Moriz: ein kleiner Roman

By Friedrich Schulz

The Project Gutenberg EBook of Moriz, by Friedrich Schulz

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Title: Moriz
       ein kleiner Roman

Author: Friedrich Schulz

Release Date: January 15, 2015 [EBook #47977]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MORIZ ***




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  Moriz

  ein kleiner Roman

  [Illustration]

  von
  Friedrich Schulz

  dritte verbesserte Ausgabe

  Weimar 1892
  in der Hoffmannischen
  Buchhandlung




  An
  den Herrn Hauptmann
  von Blankenburg
  in Leipzig


Ohne #Ihnen# persönlich bekannt zu seyn, #Hochwohlgebohrner Herr#, ohne ein
anderes Recht zu einer Annäherung an #Sie# zu haben, als dasjenige, welches
Lernbegierde und Dankbarkeit dem Schüler an seinen Lehrer gewähren können,
wage ich es, #Ihnen# dies kleine Werk zu widmen, das seine Existenz und
das Gute, was es vielleicht haben könnte, ganz allein #Ihrem# vortreflichen
#Versuch über den Roman# verdankt, und das ganz vollkommen hätte
werden müssen, wenn es in seines Urhebers Kräften gestanden hätte,
die Vorschriften, welche jener Codex der Romanendichtung mit so viel
Scharfsinn, Deutlichkeit und Eleganz entwickelt, in ihrem ganzen Umfange zu
befolgen.

Vielleicht bin ich bey einem zweyten Versuch in dieser Dichtungsart, die
eine der schwersten ist, und doch eine der leichtesten scheinen muß,
so glücklich, mich #Ihren# Regeln noch näher anzuschließen; und meine
Bemühungen hierin werden desto ernstlicher seyn, je fester ich überzeugt
bin, daß jedes #Ihrer# Gesetze, dessen Geist ich zu fassen und mir eigen
zu machen vermag, eine Stuffe sey, auf welcher meine Arbeit zur Klarheit,
Natur und Vollkommenheit emporsteigen werde.

Ich verharre mit unumschränkter Achtung

  #Ew. Hochwohlgebornen#

  Weimar, den 3. April 1787.

    ergebenster
    Friedrich Schulz.




Moriz.

Erstes Buch.




Erstes Kapitel.

_Mysterien._


»Er darf es noch nicht wissen, Martha,« sagte mein Papa zu seiner
Haushälterin: »Du weißt, daß der Junge, so klein er ist, schon einen
gewaltigen Nagel im Kopfe hat. Er gehorcht mir jetzt schon nicht mehr, wie
er sollte, was würde daraus werden, wenn er erführe, daß ich nicht sein
Vater bin? Laß Du nur noch einige Jahre hingehen. Es wird sich schon
eine Gelegenheit finden, wo wir's ihm mit Manier beybringen können. Und
vielleicht stirbt der Alte bald, dann erfährt er's auf einmal. Er hört's
doch wohl nicht?« setzte er leise hinzu: »Geh hin, und sieh einmal zu, ob
er noch schläft!«

Martha kam und sahe zu, ob ich noch schliefe. Ich hatte mich auf Papa's
Bette hingestreckt. Mein rechter Arm trug den Kopf und der linke lag
unbeweglich auf dem Deckbette. Meine Augen waren fest zu, der Mund halb
offen, und der Athem flog mit Geräusch durch Mund und Nase aus und ein.
Ich machte den Schlafenden so natürlich, daß Martha sogleich zum Papa
zurückging und ihm versicherte: ich schliefe wie eine Ratze.

»Nun, es ist gut,« sagte Papa: »wenn ich zurückkomme, wollen wir weiter
davon sprechen. Jetzt laß mir mein Pferd satteln, ich will fort!«

Martha ging und Papa zog sich an.

Mir war es sehr unangenehm, daß diese Unterredung, die mir so merkwürdig
vorkam, aber höchst dunkel und geheimnißvoll war, so plötzlich abgebrochen
wurde. Ich war so boshaft, zu wünschen, daß Papa's Brauner auf der Stelle
lahm werden möchte, damit Papa gezwungen würde, zu Hause zu bleiben, und
das Gespräch da wieder anzufangen, wo er es abgebrochen hatte. Aber mein
Wünschen half nichts! Martha kam zurück und meldete, der Braune wäre
gesattelt. Papa nahm seine Reitgerte, umarmte Marthen und gab ihr einen
Abschiedskuß, daß die Stube wiederhallte. »Adje, Martchen!« rief er und
ging zur Thür hinaus.

Martha trat ans Fenster, machte es auf, sah meinem Papa eine Weile nach,
schlug darauf das Fenster zu, und kam langsam und auf den Zehen zu mir vor
das Bette. Ich schlief immer noch so fest als vorher.




Zweytes Kapitel.

_Martha: ein Monolog._


»_Morizchen_, _Morizchen_,« rief sie leise und tippte mit ihrem eißkalten
Finger mir auf den linken Backen: »schläfst du noch?«

Ich schlief dicht und fest.

»I, du lieber Goldjunge! (Sie bückte sich zu mir herunter und drückte
ihre Lippen sanft auf die meinigen) Ach, wie warm die Lippen des kleinen
Schlingels sind! -- Noch einmal (sie küßte mich von neuem) Noch einmal! und
-- noch einmal!«

Ich schlief dicht und fest.

»Und, die kleinen rothen Bäckchen,« rief sie wie entzückt, »die kleinen
rothen Bäckchen, so voll, so fest!«

Sie rückte leise einen Stuhl vors Bette, setzte sich darauf, und legte
ihren rechten Backen auf meinen linken. Mein Backen brannte wie Feuer, und
erhitzte nach und nach den ihrigen, der anfangs sehr kalt war. So blieb sie
eine Weile liegen, ohne einen Laut von sich zu geben.

Mir ward diese Lage in die Länge beschwerlich, und ich war einigemal im
Begrif, zu erwachen; aber die Besorgniß, daß ich ein plötzliches Erwachen
nicht natürlich und unverdächtig würde machen können, hielt mir die Augen
zu. Nach einigen Minuten richtete sie sich auf und krabbelte mir sanft und
leise um Hals und Kinn.

»Alles so fein, so fleischigt, so glatt!« sagte sie mit leiser zitternder
Stimme: »Ich möchte den Jungen aufessen vor Liebe! -- Wenn ich meinen alten
Ernst dagegen ansehe, der hat eine Haut wie Elefantenleder. Aber hier?
Wie fein, wie glatt die Stirn ist? Wie prall und rund die Backen! Der alte
Ernst hat hundert Millionen Runzeln vor dem Kopfe, und seine Backen sind
so dick, so aufgedunsen und kirschbraun! Und das kleine Mäulchen hier -- so
frisch, so roth, so klein! -- Warum kann ichs denn so lange ansehen?«

Sie bückte sich von neuem zu mir herunter, und gab mir einen Kuß. Diese
kleinen Späße gefielen mir, und ich schlief mit jeder Minute fester ein.

»Der alte Ernst,« fuhr sie fort: »hat ein Maul wie ein Thorweg, und
riecht immer nach Taback, daß mir möchte schlimm werden. Laß einmal sehen,
Morizchen (sie bückte sich so weit herunter, daß ihre Lippen die meinigen
berührten) nein, du riechst nicht nach Taback. -- Ach! (sie schnupperte,
als wenn man den Geruch einer Sache unterscheiden will) Ach, Schelm,
warte, ich will dich kriegen. Du bist mir über den Malagga gewesen! (sie
schnupperte wieder) Ja, der pure klare Wein! Warte, Schelm, warte!«

Ich fühlte, daß mir über und über warm ward. Ich war wirklich über ihrem
Malagga gewesen.

»Darum war dir auch der Kopf so schwer,« fuhr sie fort: »darum warst du so
schläfrig, so müde! -- Ha, ha, Vogel, komme ich so darhinter? Aber warte,
ich will ihn schon besser verstecken!«

Es ward mir immer wärmer und wärmer, und plötzlich stieg mir die Hitze ins
Gesicht. Ich schlug die Augen auf und drehete mich um. Martha trat hurtig
ein paar Schritte zurück und sagte ganz gleichgültig: »Nun, Moriz, hast du
ausgeschlafen?«

Ja, Mamsell! sagte ich und sprang aus dem Bette. Ich hatte nicht das Herz,
ihr ins Gesicht zu sehen, und in drey Sprüngen war ich an der Thür, riß sie
auf und fort. Sie rief hinterdrein, aber ich fürchtete eine Untersuchung
über den Wein und kam nicht.




Drittes Kapitel.

_Ernst -- erste Schilderey._


Als ich im Freyen war, kam mir das geheimnißvolle Gespräch zwischen Papa
und Marthen ins Gedächtniß zurück. Aber ich nahm es auf die leichte Achsel
und überredete mich, daß es nicht mir gegolten habe, ob ich gleich deutlich
genug gehört hatte, daß es auf keinen andern, als auf mich gehen konnte.
»Wenn auch Papa nicht mein Vater ist, dachte ich, schadet nichts! Ich habe
Essen und Trinken; Papa ist mir gut, Martha auch; und erfahren soll ichs ja
mit der Zeit, wer mein Vater ist. Mag's seyn, wer's will! Heissa!«

Und hiermit drehete ich mich dreymal auf dem Absatz herum und suchte meine
Spielkameraden.

Meinen Lesern ist es gleichgültig, ob ich Ball, oder sonst etwas gespielt
habe; aber nicht so gleichgültig ist es ihnen, wer Papa und seine
Wirthschafterin Martha wohl gewesen seyn möchten.

Mein Papa hieß _Ernst_. Es war ein kurzer, dicker Mann. Sein Gesicht
glühete beständig wie ein Kohlfeuer. Er trug gewöhnlich eine Perücke von
altfränkischem Stutze, die von der Scheitel bis auf die Schultern herab
mit breitgedrückten Pferdehaarlocken übersäet war. Wenn er Gala machte,
so zierte er sie mit einem Haarbeutel, der wenigstens achtzehn Quadratzoll
lang und breit war; wenn er aber ausritt oder mit Marthen spazieren ging,
so wackelte ein kleines, fingerlanges Zöpfchen auf dem breiten Rücken,
das sich immer einige Zoll hob, wenn er sich bückte. Ein paar kleine graue
Augen hatten sich unter dicken, buschigten Augenbraunen verkrochen, und
warfen aus ihrem Verstecke ziemlich muntre Blicke über die vorstehenden
Backen herüber. Wenn ihn Martha küßte, weg waren die Augen! Denn sie hatte
die Gewohnheit, ihn dabey zärtlich unter das Kinn zu fassen, und da alles,
was bey minder genährten Leuten Muskel ist, bey ihm aufgedunsenes, weiches
Milchfleisch war, so schob sich dies hinauf und vergrub seine Augen. Seine
Nase war klein, in der Mitte etwas eingedrückt, und über und über mit
kleinen hochrothen Hügelchen bestreut, deren Spitzen, wenn er des Morgens
aufstand, ins Blaue schattirten, sich aber, sobald er seine erste Flasche
Malagga getrunken hatte, in weisse und hellrothe Tippchen verwandelten.
Ein dünner, röthlicher Bart zog sich von den Ohren über Mund und Kinn, und
einen Theil des kurzen Halses herüber. Er barbierte sich selbst, nicht
aus Knauserey, sondern weil er in seiner Jugend die Ehre gehabt hatte, dem
Kammerpräsidenten von Lemberg in aller Unterthänigkeit den Bart zu nehmen
und sich dieses Geschäftes zu Höchstdesselben Zufriedenheit zu entledigen.
Darum bildete er sich auch viel darauf ein, und wenn er jemand unumschränkt
liebgewinnen sollte, so mußte er, außer dem Talente, daß er eine gute Hand
schrieb, auch die Fähigkeit besitzen, sich selbst den Bart zu scheeren.

Sein Hals war, wie gesagt, ungemein kurz. Wenn er zu Hause war, so schlug
er eine schmale, weisse Binde um selbigen; wenn er aber in die Kirche ging,
oder nach der Stadt ritt, so zierte er ihn mit einer langen, blaugestärkten
Halsschärpe, welche Martha sehr zierlich in Falten zu legen wußte. Unter
dem Kinne ward sie leicht zugeschlungen, und die beyden Enden, die mit
feinen Spitzen besetzt waren, flatterten auf der Brust.

Sein Leibrock war von blauem Plüsch, unter welchem er bald hellrothe, bald
schwarze manchesterne Beinkleider und Weste trug. Er war nach einer uralten
Mode geschnitten, hatte eine sehr kurze, aber erschrecklich breite Taille,
ellenlange Aufschläge, und war über und über, hinten und vorne, von oben
herab bis unten aus, mit langen, blinden Knopflöchern ausstaffirt. Die
Weste reichte ihm bis auf die Kniee, und deckte mit ihren Flügeln die
kurzen Beinkleider, auf welchen sich Falte an Falte drängte. Die Beingürtel
daran waren entsetzlich lang und steif. Er zog sie durch eine schmale
silberne Schnalle und steckte sie nicht unter, sondern ließ die Enden
steif hintenweg stehen. Dazu trug er schwarzwollene Strümpfe, die er
wie Kamaschen aufschlug. Seine Schuhe waren von Rauchleder und vorne
aufgestülpt; die Riemen derselben waren überaus schmal und durch ein paar
Schnallen gezogen, die von eben der Form, und nur ein wenig größer waren,
als die Beingürtelschnallen.

Seine Füße waren hölzern und dünne und trugen mit Mühe einen Bauch, den
zwey lange Männer kaum umspannt haben würden.

Bis hieher das leibliche Konterfey meines Papa, nun das geistige.

Sein erstes und vorzüglichstes geistiges Talent war: daß er eine Hand
schrieb, wie in Kupfer gestochen. Dieser Fähigkeit hatte er alles, was er
war und besaß, zu verdanken. Durch sie ward er Kammerdiener des Präsidenten
von Lemberg; durch sie in der Folge Kammerkoncipist, und nicht lange darauf
erster Kammersekretair, und als solcher kam er durch mancherley erlaubte
Wege, immer die Feder in der Hand, zu einem Vermögen, wovon er sich ein
Guth, fünf und zwanzig tausend Thaler an Werth, kaufen konnte, und noch
übrig behielt. Aber er war auch nicht undankbar gegen die Feder, die ihn
zum Manne gemacht hatte. Auf seinem Petschaft, das wohl anderthalb Zoll
im Durchmesser hatte, lag eine Hand, die eine lange buschigte Feder hielt;
über dieselbe ging die Sonne auf und warf ihre Strahlen auf sie herunter;
rund um das Petschaft standen die Worte aus der Bibel:[1] _Aus Machir
sind Regenten kommen und von Sebulon sind Regierer worden durch die
Schreibfeder._

  [1]: Buch der Könige, Kap. 5, v. 14.

Leute, die nicht so gut schrieben, aber studiert hatten, machten ihn zwar
dieses Wappens wegen, bey jeder Gelegenheit lächerlich, blieben aber doch
nur Koncipisten, die sich mit höchstens zwey hundert Thalern jährlich durch
die Welt schleppen mußten.

Der Neid bekam meinem Papa. Er ward von Tage zu Tage dicker und fetter
und seine Zufriedenheit nahm mit jeder Flasche Wein, die mit Mißgunst
eingesegnet war, wundersam zu.

Ueberhaupt war der Wein das Oel, welches seiner Verstandeslampe Nahrung
gab. Wenn er des Morgens aufstand, so klagte er gewöhnlich, daß ihm der
Kopf ausserordentlich leer sey, und das war für Marthen der Wink, in den
Keller zu laufen und eine Flasche Malagga zu holen. Wenn er das erste Glas
in die Hand nahm, zitterte er zum Erstaunen; beym zweyten nur halb so; beym
dritten fast gar nicht, und das vierte zog er so fest und rasch zu Munde,
daß auch nicht ein Tröpfchen auf die Erde fiel. Alsdann setzte Martha die
Flasche weg und brachte Kaffee und Pfeife. Nun war er auf einmal wieder der
muntre, beredte, tiefdenkende und witzige Papa, der gestern Abend zu Bette
ging, und nun ließ er sich von mir erzählen, was ich gehört, gesehen und
gelernt hatte. Wenn dies geschehen war, bestellte er das Mittagessen und
dann mußte ich mein Schreibebuch hernehmen und schreiben. Vor allen meine
bitterste, mühseligste Stunde! Bey dem ersten falschen Strich, den ich
machte, schüttelte er den Kopf; beym zweyten legte er seine Pfeife hin,
nahm die Feder und sagte: so mußt du es machen! Beym dritten stieß er mich
ganz sanft mit der Nase auf die Vorschrift und sagte gelassen: Morizchen,
sieh doch nur, wie es da gemacht ist! Beym vierten rief er: Sudeley und
kein Ende! und dabey vergrub er mich in Tabacksdampf. Beym fünften: Junge,
ich bitte dich, sieh auf die Vorschrift! und beym sechsten und letzten
sprang er hitzig auf, zeigte nach der Thür und sagte: Moriz, aus dir wird
nimmermehr 'was!

Das waren dann tröstliche Worte für mich! Ich ging und erholte mich bey
meinen Spielkameraden.

Wenn ich fort war, hatte Mamsell Martha Audienz. Er besprach sich mit
ihr über die vorigen Zeiten; über den Bestand des Weinkellers, der
Räucherkammer etc. etc. ersann und schuf neue leckerhafte Gerichte;
erzählte, wie er bey dem Präsidenten von Lemberg in Gnaden gestanden und
noch stände; von diesem kam das Gespräch auf mich; auf meinen Leichtsinn
und auf meine geringe Lust zum schreiben. Wenn mir dann die gute Martha
in diesem Punkte das Wort reden wollte; so sprang er hurtig auf, zog seine
goldene Uhr heraus, zeigte ihr sein Petschaft und sagte: Lies, lies, lies!
-- Dies war die letzte Instanz. Wenn sie ihn nicht böse machen wollte, so
durfte sie von der Minute an kein Wort zu meiner Vertheidigung mehr sagen.

Sodann entfernte sich Martha und bestellte die Küche. Er nahm unterdessen
die Zeitungen, und alle erdenkliche politische Blätter, die stoßweise auf
seinem Tische lagen; las und überdachte; prophezeite und warnte, und ward
bedenklich und schrieb andre Gesetze und Hülfsmittel vor, die er diesem
oder jenem Staate als sehr heilsam dringendst anempfahl. Dabey hielt er
sich so lange auf, bis seine Flasche rein ausgeleert war, und dann ging er
zum Pastor und unterhielt sich mit ihm, bis ich ihn zu Tische rief.

Er aß wenig, aber gut. Wir beteten jedesmal alle drey zugleich und laut,
selbst wenn wir Fremde hatten. Ein junger Accessist hatte sich einmal
unterfangen, über den seltsamen Zusammenklang unsrer Stimmen zu lächeln --
er bat ihn nie wieder zu Tische und konnte ihn von dem Augenblick an nicht
mehr leiden.

Nach Tische legte er sich auf das Kanapee und schlief bis um zwey Uhr. Mit
dem Schlage mußte ihn Martha wecken und mit Kaffee und Pfeife zur Stelle
seyn. Während er schmauchte und trank, ward sein Pferd gesattelt, und
sobald er fertig war, ritt er nach der Stadt. Hier wandte er eine Stunde
an, um die Arbeiten seines Substituten durchzusehen, und sobald dies
geschehen war, ritt er in den _goldenen Hecht_, wo sie den besten Wein
hatten. Da blieb er bis gegen Abend; man half ihm aufs Pferd, und es
schritt mit ihm langsam und wohlbedächtig zu Hause. Die Leute, die ihn
tagtäglich vorbeyreiten sahen, nannten ihn nur immer Silen, und sein Pferd,
Silen's Eselein. Zu Hause stieg, oder sank, oder fiel er, je nachdem ihm
der Wein geschmeckt hatte, seiner Martha in die Arme, die ihn auszog und zu
Bette brachte.

So lebte er einen wie alle Tage, Sommer und Winter hindurch, nur mit dem
kleinen Unterschiede, daß er in der strengern Jahrszeit in einer Kutsche
nach der Stadt fuhr.




Viertes Kapitel.

_Martha -- zweyte Schilderey._


Martha war eine Jungfer von wenigstens acht und vierzig Sommern. Ihren
Familiennamen habe ich nie erfahren, denn so lange ich sie kannte, hatte
ich sie nie anders, als Mamsell Martha nennen hören. Es war eine lange,
hagre Gestalt, von einem so dünnen, geschmeidigen Wuchse, daß sie einer
Spinne um ein Haar ähnlich war, wenn sie, ihrer Gewohnheit nach, drey Röcke
über einander gezogen hatte. Wenn sie neben Papa herging, so gab es den
seltsamsten, lächerlichsten Kontrast: _Er_, roth, gemästet, vierschrötig
und satt -- _Sie_, blaß wie der Tod, dürr wie eine Schindel, dünne wie
ein Windspiel, schnurgrade, wie auf Drath gezogen. Papa hing in seinen
Kleidern, und sie war in die ihrigen mit Gewalt hineingepreßt.

So unähnlich sich ihr Aeußeres war, so ähnlich ihr Inneres. Sie sprach eben
so gern von vergangenen Zeiten, wie er, trank eben so gern Wein, war eben
die sorglose, unschuldige Haut, sie aß, wenn sie hungerte, trank, wenn sie
dürstete, schlief gern und plauderte gern.

Ihr Lieblingsthema war das Kapitel vom _Heirathen_. Dies hatte sie,
trotz ihrer Jungfrauschaft, so überdacht, geprüft und von allen Seiten
beleuchtet, daß sie vier und zwanzig Stunden in einem Zuge davon schwatzen,
und, soviel ich damals davon verstand, nicht uneben schwatzen konnte. Den
Eingang dazu machte gewöhnlich eine genaue Schilderung aller der Freyer,
die sich um sie beworben hatten. Jeder derselben hatte seinen Hauptfehler.
Der eine war zu arm, der andre zu reich; der eine zu groß, der andre zu
klein; dieser zu dick, jener zu dünne; jener zu höflich, dieser zu grob
gewesen; ein andrer hatte ihr vor der Hochzeit Dinge zugemuthet, die sie
nicht nannte, ohne sich vorher dreymal zu räuspern; ein andrer hatte sich
nicht undeutlich vermerken lassen, er würde ihr im Ehebette nicht sehr
beschwerlich fallen; und mit Einem war es schon bis zur Verlobung gekommen,
aber, o Jammer! ein altes Weib, das ihn gerne für sich weggekapert hätte,
that ihm 'was an, und er starb! Nie sprach sie von ihm, ohne die bittersten
Thränen zu vergießen, wobey sie sich in einen Strom von Verwünschungen auf
die alte neidische Hexe ergoß. Bey seinem Grabe hatte sie gelobt, nie zu
heirathen, und sie hat dies feyerliche Gelübde unverbrüchlich gehalten,
denn er war der letzte, der sich um sie bewarb.

Uebrigens war es die gutherzigste Seele unter der Sonne. Was sie meinem
Papa und mir an den Augen absehen konnte, that sie mit unermüdeter
Willigkeit. Wenn er unbaß war, wurden ihre Augen nicht trocken, und wenn
ich zu einer Näscherey Appetit zeigte, so ruhete sie nicht eher, bis sie
mir dieselbe verschafft hatte, und wenn es mir dann recht wohl schmeckte,
so hielt sie sich für ihre Mühe hundertfach belohnt.

Sie war in allen erdenklichen Wirthschaftskünsten ausgelernt. Sie kochte
gut, buck vortrefliches Brod, machte köstlichen Kaffee und noch köstlichere
Schokolate. Wenn mein Papa ein neues leckeres Gericht ergrübelt hatte,
so stand es in kurzer Zeit schmackhaft und appetitlich vor ihm. Niemand
verstand besser, glühenden Wein zu machen, niemand herrlichere Torten. Kein
Koch in der ganzen Christenheit spickte einen Hasen fertiger, künstlicher
und geschmackvoller, und keiner wußte ihm seine neun Felle, so sauber, so
behutsam abzuziehen -- kurz, sie war die Krone aller Köche und Köchinnen,
die auf Erden lebten und je leben werden.

Ihre hauptsächlichsten Geschäfte waren Küche und Wäsche, und nächst diesen
lag ihr die große Pflicht ob, meinem Papa das Bette zu machen. Wie die
Küssen unter ihren Händen aufschwollen! Wie geschmackvoll sie das weisse,
glänzende, feine Bettuch in Falten, gleich breit, gleich abgemessen zu
legen wußte! -- Bis über die Ohren plumpte dann mein guter Papa in die
Flaumfedern, und er pflegte sein Bette immer das irdische Paradies zu
nennen.

Auf ihr eignes Bette wandte sie nicht so viel Fleiß. Woher das kam? Ich
habe es mir immer aus dem Umstande erklärt, daß es manchmal acht Tage
dastand, ohne eine Spur, daß jemand darin gelegen hätte.

Bey allen diesen belobten Gaben hatte Mamsell Martha ein paar kleine
unbedeutende Fehler, die sich um so eher entschuldigen lassen, da sie
beyde Naturfehler waren: sie putzte sich manchmal zu lange, und konnte die
Buchstaben k. r. sch. und g. nicht aussprechen.

»_Mohizchen,_« sagte sie immer des Abends zu mir: »_wilt du nicht zu Bette
ehn?_«




Fünftes Kapitel.

_Moriz -- dritte Schilderey._


Ich war um die Zeit ein Junge von dreyzehn Jahren. So lange ich denken
konnte, hatte ich mich unter den Augen meines Papa und Marthens befunden,
und wußte nicht anders, als daß ich Papa's Sohn sey, meine Mutter aber in
früher Kindheit verloren habe. Munter und lustig, wie man in diesen Jahren
immer ist, war ich im höchsten Grade, und vielleicht manchmal zu lustig;
denn alle Augenblicke lief Klage über mich ein. Bald traf ich mit der
Schleuder so gut und geschickt in die Fenster unsers Nachbars, daß ihm die
Scheiben auf die Nase sprangen; bald kletterte ich in seinen Garten und
machte mich über seine Blumen, Aepfel, Birnen und Kirschen; bald hatte ich
Pastors Wilhelmchen links und rechts geohrfeigt, und bald unsern Kantor
einen Saufaus geheissen.

Alles das blieb freylich nicht verschwiegen, aber doch kam es selten bis
vor meinen Papa. Niemand konnte zu ihm, wenn er sich nicht vorher bey
Marthen gemeldet hatte, und diese war mir zu gut, als daß sie solche
Hiobsbothen hätte vor ihn lassen sollen. Sie machte den Schaden entweder
mit guten Worten, oder mit einem Glase Wein, oder mit Geld wieder gut, und
ich trug höchstens ein: _Fi häme dich, Mohizchen!_ davon.

Aber dies war der geradeste Weg, mich zum wildesten, unbändigsten Jungen
zu machen. Alle vier Wochen brauchte ich ein Paar neue Schuh, und wenn
neue Stiefeln an meine Füße kamen, so wadete ich in allen Pfützen umher,
um herauszubringen, ob sie Wasser hielten. Wenn ich Beinkleider bekam, (sie
waren gewöhnlich von Plüsch und schrieben sich aus Papa's Kleiderschrank
her) so war es mir tödlich zuwider, daß sie so rauch waren, und ich
rutschte und kroch so lange im Grase herum, bis sie kahl wurden und sich
grün färbten. Ueberdies hatte ich einen unsäglichen Abscheu gegen alles,
was weiß war. Wenn ich des Morgens ein Paar weisse baumwollene Strümpfe
anziehen mußte, so konnte ich die Zeit nicht erwarten, bis ich damit zum
Hause hinaus kam; dann ging es schnurstracks auf einen ziemlich breiten
Graben zu, an welchem ich mich im Springen übte. Ich sprang so lange
herüber und hinüber, bis ich hineinplumpte, und dann war es um die weissen
Strümpfe gethan.

Kein Gebüsch war mir zu dicke, kein Baum zu hoch. Ich kroch und kletterte
so lange, bis man Morizen stückweise auf den Hecken und Aesten hangen sah.

Mit allen Jungen aus der Nachbarschaft balgte ich mich herum, sagte aber
kein Wort, wenn sie mich weidlich zerprügelt hatten, sondern trug mein
Kreutz geduldig; aber, wenn ich den Sieg davontrug, so mußt' es alle Welt
wissen. Je größer der Junge war, desto lieber schlug ich mich mit ihm. Die
Kleinen konnten mich necken wie sie wollten, ich war zu stolz, um sie dafür
abzubläuen.

Mein beständiger Gefährte war ein großer englischer Hund. Weil ich mit ihm
aufgewachsen war, so hatte ich seine Freundschaft in dem Grade, daß sich
niemand unterstehen durfte, mich anzugreifen, wenn er nicht mit
zerrissenem Rocke nach Hause gehen wollte. Balgte ich mich mit einem meiner
Spielkameraden und lachte dazu, so blieb er ruhig, entfuhr mir aber ein
Laut, der weinerlich klang; so nahm er meinen Gegner beym Rockzipfel, oder
war er groß, bey der Wade, und zerrte ihn unter Brummen und Murren einige
Schritte rückwärts. Bis in mein zwölftes Jahr ritt ich auf ihm, aber nach
der Zeit wurde ich ihm zu schwer, und wenn ich ihm einen Ritt zumuthen
wollte, legte er sich nieder, und schlug mit allen Vieren um sich, aber
nicht grimmig, sondern mit freundlichen Manieren. Von dieser Zeit an ging
ich zu Fuße.

Um mein Wissen stand es damals nicht sonderlich. Ich konnte ein bischen
lateinisch decliniren, ein bischen rechnen und ein paar Worte französisch.
Mit der Feder wußte ich noch am besten umzuspringen, und das war, nach dem,
was ich oben gesagt habe, kein Wunder. Mit dem Katechismus stand es so so!
Das Vaterunser und die gewöhnlichen Tischgebete, konnte ich, wenn ich nicht
gerade recht hungrig war, ohne Anstoß; aber die fünf Hauptstücke und was
dazu gehört, konnte ich nicht so gut. Mamsell Martha nahm sich zwar dann
und wann die Mühe, mich darin zu examiniren, aber was half es, da es blos
auf mich ankam, ob ich mich wollte examiniren lassen oder nicht.

Dicht an unser Guth stieß ein andres, das einem Edelmanne gehörte, der als
Husaren-Oberster seinen Abschied genommen hatte. Er hatte drey Kinder, zwey
Töchter und einen Sohn, für die er einen Hofmeister hielt. Weil er mich
meiner Munterkeit wegen lieb gewonnen hatte, so erlaubte er mir, die
Stunden zu besuchen, die der Hofmeister seinen Kindern gab, räumte mir auch
sonst noch vielerley Freyheiten ein, die mir ein andrer schon darum, weil
ich schlechtweg _Ernst_ hieß, nicht eingeräumt haben würde.

Der junge Herr, sein Sohn, war ein Pinsel, aber die beyden Fräulein waren
desto munterer. Er war der ewige Gegenstand unsres Spottes und unsrer
Neckereyen, lernte aber in einer Stunde mehr, als wir andre zusammen
genommen, in acht Tagen. Dafür war er der Liebling unsres Hofmeisters: eine
Ehre, um die wir nicht eine taube Nuß gaben. Sein Vater glaubte, daß meine
natürliche Wildheit, seine Träumerseele ein wenig aufheitern sollte, und
sah mir deshalb bey vielen Gelegenheiten durch die Finger; aber er blieb in
seinem Seelenschlafe, und ging immer und ewig langsam, wenn wir andre uns
ausser Athem liefen.

In den Stunden lernte ich, was ich wollte und konnte, und es war mir so
wenig Ernst, als den beyden wilden Mädchen. Ich konnte sie nicht ohne
Lachen ansehen, und sie mich nicht. Der Hofmeister durfte auch nicht viel
sagen, denn die eine war das Schooßkind der Mama, die andre des Papa, und
ich der Liebling beyder, und der Liebhaber von Malchen. So hing eins an dem
andern wie Kletten, und der künftige Stammhalter der Familie durfte nicht
mucksen.

So jung ich damals auch war, so viel Ehrgeitz hatte ich. Aber war es anders
möglich? Papa und Martha trugen mich auf den Händen; Fräulein Malchen
nannte mich beständig: _lieber Moriz!_ Fräulein Louischen: _Wildfang!_
Ihre Mama: _kleiner Flachskopf!_ Der Papa: _sappermentscher Springinsfeld_.
Dieses, und der Umstand, daß die ganze junge Mannschaft in unsrer Gegend,
Respekt vor mir hatte, spornte meinen Ehrgeitz, und machte mich dreist und
ausgelassen.

Zudem hatte man mich öfter, als es gut war, hören lassen: ich sey
ein hübscher Junge. Dies schmeichelte mir nicht wenig, hatte aber den
Nachtheil, daß ich früher anfing, mich bemerkbar zu machen, als andre
Kinder. Sonderbar genug waren zuweilen die Mittel, wodurch ich diesen
Endzweck erreichte. Wenn Fremde bey meinem Papa oder auf dem Schlosse
waren, und sie bemerkten mich nicht auf dem ersten Blick, so packte ich den
ersten den besten vorübergehenden Jungen oder Hund an und suchte Händel mit
ihm; oder ich sprang über breite Graben und fiel hinein; oder kletterte auf
Bäume, und warf die darunter weggingen, mit Aepfeln oder Birnen -- wenn man
mich nur bemerkte, das war mir genug.

Es war natürlich, daß ich über dem Ehrgeitz, bemerkt zu werden, selbst
bemerkte. Daher kam es, daß der allgemeine, unverdringliche Trieb der Natur
sich sehr früh in mir regte. Aber konnte dies ausbleiben, da ich so oft
sehen mußte, daß Papa Marthen küßte; da mich die beyden wilden Fräulein
täglich hundertmal beym Kopfe nahmen und abherzten, und da mir ihre Mama,
statt der Hand, jedesmal den Mund reichte, wenn ich auf das Schloß kam?




Sechstes Kapitel.

_Die Geschichte geht zurück._


Ich war hoch erfreut, daß ich einer genauern Untersuchung über den Wein
glücklich entgangen war, denn ich kam nicht auf die erlaubteste Art
dazu. Martha hatte in ihrer Kammer ein Schränkchen, worein sie ihren Wein
verschloß. Der Dunstkreis um dasselbe war unendlich süß, und auch einen
größern und ältern würde die Neubegierde geplagt haben, zu wissen, was
darin verborgen wäre. Ich besah es hinten und vorne, faßte es oben und
unten an, rückte und schob, aber es war und blieb zu. Meine Neugier, oder
genauer gesagt, mein Appetit auf den süßen Wein, ward mit jedem Hindernisse
größer. Ich wußte, daß Martha ein Schlüsselchen dazu hatte, und daß sie es
nicht immer bey sich trug, sondern es zu verstecken pflegte, wenn sie es
gebraucht hatte. Ich rückte einen Stuhl herzu, suchte auf allen Gesimsen
und Schränken, fand aber nichts. Trostlos, die Hände in einander
geschlagen, den Hut auf einem Ohre, stellte ich mich mitten in die Stube
und sah mit herzlicher Sehnsucht nach dem Schränkchen. Unter diesen
Bewegungen blickte ich von ungefähr seitwärts, und auf einmal fiel mir
einer von Marthens Unterröcken in die Augen. Ich springe hin, durchsuche
die erste Tasche, finde nichts; rasch zur andern, hineingefahren,
umgewandt, und siehe da! aus der einen Ecke fällt mir das Schlüsselchen
entgegen. Ich sprang ellenhoch, nahm es, probirt' es, und es schloß den
Schrank glücklich. Ohne mich zu bedenken, griff ich nach der ersten der
besten Flasche -- gluck! gluck! ging es, in Ermangelung eines Glases.

Der Wein ward mit jedem Schlucke süßer, und ich hätte mich sicher zu Boden
genippt, wenn mir nicht noch zu rechter Zeit eingefallen wäre, daß Martha
ein paar erschreckliche Augen machen würde, wenn sie eine von ihren
Flaschen leer fände.

Jeder Dummkopf ist ein Genie, wenn er Wein getrunken hat, und jedes Genie
kann in eben dem Fall ein Dummkopf werden. Mir wenigstens ging es jetzt
so. Ich war sonst nicht der dümmste Junge, aber diesmal betrug ich mich
unbeschreiblich albern; denn ich fing von ganzem Herzen an zu weinen, als
ich die Flasche gegen den Tag hielt und fand, daß sie fast zur Hälfte leer
war. Eine Thräne jagte die andre. Ich machte mir sonst sehr wenig aus einem
Verweise, und diesmal stand mir gewiß kein außerordentlicher bevor, aber
der Umstand, daß ich dies Verbrechen so heimlich und so diebisch begangen
hatte, schlug mich völlig darnieder.

In der Angst hatte ich einen Einfall, der mir in meiner damaligen
Bestürzung sehr glücklich schien, aber im Grunde nicht der glücklichste
war: ich füllte die halbleere Flasche aus den übrigen wieder an, setzte sie
an Ort und Stelle, und war nun fest überzeugt, daß Martha, um den Abgang zu
bemerken, ein wenig allwissend seyn müßte; denn ich hatte längst vergessen,
daß ich die andern Flaschen, um die eine anzufüllen, bis auf die Hälfte
ihrer Hälse ausgeleert hatte.

Wie ruhig ich den kleinen Schlüssel wieder in Marthens Tasche steckte! Wie
unbesorgt ich die Kammer verließ, um frische Luft zu schöpfen! Mit welcher
Zuversicht ich Marthen ins Gesicht sah, als sie aus der Stadt zurückkam!
Unmöglich, unmöglich kann sie etwas merken! rief ich laut und fiel
längelang auf eine Rasenbank, die vor unserm Hause angebracht war. Martha
kam dazu, und wollte wissen, was mir fehlte? Ich bin müde! sagte ich. Sie
nahm mich bey dem Arm und führte mich zu Papa's Bette.

Ich schlief bald ein, und erwachte gerade, als jene dunkle Unterredung, die
mich betraf, zu Ende ging. Und nun wäre der Leser wieder an dem Orte, von
wo ich ihn wegführte, um ihm drey Schildereyen zu zeigen.




Siebentes Kapitel.

_Die Geschichte rückt fort._


Mit drey Sprüngen war ich auf dem Schlosse. Ich suchte Fräulein Malchen,
und fand sie im Garten, wo sie Blumen pflückte und Kränze flocht. Ich stahl
mich ganz leise hinzu. Sie hatte sich ins Gras gesetzt, pflückte alles, so
weit sie mit der Hand erreichen konnte, um sich weg, und war so ämsig damit
beschäftigt, daß ich mich ihr bis auf ein paar Schritte unbemerkt nähern
konnte. Anfangs war ich Willens, ihr von hinten die Augen zuzuhalten, und
sie rathen zu lassen, wer es wäre, aber ich hörte, daß sie etwas für sich
sprach, und das wollte ich gerne wissen. Ich horchte und vernahm folgendes:

»Es ist bald um drey und er kömmt nicht! Wenn es drey geschlagen hat,
muß ich in die Schule, und dann können wir nicht noch vorher ein bischen
spielen. Wenn er nur wüßte, daß ich allein hier bin, er käme gewiß. Er
spielt doch lieber mit mir, als mit Louisen. Wenn er dummes Zeug macht,
und ich sage: lieber Moriz, laß doch das bleiben! so läßt ers; aber wenn es
Louise haben will, thut ers nicht!«

Mir fing das Herz an zu schlagen, und ich weiß nicht, wie es kam, ich
wünschte weit weg zu seyn, um nichts zu hören, und doch blieb ich.

»Den großen Kranz soll er haben,« fuhr sie fort: »aber wenn er ihn gleich
zerreißt, werde ich böse und flechte ihm in meinem Leben keinen wieder. Er
wird ihn aber wohl nicht zerreißen. Wenn wir zum Magister müssen, so kann
er ihn so lange hinlegen, bis die Stunden aus sind, dann kann er ihn auf
den Kopf setzen, und mit zu Hause nehmen.«

Ich fing merklich an zu zittern, und setzte den Fuß zurück, um zu gehen,
blieb aber doch.

»Aber -- -- Herr Gott!« fuhr sie fort und legte den Zeigefinger der rechten
Hand auf den Mund: »Ich muß den Kranz lieber zerreißen! Wenn ich ihm 'was
schenke, will er mir immer ein Mäulchen dafür geben, und Mama sagt, davon
bekäme ich einen langen, schwarzen Bart! Aber es ist doch so hübsch! Mama
kriegt ja auch keinen schwarzen Bart, wenn sie der Papa küßt, und Papa hat
doch einen rechten scharfen, schwarzen Bart! Er reibt Louisen immer die
Backen damit, wenn sie wild ist. Aber Moriz hat doch keinen scharfen Bart.
Er hat mir auch schon oft ein Küßchen gegeben, wenn Mama nicht da war, und
ich habe doch keinen gekriegt!«

Es war mir, als wenn ich lachen sollte, konnte aber vor Angst und
Zittern nicht dazu kommen. Mein sehnlichster Wunsch war, unvermerkt
fortzuschleichen, und doch machte ich keine Anstalt dazu.

»Eins -- zwey -- drey -- Viertel auf drey, und er kömmt nicht!« fuhr sie
fort: »Das ist doch recht schlecht! Was wär' es denn mehr, wenn er einmal
eine halbe Stunde früher vom Hause wegginge? Heute ist es gerade so hübsch!
Louise ist nicht da, Fritze auch nicht, wir könnten recht hübsch mit
einander spielen. Ach! (sie streute die Blumen umher) ich bin böse!«

Meine Angst stieg auf den höchsten Grad. Alle mein Leichtsinn, meine
Dreistigkeit war fort. Ich stand da, wie ein armer Sünder. Und was hatte
ich zu fürchten? Jetzt weiß ich wohl, weß Geistes Kind diese Erscheinung
war, aber damals noch nicht. Wenn es Louise gewesen wäre, so wäre ich
hervorgesprungen und hätte sie ausgelacht; aber bey Malchen fiel mir dies
nicht ein. Jeden Augenblick fürchtete ich, daß sie aufspringen, mich sehen
und erschrecken würde; aber es geschah nicht, sondern sie nahm ihre Blumen
wieder zusammen und flocht an ihrem Kranze fleißig fort, indem sie zuweilen
nickte, wenn sie eine Blume nach Wunsch angelegt hatte. Ich zog mich mit
möglichster Behutsamkeit zurück, und als ich ungefähr hundert Schritte von
ihr war, fing ich auf einmal an zu springen und zu jauchzen, und lief auf
sie zu.




Achtes Kapitel.

_Schon Heuchlerin?_


Sie erschrack, sprang auf und kam mir entgegen. Ihre kleinen Wangen wurden
über und über roth.

»Kömmst Du schon Moriz? Ist es denn schon um drey?«

Noch nicht, aber es wird bald schlagen!

»Hast Du nach der Uhr gesehen, oder hast Du es schlagen hören?«

Nein!

»Nun, woher weißt Du es denn?«

I, i, i, -- es muß wohl noch nicht geschlagen haben. -- Wir wollen noch ein
bischen spielen, eh es drey schlägt. Nicht wahr, Malchen?

»Wir allein?«

Warum nicht?

»Wenn Louise, oder mein Bruder da wäre -- Aber so -- was wollen wir denn
beyde allein anfangen?«

Ein bischen abjagen!

»Nein, ich habe heute keine rechte Lust zu laufen!«

Klettern!

»Vollends nicht! Weißt Du 'was, wir wollen uns hier ins Gras setzen und
Blumen pflücken. Aber Du magst nicht gerne sitzen!«

Sehn Sie? (ich setzte mich rasch nieder)

»Au! (ich sprang eben so rasch wieder auf) O, weh!«

Was denn, was denn?

»Du hast Dich auf meinen Kranz gesetzt. Ich habe mir so viel Mühe damit
gegeben! Nun hast Du ihn zu Schanden gedrückt!«

Liebes, liebes Malchen, ich hab' es nicht gerne gethan!

»Ja, man müßte Dich nicht kennen!« (sie sah böse aus)

Wahrhaftig nicht, liebes Malchen! Soll ich schwören? (sie wandte sich
lächelnd um, ich nahm sie bey der Hand) Sind Sie noch böse?

»Ja!«

Aber Sie lachen doch!

»Wer? Ich? (sie stellte sich ernsthaft) Das Lachen ist mir nicht so nahe!«

Sie platzte auf einmal in ein helles Gelächter aus, und ich stimmte mit
ein, und wälzte mich im Grase umher. Sie setzte sich.

»Louise würde sich recht über den Kranz gefreuet haben,« sagte sie, »wenn
Du ihn nicht verdorben hättest. Nun darf ich ihn ihr nicht einmal anbieten.
Sieh hier -- hier fehlt eine Blume -- da hat er eine zerknickt -- die hier,
hängt nur noch -- Ach! ich will auch in meinem Leben nichts mehr machen,
wenn ich weiß, daß Du nicht weit bist!«

Liebes, liebes Malchen, nicht mehr thun!

»Ja, dann denkt er, damit ists ausgemacht!«

Flechten Sie der Louise einen andern und geben --

Ich machte mit Augen und Händen eine Bewegung, daß sie ihn mir geben
sollte.

»Ey, ja doch! Nein, nein!«

Bitte, bitte recht schön!

»Nichts!«

Ich fühlte eine kleine Regung von Unwillen in mir aufsteigen, denn ich
hatte doch deutlich gehört, daß der Kranz für mich geflochten war.

Wollen Sie nicht?

»Nein!«

Nun, so lassen Sie's bleiben!

»Das will ich auch!«

Ich pflücke mir selbst Blumen und flechte mir einen.

»Du kannst es doch nicht so hübsch, wie ich!«

Spaß!

»Aber solche hübsche Blumen wie diese, wirst Du doch nicht finden!«

Hm! wo diese gestanden haben, stehen mehr!

Ich entfernte mich einige Schritte von ihr, setzte mich nieder und
pflückte, was mir unter die Hände kam. Sie sah ein paarmal verstohlen
nach mir her und besserte immerfort an dem zerdrückten Kranze. Nach einer
kleinen Pause sagte sie zu mir:

»Steht nicht da bey Dir ein Tausendschönchen?«

So erbittert ich war, so rasch und willig drehete ich mich um, und sah nach
einem Tausendschönchen. Ich fand eins, pflückt' es und bracht' es ihr, ohne
eine Sylbe zu sagen.

»Ich danke Dir, Moriz! Siehst Du, hier fehlt es!«

So?

Ich ging stillschweigend fort und setzte mich wieder an meinen alten Platz.
Sie machte sich sehr viel mit dem Kranze zu schaffen; im Grunde besserte
sie aber nichts daran, konnte auch nichts daran bessern, denn er war nicht
im mindesten beschädigt. Nach einer kleinen Weile fing sie wieder an:

»Ach, Morizchen, nur noch eins!«

Ich stand brummend auf, und pflückt' es. Das Morizchen that mir unendlich
sanft, aber mein Verdruß ließ nicht zu, daß ich es mir eingestund.

Da ist es, Malchen.

In dem Augenblicke schlug es drey. Sie sprang auf, faßte mit ihrer Linken
meine Rechte, und mit ihrer Rechten setzte sie mir in vollem Laufe, den
Kranz auf den Kopf. So jagten wir völlig versöhnt auf das Schloß zu.




Neuntes Kapitel.

_Das Liebespfand._


Wir rauschten in die Stube hinein, wo wir den Magister Fink, den jungen
Herrn, und Fräulein Louisen schon antrafen.

»Man gehe hübsch sachte auf ein andermal,« sagte der Magister, »man könnte
fallen. Ueberhaupt aber schickt es sich nicht, wenn man in ein Zimmer
gleichsam hereinbrauset, um so weniger, da ich diese Stunde unserer
allerheiligsten Religion gewidmet habe. Man nehme die Katechismos!«

Wir setzten uns lachend zu den Andern und thaten, als wenn wir von der
Strafpredigt nichts hörten.

»Monsieur Ernst, wo hat man seinen Katechismum?«

Ich hab' ihn vergessen!

»=Proh Deum=, über die unerhörte =negligentiam=!«

Ich kann ja mit in Malchens Buch sehen!

»Man mache sich keine Hoffnung! -- Aber -- was erblicke ich! -- einen
Kranz? Man nehme hurtig den Kranz vom Kopfe, man würde nur die Andern in
ihrem Fleiße stören!«

Bitte, Herr Magister!

»Man bitte hin und bitte her -- man wird nichts damit ausrichten. Man nehme
hurtig den Kranz vom Kopfe!«

Ich will recht stille seyn, liebster Herr Magister!

»Nun ist man der liebste Herr Magister! Man mache sich keine Hoffnung, ihn
mit Schmeicheleyen auf seine Seite zu bringen.«

Liebster, bester Herr Magister!

»Nun, wird es bald? Ich sehe wohl, man muß nicht anstehen, ihm den Kranz
mit eignen Händen herunter zu reißen!«

Ich sprang auf und lief zur Thür.

»O, Herr Magister,« riefen Malchen und Louise zugleich, »lassen Sie ihm
doch den Kranz!«

Man halte das Maul! sagte Fink zornig.

Malchen und Louise hielten sich mit beyden Händen den Mund zu.

Bey dem Lärmen kann man auch gar nichts lernen! brummte der junge Herr,
machte sein Buch zu und schob es von sich. Als Fink sahe, daß sein Liebling
böse wurde, stieg sein Zorn auf den äußersten Grad. Er lief auf mich zu,
aber ich war in einem Sprunge zur Thür hinaus. Malchen that einen lauten
Schrey, als er seine Hand ausstreckte, um mich zu packen.

»Verstockter Bösewicht!« rief er hinter mir her und machte die Thüre zu.

Mir war nicht am besten zu Muthe. Ganz fort zu gehen, und dem Magister
für heute nicht wieder zu nahe zu kommen, dazu hatte ich nicht Herz genug.
Meinen Kranz abzulegen, und dadurch dem ganzen Streit ein Ende zu machen,
fiel mir nicht ein, denn er kam von einer Hand, für die ich durch Feuer und
Wasser gelaufen wäre.

So stand ich eine Weile auf dem Saale, unschlüßig, ob ich umkehren
sollte, oder nicht. Wenn die Geschichte mit Marthens Weinschränkchen nicht
vorgefallen wäre, so würde ich den geradesten Weg nach Hause genommen
haben; aber eine Untersuchung über die verstohlne Näscherey fürchtete ich
eben so sehr, als den Zorn des Magisters.

Ich näherte mich der Thür einigemal und streckte die Hand aus, um sie
aufzumachen, aber der fürchterliche Gedanke: Fink könne an derselben
stehen, und mir, so wie ich den Kopf herein steckte, den Kranz herunter
reißen -- jagte mich immer wieder zurück. Endlich wagt' ich es, aber mit
Vorsicht. Ich nahm den Kranz herunter, hielt ihn in der linken Hand und
mit der rechten machte ich die Thür auf. Als ich den Magister am Ende des
Zimmers auf seinem Stuhle sitzen sah, kam ich dreist herein und zog mich
hinten herum gerade zu Malchen. Der Kranz saß wie vorher auf dem Kopfe.

Des Magisters Hitze schien sich abgekühlt zu haben. Er examinirte Louischen
im Katechismus, und that, als ob er mich nicht sähe. Aber einige gierige
Blicke, die er von Zeit zu Zeit auf meinen Kranz schießen ließ, machten
mich mißtrauisch. Bey der kleinsten Bewegung von seiner Seite, fuhr ich
zusammen, und dabey legte ich meine rechte Hand jedesmal auf den Kopf, um
den Kranz zu schützen, wenn er etwa einen Hauptsturm auf denselben wagen
sollte. Blut und Leben hätte ich seiner Vertheidigung aufgeopfert, und
Malchen hätte nicht einmal nöthig gehabt mir ins Ohr zu sagen: Laß ihn dir
nicht nehmen!

Es vergingen wohl zehn Minuten, ohne daß von feindlicher Seite etwas
unternommen wurde. Ich hielt mich am Ende schon für sicher, und gab
deswegen nicht mehr so fleißig auf den Magister Achtung. Plötzlich sprang
er auf, und fuhr mit seinem langen Arm nach meinem Kopfe; meine Hände
fanden sich zur Vertheidigung ein; ich bog den Kopf weit zurück, aber doch
nicht weit genug, als daß er den Kranz nicht hätte erreichen können. Ich
schrie was ich konnte, aber er ließ sich nicht irre machen. Endlich riß
ich mich los und er behielt ein Stück des Kranzes in Händen. Mit rasendem
Grimme sprang ich zur Thür, machte sie weit auf, sah mich erst um, ob
auch jemand in der Nähe wäre, der mich halten und dem Magister ausliefern
könnte; als ich aber niemand bemerkte, stellte ich mich, roth wie ein
Truthahn, in die Thür, und rief mit einer fürchterlichen Anstrengung:
_Alter Schlingel!_ und nun über Hals, über Kopf die Treppe hinunter, und
zum Hause hinaus.




Zehntes Kapitel.

_Furcht und Unruhe gebären einen sehr kecken Entschluß._


Als ich im Freyen war, und sich meine Hitze gelegt hatte, stieg eine
peinvolle Besorgniß in mir auf. Ich konnte leicht vermuthen, daß der
Magister »_den alten Schlingel_« nicht auf sich sitzen lassen, und daß
er zum gnädigen Herrn und von da zu meinem Papa gehen und mich verklagen
würde. Bey dem erstern würde es die Folge haben, daß er mir von stundan
das Haus verböthe, unter dem Vorwande, daß ich seine Kinder mit meiner
Gottlosigkeit ansteckte; und bey dem letztern die, daß ich nach Befinden
wohl gar die Ruthe davon trüge. Es wäre mir nicht halb so bange gewesen,
wenn ich an Marthen eine gnädige Schutzheilige gehabt hätte, aber bey
ihr, besorgte ich, durch die Unternehmung auf das Weinschränkchen, alles
verdorben zu haben, und dieser Gedanke machte mich muthlos. Ich warf mich,
in einer Verzweiflung, die so stark war, als sie in jenen Jahren seyn kann,
nicht weit vom Schlosse nieder, und wälzte mich voll einer Angst, die
am Ende in helle Thränentropfen ausbrach, Kopf oben, Kopf unten im Grase
herum.

Mein erster Gedanke war, in alle Welt zu gehen. Vom Schlosse gejagt zu
werden und die Ruthe zu bekommen, waren ein paar Umstände, die mich in
einem Zuge bis zum Vorgebirge der guten Hoffnung würden gehetzt haben, und
die um so heftiger auf mich wirkten, da es ganz ausser Zweifel war, daß sie
Malchen zu Ohren kommen würden. Hätt' ich in meinem Leben wieder die Augen
zu ihr aufschlagen können, wenn ich mich wie ein ABC-Schütz hätte hinlegen
müssen, um mir den St** mit der Ruthe malen zu lassen?

Wenn die Angst erst den kleinen Finger hat, nimmt sie bald die ganze Hand.

Besorgnisse, die mich in meinem gewöhnlichen Zustande nicht angefochten
haben würden, waren mir jetzt unsäglich quälend. Ich stellte mir unter
allen argen Gerichten, die über mich ergehen würden, gerade das allerärgste
vor, und wenn sich auch mein sonstiger Leichtsinn von Zeit zu Zeit einmal
rührte, war er doch nicht fähig, die ängstlichen Grillen zu verjagen. Ruthe
und Malchen, waren zwey Begriffe, die sich durchaus nicht vertrugen, und
die allein schon fähig gewesen wären, meinen Entschluß, in alle Welt zu
gehen, mit jeder Minute fester zu machen; aber es kam noch ein dritter
hinzu, der mir vollends keinen andern Weg übrig ließ.

Mein Papa hatte jährlich drey- oder viermal einen Besuch, auf welchen unser
ganzes Haus, wie auf eine frohe Erscheinung vom Himmel, wartete. Ein
Neffe des Präsidenten von Lemberg, der als Legationsrath in D** stand, kam
jährlich einigemal zu seinem Onkel, und da er meinen Papa als einen alten
vertrauten Freund in der Nähe hatte, so machte er ihm bey der Gelegenheit
jedesmal seinen Besuch. Wenn er in die Stube trat, war ich der erste, der
in seine Arme lief. Er umschloß mich dann mit allem Feuer einer väterlichen
Zärtlichkeit, nannte mich seinen guten Moriz, oder auch (was mir unendlich
süßer klang) seinen lieben Sohn. Er unterhielt sich mit meinem Papa nicht
halb soviel, als mit mir. Ich mußte ihm erzählen, was ich seit seinem
letzten Besuche gelernt, gethan und geschwärmt hatte, und ob ich artig
oder unartig, folgsam oder ungehorsam gewesen? Bey diesem letztern Artikel
wurden auch Papa und Martha vernommen, und sie verschwiegen ihm nichts.
Manche Dinge, die für den Papa bis dahin ein Geheimniß geblieben waren,
kamen dann an den Tag; denn Martha schien es sich zu einer strengen Regel
gemacht zu haben, meinem Papa alles, aber dem Legationsrath nichts zu
verbergen, was ich Böses oder Gutes die Zeit über vorgenommen hatte. Woher
es kam, daß sie diesem Manne keine einzige meiner großen und kleinen Sünden
verschwieg, konnte ich mir aus keinem andern Umstand erklären, als daß
sie, so lange er bey uns war, (und das dauerte zuweilen vier bis fünf Tage)
täglich eine oder zwey Stunden geheime Konferenz mit ihm hielt, und wenn er
abreisete, jedesmal einen neuen Anzug oder ein paar Louisd'or, auch öfters
beydes zugleich bekam. Durch dieses Mittel hatte er sie, wie es mir schien,
so auf seine Seite gezogen, daß sie ihre ganze sonstige Nachsicht gegen
mich vergaß und alles haarklein beichtete, was sie von mir wußte.

Eine Hauptregel, die er mir bey seiner Ankunft und Abreise jedesmal
dringend ans Herz legte und anpries, war diese:

  _Hab' Ehrfurcht und Gehorsam gegen deinen Vater und Lehrer, und mache
  dir niemand, auch den Geringsten nicht, zum Feinde._

Verstoßungen gegen diesen Grundsatz ahndete er sehr scharf, nicht mit
harten Ausdrücken, sondern mit Ton und Worten einer zärtlichen Rührung, die
lieber weinen als schelten möchte.

Nun denke man sich, was ein Blick auf diesen Mann und diesen Grundsatz für
eine Zerstöhrung in meinem Herzen anrichten mußte. Papa hatte schon seit
acht Tagen gesagt, daß der Legationsrath ehestens kommen würde. »Vielleicht
ist er schon da!« sagte mein beklommenes Herz: »Wenn du nach Hause kömmst,
läuft er dir mit offnen Armen entgegen, drückt dich an seine Brust,
nennt dich seinen lieben Sohn, und mitten unter diesen Ergießungen der
Zärtlichkeit, tritt der Magister in die Stube, und erzählt, wie gottlos du
ihn behandelt hast!«

»Nein, du kannst nicht nach Hause gehen!« war der erste und nächste
Gedanke, der aus jenem entsprang, und sich meiner mit solcher Gewalt
bemächtigte, daß ich aufsprang und ein paar hundert Schritt in größ'ter
Eile fortlief. Aber, so rüstig ich auch vorwärts jagte, holten mich doch
zwey Gedanken ein, die mich anfangs fest, wie angenagelt hielten, und bald
nachher mich auf das Schloß und von da auf unser Gut zurückschoben. Der
eine war: willst du fortlaufen, ohne Malchen etwas davon zu sagen? und der
andre: du mußt deinen guten Phylax mitnehmen, damit dir unterweges niemand
etwas zu Leide thun kann.

Ich ging einigemal verstohlen um das Schloß herum, und hoffte Malchen zu
sehen, aber vergebens. Ich ward zehnmal ungeduldig und wieder geduldig, eh'
es mir einfiel, daß ich sie vor Endigung der Schule nicht würde zu sehen
bekommen. Also entschloß ich mich, unterdessen meinen Phylax zu holen.
Nicht ohne Furcht, der Martha in die Augen zu fallen, stahl ich mich
auf unsern Hof, und fand meinen künftigen Reisegefährten in seiner Hütte
schlafend. Ich nahm ihn beym Ohr und er riß die Augen und seinen großen
Rachen gähnend auf. Als er sahe, daß ich es war, machte er beydes wieder
zu, und steckte den Kopf unter, um wieder einzuschlafen. »Nein, nein,
komm!« sagte ich voller Ungeduld und zupfte ihn beym Ohre. Nun stand er auf
und ging mit.

Ich kam glücklich ohne bemerkt zu werden vom Hofe herunter. Es war mir
unbeschreiblich weh um das Herz, als ich noch einmal nach dem Hause meines
Papa zurücksah; aber diese aufsteigende Wehmuth änderte meinen Entschluß
nicht. Ich ging gerade nach dem Schlosse und versteckte mich in dem
Baumgarten, wo wir gewöhnlich zu spielen pflegten, wenn wir der Zucht des
Magisters entgangen waren.




Eilftes Kapitel.

_Die Gewalt des Naturtriebes._


»Der arme Moriz!« sagte Malchen, als sie in den Garten trat: »Es wird ihm
übel gehn! Aber ich bin an allem Schuld!« Sie nahm die Schürze vor die
Augen.

Er wird sich schon durchbeißen! sagte Louischen.

»Ja, durchbeißen!« brummte der Junker: »Er wird seinen Theil schon kriegen!
Der Herr Magister will es dem Papa sagen!«

Ach, der dumme Magister auch! sagte Malchen.

»Ey warte, das sag' ich ihm wieder!« unterbrach sie ihr Bruder.

Sags, sags, sags! riefen die beyden Mädchen, und fuhren auf ihn zu, eine
nahm ihn bey der linken, die andre bey der rechten Hand, und so sprangen
sie mit ihm zum Garten hinaus, und warfen ihm die Thür hinter dem Rücken
zu.

Nun bekam ich Muth. Bis jetzt hatte ich mich nicht hervorgewagt, weil ich
besorgte, der Junker möchte sich davon stehlen und den Magister rufen. Aber
von den beyden Mädchen hatte ich nichts zu fürchten.

Als sie mich sahen, kamen sie gesprungen und nahmen mich bey der Hand.

»Du hast wieder 'was Schönes gemacht!« sagte Louise.

»Du armer Moriz,« sagte Malchen schluchzend: »wenn sie dir 'was thun
wollen, so schieb die Schuld auf mich!«

Auf Sie? fiel ich hitzig ein. Warum?

»Ich habe dir doch den Kranz aufgesetzt!«

Der Magister wird's dem Papa sagen! fuhr Louise fort.

»Glaub' es nicht, Moriz,« unterbrach sie Malchen: »sie will dir nur bange
machen. Er wird wohl nicht hingehen.«

Bey diesen Worten blinkte sie mit den Augen auf Louisen. Diese verstand
den Wink und verschluckte die Betheurung, daß er ganz gewiß zum Papa gehen
würde. Ich bemerkte dies und wurde um nichts ruhiger.

So fest ich mir vorgenommen hatte, Malchen nur mit zwey Worten zu
sagen: ich will fort! so wenig fähig war ich dazu. Der Vorsatz lag mir
centnerschwer auf dem Herzen! Alle Augenblicke wollt' ich ihn herabwälzen,
aber, wenn es dazu kam, fehlten mir Worte und Muth.

Ich schlenderte stumm und unentschlossen neben den beyden Mädchen her, und
je fester ich mir vornahm, mein Herz auszuschütten, desto schwerer ward
es mir. Zuletzt glaubte ich, meine Unschlüßigkeit rühre von Louischens
Gegenwart her; aber auch daran lag es nicht, denn sie entfernte sich bald
nachher, um zu horchen, ob es Papa schon wüßte, und doch blieb ich so
unruhig und unentschlossen, als vorher, wurde es sogar mit jeder Sekunde
immer mehr und mehr. Ich bekümmerte mich wenig darum, ob Louischen eine
freudige oder fürchterliche Nachricht zurückbringen würde, und Malchen, wie
es schien, eben so wenig. Wir waren beyde gleichtief mit uns beschäftigt.
_Sie_, mit ihrem mitleidigen Herzen und mit ihren Augen, die in Thränen
schwammen, und ich zunächst mit dem Entschlusse, ihr meine Flucht zu
entdecken.

Wir kamen unvermerkt aus dem Garten und gingen Hand in Hand auf ein kleines
Gebüsche zu, das an denselben stieß. In der Mitte war ein Rasenplatz; hier
setzte sich Malchen nieder und ich mich zu ihr. Sie schlug ihren rechten
Arm fest um meinen Nacken, ich meinen linken eben so fest um den ihrigen.

Ich weiß nicht, was für eine wunderseltsame Empfindung sich meiner
bemächtigte. Ich dachte weder an Magister, noch Papa, noch Marthen. Alles,
was mir heute begegnet war, kam mir wie ein Traum vor, dessen Figuren mit
jedem Blick auf Malchens rothe Wangen, sich weiter und weiter entfernten.
Ich war meiner Zunge nicht mächtig, sie eben so wenig. Ich umschloß sie mit
jedem Athemzuge inniger, sie mich, und so sanken wir in das blumigte Gras
zurück. Ich sah nicht, und hörte nicht, und eine Thräne nach der andern
lief mir über die Backen. Die Empfindungen, die mir dieselben
erpreßten, waren nicht traurig, nicht bitter: sie waren so himmlisch, so
unaussprechlich süß! Mein Mund begegnete dem ihrigen, Lippe heftete sich
auf Lippe fest und innig: es war ein ewiger Kuß!

Malchens Herz pochte dem meinigen durch die Schnürbrust fühlbar entgegen,
und ihre Augen fielen langsam zu. Die meinigen blieben halb offen, und
ließen nur einen schwachen Schimmer herein. Vor meinen Ohren flüsterte ein
leises Lispeln und Schwirren, wie wenn man im Begriff ist einzuschlummern.
Manchmal war mirs, als wenn sich ein kältlicher Schauer auf meiner Scheitel
entspönne; er floß hinab bis zum Herzen, von da schoß er brennend zurück
zum Kopfe, und von da, wie ein Feuerstrom, durch die innersten meiner
Nerven und Fibern. Ich zitterte, Malchen noch stärker. Dann und wann machte
sie eine kleine Bewegung, sich aufzuraffen; aber während des Entschlusses
erstarb die Hand, die mich sanft auf die Seite schieben sollte.

Ich weiß nicht, wie lange wir in dieser Lage geblieben seyn würden. Ich
ward ihrer nicht überdrüßig, und Malchen, wie es schien, eben so wenig.
O! sie wurde mit jedem Augenblick entzückender! Ewig und ewig hätte ich so
liegen bleiben mögen, aber --




Zwölftes Kapitel.

_Die Reise geht fort._


Urplötzlich rief eine bekannte Stimme: »Wollt ihr auseinander!« -- Wir
erschracken heftig, sprangen aber nicht auf -- »Junge,« rief es von neuem:
»willst du die Hand da weg thun!« und in eben demselben Augenblicke brannte
eine kräftige Maulschelle auf meinem Backen.

Und wenn ich sterben soll, so weiß ich diese Stunde noch nicht, wo meine
Hand gelegen hat. Ich war ausser mir in jenen Augenblicken; ich wußte
nicht, daß ich Hände hatte, ich wußte nicht einmal, daß ich lebte.

Wir sprangen beyde mit gleichen Füßen auf, rieben uns die Augen, und vor
uns stand -- Malchens Mama. Ich wollte ausreißen, aber sie erhaschte mich
beym Fittig und zog mir über den andern Backen noch so eine Schelle.

»Gottloser Junge,« rief sie dabey, »auf ein andermal steck die Hand _da_
wieder hin!«

Ich stand mit offnen Munde da, und zitterte am ganzen Leibe. Malchen hatte
keinen Athem und drehete an ihrer Schürze.

»Wo du dich wieder hier sehen lässest« -- rief ihre Mama und wollte von
neuem auf mich los; aber mein Phylax stand neben mir und wies ihr seine
großen Zähne.

Sie zog sich zurück, ergriff Malchen beym Arm und puffte sie zum Garten
hinaus. »Du sollst deinen Lohn auch bekommen!« rief sie drohend zurück, und
verschwand.

Ich stand wie versteinert. Das war für mich ein Tag der Angst und des
Schreckens! Was für Verbrechen ich heute eins auf das andre häufte! Und da
sollte ich Muth genug gehabt haben, nach Hause zurückzugehen?

Komm Phylax, sagte ich zu meinem Gefährten, und die Thränen liefen mir über
die Backen: hieher kommen wir nicht wieder! -- Du armes Malchen! Nun hab'
ich dirs doch nicht sagen können!

Ich drückte den Hut tief in die Augen und ging. Phylax watschelte hinter
mir her.




Moriz.

Zweytes Buch.




Erstes Kapitel.

_Nachwehen._


Sobald ich drey oder vierhundert Schritt vom Schlosse entfernt war und
glauben konnte, daß mich von daher niemand mehr beobachtete, setzte ich
mich in Galopp. Dörfer und Menschen vermied ich mit vieler Behutsamkeit,
weil ich in jedem Dorfe einen Spion vermuthete, der mir auflauren, und in
jedem Menschen einen Nachsetzer sah, der mich einholen und zu meinem
Papa zurückbringen würde. Selbst wenn ein Hund kam, um meinen Phylax
anzuschnautzen, oder um ihm, wenn er von höflichern Manieren war, nach
Hundesart sein Kompliment zu machen, hatte ich Angst, denn ich hielt ihn
für einen Spürer; und wenn er dann zu seinem Herrn zurücklief, so war dies
ein Bewegungsgrund für mich, noch ärger zu laufen als er, weil ich keinen
Augenblick zweifelte, daß er nur darum zurückliefe, um seinem Herrn, auf
seine Art zu verstehen zu geben, er habe den Flüchtling aufgespürt.

In dieser Angst und Eile vergaß ich, daß es Nacht werden, und eine Zeit
kommen würde, wo mir Kraft, Athem und Muth ausgehen müßten. Nicht eher
dachte ich an diese fürchterlichen Hindernisse meiner Flucht, als bis
sie hereinbrachen. Auf einmal stutzt' ich, und kaum konnte ich vor
Herzensbeklemmung und Mattigkeit den Fuß vorwärts setzen. Es schien, als
wenn mich alle Schrecknisse, die mir bis jetzt nur immer noch im Rücken
gewesen waren, nun auf einmal eingeholt hätten.

Leiden der Seele und des Körpers bemächtigten sich meiner, und ich weiß
nicht, welche von beyden mich am grausamsten quälten. Ich setzte mich am
Eingange eines Gebüsches nieder, und Phylax legte sich stöhnend an meine
Seite, indem er seinen Kopf auf meinem Schenkel ruhen ließ.

»Was wird Malchen sagen, wenn sie hört, daß man nicht weiß, wo ich bin!«
Dieser traurige Gedanke ergriff mich jetzt: »Und ach, ihre Mama war so
böse, als sie uns überraschte! Sie wird es ihrem Papa sagen, und der nimmt
die Hetzpeitsche und prügelt« --

Ein kalter Schauer lief mir bey diesem Gedanken durch alle Glieder. Ich
wollte aufspringen und fiel wie ohnmächtig zurück.

»O, meine Füße, meine Füße!« winselte ich dann wieder: »Ach, was soll ich
anfangen? Ich muß liegen bleiben! Ich kann nicht gehen, nicht stehen!
Ach, wenn Papa und Martha wüßten, wie elend und krank ich hier liege, sie
würden« --

Wieder ein unerträglicher Gedanke! Ich wollte von neuem aufspringen und
fiel von neuem zurück.

»Wenn sie es wüßten, sie holten mich gewiß zurück -- und ich ginge auch
gern« --

In dem Augenblick hörte ich das Gerassel eines Wagens. Ich sprang auf und
wäre darauf gestorben, daß es Papa's Kutsche sey. Ob ich gleich keinen
Blick zurück gewagt hatte, glaubte ich doch Marthen, den Papa und den
Magister leibhaftig in derselben erblickt zu haben.

Jetzt fühlte ich keine Mattigkeit mehr. Ich brach über Hals über Kopf in
das Gebüsche, fand einen Fußsteig, lief ihn eine gute halbe Stunde endlang
und es dauerte keine kleine Zeit, ehe die Vernunft meiner Furcht bewies,
daß eine Kutsche den schmalen Fußsteig, der von beyden Seiten mit Gebüsch
überwachsen war, unmöglich befahren könne.

Ich ging noch eine Weile auf dem Wege fort, und er ward nach und nach immer
lichter und geräumiger. Auf einmal hörte ich Trompeten und Pauken. Es war
ein lustiger Klang, der meine Bekümmerniß zum Theil vertrieb. Unschlüßig,
ob ich dem Schalle nachgehen, oder die Nacht im Gebüsche zubringen sollte,
setzte ich mich nieder. Beyde Wege schienen mir gefährlich. Suchte ich
den Ort auf, wo die Musik war, so konnte sich zum Unglück ein Bekannter
daselbst finden und mich anhalten; und blieb ich im Gebüsche -- wer gab mir
Brot, wenn mich hungerte? Wasser, wenn mich dürstete? Wer ein Obdach, wenn
es regnete? -- Mein Magen meldete sich ungestüm und meine Zunge lechzte
nach einem Trunke.




Zweytes Kapitel.

_Eine Erscheinung._


Ich saß unter einem Eichbaum, und ein Wiesenplan, hundert Schritt lang und
breit, mit Bäumen und Gebüsch umkränzt, breitete sich vor mir aus. Mein
Auge schwamm in Thränen. Es war alles still; nur ein kleiner leiser
Abendwind, bewegte die äußersten Spitzen der Bäume und rauschte in
den Blättern der Gebüsche. Der Mond lächelte rein und heiter herab und
spiegelte sein sanftes Antlitz in Millionen Regentropfen, die von einem
Spatregen an den Grashalmen zurückgeblieben waren und an den Spitzen
derselben flimmernd zitterten. Die ganze Wiese war ein sanftwallender,
bebender Silberstrom, auf welchem (so schien es meinem nassen, zitternden
Blicke) ungeheure Gestalten, bald Riesen, bald Felsen, bald mächtige Thiere
umherwandelten, so wie der Wind die umstehenden großen Eichen bewegte und
ihren Schatten hin und her trieb.

Mir ward unbeschreiblich bange, und mein ganzes Wesen schmolz in eine
beklemmende Wehmuth zusammen, die sich in großen Thränen über meine Backen
ergoß. Endlich legte ich mich nieder und drückte die Augen fest zu. Mein
rechter Arm diente mir zum Kopfküssen und der linke ruhete auf meinem
Phylax, der sich dicht neben mir niedergelegt hatte.

Ich verlor mich bald. Alles, was mir heute begegnet war, schwamm
ununterscheidbar und wie in Dämmerung meiner Seele vorüber. Nur dann und
wann fuhr ein fürchterlicher Gedanke, schnell wie ein Blitzstrahl, durch
mein Inneres, und es war mir dann immer, als wenn ich einen lebhaften Stich
durch die linke Seite fühlte. Ich fuhr mit der Hand nach dem Orte, wo
ich zu leiden wähnte, und darüber wiegte mich von neuem eine Art von
betäubendem Schlummer in ruhige Vergessenheit ein.

Wau! Wau! schallte es auf einmal, und ich fuhr bebend aus meinen
Träumereyen auf. Was mir zuerst in die Augen fiel, war die Gestalt eines
Frauenzimmers, die einige Schritte von mir stand, und über das Bellen
meines Hundes erschrocken schien. Ich wußte nicht, was ich zu dieser
Erscheinung sagen, ob ich laufen oder bleiben sollte -- denn sie hatte
Marthens Größe.

Als sie sah, daß ich nicht minder erschrocken war, als sie, und da mein
Phylax näher kam, und mit dem Schwanze wedelte, (gegen Frauenzimmer, Kinder
und kleine Hunde war er sehr höflich) faßte sie Herz und trat zu mir.

Ich hatte nicht den Muth, sie anzusehen, und doch hätt' es nur eines halben
Blickes bedurft, um mich zu überzeugen, daß es nicht Martha war, die mich
bey der Hand nahm.

»Wer bist du, Kleiner,« sagte sie, »wie kömmst Du in der späten Nacht
hieher?«

Wenn es Martha wäre -- so schloß ich nun erst -- würde sie wohl nicht
diese Frage an mich thun. Und nun drehete ich mich um und sah ihr ziemlich
herzhaft ins Gesicht. Ihre sanfte Mine schloß mein ganzes Herz für sie auf,
und schon schwebte ein pünktliches Bekenntniß auf meinen Lippen, als sie
fortfuhr und mich fragte, ob ich mich verirrt hätte? Ja! sagte ich, und
nun war an kein Geständniß mehr zu denken, da sie mir selbst den Mittelweg
zwischen Wahrheit und Lügen eröfnet hatte. Ich betrachtete sie aufmerksam
von der Seite -- und mit eins! glaubte ich Malchens Mama vor mir zu sehen,
denn ihr Haar war mit einem Rosenbande umwunden, gerade so, wie ihn jene
trug als sie uns im Gebüsche überraschte.

Mir ward wieder bange, und meine Blicke wurden schüchterner, als vorher.

Sie nahm mich von neuem bey der Hand, und zog mich halb wider meinen Willen
mit fort. Ich faßte Muth und sah sie noch einigemal herzhaft von der Seite
an, bis ich mich endlich fest überzeugte, es sey nicht Malchens Mama,
sondern ein Frauenzimmer, die ich nicht kannte, so wenig, als sie mich.

Wir kamen der Musik, die ich vorhin gehört hatte, immer näher, und ich ward
immer unschlüßiger, ob ich mich losreißen, und ins Gebüsche zurückkriechen,
oder mit meiner Begleiterin nach Hause gehen sollte. Diese hatte an mir zu
ziehen und zuzureden, daß ich mich nicht scheuen, sondern dreist mitgehen
sollte: Essen, Trinken, Nachtlager, einen Bothen, der mich nach Hause
brächte, alles sollt' ich haben. Die erstern Punkte gefielen mir
ausserordentlich, aber nicht im mindesten der letztere.

Nach einigen Minuten standen wir vor einem Hause, dessen erster Stock um
und um erleuchtet war. Es gab da Musik, Tanz und ein großes Getümmel von
Zuschauern. Schon hatten wir den Fuß auf die Treppe gesetzt, als eine
starke Stimme, wie im Zorn und Unmuth, herunter rief: _Kar'line! Kar'line!
Wo hat dich denn_ --




Drittes Kapitel.

_Wie Moriz empfangen wird._


Hier, hier bin ich schon! rief meine Begleiterin ängstlich, und sprang
hurtig die Treppe hinauf. Kaum nahm sie sich Zeit, mir in aller Hast zu
sagen: ich sollte nur nachkommen und mich so lange an die Thür des Saales
stellen, bis sie mich abholte.

»Nachtgespenst!« rief die rauhe Stimme droben: »Bist du schon wieder auf
dem Hofe oder im Busche umhergespukt?«

Liebster Papa, sagte Karoline, ich wollte nur ein wenig frische Luft
schöpfen.

So viel konnte ich nur von ihrer sanften Stimme hören. Ich hatte das gute
Mädchen jetzt tausendmal mehr liebgewonnen, da sie so hart angefahren
wurde.

»Landjägers Sohn,« fuhr ihr Vater fort: »hat schon vor einer Stunde mit
dir tanzen wollen, und du -- aber, ich will dir noch das Buschkriechen
abgewöhnen, oder nicht dein Vater heißen.«

Diese Unfreundlichkeit flößte mir wenig Vertrauen zu dem Vater, aber desto
mehr zu der Tochter, ein. Ich stieg zitternd die übrigen Stufen hinan und
stellte mich in die Thür des Saales.

Jetzt erst fühlte ich, was ich vorher so deutlich nicht bemerkt hatte:
daß mich gewaltig hungerte. Auf einem Seitentische standen Braten,
Butterschnitte, Wein und Gebackenes. Gegen Einen Blick, den ich auf meine
sanfte Begleiterin warf, die am äußersten Ende des Saals tanzte, warf ich
Zehn auf die Lebensmittel, die mir so nahe standen; und ich war mehr als
einmal willens, den ersten den besten um ein paar Bissen anzusprechen. Aber
Furchtsamkeit oder Stolz, oder beydes zusammen, drückte von Zeit zu Zeit
meinen aufsteigenden Appetit nieder.

Mein Phylax war nicht so bettelstolz. Kaum witterte er Braten, so ging er
der Spur nach. Er hatte nicht einmal nöthig, sich auf die Hinterfüße zu
stellen, um eine ganze Schöpsenkeule mit einem Ruck vom Tische zu holen.
Der Tisch krachte, die Gläser klirrten und die Weinflaschen stürzten eine
über die andre und kollerten Schlag auf Schlag vom Tisch herunter, während
eine Fluth von Wein den ganzen Saal überströmte.

Ich hatte einen tödtlichen Schreck, aber Phylax legte sich gelassen unter
dem nächsten Tische nieder und schmauste still und dummdreist von seiner
Keule.

Alles, was im Saale war, stürzte herzu.

»Hagel! Wer hat das gekonnt?« rief die Stimme, die ich schon dreymal mit
Entsetzen gehört hatte. Ein kleines Mädchen, das bey mir stand, zeigte mit
dem Finger auf meinen Phylax. Er nahm ein Licht, beleuchtete den Hund und
rief mit schallendem Gelächter: »_Ey! prosit die Mahlzeit!_« -- Nerr--r--r
-- machte Phylax, indem er ihn ansah und ihm die Zähne wies. -- »_Nu, nu!_«
fuhr der Mann fort, »_nur nicht so böse! Ich will dir deine Keule nicht
nehmen. -- Karline, Gottlob, Friedrich! Andern Braten, andern Wein her!_«

Mir fiel ein schwerer Stein vom Herzen, aber bald drückte mich die Frage:
wem in aller Welt gehört denn das Vieh? zehnmal schwerer.

Karoline war über dem Lärm auch herzugekommen und stand bey mir. Ihr Vater
trat näher. »Der Hund gehört mir!« rief ich etwas zu vorlaut und zitterte
am ganzen Leibe dabey. »So?« sagte der Vater und nahm mich dabey schärfer
aufs Korn: »Ich kenne dich und deinen Hund nicht. Wer bist du? Wo kömmst du
her?«

Karoline nahm für mich das Wort, und erzählte, wo und wie sie mich gefunden
hätte. »Ich will wissen,« fuhr er sie an, »wie er heißt!« und mit den
Worten nahm er mich beym Fittig und zog mich ans Licht -- »Ich heiße
_Ernst, Ernst_!« rief ich ängstlich. -- »Ist das dein Vorname, oder heißt
dein Vater so?« -- Mein Vater heißt so! -- »Bist du ein Sohn von dem dicken
_Ernst_?« -- Ja! sagt' ich. -- »Da, Pursche!« rief er und schleuderte mich
unfreundlich zur Thür hinaus: »Geh, wo du hergekommen bist!«

Karoline that einen lauten Schrey, aber ihr Vater -- brüllte, denn Phylax
hatte ihn bey der Wade. Dieser hatte trotz seinem Appetit den Braten
verlassen, um mir zu Hülfe zu kommen. Er schützte mich vor einer
gewaltsamern Behandlung und ließ den groben Mann nicht eher los, bis ich
die Treppe hinunter war.

Als dieser sahe, daß mich Phylax so kräftig in Schutz nahm, wagt' er
es nicht, mich zu verfolgen, sondern blieb oben an der Treppe stehen,
schimpfte auf meinen Papa und erzählte, was ihm dieser Alles zu Leide
gethan hätte.

»Und der Bastart,« so schloß er: »Es weiß ja doch kein Mensch, wo der alte
dicke Esel den Jungen her hat, er hat sich ja immer mit M** beholfen --
Das H**kind, kann hieher kommen, um mich in meiner Freude zu stöhren; kann
seinen Hund über meinen Braten schicken, daß er alles um und um reißt, und
mich selber am Ende bey der Wade packt -- Wart', Junge, nun will ich _dich_
hetzen!«

Auf einmal kam er die Treppe herunter gestürmt, pfiff auf dem Finger und
schrie: _Spitz_, _Sultan_, _Diane_, faß, faß! Plötzlich stürzten drey Hunde
herzu; aber Phylax warf einen hierhin, den andern dorthin, und deckte mir
den Rücken. So kam ich unversehrt vom Hofe.




Viertes Kapitel.

_Findet er nun ein Obdach?_


Ich wußte nicht, ob ich weinen, oder mich erboßen sollte. Bald trocknete
ich mir die Thränen ab, bald bückte ich mich, mit festaufeinandergebissenen
Zähnen, und suchte Steine, um dem Barbaren die Fenster einzuwerfen. Aber
allmählig legten sich Wehmuth und Ungestüm, und der Gedanke: was ich nun
beginnen, wohin ich mich wenden, und wo ich Nachtlager und Brot hernehmen
sollte? drückte eins wie das andre, völlig nieder.

Als ich einige Schritte in tiefen Gedanken fortgegangen war, begegnete mir
ein Mann. Ich faßte Muth und bat ihn, mich mit nach Hause zu nehmen, ich
wüßte nicht, wo ich über Nacht bleiben sollte; aber er entschuldigte sich
damit, daß er selbst nur ein Knecht sey, nichts Eignes besitze, und selbst
im Pferdestalle schlafen müsse. »Ich will ja auch gern im Pferdestall
schlafen,« rief ich, und hängte mich ängstlich an seinen Arm, um seinen
raschen Schritt aufzuhalten: »Nehm' Er mich nur mit!« -- Junge! erwiederte
er halb unwillig: Ich kann Dich nicht mitnehmen! Wer weiß denn, was an Dir
ist? Da (indem er auf ein dabeystehendes Haus zeigte) da ist die Schenke.
Geh!

Ich ließ ihn langsam los und ging unter bittern Thränen auf das Haus zu.
Ein Mann stand in der Thür und sah mich freundlich an; aber ich konnte vor
Schluchzen mein Anliegen nicht herausbringen.

»Was weinst Du, Kind?« sagte der Mann, indem er sich zu mir herunter bückte
und mir die Hand von den Augen nahm: »Wo kömmst Du her? Wem gehörst Du an?«

Ich konnte noch nicht reden. Er nahm mich bey der Hand und führte mich in
die Stube.

»Nu, was bringt er da 'mal wieder geschleppt?« fing eine Weibsperson
an, die in einer Ecke am Tische saß und bey einer düstern Lampe Strümpfe
ausbesserte: »Und das große L** von Hund? Willst du 'naus!«

[Illustration]

Frau, sagte der gütige Mann, der Hund gehört dem kleinen Jungen hier!

»Ey was! Ich will von dem Jungen und seinem Hunde nichts wissen! Fort aus
dem Hause, alle beyde!«

Sag' mir nur, wo das arme Kind über Nacht bleiben soll? Denk' doch
christlich!

»Christlich? Christlich? (Sie trat, beyde Arme in die Seite gestämmt, vor
ihn, sprang darauf fort und suchte nach Knittel und Peitsche.) Ist
das christlich, wenn ich mir selbst im Lichte steh, und solch Gesindel
beherberge, wie der lumpigte Bediente vorhin, und füttre sie, und noch
obendrein Hunde? Warte, großes L**, wenn ich nur erst die Peitsche habe,
ich will dich und deinen« --

Sie fand einen Dornknittel und ging auf Phylaxen los. Als dieser sah, daß
es ihr Ernst war, sprang er auf (er hatte sichs, so wie er herein kam,
bequem gemacht, und mitten in der Stube alle Viere von sich gestreckt) und
wies ihr mit schrecklichem Knurren die Zähne. Sie prallte erschrocken, und
vor Zorn ausser Athem, zurück.

»Du E -- du E--sel, hab' ich dich darum aus dem Stall gezogen, gekleidet
und geschuhet, daß du große Hunde auf mich hetzest, und liederliche Bengel
herbringst, die ihren Eltern entlaufen sind.«

Frau, sagte der Mann gelassen und setzte sie sanft auf einen Schemmel: du
bist ausser dir! Erhole dich! Laß uns nur erst hören, wie das Kind hieher
kömmt und wem es angehört. Er ist nicht von schlechten Eltern. Sieh 'mal
die weiße Haut --

»Ich mag nichts sehen!« rief sie und drehete das Gesicht rasch nach dem
Ofen.

Während dieses Wortwechsels stand ich stumm und zitternd da und fing
endlich an zu beichten. Daß ich dem Papa entlaufen sey, sagte ich nicht,
daß mich aber der Mann, dessen Tochter Karoline hieße (so beschrieb ich ihm
jenen unfreundlichen Mann) zur Thür hinausgeworfen, und mit Hunden vom Hofe
gehetzt habe, das gestand ich, um sie zum Mitleid zu bewegen.

Aber kaum hörte das Weib diesen letzten Umstand, so sprang sie wüthender
als vorher auf, warf alles um und um, und wollte ihrem Manne zu Leibe.

Wie ich hörte, so hatte sie die Schenke von Karolinens Vater in Pacht, und
fürchtete, er möchte sie verjagen, wenn er erführe, daß sie mich beherbergt
hätte. Sie rechnete ihrem Manne alles vor, was Jener für sie gethan hätte,
und drang hiermit und mit wiederholten Drohungen, sich morgen des Tages von
ihm scheiden zu lassen, so lange und nachdrücklich in ihn, bis er mich bey
der Hand nahm und zum Hause hinaus führte.

»Sey nur still, Kleiner!« sagte er, als ich laut zu weinen anfing: »Du
sollst doch über Nacht hier schlafen. Halt dich nur so lange in der Nähe
auf, bis sie zu Bette ist, da will ich dich holen!«

Ich ging um das Haus herum und setzte mich unter bittern Thränen hinter
einem Zaune nieder. Nach einer halben Stunde ungefähr kam er zurück, nahm
mich bey der Hand und führte mich durch eine Hinterthür über den Hof auf
seinen Heuboden. Hier verließ er mich, und brachte mir nicht lange nachher
ein Butterbrot und ein Kopfküssen, doch mit dem Bescheid, daß ich mich
morgen in aller Frühe, wenn seine Frau noch schliefe, auf den Weg machen
müßte.




Fünftes Kapitel.

_Schrecken und Graus._


Unter Seufzen und Stöhnen fing ich an mein Butterbrot zu bearbeiten. Phylax
bekam nichts davon, weil er Braten gegessen hatte. Je länger ich aß, desto
weiter flohen von mir Besorgniß und Furcht, und als ich es rein
aufgezehrt hatte (es war nicht klein) wickelte ich mich in mein Küssen, um
einzuschlafen.

Auf einmal hörte ich nicht weit von mir ein starkes, zischendes Athemholen.
Ich fuhr erschrocken zusammen, erholte mich aber bald wieder, weil ich
wußte, daß die Eulen zur Nachtzeit auf Heuböden und in Scheunen auf Raub
ausgehen, und öfters darüber einzuschlafen pflegen. Eben wollte ich mich
fester in mein Küssen vergraben, und auf nichts mehr horchen und hören,
als ich eine Stimme vernahm, halb laut, halb leise, halb ängstlich. Ich
horchte, obgleich ich nicht horchen wollte.

_Halsabschneiden_ -- flüsterte diese schreckliche Stimme -- _Halsumdrehen!_
-- _Pack ihn! Pack ihn!_ fügte sie etwas stärker hinzu. _Messer her! Mein
Messer her!_ rief sie laut und vernehmlich.

Ich fuhr auf, durch und durch in Todesschweiß gebadet. Angstvoll und bebend
sah ich mich nach der Thür um, und als ich vor mir ein lichteres Fleckchen
bemerkte, sprang ich auf und wollte dahin.

Indem ich forttappte, raschelte es vor mir im Heu, und Phylax stand neben
mir und schnupperte. Ich wußte nicht, ob ich vorwärts gehen, oder umkehren
sollte. Endlich faßte ich Muth und wollte zur Thür. Ich streckte meinen Fuß
aus, trat behutsam zu und fühlte, daß ich nicht auf Heu träte. Die Angst
ließ mich nicht untersuchen, was es war, und als ich fester auftrat, um
den linken Fuß nachzuholen -- _Jesus! was ist das?_ schrye eine menschliche
Stimme, und in dem Augenblick stolperte und fiel ich. Dabey stämmten sich
zwey Hände gegen meine Brust und stießen mich gewaltsam von sich.

_Halsabschneiden_, _pack' ihn_ und _Messer her_! Diese drey fürchterlichen
Ideen raubten mir Sinne und Bewußtseyn. Aber in eben dem Augenblicke rief
die Stimme: _Gnade! Gnade!_ und ich kam wieder soweit zu mir selbst, daß
ich bemerkte, wie sich Phylax mit dem vermeynten Mörder herumbalgte. Nun
stellte sich ein nothgedrungener Muth bey mir ein, ich drückte die Augen
fest zu und rief herzhaft: _Wer da?_ -- »_Gnade, Barmherzigkeit!_« rief die
Stimme von neuem: »_Der Hund zerreißt mich!_« Ich lockte meinen Phylax,
und er kam aufs Wort zu mir. Nun beschloß ich, den Mörder förmlich zu
vernehmen, um zu sehen, ob gütlich mit ihm auszukommen sey, wo nicht, so
war Phylax immer noch da!

Es kam etwas auf allen Vieren näher gekrochen und bat nur immer, den großen
Hund nicht loszulassen. Nach und nach richtete es sich auf. Des Mörders
demüthige Stimme machte mir Muth, und auch er erholte sich, als er hörte,
daß ich Phylaxen von Zeit zu Zeit das Murren verboth.

Allmählig öfneten wir uns wechselsweise das Verständniß. Es war ein
herrenloser Bedienter, der kurz vor mir auf den Heuboden gekrochen war,
und sich niedergelegt hatte. Was er von _Halsabschneiden_ und _Messern_
gesprochen hatte, war nicht sein Ernst, sondern ein fürchterlicher
Traum gewesen. Ich faßte ein großes Vertrauen zu ihm (welches er wohl
hauptsächlich meiner Freude zuzuschreiben hatte, daß er kein Mörder war)
und erzählte ihm meine Geschichte der Länge nach. Anfangs rieth er mir, zu
meinem Papa umzukehren; als er aber meinen Widerwillen sah, schlug er
mir vor, mit ihm zu gehen, ich sollte Brot und Unterkommen finden. Ich
versprach es ihm, und darauf legten wir uns nieder und schliefen ein.




Sechstes Kapitel.

_Sie wandern._


Kaum war ich recht eingeschlafen, als ich die Stimme des gutherzigen Wirths
hörte. Er rüttelte mich, und als ich die Hände auseinander schlug, um mich
noch einmal von ganzem Herzen zu dehnen, steckte er mir in die rechte Hand
ein dickes Butterbrot, und in die linke einen Kupferdreyer. »Nun komm, mein
Sohn,« sagte er dabey: »ehe meine Frau aufsteht. Sag mir aber erst, wo
du zu Hause bist, mein Junge soll dich hinbringen.« -- Ich gehe den Weg,
unterbrach ihn der Bediente und ersparte mir dadurch ein Geständniß, das
mir auf der Zunge schwebte: er hat mir gesagt, wo seine Eltern wohnen. Ich
denke ein kleines Trinkgeld von ihnen zu erhalten.

Ich konnte es dem Wirth ansehen, daß er gerne gewußt hätte, wer meine
Eltern wären; aber in dem Augenblick hörte er die Stimme seiner Frau, die
mit Toben und Schelten die Mägde weckte. Er sagte uns nur noch in Eil, wir
sollten durch den Garten gehn, und uns nicht sehen lassen, sonst hätte er
in vierzehn Tagen keine ruhige Stunde.

Er stieg vom Boden hinunter, wir folgten ihm bald nachher und kamen
unbemerkt ins freye Feld.

Darauf theilte ich mein Butterbrot in drey ziemlich gleiche Theile.
Wir bissen alle drey mit gleichem Appetit hinein, und dies gab meinem
Reisegefährten Anlaß, mich zu fragen: wovon ich denn so lange leben wollte,
bis ich irgendwo Unterkommen fände? Ich sah ihn mit großen Augen an und
verrieth dadurch, daß ich daran noch nicht gedacht hatte. »Von der Luft
können wir nicht leben,« fuhr er fort, »und wenn du kein Geld hast, mußt du
umkehren!«

Das fiel mir wie ein Stein aufs Herz. Ich stand still und hätte lieber
geweint. Aber ich erinnerte mich an meinen Kupferdreyer! Ich hatte ihn
in der flachen Hand liegen und je öfter und länger ich ihn ansah, desto
lebhafter fühlte ich meinen Muth heranwachsen. Mein Gefährte beobachtete
mein Mienenspiel und fieng an herzlich zu lachen.

»Ich merke schon,« sagte er, »du verläßest dich auf deinen Kupferdreyer;
aber du mußt wissen, daß wir nur noch eine halbe Meile haben, so sind wir
im Sächsischen, wo ihn die Leute nicht umsonst nehmen. (er faßte mich bey
der rechten Schulter und schüttelte mich) Was meynst du dazu, Kundmann?«

Mir ward es trocken im Munde und beklommen ums Herz. Ich reichte ihm
den Dreyer hin, und wollte ihm zu verstehen geben, er sollte etwas dafür
einkaufen, damit wir im Sächsischen zu zehren hätten. Er nahm ihn, lief auf
ein Haus zu, das am Eingange eines Dorfes stand, und stellte sich, während
ich herzu kam, in die Thür, mit einem Gläschen in der Hand. »_Willst du?_«
sagte er. Ich schauderte zusammen, als ich sah, daß es Brantwein war. --
»_Kannst du keinen trinken?_« -- Ich schüttelte betrübt den Kopf, und mit
Einem Stoße warf er meinen Kupferdreyer mit allen den Hoffnungen, die ich
auf ihn gebauet hatte, die Kehle hinunter.

Da stand ich!

Er gab dem Wirthe das Glas zurück, nahm mich bey der Hand und zog mich mit
fort.

Die feurige Lobrede, die er hierauf dem Brantwein hielt, gefiel mir
nicht im mindesten, denn mein Dreyer schwebte mir noch viel zu lebhaft im
Gemüthe. Doch gab ich mich endlich zufrieden, weil ich nun Anspruch auf
seinen Beutel zu haben glaubte, da ich ihm mein Letztes zum Besten gegeben
hatte.

Es ward hoher Mittag und ich fühlte großen Hunger. Es konnte nicht fehlen,
daß ich jetzt lebhaft an Papa's Tafel zurück dachte, und daß mit dieser
Vorstellung eine lange Reihe andrer in mir rege wurden. Aber so unangenehm
sie auch waren, brachten sie mir doch den Nutzen, daß ich, so lange sie
lebhaft blieben, Hunger und Durst vergaß.

»Hier mußt du betteln!« sagte mein Gefährte am Eingang eines Dorfes zu mir,
und riß mich dadurch aus meinen Betrachtungen. Ich sah ihn mit großen Augen
an, aber er versicherte, es sey sein völliger Ernst.

»Dich wird so gut hungern als mich,« fuhr er fort: »und dir geben die Leute
eher einen Zehrpfennig als mir. Faß' nur Muth, mein Söhnchen, und thu' mir
den Gefallen, es soll dein Schade nicht seyn. Du darfst nur sagen: Dein
Vater sey ein alter lahmer Soldat. Er liege vor dem Dorfe und habe nichts
zu essen!«

Ein gutes Wort konnte mir den Rock vom Leibe ziehen.

Ich ging in das Dorf. Die kleinern Häuser ließ ich und sah mich nach den
größern um. Ich trat in eins der letztern und bat einen Mann, der mir
entgegen kam, um einen Zehrpfennig. Dabey erzählte ich den Roman von meinem
Vater, dem lahmen Soldaten. Er sah mich an, schüttelte den Kopf, ging in
die Stube und brachte eine Weibsperson mit heraus.

»Freylich ist ers,« sagte diese halblaut, »es trift alles ein, wie ihn der
Mann beschrieb. Wir wollen ihn bey uns behalten.«

Mir lief es kalt durch alle Glieder, denn ich hatte genug gehört, um mich
zu überzeugen, daß ein Nachsetzer in der Nähe sey. Ich dachte auch wohl ans
Davonlaufen, aber die Leute standen mir zu nahe und ließen nicht ab, mich
auszuforschen.

Unterdessen trat mein Phylax, der sich herabgelassen hatte, mit andern
Hunden vor dem Hause zu spielen, in die Thüre.

»Siehst du,« sagte die Frau und stieß den Mann an: »da ist der Hund auch!
Er ist es ganz gewiß. -- Willst du nicht ein bischen in die Stube kommen,
Kleiner?« fuhr sie zu mir fort: »Du sollst 'was zu Essen haben. Wenn
der Bothe zurückkömmt,« sagte sie leise zu ihrem Manne, »kann er ihn
mitnehmen!«

Ich war in der tödtlichsten Unruhe und zitterte am ganzen Leibe. Als mich
die Frau bey der Hand nahm, um mich in die Stube zu führen, riß ich mich
los, und machte linksum, aber der Mann faßte mich beym Rockzipfel und
hielt mich. Ich that einen lauten Schrey und -- war auf einmal erlöst, denn
Phylax hatte den Wirth bey der Wade.

Und nun aus allen Kräften zum Dorfe hinaus! Phylax in kurzem Galopp
hinterdrein.

Mein Gefährte stand vor dem Dorfe, und lief mir, als er mich so
dahersprengen sah, eilig entgegen. Kaum hatte ich Athem genug, ihm
gebrochen zu sagen, man hätte mich aufhalten und zu Hause bringen wollen.
Er meynte, ich hätte nicht nöthig, so erschrecklich zu laufen, aber ich
meynte, ich hätte es _höchst_ nöthig. Wollt' er also wohl oder übel, so
mußte er mir, trotz seinem Hunger, nachrennen, so lange es meiner Angst
beliebte.




Siebentes Kapitel.

_Moriz löset Fesseln._


Wir liefen auf lauter Abwegen. Mein Gefährte ward es am ersten überdrüßig.
Er versicherte mich, indem er außer Athem neben mir her trabte, ich hätte
nichts mehr zu fürchten: wir wären im Sächsischen, wo uns niemand etwas zu
befehlen hätte, und wenn der Vater selbst käme, um seinen Sohn zu holen,
und dieser wollte nicht, so könnte und würde ihn niemand zwingen. Als er
mir diese Versicherung noch einigemal wiederholt hatte, legte sich meine
Angst und ich ging langsamer.

Ich kann bis diese Stunde keinen befriedigenden Grund angeben, warum dieser
Mensch so viel Geduld mit mir hatte. Er konnte mich ja nur laufen lassen
und sich nicht weiter um mich bekümmern. Oder glaubte er, desto leichter
einen Dienst zu bekommen, wenn er mich mitnahm, die Aufmerksamkeit eines
Herrn auf mich zog, und mich nur mit dem Beding ihm überließ, wenn er
selbst in Dienste genommen würde? Wenigstens sagte er immer unterweges:
wenn wir in eine große Stadt kämen, und es fände sich eine Herrschaft für
mich, so sollte ich nicht in ihre Dienste gehen, wenn sie nicht auch ihn
haben wollte. Er steifte sich, wie es scheint, auf die Mode der Jokay's.

Sey es, wie es wolle, genug er ging in das erste Dorf, worauf wir stießen,
bettelte Brot und andere Lebensmittel und muthete mir auch in der Folge
nicht wieder zu, daß ich betteln sollte. Wie es schien, so fürchtete er
eben so sehr, mich zu verlieren, als mir vor der Rückkehr zu meinem Papa
bange war.

So waren wir vier Tage fortgewandert, als wir uns auf einem Berge befanden,
von welchem wir eine Stadt, die ungefähr eine halbe Meile von uns lag, in
ihrer ganzen Größe sehen konnten. Als ich meinen Begleiter fragte, wie
sie hieße, war es D**. Ich erschrack und bat ihn, nicht hineinzugehen, und
erzählte ihm, daß sich eben der Legationsrath daselbst befände, der meinen
Papa immer besuchte, und daß er mich zurückschicken würde, wenn er mich zu
sehen bekäme. Aber er benahm mir fast alle Furcht durch die Versicherung,
D** sey so groß, daß sich die Leute, die auf Einer Straße, ja sogar, die in
Einem Hause wohnten, öfters nicht kennten.

Darauf verließ er mich, um in einem Dorfe, das an der einen Seite des
Berges lag, zu betteln. Meinen Phylax, der sich während unsrer Reise an
ihn, als den Proviantmeister gewöhnt hatte, nahm er mit und sagte: wenn er
seinen Umgang gehalten hätte, wollte er mich abholen.

Ich setzte mich nicht weit von dem Dorfe nieder und erwartete seine
Zurückkunft. Er blieb länger aus, als gewöhnlich, und ich gerieth in
Unruhe. Schon war ich eine Strecke auf das Dorf zugelaufen, als er mir
entgegen kam und alle Taschen voll Lebensmittel hatte. Aber meinen Phylax
sah ich nicht.

Wo ist mein Hund? rief ich ihm von weitem zu. Er schüttelte den Kopf. Wo
ist mein Hund? fragte ich noch einmal ängstlicher.

Er stellte sich zornig und trostlos. Ich drang in ihn und erfuhr: mein
armer Phylax sey von einem Jäger erschossen worden, weil er keinen Knittel
am Halse getragen hätte. Diese Hiobspost machte mich stumm und sprachlos.
Anfangs brach mein Schmerz in Thränen, aber bald darauf in Wuth aus. Ich
steckte mir alle Taschen voll Steine, lief wie rasend in das Dorf, und es
war ein Glück, daß mir kein grüngekleideter Mann in den Wurf kam, ich hätte
ihm sonst alle meine Kiesel an den Kopf geschleudert.

Ich durchlief das ganze Dorf und fragte jeden, der mir begegnete, ob er
nicht einen Jäger gesehen hätte? aber niemand konnte mir Nachricht geben.
Langsam und mit hellen Thränentropfen auf den Backen, kehrte ich um. Auf
einmal hörte ich ein Winseln, das mir bekannt vorkam. Ich ging dem Schalle
nach, trat in einen Bauerhof und siehe da! meinen Phylax an der Kette. Ich
sah und hörte nicht vor Freude, und Phylax sprang, so weit es ihm die
Kette erlaubte, rund herum. Ich entschloß mich kurz, und wollte nichts
Geringeres, als die Kette entzwey reißen. Schon dreymal hatte ich alle
meine Kräfte vergebens angestrengt, als ich erst zu bemerken anfing, daß es
geradehin unmöglich sey. Aber noch sank mein Muth nicht. Ich nahm einen
von den Kieseln, die ich zu Mord und Todschlag zu mir gesteckt hatte, und
pochte unter Thränen der Bosheit und Ungeduld an der Kette -- aber sie war
von Eisen!

Junge, was machst du? hörte ich auf einmal eine Stimme hinter mir: Ich habe
den Hund gekauft!

Wie David ehedem vor Goliath mag gestanden haben, so stand ich jetzt vor
dem Bauer, in jeder Hand einen Stein, ohne einen Laut hervorbringen zu
können. -- »Hitzige Blitzkröte!« rief der Bauer und schleuderte mich auf
einen Düngerhaufen, der hinter mir lag.

Mir sank aller Muth. Ich hatte nicht Tollkühnheit genug, mich einem großen,
breitschultrigen Manne zu widersetzen, der mich zu Brey gedrückt hätte,
mithin war für mich kein andrer Weg als Güte. Ich weinte und bat ihn, mir
meinen Hund wieder zu geben. Der Schlingel hat ihn mir gestohlen! Der Hund
gehört mir! rief ich eines Rufens. -- »Wenn du mir mein Geld wiedergiebst,«
sagte der Bauer lächelnd, »sonst nicht!« -- Lieber Gott! wo soll ichs denn
hernehmen? erwiederte ich schluchzend, und bat von neuem, er möchte mir
ihn so wiedergeben. Er ließ sich noch ein paarmal bitten, und machte
sodann meinen Phylax los. Wie der sprang! Wie ich sprang! Ohne dem Bauer zu
danken, sprengte ich vom Hofe hinunter und zum Dorfe hinaus, im bittersten
Zorn auf meinen Gefährten. Dieser saß noch auf dem Flecke, wo ich ihn
gelassen hatte und erwartete mich ganz ruhig. Als ich nicht weit mehr von
ihm war, fing ich an zu schimpfen und ihn mit meinen Steinen zu ängstigen.
Sie fielen so hageldicht, daß er seine ganze Gelenkigkeit zusammen nehmen
mußte, um ihnen auszuweichen. Als ich mich verschossen hatte, lief er auf
mich zu, und umklammerte mich so fest, daß ich mich nicht regen konnte.

Närrischer Junge! rief er und ließ mich plötzlich los, denn Phylax fuhr ihm
schnarchend nach dem Rockschooße: Du hast ja den Hund wieder und wir haben
obendrein noch auf drey Tage zu leben. Dabey zeigte er mir, was er für das
Geld alles eingekauft hatte. Mein Hunger trug viel zu meiner gänzlichen
Besänftigung bey. Wir versöhnten uns und gingen auf D** zu.




Achtes Kapitel.

_Moriz in Gefahr._


Wir gingen um die Stadt herum und traten eine halbe Stunde von derselben in
einen Gasthof. Für etwas Großes schien uns der Wirth nicht zu halten, denn
er fragte uns mit solcher Zudringlichkeit aus, daß er in wenig Minuten
soviel von mir wußte, als mein Gefährte. Hierauf erkundigte er sich nach
unsern Pässen und gab durch den Ton, womit er dies that, deutlich genug
zu verstehen, daß er uns nicht aufnehmen würde, wenn wir nicht Schwarz auf
Weiß darthun könnten, daß wir weder Diebe noch Landstreicher wären.

Mein Gefährte suchte in allen Taschen, und als er nichts fand, fing er an,
auf seine Unachtsamkeit zu fluchen. Das Ende davon war, daß er keinen Paß
hatte. »So geht, wo ihr hergekommen seyd,« sagte der Wirth zu ihm, »ich
will mir eurentwegen keine Strafe zuziehen!« -- Mein Gefährte bat ihn nur
um eine einzige Nacht, erhielt aber nichts, als Nachricht, wo er einen
Logiszettel bekommen könnte, wenn er seine Umstände, Vorhaben und
Handthierung anzeigte.

Unterdessen erwartete ich mit Furcht und Zittern meinen Bescheid. »Du
kannst hier bleiben,« sagte er zu mir, »du bist weder Dieb noch Spitzbube,
wenigstens siehst du nicht so aus.«

Mein Gefährte ging, und wenn er mir nicht den boshaften Streich mit meinem
Phylax gespielt hätte, so wäre ich mit ihm gegangen. Wenigstens ließ er es
an Bitten und Vorstellungen nicht fehlen, und trieb es so lange, bis ihm
der Wirth (der sich meiner annehmen zu wollen schien) ernstlich die Thüre
wies.

Als er fort war, nahm mich der Wirth noch einmal in die Presse. Ich hatte
mich schon bey dem ersten Verhöre verlauten lassen, daß ich mit aus Furcht
vor dem Legationsrath, meinem Papa entlaufen sey; jetzt erkundigte er sich
noch einmal und genauer nach diesem Manne. Ich gab ihm so viel Umstände
von ihm an, als ich konnte, und nicht lange darauf zog er sich an und ging
fort.

Weil ich von der Reise ermüdet war, legte ich mich auf eine Bank nieder,
die am Ofen stand. Ich war noch im Einschlummern, als der Wirth mit einem
Menschen in die Stube trat, der eine Livree trug, die mir mehr als zu
bekannt war. Der Bediente trat näher und sagte leise: _Ist er das?_ --
»Ja!« -- _Nun_, fuhr er fort, _mein Herr wird gleich nachkommen, und ihn
abholen._

Meine Angst, als ich damals auf dem Heuboden meinen Gefährten von
Halsabschneiden schwatzen hörte, kann nicht größer gewesen seyn, als
die ich jetzt empfand. Bey jedem kleinen Geräusche fuhr ich zusammen und
glaubte die Stimme des Legationsraths zu hören. Ich sah und fand keinen
Ausweg, der mich diesmal aus der Klemme führen konnte. Entlaufen? war nicht
möglich. Nicht mitgehen, wenn er käme, um mich abzuholen? eben so wenig.
Ich war um ein Haar in dem Zustand eines zum Rade Verurtheilten, der im
Troge daliegt, und dem Stoße, der ihm die Brust zerschmettern soll, nicht
ausweichen kann, weil er an Hals und Fuß gebunden ist. Ich drückte die
Augen fest zu, und konnte nichts thun, als den Ausgang erwarten.

Der Wirth und Bediente sprachen noch einige Worte heimlich und gingen zur
Stube hinaus. Ich sprang auf und bemerkte durch ein Fenster, das auf den
Hof ging, beyde auf demselben. Mein Entschluß war bald gefaßt. Ich sprang
zur Thür hinaus, durch das Haus auf die Straße, ging erst einige Schritte
langsam und lief darauf im Sprunge davon! Vor mir sah ich Weinberge und ein
Dickigt von kurzen Sandweiden, an welchen die Elbe hinströmte. Hier glaubte
ich mich eine Zeitlang verkriechen zu können. Aber die Weinberge waren
mit Mauern eingeschlossen, und der Boden des Sandhegers, worauf die Weiden
standen, war schwammig und naß. In einen dicken Tannenwald, der mir zur
Linken auf einer Anhöhe lag, wagte ich mich nicht, weil ich gehört hatte,
daß es in Sachsen wilde Schweine gebe. Es blieb mir also nichts übrig, als
ein schmaler Weg zwischen der Elbe und den Weinbergen. Ich verfolgte ihn,
kam an ein Dorf, lief hindurch, fand eine Fähre an der Elbe, die eben
im Begriff war, nach dem andern Ufer abzufahren, sprang hinein, fuhr mit
hinüber, sprang wieder heraus, ohne mich um das Fährgeld zu bekümmern; von
neuem ein Dorf, von neuem hindurch, und endlich sank ich hinter demselben
unter einzelnen Tannen ohnmächtig nieder.




Neuntes Kapitel.

_Hypochondrie._


Ich hatte kaum fünf Minuten unter den Bäumen gesessen, als ich ein Geräusch
neben mir hörte. Ich blickte auf, und vor mir stand ein Mann, der mich
mit stieren Blicken unverwandt ansahe. Sein Kopf hing weit über den Rumpf
heraus, und überhaupt beschrieb seine ganze Figur ein =S=. Ein kleines,
dreyspitziges Hütchen deckte die halbe Scheitel und die ganze Stirn, und
ruhete auf einer Nase, die über den Mund herüberhing. Sein Kinn saß sehr
hoch und berührte die äusserste Spitze der Nase. Ein rundes Stutzperückchen
stand eine gute Hand breit vom Nacken ab und rundherum sah ein dünnes
greises Haar hervor. Ein gelbblasses eingefallenes Gesicht, auf welchem
eine tiefe Falte an der andern lag, bewies, daß Alter und Krankheit seine
Gesundheit untergraben hatten. Er trug einen kahlen schwarzen Rock, der ihm
bis in die Kniekehlen reichte und von oben bis unten fest zugeknöpft war.
Seine Kniescheiben schienen durch Gicht oder Abzehrung unbeweglich geworden
zu seyn, denn Schenkel und Füße beschrieben so ziemlich einen Triangel.

»Wes Landes?« hub er an.

Ich wußte nicht, was ich antworten sollte.

»Aus Judäa, oder aus Samaria?« fuhr er fort.

Ich sah ihn mit großen Augen an und sein starrer Blick machte mir allmählig
Angst. Auf einmal schien es, als ob er aus einem tiefen Schlaf erwachte.
Seine Miene heiterte sich etwas auf; er nahm mich bey der Hand und fragte
mich mit einer sanften Stimme: »Kind, du fürchtest dich vor mir? Ich bin
ein armer elender Mann, ich thue dir nichts. Ach! ich kann dir nichts thun!
Sieh hier diese dürre verwelkte Hand; sie kann kaum dies leichte Stöckchen
heben. Befürchte nichts, Kind! Nein, du hast nichts zu befürchten!«

Mit diesen Worten setzte er sich zu mir und nahm mich von neuem sanft bey
der Hand.

»Ich bin sehr lange krank gewesen, liebes Kind,« fuhr er fort, »heute
bin ich zum erstenmal wieder ausgegangen. Ich habe an der Hypochondrie
laborirt. Ein schreckliches Malum, mein Kind, ein sehr schreckliches Malum!
Kennst du es?«

Ich sah ihn befremdet an, und schüttelte den Kopf.

»Du kennst es nicht? (fuhr er wie in Hitze fort) Wenn du still und
trübsinnig, mit krummen Rücken und mit zur Erde geschlagenem Blick, über
Stock und Stein, durch Sümpfe, Moore und Bäche, durch Sandpfützen und
Wälder hinschleichst; mit jedem altem Weibe, das dir begegnet, zusammen
läufst; wenn sie zur rechten ausweicht, rechts springst; wenn sie zur
linken ausweicht, links springst; und wieder rechts und wieder links und
dich abarbeitest, um ihr nicht vor den Kopf zu rennen; wenn mitten unter
diesem Bestreben, von ihr loszukommen, dem alten Weibe plötzlich ein
spitziger Schnabel ans Maul wächst, womit sie dir in die Brust pickt, die
Haut abschält und endlich zwischen die obern Rippen hindurchfährt und dir
am Herzen zu nagen anfängt; wenn dirs dann grün und gelb und feuerfarb und
himmelblau und rabenschwarz vor Augen wird; wenn sich alle diese Farben
zusammen mischen und in Kugeln, oder Schlangengewinden, oder Meereswogen
vor deinem Auge umherrollen; wenn es dicke Nacht in allen deinen Sinnen
wird; Gewitterwolken sich über dein Haupt zusammen ziehen und Sturm tobt,
und tausend Donner brüllen, und Blitz auf Blitz dir zischend durch das
Gehirn fährt; wenn mitten in diesem schrecklichen Gewirr eine eherne,
glühende Pfanne aus dem Boden heraufsteigt, Teufelslarven, Schlangen, Löwen
und Riesen um sie her tanzen, Feuer anlegen und es anschüren, daß die Lohe
himmelan sprüht; wenn dich dann eine der schrecklichsten Gestalten beym
linken Fuß packt, und dich in die glühende Pfanne schleudert, daß das
siedende Oel rauschend, zischend und raschelnd über dich zusammen schlägt
und aufschäumt; wenn du in dem Augenblicke, da du glaubst, daß sich
Feuerströme in deine innersten Fibern hineinfressen werden, urplötzlich
auf eine blühende Wiese entrückt wirst, wo Nachtigallen dein Ohr letzen;
wo Wohlgerüche und kühlende Balsamdüfte eine herzerhebende Linderung durch
dein ganzes Wesen gießen; wo Mädchen in Engelsgestalt, in weissem
luftigen Gewande vor deinem trunknen Blick einher schweben; wenn du rasch
aufspringst, voll Sehnsucht, eine dieser Huldgöttinnen zu umarmen; wenn sie
flieht, du sie einholst, sie fest umschlossen hältst, deinen Mund fest
auf den ihrigen drückst; wenn dein Herz an ihrem Busen pocht; wenn du mit
matten, in Liebe schwimmendem Auge aufblickst, um das Mädchen zu sehen, das
Himmel und Erde vor deinem Blicke schwinden machte -- und plötzlich eine
ungeheure von Gift geschwollene schuppigte Schlange, statt ihrer, fest in
die Arme schließest, die ihren schrecklichen Rachen aufreißt und Pesthauch
auf dich her bläst -- wenn du solche Erscheinungen hast, dann bist du
hypochondrisch!«

Er schwieg und holte Athem.

Es war eine schreckliche Schilderung, die das Feuer und der bald bebende,
bald rauschende, bald ängstliche und weinerliche Ton und das lebhafte
Gebährdenspiel, womit er sie hersagte, mir im äußersten Grade fürchterlich
machte.

Jetzt bin ich von diesem Uebel befreyt, setzte er hinzu, und, wie ich
hoffe, auf immer. Ich muß mir nur fleißig Bewegung machen, und oft in
Gesellschaft gehen. Das ist das beste Mittel darwider!

Ich erholte mich nach und nach von meiner Aengstlichkeit und sprach
einige Worte mit ihm. Er ließ auch am Ende sein Lieblingsthema,
seine Krankheitsgeschichte fahren, fragte nach meinen Eltern, wie ich
hiehergekommen etc. etc. und da ich Zurückhaltung bey ihm nicht nöthig zu
haben glaubte, oder weil einem Offenherzigkeit in der Jugend so natürlich
ist, so entdeckte ich ihm alles, und schloß mit dem Wunsche: wenn ich nur
wüßte, wo ich diese Nacht bleiben sollte!

Du gehst mit mir! sagte er, und wollte aufstehen, fiel aber kraftlos
zurück. Ich sprang auf und half ihm auf die Füße. Wir setzten uns in
Bewegung, aber mir war immer, als ob ich etwas vergessen hätte. Ich sah
mich um, und wie ward mir! mein Phylax war nicht da. Ohne meinem Begleiter
ein Wort zu sagen, ohne selbst eine lebhafte Idee zu haben von dem, was
ich thun oder lassen sollte, um meinen Hund zu finden, flog ich davon. Alle
funfzig Schritte stand ich still und rief Phylax! und wenn er dann nicht
erschien, so lief ich unter Geschrey der Ungeduld weiter. Endlich fiel mir
ein, daß er im Gasthofe zurückgeblieben seyn müsse. Nun stutzte ich und
ging bald vor- bald rückwärts, bis ich mich endlich, aber mit unsäglicher
Mühe und Beklemmung entschloß, Phylaxen zu lassen, wo er wäre, und mich
nicht der Gefahr einer Auslieferung auszusetzen. Ueberdies hatte ich das
festeste Vertrauen auf seine Spürkunst, und überzeugte mich endlich, weil
ich mußte und es wünschte, daß er mich ganz gewiß wiederfinden würde.

Der Alte erwartete mich und fragte nach der Ursach meines plötzlichen
Entlaufens. Der besorgliche Mann hatte geglaubt, seine Gesichtsbildung
sey mir auf einmal so fürchterlich geworden, und ob ich ihm gleich meinen
Verlust sehr deutlich erklärte, fragte er mich in der Folge doch noch
einigemal: ob er denn etwas fürchterliches im Gesichte habe?

Wir kamen an das Ufer der Elbe, und als wir ein paar hundert Schritt an
demselben hingegangen waren, ward mein Begleiter auf einmal unruhig.

»Nicht wahr, Kind,« hub er an, und sah starr in den Strom: »man hat
Beyspiele, daß reißende Ströme plötzlich angeschwollen sind, und Land und
Leute verschlungen haben?«

Ich hatte nichts davon gehört.

»Ja, Kind,« fuhr er mit zunehmender Bangigkeit fort: »es ist dir sehr
oft geschehen! Es kömmt von Wolkenbrüchen, mein Sohn, von starken
Wolkenbrüchen! (er sah starr gen Himmel) Sieh einmal die Wolke, Kind! Eine
dicke, schwarze Wolke, so schwer, so langsam zieht sie da herauf! Wenn
nur nicht -- (er beschleunigte seine Schritte) Kind, siehst du nicht die
schwarze, dicke Wolke da? -- Sie enthält lauter Wasser, lauter Wasser!«

Es war ein kleines, unbedeutendes Wölkchen, weder schwarz, noch schwer,
noch dicke.

»Hörst du es nicht rauschen?« fuhr er fort, und sah sich angstvoll nach der
Elbe um: »Sie tritt über -- sie bricht aus -- lauf, lauf, lauf!«

Und mit den Worten fing er an zu laufen, als ob ihm der Strom schon auf den
Fersen wäre. Rette dich! rette dich! rief er eines Rufens, und lief dabey,
nach seiner Art, vogelschnell feldein. Ich nahm mir mehr Zeit, denn die
Elbe blieb, wo sie war. Ob er sich gleich nicht umsah, versicherte er mir
doch immerfort, der Strom wäre uns sehr nahe. Ich sprach aus allen
Kräften dagegen, aber er lief immer schneller, und als ich sah, daß mit
Vorstellungen nichts auszurichten war, lief ich zur Gesellschaft mit.

Ich weiß nicht, wo der schwächliche Mann die Kräfte dazu hernahm. Er ließ
nicht eher nach, als bis wir an die P** Vorstadt kamen. Hier setzte er
sich ohnmächtig auf einen Eckstein nieder und sagte: wenn wir nicht so
ausserordentlich gelaufen wären, hätte uns der reißende Strom verschlungen.
Ich konnte nicht umhin, über den sonderbaren alten Mann zu lächeln.




Zehntes Kapitel.

_Trost des Evangeliums._


Er ging mit mir durch lauter entlegene Straßen, die fast immer an der
Stadtmauer fortführten, und schien den Anblick der Menschen eben so sehr zu
fliehen, als ich: und das war mir recht, denn ich war in großer Besorgniß,
der Legationsrath möchte mir begegnen. Wir kamen endlich an ein gewölbtes
finstres Thor, das auf eine Brücke führte. Ueber diese gingen wir und
geriethen in eine schmale, dunkle Gasse; am Ende derselben stand ein altes,
baufälliges Haus, in welches er mich führte. Es fuhr mir eine Art von
Schauder durch alle Glieder, doch beruhigte mich der Gedanke etwas, daß
hieher wohl schwerlich Nachsetzer kommen würden. Wir stiegen im Hofe eine
verfallene Treppe hinan und krochen durch eine niedrige Thür, in eine
enge räuchrige Stube, die an Möbeln nichts, als ein Pult, einen uralten
Lehnstuhl und zwey kleinere Rohrstühle, die durchgesessen und wackligt
waren, aufzuweisen hatte. Er setzte sich nieder und fing noch einmal von
dem Wolkenbruche und dem dadurch verursachten Austreten der Elbe an. Mich
ließ er wenig zu Worte kommen, als ich ihm noch einmal versichern wollte,
sein Schrecken sey ungegründet gewesen.

Es fing an, mich sehr zu hungern, und doch sah ich nicht, daß er Anstalt
machte, mir etwas anzubieten. Endlich sagt' ich ihm dreist heraus, woran
ich litte. Sogleich griff er in seine Tasche und holte unter einer Menge
Brodkrümchen zwey Dreyer heraus. »An dem Thore, wo wir hereingekommen
sind,« sagte er, »wohnt ein Bäcker, geh und hole für dies Geld!«

Ich sprang fort, fand das Thor glücklich wieder und den Bäcker an
demselben. Ich nahm Semmel für mein Geld, und war schon wieder auf dem Wege
zu meinem alten Wirth, als mich jemand von hinten bey der Schulter
faßte. Ich sah mich unter Schrecken und Zagen um, und erblickte -- meinen
Reisegefährten. Er wunderte sich nicht weniger als ich, daß wir uns in
diesem entlegenen Theile der Stadt wiederfanden. Ich erzählte ihm, daß mich
der Legationsrath verfolgen ließe, daß ich aber ein sicheres Versteck bey
einem alten wunderbaren Manne gefunden habe. Er war begierig, den Mann und
seine Wohnung zu sehen, und ich nahm ihn mit. Unterwegs erzählte er mir,
daß er bey dem Amtmann der F** Stadt gewesen, und sich einen Logiszettel
geholt habe, damit wolle er zu dem Wirthshause zurückgehen, aus welchem ich
entlaufen sey. Er kam nicht weiter, als an das Haus, wo mein Alter wohnte,
und nahm plötzlich Abschied. »Es sey genug,« sagte er, »daß er wisse, wo
ich mich befände, er würde eher wieder da seyn, als ichs vermuthete!« --
Ich band ihm noch meinen Phylax aufs Gewissen und bat ihn, mir denselben
den folgenden Morgen zu bringen. Er versprach es, und ging mit einer
bedenklichen Mine fort, die mir mehr hätte auffallen sollen.

Als ich zu meinem Alten in die Stube trat, reichte er mir die Bibel. »Lies
mir dies Evangelium,« sagte er, »zu meiner Beruhigung und Trost!« Ich sah
ihn befremdet an und biß in meine Semmel, um anzudeuten, daß mich hungere.
Aber er verstand mich nicht, er nahm mir aus der einen Hand die Semmel und
legte sie neben mir hin, und in die andre steckte er mir die Bibel. Ich
las, indem ich von Zeit zu Zeit, wenn er weg sah, in die Semmel biß und
sie behutsam wieder hinlegte: _Lasset die Kindlein zu mir kommen_ etc. etc.
etc.

Alle Züge des alten Mannes wurden lebendig und heiter. Siehst du, Kind,
rief er schluchzend, in dem Evangelio steckt ein Trost, auf welchen sichs
besser schläft, als auf gewonnene Schlachten. Daß ich dich mitgenommen
habe, daß ich dir Essen und Nachtlager gebe, diese uneigennützige
Bereitwilligkeit, dir zu dienen, verschafft mir den süssen Trost, der in
dem Evangelio allen denen versprochen wird, die Kinder lieb haben. Und nun
schlaf wohl! Ich mag nicht essen, nicht trinken. Ich will die himmlischen
Empfindungen, die mich jetzt beseelen, nicht unterbrechen. Schlaf wohl!

Bey diesen Worten öffnete er eine Seitenthür, die in eine finstre Kammer
führte, warf sich in vollem Zeuge aufs Bette und schnarchte bald darauf von
ganzem Herzen.

Nun war ich allein und meinen Betrachtungen überlassen. Diese peinigten
mich nicht sehr, denn meine Semmel beschäftigte mich ziemlich lange; und
sobald diese gegessen war, fand sich die Schläfrigkeit ein, welche
die Verdauung ankündigt, und hielt alle traurige oder fürchterliche
Vorstellungen so gut von mir ab, daß ich nach einigen Minuten auf dem
Lehnstuhle meines Wirthes ruhig einschlief.




Eilftes Kapitel.

_Wie man nach der Bastille abgeholt wurde._


Plötzlich schreckte mich ein starkes Poltern auf, und in meiner
Schlaftrunkenheit kam es mir vor, als ob das ganze Haus über mich zusammen
stürzte. Die Finsterniß vermehrte mein Schrecken. Eben war ich im Begriffe,
meinen alten Wirth zu rufen, als meine Angst in Todesfurcht überging: denn
es traten drey Männer, in große blaue Mäntel verhüllt, deren einer eine
Laterne trug, stillschweigend in die Stube und schritten auf mich zu;
der eine nahm mich bey den Schultern, der andre bey den Füßen, und so
schleppten sie mich die Treppe hinunter, alles, ohne einen Laut von sich zu
geben. Ich wollte schreyen und konnte nicht. Erst unten auf dem Hofe bekam
ich Kräfte, aus voller Kehle einen Schrey zu thun. Sogleich hörte ich des
Alten Stimme. Ich bat ihn, mir zu helfen, mich zu retten, man wollte mich
umbringen! Aber die drey furchtbaren Männer ließen sich durch mein Geschrey
nicht irre machen. Sie trugen mich durch das Haus, und als Wirth und
Wirthin erschienen, um zu sehen, was es gäbe, sagte ihnen der Mann mit
der Laterne einige Worte, worauf sie sich beruhigten und in ihre Stube
zurückgingen.

Man legte mich in eine Kutsche, die um und um zugemacht war. Die beyden
großen Männer setzten sich, dicht in ihre Mäntel gehüllt, zu mir,
und sagten zu dem mit der Laterne, wenn der Alte käme, sollt' er ihn
zurückhalten. Und nun ging es fort!

Ich saß in stummer Betäubung zwischen ihnen, und wenn ich unter Zittern und
Beben fragte: was ich begangen hätte? und, wohin sie mich denn brächten?
riefen sie: _Halt's Maul!_ oder: _wie die Arbeit, so der Lohn!_

Alle Schrecken, die ich von dem Augenblick an, wo mir Malchens Mama die
Schelle gab, bis zu den fürchterlichen Begebenheiten auf dem Heuboden und
im Wirthshause, empfunden hatte, waren nichts gegen diesen. Ich erbebte
durch alle Glieder und schnappte schluchsend nach Luft.

Endlich hielt der Wagen still und man trug mich heraus, wie man mich hinein
getragen hatte. Eine alte Frau öfnete eine Seitenthür. Man legte mich auf
ein Bette und einer der Blaumäntel sagte mit einer fürchterlichen Baßstimme
zu mir: _Morgen siehst du mich wieder!_ Darauf verschlossen sie die Thür
und ließen mich allein.

Bald wollte ich schreyen, daß die halbe Stadt mich hörte, bald aufspringen
und mit Händen und Füßen an die Thüre donnern; aber zu beydem fehlte mir
Kraft und Muth. Besorgniß und Angst nahmen ihre alte Stelle wieder ein und
brachen sich in einen Thränenguß, der rund umher, wo mein Kopf lag, das
Bette benetzte. Doch erlagen sie bald nachher einem Schlafe, der zwar
von fürchterlichen Träumen unterbrochen ward, aber doch bis gegen Morgen
dauerte.

Bald nach meinem Erwachen erschien der Blaumantel, setzte Thee und Semmel
hin, ging wieder, ohne ein Wort zu reden, und schloß die Thür hinter sich
zu. Ich hoffte jeden Augenblick, daß man die Fensterladen öffnen sollte;
aber vergebens. Ich trank meinen Thee, und ließ große Thränen in die
Schaale tröpfeln. Endlich ging meine Furcht in starre Hartherzigkeit über,
die alles, sey es auch das Aergste, was man über mich verhängen würde,
ausdauren wollte.

Nach ein paar Stunden erschien der Blaumantel wieder, und brachte noch
einen Mann mit. Dieser sollte mir das Maas zu Rock, Weste und Beinkleider
nehmen, meynte aber: bey der Finsterniß könne er nicht sehen. »Seht, wie
Ihrs macht,« sagte der Blaumantel zu ihm, »so ein Bösewicht muß weder
Tages- noch Talglicht sehen!« Sie lachten über dieses witzige Wortspiel von
ganzem Herzen, aber mir war es nicht möglich. Doch weiß ich nicht, wie es
kam, meine Bangigkeit nahm dadurch um einen großen Theil ab.

Der Schneider versicherte noch einmal, daß er im Finstern nicht sehen
könne, und nun lief der Blaumantel und holte Licht. Jetzt riß sich wiederum
ein großes Stück Furcht von meinem Herzen los, denn ich sah mich in einem
Zimmer, das mit Tapeten ausgeschlagen, und mit großen Spiegeln und mit
prächtig eingefaßten Gemälden geziert war. Nun that das gar keine Wirkung,
was sie von der neuesten Mode im Zuchthause zu W** sprachen, und von dem
harten Willkommen, der daselbst den Züchtlingen gegeben würde; denn ich
konnte an den Fingern abzählen, daß man einen Züchtling nicht in ein so
prächtiges Zimmer sperren und mit Thee und köstlicher Mundsemmel bewirthen
würde.

Als der Schneider fertig war, ging er mit dem Kerkermeister fort und
versprach in wenig Tagen des Züchtlings Kleider zu liefern, die eine Seite
grau, die andere gelb, wie sie im Zuchthause zu W** Mode wären. Wenn
mir diese letzte Aeusserung hätte Furcht machen können, so wäre sie fünf
Minuten darauf völlig erstickt worden; denn der Blaumantel brachte mir ein
Mittagsessen von solcher Schmackhaftigkeit, daß ich glaubte, es sey aus
Marthens Küche gestohlen. Es war eines meiner Lieblingsgerichte.

Den Abend geschah ein Gleiches. Ich schlief viel ruhiger, als die vorige
Nacht, und der Thee schmeckte mir den folgenden Morgen auch weit besser,
als Tages vorher. Eben so das Mittag- und Abend-Essen. Ich vergaß, daß ich
ein Gefangener war und in der Finsterniß leben mußte, und bemengte mich
endlich auch nicht mehr mit überschrecklichen Vermuthungen über das, was
mir bevorstand.

Am dritten Abend öfnete sich die Thür --




Zwölftes Kapitel.

_Aufklärung._


Und es trat herein der Schneider, im Gefolge des Blaumantels, der ein Licht
trug. Jener warf sein Bündel auf den Tisch, nahm mich herzu, und zog mich
bis aufs Hemde aus. Ich zitterte in banger Erwartung. Er probirte mir
Rock, Weste und Beinkleider an, fand sie nach seinem Geschmacke, zierlich
geschnitten und fein gearbeitet, wünschte mir Glück dazu und ging ab.

Ihm folgte ein Bedienter, der mich wieder auszog, mir einen Pudermantel
überhing, frisirte und puderte, ein weißes Hemde, seidene Strümpfe, neue
Schuhe (die ein wenig zu weit waren) mir anzog, einen Federhut aufsetzte,
und das neue Kleid wieder anziehen half.

Ich staunte und stutzte mich an, aber er ließ mir nicht Zeit, meiner
Verwunderung nachzuhängen, sondern nahm mich bey der Hand, führte mich eine
Treppe hinan, hustete -- plötzlich flog eine Doppelthür auf, und ich stand
in einem großen, prächtig erleuchtetem Saale, in dessen Hintergrunde ich
ein Gewimmel von Herren und Damen sahe, die alle ihre Blicke auf mich
richteten.

Ich stand wie versteinert. Es war mir als sähe ich in einen Guckkasten.
Ich wußte nicht, ob ich stehen bleiben, oder vorrücken, ob ich lachen oder
weinen sollte.

»Tritt näher, gottloser Schelm!« rief eine Stimme, und wer konnt' es anders
seyn als Papa? Ich trat näher, und er kam mir entgegen. -- Bester Papa,
rief ich schluchsend und nahm seine Hand -- »Ich bin dein Papa _gewesen_!«
unterbrach er mich und führte mich zu einem Herrn, der mit einer Dame auf
der Seite stand und mir den Rücken zukehrte. Er drehete sich um -- und es
war der Legationsrath. -- »Mein Sohn!« rief er -- »Mein bester Sohn! komm
an meine Brust!« -- Er schloß mich zärtlich in seine Arme. Ich weinte laut.
-- »Moriz,« rief eine weibliche Stimme von der andern Seite: »Mein guter
Sohn!« -- Die Dame umschloß mich, hob mich auf und drückte mich an ihre
Brust. Papa Ernst gab sich alle Mühe, zu lachen, aber er konnte vor Thränen
nicht dazu kommen. »Ich bin dein Papa gewesen,« sagte er: »hier (auf den
Legationsrath zeigend) das ist dein Papa, und hier (er winkte auf die Dame)
das ist deine Mama!« -- »Und ihr hast du es zu danken,« sagte mein Vater,
»daß du drey Tage früher aus deinem Gefängniß bist erlös't worden!« -- Ich
wollte ihr die Hand küssen, aber sie zog mich sanft zu sich und drückte
mich an ihr Herz. »Moriz,« sagte Papa Ernst, und hob die rechte Hand auf,
»einem solchen Vater und einer solchen Mutter hast du entlaufen wollen!«

Ich war ausser mir vor Angst und Freude. Die Umstehenden lächelten gerührt.

Erhole dich, Kind, sagte meine Mutter, und führte mich zu einer Seitenthür:
wir wollen ein wenig abtreten, du sollst mir erzählen, wie es dir auf
deiner Reise ergangen ist.

Sie öfnete die Thür.

»Da ist er, da ist er!« rief ein Mädchen und hüpfte mir entgegen. Ich sah
sie an, und siehe da, Fräulein Louise! »Du reisender Handwerkspursche!«
rief sie und riß mich in die Mitte des Zimmers. Ihre Eltern kamen herzu und
umarmten mich. Der Oberste besonders drückte mich an seine Brust mit einer
Kraft, daß mir der Rest von Athem hätte ausbleiben mögen, den ich bey
allen den frohen und unerwarteten Erscheinungen noch übrig behalten hatte.
Malchen stand von ferne am Fenster und malte auf den Scheiben. »Nun,
Malchen,« rief ihr Vater, »willst du nicht näher?« -- Sie kam ganz langsam
herbey, und als ich sie bey der Hand nahm, sah sie nach Osten und ich nach
Westen. »Freut ihr euch nicht?« sagte der alte Lehmniz. Ich weinte mit
Malchen in die Wette.

»Ach, habt euch nicht so närrisch, Kinder!« sagte der Oberste: »Pfui,
Springinsfeld, wer wollte weinen! Das schickt sich nicht für einen Kerl,
wie du bist!« Mit den Worten schob er uns in den großen Saal zurück. Mein
Vater kam mir entgegen und sagte: du hast nun alle alte Bekannte gesehen,
nun muß ich dir noch zwey vorstellen. Er führte mich in die Küche, und
Martha trat mir entgegen. Sie konnte vor Schluchsen kaum reden, umarmte
und küßte mich und stotterte die Versicherung dabey, dies sey der erste und
letzte Kuß, den sie nach Absterben ihres ewiggeliebten letzten Bräutigams
einer Mannsperson gegeben habe.

Unterdessen öfnete mein Vater eine Seitenthür und heraussprang -- Phylax.
Ich riß mich von Marthen los und ihm entgegen. Er that ganz spröde, ging
um mich herum, beschnupperte mich, und schien mich in meinem neuen Anzuge
nicht zu kennen. Als ich ihn aber anredete, tanzte und hüpfte er, was er
konnte, und trieb seine Höflichkeit so weit, daß er nach meinem Haarbeutel
sprang und ihn um ein Haar zwischen seine großen Zähne genommen hätte.

Mein Vater verließ uns, vermuthlich, damit ich mich ein wenig erholen
sollte, und weil es sich für Marthen am besten schickte, mir über das, was
vorging, Auskunft zu geben. In weniger als fünf Minuten erfuhr ich nun:
daß mein Vater und Mutter heute öffentlich Hochzeit machten, nachdem mein
Großvater, der sich bis daher ihrer Verbindung widersetzt, gestorben sey,
und meine Mutter als Meisterin ihres Willens zurückgelassen habe. Papa
Ernst sey nur mein Pflegepapa gewesen, und sie (wie sie mir deutlich zu
verstehen gab) meine Pflegemama. Der gnädige Herr (Malchens Papa) sey mit
der ganzen Familie (Fink und den jungen Herrn ausgenommen, die den Tag
vor der Abreise plötzlich krank geworden) und mit Papa und ihr in zwey
Reisewagen abgeholt worden. Man sey mir schon am zweyten Tage meiner Flucht
auf der Spur gewesen, habe mich aber nicht finden können, bis endlich der
Gastwirth vor der Stadt meinem Vater die Nachricht gebracht hätte, daß ich
mich in seinem Hause befände. Weil ich ihm und dem Bedienten aber unter den
Händen entwischt sey, wäre man meinetwegen von neuem in Sorge gewesen,
bis endlich mein Reisegefährte selbst gekommen wäre und meinen Aufenthalt
angezeigt habe. Zur Strafe für meinen Leichtsinn, habe man mich so
erschreckt, und so lange eingesperrt, u. s. w. Mein alter Wirth sey ein
verrückter Kandidat der Theologie, der unter dem Namen Magister Stapps in
D** bekannt sey. Mein Vater habe ihn neu gekleidet und ihm Geld gegeben,
mit der Sicherung einer jährlichen Pension von funfzig Thalern. Den
Bedienten, meinen Reisegefährten, habe er in seine Dienste genommen, und
Phylax sey diesem aus dem Gasthofe hieher gefolgt.

Jetzt kam mein Vater und führte mich in den großen Saal zurück. Wie
glücklich ich mich fühlte! Aber es dauerte lange, ehe ich mich völlig
überzeugen konnte, daß diese ganze Begebenheit kein Traum sey.




Moriz.

Drittes Buch.




Erstes Kapitel.

_Moriz wird Page._


Ich hatte nicht lange das Glück, unter den Augen meiner Eltern erzogen zu
werden. Mein Vater ging nach vier Jahren als Gesandter nach Frankreich und
nahm meine Mutter mit. Mich ließen sie zurück.

Acht Tage vor ihrer Abreise kündigten sie mir an, wozu sie mich bestimmt
hätten. »Du sollst ein paar Jahre Page bleiben,« sagte mein Vater, »und
sodann Soldat werden. Jenes ist deiner Gemüthsart nicht ganz angemessen,
das weiß ich, aber ich wünschte, deinen Hitzkopf eben dadurch zu bändigen.
Nur bitte ich dich, lieber Sohn (bey diesen Worten umarmte er mich
zärtlich) vertausche dein Feuer nicht mit Sklavensinn. Du wirst bald sehen,
was ich damit sagen will, und dein eignes Gefühl, hoffe ich, soll dich
davor bewahren. Mache mir die große Freude, dich als Mann wieder zu finden,
wenn ich zurück komme!«

Was hätte ich nicht alles versprochen, an dem klopfenden Herzen eines
Vaters und unter den zärtlichen Liebkosungen einer Mutter! Sie reiseten
ab und ich sah der Kutsche mit herzlicher Wehmuth nach. Man gab mir
Pagen-Uniform, und ich zog sie an, aber mit dem festen Entschluß, _mein
Feuer nicht mit Sklavensinn zu vertauschen_. Ich hatte jetzt freylich noch
keine deutliche Vorstellung von dem Verstande dieses Wortes; aber mein
Vater hatte mir ja versichert, mein eigenes Gefühl würde es mir sagen, und
diesen Zeitpunkt erwartete ich mit Verlangen.




Zweytes Kapitel.

_Sklavensinn._


Ich kam unter eine Gesellschaft von jungen Leuten, funfzehn an der Zahl.
Wenn der Instruktor nicht zugegen war, sprangen sie auf Tische und Bänke.
Jeder hatte, so lange die Lektion dauerte, seinen kleinen Plan zu irgend
einem Schelmstück ausgebrütet, und so bald sie den Nacken frey hatten,
ging es Kopf oben Kopf unten. Aus allen ihren Mienen und Gebährden sprach
Verachtung unserer Aufseher, und doch zitterten sie, wenn einer von ihnen
erschien, und Die vorher die meiste Geringschätzigkeit geäußert hatten,
waren dann die geschmeidigsten und höflichsten.

Dies Betragen gefiel mir nicht. Ich machte manchen kleinen Schwärmer mit,
fühlte aber nicht, daß ich meine Vorgesetzten, aus Furcht entdeckt und
bestraft zu werden, verachtete. Dies hatte aber für mich die Folge, daß ich
fast immer der letzte war, der sich zurückzog, wenn wir einen unbesonnenen
Streich gemacht hatten, und daß man sich in solchen Fällen jedesmal an mich
hielt und mich für das Volk büßen ließ.

»Auf meine Ehre!« sagten dann immer die Knaben, wenn ich die Strafe hätte
leiden müssen: »Auf meine Ehre, ich erschösse den Kerl, wenn er es mir so
machte!«

Für diesen Vorschlag hatte ich gar keinen Sinn, und ich begriff nicht,
wie ich gegen einen Mann Tücke nähren könnte, der mich mit Fug und Recht
bestraft hatte.

Es war natürlich, daß ich bey dieser Gesinnung der ganzen Gesellschaft
junger, heimlicher Teufel, furchtbar werden mußte. Wenn mich einer
beleidigte, so brannte im Nu die Strafe auf seinem Backen, statt daß
die übrigen die Beleidigung in sich verschlossen und auf heimliche
Rache dachten. Denn wenn sie sich auf der Stelle rächten, so mußten sie
befürchten, daß der Geschlagene unsern Aufsehern seine Klagen vorbrächte;
und dann hätten sie das große Unglück gehabt, Vorwürfe oder Strafe leiden
müssen, oder wohl gar als unruhige Köpfe öffentlich entdeckt zu werden, da
sie es doch heimlich seyn wollten. Lieber unterdrückten sie ihren Verdruß
und bezahlten dem Beleidiger bey einer andern Gelegenheit durch die dritte
Hand mit zehnfachem Wucher, und hätten Wochen und Monate darüber hingehen
sollen.

Von dem allen that ich gerade das Gegentheil, aber dies hatte für mich
den Schaden, daß ich bey unsern Vorgesetzten in den Ruf des unbändigsten,
starrsinnigsten und streitsüchtigsten aller Pagen kam.

Diese Leute waren wenig besser, als ihre Untergebenen. Sie schienen gar
nicht zu wissen, daß es Charaktere giebt, oder geben müsse, die offen und
geradezu handeln; mithin hielten sie das an mir für störrische Bosheit, was
helle, unversteckte Gutherzigkeit war.

Hatte einer von meinen Mitpagen einen boshaften Streich gemacht, der die
schärfste Züchtigung verdiente, so hingen die übrigen an einander wie
Kletten, wenn es zur Untersuchung kam. Fragte man mich aber, und ich wußte
es, so gestand ich die Wahrheit, wurde aber auch der Martyrer derselben.
Denn der, der von mir angegeben wurde, war unschuldig, wie die Sonne;
aber _ich_ war der Thäter, _ich_ hatte ihn aus Bosheit angegeben, um die
verdiente Strafe von mir auf ihn zu wälzen.

An meinen Lehrern lag es also nicht, wenn ich in kurzer Zeit nicht eben so
verdorben ward, als die übrigen. Sie bothen mir, wie man sieht, hülfreiche
Hände zu dieser Metamorphose.

Mein Vater hatte gesagt, ich würde fühlen, was er unter dem Worte
_Sklavensinn_ verstanden hätte. Jetzt glaubte ich ihm auf der Fährte zu
seyn, und dies hielt mich ab, die Gesinnung meiner Mitpagen anzunehmen.

Die tiefen Verbeugungen, die sie zu machen pflegten, gefielen mir eben so
wenig. Der Tanzmeister hatte seine Noth mit mir. Er predigte und predigte,
und reckte und dehnte mich, aber meine Verbeugungen hielten das Mittel, und
er war in Verzweiflung, daß er keinen Anstand hineinbringen konnte. Einmal
äusserte er die Vermuthung, mein Rücken müsse wohl von Eisen seyn. Sogleich
setzte ich einen Stuhl mitten in den Saal, legte mich rücklings über
denselben hin, und nahm in dieser Stellung ein Stück Geld mit dem Munde von
der Erde auf. Als dies geschehen war, setzte ich den Stuhl stillschweigend
weg und sah den bestürzten Tanzmeister an. Er zuckte die Achseln und sagte
zu einem unsrer Aufseher: er hat unerhörte Geschmeidigkeit, aber will mir
nicht den Gefallen thun, und sie zum Guten anwenden. Dies zog mir von neuem
Vorwürfe und Drohungen zu; aber ich achtete sie nicht, weil ich meinem
Vater die Freude machen wollte, mich als Mann wieder zu finden. Ich glaubte
ihn nun völlig verstanden zu haben.




Drittes Kapitel.

_Moriz wird über die Achsel angesehen._


Als ich ungefähr ein halbes Jahr Page war, wurde eine neue Hofdame
vorgestellt. Ich sah sie im Vorzimmer und sie würdigte mich einiger Blicke,
die eine mir ganz fremde Wirkung auf mich thaten, und deren Wesen ich mir
nicht erklären konnte. Sie starrte einigemal auf mich her, daß meine
Blicke unwillkührlich zu Boden sanken. Ich fühlte eine Art von beklemmendem
Zittern, und zugleich stieg es mir warm vom Herzen bis zur Scheitel
herauf, und meine Haare krisselten auf derselben gerade so, als wenn man zu
Winterszeiten den bloßen Kopf der Luft aussetzt.

Diese Empfindung war mir unerträglich. Ich wandte der Frau den Rücken zu
und fühlte Verachtung gegen sie, ohne mir einen Grund davon angeben zu
können.

So oft ich mich umsah, begegneten mir ihre Blicke und ich hatte jedesmal
dieselbe Empfindung. Zwey andre Damen bemerkten die Aufmerksamkeit, womit
sie mich ansah, und sagten ihr lachend etwas ins Ohr. »_O_,« erwiederte sie
ganz laut: »_mir fällt nur seine blutrothe, bäurische Farbe auf und seine
ausgestopfte Figur! Wie lange ist er Page?_«

Hu! wie mir das ans Herz schoß! Es konnte niemand gelten, als mir, denn ich
war gerade der einzige Page im Vorzimmer. Aber hier konnte meine Wuth nicht
ausbrechen. Nie erinnere ich mich, in so einem fürchterlichen und so völlig
unerträglichen Zustande gewesen zu seyn.

Verachtung war mir von jeher die tödtlichste Beleidigung gewesen, und
jetzt ward ich von einer Frau verachtet, die ich verachtete, die ich nie
beleidigt hatte. Dabey sah ich keinen Weg vor mir, mich an ihr zu rächen,
und mußte den Trost entbehren, der den andern Pagen bey einer solchen
Gelegenheit nicht entgangen wäre. Diese hätten sich in Geduld gefaßt und
ihren Verdruß mit süßen Aussichten auf eine schleichende, stille Rache
niedergedrückt. Es fehlte wenig, so hätte ich ihnen diese Gemüthsart
beneidet.

Man wollte die Dame gern ehren, und gab ihr einen Pagen zum Dienst. Wie
froh war ich, daß es mich nicht traf!




Viertes Kapitel.

_Das Zucken in den Muskeln des rechten Armes._


Aber man denke sich meinen Unmuth, als mir der Hausmarschall den folgenden
Tag ankündigte: ich sey zum Dienste der neuen Hofdame bestimmt, und müsse
sogleich den Pagen Neuberg ablösen. Ich wäre lieber durch Feuer gelaufen,
aber hier galt keine Widerrede. »Seyn Sie hübsch gelehrig!« sagte der
Marschall zu mir, als er sich entfernte.

Ich verstand nicht, was er damit sagen wollte und ging murrend auf meinen
Posten. Der Page Neuberg kam mir entgegen und schien etwas gegen mich auf
dem Herzen zu haben.

»Sie dreymal glücklicher Mensch!« hub er endlich mit sichtbarer Bosheit an:
»Gräfin Waller hat _Sie_ ausdrücklich verlangt!«

Ich sah ihn ernsthaft an und sogleich sprang er auf einen andern Ton über.

»Ich habe den Korb, lieber Lemberg!« fuhr er fort: »Sie haben mich
ausgestochen. Sie sagte zum Marschall: schicken Sie mir doch den Pagen mit
den _runden_ -- ja, ich glaube, sie sagte mit den -- _runden_ Backen und
dabey beschrieb sie ihm Ihre Person sehr genau -- ha, hum! -- der Marschall
hatte Einwendungen und meynte -- -- Aber ich konnte nicht recht hören, was
er sagte. »O,« erwiederte sie, »das hab' ich bemerkt. Er ist noch sehr --
hier entfiel mir wieder das Wort, daß sie brauchte -- aber eben darum will
ich mir ein eigenes Verdienst daraus machen -- ihn -- ab -- ja, ja! ihn
abzuhobeln! Seine Mutter ist meine Freundin.«

Als er das Wort _abhobeln_ aussprach, that er einen Satz, der ihn drey
Schritte von mir entfernte. Es war der boshafteste, aber furchtsamste Gauch
unter allen Pagen. Nun verstand ich, was der Marschall hatte sagen wollen,
fühlte aber nicht, daß sich Empfindungen der Dankbarkeit gegen meine
großmüthige Lehrerin in meinem Herzen regten.

»Ist der Page da?« rief die Gräfin zur Thür heraus, und ich trat mit einem
kurzen: _Was befehlen Sie?_ ins Zimmer.

»Ach, der kleine Runde!«

Das Wort rund war mir unbeschreiblich verhaßt geworden, von dem Augenblicke
an, wo es Neuberg mit einem bedeutenden Accent von meinen Backen brauchte.

»Sind Sie nicht ein Lemberg?«

Zu Befehl, gnädige Gräfin!

»Lange keine Briefe aus Frankreich?«

Vorgestern!

»O, Ihre Mama ist meine Herzensfreundin! Wie gefällt es ihr, wie lebt sie
in Paris?«

Davon hat mein Vater nichts geschrieben!

In dem Moment sprang sie auf mich zu, nahm mich bey der Hand, zog mich
rasch und ängstlich ans Fenster und rief: Lemberg, Sie sind ein Schläger,
das werde ich Ihrer Mama schreiben!

Ich sah sie mit großen Augen an.

»Hier! (sie fuhr mit zwey Fingern sanft über meinen linken Backen) hier ist
eine große Narbe! Mit wem haben Sie sich geschlagen?«

Narbe? Geschlagen?

»Ja, ja! Nur näher, junger Herr!«

Sie zog mich näher ans Fenster, blinzelte, strich mir noch einmal mit den
zwey Fingern über den Backen, brach in ein erzwungenes Lachen aus und
sagte am Ende: sie hätte einen Schatten auf meinem Backen für eine Narbe
angesehen, und mich für einen Schläger -- beydes sey nicht wahr.

Wenn man sich erinnern will, was ihre Anmerkung im Vorzimmer von meinen
_blutrothen, bäurischen Backen_ damals für eine Wirkung auf mich that,
und wie sehr mein Verdruß durch Neubergs Aeusserung von _runden_ Backen
vermehrt worden war; so wird man schließen können, mit was für einer Mine
ich diese neue Bemerkung über meine Backen aufnahm. Ich hielt das alles
für klaren, bittern Spott und mehr als einmal fühlte ich ein Zucken in den
Muskeln des rechten Armes, das meine Hand unwillkührlich zu ballen pflegte,
wenn ich meinen Beleidiger ansah. Sobald meine Mitpagen dieses Zucken
bemerkten, hüteten sie sich wohl, mir zu nahe zu kommen, denn es folgte
gewöhnlich ein kräftiger Faustschlag darauf.

Die Gräfin wußte dies nicht, und ein Glück für sie, daß in eben dem
Augenblicke, wo ich die Fassung verlor, der Hausmarschall ins Zimmer trat.




Fünftes Kapitel.

_Ich will ihr Kammermädgen rufen!_


Ich entfernte mich und kaum war die Thür hinter mir zu, so hörte ich ein
starkes Gelächter. Dies konnte vielleicht gar keinen Bezug auf mich haben,
aber ich glaubte mit Händen zu greifen, daß es mir gölte. Es fuhr mir kalt
durch alle Adern, das Athmen ward mir unendlich schwer, und meine Brust war
wie mit starken Ketten zusammengeschnürt.

Nach einer halben Stunde entfernte sich der Marschall, und die Gräfin
ließ mich rufen. Ich trat herein und fand sie nachläßig auf eine Ottomanne
hingegossen. Ihre damalige Figur und Stellung werde ich nie vergessen, und
ich glaube, daß mir der Anblick des Todesengels in den letzten Sekunden
meines Lebens nicht widriger seyn wird.

Man denke sich eine Frau von vierzig bis fünf und vierzig Jahren, von Thee,
Punsch, Wein, Schocolate, von Liebe und Neid und langer Weile zusammen
gedörrt; mit einer kurzen Taille und einem schmalen Körper, der in einen
Reifrock eingerammelt schien; mit dünnen Armen und knöchernen Händen,
die sich wie ausgesprützte Skelette ausnahmen; über Gesicht und Arme eine
dünne, gelbliche Haut gezogen, unter welcher sich hier und da, matte,
schlaffe Adern hervor drängten; und dazu endlich ein Gesicht, so spitzig,
so eingefallen, daß man den leibhaften Tod vor sich zu sehen glaubte. Das
einzige, was noch einige Funken Leben verrieth, war ihr Auge. Ein Feuer
brannte darin, das ihre ganze Lebenskraft aufzusaugen und in ein paar
kleine graue Sterne zusammen zu drängen schien.

Diese Figur lag auf der Ottomanne, als ich herein trat. Ich erschrack und
stand wie verstürzt, als sie einen von jenen Blicken, die mir damals im
Vorzimmer ein Grausen durch alle Glieder gejagt hatten, starr auf mich
heftete.

Befehlen die gnädige Gräfin etwas? stotterte ich und sah auf den Boden.

»Muß man denn immer befehlen? Kommen Sie näher, Lemberg, erzählen Sie mir
etwas von Ihrer Mutter.«

Ich weiß nichts!

»Nun, so erzählen Sie 'was anders. Setzen Sie sich hieher! Ihr jungen
Herren habt doch sonst immer den Kopf voller Schwänke. Wie viel Mädchen
haben Sie in Ihrer Schreibtafel? (sie nahm mich beym Rockschooße) Ich will
sie sehen!«

Ich führe keine Schreibtafel!

»Ihre kurzen Antworten sind unausstehlich, Lemberg, ich will längere!«

Befehlen Sie sonst etwas, gnädige --

»Nichts, nichts befehle ich! Sie sollen mir 'was erzählen. Ich habe
Langeweile!«

So will ich ihr Kammermädchen rufen --

Mit diesen Worten drehete ich mich schnell um und sprang zum Zimmer hinaus.
Sie rief, aber ich hörte nicht, sondern sandte ihr das Kammermädchen. Es
ward mir unendlich wohl ums Herz, als ich sie im Rücken hatte, aber
was half die unbedeutende Frist? Wenn es ihr einfiel, mußte ich doch
wiederkommen.




Sechstes Kapitel.

_Drey sonderbare Maulschellen._


Es war natürlich, daß mir mein Verdruß über diese unerträgliche Lage
hundert Plane vorlegte, wie ich mich aus derselben ziehen sollte. Wäre ich
dem ersten Ausbruche meines wilden Zorns gefolgt, so hätte ich die Gräfin
erschossen und mich mit; oder ich hätte meinem rechten Arm den Willen
gelassen, der armen Frau den Kopf eingeschlagen und mich auf flüchtigen
Fuß gesetzt; oder ich hätte öffentlich erklärt, daß ich nicht länger Page
bleiben wollte, wenn man mir nicht einen andern Posten gäbe.

Aber alle diese Wege hatten ihre Unbequemlichkeiten, und ich sah keinen
andern vor mir, als mich eine Weile krank zu stellen, um dadurch zu
bewirken, daß man der Gräfin einen andern Pagen gäbe. Aber das Betteliegen
war mir lästig. Lange Weile und besonders Schaam vor mir selbst, machten
mich nach drey Tagen wieder gesund. Die Gräfin hatte zwar einen andern
Pagen bekommen, aber so bald es hieß, ich sey wieder hergestellt, forderte
sie mich zurück. Ich ging im bittersten Unmuth zu ihr und fühlte, daß mein
Abscheu die letzten drey Tage nicht abgenommen hatte.

Es war des Morgens gegen eilf Uhr, als sie mich rufen ließ. Sie lag fast in
eben der Stellung auf der Ottomanne, als vor drey Tagen, und dies that eben
die widrige Wirkung auf mich wie damals. Ihr platter Busen zeigte sich in
seinem ganzen Lichte, und auf ihren Backenbeinen lag ein heller Karmin, der
gegen ihre natürliche Farbe einen häßlichen Absatz machte.

»Sie können nicht sehr krank gewesen seyn,« hub sie an: »oder Sie haben
einen guten Arzt gehabt.«

Beydes!

»Was wars denn eigentlich? Hatten Sie Kopfschmerz, Beklemmung,
Unverdaulichkeit?«

Nichts von allem!

»Oder Herzbeklemmung?«

Nein!

»Hatten Sie sich nicht in Acht genommen? Viel Wein oder Punsch getrunken?«

Meines Wissens nicht!

Meine kurzen Antworten schienen sie aus aller Fassung zu bringen. Um sich
dafür zu rächen, schob sie mit einer ganz gleichgültigen Bewegung und wie
von ungefähr den Busenflor noch um zwey Finger breit zurück. Das machte mir
wirklich Todesangst.

»Sie scheinen mir immer so mürrisch, Lemberg. Oder ist es Melancholie,
Unzufriedenheit mit Ihrer Lage?«

Das letztre!

»O, sagen Sie mir, entdecken Sie sich mir! Was ich thun kann -- Ich bin
es Ihrer Mutter schuldig, daß ich mich Ihrer annehme. Stehen Sie nicht so
mißtrauisch von der Seite, kommen Sie her, setzen Sie sich, entdecken Sie
sich mir, ich verspreche Ihnen meinen ganzen Einfluß.« --

Ich nahm ihr Anerbieten nicht an, und blieb verstockt stehen. Wenn ich
minder wider sie eingenommen gewesen wäre, so hätte ich wohl sehen
können, daß ihr Betragen nicht Spott war; aber sie hatte es sich selbst
zuzuschreiben, daß mir ihre geringschätzige Aeusserung im Vorzimmer so
gegenwärtig blieb. Genug, ihr ganzes Benehmen däuchte mir boshafter Spott,
und in meinem Herzen kochte eine Wuth, die ich nicht länger zurückhalten
konnte. Ich zitterte an allen Gliedern, und in meinem Gesichte brannte ein
Feuer, das mir die Adern zu sprengen drohte.

Sie erklärte dieses Phänomen zu ihrem Vortheil, und jetzt sehe ich wohl,
daß sie sich schwerlich so viel an ihrem Busen zu schaffen gemacht haben
würde, wenn sie mir hätte ins Herz sehen können.

Plötzlich sprang sie mit einem Angstgeschrey auf und rief: eine Spinne,
eine Spinne, Lemberg, ums Himmelswillen, hier! hier! Ich beschwöre Sie --

Ein schöner Anblick!

Ich will ihr Kammermädchen rufen! sagte ich mit Verdruß und Kälte, und
wollte aus dem Zimmer, aber sie hielt mich.

»Nicht doch, Lemberg! Es war wohl nur Einbildung! Bleiben Sie! Sehn Sie
nichts?«

Ein halber Blick auf die schreckliche Aussicht setzte mich in
unbeschreibliche Verwirrung. Ich sah nicht hin, versicherte aber doch, es
kröche keine Spinne an ihrem Halse.

»Aber hier -- hier kribbelts doch!«

Ich sehe nichts!

»Das ist kein Wunder, Sie sehen auf die Dielen. Gefühlloser Mensch, wie
können Sie beym Schreck einer Dame so gleichgültig seyn? Kommen Sie her und
bitten mirs ab, oder ich kneipe Sie in Ihre kleinen, runden Backen.«

Kaum hatte sie _Backen_ ausgesagt, so stürzte meine ganze kochende, so
lange zurückgehaltene Wuth, in meinen rechten Arm, und der that seine
Pflicht. Ich gab ihr eine Maulschelle, daß sie mit offenem Munde vor
mir stand, und stumm und starr wie ein Pagode nickte. Aber sie hatte
Geistesgegenwart -- sie gab mir zwey Schellen so rasch und hitzig zurück,
daß ich die erste noch nicht fühlte, als mir die zweyte schon auf dem
Backen brannte.

Da standen wir und stutzten uns an, wie zwey Hähne, die einander gewachsen
sind.




Siebentes Kapitel.

_Weltklugheit und Menschenkenntniß._


So standen wir gegen einander über fünf Minuten. Alle ihre Glieder
zitterten vor Bosheit und ihr Mund lachte.

»Wir sind quitt,« sagte sie endlich: »und ich bin noch mit Einer Schelle im
Vortheil. Aber dafür bin ich auch nur ein armes schwaches Weib und Sie --
ein Halbgott!«

Auf einmal war nun mein Erstaunen so groß, als vorhin meine Wuth. Ich hatte
vermuthet, daß sie Himmel und Hölle bewegen, die Beleidigung anzeigen und
nicht eher ruhen würde, bis sie mir ewiges Gefängniß ausgewirkt hätte.
Ueberraschend und unerklärbar war mir also ihr Benehmen.

»Wenn Sie zu dem ersten Schritte Mann genug waren« fuhr sie fort: »so
sind Sie's auch zum zweyten -- Kein Mensch darf erfahren, was unter uns
vorgefallen ist! Versprechen Sie mir das?«

Ich stand von der Seite und hatte kurzen Athem. Sie nahm mit Ungeduld meine
Rechte und drückte sie mit beyden Händen.

»Versprechen Sie mir das?«

Ich machte immer noch dieselbe Pantomime. Sie schüttelte mich.

»Ob Sie mir das versprechen, Lemberg?«

Ich sah an die Decke. Meine Hitze war merklich verflogen.

Sie schlug beyde Hände vor die Brust, als wenn sie außer Athem wäre, und
sank wie ohnmächtig auf den nächsten Stuhl. Ich machte Miene, aus dem
Zimmer zu gehen -- plötzlich waren alle ihre Kräfte wieder da, und sie
hielt mich mit einer Stärke, die ich einer Frau von ihrer Schwächlichkeit
nicht zugetrauet hätte.

»Lemberg,« rief sie mit schwacher Stimme, die ihr aber große Anstrengung
kostete: »Lemberg, seyn Sie nur halb so _großmüthig_ als ich!«

Dies Wort hielt mich und schlug mich beynahe zu Boden. Nur _halb_ so
großmüthig, als dies -- _Weib_?

»Was wollen Sie von mir, gnädige Frau?«

Diese Frage heiterte alle ihre Mienen und Blicke auf, und sie schien alles
Verdrusses, aller Unruhe zu vergessen.

Freylich muß mein Blick, nach den Bewegungen zu schließen, die ich bey
den Worten, »nur halb so großmüthig« empfand, von jenem ganz verschieden
gewesen seyn, mit welchem ich die rechte Hand wider sie aufhob. So weit ich
mich kenne, mußte sie tiefe Beschämung und Demüthigung in demselben bemerkt
haben.

Sie konnte auch von nun an mit mir machen, was sie wollte. Sie zog mich zu
sich auf die Ottomane und ich blieb gelassen sitzen; sie drückte mir die
Hand und ich ließ es geschehen, ohne sie wegzuziehen. Als sie mich so weit
hatte, glaubte sie mich auch nach der Ursache meines wüthenden Betragens
fragen zu können. Ich gestand, daß sie mich zuerst im Vorzimmer beleidigt
habe; erzählte, was ich von dem Pagen Neuberg hatte hören müssen und
beschrieb ihr Zug vor Zug alle die Grade, die mein innerer Verdruß
durchstiegen war, um endlich zum Ausbruche zu stürzen -- und das alles mit
einer feurigen Beredtsamkeit.

Sie schien wie aus einem Traume zu erwachen, und im Nu sprang sie auf,
führte mich zur Thür, stieß mich ziemlich unsanft hinaus und sagte: »Merken
Sie sichs, Lemberg, ich habe nur Eine Maulschelle -- _Sie_ -- _Zwey_!« --
Knall flog die Thür hinter mir zu.

Ich verstand, was sie damit sagen wollte, und mein Blut ward von neuem
rührig. Aber die Thür war hinter mir abgeschlossen.




Achtes Kapitel.

_Malchen und -- Gräfin Waller._


Gewiß ist es, daß sie mich nun durch und durch kannte. Bey minderem
Scharfsinn hätte sie mich höflichst zur Thüre geführt, und mich vielleicht
mit Thränen gebeten, niemand zu sagen, was unter uns vorgefallen sey; aber
sie stieß mich zur Thür hinaus und erreichte eben diesen Zweck.

Man hätte mich mit Pferden zerreißen können, und das Geheimniß wäre nicht
über meine Zunge gekommen.

Ich konnte in der Nacht, die auf diesen Tag folgte, nicht schlafen. Zwey
Bilder beschäftigten meine Phantasie, die man sich nicht ungleichartiger
denken kann -- _Malchen_ und _Gräfin Waller_!

Es war mir unerklärbar, wie mir in der jetzigen Stimmung meines Geistes
und Herzens Malchen so auf einmal vor Augen treten konnte. Ich hatte sie in
drey Jahren nicht gesehen; das Andenken an sie, machte mir, außer einigen
schnell vorübergehenden frohen Empfindungen, nicht die mindeste Unruhe,
und ihr Bild schien von Zeit zu Zeit völlig aus meinem Gedächtnisse
verschwunden zu seyn. Aber diese Nacht kam es zurück, mit hellen, kräftigen
Farben ausgemalt, in einem Glanze, der mein geistiges Auge blendete.
Ich umarmte dies süße Kind meiner Phantasie, drückte es, in Entzücken
verlohren, an mein klopfendes Herz, und wenn ich dann recht zusahe, so
hielt ich -- die Gräfin Waller in meine Arme geschlossen.

Meine eigne, und meiner Leser Delikatesse, erlaubt es mir nicht, einer
Erscheinung deutlicher zu erwähnen, die mich diese Nacht überraschte.
Alles, was ich davon sagen kann, ist, daß sie viel Aehnliches mit der Scene
im Gebüsche hatte, wo uns Malchens Mama überraschte, und daß sie, wie ich
jetzt wohl einsehe, der Schlüssel zu den Phantasieen ist, die mich diese
Nacht beschäftigten.

Einem Beobachter, der mit festem Tritt und unverrücktem Blicke der Natur
folgt, der den zarten Verkettungen, dem fast unsichtbaren Gewebe, den
allerfeinsten Fäden, die nur eine allmächtige Hand zwischen Geist und
Fleisch ziehen konnte, nachzuspüren Beruf und Geduld hat, dem wird
diese Erscheinung, und ihre Ursach kein Räthsel seyn, und der wird mich
verstanden haben.

Ich überließ mich dem Entzücken, Malchen in so verklärter Gestalt wieder zu
sehen, obgleich sie mir noch lieber gewesen wäre, wenn die verhaßte Waller
nicht neben ihr gestanden hätte. Ich wußte nicht, daß der Wunsch, das Bild
dieser Frau vor meinen Blicken zu entfernen, nicht erfüllt werden konnte,
ohne daß ich zugleich sie aus dem Gesichte verlöre. So fest hatte die
Zauberin Natur diese Antipoden zusammengekettet!

Als ich erwachte, war mein erster Gedanke -- Malchen. Wenn ich ein Buch
aufschlug, war der Anfangsbuchstabe jedes Wortes ein _M_. Jedes Mädchen,
das mir begegnete, hatte Aehnlichkeit mit ihr. Einigemal glaubte ich
sie von ferne zu sehen, flog ihr entgegen, war getäuscht. Wenn ich hätte
nachdenken wollen, so würde mir eingefallen seyn, daß sie sich schwerlich
in einem Anzuge würde sehen lassen, den sie vor vier Jahren trug, als ich
sie nach meiner Wanderung bey meinen Eltern wiedersah. Wirklich lief ich
jeder Mädchengestalt nach, die so gekleidet war, als Malchen damals, und
konnte mich dann wundern, daß es nicht Malchen war, da sie doch dieselbe
Farbe trug.




Neuntes Kapitel.

_Liebe, und einige ihrer Wirkungen._


Mein Dienst bey der Gräfin däuchte mir nicht mehr so lästig, als vorher.
Ich muß gestehen, daß ich sogar mit einer Art von Ungeduld den Augenblick
erwartete, wo sie mich würde rufen lassen. Ich fühlte ein unwiderstehliches
Sehnen, und immer war es mir, als wenn ich durch sie Nachrichten von
Malchen erhalten würde. Sonderbar! -- Sie rief mich endlich.

Verdruß und Unwillen lagen sichtbar auf ihrer Stirne. Ich machte ihr eine
Verbeugung die ich schwerlich noch vor jemand so tief gemacht hatte.
Sie gab mir mit weggewandtem Gesicht und in einem herrischen Ton einige
Aufträge, und setzte kein Wort mehr hinzu, als sie sagen mußte, um mir
ihren Willen zu erklären. Die Reihe war nun an ihr, böse zu seyn, bis jetzt
hatte ich dies Vorrecht gehabt.

Dieses Betragen hatte genau die Wirkung, die sie dadurch erreichen wollte.
Ich entledigte mich ihrer Aufträge mit großem Eifer, und war dabey so
dienstfertig, so gefällig, daß ich ihr heute ein ganz andrer Mensch
scheinen mußte. Sie sah mich einigemal mit forschendem Blick an und schien
meine Veränderung mit innerlicher Selbstzufriedenheit zu bemerken. Aus
einigen ihrer Mienen zu schließen, mußte sie es als eine unausbleibliche
Folge ihrer Maßregeln ansehen.

Als ich zurückkam, um ihr zu melden, daß ich ihre Aufträge genau besorgt
habe, sagte sie: Ihre Dienstfertigkeit verdient meinen Dank, und ich
weiß, daß ich Ihnen keinen größern geben kann, als wenn ich Ihnen hiermit
erkläre, daß ich den Marschall um einen andern Pagen gebeten habe.

Ich sah sie an und ging stillschweigend zur Thür hinaus. Wie lächerlich!
Ich hätte es nun lieber gesehen, wenn ich ihr Page hätte bleiben können.

Der jetzige Zustand meines Herzens schien keiner feindseligen Empfindung
Raum zu lassen. In gewissen Augenblicken schämte ich mich sogar recht
herzlich, die Gräfin so bäurisch behandelt zu haben, und einigemal war ich
wirklich im Begrif zu ihr zu gehen, und sie um Verzeihung zu bitten. Je
öfter ich mir Malchens Bild vor mein geistiges Auge zurückholte, desto
gefälliger war das Licht, in welchem ich die Gräfin erblickte. Immer noch
konnte ich an keine von beyden denken, ohne zugleich die andre vor mir zu
sehen. Es schien, als ob die himmlische Glorie, in welcher ich Malchen die
vorige Nacht erblickte, auch der Gräfin einen Glanz mitgetheilt hätte, der
mir Auge und Herz für sie aufschloß.

Endlich verschwand auch jeder Schatten von der Beleidigung, die ich so
kräftig erwiedert hatte; ich fing an, ihre Großmuth zu bewundern, und zu
bedauren, daß mir keine Gelegenheit blieb, das Geschehene wieder gut zu
machen.




Zehntes Kapitel.

_Wahnsinn der Liebe._


»Wenn ich sie nur sehen könnte, nur sehen, nur sehen!« Dies war mein erster
und eifrigster Wunsch, wenn ich an Malchen dachte. Alles, was mir auf der
Welt das liebste war, hätte ich um die Erfüllung desselben gegeben!

Anfangs blieb es nur beym Wünschen und ich behielt die Hände im Schooße;
denn ich hatte die Grille, sie müßte nicht weit seyn, sie müßte mir
nächstens einmal begegnen. Acht Tage hielt ich mich mit dieser Einbildung
hin; endlich ward ich thätig, beschloß an Papa Ernst zu schreiben und
Nachricht von ihr einzuholen. Ich that es und zwar -- im Postskript des
Briefes, den ich ausdrücklich _ihrentwegen_ schrieb. Ich hängte diese
Worte an: _Auch möchte ich wohl wissen, wie sich Herr und Frau von Lehmnitz
befinden._

Das nenne ich doch eine Erkundigung! Aber es war mir nicht möglich, das
Wort _Malchen_ unter vier Augen zu nennen, vielweniger ihren Namen mit
allen seinen Buchstaben schwarz auf weiß zu schreiben. Wie glücklich mußte
Papa im Rathen seyn, wenn er mir auf meine Frage eine befriedigende Antwort
hätte ertheilen sollen! Und doch hoffte ich mit so großer Unruhe auf seinen
Brief, als ob er durchaus keinen andern Inhalt, als Nachricht von Malchen
haben könnte.

Was für ein Unterschied! Meine ältern Mitpagen sagten öffentlich: ich bin
in dieses oder jenes Mädchen zum sterben verliebt; sie heißt so und so;
wohnt da und da; heute hab' ich eine Zusammenkunft; aber ich, ich wagt' es
nicht, mich nur entfernt nach einem Mädchen zu erkundigen, das mir Ruhe und
Verstand geraubt hatte; ich frage nach _ihren Eltern_ und erwarte fest, daß
die Antwort auf diese Frage sie betreffen soll und muß.

Deßhalb erstaunte ich auch gar nicht, als Papa's Brief ankam und von
Anfang bis zu Ende von -- Malchen handelte. Ich erfuhr, daß sie nach L**
in Pension gethan sey, und zwar erst vor einigen Tagen; dabey beschrieb
mir Papa alles, selbst die Straße, wo die Französin wohnte, die sie in Kost
genommen hätte.

Ein Glück für mich, daß in diesen Tagen keine andre merkwürdige Begebenheit
in Papa's Gegend vorgefallen war; er würde mir sonst eben so gut diese
beschrieben haben, und ich wäre in Verzweiflung gewesen, wenn ich nichts
von Malchen in seiner Antwort gefunden hätte.

Uebrigens war Papa immer noch der alte. Er schrieb mir alle Debatten, die
vorher zwischen Herrn und Frau von Lehmnitz vorgefallen waren, ehe sie sich
entschlossen hätten, Malchen nach L** zu schicken; gab mir einen Auszug
des ganzen Briefwechsels zwischen ihnen und der Französin zu L**; wußte,
wieviel jährlich für Malchen bezahlt wurde; was sie für Wäsche mitgenommen
hatte; in welcher Stunde und in welcher Kutsche sie abgefahren war; wie die
Französin hieß und in welcher Straße sie wohnte. Der Geist der Kleinigkeit
und Geschäftslosigkeit lebte und webte in diesem Briefe.

Aber wie angenehm war mir diese Umständlichkeit! Ich las den Brief zehn,
zwanzigmal mit pochendem Herzen, aber nicht ohne ein Gefühl von Besorgniß,
Papa möchte aus dem Postskript geschlossen haben, ich sey in Malchen
verliebt. Der scharfsinnige, feine Papa! Wie könnte er sonst einen ganzen
Brief mit lauter Nachrichten von Malchen füllen?

Ich verschloß den Brief sorgfältig in meinen Koffer, und kaufte mir
ausdrücklich ein Vorlegeschloß, damit mir ihn niemand nehmen und daraus
sehen könnte, daß ein gewisses Malchen nach L** in Pension gethan sey.

Nun hatte ich also Nachricht von Malchen, aber gab mir das meine Ruhe
wieder? »Sehen, sehen muß ich sie!« rief es nun ungestümer in meinem
Herzen, und je größer die Unmöglichkeit vor meinen Augen heranwuchs, desto
brennender ward mein Verlangen, sie zu übersteigen. Die Vernunft erlag
endlich der Schwärmerey.

L** war freylich volle dreyzehn Meilen entfernt; es fehlte mir freylich
an einem Vorwande, der mir auf einige Tage Urlaub verschaffen konnte; auch
wußte ich weder Weg noch Steg, noch fühlte ich Muth genug, mich bey
der Französin aufzuführen; aber das waren kleine Berge, die meine
Einbildungskraft nur den kleinsten Sprung kosteten. Genug, ich wollte sie
sehen, das war fest beschlossen, und mit eins! waren alle Hindernisse aus
dem Wege.

Ich rannte zu einem Pferdeverleiher, borgte mir ein Pferd, setzte mich auf,
und nun ohne Urlaub zum Thor hinaus. Es war Abends gegen fünf Uhr, als mich
diese Raserey ergriff, und um Mitternacht hatte ich schon die Hälfte des
Weges zurückgelegt. In M** miethete ich mir einen Kerl, der des Weges
kundig war, und auch die Straße in L** wußte, in welcher die Französin
wohnte. Dreymal stürzte ich, dreymal fiel mein Gaul kraftlos unter mir zu
Boden. Ich hatte fünf Beulen vor der Stirn, und mein Gesicht war von
Hecken und Gesträuchen zerfleischt. Mein Begleiter bat mich flehentlich,
Tagesanbruch zu erwarten, aber ich machte ihm Muth, bald mit Geld, bald mit
der Hetzpeitsche. Diese fand ich nicht so wirksam als jenes.

Morgens um sechs Uhr, hatte ich nur noch eine Stunde von L**. Jetzt kam
mein Verstand etwas zurück, denn ich hatte doch so viel Ueberlegung, daß
Malchen noch nicht aufgestanden seyn würde, wenn ich unter ihrem Fenster
hingaloppirte. Ich ließ den Pferden Futter geben, und zählte mit heißer
Ungeduld jede Minute, bis es sieben schlug. Kaum ausgebrummt, auf und
davon! Mein Begleiter versicherte zwar, die Pferde hätten noch nicht halb
abgefressen; aber was kümmerte mich das!

Wir kamen nach L**. »Nur den nächsten Weg nach der H** Straße!« sagte ich
zu meinem Gefährten; aber ohne so lange zu warten, bis er mir denselben
zeigte. In wenig Minuten sah ich mich an dem entgegengesetzten Thore. Mein
Begleiter versicherte, wir müßten umkehren, sonst ritten wir zu dem einen
Thore hinein und zu dem andern wieder heraus. Ich fuhr ihn für diese
Nachricht an, aber er entschuldigte sich mit dem Kompliment: er habe
geglaubt, ich könne nicht wohl hören. Er habe immer gerufen, aber ich sey
meines Weges fortgeritten.

Ich mußte also umkehren; aber nun achtete ich besser auf seine Anweisung.
»Hier ist die H** Straße!« rief er endlich, und mein Herz pochte hoch auf.
Ich gab meinem Pferde die Spornen, und ließ es springen, um die Leute
ans Fenster zu locken. Als ich beynah am Ende der Straße war, sah ich ein
Frauenzimmer in einem Erker. »Sie ists! Sie ists!« sagte mir mein Herz.
Ich war freylich noch volle funfzig Schritte von ihr, aber sie war es
leibhaftig! Meine Blicke waren aus der Ferne starr auf sie geheftet, sobald
ich ihr aber auf zwanzig Schritte näher war, schlug ich die Augen nieder,
gab meinem Pferde die Spornen und sprengte davon.

Nun war also mein heißester Wunsch erfüllt! Nun hatte ich Malchen gesehen!

Ich kann mich des Lächelns nicht erwehren, wenn ich an mein damaliges
Benehmen denke. Beynahe den Hals gebrochen, beynah ein Pferd todt gejagt,
um Malchen zu sehen, ich glaube sie von weitem im Erker zu erblicken, und
als ich näher komme, sehe ich nicht hin! Lächerlich, sehr lächerlich!

Und doch, wer war glücklicher als ich? Was mein körperliches Auge nicht
gesehen hatte, ersetzte mein geistiges. Nicht der kleinste Zug war mir an
Malchen entgangen. Ich hatte sogar bemerkt, daß sie mir zulächelte, daß sie
mir winkte, daß sie über die Sprünge meines Pferdes ängstlich schien -- was
hatte ich nicht alles -- o Wunder, Wunder! -- mit zur Erde gesenkten Augen
gesehen!

Wenn ich hätte nachdenken können oder wollen, so würde dieser optische
Betrug bald in sein Nichts zerflossen seyn. Denn das Bild von Malchen,
welches mir meine Phantasie vorführte, war immer noch gerade so gekleidet,
als damals, wo ich sie nach meiner Wanderung wiedersah.

Aber ich hatte Malchen gesehen, darauf wäre ich gestorben, und das machte
mich zum glücklichsten Sterblichen.




Eilftes Kapitel.

_Zwey Verhöre._


Als ich nach D** zurückkam, fand ich alles in Aufruhr. Man hatte geglaubt,
ich sey durchgegangen, hatte schon Koncepte zu Briefen an meine Eltern
ausgearbeitet und dem Pferdeverleiher sein Pferd bezahlt -- auf einmal
erschien ich. Mein erster Gang war in den Pagenhof, mein zweyter in Arrest.
Man sagte mir, Gräfin Waller habe sich am angelegentlichsten nach mir
erkundigt.

Ich hatte das alles vorhergesehen und war darauf gefaßt. Man hätte mir
keinen größern Gefallen thun können, als wenn man mich zu einem ewigen
Gefängniß verurtheilt hätte; denn an Malchen hatte ich eine sehr angenehme
Gesellschaft.

Die drey Tage, die ich im Arrest zubrachte, verflogen wie drey Stunden, und
ich wäre lieber nicht herausgegangen. Ich ward verhört, und wußte nicht,
was ich sagen sollte. Man hielt dies für einen neuen Beweis, daß ich der
allerverstockteste, hartsinnigste Page sey, ließ mich gehen und drohete.

Aber ich hatte noch ein zweytes Verhör auszustehen, das mir schwerer ward.
Gräfin Waller ließ mich zu sich kommen; aber sie wußte schon mehr, als ich
ihr sagen konnte.

Man hatte, sobald man mich vermißte, meinen Koffer erbrochen, um zu sehen,
ob man nicht einen Beleg zu meiner Entweichung finden könnte. Man fand aber
nichts als Wäsche und den Brief von Papa Ernsten. Dieser ward zwar gelesen,
aber man blieb so klug, als vorher.

Die Gräfin sprach mit dem Pagen Neuberg von mir, und dieser erzählte, daß
man meinen Koffer erbrochen, aber nichts gefunden habe, als Wäsche und
einen gleichgültigen Brief. Er habe zwar bemerkt, daß ich einige Tage her
öfters vor meinem Koffer gewesen wäre, auch einen Brief gelesen, und
ihn jedesmal sorgfältig verschlossen habe; aber das könne unmöglich der
gedachte Brief gewesen seyn.

Die Gräfin war aber doch neugierig, diesen Brief zu sehen; der Marschall
gab ihr denselben; sie las ihn und schöpfte Verdacht. Aber das konnte
_sie_ nur, die einzige unter Millionen, die mit ganz andern Augen sah, als
gewöhnliche kalte Zuschauer. Sie erkundigte sich näher, erfuhr, daß ich, so
lange die Vermählung meiner Eltern geheim geblieben wäre, auf dem Guthe des
alten Ernst sey erzogen worden, und daß ein Herr von Lehmnitz in der Gegend
wohne, von dessen Tochter eben die Rede im Briefe sey. Auf einmal schien
ihr ein helles Licht aufzugehen; sie grübelte glücklich weiter, gerieth
aber doch in so fern auf einen Abweg, daß sie glaubte, Papa Ernst sey der
Vertraute meiner Liebe, sonst würde er nicht soviel von Malchen geschrieben
haben. Sie setzte voraus, er sey ein alter, erfahrner Weltkenner, und
wisse, wie angenehm auch die unbedeutendsten Umstände dem Liebhaber sind,
wenn sie die Dame seines Herzens betreffen.

»Wie gefällts Ihnen in L**?« war ihre erste Frage, als ich zu ihr ins
Zimmer trat.

Ich stutzte und erstaunte und sagte endlich befremdet: In L**?

»Ja, ja, in L**! Sind Sie denn anderswo gewesen?«

Ich war in der peinlichsten Verwirrung. Mein hervorstechendstes Gefühl war
eine Art von verschämter Besorgniß.

Ich bin nicht in L** gewesen!

»Armer Mensch! Ihre eignen Augen strafen Sie Lügen! Genug, Sie sind in L**
gewesen, das weiß ich, und wenn Sie's auch niemand gestanden haben. -- Soll
ich rathen, bey wem?«

Bey diesen Worten war mir, als wenn man mir einen Eimer siedendes Wasser
über den Leib stürzte.

»Was macht _Malchen Lehmnitz_? Freute sie sich nicht über ihren Ritter?
Hier (sie zeigte auf meine Stirn) die Stöße und Risse müssen ihr unendlich
angenehm gewesen seyn -- nicht, Lemberg?«

Ich glaubte in den Boden zu sinken.

»Wie scheu, wie schüchtern der Mensch ist! Warum reden Sie nicht? Sie
sehen ja, daß ich alles weiß. Oder soll ich Ihnen ein förmliches Geständniß
ersparen? Nun gut! Hören Sie also, was Sie selbst nicht zu wissen scheinen
wollen: Sie sind in die Lehmnitz verliebt, und sind nach L** geritten, um
sie zu sehen. Getroffen?«

Ich machte eine Bewegung, als wenn ich den Kopf schütteln wollte und doch
nicht könnte.

»Nun, ich sehe wohl, Lemberg, Sie sind noch nicht völlig mit mir
ausgesöhnt, sonst würden Sie mir doch eine Sylbe gönnen. Ich muß also
meinen hohen Begriff von Ihnen ein wenig herunterstimmen. Indessen ist es
mir nicht leid, daß ich mich als Freundin Ihrer Mutter für Sie verwandt
habe. Daß Sie der Kassation entgangen sind, danken Sie mir. Hier ist Ihr
Brief. Ich habe Ihnen weiter nichts zu sagen, als daß ich es weiß, daß Sie
in L** gewesen sind, und sonst niemand!«

Ohne eine Sylbe, selbst ohne einen Laut von mir zu geben, entfernte ich
mich aus dem Zimmer.




Zwölftes Kapitel.

_Ein Seelengemählde._


Ich wußte nicht eigentlich, wie ich mich bey dem Betragen der Gräfin nehmen
sollte. Weil ich es aber schon gewohnt war, sie nicht mehr für so boshaft
zu halten, als sonst, so fing ich nach und nach an, alles, was sie sagte
und that, so gut ich konnte, von der besten Seite anzusehen. Jene Nacht,
wo sie mir mit Malchen Hand in Hand erschien, und das Gefühl, mich für ihre
Verachtung hinlänglich gerächt zu haben, hatten ganz unmerklich in meinem
Herzen zu ihrem Vortheile gearbeitet. Daß ich eine Maulschelle mehr
bekommen hatte, als sie, fiel mir nicht ein; und wenn ich ja einmal daran
dachte, so erweckten die Umstände und die Art, womit sie mir das Kapital
verzinset zurückgab, ich weiß selbst nicht, was für eine sonderbare
Empfindung in mir, die mir mehr lächerlich als kränkend war. Aber mehr als
alles andre zog mich das Geheimniß von Malchen an sie, theils, weil ich
fürchtete, sie möchte es verrathen, theils, weil ich mich der seltsamen
Grille nicht erwehren konnte, _sie sey eine Freundin von Malchen, und habe
von ihr Nachricht erhalten, daß sie mich in L** gesehen_.

Ich weiß nicht, wo man in gewissen Stunden Wahrscheinlichkeiten hernimmt,
die einem unmögliche Dinge, als möglich, so klar und deutlich vorstellen
können, daß man auf Hirngespinnste Schlösser bauet. Ein solcher
unbegreiflicher Spuk war wohl die vorhin erwähnte Grille, die ich nach
und nach so künstlich ausspann und erweiterte, daß ich mich endlich fest
überzeugte: _Die Gräfin könne es wohl bey Malchen so weit bringen, daß_ --

Ja, nun stand ich wieder! Was sollte sie mir denn bey Malchen auswirken?
Das wußte ich nicht, hatte auch keine deutliche Idee davon. Nichts als
Wünsche, ewige Wünsche, und wenn ich mich dann fragte: was wünschest du dir
denn? so stutzte ich wohl eine Weile, aber die wohlthätige Einbildungskraft
nahm sich meiner an, und versetzte Berge.

Wenn ich mir einen Begriff von dem Zustand eines Menschen machen will, der
seinen ganzen Verstand verloren hat, so denke ich mir einen Liebhaber, wie
ich damals war. So ganz Kind, so ganz aller edlern Kräfte beraubt, so ganz
unthätig in mich selbst verschlossen, ohne Plan, ohne Kraft und Muth,
mir einen vorzuzeichnen, so aller Gewalt über mich selbst beraubt, so
lebendigtodt -- mag ich nie wieder seyn. Wenn ich die Liebe auf dem
Fuß betrieben hätte, wie meine größern Mitpagen, so wäre ich vor diesen
Zufällen sehr sicher gewesen.

Uebrigens war es gar keine Frage, ob mich Malchen liebte? Wie war es
möglich, daß mir einfallen konnte, _sie hat mich vergessen_? Freylich hatte
sie mich in vier Jahren nicht gesehen, aber was hinderte das? Sie war
in andre Verbindungen und Verhältnisse gekommen; sie hatte gewiß andre
Mannspersonen kennen gelernt, die ihr in der Nähe waren, und die sie leicht
einem Menschen vorziehen konnte, mit dem sie zwar als Kind gespielt, von
dem sie aber seit langer Zeit keine Nachricht hatte -- So natürlich mir
diese Betrachtungen hätten seyn sollen, beunruhigten sie mich doch keinen
Augenblick, oder, genauer gesagt, ich hatte nicht einmal die entfernteste
Ahndung davon. Und wie konnte ich auch, da sie mich in L** gesehen, und mir
zugewinkt und zugelächelt hatte?

Es fehlte mir ohnehin sehr an Kenntniß des Weltlaufes (das mußte die Gräfin
auf den ersten Blick gesehn haben, sonst hätte sich eine Frau von ihrer
Feinheit wohl schwerlich solch eine platte Liebeserklärung zu Schulden
kommen lassen) aber jetzt war auch das wenige, was ich mir abstrahirt
hatte, völlig aus meinem Gedächtnisse verschwunden. Ich schob phantasierte
Aussichten und Bilder den _wirklichen_ unter, lebte und webte in einer
Welt, die ich mir selbst erschaffen hatte, und verlor diejenige aus den
Augen, auf welcher ich mit meinen leiblichen Füßen ging und stund.




Dreyzehntes Kapitel.

_Moriz wird Soldat._


Alles, was ich in diesem Zeitpunkte der Vergessenheit meiner selbst sagte
und that, war handgreiflicher Unsinn, womit ich mich und meine Leser
verschonen muß. Ich war mürrisch, in mich selbst verloren, that und sagte
alles verkehrt, war nachläßig und verdrossen in meinen Geschäften, und
wünschte ihrer ganz entledigt zu seyn, doch ohne zu wissen, was ich für
einen andern Stand ergreifen sollte. Meine Vorgesetzten bemerkten dies, und
da sie mich schon lange aus einem falschen Gesichtspunkt ansahen, so war
es natürlich, daß ich immer tiefer und tiefer in ihrer Gunst und Achtung
fallen mußte. Es kam endlich so weit, daß sie höhern Orts erklärten,
ich wäre zum Pagen völlig untauglich. Man würde mich auf der Stelle
fortgeschickt haben, wenn man mich nicht aus Achtung für meinen Vater
geduldet hätte. Indessen ward in der Stille daran gearbeitet, mir eine
andre Stelle anzuweisen.

Nach einigen Tagen ließ mich die Gräfin rufen, und ich flog zu ihr,
weil mir träumte, sie würde mir eine angenehme Nachricht von Malchen
mitzutheilen haben.

»Wie leben Sie, Lemberg? Immer noch so mißmuthig? Wenn Sie sich nur
entdeckten, vielleicht gäbe es Mittel dagegen!«

Ich zuckte die Achseln und hatte viel auf dem Herzen.

»Ist es Mißvergnügen über Ihre Lage, oder verliebte Besorgniß?«

Das erstre, gnädige Gräfin!

»Ist Ihnen das Pagenleben zuwider? Wünschen Sie sich einen andern Stand?
Entdecken Sie sich, ich weiß Mittel, Sie zu beruhigen!«

Diese letzten Worte brachten mein Blut in Bewegung. Ich glaubte, aus
denselben sicher schließen zu dürfen, daß sie Nachrichten von Malchen
hätte, die sie im Begriff stände, mir mitzutheilen. So schief diese
Vorstellung war, so schief fiel auch meine Antwort aus.

»Ihr Betragen ist unausstehlich, Lemberg! Sie scheinen selbst nicht zu
wissen, was Sie wollen, und es ist nöthig, daß Andre für Sie denken und
handeln!«

Bey diesen Worten fuhr sie ganz von ungefähr in die Tasche, und ich hörte
Papier rauschen. Was konnte dies anders seyn, als ein Brief von Malchen?
Ich erwartete unter Zittern und Ungeduld den Augenblick, wo sie die Hand
herausziehen würde. Es geschah, aber da kam kein Brief von Malchen! Wie
bitter war ich getäuscht! Meine ganze Fassung war dahin.

»Wollen Sie Soldat werden?«

Sehr gern!

»Kavallerist, oder Infanterist?«

Jetzt blieb ich stumm, und kann man rathen, weshalb? Auf einmal schoß mir
der Gedanke durch die Seele, daß ein Infanterieregiment in den Vorstädten
von L** stände. Was auf diesen für ein andrer folgte, wird man auf den
ersten Blick sehen. Stumm war ich und blieb ich. Die Gräfin sah mich mit
spähenden Blicken an.

»Infanterist? Nicht, Lemberg?«

Wenn die gnädige Gräfin befehlen!

Sie lachte hell auf.

»Also Infanterist! Ich dächte aber, Sie schickten sich besser zum
Kavalleristen. Was meynen Sie?«

Nein -- ich -- würde --

»Sie haben sich aber schon als ein wahrer Ritter gezeigt! Wissen Sie wohl
noch, durch Ihre Reise nach L**!«

Ich war wie verstürzt, und die scharfen Blicke der Gräfin machten mir
Höllenpein.

»Doch, wie Sie wollen! Unter welches Regiment möchten Sie wohl?«

Gleichviel, unter welches! stotterte ich.

Ich mußte bey dieser Antwort eine erschreckliche Blöße geben, denn sie ward
mit großem Gelächter aufgenommen.

»Unter das zu L** meynen Sie doch? Nicht, Lemberg?«

Nein -- gnä -- gnädige Gräfin --

»Also nicht nach L**. Ich glaube selbst, daß Ihnen der Ort zuwider seyn
muß, weil er Sie in Arrest gebracht hat.«

Sie sagte dies mit einer studierten Ernsthaftigkeit, die mir durch Mark und
Bein ging.

»Aber Sie wären doch der erstaunlichen Ritte überhoben, wenn Sie unter das
Regiment nach L** gingen?«

Jedes Wort war mir ein zweyschneidiges Schwerdt. Ich siedete und kochte,
fühlte aber nicht das mindeste Zucken in den Muskeln des rechten Armes. Wie
theuer mußte ich die Schelle bezahlen!

»Ich habe schon gesagt, Lemberg, daß Sie selbst nicht wissen, was Sie
wollen, ich muß mich schon Ihrer annehmen. Kommen Sie morgen wieder, und
holen Sie sich Bescheid!«

Ich drehete mich stillschweigend um und ging. Sie rief mich zurück.

»Noch eins muß ich Ihnen sagen! Sie gelten bey Hofe für einen Anverwandten
von mir, merken Sie sich das! Es hat gute Gründe, die Ihnen in die Augen
fallen werden. Nun gehen Sie!«

Das Betragen der Gräfin blieb mir von Anfang bis zu Ende unbegreiflich,
und das war kein Wunder, da ich sie aus einem ganz falschen Gesichtspunkt
ansah, den Umstand ungerechnet, daß mein Kopf und Herz in einer Lage waren,
die mir durchaus nicht erlaubte, das zu erforschen, was um mich vorging.
Ich wußte ja nicht einmal, wie mir eigentlich war.

Den folgenden Tag bekam ich das Patent zu einer Fähndrichsstelle unter dem
Regimente zu L** und ich war wie vom Himmel gefallen.

Sogleich rannte ich zu der Gräfin, um ihr zu danken, denn es war gewiß,
daß sie das alles bewirkt hatte. Aber weshalb interessierte sie sich so für
mich? _Um ihrer Freundin Malchen einen Gefallen damit zu erweisen._

Diese seltsame Grille verließ mich nicht. Wie würde die Gräfin gelacht
haben, wenn sie derselben auf die Spur gekommen wäre.

»Ich konnte es nicht anders machen,« hub sie mit verbißnem Lachen an: »Sie
mußten nach L**. Es fehlte gerade ein Fähndrich. Wenn es Ihnen aber da
nicht gefällt, so schreiben Sie es mir, ich will sorgen, daß Sie mit der
Zeit an ein anderes Regiment vertauscht werden!«

Es schien, als ob ich dazu verurtheilt gewesen wäre, unter ihren Augen den
Stummen zu spielen. Ich hatte mir vorgesetzt, ihr _soviel_ zu sagen, aber
konnt' ich es? Drey Worte und ein Blick von ihr machten mich zum Kinde.

Beym Abschiede sagte sie zu mir: es bleibt dabey, Sie sind mein Vetter.
Oder mögen Sie nicht aus meiner Verwandtschaft seyn?

»Welch ein Glück für mich, _wenn_ ichs wäre!« sagte ich, und man bewundere
meinen erstaunlichen Muth.

Endlich einmal ein Wort, das sich hören läßt! erwiederte sie: Schade, daß
es so sehr spät kömmt! Augenblicklich machte sie die Thür hinter mir zu.

Den folgenden Tag ging ich zum Regiment ab. Habe ich wohl nöthig, die
Bewegungen zu schildern, die mich ergriffen, als ich die Thürme von L**
erblickte?




Vierzehntes Kapitel.

_Schüchternheit wahrer Liebe._


Man wird es mir auf mein Wort glauben, daß ich die H** Straße sehr gut zu
finden wußte. Drey bis viermal stahl ich mich täglich unter dem Erker weg,
in welchem ich Malchen damals gesehen haben wollte; aber es dauerte gegen
drey Wochen, eh ich das Glück hatte, sie abermals zu sehen. Und als ich
sie endlich sah -- man denke sich mein Staunen -- da war es in dem Fenster
eines Hauses, das ich bis jetzt keines Blickes gewürdigt hatte; es stand
an dem andern Ende und auf der andern Seite der Straße. Diese seltsame
Erscheinung erklärte ich mir am natürlichsten dadurch, daß die Französin
eine andre Wohnung bezogen haben müßte. Denn es war unumstößlich gewiß, daß
ich Malchen damals an dem andern Ende und auf der entgegengesetzten Seite
der Straße, im Erker gesehen hatte. --

So viel ich auch auf dreyßig Schritte unterscheiden konnte, war Malchen,
seitdem ich sie nicht gesehen hatte, ein volles, frisches, ausgewachsenes
Mädchen geworden. Das war sonderbar! Als ich sie damals im Erker erblickte,
war sie noch genau so groß, als sie immer gewesen war, da ich noch mit ihr
spielte. Aber in den vier Wochen war sie erstaunlich gewachsen.

Auch diesmal betrug ich mich sehr albern. So lange ich weit genug von ihr
entfernt war, sah ich starren Blicks nach ihr hin, als ich mich aber nahe
unter ihrem Fenster befand, sah ich vor mich auf die Erde und beschleunigte
meine Schritte. Ein Anderer hätte ihr wenigstens ein Kompliment gemacht.

Ich weiß nicht, wie lange ich dies Spiel getrieben haben würde, wenn nicht
mein Muth durch einen Zufall gewachsen wäre. Einmal kam ich die Straße
herunter und sah Malchen wieder im Fenster. Sie hatte ihr Gesicht nach der
andern Seite gewandt und sah mich nicht. Ich hatte also das süße Vergnügen,
ihren Haarputz von hinten zu sehen. Meine Blicke waren fest auf sie
geheftet, und ließen nicht eher ab, als bis ich dicht unter ihrem Fenster
war -- plötzlich drehete sie den Kopf, sah mich an, fuhr zurück und machte
das Fenster zu.

Ihr Blick fuhr wie ein elektrischer Schlag durch mein ganzes Wesen. Alles
tanzte vor meinen Augen, meine Füße waren mir zu leicht, und mit jedem
Schritte glaubt' ich in eine Grube zu treten.

Es dauerte eine gute halbe Stunde, eh ich zu mir selbst kam, und nun war
mein erster Gedanke, durch die H** Straße zurück zu gehen. Am Eingange
derselben ward ich auf einmal unschlüssig und ich hätte gewiß einen andern
Weg genommen, wenn sich nicht gerade einer meiner Kameraden zu mir gefunden
hätte.

»Aha, Lemberg,« sagte er, »haben Sie das Terrain von L** so studirt?«

Wie so?

»Sie gehen doch durch die H** Straße um die Krone von L** zu sehen?«

Mir fing unwillkürlich das Herz an zu pochen, und ich muß roth geworden
seyn.

»Habe ichs getroffen? Armer Lemberg! Sie sind nicht der einzige, dem's
unterm Küraß schlägt, wenn er das Haus da (er zeigte mit dem Stocke auf
das Haus, wo ich Malchen gesehen hatte) ansieht. Es war eine Zeit, wo ich
selbst solch ein Narr war. Kommen Sie! _Sehen_ können Sie den Engel, aber
das ist auch alles!«

Ich fühlte eine höchst unangenehme innerliche Bewegung, jener ähnlich, die
der große Blumist in Holland hatte, als ihm ein Fremder versicherte,
er habe eben die Blume, die er nur auf dem ganzen Erdboden _allein_ zu
besitzen glaubte, schon bey einem deutschen Gärtner gesehen.

Mein Begleiter zog mich halb wider meinen Willen fort, und ein Glück für
mich, daß Malchen nicht gerade aus dem Fenster sah, ich wäre sonst unter
ihren Augen umgekehrt, und hätte dem Offizier die lächerlichste Blöße
gegeben. Wir kamen näher, ich wagte einen Blick, sie stand am Fenster,
begegnete mir mit ihren Augen, und, sollte man es denken! ich war bäurisch
genug, einige Schritte vorbeyzugehen, ehe es mir einfiel, den Hut zu
ziehen. Ich that es endlich, aber ohne hinter mich zu sehen, und sie war so
nachsichtsvoll, das Fenster aufzureißen und mir zu danken. Mein Begleiter
versicherte mich, sie habe gerufen: wie kommen Sie hieher, Herr von
Lemberg? Ich hatte nichts gehört, glaubte es ihm auch nicht.

Mein Kamerad erkundigte sich, woher unsere Bekanntschaft rührte, und ich
erzählte ihm, in einer Art von Verzückung, daß ich sie schon lange kennte
und mit ihr erzogen wäre.

»Sie sind zu beneiden, Lemberg!« sagte er: »Aber warum besuchen Sie das
schöne Mädchen nicht? Oder ist es schon geschehen?«

Ich versetzte ganz gleichgültig, daß ich ihr bey Gelegenheit meine
Aufwartung machen würde.

»Bey Gelegenheit? Auf der Stelle sollten Sie es thun! Sie hat, auf meine
Ehre, gerufen!«

Mit diesen Worten verließ er mich.

Von diesem Tage an besuchte ich die H** Straße mit leichterm Herzen, und
hatte sogar den Muth, Malchen von der Seite anzusehen, wenn ich sie grüßte.
Aber hinauf zu gehen und mit ihr zu sprechen? Es hätte eines Riesenarmes
bedurft, um mich in das Haus zu schieben.




Funfzehntes Kapitel.

_Eine Hiobspost._


Dies Unwesen trieb ich gegen vier Wochen, ohne mich nur einen Schritt näher
an sie zu wagen, und doch war ich unbeschreiblich glücklich.

»Wissen Sie wohl, Lemberg« -- sagte der vorhin erwähnte Officier auf der
Wachparade zu mir: »aber, was sollten Sie's nicht wissen! Fräulein von
Lehmniz ist Braut!«

Ein Donnerschlag! Ich versicherte ihm mit zitternder Stimme: das wüßte ich
nicht.

»Freylich muß ihr ein reicher Graf lieber seyn, als ein Fähndrich,« fuhr
er fort: »aber lassen Sie sich kein graues Haar darüber wachsen. Sie sind
nicht der erste, dem es so geht!«

Ich stieß mit meinem Rohre große Löcher in den Sand.

»Kennen Sie den Bräutigam?«

Ich schüttelte mit aufeinander gebissenen Zähnen den Kopf.

»Graf Waller!«

Wild und wüthend fuhr ich auf.

»Sehen Sie, da steht er, der dumme, ausgetrocknete, süße Narr! Nur ein paar
Schritte näher, so können Sie ihn riechen!«

Ich warf den Kopf herum, mit einer Bewegung, die meinem Gesellschafter sehr
lächerlich seyn mußte.

»So sehen Sie ihn doch nur wenigstens an. Sie müssen sich doch an seinen
Anblick gewöhnen. Er bleibt mit seiner Braut in L**.«

Ich war wie auf der Folter, faßte aber doch endlich Muth und sah den Grafen
an. Er stand mit einem Offizier Hand in Hand.

»Wie kann man sich aber mit solch einem elenden Menschen abgeben?« sagte
ich, mit der ganzen Wuth, die sich mir aufs Herz geworfen hatte: »Ein
Soldat, und solch ein Windbeutel! Dem Lieutenant Rahm kann ich nie wieder
gut werden, weil er ein vertrauter Freund von ihm ist!«

Bravo, bravo! rief mein Gesellschafter lachend: Sie werden beredt! Immer
geben Sie von sich, was Sie auf dem Herzen haben, das wird Ihnen gute
Dienste thun. -- Wissen Sie, wie man hier die beyden Leute nennt? _Damon
und Pythias_. Solch eine Freundschaft ist unerhört! Sie wohnen auf Einer
Stube, schlafen in Einem Bette, halten sich Ein Mädchen, kurz, einer ist
des andern Schatten. Das ist bekannt, und Sie haben sie gewiß selbst mehr
als hundertmal gesehn!

»Kann seyn, aber es ist mir nicht aufgefallen!«

Und nun fällts Ihnen so stark auf, daß Sie kochen? Ich sehe, wo es Ihnen
fehlt, lieber Lemberg, aber ich sage Ihnen, die Lehmniz straft sich selbst.
Vielleicht ist sie auch von ihren Eltern -- dazu -- gezwungen worden. --
Aber, mein Gott, das müssen Sie ja alles wissen?

»Ich weiß nichts!«

Nun, so begreife ich Sie nicht. Sie müssen mir sagen, wie Sie mit ihr
stehen. Gleich auf der Stelle, ich lasse nicht nach.

Ich war also gezwungen zu beichten. Ich erzählte ihm, daß ich zwar mit ihr
erzogen wäre; daß ich sie aber in vier Jahren nicht gesehen habe: kurz,
gestand ihm alles, was man weiß.

Nun denn, nahm er das Wort, denn haben Sie auch keine Ansprüche auf
sie, und es ist Ihre eigne Schuld, wenn sie einem Andern die Hand giebt.
Sonderbarer Mensch! Wie können Sie vermuthen, daß es einem Mädchen genug
seyn wird, wenn Sie sich täglich zwey- oder dreymal unter ihrem Fenster
wegstehlen, und sie höchstens grüßen? Wie kann sie glauben daß Sie etwas
für sie empfinden, wenn Sie nicht zu ihr kommen, da Ihnen der Zutritt
unverwehrt ist? Lieber, lieber Lemberg, sich selbst haben Sie es
zuzuschreiben, wenn Sie unglücklich sind. Nun ist es zu spät. In acht Tagen
ist Hochzeit! Muth gefaßt und vergessen -- weiter ist kein Weg übrig!




Sechzehntes Kapitel.

_Ein Quiproquo._


Es wäre vergeblich, den damaligen Zustand meines Herzens zu schildern.
Ich erinnere mich, acht Tage hindurch keinen einzigen hellen und dauernden
Gedanken gehabt zu haben. Eine Menge von Bildern schwebte meiner Phantasie
vorüber, alle mit Blut und Mord gezeichnet; aber meine Raserey kam nicht
zum Ausbruch, so gewaltsam auch der Stoß war, den sie die letzten Tage
vor Malchens Hochzeit erhielt. Gräfin Waller kam aus D** und ließ mich
freundlichst zur Hochzeit bitten. Herr und Frau von Lehmniz kamen und
verkündigten mir die Vermählung ihrer Tochter unter Jubel und Freude.
Fräulein Louise wollte mich zu ihrem Tänzer in Beschlag nehmen. Graf
von Waller erschien mit seinem Busenfreunde Rahm und freuete sich, meine
Bekanntschaft zu machen -- Unerträglich, unerträglich! Ich wußte nicht, wo
ich war! Ich kannte mich selbst nicht!

Die ganze Stadt war voll von dieser Vermählung. »Ja,« hieß es, »er ist
freylich Graf, soll auch sehr reich seyn -- aber« -- den Nachsatz sagte
sich der Bürger ins Ohr, und der Soldat lachte und sagte öffentlich: Armer
Graf, wie wirds in der Brautnacht aussehen?

Indessen ging die Hochzeit vor sich. Ich blieb im Bette und mußte das
Fieber haben. Je dichter ich mich in meine Küssen verhüllte, desto
lebhafter wurden mir die Bilder von Malchen und dem Grafen Waller. Ich nahm
mir fest vor, in vier Wochen nicht aus dem Bette aufzustehen, aber wie sehr
fiel mir schon ein halber Tag zur Last! Gegen Abend vermehrte sich meine
Unruhe. Ich wollte dies thun, wollte das thun, und that nichts. Endlich
beschloß ich, mich zu verkleiden, und mich unter die Zuschauer zu mischen,
um -- ja, wenn ich auch gewußt hätte, was ich da thun wollte. Ich nahm die
Uniform meines Kerls, zog sie an und hin. Alles war um und um erleuchtet,
alles zeigte Glanz und Freude. Das Souper war in einem Gartenhause,
ausserhalb der Stadt, welches der Graf seiner neuen Gemahlin gemiethet
hatte, und der Garten, der dazu gehörte, war aufs prächtigste erleuchtet.
Aber eben der Glanz und die Fröhlichkeit sagten mir nicht zu. Ich ging
zurück, wie ich gekommen war, und beschloß, mich tief in mein Bette zu
vergraben. Ich zog mich aus -- plötzlich ward ich wieder anderes Sinnes.
So kämpfte ich zwischen Wollen und Nichtwollen bis gegen zwey Uhr in der
Nacht. Endlich widerstand ich nicht länger. Ich warf einen großen Mantel,
wie sie damals allgemein getragen wurden, über den Schlafrock, und ging
nach dem Gartenhause zurück.

Alles war still; die Gesellschaft schien auseinander gegangen zu seyn und
die Lampen im Garten waren meist erloschen. Die schauerliche Dunkelheit
hielt mich. Ich ging dreymal um das Haus, die Augen in düsterer
Verzweifelung auf ein Zimmer geheftet, wo ein dürftiges Licht zu brennen
schien. Auf einmal erlosch auch dieses, und die Ideen, die mir dieser
Umstand erweckte, raubten mir Verstand und Bewußtseyn.

Und indem ich zum viertenmal so dicht im Mantel verhüllt, um das Haus
schlich, öfnete sich die Thür. Es kam eine Mannsperson hinter mir her
gesprungen und hielt mich. »Nun ists Zeit, Rahm, flüsterte sie, mach'
alles, wie wirs verabredet haben!«

Ich stutzte und erstarrte. Der Mann führte mich mit zitternder Hand zum
Hause, und ich folgte, ohne einen Laut von mir geben zu können. »Wo -- wo,
will das hinaus?« dachte ich und fühlte einen erschütternden Frost in allen
Gliedern.

Wir stiegen mit äußerster Behutsamkeit die Hälfte einer Treppe hinan.
Hier nahm mir der Graf den Mantel ab und sagte: die erste Thüre rechts, du
kannst nicht fehlen! Er schien eben so sehr aus aller Fassung zu seyn als
ich, und schob mich die Treppe hinauf. Ich verhielt mich ganz leidend; auch
nicht der kleinste Laut kam über meine Lippen.

Aber wie ward mir, als ich die Treppe vollends hinantappte, da plötzlich
eine Thür aufging, ein sanfter, warmer Hauch mich anwehete, eine weiche
glühende Hand meine Rechte ergriff und mich nach sich zog! Ich wäre
mitgegangen und wenn sich die Hölle mit allen ihren Schrecknissen vor mir
aufgethan hätte!




Moriz.

Viertes Buch.




Erstes Kapitel.

_Extasen._


Sie drückte mich an ihren wallenden Busen und sprach mit dem ganzen Zauber
der weiblichen Lippe, wenn sie von Mitleid überfließt, zu mir: ist Ihnen
wieder wohl, lieber Graf?

Der süße Ton ihrer Stimme durchdrang mein Innerstes, und ein heftiges
Zittern, das mich wie Fieberschauer erschütterte, war die Folge dieser
Anrede.

Und hätte ich auch reden wollen, ich hätte es nicht gekonnt. Alle meine
Empfindungen blieben nur halb empfunden, so Schlag auf Schlag durchkreutzte
eine die andre, unterdrückte sie, und war von einer andern unterdrückt. Es
war ein Zustand der Betäubung, wo ich vor lauter Gefühlen nichts fühlte, wo
keines derselben dauernd genug war und Gewalt genug hatte, das eiserne Band
meiner Zunge zu lösen.

»Sie antworten mir nicht?« sagte sie im Tone der Aengstlichkeit -- »Ich
will -- ach! -- ich muß rufen!«

Das Wort _rufen_ erweckte mich wie aus einem tiefen Schlafe. Das Bewußtseyn
meiner ganzen jetzigen Lage flog meiner Seele vorüber und schnell folgte
die That dem Gedanken: ich umschloß sie mit dem ganzen gewaltigen Feuer der
Liebe.

Und indem ich sie an mein lautpochendes Herz drückte, fühlte ich, wie ihr
rechter Arm, der um meinen Nacken lag, drey- viermal zuckte, als wenn man
plötzlich erschrickt, und daß dieser Arm in der nächsten Sekunde darauf,
sanft auf meiner Schulter liegen blieb.

Sie sagte noch ein paar Worte, die ich nicht verstand, ließ mich rasch los
und that einen kurzen Schritt zurück. Nur ihre Linke hatte ich noch,
und diese drückte ich an mein Herz, als ob ich sie in meine Brust hätte
hineindrücken wollen.

»Ums Himmelswillen, sind Sies, oder« --

Die Worte erstarben ihr auf den Lippen. Das »_oder_« war der Hauch eines
sanften Flüsterns, welches die Stelle des Lautes einnimmt, in dem Momente,
wo die Seele fühlt, daß die Zunge im Begrif ist entweder unschickliche oder
beleidigende Dinge zu sagen: sie verwandelt mit der Schnelligkeit eines
Blitzstrahls den Hauch, der einen lauten Ton geben sollte, in jenes
Flüstern, das kaum hörbar über die Lippen säuselt.

In dem Augenblicke, wo ihre Seele den ersten Gedanken mit dem zweyten
verdrung, trat sie mir auch wieder näher, drückte sie auch meine Hand
wieder feuriger. Ich umschloß sie von neuem, sie mich -- und so in eins, so
innig verschlungen, brennende Wange an brennende Wange fest geheftet, beyde
nur einen Herzschlag fühlend, beyde fast eins -- sanken wir, in unnennbare
Wonne aufgelöst, zurück. Ohne Bewußtseyn, lebendigtodt, und doch voll
Kraft, fühllos, und doch bis aufs innerste Mark bewegt, brannte und
fror ich, starb und erwacht' ich wechselsweise, bis endlich meine ganze
Lebenskraft in einen Hauch zusammen schoß, und sich in einen Seufzer
auflöste, der kaum stark genug war, den süßen Namen _Malchen_ über meine
bebende Lippen zu drängen. Mein Kopf glitt langsam von ihrem Busen herab,
und ihre Rechte schob mich mit einem sanften Druck auf die Seite.




Zweytes Kapitel.

_Muth und Stärke._


Plötzlich sprang die Thür auf und Rahm stürzte mit Wallern herein. Malchen
drückte das halb geschlossene Auge ganz zu, und blieb ohne Bewegung auf dem
Bette liegen. Aber ich stand vor ihr, beyde Arme fest an den Leib gedrückt,
alle ihre Muskeln so straff angespannt, als ich Eichbäume hätte entwurzeln
wollen. Mein starrer Blick schoß von Waller auf Rahm, von Rahm auf Waller,
und nur zuweilen von der Seite auf Malchen, die ich hülflos liegen ließ,
mit dem wilden Gedanken, der Kampf zwischen uns dreyen werde sie zeitig
genug aufschrecken.

Rahm trat ein paar Schritte näher, hob das Licht auf, das er in der Hand
hielt, und sah mir ins Gesicht. Stumm und sprachlos vor Erstaunen und Wuth,
setzte er das Licht auf den Tisch und hielt sich mit beyden Händen fest an
demselben. Der Tisch zitterte und krachte, bald stärker, bald schwächer, so
wie ein innerer gewaltiger Sturm Rahmen ergriff und erschütterte.

Waller ging todtenblaß und auf den Zehen um ihn herum. Bey jedem Schritte,
den er that, knickten die Gelenke des Fußes, worauf er trat, hörbar. »_O,
mein armes Weib!_« sagte er endlich, indem er den Kopf furchtsam nach dem
Bette hinstreckte und sich mit beyden Händen fest an Rahmen hielt. Je näher
sein Kopf auf mich zu kam, desto weiter rückte ihm meine festgeballte Faust
entgegen. »Eher soll sie ewig schlafen, als durch _dich_ erweckt werden!«
dies war der einzige helle Gedanke, dessen ich mich während dieser
wechselseitigen Pantomime erinnere.

Mit dem einen Auge hütete ich den Grafen, mit dem andern seinen Freund.
Bey der kleinsten Bewegung, die dieser machte, spannten sich meine Muskeln
unwillkührlich straffer an, und auf meine Füße trat ich so fest, als wollte
ich mich in den Boden tief hineinpflanzen, um unerschütterlich zu stehen,
wenn man mich angriffe.

Ich weiß nicht, wie lange wir in dieser stummen Stellung blieben. Malchen
regte sich endlich wieder, hüllte sich aber in eben dem Augenblicke mit
einem: _Ach Gott, was wird das werden!_ ins Kopfküssen. Ich konnte nur
einen kleinen, flüchtigen Seitenblick auf sie, von Rahmen abmüßigen, aber
durch alle meine Glieder schoß eine betäubende Hitze, die aus der Besorgniß
entstand, sie möchte sich noch einmal regen und rufen; ich fühlte, daß
mich der klagende Ton ihrer Stimme rührte, und auf einige Momente muthlos
machte, darum wünschte ich, sie nicht mehr zu hören.

»_O, helfen Sie doch!_« rief der Graf, und sein Zittern erschütterte
Rahmen, an den er sich immer noch fest hielt, und der Tisch, auf welchen
sich dieser mit beyden flachen Händen gestützt hatte, zitterte und krachte.
Rahm sah eine Zeitlang stumm vor sich hin, sodann schlug er die Augen auf
und sah sich im Zimmer um, als ob er etwas suchte. Meine Blicke folgten den
seinigen überall hin; wo sie ruhten, ruheten die meinigen; wandte er sie
aber auf Malchen, so stellte ich mich ihnen entgegen -- auch sehen sollte
er mein Malchen nicht, auch nicht sehen! -- Und angreifen? darauf stand Tod
und Verderben.

Endlich verweilte sein Blick in der einen Ecke des Zimmers ein paar
Augenblicke, und ich bemerkte, daß dort ein Degen stand. Sollte ich ihm
zuvorkommen, und den Degen für mich nehmen? -- Nein, durchaus nein! Denn
unterdessen hätte sich der Graf dem Bette nähern können. Ich stand immer
noch, wie in den Boden gewurzelt. Rahm riß sich von Wallern los, sprang
nach dem Degen und faßte ihn, und plötzlich sah ich um mich und über mich,
wie wenn der Boden unter mir einstürzte, und ich nun noch, um nicht zu
versinken, mit verzweifelnder Aengstlichkeit nach etwas suchte, woran ich
mich halten könnte. Die Schnelligkeit, womit ich dies that, leidet keine
Vergleichung, und eben so wenig die gewaltsame Bewegung, die mich während
dieser unsäglich kurzen Momente ergriff. Aber indem ich so nach Rettung
um mich blickte, bemerkte ich ein Pistol neben mir über dem Bette. Sehen,
fassen und spannen war eins!

»Sie ist geladen, um Gottes willen!« rief der Graf, indem er von weitem
seine Hände nach mir ausstreckte, und dann schnell auf Rahmen zusprang, um
ihm den Degen zu entwinden.

Er ist geschliffen, ich beschwöre dich, Rahm! sagte er zu diesem, und ward
von ihm ungestüm zurückgestoßen. Aber er stellte sich von neuem
zwischen uns, den Rücken nach mir gekehrt, und beyde Hände gegen Rahmen
ausgebreitet. Dieser sah mit blitzendem Auge und zuckender Lippe über
Wallers rechte Schulter, und über die linke schoß die Spitze seines Degens
auf mich her; aber ich streckte ihm mein Pistol über die rechte Schulter
des Grafen entgegen.

Da standen wir! Er stach nicht zu, und konnte nicht zustechen, ich schoß
nicht, obgleich ich schießen konnte. Hatten sie doch mein Malchen noch
nicht berührt! Nur _darauf_ stand Tod und Verderben.

Von beyden Seiten kein Wort, kein Laut -- nur das Geräusch des Athems, der
aus drey gefesselten Busen gewaltsam hervorbrach, nur das Zittern der Diele
auf welcher wir standen!

In dem Augenblicke regte sich Malchen von neuem, und es erfolgte der vorige
Ausruf. Ihre Stimme schien uns alle Drey gleichstark zu erschüttern; mir
wollten die Sehnen des rechten Armes erschlaffen; ich fühlte, daß ich
schwächer ward, und stärkte, in unsäglicher Anstrengung, um Muth zu
behalten, Muth mit Muth. Unausbleiblich war hier Ohnmacht oder Raserey! Es
ward letztre, und nun drang ich, in wilder Wuth, mit der Linken alles vor
mir her wegstoßend, und die drohende Rechte aufgehoben, auf meine Gegner,
packte den Grafen im Nacken, und hob und stürzte ihn über Rahmen hin. Beyde
fielen. Rahm ließ den Degen fallen, ich mein Pistol, ich ergriff mit
der Linken den Grafen, und mit der Rechten seinen Freund, und zerrte und
schleppte sie nach der Thür, stieß mit dem Fuße wider dieselbe, sie sprang
auf, und nun warf ich mich, mit Löwenstärke im Arme, und mit Tigerwuth im
Herzen, auf beyde, und drängte sie zur Thür hinaus. Der Graf kollerte ein
paar Stufen die Treppe hinab, und Rahm blieb wie ausser sich vor der Thüre
liegen, die ich im Triumph zuschlug und verriegelte.

Nun ging ich, so kalt, als wäre nichts geschehen, putzte das Licht, setzte
mich zu Malchen aufs Bette, und dabey war mir immer, als wenn ich lachen
sollte.

So wird allerhöchste Glut zur Kälte, und allerhöchste Kälte zur Glut!

Aber dieser Zustand dauerte nicht zwey Minuten. Meine Glieder waren wie vom
Rade zerschmettert, ich fühlte sie nicht, und konnte sie nicht regen, und
meine Augen sanken zu, während ein kalter Schauer durch meine Adern fuhr,
und meine Sinnen betäubte und gleichsam vernichtete.




Drittes Kapitel.

_Geständnisse ohne Worte._


Ich weiß nicht, wie lange ich in diesem Zustande blieb. Als ich die Augen
aufschlug, erblickte ich Malchen mit dem Lichte in der Hand vor mir.

»Gott! er lebt wieder!« rief sie mit einer Stimme, deren unendlich rührende
Modulation ich noch zu hören glaube. Sie sank halbohnmächtig in einen
Lehnstuhl, und ich sprang auf und flog zu ihr. Ich nahm ihre Hand, und
drückte meine Lippen fest auf die ihrigen. Sie kam wieder zu sich.

O, der erste Blick, der aus ihrem halbgeöfneten Auge langsam auf mich fiel
-- nie und nimmer werde ich ihn vergessen! Ein Meer von Wonne strömte aus
ihm in mein erwärmtes Herz, unwillkührlich sank ich vor ihr auf die Kniee,
und noch jetzt schäme ich mich dieser Stellung nicht. Das weibliche Auge,
welchem _die_ himmlische Güte entströmen konnte, verdiente Anbetung vom
Manne. Sie legte ihre rechte Hand sanft auf meine Schulter und mit der
linken hob sie mich auf. »O, ziehn Sie mich aus dieser Unruhe, Lemberg,«
sagte sie, indem sie meine Hand ergriff und sie langsam an ihr Herz
drückte: »oder ich sterbe unter Ihren Händen!«

Ich fühlte mich wie verjüngt und verklärt. Der Nebel der alle meine
Geisteskräfte bis daher verhüllt hatte, schwand auf einmal, und ich sah
mit geläutertem Auge auf das, was geschehen war, und geschehen würde.
Ich zitterte nicht mehr, wenn ich Malchen ansah, sondern eine bescheidene
Vertraulichkeit trat an die Stelle der Furcht, die mich sonst bey ihrem
Andenken oder ihrem Anblicke befiel. Und sie selbst schien mich nicht zu
fürchten, ihre Blicke verriethen nichts, als diejenige Unruhe, die aus
hochgespannter Neugier entsteht, und zwey oder drey derselben sagten mir
noch einmal das Verlangen, das sie mir vorhin schon mit Worten zu erkennen
gegeben hatte.

Nun stand ich nicht länger an, sie zu befriedigen. Ich erzählte ihr mit
einer feurigen Beredtsamkeit die Geschichte dieses Abends: wie ich voll
Verzweiflung ums Haus gelaufen, wie mich der Graf gerufen und geheimnißvoll
in ihr Zimmer geführt habe; wie ich empfindungs- und gedankenlos in ihre
Arme gesunken sey. --

»O, ich wußte, daß es der Graf nicht war!« sagte sie und schien in eben dem
Augenblick über dies Geständniß herzlich zu erschrecken. Sie wandte ihren
Blick von mir, legte die linke Hand vor die Augen und der helle Inkarnat
der Unschuld glühete auf ihren Wangen.

»Sie wußten -- Sie wußten es?« rief ich: »O, wie konnten Sie das wissen?«
Ich drang in sie, aber sie schwieg. Es entstand eine lange Pause, die aber
nicht ängstlich war, denn ich hielt Malchen fest umschlossen. Ihr rechter
Arm ruhete auf meiner linken Schulter, so daß ihre Finger dicht über meiner
Herzgrube lagen, und ihr linker Arm, drückte meinen rechten, den ich um sie
geschlungen hatte, fest an ihr Herz. Ihr Haupt ließ sie, um ihre Lippen vor
den meinigen zu schützen, lächelnd auf die linke Schulter zurücksinken.

Ach, in dieser Stellung hätte ich sterben wollen! Ein sanftes Feuer
durchfloß meine Adern, brannte auf meinen Wangen, glühete auf meinen
Lippen, und o! in meinem Herzen lebte die sanftere Freude, die auf den
ersten wilden Erguß des Entzückens zu folgen pflegt, und Bilder, unendlich
schöner als Alles, was je eine feurige Einbildungskraft, die in Aether und
Sonnenstrahl lebt und webt, gesehn und erfunden hat, wallten im Gewande
der sanftern Morgenröthe meinem geistigen Auge vorüber. Himmel und Erde
entschwanden meinem verklärten Blicke, und nichts als mich und Malchen,
sah ich in dem gränzenlosen All, das sich mir zu Liebe in sein herrlichstes
Feyergewand gekleidet hatte.

In Malchens Auge glänzte ein ganzer Himmel voll Wonne, in einen einzigen,
reinen Kristalltropfen aufgelöst, der bebend und flimmernd über die
glühende Wange herab rollte.




Viertes Kapitel.

_Erläuterungen._


Unter diesen himmlischen Träumen würden wir noch Stunden zugebracht haben,
wenn uns nicht ein Geräusch aufgeschreckt hätte. Ich sprang auf und lehnte
mich gegen die Thür, mit einer Kraft, als wenn ich dem Stoße eines Riesen
zu widerstehen gehabt hätte. Aber das Geräusch ließ nach, und ich hörte,
daß man in halblautem Wortwechsel die Treppe hinunter ging. Es waren die
beyden Freunde, die sich wieder aufgerafft hatten. »Morgen früh, soll sich
alles aufklären,« sagte der Graf: »Ich beschwöre dich, warte so lange,
sonst ziehen wir das ganze Haus herbey!«

»O, wir sind sicher bis morgen früh« -- rief ich und hüpfte zu Malchen:
»Lustig, gutes Malchen, lustig!«

Ich that drey hohe Sprünge und sie lachte dazu.

»Wie wir uns so vergessen können!« sagte sie erröthend: »Ich glaube, wenn
wir beyde morgen sterben sollten, wir dächten nicht daran! Aber, lieber
Lemberg, wenn Sie sich entfernten, es wäre wohl besser!«

Ich erinnere mich in meinem Leben nicht so erschrocken zu seyn, als bey
diesen Worten. Der helle Angstschweiß stand mir vor der Stirn, und wenn
zehn Degenspitzen auf mich eingedrungen wären, um mich aus dem Zimmer zu
vertreiben, so hätten sie meinen Muth nicht so niederschlagen können.

Vielleicht las sie in meinen Blicken, wie tödtlich sie mich erschreckt
hatte, denn sie drang nicht weiter in mich und sagte nicht nein, als ich
ihr versicherte: daß ich sie ewig nicht aus meinen Augen lassen würde. Mit
Tagesanbruch sollte ihr Vater die ganze Geschichte erfahren, und dann über
uns alle Recht sprechen; dann sollte er entscheiden, ob seine Tochter die
Gattin eines Menschen bleiben könnte, der so wenig Gefühl für Ehre und
Schande besäße, und dann -- Aber ich hatte nicht Herz genug, ihr zu sagen,
was dann geschehen sollte. Aber sie errieth es ohne meine Worte, das zeigte
ihr heiteres Auge, welches sie langsam von meiner Hand auf die Erde gleiten
ließ.

Wir gingen Arm in Arm in herzlicher Vertraulichkeit im Zimmer auf und ab,
und ihre Zunge schien sich auf einmal zu lösen:

»O, wenn Sie wüßten, lieber Moriz -- ach! ich muß Sie so nennen, denn
dieser Name setzt mich in die glücklichsten Zeiten meines Lebens zurück --
wenn Sie wüßten, wie man mich überrascht hat! -- Vor drey Wochen erfuhr ich
zuerst, daß ich an den Grafen verheyrathet werden sollte, und seit gestern
bin ichs schon« --

_Gewesen! Gewesen!_ unterbrach ich sie hitzig: Sie sollen sehen, Sie sollen
sehen!

»Die erste Nachricht, von dem Unglücke, das mir bevorstand, bekam ich
von meiner Mutter. Es war ein Brief von der Gräfin Waller an meinen Vater
eingelaufen, worin sie anfangs die Verdienste und das Alter seiner Familie
gehörig anerkannte, und gleich darauf mit dem Verlangen ihres Neffen
hinterdrein kam. Er sollte mich in L** gesehen, und vom ersten Anblick an
nichts sehnlicher gewünscht haben, als sich mit mir zu verbinden. Er
sey Graf, reich, und einziger Erbe einer Tante, die einen Abgott aus ihm
machte.«

»Sie wissen, wie offen das gute Herz meines Vaters gegen Schmeicheleyen
ist, besonders wenn sie von dem Alter seiner Familie und seinen Kindern
hergenommen sind. Ohne sich lange zu bedenken, ohne mich zu fragen,
schreibt er mit der nächsten Post zurück, er wäre nicht abgeneigt, nur
wünschte er seinen Schwiegersohn zu sehen. Dieser kommt in wenig Tagen an,
und vollendet den Eindruck, den der Brief der Gräfin gemacht hatte.«

»Eh ichs mir versehe, kömmt mein Vater mit dem Grafen hieher und stellt
mir ihn gleich bey der ersten Anrede als meinen künftigen Gemahl vor. Ich
glaubte in den Boden zu sinken! Ach, mein Herz war schon zu voll, um noch
eine größere Last zu tragen! Ich hatte Sie öfters unter unserm Fenster
hingehen sehen, Ihr Anblick nach so langer Zeit hatte alle die Freuden von
neuem in meinem Herzen aufgeweckt.« -- --

»O, Lemberg (sie senkte ihr Haupt zärtlich auf meine Schulter) und
Sie sahen nicht einmal zu mir herauf! Ach, und ich hätte Sie so gern
gesprochen, hätte mich so gern unsrer frohen kleinen Spiele erinnert!«

»Anfangs glaubte ich, Sie wüßten es nicht, daß ich mich in L** befände.
Unwiderstehlich ward am Ende mein Verlangen, Ihnen dies zu erkennen zu
geben. Als Sie wieder einmal vorbeygingen (es war noch ein Offizier bey
Ihnen) riß ich, wie ausser mir, das Fenster auf, und rief Ihnen nach: _Wie
kommen Sie hieher, Herr von Lemberg?_ Und kaum sahen Sie sich um, kaum
grüßten Sie mich aus der Entfernung, und umsonst hatte ich die Augen der
Vorübergehenden auf mich gezogen!«

Malchen zerdrückte ihre Thränen im Auge, aber mir liefen sie hell über die
Backen. Ich suchte Worte, und fand keine, die mich hätten entschuldigen
können.

»Von der Zeit an fühlte ich eine Art von Erbitterung auf Sie, aber sie
machte mich unruhiger, als vorher meine Neugier. Sonst war ich stündlich am
Fenster, um Ihnen zu zeigen, wie nahe ich Ihnen sey, jetzt eben so oft, um
Ihnen zu zeigen, daß ich -- böse auf Sie sey. Aber Beydes machten Sie mir
unmöglich, denn Sie gönnten mir nicht einen einzigen vollen Blick, und
schielten von der Seite, als ob Sie sich vor mir fürchteten.«

»In dieser Stimmung meines Herzens überraschte mich mein Vater. Alles
redete und drang in mich, und zeigte mir das Glück, das ich mit dem Grafen
machen würde. Alles, von der Gouvernante an bis zur jüngsten Pensionaire,
pries mich glücklich: die eine, daß ich einen Grafen heyrathen, die andre,
daß ich nun bald ein recht prächtiges Brautkleid anziehen würde. Eine
Herzens Freundin von mir, die einen B** Grafen, ebenfalls ohne ihr Herz,
geheyrathet hatte, wirkte durch ihr Beyspiel auch auf mich -- So von allen
Seiten bestürmt und überrascht, so ganz vergessen von dem, den ich unter
allen meinen Jugendfreunden gerade zuletzt vergessen hätte« --

O, ich hatte Sie nicht vergessen! rief ich, und eine Thräne nach der andern
tröpfelte auf ihre Hand, die ich fest an meine Brust drückte. --

»_Ihm, diesem_ (sie zeigte lächelnd auf mich) zum Trotz, gab ich dem Grafen
das Jawort, und bin -- unglücklich!«




Fünftes Kapitel.

_Fortsetzung._


_Glücklich, glücklich!_ rief ich, und mein argloses Herz, aus welchem
dieser Ausruf hervordrang, pochte vor Freude, ihr dies versichern zu
können. Denn sie gab mir ja deutlich zu verstehen, daß sie mich liebte, und
daß ihr ganzes Glück davon abhienge, des Grafen los zu werden, und dafür
_mich_ -- -- und _mich_ konnte sie ja haben!

Ich muß lächeln, wenn ich mich dieser kleinen Züge der unerkünstelten
Unschuld erinnere. Man muß uns unsre damalige Unerfahrenheit zu Gute
halten, denn, genau gerechnet, waren wir ja beyde noch Kinder. Aber gewiß
ist es, daß uns diese Treuherzigkeit in jenen Augenblicken unbeschreiblich
glücklich machte.

»Wenn ich nur auf der Stelle einen Boten gehabt hätte, (fuhr Malchen
fort) so hätte ich Ihnen in Triumph verkündigen lassen, daß ich nun einen
_Grafen_ heyrathen würde. Wären Sie gerade durch unsre Straße gegangen, so
hätte ich alles angewandt, es Ihnen zu verstehen zu geben: so eifrig
war ich darauf bedacht, Ihnen zu zeigen, wie wenig ich mir nun aus Ihnen
machte. Aber es gelang mir nicht. Doch gab ich noch nicht alle Hoffnung
auf, weil mir der Hochzeittag noch bevorstand, wo Sie mir gewiß nicht
ausweichen konnten. Daß Sie so oft, und durch so mancherley Bekannte und
Unbekannte zur Hochzeit gebeten wurden, haben Sie mir zu danken. Ich
wollte Sie durchaus sehen, um Ihnen zu zeigen, daß ich nun mit einem Grafen
vermählt würde, da Sie« --

Malchen sah von der Seite, und nickte drey oder viermal mit dem Kopfe, wie
Kinder nicken, die sich entzweyt haben, um einander zu sagen: ich kann doch
spielen ohne dich!

»Aber es hieß, Sie wären krank und würden nicht kommen. Auf einmal
verschwand alle meine Heiterkeit, und eine tödtliche Unruhe trat an ihre
Stelle. Zuweilen war es mir ganz dunkel zu Muthe, als ob die ganze heutige
Feyerlichkeit nur angestellt wäre um Sie zu kränken; und als Sie wirklich
nicht kamen, hatte ich ein sehr sonderbares Gefühl, das mich überredete,
nun würde auch aus der ganzen Heyrath nichts werden. Aber welch ein
unbeschreiblicher Schreck, als der Priester ins Zimmer trat! Noch zwey
bis dreymal sah ich mich ängstlich nach Ihnen um, und als ich Sie nicht
bemerkte -- o, Moriz, ich hätte laut aufschreyen und aus dem Zimmer laufen
mögen! Gesicht und Gehör verließen mich, vor meinen Augen ward alles
schwarz, und, sobald ich das unglückliche _Ja_ ausgesprochen hatte, ward
ich ohnmächtig!«

»Man ermunterte mich zwar, aber ich kam den ganzen Tag nicht zu mir selbst.
Hundertmal war ich im Begriff meinen Bräutigam »_lieber Moriz_« zu nennen,
hundertmal erstarb das Wort auf meiner Zunge. Noch nie hatte ich so oft und
so lebhaft an Sie gedacht, als heute, wo es Verbrechen geworden war, an Sie
zu denken. Aber ich konnte -- ich konnte mein Herz nicht bändigen, das Sie
ungestüm von mir forderte. Sie schwebten mir vor Augen, und meine Blicke
hingen an Ihrem Bilde. Meine Mutter machte mir Vorwürfe, daß ich an dem
glücklichsten Tage meines Lebens so still und traurig wäre, und meinen
Bräutigam ängstigte. Aber -- der zeigte eben so wenig aufrichtige Freude,
als ich, und die Gesellschaft machte sich auf seine Kosten lustig.«

»O, wie oft suchte Sie mein nasses Auge unter den Zuschauern und Gästen!
Verschwunden war jede unfreundliche Empfindung gegen Sie. Nun wünschte ich
Sie zu sehen, um -- Ihnen mein Unglück zu klagen, nicht, um über Sie zu
triumphiren. Und wenn ich mich dann so ganz in mich und meinen Kummer
verlor, so war mirs immer, als ob mir jemand ins Ohr raunte: _Du sollst ihn
sehen!_ Sehnsuchtsvoll irrte dann mein Auge von neuem umher, um Sie unter
der Menge zu entdecken, aber vergebens, immer vergebens!«

»Das Andenken an die kommende Nacht schlug mich vollends zu Boden. Mein
Vater eilte fast angelegentlicher, als es der Wohlstand erlaubte, die
Gesellschaft zum Aufbruche zu bewegen. Ich bat ihn, so oft es sich
unvermerkt thun ließ, nicht so zu eilen, aber er lachte über meine
Verlegenheit. Alles verlor sich nach und nach, und endlich sah ich mich nur
noch mit meiner Mutter und der Gräfin in dem weiten Zimmer allein. O, das
Herz hätte mir springen mögen, als sie mich bey der Hand nahmen und hieher
führten. Ich weinte und schluchzte laut, und alle ihre Tröstungen, so wenig
als ihre Scherze, vermochten etwas über mich. Ich bat nur um einen einzigen
Tag Aufschub, aber sie waren unerbittlich, und ließen mich endlich allein.«

»Mein voriger Zustand war nichts gegen den, in welchen ich nun gerieth.
Nun war alle Hoffnung verschwunden! _Mögliche_ Umstände konnten mich nicht
retten, mein armes Herz hing sich also an _unmögliche_, um doch nicht ganz
der Verzweiflung zu erliegen. Ich schwärmte wie im hitzigen Fieber, und --
o, lieber, lieber Moriz, was gesteh ich Ihnen nicht alles -- Sie hatten
den größ'ten Antheil an diesen Schwärmereyen. Ich vergaß über Ihnen den
Grafen!«

»Aber ich hatte diesen letzten kleinen Trost nicht lange. Er erschien
selbst und kam auf mich zu. Er war in der sichtbarsten Verlegenheit, und
die Hand, womit er mich angriff, zitterte gewaltsamer, als die meinige. Auf
seiner Stirn lag finstrer Mißmuth (so kam es mir vor) und seine Lippen,
die er auf meine Hand drückte, waren eißkalt. Er klagte über Hitze und
wüthendes Kopfweh, schwieg eine Zeitlang ganz, stammelte wieder ein paar
Worte, und that endlich die Lichter bis auf ein Nachtlämpchen aus. Mit
jedem erloschenen Lichtstrahl, erstarb ein Strahl meiner Hoffnung, und sie
erlosch am Ende fast ganz, und flackerte nur noch zuweilen matt und bebend
auf, wie das Lämpchen, das neben mir auf dem Tische stand. Und o! als er
auch dies auslöschte, und um und um dicke Finsterniß im Zimmer lag -- hin
war meine Hoffnung, hin Gefühl und Bewußtseyn!«

»Ich erinnere mich nur noch ganz dunkel, daß der Graf nun angelegentlicher
über Kopfschmerz klagte, und daß er endlich aus dem Zimmer ging, unter
dem Vorwande, ein Flakon zu holen. Da war ich allein, in dem finstern,
einsamen, todten Zimmer! Ich hörte nichts mehr, als das ängstliche
Pochen meines eignen Herzens. Jetzt wünschte ich lebhaft, daß der Graf
zurückkommen möchte. Ich tappte nach der Thür, fand sie, und machte sie
leise auf, ich hörte jemand auf der Treppe, er kam näher, ich reichte ihm
meine Hand -- o, welch ein Unterschied! Aber ich hatte nicht Muth, mir
denselben zu gestehen.«

»Statt der vorigen kalten, erwärmte jetzt eine feurige Hand die meinige,
ein anderer Athemzug, ein festerer Tritt, ein Druck, der feuriger war, als
des Grafen feurigste Umarmung -- alles das hörte, fühlte ich -- aber meine
Brust war wie in Ketten geklemmt, ich hatte nicht Athem genug zu rufen,
nicht Muth genug, zu zweifeln, nicht Kraft genug, mich loszuwinden. Ein
dunkles, ahndendes Gefühl beschäftigte und erfüllte mein Herz, arbeitete
und pochte in demselben, meine Augen sahen nichts, aber meine Hand leistete
mir ihre Dienste -- es war der Graf nicht, der mich in seine Arme schloß,
er konnte es nicht seyn -- »_Und wer wäre es sonst?_« lispelte es leise in
meiner Seele, aber ich bekämpfte diesen Einwurf mit einem unüberzeugbaren,
störrischen »_er ist es nicht!_« -- Ach und er war es auch nicht! Moriz --
Moriz -- war es! das wußt' ich, das wußt' ich! Aber ich weiß nicht, woher
ichs wußte!«

Mit diesen Worten warf sich Malchen in meine Arme und weg! über Erde und
Himmel hinweg schwebten wir beyde!




Sechstes Kapitel.

_Gräfin Waller erscheint, um -- zu verschwinden._


Unter diesen Ergießungen wechselseitiger Zärtlichkeit brach der Tag an,
und mit demselben ging ein neues Licht in meiner Seele auf. Denn bis
daher hatte ich nur wenig, und gleichsam wider Willen an Vergangenheit und
Zukunft gedacht. Jetzt machte ich mich auf große Begebenheiten gefaßt, und
bestrebte mich, ihnen mit Unerschrockenheit zu begegnen. Aber Malchen war
ausser sich vor ängstlicher Erwartung, und mein Muth schien ihre Angst zu
vermehren, weil sie nicht Kräfte genug hatte, sich demselben anzuschließen.

Es pochte an der Thür und eine Stimme rief: Machen Sie auf, Herr von
Lemberg! Malchen fuhr zusammen, aber ich sprang, den Degen in der Hand,
nach der Thür, machte sie auf, und Gräfin Waller trat herein.

Sie machte die Miene eines Kaufmanns, der seinen Freunden lachend
ankündigt, daß ihm eine kleine Spekulation, mit einem nicht nennenswerthen
Verlust von funfzig tausend Thalern verunglückt sey. -- »Guten Morgen, Frau
mit drey Männern,« rief sie, indem sie auf Malchen zu hüpfte und vor Lachen
ersticken wollte: »Hierdurch werden Sie (sie gab ihr ein zusammengelegtes
Papier) hierdurch werden Sie zwey davon los: einen Grafen und ein
Premier-Lieutenant, und nun wird Ihnen von selbst zufallen (indem sie sich
nach der Thür zog, das Gesicht von mir abgewandt und die rechte Hand in der
Lage, womit man Schellen auffängt) _der Fähndrich_!« -- Husch! war sie zur
Thür hinaus und mit schallendem Gelächter die Treppe hinunter. Nach einigen
Minuten rollte ihr Wagen unter unserm Fenster hinweg und wir verloren sie
bald aus den Augen.




Siebentes Kapitel.

_Es ist ja richtig!_


Die Schrift war an den Obersten von Lehmniz, Malchens Vater überschrieben.
Ich erboth mich, ihm dieselbe auf der Stelle auszuhändigen, denn ihr Inhalt
ging mich (wie ich aus den Worten der Gräfin schloß) viel zu nahe an, als
daß ich hätte ruhig dabey bleiben können. Aber Malchen wollte lieber, daß
ich seine Ankunft erwarten sollte, denn sie fürchtete immer noch, von dem
Grafen überrascht zu werden. Der Oberste kam endlich mit seiner Gemahlin.

»Nein,« sagte er, als er in die Thüre trat: »so ganz richtig ist es diese
Nacht nicht zugegangen. Ich bin ein paarmal über dem Gepolter aufgewacht.
Nu, wir wollen jetzt sehn!«

Er erstarrte, als ich ihm so auf einmal in die Augen fiel! »Was Henker und
Hagel!« rief er, indem er mich wild beym Arme nahm und ans Fenster zog:
»Fähndrich Springinsfeld in einer Nachtjacke bey meiner Tochter? Ich bitt'
euch um Gottes willen, sprecht, sprecht!«

Frau von Lehmniz stand ohne Bewegung von der Seite, und sah uns mit starren
Augen an. Malchen konnte eben so wenig sprechen als ich. Stillschweigend
reichte ich dem Alten die Schrift der Gräfin. Er riß sie ungestüm auf
und einige Stücke Papier fielen ihm entgegen. Ich hob sie auf, setzte sie
zusammen, und sahe, daß es ein zerrißner Ehekontrakt war.

»Verwünschte Pfote,« rief der Alte: »verwünschte Pfote!« und alle seine
Glieder zitterten. »Lies Jettchen, lies!« Er gab seiner Gemahlin die
Schrift, und sie las:

  »Es sind diese Nacht in der Brautkammer Dinge vorgefallen, die sich mit
  Menschenzungen nicht aussprechen lassen« --

»Ha, Fähndrich!« rief Malchens Vater, und packte mich vor der Brust.
Malchen that einen lauten Schrey, und Frau von Lehmniz suchte mich von
ihm loszumachen. Ich hätte mich nicht gewehrt, und wenn er mich erdrosselt
hätte!

Mein Gott! sagte Frau von Lehmniz -- laß ihn doch nur los, bis ich alles
gelesen habe!

»Nein,« rief er, »nein!« und dabey packte er mich noch grimmiger an, und
schüttelte mich, daß mir die Zähne klapperten. Frau von Lehmniz las weiter:

  »Mein Neffe hat zuweilen Anfälle von Unsinn und Verrückung, das hat
  er diese Nacht gezeigt. Ihre Tochter und der Fähndrich werden Ihnen
  erzählen« --

In dem Augenblicke nahm er Malchen bey der Hand und schüttelte sie eben
so wie mich: »erzählt, erzählt!« rief er dabey wie ausser Athem. Hätte er
Malchen noch einmal so geschüttelt, so wär' ich dazwischen gesprungen,
aber er schien sich etwas zu mäßigen, und ich fing an zu erzählen. Während
meiner Erzählung ward die Hand, womit er mich fest hielt, immer lockerer,
und endlich ließ er mich ganz los und behielt nur noch Malchens Hand, die
er hitzig hin und herschleuderte. Zuweilen fragte er: ist das alles wahr,
meine Tochter? Malchen nickte dann jedesmal mit dem Kopfe, und blickte
dabey ihre Mutter ängstlich von der Seite an.

Während meiner Erzählung trat Fräulein Louise ins Zimmer. »Was will _sie_
hier?« fuhr er sie an, und Louise machte die Thür unter allen Merkmalen des
höchsten Erstaunens langsam wieder zu.

Als ich meine Erzählung geendigt hatte, sprang er auf, ging nachdenkend
im Zimmer auf und ab -- plötzlich ergriff er das Pistol und fuhr zur Thür
hinaus. Ich stürzte hinterdrein. Er rannte die Treppen hinunter und rief
eines Rufens: Wo ist er? Wo ist er? der --

Aber kein Graf zu hören und zu sehen! Fräulein Louise sprang herzu, und
sagte: er ist fort! »Warum,« schrie der Alte und griff nach ihrem Arm,
»warum hast du ihn fort gelassen?« Das arme Mädchen zitterte und bebte und
fiel mir halbohnmächtig entgegen. Ihr Vater ließ sie los, und blieb einige
Augenblicke unbeweglich auf einem Flecke stehen. Auf einmal nahm er mich
bey der Hand, schüttelte sie und sagte: bey den _Haaren_, hast du sie aus
der Kammer geschleppt? -- Ja, sagte ich, und die Treppe hinunter geworfen!
Es schien, als ob er sich nach dieser Frage und Antwort ein wenig
beruhigte. Er sah Louisen, die sich mit dem Kopfe gegen einen Pfeiler
gelehnt hatte, an, und nahm sie bey der Hand. »Komm nur mit herauf
Louischen,« sagte er sanft zu ihr, »daß du selbst siehst, daß du selbst
hörst« -- Er ward von neuem hitzig, aber nicht in dem Grade als vorher.

Wir gingen hinauf und fanden Malchen und ihre Mutter in Thränen. »Lies
weiter!« sagte der Oberste und warf sich in einen Lehnstuhl, daß er laut
krachte.

  »alles erzählen!«

»Mein Gott, das hast du ja schon gelesen! sagte er zur Frau von Lehmniz und
sie las weiter:

  »Ihre Tochter wird mit einem Fähndrich, der seine gesunde fünf Sinne
  hat, besser fahren, als mit einem Grafen, der nicht richtig im Kopfe
  ist; deswegen erfolgt hierbey der Ehekontrakt zerrissen zurück und die
  Ehescheidung soll binnen hier und vier Wochen auf Ihrem Guthe seyn.
  Uebrigens würden Sie wohl thun, wenn Sie die ganze Sache schlafen
  ließen, und nicht durch einen unüberlegten Schritt uns alle, besonders
  aber Ihre arme Tochter, zum Gelächter machten. Ich habe mich deshalb
  entfernt, und Sie thun wohl, wenn Sie meinem Beyspiele folgen und sich
  nicht den Fingerzeigen der Welt aussetzen. Von meinem Neffen sage ich
  mich hiermit ein für allemal los, und Sie würden sehr ungerecht seyn,
  wenn Sie mich wollten büßen lassen, was er verbrochen hat. Wenn er
  Ihnen einmal in die Hände fallen sollte, (woran ich aber zweifle, denn
  er ist vor einer Stunde fort geritten und niemand weiß wohin) so werden
  Sie schon so mit ihm verfahren, (das traue ich Ihrem bekannten Gefühle
  für Ehre zu) daß er sich in Zukunft hüten wird, sich eine Gemahlin für
  einen Andern zu nehmen. Leben Sie wohl, und halten Sie die ganze Sache
  so geheim als möglich -- das verlangt Ihre eigne und Ihrer Tochter
  Ehre.«

»Den Kopf spalt' ich ihm!« rief der Oberste: »darauf kann er rechnen!
Und wäre das Weib nicht ein Weib -- seht, Kinder! -- Aber was meynst du,
Jettchen -- fuhr er zu seiner Gemahlin fort -- der Blitzjunge hat die
beyden Kerls bey den Haaren zur Thür herausgeschleppt? Hättest du ihm das
wohl angesehen?«

Ja, das hat er gethan! rief Malchen und ihre Augen funkelten vor Freude.
Frau von Lehmniz und Louischen sahen mich verwundert an. In den Mienen und
Bewegungen der letztern zeigte sich eine aufs höchste gespannte Neugier;
aber zum Unglück waren wir alle zu sehr vertieft, als daß wir auch die
kleinste ihrer Fragen hätten beantworten können.

Aber, was soll nun werden? sagte Frau von Lehmniz.

»O, ich wollte, daß du mit deinen Fragen« -- sagte der Alte: »Der Kopf ist
mir ja so verrückt, daß ich noch nicht 'mal weiß, was geschehen ist,
viel weniger, was geschehen soll. -- Beym T** du kannst mir ja doch eine
Viertelstunde Bedenkzeit gönnen!«

Wir wollen den Papa allein lassen! sagte Fräulein Louise -- komm Malchen,
du sollst mir erz--

»Durchaus nicht! Ihr sollt alle hier bleiben!« rief der Oberste. Louischen
trat trostlos zurück.

»Noch eins, Jettchen« -- sagte er zu Frau von Lehmniz: »examinire 'mal
die da (auf Malchen zeigend) ob nicht -- Henker! Du verstehst mich ja! Geh
doch! Du weißt, als es noch kleine Krabben waren --«

Frau von Lehmniz nahm Malchen bey der Hand und führte sie zum Zimmer
hinaus. Louischen wollte hinterdrein, aber die Thür ward ihr vor der Nase
zugedrückt. Sie ging ans Fenster und die hellen Thränen schossen ihr über
die Backen.

Mich nahm der Alte beyseite und sagte halblaut, halbleise: »Springinsfeld,
hat der Teufel sein Spiel gehabt?«

Mir schoß mein ganzes Blut ins Gesicht und ich bebte ärger als ein
Missethäter.

»Ja, Junge? Nicke nur, oder schüttle, wenn du es nicht sagen kannst!«
Ich konnte weder nicken noch schütteln. Nicken _wollt'_ ich nicht, und
schütteln _konnt'_ ich nicht, mithin stand mein Kopf wie eingerammelt.

Du sollst es ja nicht sagen! Nicke, oder schüttle doch nur! Du schüttelst
nicht? Mithin ist es richtig! Nicht? -- Du schüttelst nicht? -- Es ist
richtig, es ist richtig! rief er auf einmal und ließ mich los -- Jettchen,
komm 'rein, es ist richtig!

Frau von Lehmniz erschien mit Malchen. Er nahm die Hand der letztern und
legte sie in die meinige. »Sieh, Jettchen,« sagte er zu Frau von Lehmniz
und ein paar große Thränen stiegen ihm aus den Augenwinkeln: »Sieh nur --
diese Kinder sollen sich heyrathen!«

»Heyrathen?« schrie Fräulein Louise und sprang mitten unter uns.

»Es ist ja richtig!« rief ihr Vater: »Kinder, es ist ja richtig! Was kann
es anders werden? (er wandte sich zu seiner Gemahlin) Hast du's nicht auch
richtig befunden?«

Malchen zerdrehete die Zipfel ihres Halstuches, ich sah an die Decke, und
Fräulein Louise guckte andächtiglich durchs Fenster.




Achtes Kapitel.

_Aussichten zu Mord und Todschlag._


Nach einigen Minuten trat ein Offizier ins Zimmer, und foderte mich
im Namen des Premier-Lieutenants Rahm auf Schuß oder Stich. Die drey
Frauenzimmer erschraken von ganzem Herzen, aber der alte Husar hatte eine
innerliche Freude. »Ich sekundire ihm,« rief er -- »Aber sagen Sie dem
Herrn von Rahm zurück: brave Kerls schlügen sich auf den Hieb! Um Neun
Uhr kann er ins *** kommen, da soll er uns finden; und wenn ihm _der_ (er
zeigte auf mich) nicht genug giebt, so kriegt ers von mir -- denn sehen
Sie (auf Malchen zeigend) das Mädchen ist meine Tochter! Sagen Sie ihm das
wieder!«

Bey den letztern Worten fingen die drey Weiber laut an zu schreien.

»Hast du es vergessen,« sagte er zur Frau von Lehmniz: -- »Daß ich mich mit
drey Oestreichern 'rumgehauen habe? -- Und du (zu Malchen) daß _der_ diese
Nacht die beyden Kerls bey den Haaren zur Stube 'rausgeschleppt hat? --
Also! -- Und nun gebt mir keinen Laut von euch, daß ichs höre?«

Darauf schickte er seinen Jäger fort, der meine Uniform und Degen holen
mußte. Während der Zeit nahm er mich beym Arm, und ging mit mir im Zimmer
auf und ab. Zugleich horchte er, ob eine von den Damen wimmerte, und hörte
er einen Seufzer, so drückte er jedesmal meinen Arm fest an sich, um mich
aufmerksam darauf zu machen.

Als meine Uniform kam, half er sie mir anziehen. Seine Uhr legte er auf
den Tisch, und wenn eine Viertelstunde vorbey war, sagte er es jedesmal.
Endlich schlug es drey Viertel auf Neun, und es wurden zwey Pferde
vorgeführt. Nun konnten die ernstlichsten Drohungen die Weiber nicht mehr
zurückhalten. Sie hingen sich wechselsweise an mich und an den Vater,
aber er sagte ihnen statt alles Trostes: Die Ehre ruft! Habt euch nicht so
närrisch, Kinder! -- Für Malchen behielt er seinen kräftigsten Trostspruch
bis zuletzt auf, denn erst unten an der Treppe sagte er zu ihr: er soll dir
ein paar Finger mitbringen zum Brautgeschenk; freuest du dich nicht darauf,
Töchterchen? -- Aber Töchterchen wurde ohnmächtig! Ohne sich weiter um
sie zu bekümmern, nahm er mich bey der Hand und sagte: Närrchen, es war ja
nicht mein Ernst!




Neuntes Kapitel.

_Nur zwey Finger! und die ganze Geschichte ist aus._


»Springinsfeld,« sagte er unterwegs zu mir: »es wäre doch so übel nicht,
wenn Du ihm ein paar Finger kürzer machtest! Warum streckt er sie nach
verbotener Frucht aus. Sieh (er zeigte mir mit seinem Hirschfänger eine
Bewegung) wenn du, eh er sichs versieht, mit dem Degen von der Seite
herumfährst, so sind die Finger, die am Griffe liegen bloß, und du kannst
sie ihm mit einem Hieb abnehmen. Dann ist die ganze Geschichte aus, und ihr
seyd wieder gute Freunde!«

Ich mußte dem alten wunderlichen Manne versprechen, mein Möglichstes zu
thun, um ihm zwey Finger abzunehmen, und wir kamen in ** an. Rahm erschien
mit seinem Sekundanten kurz nach uns.

Rahms Anblick brachte mich aus aller Fassung. Alle Ideen der vorigen Nacht
wurden in meinem Kopfe von neuem rege, und ich griff eben so rasch nach
meinem Degen, als ich vor einigen Stunden nach dem Pistol griff. Ich zog
und legte mich in Positur.

Rahm ließ mich nicht lange warten. Sein Degen pfiff auf mich ein, und
Schlag auf Schlag fiel hier und da!

»Was ich dir gesagt habe, Fähndrich!« sagte der alte Husar, der mir zur
Seite stand -- »das Brautgeschenk!«

Aber ich hatte es mit keinem Neulinge zu thun! Rahms Streiche fielen so
rasch, so hageldicht, so gewaltig, daß solch ein frischer Arm dazu gehörte,
als der meinige war, wenn er nicht am Degengriff erstarren sollte.

Keiner von uns gab einen Laut, aber der Alte machte bey jedem Ausfall ein
Feldgeschrey mit seinem »Was ich dir gesagt habe, Fähndrich!«

Wir thaten drey Gänge, und von beyden Seiten kein Tropfen Blut. »Brave
Jungen, brave Jungen!« sagte der Alte während der Pause -- »Aber was ich
dir gesagt habe!«

Zum viertenmal stürzten wir auf einander, und Rahm schien seine ganze Wuth
und Stärke zusammenzunehmen. Hitziger als vorher drang er auf mich ein,
und mit jedem Hiebe stieg seine Erbitterung. Seine Streiche wurden immer
gewaltiger, aber seine Paraden immer sorgloser und unordentlicher, und
als er endlich einen wüthenden Kopfhieb auf mich führte, that ich einen
Seitenschritt, und hieb ihm über den Arm, daß sein Degen sank und ein Strom
von Blut an demselben herunterschoß.

»Victoria!« schrie der alte Husar, und sprang zwischen uns -- »Alles gut,
alles vergessen! Nun vertragt euch!«

Rahm reichte mir mit weggewandtem Gesichte seine linke Hand, und als mich
der Alte zum Versöhnungskuß schob, drehete er den Kopf, und ließ mich sein
Ohr küssen.

»Pfui« -- sagte der Oberste, indem er sein Schnupftuch herauszog, und es
Rahmen fest um seine Wunde wickelte -- »Blut macht gut! Ihr sollt und müßt
euch vertragen!« Darauf drehete er mir Rahms Mund entgegen. Rahm lächelte,
und umschloß mich mit seiner linken recht herzlich. Der alte Lehmniz that
einen Luftsprung. Wir halfen dem Lieutenant auf sein Pferd, und er war im
Begriff mit seinem Sekundanten, ohne uns, davon zu reiten, aber der Oberste
sprengte hinterdrein, und sagte: »Rahm, Ihr hättet eure Schuldigkeit nicht
halb gethan, wenn Ihr nicht mit mir rittet, und euch nicht noch mit meiner
Tochter vertrüget. Denn seht nur, das arme Mädchen habt Ihr am meisten
beleidigt!«

Mir wurde warm bey diesen Worten.

»O, ersparen Sie mir diese Demüthigung,« erwiederte Rahm -- »zu allem
andern steh ich zu Befehl!«

»Nun gut, bey einer andern Gelegenheit! Aber sagt mir nur, warum hat der
Windbeutel nicht zu meiner Tochter ins Bette gewollt? Sie ist doch, beym
T**! nicht häßlich!«

Schön wie ein Engel! sagte Rahm, und bey mir stieg eine Art von Verdruß
auf, daß er sich unterfing, dies zu sagen: Aber heute verlangen Sie keine
weitläuftige Erzählung von mir. Waller heyrathete nicht Ihre Tochter,
sondern Ihr Geld. Sein Vermögen war durch die Lüfte, das hätten Sie bey der
geringsten Nachforschung erfahren können. Seine Tante spürte Sie auf, bey
einer Geschichte, die Lembergen betraf, und sie konnte nicht besser wählen,
denn Sie sind der gutherzigste Mann von der Welt. Aber Waller hatte auf
seiner Reise nach _Paris_ mit seinem Vermögen -- _Alles_ verloren. Ich
sollte das ersetzen, und er wollte das Geld nehmen! Dies sey Ihnen für
heute genug. Wenn ich geheilt bin, erlauben Sie mir wohl einen Besuch auf
Ihrem Guth?

»O, Du kömmst mit zur Hochzeit!« -- erwiederte der Oberste: »Aber, das
sag' ich dir: Hand von der Braut! Nun reit' in Gottes Namen, und laß dich
verbinden!«

Er gab seinem Ungar die Spornen, und wir sprengten davon. Zu Hause
empfingen sie uns mit lautem Freudengeschrey. Malchen musterte mich von
oben bis unten, und eine sanfte Freude leuchtete aus ihren Augen, als sie
mich so ganz unversehrt wiedersah. Unterdessen ließ ihr Vater anspannen,
die Kutsche fuhr vor, und die ganze Familie stieg ein. Ich begleitete sie
bis vor das ** Thor, wo mich der Oberste umkehren hieß. Malchen streckte
mir ihr weißes Händchen aus der Kutsche her, und ihr Vater rief: »In
vier Wochen, Springinsfeld! Sobald die alte Schlange in D** die Scheidung
schickt, schreibe ichs dir: dann sitz' auf und komm!«




Moriz.

Fünftes Buch.




Erstes Kapitel.

_Liebe und Subordination._


Während der vier Wochen hatte Malchen fleißig an mich geschrieben, und ich
eben so fleißig an sie. Dieser ganze Zeitraum war für mich eine unendliche
Kette von Freuden, die nur glückliche Liebe, welche mit allem, was die
Hoffnung Entzückendes hat, genährt wird, so rein und lauter, so abwechselnd
und ewig neu über ein zärtliches Herz ausschütten kann. Ich brannte vor
Ungeduld, Malchen zu sehen, ich zählte anfangs jeden Tag, dann jede Stunde
und endlich jede Minute. Diese däuchten mir jetzt einzeln länger, als
anfangs der ganze Zeitraum von vier Wochen.

Endlich kam der Brief, der mir Nachricht gab, daß die Ehescheidung
ausgewirkt und schon auf dem Gute des Obersten sey.

  »Nun komm, Moriz,« schrieb mir Malchen, »flieg in meine Arme. Meine
  Augen sollen die ersten seyn, die Dich sehen, meine Arme die ersten,
  die Dich umschließen, meine Lippen die ersten, die auf den deinigen
  haften. Dein Athem soll mich zuerst anwehen, Dein Herz zuerst an
  dem meinigen pochen. Darum steige nicht vor dem Schlosse ab, wenn Du
  kömmst, sondern an der Gartenthür; sie soll offen stehen, und ich
  bin an derselben. Hand in Hand fliegen wir dann auf das Zimmer meines
  Vaters, und dann zu meiner Mutter, und dann überall hin. Ich schlafe
  nicht, bis ich Dich sehe, und werde nicht schlafen können, wenn ich
  Dich gesehen habe. Uebermorgen zwischen vier und sechs Uhr mußt Du bey
  mir seyn, und bist Du es nicht, so bist Du todt, oder Du liebst mich
  nicht mehr.«

Diese Zeilen gossen Feuer in meine Adern. Zu Fuße hätte ich fortlaufen
mögen, wenn ich bedachte, daß mein Pferd erst gesattelt werden müßte. Ohne
Urlaub wäre ich davon gesprengt, wenn mich nicht meine Kameraden gehalten
hätten. Ich muß halb von Sinnen gewesen seyn.

»Zwischen vier und sechs Uhr muß ich da seyn!« sagte ich zu meinem General,
als ich ihn um Urlaub bat, und glaubte ihm dadurch den allerkräftigsten
Bewegungsgrund zur Erfüllung meiner Bitte angegeben zu haben.

»Es wird wohl etwas später werden, mein lieber Lemberg!« sagte der alte
Krieger lächelnd, denn er wußte, wo es mir fehlte.

»Nicht eine Minute später,« sagte ich, »sie hält mich sonst entweder für
untreu oder für todt!«

»Recht soldatische Bewegungsgründe, haben Sie zu Ihrer Reise, mein lieber
Lemberg!« erwiederte er: »sie leuchten mir ein, und deßhalb sollen Sie
morgen früh um neun Uhr den Urlaub haben!«

Ich erstarrte. Morgen früh um neun Uhr! Da hätte ich in sieben
Stunden sechszehn Meilen reiten müssen. Unmöglich! Kaum hatte ich dies
ausgerechnet, so drehete ich mich um, mit dem festen Entschluß, ohne
Erlaubniß davon zu jagen.

»Sprudelkopf,« rief er ernsthaft: »ich weiß, was du willst! -- Ein Soldat
muß _lieben_ und _gehorchen_ können. Hier ist dein Urlaub auf sechs Monat,
schon geschrieben, aber du bekömmst ihn nicht eher als morgen früh um sechs
Uhr. Nun steht es bey dir, zu bleiben oder zu reiten.«

Ich ging stillschweigend nach der Thür.

»Sag' zu meinem Johann,« rief er mir nach: »daß er sogleich aufsitzt, und
auf jeder Station Pferde in meinem Namen bestellt. Ihrer kannst du dich
bedienen. Sorge nun, daß deine Liebe soviel von ihren Rechten nachläßt, als
die Subordination von den ihrigen. Reise glücklich!«

Er ging. Ich sah ihm stumm und verstürzt nach, und das helle Wasser stand
mir in den Augen.




Zweytes Kapitel.

_Er kömmt und -- sieht!_


Welch eine Nacht hatte ich zuzubringen! Meine Liebe kämpfte unabläßig
mit meiner Pflicht, besiegte sie, und ward von ihr besiegt. Meine Freunde
thaten alles, um mich aufzuheitern, aber ich ward erst froh, als es sechs
Uhr war. Der Adjutant brachte mir den Urlaub, und ich sprang auf mein
Pferd, das schon seit zwey Stunden gesattelt vor meinem Quartiere gestanden
hatte.

Armer Rappe! riefen meine Kameraden, und ich sprengte davon. Der Boden
zitterte unter mir, und meine Haare und die Mähne meines Rosses sausten.
Mein Geist war bey Malchen, und mein Körper sechszehn Meilen von ihr. Mein
armes Pferd mußt' es entgelten, wenn jener durch irgend einen Zufall auf
einige Minuten zu diesem zurückgerufen wurde.

Auf jeder Station schrieb man sich meinen und des Generals Namen sorgfältig
auf, und versprach, Nachricht zu geben, ob die Pferde, die ich geritten,
mit dem Leben davon kommen würden. Auf der letzten mußte ich mir das Pferd
geradezu kaufen, weil der Postmeister dasjenige, was mich zu ihm gebracht
hatte, vor seinem Hause umfallen sah.

Es war drey Viertel auf vier, als ich den Schloßthurm von Lehmniz
erblickte. Beynah hätte ich vergessen, was mir Malchen so dringend
aufgegeben hatte: durch den Garten mich dem Schlosse zu nähern.

Ein paar tausend Schritte von der Gartenmauer erhob sich ein kleiner Hügel,
von dem ich alles übersehen konnte. Ich glaubte auf einer Terrasse mitten
im Garten ein Frauenzimmer zu erblicken. Sie schien eilig die Terrasse
herabzusteigen, als sie mich dahersprengen sahe. »Wer kann es anders seyn
als Malchen,« rief ich laut: »sie eilt von der Terrasse, und mir entgegen!«

In wenig Minuten war ich an der Gartenthür; ich sprang vom Pferde, und band
es an den ersten den besten Baum. Ich trat in den Garten; kein Malchen war
da. »Und sie wollte doch an der Gartenthür seyn!« murmelte ich. -- Ich
ging die Allee hinan, die zur erwähnten Terrasse führte -- kein Malchen zu
sehen! -- »Wenn sie auf der Terrasse war, konnte sie hundertmal herab
zur Gartenthür und zurückgelaufen seyn, ehe ich den Garten erreichte« --
murmelte ich wieder, und ich fühlte auf einmal die Kopfschmerzen, die mir
die Luft und das Stoßen des Pferdes verursacht hatten. Als ich Malchen noch
an der Gartenthür zu finden hoffte, fühlte ich sie nicht. Ich näherte mich
der Terrasse. An dem Fuße derselben war ein chinesisches Gartenhäuschen,
durch ein Seitenfenster sah ich hinein, und o! was sahe ich!

Malchen saß -- mit einer Mannsperson in blauer Uniform auf einem Kanapee.
Er hatte seinen linken Arm fest um sie geschlungen, sie ihren rechten um
ihn. Sein Kopf ruhte an ihrer Brust, sie sahe schmachtend zu ihm hinab, er
schmachtend zu ihr hinauf. Zuweilen schielten beyde, wie es mich dünkte,
lächelnd nach dem Fenster, das vor ihnen war. Die Mannsperson kam mir sehr
jung und sehr bekannt vor, aber ich hatte nicht Zeit, es zu untersuchen.

Die Bewegungen, die in dem unsäglich kurzen Momente, wo ich dies sah,
gleichsam mörderisch mich ergriffen, mag keine Feder beschreiben, kein
Pinsel malen, keine Zunge aussprechen. -- Meinen Degen ziehen, in das Haus
stürzen, der Mannsperson, die mir lachend entgegen sprang, und dadurch
meine Wuth vermehrte, den Degen in die Seite stoßen, Malchen, die sich mir
schreiend um den Hals warf, weit von mir wegschleudern, aus dem Lusthause
in den Garten, durch die Allee zur Gartenthür hinausrennen, auf mein Pferd
springen, und in gestrecktem Laufe davon eilen -- alle diese gewaltsame
Handlungen waren das Werk von zwey Minuten, deren schreckliche Qualen
alles, was je ein menschliches Herz Grausames erduldet, was je die
Einbildungskraft eines Menschenquälers Schmerzliches erdacht und erfunden
hat, weit und weit übertrafen.

»Vier Pferde todt geritten,« sagte ich kalt und bitter: »um sie -- in den
Armen eines Andern zu sehen!« --

Diese Worte wiederholte ich einmal über das andre, indem ich jedesmal den
Kopf langsam dazu schüttelte. Endlich erlag meine Seele dem Schmerze, meine
Zunge ward stumm, mein Ohr taub, und mein starres Auge sahe nichts mehr als
den Kopf meines Pferdes, das mich, wohin es wollte, im Sprunge forttrug.




Drittes Kapitel.

_Ein Nachtstück._


Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, ehe meine Seele sich wieder so weit
ermannte, daß sie einzelne Lichtstrahlen durch das Chaos von Empfindungen,
die mein Herz zu sprengen drohten, zu werfen Gewalt genug hatte. Gewiß ist
es, daß der Abend schon weit vorgerückt war, als mir die ersten Thränen, in
die sich mein wilder Schmerz auflöste, über die Wangen herabrollten.

Ich wußte nicht, wohin mein Pferd mich getragen hatte, und dachte nicht
eher daran, als bis mich ein gewaltiger Riß queer über das Gesicht,
aufmerksam darauf machte. Ich befand mich in einem dicken Gebüsche, durch
welches sich mein Pferd einen Weg bahnte, wahrscheinlich weil ich es von
Zeit zu Zeit, ohne es zu wissen, gespornt hatte. Ich sprang ab. Jetzt
fühlte ich erst, wie die körperlichen und geistigen Beschwerlichkeiten
des Tages mich angegriffen hatten. Ich konnte mich nicht auf den Füßen
erhalten, und meine Kniee sanken unwillkührlich unter mir zusammen. Mein
Pferd blieb in einiger Entfernung von mir stehen, und stillte seinen Hunger
mit den Blättern der umstehenden jungen Stauden.

Ich legte mich nieder. Auf meine Linke stemmte ich den Kopf, und mit der
Rechten riß ich große Büschel Gras aus, und schleuderte sie weit von mir.
Kein Seufzer, kein Laut kam über meine Lippen. Mein stummer Schmerz vergrub
sich tief in mein Inneres, und da keine lindernde Tropfen über meine Wangen
mehr flossen, mußte er in jenen ungestümen Bewegungen meiner rechten Hand
sich ankündigen.

Malchen in den Armen eines Andern! Dieses Bild schwebte mir immerfort vor
Augen, und peinigte mich am grausamsten. Zuweilen wurde es zwar von dem
Bilde des Gestochenen verdrungen, aber dieses war mir bey weitem nicht so
peinlich als jenes.

Unterdessen brach die Nacht ein. Mit ihr erhob sich ein Sturm, der in den
Aesten und Wipfeln der umstehenden großen Eichen brauste, und sie bis
auf die Wurzeln erschütterte. Um und neben mir rauschten und pfiffen
die Blätter des Gebüsches, und große Regentropfen fielen mir einzeln auf
Gesicht und Hände. Mein Pferd scharrte mit den Füßen, und wieherte vor
Hunger und Kälte, während eine dicke Finsterniß alles was mich umgab in
ihren schwarzen Schooß vergrub, und die ganze lebendige Schöpfung meiner
Seele ähnlich zu machen schien.

Diese Empörung der Natur sagte der Empörung meines Herzens zu. Ich wickelte
mich fest in meinen Oberrock, verbarg die Hände im Busen, das Gesicht unter
meinem Schnupftuche, und dem Winde wandte ich gleichsam wie im Trotze den
Rücken zu. So ganz in mich selbst versunken und verschlossen, sah ich
den Bildern, die mir meine Einbildungskraft vorführte, mit Muth und
Standhaftigkeit ins Gesicht, und endlich schien meine Seele ihrer gewohnt
zu werden. Dies war Betäubung, aber eine sehr wohlthätige Betäubung, denn
sie ließ Betrachtungen über die Zukunft in meiner Seele Raum.

Die Treulose je wiederzusehen, war ein Gedanke, vor dem ich zurückbebte,
und doch schwebte sie immerfort vor mir. In meine Garnison zurückzukehren
und mich von meinen Bekannten mit großen Augen ansehen, auch wohl aufziehen
zu lassen, war ein zweyter, der mich um die Welt gejagt haben würde; und
doch fühlte ich ein Verlangen, ihnen zu sagen, wie ich meinen Nebenbuhler
bestraft hätte. Aber die Art, wie ich mich dabey benommen hatte, empörte
mein Gefühl für Ehre, und machte mich schaamroth. Ich hatte ihn unversehens
überfallen, und konnte fürchten, als Meuchelmörder verachtet und bestraft
zu werden.

So vereinigten sich endlich Unwillen auf die Ungetreue, gekränkter Stolz,
Furcht vor Verachtung, Schaam vor mir selbst, und endlich Angst des
Mörders, um den Entschluß, nie wieder in meine Garnison zurückzukehren,
in mir zur Reife zu bringen. Ich wollte bey einer andern Macht unter einem
andern Namen Dienste nehmen, sollte es auch nur als Gemeiner seyn, um mich
dadurch auf immer den Nachforschungen meiner Freunde zu entziehen.

Kaum war dieser Entschluß gefaßt, so sprang ich auf, um ihn auszuführen. --
Aber, wo war ich? Auf welchem Wege war ich in dieses Gebüsche gekommen? Wie
sollte ich mich herausfinden? Ich nahm mein Pferd her, setzte den Fuß in
den Steigbügel, um davon zu reiten, und setzte ihn wieder auf die Erde, um
den Tag zu erwarten. Mitten unter diesen Bewegungen hörte ich einen Hund
bellen, der, nach dem Schalle zu urtheilen, nicht weit von mir seyn konnte.
Ich arbeitete mich nach der Seite, wo der Schall herzukommen schien, durch
das Gebüsch und zog mein Pferd hinter mir her. Das Gebell des Hundes kam
mir immer näher, und endlich gelangte ich auf einen lichten Platz, an
dessen einem Ende ein dürftiges Licht durch Gebüsche schimmerte.

Wäre es mir auch nur von weitem wahrscheinlich gewesen, ohne fremde Hülfe
aus dem Walde zu kommen, so hätte ich mich dem Lichte gewiß nicht genähert,
weil ich mir einbildete, man würde alles, was mir begegnet war, auf meinem
Gesichte lesen können; und wirklich ging ich auch nicht eher auf das Licht
zu, als bis ich, nach verschiedenen Seiten hin, einen Weg aus dem Walde
gesucht, aber nicht gefunden hatte.




Viertes Kapitel.

_Der alte Hans._


Ich pochte mit zitternder Hand an den Fensterladen. »Wer ist da?« rief eine
männliche Stimme. »Ein Reisender, der sich verirrt hat!« antwortete ich.
»Will gleich aufmachen!« rief der Mann, und ich konnte es hören, wie er
aus dem Bette sprang. »Um Gottes willen! ließ sich eine weibliche Stimme
vernehmen: mache nicht auf, Mann, wer weiß, wer es ist; es können wohl
mehr seyn als einer. Sie schlagen uns todt, noch ehe wir um Hülfe schreien
können!«

Der Verdacht des Weibes machte, daß mir alle Glieder zitterten. Sie hielt
mich für einen Mörder, das griff mir ans Herz. Hätte ich mich nicht für
einen gehalten, würde ich nicht gezittert haben. Es fehlte wenig, so hätte
ich mich von neuem in das Dickigt zurückbegeben.

Der Mann schien sich zu bedenken. Endlich sagte er: ich will meine Büchse
nehmen, und in Gottes Namen aufmachen! »Und ich nehme die andere!« sagte
die weibliche. -- »Und ich des Vaters Hirschfänger!« eine dritte Stimme,
die ich einem Knaben zuschrieb.

Die Thüre ging auf, und ein langer Mann, der in der rechten Hand ein Gewehr
und in der linken eine Leuchte hielt, trat heraus. Hinter ihm stand eine
halbangezogene Frauensperson, welcher die Haare wild um den Kopf hingen,
und neben ihr ein Knabe, der in der rechten Hand einen bloßen Hirschfänger
hatte, und mit der linken sich fest an dem Vater hielt.

Der Mann wiederholte seine Frage, und ich trat näher und gab ihm die vorige
Antwort. Mein Pferd, dessen Zaum ich in meiner linken Hand hielt, streckte
seinen Kopf über meine rechte Schulter, und gab den Laut von sich, den die
Pferde hören lassen, wenn man ihnen zu fressen bringt, oder wenn sie nach
einer Tagereise eine bekannte Herberge vor sich sehen.

Der Mann machte einen langen Hals, und leuchtete das Pferd an. -- »Ey,
alter Hans,« sagte er, und richtete, ohne sich um mich zu bekümmern, seine
Worte an mein Pferd: »wie kömmst du hieher?« -- Dieses sagte er mit einer
Freude, als wenn er einen alten Freund, den er lange für todt gehalten,
unverhofft wiedergefunden hätte. »Ach, unser Hans, Mutter!« rief der Knabe,
und sprang hervor. »Wer hätte das gedacht?« sagte die Mutter, und trat
auch zu meinem Pferde hin. Ich mochte sagen und fragen, was ich wollte,
man hörte mich nicht. Ihre Furcht vor Räubern und Mördern schien völlig
verschwunden zu seyn: wie konnten sie auch etwas Böses von einem
Menschen erwarten, der sich als den Besitzer ihres alten geliebten Hansen
ankündigte?

Der alte Hans war immer das dritte Wort, während ich von einer brennenden
Ungeduld gefoltert wurde. Endlich ließ ich dem Knaben den Zügel, und er
führte das Pferd in das Haus. Die Mutter nahm dem Vater die Laterne aus der
Hand und leuchtete dem Buben. Ich folgte dem Vater in die Stube.

»Ja,« sagte er, »wenn Sie meinen Hans nicht gehabt hätten, würden Sie
nimmermehr nach meinem Hause gekommen seyn. Ich habe ihn erst vor acht
Tagen an den Postmeister zu G* verkauft. -- Bleiben Sie nur diese Nacht bey
mir, morgen in aller Frühe bringe ich Sie aus dem Walde!«

Ich ließ es mir nothgedrungen gefallen, und nachdem ich ihm über seinen
Hans mit drey Worten Auskunft gegeben hatte, erfuhr ich, daß ich mich in
dem A* Gebiethe ohnweit W*, mithin sechs Meilen von Lehmniz und sieben
Meilen von L* befände.

Der Alte ward sehr gesprächig, aber ich hörte wenig von allem was er sagte.
Wie konnte ich es auch bey dem Sturme von Empfindungen, der in meiner Brust
tobte? Ich stämmte mein Haupt auf beyde Hände, sah starr vor mich hin, und
antwortete ihm endlich gar nicht mehr.

»Der junge Herr ist verdrüßlich,« sagte er zu Frau und Sohn, als sie
zurückkamen, und mir erzählen wollten, daß sie den alten Hans in den Stall
geführt und ihm zu fressen gegeben hätten: »Laßt ihn in Ruhe! -- Doch setz'
ihm zu Essen her,« fuhr er zur Frau fort, »wenn er etwa hungrig ist, und
dann geh mit dem Jungen schlafen. Ich lege mich nicht mehr nieder, es ist
bald zwey Uhr.«

Die Frau brachte Milch, Butter und Brod und entfernte sich mit dem Knaben.
Der Alte näherte sich mir und sagte: »Junger Herr, hier ist zu essen, wenn
Sie essen wollen, und dort mein Bette, wenn Sie schlafen wollen!« -- Ich
sah ihn gerührt an und reichte ihm stillschweigend meine Hand. Aber ich
hatte weder Eßlust noch Schlaflust.

Sobald der Tag anbrach, setzte ich mich in Bewegung. Meinen Wirth fand ich
bey meinem Pferde. Er hatte ihm zu Fressen gegeben, und war im Begriff, es
zu striegeln. Ohne ihm ein Wort zu sagen, nahm ich Sattel und Zaum. Er
wand mir beydes aus den Händen und sagte: ich sollte ihm die Freude lassen,
seinen alten Hans zum letztenmale zu satteln. Diese Freude ließ ich ihm
gern. Voller Ungeduld ging ich auf den Hof, denn er fing von neuem an zu
bitten, daß ich doch noch ein Stündchen länger warten möchte. Man weiß
schon, um _wessentwillen_ er bat.

Endlich nach langem Zaudern führte er ihn aus dem Stall, und ich sprang
in den Sattel, ohne zu bedenken, daß ich nicht durch die niedrige Hausthür
würde reiten können. Ich mußte also wieder absteigen, und das Pferd durch
das Haus führen. Vor der Thür sprang ich von neuem auf, und ritt davon.
»He,« rief mir der Alte nach, »wissen Sie denn den Weg?« -- Er schüttelte
bedenklich den Kopf, und schien gar nicht mit sich einig werden zu können,
was er aus mir machen und wie er sich mein Betragen erklären sollte.

Welch eine Pein für mich, daß ich meinem Wegweiser zu gefallen langsam
reiten, länger als eine Stunde langsam reiten mußte. Die hellen Tropfen
standen mir vor der Stirn, und tausendmal fragte ich ihn: kann ich den
Weg nun allein finden? Endlich sagte er ja, und schon hatte ich die Füße
aufgehoben, um meinem Pferde die Spornen zu geben, als es mir erst einfiel,
dem guten Alten zu danken. Ich griff in meinen Beutel und reichte ihm, was
mir in die Hand fiel. _Er_ wollte nichts nehmen und ich brannte vor
Eifer, es ihm zu geben, weil ich -- fort mußte. Als er mir endlich zu viel
Umstände machte, warf ich eine ganze Hand voll Silbergeld hitzig über
ihn her, und sprengte davon. Er rief mir nach: »da heißts wohl recht, es
schneyet Geld!« -- Ich sah mich nicht nach ihm um -- -- »Adje Hans!« rief
er noch stärker. -- _Mir_ hatte er keine glückliche Reise gewünscht.




Fünftes Kapitel.

_Funken unter der Asche._


Nach einer Stunde sah ich mich glücklich im Freyen. Ich erkundigte mich bey
dem ersten Bauer, der mir begegnete, nach dem Wege, der nach W* führte. Ich
erfuhr, daß ich die Landstraße nur verfolgen dürfe, um gerade auf die Stadt
zu stoßen. Aber es war meine Absicht, um sie herum und nicht hinein zu
reiten.

Mein Entschluß war nun gefaßt: ich wollte gerade nach B* und mich dort
zu K* Diensten anwerben lassen. Es war mir gleich, wozu man mich machen
wollte, zum Kavalleristen oder Infanteristen, zum Kaporal oder zum Gemeinen
-- wenn ich nur meinen Bekannten und Freunden verborgen blieb.

Gegen Abend befand ich mich nicht weit von D*. Ich war fast in einem Zuge
fortgeritten, und hatte mir kaum Zeit genommen, des Mittags mein Pferd
füttern zu lassen und selbst einige Bissen zu mir zu nehmen. Ich war
Willens, noch diese Nacht wenigstens bis zur B* Gränze zu reiten, aber ein
unwiderstehlicher Schlaf überfiel mich, während ich in einer Dorfschenke am
Tische saß und meinen Gedanken nachhing. Als ich am andern Morgen erwachte,
fand ich mich noch in eben der Stellung, in welcher ich den Abend vorher
eingeschlafen war. Es herrschte eine Stille in meiner Seele, die mich
überzeugte, ich sey ganz ruhig und habe von den gewaltsamen Empfindungen,
die mich bisher Tag und Nacht umhertrieben, nun nichts mehr zu fürchten.

Ich setzte meine Reise fort, und in einer halben Stunde hatte ich D* vor
mir. Auf lauter Abwegen, über Sand und Wiesen und Aecker, ritt' ich um
diese Stadt, und ließ mich an eben der Stelle, und vielleicht noch auf eben
derselben Fähre über die Elbe setzen, die mich als Knabe überfuhr, nachdem
ich dem Bedienten meines Vaters aus dem Wirthshause unter den Händen
entlaufen war.

Binnen drey Stunden war ich an der B* Gränze. Jetzt fiel es mir erst ein,
daß ich in meinem Anzuge wohl nicht in B* hineingelassen werden dürfte.
Unter meinem grünen Oberrocke trug ich die ganze S* Uniform, an meinem
Degen das S* Porte-Epee und um meinen Hut S* Kordons. Alles mußte ich
ablegen, weil ich mich durch keinen Paß verwahren konnte.

Ich ritt in den Wald, der vor mir lag, und stieg in einem dicken Gebüsche
vom Pferde. Zuerst schnitt ich die Kordons von meinem Hute, sodann zog
ich meine Uniform aus und legte endlich meinen Degen ab. Mein Herz
war unbeschreiblich beklemmt, und wenn ich die vor mir liegenden
Kleidungsstücke ansah, stiegen mir unwillkürlich die Thränen in die Augen.
Ich trug endlich das Ganze zu einer Fuchshöhle, die in der Nähe war,
steckt' es hinein und vergrub es unter Reisern, Sand und Steinen. Mit
gefalteten Händen, den nassen Blick auf die Stelle geheftet, wo ich meinen
vorigen Stand begraben hatte, stand ich da, und brach endlich schluchzend
in die Worte aus: so ist denn alle Hoffnung zur Rückkehr verschwunden? --

Ich erschrak vor mir selbst. Ich weinte, daß ich nicht mehr zurückkehren
konnte, und schnitt mir selbst alle Hoffnung zur Rückkehr ab. Ich war Tag
und Nacht geritten, um ihrem Bilde zu entfliehen, und nie war es mir näher,
als jetzt. Ich verabscheuete sie, als ich sie sah, und liebte sie, als ich
dreyßig Meilen von ihr war!

O Liebe, du bist der Phönix, der sich selbst verbrennt, um auf neuen
Fittigen emporzuschweben. Du bist der Vogel, von dem man sagt, daß er seine
Jungen mit eignem Blute nähre. Du bist das Bild der Natur, die ewig sich
selbst entblättert und ewig neue Knospen treibt. Dein Schmerz ist Wollust,
deine Wollust ist Schmerz. Du siehest mit verschloßnen Augen, und mit
offnen bist du blind. Du bist nur selten Du selbst; unter tausend Gestalten
quälst oder beglückest du das Herz, in welchem du wohnest; du bist Hoffnung
und Verzweiflung; du bist Honig und Wermuth, Ruhe und Unruhe, Leben und
Tod; du bist das alles auf einmal, und vereinigest das alles, sobald du
willst, in einem Blick, in einem Seufzer, oder in einer Thräne.




Sechstes Kapitel.

_Moriz wird Jäger._


Alle die gewaltsamen Empfindungen, die von dem Augenblick an, wo ich
Malchen in eines Andern Armen gesehen hatte, in meiner Seele stürmten,
bekamen jetzt neue Nahrung, und durchliefen, wie damals, alle die Grade
von Eifersucht, Wuth, Unwillen und Schmerz, bis sie endlich, wie damals
und durch eben dieselben Gegengründe verdrängt, in den festen Entschluß
zusammen flossen: die Treulose nie wieder zu sehen, und deßhalb nie in jene
Gegenden zurückzukehren.

Ich sprang auf mein Pferd und ritt weiter, aber doch langsamer als ich seit
zwey Tagen zu reiten gewohnt war.

»Reiten wir Einen Weg?« hörte ich eine Stimme hinter mir.

Ich sah mich um, und erblickte einen Herrn auf einem stolzen Engländer. Ihm
folgte ein Reitknecht zu Pferde, dem zwey Büchsen über der Schulter hingen.

Vielleicht! erwiederte ich: Ich reite nach B*.

»Der Herr ist schon d'rin!« sagte er lächelnd. Ich muß über und über roth
geworden seyn.

»Der Herr ist ein Jäger?«

Ja, sagte ich in aller Eil, um seinen Fragen auszuweichen.

»Und sucht Dienste?« fuhr er fort.

Ja! sagte ich noch einmal eben so eilig, und der Gedanke, mich für einen
Jäger auszugeben, gefiel mir. Mein grüner Oberrock hatte ihn wohl zunächst
auf diese Frage gebracht.

»Aber wie kömmt der Herr hieher?«

Ich weiß nicht genau, was ich ihm in der ersten Angst erzählte, aber das
weiß ich, daß kein Zug aus meiner wahren Geschichte darin war. Ich machte
mich zu einem Land-Jägers Sohn aus dem P*. Ich wäre ausgetreten, sagte ich,
um der Muskete zu entgehen, womit man mir gedrohet habe. Da meine Flucht
heimlich geschehen, hätte ich mich weder mit Pässen noch mit Attestaten zu
meinem künftigen Fortkommen versehen können, also würde mir doch wohl am
Ende nichts übrig bleiben, als die Muskete.

Die Angst ist eine vortrefliche Lügnerin. Zu jeder andern Zeit hätte ich
stundenlang auf einen solchen Roman sinnen können, und doch wohl nicht
soviel Wahrscheinlichkeit hineingebracht. Mir ward es ganz leicht ums Herz,
als ich ihn glücklich verwickelt und entwickelt hatte.

Der Herr nahm mich einigemal scharf aufs Korn. Mein Gesicht und
überhaupt mein ganzes Aeussere schien ihm zu gefallen. Er ritt eine Weile
stillschweigend neben mir und sagte endlich: Mein Sohn, es wäre schade um
dich, wenn du wider Willen Soldat werden solltest. Willst du bey mir als
Jäger bleiben?

»Aber ich bin erst zwey Jahre bey der Jägerey gewesen!« sagte ich mit
derjenigen bewundernswürdigen Geistesgegenwart, die ich nun schon seit fünf
Minuten an mir gewohnt war.

Daran liegt nichts, erwiederte er, mein alter Tobias wird dir alles sagen
und zeigen, was du noch nicht weißt. Versprichst du treu und fleißig zu
seyn?

Ja, sagte ich und reichte ihm meine Hand. Er lächelte, und ich fühlte mein
Gesicht glühen, darüber, daß ich meine Rolle vergessen hatte. Ich, ein
angenommener Jäger, reiche meinem Gebieter die Hand! Ich glühete noch
stärker, als er zu mir sagte: _Nun, so reite hinter mir_, und glühete am
allerstärksten, als mich der Reitknecht, mit dem Titel: _Herr Kamerad_,
beehrte, und mir die Hand reichte.

Ein Glück für mich, daß mein Herr in diesen Augenblicken weiter keine
Fragen, meine Geschichte betreffend, an mich that, ich würde sonst alles
schlecht gemacht haben, was ich vorhin gut gemacht hatte. In weniger als
einer Stunde kamen wir auf dem Schlosse des Grafen an. Daß er ein Graf sey,
sagte mir mein -- Kamerad.




Siebentes Kapitel.

_Morizens Lage._


Ich war einsam, in mir selbst verschlossen und stumm. Der Graf fragte
mich täglich, ob ich von Natur so wäre, und ich bejahete es. Die übrige
männliche und weibliche Dienerschaft sah mich mit großen Augen an und
steckte den Kopf über mich zusammen. Alle ihre Blicke waren unaufhörlich
beschäftigt, um den Wunderjäger zu ergründen, der bey höchstens achtzehn
Jahren nicht spielte, nicht trank, fast gar nicht sprach, sich weder auf
dem Schlosse noch in dem nahgelegenen Dorfe ein Mädchen suchte; von dem
der alte Tobias (des gnädigen Herrn rechte Hand) sagte: er sey ein braver
Pursch; den der Graf immer als Muster der Treue und des Fleißes den
Uebrigen vorstellte; an dem die gnädige Frau eine feine Haut und edle Miene
bemerkt haben wollte; von dem die Gouvernante gesagt hatte, er schiene
sogar »=monde=« zu besitzen; von dem endlich die Vertraute der gnädigen
Frau, ihre Kammerjungfer, die noch keine Mannsperson hatte leiden können,
sich nicht undeutlich verlauten ließ, daß er ihr nicht übel gefiele, und
daß sie, wenn sie sich je entschließen könnte, zu heyrathen, allenfalls
seine Frau zu heißen sich nicht schämen würde.

Dieses gab mir eine Ueberlegenheit im Hause, die mir bey meinem Hange zur
Einsamkeit lästig ward. Alles drängte sich zu mir, um mich zu unterhalten,
und mich, wie man sagte, aufzuheitern; alles fragte mich bey seinen kleinen
Angelegenheiten um Rath; die Gouvernante selbst ließ sich herab, mit
mir Französisch zu sprechen, als ich es bey einer gewissen Gelegenheit
verrathen hatte, daß ich diese Sprache verstände; und die Kammerjungfer
sogar, wirbelte sich, wenn sie ein neues Kleidungsstück angezogen hatte,
so lange vor meinen Augen herum, bis sie geradezu oder durch Umschweife von
mir herausgebracht hatte, daß sie gut und mit Geschmack gewählt habe. Alle
diese Erscheinungen stiegen dem alten Jäger Tobias, der ein großer Denker
war, zu Kopfe, und er pflegte immer zu mir zu sagen: _Wilhelm, wenn du
nicht ein Jägerssohn bist, so mußt du wenigstens ein Fürstenkind seyn._

Ich lächelte zu solchen Aeußerungen und schwieg.




Achtes Kapitel.

_Der Graf und sein Haus._


Der Graf war ein Mann von ungefähr funfzig Jahren: ein wilder Jäger, was er
aus einem wilden Soldaten geworden war; hitzig, aber immer bereit, was er
in der Hitze gethan hatte, wieder gut zu machen; ohne modische Bildung und
Lektüre, aber reich an praktischen Regeln des Lebens, wie er sie für die
individuelle Lage seiner physischen und moralischen Umstände brauchte;
rechthaberisch bis zur Unziemlichkeit in Sachen, die er zu verstehen sich
einbildete, und fast auf eine kindische Art gelehrig, wenn man ihm etwas
vortrug, daß er noch nicht wußte, und was er brauchen zu können glaubte; im
eigentlichsten Verstande Herr in seinem Hause, und bis zur unleidlichsten
Hartnäckigkeit eigensinnig in dem System der häuslichen Angelegenheiten.
Seine Gemahlin hatte er geheyrathet, um den Familienstamm aufrecht zu
halten, und weiter bekümmerte er sich nicht um ihre Beschäftigungen und
ihren Zeitvertreib.

Die Gräfin war noch sehr jung, und, als ich in das Haus kam, erst zwey
Monate mit dem Grafen verheyrathet. Dieses ungleiche Alter, noch mehr
aber die Art des Grafen, mußten nothwendig eine seltsame Gattung von Ehe
hervorbringen. Er schwärmte ganze Tage auf Feldern und in Wäldern umher;
sie saß ganze Tage in ihrem Zimmer, und vertrieb sich die Zeit, so gut sie
konnte, mit weiblichen Arbeiten, mit Büchern, und mit zwey Fräulein aus
der Verwandschaft des Grafen. Zuweilen, aber doch nur höchstens einmal die
Woche, hatte sie Besuche von Frauenzimmern, die sich aber immer entfernten,
so bald der Graf in seine Mauern einzog. Selten machte sie Gegenbesuche,
weil es der Graf nicht gerne sah, daß sie abwesend war. »Aber wie kann
solch eine junge Dame das einförmige Leben aushalten?« fragte ich einmal
den alten Tobias -- -- »Das macht,« erwiederte er, »weil sie der Herr aus
einer Pension zu L* geradezu weggeheyrathet und sie zur Gräfin gemacht
hat, weil er ihr giebt, was sie wünscht, weil er kein anderes Frauenzimmer
ansieht, und weil er regelmäßig alle Abende mit ihr zu Bette geht.«

Der alte Tobias war, wie man sieht, ein alter Schalk.

Die beyden erwähnten Fräulein waren noch jung, und standen unter dem
Scepter einer Gouvernante, die in ihren besten Jahren war, und wiederum von
einem Piaristen geleitet und geführt wurde. Dieser unterrichtete die beyden
Fräulein im Christenthum und die Gouvernante in der deutschen Sprache. Der
alte Tobias nahm vor dem Mönch den Hut nicht ab, und räusperte sich
immer, wenn er die Gouvernante sahe. Ich fragte ihn nach der Ursach dieses
Betragens, und er gab mir zu verstehen, daß er einmal in der großen Laube
dazu gekommen wäre, als der Pater der Gouvernante -- _keine_ Kollegia
über die deutsche Sprache gelesen hätte. Es wäre gerade in der Brunstzeit
gewesen -- setzte er in aller Unschuld hinzu.

Er wüßte wohl noch mehr von diesen beyden Leuten, fuhr er fort, aber er
wartete nur auf eine Gelegenheit, wo er ihnen noch näher auf die Fährte
kommen könnte. Sodann sollte der Herr alles erfahren.

Uebrigens zerfiel das ganze gräfliche Haus in zwey Hauptparteyen. An der
Spitze der einen stand der Graf mit der ganzen männlichen, und an der
Spitze der andern, die Gräfin mit der ganzen weiblichen Dienerschaft. Der
Mönch wußte es mit beyden sehr geschickt zu halten.




Neuntes Kapitel.

_Rückfälle._


Als ich ungefähr vierzehn Tage in dem Hause des Grafen gewesen war, kam
der Briefbote aus der nächsten Stadt mit einem Brief an die Gräfin. Da er
meiner zuerst ansichtig ward, so überreicht' er ihn mir, daß ich ihn der
Gräfin aushändigen sollte.

Ich blickte von ungefähr auf die Adresse -- und o! wie ward mir! Ich
glaubte Malchens Hand in derselben zu erkennen. Wie ein Wirbelwind
plötzlich einen stillen See empört, und seine Gewässer zu hohen schäumenden
Wellen aufregt -- so drang diese Vorstellung in mein Herz, das ich
seit einigen Tagen, vielleicht aus bloßer Eigenliebe, für ganz beruhigt
gehalten. Der Funke, der tief im Innersten versteckt gelegen hatte, schlug
in helle Flammen auf.

Ich zitterte, und ließ den Brief dreymal fallen, und hob ihn eben so oft
wieder auf. Ich las die Aufschrift, und las sie immer wieder, zergliederte
jeden Strich, jeden Buchstaben, jeden Federzug, und zermarterte meine Augen
so lange, bis der ganze Brief in eine schwärzlichgraue Masse zusammenfloß,
die mich keinen Buchstaben mehr erkennen ließ.

Der Briefbote, der vermuthlich nicht ohne Befremdung mein seltsames
Betragen angesehen haben mochte, brachte mich dadurch ein wenig zu mir
selbst, daß er in mich drang, den Brief abzugeben, er habe nicht Zeit zu
warten.

Ich erinnerte mich, daß ich die Gräfin vor einigen Minuten im Garten
gesehen hatte. Wie ausser mir lief ich hinein, fand sie, überreichte ihr
den Brief und sagte: Hier ist ein Brief von Ma--

Ich erschrack tödtlich, während ich noch im Begriff war, die andere Hälfte
des Wortes Malchen auszusprechen.

Von _wem_? sagte die Gräfin. Sie sah mich zum Glück nicht an, sondern las
die Aufschrift.

Von der nächsten Stadt! stammelte ich, und drehete mich eilig um. Als ich
einige Schritte von ihr war, rief sie mich zurück. Ich stand zitternd von
der Seite.

»Wilhelm,« sagte sie: »ich muß Sie schon sonst irgendwo gesehn haben, eh'
Sie in unser Haus gekommen sind.«

Mir lief es kalt über den Rücken.

»Ich wüßte nicht wo!« stotterte ich, und wollte fort.

Etwa in L*? sagte sie.

»Nein, nein,« rief ich, »nein, nein!« und lief beynah im Sprunge davon,
indem ich die Bewegung mit der linken Hand machte, die man zu machen
pflegt, wenn man etwas verneint, das man bejahen sollte. Ich glaubte ihr
dadurch recht geschickt bewiesen zu haben, daß ich nie in L* gewesen wäre.

Alles vereinigte sich, um mich in die tödtlichste Unruhe zu setzen. Zwey
volle Stunden hatte ich zu kämpfen, eh' ich mich bereden konnte, meine
Phantasie habe mir mit der Adresse einen Streich gespielt, und die Gräfin
müsse irgend einen andern für mich angesehn haben. Aber, daß sie mich
gerade in L* gesehn haben wollte! Diesen Einwurf widerlegte ich damit, daß
ich mich nicht erinnerte, _sie_ in L* gesehn zu haben. Man bewundere die
unumstößliche Beweiskraft dieses Arguments. Daß der Brief nicht von Malchen
gewesen, bewies ich mir damit, daß ich ihr Wappen sogleich müßte gekannt
haben. Ich hatte es längst vergessen, daß ich während der Hitze und
Anstrengung, womit ich die Buchstaben der Aufschrift untersuchte, gar nicht
daran gedacht, das Siegel zu untersuchen.

Am Abende dieses Tages saß ich mit dem alten Tobias auf dem Schloßhofe
unter der Linde. Er sprach nicht viel, und ich noch weniger. Eh' ich mirs
versah, stand das Kammermädchen der Gräfin vor uns, und suchte uns Rede
anzugewinnen. Der alte Tobias duldete sie, weil sie ein kluges Mädchen war,
weil sie ihm immer den grauen Bart krauete, und weil er sahe, daß ich
mir ihr Geschwätz zuweilen hatte gefallen lassen. Sie brüstete sich nicht
wenig, wenn sie bey mir saß, weil sie die einzige vom weiblichen Gesinde
war, die ich nicht zurückschreckte. Alle ihre Gespräche liefen am Ende auf
Liebe und Heyrathen hinaus, und zwar blos darum, weil sie sich, nach ihrem
Geständniß, weder zum Lieben noch zum Heyrathen versucht fühlte.

Diesen Abend unterhielt sie mich über das Kapitel der Untreue und der
Unerklärbarkeit der Männer, und führte ein Beyspiel davon an, welches das
Maaß meiner Unruhe voll machte.

»Die Gräfin hätte heute einen Brief bekommen,« sagte sie: »von einer
Freundin, mit welcher sie zu L* in Pension gewesen wäre.« --

Bey diesen Worten regten sich alle meine Haare auf der Scheitel.

»Die Gräfin hätte ihr zwar den Brief von Anfang bis zu Ende lesen lassen,«
fuhr sie fort, »aber er wäre so lang gewesen, daß sie nicht alles hätte
behalten können. Genug, ihre Freundin habe einen Herrn sehr lange und von
ganzem Herzen geliebt, und habe geglaubt, auch von ihm geliebt zu seyn;
aber ein paar Tage vorher, da die Hochzeit hätte vor sich gehen sollen,
wär' er gekommen, habe sie unversehens überfallen, und ihre Schwester
mit dem Degen gestochen, doch ohne ihr Schaden zu thun, wäre sodann davon
geritten und niemand wisse, wohin!«

Ich bekam wieder Athem bey den Worten »_ihre Schwester gestochen_« denn ich
wußte sehr genau, daß ich eine _Mannsperson_ gestochen hatte; aber ruhig
machte mich dieser Gedanke nicht, weil die übrigen Umstände gar zuviel
Aehnliches mit meiner Geschichte hatten. Die Freundin der Gräfin war zu L*
in Pension gewesen -- das paßte auf Malchen -- ihr Liebhaber hatte sie kurz
vor der Hochzeit überfallen -- das paßte auf mich -- war davon geritten und
niemand wüßte wohin -- ich war auch davon geritten, und vermuthlich wußte
niemand, wohin. Ich that noch hundert schüchterne Fragen nach dem Namen
der Freundin, nach dem Orte, wo die Begebenheit vorgefallen, und wie der
Liebhaber geheißen habe; aber sie wußte keine zu beantworten, und gestand
endlich, vermuthlich weil sie sich vergaß, daß sie den Brief nicht
selbst gelesen, sondern nur dazu gekommen wäre, als die Gräfin den Inhalt
desselben der Gouvernante erzählt habe. Wenn mir aber daran gelegen wäre,
so wollte sie die Gräfin befragen und ich sollte alles erfahren.

Was für Ursachen sich heute eine auf die andre häuften, um mich in die
schrecklichste Unruhe zu versetzen! Bald war mir der erwähnte Brief so
gewiß von Malchen, daß ich aufsprang, und noch diesen Abend davon
wollte; bald dünkte es mich so unwahrscheinlich, daß ich laut über meine
Aengstlichkeit lachte. So ward ich die ganze Nacht hindurch zwischen Ja
und Nein hin und her geworfen, bis ich endlich, aber nicht eher, als da die
Sonne aufging, mit festem Muth auf dem Nein beharrete. So lange es Nacht
blieb, und ich nur mit den Augen der Phantasie sehen konnte, war es mir
nicht möglich gewesen, mich von dem ängstlichen Ja loszuwinden.




Zehntes Kapitel.

_Der Graf verreiset._


Es geschah, daß der Graf in Familienangelegenheiten nach W* ging. Die
Gräfin hätte diese Reise, wie ich hörte, gerne mit ihm gethan, aber er
fürchtete, daß sie ihm in W* auf mancherley Art zur Last fallen möchte.
Besuche geben und nehmen, sich anziehen, sich zur Schau stellen, war
seine Sache nicht; und das wäre unvermeidlich gewesen, wenn er seine junge
Gemahlin der Familie hätte aufführen wollen. Er ließ sie also zurück. Mich
hätte er gerne mitgenommen, wenn es möglich gewesen wäre, den eisgrauen
Schildknappen Tobias von seiner Seite zu entfernen.

Um mit Glanz in W* zu erscheinen, nahm er alle männliche Bediente mit,
und niemand blieb im Hause, als die Gräfin, ihre Kammerjungfer, die
Gouvernante, die beyden Fräulein und ich. Der Piarist blieb jetzt halbe
Tage hindurch auf dem Schlosse, um, wie er sagte, den Frauenzimmern die
Zeit zu vertreiben; und er war auch wirklich sehr wohl bey ihnen gelitten,
denn er konnte -- krähen wie ein Hahn, bellen wie ein Hund, und miauen wie
eine Katze.

Der alte Tobias sagte mir, als er mit dem Grafen abreiste, ich sollte ein
wachsames Auge auf den Pfaffen und auf die Französin haben, er trauete
beyden nur so weit als er sie sähe.

Sie selbst mochten es auch wohl wissen, daß sie an dem alten Tobias einen
unbestechlichen Argus hatten. Beyde waren um so höflicher und gefälliger
gegen ihn, je mehr sie sich vor ihm fürchteten. Sobald er also den Rücken
gewandt hatte, glaubten sie freyes Feld zu haben. Sie gingen stundenlang
im Garten spazieren, und waren immerfort in sehr geheimnißvollen und
ernsthaften Gesprächen begriffen.

Drey Tage nach der Abreise des Grafen befand ich mich im Garten und
verpflanzte unter der Aufsicht des Gärtners einige junge Bäume. Der Piarist
erschien mit der Gouvernante und den beyden Fräulein, doch mußten letztere
immer eine Strecke voraus gehen. Als sie nicht weit mehr von uns entfernt
waren, zog der Piarist in der Hitze des Gesprächs das Schnupftuch heraus,
und mit demselben etwas Glänzendes, das ich für einen Schlüssel hielt.
Ich sprang hin und hob es auf, aber es war kein Schlüssel, sondern ein
Dietrich. Ich lief ihm nach und reichte ihm das verdächtige Werkzeug. Die
Gouvernante ward todtenblaß und sah den Pater an. »Er gehört nicht mir!«
sagte er, und gab mir den Dietrich mit der gleichgültigsten Miene von der
Welt zurück. »Ich hab' ihn aber mit dem Schnupftuche herausziehn sehen!«
sagte ich. -- »Sie sind nicht gescheut, Wilhelm!« sagte die Gouvernante mit
zuckenden Lippen, und zog den Piaristen fort. Ich dachte sehr lebhaft an
den alten Tobias, und steckte den Dietrich ein.




Eilftes Kapitel.

_Moriz ist unruhig._


Während der Abwesenheit des Grafen suchte ich mich so gut zu beschäftigen
und zu zerstreuen als ich konnte. Ich war zuweilen ganze Tage hindurch auf
der Jagd; legte mich, wenn ich meine Pflicht als Jäger gethan hatte, auf
die Oekonomie; fischte, und half unserm Gärtner bey seinen Arbeiten; las
auch zuweilen französische Bücher, die mir die Gouvernante aus der kleinen
Bibliothek der Gräfin verschaffte, nicht etwa verstohlnerweise, sondern mit
der völligen Bewilligung der Gräfin, die oft gesagt hatte, mein Fleiß, mein
Eifer, und meine stille Aufführung verdienten, daß man mich von dem übrigen
Gesinde unterschiede; auch hätte ich so etwas in meinem Aeussern, wodurch
es ihr unmöglich gemacht würde, mich, wie die übrigen Bedienten, mit _Er_
oder _Ihr_ anzureden.

Ueberhaupt schien die Gräfin nicht weniger als die Uebrigen neugierig zu
seyn, was es wohl eigentlich für eine Bewandniß mit mir haben möchte. So
oft sie mich sah, nahm sie mich scharf aufs Korn, und sagte entweder zu
mir, oder zu jedem andern, der gerade bey ihr war: Es ist gewiß, daß ich
den Jäger Wilhelm schon sonst irgendwo gesehen habe. Sie verließ mich dann
jedesmal mit einer nachdenklichen Miene.

Man kann leicht glauben, daß ich bey solchen Aeußerungen nicht ruhig
blieb. Mehr als einmal war ich fest entschlossen, die Dienste des Grafen
zu verlassen. Aber heimlich wollt' ich es nicht, und öffentlich konnte ichs
nicht, weil ich keinen Grund dazu anzugeben wußte.

O, ich hatte noch eine Ursache, warum ichs nicht that. Man wird sie
errathen, und über mich lachen. Eben die Ursache, die mich in der einen
Minute forttrieb, hielt mich in der andern. Ich zitterte, wenn mich
die Gräfin so aufmerksam ansah, und glaubte doch, es müßte nicht wenig
interessant seyn, von ihr erkannt zu werden. Ich suchte mich auf die
schicklichste Art zu entfernen, wenn sie in den Garten kam, und mir und dem
Gärtner zusah; und brannte vor Begierde, im Garten zu seyn, wenn ich wußte,
daß sie darin war. Ich erschrak vor dem Gedanken, sie möchte mit Malchen
in Briefwechsel stehen, und hätte dem feind werden können, der mich völlig
überzeugt hätte, sie stände _gewiß nicht_ mit ihr in Briefwechsel. Ich
Thor, ich unbegreiflicher Thor! -- Aber, werfe den ersten Stein auf mich,
wer da will. Vor dem, der geliebt hat, und dem, der das menschliche Herz
kennt, bin ich sehr sicher!




Zwölftes Kapitel.

_Hülfe! Hülfe! Hülfe!_


Am Abend des zehnten Tages nach der Abreise des Grafen, ließ mich meine
Phantasie, die durch ein neues Examen von Seiten der Gräfin aufgeregt
worden war, nicht einschlafen. Es war ein unfreundliches Wetter draussen.
Sturm, Regen und Schlossen brausten und rasselten auf Dächern und an den
Fenstern. Der Wetterhahn auf dem Schloßthurm schwirrte, und die Hunde
heulten in ihren Zwingern. Ich verhüllte mich fest in meine Küssen, und
wartete ängstlich auf den Schlaf, aber meine Einbildungskraft, die sich mit
dem Brausen des Windes vereinigte, entfernte ihn immer weiter und weiter
von mir.

Voll Ungeduld richtete ich mich endlich im Bette auf. Im Nu kam es mir
vor, als ob ein Lichtstrahl plötzlich in meine Kammer fiele, und eben so
plötzlich wieder verschwände. Meine Kammer war unten im Hause, gerade
der Treppe gegenüber, die in den ersten Stock zur Wohnung der Herrschaft
führte. Hinter mir war die Thüre, durch die man auf einigen Stufen in den
Garten hinab kommen konnte. Diese Thür mußte offen seyn, denn ich glaubte
deutlich zu hören, wie sie vom Winde hin und her geworfen wurde, und doch
wußte ich sehr genau, daß ich sie, eh' ich mich niederlegte, fest zugemacht
hatte.

Ich stand auf, um sie zuzumachen. Während ich meinen Oberrock umwarf, fiel
abermals ein Lichtstrahl durch das Fenster, welches in meiner Kammerthür
angebracht war. Ich sah hindurch und sah nichts. Voll Befremden darüber,
doch ohne mir etwas Besonderes dabey zu denken, suche ich nach dem Drücker,
finde ihn, drücke und drücke -- meine Thüre war und blieb fest zu. Ich
erinnerte mich zwar nicht, sie abgeschlossen zu haben, nahm aber doch den
Schlüssel um aufzuschließen. -- Meine Thür war nicht zugeschlossen gewesen,
ging aber auch nicht auf.

Indem ich mich noch zermarterte, um sie zu öffnen, hörte ich auf einmal ein
durchdringendes _Jesus Maria!_ -- Weinend vor Ungeduld, lehnte ich mich mit
meiner ganzen vereinigten Kraft gegen die Thür, und krach! sprang sie aus
den Angeln und stürzte mit großem Geräusch auf den Boden, der mit Steinen
gepflastert war. Ich stürmte die Treppe hinan, und hörte die Stimme des
Kammermädchens, die Hülfe! Hülfe! Hülfe! schrie. Ich eilte in das Zimmer
der Gräfin, welches weit offen stand, und sah Lichtstrahlen aus ihrem
Schlafzimmer in dieses größere fallen. Ein dumpfes Stöhnen kam mir aus
jenem entgegen.

Ich sprang hinein, und erblickte eine Weibsperson, die sich über das Bette
der Gräfin geworfen hatte und mit beyden Händen beschäftigt war, sie
unter Küssen zu begraben; eine Mannsperson, die vor einem geöffneten
Seitenschranke stand und mit beyden Händen im Gelde wühlte; auf dem
Seitentisch eine kleine brennende Diebslaterne.

Ich ergriff die Weibsperson, um sie wegzuschleudern, sie schrie, und in
dem Augenblick fühlte ich einen Stich durch die rechte Seite. Meine Arme
erschlafften, und ich sank ohne Bewußtseyn zu Boden.




Moriz.

Sechstes Buch.




Erstes Kapitel.

_Neue Wunden._


Als ich zu mir selbst kam, sah ich mich noch im Schlafzimmer der Gräfin auf
einem Kanape, das ihrem Bette gegenüber stand. Mir zur Seiten erblickte ich
die beyden jungen Fräulein, welche Todesangst auf dem Gesichte trugen.
Die eine hatte ein Wachslicht in der Hand, die andre ein Glas voll Wasser,
womit sie mir das Gesicht besprengte. -- »Er lebt noch!« rief die letztre,
als ich die Augen öffnete. Die Gräfin richtete sich im Bette auf.

Guter Wilhelm! rief sie mit schwacher Stimme, und streckte die rechte Hand
nach mir aus. -- Ich wollte aufspringen, um sie zu ergreifen, und sank
kraftlos zurück.

Ihr schönes Auge, welches fest an mir haftete, schwamm in Thränen. »O,
kommen sie _noch_ nicht?« rief sie, voll Angst und Ungeduld, als sie einen
Blick auf das Blut warf, womit das Kanape über und über bedeckt war. --
»Geh, lauf,« fuhr sie zum ältesten Fräulein fort: »sieh, ob sie kommen!«

Das Fräulein sah sie mit der allerhöchsten Angst im Blicke an, und wagte es
nicht, den Fuß aus dem Zimmer zu setzen. »So geht beyde!« fuhr die Gräfin
fort. Sie schlossen sich fest an einander, und gingen langsam in das
Vorzimmer. Die eine zog Muth aus der Furchtsamkeit der andern. Sie nahmen
das Licht mit, und das Schlafzimmer wurde nur noch von dem matten
Schein der Nachtlampe, die nahe bey dem Bette der Gräfin stand, dürftig
erleuchtet.

Immer noch war ihr Auge mit dem Ausdrucke des innigsten Mitleids auf mich
gerichtet. Ihr Haupt hatte sie auf die linke Hand gestemmt, und die rechte,
in welcher sie ein Schnupftuch hielt, ruhte auf dem Deckbette. Ihr blondes
Haar floß in reizender Unordnung über Schultern und Brust herab, und
überwebte gleichsam stellenweise den Umriß des vollen Busens, der, durch
Schrecken, Todesfurcht und Nothwehr aus seinen Schranken gedrängt, langsam
stieg und sank.

Verloren in dem Anschauen der Schönheit, die sich hier meinem Blicke so
überraschend entschleyerte, fühlte ich keinen Schmerz, wußte ich von keiner
Wunde, von keiner Entkräftung mehr. Meine ganze Seele lebte in meinem Auge,
und in dem ihrigen flimmerten die hellen Perlen, in welche sich das Mitleid
auflöst, wenn die Zunge dem gerührten Herzen nicht folgen kann. Immerfort
begegneten sich unsre Blicke, und immerfort sanken sie zu Boden, als wenn
wir wechselsweise vor einander erschräken.

»O, wenn sie mir doch noch einmal die Hand reichte!« Dieser Wunsch ward
nach einigen Augenblicken der herrschende in meiner Seele. Ich hütete alle
ihre Bewegungen, und als sie einmal die rechte Hand aufhob, glaubte ich ihn
erfüllt, sprang auf und that einen raschen Schritt nach dem Bette. Sie fuhr
erschrocken zusammen, zog den Arm unter die Decke, und hüllte sich völlig
ein. Ich taumelte nach dem Kanape zurück, warf den Blick seitwärts, und --
dachte an meine Wunde, und fühlte meinen Schmerz und meine Entkräftung von
neuem.

Die beyden Fräulein kamen zurück und brachten die Nachricht, daß sie
eine Laterne von weitem gesehen hätten: es würde wohl der Gärtner mit der
Jungfer und dem Chirurgus seyn. »Dem Himmel sey gedankt!« rief die Gräfin
freudig: »Nun, wird sich der arme Wilhelm nicht verbluten!«

Mein ganzes Herz bewegte sich bey diesen Worten. Für jedes hätte ich willig
einen _neuen_ Stich erdulden wollen. Ich bestrebte mich, ihr zu sagen,
wie sehr mich ihre Theilnehmung rührte, aber die Zunge versagte mir ihren
Dienst; ich sprach mit Blicken, und sie schien mich zu verstehen.

Bald nachher kamen der Gärtner, der Chirurgus und das Kammermädchen. Man
führte mich in meine Kammer, untersuchte meine Wunde und verband sie. Der
Chirurgus fand sie nicht gefährlich und nannte sie eine Kleinigkeit, was
nicht alle Wundärzte in ähnlichen Fällen zu thun pflegen.




Zweytes Kapitel.

_Moriz in letzten Zügen._


Ich wollte den Gärtner, dem es von der Gräfin ausdrücklich aufgetragen war,
bey mir zu wachen, mehr als einmal fortschicken, aber er ging nicht.
Wie lästig war mir seine Sorgfalt und Theilnehmung! Ich fühlte ja keinen
Schmerz, ich wußte ja von keiner Wunde, mir war so leicht und wohl, wie
mir nie gewesen war! -- O, ich hatte aus den Augen der Gräfin eine Stärkung
gesogen, welche die feinsten meiner Fibern innig durchdrang, und wie der
Balsam der Unsterblichkeit, mein ganzes Wesen zu einem neuen Leben stärkte
und auffrischte.

Immer noch saß ich ihrem Bette gegenüber auf dem Kanape; immer noch
lispelte ihre melodische Stimme: _Armer Wilhelm!_ vor meinem Ohre; immer
noch sah ich die runde Hand, auf die sich ihr Haupt, wie auf eine Säule von
Elfenbein gesenkt hatte; immer noch die sanften Wogen des blühenden Busens,
der, hie und da vom seidenen Haar überflossen, bey der schwachen Dämmerung
des Nachtlichts, den Schneehügeln Nordens sich verglich, um deren Häupter
feine, monderhellte Silberwölkchen leise weben und schimmern.

Und wenn mir auch Malchen getreu geblieben wäre, so hätte ich doch in
diesen Augenblicken nicht an sie gedacht.

Je tiefer ich mich in meine Küssen verhüllte, desto lebhafter wurden jene
Bilder, desto fruchtbarer ward meine _Phantasie_ (denn mein _Verstand_
feyerte) an abentheuerlichen Entwürfen, wodurch ich mir das Glück
verschaffen wollte, der Gräfin -- noch einmal so gegenüber zu sitzen. Es
ist sonderbar, aber sehr natürlich, daß die kühnsten meiner Wünsche gerade
nur auf diesen Umstand sich einschränkten, der ihnen die Entstehung gegeben
hatte.

Am andern Morgen erschien die Kammerjungfer der Gräfin, und erkundigte sich
im Namen ihrer Gebieterin nach meinem Befinden. Ich stellte mich Wunder wie
stark, und sagte mit einer Stimme, die nichts weniger als einen kränklichen
Ton hatte: _mir ist wohl, mir fehlt nichts, ich werde sogleich aufstehen!_
Ich zitterte bey dem Gedanken, daß sie an meinem Wohlbefinden zweifeln
möchte.

»Aber die Gräfin ist herzlich krank,« sagte sie, »und wird wohl unter drey
Tagen das Bette nicht verlassen dürfen!«

Drey Tage? Drey Tage? rief ich erschrocken, denn ich hatte Rechnung darauf
gemacht, sie _heute noch_ zu sehen; und deßhalb _befand ich mich vorhin
so wohl_, deßhalb _fehlte mir nichts_, und deßhalb _wollte ich sogleich
aufstehen_! Jetzt glaubte ich mich weit übler zu befinden, als zwey volle
Minuten vorher, und ich sagte zu der Kammerjungfer, daß es auch bey mir
leicht drey Tage dauern könnte, eh' ich meine Kräfte wieder erlangte.

»Und die Gräfin glaubt,« unterbrach sie mich mit nassen Augen: »daß Sie in
drey Tagen nicht mehr leben werden.«

Was? rief ich, indem ich mich schnell im Bette aufrichtete -- Was? -- Nicht
mehr leben? Bin ich nicht frisch und gesund?

Ich wollte aus dem Bette springen, aber der Gärtner hielt mich zurück.

»Ach,« fuhr sie fort, »wenn die Kranken nicht wissen, wie krank sie sind,
so ist es ein Zeichen, daß sie in den letzten Zügen liegen!«

Sie weinte und schluchzte ganz erbärmlich, und ich -- ich hätte verzweifeln
mögen über ihre Albernheit!

In dem Augenblicke trat der Wundarzt herein. Er untersuchte meinen Puls,
prophezeiete, daß ein Wundfieber unterwegs sey, und rieth mir, _mich aller
Gemüthsbewegungen zu enthalten_. Darauf ging er mit der Kammerjungfer zur
Gräfin. Ich flüsterte ihm ins Ohr: er sollte der Gräfin sagen, ich wäre
gesund wie ein Fisch, und bat ihn zugleich noch heimlicher und leiser, mir
Nachricht zu bringen, was sie dazu gesagt hätte.




Drittes Kapitel.

_Er sieht sie._


Mit dem dritten Tage fand ich mich völlig gesund. Der Arzt mochte sagen,
was er wollte, ich blieb nicht im Bette. Das Wetter ward gegen Mittag so
schön, daß er mir erlauben mußte, einen Spatziergang im Garten zu machen.
Es hieß, die Gräfin werde heute auch das erstemal wieder ihr Zimmer
verlassen, und in den Garten kommen. In eben dem Augenblicke, wo ich
diese Nachricht erhielt, griff mir der Arzt von ungefähr an den Puls,
und versicherte, mein Blut wäre sehr in Wallung. Ich fühlte es wohl,
versicherte ihm aber das Gegentheil.

Ich ging mit ihm in den Garten, und in weniger als zehn Minuten sahen wir
die Gräfin mit der Kammerjungfer die große Allee herabkommen, uns entgegen.
»Es schickt sich wohl nicht,« sagte mein ängstlicher Führer: »daß wir in
eben der Allee spatzieren gehen, wo die gnädige Herrschaft geht, wir wollen
umkehren.«

Er wälzte mir durch diesen Vorschlag einen Stein vom Herzen. Mir war gerade
so zu Muthe, als damals, wo ich auf meinem großen Ritterzuge nach L**
Malchen mit verschlossenen Augen am Fenster zu sehen glaubte. Wir kehrten
um, gingen aber sehr langsam, woran jedoch mein Begleiter nicht schuld war.

In wenig Augenblicken hörte ich die Stimme der Gräfin nahe hinter mir. Sie
sprach stärker, als gewöhnlich -- »Vermuthlich,« dachte ich bey mir selbst:
»damit ichs hören soll!« -- Aber ich hatte nicht den Muth, mich umzusehen.

»Warum laufen Sie vor mir, mein lieber Doktor?« rief sie meinem Begleiter
zu, und es that mir weh, daß sie nicht _mir_ zurief.

Wir standen still, und sie trat näher.

»Was macht Ihr Patient?«

Er antwortete, ich schwieg unzufrieden.

»Wird ihm die Bewegung nicht schaden?«

Ich hoffe nicht! sagte er.

Auch nicht eines Blickes würdigt sie mich! sagte ich bey mir selbst, und
meine Unzufriedenheit stieg --

»Sehn Ihr' Gnaden wohl, wie blaß der arme Wilhelm aussieht?« sagte die
Kammerjungfer.

Ich glühete über und über bey dieser Bemerkung, und die Gräfin, die mich
nur mit einem halben Blicke von der Seite ansah, glühete wo möglich noch
stärker.

»Ja,« sagte sie, »recht blaß, recht sehr blaß!« Sie drehete sich um, und
that, als ob ihr ein Staubkörnchen ins Auge gefahren wäre.

»Hast du es ihm schon erzählt?« fuhr sie nach einer Pause zur Kammerjungfer
fort.

Ich? sagte diese: Nein! Ihr' Gnaden wollten es ihm ja selbst erzählen.

Die Gräfin ward von neuem roth, wandte das Gesicht weg, und sagte
stammelnd: es kann ein andermal geschehen! Ich habe jetzt -- er wird jetzt
-- er darf wohl nicht lange in der freyen Luft seyn, Herr Doktor?

»So lange die gnädige Gräfin befehlen« -- rief ich eilig, weil ich glaubte,
der Arzt würde mir mit einem bedenklichen Achselzucken zuvorkommen. Ich war
nicht wenig mit mir zufrieden, daß ich diese Worte glücklich herausgebracht
hatte.

»Also kurz,« nahm die Gräfin das Wort: »man hat die _Gouvernante_ und den
_Pater Benedikt_ auf der Gränze ertappt, und beyde nach P** geliefert.
Ich erwarte in einigen Tagen nähere Nachricht. Gewiß ist es, daß sie ihrer
Strafe nun nicht entgehen werden. -- Aber,« fuhr sie mit weggewandtem
Gesichte fort: »dadurch werden die Schmerzen des armen Wilhelms nicht
gelindert!«

»Ich habe keine Schmerzen!« rief ich mit aufwallender Freude.

»Weinen möchte ich über solche Großmuth!« sagte sie zur Kammerjungfer, und
legte die rechte Hand vor die Augen: »Gute Besserung, mein lieber Wilhelm,«
rief sie nach einer Pause, indem sie den linken Fuß fortsetzte, und mit der
rechten Hand auf mich winkte.

Ich sprang wie ausser mir hin, und ergriff diese Hand, und legte sie an
mein Herz, und drückte sie, und küßte sie, und -- o, ich weiß nicht mehr,
was ich in diesen Augenblicken alles that!

Auf ihren Wangen brannte Bestürzung und holde Schaam. Sie riß sich mit Mühe
von mir los, und verschwand in eine Seitenallee. Ich sah ihr mit starren
Blicken nach, und als ich sie aus den Augen verloren hatte, sagte ich zu
meinem Begleiter, der mich seinerseits auch starr ansah: mir ist nicht
wohl! -- Das glaub' ich gern! erwiederte er, und führte mich aus dem
Garten.




Viertes Kapitel.

_Mißverständnisse._


Die Gräfin ließ sich fast stündlich nach meinem Befinden erkundigen, und
das Kammermädchen versicherte mir, daß sie trostlos sey, wenn sie an die
Schmerzen dächte, die ich ihrentwegen erdulden müßte; daß sie ihren ganzen
Verstand beschäftigte, um eine Belohnung zu ersinnen, die dem Dienst
entspräche, den ich ihr geleistet; daß ich selbst verlangen möchte, was ich
nur wollte, so sollt' ich es haben, und wär' es ihr auch das liebste
und theuerste auf der Welt: dieses ließ sie mir durch ihre Vertraute
versichern, und wenn ich sie denn selbst sah, und eben dies von ihr
selbst wiederholt zu hören vermuthete: so war eine kalte Frage nach meinem
Befinden, die sie noch dazu nur immer mit weggewandtem Gesichte an mich
that, das einzige, was sie meinem dürstenden Herzen darzubieten pflegte.

»Ich wüßte wohl, was ich mir von ihr zur Belohnung ausbitten wollte,« sagte
das Kammermädchen bey einer Gelegenheit zu mir --

Ich verlange nichts! sagte ich.

»Einen Kuß, mein lieber Wilhelm, wenn ich an Ihrer Stelle wäre!« -- Sie sah
mich dabey mit einem bedeutenden Lächeln an, welches mir mein ganzes Blut
ins Gesicht trieb. -- »Errathen?« fuhr sie fort, indem sie zur Thür hinaus
ging: »Sie bekommen ihn gewiß, wenn Sie ihn verlangen!«

Ich muß ein höchst albernes Gesicht gemacht haben, denn es kam in diesen
Augenblicken auf nichts Geringeres an, als die höchste Verlegenheit, die
höchste Freude und die süßeste Hoffnung unter einer gleichgültigen Miene zu
verbergen.

Was soll ich es läugnen! Meine Eigenliebe wollte, trotz dem kalten Betragen
der Gräfin, irgend etwas in ihren Blicken gelesen haben, das nichts weniger
als Kaltsinn wäre. Alle die kleinen Züge, Winke und Bewegungen; das ganze
Spiel ihrer Augen, ihrer Lippen und selbst ihrer Finger; den Ton ihrer
Stimme, bis auf den unmerklichsten Accent, den sie auf das kleinste ihrer
Worte legte -- musterte und erklärte mir diese Zauberin, die das ganze
menschliche Geschlecht mit sichtbaren oder unsichtbaren Fäden umspinnt, und
es tanzen läßt, wie der Puppenspieler seine Puppen.

Ich glaubte also im Grunde meines Herzens, daß mir die Gräfin durch jene
Aeußerung ihrer Vertrauten einen Wink hätte geben wollen, in Zukunft nicht
mehr so übertrieben scheu und furchtsam zu seyn; aber ich hatte doch
nicht Muth genug, diese Ueberzeugung durch mein Betragen kundbar werden zu
lassen. Indessen war ich fest entschlossen, bey der ersten Gelegenheit, wo
die Gräfin von Belohnung sprechen würde, Herz zu fassen, und statt alles
übrigen, einen Kuß von ihr zu verlangen. Wie selig mich dieser Vorsatz
machte, den ich im Geiste schon ausgeführt sah, kann man sich ohne Mühe
denken.

Gegen Abend bat mich die Kammerjungfer, ein wenig mit ihr auf ihr Zimmer zu
kommen. Ich that es gern und willig, ob ich gleich sonst alle Einladungen
dieser Art mit Hartnäckigkeit von mir gewiesen hatte. Aber was für eine
Aussicht öffnete sich mir, wenn ich es _diesmal_ ihr nicht abschlug! Das
Zimmer der Gräfin stieß an das ihrige -- wie leicht konnte sie ihr nicht
irgend einen Auftrag zu machen haben -- sie mußte mich sehen, und gewiß mit
mir sprechen -- ich hätte dann Gelegenheit, das von ihr zu fodern, was sie
mir durch ihre Vertraute hatte -- anbieten lassen -- und vielleicht geschah
diese Einladung wiederum auf ihr ausdrückliches Verlangen.

Diese Gedanken jagten mich gleichsam zu dem Zimmer der Kammerjungfer. Es
mußte der Bübin sehr leicht werden, diese ungewöhnliche Bereitwilligkeit
auszudeuten.

Kaum fünf Minuten vorbey, so ging die Thür auf, und in derselben stand die
Gräfin. Ich sprang auf.

»Laßt euch nicht stören, Kinder!« sagte sie mit einer überaus _gnädigen_
Miene: »Ihr seyd überdies so still, daß man euch kaum hört! -- Wilhelmen
ist heute wieder wohl?« fuhr sie zu mir fort.

Recht wohl! erwiederte ich, und in diesen Augenblicken fühlte ich mich auch
wirklich recht wohl.

»O, es ist ihm ja nie weh gewesen!« schnatterte die Kammerjungfer
dazwischen. Die Gräfin schien flüchtig zu erröthen, aber ich brannte über
und über.

»Er verlangt auch nicht einmal ein kleines Schmerzengeld!« fuhr sie fort.

Ich war wie mit heissem Wasser begossen, und zitterte an Händen und Füßen.

»Ich habe ihm eins in Vorschlag gebracht,« fuhr sie fort und hustete auf
eine schelmische Art, indem sie mich scharf ins Auge faßte und mich bey der
Hand nahm --

»Soll ichs sagen, Wilhelm?«

Vorher dürstete ich nach einer Gelegenheit, der Gräfin mein Anliegen
vorzutragen, und jetzt, als ich sie in Händen hatte, war ich halbtodt!

»Er will weiter nichts, als« -- sie führte mich zur Gräfin, und deutete mit
dem Zeigefinger der linken Hand auf ihre Lippen und auf die meinigen --

»O,« rief die Gräfin wie aufgebracht: »_meine_ Einwilligung habt ihr! Wenn
der Herr zurückkömmt, will ich es ihm vortragen. Wenn das alles ist, was
Wilhelm verlangt, das soll ihm gewährt werden« --

Ich fuhr nach ihrer Hand, denn ich bildete mir ein, sie hätte die Pantomime
der Kammerjungfer gerade so verstanden, wie ich --

»Ja, ja,« rief sie noch hitziger als vorher, und zog die Hand zurück:
»ja, ja! Ihr sollt -- Mann und Frau werden, auf mein Ehrenwort.« -- Sie
schlüpfte in ihr Zimmer, und ich wußte nicht, ob ich im Himmel oder auf
Erden war. Die Kammerjungfer wollte sich halbtodt lachen.

»Mann und Frau!« rief ich, wie aus einem Traum erwachend: »Wir beyde Mann
und Frau?«

Nicht anders, mein lieber Wilhelm! sagte sie lachend, und wollte mich bey
der Hand nehmen. Ich schleuderte sie unsanft von mir.

»Ich bin nicht in Sie verliebt,« rief ich so laut, daß mich die Gräfin wohl
hören konnte: »ich bin nicht in Sie verliebt! Ich mag Sie nicht heyrathen!
Ich mag keine Frau! Das ist ein Mißverstand« --

Unter diesen Worten lief ich lärmend aus dem Zimmer und die Treppe
hinunter. Aber kaum war ich unten, so fuhr mir der Irrthum der Gräfin
von neuem wilder als vorher durch den Kopf; ich stürmte die Treppe hinan,
rannte, schier ohne Bewußtseyn, durch das Zimmer der Kammerjungfer, machte
das Zimmer der Gräfin weit auf, und rief hinein: _Nein, gnädige Gräfin, ich
bin nicht in Lisetten verliebt!_ schlug die Thür zu, und stürzte wie vorher
die Treppe hinunter.

Wie bitter war ich getäuscht! Ich glaubte eines Kusses von ihren
Rosenlippen schon so gewiß zu seyn, und statt desselben soll ich bekommen
-- eine Frau?




Fünftes Kapitel.

_Welch eine Heldenthat!_


Was wollte ich nicht alles thun, um der Gräfin zu beweisen, daß es mir nie
eingefallen wäre, mich in ihr Kammermädchen zu verlieben, vielweniger
sie von ihr zur Frau zu begehren. Halbverrückt machte mich dieses
Mißverständniß. Aber ich bekam auch dadurch Muth, alles zu wagen. Meine
Liebe und meine Ehre wirkten hier vereint, und diese ersteigen den Himmel,
wenn sie wollen.

Am Abende dieses Tages, dem schönsten in der Natur, saß ich, trübsinnig und
in Gedanken verloren, in dem kleinen Lustgehölze, das an den Garten stieß,
unter Bäumen, deren Zweige, vom leisen Abendwinde bewegt, sanft über meinem
Haupte zitterten. Vor mir wallte ein großer Teich, den der aufgehende Mond
in fließendes Silber verwandelte, und neben mir rauschte ein kleiner Bach
in gekräuselten Wellen dem Wasserbehälter zu. Bald sah ich mit starren
Blicken in den spiegelhellen Teich, und beschäftigte mich mit den kleinen
Wölkchen, die dem Monde vorüberschwebten; bald blickte ich in das Gewimmel
der kleinen Krystallwellen, die sich rauschend in tausend Brillanten
zerschlugen, über einander hüpften, von neuem sich sammleten, und von neuem
auseinander rauschten.

Ich sah das alles, sah es aber nur. Eine süße Wehmuth bemächtigte sich
meines Herzens, und meine Phantasie hing an dem Bilde der Gräfin, das sich
mir immer noch in eben dem Lichte zeigte, worin es den ersten gewaltigen
Eindruck auf mich gemacht hatte.

Was würde ich ihr nicht alles sagen, wenn ich sie jetzt sehen sollte! rief
ich, und in dem Augenblick hörte ich ein kleines Geräusch hinter mir. Ich
sah mich um, und vor mir stand -- die Gräfin. Fort war mein Muth, meine
schönen Phantasien mit ihm!

Sie setzte den Fuß erschrocken zurück. Mit Zittern erwartete ich ihr erstes
Wort. Ihre Verwirrung schien der meinigen nichts nachzugeben.

Ist Lisette hier? sagte sie endlich mit zitternder Stimme.

Was sollte _die_ hier? versetzte ich hastig.

Ich dachte! fuhr sie gleichgültig fort.

Jetzt Muth gefaßt, sagte ich bey mir selbst, oder nimmer.

»Die gnädige Gräfin glauben wohl immer noch, daß ich in Lisetten verliebt
sey?«

Sie lächelte bey diesen Worten, die ich mit Mühe hervorbrachte.

»Nein,« sagte sie, »nach Ihrer heutigen lauten Erklärung glaub' ichs nicht
mehr. Sie dachten gewiß, man wollte Sie zwingen. Sie waren außer sich!«

Kein Wunder, sagte ich, solch ein Mißverstand!

»Lisette hat mir aus dem Traum geholfen!« erwiederte sie. Sie wollte
lachen, aber es schien ihr sauer zu werden. Auch kam es mir vor, als ob sie
immer noch eben so sehr verlegen wäre, als ich selbst.

»Lisette hat _alles_ gesagt?« rief ich, und trat näher, und ergriff sie,
als sie den Fuß fortsetzen wollte, bey der Hand. Sie wandte ihr Gesicht
sorgsam auf die Seite, gleichsam als ob ich schon im Begriff wäre, mir das
bewußte Schmerzengeld von ihren Lippen auszahlen zu lassen. Dies sehen, sie
umfassen, und ihr den feurigsten Kuß mit Heftigkeit auf die Wange drücken,
war das Werk eines Augenblicks, während dessen ich drey Himmel vor mir
aufgethan zu sehen glaubte.

Sie entriß sich, der schönsten Verwirrung voll, meinen Armen, und rief mir,
indem sie sich eilig entfernte, die Worte zu: ein Glück für Sie, daß Sie
mir das Leben gerettet haben!

Welch eine Heldenthat! Triumphirend ging ich in meine Kammer, aber ich
schlief diese Nacht nicht weniger unruhig, als die vorhergehenden.




Sechstes Kapitel.

_Der Graf kömmt zurück._


Ich konnte es nicht gewiß wissen, ob die Gräfin bey allen diesen Auftritten
mit ihrer Vertrauten aus Einer Karte spielte oder nicht. Bey der vorletzten
Scene, als die Gräfin mich so schmerzlich mißverstand, schien Lisette uns
beyde zum Besten zu haben, aber die Begebenheit des vorigen Abends konnte
ich nicht für bloßen Zufall halten: denn die Gräfin ging sonst, selbst bey
hellem Tage, nicht allein im Garten spatzieren, noch weniger des Abends.
Auch glaubt' ich aus gewissen kleinen geheimnißvollen Aeußerungen der
Kammerjungfer schließen zu können, daß sie von meiner heldenmüthigen
Unternehmung auf die Lippen der Gräfin etwas müsse gewußt haben. Auf jedem
Fall benahmen sich beyde sehr meisterhaft: die Gräfin als eine Frau von
Erziehung und Gefühl für Ehre und weibliche Würde; und ihre Vertraute,
als ein Mädchen voll Schlauigkeit und Erfahrung, verbunden mit einer
unumschränkten Ergebenheit für ihre Gebieterin.

Man glaube nicht, daß ich diese Bemerkung auf der Stelle habe machen
können. Kopf und Herz standen mir ja damals in lichten Flammen.

Nach jedem Kampfe wuchs meine Liebe mächtiger heran. Ich suchte die Gräfin,
und floh sie, wenn ich sie gefunden hatte; ich zitterte, wenn ich mit ihr
sprechen sollte, und zitterte, wenn ich schweigen sollte. O, die Erfüllung
des ersten Wunsches war die Mutter von Millionen andern geworden! Seit
jenem Kuß brannte ein Feuer in meinen Adern, das meine ganze Lebenskraft
aufzulösen und auszutrocknen drohete.

In diesem Zustande war ich, als der Graf zurückkam. Er trug mich fast
auf den Händen, und bot mir Belohnungen an, deren Größe und Umfang mich
beschämten. Aber was konnte er mir anbieten, das nicht schon tausendfach
von der Belohnung überwogen ward, die ich mir selbst genommen hatte? Der
alte Tobias sagte: ich könnte wenigstens _den Titel eines Leibjägers_ dafür
verlangen.

Die Zurückkunft des Grafen machte, daß ich die Gräfin nicht mehr so oft
sehen und sprechen konnte, als vorher. Sie war durch ihren Gemahl gebunden,
und ich durch den alten Tobias. Wenn auch beyde oft ganze Tage auf der Jagd
waren, so blieben doch immer die übrigen Bedienten im Hause. Meine Wunde
ward auch zusehends besser, und meine Jägerspflicht wartete auf mich.

Aber das war noch nicht alles. Lisette sagte mir, daß eine Busenfreundin
der Gräfin unterwegs sey, die den ganzen Sommer, und auch wohl -- _je
nachdem es wäre_ -- setzte sie geheimnißvoll hinzu -- den Herbst bey
ihr zubringen würde. Da sie sich sehr lange und immer als die besten
Freundinnen in L* gekannt hätten, so würden sie wohl unzertrennlich seyn.
Es hätte eine besondere Bewandniß mit dieser Dame -- fuhr sie erröthend
fort -- die sie mir aber nicht sagen könnte. -- Es würde auch zu R** (der
nächsten Stadt) ein Zimmer für sie gemiethet, weil es dort (sie that die
Hand vor die Augen) einen geschickten -- Geburtshelfer gebe.

Ich hörte wenig auf alles, was sie mir sagte, weil ich mehr mit dem
Hinderniß meiner Liebe selbst, als mit den Umständen beschäftigt war, die
es veranlaßten. Von allen Seiten war also meine Leidenschaft eingeengt,
und sie ward gewaltiger dadurch. Sie drohete Durchbruch, wie ein verhaltner
Strom.

Seit drey Tagen, so lange der Graf zurück war, hatte ich sie nicht
gesprochen. Was für Plane machte ich nicht während dieser drey Tage! Ich
ging täglich hundertmal in den Garten, und machte mir, mit dem Grabscheit
oder Gärtnermesser, unter ihrem Fenster etwas zu schaffen. Aber dadurch
erhielt ich nichts, als daß ich sie zuweilen am Fenster sah. -- »Ehedem,
als ich ihr noch nicht das Leben gerettet hatte,« sagte ich oft, in
gewissen Anwandlungen von Unwillen, bey mir selbst: »sprach sie zuweilen
aus dem Fenster zu mir, und jetzt kehrt sie mir den Rücken zu, wenn sie
mich erblickt!« --

Ich glaube, daß ich damals diesen Umstand ganz falsch deutete.

Am Morgen des vierten Tages, als der Herr auf der Jagd war, und der alte
Tobias den Vogelsteller machte, sah ich, daß Lisette das Frühstück der
Gräfin in den Garten trug. Ich flugs hinterdrein, band einen Strauß von
Blumen, um einen Vorwand zu haben, und erwartete sodann die Gräfin.

Sie erschien bald, und ich näherte mich der Laube, wo das Frühstück auf
sie wartete. Lisette hüpfte mir entgegen, und sagte, sie wolle hinaus, dem
alten Tobias entgegen, welcher der Gräfin eine Amsel zu bringen versprochen
hätte.

Ich zeigte ihr den Strauß, und fragte sie, ob sie ihn der Gräfin
einhändigen wollte. »Ich sollte es selbst thun!« sagte sie und flog davon.
Ich wäre auch in Verzweiflung gewesen, wenn sie sich dazu erboten hätte.

Mit schwankenden Knieen trat ich in die Laube, die rund herum dicht
überwachsen war. Sie saß im Hintergrunde derselben. Ich trat hinzu und
überreichte ihr die Blumen, ohne einen Laut hervorbringen zu können.

Für mich, mein lieber Wilhelm? sagte sie.

»Für Sie, gnädigste Gräfin! Ich habe sie selbst gezogen!«

Sie müssen das ganze Beet geplündert haben, so viel sind es!

»Auch nicht eine einzige, die schön war, ist stehen geblieben!«

Es folgte eine Pause. Ich weiß nicht, wer von uns beyden in der größten
Verlegenheit war. Um die ihrige zu verbergen, zog sie den Duft meiner
Blumen ohne Aufhören in sich. Ich bestrebte mich zu sprechen, und über
diesem Bestreben ward ich stummer und stummer.

»Sie pflegen immer viel, sehr viel zu geben, Wilhelm!« hub sie endlich, in
Bezug meiner letzten Worte, wieder an.

O, immer zu wenig, rief ich, immer zu wenig! --

»Auch Todesgefahr nennen Sie wenig?«

Sie lächelte mit nassen Blicken auf mich her.

Auch Todesgefahr, rief ich, auch Todesgefahr, wenn ich ein Leben dadurch
retten kann, das mehr werth ist, als Millionen andre!

»Guter, guter Wilhelm!« rief sie, und ich -- stürzte ihr zu Füßen. Mein
Auge suchte das ihrige und fand es, meine Seele folgte meinen Blicken, und
ich sog aus den ihrigen ihre Seele. Dies war der Augenblick, wo Herz
und Herz einander entgegen flogen, wo innig und innig verschwistert und
verschlungen, beyde dem Körper sich entschwangen; wo Auge und Lippe, wo
Finger und Arm, wo jeder Nerve, jede Fiber und jeder Pulsschlag: _ich liebe
dich! ich liebe dich!_ zu sagen sich bestrebte, und nur die Zunge allein
schwieg. -- O Sprache, arme Sprache, woher nimmst du Worte für diesen
Augenblick? der uns in ein Elysium hinüber zauberte, in welchem tausend
neue Elysien mit ihren Freuden vor unserm verklärten Auge in himmlischer
Schönheit sich entwickelten!

Plötzlich hörte ich einen lauten Seufzer, und in eben dem Nu flatterte
ein Vogel zur Laube herein, der mit seinen Flügeln die Decke derselben
rauschend schlug. Ich sprang auf, und sah den alten Tobias vor mir. Die
Gräfin sank ohnmächtig zurück.

[Illustration]




Siebentes Kapitel.

_Freundschaft und Pflicht._


Lieber Tobias, rief ich, und die Worte erstarben mir auf der Zunge.

Er drehete sich um, und sagte: »Ich bin dein lieber Tobias nicht mehr, und
du bist mein lieber Wilhelm nicht mehr.« -- Ich wollte ihn halten, aber er
riß sich von mir los.

»Sieh nur,« rief ich und zeigte auf die Gräfin, »hilf doch!«

Hilf Du selbst! sagte er unwillig, und ging mit schnellen Schritten aus der
Laube.

Ich sprang, zwischen Schrecken und Angst und Liebe und Mitleid getheilt,
zur Gräfin zurück, und schüttete ein ganzes Glas Wasser, das beym
Schokolate stand, ihr über das Gesicht! Sie schlug die Augen auf!

»Gott, was soll aus mir werden!« rief sie: »Er sagt es dem Herrn!«

In dem Augenblick trat Lisette in die Laube.

»Hier! hier!« sagt' ich, indem ich auf die Gräfin zeigte, »Hülfe!« -- Es
fehlte mir an Athem und Worten und das gewaltsame Klopfen meines Herzens
drohete mir die Brust zu sprengen. Ich eilte dem alten Tobias nach. Er war
todtenblaß, und die Augen standen ihm voll Wasser. Ich nahm ihn bey der
Hand --

»O, wenn du doch ein Schurke wärst, Wilhelm,« sagte er, und die Thränen
rollten ihm in den grauen Bart: »mit Freuden wollte ich meine Pflicht
thun!«

Er stand still, faltete beyde Hände fest in einander, und sah mit starren
Blicken zur Erde.

»Ja,« rief er nach einigen Augenblicken: »Ja, er muß es wissen, ich kann es
nicht verschweigen!« --

»Tobias,« rief ich und umschloß ihn, und drückte ihn an mein Herz, »lieber
Tobias!« --

Er machte sich sanft von mir los, und ein heftiges Schluchzen ließ ihn
nicht zu Worten kommen.

»Und wenn du ein Wilddieb wärst,« sagte er endlich: »so wollte ich dir
durch die Finger sehen.« --

Er schluchzte von neuem heftiger.

»Aber ein Ehrendieb,« fuhr er fort, »ein Ehrendieb meines Herrn, meines
Grafen -- Nein, ich kann dich nicht mehr ansehen. Geh mir aus den Augen!«

»Lieber Tobias,« rief ich: »wenn du auch mich nicht schonen willst, so
schone doch wenigstens die arme Gräfin!«

Er stutzte einen Augenblick. Ich benetzte seine rechte Hand mit meinen
Thränen, während er mit der linken die seinigen abwischte.

»Ach Gott,« rief er, indem er den Kopf langsam und entkräftet auf die linke
Schulter sinken ließ: »ich _kann_ es ja nicht verschweigen, ich _darf_ es
ja nicht verschweigen!«

»Fodere was du willst,« rief ich, »von der Gräfin und von mir: du sollst
es haben. Lege mir irgend etwas auf, das ich für dich thun soll, ich ruhe
nicht, bis ich es gethan habe. Willst du dich glücklich machen, deine ganze
Familie glücklich machen, so rede, ich bringe dir die ganze Schatulle der
Gräfin!«

»Wie,« rief er, und der Zorn gab seinen Augen neues Leben: »du willst mir
meine Pflicht abkaufen?«

Er schob mich unsanft von sich.

»Hättest du mir doch lieber ein Messer ins Herz gestoßen, Wilhelm, als das
gesagt!« -- setzte er sanfter hinzu. --

Wir waren während der Zeit bis vor seine Kammer gekommen. Er trat hinein,
und ich wollte ihm folgen, aber er drückte die Thür vor mir zu und schloß
sie ab.




Achtes Kapitel.

_Moriz läuft Sturm._


Ich durfte nicht laut vor seiner Kammer seyn, um das übrige Gesinde nicht
herbey zu ziehen. Mit stillem verhaltnen Schmerz lief ich in den Garten
zurück. Ich traf die Gräfin und Lisetten noch in der Laube. Lisette lag vor
der Gräfin auf den Knieen, als ich hineintrat, und ich hörte nur noch
die Worte: »O Gott, warum mußte ich den alten Spürhund fehlgehen! Er geht
_oben_ herein, während ich _unten_ Wache halte!« Sie sprang auf, als sie
mich sah, und die Gräfin erröthete mitten unter der Angst.

»Er wird uns verrathen!« rief ich: »Es ist keine Rettung!«

Die Gräfin ward von neuem ohnmächtig. Ich ging mit großen Schritten in
der Laube auf und ab. Schrecken, Angst und Verzweiflung uns rettungslos zu
sehen, raubten mir Bewußtseyn und Verstand.

Mitten unter dieser Verwirrung, trat ein Wachtelhund, des Grafen Liebling,
in den Eingang der Laube, witterte und rannte davon. Beweis genug, daß der
Graf in der Nähe sey. Die Gräfin sprang auf und wußte nichts von Ohnmacht,
Lisettens Thränenquell versiegte, und ich -- fühlte mich ganz leicht.
Hier ward Schrecken von Schrecken übermeistert, und die Betäubung, die nun
folgte, dauerte lange genug, um uns dem Grafen entkommen zu lassen, ohne
daß wir ihm aufgefallen wären. Er sprach zwey Worte mit der Gräfin, und
ließ sie gehen, und als er mich um meine Verrichtung in der Laube befragte,
sagte ich frisch und rund: Tobias hätte eine Amsel fliegen lassen, die
hätte ich wiederfangen wollen, aber sie wäre fort.

Er ging, und ließ mich stehen. Sogleich eilte ich zur Kammer des alten
Tobias zurück. Weil niemand in der Nähe war, so sah ich durch das
Schlüsselloch. Er ging, beyde Hände fest in einander geschlungen, jammernd
auf und ab, und fuhr sich zuweilen mit der verwandten Hand über die Augen.
Ich pochte leise an die Thür.

»Wer ist da?« rief er mit schwacher Stimme.

»Ich bins, lieber Tobias!« rief ich kläglich.

Er antwortete nicht, machte aber auch nicht auf. Ich pochte noch einmal und
stärker, aber kein Gehör; ich nahm die Faust, die Thür blieb zu -- Und nun
geh' es drunter und drüber! rief ich in rasender Wuth, und fing an, die
Thür mit den Fäusten, mit den Knieen, mit den Schultern, und endlich gar
mit dem Kopfe zu bearbeiten, daß sie donnerte und krachte.

In wenig Augenblicken stand das ganze Hausgesinde in einem halben Zirkel um
mich herum, und Knecht und Magd, und Jungfer und Diener bezeigten mir ihr
Staunen, und ihre Neugier, jedes nach seiner Art. -- Ich glaubte der Himmel
fiele über mich zusammen.

Ich durchbrach das Getümmel, und suchte das Freye, aber der Haufen zog
hinter mir her. Ich bat die Verständigsten darunter, kein Aufsehen zu
machen, sie sollten alles erfahren: der Haufen folgte. Ich drohete, den
ersten, der mir zu nahe käme, mit Gewalt zurückzuführen: der Zug blieb mir
auf den Fersen. Ich stieß einige ziemlich unsanft zurück: diese blieben
hinten, die hintersten drangen vor, und die Gesellschaft folgte mir in
schönster Ordnung auf dem Fuße. Als ich mich so von allen Seiten umzingelt
und umlagert sah, blieb mir nichts übrig, als mich durchzuschlagen, und
dies gelang mir so gut, daß ich meine Kammer erreichte, und Zeit genug
behielt, sie hinter mir abzuschließen. In eben dem Augenblick riefen ein
paar Stimmen: _der Herr kömmt!_ Ich warf mich ohne Athem und aller Sinne
beraubt auf mein Bette, drückte die Augen fest zu, und bestrebte mich, auch
das letzte Fünkchen von Bewußtseyn, das noch in meinem Kopfe glimmte, in
bitterer Verzweiflung zu ersticken.

Ich weiß nicht, wie lange ich in diesem Zustande blieb. Die Stimme des
alten Tobias erweckte mich endlich. Ich öfnete ihm meine Kammer. Er nahm
mich stillschweigend und mit abgewandtem Gesichte bey der Hand, führte mich
über den Schloßhof, durch ein altes verfallenes Nebengebäude, schloß eine
eiserne Thür auf, schob mich hinein und legte das Schloß wieder davor.




Neuntes Kapitel.

_Moriz schüttelt den alten Tobias._


Nun hatte ich Zeit und Gelegenheit genug, über das, was geschehen war und
geschehen würde, reiflich nachzudenken. Es war gewiß, daß Tobias dem Herrn
die ganze Begebenheit entdeckt hatte. Aber mein Schicksal lag mir nicht so
schwer auf dem Herzen, als das Schicksal der Gräfin. Ich zitterte für sie,
wenn ich an die hitzige Gemüthsart des Grafen dachte; doch ward ich wieder
durch den Umstand getröstet, daß er sich gegen mich nichts weniger als
jachzornig benommen hatte. Jeder andre wäre thätlich mit mir verfahren,
aber er, läßt mich blos einsperren, und noch dazu durch einen Andern. Was
auf diesen Verhaft folgen würde, wußte ich freylich noch nicht.

Ich befand mich in einem runden Thurme, der vor Alters eine Warte gewesen
zu seyn schien, jetzt aber als ein Gefängniß für ungehorsame Bauern
gebraucht wurde. Eine schmale Wendeltreppe führte hinab in ein finsteres
Gewölbe, und eine andre hinauf in eine Art von Stube, die durch drey oder
vier stark vergitterte Löcher ihr Licht erhielt. Ich saß eine Zeit lang auf
der untersten Stuffe der Treppe, die hinan führte, und war in tiefen
und traurigen Betrachtungen versunken. Die Finsterniß, die rund um mich
herrschte, machte die Bilder, die meine Phantasie sich schuf, um so heller
und heller; auch wurden sie um so mannichfaltiger und zahlreicher, je
verwickelter und verwirrter mein Schicksal mich dünkte, und je weiter sich
die Hoffnung eines guten Ausgangs von meinem Herzen entfernte. Man kann
leicht denken, daß auch Malchen in diesen Augenblicken mir erschienen seyn
müsse: mein Bestreben, dies Bild, das mir doppelt peinlich war, vor meinen
Augen zu entfernen, ging jedesmal in eine förmliche Herzensangst über.

Endlich stieg ich die Treppe hinan. Ich fand in dem obern Behältnisse
nichts, als eine steinerne Bank und einen steinernen Tisch. Dieser
handfeste Hausrath erweckte in mir eine Besorgniß, die mich mit jeder
Minute heftiger peinigte. -- »Wer wehrt es dem Grafen, rief ich trostlos
aus, mich Zeitlebens in diesem undurchbrechlichen Kerker eingesperrt zu
halten? Er ist Herr über sein Gesinde, und kann den Verbrecher nach Willkür
strafen! -- Wenn ich auch rufe, wer hört mich? Wer es hört, kann mich nicht
retten! Die großen Schlösser an der eisernen Thür widerstehen der Axt, und
die dicken Quadern und starken Gitter dem Brecheisen!«

Während ich so sprach und dachte, hatte ich doch die Stärke meines Armes an
den Gittern versucht.

Es war schon finster in meinem Kerker, als ich ein Gerassel an der eisernen
Thür und die Stimme des alten Tobias hörte. Ich stieg hinab, und er reichte
mir durch die Klappe, die in der Thür angebracht war, Brot und Wasser
herein. Ich darf dir nichts besseres geben, sagte er gerührt, er hat es so
befohlen!

»Aber was soll aus mir werden, Tobias?« rief ich, als ich meine karge
Aetzung neben mir nieder gesetzt hatte.

Gott weiß es! sagte er, indem er den Kopf auf die Seite drehte.

»Und die Gräfin? Ich bitte dich -- was ist ihr geschehen?«

Nichts! Er ist diesen Nachmittag lange mit ihr spatzieren gegangen, er war
sehr freundlich mit ihr, und sie lachte einigemal laut auf.

»Lachte?« rief ich mit Bitterkeit.

Ja, ich begreif' es auch nicht, wie sie lachen kann und wie er lachen kann.
Er hat mich wohl zehnmal gefragt: »also nur auf den Knieen lag er vor ihr?«
-- Ja, Gnädiger Herr, sagte ich. -- »Alter Narr,« sagte er darauf, »so
lange man auf den Knieen liegt, hat es nichts zu sagen. -- Indessen laß ihn
sitzen bey Brot und Wasser!« -- Aber wie lange, gnädiger Herr? -- »So lange
ich will!« sagte er und kehrte mir den Rücken zu. O, lieber Wilhelm, diese
kurze Antwort that mir sehr weh.

»Und mir thuts weh,« rief ich in rasender Wuth, »daß ich -- daß ich dich
nicht habe -- daß ich dich nicht den Berg hinabstürzen kann -- du alter
verwünschter Zeitungsträger!«

Ich fuhr bey diesen Worten mit dem Arm plötzlich durch die Klappe, packte
ihn bey der Schulter, und schüttelte ihn gewaltig.

»Weiß man es dir nun Dank?« fuhr ich fort, indem ich ihn bey jeder der
folgenden Fragen aus allen Kräften zusammenrüttelte: »Hast du mich nicht
muthwillig in dies Loch gebracht? Habe ich dich nicht fast auf den Knieen
gebeten, du solltest mich nicht verrathen? Und doch (hier schüttelte ich
ihn am allergewaltigsten) und doch gehst du hin und giebst mich an?«

Mein Gott, rief er, ich wußte ja nicht, daß das Knieen nichts auf sich
habe!

Ich ließ ihn endlich los, und er schlich sich kopfhängend davon. In dem
Augenblicke dauerte er mich wieder.




Zehntes Kapitel.

_Noch ein Besuch._


Als ich mich bückte, um meine Gefangenkost aufzuheben, fand ich weder
Wasser noch Brot. Ich hatte in der Hitze die Wasserflasche zertreten, und
das Brot hinter mir die Treppe, die in das unterirrdische Gefängniß führte,
mit dem Fuß hinabgestoßen. Kaum war ich dieses Unglücks gewiß, als ich
die Klappe in der Thür aufriß, und ein paarmal Tobias! Tobias! mit solcher
Anstrengung herausbrüllte, daß das Echo ein zehnfaches Tobias, Tobias, von
den umliegenden Felsen eben so gewaltig zurückgab.

Jesus, ich sterbe! ließ sich in eben dem Augenblick eine Stimme hören --
Ach, ach, ach!

Ich sah hinaus, und erblickte eine weibliche Gestalt, die vor Schrecken
zu Boden gesunken zu seyn schien. Mit der linken Hand hielt sie sich die
Brust, wie wenn man ausser Athem ist, und mit der rechten bedeckte sie
beyde Augen.

Wer ist da? rief ich. Ein paar Dutzend O und Ach waren die Antwort.

Ums Himmels willen, wer ist denn da? rief ich von neuem. Aber die O und
Ach nahmen kein Ende. Endlich hörte ich, nach einem dritten Zuruf, ein
klägliches: Ach lieber Wilhelm! und nun erkannte ich -- Lisetten.

»Was bringt Sie mir?« sagte ich wildes Herzens: »Kommt Sie auch, um zu
lachen, wie Ihre Frau?«

Nur stille, erwiederte sie, daß uns niemand hört! Ich habe mich unvermerkt
hinter dem alten Tobias hergeschlichen und so lange versteckt gehalten bis
er weg war. Als Sie so abscheulich schrien, bin ich --

»Ich bitte Sie um alles in der Welt mach' Sie's kurz! -- Ists wahr, daß die
Gräfin gelacht hat?« --

Freylich hat sie das, und warum sollte sie nicht? Sie hat für den Grafen
einen so herrlichen Roman ersonnen, und er hat ihn so treuherzig für wahr
gehalten, daß wohl der Ernsthafteste hätte lachen müssen. Sie sind zu einem
blöden Schäfer gemacht worden, der schon beym Gedanken an seine Geliebte
auf die Kniee fällt. Sie hätten sich in die Gräfin verliebt (so erzählte
sie die Geschichte) ohne daß sie etwas dafür gekonnt, und gerade damals,
als Tobias in der Laube dazu gekommen sey, hätten Sie ihr knieend einen
Blumenstrauß überreicht, und das Uebermaaß Ihrer Liebe hätte Ihnen das Herz
abstoßen wollen. Sie würde die ganze Geschichte dem Grafen selbst erzählt
haben (setzte sie hinzu) wenn sie nicht auf eine Gelegenheit gewartet
hätte, wo er sich mit eignen Augen von Ihrer demuthsvollen Liebe hätte
überzeugen können. Ich that, während der ganzen Erzählung, als ob ich vor
Lachen außer mir sey, und flochte gelegentlich noch eine Menge närrischer
Anmerkungen ein, die ich über Ihre verliebte Raserey gemacht haben wollte,
da Sie mich zur Vertrauten Ihrer Qualen gebraucht hätten. Genug, wir
brachten den Grafen so weit, daß er lachte, und damit hatten wir gewonnen.
Am Ende machte er aber doch die Anmerkung, es schicke sich, so lächerlich
auch die Geschichte sey, dennoch für eine Gräfin sehr schlecht, einen armen
Pinsel zum Narren zu machen; und wenn sie ihm eher einen Wink davon gegeben
hätte, so würde er's ihr untersagt haben. Sie wären ein ehrlicher Kerl, der
ihr noch dazu das Leben gerettet hätte, und hätten es nicht verdient, daß
man sich lustig über Sie machte.

»Bey Gott!« rief ich auf einmal, aus der Tiefe meines Herzens: »das hab'
ich auch nicht verdient!«

Seltsamer Mensch, sagte Lisette, haben Sie denn vergessen, daß das alles
nur im Spaße gesagt war? Im Herzen dachte die Gräfin ganz anders.

Diese Worte brachten mich wieder zu mir selbst. Ihre Erzählung und das
ewige Lachen über mich, hatten meine Empfindlichkeit rege gemacht, und
allmählig hatte sich der Gedanke in meinem Kopfe entsponnen: ob mich die
Gräfin nicht wirklich zum Besten gehabt? Daß sie so sprechen mußte, um sich
und mich zu retten, hatte ich ganz vergessen.

»Und was beschloß der Graf über mich?« fuhr ich fort.

Er verlöre an Ihnen einen treuen Kerl, sagte er, denn er sehe sich
genöthigt, Sie wegzuschicken. Leuten Ihres Standes sey es wohl erlaubt,
mit eigener Lebensgefahr Gräfinnen das Leben zu retten, aber sich in sie zu
verlieben, müßten sie sich nicht einfallen lassen. Deßhalb wollte er Ihnen,
um Ihres eigenen Besten willen, mit einem kleinen Denkzettel den Abschied
geben.

»Denkzettel, Denkzettel!« rief ich: »Mit was für einem Denkzettel? Ließ er
sich nicht d'rüber aus, was für ein Denkzettel das seyn sollte?«

Diese Worte sagte ich mit einer Heftigkeit, die meinen Thurm wiederhallen
machte.

Ich weiß nicht, wie er es meynte!

»Machte er keine Bewegung mit den Augen, oder mit der Hand, woraus du
hättest schließen können, wie er das meynte? Ich bitte dich, sahest du gar
nichts?« --

Nun, was wird es seyn? Er hob die rechte Hand in die Höhe und ließ sie
wieder sinken.

»Himmel und Hölle,« schrie ich: »so wie man die Hetzpeitsche oder den
Prügel schwingt! -- Es ist sein Tod, wenn er sich thätlich an mir vergreift
-- sein und mein Tod, das schwöre ich ihm!«

Dafür lassen Sie _uns_ sorgen! Es wird Ihnen nichts geschehen! Morgen
kömmt eine Freundin der Gräfin an, für die er sich ihres Schicksals wegen
besonders interessirt, und die er schon lange wieder zu sehen gewünscht
hat: da bitten wir ihn während der ersten Freude, daß er Sie los läßt, und
die Fremde muß mit uns bitten, so kann er nicht widerstehen!

Ich hörte ihre Reden wie im Traum an; denn ich hatte während derselben
schon einen Plan ersonnen, wie ich den Schimpf nach den Gesetzen der Ehre
abwaschen wollte, wenn er mich prügelte, oder prügeln ließe. Ich wollte
hingehen, die Fuchshöhle aufsuchen, worein ich Uniform und Degen vergraben
hatte, und mich ihm als Soldat und Kavalier, den bloßen Degen in der Hand,
vor die Augen pflanzen! Da sollte er erstaunen, da sollte er sich wundern,
was aus seinem Jäger geworden wäre! Dieser Gedanke gefiel mir so, daß ich
heimlich und ohne es selbst zu billigen, endlich sogar wünschte, es möchte
dem Grafen gefallen, mich mit einem _thätlichen_ Denkzettel fortzuschicken.

»Aber wenn ich nun fort muß?« sagte ich kläglich.

Diese Worte waren die Quelle zu einem Thränenstrom von Seiten Lisettens.
Jedes Wort, das sie sagte, flog mir mit einem Schluchzer entgegen, und da
sie am Ende keinen artikulirten Laut mehr hervor bringen konnte, so floß
ihre ganze Tonleiter in eine seltsame Geheulsprache zusammen, die eben so
schwer zu beschreiben als unangenehm anzuhören ist.

Mir war es sehr leid, daß ich zu dieser sonderbaren aber gut gemeynten
Musik den Ton angegeben hatte. Um sie zu beruhigen, stellte ich mich auch
beruhigt, und ich tröstete _sie_, da ich _von ihr_, nach jener traurigen
Aeußerung, Trost erwartet hatte. Die Gräfin lag mir tiefer im Herzen, als
ich es mir je gestanden hatte, doch bey weitem nicht mehr so tief, als
drey Stunden vorher, wo ich noch nicht wußte, daß sie, während ich in
einem finstern Kerker, von aller Welt verlassen jammerte, so herzlich hätte
lachen können. Man wird über mich lachen nach diesem Geständniß, ich weiß
es wohl, aber ich weiß auch, daß man in diesem Falle nicht mich, sondern
die Natur ausspottet.

Auch auf Lisetten fiel ein Theil meines Unmuths, weil ich mich, sobald
ich mich ihrer gewöhnlichen guten Laune und Verschmitztheit erinnerte, des
Gedankens nicht erwehren konnte, daß sie und ihre Frau mich wirklich
zum Besten gehabt hätten. Ich wurde jeden Augenblick stiller und
zurückhaltender, und als mich Lisette um die Ursache davon fragte,
antwortete ich: mich plagten Hunger und Durst zugleich, weil ich meine
Gefangenkost die finstere Treppe hinab gestoßen hätte.

Sie flog davon, kam aber eben so hurtig zurück, und trippelte
unentschlossen und ohne die Ursach ihrer plötzlichen Zurückkunft angeben
zu können, vor meinen Augen herum. Endlich kam es heraus, daß sie sich
fürchte, den dunklen Gang durchs alte Schloß zurückzugehen. Ich wußte
nicht, ob ich lachen, oder mich erzürnen sollte. Es hatte allen Anschein,
daß ich diese Nacht hungrig und durstig würde zubringen müssen. Auch sie
hätte am Fuße meines Thurms, von der frischen Nachtluft durchdrungen, ein
trauriges Lager gehabt. Ich stellte ihr dies vor, und vermochte sie, ein
paarmal von neuem anzusetzen, aber sie kam jedesmal ausser Athem zurück.
Sie weinte endlich über ihre Furchtsamkeit, ward aber um nichts beherzter
dadurch. Je weniger ich Hoffnung behielt, meine Eßlust zu befriedigen,
desto stärker ward diese; je öfter Lisette versuchte ihre Furcht
zu überwinden, desto furchtsamer ward sie. Wir waren beyde in der
allerbedaurenswürdigsten Lage!

Da es aber keine Verlegenheit giebt, aus welcher sich nicht ein Weiberkopf
gut -- oder schlecht zu ziehen wüßte, so blieb auch Lisette in der
gegenwärtigen nicht stecken. Sie bannte den Geist der Furchtsamkeit mit
einem -- o Wunder! -- mit einem Zwirnfaden.

Ich mußte meine Hand zur Klappe herausstecken. Nachdem sie mir solche
herzlich gedrückt hatte, band sie mir einen Faden an den Daum, behielt
den Knäuel in der Hand, und so unternahm sie das große Wagstück, durch
den finstern Gang des alten Schlosses zurückzugehen. -- »Ich sollte nicht
vergessen zuweilen zu zupfen,« sagte sie, als sie ihre Reise antrat: »damit
sie sicher wäre, daß der Faden nicht zerrissen sey!« -- Wahrhaftig, diese
Anstalten mußten ihren Muth anfrischen! Mit einem bekannten herzhaften
Menschen, der in einem Thurm zwischen drey Ellen dicken Quadern
eingesperrt ist, durch einen Zwirnfaden auf zwey bis dreyhundert Schritte
zusammenzuhangen, und durch sein Zupfen jede Minute erfahren zu können, daß
-- der Faden noch an seinem Daum befestigt ist: dies war ein Umstand, der
alle Furcht vor Gespenstern und Kobolden, eben so gewiß von ihr entfernt
halten mußte, als es ausser allem Streit ist, daß Amulette und Lukaszettel
(die seit einiger Zeit unverdienter Weise einen übeln Geruch angezogen
haben) mehr als Einen gefährlich Kranken vom Tode errettet haben.

Sie kam in kurzer Zeit, mit einer zweyten Aegide in Gestalt einer
Blendlaterne gegen die Furcht bewaffnet zurück, und brachte mir allerley
Gebacknes, das ihr die Gräfin selbst für mich gegeben hatte. Die Gräfin
ließ mir sagen, ich sollte mich nur bis morgen ruhig verhalten, und meiner
Loslassung wegen ausser Sorgen seyn. Wirklich bemengte ich mich jetzt nicht
mehr so sehr mit bangen Erwartungen über den Ausgang meines Verhafts. Der
Graf sah den Vorfall in der Laube von einer lächerlichen Seite an, und
schickte er mich mit einem Denkzettel fort, so wußte ich, daß nicht weit
von hier in einer Fuchshöhle die Werkzeuge meiner Rache zu finden waren.

Aber die Beruhigung, die mir dieser Gedanke verschaffte, war von kurzer
Dauer. Lisette, die es sich, während ich aß, sehr angelegen seyn ließ, mich
zu unterhalten, erzählte mir, als eine seltsame Mordgeschichte, daß der
Graf diesen Nachmittag in einer -- Fuchshöhle, auf die ihn seine Diane
aufmerksam gemacht, eine vollständige S** Offiziers-Uniform mit Degen und
Kordons gefunden habe, die noch ganz neu wäre und vor kurzem erst dort
vergraben seyn müßte. Ihr Besitzer wäre vermuthlich im Walde angefallen und
erschlagen worden. Um durch den Verkauf seiner Uniform nicht verrathen zu
werden, hätten die Räuber sie wohl in jene Höhle vergraben.

Mir verging Hören und Sehen bey dieser Geschichte. Die gefundne Uniform
war die meinige, was noch dadurch ausser allem Streit gesetzt ward, daß
Lisette, die sie selbst gesehen haben wollte, mir versicherte, sie habe
einen rothen Kragen und rothe Aufschläge gehabt. -- »Weil sie den Erdgeruch
angezogen hätte,« setzte sie hinzu, »so habe sie der alte Tobias unter der
Linde aufgehangen, damit sie austrocknen sollte. Unter dem Stichblatte
des Degens hätten Buchstaben gestanden, die vermuthlich den Namen des
Erschlagenen andeuteten. Der alte Tobias habe sie aufmerksam betrachtet,
und zum Herrn gesagt: er habe diese Buchstaben schon sonst irgendwo
gesehen, wo sie ihm aufgefallen wären, aber da sein alter Kopf schwach sey,
so erinnere er sich nicht mehr, wo?«

Dieser letzte Umstand brachte mich vollends aus aller Fassung. Unter
dem Stichblatte meines Degens waren die Anfangsbuchstaben meines Namens
eingegraben; auf dem Knopfe meines Rohrs, das ich nicht mit verscharrt
hatte, standen sie auch; dies hatte der alte Tobias gesehen, und daher war
ihm der Namenzug bekannt. Ich war so gut, als verrathen, wenn ihm mein Rohr
unter die Augen kam, oder wenn er sich auch nur daran erinnerte.

Um Lisetten meine Bestürzung nicht zu verrathen, gab ich Müdigkeit vor, und
bat sie, mich zu verlassen. Sie wünschte mir unter Seufzern und Thränen,
die um so häufiger wurden, da sie sich an mein hartes Lager erinnerte, eine
herzliche gute Nacht, und entfernte sich.




Eilftes Kapitel.

_Moriz ein Mörder._


Aber, ich würde keine gute Nacht gehabt haben, und wenn ein Lager von Flaum
und Ederdunen auf mich gewartet hätte. Tausend ängstliche Gedanken fuhren
mir durch den Kopf, und hielten den Schlaf weit von mir entfernt. Was
sollte aus mir werden, wenn man mich als den Besitzer der gefundenen
Uniform, und zugleich als S** Offizier, der Ausreisser war, entdeckte, fest
hielt, und an mein Regiment zurücklieferte, oder mir wohl gar als einem
Spion, der die nahgelegene neue Festung hätte aufnehmen und verrathen
wollen, den schimpflichsten Proceß machte? Daß auch der Graf nach dieser
Entdeckung das Knieen vor seiner Gemahlin ernsthafter, als vorher, da
er mich für einen gewöhnlichen Jäger hielt, aufnehmen müßte, und daß die
Folgen davon für mich und seine Gemahlin um so schrecklicher seyn würden,
da er wohl wissen konnte, daß mein Regiment in L**, also an eben dem Orte
stand, wo sie in Pension gewesen war, und er mithin leicht glauben dürfte,
meine Verkleidung als Jäger sey ausdrücklich unter uns abgekartet gewesen,
um ihn zu entehren: daß alle diese Umstände, so bald jene Entdeckung ins
Klare gesetzt war, wie Blitz und Schlag über mich hereinbrechen müßten,
fand ich so natürlich, so unumgänglich gewiß, daß ich in eine Raserey
darüber verfiel, die durch das Bewußtseyn meiner undurchbrechlichen
Verwahrung, bis zum höchsten Grade wilder Verzweiflung getrieben wurde.
Diese Nacht werde ich nie vergessen. Aber auf sie folgten noch zwey
schrecklichere Morgenstunden.

Ich hatte, als es lichte ward, ganz unwillkürlich eines der Papiere in die
Hand genommen, worein das Kuchenwerk, das mir Lisette gebracht, gewickelt
gewesen war. Lange hatte ich es in den Händen zerdrückt und wieder
entfaltet, je nachdem mich der Schauer der Verzweiflung zusammenschüttelte,
oder mich auf eine Zeitlang wieder verließ. Auf einmal fiel mir der Name
_Amalia von Lehmniz_ in die Augen. Ein gewaltsamer Schlag fuhr mir durch
alle Glieder. Ich hatte nicht erst Muth genug zu lesen, was in diesem
Briefe stand, so wenig es auch war. Nur diese fünf Zeilen waren es:

»Morgen in der Frühe, meine Liebe, drücke ich Dich an mein Herz. Nicht eher
werde ich Dich verlassen, bis mein Schmerz geheilt ist, sey es durch Deine
Freundschaft, oder durch den Tod.«

O, das war zuviel für ein menschliches Herz! Ich schlug ohne Bewußtseyn
zu Boden. Wie wesenlose Schatten schwebten Malchen, und ihre Schwester als
Mannsperson verkleidet, mit einem Stich durch die linke Seite, mir vorüber.
Ich strebte nach diesen geliebten Schatten, ich rang, ich weinte nach
ihnen, aber ach! mich schloß ein dunkler Kerker ein, und sie schwanden und
zerflatterten in Luft.

Dieser Traum, den ich wachend träumte, war ein unordentliches Gemählde der
Gedanken-Trümmer, die während dieser schrecklichen Augenblicke durch ihr
Gedränge meinen Verstand zerrütteten, und meinen Körper zu Boden warfen.

Was für ein Licht ging mir durch diese fünf Zeilen auf! Malchen war also
doch die Freundin, die jenen Brief, dessen Aufschrift mich damals so
erschreckte, an die Gräfin geschrieben hatte! Mein Nebenbuhler, dessen
Anblick mir damals den Verstand raubte, und nach welchem ich stach, war
also ihre Schwester! Ein Scherz, den ich mißverstand, hatte ihr einen
Schmerz verursacht, dessen Linderung sie nur vom Tode hoffte. Ich hatte,
während sie verlassen trauerte, einer neuen Liebe in meinem Herzen Raum
gegeben und die Arme, die durch meine Uebereilung unglücklich wurde,
gänzlich vergessen! Jetzt kömmt sie, vom Kummer verzehrt, als Märtyrin
ihrer Liebe hieher, und findet mich in einem schimpflichen Gefängniß,
das mir eine Untreue zuzog, die ich mit eben der Freundin, von deren
Theilnehmung sie Heilung ihres Schmerzes erwartete, an ihr begangen hatte!
Ich wußte nun, daß sie kam, daß sie vielleicht schon da war -- ich wollte
zu ihr fliegen und um Leben oder Tod bey ihr bitten, und konnte nicht --
und konnte nicht, weil eiserne Thüren und eiserne Stäbe, und dicke Quadern
mir den Ausgang zu ihr versperrten! -- O, dies war zuviel, zuviel für ein
menschliches Herz!

Wie lange dieser grausame Zustand dauerte, weiß ich nicht. Ein gewaltsames
Rütteln brachte mich zu mir selbst. Ich fand meine Hände mit starken
Stricken gebunden, und um mich sah ich vier Männer beschäftigt, die mich
aufzuheben und fortzuschaffen versuchten. Der alte Tobias war an ihrer
Spitze. Die ersten Worte, die ich vernahm, waren seine Worte: »Er war sonst
ein Riese,« sagte er, »jetzt hat ihn das böse Gewissen so schwach wie ein
Kind gemacht! -- Aber wer sollte unter seinem Gesichte einen Räuber und
Mörder gesucht haben?«

Wo bin ich? rief ich: Bist du es, Tobias? Kein Laut zur Antwort! Sie hoben
mich stillschweigend auf und trugen mich die Treppe hinunter, und ich ließ
es geschehen, ohne eine deutliche Vorstellung, oder vielmehr, ohne Kraft zu
haben, mir eine Vorstellung von dem was vorging zu machen. Unter der Thür
richteten sie mich auf. Nur mit Mühe trugen mich meine Füße.

Sie führten mich auf das Schloß in einen großen Saal, wo man Gericht zu
halten pflegte. Ich sah auf demselben ein dickes Gewimmel von Leuten, deren
starre Blicke, sobald ich erschien, sich fest auf mich hefteten. Auf
der Tafel sah ich meine Uniform, meinen Degen, mein Rohr und eins meiner
Schnupftücher liegen. Ich fuhr bey diesem Anblick zusammen, und das Volk
brach in lautes Gemurmel aus. Man erwartete nur noch den Grafen.

Dieser erschien endlich und hatte zwey Frauenzimmer und eine Mannsperson
hinter sich, die in der Thür des Seitenkabinets stehen blieben. Die
Bedienten trennten das Gedränge, damit mich, wie sie sagten, die Herrschaft
sehen könnte. In eben dem Augenblick, wo das Getümmel aus einander fuhr,
hörte ich ein Geschrey: »Gott, es ist nicht sein Mörder! Er ist es selbst!«
-- Und zu mir her flog ein Frauenzimmer, flog mein Malchen, und umarmte
mich, und drückte mich an ihr Herz, und weinte sprachlos an meiner Brust;
und ich Armer, ich konnte sie nicht umschließen, ich konnte sie nicht an
mein Herz drücken, weil meine Hände gebunden waren!

Der alte Tobias war der erste, der herzusprang, und unter Freudenthränen
meine Bande löste! Und nun hatte ich Malchen, nun hatte Malchen mich
wieder! Wir sagten uns Worte, die wie Feuerfunken in unsre Herzen fuhren,
und unser ganzes Wesen zur wildesten Freude entflammten! »O Moriz! O
Malchen! Ich habe dich wieder! Du bist wieder mein!« -- Diese Worte waren
die Losung unsers Entzückens. Wir schlungen einen Knoten, den die Ewigkeit
selbst nicht wieder auflösen sollte!




Zwölftes Kapitel.

_Plötzliche Abreise._


Während der Ergießungen unserer Freude hatten sich die Zuschauer allmählig
vom Saale verloren, und wir sahen, als wir ein wenig zu uns selbst kamen,
niemand mehr, als den alten Tobias, dem das Vergnügen aus den Augen lachte.
Er sagte uns: der Graf, die Gräfin und der junge Herr (Malchens Bruder)
wären in ein Seitenzimmer gegangen, um -- uns nicht zu stören. Wir sprangen
Hand in Hand zu ihnen, ich hing dem Grafen am Halse, Malchen der Gräfin.
»Kein Wort vom Vergangenen, Herr von Lemberg!« sagte der Graf mit einer
Ernsthaftigkeit, die merkbar auf den Vorfall in der Laube Bezug hatte: »Ich
bin Ihr Freund, nehmen Sie meine Hand d'rauf.« -- Ich drückte sie an mein
Herz. Der Gräfin konnte ich nicht ins Gesicht sehen, und sie mir eben
so wenig. Sie versuchte, mir ihre Freude über die glückliche Entwicklung
meiner Geschichte zu bezeigen, und stotterte -- Komplimente. Ich versuchte,
ihr für ihre Theilnehmung zu danken, und stotterte auch Komplimente.
Wir waren in dem gezwungensten Verhältnisse gegen einander, das um
so peinlicher war, da Malchen zwischen uns stand, und in unsern Augen
Entzücken und Freundschaft suchte, aber nicht fand. Malchens Bruder, der
bey allen diesen Ereignissen den kalten Zuschauer spielte, that endlich
den Vorschlag, daß wir uns heute um niemand als um uns selbst bekümmern
sollten, weil wir doch wohl für niemand, als für uns selbst Auge und Ohr
hätten. Sie verließen uns hierauf und wir waren wieder allein.

Wieviel wollten wir uns nicht sagen, und wie wenig sagten wir uns! Ich
machte Malchen einen sehr unordentlichen Bericht, von dem was mir seit
unserer Trennung begegnet war; ich gestand ihr sogar, daß ich mich
_beynahe_ in die Gräfin verliebt hätte. Sie gerieth in eine sichtbare
Bewegung bey diesem Geständniß, und that mir gleich darauf den Vorschlag,
daß wir heute noch nach Lehmnitz zurück wollten, um -- unserm Vater, der
vor Unruhe und Gram verginge, endlich wieder eine frohe Stunde zu machen.
Ich schlug ein, und damit sie diesen Entschluß noch mehr in mir befestigte,
sagte sie, daß sie mir ihre Geschichte nicht eher erzählen würde, als bis
wir im Wagen säßen.

Sogleich suchten wir den Grafen, die Gräfin, und den jungen Lehmnitz auf,
und thaten ihnen unsern Vorsatz kund. Sie fanden ihn zwar sehr übereilt,
setzten ihm aber keine starken Gründe entgegen. Malchens Bruder erklärte,
daß er nicht mitreisen, sondern binnen einigen Tagen, wenn er des Grafen
Wildbahn erst recht genossen hätte, mit Muße nachkommen würde.

Kaum zwey Stunden nahmen wir uns zur Erholung Zeit. Es ward mir ganz leicht
ums Herz, als man uns Nachricht brachte, Pferde und Wagen wären bereit.
Malchen und die Gräfin zerdrückten und zerküßten sich beym Abschiede mit --
trockenen Augen, und ich stand mit dem Grafen Hand in Hand, und sprach mit
ihm sehr ernsthaft von -- dem guten Wege, den wir zu unserer Reise haben
würden. Endlich küßte ich der Gräfin mit einer tiefen Verbeugung die Hand,
welches sie eben so höflich erwiederte. Lisette machte es ihrer Frau eben
so geschickt nach, aber der alte Tobias ließ seinem Vergnügen freyen Lauf,
und nannte mich im Ausbruche desselben _Herr von Wilhelm_ und dutzte mich
dabey.

Vier Rappen flogen mit uns bis zur nächsten Station. In wenig Minuten
war das Schloß hinter uns verschwunden. Ich umarmte Malchen, und Malchen
umarmte mich, mit einer Inbrunst, als ob wir uns heute zum zweytenmal
wiederfänden, und nun fing sie an zu erzählen:




Dreyzehntes Kapitel.

_Malchen erzählt._


»Ein unschuldiger Scherz, Moriz, hätte dich mir also beynahe auf ewig
entrissen! Meine Schwester war der junge Mensch in blauer Uniform, nach
welchem du stachest, den du erstochen hättest, wenn dein Ungestüm dich
einen gewissen Stoß hätte thun lassen. Du sprengtest davon, ohne auf unser
Geschrey zu hören. Von der Terrasse herab, sahen wir dich noch einige
Augenblicke und dann verschwandest du hinter Gebüschen und Bergen.«

»Ich sank, als dich mein Auge verlor, ohnmächtig zurück, und meine
Schwester, die mehr von Unwillen, als von Schmerz durchdrungen war,
rannte ins Schloß, um Hülfe zu holen, und meinem Vater die Begebenheit zu
entdecken!«

»Dieser setzte sich mit drey von unsern Leuten zu Pferde und sprengte dir
nach. Gegen Abend kam er zurück, ohne eine Spur von dir gefunden zu haben.
Sein Zorn auf uns beyde zerschmolz, da er ihn auf uns herab gedonnert
hatte, in Zärtlichkeit und Schmerz; denn wir waren beyde so schwach, daß
man uns zu Bette bringen mußte.«

»O Moriz, die Nacht, die auf diesen Tag folgte! Wer könnte mir für ihre
Qualen je Ersatz geben, als du, der du sie über mich ergehen ließest! O
Moriz (ihr Haupt senkte sich sanft auf meine Schulter) wirst du mir diesen
Ersatz je verweigern können?«

Ich drückte sie mit nassen Augen sprachlos an meine Brust.

»Ein, zwey Monate vergingen, und wir hörten nichts von dir. Mein Vater war
selbst in deiner Garnison und erkundigte sich mit vieler Behutsamkeit nach
dir. Er ließ seine Bestürzung nicht merken, als er fand, daß man auch hier
keine Nachrichten von dir hatte. Immer bestand er darauf, daß du zu viel
auf Ehre hieltest, als daß du über deinen Urlaub ausbleiben, und dich,
wie er sagte, austrommeln lassen würdest. Auch ich baute auf diesen Grund.
Worauf hätte auch mein armes Herz sonst noch bauen sollen? Nur so lange
kann dein Schmerz noch dauern, sagte ich mir immer, als sein Urlaub! Kömmt
er zurück, so kann er bald aus seinem Irrthum gerissen werden, und dann ist
er wieder dein!«

»Unterdessen -- unterdessen -- fand -- meine Mutter für gut, mich auf
jedem Fall, von Hause zu entfernen, weil ich -- weil es -- und damit man
nicht« --

Sie verbarg ihre glühenden Wangen an meiner Brust.

»Niemand war mit meinem Herzen so vertraut, als die Gräfin. Ich entdeckte
ihr meine Bekümmernisse, und ihr nächster Brief war eine förmliche
Einladung, zu ihr zu kommen und so lange bey ihr zu bleiben, als es mir
beliebte. Es war mir, als ob dieser Brief mir neues Leben gäbe. Mein
Entschluß war bald gefaßt und meine Eltern billigten ihn. Ich flog, von
meinem Bruder begleitet, zu meiner Freundin; ich konnte die Zeit nicht
erwarten, wo ich sie wieder sehen würde; ich schrieb ihr fast von jeder
Station einen Brief, den ich als den Herold meiner Ankunft jedesmal
voranschickte.« --

O, rief ich, solch einen Brief hab' ich diesen Morgen gelesen! Er hat
mir zwey Stunden gemacht, die deine schreckliche Nacht, für die du Ersatz
foderst, weit aufwiegen! Sie lächelte und fuhr fort:

»Je näher ich dem Orte meiner Bestimmung kam, desto leichter ward es
mir ums Herz. Ich weidete mich an dem Gedanken, eine zärtlich geliebte
Freundin, nach langer Trennung wieder an mein Herz zu schließen, und bey
ihr Trost und Linderung meines Schmerzes zu finden. Wir kamen endlich an,
und fuhren in das Schloß. Was mir zuerst in die Augen fiel, war eine weiße
Uniform mit rothen Aufschlägen, die unter einer Linde hing. _Du_ trugst
eine solche Uniform, und ich konnte die Zeit nicht erwarten, sie näher zu
betrachten. Ich sprang aus dem Wagen, lief hinzu und war wie vom Donner
gerührt, als ich in einem Schnupftuche, das darneben hing, deinen Namen
erblickte. »Woher ist diese Uniform und dieses Schnupftuch?« rief ich mit
aufwallender Freude, denn ich glaubte, daß du nicht weit wärest. -- Ich
habe es im Walde vergraben gefunden! sagte der alte Jäger -- und ich sank
in seine Arme. »Er ist ermordet!« schrie ich: »Moriz ist ermordet! O, ich
Unglückliche! Wo, wo sind seine Mörder?«

»Der Graf und die Gräfin eilten herzu, und fragten erschrocken nach der
Ursach meiner Klagen. Aber ich redete irre, und mußte es meinem Bruder
überlassen, ihnen die Geschichte meiner Verzweiflung zu erzählen. Sie
suchten alles hervor um mich zu trösten, aber meine Trostlosigkeit stieg
dadurch. »Moriz ermordet!« rief ich: »Moriz ermordet!« Und was für eine
Idee hätte ich Arme ausser dieser noch haben sollen!«

»Unterdessen kam der alte Jäger gelaufen und rief, der Mörder ist entdeckt!
Zugleich zeigte er ein Rohr vor, das ich auf den ersten Blick für das
deinige erkannte, und das er bey einem Jäger gefunden haben wollte, der
sich im Schloßthurm eingesperrt befände. »Ich will zu ihm,« schrie ich,
»ich will von ihm selbst hören, wo Moriz geblieben ist!« Man brachte mich
aber durch Vorstellungen und durch das Versprechen, daß der Mörder unter
meinen Augen förmlich vernommen werden sollte, von diesem Gedanken ab.«

»Es geschah. Ich brannte vor Ungeduld, den Unmenschen zu sehen, der meinen
Moriz umgebracht haben könnte! Ich kam und sah und erkannte in dem Mörder
meines Moriz, meinen Moriz selbst! Ich hatte ihn wieder, auf ewig hatte ich
ihn wieder!«

Neue Umarmungen, neues Entzücken!

So schwanden Meilen und Stationen, so rollten wir durch Städte und Dörfer
ohne Rast und Schlaf. Lehmnitz war der Mittelpunkt unsres Glückes, und
diesen wollten wir ohne Verzug erreichen. Wir kamen endlich an, sprangen
aus dem Wagen, liefen ins Schloß, rissen die Thüren auf und warfen sie zu,
und stürmten das Zimmer unsres Vaters, wo wir unsre Mutter und Schwester
auch fanden. Schrecken und Erstaunen erregte in ihnen unser unerwartete
Anblick. Stumme Umarmungen und Freudenthränen empfingen uns, und ein frohes
Willkommen stammelte uns jede Lippe.

»Zum Pastor, zum Pastor!« rief der alte Oberst, »daß Springinsfeld nicht
noch einmal davon rennt! Junge, Junge!« setzte er mit nassen Augen hinzu,
indem er mich an sein Herz drückte: »Du hast mir viel Leid gemacht, aber
auch viel Freude!«




[ Hinweise zur Transkription


Zwei ganzseitige Illustrationen wurden im Rahmen der Transkription
vom Buchanfang zu den passenden Textstellen auf den Seiten 88 und 361
verschoben.

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt, die Titelseite in
Kursivschrift.

Hervorhebungen sind im Original durch die Schriftart "Schwabacher"
gekennzeichnet, in der Transkription als _Kursivschrift_. Dazu gehören auch
die Kapitelüberschriften. Im Originalbuch sind teilweise Eigennamen (zum
Beispiel "Martha", "Phylax") in Schwabacher gesetzt, ohne eine Hervorhebung
zu kennzeichnen; dies wurde in der Transkription nicht wiedergegeben.

Textstellen in Antiqua-Schrift wurden in der Transkription
=gekennzeichnet=.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich
uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "ausser"/"außer",
"Begrif"/"Begriff", "erschracken"/"erschraken", "Kanape"/"Kanapee",
"Lehmnitz"/"Lehmniz", "Miene"/"Mine", "Officier"/"Offizier",
"öffnen"/"öfnen", "Ottomane"/"Ottomanne", "schluchsend"/"schluchzend",
"schreien"/"schreyen", "so bald"/"sobald", "spatzieren"/"spazieren",
"weisse"/"weiße", "unwillkührlich"/"unwillkürlich",
"Verwandschaft"/"Verwandtschaft",

mit folgenden Ausnahmen,

  Seite 4:
  "nnd" geändert in "und"
  (Mein rechter Arm trug den Kopf und der linke lag unbeweglich)

  Seite 10:
  "wol" geändert in "wohl"
  (seine Wirthschafterin Martha wohl gewesen seyn)

  Seite 23:
  "verschaft" geändert in "verschafft"
  (so ruhete sie nicht eher, bis sie mir dieselbe verschafft hatte)

  Seite 36:
  "ch" geändert in "ich"
  (sagte ich. Sie nahm mich bey dem Arm und führte mich)

  Seite 40:
  "«" eingefügt
  (ich bin böse!«)

  Seite 43:
  "»" und "«" eingefügt
  (»Louise würde sich recht über den Kranz gefreuet haben,« sagte sie)

  Seite 43:
  "»" eingefügt
  (sagte sie, »wenn Du ihn nicht verdorben hättest)

  Seite 81:
  "«" verschoben
  (»Landjägers Sohn,« fuhr ihr Vater fort:)

  Seite 81:
  "»" und "«" eingefügt
  (»hat schon vor einer Stunde [...] oder nicht dein Vater heißen.«)

  Seite 84:
  "«" eingefügt
  (Wer bist du? Wo kömmst du her?«)

  Seite 89:
  "viere" geändert in "Viere"
  (in der Stube alle Viere von sich gestreckt)

  Seite 97:
  "«" und "»" eingefügt
  (wir nicht leben,« fuhr er fort, »und wenn du kein Geld hast)

  Seite 99:
  "Gefährt" geändert in "Gefährte"
  (»Hier mußt du betteln!« sagte mein Gefährte am Eingang eines Dorfes)

  Seite 140:
  "eine" geändert in "ein"
  (und ihn um ein Haar zwischen seine großen Zähne)

  Seite 156:
  "ihre" geändert in "Ihre"
  (O, Ihre Mama ist meine Herzensfreundin!)

  Seite 168:
  "»" eingefügt
  (»Versprechen Sie mir das?«)

  Seite 175:
  "sichbar" geändert in "sichtbar"
  (Verdruß und Unwillen lagen sichtbar auf ihrer Stirne)

  Seite 179:
  "daß" geändert in "das"
  (nach einem Mädchen zu erkundigen, das mir Ruhe und Verstand geraubt)

  Seite 187:
  "daß" geändert in "das"
  (noch ein zweytes Verhör auszustehen, das mir schwerer ward)

  Seite 190:
  "eigne" geändert in "eignen"
  (Ihre eignen Augen strafen Sie Lügen!)

  Seite 198:
  "«" eingefügt
  (»Wollen Sie Soldat werden?«)

  Seite 206:
  "«" und "»" eingefügt
  (Lemberg,« sagte er, »haben Sie das Terrain)

  Seite 211:
  "ihnen" geändert in "Ihnen"
  (das wird Ihnen gute Dienste thun)

  Seite 211:
  "Frenndschaft" geändert in "Freundschaft"
  (Solch eine Freundschaft ist unerhört)

  Seite 216:
  "," geändert in "."
  (ward ich wieder anderes Sinnes. So kämpfte ich)

  Seite 222:
  "i r" geändert in "ihr"
  (fühlte ich, wie ihr rechter Arm)

  Seite 227:
  "sie" geändert in "Sie"
  (O, helfen Sie doch!)

  Seite 240:
  "ihr" geändert in "Ihr"
  (Ihr Anblick nach so langer Zeit)

  Seite 242:
  "sie" geändert in "Sie"
  (Aber Beydes machten Sie mir unmöglich)

  Seite 245:
  "würklich" geändert in "wirklich"
  (und als Sie wirklich nicht kamen)

  Seite 246:
  "daß" geändert in "das"
  (mein Herz nicht bändigen, das Sie ungestüm von mir forderte)

  Seite 257:
  "höchstens" geändert in "höchsten"
  (unter allen Merkmalen des höchsten Erstaunens)

  Seite 259:
  "daß" geändert in "das"
  (Mein Gott, das hast du ja schon gelesen!)

  Seite 261:
  "!" geändert in "."
  (Aber, was soll nun werden? sagte Frau von Lehmniz.)

  Seite 262:
  "«" eingefügt
  (Du weißt, als es noch kleine Krabben waren --«)

  Seite 268:
  "»" eingefügt
  (»das Brautgeschenk!«)

  Seite 270:
  "»" eingefügt
  (»Rahm, Ihr hättet eure Schuldigkeit nicht halb gethan)

  Seite 270:
  "ihr" geändert in "Ihr"
  (das arme Mädchen habt Ihr am meisten beleidigt!)

  Seite 280:
  "«" eingefügt
  (»Wer kann es anders seyn als Malchen,« rief ich laut)

  Seite 320:
  "daß" geändert in "das"
  (etwas Glänzendes, das ich für einen Schlüssel hielt)

  Seite 347:
  "Pantomine" geändert in "Pantomime"
  (sie hätte die Pantomime der Kammerjungfer gerade so verstanden)

  Seite 358:
  "sie" geändert in "Sie"
  (Für Sie, gnädigste Gräfin!)

  Seite 364:
  "«" eingefügt
  (ich bringe dir die ganze Schatulle der Gräfin!«)

  Seite 371:
  "»" eingefügt
  (»Wer wehrt es dem Grafen)

  Seite 378:
  "ihrer" geändert in "Ihrer"
  (mich zur Vertrauten Ihrer Qualen gebraucht)

  Seite 381:
  "Fuchshöle" geändert in "Fuchshöhle"
  (Ich wollte hingehen, die Fuchshöhle aufsuchen)

  Seite 388:
  "«" eingefügt
  (so erinnere er sich nicht mehr, wo?«)

  Seite 391:
  "dich" geändert in "Dich"
  (Nicht eher werde ich Dich verlassen)]







End of the Project Gutenberg EBook of Moriz, by Friedrich Schulz

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- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
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1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
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LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
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LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
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in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER
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1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
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or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

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