Im Zauber des Tierlebens

By Friedrich von Lucanus

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Title: Im Zauber des Tierlebens

Author: Friedrich von Lucanus

Release date: September 3, 2024 [eBook #74363]

Language: German

Original publication: Berlin: Wegweiser-Verlag G. m. b. H, 1926

Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK IM ZAUBER DES TIERLEBENS ***


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                     Anmerkungen zur Transkription

  Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1926 so weit
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                         Friedrich von Lucanus

                       Im Zauber des Tierlebens

                                   *




                              Dieses Buch
                      wurde als vierter Band der
               siebenten Jahresreihe für die Mitglieder
                 des Volksverbandes der Bücherfreunde
             hergestellt und wird nur an diese abgegeben.
                  Den Einband entwarf August Becker.
                  Das echte Ziegenleder wurde von der
               Lederfabrik Carl Simon Söhne G. m. b. H.
                          in Kirn an der Nahe
                               geliefert

                          Nachdruck verboten
           Copyright 1926 by Volksverband der Bücherfreunde
                 Wegweiser-Verlag G. m. b. H., Berlin




[Illustration: F. v. Lucanus]




                       Im Zauber des Tierlebens

                                  von

                         Friedrich von Lucanus

                                   *

                           Mit einem Bildnis
                   des Verfassers und 32 Abbildungen

                                   *

                            [Illustration]

                    Volksverband der Bücherfreunde
                     Wegweiser-Verlag G. m. b. H.
                              Berlin 1926




Inhaltsverzeichnis


  Tiere der Vorwelt                                                   11

  Zeitalter der Erdgeschichte, ihre Tierwelt. Morgenrötetier.
  Brückenechse. Lanzettfisch. Saurier der Sekundärzeit. Das Mammut
  und andere Altelefanten. Der Urvogel Archäopteryx. Die Tierwelt
  des Tertiär. Entstehung des Pferdes. Die Eiszeit. Riesenhirsch.
  Moschusochse. Abstammung des Haushundes. Riesenalk und Dronte.
  Stammesgeschichte des Menschen, Neandertalrasse, Pithecanthropus,
  Rhodesiamensch, Australopithecus.

  Fortpflanzung und Liebesleben                                       40

  Einzeller. Fortpflanzung durch Teilung und Knospung. Vielzeller.
  Haeckels Biogenetisches Grundgesetz. Blastula und Gastrulation.
  Schwämme, Hohltiere und Strahlentiere. Fortpflanzung der Würmer.
  Trichine, Bandwurm. Naturgesetze der Fruchtbarkeit. Liebesleben
  der Schnecken. Fortpflanzung und Liebesleben der Insekten.
  Parthenogenesis. Bienen, Ameisen, Ibisfliege, Gallwespe,
  Schlupfwespen. Polyembryonie. Eineiige und zweieiige Zwillinge.
  Fortpflanzung, Brutpflege und Liebesleben der Fische, Amphibien
  und Reptilien. Der künstliche Brutofen der Wallnister oder
  Großfußhühner. Perverses Liebesleben der Laufhühnchen. Winterbrut
  des Kreuzschnabels. Herbstbrunft des Rothirsches. Rauschzeit des
  Schwarzwildes im Winter. Fortpflanzung des Rehes und der Fledermäuse.
  Eierlegende Säugetiere. Beuteltiere. Der Dingo, ein Wildhund
  Australiens.

  Biotechnik                                                          84

  Die Schwimmblase des Fisches und ihre Bedeutung. Darmatmung.
  Hauptsinnesorgane der Fische. Ohr der Fische, seine Bedeutung als
  Gleichgewichtssinn und Geschwindigkeitsmesser. Das Schwimmen der
  Fische, Säugetiere und Vögel. Schwimmen der Quallen. Nesselorgane
  der Quallen als Dynamitbomben. Kletterbewegungen der Affen. Der
  Affenschwanz als Klammerorgan. Das Fliegen der Lurche, Kriechtiere,
  Fische, Säugetiere, Insekten und Vögel. Die Technik des Fliegens.
  Fluggeschwindigkeit und Flugdauer der Vögel. Stimme und Gesang
  der Vögel. Instrumentallaute des Storches, der Spechte, der
  Bekassine und der Enten. Instrumentallaute der Fische. Stimme
  der Lurche. Instrumentallaute der Reptilien. Klapperschlange,
  Klappschildkröte, Wundergecko. Das Zirpen der Heuschrecken, Grillen
  und Zikaden. Totenuhr. Kraftleistungen der Insekten. Holzwespen
  zerstören Stahlmantelgeschosse. Schnellapparat der Schnellkäfer.
  Pfeilschwanzkrebse. Elektrische Tiere. Zitterwels, Zitteraal,
  Zitterrochen. Besondere Instrumente: Eckzähne des Walrosses,
  Stoßzähne des Elefanten, Horn des Nashorns. Schwertfisch, Sägefisch,
  Hammerfisch. Seihapparat des Walfischmauls und der Wasservögel.
  Der Vogelschnabel als technisches Werkzeug. Die Saugzunge der
  Honigsauger, die Pinselzunge der Loris, die Löffelzunge des
  Ararakakadus.

  Wanderungen                                                        130

  Wanderungen der Zugvögel: Entfernung der Winterherberge,
  Schnelligkeit des Wanderfluges, Zugstraßen und Zug in breiter Front.
  Entstehung und Ursachen des Zuges. Tag- und Nachtwanderer. Geselliger
  und einsamer Zug. Fluganordnungen auf dem Zuge. Zugrichtungen,
  Höhe des Zuges. Orientierung. Wanderungen des Tannenhähers und
  Steppenhuhnes. Wandertaube und Karolinasittich. Wanderungen des
  Bisons. Bison, Wisent und Auerochse. Maßnahmen zur Erhaltung des
  Wisents in Europa. Rentier und Moschusochse. Wanderungen der
  Lemminge, Eichhörnchen, Ratten und Mäuse. Wanderungen des Aals und
  Lachses. Wanderungen der Schollen, anderer Flachfische und der
  Heringe. Heringsberge. Heringsfischerei. Orientierung der Fische
  und Vögel auf den Wanderungen. Heuschreckenplagen. Raupen der
  Prozessionsspinner.

  In Nacht und Finsternis                                            172

  Maulwurf und Goldmull. Guacharo. Ziegenmelker, Eulen und Kiwi.
  Koboldmaki. Olm, Blindwühlen, Ringelechsen, Blindschlangen,
  Geckos. Tierleben der Tiefsee. Leuchtorgane der Tiefseetiere.
  Tiefseeexpeditionen. Leuchtkäfer. Leuchtorgane der Prachtfinken.
  Bedeutung buntfarbiger Schnabelränder junger Sperlingsvögel.
  Winterschlaf und Sommerschlaf der Amphibien, Reptilien und
  Fische. Winterschlaf der Säugetiere: Haselmaus, Gartenschläfer,
  Siebenschläfer, Murmeltier, Fledermäuse, Hamster, Ziesel. Abnormer
  Sommerschlaf des Siebenschläfers. Dachs und Bär.

  Kunst und Handwerk im Leben der Tiere                              213

  Kunstbauten des Bibers. Leben des Maulwurfs, sein Brunnenbau. Nest
  der Zwergmaus. Der Ringelschwanzphalanger. Nest- und Fallenbau des
  Eichhorns. Netze der Spinnen. Erdbau der Minierspinne. Fallgrube
  des Ameisenlöwen. Kunst der Pillendreher. Leichenbestattung der
  Totengräber. Bauten der Bienen, Wespen, Ameisen. Gartenbau,
  Pilzkulturen und Ackerbau der Ameisen. Burgen der Termiten.
  Vogelnester. Die Vögel als Erdarbeiter, Zimmerleute, Töpfer,
  Korbflechter, Weber, Pfahlbauer und Schneider. Webeameisen.
  Sammelkörbchen der Bienen. Stachelkleid des Igels. Nestbau der
  Fische. Beruhen die Kunstbauten der Tiere auf Intelligenz? Bedeutung
  der angeborenen Triebe. Das Fliegen und Schwimmen der Vögel, die Art
  ihres Nahrungserwerbs und Nestbaues. Die Kunstbauten des Bibers als
  Triebhandlungen. Affekte, Verwertung von Erfahrungen. Assoziation.
  Artliche und individuelle Unterschiede in der geistigen Begabung.
  Gehirn der Vögel. Intelligenz der Menschenaffen. Anthropoidenstation
  auf Teneriffa. Gebrauch von Werkzeugen durch Affen. Gedächtnis
  des Schimpansen und anderer Tiere. Begriff des Zeitunterschieds
  und das Ichbewußtsein beim Tier. Soziales Leben des Schimpansen.
  Geselligkeitstrieb. Verteidigung bedrängter Artgenossen. Kunst- und
  Schönheitssinn der Tiere.

  Schutzfarben und Nutztrachten                                      256

  Mimikry. Stabheuschrecke. Wandelndes Blatt. Mimikry der
  Schmetterlinge, der Teufelsblume und Gottesanbeterin. Der
  Fetzenfisch. Schutzfärbung des Laubfrosches, der Wüstenspringmaus,
  des Schneehuhnes und anderer Tiere. Bodenfarbiges Gefieder
  der Erdbrüter. Sommerkleid der Erpel. Schutzfarbe der Fische.
  Farbenveränderung der Fische, des Laubfrosches und einiger Reptilien.
  Das Stachelkleid des Molochs, Riesengürtelschweifs und der
  Krötenechse. Blutspritzen der Krötenechse. Warnfarbe giftiger Tiere.
  Somalyse. Entstehung der Schutzfarben. Darwinismus. Entwicklungslehre
  und Religion. Unsterblichkeit. Neue Forschungen über die Entstehung
  der Färbung der Tiere. Wert der Schutzfarbe. Mimikry des Kuckuckseies.

  Verstellungskünste                                                 290

  Vorgetäuschte Flügellahmheit der Vögel. Schutz- und
  Schreckstellungen. Giftige Fische. Tarnkappe des Tintenfisches.
  Sichtotstellen der Insekten.

  Soziales Leben und Staatenbildung                                  300

  Vergesellschaftung der Schmetterlinge, Eidechsen und Salamander.
  Massenauftreten der Raupen, ihre Orientierung durch den Tastsinn.
  Schwarmbildung der Fische. Rudel der Hirsche, Antilopen, Zebras
  und Büffel. Gemeinsame Verteidigung der Moschusochsen. Wachposten
  der Gemsen und Steinböcke. Soziales Leben der Affen. Horden-
  und Familienleben der Menschenaffen. Angriffe des Gorillas auf
  den Menschen. Raubtiere. Jagden der Wölfe und des Hyänenhundes.
  Gemeinsamer Fischfang des Schuhschnabels und der Schlangenhalsvögel.
  Geselligkeitstrieb der Vögel. Symbiose. Krokodil und Krokodilwächter.
  Madenhacker. Symbiose eines Fisches und einer Aktinie. Parökie
  der Korallenfische. Synökie des Nadelfisches mit der Seegurke.
  Schiffshalter. Parasitismus der Fische. Tierkolonien der Blumentiere.
  Korallenriffe. Seefedern. Staatsquallen. Staatenbildung der Bienen
  und Ameisen. Arbeitsteilung, Sklaverei, Kriegführung, Viehhaltung
  der Ameisen. Narkotische Genußsucht. Treibjagden der Treiberameisen.
  Staatsleben der Termiten. Verständigung der Termiten und Ameisen.
  Farbensinn der Insekten. Sprache der Bienen.




Verzeichnis der Abbildungen


  1. Diplodocus                                                       16

  2. Flugsaurier                                                      17

  3. Ameisenigel (eierlegendes Säugetier)                             32

  4. Schnabeltier (eierlegendes Säugetier)                            32

  5. Eichhörnchen-Flugbeutler                                         33

  6. Mondfisch                                                        48

  7. Königspinguin                                                    49

  8. Fliegender Fisch                                                 64

  9. Schwertfisch                                                     65

  10. Tukan                                                           80

  11. Bison                                                           81

  12. Rentier                                                        112

  13. Rentierherde                                                   113

  14. Uhu                                                            128

  15. Kiwi                                                           129

  16. Blattschwanzgecko                                              160

  17. Zwergmäuse mit ihren Nestern                                   161

  18. Kreuzspinne bei der Anfertigung des Netzes                     176

  19. Stabheuschrecken                                               177

  20. Wandelndes Blatt                                               208

  21. Chamäleon mit vorgestreckter Zunge                             209

  22. Riesengürtelschweif                                            224

  23. Krötenechse                                                    225

  24. Anoli                                                          225

  25. Kragenechse                                                    256

  26. Kugelfisch                                                     257

  27. Harzhirsch in der Suhle                                        272

  28. Gorilla                                                        273

  29. Junge Schimpansen                                              304

  30. Schimpanse                                                     305

  31. Junger Orang-Utan                                              320

  32. Orang-Utan „Sandy“                                             321




Tiere der Vorwelt


Die Fauna, die heute die Erde belebt, ist nicht das Werk eines
einmaligen Schöpfungsaktes. Sie ist aus bescheidenen Anfängen
hervorgegangen und hat sich allmählich zu jenen Formen ausgewachsen,
die heute die jeweiligen Endglieder in der Stufe der stetig
fortschreitenden Entwicklung und Umwandlung bilden.

Ebenso wie die Erde selbst vielfachen Umformungen unterworfen war, und
unter dem Wechsel des Klimas die Vegetation eine wiederholte Umbildung
erfuhr, war auch der Charakter der Tierwelt in den verschiedenen
Erdperioden ein ganz anderer.

[Sidenote: Zeitalter der Erdgeschichte, ihre Tierwelt]

Die Paläontologie unterscheidet fünf Zeitalter der organischen
Erdgeschichte: Das Archozoische Zeitalter oder Primordialzeit, das
Paläozoische Zeitalter oder Primärzeit, das Mesozoische Zeitalter
oder Sekundärzeit, das Känozoische Zeitalter oder Tertiärzeit und das
Anthropozoische Zeitalter oder Quartärzeit, jene Zeit, in der der
Mensch in die Welt tritt.

Innerhalb dieser Zeitabschnitte lassen sich verschiedene
Unterabschnitte erkennen. Während die Primordialzeit nur eine
Formation, die Laurentische, aufweist, setzen sich die übrigen
Zeitalter aus mehreren Formationen zusammen. Es würde zu weit
führen, sie alle einzeln zu nennen. Hervorgehoben sei nur, daß
die Steinkohlenformation der oberen Primärzeit angehört, daß die
Sekundärzeit sich in drei Formationen, Trias, Jura und Kreide, die
Tertiärzeit ebenfalls in drei Formationen, Eozän, Miozän und Pliozän,
und die Quartärzeit in zwei Unterabschnitte, Diluvium und Alluvium,
das die heutige Zeitepoche ist, gliedert.

Diese Zeitperioden sind eine mehr oder weniger willkürliche Einteilung,
ein System der paläontologischen Wissenschaft. In Wirklichkeit gibt es
keine scharfen Trennungsstriche, sondern allmähliche, über Jahrtausende
sich erstreckende Übergänge reihen die Erdperioden unmerklich
aneinander und verschmelzen sie zu einem einheitlichen Ganzen. Langsam
und allmählich entstand das Tier- und Pflanzenleben. Jahrtausende
und Jahrmillionen waren notwendig, um eine Veränderung der Formen
hervorzurufen, Altes vergehen und Neues entstehen zu lassen. „πάντα
ῥεῖ“, wie Heraklit so treffend sagte, „Alles dauernd im Fluß“. --

Das älteste Gestein der Laurentinischen Formation ist der
kristallinische Schiefer. Da er Kohlensubstanz, Graphit und Anthrazit
sowie Kalk enthält, so ist die Annahme eines organischen Lebens in
dieser Zeit durchaus berechtigt; denn Kohle ist der Rückstand einer
ehemaligen Vegetation und Kalk der Rest von Muschelschalen und anderen
tierischen Gehäusen. Von anderer Seite wird freilich gegen die Annahme
eines organischen Lebens in jener Zeitperiode Einspruch erhoben, weil
im kristallinischen Schiefer Versteinerungen nicht mit Sicherheit
nachgewiesen werden können. Dann müßte man freilich annehmen, daß Kalk
und Kohle in diesem Falle ihren Ursprung nicht aus der organischen
Welt herleiten, sondern auf eine andere Weise entstanden sind. Dies
widerspricht jedoch unserer Auffassung von dem Wesen dieser Stoffe.

[Sidenote: Morgenrötetier]

Im Laurentinischen Gestein in Kanada fand man eigentümliche Gebilde,
die ein Netzwerk von Verästelungen darstellten. Namhafte Forscher sehen
hierin die Versteinerungen von einzelligen Tieren aus der Ordnung der
Wurzelfüßer oder Rhizopoden, die aus einem Protoplasmakörper mit einem
kalkartigen Gehäuse bestanden haben. Trifft diese Erklärung zu, dann
würde dies einzellige Wesen der Primordialzeit das älteste Tier der
Erdgeschichte sein, jenes Wesen, auf das sich die spätere Entwicklung
der ganzen Tierwelt aufbaut und das gewissermaßen die Morgenröte in der
Tierwelt darstellt. Man hat es daher das „Morgenrötetier“ genannt.

Von anderen Forschern wird freilich der organische Ursprung dieser
Zeichen in dem ältesten kanadischen Gestein geleugnet. Sie meinen
vielmehr, daß es sich nur um eine anorganische Bildung im Gestein
selbst handelt. Die Frage ist heute noch ungelöst, und infolgedessen
sind organische Versteinerungen in der Primordialzeit noch nicht mit
Sicherheit nachgewiesen.

In der Primärzeit, dem Altertum der Erdgeschichte, gab es in den ersten
Perioden bereits Würmer, Krebse, Schnecken und andere Weichtiere, wie
uns Abdrücke ihrer Fußspuren und Versteinerungen erkennen lassen. Sogar
die ersten Wirbeltiere traten auf in Gestalt eigentümlicher Fische mit
gepanzertem Körper und einer einheitlichen Augenöffnung auf der Mitte
der Stirn, die darauf hindeutet, daß diese Tiere vielleicht einäugig
waren; jedoch können in der länglich geschlitzten Augenöffnung auch
zwei Augen dicht nebeneinander gelegen haben. Insekten, die an die
heutigen Grillen, Skorpione und Eintagsfliegen erinnern, lebten bereits
zu jener Zeit. Auch die typische Meeresfauna, Korallen, Stachelhäuter
und Quallen, war schon vorhanden. Am Ende dieser Zeitperiode traten die
ersten Amphibien und Reptilien auf.

[Sidenote: Brückenechse]

Noch heute lebt auf Neuseeland ein Vertreter jener ältesten Reptilien.
Es ist dies die Brückenechse (~Sphenodon punctatus~), eine etwa 75 ~cm~
große Eidechse von plumper Gestalt mit großem, eckigem Kopf. Kopf,
Rücken und Schwanz tragen einen Kamm aus Stacheln. Die Farbe des
Tiers ist olivgrün mit kleinen hellen Flecken. In ihrem inneren Bau,
dem Skelett und den Organen vereinigt die sonderbare Echse Merkmale
der Lurche, Schildkröten und Schlangen. So bildet die Brückenechse
eine Mittelform, eine „Brücke“, zwischen diesen Tieren. Der heutigen
Brückenechse sehr nahe verwandte Formen, die Urbrückenechse und
der Protorosaurus, sind bereits aus den Versteinerungen der oberen
Primärzeit bekannt. Die Brückenechse ist daher eins der ältesten
Wirbeltiere, das sich aus den Anfängen der Erdgeschichte bis auf den
heutigen Tag in fast unveränderter Form erhalten hat.

[Sidenote: Lanzettfisch]

Ein würdiges Seitenstück zur Brückenechse ist der Lanzettfisch, ein
kleines, nur wenige Zentimeter langes fischähnliches Wesen, das an
den flachen Meeresküsten lebt. „Ein Schauer der Ehrfurcht“, sagt
+Otto Steche+ in der neuen Ausgabe von Brehms Tierleben, „müßte den
Beobachter, dem unsere Vorstellungen über die Entwicklung der Tierreihe
nicht bloße Worte sind, beim Anblick dieses unscheinbaren Tieres
erfüllen. Gilt es doch für den Urahnen unseres Stammes, das älteste
Tier, von dem wir mit einiger Sicherheit die Reihe der Wirbeltiere
ableiten können, als deren höchste Blüte wir Menschen uns zu betrachten
gewohnt sind.“

Der Lanzettfisch (~Amphioxus~) bildet mit wenigen Verwandten den
besonderen Unterkreis der schädellosen Wirbeltiere (~Acrania~),
denen, wie schon der Name verrät, ein Schädel fehlt. In seiner
langgestreckten, flachen Gestalt ähnelt Amphioxus einem dünnen
Weidenblatt. Ein Kopf ist nicht vorhanden, sondern das vordere
Leibesende läuft ebenso wie das hintere Ende in eine Spitze aus, die
eine runde Öffnung besitzt.

Äußere Gliedmaßen fehlen, nur ein schmaler Flossensaum steht auf
dem Rücken und verbreitert sich hinten zu einer lanzettförmigen
Schwanzflosse. Eine eigentliche Wirbelsäule ist noch nicht vorhanden,
sie wird nur durch einen dünnen, knorpeligen Strang angedeutet, der
Achsenstab (~Chorda dorsalis~) genannt wird. Unmittelbar über dem
Achsenstab, und mit diesem durch eine Scheide verbunden, läuft ein
Markstrang, der dem Rückenmark der höheren Wirbeltiere entspricht.
Die vordere Leibesöffnung dient als Mund, die hintere als After.
Beide Öffnungen sind durch einen Darm verbunden. Der Darm ist durch
eine Einschnürung in zwei Hälften geteilt. Der vordere Teil dient
ausschließlich der Atmung. Das zur Atmung durch die Mundöffnung
eingezogene Wasser sickert durch die Darmwand in die Leibeshöhle und
läuft durch eine besondere Leibesöffnung nach Verbrauch des Sauerstoffs
wieder nach außen ab. Der hintere Teil des Darmes besorgt die Verdauung
der aus Infusorien bestehenden Nahrung, die mit dem Wasser aufgenommen
wird. Ein am hinteren Darmteil befindlicher Sack funktioniert in
einfachster Form als Leber. Ein Herz fehlt; der Kreislauf des farblosen
Blutes wird durch die Adern selbst verursacht. Der Lanzettfisch ist
getrennten Geschlechts. Ei- und Samenzellen befinden sich in kleinen
Taschen im Leibe und werden durch die Mundöffnung ausgestoßen.

Amphioxus stellt offenbar den Urtyp des Wirbeltieres dar. Er zeigt
uns in seiner wurmähnlichen Gestalt die Umformung des Wurmes zum
Wirbeltier. Mit Recht dürfen wir daher den Lanzettfisch als das älteste
Wirbeltier betrachten, das jedenfalls noch bedeutend älter sein muß als
die Brückenechse mit ihrer schon vollendeten Wirbeltiergestalt und jene
Fische, die schon in der oberen Primärzeit die Gewässer bevölkerten.
Sein Ursprung liegt viel weiter zurück, er ist eine Schöpfung
mindestens der ältesten Primärperiode, der Kambrischen Formation,
vielleicht sogar der allerältesten Zeitepoche, des archozoischen
Erdalters.

[Sidenote: Saurier der Sekundärzeit]

Die typischen Tiere der Sekundärzeit sind jene gewaltigen Riesenechsen,
die Saurier, die zusammen mit riesenhaften froschähnlichen Amphibien
die Erde belebten.

Das Gebiß dieser Reptilien erinnert mit seinen mächtigen, spitzen
Eckzähnen teils an das Gebiß der heutigen Raubtiere, teils mit seinen
gleichförmigen Zahnreihen an das Gebiß der Pflanzenfresser und des
Menschen.

In der Jurazeit finden wir die Fischechsen Ichthyosaurus und
Plesiosaurus, beides echte Wasserbewohner mit zu Flossen gewordenen
vorderen und hinteren Gliedmaßen, die ihr Wesen nach Art der Walfische
im Weltmeer trieben. Der kurzhalsige Ichthyosaurus hatte eine lange,
schnabelartige, mit zahlreichen Zähnen bewaffnete Schnauze, während
der langhalsige Plesiosaurus mit seinem gestreckten, geschmeidigen
Körper einen kleinen, schlangenartigen Kopf besaß und in hervorragender
Weise dem Leben im Wasser angepaßt war. Der Plesiosaurus übertraf den
Ichthyosaurus bedeutend an Größe. Das Tier erreichte eine Länge von
etwa 15 ~m~, wovon fast die Hälfte auf den Hals kam, der je nach der
Art 40-72 Wirbel besaß. Dieser lange, offenbar sehr bewegliche Hals
machte das Tier zu einem gewandten Fischfänger.

Noch gewaltiger waren die Körperdimensionen der Landsaurier jener Zeit.
Der aufgefundene Oberschenkelknochen eines Atlantosaurus zeigt bei
einer Dicke von 0,63 ~m~ eine Länge von nicht weniger als 2 ~m~. Die
Gesamtlänge dieses Riesen schätzt man auf etwa 30 ~m~.

[Illustration:

  Abbildung 1       Aus dem Archiv der Deutschen Lichtbild-Gesellschaft

Diplodocus

Ein Riesenreptil der Jurazeit]

[Illustration:

  Abbildung 2      Aus dem Archiv der Deutschen Lichtbild-Gesellschaft

Ein Flugsaurier der Jurazeit]

Ein gewaltiges Saurierlager entdeckte vor zwei Jahrzehnten die Berliner
Tendaguru-Expedition in unserer einst so stolzen Kolonie Ostafrika.
Ihre Ausgrabungsarbeiten, die wertvolles und hochinteressantes
Material zutage förderten, werden heute von den Engländern mit Eifer
fortgesetzt. Ganz gewaltige Knochen Jahrmillionen alter Drachentiere
sind im Tendagurugebiet gefunden worden. Oberarmknochen von mehr als 2
~m~ Länge kamen zum Vorschein. Man hat das Wesen, das diesen massigen
Arm getragen hat, Brachiosaurus genannt, das vielleicht das größte
Geschöpf war, das jemals auf der Erde als Landtier gelebt hat, und
das den berühmten Diplodocus Amerikas, der bei 25 ~m~ Gesamtlänge das
größte völlig erhaltene Saurierskelett ist, was bisher aufgefunden
wurde, wohl noch übertroffen hat.

An dem Skelett des Diplodocus (Abbildung 1), das eine Höhe von 4
~m~ hat, fallen besonders der ungeheuer lange Schwanz und der sehr
lange Schwanenhals auf, die beide an Länge den Rumpf ganz erheblich
übertreffen. Der lange Hals trägt einen sehr kleinen, flachen,
breitschnauzigen Kopf, der zu der Körpergröße des Tieres in gar
keinem Verhältnis steht. Der lange Hals wurde wahrscheinlich beim
Schreiten in die Höhe gestreckt, so daß das Tier im hohen Farn- und
Schachtelhalmwald einen freien Überblick hatte. Die vier Beine sind
ungefähr gleich groß und haben den Körper in wagerechter Haltung
getragen. Der Diplodocus führte wahrscheinlich eine amphibienartige
Lebensweise, d. h. er hielt sich sowohl im Wasser wie auf dem
Lande auf. Dem Gebiß nach zu urteilen, das aus langen, dünnen
Zähnen im vorderen Teil der Kiefer besteht, ist der Diplodocus ein
Pflanzenfresser gewesen. Er hat wohl Algen und Wasserpflanzen vom
Wassergrunde aufgenommen, wobei ihm der lange Hals zum Tauchen und
Gründeln zustatten kam. Die gewaltigen Knochen des Tieres sind im
Verhältnis zu ihrer Größe außerordentlich leicht, da sie nicht massiv
sind, sondern große Hohlräume enthalten, worin man eine gute Anpassung
an ein Wasserleben erblicken kann. Das trotz seiner Größe sehr leichte
Knochengerüst befähigte das Tier zum Schwimmen und Tauchen.

Das Gewicht eines lebenden Diplodocus kann auf 20000 ~kg~ geschätzt
werden. Der Diplodocus war also fünfmal so schwer als ein
ausgewachsener Elefant, der etwa 4000 ~kg~ wiegt.

Einen noch kleineren Kopf hatte der in Größe und Aussehen dem
Diplodocus ähnliche Brontosaurus. Sind schon die Halswirbel zum Teil
größer als der Schädel, so erreicht das Rückenmark seine größte
Ausdehnung in den Lendenwirbeln, wo sein Umfang das Hirn um das
Dreifache übertrifft, so daß man geradezu von einem „Beckenhirn“ reden
kann.

Die geistigen Fähigkeiten dieser Tiere können nicht groß gewesen sein;
sie wirkten lediglich durch die Masse ihres Körpers.

Dasselbe Mißverhältnis zwischen Kopf und Rumpf zeigt auch der
Stegosaurus, eins der wunderlichsten Geschöpfe, das jemals die Erde
beherbergt hat. Bei diesem Tier ist der Markraum der Lendenwirbel
sogar zehnmal so groß als der Hirnraum des winzigen, spitzen Kopfes.
Der ganze Körper der 10 ~m~ langen Echse war mit einem Panzer aus
Knochenplatten bedeckt. Auf dem Rücken und dem hinteren Schwanzende
stand ein gewaltiger Kamm aus hohen, breiten und flachen knöchernen
Platten. Das Schwanzende war mit langen, spitzen Stacheln bewehrt,
die zweifellos eine fürchterliche Waffe bildeten. Das Tier erwehrte
sich seines Gegners mit Schwanzschlägen, wobei die Stacheln wie Speere
den Angreifer durchdolchten. Die Hinterfüße waren länger als die
Vorderfüße, und man darf daher vermuten, daß das Tier sich ähnlich
wie ein Frosch hüpfend fortbewegte. Man stelle sich ein solches
Ungetüm, mit Panzerplatten und Speeren bewaffnet, vor, wie es langsam
dahinkriecht oder hüpfend auf einen zukommt, und man wird die grotesken
Tiergestalten der Sekundärzeit bei reicher Phantasie einigermaßen
begreifen können.

Im Gegensatz zu Diplodocus und Brontosaurus hatte Stegosaurus nur einen
kurzen Hals.

Kurzhalsig war auch der dreigehörnte Ochsensaurier Triceratops. Im
Gegensatz zu den vorher beschriebenen Formen hatte er einen sehr großen
Schädel von geradezu abenteuerlicher Form. Der hinten sehr breite Kopf
verjüngt sich nach vorn auffallend und läuft in eine Schnauze aus,
die einem Papageischnabel nicht unähnlich ist. Auf der Stirn stehen
zwei lange, nach oben gerichtete Hörner, wie beim Ochsen, und auf der
Nase ein drittes kürzeres Horn wie beim Nashorn, die Waffen von Ochse
und Nashorn auf einem Tier vereint! Den Abschluß des Hinterkopfes zum
kurzen Hals bildet ein breiter Hornkragen. Der große Kopf hat eine nur
winzige Hirnhöhle. Die geistige Begabung des Triceratops war also auch
nicht größer als bei den kleinköpfigen Verwandten.

Der Körper des wunderlichen Unholds war anscheinend gepanzert.

Außer dem Ochsensaurier sind noch andere gehörnte Reptilien aus dieser
Zeit bekannt, die jedoch meist eine geringere Körpergröße hatten.

Wieder andere Formen hatten sehr kurze Vorderfüße, aber sehr lange
Hinterfüße, mit denen sie nach Känguruhart in aufrechter Haltung
hüpften. Diese Springsaurier, Compsognathus genannt, waren nicht größer
als eine Springmaus, also Zwerge neben den Riesenformen.

Eine aufrechte Körperhaltung hatte auch das etwa 10 ~m~ lange
Iguanodon, das sich mit seinen kurzen Hinterbeinen nicht springend,
sondern schreitend oder trabend vorwärts bewegte und dabei auf den
langen, kräftigen Schwanz stützte.

Eine andere Form der Saurier waren die Flugsaurier, die wie die
Fledermäuse eine Flughaut besaßen, die an den Hinterfüßen begann, sich
an den Körperseiten entlangstreckte und an den Händen der vorderen
Gliedmaßen sich zu einer weiten Flugfläche entfaltete. Sie hatten eine
spitze Schnauze, die an den Vogelschnabel erinnerte. Mit den heutigen
Vögeln haben jedoch diese Flugsaurier nichts zu tun. Sie können
nicht als ihre Vorfahren betrachtet werden, da ihre Flugwerkzeuge
nach einem ganz anderen Prinzip gebaut waren. Die Flugsaurier waren
Fallschirmflieger, die nach Art der Fledermäuse im Flatterflug sich
durch die Luft bewegten (Abbildung 2).

Durch die aufgefundenen Knochenreste und teilweis völlig unversehrten
Skelette sind wir über das Aussehen der Saurier der Sekundärepoche
ganz vorzüglich unterrichtet. Die Drachen, von denen eine Siegfriedmär
und andere Sagen alter Zeit berichten, treten in den gewaltigen
Sauriern als lebende Geschöpfe vor unser Auge. Sie sind keine Erfindung
dichterischer Phantasie, die Sage wird hier zur Wahrheit!

Im Jahre 1923 machte eine amerikanische Ausgrabungsexpedition in Asien
am Fuße des Altai eine neue, hochwichtige Entdeckung. Sie fand die
ersten versteinerten Sauriereier, die in ihrer Gestalt und mit der
gekörnten Oberfläche den Eiern der heutigen Reptilien sehr ähnlich
sind. Sie waren mit erhärtetem Sand gefüllt. In einem Ei ließen sich
sogar Knochenreste eines Embryos nachweisen. Die Eier haben eine Länge
von 20 ~cm~. Etwa zehn Millionen Jahre sind diese Eier unberührt
an dem Platz geblieben, wo sie einst von einem gewaltigen Saurier
abgelegt worden sind. Sie wurden viele Hundert Meter tief verschüttet,
versteinerten hier und wurden nach langer Zeit durch die Erosion,
welche an dem mongolischen Felsen Jahrtausende und aber Jahrtausende
nagte, wieder ans Tageslicht befördert.

Auf welche Weise konnten sich überhaupt die Knochen der Saurier
Jahrmillionen erhalten? Die Tiere versanken durch das Gewicht ihres
gewaltigen Körpers in den Schlamm und erlitten den Erstickungstod. Der
Schlamm schloß die Luft ab und bewahrte den Riesenleib vor Verwesung.
Das Fleisch vertrocknete, die Knochen blieben erhalten. Der Schlamm
wurde im Laufe der Zeit durch die Umwandlung der Erde zu hartem
Gestein, auch die darin geborgenen Knochen versteinerten und wurden
zum Fossil. An der Stätte, wo der Forscher heute freudestrahlend den
verborgenen Schatz hebt, hat sich ehemals ein grausiges Drama im Kampf
ums Dasein abgespielt.

Die Riesensaurier der Sekundärzeit dürfen wir nicht als Stammformen
der heutigen Säugetiere betrachten. Jene gewaltigen, ungeschlachten
Geschöpfe mußten von der Bühne des Lebens abtreten, als die Erde eine
andere Oberflächengestalt erhielt, in die sie nicht hineinpaßten.

Als Ahnen der heutigen Säugetiere kommen kleinere Reptilienformen
in Betracht, deren Knochenbau und vor allem Zahnbildung sehr an die
heutigen Säugetiere erinnert. So wurde in der Triasformation Afrikas
der Schädel eines Reptils gefunden, der ein vollständiges Raubtiergebiß
besitzt. Man hat dies Tier, das vielleicht der Urahn der Raubtiere
ist, ~Lycosaurus curvimola~ benannt. Das Gebiß eines anderen Tieres,
~Pareiosaurus serridens~, hat große Ähnlichkeit mit einem Pferdegebiß.
Wieder ein anderer Schädel besitzt das Gebiß des Igels. Das Problem,
ob diese vorweltlichen Tiere, die man als Gruppe der „Theromorphen“
zusammengefaßt hat, wirklich als die Stammväter der heutigen
Säugetierwelt und damit auch des Menschen anzusehen sind, ist freilich
noch nicht gelöst. Die Ansichten der Paläontologen widersprechen
sich zum Teil. Soviel ist aber sicher, daß die Theromorphen in der
Phylogenie der Säuger eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. --

Die Funde aus der Sekundärzeit zeigen uns, daß es schon damals
Säugetiere gegeben hat. Unter den versteinerten Knochen befinden sich
Schädelfragmente, die mit Sicherheit als Säugetierreste angesprochen
werden können. Überbleibsel dieser Säuger, die etwa die Größe eines
Hasen gehabt haben, sind sowohl in Südafrika wie in Europa aufgefunden
worden. Die Tiere müssen also bereits eine weite Verbreitung gehabt
haben. Man hat dies älteste, bis jetzt bekannte Säugetier ~Tritylodon
longaevus~ benannt. Welche Rolle dieses Tier in der Phylogenie spielt,
läßt sich nach den nur spärlichen Knochenresten vorläufig nicht
feststellen.

[Sidenote: Mammut und andere Altelefanten]

Auch heute noch trägt die Erde Lebewesen von gewaltiger Größe: den
Elefanten als größtes Tier des Festlandes und den Walfisch als größtes
Wassertier. Im Diluvium, also in der Zeitepoche, die der Jetztzeit
unmittelbar vorangeht, lebten noch Elefanten, die ihre heutigen
Nachkommen ganz bedeutend an Größe übertrafen. Hierzu gehört das
Mammut, der zottig behaarte Elefant der Eiszeit, der noch mit dem
Menschen zusammen gelebt hat. Seine langen Stoßzähne waren nicht,
wie man früher annahm, nach außen und oben gewunden, sondern, wie
+Pfizenmayer+ neuerdings nachgewiesen hat, nach innen und unten. Mit
diesen nach unten gerichteten Stoßzähnen hat das Mammut den Schnee
fortgeschaufelt bei der Suche nach Gräsern und Halmen auf der Erde, die
seine Nahrung bildeten. Im Unterschied zu den heute lebenden Elefanten
besaß das Mammut nur vier Zehen an den Füßen. Es bildet also eine
besondere Art und kann nicht zu ihren Ahnen gehören.

Vom Mammut sind nicht allein wohlerhaltene Skelette, sondern sogar
ganze Kadaver im Eise des nördlichen Sibiriens aufgefunden worden,
deren Fleisch noch völlig frisch war. Die Tiere sind offenbar in
der Eiszeit im Morast oder auf großen Schneefeldern versunken, dann
eingefroren und im Eise bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben.

Das ausgewachsene Mammut übertraf die heute lebenden Elefanten ganz
bedeutend an Körpergröße. Seine Länge betrug 3 ~m~, die Höhe 2 ~m~.
Ganz unverhältnismäßig groß waren die Stoßzähne, die bei einer Länge
von 4-5 ~m~ ein Gewicht von 250 Pfund hatten. Der Schädel eines in
Sibirien aufgefundenen großen Mammuts wog mit den Stoßzähnen 200 ~kg~.

Der deutschen Oldoway-Expedition gelang es noch kurz vor dem
Weltkriege, Knochenreste ausgestorbener Altelefanten aus
Deutsch-Ostafrika heimzubringen, die in den Besitz des Museums für
Naturkunde in Berlin gelangten. Ein gewaltiges Beckenstück, ein 1,47
~m~ langer Oberschenkel, ein Fuß mit einer Höhe von ½ ~m~ und über 3
~m~ lange Stoßzähne deuten darauf hin, daß diese Elefanten, die wohl
als die Stammväter des heutigen afrikanischen Elefanten anzusehen sind,
im Vergleich zu diesem wahre Riesen gewesen sein müssen.

Unter den heute lebenden Landtieren reicht in der Körpergröße kein
einziges auch im entferntesten an die Riesen früherer Zeitepochen
heran, und sogar der Elefant mit seinem gewaltigen, massigen Körper
verschwindet gegen seine ausgestorbenen Vorfahren und die riesenhaften
Saurier der Sekundärzeit. Dennoch birgt unsere Erde noch eine
Tiergestalt, die den Kolossen vergangener Zeiten ebenbürtig zur Seite
steht, ja diese vielleicht in der Körpergröße übertrifft. Es ist dies
der Riesenwal, der größte unter den Walfischen, das größte aller
heutigen Tiere, ja vielleicht überhaupt das größte Wesen, das die Natur
seit Beginn der Erdgeschichte erschaffen hat. Mit einer Körperlänge von
30 ~m~ tritt er in die Reihe der gewaltigen Saurier der Sekundärzeit
und übertrifft diese sogar noch, weil bei ihnen ein bedeutender Teil
der Körperlänge auf den sehr langen Schwanz abgeht, was bei dem
verhältnismäßig kurzschwänzigen Walfisch nicht der Fall ist. Das
Gewicht des Riesenwals beträgt 2000-3000 Zentner, der Umfang des
Leibes etwa 12 ~m~. Ein so gewaltiges Tier, das unbeschränkten Raumes
für seine Bewegung bedarf, ist eben nur in den Fluten des Weltmeeres
denkbar. --

Wenn der Besucher eines Zoologischen Gartens vor dem Wasserbecken
steht, das mit großen Alligatoren und Schildkröten besetzt ist,
so begnügt er sich in der Regel damit, die trägen und nach seinen
Begriffen häßlichen Geschöpfe eine Zeitlang lässig zu betrachten, um
sich dann mit größerem Interesse den Wasserbehältern zuzuwenden, in
denen zierliche, buntfarbige Tropenfische in bizarrer Gestalt sich
hurtig tummeln. Er ahnt aber nicht, daß Krokodil und Schildkröte schon
vor Millionen Jahren auf der Erde gelebt haben, als die Weltmeere und
Erdteile noch ganz andere Gestalt hatten und Gräser, Schachtelhalme und
Farnkräuter in baumhohem Wuchs das Land beschatteten. Mit Ehrfurcht
soll man daher diese Geschöpfe, die zu den ältesten Bewohnern unserer
Erde gehören und schon in der Sekundärzeit lebten, und gegen die die
Tradition des Menschengeschlechts verblaßt, betrachten!

[Sidenote: Der Urvogel Archäopteryx]

Der wichtigste paläontologische Fund stammt aus der Jurazeit,
der Mittelperiode der Sekundärzeit. Im Jahre 1861 wurde auf der
Langenaltheimer Haardt bei Solnhofen der versteinerte Abdruck eines
Geschöpfes gefunden, das halb Vogel, halb Eidechse zu sein schien.
Im Jahre 1877 folgte ein zweiter Fund, der ein besser erhaltenes
Exemplar dieses interessanten Wesens zutage förderte. Nicht allein
das Skelett ist fast völlig erhalten, sondern auch der Abdruck des
Federkleides läßt sich gut erkennen. Dieser Urvogel, ~Archaeopteryx
macrura~ benannt, vereinigt in nicht zu verkennender Weise Merkmale der
Echsen und Vögel, und man kann ihn daher mit Recht als „Echsenvogel“
bezeichnen.

Echsenartig ist der lange, aus zahlreichen Wirbeln bestehende Schwanz.
Die vorderen Gliedmaßen sind bereits zu Flugwerkzeugen nach Vogelart
umgebildet, aber die Finger sind noch nicht wie bei den heutigen
Vögeln verkümmert, sondern zum Teil frei und beweglich und mit langen,
hervorstehenden Krallen ausgerüstet. Diese Krallen dienten als
Kletterorgane, mit denen der Urvogel sich in Zweigen festhakte und
kletternd fortbewegte. Die Hand ist also ein Mittelding zwischen der
Eidechsenhand und Vogelhand. Echsenartig sind ferner die Rückenwirbel,
welche jene eigenartige, doppelgehöhlte Sanduhrform zeigen, die für
die Saurier der Sekundärzeit charakteristisch war, und die gewisse
Amphibien und die Fische noch heute besitzen. Zum Unterschied von
den jetzigen Vögeln besaß Archäopteryx außer den mit dem Brustbein
verbundenen Rippen noch Bauchrippen, was ebenfalls an die Reptilien
erinnert. Ober- und Unterkiefer sind bereits zu einem Vogelschnabel
umgebildet, aber dieser Schnabel trägt wie das Maul des Krokodils oben
und unten zwei Reihen Zähne. Kein heutiger Vogel besitzt Zähne, die mit
Wurzeln in den Kiefern stecken. Die zahnartigen Ausschnitte am Schnabel
der Entenvögel sind keine Zähne, sondern Fortsätze der Schnabelscheide,
die als hornartiger Überzug die Schnabelhälften einhüllt.

Der Fuß der Archäopteryx war ein ausgesprochener Vogelfuß und besitzt
bereits das typische Kennzeichen des Vogelfußes, den Lauf, jenen
zwischen dem Unterschenkel und den Zehen eingeschalteten Knochen, der
eine Verlängerung des Mittelfußes darstellt, und den der Laie häufig
irrtümlich für den Unterschenkel hält, der bei vielen Vögeln im
Gefieder verborgen und nur wenig sichtbar ist.

In höchster Vollendung zeigt sich die Vogelnatur der Archäopteryx im
Federkleid, das das typische Wahrzeichen der Vögel ist und in keiner
anderen Tierreihe wiederkehrt.

Der versteinerte Flügelabdruck läßt 17 Schwungfedern mit 6 oder 7
Handschwingen erkennen. Es handelt sich also um einen regelrechten
Vogelflügel. Einige Lücken in der Reihe der Handschwingen legen die
Vermutung nahe, daß der Urvogel bereits 10 solcher Federn getragen hat,
wie es die Normalzahl der Handschwingen der heutigen Vögel ist.

Eigenartig ist die Befiederung des langen Schwanzes. Hier sitzen
die Federn in zwei gegenüberstehenden Reihen an den Wirbeln. Jeder
Wirbel trägt ein Federpaar. Der Schwanz hatte also das Aussehen eines
Farnblattes.

Am Körper läßt die Versteinerung nur einige Federn am Halse erkennen.
Man darf daher annehmen, daß Archäopteryx wie die heutigen Vögel am
ganzen Leibe befiedert war.

Archäopteryx ist also ein Vogel mit teilweiser Eidechsengestalt, eine
echte Übergangsform zwischen Vogel und Echse und somit das beste
Beweisstück für die Richtigkeit der Entwicklungslehre. Die Abstammung
der Vögel von Reptilien, die man auf Grund physiologischer Merkmale und
aus der Embryologie der Vögel schon längst vermutet hatte, wird durch
Archäopteryx bewiesen.

Es ist das Verdienst des genialen Ingenieurs +Werner von Siemens+, des
um die Verwertung der Elektrizität so hochverdienten Mannes, daß die
zweite wohlerhaltene Versteinerung von Archäopteryx nicht wie der erste
Fund, den die britische Regierung kaufte, ins Ausland ging, sondern
der deutschen Wissenschaft erhalten blieb. +Werner von Siemens+ erwarb
sofort den wertvollen Fund für die damals sehr ansehnliche Summe von
20000 Mark. Aus seiner Hand ging dann das bedeutungsvolle Fossil in den
Besitz des Museums für Naturkunde in Berlin über, wo es das Glanzstück
der paläontologischen Sammlung bildet. +Werner von Siemens+ hat mit
dieser hochherzigen Tat einen neuen Zweig in den Lorbeer gewunden, der
seinen Namen ziert.

Archäopteryx war mit seinen Kletterflügeln noch kein so vollendeter
Flieger wie die heutigen Vögel. Er war wohl nur imstande, im
Flatterflug kleine Strecken zu durchmessen. Er lebte hauptsächlich
im dichten Gebüsch, wo er sich flatternd und zugleich kletternd
fortbewegte.

Auch unter den heutigen Vögeln gibt es noch Formen, die an Archäopteryx
erinnern. Trägt doch das junge Schopfhuhn oder Hoatzin noch bewegliche
und bekrallte Finger, mit denen es nach Archäopteryx-Art in Zweigen
umherklettern kann. Mit dem Wachstum geht dann dies atavistische
Merkmal verloren, das nach +Häckels+ Biogenetischem Grundgesetz die
Abstammung vom Archäopteryx oder von nahen Urformen bedeutet. Das alte
Schopfhuhn hat normale Vogelflügel. --

[Sidenote: Die Tierwelt der Tertiärzeit]

Die Tertiärzeit ist die Bildnerin der heutigen Tierwelt. Unzählige
Fische belebten die Gewässer; Frösche, Salamander und Kröten, von
Gestalt und Aussehen ähnlich den heutigen, durchkrochen den Sumpf.
Vögel mit vollendetem Flugvermögen, an Familien, Gattungen und Arten
nicht minder zahlreich als heute, segelten im blauen Äther; Antilopen,
Giraffen, Elefanten, Nashörner, Hirsche und Pferde durchzogen das Land,
das ihnen überall geeignete Rastplätze und günstige Lebensbedingungen
gab, denn der Mensch, der Störenfried der Natur, dessen Kultur der
größte Feind der Tierwelt ist, fehlte noch in dieser Zeit.

Affen schaukelten sich in den Bäumen, Fledermäuse gaukelten im Schatten
der Nacht, Wale und Haie durchzogen den Ozean, Robben sonnten sich auf
den Sandbänken des Meeres, und die Nagetiere trieben ihr Wesen wie
heute.

Zahlreich vertreten waren die Raubtiere. Löwen, Bären, Wölfe, Tiger und
Schakale durchstreiften blutdürstig das Land. Überall fanden sie bei
dem großen Tierreichtum damaliger Zeit willkommene Beute, ohne jedoch
durch ihren Eingriff Schaden zu stiften und den gewaltigen Tierbestand
zu dezimieren. Im Gegenteil, ihr Auftreten war nur nützlich, denn
es veranlaßte die Tiere zur Wachsamkeit, weckte ihre geistigen
Fähigkeiten, schärfte ihre Sinne und verlieh ihnen so die wichtigste
Lebensnotwendigkeit für den Sieg im Kampf ums Dasein und für die
Erhaltung der Art.

Auch die Tertiärzeit hat ihre besonderen Tiere gehabt. In Ozeanien
lebten gewaltige Beuteltiere von der Größe des Nashorns. Der
aufgefundene Schädel eines solchen Beutelriesen mißt nicht weniger als
1 ~m~.

Reich sind die Funde tertiärer Tiere in den Pampas Südamerikas. Hier
hausten einst riesige Gürteltiere und ganz gewaltige Faultiere, die dem
Elefanten an Größe gleichkamen.

[Sidenote: Entstehung des Pferdes]

Der ältesten Tertiärschicht Nordamerikas verdanken wir einen Fund, der
ein helles Licht auf die Entwicklung der Huftiere wirft. Das Urhuftier
(~Phenacodus primaevus~) hatte noch fünf Zehen, unter denen die dritte
Zehe als längste hervortritt. Beim heutigen Pferd ist nur die dritte
zum Huf gewordene Zehe erhalten geblieben, während die übrigen Zehen
verkümmert sind. So darf man vielleicht Phenacodus mit seiner langen
dritten Zehe als die Stammform des Pferdes ansehen, denn der Weg
zur Rückbildung der Zehen mit Ausnahme der mittleren Zehe ist hier
gewissermaßen schon angedeutet. Die zunehmende Verkümmerung der Zehen
läßt sich an anderen Fossilien gut verfolgen. Beim Hyracotherium,
einem anderen tertiären Huftier, ist die Zahl der Zehen an den
Vorderfüßen bereits auf vier und an den Hinterfüßen sogar schon auf
drei zurückgegangen. Die dritte Zehe des Vorderfußes überragt die
andern ganz erheblich an Länge, und eine Randzehe trägt unverkennbare
Anzeichen der Verkümmerung. Im mittleren Eozän ist dann diese Randzehe
bis auf ein kleines Rudiment völlig verschwunden, so daß das Huftier
dieser Zeitperiode, Mesohippus genannt, hinten und vorn nur drei Zehen
besaß.

Während die Huftiere des unteren und mittleren Tertiär nur kleine Wesen
waren, etwa von der mittleren Größe eines Hundes, tritt im Pliozän,
am Ende der Tertiärzeit, bereits ein Huftier von der Größe des Esels
auf, das Hipparion, das eine weite Verbreitung hatte, da zahlreiche
Knochenreste in Amerika, Asien und Europa aufgefunden sind. Von den
drei Zehen des Mesohippus kommt als Trittfläche nur noch die zum Huf
gewordene Mittelzehe in Betracht, während die beiden anderen Zehen zu
Afterklauen geworden sind und den Boden nicht mehr berühren. In der
weiteren Entwicklung gingen auch die Afterklauen verloren, und hiermit
trat das Pferd als Einhufer auf.

Im Gegensatz zu den früheren Ahnenstufen, die in Körperbau und Gebiß
noch katzenähnlich waren, ist das Hipparion schon ein richtiges Pferd
gewesen.

Nicht alle Tiere der Tertiärzeit haben sich bis heute erhalten oder
weiter fortentwickelt. Viele Formen haben sich überlebt und keine
Nachkommen hinterlassen. Hierzu gehören mit Ausnahme des Pferdes alle
Unpaarhufer. Ein solches Tier war der elefantengroße Brontops, der im
Körperbau dem Nashorn glich und zwei nebeneinanderstehende Hörner auf
dem Kopfe trug. Die Füße besaßen vorn vier, hinten drei wohlentwickelte
Zehen mit Hufbildung.

Die Hirsche im mittleren Tertiär unterschieden sich von den späteren
Hirschen hauptsächlich durch eine reichere Verästelung des Geweihs, das
mit seinen vielen Sprossen wie eine entblätterte Baumkrone aussah.

Ein riesengroßes, elefantenartiges Rüsseltier war das Dinotherium,
dessen verhältnismäßig kurze, hauerartige Stoßzähne wie beim Walroß
nach unten gerichtet waren.

Unter den tertiären Affen finden sich Knochen von Halbaffen oder Makis,
von großen Pavianen und Gibbons. Auch der echte Schimpanse lebte damals
schon, aber seine Reste sind wunderbarerweise nicht in seiner heutigen
Heimat, in Afrika, sondern in Asien aufgefunden worden. Aus Frankreich
sind tertiäre Menschenaffen bekannt, die teils dem Schimpansen, teils
dem Gorilla nahestehen.

Das Vorkommen von Menschenaffen in Europa zur Tertiärzeit deutet schon
darauf hin, daß damals andere klimatische Verhältnisse geherrscht haben
müssen. Europa hatte zu jener Zeit ein warmes, tropenartiges Klima,
und es lebte hier eine Tierwelt, die der heutigen Tropenfauna glich.
Affen und Papageien schaukelten sich in Palmen, wo heute deutsche
Eichen und Kiefern wachsen. Gazelle, Giraffe, Nashorn und Elefant zogen
ihre Fährte im Lande des späteren Germanentums. Mit leuchtenden Farben
geschmückte Vögel erstrahlten im Glanz der Tropensonne, die Europas
Palmenwälder und Blütenpracht beschien.

[Sidenote: Die Eiszeit. Riesenhirsch. Moschusochse]

Um die Wende dieser Zeitepoche brach eine gewaltige Katastrophe herein,
die alles dies mit einem Schlage vernichtete. Es war die Eiszeit, die
wie ein weißes Leichentuch die nördliche Hälfte der Erdkugel überzog,
unter dem die Tropenpracht zerrann. Die Tiere, deren Lebensbedingungen
an ein gleichmäßig warmes Klima gebunden waren, fluteten zurück vor
dieser Vereisung, um in den Äquatorialländern, die sich ihr warmes
Klima bewahrten, Zuflucht zu suchen, viele gingen zugrunde, andere,
deren Körperbeschaffenheit der Kälte zu trotzen vermochte, harrten
aus und paßten sich den neuen Verhältnissen an. Als Nachfolger der
tropischen Elefanten trat in Europa das Mammut auf, das mit seinem
zottig behaarten Leib eine typische Schöpfung der Eiszeit ist.
Ein anderes diluviales Wesen der Eiszeit war der Riesenhirsch, in
seinem Aussehen unserem Rothirsch ähnlich, aber mit einem gewaltigen
Schaufelgeweih auf dem Kopf, das eine Spannweite von 3,5 ~m~
erreichte. Es ist nicht unmöglich, daß der Riesenhirsch noch bis in
die historische Zeit hinein gelebt hat. Vielleicht darf der „grimme
Schelch“, den Siegfried in der Sage des Nibelungenliedes erschlug, als
Riesenhirsch gedeutet werden. Dies ist jedoch nur eine kühne Phantasie,
denn eine Urkunde aus alter Zeit über diesen mächtigen Geweihträger ist
nicht vorhanden. In keinem Bilde wird er uns gezeigt, nirgends wird
er beschrieben. In keiner Reliquienkammer befindet sich ein solches
Geweih. Die Annahme, daß unter dem Schelch des Nibelungenliedes der
Riesenhirsch zu verstehen ist, liegt nahe, weil mit dem Schelch ein
anderes Tier gemeint sein muß als der Elch, der besonders genannt wird.

Andere diluviale Tiere waren Wisent, Bison und Auerochse, von denen nur
die beiden ersteren erhalten geblieben sind.

Die Eiszeit brachte auch den Moschusochsen aus Nordamerika zu uns
herüber, der dann später wieder aus Europa verschwand und nur in
Grönland sich noch erhalten hat.

Das langhaarige Fell gibt dem Moschusochsen einen vortrefflichen
Schutz gegen die Kälte. Der Moschusochse erinnert in seiner massigen,
plumpen Figur zwar an einen Ochsen, hat aber sonst, besonders in der
Kopfbildung, eine große Ähnlichkeit mit dem Schaf. Der sehr kurze, nur
wenige Zentimeter lange Schwanz ist in dem dichten, langhaarigen Pelz
verborgen.

[Sidenote: Abstammung des Haushundes]

Die Eiszeit vermochte auch die Raubtiere nicht völlig zu verdrängen.
Höhlenbär, Höhlenlöwe und Höhlenhyäne trieben ihr Unwesen. Unter
ihnen war der Höhlenbär am häufigsten vertreten, wie die überaus
zahlreichen Knochenreste, die man in unterirdischen Höhlen des
Diluvium aufgefunden hat, beweisen. Auch Tiger, Panther und Vielfraß
lebten noch im Diluvium in unseren Breiten. „Aber zwischen diese
reiche Musterkarte wilder Bestien“, sagt +Bölsche+, „schiebt sich ein
mildes Bild: auch aus ihrer Reihe sonderte sich der Mensch damals
einen unschätzbaren Freund, den Hund. Seine ersten Reste erscheinen
in den uralten Menschensiedlungen der Schweizer Seen, den sogenannten
Pfahlbauten und in gewissen Abfallhaufen, die sich ebenfalls als Spuren
des vorgeschichtlichen Menschen in Dänemark noch erhalten haben. Aus
der Art, wie in diesen Müllgruben aus urgrauer Zeit die weggeworfenen
Tierknochen der Mahlzeiten charakteristisch benagt und dezimiert sind,
hat man wohl mit Recht geschlossen, daß der Hund hier bereits ein
ständiger Gesellschafter des Menschen war.“ Über die Abstammung des
Haushundes ist man auch heute noch nicht im klaren. Wahrscheinlich ist
er aus verschiedenen Wildhundformen hervorgegangen, wofür in erster
Linie Wolf und Schakal in Betracht kommen, während der Fuchs und
seine Verwandten wohl auszuscheiden sind. Die ersten Haushundreste,
die aus der Steinzeit bekannt sind, zeigen einen spitzartigen Typus.
Dieser „Torfspitz“ scheint ebenso wie die altägyptischen Hunde vom
Schakal abzustammen. Die zahlreichen Hunderassen, die sich im Laufe
der Jahrtausende herausgebildet haben, sind zum Teil anscheinend
verschiedenen Ursprungs, zum Teil durch Vermischung der Rassen
entstanden. --

[Illustration:

  Abbildung 3      Aus dem Museum für Naturkunde in Berlin

Ameisenigel

Eierlegendes Säugetier]

[Illustration:

  Abbildung 4      Aus dem Museum für Naturkunde in Berlin

Schnabeltier

Eierlegendes Säugetier]

[Illustration:

  Abbildung 5      James’ Preß Agency, London

Eichhörnchen-Flugbeutler

Vorder- und Hinterfüße sind durch eine Flughaut verbunden, die einen
Gleitflug ermöglicht]

[Sidenote: Riesenalk]

Unter den Vögeln der Eiszeit ist an erster Stelle der Riesenalk zu
nennen, ein etwa metergroßer Tauchvogel mit verkümmerten, zum Fliegen
unfähigen Flügeln. Er hat sich bis in die Neuzeit hinübergerettet,
und erst in der Mitte des vorigen Jahrhunderts sind die letzten Reste
dieses interessanten Naturdenkmals durch den Menschen ausgerottet
worden. Ausgestopfte Exemplare und Eier des Riesenalks stehen noch in
den Museen als Zeugen verklungener Zeiten.

[Sidenote: Dronte]

Eine andere erst in historischer Zeit ausgestorbene, uralte Vogelart
ist die Dronte, eine flugunfähige Taube der Insel Mauritius. Dieser
gänsegroße, eigentümliche Vogel hatte einen dicken, plumpen Körper nach
Art des gemästeten Federviehs heutiger Zeit, sehr kurze, stummelartige
Flügel und einen aus gekräuselten Federn bestehenden, hochgerichteten
Schwanz. Das Gefieder war hellgrau, Schwanz- und Flügelfedern gelb,
der Schnabel gelb mit roter Spitze. Leider ist dieser am Ende des 17.
Jahrhunderts ausgerottete Vogel der Nachwelt nicht erhalten geblieben,
denn das letzte ausgestopfte Stück vernichtete der Unverstand des
Konservators des Museums in Oxford im Jahre 1755, weil der Balg von
Motten angefressen war. ~Sic transit gloria mundi!~

[Sidenote: Stammesgeschichte d. Menschen]

Die Eiszeit hat uns hinübergeführt zu dem jüngsten Abschnitt der
Erdgeschichte, zur Quartärzeit, die ihre besondere Bedeutung dadurch
erhält, daß jetzt auch der Mensch in die Reihe der Lebewesen tritt.
Die Spuren des Menschen lassen sich mit Sicherheit nur bis in das
Diluvium verfolgen. Der Streit über den tertiären Menschen ist noch
keineswegs geschlichtet. Noch immer fehlen sichere Anhaltspunkte für
das Vorhandensein des Menschen in der Tertiärzeit.

Während zahlreiche, versteinerte Knochenreste uns über die Entwicklung
vieler Tiere Aufschluß geben, fehlen solche Wahrzeichen früherer
Ahnenstufen beim Menschen. „Wahrlich, wenn ein verbriefter Stammbaum“,
sagte +Branco+ in seinem Vortrag über den fossilen Menschen auf dem
V. Internationalen Zoologen-Kongreß 1901 zu Berlin, „eine lange
Ahnenreihe, wie viele meinen, die Berechtigung gewährte, auf andere
herabzublicken, die solchen Stammbaum nicht besitzen -- die Schweine
und Rhinozeronten, das Rindvieh und manch andere Wiederkäuer, Kamele,
Pferde, Elefanten, die könnten voll Stolz und voll Hochmut auf den
Menschen niederblicken, der als ahnenloser Parvenü plötzlich in ihrer
Mitte dasteht.“ --

[Sidenote: Neandertalrasse, Pithecanthropus]

Der Neandertalmensch kann nach heutiger Anschauung der Anthropologen
nicht als Vorläufer der heutigen Menschen betrachtet werden. Zwar
zeigt der lange Schädel mit seinen vorspringenden Augenbrauenbögen und
der nach rückwärts fliehenden Stirn eine größere Ähnlichkeit mit dem
Schädel der Menschenaffen, als es bei den heutigen Menschenschädeln,
den Kurzköpfen, der Fall ist, aber er kann trotzdem nicht als frühere
Ahnenstufe gelten, da er nicht ausschließlich diluvialer Herkunft
ist, sondern gleiche Schädel zusammen mit normalen Kurzschädeln auch
im Alluvium gefunden sind. Die Neandertalmenschen haben also mit den
Kurzschädeln zusammengelebt. Es handelt sich daher nicht um eine
Vorstufe in der Ahnenreihe des Menschen, sondern nur um eine Rasse. Man
darf wohl annehmen, daß die Flachköpfe geistig weniger begabt waren als
die Rundköpfe mit ihrem größeren Hirnraum und daher im Kampf ums Dasein
unterlegen sind.

In großer Zahl sind Flachkopfschädel, die völlig den Typ des
Neandertalmenschen tragen, in Krapina in Kroatien ausgegraben worden.
Sie stammen alle aus dem Alluvium, aus der jüngsten Zeit der
Erdgeschichte. Hier scheint sich also die Flachkopfrasse neben der
kurzköpfigen Form am längsten erhalten zu haben.

Nicht viel besser als mit dem Neandertalmenschen steht es mit dem
berühmten, heiß umstrittenen Pithecanthropus, jenem Schädelfragment,
das der Holländer +Dubois+ 1891 auf Java fand, und das das größte
Aufsehen erregte. Das sehnsüchtig gesuchte Mittelding zwischen Mensch
und Affe sollte endlich entdeckt sein! Pithecanthropus ist wie der
Neandertalschädel ein Flachkopf, aber die Affenmerkmale sind noch
ausgeprägter. Er ist flacher, und die Augenbrauenbögen treten noch
stärker hervor. Die Höhe des Schädeldachs über der Längsachse beträgt
61 ~mm~ gegen 85 ~mm~ beim Neandertalschädel und 100-110 ~mm~ beim
heutigen Menschen. Die Höhe des Schimpansenschädels beträgt 45 bis
50 ~mm~. Pithecanthropus steht also in dieser Beziehung in der Mitte
zwischen dem modernen Menschen und den Menschenaffen. Die Gelehrten
stritten sich, ob man es mit einem Menschenaffen, einem Menschen oder
gar mit einem Übergang zwischen beiden zu tun habe, und noch heute ist
dieser Streit nicht endgültig ausgefochten, und er wird kaum jemals
ausgetragen werden können, wenn nicht weitere Funde folgen, denn das
Schädelfragment genügt nicht, um ein endgültiges Urteil zu fällen.

Außer dem Schädelbruchstück wurde in 15 ~m~ Entfernung noch ein
Oberschenkelknochen zutage gefördert, der jedoch so menschenähnlich
ist, daß er zu dem affenartigen Schädel wenig paßt, sondern vielleicht
von einem richtigen Menschen stammt. Beide Knochenreste lassen sich
daher kaum miteinander in Beziehung bringen, denn sie scheinen
nicht demselben Wesen anzugehören, sondern zwei ganz verschiedenen
Geschöpfen. Infolgedessen hat auch der Entdecker dieses rätselhaften
Fundes +Dubois+ in seiner neuesten Abhandlung über Pithecanthropus
in den Veröffentlichungen der Kgl. Akademie der Wissenschaften
in Amsterdam, den Schenkelknochen bei seinen Ausführungen ganz
ausgeschaltet. +Dubois+ sucht in dieser Schrift nachzuweisen, daß
Pithecanthropus bereits ein Mensch gewesen sei, jedoch mit sehr flacher
Schädelbildung. Hiermit würde Pithecanthropus seine ihm von vielen
Seiten bisher zuerkannte Bedeutung als Übergangsform zwischen Mensch
und Affe verlieren. Das letzte Wort über diesen interessanten Fund ist
jedoch auch hiermit noch nicht gesprochen. --

In jüngster Zeit wurden in Südafrika zwei neue Funde gemacht, die
für die Frage nach der Stammesgeschichte der Menschheit von größtem
Interesse sind.

[Sidenote: Rhodesiamensch]

Im Jahre 1921 wurde in Broken Hill in Nord-Rhodesia ein Menschenschädel
ausgegraben, der durch stark hervortretende Augenbrauenbögen, flache
Stirn und weit vorgeschobene Kiefer noch affenähnlicher erscheint
als der Neandertalmensch, und nach dem Urteil des französischen
Anthropologen +Marcellin Boule+ sogar eine gewisse Übereinstimmung mit
dem Gorillaschädel zeigt. Hiernach scheint also der Rhodesiaschädel
eine ältere Stufe in der Entwicklung der Menschheit darzustellen als
der Neandertaler. Im Widerspruch zu dieser Erscheinung steht jedoch
ein anderes sehr merkwürdiges Merkmal. Während am Neandertalschädel
das Hinterhauptloch, durch das das Rückenmark in den Schädel tritt,
so liegt, daß der Kopf nicht aufrecht, sondern etwas nach vorn
geneigt getragen wurde, weist die Stellung des Hinterhauptlochs am
Rhodesiaschädel bereits auf eine völlig aufrechte Kopfhaltung hin, wie
sie der rezente Mensch hat. Im Gegensatz zu dem stark ausgeprägten
Affentyp spricht dies Merkmal für eine höhere Entwicklungsstufe als der
Neandertalmensch.

Die jüngste Untersuchung des interessanten Fundes durch den deutschen
Anatom +Maurer+ ergab nun eine überraschende Aufklärung über sein
Alter. Maurer erkannte nämlich eine Verletzung, die durch den Schuß
eines modernen Geschosses hervorgerufen zu sein scheint. Es läßt sich
deutlich ein Ein- und ein Ausschuß im Schädel feststellen. Trifft
dies Merkmal zu, das von englischen Gelehrten wunderbarerweise bisher
nicht beachtet worden ist, dann kann es sich nicht um einen Fund aus
prähistorischer Zeit handeln, sondern der Mensch, der den Schädel
getragen hat, muß in unserer Zeit gelebt haben. Nicht mit Unrecht hat
man daher darauf hingewiesen, daß vielleicht in einer unbekannten
Gegend im Innersten Afrikas noch heute Menschen leben, die der
Neandertalrasse nahestehen. Eine solche Vermutung ist durchaus nicht
unglaubwürdig, wenn man bedenkt, daß erst vor einem Vierteljahrhundert
ein neues Säugetier, das Okapi, dessen Vorfahren bereits aus dem
Miozän Europas bekannt waren, entdeckt wurde. Das Okapi ist ein etwa
1,5 ~m~ hoher, den Giraffen nahverwandter Paarhufer. Ebenso wie die
Giraffe trägt das Okapi zwei Hornzapfen auf der Stirn. Von dem rotbraun
gefärbten Fell des Körpers heben sich die zebraartig schwarz und weiß
gestreiften Läufe und Hinterschenkel eigenartig ab. Das Okapi wurde
1901 im Kongostaate entdeckt.

[Sidenote: Australopithecus]

Dem Rhodesiaschädel folgte im Jahre 1924 ein zweiter, vielleicht
noch bedeutungsvollerer Fund. Im Dezember des genannten Jahres wurde
in Taungs in Betschuanaland in Südafrika ein Menschenaffenschädel
ausgegraben, der mit ziemlicher Gewißheit als tertiär angesprochen
werden kann. Es ist der Schädel eines dem Schimpansen nahestehenden
großen Affen, dessen Lebensalter nach dem Gebiß auf 3-4 Jahre
einzuschätzen ist. Es handelt sich also um den Schädel eines noch
im Kindesalter stehenden Menschenaffen. Für die Jugend des Schädels
spricht auch sein sehr menschenähnlicher Bau, denn bei allen Affen
ist in der Kindheit der Gesichtsteil viel menschenähnlicher als im
Alter, wo das Tierische mehr zum Ausdruck kommt. Der Kopf des jungen
Affen mit der gewölbten Stirn ist runder und besser proportioniert.
Die Augenbrauenbögen treten noch nicht wulstartig hervor, und die
Prognathie der Kiefer, die gerade den tierischen Ausdruck erhöht,
ist noch weniger ausgeprägt. Erst mit dem zunehmenden Alter schieben
sich die Kiefer vor, erscheinen die Wülste über den Augen und flacht
sich die Stirn ab, wodurch sich der menschenähnliche Ausdruck des
Gesichts mehr verliert und das Tierische stärker betont wird. Der
sehr menschenähnliche Typ des Taungsaffen, den der britische Anatom
+Raymond Dart+ in Johannesburg „~Australopithecus africanus~“ benannt
hat, darf also nicht stammesgeschichtlich bewertet werden. Es ist nur
eine natürliche Folgeerscheinung des sehr jugendlichen Alters des
Affen, aber nicht ein Hinweis auf eine höhere Entwicklungsstufe in der
Richtung zum Menschen.

Australopithecus zeigt aber ein anderes, sehr auffälliges Merkmal,
das ihn zweifellos über die heutigen Menschenaffen erhebt und ihn
dem Menschen näherstellt. Der Gehirnraum des Schädels ist nämlich
auffallend groß und entspricht etwa dem Hirnraum eines erwachsenen
Gorillas. +Dart+ hat nun für den erwachsenen Australopithecus eine
Schädelkapazität von 650-700 ~ccm~ berechnet. Australopithecus hat also
ein größeres und besser entwickeltes Gehirn besessen als die heutigen
Menschenaffen, deren Schädelkapazität im Höchstmaß 500 ~ccm~ beträgt.

Für den wahrscheinlich diluvialen Pithecanthropus wird eine
Schädelkapazität von ~ca.~ 900 ~ccm~ angegeben. Australopithecus reiht
sich also in bezug auf die Hirngröße zwischen Pithecanthropus und die
rezenten Menschenaffen ein.

Wie wir sahen, ist Pithecanthropus, bevor keine weiteren, besser
erhaltenen Schädel aufgefunden werden, für die Stammesgeschichte
des Menschen kaum zu verwerten, da noch nicht einmal aufgeklärt
ist, ob es sich um einen Affen oder einen Menschen handelt. Dagegen
ist Australopithecus zweifellos ein Affe gewesen, und zwar ein
Menschenaffe, mit auffallend hoch entwickeltem Gehirn. Ebenso wie einst
Pithecanthropus als Bindeglied zwischen Mensch und Affe betrachtet
wurde, trägt auch +Dart+ kein Bedenken, seinen Australopithecus als
Übergangsform zwischen Mensch und Tier anzusehen, ob mit Recht oder
Unrecht, das wird erst die weitere Forschung zeigen.

Spärlich sind bis heute die Funde, die für die Stammesgeschichte der
Menschheit Bedeutung haben. Aber die spärlichen Funde haben doch einen
großen, nicht zu unterschätzenden Wert. Sie zeigen uns, daß der Mensch
nicht immer so beschaffen war, wie er heute ist, sondern daß auch er
sowohl körperlich wie geistig manche Umwandlung erfahren hat. Der
Neandertalmensch mit seinem flacheren, mehr tierischen Schädel stand
zweifellos auf einer geringeren Stufe der Intelligenz als der heutige
Mensch. Dasselbe gilt wohl in noch höherem Maße vom Rhodesiamenschen,
von dem vielleicht letzte Überreste noch heute ihr Dasein fristen
in unbekannter Gegend Afrikas. In Gegensatz zu diesen primitiven
Urmenschen tritt der Überschimpanse Australopithecus mit seinem für
einen Affen auffallend hoch entwickelten Gehirn. Die Kreise berühren
sich. Hier der Mensch auf niedriger Entwicklungsstufe, dort der Affe
in hoher geistiger Vollkommenheit! Überall leuchtet das eine Wort
„Entwicklung“ hervor!

Welche Überraschungen haben uns die paläontologischen Funde bereits
gebracht, und wieviel Neues dürfen wir bei der rastlosen Forschung
der Wissenschaft noch erhoffen. Jeder Tag kann einen neuen Fund
bringen, der unerwartetes Licht in den Schatten der Stammesgeschichte
der Menschheit wirft, die zweifellos die interessanteste Frage der
Wissenschaft bildet.




Fortpflanzung und Liebesleben


Geburt, Aufstieg, Niedergang, Tod. Dies sind die Gesetze, die des
Lebens Kreislauf mit eiserner Strenge umschließen, und doch gibt es
Lebewesen, die das Angesicht des Todes nicht zu schauen brauchen, denen
die Natur ein ewiges Dasein geschenkt hat. Es sind jene kleinsten
Organismen, die wir als Infusorien im Wassertropfen unter dem Mikroskop
bewundern.

[Sidenote: Einzeller]

Die Infusorien gehören zu den einzelligen Tieren, Protozoen, die im
Wasser, auf dem Lande oder parasitär im Körper anderer Tiere wohnen.
Der Körper aller Lebewesen ist aus unzähligen kleinsten Bausteinen,
Zellen genannt, zusammengesetzt, die die Grundform, den Urstoff alles
Lebens bilden. Jede Zelle besteht aus einer flüssigen Masse, dem
Protoplasma mit einem inneren Kern. Solche Zelle, als Einzelwesen
gedacht, ist das Urtier oder der Einzeller.

[Sidenote: Fortpflanzung durch Teilung und Knospung]

Die einfachste Art der Fortpflanzung geht durch eine Teilung des
Urtiers in zwei neue Lebewesen vor sich. Der Körper spaltet sich
entweder in der Länge oder in seiner Breite in zwei gleiche Teile, die
jeder ein neues Tier darstellen. Das Muttertier stirbt nicht, sondern
lebt in veränderter Form weiter.

Häufig erfolgt anstatt der Zweiteilung auch eine Vielteilung. Der
Zellkörper löst sich in zahlreiche Sporen oder Gameten auf, welche
sich paarweise verschmelzen und zu einem neuen Einzeller werden. Die
einzelnen Gameten sind entweder gleichwertig oder aber verschieden
in der Größe. Im letzteren Falle vereinigt sich stets eine größere
Gamete mit einer kleineren, so daß man die beiden Gametenformen
mit der Ei- und Samenzelle höherer Tiere vergleichen kann und ihre
Verschmelzung, wissenschaftlich „Kopulation“ genannt, als der Beginn
einer geschlechtlichen Fortpflanzung angesehen werden darf.

Bei einigen Infusorien kommt neben der Teilung und der Kopulation
sogar eine regelrechte Paarung zweier Elterntiere vor. Zwei
Infusorien schwimmen umeinander herum, suchen sich zu berühren, bis
eine vorübergehende Vereinigung erfolgt, bei der die Kerne ihres
Innenkörpers sich teilen und Kernstücke gegenseitig ausgetauscht
werden, die dann wieder in jedem Tier zu einem einheitlichen Kern
verschmelzen. Auf diese Weise wird der Zelle neue Kernsubstanz
zugeführt, wodurch die Lebensenergie erhöht wird. Diese Paarung,
die man „Konjugation“ nennt, scheint für viele Einzeller eine
Lebensnotwendigkeit zu sein. Versuche ergaben, daß eine dauernde
Fortpflanzung durch Teilung ohne zeitweise Konjugation zur Entartung
führt. Die neuen Generationen werden immer kleiner, verlieren die
Beweglichkeit und damit auch die Fähigkeit, sich zu ernähren, und gehen
schließlich zugrunde. Die fehlende Konjugation wirkt also ähnlich wie
eine übertriebene Inzucht bei höheren Tieren.

Wieder andere Urtiere pflanzen sich durch Knospung fort, indem sich vom
Muttertier kleine Einzelzellen abschnüren.

Die Zählebigkeit der Urtiere ist außerordentlich groß. Die Infusorien
umgeben sich, wenn das Wasser austrocknet, mit einer Hülle (Zyste)
und trotzen in diesem Zustande allen Witterungseinflüssen. Sie irren
im Staube vom Winde getragen umher, bis sie schließlich wieder ins
Wasser gelangen, um zu neuem Leben zu erwachen. Hierauf beruht die
Erscheinung, daß reines, destilliertes Wasser, wenn es unbedeckt
hingestellt wird, in kurzer Zeit mit Infusorien erfüllt ist. Eine
Urzeugung, wie man früher glaubte, findet im Wasser nicht statt,
sondern die kleinen Lebewesen gelangen durch die Luft im enzystierten
Zustande hinein.

Die Gestalt der Urtiere ist sehr verschieden, sackförmig, becherförmig,
rund oder länglich, und wechselt bei der flüssigen Körpermasse
außerordentlich leicht. Ferner finden sich formunbeständige Fäden und
Anhängsel am Körper, die der Fortbewegung und der Nahrungsaufnahme
dienen. Andere haben zahllose kleine Wimpern, mit denen sie im Wasser
rudern. Alle diese Anhängsel, die keine eigentlichen Organe sind,
sondern Ausstülpungen des Protoplasmas, nennt man „Organellen“.
Sogar Sinnesorganellen treten in Form feiner Borsten auf, die ein
Tastvermögen ermöglichen. Bei den Strahlentierchen (Radiolaria)
finden wir bereits die ersten Anfänge einer Skelettbildung in Form
von kleinen, feinen Stäbchen aus Kiesel, Kieselsäure oder Quarz,
also aus mineralischer Substanz. Sie liegen entweder lose in dem
Protoplasmakörper eingebettet oder bilden ein Gitterwerk von allen
möglichen zierlichen und absonderlichen Gestalten, wie Blüten, Reusen,
Flaschen, Körbchen, Schalen, Spangen, Kreuze oder mehrarmige Leuchter.
Schier unerschöpflich ist die Fülle der eigenartigen Formen, die
bisweilen von bezaubernder Schönheit sind, so daß die Begeisterung,
mit der ein +Haeckel+ von diesen „Kunstformen der Natur“ spricht,
vollauf zu verstehen ist.

Die Urtiere zeigen Reaktionen auf gewisse Reize. Sie schwimmen dem
Lichtschein nach, verändern ihre Gestalt bei starker, plötzlicher
Belichtung oder bei Erschütterung und werden durch chemische
Einflüsse angezogen oder abgestoßen. Man hat geglaubt, hieraus auf
ein Seelenleben der Urtiere schließen zu dürfen. Andere Forscher
widerlegen nicht mit Unrecht diese Annahme mit dem Hinweise, daß z. B.
ein Quecksilbertropfen durch chemische Einwirkung zu einer höchst
auffallenden Beweglichkeit und Veränderung seiner Gestalt veranlaßt
werden kann. Sie sehen daher in den Bewegungen der Urtiere weiter
nichts als mechanische, unbewußte Reaktionen auf äußere Reize, die mit
bewußter Empfindung und Seelenleben nichts zu tun haben, ebensowenig
wie wir auch bei der Pflanze von einem wirklichen Seelenleben sprechen
können.

Welche von beiden Anschauungen die richtige ist, läßt sich freilich
schwer entscheiden, doch kann man immerhin vermuten, daß das Urtier
mit seinem einzelligen Körper, der die elementarste Stufe des Lebens
darstellt, wohl kaum ein seelisches Empfinden besitzt, das ein
zielbewußtes Handeln zur Folge hat.

[Sidenote: Vielzeller]

Alle vielzelligen Lebewesen, die Tiere sowohl wie der Mensch, beginnen
ihr Dasein als Einzeller. Die Eizelle des weiblichen und die Samenzelle
des männlichen Geschlechts sind solche Einzeller.

[Sidenote: Haeckels Biogenetisches Grundgesetz]

Der Anfang der Keimesgeschichte führt also stets auf das einzellige
Urwesen zurück. Der Aufbau des aus der Verschmelzung von Ei-
und Samenzelle entstehenden Körpers läßt sich ebenfalls mit der
Entwicklungsgeschichte der Urtiere vergleichen, denn der Prozeß ist
ein gleicher. Das Urtier pflanzt sich fort durch Teilung in mehrere
Einzelwesen. Ebenso spaltet sich auch die befruchtete Eizelle
in verschiedene Produkte, aus denen sich im Laufe der weiteren
Entwicklung die Teile des Körpers und seiner Organe bilden. Während
bei dem Urtier aus der Teilung selbständige Einzelwesen hervorgehen,
die ein individuelles Leben führen, bleiben bei der Teilung der
Eizelle die Abschnitte im Zusammenhang, um in engster Gemeinschaft
einen Einheitsstaat zu gründen, der in seiner Zusammengehörigkeit
einen einheitlichen Körper darstellt. Die einzelnen Zellen des
ersten Teilungs- oder Furchungsprozesses hat der um den Ausbau der
Entwicklungslehre so verdiente Forscher +Ernst Haeckel+ „Blastula“
genannt. Mit der Blastulabildung beginnt die Embryonalentwicklung
aller höheren Lebewesen. +Ernst Haeckel+ sieht in diesen Vorgängen
der Ontogenie der Vielzeller einen Beweis für ihre Abstammung von
einzelligen Urtieren und begründete hierauf sein „Biogenetisches
Grundgesetz“, das besagt, daß die Ontogenie (Keimesgeschichte) eine
Wiederholung der Phylogenie (Stammesgeschichte) ist.

[Sidenote: Blastula und Gastrulation]

Die Richtigkeit dieser vielfach befehdeten Lehre tritt in der weiteren
Keimesentwicklung deutlich zutage. Auf das Stadium der Blastula folgt
die „Gastrulation“. Gastrulation heißt „Magenbildung“, abgeleitet von
dem griechischen Wort „gaster“ Magen. Die Larvenform der Blastula
bildet im weiteren Zellenaufbau eine äußere und eine innere Schicht.
Aus ersterer, dem Ektoderm, geht in der weiteren Entwicklung die Haut
und das Nervensystem hervor. Letztere, das Entoderm, ist die erste
Anlage für die Ernährungswerkzeuge. Der Embryo ist jetzt sozusagen
ein Magentier, das nur aus einem hohlen Magen und einer äußeren Wand
besteht, und gleicht hierin den Schwämmen, die sich den Urtieren
unmittelbar anreihen, und zwar der einfachsten Form, den Kalkschwämmen.
Der Kalkschwamm ist ein unten festgewachsener Becher, der an seinem
oberen Ende eine Öffnung hat. Der ganze Innenraum wird von der
Magenhöhle gebildet. Die äußere Hülle ist mit unzähligen feinen Poren
durchsetzt. Durch dieses Netz dringt fortwährend ein Wasserstrom in das
Innere des Körpers, der aus der oberen Öffnung, Osculum genannt, wieder
abfließt. Mit dem Wasser gelangen kleinste Teile pflanzlichen und
tierischen Ursprungs in die Magenhöhlung und werden so weit als möglich
von den Körperzellen aufgesogen und verwertet. Der Rest wird mit dem
Wasser wieder nach außen befördert. So ein Kalkschwamm ist also weiter
nichts als ein einzelner, lebender Magen, und ebenso sieht auch der
auf der Gastrulationsstufe stehende Embryo des vielzelligen Wesens
aus. Also auch hier wieder eine Wiederholung einer niederen Stufe im
Tierreich, die nach dem biogenetischen Grundgesetz als Ahnenstufe
anzusehen ist.

Auch in der späteren Entwicklung behält das Gesetz seine Gültigkeit.
Es bilden sich bei allen Embryonen an den Halsseiten vorübergehend
Kiemenbögen, und die äußeren Gliedmaßen erscheinen zuerst als
flossenartige Plättchen, beides ein Hinweis auf eine ehemalige
Fischnatur vor Millionen von Jahren. Der Vogelembryo trägt anfangs
einen wohlentwickelten Schwanz, der dann durch Verwachsung der
Knochen wieder zurückgebildet wird. Die Abstammung der Vögel vom
langschwänzigen Reptil tritt hier deutlich hervor. Auch der Embryo
des Menschen trägt vorübergehend einen Schwanzansatz und einen
Haarpelz, was nach Haeckel auf seine tierische Abstammung und seine
Verwandtschaft mit dem Affen hindeutet. --

[Sidenote: Schwämme]

Bei den Schwämmen kommt neben einer Fortpflanzung durch Knospung
bereits eine geschlechtliche Fortpflanzung durch Eier und Samen vor.
Wie bei den Blüten der Pflanzen sind häufig männliche und weibliche
Keimzellen in demselben Organismus vereint, bei anderen Schwämmen
sind die Geschlechter individuell getrennt. Die Eier entwickeln sich
im Muttertier zu Larven, die nach ihrer Geburt mit Hilfe besonderer
Bewegungsorgane, der Geißeln, im Wasser umherschwimmen, um sich bald
festzusetzen und zum fertigen Schwamm auszubilden.

Die Schwämme besitzen ein Skelett, das bei den Kalkschwämmen aus
Kieselsäure besteht und bei den schon früher erwähnten Glasschwämmen
aus einem wunderbaren, formenreichen Kieselnetzwerk, das feinen
Glasfäden gleicht.

Unser allbekannter Badeschwamm, der in keinem Toilettenzimmer
fehlt, ist das Hornskelett der „Hornschwämme“, das nicht wie beiden
Kieselschwämmen aus Mineralsubstanz, sondern aus Sponginfasern
aufgebaut ist. Im lebenden Zustande ist ein Schwamm ein gelblicher,
brauner oder schwarzer fleischiger Klumpen. Zum Gebrauch wird von
dem Hornskelett das weiche Körpergewebe durch Pressen entfernt. Der
Wert eines Schwammes hängt von der Art der Skelettbildung ab. Je
feinmaschiger es gebaut ist, je fester und zugleich elastischer die
Fasern sind, um so größer ist die Saugfähigkeit und die Haltbarkeit,
und um so höher der Wert.

[Sidenote: Hohltiere]

Ebenso wie die Schwämme stehen auch die Hohltiere, zu denen die
Quallen, Blumentiere und Polypen gehören, noch auf dem Standpunkt der
Gasträa. Sie sind Magentiere, die aus einem magenartigen Hohlraum
mit einer Öffnung und einer Außenwand bestehen. Ihre Fortpflanzung
geht teils wie bei den Urtieren durch Knospung oder Teilung vor sich,
teils geschlechtlich durch Bildung von Ei- und Samenzelle. Neben einer
Trennung der Geschlechter kommt auch Zwitterbildung vor. Im ersteren
Falle erfolgt die Befruchtung durch Übertragung des Samens durch das
Wasser.

Die Hohltiere sind zum Teil mit langen Nesselorganen ausgerüstet. Viele
sind von bezaubernder Gestalt und herrlicher Farbenpracht. Die zarten
Quallen und die vielfarbigen Seerosen müssen immer wieder von neuem
unsere Bewunderung erregen.

Zwischen den festsitzenden Polypen und den frei schwimmenden
Quallen oder Medusen besteht ein eigenartiger Zusammenhang, der
zur Fortpflanzung in innigster Beziehung steht. Beides sind
dieselben Tiere, nur in veränderter Form. Die Quallen entstehen aus
Polypen. Durch Einschnürung wird der Körper des Polypen in mehrere
scheibenförmige Abschnitte zerlegt, die sich allmählich loslösen
und dann als Quallen frei umherschwimmen. Die Medusen sind bei
diesen Polypenquallen die eigentlichen Geschlechtstiere, welche Eier
ablegen, aus denen Larven hervorgehen, die sich festsetzen, um zum
Polyp auszuwachsen. Quallen und Polypen stellen also zwei verschiedene
Generationen dar. Der Polyp, der sich durch Knospung fortpflanzt, ist
die ungeschlechtliche Generation, die Qualle die geschlechtliche.
Dieser Generationswechsel findet aber nicht immer statt. Es gibt auch
Quallen, die nicht aus Polypen entstehen, sondern sich unmittelbar aus
Eiern fortpflanzen, ebenso bilden nicht alle Polypen Medusen. Auch kann
die Qualle am Polyp haftenbleiben und hier Eier ausscheiden, aus denen
sich neue Polypen entwickeln. Die Art und Weise der Fortpflanzung ist
außerordentlich mannigfaltig. Bei vielen Medusen kennt man noch nicht
die zugehörige Polypenform, und ebenso ist auch die Quallenform vieler
Polypen noch unbekannt.

[Sidenote: Strahlentiere]

Die Stachelhäuter oder Strahlentiere (~Echinodermata~) sind radiare
Tiere, d. h. ihr Körper läßt sich durch eine Anzahl strahlenförmiger
Schnitte in gleiche Teile zerlegen. Dem Bau des Körpers liegt in der
Regel die Fünfzahl zugrunde. Um einen zentralen Hauptteil gruppieren
sich fünf gleiche Körperteile, die bei den Seesternen die Figur eines
Sternes bilden, bei den Seelilien wie die Blütenblätter einer Blume aus
einem Stiel hervorsprießen. Bei den Sterntieren ist die geschlechtliche
Fortpflanzung die Regel. Sie legen Eier, aus denen Larven schlüpfen,
die eine vielseitige Umwandlung durchmachen, ehe sie die Gestalt des
erwachsenen Tieres annehmen. Bei manchen Arten findet eine Brutpflege
statt, indem die Eier und Jungen in besonderen Bruttaschen sich
entwickeln. Die Sterntiere, und zwar besonders die Seesterne, haben
die Fähigkeit, verstümmelte oder verlorene Organe in kurzer Frist zu
ersetzen. Abgeschnittene Arme wachsen sofort wieder neu. Ja sogar
ein abgetrennter Arm wächst sich zu einem ganzen Tier aus, indem
eine Mittelscheibe mit vier neuen Armen hervorsprießt. So kann also
auch eine Vermehrung durch gewaltsame Teilung erfolgen. Bei einigen
Seesternen findet diese Fortpflanzung durch Teilung regelmäßig neben
der geschlechtlichen Fortpflanzung statt. Ihr Körper schnürt sich in
zwei Hälften durch, deren jede durch Regeneration die fehlenden Teile
ersetzt und so ein neues Individuum bildet. --

[Sidenote: Fortpflanzung der Würmer]

Der große Kreis der Würmer, die sich im allgemeinen durch einen
schlauchförmigen oder bandartigen Körper kennzeichnen, zeigt
entsprechend der mannigfachen Organisation des Körpers auch
eine große Verschiedenheit in bezug auf die Fortpflanzung.
Ungeschlechtliche Fortpflanzung durch Teilung oder Knospung
wechselt mit geschlechtlicher. Viele Würmer machen eine verwickelte
Metamorphose durch, mit der oft ein Parasitismus verbunden ist. Andere
Würmer führen im Larvenstadium eine freie, im Alter dagegen eine
parasitäre Lebensweise, wieder andere bleiben während ihres ganzen
Daseins Parasiten. Die fortpflanzungsreife Trichine wohnt niemals im
Muskelfleisch, sondern stets nur im Darm. Die legereifen Weibchen
bohren sich in den Darm ein und setzen hier ihre Brut ab. Die jungen
Trichinen werden durch den Blutkreislauf fortgeführt und gelangen so in
andere Körperteile. Sie durchbrechen die Wände der Blutgefäße, um sich
schließlich im Muskelfleisch zu verkapseln. In diesem Zustande bleibt
die Trichine Jahrzehnte lebensfähig. Es bildet sich mit der Zeit eine
Kalkschale um den eingekapselten Körper. Gelangen die eingekapselten
Trichinen durch Genuß des Fleisches in den Darm anderer Tiere oder des
Menschen, so löst sich die Kalkschale auf, die Trichine wird frei und
bildet sich zum fortpflanzungsfähigen Tier aus.

[Illustration:

  Abbildung 6      James’ Preß Agency, London

Mondfisch

Ein schwanzloser Fisch von mondähnlicher Gestalt]

[Illustration:

  Abbildung 7      James’ Preß Agency, London

Königspinguin]

Noch komplizierter ist die Entwicklung der Bandwürmer, die ein
Zwischenstadium als Finne haben und als solche in der Regel nur in ganz
bestimmten Wirtstieren leben.

Der gewöhnliche Bandwurm besteht aus einem Kopfteil, der durch einen
kurzen Halsansatz mit dem aus einzelnen Gliedern sich zusammensetzenden
Körper verbunden ist. Weder besitzt der Kopf eine Mundöffnung, noch
der Leib einen Magen und Darm. Die Ernährung erfolgt durch zahlreiche,
kleine Poren, die auf der ganzen Oberfläche des Leibes verteilt sind,
und die aus dem im Darm liegenden Speisebrei die geeigneten Stoffe
aufsaugen. Der Kopf ist ein knopfartiges Gebilde und mit Saugnäpfchen
oder Widerhaken versehen, die sich im Darm anheften. Jedes Glied
besitzt seine eigenen Fortpflanzungsorgane in Gestalt von männlichen
und weiblichen Geschlechtsteilen. Jedes Glied des Bandwurms ist
also ein Geschlechtstier für sich, in dem sich durch Zwitterbildung
das Geschlechtsleben abspielt. Man kann daher den Bandwurm als eine
Tierkolonie auffassen.

Die Glieder mit legereifen Eiern stoßen sich ab und gelangen mit dem
Kot des Wirtstieres ins Freie. Die Eier enthalten einen kugelförmigen
Embryo, der mit sechs Haken versehen ist, und haben eine feste, zähe
Umhüllung, die allen Witterungseinflüssen trotzt. Sie befinden sich
vorzugsweise in Dunghaufen, werden aber auch vom Winde überallhin
verschleppt. Gelangen sie später in den Magen eines Tieres, z. B. einer
Maus, einer Ratte oder eines Kaninchens, so schlüpft der Embryo aus,
bohrt sich vermittels seiner Haken durch die Magenwand und wandert in
ein Organ oder auch in das Muskelfleisch. Hier legt sich der Embryo
fest und wird zur Finne, die eine mit wäßriger Flüssigkeit angefüllte
Blase darstellt, in derem Innern die Anlage des späteren Bandwurmkopfes
eingebettet ist. Die Finne, auch Blasenwurm genannt, bleibt in diesem
verkapselten Zustande lange Zeit, unter Umständen bis zu 20 Jahren
lebensfähig. Wird mit Finnen behaftetes Fleisch von einem Tier oder
vom Menschen in rohem Zustande genossen, so verwandelt sich die
Finne im Darm zum Bandwurmkopf, an den dann allmählich die Glieder
heranwachsen. Die abgestoßenen, legereifen Glieder werden vom Kopf aus
durch neue Glieder ersetzt. Der größte Bandwurm ist der Grubenkopf
(~Dibothriocephalus latus~), der mit 3000-4000 Gliedern eine Länge von
9 ~m~ erreichen kann. Die Finne lebt in Fischen, besonders im Hecht und
in der Quappe.

[Sidenote: Naturgesetze der Fruchtbarkeit]

Die Eierproduktion der einzelnen Glieder ist ungeheuer groß. Ein Glied
des gewöhnlichen Menschenbandwurms (~Taenia solium~) enthält etwa 50000
Eier. Wenn täglich nur drei Glieder legereif werden, so würden im Jahre
90 Millionen Eier erzeugt werden, von denen freilich nur ein geringer
Teil zur weiteren Entwicklung gelangt, etwa von fünf bis zehn Millionen
nur eins. Die gewaltige Eiproduktion ist also notwendig, um ein
Aussterben des Bandwurms zu verhindern. Die Natur verfolgt überhaupt
das Prinzip, Tiere, die großen Gefahren ausgesetzt sind, durch eine
reiche Fortpflanzung vor dem Untergang zu schützen. Die Vermehrung
der Maus, die überall, wo sie sich sehen läßt, bedroht wird, ist sehr
groß. Die jungen Tiere werden früh geschlechtsreif, die Würfe sind
sehr zahlreich und folgen sich sehr schnell. Die Hausmaus wird bereits
im Alter von sechs Wochen fortpflanzungsfähig und bringt im Laufe
eines Jahres fünf- bis sechsmal Junge zur Welt. Bekannt ist die große
Fruchtbarkeit des Kaninchens. Ebenso wie die Mäuse ist das Kaninchen
unmittelbar nach dem Werfen wieder begattungsfähig und bringt im Laufe
des Sommers 5-6 Würfe mit 4-12 Jungen zur Welt.

Die großen Raubvögel, Adler und Geier, die keinen Gefahren ausgesetzt
sind, legen nur 1-2 Eier und machen jährlich nur eine Brut, die
kleinen Singvögel, die viel Feinde haben, und deren Bestand außerdem
durch die im Frühjahr und Herbst stattfindenden Wanderungen erheblich
gelichtet wird, machen meist zwei, bisweilen sogar drei Bruten mit
Gelegen von 4-6 Eiern. Überall also das Prinzip der schnellen und
reichlichen Vermehrung, wenn die Art sehr gefährdet ist, und im
Gegenteil dazu das Prinzip der Sparsamkeit, wenn eine natürliche
Bedrohung fehlt. Auf diese Weise bleibt das Gleichgewicht in dem
Tierbestande der Natur erhalten. Die Tiere, die keiner Gefahr
preisgegeben sind und meist ein Räuberleben führen, nehmen infolge
spärlicher Vermehrung nicht überhand, während arg verfolgte Tiere, die
anderen Geschöpfen zur Nahrung dienen, ihren gelichteten Bestand durch
eine reiche Vermehrung genügend ergänzen.

Die Bandwürmer leben als Finnen und im fertig entwickelten Zustande nur
in ganz bestimmten Tieren, und zwar die Finne stets in einem anderen
Tier als der Bandwurm. Die Finne des Schweines und des Rindes wird im
Darm des Menschen zum Bandwurm, die Finne der Maus im Darm der Katze
oder des Hundes. Die Finne des Quesenbandwurmes (~Taenia coenurus~),
der im Darm des Hundes lebt, haust im Gehirn der Wiederkäuer, besonders
der Schafe, und erzeugt hier die gefährliche Drehkrankheit. Die
befallenen Tiere verlieren die Orientierung, drehen sich im Kreise
herum, verweigern die Nahrung und gehen zugrunde. Auf Schäfereien soll
man daher streng vermeiden, das Gehirn solcher Schafe an Hütehunde zu
verfüttern, um eine weitere Verbreitung der Seuche zu verhindern.

Die den Bandwürmern nahestehenden Rundwürmer machen eine ähnliche
Metamorphose durch.

Im Unterschied von den Bandwürmern sind bei den Rundwürmern die
Geschlechter getrennt. Die Befruchtung der stets erheblich größeren
Weibchen erfolgt durch Begattung. Die Rundwürmer oder Kratzer haben
vorn einen mit Widerhaken besetzten Rüssel, der sich tief in den Darm
des Wirtstieres einbohrt und hier schwere Entzündungen, die häufig zum
Tode führen, erzeugen kann. Besonders gefürchtet ist der Riesenkratzer
(~Echinorhynchus hirudinaceus~). Seine Eier werden von Engerlingen der
Mai- und Rosenkäfer gefressen, in deren Leiber die Larven ausschlüpfen
und heranwachsen. Da die Schweine mit Vorliebe Engerlinge verzehren,
so werden sie sehr leicht von dem gefährlichen Schmarotzer befallen,
indem sich die Larve in dem Darm des Schweines zum Wurm umbildet. Eine
gründliche Vertilgung der Maikäfer ist auch in dieser Beziehung für den
Landwirt außerordentlich wichtig.

[Sidenote: Liebesleben der Schnecken]

Unter den niederen Tieren bieten die Schnecken viel Interessantes in
ihrem Liebesleben. Die große Schlammschnecke (~Limnaea stagnalis~),
die in unseren stehenden Gewässern überall vorkommt, ist ein Zwitter.
Jedes Tier hat sowohl männliche wie weibliche Geschlechtsteile.
Trotzdem ist eine gegenseitige Begattung die Regel, bei der das eine
Tier als Weibchen, das andere als Männchen sich betätigt. Dasselbe
Tier ist also imstande, einmal die Liebe als Frau, ein anderes Mal
als Mann zu genießen. Dagegen kommt eine gleichzeitige Betätigung der
männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane zweier Partner nicht vor.
Wohl aber kann sich ein drittes Tier zu dem Liebesakt zweier Schnecken
zugesellen. Es besteigt das obere Tier, welches sich als Männchen
betätigt, und führt in dessen freiliegende weibliche Geschlechtsöffnung
sein Zeugungsorgan ein. Diese dritte Schnecke wird häufig von einer
vierten und diese wieder von einer fünften vergewaltigt. So entsteht
eine Kette von Schnecken im Liebesrausch. Das unterste Tier tritt nur
als Weibchen, das oberste Tier nur als Männchen in Tätigkeit, alle
anderen Tiere genießen die Freuden der Liebe doppelt. Verurteilt man
die Schnecke zur Einzelhaft, so begattet das liebesdürstige Tier sich
selbst, indem es das lang vorstreckbare Zeugungsglied in seine eigne
Scheide einführt.

Bei den Landschnecken finden wir ebenfalls ein sehr ausgeprägtes
Liebesleben, in dem die Tiere durch allerlei grausame Mittel, die
geradezu sadistisch genannt werden können, sich gegenseitig reizen. Die
Landschnecken sind gleichfalls Zwitter. Die liebesbedürftigen Tiere
leiten die Begattung durch ein seltsames und lange dauerndes Vorspiel
ein. Die Schnecken richten sich in heftiger Erregung aneinander hoch,
sinken darauf wieder zurück, um eine Ruhepause von 15-30 Minuten zu
machen. Dann beginnt das Spiel von neuem, das aber jetzt sehr lange,
bisweilen bis zu zwei Stunden anhält, wobei die Tiere ihre Körper mit
den Unterseiten aneinander reiben. Der Vorgang endet damit, daß das
stärker erregte Tier seinen „Liebespfeil“, ein dolchartiges Kalkstück
seines Geschlechtsteils, mit aller Gewalt tief in den Leib des
Partners stößt. Das verwundete Tier zuckt vor Schmerz zusammen. Das
Schmerzgefühl erhöht die Geilheit, und nun erfolgt die gegenseitige
Begattung, bei der jedes Tier gibt und empfängt. Die gegenseitige
Befruchtung dauert bei einigen Schneckenarten fast eine Stunde. Die
afrikanischen Nachtschnecken besitzen ein ganzes Bündel solcher
Liebespfeile, mit denen sie den Partner durchbohren. Andere Arten haben
anstatt eines Pfeiles einen mit scharfen Dornen besetzten Lappen, mit
denen die Tiere sich reiben.

Während der Paarung erfolgt eine starke Schleimabsonderung des Körpers,
der noch lange die Spuren eines solchen Liebesdramas verrät, besonders
wenn der Schleim mit rotem Farbstoff gemischt ist, wie bei einigen
italienischen Schneckenformen.

Das komplizierte Liebesleben der Schnecken ist jedenfalls das
Eigenartigste und Wundersamste, was die Natur, die unerschöpflich ist
in ihrem Schaffen, auf diesem Gebiet ersonnen hat. --

[Sidenote: Fortpflanzung und Liebesleben der Insekten]

Auch bei den Insekten zeigen Fortpflanzung und Liebesleben manch
fesselnde und eigenartige Erscheinung.

Die Insekten oder Sechsfüßler bilden die artenreichste Klasse
im ganzen Tierreich. Die Dreizahl beherrscht die Gliederung des
Körpers, der in drei Abschnitte, Kopf, Brust und Leib zerfällt,
die deutlich voneinander abgesetzt sind. Die scharfe Abschnürung
des Leibes der Wespe von ihrer Brust ist ja als „Wespentaille“
sprichwörtlich geworden. Auch die Brust gliedert sich wieder in drei
Teile: Vorderbrust, Mittelbrust und Hinterbrust. Der Körper ist mit
einer Chitinhaut bekleidet, die aus einer höchst eigentümlichen
stickstoffhaltigen Holzmasse besteht. Das Chitin ist außerordentlich
widerstandsfähig gegen äußere Einflüsse, was am besten daraus
hervorgeht, daß sich ausgetrocknete Insektenleiber ohne besondere
Konservierung Jahrhunderte in Sammlungen aufbewahren lassen, ohne daß
sie ihre Gestalt verlieren oder irgendeine Einbuße erleiden. Bei den
Käfern bildet die sehr harte Chitinhülle einen festen Panzer, bei den
Heuschrecken ist sie eine lederartige Haut und bei den Fliegen und
Schmetterlingen dünn und weich.

Sehr wichtige Organe für das Leben der Insekten sind die am Kopf
sitzenden Fühler, die in erster Linie dem Tastsinn dienen, aber auch
das Gehör und den Geruch zu vermitteln scheinen. Die Fühler sind von
außerordentlich verschiedener Gestalt, so daß sich eine allgemeine
Angabe überhaupt nicht machen läßt. Sie sind bald kolbenförmig, bald
borstenförmig, becherartig oder fadenartig dünn und lang und bestehen
aus zahlreichen Gliedern, deren Anordnung ebenso mannigfaltig ist, so
daß man von gezähnten, geblätterten oder geschuppten Fühlern sprechen
kann.

Bei den Bockkäfern erreichen die Fühler eine außerordentliche Länge,
die bei manchen Arten die Leibeslänge um ein Vielfaches übertrifft.
Die Bockkäfer gebrauchen ihre langen Fühler als Balancierstangen beim
Klettern, indem sie dieselben seitwärts ausstrecken.

Die Insekten atmen nicht durch den Mund, sondern durch Öffnungen
(Stigmen) am Leibe und der Brust, die mit einem den Körper
durchziehenden Röhrensystem, Tracheen genannt, in Verbindung stehen.

Fast alle Insekten machen in ihrer Entwicklung eine Metamorphose
durch. Aus den Eiern schlüpfen Larven, die sich verpuppen. Aus der
Puppe entsteht dann erst das fertige Insekt, Imago genannt. Larve und
Imago sehen ganz verschieden aus, wie es ja unverkennbar in der Raupe
und dem Schmetterling sich ausprägt. Die Puppen sind „freie Puppen“,
wenn die Gliedmaßen des Insekts bereits frei liegen, man nennt sie
„Mumienpuppen“, wenn sie ein geschlossenes Ganzes bilden, an dem
die Leibesteile des fertigen Insekts nur durch Furchen oder geringe
Erhöhungen angedeutet sind, und „Tönnchenpuppen“, wenn die Puppe mit
einer besonderen Hülle, dem Kokon, umgeben ist.

Bisweilen fehlt das Puppenstadium. So bildet sich in der im Wasser
lebenden Larve der Libelle allmählich das fertige Insekt aus. Die
verwandlungsfähige Larve kriecht an einem Pflanzenstengel aus dem
Wasser heraus, ihre Haut platzt auf dem Rücken auf und die fertige,
geflügelte Libelle steigt heraus wie ein Phönix aus der Asche.

Die Dauer des Larvenzustandes und der Puppenruhe wie die Lebenszeit des
fertigen Insekts sind sehr verschieden. Meist spielt sich der ganze
Vorgang im Laufe des Sommers ab, und das Insekt stirbt gleich nach
der Fortpflanzung noch vor dem Winter. Die Lebenszeit der Insekten
ist also eine recht kurze. Häufig folgen sich sogar zwei oder mehrere
Generationen im Laufe des Sommers. Nach ihrer kurzen, bisweilen nur
nach Stunden zählenden Lebensdauer führt die Eintagsfliege ihren Namen.
Die Eintagsfliegen entwickeln sich wie die Libellen ohne Puppenstadium
unmittelbar aus der ans Land steigenden Wasserlarve, um sofort ihren
luftigen Hochzeitsreigen zu beginnen. Ihr kurzes Dasein, das jedoch
nicht immer nur auf einen Tag beschränkt ist, sondern bisweilen auch
2-3 Tage währen kann, ist einzig und allein dem Liebesleben gewidmet.
Die zarten Tiere haben nur verkümmerte, unbrauchbare Mundteile und
nehmen keine Nahrung zu sich. Alles ist auf das Geschlechtsleben
eingestellt. Die Männchen vereinigen sich zu Tausenden und Millionen,
um über dem Wasserspiegel ihre gemeinsamen Tänze aufzuführen, an denen
die Weibchen nicht teilnehmen. Erscheint ein Weibchen in der Nähe des
Tanzplatzes, so stürzen sich mehrere Männchen auf den begehrten Schatz.
Eins von ihnen vereinigt sich mit dem Weibchen, während die übrigen
sich wieder der tanzenden Schar zugesellen, um vielleicht das nächste
Mal mehr Glück zu haben.

Das Männchen besiegelt die Freuden der Liebe mit dem Tode, und auch das
Weibchen geht den Weg allen Fleisches, sobald es die Eier im Wasser
abgelegt hat. Die Weibchen einiger Arten verbringen 10-14 Tage nach
der Begattung regungslos an einem ruhigen Ort, ohne Nahrung zu sich zu
nehmen. In dieser Zeit entwickeln sich die im Leibe befindlichen Eier
zu Embryonen, die von dem Weibchen lebendig am Wasser zur Welt gebracht
werden. Die größte europäische Eintagsfliege, in Ungarn „Theißblüte“
genannt, erscheint stets an gewissen Tagen in gewaltiger Menge, so daß
Land und Wasser unter den Tanzplätzen der Männchen mit den Leibern der
ermatteten Insekten dicht besät sind. Das Platzen der Larvenhüllen und
das Ausschlüpfen der Fliegen, was stundenlang unaufhörlich vonstatten
geht, erzeugt ein rieselndes Geräusch, wie ein leiser Regen. An der
Lippe, besonders bei Hamm in Westfalen, an der Maas in Belgien, an der
Donau und Theiß in Ungarn wiederholen sich jedes Jahr die gewaltigen
Schwärme dieser Eintagsfliege.

Beim Maikäfer dauert das Larvenstadium 3-4 Jahre. Der erwachsene
Engerling verpuppt sich im August. Im November kriecht der Käfer aus
und verharrt unter der Erde, bis die Frühjahrssonne im Mai ihn aus
seinem dunkeln Versteck herauslockt. Das Männchen stirbt während der
lange währenden Begattung ab, wird dann vom Weibchen abgestreift,
welches sich in die Erde verkriecht, um seine Eier abzulegen und dann
ebenfalls zu sterben. Bei den Insekten sind Fortpflanzung und Tod auf
das innigste miteinander verknüpft. Es gibt aber auch Ausnahmen. Bei
den Läusen findet eine wiederholte Fortpflanzung statt. Eine Kopflaus
bringt es in 2 Monaten auf etwa 5000 Nachkommen. Die jungen Läuse,
die keine Metamorphose durchlaufen, sondern gleich fertig dem Ei
entschlüpfen, sind bereits in 2-3 Wochen fortpflanzungsfähig. Ähnlich
liegen die Verhältnisse bei der Bettwanze, die den ganzen Sommer
hindurch eine reiche Nachkommenschaft erzeugt und dann überwintert, um
im nächsten Jahre ihre fruchtreiche Tätigkeit fortzusetzen. Die Wanzen
sind überaus lebenskräftig, vertragen Kälte und langes Fasten. Ein
Forscher hielt eine lebende Wanze ein halbes Jahr in Einzelhaft ohne
Nahrung.

Ebenso wie das Puppenstadium oder Larvenstadium kann unter Umständen
auch das Eistadium in der Entwicklung der Insekten fortfallen. Wir
sahen schon, daß es lebendiggebärende Eintagsfliegen gibt. Auch die
Schmeißfliegen legen keine Eier, sondern die Maden schlüpfen bereits im
Mutterleibe aus.

Während bei vielen Insekten entweder die Eier oder Larven überwintern
und dadurch die Art erhalten bleibt, überwintern bei den Wespen die
Weibchen der letzten Sommergeneration, um im folgenden Frühjahr ein
neues Staatenwesen zu gründen.

Bei den Bienen hat die Königin, welche bekanntlich die einzige
fortpflanzungsfähige weibliche Biene im Bienenstaat ist, ein Leben von
4-5 Jahren und legt jährlich 50000-60000 Eier. Eine so lange Lebenszeit
eines Insekts im Imago-Zustande ist aber eine Ausnahme. Die meisten
Insekten verbringen den größten Teil ihres Daseins als Larve, und die
Umwandlung zum fertigen Insekt dient lediglich der Fortpflanzung und
bildet den Abschluß des Lebens.

Bei den Bienen haben wir drei Geschlechter zu unterscheiden: die
Königin, welche allein Eier legt, die männlichen Drohnen und die
Arbeiter als unfortpflanzungsfähige weibliche Bienen. Die Königin
wird zu Beginn ihres Lebens nur einmal von einer Drohne befruchtet.
Sie unternimmt zu diesem Zweck einen Ausflug im Gefolge zahlreicher
Drohnen, unter denen nur einer das Glück des Liebhabers zuteil
wird. Dann kehrt sie als „Frau“ in den Stock zurück, in dem sie als
„Gefangene“ unter sorgsamer Pflege der Arbeiterinnen lebt, bis sie
von einer neuen, jungen Königin vertrieben wird. Ihre ganze Tätigkeit
besteht einzig und allein darin, Eier zu legen. Der männliche Same
wird in besonderen Samentaschen aufbewahrt und bleibt hier während der
ganzen Lebenszeit der Königin „gebrauchsfähig“. Die Königin hat es
nämlich ganz in der Gewalt, ob das Ei, welches sie legt, befruchtet
werden soll oder nicht. Im ersteren Fall wird das Ei einen Augenblick
an die Öffnung der Samentaschen angepreßt, wodurch einige Samenfäden
austreten und mit dem Ei verschmelzen. Soll die Befruchtung verhindert
werden, so gleitet das Ei schnell an den Samentaschen vorbei. Aus den
befruchteten Eiern gehen die Arbeiter hervor, aus den unbefruchteten
Eiern die männlichen Drohnen. Ist der Inhalt der Samentaschen
erschöpft, was bei zu langer Lebensdauer der Königin eintreten kann,
dann werden nur noch Drohnen erzeugt, und da die Arbeiter fehlen, so
geht ein solcher „drohnenbrütiger“ Stock zugrunde.

[Sidenote: Parthenogenesis]

Bei den Bienen haben wir also eine doppelte Art der Fortpflanzung,
einmal eine geschlechtliche durch Zeugung, und zweitens eine
„parthenogenetische“, d. h. jungfräuliche (Párthenos, griechische
Bezeichnung für Jungfrau).

Die Parthenogenesis kommt bei vielen Insekten vor, jedoch immer in
Verbindung oder Abwechslung mit geschlechtlicher Fortpflanzung. Den
Wechsel beider Arten der Fortpflanzung nennt man „Heterogonie“.
So spielt bei den durch ihre vorzügliche Mimikry ausgezeichneten
Stabheuschrecken die Jungfernzeugung eine besondere Rolle. Die meisten
Tiere sind weiblichen Geschlechts; die viel kleineren Männchen sind
sehr selten. Die Fortpflanzung erfolgt fast immer ungeschlechtlich,
und zwar gehen hier aus den parthenogenetischen Eiern stets Weibchen
hervor. Die Jungfernzeugung setzt sich durch viele Generationen
hindurch fort, hat man doch von gefangenen Stabheuschrecken schon
mehr als 20 Generationen auf diesem Wege entstehen sehen. Eine
ausschließliche Jungfernzeugung scheint jedoch nicht möglich zu
sein, denn sonst brauchte es überhaupt keine Männchen zu geben. Zur
Erhaltung der Art ist, wenn auch selten, so doch hin und wieder eine
geschlechtliche Fortpflanzung notwendig. Aus den befruchteten Eiern
werden anscheinend nur Männchen erzeugt.

Kehren wir nach dieser Abschweifung wieder zur Honigbiene zurück.
Wenn die Königin nur einmal in ihrem Leben begattet wird, wozu, kann
man fragen, sind dann im Bienenvolk die vielen Drohnen notwendig?
Im Bienenvolk entstehen im Laufe des Sommers junge Königinnen aus
befruchteten Eiern, indem die Larven von den Arbeitsbienen mit einem
besonders eiweißhaltigen Futterstoff, dem „Königinnenfutter“, versorgt
werden. Durch bessere Ernährung wird also aus der weiblichen Larve
anstatt einer unfruchtbaren Arbeitsbiene eine fortpflanzungsfähige
Königin auf künstlichem Wege ausgebildet. Ist diese herangewachsen,
dann verläßt die alte Königin ihr Heim, gefolgt von einer großen
Anzahl Bienen. Die Bienen „schwärmen“, wie der Imker sagt, um an
anderer Stelle mit der alten Königin einen neuen Staat zu gründen.
Die junge Königin des alten Stockes übernimmt dort die Regentschaft
und macht im Verlaufe der ersten 14 Tage ihren Hochzeitsflug in
Begleitung zahlreicher Drohnen. Wenn auch nur eine männliche Biene
zur Befruchtung notwendig ist, so hat die Masse der Drohnen doch
ihre Bedeutung. Die Königin wird bei ihrem Fluge durch die Drohnen,
die sie von allen Seiten umschwärmen, gegen die Nachstellungen
insektenfressender Vögel geschützt, und hierin ist wohl der Grund für
die zahlreiche Drohnenansammlung im Bienenstock zu erblicken. Die
meisten Drohnen kommen niemals in ihrem Leben zu einer geschlechtlichen
Betätigung. Ihre Lebensaufgabe besteht einzig und allein darin, die
junge Königin auf ihrem Hochzeitsfluge zu beschützen. Die Drohne, die
von der Königin zum Liebhaber auserkoren wurde, besiegelt ihr Glück
mit dem Tode. Aber nicht besser ergeht es den übrigen Drohnen, die
die Königin begleiteten. Ihre Lebensaufgabe, den Hochzeitsreigen der
jungen Herrscherin zu schützen, ist erfüllt, und ihr Dasein hat keine
Berechtigung mehr. Bei ihrer Rückkehr in den Stock harrt ihrer ein
trauriges Los. Die Arbeiterinnen, die sie früher sorglich fütterten und
pflegten, fallen über sie her und töten die elenden Ritter, die sich
wehrlos in ihr Schicksal ergeben. Einige ängstliche Gemüter suchen
sich dem Blutgericht zu entziehen und verbergen sich in Schlupfwinkeln,
wo sie elend verhungern.

Sind im Sommer keine weiteren Königinnen mehr zu erwarten, dann beginnt
ein neues Blutgericht. Die Drohnen werden von den Arbeiterinnen
abgeschlachtet, da sie als unnütze Fresser und Faulenzer überflüssig
sind. Das Prinzip der Unterstützung für Nichtstun, das ein Volk zur
Bequemlichkeit und Faulheit erzieht, kennt die strenge Zucht und
Ordnung des Bienenstaates nicht!

Die erste Arbeit, welche die junge Königin in ihrem neuen Heim
verrichtet, geht darauf aus, sich die Alleinherrschaft zu sichern. Sie
tötet sämtliche noch vorhandenen Königinnenlarven in ihren Zellen.
Nicht immer gelingt ihr das grausame Werk. Bisweilen wird wieder
eine junge Königin flügge, der dann die Vorgängerin das Feld räumt,
indem sie mit einem neuen Schwarm auswandert. Das Auswandern der
Königin erfolgt, bevor die neue Königin ihre Wiege verlassen hat. Die
Arbeitsbienen bewachen die Königinnenzelle mit größter Sorgfalt und
lassen die junge Herrscherin nicht eher frei, bis die alte Königin das
Feld geräumt hat. Befindet diese sich ausnahmsweise noch im Stock, wenn
ihre Nachfolgerin ausschlüpft, dann entspinnt sich sofort ein heftiger
Kampf auf Leben und Tod zwischen den beiden Rivalinnen. Niemals dulden
sich zwei Königinnen nebeneinander im Bienenstaat.

Verliert ein Stock durch Zufall seine Königin, dann ist er nicht dem
Untergang preisgegeben, da die Arbeitsbienen jederzeit in der Lage
sind, Larven ihresgleichen durch geeignete Fütterung zur Königin
heranzubilden.

Ebenso wie Königin- und Arbeiterlarven wachsen auch die Drohnen in
besonderen Zellen heran und werden mit einem eigenen Futter versorgt.

Die Lebensdauer der Arbeiterbienen währt im Sommer nicht länger als 6
Wochen. Nur die letzte Generation überwintert, um im Frühjahr, wenn das
Bienenleben wieder beginnt, die erforderlichen Arbeiten verrichten zu
können.

[Sidenote: Ameisen]

Bei den staatenbildenden Ameisen ist ebenso wie bei den Bienen die
Königin nur Eiermaschine, die die Fortpflanzung besorgt. Die Arbeiter
sind verkümmerte Weibchen, zu denen sich noch eine andere Kaste,
die „Soldaten“, gesellt, welche ebenfalls unfruchtbare Weibchen
sind. Über ihre Lebensaufgabe wie über die Arbeitsteilung im Bienen-
und Ameisenvolk wird uns das spätere Kapitel „Soziales Leben und
Staatenbildung“ eingehende Aufklärung geben.

Arbeiter und Soldaten sind ungeflügelt, die Königin und die Männchen
der Ameisen tragen Flügel. Die Königin legt jedoch, sobald sie ihre
Geburtsstätte verlassen und ein eigenes Heim gegründet hat, die Flügel
ab. Sie wird zum unflugfähigen Insekt und führt bis an ihr Lebensende
die Herrschaft im Ameisenstaat, während die jungen, anfangs geflügelten
Königinnen auswandern. Der Vorgang ist also gerade umgekehrt wie
bei den Bienen. Der erste und einzige Flug, den die junge Königin
unternimmt, ist der Hochzeitsreigen, bei dem die einmalige Begattung
erfolgt.

Die Königinnen der Ameisen kennen nicht die Eifersucht, die die
Bienenköniginnen erfüllt. Dank ihrer verträglichen Natur dulden sich
mehrere Weibchen nebeneinander.

Bei den Ameisen gibt es zwischen der Königin und den Arbeiterinnen
noch Übergangsformen, d. h. Arbeiterinnen, die der Königin ähnlich
sind und parthogenetische Eier legen, aus denen Arbeiter hervorgehen.
Auch die Arbeiterinnen unterscheiden sich durch ein verschiedenartiges
Aussehen, es gibt Formen mit sehr großem Kopf (Makroergaten)! und ganz
kleine Tiere (Mikroergaten). Die letzteren sind gewöhnlich die ersten
Nachkommen einer jungen Königin. Für die Geschlechtsbestimmung der
Ameisen ist jedenfalls wie bei den Bienen die Nahrung, welche die Larve
erhält, von Einfluß. --

[Sidenote: Ibisfliege]

In sehr eigenartiger Weise verläuft das Fortpflanzungsgeschäft der zu
den Zweiflüglern gehörenden Ibisfliege (~Atherix ibis~), die am Wasser
lebt. Zur Ablage der Eier bilden die Weibchen große Gesellschaften. Ein
Weibchen klammert sich an einem über dem Wasser hängenden Zweig an,
heftet den Eiklumpen fest und stirbt sofort. Auf den toten Körper läßt
sich ein zweites Weibchen nieder, benutzt diesen als Brutstätte und
bleibt als Leiche daran hängen. So geht es unaufhörlich fort, bis sich
schließlich ein großer Klumpen toter Fliegen gebildet hat, der wie eine
Traube herunterhängt. Die aus den Eiern schlüpfenden Larven ernähren
sich zunächst von den toten Leibern ihrer Mütter und lassen sich dann
ins Wasser herabfallen, um ihre weitere Entwicklung fortzusetzen. Die
schwarze Ibisfliege mit glashellen Flügeln lebt in Mitteleuropa, ist
aber nirgends häufig.

[Sidenote: Gallwespen]

An den Blättern der Bäume sehen wir häufig eigentümliche, kugelförmige
Gebilde. Sie rühren von einem Insekt her, der Gallwespe. Die Gallwespen
bringen ihre Eier durch einen Stich in das Fleisch eines Blattes.
Hier schlüpfen die Larven aus. Es bildet sich dann die Galle, die
die Larve völlig umschließt. Ihre Entstehung wird also nicht allein
durch den Stich der Wespe hervorgerufen, sondern auch durch Einwirkung
der Larve auf die Zellen des Blattes. Der Vorgang selbst ist jedoch
unbekannt. In der Galle macht dann die Larve ihre ganze Entwicklung bis
zum fertigen Insekt durch. Häufig enthält eine Galle mehrere Larven
in besonderen Zellen. Bei den Gallwespen wechselt geschlechtliche und
ungeschlechtliche Fortpflanzung ab.

[Sidenote: Schlupfwespen]

Die Schlupfwespen oder Ichneumoniden legen ihre Eier in die Leiber
anderer Insekten, deren Raupen und Puppen, oder in die Eier. Die
Larven wachsen im Innern des Wirtstieres heran, verpuppen sich hier,
um schließlich als fertige Schlupfwespe zum Vorschein zu kommen. Bei
einigen Arten verlassen die Larven vor der Verpuppung ihre lebende
Behausung. Das Schmarotzertum hat in den meisten Fällen den Tod
des Wirtstieres zur Folge. Da die Ichneumoniden mit Vorliebe die
forstschädlichen Insekten zu ihrem Brutschmarotzertum auswählen, so
sind sie außerordentlich nützlich und tragen in erster Linie zur
Bekämpfung von Insektenkalamitäten bei, vielleicht ebenso gut oder
noch besser als die insektenfressenden Vögel, die durch Vertilgung von
Schlupfwespen ihren sonst so großen Nutzen, den sie als Insektenfresser
stiften, teilweise wieder aufheben. Man hat infolgedessen versucht, die
wirtschaftliche Bedeutung der Vögel herabzusetzen und den Vogelschutz
aus diesem Grunde für unnötig zu erklären, eine Auffassung, die
aber mit den wertvollen Versuchen unseres ersten Vogelschützers,
des +Freiherrn von Berlepsch+, nicht im Einklang steht. Dieser
verdienstvolle Ornithologe hat durch jahrelange Versuche in seiner
Vogelschutzstation Seebach nachgewiesen, daß der Nutzen der Vögel
zur Bekämpfung einer Insektenkalamität gewaltig groß ist. Während in
seiner Forst, die durch Nistkästen und Vogelschutzgehölze ein wahres
Vogelparadies ist, seit langen Jahren keine Raupenplage auftrat, wurde
die angrenzende Staatsforst, in der kein organisierter Vogelschutz
betrieben wird, zu gleicher Zeit wiederholt von schwerem Raupenfraß
heimgesucht, der stets an der Grenze des vogelreichen +Berlepschschen+
Reviers haltmachte -- ein deutlicher Beweis, daß die Tätigkeit der
Vögel bei weitem höher eingeschätzt werden muß als der Nutzen der
Schlupfwespen. --

[Illustration:

  Abbildung 8      James’ Preß Agency, London

Fliegender Fisch]

[Illustration:

  Abbildung 9      James’ Preß Agency, London

Schwertfisch

Sein Schwert ist eine gefährliche Angriffswaffe]

[Sidenote: Polyembryonie. Eineiige und zweieiige Zwillinge]

Die Fortpflanzung der Schlupfwespen zeigt noch eine andere
Eigentümlichkeit. Bei einigen Arten kommt aus +einem+ Ei nicht eine
einzelne Larve heraus, sondern es schlüpfen aus demselben Ei eine
ganze Anzahl von Larven, die nach Hunderten zählen können. Diesen
eigenartigen Vorgang, die Entwicklung vieler Individuen aus einem
einzigen Ei, hat man „Polyembryonie“ genannt. Alle aus demselben Ei
hervorgegangenen Wespen haben stets das gleiche Geschlecht.

Ein ähnlicher Vorgang wurde sogar bei den Säugetieren festgestellt. Bei
einem südamerikanischen Gürteltier spaltet sich das Ei in vier Teile,
aus denen sich je ein Individuum entwickelt. Auch die Zwillingsgeburten
des Menschen entstammen nicht immer zwei Eiern, sondern bisweilen nur
einem Ei, das zwei Zellkerne enthält. Die Wissenschaft unterscheidet
daher „eineiige“ und „zweieiige“ Zwillinge. --

[Sidenote: Fortpflanzung, Liebesleben und Brutpflege der Fische]

Unter den Fischen gibt es einige Arten, die man als lebendiggebärend
bezeichnen kann, da der Laich bereits im Mutterleibe auskommt und
die jungen Fischchen also lebend geboren werden. Hierzu gehören
Haifische, Rochen, einige Zahnkarpfen und mehrere andere Arten. Bei
den lebendiggebärenden Fischen findet eine regelrechte Kopulation der
Geschlechter statt, wobei häufig eigenartige Stellungen eingenommen
werden. So schlingt bei den Haien sich das Männchen kreisartig um den
Körper des Weibchens herum, um die zu einem Begattungsorgan umgebildete
Bauchflosse in die weibliche Geschlechtsöffnung einzuführen. Die
Vereinigung währt etwa 20 Minuten.

Bei den meisten Fischen ist eine äußere Befruchtung die Regel, indem
beide dicht nebeneinander stehenden Geschlechter ihre Zeugungsprodukte
ins Wasser entleeren, wo das Sperma sich mit den Eiern vermischt. Dem
Laichakt gehen häufig erregte Liebesspiele voraus. Die Fische „reiben
sich“, d. h. Männchen und Weibchen schwimmen dicht aneinander vorbei
und berühren sich mit dem Bauch oder den Seiten. Schmerlen und Schleie
reiben mit den verdickten Strahlen ihrer Bauchflossen die Weibchen, um
sie geschlechtlich zu reizen.

Einen sehr erregten Liebestanz führt eine kleine Barbe (~Danio rerio
H.~) auf, die ein beliebter Zierfisch in der Aquarienliebhaberei ist.
Männchen und Weibchen wirbeln umeinander herum, wobei das Männchen das
Weibchen fortwährend mit dem Maule stößt und pufft. Schließlich hebt
das Männchen von unten mit dem Kopf das Weibchen bis zur Oberfläche des
Wassers empor, wo sich beide im Sinnenrausch mit zappelnden Bewegungen
umeinander herumschleudern.

Die meisten Fische leben polygam, und zwar verkehrt entweder ein
Weibchen mit mehreren Männchen (Polyandrie), oder es besitzt ein
Männchen mehrere Weibchen (Polygynie). Die Haie und wenige andere
Fische leben monogam. Die Haifische sollen sogar eine lebenslängliche
Ehe schließen.

Die Fruchtbarkeit der Fische ist ungeheuer groß. Die Scholle legt
je nach ihrer Größe 9000-500000 Eier. Der Dorsch produziert sogar
mehrere Millionen Eier in einer Laichperiode. Im Gegensatz dazu legt
der Stichling jährlich nur 80-100 Eier, was wohl die geringste bei den
Fischen vorkommende Eizahl ist.

Die Eier werden entweder einzeln abgelegt, oder sie bilden Schnüre und
Klumpen.

Der Laich wird teils an Pflanzen oder Steinen angeheftet, oder er sinkt
vermittels seiner natürlichen Schwere zu Boden, oder schwimmt frei im
Wasser in einer bestimmten Tiefe. Die letztere Art der Eier besitzen
dann besondere Öltropfen, welche das spezifische Gewicht verringern,
oder auch Schwebevorrichtungen in Gestalt von Fäden und Borsten.

Manche Seefische laichen in großen Tiefen, der Aal z. B. in 1000 ~m~
Tiefe.

Die Entwicklung des Laiches ist hauptsächlich von der Temperatur des
Wassers abhängig. Forellenlaich entwickelt sich bei 2°~C~ in 205 Tagen,
bei 10°~C~ dagegen in 41 Tagen.

Die Entwicklungsdauer der Eier unter normaler Temperatur schwankt je
nach der Fischart zwischen einigen Tagen und mehreren Monaten. Beim
Karpfen beträgt sie etwa eine Woche, bei den Lachsen 2-3 Monate.

Nicht alle jungen Fische haben bei der Geburt gleich ihre richtige
Fischgestalt, sondern besitzen bisweilen anfangs eine Larvenform, aus
der sich erst allmählich der vollendete Fisch herausbildet. Dies ist
bei den Neunaugen, dem Aal und den Plattfischen der Fall, worüber in
dem Kapitel „Wanderungen der Tiere“ noch näher berichtet werden soll.

Die meisten Fische kümmern sich nicht um den Laich und ihre
Nachkommenschaft, einige machen jedoch eine Ausnahme und betätigen sich
in einer mehr oder weniger ausgeprägten Brutpflege, die in höchster
Weise bei den nestbauenden Fischarten hervortritt.

Andere Fische bauen zwar keine Nester, aber sie wissen in anderer
Weise sehr geschickt, man könnte fast sagen sinnig, für eine geeignete
Kinderstube zu sorgen. Das Weibchen des Bitterlings (~Rhodeus amarus~)
bringt den Laich vermittels seiner langen, wurmartigen Legeröhre in
die Kiemen der Malermuschel. Da die Schalen dieser Muschel in der
Kiemengegend etwas klaffen, so kann die Legeröhre des Fisches nicht
beschädigt werden, wenn die Muschel ihre Schalen schließt. Während des
Laichaktes hält sich das Männchen in der Nähe auf, um seinen Samen
in den Atemschlitz der Muschel zu ergießen, sobald das Weibchen
abgelaicht hat. Die Befruchtung des Laiches erfolgt also innerhalb
der Muschel. Die in den Kiemen der Muschel ausgeschlüpfte Fischbrut
gelangt durch die Kloakenöffnung ins Freie. Die Muschel erleidet durch
den eigentümlichen Ammendienst keinen Schaden. Das Vorhandensein von
Fischlaich in der Malermuschel wurde zuerst im Jahre 1787 bekannt,
und 1869 entdeckte +Noll+, daß der Bitterling der Urheber dieser
eigentümlichen Erscheinung ist.

Der Bitterling ist ein zu der Familie der Karpfen gehörender, kleiner
europäischer Flußfisch, mit grünem Rücken und silberglänzenden Seiten.
In der Fortpflanzungszeit legt das Männchen ein farbenprächtiges Kleid
an. Der ganze Körper enthält einen schönen Schillerglanz, in dem
Stahlblau und Violett besonders hervortreten. Die Körperseiten sind
durch einen smaragdgrünen Längsstreifen geziert. Brust und Bauch sind
orangegelb, Rücken- und Afterflosse hochrot.

Das Weibchen des Butterfisches (~Pholix gunellus~) wählt als Brutofen
das Bohrloch einer Muschel, rollt sich in Schlangenwindungen um die
Eier und verharrt in dieser Stellung, bis die Jungen ausschlüpfen. Hier
findet also eine regelrechte Brutpflege statt. Der Butterfisch hat
aalähnliche Gestalt und glatte Haut. Er lebt in den Küstengewässern
Nordeuropas und im Nördlichen Eismeer.

Die Cichliden, welche Flüsse und Seen der Tropen bewohnen, brüten den
Laich in ihrem Maule aus und führen daher auch den Namen „Maulbrüter“.
Im Maule der Mutter verbleiben auch die embryonenhaften Jungen so
lange, bis sie Fischgestalt erhalten haben, was etwa 14 Tage währt.
Während dieser Zeit erweitert sich beim alten Fisch die Haut des
Unterkiefers zu einem Sack, in dem die junge Brut heranwächst. Die
Jungen werden nach Verlassen der sonderbaren Kinderstube noch längere
Zeit von dem alten Fisch geführt. Bei Gefahr sammeln sie sich vor dem
Kopf der Mutter. Diese öffnet das Maul und die Jungen schlüpfen hurtig
hinein. Ist die Gefahr vorüber, so gibt die Alte ihre Kinder wieder
frei.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Fischen üben bei den Maulbrütern
nicht die Männchen, sondern meist die Weibchen die Brutpflege aus.

Das Fortpflanzungsgeschäft der Fische hat so viel Interessantes und
Eigenartiges, daß wir auch noch einen Blick auf die absonderliche
Brutpflege der Seepferdchen und Seenadeln werfen wollen. Das Männchen
dieser sonderbaren Fische besitzt eine Bruttasche, in die das Weibchen
den Laich legt. Nach Empfang der Eier wird die Bruttasche wasserdicht
geschlossen. Die Eier werden in der Bruttasche befruchtet, betten sich
in die Haut ein und werden hier durch eine eiweißhaltige Flüssigkeit,
die aus der Haut kommt, ernährt. Wir sehen also bei diesen Fischen eine
Einrichtung, die an die Placenta, den Mutterkuchen der Säugetiere,
erinnert, der ja bekanntlich den Embryo ernährt. --

So finden wir bereits bei den Fischen die erste Anlage zur Entwicklung
des Säugetiers -- ein vortrefflicher Hinweis für die gemeinsame
Abstammung aller Lebewesen. Umgekehrt zeigt die Ontogenie der
Säugetiere den einstigen Fischahnen. Der Embryo aller Säugetiere erhält
auf einer gewissen Stufe seines Wachstums am Halse Kiemenbögen, wie
sie nur die Fische haben, die sich später wieder zurückbilden, und die
Gliedmaßen sprießen zuerst als flossenartige Plättchen aus dem Körper
hervor, um sich dann zu Füßen und Händen umzubilden. Die ehemalige
Fischnatur flackerte also noch einmal in der Keimesentwicklung auf.

[Sidenote: Amphibien]

Bei den Amphibien findet ähnlich wie bei den Insekten eine Metamorphose
statt. Aus den Eiern schlüpfen Larven, die im Wasser leben und
sich erst allmählich zum fertigen Tier umwandeln, indem die Kiemen
einschrumpfen, Lungenatmung eintritt und gleichzeitig die äußeren
Gliedmaßen am Körper herauswachsen. Auf diese Weise entsteht aus der
Kaulquappe der Frosch.

Einige Frösche zeichnen sich durch eine absonderliche Brutpflege aus.
Bei dem in Chile lebenden Nasenfrosch (~Rhinoderma darwini~) bildet
die Brust- und Bauchhaut einen weiten Sack, der mit der Mundhöhle in
Verbindung steht. In diese Bruttasche steckt das Männchen die vom
Weibchen in seiner Gegenwart abgelegten und von ihm befruchteten Eier.
Der Frosch lebt monogam, und das Weibchen legt die Eier einzeln oder
paarweise innerhalb mehrerer Tage. Auch die Kaulquappen machen die
ganze Metamorphose in dem Kehlsack des Vaters durch und werden erst als
wohlentwickelte Frösche gewissermaßen aus dem Maule des Vaters geboren.
Der Nasenfrosch führt seinen Namen nach dem langen, spitzen Fortsatz
seines Maules, der wie eine spitze Nase aussieht. Der sehr kleine, nur
3 cm lange Frosch ist grün, gelb oder auch rotbraun gefärbt mit dunkler
Linienzeichnung auf der Oberseite.

Das Männchen der Geburtshelferkröte (~Alytes obstetricans~) wickelt
sich den Laich des Weibchens, der in langen Schnüren abgelegt wird,
um die Schenkel der Hinterfüße und schleppt die Last mit sich umher,
bis die Eier gereift sind. Dann begibt es sich ins Wasser, wo die
Krötenlarven auskriechen, um hier ihre 2-3 Jahre währende Umwandlung
durchzumachen.

Die amerikanische Wabenkröte oder Pipa (~Pipa americana~) besitzt im
weiblichen Geschlecht auf dem Rücken eine große Anzahl wabenähnlicher
Bruttaschen. Bei der Paarung umfaßt das Männchen, wie es bei den
Fröschen üblich ist, den Bauch des Weibchens mit den Vorderfüßen. Das
Weibchen stülpt seine Kloake weit nach oben heraus; die Eier werden
durch den Druck des Männchens herausgepreßt und von dem ausfließenden
Sperma befruchtet. Durch den Druck des Männchens werden die Eier
über den Rücken des Weibchens gleichmäßig verteilt, so daß in jede
Bruttasche ein Ei eingebettet wird. Die aus den Eiern schlüpfenden
Larven bleiben in den Bruttaschen der Mutter, bis sich die Umwandlung
zur fertigen Kröte vollzogen hat.

Ein brasilianischer Laubfrosch (~Phyllomedusa hypochondrialis~) legt
seine Eier auf Blättern, die über dem Wasser hängen, ab und klebt dabei
mit der Gallerte des Laiches das Blatt zu einer Tüte zusammen, in der
die Eier auskommen. Der Schaum, der die Eier umgibt, wird flüssig, und
in dieser in der Blattfalte stehenden Flüssigkeit fristen die Larven
die erste Zeit ihres Lebens. Allmählich löst sich die Tüte auf, und die
Jungen fallen ins Wasser, wo sie ihre Entwicklung vollenden.

Ein anderer Frosch, ~Arthroleptis seychellensis~, der, wie der Name
sagt, auf den Seychellen vorkommt, brütet seine Eier in feuchtem Laub
aus. Die Larven heften sich mit dem Bauch auf dem Rücken des alten
Frosches fest, werden durch dessen Haut ernährt und machen hier ihre
Umwandlung durch. --

[Sidenote: Reptilien]

Im Gegensatz zu den Lurchen entschlüpfen die Reptilien im fertig
ausgebildeten Zustande dem Ei. Eine Brutpflege tritt nur bei einigen
Krokodilen auf, die die Eier bewachen und die Jungen ins Wasser führen,
sowie bei einigen Riesenschlangen, welche ihre Eier ausbrüten. Sonst
kümmern sich gerade die Reptilien am wenigsten um ihre Nachkommenschaft.

Die Nilkrokodile vergraben ihre Eier in den Sand in der Nähe des
Wassers. Die amerikanischen Arten dagegen errichten regelrechte
Brutöfen aus feuchtem Laub und Pflanzenteilen, die sie zu einem Haufen
zusammenschichten, in dem die Eier geborgen werden. Das vermodernde
Laub erzeugt hohe Wärme, die die Eier zeitigt.

[Sidenote: Brutöfen der Wallnister]

Dieser künstliche Brutofen der Krokodile führt uns zu den Vögeln, unter
denen die zu den Hühnervögeln gehörenden australischen Wallnister
ebenso verfahren. Auch diese stellen aus Laub und Erde einen großen
Haufen her, in dem sie die Eier unterbringen. Sie brüten nicht selbst,
sondern die Eier kommen in diesem Brutofen durch die hier sich bildende
hohe Temperatur zur Entwicklung. Die jungen Wallnister verlassen in
einem sehr entwickelten Zustande das Ei. Sie sind die einzigen Vögel,
die mit einem fertigen Federkleid zur Welt kommen und schon im Alter
von wenigen Tagen flugfähig sind. Sie müssen sich vom ersten Tage ihres
Lebens an allein durch die Welt schlagen, da ihre Eltern sich nicht um
sie kümmern. Eine Ausnahme machen nur die Taubenwallnister, bei denen
eine kurze Brutpflege stattfindet. Das Männchen bewacht die Brutstätte
und deckt sogar bei anhaltend trockner Witterung eine neue Laubschicht
darauf, um die zur Gärung notwendige Feuchtigkeit darin zu erhalten. In
der ersten Zeit bringt es auch die Jungen abends wieder in dem Brutofen
unter zum Schutz gegen die Kälte der Nacht. Doch schon nach wenigen
Tagen überläßt der Vater seine Kinder ihrem eigenen Schicksal.

Die Nistweise der Wallnister ist offenbar die ursprüngliche Art der
Fortpflanzung der Vögel, aus der sich erst im Laufe der Zeit Nestbau
und Brutgeschäft entwickelt haben. So treten hier innige Beziehungen
zwischen den Vögeln und den Reptilien hervor, die beide auch in bezug
auf den Bau ihres Körpers manche Gleichheiten und Ähnlichkeiten
zeigen, die darauf hinweisen, daß die Vögel sich aus den Reptilien
entwickelt haben. Die Richtigkeit dieser Annahme bestätigt der Urvogel
Archäopteryx aus der Kreidezeit, der, wie wir gesehen haben, den
Übergang vom Reptil zum Vogel bildet.

Bei den Vögeln bieten Liebesleben und Fortpflanzung so viel
Interessantes, daß es unmöglich ist, all die vielseitigen Erscheinungen
erschöpfend zu schildern. Das Liebeswerben der Männchen erfolgt in
verschiedenster Art. Die Singvögel lassen in der Brunst ihre Stimme
zur vollsten Entfaltung gelangen. Der Schlag der Nachtigall in lauer
Maiennacht mit den tiefen, so zu Herzen dringenden Flötentönen
ist ihr Liebeslied. Andere Vögel, wie die Raubvögel, machen ihrem
Weibchen durch prachtvolle Flugspiele den Hof, wieder andere führen
liebestrunkene Tänze aus, wie es der Birkhahn tut, der sich mit
gefächertem Spiel im Kreis herumdreht und hohe Luftsprünge macht,
um sich den liebesbedürftigen Hennen bemerkbar zu machen. Die
Paradiesvögel entfalten in der Balz ihre prachtvollen, buntfarbigen
Schmuckfedern zu einem wallenden Schleier. Der verliebte Pfau schlägt
mit seinen verlängerten, farbenprächtigen Rückenfedern ein Rad.

Bei den Vögeln sind die Männchen vor den Weibchen besonders von der
Natur ausgezeichnet worden. Sie allein besitzen ein buntfarbiges
Hochzeitskleid, während das weibliche Geschlecht mit wenigen Ausnahmen
ein unscheinbares Gewand trägt, das das Tier beim Brutgeschäft und bei
der Führung der Kinderschar vor den Nachstellungen der Feinde schützt.

[Sidenote: Perverses Liebesleben der Laufhühnchen]

Eine Ausnahme machen die in Südeuropa und Asien heimischen
Laufhühnchen, kleine etwa stargroße Hühner. Bei ihnen ist das Männchen
schlicht erdfarben gezeichnet, während das Weibchen mit einem
buntfarbigen Brustschild geschmückt ist. Mit diesem eigentümlichen
Geschlechtsdimorphismus steht auch das Liebesleben, das geradezu
pervers verläuft, im Einklang. Nicht die Männchen, sondern die
buntfarbigen Weibchen balzen und fordern ihre unscheinbar gekleideten
Liebhaber zur Paarung auf. Nicht das Weibchen, sondern das Männchen
baut das Nest und brütet die vom Weibchen hineingelegten Eier aus, das
sich um seine Nachkommenschaft überhaupt nicht kümmert. Unter Führung
des Vaters wachsen die Jungen heran. Bei den Laufhühnchen sind also die
Rollen im Fortpflanzungsgeschäft vertauscht. Die Männchen übernehmen
alle Pflichten der Weibchen, die sich völlig emanzipiert haben und die
Rolle des männlichen Geschlechts spielen. --

[Sidenote: Winterbrut des Kreuzschnabels]

Ein sonderbarer Gesell in Sachen der Liebe ist auch unser
Kreuzschnabel, eine der charakteristischsten Erscheinungen unserer
Nadelwälder. Dieser Zigeunervogel, der keine feste Wohnstätte kennt,
sondern im Lande umherschweift, tritt bald hier, bald da in kleineren
oder größeren Trupps auf. So unstet wie sein Leben, sind auch seine
Liebesgelüste. Während alle anderen Vögel bei uns im Frühjahr und
Sommer zur Fortpflanzung schreiten, hält er sich an keine bestimmte
Jahreszeit. Er brütet ebensogut wie im Sommer auch im Herbst und
Winter. Tragen die Nadelhölzer reiche Zapfen, dann erwacht in dem
bunten Schelm die Sehnsucht der Liebe. Vom schneebedeckten Tannenzweig
singt er fröhlich sein bescheidenes Lied der Liebsten ins Herz, baut
sein Nest in rauhreifumsponnenen Zweigen und brütet in der Winterkälte
sein Gelege aus. Während alle anderen Vögel in Schnee und Eis darben,
zieht er sorglos seine Kinderschar auf, denn der reiche Samen der
Nadelhölzer deckt ihm den Tisch.

Eine besondere Eigentümlichkeit des Kreuzschnabels ist der
Farbenwechsel seines Gefieders. Nach dem Ablegen des grauen, dunkel
gefleckten Jugendkleides erhält das Männchen zunächst ein gelbes oder
auch grünes Gefieder, das im zweiten Jahre mit einem roten Federkleid
vertauscht wird und im Alter an Schönheit und Reinheit der Farbe immer
mehr zunimmt.

[Sidenote: Herbstbrunft des Rothirsches]

Die Zeit der Liebe ist in der Tierwelt keineswegs immer an den
Wonnemonat Mai oder den Sommer gebunden. Im Herbst, wenn die Natur
abstirbt, der Laubwald sich gelb und rot färbt, dann erwacht im König
unserer Wälder, dem edlen Hirsch, die Macht der Liebe. Mit orgelndem
Schrei durchzieht der Brunfthirsch den Wald und treibt sich sein Rudel
Wild zusammen, um ein Haremsleben zu führen. Aber nicht in Ruhe kann
er die Freuden der Liebe genießen. Geringe Hirsche begleiten ständig
den alten Pascha und seinen Harem in der Hoffnung, daß ein günstiger
Augenblick auch ihnen einen kurzen Liebesrausch gewährt. Ständig
umkreist der Platzhirsch sein Rudel und vertreibt mit dröhnendem Schrei
die Beihirsche, die seine Schönen zu verführen drohen und sich gewandt
den ernsten Angriffen des Starken zu entziehen wissen.

Eines Morgens schallt aus der Ferne der Brunftschrei eines Rivalen
herüber. Der Platzhirsch antwortet mit kräftiger Stimme -- eine Warnung
für den Nebenbuhler. Doch dieser fühlt sich ebenbürtig. Näher und näher
dringt sein Kampfruf herüber. Der Platzhirsch zieht ihm laut schreiend
entgegen. Gesenkten Hauptes stehen sich die Recken gegenüber, dann
ein lautes Krachen der Geweihe, und es beginnt ein heißer Kampf auf
Leben und Tod. Mit fest ineinandergelegten Geweihen sucht jeder den
anderen zu Fall zu bringen. Der Kampf wogt hin und her. Da gelingt es
dem einen Kämpen, seine starke Augsprosse in die Weichen des Gegners
zu bohren. Der Platzhirsch, der rechtmäßige Inhaber des Rudels, bricht
zusammen. Er ist von seinem Gegner abgekämpft und zu Tode geforkelt.
Noch ein lauter, weithin schallender Siegesschrei, und der Gegner
trollt zu dem Mutterwild, um sogleich die Herrschaft zu übernehmen.
Die Tiere, wie der Weidmann das weibliche Wild nennt, haben dem
Kampf teilnahmlos zugesehen und erkennen ohne weiteres das Recht des
Stärkeren an. Sie folgen unbewußt einem Naturgesetz, das durch die
Auslese im Kampf ums Dasein dem Stärkeren das Vorrecht gibt, ein hartes
und rücksichtsloses Geschick, aber doch ein sehr zweckmäßiges Mittel,
um die Art in ihrer Kraft und Ursprünglichkeit zu erhalten und sie vor
Degeneration zu bewahren. Darum gilt es als weidmännisches Gesetz, die
stärksten Hirsche und stärksten Rehböcke niemals frühzeitig im Jahre
abzuschießen, sondern bis zur Brunft leben zu lassen. Nur hierdurch
ist eine gute Geweih- und Gehörnbildung gewährleistet. Leider wird
gegen diese Regel noch immer sehr gesündigt, wozu der Jagdneid und die
Furcht, daß die gute Trophäe von einem anderen Schützen erbeutet werden
könnte, meist die Veranlassung geben.

Nicht immer wird von den Hirschen ein Kampf auf Leben und Tod
ausgefochten. Dies gehört sogar zu den Ausnahmen, da meist der
Schwächere beizeiten freiwillig das Feld räumt.

In der Brunft des Rothirsches liegt eine tiefe Poesie des deutschen
Waldes. Die Jagd auf den Brunfthirsch ist die Krone edlen Weidwerks,
und nicht mit Unrecht bilden der schreiende Hirsch und sein Kampf mit
dem Rivalen das bevorzugte Motiv für den Jagdmaler. Wer den Zauber der
hohen Jagd kennt, der weiß die herrlichen Gemälde, die die Künstlerhand
eines Kröner, Deiker, Friese, Drathmann oder Wagner schuf, in ihrer
Größe und Gewalt zu würdigen.

[Sidenote: Schwarzwild]

Noch später als beim Rotwild erwacht die Liebe in dem ritterlichen
Schwarzwild, das erst im Winter in die Rauschzeit eintritt. Auch unter
den stärkeren Keilern wird bisweilen ein Liebesduell ausgefochten.
Doch vermögen sich die Tiere mit ihren „Gewehren“ oder „Gewaff“,
wie der Jäger die Hauer des Wildschweins nennt, keinen besonderen
Schaden zuzufügen, da die dicke, mit Borsten bekleidete Schwarte einen
vorzüglichen Schutz bildet.

[Sidenote: Reh]

Im Gegensatz zum Rot- und Schwarzwild brunftet das Reh schon im Sommer.
Das Kitz wird im Mai gesetzt. Die Tragzeit beträgt 9-10 Monate. Das
ist für ein so kleines Tier im Vergleich zu anderen Säugetieren eine
auffallend lange Zeit. Infolgedessen glaubte man früher, daß die Brunft
im Juli und August nur eine Scheinbrunft sei, ein Vorspiel der Liebe
ohne ernstliche Folgen, und daß die Befruchtung erst später im November
erfolge, da dann die Böcke bisweilen die Ricken wieder treiben.

Diese Auffassung beruht jedoch auf einem Irrtum. Durch anatomische
Untersuchung wurde nachgewiesen, daß die Befruchtung bereits im Sommer
stattfindet, und daß die Nachbrunft im Winter nur ein aufflackerndes
Liebesspiel einiger Böcke ist, bei dem kein Beschlag erfolgt. Das im
Sommer befruchtete Ei macht zunächst nur den ersten Furchungsprozeß
durch, wandert dann in den Uterus und ruht hier lange Zeit ohne
weitere Entwicklung, die erst im Dezember einsetzt und dann in
der normalen Weise verläuft. Dieser eigenartige Vorgang in der
Fortpflanzungsgeschichte des Rehes ist eine vorzügliche Anpassung an
die klimatischen Verhältnisse. Im Sommer, wo bei reicher Äsung Bock und
Ricke auf dem Höhepunkt ihrer körperlichen Kraft stehen, erfolgt die
Paarung, und das Kitz wird erst zu Beginn des nächsten Sommers gesetzt,
wo das frische Grün der säugenden Ricke wieder kräftige Nahrung spendet.

[Sidenote: Fledermäuse]

Ähnlich verhält es sich mit der Fortpflanzung der Fledermäuse. Die
Paarung findet im Herbst vor Beginn des Winterschlafes statt. Der
Same des Männchens ruht in der Gebärmutter des Weibchens während des
Winters und befruchtet erst im Frühjahr die am Eierstock sich bildenden
Eier. Im Mai und Juni werden die Jungen geboren, also in einer für
ihre Entwicklung sehr günstigen Jahreszeit. Während des Gebäraktes
hängt sich die Mutter nicht wie bei der üblichen Ruhestellung mit den
Hinterfüßen auf, sondern mit den Händen, so daß also nicht der Kopf,
sondern der Leib nach unten gerichtet ist. Dann krümmt sie den Schwanz
nach oben, so daß das Ende der Flughaut einen Sack bildet, in den das
Junge hineinfällt. Einige Arten legen während der Geburt den Schwanz
auf den Rücken, so daß sich keine Geburtstasche bilden kann. Sie haben
am Ausgang der Schamteile zwei Drüsen, an die sich das Junge noch
während der Geburt ansaugt, um nicht herabzufallen. Später kriechen die
Jungen von den Drüsen oder aus der Geburtstasche zur Brust der Alten
herauf und saugen sich an den Zitzen fest. Sie verharren aber nicht
dauernd in dieser Stellung, sondern haken sich auch mit den Krallen im
Pelz der Mutter ein, die sie ständig mit sich umherträgt.

Das zoologisch interessanteste Gebiet der ganzen Erde ist Australien.
Mit Ausnahme eines Wildhundes, des Dingos, einiger Fledermäuse und
Ratten stehen alle Säugetiere Australiens noch auf einer primitiven
Stufe der Entwicklung, die in der Art der Fortpflanzung zum Ausdruck
kommt und sie von allen anderen Säugetieren scharf trennt.

[Sidenote: Eierlegende Säugetiere]

Im Jahre 1884 machte der Jenenser Zoologe +Wilhelm Haacke+ während
seines Aufenthalts in Australien eine aufsehenerregende Entdeckung.
Er zog aus der Hautfalte am Leibe eines Ameisenigels (Abbildung 3)
ein Ei hervor. Ein eierlegendes Säugetier! Wohl hatte man schon in
früherer Zeit die Behauptung aufgestellt, daß die Schnabeltiere, zu
denen der Ameisenigel gehört, Eier legen. Aber die Nachricht klang doch
zu märchenhaft, um ernst genommen zu werden, bis es schließlich Haacke
gelang, ihre Wahrheit nachzuweisen.

Die Schnabeltiere tragen einen Hornüberzug über die Kiefer, die
hierdurch wie beim Vogel zu einem Schnabel werden. Bei den aus
mehreren Arten bestehenden Ameisenigeln ist der zahnlose Schnabel lang
und dünn, beim eigentlichen Schnabeltier dagegen flach und breit wie
ein Entenschnabel (Abbildung 4). Letzteres ist ein ausgesprochenes
Wassertier, das nach Art der Enten mit dem breiten Schnabel auf dem
Grunde des Wassers seine aus Insekten und Würmern bestehende Nahrung
aufschnabelt. Das Schnabeltier ist ein vortrefflicher Schwimmer,
da seine Zehen mit Schwimmhäuten ausgerüstet sind. Es baut sich
unterirdische Wohnungen am Ufer, in denen es den Tag schlafend
verbringt.

Im Gegensatz zum Schnabeltier sind die Ameisenigel Landtiere. Ihre
Hauptnahrung bilden Ameisen, die sie mit ihrer langen Zunge aus
Ameisenhaufen herausholen. Der Rücken des Ameisenigels ist mit Stacheln
bedeckt, während das Schnabeltier einen dunkelbraunen Pelz trägt.

Das eigenartige Fortpflanzungsgeschäft dieser absonderlichen Tierformen
verläuft in folgender Weise. Das Weibchen legt ein oder auch zwei
Eier und schiebt sie mit dem Schnabel in die am Leibe befindliche
Bruttasche. Die Schale des Eies ist lederartig wie die Schale der
Reptilieneier. Im Brutbeutel nimmt das Ei mit der Entwicklung des
Keimlings ganz beträchtlich an Größe zu, indem es sich ausdehnt.
Während die Länge eines dem Uterus entnommenen Eies im Durchmesser nur
4,5 ~mm~ beträgt, hat das reife Beutelei eine Länge von 15 ~mm~. Dieses
Wachstum des Eies steht also ganz im Gegensatz zum Vogelei, das seine
Größe nicht verändert, und entspricht dem Vorgang des Säugetiereies und
Embryos im Mutterleibe, nur daß die Entwicklung sich nicht im Uterus,
sondern außerhalb des Körpers vollzieht. Es ist daher möglich, daß
eine Ernährung des Eies im Beutel durch Drüsenausscheidung aus dem
Körper der Mutter stattfindet, indem das Sekret durch die weiche Schale
aufgesogen wird.

Das gänzlich hilflose, embryonenhafte Junge, das beim Ameisenigel nur
eine Körperlänge von 5,5 ~mm~ hat, macht seine weitere Entwicklung
im Beutel durch, den es erst verläßt, wenn es behaart ist und die
Stacheln durchbrechen. Es wird dann von der Mutter in einer Erdhöhle
untergebracht und nur zum Nähren wieder in den Beutel genommen.

Der alte Ameisenigel hat kein Gesäuge, sondern es wird ein Sekret aus
Drüsen abgesondert, das von dem Jungen im Beutel aufgeleckt wird. So
sehen wir beim Ameisenigel und Schnabeltier die ersten Anfänge des
Säugetiers, aus denen sich erst später das vollkommene Säugetier, das
lebendige Junge zur Welt bringt und diese säugt, entwickelt hat.

Auch sonst zeigt der Körperbau der Schnabeltiere noch manche
Eigenarten, die im Vergleich zu anderen Säugetieren eine viel
primitivere Entwicklung erkennen lassen. Ebenso, wie bei den Reptilien
und Vögeln, münden Darm, Harnleiter und Fortpflanzungsorgane in einem
einheitlichen Ausgang, der Kloake. Man bezeichnet daher Ameisenigel
und Schnabeltier als „Kloakentiere“. Von den Eierstöcken des Weibchens
bringt nur der linke reife Eier hervor, während der rechte zwar Eier
bildet, die aber niemals zur Entwicklung gelangen. Die Tätigkeit des
weiblichen Geschlechtsapparats ist also ganz auf die linke Hälfte
beschränkt. Hierin tritt eine nahe Beziehung zu den Vögeln hervor,
deren Weibchen nur einen Eierstock auf der linken Seite haben. Bei
den männlichen Kloakentieren liegen die Hoden nicht außen, sondern
im Innern der Leibeshöhle, was durchaus dem Geschlechtsapparat der
männlichen Vögel und Reptilien entspricht. Das an der hinteren
Kloakenwand liegende Zeugungsglied dient lediglich der Samenentleerung,
aber nicht wie bei anderen Säugetieren der gleichzeitigen
Urinentleerung. Dasselbe ist auch bei jenen Vögeln der Fall, welche,
wie Strauße und Enten, einen Penis besitzen.

[Illustration:

  Abbildung 10      James’ Preß Agency, London

Tukan

Der gewaltige, aber sehr dünne und leichte Schnabel dient als
Fruchtpresse]

[Illustration:

  Abbildung 11      James’ Preß Agency, London

Amerikanischer Bison]

Das Gehirn der Kloakentiere unterscheidet sich wesentlich von
dem Gehirn aller anderen Säuger und zeigt nahe Beziehungen zum
Reptiliengehirn.

[Sidenote: Beuteltiere]

Die übrigen Säugetiere Australiens haben im Vergleich zu den
Schnabeltieren schon eine höhere Entwicklungsstufe erreicht, die aber
noch immer gering ist gegenüber allen anderen Säugetieren. Wohl gibt
es in Australien die verschiedenartigsten Formen von Säugetieren, die
unverkennbar den Charakter des Raubtiers, Nagetiers, Insekten- und
Pflanzenfressers tragen, aber dennoch durch eine weite Kluft von diesen
getrennt sind. Ihre Jungen kommen in einem ganz unentwickelten, völlig
embryonenhaften Zustande zur Welt und werden wie bei den Kloakentieren
noch längere Zeit in einem Brutbeutel getragen, in dem sie erst
heranreifen. In dem Brutbeutel saugt sich das winzig kleine Junge, das
beim Riesenkänguruh nur wenige Zentimeter lang ist, an die Zitze der
Mutter fest. Die Mundränder des Jungen verwachsen um die Zitze, welche
anschwillt und das ganze Maul des Jungen ausfüllt. Das Junge hängt dann
dauernd fest an der Zitze. Um eine ausreichende Atmung zu ermöglichen,
schiebt sich der Kehlkopf des Jungen in die innere Nasenöffnung hinein.
Diese besonderen Vorrichtungen am Maul und an den Atmungsorganen
verlieren sich später, wenn sie infolge des vorgeschrittenen Wachstums
des Jungen nicht mehr erforderlich sind. Man kann also geradezu von
einem „Larvenstadium“ bei den Beuteltieren sprechen, das der Larvenform
der Amphibien und niederen Tiere ähnlich ist. Die Jungen verlassen den
Beutel erst, wenn sie völlig entwickelt sind, was beim Riesenkänguruh
etwa 8 Monate dauert, kehren aber zum Saugen noch einige Zeit lang
regelmäßig wieder in den Beutel zurück. Das junge Beuteltier wird
gewissermaßen zweimal geboren, das erstemal, wenn es dem Mutterleibe
entsteigt, und das zweitemal, wenn es den Brutbeutel verläßt.

Das bekannteste Beuteltier ist das Känguruh, und jeder aufmerksame
Besucher eines Zoologischen Gartens hat wohl schon einmal die Freude
gehabt, ein junges Känguruh aus dem Beutel der umherspringenden Mutter
herausschauen zu sehen. Außerdem gibt es Beutelwölfe, Beutelmarder,
Beuteldachse, Beutelratten, Beutelspitzmäuse, Beuteleichhörnchen und
Flugbeutler (Abbildung 5). Wir sehen also, daß ein großer Teil der
Säugetiere in Australien in Form des Beuteltiers vorkommt, d. h.
in einer ursprünglicheren Gestalt, in einer primitiveren Stufe der
Entwicklung. Daß tatsächlich eine gewisse Beziehung zwischen den
Beuteltieren Australiens und den entsprechenden Tierformen anderer
Erdteile besteht, beweist die Feststellung des Gelehrten +Hans
Friedenthal+, daß der Bau der Haare beider Tierformen der gleiche ist.
Eine Beutelspitzmaus hat Spitzmaushaar, und der Beutelmaulwurf trägt
Maulwurfsfell. Wohl nicht mit Unrecht hat man daher angenommen, daß
die Säugetierwelt Australiens mit ihren eierlegenden Arten und mit
den Beuteltieren in dem abgeschlossenen Erdteil auf einer früheren
Entwicklungsstufe stehengeblieben ist. Australien ist das Land der
„lebenden Fossilien“.

[Sidenote: Der Dingo, ein Wildhund Australiens]

Die einzigen Tiere, die als vollwertige Säuger aus der Reihe der
Beuteltiere heraustreten, sind der Dingo, einige Fledermäuse und
Ratten. Der Dingo ist zugleich die einzige in der Wildnis vorkommende
Hunderasse. Er ist nicht wie Wolf, Schakal oder Fuchs ein naher
Verwandter des Hundes, sondern ein echter Hund. Seine Farbe ist rot
oder rot mit Schwarz und Weiß gemischt. Der Schwanz ist buschig und hat
eine helle Spitze. Ob der Dingo wirklich ein ursprünglicher Wildhund
ist, oder ob er, was wahrscheinlicher ist, vom Haushund abstammt, der
erst vom Menschen nach Australien verpflanzt wurde und verwilderte,
ist heute eine noch ungeklärte Frage. Den Aufschluß hierüber kann uns
allein die Paläontologie geben. Freilich glaubt +Frederick McCoy+ in
der mittleren Tertiärschicht Australiens Reste des Dingo nachweisen
zu können -- eine Annahme, die freilich noch der Bestätigung bedarf.
Erweist sie sich als richtig, dann ist der Dingo als Wildhund zu
betrachten, denn daß er in der Tertiärzeit schon vom Menschen
eingeführt sein sollte, ist kaum glaubhaft, zumal der tertiäre Mensch
noch nicht nachgewiesen ist und, falls er gelebt hat, wohl noch keine
Haustiere besessen hat.

Neben dem Dingo leben in Australien noch einige Fledermäuse und Ratten,
die nicht Beuteltiere sind. Letztere sind jedenfalls erst später durch
Schiffe eingeschleppt worden, und die Fledermäuse können infolge ihres
Flugvermögens sich unschwer verbreiten. Ratten und Fledermäuse sind
offenbar keine Schöpfungen der australischen Tierwelt, sondern erst
später hierher gelangt.




Biotechnik


Die Organe der Tiere, auch die äußeren Gliedmaßen, sind zum Teil sehr
sinnreich konstruierte Apparate, die sich mit wissenschaftlichen
Instrumenten, wie sie in der Physik und Technik gebraucht werden,
vergleichen lassen, so daß man geradezu von einer Biotechnik, einer
Technik des Lebens, im Tierreich reden kann. --

Der Fisch führt im Wasser die verschiedensten Bewegungen aus. Er
vermag mit und gegen die Strömung zu schwimmen, steigt in vertikaler
Richtung ohne Flossenschlag auf und nieder, senkt sich auf den Boden
herab, bleibt in jeder beliebigen Tiefe unbeweglich stehen, oder stellt
sich sogar mit dem Kopf gegen den Strom, ohne von ihm fortgerissen zu
werden. Eine derartige Anpassung an das Leben im Wasser verlangt eine
ganz besondere Ausrüstung des Körpers.

[Sidenote: Die Schwimmblase des Fisches]

Ein wichtiges Organ für die Schwimmkunst der Fische ist die
Schwimmblase, die eine vielseitige Bedeutung hat. Die Schwimmblase
liegt unterhalb der Wirbelsäule unter den Nieren. Sie stellt entweder
einen länglichen Sack dar oder ist durch Abschnürungen in zwei oder
drei Kammern geteilt. Durch einen besonderen Gang steht sie meist mit
dem Schlunde in Verbindung, kann aber auch ganz in sich abgeschlossen
sein. Sie ist mit einem Gas gefüllt, das aus Sauerstoff (15%),
Stickstoff (83%) und Kohlensäure (2%) besteht. Bei Tiefseefischen ist
der Sauerstoffgehalt höher und beträgt bis 70%. Die Zusammensetzung
des Gases ist also von der Beschaffenheit der Luft verschieden, und
infolgedessen kann die Füllung der Schwimmblase, auch wenn diese mit
dem Rachen verbunden ist, nicht durch die Außenluft erfolgen. Der in
den Rachen führende Luftgang dient nur der Ausscheidung überflüssigen
Gases. Fehlt diese Rachenverbindung, so werden die Gase durch ein
besonderes Organ resorbiert, durch das „Oval“. Das Oval ist ein Knäuel
von Blutgefäßen, die das Gas aufsaugen und in das Blut überführen. Die
Blutgefäße können durch eine Muskelvorrichtung willkürlich geöffnet
und geschlossen werden, je nachdem ihre Tätigkeit aufgenommen oder
unterbrochen werden soll.

Die Gasfüllung der Schwimmblase geschieht durch zahlreiche Blutgefäße,
„rote Körper“ genannt, welche vermittels besonderer Drüsen das aus dem
Blut ausgeschiedene Gas hineinströmen lassen.

Die Schwimmblase dient zunächst zur vertikalen Bewegung. Durch ihre
wechselnde Füllung wird das spezifische Gewicht des Körpers verändert,
so daß der Fisch ohne Schwimmbewegungen im Wasser aufsteigen und sich
senken kann.

Die Abschnürung der Schwimmblase in mehrere Abteilungen befähigt den
Fisch, die Stellung des Körpers im Wasser beliebig zu ändern. Durch
eine verschiedene Gasfüllung der Kammern wird der Schwerpunkt des
Körpers verlegt, wodurch der vordere Teil, das Kopfende, gehoben oder
gesenkt wird. Der Körper steht dann nicht horizontal, sondern schräg
aufwärts oder abwärts.

Bei einigen Fischen ist die Schwimmblase mit dem innern Ohr durch eine
Knorpelmasse verbunden, die in einer am Labyrinth des Ohrs anliegenden
Membran endigt. Hierdurch wird der wechselnde Wasserdruck, welchen die
Spannung der Schwimmblase anzeigt, auf das Ohr übertragen. Der Apparat
wirkt gewissermaßen wie ein Barometer. Auch bei Fischen, denen diese
Vorrichtung fehlt, findet eine Übermittlung des Wasserdrucks auf das
Ohr statt, indem sich der Druck des Schwimmblasenumfangs unmittelbar
auf das Labyrinth fortpflanzt.

[Sidenote: Darmatmung]

Die Schwimmblase dient ferner zur Unterstützung der Atmung, die beim
Fisch durch die Kiemen erfolgt. Sie setzt den Fisch instand, eine
gewisse Zeit außerhalb des Wassers durch eine Zufuhr von Sauerstoff
fortzuleben und schützt ihn vor einem raschen Erstickungstode, der erst
eintritt, wenn der Sauerstoffgehalt der Schwimmblase aufgebraucht ist,
was bei manchen Arten ziemlich lange dauert. Auf diese Weise verträgt
der Karpfen oder Hecht, der von der Köchin vom Markt in einem Netz nach
Hause getragen wird, den trockenen Transport ohne Schaden.

Die respiratorische Bedeutung der Schwimmblase erreicht ihren höchsten
Grad bei den Lurchfischen. Hier ist die Schwimmblase zur Lunge
umgewandelt, die mit den im hinteren Rachen mündenden Nasenöffnungen
verbunden ist und das Tier zur Luftatmung auf dem Lande befähigt. Die
australischen Lurchfische haben also eine Doppelatmung, eine Atmung
durch Kiemen im Wasser und eine zweite durch Lungen auf dem Lande.
Sie sind hierdurch imstande, die Zeit der Dürre, in der die Gewässer
austrocknen, lebensfähig zu überstehen.

Vielen Tiefseefischen, ferner den Haifischen, Plattfischen, Makrelen
und einigen anderen Arten fehlt die Schwimmblase. Andere Arten, wie
Kofferfische und Igelfische, die ebenfalls keine Schwimmblase haben,
benutzen ihren Magen als hydrostatischen Apparat, indem sie ihn mit
Luft anfüllen. Die im Magen aufgespeicherte Luft schützt diese Fische
auf dem Trockenen vor dem Erstickungstode, da der notwendige Sauerstoff
durch den Darm zugeführt wird, so daß man geradezu von einer Darmatmung
sprechen kann.

[Sidenote: Hautsinnesorgane der Fische]

Die Natur hat die Fische mit einem besonderen Hautsinnesorgan
ausgestattet, das man als „sechsten“ Sinn bezeichnen kann. Am Kopf und
an den Seiten des Körpers befinden sich röhrenartige Linien, die durch
die Schuppen Verästelungen nach außen senden. Diese „Seitenorgane“
sind Sinnesorgane, mit denen der Fisch die Richtung und die Stärke
der Wasserströmung in feinster Weise wahrnimmt. Nähert sich der Fisch
einem Stein, einem Wehr oder irgendeinem Gegenstand im Wasser, so
prallt das vom schwimmenden Fisch bewegte Wasser an dem in der Nähe
befindlichen Hindernis ab und flutet zurück. Diese Rückwärtsbewegung
des Wassers, auch wenn sie noch so gering und fein ist, übt auf die
Seitenorgane einen Druck aus, der vom Fisch sofort wahrgenommen wird.
Die Seitenorgane dienen also der Orientierung beim Schwimmen und sind
biologisch von allergrößter Bedeutung. Mit ihrer Hilfe kann der Fisch,
wenn im trüben Wasser und im Dunkel der Nacht das Augenlicht versagt,
sich sicher und gefahrlos bewegen.

[Sidenote: Ohr der Fische]

Die Fische besitzen mit Ausnahme der Haie keine äußeren Ohröffnungen.
Man nimmt daher an, daß sie taub sind. Nur sehr starke Schallwellen,
wie sie die Detonation von Sprengstoffen erzeugt, werden wahrgenommen,
aber nicht durch Hören, sondern durch Empfinden des in das Wasser
gelangten Drucks der Schallwellen, der an die Seitenorgane und das
Ohrlabyrinth dringt.

Eine Ausnahme scheinen die Welse und ein Süßwasserfisch Amerikas, der
Killifisch, zu machen. Durch Versuche wurde nachgewiesen, daß sie auf
durchdringende Geräusche, wie schrille Pfiffe, reagierten. Es bleibt
aber fraglich, ob es sich tatsächlich um ein Hören handelt, oder ob
auch hier vielleicht die Seitenorgane im Spiele sind, die den im Wasser
sich fortpflanzenden Druck der Schallwellen übermitteln.

Einige Fischarten sind imstande, mit der Schwimmblase, durch Reibung
von Knochenteilen, oder durch Einpressen von Luft in der Mundhöhle und
den Kiemen Geräusche hervorzubringen, wie z. B. der Igelfisch, der
Killifisch und der knurrende Gurami. Da besonders die Männchen in der
Fortpflanzungszeit sich hören lassen, so darf man vermuten, daß ihre
Liebestöne den Zweck haben, die Weibchen anzulocken. Diese müssen also
die Laute vernehmen, ob mit dem Gehör oder wieder durch Empfindung
des Drucks der Schallwellen, bleibt freilich dahingestellt. Genaue
Untersuchungen darüber fehlen einstweilen noch.

Die wahre Bedeutung des Fischohres liegt nicht im Hören, sondern in
andern Funktionen. Wie schon gesagt wurde, steht bei vielen Fischen die
innere Ohröffnung mit der Schwimmblase in Verbindung und nimmt ihre von
der Wassertiefe abhängige Spannung wahr. Das Ohr ist ferner der Sitz
eines besonderen Gleichgewichtssinnes. Im Ohr liegen halbkreisförmige
Kanäle, die eine Flüssigkeit, die Endolymphe, enthalten. Der Sinn für
das Gleichgewicht wird durch die Bewegung dieser Flüssigkeit, die je
nach der Körperlage wechselt, ausgelöst. Zerstört man die Kanäle, so
ist der Fisch nicht mehr fähig, sich im Gleichgewicht zu halten, er
führt schraubenförmige Bewegungen aus und schwimmt auf dem Rücken.

Das Ohr unterrichtet schließlich den Fisch über die Geschwindigkeit
des Schwimmens. Drei Gehörsteine, Otolithen genannt, werden bei
den Bewegungen des Fisches aus ihrer Lage gebracht und drücken auf
das Labyrinth. Die Stärke und Art des Drucks zeigt dem Fisch die
Geschwindigkeit des Schwimmens an.

[Sidenote: Das Schwimmen der Fische]

Die meisten Fische haben einen spindelförmigen Körper, der sich mit
einem Torpedo vergleichen läßt, dessen Bauart der bestmöglichen
Wasserverdrängung gerecht wird. Kopf und Schwanz sind mit dem Rumpf
fest verbunden. Die Vorwärtsbewegung beim Schwimmen wird allein durch
die Schwanzflosse verursacht, die seitwärts ausschlägt und wie ein
Propeller wirkt. Rücken- und Afterflosse dienen als Kiel. Sie halten
den Körper in gleichmäßiger Lage und Richtung. Wird letztere geändert,
so werden Rücken- und Afterflosse angezogen, um die Wendung zu
erleichtern, und erst wieder entfaltet, wenn der Kurs geradeaus geht.
Die paarweise angeordneten Brust- und Bauchflossen dienen nicht als
Ruder, sondern als Höhen- und Seitensteuer sowie zum Balancieren des
Körpers.

Fische, deren Leib vom Torpedotyp abweicht, führen andere
Schwimmbewegungen aus. Der wurmartige Aal schlängelt beim Schwimmen den
Leib, die Schollen und andere Plattfische bewegen den flachen Körper
wellenförmig. Die Rochen gebrauchen ihre lappenartig verbreiterten
Brustflossen als Flügel. Wie der Vogel mit den Flügeln, so führen sie
mit den Brustflossen wellenförmige Schläge von unten nach oben aus. Sie
fliegen gewissermaßen im Wasser.

Im Gegensatz zu den Schollen und Rochen, die mit ihrem platten Körper
wagerecht schwimmen, gibt es auch Fische, die mit einem flachen,
scheibenförmigen Körper senkrecht im Wasser stehen. So hat der im
Amazonenstrom heimische Blattfisch (~Pterophyllum scalare~) einen platt
zusammengedrückten, blattartigen Körper. Die Schwanzflosse ist groß
und breit, und die Rücken- und Afterflosse sind zu gewaltigen Segeln
geworden. Der Fisch, der mit seiner grotesken Körperform kein guter
Schwimmer sein kann, hält sich im Pflanzendickicht in möglichst ruhigem
Wasser auf.

Der wundersamste Gesell unter den Fischen ist der Mondfisch
(~Orthagoriscus mola~), der im Mittelmeer und im Atlantischen Ozean
lebt. Sein platter, vertikal stehender Körper sieht aus wie die
Mondscheibe. After- und Rückenflosse sind gleich groß und stehen sich
oben und unten gegenüber. Der Fisch hat sonderbarerweise keinen Schwanz
und ruft daher den Eindruck eines schwimmenden Fischkopfes hervor. Er
wird infolgedessen auch „Schwimmender Kopf“ genannt (Abbildung 6).

Die Seepferdchen, die infolge ihrer höchst sonderbaren Gestalt alles
Fischartige verloren haben, aber dennoch zu den Fischen zählen,
schwimmen vermittels der sehr kräftig entwickelten Rückenflosse, die
sehr schnelle, zitternde Bewegungen ausführt, welche sich von vorn nach
hinten fortpflanzen. Hierdurch werden die benachbarten Wasserteile nach
rückwärts verdrängt, und durch ihren Widerstand wird der Fischkörper
vorwärts geschoben. Beim Schwimmen nach rückwärts geht die Bewegung
der Flossenstrahlen in umgekehrter Weise vor sich. Der Schwanz dient
beim Schwimmen als Steuer. Er ist außerdem ein Greiforgan, mit dem
der Knochenfisch sich an Gegenständen, wie Tang und Pflanzenstengeln,
anzuklammern vermag, wie man es in den Aquarien der Zoologischen Gärten
jederzeit beobachten kann. Die Seepferdchen, die keiner Schausammlung
eines Aquariums fehlen, üben wegen ihres eigenartigen Wesens und ihres
sonderbaren Aussehens stets eine besonders große Anziehungskraft auf
die Besucher aus. --

[Sidenote: Das Schwimmen der Säugetiere]

Unter den Säugetieren finden wir die Anpassung an das Wasserleben in
der höchsten Vollkommenheit bei den Walfischen, die einen fischartigen
Körper besitzen, der mit Flossen ausgerüstet ist. Die Vorwärtsbewegung
erfolgt wie bei den Fischen durch die Schwanzflosse. Auf dieselbe
Weise schwimmen auch die Robben mit ihren zum Gehen untauglichen
hinteren Gliedmaßen, die zu Flossen geworden sind. Sie liegen in der
Verlängerung der Längsachse des Körpers nach hinten gestreckt. Die
Triebkraft erfolgt durch seitliches Zusammenschlagen ihrer senkrecht
stehenden Flächen.

Bei den Fischen, Walfischen und Robben, die mit der Schwanzflosse
oder den hinteren Gliedmaßen schwimmen, läßt sich die Art der
Vorwärtsbewegung mit einem Schraubendampfer vergleichen, der durch die
am hinteren Ende des Schiffsrumpfes liegende Schraube getrieben wird.

Andere Wassertiere, wie Biber und Fischotter, schwimmen mit den Füßen,
deren Zehen durch Schwimmhäute verbunden sind und als Ruder benutzt
werden. Hier kommt das Prinzip des Auslegerbootes zur Geltung.

[Sidenote: Das Schwimmen der Vögel]

Unter den Vögeln sind die im südlichen Eismeer heimischen Pinguine die
besten Schwimmer. Ihre Flügel sind flossenartig umgebildet, tragen
anstatt Federn hornartige Plättchen und werden sowohl beim Schwimmen an
der Oberfläche des Wassers wie beim Tauchen als Ruder benutzt. Die nach
hinten gestreckten Füße dienen zum Steuern (Abbildung 7).

Alle übrigen Schwimmvögel, wie Gänse, Schwäne, Enten, Kormorane und
Taucher, rudern stets mit den Füßen, die durch ihre Schwimmhäute breite
Flächen haben. Einige Arten, wie Säger und Lummen, benutzen beim
Tauchen und Schwimmen unter Wasser die Flügel als Ruder.

Die Wale, die wie die Fische ganz an ein Wasserleben gebunden sind,
haben die Fähigkeit, sehr lange unter Wasser bleiben zu können, ohne
Luft schöpfen zu brauchen. Die Finnwale (~Balaenoptera~) sollen sich
mehrere Stunden an der Oberfläche des Wassers aufhalten und etwa alle
zehn Minuten Luft holen. Hierdurch wird das Gewebe des Körpers so
reichlich mit Sauerstoff durchtränkt, daß das Tier dann stundenlang
in der Tiefe des Wassers weilen kann, ohne zu ersticken. Außerdem
vermögen die sehr dehnbaren Lungen viel Luft aufzunehmen. --

[Sidenote: Das Schwimmen der Quallen]

Als ein Fallschirm im Wasser wirkt der glockenförmige Gallertkörper
der Quallen. Die gallertartige Substanz ihres Körpers ist nur wenig
schwerer als das Meerwasser, so daß nur eine geringe Kraft erforderlich
ist, um ein Untersinken zu verhindern, wobei die schirmartige
Gestalt von großem Vorteil ist. Die Fortbewegung erfolgt durch ein
Zusammenziehen des weichen Körpers vermittels einer auf der Unterseite
liegenden ringförmigen Muskulatur. Beim Zusammenziehen wird das im
Körper befindliche Wasser rückwärts herausgepreßt, und der hierbei
erfolgende Rückstoß treibt das Tier nach vorn. Die Qualle pumpt sich
also gewissermaßen vorwärts.

Die Röhrenquallen oder Siphonophoren, welche nicht ein Einzelwesen,
sondern, wie wir später noch sehen werden, eine ganze Kolonie von
Tieren darstellen, haben oben eine Gasblase, die durch eine besondere
Gasdrüse gefüllt wird. Diese Gasflasche verursacht einen Auftrieb, der
die Röhre, um die die einzelnen Tiere gruppiert sind, senkrecht stellt.

Die zu den Röhrenquallen gehörende Segelqualle schwimmt nur an
der Oberfläche des Wassers, ohne sich herabzusenken. Oben auf dem
scheibenförmigen Körper steht ein großes dreieckiges Segel, das den
Wasserspiegel überragt. So wird die Segelqualle wie ein Segelschiff
durch den Wind auf dem Meere getrieben. Die Segelqualle besitzt noch
eine andere Eigentümlichkeit, sie ist nämlich Luftatmer. Sie hat ein
System von Luftkammern, das oben mit feinen Poren durchsetzt ist. Die
in den Kammern befindliche Luft wird durch die Poren ausgepreßt und
durch Frischluft ersetzt.

Durch zahlreiche Verästlungen dringt die Luft aus den Kammern in alle
Teile der Tierkolonie.

[Sidenote: Nesselorgane der Quallen]

Die Quallen sind ferner mit Nesselorganen ausgerüstet, die als Fangarme
auftreten oder als lange Fäden vom Körper herabhängen. Die Nesselorgane
besitzen kleine Nesselkapseln, die einen spiralig aufgerollten Faden
enthalten, der am vorderen Ende einen Dorn trägt. Bei Berührung wird
der Deckel der Kapsel gesprengt, der Faden schnellt heraus, bohrt sich
mit dem Dorn in das Opfer ein, und der Nesselsaft ergießt sich in den
Körper. Das Gift lähmt oder tötet kleine Tiere sehr schnell.

Diese Nesselorgane, die nach dem Prinzip der Dynamitbombe, die durch
Aufschlag explodiert, konstruiert sind, sind bei den Röhrenquallen
besonders stark entwickelt. Wie ein Maschinengewehr beschießen die
zahlreichen Nesselkapseln ein Tier, das mit den Fangfäden in Berührung
kommt. --

[Sidenote: Kletterbewegungen der Affen]

Viele Säugetiere sind ausgezeichnete Kletterer. Obenan stehen die Affen
als echte Baumtiere. Die kräftige Muskulatur ihrer langen Arme und
Beine und die zu Greiforganen gewordnen Füße befähigen sie hierzu in
hohem Maße. Bei einigen Affen ist auch der lange Schwanz zum Greiforgan
geworden, das die kühnen Turnkünste vortrefflich unterstützt. Die
Kapuziner- oder Rollschwanzaffen benutzen beim Klettern ihren Schwanz
zum Festhalten, indem sie das Ende um einen Ast ringeln, und können
sich sogar am Schwanz aufhängen. In bewundernswerter Weise verstehen
die Klammeraffen (~Ateles~) ihren Schwanz zu gebrauchen. Er ist
geradezu eine fünfte Hand. Der Affe springt in weitem Bogen durch die
Luft. Im Sprunge erfaßt plötzlich der Wickelschwanz einen Ast, und der
Affe schaukelt sich mit nach unten hängendem Körper, um im nächsten
Augenblick den Schwung seines Körpers zu einem neuen Weitsprung
auszunutzen. Unglaublich ist die Schnelligkeit, mit der der Schwanz
als Hand benutzt wird, und mit der er den Bewegungen des Körpers, der
Füße und Arme folgt und sich ihnen anpaßt. Die Verwendung des Schwanzes
als Hand zeigt sich am besten darin, daß der Affe sogar imstande
ist, Gegenstände mit dem Schwanz aufzuheben. Er benutzt ihn auch zum
Ergreifen von Nahrung. Die untere Seite des Schwanzes ist nackt und
besitzt ein feines Tastgefühl. --

Die Kunst des Fliegens spielt im Tierreich eine große Rolle.
Sie erreicht ihre höchste Vollkommenheit bei den Vögeln, die zu
Beherrschern der Luft geworden sind.

[Sidenote: Das Fliegen der Lurche, Kriechtiere und Fische]

Die niedrigste Form in der Biotechnik des Fluges ist das
Fallschirmfliegen, wie wir es bei Lurchen, Kriechtieren, Fischen und
einigen Säugetieren finden. Der Flug ist von Klettertieren erworben
worden, indem sich die Kletterorgane allmählich zu Flugwerkzeugen
umbildeten, die zunächst den Zweck hatten, in Gestalt eines
Fallschirmes den Weitsprung sicherer zu gestalten und seine Leistung zu
vergrößern.

Auf Borneo und Java leben eigentümliche Baumfrösche, die sich durch
langzehige Füße auszeichnen, deren Zehen durch große Schwimmhäute
verbunden sind. Beim Sprung in die Tiefe zieht der Frosch die Beine
an den Körper und breitet die Zehen mit den Schwimmhäuten weit aus.
Die Füße bilden vier Fallschirme, die den Frosch langsam und sicher
in schräger Linie herabgleiten lassen. Der Javaflugfrosch ist oben
tiefgrün, auf der Bauchseite gelb gefärbt. Die Schwimmhäute haben
blaue Flecken. Er besitzt ebenso wie der etwas kleinere Laubfrosch
Saugscheiben an den Zehen.

Eine bessere Flugeinrichtung sehen wir beim Flugdrachen (~Draco
volans~), einer kleinen nur 21 ~cm~ langen Echse auf den Sundainseln.
Die hinteren falschen Rippen sind über den Körper hinaus verlängert
und durch eine Flughaut verbunden. In der Ruhe sind die Flughäute
zusammengefaltet, beim Sprung durch die Luft werden sie wie ein Schirm
aufgespannt. Der Flugdrache benutzt seine Flugkunst besonders zum Fang
fliegender Insekten. Er springt von seinem Sitz herab, gleitet mit
Hilfe der beiden Fallschirme im sanften Bogen durch die Luft und landet
auf einem tiefer gelegenen Ast. Nach neueren Beobachtungen soll der
Flugdrache bis zu 20 ~m~ weit fliegen können und sogar imstande sein,
im Fliegen Hindernissen auszuweichen. Die Farbe des Körpers und der
inneren Hälfte der Fallschirme ist ein metallisch glänzendes Rotbraun
mit dunkeln Zeichnungen und Flecken. Die vordere Hälfte der Flughäute
ist orangerot. Der Oberkopf und die Bauchseite sind grün.

Auch unter den Geckos finden sich einige Formen mit Flughäuten am
Leibe und Spannhäuten zwischen den Zehen, die den Tieren einen kurzen
Gleitflug gestatten. --

Wir befinden uns an Bord eines großen Dampfers und durchqueren den
Indischen Ozean auf der Fahrt nach Ceylon. Unser Blick streift über
die endlose Wasserfläche. Plötzlich taucht vor uns eine Schar kleiner
Lebewesen aus dem Wasser auf, ihre Leiber glitzern wie Silber in
dem Schein der Tropensonne. Sie schweben eine kurze Strecke über
dem Meeresspiegel dahin, um schnell wieder im Wasser, aus dem sie
raketenartig auftauchten, zu verschwinden. Es waren fliegende Fische.
Diese eigentümlichen Gesellen sind Bewohner der warmen Meere; eine Art,
der Schwalbenfisch (~Exocoetus volitans~), kommt auch im Mittelmeer
vor. Die Flugfische besitzen sehr große, lange und breite Brustflossen,
welche beim Fliegen als Tragflächen wirken. Der Fisch schnellt sich
durch einen kräftigen Schlag mit der Schwanzflosse aus dem Wasser,
spreizt die flügelartigen Brustflossen aus und gleitet in einer Kurve
mit nur geringer Erhebung und kurzem aufsteigendem, aber langem
abfallendem Ast über dem Wasserspiegel dahin. Im Fluge werden die
ausgebreiteten Brustflossen nicht aktiv bewegt. Sie werden nicht als
Flügel, sondern nur als Fallschirm gebraucht. Dagegen stellen sich die
Flossen automatisch nach dem Winde ein, und die kräftigen Brustmuskeln,
welche die Flossen halten, wirken dabei wie die Schnur eines Drachens.
Der Flug der Fische erfolgt nach dem Prinzip des Drachens. Bei
günstigem Aufstieg gegen den Wind können die Fische eine Entfernung bis
zu 200 ~m~ im Gleitflug zurücklegen. Meist ist die Flugbahn nur 20-30
~m~ lang. Kommt beim Aufsteigen aus dem Wasser der Wind von der Seite,
so drehen sich die Flugflossen allmählich gegen den Wind ein, wodurch
eine stärkere Krümmung der Flugbahn hervorgerufen wird. Am Tage erheben
sich die Fische meist nur 1-2 ~m~ über das Wasser, in der Nacht dagegen
führen sie höhere Flüge bis zu 6 ~m~ aus. In der Nacht werden die
Fische häufig durch den Lichtschein der Schiffe angelockt und fallen
dann bei ihrem Fluge auf Deck nieder.

Die Flugfische benutzen ihre Flugfertigkeit, um der Verfolgung der
Raubfische zu entgehen, wie im Übermut und aus Spielerei, was dem
„Springen“ anderer Fische entspricht (Abbildung 8).

[Sidenote: Das Fliegen der Säugetiere]

Auch unter den Säugetieren finden wir Fallschirmflieger. Die einfachste
Form des Fallschirms stellt der zweizeilig behaarte, buschige Schwanz
des Eichhörnchens dar. Im Sprung streckt das Eichhörnchen den Schwanz
nach hinten und sträubt die langen dichten Haare seitwärts, wodurch
eine Tragfläche gebildet wird, die den Sprung des Tiers unterstützt.
Schneidet man einem Eichhörnchen den Schwanz ab, so ist es nicht mehr
imstande, weite Sprünge auszuführen.

Besser ausgerüstet als die gewöhnlichen Eichhörnchen sind die
Flughörnchen, die eine Spannhaut zwischen den Vorder- und Hinterfüßen
haben, welche in der Ruhe zusammengefaltet, beim Sprunge schirmartig
aufgespannt wird. Die Flughörnchen beleben in verschiedenen Gattungen
mit etwa 50 Arten die nördliche Hälfte der Erdkugel von der warmen bis
zur kalten Zone. Sie führen sämtlich ein Nachtleben und halten sich am
Tage in hohlen Bäumen oder anderen Verstecken verborgen.

Die größte Art ist der in Ostindien und auf Ceylon beheimatete Taguan
(~Petaurista oral~), der eine Länge von 120 ~cm~ erreicht, wovon etwa
die Hälfte auf den sehr langen Schwanz kommt. Das Tier ist auf der
Oberseite schwarzgrau, unten weißgrau gefärbt. Die mit sehr kurzen
Haaren bedeckte Flughaut ist rötlich schwarzbraun. Der Taguan ist
imstande, vermittels seiner Flughaut 60 ~m~ weite Sprünge auszuführen
und kann mit Hilfe des als Steuer wirkenden Schwanzes noch in der Luft
die Richtung verändern.

Der Zwerg unter den Flughörnchen lebt in Arrakan und Kotschinchina und
hat eine Leibeslänge von nur 12 ~cm~.

Der kaum größere Assapan (~Glaucomys volans~) Nordamerikas zeichnet
sich durch große Beweglichkeit und Gewandtheit aus. Mit unglaublicher
Schnelligkeit tollt er in den Zweigen umher, führt weite Sprünge
aus, hängt sich schwebend an einen Ast, um im nächsten Augenblick
fortzuhuschen. Man vermag den zierlichen, behenden Bewegungen des
Tieres und dem schnellen Wechsel seiner Stellungen kaum mit dem Auge
zu folgen. Aus großer Höhe springt der Assapan im Schwebeflug herab,
um noch im letzten Augenblick vor dem Aufprall auf der Erde durch
eine jähe Wendung einen Baumstamm oder Ast zu ergreifen und hurtig an
ihm emporzurutschen. Das zierliche, gelbbraun gefärbte Tier ist ein
wütender Räuber, der neben Pflanzenkost sehr die Fleischnahrung liebt,
kleine Vögel, sogar Säugetiere überfällt und erwürgt.

Flughörnchen gelangen öfters in den Tierhandel. Sie sind sehr anmutige
und fesselnde Zimmergenossen, die meist schnell zahm werden.

Nicht nur bei den Eichhörnchen, sondern auch in anderen Klassen der
Säugetiere finden wir Fallschirmflieger. Hierzu gehört der etwa
katzengroße Kaguang (~Galeopithecus volans~), der die Sundainseln,
einige benachbarte kleinere Inseln und die Malaiische Halbinsel
bewohnt. Das sonderbare Tier, das in Gebirgswäldern haust, besitzt
ebenso wie die Flughörnchen eine Flughaut zwischen den vorderen und
hinteren Gliedmaßen. Seine systematische Einreihung hat den Forschern
viel Kopfzerbrechen verursacht, da es sowohl Merkmale der Halbaffen wie
der Fledermäuse, der Raubtiere, der Beuteltiere und der Insektenfresser
zeigt. Die neuere Systematik gliedert die Pelzflatterer, denen der
Kaguang angehört, den Insektenfressern ein.

Unter den Beuteltieren hat der Eichhörnchen-Flugbeutler (~Petaurus
sciureus~) die Kunst des Fallschirmfliegens erworben (Abbildung 5).

Eine höhere Stufe in der Technik des Fliegens als die Fallschirmflieger
haben die Fledermäuse erreicht. Hier erhebt sich der Flug aus dem
passiven Gleitflug der Fallschirmflieger zum aktiven Gebrauch der
Flugwerkzeuge. Die Fledermäuse und ihre Verwandten bilden die besondere
Ordnung der Flattertiere (~Chiroptera~), deren Hände zu Flugwerkzeugen
geworden sind. Armknochen und Finger sind sehr lang. Die drei innersten
Finger übertreffen an Länge sogar den sehr langen Unterarm. Durch diese
Verlängerung der vorderen Gliedmaßen kann die faltenreiche Flughaut,
die von den Hinterfüßen längs des Leibes bis zu den Händen reicht
und auch die Finger ganz überzieht, weit ausgespannt werden. Die
Flugeinrichtung ist also in der Hauptsache auf die vorderen Gliedmaßen
verlegt, was bereits an die Vögel erinnert, bei denen die Arme zu
Flügeln geworden sind.

Auch der übrige Bau des Körpers ist bei den Flattertieren in
ähnlicher Weise wie bei den Vögeln dem Flugwesen angepaßt. Um die
Atmung beim Fliegen zu erleichtern, ist der Brustkorb sehr geräumig,
da die Wirbelsäule nach hinten gekrümmt ist, und das Brustbein sich
unten von der Wirbelsäule nach außen entfernt. Ebenso wie bei den
Kielbrustvögeln befindet sich auf der Mitte des Brustbeins ein Kiel,
der die Ansatzfläche für die Brustmuskulatur, die die Arme beim Fliegen
bewegt, vergrößert. Die Rippen sind zum großen Teil mit dem Brustbein
und den Wirbeln, teilweise auch untereinander fest verschmolzen, so daß
der Körper die zum Fluge notwendige Starrheit besitzt. Auch eine große
Anzahl der Lendenwirbel ist mit dem Becken verwachsen.

Die Flughaut ist sehr kompliziert gebaut und besitzt ein filzartiges,
sehr elastisches Gewebe, das reichlich mit Blutgefäßen durchsetzt
ist und einen lebhaften Stoffwechsel unterhält. Ferner ist sie mit
Sinneshaaren ausgestattet, die ein feines Tastempfinden ermöglichen.

Die Flugbewegung ist ein Flattern, d. h. die Flügel müssen
ununterbrochen bewegt werden, um den Körper in der Luft zu halten. Ein
Schweben, wie es die Vögel tun, kann die Fledermaus nicht ausführen.
Trotzdem ist der Flug sehr gewandt, schnell und rascher Wendungen
fähig. Ebenso wie bei den Vögeln hängt die Gewandtheit des Fliegens von
der Bildung der Flügel ab. Fledermäuse mit langen, schmalen Flugflächen
fliegen viel gewandter und schneller als solche mit kurzen und breiten
Flughäuten. Vom Boden können die Fledermäuse nur unbeholfen und schwer
auffliegen. Sie rutschen mit ausgebreiteten Flughäuten vorwärts, heben
den Körper hoch und versuchen in die Höhe zu springen, bis es ihnen
glückt, im Sprung die Flugwerkzeuge zu entfalten und sich in die Luft
zu erheben. Infolge der Unbeholfenheit auf dem Erdboden ruhen alle
Flattertiere stets in hängender Stellung. Im Absturz ist es ihnen ein
leichtes, die Flughäute zu entspannen und den Flug aufzunehmen.

Die Nahrung der Flattertiere besteht in Früchten und Insekten. Einige
Arten, die amerikanischen Blattnasen, saugen auch größeren Tieren das
Blut aus. Für die Viehherden bilden diese blutsaugenden Fledermäuse
eine große Plage. Der im Volksmunde als Blutsauger verschriene Vampir
Brasiliens ist aber völlig zu Unrecht in diesen Verdacht gekommen. Er
macht in dieser Beziehung gerade eine rühmliche Ausnahme unter seinen
Verwandten, lebt nur von Insekten und Früchten und saugt niemals Blut.

[Sidenote: Das Fliegen der Insekten]

Völlig verschieden vom Fallschirmflug und Flatterflug ist das Fliegen
der Insekten, das eine ganz besondere Technik darstellt.

Die Insekten, auch Sechsfüßler genannt, bilden einen besonderen Kreis
unter den Gliedertieren, die sich durch einen in mehrfache Abschnitte
(~Segmente~) gegliederten Körper und durch ebenfalls gegliederte Füße
auszeichnen. Die Festigkeit des Körpers wird durch die Chitinhülle
gegeben, die das fehlende innere Skelett ersetzt.

Die Insekten sind die einzigen wirbellosen Tiere, die fliegen können.
Freilich besitzen nicht alle Vertreter dieser Klasse die Flugfähigkeit;
viele Arten sind unflugfähig, bei anderen sind entweder nur die
Männchen oder nur die Weibchen im Besitz der Flugkunst.

Mit Ausnahme der Mücken und Fliegen, die nur zwei Flügel besitzen,
haben alle flugfähigen Insekten vier Flügel. Je ein Flügelpaar befindet
sich an der Mittel- und Hinterbrust. Bei den Käfern ist das vordere
Flügelpaar zu harten Flügeldecken geworden.

Die Technik des Insektenflugs beruht auf dem Prinzip des Hubflugs,
d. h. die Arbeit der Flügel muß zunächst den Körper in der Luft halten,
und nur die überschüssige Kraft, die hierfür nicht verbraucht wird,
dient zur Fortbewegung. Das Heben des Körpers ist also die primäre
und die Fortbewegung die sekundäre Erscheinung. Da der Hubflug aus
einem beständigen Steigen und Fallen besteht, so ist der Fall um
so größer, je langsamer die Flügelschläge aufeinander folgen. Je
schneller also die Flügel arbeiten, um so günstiger gestaltet sich
der Hubflug. Infolgedessen ist bei vielen Insekten die Anzahl der
Flügelschläge ungeheuer groß. Der Hubflug wird dadurch zum Schwirrflug.
Die Stubenfliege macht im Fluge in der Sekunde 190 Flügelschläge, die
Honigbiene 200 und die Hummel sogar 240. Da im Fluge die meiste Kraft
zur Erhaltung des Körpers in der Luft verbraucht wird, so ist die
Fluggeschwindigkeit der Insekten nicht allzu groß. Sie beträgt bei der
Stubenfliege 2,20 ~m~ in der Sekunde und bei der Biene 3,75 ~m~. Die
Geschwindigkeit des Insektenflugs ist also im Vergleich zum Vogelflug
sehr gering, denn die Brieftaube durchfliegt in der Sekunde ~ca.~
19 ~m~. Im Gegensatz zum Insektenflug beruht der Vogelflug auf dem
Prinzip des Drachenflugs, bei dem die Triebkraft in erster Linie der
Vorwärtsbewegung zugute kommt.

Bei den mit vier Flügeln ausgerüsteten Insekten leisten Vorder-
und Hinterflügel ungefähr dieselbe Arbeit mit derselben Anzahl der
Flügelschläge. Eine Ausnahme machen jedoch die Käfer mit ihren zu
harten Schutzdecken umgebildeten Vorderflügeln. Die frühere Ansicht,
daß ihre Vorderflügel am Fliegen nicht aktiv beteiligt sind, ist durch
neuere Beobachtung widerlegt worden. Sie bewegen sich von oben nach
unten, ohne jedoch die Horizontallinie zu erreichen, und ihre Schläge
sind langsamer als die der Hinterflügel, die die Hauptarbeit des
Fliegens verrichten. Der Maikäfer ist nicht imstande, ohne weiteres
aufzufliegen, sondern er muß erst eine mühsame Vorbereitung treffen.
Er „zählt“, wie der Volksmund sagt, d. h. er bewegt in gleichmäßigem
Takt Leib und Fühler auf- und abwärts. Hierdurch wird durch die an den
Seiten des Leibes liegenden Atemöffnungen ein Luftvorrat in besondere
Luftsäcke eingepumpt. Dieser Luftvorrat befähigt erst den Maikäfer,
sich in die Luft zu erheben.

Die Schmetterlinge mit ihren großen und breiten Flügeln sind imstande,
außer dem Hubflug auch einen Segel- und Gleitflug auszuführen. Ihre
Flugtechnik nähert sich daher der Flugkunst der Vögel.

Libellen und Fliegen können im Fluge sehr schnelle und scharfe
Wendungen und Drehungen ausführen, weil der Schwerpunkt ihres Körpers
in der Drehachse zwischen den Flügeln liegt.

Wenn ein größeres Insekt, wie eine Libelle oder ein Schmetterling, im
Zimmer unterhalb der Decke dahinfliegt, so stößt es fortgesetzt an
der Decke an. Die Ursache liegt nicht an einer Ungeschicklichkeit des
Fliegens, sondern hat ihre physikalischen Gründe. Über dem fliegenden
Insekt entsteht ein luftleerer Raum, der sich um so weniger schnell mit
Luft füllen kann, je näher das Tier der Decke ist. Hierdurch wird der
luftleere Raum verstärkt und das Tier nach oben gezogen, wodurch der
Anprall an der Zimmerdecke erfolgt.

[Sidenote: Das Fliegen der Vögel]

Die höchste Vollkommenheit hat das Flugwesen bei den Vögeln erreicht,
die die Beherrscher der Luft geworden sind. Das Fliegen der Vögel ist
bald ein Dahinstürmen durch die Luft, wobei die Flügel ruderartig
bewegt werden, bald ein Gleiten oder ein Schweben und Kreisen, wobei
der Vogel ohne Flügelschlag die Luft durchschneidet, in prachtvollen
Schwenkungen sich hebend und senkend. Der Flug der Kolibris ist ein
Schwirren. Mit unglaublich schnellen Flügelschlägen, die man mit dem
Auge nicht mehr wahrnehmen kann, rüttelt der Kolibri vor der Blüte
und taucht dabei seinen langen Schnabel in den Blumenkelch, um Nektar
zu schlürfen und kleinste, im Innern der Blüte verborgene Insekten
hervorzuholen. Der Turmfalke steht mit hastigen Flügelschlägen in der
Luft, nach Insekten oder Mäusen ausspähend. Eine solche Flugkunst
erfordert eine besondere Organisation sowohl des Körpers wie der
Flugwerkzeuge.

Ein gewandter Flug verlangt vor allem eine gewisse Starrheit
des Rumpfes. Dieser muß wie ein stählernes Luftschiff die Luft
durchschneiden. Jede Biegsamkeit und Weichheit würde für die Erhaltung
des Gleichgewichts hinderlich sein. Infolgedessen bildet das Skelett
des Vogels eine geschlossene Einheit. Die Wirbelsäule ist unbeweglich,
mit dem Becken fest verschmolzen und bildet mit den Rippen und dem
sehr großen Brustbein ein geschlossenes Ganzes. Die Festigkeit des
Brustkorbes wird bei vielen Vögeln noch durch besondere Hakenfortsätze
der Rippen, welche diese gegenseitig stützen, erhöht. Von dem kurzen
Schwanzskelett sind die ersten Wirbel mit dem Becken verwachsen und
die letzten Wirbel zu einem einheitlichen Knochen, dem Steißknochen,
verschmolzen, so daß nur die mittleren 5-7 Wirbel frei und beweglich
sind, um dem Schwanz Bewegungsfreiheit zu geben.

Der Schultergürtel stellt die Verbindung der Flügel mit dem Rumpf
her. Die säbelförmigen Schulterblätter laufen dem Rückgrat parallel
und erstrecken sich bisweilen fast bis zum Becken. Am vorderen Ende
der Schulterblätter befinden sich die Rabenschnabelbeine. Sie führen
senkrecht nach unten zum Brustbein und sind fest mit diesem verankert.
Sie verleihen den Schultern und den auf ihnen ruhenden Flügeln eine
feste Stütze. Die Schlüsselbeine sind zum einheitlichen Gabelbein
verwachsen. Also überall im Körperbau das Prinzip der Festigkeit und
geschlossenen Einheit, wie es für den Flug erforderlich ist.

Das große und breite Brustbein trägt in der Mitte eine kammartige
Erhöhung, den Kiel, der die Ansatzfläche für die Brustmuskeln,
welche die Flügel bewegen, vergrößert. Dieser Kiel ist das typische
Wahrzeichen für die Flugfähigkeit des Vogels. Er fehlt nur den
Straußen, Nandus, Emus, Kasuaren und Kiwis, welche nicht fliegen
können. Man nennt daher diese Vögel „Flachbrustvögel“ (~Ratitae~) im
Gegensatz zu den „Kielbrustvögeln“ (~Carinatae~).

Arme und Hände haben ihre ursprüngliche Bedeutung völlig verloren
und sind ganz dem Flugwesen angepaßt. Unterarm und Hand sind die
Träger der Schwungfedern, die dementsprechend als „Handschwingen“ und
„Armschwingen“ unterschieden werden. Da die Hand ihre Bedeutung als
Greiforgan eingebüßt hat, so ist die Zahl der Finger und Handknochen
erheblich reduziert. Es sind nur 2 Mittelhandknochen und nur 3
Finger vorhanden, von denen 2 verwachsen sind und der äußere dritte,
der als Daumen anzusehen ist, ein besonderes kleines Flügelchen,
wissenschaftlich „Alula“ genannt, trägt, dessen Bedeutung wir später
noch kennenlernen werden. Kasuare und Kiwis haben sogar nur einen
Finger an ihrer ganz verkümmerten Hand.

Die Bewegung der Armknochen ist beschränkt und nur so weit gestattet,
als es für den Flug notwendig ist. Hierdurch wird jede unnütze
Bewegung, die den Flug beeinträchtigen würde, ausgeschaltet. Hand und
Unterarm können nämlich nur horizontal in der Ebene des ausgespannten
Flügels bewegt werden, aber in keiner anderen Richtung. Sie gestatten
also nur die Bewegung, die zum Öffnen und Schließen der Flügel
notwendig ist. Sie werden wie ein Taschenmesser auf- und zugeklappt.
Der geöffnete Flügel bildet also eine einheitliche feste Tragfläche,
die beim Fliegen schraubenartig im Schultergelenk bewegt wird.

[Sidenote: Die Technik des Fliegens]

Der Flug der Vögel erfolgt in verschiedener Weise. Werden die Flügel
gleichmäßig auf und nieder bewegt, so spricht man vom „Ruderflug“. Die
Flügel wirken in der Luft wie die Ruder eines Bootes im Wasser. Der
Ruderflug, den alle Vögel ausführen, ist die typische Flugbewegung.
Erfolgt sie sehr schnell mit schnurrenden Flügelschlägen, so wird der
Ruderflug zum „Schwirrflug“, wie ihn in höchster Vollkommenheit die
Kolibris ausüben. Im Gegensatz zum Schwirrflug steht der Flatterflug,
der mit hastigen, unbeholfenen Flügelschlägen vor sich geht, wie wir
ihn bei den Hühnervögeln finden.

Beim „Gleitflug“ senkt sich der Vogel in schräger Linie aus der Höhe
herab mit völlig unbeweglichen Flügeln. Der Motor wird also abgestellt,
und die noch im Körper aufgespeicherte Kraft der Vorwärtsbewegung wird
dabei ausgenutzt. Die ausgespannten Flügel wirken dann als Fallschirm.

Eine besondere Eigentümlichkeit des Vogelflugs ist der„Segelflug“, der
den Forschern viel Kopfzerbrechen verursacht hat. Der segelnde Vogel
schwebt ohne sichtbaren Flügelschlag durch das Luftmeer, senkt sich,
steigt höher, führt gewandte Schwenkungen aus, zieht Kreise oder bewegt
sich in Schraubenlinien auf- und abwärts -- eine vollendete Technik des
Fliegens! Besonders die Möwen sind wahre Künstler im Segelflug. Ihnen
fast gleich tun es die größeren Raubvögel. Wohl jeder hat schon das
Kreisen des Bussards hoch in der Luft bewundert.

Wie ist dieser Flug ohne Flügelschlag möglich? Zu seiner Erklärung
hat man die verschiedensten Theorien aufgestellt. So glaubte man, daß
aufsteigende Luftströmungen den Vogel in der Luft tragen und heben,
so daß die Triebkraft der Flügelbewegung unnötig wird und die Flügel
nur als Segel und Fallschirm wirken. Diese Annahme ist jedoch nicht
zutreffend, denn die Vögel schweben auch an solchen Orten, wo keine
aufsteigenden Luftströme vorhanden sind, z. B. die Möwen über dem
Meeresspiegel, die Raubvögel und Störche über dem flachen Lande. Andere
Forscher meinten daher, daß der Segelflug mit Hilfe feiner, zitternder
Bewegungen der Flügel ausgeführt werde, die in größerer Entfernung
nicht mehr wahrnehmbar sind. Solche geringen Flügelbewegungen können
aber unmöglich ausreichen, um den Vogelkörper in der Luft zu tragen
und ihn sogar zu so ungewöhnlichen Flugkünsten zu befähigen. Nach
einer anderen Auffassung soll die aus der Kreisbewegung sich ergebende
Zentrifugalkraft die Energie zur Überwindung der Schwerkraft liefern.
Hiergegen läßt sich einwenden, daß der Segelflug keineswegs von einer
Kreisbewegung abhängt, da er auch geradlinig erfolgt.

Alle diese Erklärungen sind nur reine Theorien, die einer
gewissenhaften Kritik nicht standhalten können.

Der durch seine ersten Flugversuche berühmte Techniker +Otto
Lilienthal+ schreibt in seinem Werke „Der Vogelflug als Grundlage
der Fliegekunst“: „Fragen wir uns, worauf wir die Möglichkeit des
Segelns zurückzuführen haben, so müssen wir in erster Linie die
geeignete Flügelform dafür ansehen; denn nur solche Flügel, deren
Querschnitte senkrecht zu ihrer Längsachse die geeignete Wölbung
zeigen, erhalten eine günstige Luftwiderstandsrichtung, daß keine
größere Geschwindigkeit verzehrende Kraftkomponente sich einstellt.
Aber es muß noch ein anderer Faktor hinzutreten; denn ganz reichen
die Eigenschaften der Fläche allein nicht aus, um dauerndes Segeln
zu gestatten. Es muß ein Wind von einer wenigstens mittleren
Geschwindigkeit wehen, welcher dann durch seine aufsteigende Richtung
die Luftwiderstandsrichtung so umgestaltet, daß der Vogel zum Drachen
wird, der nicht nur keine Schnur gebraucht, sondern sich sogar frei
gegen den Wind bewegt.“

+Gustav Lilienthal+, der Bruder des verstorbenen Aviatikers, hat
die Untersuchungen über die Biotechnik des Fliegens fortgesetzt und
nachgewiesen, daß außer einer geeigneten Wölbung des Flügels vor allem
die Dicke der Flügelknochen für den Segelflug in Betracht kommt. Nach
+Lilienthal+ ist der Auftrieb einer gewölbten Fläche um so größer, wenn
die vordere Kante verdickt ist, wie es beim Vogelflügel der Fall ist.
Alle Vögel, die segeln, haben besonders starke Armknochen. Während
z. B. der Unterarm des Fasans, der nicht segeln kann, nur ¹⁄₃₀ so dick
ist als die Flügelbreite, beträgt die Armstärke beim Albatros, der ein
vortrefflicher Segler ist, den achten Teil der Flügelbreite. Außerdem
spielt auch die Länge der Flügel für das Segeln eine große Rolle.
Nach +Lilienthal+ können nur Vögel mit stark gewölbten und verdickten
Flügeln den Segelflug ausüben, und zwar nur im möglichst gleichmäßigen
Winde, also über dem Lande nur in größeren Höhen, über dem Wasser auch
in geringerer Tiefe. Der segelnde Vogel wird also vom Winde getragen
und getrieben.

Im Gegensatz zu +Lilienthals+ Erklärung steht die Anschauung
+Ahlborns+, der meint, daß nicht ein gleichmäßiger Wind, sondern
gerade die Windschwankungen die Kraftquelle für den Segelflug geben,
indem sie dieselbe Wirkung ausüben wie die aktiven Flügelschläge. Die
positiven Windstöße wirken wie die Tiefschläge der Flügel, die Flauten
wie die Hochschläge. Die eigentlichen Triebfedern beim Segelflug sind
die gespreizten äußeren Handschwingen, die sich automatisch in die
Vortriebstellung einrichten.

Der Segelflug, den nur gewisse Vögel ausüben können, bedarf jedenfalls
noch einer weiteren gründlichen Erforschung, denn die Widersprüche über
seine Entstehung und die Art seines Wesens sind noch zu groß, um ein
klares Urteil zu gestatten.

Eine andere Flugart ist das „Rütteln“, wobei der Vogel mit schnellen
Flügelschlägen an derselben Stelle in der Luft stehenbleibt. Man sieht
es hauptsächlich vom Turmfalken, der infolgedessen auch Rüttelfalk
genannt wird. Ebenso wie der Segelflug bedarf auch der Rüttelflug, der
nur wenigen Vögeln eigen ist, noch der Aufklärung.

Die Alula oder der Afterflügel des Daumens scheint zum Bremsen der
Fluggeschwindigkeit und zum Steuern zu dienen. Vor dem Landen wird der
entfaltete Afterflügel abgespreizt und aus der Flügelfläche heraus
schräg nach oben gestellt. Hierdurch wird der Körper um seine Querachse
nach oben gedreht, und der Vogel kommt in eine aufrechte Haltung, wie
sie zum Sitzen erforderlich ist. Ein ungleichmäßiges Aufrichten beider
Afterflügel dient wahrscheinlich zur Quersteuerung.

Die seitliche Steuerung während des Fluges wird mit den Flügeln
ausgeführt. Durch Verminderung des Flügelschlages und Anziehen eines
Flügels wird der Körper seitwärts beigedreht.

Der Schwanz kommt anscheinend als Steuer nur wenig in Betracht.
Der ausgebreitete Schwanz wirkt als Tragfläche, die einen Auftrieb
verursacht und die Herstellung des Gleichgewichts erleichtert.
Infolgedessen wird beim abwärts gerichteten Fluge der Schwanz nach oben
gestellt, um seine hebende Wirkung auszuschalten.

Die Beine werden beim Fliegen auf längere Strecken nach hinten unter
den Schwanz gelegt. Den Hals strecken wohl die meisten Vögel beim
Fliegen nach vorn, einige, wie z. B. die Reiher, ziehen ihren langen
Hals ein.

Das Auffliegen erfolgt stets gegen den Wind, und zwar meist in schräger
Linie. Kleine Vögel, wie z. B. die Lerchen, steigen auch senkrecht in
die Höhe, was man als „Kletterflug“ bezeichnet.

[Sidenote: Fluggeschwindigkeit und Flugdauer der Vögel]

Die Fluggeschwindigkeit der Vögel ist früher sehr überschätzt
worden. Die größte Fluggeschwindigkeit entfalten die tropischen
Stachelschwanzsegler (~Chaetura~) und der Fregattvogel mit einer
Eigengeschwindigkeit von etwa 40-44 ~m/sec.~ Die Geschwindigkeit der
Brieftaube beträgt etwa 19-20 ~m/sec.~, also ungefähr 70 ~km~ in der
Stunde, was nahezu der Schnelligkeit eines Eilzuges gleichkommt.

Manche Vögel haben eine fabelhafte Flugdauer. Der Mauersegler verbringt
den größten Teil seines Lebens in der Luft, in der sich sogar die
Begattung abspielt. Möwen und andere Seevögel fliegen stundenlang
über dem Meere, ohne zu ermüden. Die ausdauerndsten Flieger sind die
Sturmvögel, deren Heimat der offene Ozean ist, wo sie tagelang in
Unwetter und Sturm über den Wellen dahinschweben, nur hin und wieder
eine kurze Rast auf dem Wasserspiegel haltend. Ein Albatros, der größte
Sturmvogel, folgte einem Schiff, das mit 4,5 Knoten Geschwindigkeit
fuhr, sechs volle Tage im Fluge.

Die Sturmvögel gehören zu den wunderbarsten Vogelgestalten. Sie suchen
ihre Nahrung, Fische und Meerestiere, an der Oberfläche des Wassers und
treiben sich tagelang mitten auf dem Weltmeere umher, bald niedrig über
den Wellen fliegend, geschickt jeder Bewegung des Wassers folgend, ohne
sich zu benetzen, bald in herrlichen Schwenkungen höher steigend, um
dann in reißend schnellem Fluge durch die Luft zu schießen. Mit größter
Gewandtheit und Schnelligkeit drehen und wenden sie sich im Fluge
nicht nur nach der Seite, sondern auch auf- und abwärts. Die kleineren
Sturmtaucher verschwinden aus reißend schnellem Fluge plötzlich in den
Wellen, schwimmen, auf der Jagd nach Beute, ein Stück unter Wasser,
wobei sie mit den Füßen und Flügeln rudern, um dann wie eine Rakete
aus dem Wasser wieder aufzutauchen und durch die Luft zu jagen. Die
Sturmvögel sind die besten, gewandtesten und ausdauerndsten Flieger
aller Vögel. Sie nisten an den Meeresküsten und auf Inseln, teils auf
dem Erdboden, teils in selbst gegrabenen Erdlöchern. Die Farbe des
Gefieders ist im allgemeinen rauchbraun mit mehr oder weniger weißen
Abzeichen auf dem Rücken und der Unterseite. Die Sturmvögel bewohnen
alle Weltmeere zwischen dem Nördlichen und Südlichen Eismeer. Ihr
Verbreitungszentrum liegt jedoch in den warmen Zonen.

Eine besondere Eigentümlichkeit der Sturmvögel ist der Bau der
Nasenlöcher. Diese liegen entweder zusammen in einer einheitlichen
Röhre auf der Firste des Schnabels, oder in zwei verwachsenen Röhren,
oder aber in zwei getrennten Röhren auf jeder Seite des Schnabels. Die
Sturmvögel bilden eine eigene Ordnung in der Reihe der Vögel.

[Sidenote: Stimme und Gesang der Vögel]

Außer dem Flugvermögen ist noch eine zweite Eigenschaft bei den
Vögeln zur höchsten Entwicklung gelangt, nämlich die Stimme. Sie hat
bei keinem anderen Tier eine solche Vollkommenheit erreicht als beim
Vogel und besonders beim Singvogel. Der Gesang der Nachtigall in
milder Lenzesnacht mit seinen flötenden, sehnsuchtsvoll schluchzenden
Tönen, der markige Schlag der Drossel, das melancholische Lied des
Rotkehlchens und die frischen Wirbel der Feldlerche sind herrliche
Musik, die das Herz des nüchternsten Menschen erwärmen müssen.

Die hohe Ausbildung der Stimme bei den Vögeln ist vielleicht eine
Folge ihrer Flugkraft. Die große Beweglichkeit, die der Flug dem
Vogel verleiht, erhöhte die Bedeutung der Stimme als gegenseitiges
Verständigungsmittel, als Anlockungsmittel bei ihrem geselligen
Leben, und um in der Paarungszeit den Zusammenschluß der Geschlechter
herzustellen. Der Gesang der Singvögel spielt ja gerade in der
Brunstzeit eine so bedeutende Rolle beim Erwerb der Gattin, die durch
die verführerischen Töne angelockt und geschlechtlich erregt wird, und
als Waffe im Kampf mit dem Nebenbuhler. Ein Sängerkrieg im wahrsten
Sinne des Wortes ist der Vogelgesang im Frühjahr.

Eine so hohe Fähigkeit der Stimmbildung verlangt freilich eine
besondere Organisation. So besitzt denn der Vogel ein eigenes Organ
für die Erzeugung der Stimme, einen zweiten Kehlkopf, der zwischen
Luftröhre und Bronchien eingeschaltet ist. Es ist der „untere
Kehlkopf“ oder „Syrinx“, der mit besonderen Membranen, die durch ein
kompliziertes Muskelsystem gespannt werden, ausgerüstet ist. Der
untere Kehlkopf läßt sich in seinem Bau mit einem Blasinstrument
vergleichen. Ebenso sind die Luftsäcke, die einen großen Teil des
Vogelkörpers durchziehen und von den Lungen mit Luft versorgt werden,
sowie die teilweis eigenartig geformte Luftröhre, die sich bisweilen in
großen Windungen durch das Brustbein hindurch bis in die Leibeshöhle
erstreckt, von großer Bedeutung für die Stimme. Es würde zu weit
führen, hier auf den Bau dieser Organe näher einzugehen, zumal ich sie
in meinem Werk „Das Leben der Vögel“[1] eingehend geschildert habe,
das auch die „Stimme und den Gesang der Vögel“, ihre Entstehung und
Bedeutung ausführlich behandelt.

[Sidenote: Instrumentallaute der Störche, Spechte, Bekassinen, Enten]

Freilich besitzen nicht alle Vögel des Gesanges süße Gabe. Viele
Vögel, z. B. Gänse, Enten, schnepfenartige Vögel und andere vermögen
nur wenige Laute hervorzubringen, die zum Teil sogar recht unschön
sind. Andere Vögel sind ganz oder doch fast stumm. Der Strauß bringt
nur in der Paarungszeit ein dumpfes Brummen hervor und sagt sonst gar
nichts. Der männliche Wiedehopf ruft ein eintöniges „hup, hup“, sein
Weibchen ist stumm. Unser allbekannter Freund Adebar ist bis auf ein
heiseres Zischen, das im Rachen erzeugt wird und kein eigentlicher
Stimmlaut ist, völlig schweigsam. Nur die jungen Nestvögel lassen ein
katzenartiges Miauen hören. Den Mangel seiner Stimme weiß der alte
Storch aber in anderer Weise zu ersetzen. Er klappert mit dem Schnabel,
indem er die Schnabelhälften heftig aneinanderschlägt und dabei den
Kopf auf den Rücken legt und allmählich aufrichtet. Das Klappern
spielt im Leben des Storchs, den der Volksmund nicht mit Unrecht
„Klapperstorch“ nennt, eine große Rolle. Es ist nicht nur ein Zeichen
geschlechtlicher Erregung, sondern wird auch sonst fleißig geübt. Es
dient zur gegenseitigen Begrüßung und zum Ausdruck freudiger, wie
bösartiger Stimmung. Sogar die ganz jungen Störche klappern bereits
im Horst mit ihren noch weichen Schnäbeln, oder richtiger gesagt, sie
führen nur die Klapperbewegung aus, denn die anfangs noch weichen
Schnabelränder erzeugen noch keinen Ton.

Das Klappern des Storchs ist eine Instrumentalmusik, wie sie auch von
anderen Vögeln ausgeübt wird. Hierzu gehört das Trommeln der Spechte.
Der Specht führt hierbei mit seinem sehr harten Schnabel schnelle,
wirbelartige Schläge auf einem dürren Ast aus, dessen Holz hierdurch in
seinen Bestandteilen in Schwingungen versetzt wird und einen surrenden
Ton erzeugt.

Die männlichen Spechte trommeln im Frühjahr, um sich den Weibchen
bemerkbar zu machen, und zwar sind es hauptsächlich die Buntspechte,
welche diese Kunst ausüben, da sie außer ihrem eintönigen Lockruf, der
wie ein kurzes, scharfes „kick“ klingt, weiter keine Töne hervorbringen
können. Die Grünspechte, die einen weithinschallenden, melodischen Ruf
haben, trommeln weniger, sondern suchen sich mehr durch ihre Stimme
bemerkbar zu machen.

[Illustration:

  Abbildung 12      James’ Preß Agency, London

Rentier]

[Illustration:

  Abbildung 13      Friedrich v. Lucanus phot.

Rentier-Herde

in einem Lappenlager in Tromsoe]

Wenn wir im Frühjahr des Abends an einem Luch entlang wandern, dann
hören wir aus der Höhe eigenartige Töne herabschallen, die an das
Meckern einer Ziege erinnern. Es ist die Bekassine oder Himmelsziege,
die ihren Balzflug in der Luft ausübt und diese sonderbaren Töne
hervorbringt, die den fehlenden Gesang ersetzen sollen. Durch
einwandfreie Untersuchung namhafter Ornithologen ist festgestellt
worden, daß es sich auch hier nicht um Stimmlaute, sondern um
Instrumentalmusik handelt. Die Bekassine bringt die Töne mit den
Schwanzfedern hervor. Sie läßt sich im schrägen Bogen mit halb
angezogenen Schwingen in der Luft ein Stück herunterfallen und spreizt
die Schwanzfedern aus. Der Luftstrom, der unterhalb der Flügel nach
rückwärts entweicht, trifft auf die äußeren Schwanzfedern und setzt sie
in Schwingungen, welche einen surrenden Ton hervorrufen. Durch feine
Zuckungen mit den Flügeln wird die Tonfolge fortlaufend unterbrochen,
wodurch ein dem Meckern ähnliches Tremulieren entsteht. Aus dem Absturz
schwingt sich der Vogel wieder in die Höhe, um das Spiel von neuem zu
beginnen.

In einer Jagdzeitschrift behauptete jüngst ein Weidmann, daß er eine
Bekassine beobachtet habe, die auf dem Erdboden sitzend meckerte, und
zweifelte infolgedessen die Theorie des Schwanzmeckerns an. Dies ist
jedoch ein Irrtum, der wohl dadurch veranlaßt wurde, daß gleichzeitig
eine zweite Bekassine in der Nähe ihren Balzflug ausführte, was von
dem Beobachter übersehen wurde. Daß die Bekassine die Töne tatsächlich
mit den Schwanzfedern hervorbringt, ist durch eingehende Beobachtung
und experimentelle Untersuchung festgestellt worden und unzweifelhaft
richtig. Man kann das Meckern künstlich hervorrufen, wenn man eine
äußere Schwanzfeder der Bekassine mit dem Kiel senkrecht auf einer
biegsamen Rute befestigt und dann diese kräftig durch die Luft
schwingt.

Die Tauben lassen beim Auffliegen ein laut klatschendes Geräusch
erschallen, indem sie die Flügelspitzen über dem Rücken kräftig
aneinanderschlagen. Man darf diese Instrumentallaute wohl als ein
Warnsignal ansehen, das die Genossen zur Flucht veranlassen soll.

Eine sexuelle Bedeutung hat das Flügelklatschen, das der Ringeltäuber
im Balzflug ausübt.

Bei der Indischen Baumente (~Dendrocygna javanica~) zeigt die erste
Schwungfeder eine starke Ausbuchtung auf der Innenfahne, durch die im
Fluge ein lautes, pfeifendes Geräusch hervorgebracht wird. Diese Feder
ist also ein regelrechtes Musikinstrument, eine „Schallschwinge“, die
zur gegenseitigen Verständigung dieser stimmlosen Enten dient, um im
Fluge die Verbindung aufrechtzuerhalten.

Das Kaninchen, welches nur in höchster Lebensnot Klagetöne ausstößt,
im übrigen aber fast stumm ist, warnt seine Genossen bei Gefahr durch
lautes Aufschlagen mit den Hinterläufen auf den Erdboden. Sobald dies
Signal ertönt, fahren alle in der Nähe befindlichen Wildkaninchen zu
Bau.

[Sidenote: Instrumentallaute der Fische]

Unter den im allgemeinen stummen Fischen gibt es einige Arten, die
Töne hervorbringen können, die ebenfalls keine Stimm-, sondern
Instrumentallaute sind. Einige Welsarten Amerikas und der Knurrhahn
bringen durch krampfartige Zusammenziehung der Muskeln im Innern ihres
Körpers Geräusche hervor, die sich auf die äußere Wand der Schwimmblase
übertragen, welche als Resonanzboden wirkt und den Ton verstärkt.
Andere Fische erzeugen Töne durch Reibung der Kiemendeckelteile,
der Zähne, der Schultergürtelknochen und der Flossenstacheln. Diese
Geräusche lassen bei einigen Arten besonders die Männchen zur
Fortpflanzungszeit hören, um die Weibchen anzulocken, woraus man
meinte schließen zu können, daß nicht alle Fische taub sind, eine
Annahme, die freilich noch der Bestätigung bedarf, da, wie schon an
anderer Stelle gesagt wurde, die Wahrnehmung der Schallwellen auch
durch den Wasserdruck auf die Seitenorgane erfolgen kann.

[Sidenote: Stimme der Lurche]

Unter den Lurchen finden wir bei den Fröschen bereits einen
wohlentwickelten Kehlkopf mit Stimmbändern. Bei vielen Arten wird
die Stimme noch durch ein besonderes Instrument, die Schallblasen,
welche mit Luft angefüllt werden, verstärkt. Die Schallblasen liegen
entweder innerlich, wie bei den Unken und Grasfröschen, oder sie
treten äußerlich hervor, wie beim Laubfrosch und Wasserfrosch. Die
Schallblasen des Laubfrosches liegen unter der Kehle und sind von
einer gemeinsamen Haut überzogen, so daß die aufgeblähten Blasen wie
eine große Kugel erscheinen. Beim Wasserfrosch treten die beiden
Schallblasen durch besondere Schlitze an den hinteren Seiten des Kopfes
hervor.

[Sidenote: Instrumentallaute der Reptilien]

Unter den Reptilien ist die Klapperschlange wegen ihres an der
Schwanzspitze sitzenden Rasselinstruments allgemein bekannt. Diese
Klapper entsteht erst allmählich durch die wiederholten Häutungen der
Schlange. Der Vorgang ist folgender: Die beiden letzten, verschmolzenen
Schwanzwirbel sind mit einer hornartigen Kappe überzogen. Bei der
Häutung streift sich diese Kappe nicht ab, sondern bleibt als Ring an
der sich neu bildenden Hornhaut des Schwanzendes haften. Durch weitere
Häutungen nimmt die Zahl der Ringe zu, die jedoch auch bei alten,
erwachsenen Tieren meist nicht mehr als 12 beträgt und selten bis auf
21 anwächst, was die höchste bisher festgestellte Ringzahl ist. Der
Prozeß scheint sich also nicht bei jeder Häutung, die mehrmals im Jahre
stattfindet, zu wiederholen. Die einzelnen Hornringe sind gegeneinander
beweglich und erzeugen durch schnelles Hin- und Herschwingen des
Schwanzendes das Rasseln. Das Klappern geschieht nicht nur in der
Erregung, wodurch es unter Umständen zum Warnsignal werden kann,
sondern bezweckt in erster Linie die gegenseitige Anlockung der
Geschlechter. Durch das Klappern verraten sich die Giftschlangen ihrem
ärgsten Feind, dem Menschen, und tragen so unbewußt zu ihrer eigenen
Vernichtung bei.

Die amerikanischen Klappschildkröten (~Cinosternum~) haben auf der
Innenseite des Oberschenkels eine mit Hornhöckern besetzte Stelle.
Durch Reibung dieser Gebilde können die Schildkröten einen zirpenden
Ton hervorbringen.

Die Klappschildkröten führen ihren Namen nach der eigenartigen
Verschlußvorrichtung ihres Panzers. Das Brustschild besteht aus drei
Teilen, von denen der vordere und hintere Teil beweglich sind und
an den Rückenpanzer angeklappt werden können, was den Tieren einen
vorzüglichen Schutz gegen ihre Feinde gibt.

Ein eigenartiger Musikant ist der mittelasiatische Wundergecko. Der
kleine Kerl bringt mit dem Schwanz zirpende Töne hervor, indem er die
dachziegelartig übereinanderliegenden Hautschuppen aneinanderreibt.
Durch sein Zirpen lockt der Gecko Heuschrecken an, die seine bevorzugte
Nahrung bilden. „Er ergeigt sich“, wie Brehm treffend sagt, „seinen
Lebensunterhalt.“ --

[Sidenote: Das Zirpen der Heuschrecken]

Das Zirpen der Heuschrecken im saftigen Wiesengras hat ja jeder
schon gehört. Das Instrument, mit dem der kleine grüne Musikant die
lieblichen Töne hervorbringt, befindet sich an den Hinterfüßen und den
Flügeln. An der Innenseite der keulenartig verdickten Schenkel der
Hinterbeine steht eine Reihe kleiner Zapfen, und die Flügel haben eine
leistenartig vorstehende Ader. Durch Reiben der Zapfen an dieser Ader
entsteht der zirpende Ton, der durch die als Resonanzboden wirkenden
Flügel noch verstärkt wird. Die Tiefe und Höhe des Tons wechselt je
nach der Schnelligkeit, mit der der Musikant die Geige spielt. Die
Töne werden natürlich von den Heuschrecken selbst vernommen. Ihr Ohr
sitzt aber nicht am Kopf, sondern am ersten Ring des Hinterleibes. Hier
befindet sich auf jeder Seite ein Häutchen, das Trommelfell, das über
einen Hohlraum gespannt ist, in dem der Hörnerv liegt.

Bei den Grillen erfolgt das Zirpen durch ein Aneinanderreiben beider
Flügeldecken, die vorstehende Schrilladern besitzen.

Meister in der Tonkunst sind die Zikaden, die in über 1000 Arten die
warmen Länder, besonders Asien bewohnen. Eine Art, die Bergzikade,
kommt auch in Deutschland vor. Die Zikaden tragen einen komplizierten
Singapparat am Hinterleibe, der aus zwei Trommelhäuten besteht, die
durch starke Muskeln in Schwingungen versetzt werden. Hierdurch
entstehen sehr laute, schrille Töne. Die Zikaden leben sehr gesellig
im Gipfel der Bäume. Beginnt ein Männchen seinen Gesang, so stimmen
alle übrigen ein, und der ganze Wald hallt plötzlich von einem
tausendstimmigen Konzert wider, das, ebenso jäh wie es begann, nach
kurzer Zeit verstummt, um bald wieder von neuem zu beginnen. So
wechseln in der strahlenden Glut der Tropensonne brausender Gesang und
unheimliches Schweigen stundenlang ab. Jede Art bringt besondere Töne
hervor, die bald melodisch, bald gellend und unschön erklingen, so daß
der Eindruck des Zikadenkonzerts außerordentlich verschieden sein kann.
Hieraus erklärt sich auch die abweichende Beurteilung dieser Musik.
Während Anakreon in seiner Ode die Zikaden preist mit den Worten:

    „Glücklich nenn’ ich dich, Zikade!
    Daß du auf den höchsten Bäumen,
    Von ein wenig Tau begeistert,
    Ähnlich einem König singst“,

beklagt sich Virgil über die „gellenden Töne“.

Ebenso wie unser Maikäfer erscheint die Zikade in gewissen
Zeitabständen in besonders großer Menge. In Nordamerika wiederholt sich
der Zikadensegen alle 17 Jahre, eine andere im Süden der Vereinigten
Staaten lebende Art hält eine Zeitfolge von 13 Jahren inne. --

[Sidenote: Totenuhr]

Klopfende Töne, die in gleichmäßigen Abständen wiederholt werden und
an das Ticken einer Uhr erinnern, bringen die Klopfkäfer hervor, indem
sie mit dem Kopf gegen Holz schlagen, um sich gegenseitig von ihrer
Anwesenheit zu verständigen und sich zusammenzufinden. Der Volksglaube
betrachtet das unheimliche Klopfen der versteckt lebenden Käfer als
Vorboten eines Trauerfalles und nennt daher den kleinen Störenfried
„Totenuhr“. Die Larven bohren sich Gänge im trockenen Holz und
verursachen die allbekannte Wurmstichigkeit der Möbel und Hausbalken.

[Sidenote: Kraftleistungen der Insekten]

Die Insekten vermögen zum Teil ganz gewaltige Kraftleistungen zu
vollbringen, wie sie kein anderes Geschöpf auch nur annähernd ausführen
kann. Der Floh ist imstande, mit seinen zu Springwerkzeugen gewordenen
Hinterfüßen 1 ~m~ weite Sprünge auszuführen, das ist etwa das
Tausendfache seiner Körperlänge! Auch besitzt der kleine Schelm eine
geradezu übernatürliche Körperkraft, denn er vermag das Achtzigfache
seines Gewichts zu ziehen.

Die Larven vieler Insekten, die im Holz leben, entwickeln geradezu
fabelhafte Kräfte bei der Herstellung ihrer Gänge.

Der nur wenige Millimeter große Borkenkäfer bohrt sich durch die Rinde
tief in den Stamm der Bäume hinein, um hier seine Eier abzulegen, eine
Arbeit, die eine gewaltige Kraft verlangt.

Die höchste Kraftentfaltung finden wir bei den Holzwespen. Die Weibchen
treiben ihren langen Legestachel tief in einen Baumstamm hinein, um
hier die Eier unterzubringen. Die Larven fressen sich dann später immer
weiter in das Holz, um sich zu verpuppen. Auch die ausgeschlüpften
Holzwespen verbringen geradezu unerhörte Kraftanstrengungen, um aus
dem Innern des Holzes ans Tageslicht zu gelangen. Kiefernholzwespen,
welche im Holz von Kisten, in dem Artilleriemunition aufbewahrt wurde,
zur Entwicklung gelangt waren, versuchten sich einen Weg ins Freie zu
bahnen und fraßen dabei den harten Stahlmantel der Geschosse an.

Die Schnellkäfer (~Elateridae~) vermögen sich, wenn sie auf dem Rücken
liegen, vermittels eines Dornes an der Unterseite der Vorderbrust, der
in eine Grube der Mittelbrust hineinpaßt und wie eine Feder wirkt, in
die Höhe zu schnellen. In der Luft dreht sich der Käfer um, so daß er
mit dem Bauch zur Erde niederfällt und aus seiner hilflosen Rückenlage
befreit wird. Dieser Schnellapparat ist für ihn ein wichtiges Werkzeug,
da er wegen seiner kurzen Füße nicht imstande ist, sich aufzurichten,
wenn er durch Zufall auf den Rücken gefallen ist.

Eine abenteuerliche Gestalt unter den Kerbtieren ist der
Pfeilschwanzkrebs, der in mehreren Arten die Küsten des Atlantischen
und Stillen Ozeans bewohnt. Mit ihrem eigentümlichen Körperbau haben
die Pfeilschwanzkrebse ein wahrhaft vorsintflutliches Aussehen und
sind auch im wahrsten Sinne des Wortes vorweltliche Tiere, denn
nahe Verwandte, die fast dasselbe Aussehen hatten wie die heutigen
Pfeilschwanzkrebse, lebten schon in der paläozoischen Erdperiode. Die
heutigen Vertreter dieser Spinnenkerfe erreichen zwar nicht mehr die
Riesengröße ihrer Vorfahren, die bis 2 ~m~ lang waren, haben aber
immer noch die stattliche Körperlänge von ½ ~m~. Der größte Teil des
gepanzerten Tieres besteht aus dem ovalen Kopfbrustschild, an den
sich der gleichfalls gepanzerte und mit Stacheln bewehrte Hinterleib
anschließt. Der Körper trägt sechs Paare von Gliedmaßen. Das erste Paar
sind kurze, scherenförmige Fühler, die anderen Paare dienen sowohl als
Beine zur Fortbewegung wie als Kauorgane und sind zu diesem Zwecke mit
besonderen Kauwerkzeugen ausgerüstet. Das merkwürdige Tier hat vier
Augen, von denen zwei als kleine Punktaugen in der Mitte und zwei an
den Seiten des Kopfschildes sitzen. Der Hinterleib trägt einen langen,
sehr beweglichen Schwanzstachel. Dieser Schwanz ist ein sehr wichtiges
Werkzeug für das Tier. Fällt der Pfeilschwanzkrebs beim Überklettern
von Steinen auf den Rücken, so stemmt er den Schwanzstachel gegen den
Boden und richtet sich durch die Hebelwirkung wieder auf, denn die
kleinen, kurzen Füße sind nicht imstande, den schwerfälligen Körper
umzuwenden.

[Sidenote: Elektrische Tiere]

Selbst die Kraft der Elektrizität haben die Tiere in ihren Dienst
gestellt. Zitterwels, Zitteraal und Zitterrochen haben elektrische
Batterien in ihrem Körper, mit denen sie starke Schläge austeilen
können. Die elektrischen Organe bestehen aus einer Anzahl
nebeneinanderliegender Platten, die aus umgewandelter Muskelsubstanz
gebildet sind, und einem Gewebe, das zwischen den einzelnen Platten
eingeschaltet ist. Es entspricht der Apparat dem Kupfer und Zink der
Voltaschen Säule. Die elektrische Batterie steht mit dem Nervensystem
in Verbindung, durch das die Entladung ins Werk gesetzt wird. Die
elektrischen Schläge folgen sich sehr schnell. Beim Apparat des
Zitteraals erfolgen 200-300 Entladungen in der Sekunde, die eine Stärke
von 300 Volt haben. Der Fisch kann die Stärke und Zahl der Entladungen
willkürlich bemessen. Die Kraft nimmt jedoch beim Gebrauch erheblich
ab und erreicht erst nach längerer Ruhe wieder die volle Höhe. Der
Zitteraal vermag durch seine sehr kräftigen Schläge große Tiere, sogar
den Menschen zu betäuben.

Die elektrischen Organe dienen dazu, Beutetiere zu betäuben oder zu
töten, und sind zugleich ein vorzügliches Abwehrmittel in Gefahr.
Ihre Lage am Körper ist verschieden. Beim Zitteraal befinden sie sich
unter dem Schwanz, beim Zitterwels umhüllen sie wie ein Mantel fast den
ganzen Leib und beim Zitterrochen liegen sie hinter den Kiemen. Die
einzelne Batterie des Zitteraals besteht aus 6000 Platten. --

Vielen Tieren gab die Natur Vorrichtungen, die ganz besonderen
Zwecken dienen, Apparate und Instrumente, die für die Lebensweise von
entscheidender Bedeutung wurden.

[Sidenote: Eckzähne des Walrosses]

Das Walroß trägt im Oberkiefer zwei gewaltige Eckzähne, die senkrecht
nach unten stehen und über den Unterkiefer weit herausragen. Sie
erreichen beim erwachsenen Tier ein Gewicht von 3 ~kg~ und eine Länge
von ¾ ~m~. Diese Stoßzähne dienen den Bewohnern der Eisregion des
hohen Nordens als Eisbrecher, um sich einen Weg durch das Treibeis
zu bahnen. Ferner benutzen die Walrosse ihre Zähne als Stütze beim
Erklettern der Eisblöcke, und schließlich sind die Zähne beim
Nahrungserwerb von großem Nutzen. Die Nahrung des Walrosses besteht aus
Krebstieren, Mollusken und anderen niederen Lebewesen des Meeres. Mit
den Zähnen wühlt das Walroß den Schlamm an der Küste und im Meeresgrund
auf, um die hier befindlichen Tiere hervorzuholen, die dann mit Hilfe
der starken Schnauzborsten zusammengefegt und eingeschlürft werden. Das
Walroß gehört zu den größten der heute lebenden Säugetiere. Es erreicht
eine Länge von 4,5 ~m~ mit einem Leibesumfang von 3 ~m~ und ein Gewicht
bis zu 1000 ~kg~.

In früherer Zeit dehnte sich das heute ausschließlich auf den höchsten
Norden beschränkte Verbreitungsgebiet nach Süden bis zu den Küsten
Schottlands und Norwegens aus. Auf der Bäreninsel war das Walroß
vor 100 Jahren noch so zahlreich, daß die Fänger auf einem Jagdzuge
manchmal viele Hundert dieser Tiere erbeuteten. Heute kommt das Walroß
hier nicht mehr vor, und auch auf Spitzbergen ist es fast ganz
verschwunden. Menschlicher Unverstand und Habgier haben auch hier
einmal wieder in unverantwortlicher Weise gewütet!

[Sidenote: Stoßzähne des Elefanten]

Die beiden mächtigen Stoßzähne des Elefanten, die das so begehrte
Elfenbein liefern, sind die verlängerten, einzigen Schneidezähne.
Sie besitzen keine Wurzeln, sondern sind unten offen und haben wie
die Schneidezähne der Nagetiere ein unbegrenztes Wachstum. Wenn die
Stoßzähne in erster Linie auch nur ein sekundäres Geschlechtszeichen
sind, da sie den Weibchen häufig fehlen und, wenn sie vorhanden sind,
stets bedeutend kleiner und schwächer bleiben, so haben sie doch
anderseits eine nicht zu unterschätzende Bedeutung als Instrument. Der
männliche Elefant schlitzt mit ihnen die Stämme hoher Bäume auf, um sie
zu Fall zu bringen, wenn er sie nicht niedertreten kann, und um auf
diese Weise zu dem begehrten Laub des Wipfels zu gelangen. Außerdem
löst er mit den Stoßzähnen die Rinde ab, um den ausfließenden Saft des
Kernholzes zu genießen, und gräbt Knollen und Wurzeln aus der Erde.
Bei diesen Arbeiten bedient sich der Elefant vorzugsweise des linken
Stoßzahnes, der infolgedessen häufig bedeutend mehr abgenutzt ist als
der rechte. Als Waffe scheinen die Stoßzähne weniger gebraucht zu
werden. Brunftige Männchen, die um den Besitz eines Weibchens kämpfen,
umfassen sich mit dem Rüssel und suchen sich mit dem Gewicht ihres
Körpers zu Fall zu bringen oder zu verdrängen.

Ein anderes wichtiges Organ des Elefanten ist die zum Rüssel
umgebildete Nase. Der Rüssel ist zunächst ein Schlauch, mit dem der
Elefant sein Getränk einsaugt, um es dann ins Maul zu spritzen. Der
Rüssel eines großen Elefanten vermag 10 Liter Flüssigkeit aufzunehmen.
Ferner ist der Rüssel mit seinen beiden fingerartigen Endgliedern ein
vorzügliches Greiforgan, das mit einem feinen Tastgefühl ausgestattet
ist. Mit den Fingern vermag der Elefant kleinste Gegenstände vom
Erdboden aufzunehmen. Reißt er Äste von Bäumen herunter, so umschlingt
er sie mit dem Rüssel in mehreren Windungen.

[Sidenote: Horn des Nashornes]

Das Nashorn benutzt sein gewaltiges Horn auf der Nase als Standhauer
und Axt. Im dichtesten Dorngestrüpp, gegen dessen Verletzung es durch
seinen borkigen Hautpanzer geschützt ist, bahnt es sich schnell und
sicher einen Weg, indem es die Zweige mit dem Horn zur Seite schlägt.
Auch zum Ausroden von Sträuchern wird das Horn gebraucht, um zu
den Wurzeln, die eine Lieblingsnahrung dieses Dickhäuters bilden,
zu gelangen. Größere Bäume werden mit dem Horn aus dem Erdreich
herausgehoben. So dient das Horn als Stemmeisen, Grabscheit, Axt und
Beil.

[Sidenote: Schwertfisch]

Nach dem fast 1 ~m~ langen, doppelschneidigen, sehr scharfen
Schwert, das der Schwertfisch an der oberen Kinnlade trägt, hat
dies kampfesmutige Ungeheuer des Meeres seinen Namen erhalten. Der
Schwertfisch (~Xiphias gladius~), der eine Körpergröße von 2-3 ~m~
erreicht, bewohnt alle Meere, jedoch vorzugsweise in den wärmeren
Breiten. Mit seiner gefährlichen Waffe schlachtet er wie ein
Scharfrichter seine Opfer ab. Er schwimmt in einen dicht gedrängten
Fischschwarm hinein, schlägt mit Gewalt nach allen Seiten mit dem
Schwert umher und tötet so eine große Anzahl der Fische. Die Kraft des
Schlages und die Schärfe der Waffe ist so groß, daß die Fische häufig
ganz durchschnitten werden. Ist die Zahl der Opfer groß genug, dann
hält der grausame Wüterich seine Mahlzeit. Die fürchterliche Waffe
hat den Charakter des Tieres verdorben, das von Mordlust und geradezu
sinnloser Bosheit erfüllt ist. Es läßt seine Wut auch an anderen
größeren Lebewesen aus, die ihm nicht zur Nahrung dienen. So greift
der Schwertfisch ohne weiteres Walfische an, die ihm zu nah kommen,
und verletzt sie mit dem scharfen Schwert in bedenklicher Weise.
Badende Menschen sind schon vom Schwertfisch durchstochen worden,
ja kleinere Schiffe wurden durch den Dolchstoß seines Schwertes zum
Sinken gebracht. Es ist nichts Ungewöhnliches, daß bei der Ausbesserung
größerer Überseeschiffe das abgebrochene Schwert eines solchen Fisches
im Schiffsrumpf gefunden wird -- ein Zeichen, mit welcher Wucht der
Fisch seine Waffe gebraucht, und wie groß deren Schärfe ist (Abbildung
9).

[Sidenote: Sägefisch]

Ein würdiges Seitenstück zum Schwertfisch ist der etwa 5 ~m~ lange
Sägefisch, der in mehreren Arten in allen Weltmeeren warmer Zonen lebt.
Der Oberkiefer trägt einen etwa 1,5 ~m~ langen schmalen Fortsatz, der
an beiden Seiten mit scharfen Hautzähnen besetzt ist und wie eine
Doppelsäge aussieht. Mit dieser fürchterlichen Waffe soll der Fisch
anderen großen Fischen, sogar Walen den Leib aufschlitzen. Sonst ist
über seine Lebensweise noch wenig bekannt.

[Sidenote: Hammerfisch]

Da wir einmal bei eigentümlichen Fischformen angelangt sind, so soll
auch der sonderbare Hammerfisch nicht unerwähnt bleiben. Der Kopf
dieses Haifisches hat die Gestalt eines wagerecht gehaltenen Hammers,
dessen Stiel der Halsansatz bildet. Auf jedem Ende des Hammers sitzt
ein Auge. Einen besonderen Zweck scheint diese höchst eigentümliche
Kopfform nicht zu haben. Sie ist vielmehr eine Laune der Natur, die
diese Fische bereits in der Kreidezeit erschaffen hat. --

[Sidenote: Seihapparat des Walfischmauls]

Der Walfisch kann infolge seines engen Schlundes nur kleine Fische
von der Größe des Herings verschlucken. Das gewaltige Tier braucht
aber sehr viel Nahrung. Da hat die schöpferische Kraft dem Tier in
sehr sinnreicher Weise geholfen. Sie gab ihm ein gewaltiges Maul,
mit dem der Wal imstande ist, eine große Anzahl Fische auf einmal
aufzuschnappen, wofür besonders die Züge der Heringe, die zu Millionen
in dichtgedrängter Masse dahinschwimmen, eine willkommene Gelegenheit
bilden. Beim Schließen des Mauls wird eine bedeutende Wassermenge mit
aufgenommen. Um das Wasser abfließen zu lassen, ohne die Fische dabei
zu verlieren, besitzt das Walfischmaul besondere Einrichtungen, die als
Seihapparat wirken. Die Kiefer sind bei den Zahnwalen mit einer Reihe
dichtstehender Zähne besetzt, durch deren Zwischenräume das Wasser
abfließt, ohne daß die Fische hindurchgleiten können. Andere Wale haben
anstatt der Zähne sogenannte Barten in den Kiefern, sichelförmige
Hornplatten, mit fein gefasertem Rand, die wie ein feinmaschiges
Netz wirken, durch das das Wasser abläuft. Diese Wale heißen zum
Unterschiede von den Zahnwalen „Bartwale“.

[Sidenote: Der Vogelschnabel als technisches Werkzeug]

Auch der Schnabel mancher Wasservögel ist zum Seihapparat geworden.
Bei den Schwänen, Gänsen und Enten stehen an den Außenkanten des
Schnabelüberzugs feine zahnartige Gebilde, durch welche ebenso wie bei
den Walen das Wasser bei der Nahrungsaufnahme abfließt. Sogar die Zunge
dieser Vögel ist mit Fransen ausgestattet, die die Nahrung vor dem
Verschlucken noch einmal durchsieben.

Bei den Vögeln vertritt der Schnabel oft die Stelle eines besonderen
Werkzeuges, das für den Lebensunterhalt von Wichtigkeit ist.

Der dünne, feingebogene Schnabel des Baumläufers stellt eine Sonde dar,
mit der der Vogel in die feinsten Ritzen der Baumrinde eindringen kann,
um verborgene Kerfe hervorzuholen.

Der harte, scharfkantige Schnabel der körnerfressenden Singvögel,
besonders der Kernbeißer, wirkt als Kneifzange, mit der der Vogel die
Hülsen hartschaliger Sämereien aufknackt. Der Kirschkernbeißer ist
sogar imstande, mit seinem massigen Schnabel Kirschkerne zu zertrümmern.

Die Schnepfe gebraucht ihren langen, nervenreichen Stecher als Pinzette
und holt damit Würmer aus der Erde, indem sie den Schnabel hineinbohrt.
Um die Nahrung leicht erfassen zu können, ohne den ganzen Schnabel
öffnen zu müssen, was infolge des Widerstandes der Erde größere Kraft
verlangen würde, besitzt die Schnepfe die Fähigkeit, nur das vordere
Ende des Schnabels unabhängig von dem übrigen Schnabelteil öffnen und
schließen zu können. Bei der frisch erlegten Schnepfe läßt sich diese
eigenartige Beweglichkeit des Schnabels durch einen seitlichen Druck
mit den Fingern gegen den Kopf leicht hervorrufen.

Der Kreuzschnabel besitzt in seinen kreuzweise übereinanderliegenden
Schnabelhälften ein praktisches Instrument zum Öffnen der Tannenzapfen.
An diesen eigentümlichen Vogel mit seiner wechselnden Gefiederfarbe,
der sogar im Winter bei Frost und Schnee zur Brut schreitet, knüpfen
sich allerhand Sagen und Märchen. Man glaubte früher, daß das Wasser,
das durch den Kot des Vogels verunreinigt ist, ein unfehlbares
Heilmittel gegen Fallsucht und Krämpfe sei, und zwar sollten die
Vögel, bei denen die Hakenspitze des Oberschnabels rechts neben dem
Unterschnabel liegt, die Krankheiten der Männer, die Linksschnäbler
dagegen die Krankheiten der Frauen heilen. In einsamen Gebirgsdörfern,
wo der Kreuzschnabel ein beliebter Käfigvogel ist, mag noch heute
dieser Aberglaube Geltung haben.

Beim amerikanischen Hakenweih (~Rostrhamus sociabilis~) bildet die
Spitze des Oberschnabels einen langen, nach unten gebogenen Haken, der
weit über den Unterschnabel reicht. Die Nahrung dieses unserem Bussard
nahestehenden Raubvogels besteht aus Schneckenleibern. Der Vogel lauert
der kriechenden Schnecke auf und stößt den Haken des Schnabels durch
ihren Körper dicht vor dem Gehäuse, wodurch die Schnecke verhindert
wird, sich einzuziehen. Dann reißt er die Schnecke aus dem Gehäuse
heraus und verzehrt sie.

Der sehr große, unförmige, aber dünnwandige und leichte Schnabel
der Tukane ist eine Fruchtpresse, die den Vögeln beim Verzehren von
Früchten gute Dienste leistet (Abbildung 10).

Ein vielseitiges Instrument ist der Papageischnabel. Der gekrümmte
Oberschnabel läuft in eine den Unterschnabel überragende, gebogene
Spitze aus und trägt häufig auf jeder Seite einen zahnartigen Ansatz,
der in eine entsprechende Vertiefung des Unterschnabels hineinpaßt.
Der dicke, breite, nach unten gewölbte Unterschnabel hat vorn eine
breite, ausgeschweifte Kante, deren Enden in hochstehende Spitzen
auslaufen. Mit diesem Werkzeug kann der Papagei Unglaubliches leisten.
Er benutzt es als Zange, Bohrer und Schraubenzieher. Immer wieder
muß man staunen, was für Zerstörungen ein großer Papagei, besonders
ein Kakadu, vollbringen kann. Dicker Draht wird durchkniffen,
Eisenblech durchlöchert und zernagt, das härteste Holz in kurzer Frist
zersplittert. Die Gebrauchsfertigkeit des Schnabels wird noch dadurch
erhöht, daß der Oberschnabel durch ein zwischen ihn und den Schädel
eingeschaltetes Scharnier sehr beweglich ist, im Gegensatz zu anderen
Vögeln, bei denen der Oberschnabel mit dem Schädel fest verwachsen ist.
Die Papageien vermögen mit ihrem kräftigen Schnabel sehr schmerzhafte
und nicht ungefährliche Bißwunden beizubringen. Eine Arara kann mit
ihrem mächtigen Schnabel mit einem Biß die Handknochen zertrümmern.
Die gewaltige Wirkung des Schnabels zeigt sich am besten darin, daß
die großen Araras imstande sind, die eisenharte Schale der Paranüsse
aufzuknacken.

[Sidenote: Saugzunge der Honigsauger]

Bei den zierlichen, bunt gefärbten Honigsaugern Afrikas, die nicht zu
den Kolibris, sondern zu den Singvögeln gehören, ist die Zunge mit
ihren einwärts gebogenen Rändern zum Saugschlauch geworden, mit dem die
Vögel den Nektar aus den Blüten schlürfen.

[Sidenote: Pinselzunge der Loris]

Die Loris, kleine bis mittelgroße, sehr bunt gefärbte Papageien, die
Australien und die umliegenden Inseln bewohnen, haben eine Pinselzunge,
d. h. ihre Zunge trägt am vorderen Ende einen Büschel haarartiger
Borsten, mit denen die Vögel den Saft der Blüten und Früchte
auftutschen.

[Sidenote: Löffelzunge]

Auf Neuguinea lebt ein riesengroßer, tiefschwarzer Kakadu mit
nacktem, rotem Gesicht und breitem Federbusch auf dem Kopfe. Seine
rote, walzenförmige, fleischige Zunge ist ausgehöhlt, und die Ränder
können nach innen umgebogen werden. Mit diesem „Löffel“ befördert
der absonderliche Vogel die mit dem gewaltigen Schnabel zerkleinerte
Nahrung, die hauptsächlich aus Nüssen besteht, in die Speiseröhre.

Der Ararakakadu hat eine schnarrende Stimme, die an das Knarren einer
Tür erinnert und von dem üblichen Kreischen der anderen Papageien
völlig abweicht. Der Vogel hat in seinem gewaltigen Schnabel eine
Riesenkraft. Gefangene zerbeißen Futtergefäße aus gebranntem Ton,
dickem Porzellan, ja sogar aus Gußeisen mit Leichtigkeit. Nur ganz
schwere schmiedeeiserne Geschirre leisten seiner Zerstörungswut
Widerstand.

Der Schnabel der Spechte mit der vorn abgeschnittenen, aber scharfen
Kante ist ein regelrechter Meißel, mit dem die Vögel festes Kernholz
durch kräftige Schläge zersplittern können. Als Höhlenbrüter nisten
sie nicht in natürlichen Baumhöhlen, sondern meißeln sich ihre
birnenförmigen Bruthöhlen in die Baumstämme und schaffen hierdurch
anderen Höhlenbrütern, wie Hohltaube, Wiedehopf und Blaurake, passende
Niststätten.

[Illustration:

  Abbildung 14      Friedrich v. Lucanus phot.

Uhu]

[Illustration:

  Abbildung 15      Aus Benzingers Lichtbildern f. d. Unterricht

Kiwi oder Schnepfenstrauß

Ein flügelloser Vogel mit haarartigem Gefieder]

So finden wir überall im Tierleben eine mannigfache Technik. Die
Gliedmaßen und Organe sind zum Teil zu Instrumenten geworden, wie
sie menschlicher Erfindungsgeist zur Ausübung der Kunst, für die
Forschung in der Wissenschaft und zum Handwerk ersann. Die Natur
gab den Tieren diese technischen Hilfsmittel zur Erfüllung ihrer
Lebensaufgaben und ihrer Daseinsnotwendigkeiten, damit sie den Kampf
des Lebens siegreich bestehen, bis die Kräfte erlahmen und des Lebens
Kreislauf sich schließt, um neuen Generationen Platz zu machen, die
vielleicht dereinst in Anpassung an veränderte Lebensbedingungen, die
Erdumwälzungen hervorrufen, in fortschreitender Entwicklung eine andere
Technik des Lebens erwerben.


  [1] Friedrich von Lucanus, Das Leben der Vögel. Verlag August Scherl,
      Berlin 1925.




Wanderungen


Die Lust zum Wandern ist nicht allein eine uralte, tiefeingewurzelte
Eigenschaft des Menschengeschlechts, sondern sie tritt in noch höherem
Maße in der Tierwelt auf.

[Sidenote: Wanderungen der Zugvögel]

Alljährlich im Herbst und Frühjahr begeben sich unsere Zugvögel auf die
weite Wanderschaft, die sie von Erdteil zu Erdteil führt. Gewaltige
Strecken werden auf dieser Luftreise durchflogen. Kuckuck, Schwalben,
Segler, Nachtigall, Pirol und viele andere Vögel suchen das tropische
Afrika als Winterherberge auf. Freund Adebar dehnt sogar seine Reise
bis über den Äquator hinaus aus und überwintert im südlichen Afrika,
in der englischen Kapkolonie und den früheren Burenstaaten, wo die
dort zahlreich auftretenden Heuschrecken, die eine gewaltige Plage des
Landes sind, ihm zur Nahrung dienen. Vielleicht bilden die Heuschrecken
die Ursache zu dieser weiten Wanderung der Störche.

Ganz gewaltige Reisen vollbringen die Regenpfeifer und Strandläufer,
die das arktische Gebiet der Alten und Neuen Welt bewohnen. Sie ziehen
aus ihrer zirkumpolaren Heimat bis Südafrika, Südamerika und Indien
und überfliegen zum Teil nicht weniger als 133 Breitengrade, was eine
Entfernung von etwa 15000 ~km~ bedeutet! Diese weite Strecke legen die
Vögel zweimal im Jahre, auf dem Herbstzug und auf dem Frühjahrszug,
zurück! Das sind gewaltige Flugleistungen, die aber noch von einer
Vogelart, der Küstenseeschwalbe (~Sterna paradisea~), übertroffen
werden. Die Küstenseeschwalbe ist von allen Vögeln am weitesten nach
Norden vorgedrungen. Ihr Brutgebiet reicht bis zum 82. Grad nördl.
Br. Von hier zieht sie nach den Berichten amerikanischer Ornithologen
bis zum südlichen Eismeer, um dort zu überwintern. Sie überfliegt also
zweimal jährlich den ganzen Erdkreis.

Auf diesen weiten Wanderungen nehmen sich die Vögel freilich Zeit.
Sie fliegen in kleineren Etappen, die täglich etwa 200 bis 300 ~km~
betragen, und brauchen mehrere Wochen, bis sie am Ziel sind. Die alte
Annahme, daß die Zugvögel mit gewaltiger Geschwindigkeit reisen, die
sie in wenigen Stunden über ganze Erdteile trägt, ist durch die neueren
Forschungen widerlegt worden und gehört in das Reich der Fabel.

Andere Vögel, wie z. B. die kleineren Singvögel, reisen noch langsamer.
Durch die Vogelberingung, die heute unser bestes Mittel zur Erforschung
des Vogelzuges ist, wurde nachgewiesen, daß Stare, Drosseln und
Rotkehlchen nur 30-60 ~km~ täglich zurücklegen.

Durch Messungen der Fluggeschwindigkeit ziehender Vögel wurde
festgestellt, daß sie auf dem Wanderfluge etwa die Schnelligkeit eines
Eilzuges entwickeln, also ~ca.~ 60-70 ~km~ in der Stunde.

[Sidenote: Zugstraße u. Zug i. breiter Front]

Die viel umstrittene Frage, ob die Vögel auf ihren Wanderungen
bestimmten, gesetzmäßig festliegenden Zugstraßen folgen, ist durch die
Vogelberingung dahin geklärt worden, daß manche Vogelarten zweifellos
solche Zugstraßen haben, andere dagegen nicht, sondern auf dem Zuge
sich fächerförmig über den Erdteil verteilen, nur einer allgemeinen
Richtung folgend. Man spricht in letzterem Falle vom Zuge in „breiter
Front“. Ein Vogel, der ganz bestimmte Zugstraßen innehält, ist der
weiße Storch. Die Beringung von Störchen hat ergeben, daß die Brutvögel
aus Mittel- und Osteuropa im Herbst über den Balkan, die Dardanellen,
Kleinasien, Syrien, Palästina und den Suezkanal nach Afrika ziehen,
während die westlichen Vögel ihren Weg über Frankreich, Spanien und
Gibraltar nehmen. Die Grenze zwischen diesen beiden Zuggebieten bildet
die Weser. Beim Zug des Storches ist es also vollauf berechtigt, von
„Zugstraßen“ zu sprechen, die freilich nicht auf engen, schmalen Linien
verlaufen, sondern eine breite Ausdehnung haben, die z. B. auf dem
Balkan und in Kleinasien ~ca.~ 200-400 ~km~ beträgt.

Viele Vögel scheinen auf ihrem Zuge durch die Sahara den Tarso- und
Tassili-Gebirgen zu folgen. Diese Zugstraße ist noch breiter, sie hat
eine Ausdehnung von etwa 1000 ~km~. Gleichwohl kann man auch hier noch
von einer Zugstraße sprechen, denn sie hebt sich als fest begrenzter
Abschnitt aus dem großen Wüstengebiet der Sahara heraus, das in seiner
Gesamtausdehnung eine Breite von ~ca.~ 5000 ~km~ besitzt.

Mit dem Begriff „Zugstraße“ dürfen wir also keine schmale Linie
verbinden, sondern die „Zugstraße“ charakterisiert nur die Zugbewegung
auf einer enger begrenzten Fläche innerhalb eines größeren zu
Gebote stehenden Raumes. Wird dieser Raum in seiner +ganzen+ Breite
überflogen, dann sprechen wir vom Zuge in „breiter Front“.

Über die Bezeichnungen „Zugstraße“ und „breite Front“ im Problem des
Vogelzuges ist in unserer ornithologischen Literatur schon so viel
Verwirrung angerichtet worden, daß es mir notwendig erschien, diese
Begriffe hier näher zu erläutern. --

[Sidenote: Entstehung u. Ursachen d. Zuges]

Die Entstehung des Vogelzuges müssen wir auf die Eiszeit und den durch
sie hervorgerufenen Wechsel der Jahreszeiten zurückführen. Solange noch
gleichmäßig warmes, tropenartiges Klima in unseren Breiten herrschte,
fanden die Vögel während des ganzen Jahres geeignete Lebensbedingungen
in ihrer nördlichen Heimat. Dies änderte aber die Eiszeit mit ihren
klimatischen Umwälzungen. Viele Vögel wurden durch das kalte Klima
allmählich aus ihrer Heimat verdrängt und siedelten sich im Süden
unter dem Äquator an, wo die Unwirtlichkeit der Eiszeit sie nicht
berührte. Später, nach dem Rückgang der Eiszeit, erfolgte dann von
neuem eine Ausbreitung von Süden nach Norden, wo die Vögel im Sommer
wieder geeignete Lebensbedingungen fanden. Der Winter zwang aber die
Vögel, in das warme Tropenklima zu flüchten, um dann im Frühjahr zum
Brüten wieder nach dem Norden zurückzukehren. Mit Berechtigung kann
man fragen: Warum blieben die Vögel nicht in ihrer südlichen Heimat,
die ihnen zu allen Jahreszeiten die besten Lebensbedingungen spendete,
und weshalb nahmen sie die Schwierigkeit und Unbequemlichkeit der
Wanderung auf sich? Wenn wir auch bei der Beantwortung dieser Frage
lediglich auf Spekulation angewiesen sind, so geht man vielleicht
nicht fehl, die Ausbreitung des Brutgebiets nach Norden auf eine
Übervölkerung der Vögel in der tropischen Zone zurückzuführen, wo sich
die Vögel zur Eiszeit in großen Massen zusammendrängten. Außerdem wohnt
vielen Vogelarten eine ausgesprochene Neigung inne, ihr Brutgebiet
dauernd zu vergrößern. Auch heute können wir solche Verschiebungen in
der Vogelwelt beobachten. So dehnt z. B. der Girlitz beständig sein
Wohngebiet nordwärts aus.

Der Girlitz, der ja nur eine geographische Rasse des wilden
Kanarienvogels ist und infolgedessen nach der ternären Nomenklatur
den Namen ~Serinus canaria serinus L.~ führt, war ursprünglich ein
Bewohner des subtropischen Klimas der Mittelmeerländer. Von hier
breitet er sich ständig nach Norden aus. Vor etwa 300 Jahren war er
bis Süddeutschland vorgedrungen und bereits bei Frankfurt a. M. ein
häufiger Brutvogel, wonach er damals „Frankfurter Vögelchen“ genannt
wurde. Heute ist er bereits in der Mark Brandenburg, in Pommern,
Schlesien und dem westlichen Polen eingewandert und in neuerer Zeit
sogar in Schweden festgestellt worden. Die Singdrossel, die zu Linnés
Zeiten in Skandinavien noch unbekannt war, singt ihr Lied bereits unter
dem 60. Grad nördl. Br. Ähnliche Beispiele ließen sich noch für viele
andere Vogelarten anführen.

Die Eiszeit mag nicht alle Vögel aus dem Norden verdrängt haben. Sie
war wohl kaum so unwirtlich, daß nicht einige Arten mit kräftiger
und widerstandsfähiger Natur in den kurzen Sommermonaten hier
ausharren konnten. Nur der Winter zwang sie, vorübergehend im Süden
ihren Aufenthalt zu nehmen. So entwickelte sich auch bei ihnen die
Eigenschaft des Ziehens unter der klimatischen Umwälzung der Eiszeit.

Alle Vögel, die auf der Suche nach einer geeigneten Winterherberge
eine unzweckmäßige Richtung einschlugen, gingen zugrunde, während
diejenigen Individuen, die in Gegenden gelangten, die von der Vereisung
unberührt geblieben waren, den Winter überstanden und im Sommer zum
Brüten in die Heimat zurückkehren konnten. So wurde im Laufe der Zeit
durch natürliche Zuchtwahl ein Vogelstamm herangezüchtet, bei dem der
Zug, und zwar der Zug in eine bestimmte Richtung, eine regelmäßige
Lebenserscheinung wurde, die sich allmählich zu einer erblichen Anlage
verankerte. Somit wäre der Vogelzug ein Beweis für die Erblichkeit
erworbener Eigenschaften, die bekanntlich von manchen Forschern in
Abrede gestellt wird. Daß die Zugbewegung heute bei vielen Vögeln
eine erbliche Veranlagung ist, läßt sich mit Sicherheit nachweisen.
Storch, Kuckuck, Wiedehopf, Pirol, Segler und andere Vögel verlassen
uns bereits im Hochsommer, im August, also zu einer Zeit, wo von einer
Temperaturabnahme oder Nahrungsmangel noch keine Rede ist. Es kann also
nur ein innerer, periodisch erwachender Trieb sein, der den Fortzug
veranlaßt. Ferner zeigen Nachtigall, Grasmücke, Würger und viele andere
Zugvögel in der Gefangenschaft sowohl im Frühjahr wie im Herbst eine
starke Unruhe, die den Vogel rastlos im Käfig umherflattern läßt. Es
ist der angeborene Zugtrieb, der in ihnen erwacht, und den sie durch
ihre Unruhe befriedigen müssen.

Bei anderen Vögeln, wie z. B. den nordischen Enten und Tauchern, kommt
der Zugtrieb weniger zur Geltung. Sie verlassen ihre Heimat erst dann,
wenn die Vereisung im Winter ihre Lebensbedingungen unterbindet. Ihre
Wanderungen sind also nur ein Ausweichen nach eisfreien Gebieten und
werden nicht durch einen inneren, angeborenen Trieb, sondern durch
äußere klimatische Einflüsse hervorgerufen.

[Sidenote: Tag- und Nachtwanderer]

Die Zugvögel wandern teils des Nachts, teils am Tage, viele Arten
sowohl in der Nacht wie am Tage. Ausgesprochene Tagwanderer sind
die meisten Raubvögel, die Raben und Störche, während Singvögel,
schnepfenartige Vögel und Regenpfeifer fast ausschließlich oder
vorwiegend die Nacht zu ihren Reisen wählen. In finsteren Nächten
werden die Vögel bei ihrem Fluge über die See durch den Lichtschein
der Leuchttürme angelockt. Mit rasender Gewalt fliegen sie gegen die
hellen Fenster des Leuchtfeuers und stoßen sich den Kopf ein. Hunderte
von Vogelleichen bedecken dann am folgenden Morgen den Erdboden in der
Umgebung der Leuchttürme. Leider ist es bisher noch nicht gelungen,
wirksame Abwehrmaßnahmen gegen diesen traurigen Vogelmord zu treffen.
Alle Versuche, die man gemacht hat, blieben erfolglos.

[Sidenote: Geselliger und einsamer Zug]

Viele Raubvögel, der Kuckuck, der Wiedehopf und andere Arten ziehen
einsam nach dem fernen Süden, andere Vögel vereinigen sich zu größeren
oder kleineren Scharen. Kraniche und Störche versammeln sich vor dem
Fortzug zu Hunderten und Tausenden an bestimmten Plätzen.

[Sidenote: Fluganordnungen auf dem Zuge]

Kraniche, Gänse, Enten, Schwäne, Regenpfeifer und andere Vögel bilden
auf dem Zuge einen Winkel oder Keil. Sie gruppieren sich in zwei
Linien, die sich vorn in einem spitzen oder stumpfen Winkel schneiden.
Die Vögel fliegen hierbei nicht hintereinander, sondern jeder Vogel
überragt seinen Vordermann nach außen. Es findet also eine seitliche
Staffelung statt. Man meint, daß die Keilform des Wanderfluges den
Vögeln die Überwindung des Luftwiderstandes erleichtert, indem der
von den Vögeln gebildete Keil, als aeromechanisch untrennbares
Ganzes aufgefaßt, wie ein Luftschiff die Luft durchschneidet.
Austernfischer, Brachvögel und Ibisse bilden auf dem Zuge keinen Keil,
sondern eine breite Front, indem die Vögel in einer breiten Linie
nebeneinander fliegen. Im Gegensatz zur Winkelform ist diese breite
Linie, als einheitliches Ganzes aufgefaßt, für die Überwindung des
Luftwiderstandes gerade ungünstig, denn ein breiter Körper überwindet
den Luftwiderstand schwerer als ein spitzer. Hier versagt also die für
den Winkelflug gegebene Erklärung. Infolgedessen sind andere Forscher
der Ansicht, daß man diese Fluganordnungen der Zugvögel nicht als ein
einheitliches Ganzes ansehen darf, sondern daß die Flugleistungen der
einzelnen Vögel in Betracht gezogen werden müssen. Jeder Vogel erzeugt
beim Fliegen einen aufwärtssteigenden Luftstrom, der dem Nebenmann
zugute kommen soll, da er sich der Fluggeschwindigkeit überlagert,
eine Abnahme des Fortbewegungswiderstandes hervorruft und somit eine
Verminderung der Flugarbeit zur Folge hat.

Dieser Vorteil des durch den Nebenvogel erzeugten aufwärtssteigenden
Luftstroms, der sich auf Grund der Prandtlschen Aeroplantheorie
nachweisen läßt, kommt in erster Linie bei der einreihigen Flugordnung
der Austernfischer, die dicht nebeneinander fliegen, zur Geltung.
Dagegen erscheint es recht zweifelhaft, ob dies auch für den Winkelflug
Gültigkeit hat. Hier sind die Vögel, die in den beiden benachbarten
Linien nebeneinander fliegen, so weit getrennt, daß die Wirkung der
Luftströme kaum noch zur Geltung kommen kann. Es ist daher recht
zweifelhaft, ob diese Erklärungen für die Flugordnungen der Zugvögel
das Richtige treffen.

Bei dem Winkelflug folgen sich die Vögel, die auf derselben Seite
fliegen, nicht auf Vordermann, sondern sie sind seitlich gestaffelt.
Hierdurch hat jeder Vogel die Front frei und ist infolgedessen davor
geschützt, auf seinen Vordermann aufzuprellen, wenn dieser die
Fluggeschwindigkeit verkürzt. Dasselbe ist in noch größerem Maße der
Fall beim Zuge in einer geraden Linie, wo jeder Vogel ein völlig freies
Gesichtsfeld hat. Wenn man also für die Erklärung der Flugformationen
von der aerodynamischen Wirkung absieht, so kann vielleicht diese rein
äußerliche Ursache für die Bildung der Flugformen von Bedeutung sein,
die die Vögel vor dem Zusammenstoß schützt.

Junge Enten folgen im Schwimmen auf dem Wasser ihrer Mutter meist
ebenfalls in Winkelform, oder sie bilden eine schräge Linie, wobei
ebenfalls eine Stafflung nach außen stattfindet. Die Stafflung hat
hier zweifellos den Zweck, das Gesichtsfeld der Vögel frei zu machen.
Diese suchen ihre Nahrung, die in Mückenlarven und Wasserinsekten
besteht, während des Schwimmens auf der Oberfläche des Wassers. Würden
nun die jungen Enten hintereinander schwimmen, so würde der vorderste
Vogel alle Nahrung fortschnappen, während die nachfolgenden Enten das
Nachsehen hätten. Hier ist also der Zweck der Winkelform oder der
schrägen Linie mit einer Stafflung nach außen völlig ersichtlich. Die
Formationen dienen hier lediglich dem freien Gesichtsfeld.

Nur wenige Vögel bilden auf dem Zuge derartige Flugordnungen. Die
meisten ziehen in großen, wolkenartigen Schwärmen, und trotzdem
herrscht hier eine bewundernswerte Disziplin. Da fliegt eine große
Schar nordischer Leinzeisige in dichtgedrängter Masse dahin. Wie auf
Kommando schwenken die Vögel plötzlich ab und führen die schärfsten
Wendungen aus, ohne daß ein Zusammenprallen erfolgt. Trotz der rasenden
Geschwindigkeit, die einem Eilzuge gleichkommt, macht jeder Vogel genau
in demselben Augenblick die gleiche Wendung, ohne daß unter den nach
Hunderten und Tausenden zählenden Vögeln eine Verwirrung entsteht,
ohne daß der Schwarm sich lockert oder auflöst. Da steht man vor einem
Rätsel, dessen Lösung noch völlig in Dunkel gehüllt ist. --

[Sidenote: Zugrichtungen]

Die Vogelberingung hat die Richtigkeit der schon von älteren
Ornithologen ausgesprochenen Vermutung, daß in Europa der Herbstzug
weniger nach Süden als nach Westen und Südwesten gerichtet ist,
vollauf bestätigt. Diese westliche Zugrichtung können wir als eine
nach dem milden Klima des Atlantischen Ozeans verlaufende Zugbewegung
ansehen. An der Festlandsküste verhindert dann das Weltmeer die
Fortsetzung des westlichen Fluges. Die Vögel biegen nach Süden ab,
um über Gibraltar Afrika zu erreichen. Die Vögel des nördlichen
Europa folgen auf ihrem westlichen Zuge mit Vorliebe den Küsten der
Ost- und Nordsee. Außer dieser „Westlichen Küstenstraße“, wie ich
dies Zuggebiet in meinen „Rätseln des Vogelzuges“ genannt habe[2],
lassen sich nach den Ergebnissen der Vogelberingung noch zwei andere
Zuggebiete in Europa erkennen, die von zahlreichen Vogelarten, Land-
wie Wasservögeln, auf ihrem Zuge durchflogen werden. Das eine Gebiet,
die „Italienisch-Spanische Zugstraße“, führt aus Osteuropa über
Oberitalien, den Löwengolf nach Spanien und Afrika, das zweite Gebiet,
die „Adriatisch-Tunesische Zugstraße“, bringt die beschwingten Wanderer
über die Adria, Sizilien nach Tunis. --

[Sidenote: Höhe des Zuges]

Um für die Beurteilung der sehr umstrittenen Frage nach der Höhe des
Vogelzuges zuverlässige Angaben zu erhalten, stellte ich im Jahre 1901
die Luftfahrt in den Dienst der Vogelzugforschung. In der mehr als
zwanzigjährigen Beobachtungszeit bestätigten die Angaben der Luftfahrer
immer wieder, daß die Zugvögel sich im allgemeinen nicht sehr hoch
über die Erdoberfläche erheben. Die Flughöhe übersteigt selten 400 ~m~
relativer Höhe. In nur wenigen Fällen, die als große Ausnahme gelten,
wurden Vögel in Höhen über 1000 ~m~ von den Luftfahrern beobachtet.
Die größte bisher festgestellte relative Flughöhe beträgt 2300 ~m~.
Hier traf ein Flieger eine Schar Schwalben an, die sich auf dem Zuge
befanden. Nach dem heutigen Stande der Wissenschaft müssen wir also
annehmen, daß die Vögel auf ihren Wanderungen keine sehr großen
Höhen aufsuchen. Die frühere Annahme, daß die Zugvögel in gewaltigen
Höhen, von 10000-12000 ~m~, wo sie der Wahrnehmung von der Erde aus
völlig entzogen sind, ihre Luftreisen ausführen, läßt sich nicht
aufrechterhalten. Sie ist um so weniger glaubwürdig, als wir heute
wissen, daß in diesen Höhen der Luftdruck so niedrig und die Kälte so
groß ist, daß ein längerer Aufenthalt der Vögel hier ganz unmöglich ist.

[Sidenote: Orientierung]

Hiermit sind jedoch die Fragen, die sich an das fesselnde und
rätselhafte Problem des Vogelzuges knüpfen, noch lange nicht erschöpft.
Hierzu gehören vor allem der Zusammenhang des Zuges mit der Witterung
und die Orientierung der Zugvögel. Über beide Fragen sind zahlreiche
Theorien aufgestellt worden, die jedoch einer strengen Kritik nicht
standzuhalten vermögen. Nach den neueren Beobachtungen scheint die
Zugbewegung, die in der Hauptsache auf einem angeborenen, periodisch im
Vogel selbst erwachenden Trieb beruht, wenig mit den meteorologischen
Verhältnissen zusammenzuhängen, und die Orientierung der Zugvögel
müssen wir wohl auf einen angeborenen Richtungssinn zurückführen, der
den Vogel ganz automatisch leitet. Wir werden uns mit der Frage nach
dem Orientierungsvermögen der Tiere später noch näher befassen.

Außer den regelmäßig wiederkehrenden Wanderungen der Zugvögel, die
durchaus gesetzmäßig verlaufen, unternehmen bisweilen ausgesprochene
Standvögel plötzlich große Wanderungen. Solche unregelmäßigen
Wanderungen wurden besonders vom sibirischen Tannenhäher und dem
asiatischen Steppenhuhn beobachtet.

Der sibirische Tannenhäher unterscheidet sich von dem gewöhnlichen
auch bei uns als Brutvogel auftretenden Tannenhäher durch einen
schlankeren, sehr viel dünneren Schnabel. Er hat daher in der modernen
ternären Nomenklatur den lateinischen Namen ~Nucifraga caryocatactes
macrorhynchos Brehm~ erhalten. Dank der systematischen Subtilforschung
sind wir jetzt imstande, bei vielen Tieren geographische Rassen
zu unterscheiden, die sich durch eine Abweichung in der Größe
und Färbung oder bei den Vögeln auch durch Unterschiede in der
Schnabel- und Fußbildung kennzeichnen. So hat z. B. der Kleiber in
Skandinavien und Nordrußland eine hellere, fast weiße Unterseite,
während der mitteleuropäische Kleiber unterwärts ockergelb gefärbt
ist. In der Mitte zwischen beiden Formen steht der Kleiber aus
Ostpreußen und Polen, dessen Unterseite rahmfarben gefärbt ist. Um
diese Unterschiede wissenschaftlich zum Ausdruck zu bringen, hat
man die ternäre Nomenklatur eingeführt. Die mitteleuropäische Form
heißt ~Sitta europaea caesia Wolf.~, die nördliche, helle Rasse
~Sitta europaea europaea L.~ und die ostpreußische Mittelform ~Sitta
europaea homeyeri Hart.~ Der ursprünglich von Linné gegebene Artname
„~europaea~“ wird beibehalten, zu dem ein neuer, dritter Name, der
die geographische Rasse bezeichnet, hinzugesetzt wird. Man spricht
dann in der Wissenschaft von einem „Formenkreis“, der in diesem Falle
„~Sitta europaea~“ heißt, und der die verschiedenen Unterarten oder
Rassen, die mit einem weiteren Namen gekennzeichnet werden, umschließt.
Durch die beiden Artnamen mit dem Gattungsnamen entstehen also im
ganzen drei Namen (ternäre Nomenklatur). Linné hat in seiner von
ihm eingeführten binären Nomenklatur den Kleiber „~Sitta europaea~“
genannt und hat hiermit zunächst den schwedischen Kleiber gemeint,
ohne gewußt zu haben, daß die Kleiber in anderen Gegenden sich von dem
schwedischen Kleiber unterscheiden. Um nun zum Ausdruck zu bringen, daß
der Linnésche Name „~Sitta europaea~“ sich nur auf den schwedischen
Kleiber bezieht, und um das Autorenrecht zu wahren, wird dieser Artname
zweimal wiederholt. Da nun in der neueren Systematik die Gattungsnamen
teilweise geändert werden mußten und manchmal ein früherer Artname zum
Gattungsnamen erhoben wurde, so entsteht in der ternären Nomenklatur
bisweilen die zwar unschöne, aber schwer zu vermeidende Wiederholung
von drei gleichen Namen. So heißt z. B. der europäische Uhu, den Linné
„~Strix bubo~“ nannte, nach der ternären Nomenklatur „~Bubo bubo
bubo~“, weil der ursprüngliche Artnamen „~bubo~“ ein Gattungsbegriff
geworden ist. Nach dem Prioritätsgesetz, das den Artnamen des ersten
Autors sichert, muß der Artname Linnés „~bubo~“ bestehen bleiben, und
er muß verdoppelt werden, um den von Linné beschriebenen europäischen
Uhu von andern geographischen Rassen, die in denselben Formenkreis
gehören, abzutrennen. --

[Sidenote: Wanderungen des Tannenhähers]

Der dünnschnäblige Tannenhäher lebt in Sibirien und dem nördlichen
Asien bis Korea und trägt ein braunes, mit großen weißen Tupfen
geziertes Federkleid. Seine Nahrung besteht hauptsächlich aus den
Sämereien der Nadelhölzer, besonders aus Zirbelnüssen, den Früchten
der Arven. In Jahren, wo die Arven nur wenig Nüsse tragen, leiden
die Tannenhäher in Sibirien unter Nahrungsmangel, sie verlassen dann
in großen Scharen ihre Heimat und wandern westwärts nach Europa,
wo sie in größeren oder kleineren Trupps umherschweifen. Außer in
Deutschland wurden auch schon in Frankreich, England und Skandinavien
derartige Einwanderungen des sibirischen Tannenhähers beobachtet. Die
letzte größere Tannenhäherinvasion erfolgte im Jahre 1917. Auf der
Kurischen Nehrung durch die Vogelwarte Rossitten beringte Tannenhäher
setzten ihre Reise nach Südwesten in das Innere Deutschlands und nach
Österreich fort.

[Sidenote: Wanderungen des Steppenhuhnes]

Ebensolche westlichen Wanderungen unternimmt zeitweise auch das
Steppenhuhn, welches die dürren Steppen Asiens bewohnt. Die größten
Einwanderungen fanden in den Jahren 1863 und 1888 statt, wo die
Steppenhühner zu Tausenden in Europa erschienen. Meist bildeten die
Vögel kleine Völker von etwa 20-40 Stück, doch wurden auch große
Scharen von 300-400 Vögeln angetroffen. Trotz einiger Brutversuche, die
die Steppenhühner in Deutschland, Holland und Großbritannien machten,
erfüllte sich die Hoffnung auf eine dauernde Einbürgerung der Vögel
nicht. Alle die großen Scharen, die in Europa einwanderten, gingen
hier im Laufe von 1-2 Jahren zugrunde. Den Vögeln fehlen offenbar als
Steppenbewohnern die geeigneten Lebensbedingungen. Um so mehr muß man
sich wundern, daß diese Wanderungen, die ebenso wie beim Tannenhäher
offenbar auf Nahrungsschwierigkeiten beruhen, immer wieder nach Westen
gerichtet sind, wo die Vögel in den kultivierten Ländern Europas keine
Existenzmöglichkeiten finden und dann elend zugrunde gehen. Sie wissen
den Rückweg in ihre Heimat anscheinend nicht wieder zu finden, denn
es sind niemals Rückwanderungen der Steppenhühner und Tannenhäher
beobachtet worden.

Die Wanderungen der europäischen und auch der asiatischen Zugvögel
sind vorwiegend nach Westen und Südwesten gerichtet, und auch die
unregelmäßigen Auswanderungen der Steppenhühner und Tannenhäher
erfolgen auffallenderweise nach Westen, obwohl in diesem Falle, wie
wir sahen, die westliche Richtung recht unzweckmäßig ist, da sie
den Vögeln, die der Nahrungssorge entgehen wollen, die Lage nicht
verbessert, sondern sie in den sicheren Tod führt. Auch die großen
Völkerwanderungen im Mittelalter waren stets nach Westen gerichtet,
und die Ausbreitung der Städte erfolgt bei uns meist auch nach Westen.
Der Drang nach dem Westen scheint bei Mensch und Tier stark ausgeprägt
zu sein. Sollte hier vielleicht ein innerer Zusammenhang bestehen,
dessen Ursachen uns noch unbekannt sind! Auffallend ist es, daß die
westliche Richtung aller dieser Wanderungen der Drehung der Erde,
die von West nach Ost erfolgt, entgegengerichtet ist. Vielleicht
ist ein unwillkürliches Empfinden, die Rotationsbewegung der Erde
zu kompensieren, die Veranlassung zu einer bevorzugten Bewegung in
entgegengesetzter Richtung nach Westen? --

Der Leser, der weniger mit der ornithologischen Systematik vertraut
ist, könnte durch den Namen „Steppenhuhn“ leicht in den Glauben
versetzt werden, daß es sich um einen hühnerartigen Vogel handelt. Dies
ist aber nicht der Fall. Das Steppenhuhn (~Syrrhaptes paradoxus~)
gehört zu den sogenannten Flughühnern, die mit den Scharrvögeln,
also den Hühnern, nichts zu tun haben. Die Flughühner bilden eine
Ordnung für sich, die sich den Tauben eng anschließt. Sie sind wie die
Tauben vorzügliche Flieger und haben im Gegensatz zu den Hühnern, die
kurze und runde Flügel besitzen, sehr spitze und lange Flügel. Die
sehr kleinen, meist nur dreizehigen Füße sind bis zu den Zehen dicht
befiedert. Die Zehen sind bis zur Spitze mit einer Haut verbunden, so
daß eine einheitliche Fußsohle entsteht, die das Einsinken im losen
Steppensand verhindert. Die Flughühner sind ausgezeichnete Flieger,
die auf der Nahrungssuche weite Strecken in der Steppe sehr schnell
durchmessen. Ihr Federkleid ist dem Erdboden des dürren Steppengebietes
vortrefflich angepaßt und auf sandfarbenem Grunde mehr oder weniger
dunkel gewellt und gefleckt. --

Der Einfall der Steppenhühner zu vielen Tausenden in Europa, die
Vereinigung von Kranichen, Störchen, Staren und vieler anderer Vögel zu
Hunderten und Tausenden auf dem Zuge, dies alles wurde weit übertroffen
durch die Massenwanderungen der Wandertaube, die noch bis zum Ende des
vorigen Jahrhunderts in Nordamerika lebte und eine der interessantesten
aller Vogelarten war. Sie ist wie so viele Tiere durch den Unverstand
des Menschen und durch seine blinde Vernichtungswut ausgerottet worden.
Die Wandertaube, eine große, blaugraue, langgeschwänzte Taube, durchzog
in gewaltigen Massen, deren Kopfzahl nicht nach Tausenden, sondern
nach Millionen und Milliarden zählte, das Land auf der Suche nach
Nahrung. Nach Angabe des amerikanischen Forschers Audubon erschienen
die Wandertauben bisweilen in solchen Mengen, daß die ganze Luft von
ihnen erfüllt war, die Sonne verdunkelt wurde und der Kot der Vögel
wie Schneeflocken herabrieselte. In den Wäldern, die die Tauben zur
Nachtruhe aufsuchten, brachen die Äste der Bäume unter der Last der
auf ihnen ruhenden Tiere, und der Waldboden wurde meilenweit mit
dem Kot der Vögel bedeckt. Die Fluggeschwindigkeit der Wandertauben
wurde von den Amerikanern auf eine englische Meile in einer Minute
geschätzt, also auf fast 100 ~km~ in der Stunde, was freilich für einen
länger anhaltenden Dauerflug eine gewaltige Leistung ist, falls diese
Angabe als zuverlässig betrachtet werden kann. Auf kürzere Strecken
entwickeln freilich manche Vögel erstaunliche Flugleistungen. Die
besten Flieger, Albatros und Stachelschwanzsegler, sollen imstande
sein, eine Fluggeschwindigkeit von 40-44 ~m~/~sek.~ zu entfalten,
also zwei englische Meilen in 36-42 Sekunden zurückzulegen. Diese
Fluggeschwindigkeit, die die Vögel freilich nur auf kurze Strecken und
nicht auf der Wanderung ausführen, würde also die Fluggeschwindigkeit
der Brieftaube um mehr als das Doppelte übertreffen.

[Sidenote: Wandertaube]

Überall, wo die Wandertauben erschienen, wurden sie rücksichtslos von
den Menschen verfolgt. Man schoß und fing sie zur eigenen Nahrung, man
metzelte sie schonungslos nieder, um die Schweine damit zu mästen, die
von allen Seiten zu Hunderten herbeigetrieben wurden. Gegen Ende der
sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts nahmen die Wandertauben ab,
und seit den neunziger Jahren fehlt jede Kunde von diesen eigenartigen
Vögeln, die der Vernichtungswut des Menschen zum Opfer gefallen sind.
Falls sich nicht im Innern Nordamerikas noch einzelne Überreste
erhalten haben, die den Bestand allmählich wieder vergrößern, muß diese
Vogelart leider als ausgestorben betrachtet werden.

[Sidenote: Karolinasittich]

Eine andere Vogelart Nordamerikas, der Karolinasittich, der einzige
in den Vereinigten Staaten vorkommende Papagei, ist ebenfalls in der
zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts durch den Menschen ausgerottet
worden. Die gelb und rot gefärbten Köpfe dieses schönen Sittichs
wurden ein begehrter Hutschmuck der Damenwelt. Die Mode schlachtete
die Sittiche zu Tausenden und aber Tausenden hin, bis sie schließlich
ausgerottet wurden, womit Nordamerika eine weitere Vogelart verlor, die
dem Lande ein so besonderes, charakteristisches Gepräge gab.

[Sidenote: Wanderungen des Bisons]

Zu Wandertaube und Karolinasittich gesellt sich noch ein drittes Tier
Amerikas, das, wenn auch nicht völlig, so doch zum größten Teil der
Gewinnsucht und Habgier des Menschen zum Opfer gefallen ist. Es ist der
amerikanische Bison (Abbildung 11), der einst in unzählbaren Herden, zu
vielen Millionen den nördlichen Teil der Neuen Welt bewohnte. Mit der
fortschreitenden Kultivierung Amerikas wurde der Bison allmählich in
die im Innern liegenden Steppengebiete zurückgedrängt.

Die Union-Pazifik-Bahn teilte das Verbreitungsgebiet der Bisons
in zwei Teile, einen nördlichen und einen südlichen. Da dank der
Eisenbahn die Bisongebiete so leicht und bequem zu erreichen waren,
bildeten sich zahlreiche Jagdgesellschaften, um den Abschuß im großen
Maßstabe ins Werk zu setzen und aus der Verwertung des Fleisches und
der Felle Gewinn zu ziehen. Der Abschuß oder, richtiger gesagt, die
Schlächterei der harmlosen und schwerfälligen Tiere war keine Kunst und
erforderte keine hohe weidmännische Begabung. Einzelne Schießer, den
Ausdruck „Jäger“ für diese empörenden Massenschlächter zu gebrauchen,
widerstrebt unserem weidmännischen Empfinden, brachten auf einem
Jagdausfluge nicht weniger als 1000, ja bis 3000 Bisons zur Strecke.
Ein gewisser A. Andrews soll nach amerikanischer Mitteilung innerhalb
einer Stunde 63 Bisons niedergeschossen haben. Seine unrühmliche
Handlungsweise wird aber nach einer Mitteilung des Amerikaners Dodge
noch von einem anderen Schützen übertroffen, der es fertigbrachte, in
¾ Stunden in einem Umkreis von nur 400 ~m~ 112 Bisons abzuschlachten.
Nur mit Ekel und Verachtung kann man sich von einem solchen Treiben
abwenden!

Infolge dieser törichten und sinnlosen Schießerei wurde der Bestand
der Bisons, so gewaltig er auch war, in kurzer Zeit aufgerieben.
Mit Eröffnung der Union-Pazifik-Bahn im Jahre 1869 begann die
Massenschlächterei der Bisons. 1871 wurde die Anzahl der südlich der
Bahn lebenden Tiere noch auf 3 Millionen veranschlagt, nach 4 Jahren
waren von dieser stattlichen Herde nur noch wenige, kümmerliche
Überreste vorhanden. Nicht anders erging es der nördlichen Herde, die
in 3 Jahren so gut wie ausgerottet war. Es ist völlig unbegreiflich
und unverständlich, daß die amerikanische Regierung diesem ruchlosen,
wahnsinnigen Treiben habgieriger Schießer zusah, ohne rechtzeitig
einzugreifen und den Leuten ihr schmachvolles Handwerk zu legen. Erst
nachdem das Werk vollbracht war und der Bison so gut wie ausgerottet
ward, versuchte man in zwölfter Stunde noch das Rettungswerk. So waren
die einst nach Millionen zählenden Bisons innerhalb weniger Jahre bis
auf etwa 800 Stück zusammengeschmolzen.

Außer im Yellowstone-Park und im Schutzpark von Alberta hat man noch
verschiedene Reservate eingerichtet, wo der Bison völligen Schutz
genießt. So hat der Bestand sich in letzter Zeit wieder etwas gehoben,
ohne jedoch auch nur im entferntesten an jenen der früheren Zeiten zu
erinnern.

Solange die Bisons noch ungestört lebten, unternahmen sie zweimal
jährlich große Wanderungen. Sie wanderten zum Winter südwärts und
kehrten zum Frühjahr wieder nach dem Norden zurück. Es waren also
regelmäßige Züge, ähnlich wie die Wanderungen der Zugvögel. Die Bisons
aus Kanada sollen ihre Reisen bis zum mexikanischen Golf ausgedehnt
haben. Auf diesen Wanderungen vereinigten sich die Bisons zu gewaltigen
Scharen. Reisende berichteten, daß sie eine volle Woche hindurch
unaufhörlich mit ihrer Karawane neben wandernden Bisonherden hergezogen
sind.

[Sidenote: Bison, Wisent und Auerochse]

Zwei dem Bison nahverwandte Wildrinder sind der europäische Ur- oder
Auerochse und der Wisent. Auerochse und Wisent, die der Laie häufig
für dieselben Tiere hält, waren zwei ganz verschiedene Arten, die in
früherer Zeit nebeneinander in Europa gelebt haben. Der Auerochse war
ein geradrückiges Rind mit sehr langen nach vorn und aufwärts gebogenen
Hörnern, das unserem heutigen Rindvieh sehr ähnlich sah. Der bedeutend
massigere Wisent, der den Ur bis auf den heutigen Tag überlebt hat, ist
durch einen kurzen Hals und hochgewölbten Rücken gekennzeichnet. Sein
Fell besteht aus langen, etwas gekräuselten Grannenhaaren und einem
darunter stehenden dichten Wollpelz. Die Hörner sind nicht wie beim
Ur nach vorn, sondern seitwärts herausgebogen und bedeutend kürzer.
Der Unterschied zwischen Auerochse und Wisent ist so groß und so
auffallend, daß man beide Tiere als völlig verschiedene Arten ansehen
muß, die nichts miteinander zu tun haben. Dagegen haben Wisent und
Bison viel Ähnlichkeit miteinander. Ebenso wie der Wisent trägt auch
der Bison einen dichten Pelz und kurze, seitwärts gebogene Hörner. Aber
das Wuchtige und Massige der Erscheinung kommt beim Bison noch mehr
zur Geltung. Der Kopf ist unverhältnismäßig groß und sehr breit, der
Widerrist noch höher als beim Wisent. Überhaupt fällt beim Bison der
mächtige Brustteil im Gegensatz zu dem schmächtigeren Hinterteil des
Körpers sehr auf, während der Wisent mehr eine gewisse Ausgeglichenheit
in den Formen zeigt. Auch in der Körpergröße übertrifft der Bison
den Wisent ganz erheblich. Der Wisent erreicht ein Körpergewicht bis
höchstens 700 ~kg~, der Bison dagegen bis zu 1000 ~kg~. --

Nach den Untersuchungen +Nehrings+ hat der Auerochse noch bis zum 15.
Jahrhundert an einigen Stellen in Europa in freier Wildbahn gelebt.
Im 16. und 17. Jahrhundert wurden noch wenige Stücke in eingehegten
Revieren gehalten, von denen 1627 das letzte Tier starb, womit der
Auerochse, an den sich soviel Sagen des alten Germanentums knüpfen,
verschwunden war. Der Auerochse ist als der Stammvater unseres
Hausrindes anzusehen. Der Ausgangspunkt der Zähmung des Urs liegt
in Mesopotamien und Ägypten, wo er als heiliges Wesen galt. Aus dem
religiösen Rinderkultus entwickelte sich allmählich die Überführung des
Rindes in den Hausstand des Menschen und seine Verwendung als Nutztier.
Wir dürfen also unsere heutigen Hausrinder als die Nachkommen des
Auerochsen ansehen.

Besser als dem Ur erging es dem Wisent, der sich bis auf den heutigen
Tag, freilich nur in wenigen Überresten, erhalten hat. Im Altertum
sehr zahlreich über ganz Europa verbreitet, lebte der Wisent hier noch
in einzelnen Gegenden bis in das 18. Jahrhundert. In der Mitte des
14. Jahrhunderts kam der Wisent noch in Pommern vor, und selbst im
18. Jahrhundert gab es noch einige Wisente in Ostpreußen. Der letzte
deutsche Wisent in freier Wildbahn wurde bei Tilsit im Jahre 1755 von
einem Wilderer erlegt. Hundert Jahr länger erhielt sich der Wisent in
Ungarn, wo er bis zum Ende des 18. Jahrhunderts noch in Siebenbürgen,
im Rodnaer und im Keleman-Gebirge vorkam.

Für den Weidmann bildete die Erlegung eines Wisents, dieses tapferen
und wehrhaften Wildes, seit den ältesten Zeiten die Krone der Jagd.
Die alten Germanen und die Ritter des Mittelalters gingen im mutigen
Kampfe mit dem Speer dem Wisent zu Leibe. Die Erlegung eines Wisents im
tapferen Zweikampf erfüllte den Jäger mit Ruhm und Stolz. Als später
nach der Erfindung der Feuerwaffe der Bestand der Wisente erheblich
verringert war, wurde die Jagd auf den Wisent ein Vorrecht gekrönter
Häupter, die das begehrte Wild in besonderen Revieren hegten und
große Treibjagden veranstalteten. Besonders die Könige von Polen und
die Zaren des Russischen Reiches widmeten sich mit größtem Eifer der
Wisentjagd. So blieb diesem edlen Wilde in Polen und in Rußland eine
Zufluchtsstätte erhalten, wo es dank der weidmännischen Bestrebungen
der Herrscher mit Verständnis gehegt wurde. Der Wald von Bialowies und
der Kaukasus waren diese ehrwürdigen Stätten, wo die letzten Reste
des Wisents als Zeugen herrlicher, verklungener Zeiten ihr Leben
fristeten. Leider muß man sagen „waren“, denn heute sind sie nicht
mehr. Der sinnlosen Wut und dem blöden Unverständnis des russischen
Bolschewismus mußten diese herrlichen Naturdenkmäler zum Opfer fallen.
Die Rätetruppen haben die Wisente schonungs- und erbarmungslos
niedergeknallt. Hat man doch in Rußland Treibjagden auf Wisente mit
Maschinengewehren unter Aufbietung ganzer Regimenter der roten Garde
als Schützen und Treiber abgehalten. So haust der Bolschewismus, der
im Kleide des Kommunisten und Spartakisten auch an unsere Tür klopft.
Darum, deutsche Jugend, sei auf der Hut vor diesem alle Kulturwerte
zerstörenden Wahnwitz menschlichen Geistes!

[Sidenote: Maßnahmen zur Erhaltung des Wisents in Europa]

Außer in den russischen Jagdgehegen wurden noch in den europäischen
Zoologischen Gärten und in einem Wildpark des Fürsten Pleß Wisente
gehalten, die sich regelmäßig fortpflanzten und so einen dauernden
Bestand bildeten. Die Not des Krieges hat auch hier aufgeräumt, so
daß die Anzahl sehr zusammengeschmolzen ist. Der Wisentpark im
Pleßschen Revier ist leider auch ein Opfer der Revolution geworden.
Die letzte Stunde des gewaltigsten europäischen Naturdenkmals begann
zu schlagen. Da ertönte der Ruf edel denkender Männer: „Wisent in Not,
in allerhöchster Not.“ Unter Führung des Direktors des Zoologischen
Gartens der Stadt Frankfurt a. M., ~Dr.~ +Priemel+, taten sich
zahlreiche Männer zusammen, um den Wisent vor dem Untergange zu retten
und begründeten im Jahre 1923 die „Gesellschaft zur Erhaltung des
Wisents“. Die letzten Reste des edlen Wildrindes sollen gesammelt
und zur weiteren Zucht zunächst in einem geeigneten, größeren Gehege
untergebracht werden, das +Graf Arnim+ in Boitzenburg in der Uckermark
in hochherziger Weise zur Verfügung gestellt hat. Ist der Bestand
genügend herangewachsen, dann wird eine Aussetzung des Wildes in einem
der größeren Staatsforsten in Ostpreußen geplant. Möge das edle Werk
durch vollen Erfolg gekrönt sein! --

Ebenso wie in Europa war der Wisent auch in Asien in früheren Zeiten
weit verbreitet, wo er jedoch bis auf ein kleines Rückzugszentrum im
Innern von Persien ebenfalls völlig verschwunden ist. Aber auch hier
sind die Tage des Wisents gezählt, der in Persien nicht den geringsten
Jagdschutz genießt. Die „Gesellschaft zur Erhaltung des Wisents“ plant
daher, einige Wisente aus Persien zu überführen zur Blutauffrischung
des hiesigen Bestandes, den die Gefahren der Inzucht allzusehr bedrohen.

So wird es hoffentlich gelingen, eins der wertvollsten Naturdenkmäler
aus der Tierwelt vor dem Untergang zu bewahren. --

[Sidenote: Rentier]

Ebenso wie der Bison unternimmt auch das Rentier in Sibirien und
Nordamerika regelmäßige, große Wanderungen (Abbildung 12). Im Herbst
verlassen die Rentiere die baumlosen Niederungen und suchen in den
Wäldern Schutz vor den Unbilden des Winters, um dann im Mai wieder in
die Steppe zurückzuwandern. Bei diesen Wanderungen werden gewaltige
Strecken von mehr als 100 geographischen Meilen zurückgelegt, wobei
sich die Rentiere zu großen Herden vereinigen. Da bei den Rentieren
nicht wie bei den anderen Hirscharten nur die männlichen Tiere, sondern
auch die Kühe Geweihe tragen, so gleicht eine in dichtgedrängter Masse
wandernde Rentierherde mit den Geweihen einem wandelnden Wald.

Das erste dicht über der Stirn hervorsprießende Ende am Geweih wird in
der Weidmannssprache „Augsprosse“ genannt. Sie ist beim Rothirsch die
Hauptwaffe für den Kampf, und jene Hirsche, bei denen die Augsprossen
besonders lang sind und sich nicht nach oben biegen, sondern wagerecht
nach vorn stehen, sind die gefährlichsten Gegner. Sind zugleich die
übrigen Enden des Geweihs nur schwach oder gar nicht entwickelt, dann
ist die Gefährlichkeit der starken Augsprosse noch größer. Solche
Hirsche forkeln im Zweikampf jeden anderen Hirsch, auch wenn er stärker
ist, mit den wie Dolche wirkenden Augsprossen zu Tode. Der Jäger nennt
sie daher „Schadhirsche“, weil sie unter dem Wildstand argen Schaden
anrichten.

Bei dem Rentier ist die Augsprosse auch stark entwickelt, aber sie
trägt vorn eine breite Schaufel, die zwar keine gefährliche Waffe ist,
aber ein sehr praktisches Gerät, um im Winter auf der Nahrungssuche
den tiefen Schnee fortzuschaufeln. Für das Rentier ist also das Geweih
notwendiger als für andere Hirscharten, da es eine praktische Bedeutung
hat. Dies mag wohl der Grund sein, weshalb nicht nur die Hirsche,
sondern auch die Kühe ein Geweih tragen. --

In Lappland ist das Rentier seit langen Zeiten zum Haustier geworden
(Abbildung 13). Es vertritt dort unser Rindvieh. Sein Wildbret dient
den Lappen zur Nahrung, die Decke wird zu Kleidungsstücken und Leder
verarbeitet, aus den Knochen werden Geräte hergestellt. Das gezähmte
Rentier unterscheidet sich von dem wilden durch seine etwas schwächere
Gestalt und das Auftreten von weißen und weißgescheckten Tieren.
Die weiße Farbe beruht jedoch nicht auf Albinismus, sondern ist das
sogenannte domestizierende Weiß, was bei allen Haustieren vorkommt.
Infolgedessen haben weiße Haustiere auch keine roten Augen, die nur
für den Albinismus charakteristisch sind. Den Albinos fehlt jegliches
Pigment, infolgedessen auch das Pigment in der Iris, die durchsichtig
ist und das rote Blut durchscheinen läßt.

Wohlhabende Lappländer besitzen Rentierherden von mehreren tausend
Stücken. Die Einbürgerung des Rentiers als Haustier läßt sich bis in
das 9. Jahrhundert verfolgen, wahrscheinlich ist sie aber noch viel
älter.

[Sidenote: Moschusochse]

Ebenso wie das Rentier unternimmt auch der Moschusochse, der das
Polargebiet von Nordamerika bewohnt, im Winter große Wanderungen, die
das Tier jedoch aus dem arktischen Gebiet nicht hinausführen, sondern
nur der Nahrungssuche dienen. Haben sie an einer Stelle die unter der
hohen Schneedecke verborgene kümmerliche Äsung aufgezehrt, dann wandern
die Moschusochsen weiter und legen hierbei häufig große Strecken in
dem weiten Gebiet der Arktis zurück. Der Weg führt über das Eis des
zugefrorenen Meeres von Insel zu Insel. Entsprechend des Aufenthalts
in einem kalten Klima ist der Moschusochse mit einem langhaarigen Pelz
bekleidet, der eine dichte Unterwolle trägt. Trotz der scheinbaren
plumpen Gestalt sind die Tiere sehr beweglich. Sie laufen schnell und
gewandt und erklettern ebenso geschickt wie Ziegen und Gemsen hohe
und steile Felsen und führen sogar an schroffen Felswänden im losen
Steingeröll die sichersten Sprünge aus.

[Sidenote: Wanderungen der Lemminge]

Während Bison, Rentier und Moschusochse regelmäßige Wanderungen
ausführen, die mit den Lebensbedingungen dieser Tiere in engster
Verbindung stehen, werden andere Säugetiere nur zeitweise von einem
Wandertrieb erfaßt, der an keine bestimmte Jahreszeit gebunden ist
und ebenso wie die Wanderungen des sibirischen Tannenhähers und
des Steppenhuhns sich in ganz unregelmäßigen Abständen wiederholt.
So unternimmt z. B. der im arktischen Europa und Asien beheimatete
Lemming, ein kleines nur 15 ~cm~ langes, gelb und schwarz geflecktes
Nagetier, zeitweise große Wanderungen, bei denen sich die Tiere meist
nur zu kleineren Scharen von höchstens 100 Stück vereinigen und nur
ausnahmsweise große Gesellschaften, die nach Hunderten zählen, bilden.
Die Tiere drängen sich auf ihren Wanderungen nicht dicht zusammen,
sondern halten größere Abstände voneinander. Jedes Tier sucht sich
seinen eigenen Weg. Die Wanderungen bewegen sich in der Regel aus dem
Gebirge nach der Ebene, und da die Tiere sich hierbei die gangbarsten
Stellen aussuchen, so gibt es in manchen Gegenden ganz bestimmte Pfade,
die die Lemminge immer wieder benutzen. Ebenso wie beim Vogelzuge
kann man auch bei den Wanderungen der Lemminge von „Zugstraßen“
sprechen. Bestimmte Himmelsrichtungen werden jedoch von den wandernden
Lemmingen nicht innegehalten, sondern die Richtung der Zugbewegung
hängt lediglich von der Richtung der von den Gebirgskämmen in die Ebene
führenden Pfade ab. In der Regel verlassen nicht alle Lemminge ihre
Heimat, sondern immer nur ein Teil ihres Bestandes, und zwar meist die
Männchen. Es scheint also das Wandern der Lemminge mit dem Sexualleben
in Verbindung zu stehen. Die überzähligen Männchen wandern aus, um
in anderen Gegenden auf die Suche nach einer Frau auszugehen. Den
Massenwanderungen der Lemminge geht stets eine übergroße Vermehrung
der sehr fruchtbaren Tiere voraus, die eine Übervölkerung hervorruft.
Die Übervölkerung führt naturgemäß zu einer Ausbreitung, die die
Tiere allmählich in Regionen bringt, die ihnen weniger zusagen. Das
Gefühl der Unbehaglichkeit ergreift sie und weckt das Bestreben,
geeignetere Gegenden aufzusuchen, die bessere Lebensbedingungen bieten,
woraus dann der Wandertrieb entsteht. So mag neben dem unbefriedigten
Fortpflanzungstrieb der Männchen, deren Zahl bei starker Vermehrung
vielleicht unverhältnismäßig groß ist, auch die Übervölkerung und der
Trieb zur Ausbreitung die Ursache der Wanderungen sein. --

Alle Tiere, welche wie die Zugvögel, der Wisent und das Rentier
regelmäßig wandern, kehren stets in ihre Heimat zurück. Die Tiere aber,
die sich nur ausnahmsweise und in ganz unregelmäßigen Abständen auf
die Wanderschaft begeben, kehren fast niemals zur alten Wohnstätte
zurück, sondern gehen auf der Reise, die eine regelrechte Auswanderung
ist, meist zugrunde. Dies ist beim Tannenhäher, dem Steppenhuhn und
auch beim Lemming der Fall. Nur sehr selten sind Rückwanderungen von
Lemmingen beobachtet worden. Die wandernden Tiere werden in der Regel
von Seuchen befallen, die sie völlig aufreiben, oder gelangen in
Gegenden, die ihren Lebensbedingungen nicht entsprechen, und sterben
des Hungertodes. Den wandernden Lemmingscharen folgen mit Vorliebe
die Raubvögel, besonders Schnee-Eule und Rauhfußbussard, um sich den
durch die Natur reichgedeckten Tisch nicht entgehen zu lassen. So
werden durch die Wanderzüge eines Tieres auch andere Tiere zum Wandern
veranlaßt. --

[Sidenote: Wanderungen der Eichhörnchen]

Übervölkerung und Nahrungsmangel treiben mitunter auch das Eichhörnchen
auf die Wanderschaft. Besonders in Sibirien sind Massenwanderungen von
Eichhörnchen keine seltene Erscheinung. Wenn auch die Eichhörnchen
meist nur in kleineren Trupps wandern, so kommen hin und wieder
auch größere Massenvereinigungen vor, die Hunderte, ja Tausende von
Tieren zusammenscharen. Diese lassen sich bei ihren Wanderungen durch
keine Hindernisse aufhalten, dringen in Ortschaften ein, übersteigen
hohe Gebirgszüge und durchschwimmen sogar reißende Flüsse, wie den
breiten Jenissei. Ebenso wie die Lemminge sind auch die wandernden
Eichhörnchen dem Tode preisgegeben. Auch bei uns in Deutschland wurden
schon Wanderzüge von Eichhörnchen beobachtet. Im Jahre 1907 durchzog
eine große Schar Eichhörnchen den Harz und tat in den Kulturen der
Nadelbäume bedeutenden Schaden. Der Durchzug währte jedoch nur wenige
Tage.

[Sidenote: Wanderungen der Ratten]

Ein berüchtigtes und mit Recht gefürchtetes Wandertier ist die
Wanderratte. Ursprünglich in China beheimatet, hat sie sich von hier
aus über ganz Asien verbreitet und gelangte auch nach Europa. Außerdem
wurde sie durch Schiffe nach Europa verschleppt und kam auf diese Weise
auch nach Amerika. Überall, wo die Wanderratte unfreiwillig durch
den Schiffsverkehr eingeführt wurde, hat sie sich eingebürgert und
schnell weiter ausgebreitet. Dank ihrer großen Fruchtbarkeit ist die
Vermehrung eine überaus schnelle, so daß an Orten, wo sie ungestört
ist, sehr bald eine gewaltige Rattenplage eintritt. Die dem Tiere
innewohnende rege Wanderlust, die wohl hauptsächlich eine Folge der
durch die starke Vermehrung verursachten Übervölkerung ist, treibt
die Wanderratten auf die Reise, um neue Ansiedlungsmöglichkeiten zu
suchen. Auf ihren Wanderzügen rotten sich die Tiere zu Hunderten und
Tausenden zusammen und scheuen sich nicht, breite Ströme, ja sogar
Meeresteile zu überschwimmen. So erschien im Jahre 1846 auf einer
Insel im Kleinen Belt eine große Rattenschar, die nur über das Meer
dorthin gelangt sein konnte. Da die Ratte als Allesfresser überall
geeignete Lebensbedingungen findet, gehen die wandernden Scharen nicht
zugrunde, wie es beim Lemming, dem Tannenhäher und dem Steppenhuhn
der Fall ist, sondern sie gründen sich ein neues Heim, indem sich die
Schar allmählich auflöst und verteilt. Bald wimmelt es an der neuen
Wohnstätte wieder von Ratten, und eine Übervölkerung setzt abermals
einen Wanderzug in Bewegung. So erfolgt die Ausbreitung ungeheuer
schnell. Die Wanderratte hat die Hausratte, von der sie sich durch
bedeutendere Größe und die rein weiße Unterseite unterscheidet,
fast ganz verdrängt, so daß die Hausratte jetzt geradezu ein
seltenes Tier geworden ist, das nur noch an wenigen Stellen neben
der Wanderratte auftritt. Neben der Färbung, die bei nicht selten
vorkommenden melanistischen Wanderratten der gleichmäßig grauschwarzen
Farbe der Hausratte ähnlich ist, ist der Schwanz ein sicheres
Unterscheidungsmerkmal beider Arten. Die Hausratte hat einen sehr
langen Schwanz, der aus 260-270 Ringen besteht, die Wanderratte dagegen
einen verhältnismäßig kürzeren Schwanz von nur 210 Ringen.

[Sidenote: Wanderungen der Mäuse]

Ähnlich wie bei der Wanderratte kommen auch bei der Feldmaus bisweilen
Auswanderungen vor, wenn durch übergroße Vermehrung der Bestand ein
zu zahlreicher geworden ist. Die wandernden Feldmäuse bewegen sich
in langer, dünner Linie, die einzelnen Tiere dicht zusammengedrängt,
vorwärts und gleichen von weitem einer kriechenden, großen Schlange.
Die wandernden Mäuse fallen bisweilen auch in Waldungen ein, wo sie in
den jungen Kulturen großen Schaden anrichten können. Die Wanderungen
der Feldmaus finden im allgemeinen selten statt und bilden daher im
Gegensatz zu den Wanderzügen der Lemminge und Wanderratten nur eine
Ausnahmeerscheinung.

[Sidenote: Wanderungen des Aals und Lachses]

Gesetzmäßige und regelmäßig wiederkehrende Wanderungen vollführen die
Fische. Der Lachs zieht zum Laichen aus dem Meere nach den Flüssen,
während umgekehrt der Aal zur Fortpflanzung aus den Flüssen in das
Meer wandert. Ebenso wie die Zugvögel immer wieder ihre ursprüngliche
Heimat, in der sie selbst das Licht der Welt erblickt haben, zum Brüten
aufsuchen, begeben sich auch die Lachse zum Laichen stets dorthin, wo
sie geboren sind. Die Lachse, welche aus der Weser stammen, kehren
zur Fortpflanzungszeit stets in die Weser zurück, die Lachse aus dem
Rhein immer wieder nach dem Rhein. Ja sogar die Nebenflüsse, wie Aar,
Mosel und Lahn, sollen von den Fischen ihrer Herkunft entsprechend
zum Laichgeschäft aufgesucht werden, wie man durch Markierung junger
Lachse mit kupfernen Ringen, die in den Flossen befestigt wurden,
festgestellt hat. Auf der Wanderung, die je nach dem Alter der Fische
und der Örtlichkeit ihrer Herkunft zu verschiedenen Jahreszeiten
stattfindet, lassen sich die Lachse durch keine Hindernisse aufhalten.
Sie überwinden Stromschnellen, nicht zu hohe Wasserfälle und Wehren
mit großer Gewandtheit und Leichtigkeit, da sie, wie alle Salmoniden,
vorzügliche Springer sind und sich mehrere Meter in die Höhe schnellen
können. Auf ihren Flußwanderungen legen die Lachse täglich etwa
40 ~km~ zurück. Die Männchen, welche harte Fehden in Sachen der
Liebe ausführen, werden im 2., die Weibchen erst im 3. Lebensjahre
fortpflanzungsfähig.

Im Gegensatz zum Lachs, der ein Meeresbewohner ist, wandert der Aal
als Süßwasserfisch umgekehrt aus den Flüssen ins Meer. Der Laichplatz
des Aals liegt mitten im Atlantischen Ozean zwischen dem 25. und
45. Grad nördl. Br., in einer Tiefe von ~ca.~ 1000 ~m~. Dem noch
unbekannten Laich des Aals, den man bisher noch nicht gefunden hat,
entschlüpfen die Aallarven. Sie haben die Gestalt eines Weidenblattes
und halten sich anfangs in größeren Meerestiefen auf. Innerhalb von
1-2 Jahren wachsen sie unter dauernder Umwandlung zu kleinen, 6-8
~cm~ langen Fischchen heran und erhalten allmählich die Aalgestalt.
Jetzt beginnt die Wanderung der jungen Aale, die einen farblosen,
durchsichtigen Körper haben und Glasaale genannt werden. Sie sammeln
sich in großen Scharen an den Flußmündungen und steigen die Flüsse
hinauf, um fortan ihr Leben in den Flußgebieten und den mit ihnen
zusammenhängenden Binnengewässern zu führen. In dichtgedrängter
Masse wälzt sich der Strom der jungen Aale dahin. Große Hindernisse,
wie steile Wasserfälle und hohe Wehren, werden von den Fischchen
überwunden. Selbst der Rheinfall bei Schaffhausen und der Rhonefall
vermögen nicht die wandernden Jungaale aufzuhalten. Tausende, ja
Millionen Fische finden hierbei ihren Tod, und ihre Leiber dienen den
Überlebenden als Stützpunkte beim Überwinden des Hindernisses. Der
Schwarm löst sich allmählich auf, und die jungen Aale zerstreuen sich
in den Flußgebieten. Nach 5-8 Jahren werden die Männchen, nach 7-9
Jahren die Weibchen geschlechtsreif, und nun beginnt die Rückwanderung
ins Meer, um den Laichplatz im Atlantischen Ozean aufzusuchen. Wie bei
vielen Insekten, so scheint auch beim Aal die Fortpflanzung den Tod
herbeizuführen. Man hat noch niemals die Rückwanderung der Laichaale
vom Meer in die Flüsse beobachtet. Sie scheinen also die Liebe mit dem
Tode zu besiegeln. Hierfür spricht auch die eigenartige Erscheinung,
daß zugleich mit der Entwicklung der Keimdrüsen die Verdauungsorgane
einschrumpfen und die Ernährung aufhört. Die fortpflanzungsfähigen
Fische sind dem Hungertode preisgegeben, den sie selbst wohl nicht
fühlen mögen, da Magen und Därme außer Tätigkeit treten. Die Umwandlung
des Aals zum fortpflanzungsfähigen Tier dauert ungefähr 3-4 Monate und
macht sich auch äußerlich bemerkbar. Der Kopf wird spitzer, die Augen
treten mehr heraus, der Körper wird trotz der unterbrochenen Ernährung
straffer, und die Haut erhält einen schönen metallischen Glanz. Der Aal
heißt jetzt „Blankaal“ im Gegensatz zum noch nicht geschlechtsreifen,
helleren „Gelbaal“. In der Entwicklung des Aals lassen sich also 4
verschiedene Stadien unterscheiden: Aallarve, Glasaal, Gelbaal und
Blankaal.

Über die Fortpflanzungsgeschichte des Aals sind wir erst seit
1895 unterrichtet. Wohl kannte man schon lange die merkwürdigen,
blattartigen Fischchen des Atlantischen Ozeans, aber man ahnte nicht,
daß dies die Larven des Aals waren. Diese Entdeckung machten 1895
die italienischen Gelehrten +Grassi+ und +Calandruccio+. Spätere
Forschungen dänischer und norwegischer Gelehrten klärten uns dann
darüber auf, daß der Laichplatz des Aals in den Tiefen des Atlantischen
Ozeans liegt. Man hat noch unter dem 53. Grad westlicher Länge
Aallarven im Ozean gefunden. Der Laichplatz des europäischen Flußaals
liegt also näher nach Amerika als nach Europa hin. Bei der weiten
Wanderung ins Meer legt der Aal täglich nicht mehr als etwa 15 ~km~
zurück und braucht somit etwa ¾ Jahr, bis er seinen Laichplatz erreicht.

[Sidenote: Wanderungen der Schollen und anderer Flachfische]

In ähnlicher Weise wie beim Aal vollzieht sich auch das
Fortpflanzungsgeschäft der Scholle. Auch hier finden Wanderungen der
alten Fische nach bestimmten Laichplätzen statt, und die jungen Larven
der Scholle führen wieder ihrerseits große Wanderungen aus, um die
notwendigen Lebensbedingungen zu finden.

[Illustration:

  Abbildung 16      James’ Preß Agency, London

Blattschwanzgecko

Die Saugscheiben an den Zehen befähigen das Tier, an glatten,
senkrechten Wänden umherzulaufen]

[Illustration:

  Abbildung 17      James’ Preß Agency, London

Zwergmäuse

mit ihren Nestern]

Der Laichplatz der Schollen liegt in möglichst salzhaltigen und
warmen Meeresteilen. Solche Laichplätze sind der südwestliche
Teil der Nordsee zwischen Holland und England und der nördliche Teil
zwischen Jütland und Schottland. Beide Stellen zeichnen sich durch
hohen Salzgehalt und warme Temperatur aus infolge des Einflusses
des Golfstromes, der hier in die Nordsee eindringt. Ein bevorzugter
Laichplatz in der Ostsee ist das Becken östlich von Bornholm, das die
Schollen von der pommerschen Küste und der Südküste Schwedens zum
Laichen wählen. Die Meerestiefe beträgt an den Laichplätzen nicht mehr
als höchstens 80 ~m~, da die Schollen größere Tiefen vermeiden.

Aus dem Laich entschlüpft nach zehn Tagen zunächst eine Larve, die
mit der erwachsenen Scholle noch keine Ähnlichkeit hat. Sie hat noch
nicht die platte Schollengestalt, sondern hat normale Fischfigur.
Sofort nach dem Ausschlüpfen beginnt die Larve nach der Seeküste
zu wandern und nimmt auf ihrer Reise allmählich die Gestalt des
Flachfisches an. Das linke Auge bewegt sich über die Stirn hin fort
nach der rechten Seite des Kopfes, und der Körper wird breiter, bis
schließlich der schwimmende Fisch von der vertikalen zur horizontalen
Körperhaltung übergeht. Als fertige Schollen erreichen die Jungfische
nach einer Wanderung von etwa 4 Monaten die Meeresküste, nicht um hier
zu verbleiben, wie man vermuten sollte, sondern um sich sofort von
neuem auf die Wanderschaft zu begeben, um wieder größere Meerestiefen
zu erreichen. Diese Rückwanderung geht sehr langsam vonstatten,
da die Meerestiefe, in der die Fische leben, in einem bestimmten
Verhältnis zum Wachstum steht. Zwei- bis dreijährige Schollen, die eine
Körperlänge von etwa 15-20 ~cm~ haben, leben in einer Meerestiefe von
10-20 ~m~, Fische von etwa 25 ~cm~ Größe verlangen eine Meerestiefe von
etwa 30-40 ~m~, und größere Schollen leben in Tiefen von 50 bis 70 ~m~.

Die Wanderungen der Schollen stehen also in einem gesetzmäßigen
Zusammenhang mit der Fortpflanzung und dem Wachstum.

Nicht nur zur Fortpflanzung, sondern auch zu anderen Jahreszeiten
unternehmen alle Flachfische größere oder kleinere Wanderungen, um
ihren Aufenthaltsort zu wechseln. Der Heilbutt hält sich im Sommer in
der Nähe der Küste auf und wandert zum Winter in größere Meerestiefen.
Der Steinbutt steigt im Frühjahr aus der Tiefe des Meeres nach den
flachen Ufern der Sandbänke herauf, und die Flunder erscheint nur
zu bestimmten Zeiten im Küstengebiet, die je nach der Örtlichkeit
verschieden sind. Bei diesen Wanderungen, die sich hauptsächlich in
vertikaler Richtung bewegen, spielen wohl die Nahrungsverhältnisse die
ausschlaggebende Rolle.

[Sidenote: Wanderungen der Heringe]

Mit der Nahrung hängen auch die Wanderzüge des Herings zusammen, die
volkswirtschaftlich von größter Bedeutung sind, da sie die so wertvolle
Heringsfischerei ins Leben gerufen haben. Auf diesen Wanderzügen, bei
denen die Heringe dem Plankton des Meeres folgen, das ihre bevorzugte
Nahrung bildet, schwimmen sie zu Millionen und Milliarden in dicht
gedrängter Masse nahe des Wasserspiegels dahin. Im Wasser folgen ihnen
die Walfische, Delphine und Seehunde, in der Luft zahlreiche Möwen und
andere Seevögel, um die in so reichem Maße gespendete Nahrung nach
Kräften zu vertilgen. Die unablässige Verfolgung ihrer Feinde schart
die Heringe immer dichter zusammen, so daß sich die ganze Masse wie
ein Strom dahinwälzt, der sich durch die glitzernden Leiber der Fische
auf dem Wasserspiegel kennzeichnet. Solche „Heringsberge“, wie man
die wandernde Fischmasse genannt hat, haben bisweilen eine riesige
Ausdehnung von vielen Meilen in der Länge und Breite. Fischerboote, die
in die Heringszüge geraten, laufen Gefahr, zu kentern.

Kein Wunder, daß nicht nur die Tiere, sondern vor allem der Mensch aus
den gewaltigen Heringsansammlungen Nutzen zog und die Heringsfischerei
ins Leben rief, deren Anfänge bis in das 13. Jahrhundert zurückreichen.
Sie entwickelte sich zuerst in Schweden, besonders in der Landschaft
Schonen. Später wurde der Heringsfang auch in Norwegen, Holland,
England, Schottland und Deutschland ein wichtiger Erwerbszweig, dessen
Bedeutung nicht allein in der reichen Einnahme liegt, sondern vor
allem in der Schaffung eines überaus wichtigen Volksnahrungsmittels.
In Deutschland wurden in den letzten Jahren vor dem Kriege jährlich
etwa 300000 Tonnen Salzheringe aus dem Ertrag der deutschen Fischerei
hergestellt. Dies reichte aber nicht annähernd aus, um den Bedarf des
deutschen Volkes zu decken, denn es wurde außerdem noch die drei- bis
vierfache Menge an Salzheringen von außerhalb eingeführt. Diese Zahlen
geben einen ungefähren Begriff von der wirtschaftlichen Bedeutung der
Heringsfischerei.

Bei den Wanderungen der Fische erregt die Frage, wie sich die Fische
hierbei orientieren, in besonderem Maße unser Interesse. Wenn die
Heringe auf ihren Zügen den Tieren des Planktons folgen, so ist die
Orientierung hier in sehr einfacher Weise gegeben. Die Fische folgen
eben der Nahrung.

Bei den Schollen, welche zum Laichen stark salzhaltige und warme
Meeresteile aufsuchen, spielen offenbar die Meeresströmungen, der
Salzgehalt und die Temperatureinflüsse die entscheidende Rolle. Die
Orientierung erfolgt hier mit dem Geschmack und dem Gefühl.

Der Geschmack ist bei den Fischen der am höchsten entwickelte Sinn.
Er wird durch besondere Organe, die sogenannten „Geschmacksknospen“,
vermittelt. Diese bestehen aus Sinneszellen mit feinen Schmeckstiftchen
und aus dazwischengelagerten Stützzellen. In diese Zellen münden
zahlreiche Verästlungen der Gehirngeschmacksnerven. Geschmacksknospen
befinden sich nicht nur im Maul und auf den Lippen, sondern auch an den
Kiemen, auf den Flossen, ja bisweilen sogar auf dem ganzen Körper, wie
+Herrick+ und +Parker+ experimentell am Zwergwels nachgewiesen haben.
Außer dem Geschmackssinn ist auch der mit diesem in enger Verbindung
stehende Geruchssinn bei den Fischen vorzüglich ausgebildet.

[Sidenote: Orientierung der Fische]

Wenn der Lachs zum Laichen stets dasjenige Flußgebiet aufsucht,
in dem er geboren wurde, und hierbei sogar die Nebenflüsse eines
größeren Stromes berücksichtigt, so dürfen wir wohl annehmen, daß die
Orientierung mit Hilfe des hochentwickelten Geschmacks und des feinen
Geruchs erfolgt. Freilich muß außerdem noch ein gutes Gedächtnis
hinzukommen, denn der Lachs muß sich aus seiner Jugendzeit eine
Erinnerung an den spezifischen Geschmack und Geruch des Flußwassers,
dem er entstammt, und das er zum Laichgeschäft wieder aufsucht, bewahrt
haben. Eine derartige Seelenfunktion liegt aber durchaus im Bereich
der Möglichkeit, denn durch neuere Versuche ist nachgewiesen worden,
daß die Fische in ihrem Kleinhirn ein Zentrum besitzen, das sie zu
gutem Gedächtnis und Assoziationsmöglichkeit befähigt. Auch scheint bei
den Fischen gerade das Ortsgedächtnis sehr gut ausgebildet zu sein.
Sie gewöhnen sich z. B. sehr schnell daran, bestimmte Stellen, wo sie
gefüttert werden, regelmäßig und sogar zu bestimmten Zeiten aufzusuchen.

Geschmack, Geruch und ein hochentwickelter Ortssinn scheinen jedenfalls
die wichtigsten Faktoren zu sein, die den Fischen auf ihren Wanderzügen
die Richtung angeben. Dagegen muß es sehr zweifelhaft erscheinen,
ob diese Orientierung in zielbewußter, verstandesmäßiger Weise
ausgeführt wird. Die meisten Handlungen des Tiers lassen sich letzten
Endes auf angeborene Triebe, die automatisch in Tätigkeit treten,
zurückführen, worauf wir in einem späteren Kapitel näher zurückkommen
werden. So dürfen wir also annehmen, daß die Orientierung der Fische im
Unterbewußtsein erfolgt, indem Gedächtnis und Assoziation reflektorisch
das Streben nach einem Gewässer mit einem bestimmten Geruch und
Geschmack auslösen, und die Ausführung dieses angeborenen Wunschgefühls
durch einen Reiz der Geschmacks- und Geruchsnerven ermöglicht wird.

Die innere Unruhe, die den laichreifen Fisch auf die Wanderschaft
treibt, müssen wir ebenfalls auf einen angeborenen Trieb zurückführen,
der sich zugleich mit dem Erwachen des Geschlechtstriebes einstellt.

[Sidenote: Orientierung der Vögel]

Ähnlich liegen die Verhältnisse bei den Zugvögeln. Der im Organismus
des Vogels einsetzende Zugtrieb veranlaßt die Zugbewegung im Herbst,
wobei freilich der Geschlechtstrieb nicht in Frage kommt. Anders
liegen aber die Verhältnisse im Frühjahr. Hier erfährt der Zugtrieb
des Vogels durch den gleichfalls erwachenden Fortpflanzungstrieb eine
wesentliche Verstärkung, die sich darin zeigt, daß der Frühjahrszug
bedeutend schneller verläuft als der Fortzug im Herbst. Die Allmacht
der Liebe erzeugt in der Vogelseele das Bestreben, möglichst schnell
nach dem Brutplatz der Heimat zu gelangen, und beschleunigt daher
die Geschwindigkeit auf dem Zuge. Der weiße Storch durchmißt auf dem
Herbstzuge täglich ca. 120-200 ~km~, auf dem Frühjahrszuge dagegen 400
~km~. Ebenso wie die Fische zeigen auch die Zugvögel im allgemeinen das
Bestreben, zur Fortpflanzung dorthin zurückzukehren, wo sie selbst das
Licht der Welt erblickt haben. Die Rückkehr in die Heimat zur Zeit der
geschlechtlichen Reife scheint also ein Naturgesetz zu sein, das im
Tierleben weittragende Bedeutung hat.

Andererseits tritt auch ein grundlegender Unterschied zwischen den
Wanderungen der Fische und dem Zuge der Vögel hervor. Der Laichplatz,
den der wandernde Fisch aufsucht, ist seine Geburtsstätte, also ein
Ort, an dem er schon einmal gewesen ist, und an den er sich eine
Erinnerung bewahrt haben kann. Dies ist aber beim Zugvogel nicht der
Fall. Der junge Vogel, der sich zum ersten Male im Herbst auf die
Reise begibt, kennt weder das Land, dem er zustrebt, noch den Weg, der
hinführt, denn er war ja noch niemals dort. Trotzdem findet er auf
unbekanntem Wege in das unbekannte Land der Winterherberge, und zwar
ohne Führung älterer Artgenossen oder seiner Eltern, denn viele Vögel,
wie z. B. Raubvögel, der Kuckuck und andere, ziehen nicht gesellig,
sondern einsam. Hier kann also von einer zielbewußten Orientierung
überhaupt keine Rede sein, denn es fehlen jegliche Anhaltspunkte
dafür, da sowohl der zurückzulegende Weg wie das Ziel der Reise
völlig unbekannt sind. Es kann sich also nur um eine automatische
Seelenfunktion handeln, die ohne Verstand, lediglich im Unterbewußtsein
vollbracht wird, und darum nehmen wir Ornithologen an, daß dem Zugvogel
zugleich mit dem Zugtrieb auch die Fähigkeit angeboren ist, eine
bestimmte, zweckmäßige Richtung, die in ein geeignetes Winterquartier
führt, auf der Wanderung einzuschlagen. Hierbei kann es sich natürlich
nur um eine allgemeine Richtung handeln, z. B. im Herbst nach Westen
oder Süden zu fliegen. Dagegen können wir nicht annehmen, daß das
Innehalten eines komplizierten Wanderwegs, der seine Richtung vielfach
ändert, auf reiner Vererbung beruhen soll. Hier müssen noch andere,
von der Außenwelt stammende Reize hinzukommen, und diese Reize geben
vermutlich die Wasserläufe, die Flüsse und Meeresküsten, denen die
Zugvögel mit Vorliebe folgen. Dies gab mir Veranlassung, eine doppelte
Art der Orientierung der Zugvögel anzunehmen, die ich in meiner Schrift
„Die Rätsel des Vogelzuges“ grobe und feine Orientierung genannt
habe. Die grobe Orientierung, d. h. die Fähigkeit, einer bestimmten
Himmelsrichtung zu folgen, ist eine angeborene Eigenschaft, die feine
Orientierung erfolgt durch äußere Reize. In dieser Richtung fliegt der
Zugvogel so lange, als der Zugtrieb in ihm rege ist. Hört der Zugtrieb
auf, so bleibt der Vogel dort, wo er sich gerade befindet, und diese
Stelle ist eben sein Winterquartier. Die Dauer des Zugtriebes ist von
der Natur so abgestimmt, daß sie zu der Länge des Zugweges bei normaler
Flugleistung im gleichen Verhältnis steht. Auf diese Weise wird auch
die Frage, wie der junge Vogel, der zum ersten Male allein ohne Führung
seiner Eltern die weite Reise ausführt, das entfernte, ihm unbekannte
Winterquartier findet, ohne Schwierigkeit gelöst. Er strebt überhaupt
nicht einem bestimmten Ziele zu, sondern das Ziel der Reise ergibt sich
von selbst aus dem Erlöschen des Zugtriebes.

Wir sehen hieraus, wie automatisch, rein triebmäßig eine Zugbewegung
verlaufen kann, und dies dürfen wir bei anderen Tieren, die wie die
Fische geistig erheblich hinter den Vögeln zurückstehen, erst recht
vermuten. --

Wenn wir von den Fischen uns weiter zurück in das Reich der Tiere
wenden, so finden wir wieder bei den Insekten große Wanderungen, die
hauptsächlich der Suche nach geeigneten Nahrungsplätzen gelten.

[Sidenote: Heuschreckenplagen]

Berüchtigt seit alten Zeiten sind die Wanderzüge der Wanderheuschrecke,
die in mehreren Arten Südeuropa, Afrika, Asien und Amerika bewohnt.
Eine der sieben Plagen, die zu Moses Zeiten Ägypten heimsuchten, war
das Massenauftreten der Heuschrecken, die das Land verwüsteten. Berühmt
ist die anschauliche Schilderung, die der Prophet +Joel+ (Kap. II,
2-10) von einer über Palästina hereinbrechenden Heuschreckenverheerung
gibt. Er vergleicht die Heuschrecken mit einem feindlichen Heer, das
plündernd und sengend das Land durchzieht: „Vor ihm geht ein verzehrend
Feuer und nach ihm eine brennende Flamme. Das Land ist vor ihm wie ein
Lustgarten, aber nach ihm wie eine wüste Einöde. Sie sprengen daher
oben auf den Bergen, wie die Wagen rasseln, und wie eine Flamme lodert
im Stroh, wie ein mächtiges Volk, das zum Streit gerüstet ist. Sie
werden laufen wie die Riesen und die Mauern ersteigen wie die Krieger.
Sie werden in der Stadt umherreiten, auf der Mauer laufen und in die
Häuser steigen, und wie ein Dieb durch die Fenster hineinkommen. Vor
ihm erzittert das Land und bebet der Himmel; Sonne und Mond werden
finster, und die Sterne verhalten ihren Schein.“

Diese klassische Schilderung des Propheten entspricht durchaus der
Wirklichkeit. Zu Myriaden, in dichtgedrängter Masse fallen die
Heuschrecken gleich einem Wolkenbruch in das Land ein und vernichten in
kurzer Frist Felder, Weinberge, Anpflanzungen und Gärten. Alles Grün
ist kahl gefressen, das Land ist auf weite Strecken völlig verödet
und gleicht den traurigen Verheerungen einer gewaltigen Feuersbrunst.
+Brehm+ berichtet in seinem „Tierleben“, daß eine aus vierzigtausend
Pflanzen bestehende Tabaksplantage innerhalb einer halben Minute von
einem plötzlich einfallenden Heuschreckenschwarm völlig vernichtet
wurde. Die Tiere bedeckten wie ein dichter Mantel die ganze
Anpflanzung, die völlig verschwunden war, als der Schwarm nach einer
halben Minute sich erhob und weiterzog, um das grausige Werk an anderer
Stelle fortzusetzen.

Schon die ungeflügelten Heuschreckenlarven begeben sich in großen
Scharen zu Fuß auf die Wanderschaft und ziehen plündernd durch das
Land. Durch Hineinreiten und Schwenken mit Tüchern wissen die Farmer
die gefräßigen Tiere von ihren Anpflanzungen abzuhalten, während man
gegen den Überfall der erwachsenen Flugheuschrecken völlig machtlos ist.

Im Altertum und im Mittelalter scheinen die Heuschreckenplagen
gewaltiger und zahlreicher gewesen zu sein, als es in unserer Zeit der
Fall ist, obwohl die Nachrichten über Verheerungen durch Heuschrecken
bis heutigen Tages nicht verstummen. Besonders Afrika hat unter
der Plage zu leiden. Im Jahre 1799 wurde fast ganz Marokko von den
Heuschrecken verwüstet, und ein Jahr später wiederholte sich dasselbe
Schauspiel in Kleinasien. 1747 fand ein großer Einbruch in Europa vom
südlichen Rußland aus statt. Gewaltige Schwärme traten zuerst in Ungarn
auf, verbreiteten sich von hier über Süddeutschland bis nach Frankreich
und zogen sogar über den Kanal nach England. Selbst über das offene
Meer nehmen die Heuschrecken ihren Weg. +Berger+ beobachtete einen Flug
Wanderheuschrecken mitten auf dem Ozean auf der Fahrt von Hongkong nach
Manila. --

[Sidenote: Heerwurm, Raupen und Prozessionsspinner]

Zu Anfang des 17. Jahrhunderts erregte eine wundersame, gespensterhafte
Erscheinung die Aufmerksamkeit der Menschen. Eine graue, 3-4 ~m~
lange Schlange bewegte sich in langsam schlängelnden Windungen
durch das Dunkel des Waldes. Das seltsame Gespenst trat hin und
wieder in Deutschland sowie in Schweden und Norwegen auf. Eine
nähere Untersuchung ergab, daß die Schlange aus zahllosen kleinen
Würmern bestand, die in dichtgedrängter Masse über den Waldboden
wanderten. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelang es durch
wissenschaftliche Forschungen festzustellen, daß diese Würmer die
Larven einer Mücke sind, die nach dieser eigenartigen Erscheinung
Heerwurm-Trauermücke (~Sciara militaris~) benannt wurde. Die Larven
nähren sich von den auf dem Boden des Laubwaldes liegenden faulenden
Blättern und leben meist versteckt unter dem Fallaub. Zu ihrem
Gedeihen bedürfen sie eines bestimmten Feuchtigkeitsgrades. Allzu
große Trockenheit wird ihnen ebenso verderblich wie übermäßige Nässe.
Sagt ihnen die Feuchtigkeit ihres Aufenthaltsorts nicht zu, dann
scharen die Larven sich zusammen und wandern, ein langes, finger- bis
handbreites Band bildend, aus, um eine andere Gegend aufzusuchen. Die
einzelne Larve in dem langen Zuge bewegt sich nach Art der Raupen fort,
indem sie den Körper nach oben krümmt, den hinteren Teil des Leibes
vorschiebt und den vorderen Teil ausstreckt. Hierdurch erhält der
wandernde Heerwurmzug eine wogende, wellenförmige Bewegung.

Mit dem Heerwurm verband sich allerhand Aberglauben. Zog ein Heerwurm
talabwärts, so deutete man hieraus auf Frieden und reiche Ernte,
bewegte er sich bergan, so wurde Krieg und Unglück prophezeit. Wer
einem Heerwurm im Walde begegnete, legte seine Kleider vor ihn auf
den Weg. Kroch der Heerwurm darüber fort, so galt dies als ein
glückbringendes Orakel, wich er dem Kleidungsstück aus, dann lautete
die Wahrsagung auf Unheil und Tod.

Die weit verbreitete Gattung der Trauermücken „Sciara“ hat ihren Namen
nach den dunkeln Flügeln dieser Insekten erhalten, die in Laubwäldern
leben.

Ähnliche Wanderungen wie beim Heerwurm finden wir auch bei den
Raupen des Prozessionsspinners, die an Eichen, Kiefern und anderen
Nadelhölzern leben. Sind die Bäume ihres Aufenthaltsorts kahl
gefressen, so verlassen die Prozessionsraupen ihren Aufenthaltsort und
kriechen, wie der Heerwurm ein dichtes Band bildend, nach anderen
Bäumen, deren Laub ihnen Nahrung spendet.

Die Raupen des Eichenprozessionsspinners (~Cnethocampa processionea~)
spinnen sich am unteren Teil des Stammes, am liebsten in einer
Astgabel, ein Nest aus lockerem Gewebe, in dem sie den Tag verbringen.
Bei der Abenddämmerung verlassen sie ihre Behausung und kriechen im
Gänsemarsch, eine hinter der anderen, am Baumstamm zur Krone herauf,
um hier die Blätter zu verzehren. Sind die Tiere sehr zahlreich, dann
bilden sie auf ihrem Nahrungszuge einen Keil. Eine Raupe übernimmt an
der Spitze die Führung, ihr folgen paarweise geordnet zwei Raupen, und
die nächsten Glieder sind zu dreien, vieren usw. gebildet. Haben sich
die gefräßigen Tiere gesättigt, so begeben sie sich in ihre Behausung
zurück. Dieser eigentümliche, an eine Prozession erinnernde Marsch hat
dem Schmetterling den Namen „Prozessionsspinner“ gegeben. --


  [2] Friedrich von Lucanus, Die Rätsel des Vogelzuges. Ihre Lösung auf
      experimentellem Wege durch Luftfahrt und Vogelberingung. Verlag
      Beyer & Söhne, Langensalza. 2. Auflage 1923.




In Nacht und Finsternis


„Alles Leben und alle Bewegung auf unserer Erde wird mit wenigen
Ausnahmen unterhalten durch eine einzige Triebkraft, die der
Sonnenstrahlen, welche uns Licht und Wärme bringen.“ Diese Worte des
großen Physikers Helmholtz zeigen die gewaltige Bedeutung der Sonne für
das organische Leben auf der Erde. Ohne Sonne wäre eine Entwicklung
des Lebens gar nicht denkbar gewesen. Sie ist die Quelle und die
Ursache alles Lebens. Entziehen wir der Pflanze nur für kurze Zeit das
Sonnenlicht, so verkümmert sie. Der menschliche und tierische Körper
verfällt, des Sonnenlichts beraubt, elendem Siechtum. Das Sonnenlicht
ist der ärgste Feind jener kleinsten Organismen, die als Bakterien
unser Dasein bedrohen. Die heilende Wirkung der Sonnenstrahlen kann
durch nichts ersetzt werden.

[Sidenote: Maulwurf]

So wichtig Sonnenlicht und Sonnenwärme für die organische Welt auch
sind, so gibt es dennoch sogar unter den höherstehenden Tieren solche
Formen, die das Sonnenlicht scheuen, ja für die Nacht und Finsternis
notwendige Lebensbedingungen sind.

Wie sagt doch Rückert vom Maulwurf?

    „Der Maulwurf ist nicht blind, gegeben hat ihm nur
    Ein kleines Auge, wie er’s brauchet, die Natur;

    Mit welchem er wird sehen, soweit er es bedarf
    Im unterirdischen Palast, den er entwarf.

    Und Staub ins Auge wird ihm desto minder fallen,
    Wenn wühlend er emporwirft die gewölbten Hallen.

    Den Regenwurm, den er mit anderen Sinnen sucht,
    Braucht er nicht zu erspäh’n, nicht schnell ist dessen Flucht.

    Und wird in warmer Nacht er aus dem Boden steigen,
    Auch seinem Augenstern wird sich der Himmel zeigen,

    Und ohne daß er’s weiß, nimmt er mit sich hernieder
    Auch einen Strahl, und wühlt im Dunkeln wieder.“

Der Maulwurf ist nicht blind, wie der Dichter sehr richtig sagt, aber
er hat nur sehr kleine Augen, die nicht größer sind als ein Mohnkorn.
Da sie außerdem von den Gesichtshaaren ganz überwachsen sind, können
sie für ein Sehen kaum oder nur sehr gering in Betracht kommen. Da der
Maulwurf ganz auf eine unterirdische Lebensweise eingestellt ist und
er seine Nahrung, die hauptsächlich aus Regenwürmern und Engerlingen
besteht, im Dunkeln unter der Erde sucht, so bedarf er des Augenlichts
nicht in der Weise wie andere Tiere. Seine Orientierung erfolgt
ausschließlich mit dem hochentwickelten Geruchssinn und dem ebenfalls
vorzüglich ausgebildeten Gehör. Mit dem Geruch spürt der Maulwurf seine
Nahrung auf, während er mit dem Gehör sich vor Gefahren schützt. Das
leiseste Geräusch, das von außen in seine unterirdischen Gänge dringt,
nimmt er sofort wahr und veranlaßt ihn, sich tiefer einzugraben.

Die Vorderfüße des Maulwurfs stellen ein ganz hervorragendes Werkzeug
zum Graben dar. Die mit starken, flachen Nägeln bewaffneten Hände sind
sehr breit und bilden eine Grabscheitfläche. Durch einen besonderen
Knochen, das Sichelbein, das sich dem Daumen anreiht, wird die
Handfläche verstärkt und verbreitert. Damit das Tier bei seinen
unterirdischen Arbeiten sich leicht durch das Erdreich hindurchzwängen
kann, sind die Arme sehr kurz und ganz am Körper verborgen, so daß
nur die nach rückwärts gedrehten Hände aus dem Fell hervorragen,
die schraubenartig bewegt werden können, was für die Grabarbeit von
größtem Nutzen ist. Der Oberarm ist nicht wie bei anderen Säugetieren
an das Schulterblatt, sondern an das Schlüsselbein angesetzt und
ebenfalls sehr beweglich. Ober- und Unterarm stellen kurze, sehr
kräftige Schrauben dar, die dem Maulwurf die Arbeit des Grabens
schnell und mühelos ermöglichen. Bei seinen Minierarbeiten zieht der
Maulwurf den Kopf möglichst weit ein und schaufelt dann die Erde mit
den Händen vor sich fort. Er verrichtet die Arbeit so schnell, daß er
auch in horizontaler Richtung unter der Erde rasch vorwärts kommt, ja
geradezu im Erdreich läuft oder, richtiger gesagt, „schwimmt“, denn ein
Schwimmen ist gewissermaßen die Bewegung der grabenden Hände und das
Vorwärtsgleiten des Körpers. Wenn sich die Erde hierbei zu sehr vor ihm
anhäuft, dann wirft er sie mit dem Kopf nach oben heraus, wodurch die
bekannten Maulwurfshügel entstehen.

Auch die übrige Ausrüstung des Körpers ist dem unterirdischen Leben
vortrefflich angepaßt. Das Fell besteht aus ganz kurzen, dichten,
samtartigen Haaren, die beim Wühlen in der Erde ihre Lage nicht
verändern und sich infolgedessen nicht abscheuern. Anstatt eines
äußeren Ohres ist nur ein Gehörspalt vorhanden, der durch eine
Hautfalte verschlossen werden kann, um ein Eindringen von Erde zu
verhüten. Die Nasenlöcher liegen auf der Unterseite der rüsselartig
verlängerten Oberlippe und sind hierdurch gegen eine Verunreinigung
durch Sand geschützt. Die Oberlippe trägt eine besondere Hautfalte,
welche die Unterlippe verschließt und so ein Eindringen von Erde in den
Mund verhütet. Schließlich ist die walzenförmige Gestalt des ganzen
Körpers zum Fortgleiten in der Erde außerordentlich geeignet.

So sehr der Maulwurf auch auf eine unterirdische Lebensweise angewiesen
ist, so scheut er doch das Tageslicht nicht völlig. Wenn auch nicht
oft, so begibt er sich doch hin und wieder ins Freie, sucht dann mit
Vorliebe in Wagengleisen nach Nahrung oder genießt sogar für kurze Zeit
die wohltuende Wärme der Sonne. Besonders junge Tiere kommen öfters ins
Freie als alte. Man hat schon wiederholt junge Maulwürfe beobachtet,
die an sonnigen Hängen zusammen spielten.

Noch einige Worte über den Nutzen und Schaden des Maulwurfs, worüber
die Ansichten geteilt sind. Durch das Verzehren von Engerlingen
und anderen schädlichen Insektenlarven ist der Maulwurf zweifellos
sehr nützlich. Da er aber auch Regenwürmer sehr liebt und diese als
„Erdarbeiter“ nützlich sind, weil sie die Bildung der wichtigen
Humuserde befördern, so wird er hierdurch zum schädlichen Tier.
Ferner macht er im Walde in jungen Kulturen und in Gärten durch
seine Wühlarbeit manchen Schaden, indem er die Wurzeln der Pflanzen
lockert. Auch tragen die Maulwurfshügel nicht gerade zur Verschönerung
gepflegter Parkanlagen bei. Es geht mit dem Maulwurf wie mit so
vielen Tieren, er ist eben beides, sowohl nützlich wie schädlich. Von
Natur ist kein Tier nur schädlich oder nur nützlich. Jedes Tier hat
vielmehr im Haushalte der Natur seine bestimmte Aufgabe zu erfüllen.
Das Zusammenwirken aller Lebewesen erhält das Gleichgewicht in der
Natur. Die Begriffe „schädlich“ und „nützlich“ sind erst durch die
Kultur des Menschen geprägt worden, die leider über so viele Tiere
das Todesurteil gefällt hat. Mit Recht hat es sich daher die moderne
Naturschutzbewegung zur Aufgabe gemacht, die Tiere ohne Rücksicht auf
ihre sogenannte Nützlichkeit und Schädlichkeit zu schützen und sie
um ihrer selbst willen zu erhalten, um unsere Natur vor Verödung zu
bewahren. --

[Sidenote: Goldmull]

Ein unterirdisches Leben wie der Maulwurf führen auch die afrikanischen
Goldmulle und die zu den Nagetieren gehörende Blindmaus (~Spalax
typhlus~). Die Augen dieser Tiere liegen nicht frei, sondern unterhalb
der behaarten Kopfhaut und können daher zum Sehen überhaupt nicht
mehr benutzt werden. Sie sind also blind. Trotzdem kommen auch diese
Tiere ab und zu an das Tageslicht, um die Sonnenwärme zu genießen.
Die Heimat der Blindmaus ist das südöstliche Europa, Westasien und
Unterägypten. Ihre unterirdischen Gänge, die in geringer Tiefe
laufen, führen sogar unter Flußläufen hindurch und an Berghängen
entlang. Bei ihren Grabarbeiten benutzt die Blindmaus im Gegensatz
zum Maulwurf mehr den Kopf als die Füße und besitzt hierfür eine ganz
eigenartige Einrichtung. Von den Nasenlöchern bis zu den Augen zieht
sich jederseits eine Reihe starrer, borstiger Haare. Mit dieser Bürste
schiebt die Blindmaus durch Auf- und Abwärtsbewegen des Kopfes die Erde
fort.

Die Goldmulle graben wie die Maulwürfe mit den Händen, benutzen sie
aber in ganz anderer Weise. Bei den Goldmullen sind die Mittelfinger
sehr groß und tragen einen starken Nagel. Die ganze Arbeit des Grabens
wird mit diesem riesigen Mittelfinger geleistet, der hierbei als
Spitzhacke verwendet wird. Er besitzt ferner eine tiefe Rille, in die
die anderen, bedeutend kleineren Klauen, die keine Dienste beim Graben
leisten, hineingelegt werden können.

Die Goldmullen führen ihren Namen nach dem schönen, grünlichen
Metallglanz ihres Pelzes.

[Illustration:

  Abbildung 18      James’ Preß Agency, London

Kreuzspinne

bei der Anfertigung des Netzes]

[Illustration:

  Abbildung 19      A. Spaney phot.

Stabheuschrecken

Beispiel für Mimikry]

Ein Vogel, der ein völlig nächtliches Leben führt, ist der Guacharo
oder Fettschwalk (~Steatornis caripensis~), den Alexander von
Humboldt 1799 in der Felsenhöhle von Caripe in Venezuela entdeckte.
Als der Forscher 150 ~m~ weit in die dunkle Höhle eingedrungen war,
umschwirrten plötzlich geisterhafte Schatten den Schein der Fackeln.
Es waren Vögel, die hier ihr Wesen trieben und mit ihrem lauten,
krächzenden Geschrei einen gespensterhaften Spuk trieben.

[Sidenote: Guacharo]

Der Guacharo bewohnt die unterirdischen Höhlen der Anden, nistet hier
in großen Kolonien und erzieht in völliger Finsternis seine Jungen. Nur
zur Nachtzeit verlassen die Vögel ihr Felsenverlies, um im Waldesdunkel
ihrer Nahrung, die aus Früchten besteht, nachzugehen. Noch vor Anbruch
der Morgendämmerung sucht der Guacharo wieder sein unterirdisches
Versteck auf.

Der Guacharo ist unserem Ziegenmelker nah verwandt, unterscheidet
sich aber von ihm durch ein härteres Gefieder und seinen längeren,
gekrümmten Schnabel, der an der Spitze einen Zahn trägt. Sein
kastanienbraunes Federkleid ist gelblichweiß gefleckt. Er ist ein sehr
gewandter Flieger, aber sehr unbeholfen zu Fuß. Er kann überhaupt
nicht aufrecht gehen, sondern nur mühsam mit Unterstützung der Flügel
kriechen. Der Körper des Fettschwalks hat eine ungeheure Fettschicht,
die durch den Mangel an Bewegung und den ständigen Aufenthalt im
Dunkeln hervorgerufen wird. Das Fett, ein dickflüssiges, helles Öl,
wird von den Indianern als Speisemittel sehr begehrt. Sie fangen die
Vögel, besonders die noch unflugfähigen Jungen, in den Nestern, in
großen Mengen, lassen das Fett über dem Feuer aus und bewahren es in
Tongefäßen auf, in denen es sich wegen seiner Reinheit jahrelang frisch
und genießbar erhält.

Der Guacharo ist der einzige Vogel, der das Tageslicht völlig scheut
und niemals die wohltuende Einwirkung der Sonne genießt.

[Sidenote: Ziegenmelker, Eulen, Kiwi]

Ein nächtliches Leben führen auch die Ziegenmelker und die Eulen, ohne
jedoch das Tageslicht so zu verabscheuen wie der Guacharo. Die Eulen
pflegen am Tage behaglich der Ruhe im Sonnenschein (Abbildung 14). Ihr
eigentliches Leben und Treiben beschränken jedoch die meisten Arten
auf die Dämmerungsstunden und die Nachtzeit. Infolgedessen sind die
Augen der Eulen sehr groß, um möglichst viel Lichtstrahlen aufnehmen
zu können und hierdurch auch bei schwachem Lichtschein ein Sehen zu
ermöglichen. Bei weitem besser als das Gesicht ist das Gehör der Eule
ausgebildet. Sie ist imstande, die leisesten Geräusche, die für uns
völlig unhörbar sind, wahrzunehmen. Mein zahmer Waldkauz erwachte
sofort aus tiefem Schlaf, wenn ich eine weiße Maus auf dem Teppich
laufen ließ, was nach unseren Begriffen gar kein Geräusch verursacht.
Bei ihren Raubzügen im Dunkel der Nacht verläßt sich die Eule ganz und
gar auf das Gehör, denn sie kann die Maus, die im düsteren Waldesgrunde
auf dem dunkeln Erdboden läuft, unmöglich sehen. Lediglich das Geräusch
verrät ihr die Beute. Ihr Gehörsinn ist so fein ausgebildet, daß
sie die Richtung und die Stelle, aus der das Geräusch kommt, sofort
richtig erfaßt, wie ich mich an meinen gefangenen Eulen oft genug
überzeugen konnte. Die Ohröffnung der Eulen ist sehr groß. Vermöge
einer besonderen Hautfalte können die strahlenförmig angeordneten
Gesichtsfedern, welche den sogenannten Schleier bilden, senkrecht vom
Kopf abgestellt werden, wodurch die Ohröffnung freigelegt wird, so
daß die Schallwellen ungehindert eindringen können. Ein Kranz kleiner
steifer Federn umgibt den hinteren Rand der Ohröffnungen. Sie sind
konkav gebogen und dienen ebenfalls dem Auffangen der Schallwellen.
Durch diese Federn wird dieselbe Wirkung erzielt, die wir durch Anlegen
der hohlen Hand ans Ohr hervorrufen, um besser hören zu können. Bei
den Eulen ist die feine und sinnreiche Konstruktion des Gehörapparats
eine ganz vortreffliche Anpassung an das nächtliche Leben und ein
hervorragender Ersatz für die Beeinträchtigung des Gesichts in der
Dunkelheit.

Eine nächtliche Lebensweise führt der australische Kiwi oder
Schnepfenstrauß (~Apteryx australis~). Er gehört zu den merkwürdigsten
Vogelgestalten. Ebenso wie den Straußen fehlt seinem Brustbein der
Kiel. Die Flügel sind völlig verkümmert und nur noch durch kurze
Stummel angedeutet. Das Gefieder besteht aus zerschlissenen, lose
herabhängenden, haarartigen Federn. Eine besondere Merkwürdigkeit ist
die Lage der Nasenlöcher. Während sich diese bei allen anderen Vögeln
an der Wurzel des Schnabels befinden, sitzen sie beim Kiwi vorn an
der Spitze des sehr langen, sanft gebogenen Schnabels. Im Gegensatz
zu anderen Vögeln scheint beim Kiwi der Geruchssinn gut ausgebildet
zu sein. Wenn er in der Nacht das trockene Laub und den Erdboden
nach Insekten und Würmern durchsucht, so hört man ein schnüffelndes
Geräusch, was auf eine intensive Nasenarbeit hindeutet. Ferner ist der
Schnabel bis zur Spitze mit zahlreichen Nervenzügen durchsetzt, die
dem Tastvermögen dienen, das beim Kiwi außerordentlich fein entwickelt
ist. Die Augen sind nur klein und können daher in der Dunkelheit keine
großen Dienste leisten. Der Mangel des Gesichts wird durch den Geruch
und den Tastsinn ersetzt.

Der Kiwi hält sich am Tage unter Baumwurzeln und in selbstgescharrten
Erdhöhlen versteckt und ist nur in der Dämmerung und in der Nacht rege.
Leider gehört der Kiwi zu den im Aussterben begriffenen Tieren. Die
Verfolgung durch die Eingeborenen und nicht zum mindesten durch die
in seiner Heimat sehr zahlreichen, verwilderten Hauskatzen hat seinen
Bestand so sehr gelichtet, daß nur noch wenige Überreste von diesem
interessanten Vogel ihr Leben fristen (Abbildung 15).

[Sidenote: Koboldmaki]

Auf den Malaiischen Inseln lebt ein absonderliches Säugetier, der
Koboldmaki oder das Gespensttier (~Tarsius tarsius~). Dies kleine,
etwa eichhorngroße Wesen, das zu den Halbaffen gehört, bewohnt die
dichten Waldungen, verbirgt sich am Tage in dunkeln Schlupfwinkeln und
turnt des Nachts mit sehr gewandten, geräuschlosen Sprüngen in den
Baumzweigen umher, um Kerbtiere zu jagen. Beim Koboldmaki sind die
Augen dem nächtlichen Leben sehr angepaßt. Sie sind ungeheuer groß und
nehmen den größten Teil des Kopfes ein. Die großen löffelartigen Ohren
lassen auf ein gut ausgebildetes Gehör schließen. Im Gegensatz zu den
kurzen Vorderfüßen stehen die auffallend langen Hinterbeine, die dem
Tier eine große Sprungkraft verleihen. Die Fußwurzel der Hinterbeine
ist sehr verlängert und bildet wie bei den Vögeln einen zwischen Fuß
und Unterschenkel eingeschalteten „Tarsus“. Er ist mit haarloser Haut
bekleidet. Die Finger und Zehen sind gleichfalls nackt und sehr lang.
Die vordersten Glieder sind breite, platte Teller, die vermutlich
wie Gummischeiben eine saugende Wirkung haben und ähnlich wie beim
Laubfrosch zum Festhalten dienen. Auch andere Halbaffen besitzen
diese erweiterten, platten vorderen Zehenglieder. Mein zahmer Mongoz
(~Lemur mongoz~) kletterte an der Kante völlig glatter Schränke in
die Höhe, indem er sich mit den Fingerscheiben festsaugte, wobei ein
quietschendes Geräusch entstand.

Auch die ebenfalls zu den Halbaffen zählenden Zwergmakis, Loris
und Galagos sind ausgesprochene Nachttiere, die im allgemeinen das
Tageslicht scheuen.

[Sidenote: Olm]

In den Gewässern der unterirdischen Höhlen in Krain, Dalmatien
und der Herzegowina lebt ein merkwürdiger Lurch, der erst vor
200 Jahren bekannt gewordene Olm. Er hat einen langen wurmartigen
Körper mit vier sehr kleinen, dünnen Füßchen und einen hechtartigen
Kopf. Seine Farbe ist gelblichweiß oder hell fleischfarben, die
Büschelkiemen sind blutrot. Als ausgesprochenes Wassertier atmet
der Olm während seines ganzen Lebens durch Kiemen, ohne wie die
anderen Lurche eine Verwandlung durchzumachen. Die nur punktgroßen,
zurückgebildeten Augen sind von der Kopfhaut überwachsen und vermögen
nur Helligkeitsunterschiede wahrzunehmen, aber keine Gegenstände zu
erkennen. Die Lichtempfindlichkeit erstreckt sich sogar über die
Haut des ganzen Körpers. Gefangene Olme meiden jeden Lichtstrahl und
halten sich stets in der dunkelsten Ecke ihres Behälters auf. Die
Finsternis ist ihr wahres Lebensbedürfnis. In seiner Heimat wird der
Olm regelmäßig in größerer Menge für den Tierhandel gefangen. Er
ist ein langweiliger Gesell, der seinem Pfleger wenig Freude, aber
um so mehr Mühe macht. Zu seinem Gedeihen bedarf er eine beständige
Wassertemperatur von 9-11°~C~, muß stets im Dunklen gehalten werden
und an einem völlig ruhigen Ort stehen, da er Erschütterungen nicht
verträgt. Das Futter besteht in Regenwürmern, kleinen Fischen und
Fleischstückchen. In vielen Fällen verschmähen gefangene Olme jegliche
Nahrung und gehen bald zugrunde.

[Sidenote: Blindwühlen]

Unter den Amphibien führen auch die Blindwühlen ein völlig
unterirdisches Leben. Die Blindwühlen besitzen keine Füße und gleichen
mit ihrem walzenförmigen, langen Körper den Schlangen, müssen
jedoch wegen ihres inneren Körperbaues und ihrer Entwicklung aus
metamorphosierenden Larven zu den Amphibien gezählt werden. Die Larven
verbringen eine kurze Zeit im Wasser, wie die Kaulquappen der Frösche.
Das fertig ausgebildete Tier lebt jedoch nach Art der Regenwürmer in
der Erde. Die Augen fehlen entweder ganz, oder sie sind mit einer Haut
überwachsen und zum Sehen untauglich. Die Ohren sind verkümmert. Die
Wahrnehmung ist ganz auf das Tastgefühl beschränkt, das durch einen
nervenreichen Fühler vermittelt wird, der vor den rudimentären Augen
liegt und vorgestreckt und zurückgezogen werden kann.

Die Heimat der Blindwühlen ist das äquatoriale Afrika, Asien und
Amerika. Einzelne Arten wohnen in den Erdhaufen der Ameisen, die ihnen
neben Insektenlarven und Regenwürmern als Nahrung dienen.

[Sidenote: Ringelechsen]

Eine ähnliche Lebensweise wie die Blindwühlen führen unter den
Reptilien die Ringelechsen, die in ihrer Gestalt einem Wurm gleichen.
Ihre glatte, lederartige Haut, der walzenförmige Leib und die völlig
zurückgebildeten Gliedmaßen, die bei einigen Arten nur noch als
stummelhafte Vorderfüße auftreten, bei anderen äußerlich ganz fehlen,
machen den Körper der Ringelechsen in hohem Maße zum Wühlen in der
Erde geeignet. Die kleinen Augen sind von der Körperhaut überwachsen,
die Ohren fehlen völlig. Die meisten Arten hausen in den Haufen der
Termiten und Ameisen und leben von deren Larven. Sehr auffallend
ist es, daß die Ameisen, die sonst wütend über fremde Tiere, die in
ihren Bau eindringen, herfallen, die Ringelechsen ruhig dulden. Die
Ringelechse folgt sogar den Ameisen, wenn diese ihren Bau verlassen und
eine neue Wohnstätte errichten. --

[Sidenote: Blindschlangen]

Auch unter den Schlangen gibt es einige Arten, die wie die Regenwürmer
in der Erde leben und auch ein wurmähnliches Aussehen haben. Die
Blindschlangen (~Typhlopidae~) ähneln den Regenwürmern so sehr,
daß nur bei genauer Betrachtung die schlängelnden Bewegungen und
das charakteristische Züngeln ihre Schlangennatur verraten. Das
sehr kleine, bei manchen Arten völlig verkümmerte Auge ist von den
Kopfschilden überdeckt. Die Blindschlangen bewohnen die Tropenländer
der Alten und Neuen Welt. Eine Art kommt auch in Griechenland und
Kleinasien vor.

[Sidenote: Geckos]

Ausgesprochene Nachttiere sind die Geckos, welche in mehr als 200 Arten
über die warmen Länder der ganzen Erde verbreitet sind und sowohl die
Wälder wie die Wüstenregionen bewohnen (Abbildung 16). Viele Arten
bevorzugen zu ihrem Aufenthalt sogar die menschlichen Wohnhäuser.

Die Geckos gehören zur Familie der Haftzeher, die an den Zehen
blattartige Scheiben tragen, mit denen sie sich ansaugen und auch
an völlig glatten Flächen festhalten können. Nach Art der Fliegen
laufen die Geckos an Fensterscheiben, den Zimmerwänden, ja sogar an
der Decke umher. Am Tage verbergen sie sich in den Ritzen und Spalten
des Mauerwerks und werden erst am Abend rege, um in der Nacht bis zur
Morgendämmerung ihr gespensterhaftes Wesen zu treiben. Ihre Nahrung
besteht in Fliegen und anderen Insekten. Die Farbe der meisten Geckos
ist ein unscheinbares Grau oder Braun, nur wenige Arten, die in Wäldern
wohnen, sind grün oder bunt gefärbt.

Die frühere Annahme, daß das Ansaugen der Zehen durch einen klebrigen
Stoff erfolge, ist durch neuere Untersuchungen widerlegt worden. Die
Saugscheiben haften nur durch Luftdruck. Der Vorgang ist folgender. Das
Tier preßt die Saugscheiben fest an einen Gegenstand an und verringert
dann den Druck. Durch besondere Muskeln werden die Haftscheiben in der
Mitte etwas hochgezogen, wodurch ein luftleerer Raum entsteht, dessen
saugende Wirkung die Zehen an der Unterlage festhält.

Das Auge der Geckos ist ganz für das nächtliche Leben eingestellt. Es
ist sehr groß und stark gewölbt, kann also sehr viel Lichtstrahlen
aufnehmen. Die Pupille kann so sehr erweitert werden, daß die lebhaft,
meist rötlichgelb gefärbte Iris dann nur noch als kleiner Kreis
sichtbar ist.

Wie alle Eidechsen sind die Geckos ungeheuer lebhaft. Wenn sie am Abend
ihre Schlupfwinkel verlassen haben, dann beginnt ihr neckisches Spiel.
In hastigem Vorschießen ergreifen sie eine Fliege oder Spinne, in
schlängelnden Bewegungen gleiten sie an den Wänden entlang, spielen und
raufen miteinander.

Der unkundige Eingeborene verfolgt und tötet die harmlosen Geschöpfe,
unbekümmert um den großen Nutzen, den sie durch Vertilgen der gerade
in den Tropen so lästigen Insekten stiften. Man glaubt, daß in ihren
Haftzehen ein gefährliches Gift enthalten sei, dessen Berührung
dem Menschen den Tod bringt. In Dalmatien herrscht noch heute der
Aberglaube, daß die Speisen oder Gefäße, über die ein Gecko gelaufen
ist, vergiftet seien. Einen besseren Ruf genießt der Gecko in Siam.
Hier lebt der Tokee (~Geco verticillatus~), der zu den größten
Arten gehört und eine Körperlänge von 36 ~cm~ erreicht. Er wird als
Glücksbringer geschätzt und daher sorgsam in den Häusern und Wohnungen
behütet. Er macht sich durch ein eigenartiges Gegacker bemerkbar und
läßt außerdem einen zweisilbigen Ruf hören, der wie die Silben „to--ke“
klingt, wonach der kleine Schelm seinen Namen erhalten hat. An seinen
Ruf knüpfen sich allerhand Märchen und Sagen. Bringt der Gecko ihn
mehrmals hintereinander hervor, so verheißt dies Glück und Segen,
während seine Schweigsamkeit bei festlichen Anlässen als unheilvolles
Orakel gedeutet wird. Sogar ein Spiel hat man für den Ruf des kleinen
Hausfreundes ersonnen. Es gewinnt diejenige Losnummer, welche der Gecko
bei der mehrmaligen Wiederholung seiner Stimme ausruft. --

[Sidenote: Tierleben der Tiefsee]

Ein gewaltiges und wundersames Tierleben herrscht in den dunkelen
Tiefen des Meeres. Hier begegnen wir Tieren von den absonderlichsten
Gestalten, die sich ihren Weg in der ewigen Finsternis mit Lampen
erleuchten.

Die lichtarme Tiefsee beginnt in einer Tiefe von 400 ~m~ unter dem
Meeresspiegel. Die Einflüsse der Jahreszeiten und der Witterung
fehlen hier völlig. Das Wasser ist dauernd still und unbeweglich.
Seine Temperatur ist sehr niedrig, häufig dem Gefrierpunkt nahe und
stets gleichbleibend. Eine weitere Eigenschaft der Tiefsee ist die
Lichtarmut. In größeren Tiefen unterhalb 1000 ~m~ herrscht sogar
völlige Finsternis.

In der Tiefsee sind also die Lebensbedingungen völlig anders als
im Flachwasser, und zwar handelt es sich nicht nur um geringfügige
biologische Veränderungen, sondern um gewaltige, durchgreifende
Faktoren. So ist es von vornherein klar, daß die Bewohner der Tiefsee
gänzlich anders organisiert sein müssen als alle anderen Lebewesen. Mit
Recht nennt +Dofflein+ die Tiefsee ein ungeheures Experiment der Natur,
in dem die normalen Lebensbedingungen künstlich abgeändert, ja geradezu
ausgeschaltet sind.

Mit Rücksicht auf die gleichmäßige Temperatur in der Tiefsee sind
ihre Bewohner stenotherm, d. h. sie sind lediglich auf eine bestimmte
Außentemperatur eingestellt und können keine Temperaturschwankungen
ertragen.

Ferner ist der Körper aller Tiefseebewohner sehr zart. Er zerreißt
und zerbricht sehr leicht. Das Skelett der Tiefseefische und die
Schalen der Tiefseekrebse sind auffallend dünn im Vergleich zu
den in höheren Wasserschichten lebenden Tieren. „Es ist ein sehr
verblüffender Anblick,“ sagt +Dofflein+, „wenn man das freipräparierte
und getrocknete Skelett eines Tiefseefisches vor sich liegen hat; denn
es gleicht einem Häufchen dünner Papierblättchen und wiegt nur wenige
Gramm.“

Der zarte Körperbau und die schwachen Knochenteile sind offenbar
eine Folge der Unbeweglichkeit des Wassers in der Tiefe des Meeres.
In dem ruhigen Element fehlen der Zug und Druck, die eine Bewegung
des Wassers hervorrufen, und die einen starken, widerstandsfähigen
Körperbau verlangen. Infolgedessen haben Tiere, die in bewegtem
Wasser leben, und noch mehr solche Arten, welche der Brandungszone
ausgesetzt sind, starke Muskulatur und feste Knochen, unter Umständen
sogar besondere Einrichtungen, sich am Boden festzuklammern, oder an
Gegenständen anzusaugen, wie die Aktinien. Alles dies fehlt dem Körper
der Tiefseetiere.

Die Tiefseetiere leben beständig unter einem starken Wasserdruck, der
aber infolge der absoluten Ruhe des Wassers stets gleichbleibt. Auch
hierfür mag der weiche, zarte Körperbau sehr günstig sein.

Die meisten Tiefseetiere erleiden, wenn sie an die Oberfläche gebracht
werden, starke Beschädigungen. Die Ursache liegt jedoch weniger in
der Druckveränderung, wie der Laie meist annimmt, sondern in dem
plötzlichen Temperaturwechsel und der Erschütterung des Körpers, der ja
auf völlige Ruhe eingestellt ist.

Im Mittelmeer ist die Temperatur in der Tiefe wärmer als im Ozean,
wo sie um den Nullpunkt liegt. Sie beträgt im Mittelmeer 12-13°~C~.
Werden in einer Zeit, wo die Lufttemperatur über dem Mittelmeer
ungefähr dieselbe Wärme hat, Tiefseetiere herausgefischt, so bleiben
sie in gutem Zustande. Unter diesen Umständen gelang es +Dofflein+,
Tiefseetiere aus dem Mittelmeer mehrere Tage am Leben zu erhalten.

Von großem Einfluß auf die Sinnesorgane der Tiefseetiere ist die
Lichtarmut in den Tiefen des Meeres. Die Augen sind entweder ganz
verkümmert, oder sie zeichnen sich durch gewaltige Größe und
absonderliche Gestalt aus.

Da gibt es Fische mit Teleskopaugen, die weit aus dem Kopf herausragen.
Sie sind röhrenförmig und unterscheiden sich von den Augen anderer
Fische hauptsächlich durch ihre Stellung. Während die normalen
Fischaugen an den Seiten des Kopfes liegen, so daß jedes Auge sein
eigenes Gesichtsfeld hat und daher ein monokuläres Sehen erfolgt,
liegen die Teleskopaugen dicht nebeneinander in einer Ebene, entweder
nach oben oder nach vorn gerichtet. Beide Augen überblicken also ein
und dasselbe Gesichtsfeld. Das Sehen ist binokulär. Die sehr große
Linse hat einen weiten Abstand von der Netzhaut. Die Hornhaut ist
stark gewölbt. Durch einen besonderen Muskelapparat kann die Linse der
Netzhaut willkürlich genähert werden, wodurch eine Akkommodation des
Auges ermöglicht wird als Ersatz für die Starrheit der Pupille, die
die Fische nicht vergrößern und verkleinern können. Die Funktion des
Teleskopauges gewährleistet eine bestmögliche Ausnutzung des geringen
Lichtes in der Tiefsee und eine leichte Wahrnehmung von Bewegungen.

Das Vorhandensein von Augen bei den Tiefseefischen, die sogar eine
äußerst sinnreiche Organisation erlangt haben, deutet von vornherein
darauf hin, daß in der Tiefsee keine völlige Dunkelheit herrschen
kann, wie man es früher angenommen hat, wenigstens nicht in jenen
Tiefen, in denen diese Fische leben. Ein gewisser Lichtschein muß
auch noch in die größeren Tiefen des Meeres eindringen. Daß dies
tatsächlich der Fall ist, haben die Versuche erwiesen, die man in
neuerer Zeit mit photographischen Platten gemacht hat. Hiernach
ist die Lichtintensität der Farbenstrahlen sehr verschieden. Nach
+Helland-Hansen+ ist die Einwirkung der roten Lichtstrahlen auf eine
im Meer versenkte photographische Platte schon in einer Tiefe von 100
~m~ sehr schwach, während die blauvioletten Strahlen bis zu 500 ~m~
Tiefe und die violetten und ultravioletten Strahlen sogar bis zu 1000
~m~ eine Einwirkung erkennen ließen. Die meisten Tiefseefische steigen
nicht tiefer als bis zu 500 ~m~ in das Meer hinab, und nur wenige Arten
leben in größeren Tiefen, deren Grenze nach den heutigen Forschungen in
etwa 1000 ~m~ liegt. So steht also den Tiefseefischen immer noch eine
gewisse Lichtquelle zur Verfügung. Auch halten sich die Tiefseefische
keineswegs ausschließlich in der Tiefsee auf, sondern dringen zeitweise
auch in das Pelagial ein, d. h. in die oberhalb der Tiefsee gelegene
Wasserschicht.

Die meisten Tiefseefische sind dunkel gefärbt, einige Arten rot und
silberweiß. Die dunkeln Fische leben in den größten Tiefen von 1000
~m~, die roten in geringeren Tiefen, deren obere Grenze 500 ~m~
beträgt, und die silberglänzenden Fische oberhalb 500 ~m~. In dieser
Vertikalverteilung der Farben liegt ein vorzüglicher Schutz. Da die
roten Lichtstrahlen in einer Tiefe von 500 ~m~ nicht mehr zur Geltung
kommen, so sind die roten Fische hier unsichtbar. Die silberweißen
Fische, welche in höheren Schichten leben und in das Pelagial bis zu
einer Tiefe von 150 ~m~ heraufsteigen, sind wieder in ihrer hellen,
glitzernden Farbe, die dem Wasser angepaßt ist, gut geschützt. --

[Sidenote: Leuchtorgane der Tiefseetiere]

Unter den in der Tiefsee vorkommenden Krebsen finden wir Formen mit
riesenhaft großen Augen, die ein Zehntel, ja sogar fast ein Sechstel
der Körpergröße erreichen. Ein kleiner, zu den Schizopoden gehörender
Tiefseekrebs (~Stylocheiron mastigophorum~) hat Stielaugen von 1
~mm~ Länge und ½ ~mm~ Breite bei einer Körpergröße von nur 6-8 ~mm~
Länge. Das sind Verhältnisse, wie sie unter den übrigen stieläugigen
Krebsen nicht im entferntesten vorkommen. Das Auge der Tiefseekrebse
ist ein überaus lichtstarkes optisches Instrument. Der Hintergrund
des Auges ist stark glänzend, um das Licht der Leuchtorgane anderer
Tiefseetiere, die den Krebsen zur Nahrung dienen, besser aufnehmen zu
können.

Andere Tiefseekrebse haben völlig verkümmerte Augen, wie die japanische
Tiefseekrabbe (~Cyclodorippe uncifera~). Dasselbe Tier kommt, wie
sein Entdecker +Chun+ feststellte, auch im Flachwasser vor und hat
hier wohlentwickelte Augen. Die Larven der blinden Tiefseeform sind
zunächst nicht blind, sondern haben Augen, die erst in der Metamorphose
verkümmern. Die Krebslarven sind sehr beweglich und durchschwimmen
weite Räume im Meer. +Chun+ konnte nun feststellen, daß die Larven der
Tiefseekrabbe sich viel schneller verwandeln als die Larven der im
Flachwasser wohnenden Rasse. Diese abgekürzte Metamorphose verhindert,
daß die Larve in höhere, hellere Regionen aufsteigt, in denen das
Auge durch den Lichtreiz nicht verkümmern würde. Die Dunkelheit ist
offenbar die Voraussetzung für die Bildung der rudimentären Augen der
Tiefseeform.

Bei den blinden Tiefseekrabben sind als Ersatz für die verkümmerten
Augen der Geruch und der Tastsinn sehr fein ausgebildet.

Viele Tiere der Tiefsee haben besondere Leuchtorgane am Körper. Sie
strahlen in verschiedenen Farben, in Gelbgrün, Blauviolett und Rot.
Der gelbgrüne Glanz ist der häufigste. Vielfach sind Leuchtkörper mit
verschiedenen Farben an demselben Tier vereint.

Die Leuchtorgane treten am meisten bei den Tiefseefischen auf. Sie
befinden sich hier an den verschiedensten Stellen des Körpers. Sie
sitzen teils am Ende der Strahlen der Rückenflossen auf besonderen
Tentakeln und werden hiernach Tentakelorgane genannt. Teils befinden
sie sich auf den Barteln, an der Basis der Flossen, auf dem
Kiemendeckel oder in der Umgebung der Augen. Schließlich können sie
auch in symmetrischen Reihen an den Körperseiten, am Schwanz und auf
dem Bauch liegen oder auch unregelmäßig über den ganzen Körper verteilt
sein.

Der Bau der Leuchtorgane ist äußerst kompliziert und mannigfaltig.
Das Leuchten ist nicht, wie man früher annahm, ein physiologischer
Vorgang, der im Protoplasma selbst erzeugt wird, sondern nach +Brauer+,
der sich eingehend mit der Erforschung der Tiefseefauna beschäftigt
hat, ein chemischer Prozeß. Die Drüsen der Leuchtorgane sondern eine
Ausscheidung ab, die in Verbindung mit Sauerstoff zum Leuchten gebracht
wird. In vielen Fällen wird das Sekret nach außen abgesondert, es
fließt ins Wasser und verbindet sich mit dem im Wasser enthaltenen
Sauerstoff. Der Leuchtprozeß geht dann also außen vor sich. Bei anderen
Leuchtorganen wird das Sekret nicht nach außen abgesondert, sondern der
chemische Vorgang spielt sich im Innern des Körpers ab, indem der zum
Leuchten notwendige Sauerstoff vom Blut des Fisches zugeführt wird. Die
Lichtproduktion ist hier also eine intrazelluläre. Die Lichtstärke der
Leuchtorgane beträgt etwa 0,0024 ~Mk~[3].

Bei vielen Leuchtorganen sind die Drüsen, welche das Sekret absondern,
mit einem Bindegewebe umschlossen, das nadelförmige Guaninkristalle
enthält und wie ein Scheinwerfer wirkt, der das Licht zurückwirft. Ein
Pigmentmantel hinter dem Reflektor blendet das Licht nach hinten ab.
Das einzelne Leuchtorgan stellt also eine regelrechte Laterne dar.
Die Leuchtorgane leuchten zum Teil nur auf einen besonderen Reiz, zum
Teil dauernd. Im letzteren Falle können sie abgeblendet werden, indem
sie mit Hilfe einer besonderen Muskulatur nach dem Körper zu umgedreht
werden.

Die Tiefseefische leben teils auf dem Meeresgrunde, teils in der
darüberliegenden Wasserschicht. Erstere nennt man wissenschaftlich
benthonische, letztere bathypelagische Fischarten. Die benthonischen
Formen leben meist gesellig und nähren sich von wenig beweglichen
Tieren. Sie sind daher im allgemeinen ruhig und träge. Die
bathypelagischen Fische sind Einzelgänger und leben von beweglicher
Beute. Sie sind daher sehr lebhaft und durchschwimmen auf der Suche
nach Nahrung große Strecken sowohl in horizontaler wie in vertikaler
Richtung im Meere. Viele bathypelagische Tiefseefische besitzen keine
Schwimmblase, wodurch die Bewegung in vertikaler Richtung erleichtert
wird. Die mit Gasen gefüllte Schwimmblase ist ein hydrostatischer
Apparat, mit dessen Hilfe der Fisch jederzeit sein spezifisches Gewicht
verändern und der Wassertiefe, in der er sich aufhält, anpassen kann.
Die Schwimmblase verändert ihren Umfang je nach dem Wasserdruck, der
auf dem Fischkörper lastet. Bei geringem Wasserdruck vergrößert sie
sich, bei zunehmendem Wasserdruck wird sie verkleinert. Eine plötzliche
Verringerung des äußeren Druckes kann sehr leicht eine Zerreißung
der Schwimmblase durch die schnelle Ausdehnung der Gase hervorrufen.
Dies tritt meist ein, wenn Tiefseefische im Netz an die Oberfläche
gebracht werden. Die Verkümmerung oder das Fehlen der Schwimmblase bei
vielen bathypelagischen Tiefseefischen ist also eine Anpassung an ihre
Lebensweise. Sie sind dadurch imstande, bei ihren Beutezügen schnell
tiefer und höher zu steigen, ohne Gefahr zu laufen, sich zu schädigen.

Muskulatur und Skelett der Tiefseefische sind weich und zart, die Haut
ist häufig glatt und gallertartig.

Leuchtorgane finden sich außer bei Fischen auch bei Krebsen und
Tintenfischen. Die Leuchtorgane der Krebse haben ihren Sitz teils
an den Augen, teils auf der Unterseite des Körpers und sondern ein
phosphoreszierendes Sekret ab.

Bei den Tintenfischen kommen zwei Formen von Leuchtorganen vor. Die
einen scheiden aus Drüsen ein leuchtendes Sekret aus, die anderen
besitzen einen Leuchtkörper und wirken als Laternen.

Die Ausscheidung des leuchtenden Sekrets aus den Drüsen ist bei einigen
Arten sehr stark. Die Flüssigkeit ergießt sich als grünlich leuchtende
Kugeln und Fäden ins Wasser und schützt das Tier in ähnlicher Weise wie
der Tintenerguß der gewöhnlichen Tintenfische vor den Angriffen seiner
Feinde. Diese werden durch die Leuchtmasse irregeführt und schnappen
danach, in der Meinung, es sei ihre Beute, während der verfolgte
Tintenfisch unterdessen entflieht.

In höchster Pracht treten die Leuchtorgane bei der Wunderlampe
(~Lycoteuthis diadema~) auf. Dieser Tintenfisch besitzt 22
Leuchtorgane, die am Kopf unterhalb der Augen, an den langen Fangarmen
und an den Bauchseiten sitzen und in den herrlichsten Farben
erstrahlen. Ihr Licht ist schneeweiß, perlmutterfarben, himmelblau,
dunkelblau und rot. Das ganze Tier sieht wie mit funkelnden Edelsteinen
besetzt aus. Der Bau dieser napfförmigen, nach außen gewölbten Organe
ist außerordentlich mannigfaltig. Es lassen sich nicht weniger als
10 verschiedene Systeme unterscheiden, nach denen diese 22 Laternen
hergestellt sind.

Die Leuchtorgane der Tiefseetiere erfüllen offenbar verschiedene
Aufgaben. Am nächsten liegt die Annahme, daß sie als Laterne dienen,
um die nähere Umgebung des Tiers zu erleuchten. Ältere Autoren,
besonders französische Forscher meinten, daß die finstere Tiefsee
durch die Leuchtorgane ihrer Bewohner dauernd von einem milden
Lichtschein erfüllt sei. Die Leuchtorgane sollten also ähnlich wirken
wie die Laternen auf der Straße. Eine solche Wirkung scheint aber
selbst bei einer starken Ansammlung der Tiere nicht möglich, da die
Lichtintensität viel zu gering ist. Das Leuchten kann nur für das
einzelne Tier auf kürzeste Entfernung in Betracht kommen. Auch ist
die Anzahl der leuchtenden Tiere im Vergleich zu nicht leuchtenden
Tieren viel zu gering, als daß eine allgemeine Beleuchtung dadurch
erzeugt werden könnte. So sind nur 11 Prozent aller bis jetzt bekannten
Tiefseefische mit Leuchtorganen ausgestattet. Man darf vielleicht
vermuten, daß ein stark bevölkerter Raumteil der Tiefsee etwa den
Eindruck eines Sternhimmels macht, aber auch nur eines schwachen
Sternhimmels, an dem einzelne Pünktchen aufblitzen. Der Wert der
Leuchtorgane für die Beleuchtung der Umgebung darf jedenfalls nicht zu
hoch eingeschätzt werden. Dagegen dienen diese Organe offenbar noch
anderen, bei weitem wichtigeren Zwecken. Ihre verschiedene Anordnung
auf dem Körper der einzelnen Tierarten, ihre wechselnde Anzahl und die
verschiedene Farbe des Lichts geben dem Träger ein bestimmtes Muster,
das sich mit der Fleckung und Streifung buntfarbiger Tiere vergleichen
läßt. Dies Muster dient wohl zur gegenseitigen Verständigung. Die
einzelnen Arten erkennen sich daran untereinander. Ferner sind bei
manchen Formen die Leuchtorgane geschlechtlich verschieden, haben also
eine sexuelle Bedeutung. Schließlich spielen die Leuchtorgane eine
wichtige Rolle für die Ernährung. Sie locken die Beutetiere herbei, die
durch das Licht angezogen werden, ebenso wie der Schein einer Lampe die
Insekten in der Nacht anlockt. In dem Gebrauch als Fangmittel liegt
vielleicht der größte Wert der Leuchtorgane.

Man darf vermuten, daß die Bedeutung der Leuchtorgane als gegenseitiges
Erkennungsmittel für die Art und das Geschlecht durch die verschiedene
Lichtfarbe wesentlich unterstützt wird. Wir dürfen aber hieraus nicht
unmittelbar den Schluß ziehen, daß die Tiere Farben wahrnehmen können.
Auch wenn die Tiere farbenblind sind, kann die verschiedene Färbung
des Lichtes doch von Nutzen sein, denn die Lichtintensität der Farben
ist verschieden. Der Vorteil kann ebensogut auf einer Empfindung der
wechselnden Lichtstärke der Farben beruhen, ohne daß diese selbst
erkannt werden.

Die Tiefseetiere haben zum Teil ganz absonderliche Körperformen.
Manche haben aalartige Gestalt mit einem abenteuerlichen Kopf. Der
Schnepfenaal (~Nemichthys scolopaceus~) hat lange dünne Kiefer, die
wie ein Schnepfenschnabel aussehen. Er erreicht eine Körperlänge
von fast einem Meter. Der Pelikanaal (~Macropharynx longicaudatus~)
hat einen gewaltigen Rachen mit langen, dünnen Kiefern, mit dem er
Fische verschlingen kann, die größer sind als er selbst. Auch er
erreicht die stattliche Körperlänge von 1,5 ~m~. Überhaupt zeichnen
sich viele Tiefseefische durch ein mächtiges Maul aus, das häufig
mit gewaltigen Zähnen bewaffnet ist. Ein solches Riesenmaul mit
zahlreichen, gefahrdrohenden Zähnen besitzt der zu den Fühlerfischen
gehörende ~Melanocetus krechi~. Der erste Strahl der Rückenflosse steht
bei diesem Fisch ganz vorn auf dem Kopf und ist zu einem langen Arm
ausgewachsen, der auf seinem vorderen Ende ein Leuchtorgan trägt. Der
Fisch kann den Arm nach vorn ausstrecken und trägt dann seine Laterne
vor sich her.

Unter den Leuchtsardinen der Tiefsee befindet sich eine Art,
~Bathypterois atricolor~, die keine Leuchtorgane besitzt, dafür aber
mit besonderen Tastorganen ausgerüstet ist. Auf jeder Kopfseite stehen
zwei lange Fäden, die dem Tastgefühl dienen.

Unter den niederen Tieren fallen als Bewohner der Tiefsee besonders
die prächtigen Glasschwämme auf, die in den verschiedensten Formen,
als Becher, Röhren, Kelche, Körbe oder Füllhörner auftreten. In ihren
zarten Weichteilen liegt ein durchsichtiges Kieselskelett, das einem
wundersamen Flechtwerk aus zarten Glasfäden gleicht. Die Grundgestalt
ist zwei- bis sechsstrahlig. Die einzelnen Strahlen verzweigen sich
in zahlreiche Äste, die die wunderbarsten Formen annehmen, die in
ihrer Mannigfaltigkeit nur noch von der Skelettbildung der Radiolaren
übertroffen werden. Sie gleichen zierlichen Sträuchern, kleinen
Tannenbäumchen oder Blütenkelchen.

[Sidenote: Tiefseeexpeditionen]

Tiefseetiere wurden noch in Tiefen zwischen 4000 und 5000
~m~ aufgefunden. Aus diesen ungeheuern Tiefen holte die
Valdivia-Tiefseeexpedition, die 1898 unter der Führung des Professors
+Chun+ stattfand, im antarktischen Meer Strahlentierchen und kleine
Ruderfußkrebse herauf.

Das Fischen der Tiefseetiere erfolgt mit einem besonderen Netz,
Dredsche genannt. Es schleift auf zwei eisernen Schlittenkufen und ist
10 ~m~ lang. Es wird mit zwei eisernen Oliven im Gewicht von zusammen
50 ~kg~ beschwert. Das Stahlkabel, an dem das Netz hängt, ist ~ca.~ 20
~mm~ stark und hat eine Druckfestigkeit von 5000 bis 8000 ~kg~. Die
Kabeltrommel der Valdivia-Expedition faßte 10000 ~m~ Kabel.

Die Netze bestehen aus Seidengaze, die mit einem derben Überzug
versehen ist. Es können also die kleinsten Lebewesen, die dem Plankton
angehören, darin gefangen werden. Zum Fischen in bestimmten Tiefen
werden besondere Schließnetze verwendet. Sie werden verschlossen
versenkt, in einer bestimmten Tiefe, die untersucht werden soll,
geöffnet und vor dem Hochziehen wieder verschlossen. Vor dem Fischen
erfolgt stets eine Tiefenlotung. Sowohl das Loten wie das Fischen in
großen Tiefen ist eine überaus mühevolle, sehr schwierige Arbeit, die
viel Geschick für den Fischer und die Schiffsmannschaft erfordert, da
das Schiff den Bewegungen der Apparate genau folgen muß. --

[Sidenote: Leuchtkäfer]

Leuchtorgane besitzen auch einige Käfer, die hiernach „Leuchtkäfer“
benannt sind. Nur die Männchen unserer Leuchtkäfer sind geflügelt,
während die Weibchen nur kleine verkümmerte Flügel besitzen und
ein wurmartiges Aussehen haben. Die Leuchtorgane befinden sich an
den Bauchringen in verschiedener Gestalt. Sie treten als Platten,
Punkte und Flecken auf. Das Leuchten beruht auf einer Zersetzung von
Fettstoffen, wobei jedoch keine Wärme erzeugt wird. Sogar die Larven
und die Puppen besitzen bei einigen Arten schon Leuchtorgane, und bei
dem in unseren Breiten vorkommenden großen Leuchtkäfer (~Lampyris
noctiluca~) leuchten sogar die Eier. Die Farbe des Lichtes wechselt
je nach der Art zwischen einem reinen Weiß und einem grünlichen oder
bläulichen Schein. Das Leuchten erfolgt entweder blitzartig mit
schnellen Unterbrechungen oder, wie bei unseren Leuchtkäfern, als ein
gleichmäßiges Glimmern.

Das Leuchten dient zur gegenseitigen Anlockung der Geschlechter. Sobald
ein leuchtendes Männchen durch die Luft fliegt, dann werfen sich die
in der Nähe befindlichen Weibchen auf den Rücken und strecken den Leib
empor, um ihr Licht leuchten zu lassen und sich nach Möglichkeit dem
begehrten Liebhaber bemerkbar zu machen.

Wo die Leuchtkäfer in großer Zahl auftreten, verwandeln die lebenden
Lämpchen die Landschaft in ein Märchenland. Überall in Hecken, Büschen
und auf dem Erdboden glühen die Lichter mit ihrem zierlichen Schein,
während die geflügelten männlichen Käfer wie feine Leuchtkugeln durch
die Luft schwirren -- ein Zauber aus Tausendundeiner Nacht.

Wunderbar ist das Schauspiel der Leuchtkäfer in den Tropen, wo sie zu
Tausenden und aber Tausenden die Berghänge und Flußufer bewohnen.
Hier leben jene Arten, deren Leuchtorgane blitzartig aufleuchten. Die
in tiefes Dunkel gehüllte Landschaft erstrahlt plötzlich in Tausenden
und Millionen von Lichtern, die nach wenigen Augenblicken wieder
erlöschen, ein wunderbares Spiel, das sich in kleineren und größeren
Zwischenräumen die ganze Nacht hindurch wiederholt.

[Sidenote: Leuchtorgane der Prachtfinken]

In Australien lebt ein herrlich gefärbter kleiner Prachtfink, den
der englische Ornithologe +Gould+ seiner Frau zu Ehren Goulds
Amadine (~Munia gouldiae~) benannte. Dieser reizende Vogel hat einen
tiefschwarzen Kopf, der mit einem kobaltblauen Bande umgeben ist.
Die Brust ist lilafarben, der Leib goldgelb, die ganze Oberseite
grasgrün. Schnabel und Füße sind hellrosa. Die Farben des sehr glatten
Gefieders gehen nicht allmählich ineinander über, sondern sind scharf
abgesetzt, so daß der Vogel wie bemaltes Porzellan aussieht. Neben
den schwarzköpfigen Vögeln kommen auch Vögel mit scharlachrotem
Gesicht vor, die noch schöner und farbenprächtiger aussehen und die
man daher „Wunderschöne Amadine“ genannt hat. Es hat sich jedoch
herausgestellt, daß beide Formen nicht verschiedene Arten sind, sondern
nur Mutationen, d. h. willkürliche Abänderungen ein und derselben Art.
Die Mutationstheorie wurde zuerst von dem Botaniker +de Vries+ im
Jahre 1901 aufgestellt. Die Mutation, d. h. die plötzlich bei einer
Tierart auftretende Veränderung ist eine erbliche Eigenschaft, die zu
einer Umwandlung der Art führen kann. Die verschiedenen Formen werden
wissenschaftlich „Mutanten“ genannt. Die schwarzköpfige und rotköpfige
Form der Gouldsamadine sind also keine verschiedenen Arten, sondern
Mutanten derselben Art.

Was hat nun die Gouldsamadine, die in ihrer Farbenpracht eine Schöpfung
des Sonnenlichtes in wahrer Bedeutung ist, mit einem Leben in Nacht und
Finsternis zu tun?

Im Schnabelwinkel der jungen Nestvögel befinden sich eigentümliche,
etwa hirsekorngroße halbkuglige Gebilde, über deren Bedeutung man sich
lange Zeit im unklaren war, bis der Leipziger Zoologe +Chun+ entdeckte,
daß diese Gebilde Leuchtorgane sind. Die Leuchtkraft beruht aber
nicht auf eigner Lichtproduktion, sondern sie wird durch auffallende
Lichtstrahlen, die zurückgeworfen werden, erzeugt. Die Leuchtkörperchen
wirken also als Reflektor. Der Vorgang ist derselbe wie bei den Augen
der Katze, die keine eigene Lichtquelle haben, sondern im Halbdunkel
durch Lichtreflex glühen. Die Leuchtorgane der Gouldsamadine bestehen
aus verdicktem Bindegewebe von bläulichem Seidenglanz mit einer
dahinterliegenden dunkeln Pigmentschicht. Eine Drüsenbildung, welche
nach Art der Tiefseefische ein leuchtendes Sekret absondert, ist nicht
vorhanden, woraus mit Sicherheit hervorgeht, daß das Leuchten kein
chemischer Prozeß sein kann.

Die Gouldsamadinen bauen ein überwölbtes Nest. Die Jungen wachsen also
im Halbdunkel heran. Ihre Leuchtorgane dienen daher den Vogeleltern bei
der Atzung als Wegweiser, wohin sie das Futter zu richten haben. Auch
andere junge Prachtfinken besitzen diese Laternen im Rachen.

Die Prachtfinken gehören zu den Sperlingsvögeln, d. h. zu den Vögeln,
deren Junge bei der Atzung „sperren“. Sie recken, um das Futter von
den Eltern zu empfangen, Hals und Kopf in die Höhe und sperren den
Schnabel weit auf: Schnabel und Rachen bilden einen weiten Trichter,
in den die alten Vögel die Atzung hineinstecken. Der Schnabelwinkel
dieser „sperrenden“ Jungvögel ist mit einer weichen, dicken Haut
überzogen, die eine leuchtend gelbe oder rötliche Färbung hat. Häufig
ist auch der Rachen gelb oder rot gefärbt, und auf der gelben oder
roten Zunge befinden sich bisweilen noch lackschwarze Punkte. Diese
auffallende Schnabel- und Rachenfärbung hat offenbar auch den Zweck,
den Vogeleltern die Fütterung zu erleichtern, denn die halbkugligen,
oben offenen Vogelnester stehen meist im dichten Gebüsch, in Hecken
oder im schützenden Blätterdach, also im Schatten. Wenn der alte Vogel
zur Fütterung seiner Kinder auf den Nestrand fliegt, dann leuchten
ihm die buntgefärbten Rachen der hungrigen Jungen entgegen, auf denen
gewissermaßen geschrieben steht: „Hierher das Futter.“

Außer den eigentlichen Sperlingsvögeln, die ihren Namen nach dem
„Sperren“ der Jungen tragen, haben noch einige andere Formen in der
Jugend hellgefärbte Wülste am Schnabelrande, wie z. B. der Wiedehopf
und der Kuckuck, die sich ebenfalls mit weit aufgesperrtem Schnabel
atzen lassen. Andere Jungvögel nehmen das Futter den Alten ab, was
z. B. bei allen Raubvögeln der Fall ist, oder sie stecken ihren
Schnabel in den Rachen des alten Vogels, um sich dessen Kropf-
oder Mageninhalt einwürgen zu lassen, wie es bei den Tauben und
Pelikanen Sitte ist. Solche Jungvögel besitzen keine buntfarbigen
Schnabelwinkel. --

[Sidenote: Winterschlaf der Amphibien]

Viele Tiere verbringen einen großen Teil ihres Daseins in einem
totenähnlichen Schlaf in dunkeln Verstecken, um dem verderblichen
Einfluß des Winters zu entgehen. Hierzu gehört der allbekannte
Winterschlaf der Amphibien und Reptilien.

Die Frösche graben sich mit Eintritt der kalten Jahreszeit in den
Schlamm der Teiche ein, um die Wintermonate in einem erstarrten,
bewußtlosen Zustande zu verbringen, bis sie das milde Frühjahrswetter
aus ihrem Totenschlafe zu einem neuen Leben erweckt. Wie mit einem
Schlage erscheinen dann plötzlich die Frösche in großer Menge, woraus
die alte Volkssage vom „Froschregen“ entstand. Die Kröten überwintern
im Gegensatz zu den meisten anderen Froschlurchen nicht in der
Nähe des Wassers, sondern an trockenen Orten. Sie verkriechen sich
in Erdhöhlen oder Felsspalten, deren Öffnung sie mit einem Erdwall
verschließen. Häufig beziehen viele Tiere denselben Schlupfwinkel zum
Überwintern.

Die größte Massenvereinigung während des Winterschlafes bildet der
so schön gelb und schwarz gefleckte Feuersalamander (~Salamandra
maculosa~), der nach dem Regen die Wälder des Harzes und Thüringens
so anmutig belebt. Zu Hunderten suchen die Tiere ein trockenes,
frostfreies, unterirdisches Versteck in moosigen Felswänden oder
in Bergwänden auf und verschlafen hier eng verschlungen die kalte
Jahreszeit.

Auch die Reptilien verbringen den Winterschlaf meist gesellig in
Erdhöhlen. Bei der Kreuzotter vereinigen sich häufig 10 bis 20 Tiere.

[Sidenote: Sommerschlaf der Amphibien]

Ebenso wie Lurche und Kriechtiere im kalten Klima einen Winterschlaf
halten, verbringen sie in der heißen Zone die Trockenheit in einem
Sommerschlaf in unterirdischen Verstecken. Die Frösche graben sich in
den Schlamm der Gewässer, solange er noch weich und feucht ist, und
warten hier die Zeit der Dürre ab. Echsen und Schlangen verkriechen
sich in die Erde oder in Felshöhlen.

In den Tropenwaldungen, wo die Feuchtigkeit der Luft das ganze Jahr
hindurch gleichmäßig bleibt und keine Trockenperiode eintritt, halten
Lurche und Kriechtiere keinen Sommer- und Winterschlaf, sondern bleiben
ohne Unterbrechung rege.

[Sidenote: Winterschlaf und Sommerschlaf der Reptilien und Fische]

Während des Winter- und Trockenschlafes wird die Lebenstätigkeit
wesentlich eingeschränkt, aber nicht völlig unterbrochen, wie der
Laie vielfach glaubt. Herzschlag und Blutzirkulation werden bedeutend
langsamer, die Atmung hört fast ganz auf, ein Stoffwechsel findet
nicht statt. Die Ernährung des Körpers wird durch das vor dem Schlaf
reichlich angesetzte Fett besorgt. Während des Schlafes verliert der
Körper erheblich an Gewicht.

Auffallend ist, daß die Tiere nach dem Erwachen nicht etwa schwach
und matt sind, sondern gleich sehr regsam und frisch. Sie nehmen
sofort Nahrung zu sich und bewegen sich in gewohnter Weise. Die
Landschildkröten, welche sich ziemlich tief in die Erde eingraben,
haben sogar eine nicht unerhebliche Kraftprobe zu leisten, um sich aus
der Erde wieder zur Oberfläche emporzuarbeiten.

Die Dauer des Winterschlafes ist je nach dem Klima verschieden.
In nördlichen Gegenden, wo der Winter sehr streng ist und lange
anhält, währt auch der Winterschlaf sehr lange und dehnt sich unter
Umständen über ein halbes Jahr hinaus aus. Nach +Simroth+ verbringt
die lebendiggebärende Bergeidechse (~Lacerta vivipara~), deren
Verbreitungsgebiet sich in Europa und Asien bis zum 70. Grad nördl. Br.
erstreckt, in der nördlichen Zone ihrer Heimat 9 Monate im Winterschlaf
zu. Sie befindet sich also während des größten Teils ihres Lebens in
einem erstarrten Zustande der Lethargie.

Ein Winter- bzw. Sommerschlaf kommt auch bei den Fischen vor, was im
allgemeinen weniger bekannt ist. Wir lernten die Tiefseefische als
stenotherm kennen, d. h. sie sind einer bestimmten Temperatur angepaßt,
da die Temperatur der Tiefsee konstant ist. Stenotherm sind ferner die
Fische der Polarmeere und der Tropengewässer, in denen ebenfalls keine
großen Temperaturunterschiede sich geltend machen. Die anderen Fische
sind eurytherm, d. h. sie können bis zu einem gewissen Grade erhebliche
Wärmeschwankungen vertragen.

Für jede Fischart gibt es eine bestimmte Normaltemperatur, unter
der ihr Körper die größte Leistungsfähigkeit bekundet, was sich in
gesteigerter Freßlust und im Laichgeschäft zeigt. Die Normaltemperatur
der einzelnen Fischarten ist sehr verschieden. Die Temperaturzone
wird nach oben durch eine Maximaltemperatur, nach unten durch eine
Minimaltemperatur begrenzt. Innerhalb dieser Grenzen bleibt die
Lebenstätigkeit ungestört. Werden die Grenzen überschritten, so
erleiden Körper und Organe eine Einbuße an Aktivität, und bei weiterer
Steigerung wird der Tod herbeigeführt.

Ein Sinken der Wassertemperatur unter die niedrigste Grenze der
Temperaturzone ruft bei den Fischen einen Zustand hervor, der sich
mit dem Winterschlaf der Amphibien und Reptilien vergleichen läßt.
Die Fische vergraben sich dann im Grunde, nehmen keine Nahrung mehr
zu sich, und die Lebenstätigkeit wird eingeschränkt. Sie verfallen in
einen erstarrten Zustand, in dem die Herztätigkeit von 20-30 Schlägen
in der Minute auf 1-2 Schläge zurückgeht. Ebenso wie bei den Reptilien
erfolgt der Bedarf des Stoffwechsels aus dem aufgespeicherten Fett.
Die im Frühjahr steigende Wassertemperatur ruft die schlafenden Fische
zu neuem Leben wach. Sehr niedrige Kältegrade vertragen die wenigsten
Fische. Eine Ausnahme macht der Karpfen, der sich nicht in den Schlamm
eingräbt, sondern im Eis einfrieren läßt und Kälte bis zu 20°~C~
erträgt. Eingefrorene Fische bleiben jedoch nur so lange lebensfähig,
als das Blut in den Adern flüssig bleibt und nicht gefriert. Ebenso muß
das Auftauen sehr allmählich vor sich gehen. Andernfalls bildet der
schmelzende Zellsaft destilliertes Wasser, das den Organismus vergiftet.

In der heißen Zone halten die Fische einen Sommerschlaf, wenn in der
Zeit der Dürre das Wasser austrocknet. Sie vergraben sich vorher in den
Schlamm und verfallen, sobald sich eine harte Kruste darüber gebildet
hat, in Erstarrung, welche die Atmung völlig unterbricht.

Die in den Gewässern des tropischen Afrikas lebenden Molchfische hüllen
sich im Sommerschlaf in eine Kapsel aus Schlamm ein, von der eine
röhrenförmige Öffnung nach der Oberfläche führt. Das untere Ende dieses
Luftschachtes mündet vor dem Maul des Fisches, dem hierdurch dauernd
Luft von außen zugeführt wird. Eine Sauerstoffzufuhr durch die Luft
kann nur einem Lungenatmer dienlich sein, aber nicht einem Fisch, der
durch Kiemen im Wasser atmet, und da sehen wir nun bei den Molchfischen
die eigenartige Erscheinung, daß seine Kiemen sehr zurückgebildet sind
und die Schwimmblase zur Lunge geworden ist. Sie sind also befähigt,
auch in der Luft zu atmen, und erinnern daher an die Molche, die trotz
ihres Lebens im Wasser Lungenatmer sind. Bei den Molchfischen wird
also während des Sommerschlafes die Atmung nicht eingestellt, sondern
sie erfolgt durch die als Lunge funktionierende Schwimmblase. Auch im
Wasser kommen die Molchfische öfters an die Oberfläche, um Luft zu
schöpfen, da die unvollkommene Kiemenatmung ihnen nicht genügt. Eine
nah verwandte Art des afrikanischen Molchfisches ist der Schuppenmolch,
der den Amazonenstrom bewohnt und dieselbe Lebensweise führt.

Auch andere Fische besitzen die Fähigkeit, den zum Leben notwendigen
Sauerstoff nicht allein aus dem Wasser, sondern auch aus der
atmosphärischen Luft zu schöpfen. Hierzu gehören die Labyrinthfische
der tropischen Gewässer Afrikas und Asiens. Die Labyrinthfische
besitzen außer den Kiemen noch ein besonderes Organ, das Labyrinth,
welches zur Luftatmung dient. Das Labyrinth ist ein sackartiges
Gebilde im Kopf, das mit den Kiemen und der Rachenhöhle in Verbindung
steht und von einer blutgefäßreichen Haut umgeben ist. Der Fisch
füllt das Labyrinth durch Schnappen mit dem Maul mit Luft. Es findet
ein lebhafter Gaswechsel zwischen dem Blut und der Luft statt. Das
Labyrinth erfüllt also die Tätigkeit einer Lunge. Die Luftatmung durch
das Labyrinth ist für die Labyrinthfische nicht nur ein zeitweiser
Ersatz für die Kiemenatmung, sondern geradezu eine Notwendigkeit. Sie
sterben in kurzer Frist, wenn man sie gewaltsam verhindert, an die
Oberfläche zu kommen und Luft zu holen. Ihre Fähigkeit, Luft zu atmen,
nutzen die Labyrinthfische im weitgehendsten Maße aus. Der indische
Schlangenkopf (~Ophiocephalus striatus~) unternimmt weite Wanderungen
auf dem Lande, wobei er sich schlängelnd fortbewegt und sich mit Hilfe
der Brustflossen und Schwanzflosse vorschiebt.

Der ebenfalls in Indien heimische Kletterfisch (~Anabas scandens~) geht
nicht nur zeitweise ans Ufer, sondern steigt sogar auf schräg aus dem
Wasser herausragende Baumstämme.

Zu den Labyrinthfischen gehören ferner die Guramis, Kampffische
und Makropoden, welche in der Aquarienliebhaberei heute eine große
Rolle spielen und auch teilweise in Gefangenschaft zur Fortpflanzung
schreiten.

Die Labyrinthfische halten in der Trockenzeit einen Sommerschlaf im
Schlamm, wobei ihnen die Labyrinthatmung zugute kommt.

Auch unter unseren einheimischen Fischen gibt es einige Arten, die
einen Sommerschlaf halten. Schleie und Schmerlen verfallen bei
allzu großer Wasserwärme in einen lethargischen Zustand, den man
„Wärmestarre“ nennt. Die Schmerlen vergraben sich hierbei in den
Schlamm, die Schleie legen sich auf dem Grund auf die Seite. --

[Sidenote: Winterschlaf der Säugetiere]

Ein Winterschlaf, in dem der Körper erstarrt und die Lebenstätigkeit
vermindert wird, kommt nicht nur bei den kaltblütigen Tieren vor, die
eine sehr zähe und widerstandsfähige Natur haben, sondern sogar bei den
Warmblütern.

Die kleine Haselmaus baut sich im Moos und Laub auf der Erde aus
Gräsern und feinen Reisern, die mit Speichel fest ineinander verkittet
werden, ein kugelrundes Nest, in dem sie sich zusammenrollt und die
kalten Wintermonate verschläft. Die Haselmaus ist ein ausgesprochenes
Baumtier, lebt von Nüssen, Eicheln und anderen harten Früchten, sowie
von Beeren und Blattknospen und klettert außerordentlich gewandt in
den Zweigen umher. Der nah verwandte Gartenschläfer und ebenso der
Siebenschläfer halten in einem aus Moos und Laub errichteten Nest in
einer Baumhöhle, Felsspalte oder in altem Gemäuer einen tiefen und
langen Winterschlaf. Das Alpenmurmeltier überwintert familienweise in
einem etwa 1-1½ ~m~ unter der Erde liegenden, selbstgegrabenen und
mit Heu ausgepolsterten Kessel. Die Heuernte des Murmeltiers beginnt
bereits im August. Die Tiere beißen dann das Gras ab, lassen es
trocknen und tragen es in die für den Winterschlaf angelegte Behausung.

Die Fledermäuse überwintern in Kellern, Dachgiebeln, Höhlen und hohlen
Bäumen. Sie hängen sich zu ihrem langen Schlaf an den Hinterfüßen auf
und wickeln sich ganz in die Flughäute ein. Sie hängen entweder frei an
der Decke oder krallen sich an den Wänden an. Viele Arten vereinigen
sich zum Winterschlaf in großen Gesellschaften, häufig zu vielen
Hunderten und hängen dann in Klumpen dicht neben- und übereinander.
Eigentümlich ist die verschiedene Haltung der Ohren während des
Schlafes. Manche Fledermäuse strecken die Ohren weit heraus, andere
rollen sie zusammen oder verbergen sie mit dem Kopf ganz unter der
Flughaut.

Die meisten winterschlafenden Säugetiere, wie Haselmaus, Hamster,
Siebenschläfer, Gartenschläfer und Ziesel, füllen ihre Schlafkammern
mit Futtervorräten an, von denen sie besonders in der ersten Zeit,
wenn sie ihr zurückgezogenes Dasein beginnen, leben, und die ihnen nach
ihrem Erwachen die erste Nahrung spenden.

Der Schlaf dieser Tiere ist nicht anhaltend wie bei den Reptilien und
Amphibien, sondern er wird hin und wieder unterbrochen.

Genaue Untersuchungen sind in neuerer Zeit über den Verlauf des
Winterschlafes beim Murmeltier angestellt worden. Sobald das Murmeltier
sich in seine winterliche Behausung zurückgezogen hat, fällt es nicht
sogleich in festen Schlaf, sondern es schläft nur zeitweise. Die Dauer
des Schlafes wird allmählich länger, die Zeit des Wachseins kürzer, bis
nach etwa 2 Wochen der eigentliche, tiefe Winterschlaf beginnt, der
jedoch alle 3-4 Wochen von einem kurzen, etwa zwölfstündigen Erwachen
unterbrochen wird. Am Schluß der Überwinterung, die etwa 5-6 Monate
dauert, folgt wieder eine zweiwöchentliche Periode des Halbschlafs, in
der die Pausen zwischen Schlafen und Wachen immer kürzer werden und die
Schlafdauer abnimmt, bis schließlich das Tier sein Winterlager verläßt.
Auch Haselmaus, Siebenschläfer, Hamster und Ziesel unterbrechen
zeitweise ihren Schlaf. Hamster und Ziesel verlassen sogar an milden
Wintertagen auf kurze Zeit ihren Bau, um ihn freilich sehr bald wieder
aufzusuchen und den Schlaf von neuem zu beginnen.

Bei den Fledermäusen, die keine Vorräte eintragen, scheint der Schlaf
schneller einzusetzen und auch fester und anhaltender zu sein. Freilich
erwachen auch sie hin und wieder und fliegen dann in dem Keller oder
Gewölbe, in dem sie Unterschlupf suchten, umher, scheinen aber auch
häufig die ganze Zeit des Winterschlafes in Erstarrung zu verbringen.

Ebenso wie bei den Kaltblütern wird auch bei den Säugetieren im
Winterschlaf die Lebenstätigkeit herabgesetzt. Die Atmung wird auf
ein Minimum beschränkt, die Bluttemperatur nimmt erheblich ab, der
Stoffwechsel wird bedeutend verringert, ohne jedoch völlig aufzuhören.
Schlafende Murmeltiere atmen nur zwei- bis sechsmal in der Minute,
im wachenden Zustande aber fünfzig- bis sechzigmal. Beim Ziesel
folgen die Atemzüge im Winterschlaf in Abständen von 50-56 Sekunden,
während im Wachen die Atmung 25mal so schnell vonstatten geht. Noch
viel langsamer ist die Atmung der erstarrten Fledermäuse, die nur
alle Viertelstunde einen Atemzug tun. Die verlangsamte Atmung bedingt
einen geringen Stoffwechsel und eine Abnahme der Bluttemperatur.
Beim Murmeltier beträgt der Sauerstoffverbrauch während des tiefsten
Schlafes nur ¹⁄₄₀–¹⁄₃₀ des Normalverbrauchs im wachen Zustande. Das
Blut wird konzentrierter und reicher an Kohlensäure. Ferner nimmt das
Azeton im Blute des schlafenden Tieres zu, wodurch nach +Dubois+ die
Wirkung eines Schlafmittels erzeugt wird. +Dubois+ betrachtet daher den
Winterschlaf als eine Autonarkose durch Kohlensäure und Azeton.

Der Körper der schlafenden Tiere ist kalt und starr. Die Temperatur
sinkt beim tief schlafenden Ziesel bis auf 2°~C~ herab. Sie beträgt bei
Fledermäusen etwa 7°~C~, bei Haselmäusen 9-14° gegen 35° bei wachenden
Tieren. Beim Erwachen tritt eine auffallend schnelle Steigerung
der Temperatur ein. Nach den von +Pembrey+ ausgeführten Messungen
steigt die Temperatur bei der Haselmaus innerhalb einer Minute von
13,5° auf 35,75°~C~, bei der Fledermaus in 14 Sekunden um 22,25° und
beim Murmeltier um 12°. Der Vorderkörper erwärmt sich schneller als
der Leibesteil. Eine so schnelle Erwärmung bedingt einen starken
Verbrennungsprozeß organischer Substanz, der sich in einer ungeheuer
großen Kohlensäureproduktion auswirkt. Die Kohlensäureausscheidung
beträgt pro Stunde und Kilogramm 2200 ~mg~ und ist mehr als doppelt so
groß wie im Normalzustand. Ferner ist beim Erwachen die Verbrennung
von Kohlehydraten sehr groß, die sich im Körper während des Schlafens
in Form von Glykogen aufgespeichert haben, da in dieser Zeit nur Fette
verbrannt werden.

Die Außentemperatur ist nur von geringem Einfluß auf die Temperatur
des winterschlafenden Tieres. Die Verminderung der Bluttemperatur
wird vielmehr durch die Veränderung des Organismus selbst erzeugt,
die durch das Aufhören der Ernährung, die Unbeweglichkeit, die
herabgesetzte Atmung und den Mangel an Sauerstoff hervorgerufen wird.
Da die Abnahme der Temperatur die charakteristischste Eigenschaft der
Winterschläfer ist, so meint man, daß diese allmählich einsetzende
Körperbeschaffenheit den Zustand des starren Schlafes erzeugt, den
andere Forscher, wie oben gesagt wurde, für eine Autonarkose durch
Kohlensäure und Azeton halten. Soviel scheint jedenfalls festzustehen,
daß der Schlaf der Säugetiere ebenso wie der Schlaf der Kaltblüter
nicht allein durch äußere Temperatureinflüsse hervorgerufen wird,
sondern seine Ursache auch im Innern des Organismus hat. Hierfür
spricht ferner die Erfahrung, daß Haselmäuse und Fledermäuse auch
im warmen Zimmer in Schlaf fallen, der freilich nicht so tief und
anhaltend ist wie im Freien. Andererseits leiden die Tiere sehr
darunter oder sterben, wenn sie künstlich wachgehalten werden. Der
Winterschlaf ist also ein notwendiges Lebensbedürfnis.

[Illustration:

  Abbildung 20      A. Spaney phot.

Wandelndes Blatt

Beispiel für Mimikry]

[Illustration:

  Abbildung 21      James’ Preß Agency, London

Chamäleon

mit vorgestreckter Zunge]

Daß Kälte allein nicht den Schlaf hervorruft, geht ferner daraus
hervor, daß mitunter auch ein Sommerschlaf stattfinden kann. Bei
+Forel+ schlief ein Siebenschläfer im Sommer vom Mai bis zum August,
und umgekehrt ließen sich Ziesel im Sommer durch künstlich erzeugte
hohe Kälte nicht zum Schlafen bringen. Eine Vorbedingung zum Schlaf
scheint eine starke Anhäufung von Fett zu sein. Alle Säugetiere setzen
vor dem Winterschlaf ein Fettpolster an, das häufig umfangreicher ist
als die Muskulatur, und von dem sie in dem Zustande der Lethargie
zehren. Allzu reichliche Fettbildung scheint daher den abnormen
Sommerschlaf hervorzurufen, da solche Tiere stets einen ungewöhnlichen
Fettansatz besaßen. Andererseits fielen magere Tiere in Gefangenschaft
im Winter nicht in Schlaf, sondern blieben trotz niedriger
Außentemperatur wach und rege.

Wenn auch die Erzeugung des Schlafes von der Außentemperatur wenig
abhängig ist, so läßt sich doch eine gewisse Grenze erkennen, die
nicht überschritten werden darf, um den Schlaf zu erhalten. So stellte
+Pflüger+ durch Versuche fest, daß Murmeltiere bei einem Sinken der
Außentemperatur unter 4° erwachten.

Eine eigentümliche Erscheinung ist das periodisch sich einstellende
Erwachen während des tiefen Schlafes. Es dient hauptsächlich der
Harn- und Kotentleerung, die im Winterschlaf nicht unterbrochen
werden, wenigstens nicht bei allen Tieren. Man hat diesen Vorgang beim
Murmeltier näher beobachtet und dabei festgestellt, daß der Druck der
angefüllten Blase Zuckungen hervorruft, welche die Atmungsbewegungen
reflektorisch beschleunigen und hierdurch das Erwachen des Tieres
veranlassen. Werden diese Zuckungen der Blase pathologisch
unterbrochen, so schläft das Tier weiter, bis es stirbt.

Während des schlafenden Zustandes sammelt sich das Blut im Herzen und
in den großen Gefäßen in der Brust und im Leibe, während das Gehirn
fast blutleer wird. --

Das Körpergewicht nimmt im Winterschlaf bedeutend ab. Die Tiere
verlassen ziemlich abgemagert ihr Lager.

Die Zeit des Winterschlafes ist verschieden und richtet sich nach
der geographischen Lage der Heimat. Im hohen Norden währt der Schlaf
bedeutend länger als im gemäßigten Klima. Die Schlafzeit schwankt
zwischen 2 und 7 Monaten. Am längsten dauert sie bei den Fledermäusen
und dem Murmeltier, die etwa ein halbes Jahr im Winterschlaf verbringen.

Die starke Abkühlung der Körpertemperatur macht die schlafenden
Säugetiere den kaltblütigen Tieren ähnlich, was auch in einer großen
Lebenszähigkeit hervortritt. Das herausgenommene Herz schlägt bei
Aufbewahrung in kühler Temperatur noch mehrere Stunden. Schneidet man
schlafenden Fledermäusen den Kopf ab, so treten noch nach einer Stunde
Reflexbewegungen auf.

Weniger fest als bei den bisher genannten Tierarten ist der
Winterschlaf des Dachses und des Bären. Der Dachs bezieht seinen für
den Winterschlaf gut ausgepolsterten Bau mit Eintritt der kälteren
Jahreszeit, lebt hier zunächst noch einige Zeit von den aufgestapelten
Vorräten und rollt sich erst mit Eintritt des Frostes zum Schlaf
zusammen, den er jedoch öfters unterbricht. In milden Wintern verläßt
er auch zeitweise in der Nacht seinen Bau, um zu trinken und Nahrung
zu sich zu nehmen. Die Ernährung erfolgt jedoch hauptsächlich durch
die reiche Fettschicht, die er sich im Laufe des Sommers und Herbstes
angemästet hat. Gänzlich abgemagert kommt er dann im Frühjahr zum
Vorschein.

Noch weniger fest als der Dachs schläft der Bär. Erst mit Eintritt der
Kälte und nach starkem Schneefall bezieht er sein Winterlager, das
sich in Erdhöhlen, hohlen Bäumen, im Gestrüpp oder unter Wurzelhöhlen
befindet und stets vor den rauhen Nord- und Ostwinden geschützt ist.
Die Bärin bezieht im allgemeinen ihr Winterlager früher als der Bär
und polstert es auch mit Moos und Laub aus, in dem sie während des
Winterschlafes 1-3, bisweilen auch 4 Junge wirft. Während des Werfens
ist die Bärin wach, schläft aber nachher wieder ein.

Der Bär legt zu seinem Winterlager häufig weite Wanderungen zurück, die
sich über 200-300 ~km~ erstrecken können. Nur sehr alte Bären nehmen
hiervon Abstand und schlagen sich in der Nähe ihres Aufenthaltsorts
ein. Selten begibt sich der Bär auf geradem Wege zur Lagerstätte, in
der Regel macht er zahlreiche Widergänge und Sprünge nach verschiedenen
Richtungen, die manchmal 4-6 ~m~ weit sind, um seine Spur zu
verwischen. Ja, die Vorsicht geht sogar bisweilen so weit, daß der Bär
manche Strecken rückwärts schreitend zurücklegt, um seine Fährte zu
verwischen und sein Winterlager zu verheimlichen.

Der Bär versinkt nicht wie andere Winterschläfer in einen völlig
starren, lethargischen Zustand, sondern befindet sich nur in einem
Halbschlaf, aus dem er schon durch geringe Geräusche und Störungen
leicht erweckt wird. Er ist dann sofort rege und flüchtet aus dem
Lager. Infolgedessen muß das Einkreisen schlafender Bären sehr
vorsichtig und ruhig geschehen, damit der Bär nicht vorzeitig das
Lager verläßt und den Schützen entgeht. Manche Bären verlassen auch
freiwillig ihren Schlafplatz, wandern umher und beziehen ein anderes
Lager.

Je feister der Bär ist, um so fester liegt er im Lager. Der Fettansatz
scheint also wie bei den anderen Winterschläfern die Schlafsucht zu
befördern.

Während des Winterschlafes nimmt der Bär keine Nahrung zu sich, nicht
einmal die Bärin, obwohl sie ihre Jungen säugen muß. Auch scheint keine
Harn- und Kotentleerung stattzufinden, denn der Bär fastet schon 2
Wochen vor dem Beziehen des Winterlagers.

Beim Bären wird im Gegensatz zu den meisten anderen Säugetieren, die
im Winter schlafen, der Schlaf allein durch die Kälte veranlaßt, aber
nicht durch innere physiologische Vorgänge; denn im milden, frostfreien
Winter schlägt er sich überhaupt nicht ein, sondern bleibt dauernd
rege. Auch gefangene Bären halten meist keinen Winterschlaf und bleiben
trotzdem gesund bis ins hohe Alter. Der Winterschlaf ist also für den
Bären keine Lebensnotwendigkeit.

Wenn der Bär im Frühjahr das Winterlager verläßt, dann gebraucht er
zunächst eine gründliche Abführkur, um Magen und Gedärme wieder in
Ordnung zu bringen. Zu diesem Zwecke verzehrt er Moos und Moosbeeren,
die die Verdauung günstig beeinflussen.

Einen Winterschlaf halten nur die Landbären, aber nicht der Eisbär,
obwohl er die kalte Zone bewohnt. Er fühlt sich in der Region des
ewigen Eises im Sommer wie im Winter wohl.


  [3] ~Mk~ bedeutet Meterkerze, d. h. die Lichtintensität in
      Meterentfernung von einer Normalkerze.




Kunst und Handwerk im Leben der Tiere


Die Urahnen des Menschengeschlechts wohnten nach Art wilder Tiere
in natürlichen Felshöhlen. Erst die fortschreitende Entwicklung des
menschlichen Geistes weckte im Menschen den Gedanken, sich eigene
Wohnstätten zu erbauen und sich in bestimmten Gegenden, die günstige
Lebensbedingungen gewährten, anzusiedeln. So bildeten sich die ersten
menschlichen Niederlassungen. Die allmählich erwachende Kultur,
die eine Folge des Ackerbaues und der Ansiedlung der Menschen war,
verwandelte die ersten, primitiven Laubhütten in feste Gebäude, die
einen hinreichenden und dauernden Schutz gewähren sollten gegen die
Unbilden der Witterung, die Gefahr durch wilde Tiere und nicht zum
mindesten gegen die Angriffe, die die Menschen selbst gegeneinander
führten. Es entstanden Steinbauten, massive Wohnhäuser, Burgen und
Festungen.

Diese Errungenschaften der Kultur sind jedoch nicht das alleinige
Vorrecht des Menschen geblieben. Wir finden sie, wenn auch nicht in
gleicher Vollendung, so doch in ähnlicher Weise sogar in der Tierwelt.
Obwohl Kultur, Kunst und Wissenschaft der Tierseele fremd sind, so
wissen die Tiere dennoch, kunstvolle Bauten für ihre Unterkunft und ihr
Heim herzustellen, deren Ausführung unsere Bewunderung erregen muß.

[Sidenote: Kunstbauten des Bibers]

Ein vollendeter Baukünstler unter den Säugetieren ist der Biber. Er
errichtet sich feste Burgen und baut sogar Staudämme im Wasser nach
allen Regeln der Wasserbautechnik.

Die Behausungen der Biber liegen teils im Wasser, teils werden sie
am Ufer auf dem Lande oberirdisch oder unterirdisch angelegt. Die
unterirdischen Uferbauten bestehen in einem größeren Kessel, der höher
als der Wasserspiegel liegt. Von ihm führen mehrere Gänge zum Wasser,
die unter dem Wasserspiegel münden, so daß der Biber seine Wohnung
ungesehen, unter Wasser schwimmend, erreichen und verlassen kann.
Der Wohnraum ist mit Holzspänen ausgelegt. Häufig besteht die ganze
Anlage nicht aus einem, sondern aus mehreren Kesseln, die durch Röhren
miteinander verbunden sind.

Steigt bei anhaltendem Regen das Wasser sehr hoch, so daß der Uferbau
überschwemmt wird und die Wohnräume unter Wasser stehen, dann legen die
Biber weiter entfernte Notbaue an. Sie errichten auf dem Lande Hütten
aus Reisern und trockenem Laub, die sie so lange beziehen, bis der
Wasserstand gefallen ist und die Uferbaue wieder bewohnbar werden. Die
verlassenen Hütten liegen dann ziemlich weit vom Wasser entfernt und
ihre Zugangsröhren münden auf dem Lande.

Wenn dagegen umgekehrt in trockenen Jahren der Wasserstand so weit
fällt, daß die unter Wasser mündenden Zugangsröhren der Uferbauten
trocken gelegt werden, dann verkleiden die Biber die Öffnungen der
Röhren durch Vorbauten aus Reisig, die laubenartig zum Wasser führen,
so daß sie wieder, ohne ans Land steigen zu müssen, ihre Wohnungen
erreichen können.

Außer den Uferbauten und den Hütten errichten die Biber noch eine
dritte Art von Bauten, die sogenannten Burgen. Sie bestehen aus
Knüppeln, zernagten Baumstämmen und Ästen, die mit Erde, Schlamm,
Lehm und Sand verschmiert und verkleidet werden. Die Burgen haben die
Form einer Kuppel. Sie stehen entweder auf dem Lande in der Nähe des
Ufers oder mitten im Wasser. Die Zugänge führen stets unterhalb des
Wasserspiegels ins Wasser. Im Innern der Burg befindet sich ein Kessel
als Wohnraum und meist noch einige Vorratskammern. Die Luftzufuhr
nach dem Kessel erfolgt von oben her durch die dünne Decke. Bisweilen
ist auch ein Luftschlot vorhanden. Ob dieser Luftschacht absichtlich
vom Biber angelegt wird, oder ob er von selbst durch eine Senkung der
dünnen Oberlage entsteht, ist noch nicht aufgeklärt. Wird die Öffnung
zu groß, dann wird sie durch übergelegte Reiser verschlossen.

Die Wasserburgen sind die ursprünglichen Bauten des Bibers, die er
jedoch heute nur noch dort anlegt, wo er völlig ungestört lebt, wie im
Urwalde Kanadas, während die Biber an der Elbe und Mulde hauptsächlich
in unterirdischen Röhrenbauen wohnen und nebenbei noch Reisighütten
und Landburgen errichten. Die norwegischen Biber bauen hauptsächlich
Landhütten, in denen sich auch das Fortpflanzungsgeschäft abspielt, und
nur junge Tiere graben sich Erdröhren als Schlupfwinkel. In Frankreich
dagegen, wo der Biber noch vereinzelt im Rhonedelta vorkommt, legt
er sich meist Erdbaue im Steilufer an. Jeder Uferbau enthält zwei
Räume, von denen der größere als Vorratskammer dient, der kleinere den
Wohnraum und die Wochenstube bildet. Die Baue der Biber sind also je
nach der Örtlichkeit verschieden.

Die merkwürdigsten Bauten des Bibers, gegen die die Burgen und Hütten
ganz zurücktreten, sind die Dämme, mit denen die Tiere das Wasser
anstauen, um zu verhindern, daß der Wasserstand in trockenen Zeiten
zu niedrig wird und die Zugänge zu ihren Bauten freigelegt werden. Zu
diesem Zweck stecken die Biber starke Ast- und Baumstücke, die etwa 1-2
~m~ lang sind und einen Durchmesser von 10-15 ~cm~ haben, senkrecht in
den Grund des Flusses. Die dicht nebeneinander stehenden Pfähle werden
mit Reisern und Zweigen fest verbunden, und das Ganze wird mit Schilf,
Schlamm, Lehm und Erde verdichtet. Die Seite des Dammes, die der
Strömung entgegengerichtet ist, bildet eine senkrechte Wand, während
die andere Seite eine schräge Böschung darstellt. Hierdurch leistet
der Damm dem Wasserdruck den kräftigsten Widerstand. Die stärksten und
größten Dämme des amerikanischen Bibers sind 150-200 ~m~ lang, 2-3
~m~ hoch, am Grunde bis zu 6 ~m~ und oben bis zu 2 ~m~ dick. Es sind
also ganz gewaltige, leistungsfähige Wasserbauten, die imstande sind,
selbst reißende große Ströme in ihrem Lauf aufzuhalten und anzustauen.
Die Dämme werden entweder in gerader Linie von Ufer zu Ufer durch
das Wasser geführt oder auch stromaufwärts etwas gebogen. Schadhafte
Stellen werden sofort sorgfältig ausgebessert. Bei Hochwasser
überwachen die Biber die Dämme sehr eifrig und geben darauf acht, daß
kein Durchbruch entsteht. Reißt die Flut den Damm ein, so wird der
Schaden sogleich wiederhergestellt.

In der amerikanischen Wildnis, wo der Biber noch in großen Kolonien
lebt, geben die Dämme der Landschaft mit der Zeit ein ganz anderes
Gepräge. Durch die Anstauung des Wassers entstehen Teiche, die
allmählich immer größer werden und sich über die angrenzende Landfläche
ausbreiten. Mehrere Dämme einer größeren Biberkolonie in einem
Flußgebiet verursachen eine Kette von Teichen, die terrassenförmig
übereinanderliegen.

Werden solche Stellen später von den Bibern verlassen, so verfallen die
Dämme, die Teiche trocknen aus, und es entstehen sumpfige und morastige
Flächen, die mit einer üppigen Vegetation bewachsen. Einzelne Dämme in
Amerika werden von den Bibern seit Jahrhunderten erhalten, wie man aus
den Torfschichten, die den unteren Teil der Dämme überlagern, schließen
kann.

Das Material für seine Bauten holt sich der Biber aus dem Walde, wo
er sich unablässig damit beschäftigt, Bäume zu fällen. Das Fällen
geschieht in der Weise, daß der Biber in sitzender Stellung den Stamm
kranzförmig von zwei Seiten, nämlich von oben und von unten benagt.
Die Schnittflächen beider Kreise laufen schräg nach dem Innern des
Stammes und treffen sich hier. An dieser Stelle wird der Stamm immer
dünner, bis er schließlich seinen Halt verliert und umfällt. Da der
Biber meist die nach dem Wasser zugewendete Seite des Baumes stärker
benagt, so fällt dieser gewöhnlich nach der Wasserseite um, was den
Transport des Holzes ins Wasser erleichtert. Der gefällte Baum wird
dann von den größeren Ästen befreit und ins Wasser geschleift, indem
der Biber das Ende des Stammes mit den Zähnen erfaßt und so den Baum
vorwärts zieht, was bei schwerer Last langsam und ruckweise mit großer
Anstrengung erfolgt. Im Wasser wird dann die Rinde vom Stamm geschält
und das Holz zerkleinert und gebrauchsfähig gemacht. Für die Bauten
werden nur Holzstücke verwendet, die der Rinde völlig entkleidet sind.
Die zerkleinerten Stämme werden als Pfähle für den Bau der Dämme und
Burgen verwendet, die Zweige dagegen zur Verkleidung und Befestigung
des Bauwerks. Für seine Arbeiten wählt der Biber am liebsten Weiden,
sowie Pappeln, Birken und Eschen, wagt sich aber auch an Eichen und
andere Bäume mit hartem Holz heran. Etwa armdicke Stämme, die er in
kurzer Frist durchnagt, sind ihm besonders willkommen, er scheut
aber auch nicht davor zurück, dicke Bäume von 30, ja 60 oder 70 ~cm~
Durchmesser zu fällen. Am Großkühnauer See bei Dessau haben die Biber
sogar eine Silberpappel gefällt, deren Umfang fast 2 ~m~ betrug. Für
diese Riesenarbeit, die öfters unterbrochen, aber immer wieder mit
neuem Eifer begonnen wurde, gebrauchten die Tiere fast 3 Jahre.

Da die Nahrung des Bibers in Baumrinde, Zweigen und Blättern besteht,
so wird die Arbeit des Holzfällens das ganze Jahr eifrig ausgeübt. Auch
wird beständig an den vorhandenen Bauten ausgebessert, und neue Bauten
werden angelegt. Es fehlt also niemals an Arbeit, und diese ist auch
notwendig, damit die in dauerndem Wachstum begriffenen Nagezähne sich
ständig abschleifen.

Das Fällen der Bäume erfolgt nicht immer unmittelbar am Ufer, sondern
auch in einiger Entfernung davon. Da die Biber für ihre Arbeiten
mit Vorliebe dieselben Stellen aufsuchen, so entstehen mit der Zeit
abgeholzte Blößen, die sogenannten „Biberwiesen“, die durch die
stehengebliebenen Stümpfe mit den schrägen Schnittflächen sofort als
Biberarbeit kenntlich sind.

Die Biber halten auf ihren Wegen zum Arbeitsplatz bestimmte Wechsel
inne. Durch die Schwere ihres Körpers, der ein Gewicht bis zu 30 ~kg~
erreicht, und durch die Last der ins Wasser geschleiften Baumstämme
bilden sich in dem weichen, morastigen Boden Rillen, die sich mit
der Zeit immer mehr vertiefen und erweitern. Das Grundwasser sickert
durch und füllt die Rillen allmählich an, so daß regelrechte Kanäle
entstehen, welche zu dem Platz führen, wo das Holz gefällt wird, und
ebenso auch zu den Hütten und Landburgen, wenn sie etwas weiter vom
Ufer entfernt liegen. Die Biber haben hierdurch den Vorteil, anstatt
des unbequemen Fußmarsches, den sie sehr ungern ausführen, ihre Wege
schwimmend zurücklegen zu können. Die gefällten Baumstämme und Äste
brauchen nicht mühsam zum Wasser geschleppt zu werden, sondern können
auf den Kanälen geflößt werden, was die Arbeit wesentlich erleichtert.
Früher glaubte man, daß die Kanäle von den Tieren absichtlich zu
diesem Zwecke angelegt werden, dies ist jedoch, wie man neuerdings
festgestellt hat, nicht der Fall, sondern sie entstehen auf die
obenbeschriebene Art von selbst.

Einen Winterschlaf hält der Biber nicht. Er verbringt aber die kälteste
Jahreszeit, solange das Wasser zugefroren ist, in seiner Wasserburg
oder in dem Uferbau. Mit Eintritt der Kälte schichtet er große Mengen
von Holz und Ästen vor den unter Wasser liegenden Zugangsröhren auf,
die ein schwimmendes Floß bilden und ihm im Winter zur Nahrung dienen.
Von diesem Vorrat zieht er unter dem Eise den Bedarf an Holz in seine
Behausung hinein. Solange die Eisdecke nur schwach ist, durchbricht er
sie in der Nähe der Zugangsröhren seines Baues an einigen Stellen, um
ins Freie gelangen zu können.

Früher war der Biber über Europa weit verbreitet. In der Mark
Brandenburg kam der Biber noch bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts
vor. An der Havel und Nuthe hat er noch in den sechziger Jahren des
verflossenen Jahrhunderts gelebt. Die Kolonie Neu-Babelsberg bei
Potsdam führt ihren Namen nach dem Biber, der dort häufig vorkam. Der
Name Babelsberg leitet seinen Ursprung von „Biberberg“ her.

Heute lebt der Biber in Europa nur noch an der mittleren Elbe und
Mulde in der Umgebung von Magdeburg und Dessau, ferner im Rhonedelta
und im südlichen Norwegen. Jedoch ist er nirgends mehr häufig. Im
Elbgebiet hat ihn nur der ihm zuteil gewordene gesetzliche Schutz
vor dem Untergang bewahrt, und wir dürfen hoffen, daß der Biber als
Naturdenkmal uns auch weiter erhalten bleibt. In Rußland und Asien,
wo der Biber früher sehr häufig war, scheint er gänzlich ausgerottet
zu sein. Zahlreich ist der Biber noch in den Waldungen des nördlichen
Amerikas, besonders in Kanada, vertreten. Der amerikanische Biber
unterscheidet sich vom europäischen durch ein dunkleres Fell und einen
schmäleren Kopf mit stärker gewölbter Stirn. Er ist infolgedessen als
besondere Art „~Castor canadensis~“ von dem europäischen Biber „~Castor
fiber~“ abgetrennt worden.

Im Körperbau des Bibers fällt besonders der breite, flache, abgerundete
Schwanz auf, der ein vorzügliches Steuerorgan beim Schwimmen ist und
auf dem Lande beim Aufrichten des Körpers auch als Stütze benutzt
wird. Die Hinterfüße sind mit Schwimmhäuten versehen, die jedoch
den Vorderfüßen fehlen. Diese versteht der Biber sehr geschickt als
Hände zu gebrauchen, und sie leisten ihm daher bei seinen Baukünsten
vortreffliche Dienste. Die frühere Auffassung, daß der Biber seinen
breiten Schwanz als Kelle gebraucht, wenn er die Dämme und Burgen mit
Schlamm und Lehm verkittet, ist irrig. Er verrichtet diese Arbeit
ausschließlich mit den Vorderfüßen.

In der Bauchhöhle des Bibers liegen zwei eigenartige Drüsen, die
in der Öffnung der Geschlechtsteile münden und eine braune, stark
riechende Salbe absondern. Diese Drüsen, Geilsäcke genannt, dienen
offenbar zur Anlockung der Geschlechter und wohl auch zur gegenseitigen
Verständigung. Der Biber entleert den Inhalt der Drüsen mit Vorliebe an
seinen Ausstiegen, also an den Stellen, wo er aus dem Wasser ans Land
steigt, um hierdurch andere Biber anzulocken, da er als geselliges Tier
die Gesellschaft seinesgleichen liebt.

Ebenso wie der Biber gräbt sich auch der Fischotter unterirdische
Wohnungen ins Ufer. Die Zugangsröhren münden wie bei den Biberbauten
unter dem Wasserspiegel.

Geräumige Erdwohnungen errichten sich ferner Fuchs und Dachs. Zu dem
Kessel, der das Lager bildet, führen stets mehrere Röhren, so daß der
Fuchs oder Dachs, wenn er von einer Seite bedrängt wird, nach anderen
Seiten ungehindert entweichen kann. In ähnlicher Weise sind auch die
Erdbaue des Murmeltieres, Hamsters, Ziesels, der Ratten und Mäuse
angelegt.

[Sidenote: Brunnenbau des Maulwurfs]

Auch der Maulwurf baut sich in der Erde regelrechte Burgen, die ihm
als Wohnung dienen. Da die Geschlechter für gewöhnlich getrennt leben,
so besitzt jeder Maulwurf seine eigene Wohnstätte, in deren Umgebung
sein Jagdgebiet liegt, das er täglich mehrmals durchstreift. Die
Anlage der Wohnungen ist recht verschieden. Sie liegen meist 30-60
~cm~ unter der Erdoberfläche. Von der eigentlichen Behausung, dem mit
Gras und Blättern ausgepolsterten Kessel, führen mehrere horizontale
Laufgänge nach verschiedenen Richtungen in das Jagdrevier, sowie Röhren
nach oben zur Verbindung mit der Außenwelt. Besondere Luftschachte
enthält der Bau nicht, sondern die durch die Ritzen der aufgeworfenen
Erdschollen spärlich eindringende Luft gibt dem Maulwurf die notwendige
Sauerstoffversorgung. Die Baue der Weibchen sind einfacher und haben
weniger Röhren. Überhaupt machen sich in der Anlage der Baue große
Verschiedenheiten bemerkbar. Bisweilen liegen die Laufröhren in 2
Stockwerken übereinander.

Der Maulwurf trinkt gern und viel und ist daher sehr darauf bedacht,
daß er immer Wasser zur Verfügung hat. Befinden sich Wassertümpel
oder Teiche in der Nähe seines Reviers, so verbindet er diese durch
unterirdische Laufgänge mit seiner Wohnung, damit er stets schnell
seinen Durst löschen kann. Ist dies nicht möglich, dann baut er sich
regelrechte Brunnen. Er gräbt Schächte unter der Erde, in denen sich
das in die Erde dringende Regenwasser ansammelt. Falls die Trockenheit
nicht zu lange anhält, so bleiben die Brunnen stets mit Wasser
gefüllt. --

Andere Säugetiere errichten sich Wohnungen über der Erde, die zum Teil
an Vogelnester erinnern. Ein ganz reizendes Nest baut die zierliche
Zwergmaus, das sie aus zerschlissenen Rohrhalmen und Riedgras
herstellt. Das runde Nest ist oben überwölbt und hat einen seitlichen
Eingang.

Das Nest hängt entweder nach Art der Webervögelnester frei an einem
Zweig oder Halm, so daß es in der Luft hin und her schaukelt, oder
es wird in eine von den Mäusen sehr kunstvoll aus Riedgrasblättern
hergerichtete Tüte gestellt, welche durch Zusammenflechten einer
großen Anzahl von Gräsern angefertigt wird. Das Innere des Nestes, das
lediglich als Wochenstube dient, wird mit Pflanzenwolle ausgepolstert
(Abbildung 17).

Die Zwergmaus ist, wie ihr Name sagt, die kleinste aller Mäusearten und
erreicht nur eine Körperlänge von kaum 6 ~cm~. Sie lebt in Europa von
den Mittelmeerländern bis zum hohen Norden und in Sibirien, soweit der
Ackerbau reicht, denn Getreide bildet ihre Hauptnahrung. Sie ist oben
hellbraunrot und unten weiß gefärbt, klettert sehr gewandt in Halmen
und Zweigen umher und schwimmt auch vorzüglich. Ihr Aufenthalt sind die
Felder sowie das Röhricht in Brüchen und Sümpfen. Obwohl sie durchaus
nicht selten ist, wird sie doch wegen ihrer Kleinheit und ihrer
versteckten Lebensweise leicht übersehen.

Von allen Nagetieren ist die Zwergmaus für die Gefangenschaft besonders
geeignet. Sie ist sehr sauber, verbreitet nicht den unangenehmen
Geruch, der anderen Mäusen anhaftet, und ist sehr lebhaft. Wenn man
ihren Käfig mit Halmen und Zweigen ausstattet, so richtet sie sich
bald häuslich ein und erfreut ihren Pfleger durch den fleißigen Bau
der reizenden Nester. Sie ist ein außerordentlich interessantes Tier,
dessen Beobachtung ebenso lehrreich wie anmutig ist. --

[Sidenote: Ringelschwanz-Phalanger]

Ein sehr hübsches, rundliches, überdachtes Nest, mit seitlichem
Eingangsloch, das dem Nest des Zaunkönigs ähnlich ist, baut der zu
den Beuteltieren gehörende Ringelschwanz-Phalanger (~Pseudochirus
peregrinus~) aus Australien.

[Sidenote: Fallenbau des Eichhorns]

Freistehende Nester baut auch das allbekannte Eichhörnchen. Das Nest,
in dem das Eichhorn seine Jungen großzieht, wird aus Ästen und Laub
hergestellt. Es ist sehr dicht und fest, oben überdacht und besitzt ein
halbmondförmiges Schlupfloch. Das Nest steht entweder in einer starken
Astgabel, angelehnt an den Hauptstamm des Baumes, oder auch in einer
Baumhöhlung. Sehr gern benutzen die Eichhörnchen auch alte Raubvogel-
oder Krähenhorste als Unterlage für ihren Nestbau. Außer diesen
„Hauptnestern“ baut das Eichhörnchen noch „Notnester“ aus Laub in den
Baumkronen, in die es seine Jungen trägt, wenn das Hauptnest gefährdet
ist. Außerdem errichtet das Eichhorn in den äußersten Zweigen der Bäume
sogenannte „Lustnester“, die weniger fest und liederlicher gebaut sind
und anscheinend nur aus Spielerei und zur Befriedigung der Baulust
hergestellt werden. Eine vierte Art von Nestern sind die „Fangnester“.
Sie haben ein sehr großes Eingangsloch und bestehen im Innern aus zwei
durch eine Scheidewand getrennte Räume. In der Scheidewand befindet
sich ein Durchschlupf, der durch eine bewegliche Klappe verschlossen
ist. Diese Fangnester stellen eine regelrechte Vogelfalle dar. Meisen,
Zaunkönige und andere Kleinvögel, die gern Schlupfwinkel aufsuchen,
kriechen hinein und werden dann von dem außen auf einem Ast auf der
Lauer liegenden Eichhörnchen in dieser Falle gefangen.

[Sidenote: Netze der Spinnen]

Die Kunst des Fallenstellens wird auch von anderen Tieren geübt. Die
Spinnen weben Netze, in denen sie Fliegen und Mücken, die ihre Nahrung
bilden, fangen. Die Form dieser Fangnetze ist je nach der Art der
Spinne verschieden. Die Kreuzspinne webt ein radförmiges, vertikal
stehendes Netz, indem sie zuerst den äußeren Rahmen herstellt, der
zwischen zwei übereinander befindlichen Zweigen oder im Winkel eines
Gebäudes befestigt wird. Dann zieht sie im Durchmesser des Kreises
einen Faden, begibt sich in den Mittelpunkt und zieht von hier aus
zahlreiche Strahlen nach der Peripherie, wobei sie stets den zuletzt
gesponnenen Faden zur Rückkehr nach dem Zentrum benutzt. Zum Schluß
werden die Strahlen durch eine Anzahl parallel laufender Kreise
verbunden (Abbildung 18). Der mittlere Raum des Netzes bildet später
den Aufenthaltsort der Spinne, wo sie beim Insektenfang auf der Lauer
liegt. Er besteht aus trockenen Fäden, während die übrigen Fäden des
Netzes zahllose, kleine Knoten enthalten, die einen klebrigen Stoff
absondern, der dazu dient, die sich fangenden Insekten festzuleimen
und zu verhindern, daß sie sich aus dem Netz befreien. Sobald sich
eine Fliege gefangen hat, stürzt sich die Spinne auf ihr Opfer, beißt
es tot und verzehrt es, oder spinnt um die Fliege eine feine Hülle von
Fäden, um sie als Mundvorrat für spätere Zeit aufzubewahren. Fängt
sich eine Wespe oder ein anderes der Spinne nicht zusagendes Insekt,
so befreit sie das Tier, indem sie das Spinngewebe in dessen Umgebung
zerbeißt. Nicht immer sitzt die Spinne in der Mitte des Netzes, sondern
bisweilen, besonders bei ungünstiger Witterung, verkriecht sie sich in
einem Schlupfwinkel in der Nähe des Fangnetzes, mit dem sie aber durch
den Spinnfaden ihres Leibes verbunden bleibt. Die Erschütterung des
Netzes beim Fang einer Beute wird der Spinne durch den Faden fühlbar
gemacht, der gewissermaßen als Telegraph wirkt. Die Spinne begibt sich
dann zunächst in den Mittelpunkt des Netzes, um von hier aus die Beute
zu ergreifen.

Die Baldachinspinne spinnt als Fangnetz eine wagerechte Decke und
zieht darüber schräge Fäden nach allen Richtungen. Die Beute fängt
sich zunächst in diesen Fäden, gerät dann auf die darunter befindliche
Decke, in deren Mitte die Spinne, mit dem Rücken nach unten hängend,
lauert.

[Illustration:

  Abbildung 22      James’ Preß Agency, London

Riesengürtelschweif

Eine mit Stacheln bewehrte Echse]

[Illustration:

  Abbildung 23      James’ Preß Agency, London

Krötenechse

Eine mit Dornen bewehrte Echse von krötenartigem Aussehen]

[Illustration:

  Abbildung 24      James’ Preß Agency, London

Anoli

mit aufgeblasenem Kehlsack in Abwehrstellung]

Die Labyrinthspinne stellt ein wagerechtes Fangnetz her, das wie eine
Hängematte in niedrigem Buschwerk oder zwischen Kräutern ausgespannt
ist. Die eine Seite des Netzes endigt in einer mehrfach gewundenen
Röhre, in die oben, zum Schutz gegen Regen und Sonnenstrahlen, ein
Blätterdach hineingewebt ist. Diese Röhre bildet die Warte der Spinne,
in der sie auf Raub lauert.

[Sidenote: Minierspinne]

Die in den Mittelmeerländern beheimatete Minierspinne gräbt in die
Erde einen etwa ½ ~m~ langen Gang und tapeziert dessen Wandung mit
Spinngewebe aus, um ihm Halt und Festigkeit zu geben. Die Öffnung der
Röhre wird durch eine ebenfalls aus Gewebe hergestellte bewegliche
Klappe, die oben in einem Scharnier hängt, verschlossen. Diese Tür
fällt durch ihre Schwere von selbst zu, wenn sie geöffnet worden ist.
Dies Verließ mit der selbsttätigen Tür dient der Spinne nicht als
Fangvorrichtung, sondern lediglich als Schlupfwinkel am Tage, den sie
nur in der Nacht verläßt, wenn sie auf Raub ausgeht. Jedem Versuch,
die Tür von außen zu öffnen, leistet die Minierspinne nach Kräften
Widerstand, indem sie die Klappe von innen mit den Füßen festhält und
sich dabei gegen die Wand ihrer Behausung stemmt.

[Sidenote: Wasserspinne]

Die Wasserspinne errichtet an Wasserpflanzen eine Fangglocke aus
Luftblasen, die vermittels eines klebrigen Sekretes ihrer Spinndrüsen
aneinander geheftet werden. Der etwa walnußgroße Bau, der mit seinem
unten liegenden Eingange einer umgestülpten Glocke ähnlich ist,
wird noch durch Spinnfäden verstärkt und gefestigt. Von der Öffnung
aus werden einzelne lange Fäden nach allen Richtungen ins Wasser
gezogen, die als Fallstricke für die in der Nähe vorüberschwimmenden
Wasserinsekten dienen. Die auf diese Weise gefangene Beute wird dann in
die Glocke gezogen und verspeist, oder wenn der Hunger gestillt ist,
hier mit einem Faden aufgehangen, um für spätere Zeit aufgehoben zu
werden.

Der Faden, mit dem die Spinnen ihr Gewebe herstellen, entsteht aus
einer zähen Flüssigkeit, die in Drüsen in der Leibeshöhle gebildet wird
und aus den siebartig durchlöcherten Spinnwarzen abgesondert wird. An
der Luft erhärtet diese Masse zu einem trockenen oder auch klebrigen
Faden.

Die Spinne benutzt den Spinnfaden nicht nur zur Herstellung ihres
Fangnetzes, sondern auch um schnell und bequem eine Ortsveränderung
vorzunehmen. So läßt sie sich an dem wie von einer Spule ablaufenden
Faden aus der Höhe zur Erde herabgleiten, ist auch imstande, an dem
Faden wieder in die Höhe zu klettern, wobei sich dieser nicht, wie
man früher glaubte, wieder in den Leib zurückzieht, sondern um die
Füße gewickelt wird. Wenn es gilt, einen weit entfernten Gegenstand
zu erreichen, dann schwingt sich die an einem langen Faden hängende
Spinne so lange hin und her, bis sie Fuß fassen kann. Der Faden dient
also auch als Schwebeseil. Schließlich spielt die Spinnkunst eine große
Rolle bei der Fortpflanzung. Die weibliche Spinne baut für die Eier,
die sie sorgsam behütet, und die Jungen ein Nest aus Spinnfäden, das
sie entweder mit sich herumträgt oder in einem Versteck unterbringt. --

[Sidenote: Ameisenlöwe]

Eine regelrechte Falle zum Fang von Beute fertigt sich auch der
Ameisenlöwe an, ein zu den Netzflüglern gehörendes Insekt. Seine Larve
gräbt in den Sand einen Trichter, der 5 ~cm~ tief ist und am oberen
Rande 7-8 ~cm~ weit ist. Dieser Trichter ist eine Fanggrube, auf
dessen Grunde der Ameisenlöwe auf Beute lauert, um Ameisen oder andere
Insekten, die hineinfallen, mit den zangenförmigen Kiefern zu erfassen
und zu verzehren. Zum Bau des Trichters gräbt das Insekt zuerst mit
den Füßen eine kreisförmige Rille und schaufelt dann den in der Mitte
stehenbleibenden Sandhügel mit seinem breiten, flachen Kopf heraus,
wobei durch Drehen des Körpers eine trichterförmige Mulde entsteht.
Da sich hauptsächlich Ameisen in der Grube fangen, so führt der kleine
geschickte Fallensteller den Namen „Ameisenlöwe“.

[Sidenote: Pillendreher]

Eine eigenartige Kunst betreiben die in den Mittelmeerländern,
besonders in Ägypten heimischen Pillendreher. Sie gehören zur Familie
der Mistkäfer und zeichnen sich durch einen großen halbkreisförmigen
Kopf aus, dessen vorderer breiter Rand gezackt ist. Die Pillendreher
entfalten bei der Fortpflanzung eine höchst sonderbare Kunst. Sie
drehen, wie ihr Name sagt, Pillen als Hülle für die Aufbewahrung
der Eier. Mit Hilfe des zackigen Kopfschildes wird aus einem Haufen
Kuhdünger ein Stück abgesondert und mit den Füßen zusammengeballt. Das
Weibchen legt dann ein Ei hinein. Jetzt rollen beide Ehegatten den
Dungteil hin und her, indem der eine Käfer mit den Beinen nach vorn
zieht, während der andere mit dem Kopf von hinten schiebt. Durch dieses
Rollen erhält der Dung allmählich die Gestalt einer Kugel, die bei den
größeren Pillendreherarten einen Durchmesser von fast 5 ~cm~ hat. Ist
die mühevolle Arbeit des Pillendrehens vollendet, dann graben die Käfer
eine Röhre in den Erdboden, versenken darin die Dungkugel mit dem Ei
und schütten die Öffnung zu. Haben die Käfer eine größere Anzahl Eier
auf diese Weise eingebettet, gehen sie an Erschöpfung zugrunde. Wie so
viele Insekten, besiegeln auch sie die Liebe mit dem Tode.

Die Dunghülle dient später der ausgeschlüpften Larve zur Nahrung, die
sich innerhalb mehrerer Monate zum Käfer entwickelt, der dann das
unterirdische Verließ verläßt, um die kurze Zeit seines Daseins mit
der mühevollen Arbeit des Pillendrehens zu verbringen, bis auch er
wieder der Erschöpfung von all der Arbeit erliegt. Wenn die Käfer ihr
oberirdisches Leben beginnen, dann ist von ihren Eltern und Vorfahren
niemand mehr am Leben, der sie in der eigenartigen Technik des
Pillendrehens unterweisen kann, und doch fertigen sie die Dungkugeln
genau nach allen Regeln der Kunst an und versenken sie in die Erde,
wie es einst ihre Erzeuger getan haben -- ein Beweis, daß diese
Verrichtungen mit Intelligenz und Verstand nichts zu tun haben, sondern
angeborene Triebhandlungen sind, die reflektorisch zur Geltung kommen.

Die Pillendreher haben noch eine andere Berühmtheit erlangt. Sie
spielten in dem Tierkultus der alten Ägypter eine große Rolle. Diese
sahen in der eigenartigen Gestalt des Käfers und seinem wundersamen
Treiben das Symbol der Erde und Sonne. Das Bildnis des Käfers wurde in
gewaltiger Größe in Stein gemeißelt und als Schmuck in den Tempeln und
den Gräbern der Pharaonen aufgestellt. Diese „Skarabäen“ geben noch
heute beredtes Zeugnis von jenem Volk, das vor Jahrtausenden an den
Ufern des heiligen Nil eine so hohe Kultur entwickelt hatte.

[Sidenote: Totengräber]

Viele Insekten legen ihre Eier an Aas ab, das den später
ausschlüpfenden Larven zur Nahrung dient. Ein kleiner schwarzer Käfer
mit zwei orangefarbigen Binden auf den Flügeldecken, der Totengräber
(~Necrophorus vespillo~), vergräbt kleine Tierleichen, wie Maulwürfe,
Mäuse, Vögel oder Frösche in die Erde. Die Käfer sammeln sich in
größerer Anzahl an einer Leiche, kriechen darunter und scharren die
Erde fort, so daß der tote Körper allmählich versinkt. Die aufgeworfene
Erde fällt wieder über das Grab, und bald ist von dem bestatteten Tier
nichts mehr zu sehen. Die Käfer legen dann an der vergrabenen Leiche
ihre Eier ab. Die Larven leben von den Verwesungsstoffen und verpuppen
sich später in der Erde.

So findet sogar der traurige Beruf des Totengräbers eine Nachahmung in
der Tierwelt. --

[Sidenote: Bauten der Bienen, Wespen und Ameisen]

Bewundernswerte Baukünstler sind die Bienen, Wespen und Hornissen. Die
sechseckige Form der Zellen, die die Honigbiene für den Bau ihrer Waben
wählt, stellt die bestmögliche Ausnutzung des Raumes dar.

Die Mauerwespe gräbt ein etwa 10 ~cm~ tiefes Loch in eine Lehmwand.
Der ausgehobene Lehm wird mit Speichel angefeuchtet und erweicht und
für den Bau einer Röhre, die sich von der Öffnung der Höhlung aus
schräg nach unten neigt, verwandt. Den Innenraum des Nestes füllt die
Mauerwespe mit Larven und kleinen Raupen aus, die vorher durch einen
Stich betäubt und gelähmt werden und später der Wespenmade zur Nahrung
dienen. Dann legt die Wespe ein Ei in den Brutraum und verschließt
ihn mit Lehm. In dem Brutraum verbringt die nach wenigen Tagen
ausschlüpfende Made ihr Larvenstadium, lebt von dem aufgespeicherten
Vorrat, um im nächsten Frühjahr nach vollzogener Metamorphose als Wespe
ihre unterirdische Wohnung zu verlassen.

Sehr kunstvolle, papierdünne Nester aus Tonerde, Bast, verfilzten
Tierhaaren und anderen Stoffen bauen die Papierwespen. Die Nester haben
die Gestalt einer Kugel, Halbkugel, eines Kegels oder Zylinders und
hängen an Zweigen oder Blättern.

Sehr geschickte Baumeister sind die Ameisen. Sie errichten ihre
Wohnungen in der Erde, in hohlen Baumstümpfen und unter Steinen oder
schichten auch aus Reisern, Tannennadeln, Steinchen und Sand einen
hohen Haufen zusammen. Das Gebäude besteht aus zahlreichen Gängen und
mehreren Stockwerken mit vielen Räumen, die ihre besondere Bestimmung
haben. Da gibt es Vorratskammern, Versammlungssäle, Zufluchtsräume für
den Aufenthalt bei schlechter Witterung, Bruträume für die Eier und
Puppen und Schlafkammern, in denen die kalte Winterzeit verbracht
wird. Auch die über der Erde in Form großer Haufen angelegten
Behausungen sind stets unterkellert und reichen mitunter bis zu ½ ~m~
tief in das Erdreich hinab. Von der Wohnstätte aus werden zahlreiche
Straßen angelegt, die in die weitere Umgebung führen, und auf denen
die Ameisen das Baumaterial, das für eine beständige Ausbesserung und
Erweiterung des Baues notwendig ist, herbeischaffen. Eine ausländische
Ameise (~Atta fervens~) baut von ihrer Behausung aus unterirdische
Tunnel von 150 ~m~ Länge, an deren Ausgang sich noch eine etwa 50
~m~ lange oberirdische Straße anschließt. Einige amerikanische
Ameisenarten überdachen die über der Erde angelegten Wege. Überhaupt
finden wir gerade in den Tropen, der eigentlichen Heimat der Ameisen,
außerordentlich viel Abwechslung in der Art und Weise der Herstellung
ihrer Bauten. Eine südamerikanische Ameise errichtet in den Zweigen der
Bäume große Nester, die wie Körbe herunterhängen. Eine australische
Ameise legt ihre Ansiedlung in die hohlen Äste und Zweige der
Cecropienbäume an.

[Sidenote: Gartenbau der Ameisen]

Eine Ameise, die im brasilianischen Tropenwald lebt, übt sogar die
Gärtnerkunst aus. Sie schichtet im Gipfel der Bäume Erdteilchen auf,
die schließlich einen großen Klumpen bilden, der ihre Behausung
ist. Auf der Erde wuchert in kurzer Zeit ein üppiger Pflanzen- und
Blumenwuchs, und es entsteht in luftiger Höhe ein prächtiger hängender
Garten.

Die in den Tropenwaldungen Amerikas lebenden blattschneidenden Ameisen
der Gattung Atta legen sich regelrechte Pilzkulturen an. Zu diesem
Zweck suchen die Tiere in großen Scharen Bäume und Sträucher auf und
schneiden mit ihren scharfen Kiefern kleine Stückchen aus den Blättern
heraus. Dann begibt sich die ganze Kolonne im geschlossenen Zuge
heimwärts. Jede Ameise trägt ein Blattstückchen, das größer ist als sie
selbst und sie wie ein Schirm bedeckt, was einen höchst sonderbaren
Eindruck macht. Zu Haus werden die Blätter zerkleinert und in Haufen
aufgeschichtet, auf denen dann sehr bald ein Pilz wuchert, der den
Ameisen zur Nahrung dient. Die Pilzkulturen werden sorgsam gepflegt,
mit dem eigenen Mist gedüngt und von Unkraut und anderen Pilzarten
gesäubert. Man kann also bei den Blattschneiderameisen von einer
wirklichen Gartenbaukunst sprechen.

[Sidenote: Ackerbau der Ameisen]

Den Ackerbau betreibt die in Texas heimische Ernteameise (~Pogonomyrmex
barbatus~). Sie bewohnt dürre Gegenden mit nur spärlichem Graswuchs
und lebt von dem Samen des sogenannten Ameisengrases (~Aristida
fortida~). Die Tiere sammeln reiche Vorräte von dem Samen ein. Die
Körner beginnen zu keimen, und es entsteht auf dem Ameisenhaufen mit
der Zeit ein üppiger Graswuchs, dessen Samen den Tieren willkommene
Nahrung spendet. Es ist freilich zweifelhaft, ob es sich hier wie
bei den Pilzkulturen der Blattschneiderameisen um einen zielbewußten
Ackerbau handelt. Das Einsammeln von Grassamen hat anscheinend nur den
Zweck, Vorräte für kärgliche Zeiten anzulegen, erfolgt jedoch nicht zur
Bebauung des Landes. Der Graswuchs ist vielmehr eine unbeabsichtigte
Nebenerscheinung, die freilich den Tieren sehr zustatten kommt. --

[Sidenote: Burg der Termiten]

Vollendete Baumeister sind die Termiten, die nicht zu den Ameisen
gehören, sondern eine besondere Ordnung in der Klasse der Insekten
bilden und sich den Schaben anreihen. Sie bewohnen die heißen Länder.
Die Termitenhügel bestehen im Innern aus einer aus Holz gefertigten
Masse, die äußerlich mit einer Erdkruste umkleidet ist. Die einzelnen
Teile des Baues werden mit einem aus dem Vordarm kommenden Sekret
aneinandergefügt. Das Sekret erhärtet sehr schnell und wirkt wie
Zement, wodurch der ganze Bau eine ungeheure Festigkeit erhält. Er ist
so stark, daß er selbst den strömenden Regengüssen der Tropen, Sturm,
ja umstürzenden Bäumen Widerstand leistet und sogar mit Hacke und Beil
nur schwer zu zertrümmern ist. Bisweilen ist die Widerstandsfähigkeit
so groß, daß eine gewaltsame Zerstörung nur mit Anwendung von
Sprengstoffen möglich wird.

Die Bauten der afrikanischen Termiten sehen wie große Heuschober aus
und erreichen eine Höhe bis zu 3 ~m~. Die australischen Termiten führen
schlanke, turmartige Bauten auf, die oben spitz zulaufen, bis 6 ~m~
hoch und etwa 1,5 ~m~ breit sind.

Bei den Insekten, und besonders bei den Ameisen, Bienen und ihren
nächsten Verwandten, ist unter allen Tieren der Sinn für die Baukunst
zur höchsten Entwicklung gelangt. Sie errichten für ihr geregeltes
Staatenleben wahre Prachtbauten, die stolzen Burgen und trutzigen
Festungswerken gleichen, wie sie die Kultur des Menschengeschlechts in
aufblühender Kunst und Wissenschaft geschaffen hat.

[Sidenote: Vogelnester]

Vollendete Meister in der Bautechnik sind auch die Vögel, die durch das
eigenartige Federkleid, das in keiner anderen Tiergruppe wiederkehrt,
und durch die Umbildung der Kiefer zum Schnabel eine fest in sich
abgeschlossene Reihe im Reich der Tiere bilden.

Alle Handwerke, die menschlicher Erfindungsgeist ersann, werden auch
von den Vögeln ausgeübt. Die Vögel errichten ihre Bauten lediglich zum
Zweck der Fortpflanzung. Das Nest ist der Brutraum für die Eier und die
Wiege für die Nachkommenschaft.

Wie überaus mannigfaltig ist die Bauart der Niststätte! Bienenfresser,
Eisvogel und Erdschwalbe führen Minierarbeiten aus und graben sich
tiefe Erdhöhlen. Die Spechte sind die Zimmerleute im wahren Sinne
des Wortes. Sie meißeln mit ihrem harten, scharfkantigen Schnabel
birnenförmige Höhlungen in die Baumstämme und schaffen dadurch
zugleich anderen Höhlenbrütern, wie Wiedehopf, Hohltaube und Blaurake,
die nicht imstande sind, solch grobe Arbeit zu verrichten, passende
Niststätten. Wie abhängig diese Vögel von der Zimmerarbeit der
Spechte sind, geht am besten daraus hervor, daß Wiedehopf, Blaurake
und Hohltaube, die bei uns in Deutschland recht selten geworden
waren, wieder erheblich zugenommen haben, seitdem der Schwarzspecht,
dessen verlassene Wohnungen sie mit Vorliebe beziehen, in den letzten
Jahrzehnten zahlreicher geworden ist.

Das Töpferhandwerk üben unsere Schwalben aus, die aus Lehmklümpchen,
welche sie mit ihrem Speichel zusammenleimen, ihre Nester bauen.

Der Kleiber mauert den Zugang zu seiner Nisthöhle mit Lehm zu, wenn er
zu weit ist, um sich vor den Angriffen von Eichkätzchen und anderem
Raubzeug zu schützen.

Eine kunstvolle Burg mauert der südamerikanische Töpfervogel, ein etwa
stargroßer, rotbrauner Sperlingsvogel. Er errichtet auf einem dicken,
wagerechten Ast eine Lehmburg von ~ca.~ 16 ~cm~ Höhe, 20 ~cm~ Länge
und 11 ~cm~ Tiefe. Die Wände sind 2-4 ~cm~ dick. Der fertige Bau wiegt
8-9 Pfund. Innen ist der Raum durch eine Scheidewand, die halb so hoch
wie der ganze Bau ist, in zwei Abteilungen getrennt, von denen die
hinterste der Nistraum ist. Den Zugang bildet eine runde Öffnung an
einer Längsseite.

Buchfink und Zeisig filzen ihre halbkugligen Nester aus Spinnengeweben
und Flechten zusammen.

Die Webekunst in höchster Vollendung betreiben die Webervögel, die
ihren Namen hiernach erhalten haben. Sie flechten und weben ihre Nester
aus Bastfäden und Grashalmen zusammen. Diese haben die Form einer
Kugel, eines Beutels oder einer Retorte und hängen frei an einem
Zweige. Der Eingang ist stets nach unten gerichtet.

Pfahlbauer sind die Rohrsänger, welche napfförmige, tiefe Nester aus
Rohr und Schilf zwischen senkrecht stehenden Rohrstengeln über dem
Wasserspiegel errichten.

Schwimmende Nester, die gewissermaßen ein Floß darstellen, bauen
die Taucher und das Wasserhuhn im Wasser. Die Nester sind an
festgewachsenen Rohrhalmen verankert, so daß sie von der Strömung nicht
fortgetrieben werden können.

Sogar das Schneiderhandwerk ist in der Vogelwelt vertreten. Die in
Indien und auf den Sundainseln heimischen Schneidervögel nähen mit
einem aus Pflanzenwolle selbst gedrehten oder aufgefundenen Bindfaden
ein oder auch mehrere Blätter zu einer Tüte zusammen, in die sie das
Nest stellen. Der Vogel sticht hierbei mit dem Schnabel Löcher in den
Rand der Blätter und zieht den Faden sehr geschickt hindurch. Auch
der in Südeuropa lebende Cistensänger näht sich aus Blättern eine
Nesthülle. Er bereitet sich den Faden aus Spinngewebe und Pflanzenwolle.

[Sidenote: Webeameisen]

Ähnlich wie der Schneidervogel treiben es auch manche Ameisen. Die
in den Tropen der Alten Welt wohnenden Webeameisen (~Oecophylla~)
spinnen in Büschen und Bäumen Blätter zusammen, um ihre Nester darin
zu errichten. Ist der Zwischenraum zwischen zwei Blättern zu groß, um
diese zusammenzuziehen, so bilden die Ameisen eine lebende Brücke.
Eine Ameise faßt eine zweite mit ihren Greifzangen um den Leib, diese
hält in derselben Weise eine dritte, diese wieder eine vierte usw.,
bis schließlich die ganz vorn schwebende Ameise imstande ist, das
Nachbarblatt zu erfassen und heranzuziehen. Zum Zusammenspinnen der
Blätter benutzen manche Arten ihre Larven, welche den Spinnfaden
absondern. Die Larven spinnen aber nicht selbsttätig, sondern werden
von den Ameisen mit den Zangen erfaßt und als „Webeschiffchen“
verwendet, indem sie schnell zwischen den Rändern der Blätter hin und
her bewegt werden. Diese Webekunst der Ameisen, bei denen die Larven
das Handwerkzeug bilden, ist eine der wunderbarsten Erscheinungen im
Zauber des Tierlebens.

Manche Raubvögel, wie der Fischadler und der Wespenbussard, haben
die Gewohnheit, ihre aus Ästen und Reisig hergestellten Horste mit
frischen, grünen Zweigen zu belegen, um den Nistplatz unkenntlich zu
machen und zu verblenden. --

Die kunstvollen Bauten, welche Säugetiere, Vögel und Insekten
ausführen, müssen um so mehr unsere Bewunderung erregen, als die
kleinen Baukünstler ohne Werkzeuge und ohne Gerät ihre Arbeiten
ausführen. Die Natur gab ihnen die notwendigen Werkzeuge mit auf den
Lebensweg, indem sie ihren Körper entsprechend ausrüstete und dem
Gebrauch der Organe zugleich die notwendige Geschicklichkeit verlieh.
Der Vogel trägt das Material für den Nestbau mit seinem Schnabel herbei
und benutzt diesen als Pfriemen, Nadel, Zange oder Meißel, wobei auch
die mit Krallen bewehrten Füße zum Festhalten des Baustoffes gute
Dienste leisten. Nagetiere, wie Biber und Eichhörnchen, besitzen in den
scharfen, langen Nagezähnen vorzügliche Werkzeuge zum Zerkleinern von
Holz und wissen außerdem ihre Vorderfüße sehr geschickt als Hände zu
gebrauchen. Die Ameisen tragen mit ihren zu Zangen umgebildeten Kiefern
den Baustoff herbei und schichten ihn sachgemäß auf. Die Schienen an
den Hinterbeinen der Arbeitsbiene sind flach, etwas ausgehöhlt und mit
Borsten besetzt. In diesen natürlichen „Körbchen“ sammelt die Biene den
Blütenstaub, aus dem das für die Ernährung so wichtige „Bienenbrot“
bereitet wird.

[Sidenote: Stachelkleid des Igels]

Ein äußerst praktisches Werkzeug ist das Stachelkleid des Igels. Wird
er von einem Feind bedroht, so rollt er sich zur Kugel zusammen. Kopf,
Füße und Leib sind dann völlig in dem Stachelpanzer verborgen, der wie
ein Verhau aus Stacheldraht den ganzen Körper schützt. Aber der Igel
weiß die Stacheln noch in anderer Weise sehr praktisch zu benutzen. Sie
dienen ihm als Gerät zum Fortschaffen von Gegenständen. Wenn er sich
sein Winterlager bereitet, dann wälzt er sich im trockenen Laub. Die
Blätter bleiben an den Stacheln haften, und er trägt sie dann auf dem
Rücken nach seiner Behausung. Im Sommer und Herbst verzehrt der Igel
mit Vorliebe Obst. Findet er unter einem Baum reichliches Fallobst,
dann wälzt er sich auf dem Boden, spießt die Früchte hierdurch auf und
trägt sie huckepack nach einem Versteck.

Aber auch Tiere, denen derartige natürliche Werkzeuge fehlen, wissen
sehr kunstvolle Bauwerke zu errichten. Es gibt Fische, die für die
Brutpflege Nester bauen, die kaum weniger kunstvoll sind als die
Nester der Vögel, obwohl sie keine Gliedmaßen haben, die als Hand oder
Werkzeug verwendet werden können.

[Sidenote: Nestbau der Fische]

Die meisten Fische legen ihren Laich einfach im Wasser ab und kümmern
sich nicht um die Entwicklung der Jungen, die nach dem Ausschlüpfen
auf sich selbst angewiesen sind und sich vom ersten Tage ihres Lebens
an allein durch die Welt schlagen müssen. Einige Fischarten bauen
jedoch regelrechte Nester zur Eiablage und unterziehen sich später
mit großer Fürsorge der Erziehung der jungen Brut, und zwar ist es
meist das Männchen, dem die Aufgabe des Nestbaus und die Führung der
Jungen zufällt. In keiner Klasse der Wirbeltiere beteiligen sich die
Männchen so eifrig und hingebend an der Erziehung der Nachkommenschaft
als gerade bei jenen Fischarten, die sich durch Nestbau und Brutpflege
auszeichnen.

Die Europas Küsten bewohnende Meergrundel (~Gobius minutus~) errichtet
unter einer leeren Muschelschale eine Vertiefung im Sande, indem
sie diesen mit dem Maul fortschafft und durch wirbelnde Schläge mit
den Flossen fortweht. Liegt die Muschelschale nicht mit der hohlen
Seite nach unten, so packt sie der Fisch mit dem Maul und wirft sie
durch einen kräftigen Ruck herum. Die Oberseite der Muschel wird dann
ebenfalls durch Befächeln mit den Flossen mit Sand überschüttet, so
daß der Nistplatz völlig verdeckt und unkenntlich gemacht wird. In
dies von ihm erbaute Nest treibt das Männchen mehrere Weibchen zur
Eiablage hinein, die dann später von dem Männchen befruchtet werden.
Solange Eier im Nest sind, hält das Männchen treulich Wache am Nest und
vertreibt jeden Feind aus seiner Nähe. Mit dem Ausschlüpfen der Jungen
hört die Brutpflege des Männchens auf, das sich um seine Kinder nicht
weiter kümmert.

Einen sehr eigenartigen Nestbau vollbringt der chinesische Großflosser
(~Macropodus viridiauratus~), ein kleines, nur etwa 8 ~cm~ langes
Fischchen, dessen blaugrüner Körper schön kupferfarben quergestreift
ist. Der Fisch zeichnet sich durch unverhältnismäßig große, breite
Flossen aus, die schön rotbraun gefärbt sind und bei dem größeren
Männchen bedeutend stärker entwickelt sind, als bei dem kleineren, auch
unscheinbarer gefärbten Weibchen. Zur Laichzeit baut das Männchen an
der Oberfläche des Wassers ein Nest aus Luftblasen, die es ausspeit
und die mit einer feinen schleimigen Schicht überzogen sind, wodurch
die luftige Wiege eine gewisse Dauerhaftigkeit erhält. Unter innigem
Liebesspiel, wobei sich die Gatten mit den Lippen erfassen und wirbelnd
herumdrehen, erfolgt die Ablage der Eier unter dem Nest. Sie steigen in
die Höhe und bleiben an dem Schaumnest kleben. Das Männchen übernimmt
allein die Brutpflege und bewacht sorgsam das Nest mit dem Laich,
sowie später die jungen Fischchen, die in den ersten Lebenstagen
noch im Nest bleiben. Verläßt ein Jungfisch die Wiege, so wird er
vom Vater mit dem Maul erfaßt und wieder in die schützende Wohnung
hineingespien. Schwächliche Junge hüllt der fürsorgende Vater in eine
Luftblase ein, um ihnen auf diese Weise reichlicheren Sauerstoff
zuzuführen. So groß die Liebe des Makropodenmännchens zu seiner
Nachkommenschaft auch ist, so hält sie doch nur solange an, als die
Jungen der Führung und Aufsicht bedürfen. Ist diese Zeit vorüber, dann
erlöscht der Bemutterungstrieb und das Männchen, das noch kurz zuvor
ängstlich auf das Wohl seiner Kinder bedacht war, trägt kein Bedenken,
diese zu verspeisen, falls sie sich nicht rechtzeitig aus seiner Nähe
entfernen. Wir sehen hieraus, wie rein triebmäßig und automatisch das
Tier handelt. In dem Augenblick, wo der angeborene Trieb zur Brutpflege
erloschen ist, weiß der Fisch offenbar gar nicht mehr, daß die bei ihm
weilenden kleinen Fischchen seine eigenen Jungen sind. Er betrachtet
sie einfach als willkommene Beute. Ohne Verstand und ohne Überlegung
befriedigt er ganz maschinenmäßig den angeborenen Trieb!

Ein äußerst geschickter Baumeister unter den Fischen ist der
europäische Stichling (~Gasterosteus aculatus~), ein etwa 8 ~cm~
langes, buntfarbiges Fischchen, dessen Rücken mit drei kräftigen
Stacheln bewehrt ist, mit denen die sehr erregbaren und eifersüchtigen
Männchen erbitterte Zweikämpfe ausfechten, indem sie sich gegenseitig
die Stacheln in den Leib zu bohren suchen. In der Fortpflanzungszeit
baut das Männchen zwischen Wasserpflanzen ein etwa faustgroßes,
länglichrundes, überdachtes Nest aus Pflanzenteilen, die es mit dem
Maul abbeißt und herbeischleppt. Das Nest hat zwei Öffnungen. Bei der
Auswahl des Baumaterials geht der Fisch ganz planmäßig zu Werke. Er
prüft das Gewicht des Materials, indem er es fallen läßt, und wählt
nur die schweren Stücke, die untersinken, während die leichten Teile,
die zur Wasseroberfläche emporsteigen, keine Beachtung finden. Die
Stoffe werden sorgfältig zusammengeschichtet, ungeeignetes Material
wird entfernt und durch neues ergänzt. Die einzelnen Teile werden mit
einem aus der Harnblase abgesonderten Nierensekret zusammengeklebt,
wodurch der Bau Festigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen den Einfluß
des Wassers erhält. Das Zusammenleimen erfolgt in der Weise, daß der
Fisch mit dem Leib über den Bau hinweggleitet und dabei einzelne
Tropfen des Klebstoffs ausscheidet und auf das Baumaterial fallen läßt.
Die äußeren Umrisse des Nestes werden in wenigen Stunden hergestellt.
Die Vollendung des Baues dauert einige Tage. Dann begibt sich der
Stichling auf die Brautschau. Er treibt mehrere Weibchen nacheinander
in das Nest, wo sie ihren Laich ablegen. Nun hält das Männchen treulich
Wacht und verteidigt den Brutplatz mit größtem Mut gegen sich nähernde
Feinde. Jede schadhafte Stelle des Nestes wird sofort ausgebessert.
Ferner begibt es sich häufig in das Nestinnere, um durch zitternde
Bewegungen mit den Brustflossen das Wasser in Fluß zu bringen und zu
erneuern, wodurch den Eiern der für ihre Entwicklung so notwendige
Sauerstoff zugeführt wird. Die ausgeschlüpften Jungen werden vom Vater
geführt und beschützt, bis sie so weit herangewachsen sind, daß sie
sich allein ernähren können.

[Sidenote: Intelligenz und angeborene Triebe]

Wenn wir die kunstvollen Bauten der Biber und anderer Nager, der
Vögel, Fische und Insekten betrachten, so stehen wir bewundernd und
staunend vor den Leistungen der Tiere, die den kühnsten Erfindungen des
Menschengeistes kaum nachstehen. Dürfen wir diese Handlungen, die uns
wie ein Zeichen von Kultur anmuten, auf Intelligenz, auf Verstand und
Überlegung zurückführen?

Je mehr man sich mit der Beobachtung der Tierseele beschäftigt, um
so mehr gewinnt man den Eindruck, daß das Tier in der Hauptsache von
angeborenen Trieben beherrscht wird, die seine Handlungsweise bestimmen.

Als Ornithologe habe ich mich viel damit befaßt, junge Nestvögel
aufzuziehen, um ihre körperliche und vor allem ihre seelische
Entwicklung kennenzulernen. Da wundert man sich immer wieder, wie der
junge Vogel ohne Pflege seiner Eltern, ohne von diesen Unterricht
und Anweisung zu erhalten, in kurzer Frist seine Selbständigkeit
erlangt und alle Lebensverrichtungen, wie sie für seine Art typisch
und notwendig sind, sich aneignet. Der junge Vogel braucht das
Fliegen, Laufen oder Schwimmen nicht erst zu erlernen. Sobald seine
Schwungfedern ausgewachsen sind, weiß er seine Flügel zu gebrauchen. Er
erhebt sich vom Nestrand in die Luft und schwingt sich in den freien
Äther, ohne daß ihm von seinen Eltern gezeigt wird, wie man die Flügel
zu bewegen hat, wie man den Schwanz zum Steuern gebrauchen muß, wie man
den Körper um seine Längsachse drehen und wenden muß, um Schwenkungen
auszuführen. Alles dies sind für den jungen Vogel, der seine ersten
Flugversuche macht, sozusagen selbstverständliche Dinge, die er nicht
erst mühsam zu erlernen braucht, sondern die die Natur als Erbstück ihm
mit auf den Lebensweg gab.

Die kleine Ente und jeder andere Schwimmvogel begeben sich gleich nach
dem Ausschlüpfen aus dem Ei ins Wasser und schwimmen und tauchen lustig
in dem nassen Element, als ob sie es nie anders gekannt hätten.

Das junge Hühnchen, welches in einer Brutmaschine die Eischale verließ
und niemals mit seiner Mutter oder anderen Hühnern in Berührung kam,
läuft sehr bald hurtig umher und pickt die Körner, die es findet, auf.
Ein angeborener Trieb sagt ihm, wie es sich zu ernähren hat.

Der Neuntöter oder Rotrückige Würger hat die Gewohnheit, seine Nahrung,
die in Insekten, kleinen Fröschen und jungen Nestvögeln besteht, auf
einem Dornzweig aufzuspießen, um sich einen Vorrat zu sichern. Wenn wir
einen jungen, erst wenige Tage alten Würger dem Nest entnehmen und im
Zimmer aufziehen, so beginnt er, sobald er selbständig geworden ist,
Mehlwürmer oder kleine Fleischstücke auf einen Nagel oder Dornzweig,
den wir in seinem Käfig angebracht haben, aufzuspießen und legt sich
genau ebenso einen Galgen an, wie es seine Artgenossen in der Freiheit
tun, obwohl er es niemals gesehen hat.

In meiner Schrift „Das Leben der Vögel“[4], die auch das Seelenleben
der Vögel eingehend behandelt, habe ich darauf hingewiesen, daß dem
Baumfalken, der ebenso wie der Wanderfalk nur von Vögeln lebt, die er
fliegend fängt, sogar das Beutemachen im Fluge angeboren ist. Ein von
mir erzogener junger Baumfalk beobachtete meine im Käfig befindlichen
Zimmervögel gar nicht, sobald ich aber einen Vogel im Zimmer frei
fliegen ließ, fing er ihn sofort sehr geschickt im Fluge mit den
Fängen, fußte dann mit seiner Beute auf einem Schrank oder anderem
hohen Sitzplatz auf, tötete das Opfer durch einen Biß in den Schädel,
rupfte die Federn und begann dann zu kröpfen. Genau ebenso verfährt der
Baumfalk in der Freiheit, und der junge Vogel, der in zarter Jugend aus
dem Horst genommen und von Menschenhand aufgezogen war, tut dies genau
in derselben Weise, ohne einen Unterricht von seinen Eltern erhalten zu
haben. Die Vorstellung, daß die alten Vögel ihre Jungen in den für sie
notwendigen Lebensverrichtungen unterweisen und anlernen, ist durchaus
irrig. Die Lebensverrichtungen beruhen auf angeborenen Trieben, die
ganz selbständig und von allein in der Vogelseele erwachen.

Sogar die Technik des Nestbaues ist dem Vogel angeboren. Der junge
Vogel, der zum ersten Male zur Fortpflanzung schreitet, errichtet
das Nest, wie es für seine Art typisch ist, ohne jeden Unterricht,
ohne Kenntnis von den Gesetzen der Schwere, von geometrischen und
mathematischen Regeln. Der Töpfervogel baut seine Lehmburg, der
Schneidervogel näht Blätter zusammen, der Webervogel flechtet ein
Hängenest, ohne in diesen Künsten unterrichtet zu werden. Wir sehen
hieraus, daß der Nestbau weiter nichts ist als eine Triebhandlung,
die der Vogel vollbringt, ohne sich selbst über seine Handlungsweise
im klaren zu sein. Die Ausführung erfolgt vielmehr ganz mechanisch
und automatisch, im Unterbewußtsein, wie es für die Triebhandlungen
charakteristisch ist.

Ebenso wie mit dem Nestbau der Vögel verhält es sich auch mit den
Bauten der Biber, Eichhörnchen und aller anderen Tiere. Wir dürfen
sie nicht als das Ergebnis hoher Intelligenz, nicht als Auswirkungen
verstandesmäßigen, logischen Denkens auffassen, sondern können hierin
nur angeerbte, automatische Triebhandlungen erblicken. Dies zeigt
sich am besten darin, daß die Tiere ihre Kunst lediglich nur so weit
ausüben, als sie für ihre Lebensbedürfnisse in der Natur notwendig
sind, jedoch nicht imstande sind, sie bei anderen Gelegenheiten
zweckentsprechend anzuwenden. Der gefangene Biber denkt nicht
daran, einen Haufen aus Reisern oder Ästen aufzuschichten, um die
Einfriedigung seines Käfigs übersteigen zu können und sich einen Weg
zur Freiheit zu verschaffen. Der gekäfigte Buntspecht zermeißelt die
in seinem Gewahrsam aufgestellten Aststücke lediglich, um seinen
angeborenen Trieb, nach im Holz verborgenen Larven zu suchen, zu
befriedigen, wird aber niemals planmäßig und zielbewußt einen starken
Holzpfeiler zertrümmern, um sich in den Besitz der Freiheit zu setzen.
Solange ihm kein anderes Holz als der Pfeiler seines Käfigs zur
Verfügung steht, hämmert er freilich an diesem umher. Er untersucht
aber immer wieder andere Stellen und arbeitet ganz planlos daran herum,
kommt aber nicht darauf, an einer bestimmten Stelle ein großes Loch zu
meißeln, durch das er seinen Körper hindurchzwängen kann, und doch wäre
dies für ihn ein leichtes, denn in der Freiheit stellt er ja solche
Löcher her, wenn er einen Brutraum zimmert.

Die großen Papageien, wie Araras und Kakadus, sind imstande, mit ihrem
harten, scharfkantigen Schnabel gewaltige Zerstörungen anzurichten.
Sie zernagen nicht nur dicke Holzstämme in kurzer Zeit, sondern
durchschneiden sogar Eisendraht und durchbohren starkes Blech. Ich
habe sehr viel Papageien für tierpsychologische Untersuchungen in
Gefangenschaft gehalten, aber niemals beobachten können, daß die Tiere
ihre Zerstörungskunst mit Überlegung anwendeten, um sich zu befreien.
Der auf einem Ständer mit einer Kette angefesselte Papagei würde sich
unschwer befreien können, wenn er seine Sitzstange, an die die Kette
mit einem Ring befestigt ist, an einer Stelle durchnagen würde. Dies
tut er aber nicht, sondern er nagt an dem Holz der Stange nur aus
Zeitvertreib und reiner Zerstörungslust bald an dieser, bald an jener
Stelle, so daß es häufig sehr lange dauert, bis er die Sitzstange
zerstört hat. Ist dies wirklich geschehen, dann kommt er nicht auf den
Einfall, den Ring der Kette abzustreifen und sich zu befreien, sondern
bleibt ruhig auf seinem gewohnten Sitz, um die Stange an einer anderen
Stelle von neuem zu zerstören.

Alle diese Beispiele, die man noch beliebig vermehren könnte, zeigen
immer wieder, daß das Tier nicht überlegt und nicht verstandesmäßig
handelt, sondern lediglich automatisch seinen angeborenen Trieben
folgt. So dürfen wir auch in den so sinnreich erscheinenden
Kunstbauten, welche die Tiere errichten, keine Leistungen hohen
Verstandes und großer Intelligenz erblicken, sondern können sie nur
als mechanische Handlungen, die reflektorisch von angeborenen Trieben
ausgelöst werden, bewerten.

Der Ausspruch der alten Römer „~animal non agit, sed agitur~“ hat hier
seine volle Berechtigung.

[Sidenote: Affekte, Verwertung von Erfahrung, Assoziation]

So sehr die angeborenen Triebe auch im Vordergrunde der Tierseele
stehen, so beherrschen sie andererseits das Tier doch nicht völlig. Das
Tier hat bis zu einem gewissen Grade auch die Fähigkeit, sich geistig
über diese Triebe zu erheben. Die Affekte, Zorn, Freude, Trauer,
Mut und Furcht, sind der Tierseele ebenso eigen wie dem Menschen.
Wir wissen ferner, daß das Tier durch Erfahrung lernt, und daß es
imstande ist, die Erfahrungen, die es gemacht hat, zweckentsprechend
zu verwerten. Dort, wo die Tiere durch den Menschen verfolgt werden,
werden sie scheu und furchtsam, wo sie Gutes von ihm empfangen,
begegnen sie dem Menschen mit Vertrauen und Sorglosigkeit. Falsch wäre
es aber, hieraus schließen zu wollen, daß das Tier verstandesmäßig
handelt, daß es überlegt, logisch denkt und Schlußfolgerungen ableitet.
Die moderne Tierpsychologie hat nachgewiesen, daß die geistigen
Fähigkeiten der Tiere, die der Laie so gern überschätzt, kaum über
die Funktion der Assoziation hinausgehen, die die Elementarstufe der
höheren Geistestätigkeit darstellt. Die Assoziation beruht nicht
auf Urteilskraft und logischem Denken, sondern sie ist nur die rein
mechanische Verknüpfung zweier Ereignisse in der Weise, daß bei
Wiederholung des einen das andere, auch wenn es nicht in Erscheinung
tritt, unwillkürlich mitempfunden wird. Empfängt ein Tier an einer
bestimmten Örtlichkeit Gutes und Wohltaten vom Menschen, so wird es
hier zahm und zutraulich, weil es die Wohltaten mit dem Menschen an der
betreffenden Stelle in Verbindung bringt -- ein Vorgang, der sich im
Rahmen der Assoziation abspielt.

Das Zustandebringen von Assoziationen setzt ein gutes Gedächtnis
voraus, und gerade das Gedächtnis ist bei vielen Tieren hervorragend
ausgebildet, was auch wieder ein Beweis ist, daß das Tier nicht nur
Reflexmaschine ist, sondern auch zu einer höheren geistigen Funktion
befähigt ist.

Die geistigen Eigenschaften der Tiere sind sowohl artlich wie
individuell sehr verschieden. Von einer Lurche, einem Fisch oder einem
Wurm können wir nicht dieselben geistigen Eigenschaften verlangen wie
von einem Hund oder einem Affen. Wir müssen also die verschiedenen
Klassen, Ordnungen und Arten der Tiere nicht nur physiologisch, sondern
auch psychologisch ganz verschieden bewerten.

Häufig macht sich bei ganz nah verwandten Formen ein großer Unterschied
in geistiger Beziehung bemerkbar. Dies ist z. B. bei der Nachtigall
und dem Rotkehlchen der Fall, worauf ich schon in meinem „Leben der
Vögel“ hingewiesen habe. Eingehende Versuche, die ich mit Nachtigall
und Rotkehlchen ausgeführt habe, bewiesen, daß das Rotkehlchen ein
bedeutend höher entwickeltes Seelenleben besitzt als die Nachtigall.
Das Rotkehlchen assoziiert sehr schnell und vielseitig und zeigt sich
Herr in jeder Lage. Die Nachtigall ist viel einseitiger veranlagt,
ihre Assoziationsbegabung ist nur gering entwickelt. Bei einer Ordnung
der Vögel nach dem Maßstabe der Intelligenz würden also Nachtigall und
Rotkehlchen, die nach ihrem Körperbau eine nahe Verwandtschaft zeigen
und daher systematisch zu derselben Gattung gehören, in voneinander
weit entfernten Gruppen einzureihen sein.

Auch individuell tritt ein großer Unterschied in der geistigen
Begabung hervor. Während der eine Hund sehr schnell lernt und sich
mühelos abrichten läßt, begreift ein anderer Hund derselben Rasse nur
schwer, was sein Herr verlangt. Ein Papagei lernt sehr leicht und fast
ohne besonderen Unterricht sprechen, indem er Redensarten, die er
öfters hört, von allein auffaßt, ein anderer begreift trotz sorgsamen
Unterrichts und aller Mühe, die man sich mit dem Vogel gibt, nur wenig
oder gar nichts.

[Sidenote: Gehirn der Vögel]

Unter den Vögeln übertreffen nach meinen Erfahrungen die Papageien alle
anderen Vögel in geistiger Veranlagung. Sie gleichen hierin mehr den
höherstehenden Säugetieren als den Vögeln, deren seelische Funktionen
im allgemeinen nicht bedeutend sind. Im Gegensatz zu den Säugetieren
ist bei den Vögeln die graue Rinde des Gehirns nur sehr wenig
ausgebildet, so daß sie für die psychische Tätigkeit fast gar nicht in
Betracht kommt. Selbst bei den Papageien, die das vollkommenste Gehirn
unter den Vögeln besitzen, ist die graue Rinde nur schwach entwickelt.
Wenn trotzdem ihre geistigen Fähigkeiten nicht unbedeutend sind, so ist
dies ein Beweis, daß die graue Rinde allein für die Seelentätigkeit
nicht maßgebend ist.

[Sidenote: Intelligenz der Menschenaffen]

Unter den Säugetieren stehen in geistiger Veranlagung die Affen, und
von diesen wieder die Menschenaffen, obenan.

Sehr wertvolle Aufklärung über das Seelenleben der Menschenaffen
verdanken wir +Köhler+, dem Leiter der von der deutschen Akademie
der Wissenschaften vor dem Weltkriege auf Teneriffa begründeten
Anthropoidenstation, die leider, wie so viele andere Kulturwerke, ein
Opfer des Krieges geworden ist.

Aus den wertvollen Versuchen, die +Köhler+ mit Menschenaffen
ausführte, geht hervor, daß besonders der Schimpanse geistig sehr hoch
steht (Abbildung 29 u. 30). Köhlers Schimpansen errichteten sich aus
Kisten, die sie übereinander auftürmten, eine Leiter, um eine in der
Kuppel ihres Käfigs unerreichbar aufgehängte Banane herunterzuholen.
Freilich ging ihr Verstand nicht so weit, daß sie die Kisten zielbewußt
in richtiger Lage, wie sie für ein Gleichgewicht notwendig ist,
aufeinander stellten, sondern sie verfuhren hierbei planlos, so daß
die Kisten häufig wieder herabstürzten, und es mitunter längere Zeit
dauerte, bis der Bau gelang. Ebenso verstanden sie es sehr geschickt,
mit einer langen Stange eine an der Zimmerdecke hängende Frucht
herunterzuschlagen, oder sie benutzten die Stange als Kletterbaum,
indem sie diesen senkrecht hinstellten, schnell hinaufkletterten
und die Frucht ergriffen, bevor die Stange das Gleichgewicht verlor
und umfiel. Eine außerhalb des Käfigs hingelegte Banane holten die
Schimpansen mit einem Stab heran, ja sie schoben sogar mehrere Stäbe,
die eine Vorrichtung zum Ineinanderstecken hatten, zusammen, wenn der
einzelne Teil zu kurz war, um die außerhalb des Käfigs liegende Frucht
zu erreichen. Zu diesen Leistungen waren die Affen nicht etwa besonders
abgerichtet, sondern sie vollführten sie von selbst. Es waren ihre
eigenen Erfindungen.

[Sidenote: Gebrauch von Werkzeugen durch Affen]

Aus diesen sehr interessanten Versuchen geht hervor, daß der Schimpanse
zur Erreichung eines bestimmten Zieles, z. B. um sich in den Besitz von
Nahrung zu setzen, zielbewußt zweckmäßige Werkzeuge benutzt, ja sogar
mehrere Werkzeuge miteinander verbindet. +Köhler+ schließt hieraus,
daß der Schimpanse innerhalb gewisser Grenzen einsichtiger Handlungen
fähig ist, d. h. ein gewünschtes Ziel durch eine mehrere Teilhandlungen
umfassende, aber einheitlich zusammenhängende Handlung erreichen kann.

Ähnliche Vorgänge kann man auch an anderen Affen beobachten. Die
Kapuzineraffen schlagen mit Steinen die harte Schale von Nüssen auf. Im
Berliner Zoologischen Garten lernen es die Kapuzineraffen sehr bald, in
Ermanglung von Steinen die Falltür, welche den Außen- und Innenkäfig
verbindet, zu diesem Zweck zu benutzen. Sie legen die Nuß an den
unteren Rand der Türöffnung und schlagen dann mit der Hand die Falltür
so lange auf und zu, bis die Nußschale zertrümmert wird.

Einen Gebrauch von Werkzeugen finden wir auch bei den Pavianen, die
Steine von den Bergwänden herabschleudern, wenn sie angegriffen und
verfolgt werden.

Im Berliner Zoologischen Garten lebte vor Jahren ein Makak, der Leute,
welche ihn neckten oder ärgerten, mit Sand bewarf. Der Affe nahm eine
Handvoll Sand und schleuderte ihn durch das Gitter des Käfigs gegen
seinen Widersacher.

Nach den Berichten von +Zenker+, der den Gorilla (Abbildung 28) im
afrikanischen Urwald eingehend beobachtet hat, bricht sich dieser
Affe Zweige von den Bäumen ab, um sich mit ihnen die lästigen Fliegen
abzuwehren. „Das wäre ganz unzweifelhaft Gebrauch von Werkzeugen auch
im Freileben eines Tieres, wo von Nachahmung des Menschen und Anregung
durch diesen keine Rede sein kann“, sagt mit Recht +Heck+ in der
vierten, neubearbeiteten Auflage von „Brehms Tierleben“.

Eine äußerst interessante Beobachtung des Gebrauchs eines Werkzeuges
durch einen Menschenaffen konnte ich vor kurzem im Berliner
Zoologischen Garten machen. Ich stand im Affenhause vor dem Käfig
des etwa achtjährigen Orang-Utan. Der rotbehaarte Menschenaffe saß
mit verschränkten Armen im Halbschlaf in seinem Käfig. Plötzlich
erhob er sich langsam mit der seiner Sippe eigenen Behäbigkeit,
kletterte zur Kuppel des Käfigs herauf, deren Stabgitter mit einem
engmaschigen Drahtgeflecht überdeckt war, um ein Durchgreifen des
Affen zu verhindern. Hier erfaßte der Orang das überstehende Drahtende
einer schadhaften Masche und drehte es ab. War es schon auffallend,
daß der Affe den Draht offenbar zielbewußt abdrehte, indem er stets
nach derselben Seite die drehenden Handbewegungen ausführte, so war
doch das, was nun folgte, geradezu verblüffend. Der Affe begab sich
mit dem abgerissenen Drahtstück zum Boden und steckte den Draht in
ein kleines, nur stecknadelkopfgroßes Loch, das sich in dem Zinkbelag
seines Käfigs befand. Jetzt erweiterte er das Loch systematisch durch
fortgesetztes Drehen des Drahtes und hatte es in kurzer Zeit so weit
vergrößert, daß er mit der Fingerspitze hineinfassen konnte, um
den Belag aufzureißen. Auch hierbei zeigte er wieder verblüffenden
Verstand. War ein Stück abgerissen, dann schob er zunächst den Draht
unter den noch fest aufliegenden Belag, um die Kante etwas hochzuheben
und einen Angriffspunkt zu erhalten. Schließlich versuchte er mit den
Zähnen den Belag aufzureißen. Aber die scharfen Kanten des Metalls
verursachten seinem Mund Schmerzen. Nun holte er seine Schlafdecke,
wickelte sie um den mit der Hand hochgehobenen Rand des Zinkbelags
und faßte diesen dann mit den Zähnen. Das war eine Glanzleistung von
zielbewußter Handlungsweise. Man hatte das erhabene Gefühl, daß sich
hier in der Tierseele der Beginn alles höheren Denkens regte. Der
zielbewußte Gebrauch von Werkzeugen trat hier in seinen ersten Anfängen
zutage, man glaubte sich um Jahrmillionen zurückversetzt in jene alte
Zeitepoche, wo ein Pithecanthropus oder Australopithecus die ersten
Werkzeuge in die Hand nahm und den Grundstein zur späteren Kultur des
Menschen legte.

Ein Zeichen derartig hoher Intelligenz finden wir unter den Tieren
nur bei den Affen, und besonders bei den Menschenaffen. Freilich
ist das Gehirngewicht im Verhältnis zum Körpergewicht auch bei
den Menschenaffen noch bedeutend geringer als beim Menschen, der
unter allen Lebewesen das höchstentwickelte Gehirn besitzt, dessen
Leistungsfähigkeit ihn weit über die Tiere, auch über die Menschenaffen
erhebt. Ein großer Unterschied zwischen dem Menschen- und Tierhirn
besteht darin, daß der wichtigste Teil des menschlichen Hirns, das
Sprachzentrum, den Tieren, auch den Menschenaffen völlig fehlt.
Ein Vergleich zwischen zwei entsprechenden Hirnwindenfeldern beim
Menschen und beim Menschenaffen zeigt, daß beim Menschenaffen nur
etwa ein Sechstel der Zentren vorhanden sind, die die verschiedenen
Gehirnleistungen verursachen. Der Abstand zwischen Menschenhirn und
Affenhirn ist also sehr groß. Dank seines hochentwickelten Gehirns
ist der Mensch allein imstande, in logischer Gedankenfolge Schlüsse
zu ziehen und abstrakt zu denken. Diese Fähigkeit gab ihm allein die
Möglichkeit, sich zu Kultur emporzuschwingen, sich die Erde mit all
ihren Lebewesen untertan zu machen und selbst die geheimnisvollsten
Kräfte der Natur, Elektrizität und Magnetismus, in seinen Dienst zu
bannen. Als glänzendes Zeugnis menschlichen Geistes und menschlicher
Erfindungsgabe zieht heute das lenkbare Luftschiff, das ein Zeppelin
ersann, durch den blauen Äther und müssen die Schallwellen im
unermeßlichen Weltenraum über Land und Meer den Weg nehmen, den der
Menschenwille ihnen vorschreibt. Gegen solche Taten bleiben die
Handlungen der Menschenaffen, so sehr wir sie auch als tierische
Leistung bewundern, weit zurück. Gerade daß wir darüber staunen, daß
ein Tier, wie der Schimpanse oder Orang, überhaupt befähigt ist, ein
Werkzeug in primitiver Weise zu gebrauchen, zeigt am besten, wie
gering die geistigen Fähigkeiten der Tiere zu bewerten sind. --

[Sidenote: Gedächtnis des Schimpansen]

Aus den Versuchen Köhlers geht ferner hervor, daß der Schimpanse ein
ganz vortreffliches Gedächtnis besitzt. Eine Birne, die vor den Augen
der Tiere in die Erde gegraben war, wurde von ihnen am folgenden Tage
sofort herausgeholt. Die Schimpansen untersuchten stets sogleich
die richtige Stelle, die sie sich genau gemerkt hatten. Ein ebenso
vorzügliches Gedächtnis besaß ein Maki, den ich längere Zeit in
Gefangenschaft hielt. Fand er bei seinen Spaziergängen im Zimmer
ein Stückchen Apfel, das ich irgendwo versteckt hatte, so suchte er
später die betreffende Stelle sofort zielbewußt wieder auf, wenn er
in dasselbe Zimmer kam, auch dann, wenn Tage oder Wochen dazwischen
lagen. Nicht nur die Affen, sondern fast alle Tiere, auch solche, die
geistig nicht hochstehen, haben bekanntlich ein gutes Ortsgedächtnis
und behalten solche Stellen, wo sie Nahrung gefunden haben, lange in
der Erinnerung.

So gut das Erinnerungsvermögen des Schimpansen an die Vergangenheit
auch ist, so scheint ihnen anderseits eine zielbewußte Berücksichtigung
der Zukunft nicht eigen zu sein. Wohl schleppten +Köhlers+ Schimpansen
Futtervorräte mit sich, wenn sie während des Fressens in einen
anderen Raum getrieben wurden, aber dies Verhalten läßt sich auch auf
eine augenblickliche Futtergier, also auf eine Gegenwartsempfindung
zurückführen, und es muß daher sehr zweifelhaft erscheinen, ob es sich
hier um eine zielbewußte Sorge für die Zukunft handelt.

Der Begriff der Zukunft scheint der Tierseele überhaupt zu fehlen. An
meinen gefangenen Vögeln, selbst an den geistig so regsamen Papageien
konnte ich immer wieder beobachten, daß sie beim Entleeren ihres Kotes
niemals darauf Rücksicht nahmen, ihr Futter- und Wassergefäß sauber zu
halten. Sie begriffen es selbst in jahrelanger Gefangenschaft nicht,
daß das Trinkwasser durch den Kot verdirbt und ungenießbar wird.
Ebenso zernagt ein Papagei immer wieder seine hölzerne Sitzstange,
ohne Rücksicht darauf zu nehmen, daß er hierdurch seine bequeme
Sitzgelegenheit verliert.

Andere Tiere, wie Hamster, Biber, Kleiber und Meisen, sammeln
Nahrungsvorräte für den Winter ein. Aber auch hierbei fehlt den
Tieren offenbar das Verständnis dafür, daß es sich um eine Sorge für
die Zukunft handelt. Hamster, Kleiber und Meisen, die man in ganz
jugendlichem Alter in Gefangenschaft aufzieht, legen sich im Herbst
auch im Käfig Vorratskammern an, obwohl sie niemals eine Wintersnot
kennengelernt haben und auch keine Anleitung älterer, erfahrener
Artgenossen erhalten haben. Hieraus geht hervor, daß das Einsammeln
von Nahrung nur auf Grund eines angeborenen Triebes erfolgt, der
automatisch in der Tierseele erwacht. Wir können daher in dem Anlegen
von Wintervorräten keine zielbewußte Vorstellung von der Zukunft
erblicken.

[Sidenote: Begriff des Zeitunterschieds und das Ichbewußtsein beim Tier]

Die Erinnerung der Tierseele an vergangene Geschehnisse braucht nicht
auf Verstandesleistung zu beruhen, sondern läßt sich auch durch die
einfache seelische Funktion der Assoziation erklären. Die Wiederkehr
eines Ereignisses, das mit einem anderen in Verbindung steht, löst
die Erinnerung an dieses aus. Das Tier empfindet dann das, woran
es sich erinnert, nicht als etwas Vergangenes, sondern als etwas
Gegenwärtiges. Die Vergangenheit wird dadurch in der Tierseele wieder
zur Gegenwart. Ebenso wie dem Tier die Vorstellung von der Zukunft
unbekannt ist, scheint es auch zweifelhaft, ob das Tier imstande ist,
die Vergangenheit im Geiste bewußt zu durchleben.

Wir dürfen daher vermuten, daß das Tier keine Vorstellung von der
Zeit besitzt. Es kennt nur die Gegenwart, aber nicht die Begriffe
der Vergangenheit und Zukunft. Hieraus würde sich als weitere Folge
ergeben, daß das Tier kein Ichbewußtsein hat, denn das Bewußtsein
des eigenen Ich beruht darauf, daß man sich selbst in Gegensatz zur
Zeitfolge stellt. Die klare Vorstellung von der Vergangenheit, die
Erkenntnis der Gegenwart und die zielbewußte Berücksichtigung der
Zukunft heben die eigene Person aus der Außenwelt heraus und verleihen
ihr im Ichbewußtsein eine Sonderstellung. --

[Sidenote: Soziales Leben d. Schimpansen]

Den Forschungen auf der Anthropoidenstation in Teneriffa verdanken wir
ferner interessante Aufklärung über das soziale Leben des Schimpansen.
Da der Schimpanse im Freien stets in Familien oder Gruppen lebt, ist
sein Geselligkeitstrieb sehr ausgeprägt. Dies äußert sich besonders
darin, daß ein einzelnes Tier, das gewaltsam von der Gruppe abgesondert
wird, unter der Trennung sehr leidet. Es schreit und jammert und macht
alle Anstrengungen, wieder zu der Gruppe zu gelangen. Wesentlich
anders benehmen sich aber die Tiere in der Gruppe. Sie empfinden
die Trennung von ihrem Genossen nur sehr wenig und zeigen nur dann
eine vorübergehende und auch nur geringe Teilnahme, wenn dieser sehr
schreit. Sie unternehmen aber niemals Versuche, das getrennte Tier zu
befreien und es der Gruppe wieder zuzuführen. Wir sehen hier wieder,
daß es sich nur um die automatische Befriedigung eines angeborenen
Triebes handelt, nämlich des Geselligkeitstriebes. Das abgesonderte
Tier leidet unter der Isolierung, weil es den Geselligkeitstrieb nicht
befriedigen kann, während die anderen Tiere dies Empfinden nicht
haben, solange sie in der Gruppe leben. Die Befriedigung des eigenen
Wohlbefindens steht also allein im Vordergrunde.

Wesentlich anders verhalten sich die Schimpansen, wenn ein Tier in
der Gruppe vom Menschen angegriffen und bedroht wird. Dann stürzen
sie sofort herbei, um ihrem bedrängten Kameraden zu helfen und ihn
zu verteidigen. Ob es sich hier wirklich um eine zielbewußte Absicht
zur Hilfe handelt, d. h. um eine edle, selbstlose Tat, muß immerhin
zweifelhaft erscheinen. Der Anblick des Kampfes eines Artgenossen löst
wohl bei den übrigen Tieren ebenfalls eine Wut- und Kampfesstimmung
aus, die sie zum Angriff veranlaßt. Es kann sich also ebensogut um
eine rein automatische Übertragung einer Gemütsstimmung handeln, und
wir sind kaum berechtigt, hier etwa von ethischen oder moralischen
Empfindungen zu sprechen. Gerade bei den Tieren wird noch mehr wie bei
den Menschen die Gemütsstimmung ungeheuer leicht übertragen. Wenn sich
z. B. zwei Hunde beißen, so stürzen alle in der Nähe befindlichen Hunde
herbei und beteiligen sich an der Rauferei nur aus Lust am Beißen und
Streiten, aber nicht in der Absicht, einem Kameraden zu helfen. Sie
beißen dann sinnlos sowohl auf den Angreifer wie auf den Bedrängten
los. --

[Sidenote: Kunst- u. Schönheitssinn d. Tiere]

Die Schimpansen haben einen gewissen Sinn für Kunst und Schönheit.
Sie belustigen sich damit, einen Reigen aufzuführen. Sie gruppieren
sich kreisförmig um einen Baum oder irgendeinen Gegenstand und trotten
unter eigentümlichen, rhythmischen Bewegungen einer hinter dem
anderen her. Bei diesem sonderbaren Tanz behängen sie sich gern mit
Gegenständen, wie Lappen, bunten Fäden oder Strohhalmen, die sie sich
um die Schultern, über den Hals und die Ohren legen. Auch einzelne
Tiere schmücken sich in dieser Weise und stolzieren in ihrer Zierde
gefallsüchtig umher. Man kann also geradezu von einem Kunst- und
Schönheitssinn sprechen.

Etwas Ähnliches finden wir auch in der Vogelwelt. In Australien lebt
ein den Staren nahverwandter Vogel, der Laubenvogel (~Ptilonorhynchus
violaceus~), der sich für sein Liebesleben überdachte Lauben baut.
Diese werden aus Reisern und Laub auf dem Erdboden hergestellt. Sie
haben eine längliche Gestalt und zwei Eingänge. Den Innenraum schmücken
die Vögel mit bunten Vogelfedern und farbigen Gegenständen aus und
legen auch außen vor die Eingänge Muscheln und bunte Steinchen. Diesen
Vögeln ist also ein gewisser Schönheitssinn eigen, der sich in der
Freude an bunten Gegenständen ausdrückt.

Die Liebeslauben sind der Ort, an dem die Geschlechter vor der
eigentlichen Brutzeit miteinander tändeln und sozusagen die
Flitterwochen verleben. Sie dienen aber nicht als Nistplatz, sondern
die Vögel errichten später ein Nest in Bäumen, in dem sie die Eier
erbrüten und die Jungen erziehen.

Die Freude des Schimpansen und der Laubenvögel an Schmuck und bunten
Gegenständen dürfen wir wohl als den Anfang eines Kunstsinnes ansehen,
der sich später beim Menschen zur höchsten Vollkommenheit entwickelt
hat. So finden wir auch hier wieder unverkennbare nahe Beziehungen
zwischen Mensch und Tier. --


  [4] Friedrich von Lucanus, Das Leben der Vögel, Verlag Scherl 1925.




Schutzfarben und Nutztrachten


Ein schöner Sommertag ladet uns zu einem Besuch des Zoologischen
Gartens in Berlin ein. Wir durchwandern die herrlichen, parkartigen
Anlagen und erfreuen uns an dem reichen Tierbestand, der dank der
eifrigen Fürsorge des langjährigen, verdienstvollen Direktors,
Geheimrats +Heck+, die schweren Gefahren der Inflationszeit glücklich
überwunden hat und wieder auf einer Höhe steht, die dem alten Ruhm
dieses Instituts volle Ehre macht. Zum Schluß betreten wir das
Aquarium, um die reichhaltige Sammlung an Reptilien, Amphibien und
Fischen, die alle Weltteile und Weltmeere umfaßt, kennenzulernen. Im
obersten Stockwerk befindet sich das Insektarium. Wir stehen vor einem
großen Glasbehälter, der mit frischen Zweigen ausgeschmückt ist und
einem kleinen Wald gleicht. Die Aufschrift des Namensschildes lautet:
„Indische Stabheuschrecken“.

Wir sehen zunächst kein Tier. Erst bei näherer Betrachtung fällt
uns plötzlich die Bewegung eines Gegenstandes auf, den wir bisher
für einen Zweig hielten. Langsam lösen sich lange, spinnenartige
Füße aus dem Blätterwerk, die einen langgestreckten, dünnen Körper
tragen, der einem Pflanzenstengel gleicht. Jetzt erblicken wir in dem
dichten Blättergewirr überall solche eigenartigen Tiergestalten, deren
Körper so sehr einem Zweig gleicht, daß er in der Umgebung völlig
verschwindet. Die Wirkung wird noch durch die braungrüne Farbe der
Tiere erhöht.

[Illustration:

  Abbildung 25      James’ Preß Agency, London

Kragenechse

oben mit zusammengefaltetem Kragen

unten mit aufgespanntem Kragen in Abwehrstellung]

[Illustration:

  Abbildung 26      James’ Preß Agency, London

Kugelfisch]

[Sidenote: Mimikry]

Diese eigenartige Anpassung von Tieren an Gegenstände ihrer Umgebung,
die sie unsichtbar macht, heißt wissenschaftlich „Mimikry“
(Nachahmung). Der große Nutzen der Mimikry besteht darin, daß das Tier
hierdurch vor den Nachstellungen seiner Feinde geschützt ist. Es wird
in der Ruhe nicht erkannt und infolgedessen übersehen.

[Sidenote: Stabheuschrecke, Wandelndes Blatt]

Die Mimikry ist besonders verbreitet unter den Insekten. Ein
Seitenstück zur Stabheuschrecke ist das Wandelnde Blatt (~Phyllium
siccifolium~), das in seinem Aussehen völlig einem grünen Blatt
gleicht. Die Flügeldecken zeigen sogar die Rippen und Verästelung der
Struktur eines Blattes. Infolgedessen herrscht bei den Eingeborenen
Indiens, der Heimat dieses merkwürdigen Tiers, der Glaube, dies
entstehe aus einem Blatt, das durch Wunder und Zauber Füße erhalte.

Auf Madagaskar gibt es einen kleinen Käfer, der einer Baumflechte
täuschend ähnlich ist und auf mit Flechten bedeckten Zweigen lebt, wo
er dann völlig unsichtbar ist.

[Sidenote: Schmetterlinge]

Viele Schmetterlinge gleichen in der Ruhe mit aufgerichteten,
zusammengelegten Flügeln einem welken Blatt. In vollendetster Weise
tritt dies bei den in Afrika und Asien verbreiteten Arten der Gattung
Callima hervor. Bei einer indischen Art (~Callima inachis~) ist die
Unterseite der Flügel rötlichgelb gefärbt. Die Ähnlichkeit mit einem
welken Blatt wird noch durch schwarze Tupfen, wie sie absterbende
Blätter haben, und durch dunkle Linien, die den Blattadern gleichen,
erhöht. Der hintere Rand der Hinterflügel läuft in einen langgezogenen
Fortsatz aus, der sich auf den Ast, auf dem der Schmetterling ruht,
anlegt und den Stiel des durch die zusammengelegten Flügel gebildeten,
welken Blattes vortäuscht. --

Die Mimikry besteht nicht nur in einer Nachahmung der Umgebung,
sondern bisweilen auch in der Ähnlichkeit mit einem anderen Tier, das
gefürchtet ist und von den Feinden des harmlosen Verstellungskünstlers
gemieden wird. Unter der abschreckenden Maske ist dann das Tier vor
den Nachstellungen seiner Feinde geschützt. Der in Europa und Asien
verbreitete Hornissenschwärmer (~Aegeria apiformis~) hat, wie der
Name sagt, das Aussehen einer Hornisse. Der gelb und braun gestreifte
Körper trägt glasartige durchsichtige Flügel. Beim Fliegen läßt dieser
kleine, harmlose Schmetterling, der im Kleide der gefürchteten Hornisse
die Mitwelt irreführt, ebenso wie sein Vorbild einen surrenden Ton
hören, wodurch der Betrug noch vervollständigt wird. Die Flügel des
jungen, aus der Puppe schlüpfenden Schmetterlings sind noch nicht
durchsichtig, sondern mit braunen Schuppen bekleidet, die aber sehr
lose sitzen und gleich beim ersten Flug durch den Luftzug abgestreift
werden. Der Hornissenschwärmer ist ein sehr schädliches Insekt, da die
Raupe sich in den Stamm der Bäume einfrißt und hier einen fast ¼ ~m~
langen Gang aushöhlt, um sich zu verpuppen. Die Arbeit beansprucht
sehr viel Zeit. Es dauert über ein Jahr, bis die mühsame Bohrarbeit
vollbracht ist. Erst im Herbst des zweiten Lebensjahres spinnt sich die
Raupe aus zernagtem Holz ihr Puppengehäuse, aus dem im darauffolgenden
Frühjahr der fertige Schmetterling ausschlüpft. Der Larven- und
Entwicklungszustand währt also fast 2 Jahre. In neuerer Zeit macht
sich der Hornissenschwärmer auch in Südamerika bemerkbar, wohin er
wahrscheinlich durch den Holzhandel verschleppt ist.

[Sidenote: Teufelsblume]

Als Wolf im Schafpelz tritt die Teufelsblume (~Idolum diabolicum~) auf,
die unsere ehemalige Kolonie Deutsch-Ostafrika bewohnt. Sie gehört zu
den Fangschrecken oder Gottesanbeterinnen. Das grün gefärbte Insekt
besitzt vorn zwei lange Fangarme, die am Grunde blattartig erweitert
und weiß und lila gefärbt sind. Mit hoch emporgestreckten Armen,
die einer prächtigen Blüte gleichen, sitzt das raubgierige Tier an
einer Pflanze und lauert auf Fliegen und Schmetterlinge, die der
verführerischen Blume einen Besuch abstatten wollen. In dem Augenblick,
wo das Tier sich auf den „Blütenkelch“ niederläßt, wird es von dem
trügerischen Insekt ergriffen und erbarmungslos verspeist.

Eine andere Fangschrecke (~Empusa egena~), die im Gebiete des
Orangeflusses lebt, besitzt weiße, rosa geränderte Flügel, die von
dem beutelauernden Tier nach oben entfaltet werden und wie eine zarte
Windenblüte aussehen. Nähert sich ein Insekt, so wiegt die Fangschrecke
ihren Leib leise hin und her und schaukelt die Blütenflügel wie
eine vom Winde bewegte Blume, um das Opfer vollends zu täuschen und
anzulocken.

[Sidenote: Gottesanbeterin]

Eine nahe Verwandte dieser eigenartigen Fangschrecken, die im harmlosen
Kleide der lieblich duftenden Blüten auftreten, aber innerlich wie
„reißende Wölfe“ sind, ist die europäische Gottesanbeterin (~Mantis
religiosa~). Sie entbehrt zwar der trügerischen Anlockungsmittel ihrer
Verwandten, wird aber durch ihre grüne Farbe im Busch so unkenntlich
gemacht, daß sie von den Beutetieren, denen sie auflauert, nicht
bemerkt wird. Sie ist besonders raubgierig und mordlustig und stellt
nicht nur anderen Insekten, sondern sogar kleinen Wirbeltieren nach,
die sie sehr vorsichtig beschleicht.

Die Wildheit der Gottesanbeterin zeigt sich in abstoßender und
sadistischer Weise in der Liebe. Nach vollzogener Paarung ergreift das
Weibchen das kleinere und schwächere Männchen mit den Fangarmen, aber
nicht im Gefühl der Liebe und Wollust, sondern -- um es zu erwürgen
und zu verspeisen. So ist es Sitte bei den Gottesanbeterinnen, diesen
raubgierigen und blutdürstigen Insekten, bei denen nicht einmal die
Liebe zarte Empfindungen und Gefühle auslöst.

Der Name „Gottesanbeterin“ erklärt sich aus der Gewohnheit dieser
Tiere, bei der Lauer auf Raub die Fangarme wie „ein betender Priester“
zum Himmel emporzustrecken. --

In den Meeren Australiens lebt ein wundersamer Gesell, dessen bizarre
Körperformen ohnegleichen sind. Es ist der den Seepferdchen nah
verwandte Fetzenfisch (~Phyllopteryx eques~). Der Körper dieses
Knochenfisches ist mit langen, stachel- und bandartigen Fortsätzen
bedeckt, die nach allen Richtungen wirr abstehen. Der Fisch hält sich
im Tang und Seegras auf und verschwindet hier durch seinen zerfetzten
Körper völlig. Die Fetzenfische sind zum Teil sehr lebhaft gefärbt.
Sie tragen auf rotem Grunde blaue, gelbe und weiße Abzeichen, die
als Streifen und Flecke auftreten. Die bunte Farbe ist aber durchaus
nicht unvorteilhaft, sondern erhöht noch die täuschende Wirkung der
zerfetzten Gestalt in dem bunten Pflanzengewirr.

[Sidenote: Schutzfärbungen]

Viele Tiere sind ohne Rücksicht auf die Körperform nur durch ihre Farbe
der Umgebung vortrefflich angepaßt, so daß sie in der Ruhe völlig
verschwinden. Zweifellos liegt hierin ein guter Schutz gegen die
Nachstellungen ihrer Feinde. Das bekannteste Beispiel ist der grüne
Laubfrosch auf dem grünen Blatt. Die Wüstenbewohner, wie Wüstenfuchs,
Springmaus, Wüstenlerche, Steinschmätzer und Echsen tragen ein
rötlichgelbes Haar-, Feder- oder Schuppenkleid, das der Farbe des
Wüstensandes gleicht. Im hohen Norden tritt weiße Farbe auf. Schneehuhn
und Wiesel legen im Winter ein weißes Kleid an, das zu der Schneedecke
vorzüglich paßt. Der Eisbär, der die Region des ewigen Winters bewohnt,
ist dauernd in Weiß gekleidet. Unter den Vögeln sind vor allem die
Bodenbrüter durch eine Schutzfarbe ausgezeichnet, und zwar sind es
vornehmlich die Weibchen, die diesen Vorteil genießen, um während des
Brütens möglichst wenig aufzufallen.

Die Fasanenhenne, die Stockente und alle anderen weiblichen Enten haben
ein düsteres, bodenfarbiges Gefieder. Die Männchen dagegen prangen
in einem buntfarbigen Federkleid, das aber für die Erhaltung der Art
keinen erheblichen Nachteil hat, da sie sich am Brutgeschäft und der
Erziehung der Jungen nicht beteiligen. Im Gegensatz dazu sind beim
Rebhuhn, dem Brachvogel und den Lerchen beide Geschlechter mit einer
Schutzfarbe versehen, und dies erscheint auch notwendig, da bei diesen
monogam lebenden Vögeln das Männchen ebenso wie das Weibchen für die
Nachkommenschaft sorgt.

Bei den Enten weicht der Verlauf der Sommermauser insofern von anderen
Vögeln ab, als die Schwungfedern nicht allmählich, sondern fast zu
gleicher Zeit ausfallen, wodurch der Vogel unflugfähig wird. Nun haben
wir hier die höchst sonderbare Erscheinung, daß die Erpel in dieser
Zeit ein erdfarbenes Kleingefieder anlegen, das dem Federkleid der Ente
gleicht, und erst später wird durch eine zweite Mauser das Prachtkleid
angezogen. --

In besonders hohem Maße ist die Schutzfarbe bei den Fischen entwickelt.
Alle Fische, welche im klaren Wasser leben und unweit der Oberfläche
umherschwimmen, haben silberglänzend gefärbten Bauch und Seiten,
dagegen einen dunklen Rücken. Die düstere Rückenfarbe schützt gegen
Feinde, die sie von oben aus der Luft angreifen, da sich der Fisch von
dem dunklen Untergrunde des Gewässers nicht abhebt. Die hellglänzende
Unterseite dagegen ist ein gutes Schutzmittel gegen Raubfische, die
auf dem Boden liegend ihrer Beute auflauern und den schwimmenden
Fisch von unten sehen, denn in der von unten gesehenen, glitzernden
Wasserfläche verschwindet der glitzernde Fischleib. Ferner spiegelt die
silberfarbene Unterseite der Fische im Wasser, so daß sie durch den
Reflex des Lichtes die jeweilige Farbe des Wassers erhält.

Der Körper des Hechtes ist dunkel quergestreift, was eine
ausgezeichnete Anpassung an seinen Lebensaufenthalt ist. Der Hecht
steht gern im Röhricht und lauert hier unbeweglich auf Beute. Die
Querstreifung ahmt die Rohrhalme nach und entzieht dadurch den Räuber
den Blicken seiner Opfer. Wir sehen hieraus, daß der Zweck einer
Schutzfärbung nicht nur darin besteht, ein Tier vor den Nachstellungen
seiner Feinde zu schützen, sondern daß hierin auch eine Erleichterung
des Beutemachens liegt, indem die Mimikry den lauernden Räuber
unsichtbar macht.

Denselben Vorteil genießt auch die Gottesanbeterin von ihrer grünen
Farbe, die sie im Blätterwerk unkenntlich macht. Hier ist die Färbung
ebenso wie beim Hecht weniger eine Schutztracht gegen feindliche
Angriffe, als eine Tarnkappe beim Beutemachen.

[Sidenote: Farbenveränderung der Fische]

Bei den Grundfischen ist die ganze Oberfläche des Körpers, also Rücken
und Seiten, dunkel gefärbt und häufig durch Flecken und Streifen
verziert. Hierdurch sind die Fische dem Untergrunde angepaßt, wie z. B.
der Wels, der Schlammbeißer, die Schmerle, die Forelle und unter den
Seefischen vor allem die Plattfische, Seezunge, Flunder und Steinbutt.
Letztere haben sogar die Fähigkeit, ihre Körperfarbe dem jeweiligen
Untergrunde, auf dem sie ruhen, anzupassen. Auf sandigem Boden nimmt
der Flachfisch eine Sandfarbe an, auf dunklem Grunde eine dunkle Farbe.
Ja die Anpassung geht so weit, daß sogar ein Muster nachgeahmt wird.
Schollen, welche auf einem mit zerbrochenen Muschelschalen besäten
Grunde liegen, erhalten große weiße Flecke. Die Farbenveränderung
geht in der Weise vor sich, daß das helle und dunkle Pigment in den
Farbzellen jeweilig verschieden angehäuft wird, so daß also bald diese,
bald jene Farbe hervortritt oder auch aus beiden Farben ein Muster
zusammengestellt wird. Der Reiz für diese Farbenveränderung geht von
den Augen aus, denn durch Versuche wurde nachgewiesen, daß geblendete
Fische ihre Farbe nicht mehr der Umgebung anpaßten. Es handelt sich
also um einen optisch-physiologischen Vorgang. Außerdem spielt auch das
Gefühl hierbei eine gewisse Rolle, denn wenn der Wassergrund mit einer
Glasfläche abgedeckt wird, so wird die Farbenanpassung beeinträchtigt.
Der Fisch unterscheidet also den hellen, sandigen Grund von dem
dunklen, steinigen Grund nicht nur mit den Augen, sondern auch mit
dem Gefühl. Lebt der Fisch dauernd, oder lange Zeit auf dem gleichen
Untergrund, so erfolgt eine Vermehrung der hierzu passenden Pigmente,
und die anderen Pigmente nehmen im gleichen Verhältnis ab, wodurch die
Fähigkeit der Farbenveränderung sich verliert.

[Sidenote: Chamäleon]

Ein Tier, das seit langen Zeiten durch seinen Farbenwechsel allgemein
bekannt ist und daher sprichwörtlich geworden ist, ist das Chamäleon
(Abbildung 21). Der Farbenwechsel des Chamäleons ist aber durchaus
nicht, wie man vielfach glaubt, eine Anpassung an die Umgebung, sondern
wird von ganz anderen Faktoren hervorgerufen. Licht und Temperatur,
sowie die Gemütsstimmung und jeweilige Körperbeschaffenheit rufen
die Farbenveränderung hervor. Die Lederhaut des Chamäleons besitzt
gelbe, rote und braune Farbzellen, die durch Kontraktion der farblosen
Oberhaut genähert oder von ihr entfernt werden können. Im letzteren
Falle sieht das Tier sehr hell, bisweilen fast weiß aus, im ersteren
Falle treten die Farben mehr hervor. Die Farbzellen können ferner
ihre Lage zueinander verändern. Sie können über- oder nebeneinander
liegen, wodurch die verschiedenen Farben und Farbenschattierungen
erzeugt werden. Auf diese Weise wechselt die Färbung zwischen weiß,
gelb, braun, grau, blau, rostrot und grün und den dazwischenliegenden
Abstufungen. Auf der Grundfarbe treten meist noch Zeichnungen hervor,
wie Flecke, Tupfen und Streifen von mehr oder weniger unregelmäßiger
Form. Die gewöhnliche Farbe ist ein schönes Grün oder Braungrün und
paßt sehr gut zu der Umgebung der auf Bäumen lebenden Tiere. Lebhafte
und dunkle Farbe ist ein Zeichen des Wohlbefindens, während helle Farbe
meist mit einem krankhaften Zustand verbunden ist. Vor dem Tode wird
das Chamäleon gelbweiß oder grauweiß. Wenn man das Chamäleon nur auf
einer Seite belichtet oder erwärmt, so verändert nur diese Seite die
Farbe, während die andere Seite nicht darauf reagiert, woraus der große
Einfluß des Lichtes und der Wärme auf den Farbenwechsel hervorgeht.

Eine weitere Eigentümlichkeit des Chamäleons ist die unabhängige
Bewegung der beiden Augen. Während das eine Auge nach oben gedreht
wird, kann zu gleicher Zeit das andere nach unten oder nach der Seite
gestellt werden. Zu der Beweglichkeit der Augen gesellt sich noch als
dritte Eigentümlichkeit die Art der Ernährung. Das Chamäleon lebt
von Insekten, hauptsächlich von Fliegen. Seine sehr langsamen und
unbeholfenen Bewegungen würden ihm den Fang der beweglichen Kerbtiere
sehr erschweren, ja fast unmöglich machen, wenn es nicht eine besondere
Vorrichtung hierfür hätte in Gestalt der Zunge, die etwa 15 cm weit
vorgeschnellt werden kann, die erspähte Beute anleimt und in den
Rachen führt. Die Zunge wird also als Pfeil gebraucht, mit dem das
Opfer aus der Ferne gewissermaßen geschossen wird. Die Mechanik der
beweglichen Zunge ist folgende: die kurze, dicke und kolbenförmige
Zunge ist vermittels einer Scheide mit dem Zungenbein verbunden. Die
Scheide steckt wie eine Röhre auf dem Zungenbein und ist in der Ruhe
harmonikaartig gefaltet. Durch Vorstrecken des Zungenbeines wird die
kolbenartige Zunge wie eine Kugel im Blasrohr nach vorn geschleudert.
Sie zieht dabei die bewegliche Scheide mit sich, deren zusammengelegte
Falten sich zu einem langen Rohr ausdehnen. Infolge großer Muskelkraft
wird die ganze Bewegung blitzartig schnell ausgeführt. Das Insekt wird
durch den Klebstoff, der vorn an der Zunge sitzt, angeleimt (Abbildung
21).

[Sidenote: Laubfrosch]

Ein gewisser Farbenwechsel läßt sich auch beim Laubfrosch wahrnehmen.
Die Farbe kann zwischen dem bekannten Blattgrün und einem schmutzigen
Braungrün wechseln. Die Veränderung der Farbe wird durch den Tastreiz
hervorgerufen. Befinden sich Bauch und Saugscheiben der Zehen auf
glattem Grunde, so tritt die rein grüne Farbe hervor, während
eine Berührung mit rauher Fläche die dunkle Färbung hervorruft.
Der Lichtreiz spielt dabei keine Rolle, da der Farbenwechsel bei
geblendeten Fröschen in derselben Weise erfolgt. So erklärt es sich,
daß Laubfrösche, die auf rauher Rinde sitzen, dunkel sind, während
der Frosch auf einem glatten Blatt grün ist. Durch diese seltsame
Einrichtung wird also automatisch eine Anpassung hervorgerufen, die dem
Tier einen vorteilhaften Schutz verleiht.

[Sidenote: Reptilien]

Einen lebhaften Farbenwechsel zeigen auch die Anolis, welche die
Wälder und Gärten Südamerikas beleben und sehr gewandt und hurtig in
den Zweigen umherklettern. Die sehr bunt gefärbten Tiere verändern
ihre Farbe noch auffallender und schneller als das Chamäleon, wobei
es sich jedoch weniger um eine Anpassung an die Umgebung zu handeln
scheint, sondern mehr die jeweilige Gemütsstimmung die Ursache ist.
Die Tiere sind außerordentlich erregbar und führen erbitterte Kämpfe
untereinander aus (Abbildung 24).

Eine andere Echse, der australische Moloch (~Moloch horridus~), besitzt
dagegen ähnlich wie das Chamäleon die Fähigkeit, sich in der Farbe bis
zu einem gewissen Grade der Umgebung anzupassen. Der auf rotbraunem
Grunde gelbgestreifte Körper nimmt auf grauem Gestein eine düstere
rauchgraue Färbung an.

Der Moloch besitzt aber noch eine andere vortreffliche Nutztracht, die
ihn vor Nachstellungen schützt. Sein ganzer Körper ist bis auf die
Unterseite mit dornartigen Stacheln bedeckt, die dem Tier ein wahrhaft
fürchterliches Aussehen geben und durch ihre Gefährlichkeit den
lüsternen Feinden den Appetit vertreiben.

Ein stacheliges Schuppenkleid trägt auch der südafrikanische
Riesengürtelschweif, eine Echse von fast ½ ~m~ Körperlänge. Der mit
wehrhaften Stacheln besetzte Schwanz, mit dem das Tier empfindliche
Schläge austeilt, ist eine vorzügliche Verteidigungswaffe des sonst
harmlosen Kriechtieres (Abbildung 22).

Eine ähnliche Nutztracht besitzt auch die amerikanische Krötenechse
(~Phrynosoma cornutum~). Mit seiner breiten, gedrungenen und plumpen
Figur gleicht das Tier mehr einer Kröte als einer Echse. Wie beim
Moloch ist der ganze Oberkörper mit Stacheln besetzt, die am längsten
auf dem Hinterkopf sind. Die Stacheln sind nicht allein ein gutes
Schreck- und Abwehrmittel gegen Feinde, sondern haben auch einen
praktischen Nutzen. Mit Hilfe der Kopfstacheln bohrt sich das
sonderbare Tier abends in den Sand ein, um hier die Nacht zu verbringen.

Die Krötenechse hat noch eine ganz besondere Eigenschaft. Bei gelindem
Druck spritzt aus der Nase und den Augen Blut heraus. Eine besondere
Schutzvorrichtung scheint das Blutspritzen nicht zu sein, sondern ist
wohl nur eine Folge der zarten Struktur der Blutgefäße (Abbildung 23).

[Sidenote: Warnfarbe giftiger Tiere]

Giftige Tiere sind bisweilen sehr auffallend gefärbt, so daß man
dann geradezu von einer „Warnfarbe“ sprechen kann. Die auf dunklem
Grunde orangegelb gemusterte Krustenechse (~Xeloderma suspectum~)
ist die einzige Echse, welche wie die Schlangen Giftzähne hat. Das
Gift befindet sich in besonderen Giftdrüsen und dringt beim Biß durch
die gefurchten Zähne in die Wunde. Das Gift tötet Hunde und Katzen
infolge Herzlähmung in kurzer Zeit, ruft jedoch beim Menschen nur
vorübergehende Krankheitserscheinungen hervor. Die eigenartige Echse
lebt auf der Westseite der Kordilleren.

Als Warnfarbe kann man auch die schwarzgelbe Zeichnung unseres
Feuersalamanders (~Salamandra maculosa~) ansehen, der an den
Bauchseiten und auf dem Kopf Drüsen besitzt, die ein scharfes,
ätzendes Sekret absondern, das den Salamander für Tiere, welche von
Lurchen leben, ungenießbar macht, ja sogar kleinere Tiere tötet.
Nur die Ringelnatter ist gegen das Gift unempfindlich und scheut
sich nicht, gelegentlich auch den Feuersalamander anzugreifen und zu
verzehren. Auch für den Feuersalamander selbst ist das Drüsensekret
unschädlich, denn größere Tiere fressen nicht selten in Gefangenschaft
kleinere Genossen auf, ohne Schaden zu erleiden. Die Fortpflanzung
des Feuersalamanders zeigt besondere Eigentümlichkeiten. Gewöhnlich
werden die Larven lebendig geboren, d. h. sie schlüpfen bereits im
Mutterleibe aus dem Ei. Bisweilen werden auch Eier abgelegt, und die
Jungen schlüpfen dann sofort aus. Es handelt sich in diesem Falle
gewissermaßen um eine Frühgeburt. Der vom Weibchen empfangene männliche
Samen kann viele Monate in einem besonderen Behälter aufbewahrt werden,
von dem aus dann eine spätere Befruchtung der Eier erfolgt. So bringt
bisweilen ein einzeln gehaltenes Salamanderweibchen zur Überraschung
seines Besitzers nach einem halben Jahr plötzlich Junge zur Welt, ja es
kann abermals nach mehreren Monaten eine zweite Geburt folgen, ohne daß
das Weibchen mit einem Männchen in Berührung kam.

Beim Feuersalamander und der Krustenechse handelt es sich nicht um
eine Schutzfarbe, die als Mimikry wirkt und das Tier durch Anpassung
an die Umgebung unsichtbar macht, sondern im Gegenteil um eine sehr
auffallende Färbung, die gewissermaßen ein Aushängeschild ist und dem
lüsternen Feind schon von weitem entgegenruft: „Rühre mich nicht an,
ich bin giftig.“ Diese Nutztracht ist also gerade das Gegenteil der
Mimikry.

Aber auch eine bunte Färbung kann unter Umständen als Schutzfarbe
wirken, indem das Tier gerade durch bunt zusammengewürfelte Farben
unkenntlich gemacht wird. Ich konnte diesen Vorgang zuerst an einem
Kleinen Buntspecht (~Dryobates minor~) beobachten, dem kleinsten
Vertreter der bei uns heimischen Spechte, der nicht größer als ein
Sperling ist. Er trägt wie seine größeren Vettern, Großspecht und
Mittelspecht, ein schwarzweiß geschecktes Federkleid und eine rote
Kopfplatte, ist also ein sehr auffällig gefärbter Vogel. Ich hielt
einen jung aufgezogenen Kleinspecht längere Zeit in einer Zimmervoliere
und war immer wieder erstaunt, wie oft ich den Vogel übersah, auch
wenn er nicht weit vor mir an einem Stamm saß, freilich ohne sich zu
bewegen. Ich forschte der Ursache dieser eigentümlichen Erscheinung
näher nach, bis ich schließlich die Erklärung fand. Durch die bunte,
wirre Färbung werden die Umrisse des Körpers verwischt. Dieser
wirkt nicht mehr als einheitliches Ganzes, sondern er wird durch
die unregelmäßige Fleckung und Zeichnung aufgelöst. Ich habe auf
diese Art der Schutzfärbung zuerst in einem Vortrag der Deutschen
Ornithologischen Gesellschaft im Jahre 1902 hingewiesen und sie
„Körperauflösung“ oder „Somalyse“ genannt[5].

[Sidenote: Somalyse]

Die Somalyse spielt im Leben der buntgefärbten Tiere eine nicht zu
unterschätzende Rolle. Die Jugendkleider vieler Hirscharten sind weiß
gefleckt. Das Kalb drückt sich, wenn die Mutter nicht in der Nähe
ist, bei nahender Gefahr regungslos auf den Erdboden nieder und wird
infolge der Fleckung, die die Konturen des Körpers auflöst, nicht so
leicht erkannt. Junge Möwen, Regenpfeifer, Strandläufer, Kiebitze und
viele andere Vogelarten tragen ein unregelmäßig dunkel geflecktes und
getupftes Dunenkleid, das, wenn sich die Tiere ruhig verhalten, schon
auf nahe Entfernung ihre Körperform völlig unkenntlich macht. Die grün,
rot und blau gefärbten Papageien verschwinden im Tropenwald weniger
durch ihre Anpassung an die prächtige Blumenflora, sondern durch die
Körperauflösung, welche durch die Zusammenstellung der bunten Farben
hervorgerufen wird. Dies kommt am besten bei den buntgescheckten Loris
zur Geltung, die, wie ich mich oft genug beim Anblick eines großen, mit
diesen herrlichsten Papageien besetzten Flugkäfigs überzeugen konnte,
schon aus nicht zu weiter Entfernung leicht übersehen werden, da durch
die buntgescheckte Färbung der einheitliche Eindruck verlorengeht.
Dasselbe ist auch bei vielen Reptilien der Fall, deren Schuppenkleid
gefleckt oder gestreift ist. Die Kreuzotter mit ihrem schwarzen
Zickzackstreifen auf der Oberseite ist, wenn sie zusammengerollt ruht,
nur sehr schwer zu erkennen.

Bekanntlich sind Eier der meisten offen brütenden Vogelarten gefleckt.
Ein auf bläulichem Grunde rötlich oder braun geflecktes Ei ist der
Farbe des Nestinnern durchaus nicht angepaßt, aber es verschwindet
schon in geringer Entfernung unseren Blicken, weil durch die Fleckung
das Ei als solches nicht mehr zu erkennen ist. Die Eigestalt wird eben
durch die Zeichnung aufgehoben.

Der Begründer der Tierphotographie +Schillings+, der als erster mit der
photographischen Kamera ins dunkle Afrika hinauszog, um „Natururkunden“
von den Tieren der Wildnis heimzubringen, sagt in seinem vortrefflichen
Werke „Mit Blitzlicht und Büchse“: „daß die so auffallend schwarzweiß
gestreifte Färbung der Zebras ihre Träger in keiner Weise von der sie
umgebenden Landschaft abhebt. Je nach der Beleuchtung sehen Zebras ganz
verschieden gefärbt aus; aber selbst da, wo ihre schwarzweiße Färbung
auf nächste Entfernung zur Geltung kommen könnte, verschwinden die
Tiere in ganz außerordentlichem Maße mit der Färbung der Steppe.“

Die Ursache dieser eigenartigen Erscheinung, über die der berühmte
Forscher seine Bewunderung ausspricht, liegt eben darin, daß die dunkle
Querstreifung des hellen Felles die Umrisse des Körpers schon in großer
Nähe völlig auflöst. Dieselbe Wirkung erzielt auch das gestreifte
Tigerfell und die gefleckte Leopardenhaut.

Das Prinzip der Somalyse hat im Weltkriege eine große Bedeutung
gewonnen. Man bemalte Geschütze, Flugzeughallen, Wagen und andere
Teile der Heeresausrüstung mit bunten Farben, um ihre im Gelände sich
abhebende Gestalt zu verwischen und sie für die Flieger unkenntlich zu
machen.

Die Mimikry ist an eine ganz bestimmte Umgebung gebunden. Sie kommt
nur dann zur Geltung, wenn das Tier sich auf dem Untergrunde befindet,
dessen Farbe es angepaßt ist. Die Somalyse hat dagegen eine viel
weitere, eine allgemeine Bedeutung. Sie ist völlig unabhängig von der
Umgebung, denn sie beruht nicht auf einer Anpassung und auf einer
Nachahmung, sondern sie wirkt ganz selbständig, einzig und allein durch
eine möglichst unregelmäßige Verteilung der Farben, die die Umrisse der
Gestalt verwischen und den Tierkörper in seinem Gesamteindruck auflösen.

Die Somalyse beruht auf Fleckung und Streifung, besonders
Querstreifung, und zeigt uns, daß die buntfarbigen Tiere ebenso eine
Schutzfarbe besitzen wie die einfarbigen Tiere, die einer bestimmten
Umgebung angepaßt sind.

[Sidenote: Entstehung der Schutzfarben]

Eine andere, sehr wichtige Frage ist die, auf welche Weise diese
Schutzfarben entstanden sind.

Der große englische Naturforscher +Charles Darwin+, der den von
+Lamarck+ zuerst ausgesprochenen Gedanken einer allmählichen
Entwicklung der Lebewesen aus einfachen, niedrigen Formen zu einer
gewaltigen Lehre erhob, führt die Entstehung der Arten auf eine
natürliche Zuchtwahl und Auslese zurück. Vererbung und Abänderung
(~Variation~), beeinflußt durch den Kampf ums Dasein, der eine
natürliche Auslese verursacht, sind nach +Darwin+ die Faktoren, welche
die Arten bilden und umformen.

[Sidenote: Darwinismus]

Mit Hilfe des Darwinismus läßt sich die Entstehung jener Schutzfärbung,
die wir in ihrer Anpassung als Mimikry bezeichnen, unschwer erklären.

Alle Lebewesen, sagt +Darwin+, variieren bis zu einem gewissen Grade.
Je weiter wir in der Stammesgeschichte zurückgehen, um so größer mag
die Variationsbreite gewesen sein und die Möglichkeit, sich umzubilden.
Der Laubfrosch war ursprünglich nicht ausschließlich grün, sondern es
kamen auch Individuen vor mit weniger ausgesprochener grüner Farbe,
die vielleicht mehr eine gelbe oder braune Färbung zeigten. Alle
diese vom Grün abweichenden Variationen hoben sich von dem grünen
Blätterwerk mehr ab als ihre grüngefärbten Artgenossen. Sie wurden
infolgedessen von den Feinden leichter erkannt und fielen diesen eher
zum Opfer als die grünfarbigen Frösche mit ihrem dem grünen Laub besser
angepaßten Kleid. So erfolgte im Kampf ums Dasein eine Auslese der
Natur, die alles Unzweckmäßige vernichtete und eine rein blattgrüne
Farbenvarietät des Laubfrosches heranzüchtete, wobei die Vererbung eine
ausschlaggebende Rolle spielte.

Dies ist in kurzen Zügen, an einem einfachen Beispiel erläutert,
der Gedankengang des Darwinismus. Es war nicht eine kühne, genial
erfundene, spekulative Hypothese, die +Darwin+ aufstellte, sondern die
in seiner Heimat, in England so blühende Rassenzucht der Haustiere gab
dem ernsten Forscher und Denker den Hinweis für seine neue Lehre. Durch
eine künstliche Zuchtwahl vermehrten die Züchter die Tierrassen. Sie
wählten zur Zucht stets nur solche Individuen aus, die die zu formenden
und zu festigenden Rassemerkmale zunächst andeutungsweise und später
in immer höherem Grade zeigten, bis schließlich durch eine sorgfältige
Auslese, die alles Minderwertige ausmerzte, die Rasse in höchster
Potenz herausgeformt und durch Vererbung konstant gefestigt war. Diese
wichtigen Prinzipien der Rassenzucht übertrug +Darwin+ auf die Natur,
in der der Kampf ums Dasein auf natürlichem Wege jene Auslese erwirken
soll, die der Züchter zielbewußt ausübt.

Der von +Darwin+ neu geprägte Begriff der „natürlichen Zuchtwahl“ hat
eine fundamentale Bedeutung erlangt, weil hier zum ersten Male die
Bildung der Lebewesen auf einen rein natürlichen Vorgang zurückgeführt
wird, ohne Zuhilfenahme übernatürlicher Kräfte, ohne Wunderglauben.

[Sidenote: Entwicklungslehre und Religion]

Noch mehr als die Lehre eines +Kopernikus+ hat der Gedankengang
+Darwins+ die Weltanschauung umgestaltet, ja sie völlig aus den Angeln
gehoben. Von gegnerischer Seite, besonders von der Kirche, wurde
scharfer Einspruch gegen die ketzerische Lehre des britischen Forschers
erhoben. Das Fundament der Religion, an dem schon ein +Kopernikus+,
ein +Lamarck+ gerüttelt hatten, schien völlig zusammenzustürzen. Mit
aller Gewalt lehnte sich die Theologie gegen die neue Weltanschauung
auf, die Moral und Ethik zu untergraben drohte. Unbeirrt der scharfen
Fehde und Anfeindung ging die Wissenschaft ihren Weg weiter. Selbst
der große Forscher +Cuvier+, der mit aller Kraft das teuflische Werk
+Darwins+ zu bekämpfen suchte und sich ganz auf den alten Boden der
biblischen Schöpfungsgeschichte stellte, vermochte den Stein, der ins
Rollen gekommen war, nicht aufzuhalten. Die Entwicklungslehre oder
Deszendenztheorie blieb in der Wissenschaft anerkannt. Sie wurde von
+Darwins+ Schüler, dem Jenaer Zoologen +Ernst Häckel+, dem genialen
Schöpfer des Biogenetischen Grundgesetzes, vollends ausgebaut und
gefestigt.

[Illustration:

  Abbildung 27      Friedrich v. Lucanus phot.

Harzhirsch

in der Suhle]

[Illustration:

  Abbildung 28      James’ Preß Agency, London

Junger Gorilla]

Bedeutet die Entwicklungslehre, welche die allmähliche Entwicklung der
Lebewesen aus gemeinsamen, niedrigen Urformen herleitet, in der Tat
eine Vernichtung der christlichen Religion! Untergräbt sie wirklich
Moral und ethisches Empfinden? Dies kann nur der ernstlich glauben,
welcher die Dinge engherzig und laienhaft ansieht.

Was sagt doch die Schöpfungsgeschichte im 1. Buch Mose der Bibel? Das
erste, was geschaffen wird, ist das Licht, das, wie die Wissenschaft
uns lehrt, die Quelle alles Lebens ist. Der zweite Schöpfungstag bringt
die Entstehung des Weltensystems, der am dritten Tage die Bildung der
Erde mit erhärteter Oberfläche, mit Trennung von Land und Wasser folgt.
Es entstehen auf der Erde als erste organische Gebilde die Pflanzen.
Am vierten Schöpfungstage wird das Weltensystem durch Schaffung neuer
Gestirne, deren Licht die Erde erleuchtet, vervollkommnet. Die beiden
folgenden Schöpfungstage sind der Bildung der Tierwelt gewidmet. Am
letzten Tage tritt dann der Mensch als Krone der Schöpfung in die Welt.

Nicht in kindlichem Aberglauben sollen wir die Schöpfungstage, wie sie
uns +Moses+ vor Augen führt, als 24-Stunden-Tage auffassen. Als große
Perioden müssen wir sie ansehen, als jene gewaltigen Zeiträume von
Jahrmillionen, die die Wissenschaft in der Entwicklungsgeschichte der
Erde als Primärzeit, Sekundärzeit usw. unterscheidet.

Die Reihenfolge der mosaischen Schöpfungsgeschichte entspricht durchaus
der wissenschaftlichen Forschung, die nachgewiesen hat, daß erst die
Pflanzenwelt und dann die Tierwelt entstanden ist, und daß der Mensch,
dessen Dasein kaum bis in die Tertiärzeit hineinreicht, den letzten
Akt der fortschreitenden Entwicklung verkörpert. Er ist, dank seines
hoch ausgebildeten Gehirns, dem eine wahrhaft göttliche seelische Kraft
innewohnt, der Herr der Schöpfung, der, um mit Moses zu reden, über
alles Tier, das auf Erden kriechet, herrschet.

Die biblische Schöpfungsgeschichte nimmt freilich die Erschaffung
jedes einzelnen Lebewesens unabhängig von der Gesamtheit an; aber in
der Zeitfolge, wie das Weltsystem mit dem Planeten „Erde“ und den ihn
belebenden Organismen in Erscheinung tritt, offenbart sich bereits
eine allmähliche Entwicklung nach denselben Grundsätzen, wie sie die
Deszendenzlehre aufstellt. Hierin liegt eine gewaltige Tiefe und
Größe der biblischen Weltanschauung, die zur heutigen Wissenschaft
keineswegs, wie der Laie glaubt, im Widerspruch steht, sondern mit ihr
in versöhnender Harmonie ausklingt.

Der geniale Israelit, der den Schöpfungsakt Gottes niederschrieb,
hat freilich von der Größe seines Gedankenganges, von dessen
wissenschaftlicher Bedeutung keine Vorstellung gehabt. Er hat seine
Vorstellungen mit kindlichem Gemüt niedergelegt, aber mit einem Gemüt,
das eine gewaltige Geistesgröße in sich birgt. --

Wir wissen heute, daß alle Erscheinungen in der Welt unabänderlichen
Gesetzen unterliegen, jenen Gesetzen, die das Weltsystem schufen, die
Werden und Vergehen in eiserner Gewalt halten. Die Gesetzmäßigkeit in
der Welt, in unserem Dasein kann und braucht das religiöse Empfinden
nicht zu ertöten. Die berühmte Ignorabimus-Rede von +Du Bois-Reymond+
hat auch heute noch trotz allen wissenschaftlichen Fortschrittes
ihre Gültigkeit. Selbst wenn es dem Forscher gelänge, die Urzelle
künstlich herzustellen, das Leben auf physikalisch-chemischem Wege in
der Retorte entstehen zu lassen, so bleibt das Fundament der Religion
dennoch bestehen. Es bleibt immer wieder ein Letztes in Dunkel gehüllt,
der Ursprung jener Kräfte, die imstande sind, ein Leben zu erzeugen.
Mag der Freidenker diesen Ursprung „Stoff und Kraft“ nennen, mag der
Gläubige hierin „Gott“ erblicken, im Grunde genommen ist es dasselbe
-- ein gewaltiges Etwas, das die Welt beherrscht, dessen Wesen unsere
Sinne niemals erfassen können.

+Spinozas+ wahrer Lehrsatz: „Nach großen, ehernen Gesetzen müssen wir
alle unseres Daseins Kreislauf vollenden“, so unerbittlich hart er auch
erscheinen mag, steht nicht im Gegensatz zum ethischen Empfinden, nicht
im Widerspruch zum religiösen Gefühl.

Der Mensch mit seinen hohen Geistesgaben ist das einzige Wesen, das
die Begriffe der Moral und der Ethik kennt, die der Tierseele fremd
sind. Das Tier folgt automatisch im Unterbewußtsein seinen jeweiligen
Trieben, die sein Wesen gesetzmäßig beherrschen. Es kann daher niemals
für seine Handlungsweise verantwortlich gemacht werden. Gut und Böse,
Recht und Unrecht vermag kein Tier zu unterscheiden, geschweige denn
zu ahnen. Die Erkenntnis dieser Begriffe füllt nur die Menschenseele
aus und macht den Menschen erst zu dem, was er ist, -- zum Menschen!
Darum dürstet die Menschenseele nach Höherem als nach jenem, was die
nüchterne Wissenschaft uns geben kann, darum behalten die herrlichen,
tiefempfundenen Worte der Bergpredigt des schlichten Galiläers, der im
Stall zu Bethlehem geboren wurde und einen harten Lebensweg wandelte,
ebenso ihre Gültigkeit wie der Korintherbrief eines Paulus, der die
Liebe als höchstes menschliches Gut preist. --

+Charles Darwin+ trug kein Bedenken, die Entwicklungslehre
letzten Endes auch auf den Menschen anzuwenden und dies in seinem
epochemachenden Werke „Die Abstammung der Menschen“ frei und offen der
Welt zu verkünden. Hiermit trat der Mensch in die Reihe der Tiere als
deren naher Verwandter.

Wohl kaum ist ein Gedanke so falsch verstanden und bewertet worden wie
die tierische Abstammung des Menschen. „Der Mensch stammt vom Affen
ab“, heißt es im Volksmund. Ein wie törichter Gedanke! Wer kann mit
seinem Ahnen zusammen leben, das schließt der Begriff der Abstammung
von vornherein aus. Die gemeinsame Wurzel liegt weit, sehr weit
zurück. Die Spaltung zwischen Mensch und Affe muß sehr früh vor sich
gegangen sein, es kann nur ein Wesen in Betracht kommen, das in der
Entwicklung tief unter den heutigen Affen gestanden hat, und das die
Fähigkeit besaß, nach der einen Seite hin sich zum Baumtier, dem Affen,
auszubilden und anderseits durch stete Entwicklung des Gehirns zum
Menschen zu werden. Der Gedanke der tierischen Abstammung des Menschen
ist durchaus nicht entwürdigend. Er zeigt uns die gewaltige Bedeutung
der Entwicklung, die es fertiggebracht hat, den Menschengeist zu einer
so hohen Stufe emporzutragen, die zwischen Tierseele und Menschenseele
eine gewaltige Kluft aufgetan hat. Das Verständnis für Moral, Kunst
und Wissenschaft ist das alleinige und höchste Gut der Menschenseele,
das den Menschen wieder aus der Reihe der Tiere heraushebt und ihn zum
gottähnlichen Wesen macht.

Die Entwicklung kennt keinen Stillstand, sie geht unaufhaltsam weiter.
So eröffnet die Lehre von der Entwicklung des Menschen aus niedriger
Form den Ausblick auf einen weiteren Fortschritt jenes Organs, das
den Menschen zum Menschen gemacht hat, auf eine immer höher werdende
Stufe des Geistes. Der Übermensch als vollendetes Wesen, dem kein
Mangel des Geistes mehr anhaftet, dem Haß, Grausamkeit und Neid fremd
sind, dessen Herz allein die reine Liebe für seine Mitmenschen und alle
Geschöpfe beseelt, steht vor unserem geistigen Auge als vollkommenste
Entwicklungsstufe, die vielleicht in Jahrmillionen einst erreicht wird.
Wahrlich ein erhebender Gedanke, dem nichts Niedriges, sondern nur
Hohes und Heiliges innewohnt.

Die Auffassung von der tierischen Herkunft des Menschen gibt uns
durchaus nicht das Recht, unseren unlauteren Begierden, die tierischen
Ursprungs sind, freien Lauf zu lassen, wie das ungebildete Volk wohl
glaubt. Im Gegenteil, sie ist nur ein Grund mehr zur Selbstzucht und
Selbstbeherrschung. Wir müssen uns unserer Geisteskraft, die wir der
Entwicklung verdanken, würdig zeigen. Moral und Ethik muß unser Sinnen
und Trachten ausfüllen. Wer anders denkt und dies nicht tut, entwürdigt
sich selbst, verleugnet seine menschliche Natur und sinkt wieder zum
Tier herab, was er einst gewesen ist. --

[Sidenote: Unsterblichkeit]

Dissidenten und Atheisten glauben die auf den Menschen angewandte
Entwicklungslehre als Beweis anführen zu können, um die Unsterblichkeit
der Menschenseele zu widerlegen. Der Begriff der Unsterblichkeit läßt
sich weder wissenschaftlich beweisen, noch wissenschaftlich leugnen.
Keine Kraft im Weltall geht verloren. Sie setzt sich nur um und tritt
in anderer Erscheinung wieder auf. So mag auch die Geisteskraft des
Menschen unsterblich sein, in welcher Form dies geschieht, entzieht
sich unserer Erkenntnis, und kein kirchliches Dogma kann uns hierauf
Antwort geben. Es bleibt Sache des Glaubens und des religiösen
Empfindens, das dem Einzelnen überlassen ist. --

Nach +Darwins+ Lehre soll die Schutzfarbe der Tiere, wie die Sandfarbe
der Wüstenbewohner, die leuchtende, bunte Färbung der Tropenfauna und
das weiße Haar- und Federkleid der Bewohner der Eisregion, im Kampf ums
Dasein durch natürliche Auslese entstanden sein. So einleuchtend diese
Theorie auch klingt, so läßt sie sich nach den neuen Forschungen in
ihrem vollen Umfange nicht mehr aufrecht halten.

[Sidenote: Neue Forschungen über die Entstehung der Färbung der Tiere]

Wir wissen heute, daß die Färbung der Tiere auch noch von anderen, rein
äußerlichen Faktoren bedingt wird. Das Klima spielt hierbei eine nicht
zu unterschätzende Rolle.

Außerordentlich lehrreich für die Beurteilung der Farbenbildung sind
die Versuche, welche +Kammerer+ mit Reptilien gemacht hat. Es gelang
ihm durch Erhöhung bzw. Erniedrigung der Außentemperatur die Färbung
von Eidechsen zu verändern.

Die auf der Oberseite herrlich grün, unterwärts gelb gefärbte
Smaragdeidechse (~Lacerta viridis~) bildet je nach Größe und mehr
oder weniger lebhafter Färbung mehrere geographische Rassen. So
fehlt der größten in Kleinasien und Syrien lebenden Form (~Lacerta
viridis major~) die schöne blaue Kehlfärbung der südeuropäischen
Smaragdeidechsen, die besonders die Männchen in der Brunstzeit
ziert. Durch starke Temperaturerhöhung brachte +Kammerer+ die blaue
Farbe der südeuropäischen Rassetiere zum Verschwinden und erzielte
hierdurch auf künstlichem Wege die Farbe der ~major~-Rasse. Ebenso
gelang es +Kammerer+ durch Einwirkung hoher Temperatur bei weiblichen
Mauereidechsen (~Lacerta muralis~) eine prächtigere Färbung, wie
sie nur die Männchen haben, hervorzurufen. Es entstanden an den
Seiten blaue Flecke und der Bauch färbte sich rot. Eine Erhöhung der
Außentemperatur in Verbindung mit Feuchtigkeit erzeugt nach +Kammerer+
vermehrte Pigmentbildung und infolgedessen ein Dunklerwerden der
Färbung, während niedrige Temperatur und Trockenheit Pigmentschwund und
infolgedessen Aufhellung hervorbringen. Bei einigen Eidechsen entstand
sogar im ersteren Falle völliger Melanismus.

Ähnliche Beispiele wie bei den Eidechsen lassen sich auch aus der
Insektenwelt anführen. Geographische Rassen von Schmetterlingen lassen
sich künstlich erzeugen, je nachdem man die Puppen in kalter oder
warmer Temperatur zur Entwicklung bringt. Im ersteren Falle erfolgt
eine Aufhellung, im letzteren ein Dunklerwerden der Färbung.

+Görnitz+ hat den Farbstoff der Vogelfedern physikalisch-experimentell
untersucht und ist hier ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen, daß
Kälte den dunklen Farbstoff, die Melanine, zerstört, Wärme dagegen
sie fördert. Der Kleiber ~Sitta europaea~ hat in Mitteleuropa einen
schmutziggelben Bauch, in Ostpreußen, Polen und den Baltischen
Ländern ist der Leib rahmfarben und in Skandinavien weiß gefärbt,
so daß sich verschiedene geographische Unterarten abtrennen lassen.
Der Jagdfalk ~Falco islandicus~ ist in den südlichen Ländern
seines Verbreitungsgebiets dunkel, im hohen Norden dagegen fast
rein weiß. Unabhängig von der Temperatur üben nach +Görnitz+ auch
Trockenheit und Feuchtigkeit einen Einfluß auf die Gefiederfarbe
aus. Trockenheit schränkt die Pigmentbildung ein. Die dunkelsten
Farbstoffe, das schwarze und braune Eumelanin wird zerstört, während
das hellere, gelbliche Phäomelanin zunimmt. Die Haubenlerche, welche
das trockene Wüstengebiet der Sahara bewohnt, zeigt auf dem Rücken
eine hellrötlichgelbe Farbe, weil durch die Trockenheit das Eumelanin
zerstört ist, und das Phäomelanin sich ausgebreitet hat. Dagegen ist
die Haubenlerche, die im feuchten Nildelta lebt, die dunkelste Form,
weil das Eumelanin durch die beständige Feuchtigkeit des Klimas,
unabhängig von der Wärme, eine starke Vermehrung erfahren hat. Die
Vögel, welche das afrikanische Küstengebiet bewohnen, sind infolge
des feuchten ozeanischen Klimas im allgemeinen dunkler gefärbt als
ihre Artgenossen im Innern des Festlandes. Der afrikanische Raubwürger
hat im Küstengebiet einen dunkelgrauen Rücken, in der Sahara dagegen
einen hellgrauen. Sehr interessant ist ferner die Erscheinung, daß
bei den Zugvögeln, die im hohen Norden brüten, keine Aufhellung ihres
Gefieders erfolgt ist, wie man vielleicht zunächst annehmen sollte. Bei
eingehender Prüfung erklärt sich aber dieser scheinbare Widerspruch von
selbst. Die Zugvögel brüten im Sommer, also in einer warmen Jahreszeit
im Norden, verlassen diesen noch vor Beginn der Kälte, um im warmen
Süden zu überwintern. Sie leben also niemals unter dem Einfluß einer
sehr niedrigen Temperatur. So sehen wir denn, daß z. B. die Graugans
im höchsten Norden ihres Verbreitungsgebiets nicht heller gefärbt ist
als in südlichen Gegenden. Der Alpenstrandläufer der Arktis ist auf der
Oberseite ebenso dunkel gefärbt wie die Brutvögel in Holland und an den
deutschen Nord- und Ostseeküsten.

Außer den äußeren Einflüssen des Klimas scheint auch die Farbe der
Umgebung, in der ein Tier lebt, eine gewisse Einwirkung auf die
Pigmentbildung zu haben. Versuche, die nach dieser Richtung hin
mit dem Feuersalamander ausgeführt wurden, ergaben, daß die gelbe
Fleckenzeichnung auf dem Körper zunahm und sich allmählich mehr
verbreitete, wenn die Tiere auf hellem Untergrunde gehalten wurden,
daß anderseits die gelben Flecken sich verkleinerten und die schwarze
Grundfarbe mehr hervortrat, wenn man die Versuchstiere auf dunkler Erde
hielt. Diese Farbenveränderung trat jedoch nicht auf, wenn die Tiere
des Augenlichts beraubt waren. Hieraus geht hervor, daß es sich um
einen optischen Reiz handelt, der sich auf die Pigmentbildung überträgt.

Alle diese Forschungen, die aus neuerer Zeit vorliegen, eröffnen
für die Beurteilung der Entstehung der Färbung der Tiere eine ganz
neue Perspektive, die uns zwingt, die Dinge nach ganz anderen
Gesichtspunkten zu beurteilen, als man es bisher getan hat, und
+Darwins+ genial ersonnene Lehre von der Entstehung der Arten durch
natürliche Auslese im Kampf ums Dasein erhält hierdurch einen
empfindlichen Stoß. Die Wüstenfarbe der Springmäuse, der Wüstenlerchen
und vieler anderer Wüstentiere, die ein so vortreffliches Beispiel für
die Mimikry und ihre Entstehung in +Darwins+ Sinne zu sein schien,
muß mit einem Male auf eine ganz andere Ursache zurückgeführt werden.
Das physikalisch-chemische Experiment lehrt uns, daß ein Kampf ums
Dasein und eine Auslese gar nicht notwendig sind, um diese verblüffende
Anpassung hervorzurufen. Der grüne Laubfrosch braucht nicht durch
Vertilgung der unzweckmäßigen Färbung herausgezüchtet zu sein, sondern
er verdankt seine dem Aufenthaltsorte angepaßte Farbe vielleicht dem
Einfluß klimatischer Faktoren oder dem Reiz des grünen Lichtes, das das
Blätterwerk, in dem er zu Hause ist, auf seine Sehnerven ausübt.

So schreitet die Wissenschaft unaufhaltsam vorwärts. Das Bessere ist
des Guten Feind; das Alte wird beiseite getan, neue Theorien werden
aufgebaut, um vielleicht in späterer Zeit wieder durch neue Ergebnisse
rastlosen Forschergeistes überholt zu werden. Trotzdem wäre es ein
schweres Unrecht gegen die Wissenschaft, die Hypothese, die in ernster,
gewissenhafter Arbeit geschaffen wurde, etwa verächtlich abzutun, wie
es leider heute bisweilen geschieht. Mag eine frühere Anschauung ihre
Gültigkeit verlieren, so bleibt ihr Wert, den sie der Wissenschaft
geleistet hat, dennoch für alle Zeiten bestehen. Auch sie bedeutete
einen Fortschritt in der Erkenntnis, denn sie hat zur Klärung des
Ganzen im Suchen nach der Wahrheit beigetragen und bildet daher einen
wichtigen Baustein im Gebäude der Wissenschaft.

    „Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit,
    und neues Leben blüht aus den Ruinen.“ --

Mag Darwins Lehre von der Entstehung der Arten durch natürliche
Zuchtwahl auch der heutigen Wissenschaft nicht mehr in allem
standhalten, so bleibt doch der Grundgedanke seiner Lehre, die
Entstehung der Arten durch allmähliche Entwicklung und Umbildung
bestehen.

Mag auch die Schutzfärbung nicht durch eine Auslese im Lebenskampf
hervorgerufen sein, so behalten dennoch ihr Wesen und ihre Wirksamkeit
Geltung. Die Tatsache, daß der Hase im Kleide der Erdscholle, die
Fasanenhenne, die Waldschnepfe im dürrlaubfarbigen Gewande und
die Wüstentiere im sandfarbigen Haar- und Federkleid der Umgebung
vortrefflich angepaßt sind, bleibt bestehen. Die Mimikry verliert nicht
ihre Bedeutung, auch wenn sie anderen Ursprungs ist, der mit einem
beabsichtigten Schutz nichts zu tun hat. Das Kleid, das sich ganz
unabhängig vom Kampf ums Dasein einzig unter dem Einfluß des Klimas
und anderer äußerer Einwirkungen herausgebildet hat, ist dennoch eine
Tracht geworden, die seinen Träger vor den Nachstellungen seiner Feinde
schützt, da sie zur Umgebung paßt. Wir sehen, wie außerordentlich fein
und sinnreich die Natur arbeitet, wie ihre großen, unabänderlichen
Gesetze sich nicht in Einseitigkeit verlieren, sondern wie ein
gewaltiger, zielbewußter Wille zweckmäßig arbeitet.

[Sidenote: Wert der Schutzfarbe]

Erfüllt die Schutzfarbe wirklich ihren Zweck? Auch hiergegen hat
man versucht, Einwände zu erheben. Man hält eine Schutzfärbung für
unnötig, da viele Tiere, die dieses Vorteils entbehren, trotz aller
Nachstellungen noch nicht ausgerottet sind. Dieser Einwand entbehrt
aber einer zutreffenden Begründung. Von Natur sind alle Tiere mehr oder
weniger durch ihre Färbung geschützt. Selbst die buntfarbigen Tiere,
bei denen man nicht von Mimikry sprechen kann, entbehren des Schutzes
nicht, da auch eine bunte Zeichnung, wie wir gesehen haben, durch die
körperauflösende Wirkung der Somalyse das Tier unkenntlich macht.

Man hat ferner gegen den Wert der Schutzfarbe eingewendet, daß sie nur
gegen Sicht, aber nicht gegen eine Wahrnehmung mit dem Geruchssinn
schützt, der gerade bei den Raubtieren so gut entwickelt sein soll. Der
Fuchs spürt mit Hilfe seines Geruchs die brütende Fasanenhenne, den in
der Sasse sitzenden Hasen auf, und die Schutzfärbung verfehlt ihren
Zweck. So einfach läßt sich die Sache aber nicht abtun.

Zunächst findet der Fuchs mit Hilfe des Geruchssinnes nur dasjenige
Wild, welches sich, wie der Jäger sagt, unter Wind befindet, dessen
Witterung ihm die Luftströmung zuträgt. In allen anderen Fällen
wird Reineke sein Opfer meist nicht wahrnehmen, weil es durch die
Schutzfarbe seinen Blicken entzogen wird. Hieraus geht schon hervor,
daß die Mimikry durchaus nicht so bedeutungslos ist, wie die Gegner
vermeinen, sondern sehr wohl ihren Zweck hat.

Der durch seine populären Tierschriften bekannte Schriftsteller +Zell+
teilt die Tiere nach der Ausbildung ihrer Sinne ein und unterscheidet
Nasen- und Augentiere, d. h. Tiere, die einseitig entweder den
Geruchssinn oder das Gesicht zur Erfüllung ihrer Lebensaufgaben
benutzen. Diese Anschauung kann einer ernsten Kritik nicht standhalten.
Die meisten Tiere sind keineswegs einseitig im Gebrauch der Sinne
veranlagt, und am allerwenigsten jene Tiere, auf die +Zell+ seine
Hypothese in der Hauptsache anwendet, wie unser Wild und das Raubzeug.
Niemand wird bestreiten, daß bei Hirsch, Reh und Wildschwein der
Geruch vorzüglich ausgebildet ist. Sie nehmen auf weite Entfernung
von mehreren hundert Metern die Witterung des Menschen, die ihnen der
Wind zuträgt, wahr, und hierin liegt zweifellos ein vortrefflicher
Schutz gegen Gefahren. Wer aber das Verhalten dieser Tiere aufmerksam
beobachtet, gewinnt bald die Ansicht, daß infolge des hochentwickelten
Geruchs die anderen Sinne keineswegs verkümmert sind, wie +Zell+ meint.
Außerordentlich scharf, vielleicht ebenso scharf als der Geruch ist das
Gehör dieser Tiere. Wittert ein Reh oder ein Stück Rotwild Gefahr, dann
richtet es nicht nur den Windfang nach dem Winde, um sich von der Nähe
eines Feindes zu überzeugen, sondern gebraucht ebenso das Gehör, wie
man an der fortgesetzten Drehung der hochaufgerichteten Lauscher sehen
kann. Das Wild unterscheidet mit tödlicher Sicherheit die feinsten
Geräusche nach ihrem Ursprung. Rutscht ein Eichhörnchen am Stamm empor,
raschelt eine Maus im dürren Laub, oder schleicht ein Fuchs über den
Boden, so wirft das Wild vielleicht einen Augenblick den Kopf auf,
nimmt aber sofort wahr, daß es sich um ein unverdächtiges Geräusch
handelt und wird wieder vertraut. Ganz anders, wenn der pürschende
Jäger ein nur leises, ähnliches Geräusch verursacht. Er vergrämt das
Wild sofort -- ein Beweis, daß es den Unterschied des Schalls, so
gering er auch ist, sofort erkannt hat.

Auch das Gesicht ist beim Wilde keineswegs so schlecht ausgebildet, wie
man meist vermutet. Es steht freilich dem Geruch und Gehör nach, ohne
jedoch seine Bedeutung zu verlieren. Wenn der Jäger in unauffälliger,
der Umgebung angepaßter Kleidung ganz still sich verhält, wird er bei
gutem Winde nicht leicht vom Wilde bemerkt, auch wenn er ganz frei
und ungedeckt steht. Die geringste Bewegung wird aber von dem Wilde
sofort wahrgenommen. Man kann bekanntlich einen Rehbock auf freier
Wiese oder im Felde bis auf nahe Entfernung anpürschen, wenn man sich
langsam vorwärts bewegt, sobald dieser den Kopf unten hat und äst, aber
sofort zur Bildsäule erstarrt, wenn er den Kopf hebt. Der Grund liegt
darin, daß das Tier den stillstehenden Jäger nicht erkennt und auch
nicht imstande ist, die Veränderung der Entfernung zu beurteilen. Diese
Unachtsamkeit beruht weniger auf einer schlechten Sehkraft, als auf der
geringfügigen geistigen Begabung. Das Tier macht sich die Bedeutung
des auf die Netzhaut geworfenen Bildes nicht bewußt klar. Es fehlt die
verstandesmäßige Überlegung, die bei uns das, was wir mit den Augen
wahrnehmen, zum richtigen Bewußtsein und Verständnis kommen läßt.

Die optische Schärfe des Auges ist aber beim Reh- und Rotwild durchaus
nicht gering. Selbst ein unauffälliges Augenzwinkern nimmt das Tier
ohne weiteres wahr und quittiert die verdächtige Erscheinung durch
eine sofortige Flucht, wie ich mich auf meinen Pürschgängen oft genug
überzeugen konnte.

Beim Wildschwein ist die Sehkraft freilich recht gering. Trotzdem wäre
es falsch, nach dem Muster von Zell von einem Nasentier zu reden, da
neben dem Geruchssinn das Gehör in höchster Vollkommenheit ausgebildet
ist.

Die Bedeutung des Geruchssinnes beim Raubwild, wie Fuchs und Marder,
wird sehr überschätzt. Ich habe mich auf der Jagd oft genug darüber
gewundert, wie die Nase des roten Freibeuters versagte. Mehrmals
erlebte ich es gelegentlich des Rehbockanstandes, daß ein Fuchs in
einer Entfernung von nur wenigen Schritten ganz vertraut an mir
vorüberschnürte, ohne meine Nähe zu bemerken. Mit dem Geruchssinn des
Fuchses scheint es also nicht weit her zu sein. Dieselbe Erfahrung
machte auch in jüngster Zeit mein Freund +Graf Otto Zedlitz+ an einem
zahmen Fuchs, den er in Gefangenschaft hielt. +Graf Zedlitz+, der um
die Erforschung der afrikanischen Vogelwelt so verdiente Gelehrte und
ausgezeichnete Tierbeobachter, teilte mir mit, daß er immer wieder zu
seinem Erstaunen erfahren könne, wie wenig sein Fuchs vom Geruchssinn
Gebrauch macht, und daß er sich ganz und gar vom Gehör und Gesicht
leiten läßt.

Dieselbe Erfahrung machte ich an einem Steinmarder und an einem
Edelmarder, die ich als junge Tiere erhielt und die lange Zeit meine
Zimmergenossen waren. Sie waren nicht imstande, ein Stück rohen
Fleisches, das ich unter einem leinenen Tuche versteckt hatte, mit
dem Geruchssinn aufzufinden. Sie liefen über das Tuch hinweg, ohne
den verborgenen Leckerbissen zu bemerken. Dagegen war bei ihnen das
Gehör außerordentlich fein ausgebildet. Ich konnte sie in kurzer
Zeit daran gewöhnen, auf ein ganz leises Knacken mit dem Fingernagel
herbeizukommen, um Leckerbissen in Empfang zu nehmen.

Die Ansicht, daß die Mimikry des Hasen, des Rebhuhnes, der brütenden
Lerche und vieler anderer Tiere kein Schutzmittel gegen die Angriffe
des Raubzeugs sei, weil es hauptsächlich mit der Nase arbeitet, ist
also durchaus hinfällig.

Jede Schutzfärbung, sowohl die Mimikry wie die Somalyse, kommen
natürlich nur dann zur Geltung, solange das betreffende Tier sich
völlig ruhig verhält, da die Bewegung die Wirkung der Anpassung aufhebt
und das Tier verrät. Infolgedessen verhalten auch alle Tiere, die
eine ausgesprochene Schutzfarbe besitzen, sich völlig ruhig, sobald
sie glauben, sich nicht mehr rechtzeitig durch Flucht in Sicherheit
bringen zu können. Aus diesem Grunde liegen die Rebhühner fest vor
dem vorstehenden Hunde. Sie „halten“, wie der Jäger sagt. Der Hase
bleibt bei plötzlicher Annäherung des Menschen häufig so fest in der
Sasse liegen, daß man geradezu auf ihn treten kann. Das Tier hat dabei
offenbar das Gefühl, daß es übersehen wird und dadurch der Gefahr am
besten entgeht, jedenfalls viel besser, als wenn es zur Flucht sich
erheben würde und dann leicht von seinem Verfolger ergriffen werden
könnte. Dieser Instinkt, sich unsichtbar zu machen, wird sich erst
im Laufe der Zeit herausgebildet haben. Für seine Entstehung gibt es
aber wohl kaum eine bessere Erklärung als die Theorie Darwins von der
Einwirkung der Auslese im Kampf ums Dasein. So sehen wir, daß Darwins
Lehre trotz der neuen Erklärung von der Entstehung der Farben durch
Klima und optische Reize ihre Gültigkeit nicht ganz verloren hat.

Die Mittel, mit denen die Natur ihre Geschöpfe bildet und formt,
sind überaus mannigfaltig und vielseitiger, als wir heute wissen und
ahnen. --

[Sidenote: Mimikry des Kuckuckseies]

Eine vielumstrittene Frage auf dem Gebiet der Mimikry ist die Färbung
des Kuckuckseies. Das Kuckucksei variiert bekanntlich außerordentlich
und zeigt den Typus der Eier zahlreicher Singvögel. Es gibt rein
blaugrüne Kuckuckseier, die den Eiern des Gartenrotschwanzes völlig
gleichen. Liegt ein solches Kuckucksei in einem Rotschwanznest, dann
ist es von den Rotschwanzeiern äußerlich gar nicht zu unterscheiden.
Andere Kuckuckseier gleichen den Eiern der Würger, Grasmücken,
Fliegenfänger, Pieper und Stelzen in auffallendster Weise. Freilich
liegen die Kuckuckseier nicht immer in Nestern mit entsprechend
gefärbten Eiern, sondern häufig auch in solchen Gelegen, zu denen
sie in der Farbe nicht passen. Trotzdem läßt sich die Mimikry des
Kuckuckseies nicht verleugnen. In manchen Gegenden herrscht ein
bestimmter Eityp vor, und der Kuckuck benutzt dann fast ausschließlich
solche Vogelnester für seinen Brutparasitismus, zu deren Gelege sein Ei
paßt. So sind die Kuckuckseier in Finnland vorzugsweise einfarbig blau
und liegen fast immer in den Nestern des dortigen Gartenrotschwanzes.
Die auffallendste Übereinstimmung zwischen Kuckucksei und Nesteiern
finden wir in Japan, wo sich der Kuckuck die Schwarzkehlammer
(~Emberiza ciopsis~) zur Bebrütung seines Eies ausgewählt hat. Geradezu
verblüffend ist die Ähnlichkeit des Kuckuckseies mit den Eiern dieser
Ammer. Sie sind beide auf weißlichem Grunde dunkelgefleckt, und die
Fleckung bildet am stumpfen Eiende einen aus Schnörkeln gewundenen
Kranz. Diese Anpassung steht einzig da und kann unmöglich eine reine
Laune des Zufalls sein, sondern muß gesetzmäßig hervorgerufen sein.
Hier würde die Auslese im Sinne Darwins zweifellos die beste und
einzig mögliche Erklärung sein, wenn eine solche Auslese tatsächlich
durch die Wirtsvögel bewirkt würde. Nimmt man an, daß die Ammern alle
unähnlichen Kuckuckseier stets entfernt haben, so würde durch die
Auslese im Laufe der Zeit ein Kuckucksstamm herangezüchtet sein, dessen
Eier den Ammereiern gleichen. Hiermit wäre das Geheimnis der Anpassung
aufgedeckt. So einfach liegt die Sache aber nicht. In meiner Schrift
„Das Leben der Vögel“ habe ich darauf hingewiesen, daß die Singvögel
keineswegs immer fremde Eier aus ihren Nestern entfernen, sondern sie
sehr oft, auch wenn sie auffallend verschieden sind, annehmen und
erbrüten. Es ist also sehr zweifelhaft, ob eine Auslese wirklich in der
Natur stattfindet, und ob sie so groß ist, daß eine Mimikry zustande
kommen kann. Wenn trotzdem eine Anpassung, und sogar eine geradezu
verblüffend große Anpassung vorhanden ist, so legt dies den Gedanken
nahe, daß es sich hier um ein uns noch unbekanntes Naturgesetz handeln
muß, das zu erforschen der Wissenschaft noch vorbehalten ist.

Noch vieles im Leben der Tiere ist in Dunkel gehüllt. Der
geheimnisvolle Zauber, der über den Erscheinungen des Tierlebens liegt,
übt immer wieder auf den Forscher wie auf den Laien eine gewaltige
Anziehungskraft aus, die den, der von diesem Bann ergriffen ist, in
unlösbare Fesseln schmiedet und ihm als höchstes Ideal vor Augen führt,
die Wunder der Natur zu ergründen.


  [5] Friedrich von Lucanus, Schutzfärbungen und Nutztrachten, Journal
      für Ornithologie 1902.




Verstellungskünste


[Sidenote: Vorgetäuschte Flügellahmheit der Vögel]

Ein herrlicher Sommertag lockt uns in die freie Natur. Wir wandern am
Waldesrand entlang. Drossel- und Amselschlag erquickt unser Herz und
Gemüt. Vom nahen Felde her dringen die jauchzenden, wirbelnden Triller
der Lerche an unser Ohr. Wir lassen uns am Grabenrand unter einer
Dornenhecke nieder, um ein Weilchen auszuruhen und die Stimmung der
Natur in vollen Zügen zu genießen. Doch was ist das? Vor uns flattert
auf dem Erdboden ein kleines, graues Vögelchen, anscheinend krank und
flügellahm. Wir wollen das Tier ergreifen, um es mit nach Haus zu
nehmen und es zu pflegen, bis wir es gesundet der Freiheit zurückgeben
können. Der arme Wicht läßt sich aber nicht so leicht fangen, wie
wir glaubten. Er flattert mühsam vor uns her, und jedesmal, wenn wir
mit der Hand zufassen, entgleitet er unseren Nachstellungen. In der
Verfolgung entfernen wir uns immer weiter von unserem Platz, da erhebt
sich der Vogel, der eben noch so matt und krank erschien, hoch in die
Luft und verschwindet unseren Blicken. Es war eine Grasmücke, die in
dem Dornbusch, unter dessen Schatten wir ruhten, ihr Nest mit Jungen
hat. Der Vogel war nicht krank, er stellte sich nur flügellahm, um in
der Sorge für das Leben seiner Kinderschar unsere Aufmerksamkeit auf
sich selbst zu lenken und durch die geschickten Verstellungskünste uns
von dem Nistplatz fortzuführen.

Diese Verstellungskünste zum Schutze der Jungen vollführen außer den
Grasmücken auch viele andere Vögel, nachdem sie vorher ihre Jungen
durch einen Warnruf zur Ruhe gemahnt haben. Ich habe es einst im Harz
bei einer Auerhenne beobachtet, und neuerdings ist dasselbe auch bei
Wildtauben festgestellt worden.

Die Kunst, den Feind durch List zu täuschen, wird hauptsächlich
von solchen Vögeln angewendet, die zu schwach sind, ihre Brut zu
verteidigen, während wehrhafte Vögel, wie Raubvögel, Störche und Reiher
in solchen Fällen dem Feinde mutig zu Leibe gehen.

[Sidenote: Schutz- und Schreckstellungen]

Andere Tiere üben solche Verstellungskünste zu ihrer eigenen Sicherheit
aus. Die Eulen machen sich bei Gefahr ganz dünn, indem sie den Körper
hochrecken und das Gefieder eng anlegen, so daß sie dann nicht mehr
in ihrer Gestalt als Vogel zu erkennen sind, sondern einem dürren Ast
gleichen und übersehen werden.

Die Rohrdommel sucht einer Gefahr dadurch zu entgehen, daß sie ihren
Körper und Hals senkrecht in die Höhe streckt, so daß sie einem Pfahl
oder einem Rohrhalm gleicht und auf diese Weise in dem dichten Röhricht
verschwindet.

Der Ziegenmelker, der seinen abenteuerlichen Namen nach dem
Volksglauben führt, daß er nachts in die Stallungen fliegt, um den
Ziegen Milch zu rauben, was natürlich ein Märchen ist, setzt sich zur
Ruhe nicht quer auf einen Ast, wie es alle anderen Vögel tun, sondern
der Länge nach. Er gleicht dann dem Auswuchs eines knorrigen Baumastes
und wird von seinen Feinden nicht so leicht erkannt.

Bei diesen Verstellungskünsten kommt der Eule, der Rohrdommel und dem
Ziegenmelker noch die düstere, unscheinbare Färbung des Gefieders
zugute, welche die Wirkung der Täuschung noch erhöht.

Der geängstigte Steinkauz macht fortgesetzt Verbeugungen, indem er
seinen Körper auf und nieder schnellt. Im Halbdunkel einer Baumhöhle
bewegen sich dann die leuchtendgelben, großen Augen rasch hin und her,
wodurch vielleicht der Marder oder das Wiesel, wenn sie den harmlosen
Kauz in seinem Versteck überfallen wollen, sich abschrecken lassen.

Unter den Säugetieren nehmen die Flughunde eine Schutzstellung ein, die
sie als Tiere unkenntlich macht. Sie hängen sich mit den Hinterfüßen
an einem wagerechten Ast auf und lassen den Körper mit engangelegten
vorderen Gliedmaßen herabhängen. Hierdurch gewinnen sie das Aussehen
einer am Baume herunterhängenden Frucht. Dieser Eindruck wird noch
dadurch vervollkommnet, daß die gesellig lebenden Tiere in großer
Anzahl nebeneinander hängen, so daß ein Schlafbaum der Flughunde wie
ein mit Früchten reichbesetzter Strauch aussieht.

Der auf den Sundainseln lebende Pelzflatterer oder Kaguang
(~Galeopithecus volans~) hängt sich beim Schlafen mit allen vier Füßen
an einem Zweig auf und sieht mit seinem braunen, weiß gesprenkelten
Fell wie ein Auswuchs am Ast aus. Der Kaguang gehört mit Spitzmaus,
Igel und Maulwurf zur Ordnung der „Insektenfresser“. Eine zwischen
den Vorder- und Hinterfüßen ausgespannte Flughaut dient dem Tier als
Fallschirm bei seinen Sprüngen durch die Luft.

Auch einige Amphibien und Reptilien wenden Schreckmittel an, um
sich zu verteidigen. Die Natur hat ihnen besondere Vorrichtungen
verliehen, ihren Körper plötzlich zu verunstalten und dadurch den Feind
abzuschrecken. Der in Südamerika lebende braunfleckige Sumpffrosch aus
der Gattung Paludicola und der afrikanische Kurzkopffrosch (~Breviceps
mossambicus~) können ihren Körper mit Luft so stark aufblasen, daß er
zu einer großen Kugel wird, wodurch froschfressende Tiere abgeschreckt
werden.

Auch die Chamäleons blasen bei Gefahr ihren Körper auf, der hierdurch
eine dicke und pralle Gestalt erhält, die keine Angriffsflächen
bietet, so daß die Bisse des Gegners leicht abgleiten. Außerdem nimmt
das Tier durch Aufblasen des Kehlsacks und der Hautlappen, die manche
Arten an den Kopfseiten tragen, ein absonderliches, abschreckendes
Aussehen an. Das Aufblasen des Körpers geschieht vermittels der
Lungen, die zahlreiche, schlauchartige Fortsätze haben, die sogar bis
zu den Eingeweiden reichen und mit Luft gefüllt werden können. Diese
„Blindsäcke“ der Chamäleons sind eine ähnliche Vorrichtung wie die
„Luftsäcke“ der Vögel, welche im ganzen Körper verteilt unter der Haut
liegen und ebenfalls mit den Lungen in Verbindung stehen. Es tritt hier
unverkennbar die nahe Verwandtschaft der Vögel mit den Kriechtieren
hervor, die die Abstammungslehre als die Ahnen der Vögel ansieht.
Der Kehlsack des Chamäleons steht mit der Luftröhre, die Hautlappen
des Kopfes mit den Eustachischen Röhren in Verbindung und werden von
hier aus mit Luft gefüllt. Genau dasselbe zeigt auch das pneumatische
System der Vögel. Die unter der Schädelhaut befindlichen Luftsäcke sind
in der Regel gleichfalls an die Eustachische Röhre angeschlossen und
hängen nur bei wenigen Arten mit den Lungen und Bronchien zusammen.
Auch bei den Anolis dient das Aufblasen des Kehlsacks als Schreckmittel
(Abbildung 24).

Die wegen ihres gefährlichen Bisses so gefürchtete indische
Brillenschlange, die Kobra der Schlangenbeschwörer und Zaubrer, kann
die vorderen acht Rippen ihres Leibes seitlich abspreizen, wodurch
der hinter dem Kopf befindliche Körperteil die Form eines großen,
breiten Schildes erhält. Die Schlange nimmt diese Stellung nur
ein, wenn sie gereizt oder bedroht wird, und richtet sich hierbei
senkrecht in die Höhe. Der zum Schild erweiterte Hals schützt den
kleinen Kopf des Tieres und wirkt auch abschreckend auf den Feind
ein. Die Brillenschlange führt ihren Namen nach der sonderbaren
Brillenzeichnung auf der Oberseite des Halses, die bei entfaltetem
Schild besonders zur Geltung kommt. Andere Schlangen, wie die
afrikanischen Baumschlangen der Gattungen Dispholidus und Thelotornis,
blähen den Hals ballonartig auf, um ihre Feinde abzuschrecken und
einzuschüchtern. Bei der grauen Baumschlange Afrikas wird der
gespensterhafte Eindruck des aufgeblasenen Halses noch dadurch erhöht,
daß die teils schwarz, teils weiß gefärbte Haut zwischen den Schuppen,
die in der Ruhe nicht sichtbar ist, beim Aufblasen des Halses stark
hervortritt. Das Tier, welches die Schlange ergreifen will, sieht
dann plötzlich anstatt des unscheinbar grau gefärbten Reptils einen
schwarzweiß leuchtenden Ballon vor sich, erschrickt und ergreift die
Flucht.

Die australische Kragenechse (~Chlamydosaurus kingi~) trägt einen 15
~cm~ breiten Halskragen, der in der unteren Hälfte mosaikartig orange,
rot, blau und braun gefärbt ist. Der Kragen kann wie ein Regenschirm
zusammengelegt und aufgespannt werden (Abbildung 25). Die mit dem
langen Schwanz 80 ~cm~ messende, braun und schwarz gezeichnete Echse
ist sehr erregbar und spannt, wenn sie erschreckt wird, sofort den
Schirm auf, wobei sie stets den Vorderkörper aufrichtet. Der Kragen
dient sowohl als Schild beim Abwehrkampf, den die mutige Echse tapfer
aufnimmt, wie als Schreckmittel, wobei wieder die bunte Färbung große
Bedeutung hat. Die Entfaltung des Kragens erfolgt durch die in ihn
hineinreichenden, sehr langen Zungenbeinhörner. Die Eidechse hat
die sonderbare Gewohnheit, bisweilen in aufrechter Haltung auf den
Hinterfüßen zu laufen, wobei der Schwanz als Stütze dient.

Die Unken nehmen auf dem Lande, wenn sie sich bedroht fühlen, eine ganz
eigenartige Abwehrstellung ein. Sie biegen Hals und Kopf rückwärts und
verschränken die Vorderfüße auf dem gekrümmten Rücken. Hierdurch treten
die gelbgefärbte Unterseite und die hellen Fußflächen hervor, und das
Tier erhält ein ganz anderes Aussehen, das eher einem verschrumpften,
dürren Blatt als einem Tier ähnelt. In dieser Stellung verharrt die
Unke regungslos, bis die Gefahr vorüber ist.

Manche Fische haben auf den Flossen, an den Kiemen oder in der
Augengegend lange Stacheln, die willkürlich angelegt und aufgerichtet
werden können. Bei Gefahr spreizt der Fisch die Stacheln und schreckt
durch das so plötzlich veränderte und drohende Aussehen seinen Gegner
ab. Diese Stacheln finden sich besonders bei den Barschen, beim
Zander und anderen „Stachelflossern“ sowie beim Stichling. Mag dies
Abwehrmittel auch in vielen Fällen erfolgreich sein, so nützt es doch
nicht immer, denn gerade der Stichling wird trotz seiner wehrhaften
Stacheln auf dem Rücken von größeren Raubfischen verschlungen.

[Sidenote: Giftige Fische]

Bei einigen Fischen sind die Stacheln nicht nur ein harmloses
Abschreckmittel, sondern in der Tat sehr gefährlich. Sie sind giftig.
An ihrem Grunde liegt eine Giftdrüse. Das Gift fließt, ähnlich wie
bei den Giftzähnen der Schlangen, in einer Rille durch den Stachel in
die Wunde des Gegners und tötet diesen sehr schnell. In der Nordsee
gibt es zwei giftige Fischarten, das Petermännchen (~Trachinus draco~)
und die Viperqueise (~Trachinus vipera~). Beide Fische vergraben sich
gern in den Grund, um auf Nahrung zu lauern. Die Rückenflosse, deren
Stacheln die Giftdrüsen tragen, ragen etwas heraus. Fühlt sich der
Fisch bedroht, so richtet er die Giftstacheln dem Angreifer entgegen.
Hierbei wird die schwarze Flosse fächerartig ausgebreitet. Sie bildet
gewissermaßen ein Warnsignal vor der drohenden Gefahr der Giftstacheln.
Durch Versuche wurde festgestellt, daß das Gift kleinere Tiere, wie
Ratten und Meerschweinchen, je nach der Stärke der Dosis in einer oder
mehreren Stunden tötet. Für den Menschen ist das Gift zwar nicht
lebensgefährlich, ruft aber starke Entzündungen, heftige Schmerzen,
unter Umständen sogar Erstickungsanfälle und Bewußtlosigkeit hervor.

Der Knurrhahn (~Trigla gurnandus~) breitet, wenn er erschreckt
wird, seine großen buntfarbigen Brustflossen fächerförmig aus, was
den Angreifer in Erstaunen setzt und seine Raublust unterdrückt.
Der Knurrhahn lebt in der Nordsee und hat noch eine besondere
Eigentümlichkeit. Er besitzt auf jeder Seite vor der Brustflosse drei
lange, freie und bewegliche Strahlen, die er regelrecht als Füße
benutzt. Mit Hilfe der Strahlen läuft der Fisch auf dem Grunde umher,
indem er sich dabei auf den Schwanz stützt. Der Knurrhahn hat einen
sehr großen, vierkantigen Kopf mit weit vorspringender Schnauze.
Die allgemeine Annahme, daß die Fische stumm sind, wird durch den
Knurrhahn widerlegt. Er kann freilich keinen Stimmlaut hervorbringen
und ist insofern stumm wie alle Fische, aber er besitzt in den
Kiemendeckelknochen ein Instrument zur Erzeugung von Tönen. Durch ein
Aneinanderreiben der Knochen wird ein knurrender Laut hervorgerufen,
den der Fisch stets hören läßt, wenn er aus dem Wasser genommen wird.

[Sidenote: Kugelfisch, Igelfisch]

Eine höchst merkwürdige Verstellungskunst treiben die Kugelfische,
welche die Meeresküsten und Flüsse warmer Gebiete bewohnen. Bei
Gefahr füllen sie ihren weitwandigen Magen mit Luft an und blasen
hierdurch ihren Körper zu einer dicken Kugel auf (Abbildung 26). Durch
die Luftansammlung wird das spezifische Gewicht geringer. Der Fisch
steigt daher zur Oberfläche des Wassers herauf und läßt sich hier auf
dem Rücken liegend treiben. Der Gegner schnappt vergeblich nach der
großen Kugel, die keinen Angriffspunkt bietet, und gibt schließlich
die Verfolgung auf. Beim Igelfisch (~Diodon hystrix~), der in allen
tropischen Meeren verbreitet ist, ist die schuppenlose Haut mit einem
Stachelkleid umgeben, das den Schutz noch erhöht. Der aufgeblasene
Fisch wird ebenso wie der zusammengerollte Igel zur Stachelkugel.

[Sidenote: Tintenfisch]

Sogar die Tarnkappe wird unter den Verstellungskünsten der Tiere
angewandt. Die Tintenfische machen sich unsichtbar, wenn sie verfolgt
werden. Sie haben in ihrem Leibe am Ausgange des Enddarms einen Beutel,
der mit schwarzbrauner Flüssigkeit gefüllt ist, den sogenannten
Tintensack. Das Tier kann den Inhalt willkürlich aus dem After
entleeren und hüllt sich dadurch in eine schwarze Wolke ein, die es
den Blicken seiner Feinde entzieht. Der Name „Tintenfisch“ ist recht
unglücklich gewählt, denn das Tier gehört nicht zu den Fischen, sondern
zu den Weichtieren, unter denen es die höchste Entwicklungsstufe
erreicht hat. Die Tintenfische bilden die Klasse der Kopffüßler
(~Cephalopoda~), die durch lange Fangarme am Kopf ausgezeichnet sind.
Diese sind an der Innenseite mit Saugnäpfchen besetzt, welche den
Zweck haben, Beutetiere zu ergreifen und festzuhalten, ferner die
Fortbewegung durch Kriechen zu vermitteln und sich an Gegenständen
festzuklammern. Das Sekret der Tintenfische spielt bekanntlich in der
Malerei als „chinesische Tusche“ oder „Sepia“ eine große Rolle.

Die Tintenfische der Tiefsee sondern anstatt der schwarzen Flüssigkeit,
die in der Finsternis der Meerestiefe nicht zur Geltung kommen
würde, ein grünlich leuchtendes Sekret aus ihren Leuchtorganen ab,
das als Leuchtkugeln und leuchtende Fäden sich im Wasser verbreitet
und den Feind irreführt. Da viele Tiere der lichtarmen Tiefsee
mit Leuchtorganen ausgestattet sind, so verfolgt der Angreifer
den Lichtschein, in der Meinung, daß er von dem Tierkörper selbst
ausgestrahlt würde, und der Tintenfisch kann sich unterdessen in
Sicherheit bringen.

[Sidenote: Sichtotstellen der Insekten]

Viele Insekten, besonders Käfer, haben die Gewohnheit, bei drohender
Gefahr sich von der Blüte oder dem Blatt, auf dem sie sitzen,
herabfallen zu lassen und dann mit angezogenen Beinen und Fühlern sich
völlig regungslos zu verhalten. Sie stellen sich tot und entgehen
dadurch der Gefahr. Dies Schutzmittel ist besonders wirksam, wenn die
Tiere ins Gras oder zwischen dürre Blätter fallen und hier gänzlich
verschwinden.

Beruhen die mannigfachen Verstellungskünste, die die Tiere ausführen,
auf Verstand und Überlegung? Diese Frage müssen wir nach dem Stande
der modernen Tierpsychologie verneinen. Wie schon an anderer Stelle
erläutert wurde, beruhen die Handlungen der Tiere, die zu ihrem
Lebensunterhalt notwendig sind, auf angeborenen Trieben, die ganz
reflektorisch und maschinenmäßig ausgeführt werden. Der Biber errichtet
seine kunstvollen Wasserbauten und der Vogel sein zierliches Nest,
ohne einer Anleitung oder Unterweisung in der Technik der Baukunst
zu bedürfen. Die Ausführung dieser Arbeiten ist eine angeborene
Eigenschaft, die ganz automatisch sich auswirkt. So dürfen wir auch
mit Recht annehmen, daß die Verstellungskünste der Tiere nicht auf
individueller Erfindungsgabe und Intelligenz beruhen, sondern ebenfalls
angeborene, automatische Triebhandlungen sind. Es sind nur Reaktionen
auf äußere Reize, hervorgerufen durch plötzlichen Schreck und Furcht.
Das Sichtotstellen des Käfers ist weiter nichts als eine plötzliche
Nervenlähmung, die eine Zeitlang anhält. Auch das Vortäuschen der
Flügellahmheit einer geängstigten Vogelmutter, die Pfahlstellung der
Rohrdommel, das Aufblasen des Kehlsacks beim Chamäleon und Anoli
sind rein reflektorische Auswirkungen des Nervensystems. Daß nicht
individuelle Einsichtshandlungen vorliegen, sondern daß es sich nur
um angeborene Triebhandlungen handelt, geht am besten daraus hervor,
daß alle diese Tiere gleicher Art ihre Schreckstellungen und Gebärden
stets in ganz gleicher Weise und immer unter denselben Bedingungen
und Voraussetzungen ausführen, und daß wir ein ähnliches Verhalten bei
anderen Tieren vermissen, deren Verkehrsformen die Schauspielerkunst
fehlt.

Der Ausspruch in Goethes Faust:

    „Ich finde nicht die Spur
    Von einem Geist, und alles ist Dressur“

hat in diesem Falle volle Gültigkeit. Der Dresseur ist die Natur,
die den Tieren diese höchst zweckmäßige Handlungsweise mit auf den
Lebensweg gab.




Soziales Leben und Staatenbildung


[Sidenote: Vergesellschaftung d. Schmetterlinge]

Wir wandern im Sommer bei herrlichem Sonnenschein durch ein grünes
Wiesental. Zahlreiche Schmetterlinge umgaukeln mit leichtem Flug
die Blumen, die in dem saftigen Grün ihre weiß, blau oder rosa
gefärbten Kelche emporstrecken. Bienen und andere Insekten schwirren
durch die Luft, Heupferdchen und Grillen zirpen ihr eintöniges,
aber doch liebliches Lied. In inniger Harmonie leben all diese
leichtbeschwingten, zierlichen Wesen zusammen, deckt doch die
Allmutter Natur ihnen den Tisch so reichlich, daß Neid und Streit
hier keinen Raum haben. Das blühende Gras, die endlose Fülle der
Blumen spenden ihnen allen Nahrung im Überfluß, und hierin allein
liegt der Grund zu dem zahlreichen Auftreten der Insektenwelt.
Nicht Nächstenliebe und Freude an der Geselligkeit haben die bunten
Schmetterlinge zusammengeschart, sondern die überaus günstigen
Lebensbedingungen lockten sie herbei. Jedoch kümmern sich die einzelnen
Tiere wenig oder gar nicht umeinander. Ähnliches finden wir auch bei
anderen Tieren. An sonnigen Berghängen tritt die kleine, behende
Bergeidechse häufig sehr zahlreich auf, die Sümpfe und Teiche wimmeln
von Fröschen, und in düsteren Waldungen belebt nach dem Regen der
gelbgefleckte Feuersalamander in Mengen die Wege. Auch hier sind es die
Lebensbedingungen im Verein mit einer ergiebigen Fortpflanzung, die die
Tiere auf einen verhältnismäßig kleinen Raum zusammendrängen, ohne daß
es berechtigt erscheint, von einem Geselligkeitstrieb zu sprechen. Die
Tiere haben von ihrem innigen Zusammenleben keinerlei Vorteil. --

[Sidenote: Massenauftreten d. Raupen]

Unser Weg führt uns weiter in einen Eichenwald, aber welch trauriger
Anblick. Von dem Grün der Blätter ist fast nichts mehr zu sehen.
Entlaubt recken die Eichen, dies Urbild stolzen Germanentums, ihre
Wipfel zum Himmel empor. Die Raupen des Eichenprozessionsspinners,
die in Millionen und Myriaden hier hausten, haben das traurige Werk
vollbracht. Hier hat ein soziales Leben der Insektenwelt in geradezu
schrecklicher Weise gewütet.

Das Massenauftreten der Raupen beruht zunächst auf einer überreichen
Vermehrung dieses schädlichen Insekts. Aber die enge Gemeinschaft
der Raupen wird nicht allein hierdurch bedingt, sondern hier handelt
es sich um ein wirklich soziales Leben. Die Raupen vereinigen sich
zu großen Gesellschaften. Die enge Gemeinschaft mit ihresgleichen
scheint den Tieren geradezu Lebensnotwendigkeit zu sein. Versuche mit
gefangenen Raupen ergaben, daß die isolierten Tiere, selbst dann, wenn
sie reichlich mit Nahrung versehen waren, immer das Bestreben hatten,
sich zu vereinigen, und daß sie dies sofort taten, sobald sie nicht
mehr daran gehindert wurden. Ein objektiver Nutzen aus diesem sozialen
Leben scheint jedoch nicht vorhanden zu sein, wenigstens läßt er sich
nicht erkennen, im Gegenteil, für die Ernährung ist eine Vereinigung
in großen Massen ja nur unvorteilhaft. Es kann also nur ein stark
ausgeprägter Geselligkeitstrieb sein, der die Tiere zusammenschart.

Der Geselligkeitstrieb äußert sich bei den Raupen in verschiedener
Weise. Bei manchen Arten tritt er nur zeitweise auf. So leben z. B. die
Raupen des Ringelspinners (~Malacosoma neustria~), die in Obstkulturen
großen Schaden anrichten, nur bis zu ihrer letzten Häutung gesellig,
dann aber zerstreuen sie sich als Einzelgänger. Die Raupen des
Mondvogels (~Phalera bucephala~) geben ihr Gesellschaftsleben vor der
Verpuppung auf, während bei anderen Raupen der Geselligkeitstrieb
überhaupt nicht erlischt. Letzteres ist beim Eichenprozessionsspinner
(~Thaumetopoea processionea~) der Fall. Die Raupen, die durch ihren
Kahlfraß in Eichenbeständen wahre Verwüstungen anrichten, verpuppen
sich in gemeinsamen Nestern. Außer ihrer großen Schädlichkeit hat
die Raupe des Eichenprozessionsspinners noch eine andere, sehr
unangenehme Eigenschaft. Sie ist giftig. Zwischen den langen Haaren
stehen noch winzig kleine Härchen, die sehr lose sitzen und schon bei
der geringsten Berührung abfallen, ja sogar vom Winde abgestoßen und
fortgetragen werden. Diese Haare sind giftig und erzeugen auf der Haut
eine Entzündung mit starkem Juckreiz. Der Besuch eines von diesen
Raupen heimgesuchten Eichenwaldes kann daher sehr böse und unangenehme
Folgen haben, da die Gifthaare durch den Wind leicht in die Augen und
Atmungsorgane geweht werden.

[Sidenote: Tastsinn der Raupen]

Eine andere, nicht leicht zu beantwortende Frage ist die, auf welche
Weise die Raupen bei ihrem Gesellschaftsleben sich zusammenfinden. Die
Raupen haben Geruch, Sehvermögen, Geschmack, Gefühl für Temperatur
und Tastsinn, jedoch kein Gehör. Für die Bildung von Gesellschaften
können von diesen Sinnen nur der Geruch, das Gesicht und der Tastsinn
in Frage kommen. Der Geruch ist nur sehr gering ausgebildet, ja man
kann sagen fast verkümmert, so daß also ein gegenseitiges Spüren
nicht möglich ist. Mit den Augen vermögen die Raupen nur sehr nahe
Gegenstände, die kaum weiter als 1 ~cm~ entfernt sind, zu erkennen.
Der Sinn des Gesichts kann also die Tiere ebensowenig leiten. So
bleibt nur der Tastsinn übrig, der bei den Raupen außerordentlich
fein ausgebildet ist und seinen Sitz nicht nur in den Tastern hat,
sondern über den ganzen Körper verteilt ist. Besonders die Haare
der behaarten Raupen sind fein organisierte Taster. Ihre Berührung
löst je nach der Körperstelle eine verschiedene Wirkung aus. Während
eine leichte Berührung der Tasthaare am hinteren Leibesende die
Vorwärtsbewegung beschleunigt, wird die Bewegung durch ein Berühren
der Haare am vorderen Körper gehemmt. Ein starker Reiz veranlaßt die
Raupe, sich zusammenzurollen. Sehr empfindlich sind die Raupen des
Kiefernprozessionsspinners (~Thaumetopoea pinivora~). Bläst man sie mit
dem Munde an, so löst dies einen starken, unangenehmen Reiz auf sie
aus. Sie speien ihren Kropfinhalt aus, der als grüner Tropfen aus dem
Munde tritt, und biegen den Vorderleib rückwärts. Werden die Raupen
aber durch einen heftigen Windstoß erschüttert, so reagieren sie nicht
darauf, sondern verhalten sich völlig teilnahmslos. Die Raupen vermögen
also mit ihrem Tastgefühl sehr feine Unterschiede wahrzunehmen. „Das
Tastgefühl“, sagt +Deegener+, der sich um die Biologie der Raupen sehr
verdient gemacht hat, „scheint der Raupe alle Daten zu verschaffen,
deren sie bedarf, um den sozialen Zusammenhang aufrechtzuerhalten und
wiederherzustellen.“

Die Raupen hinterlassen auf dem Wege, den sie zurücklegen, einen
Seidenfaden. Dieser Faden dient offenbar zur Orientierung für
andere Raupen, denn sie folgen ihm mit Vorliebe, wobei wiederum das
Tastgefühl als Vermittlerin dient. Mit dem Tastgefühl nimmt die
Raupe den Seidenfaden einer Genossin wahr. So bilden zweifellos
diese Seidenfäden, die die Spuren übermitteln, eine große Rolle
bei dem sozialen Leben der Raupen. Dennoch sind sie nicht von
ausschlaggebender Bedeutung, denn experimentell wurde nachgewiesen,
daß die Raupen sich auch zusammenfinden, wenn keine Seidenfäden als
Wegweiser vorhanden sind. Das Tastgefühl der Raupen muß so fein und so
eigenartig entwickelt sein, daß es auch ohne unmittelbare Berührung
zu wirken vermag. Vielleicht genügen schon geringe Schwingungen in
der Luft, die durch die Bewegung der Raupen verursacht werden, um
einen Empfindungsreiz auf die Tastorgane anderer Raupen auszulösen.
Der Tastsinn der Raupen als Mittel für ihre Orientierung ist ein
außerordentlich interessantes Problem, das noch eines gründlichen
Studiums bedarf. --

[Sidenote: Schwarmbildung der Fische]

Unser Weg im Walde führt uns weiter an einen See, dessen blauer
Wasserspiegel im wundersamen Kontrast steht zu den düsteren Tannen, die
ihn umrahmen, und zu dem hellen Grün des Schilfes am Ufer; und doch
vereint sich das Ganze zu einer bezaubernden Harmonie, die unserer
Seele ein so wohltuendes Gleichgewicht verleiht. Wir stehen am Ufer,
blicken in das klare Wasser und sehen eine Schar kleiner Fische, die
sich hurtig und munter in dem nassen Element umhertummelt.

Auch hier wieder eine Ansammlung von Tieren auf engem Raum in
inniger Gemeinschaft. Die Schwarmbildung der Fische beruht auf
verschiedenen Ursachen, und man kann nach +Schiemenz+ Geschlechts-,
Ernährungs-, Familien-, Winter- und Wanderschwärme unterscheiden.
Geschlechtsschwärme werden gebildet durch ein Zusammenscharen
zahlreicher Fische an bestimmten Stellen in Flüssen, Seen oder im
Meere, um das Fortpflanzungsgeschäft auszuüben. Die Ernährungsschwärme
kommen zustande durch die Anhäufung bevorzugter Nahrung in gewissen
Gegenden. Besonders die Planktonfresser folgen in großen Schwärmen
der jeweiligen Verbreitung des Planktons. So bildet der Hering auf
seinen Beutezügen gewaltige Scharen, die aus Millionen einzelner Fische
bestehen.

[Illustration:

  Abbildung 29      James Preß’ Agency, London

Junge Schimpansen]

[Illustration:

  Abbildung 30      James’ Preß Agency, London

Schimpanse]

Wie wir früher schon sahen, üben manche Fische eine Brutpflege aus,
indem sie ihre Jungen eine Zeitlang führen und schützen. Die zahlreiche
Nachkommenschaft bildet dann mit den Elterntieren einen Familienschwarm.

Bei den Winterschwärmen vereinigen sich die Fische, wie Weißfische,
Aale und andere, um sich scharenweise im Schlamm zu vergraben und im
erstarrten Zustande einen Winterschlaf zu halten.

Die größten Vergesellschaftungen bilden die Fische auf ihren
Wanderungen, die z. B. die Lachse aus dem Meer in die Flüsse und die
Aale umgekehrt aus den Binnengewässern in das Meer unternehmen, um den
weitentfernten Laichplätzen zuzustreben.

Die Massenvereinigung der Fische auf ihren Wanderzügen verschafft
ihnen den Vorteil, Hindernisse, die sich ihnen in den Weg stellen, wie
Wehren, Stromschnellen oder Wasserfälle, leichter überwinden zu können,
indem die dicht zusammengedrängte Masse der Fischleiber als ein Ganzes
wirkt und so eine gewaltige Kraft entfaltet.

Außer diesen äußeren Gründen, die die Fische zur Schwarmbildung
veranlaßt, spielt zweifellos auch ein ausgeprägter Geselligkeitstrieb
hierbei eine große Rolle. --

[Sidenote: Rudel der Hirsche]

Die letzten Sonnenstrahlen bedecken die Flur; die Bäume am Waldesrand,
an dem wir unsere Schritte heimwärtslenken, werfen lange Schatten in
abenteuerlicher Gestalt auf ein wogendes Roggenfeld. Plötzlich bleiben
wir wie gebannt stehen, aus dem Walde schiebt sich langsam ein großer,
dunkler Körper hervor -- ein Stück Rotwild, das zur Äsung auszieht.
Vorsichtig tritt es auf den Weg und verhofft mit hochgehobenem Kopf.
Der Windfang, wie der Jäger die Nase des Wildes nennt, saugt begierig
die leise Luftströmung ein, die ihm die Witterung des verhaßten
Menschen aus weitester Entfernung zuträgt; die Lauscher drehen sich
hin und her, um die feinsten Schallwellen aufnehmen zu können. Nach
kurzer Zeit senkt das Tier vertraut den Kopf und zieht weiter. Die
Luft ist rein und nichts scheint den Frieden der Natur zu stören. In
wenigen Augenblicken folgt ein zweites Tier mit einem Kalb, immer mehr
Wild tritt heraus. Wir zählen 7, 8, 9 Stück Rotwild, alles Kahlwild,
d. h. weibliches Wild in der Weidmannssprache. Schließlich folgt ein
schwacher Hirsch, ein Achtender mit noch ungefegtem Geweih. Die starken
Kronenhirsche stehen in der Feistzeit im Sommer abseits vom Mutterwild
(Abbildung 27). Sie hassen die Kinderstube und lieben die Einsamkeit,
indem sie entweder als Einzelgänger ein heimliches Leben führen, oder
zu zweien, bisweilen auch zu mehreren sich zusammentun, bis im Herbst,
wenn die Blätter fallen, die Macht der Liebe sie erfaßt und sie wieder
zum Kahlwild streben, um mit orgelndem Brunftschrei das Recht des
Stärkeren geltend zu machen.

Das Rudel, das wir beobachteten, ist inzwischen weiter hinaus ins
Feld gezogen. Das Alttier immer voran, die anderen im kurzen Abstande
folgend. Nicht der Zufall, nicht äußere Gründe haben die Tiere vereint,
sondern sie haben sich zusammengefunden, um gemeinsam den Gefahren, die
sie bedrohen, zu begegnen. Ein altes, nicht mehr fortpflanzungsfähiges,
weibliches Stück, ein Gelttier, wie der Weidmann sagt, übernimmt
die Führung des Rudels. Es zieht auf dem Wechsel aus der Dickung
zum Äsungsplatz an der Spitze und geleitet das Rudel, wenn die
Morgendämmerung anbricht, wieder sicher in das schützende Waldesdunkel.
Da das Gelttier keine Mutterpflichten mehr zu verrichten hat und ganz
auf sich selbst eingestellt ist, so mögen Geruch und Gehör, die Sinne,
mit denen das Wild die Gefahren wahrnimmt, bei ihm besser ausgebildet
sein. Jedenfalls wird die Tätigkeit dieser Sinne durch keine anderen
seelischen Gefühle und Triebe beeinflußt und gehemmt. Sie können also
ihre Aufgabe ohne Ablenkung voll und ganz erfüllen. Das Rudel vertraut
sich der Führung des Leittiers unbedingt an und fühlt sich unter
seiner Obhut völlig sicher. Der große Wert des Leittiers zeigt sich
so recht, wenn dieses auf einer Treibjagd zuerst abgeschossen wird.
Das Rudel prellt zurück und löst sich, der Führung entbehrend, auf, so
daß dann die einzelnen Stücke den Schützen vors Rohr kommen und leicht
abgeschossen werden können. Dies gilt aber heute, wo unser Wildstand
durch die Kriegs- und Revolutionszeit sehr gelitten hat, nicht mehr als
weidmännisch. Man schießt vielmehr auch auf Treibjagden nur einzelne
Stücke und knallt nicht wahllos alles nieder.

Im Unterschied zu den Gesellschaften der Schmetterlinge, Frösche und
anderer Tiere, die nur durch äußere Lebensbedingungen gebildet werden,
haben wir es hier mit einem wirklich sozialen Leben zu tun. Die
Vereinigung erfolgt zum Zweck der persönlichen Sicherheit. Sie gründet
sich auf einen gegenseitigen Nutzen.

[Sidenote: Rudel der Antilopen, Zebras und Büffel]

Ebenso wie das Rotwild verfahren alle Wiederkäuer und viele andere
Säugetiere. Die Antilopen und Zebras bilden große Rudel. Häufig
bestehen die Antilopenrudel sogar aus verschiedenen Arten. Der wegen
seiner Wildheit gefürchtete afrikanische Kaffernbüffel bildet große
Herden, die in früheren Zeiten, als der Bestand der Tiere durch die
Verfolgung des Menschen noch weniger gelitten hatte, nach Hunderten und
Tausenden zählten. Noch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
wurden im Innern des schwarzen Erdteils Büffelherden, die aus
4000-5000 Tieren bestanden, beobachtet. Eine solche Massenvereinigung
ist freilich nur denkbar und möglich in Gegenden, wo ein Überfluß
an Nahrung vorhanden ist, wie in den weiten, endlosen Gebieten der
afrikanischen Steppe. Da der einzelne Büffel durch die Stärke seines
Körpers und die gewaltigen Hörner ein sehr wehrhaftes Tier ist, das
sich allein gegen jede Gefahr verteidigen kann, so verfolgt die
Herdenbildung weniger den Zweck, die Sicherheit zu erhöhen, sondern
geschieht wohl hauptsächlich aus Geselligkeitstrieb. Das Tier bedarf
anscheinend zur Herstellung seines seelischen Gleichgewichts und
Wohlbehagens der Gesellschaft seinesgleichen. Wie groß die Liebe zur
Geselligkeit ist, geht am besten daraus hervor, daß ganz alte Stiere,
die von überlegenen Rivalen abgekämpft sind und aus der Herde verstoßen
werden, nicht gern ein einsiedlerisches Leben führen, sondern sich
ihrerseits zusammenfinden, um eine Gemeinschaft alter Junggesellen zu
bilden. Gewöhnlich sind 10 bis 15 solcher alten, griesgrämigen Bullen
vereint.

[Sidenote: Moschusochsen]

Der im polaren Nordamerika lebende Moschusochse, der entsprechend dem
kalten Klima seiner Heimat mit einem dichten, zottigen Pelz ausgerüstet
ist, lebt in Rudeln von 10-30 Stück. Der Hauptfeind dieser Tiere ist
der Wolf, dessen Angriff sie sehr erfolgreich zu begegnen wissen. Sie
drängen sich in einem dichten Kreis zusammen und richten ihre Köpfe
nach außen, wobei die spitzen Hörner eine undurchdringliche Phalanx
bilden, gegen die die blutdürstigen Raubtiere machtlos anrennen. Auf
diese Weise gelingt es den Moschusochsen, selbst den Angriff einer
starken Rotte von Wölfen abzuschlagen. Hier hat sich das soziale Leben
bereits zu einer gemeinsamen, gegenseitigen Verteidigung ausgebildet.

[Sidenote: Wachposten der Gemsen und Steinböcke]

Bei den Gemsen und Steinböcken halten stets einzelne Posten Wache,
sobald das Rudel sich zur Ruhe niedertut. Diese Wachen legen sich
nicht nieder, sondern bleiben aufrecht stehen mit hochgehobenem Kopf,
um vermittels ihres feinen Gehörs und Geruchs jede Gefahr rechtzeitig
zu erkennen und das Rudel zu warnen. Der Warnruf der Gemsen ist ein
lauter, durchdringender Pfiff, der Steinböcke ein pfeifendes Schnauben.
Auf das Signal hin erhebt sich sofort das ganze Rudel, um unter Führung
des Leittieres sein Heil in der Flucht zu suchen.

Im Gegensatz zu den Wiederkäuern hat bei den Wildpferden, Zebras,
Wildeseln und den asiatischen Urwildpferden stets ein männliches Tier
die Führung des Trupps. Der stärkste Hengst, der alleiniger Besitzer
der Stuten ist und zugleich der Beherrscher des ganzen Rudels, sorgt
für die Sicherheit. Ebenso ist es bei den gesellig lebenden Affen, bei
denen das soziale Leben nach strengen Regeln und Gesetzen geordnet ist.

[Sidenote: Soziales Leben der Affen]

Bei den Meerkatzen führt der älteste und stärkste Affenvater das
Regiment in der Bande, die sich ganz und gar seiner erfahrenen Führung
anvertraut und allen seinen Befehlen ohne Widerspruch Folge leistet.
Er übt sein verantwortungsvolles Amt mit größter Umsicht und nie
ermüdendem Eifer aus. Auf der Wanderung geht er eine Strecke voraus.
Alle übrigen Affen folgen genau seinen Fußtritten, ersteigen denselben
Baum und klettern über dieselben Äste hinweg, auf denen der Weg des
Leitaffen entlangführt. Ab und zu hält dieser vom Gipfel eines Baumes
Umschau. Sofort bleibt die ganze Horde halten, bis die gurgelnden
Töne des sorgsamen Alten verkünden, daß keine Gefahr droht und die
Reise fortgesetzt werden kann. Kommt man an ein Maisfeld, dann wartet
man hübsch ab, bis der gestrenge Herr sich überzeugt hat, daß man
hier gefahrlos den Mittagsschmaus halten kann. Die Bande löst sich
allmählich auf, jeder sucht sich ein Plätzchen, wo er sorglos seinen
Hunger stillen kann. Die noch unmündigen Kinder, welche auf dem Marsche
an dem Leibe ihrer Mütter hingen, verlassen diese und spielen umher,
werden aber stets von der Mutter sorgfältig beaufsichtigt. Der alte
Affenvater vergißt beim Verzehren des wohlschmeckenden Maiskolben
nicht, ständig für die Sicherheit zu sorgen. Von Zeit zu Zeit erhebt er
sich, ersteigt einen Baum oder Hügel, um sich zu überzeugen, daß keine
Gefahr droht. Sobald er irgend etwas Verdächtiges bemerkt, läßt er
seinen Warnruf erschallen. Sofort springen alle Affen auf und sammeln
sich um ihren Gebieter, um, wenn notwendig, den Rückzug unter seiner
Führung anzutreten. Jeder sucht noch so schnell wie möglich recht viel
Maiskörner zusammenzuraffen und in den Backentaschen zu bergen.

Bei den Pavianen, die bisweilen in großen Horden von mehreren Hunderten
zusammenleben, haben häufig mehrere Männchen die Führung, und zwar
sind es stets die ältesten und stärksten Stücke. Auch das Liebesleben
ist geregelt, wie man bei dem Mantelpavian oder Hamadryas beobachtet
hat. Jedes mannbare Männchen hat sein Weibchen, das seinem Gemahl auf
Schritt und Tritt folgt und stets in seiner unmittelbaren Nähe bleibt.
Nähert sich ein jüngeres Männchen in verführerischer Absicht einem
verehelichten Weibchen, so wird es von dem rechtmäßigen Gemahl sofort
ernstlich angegriffen und verjagt. Unter Umständen entspinnt sich auch
ein ernstlicher Kampf, der dem Sieger den Besitz des Weibchens sichert.

Bei dem im abessinischen Hochlande lebenden Nacktbrustaffen oder
Dschelada, der sich durch eine nackte rote Stelle am Unterhals und der
Brust auszeichnet, besteht die Horde aus einzelnen, kleineren Trupps,
die von je einem alten Männchen geführt werden. Einige alte Männchen
scheinen die Oberaufsicht über die ganze Bande zu haben. Sie sind es
wohl auch, welche als Wachposten für die Sicherheit sorgen, wenn die
Horde sich zur Ruhe oder Mahlzeit niederläßt.

[Sidenote: Horden- und Familienleben der Menschenaffen]

Wertvolle Angaben über das soziale Leben der Menschenaffen verdanken
wir +Eduard Reichenow+[6]. Nach seinen Beobachtungen leben Schimpanse
(Abbildung 29 u. 30) und Gorilla (Abbildung 28) in Familien, die sich
zu größeren oder kleineren Horden zusammenschließen. Jede Horde bewohnt
einen bestimmten Bezirk im Urwalde, dessen Durchmesser sich gewöhnlich
auf etwa 15 ~km~ erstreckt. Innerhalb dieses Gebiets streifen die Affen
am Tage Nahrung suchend umher. Während die einzelnen Gorillafamilien
sich hierbei trennen und jede für sich ihren Weg geht, um sich erst
am Abend wieder zusammenzufinden, hält die Schimpansenhorde mehr
zusammen. Auch sind die Schimpansenherden in der Regel zahlreicher
als die Gorillagesellschaften. Erstere bestehen bisweilen aus 20-30
Köpfen, während in einer Gorillahorde meist nur 7-16 Tiere vereint
sind. Am Abend errichten sich Schimpanse und Gorilla Schlafnester, der
Schimpanse stets auf Bäumen in einer Höhe von 8-13 ~m~, der Gorilla
meist auf dem Erdboden oder in einem niedrigen Strauch 1-1½ ~m~ über
der Erde. Im Süden seines Verbreitungsgebiets, das sich im Innern
Afrikas von Kamerun bis zum Tanganjikasee erstreckt, übernachtet nur
das Männchen der Gorillafamilie auf der Erde, während das Weibchen und
die halbwüchsigen Jungen sich ihre Schlafnester auf Bäumen in einer
Höhe von 5-6 ~m~ bauen. „Eine Erklärung für das verschiedene Verhalten
des Gorillas im Süden und Norden zu geben, ist recht schwierig“, sagt
+Reichenow+ und fährt fort: „Wenn es die Furcht vor dem Angriffe des
Leoparden wäre, wie +Koppenfels+ meint, die im Süden die jungen und
die weiblichen Tiere auf die Bäume treibt, so wäre nicht zu verstehen,
warum diese Furcht im Norden nicht besteht; denn der Leopard fehlt
hier gleichfalls nicht. Gerade der Umstand, daß der Gorilla im
nördlichen Urwaldgebiet sein Nachtlager am Boden errichtet, beweist,
daß er, im Gegensatz zum Schimpansen, den Leopard nicht fürchtet.“

Daß die verschiedenartige Anlage der Nester nur auf Gewohnheit und
Sitte beruhen soll, kann man meiner Ansicht nach kaum annehmen.
Irgendeinen Grund muß die Sache schon haben. Wir sehen hier wieder, wie
schwer es bisweilen ist, die biologischen Eigenschaften der Tiere zu
verstehen und zu erklären.

Die Angabe älterer Autoren, daß beim Schimpansen nur die Weibchen mit
den Jungen in Bäumen auf Nestern schlafen, und daß das Männchen stets
unten am Stamm übernachtet, um den Überfall des Leoparden rechtzeitig
bemerken und abwehren zu können, hält +Reichenow+ für unrichtig.
Nach seinen Beobachtungen baut sich auch das alte Männchen stets ein
Schlafnest im Baumgipfel.

Die Nester des Schimpansen und Gorillas ähneln in ihrem Äußern den
Storchnestern. Sie bestehen aus Ästen und Zweigen, die die Affen nach
innen umbiegen und zusammenflechten.

Das Schlafnest des erwachsenen Gorillas hat einen Durchmesser von etwa
1½ ~m~; die Nester halbwüchsiger Tiere sind entsprechend kleiner. Fast
immer stehen zwei große Gorillanester dicht nebeneinander und einige
kleine Nester in unmittelbarer Nähe, was auf die Lagerstätte eines
Ehepaares mit seinen Kindern hindeutet. +Reichenow+ schließt daraus,
daß der Gorilla monogam lebt und meint, daß die Ehe auf Lebenszeit,
jedenfalls für längere Dauer geschlossen wird. Diese Beobachtung ist
von besonderem Wert, da es der erste Fall von Monogamie unter den
Affen wäre, die sonst durchaus polygam leben. Ob auch der Schimpanse
eine monogame Lebensweise führt, konnte +Reichenow+ leider nicht
feststellen.

Schimpanse und Gorilla benutzen ihre Schlafnester stets nur einmal
und errichten sich am Abend an der Stelle, wo ihr Tageswerk beendet
wird, jedesmal eine neue Lagerstatt. Während die Nester der einzelnen
Familienmitglieder stets nahe beisammen stehen, befinden sich zwischen
den Lagerstätten der Familien größere Zwischenräume. Man kann daher
nach der Anzahl der Nestgruppen die Zahl der Familien einer Herde,
und nach der Anzahl der Familiennester die ungefähre Kopfstärke der
Familie feststellen. Im letzteren Falle ergibt sich jedoch keine
genaue Zahl, sondern nur eine annähernde Schätzung, da die ganz jungen
Affen noch keine eigenen Nester bauen, sondern zusammen mit der Mutter
schlafen, und die älteren Tiere bisweilen das zuerst gebaute Nest durch
ein zweites ersetzen, wenn ihnen jenes nicht sicher genug erscheint.
Bei starkem Regen sollen die Affen nicht im Nest, sondern unterhalb
desselben übernachten, indem sie sich auf dem Erdboden oder in den
Zweigen hinkauern und das Nest als Dach zum Schutz gegen die Nässe
benutzen.

Auffallend ist es, daß Tiere von so gewaltiger Körperstärke, wie
die Menschenaffen, ausschließlich vegetarisch leben. Ihre Nahrung
besteht in Früchten, Knospen und Blättern, und nur hin und wieder
werden Vogeleier ausgetrunken, eigentliche Fleischkost wird dagegen
verschmäht. +Reichenow+ gibt hierfür eine sehr interessante und
beachtenswerte Erklärung. Er fand im Darm der Menschenaffen Protozoen,
die den Infusorien der Wiederkäuer sehr ähnlich sind und offenbar für
die Verdauung eine große Rolle spielen. „Diese Infusorien“, sagt unser
Gewährsmann, „erleichtern ihren Wirten durch die von ihnen geleistete
Zelluloseverdauung die Ausnutzung der pflanzlichen Nahrungsstoffe,
und sie bieten dadurch, daß sie selbst ständig in großer Zahl im
Darme zugrunde gehen und verdaut werden, einen gewissen Ersatz für
Fleischnahrung.“ In der Gefangenschaft verschwinden diese Infusorien
sehr bald aus dem Darm der Menschenaffen, wodurch die Ernährung des
Körpers beeinträchtigt wird. Die Sucht nach Fleischnahrung, die die
gefangenen Tiere im Gegensatz zu den freilebenden häufig zeigen, läßt
sich vielleicht hiermit in Zusammenhang bringen. Die Tiere haben
unwillkürlich das Verlangen, sich für die fehlende Infusoriennahrung
einen Ersatz zu verschaffen. Auch die Hinfälligkeit der Menschenaffen
in der Gefangenschaft und ihre Neigung zur Tuberkulose und
anderen Krankheiten steht wahrscheinlich hiermit im Zusammenhang.
Jedenfalls tut der Tiergärtner gut, den Menschenaffen Fleischkost
nicht vorzuenthalten, um hierdurch einen Ausgleich für den in der
Gefangenschaft veränderten Stoffwechsel zu schaffen.

In Gegenden, wo die Gorillas vom Menschen unbehelligt leben, sind sie
überaus dreist und furchtlos. Wenn sie mit der Mahlzeit beschäftigt
sind, lassen sie den Menschen bis auf wenige Schritte herankommen.
Wittert das Männchen Gefahr, so trommelt es mit den Fingern auf die
Wangen des geöffneten Maules, um seine Familie zu warnen und zum
Rückzug aufzufordern, während er selbst meist standhält, um sich von
der vermeintlichen Gefahr zu überzeugen. Erblickt er den Menschen, so
stößt er ein mehrmaliges kurzes Brüllen aus, klatscht mit den Händen
und schlägt mit ihnen gegen die Brust. Einen Angriff wagt der Gorilla
jedoch meist nicht, sondern er zieht sich langsam zurück, wenn man ihm
näher auf den Leib rückt. In einiger Entfernung bleibt er dann wieder
stehen, und das Spiel beginnt von neuem. Nur ganz alte Männchen, die
sich von der Herde abgesondert haben und Einzelgänger geworden sind,
greifen bisweilen den Menschen, der in seiner Nähe auftaucht, an und
sind dann furchtbare Gegner.

Die Behauptung der Eingeborenen, daß Gorillamännchen Negermädchen
überfallen und sie vergewaltigen, ist ein Märchen, das nach
einstimmiger Aussage aller Forscher durchaus unglaubwürdig ist. Schon
die Witterung des Menschen flößt dem Affen Schrecken ein. Er erkennt in
ihm seinen Feind, betrachtet ihn aber niemals als seinesgleichen oder
als einen willkommenen Ersatz, um Liebesgefühle zu befriedigen.

Der dritte Menschenaffe ist der auf Sumatra und Borneo heimische, mit
rotem zottigen Haar bekleidete Orang-Utan (Abbildung 31 u. 32). Auch er
baut sich Schlafnester, die er mit grünen Zweigen auspolstert. Sonst
sind wir über die Lebensweise dieses Affen weniger unterrichtet, als es
vom Schimpansen und Gorilla der Fall ist. Im Gegensatz zu diesen ist er
ein ausgesprochenes Baumtier, das nur ungern zum Boden hinabsteigt. Der
Gorilla dagegen bewegt sich vorzugsweise zu Fuß auf dem Erdboden fort,
und in der Mitte zwischen Gorilla und Orang steht der Schimpanse, der
sich sowohl auf dem Erdboden wie in den Baumkronen aufhält. Dem Orang
kommen bei seinem Baumleben die sehr langen Arme zugute, mit denen er
weitentfernte Äste ergreifen kann. Er hat unter den drei Menschenaffen
die längsten Arme und kürzesten Beine und entfernt sich in dieser
Beziehung sehr weit vom Menschen. Dagegen steht er in bezug auf die
Schädelform dem Menschen wieder am nächsten, was sich besonders in der
Jugend ausprägt. Der Schädel eines Orang-Kindes hat nach +Hans Virchow+
„einen verblüffend menschlichen, ja man möchte beinahe sagen: einen
unangenehm menschlichen Zug“, der besonders in der steil ansteigenden
Stirnpartie zum Ausdruck kommt. Im Vergleich zum Gorilla, und besonders
zu dem sehr lebhaften, temperamentvollen Schimpansen ist der Orang viel
phlegmatischer und ruhiger. --

[Sidenote: Raubtiere]

Ein soziales Leben, das gemeinsamen Interessen dient, hat sich auch
unter den Raubtieren herausgebildet. Die Wölfe rudeln sich im Winter
zu großen Scharen zusammen, um zur Zeit der Hungersnot auch stärkeren
Tieren zu Leibe zu gehen. Sie greifen dann gemeinsam Rentiere, Hirsche
und Wildschweine an, ohne Rücksicht darauf, daß der Kampf zahlreiche
Opfer unter ihnen fordert. Hier heißt es: „Einer für alle und alle
für einen“, um den harten Kampf des Daseins zu bestehen. Bei ihren
Raubzügen gehen die Wölfe bisweilen planmäßig vor und verteilen die
Rollen. Ein Teil hetzt und verfolgt die Beute, während der andere Teil
ihr den Weg abzuschneiden sucht.

Der afrikanische Hyänenhund hetzt wie eine Parforcejagdmeute das
Wild zu Tode. Die Hunde leben in Rudeln von etwa 30 bis 60 Stück und
ziehen gemeinsam auf Beute aus. Bei der Hetze, die mit ständigem
Lautgeben, das ein Gemisch von Bellen und Heulen ist, begleitet wird,
entwickeln die Hunde eine gewaltige Ausdauer und Schnelligkeit.
Selbst die schnellste Antilope wird verfolgt, bis sie vor Erschöpfung
zusammenbricht oder sich stellt. Mag es der wehrhaften Säbelantilope
auch gelingen, die ersten Angreifer mit ihren langen, speerartigen
Hörnern zu erdolchen, ihr Schicksal ist besiegelt. Sie unterliegt trotz
mutiger Verteidigung der Überzahl ihrer Feinde, die sie sofort in
Stücke zerreißen und verzehren. Bei der Hetze eines schnellen Wildes,
das die Kraft der Hunde auf eine harte Probe stellt, schneiden die
hinteren Tiere des Rudels den Weg ab, sobald das verfolgte Tier einen
Bogen macht oder Haken schlägt. Hierdurch verkürzen sie die Laufbahn
und schonen ihre Kräfte. Haben sie das gehetzte Wild wieder erreicht,
so übernehmen sie die unmittelbare Verfolgung, und die anderen bleiben
zurück, um bei späterer Gelegenheit ebenso zu verfahren. Durch diesen
Wechsel wird einer frühzeitigen Ermüdung der ganzen Meute vorgebeugt,
und es bleiben immer frische Kräfte dem Opfer auf den Fersen.

Der Hyänenhund ist ein hochläufiger Wildhund von etwa 75 ~cm~
Schulterhöhe. Er ist weiß, schwarz und gelb gescheckt, indem bald die
eine, bald die andere Farbe mehr hervortritt. Abweichend von allen
anderen Hunden trägt der Hyänenhund an allen Füßen nur vier Zehen. Die
mittellange Rute ist buschig. Der breite, kurzschnauzige Kopf mit den
großen, hochstehenden Ohren ähnelt dem Kopf der Hyäne. Die Heimat des
Hyänenhundes ist die Steppe Afrikas südlich der großen Wüste.

Etwas Ähnliches wie bei den Raubtieren finden wir auch unter den
Vögeln, bei denen der Geselligkeitstrieb außerordentlich stark
ausgeprägt ist. Schuhschnabel und Schlangenhalsvogel unternehmen
gemeinsame Raubzüge und unterstützen sich planmäßig beim Fischfang.
Beide Vogelarten sind sehr interessante Erscheinungen in der
artenreichen Vogelwelt.

[Sidenote: Fischfang des Schuhschnabels und der Schlangenhalsvögel]

Der Schuhschnabel (~Balaeniceps rex~) ist ein den Reihern nahestehender
Vogel mit dunkelbraunem Gefieder und einem höchst absonderlichen,
plumpen Schnabel, der einem großen Holzschuh gleicht. Er lebt in dem
Sumpfgebiet des Weißen Nils. Beim Fischfang vereinigen sich die Vögel
zu mehreren und treiben, langsam im Wasser vorwärtsschreitend, die
Fische allmählich nach seichten Stellen, wo sie dann leicht erbeutet
werden können. Auf großen Wasserflächen kreisen sie die Fische
regelrecht ein, indem sie sich in einem weiten Kreisbogen gruppieren
und sich langsam nach der Mitte zu bewegen. Beim Abfischen von schmalen
Flußläufen teilen sich die Schuhschnäbel in zwei Gruppen, die eine
bewegt sich stromabwärts und treibt die Fische vor sich her, während
die andere Gruppe ihren Kameraden stromaufwärts entgegenkommt, um
die Fische zu fangen. Der Schuhschnabel übt also beim Fischfang
regelrechte Treibjagden aus.

Der in Afrika und Asien heimische Schlangenhalsvogel (~Anhinga~)
gehört zu den Kormoranen und bewohnt in mehreren Arten Amerika,
Australien und Asien. Der Vogel zeichnet sich durch einen sehr langen,
dünnen, beweglichen Hals aus, auf dem ein sehr kleiner, spitzer Kopf
mit spitzem Schnabel sitzt. Da der Hals mit dem kleinen Kopf einer
Schlange ähnlich ist, führt der Vogel den Namen Schlangenhalsvogel.
Die Schlangenhalsvögel sind vortreffliche Schwimmer und Taucher. Sie
bilden beim Fischen große Gesellschaften von vielen Hunderten. Der
vordere Teil der Vogelschar fischt unter Wasser, der hintere Teil
folgt im Fluge über dem Wasserspiegel. Dann überholen die fliegenden
Vögel ihre unter Wasser fischenden Kameraden, tauchen vor ihnen in
die Flut, und die anderen erheben sich aus dem Wasser, um nun den
Kameraden, die sie ablösten, im Fluge zu folgen. So wälzt sich der
Strom der Schlangenhalsvögel abwechselnd tauchend und fliegend als eine
lange Masse über und unter dem Wasser dahin, und es unterliegt keinem
Zweifel, daß diese eigenartige Sitte den Zweck hat, den Fischfang
zu begünstigen. In dem gemeinsamen Fischfang des Schuhschnabels und
Schlangenhalsvogels prägt sich ein wirklich soziales Leben aus, in dem
sich die Vögel gegenseitig helfen und unterstützen.

Ein derartig soziales Leben ist aber eine Ausnahme in der Vogelwelt.
Zwar leben die meisten Vögel sehr gesellig, ohne daß jedoch hierbei
das Prinzip der Arbeitsteilung und gegenseitigen Hilfe, was den
Sozialismus kennzeichnet, zum Ausdruck kommt. Die Vergesellschaftungen
der meisten Vögel sind lediglich eine Folge ihres stark entwickelten
Geselligkeitstriebes.

Der Storch nistet gern in Gesellschaft seinesgleichen. Der Star und
der Sperling bilden in der Brutzeit mit Vorliebe kleinere oder
größere Kolonien, und die artenreiche Gruppe der Prachtfinken, der
Astrilden und Amadinen, leben stets sehr gesellig. Wie groß ihre Liebe
zur Geselligkeit ist, kann man am besten beobachten, wenn man die
reizenden, buntfarbigen Vögel in Gefangenschaft hält. Dichtgedrängt,
einer neben dem anderen, sitzen sie in langer Reihe da, wenn sie der
Ruhe pflegen, und schmiegen sich eng zusammen, um sich gegenseitig zu
wärmen und durch Krauen mit dem Schnabel im Gefieder zu liebkosen.
Die Webervögel bilden große Scharen, die nach Hunderten und Tausenden
zählen. Ihre kunstvollen Nester hängen in Massen beisammen.

Die Flamingos bevölkern in gewaltiger Menge die Lagunen, wo ihre
tellerförmigen Schlammnester weite Strecken bedecken.

Der Hang der Vögel zur Geselligkeit tritt am meisten auf den großen
Wanderungen der Zugvögel hervor. Finkenartige Vögel vereinigen sich
zu Hunderten in großen Schwärmen. Die Störche erhalten auf ihrem
Reiseweg von allen Seiten neuen Zuwachs, so daß schließlich die Schar
gewaltig zunimmt. Goldhähnchen und andere Kleinvögel gesellen sich zu
Tausenden zusammen, auch unser Star, der die Gesellschaft über alles
liebt, bildet auf dem Zuge große Massenflüge. Der Kranich, der bei
uns in Deutschland und auch in anderen Gegenden ein recht seltener
Vogel geworden ist, bevölkert in der Winterherberge, dem Gebiet des
Weißen Nils, in zahlloser Menge die schimmernden Inseln des heiligen
Stromes. Die Vögel stehen häufig Kopf an Kopf, so dicht gedrängt, daß
kaum noch ein Zwischenraum bleibt. Unter sie mischen sich mit Vorliebe
die kleineren Jungfernkraniche, die hier ebenfalls überwintern.
Eine Vereinigung mehrerer Vogelarten auf dem Zuge ist jedoch im
allgemeinen eine Ausnahme. In der Regel wandern die einzelnen Arten
gesondert. Andere Vögel begnügen sich damit, auf dem Zuge nur kleinere
Gesellschaften zu bilden, wie es z. B. die Wildtauben tun, die ich
auf der Kurischen Nehrung immer nur in Flügen von etwa 7 bis höchstens
15 Stück wandern sah. Auch die Raubvögel, die mehr ein einsames Dasein
führen oder paarweise leben, ziehen bisweilen gesellig. So wurden
große Flüge von wandernden Bussarden, Abendfalken, Sperbern und Eulen
beobachtet. Besonders die Waldohreule liebt es, im Winter kleinere oder
größere Trupps zu bilden.

Ebenso wie die eigentlichen Zugvögel schweifen auch die Strichvögel im
Winter gemeinsam umher. Jedem sind ja die Scharen von Meisen bekannt,
die häufig unter Führung eines großen Buntspechts unsere Wälder in der
kalten Jahreszeit durchstreifen. Die Meisentrupps bestehen meist aus
mehreren Arten: Kohlmeisen, Blaumeisen und Sumpfmeisen, zu denen sich
hin und wieder noch Goldhähnchen und Baumläufer gesellen. So zieht eine
bunte und lustige Gesellschaft durch den schneebedeckten Winterwald.

Wie wir schon gesehen haben, vollführen nicht nur die Vögel, sondern
auch andere Tiere, Säugetiere, Fische und Insekten, große Wanderungen.
Auch hier findet stets eine Vergesellschaftung statt. Es scheint dem
Tier ebenso zu gehen wie dem Menschen, auf der Wanderung liebt es die
Geselligkeit. Es wandert sich zu mehreren leichter als einsam, und dies
Gefühl mag auch das Tier haben. Ein wirklich praktischer Nutzen ist in
der gemeinsamen Wanderung der Tiere kaum zu erkennen, im Gegenteil,
ihre Anhäufung auf engem Raum muß ihre Ernährung beeinträchtigen. So
können wir die Ursache zur Schwarmbildung nur in psychischen Momenten
erblicken. Das einzelne Individuum fühlt sich offenbar unbehaglich,
wenn es seine Heimat verläßt und neue, weit entfernte, unbekannte
Gegenden aufsucht. Es wähnt sich sicherer in Begleitung zahlreicher
Artgenossen, die die Gefahren der Reise mit ihm teilen.

[Illustration:

  Abbildung 31      James’ Preß Agency, London

Junger Orang-Utan]

[Illustration:

  Abbildung 32      James’ Preß Agency, London

Der berühmte Orang-Utan „Sandy“ des Zoologischen Gartens in London

Er wurde als dreijähriges Tier gefangen und lebte 24 Jahre in
Gefangenschaft. Die Backenwülste sind das Zeichen des alten Männchens]

Die gemeinsame Reise bietet ferner den Vorteil, daß die älteren Tiere,
die den Weg schon wiederholt zurückgelegt haben und ihn daher kennen,
die jungen Individuen leiten. Doch darf diesem Umstand nicht allzuviel
Wert beigelegt werden, denn aus der Vogelzugforschung wissen wir, daß
bei den einsam wandernden Arten, wie z. B. vielen Raubvögeln und dem
Kuckuck, der junge Vogel ohne jede Führung die Winterherberge zu finden
weiß, was offenbar auf einem angeborenen Richtungssinn beruht, worüber
in dem Abschnitt, der die Tierwanderungen behandelt, schon ausführlich
gesprochen wurde. So kommt man immer wieder darauf zurück, daß es
hauptsächlich ein seelisches Verlangen ist, das die Tiere auf ihren
Wanderungen zusammenschart; es ist der Geselligkeitstrieb, der zur
Reisezeit in der Tierseele erwacht.

[Sidenote: Symbiose. Krokodilwächter, Madenhacker]

In Afrika lebt ein kleiner, etwa wachtelgroßer Regenpfeifer, der
nach seiner absonderlichen Freundschaft mit dem Krokodil den Namen
Krokodilwächter (~Pluvialis aegyptius~) trägt. Dieser harmlose Vogel
hat sich mit dem ungeschlachten Krokodil vergesellschaftet. Er läuft
unbesorgt auf dem Panzer des gefährlichen Reptils umher, um die daran
haftenden Wasserinsekten und Würmer abzulesen und zu verspeisen. Ja
er scheut sich sogar nicht, in den gewaltigen, aufgesperrten Rachen
seines riesigen Freundes zu schlüpfen und die Blutegel, die sich an
dessen Zahnfleisch angesaugt haben, als willkommenen Leckerbissen
zu verzehren. Da kommt es bisweilen vor, daß das Krokodil seinen
Rachen schließt. Der kleine Wicht duckt sich dann ganz ruhig in dem
gefährlichen Gefängnis nieder und wartet, bis das Krokodil wieder den
Rachen aufsperrt und seinen Wohltäter befreit. Der Vogel versteht es,
mit großer Gewandtheit und Vorsicht sich vor den Bissen des Krokodils
zu schützen. Vielleicht hat aber auch das Krokodil ein gewisses
Gefühl für die Wohltaten des Vogels und vermeidet es, diesem ein
Leid zuzufügen. Die innersten Regungen und Vorgänge in der Tierseele
sind uns ja noch so wenig bekannt, daß es unendlich schwer ist, eine
zutreffende Erklärung für derartige eigenartige Erscheinungen des
Tierlebens zu geben. Die Wissenschaft hilft sich in solchen Fällen
damit, von angeborenen, automatischen Triebhandlungen zu sprechen,
die ohne Zweifel die Handlungen der Tiere in hohem Maße beeinflussen.
Aber schließlich kann man nicht alles damit erklären. Wir können eben
letzten Endes das Tier nicht fragen, und so werden viele Vorgänge
vielleicht in ein ewiges Dunkel gehüllt bleiben. Das „Ignorabimus“
eines +Du Bois+ hat vielleicht auch hier Gültigkeit.

Das Krokodil genießt aber noch einen zweiten Vorteil von dem
Zusammenleben mit dem Vogel. Dieser ist sehr schreckhaft und läßt bei
jeder verdächtigen Gelegenheit seinen Warnruf erschallen, der für das
Krokodil ein Signal zur Flucht geworden ist. Es taucht sofort unter,
wenn es die Stimme des Vogels vernimmt, um sich in Sicherheit zu
bringen. Nach dieser Wirkung seiner Stimme, der sich der Vogel freilich
nicht bewußt ist, hat er den Namen „Krokodilwächter“ erhalten.

Beide Tiere, sowohl der Vogel wie das Krokodil, haben von dem
Zusammenleben einen unverkennbaren Vorteil. Der Vogel findet seine
Nahrung an der Echse, und diese wird dadurch von den lästigen
Schmarotzern befreit und zugleich durch die Stimme des Vogels
vor Gefahren gewarnt. Wissenschaftlich nennt man eine derartige
Gemeinschaft zweier verschiedener Tierarten, die auf einem
gegenseitigen Nutzen beruht, Symbiose.

Eine Symbiose besteht ferner zwischen den Madenhackern, afrikanischen
Starvögeln, und dem Elefanten, dem Nashorn sowie den Wiederkäuern. Die
Vögel lesen diesen Tieren das Ungeziefer von der Haut ab.

[Sidenote: Symbiose eines Fisches und einer Aktinie. Parökie. Synökie]

Ein besonders eigenartiger Fall von Symbiose ist die Freundschaft
eines kleinen indischen Fisches (~Amphiprion percula~) mit einer
großen Aktinie (~Discosoma~). Der Fisch hält sich zwischen den langen
Fangarmen der Aktinie auf und flüchtet sogar, wenn er sich bedroht
fühlt, in den Innenraum des Hohltiers. So fühlt sich der kleine
buntgefärbte Fisch ganz sicher unter dem Schutz der Aktinie und dankt
ihr die Gastfreundschaft dadurch, daß er sie mit Nahrung versieht. Er
schiebt ihr diese in den Schlund.

Die Korallenfische leben in den Korallenriffen und suchen bei Gefahr
Schutz in den Korallenästen. Die Korallen haben jedoch keinen Vorteil
von der Gemeinschaft mit den Fischen, sondern lediglich die letzteren.
Man nennt diese Lebensgemeinschaft mit einseitigem Nutzen „Parökie“.

Eine andere Art der Vergesellschaftung ist die Synökie. Hier wohnt ein
Tier auf oder in einem anderen, ohne daß hieraus dem Wirtstier ein
Nutzen oder Schaden erwächst. Dieses gibt nur dem Partner die Wohnung.
Der Nadelfisch (~Fierasfer acus~), der im Mittelmeer lebt, bewohnt
die zu den Aktinien gehörenden Seegurken. Der Fisch schlüpft in dem
Augenblick, wo die Seegurke ihre Kloake zur Wasseratmung öffnet, mit
dem Kopf in diese hinein und dreht sich dann schnell um, so daß er
mit dem Kopf vor der Kloakenmündung liegt. Hier verbringt er den Tag,
um nachts seine Behausung zu verlassen und Nahrung zu sich zu nehmen,
die aus kleinen Meerestieren besteht, welche durch die Exkremente
der Seegurke angelockt werden. Der Seegurke erwächst von ihrem
„Aftermieter“ kein Schaden. Der Nadelfisch ist ein kleiner, etwa 14
~mm~ langer Fisch mit glatter, schuppenloser Haut.

Eine andere Familie der Fische, die Schiffshalter (~Echeneis~), haben
auf dem Oberkopf eine große längliche Saugscheibe, mit der sie sich an
andere größere Fische festsaugen und von diesen umhertragen lassen. So
unternimmt der Fisch weite Reisen, die ihn sogar in fremde Weltmeere
führen.

Die Schiffshalter bewohnen in etwa 10 Arten die warmen Meere der
ganzen Welt, eine Art der Schildfische (~Echeneis remora~) kommt auch
im Mittelmeer vor. Die Fische saugen sich auch an Seeschildkröten, ja
sogar an leblose Gegenstände, wie Schiffskörper, an. Die Eingeborenen
Afrikas benutzen die Schiffshalter zum Fang von Seeschildkröten. Sie
binden den Fisch an eine lange Leine und lassen ihn an Stellen, wo
Seeschildkröten häufig sind, im Wasser schwimmen, wo der Fisch sich
bald an eine Schildkröte festsaugt, die dann zusammen mit dem Fisch an
der Leine herausgezogen wird.

[Sidenote: Parasitismus]

Von der Synökie und Parökie zum ausgesprochenen Schmarotzertum, dem
Parasitismus, ist nur ein Schritt. Der Parasitismus kennzeichnet
sich im Gegensatz zu allen anderen Vergesellschaftungen dadurch,
daß das Wirtstier stets einen Schaden erleidet, der unter Umständen
sogar zum Tode führen kann. Man spricht von einem Ekto- und einem
Entoparasitismus. Im ersteren Falle lebt der Parasit außen an dem
Körper des Wirtes, wie es z. B. Läuse, Flöhe, Wanzen und anderes
Ungeziefer tun. Beim Entoparasitismus haust der Quälgeist in den
inneren Organen des Wirtstieres, wie es vom Bandwurm und anderen
Eingeweidewürmern, sowie von der Trichine bekannt ist.

Parasitäre Fische sind die Neunaugen, die sich an andere Fische,
Frösche und Würmer ansaugen und mit ihren Hornzähnen Löcher in den Leib
fressen.

[Sidenote: Tierkolonien der Blumentiere]

Eine neue Art der Lebensgemeinschaft finden wir bei den Blumentieren,
jenen zarten, zum Teil herrlich buntgefärbten Meerestieren, die in
ihrer Gestalt Pflanzen gleichen und die Besucher eines Aquariums
immer wieder von neuem in Entzücken versetzen. Die rote Koralle, die
in früherer Zeit als Schmuck bei der Damenwelt so beliebt war, ist das
äußere Skelett einer großen Tierkolonie, in dem die einzelnen Tiere,
„Polypen“ genannt, eingebettet sind. Das Skelett, das aus hornartiger
oder kalkartiger Masse besteht, wächst durch Knospung dauernd weiter
und zeichnet sich durch eine große Mannigfaltigkeit in seiner Form aus.
Der Korallenstock der roten Edelkoralle gleicht mit seinen Verästlungen
einem Baum. Der ganze Bau ist mit zahllosen Polypen besetzt, die
einzeln in Röhren eingebettet sind. Sie können sich ganz in das Gehäuse
zurückziehen. Zur Aufnahme von Nahrung strecken sie sich heraus
und entfalten ihre zierlichen Fangarme. Der Polyp der Edelkoralle
sieht wie ein kleiner weißer Stern aus, und der rote Korallenbaum,
besät mit zahllosen Sternchen, ist ein herrlicher Anblick. Wie ein
geheimnisvoller Zauber erscheint das Leben dieser Blumentiere.

Prächtige Gebilde zeigen auch die Hornkorallen, deren Skelett nicht wie
bei der roten Edelkoralle aus Kalk, sondern aus Hornsubstanz besteht.
Der gelb oder violett gefärbte Venusfächer aus dem tropischen Teil des
westlichen Atlantik gleicht einem großen Fächer, der aufrecht im Wasser
steht und von den Wellen leise hin und her geschaukelt wird.

Bei den Orgelkorallen hat jedes Tier sein eigenes, röhrenförmiges
Gehäuse. Die Röhren stehen wie Orgelpfeifen dicht nebeneinander
senkrecht auf einer Platte und sind noch durch Zwischenplatten fest
verbunden.

[Sidenote: Korallen, Korallenbänke, Korallengärten]

In der Tierkolonie eines Korallenstockes herrscht die größte
Gemeinschaft, da sämtliche Polypen durch Nahrungskanäle, die den ganzen
Aufbau durchziehen, miteinander verbunden sind. Die Nahrung des
Einzeltieres kommt also allen Bewohnern der Kolonie zugute.

Das Skelett ist kein totes Gehäuse, sondern ist ebenso wie das Skelett
der Wirbeltiere am Stoffwechsel beteiligt. Stirbt der untere Teil eines
Korallenstockes ab, so bildet sich eine Scheidewand zwischen dem noch
lebenden und dem toten Teil der Kolonie. Der abgestorbene Teil dient
dann nur noch als Wurzel oder Sockel für die lebende Kolonie.

Die Fortpflanzung erfolgt dauernd durch Knospung. Daneben werden
zeitweise Eier ausgestoßen, die frei im Meere umhergetrieben werden,
bis sie sich festsetzen und so die Grundlage zur Bildung einer neuen
Kolonie geben. Die Korallen sind getrennten Geschlechts. Die männlichen
und weiblichen Tiere leben entweder in besonderen Stöcken, oder sie
sind an einem Stock vereint.

Von unvergleichlicher Pracht und Schönheit ist die Korallenbildung in
den Tropen. Zwischen dem 25. Grad nördl. und dem 25. Grad südl. Br. in
einer Wassertemperatur von mindestens 24°~C~ leben die Riffkorallen im
flachen Küstenwasser bis zu einer Tiefe von etwa 30 ~m~. Hier bedecken
die Korallen in allen möglichen Farben, blau, grün, violett, gelb,
purpurrot und zartrosa, auf weite Strecken den Meeresgrund und bilden
die bekannten Korallenbänke, die sich gleich mächtigen Gebirgen unter
dem Wasser auftürmen. Der Anblick eines solchen Blumengartens, in dem
uns ein wundersames Tierleben die prächtigste Flora vortäuscht, ist
das Unvergleichlichste und Schönste, was die Natur geschaffen hat.
Selbst der nüchterne Gelehrte, der sonst gewohnt ist, die Erscheinungen
der Natur im staubigen Zimmer unter dem Mikroskop zu erforschen, wird
beim Anblick dieses Naturwunders zur Begeisterung entflammt. Die
Hand des Künstlers vermag nicht jene Farbenpracht auch annähernd so
stimmungsvoll wiederzugeben, wie sie in Wirklichkeit ist. Werden doch
all die leuchtenden Farben der Korallenbank durch das Grün des Wassers
wie von einem geheimnisvollen, duftigen Schleier überdeckt, der die
Farbenkontraste zu herrlicher Harmonie abstimmt.

+Ernst Häckel+ schildert den ersten Eindruck, den er von den
Korallenbänken empfing, mit folgenden, begeisterten Worten: „Die
vielgerühmte Pracht der indischen Korallenbänke in ihrem vollen
Farbenglanz zu schildern, vermag keine Feder und kein Pinsel. Die
begeisterten Schilderungen von +Darwin+ und anderen Naturforschern,
die ich früher gelesen, hatten meine Erwartungen hoch gespannt, sie
wurden aber durch die Wirklichkeit übertroffen. Ein Vergleich dieser
formenreichen und farbenglänzenden Meerschaften mit den blumenreichsten
Landschaften gibt keine richtige Vorstellung. Denn hier unten in
der blauen Tiefe ist eigentlich alles mit Blumen überhäuft, und
alle diese zierlichen Blumen sind lebendige Korallentiere. An den
verzweigten Bäumen und Sträuchen sitzt Blüte an Blüte. Die großen
bunten Blumenkelche zu deren Füßen sind ebenfalls Korallen. Ja sogar
das bunte Moos, das die Zwischenräume zwischen den größeren Stöcken
ausfüllt, zeigt sich bei genauer Betrachtung aus Millionen winziger
Korallentierchen gebildet. Und alle diese Blütenpracht übergießt die
leuchtende arabische Sonne in dem kristallhellen Wasser mit einem
unsagbaren Glanze.

In diesen wunderbaren Korallengärten, welche die sagenhafte Pracht der
zauberischen Hesperidengärten übertreffen, wimmelt ein vielgestaltiges
Tierleben. Metallglänzende Fische von den sonderbarsten Formen und
Farben spielen in Scharen um die Korallenkelche, gleich den Kolibris,
die um die Blumenkelche der Tropenpflanzen schweben. Noch viel
mannigfaltiger und interessanter als die Fische sind die wirbellosen
Tiere der verschiedensten Klassen, welche auf den Korallenbänken ihr
Wesen treiben. Zierliche durchsichtige Krebse aus der Garnelengruppe
klettern zwischen den Korallenzweigen. Auch rote Seesterne, violette
Schlangensterne und schwarze Seeigel klettern in Menge auf den Ästen
der Korallensträucher, der Schar bunter Muscheln und Schnecken nicht
zu gedenken. Reizende Würmer mit bunten Kiemenfederbüschen schauen aus
ihren Röhren hervor. Da kommt auch ein dichter Schwarm von Medusen
geschwommen, und zu unserer Überraschung erkennen wir in der zierlichen
Glocke eine alte Bekannte aus der Ostsee und Nordsee.“

„Man könnte glauben,“ fährt der große Forscher fort, „daß in diesen
bezaubernden Korallenhainen, wo jedes Tier zur Blume wird, der
glückselige Friede der elysischen Gefilde herrscht. Aber ein näherer
Blick in ihr buntes Getriebe lehrt uns bald, daß auch hier, wie im
Menschenleben, beständig der wilde Kampf ums Dasein tobt, oft zwar
still und lautlos, aber darum nicht minder furchtbar und unerbittlich.
Überall lauert Schrecken und Gefahr.“ --

[Sidenote: Korallenriffe, Koralleninseln]

Außer den Küstenriffen, wo die Korallenbildung sich unmittelbar an die
Küste anschließt und diese gewissermaßen fortsetzt, gibt es noch Damm-
oder Barriereriffe, die in größerer Entfernung der Küste vorgelagert
sind. Sie haben bisweilen eine gewaltige Längenausdehnung. Das größte
Barriereriff liegt vor der nördlichen Festlandküste Australiens in
einer Entfernung von 80 bis 150 ~km~ vom Lande und hat eine Länge von
2000 ~km~. Sogar mitten im offenen Ozean finden sich Korallenriffe, die
Inseln bilden.

Wie kommt die Korallenbildung in so weiter Entfernung von der Küste
zustande, wenn der Polyp, der die Koralle bewohnt, nur in flachem
Wasser gedeihen kann? Die Antwort auf diesen scheinbaren Widerspruch
verdanken wir +Darwin+, der es verstand, auch dies Rätsel der Natur
in genialer Weise zu lösen. Hiernach sind die Barriereriffe früher
Küstenriffe gewesen. Die Küste ist allmählich tiefer gesunken, und
zugleich haben die Korallen sich nach oben ausgedehnt, um unweit der
Wasseroberfläche zu bleiben, wie es ihre Lebensbedingung verlangt.
Ebenso erfolgte die Bildung der Koralleninseln, auch Atolls genannt.
Ursprünglich war hier eine richtige Insel, an deren Küste Korallenbänke
standen. Die Insel versank allmählich in den Fluten des Meeres,
und die Korallen türmten ihre Bauten immer höher, um lebensfähig
zu bleiben, so daß schließlich anstatt der einstigen Insel nur das
Korallenriff übrigblieb, das die Stelle, wo die Insel versank, als
breiter Ringstreifen umschließt und in seiner Mitte einen See bildet.
Auf den über den Meeresspiegel hervorragenden Teilen des Atolls bildet
sich häufig ein üppiger Pflanzenwuchs. Sogar Kokospalmen wachsen
hier, da nicht allzu selten Kokosnüsse angeschwemmt werden. Diese
Palmenhaine im Meere zeigen schon aus weiter Entfernung dem Schiffer
die gefahrbringenden Korallenriffe an, an denen schon so manches stolze
Ozeanschiff gescheitert ist.

Die Richtigkeit der Darwinschen Erklärung für die Bildung von Atolls
und Dammriffen zeigt sich am besten darin, daß stets nur die obere
Schicht der Korallenstöcke mit Polypen besetzt ist, während die
darunter befindliche tiefere Schicht, die bisweilen hunderte und
tausende Meter hoch ist, nur aus abgestorbenen Skeletteilen besteht.

Nicht immer sind Koralleninseln die Wahrzeichen versunkenen Landes,
sondern sie können auch auf andere Weise entstehen, nämlich durch
Hebung des Meeresbodens, die so groß ist, daß der flache Wasserstand
eine Korallenbildung begünstigt. Die Darwinsche Erklärung läßt sich
also nicht in allen Fällen anwenden, wie die neueren Forschungen
ergaben.

[Sidenote: Seefedern]

Ebenso wie die Korallen bilden auch die gleichfalls zu den Blumentieren
gehörenden Seefedern eine große Tierkolonie. Nicht ein äußeres Skelett
vereint die Tiere, sondern die einzelnen Polypen gruppieren sich um
einen großen Hauptpolypen, der mit einem Stiel lose im Schlamm des
Meeresbodens steckt. Der Hauptpolyp besitzt in seinem Innern eine
hornige oder kalkartige Achse. Im Gegensatz zu den Korallen haben wir
hier eine innere Skelettbildung. Ernährungskanäle verbinden die Tiere
untereinander. Eine „koloniale“ Muskulatur befähigt die Kolonie, sich
als ein Ganzes zusammenzuziehen und auszudehnen. Die Seefedern sind
hierdurch imstande, ihre Gestalt auffällig zu verändern. Sie vermögen
durch Ausdehnung ihren Körperumfang um das Sechzigfache zu vergrößern.
Die Schönheit der Seefedern wird noch durch ihr Leuchtvermögen erhöht.
Das Leuchten wird durch eine chemische Umsetzung von Fetteilchen in den
Körperzellen hervorgerufen.

[Sidenote: Staatsquallen]

Eine Tierkolonie bilden auch die farbenprächtigen Staatsquallen, die
wir schon in dem Abschnitt über „Biotechnik“ kennengelernt haben.
Hier begegnen wir zum ersten Male einer Staatenbildung im Tierreich,
d. h. es findet eine Arbeitsteilung unter den einzelnen Wesen der
Kolonie statt. Die Schwimmglocken, medusenartige Wesen, sorgen für die
Fortbewegung, schlauchartige Freßpolypen führen die Ernährung aus.
Letztere stehen mit einem weitverzweigten Röhrennetz in Verbindung, das
die Nahrung an alle Bewohner der Kolonie weitergibt. Ferner gibt es
besondere Tastpolypen, die Taster und Fangarme tragen, und Gonophoren,
die als männliche und weibliche Geschlechtstiere die Fortpflanzung
besorgen. Das Ganze gruppiert sich abteilungsweise um einen vertikalen
Stamm, der oben eine Luftblase enthält, die den Auftrieb beim Schwimmen
gibt. Die Kolonie hat in ihrer Gesamtheit das Aussehen einer Qualle,
ist aber in Wirklichkeit die Vereinigung zahlreicher Einzeltiere zu
einem Staatswesen mit sehr sinnreicher Arbeitsteilung. --

Eine Staatenbildung in höchster Vollkommenheit sehen wir bei den
Ameisen, Bienen und Termiten.

[Sidenote: Staatenbildung der Bienen]

Im Bienenstaat lebt nur ein fortpflanzungsfähiges weibliches Wesen, die
Königin, welche keine Rivalinnen duldet. Ihr Geschlechtsleben haben wir
schon in dem Kapitel „Liebesleben und Fortpflanzung“ kennengelernt.

Die Hauptaufgabe im Bienenstaat fällt den Arbeiterinnen, Weibchen mit
verkümmerten Geschlechtsorganen, zu. Sie sind kleiner als die Königin,
aber mit besonderen Organen für ihre Arbeit ausgerüstet. Sie haben
einen langen Rüssel, mit dem sie den Honig aus den Blüten saugen.
Der Nektar wird verschluckt und zu Hause wieder ausgespien. Kleine
Vertiefungen an der Außenseite der Schienen der Hinterfüße dienen als
„Körbchen“ beim Einsammeln des Blütenstaubes. Mit Hilfe der an der
Ferse befindlichen „Bürste“, die aus reihenweise angeordneten Haaren
besteht, wird der Blütenstaub in die Körbchen gekehrt. Außerdem sind
die Arbeiterinnen ebenso wie die Königin am Hinterleib mit einem
Giftstachel bewaffnet, der den männlichen Drohnen fehlt.

Im Bienenstaat gilt allein das Recht der Frau. Die Königin, die nur
einmal in ihrem Leben befruchtet wird, sorgt unaufhörlich durch
Eierlegen für eine zahlreiche Nachkommenschaft und die Erhaltung des
Volkes. Dafür wird sie von den Arbeiterinnen sorgsam gehätschelt,
gefüttert und gepflegt. Sie, die Herrscherin des Staates, lebt wie
eine Gefangene unter ihren Untertanen, denn nur wenige Male darf sie
das Heim verlassen. Als Jungfrau schwingt sie sich zum Hochzeitsflug in
den blauen Äther, um nach ihrer Rückkehr nur dann wieder einen Ausflug
zu unternehmen, wenn es gilt, einer jungen, neugeborenen Königin das
Feld zu räumen.

Alles ist im Bienenstaat auf die Frau eingestellt. Die ganze Arbeit,
den Bau der Waben, das Einsammeln von Honig und Blütenstaub, die
Zubereitung des Bienenbrots, die Pflege der Larven, kurz alle für die
Erhaltung des Stocks notwendigen Verrichtungen üben einzig und allein
die Arbeiterinnen aus. Die Drohnen lassen sich nur füttern, faulenzen
aber im übrigen und unternehmen bei gutem Wetter Spazierflüge, wobei
sie auch fremde Stöcke besuchen, in denen sie ohne weiteres geduldet
werden.

Wilhelm Busch geißelt mit köstlichem Humor in seinem „Schnurrdiburr,
oder die Bienen“ das bequeme Nichtstun der Drohnen mit den Versen:

    „Und nur die alten Brummeldrohnen,
    Gefräßig, dick und faul und dumm,
    Die ganz umsonst im Hause wohnen,
    Faulenzen noch im Bett herum.“

Unter den Arbeitsbienen ist die Art der Arbeit genau geregelt und
verteilt. Jede Biene verrichtet nur eine ganz bestimmte Arbeit. In den
ersten drei Wochen ihres Lebens versehen die Arbeiterinnen nur Arbeit
im Innern des Stockes. Sie nehmen den vom Ausfluge zurückkehrenden
Bienen den Blütenstaub und den aus dem Kropf gespienen Honig ab und
füllen ihn in die Zellen. Andere Bienen bereiten Wachs aus dem Sekret
ihrer Hinterleibsringe, wieder andere bauen Waben und verdeckeln
die mit Honig gefüllten Zellen, nachdem die „Apotheker“ vorher ein
Tröpfchen Ameisensäure hinzugesetzt haben, damit der Honig nicht
verdirbt. Besondere „Straßenkehrer“ halten die Wohnung sauber und
befördern den Unrat und die Leichen gestorbener Bienen hinaus. Die
„Gesundheitspolizisten“ sorgen für eine gründliche Lufterneuerung,
indem sie fortgesetzt mit den Flügeln fächeln, wobei etwa 400
Flügelschläge in der Sekunde erfolgen. Am Flugloch üben „Posten“ die
Kontrolle aus und lassen nur Arbeitsbienen passieren, die zum Stock
gehören, weisen aber fremde Eindringlinge ab.

Die Arbeitsbiene kennt während ihrer kurzen Lebensdauer, die nur wenige
Wochen währt, nichts als Arbeit, die sie rastlos vom Morgen bis zum
Abend verrichtet, nichts als selbstlose Arbeit für das Allgemeinwohl,
für die Erhaltung des Staats. Gewaltige Moral und Ethik liegen in dem
Geist, der das surrende Völkchen der Bienen beseelt.

[Sidenote: Staatenbildung der Ameisen]

Ebenso wie bei den Bienen herrscht im Ameisenstaat eine strenge Ordnung
und Disziplin. Die Arbeiter sind nicht immer verkümmerte Weibchen,
sondern bei manchen Arten auch begattungsunfähige Männchen. Ferner
gibt es bei den Ameisen außer den Arbeitern noch eine besondere Kaste,
die Soldaten. Sie haben einen sehr großen Kopf und sehr starke Kiefer.
Sie bilden gewissermaßen das „stehende Heer“ des Ameisenstaates, dem
die Verteidigung im Falle eines Angriffes obliegt. In Friedenszeiten
verrichten sie auch gewisse Arbeiten, die für die schwächeren Arbeiter
zu schwer sind. Sie zerkleinern harte Sämereien und große Insekten, die
den Ameisen zur Nahrung dienen. Während den Arbeiterinnen der Bienen
nur ein kurzes Dasein beschieden ist, können die Arbeiter und Soldaten
der Ameisen mehrere Jahre leben.

Die Arbeiter bauen das Heim mit seiner Einrichtung, füttern die Königin
und sorgen für die junge Brut. Puppen und Larven werden nach dem Alter
gesondert und in verschiedenen Räumen untergebracht, auch je nach der
Witterung bald in höhere, bald in tiefere Stockwerke des Baues gelegt,
damit stets der richtige Grad von Wärme und Feuchtigkeit vorhanden ist.
Den jungen Ameisen sind die Geschwister beim Ausschlüpfen behilflich,
indem sie das Gewebe des Kokons durchbeißen.

Außerordentlich groß ist der Reinlichkeitssinn der Ameisen. Die Larven
werden beleckt, geputzt und gesäubert. Auch an ihrem eigenen Körper
duldet die Ameise nicht den geringsten Schmutz. Mit den Haaren ihrer
Vorderfüße bürstet sie ihren Körper, und außerdem dient noch ein
dornartiger Fortsatz an der Fußschiene zum Abschaben von Schmutz.
Auch das Innere der Behausung wird stets sauber gehalten. Jeglicher
Unrat wird sofort hinausgeschafft, tote Kameraden werden fortgetragen,
bisweilen sogar regelrecht bestattet, indem man die kleine Leiche mit
Erde überschüttet.

An den zahlreichen Ausgängen der Burg stehen Wachen. Sie alarmieren,
sobald sie etwas Verdächtiges bemerken, und sofort eilen die Soldaten
in großen Mengen herbei, um die Feste zu verteidigen. Die gegenseitige
Verständigung erfolgt hierbei mit den Fühlern, mit denen sich die
Ameisen berühren, wobei die Art der Berührung, die entweder durch
schnelle Schläge oder sanftes Streicheln ausgeführt wird, über die
Sachlage Aufklärung gibt. Manche Ameisen können auch durch Reiben
von Körperteilen Geräusche erzeugen, die ebenfalls zur Verständigung
gebraucht werden.

[Sidenote: Sklaverei, Kriegführung, Viehhaltung der Ameisen]

Die eigenartigste Erscheinung im sozialen Leben der Ameisen ist die
Sklaverei. Manche Arten halten sich Hilfskräfte, die ihre eigenen
Arbeiter unterstützen müssen -- eine Einrichtung, die sonst nirgends
im Leben der Tiere verbreitet ist, und die außer den Ameisen nur der
Mensch kennt.

Um sich Hilfskräfte zu verschaffen, rauben die Ameisen Puppen aus einer
anderen Kolonie, und zwar stets von einer friedlichen, kleineren Art.
Zu ihrem Raube ziehen die Ameisen in großen Kolonnen nach einem vorher
ausgekundschafteten Nest aus. Ist die Hauptmasse der Krieger angelangt,
so erfolgt der Überfall auf das feindliche Lager. Falls die Bewohner
nicht schon vorher durch ihre Kundschafter den geplanten Überfall
erfahren haben und noch rechtzeitig ihre Behausung verlassen konnten,
entspinnt sich ein erbitterter Kampf zwischen den Parteien, der stets
mit dem Siege der stärkeren Angreifer endet. Die angegriffenen,
schwächeren Ameisen werden rücksichtslos niedergemetzelt, die Puppen
werden geraubt, und dann erfolgt der Rückmarsch in die eigene Burg.
Hier werden die fremden Puppen sorgsam gehütet und gepflegt und die
ausschlüpfenden Ameisen später als Arbeiter eingestellt. Diese scheinen
sich ihrer Verschleppung nicht bewußt zu sein, sondern fühlen sich
unter den fremden Ameisen völlig heimisch und betrachten sich als
Angehörige des Staates, in dem sie nicht als minderwertige Sklaven
gelten, sondern gleiche Rechte genießen.

Bei den Amazonenameisen ist die Sklaverei geradezu eine
Lebensnotwendigkeit geworden. Sie zeichnen sich durch ganz gewaltige
säbelförmige Vorderkiefer aus, die eine hervorragende Waffe im Kampf
mit anderen Ameisen sind. Aber mit diesen unförmigen Kiefern sind sie
nicht imstande, selbständig Nahrung aufzunehmen, sondern sie müssen
sich von anderen Ameisen füttern lassen, und diesen Dienst verrichten
die geraubten Sklaven, ohne die die Amazonenameisen einfach verhungern
müssen.

Bei der europäischen arbeiterlosen Ameise (~Anergates atratulatus~)
hat sich das Sklaventum zum Parasitentum verwandelt. Wie schon der
Name sagt, gibt es bei diesen Ameisen keine Arbeiter, sondern nur
Königinnen und Männchen. Infolgedessen errichten diese Ameisen auch
keine Kolonien. Eine befruchtete Königin sucht das Nest einer anderen
Ameisenart auf. Die Liebe der Ameisen zu dieser fremden Königin ist
so groß, daß sie ihre rechtmäßige Königin ermorden und ganz im Banne
der fremden stehen. Diese nimmt sehr bald durch Anschwellung ihres
Leibes eine unförmige Gestalt an, die sie unfähig macht, sich selbst zu
ernähren. Sie wird dann von den fremden Ameisen gefüttert und sorgsam
gehegt. Ihre Anwesenheit bedeutet stets den Untergang der Kolonie,
denn da sie nach der Ermordung der rechtmäßigen Königin das einzige
weibliche Wesen ist, so werden nur arbeiterlose Ameisen erzeugt, die
wieder auswandern, um sich in einer anderen Kolonie anzusiedeln, und
die rechtmäßigen Inhaber der Kolonie sterben aus.

Die kriegerischen Unternehmungen der Ameisen gelten nicht nur dem
Sklavenraub, sondern haben häufig auch andere Ursachen. Begegnen sich
die Arbeiter zwei nah benachbarter Kolonien auf ihren Beutezügen,
so entspinnt sich in der Regel ein heftiger Kampf. Beide Parteien
erhalten Zuzug aus ihren Behausungen, und es entwickelt sich eine
regelrechte Schlacht, die mit größter Erbitterung ausgefochten wird,
bis schließlich ein Teil unterliegt und mit großen Verlusten das Feld
räumen muß.

Die über Europa, Asien und Nordamerika verbreiteten Diebesameisen der
Gattung Solenopsis hausen in den Nestern anderer Ameisen, in deren
Erdwänden sie ihre Baue anlegen. Die Wirtsameisen dulden sie ruhig in
ihrer Behausung, zumal sie den winzig kleinen Untermietern, die vom
Abfall ihres Tisches leben, nichts anhaben können.

Außer den Sklaven halten sich die Ameisen auch regelrechtes „Nutzvieh“,
das sie sogar in eigens hergerichteten Ställen pflegen. Am meisten
begehrt sind die Blattläuse, die einen süßen Stoff absondern, der als
klebrige Masse die Blätter der Rosen und anderer Sträucher bedeckt.
Dieser Honigtau der Blattläuse ist ein Leckerbissen für die Ameisen.
Durch Streichen mit den Fühlern veranlassen sie die Blattläuse zur
Hergabe des begehrten Stoffes. Die Blattläuse werden gewissermaßen
wie Kühe gemolken. Um die Kolonien ihrer Nutztiere errichten manche
Ameisenarten schützende Erdbauten und züchten auf diese Weise ihr
Nutzvieh in regelrechten Stallungen.

Ebenso wie die Blattläuse werden auch Schildläuse, Zikaden und
die Raupen des blauen Himmelsfalters wegen ihrer wohlschmeckenden
Ausscheidungen von den Ameisen sehr geliebt.

[Sidenote: Narkotische Genußsucht der Ameisen]

In den Bauten der Ameisen nisten sich mit Vorliebe Kurzflügelkäfer
aus der Familie der Staphylinidae ein, die von den Ameisen nicht nur
geduldet sondern sogar mit größter Hingabe gehätschelt und gepflegt
werden. Die Käfer scheiden aus besonderen Hinterleibsdrüsen einen
aromatischen Saft aus, dessen Genuß die Ameisen geradezu in Verzückung
versetzt, und der auf sie wohl eine ähnliche Wirkung ausübt wie
Tabak, Opium oder Alkohol auf den Menschen. Der Vergleich ist um so
mehr gerechtfertigt, als der Saft der Kurzflügelkäfer keineswegs
eine notwendige Nahrung für die Ameisen ist, sondern lediglich ein
berauschendes Genußmittel, dem sich die Ameisen mit solcher Lüsternheit
hingeben, daß dadurch das ganze Volk mit der Zeit zugrunde geht. Die
Ameisen sind nämlich auf die Käfer so erpicht, daß sie sich schließlich
nur noch deren Pflege widmen, sie füttern, hätscheln und ihre Brut
großziehen, aber ihre eigene Brut vernachlässigen. Infolgedessen
entstehen keine Königinnen mehr, und auch die neugeborenen
Arbeiterlarven verkümmern. Der ganze Staat degeneriert und stirbt aus.

Besonders gefährlich für den Ameisenstaat ist der Große Büschelkäfer
(~Lomechusa strumosa~). Er haust als Parasit in der Ameisenkolonie und
pflanzt sich hier fort. Unfähig, selbst zu fressen, ist er ganz darauf
angewiesen, von seinen Wirten ernährt zu werden, die berauscht von
den aromatischen Ausdünstungen dies Amt mit größter Hingabe ausüben.
Aber nicht nur durch die Vernachlässigung der eigenen Brut wird dem
Ameisenstaat geschadet, sondern in noch schlimmerem Maße durch diesen
Parasiten selbst. Die Larven des Käfers vertilgen nämlich die Larven
und Puppen der Ameisen, wodurch sich der Untergang der Kolonie sehr
schnell vollzieht. Wir haben also hier die eigenartige Erscheinung,
daß ein höchst schädlicher Parasit von dem Wirtstier besonders
gepflegt wird. So gibt uns die kleine, fleißige Ameise mit ihrem
hochentwickelten sozialen Leben zugleich ein abschreckendes Beispiel
für die verheerende Wirkung der unüberwindlichen Gier nach narkotischen
Genüssen.

Der Ameisenstaat mit seiner Berufseinteilung, der Einstellung fremder
Arbeitskräfte und der Haltung von Nutztieren verkörpert gewissermaßen
eine hohe Kulturstufe in der Tierwelt. Ebenso wie beim Menschen führt
diese Kultur zur Genußsucht, und die Genußsucht zur Gefährdung des
Volkswohls -- ein warnendes Beispiel für die Menschheit!

[Sidenote: Treibjagden der Treiberameisen]

Aus den vielseitigen Lebensgewohnheiten der Ameisen, die, wohin man
auch sieht, immer wieder neue und staunenswerte Überraschungen bieten,
mögen zum Schluß noch die Treibjagden der in den Tropen lebenden
Treiberameisen erwähnt werden. Es sind „Raubtiere“ im wahrsten Sinne
des Wortes. Sie überfallen nicht nur andere Insekten, wie Grillen,
Spinnen und Raupen, sondern sogar Säugetiere und Vögel, um ihren
Hunger zu stillen. Bei ihren Raubzügen gehen sie planmäßig zu Werke
und veranstalten regelrechte Treibjagden. Ein gewaltiger Troß dieser
großen und wehrhaften Ameisen zieht auf die Jagd aus. Sein Erscheinen
veranlaßt alles in der Nähe befindliche Getier so schnell wie möglich
zur Flucht. Die Ameisen verfolgen ihr Wild, hetzen es zu Tode oder
umzingeln es. Die erlegte Beute wird zerstückelt und dann heimgebracht.
Sogar große Tiere, wie Esel, Pferde und Rinder, sind schon den
raubgierigen Insekten zum Opfer gefallen. Selbst auf ihren Beutezügen
können die Ameisen des beliebten narkotischen Getränks, das ihnen die
Kurzflügelkäfer liefern, nicht entbehren. Nach echter Weidmannsart muß
ab und zu ein „Schluck“ genommen werden, um die von der Jagd ermüdeten
Glieder aufzufrischen. Infolgedessen werden die beliebten Käfer auf
den Beutezügen mitgeschleppt und als Rucksack auf dem Rücken getragen.
Eine afrikanische Käferart hat sogar an den Füßen besondere Haftorgane,
mit denen sie sich auf dem Ameisenrücken festhält. Der Käfer heißt
infolgedessen „Ameisenreiter“. Wir haben hier ein vortreffliches
Beispiel, wie meisterhaft die Natur es versteht, das Leben der Tiere
aufeinander einzustellen und in wechselseitiger Beziehung einzustimmen.

Die Treiberameisen überfallen bisweilen ein Termitennest. In dem sich
entspinnenden Kampfe unterliegt auch manche Ameise und läßt ihre
„Schnapsflasche“, den kleinen Käfer mit dem süßen Lebenselixier,
zurück, den sich dann die Termiten aneignen, um ebenso wie die Ameisen
den aromatischen Saft zu genießen.

[Sidenote: Staatsleben der Termiten]

Auch die Termiten haben ein hochentwickeltes Staatenleben. An der
Spitze der Kolonie stehen ein König und eine Königin, die ein inniges
Eheleben führen und für die Nachkommenschaft sorgen. Sie kommen als
geflügelte Insekten zur Welt, finden sich auf dem Brautflug zusammen
und führen nach Verlust ihrer Flügel zunächst ein unterirdisches Leben
in einer Erdhöhle oder im Holz eines morschen Baumes. Im Laufe von
vier bis fünf Monaten werden sie geschlechtsreif. Das Weibchen beginnt
nun mit dem Eierlegen, das von jetzt an ihren ganzen Lebenszweck
ausfüllt. Sie entwickelt eine ungeheure Fruchtbarkeit. Die Königin
der kriegerischen Termite legt alle 2 Sekunden ein Ei, d. h. täglich
etwa 30000 Eier, ohne diese fruchtbare Tätigkeit während ihres etwa
10jährigen Lebens auch nur einen Augenblick zu unterbrechen!

Aus der ersten Nachkommenschaft entstehen „Arbeiter“ und Soldaten,
d. h. unfortpflanzungsfähige Weibchen und Männchen mit verkümmerten
Geschlechtsorganen. Damit ist der Anfang zur Bildung eines
Termitenstaates gelegt. Später werden neben den stets zahlreicheren
Arbeitern auch Männchen und Weibchen erzeugt, die ausschwärmen, um
wieder einen neuen Staat zu gründen.

Die Arbeitsteilung ist im Termitenstaat bis ins kleinste durchgeführt
und geregelt. Die „Hebammen“ entbinden die Königin, indem sie ihr die
Eier aus dem Leibe herausholen. Andere Dienstboten putzen und reinigen
den König und die Königin, die beide während ihres ganzen Lebens
unzertrennlich beieinander weilen. Wieder andere Termiten schaffen
Nahrung herbei und füttern das Herrscherpaar. Das königliche Gemach
wird dauernd von einer Anzahl Soldaten bewacht. Außer dieser Leibwache
gibt es noch Schutzleute, die die Arbeiter, welche das Königspaar
betreuen, beaufsichtigen und Nachlässige zur Arbeit anfeuern. Den
Aufbau des Wohnhauses besorgen die eigentlichen Arbeiter, und zwar auch
wieder unter der Aufsicht von Wachen und unter dem Schutz von Soldaten,
die Posten stehen. Erfolgt ein feindlicher Angriff, so schlagen die
Posten Alarm, indem sie durch Aneinanderschlagen der Kiefer oder durch
Reiben des Kopfes an der Brust Töne erzeugen, die als Signal dienen
und sogleich das unter Führung von Offizieren bereitstehende Heer
herbeilocken.

Eine merkwürdige Einrichtung finden wir bei einer auf Ceylon lebenden
Termitenart, die in hohlen Bäumen haust. Die Tiere legen sich außen am
Baumstamm Aborte an, die aus einzelnen Zellen bestehen, in denen die
Bewohner der Kolonie ihre Bedürfnisse verrichten. Soldaten versehen den
Dienst von „Abortfrauen“. Sie reinigen die Kloaken und geleiten die
einzelnen Termiten, die erscheinen, zu den „unbesetzten“ Stellen.

Stirbt die Königin, so wird sofort eine neue Königin herangezogen,
denn die Arbeiter haben es ganz in der Hand, aus einer jungen Termite,
die nicht als Larve, sondern gleich im fertigen Zustande aus dem Ei
schlüpft, je nach der Fütterungsweise einen Arbeiter, einen Soldaten,
eine Königin oder auch einen König heranzuziehen. Nach dem Tode der
Königin lebt der König häufig in Vielweiberei. Es werden mehrere junge
Termiten zu Weibchen ausgebildet und als Kebsweiber dem verwitweten
König zugeführt, der nun als Sultan ein Haremsleben führt.

Erweist sich die Anzahl der Individuen in einer Kaste zu groß, so
werden die überflüssigen Tiere einfach getötet, denn Faulenzer und
unnütze Esser dulden die strengen Gesetze des Termitenstaates nicht, in
dem eine mustergültige Ordnung und hervorragende Disziplin herrschen. --

Die Durchführung eines so hoch organisierten sozialen Lebens, das
bis ins kleinste in straffer Disziplin geregelt ist, scheint ohne
gegenseitige Verständigung der einzelnen Individuen kaum möglich,
und so dürfen wir mit Recht annehmen, daß auch die Bienen, Ameisen
und Termiten eine Sprache haben, mit der sie sich untereinander ihre
Gefühle und Empfindungen mitteilen.

Da unter den Sinnen der Geruchssinn bei diesen Tieren am höchsten
ausgebildet ist, so darf man vermuten, daß er bei der gegenseitigen
Verständigung eine große Rolle spielt. Der Sitz des Geruchssinnes
befindet sich bei den Bienen auf den Fühlern. Eine Arbeiterin hat
auf jedem Fühler nicht weniger als 5000 Geruchsorgane, woraus die
große Bedeutung des Geruchs für das Seelenleben der Biene am besten
hervorgeht.

[Sidenote: Verständigung der Termiten u. Ameisen]

Unter den Termiten gibt es einige völlig blinde Arten, und trotzdem
verrichten diese ihre Arbeiten genau so gut wie ihre sehenden
Verwandten. Der bis zur höchsten Vollkommenheit entwickelte Geruch
ersetzt den Mangel des Augenlichts. Die Tiere vermögen sich mit
Hilfe des Geruchs so gut zu orientieren, daß sie durch das fehlende
Sehvermögen nicht im geringsten beeinträchtigt werden. Auf ihren
Raub- und Wanderzügen scheiden die blinden Termiten tropfenweise eine
Flüssigkeit aus, die auf dem Erdboden antrocknet, und deren Geruch den
nachfolgenden Termiten als Wegweiser dient und später auf dem Heimweg
die Richtung zur Kolonie angibt.

Die Ameisen gebrauchen mit Vorliebe ihre Fühler zur Verständigung,
indem sie sich gegenseitig betasten. Je nach dem Inhalt der Nachricht
ist die Art der Berührung verschieden, so daß wir es hier mit einer
wohlorganisierten „Fühlersprache“ zu tun haben. Außerdem verständigen
sich die Tiere durch Geräusche, die sie durch Reiben von Körperteilen
hervorbringen. Die Termiten klopfen zu diesem Zweck mit dem Kopf auf
den Erdboden.

Mit der Erforschung der Bienensprache hat sich neuerdings +v.
Frisch+[7] eingehend beschäftigt und ist dabei zu äußerst
überraschenden und interessanten Ergebnissen gelangt.

[Sidenote: Farbensinn der Insekten]

+Frisch+ hat zunächst durch Experimente nachgewiesen, daß die frühere,
besonders von +Heß+ vertretene Ansicht, daß die Bienen farbenblind
seien, durchaus nicht zutrifft. Mit Ausnahme von Rot können die Bienen
alle Farben erkennen, und die Farbenempfindlichkeit ihres Auges reicht
sogar noch weit in das Ultraviolette hinein, wodurch der Mangel des
Farbensinnes für Rot in gewisser Weise ausgeglichen wird. Dies gilt
nicht nur für die Bienen, sondern für alle Insekten.

Die Rotblindheit der Insekten und andererseits die Wahrnehmung des
ultravioletten Lichtes steht wohl mit den Farben der Blüten im engen
Zusammenhang, denn in der Blütenflora ist gerade die rote Farbe im
Gegensatz zu Weiß, Blau und Gelb sehr schwach vertreten, während eine
stark ultraviolette Reflexion an Blumenblättern sehr verbreitet ist.

Außer der Rotblindheit ist der Farbensinn der Bienen noch in anderer
Beziehung beeinträchtigt. Das Bienenauge vermag keine Farbennuancen
wahrzunehmen. Gelb und Orange, sowie Blau und Violett sind für das
Bienenauge dieselben Farben.

„Um die biologische Bedeutung dieser Erscheinung ins rechte Licht zu
setzen,“ sagt +Frisch+, „müssen wir uns das Verhalten der Bienen bei
ihren Sammelflügen vergegenwärtigen. Sie sind blumenstete Insekten,
d. h. ein bestimmtes Individuum befliegt Stunden und Tage hindurch
nur Blüten ein und derselben Pflanzenart. Für die Biene ist dies
vorteilhaft, weil sie überall auf dieselbe Blüteneinrichtung trifft,
mit der sie vertraut ist; für die Blüten ist die Stetigkeit der
Besucherin zur Herbeiführung einer regelrechten Kreuzbefruchtung von
größter Wichtigkeit. Eine Blumenstetigkeit ist aber nur möglich, wenn
die Biene die gesuchten Blumen von den anderen Blüten mit Sicherheit
zu unterscheiden vermag. Nun ist jener Reichtum an Farbenabstufungen,
der unser Auge in einer blumenreichen Wiese erfreut, für das
Bienenauge nicht vorhanden. So können den Bienen die Farben der
Blüten nur in beschränktem Maße zu ihrer Unterscheidung dienen. Es
müssen ihnen daneben andere Merkzeichen zu Gebote stehen. Die Form
der Blumenblätter, die Farbenkombinationen in mehrfarbigen Blüten,
die ›Saftmale‹ spielen hier nachweislich eine Rolle -- aber auch
sie reichen nicht aus, die Zielsicherheit der sammelnden Bienen zu
erklären.“

Das wichtigste Merkmal zur sicheren Unterscheidung der Blüten ist
nach +Frisch+ der Duft. Dennoch ist das Riechvermögen der Bienen bei
weitem nicht so groß, als man bisher angenommen hat. Wohl vermag die
Biene feine Geruchsunterschiede wahrzunehmen, aber sie kann es nur auf
eine geringe Entfernung von einigen Zentimetern. Erst wenn sie die
Blüte umschwärmt, erkennt sie an dem Duft, ob es die von ihr gesuchte
Blumenart ist.

Der Blütenduft hat aber für die Tätigkeit des Bienenvolkes noch
eine andere, höchst wichtige Bedeutung. Die heimkehrenden Bienen
übermitteln durch den ihnen anhaftenden Duft ihren Genossen, von
welchen Blüten sie die Tracht geholt haben. So bildet der Blütenduft
ein Verständigungsmittel in der Sprache der Bienen.

Der Vorgang, der sich hierbei abspielt, ist folgender:

[Sidenote: Sprache der Bienen]

Hat eine Biene auf ihrem Sammelflug eine neue, reiche Trachtquelle
entdeckt, so gibt sie nach ihrer Heimkehr die Tracht zunächst an eine
Schwester, die Innendienst versieht ab, und beginnt dann auf den Waben
einen Rundtanz aufzuführen. Sie rennt hastig in kreisenden Bewegungen
umher. Ihr Rundtanz erregt im höchsten Maße die Aufmerksamkeit aller
anderen Bienen im Stock. In dichten Scharen drängen sie sich um die
Tänzerin und schließen sich ihr zum Teil an, so daß schließlich eine
ganze Gesellschaft den Reigen aufführt.

Durch den Tanz zeigt die heimgekehrte Biene ihren Schwestern an, daß
sie eine neue Quelle reicher Tracht gefunden hat.

Plötzlich bricht die Biene das Tanzen ab und verläßt den Stock, um
neue Tracht zu holen. Man sollte vermuten, daß die anderen Bienen ihr
in großen Scharen folgen, um sich die begehrte Honigstelle zeigen zu
lassen. Dies ist aber nicht der Fall. Sie beachten die Flugrichtung
der Tänzerin gar nicht, sondern schwärmen allein aus; viele haben
sogar schon während des Tanzes den Stock verlassen, um die neue
Tracht aufzusuchen. Sie fliegen in allen Richtungen umher und suchen
selbständig die Tracht vermittels ihres Geruchssinnes, nachdem sie von
der Tänzerin Witterung empfangen haben.

Jede heimkehrende Biene führt nun so lange einen Tanz auf, als noch
reichliche Tracht vorhanden ist, um hierdurch ihre Genossinnen immer
wieder zu neuem Eifer anzuspornen. Läßt die Tracht nach, dann hört
auch das Tanzen auf. Der Tanz bringt also nicht nur Kunde von der
Entdeckung einer Trachtquelle, sondern auch von ihrer Reichhaltigkeit.
Ja, die Verständigung geht sogar noch weiter. Auch die Anzahl der
Arbeitskräfte, welche zum Einholen der aufgefundenen Tracht notwendig
ist, wird von den Bienen bekanntgegeben, denn nach den Erfahrungen
von +Frisch+ sammeln sich an der Tracht stets nur so viel Bienen an,
als zur Verrichtung der Arbeit notwendig sind, niemals aber eine
unnötig große Anzahl. Auch hierbei erfolgt die Verständigung wieder
vermittels des Geruchs. Die Arbeitsbienen besitzen ein besonderes
Duftorgan im Hinterleib. Saugt nun eine Biene an reicher Tracht, so
stülpt sie ihr Duftorgan aus und lockt durch den sehr starken Duft, den
die Bienen auch auf weite Entfernungen wahrnehmen können, immer neue
Hilfskräfte herbei. So wird die Tracht sehr stark beflogen. Sind genug
Arbeitskräfte vorhanden, dann unterbleibt der Gebrauch des Duftorgans,
dagegen wird das Tanzen bei der Rückkehr noch fortgesetzt, damit der
Flug zur Tracht nicht völlig aufhört. Die Bedeutung des Duftorgans
als Verständigungsmittel geht aus folgendem, von Frisch ausgeführten
Versuch hervor. Er stellte zwei reich beschickte Futterplätze in der
Umgebung eines Bienenstockes auf, die sehr bald von zwei Gruppen
Bienen beflogen wurden. Nun verklebte er den Bienen einer Gruppe die
Duftorgane, was zur Folge hatte, daß hier der Anflug bald erheblich
nachließ. Der Zuzug neuer Bienen war nur ⅒ so groß als bei der
Gruppe mit unversehrten Duftorganen, obwohl die heimgekehrten Bienen
beider Gruppen im Stock tanzten.

Außer Nektar sammeln die Bienen auch Blütenstaub ein, und zwar sind
es verschiedene Bienen, die Honig und Pollen eintragen. Auch die
pollentragenden Bienen verkünden einen reichen Fund durch Tanzen, aber
in anderer Weise. Sie führen keine kreiselnden, sondern schlängelnde
Bewegungen aus. Die Art des Tanzes zeigt also an, ob es sich um Honig
oder Pollentracht handelt, und jede Biene ersieht hieraus, ob die zu
verrichtende Arbeit für sie in Betracht kommt.

Das Mittel, welches +Frisch+ anwandte, um in diese intimsten Vorgänge
des Bienenlebens Einsicht zu gewinnen, ist ebenso sinnreich wie
einfach. Er zeichnete die einzelnen Bienen mit Farbflecken auf den
Flügeln, die sich, während die Biene saugt, mit einem kleinen Pinsel
unschwer auftragen lassen. Auf diese Weise vermochte er, die einzelnen
Bienen zu unterscheiden und ihr Verhalten genau zu beobachten.

So verdanken wir den mühsamen und gründlichen Forschungen von +Frisch+
eine überaus wertvolle Aufklärung über das Seelenleben der Bienen, das,
so kompliziert es auch auf den ersten Blick erscheint, schließlich nur
auf einfachen Sinneswahrnehmungen beruht.

„Eine Zeichensprache hat sich uns erschlossen,“ sagt unser Gewährsmann
am Schluß seiner lehrreichen Ausführungen, „die in ihrer Einfachheit
auf jeden Beschauer Eindruck macht. Ein paar Bewegungen, ein bißchen
Duft, den die Biene von den Blüten in den Stock hineinträgt, ein
bißchen Duft, den sie draußen am Schauplatz ihrer Entdeckung selbst
in die Luft entströmen läßt, vermitteln eine Verständigung, die kaum
besser funktionieren und nicht einfacher gedacht werden könnte.“


  [6] Eduard Reichenow, Biologische Beobachtungen an Gorilla und
      Schimpanse. Sitzungsberichte der Gesellschaft Naturforschender
      Freunde, Berlin. Jahrgang 1920.

  [7] K. v. Frisch, Sinnesphysiologie und „Sprache“ der Bienen. Die
      Naturwissenschaften, Jahrgang 12.





*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK IM ZAUBER DES TIERLEBENS ***


    

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