn mußte natürlich den Kapitän ärgern.

»Warte, du Spötter!« rief er und ergriff das Gestell eines
Spiritusbrenners, daß er mit solcher Gewandtheit emporschleuderte, daß
die drei Eisenfüße sich schmerzhaft in des Schimpansen schutzlosen Leib
einbohrten. Es gab zwar keine Wunde, aber es tat weh!

Bobs kreischte laut auf; er fand das rücksichtslos und anmaßend von
einem Menschen, der gar nicht sein Herr war und weder Klavier noch
Posaune spielte. Er sann auf Rache.

Da stand ein großer Kolben neben ihm. Er hätte ihn auf den Attentäter
werfen können; aber so plump handelte Bobs auch nicht in berechtigter
Erregung. Er riß den Glasstöpsel heraus, erfaßte die dicke Flasche und
goß ihren Inhalt auf den Untenstehenden herab, der sich eben
niederbeugte, um ein neues Wurfgeschoß aufzulesen.

»Zu Hilfe, zu Hilfe! Das Untier mordet mich! Bobs überschüttet mich mit
Vitriol; er verbrennt mir meinen schutzlosen Schädel!« schrie der
Begossene.

Erschreckt eilte Heinz herbei: er glaubte schon den Kapitän in
jämmerlich verbranntem Zustand zu finden, vielleicht des Augenlichts
beraubt, denn es befanden sich tatsächlich mehrere Kolben mit
Schwefelsäure auf den Regalen.

Ein Blick auf Münchhausens triefenden Schädel jedoch beruhigte ihn
sofort; auch sagte ihm seine für chemische Dünste geschärfte Nase
alsbald, daß es sich lediglich um Weingeist handelte, der allerdings auf
der Kopfhaut ordentlich brennen mochte, namentlich auch infolge seiner
starken Verdunstung ein Kältegefühl erzeugend, das, zumal wenn noch
Schreck und Einbildung dazu kamen, als fürchterliche Verbrennung
empfunden werden konnte.

»Beruhigen Sie sich, Kapitän,« rief Heinz dem Geängstigten zu: »es ist
glücklicherweise bloß Spiritus.«

»Ich pfeife auf Ihren Spiritus! Vitriol ist's oder irgend eine andre
Säure, die mich meines kostbaren Haarschmucks vollends beraubt, falls
sie mir nicht den ganzen Skalp vom Schädel wegätzt.«

»Ich garantiere Ihnen, daß nichts dergleichen passiert; aber Sie triefen
wie eine Wasserratte! Hier ist ein Handtuch, trocknen Sie sich ab und
dann werden Sie sich wohl den Kopf waschen und die Kleider wechseln
müssen.«

Das war allerdings notwendig. Münchhausen entfernte sich wie ein
begossener Pudel und Schultze rief ihm noch lachend den Trost nach:
»Bobs meinte es gut mit Ihnen, Weingeist stärkt ja wohl die Kopfhaut und
befördert einen üppigen Haarwuchs.«

»Jetzt haben Sie gut lachen,« sagte Heinz zum Professor, als Münchhausen
das Gemach verlassen hatte: »Aber ich sage Ihnen, mir ist der kalte
Schrecken in die Glieder gefahren, als ich den Ärmsten so jammern hörte.
Sehen Sie, da steht Schwefelsäure, Salzsäure, Karbolsäure und eine Menge
andrer gefährlicher Flüssigkeiten. Künftig muß ich das Laboratorium
stets abschließen und den Schlüssel zu mir nehmen; die Affen hätten da
ein furchtbares Unglück anrichten können.«

»Können sie immer noch,« meinte Schultze und sah zu den beiden
Schimpansen empor, die zu oberst zwischen den Kolben kauerten.

Nun aber rief Flitmore die beiden Missetäter und sie kamen alsbald ganz
demütig und zahm herab, gewohnt, ihrem Herrn aufs Wort zu folgen.

Strafe mußte sein, das erforderten des Lords Erziehungsgrundsätze; und
so wurden die sichtlich zerknirschten Sünder auf zwölf Stunden in
Einzelhaft gesteckt. Sie kannten die dunkeln, engen Kästen gar wohl und
wußten, daß die Einsperrung wohlverdiente Strafe war; denn sie sprangen
freiwillig hinein mit zerknirschten Mienen, duckten sich nieder und
ließen sich ohne Widerstreben einschließen.

Als man wieder im Wohnzimmer versammelt war, erschien bald auch
Münchhausen in trockener Kleidung. Er blieb dabei, daß die Flüssigkeit,
die so brannte, Vitriol gewesen sei: »Glücklicherweise hat sich meine
Haut als säurefest erwiesen,« fügte er bei, »und auch meine Kleider
haben weiter keinen Schaden erlitten; ein ganz vorzüglicher Stoff, sage
ich Ihnen!«




                      31. Verloren im Weltraum.


Tage- und wochenlang raste die Sannah mit dem Kometen dahin und diese
Fahrt durch die anscheinende Leere begann immer mehr etwas Beklemmendes
und Beängstigendes auf die Gemüter auszuüben.

Wo war man? Wohin eilte man? Im Unendlichen! Ins Endlose!

Niemand verhehlte sich die furchtbare Gefahr, in der alle schwebten, das
schreckliche Schicksal, das ihnen drohte.

Vorerst gelang es ja immer noch mittelst der reichen Vorräte an
gepreßtem Sauerstoff und Ozon eine gesunde Luft in den Zimmern zu
erhalten. Aber niemand konnte wissen, wie lange diese Fahrt noch dauern
werde und ob sie überhaupt zu einem Ziele führe.

Ja, nach menschlicher Voraussicht schien es höchst unwahrscheinlich, daß
in absehbarer Zeit ein Weltkörper erreicht werden könne, der
menschlichen Wesen die notwendigsten Lebensbedingungen gewähren würde.
Wer wußte denn überhaupt, ob es solche in der Fixsternwelt gebe, der man
zueilte?

Nur das Vertrauen, daß sie unter höherem Schutze standen, und daß ein
Gott sie lenke, der auch in der Unendlichkeit Wege weiß, hielt die
Ärmsten noch aufrecht, die sich wie Gefangene in den Räumen ihres
Fahrzeugs vorkamen.

Wer konnte wissen, ob es nicht eine lebenslängliche Haft werden sollte,
die allerdings nicht lange dauern konnte, da binnen weniger Wochen ihr
Leben verlöschen mußte, wenn keine Erlösung kam.

Dann sah wohl eins das andre sterben, ohne ihm helfen zu können, und
zuletzt war alles still und tot! Eine kleine Kugel mit menschlichen
Leichnamen irrte dann durch das Weltall, um schließlich vielleicht in
eine ferne Sonne zu stürzen und in einem Augenblick in glühende Gase
aufgelöst zu werden mit allem, was sie enthielt!

                 [Illustration: Schimpansenstreiche.]

John allein blieb im Innersten ganz ruhig und vergnügt, weil er nicht so
klar sah und meinte, sein Herr wisse wohl, wo er hinfahre und wo er
landen werde.

Inzwischen sparte Flitmore die Sauerstoffvorräte so viel als möglich, um
die Endkatastrophe so weit hinauszuschieben, als es nur immer anging.
Die Folge davon bekamen alle zu spüren: es war eine schlechte,
sauerstoffarme Luft, die ihre Lungen bedrückte und auch der Stimmung
sehr wenig zuträglich war.

Wahrhaftig! So mußte es den Unseligen zumute sein, die in einem
Unterseeboot eingeschlossen waren, durch einen Unfall verhindert, an die
Meeresoberfläche zurückzusteigen und dem langsamen Erstickungstod ins
Auge sehend!

Mit allerlei Arbeiten, mit Unterhaltung, Konzerten und Lesen guter
Bücher wurde die Zeit verbracht; aber immer wieder schweiften die
Gedanken ab, gefangen von der bangen Frage: was wird aus uns werden?

Schultze beobachtete immer wieder den Sternhimmel und stellte
Berechnungen an, eine Arbeit, die ihm, wenn auch wenig Trost, so doch
einige Ablenkung gewährte.

»Wir fahren auf das Sternbild des Centauren zu,« sagte er eines Tages
nach Abschluß einiger Beobachtungen und Berechnungen, »und zwar direkt
auf den Stern Alpha Centauri, der dem irdischen Sonnensystem, so viel
man bis jetzt weiß, der nächste ist. Die Annäherung läßt sich schon mit
bloßem Auge wahrnehmen: Alpha Centauri ist deutlich als Doppelstern
erkennbar; mehrere Sternbilder sehen schon wesentlich anders aus, als
sie sich von der Erde aus ausnehmen, und einige Sterne gewinnen an Größe
und Lichtstärke ganz sichtlich.«

»Es ist für uns von großem Interesse, wenigstens die Richtung unserer
Fahrt kennen zu lernen,« meinte Flitmore: »Aber haben Sie auch die
Aberration in Betracht gezogen?«

»Ich habe daran gedacht, aber in diesem Falle kann eine Aberration gar
nicht stattfinden, da die Sannah sich direkt nach dem Sterne Alpha
bewegt.«

»Was ist denn das, wenn ich mir zu fragen die Erlaubnis herausnehmen
darf, die Aperition?« frug John.

»Da die Erde sich mit ungeheurer Geschwindigkeit durch den Weltraum
bewegt,« erklärte der Professor, »so ändert sich der Standpunkt des
Beobachters mit der Erde fortwährend. Richtet man nun ein Fernrohr auf
einen Stern, so braucht der Lichtstrahl, der das äußerste Ende des
Teleskops, das Objektiv, trifft, einige Zeit, um bis zum untern Ende,
dem Okular, zu gelangen.

Diese Zeit ist zwar sehr kurz, aber doch ist die Erde inzwischen
weitergeeilt und die Richtung des Fernrohrs hat sich verschoben. Um
daher den Stern überhaupt durch das Fernrohr sehen zu können und ihn
dauernd zu beobachten, muß man dem Rohr eine andere Richtung geben, als
die Strahlen des Sternes eigentlich verfolgen: das Okular muß in der
Richtung der Erdbewegung um so viel zurückliegen, als sich die Erde
vorwärts bewegt in der Zeit, die das Licht braucht, um den Weg vom
Objektiv bis zum Okular zurückzulegen. Dadurch tritt eine scheinbare
Verschiebung des Sternes ein, das heißt, man sieht ihn nicht genau an
der Stelle des Himmels, wo er sich eigentlich befindet, oder vielmehr
befand, als das Licht von ihm ausging, das jetzt unser Auge trifft.

Wenn sich nun der Beobachter geradewegs auf den Stern zu bewegt, so
findet keine Aberration statt; am größten ist diese, wenn man sich in
senkrechter Linie zu den von ihm ausgehenden Strahlen fortbewegt.«

»Wir reisen also nun zu solch einem Stern?« fragte John weiter: »Können
wir bald dort sein?«

Schultze lächelte achselzuckend: »Was heißt bald? Weißt du, wie weit
diese Fixsterne von der Erde entfernt sind? Alpha Centauri soll ihr am
nächsten stehen, und doch berechnet man seine Entfernung auf 4½,
mindestens aber 3½ Lichtjahre.«

»Was ist das, wenn Sie gestatten, ein Lichtjahr?«

»Das ist der Weg, den das Licht in einem Jahre zurücklegt, nämlich die
Kleinigkeit von 9463 Milliarden Kilometern.«

»Und das nennen Sie dann eine Kleinigkeit? Das tun Sie wohl sozusagen
aus Spaßhaftigkeit?«

»Ja, ja, mein Sohn; denn solche Zahlen sind so ungeheuerlich, daß man
seinem Humor etwas aufhelfen muß, wenn man von ihnen redet, sonst steht
einem der Verstand still. Oder willst du dir etwa eine Vorstellung davon
machen, was das bedeutet: Alpha Centauri ist 30000 bis 40000 Milliarden
Kilometer von der Erde entfernt?«

John schüttelte hilflos den Kopf: »Und das sollte sozusagen unser
nächster Fixstern sein?«

»Jawohl! Es kann ja welche geben, die dem Sonnensystem näher stehen,
doch man hat bis jetzt keinen entdeckt, das heißt keine geringere
Entfernung durch Messungen festgestellt. Alpha Centauri ist 9000mal
weiter von der Erde entfernt als Neptun, also 277000mal so weit wie die
Sonne. Ein Expreßzug würde 1250000 Jahre brauchen, um ihn zu erreichen.«

Rieger machte große Augen. »Eine Million Jahre?« stammelte er: »Und da
sollen wir hin?«

»Warum denn nicht? Nur daß wir einige Millionen mal schneller reisen als
ein Expreßzug. Die Amina, unser Komet, ist ein flinkeres
Beförderungsmittel, wie du siehst. Wenn ich übrigens vorhin von
Kleinigkeiten redete, so ist das nicht bloß Spaß gewesen, denn Sirius,
der helle Hundsstern, ist acht bis neun Lichtjahre von der Erde
entfernt, 1300mal so hell und 40000 bis 50000mal so groß wie unsere
Sonne; der Polarstern ist 40 Lichtjahre, Canopus, der hellste Stern am
südlichen Himmel, gar 269 Lichtjahre entfernt, er leuchtet 10000 bis
15000mal so hell als die Sonne und ist 1½ Millionen mal so groß; das ist
das mindeste: er kann auch hundert-, tausend- oder millionenmal größer
sein; das entzieht sich unserer Berechnung. Deneb im Schwan kann ebenso
groß oder noch größer sein als Canopus, und das gilt auch von Rigel, dem
hellsten Stern im Sternbild des Orion, an seiner untern Ecke rechter
Hand.

Dieser prachtvolle Stern von rein weißem Licht mag 500 Lichtjahre
entfernt sein, also 30 Millionen mal so weit als die Sonne, die er
20000mal an Lichtstärke übertrifft. Wenn wir auf einem Blatt Papier die
Entfernung von der Erde zur Sonne mit 1 Millimeter bezeichneten, so
brauchten wir einen Bogen von 30 Kilometer Länge, um den Abstand Rigels
im gleichen Verhältnis einzuzeichnen. Begreifst du nun, daß die
Entfernung von Alpha Centauri eine Kleinigkeit ist?«

»Allerdings, sozusagen nach der Verhältnismäßigkeit betrachtet.«

»Nun gibt es aber möglicherweise unter den Fixsternen riesige Sonnen,
gegen die auch diese unausdenklichen Kolosse nur Sonnenstäubchen sind;
denn von den 100 Millionen Fixsternen, die vorhanden sein mögen, sind
uns nur etwa von 60 die Parallaxen bekannt.«

John, der begierig jedes ihm unbekannte Wort aufschnappte und nach
seiner Weise verketzerte, fragte wißbegierig: »Und was dürfte dann unter
dieser benannten >Polaraxe< zu verstehen sein?«

»Ja, wie soll ich dir das jetzt klar machen? Siehst du den Punkt hier
mitten an der Decke? Also von einem Ende dieses Saales richte ich ein
Fernrohr dorthin, du eines vom andern Ende aus. Diese Fernrohre sind
gegen einander geneigt in einem Winkel, dessen Spitze der beobachtete
Punkt ist. Nun, dieser Winkel, den die Linien bilden, die von dem Punkte
durch unsere beiden Fernrohre gehen, im Verhältnis zu der Entfernung
dieser von einander, ist die Parallaxe des Punktes. Wir können also
ebenso sagen, seine Parallaxe ist der Neigungswinkel, den unsere beiden
auf den Punkt gerichteten Teleskope zusammen bilden im Verhältnis zu
ihrer Entfernung von einander.

Wenn wir nun die Entfernung von einem Ende des Saales bis zum andern
kennen und die Winkel, die unsere Fernrohre mit dem ebenen Fußboden
bilden, messen, so können wir die Höhe des Dreiecks berechnen, das der
Punkt an der Decke mit den beiden Punkten bildet, an denen die durch
unsere Teleskope gehenden Strahlen des beobachteten Punktes den Fußboden
treffen. Wir können also ausrechnen, wie weit der betreffende Punkt vom
Fußboden entfernt ist.

Nun siehst du wohl, mein Freund, daß wenn wir statt des Punktes an der
Decke durch unsere Fernrohre einen Stern betrachten, der Tausende von
Millionen Kilometer entfernt ist, die Neigung unserer Rohre gegen
einander so unendlich klein wird, daß sie gleich Null erscheint. Wir
können also für den Stern keine Parallaxe finden.

Je weiter wir jedoch von einander entfernt sind, desto mehr werden sich
die Teleskope gegen einander neigen, wenn wir sie auf denselben Punkt
richten. Man könnte also hoffen, die Parallaxe eines Sterns zu finden,
wenn man ihn in der gleichen Sekunde auf zwei weit von einander
entfernten Punkten der Erde beobachtet, deren gegenseitiger Abstand
bekannt ist, und wenn beide Beobachter den Winkel messen, den die
Richtung ihrer Teleskope mit der Ebene bildet. Ebensogut kann man dies
erreichen, wenn ein einzelner Beobachter von demselben Ort aus den Stern
zu verschiedener Nachtzeit beobachtet, wenn die Umdrehung der Erde
seinen Standpunkt um etliche tausend Kilometer verschoben hat.

Aber solche Entfernungen erwiesen sich zu klein, es war keine meßbare
Neigung der Beobachtungsrichtungen zu einander festzustellen; also die
Fixsterne zeigten keine merkliche Parallaxe.

Nun wählte man eine weit größere Grundlinie des Dreiecks: man
beobachtete die Sterne in Zwischenräumen eines halben Jahres. Bei der
ersten Beobachtung befand sich dann der Beobachter am einen Ende der
Erdbahn, bei der zweiten am andern; das bedeutete einen Abstand von 300
Millionen Kilometern der beiden Beobachtungspunkte von einander.

Groß war die Verblüffung, als auch da keine meßbare Parallaxe der
Fixsterne zu finden war! Erst mittelst äußerst verfeinerter Instrumente
gelang es Struve 1836 und Bessel 1839 die erste Fixsternparallaxe zu
messen. Man fand für den Stern 61 im Schwan auf diese Weise eine
Entfernung von 9½ Lichtjahren. Bessel dankte seinen Erfolg dem von
Fraunhofer hergestellten vorzüglichen Heliometer. Das ist derselbe
Fraunhofer, dem wir vorzüglich auch die Fortschritte der Spektralanalyse
verdanken.«

John schnappte auch dieses Wort sofort auf und sagte bescheiden:

»Wenn es Ihnen nicht zuviel sein dürfte, Herr Professor, meine Wenigkeit
auch über diesen mir noch dunkeln Punkt aufzuklären, so wäre ich
besonders dankbar, was ich schon lange wünschte, zu erfahren, was es mit
dieser Speck-Strahl-Anna-Liese für eine Bewandernis hat.«

»Auch das sollst du wissen,« lachte Schultze: »Schau, wenn man einen
Lichtstrahl durch geschliffenes Glas gehen läßt, so löst er sich auf in
farbige Bänder und Streifen. Das nennt man nun ein Spektrum. Je schmäler
der Lichtstrahl ist, desto deutlicher ist sein Spektrum und da
beobachtet man zwischen den farbigen Bändern mehr oder weniger breite
dunkle Linien, die sogenannten »Fraunhoferschen Linien«, benannt nach
ihrem Entdecker. Ferner unterbrechen auch helle und farbige Linien das
Spektrum, und Kirchhoff und Bunsen wiesen nach, daß man aus diesen
Streifen, Linien und Bändern genau die Stoffe erkennen kann, die sich
als glühende Gase in einer Lichtquelle befinden; sogar nach Menge und
Mischung können sie erkannt werden.

Auf diese Weise weiß man die Stoffe, welche in der Sonne und den Sternen
enthalten sind: Das Spektroskop verrät sie uns.

Aber noch mehr hat es uns verraten. Wenn eine Lichtquelle sich rasch
bewegt, so verschieben sich die Spektrallinien gegen das violette Ende
des Farbenspektrums, wenn sich die Lichtquelle nähert, gegen das rote
Ende, wenn sie sich entfernt. Daraus hat man bei den Fixsternen, die
sich auf die Erde zu oder von ihr weg bewegen, sogar die Schnelligkeit
der Bewegung berechnen können.«

»Ich meinte aber, die Fixsterne bewegen sich nicht,« wandte John ein.

»Das glaubte man wohl früher; jetzt aber weiß man, daß sie ihre
Eigenbewegung haben. Diese läßt sich auch durch das Teleskop beobachten,
wenn sie senkrecht zur Gesichtslinie gerichtet ist. Da gibt es Sterne,
die schon in 200 Jahren um eine Vollmondsbreite am Himmel vorrücken, was
in Wirklichkeit Millionen und aber Millionen Kilometer bedeutet,
angesichts ihrer großen Entfernung. So scheint Arcturus zum Beispiel mit
670 Kilometern in der Sekunde hinzurasen, was tausendmal schneller ist
als das schnellste Geschoß; auch Alpha Centauri hat eine große
Eigenbewegung.«

»Aha!« rief John verklärt: »Jetzt verstehe ich, warum man sie Fixsterne
heißt: weil sie wohl so fix dahinsausen.«

Alle lachten über diese großartige Entdeckung. John aber ließ sich nicht
drausbringen.

»Wie sieht es denn aber wohl aus auf dem Alphasaurus, zu dem wir
hinfliegen?« fragte er jetzt.

»Dieser Stern ist der dritthellste am Firmament, aber nur von der
südlichen Erdhalbkugel aus zu sehen. Er gleicht unserer Sonne an
Helligkeit, Größe und Hitze.«

»Dann müssen wir ja aber verbrennen,« rief John entsetzt.

»Allerdings, wenn wir ihm zu nahe kämen,« mischte sich nun Flitmore in
die Verhandlung; »allein wir wollen hoffen, daß dies nicht der Fall sein
wird. Auf ein paar Millionen Kilometer kann ja der Professor unsere
Richtung nicht so genau bemessen. Da ist es immerhin möglich, daß wir
auf einem dunkeln Sterne landen.«

»Wieso? Dunkle Sterne gibt es sozusagen auch?« rief John, aufs neue
überrascht.

»Gewiß!« bestätigte der Lord: »Unsere Erde ist ein solcher Stern, ebenso
die Planeten, soweit sie kein eigenes Licht mehr ausstrahlen. Der Erde
leuchten sie ja sehr hell, oft heller als die strahlendsten Fixsterne;
aber das kommt nur daher, daß sie der Erde verhältnismäßig nahe sind und
ihr im Glanze des Sonnenscheins erscheinen, der sie erhellt.

Aus der Entfernung, in der wir uns jetzt befinden, sehen wir keinen
einzigen der Planeten unseres Sonnensystems mehr; ebensowenig sehen wir
von der Erde aus die dunkeln Weltkörper der Fixsternwelt, die kein
eigenes Licht mehr haben.«

»Ja, aber wie kann man in diesem vorausgesetzten Falle wissen, daß ihr
Vorhandensein eine Existenz hat?«

Flitmore wollte antworten, aber Münchhausen unterbrach ihn: »Nehmen Sie
es nicht übel, Lord, aber das Mittagessen dampft auf dem Tisch und die
Lady möchte es schmerzen, wenn wir ihr Kunstwerk erkalten ließen, ehe
wir ihm die gebührende Ehre angetan haben.«

»Ihnen wäre dies gewiß auch sehr schmerzlich!« lachte der Lord, »aber
Sie haben recht; alles hat seine Zeit. Also, John, gedulde dich, nach
dem Essen will ich dir auseinandersetzen, woher man weiß, daß es dunkle
Sterne gibt, auch wenn man sie nicht sehen kann.«




                        32. Der Riesenkraken.


Johns Wißbegier wurde aber diesmal nicht so pünktlich befriedigt, wie er
es von seines Herrn Zuverlässigkeit hätte erwarten dürfen.

Das war aber nur einem außerordentlichen Umstand, einem
unvorhergesehenen Ereignis zuzuschreiben, das für die Sannah und ihre
Insassen leicht hätte verhängnisvoll werden können.

Gegen Ende der Mahlzeit nämlich ließ sich plötzlich ein heftiges
Geprassel vernehmen, unterbrochen von donnernden Schlägen, die das
Weltschiff in seinen Grundfesten erschütterten. Es war offenbar ein
Hagel von Meteoriten, der auf die Sannah niederging.

Glücklicherweise waren die ersten Steine, die auf die Umhüllung sausten,
klein, und der Lord konnte durch einen Druck auf den entsprechenden
elektrischen Knopf die metallenen Schutzplatten oder Augendeckel über
sämtlichen Fensterlinsen schließen, so daß eine Zertrümmerung oder
Beschädigung derselben verhütet wurde.

Bald aber prallten so ansehnliche Brocken auf die Oberfläche des
Fahrzeugs auf, daß man das Schlimmste befürchten mußte und selbst
Münchhausen seine gastronomische Tätigkeit unterbrach.

Als das Gepolter und Gedonner aufhörte, machte der Lord mit John, Heinz
und dem Professor einen Rundgang durch die Sannah, um genau zu
untersuchen, ob die Decke nirgends beschädigt und durchschlagen worden
sei. Zu seiner großen Beruhigung und Befriedigung fand er, daß die
treffliche Metallhülle dem wuchtigen Hagel durchweg standgehalten hatte
und keinerlei Verletzung erkennen ließ. Außen hatte sie ja gewiß Beulen,
Schrammen und Schrunden davongetragen, danach konnte man zur Zeit nicht
sehen, denn dort draußen gähnte der leere Raum. Die Hauptsache aber
blieb, daß der Mantel nirgends durchlöchert war und so die kostbare Luft
nicht entweichen konnte.

Als die Männer von ihrem Rundgang zurückkehrten, hatte Münchhausen auch
seine Mahlzeit beendet, die er nach Überwindung des ersten Schreckens
fortgesetzt hatte.

»Ihre Ruhe ist beneidenswert,« sagte Schultze kopfschüttelnd: »Während
wir, von der Sorge um unser Leben getrieben, nachsehen, ob die Sannah
kein verhängnisvolles Loch davongetragen habe, lassen Sie sich's ruhig
schmecken, als sei nichts geschehen und nichts zu befürchten.«

»Sie halten das ja wohl für sträflichen Leichtsinn und tadelnswerte
Gefräßigkeit,« erwiderte der Kapitän: »In Wahrheit jedoch ist es
vernünftige Philosophie und Überlegung. Denn, sagen Sie selber: wenn Sie
zu viert ausziehen, nach einem etwaigen Schaden zu sehen, wozu soll ich
als fünftes Rad am Wagen mittrotteln? Und schließlich, entweder die
Sannah hat eine gefährliche Verletzung davongetragen oder nicht. Ist sie
unbeschädigt, so wäre die Unterbrechung meiner Mahlzeit zum mindesten
überflüssig gewesen, wäre jedoch ein gefährliches Leck vorgefunden
worden, so hätte sie auch da rein gar nichts helfen können; im
Gegenteil, mit leerem Magen steht man einer Gefahr viel hilfloser und
schwächlicher gegenüber als mit dem Gefühl der Sättigung, das einen zu
ruhigerer Überlegung befähigt.«

»Na! Allenfalls hätten Sie mit wohlgefülltem Wanst unter Umständen auch
ein großes Loch mit Ihrer werten Persönlichkeit verstopfen können, bis
wir es kalfatert hätten, um den Luftaustritt zu verhindern,« höhnte
Schultze.

»Spotten Sie nicht,« mahnte der Kapitän würdig, »zu solcher Aufopferung
wäre ich stets bereit gewesen und auf ähnliche Art habe ich sogar schon
einmal ein großes Schiff vor dem sichern Untergang gerettet.«

»Oho! Erzählen Sie!« rief Flitmore, sich in einen Sessel werfend.

»Gerne!« erklärte Münchhausen bereitwillig. »Es ist gar nicht so lange
her: meine zunehmende Leibesfülle erschwerte mir bereits meinen Dienst
als Schiffskapitän, als mein stattliches Schiff eines Tages auf ein
unterseeisches Riff aufstieß, das auf keiner Seekarte verzeichnet war.
Wir bekamen ein Leck von solcher Größe, daß trotz allen Pumpens der
untere Schiffsraum sich fabelhaft rasch mit Wasser anfüllte. Unser
Untergang schien unvermeidlich, denn eine Küste, wo wir hätten landen
können, war nicht in Sicht. Die Felsspitze, die uns so verhängnisvoll
geworden war, mußte einer einsamen unterseeischen Insel angehören.

Ich begab mich mit dem Schiffszimmermann und zwei Matrosen hinunter, um
zu sehen, ob dem Leck denn gar nicht beizukommen sei; doch es befand
sich schon völlig unter Wasser. Auf einem schmalen Balken turnte ich
über dem gurgelnden Naß gegen die Schiffswand, als ich plötzlich ein
schlangenähnliches Wesen da unten herumplätschern zu sehen vermeinte.
Bald tauchten drei, vier solcher Schlangen von etwa sechs Meter Länge
auf. Kein Zweifel! Ein Riesenkraken, auch Polyp oder Tintenfisch
genannt, streckte seine schrecklichen Fangarme durch das Leck ins
Schiffsinnere; sein Leib, so weich und elastisch er war, konnte wegen
seiner kolossalen Dicke nicht eindringen.

Plötzlich schnellte so ein Riesenarm auf mich zu, und wie ich erschreckt
ausweichen will, verliere ich das Gleichgewicht und stürze ins Wasser.

Sofort umklammert mich das Seeungeheuer mit seinen sämtlichen Fangarmen
und sucht mich zu sich hinauszuziehen. Glücklicherweise war nun wiederum
ich zu dick. Mein Bauch wurde gegen das Loch gepreßt, das er völlig
verstopfte, während ich den Kopf noch über Wasser halten konnte.

Meine Begleiter sprangen alsbald ins Wasser mir zu Hilfe: sie wollten
mit ihren Messern die Fangarme des Polypen durchschneiden und mich so
aus der erstickenden Umarmung befreien. Ich aber hatte sofort erkannt,
daß uns hier der einzige Weg zur Rettung des Schiffes gewiesen war, und
ich bedachte mich keinen Augenblick, mein Leben zu opfern, wenn es sein
sollte, um Fahrzeug und Mannschaft zu retten.

Ich rief daher den Matrosen zu, sie sollten ihre Messer in Ruhe lassen,
dagegen starke Taue an die einzelnen Glieder des Kraken binden. Sie
wußten nicht recht, was das sollte, doch, gewohnt, mir blindlings zu
folgen, führten sie die schwierige und nicht ungefährliche Arbeit aus.

»Nun ziehet die Leinen straff an,« rief ich, als die Sache soweit war,
»und knüpft sie an einem Längsbalken fest, daß die Fangarme gestreckt
werden!« Mit Hilfe einiger weiterer herbeigeeilter Mannschaften wurde
dies ausgeführt und der Tintenfisch mußte mich aus der Umklammerung frei
geben, als seine Glieder mit aller Gewalt angezogen und gestrafft
wurden.

Halbtot fischte man mich aus dem Wasser und ich verlor das Bewußtsein,
während man mich an Deck trug, wozu nicht weniger als sechs Mann
erforderlich waren.

Der Polyp aber saß fest und sein weicher, kolossaler Leib war durch die
strammgezogenen Seile derart in das Leck gezwängt, daß es völlig
verstopft wurde und kein Tropfen Wasser mehr eindringen konnte.

Bis ich aus meiner Ohnmacht erwachte, war das Wasser schon soweit
ausgepumpt, daß der Zimmermann an die beschädigte Stelle gelangen und
sie kalfatern konnte, wobei gemäß dem Fortschreiten der Arbeit dem
Kraken die Arme einzeln abgetrennt wurden, bis er mit Verlust seiner
Glieder das Weite suchen konnte und die letzte Lücke hinter ihm
vernagelt wurde. Nun war das Schiff gerettet, und meiner Leibesfülle war
dies in letzter Linie zu danken; denn wäre ich so schlank gewesen, wie
Sie, meine Herren, so hätte mich das widrige Scheusal mit Leichtigkeit
durch das Loch hinausgezogen, ich wäre eines elenden Todes gestorben und
mein Schiff mitsamt der Mannschaft wäre rettungslos zugrunde gegangen.«

»Ein Hoch auf Ihren segensreichen Körperumfang!« rief Schultze, sein
Glas füllend und erhebend.

»Und auf Ihre edle Opferfreudigkeit,« fügte Flitmore hinzu, ebenfalls
mit dem schmunzelnden Kapitän anstoßend und in die allgemeine Heiterkeit
einstimmend.

»Das war sozusagen ein großartig zu nennendes Abenteuer,« meinte John,
»aber wenn ich mir nun erlauben darf, Mylord, Sie daran zu erinnern, so
haben Sie mir versprochen, zu erklären, wie man wissen kann, daß außer
den leuchtenden Sonnensternen auch noch dunkle Sterne vorhanden sein
dürften, trotzdem man sie nicht sehen kann.«

Flitmore gab bereitwilligst Auskunft, indem er begann: »Zunächst kann
man es vermuten, denn die Fixsterne sind doch lauter leuchtende,
glühende Sonnen, meist viel größer als unsre irdische Sonne. Wenn nun um
diese mehrere dunkle Planeten kreisen, warum nicht auch um die Millionen
andrer Sonnen im Weltraum?

Sodann unterscheidet man drei Klassen von Fixsternen je nach ihrer
Lichtstärke. Die erste Klasse umfaßt die weißleuchtenden Sterne, die
sich noch in höchster Glut befinden, also wohl die jüngsten sind. Zu
diesen gehören Regulus im Löwen, Sirius im großen Hund, Wega in der
Leier. Auch die blauen Sterne gehören hierher.

Die zweite Klasse umfaßt die gelben Sterne, ähnlich unsrer Sonne, die
schon von niedererer Temperatur und Helligkeit sind. In die dritte
Klasse rechnet man die rotglühenden Sterne und die orangeroten.

Zwischen diesen Klassen und in denselben gibt es aber alle möglichen
Zwischenstufen und Übergänge, und manche Astronomen unterscheiden noch
eine vierte Klasse der blutroten Sterne von geringer Helligkeit und eine
fünfte, die nur einige wenige Sterne umfaßt, die das Spektrum des
Wasserstoffs geben.

Die erste Klasse umfaßt die meisten Fixsterne, die zweite etwa die
Hälfte der ersten, die dritte ungefähr den achten Teil. Daraus schließt
man, daß ein Stern doppelt so lang im ersten als im zweiten Zustand
bleibt und in diesem viermal so lang als im dritten. Diese Ansicht
übersieht jedoch völlig, daß uns die hellsten Sterne aus einer
Entfernung sichtbar sein können, aus der das Licht weniger heller
Weltsonnen gar nicht mehr bis zu uns dringt, daß wir also auch so
rechnen können: aus der entferntesten Region des sichtbaren Weltalls
leuchten uns nur die Sterne erster Klasse, die andern sehen wir nicht;
aus der mittleren Region werden uns auch die Sterne zweiter Klasse noch
sichtbar und nur aus der uns nächsten Region auch noch schwächer
leuchtende. Natürlich kommt dabei auch noch die Größe der Sterne in
Betracht, da wir einen Stern zweiter Klasse vielleicht noch aus einer
Entfernung erkennen können, aus der uns ein millionenmal kleinerer Stern
erster Klasse nicht mehr zu Gesichte kommt.

Das kommt daher, daß das Licht im Raum nicht ungeschwächt vordringt,
sondern mit der Entfernung zunehmend an Glanz einbüßt: der im Raum
enthaltene Stoff schluckt etwas von dem ihn durcheilenden Lichte an; das
nennt man Absorption. Und gerade diese Lichtabsorption, für die man
verschiedene Beweise hat, gibt uns die Gewißheit, daß der Raum nicht
leer ist, sondern von einem Stoff erfüllt, der Licht aufzusaugen vermag.

Es ist nun klar, daß auf eine bestimmte Entfernung hin das Licht eines
Sternes schließlich völlig aufgesogen sein muß, und so nimmt man an, daß
Sterne, die über 16000 Lichtjahre von uns entfernt sind, überhaupt kein
Licht mehr so weit zu bringen vermögen und uns daher ewig unsichtbar
bleiben.

Was also über diese Lichtgrenze unsrer Welt hinausgeht, bleibt uns
unbekannt; kein Fernrohr, und wäre es millionenmal stärker als wir sie
bauen, vermöchte den Schleier zu lüften, keine photographische Platte
wäre dazu imstande, und wenn sie millionenmal empfindlicher wäre als die
Platten, die uns jetzt schon Sterne nachweisen, die man mit dem besten
Teleskop nicht zu finden vermag.

Nun aber zurück zu den dunkeln Welten: sehen wir, daß die Fixsterne sich
in den verschiedensten Stufen der Glut befinden, manche schon im
Erlöschen begriffen, was liegt näher, als daß auch Millionen schon
längst erloschener Weltkörper im Raume sich bewegen, die uns das
schwache Licht, das sie von ihren Sonnen empfangen, nicht zu Gesicht
bringen können? Dazu kommt noch unser Glaube an des Schöpfers Weisheit
und Güte: sollte er Millionen Sonnen erschaffen haben ohne einen Zweck?
Oder sollten sie nicht vielmehr dienen, Welten zu erleuchten und zu
erwärmen, die von den Wundern Gottes überfließen, und wo lebendige Wesen
sich ihres Daseins freuen?

Einige Astronomen nehmen an, daß das Weltall Tausende von Millionen
Sonnen und Hunderttausende von Millionen dunkler Welten besitze und zwar
solche von ungeheurer Größe. Sie glauben auch nicht, daß der Raum von
drei- bis viereinhalb Lichtjahren, der unser Sonnensystem von der
Fixsternwelt trennt, eine weltenleere Einöde sein könne, sondern daß
einige Millionen dunkler Körper sich darin finden könnten, so große
sogar, daß unser Sonnensystem sich um sie drehe. Denn nichts beweist
uns, daß sich leuchtende und nichtleuchtende Weltkörper nicht auch um
ein erloschenes dunkles Gestirn drehen können, sofern es groß genug ist.

Dies alles sind ja zunächst nur Vermutungen, wenn auch solche, die die
größte Wahrscheinlichkeit für sich haben. Aber wir haben auch Beweise
für das Vorhandensein solcher dunkler Weltkörper.

Wenn ein dunkler Trabant zwischen uns und seiner Sonne vorübergeht, so
werden wir ja für gewöhnlich davon nichts merken können, weil bei der
ungeheuren Entfernung die Verfinsterung allzu gering ist, sobald er
wesentlich kleiner ist als seine Sonne, was wir ja gewiß als das
Gewöhnliche annehmen müssen. Dennoch gibt es Fixsterne, die uns erkennen
lassen, daß ein dunkler Trabant sie umkreist; das sind die sogenannten
veränderlichen Sterne, aber das soll dir der Professor erklären, ich
habe es nicht so im Kopf.«

»Gerne!« erklärte Schultze bereitwillig. »Veränderliche Sterne heißt man
diejenigen, deren Helligkeit zu Zeiten abnimmt, um dann aber wieder
zuzunehmen. Man unterscheidet da den Miratypus, den Lyratypus und den
Algoltypus.«

»O, wie fein das klingt!« unterbrach John: »Miratyphus, Liratyphus und
Alkoholtyphus.«

Das herzliche Gelächter, das seine Repetition der melodischen Namen
erweckte, nahm er gewohntermaßen nicht übel.

Der Professor aber machte weiter: »Der Stern Mira, das heißt >Der
Wunderbare<, im Walfisch strahlt gelegentlich als Stern erster oder
zweiter Größe, aber nur wenige Wochen lang. 70 Tage später ist er schon
so lichtschwach, daß er nur noch im Fernrohr sichtbar ist, noch weiter
an Glanz abnehmend. Späterhin nimmt sein Licht wieder zu und zwar viel
rascher, als es zuvor abgenommen. Nachdem er dem bloßen Auge wieder
sichtbar geworden, erreicht er in 40 Tagen seinen höchsten Glanz. Diese
Perioden dauern durchschnittlich 333 Tage von einem Höhepunkt zum
andern, sind aber nicht ganz regelmäßig, auch der Glanz des Sterns
erreicht nicht immer die gleiche Höhe.

Man nimmt daher an, Mira sei eine erlöschende Sonne, die sich wie unsre
Sonne periodisch mit vielen Flecken überzieht, nur noch mit viel mehr.
Wenn unsre Sonne einmal so weit kommt, muß alles Leben auf Erden zu
Grunde gehen. Auch die Spektralanalyse beweist die Ähnlichkeit dieses
Wundersterns mit der Sonne.

Heute kennt man hunderte von veränderlichen Sternen vom Miratypus, die
meist in Perioden von 300 bis 400 Tagen ihr Licht wechseln. Manche aber
sind völlig unregelmäßig, bleiben jahrelang unveränderlich oder leuchten
binnen weniger Stunden mit großer Schnelligkeit hell auf. Das scheint
auf gewaltige Umwälzungen hinzuweisen, die sich dort abspielen.

Der Stern Beta in der Leier zeigt den sogenannten Lyratypus; der
Lichtwechsel geht ziemlich pünktlich vor sich, seine Stärke aber nimmt
nicht gleichmäßig zu, sondern geht zwischenhinein wieder herunter. Man
nimmt an, daß wir es hier mit halberstarrten Sonnen zu tun haben, die
uns abwechselnd ihre erkalteten und ihre unregelmäßig verteilten
glutflüssigen Oberflächenteile zuwenden.

Zwischen diesen beiden Typen gibt es noch allerlei merkwürdige
Abweichungen, wie zum Beispiel der besonders wundersame Stern S im
Schwan, der 2 Monate lang unverändert bleibt, dann rasch um das 12 bis
14fache an Glanz zunimmt, einmal 5, das andremal 10 Tage lang so hell
bleibt, um darauf nach einer Woche wieder so schwach zu leuchten wie
zuvor. Aber das geschieht nicht regelmäßig, sondern öfters zeigt er
wieder andre Perioden.

Ein andrer Stern wechselt in der fabelhaft kurzen Periode von 4 Stunden
und 13 Sekunden, was darauf hindeutet, daß er sich in dieser Zeit um
seine Achse dreht oder von einem andern Stern mit solch ungeheurer
Geschwindigkeit umkreist wird.

Dies führt uns zur dritten Klasse der veränderlichen Sterne, derer vom
Algoltypus. Diese zeigen ein rein weißes Licht, können also keine
erlöschenden Sonnen sein, auch sind ihre Perioden von genauester
Pünktlichkeit.

Algol im Perseus bleibt 2½ Tage unverändert als Stern zweiter Größe
gleich dem Polarstern; dann nimmt seine Leuchtkraft erst langsam, dann
immer schneller ab; nach 4½ Stunden ist er nur noch ein Sternchen
dritter bis vierter Größe, nimmt aber sofort wieder zu und ist nach
weiteren 4½ Stunden so hell wie zuvor.

Hiefür gibt es nur _eine_ Erklärung: Algol wird uns verfinstert durch
einen dunklen Weltkörper, der ihn in 2 Tagen, 20 Stunden, 48 Minuten und
55 Sekunden umläuft, denn so viel beträgt die Periode.

Dieser dunkle Begleiter muß seiner Sonne sehr nahe sein und beinahe so
groß wie sie, sonst könnte er uns, wie schon gesagt, seine Sonne auf
solch ungeheure Entfernung hin nicht verfinstern; natürlich muß auch
seine Bahn unsere Gesichtslinie kreuzen, daher ist es erklärlich, daß
man nur etwa 20 veränderliche Sterne vom Algoltypus kennt. Bei allen
sind die Perioden sehr kurz, zwischen 20 Stunden und 9½ Tagen.

Störungen weisen darauf hin, daß Algol mehr als einen Trabanten hat, und
wir dürfen hier ganze Sonnensysteme vermuten, aber auch dort, wo kein
dunkler Begleiter sich uns durch seine Größe und geringe Entfernung von
seiner Fixsternsonne verrät.

Schließlich verrät uns auch das Spektroskop dunkle Trabanten der
Fixsterne dadurch, daß die Linien ihres Spektrums genau innerhalb der
Lichtwechselperiode sich verschieben.«

»Aus alledem,« sagte Flitmore, »siehst du, daß dunkle und wohl auch
bewohnbare Weltkörper zur Genüge vorhanden sein müssen. Gott gebe nur,
daß wir zu rechter Zeit einen solchen auffinden und glücklich dort zu
landen vermögen.«




                            33. Ohne Luft!


Fünf Monate dauerte schon die unheimliche Reise der Sannah mit dem
Kometen und noch war Alpha Centauri so weit entfernt, daß sich nicht
sagen ließ, wann man in seine Nähe kommen werde. Nun wurde öfters des
Lords Nährmaschine in Tätigkeit gesetzt, damit die zusammenschmelzenden
Lebensmittelvorräte gespart werden konnten. Sie lieferte denn auch eine
sehr nahrhafte, stärkende und auch schmackhafte Kost, die freilich auf
die Dauer die natürlich entstandenen Nahrungsmittel nicht vollwertig
hätte ersetzen können.

»Leider erweist sich Ihre Vermutung über die Geschwindigkeit Aminas als
unrichtig,« sagte Flitmore eines Tages zu Schultze.

»In der Tat,« erwiderte der Professor, »ich habe sie bedeutend
überschätzt. Wenn man keine sichern Unterlagen für eine Berechnung
besitzt, kann man sich leicht um das zehn- und hundertfache verrechnen
bei solch fabelhaften Zahlen.«

»Ein schlechter Trost,« seufzte der Lord; »was aber noch bedenklicher
ist, auch ich habe zu optimistisch gerechnet, wenn ich glaubte, meine
Sauerstoffvorräte würden elf Monate ausreichen: wir sind nicht viel mehr
als halb so lange unterwegs, und bis auf eine kleine Kammer sind schon
alle geleert; Ozon haben wir überhaupt keines mehr.«

»Wie lange kann uns die Luft noch reichen?« fragte Münchhausen.

Der Lord zuckte die Achseln: »Bei äußerster Sparsamkeit, und zwar bei
alleräußerster, drei Wochen; dann ist es aus mit uns.«

»Sparen wir!« sagte der Kapitän trocken.

»Das werden wir tun; aber es wird eine böse Zeit werden und wer weiß, ob
es uns etwas hilft!«

Von jetzt ab wurde der geringe Rest an Sauerstoff so ängstlich zu Rate
gehalten, daß die Luft in der Sannah für die Lungen kaum noch brauchbar
war.

Die Folgen zeigten sich auch bald bei allen: an mehr als die
notwendigste Tätigkeit war nicht mehr zu denken, da eine furchtbare
Mattigkeit und Erschlaffung sich der Ärmsten bemächtigte. Röchelnd und
nach Luft schnappend lagen sie umher und überließen sich so viel als
möglich der bleiernen Schläfrigkeit, die sie gefangen hielt; denn im
Schlaf verbrauchten sie am wenigsten von der kostbaren Luft.

Je mehr sich der Hunger nach Luft steigerte, desto weniger wollte ihnen
Essen und Trinken mehr schmecken. Bleich und eingefallen, Gespenstern
gleich, schlichen sie durch die Räume, wenn sie sich vom Lager erhoben,
suchend, ob nicht irgendwo bessere Luft zu finden sei; aber sie war
überall verbraucht und vergiftet.

Nicht mehr von Tag zu Tag, nein, von Stunde zu Stunde steigerten sich
jetzt die Qualen, und die Wächter hatten die schwere Pflicht, mit
äußerster Willensanspannung den Schlaf zu überwinden, um die
erstickenden Genossen rechtzeitig wecken zu können: sonst wäre
schließlich niemand mehr aufgewacht!

»Erfinden Sie etwas, um künstlichen Sauerstoff herzustellen oder um die
verbrauchte Luft wieder für die Atmung tauglich zu machen,« keuchte der
Kapitän: »Mit mir geht's zu Ende, Lord!«

Flitmore lächelte schwach und wehmütig und sah nach Mietje, die mit
geschlossenen Augen krampfhaft zuckend im Sessel lehnte. »Ja, wenn ich
das zu erfinden vermöchte! Hilft uns Gott nicht, so sind wir alle
verloren. Aber _bald_ muß die Hilfe kommen: ich habe ja berechnet, daß
uns der Sauerstoff bei dem gegenwärtigen Verbrauch noch vier Tage
reichen kann; aber ich sehe ein, so geht es nicht weiter, wir brauchen
unbedingt bessere Luft, es ist die höchste Zeit. Und so muß die
Sparsamkeit ein Ende haben; ich bin entschlossen, den ganzen Rest unsres
Vorrats auf die nächsten 24 Stunden zu verteilen. Dann leben wir noch
einmal auf, ein letztesmal. Was dann weiter kommt, steht in des
Allmächtigen Hand!«

Mit diesen Worten schlich sich der Lord weg, um die Ventile zu öffnen,
die den gepreßten Sauerstoff in das einzige noch bewohnte Zimmer strömen
lassen sollten.

Die Lady erhob sich wie im Traum und verließ mühsam das Gemach.

Heinz, dem nichts Gutes ahnte, folgte ihr. Er fand sie in einer Stube,
in der die beiden Schimpansen erstickend am Boden lagen: man hatte die
Affen, so leid es einem tat, entfernen müssen, daß sie nicht auch noch
halfen, ihren menschlichen Leidensgefährten das letzte bißchen Luft
wegzuatmen.

»Was haben Sie im Sinn?« fragte Heinz die Lady.

Diese sah ihn müde an: »Was liegt an mir? Es kommt vor allem darauf an,
die Männer am Leben zu erhalten, bis Gott ihnen Rettung sendet. Ich will
ihnen nicht die letzten Aussichten nehmen.«

»Sie wollen hier ersticken?« rief Heinz entsetzt.

»Hier oder dort, das ist doch einerlei,« sagte die Lady lächelnd.

»Aber hier ist es in einer Stunde aus mit Ihnen; dort können Sie noch 24
Stunden aushalten, und zwar in verhältnismäßig guter Luft, da der Lord
die Luft gründlich verbessern will.«

»Gehen Sie, vielleicht wird dadurch Ihr Leben verlängert bis die Hilfe
kommt, und die wird nicht ausbleiben, dessen bin ich sicher.«

»Nein, Lady! Ein solches Opfer können wir nicht annehmen, auch ist es
zwecklos.«

»Wer weiß?«

»Nun, so bleibe ich auch da; dann ....«

Weiter kam er nicht, ein furchtbarer Stoß erschütterte die Sannah, ein
Krachen und Knistern erscholl und pflanzte sich wie rollender Donner
durch die Metallhülle weiter. Alle Räume erbebten. Dann wurde es still.




                34. Ein verhängnisvoller Zusammenstoß.


»Gott sei uns gnädig! Was war das?« schrie Lady Flitmore.

»Wenn nur kein Unglück die andern betroffen hat!« rief Heinz.

Und so schnell ihre schwachen Kräfte es ihnen erlaubten, eilten sie
zurück in das Zenithzimmer.

»Was ist geschehen?« rief ihnen hier Münchhausen entgegen.

»Das wollten wir Sie fragen,« gab Heinz zurück.

»Wo ist mein Gatte?« forschte Mietje besorgt.

»Da kommt er!« sagte Schultze aufatmend.

Der Lord trat ein. Todesblässe bedeckte sein Antlitz.

»Gottlob! Dir ist nichts passiert!« rief die Lady, alles andre
vergessend.

»Wir wollen uns auf unser Ende vorbereiten,« erwiderte Flitmore dumpf:
»Es ist keine Hoffnung mehr für uns, mit dem Leben davonzukommen, die
nächsten Stunden bringen den Tod.«

»Kein Sauerstoff mehr da?« fragte der Kapitän.

»Ein großes Meteor hat die Sannah gestreift und ihre Umhüllung
zertrümmert und zwar mußte es gerade unsre letzte Sauerstoffkammer sein,
deren Decke durchlöchert wurde. Natürlich ist alles in den leeren Raum
entwichen. Als ich die Ventile öffnen wollte, erfolgte gerade der Krach.
Ich ahnte, was geschehen und blickte durch das Seitenwandfenster in den
Raum, der durch das Licht des Kometen erhellt wurde, das durch die
zertrümmerte Decke eindringt.«

Eine tiefe Niedergeschlagenheit bemächtigte sich aller. Nur John
entfernte sich stillschweigend. Er wußte eigentlich selber nicht, warum;
doch gedachte er, sich den Schaden zu besehen und einen Rundgang durch
das Weltschiff zu machen, um festzustellen, ob sonst alles in Ordnung
sei.

In Ordnung! Ja, wenn nur Luft dagewesen wäre! Es war eine mühsame
Wanderung durch die sauerstoffleeren Räume und oft drohten dem Diener
die Kräfte zu versagen; doch heldenmütig schleppte er sich weiter.

Im Nordpolzimmer sah er die beiden Schimpansen sterbend am Boden liegen.
Sie dauerten ihn.

Er richtete die treuen Tiere auf, die sich krampfhaft an ihn
festklammerten.

»Ihr sollt nicht so lange leiden müssen,« sagte er: »Wir wollen alle
drei hinaussteigen, wo gar keine Luft ist, dann sind wir gleich tot!«

Gleichzeitig begab er sich zur Lucke, um sich mit den Affen in den
leeren Raum zu stürzen, denn er war der Meinung, sie würden hinabfallen;
die Anziehungskraft des Mittelpunktes der Sannah, die ihn an der
Oberfläche der Umhüllung festhalten würde, hatte er nicht begriffen.

Es waren durchaus keine Selbstmordgedanken, die John zu diesem
anscheinend so verzweifelten Schritte trieben; klare Gedanken vermochte
er überhaupt nicht mehr zu fassen, da das Blut dumpf in seinen Schläfen
hämmerte, seine Lunge keuchte und röchelte, und seine Kiefer umsonst
nach Luft schnappten. Ein dunkler Nebel umfing seine Sinne. Aber der
gleiche Gedanke, der Mietje bewogen hatte, sich opfern zu wollen,
dämmerte auch im Hintergrunde von Johns Seele, als er zur Lucke
hinaufkletterte: er wollte von dem letzten Restchen Luft seinem Herrn
nichts mehr wegatmen. Und dann war es noch das Mitleid mit Dick und
Bobs, die ein rasches Ende finden sollten.

Unterdessen sahen die andern im Zenithzimmer einem langsamen,
schrecklichen Ende entgegen. Immerhin konnte es nicht lange mehr dauern,
so würde eine wohltätige Bewußtlosigkeit eintreten und ihnen das Gefühl
der letzten Qualen ersparen.

Lord Flitmore war gefaßt und in den göttlichen Willen ergeben.

Heinz und Mietje zeigten sich ebenfalls ruhig: schwer wurde ihnen nur,
daß sie sich nicht für die andern opfern konnten, das hatte jetzt keinen
Zweck mehr.

Der Kapitän war der Unruhigste: ihm paßte das Ersticken durchaus nicht
und er sehnte sich nach einer frischen Seebrise. So murmelte er denn hie
und da etwas vor sich hin, das nicht danach klang, als habe er mit der
schnöden Welt bereits abgeschlossen. Doch er war kein Hasenfuß und kein
Zweifler; gewiß fand er sich auch noch in sein Schicksal, er mußte nur
zuvor noch einiges überwinden.

Im Stillen bewunderte er Professor Schultze: der schien auf einmal alles
vergessen zu haben und so schwer auch er mit dem Luftmangel kämpfte,
in den letzten Viertelstunden seines Lebens noch ganz von
wissenschaftlichem Eifer beseelt zu sein.

Der Zusammenstoß hatte seine Wißbegierde erregt und er forschte
angestrengt nach dessen Gründen.

»Es ist klar,« sagte er endlich mit schwacher Stimme: »Ein neuer Komet
ist die Ursache des Verhängnisses, dieser neue Komet ist durch den
Schweif der Amina gefahren und ein fester Bestandteil seines eignen
Schweifes hat unsre Sannah getroffen.

Auch sind wir vom Kopfe unsres Kometen viel weiter entfernt als bisher:
es scheint zwischen den beiden Haarsternen ein heftiger Kampf um unsre
Wenigkeit entbrannt zu sein: der neue Komet will uns mit sich
fortreißen, die Amina will uns nicht freigeben! Es wäre wirklich
interessant, zu erleben, welcher von beiden es gewinnt: kommt die Sannah
los vom Kometen Amina, so führt sie der andre Komet wahrscheinlich
zurück nach unserm irdischen Sonnensystem.«

»Wirklich hochinteressant,« sagte der Kapitän spottend. »Nur schade, daß
wir das Ende des Kampfes nicht erleben und daß die Rückfahrt in unser
Sonnensystem uns ziemlich einerlei sein kann; denn was kümmert's uns, wo
unser großer Sarg landet. Ja, wenn Sie uns verkünden könnten, daß irgend
in der Nähe ein Hoffnungsstern uns leuchtet, daß wir innerhalb einer
halben Stunde irgendwo landen können, das ließe ich mir gefallen, da
hätten Ihre Beobachtungen doch einen vernünftigen Zweck.«

In abgebrochenen Sätzen, oft unterbrochen durch das vergebliche Suchen
nach mehr Luft, hatte Münchhausen diese Rede hervorgestoßen. Schultze
aber erwiderte etwas kleinlaut:

»In letzterer Beziehung allerdings sieht es schlimm aus: Alpha Centauri
ist uns zwar verhältnismäßig sehr nahe gekommen, es lassen sich sogar
schon leuchtende Trabanten seines Sonnensystems unterscheiden; doch
einige Tage brauchten wir noch mindestens, um einen davon zu erreichen,
selbst wenn wir nicht jetzt auch noch dadurch aufgehalten würden, daß
zwei Kometen sich um uns balgen.«

»Also aussichtslos!« brummte Münchhausen; und nun ward es wieder stille
im Zimmer. Man hörte nur noch Stöhnen und Röcheln.

Flitmore beugte sich über seine Gattin. Sie hatte das Bewußtsein
verloren und würde es wohl auch nicht wieder erlangen. Es wäre zwecklos
und grausam gewesen, sie wieder zur Besinnung zurückrufen zu wollen.

Heinz schaute mit erlöschenden Blicken umher; er vermißte John: »Rieger
fehlt!« hauchte er.

Niemand erwiderte hierauf etwas.

Schultze blickte immer noch zum Fenster hinaus.

Plötzlich verdunkelte sich dieses; ein Schatten fiel darauf und nun
wurde der Professor auf einmal lebendig, durch das höchste Erstaunen
aufgeregt.

»Da hört sich doch aber alle Wissenschaft auf!« keuchte er: »Da steht ja
John Rieger, die treue Dienerseele! Mitten im luftleeren Raum! Ja, er
lebt noch, er bewegt sich, er scheint ganz munter! Das ist ja die
reinste Unmöglichkeit.«

Inzwischen war John außen auf die dicke Scheibe niedergekniet, winkte
und klopfte aus Leibeskräften.

»Er tut ganz verzweifelt! Natürlich, er hält es keine Minute mehr aus
ohne Luft. Wie er aber auch da hinauskommt und warum?« machte Schultze
kopfschüttelnd weiter. »Soll ich ihn einlassen?«

»Natürlich!« sagte Flitmore.

»Meinetwegen!« stimmte der Kapitän bei: »Obgleich uns die letzte Luft
entweichen wird, wenn wir die Lucke öffnen.«

»Da ist ja auch Bobs! Nein, der tanzt ja ordentlich und schlägt
Purzelbäume!« rief Heinz verwundert, während der Professor sich
anschickte, eiligst die Lucke zu öffnen, um John einzulassen, den er im
Todeskampfe wähnte.

Doch noch ehe Schultze geöffnet, hatte Rieger sich besonnen, daß ja die
Türen auch von außen aufgemacht werden konnten.

Es eilte ihm offenbar ungeheuer und er konnte es nicht abwarten, bis die
da drinnen ihm den Zugang frei legten; er drückte auf den Knopf und
langsam drehte sich die dicke Metallplatte in ihren Scharnieren.

Nun mußte die Luft vollends in den leeren Raum entweichen, aber was
machte das schließlich aus, sie war ja Gift und ein rasches Ende konnte
nur willkommener sein als ein langwieriger Todeskampf.

Aber da geschah ein Wunder!




                           35. Ein Wunder.


Schultze, der der Öffnung ganz nahe stand, spürte einen frischen Luftzug
hereinwehen!

Obgleich sich da selbstverständlich alle und jede Wissenschaft aufhörte,
sprach er doch kein Wort, sondern sperrte Mund und Nase auf, um die
köstliche, belebende Luft in seine Lungen aufzunehmen.

»Nein! Herrscht bei Ihnen eine abscheuliche Stickluft,« rief John
herein, indem er den Kopf in die Lucke steckte: »Kommen Sie doch schnell
alle heraus.«

»Kannst du denn schnaufen im luftleeren Raum?« rief der Kapitän von
unten: er war empört, denn es schien ihm, als treibe der Diener einen
höchst unangebrachten Scherz mit ihnen. Vielleicht hatte er den Verstand
verloren, der arme John! Oder war er schon ein Verstorbener, ein Geist,
der keiner Luft bedarf? Münchhausen jedenfalls brauchte noch Luft zum
Leben, das spürte er nur zu sehr!

John aber rief herab: »Es herrschen ja sozusagen die herrlichsten
atemsphärischen Verhältnisse hier draußen! Wirklich, werter Herr
Kapitän, eine köstliche Atemsphäre, und das Merkwürdigste ist, man fällt
gar nicht herunter von der Sannah: ich bin vom Nordpolfenster bis hier
heraufgestiegen, wie ich der Meinung nach gesagt haben würde, aber in
Wirklichkeit konnte ich von einer Steigung nichts verspüren: überall war
ich oben und wenn ich dann meinte, ich müsse mit größter Vorsichtigkeit
an der Rampe hinunterklettern, weil es überall rund hinunter ging, so
war das auch wieder gar nicht so und keinerlei Redensart von einem
vorhandenen Abstieg, sondern immer nur oben. Die Affen springen um die
ganze Sannah rings herum, daß man meint, jetzt fallen sie, jetzt stürzen
sie ganz ins Weite; aber sie bleiben unentwegtermaßen in vollster
Aufrichtigkeit ihrer leiblichen Haltung.«

Den letzten Teil seiner sprudelnden Rede hielt John an Professor
Schultze hin, der inzwischen hinausgeklettert war und nur atmete,
atmete.

Jetzt nahm er endlich das Wort: »Daß man um die ganze Sannahkugel
herumlaufen kann, ohne in den Weltraum zu fallen, das hat seine
Richtigkeit und selbstverständlich befinden wir uns an ihrer Oberfläche
überall oben. Aber daß im luftleeren Weltraum eine so tadellose Luft
vorhanden ist, das kann absolut nicht stimmen und geht nicht mit rechten
Dingen zu: Da hört sich ja einfach alle Wissenschaft auf!«

Nun war es heraus!

Jetzt aber wandte er sich zurück und rief in die Stube hinab:

»Was wollt Ihr denn dort unten noch länger mit der Atemnot kämpfen?
Macht, daß ihr herauskommt: tatsächlich ist hier draußen eine Luft, die
lebendig und gesund macht! Es ist zwar selbstverständlich ein
unmöglicher Umstand und die reinste Torheit, es zu glauben, aber ich
versichere euch, es ist doch so, tatsächlich so!«

Unterdessen hatte der frische Luftzug von oben seinen Weg nach unten
gemacht und war auch Flitmore, Heinz und Münchhausen in die Nasen
gedrungen.

Da raffte sich der Kapitän auf und bewegte seine Leibesmasse
schwerfällig empor, um die köstliche Atmosphäre aus erster Hand zu
genießen.

Als er mit Kopf und Brust aus der Lucke emporgetaucht war, blieb er
atemlos stehen und stützte sich mit den Armen auf den Türrahmen. Und
jetzt atmete und pustete er wie eine Dampfmaschine.

»He!« mahnte Schultze: »Machen Sie, daß Sie vollends herauskommen!«

Münchhausen schüttelte den Kopf: »Muten Sie mir keine übermenschlichen
Anstrengungen zu. Hier will ich verschnaufen. Ah, herrlich, köstlich!«

»Aber Mensch! Wenn Sie mit Ihrem Bauch die ganze Lucke verstopfen,
müssen ja die dort unten elendiglich umkommen! Haben Sie denn gar kein
Mitleid mit Ihren Nebenmenschen?«

»Ja so!« stammelte der Kapitän beschämt: »Da dachte ich ja gar nicht
daran vor lauter Lebensluft, die mir zuströmt.« Und nun krabbelte er
vollends heraus.

Jetzt kamen der Lord und Heinz nach, die Mietje an die freie Luft
emportrugen.

Die Lady war noch immer ohnmächtig, als sie aber draußen in die
sauerstoff- und ozonreiche Luft gebettet wurde, kam sie bald zu sich und
fühlte sich nach kurzer Zeit so gekräftigt, daß sie sich zu erheben
vermochte.

Nun wurde ein Spaziergang rings um das Weltschiff gemacht, ein
köstlicher Spaziergang! Dabei wurden sämtliche irgend vorhandenen Lucken
geöffnet, um die verdorbene Luft entweichen und die frische Atmosphäre
einströmen zu lassen.

»Und sagen, daß wir um ein Haar allesamt elend erstickt wären, da uns
die Lebensluft doch rings umgab!« sagte Münchhausen. »Gestorben wären
wir, nur weil wir nicht wußten, daß es eigentlich gar keine Not hatte!
Hätte John nicht zufällig, oder besser durch göttliche Fügung, den Gang
ins Freie angetreten, unsre Unwissenheit hätte uns das Leben gekostet.«

»Es ist aber auch rein unerklärlich, wie wir in einen mit Luft erfüllten
Winkel des Weltraums geraten konnten,« meinte der Professor. »Es war
gewiß niemand zuzumuten, daß er auf diesen himmelfern liegenden Gedanken
käme.«

»Doch!« widersprach Flitmore nachdenklich: »Eigentlich hätte ich daran
denken, ja es bestimmt wissen sollen. Sie haben da wieder ein Beispiel
dafür, Professor, wie wir Menschen, die wir uns so gar gescheit dünken,
mit Blindheit geschlagen sind, und oft nicht einmal die nächstliegenden
vernünftigen Folgerungen zu ziehen vermögen aus dem, was wir bereits
erkannten.«

»Wieso denn?«

»Nun, ich setzte Ihnen doch auseinander, daß meiner Ansicht nach der
Stoff, der den Weltraum erfüllt, nichts andres sein kann als verdünnte
Luft und daß jeder Planet oder vielmehr jeder rotierende Körper durch
eine Umdrehung und Anziehungskraft die Luft um sich her verdichtet und
sich so mit einer Lufthülle umgeben muß.

Welcher Schluß lag nun näher, als daß dies auch bei unsrer Sannah der
Fall sein müsse? Warum sollte sie sich nicht auch mit einer Atmosphäre
umgeben, die sie aus dem Weltraum an sich riß?«

»Nein!« rief Schultze, sich an die Stirn schlagend: »Solch ein alter
Esel, wie ich bin! Und solch einen Menschen tituliert man Professor! Die
Sache ist ja sonnenklar! Bei unsern Landungen merkten wir natürlich
nichts davon, weil wir die Sannah erst verließen, wenn sie sich in der
Atmosphäre eines Weltkörpers befand. Aber hätten wir in der Zwischenzeit
nur auch ein einzigesmal eine Lucke ein klein wenig geöffnet, so wäre
uns frische Luft entgegengeströmt!«

»Natürlich,« sagte der Lord wieder, »das wagten wir nicht, daran dachten
wir überhaupt nicht, weil wir stets im Wahne befangen waren, dort außen
gebe es keine Luft, die wir atmen könnten, vielmehr umlaure uns Tod und
Verderben und lediglich der luftdichte Abschluß aller Lucken, der das
Entweichen der Innenluft verhindre, schütze uns vor dem Erstickungstod.«

»Ich konnte das ja natürlich nicht ahnen,« sagte Münchhausen, »aber daß
unser Lord und vor allem Sie, allerweisester unter den Professoren,
nicht so weit dachten, das ist eine Schmach für die ganze Menschheit.
Was? Da halten Sie uns eingeschlossen wie in einem Bergwerk oder in
einem Unterseeboot, bis wir beinahe erstickt sind, statt zu sagen: Na,
Kinder! Machen wir die Pforten auf, spazieren wir hinaus, ein wenig
frische Luft schöpfen? Heinrich Schultze, Sie reden immer vom Aufhören
aller Wissenschaft, wenn Sie nur erst einmal des Wissens Anfänge inne
hätten!«

»Wenn ich mir erlauben darf, richtig verstanden zu haben«, mischte sich
John jetzt in die Unterhaltung, »so schiene mir aus Ihren respekttiefen
Reden ersichtlich zu sein, als ob diese Luft auch sonst früher vorhanden
gewesen sein müßte.«

»Gewiß,« sagte Flitmore, »seit unsrer Abfahrt von der Erde besitzt unsre
Sannah eine regelrechte Atmosphäre, die sich unaufhörlich aus dem
Raumstoff ergänzt und erneuert.«

»Ah!« rief Lady Flitmore: »Da hätten wir ja schon öfters solche
prächtige Spaziergänge im Freien machen können. Schade, daß wir's nicht
wußten; aber jetzt wollen wir's nicht wieder versäumen.«

»Nein, meine Liebe,« sagte der Lord. »Vor allem aber wollen wir Gott
danken, daß er uns das, was uns zuvor nur als eine Annehmlichkeit
erschienen wäre, im Augenblick der äußersten Not erkennen lehrte, da es
unser aller Leben rettete!«

Entzückend war der Wandel im Freien wahrhaftig zu nennen; nicht nur
wegen der gesunden Luft, die begreiflicherweise anfangs allen das
Wichtigste war, sondern auch wegen der wechselnden Aussicht, die man auf
den Sternhimmel genoß.

Die Oberfläche der Kugel mit ihren etwas mehr als 63½ Ar bot Raum genug,
sich zu ergehen; der Umfang von 141,3 Metern gestattete, in zwei Minuten
die ganze Sannah in beliebiger Richtung völlig zu umwandeln.

So konnte man den gesamten Sternhimmel bewundern.

Am nächsten standen der Sannah noch die beiden Kometen; doch schien es,
als ob beide sich nach entgegengesetzten Richtungen hin von ihr
entfernten: somit wäre das Weltschiff aus der gezwungenen Gefolgschaft
der Amina befreit worden, offenbar dadurch, daß der neue Komet die
Sannah ebenfalls angezogen hatte, ohne sie jedoch ganz mit sich
fortreißen zu können, da die Anziehungskraft des ersten sie noch
genügend zurückhielt.

Die meisten Sternbilder am nördlichen und südlichen Himmel erschienen
durchaus nicht viel anders, als von der Erde aus gesehen; die Entfernung
dieser Gestirne war so groß, daß die 3½ Lichtjahre, die man ihnen näher,
bezw. ferner gekommen war, gar nicht in Betracht kamen.

Diejenigen Sternbilder jedoch, denen man sich wesentlich genähert hatte,
(das heißt eigentlich nur einzelnen ihrer Sterne), erschienen ziemlich
verändert oder stark verschoben.

Man befand sich hier im Reiche der Fixsterne, und doch eigentlich wieder
nur in der Nähe eines fremden Sonnensystems, von dem die Fixsternwelt
ebenso fern schien wie von der Erde aus.

Schultze gab dieser Beobachtung folgendermaßen Ausdruck:

»Wir sind dem Sonnensystem Alpha Centauri ganz nahe und doch weit
entfernt, etwa im Sternbild des Centauren uns zu befinden, wie es sich
der Erde darstellt; denn die andern Sterne dieses Sternbildes sind uns
meist himmelfern und scheinen von hier aus auch einer abgelegenen
Fixsternwelt anzugehören.«

»Von der Erde aus betrachtet, sind wir hier unter den Fixsternen; von
hier aus betrachtet aber sind uns die Fixsterne ebenso entlegen wie der
Erde, wogegen uns die irdische Sonne einen Bestandteil des
Fixsternhimmels auszumachen scheint.«




                       36. In der Fixsternwelt.


Die frische Luft regte den Appetit mächtig an und Münchhausen war der
erste, der dies bemerkte.

»Wie wäre es,« sagte er, »wenn wir für heute unsern Luftwandel
einstellten und zunächst eine ausgiebige Stärkung zu uns nähmen? Mir
ist, als hätte ich seit acht Tagen nichts gegessen.«

»Unsre Mahlzeiten sind in letzter Zeit allerdings etwas zu kurz
gekommen,« lachte Flitmore; »der Mangel an Lebensluft und Stoffwechsel
ließ keinen rechten Hunger aufkommen.«

»Nicht einmal bei mir,« bestätigte der Kapitän.

»Was viel sagen will!« spottete Schultze.

»Komm, John!« gebot Lady Flitmore: »Eilen wir in die Küche, ein Festmahl
zu bereiten, so rasch wir eines zustande bringen; wir müssen heut unser
aller Geburtstag feiern.«

»Brava!« rief Münchhausen; »brava, Mylady, das ist ein genialer Gedanke.
In der Tat sind wir heute alle zu neuem Leben wiedergeboren.«

Mietje begab sich mit John hinab und die andern folgten.

Während erstere sich in die Küche begaben, blieben letztere im
Zenithzimmer.

»Ich glaube,« sagte hier Flitmore, »ich habe nun auch eine Erklärung
dafür gefunden, warum der Komet Amina uns entführt hat:

Sie wissen, meine Herrn, daß nach meiner Ansicht alle Körper mit
Anziehungskraft und Fliehkraft ausgestattet sind und sich demnach
gleichzeitig anziehen und abstoßen, so daß sie sich einander bis zu der
Entfernung nähern, wo Anziehung und Abstoßung sich ausgleichen und
einander aufheben.

Nun scheint mir in der Kometenmaterie die Fliehkraft zu überwiegen.
Daher kommt es, daß die durch die Sonnennähe aufgelösten Massen dieses
Stoffes mit solcher Wucht von der Sonne abgestoßen werden, daß sie einen
Schweif von vielen Millionen Kilometern bilden.«

»Das würde auch erklären,« fügte Schultze bei, »warum ein Komet, wenn
er, durch die Geschwindigkeit seines Laufes die Zentrifugalkraft bis zu
einem gewissen Grade unwirksam machend, dem Jupiter sehr nahe kommt oder
gar die Korona der Sonne durchsaust, zwar zertrümmert und aufgelöst
werden kann, niemals aber auf diese Weltkörper fällt.«

»Auch das!« stimmte der Lord zu. »Nun aber zieht Fliehkraft die
Fliehkraft an: nur so ist es begreiflich, daß ein Komet seinen
ungeheuren Schweif mit sich führen und späterhin wieder einziehen kann,
während die Weltkörper, die etwa diesen Schweif kreuzen, nichts davon
mitnehmen, eben weil die Fliehkraft in ihm vorherrscht.«

»Aber die Sternschnuppenregen und Meteorsteinfälle?« wandte Heinz ein.
»Tatsächlich werden eben doch Teile eines Kometen oder seines Schweifes
von der Erde angezogen.«

»Gewiß!« gab Flitmore zu: »Wir müssen uns eben vorstellen, daß zwar die
Fliehkraft in den Kometen überwiegt, einzelne Bestandteile aber doch
positiv magnetisch sind: gerade das könnte die lockere Schweifbildung
erklären, da sich dann Bestandteile darin finden würden, die einander
bis zu einem gewissen Grade abstoßen müßten. Jedenfalls wäre klar, warum
der Komet unsre mit Fliehkraft geladene Sannah anziehen und mit sich
fortreißen mußte.«

»Ich begreife,« sagte der Professor: »Und teils die rasende
Geschwindigkeit der Fahrt, teils das Vorhandensein anziehender Elemente
im Schweife verhinderte es, daß wir durch Ausschalten des Stroms
freikommen konnten.«

»So stelle ich es mir allerdings vor,« sagte der Lord. »Nun hat uns der
andre Komet aus dem Anziehungsbereich der Amina fortgerissen, ohne uns
jedoch festhalten zu können, weil die mit einander streitenden Kräfte
unsre Sannah schließlich an die Grenze der Anziehungssphäre beider
Kometen brachten. Und nun werde ich mich beeilen, den Zentrifugalstrom
auszuschalten, damit wir von dem Sonnensystem Alpha Centauri angezogen
werden und, wenn wir einen günstigen Planeten entdecken, dort landen
können.«

Da dies allgemein für das Beste gehalten wurde, stellte Flitmore alsbald
die Fliehkraft ab.

Dem Festmahl, das nun aufgetragen wurde, sprachen alle wacker zu und es
entwickelte sich eine behagliche und heitere Stimmung, die nach den
ausgestandenen Leiden und Todesängsten doppelt erquickte.

Dann ergab man sich einem köstlichen Schlaf, wie man ihn schon lange
nicht mehr genossen hatte.

Als unsre Freunde am andern Morgen im Zenithzimmer zum Frühstück sich
vereinigten, flutete heller Sonnenschein durchs Fenster, ein Wunder, das
mit größter Überraschung und einem wahren Jubelausbruch begrüßt wurde;
denn seit dem Verlassen des irdischen Sonnensystems war das blasse Licht
des Kometen und der Schein der elektrischen Glühbirnen der Sannah das
einzige Licht gewesen, das man gekannt.

Sofort nach beendigtem Mahl eilten alle ins Freie, um das neue
Schauspiel zu genießen.

Die Oberfläche der Sannah strahlte im hellsten Sonnenglanz. Ihre
Flintglasbekleidung verhinderte jedoch eine allzugroße Erhitzung. Es war
wie der plötzliche Einzug warmen, sonnigen Frühlings nach langer,
frostiger Winternacht!

»Da sind ja sozusagen zwei Sonnen!« rief John aufs höchste überrascht,
»wenn ich mir erlauben darf, mich nicht wesentlich zu täuschen, was
nicht der Fall sein dürfte.«

Alle sahen empor nach den blendenden Tagesgestirnen, die allerdings zu
zweit, anscheinend dicht neben einander am Himmel leuchteten.

So merkwürdig dies aussah, lange konnte man nicht hinblicken: die Augen
hielten den Glanz nicht aus.

»Das stimmt,« sagte Schultze: »Alpha Centauri ist ein Doppelstern.« Und
alsbald hielt er einen Vortrag über Doppelsterne, der hier ganz am
Platze war.

»Das Vorhandensein solcher Doppelsterne,« sagte er, »ist erst seit
einigen Jahrzehnten bekannt. Allerdings hatte das Fernrohr den
Astronomen schon lange enthüllt, daß da, wo man mit bloßem Auge einen
einzigen Stern zu sehen vermeint, in Wirklichkeit zwei oder gar mehrere
sein können, und der neblige Schimmer der Milchstraße löste sich unter
dem Teleskop in dichte Massen zahlloser Sterne auf, so daß Herschel
anfangs vermutete, alle Sternnebel müßten sich in genügend starken
Instrumenten als solche Sternenhäufungen erweisen. Aber alle diese
Sterne erscheinen nur wegen ihrer perspektivischen Lage und unendlichen
Entfernung einander so nahe zu sein, daß sie für das bloße Auge zu einem
zusammenhängenden Gebilde werden. In Wirklichkeit sind sie durch
Himmelweiten von einander getrennt und sind durchaus nicht das, was man
Doppelsterne und mehrfache Systeme nennt.

Die wirklichen Doppelsterne sind zwei Sonnen eines Sonnensystems, deren
eine die andere umkreist. Bessel war der erste, der im Jahre 1847
verkündigte, Sirius im großen Hunde, sowie Procyon im kleinen Hunde
müßten dunkle Begleiter haben.

Zwanzig Jahre später wurde der Begleiter des Sirius, den Bessel durch
bloße Berechnung erraten hatte, von Alvon Clark entdeckt. Er schien halb
so groß wie Sirius, also 12 bis 15 mal so groß wie unsere Sonne, aber
10000mal lichtschwächer, immerhin noch selbstleuchtend, sonst wäre er
unsichtbar geblieben. Seine Entfernung von Sirius ist gleich der des
Uranus von unserer Sonne.

Bessel hatte aus den ganz eigentümlichen Bewegungen des Sirius die
Umlaufzeit seines Begleiters auf 50 Jahre berechnet; sie wurde denn auch
neuerdings mit 50,38 Jahren bestimmt.

Die Doppelsterne« umkreisen einander meist in sehr langgestreckten
Ellipsen. Die Umlaufzeit der Doppelsterne, die durch die sichtbare
Veränderung ihrer Lage bestimmt werden konnte, beträgt im Mindestmaß 5,7
Jahre. Doppelsterne mit noch kürzerer Umlaufzeit stehen einander zu
nahe, um auch mit den besten Teleskopen noch getrennt gesehen werden zu
können.

Hier hat uns denn das Spektroskop neue Enthüllungen gebracht; man sah in
den Spektren einiger Sterne periodische Doppellinien auftreten, die mit
Sicherheit offenbarten, daß uns hier zwei Körper Licht sandten, von
denen sich einer auf uns zu, der andere von uns weg bewegte. Aus der
Verschiebung dieser Linien konnte man die Umlaufszeit nach
Sekundenkilometern berechnen, selbst ohne die Entfernung der
betreffenden Himmelskörper zu kennen.

Alle spektroskopisch entdeckten Doppelsterne haben sehr kurze
Umlaufzeiten von einem Tag bis zu 3 Jahren.

So wurde der Polarstern als Doppelstern mit viertägiger Periode und bloß
3 Kilometer Sekundengeschwindigkeit erkannt, sein Begleiter muß ihm also
äußerst nahe sein.

Man hat Tausende solcher Doppelsterne entdeckt und kann getrost sagen,
sie scheinen die Regel zu bilden und ein Sonnensystem, wie das irdische,
mit einer einfachen Sonne, ist eine Ausnahme. Diese Sterne gehören
sozusagen dem Algoltypus an, oder wie Freund John sagt, dem
Alkoholtyphus, nur daß ihre Begleiter nicht dunkel sind, sondern
selbstleuchtende Sonnen, manche allerdings schon im Erlöschen begriffen,
wie bei Sirius.

Es gibt aber nicht bloß Doppelsterne, sondern auch vielfache Systeme,
wie auch schon die Nebelflecke ein bis vier Zentralkerne aufweisen. Man
hat bis zu neunfachen Systemen entdeckt und wenn diese mehrfachen
Systeme verhältnismäßig selten erscheinen, so können sie
nichtsdestoweniger sehr zahlreich sein, da die kleineren Sonnen, so
leuchtend sie sein mögen, uns in solcher Entfernung nicht mehr sichtbar
werden können.

Ein dreifacher Stern, Gamma in der Andromeda, ist ein funkelnder
Edelstein, der zu den herrlichsten des Himmels gehört. Schon kleine
Fernrohre offenbaren uns seine ganze Schönheit: sein Hauptstern leuchtet
in goldgelbem Lichte wie ein Topas, sein Nebenstern, der wieder doppelt
ist, strahlt in wundervollem blauem Glanz, ein blitzender Saphir.

Auch das Spektroskop hat uns solche vielfache Systeme enthüllt: man
findet, daß periodisch sich verdoppelnde Linien sich in weiteren
Perioden nochmals spalten und so vierfache Systeme verraten.

Was nun die Doppelsonne anbelangt, die wir hier vor Augen haben, so
scheinen uns die beiden Gestirne von hier aus recht nahe bei einander;
in Wirklichkeit sind sie 25mal weiter von einander entfernt als unsere
Erde von ihrer Sonne, also beinahe so weit als unser äußerster Planet
Neptun von der Erde entfernt ist, da er 29 Sonnenentfernungen von dieser
hat.

Während Neptun sich in 165 Jahren um die Sonne bewegt, braucht die
Nebensonne unseres Alpha Centauri 81 Jahre, um ihr Zentralgestirn zu
umkreisen, welches etwa die doppelte Größe der irdischen Sonne hat.«

»Und nun,« sagte Flitmore, »möge dieses Doppelsonnensystem der
Fixsternwelt uns seine Gotteswunder offenbaren!«

                  [Illustration: Im Hochtale Edens.]




                         37. Eine neue Erde.


Die Sannah stürzte auf Alpha Centauri zu. Je näher sie den beiden Sonnen
kam, desto größer erschienen diese und desto weiter ihr Abstand von
einander.

Auf dem Wege zu ihnen aber befand sich ein weiß leuchtender Stern, den
Schultze durch das Fernrohr als einen dunkeln Planeten erkannte, der im
Lichte seiner beiden Zentralsonnen erstrahlte und Phasen zeigte wie der
Mond. Der Professor berechnete seinen Umfang auf das Doppelte des
Erdumfangs und seine Umdrehungszeit auf 50 Stunden.

»Das soll unser nächstes Ziel sein,« erklärte Flitmore: »Wir haben nach
dieser ungeheuerlichen Reise wohl alle das Bedürfnis, einen Ruhepunkt im
Weltall zu suchen, und wenn wir finden, daß dieser verheißungsvolle
Planet uns die notwendigsten Lebensbedingungen bietet, so soll er für
die nächste Zeit unser Aufenthaltsort sein; dann sind wir vorerst
geborgen.«

»Ja,« ergänzte Münchhausen, »und können uns den Kopf zerbrechen, wie wir
es anstellen sollen, den Weg zu unserer armseligen Erde zurückzufinden!
Mich beschleicht wenigstens öfters ein stilles, wehmütiges Heimweh nach
unserem fernen Planeten; aber Gott allein weiß, ob wir ihn jemals
wiedersehen werden! Offen gestanden, mir täte es leid, wenn er uns ewig
entrückt bleiben sollte.«

»Schade wäre es,« gab Schultze zu, »schon deshalb, weil wir das Wissen
der staunenden Menschheit dann nicht durch den Bericht unserer
großartigen Entdeckungen bereichern könnten; auch könnte es dann
Jahrhunderte dauern, bis wieder einer auf unseres Lords großartige
Erfindung käme und der Verkehr zwischen der Erde und den Planeten ihres
Sonnensystems angebahnt würde. Andererseits eilt es mir jedoch durchaus
nicht mit der Heimkehr, denn ich ahne, daß uns noch die wunderbarsten
Entdeckungen bevorstehen.«

»Glauben Sie, daß der Planet, dem wir uns nähern, bewohnt sein könnte?«
fragte Mietje, der es am meisten Freude gemacht hätte, wieder mit Wesen
menschlicher Art zusammenzutreffen und die mit einem Gefühl des Grauens
an den Saturn zurückdachte und nicht minder an den Mars, wo nur
Ungeheuer und widerliche Scheusale eine sonst öde Welt bevölkerten.

»Möglich ist alles,« entgegnete der Professor bestimmt. »Selbst Snyder,
der nur an die allmächtige tote Natur und an die Allweisheit ihrer
Unvernunft glaubt, kann nicht umhin, zu erklären: »Nur ein Tor könnte
glauben, daß im unendlichen Raume die schrankenlos schaffenden Gewalten
des Weltalls zur Bildung einer einzigen bewohnten, von einer Sonne
erleuchteten Welt geführt hätten.« Der große Geometer Lambert ging noch
weiter und sagte, da uns das Mikroskop offenbare, daß auf der Erde alles
bewohnt sei, müsse auch im Weltall alles irgendwie Bewohnbare bewohnt
sein.«

»Ja, das Bewohnbare!« warf Heinz ein: »Das haben wir ja auf dem Mars und
Saturn selber gesehen, obgleich auf ersterem die vernünftigen Wesen
ausgestorben scheinen, auf letzterem noch nicht vorhanden sein dürften.
Aber wir werden doch annehmen müssen, daß auch in den Verhältnissen der
unzähligen Planeten unendliche Verschiedenheit herrscht: auf dem einen
mag unerträgliche Hitze, auf dem andern unmenschliche Kälte das Leben
unmöglich machen; einer kann allzuschroffe klimatische Unterschiede, ein
anderer eine ungünstig beschaffene Atmosphäre haben und was dergleichen
mehr ist.«

»Gewiß! Das geben wir alles zu,« meinte Schultze: »Das alles schließt
aber das Leben nicht aus, nicht einmal das Vorkommen vernünftiger Wesen.
Denken Sie doch daran, wie es schon auf Erden Lebewesen gibt, die
ungeheure Kälte- oder Hitzegrade unbeschädigt zu ertragen vermögen.
Früher war man der Ansicht, das Vorkommen von Lebewesen in größeren
Meerestiefen sei schon infolge des ungeheuren Wasserdrucks unbedingt
ausgeschlossen. Heute weiß man, daß ein sehr mannigfaltiges Leben auf
dem Meeresgrunde herrscht, und daß die Tiefseegeschöpfe eben in
wunderbarer Weise den Bedingungen angepaßt sind, unter denen sich ihr
Leben abspielt. So sagt denn auch der eben genannte Lambert, die
lebenden Wesen auf den verschiedensten Weltkörpern werden eben auch den
dort herrschenden Verhältnissen entsprechend gebaut und eingerichtet
sein, und dagegen läßt sich einfach nichts einwenden.«

»Immerhin hat Lambert eine kühne Phantasie entwickelt,« sagte Flitmore:
»Ich will ja gewiß nichts dawider sagen, auch die kühnsten Phantasien
können mit der Wirklichkeit zusammentreffen. Er scheint sich etwa
gedacht zu haben, daß die Menschen nach dem Tode mit einem Leibe
versehen würden, der ihnen das Fortleben auf andern Weltkörpern
gestatte, und daß sie dann eben dahin kämen, wo der für sie geeignetste
Ort sei. So meinte er zum Beispiel, die Kometen wären der geeignetste
Aufenthaltsort für Astronomen und Jahrhunderte müßten ihnen dort sein
wie uns kurze Stunden.«

»Unrecht kann ich ihm nicht geben,« erwiderte der Professor: »Verdanken
wir es nicht einem Kometen, daß wir bis in die Fixsternwelt vordringen
konnten? Welch ein erhebender Gedanke für einen Sternkundigen, mit einem
Kometen die unergründlichen Tiefen des Welltalls in nie endender Fahrt
zu durchreisen und immer neue Entdeckungen machen zu können, oft aus
nächster Nähe zu schauen, was er auf Erden kaum ahnen konnte!

Gauß wies sogar den Gedanken nicht von der Hand, man könne sich mit den
Mondbewohnern in Verkehr setzen, dadurch, daß man durch die Bodenkultur
auf einer größeren Ebene der Erde die Figur des pythagoräischen
Lehrsatzes darstelle, indem durch breite Streifen hellgelber Kornfelder
schwarze Waldvierecke eingerahmt würden. Ja, man vermutete schon im
Ernst, die Marsbewohner bemühten sich, uns ähnliche Zeichen zu geben.

Nüchterner zeigt sich Klein, wenn er sagt, wahrscheinlich sei nur eine
verhältnismäßig geringe Anzahl von Planeten mit vernünftigen Wesen
bevölkert; da aber die Zahl der Planeten nach Hunderten von Millionen
zählen dürfte, könne dies immerhin eine ganz bedeutende Zahl sein. Er
sagt ferner: >Viele darunter mögen von Wesen bewohnt sein, die uns
selbst in geistiger Beziehung weit überragen. Hier dürfen wir unserer
Phantasie frei die Zügel schießen lassen und überzeugt sein, daß die
Wissenschaft keinerlei Beweis weder für noch gegen die Richtigkeit eines
ihrer Gebilde liefern werde<.«

»Und dabei ist zu berücksichtigen,« schaltete Flitmore ein, »daß Klein
lediglich solche Weltkörper in Betracht zieht, die menschlichen Wesen
wie uns ohne besondere Anpassung die nötigen Lebensbedingungen gewähren
würden.«

»Für uns kommen zunächst auch nur solche in Betracht,« sagte Schultze:
»Jedenfalls können wir zur Zeit keinem Planeten einen Besuch abstatten,
auf dem wir nicht leben und atmen können, und mag er mit noch so
wunderbar angepaßten Lebewesen bevölkert sein, für uns ist es
ausgeschlossen, sie kennen zu lernen, so lange es uns an der notwendigen
Anpassung fehlt.«

»Höchstens von der Sannah aus könnten wir sie beobachten,« meinte Heinz.

»Kein übler Gedanke,« war des Professors beifällige Erwiderung.
»Jedenfalls glaubten viele große Astronomen an die Bewohntheit der
Planeten sogar im irdischen Sonnensystem: Huyghens, Littrow und viele
andere halten sie für sehr wahrscheinlich und heute noch kann nichts
Entscheidendes dagegen vorgebracht werden.«

Anderntags war man dem neuen Planeten so nahe gekommen, daß man schon an
den Schattenflecken und an den Zacken seines Randes die Gebirge erkennen
konnte, die sich teilweise zu ganz ungeheuren Höhen erhoben; weite
blitzende Flächen verrieten die Meere, und gegen Abend nach irdischer
Zeitrechnung entdeckte man die Färbung des bewachsenen Landes und
erschaute spiegelnde Seen und silberglänzende Flußläufe.

Flitmore erkannte die Notwendigkeit, durch zeitweise Unterbrechung des
Zentrifugalstroms die Annäherung, die mit wachsender Geschwindigkeit
erfolgte, zu verzögern.

Er gönnte sich nur kurze Ruhe, während welcher Heinz das Weltschiff
abwechselnd sinken und steigen ließ. Dann löste der Lord den jungen Mann
in seinem Wächteramt ab und übernahm selber die letzten Maßregeln, um
eine sanfte, gefahrlose Landung zu sichern.

Als Flitmore annehmen konnte, daß die Sannah schon ziemlich tief in die
Atmosphäre des Planeten gesunken sei, schaltete er den Fliehstrom ein
und begab sich nach außen. Bei ausgeschaltetem Strom wäre das
Hinausgehen gefährlich gewesen, weil nicht mehr der Mittelpunkt der
Sannah, sondern derjenige des Planeten die Schwerkraft durch seine
Anziehung beeinflußt hätte, und somit ein Absturz vom Weltschiff dem
Unvorsichtigen hätte drohen können.

Als der Lord hinaustrat, stieg die Sannah unter dem Einfluß der
Zentrifugalkraft zunächst noch mit mäßiger Geschwindigkeit empor.

Es war eine köstliche Luft, die da draußen wehte, ja sie schien Flitmore
etwas ganz besonders Einschmeichelndes und Belebendes zu besitzen, wie
keine Luft, die seine Lungen bisher geatmet hatten. Ein
unbeschreibliches Wohlgefühl erfüllte ihn, als er diesen balsamischen
Äther einsog, der von fremden, wunderbar wonnevollen Wohlgerüchen
durchdrungen schien.

Da war kein Zweifel, das war nicht mehr die gewöhnliche Lufthülle der
Sannah, das war eine ganz neue, unbekannte Atmosphäre, der man sich
jedoch ohne alle Bedenken anvertrauen durfte.

Nachdem der Lord dies festgestellt, eilte er wieder zurück, so gerne er
länger draußen geweilt hätte. Es galt jetzt, rasch und umsichtig die
Landung zu vollziehen, dann konnte man ja diesen köstlichen Äther zur
Genüge genießen.

Flitmore weckte Schultze.

»Ich möchte Sie bitten, Herr Professor,« sagte er, »nach den
Klingelzeichen, die ich Ihnen geben werde, den Strom ein- und
auszuschalten; ich will mich in das Antipodenzimmer ins Beobachtungsnetz
begeben, von wo ich die Landschaft unter uns überschauen kann. So kann
ich dafür sorgen, daß wir an einem günstigen Platze landen.«

Als der Lord sich auf seinen Posten begeben hatte, sah er, daß das
Weltschiff über einem Hochgebirge schwebte, dessen Kamm schon so nahe
war, daß man über seine Ränder hinweg die umgebende Landschaft nicht
mehr zu erschauen vermochte: nur in weiten Fernen erblickte man
hügeldurchzogene Ebenen und ausgedehnte Meere, ohne weitere Einzelheiten
erkennen zu können.

Er besann sich, ob er nicht wieder aufsteigen wollte, bis die Rotation
des Planeten ebenes Land unter die Sannah gebracht hätte; doch war es
schließlich nicht einerlei, wo man landete? Und unter ihm lachte ein so
himmlisch entzückender See, umgeben von märchenschönen Ufern in
leuchtender Blütenpracht, daß er dachte, es könne wohl kaum einen
schöneren Fleck geben als eben den, welchen der Schöpfer ihm hier vor
Augen führte.

So gab er denn die Zeichen zum Einschalten der Fliehkraft nur so weit es
notwendig war, um den Absturz zu mildern, und nach wenigen Minuten sank
die Sannah sanft nieder auf eine blumenreiche Aue am Ufer des Sees.

Das Fenster des Antipodenzimmers berührte den Boden; Flitmore konnte
nichts mehr sehen, eine kaum merkbare Erschütterung zeigte die
glattvollzogene Landung an: das Weltschiff hatte festen Fuß gefaßt und
ruhte sicher auf dem fremden Planeten.

Nun begab sich Flitmore hinauf und fand die ganze Gesellschaft ermuntert
und voll Begier, zu schauen, was sich ihr nun offenbaren würde.




                        38. Die Wunder Edens.


»Ah! Herrlich! Köstlich! Wunderbar!« klang es in Verzückung von aller
Lippen, als die Luft voll herber Frische und gleichzeitig erfüllt von
beinahe betäubenden aromatischen Düften durch die geöffnete Türe
hereinflutete.

Die ganze Gesellschaft eilte hinaus, die Strickleiter hinabzuklimmen und
die Landschaft, die sie von unten her anlachte, übte einen solchen
Zauber auf sie aus, daß sie wirklich nicht wußten, ob das ein Traumbild
sei oder Wirklichkeit seine könne.

Übrigens überkam alle das seltsame Gefühl, als ob der Abstieg einen ganz
außerordentlichen Kraftaufwand erfordere und wirklich eine Kletterpartie
darstelle, die mühsam und ermüdend hätte sein müssen, wenn der
ozonreiche Äther, den sie atmeten, sie nicht mit solcher morgenfrischer
Jugendkraft und überschwellender Lust, die neuen Kräfte zu betätigen,
erfüllt hätte, daß ihnen jede Anstrengung ein wahres Wonnegefühl
verursachte und von Ermattung keine Rede sein konnte.

Münchhausen, der letzte beim Abstieg, empfand diese fremdartigen,
erhebenden Gefühle am deutlichsten, wie es bei seinen schwerfälligen
Körperverhältnissen begreiflich war.

»Ich schwebe!« rief er wonnetrunken aus: »Ich fühle mich leichter als
eine Feder! In meiner zartesten Jugend fühlte ich mich nie so frisch.
Ich bin mehr als verjüngt, wirklich neugeboren: so wenig Gewicht spüre
ich mehr, daß ich kaum herabkomme; es ist mir, als könnte ich fliegen!«

Man mußte lachen, wenn man seine wuchtige, massige Gestalt ansah und ihn
so von Leichtigkeit und Flugfähigkeit reden hörte und Schultze rief ihm
zu:

»Na! Eine Kugel, wie Sie, Kapitän, sich schwebend vorzustellen, ist ein
unbezahlbarer Gedanke! Verzeihen Sie mir meine unhöfliche Heiterkeit,
aber ich kann nichts dawider. Nein! Wenn uns Lady Flitmore entschwebte,
so wäre dies höchst bedauerlich und schmerzlich für uns, doch nicht so
gar erstaunlich bei der Leichtigkeit, die wir hier, wie es scheint, alle
verspüren; aber Ihr Entschweben macht uns noch keine grauen Haare.«

»Na, na!« bruddelte Münchhausen in komischer Entrüstung, als er jetzt
den Boden betrat: »Sie bleiben doch stets unvernünftig, einsichtslos und
zweifelsüchtig, oller Professor! Warten Sie nur ab, ob Sie nicht noch zu
Ihrer Beschämung oder zu Ihrem Entsetzen das Wunder erleben, daß Kapitän
Hugo von Münchhausen Ihren Blicken entschwebt gleich einer luftigen
Sylphide, so gerne Sie ihn zurückhalten möchten.«

Der Kapitän als luftige Sylphide! Dieser Vergleich war gar zu köstlich,
um nicht ein allgemeines schallendes Gelächter zu erwecken.

Münchhausen stimmte zwar mit ein, protestierte aber doch weiter: »Wegen
meiner etwas kugeligen Gestalt trauen Sie mir das Fliegen nicht zu? Da
sieht man wieder, wie wenig Logik die Menschen haben! Was ist denn
runder, voller, kugeliger als ein Luftballon? Kann der etwa deshalb
nicht steigen und schweben, he?«

»Ja, Kapitän,« entgegnete Heinz: »Aber Sie sind doch nicht durch
Wasserstoff zu solcher Fülle gebläht?«

»Viel mehr als luftiges Gas wird meine Leibeshülle zur Zeit nicht
enthalten,« behauptete der Schalk: »Wenigstens fühle ich mich ganz leer
und ausgehungert, obgleich es eine Schande ist, dies zu gestehen
angesichts dieser paradiesischen Landschaft. Jedenfalls werde ich ihren
ganzen Zauber erst dann voll zu würdigen verstehen, wenn ein
ordentliches Frühstück mir den nötigen Halt gegeben haben wird. He,
John! Du hast doch die Eßvorräte nicht vergessen.«

»Nein, wertester Herr von Kapitän,« beeilte sich dieser zu versichern:
»Wie könnte ich mir gestatten dürfen, solcher Pflichtvergessenheit mich
schuldig machen zu können: schon habe ich allbereits den Semaphor
angesteckt.«

Dabei wies er auf den dickbauchigen Samowar, die russische
Teekochmaschine.

»Semaphor ist wieder gut!« lachte Schultze: »Du bist doch ein
urgelungener Kerl, John. Ein Semaphor ist nämlich ein Zeichentelegraph
und ein Samowar nicht ganz genau dasselbe.«

»Ach, Herr Professor,« entschuldigte sich Rieger: »Diese chinesischen
Ausdrücke kann ich sozusagen nicht genau behalten, weil die chinesische
Sprache in meiner Schule nicht gelernt wurde und Sie verstehen ja schon,
ob ich nun Semaphor oder Samopher sage, was ja ziemlich einerlei
klingt.«

Der gebildete Diener wußte nämlich, daß der Tee aus China stammt und
glaubte daher, der fremdartige Name der Teemaschine müsse chinesisch
sein.

»Er hat gar nicht so unrecht mit dem Semaphor,« nahm ihn der Kapitän in
Schutz: »Die aufsteigenden Dämpfe des biedern Kessels sind wahrhaftig
telegraphische Zeichen, die von ferne einen köstlichen Labetrank
ankündigen.«

Bald saßen alle mit dampfenden Teetassen und kräftiger Zuspeise zur Hand
da, obgleich sie außer dem Kapitän vor lauter Entzücken über die Wunder
ihrer Umgebung kaum ein leibliches Bedürfnis verspürten.

Das Auge mußte aber auch trunken sein von der Pracht und Lieblichkeit,
die ihm hier in unendlicher Mannigfaltigkeit entgegenstrahlte.

Da war zunächst die Flur, auf deren weichem Teppich man lagerte.

»Ein weicher Teppich,« das war hier keine bloße Redensart: tatsächlich
waren diese fein gefiederten Gräser in ihrem durchsichtig leuchtenden
Grün so weich wie Flaum und Daunen.

Und die Blumen dieser herrlichen Wiesen! In allen Farben leuchteten sie;
doch was ihnen den ganz besondern Reiz gab, war ihre unendliche
Zartheit, die selbst die Frühlingsblüten der Erde in Schatten stellte.
Wie ein Lichthauch, wie ein körperloser Duft, so wiegten sich diese
Sterne und Kelche in der balsamischen Luft, die von ihren tausend
Wohlgerüchen erfüllt war.

So durchsichtig zeigten sich die Blütenblätter, daß man tatsächlich wie
durch feinstes buntes Glas den Hintergrund deutlich durchschimmern sehen
konnte; je nachdem aber das Licht auffiel, wurde es in den zartesten
Farben zurückgeworfen, so daß farbige Strahlenbündel von den Blüten
auszugehen schienen, obgleich sie nichts von eigener Leuchtkraft besaßen
und sich hiedurch von den Wunderblumen der Tipekitanga wesentlich
unterschieden; dennoch erschienen sie, wenigstens bei Tag, unendlich
reizvoller als diese.

Diese fremdartige und doch so über die Maßen entzückende
Durchsichtigkeit schien überhaupt der Pflanzenwelt des paradiesischen
Planeten ihre besondere Eigenart zu verleihen. Dort erhoben sich Büsche
mit großen, prächtigen Blumen, gleich Glocken herniederhängend, gleich
Tellern und Schalen schwebend, gleich kleinen Ballons oder Seifenblasen
in runden, ovalen, zylindrischen oder zusammengesetzten Formen
emporstrebend; im Hintergrunde ragten Wälder von früchtebeladenen Bäumen
empor, teils schlanke, teils knorrige Stämme mit Zweigen voll Anmut im
Schwunge der Linien, mit Blättern gleich durchbrochenen Spitzen in allen
erdenklichen Musterungen; und das alles blinkte und glitzerte, wo es das
Licht zurückwarf, während es vollkommen durchsichtig erschien, wo die
Strahlen hindurchdrangen.

Dabei wirkten diese durchsichtigen Formen vielfach wie Kristalle und
Prismen, brachen tausendfach die Lichter in allen Regenbogenfarben,
wodurch je nach der eigenen Färbung des Gegenstands und der Farbe der
durchscheinenden Strahlen die wundersamsten Tönungen und zartesten
Mischungen zustande kamen, so daß selbst die tiefsten Schatten das Auge
durch ihren Farbenreichtum erfreuten.

Und nun erst der See, dieses lachende Himmelsauge! Ein Blau von einer
auf Erden nie zu schauenden Tönung, ein Hauch, ein Duft von Saphir
schien seine Grundfarbe auszumachen und hart am Ufer war er so
durchsichtig, daß die bunten Sandkörner am Grunde einzeln zu sehen
waren; wo sich aber die Farbenstrahlen, die sich rings in der Luft
kreuzten und mischten, in seinen Wassern spiegelten, da entstanden
Flächen von verschiedenster Färbung und das Auge irrte umher und wußte
nicht, wo es am schönsten sei, und dann wurde es wieder gefesselt von
dem Goldglanz, von dem Silberschimmer, von dem Rosenhauch da und dort,
als ob es sich nicht mehr loszureißen vermöchte von dem märchenschönen
Anblick.

Aber es mußte wieder los: die Inseln und Inselchen, der wunderbare
Linienschwung der Ufer, die Buchten und Landzungen, die fernen
jenseitigen Küsten, die Hügelränder und die erhabenen Felsenmauern mit
ihren zackigen Kämmen und seltsamen Formen, -- das alles heischte sein
Recht und nötigte zu immer neuen Ausrufen des Staunens.

In jedem Augenblick glaubte irgend wer in der Gesellschaft etwas Neues
entdeckt zu haben, das alles bisher Geschaute in Schatten stellte, und
man machte einander aufmerksam darauf und Augen und Seelen feierten
einen ununterbrochenen Festtag beseligenden Genießens.

»Eden, Eden!« rief Flitmore aus, der völlig aus seiner gewohnten
kaltblütigen Ruhe gerissen war. »Welch andre Benennung könnten wir
finden, um diesem Paradiese seinen gebührenden Namen zu geben? Und wäre
der ganze Planet sonst eine trostlose, abschreckende Wüste, dieser eine
Fleck rechtfertigt es, daß wir ihn mit dem Namen des Landes bezeichnen,
das den Garten des Paradieses umschloß.«

»Recht haben Sie,« rief der Professor seinerseits: »Eden soll dieser
neue Planet heißen!«

Stunden vergingen, ehe der Bann des Schauens und Bewunderns soweit
gebrochen war, daß Heinz den Vorschlag machen konnte, nun endlich eine
Entdeckungswanderung zu unternehmen, da man lange genug der Ruhe
gepflogen habe.

Alle waren damit einverstanden, denn eine jugendliche Unternehmungslust,
gepaart mit neugierigem Forschungstrieb, beseelte selbst die älteren
Herren. Nur der Kapitän erhob wieder Einspruch, indem er die Uhr zog.

»Wir sitzen nun hier geschlagene vier Stunden,« sagte er: »Die Zeit ist
uns freilich wie im Fluge vorbeigegangen, da wir genug zu schauen und zu
genießen hatten. Nur an meinem Magen ging sie nicht spurlos vorüber. Es
ist lange her seit dem Frühstück und ich stimme für ein Mittagsmahl.«

»Sie unverbesserlicher Genießer!« schalt der Professor. Flitmore aber
sagte: »Unser Freund hat recht, erledigen wir zuvor dieses leibliche
Bedürfnis, dann können wir unsre Entdeckungsreise um so länger
ausdehnen. Es wäre schade, wenn eintretender Hunger uns frühzeitig zu
deren Unterbrechung oder gar zur Rückkehr nötigte.«

So wurde denn zuvor das Mittagsmahl bereitet und getafelt unter steter
Heiterkeit und in dauernd gehobener Stimmung, eine Wirkung, welche der
wunderbaren Luft und der herrlichen Landschaft wohl mit Recht
zugeschrieben werden konnte.




                     39. Sonderbare Naturgesetze.


John war zuerst mit Stillung seines Appetits fertig, während der Kapitän
noch mit vollen Backen kaute.

»Es wäre mir doch eine interessant zu prüfende Frage,« hub der Diener
des Lords an, »ob hier das Holz von unserer Erde im Wasser ebenso
untersinkt, wie auf dem Saturn der Fall sich augenscheinlich ereignete.«

Damit warf er ein Holzscheitchen weit hinaus in den Bach, der den Abfluß
des Sees zu bilden schien, denn man befand sich hier am äußersten Ende
des letzteren.

Alle sahen dem Scheite nach. Aber höchstes Erstaunen spiegelte sich in
ihren Mienen und Schultze sprang auf die Beine mit dem Rufe: »Da hört
sich doch aber alle Wissenschaft auf!«

Das Holz war nicht etwa untergesunken, aber es schwamm auf dem Bach
zurück, geradewegs in den See hinein; das heißt es schwamm bergauf!

»Sollte eine solche Sinnestäuschung möglich sein?« fragte Heinz: »Der
Bach scheint doch ein ziemliches Gefäll zu besitzen und nun erweist er
sich als ein Zufluß zum See und nicht als ein Abfluß: das Gelände muß
also dorthinzu ansteigen und nicht abwärts gehen, wie es doch aussieht.«

Der Professor war hart an den Bachrand getreten.

»Von Sinnestäuschung kann keine Rede sein,« sagte er kopfschüttelnd.
»Wir stehen hier vor einem Rätsel: Der Bach hat zweifellos Gefäll und
zwar ziemlich starkes Gefäll nach dem Talausgang zu; aber sein Wasser
fließt tatsächlich in den See, er bildet keinen Abfluß, sondern einen
Zufluß zum See, und zwar einen Zufluß von unten her; mit andern Worten,
er strömt bergan. Das ist einfach allen Naturgesetzen zuwider, aber
Tatsache ist es doch!«

Die andern traten näher und überzeugten sich von der Richtigkeit dessen,
was Schultze behauptete: man sah, wie der Grund sich gegen den
Talausgang bedeutend senkte und konnte doch deutlich die Strömung des
Wassers erkennen, die in entgegengesetzter Richtung lief. Auch weitere
Versuche mit Blättern und Zweigen, die in den Bach geworfen wurden,
bestätigten dies.

»Das ist um den Verstand zu verlieren!« grollte der Professor, der sich
nicht beruhigen konnte: »Wie soll man so etwas erklären?«

»Verzichten wir vorerst auf eine Erklärung,« meinte Flitmore: »Gewöhnen
wir uns vielmehr gleich an den Gedanken, daß die Naturgesetze unserer
kleinen Erdenwelt nicht auf allen Welten gleiche Gültigkeit haben.«

Münchhausen allein war sitzen geblieben; er konnte die Reste seines
Mahles nicht im Stiche lassen, weil zufällig einmal das Wasser aufwärts
floß, was ja weiter nicht gefährlich sein konnte und ihn daher ziemlich
kalt ließ.

Schultze in seiner ratlosen Aufregung über das haarsträubende Wunder,
das seiner Ansicht nach jedermann alles andere hätte vergessen lassen
sollen, empörte sich heillos über Münchhausens bodenlose
Gleichgültigkeit.

Er schrie daher den Kapitän etwas unwirsch an: »Und Sie können dabei
noch so ruhig sitzen bleiben und weiter essen, als ob es sich um die
natürlichste Sache der Welt handle? Wenn Sie Ihren Leib mit solchen
Massen anfüllen, können Sie zuletzt mit der Last Ihres vollen Magens
keinen Schritt mehr gehen.«

»O,« erwiderte Münchhausen seelenruhig und erhob sich; »nicht mehr
gehen, meinen Sie? Hüpfen kann ich, tanzen, springen, wenn Sie wollen,
das Essen hat mich rein gar nicht beschwert, wie es ja bei meiner
Mäßigkeit auch nicht anders denkbar ist; im Gegenteil, ich fühle mich
noch leichter als zuvor, seit ich wieder etwas im Magen habe. Da, sehen
Sie!«

Und, um zu beweisen, wie leicht er sich fühle, machte der Dicke einen
für seine Körperverhältnisse sehr gewagten Luftsprung.

Schultze blickte starr vor Entsetzen, Flitmore sah mit ernster Würde
drein, aber Heinz, Mietje und John brachen in ein krampfhaftes Gelächter
aus; denn solch ein Anblick überbot doch alles, was sie je Komisches
gesehen.

Münchhausen schnellte nämlich wohl drei Meter hoch in die Luft: Der
Luftballon war fertig! Majestätisch schwebte sie in der Höhe, diese
menschliche Kugel und langsam senkte sie sich wieder herab.

Da gestattete sich Flitmore, ohne eine Miene zu verziehen, ein
Scherzwort: »Sie sind die reinste Seifenblase geworden, Kapitän,« rief
er, »wenn Sie uns nur nicht zerplatzen!«

Münchhausen aber langte sprachlos wieder auf der Erde an; er sah sich
nach allen Seiten um, rieb sich die Augen und war offenbar der Meinung,
sich in einem Traumzustand zu befinden, da der Traum schon öfters sogar
seine Körperschwere aufgehoben und ihm den holden Wahn vorgetäuscht
hatte, er fliege frei und leicht durch die Lüfte.

»Ich hab's!« rief Heinz: »Haben Sie nicht auch Jules Vernes Buch »Hektor
Servadac« gelesen, Herr Professor? Da wird ja eine ganz ähnliche
Erscheinung geschildert, die ganz einfach aus der geringeren
Anziehungskraft zu erklären ist. Offenbar hat der Planet »Eden« eine
sehr geringe Anziehungskraft, weshalb die Schwerkraft wesentlich
verringert, beinahe aufgehoben wird. Daraus ließe sich dann auch das
rätselhafte Verhalten des Baches einigermaßen erklären.«

»Junger Freund,« sagte Schultze, »auf dieser Erklärung werden Sie selber
nicht beharren, wenn Sie ein wenig überlegen: mag Anziehungskraft und
Schwerkraft noch so gering sein, so wird das Wasser doch nimmermehr
bergauf fließen. Übrigens kann die Anziehungskraft unseres Planeten
überhaupt keine so geringe sein: seiner Masse nach zu urteilen, müßte
sie sogar größer sein als die irdische, obgleich ich zugeben will, daß
wir über das Wesen der Schwerkraft eigentlich so gut wie nichts wissen,
also auf die Richtigkeit solcher Schlüsse trotz vieler Scheinbeweise
nicht bauen können; dennoch will ich eher glauben, daß wir sämtlich
durch unseren langen Aufenthalt in der Sannah so stark mit Fliehkraft
geladen sind, daß unsere Schwere dadurch beinahe überwunden wird.«

Natürlich glaubte der gute Professor selber nicht an eine solche
Möglichkeit, die überdies das Verhalten des Baches um nichts
verständlicher machte; aber irgend einen Erklärungsversuch mußte er als
Mann der Wissenschaft doch beitragen, und wenn in solchem Falle kein
gewichtiger zur Hand ist, so muß vorerst auch der schwächste genügen, um
das wissenschaftliche Gewissen zu beschwichtigen, das, wenn irgend
möglich, nichts Unerklärliches gelten lassen will.

In diesem Augenblick erschienen Dick und Bobs, die bisher auf eigene
Faust in der Umgegend Entdeckungen gemacht und sich an den herrlichen
Früchten der Wälder Edens gelabt hatten.

Und siehe da! Die Schimpansen kamen sozusagen durch die Luft geflogen,
denn sie machten fünf bis sechs Meter hohe Sätze und mochten mit jedem
dieser Sprünge ihre 25 Meter zurücklegen.

»Hollah! das ist ja fidel!« rief Heinz übermütig: »Sind wir alle mit
derselben Fliehkraft geladen wie die Schimpansen und der Kapitän, so
können wir ja einen fabelhaften Indianertanz aufführen!« Und
gleichzeitig machte er einen Satz, der ihn drei Meter hoch durch die
Luft über die Köpfe der andern wegführte.

Das war ungemein lustig anzusehen, so verblüffend und unglaublich es
erschien; es war aber auch gar zu verführerisch, an sich selbst zu
erproben, ob man mit der gleichen wunderbaren Flugfähigkeit begabt sei,
und so machten auch John und Schultze den Versuch, und selbst Lady
Flitmore konnte nicht widerstehen, raffte ihr Kleid zusammen und sprang.

»Nein, wie herrlich!« rief sie.

In der Tat konnte es ein wonnigeres Gefühl kaum geben, als dieses
leichte, mühelose Emporsteigen in die balsamischen Lüfte und dann dieses
sanfte Herabschweben. Alle körperliche Schwere schien abgestreift und
wie ein freier, beseligter Geist kam man sich vor.

Der Lord allein stand da und schaute, doch mit sichtlichem Vergnügen,
den gelungenen Flugversuchen seiner Genossen und seiner Gattin zu;
dazwischen setzte er den photographischen Apparat in Tätigkeit und
machte eine Momentaufnahme um die andere.

Auch Münchhausen beteiligte sich mit Eifer an dem heiteren Gehüpfe,
nachdem er sich überzeugt hatte, daß es kein Traum war, sondern daß er
wirklich gleich allen andern eine neue, reizvolle Fähigkeit besaß.
Besonders ergötzlich erschien sie den Gefährten gerade an ihm, und oft
blieben sie stehen, um den fidelen Anblick der fliegenden Tonne zu
genießen, wobei ihnen der biedere Kapitän ihr herzliches aber nie
spöttisches oder böse gemeintes Gelächter durchaus nicht übel nahm.

Als nun alle eine Pause machten, rief Münchhausen:

»He, würdiger Lord! Halten Sie allein es unter Ihrer Würde, an solchem
großartigen Ballett sich zu beteiligen? Das gibt es nicht! Herunter von
dem Piedestal Ihrer Erhabenheit und hinauf mit Ihnen ins paradiesische
Luftrevier! Eine geschlagene Viertelstunde bieten wir Ihnen zum Ergötzen
und zur Erheiterung das niegesehenste Schauspiel, jetzt wollen wir
unsererseits uns an Ihren Sprüngen weiden.«

»Ja, Lieber!« sagte Mietje: »Versuche es doch auch einmal, ich sage dir,
ein herrlicheres Gefühl kann es nicht geben.«

Flitmore war bei all seiner Würde nicht der Pedant oder Geck, sich nicht
auch in belustigenden Darbietungen zeigen zu können. Er ließ sich nicht
lange auffordern, sondern führte eine Reihe so wunderbarer Bockssprünge
aus, daß begeisterter, wenn auch sehr heiterer Beifall der Zuschauer ihn
belohnte.

»Jetzt aber,« mahnte diesmal Münchhausen zuerst, »nach diesen für die
Verdauung äußerst wohltätigen Übungen, wollen wir doch wohl die geplante
Entdeckungsreise antreten.«

John mußte zur Vorsicht, in Erinnerung an das fatale Vorkommnis auf dem
Saturn, die Türe des Polzimmers schließen, durch das man die Sannah
verlassen hatte. Einen Wächter zurückzulassen hielt man nicht für nötig:
Keiner sollte von der vermutlich so interessanten Wanderung
ausgeschlossen sein.

Nun ging es zunächst dem engen Taleingang zu, durch den sich der Bach
heraufwand.

Jeder der Wanderer hatte eine Tasche umhängen, welche außer
Lebensmitteln auch ein zusammengerolltes Zelttuch und die
auseinandergenommenen Aluminiumzeltstangen enthielt.

Als der Bach durchschritten war, dehnte sich vor den Augen der Wanderer
eine entzückende Fernsicht aus.

Zur Rechten setzte sich das Gebirge noch fort in langer Kette von kahlen
Felsen und bewachsenen Hängen und Gipfeln, allmählich in weiter Ferne zu
niedrigen Hügelketten herabsinkend, deren Ende in den Horizont verlief.

Von dieser Seite her kam der Bach in sanfter Steigung herauf.

Geradeaus fiel das Hochgebirge in steilen Stufen ab, die jedoch bei
einiger Vorsicht den Abstieg gestatteten.

Zur Linken stürzten die Felswände großenteils senkrecht in bodenlose
Tiefe.

Schultze schätzte die Höhe, auf der man sich befand, auf 6000 bis 7000
Meter.

»Ich bezweifle,« sagte er, »ob wir in drei Tagemärschen das Tiefland
erreichen können.«

»Wir haben durchaus keine Eile,« erwiderte Flitmore.

»Gewiß nicht, wenn uns die Lebensmittel nicht ausgehen,« gab der
Professor zu.

»Solche haben wir allerdings bloß auf vier Tage mitgenommen,« sagte der
Lord: »Doch zweifle ich nicht, daß die Wälder, die da und dort auf
unserem Wege liegen, uns genießbare Speise in Hülle und Fülle bieten
werden.«

»Das ist allerdings anzunehmen, und wir werden uns ja bald genug davon
überzeugen können, ob dem so ist,« gab Schultze zu: »Andrerseits
befürchte ich, daß wir dort unten einer ganz unerträglichen Hitze
ausgesetzt sein werden, da die Temperatur auf diesen Höhen so milde ist,
während man sie unter ewigem Eis und Schnee begraben erwarten dürfte.«

»Das werden wir ja auch sehen,« versetzte Mietje: »Vorerst werden solche
Erwägungen uns nicht abhalten dürfen, den Abstieg zu unternehmen.«

Inzwischen ließen die Wanderer ihre Blicke weithin schweifen; zunächst
aber erregte eine Erscheinung in verhältnismäßiger Nähe Heinz'
Aufmerksamkeit und Verwunderung.

»Über die Felswände dort drüben,« sagte er und wies zur Linken, »stürzt
sich ein mächtiger Wasserfall herab: ich meine doch, die Wasser Edens
fließen bergauf?«

»Wirklich!« rief Schultze: »Das Gewässer tobt und rast, schäumt und
schießt in die Tiefe, ganz wie auf der Erde! Da hört sich doch alle
Wissenschaft auf!«

Münchhausen lachte herzlich: »Da haben wir's einmal wieder!« sagte er:
»Vor kaum einer Stunde gebärdete sich der Professor wie rasend, weil
einmal ein Bach bergauf fließt, und jetzt erscheint es ihm bereits
unbegreiflich, wieso einer bergab fließen könne!«

»Ja,« sagte Schultze gekränkt, »das gebietet doch die Vernunft: sind
hier einmal die Naturgesetze auf den Kopf gestellt, so muß das doch auch
für alle Fälle gelten, aber einmal so, einmal anders, das ist
wissenschaftlich einfach unzulässig.«

»Nanu! Hier soll eben Ihre Wissenschaft vollends gründlich zu Schanden
werden,« lachte der Kapitän.

In der fernen Ebene konnte man Hügel und Täler, Flüsse und Seen
erkennen. Unter anderem auch einen sehr großen See mit mehreren Inseln.

Zur Linken war die Meeresküste nicht sehr fern: mit teils steilen, teils
sanft geneigten, stellenweise auch ganz flachen Ufern zog sie sich bis
zum Horizont hin, durch Buchten und Fjorde, Landzungen und Vorgebirge,
in wunderbarer Schönheit gezeichnet, gezackt und geschwungen und öfters
scharf eingeschnitten.

Auch mehrere Inseln tauchten aus den Fluten des Ozeans auf, darunter
sehr ausgedehnte und manche mit Gebirgsmassen von erstaunlicher Höhe,
die wie dunkle Riesen drohend emporragten.

Schneegipfel waren nirgends zu erkennen.

Die Hügelketten und Berge des Flachlandes schienen meist bewaldet oder
mit saftiggrünen Matten bedeckt zu sein. Durch das Fernglas konnte man
Waldungen und Wiesenflächen, oft weite Prärien auch in der Ebene
unterscheiden. Große Strecken machten den Eindruck bebauten Landes; doch
konnte dies auf so weite Entfernung nicht mit Sicherheit festgestellt
werden.

Spuren von menschlichen Ansiedelungen waren nicht zu entdecken; wohl
aber merkwürdige Felsbildungen in den Tälern und Ebenen, wie auch auf
einzelnen Höhen: Blöcke, Türme, Zacken und Schroffen, die vereinzelt
aufstrebten, aber meist so dicht beieinander standen, daß sie den
Eindruck von Dörfern und Städten dem unbewaffneten Auge leicht
vortäuschten.

Soweit orientiert, begannen unsere Freunde den Abstieg in gerader
Richtung, da sich rechts die Höhenzüge unabsehbar hinzogen, links aber
senkrecht standen.

Hier, geradeaus, war es möglich hinunterzukommen; doch Vorsicht mußte
geübt werden, da es an jähen Abstürzen nicht mangelte.

Als sie mit dem Abwärtsklettern begannen, hatten sie wieder das gleiche
Gefühl, wie am Morgen, als sie auf der Strickleiter die Sannah
verließen: es schien ihnen, als koste jeder Schritt eine besondere
Anstrengung, als gälte es ein unsichtbares Hindernis zu überwinden, ja,
als gehe es nicht eigentlich bergab, sondern sehr steil aufwärts; aber
die Anstrengungen ermüdeten nicht, sondern erregten vielmehr ein
besonderes Vergnügen, als tue hier dem ausgeruhten Körper die Mühe so
wohl, wie sonst die Ruhe dem erschöpften Leibe tut.

»Kapitän, nehmen Sie sich in acht!« rief plötzlich Schultze besorgt:
»Sie werden noch abstürzen mit Ihrer Tollkühnheit, Ihr Bauch kriegt das
Übergewicht!«

»Pah!« rief Münchhausen zurück, der hart am Rande einer Felswand stand,
die beinahe überhängend an die 50 Meter abstürzte. »Ich spüre keinen
Hauch von Schwindel, obgleich ich sonst durchaus nicht schwindelfrei
bin, seit ich an Alter und Umfang zunehme. Schwindel ist ja eigentlich
eine Schande für einen alten Seebär, und ich freue mich ordentlich, ihn
hier los zu sein. Übrigens kriegt mein Bauch niemals das Übergewicht, er
ist ja so leicht wie ein Luftballon, wie Sie jetzt wissen dürften.«

Dabei machte der Unvorsichtige eine ungeschickte Bewegung, die an solch
ausgesetzter Stelle lebensgefährlich war, und tatsächlich, er glitt aus
und stürzte ins Leere.

Ein Schrei des Entsetzens entfuhr aller Munde, nur der Lord blieb stumm;
aber die Leichenblässe, die sein Antlitz überflog, verriet, daß er nicht
minder erschrocken war als die andern.

Der Sturz ins Leere war übrigens nur der unwillkürliche Gedanke, der den
erschreckten Zuschauern hatte kommen müssen: in Wahrheit erfolgte gar
kein Sturz, sondern Münchhausen, der selber erbleichte, als er den Boden
unter den Füßen verlor, schwebte sanft hinab und landete nach etwa 10
Sekunden am Fuße des Felsens, ohne auch nur mit den Füßen hart
aufzustoßen.

Flitmore fand zuerst seine Fassung wieder: »Wie schwer können wir uns
doch von alt eingewurzelten Vorstellungen losmachen!« sagte er. »Haben
wir es nicht selber erst vor Kurzem zur Genüge erprobt, wie leicht die
Luft hier unsere Körper trägt, wie schnell wir emporkommen und wie
gemächlich das Niedersinken erfolgt? Und doch konnten wir die
Folgerungen daraus nicht ziehen.«

»Ja, das ist doch etwas anderes,« meinte seine Gattin: »Vom ebenen Boden
aufspringen erscheint gefahrlos, nicht aber von einer Anhöhe in einen
Abgrund setzen.«

»Und doch ist es nichts anderes, da wir ja so hoch sprangen, daß unter
irdischen Bedingungen der Sturz auf den Erdboden zurück verhängnisvoll
hätte werden müssen,« entgegnete der Lord.

»Ja, Toren sind wir!« bestätigte Schultze: »Da plagen wir uns mit einem
beschwerlichen Abstieg, der zwar nicht ermüdet, aber äußerst langwierig
werden muß, und könnten doch wissen, wie leicht wir hier schwebend hinab
können. Nun aber man los!«

Aber der Professor mußte nun an sich selber erfahren, daß Lady Flitmore
doch nicht so unrecht gehabt hatte mit ihrer Bemerkung; denn als er den
weniger schroffen Seitenhang verließ und an den Rand der jähen Felsmauer
trat, wagte er doch nicht den Sprung ins Leere: die neue Erkenntnis
konnte nicht so schnell die Scheu vor solchem Wagnis überwinden.

Da trat Flitmore vor und ohne zu zögern machte er den entscheidenden
Schritt. Und siehe da! er schwebte so gelinde hinab wie der Kapitän.

Natürlich! Das mußte doch so sein!

Mietje folgte ihrem Gatten auf dem Fuße, wie sie es auch getan hätte,
wenn es sich um eine weniger unbedenkliche Sache gehandelt hätte.

Da schämte sich Schultze seiner Schwäche und hüpfte hinaus, noch ehe
Heinz und John mit Dick und Bobs heran waren.

Bald waren alle um Münchhausen versammelt und schüttelten ihm
anerkennend die Hand, als ob es Absicht und Wagemut gewesen wäre, die
ihn veranlaßt hätten, ihnen das dankenswerte Beispiel zu geben.




                       40. Eine neue Tierwelt.


Nun ging der Abstieg rasch von statten, weil er nur noch in Luftsprüngen
vollzogen wurde und bei steilen Absätzen in einem Hinabschweben, das dem
Fluge gleich kam.

Diese Art der Fortbewegung hatte überdies etwas so ungemein Reizendes
und Wohliges, daß die Stimmung so angeregt und heiter war, wie kaum je
die glänzendste Feststimmung auf der alten Erde.

Man war schon ziemlich weit unten, als die erste Rast gemacht wurde,
nicht etwa um auszuruhen, denn von Ermattung spürte niemand etwas,
sondern weil der Kapitän erklärte, es sei wieder hohe Zeit zu einem
Imbiß.

Außerdem verlangte auch Schultze einen Aufenthalt, da man den ersten
Wald erreicht hatte, dessen Pflanzen- und Tierwelt er näher in
Augenschein nehmen wollte; denn der liebliche Vogelgesang und sonstige
Laute, die aus dem Walde ertönten, bewiesen, daß hier Leben zu treffen
sei, während das paradiesische Tal auf der Höhe trotz seiner wunderbaren
Schönheit kein lebendes Wesen zu beherbergen schien, wenigstens hatte
sich keines blicken lassen.

Die Baumstämme, die der Professor beim Betreten des Waldes zunächst
untersuchte, zeigten ein festes und zähes Gefüge; ob man aber den Stoff,
aus dem sie sich aufbauten, Holz nennen sollte, erschien sehr
zweifelhaft, denn es war ein durchsichtiger Stoff wie Harz oder
Bernstein, das heißt eben nur seiner Durchsichtigkeit nach; sonst war er
faserig wie Holz und ließ sogar Schichtungen gleich Jahresringen
erkennen, die Rinde jedoch bestand nur aus einer dünnen, zähen Haut, die
völlig transparent war.

Die Färbung dieser Stämme ging vom Goldgelben bis zum Dunkelbraunen, vom
Kristallklaren bis zum Silberweißen.

Die Blätter waren meist grün in den verschiedensten Abstufungen, auch
gelb oder rötlich und unterschieden sich in der Färbung nicht wesentlich
von den irdischen; nur waren sie eben auch durchsichtig und dann von den
verschiedensten anmutigen Formen, vielfach gehäkelten Spitzen ähnlich.

An Schatten fehlte es nicht, trotz der Durchsichtigkeit des Laubes und
der Stämme: Die Dichtigkeit der Kronen schwächte das Licht an vielen
Stellen derart, daß nur ein schwacher Farbenschimmer auf dem Boden
spielte, der im Vergleich zu den lichteren Stellen als tiefer aber
bunter Schatten erschien.

Auch Nadelbäume fanden sich, und diese waren von ganz besonderem Reiz,
weil ihre feinen Nadeln, die wie von Glas aussahen, je nach der Art alle
Regenbogenfarben aufwiesen. So konnte man von roten, gelben,
rosafarbenen, orangeroten, violetten, goldenen, silbernen, himmelblauen
und dunkelblauen Tannen und Fichten reden, wenn man diese irdischen
Namen auf die Nadelhölzer Edens übertragen wollte.

Kein Baum war ohne eßbare Früchte; auch diese waren alle durchsichtig
und völlig genießbar, wie die Schimpansen bewiesen, die alle samt den
Kernen verzehrten.

Die Früchte waren von verschiedenster Größe und Färbung; vom Umfang
eines Riesenkürbisses bis zu dem einer Pflaume waren alle Zwischenstufen
vertreten. Bei den größten glich oft der Kern schon einer Kokosnuß.
Diese Kerne waren meist mehlreich und sehr nahrhaft; sie konnten
Zwieback und Brot vollständig ersetzen und schmeckten weit kräftiger und
angenehmer als diese.

Das Fruchtfleisch war meist sehr saftig und genügte, jedes Durstgefühl
zugleich mit dem Hunger zu stillen; bei etlichen Arten war es zuckersüß,
bei andern ohne Süßigkeit, stets aber aromatisch und von entzückendem
Wohlgeschmack; die Nadelbäume trugen eßbare Zapfen von ziemlicher
Trockenheit, die teilweise an Schokolade, teilweise zu ihrem unbedingten
Vorteil an nichts Irdisches erinnerten.

Schließlich entdeckten unsre Freunde noch, daß auch die Zweige und
Blätter der Bäume und Büsche eßbar waren. Auch dies wurde ihnen durch
das Behagen verraten, mit dem Dick und Bobs sie zerknabberten.

Gewöhnlich entsprach ihr Geschmack so ziemlich dem der Frucht, doch eine
angenehme Säure gab ihm eine willkommene Abwechslung.

Ganz besonders begeistert war Münchhausen von der Entdeckung einer oder
vielmehr einiger Arten von Früchten, die er alsbald »Grogfrüchte«
benannte, und die er fortan mit wunderbarem botanischen Scharfblick
sofort überall herauserkannte. Es waren dies eigentlich Beeren, aber
Riesenbeeren von Orangengröße, die an niederen Stauden wuchsen. Schon
Stengel und Blätter dieser Büsche fühlten sich warm, beinahe heiß an;
die Beeren enthielten einen wirklich heißen, würzigen Saft von
unterschiedlichem Aroma, der sehr stark roch und schmeckte, als sei es
tatsächlich Grog oder Punschbowle; er stieg jedoch nicht zu Kopf, übte
dagegen eine ungemein belebende und kraftschwellende Wirkung aus.

Der Kapitän unterschied zwischen steifen und weniger steifen
Grogfrüchten; den ersteren gab er bei weitem den Vorzug.

Natürlich lernten unsre Freunde nicht alle diese Genüsse auf einmal
kennen: die Menge und Mannigfaltigkeit war zu groß; aber es dauerte
verhältnismäßig kurze Zeit, bis sie alles durchgekostet hatten und nun
nach Lust und Belieben ihre Wahl treffen konnten; denn sie dachten nicht
mehr daran, irgend welche andre Nahrung zu sich zu nehmen, als die,
welche ihnen Edens Wälder und Gefilde boten und die durch nichts weder
an Güte noch Bekömmlichkeit zu übertreffen schien.

Giftpflanzen oder irgendwie schädliche Gewächse gab es auf diesem
gesegneten Planeten anscheinend überhaupt nicht.

Gleich beim Eintritt in den Wald machten sie auch Bekanntschaft mit
dessen Insekten- und Vogelwelt.

Erstere zeigte nichts Widerliches oder Schreckliches, es waren harmlose
Käfer und Kriechtiere, Mücken und Schmetterlinge, die sich sowohl durch
schöne Formen wie durch prächtige Farben auszeichneten und als besondere
Merkwürdigkeit eine ähnliche Transparenz zeigten wie die Pflanzen und
Blüten. Sie glitzerten, schimmerten und schillerten, blitzten,
flimmerten und flirrten wie leuchtende Edelsteine.

Die Vögel hatten kein Gefieder, sondern bloß ein buntes Flaumkleid, das
aber lebhaft gefärbt und wunderbar schön gezeichnet war; auch ihre
Flügel waren federlos und konnten im Bau am ehesten mit
Schmetterlingsflügeln verglichen werden, nur daß sie ebenfalls mit Flaum
behaart und im Ruhezustand nicht emporgerichtet, sondern an den Leib
angelegt waren, auch die entsprechende Wölbung zeigten.

Wo Menschen beinahe fliegen konnten, mußten sich diese Vögel auch mit so
einfachen Flugwerkzeugen bis in die höchsten Höhen erheben können.

Alles in allem, eigentümlich war auch die Vogel- und Insektenwelt Edens;
aber so ganz fremdartig erschien sie den Erdenbewohnern doch nicht, und
vor allem, sie hatte nichts Abstoßendes, Unheimliches oder Gefährliches,
im Gegenteil hervorragende Reize, die Auge und Herz erfreuten.

Ganz besonders galt das letztere, das Herzerfreuende, von dem ungemein
lieblichen Gesang der Vögel, mit dem weder die Nachtigall noch sonst ein
gefiederter Sänger der Erde wetteifern konnte. Das waren richtige
Melodien, die da ertönten, und zwar erhebende und einschmeichelnde
Weisen! Man hätte wohl kaum die Arten nach ihren melodischen Motiven
unterscheiden können, höchstens an der Klangfarbe ihres Organs, denn
keine Art war an besondere Tonfolgen gebunden: es war ein wirklich
individuelles Konzert; jeder war Komponist und beherrschte die ganze
Tonleiter und brachte immer neue, einfache, aber doch bezaubernde Weisen
hervor, und nie tönten diese von verschiedenen Seiten störend
durcheinander; es schien, als werde der jeweilige Einzelsänger
respektiert und die andern begleiteten ihn nur mit harmonischen
Untertönen.

               [Illustration: Löwe auf Mietjes Schoß.]

Noch nicht lange hatten unsre Freunde diesen Zauberflöten gelauscht,
sich gleichzeitig an den ersten köstlichen Früchten erlabend und die
lebendigen Edelsteine bewundernd, die im durchsichtigen Moose
umherkrochen und hüpften, oder von Blume zu Blume schwirrten, als
plötzlich Mietje einen leisen Schrei ausstieß.

Alle wandten sich nach ihr hin, denn bisher hatte jeder seine eigenen
Beobachtungen angestellt.

Aber was sahen sie nun!

Ein großer Vierfüßler, am ehesten einem riesigen Löwen vergleichbar, war
lautlos in die Lichtung getreten und hatte ohne weiteres sein mächtiges,
mähnenumwalltes Haupt auf ihren Schoß gelegt!

Und Lady Flitmore? Sie streichelte ihn!

Der erste Schrecken, den das Erscheinen des gewaltigen Tieres natürlich
in ihr erwecken mußte, hatte ihr den leichten Ausruf entlockt; sie hatte
den Löwen, wie ihn später unsre Freunde der Ähnlichkeit halber nannten,
aber erst bemerkt, als er unmittelbar von der Seite her an sie herantrat
und ehe sie noch aufspringen oder sich irgend besinnen konnte, hatte das
Tier sich schon niedergelegt, den Kopf in ihren Schoß schmiegend.

Wie es nun mit den großen, klugen und so sanften, harmlosen Augen zu ihr
aufblickte, war eine solche Ruhe über sie gekommen und zugleich ein
solches Wohlgefallen an dem schönen, stolzen und anscheinend so
gutmütigen Geschöpf, daß sie unwillkürlich begann, dies anschmiegende
königliche Haupt zu streicheln und zu liebkosen.

Flitmore, besonnen, wie er meist auch in den gefährlichsten Augenblicken
war, erhob sich ganz langsam, um das Tier nicht zu erschrecken, dessen
vermutlich wilde Natur ja immer noch zum Ausbruch kommen konnte.

Er zog für alle Fälle den Revolver und ging sachte auf seine Gattin zu;
der Löwe erhob das Haupt.

»Laß ihn!« bat Mietje den Gatten.

»Ich tue ihm nichts, wenn er nicht gefährlich wird,« beruhigte sie der
Lord.

Dabei legte er dem Löwen die Linke auf das Haupt.

Das Tier sah ihn nur an.

Jetzt griff ihm der Lord unter den Kiefer, stets bereit, ihm eine Kugel
ins Auge zu jagen, sobald er böse Absichten zeigen würde.

Das Tier aber zeigte sich verständig und lenksam. Ein leiser Druck
genügte, es sich erheben zu lassen, und ein schwacher Schub von der
Seite her veranlaßte es, ganz gemütlich umzukehren und wieder im Walde
zu verschwinden.

»Ach!« sagte Mietje. »Ich bin ganz froh!«

»Das glaube ich, Lady,« fiel Schultze ein, »wahrhaftig, das glaube ich,
daß Sie froh sind, dieses gefährliche Raubtier auf so gute Art los
geworden zu sein; wir alle haben für Sie gezittert und gebebt.«

»Nein!« sagte Mietje: »Sie mißverstehen mich, Herr Professor; dieses
gutmütige Geschöpf flößte mir nur im ersten Augenblick einen kleinen
Schrecken ein, ehe ich seine Harmlosigkeit aus seinen Augen erkannte.
Nein, nein also! Ich wollte sagen, ich bin so froh, daß auch die
Säugetiere auf diesem, Planeten denen auf der Erde gar nicht so
unähnlich zu sein scheinen. Ich weiß nicht, aber auf dem Mars und dem
Saturn kam mir die Welt ganz unheimlich vor, und das war doch noch in
unserm Sonnensystem. Da war ich schon darauf gefaßt, wenngleich ohne
mich darauf zu freuen, daß es in der entfernten Fixsternwelt noch weit
seltsamer und grauenvoller aussehen werde.«

»Ein Glück,« meinte Münchhausen, »daß, sofern wir aus dem Geschauten
weitere Schlüsse ziehen dürfen, diese Tierwelt Edens wenigstens an
Raubgier, Blutdurst und damit an Gefährlichkeit der irdischen
Raubtierwelt bei weitem nachzustehen scheint.«

»Lassen wir die Vorsicht nicht aus den Augen,« mahnte Flitmore. »Diesmal
lief es gut ab; doch niemand kann uns gewährleisten, daß wir nicht
bedenklichere Begegnungen erleben.«

»Vor den Löwen Edens fürchte ich mich schon nicht mehr,« meinte die Lady
zuversichtlich. »Das wäre ja schnöder Undank und verwerfliches
Mißtrauen!«

Beim Weiterwandern durch den Wald wurden noch zahlreiche Vertreter der
Säugetierwelt angetroffen; doch zunächst lauter harmlos aussehende
Geschöpfe, die sich alle durch auffallende Schönheit und Lieblichkeit
auszeichneten. Das verstand sich aber nicht bloß von der Färbung und
prächtigen Zeichnung der Felle und der Anmut und Eleganz der Glieder,
sondern namentlich von den Gesichtszügen, deren kluger Ausdruck und
ungemein freundlicher Blick sofort für sie einnahm. Da waren Tiere, die
an den Hirsch, das Reh, das Zebra, die Antilope, die Giraffe, das Pferd,
an Hunde, Katzen und Eber erinnerten oder an andere irdische Arten; aber
alle übertrafen ihre Erdenvettern durch die Vollkommenheit ihrer Formen,
den Reiz ihres Haarkleides und die Schönheit ihrer sanften Angesichter.
Irgendwelche Scheu schien ihnen völlig unbekannt.

Plötzlich blieb John starr und regungslos stehen.

Vor ihm bäumte sich eine große Schlange mit wunderbar schillerndem
bunten Leibe empor. Er war auf sie getreten und erwartete nun jeden
Augenblick den Biß des Reptils, das sich krümmte und wand und den mit
scharfen Zähnen bewehrten Rachen schmerzvoll aufsperrte:

In der Betäubung des Schreckens dachte er gar nicht daran, wegzutreten,
um das Tier von seiner Last zu befreien und vielleicht seiner Rache zu
entgehen.

Nun wand sich der leuchtend gestreifte Leib an seinen Beinen empor und
wieder hinab; aber die Schlange biß nicht, sondern stöhnte nur.

Ein Zuruf Flitmores brachte John endlich zur Besinnung; er sprang zur
Seite, und das Reptil, vom Gewicht seines schweren Fußes befreit, glitt
lautlos an ihm hinab und kroch langsam davon.

»Wahrhaftig, hier scheint auch das giftigste Geschöpf seine Schrecken
verloren zu haben,« rief Schultze: »So hättest du einer irdischen
Schlange mal kommen sollen, Johann! Da wärest du nicht ohne Schaden
davongekommen.«

Nun trat die Gesellschaft hinaus in die glitzernde Savannah, aber
erstaunt, erschrocken und zugleich entzückt hemmten sie den Fuß.

Was für kolossale Tiere weideten da! Mammutähnliche Elefanten,
Einhörner, den Fabelwesen alter Sagen gleich, Büffel und Giraffen,
Kamele, Riesenbären, gefleckte und gestreifte Tigerkatzen, Panther und
Leoparden, Löwen und Wölfe, Schafe und Ziegen wanderten da umher,
miteinander und durcheinander, und weideten friedlich und gemütlich die
durchsichtigen Halme ab oder langten sich Früchte von den hohen Stauden
und den Bäumen am Waldsaume.

Das war eine unabsehbare bunte Herde, die sich hier tummelte und labte,
in der weiten Ebene zerstreut!

Wohlgemerkt, diese Geschöpfe zeigten eine so in die Augen fallende
Ähnlichkeit mit den genannten irdischen Arten, daß unsre Freunde nicht
in Verlegenheit kamen, ihnen sofort die entsprechenden Namen
beizulegen; andrerseits aber wiesen sie doch wieder wesentliche
Unterscheidungsmerkmale auf, namentlich auch wieder dadurch, daß sie
eine höhere, edlere Stufe darzustellen schienen, oder, wie Mietje sich
ausdrückte, es war die Tierwelt der Erde, zum Teil mit ihren
ausgestorbenen Arten, in idealisierter, vollkommenerer Form.

            [Illustration: John tritt auf eine Schlange.]

»Wagen wir uns wohl da mitten durch?« fragte Münchhausen.

»Voran!« kommandierte der Lord: »Von diesen Geschöpfen droht uns keine
Gefahr.«

Heinz aber bemerkte: »Immer mehr rechtfertigt dieser Planet den Namen,
den wir ihm beim ersten Anblick beilegten. Ist das nicht das Paradies,
wie die kühnste Phantasie es nur träumen kann und wie es der Prophet
Jesaja so wunderlieblich beschreibt?«

»Allerdings! Jesaja im elften Kapitel, im sechsten bis neunten Vers,
sowie im letzten Verse des fünfundsechzigsten Kapitels wird uns das Bild
beschrieben, das wir hier schauen,« bestätigte der bibelfeste Lord.

»Und wie sagt der 114. Psalm?« fügte seine nicht minder beschlagene
Gattin hinzu: »Die Berge hüpfeten wie die Lämmer, die Hügel wie die
jungen Schafe. Mir machte diese Stelle stets den Eindruck des
Allzuunwahrscheinlichen, aber meint man hier nicht wahrhaftig, Berge und
Hügel hüpfen zu sehen?«

Wenn man sah, welche meterhohen Sätze die Mammute und andre Riesentiere
mit spielender Leichtigkeit ausführten, und mit welch offenbarer Lust
sie sich von Zeit zu Zeit an diesen seltsamen Luftsprüngen ergötzten, so
mußte man Mietje recht geben: das waren tanzende Berge und hüpfende
Hügel! Und dieses sonderbare Schauspiel gab dem so herzerhebenden Bilde
friedlicher Eintracht sein erheiterndes Gepräge. Aber der Humor wirkte
hier durchaus nicht als Herabwürdigung des Erhabenen, sondern nur als
Verklärung des beseligenden Gefühles, das die paradiesische Szene in den
Herzen der Wanderer erweckte.




                    41. Eine paradiesische Nacht.


Wie ein Märchentraum erschien die Wanderung durch diesen blütenreichen
Edengarten unsern Freunden.

Sie scheuten sich bald nicht im mindesten, selbst die gewaltigsten und
raubtierähnlichsten der Tiere zu berühren und zu streicheln, was diese
verständnisvoll und mit einer gewissen Zärtlichkeit erwiderten, sei es,
daß sie die liebkosenden Hände sanft leckten, sei es, daß sie mit Haupt
oder Rüssel sich herabneigend den fremden Freunden anschmiegend ihr
Wohlwollen zu erkennen gaben; und dabei mäßigten sich auch die
behendesten, muskelkräftigsten und massigsten dieser Geschöpfe so
rücksichtsvoll in ihren Bewegungen, daß man daraus die bewußte Sorgfalt
erkennen konnte, ja keinen Schaden zuzufügen.

Hätte etwa so ein Mammut mit seinem Rüssel eine etwas temperamentvolle
Liebesbezeugung ausführen wollen, wie er es seinen Kameraden oder
Familiengliedern gegenüber tat, so wäre selbst Münchhausens solide Masse
zu Boden geschleudert worden.

Aber alle diese Tiere wußten das richtige Maß einzuhalten.

Die zweite Sonne neigte sich ihrem Untergange zu, -- die erste war schon
vor einer Stunde hinter dem Horizont verschwunden, -- als unsre Freunde
endlich daran dachten, ihr Lager aufzuschlagen.

Die Früchte des Waldes hatten Hunger und Durst so nachhaltig gestillt,
daß selbst der Kapitän während der stundenlangen, meist sprungweise
ausgeführten Wanderung, kein einzigesmal die Notwendigkeit einer
Mahlzeit betont hatte. Und dabei war er einer der eifrigsten im Hüpfen,
wobei es ihm ganz besonderen Spaß machte, über den hohen und breiten
Rücken der größten Kolosse hinwegzusegeln.

Auch während des Aufschlagens der Zelte zeigte er sich noch unermüdlich
in Ausübung dieses erheiternden Sports; denn um den Lagerplatz herum
weideten just einige riesige Pelzelefanten.

John und Heinz pflöckten die Zelte ein, während die übrigen der
Zirkusvorstellung zuschauten, die Münchhausen gab, mehr zu seinem
eigenen Vergnügen, als um seine Gefährten zu belustigen.

Lautes Bravo und stürmisches Beifallsklatschen belohnten seine
gelungensten Sprünge.

Die Glanznummer der Vorstellung aber bildete ein Kunststück, das er zum
Schlusse noch vorführte, und zwar ganz gegen seine Absicht, es stand
durchaus nicht in seinem Programm!

Er hatte sich hinter einem gewaltigen Mammutbullen aufgestellt und
schnellte empor, um den Riesen in seiner ganzen Länge zu überspringen.

Nun fiel es aber im selben Augenblick dem Mammut ein, seinerseits einen
Luftsprung zu machen, und so kam es, daß Münchhausen mitten in seiner
Luftreise auf den Rücken des emporsegelnden Tieres zu stehen kam.

Eine Sekunde lang ritt er so als echter Kunstreiter stehend durch die
Luft; doch hatten seine Füße keinen festen Halt, er schwankte und wäre
kopfüber hinabgestürzt, hätte er nicht die Geistesgegenwart gehabt, die
kurzen Beine auszuspreizen, sodaß er alsbald rittlings auf dem seltenen
Reittier saß.

Es war ein großartiges Bild! Der Lord versäumte nicht, es auf einer
photographischen Platte zu verewigen.

»Ein Koloß auf dem andern!« jubelte Schultze.

John und Heinz hielten in der Arbeit inne, um das unvergleichliche
Schauspiel mitzugenießen.

Stolz um sich blickend, als habe er einen Drachen gebändigt und mit
kühner Absicht zu einer Luftfahrt bestiegen, so saß der Kapitän oben auf
dem kolossalen Dickhäuter, einer Kugel gleich, die kurzen Beine wagrecht
ausgestreckt, da er mit ihnen den breiten Rücken des Ungetüms nicht
umklammern konnte.

Jetzt landete Freund Mammut und mit einer Gewandtheit, die ihm niemand
zugetraut hätte, sprang Münchhausen auf die Beine und setzte mit
elegantem Schwunge von der Höhe herab auf den Erdboden. Jubel und Lachen
und nicht endenwollendes Beifallklatschen empfingen ihn nach solchem
Bravourstück, so daß das Mammut sich verwundert umsah und die Mähne
schüttelte, es mochte denken: »Bei denen ist es auch nicht mehr ganz
richtig im Oberstübchen!«

Nun half Mietje John und Heinz Früchte einsammeln für das Nachtessen,
denn an solchen fehlte es nicht in der Nähe, und die verschiedenen
Grogfrüchte sollten den warmen Tee vorteilhaft ersetzen.

Es dämmerte, als man sich zum Imbiß lagerte.

»Nun,« sagte Münchhausen, »Sie meinten, wir würden drei Tage brauchen,
um die Ebene zu erreichen, verehrtes Professorchen! Wir haben sie nicht
nur erreicht, sondern schon ein gutes Stück durchwandert am ersten
Marschtage.«

»Kunststück!« meinte Schultze. »Ich dachte an eine irdische
Fußwanderung, Schritt für Schritt; nachdem aber Sie, erfindungsreicher
Seebär, uns als lebendiger Luftballon die geniale Kunst der Hüpf- und
Schwebereise vorgemacht und beigebracht haben, hätten wir noch viel
weiter kommen können, wenn wir uns nicht so viel unterwegs aufgehalten
hätten. Auch ist die Länge des Tags in Betracht zu ziehen, der, wie ich
hiemit feststelle, vom Aufgang der ersten bis zum Untergang der zweiten
Sonne volle 27 Stunden gedauert hat!«

»Merkwürdig, daß wir uns so gar nicht müde fühlen,« bemerkte Mietje,
»nach einem so langen und ereignisreichen Tag. Ich wenigstens fühle
keine Spur von Ruhe- oder Schlafbedürfnis.«

»So scheint es uns allen zu gehen,« meinte der Lord. »Ich glaube, wir
haben uns eben schon der Eigentümlichkeit des Planeten angepaßt; dazu
mag uns die köstliche Luft und die erfrischende, belebende Kraft der
Früchte geholfen haben; wir werden wohl hier dauernd weit
leistungsfähiger sein als auf der Erde, entsprechend den doppelt so
langen Tagen.«

»Brauchen wir gar nicht,« warf der Kapitän ein, »wozu solch' kolossale
Leistungsfähigkeit, da einen hier alles so gar nicht anstrengt noch
ermüdet?«

»Ich habe nur eine Sorge,« sagte Heinz. »Wie werden wir die lange Nacht
herumbringen, die doch von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang 23 Stunden
währt, wenn wir so gar nicht müde sind?«

»Wir legen uns eben erst schlafen, wenn wir das Bedürfnis dazu fühlen,«
schlug Mietje vor.

»Einverstanden!« stimmte der Professor zu. »Wir pflegen der Unterhaltung
und studieren die Wunder der Nächte Edens, bis es uns Zeit scheint zur
Ruhe zu gehen.«

»Wertester Herr Professor,« fragte nun John, »welche Jahreszeit dürften
wir hier wohl haben? Nach den Blüten sieht es wie Frühling aus, sonst
aber wie Sommer; andrerseits aber, falls ich mir diese nicht unhöfliche
Bemerkung zu erlauben mir gestatten darf, ist es hier in der Ebene nicht
so furchtbar heiß, wie Sie die Vermutung aussprachen, als wir noch oben
waren.«

»Offen gestanden, über die Jahreszeit vermag ich noch keinen sicheren
Aufschluß zu geben,« entgegnete Schultze. »Ich vermute, wir stehen zu
Beginn des Frühlings, jedenfalls aber haben wir nahezu Tag- und
Nachtgleiche.«

»Entschuldigen der Herr Professor, aber ich bitte, noch einmal nicht
unhöflich sein zu dürfen, wenn ich verstanden zu haben glaubte, der Tag
sei heute vier Stunden länger als die Nacht.«

»Allerdings, mein Sohn; aber nur deshalb, weil wir hier zwei Sonnen
haben, die gegenwärtig in Opposition zu einander stehen, das heißt am
weitesten von einander entfernt sind auf ihrer Bahn, so daß stets mehr
als die Hälfte des Planeten erleuchtet ist und die zweite Sonne noch
fast zwei Stunden scheint, wenn die erste schon untergegangen ist.
Stehen die Sonnen in Konjunktion, also einander am nächsten, wobei die
eine vorübergehend die andere verdecken kann, so gehen sie uns
gleichzeitig auf und unter; vielleicht wird es dann auch viel heißer.
Über den Verlauf der Jahreszeiten Edens können wir aber noch nichts
wissen, kennen wir ja nicht einmal die Länge des Jahrs, das vielleicht
nur sechs, vielleicht bis zu tausend Erdenmonate dauert. Eines aber
scheint mir gewiß, große Unterschiede in der Temperatur herrschen hier
nirgends; denn wenn bei 6000 Meter Höhendifferenz so gut wie gar nichts
davon zu merken ist, wenn in solcher Höhe dort oben eine so herrliche
Pflanzenwelt vorkommt, dann kann auch Winterkälte und Sommerhitze kein
Übermaß entwickeln, sonst hätten wir droben irgendwelche Gletscherspuren
sehen müssen, hier unten aber fände sich keine so mannigfaltige Tierwelt
in einer Gegend, die den Polen näher steht als dem Äquator.«

Inzwischen hatte die Dämmerung eingesetzt.

»Ah!« rief Mietje plötzlich, »die Natur sorgt uns für
Abendunterhaltung!«

»Prächtig!« schmunzelte der Kapitän.

»Hochinteressant!« rühmte der Professor. »In der Tat, nicht uneben!«

                   [Illustration: Die Riesentiere.]

Und als nun auch Heinz sein »Großartig!« beigesteuert hatte, fühlte sich
John verpflichtet auch seinen Beifall zu äußern, indem er ausrief:
»Wirklich important!«

Imposant war allerdings das Feuerwerk, das sich in der Dämmerstunde
entwickelte: kleinere und größere Feuerfliegen und Leuchtkäfer erhoben
sich in die Luft; da sah man Funken, Sterne und Flammen teils aufblitzen
und verschwinden, teils ununterbrochen flimmern.

Das Neue und besonders Herrliche aber war das Farbenspiel dieser
lebendigen Meteore und Sternschnuppen; denn gelbes, rotes, blaues und
grünes Licht ging je nach ihrer Art von ihnen aus.

Auch auf dem Boden wurde es lebendig und hell: da krochen die Funken und
Laternchen der Glühwürmer und leuchtenden Schnecken und Ameisen
durcheinander, als rollten und rieselten selbstleuchtende Edelsteine,
Topase, Rubinen, Smaragde, Amethyste und Saphire dahin.

»Es ist mir unbegreiflich,« bemerkte Münchhausen, dem höchst poetisch
zumute wurde, »wie es Schriftsteller, ja solche, die Dichter sein wollen
und zu sein glauben, heutzutage fertig bringen, >der Dämmer< zu sagen,
statt >die Dämmerung<. Der Dämmer! Welch ein Wort! Ohr, Gemüt und
Vernunft wird gleicherweise dadurch beleidigt und die traute Stimmung
und Vorstellung der zarten Dämmerung geht dabei völlig verloren, wird
sozusagen totgeschlagen mit einem groben Knüppel in der Faust eines
Tölpels. Sehen Sie doch diese weichen Schleier, die von unsichtbaren
Elfenhänden in der dunkelnden Luft ausgebreitet werden; wie dämpft
dieses schleiernde Weben die farbigen Lichtstrahlen unsrer nächtlichen
Feuerwerker! Und nun soll man sich dieses zartwebende, sachthändige,
leisschwebende und schleierumwallte Wesen als eine männliche
Persönlichkeit vorstellen? Nein! ich bitte Sie, was ist das für eine
Geschmacklosigkeit, Stilwidrigkeit, ja für ein Blödsinn! He,
Professorchen! Können Sie sich etwa die liebliche, einschmeichelnde
Dämmerung durch einen Mann verkörpert denken, den Dämmer?«

»Ne, Kapitän, wenn ich mir denken sollte, Hugo von Münchhausen, so
elegant er zu schweben versteht, senke sich von Schleiern umwogt
hernieder und wollte mich mit ruhespendenden Elfenhänden liebkosen als
schmeichelnde Dämmerung, ich wäre aus allen Märchenträumen gerissen.«

»Münchhausen als Fee der geheimnisvollen Dämmerung ist gut!
Ausgezeichnet! Diese Vorstellung stimmt mich heiter!« sagte Flitmore
lachend.

Heinz aber meinte: »Wer es zuwege bringt, diesen neumodischen Ausdruck
>der Dämmer< zu gebrauchen, beweist damit ohne weiteres, daß ihm nicht
nur jegliches Sprachgefühl, sondern auch aller Sinn für Poesie abgeht,
was allerdings für die große Mehrzahl unsrer Versemacher zutrifft; denn
zu keiner Zeit gab es so viele Dichter und so wenig Poeten wie
heutzutage.«

»Darum verhöhnen sie auch die Poesie als hohles Pathos, weil sie die
Göttin nicht ehren dürfen, deren Gunst, Geist und hoher Flug ihnen
versagt blieb, falls sie nicht ihre eigene Wertlosigkeit einsehen und
eingestehen wollen!« fügte Münchhausen noch hinzu.

»O, meine Herrschaften, ein Nordlicht!« rief plötzlich John und wies
nicht nach Norden, wohl aber nach Osten.

»Das ist ja ein Mond!« berichtigte der Professor. »Wahrhaftig, ein
würdiger Mond für eine Nacht im Paradiese!«

Der Mond, der über die Berge tauchte, hatte eine unbeschreiblich
liebliche und duftige Rosafärbung. Nur die zartesten unter den wilden
Rosenblüten oder der blühende Hauch, der ein luftiges Wölkchen vor
Sonnenaufgang über dem Meere der italienischen Riviera in rosigen
Schimmer taucht, hätte zum Vergleich herangezogen werden können.

Bald schwebte der Mond, der etwa doppelt so groß erschien, wie der
Trabant der Erde, frei am tiefdunkeln Himmel zwischen den blitzenden
Sternen. Und nun ergoß er sein entzückendes Rosenlicht über die ganze
Landschaft.

Auf einmal schien ein neues Leben zu erwachen, nachdem es sich kaum ein
Stündchen über die Zeit der Dämmerung zur Ruhe gelegt hatte: Vögel
durchschwirrten die Luft und ließen wundervolle sanfte Weisen ertönen,
Grillen zirpten in melodischen, einschmeichelnden Weisen; kleinere
Tiere, den Hasen, Wieseln und Igeln ähnlich, letztere mit bunten
durchsichtigen Stacheln, tummelten sich lustig umher, spielend und sich
balgend, hüpfend und tanzend und seltsame Purzelbäume schießend.

Kurz, es gab wieder genug zu sehen, zu hören und zu bewundern, wenn
nicht schon der Zauber der magischen, bengalischen Mondbeleuchtung
genügt hätte, um alle wach zu halten: wer hätte eine solche feenhafte,
ja wahrhaft paradiesische Nacht stumpfsinnig verschlafen mögen.

Aber auch neue Blumen erschlossen ihre Kelche, äußerst zarte,
feingeformte Gebilde, meist leuchtend weiß mit goldgelben Staubfäden,
doch vom Mondlicht rosig überhaucht; auch hellblaue und hellrote Winden,
silberschimmernde Kapuzinerkresse und andere Blüten öffneten sich dem
Rosenmond und hauchten Düfte aus, deren Süßigkeit alle Wohlgerüche des
Tages weit zu überbieten schienen.

Acht Stunden leuchtete der rosa Mond; kaum aber war er untergegangen, so
stieg ein etwas kleinerer Mond von lichtblauer Farbe am
entgegengesetzten Horizonte auf.

Sein mildes Licht wirkte ungemein beruhigend. Es wurde überall still;
die Tierwelt begann zu schlafen und auch die Kelche der Nachtblumen
schlossen sich.

Aber wieder sprangen neue Blüten auf, große Dolden, bunte Mohnhäupter,
und ein einschläfernder Wohlgeruch gesellte sich zum einschläfernden
Lichte.

Auch unsere Freunde wurden still und fühlten schließlich das Verlangen
nach Schlaf.

Schultze leitete mit folgenden Worten den allgemeinen Rückzug in die
Zelte ein: »Wenn die beiden Monde sich jede Nacht so pünktlich ablösen,
wie heute, so hat dieses Paradies stets zwei Nächte, von denen die erste
für das Vergnügen und die höchste Beseligung, die zweite erst für den
Schlaf bestimmt zu sein scheint. Nun haben wir auch die blaue Nacht vier
Stunden lang bewundert; legen wir uns zur Ruhe, wir haben noch zehn
Stunden bis Sonnenaufgang.«

»Danken wir dem allgütigen Gott,« sagte der Lord, »der uns diese neuen
Wunder seiner Allmacht zu schauen würdigte; vor allem aber wollen wir
ihn preisen, daß er uns auf einer so lieblichen Friedenswelt landen
ließ, die keine Schrecken noch Gefahren zu bergen scheint. Trotzdem
wollen wir bei allem Gottvertrauen nicht lässig und leichtfertig sein
und nicht versäumen, die Wachen zu halten, wie die Vorsicht es uns
gebietet; denn es ist eben doch ein unbekannter Planet, auf dem wir uns
befinden und der außer dem Guten und Schönen, das wir kennen lernten,
noch viel des Unbekannten bergen wird, von dem wir noch nicht wissen,
wie es sich uns darstellen mag.«

»Lassen Sie mich die erste Wache übernehmen,« bat Heinz, »ich fühle noch
gar kein Schlafbedürfnis.«

»Gut! Nach drei Stunden wecken Sie mich, die mittlere Wache will ich
selber übernehmen,« sagte Flitmore.

»Und die Morgenwache bitte ich mir aus,« erklärte der Professor, »schon
der astronomischen Beobachtungen wegen, die für uns von Wert sein
können.«

Dabei blieb es, und alle, bis auf Heinz Friedung, zogen sich zurück.

Nach anderthalb Stunden seiner Wache sollte der jugendliche Wächter
entdecken, daß der Planet Eden nicht bloß zwei Nächte besaß, wie
Schultze festgestellt hatte, sondern deren drei!

Der blaue Mond neigte sich nämlich zur Rüste, als ein neuer Mond
aufging, diesmal ein dunkelgrün gefärbter. Er war wesentlich kleiner als
die beiden andern, etwa gerade so groß wie der Mond unserer Erde, der
scheinbaren Größe nach.

Eine halbe Stunde lang standen beide Monde gleichzeitig am Himmel; dann
leuchtete nur noch der grüne Mond mit geheimnisvoll mattem Licht.
Offenbar war diese dritte, die grüne Nacht, erst die rechte Nacht des
tiefen Schlafes; die blaue Nacht war sozusagen der Spätabend, der den
ersten Schlaf auf die Lider senkte.

Alles blieb still, wie ausgestorben, kaum ein Lüftchen wehte den
Dufthauch aus den zahllosen Blüten herüber.

Heinz wurde ordentlich schläfrig und ließ sich nach drei Stunden, von
denen nur eine ganz in die grüne Nacht gefallen war, gar nicht ungern
durch Flitmore ablösen, dem während seiner Wache nur der dunkelgrüne
Satellit Edens leuchtete.

Drei Stunden später kam der Professor an die Reihe. Noch drei weitere
Stunden stand der dritte Mond am Himmel; als er hinter dem Horizont
verschwand, trat die Morgendämmerung ein.

Schultze vermerkte also: Erster Sonnenaufgang (Alpha Centauri) als erste
Stunde gesetzt; zweiter Sonnenaufgang nach zwei Stunden (Begleitsonne);
erster Sonnenuntergang zu Ende der 25. Stunde (Alpha Centauri geht
unter); mit Ende der 27. Stunde geht die Begleitsonne unter (25 Stunden
nach ihrem Aufgang); folgt eine Stunde Dämmerung; zu Beginn der 29.
Stunde geht der rosa Mond auf, der acht Stunden leuchtet, bis zum Ende
der 36. Stunde, worauf sofort, zu Beginn der 37. Stunde, der blaue Mond
erscheint, der sechs Stunden am Himmel steht; nach 41½ Stunden taucht
der grüne Mond auf, eine halbe Stunde vor Untergang des blauen, und
braucht 7½ Stunden, um das Firmament zu durchmessen. Zu Ende der 49.
Stunde endlich geht auch er unter, worauf eine einstündige
Morgendämmerung eintritt, bis nach Verfluß der 50. Stunde Alpha Centauri
als erste Sonne wieder aufgeht.

Dies war der Verlauf, wie er sich zu dieser Jahreszeit abspielte unter
der Breite des Planeten Eden, wo sich unsre Freunde in der ersten,
wundersamen Nacht ihres dortigen Aufenthalts befanden.




                          42. Höhere Wesen.


In der Morgendämmerung fühlte sich Schultze schläfrig werden; ein Wunder
war das nicht, hatte er doch gestern an die 40 Stunden gewacht und
hernach nur 6 Stunden des Schlafs gepflogen.

Da hatte er eine wunderliebliche Erscheinung, ein märchenschönes
Traumbild, das ihn umgaukelte.

Es war ihm, als sehe er durch die Wimpern seiner fast geschlossenen
Augenlider eine Elfe heranschweben.

Zuerst tauchte ein herziges Gesichtchen zwischen dem glitzernden
Blattwerk des nahen Gebüsches auf, halb schelmisch, halb scheu
vorlugend.

Dann teilte sich das Blattwerk mit kaum hörbarem Rascheln und die ganze
Gestalt schlüpfte heraus, sich über der Erde wiegend, ohne sie je zu
berühren.

Die Erscheinung glich nach Größe, Gestalt und jugendlichem Aussehen
einem sechzehnjährigen Mädchen, aber von einer Zartheit der Formen und
Durchsichtigkeit der Haut, die das vollkommenste irdische Geschöpf plump
und grob erscheinen lassen mußten.

Das Gesicht war von unbeschreiblicher Anmut und Vollkommenheit, und die
großen Augen leuchteten in einem Blau, das auf Erden seinesgleichen
nicht hatte.

Der duftige Hauch des rosigen Mondes schien die weiße Blütenhaut zu
durchschimmern, und die durchsichtigen Blättchen der Heidenrose
erreichten diese lebensvolle Zartheit der Färbung nicht.

Goldleuchtendes Haar, feiner als Seide, wallte von dem blühenden Haupte
herab und rahmte das feine Oval des Gesichtchens ein.

Ein luftiges, anschmiegendes Gewand, wie aus Nebel gewoben, floß von den
Schultern hernieder und umwogte die zierliche Gestalt in wunderbar
grünem Schimmer.

Langsam näherte sich dieses Feenkind eines Märchentraumes, wich öfters
wieder zurück, wie ein schüchternes Mägdlein wohl tut; zuletzt aber
schwebte es ganz heran und beugte sich über den Professor herab, dem
ganz wunderlich zumute wurde.

Er riß die Augen plötzlich weit auf. Da erschrak das reizende Elfchen
und flog ins Gebüsch zurück gleich einem Meteor so geschwind.

Und die Zweige rauschten und klirrten und Vögel schwirrten auf.

Schultze sprang auf und rieb sich die Augen; wie ein Nebelstreif vom
Winde entführt verschwand die lichte Erscheinung; aber er wachte doch!
War das wirklich ein Traumbild gewesen?

»Na, mein Lieber, was starren Sie egal ins Gebüsch?« fragte der Kapitän,
der sich bereits aufgetakelt hatte. »Sehen Sie eine Schlange oder ein
Gespenst?«

»Ich sehe nichts,« erwiderte der Professor, sich dem Freunde zuwendend,
»wohl aber habe ich etwas gesehen; gespenstisch sah es nicht aus, eher
eine kleine Schlange, aber eine ganz reizende, sage ich Ihnen!«

»Was will das heißen unter den Wundern Edens,« lachte Münchhausen; »Sie
tun gerade, als hätten wir noch nichts Wunderbares und Reizendes
erblickt!«

Schultze schwieg; er war doch zu unsicher, ob er nicht alles geträumt
habe. Das würde sich ja wohl noch zeigen.

Bald war alles munter. Rasch nahm man ein Frühstück ein von den
köstlichen Früchten Edens; alle brannten vor Begierde, die
Entdeckungsreise fortzusetzen und vielleicht noch größere Wunder, etwa
gar menschliche Spuren zu entdecken, das heißt Zeugnisse für das
Vorhandensein vernünftiger Wesen; denn wie sollte ein solches Paradies
seine Bestimmung erfüllen, wenn es nicht von solchen bewohnt war?

Jeder hängte seine Tasche um, die sein Zelt mit den zerlegbaren
Aluminiumstäben und einige Vorräte und nützliche Gegenstände enthielt,
und nun wurde das Gebüsch durchschritten, das den Lagerplatz umsäumte
und in dem die liebliche Erscheinung verschwunden war, die den Professor
beglückt hatte, von der er aber kein Wörtlein mehr verriet.

Als das Gebüsch durchschritten war, sahen die Wanderer, daß sie sich auf
einer Hochebene befanden, deren Rande sie sich näherten.

Was aber ihre Schritte hemmte und ihre Blicke fesselte, war der Anblick
zweier menschlicher Wesen, die sich in emsiger Tätigkeit befanden.

           [Illustration: Gabokol und Fliorot schmiedend.]

Der eine war ein erwachsener Mann mit braunen Locken, die auf die
Schultern herabfielen, und einem dunklen Vollbart. Ein weißes, faltiges
Gewand umwallte seinen Leib gleich einer Toga bis zu den Knöcheln herab;
sein Antlitz hatte etwas Durchgeistigtes, Verklärtes, Friedestrahlendes,
so daß es ein Gefühl des Vertrauens, ja der unwillkürlichen Zuneigung
erwecken mußte, selbst wenn die edelgeschnittenen Züge nicht von so
außerordentlicher, echt männlicher Schönheit gewesen wären.

Zarter, aber nicht minder schön und herzgewinnend erschien der Jüngling
an seiner Seite: was waren gegen eine solch herrliche Gestalt die
Antinous- oder Adonisideale menschlicher Kunst?

Ein blaues Gewand umhüllte die prächtigen Glieder, sich ihren Formen
anschmiegend.

Die beiden wendeten alle ihre Aufmerksamkeit ihrer Arbeit zu, die eine
Art Schmiedekunst zu sein schien: von einer Felsplatte stieg eine
goldgelbe Flamme empor, deren Natur nicht zu erkennen war. Holz, Kohlen
oder sonst ein Feuerungsmaterial war nirgends zu sehen; die Flamme
schien aus dem Felsen selber hervorzubrechen.

In diese Stichflamme hielt der Jüngling metallene Stäbe und Barren, bis
sie weißglühend erschienen, was in sehr kurzer Zeit der Fall war. Dann
übergab er sie dem Manne, der wohl sein Vater war, und der nun das
weiche Metall teils freihändig, teils mit allerlei merkwürdigen
Instrumenten, Zangen und Hämmern nach Belieben formte.

»Diese Leute sind leichtsinnig, sie gehen höchst unvorsichtig mit dem
Feuer um, das doch eine ungeheure Hitze entwickeln muß,« flüsterte der
Professor, »man muß es ihnen sagen!«

»So sagen Sie's ihnen,« entgegnete Münchhausen ironisch, »vielleicht in
Ihrer Allerweltssprache, dem Lateinischen, wie seinerzeit auf dem Mars.«

Schultze schwieg. Der Kapitän hatte recht; wie sollte er sich mit diesen
Bewohnern einer fremden Welt verständigen?

»Übrigens, sehen Sie!« bemerkte Mietje, »die beiden kommen jeden
Augenblick mit dem Saum und den Falten ihrer strahlenden Gewänder in die
Flammen hinein. Darauf scheinen sie gar nicht zu achten, und der Stoff
fängt auch nicht Feuer, wird nicht einmal angesengt.«

»Wenn ich mir eine Meinung gestatten darf,« warf nun John ein, »so ist
dies sozusagen alles Hokus-pokus, ein Blendungswerk und gar kein
brennbares Feuer; denn, wie Sie sehen, greift der Alte in das
weißglühende Eisen mit den Händen, als sei es kalt anzufassen.«

»Aber er biegt es und formt es,« entgegnete Heinz; »es muß also doch bis
gegen den Schmelzpunkt erhitzt sein.«

»Diese Edeniten,« erklärte Flitmore, »scheinen ein Schutzmittel zu
kennen, das die Stoffe unverbrennlich und die Haut unempfindlich gegen
die Hitze macht.«

Bei einer Wendung, die er machte, gewahrte der Schmied die Ankömmlinge.
Langsam ließ er das Eisen sinken, das er in der Hand hielt und legte es
dann weg.

Er schien überrascht, so seltsame, niegeschaute Wesen zu erblicken, die
doch ihm und seinen Artgenossen nach Bau der Glieder und des Gesichtes
glichen, dagegen aus weit gröberem Stoff geschaffen zu sein schienen und
der Vollkommenheit ermangelten, die seine und seines Sohnes Schönheit
erreicht hatte.

Es war ja aber auch möglich, daß andere Edeniten auch weniger schön und
zart gebaut waren als eben diese beiden; jedenfalls geriet der Mann in
kein maßloses Erstaunen, wie man es hätte erwarten können, namentlich
zeigte er keine Spur von Schrecken, vielmehr schien seine Überraschung
eine freudige zu sein.

»Fliorot!« rief er seinem Sohne zu, der nun ebenfalls aufblickte und
ebenso angenehm erstaunt schien; ja der Jüngling klatschte vor Lust in
die Hände.

Wie der Anblick dieser Menschen etwas Überirdisches darbot, so übertraf
ihre Stimme an Wohlklang alles, was die Erde an herrlichen Tönen kennt;
Glocken- oder Orgelklang schien zu schallen, als der wundersame Mann das
eine Wort »Fliorot« ausrief; und die helle Jubelstimme des Knaben mochte
am ehesten mit der klingenden Orgelpfeife verglichen werden, die man
^Voxhumana^, Menschenstimme, heißt, aber »Engelsstimme« nennen dürfte.

»Jammerschade, daß wir uns mit diesen herrlichen Menschen, wie wir sie
wohl nennen dürfen, nicht verständigen können!« bedauerte Schultze.

»Wie hat sich denn Kolumbus mit den Indianern zurechtgeholfen?« fragte
der Kapitän.

»Das ist wahr,« sagte Flitmore. »Die Entdecker der verschiedenen Küsten
Amerikas kamen nie in ernste Verlegenheit, wenn es galt, sich mit den
Eingeborenen in Verkehr zu setzen, und sehr rasch lernten sie deren
Sprachen; wenigstens fanden sich alsbald begabte Sprachgenies, die als
Dolmetscher dienen konnten.«

»Sollten wir nicht so viel zu Wege bringen, wie jene?« fragte Mietje.

»Na, wie wär's Professorchen,« spöttelte Münchhausen, »wenn Sie's
wiederum mit Ihrem alten Latein versuchten?«

»Ne, ne!« wehrte dieser lachend ab, »wir haben ja einen jungen
Sprachgelehrten unter uns; Heinz Friedung mag sein Heil probieren!«

»Sehr gerne!« sagte Heinz ernst, ohne mit einer Wimper zu zucken.

Schultze sah ihn groß an. »Na! Ich mache nur Spaß, natürlich! Sie
glauben doch nicht im Ernst, mit einer irdischen Sprache hier
anzukommen? Und wenn Sie alle Dialekte der Erde kennen würden und der
Reihe nach probierten, 40 Billionen Kilometer von der Erde entfernt wird
nicht ein einziger davon verstanden, dafür garantiere ich Ihnen.«

»Herumprobieren wäre freilich zwecklos,« erwiderte Heinz, »aber es gibt
Naturgesetze, die Ihnen nicht bekannt sind, Herr Professor.«

»Um so mehr wohl Ihnen, junger Freund?« lachte Schultze etwas ironisch.
Bildete sich der sonst so bescheidene Heinz gar ein, gelehrter zu sein
als der vielgereiste und hochstudierte Professor Heinrich Schultze aus
Berlin?

Inzwischen waren die beiden Edeniten mit leichtschwebendem Gang, kaum
die Erde mit den bloßen Füßen berührend, herangekommen.

Heinz Friedung redete sie an.

»We nom tu?« fragte er kühn.

Schultze lächelte belustigt über diese offenbar von Heinz selber
erfundene, improvisierte Sprache. Und das sollten die Bewohner der
Fixsternwelt gar kapieren?

Aber der Edenite sah Heinz überrascht, doch sichtlich unsicher an.

Sein Sohn dagegen brach in einen Jubelruf aus; ihm schien ein
plötzliches Verständnis aufzuleuchten und, wie um seinem Vater zu
erklären, was Heinz hatte sagen wollen, rief er jenem zu: »Wai nuomi
itu?«

»Nuoma Gabokol,« sagte jetzt der Mann.

»Ud itu?« wandte sich Heinz jetzt an den Jüngling. Der Vater aber
verbesserte: »Onde itu.«

»Fliorot!« erwiderte der Gefragte.

»Pa?« frug Heinz den Alteren weiter.

»Migu Pa,« sagte der, auf sich weisend: »Seit failo-mig.«

Vollständig verblüfft lauschten die Erdenbewohner, wie dieser grüne
junge Mann Heinz offenbar eine Unterhaltung mit Wesen angeknüpft hatte,
deren Sprache kein Mensch verstehen konnte.

Schultze rief wahrhaft entsetzt: »Da hört sich doch aber alle und jede
Wissenschaft auf! Wenn einer auf Erden etliche Tausend Kilometer weit
reist, so darf er darauf schwören, daß er auch nicht ein
Sterbenswörtchen der Sprache versteht, die von den Eingeborenen des von
ihm erreichten fremden Landes geredet wird, es sei denn, er habe die
Sprache mühsam erlernt; und Sie wollen sich mir nichts dir nichts mit
Leuten verständigen, die 40 Billionen Kilometer von unserem Planeten
entfernt leben?«

Münchhausen schüttelte sich vor Lachen: »Ein köstlicher Scherz!« rief
er. »Merken Sie nicht, Professorchen, daß dieser Erzschalk von Friedung
uns zu Narren hält und nur so tut, als ob er täte?«

»Aber dann würden ihm diese Leute doch nicht ernsthaft Rede und Antwort
stehen!« warf Mietje ein.

»Die Sache ist ganz in Ordnung,« sagte Heinz. »Ich habe zwar
selbstverständlich die Sprache dieser Edenbewohner nie gehört noch
gelernt, daher kann ich sie auch nicht richtig treffen. Doch kann ich
sie immerhin so annähernd reden, um mich verständlich zu machen. Ich
sagte >we< und es heißt >wai<; ich sagte >nom< und es heißt >nuomi<, in
der ersten Person >nuoma<; ich sagte >tu< und es heißt >itu<; ebenso muß
es >onde< heißen statt >ud<, wie ich sagte. Doch traf ich in der Regel
die Konsonanten richtig, so daß ein intelligenter Edenite mich verstehen
muß, und bereits lernte ich außer den genannten berichtigten Formen
einige neue Wörter: >migu< heißt >ich<, >seit< heißt >dieser<, >failo<
aber >Sohn< und >mig< >mein<. Wenn ich mit drei Sätzen schon so weit
kam, so darf ich hoffen, in wenigen Tagen schon ein wissenschaftliches
Gespräch in der klangvollen Sprache Edens mit genügendem Verständnis
führen zu können.«

»Na! Was wollen Sie denn nun von diesen Herren erfahren haben?« fragte
der Kapitän, noch stark zweifelnd.

»O, nicht viel, aber immerhin das, was ich zunächst erfragte. Wir haben
vor uns Vater und Sohn, >Pa onde failo<; der Vater heißt >Gabokol<, was
so viel wie >offenes Auge< bedeuten dürfte; der Sohn heißt >Fliorot<,
was ich mit >fliegendes oder flüchtiges Rad< erklären möchte. Dies ist
vorerst alles!«

»Aber wie zum Kuckuck wollen Sie uns dieses Wunder erklären?« rief
Schultze. »Ich habe große Wunder erlebt, aber dies scheint mir doch das
seltsamste von allen! Vierzig Billionen Kilometer, ich sage Ihnen,
vierzig Billionen Kilometer trennen die Erde von Eden, und Sie kommen
jung und grün von der Erde und reden ohne weiteres die Edeniten an, und
Sie werden verstanden und Sie verstehen! Das übersteigt meine
Fassungskraft!«

»Na, so grün, wie Sie vermuten, bin ich eben doch nicht, Herr
Professor,« lachte Heinz. »Sehen Sie, die ganze Sache ist die: ich habe
das Geheimnis der Entstehung der menschlichen Sprache entdeckt, und nach
und nach gelang es mir, alle Lautgesetze zu finden, auf denen die
Wortbildungen beruhen. Da es sich um Naturgesetze handelt und nicht um
willkürliche Wortbildungen, konnte ich mir sagen, daß überall, wo Wesen
sich finden, die ähnlich gebaut sind wie wir Menschen, sie auch ihre
Sprache ganz von selber nach den gleichen Gesetzen bilden mußten wie wir
Menschen.

Nun redete ich die Edeniten sozusagen in der Ursprache an; ich bildete
die Worte aus den Lauten, die für den Begriff bezeichnend sind, den sie
bedeuten sollen. Wenn nun die Sprache Edens sich nicht gar zu künstelnd
von der Urform entfernte, so mußte ich verstanden werden, und letzteres
war denn auch der Fall. Passen Sie auf! Wenn ich sage >We nom tu?< so
begreifen Sie vielleicht nicht gleich, daß >nom< bedeuten soll >heißt<;
denken Sie aber an das französische >^nommer^< oder an >Name<, so
leuchtet es Ihnen wohl ein, daß >We nom tu?< besagen soll: >Wie heißt
du?< Die Edeniten sagen nun: >Wai nuomi itu?< Aber, wie gesagt, die
entscheidenden Laute sind ihnen bekannt, so daß sie auch meine
mangelhafte Frage begriffen. >W< ist einmal der Fragelaut: wer, wie, wo,
was, wann und so weiter; auf englisch ^where^, ^why^, ^who^ und so fort;
im Lateinischen und Französischen tritt qu an die Stelle. D oder T,
zuweilen S, ist der deutende Laut, also auch der Laut für >du, dich< und
so weiter, er bezeichnet den, die oder das, auf die ich deute; und so
könnte ich Ihnen für jeden beliebigen Begriff sagen, welcher Laut dem
Menschen ganz unwillkürlich, mit Naturnotwendigkeit in den Mund kommen
mußte, wenn er den betreffenden Begriff durch einen Laut ausdrücken
wollte. Dies ergibt die Gesetze der Entstehung der Sprache, die ich
entdeckte, und nach denen ich die Worte bildete, die von den fremdesten
Wesen leicht begriffen werden müssen, falls sie eine menschenähnliche
Sprache reden.«

»Ein genialer Gedanke bleibt es immerhin, daß Sie gleich darauf kamen,
diese irdischen Kenntnisse in dieser Weise hier auf die Probe zu
stellen,« lobte Flitmore.

Die Edeniten hatten aufmerksam gelauscht, doch sicher nichts oder nur
gar wenige Worte verstanden; es gehören einfachere Sätze her, als sie
dieses Gespräch enthielt, um eine wildfremde Sprache lediglich durchs
Gehör kennen zu lernen.

Nun nahm Gabokol das Wort, sich an Heinz wendend.

»Er ladet uns ein, ihm zu folgen,« erklärte der junge Mann.

»Angenommen!« sagte Flitmore, und die Gesellschaft vertraute sich der
Führung der neuen Bekannten an.

Diese atmeten tief ein und erhoben sich in die Luft, durch die sie nun
schwebten, ohne wieder den Boden zu berühren.

Unsre Freunde konnten wohl kolossale Luftsprünge machen, aber sich
dauernd in der Schwebe zu erhalten, gelang ihnen nicht.

Als die Edeniten dies merkten, ließen sie sich herab und Gabokol fragte
in seiner Sprache Heinz: »Warum wollt ihr nicht fliegen?«

»Wir können es nicht!«

Der Mann schien höchlichst überrascht; aber fortan begnügten er und sein
Sohn sich höflich damit, die Gäste springend zu begleiten.

Fliorot interessierte sich sehr für die beiden Schimpansen und fragte,
ob das die kleinen Söhne der Lady seien.

Mietje stieß einen Schrei des Entsetzens aus, als ihr Heinz diese Frage
übersetzte. Dieser aber klärte Fliorot auf, daß die Affen Tiere und
keine Menschen seien, auch nicht reden könnten.

Hierauf untersuchten die beiden Edeniten die Schimpansen mit größter
Verwunderung.

»Na!« meinte Münchhausen: »Diese Edenmenschen stammen offenbar von
keinen Affen ab, da solche hier gar nicht bekannt sind. Professor Häckel
darf froh sein, daß er nie auf den Lehrstuhl einer hiesigen Universität
berufen wird; hier fielen seine Phantasien vollends in sich zusammen,
auch fände er zu intelligente Zuhörer, um mit seiner Weisheit Anklang zu
finden.«

Man war an den Rand der Hochebene gelangt.

Unten dehnte sich ein liebliches Flußtal, und zu beiden Seiten des
Flusses ragten vereinzelte Felsblöcke von verschiedener Form, Größe und
Höhe zu Hunderten empor.

Unsre Freunde erkannten bald, daß sie es mit künstlichen Gebilden zu tun
hatten, und zwar mit den Wohnhäusern der Edeniten. Die Felsen zeigten
Fenster, Galerien und Balkone; oben hatten sie meist flache Dächer, die
jedoch von Türmen, Säulen und Zacken überragt oder eingefaßt wurden.

Breite Straßen und engere Gassen zogen sich zwischen den Häusergruppen
hindurch.

Heinz erkundigte sich nach dem Grund solcher Bauweise und zeichnete auf
einen Marmorblock einige Wohnhäuser, wie sie auf Erden gebaut zu werden
pflegten.

Gabokol erklärte, das komme ihm sehr gekünstelt vor. Sie nähmen sich die
Baukunst des Schöpfers in der Natur zum Vorbild.

Alle mußten gestehen, daß diese rauhen, zackigen Bauten mit ihren
Galerien, Bogen und Türmen ein ganz hervorragend schönes,
abwechslungsreiches und großartiges Stadtbild ergaben.

Die Stadt glich einem Bienenkorbe; über den Dächern, durch die Straßen,
zu den Fenstern aus und ein flogen und schwebten Menschen in leuchtenden
farbigen Gewändern, wie aus Duft gewoben, Männer und Frauen, Knaben und
Mädchen, auch kleine Kinder.

Man konnte sich nicht satt sehen an diesem farbenfrohen Bilde, an diesen
anmutigen Bewegungen.

Als unsre Freunde später diese Stadtbewohner aus der Nähe sahen,
entdeckten sie, daß Gabokol und Fliorot durchaus nicht ausnahmsweis
schöne Exemplare ihrer Rasse waren, sondern daß vollkommene Schönheit,
Anmut und Grazie, dazu Adel der Gesinnung, der sich in den Zügen
spiegelte, die allgemeinen Merkmale aller Edeniten waren.

Dabei zeigten sie sich nicht etwa besonders ähnlich, sondern die
persönliche Verschiedenheit der Gestalten und Gesichter schien eher noch
mannigfaltiger als auf der Erde; und doch konnte man hier niemand in das
liebliche Antlitz oder gar in die sonnigen Augen sehen, ohne ihn auf den
ersten Blick liebgewinnen zu müssen.




                    43. Im Hause des Gastfreunds.


Für heute wurde nicht in die Stadt hinabgestiegen oder vielmehr
geschwebt; denn Gabokols Wohnung war gleichsam ein Landhaus, das auf
einer Stufe des Bergrandes sich erhob, der sich ins Tal hinabsenkte.

Das Haus stand in einem Garten von unerhörter Pracht und Lieblichkeit.
Jetzt erst sahen unsre Freunde den ganzen Reichtum an Formen und Farben,
den die Blumen, Gesträuche und Schlingpflanzen Edens aufwiesen.

Auch die fremdartigen Gemüse hielten sie anfangs für Zierpflanzen, bis
ihnen späterhin die Hausfrau alles erklärte.

Ganz entzückend war der Geflügelhof; denn Fasanen, Pfauen und Perlhühner
reichten mit ihren Farben und Zeichnungen weit nicht heran an die
verschiedenen Arten eierlegender Haushühner, Enten und Gänse, die hier
wimmelten. Auch die Eier dieser Vögel Edens übertrafen an Wohlgeschmack
weit diejenigen ihrer irdischen Basen und erschienen überdies gefärbt
wie leuchtende Ostereier oder gesprenkelt wie die schönsten Eier der
Singvögel auf Erden.

Heinz, der immer rascher und tiefer in die eigentümlichen Geheimnisse
der Sprache Edens eindrang, machte stets den Dolmetscher; aber schon
begannen auch die andern alle dies und jenes zu verstehen, nachdem sie
einmal darauf aufmerksam gemacht worden waren, daß die natürliche
Lautverwandtschaft den besten Schlüssel liefere. Merkwürdigerweise war
es John, der bei weitem am raschesten auffaßte, jedenfalls weil er sich
am unbefangensten dem angeborenen Sprachinstinkt überließ.

Gabokol versicherte einmal über das andre, wie er sich freue und die
Seinigen sich freuen würden, die lieben Gäste aus einer andern Welt
beherbergen zu dürfen. Er werde jedem ein eigenes Zimmer anweisen; denn
hier sei man so sehr gewohnt, Gäste zu beherbergen, je öfter und je mehr
desto lieber, -- so daß jedes Haus zu drei Vierteilen aus Gastzimmern zu
bestehen pflege.

Eine Haustüre war nicht vorhanden; man stieg, wie bei allen Häusern
Edens, durch das Dach ein; da die Villa einstöckig war, gelang allen der
etwas hohe Sprung. Gabokol und Fliorot schwebten voran.

»Ma!« rief Gabokol, als sie das Innere der Wohnung betraten.

Alsbald erschien eine Lichtgestalt, ein Wesen von einem Zauber der
Anmut, Jugendfrische und Schönheit, wie niemand bisher ähnliches
geschaut, abgesehen von Schultze, der sich von seiner Morgenwache her
einer noch weit lieblicheren Erscheinung erinnerte.

Aber schon die Hausfrau, die unsern Freunden entgegenschwebte, bewies,
daß auch auf Eden das weibliche Geschlecht das schönere war, so
vollkommen sich auch die männliche Schönheit darstellen mochte.

»Bleodila«, stellte Gabokol seine Gattin vor, mit Betonung des O des
klangvollen Namens, den Heinz als »die Blühende« übersetzte, entschieden
ein Name, der dieser Frauenblume angemessen war.

Bleodila war sehr erfreut, fremde Gäste bei sich zu schauen, und führte
sie in die Wohnstube, deren Wände aus Bergkristall bestanden und mit
Edelsteinen in künstlerischen Blumenmustern verziert waren.

Hier wurden unsre Freunde eingeladen, in bequemen Sesseln aus buntem,
durchsichtigen Binsengeflecht sich niederzulassen.

Für das Gewicht plumper Erdenmenschen waren diese zarten Geflechte zwar
nicht berechnet; doch erwiesen sie sich als so zäh, daß sie sogar
Münchhausens Last aushielten, ohne zusammenzubrechen.

Der Kapitän benützte in der Folge immer den gleichen Sessel, den größten
und stärksten natürlich. Die kugelige Form, die selbige Sitzgelegenheit
infolgedessen annahm und die von ihrer ursprünglichen und allen auf Eden
üblichen Formen seltsam abwich, machte den Lehnstuhl seinen Besitzern zu
einem dauernden Andenken an den Besuch des dicken Kapitäns.

Als die Gäste Platz genommen, rief die jugendfrische Hausmutter ihre
älteste Tochter herein; es herrschte die Sitte in Eden, die Hausgenossen
nicht schockweise, sondern einzeln, in angemessenen Pausen den Gästen
vorzustellen.

Die kleine Fee, die nun erschien und die zwanzig Jahre zählte, war von
einem blaßrosa Kleide umflort und ihr braunes Haar ringelte sich in
seidenen Wellen über den Rücken hinab.

                  [Illustration: Elfenerscheinung.]

Unsre Freunde fragten sich bei ihrem Anblick, ob es denn möglich sei,
daß sich immer noch größere Schönheit und zartere Lieblichkeit
offenbare, denn zuvor hatten sie gemeint, die Frau des Hauses stelle den
Höhepunkt aller überhaupt möglichen Reize dar; nun aber fanden sie
dieselbe durch ihre Tochter noch weit übertroffen.

Nur Schultze wußte, daß es auf diesem Planeten noch entzückendere
Lieblichkeit gab, als sogar Glessiblora sie offenbarte.

Den Namen dieses taufrischen Mädchens, Glessiblora, mit dem Ton auf dem
I der zweiten Silbe, dolmetschte Heinz mit »Glanzblume«.

Erst eine Viertelstunde später wurde auch Heliastra, die Jüngste,
gerufen.

»Sie ist erst siebzehn und ein kleiner Schelm, ein lustiger Kobold,«
erklärte der Vater, ehe sie erschien, und Heinz übersetzte ihren Namen
mit »Flimmersternchen«, wörtlich »Hellstern«

Von ferne vernahm man schon das silberne Lachen der Nahenden; denn mit
nichts konnte der Wohllaut dieser hellen Stimme füglich verglichen
werden, wenn nicht mit dem Klang silberner Glöckchen.

Und nun erschien Heliastra in der Öffnung, welche die Tür vertrat; denn
eigentliche, verschließbare Türen gab es in Eden nicht.

Unter dem Eingang hemmte sie den schwebenden Schritt, und wie sie so
dastand, umwallt von goldglänzendem Haar, im dunklen Türrahmen, da
erschien sie wahrlich wie ein heller, flimmernder Stern.

Unsre Freunde schauten alle nach der siebzehnjährigen Elfe hin: solch
ein wunderliebliches Gesichtchen, solch ein Blau der lieben, lustigen
Augen, solch durchsichtige Blütenweiße der Haut, von duftigem
Rosenschimmer durchhaucht, kurz, einen solchen Schmelz der Schönheit,
Anmut und Jugend hatten sie nicht nur niemals erschaut, sondern wären
auch nie imstande gewesen, sich derart vollkommene Reize in der
Phantasie auszumalen.

Nur allein wieder Schultze hatte schon ähnliches gesehen, ja nicht nur
ähnliches: er erkannte in Heliastra sofort die holdselige Erscheinung,
die ihn bei seiner Morgenwache begrüßte, als er halb eingenickt war und
nicht recht wußte, ob er schlief oder wachte.

Die Kleine hatte ihn ebenfalls erkannt. Nachdem sie die fremden Gäste
ohne Befangenheit gemustert und besonders Heinz Friedungs bewundernde
Blicke durch ein bezauberndes Lächeln und freundliches Zunicken erwidert
hatte, schwebte sie direkt auf den Professor zu und machte vor ihm eine
tiefe Verbeugung, dann lachte sie ihm hell ins Gesicht.

»Heliastra!« rief Bleodila mit sanfter Zurechtweisung ihrer Jüngsten zu.

»O Ma,« erwiderte diese: »Wir kennen uns schon; als ich heute Morgen Pa
und Fliorot zur Schmiede begleitete, flog ich ein wenig umher und fand
das Lager der Fremden; dieser würdige Herr hielt Wache davor; ich
glaubte aber, er schlafe und wollte mich nähern, da sah er mich so groß
an, daß ich erschrak und forthuschte, allein ich glaube, er war noch
viel mehr erschrocken.« Und sie lachte wieder ihr herzerquickendes
Lachen.

Als Heliastra merkte, daß Heinz ihre Sprache verstand, begann sie eine
lebhafte Unterhaltung mit ihm und fragte ihn neugierig aus über die
Welt, von der die Fremdlinge kamen. Wenn der junge Mann dann wieder ein
Wort recht verketzerte, lachte sie mit einer Unwiderstehlichkeit, die
auf die ganze Gesellschaft ansteckend wirkte.

»Ich kann mir nicht helfen,« sagte sie, wie sich entschuldigend, zu
Heinz. »Es macht mir gar zu großes Vergnügen, welch sonderbare Worte du
oft gebrauchst oder wie seltsam du andere aussprichst und veränderst. Es
ist ja erstaunlich, wie du unsere Sprache reden kannst, die du heute zum
erstenmal hörst, so gescheite Männer gibt es bei uns gar nicht; aber ich
bitte dich, lerne nur ja nicht ganz richtig sprechen, du würdest mich um
ein gar zu großes Vergnügen bringen.«

Heinz mußte nun auf Gabokols Bitte erklären, wie er überhaupt dazu
gekommen war, sich mit den Edeniten verständigen zu können.

Selbst die Mädchen folgten mit gespanntem Interesse und völligem
Verständnis seinen Auseinandersetzungen über die Gesetze der Entstehung
der menschlichen Sprache.

Gabokol drückte ihm zum Schluß seine hohe Bewunderung aus und bat ihn,
einen Vortrag über diesen Gegenstand in der Hauptstadt zu halten. »Du
wirst dadurch bei uns ein berühmter Mann werden, denn unsre Gelehrten
haben wohl herausgefunden, daß alle Sprachen unsres Planeten
ursprünglich miteinander verwandt sind, aber über die Anfänge der
Sprache überhaupt haben sie sich vergeblich den Kopf zerbrochen und sind
zu der Ansicht gekommen, das sei ein für den menschlichen Verstand
unlösbares Rätsel.

Nun denke dir, welches Licht deine neue Erkenntnis verbreiten wird,
welchen Dienst du unsrer Wissenschaft leistest und welchen neuen Anstoß
du ihr gibst. Und einen großen Respekt wird man hier bekommen vor dem so
viel größeren Scharfsinn der Erdenbewohner.«

Heinz lächelte, versprach aber, den Vortrag zu halten, sobald er die
Sprache des Landes genügend beherrsche.

Nun trugen die Töchter des Hauses das Mittagsmahl auf, zur großen
Befriedigung des Kapitäns.

Unsre Freunde lernten hiebei neue, ungeahnte Genüsse kennen, nämlich die
herrlichen Gemüse Edens und die ganz vorzüglichen Mehlspeisen und
Backwaren, die verrieten, daß die Edeniten Getreidesorten besaßen, die
verschiedenartige Mehle lieferten und zwar ungleich köstlichere als die
Erde sie kennt.

Fleischgenuß war hier unbekannt: niemals wäre jemand auch nur der
Gedanke gekommen, ein Tier gewaltsam zu töten oder gar einen Tierleib zu
verzehren. Allerdings, bei der unerschöpflichen Auswahl an auserlesenen
Speisen wäre es Torheit gewesen, noch Fleischkost einzuführen, die
wahrscheinlich den Edeniten gar nicht zuträglich gewesen wäre,
keinesfalls aber zur Verbesserung des Speisezettels hätte beitragen
können.

Keiner unserer Freunde vermißte Fisch, Geflügel und Braten, so viel
wohlschmeckender erschienen allen die Gerichte Edens in ihrer
unendlichen Abwechslung.

Eier, Milch, Butter, Käse und Honig waren die einzigen Speisen, die dem
Tierreich entnommen wurden, und auch sie übertrafen alles Irdische;
namentlich gab es die verschiedensten Arten von Eiern, von Honig und von
Milch, und aus den verschiedenen köstlichen Milcharten wurden auch die
verschiedensten Arten von Butter und Käsen hergestellt, von denen jede
ihre besonderen unnachahmlichen Vorzüge aufwies.

Die Getränke bestanden teils aus Wasser, das auch in verschiedenen
Zusammensetzungen dem Erdboden entsprudelte, teils aus süßen und herben
Fruchtsäften, die nichts Berauschendes an sich hatten und doch die
Gemüter erhoben und die Stimmung verklärten, die Phantasie anregten und
belebten, weit mehr als die alkoholischen Getränke der Erde.

Die Folge auch des reichlichsten Genusses dieser Edenweine war niemals
eine ungute, im Gegenteil, Kraft und Körperfrische sowie die geistige
Regsamkeit wurden stets durch sie gehoben.




                        44. Neue Erkenntnisse.


Heinz erlernte fabelhaft schnell die Sprache der Edeniten. Er konnte
sich jetzt schon ganz fließend unterhalten. Schwierigkeiten machten nur
die Begriffe, die entweder der irdischen oder der Welt Edens fremd
waren. Aber durch Umschreibungen und Erläuterungen gelang es, auch
solche mit der Zeit begreiflich zu machen.

Gabokol und die Seinen zeigten dabei einen hervorragenden Scharfsinn und
nahmen bald mit vollstem Verständnis eine ganze Reihe von »Fremdwörtern«
auf, mit denen Heinz ihre Sprache bereicherte, weil es dieser an den
entsprechenden Ausdrücken fehlte. Dabei handelte es sich lediglich um
Dinge, die den Erdenmenschen geläufig, den Edeniten aber völlig
unbekannt waren, nicht zum Schaden der letzteren.

So hielt es zu Anfang schwer, den Gastfreunden verständlich zu machen,
was unter Gift, Vergiftung, Verwundung, Krankheit, Schmerzen, Haß,
Bosheit und anderen Leiden und Lastern zu verstehen sei.

Und doch war es notwendig, solche Dinge zu berühren, wollte man sich
über die Verhältnisse Edens belehren oder über diejenigen der Erde
Auskunft geben. Es waren daher größtenteils Fremdwörter von recht übler
Bedeutung, die von den Edeniten gelernt und schmerzlich staunend
begriffen werden mußten, wenn sie sich mit der fremden Welt, aus der
ihre Gäste kamen, vertraut machen wollten und ihnen andererseits klar
machten, inwiefern sich Eden von jener unterschied.

Auch die andern machten rasche Fortschritte in der Sprache Edens, und
Flitmore sprach den Wunsch aus, einen Besuch in der Stadt so lange
hinauszuschieben, bis sie so weit wären, das Notwendigste zu verstehen
und sich selber verständlich zu machen.

Es wurden daher in den nächsten Tagen nur Ausflüge auf die nahe
Hochebene unternommen und auch einige Aussichtspunkte besucht, von denen
aus man weit ins Land schauen konnte.

Eine der ersten Fragen, die Schultze an Gabokol richtete, war die, wie
es komme, daß das Wasser hier zum Teil bergauf, zum Teil aber bergab
fließe.

»Bei uns steigt immer das Leichtere nach oben,« erwiderte der Mann
verwundert, »und das Schwere strebt hinab; ist das nicht so auf der
Erde?«

»Im allgemeinen wohl,« erwiderte der Professor. »So wird zum Beispiel
Öl, auf den Grund eines Baches gebracht, an die Oberfläche des Wassers
steigen; dann aber fließt es nicht den Bach hinauf, sondern hinab,
ebenso fließt sowohl Öl als Wasser auf festem Grund, falls dieser
geneigt ist, bergab.«

»Auch wenn es leichter ist als der feste Grund?« fragte Fliorot
erstaunt.

»Ja! Es befindet sich eben dann in einem andern Mittel, in der Luft, und
weil es schwerer ist als diese, drängt es zur Tiefe.«

Gabokol schüttelte den Kopf. »Das ist merkwürdig und widerspricht den
Naturgesetzen, wie wir sie kennen. Wir haben dichtes Wasser, das
schwerer ist als Erd- und Felsboden: das sinkt hinab. Wird es aber durch
Wärme und Verlust aufgelöster fester Bestandteile leichter als der feste
Untergrund, so strebt es so hoch als nur möglich empor und fließt auch
selbstverständlich bergauf. Die Meere haben schweres Salzwasser: die
bleiben immer in der Tiefe.

Unser Planet hat auch eine sehr schwere Luft und geringe magnetische
Kraft; auf unsern Monden ist das ganz anders, da fühlt man sich schwer
an den Boden gefesselt; möglich, daß dort auch das Wasser niemals
bergauf fließen könnte, wenn es dort überhaupt Wasser gäbe.«

»Könnt ihr bis zu euren Monden fliegen?« erkundigte sich Mietje.

»Wir können es wohl, tun es aber nicht ohne Not; denn zu einem
Aufenthalt für Lebende sind sie nicht geeignet. Es fehlt ihnen an
Pflanzen und an Wasser, sie gleichen leuchtenden Edelsteinen, sind aber
tot und nur ein Platz für die Toten. Auch macht ihre starke
Anziehungskraft das Wandern und Fliegen dort sehr beschwerlich.«

»Wie macht ihr es überhaupt, daß ihr fliegen könnt?« wandte sich
Münchhausen an Fliorot.

»Wir atmen die Luft in unsere Fluglunge ein,« erwiderte dieser.
»Probiere es doch einmal: sobald sie mit Luft gefüllt ist, schwebt man
von selber empor und sinkt erst wieder, wenn man die Klappe öffnet. Wir
können das schon als kleine Kinder, warum macht ihr's nicht ebenso?«

»Aus dem einfachen Grunde, weil wir eine so praktische zweite Lunge
nicht besitzen,« entgegnete der Kapitän.

»Das dachte ich mir,« fiel nun Bleodila, die Hausfrau, ein. »Bei uns ist
diese innere Einrichtung ein Vorzug, den wir vor den Tieren haben, die
nur springen können oder Flügel besitzen müssen um zu fliegen.«

»Und durch die Anfüllung euerer Ballonlunge werdet ihr so leicht, daß
ihr bis zu den Monden fliegen könnet?« fragte Mietje weiter.

»Nein, das nicht!« antwortete ihr der Hausvater anstelle seiner Gattin:
»Weiter oben wird die Luft so dünn und leicht, daß sie uns nicht mehr
trägt; wollen wir höher gelangen, so müssen wir Fahrzeuge benutzen, die
durch die abstoßende Kraft emporgetrieben werden, bis wir die Kraft
abstellen und, von dem Monde angezogen, auf seine Oberfläche gelangen.«

»Aha! Meine Fliehkraft!« rief Flitmore. »Und weiter als bis zu euren
Monden reist ihr mit derselben nicht?«

»Das können wir nicht: Die Zwischenluft bis zum grünen Mond, der uns der
nächste ist, genügt kaum mehr zum atmen; den blauen haben nur wenige
kühne und ausdauernde Fahrer erreicht; den rosa Mond aber, der doppelt
so weit entfernt ist, konnte noch keiner erreichen: Die Luft wird zuvor
so dünn, daß man umkehren muß, sonst müßte man sterben.«

»Wenn ihr aber in einem verschlossenen Behälter voller Luft aufsteigen
würdet?« meinte der Lord.

Gabokol sann nach: »Das wäre ein Gedanke! Das hat noch niemand
versucht,« sagte er: »Seid ihr so bis zu uns gekommen?«

»Ja!« bestätigte Flitmore kurz.

»Ein weiter Weg!« meinte Fliorot und sah zum Himmel empor.

»Unsere Erde kannst du nicht sehen!« lachte Schultze, der der Richtung
seiner Blicke folgte und nicht umhin konnte, sich höchlichst zu
verwundern, daß der Knabe wenigstens genau zu wissen schien, wo er die
Erde am Firmament zu suchen hätte, falls sie sichtbar gewesen wäre. Aber
freilich, mit dem stärksten Teleskop hätte man diesen kleinen dunklen
Planeten von hier aus niemals entdecken können.

Fliorot aber erwiderte: »O doch, ich sehe sie ganz genau. Ich kenne die
Lage eueres Sonnensystems gut. Ihr habt nur eine Sonne. Zuerst kommen
zwei kleine Planeten ...«

»Merkur und Venus,« sagte Heinz.

»Dann kommt euere Erde, wie ihr sie nennt,« fuhr Fliorot fort, »ich sehe
sogar ihren Mond.«

»Ja, Fliorot hat scharfe Augen,« bestätigte Gabokol: »Ich selber kann
bei Tageslicht den Mond eurer Erde nicht erkennen, nur bei Nacht.«

»Da hört sich aber doch alle Wissenschaft auf!« rief Schultze, der
staunend beobachtete, wie die Augen des Knaben ein wenig vorgetreten
waren und sich in weite Ferne richteten. »Das ist ja eine Sehkraft, die
unsere stärksten Fernrohre weit in den Schatten stellt und gegen die
auch diejenige des letzten Marsbewohners nichts besagen will! Ist dieser
Jüngling imstande, Erde und Mond als zwei getrennte Körper zu
unterscheiden, so ist das eine Augenparallaxe, die über das Märchenhafte
hinausgeht. Seine Augen müssen es vermögen, die Neigung zweier Linien zu
einander zu unterscheiden, die auf einen Kilometer nur 9 Millimeter
beträgt!«

Gabokol führte nun unsere Freunde zu seiner Schmiede und erklärte ihnen,
wie die Flamme aus der Vereinigung zweier Gase entstand, die er durch
Mischung von Metallen und Säuren im Erdboden erzeugte.

Er hatte ein Luftschiff in Arbeit, das aus äußerst leichten Metallen
gebaut wurde und das allgemeine Verkehrsmittel auf dem Planeten bildete,
wie er erklärte, wenn es sich darum handelte, rascher vorwärts zu
kommen, als durch persönlichen Flug, oder auch Lasten zu befördern.

Als Triebkraft diente ein Magnetismus, den er Parallelkraft nannte, weil
er die damit geladenen Fahrzeuge in wagrechter Richtung über der
Oberfläche des Planeten hintrieb.

Fliorot interessierte sich sehr für Heinz' Revolver. Als der Freund ihn
ernstlich mahnte, vorsichtig mit der gefährlichen Schußwaffe umzugehen,
lachte er; und ehe es jemand hindern konnte, schoß er sich eine Kugel
mitten durch den Arm.

Den Schreckensruf unserer Freunde begriffen die Edeniten nicht. Der Arm
war allerdings durchbohrt, auch der Knochen durchschlagen. Doch schloß
sich die Wunde so augenblicklich ohne irgend welche Blutung, daß keine
Spur mehr zu sehen war. Auch die Knochen waren offenbar so elastisch,
daß sie ohne Schaden durchbohrt werden konnten. Ein Schmerzgefühl war
den Edeniten unbekannt, und selbst völlig abgetrennte Glieder wuchsen,
wie Bleodila versicherte, augenblicklich wieder fest, wenn man die
Schnittflächen aneinander legte.

Doch kamen solche Verwundungen bei den elastischen Gliedmaßen und der
äußerst widerstandsfähigen, wenn auch noch so zart aussehenden Haut
äußerst selten vor.

»Krankheiten kennt ihr auch nicht?« wandte sich Mietje an Glessiblora:
»Gifte gibt es hier keine, wie ihr sagt, und das stärkste Feuer vermag
eure Haut nicht anzugreifen, gibt es denn da bei euch überhaupt einen
Tod?«

»Ja,« erwiderte das Mädchen, »sterben müssen wir alle. Ein Jahr dauert
bei uns etwa zehn eurer Erdenjahre und 300 bis 500 unserer Jahre ist die
gewöhnliche Lebensgrenze.«

»Also 3000 bis 5000 Jahre!« rief Münchhausen.

»Selten stirbt jemand in zarterem Alter,« bestätigte Heliastra. »Man ist
dann alt und müde und sehnt sich nach dem höheren, vollkommeneren Leben,
das Gott uns nach dem Tode verheißen hat.«

»Fühlen wir unser Ende herannahen,« fügte Bleodila hinzu, »so treten wir
gewöhnlich alsbald die Reise nach dem grünen Mond an, dem Reich der
Toten. Dort schläft man nach wenigen Tagen ein, ohne wieder aufzuwachen.
Entschlummert aber einer schon hier, ehe er an die letzte Reise dachte,
was sehr selten vorkommt, so bringen wir seinen Leib hinauf, wo er dann
bald austrocknet und zu Staub zerfällt.«

»Ihr glaubt also, wie wir, an ein ewiges Leben?« fragte Flitmore.

Gabokol sah ihn verwundert an: »Natürlich!« sagte er: »Was hätte es für
einen Sinn, wenn das Leben mit dem Tode aus wäre?«

»Nun, ihr habt doch sicher auch in diesem Leben eine Aufgabe zu
erfüllen,« meinte Schultze.

»Gewiß! Sehr viele! Arbeit gibt es genug an uns und andern, für uns und
für andere; denn wir müssen doch immer besser werden und unsern Planeten
immer besser machen. Wollten wir zum Beispiel an der Verbesserung
unserer Weltkugel nicht ernstlich und fleißig arbeiten, so müßten unsere
Nachkommen bald zum Teil verhungern: bis jetzt ist nämlich nur ein
Streifen rings um den Planeten fruchtbar und bewohnt; alles andere ist
Wüste, es fehlt an Pflanzen und Erde.

Unsere Hauptarbeit besteht nun darin, das nackte Gestein zu zermahlen,
es mit pflanzlichen Stoffen und chemischen Bestandteilen zu mengen und
so eine gute Erde herzustellen, mit der wir kahle Flächen bedecken, die
dann eingesät werden und Urwälder und Prärien bilden, welche zunächst
von der Tierwelt in Beschlag genommen werden können, bis sich später die
Bevölkerung ausdehnt.

Nächst unseren häuslichen Arbeiten, der Herstellung von Verkehrsmitteln
und dem Landbau, beteiligt sich jedermann auch an dieser Riesenarbeit,
künftigen Geschlechtern ihre Wohnsitze zu schaffen.«

»Nun also,« sagte der Professor: »So könntet ihr ja sagen, das ist der
Zweck unseres Lebens, unsern Nachkommen den Boden zu bereiten, und in
ihnen leben wir fort. Ähnlich sprechen so manche auf Erden, die an kein
Fortleben nach dem Tode glauben wollen.«

»Und diese Nachkommen?« fragte Bleodila: »Sie würden auch einige hundert
Jahre sich des Errungenen erfreuen und ihrerseits für die Kommenden
vorarbeiten, um dann ins ewige Nichts zu versinken, und so ginge es
fort, bis der Planet tot wäre mit allen, die je auf ihm gestrebt und
gewirkt? Und dann? Dann wäre es völlig einerlei, ob je hier vernünftige
Wesen gelebt und gearbeitet haben oder nicht!«

»Ja,« stimmte die kleine Heliastra der Mutter bei. »Wenn mit dem Tode
alles aus wäre, so wäre zuletzt unser ganzes Leben zwecklos und sinnlos,
wir wären das Puppenspiel eines unverständigen Schöpfers; aber gottlob,
die Macht, die uns erschaffen hat und erhält, ist Weisheit und Liebe;
darum allein können wir uns des Lebens freuen und auch dem Ende getrost
und fröhlich entgegensehen.«

»Und was erhofft ihr vom Ende?« fragte Heinz.

Heliastras Augen leuchteten: »Das Leben ist schön bei uns, wunderschön!
Aber welche Schranken sind uns überall gesteckt, wie viel möchten wir
wohl ausführen und können es nicht! Wer treu gewesen ist im Wirken
seines endlichen Lebens, dem werden höhere Aufgaben und Kräfte
anvertraut, wie wir glauben: ja, ein neueres, höheres und schöneres
Leben wird diesem mangelhaften Leben folgen, das glauben und hoffen
wir!«

»Unser Glaube ist der,« fügte Gabokol hinzu: »Wer sich bewährt hat, dem
wird Gott eine seiner unzähligen Welten überweisen und ihm sagen: nun
magst du nach eigenen Gedanken und nach eigener Lust schaffen. Ich gebe
dir ein Maß von Schöpferkraft, wie es deinen Bedürfnissen entspricht;
ich ordne dir andere Geister bei, denen noch keine so hohe Macht
anvertraut werden kann, die dir aber treu und willig zu Diensten sein
werden. Nun schaffe dir eine Welt nach deinen Gedanken, Pflanzen, Tiere,
vernünftige Wesen, wie deine Phantasie solche erfindet, stelle
Naturgesetze auf, wie du sie für zweckmäßig hältst und wenn du des Rats
bedarfst, so darfst du ihn jederzeit bei mir holen. Ja, wir glauben, daß
die Natur und Lebewelt auf unserem Planeten und wir selbst auf diese
Weise geschaffen worden sind von einem großen, seligen Geist, dem Gott
hier sein Schöpfungsgebiet angewiesen hat; denn vollkommene Geschöpfe,
wie Gott selber sie erschaffen hätte, sind wir noch nicht. Aber im neuen
Leben wird er selbst uns zur Vollkommenheit vollenden, wie der Meister
des Schülers Arbeit verbessert und zur Vollendung bringt.«

»Ihr glaubt also alle an einen Gott, von dem in letzter Linie die ganze
sichtbare Schöpfung ausgeht?« fragte Mietje.

Bleodila sah sie verständnislos an: »Ja, was sollten wir denn sonst
glauben?« fragte sie. »Etwa, diese ganze Welt mit ihren wunderbaren
Geschöpfen und uns selbst, sei von selber entstanden?« und sie brach in
ein herzliches Gelächter aus, in das ihre beiden Töchter einstimmten, so
daß es wie der Klang eines Glockenspiels durch die zitternden Lüfte
schallte.

»Ihr habt recht, daß ihr lacht,« sagte Mietje; »niemand macht sich so
lächerlich, wie der Zweifler am Dasein Gottes.«

»Nichts ist wahrer als dies,« stimmte der Lord bei: »Die Gottesleugnung
wird stets der sicherste Beweis geringer Verstandesgaben sein und der
Unfähigkeit, vernünftig zu denken. Allerdings entstammt der plumpe
Aberglaube an die ewige, allmächtige Natur und ihren aus dem Nichts
gezauberten Gesetzen dem unlautern Willen und nie der wissenschaftlichen
Überlegung. Aber diese Leute, die das Opfer ihres Verstandes bringen,
weil sie nicht glauben wollen, die Geist und Sinne absichtlich
verschließen, um der allein vernünftigen Erkenntnis den Eingang zu
verwehren, sind um so bejammernswertere Toren und tun sehr Unrecht
daran, den Vogel Strauß zu belächeln, der den Kopf in den Sand steckt,
meinend, nun sei auch das nicht da, was er nicht mehr sieht, nicht sehen
will.«

»Unsere Philosophen,« sagte Gabokol, »haben auch schon über das
Welträtsel nachgedacht. So beschränkt war freilich keiner, am Dasein
eines Schöpfers zu zweifeln. Aber die Frage nach der Ewigkeit des
Sichtbaren warfen sie auf. Da kamen sie denn zu folgenden Erkenntnissen:
entweder das Sichtbare war immer da, das heißt von jeher vom ewigen
Schöpfer hervorgebracht; dann wird es auch immer sein, und die
Vergänglichkeit ist nur etwas Scheinbares, als ein Übergang in andere,
zweifellos, höhere Daseinsformen; das wäre eine beständige Entwicklung,
ein ewiger Fortschritt.«

»Wenn aber das Sichtbare einen zeitlichen Anfang hätte?« warf Schultze
ein.

»Dann könnte es ja wohl auch ein Ende haben,« erwiderte der Edenite;
»allein es ist klar, daß wenn _einmal_ ein Anfang war, auch späterhin
immer wieder ein neuer Anfang möglich ist; ja es wäre unsinnig zu
glauben, daß es in der Ewigkeit der Zeiten nur einmal zu einem einzigen
Anfang gekommen wäre und dann für alle Zeiten Ende und Tod. Wir
schließen daraus, daß auch das Einzelne nie ein endgültiges Ende nehmen
kann, sondern daß ihm ein neuer Anfang sicher ist. Der Anfang des
Sichtbaren setzt also nicht sein Ende voraus, sondern vielmehr seine
ewige Erneuerung.«




                            45. Heliastra.


Es war wunderbar, wie die Lebensluft Edens Körper und Geist frisch
erhielt, stärkte und belebte!

Was ließ sich doch alles an _einem_ Tage ausführen, kam doch zum
siebenundzwanzigstündigen Sonnentag nach einer Dämmerstunde die
achtstündige Rosennacht, in der noch keine Müdigkeit oder Schläfrigkeit
aufkam!

Man ging zur Ruhe, wenn der blaue Mond bereits einige Stunden geleuchtet
hatte; man erhob sich gestärkt und munter, ehe der grüne Mond sich zum
Untergang neigte: acht bis neun Stunden Schlafs genügten allen
Bedürfnissen, so daß der Tag, das heißt die Zeit des Wachens, mehr als
40 Stunden währte.

Was man bei der hier so gesteigerten Auffassungsfähigkeit in wenigen
Tagen lernen konnte, merkten unsre Freunde besonders daran, daß sie bald
die Sprache Edens verstanden und redeten, als sei sie ihnen von Kind auf
bekannt gewesen. Freilich wäre dies nicht möglich gewesen, wenn nicht
eben die Verwandtschaft mit der irdischen und namentlich mit der
deutschen Sprache, die der menschlichen Ursprache so besonders nahe
steht, gewesen wäre.

Eines Abends, als der Rosenmond sein märchenschönes Licht über die
Landschaft ergoß, saß die nun so vertraute Gesellschaft auf dem Dache
des Hauses.

Gabokol führte mit Schultze und Flitmore ein ernstes Gespräch, dem John
andächtig lauschte, sich hier und da eine seiner wohlgesetzten Fragen
gestattend.

Mietje unterhielt sich mit Bleodila und der gesetzten Glessiblora über
das Leben und Treiben der Frauenwelt Edens.

Fliorot lauschte den fabelhaften Erzählungen des Kapitäns Münchhausen,
der an dem Knaben einen eifrigen Zuhörer gefunden hatte.

Etwas abseits saßen Heinz und Heliastra und betrachteten den leuchtenden
Sternhimmel, der freilich den Augen der Jungfrau einer höheren Welt noch
viel reichere Wunder offenbarte als dem Jüngling der irdischen Fernen.

»Ich liebe die Sterne so sehr!« sagte die kleine Elfe: »Wie viel
leuchtende Sonnen hat doch Gott erschaffen und wie unzählig mögen die
Wesen sein, die ihres Glanzes sich freuen! Den helleren Sternen haben
wir Namen gegeben und ebenso den Bildern, die durch verschiedene
einander scheinbar nahestehende Sterne entstehen, wenn man sie vereint
betrachtet.«

»Genau so haben auch wir auf der Erde es gemacht,« erwiderte Heinz
lächelnd.

»Nein! wie merkwürdig!« rief Heliastra erfreut: »Sieh einmal, dort am
Horizont stehen vier Sterne, die einen viereckigen Leib bilden, von dem
ein langer Hals emporstrebt; wir nennen das Sternbild, das wohl das
deutlichste am Himmel ist, Ligela, nach dem langhalsigen Tier, das ihr
Giraffe nennt, wie heißet denn ihr's?«

Heliastra hatte sich von Heinz fleißig in seiner Sprache unterweisen
lassen und wußte schon alle Namen derjenigen irdischen Geschöpfe, die
mit denen Edens einige Ähnlichkeit hatten.

»Wir nennen dies Sternbild den Wagen oder den Großen Bären,« erklärte
der Jüngling: »Es gehört auch bei uns zu den bekanntesten.«

Heliastra schüttelte das Goldköpfchen: »Ligela klingt schöner,« meinte
sie; »aber schau, dort drüben sind drei Sterne in einer Reihe und zwei
darunter; dieses Bild nennen wir den Thron, Sissal, und den hellen Stern
rechts unten Helor.«

»Wir heißen den letzteren Rigel, nehmen aber zum Sternbild noch jene
beiden oberen Sterne, links Beteigeuze, rechts Bellatrix, und heißen das
ganze Gebilde Orion.«

»Orion! Nein, welch schöner, klangvoller Name!« rief das Mädchen. »Aber
paß auf: die beiden Sterne, die ihr Beteigeuze und Bellatrix benennt,
wir aber Fluir und Saila, rechnen wir zum langgestreckten Bild der
Schlange, Slipilil; ihr Kopf ist dort links das strahlende Gestirn
Glorhel.«

»Das ist Sirius im großen Hund,« erläuterte Heinz.

»Und das Schwanzende,« fuhr Heliastra fort, »ist dort rechts der helle
Stern, an den sich mehrere kleinere in schönem Schwung anschließen;
ersteren heißen wir Glizil.«

»Das ist Aldebaran im Stier und die kleine Gruppe die Hyaden.«

Noch eine ganze Reihe von Stern- und Sternbildernamen erklärten sich die
beiden gegenseitig, wobei es sich freilich erwies, daß die Astronomen
Edens meist andre Gruppierungen festgestellt hatten, als die irdischen.
Genau übereinstimmend erfanden sich außer dem großen Bären nur die
besonders scharf begrenzten Bilder der Kassiopeia, die ein großes
lateinisches W bildet und der Wage; diese beiden nannte Heliastra
»Doppeldreieck« und »Amboß« oder Dutri und Kolgor.

Immer wieder mußte Heinz dann von der Erde und den Menschen erzählen,
und Heliastra lauschte seinen Berichten wie Wundermären aus einer fernen
Märchenwelt.

Und wenn er von den Leiden, Fehlern und Leidenschaften der irdischen
Geschöpfe berichtete, von den Schrecken und Gefahren, von Unglück und
Verbrechen, die den Frieden und das Glück der Erdenbewohner trübten, da
offenbarte sich ihm das tiefe Gemüt, das sich hinter dieses Sonnenkindes
schelmischem Wesen barg.

Denn die Liebliche empfand ein so tiefes Mitleid mit ihren fernen
Brüdern und Schwestern, daß ihre Himmelsaugen in Tränen schwammen; und
die Sünde und Verworfenheit kam ihr noch als das allerbemitleidendste
Elend vor, unter dem die armen Geschöpfe zu leiden hätten.

»O,« rief sie aus: »Wie viel höhere und edlere Aufgaben, Arbeit und
Tätigkeit ist doch euch zugewiesen, die ihr Schmerzen zu lindern, Übel
zu bekämpfen und Schlechtes zu überwinden habt! Wir streben ja auch der
Veredlung und Vollkommenheit zu, aber die Schwierigkeiten, mit denen ihr
zu rechnen habt, sind uns unbekannt: bei euch muß das Leben ein wahres
Heldentum sein. Nur einmal möchte ich auch hineinversetzt werden in all
dies bejammernswerte Elend, um mit euch kämpfen und siegen zu können.«

»O, wünsche das nicht!« sagte Heinz, das zarte Geschöpf in seiner
verklärten Begeisterung wehmütig betrachtend: »Wie viel glücklicher seid
doch ihr!«

»Meinst du? Ich fühlte mich wohl wunschlos glücklich, so lange ich
nichts ahnte von Leiden, wie du sie zu schildern weißt. Nun aber ist ein
heißer Wunsch, ein brennendes Verlangen in meiner Seele erwacht: ist es
nicht das höchste Glück, trösten, lindern, helfen zu dürfen, wo das
Elend zum Himmel schreit?«

»Und dann Undank ernten und von denen, mit denen man es so gut meinte,
verhöhnt und gequält zu werden, wie es unserm Heiland ging?«

»Glaubst du nicht, es sei das Schönste, auch Unrecht zu leiden, nach dem
Vorbild des Gottessohns, von dem du so himmlisch Großes und Herrliches
zu erzählen weißt? Und dann weiß ich doch, du und deine Freunde, ihr
würdet nicht spotten und mir mit Undank vergelten; ihr wäret meine
treuen Mithelfer und Mitdulder. O, Freund, es müßte wahrhaft schön
sein!«

Heinz betrachtete voll Bewunderung dieses ätherische Wesen, das sein
beneidenswertes Glück mit Freuden geopfert hätte, um Lichtstrahlen zu
spenden denen, die ihre Finsternis mehr liebten als das Licht!

Ja, wer an der Seite solch einer Seele hätte arbeiten können an der
Beglückung der Gequälten und Verirrten!

Heinz hatte schon den Wunsch empfunden, für immer in dieser neuen Welt
des Friedens zu weilen und nie wieder in das Elend der Erde
zurückzukehren. Aber die hochherzige Gesinnung dieses Mädchens ließ ihn
sich seiner eigennützigen Fluchtgedanken schämen: nein! er mußte
zurückkehren auf die Erde als ein Kämpfer für Licht und Glück!




                       46. Überirdische Klänge.


Es fand sich, daß die Photographie den Edeniten nicht unbekannt war.

In Gabokols Wohnung waren die Wände vielfach mit Bildern geschmückt,
teils Porträts, teils Landschaftsbilder oder belebte Szenen aus Welt und
Leben. All diese Darstellungen erschienen so überaus lebendig und
naturwahr, so zart und leuchtend in den feinsten Farbenabstufungen, daß
unsre Freunde sich nicht genug wundern konnten über die hohe Stufe,
welche die Kunst der Maler hier erreicht habe.

Bald erfuhren sie jedoch, daß es sich nur zum geringsten Teil um Gemälde
handelte, daß vielmehr die meisten dieser Kunstwerke nichts andres waren
als Lichtbilder in natürlichen Farben.

Gabokol selber besaß einen photographischen Apparat, den er Flitmore
bereitwilligst erläuterte. Die Linse war durchaus dem menschlichen Auge
nachgebildet und wurde auch wie dieses eingestellt, wobei sie Bilder von
unnachahmlicher Schärfe lieferte. Die Platten bestanden aus
durchsichtiger Baumrinde und waren mit einem licht- und
farbenempfindlichen Stoffe überzogen, der ebenfalls genau dem
entsprechenden Stoff im Auge des Menschen nachgeahmt war. So entstand
schon auf der Platte ein farbiges Bild, das durch ein verblüffend
einfaches Verfahren festgehalten wurde. Von dieser ersten Platte konnten
dann beliebig viele Vervielfältigungen ausgeführt werden, wobei man
stets dieselben dünnen Platten benutzte: ein besonderes Material für die
Abzüge war durchaus entbehrlich.

Gabokol schenkte dem Lord einen solchen Apparat und Flitmore war nun
imstande, die Wunder Edens in einer Weise festzubannen, wie es keine
irdische Kunst vermocht hätte.

Heinz durfte die Wunderkamera benutzen so oft er wollte; während aber
der Lord vorzugsweise Landschaften, Tier- und Pflanzenbilder aufnahm,
bevorzugte der Jüngling Porträtaufnahmen. Namentlich wurde er nicht
müde, Heliastra allein oder mit ihrer anmutigen Schwester in immer neuen
Stellungen zu photographieren und die Mädchen kamen ihm hiebei mit
freundlichster Geduld entgegen.

Musik war den Edeniten ein Lebensbedürfnis; sie besaßen eigenartige
Instrumente von unbeschreiblichem Wohlklang und einer Mannigfaltigkeit
der Tonfarben, die ganz wunderbare Effekte ermöglichte. Das
durchsichtige Holz der Bäume und Rohre, aus dem hauptsächlich die
Instrumente gefertigt wurden, schien für diesen Zweck weit geeigneter
als alle irdischen Holz- oder Metallarten; auch der stärkste metallische
Klang, Orgel- und Glockentöne, war gewissen Holzarten eigen.

John war außer sich vor Freude über eine Flöte, die ihm Fliorot
verehrte, und aus welcher der musikalische Diener Weisen hervorzuzaubern
vermochte, die ihm alles Irdische zu übertreffen schienen.

Völlig in himmlische Sphären versetzt fühlten sich aber unsre Freunde,
wenn Gabokol und Fliorot mit Bleodila, Glessiblora und Heliastra ihre
herrlichen Gesänge erschallen ließen: das waren Stimmen, die den Traum
einer Sphärenmusik tatsächlich verwirklichten; es war zu wenig gesagt,
wenn man den Baß der Männer mit Orgelklängen vergleichen wollte und die
Reinheit der Mädchenstimmen mit Silberglocken: jeder irdische Vergleich
mußte hier verblassen und man konnte nur an die unbekannten Chöre der
himmlischen Heerscharen denken. Und der Umfang dieser Stimmen war
geradezu unglaublich: kein menschlicher Baß und kein irdischer Tenor
konnte in solche Tiefen hinab, in solche Höhen hinaufsteigen; und die
weiblichen Stimmen schienen in unendliche Räume entschweben zu können,
wo sie zu ätherischen Klängen sich verflüchtigten.

Und welch fremdartige Melodien! Seltsam und niegehört den Erdenbewohnern
und doch so heimatlich vertraut, als ob die in Träume des Entzückens
gewiegte Seele die Lieder eines verlorenen Paradieses vernehme, das
einst ihre selige Heimat war.

Merkwürdigerweise besaßen die Edeniten keinerlei Saiteninstrumente und
so war ihnen Heinz' Geige etwas völlig Neues.

Immer wieder wurde der Jüngling gebeten, ihnen irdische Weisen
vorzuspielen. Anfangs sträubte er sich, denn ihm schien auch das
Höchste, was Erdenkunst erreicht hat, kaum wert, sich hören zu lassen
vor Ohren, die eine Sphärenmusik gewohnt waren; so glaubte er, sein
Spiel müsse den Gastfreunden minderwertig erscheinen, und nur aus
Höflichkeit bäten sie ihn, sein schwaches Talent ihnen vorzuführen.

[Illustration: Heinz photographiert Heliastra und Glessiblora.]

Bald aber merkte er, daß er sich darin irrte; höfliche Verstellung und
Schmeichelei war diesen Menschen fremd und sie hielten mit ihrem Urteil
nicht zurück, wenn ihnen ein Musikstück nicht gefiel.

Aber das Violinspiel an und für sich und die wunderbare Vortragsweise
des jungen Künstlers übte einen mächtigen Zauber auf sie aus, und Heinz
mußte außerdem erkennen, daß die unsterblichen Tondichtungen irdischer
Meister sich durchaus nicht zu scheuen brauchten, auch in höheren Welten
zu Gehör gebracht zu werden, daß sie vielmehr hier ein noch höheres
Verständnis fanden und entsprechenden Genuß vermittelten.

Heliastra besonders konnte sich an diesen Klängen einer fernen Welt
nicht satthören.

»Unsre Musik ist schön,« sagte sie, »und wir haben große Tonmeister
gehabt und besitzen deren noch solche. Ihre Schöpfungen heiligen unsre
Andacht und geben unserm Jubel Flügel; aber unsrer Musik fehlt etwas:
ja, ihr mangelt der Reiz, der mich an der euren so völlig gefangen
nimmt, die Wehmut, der Schmerz, die himmlische Sehnsucht, die geben
euren Tonschöpfungen eine Seele, eine Wärme und Tiefe des Gefühls und
Ausdrucks, daß ich glaube, selbst die Engel und Verklärten im Himmel
könnten sich ihrem Banne nicht entziehen, noch ihnen ohne Bewegung und
innerste Erschütterung lauschen. O, was muß das für eine Welt sein, wo
der Schmerz sich in solchen Tönen verklärt und die Sehnsucht so
ergreifenden Ausdruck findet!«

Gabokol begeisterte sich so sehr für die Violine, daß er beschloß, den
Versuch zu machen, ein ähnliches Instrument herzustellen.

Er wählte das Holz eines Baumes, dessen Klangfarbe ihm zu diesem Zweck
am passendsten erschien, und als Saiten zog er Pflanzenfasern auf, die
sich vorzüglich hiezu eigneten. Im Bau ahmte er die Geige seines jungen
Freundes aufs genaueste nach.

Er kam rasch mit der Arbeit zustande und nun erwies es sich, daß sowohl
Holz als Saiten ungeahnte Vorzüge vor den irdischen Materialien
aufwiesen.

Heinz versuchte sich sofort auf dem neuen Instrument: es war eine
richtige Violine, aber sie ermöglichte eine solche Zartheit und wiederum
eine solche Kraft des Tones und war von einem Zauber der Klangfarbe und
Reinheit, daß keine Stradivari, Guarneri oder Amati sich entfernt mit
ihr hätte vergleichen können.

Auch die Edeniten erkannten sofort, daß dies neue Instrument dem schon
bisher so bewunderten Spiel ihres Freundes noch erhöhte Kraft und
Schönheit, vertiefte Wärme und Innigkeit verlieh.

Daher bot Gabokol sein so überraschend gelungenes Kunstwerk Heinz zum
Geschenk an, eine Gunst, die mit Jubel und Dankbarkeit angenommen wurde.

In der Folge baute Gabokol noch mehrere Violinen, die alle die gleichen
trefflichen Eigenschaften besaßen, obgleich es sich auch hier zeigte,
daß jedes neue Instrument seine besondere Eigenart in der Klangfärbung
aufwies.

Dieser Erfolg bewog unsre Freunde, ihren Gastgeber auch in die
besonderen Geheimnisse andrer Saiteninstrumente einzuweihen und so
entstanden Cellos, Gitarren, Mandolinen, Zithern, Harfen und sogar ein
Saitenklavier.




                     47. Im Reiche des Friedens.


»Heute ist der siebte Tag,« sagte Gabokol eines Morgens. »Wollt ihr
nicht heute mit uns zum erstenmal die Stadt besuchen? Es ist bei uns von
jeher eine Vorschrift, daß wir uns am siebten Tage versammeln, um Gott
zu loben, ihn anzubeten und von seinem Willen und unsrer ewigen
Bestimmung zu hören, was der Priester des Ewigen uns verkündigt. Wir
lassen an diesem Tage alle Arbeit ruhen und sind fröhlich miteinander.«

»Ja, es ist der schönste Tag,« fügte Bleodila hinzu.

»Merkwürdig!« rief Mietje: »Auch wir pflegen den siebten Tag als Gottes
heiligen Tag zu feiern.«

»Das ist herrlich!« meinte Bleodila. »Und wir sehen daraus wieder, daß
ihr unsern Gott als den euren erkennt.«

So begaben sich alle einträchtig hinab in das Tal.

Der Versammlungsraum befand sich am äußersten Ende der Stadt, das heißt,
es war das nächste Gebäude und war vor allen andern durch seine Höhe,
Ausdehnung und Herrlichkeit ausgezeichnet. Statt der rauhen Felswände,
wie die meisten Wohngebäude sie aufwiesen, sah man hier glänzend
polierten Marmor und Säulen von durchsichtigen Edelsteinen, die meist
von den Monden Edens herabgeholt worden waren, wie Gabokol erklärte.

Die ganze Einwohnerschaft der Stadt versammelte sich hier: würdige
Greise mit edlen Zügen, trotz ihres oft vielhundertjährigen Alters
runzellos und von vollendeter Schönheit, Männer, Frauen, Jünglinge,
Jungfrauen, Knaben und Mädchen, ja ganz kleine Kinder schwebten herein
und alle leuchteten in verklärter Freude.

Das Erscheinen der Fremdlinge von einem entfernten Planeten erregte
Aufsehen, namentlich bei der Jugend; doch selbst die kleinsten Kinder
zeigten keine aufdringliche Neugier.

Immerhin waren zu Anfang Tausende von Blicken auf die Ankömmlinge
gerichtet; denn alle hatten zwar schon von den seltsamen Gästen gehört,
aber nur ganz wenige hatten sie geschaut bei zufälligen Begegnungen auf
deren einsamen Spaziergängen, und Besuche im Hause Gabokols hatte man
aus zarter Rücksicht in den letzten Tagen absichtlich vermieden, um
abzuwarten, bis die irdischen Besucher selber den Anfang machten, sich
unter den Leuten zu zeigen.

Sobald jedoch der Priester in den Altar trat, erfüllte ungeteilte
Andacht alle Gemüter und nun erscholl tausendstimmiger Gesang von einer
Reinheit und Musik, daß es unsren Freunden war, als hörten sie das Lob
der himmlischen Heerscharen.

Dann wurde ein gemeinsames Gebet gesprochen, worauf der Priester von der
Herrlichkeit und Güte des Schöpfers redete und von dem Dank und den
Pflichten seiner Geschöpfe.

Noch mehrmals erscholl der Orgel- und Glockenton der überwältigenden
Gesänge.

Heinz konnte sich nicht versagen, ein Loblied, das ihm besonders gefiel,
in deutschen Versen niederzuschreiben. Seine allerdings schwache
Übersetzung, die in unserer viel ärmeren Sprache weder der Gedankenkraft
noch der Klangfülle des Urtextes gerecht werden konnte, lautete
folgendermaßen:

   Gott, Du Herr der Ewigkeiten,
   Wer mag Deinen Ruhm verbreiten?
   Wer mag preisen Deine Stärke,
   Wer kann fassen Deine Werke?
   Wunder schufst Du allerorten
   Mit des Geistes Lebensworten,
   Und vor Deiner Allmacht Zeugen
   Muß der kühnste Geist sich beugen.

   Was Du willst, das muß entstehen,
   Was Du schiltst, das muß vergehen;
   Aus dem Nichts riefst Du das Leben,
   Hast dem Staube Geist gegeben;
   Und Du hältest in den Gleisen
   Welten, die um Welten kreisen:
   Aus den unbegrenzten Fernen
   Leuchtet uns ein Meer von Sternen.

   Licht aus unerschöpftem Lichte
   Strahlt von Deinem Angesichte,
   Leuchtet aus der Sonnen Gluten,
   Fleußt aus ungehemmten Fluten
   Auf die Werke Deiner Liebe,
   Weckt des Lebens reiche Triebe:
   In dem All ist keine Stätte,
   Die nicht ihre Wunder hätte.

   O, daß ich in neuen Weisen
   Deine Größe könnte preisen!
   O, daß all mein Reden wäre
   Nur ein Lob zu Deiner Ehre!
   Meine Werke von Dir zeugten,
   Meine Sinne Dir sich beugten!
   Mach mich frei von eitlen Dingen,
   Nur von Dir allein zu singen!

Als der erhebende Gottesdienst zu Ende war, trat der greise Priester
geradewegs auf unsre Freunde zu und sprach:

»Wir haben gehört, daß ihr Fremdlinge einer fernen Gotteswelt den ewigen
Schöpfer kennt und anbetet gleich uns. Das ist uns eine hohe Freude! Nun
wäre es dieser ganzen Gemeinde ein besonderes Fest und gewiß dem
Allgütigen angenehm, wenn in diesem Heiligtum zum erstenmale in fremder
Zunge von Gottesgeschöpfen eines weltfernen Planeten Gottes Lob
erklänge; darum, wenn ihr uns erfreuen wollt, eines eurer frommen Lieder
zu singen, so wären wir euch dankbar.«

»Ein feste Burg!« sagte Flitmore kurz zu seinen Begleitern.

Und ohne sich zu besinnen stimmten sie den Choral an. Es schien ihnen,
als seien ihre Stimmen zu Strömen gewachsen, so brauste das Lied aus
wenigen Kehlen durch die Hallen dahin, und der Gesang bewährte seinen
heiligen Zauber auch in dieser höheren Welt, denn unter lautloser Stille
lauschten ihm die Tausende mit Andacht und sichtlicher Ergriffenheit.

Als nun die ganze Gemeinde das Gotteshaus verließ, machten unsre Freunde
in Begleitung ihrer Wirte Besuche bei mehreren den letztern befreundeten
Familien und folgten zuletzt der Einladung des Provinzfürsten zum
Mittagsmahl.

Hierauf machten sie einen Ausflug vor die Stadt und bewunderten die
prächtigen Kulturen: die wogenden Getreidefelder mit ihren
durchsichtigen Goldähren, die Gemüse- und Nutzpflanzungen, die
Viehweiden.

In Scharen schwebten die festlich gekleideten Edeniten in der Umgegend
umher und es war ein himmlischer Anblick, sie so leicht dahingleiten zu
sehen, umflossen von ihren spinnwebzarten Gewändern, die in allen
Regenbogenfarben leuchteten. Noch höheren Genuß bereitete es, diese
vollkommenen Gestalten und diese von Schönheit, Anmut und
Herzensfreundlichkeit strahlenden Gesichter zu bewundern. Und doch mußte
sich Heinz sagen, so reizende Mädchen und Jungfrauen sich darunter
befanden, das heißt solche von besonders hervorragender Anmut und
Schönheit, denn reizend waren eigentlich alle Edeniten zu nennen, so
fand sich doch keine, die Heliastra an bezaubernder Lieblichkeit gleich
gekommen wäre, sie blieb die Perle Edens.

Da und dort spielte die Jugend unter Silberlachen und Scherzen; das war
ein Wirbeln und Hüpfen, Fliehen und Haschen auf der Erde und in den
Lüften, und die Spiele waren alle so sinnig und voll der spannendsten
Zwischenfälle, daß man stundenlang mit dem lebhaftesten Interesse dem
bunten Treiben zusehen konnte.

Als dann abends der Rosenmond aufglänzte, wurde in einem großen,
herrlichen Parke vor der Stadt ein Fest zu Ehren der fremden Gäste
gehalten.

Die ganze Stadt, jung und alt, beteiligte sich daran.

Während des köstlichen Gastmahls hielt der Fürst eine Ansprache, in
welcher er die Bedeutung des Ereignisses hervorhob, daß zum erstenmale
ein Verkehr und freundschaftliche Beziehungen zwischen den Bewohnern
entfernter Planeten angebahnt worden seien. Er rühmte das Genie dieser
Erdenbürger, die solches zustande gebracht, ihren Mut, der das Unerhörte
gewagt habe, und die göttliche Güte, die sie beschützte und geleitete
auf einer Fahrt durch unendliche Welträume.

Heinz, als derjenige, der allein die Sprache Edens bereits vollkommen
beherrschte, erwiderte in glänzender Rede, und Gabokol und die Seinen,
vor allem Heliastra, bewunderten die Gewandtheit seiner Ausführungen und
den Glanz seiner Bilder, sowie den edlen Flug seiner Phantasie und den
Geist seiner Gedanken.

Sie waren ordentlich stolz auf ihre Gäste, und als jubelnder Beifall den
jungen Redner lohnte, erhob sich Heliastra begeistert und mit
tränenschimmernden Augen und drückte einen Kuß ihrer Rosenlippen auf des
Freundes Mund, das höchste Zeichen der Anerkennung, das ein Edenite zu
spenden vermochte.

Der erneute Beifall und Jubel, der dieser Tat folgte, zeigte deutlich,
daß das ganze Volk sich dieser Huldigung anschloß.

Heinz fühlte sich wie im Traum, umflossen von rosigem Mondlicht, geehrt
und beglückt durch die Anerkennung von Wesen, die er mit Recht für hoch
über sich stehend ansah, vor allem aber durch die verwirrende
Gunstbezeugung des holdseligsten aller Geschöpfe, saß er da, wie
verklärt.

Heliastra las ihm die Gedanken aus den Augen und nahm ihn bei der Hand.

»Komm!« sagte sie, »wir wollen eine Weile die Einsamkeit aufsuchen, ich
sehe, deine Seele verlangt nach Stille.«

Heinz ließ sich von ihr führen.

Sie traten durch ein Gebüsch an die Ufer eines stillen Sees, der im
rosigen Schein der Mondnacht magisch leuchtete.

Bunte Schwäne, Enten und Wildgänse plätscherten in seinen friedlichen
Fluten; Reiher, Flamingos, Ibisse, Pfauen und Pelikane belebten in ihrem
strahlenden Flaumkleide die Ufer, lauter Vögel, die zwar den
entsprechenden irdischen Arten ähnlich waren, doch in Formen und Farben
weit vollkommener und entzückender erschienen als diese.

Riesenechsen, eine Art Krokodile, mit perlmutterschimmernden Schuppen
lagen am Strand oder lugten aus dem rosenschimmernden Spiegel.

Heinz folgte dem Beispiel seiner Gefährtin, die diese prächtigen
Eidechsen zärtlich streichelte; hier hatten auch diese gewaltigen
Amphibien nichts Feindseliges noch Schreckhaftes; man sah es ihren
sanften Augen schon an, wie fromm und friedlich sie waren.

Der rosa Mond versank hinter dem Horizont und sein blauer Gefährte löste
ihn ab.

Da schlang Heliastra den zarten Arm um ihres Gefährten Hals und sagte:
»Komm, laß uns nun wieder zu den Freunden zurückkehren; die Stunde der
Heimkehr naht, und morgen wollen wir ja die große Reise nach der
Hauptstadt des Landes antreten.«

Sie kehrten in den Kreis der festlichen Menge zurück und bald darauf
erfolgte der allgemeine Aufbruch unter herzlichen Abschiedszurufen.




                   48. Eine Reise auf dem Planeten.


Am folgenden Tag wurde die geplante Reise unternommen, auf der unsere
Freunde einen Teil des großen Planeten kennen lernen und Heinz in der
Hauptstadt seinen Vortrag über die Entstehung der Sprache halten sollte.

Der König des Landes und die Lehrer an der Universität waren durch
ausgesandte Schallwellen von dem bevorstehenden Besuch verständigt
worden.

Als Fahrzeug diente das gewöhnliche Beförderungsmittel der Edeniten,
eine Art großen Bootes mit verdeckten Schlafräumen und offenem Verdeck,
das, durch die sogenannte Parallelkraft getrieben, in geringer Höhe über
dem Erdboden durch die Luft flog.

Die Fluggeschwindigkeit, die sich bis auf 500 Stundenkilometer steigern
ließ, so daß der ganze Planet in 160 Stunden umkreist werden konnte,
wurde auf 100 Kilometer ermäßigt, damit die Reisenden alles bequem zu
schauen vermöchten.

Die ganze Familie Gabokol gab ihnen das Geleite, ebenso der
Provinzfürst, der es sich zur Pflicht und Ehre anrechnete, sie
persönlich dem König vorzustellen.

»Unser Land ist das größte und bedeutendste des Planeten,« erklärte der
Fürst während der Fahrt. »Die Könige der andern Länder haben sich
freiwillig unter die Oberhoheit unsres Königs gestellt, so daß dieser
der oberste Herr über die zweihundert Millionen Einwohner unserer
Weltkugel ist. Freilich gibt es da nicht viel zu regieren, da er den
andern Herrschern volle Freiheit läßt und nie Grund hat, einzuschreiten;
auch in den andern Ländern denkt nie ein Bürger daran, seine Pflichten
zu vernachlässigen; so kommt die höchste Gewalt eigentlich nur für die
einheitliche Leitung der gemeinsamen Arbeiten in Betracht, und da ist es
freilich notwendig, zielbewußt und nach dem gleichen Plane zu wirken,
damit die bewohnbare Zone unseres Planeten gleichmäßig verbreitert werde
und die wachsende Bevölkerung stets Platz finde, sich auszudehnen.

Abgesehen von den zahlreichen Dialekten, haben wir nur vier eigentliche
Sprachen, die auffallend von einander verschieden sind. Die Hauptstadt
unseres Landes liegt auf der nördlichen Halbkugel, jenseits des
Äquators, etwa 20 Flüge von hier entfernt, was nach euren Maßen 6000
Kilometer ausmachen dürfte.«

Die Edeniten rechneten nach »Flügen«, das heißt nach der Strecke, welche
sie gewöhnlich ohne Rast in einem Zuge zurücklegen konnten, und die 300
Kilometer nach Erdenmaß betrug.

Das Luftboot flog über Landschaften von wunderbarem Reize hinweg; Täler
und Ebenen, Flüsse und Ströme, Hügel, Felsen und Hochgebirge, große
Städte und idyllische Dörfer wurden überflogen, und als nach
vierzigstündigem Flug der rosa Mond unterging, landete die
Reisegesellschaft am Ufer eines brausenden, herrlichen Meeres.

Dieses wurde am folgenden Tage in 20stündiger Fahrt überflogen und am
jenseitigen Ufer ragte die Landeshauptstadt hart an der Küste empor,
eine Großstadt von anderthalb Millionen Einwohnern.

Der Rest des Tages, sowie die beiden folgenden Tage wurden der
Besichtigung der hochinteressanten Ansiedelung gewidmet.

Noch am Tage ihrer Ankunft wurden unsere Freunde dem Könige auf dessen
Wunsch vorgestellt.

Er empfing sie mit der gleichen Herzlichkeit und Einfachheit, wie es
jeder Bürger des Landes tat.

Besonders erfreut waren die Gelehrten der Hochschule, die Erdenbewohner
kennen zu lernen, und unsere Freunde hatten tausend Fragen zu
beantworten, wobei ihnen stets versichert wurde, welchen Dank man ihnen
schulde, da sie die Wissenschaft der Edeniten in ungeahntem Maße
bereicherten.

Als Heinz seinen Vortrag hielt, konnte der größte Raum der Hauptstadt
die Zuhörer nicht fassen, und er mußte seine Ausführungen noch dreimal
wiederholen, um nach und nach die Mehrzahl der Wißbegierigen zu
befriedigen.

Die Gelehrten versicherten, daß ihnen ein neues Licht für ihre
Sprachforschungen aufgegangen sei, und Schultze mußte bei sich denken,
daß hier oben neue Wahrheiten offenbar nicht unter dem Hohn und
leidenschaftlichen Widerspruch von Fachgelehrten zu leiden hatten, deren
Eitelkeit nicht zugeben will, daß ihre bisherigen Forschungsergebnisse
falsch waren.

Besonders interessant war unsern Freunden ein Besuch der Sternwarte. Die
Edeniten besaßen auch Fernrohre, die jedoch auf ganz anderen Prinzipien
beruhten als die irdischen und ihnen eine ungleich bessere Kenntnis der
Sternenwelt ermöglichten.

Freilich verdankten sie letzteres hauptsächlich der wunderbaren
Einrichtung ihrer Augen, konnten sie doch schon mit bloßem Auge Welten
erkennen, die unsern Fernrohren und selbst der photographischen Platte
ewig verborgen bleiben.

Die Astronomen waren höchlichst erstaunt, zu vernehmen, daß die
Erdenmenschen kaum 2000 Sterne mit unbewaffnetem Auge zu erkennen
vermochten und daß der Sternkatalog, den Hipparch vor 2100 Jahren
entwarf, nur 1080 Sterne enthielt, obgleich er alle einigermaßen hellen
Sterne verzeichnete.

Schultze berichtete ihnen weiter, daß Argelander mittels des Fernrohrs
etwa 360000 Sterne bestimmte und in seinem Katalog verzeichnete, eine
Arbeit, der er fast sein ganzes langes Leben widmete, und daß man
gegenwärtig an der Arbeit sei, auf photographischem Wege eine Mappierung
der Sterne vorzunehmen, die noch etwa hundert Erdenjahre in Anspruch
nehmen dürfte und die über 20 Millionen Sterne enthalten werde, von
denen drei Millionen ihrer Lage nach auf den Platten ausgemessen werden
sollen.

Die Gelehrten zeigten Schultze einen Sternkatalog mit genauen Karten,
der über 500 Millionen Sterne enthielt, unter diesen auch das irdische
Sonnensystem mit sämtlichen Planeten und ihren Monden.

Ihre langen Nächte und ihr langes Leben gestatteten ihnen eben auch
neben der Vorzüglichkeit ihrer Sehwerkzeuge, Aufgaben zu lösen, die den
Menschen unmöglich wären.

Während die irdischen Astronomen nur durch die Spektralanalyse mit
Sicherheit festzustellen vermögen, ob ein Nebelfleck, der auch durch das
stärkste Fernrohr als solcher erscheint, in Wirklichkeit ein Sternnebel
sei, oder aber ein Sternhaufe, eine große Zahl Sterne, die durch ihre
scheinbare Nähe infolge der großen Entfernung nicht mehr als einzelne
Sterne von einander unterschieden werden, konnten die Sternkundigen
Edens mittelst ihrer Fernrohre Nebel und Sternhaufen deutlich
unterscheiden.

Auch sie waren der Ansicht, daß die meist spiralförmigen Nebel die
Werkstätte des Schöpfers seien, in der durch Verdichtung des
weltenbildenden Stoffs neue Sterne, ja ganze Sonnensysteme gebildet
würden, die sich aus dem häufig erkennbaren Zentralkern und den vielfach
beobachteten anderweitigen Lichtknoten in der Nebelmasse herausbilden.

Schultze hielt auf Wunsch den Astronomen einen öffentlichen Vortrag über
den Stand und die Errungenschaften der irdischen Astronomie; dabei
führte er auch an, was David Gill in seiner berühmten Rede über die
Bewegung und Verteilung der Sterne im Raume sagt: »Wir haben die
Milchstraße als zwei majestätische Sternströme erkennen gelernt, die
nach entgegengesetzten Richtungen wandern; der eine dieser Ströme führt
das irdische Sonnensystem mit sich in unendliche Weiten, der andere
wandert der Erde entgegen. Die Milchstraße löst sich im Fernrohr in
Haufen unzähliger Sterne auf, die zum Teil in dichten Schwärmen
beieinander stehen und mit geballten Nebelflecken erfüllt sind, zum Teil
von dunkeln, gewundenen Kanälen unterbrochen erscheinen.«

»Eure Hauptsonne,« fuhr der Professor fort, »wandert im Sternenstrom mit
einer Schnelligkeit von 184 Kilometern in der Sekunde; unsere Erde mit
ihrem ganzen Sonnensystem bewegt sich auf das Sternbild des Herkules
oder der Lyra zu mit einer Geschwindigkeit von wahrscheinlich ebensoviel
als die Umdrehungsgeschwindigkeit unsrer Erdkugel um die Sonne beträgt,
nämlich 29450 Meter in der Sekunde oder etwa 30 Kilometer, den zehnten
Teil eines >Fluges< nach eurer Rechnung im Zeitraum >Zwei<, wie ihr
unsere Sekunden benennt.

Die Spektralanalyse, wie David Gill in seiner angeführten Rede sagt, hat
uns die Sterne enthüllt als gewaltige Schmelztiegel des Schöpfers, in
denen er den Stoff unter den Bedingungen des Drucks, der Hitze und
Umgebung gestaltet in einer Mannigfaltigkeit und einem Größenmaßstabe,
die alle Begriffe seiner Geschöpfe übersteigen.«

Drei Wochen dauerte der Aufenthalt in der Hauptstadt, dann wurde die
Rückreise auf einem andern Wege angetreten, wobei unsere Freunde auch
die ungeheuren Felsenwüsten Edens zu Gesicht bekamen, die keine Erde und
daher auch keinen Pflanzenwuchs hatten, und an deren Bedeckung mit Erde
emsig gearbeitet wurde.




                       49. Münchhausens Fabeln.


Immer inniger schlossen sich unsere Freunde an die Familie Gabokol an;
die Zuneigung war eine gegenseitige und erstreckte sich auf alle
Glieder; dennoch fühlten sich die einzelnen wieder zu einzelnen
besonders hingezogen.

So verkehrte Lord Flitmore am liebsten mit Gabokol. Die beiden bauten
gemeinsam photographische Apparate und Musikinstrumente, machten
Ausflüge, um die reizenden Landschaftsbilder und merkwürdigsten Tiere zu
photographieren und unterhielten sich über die Kunst Edens und der Erde.

Mietje war mit Bleodila ein Herz und eine Seele; sie steckten
beieinander in Küche, Haus und Garten und tauschten vornehmlich ihre
Hausfrauenerfahrungen aus.

Professor Schultze hatte in Glessiblora die andächtigste Zuhörerin, die
sich für die Fortschritte und Eigenart irdischer Wissenschaften am
lebhaftesten interessierte.

Heinz und Heliastra fühlten sich wiederum besonders zu einander
hingezogen, hatten ihre kleinen Geheimnisse miteinander und gingen oft
gemeinsam ihre eigenen Wege, sich für alles Reine, Hohe und Edle
begeisternd, das ihre Gespräche verklärte.

Kapitän Münchhausen aber hatte Fliorot zum gewöhnlichen Gesellschafter
erwählt, denn der Knabe lauschte mit Andacht und Begierde auf die
fabelhaften Berichte und Schilderungen, die der alte Seebär von seiner
irdischen Heimat mitzuteilen verstand.

Saß man beieinander, so ergaben sich die Gruppen von selber nach den
eben enthüllten besonderen Zuneigungen. John allein pendelte zwischen
zwei Extremen hin und her, einmal mit Glessiblora Bildung und Belehrung
beim Professor suchend, das andremal neben Fliorot sich an des Kapitäns
Abenteuern ergötzend.

Verstummte einmal die Unterhaltung der andern, so horchte man allgemein
auf den Kapitän, der unerschöpflich war und nie verstummte, abgesehen
natürlich von den Mahlzeiten, wo er im Gegenteil unergründlich, das
heißt unersättlich schien.

Diese Bemerkung hatte Professor Schultze gemacht, indem er sagte:
»Münchhausen, Sie sind beim Essen ein Danaidenfaß, welches bekanntlich
bodenlos war und nie voll wurde, so viel man hineinschöpfte; beim
Erzählen aber sind Sie die reine Charybdis, von der Schiller sagt: Und
will sich nimmer erschöpfen noch leeren.«

»Na, was sind denn Sie dann, Professor?« erwiderte Münchhausen. »Die
Scylla! Denn wer meinem immerhin unterhaltenden Redeschwall entrinnen
will, der wird kopfüber von Ihren langweiligen und ebenso endlosen
wissenschaftlichen Strudeln verschlungen.«

Hierauf fuhr der Kapitän in seinem Berichte fort, den er just dem
wißbegierigen Fliorot erstattete.

»Also, wie ich dir erzählte, ermöglichte ich unsere Reise zu euch
dadurch, daß ich unser Weltschiff vom Kometen Amina ins Schlepptau
nehmen ließ.

Die Kometen sind eigentlich besonders zu diesem Zweck erschaffen und
stellen sozusagen die Weltpostverbindungen zwischen den einzelnen
Sonnensystemen dar; ich war früher Kapitän zur See, als ich aber das
Umherreisen auf den beschränkten irdischen Meeren satt hatte, nahm ich
eine Stelle als Weltkapitän an und habe öfters Reisen mit Kometen
gemacht, so daß ich mich vorzüglich auf ihre Steuerung verstehe. Jeder
Komet hat nämlich ein Steuer, in welchem seine sogenannte
Gravitationskraft liegt. Man braucht diese nur zu verrücken, so nimmt
der Komet eine andere Fahrtrichtung.

Die Astronomen auf Erden haben sich oft gewundert, daß ein Komet
plötzlich eine ganz andere Richtung einschlug, als sie berechnet hatten.
Sie schrieben dies dann dem Einfluß des Jupiter zu. Dieser Jupiter war
in Wirklichkeit ich, da ich dem Kometen durch eine Wendung des Steuers
oder der Gravitationskraft eine neue Bahn anwies, um das Reiseziel zu
erreichen, dem ich zustrebte.

Die Fahrt mit einem solchen Kometen ist äußerst praktisch, wenn man in
die weit entfernten Sonnensysteme reisen will, denn diese Weltenbummler
entwickeln eine unerhörte Geschwindigkeit.

Zusammenstöße und Unfälle sind dabei freilich nicht zu vermeiden und es
ist auch mir vorgekommen, daß ein von mir kommandierter Komet bei
solcher Gelegenheit in mehrere Stücke zerschellt wurde; dann blieb mir
nichts übrig, als eben auf einem der Bruchteile weiterzureisen, denn ein
Untergehen wie im Meer ist dabei ausgeschlossen; Stürme und Wogen und
ersäufende Wassermassen gibt es ja im Raum nicht, so daß schließlich die
Gefahren nicht so groß sind wie bei der Meeresschiffahrt, außer man
würde in das Flammenmeer einer Sonne stürzen, was aber bei richtiger
Steuerung leicht zu vermeiden ist, wenn man nur eine gute Sternkarte
besitzt.

Als mir nun Lord Flitmore das Kommando über sein Weltschiff
Sannah anvertraute, beschloß ich sofort, es am Schweife eines
geeigneten Kometen festzubinden, da ich vermöge meiner Kenntnisse
der Weltraumverhältnisse einsah, daß wir bei der geringen
Fortbewegungsgeschwindigkeit unseres Fahrzeugs Jahrhunderte gebraucht
hätten, um euren Planeten zu erreichen, dem unser Besuch gelten sollte.

Es gelang mir denn auch, mit dem Kometen Amina zusammenzutreffen und ihn
zu entern. Mit einer langen Leine band ich die Sannah an seinem Schweife
fest und bestieg dann den Kometen selber, um ihn hierherzusteuern. Erst
als wir im Bereich eures Sonnensystems angelangt waren, kappte ich das
Tau und ließ den Kometen führerlos weiterziehen, während wir hier
landeten.«

Fliorot lachte; er kannte ja Natur und Bahnen der Kometen zu gut, um
nicht zu verstehen, daß Münchhausen scherzte; aber er hatte Gefallen an
diesen abenteuerlichen Späßen, wenn sie auch nicht immer besonders
geistreich waren.

»Du versprachst mir aber von den wunderbaren Tieren eurer Erde zu
erzählen,« mahnte er jetzt.

»Ja so! Nun denn, so höre. Eure Tiere hier oben sind ja ganz behende
Wesen, aber an die Tierwelt unsrer Erde reichen sie noch lange nicht
heran.

Schau, da haben wir Tiere mit langen Rüsseln wie eure Mammuts, sie haben
sechs Beine und können an glatten, senkrechten Wänden hinaufklettern
ohne je zu fallen, ja wenn sie an einer überhängenden Wand mit den
Beinen nach oben und dem Kopf nach unten stehen, fallen sie nicht
herunter. Sie haben auch durchsichtige Flügel wie eure Vögel und fliegen
in ganzen Schaaren in der Luft herum.

Auch flügellose Rüsseltiere besitzen wir, die noch ganz andere Sprünge
machen als eure hüpfenden Kolosse; denn diese springen höchstens dreimal
so hoch als sie selber sind, die unsrigen aber sechzig- bis hundertmal
so hoch.«

             [Illustration: Heinz und Heliastra am See.]

Fliorot riß die Augen weit auf. Hier, wo es sich um Geschöpfe handelte,
die ihm unbekannt waren, konnte er nicht beurteilen, ob der Kapitän im
Scherz oder im Ernst redete und glaubte deshalb von ihm erwarten zu
dürfen, daß er die lautere Wahrheit sage; denn Späße, die jedermann als
solche durchschaute, galten den Edeniten als harmlos und wurden oft zur
Erheiterung erfunden, aber jemandes Unkenntnis oder Leichtgläubigkeit
auszubeuten, um ihm einen Bären aufzubinden, wäre bei diesem
wahrheitsliebenden Volke unerhört gewesen.

Fliorot zweifelte daher diesesmal nicht an der Zuverlässigkeit von
Münchhausens Berichten und rief aus:

»Nein! Diese wunderbaren Geschöpfe möchte ich einmal sehen!«

»Schämen Sie sich, Kapitän,« sagte Schultze. »Wenn Sie uns Ihre
seltsamen Geschichten erzählen, so ist das ja ganz spaßhaft, da wir in
der Lage sind, Wahrheit und Schwindel zu unterscheiden. Daß Sie aber
diesen jungen Mann, dem die irdischen Dinge unbekannt sind, derart
anschwindeln, halte ich weder für schön noch zweckmäßig. Sie werden ihn
ebensogut in Erstaunen versetzen können, wenn Sie ihm unsere Tierwelt
naturgetreu schildern.«

»Oho!« rief Münchhausen. »Ich selber würde es für töricht und unschön
halten, meinem jungen Freund unnötigerweise falsche Anschauungen
beizubringen, wo es sich um Dinge handelt, die ihm fremd sind. Mit dem
Kometen war ja das anders, da wußte er selber Bescheid, aber wenn ich
ihm von der Erde erzähle, halte ich mich grundsätzlich streng an die
Wahrheit.«

»Fabelhafte Behauptung! Das also nennen Sie Wahrheit, wenn sie die
hüpfenden Mammuts dieses Planeten dadurch überbieten wollen, daß sie von
irdischen Rüsseltieren mit sechs Beinen und mit Flügeln erzählen,
Tieren, die mit dem Kopf nach unten an einer überhängenden Felswand
festzusitzen vermögen? Und von solchen, die sechzig- bis hundertmal so
hoch springen als ihre Körperhöhe beträgt?«

»Sie setzen mich wahrhaftig in Erstaunen, Professor,« erwiderte
Münchhausen mit geheuchelter Verwunderung. »Ich meine, Sie sind Doktor
der Naturwissenschaften und Professor der Zoologie? Ist es wirklich
möglich, daß Sie trotzdem so unwissend auf diesen Gebieten sind, daß
Ihnen nicht einmal die alltäglichsten Geschöpfe bekannt sind, die sonst
jedes Kind auf Erden kennt, während sie hier auf Eden ihresgleichen
nicht haben? Sollte man es glauben? Professor Schultze weiß nichts von
Schnaken und Flöhen!«

Jetzt hatte der Kapitän die Lacher auf seiner Seite und Schultze
bekannte kleinlaut: »Na, oller Witzbold, mit Ihnen ist schlecht
anbinden; diesmal haben Sie mich eklig hereingelegt.«




                            50. Abschied.


Es war eine schöne, ja eine selige Zeit, die unsere Freunde auf Eden
verbrachten.

Immer besser lernten sie die verklärten Menschen dort oben kennen, immer
höher sie schätzen, und im Umgang mit diesen durch und durch edlen Wesen
schien es ihnen, als streiften sie selber alle irdischen Mängel mehr und
mehr ab.

Auch rein körperlich hatten sie dieses Gefühl; denn so gesund, wohl und
frisch, so geistig angeregt und lebendig hatten sie sich in ihrem Leben
nie gefühlt, wie in den Wochen und Monaten, die sie hier zubrachten.

Noch mehrere Reisen unternahmen sie und wurden mit den schönsten
landschaftlichen Reizen, mit der Tier- und Pflanzenwelt vertraut.

Eines Tages aber erklärte Flitmore, es sei nun Zeit, an den Abschied zu
denken, und, da man keinen Kometen zur Heimreise benützen könne, müsse
man sich darauf gefaßt machen, daß diese mehrere Jahre dauern könne.

Gabokol, Bleodila, Fliorot und Glessiblora suchten vergeblich unsere
Freunde zu überreden, länger zu verweilen, oder, noch besser, ihren
Aufenthalt dauernd nach Eden zu verlegen.

»Wenn Gott will, ist dies nicht unser letzter Besuch hier,« sagte
Flitmore: »das nächstemal bringen wir euch dann allerlei irdische Dinge
mit, die euch zwar nicht bereichern aber doch interessieren können. Nun
aber ruft uns die Pflicht: unsere Entdeckungen, namentlich die
Möglichkeit eines Verkehrs mit fernen Welten, sind für unsere Brüder auf
Erden von größter Wichtigkeit: wir dürfen ihnen das nicht verloren gehen
lassen.«

Alle, besonders aber Heinz, wunderten sich, daß Heliastra allein keinen
Versuch machte, sie zum Dableiben zu bewegen; ja, den jungen Friedung
berührte dieser Umstand besonders schmerzlich: er hatte doch so gute
Freundschaft mit dem Mädchen geschlossen, so daß der Gedanke an die
Trennung ihm beinahe das Herz brechen wollte.

Als Gabokol nun sah, daß die Abreise seiner Gäste beschlossene Sache
sei, sagte er:

»Wie ihr erzähltet, hat ein Komet euch hierher geführt. Ich habe ja dein
Weltschiff genau angesehen und kennen gelernt, Freund Flitmore, aber es
hat einen bedenklichen Mangel: Durch die Fliehkraft wird es von den
Weltkörpern abgestoßen, ihr besitzt aber kein Mittel, die Fahrt zu
lenken und müßtet es daher dem Zufall überlassen, ob ihr in euer
Sonnensystem zurückkehren werdet oder euch noch weiter von ihm entfernt.

Ich will dein Fahrzeug mit der Parallelkraft ausrüsten; die Einrichtung
nimmt höchstens acht Tage in Anspruch. Die Parallelkraft hat für euch
ganz bedeutende Vorzüge: erstens könnt ihr im Raum die Geschwindigkeit
eurer Fahrt mit ihrer Hilfe wesentlich steigern, zweitens widerstrebt
sie weder der Fliehkraft noch der Anziehungskraft, sie kann also
ausgenützt werden sowohl so lange dein Strom eingeschaltet, als auch
wenn er abgestellt ist. Der dritte und wichtigste Vorteil aber ist, daß
du deiner Sannah eine beliebige Fahrtrichtung geben, also geradewegs auf
euer Sonnensystem zusteuern kannst. Gott kann euch ja selbstverständlich
auch ohne diese Naturkraft so schnell und sicher heimführen, wie er euch
hierherlenkte; aber er will, daß wir die Mittel benutzen, die seine Güte
uns gab und erkennen lehrte.«

»Du nimmst eine schwere Sorge von meinem Herzen,« erwiderte Flitmore;
»ich verhehlte mir nicht, welche vielleicht unüberwindlichen
Schwierigkeiten der Mangel an Lenkbarkeit meines Fahrzeuges uns auf der
Rückfahrt bereiten werde. Nun lernte ich ja bei euch die wunderbaren
Eigenschaften der Parallelkraft kennen und verstehe jetzt auch damit
umzugehen. Wenn du als erfahrener Mann die Einrichtung übernehmen
willst, so steigerst du noch die Dankbarkeit, die wir dir und euch allen
schulden.

Und dann habe ich noch eine Bitte: wie du weißt, enthält meine Sannah
sehr große Räume. Auf der Hinfahrt dienten sie vor allem der
Aufspeicherung großer Sauerstoffvorräte behufs Erneuerung der Luft.

Nun haben wir ja die Erfahrung gemacht, daß das Weltschiff sich im Raum
mit einer eigenen Lufthülle umgibt, die sich selbständig erneuert.
Dagegen müssen wir für reichliche Speisevorräte sorgen, da unter
Umständen die Rückfahrt mehrere Jahre in Anspruch nehmen kann ....«

»Seid ohne Sorge!« unterbrach ihn Bleodila: »Allen Frauen der Stadt wird
es eine Freude sein, eure Vorratsräume mit Mehl, Gemüse- und
Obstkonserven, sowie mit Milch, Butter, Käse und Eiern anzufüllen, daß
ihr zehn Jahre daran zu zehren habt; ihr wißt, daß wir Verfahren kennen,
durch welche selbst Eier und Milch sich jahrelang frisch erhalten.«

»Auch Honig und Holz sollt ihr haben, da unser Baumholz ja so
schmackhaft und nahrhaft ist, wie die Früchte und sich auch ohne
besondere Behandlung hält und sein köstlicher Saft euch einen
unerschöpflichen Trank bietet,« setzte Fliorot hinzu.

»Nun, dann sind wir wohl geborgen, wenn Gottes Gnade uns begleitet, wie
ich nicht zweifle,« sagte Mietje mit feurigem Dank.

Jetzt trat Heliastra vor: »Auch ich habe eine Bitte auf dem Herzen,«
sagte sie, während eine holde Röte ihr Antlitz durchleuchtete: »eine
Bitte an euch, liebe Freunde: nehmt mich mit auf eure Erde!«

Alle standen starr. Auch Gabokol und Bleodila, Fliorot und Glessiblora
waren völlig aus der Fassung.

Heinz aber durchflutete es wie ein unausdenkbares Glück; doch gleich
darauf dachte er, es sei ja zu schön, um wahr zu werden, und weder
dürften sie das liebliche Mädchen seinem glücklichen Planeten entführen,
noch würden seine Eltern es je von ihren Herzen reißen können.

Mietje war die erste, die es aussprach: »Kind, liebes Kind, wie dürften
wir es wagen, dich ins Ungewisse mitzunehmen und aus deinem Paradies in
das Elend unserer Erde zu entführen.«

Heliastra lächelte: »Wißt ihr nicht, daß Gott überall ist? Wo ist da das
Ungewisse? Und sehet, das ist meine Sehnsucht, der brennende Wunsch
meines Herzens, euer Schicksal zu teilen und euch zu helfen, das Leid
eurer Erde zu mildern.«

»Es ist ein edles Ziel, das meine Tochter sich setzt,« sagte Gabokol
nachdenklich: »Es muß Gott wohlgefällig sein.«

»Nein, nein!« rief Heinz schmerzlich: »Gott weiß, wie mir das Herz
blutet, wenn ich von dir scheiden soll; aber hier bist du glücklich und
glücklich sollst du bleiben und nie in die Welt der Leiden kommen. Gerne
will ich mich mein Leben lang in Sehnsucht nach Dir verzehren, wenn ich
dich nur glücklich weiß!«

»So sehr hast du mich lieb?« fragte Heliastra und ihre Himmelsaugen
leuchteten ihn an.

»Ja, über alles bist du mir wert: nie werde ich dich vergessen!«

»Und meinst du, ich werde noch glücklich sein, wenn du nicht mehr bei
mir bist? Mein Glück ist fortan auf eurer Erde, dort laßt es mich
finden. Oder ist es unmöglich, daß ich deine Gattin werden könnte?«

»Du! Meine Gattin? Du wolltest aus deinen Sternenhöhen herabsteigen,
mich armseligen Erdensohn unaussprechlich glücklich zu machen? Aber
nein! Es darf ja nicht sein!«

»Ich sehe wohl, wie es steht,« sagte nun Gabokol wieder, »und ich sehe,
was Gottes Wille ist. Ja, Gott fordert von uns ein Opfer, das er noch
von keinem auf unserem Planeten gefordert hat. Heliastra, du willst uns
den Schmerz fühlen lehren, der uns bisher unbekannt gewesen! Aber sollte
Gott nicht alles von uns fordern dürfen, dem wir alles verdanken? Die
sich lieben, sollen mit einander verbunden bleiben, das ist der höchste
Gotteswille. Und wenn es uns auch schmerzt, wie wollten wir solch
unerhörten Frevel begehen, wider Gottes Willen zu handeln?«

»Gabokol hat recht,« sagte Bleodila mit Tränen in den Augen. »Eure
Ankunft und euer Hiersein war uns Freude; euer Scheiden bringt uns
Schmerz, größeren als wir je geahnt! Wußten wir denn, was Schmerz ist,
denen auch das Scheiden im Tod nur ein Vorausgehen in die höhere
Seligkeit bedeutet? Nun, so sei uns Heliastra, so jung sie ist, als eine
in die Seligkeit Vorangegangene. Willst du sie haben zu deinem Weib,
junger Freund, so dürfen wir sie nicht zurückhalten.«

Heinz wußte nicht, wie ihm war, als er seine Arme ausbreitete und die
leichte Elfengestalt sich an ihn schmiegte.

»So willst du immer bei mir bleiben?« flüsterte er, sie zaghaft küssend.

»Immer bei dir!« sagte sie mit heller Glockenstimme und strahlte ihn
warm an.

Während der nächsten Tage richtete Gabokol die Sannah, die Flitmore
herabgelenkt hatte, für die Parallelkraft ein, flickte auch das Loch,
das ihr der Meteorit beigebracht hatte. Die Bewohner der Stadt zogen
inzwischen unaufhörlich in Scharen herbei, um die Innenräume mit
unerschöpflichen Vorräten zu füllen, namentlich auch mit allerlei
Sämereien für die Erde, obgleich Schultze stark bezweifelte, daß dort
die Wunderpflanzen Edens gedeihen könnten.

Dann wurde die feierliche Hochzeit von Heinz Friedung mit Heliastra
gefeiert und der greise Priester der Stadt gab das Paar im Namen des
allmächtigen Gottes zusammen und segnete es ein.

Die ganze Stadt nahm Teil an dieser außerordentlichen Feier und zwar
nicht nur äußerlich, sondern mit liebenden und fürbittenden Herzen. Alle
bewunderten Heliastras Entschluß und wünschten ihr Gottes reichsten
Segen dazu.

Dann wurde ein Freudenfest gefeiert, wie es bei solchen Anlässen üblich
war. Zum Schlusse, als der Rosenmond dem blauen Monde Platz machte, nahm
die rosige Gattin Abschied von ihren Freundinnen und Bekannten.

Am andern Morgen verabschiedete sie sich auch von den Ihrigen, deren
Gottvertrauen und Fügsamkeit in den göttlichen Willen ihnen half, den
Trennungsschmerz getrost zu überwinden.

Auch unsere Freunde nahmen herzlichen, dankbaren und gerührten Abschied.

Heliastra aber war voll strahlender Freudigkeit, als sie mit ihrem
Gatten das Fahrzeug betrat, das sie führen sollte in die Welt ihrer
Sehnsucht, die Welt, wo es Schmerzen zu lindern und Tränen zu trocknen
gibt.

»Gott sei mit euch und lasse euch wiederkehren!« riefen die
Zurückbleibenden den Scheidenden nach, als die Sannah, von der
Fliehkraft getrieben, emporschoß, und Heinz und Heliastra aus der
offenen Lucke ein letztesmal herniederwinkten.




                   51. Der Planet des Fremdartigen.


Es war Abend, als die Sannah emporstieg.

Zum letztenmal grüßte das rosige Licht des schönsten der Monde unsere
Freunde und die engelschöne Frau, die von Kind auf in seinem
Rosenschimmer fröhlich gewesen war.

Rasch, mit wachsender Geschwindigkeit entfernte sich das Weltschiff,
getrieben durch die doppelte Kraft der Abstoßung und des
Vorwärtstriebes.

Bald entschwand das Sonnensystem Alpha Centauri den Blicken der
Reisenden, das heißt, seine Planeten begannen nur noch als Sterne am
Nachthimmel zu flimmern.

Nur Heliastra mit ihren Sonnenaugen vermochte noch alles groß und
deutlich zu sehen und sogar den blauen Mond zu erkennen, der nun dort
unten, oder dort oben, wie es hier jetzt schien, aufgegangen war.

Sie allein war es aber auch, die vom entgegengesetzten Zimmer aus genau
angeben konnte, welcher winzige Stern die irdische Sonne sei, so daß
Flitmore gleich von Anfang an der Sannah die rechte Fahrtrichtung geben
konnte.

Dann begaben sich alle zur Ruhe bis auf John, der die erste Wache hatte.

Münchhausen übernahm nach drei Stunden die mittlere Wache und
schließlich der Professor die dritte und letzte.

Gegen Morgen sah er, wie die Sannah sich einem mächtigen dunklen
Weltkörper näherte, wenn von einer Annäherung bei einer Entfernung von
immerhin einigen Millionen Kilometern die Rede sein konnte.

Auch »Morgen« und »Tag« waren bloße Zeitbegriffe geworden, seit die
Doppelsonne Alpha Centauri wieder zu zwei Fixsternen geworden war, die
nach und nach für das Auge zu einem einzigen verschmolzen. Da nicht, wie
auf dem Hinweg, wenigstens ein schwachschimmernder Komet einiges Licht
von außen gab, mußte das Weltschiff seine ganze, vielleicht Jahre
dauernde Reise nach dem irdischen Sonnensystem in beständiger Nacht
ausführen: Tageshelle oder gar Sonnenschein war ausgeschlossen.

Das war keine angenehme Aussicht!

Es war Zeit, die andern zu wecken, soweit diese überhaupt sich das
Wecken ausgebeten hatten und nicht von selber zur bestimmten Zeit
aufwachten.

Der Professor drückte auf die verschiedenen Kontaktknöpfe, die in den
entsprechenden Schlafräumen die elektrische Klingel ertönen ließen.

Flitmore erschien zuerst.

»Lord,« sagte Schultze: »es befindet sich hier in unserer Bahn ein
dunkler Weltkörper, also ein Gestirn, das der Erde näher steht als Alpha
Centauri. Wollen wir ihm nicht nahen, um zu schauen, wie es dort
aussieht?«

»Lang aufhalten unterwegs wollen wir uns nicht,« sagte Flitmore lachend:
»Unsere Heimfahrt dürfte so wie so lang genug werden! Andererseits kommt
es bei einer Fahrt, die voraussichtlich Jahre dauert, auf ein paar Tage
mehr oder weniger nicht an.«

Heinz war inzwischen mit Heliastra erschienen und fügte hinzu:

»Da überdies unsere Reise, so viel wir wissen, durch eine trostlose Öde
geht, auf der wir bis zum irdischen Planetensystem nicht darauf rechnen
dürfen, irgend etwas anzutreffen, so sollten wir uns diese
voraussichtlich letzte Gelegenheit, etwas Neues zu schauen, nicht
entgehen lassen.«

»Das ist wahr!« sagte der Lord: »Also stellen Sie die Fliehkraft ab,
Herr Professor.«

Auch die anderen waren nun eingetreten, und das Frühstück wurde
eingenommen, während die Sannah, von dem dunkeln Weltkörper angezogen,
auf ihn zustürzte.

Als sie der Oberfläche des geheimnisvollen Gestirns nahe gekommen war,
ließ Flitmore einen ganz schwachen Zentrifugalstrom durch ihre
Metallhülle kreisen, welcher der Anziehungskraft der Kugel genau die
Wage hielt, so daß die Sannah in der Schwebe gehalten wurde und sich
stets im gleichen Abstand oder in der gleichen Höhe halten mußte.

Hierauf wurde die Parallelkraft, ebenfalls in bescheidenem Maße, in
Tätigkeit gesetzt, und das Weltschiff fuhr mit der geringen
Geschwindigkeit von 50 Kilometern in der Stunde über der Oberfläche des
neuen Planeten dahin.

Alle begaben sich in das Antipodenzimmer, um von dort aus die Landschaft
zu ihren Füßen beobachten zu können.

Sie sah finster und düster aus: keine Sonne, kein Mond leuchtete diesem
Weltkörper; nur ein blutiger, nordlichtartiger Schimmer drang aus seiner
Atmosphäre herab, offenbar ausgehend von selbstleuchtenden Stoffen oder
Bakterien, die sich in der Luft befanden.

Bei dieser Beleuchtung war wenig zu erkennen; aber was zu sehen war,
machte einen widerlichen, unheimlichen Eindruck.

Das Land schien ziemlich eben zu sein und durchweg einen morastigen
Charakter zu tragen.

An einzelnen Stellen stiegen leuchtende Dämpfe oder Nebel aus dem Sumpfe
auf, die einen leichenfahlen, schwefelgelben Schimmer verbreiteten;
dazwischen schossen bläuliche und grünliche Stichflammen empor, durch
welche die nächste Umgebung ebenfalls mit einem matten Schein erhellt
wurde, der etwas Grausiges an sich hatte, als seien es höllische
Fackeln, die eine Welt des Entsetzens beleuchteten.

Ja, eine Welt des Entsetzens! Was waren das für Bäume und Pflanzen! Alle
schienen lebendig und zugleich abscheuerregend: Gräser, die sich wie
ekles Gewürm am Boden hinwanden, krümmten und schlängelten in
krampfhaften Zuckungen, als strebten sie vergebens, sich von der
moderigen Erde zu lösen, in der sie wurzelten! Vielverzweigte Bäume,
deren kahle, blattlose Äste sich ringelten wie Riesenschlangen oder
Polypenarme, in beständiger Bewegung, sich lang ausstreckend, sich
zurückziehend, Wellen, Bogen, Ringe und Schleifen bildend, sich
verwirrend und verschlingend, als befänden sich die lebendigen Zweige
jedes Baumes in mörderischem Kampfe miteinander.

Und unten im Sumpf wimmelte es von scheußlichem Getier: weißliche Maden,
größer als Elefanten, sperrten zahnbewehrte Kiefer auf; Riesenspinnen,
deren plumper, kugeliger Leib oben und unten und an den Seiten mit
langen, dünnen, haarigen Beinen besetzt war, so daß sie sich beständig
um sich selbst drehen konnten und stets mit einer Anzahl Füße krochen,
die andern zappelnd empor oder rings von sich streckend; grünliche
Kröten, groß wie Büffel, die ihre häßlichen Augen auf dünnen,
wurmartigen Stielen weit hinausstreckten; dünnbeinige Stechmücken von
Giraffenhöhe, die mit ihren langen, durchsichtigen Rüsselröhren den
andern Tieren das Leben aussaugten oder von diesen geschnappt und
zerquetscht wurden.

Alles kroch durcheinander, alles kämpfte miteinander: nicht nur Tier mit
Tier, sondern auch Pflanzen und Tiere befanden sich in unaufhörlichem
mörderischem Kampfgemenge.

Da biß ein Riesenwurm mit Krokodilsrachen einem Baume die Äste ab und
diese Äste schnellten und zuckten und wanden sich in Krämpfen am Boden,
während aus dem sich wie im gräßlichsten Schmerz verkrümmenden Stumpfe
ein dicker, grünlichschwarzer Saft hervorquoll.

Dort war eines der Riesentiere von den zahllosen Armen eines Baumes
erfaßt worden und suchte vergebens, in verzweifeltem Ringen, sich aus
der tödlichen Umarmung zu befreien: es wurde erdrückt, erstickt und zu
einer unförmlichen Masse zerquetscht.

Und dann schossen wieder dünne Würmer wie Pfeile aus dem Morast, fuhren
durch die Luft und bohrten sich in den Leib eines nicht minder
widerlichen Tieres, um schließlich ganz in seiner Masse zu verschwinden
und in seinem Innern ihr gräßliches, mörderisches Zerstörungswerk zu
beginnen.

Schauerlich war es anzusehen, wenn so ein Riesentier, das selber
grauenhaft aussah, in rasendem Schmerz emporsprang, wie wahnsinnig
umherkreiselte und zuletzt im Todeskampf zusammenbrach, während
plötzlich sein unförmlich angeschwellter Leib sich überall öffnete und
ein Gewimmel schlangenartiger Würmer enthüllte, die es bei lebendigem
Leibe von innen heraus verzehrten.

Und dann schlängelten sich wieder fahle Flammen durch die drängenden
Massen, versengten und verzehrten die Leiber, die vergebens suchten,
sich zu flüchten: auch diese höllischen Feuerschlangen schienen lebendig
zu sein und ihre Opfer mit Mordgier zu verfolgen.

Heliastra war totenbleich und voller Entsetzen: »Sieht es so auf der
Erde aus?« fragte sie beklommen.

»Nein,« tröstete sie Heinz: »Solch ein gräßliches Schauspiel erfüllt
auch uns Menschen mit Entsetzen.«

»Ja!« bestätigte der Professor: »Selbst wissenschaftliche Forschung
erlahmt dahier und wendet sich ab von diesen Greueln. Das ist ein Reich
der Finsternis im vollsten Sinne des Wortes und ich schlage vor, ihm den
Namen »Scheol« zu geben, wie die Hebräer ihr Höllenreich nannten.«

»Es ist genug,« sagte Flitmore: »Lieber durch die ewige Nacht des öden
Raums, als solch ein Schauspiel länger mit ansehen!« Und er schaltete
die volle Fliehkraft ein.




                      52. Eine Weltkatastrophe.


»Wenn ich mir erlauben darf, auch eine Beobachtung meinerseits gemacht
zu haben,« begann John, als die Sannah sich vom Planeten des Grauens
entfernte, »so sehe ich dort einen andern schwarzen Erdball daherkommen,
sozusagen herabstürzen.«

»Das könnte uns gefährlich werden,« rief Schultze, in der von John
bezeichneten Richtung hinaussehend: »Es scheint in der Tat ein
Zusammenstoß zweier gewaltiger Körper bevorzustehen. Ich schätze Scheol
auf die zehnfache Größe der Erde, und der mit rasender Geschwindigkeit
auf ihn herabstürzende Weltkörper scheint nahezu ebensogroß.«

Der Lord sprach kein Wort, schaltete aber die Parallelkraft in vollster
Stärke ein und die Sannah entfernte sich mit Lichtgeschwindigkeit von
der bedrohlichen Stelle.

Auf einmal wurde es hell; ein Licht, wie von zehn Sonnen auf einmal,
erfüllte den Raum mit blendendem Glanze: Die beiden Weltkugeln waren auf
einandergeprallt und in weniger als einer Sekunde hatten sie sich zu
einer weißglühenden Masse vereinigt, von der flammende Stücke nach allen
Richtungen hinausgeschleudert wurden und Stichflammen von Millionen
Kilometer Höhe emporschlugen.

Alles Leben mit seinem grausigen Kampf mußte auf dem Scheol in einem
Augenblick vernichtet worden sein; aber den Insassen der Sannah drohte
das gleiche Schicksal: das Weltschiff war in glühende Gase gehüllt, eine
Stichflamme hatte es erreicht; gleichzeitig aber wurde es, wie von dem
Druck einer ungeheuerlichen Explosion emporgeschleudert mit einer
Geschwindigkeit, die alles übertraf, was sie bisher geleistet.

Durch und durch wurde das Fahrzeug erschüttert und eine Zeitlang lagen
alle, plötzlich zu Boden geschleudert, durcheinander. Nur Heliastra
schwebte in ihrer Leichtigkeit über dem Boden und half nun den
Gestürzten auf die Beine.

Jetzt erst ließ sich ein fürchterliches Krachen, Rollen und Donnern
vernehmen. Noch einmal erbebte die Sannah in allen Fugen, vom
erschütterten Weltstoff geschüttelt. Eine furchtbare Hitze entwickelte
sich in dem Antipodenzimmer und alle flüchteten auf Tod und Leben in die
innersten Räume des Fahrzeugs.

Hier war es noch auszuhalten, und die unausdenkbare Wucht, mit der das
Weltschiff von den zusammengeprallten Planeten fortgeschleudert wurde,
brachte es in kürzester Zeit aus dem Bereiche der Stichflamme, so daß es
sich allmählich wieder abkühlte, ohne ernstlichen Schaden genommen zu
haben.

»Wir haben eine Weltkatastrophe erlebt,« sagte nun Flitmore, »wie sie
gar nichts so Seltenes ist.«

»Allerdings,« bestätigte der Professor: »Seit uns der Fixsternhimmel
näher bekannt ist und man gelernt hat, auf derartige Erscheinungen zu
achten, hat man das Aufleuchten neuer Sterne öfters beobachten können.

Charakteristisch für diese Erscheinungen ist die Nova Persei, das heißt
der neue Stern, der im Jahre 1901 im Sternbild des Perseus aufleuchtete.
Er erschien zunächst als Stern 12. Größe, wurde innerhalb dreier Tage zu
einem Stern erster Größe, dem hellsten am ganzen Firmament außer Sirius:
sein Licht hatte um das 250000fache zugenommen, nahm aber dann ab, bis
es wieder so schwach war, daß der Stern als zwölfter bis dreizehnter
Größe erschien. Er muß mindestens 100 Lichtjahre von der Erde entfernt
gewesen sein und umgab sich nach dem Ausbruch mit einer Nebelhülle, die
wenigstens das 1400fache des Erdbahndurchmessers umfaßte und
Verdichtungsstreifen und Lichtknoten aufwies, die sich, gering
geschätzt, mit mehr als 3000 Sekundenkilometern Geschwindigkeit
fortbewegten.«

»Diese neuen Sterne entstehen also durch das Aufleuchten zweier dunkler
Weltkörper, wenn sie sich durch einen Zusammenstoß erhitzen?« fragte
Heinz.

»Eigentlich glaubt man das weniger,« entgegnete Schultze, »da dann das
rasche Erkalten und Erblassen innerhalb weniger Wochen oder Monate
unerklärlich wäre.«

»Wie erklärt man dann diese Vorfälle?« mischte sich nun Mietje in die
Erörterung.

»Sehr verschieden!« sagte Schultze. »Die einen meinen, es handle sich um
erloschene Sonnen, die für uns unsichtbar wurden, nachdem sie sich mit
einer Erstarrungskruste umgaben, plötzlich aber wieder aufleuchten, wenn
die innere Glut die Kruste vorübergehend durchbricht. Auch das
Einstürzen eines großen Meteors könnte das plötzliche Aufleuchten
verursachen.

Wilsing nimmt an, daß die sehr große Annäherung zweier ungefähr
gleichgroßer Sterne eine Flutwelle in der Atmosphäre und dem
feurigflüssigen Innern des einen hervorrufe. Dadurch würde ein Teil
seiner Oberfläche fast von seiner ganzen Lufthülle entblößt, und die
innern Glutmassen würden die dünne Erstarrungsdecke durchbrechen.

Seeliger im Gegenteil glaubt, daß ein erkalteter Weltkörper, in eine
Wolke kosmischen Staubes eindringend, durch die Reibung an seiner
Oberfläche in Glut gerade. Diese Vermutung stimmt allerdings nicht zu
unsern Erfahrungen, nach welchen jedes Gestirn seine Lufthülle besitzt,
die es vor solcher Reibung schützt.

Übrigens haben wir ja nun beobachten können, wie ein oder vielmehr zwei
Weltkörper durch Zusammenstoß aufleuchten können; auf der Erde wird man
am 12. Mai 1913 die Erscheinung des neuen Sterns gewahren, und dann
wollen wir ja sehen, welche Erklärungen die irdischen Astronomen diesem
Phänomen zu geben belieben.«

»Gestatten mir gütigst der Herr Professor eine Fragestellung in aller
Rücksicht der Bescheidenheit,« bat John.

»Nur zu, mein Sohn! Was quält dich für ein Schmerz?«

»Der Herr Professor haben sich doch zu äußern beliebt, wie ich schon
mehrfach hören konnte, daß sich neue fixe Sterne in den komischen Nebeln
bilden?«

»Ganz richtig, guter Freund! Aber nicht in den komischen, sondern in den
kosmischen Nebeln. Siehst du, man nennt auf griechisch die Welt
>Kosmos<, und da ein gebildeter Deutscher Griechisch, Lateinisch und
Französisch redet, nur kein Deutsch, so spricht er von kosmischen
Nebeln, wo er ebensogut Weltnebel sagen könnte. Wie du also ganz richtig
bemerkt hast, aus diesen Weltnebeln bilden sich Fixsterne.«

»Und die leuchten dann aber doch lange Zeit?«

»Gewiß! Tausende, Hunderttausende, vielleicht Millionen von Jahren.«

»Nun denn, Sie sagen, alle neuen Sterne verlieren sozusagen sehr schnell
ihr starkes Licht; aber es sollten doch auch neue Sterne aus den Nebeln
entstehen, die man vorher nicht gesehen hat, und die dann immer leuchten
als Fixsterne?«

»Ja, weißt du, diese Bildung neuer Sterne aus Nebeln braucht jedenfalls
Hunderttausende von Jahren.«

Hier fiel Flitmore ein: »Und doch hat John recht; warum soll gerade in
unserer Zeit keine derartige Sternbildung zur Vollendung kommen? Niemals
noch ist ein uns bekannter Fixstern erloschen, niemals noch ein neuer
erschienen. Herrscht wirklich das beständige Werden und Vergehen im
Weltall, wie man es annimmt, so ist diese Tatsache unerklärlich.
Jedenfalls glaube ich, die Zeit der großen Sonnenschöpfungen ist
vorüber.«

»Das ist eine sehr anfechtbare Ansicht,« widersprach der Professor, »es
vollzieht sich eben nur alles so langsam, daß für uns nichts davon zu
merken ist.«




                         53. Durch die Sonne.


Die furchtbare Explosion, welche der Zusammenstoß der beiden dunklen
Weltkörper zur Folge hatte, schleuderte die Sannah, wie wir hörten, mit
unheimlicher Gewalt in den Weltraum.

Dies erwies sich als ein ungeahntes Glück; denn das Weltschiff behielt
diese Geschwindigkeit tagelang bei mit nur langsamer Abnahme, und so
legte es in wenigen Tagen einen Weg zurück, zu dem es sonst ebensoviel
Jahre gebraucht hätte.

Man konnte dies an der rasenden Geschwindigkeit beobachten, mit der man
sich dem irdischen Sonnensystem näherte.

Noch keine vier Wochen waren verflossen, seit unsre Freunde Eden
verlassen hatten, als sie bereits die Neptunbahn kreuzten.

Nun aber zeigte sich eine neue Gefahr.

»Wir stürzen geradewegs auf die Sonne zu,« sagte Flitmore.

»Und die Fliehkraft?« fragte Schultze.

»Ich fürchte sehr, daß sie uns nichts hilft,« erwiderte der Lord. »Die
Gewalt, mit der die Sannah in ihrer Bahn dahingeschleudert wird, ist
stärker als die stärkste Zentrifugalkraft, die wir entwickeln können.«

»Nun, dann wird sie auch stärker sein als die Anziehungskraft der
Sonne,« meinte der Professor.

»Das gebe Gott!« sagte Flitmore, »denn sonst sind wir verloren.«

Die Sonne kam näher und näher; schon war die Uranus- und Saturnbahn
durchschnitten, ohne daß man diese Planeten zu Gesichte bekam, da sie
sich an entfernten Stellen ihrer Bahn befanden. Jupiter sah man nur von
ferne, von den Planetoiden, Mars und der Erde, war nichts zu sehen, als
man ihre Bahnen kreuzte; dagegen kam die Sannah der Venus sehr nahe, dem
hellen Morgen- und Abendstern, der, wenn er sich von der Sonne entfernt,
der Erde heller leuchtet als alle andern Gestirne und selbst bei Tage
gesehen werden kann, wenn man seine Lage am Himmel genau kennt; der
einzige Stern, der bemerkbare Schatten wirft, wenn der Mond nicht stört.

Schultze konnte seine bisher unbekannte Umdrehungszeit feststellen.
Bekanntlich herrscht hierüber eine solche Unklarheit unter den irdischen
Astronomen, daß man sie teils zu 24 Stunden, teils zu ebensoviel Tagen,
ja bis zu 225 Erdentagen annahm.

Der Professor fand nun eine Rotationszeit der Venus von etwa 700 Stunden
oder 30 Erdentagen.

Ihr Jahresumlauf beträgt 224 Erdentage.

Es erwies sich, daß ihre eine Hälfte ewigen Tag, die andere ewige Nacht
hat, und die Nachtseite zeigte eine matte Erleuchtung. Ihre Atmosphäre
war sehr dicht und vielfach stark bewölkt; ihre Oberfläche bildete eine
vollkommene Wüste, eine trostlose Einöde von gleichmäßigem weißen Glanz.

»An Größe und Masse,« sagte der Professor, »ist dieser Planet unsrer
Erde sehr ähnlich, empfängt aber doppelt so viel Sonnenlicht als diese.
Ihre Bahn ist nahezu kreisförmig; sie hat das stärkste Albedo, das
heißt, von allen Planeten strahlt sie das meiste von all dem Licht
zurück, das sie empfängt; vielleicht hat sie noch etwas eigenes Licht.
Der Erde zeigt sie Phasen wie der Mond.«

»Schmerzlich ist es, daß wir von hier aus die Erde nicht erreichen
können,« seufzte Heinz. »Wir sind ihr doch so nah: 40 Millionen
Kilometer! Was will das heißen?«

»Ja, ja!« sagte Schultze: »Da hilft uns alles Bedauern nichts, wir
werden fortgerissen ohne Erbarmen!«

Die Sannah kreuzte die Merkurbahn.

Die Sonne erschien wie ein ungeheurer Feuerball.

Flitmore schützte die Fenster der Sannah durch geschwärzte Scheiben, so
daß man mit dem bloßen Auge in die Gluten schauen konnte. So gelang es,
die Sonnenflecken als ungeheure Schlackeninseln zu erkennen, die in
einem Meer von Glut schwammen, das sie zeitenweise wieder auflöst.

Hoch empor stiegen die glühenden Massen der sogenannten Sonnenfackeln
und die flammenartigen Protuberanzen oder Sonnenflammen, die aus
brennenden Gasen, meist glühendem Wasserstoff bestehen. Teilweise
zeigten sie auch die Form von Feuersäulen und Glutwolken.

Ein wogendes Meer von Gluten und Flammen, wie von Orkanen gepeitscht, so
stellte sich die Sonne dar. Ungeheure Explosionen und Eruptionen oder
Ausbrüche ereigneten sich von Zeit zu Zeit; dann wurden Feuergarben und
Flammenstrahlen in wenigen Minuten bis zu einer Höhe von 75000
Kilometern emporgeschleudert mit einer Geschwindigkeit von 173
Kilometern in der Sekunde.

Und auf dieses wildtobende Feuermeer stürzte die Sannah unaufhaltsam zu
mit rasender Geschwindigkeit!

Aber auch in diesen Augenblicken des Schreckens, da aller Gemüter von
der Sorge eines drohenden Untergangs erfüllt waren, abgesehen von
Heliastra, die mit kindlicher Neugier das schauerlich schöne Schauspiel
bewunderte; auch in diesen bangen Augenblicken zeigte Schultze den
kühlen Gelehrten, denn, wahrhaftig! er hielt einen wissenschaftlichen
Vortrag über die Sonne.

»Dieses Gestirn,« sagte er, »das unsrer Erde Licht, Leben und Wärme
spendet, ist 300000mal heller als der Vollmond; doch kommt der Erde nur
der 2735millionenste Teil ihres Lichts und ihrer Wärme zugute. Ihr
Äquatorialdurchmesser beträgt 1390300 Kilometer gegen 12755 Kilometer
des irdischen Durchmessers. In der Sonne hätten 1300000 Erdkugeln Platz,
dennoch wiegt sie nur so viel wie 324400 Erden, denn sie ist nicht viel
dichter als Wasser.

In der Sonne kommen fast die gleichen Stoffe vor wie auf der Erde, das
hat uns das Spektroskop geoffenbart.

Die äußerste Umgebung des Sonnenballs oder vielmehr seiner Atmosphäre
bildet die Korona, sie besteht, wie wir deutlich sehen können, aus
breiten Strahlenbüscheln, die sich zum Teil mehr als einen
Sonnendurchmesser weit in den Raum erstrecken und oft eigentümlich
gekrümmt erscheinen.

Diese Korona kann man von der Erde aus am besten bei Sonnenfinsternissen
beobachten, sie bildet dann einen schmalen Lichtring von blendender
Helligkeit rings um die verfinsternde Mondscheibe; diesen Ring umgibt
ein zwölfmal so breites Band von perlmutterartigem Glanz, aus dem weit
hinaus in den Weltraum jene Strahlen schießen, die übrigens auf den
Photographien gar nicht oder kaum erscheinen; dieses Band wird von einer
noch breiteren Lichtzone umschlossen, die sich mit schnell abnehmender
Helligkeit ohne sichtbare Begrenzung im Himmelsraum verliert.

Unter der Korona sehen wir die sogenannte Chromosphäre, einen
rosafarbenen Ring, der aus den leichtesten uns bekannten Gasen, dem
Wasserstoff und dem Helium gebildet wird.

Die innerste atmosphärische Hülle der Sonne endlich ist die Photosphäre,
die aus glühenden Metalldämpfen besteht und die eigentliche
Lichtspenderin ist. Diese sehen wir überzogen mit einem Netzwerk, das
aus einer Unzahl feiner Poren und Linien besteht, die sich fortwährend
verändern. Sie scheinen eine Art Schäfchen- oder Cirruswölkchen, deren
kleinstes freilich die Größe eines irdischen Weltteils besitzt; man
nennt diese Erscheinung >die Granulation< der Sonnenoberfläche.«

»Hören Sie, Professor!« sagte Münchhausen unwirsch: »Was soll uns jetzt
diese hochinteressante Belehrung. Ich meine, es wird hier innen schon
abscheulich heiß und wir werden in kurzem zu Staub verbrennen. Wissen
Sie ein Mittel dagegen, das wäre besser als Ihre gesamte sonstige
Weisheit.«

»Die Hitze der Sonne ist nicht so groß als man sich gewöhnlich
einbildet,« erwiderte Schultze kühl. »Sie dürfte etwa 7000 Centigrad
betragen, also das Doppelte der Hitze der Kohlenspitzen einer
elektrischen Bogenlampe.«

»Heiß genug, um uns in Asche zu verwandeln!« brummte der Kapitän.

Der Professor zuckte die Achseln. »Alles, was ich Ihnen zum Troste sagen
kann, ist, daß der große Komet von 1843 die glühende Korona der Sonne
durchraste, 5 Millionen Kilometer in drei Stunden, also 570 Kilometer in
der Sekunde zurücklegend. Er kam dabei der Sonne bis auf den zehnten
Teil ihres Durchmessers nahe.«

»Und stürzte nicht hinein?« fragte Heinz.

»Nein! Davor bewahrte ihn die Gewalt seines Schwungs. Ähnlich ging es
mit den Kometen von 1882 und 1883. Sie entwickelten dabei alle eine
enorme Helligkeit, ja man sah sie bei Tage dicht neben der Sonne, und
der Komet von 1882 verschwand, als er vor die Sonne trat; er war also
genau so hell wie sie. Dabei entwickelten jene Kometen Eisendämpfe, ein
Beweis, daß auch ein Teil ihrer festen Bestandteile sich unter der
Einwirkung der Hitze der Korona in glühende Gase auflöste. Endlich
zersprang der Komet von 1882 beim Passieren der Korona in mehrere
Stücke.«

»Ein schöner Trost, den Sie uns da geben!« knurrte der Kapitän.

»Sind der Herr Professor der unmaßgeblichen Ansicht, daß wir in diesen
furchtbar anzusehenden Flammenofen trotz der geschwärzten Scheiben
mitten hinein plumpsen dürften?« fragte Rieger ängstlich.

»Nein!« erwiderte Schultze bestimmt. »Das glaube ich keinesfalls; denn
unsre Geschwindigkeit übertrifft die des Kometen von 1843 um weit mehr
als das Hundertfache.«

»Aber daß die Sannah in Weißglut gerät oder sich in glühende Dämpfe
auflöst, zum mindesten samt uns allen in Stücke zerspringt, das glauben
Sie?« polterte Münchhausen.

»Da unser Weltschiff keine feste, dichte Masse bildet,« entgegnete der
Professor, »scheint es am wahrscheinlichsten, daß es sich in ein
Dampfwölkchen auflöst. Offen gestanden, ich halte unsre letzte Stunde
für gekommen; doch dürfen Sie mir glauben, wir werden nichts davon
spüren, in weniger als einer Sekunde wird alles vorüber sein.«

Flitmore drückte auf einen Knopf und augenblicklich schlossen sich
sämtliche Augendeckel der Sannah, das heißt die dicken Schutzplatten
legten sich von außen dicht über die Fenster. Gleichzeitig ließ der Lord
die elektrische Beleuchtung aufstrahlen und sagte: »Begeben wir uns in
den allerinnersten Raum, in den Mittelpunkt der Sannah, in zehn Minuten
haben wir die Glutatmosphäre der Sonne erreicht und jagen durch Feuer
und Flammen. Dann gnade uns Gott!«

In Eile stürzten alle in den innersten Vorratsraum, den eine einzige
elektrische Glühbirne erhellte. Alle Lucken wurden geschlossen, nachdem
sie passiert waren.

Hier sprach der Lord ein kurzes, markiges Gebet, eine Bitte um Rettung,
zugleich aber auch den Ausdruck der Ergebung in den göttlichen Willen,
falls ihr Ende beschlossen sein sollte; das Vertrauen auf die göttliche
Barmherzigkeit und die Aufnahme aller in das himmlische Reich trug er
mit solcher Einfachheit und Glaubensfreudigkeit vor, daß sich alle über
die Schrecken des Todes erhoben fühlten und keinerlei Angst mehr
empfanden vor dem, was ihnen drohte. Mietje stimmte die beiden letzten
Verse des herrlichen Liedes »O Haupt, voll Blut und Wunden« an, und die
andern sangen ergriffen mit. Dann trat Stille ein.

John setzte sich zu Füßen seines Herrn nieder, als wollte er damit zum
Ausdruck bringen, wie er als getreuer Diener ihm in den Tod folgen
wolle. Mietje lehnte ihr Haupt an ihres Gatten Schulter, Münchhausen
faßte kräftig Schultzes Rechte und hielt sie fest. Heliastra schmiegte
sich in Heinz' Arme und fühlte sich geborgen, während ihr junger Gemahl
bereit war, mit ihr die Reise in ein besseres Leben anzutreten.

Die beiden Schimpansen Dick und Bobs kauerten in einer Ecke und wußten
von nichts; doch verhielten sie sich, ganz gegen ihre Gewohnheit, so
regungslos, als ahnten sie doch etwas Außerordentliches.

Auf einmal wurde es furchtbar heiß; die Luft schien zu glühen und
erstickend legte es sich auf aller Brust.

Da stand Flitmore auf und sprach ein warmes Dankgebet für die Errettung
aus furchtbarer Todesgefahr.




                        54. Der Planet Merkur.


Die andern wußten es sich nicht zu erklären, wie der Lord dazu kam, ein
Dankgebet zu sprechen, während sie sich mitten im Flammenofen der Sonne
wähnten; denn erst jetzt begann die Hitze beinahe unerträglich zu
werden.

Nur Professor Schultze sah so klar wie Flitmore.

»Wir sind unversehrt hindurchgekommen!« sagte er aufatmend; »aber wie
mag die Sannah aussehen?«

»Sind wir denn schon außer Gefahr?« fragte Mietje ungläubig.

»Gewiß, meine Liebe,« sagte der Lord, »die Lebensgefahr bestand darin,
daß sich unser Fahrzeug infolge der ungeheuren Hitze sofort in Dampf
aufgelöst hätte. Die Wärme, die wir nun aber spüren und die allerdings
sehr lästig ist und auf die Dauer nicht auszuhalten wäre, beweist uns,
daß wir die Korona der Sonne bereits durchflogen und hinter uns haben.
Wäre die Katastrophe eingetreten, so hätten wir gar nichts gespürt, so
plötzlich wäre alles gekommen; diese allmählich sich steigernde Hitze
jedoch weist darauf hin, daß die Sannah an ihrer Oberfläche sehr heiß
wurde, ohne jedoch wesentlich Schaden gelitten zu haben. Durch die
feuerfeste Umhüllung und die dicke Guttaperchaauspolsterung aller Räume,
sowie die in diesen enthaltene Luft ist die Temperatur in diesen
untersten Gelassen nur langsam und verhältnismäßig wenig gestiegen.«

»Das glaube ich«, sagte Münchhausen: »Sind doch nach allen Seiten hin
nicht weniger als 7 Zimmer oder Stockwerke von je drei Meter Höhe
zwischen uns und der äußeren Umhüllung, 7 Säle mit gummibelegten
Decken und Fußböden, so daß uns 14 Schichten von geringster
Wärmedurchlässigkeit beschützen, getrennt durch 7 drei Meter hohe
Lufträume, ganz abgesehen von der starken Außenhülle.«

»Aber ist es nicht möglich, daß wir uns noch in den Flammen befinden?«
fragte nun Heliastra: »Dann würde die Hitze ganz allmählich steigen,
aber wir würden sie bald nicht mehr aushalten.«

»Ganz ausgeschlossen!« sagte Schultze. »Bei der rasenden Eile unsrer
Fahrt mußten wir schon längst wieder aus der Sonnenkorona ausgetreten
sein, ehe die Temperaturerhöhung in ihrem allmählichen Fortschreiten
sich hier unten bemerkbar machte.«

»Dann aber möchte ich ganz ergebenst die bescheidene Bemerkung
aussprechen,« sagte John, »daß wir nach oben gehen in die frische Luft,
denn ich schwitze, wenn es zu sagen gestattet sein sollte, wie ein
sogenannter Magister!«

»Geduld, Geduld, mein Sohn!« lachte Schultze. »Das müssen wir nun schon
eine Weile aushalten. Zum ersten sind wir der Sonne noch so nahe, daß
ein Spaziergang ins Freie vorerst ganz ausgeschlossen ist, wenn wir
nicht braten sollen; zum zweiten ist die Hitze in den oberen Gemächern
zweifellos weit schlimmer als hier im untersten; sie müßte wachsen, je
höher wir steigen. Wir müssen erst eine gründliche Abkühlung abwarten.«

»Da werden wir wohl noch lange Geduld haben müssen,« meinte Heinz, »denn
die Sonne dürfte bei ihrer Nähe derart auf die Sannah brennen, daß von
einer Abkühlung vorerst überhaupt keine Rede sein wird.«

»In zwei Stunden,« sagte der Lord, »können wir ohne Sorge den Aufstieg
wagen. Erstens muß eine verhältnismäßige Abkühlung selbstverständlich
eintreten, da der Temperaturunterschied doch ein ganz gewaltiger ist
zwischen der Korona selber und ihrer bloßen Nähe; zweitens entfernen wir
uns mehr als blitzschnell von der Sonne; drittens dreht sich ja unsre
Sannah um sich selbst und kehrt stets nur eine Seite der Sonne zu; die
von der Sonne abgekehrte Seite wird sich aber sehr rasch und stark
abkühlen. Endlich übt die bloße Bestrahlung durch die Sonne, wenn diese
auch noch sehr nahe ist, ihre Einwirkung nur in sehr geringem Maße bis
in die Innenräume aus.«

Es zeigte sich, daß der Lord recht hatte; die furchtbare Hitze nahm
verhältnismäßig rasch ab und nach zwei Stunden konnten unsre Freunde
bereits ins Zenithzimmer hinaufsteigen, das gerade von der Sonne
abgewendet war und Nacht hatte.

Allerdings herrschte dort noch eine gelinde Backofenhitze, aber dadurch,
daß sämtliche Verbindungstüren der Innenräume geöffnet wurden, konnte
ein starker kühlender Luftzug erzeugt werden; überdies konnte man auf
der Nachtseite auch die Außenlucken öffnen und es strömte eine zwar mehr
als laue, aber doch frische Luft ein, die nach der ausgestandenen Hitze
den Eindruck wohltuender Kühle machte.

Durch die Lucke des Zenithzimmers stieg Flitmore ins Freie hinaus, um zu
sehen, was die Umhüllung der Sannah bei der Fahrt durch die
Glutatmosphäre der Sonne gelitten habe.

Er fand, daß der Flintglasbelag fast vollständig abgesprungen war; die
äußerste Metallumhüllung war geschmolzen, aber fast beinahe überall noch
dicht, da sie nach Verlassen der Sonnenkorona rasch wieder erstarrt war;
an einzelnen Stellen freilich zeigten sich Löcher, da war die Umhüllung
in ihrer ganzen Dicke durchgeschmolzen. Doch das wollte nun nicht viel
besagen, denn einer ähnlichen Hitze würde man ja wohl nicht wieder
standzuhalten haben.

Als der Lord ins Zimmer zurückkehrte, sagte Mietje: »Mir ist es immer
noch ein Rätsel, wie wir so unbeschädigt durch die flammende
Sonnenatmosphäre kommen konnten.«

»Ein Wunder göttlicher Bewahrung ist es gewiß!« sagte ihr Gatte. »Aber
das natürliche Mittel, durch das er uns hindurchhalf, ist die ungeheure
Geschwindigkeit, mit der er unser gebrechliches Fahrzeug seine Bahn
durcheilen ließ. Du hast ja wohl selber schon probiert, meine Liebe, wie
du deinen Finger unbeschädigt, ja ohne nur auch eine Wärmeempfindung zu
verspüren, durch die Flamme eines Lichtes bringen kannst, wenn du es
schnell genug ausführst. Ganz so kurz verweilten wir nun freilich nicht
in den Sonnenflammen, aber doch auch gewiß nicht mehr als zwei Minuten,
und für diese kurze Zeit genügte unsre Schutzhülle, um den Gluten stand
zu halten, die schon einige Zeit brauchten, um nur die Flintglashülle zu
sprengen. Daß die Hitze im Innern nicht unerträglich wurde, obgleich das
Metall an der Außenfläche angeschmelzt wurde, darf uns nicht
wundernehmen, wenn wir uns erinnern, daß dies auch bei Meteoren der Fall
ist.«

In blendendem Glanze strahlte der Planet Merkur durch das offene Fenster
des Zenithzimmers. Die Sannah mußte ganz in seiner Nähe vorbei und er
schien mit ungeheurer Schnelligkeit sich zu nahen.

Dieser Planet, der zu 3/8 ewige Nacht und zu 3/8 ewigen Tag hat, während
der vierte Teil seiner Oberfläche allein den Wechsel von Tag und Nacht
kennt, die im Durchschnitt 44 Erdentage währen, kehrte beinahe seine
volle erleuchtete Seite der Nachtseite der Sannah zu.

Um ihn dauernd beobachten zu können, sowie um sich nicht der Sonnenhitze
auszusetzen, begaben sich unsre Freunde, entsprechend der Umdrehung der
Sannah, jedesmal in dasjenige Zimmer, das gerade Mitternacht hatte. Jede
halbe Stunde mußte ein solcher Zimmerwechsel vorgenommen werden.

Schultze fühlte sich veranlaßt, einige Belehrungen über den Merkur
loszulassen:

»Die große Sonnennähe dieses Planeten,« sagte er, »hat seiner
Beobachtung von der Erde aus die größten Schwierigkeiten
entgegengesetzt. Aus den Veränderungen, die Schröter an den Spitzen der
Merkursichel, den sogenannten Hörnern, wahrzunehmen glaubte, berechnete
Bessel seine Umdrehungsdauer zu 24 Stunden. Dagegen schloß Schiaparelli
1883 aus Flecken und Streifen, die er wahrnahm, auf eine Rotationsdauer
von 88 Tagen; das heißt, Merkur würde der Sonne stets dieselbe Seite
zukehren, wie der Mond der Erde, und würde sich in der gleichen Zeit um
sich selbst drehen, wie um die Sonne.

Allein es wurde nachgewiesen, daß jede Kugel mit glatter, gleichmäßig
gefärbter Oberfläche bei unvollständiger Beleuchtung dunkle Streifen
zeigt, die auf einer notwendig eintretenden Sinnestäuschung beruhen, so
daß Schiaparellis Berechnungen fragwürdig erscheinen, weil sie auf die
Beobachtung eben dieser Streifen sich aufbauten.

Merkur zeigt der Erde wechselnde Lichtgestalten oder Phasen wie der
Mond, aber wie Venus zeigt er sich vollbeleuchtet, wenn er der Erde am
entferntesten steht, und erscheint daher am hellsten, wenn er, nur halb
beleuchtet, der Erde näher tritt. Aber auch dann ist er nur einem guten
Auge sichtbar infolge seiner Kleinheit und Sonnennähe; doch wurde er im
Altertum und im Mittelalter von unsern helläugigen Vorfahren gut
beobachtet.

Die Lichtgrenze seiner Oberfläche zeigt sich sehr verwaschen, was auf
eine ziemlich dichte Atmosphäre hinweist. Seine Bahn ist die
exzentrischste aller Planetenbahnen, das heißt, sie entfernt sich am
meisten von der Kreisform und erscheint oval.

Seine Dichtigkeit ist anderthalbmal so groß als die der Erde, so daß man
ihn als eine Kugel von Gußeisen ansehen könnte. Seine Oberfläche beträgt
etwa das Dreifache des gesamten russischen Kaiserreichs. Seine Masse ist
nur 1/12 der Erdmasse, die Schwerkraft auf ihm beträgt nur 3/5
derjenigen der Erde. Er empfängt siebenmal mehr Sonnenlicht als diese
und dürfte wohl unter unerträglicher Hitze auf der Sonnenseite und
grauenhafter Kälte auf der Nachtseite leiden. Venus leuchtet ihm bei
ihrer größten Nähe 600mal schwächer als unser Vollmond.«

So viel wußte Schultze in aller Kürze zu sagen. Was nun von der Sannah
aus von der Oberfläche des Planeten gesehen wurde, war hochinteressant:
er erschien als glatte Scheibe, durchaus nicht ohne Hügel und Berge,
aber auch diese waren gleich glatten, wenig hervorragenden Halbkugeln,
die keinen Schatten warfen, weil das Licht durch die spiegelnden Flächen
tausendfach zurückgeworfen wurde und alles erleuchtete.

Auch Pflanzenwuchs, ja Hochwälder waren zu sehen, aber Stämme, Zweige
und Blätter glitzten und spiegelten dermaßen, daß sie auf größere
Entfernung völlig in dem Meer von weißem Licht verschwanden.

»Wenn da Tiere und Menschen leben,« meinte Schultze, »so sind sie
jedenfalls ebensolche spiegelnde Wesen und diese Eigenschaft schützt sie
dann wohl vor der schädlichen Einwirkung allzuhoher und allzuniedriger
Temperaturen.«

Rasch entfernte man sich von dem Planeten, der mit größerer
Geschwindigkeit als alle andern seine Bahn um die Sonne durchläuft; die
Sannah näherte sich wieder der Venusbahn, doch die Venus war fern: die
Sonne stand zur Zeit zwischen ihr und dem Weltschiff.




                         55. Zurück zur Erde!


Lord Flitmore stellte die Fliehkraft und Parallelkraft vollständig ab.

Die Eigengeschwindigkeit der Sannah war noch so ungeheuer, daß die
Anziehungskraft der nahen Sonne nicht genügte, um sie in ihrem Laufe
aufzuhalten, noch weniger natürlich die Anziehungskraft Merkurs.

Es war daher zu befürchten, daß das Weltschiff das irdische Sonnensystem
wieder verlassen könnte; doch hoffte der Lord, dadurch, daß er alle
Triebkräfte abstellte, so viel zu erreichen, daß die Anziehung durch die
Sonne und das ganze Planetensystem die Fahrgeschwindigkeit derart hemme,
daß sie bei Kreuzung der Erdbahn soweit verringert sein könnte, um ein
Sinken der Sannah auf die Erde zu ermöglichen.

Leider war dies jedoch nicht der Fall; auch war die Erde auf ihrer Bahn
viel zu weit von der Stelle entfernt, wo unsre Freunde diese Bahn
durchschnitten, um eine Einwirkung auf das Fahrzeug ausüben zu können.

Erst die Nähe des Mars zeigte die gewünschte Wirkung: die Fahrt
verlangsamte sich merklich.

Dennoch ging es auch über die Marsbahn hinaus dem Jupiter zu.

Als Flitmore merkte, daß nun die Eigengeschwindigkeit der Sannah so weit
geschwächt war, daß dieser mächtigste der Planeten sie anzog, stellte er
die Fliehkraft wieder ein mit dem Erfolg, daß das Weltschiff nun, von
Jupiter abgestoßen, zurückgeschleudert wurde.

Wieder ging es am Mars vorbei und auch hier wirkte die Fliehkraft in der
Weise, daß die Sannah im Bogen an dem Planeten vorbeieilte und sich
wieder der Erdbahn näherte. Diesmal trat auch der günstige Umstand ein,
daß die Erde in Verfolgung ihrer Bahn auf die Stelle zueilte, an welcher
unsre Freunde diese schneiden mußten.

»Jetzt oder nie!« sagte Flitmore und unterbrach aufs neue den
Zentrifugalstrom, damit die Erde womöglich das Weltschiff zu sich
herabzwingen möchte.

Heliastra betrachtete mit freudiger Neugier die im Sonnenglanze
leuchtende Weltkugel, das Land ihrer Sehnsucht, ihrer erbarmenden Liebe.

In schräger Richtung stürzte die Sannah abwärts, der heimatlichen Erde
zu, und man konnte bereits mit bloßem Auge die Meere und Küsten, Gebirge
und größeren Flüsse unterscheiden.

Heinz begab sich mit seiner holden Gattin auf die Oberfläche des
Fahrzeugs hinaus und sie sahen auf die Kugel hinab, die sich zu ihren
Füßen ausdehnte. Um besser Ausschau halten zu können, stiegen sie, sich
an der Rampe festhaltend, hinab und setzten sich in eine Art
Beobachtungskorb, den Flitmore neuerdings für solche Zwecke neben dem
Eingang zum Südpolzimmer angebracht hatte.

»Was sind das für hohe Berge?« fragte Heliastra. »Und wie kommt es, daß
ihre Gipfel so weiß erscheinen wie Milch und blitzen wie Diamanten?«

»Das ist das Himalayagebirge, die höchste Bergkette unsrer Erde; seine
Spitzen sind bedeckt mit ewigem Schnee und Eis, denn in solchen Höhen
ist es bei uns sehr kalt, so daß das Wasser und die Niederschläge fest
werden und diese dir unbekannten Kristalle bilden, die wir Eis und
Schnee nennen.«

»O, wie schön blau leuchten eure Meere!« rief Heliastra entzückt. »Ganz
wie bei uns! Und wie wunderbar grün sind alle diese Länder. Habt ihr
keine so schrecklichen Wüsten wie unser Planet?«

»Wüsten haben wir auch; siehst du diese rötlichen und grauen Flecken
rechts und links hinter den Gebirgszügen? Das sind die mongolische Wüste
im großen Chinesischen Reich und die Steppen des Sirdarja im
südwestlichen Sibirien. Und dort hinten in weiter Ferne könntest du die
Eiswüsten der Nordpolarländer glitzern sehen, wenn wir uns auf der
andern Seite befänden. Aber allerdings besteht euer Weltkörper, bis auf
den paradiesischen mittleren Gürtel, aus einer einzigen öden, kahlen
Felswüste, die ausgedehnter ist als die ganze Oberfläche unserer Erde.
Darin haben wir doch etwas vor euch voraus, unsere Wüsten erstrecken
sich auf verhältnismäßig kleine Gebiete.«

»Da arbeitet ihr gewiß auch emsig an ihrer Fruchtbarmachung wie wir?«

»Durch Erbohrung von Quellen wird allerdings einiges in dieser Richtung
versucht, doch sind wir weit davon entfernt, so Gewaltiges zu leisten,
wie deine Brüder dort oben.«

Heliastra sah nach dem südlichen Himmel.

»Ich sehe meine Heimat!« sagte sie. »Ein kleiner Stern. Ich sehe auch
ihren Rosenmond, ein winziges Pünktchen! Wenn du meine Augen hättest,
könntest du sie auch erblicken. Wie weit, wie weit sind wir von dort.
Aber Gottes Welt umfaßt unsere Erde, die ihr Eden nanntet, wie die eure;
es ist doch ein einziges großes Gottesreich und da reist man von einem
Land zum andern.«

»Hast du kein Heimweh?« fragte Heinz teilnahmvoll.

»Heimweh bei dir?« frug das Elfenkind zurück, und lachend strahlten ihn
die Blauaugen an. »Nein! Bei dir wird immer meine Heimat sein, und wie
freue ich mich doch auf die Welt, wo ich soviel mehr tun kann in
helfender und tröstender Liebe, als es in unserm schmerzlosen Lande
möglich wäre.«

»Du bist ein Engel!« rief Heinz und küßte die Anschmiegende beseligt.

»Was ist dort für eine große Insel?« fragte die Holde nun wieder.

»Das ist Australien,« erklärte ihr Gatte. »Siehst du, auch dort kannst
du eine ausgedehnte Wüste erkennen; da wäre ich selbst einmal beinahe
verdurstet und elend ums Leben gekommen, wenn mich nicht Gott im letzten
Augenblick zum rettenden Wasser hätte gelangen lassen.«

»Du Ärmster,« sagte Heliastra und ihre Augen leuchteten ihn an voll
himmlischen Mitleids.

»Und das große Land dort drüben ist Afrika,« fuhr Heinz fort. »Dort
leben meine Brüder und meine Schwester Sannah. Aber schau, vor uns
tauchen die Eisgebirge des Südpols auf! Wir kommen der Erde immer näher.
Ich fürchte, wir landen im Eismeer!«

Das war allerdings zu besorgen; denn dorthin führte ihr schräger Sturz
die Sannah.

»Herein!« rief Flitmore durch die Lucke den beiden zu. »Der Aufenthalt
dort draußen wird gefährlich. Ich muß von jetzt ab abwechselnd meinen
Fliehstrom ein- und ausschalten, auch mit der Parallelkraft arbeiten,
damit wir uns einen günstigen Landungsplatz aussuchen können, und da
könntet ihr einmal aus eurem Mastkorb geschleudert werden.«

Gehorsam begab sich das junge Ehepaar hinein ins Südpolzimmer und die
Lucke wurde geschlossen.

Auf der Erde wurde es Abend. Die Heimkehrenden nahmen eine letzte
Nachtmahlzeit in der Sannah zu sich, dann beorderte sie Flitmore zur
Ruhe.

Er selber wollte diese Nacht wachen und die Landung bei günstiger
Gelegenheit bewerkstelligen. Er hatte dabei einen besonderen Plan, eine
Überraschung für alle; wie er hoffte, eine freudige Überraschung auch
für andere Erdenwesen, die ihm lieb waren.




                             56. Sannah.


In der Stille der Nacht lenkte der Lord sein getreues Weltschiff in
rascher Fahrt über Flüsse, Gebirge und Seen. Der Vollmond beleuchtete
die Landschaft und Flitmore kannte sich darin aus.

Endlich hatte er seinen Landungsplatz gefunden und die Sannah senkte
sich auf eine grüne Wiese herab.

Der Engländer sah auf die Uhr.

»Noch vier Stunden bis Sonnenaufgang,« murmelte er. »So will ich denn
auch noch einen Schlaf tun, um recht frisch zu sein, wenn uns ein
schöner Morgen aufleuchtet.«

Er weckte John. »Halte du diese Nacht vollends Wache. Wir befinden uns
bereits auf festem Erdboden und es wird nichts vorkommen. Sobald die
Sonne aufgeht, weckst du zuerst mich, dann die andern.« So sprechend
legte er sich zur Ruhe.

John öffnete die Lucke des Südpolzimmers und sah hinaus. Er war doch
neugierig, wo man sich befand. Seinen Herrn hatte er nicht fragen mögen,
da dieser von selber nichts gesagt hatte.

Was war das für eine Landschaft? Merkwürdig bekannt kam sie Rieger vor.
Aber England war das nicht, noch weniger Deutschland; es konnte nichts
andres als Afrika sein!

Da wiegten schlanke Palmen ihre Wedel in der Vollmondnacht, dort
dämmerten dichte Bananenhaine und nicht ferne glitzerte der Spiegel
eines Sees, an dessen linkem Ufer im Osten eine Hochgebirgslandschaft
aufragte.

»Das ist sozusagen nichts andres als der Albert-Edward-Njansa,« sprach
John zu sich selbst, »und dieses Dach in der Nähe zwischen den
Baumwipfeln dürfte die Farm des alten Herrn Piet Rijn sein. Nein! Das
wäre sozusagen eine Überraschung für meine Lady Mietje und auch für den
Herrn Professor und dann erst für die Familie des Herrn Rijn und
Fräulein Helene -- ach nein! Frau Rijn muß man ja jetzt sagen, Frau
Hendrik Rijn! Und für ihren Herrn Gemahl, den lieben Herrn Hendrik! Wenn
das wäre! Und die tapfere Zwergprinzessin ist ja wohl auch bei ihnen.
Nein! Wie ich mich freuen würde, die kleine schöne Tipekitanga wieder
einmal zu sehen!«

Er mußte sich überzeugen und begab sich in das nächste Gemach, das jetzt
nordwärts schaute. Richtig! Da ragte die Gletscherkuppe des Ruwenzori
gewaltig empor und glänzte im Mondlicht.

Kein Zweifel! Man befand sich unmittelbar in der Besitzung des Buren
Piet Rijn an den Ufern des Albert-Edward-Sees! John lächelte vor sich
hin; das war ein feiner Gedanke seines Herrn, seinen Schwiegervater
aufzusuchen.

In der Farm Piet Rijns regte es sich zu derselben Zeit. Eine junge
blühende Frau hatte sich von ihrem Lager erhoben und schaute zum Fenster
hinaus.

Sie rieb sich die Augen: was war das für eine ungeheure Kugel, die über
die Baumwipfel im Osten emporragte? Wie glitzerte die gewölbte
Oberfläche im Mondschein?

Die junge Dame war Sannah, die Tochter des Farmers Piet Rijn, die zur
Zeit mit ihrem Gemahl, Doktor Otto Leusohn, einem deutschen Arzt, der
sich in Ostafrika niedergelassen hatte, zu Besuch auf der väterlichen
Farm weilte.

Sie huschte an das Bett ihres Gatten und weckte ihn mit einem Kuß.

»Otto,« sagte sie, »ich hatte einen so merkwürdigen Traum, als ob eine
große, große Kugel durch die Luft daherkäme, und, denke dir, wer
herausstieg?«

»Nun?«

»Meine Schwester Mietje und unser Schwager Charles Flitmore!«

»Ein schöner Traum in der Tat,« sagte Leusohn lachend, da er gleich
völlig munter geworden war, wie es sich für einen Arzt ziemt. »Und nun
glaubst du wohl, er werde sich noch diese Nacht erfüllen?«

»Ich weiß nicht! Aber wie ich zum Fenster hinausschaue, sehe ich die
Kugel meines Traumes über die Baumwipfel ragen.«

»Das wäre!« rief Leusohn erstaunt und sprang aus dem Bett. Ein Blick
durch das Fenster überzeugte ihn, daß da allerdings etwas Fremdes und
Merkwürdiges ganz in der Nähe lagerte.

»Wollen wir hingehen und sehen, was es ist?« fragte Sannah.

»Ich bin dabei!« erwiderte ihr Mann.

Während seine junge Frau sich eiligst ankleidete, klopfte er an die
dünne Bretterwand, die das Schlafgemach vom Nachbarzimmer trennte.

»Was ist los?« fragte dort eine schlaftrunkene Stimme.

»Ich weiß nicht,« antwortete Leusohn; »aber jedenfalls hat sich etwas
ganz Seltsames zugetragen. Sannah und ich wollen der Sache auf den Grund
gehen, willst du uns nicht begleiten, Hendrik.«

»Selbstverständlich!« rief dieser zurück. »Ich mache mich gleich
fertig.«

»Und ich gehe natürlich auch mit euch,« rief eine helle Frauenstimme aus
dem Nebengemach. Das war Leusohns Schwester Helene, die Gemahlin Hendrik
Rijns.

Als Hendrik und Helene vollständig angekleidet waren und ihr
Schlafzimmer verließen, kam ihnen im Vorgemach eine schlanke
Mädchengestalt entgegen.

Es war eine auffallend hübsche, wohlgewachsene kleine Negerin von
lichter Hautfarbe und mit prächtigen blitzenden Augen. In Wahrheit war
sie kein kleines Mädchen mehr, wie es auf den ersten Blick scheinen
mochte, sondern eine ausgewachsene Dame, aber aus dem Geschlecht der
Zwerge. Trotz ihrer vornehmen Geburt, denn sie war eine königliche
Prinzessin, diente sie Helene als getreue Kammerzofe und Mädchen für
alles, namentlich auch als Begleiterin auf Jagdausflügen; gab es doch
keine so treffliche Jägerin mehr in ganz Afrika wie das liebliche
Zwergfräulein.

»Ihr wollt in die Nacht hinaus?« fragte die Kleine. »Tipekitanga wird
mit euch gehen.«

»Das ist recht, du treue Seele,« lobte Helene Rijn und streichelte ihr
die zarte Wange.

Jetzt erschien auch Doktor Leusohn mit seiner Gattin, die von ihrer
Dienerin Amina, einer auffallend hübschen Somalinegerin, begleitet
wurde.

Sannah begrüßte ihren Bruder Hendrik und ihre Schwägerin Helene mit
einem Kuß; auch Otto Leusohn küßte seine liebe Schwester und seinen
Schwager herzlich, dann erzählte er den Traum seiner Frau und die
wunderbare Erscheinung, die man vom Fenster aus beobachten konnte.

Währenddessen hatten sie sich schon ins Freie begeben und eilten in der
Richtung dahin, in der man zu der rätselhaften Kugel gelangen mußte.

Als sie aus dem Ölpalmenwäldchen hinaustraten auf die freie Grassteppe,
standen sie staunend still; vor ihnen ragte der dunkle Koloß, eine
ungeheure schwarze Kugel. Der Mond war untergegangen und so sah die
dunkle Masse finster und drohend aus, als könnte sie im nächsten
Augenblick daherrollen und die Menschlein zu ihren Füßen zermalmen.

»Die Kugel meines Traumes!« rief Sannah.

»Deinem Traume nach müßte sich aber Mietje in ihrem Innern befinden,«
sagte Leusohn.

»Da oben schaut ja ein Mann heraus,« rief nun Helene.

Die dunkle Gestalt, die sich aus einer Lucke der Sphäre herausbeugte,
ließ nun auch ihre Stimme vernehmen:

»Wenn ich mir gestatten darf, Sie an Ihrer mir immer noch wohlbekannter
Weise in lieblichster Erinnerung befindlichen Stimme erkennen zu dürfen
und Sie mir dieses nicht für übel aufzunehmen belieben, so wären ja
dieses Sie, Fräulein Helene oder vielmehr, weil ich mich darin immer
wieder verspreche, Frau Rijn und Herr Hendrik, sowie Fräulein Sannah
oder sozusagen jetzt Frau Doktor Leusohn mit ihrem wertesten Herrn
Gemahl?«

Helene lachte hell auf. »Nein! Solche Redensarten führt kein Mensch auf
der Welt,« sagte sie, »als einzig und allein Johann Rieger, Lord
Flitmores edler Diener.«

»Oho!« rief Leusohn. »Dann hast du doch wohl einen prophetischen Traum
gehabt, liebe Sannah! Wenn John da Auslug hält, dann dürften Schwager
Charles und Mietje auch nicht ferne sein.«

»Nein, diese Freude!« jubelte John. »Aber entschuldigen Sie, wenn ich
meine bescheidene Persönlichkeit für einen Augenblick zurückzuziehen in
die Lage mich versetzt fühlen muß, indem daß die Sonne bereits ihren
Aufgang hält, wo ich verpflichtet bin, meinen gnädigen Lord zu wecken.«

John verschwand und drunten plauderten die jungen Menschen ganz
aufgeregt und glücklich durcheinander: was war das für ein wunderbarer
Bau, und wie konnte Flitmore mit ihm von England nach Afrika reisen?
Aber die Hauptsache war: er war gekommen und Mietje mit ihm, ein
unerwarteter und gar so lieber Besuch!

Zehn Minuten später beleuchtete schon die aufgehende Sonne das
Weltschiff, als Flitmore und Mietje in der Lucke erschienen.

»Hurrah!« rief Leusohn: »Da sind sie ja!«

»Hurrah!« antwortete der Lord: »Und ihr habt uns entdeckt? Willkommen,
Schwager Otto, willkommen, Schwager Hendrik! Willkommen, meine lieben
Schwägerinnen Helene und Sannah: die große Sannah kam, euch zu grüßen.«

»Nein, daß ihr auch gerade hier seid, Sannah und Otto!« jubelte Mietje
herab: »Das ist gar zu schön! Und da ist ja auch unsre Zwergprinzessin
und die treue Amina!«

»Jambo, jambo!« riefen die beiden Negermädchen frohlockend hinauf.

Inzwischen hatte John die Strickleiter befestigt und der Lord und seine
Gattin beeilten sich hinabzusteigen. Gleich hinter ihnen erschien
Professor Schultze.

Mietje und Sannah flogen einander in die Arme; Flitmore küßte herzlich
seine Schwäger und Schwägerinnen und sogar die kleine Zwergprinzessin,
die solcher Ehre wohl wert war. Ebenso innig begrüßte Lady Flitmore, als
sie sich aus der Schwester Armen herausgefunden, ihren Bruder Hendrik
und dessen Gattin, sowie den Doktor, ihren Schwager, und alsdann
Tipekitanga und Amina.

Inzwischen hatte auch der Professor sich der Gruppe genähert und wurde
mit kräftigem Händeschütteln von den alten lieben Bekannten begrüßt, mit
denen er einst auf afrikanischem Boden so manches Abenteuer erlebt
hatte.

Heinz und Heliastra waren mittlerweile ebenfalls der Sannah entstiegen.

Sie waren hier noch unbekannt und blieben etwas abseits stehen; doch
wurden sie bald bemerkt und hohes Staunen erfüllte Hendrik und Leusohn
und deren Gattinnen, als sie die wunderliebliche Gestalt und das in
überirdischer Schönheit strahlende Gesicht des fremden Mädchens
erschauten.

Sie verstummten und fühlten sich von einem seltsamen Zauber gefangen
genommen, der von dem engelgleichen Wesen ausging, das von einem
schneeweißen, zarten Gewebe umflossen vor ihnen stand. Sie bewunderten
diese blendende Erscheinung mit wahrer Andacht und frommer Scheu: sie
erschien wie ein Geschöpf aus einer andern vollkommeneren Welt, denn wie
konnte die Erde solche himmlische Reize hervorbringen? Und sie hatten
recht mit dieser Ahnung: Heliastra kam ja wirklich aus höheren Sphären.

Aber neben diesem Gefühl ehrfürchtiger Bewunderung wallte zugleich in
aller Herzen eine beseligende Liebe zu der Fremden auf: sie fühlten sich
ganz wunderbar zu ihr hingezogen. Die Reinheit, Milde und herzgewinnende
Freundlichkeit, die aus diesem lieblichen, rosenschimmernden Antlitz
lachte, vor allem aber aus den großen Augen, deren zartes Blau auf Erden
nicht seinesgleichen hatte, mußten ja alle Seelen gefangen nehmen.

Heliastra ihrerseits schaute mit liebendem Wohlgefallen auf die Gruppe,
ihr Herzchen klopfte vor freudiger Aufregung und wogte besonders ihren
neuen irdischen Schwestern entgegen. Wie schön und wie lieb sahen sie
aus, wenn sie auch nicht so ätherisch waren wie Glessiblora und die
andern Mädchen Edens! Selbst ihre dunkelfarbigen Erdenschwestern, die
feingliederige Tipekitanga und die rundliche Amina kamen ihr reizend
vor.

»Wer ist dies himmlische Geschöpf?« stammelte endlich Sannah mit
fliegenden Pulsen.

»In Wahrheit ein himmlisches Geschöpf!« sagte Mietje: »Denn wir haben
sie aus der himmlischen Welt der Fixsterne geholt. Und wie lieb und edel
sie ist, werdet ihr bald selber erfahren.«

»Aus der himmlischen Welt der Fixsterne?« rief Helene ratlos. Was
sollten diese rätselhaften Worte bedeuten? Und doch! sie fühlte, daß ein
überirdisches Geheimnis allein der Wahrheit entsprechen konnte; denn daß
auf ein irdisches Wesen eine solche Anmut ausgegossen sein könnte,
schien ihr je länger je mehr völlig undenkbar.

»Es ist so,« bestätigte der Lord: »Heliastra ist ein Gast aus den
himmelweiten Fernen der Fixsternwelt. Wie das alles zusammenhängt,
werden wir euch hernach erklären. Nun aber will sie unsre arme Erde als
ihre Heimat betrachten: eine edle Sehnsucht zog sie zu uns herab und die
Liebe ihres Herzens zu unserm edlen Freund Heinz Friedung, der ein Los
gezogen hat, wie es noch keinem Sterblichen zuteil wurde, außer etwa
mir, der ich eine Mietje Rijn zur Gattin gewann.«

»Frevler!« rief Lady Flitmore und legte ihre kleine Hand auf des Lords
Mund: »Wie kannst du es wagen, mich mit einer Heliastra zu vergleichen!«

»Das ist Heinz Friedung, der mit Ihnen Australien bereiste?« wandte sich
nun Doktor Leusohn an Schultze.

»Gewiß! Eine Seele von einem Menschen und ein Held! Niemand hätte ich
ein solch goldenes Glück so freudig gegönnt, wie gerade ihm.«

»Herzlich willkommen!« rief Leusohn und umarmte den jungen Mann, der ihm
aus des Professors Briefen längst bekannt und lieb war; ebenso stürmisch
begrüßte Hendrik den neuen Freund, worauf auch Sannah und Helene ihm die
Hand schüttelten.

Dann eilten die jungen Frauen auf Heliastra zu; doch hielt sie immer
noch eine andächtige Scheu zurück, der Holden eine Zärtlichkeit zu
erweisen, zu der sie ihr Herz trieb. Sie fühlten sich unwürdig so hoher
Gunst und streckten ihr zaghaft die Hand entgegen.

Heliastra aber schlang lächelnd ihre Elfenarme nach einander um Sannahs
und Helenes Hals und drückte warm ihre feinen Rosenlippen auf ihren
Mund. »Seid ihr nicht meine lieben Schwestern?« fragte sie dann
errötend.

»Wenn wir es sein dürfen, mit Stolz und Freude!« erwiderte Helene und
Sannah fügte hinzu: »Ich glaube, ich werde niemand so lieb haben können,
wie dich, ausgenommen natürlich meinen lieben Mann.«

»Ja, mein lieber Heinz geht auch bei mir allen andern vor,« sagte
Heliastra mit einem zärtlichen Blick auf ihren Gatten: »Aber dann sollt
gleich ihr kommen. O, ich habe so viel Liebe, es reicht für euch und die
ganze Welt!«

Das ganze Gespräch wurde auf deutsch geführt, das Heliastra bereits
fließend sprach, und das aus ihrem Munde wie himmlische Musik und
Glockengeläute klang.

Dann ging sie leichtfüßig auf Tipekitanga und Amina zu, die scheu
bewundernd beiseite standen, umarmte und küßte auch sie und sprach: »Ihr
seid doch auch meine lieben Schwestern von der Erde?«

Amina war ganz stumm vor Glück und großer Verlegenheit, zugleich aber
hob sich ihr Herz in seligem Stolz.

Tipekitanga aber sah die himmlische Schwester mit einem strahlenden
Blicke an und flüsterte nur: »O, liebe, liebe Herrin!«

Hierauf reichte Heliastra Hendrik und Leusohn das durchsichtige Händchen
mit warmer Herzlichkeit; die Männer aber wagten nicht, fest zuzugreifen,
so zart erschien ihnen diese Elfenhand, auf die sie einen ehrerbietigen
Kuß drückten.

Da aber plötzlich wurde es in der Höhe laut und der Zauberbann, den
Heliastras Erscheinung ausübte, wurde für eine Weile gebrochen.

»O, schnöde Erde! O, jämmerliche, erbärmliche Menschheit!« grollte es
herab. »Also da sind wir wieder gelandet auf dem armseligsten aller
Planeten? Und da unten begrüßen sie sich und kein Mensch denkt an mich,
Kapitän Hugo von Münchhausen, den berühmten Abu Baten, Pascha seiner
Königlichen Hoheit des Khedive von Ägypten! Mich, mich lassen sie die
Begrüßungsszene verschlafen! Mich, die gewichtigste Persönlichkeit von
allen, behandeln sie als eine zu vernachlässigende Größe? Komm,
Heliastra, du Engelskind aus einer bessern Welt! Laß uns mit einander
diesen undankbaren Erdboden wieder verlassen und zurückkehren in die
seligen Sphären!«

»Halloh! Münchhausen, unser herrlicher Kapitän, der schreckliche Abu
Baten!« rief es unten durcheinander.

Dieser stürmische Jubel versöhnte den zürnenden Koloß und er turnte mit
erheiternder Gewandtheit die Strickleiter herab.

Als er keuchend den Erdboden erreichte, umringten ihn die Freunde und
Freundinnen und grüßten ihn mit solch herzlicher Freude, daß er
erklärte: »Na Kinder! Wenn ihr mich denn doch so gern habt, so will ich
mich, wenn auch schweren Herzens, entschließen, wieder diesen heillosen
Planeten zu bevölkern!«

Nun erst kam auch der bescheidene John herab, gefolgt von den
Schimpansen Dick und Bobs, und auch er wurde aufs freundlichste
willkommen geheißen.

»Ah! Da steht ja auch unsre herrliche Zwergprinzessin!« rief
Münchhausen: »Komm an mein Herz, liebes Mädchen, fliege in meine Arme,
reizende Tipekitanga! Dein alter Onkel sehnt sich danach, dich an seine
treue Brust zu drücken!«

»Halt, halt!« lachte Leusohn, als der Kapitän wirklich Miene machte, die
zarte Gestalt zu umarmen: »Sie würden ja unsre kleine Heldin erdrücken
und erwürgen. Für solch zerbrechliche Wesen sind Ihre Liebkosungen denn
doch zu gefährlich.«

»Sie haben recht, wie immer, weiser Doktor,« sagte Münchhausen und ließ
die Arme wieder sinken. »Na, dann gib mir dein Patschhändchen,
vortrefflichstes aller Prinzeßchen!« Und er drückte ihr vorsichtig die
kleine Hand.

Nun erschien auf einmal Piet Rijn, der greise Bure, auf der Bildfläche,
gefolgt von seinen übrigen Söhnen Frans, Klaas und Danie.

Frans hatte von der Farm aus das Weltschiff in der Morgensonne strahlen
sehen, und da bald bemerkt wurde, daß Hendrik und Leusohn mit ihren
Frauen und deren Dienerinnen ausgeflogen waren, beschloß der würdige
Alte, nachzusehen, was dort drüben los sei.

Hocherfreut umarmte er seine Tochter Mietje und seinen Schwiegersohn,
den Lord, begrüßte herzlich den Professor und ebenso Heinz und
Münchhausen, die Flitmore ihm vorstellte. Von letzterem besonders hatte
er ja durch seine Söhne, sowie Sannah, Helene und Leusohn des Rühmlichen
genug erfahren. Ebenso freudig bewegt begrüßten die Brüder Mietje, den
Lord und dessen Gefährten. Auch John wurde nicht vergessen.

Mit hoher Bewunderung wurde auch die Perle der Gesellschaft, Heliastra,
willkommen geheißen, dann begab man sich gemeinsam nach dem Wohnhause
der Familie Rijn.

Unterwegs schimpfte Münchhausen: »Nein, es ist doch ein wahres Elend auf
dieser Erde! Wie leichtfüßig war ich doch auf dem Planeten Eden! Ach!
Wenn ich an dieses Hüpfen und Schweben denke! Und jetzt? Eine Schinderei
ist es, solch einen stattlichen Leib, wie ich ihn besitze, schwerfällig
über den Erdboden zu schleppen!«

Auch Heliastra hatte bemerkt, daß es sich auf Erden nicht so leicht
wandelte, wie in ihrer heimischen Welt. Sie machte einen Versuch, sich
wie dort in die Lüfte zu erheben, aber damit war es hier nichts! Mit
einer leisen, bedauernden Enttäuschung in der Stimme sagte sie zu ihrem
Gatten: »Heinz, hier kann ich nicht mehr fliegen!«

»Wenn nur unsere Seelen fliegen!« erwiderte er tröstend.

Doch Heliastras heiteres Gemüt überwand rasch die Enttäuschung. Zu was
wollte sie fliegen, wenn es ihrem Heinz doch versagt war? Und sie
schwebte so leichtfüßig über den Erdboden, dahin, wie kein Menschenkind
es vermochte.

»Wie eine Elfe!« dachte Sannah.

Helene und Sannah eilten nun voraus in die Farm, um mit Aminas und
Tipekitangas Hilfe einen tüchtigen Morgenimbiß zu bereiten, zu dem John
noch Früchte und Konserven von Eden aus der Sannah holen mußte, die
hohes Staunen erregten und den unkundigen Erdenkindern einen nie
geahnten Genuß bereiteten.

Inzwischen wurde lebhaft geplaudert und zunächst in aller Kürze von der
wundersamen Weltfahrt berichtet.

Wie ein Märchen klangen diese Berichte, und Leusohn meinte: »Wenn uns
Kapitän Münchhausen das alles erzählte, so wüßte ich ja, wo ich daran
bin; so aber kenne ich mich wahrhaftig nicht mehr aus! Und das alles
soll wirkliche, selbsterlebte Wahrheit sein und kein wunderbarer Traum?«

»Hast du schon solche Früchte und Baumzweige gesehen und gekostet?«
fragte Helene ihren zweifelnden Bruder. »Gibt es Milch und Honig, Butter
und Fruchtsäfte auf der weiten Erde, wie diese paradiesischen Genüsse,
die uns aus einer fernen Welt gebracht und aufgetischt worden sind?«

»Und vor allem,« fügte Sannah hinzu, als ihr Gatte seiner Schwester
daraufhin nichts zu erwidern wußte, »ist dieses engelgleiche Wesen,
Heliastra, nicht ein augenscheinlicher Beweis für die Wahrheit alles
dessen, was unsere staunenden Ohren vernehmen?«

»Ihr habt recht, meine Lieben,« gab nun der Doktor zu, »und wenn ich
mich überzeugt habe, daß ich das alles nicht selber träume, dann muß ich
es ja schließlich glauben. In der Tat zweifle ich lebhaft, ob nicht
selbst unseres Kapitäns großartige Phantasie zu schwach wäre, solche
Wunder auszudenken.«

»Oho!« verwahrte sich Münchhausen. »Warten Sie ab, bis _ich_ zu erzählen
beginne, etwa von den sechsbeinigen Marsmenschen und dergleichen!«

»Und mir zu Ehren hast du dein märchenhaftes Fahrzeug »Sannah«
geheißen?« fragte Leusohns Gattin ihren Schwager Flitmore.

»Gewiß! Und sie hat dir Ehre gemacht; sie hat sich treu und zuverlässig
erwiesen,« lautete die Antwort.

Tipekitanga aber strahlte vor Stolz und Glück, als sie erfuhr, daß auch
sie einer so außerordentlichen Ehrung gewürdigt worden war, und daß ein
kleiner, aber an Wundern und zauberischen Reizen reicher Weltkörper
ihren Namen erhalten hatte. Ebenso stolz war Amina, daß ein Komet nach
ihr benannt worden war.

Mehrere Wochen blieben unsere Freunde auf Piet Rijns Farm, glücklich
inmitten ihrer Lieben, dann nahmen sie Abschied, doch nicht auf immer.

Sie bestiegen noch einmal die Sannah; Münchhausen wurde in Adelaide
abgesetzt; Professor Schultze, Heinz und Heliastra verließen endgültig
das Weltschiff, als es Berlin erreichte.

Kurz darauf landete Lord Flitmore mit Mietje und John nebst den treuen
Schimpansen vor seinem Schloß in England, um zunächst hier zu verweilen,
später aber die Sannah zu einer neuen Weltfahrt praktischer auszurüsten
unter Benutzung aller Erfahrungen, die auf ihrer ersten Reise gemacht
worden waren, die er nur als eine Probefahrt ansah.

Ein nochmaliger Besuch des Planeten Eden war für den Lord und Mietje vor
allem eine ausgemachte Sache; dies waren sie schon Heinz und Heliastra
schuldig, denen sie versprochen hatten, sie in ein paar Jahren dorthin
mitzunehmen, damit die Tochter Edens ihren Eltern und Geschwistern
berichten könne von dem segensreichen Wirken ihrer erbarmenden Liebe auf
der fernen Erdenwelt.

Im übrigen war Lord Flitmore entschlossen, noch mehrere Weltschiffe nach
dem Muster der Sannah zu bauen, um einen regen Verkehr der Erde mit den
Planeten und der Fixsternwelt anzubahnen.

Bei der nächsten Reise würde also vermutlich gleich eine wohlbemannte
Flotte von der Erde in den Weltraum sich erheben, und das schönste und
am vollkommensten ausgestattete dieser Weltschiffe sollte auch den
schönsten und würdigsten Namen tragen, den Namen »_Heliastra_«.




                              Nachweise.


Als Quellen für die astronomischen Tatsachen, die in die Erzählung
verflochten sind, dienten mir hauptsächlich:

1. Einige Artikel aus Zeitungen und wissenschaftlichen Zeitschriften.

2. Carl Snyder. »Die Weltmaschine«. Erster Teil: Der Mechanismus des
Weltalls. Autoris. deutsche Übersetzung von Dr. Hans Kleinpeter. Leipzig
1908. J. A. Barth. 451 S.

3. Dr. Hermann J. Klein. Kosmologische Briefe über die Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft des Weltbaues. Für Gebildete. 3. Aufl. 1891.
Leipzig. Ed. H. Mayer. 308 S.

4. Prof. Dr. Walter F. Wislicenus. Prof. an der Universität Straßburg.
Astrophysik. 2. Aufl. Leipzig. G. J. Göschen. 1903. 152 S.

5. A. F. Möbius. Astronomie. 8. Aufl. bearbeitet von Prof. H. Cranz.
Stuttg. G. J. Göschen. 1894. 148 S.

6. Prof. Dr. Zech. Himmel und Erde. Eine gemeinfaßliche Beschreibung des
Weltalls. München. R. Oldenbourg. 1870. 293 S.

7. Dr. M. Wilh. Meyer. Sonne und Sterne. Stuttgart. Kosmos, Franckh.
1907. 106 S.

8. Hermann J. Klein. Das Sonnensystem. 2. Aufl. Braunschweig. Vieweg.
1871. Bd. I 351 S. Bd. II 371 S.

9. J. J. von Littrow. Die Wunder des Himmels. 5. Aufl. Stuttg. Gustav
Weise. 1866. 1024 S.

10. Camille Flammarion. Urania. Übers. v. Karl Wenzel. Pforzheim. O.
Riecker. 1894. 234 S.

                   *       *       *       *       *

In folgendem bezeichne ich der Kürze halber Quelle 2 mit Sn. (Snyder), 3
mit K. B. (Kosmologische Briefe), 4 mit W. (Wislicenus), 5 mit M.
(Möbius), 6 mit Z. (Zech), 7 mit Me. (Meyer), 8 mit K. (Klein), 9 mit L.
(Littrow), 10 mit F. (Flammarion).

Kapitel 4. Geschwindigkeit des Lichts Sn. 29. 273. 275-76. Me. 87. Z.
46. M. 89-92 usw.

Kapitel 5. Anziehungskraft, Schwerkraft, Gravitation M. 94-100. L.
677-700. Z. 140-144. Sn. 243-251. Erdbewegungen Sn. 224, 277, 307-308.
F. 191-195. Höhe der Atmosphäre M. 28. Absoluter Nullpunkt (-273°) K. B.
225. Große Inversion: »Daheim« Nr. 9, Jahrg. 1909 (28. Nov. 1908)
Sammlerdaheim. Kälte im Weltraum K. B. 224-225.[1] Theorie über die
Gravitation aus Anziehung und Abstoßung, über die Erfüllung des
Weltraums mit verdünnter Luft und über die Strahlung -- vom Verfasser
aufgestellt.

[Fußnote 1: »Zur Guten Stunde« 1909, Heft 21, S. 500-502. (Felix Linke:
»Vom Luftmeer der Erde.«)]

Kapitel 6. Lufthülle des Monds L. 464-465. W. 87-88.
Dämmerungserscheinungen K. B. 214 (Tyndall), 213-219. Sterne vor der
Mondscheibe L. 465. Wasserlosigkeit K. I 122-123. L. 464-465.
Allgemeines über den Mond und seine Ringgebirge K. I. 100-134. W.
63-105. L. 450-483. K. B. 197-235. Z. 167-183. M. 53-68. Gebirge bis zu
10000 Meter Z. 171. Veränderungen (Krater Linné und Messier) K. I
119-120. K. B. 204-206. 209-212. W. 94. Strahlenerscheinungen W. 81-82.
Rillen W. 80-81. Neubildungen W. 96-97. Farben und Pflanzenwuchs K. B.
216-223. 225. W. 97-98. Libration Z. 172. L. 468. Entfernung des Mondes
von der Erde Sn. 29. 337 usw. Rückseite des Mondes L. 457-458.

Kapitel 8. Richtige Begriffe über die Erde und die Planeten im Altertum
Sn. 61. Aristarch Sn. 86-90. 107. Bion Sn. 66-69. Apollonius von Pergä
Sn. 90-91. Hipparch Sn. 90-91. Pythagoras Sn. 99. Eratosthenes Sn.
74-78. Archimedes Sn. 120-122. Strabo Sn. 78-79. Posidonius Sn. 92-94.
Demokrit Sn. 126-138. Cheopspyramide Sn. 70. Kopernikus Sn. 163. L.
164-168. Giordano Bruno Sn. 176. Möglichkeit der Unrichtigkeit des
Kopernikanischen Systems Sn. 161 (Anmerkg. des Herausgebers). Keppler
und seine Gesetze Sn. 180-184. L. 179-202. M. 79-80. Galilei Sn.
190-202. Newton Sn. 245. 249 (243-251). M. 94-100. L. 677-700. Z.
140-144. Cassini Sn. 221-223. Römer und Leverrier Sn. 223. Herschel Sn.
307-311. 290-291. Laplace Sn. 283-288. Bessel Sn. 318-319.

Kapitel 9. Nichtexistenz der Marskanäle entdeckt von Prof. Hale (amerik.
Astronom). Sitzung der engl. Astron. Gesellsch. Staats-Anz. f. Württ.,
Nr. 2, 4. Jan. 1910. Deutsche Reichspost, Nr. 3, 5. Jan. 1910. »Wie es
auf dem Mars aussieht« (Bewohnbarkeit) nach Prof. Edward S. Morse im
»World Magazine« (Das Neue Blatt, Berlin, 1906, Nr. 52, S. 822).
Entfernung des Mars Sn. 337. Mars K. B. 249-263 (Atmosph., Umlaufzeit,
Halbmesser, Dichtigkeit, Rotation, Jahreszeiten, Schneefälle, Bewölkung,
rote Farbe, Kanäle und ihre Veränderungen). W. 119-127. Z. 154-155. M.
108-110. K. I. 135-140. L. 150. 384-388.

Kapitel 10. Tage und Jahreszeiten auf dem Mars K. B. 250-251.

Kapitel 11. Riesige Regenwürmer der Vorwelt sind sehr wahrscheinlich.
Heute noch finden sich auf der Insel Kwidscheri im Kiwusee Regenwürmer
von mehr als 40 cm Länge und reichlich Daumendicke (^Benhamia spec.^).
Siehe: Adolf Friedrich Herzog zu Mecklenburg: »Ins innerste Afrika«, S.
184-185.

Kapitel 14. Marsmonde M. 93-94 usw.

Kapitel 15. Sternschnuppen und Meteore K. B. 149-180. W. 139-140. Z.
93-106. M. 125-130. K. I. 246-249. L. 706-709. Kometenähnliche Bahnen
der Meteorschwärme Sn. 256. Auflösung des Bielakometen Sn. 266 (siehe
auch Kapitel 18). Meteoriten innen kalt bei geschmolzener Oberfläche Sn.
421. K. B. 149-151. Boliden und Feuerkugeln K. B. 154. Meteore scheinen
aufgelöste Kometen K. B. 168. Meteoriten können vom Monde stammen,
Sternschnuppen nur von Kometen K. B. 175-178. Stoffe der Meteore K. B.
178-180. Geschichtliche Meteorfälle K. I. 263-344. Peary raubt den
Eskimos ihre Meteoreisensteine. General-Anzeiger Pforzheim, 22. Febr.
1910, Nr. 44. Unterhaltungsbeilage zur Deutschen Reichspost, 2. März
1910, Nr. 50. Diamanten in Meteorsteinen. General-Anzeiger Pforzheim,
22. Febr. 1910, Nr. 44. Meteoritenregen in Mugello. Deutsche Reichspost,
7. Febr. 1910, Nr. 30.

Kapitel 16. Asteroïden oder Planetoïden Z. 156-160. M. 82-87. K. I.
141-154. L. 388-412. K. B. 264-266. W. 111-113. Sn. 292-295. Lufthülle
und nichtrotierende Brocken, eigene Theorie des Verfassers. Atalanta. K.
B. 265. Die Entdeckung der Planetoïden Z. 156-159. M. 82-83. Sn.
292-293. K. I. 141-142. L. 390-405. Gauß L. 391-392. Sn. 292-293.

Kapitel 18. Kometenbahnen K. B. 109-110. Schweif: »Kometen und der
Halleysche Komet« von J. Franz, Breslau (Deutsche Revue, herausgegeben
von Richard Fleischer. Stuttg., Leipzig. Deutsche Verlags-Anstalt.
Januar 1910). Diesem Aufsatz sind auch über alle nachfolgenden Punkte
Einzelheiten entnommen. Schweif, ferner: Gen.-Anz. Pforzh., 1. Beiblatt
zu Nr. 27, 2. Febr. 1910 (auch Abstoßung). K. B. 122 (auch elektr.
Abstoßung). M. 119. K. I. 239-242. L. 496-502. Masse: D. Revue und Pf.
Gen.-Anz. wie oben. K. B. 114. 117. 124-125. M. 135-137. K. I.
245-246. L. 303-305. Kern: D. Revue und Pf. Gen.-Anz. wie oben,
Unterhaltungsbeil. z. D. Reichspost, 9. Febr. 1910, Nr. 32 usw.
Zusammenstoß mit einem Kometen: D. Revue und D. Reichspost wie oben.
Laplace. L. 532-534 usw. Frühere Kometenerscheinungen: Unterh.-Beil. z.
D. Reichspost, Nr. 303, 28. Dez. 1909. Halley-Komet: D. Revue wie oben.
M. 123. K. I. 257-259. L. 510-523. Bielakomet: M. 124. K. I. 252-255. L.
525-532. Septemberkomet 1882: M. 123. K. B. 139-140. Balgerei mit dem
Jupiter und Lexell-Komet: M. 123. Z. 88-89. K. B. 133-134.
Geschwindigkeit der Kometen: Sn. 262 usw. Kometen ferner: Z. 87-92. M.
116-118. K. I. 189-239. L. 493-570. W. 134-139. Leipziger Illustr.
Zeitg., Nr. 3456, 23. Sept. 1909 (Halley-Komet). Sn. 257-268.
Teufelsschlucht in Arizona: Unterh.-Beil. z. D. Reichspost, 12. Febr.
1910, Nr. 35.

Kapitel 19. Jupiter: Sn. 338. K. B. 266-288. W. 128-129. Z. 160-161. M.
111. K. I. 155-160. L. 413-422. Jupitermonde: W. 130. M. 88-94. K. I.
160-166. Albedo: W. 85. 110-111.

Kapitel 20-22. Saturn: W. 131-133. K. B. 289-296. K. I. 167-179. L.
422-438. Z. 162-164. M. 114-115. Dichtigkeit = spezif. Gewicht: W. 8.
Saturnmonde und ihre Entdeckung: Sn. 235. M. 92-93. K. I. 175-179.

Kapitel 26. Uranus: Sn. 289-290. K. B. 297-300. W. 134. Z. 164. M. 116.
K. I. 180-182. L. 438-439. 4 Uranusmonde: W. 134. K. I. 182-184. M. 93.
L. 439-440. Neptun: Sn. 291-294. 299-300. 28-29. K. B. 301-302. W. 134.
Z. 164. M. 116. K. I. 185-187. L. 441-443. 752-772. Neptunmond: W. 134.
M. 93. K. I. 187-188.

Kapitel 27. Die wörtlich angeführten Stellen siehe: Sn. 146-147. 115.
349. 350. 447. 381. 383. K. B. 182. 27-28. F. 77. 115. Verschiedene
Geschwindigkeiten: Zeitungsnotiz. Sn. 325. Z. 46.

Kapitel 28. Aberration: Z. 44-55. Sn. 277. Z. 48-50. L. 121-136. Zahl
der Fixsterne: Me. 59-61 usw. Parallaxe: Sn. 317-319. Z. 36-44. Me.
8-10. K. II. 146-158. L. 100-110. Entfernungen der Fixsterne und
nächster Fixstern: Sn. 29. 319-320. 338. 353. M. 136. Sirius, Arktur,
Canopus, Rigel, Deneb: Sn. 321-323. Rigel: Pforzh. Beobachter, Beiblatt
zu Nr. 56, 7. März 1895. Spektralanalyse: Sn. 245. 330-331. W. 9-11.
29-36. Z. 22-30. K. II. 322-371. L. 292-299. Me. 77-79. Einteilung der
Fixsterne: Sn. 332. K. B. 9-16. W. 140-142. Me. 65. K. II. 18-36.
339-354. Eigenbewegung der Fixsterne: Sn. 333-334. M. 145-148. K. II.
111-145. L. 586-590. Me. 74-80. Dunkle Sterne: Sn. 177. 343-344. 352.
364. 369. Me. 73. M. 141. Lichtabsorption: Me. 63. K. II. 319-321. L.
583-584. K. B. 16. Veränderliche Sterne: Me. 66-68 (Miratypus). 68-69
(Lyratypus). 70-72 (Algoltypus). M. 139-140. K. II. 74-99. 345
(Miratypus). 352 (Algol). L. 573-574. 624-635. (Mira 627-628. Algol
628-629.) Unendlichkeit jenseits unsrer Erkenntnis: Me. 103-106.

Kapitel 32. Doppelsterne: Sn. 351. 352-354. 355-356. Me. 73-82. M.
141-143. K. II. 47-51. 159-227. L. 590-623. Vielfache Systeme: Sn. 357.
Me. 73-82. M. 143.

Kapitel 33. Bewohnbarkeit der Planeten: Sn. 176-177. K. B. 112-113.
207-209 (Korrespondenz mit den Mondbewohnern). 397. L. 443-449.

Kapitel 35. Edison: »Wie unwissend sind wir! Wir wissen nicht, was
Schwere ist; auch kennen wir nicht die Natur der Wärme, des Lichts und
der Elektrizität .....« (Pforzh. Gen.-Anz., 14. Jan. 1910, Nr. 11.)

Kapitel 38. Die Gesetze der Entstehung der menschl. Sprache hat der
Verfasser entdeckt.

Kapitel 43. David Gill: »Rede über die Bewegung und Verteilung der
Sterne im Raum.« Jahrbuch der Naturkunde. 1909. (Leipzig, Karl
Prochaska.) Mappierung der Sterne: Me. 61. Sternnebel: W. 149-152. Z.
61-67. Me. 92-97. M. 144-145. K. II. 232-294. 354-361. L. 635-664. Zahl
der Sterne: Me. 59-61 usw. Milchstraße: Me. 98-103. K. II. 295-302. L.
581-582 usw.

Kapitel 46. Neue Sterne: Sn. 362. K. B. 16-19. W. 146-149. Me. 84-91. M.
140. K. II. 100-110.

Kapitel 47. Venus: Württemberger Zeitung, 9. Sept. 1909, Nr. 211, S. 17,
»Der Glanz der Venus«. Sn. 225. 337. K. B. 245-248. W. 111. 118-119. Z.
152. 154. M. 106-107. K. I. 62-74. L. 150. 360-384. Die Sonne:
Entfernung: Sn. 28. 29. 338. M. 46. Me. 10. Flecken: K. B. 60-80. W.
15-20. 51-52. Me. 25-34. 48-49. K. I. 10-17. 19-27. L. 306-326. Fackeln:
K. B. 80-82. W. 20-22. Me. 25-34. K. I. 17-18. L. 306. 326. Eruptionen:
K. B. 95-96. Protuberanzen: K. B. 82-83. 90-91. W. 23-26. Me. 25-34. K.
I. 36-39. L. 338-343. Photosphäre: Me. 24. K. I. 19-22. L. 306. 327-328.
Chromosphäre: K. B. 85-90. W. 23-26. Me. 24. 38. Korona: W. 26-27. Me.
25. 34-36. K. I. 31-36. L. 337-343. Helligkeit: W. 37. Wärme: Me. 15.
Granulation: Me. 23. Stoffe der Sonne: Me. 37-38. Größe, Dichte, Gewicht
usw.: Me. 22.

Kapitel 48. Meteore innen kalt, wenn auch außen geschmolzen: Sn. 421. K.
B. 149-151. Merkur: K. B. 240. M. 106-107. W. 117-118. Z. 152-153. K. I.
56-61. L. 149. 351-360.

Kapitel 50. Die hier neu auftretenden Personen sind den Lesern der
Erzählungen »Im Lande der Zwerge«, »Nach den Mondbergen« und »Ophir«
schon bekannt.

                   *       *       *       *       *

Zu dem Grundproblem meiner Erzählung finde ich nachträglich noch eine
Rechtfertigung in »Hans Dominik: Die Technik des zwanzigsten
Jahrhunderts«, wo wir auf Seite 74 lesen: »Kennen wir aber erst das
Wesen der Schwerkraft, so werden wir sie auch bald zu beherrschen
wissen. Und dann können wir den Blick von unserm Planeten fortwenden,
können als Beherrscher der Schwerkraft und im Besitze neuer,
unermeßlicher Energiequellen an die Eroberung unsers Sonnensystems, an
die Besiedlung andrer Planeten denken. Was vor kurzem noch eine
Ausgeburt der Phantasie erschien, kann über Nacht Realität gewinnen.«
Dem füge ich bei, daß die Beherrschung und Überwindung der Schwerkraft
gelingen kann, auch ohne daß wir zuvor ihr Wesen erkennen, beherrschen
wir doch die elektrische Kraft usw., ohne über ihr Wesen sichere
Kenntnis zu besitzen.

                   *       *       *       *       *






                         Im Lande der Zwerge

   Abenteuer und Kämpfe unter den Zwergvölkern des innersten
   Afrikas. -- Erzählung für Deutschlands Söhne und Töchter von
   Wilhelm Mader. Mit zahlreichen Illustrationen.

                           Preis Mark 4.50.

   Auf Grund wissenschaftlicher Forschungsergebnisse führt uns der
   Verfasser die Pracht der afrikanischen Tropenwelt mit Wesen und
   Sitten der schwarzen und weißen Bewohner vor Augen, namentlich
   der hochinteressanten Zwergvölker Innerafrikas. Das alles
   erfahren wir in lebendigem Erleben, teilnehmend an den
   Jagdabenteuern und merkwürdigen Schicksalen einer Gesellschaft
   von Forschungsreisenden, deren männliche und weibliche Mitglieder
   der Leser liebgewinnen muß. Die erstaunlichen Rätsel, die uns auf
   Schritt und Tritt begegnen und die Spannung aufs höchste
   steigern, finden ihre zum Teil nicht minder erstaunlichen, stets
   aber einleuchtenden und wissenschaftlich wohl begründeten
   Lösungen. -- Obgleich das Buch eine abgeschlossene Erzählung
   bildet, wird gewiß jeder Leser begierig sein, die ferneren
   Schicksale der sympathischen Helden zu erfahren, wie sie in den
   anschließenden Büchern »Nach den Mondbergen« und »Ophir« in
   beständiger Steigerung geschildert werden, wo namentlich die
   edelmütige, heldenhafte kleine Zwergprinzessin Tipekitanga
   eine glänzende Rolle spielt.

           Verlag für Volkskunst, Richard Keutel, Stuttgart


                         Nach den Mondbergen

   Eine abenteuerliche Reise nach den rätselhaften Quellen des Nils.
   -- Erzählung für Deutschlands Söhne und Töchter von Wilhelm
   Mader. Mit zahlreichen Illustrationen.

                           Preis Mark 4.50.

   Nicht etwa um eine Fahrt nach dem Mond handelt es sich, sondern
   um eine Reise nach den rätselhaften Nilquellen, die den
   geheimnisvollen »Mondbergen« der Alten entspringen. Den
   Albert-Edward-See entlang, durch Ruanda, über die
   Virunga-Vulkane, den Kiwu und Tanganjika zieht sich die Reise bis
   zum Lokinga-Gebirge und macht den Leser mit Land und Leuten nach
   den neuesten Forschungen gründlich vertraut, aber stets in
   lebendig unterhaltender und anschaulicher Weise. Reich an
   fesselnden und spannenden Ereignissen, erreicht die Erzählung
   ihren Höhepunkt in den Schlußkapiteln, die dem Leser die
   Geheimnisse der Nilquellen enthüllen, ihre überwältigenden Wunder
   vor Augen führen und die Rätselfragen, die seine Erwartung spannten,
   in großartiger Weise zur Lösung bringen. Erheiternd wirkt
   zwischenhinein namentlich die mit köstlichem Humor gezeichnete
   Gestalt Kaschwallas, des schwarzen Falstaff.

   Die Erzählung ist in sich abgeschlossen, bildet aber die Fortsetzung
   zu »Im Lande der Zwerge« und wird selber fortgesetzt und
   abgeschlossen durch »Ophir«, das dem Leser die ferneren Abenteuer
   der ihm liebgewordenen Afrikaforscher schildert.

           Verlag für Volkskunst, Richard Keutel, Stuttgart


                               »Ophir«

   Abenteuer und Kämpfe auf einer Reise in das Sambesigebiet und
   durch das fabelhafte Goldland Ophir. Erzählung für Deutschlands
   Söhne und Töchter von Wilhelm Mader. Mit zahlreichen
   Illustrationen.

                           Preis Mark 4.50.

   Diese dritte und letzte der Erzählungen des Verfassers, die uns in
   gediegenster Weise mit den Wundern Zentralafrikas vertraut machen,
   ist, wie die andern, als selbständige, abgeschlossene Erzählung
   gegeben; doch bildet sie zugleich die Fortsetzung und den
   Abschluß der vorhergehenden (»Im Lande der Zwerge« und »Nach den
   Mondbergen«). -- Umfangreicher als die beiden andern, läßt auch
   sie den Leser vom ersten bis zum letzten Kapitel nicht los: all
   die Rätsel des alten biblischen Ophir, südlich vom Sambesi, die
   Irrfahrten, Abenteuer und wundersamen Erlebnisse der
   heldenmütigen Forscher fesseln und steigern die Erwartung von
   einer Episode zur andern. Das Buch enthält ganz großartige
   Schilderungen, wie beispielsweise: die Überlistung der
   Sklavenjäger, die Fahrt durch die Stromschnellen des Sambesi und
   namentlich die mit staunenswerter Phantasie geschilderten
   »springenden Wasser« mit den Geheimnissen, die sie beschützen:
   das sind Wirkungen von ganz einzigartiger Gewalt! Der schwarze
   Kaschwalla und der dicke Kapitän Hugo von Münchhausen sorgen
   dafür, daß der Leser über dem Staunen und Ergriffensein das
   Lachen nicht verlernt, während die Taten der Zwergprinzessin zur
   Bewunderung hinreißen. Wer die Stunden, die er dem Lesen von
   »Ophir« widmete, nicht zu den genußreichsten seines Lebens zählt,
   dem ist nicht mehr zu helfen! Dem Genuß aber hält der Gewinn, den
   der Leser daraus schöpft, die Wage.

           Verlag für Volkskunst, Richard Keutel, Stuttgart

   Preßstimmen über die Jugenderzählungen von W. Mader

   Ein vorzügliches Buch für die reifere Jugend, das in glücklichster
   Weise Phantasie und Wirklichkeit verbindet, belehrend,
   aufklärend, fesselnd von Anfang bis zu Ende. Der Bilderschmuck
   ist ausgezeichnet. Wir stellen es neben den Robinson und über den
   Lederstrumpf.

                                          (Christlicher Bücherschatz.)

   Der Verfasser führt in Gebiete, die noch in keiner Jugendschrift
   beschrieben worden und die auch dem Gebildeten nahezu unbekannt
   sind. Namentlich aber um seines sittlichen Gehalts willen ist das
   Buch christlichen Eltern für ihre Söhne warm zu empfehlen.

                                     (Quellwasser fürs deutsche Haus.)

   Mader vereinigt ein ganz erstaunlich ausgebreitetes und sicheres
   Wissen mit einer geradezu bewundernswerten Einbildungskraft ....
   Wie Mader beides zu befriedigen sucht, den Wissensdurst und den
   Hunger der Einbildungskraft der Jugend, das verdient sicher ernste
   Beachtung. Und wenn unsereiner im Alter auch noch gerne solche
   Bücher für Knaben liest, so braucht er sich darum nicht zu
   schämen.

                         (Evangelisches Kirchenblatt für Württemberg.)

   -- -- So ergibt sich wieder ein durch und durch spannendes Buch, ein
   Buch, das der Naturwissenschaft gleichsam vorauseilt und sich
   doch von ihr nicht so berückt zeigt, um dadurch religiöse und
   sittliche Werte in den Schatten stellen zu lassen. Die Freunde des
   El Dorado werden das neue Buch Maders ihren Kindern gewiß wieder
   gerne auf den Weihnachtstisch legen; ja es wird wahrscheinlich
   noch eine größere Verbreitung finden.

                               (Kirchlicher Anzeiger für Württemberg.)

   -- -- Das Ganze ist in packender, spannender Weise geschildert. Die
   Spannung wächst von Kapitel zu Kapitel und man legt das Buch
   nicht eher aus der Hand, bis das letzte Kapitel zu Ende ist. W.
   Mader besitzt die Gabe zu schildern, seine Feder zeichnet ein
   wunderbares Bild nach dem andern, ferne fremde Welten mit all dem
   geheimnisvollen Zauber, der sie umgibt, tun sich dem Lesenden auf
   und nehmen sein ganzes Interesse gefangen .... Für die Knabenwelt
   kann neben El Dorado kaum ein passenderer Lesestoff für den
   Weihnachtstisch empfohlen werden.

                                         (Generalanzeiger Reutlingen.)

   -- -- Auch wissenschaftlich ist das Buch von hohem Wert. Der
   Verfasser stellt darin ganz neue, einfach großartige technische
   Probleme auf, die er mit überzeugender Einfachheit löst. Durch
   eine Art Münchhausenscher Abenteuer, die mit köstlichem Humor
   dargestellt sind, werden die vielen Begebenheiten der Erzählung
   angenehm gewürzt ....

                                        (Deutschlands Jugend, Berlin.)

   -- -- Die mannigfaltigen und unerklärlichen Abenteuer und
   Erlebnisse, die das Leben der kleinen Gesellschaft täglich
   ausfüllen und die sie bekannt machen mit dem Leben im australischen
   Busch, sind ungemein spannend geschildert und dabei so lebendig, daß
   der Leser die Begebenheiten mitzuerleben vermeint.

                                                     (Ulmer Tagblatt.)




Anmerkungen zur Transkription

Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Hervorhebungen, die im
Original g e s p e r r t sind, wurden mit Unterstrichen wie _hier_
gekennzeichnet. Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt sind,
wurden ^so^ markiert.

Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt
(vorher/nachher):

   [S. 4]:
   ... nicht, dies ausdrücklich hervorzuheben: kein Mench kann
       wissen, welche ...
   ... nicht, dies ausdrücklich hervorzuheben: kein Mensch kann
       wissen, welche ...

   [S. 13]:
   ... Kolben und Metallgefässen verwahrte er die chemischen Stoffe,
       aus denen ...
   ... Kolben und Metallgefäßen verwahrte er die chemischen Stoffe,
       aus denen ...

   [S. 36]:
   ... der Sannah kaum in Betracht kommt und keinesfalls unsre
       rasche Entferung ...
   ... der Sannah kaum in Betracht kommt und keinesfalls unsre
       rasche Entfernung ...

   [S. 46]:
   ... weiß, ob sie nicht auf unsre Lungen eine gefährliche,
       vielleicht tötliche ...
   ... weiß, ob sie nicht auf unsre Lungen eine gefährliche,
       vielleicht tödliche ...

   [S. 81]:
   ... »Sie haben ja recht behalten, Lord,« gestand Schultzte nun
       ein: »Aber rätselhaft ...
   ... »Sie haben ja recht behalten, Lord,« gestand Schultze nun
       ein: »Aber rätselhaft ...

   [S. 82]:
   ... zu, daß der Widerstand der verhälnismäßig ruhenden
       Weltatmosphäre sie ihrer ...
   ... zu, daß der Widerstand der verhältnismäßig ruhenden
       Weltatmosphäre sie ihrer ...

   [S. 95]:
   ... athmospärischen Hülle umgeben, die sie vor der Reibung im
       Weltraum ...
   ... atmosphärischen Hülle umgeben, die sie vor der Reibung im
       Weltraum ...

   [S. 117]:
   ... nimmt man an, er habe eine besonders dichte Atmospöre; dies
       ist ...
   ... nimmt man an, er habe eine besonders dichte Atmosphäre; dies
       ist ...

   [S. 144]:
   ... das Zangenglied vom Leibe des Riesenskorpions, das nun von
       weiteren ...
   ... das Zangenglied vom Leibe des Riesenskorpions, der nun von
       weiteren ...

   [S. 153]:
   ... schleunigst den umheimlichen Ort verließ, obgleich die Gefahr
       nun vorüber ...
   ... schleunigst den unheimlichen Ort verließ, obgleich die Gefahr
       nun vorüber ...

   [S. 167]:
   ... wie begeistert Snyder die Genies der astronomischen
       Wissenschaft lobt, nament- ...
   ... wie begeistert Snyder die Genies der astronomischen
       Wissenschaft lobt, namentlich ...

   [S. 240]:
   ... wenn in solcher Höhe dort oben eine so herrliche Pflanzenwelt
       fortkommt, ...
   ... wenn in solcher Höhe dort oben eine so herrliche Pflanzenwelt
       vorkommt, ...

   [S. 243]:
   ... schloßen sich. ...
   ... schlossen sich. ...

   [S. 256]:
   ... Edens, durch das Dach ein; da die Villa einstockig war,
       gelang allen der ...
   ... Edens, durch das Dach ein; da die Villa einstöckig war,
       gelang allen der ...

   [S. 289]:
   ... erwarten zu dürfen, daß er die lautere Wahrheit sage; denn
       Spässe, die ...
   ... erwarten zu dürfen, daß er die lautere Wahrheit sage; denn
       Späße, die ...

   [S. 312]:
   ... Nacht kennt, die im Durchschniit 44 Erdentage währen, kehrte
       beinahe ...
   ... Nacht kennt, die im Durchschnitt 44 Erdentage währen, kehrte
       beinahe ...

   [S. 330]:
   ... Kapitel 6. Lufthülle des Monds L. 464-465. W. 87-88.
       Dämmerungserscheinuungen ...
   ... Kapitel 6. Lufthülle des Monds L. 464-465. W. 87-88.
       Dämmerungserscheinungen ...






End of the Project Gutenberg EBook of Wunderwelten, by Friedrich Wilhelm Mader

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WUNDERWELTEN ***

***** This file should be named 50770-8.txt or 50770-8.zip *****
This and all associated files of various formats will be found in:
        http://www.gutenberg.org/5/0/7/7/50770/

Produced by Jens Sadowski

Updated editions will replace the previous one--the old editions will
be renamed.

Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
law means that no one owns a United States copyright in these works,
so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
States without permission and without paying copyright
royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
of this license, apply to copying and distributing Project
Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
specific permission. If you do not charge anything for copies of this
eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
performances and research. They may be modified and printed and given
away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
trademark license, especially commercial redistribution.

START: FULL LICENSE

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
www.gutenberg.org/license.

Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
Gutenberg-tm electronic works

1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or
destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your
possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
1.E.8.

1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement. See
paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
electronic works. See paragraph 1.E below.

1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
works in the collection are in the public domain in the United
States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
United States and you are located in the United States, we do not
claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
displaying or creating derivative works based on the work as long as
all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when
you share it without charge with others.

1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
in a constant state of change. If you are outside the United States,
check the laws of your country in addition to the terms of this
agreement before downloading, copying, displaying, performing,
distributing or creating derivative works based on this work or any
other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no
representations concerning the copyright status of any work in any
country outside the United States.

1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear
prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work
on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the
phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed,
performed, viewed, copied or distributed:

  This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
  most other parts of the world at no cost and with almost no
  restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it
  under the terms of the Project Gutenberg License included with this
  eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the
  United States, you'll have to check the laws of the country where you
  are located before using this ebook.

1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is
derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
contain a notice indicating that it is posted with permission of the
copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
the United States without paying any fees or charges. If you are
redistributing or providing access to a work with the phrase "Project
Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
posted with the permission of the copyright holder found at the
beginning of this work.

1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
any word processing or hypertext form. However, if you provide access
to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works
provided that

* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
  the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
  you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
  to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
  agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
  within 60 days following each date on which you prepare (or are
  legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
  payments should be clearly marked as such and sent to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
  Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
  Literary Archive Foundation."

* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
  you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
  does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
  License. You must require such a user to return or destroy all
  copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
  all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
  works.

* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
  any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
  electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
  receipt of the work.

* You comply with all other terms of this agreement for free
  distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than
are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The
Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm
trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
electronic works, and the medium on which they may be stored, may
contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
cannot be read by your equipment.

1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from. If you
received the work on a physical medium, you must return the medium
with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.