Nach Amerika! Ein Volksbuch. Sechster Band

By Friedrich Gerstäcker

The Project Gutenberg eBook, Nach Amerika! Sechster Band, by Friedrich
Gerstäcker, Illustrated by Carl Reinhardt


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Title: Nach Amerika! Sechster Band
       Ein Volksbuch


Author: Friedrich Gerstäcker



Release Date: October 19, 2009  [eBook #30289]

Language: German


***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK NACH AMERIKA! SECHSTER BAND***


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NACH AMERIKA!

Ein Volksbuch

von

FRIEDRICH GERSTÄCKER.

Illustrirt von Carl Reinhardt.

Sechster Band.







Leipzig,
Hermann Costenoble,
Verlagsbuchhandlung

Berlin,
Rudolph Gaertner,
Amelang'sche Sort.-Buchhandlung.

1855.




Inhalt des sechsten Bandes.

 1.  Ein Sheriffsverkauf in Arkansas        1
 2.  Maulbeere in der Betversammlung       31
 3.  Der wandernde Krämer                  63
 4.  Georg und Marie                       91
 5.  Jimmy                                112
 6.  Kapellmeister Eltrich                136
 7.  Meier, Pelz & Co.                    169
 8.  Die Überraschung                     199
 9.  Das Haus am Walde                    226
 10. Der rothe Drachen bei Heilingen      239




Capitel 1.

Ein Sheriffsverkauf in Arkansas.


Ein volles Jahr war nach den, im letzten Capitel beschriebenen Vorfällen
verflossen; die heiße Sonne Amerikas hatte wiederum den Mais und Waizen
gereift, und die Früchte und Beeren des Waldes mit süßem Saft gefüllt;
durch die blaue sonnenreine Luft zog der weiße wehende Spinnenfaden seine
stille Bahn, und legte sich einem duftigen Schleier gleich über die
Wipfel des grünen Waldesdoms, in dessen Schatten die feisten Hirsche zu
Rudeln zusammenstanden, und die jungen Truthühner in die Zweige hinauf
flatterten, die ersten jungen Weinbeeren zu versuchen, die sich mit
ihren Reben dort empor gerankt.

Und wie das raschelte und rauschte im stillen Wald, wie sich das
blitzende Sonnenlicht in den fallenden Tropfen spiegelte, die ein
wohlthätiger Nachtregen über das grüne Laubmeer ausgegossen, und die
jetzt leise klopfend auf die gelbe, noch vorjährige Blattdecke des Bodens
niederschlugen. Und die Grille zirpte ihr regelmäßig melancholisch Lied,
das wie das leise Schnarren einer in zeitrechten Schwingungen gehenden
Uhr von allen Seiten tönte, nur manchmal durch den gellenden Schrei
eines aufstiebenden Falken gestört, dem der blaue Heher im Busch
spöttisch den Warnungsruf nachäffte.

Wie das summte und schwirrte um Lianenblüthen und frisch aufkeimende
Waldesblumen, von Bienen und Käfern, zwischen denen hin hie und
da, wie ein verirrter Sonnenstrahl, ein blitzender gold und grün
schimmernder Kolibri gedankenschnell fast herüber und hinüber surrte,
über einem duftenden honigschweren Kelch einen Moment mit unsichtbaren,
schattengleich fibrirenden Schwingen stand, und dann verschwunden war,
daß ihm das Auge nicht folgen konnte, bis ihn sein Summen an dem
nächsten Blüthenbusch verrieth.

Wie die Natur in wundervoller Harmonie, besonders in der Jahreszeit,
den ganzen Wald mit ihrer Pracht durchwirkt, und ineinandergreifend
Jedes sich die Hände reicht zum schönen Ganzen; wie selbst der morsche
umgestürzte Baum, von wilden blühenden Ranken umzogen, zum Bilde hier
gehört und nicht fehlen dürfte; ja wär' ein einziger Zweig gebrochen
von den tausenden, die überall dem Licht, der Luft die grünen Arme
entgegenstrecken, die _Lücke_ würde fühlbar, und der fallende Tropfen
selbst schmückt das Blatt das er verließ mit höherem Glanz, und wird zur
Perle wo er niederfällt.

Und doch _ein_ Miston in der Harmonie -- ein dunkler Fleck der da nicht
hingehörte, der sich nicht wohl da fühlte und das Ganze störte -- ein
nasses, schmutziges, verdrießlich unzufriedenes Menschenbild, mitten
im Wald, im freien schönen wundervollen Wald -- Zachäus Maulbeere, vom
Regen durchnäßt, kalt, hungrig, verirrt, festgefahren mit seinem Karren
in einem Gewirr von Reben und Wurzeln, und in einer Laune, Milch nur
durch bloßes Ansehn zu säuern.

»Ein Gottvermaladeites Land das,« lästerte er, sich erschöpft auf einen
umgefallenen Baum setzend und sein Taschentuch, das er in der Hand
hielt, zusammenrollend und ausringend, »daß mich der Teufel plagen mußte
nach diesem Gottvergessenen Staat zu gehn -- Bäume -- Bäume -- Nichts
als Bäume in der Welt -- gerade in die Höh und gerade über den Weg.
-- Schönes Vergnügen das, wo man sich erst sein Schnupftuch _ausringen_
muß, daß man sich damit _abtrocknen_ kann -- _schwabben_ nannten sie's
auf dem Schiff. Und jetzt sitz ich hier -- keine Ahnung wo bin -- keine
Idee von einer Richtung -- ein Scheerenschleifer im Wald -- Maulbeere,
Esel, was hast Du hier im Busch zu suchen, heh? -- war Dir zu wohl
draußen zwischen den Ansiedlungen im Osten, zwischen dem Waizenbrod und
Honig, eh? -- mußtest geschwind machen daß Du _hierher_ kamst, zwischen
Maisbrod und Speck, oder gar die Nacht in den Wald hinein -- _Schöne_
Nacht die ich da verlebt habe, beim heiligen Sebastian -- oben in dem
verdammten Baum eingeklemmt gesessen, daß ich die Glieder nicht mehr
rühren kann, und das Beest was da um mich her in den Bäumen geschrieen
hat -- daß ich nicht gefressen bin ist ein reiner Zufall. -- Romantisch
im Wald zu lagern eh? -- wenn ich nur wenigstens den verdammten
langhaarigen Dichter die Nacht bei mir gehabt hätte, um an dem meinen
Gift auszulassen -- aber zehn gegen eins, der Lump hat die ganze Nacht
trocken und behaglich in einem warmen Bett geschlafen, und am andern
Morgen lügt er dann wie ein Leichenstein, schreibt von »Gesicht im
Thau baden« und »Windsbraut die Schläfe kühlen« -- na _Dir_ möcht' ich
einmal die Schläfe kühlen Du -- Du Blattlaus, statt mit sechs, mit zwei
schiefen Beinen. -- Und der Herr Schultze -- der selige Piepvogel mit
einem Gesicht -- wenn man's auf einen Stock schnitt, könnte man einen
Hund damit prügeln, dem hätte die Nacht kreuzwohl zu Muthe sein müssen
-- hundemüde auf einem Ast zu sitzen mit dem Kopf unterm Flügel und mit
der wohlthuenden Überzeugung beim ersten Einnicken herunter zu fallen
und den Hals zu brechen.«

»Das geschieht Dir aber recht, Zachäus, vollkommen recht, mein
Herzchen -- was dumm ist muß geprügelt werden, und anstatt lieber
den alten verdammten Karren, den ich es zum Sterben müde bin im Lande
umherzuschieben, in den Mississippi hineinzufahren und umzudrehen,
mußt Du auch noch Fährgeld dafür zahlen und damit herüberkommen, dann
Wochenlang durch den heißen nassen Sumpf ziehn, um hier endlich an
einem Platz, den die Nachkommen gar nicht finden können wenn sie Einem
wirklich ein Monument setzen wollten, elendiglich und Gotteserbärmlich
umzukommen.«

Maulbeere drückte sich nach diesem Selbstgespräch den alten aufgeweichten
Hut fester in die Stirn, stemmte beide Ellbogen auf die Knie, stützte
den Kopf in die Hände und starrte finster und mit dicht zusammengezogenen
Brauen eine ganze Weile vor sich nieder.

Er sah auch traurig aus; -- den grünen Rock trug er noch immer. Das Wild
im Wald wechselt seinen Pelz oder sein Fell mit der Jahreszeit, der
Vogel hat seine Mauser, die Schlange streift ihre Haut ab, einer neuen
Raum zu geben, und jede Kreatur leckt oder säubert dabei ihr Kleid,
das ihr der Schöpfer gegeben, nach besten Kräften, streicht Federn
oder Haare glatt und fühlt sich dann erst wohl, und behaglich wenn das
geschehn. Nur Maulbeere kannte kein solches Bedürfniß; wie die Katze die
Nässe scheut, haßte er, vor allen anderen Elementen, das Wasser; Niemand
hatte je gesehen daß er sich wusch; wenn das an Bord geschehen war mußte
er es in der Nacht gethan haben und selbst dann heimlich, von der Wacht
an Deck unbemerkt. Den grünen Rock, jetzt an unzähligen Stellen geflickt
und ausgebessert, trug er noch bis oben an die schwarze, matt glänzende
Pferdehaarhalsbinde fest zugeknöpft, der alte Filz, der keine Façon mehr
zu verlieren hatte, lag ihm mit seinem, an drei Seiten durch Bindfaden
befestigten Deckel, weich und lappig geworden, dicht auf dem Scheitel,
und die derben rindsledernen Schuhe, zu denen die durch Dornen unten
ausgefranzten großkarirten baumwollenen Hosen niederhingen, schienen
das einzig trag- und nutzbare am ganzen Menschen. Auch der blonde
starre Bart hatte seit Wochen kein Rasirmesser gesehn, und das kurze
semmelblonde struppige Haar hing ihm jetzt naß und in zusammenklebenden
Streifen über Stirn und Schläfe, und ließ ihm einzelne durch den defekten
Hutrand eingedrungene Tropfen über die fahlgrauen Backen, auf denen sie
lange Schmutzstreifen bildeten, in die Halsbinde laufen.

In der widrigen Feuchtigkeit hatte ihn auch sein trockener Humor
verlassen, und Maulbeere saß neben seinem Karren wie ein wild gewordener,
der Civilisation abtrünnig gewordener Scheerenschleifer, Haß und Groll
gegen die ganze Welt -- die er überhaupt noch nie lieb gehabt -- im
Herzen.

Ein Schuß! -- Zachäus fuhr in die Höh, als ob _ihn_ die Kugel getroffen
hätte, und horchte gespannt, nach welcher Richtung hin er das nächste
Geräusch jetzt hören würde, als auch der Fall eines Körpers, nur wenige
Secunden später, sein Ohr erreichte.

»Hallo! _hupih_! -- hallo!« schrie er jetzt dorthin aus Leibeskräften,
»he! hallo! hallo! hu -- _ih_ -- _ahoy_!«

Das laute Anschlagen eines Hundes antwortete dem fremden Ton, dem gleich
darauf der ermunternde Zuruf einer menschlichen Stimme folgte.

»Existirt wirklich noch eine andere menschliche Kreatur in dieser
gottvergessenen Mischung von Streu und Nutzholz,« brummte Maulbeere
vor sich hin, »fehlte mir jetzt weiter gar Nichts, als daß es so eine
verdammte Rothhaut wäre, die eben solchen Hunger hätte wie ich. Aber
einerlei, lieber an einem warmen behaglichen Feuer gebraten werden, wie
hier madennaß vor Frost und Bauchgrimmen umkommen; also noch einmal ein
Nothsignal, die wilde Bestie auf meine Spur zu bringen.«

Und wieder ließ er den Wald von seinem Geschrei ertönen, und nicht
lange, so brach ein grau gestreifter, kräftig gebauter Hund durch die
Büsche, gerad auf ihn zu, machte noch ein paar tüchtige Sätze gegen ihn
an, und gab dann Standlaut.

Maulbeere, der seine besonderen Gründe hatte den Hund nicht gegen sich
aufzubringen, konnte unter diesen Verhältnissen nichts anderes thun
als sich vollkommen ruhig verhalten; nicht lange aber, so brachen und
knackten die Büsche und ein Jäger, die Büchse auf der Schulter, einen
eben geschossenen Truthahn, Kopf und Ständer mit Bast zusammengebunden,
wie eine Tasche umgehängt, trat aus den Büschen und kam, die wunderliche
Gestalt mit dem Karren dabei nicht wenig erstaunt betrachtend, auf
Maulbeere zu.

»Hallo Fremder!« rief Jack Owen, denn es war Niemand anders als unser
Arkansanischer Freund, »wie zum Henker seid Ihr mit _dem_ Fuhrwerk da in
die Gründorn-Flat gerathen?«

»Hineingerathen?« erwiederte Maulbeere, der in den zwei Jahren seines
hiesigen Aufenthalts schon ziemlich fertig Englisch gelernt hatte,
»fragt mich lieber wie ich wieder hinausgerathe -- hier in der Gegend
wissen die Leute wohl gar nicht was ein _Weg_ ist?«

»Oh doch,« lachte der Mann, der sich nicht satt sehen konnte an dem
Fremden, »manchmal haben wir hier so schmale Dinger, die man, in
Ermangelung besserer, Wege nennt. Aber wo kommt Ihr her? -- was habt
Ihr da in der wunderlichen Maschine und wo wollt Ihr hin?«

»Wenn Ihr mich gefragt hättet wie ich die Nacht geschlafen habe und
ob ich etwas zu essen haben wollte, wäre mehr Sinn d'rin,« brummte
Maulbeere verdrießlich. »Wie weit ist's bis zum nächsten Haus?«

»Kaum eine Viertelstunde -- wenn Ihr _hier_ übernachtet habt, konntet
Ihr die Hähne heut Morgen krähen hören -- wo habt Ihr geschlafen?«

»Wenn's Euch interessirt,« knurrte Maulbeere, »und Ihr den Spuren
nachgehen wollt, die ich mit dem verdammten Kasten hier aufgewühlt, dann
kommt Ihr zuletzt zu einem Baum -- irgend ein weitläufiger Verwandter
von diesen hier -- auf dem hab' ich gesessen!«

»Oben im Baum?« lachte der Jäger.

»Wenn ich _drunter_ gelegen hätte fändet Ihr einen Theil meiner
Gliedmaßen vielleicht heute Morgen in dem Magen eines Panthers, und den
anderen sauber verscharrt für eine zweite Mahlzeit, unter dem Laube.«

»Unsinn Mann -- Ihr könnt hier ein Jahr lang unter einem Baum im Walde
schlafen, und wenn Euch die Mosquitos und Holzböcke nicht auffressen,
die Panther thun Euch Nichts.«

»So? -- es hat wohl nicht Einer dicht bei mir auf einem anderen Baum
gesessen, und mir die ganze Nacht eine schauerliche Geschichte
vorgeheult, heh?«

»Hahahahaha!« lachte Jack, »das wird eine Eule gewesen sein; in dieser
Jahreszeit schläft sich's wundervoll im Wald.«

»Eule,« brummte Maulbeere verächtlich zwischen den Zähnen durch,
»wundervoll im Wald schlafen -- wer eine Leidenschaft dafür hat. Mir
ist's lieber ich erfahre es erst am nächsten Morgen, wenn's in der Nacht
geregnet hat.«

»Alle Wetter ja,« rief Jack gutmüthig, »Ihr seid durch und durch naß
-- es hat die Nacht wohl stark geregnet? und wir zu Hause haben nicht
einmal viel davon gemerkt. Aber kommt, nehmt Euer Fuhrwerk und bringt
es nur hier herüber mir nach.«

»Wenn ich nicht fest damit säße hätte ich mich nicht hier häuslich
niedergelassen,« erwiederte der Scheerenschleifer mürrisch -- »das
Dornenwerk hält wie Ankertaue.«

»Da wollen wir leicht Bahn hauen,« lachte Jack, sein langes schweres
Jagd- oder Bowiemesser aus dem Gürtel nehmend, und die Dornen ringsum
mit leichten Schlägen durchhauend, »so -- so -- so -- jetzt versucht's
einmal, gleich da drüben wo die alte Eiche liegt geht ein schmaler Kuhpfad
nach der Farm zu, dem können wir folgen bis wir in den Reitweg kommen,
und dann habt Ihr freie Bahn -- gehts?«

»Wenn ich Jemanden finde der dumm genug ist mir den Kasten abzukaufen,«
sagte Maulbeere, das Tragband wieder einhenkend und den Versuch machend,
»so gebe ich mein Geschäft auf und gehe unter die Millionaire -- hol der
Teufel das Scheerenschleifen.«

Jack sah ihm lachend zu, bis der Fremde nach drei vier Ansätzen den
schweren eingesunkenen Karren nicht vorwärts brachte, dann ging er
rasch auf einen jungen Papaobaum zu, von dem er die Rinde, so hoch er
hinaufreichen konnte, mit seinem Messer abschlug und niederstreifte, ein
Seil daraus drehte, und dieses vorn am Karren befestigend, sich selber
vorspannte.

»So -- nun noch einmal -- a hoy -- alle zusammen!«

»Ahoy!« rief Maulbeere, und mit dem Ruck kam der Karren frei, der von
den beiden Männern jetzt mit ziemlicher Leichtigkeit bis zu dem schmalen
Pfad, und diesen hin bis in den Reitweg gezogen wurde, wo ihn Maulbeere
allein fortbringen konnte.

Unterwegs wurde der Scheerenschleifer, mit der Aussicht auf ein warmes
Feuer und Essen, wie auf eine heiße Tasse Kaffee aber gesprächiger,
erzählte dem Jäger welcher Art sein Geschäft sei, was er thue und
treibe und wie er sein Brod erwerbe, und die ganzen Vereinigten Staaten
schon durchzogen habe, bis er zuletzt, durch die vielen brillanten
Schilderungen der westlichen Staaten verführt worden sei auch _hier_
sein Glück zu versuchen, wo er sich jetzt die größte Mühe geben werde,
so rasch als möglich wieder fortzukommen.

Jack Owen amüsirte sich ungemein über die wunderliche mürrisch-drollige
Ausdrucksweise des Mannes, dem er aber doch zu dessen Trost mittheilte,
daß er sich hätte zu keiner glücklicheren Zeit in diese Gegend verirren
können, als gerade heute, da sich fast das ganze County in der Nähe der
Farm, der sie eben zusteuerten, zu einer sogenannten Camp-Meeting (eine
fromme Zusammenkunft im Freien) versammelt sei, während zu gleicher Zeit
von dem Gouvernement des Staates der öffentliche Verkauf des ganzen
Platzes, in Folge eines alten Processes, anberaumt sei.

Maulbeere horchte hoch auf -- von den Camp-Meetings des Westens hatte
er schon so viel gehört, daß er selber gespannt war einer derselben
beizuwohnen, und Leute die sich bei einer solchen Versammlung einfanden,
führten auch stets Geld bei sich. Auf eine gute Einnahme in seinen
verschiedenen Branchen durfte er jedenfalls rechnen, und wer weiß was
da sonst noch für ihn auftauchte. Maulbeere war ganz der Mann dazu von
solcher Gelegenheit den größtmöglichen Nutzen zu ziehn, und daß er sie
nicht versäumen würde, fest entschlossen.

Vor ihnen lag jetzt Olnitzkis alte Farm, von der er übrigens keine
Ahnung hatte, daß Fräulein von Seebald, seine alte Reisegefährtin, mit
ihr in so genauer Beziehung gestanden, und eine Masse Menschen lagerten
um zahlreiche dort entzündete Feuer, kochten Kaffee, brieten Fleisch an
der Gluth, und gaben dem sonst so stillen Platz ein eigenes lebendiges,
fröhliches Aussehn -- und wie ernst doch war der Zweck der sie hier
versammelt.

Als Olnitzki damals von Jack Owen erschossen worden, galopirte Soldegg
nach Little Rock zurück und -- klagte nicht etwa gegen die Farmer und
Squatter von Arkansas, er war zu klug dazu, und wußte was ihm selber
geschehen konnte in dem Fall, aber er verkaufte seine rechtsgültigen
von Olnitzki selber gezeichneten Papiere, die den _Verkauf_ seiner Farm
wie seines sämmtlichen Viehstands, mit Ausnahme eines einzigen Pferdes
betrafen, an einen Advokaten in Little Rock, einen sonst schlauen und
durchtriebenen, aber erst seit kurzer Zeit aus den östlichen Staaten
hierhergekommenen Burschen, für den halben Werth gegen baar Geld, womit
er Arkansas verließ.

Der Advokat, ein gewisser Kowley, reiste ohne Weiteres nach Oaklandgrove
hinüber, sein Eigenthum in Besitz zu nehmen, fand sich aber hierin
getäuscht, erfuhr daß Olnitzkis Frau, die Einzige die nach den Begriffen
der Nachbarn etwas zu sagen habe, Farm und Vieh einer Waise geschenkt
habe, die der von Olnitzki erschossene Riley hinterlassen, die Nachbarn
es übernommen hätten die Farm für diese zu bewirthschaften, bis sie den
Besitz selber antreten könne, und daß keine Klaue und kein Huf von diesem
Eigenthum ihre »#range#« verlassen solle, in andere Hände überzugehen.

Mr. Kowley sah sich genöthigt unverrichteter Sache nach Little Rock
zurückzureiten; aber keineswegs gesonnen sich »in seinem guten Recht«
durch eine Bande gesetzloser Squatter, wie er sie nannte, stören zu
lassen, machte er die Sache in Little Rock anhängig, und ein ordentlicher
Proceß entstand, von dessen Kosten sich die Squatter schon durch das sie
schützende Gesetz[1] freihielten, der aber doch, nachdem er sich über
Jahr und Tag hingezogen, _gegen_ die Squatter entschieden und ein Termin
zu gleicher Zeit anberaumt wurde, an dem die früher dem Polen Olnitzki
gehörende und käuflich an Mr. John Kowley übergegangene Farm, mit den
dazu gehörigen und in dem Verkaufsbrief einzeln aufgeführten Pferden,
Rindern und Schweinen, öffentlich und an den Meistbietenden verkauft
werden sollte.

_Der_ Termin war heute, und zwei, gerade in jenem County befindliche
Geistliche, sogenannte #circuit riders#, die von ihren Consistorien
ausgeschickt werden die noch wenig bevölkerten Distrikte, in denen
keine Kirchen sind, zu durchziehn und dort zu predigen, hatten sich
entschlossen für den nächsten Tag eine schon längst beabsichtigte
»Betversammlung im freien Walde« anzusagen, da der Gerichtstermin ja
ohnedieß eine Menge Menschen herbeiziehen mußte. Ob gerade _diese_
Gelegenheit eine sonst passende war kümmerte sie wenig, sobald nur viel
Menschen dort zusammen kamen und die Beisteuer zu ihren milden Zwecken
-- Kirchenbau, Missionswesen, Bibelvertheilung und Erhaltung der
Geistlichen -- recht reichlich ausfiel.

Jack Owens sonst so freundliches Gesicht nahm aber einen recht ernsten,
finsteren Ausdruck an, als er den freien Platz betrat auf dem die
Fremden versammelt waren, und unter diesen eine ziemlich große Zahl
städtisch gekleideter Advokaten und Kaufleute von Little Rock, die
theils Neugierde, theils wirkliche Lust zu kaufen hier heraus in den
Wald getrieben, erkannte. Schweigend, und von seinem Begleiter dicht
gefolgt, seine Büchse über der Schulter, seinen großen Hund hinter sich,
ohne zu grüßen, ohne umzusehen, schritt er zwischen der Schaar durch
und auf das Haus zu, in dessen Thür ein junges, bildhübsches vielleicht
vierzehnjähriges Mädchen stand, und ihm freudig und herzlich beide Hände
entgegenstreckte.

»Oh Gott segne Euch Mr. Owen« rief ihm das etwas bleich und angegriffen
aussehende Kind entgegen -- »wie froh, wie glücklich bin ich daß Sie
endlich angekommen sind; ich hatte schon solche Angst Sie -- Sie
würden --«

»Doch nicht fortbleiben heute, Jenny?« lachte der Jäger, gutmüthig ihre
zarten Wangen und das goldene Haar aus ihrer Stirn streichend -- »nein
mein Kind, wir verlassen Dich nicht, darauf darfst Du bauen; dieß ist
deine Heimath und soll es bleiben und wenn wir Alle unsere Heerden
verkaufen müßten, sie Dir zu erhalten -- wohin es aber nicht kommen
wird. Wie geht's Deiner Großmutter, Herz?«

»Schlecht Mr. Owen, recht schlecht -- die vielen Menschen da draußen
machen ihr Angst -- sie hat stärkeres Fieber heute gehabt, und ist vor
einer halben Stunde etwa nur erst eingeschlafen.«

»Hier hab' ich Dir 'was zu leben mitgebracht, Jenny« sagte der Jäger,
dem Kinde lächelnd das Kinn emporhebend -- »ein junger Truthahn, aber
feist wie Butter; die ißt Du ja so gern. Doch dem Mann da, -- ein
Fremder der sich verirrt und die Nacht im Walde zugebracht hat -- mußt
Du etwas zu essen machen und einen Platz an Deinem Feuer gönnen bis er
sich getrocknet hat, wenn er sich nicht lieber draußen in die Sonne
legt. Hast Du etwas für ihn?« --

»Für Sie und ihn, Mr. Owen, der Kaffee ist fertig und steht am Feuer,
ebenso das Brod, und der Speck ist in wenigen Minuten gebraten.«

»Bravo mein Herz, dann können wir gleich zulangen; ich habe überdieß
schon den ganzen Morgen durch den Wald gepirscht, solch einen Vogel für
Dich zu suchen, und Dir dabei gleich den Scheerenschleifer gefangen, der
die Nacht irgendwo im Wald aufgebäumt war aus Furcht vor Panthern und
wilden Bestien. Kommen Sie herein, Mister, wie ist gleich ihr Name?
-- Mowlbare -- wunderliches Wort das, aber ich denke Sie halten's wohl
mit dem alten Sprichwort was wir hier im Walde haben -- einerlei _wie_
man uns ruft, nur nicht zu spät zum Essen!«

Maulbeere ließ sich nicht zweimal nöthigen -- seinen Karren draußen vor
der Thür stehn lassend, nahm er den alten aufgeweichten Filz vom Kopf,
strich sich die nassen struppigen Haare aus der Stirn, und machte Miene
sich ohne Weiteres an den schon gedeckten Tisch zu setzen, auf den die
Kleine eben die breitfüßige blecherne und dampfende Kaffeekanne stellte.

»Wenn Sie sich erst waschen wollen, so steht draußen der Eimer und das
Becken« sagte Jack, dem es vielleicht so vorkam, als ob ein wenig
Seifenwasser der Physiognomie und den Händen des Fremden eben nicht
schaden könne.

»Danke« sagte aber der Scheerenschleifer in aller Ruhe -- »ich bin die
Nacht gerade genug gewaschen, und habe mir das Wasser verleidet -- Kaffee
ist mir lieber.«

»Helft Euch selber dann« sagte Jenny freundlich, dem wunderlichen
Fremden einen Stuhl zum Tisch rückend -- »Ihr seid herzlich willkommen
zu Allem was wir haben.«

Die beiden Männer setzten sich und aßen, und eine Weile wurde weiter
Nichts gehört, als das Klappern der Messer, Gabeln und Tassen, von denen
noch einige aus Olnitzkis Nachlaß übrig geblieben waren und über die
sich Maulbeere allerdings den Kopf zerbrach, wie solch reich vergoldetes,
weit anderen Verhältnissen angehörendes Geschirr hierher seinen Weg
gefunden haben konnte. Er würde freilich noch weit mehr erstaunt gewesen
sein, wenn er erfahren hätte daß die nämliche allerdings henkellose und
oben ausgebrochene Tasse aus der er trank, mit ihm auf ein und demselben
Schiffe von Deutschland erst herübergekommen wäre. Die Lebensmittel,
besonders der heiße Kaffee nahmen jedoch seine Aufmerksamkeit viel zu
sehr in Anspruch, sich für jetzt um irgend etwas anderes zu bekümmern,
und wieder und wieder mußte Jenny die Tasse füllen.

»Jenny« sagte da Jack nach langer Pause, in der seine Blicke ernst und
sinnend über den kleinen Raum geschweift waren -- denn das vergoldete
Geschirr hatte bei ihm ganz andere Erinnerungen wach gerufen, »wenn das
Haus nachher zum Verkauf angekündigt ist, wirst Du mit bieten müssen,
Herz.«

»Ich, Mr. Owen?« sagte das arme Kind, wehmüthig lächelnd, »Du lieber
Gott, mit was sollt ich wohl bieten; Sie wissen ja recht gut daß wir
_Nichts_ haben auf der weiten Welt.«

»Hast Du _gar_ kein Geld, Jenny?« sagte Jack, sie halb erstaunt aber
recht freundlich anschauend -- »_gar_ Nichts, nicht ein ganz klein
wenig?«

»Ein ganz klein wenig, oh ja« lächelte das Mädchen gutmüthig -- »einen
Viertel Dollar in Silber, den mir Großmutter schon vor langer langer
Zeit gegeben.«

»Nun siehst Du wohl, Schatz« lachte der Jäger, »daß Du reicher bist wie
Du Dich machst? das ist vollkommen genug.«

»_Ein_ Viertel Dollar, sagte ich Mr. Owen.«

»Jawohl, und noch dazu in Silber.«

»Aber was soll ich _damit_ anfangen?«

»Nun die Farm und das Vieh kaufen -- ganz Arkansas kannst Du freilich
nicht dafür bekommen.«

Das Mädchen wandte sich langsam ab eine aufsteigende Thräne zu
unterdrücken, denn der Scherz that ihr weh; Jack aber, der sie nicht
kränken wollte, stand auf, ging zu ihr, legte seine Hand auf ihre
Schulter und sagte freundlich --

»Es _ist_ kein Scherz, Jenny, Du mußt gewiß mit bieten, ja noch mehr,
Du mußt den Anfang machen. _Fürchtest_ Du Dich wenn ich dabei bin?«

»Nein Mr. Owen« sagte das Mädchen herzlich -- »aber ich begreife nur
nicht --«

»Wirst das schon Alles noch erfahren -- welche Zeit haben wir jetzt?«

»Bald elf Uhr, nach der Sonne.«

»Alle Wetter, dann ist auch nicht mehr viel zu versäumen, um elf beginnt
die Auktion -- wenn ich Dich rufe komm zu mir hinaus. Und Sie, Mr.
Mowlbare können heut etwas Neues sehn in Arkansas, aber« -- setzte er
ernster und fast wie drohend hinzu -- »wenn ich Ihnen zum Besten rathen
soll, so bieten Sie nicht mit.«

»Danke herzlich« sagte Maulbeere verbindlich -- »spüre für jetzt noch
nicht die mindeste Lust mich in Arkansas niederzulassen -- aber hinaus
darf man doch kommen?«

»Gewiß, gewiß« lachte Jack wieder, »und werden treffliche Gesellschaft
da finden;« und seine Büchse schulternd, während er dem Mädchen freundlich
zunickte, verließ er rasch das Haus.

Draußen kamen indessen Fremde auf Fremde, sammelten sich um die
verschiedenen Feuer, wo sie einen Bekannten trafen, oder besahen auch
wohl die aus dem Nachlaß von den Nachbarn selber herbeigebrachten
Pferde, die dort ausgehobbelt -- d. h. mit zusammengebundenen Vorderfüßen
-- an hingeworfenen Maiskolben knapperten, und munter den immer und
immer wieder neuankommenden Reitern entgegenwieherten.

Um den Sheriff, der von Little Rock selber herübergekommen war
den Verkauf zu leiten, hatte sich dabei eine ziemliche Anzahl von
»Stadtleuten« versammelt; der Platz ging jedenfalls für ein Spottgeld
weg, denn der jetzige Eigenthümer Mr. Kowley, wollte ihn um jeden Preis
los sein, und die Pferde allein, wackere prächtige Thiere, hatten einen
guten Werth.

Jack ging wieder zwischen den Gruppen durch, ohne sie auch nur eines
Blicks zu würdigen, und hie und da flüsterte man wohl leise hinter
ihm her, daß das der Mann sei, der den frühern Eigenthümer dieses
Platzes erschossen. Vor eine Jury damals gestellt war er aber, da es in
Selbstvertheidigung geschehen, frei gesprochen worden; Olnitzki hatte
zuerst nach ihm geschossen, und der Wille allein wäre genügend gewesen,
selbst ohne die, noch damals nicht geheilte Narbe von dessen Kugel. Die
Leute von Little Rock hielten sich aber fern von dem Mann; sie wollten
mit den Squattern dieses Distrikts, die den Ruf eines wilden unzähmbaren
Volkes hatten, so wenig als möglich in Berührung kommen, und waren
vollkommen zufrieden Niemand weiter von der Schaar zu sehn, wenn sie
sich auch eigentlich darüber wunderten.

»Gentlemen!« redete da der Sheriff die Versammlung an, »es wird etwa elf
Uhr sein, und ich glaube wir können die Auktion beginnen, damit die
Herren, die noch gesonnen sind heute nach Little Rock zurückzukehren,
Zeit dazu behalten. Wir sind doch wahrscheinlich Alle versammelt, die an
dem Kaufe Theil nehmen wollen und ich werde anfangen.«

Jack Owen stand etwa zwanzig Schritt von ihm entfernt, als er diese
Worte an die ihm Nächsten richtete, und nahm jetzt, ohne eine Sylbe
darauf zu erwiedern, seine Büchse von der Schulter. Zugleich spannte er
den Hahn, zielte einen Augenblick nach dem Wipfel einer der nächsten
Eichen, und bei dem Krachen des Schusses stürzte ein Rothkehlchen, das
sich dort oben im Gefühle völliger Sicherheit niedergelassen, gänzlich
von einander geschossen herunter zu Boden.

»Ein famoser Schuß!« riefen Einige der Stadtleute, die nicht recht
wußten was sie aus dieser plötzlichen Schießübung mitten zwischen sich
machen sollten -- »ein vortrefflicher Schuß!« Der Sheriff nur wandte
sich mit eben keinem freundlichen Blick gegen den Schützen um, sagte
aber Nichts und Jack, ohne die geringste Notiz von irgend Jemand Anderem
zu nehmen, stieß seine Büchse vor sich auf den Boden nieder, reinigte
sie, und lud sie wieder.

Da brachen rings die Büsche, Rosse wieherten, Hunde schlugen an; überall
raschelte und knackte es im Wald, und der Boden zitterte unter den
schmetternden Hufen einer heranstürmenden Anzahl Pferde, nach denen
sich die hier um die Feuer Versammelten kaum überrascht, ja erschreckt
umsehen konnten, als auch schon einige dreißig kräftige wilde Gestalten,
fast Alle in lederne oder wollene Jagdhemden und ausgefranzte Leggins
gekleidet, ihre langen Büchsen über der linken Schulter, ihre Messer an
der Seite, die Zügel ihrer Thiere locker in der rechten Hand, Einzelne
im bloßen Kopf mit flatternden Haaren wie Indianer, Andere mit alten
Filz- oder Strohhüten auf, über umliegende und dort umhergestreute Stämme
wegsetzend, herankamen, und dicht um die Feuer her ihre schnaubenden
Thiere parirten. So rasch und plötzlich und so mit einem Mal von allen
Seiten war die Schaar der Backwoodsmen, sämmtlich Nachbarn hier und
Squatter dieser Niederungen, herangekommen, daß der Schuß des Einen von
ihnen jedenfalls das _Signal_ für Alle gewesen sein mußte, die schon
lange darauf harrend im Hinterhalt gelegen. Aber Keiner von ihnen
kümmerte sich um den Anderen, und handelten sie nach _einem_ Entschluß,
so war der jedenfalls schon früher verabredet und besprochen, und
bedurfte keines weitern Worts noch Winkes. Aber Alle warfen sich jetzt
von den Pferden, hingen die Zügel der scharrenden, stampfenden Thiere an
den nächsten schwingenden Zweig der ihnen zur Hand war, und traten dann,
ihre Büchsen auf den Schultern und trotzig genug sich dabei im Kreise
umsehend, mitten zwischen die Käufer hinein, so daß sie diese von allen
Seiten umgaben und umstanden. Unter ihnen waren der alte Rosemore, Bill
Jones, Sam Houston und überhaupt das ganze »#settlement#« oder die
Nachbarschaft -- Keiner fehlte.

Wenn Jemand in der ganzen Versammlung, so hatte aber der Sheriff von
Little Rock diese »Demonstration«, für was er sie nicht ganz mit Unrecht
hielt, in Zorn und Unwillen angesehn, ohne freilich dagegen einschreiten
oder auch nur etwas dawider äußern zu können. Daß die Leute mit ihren
Waffen kamen verstand sich von selbst, ein Backwoodsman geht nie ohne
diese, nicht hundert Schritt von seiner Hütte ab, vielweniger eine
Strecke durch den Wald, sei die Gelegenheit welche sie wolle, und das
stille ernste Benehmen der Männer ließ ebenfalls auf keine Störung
schließen; nichtsdestoweniger gefiel ihm das plötzliche Ankommen der
Leute nicht, das auch auf die übrigen Käufer, die schon wußten daß
der Verkauf nicht mit dem Willen der »Nachbarn« geschah, einen
fatalen Eindruck gemacht. Dem Gesetz durften sie aber nicht mit Gewalt
entgegentreten, und so oft sie dasselbe auch in ihre eigne Hand schon
genommen, hüteten sie sich doch jedenfalls den Sheriff in seinem Amt zu
hindern. So also auf einen der zahlreichen dort umherstehenden, kurz
abgehauenen Baumstümpfe tretend, die Versammlung besser übersehn zu
können, zeigte er dieser mit kurzen Worten an daß der Verkauf der Farm
jetzt beginnen solle, die er, Zeit und Mühe zu ersparen, und nach dem
bestimmt ausgesprochenen Willen des jetzigen Eigenthümers, Mr. Kowley
aus Little Rock, gleich mit dem dazu gehörenden Vieh, Pferden, Rindern
und Schweinen in _einem_ Gebot an den Meistbietenden losschlagen würden,
wonach es dann dem Käufer überlassen bleibe, wenn er es für gut finden
sollte, Pferde oder Vieh wieder besonders zu versteigern.

»Ein Wort Mr. Sheriff!« sagte da plötzlich der alte Rosemore mit seiner
tiefen, ruhigen Stimme, indem er ebenfalls den Kolben seiner Büchse auf
einen andern Stumpf stemmte und hinaufstieg; »ich bin als Ältester hier
unter uns, und von den Nachbarn beauftragt worden noch ein paar Worte an
die Versammlung zu richten.«

»Ich glaube nicht daß etwas derartiges nöthig sein wird« sagte der
Sheriff -- aber von allen Seiten rief es »doch, doch! sprecht Sir -- was
giebt's« und der Sheriff, sich die Unterlippe beißend, schwieg.

»Ich bin gleich fertig« sagte der alte Mann freundlich, »denen nur die
es noch nicht wissen, wollte ich hier blos einfach mittheilen daß Farm,
Pferde und Vieh von dem früheren Besitzer, dem Polen Olnitzki, an einen
anerkannten falschen Spieler und sonst gar verdächtigen Menschen, der es
seit der Zeit nie wieder gewagt hat zwischen uns zu erscheinen, im
_falschen_ Spiel, wie sich später herausgestellt hat, verloren wurden.«

»Mr. Rosemore« -- unterbrach ihn der Sheriff.

»Entschuldigen Sie mich, Sir, ich bin noch nicht zu Ende« sagte der alte
Mann ernst und fuhr dann langsam fort, »die Frau wie wir Alle hier
wissen, die jener Olnitzki schlimmer behandelt hat, als ein Indianer
seine Squaw behandeln würde, stammte aus einer edlen und reichen Familie,
und hatte mit _ihrem_ Geld, als sie nach Amerika kamen, Farm und
Viehstand, von dem Olnitzki schon früher drei Viertheile durchgebracht,
gekauft -- aber sie besaß keine Papiere darüber. Vor mehren Jahren hat
ferner jener Olnitzki, den hier später seine Strafe erreichte, einen
armen aber rechtlichen Mann im allerdings ordentlich abgehaltenen
Zweikampf erschossen, weil dieser nicht ruhig zusehn wollte, wie er
seine arme, kränkliche Frau mishandelte und _schlug_. Der Mann hieß
Riley und hat eine alte kranke Frau, seine Großmutter, und eine jüngere
Schwester ein Kind noch fast, hinterlassen, das dort in der Thür der
Hütte steht. Diesem Kinde hat Olnitzki's Frau, als sie mit ihrer Schwester
nach des Polen Tode uns verließ, die Farm mit dem sämmtlichen Viehstand
geschenkt. Wir Nachbarn erklärten dabei, daß Olnitzki kein Recht gehabt
habe die Farm, die seiner Frau gehörte zu _verspielen_, die Gerichte in
Little Rock entschieden aber anders. Nach langem Streiten gewann jener
Advokat, der von dem falschen Spieler Land und Vieh zu einem Spottpreis
gekauft, den Prozeß, und der Herr Sheriff ist heute herübergekommen,
Land und Viehstand an den Meistbietenden öffentlich zu versteigern.
_Das_, Mitbürger, ist der Thatbestand der Sache, und wir Nachbarn«
-- setzte er mit lauterer Stimme hinzu, »sind der Meinung daß das Kind
die Farm, die ihm rechtmäßig schon gehört, erstehen wird.«

»Das kommt auf die Gebote an, Sir!« rief der Sheriff heftig.

»Ei versteht sich, Sir,« sagte der alte Rosemore -- »auf die Gebote, und
ich bitte daß Sie beginnen. Jack Owen -- seid doch so gut und führt das
arme Kind einmal hier zwischen die Herren herein -- es fürchtet sich
sonst näher zu treten; Sie sind wohl so freundlich, Gentlemen, und
machen ihm Platz!«

»Oh ja wohl -- mit dem größten Vergnügen!« riefen die dem Haus zunächst
Stehenden bereitwillig, und Jack Owen schritt langsam dem Hause zu, nahm
Jenny, der er einige ermuthigende Worte zuflüsterte, an die Hand, und
führte das junge zitternde Mädchen in den Kreis der Männer, die eine
Gasse für sie öffneten.

»Oh Bill!« rief während der kleinen Pause die jetzt entstand, Einer der
Backwoodsmen, ein rauher, wild aussehender Bursche einem Andern über
den ganzen Kreis hinüber zu -- »ich habe die Nacht einen schändlichen,
nichtsnutzigen Traum gehabt -- mir träumte ein feiner Bursche mit einem
Tuchrock an, hatte die Farm erstanden, und wie ich zu Haus ritt lag er
im Gründorn Flat auf des Polen Grab, und hatte einen rothen, häßlichen
Fleck mitten auf der Stirn.«

»Ah Unsinn Jim!« lachte der Andere zurück, »_Dein_ Traum hinkt, denn ich
habe geträumt _es hätte gar Niemand mitgeboten_!«

»Gentlemen ich protestire hier feierlich gegen jede drohende Einwirkung
auf den Verkauf dieses Gutes!« fiel hier der Sheriff hitzig ein, »oder
ich sehe mich genöthigt mich unverrichteter Sache zurückzuziehn, und dem
Staatsanwalt Anzeige solchen Benehmens zu machen.«

»Thut Euere Pflicht Sheriff!« rief aber der alte Rosemore ruhig -- »es
wird kein Mensch mehr ein Wort hineinreden -- daß sich ein paar junge
Burschen ihre albernen Träume erzählen darf Euch nicht kümmern.«

Der Sheriff zögerte noch einen Augenblick und berieth sich in leisem
Flüstern mit den ihm nächst Stehenden was zu thun, ein späterer Termin
würde aber ebenfalls zu keinem andern Resultat geführt haben, die Käufer
hatten jedenfalls das Gesetz und seinen mächtigen Arm auf ihrer Seite,
und nach kurzer Einleitung, in der er jetzt die Zahl der urbar gemachten
Äcker, der Pferde, die von den Kauflustigen schon in Augenschein genommen,
die Anzahl Kühe, Rinder und Schweine aufgezählt, eröffnete er die
Auktion und lud die Anwesenden zu einem Anfangsgebot ein.

Im ersten Augenblick herrschte tiefe Stille, das Zirpen der Grillen
drang peinlich deutlich von den nächsten Bäumen herüber, und man konnte
das _Athmen_ der Menge hören. Da bog sich Jack Owen freundlich zu dem
jungen Mädchen nieder und flüsterte ihr ein paar ermuthigende Worte zu
und Jenny, mit todtenbleichen Wangen und zitternden Lippen, aber klaren,
blitzenden Augen, trat einen Schritt vor und sagte mit nicht lauter,
aber doch bis selbst zu den entferntest Stehenden dringend:

»Ich biete einen Viertel Dollar für das Ganze.«

»Unsinn!« rief der Sheriff, in auflodernder Wuth mit dem Fuße stampfend,
»wir haben hier kein Kinderspiel für müssige Leute -- ein Viertel
Dollar, wo das Gebot in die Hunderte steigen muß, nur den halben Werth
zu erreichen.«

»Gebot ist Gebot!« rief es von anderer Seite, »der Verkauf hat begonnen
-- thut Euere Pflicht Sheriff!«

»Ich brauche mich von Niemanden an meine Pflicht mahnen zu lassen!«
schrie dieser, leichenbleich vor innerem Grimm, dem er doch nicht Worte
geben durfte, den Männern gegenüber.

»Ein Viertel Dollar ist geboten,« sagte der alte Rosemore ruhig, »Jenny
wird es wohl für den Preis bekommen.«

»Wenn kein Gebot geschieht,« rief jetzt der Sheriff, mit Zornfunkelnden
Augen, »hebe ich den Verkauf auf!«

»Ein Gebot _ist_ geschehn!« schrie da Einer der jungen Backwoodsmen,
derselbe, der vorher seinen Traum erzählt, und trotzig dabei mit der
Büchse in den Kreis springend, »wir Männer von Arkansas sind eingeladen
worden dem Verkauf heute beizuwohnen; der Verkauf hat begonnen, ein
Gebot ist gemacht worden und ich frage Euch hier, die Ihr anwesend
seid, ob etwas Unregelmäßiges in der Verhandlung stattgefunden?«

»Nein -- Nichts!« schrie es von allen Seiten, »die Advokaten mögen uns
Ihre Dintenklexer hier herüberschicken und uns die Farmen unter der Nase
ausbieten lassen, wir können und wollen es ihnen nicht wehren, aber laß
sie es wagen unsere Gebote nicht zu respektiren, und wenn es sich um
einen einfachen Cent handelte, und bei Höll und Teufel wir schicken sie
heim, daß ihre Haut keine Maishülsen mehr halten sollte.«

»Ein Viertel Dollar ist geboten Gentlemen!« rief der alte Rosemore
wieder so ruhig wie vorher, »Mr. Sheriff wollen Sie weiter fragen, oder
glauben Sie daß der Preis genügt? es wird Mittagszeit, und wir, die wir
noch zur #Campmeeting# zu reiten wünschen, möchten doch erst gern zu
Hause etwas essen.«

»Gentlemen!« rief aber der Sheriff auch, sich jetzt ermannend, »Sie
werden dieses Scheingebot eines Kindes nicht gelten lassen. Das Gesetz
und sein starker Arm _schützt_ Sie in jedem Gebot das Sie machen, und
meinen eignen Hals will ich zum Pfande setzen daß der von Ihnen, der
dieß Gut zu irgend einem Preis ersteht, auch in den rechtlichen Besitz
desselben gelangen soll.«

»Mein Traum wird doch wahr, Bill,« rief der Backwoodsman wieder über den
Kreis hinüber.

»Denkt nicht daran,« lachte der Andere, »der Sheriff hat ja seinen Hals
verpfändet, und wird die Farm vielleicht selber kaufen wollen.«

»Ein Viertel Dollar ist geboten,« begann zum dritten Mal der alte
Rosemore, »wenn Ihr nicht selber jetzt die Auktion beginnt, Sheriff, dann
thun _wir_ es -- überschreitet Euere Pflicht nicht, denn _wir_ sind hier
herbestellt, und verlangen den Zuschlag für den Käufer.«

»Auf ein solches Gebot schlag ich nicht zu!« schrie aber der Sheriff,
jetzt außer sich vor Wuth, »wer will mich zwingen?«

»Das Gesetz!« tobten ihm da die Backwoodsmen entgegen, »glaubt Ihr,
daß Ihr uns hier zum Narren haben könnt, gerad' nach Gefallen, und
herbestellen wenn es Euch freut, weil Euch ein Gebot nicht behagt? Die
Farm ist angesetzt und feil gemacht; das Kind dort hat einen Viertel
Dollar geboten und bietet Niemand mehr, und schlagt Ihr dann nicht zu,
so straf uns Gott, wenn ein anderer Auktionator, ein anderer Käufer
seinen Fuß wieder auf dieses Land setzen soll.«

»Und Keiner bietet einen Cent mehr,« knirschte der Sheriff zwischen den
Zähnen durch -- wagte aber selber kein höheres Gebot -- »Gentlemen ich
wiederhole es hier nochmals -- das _Gesetz_ schützt Sie in jedem Gebote
das Sie thun, und kein Bürger der Vereinigten Staaten _darf_ und wird
sich dem widersetzen, denn die Folgen würden schwer und furchtbar auf
sein eigenes Haupt zurückfallen. So beginne ich denn nochmals den
Verkauf -- _zwei Bits_ sind geboten, und ich erwarte daß der zweite
Bieter mit eben so viel hundert ganzen Dollarn nachfolgen wird -- _ich_
-- das _Gesetz_ steht ein für sein gewahrtes Recht.«

Alles schwieg -- der Amerikaner läßt selten lange auf sich warten, wo
sich die Aussicht auf Gewinn für ihn bietet, aber die dunklen trotzigen
Gestalten hier umher -- das Blut das schon unter diesen Bäumen geflossen,
ohne daß selbst das Gesetz im Stande gewesen war es zu sühnen, die
Drohung selbst, die versteckt, aber doch deutlich genug in dem erzählten
Traum lag -- hie und da vielleicht auch mit dem Rechtlichkeitsgefühle
Manches, der doch wohl einsah daß dem Kind -- wie das _Gesetz_ auch da
geurtheilt -- die Farm gehören müsse -- Keiner bot.

Wieder und wieder suchte sie der Sheriff nur erst zu _einem_ Gebot zu
treiben, dem dann leicht andere folgen würden -- umsonst und endlich
selber gereizt, und wüthender fast über die herübergekommenen Käufer als
über die Squatter selbst rief er, während die »Nachbarn« ringsum lautlos
standen, denn sie wußten jetzt daß sie gesiegt hatten -- mit bleichen
Wangen und vor innerer Aufregung funkelnden Blicken:

»Gut -- wenn Ihr Alle denn zu _feige_ seid Euer _Recht_ zu wahren,
und der, der am meisten dabei interessirt ist, sein ausgelegtes Geld
wenigstens für das Land wieder zu bekommen, sich gar nicht dabei blicken
läßt, was kümmerts mich. Also,« und seine Hand hob sich dabei sie zum
Zuschlag sinken zu lassen, »ein Viertel Dollar ist geboten -- ein
Viertel Dollar zum ersten -- kein Gebot weiter? -- ein Viertel Dollar
zum zweiten« -- eine Todtenstille herrschte, man konnte das Zwitschern
der Vögel weit im Wald drinne, das Glucken und Kratzen der Hennen vor
dem Hause hören -- »ein Viertel Dollar zum zweiten, und --« die Hand kam
nieder, und mit der Bewegung das Wort: »_zum_ -- _Dritten_!«

»Hurrah! Hurrah!« tobten und jubelten und jauchzten die wilden Gesellen
um ihn her -- »piff, paff,« gingen die Freudenschüsse hoch in die Luft,
und Jack Owen, in der linken Hand seine abgeschossene Büchse schwingend,
griff mit dem rechten, eisernen Arm das junge, ängstlich umherschauende,
und seinem Glück noch immer nicht trauende Mädchen vom Boden auf und
trug es, unter dem Jubelruf der Menge, zwischen die Schaar der Nachbarn
hinein. Alle Hände streckten sich nach ihr aus, den rauhen wilden Gesellen
standen Thränen in den Augen, und im Triumphe wurde Jenny jetzt dem Hause
zugetragen, als neue, rechtmäßige Besitzerin.




Capitel 2.

Maulbeere in der Betversammlung.


Die Auktion war vorüber; Farm und Viehbestand gehörte dem jungen
Mädchen, trotz jenem Jahrelang geführten Proceß, und all die Käufer,
die hergekommen waren das Land, die Pferde zu erstehn, und sich das
Alles nun mußten wie ein schönes Traumbild unter den Händen selbst
wegschwinden sehen, standen im ersten Augenblick allerdings etwas
verdutzt und unbehaglich da, und wußten nicht recht was für ein Gesicht
sie dazu machen sollten. Daß die Backwoodsmen nämlich eine solche
Drohung, wie sie der eine Bursche so schlau in seine Träume geflochten,
wahr machen _könnten_, daran zweifelte nicht Einer von ihnen; des Polen
Grab lag keine tausend Schritt von dort entfernt, ein blutig Zeichen,
und ein Land kaufen das der Eigenthümer nie hätte wagen dürfen in Besitz
zu nehmen, wär auch ein Geldverschleudern nur gewesen, wie der
New-Yorker Advokat zu seinem Schaden jetzt erfahren.

»Unter den Umständen durften wir gar nicht bieten,« sagte da der Eine
von ihnen zu dem Andern, »der alte Mann hatte ganz recht -- man kann
doch der kranken Frau und dem Kind das Haus nicht unter den Füßen
wegkaufen, und sie in den Wald setzen? -- ich wenigstens möchte das
nicht auf meinem Gewissen haben.«

»Ich auch nicht,« rief ein Anderer, »die arme Kleine; was für ein
hübsches Mädchen das einmal wird -- und wie bleich sie aussah.«

»Mit Güte kann man bei mir Alles ausrichten,« sagte ein Dritter, »und
ein gutes Wort findet einen guten Ort -- die Leute waren klug genug daß
sie nicht wirklich drohten.«

»Das wußten sie wohl daß ihnen das Nichts half,« rief der Erste wieder,
»was hätten sie machen wollen wenn wir das Haus erstanden? aber so ist's
besser und hundert Dollar sind mir nicht so lieb, als daß es die Kleine
bekommen hat.«

Maulbeere war ein stiller, aber höchst aufmerksamer Zuschauer des
Ganzen gewesen, und so sehr ihn die höchst eigenthümliche Verhandlung
interessirt, überlegte er doch eben, ob er nicht besser seinen eigenen
Nutzen jetzt auch ein wenig wahren, und seinen Karren herbeischieben
solle, der Versammlung mit wenigen eindringlichen Worten ihre eignen
stumpfen Messer und sonstigen Bedürfnisse in's Gedächtniß zurückzurufen,
als die Backwoodsmen plötzlich Alle wieder zu ihren Pferden gingen, die
Zügel von den Zweigen warfen, in die Sättel sprangen und mit einem
wilden _Hupih_, von den laut anschlagenden Hunden gefolgt, aber jetzt
nach _einer_ Richtung hin, in den Wald hineinsprengten. Nur der alte
Rosemore blieb mit Jack Owen zurück und ging mit diesem in das Haus, wo
sie die Thüre hinter sich zumachten, und eine Zeitlang darin blieben.
Nach einer ziemlich langen Weile kam Jack Owen allein zurück, und dem
Scheerenschleifer freundlich auf die Schulter klopfend, sagte er
lachend:

»Nun wie hat Euch unsere Arkansas-Auktion gefallen?«

»Gut,« erwiederte Maulbeere trocken, »und wenn Sie einmal wieder eine
Farm für einen ähnlichen Preis wegzugeben haben --«

»Dann wißt Ihr einen Käufer?« lachte der Jäger, »glaub' es wohl -- aber
die Stadtherrn gehen auch nach ihren Pferden, so wollen wir denn den
armen Thieren hier ebenfalls wieder ihre Freiheit geben; heut oder
morgen werden sie doch nicht mehr gebraucht. Und dann Fremder, wenn es
Euch recht ist, gehen wir zur #Camp meeting# hinüber, nicht weit von
hier nach jener Richtung zu; wäre die Sache schon in Gang, könntet Ihr
die Leute selbst hier jauchzen hören.«

»_Jauchzen_ hören?« frug Zachäus verwundert.

»Werdet's schon mit ansehn,« sagte der Jäger ruhig, den zum Verkauf
hierher gebrachten und mit, durch den Viertel Dollar erstandenen Pferden
die Hobbeln oder Stricke lösend, die ihre Vorderbeine zusammenhielten,
daß die Thiere wieder frei zurück in den Wald, und ihren gewöhnlichen
Weideplätzen zulaufen konnten, »und nun kommt, nehmt Eueren Karren, und
folgt mir den Weg entlang, der hier an der Fenz hinunterführt, und wenn
Ihr nicht _beten_ wollt dort, kann ich Euch Arbeit ziemlich gewiß
versprechen.«

       *       *       *       *       *

Was für ein Leben das war hier mitten in dem sonst so stillen Wald;
wie die verscheuchten Vögel ängstlich in den Zweigen herüber- und
hinüberflogen, und zwitscherten und riefen; wie der Hirsch, der dort
sonst seinen ungestörten Äsungsplatz hatte, als er heute langsam und
vertraut wie immer auf seinen Wechsel herankam, rasch den schönen Kopf
emporwarf, die von feindlichen Dünsten geschwängerte Luft einzog und
schreckend zurück in seine Wildniß floh. Wie die Pferde so freudig
wieherten und den Boden stampften, und der grüne Rasen ringsumher auf
der kleinen Waldesblöße zertreten war, nach allen Seiten, und wie sich
das drängte und schob und durcheinander wogte, von einer bunten
fröhlichen Menschenmasse, die hier von allen Enden des County
zusammengekommen.

Ein Theil der Leute von Little Rock war ebenfalls dabei, die nämlich,
die von der Auktion kommend, es vorgezogen hatten den heutigen Tag hier
zu verbringen, und morgen früh zur Stadt zurückzukehren. Diese schienen
aber am wenigsten vertreten, kamen auch nicht aus Religiosität hierher,
sondern nur der leidigen Neugier wegen, und wurden von den Geistlichen
am wenigsten gern gesehn. Nein, die Backwoodsmen und besonders deren
Frauen und Töchter bildeten den Hauptkern der Versammlung; von allen
Seiten strömten sie herbei, die Frauen fest im Sattel -- und wenn es
auch kein Damensattel war -- ihre kleinen Bündel mit Kleidern vor sich
auf dem Pferd, die Männer mit Büchse und Messer an der Seite wie immer.
Und Lager wurden von Einzelnen aufgeschlagen rings im Wald, mit
Rinden- oder Deckendach, während Andere dagegen ordentliche Zelte mit
herüberbrachten, die sie allein für diesen Zweck bestimmt. Hier waren
Männer an der Arbeit einen Baum zu fällen, und aus den abgeschlagenen
Stücken rasch kurze Breter zu spalten zu einem sicheren Regenschutz,
dort wurde Feuerholz geschlagen und herbeigeschleppt, oder Zweige wurden
abgehauen, mit diesen ein flüchtiges Schutzdach gegen Sonne und Nässe
herzustellen; aber überall herrschte Leben und Thätigkeit.

Und wie die Feuer ringsum flammten und die Kessel brodelten, der blaue
Rauch so luftig hinauf wirbelte in die grünen rauschenden Wipfel, und
emsige Frauengestalten mit den großen, unförmlichen Bonnets auf dem Kopf
-- gleichen Schutz gegen Sonne wie Küchenfeuer gewährend -- so fleißig
an den Töpfen und Pfannen schafften und siedeten.

Die Frauen hatten auch das meiste Interesse an solcher #Camp meeting#,
und wenn der Mann daheim kaum daran gedacht hätte hinaus in den Wald zu
gehn und die Pferde zu suchen, ließen sie ihm nicht Ruhe, und hatten
tausend und tausend Gründe dafür weshalb sie, wenigstens dießmal, unter
keiner Bedingung die fromme Versammlung versäumen dürften.

Erstlich schadete den Pferden das Bischen Bewegung gar Nichts -- sie
waren überdieß so lange nicht gebraucht, und #Marys colt# schon ganz
lendenlahm geworden von all zu vieler Ruhe. Dann predigte zweitens,
dieses Mal ganz gewiß der Ehrwürdige Mr. Sweetlip -- und was für eine
süße Stimme der hatte, und wie weich und öhlich er Einem zum Herzen
sprach -- wer hätte da ungerührt bleiben können.

Und dann der andere Ehrwürdige Mr. Hottenbrocken, wie der es den Heiden
und Ungläubigen sagte, wie der dem bösen Feind, #alias# Beelzebub zu
Leibe rückte und ihn aus dem Felde schlug.

Und dann hatten sie die Nachbarn in so ewig langer Zeit nicht gesehn
-- lieber Gott, hier im Walde kam man ja mit Niemandem zusammen, und
ob Bill Norton und Ann Sally wirklich versprochen wären, konnten sie ja
auch nur dort erfahren.

Und die beiden neuen Kleider, die sich Susanne in dem letzten halben
Jahr selbst gewebt und genäht, wie hätte sie die anders zeigen oder
tragen sollen; doch nicht im Haus etwa beim Spinnrad; und mußten sie
nicht wenigstens einmal erst die »priesterliche Weihe« erhalten?

Die armen Frauen der Wälder sind in dieser Hinsicht auch wirklich übel
dran; in dem kleinsten unbedeutensten Städtchen, ja selbst in dem
einzelnen Haus, das nur an einer begangenen Straße liegt, kann sich das
junge Mädchen nett und geschmackvoll anziehn, und hat die Genugthuung,
daß sie wenigstens gesehn, und auch bewundert wird, denn es sind
oft liebe, bildschöne Gestalten, denen der schlanke Wuchs, die edle
Gesichtsbildung und die, mit nur _sehr_ seltenen Ausnahmen fast
untadelhafte Reinlichkeit einen eigenen Zauber verleiht; im Wald
aber, im wirklichen Wald, von jeder Verbindung mit der Außenwelt
abgeschnitten, wo sollen da die armen Mädchen und Frauen ihre Kleider
zeigen, und zeigen _müssen_ sie dieselben; bei einem »Klötzeroll-Fest«
oder »#Quilting frolic?#« wie selten kommt das vor, und wenn's
geschieht, wie selten ist dann Tanz nachher -- einmal, zwei Mal im
ganzen Jahr und das noch dazu im Sommer.

Solche Gelegenheiten benutzen sie dann freilich auch auf's Beste, und
welche es irgend von den jungen Mädchen kann, kommt nicht zu einem
derartigen Fest ohne wenigstens noch _ein_ anderes Kleid, manchmal drei
und vier mitzubringen, die während dem Tanz gewechselt werden können.

Weit bessere Gelegenheit hierzu bietet aber jedenfalls eine #Camp
meeting#, die nicht nur einen einzigen Abend und im günstigsten Fall
eine Nacht durch dauert, wie ein solches Fest, sondern nicht selten
gleich drei und vier Tage hintereinander weg, während die jungen Leute
aus der _ganzen_ Nachbarschaft dabei Gelegenheit bekommen einander zu
sehen, miteinander zu plaudern -- und mehr als das. Mancher Funke ist
bei diesen Betversammlungen aus Auge und Herz herüber und hinübergeflogen,
und hat gezündet für Lebenszeit -- wenigstens gebunden; überdieß mußten
die jungen Männer dort still und ehrbar auftreten, durften nicht trinken,
fluchen und schwören, und konnten oft nur mit Hülfe einer ihnen
allerdings gewaltsam in's Herz geschütteten Religiosität den Pfad
betreten, der zu der Liebe der Auserwählten führte.

Mit einem Wort, es geht bunt zu bei solchen Betversammlungen, und wenn
der Geist dann erst noch über die Schaaren kömmt, vergeht dem Fremden
Hören oft und Sehn.

Maulbeere fand für jetzt aber nicht das mindeste Außergewöhnliche; daß
hier so viele Menschen auf einen Platz sich versammelt hatten, der sonst
eine Wildniß war, fiel ihm nicht auf, weil er von einer Wildniß, trotz
der letztverbrachten Nacht, überhaupt noch keinen rechten Begriff hatte.
Die Lagerfeuer sahen ganz gemüthlich unter den grünen Bäumen aus, und
die Menge der Gelagerten versprach ihm reichlichen Gewinn. Nur ein
großes hölzernes Gerüst fiel ihm auf, das seitwärts von dem Platz, am
Rande der kleinen Waldblöße, und noch im Schatten einer riesigen Eiche
stand, und rechts und links ein paar kleine Einfriedigungen hatte, die
mit Laub und duftenden Kräutern streuartig ausgeschüttet waren. Für das
Vieh schienen sie aber nicht bestimmt, denn ringsumher lagen die Feuer,
und die Pferde durften schon der Kinder wegen nicht in den inneren
Kreis.

Maulbeere dachte aber gar nicht daran sich über die Verwendung
der Plätze den Kopf zu zerbrechen -- vielleicht dienten sie zu
Schlafplätzen, vielleicht nicht, was kümmerte es ihn. Nach einem
flüchtigen Überblick über die Vertheilung der verschiedenen Gruppen,
schob er seinen Karren, ohne sich weiter um seinen bisherigen Führer
zu kümmern, mitten in den Kreis hinein, begann plötzlich mit lauter
gellender Stimme, aber natürlich in Englischer Sprache, seine Waaren,
Künste und Eigenschaften anzupreisen, und hatte wenige Minuten später
die Genugthuung, die große Hälfte der Versammlung ihn umdrängen zu sehn.
Maulbeere war auch in der That für diese Waldbewohner ein Gegenstand;
er war ein Charakter wie sie nicht oft dort herumgezogen, selbst unter
den Yankee-Pedlars. Schon sein ganzes Äußere, die wirklich auffallende
Ähnlichkeit mit einem Orang-Utang, die wunderbare Zungenfertigkeit
des fremden Mannes, mit seinem trockenen Humor, der sie oft zu lautem
Gelächter hinriß, das Alles war ihnen neu, und vielleicht selbst die
Ungewißheit dabei, ob die jeden Augenblick erwarteten Geistlichen
mit diesem Ausbruch lauter Fröhlichkeit einverstanden sein, oder ihn
vielleicht gar verdammen würden, erhöhte den Reiz.

Maulbeere hatte indessen schon sein Schleiferamt begonnen, und Messer
wurden ihm so viele gebracht, daß er sich ihrer kaum erwehren konnte;
auch Bestellungen bekam er genug, dorthin fünf, dorthinüber acht Meilen
vielleicht, eine alte Scheere wieder in Stand zu setzen oder, als er
sich auch hierin entwickelte, einem Fingerhut eine neue Decke anzulöthen.
Er war unermüdlich dabei, grob gegen die Männer, die ihn auslachten,
zärtlich gegen die Frauen und Mädchen, die über ihn kicherten, und sein
Rad schwirrte und zischte, während seine Zunge noch viel rascher ging
als das Rad.

»_Der ehrwürdige Mr. Sweetlip!_« -- ein freudiges Gemurmel lief durch
die ganze Versammlung, und die Frauen besonders, drängten jetzt rasch
und eifrig fort von dem Scheerenschleifer, während ihre kleinen lieben
Gesichter, die noch vor wenig Minuten so herzlich gelacht, und so fröhlich
in die blaue herrliche Welt hinausgeschaut, einen gar ernsten, fast
wehmüthigen Ausdruck annahmen. Alles schaarte sich um den frommen Mann,
und Maulbeere blieb allein mit seinem Karren in der Mitte stehen.

Mr. Sweetlip war die Freundlichkeit selber; er sprach mit Allen, hatte für
jeden ein ermunterndes oder ermahnendes, ein freundlich tadelndes oder
lobendes Wort; sprach von der Erndte und vom Wetter, von weggelaufenem
Vieh und verirrten Schaafen -- in der geistigen Bedeutung des Wortes
-- und seufzte dann oft recht schwer und traurig auf, wenn er der Sünde
der Menschen gedachte, die in die Welt gekommen und leider nicht wieder
hinauszubringen war. Mr. Sweetlip war eine wahre Seele von einem
Menschen.

Ernster und strenger, in finsterem Schweigen trat der andere Geistliche,
Mr. Hottenbrocken auf, und wenn man die beiden mit einem Schwerte des
Herrn hätte vergleichen können, so war Sweetlip der Rücken, Hottenbrocken
aber die Schneide und Spitze in aller Schärfe und Härte edlen Stahls.

 [Illustration: Capitel 2.]

Wenn Sweetlip mit sanfter Zunge seinen Zuhörern allerdings ihre geistigen
Wunden aufriß, aber Öl hineinträufelte, und es manchmal sogar für eine
Sünde zu halten schien, selbst der Hölle sämmtliche gute Eigenschaften
abzusprechen, so ging Hottenbrocken hinter ihm her und warf Essig und
Pfeffer und Salz hinein, rüttelte die sanftschlafenden Sünder aus ihrem
bewußtlosen Zustand auf, und beschrieb ihnen mit triumphirendem Lächeln
und glühenden Farben einen furchtbaren Abgrund, an dem sie geschlummert
haben sollten, und wenn sie den auch nicht gleich sahen, wurden sie doch
ängstlich und verzagt, und streckten die Hand nach dem ehrwürdigen Manne
aus, sie zu retten.

Mr. Sweetlip hatte übrigens die »#meeting#« zu eröffnen und zu begrüßen,
und stieg oder kletterte zu diesem Zweck auf das hohe, kanzelartige
Gestell, das unter der Eiche errichtet worden. Von hier aus richtete
er eine ziemlich lange Rede, ohne weiteren besonderen Inhalt, an die
Versammlung, ermahnte sie, ihre Augen und Herzen und Hände zu Gott
zu erheben und ihn zu bitten, daß er sie bei ihrer jetzigen freudigen
Zusammenkunft erleuchten, die Guten stärken, und die verlorenen Schaafe
zurück zu seiner Heerde führen möge, zu deren Bequemlichkeit hier, wie
er mit klaren dürren Worten andeutete, die beiden Einpferchungen
angebracht und mit weicher Streu gefüllt waren.

Maulbeere glaubte wirklich im Anfang daß er mit dieser Sache Scherz
treibe; der ernste, wehmüthige Mann sah aber nicht aus wie Scherz, und
Thränen standen auch schon in vielen Augen seiner schönen Zuhörerinnen.
Um sich dessen aber zu vergewissern, drückte er sich durch die
Andächtigen, seinen Karren sich selber überlassend, langsam der Stelle
zu, wo er seinen alten Freund Jack Owen finster und schweigend an einer
Eiche lehnen und der Rede horchen sah.

»Könnt Ihr mir sagen Freund« redete er diesen leise an, »was der fromme
Herr da oben mit den beiden Pferchen meint, und ob die nur _bildlich_
dastehn, oder in der »Hitze des Gesprächs« vielleicht wirklich gebraucht
werden sollen? ich habe keine rechte Idee von etwas Derartigem, und
möchte mich gern belehren.«

»Es geht mir nicht viel besser, Fremder,« sagte der Backwoodsman
seufzend -- »ich habe auch keine rechte Idee von dem Wesen und Treiben
der Leute; soviel aber ist gewiß, daß sie die Fenzen oder Pferche, wie
Ihr sie nennen wollt, heute oder morgen noch brauchen, wenn der Herr da
oben die Gemeinde vorbereitet hat, und der andere lange Herr mit dem
finsteren Gesicht erst in ordentlichen Schuß und Gang gekommen ist
-- wenn nicht heute, morgen seht Ihr das gewiß!«

»Und sind das so berühmte Prediger?« frug Maulbeere etwas erstaunt, denn
das Äußere der Leute hatte auf ihn den Eindruck nicht gemacht --

»Der sanfte Mann der jetzt da oben spricht« sagte Jack mit einem etwas
bitteren Lächeln, »war noch im vorigen Jahr ein Schneider in Little
Rock, als plötzlich _der Geist_ über ihn kam, wie sie es nennen, und er
zu predigen anfing. Er hat eine »sanfte Gabe« wie die Frauen sagen, und
wenn er nur anfängt zu reden, weinen sie schon vor lauter Rührung und
Wehmuth. Der Andere ist ein Yankee, und war früher ein Pedlar, wie man
bei uns die »wandernden Krämer« nennt -- betrog alle Welt mit seinen
Yankee-Uhren und anderem Trödel den er zum Verkauf im Lande herumführte,
und -- wurde auch auf einmal religiös, hielt einen Ausverkauf mit seinen
Uhren, von denen die Frauen wie toll darauf waren, eine zu kaufen, um,
wie sie meinten, dem Teufel zugleich eine Seele zu entreißen, und fing
ebenfalls an zu predigen. Die Beiden sind jetzt die beliebtesten Redner,
die wir hier zu hören bekommen, und haben die anderen Circuit-rider wenn
nicht ganz weggebissen, doch so in den Schatten gedrängt, daß sie sich
kaum noch sehn lassen. _Ihre_ Sammlungen fallen auch -- jedenfalls die
Hauptsache -- immer am reichlichsten aus, und für ihre _milden Zwecke_
nehmen sie Geld und Geldes Werth, Hirsch- und Racoonfelle, Talg und
Honig und Bärenfett. Aber jetzt paßt auf« setzte er, mit dem Kopf nach
der Kanzel winkend hinzu -- »jetzt kommt Herr Hottenbrocken d'ran -- es
wird ein heißer Tag werden, denn er schneidet ein furchtbar finsteres
Gesicht.«

Jack schulterte, während er die letzten Worte sprach, seine Büchse,
drehte sich ab von dem frommen Mann, und schritt langsam hinein in den
Wald, während Mr. Hottenbrocken allerdings von der Kanzel zu donnern
begann, und mit leuchtenden Augen und im Anfang zwar noch ziemlich
ruhiger, dann aber immer wachsender Stimme den zitternden Zuhörern die
Pforten aufriß die hinab in den Schlund der Hölle führten. Mit wilden
Gesten und rollenden Augen deckte er dabei alle Schrecknisse auf, die
dort unten der Ungläubigen, der Tauben die nicht hören, der Blinden die
nicht sehen wollten, harrten, und seine Rede floß ihm glühend heiß von
den in wilder Aufregung zitternden Lippen.

Maulbeere, so sehr er sich sonst über derlei Sachen lustig machte, war
aber plötzlich unendlich aufmerksam geworden, drängte sich, so weit
sich das füglich thun ließ, nach vorn, kein Wort von der Predigt zu
verlieren, und verrieth dabei eine Andacht, eine Freudigkeit, die
sogar mehrmals die Blicke des Geistlichen selber auf ihn lenkte und
wohlgefällig auf ihm weilen ließ. Der Eine war Schneider, der Andere
Krämer gewesen, der _Geist_ genügte -- wenn der Geist kam mußte der
Körper gehorchen! -- Die Predigt oben dauerte fort, Maulbeere hörte
sie aber nicht mehr, sein äußeres Ohr war anscheinend offen, sein
inneres lauschte dagegen einem Chaos von Speculationen, die sich in dem
Gehirn des praktischen Scheerenschleifers entwickelten, und ihm seinen
»Gedankenkasten« mit einer Unmasse von Plänen und Ideen füllten.

So kam der Abend heran; dieser Tag war mehr eine Vorbereitung zu der
morgenden _Schlacht_ gewesen, die Mr. Hottenbrocken dem Teufel und
seinen Helfershelfern angekündigt hatte; seine »Krieger,« wie er die
Frommen und Gläubigen nannte, waren gerüstet und geweiht worden zu dem
schweren Kampf, und die nächste Sonne sollte ihre untergehenden Strahlen
auf die Streiter werfen, die mit der Glorie des Herrn siegreich aus
Kampf und Ringen hervorgegangen wären.

Maulbeere verlangte mehr als das zu wissen, und Jack Owen schien ihm
nicht der rechte Mann dazu, denn er hatte, soviel der Scheerenschleifer
bis jetzt davon gemerkt, keine Freude an der ganzen Sache, war auch in
der That nur herübergekommen, weil er die Frauen nicht zu Hause halten
konnte, und nicht allein ziehn lassen _wollte_. Frauen sind überhaupt
in den meisten Fällen weit besser zu Hause, als bei solchen Campmeetings
aufgehoben.

Unter den hierhergekommenen Andächtigen befand sich eine Familie,
die Maulbeere's Aufmerksamkeit schon von allem Anfang durch das viele
Kochgeschirr und die zahlreichen Proviantkisten auf sich gezogen, die
sie bei sich führten. Der Mann, wie er sich indessen erkundigt hatte,
war Kirchenältester, und ein großer Gönner Mr. Hottenbrockens, der
oft acht und vierzehn Tage auf seiner Durchreise bei ihm blieb, und
allabendlich in seiner Familie predigte. Diesem introducirte sich
Maulbeere noch _vor_ dem Abendessen, enthüllte ihm den Eindruck, den
die Predigt heute Nachmittag auf ihn gemacht hatte, und bat ihn um die
Lebensgeschichte des langen Mannes, der eine so fabelhafte Rednergabe,
mit solchem Feuereifer und solcher Gluth der Sprache vom lieben Herrgott
und heiligen Geist empfangen habe.

Der Kirchenälteste nahm ihn freundlich auf; Maulbeere mußte sich mit zu
seinem Feuer setzen und mit ihnen essen, und erzählte ihnen dafür seine
Lebensgeschichte mit einer Phantasie, die seinen alten Schiffsgefährten
Theobald glücklich gemacht haben würde, und auch hier ihre Wirkung nicht
verfehlte. Er erfuhr dafür Alles was er wissen wollte -- daß nämlich nicht
etwa ein langes Studium erforderlich sei, mit begabter Zunge zu reden,
sondern daß solche, die der heilige Geist als Begünstigte ausersehen,
oft von den niedrigsten Handwerken, aus dem sündhaftesten Lebenswandel
heraus, zu der hohen Würde eines Seelenhirten sich emporgeschwungen
hätten, und Lichter geworden wären, ihren Mitbrüdern und Schwestern auf
dem schmalen dornigen Pfad der Tugend voranzuleuchten. Nicht einmal ein
Examen war dabei erforderlich; es bedurfte eben weiter Nichts, als der
hohen natürlichen Begeisterung, die, für einen monatlichen Gehalt aus
einer der frommen Stiftungen und Vereine, ihr leibliches Wohl vollkommen
in die Schanze schlug, und die Arbeit aufnahm im Weinberge des Herrn.
Schwer war freilich ihre Aufgabe dabei, sie hatten nicht allein gegen
die sündhaften Ungläubigen, sondern auch gegen den Antichrist wie eine
Menge anderer Sekten anzukämpfen, aber das Ziel war glorreich -- sie
_mußten_ endlich siegen, der Herr war mit ihnen, und die Schlange
blutete mit zertretenem Haupte unter ihren Hacken.

Das etwa war der Sinn der Rede, die der Kirchenälteste dem mit der
gespanntesten Aufmerksamkeit zuhorchenden Zachäus Maulbeere hielt, und
wie dieser spät am Abend, wo sich die Mehrzahl der hier Gelagerten zur
Ruhe begeben, seinen Karren zu seinem neuen Beschützer heranschob, und
dann in das laut gehaltene Nachtgebet inbrünstig mit einstimmte, schien
ein ganz anderer Geist in den sonst so rohen, profanen Menschen gefahren
zu sein. Die Anderen hatten sich längst wieder erhoben, und er kniete
immer noch eine Weile allein in still versunkenem Gebet, legte sich dann,
in seine Decke gewickelt die er vorn an den Karren geschnallt mit sich
führte, ohne mit irgend Jemandem ein Wort weiter zu wechseln, auf den
ihm angewiesenen Platz unter ein weit gespanntes Leinwandzelt, und
war bald sanft und ruhig -- ein etwas lautes Schnarchen abgerechnet
-- eingeschlafen.

Am anderen Morgen begannen die Predigten ungemein früh, und Maulbeere
hätte heute keine Zeit bekommen seine Geschicklichkeit zu verwerthen,
selbst wenn er es gewollt; er dachte aber gar nicht daran, saß gleich
vom Morgengrauen in den vordersten Reihen der Gläubigen, und schien
sich wirklich nur zufällig gerade zur Frühstückszeit an dem Feuer des
Kirchenältesten wieder einzufinden. Dieser aber hatte seine innige
Freude an dem Mann, der, wie er nicht ganz mit Unrecht meinte, innerlich
und äußerlich einer ordentlichen Reorganisation bedürfe, und die nur
allein durch das Wort Gottes erhalten könne. Übrigens sei es ein
erfreuliches Zeichen auch unter den _Deutschen_, die sonst nicht in dem
Rufe ständen, viel wirkliche Religiosität zu haben, Einzelne zu finden,
die eine rühmliche Ausnahme davon machten.

Zum Frühstück trat eine Pause ein, da die Geistlichen selber, zu
ihrem heutigen harten Kampfe, einer Stärkung bedurften, und es war für
Maulbeere ein rührendes Bild, und eine Quelle tiefen Nachdenkens, zu
sehn, wie sich die _Brüder_, in Liebe und Freundschaft darum stritten,
die ehrwürdigen Herren an _ihrem_ Frühstückstisch bewirthen zu dürfen,
wo ihnen dann das Beste aufgetafelt wurde, was die Küche aus Wald und
Strom und Farmhof nur zu liefern vermochte.

Gleich nach dem Frühstück begann die Predigt wieder, die aber bis zum
Mittagessen wenig Erquickliches bot; es war ein Mischmasch von den
allergewöhnlichsten Phrasen, in der allergewöhnlichsten Art vorgetragen;
entweder _konnten_ die Leute nichts Besseres liefern, oder sie versparten
sich den vollen Eindruck auf den Nachmittag und Abend, wo die Zuhörer
überhaupt mehr aufgeregt und für das Übernatürliche mehr empfänglich
sind. Maulbeere nichtsdestoweniger hielt gewissenhaft aus; Manche seiner
Nachbarn und Nachbarinnen, die auch entsetzlich in ihrer Andacht durch
seinen alten grünen und wie glasirten Rock gestört worden waren,
schliefen sanft; Maulbeere wachte, und verwandte kein Auge von dem
Redenden.

Mittag kam, und so sehr sich die Amerikaner vor einem unreinlichen
Menschen scheuen, hatte Maulbeeres Andacht doch besonders die
Aufmerksamkeit der Frauen auf sich gezogen; er war auch fremd hier, und
konnte nicht ohne Nahrungsmittel gelassen werden. Maulbeere bekam drei
Einladungen an verschiedene Feuer, die er alle drei annahm, und mit
geschickter Zeiteintheilung auch verwerthete. Nach Tisch und einer
kurzen Ruhezeit, mit der etwa drei Uhr Nachmittags heranrückte, begann
die Predigt auf's Neue -- jetzt aber mit einem andern Geist.

Der Reverend Mr. Sweetlip machte heute Nachmittag den Anfang, und die
Versammlung, als ob die Leute schon eine Ahnung gehabt hätten, wie der
Geist heute wirken würde, war zahlreicher als je; Maulbeere aber saß in
den vordersten Reihen.

Mit weicher, schmelzender Stimme begann der ehrwürdige Mr. Sweetlip
seinen aufmerksam lauschenden Zuhörern die Orte auf dieser Erde zu
schildern, wo den armen schwachen Menschen Verführung umlauere, ihn von
der Bahn des Guten abzulocken; und dabei zeigte er ihnen den Lohn, den
sie auf dieser Welt schon für ein gottgefälliges Leben, aber auch viel
größer noch in einer anderen Welt, zu erwarten hätten: in dieser Welt
durch ihr ruhiges, zufriedenes Gewissen, das ihnen die Brust mit einer
unendlichen Wollust und Seligkeit fülle (und er selber führte sich dabei
zum Beispiel auf, wie er, seit er sein Herz dem Himmel zugewandt, in
einem wahren Meer von Wonne schwimme) und in jener, wo Gott und der
Heiland ihnen ein beneidenswerthes Loos bereiten würde, so sie hier den
sündigen irdischen Lüsten widerstünden, und ihre Augen nur nach dem
richteten _was Gottes_ wäre. Auch hierbei ließ er sich in eine nähere
und mehr bildliche Beschreibung dieser einstigen Seligkeit, wie er sie
sich dachte, ein, und schilderte seinen Zuhörern mit immer glühender
und lebendiger werdenden Farben das Paradies, wo sie von Ewigkeit zu
Ewigkeit oben im Kreis der Engel in den Wolken sitzen, und Hallelujah
singen würden.

Maulbeere sah sich rasch nach seiner Nachbarin zur Linken um, denn diese
fing plötzlich an zu stöhnen, schloß die Augen, warf den Kopf herüber
und hinüber, und gebehrdete sich etwa so, als ob sie einen Anfall von
Krämpfen erwartete. Der Scheerenschleifer dachte auch an seine kleine
Hausapotheke die er in dem Karren mit sich führte, an Salmiakgeist
und Hofmann'sche Tropfen, Einreibungen von Senfspiritus und andere
entsetzliche Mittel; ehe er aber noch zu einem rechten Entschluß kommen
konnte, begann seine Nachbarin zur Rechten ebenfalls, ähnliche Töne
auszustoßen und überall vor und hinter ihm, und rechts und links, fing
es an zu ächzen und zu stöhnen und die Ausrufe -- »#Oh Loooord -- glory
-- glory -- happy -- happy -- blessed Jesus!#« wurden nach allen Seiten
hin laut, und kamen in Gestalt von gewissermaßen gewaltsam ausgestoßenen
Seufzern zu Tage. Nur erst mit dem Schluß der Predigt, die in einem
langen Gebet endigte, beruhigten sich die Andächtigen, und die Frauen
hielten ihre Taschentücher vor die Augen und weinten, als ob ihnen das
größte Herzeleid in der Welt geschehen und nicht die einstige Seligkeit
geschildert wäre.

Lautloses Schweigen folgte, denn Mr. Hottenbrocken kletterte jetzt,
nachdem er den ehrwürdigen Bruder Sweetlip heruntergelassen, auf
die Kanzel, übersah mit einem, über die Massen schweifenden finster
drohenden Blick die Versammlung, und rief plötzlich, zu voller Höhe
aufgerichtet und den rechten Arm von sich streckend, mit donnernder
Stimme:

»Brüder und Schwestern -- Mitbürger -- Mitchristen -- Sünder
-- _nichtswürdige, elende, erbärmliche Sünder_ -- der Tag der Rache
ist nahe!«

»Oh Loooooord!« schrie die eine Mitschwester an Maulbeeres Seite, der
doch jetzt fand, daß diese verschiedenen Ausrufe keineswegs einem
körperlichen Gebrechen, sondern eher einer geistigen Vervollkommnung,
einer Empfänglichkeit des Herzens für das Höhere, zuzuschreiben sei.
Mr. Hottenbrocken hatte indessen eine kleine Pause gemacht, als ob er
seinen Zuhörern Zeit geben wollte, über diese Verkündigung nachzudenken,
und begann nun, nachdem er vorher sein Taschentuch herausgenommen und
sich vorsichtig geschneuzt hatte, mit einer Stimme und einem Ausdruck
seine Predigt, als ob er in irgend einem gleichgültigen Gespräch etwa
gesagt hätte -- »ich glaube wir werden diesen Nachmittag Regen
bekommen.«

»Der ehrwürdige Mr. Sweetlip, mein verehrter Bruder und fleißiger
Mitarbeiter im Weinberg des Herrn, hat Euch, liebe Schwestern und
Brüder, die Freuden des Elysiums geschildert; er hat Euch mit glühenden
lebendigen Farben, wie den höheren heiligen Sphären abgelauscht, die
Plätze der Seligen vorgeführt, wohin die _Guten_ einst kommen werden. Es
_giebt_ einen solchen Platz, liebe Schwestern und Brüder, wie ich Euch
wohl kaum noch zu sagen habe, denn Jeder von Euch weiß es -- es steht
mit klaren einfachen Worten in der Bibel, und ist daher keine Kunst
das zu wissen -- Jeder kann das wissen der nur lesen kann, oder einen
Bekannten hat, von dem er weiß, daß er ihm keine Lügen erzählt, und der
ihm die Geschichte vorliest. Also wir sind davon, als einer ausgemachten
Thatsache, überzeugt, _daß_ es einen Platz giebt, wohin die Guten, die
Gerechten vor dem Herrn kommen, und nicht allein unsere Phantasie,
geliebte Brüder und Schwestern, verleiht diesem Platz die höhere Wonne,
nein auch die heilige Schrift giebt uns ziemlich genaue Grundlagen über
den etwaigen Zustand dort oben, wie ihn mein Bruder in Christo, Mr.
Sweetlip geschildert hat -- Aber« -- rief er plötzlich, und unterbrach
damit gewissermaßen seine bis dahin vollkommen ruhige und wie
gesprächsweis gehaltene Rede -- »_aber_,« donnerte er noch einmal,
mit jetzt tief und dröhnend schallender Stimme, »aber _wer_ sind die
Gerechten? -- _wo_ sind sie? -- wie viele oder wie wenige sind es ihrer?
-- Wehe, wehe, wehe, mein Auge streift umher, und keinen Frieden, kein
Licht findet es, wohin es schweift -- mein Ohr lauscht auch dem leisesten
Klang, und nur Weheklagen sind es, die es vernimmt!«

»Oh Loooooord!« -- stöhnte Maulbeere's Nachbarin wieder.

Lauter und lauter wurde jetzt die Stimme des Sprechers, mit der er
jammerte daß er umsonst das Haupt eines Gerechten suche, es mit
der ewigen Glorie zu decken -- sie wären _Alle_ Sünder, schlechte,
miserabele, elende Sünder vor dem Herrn -- keiner, der bestehen würde
vor seiner Gerechtigkeit, und nur wenn sie stürben, würden sie es den
ersten Tag bequem haben, sie fortwährend bergunter führen, tief tief
hinunter zu dem höllischen Abgrund, wo da ist Heulen und Zähneklappen,
dann aber -- dann --

»#Oh gracious Looooord!#« stöhnten die Stimmen rechts und links
-- »#merci, merci -- merci!# Gnade! -- sei gut zu uns Herr, sei gut
zu uns!« und hie und da standen Einzelne der Mitglieder auf, und
taumelten mehr als sie gingen unter dem #glory#-, #glory#- und #happy#-,
#happy#-Rufen in den einen kleinen Pferch, der zur Linken des Predigers
stand, wo sie sich auf die Knie warfen, und laut und brünstig, nur von
einzelnen Schreien unterbrochen, an zu beten fingen.

Maulbeere wurde unruhig, er blickte um sich her und sah seine Nachbarn
an, machte sogar ein paar Mal Miene aufzustehen, setzte sich aber immer
wieder nieder. Das Gestöhne um ihn her wurde dabei immer toller, und je
wilder und feuriger der Mann auf der Kanzel jetzt anfing mit rasselnder,
dröhnender Stimme die Qualen der Verdammten zu schildern, und lauter und
drohender der ganzen Schaar seiner Zuhörer ein ähnliches Schicksal zu
prophezeihen, je mehr er mit den Armen warf und seine langen Glieder
umherzuschlenkern begann, die Augen dabei verdrehte und mit der Stimme,
vielleicht das Wimmern der Gepeinigten nachzuahmen, in ein Gekreisch
und Gewinsel fiel, und dann wieder um Gnade, Gnade schrie für die
Verdammten, um deren Glieder er schon die Lohe schlagen sähe, die im
ewigen Feuer zuckten und sich krümmten und die Arme umsonst flehend,
Hülfe suchend, herausstreckten aus dem knisternden Verderben, da
erreichte der Aufruhr und Lärmen einen furchtbaren Grad. Die Leute
sprangen und heulten auf ihren Sitzen, schlugen mit den Armen und Beinen
um sich, und klammerten sich aneinander an, als ob sie schon jetzt
fürchteten von dem höllischen Feind gefaßt, und nach seinen Regionen
niedergeführt zu werden.

In dem links gelegenen Pferch hatten sich indeß die »Böcke« mehr
und mehr angesammelt -- es waren die, die sich als die größten,
nichtswürdigsten Sünder erkannten -- und lagen hier auf den Knieen,
rangen die Hände, heulten, schrieen, und gebehrdeten sich mit einen Wort
wie Verrückte. Zwangsjacken wären auch in der That das einzige gewesen,
was sie hätte halten können.

Mr. Hottenbrocken oben auf seiner Kanzel aber fing an zu triumphiren.

»_Da_ kommen sie!« schrie er mit ausgestrecktem Arm und Finger
niederdeutend, auf die mehr und mehr dem Pferch Zudrängenden, (Männer
und Frauen und Mädchen, Alles durcheinander) und sein Auge schoß Blitze,
seine Gestalt hob sich höher und gewaltiger, und zog sich dann manchmal
in sich selbst zusammen, als ob er noch unschlüssig sei, vielleicht
mit einem Satz über die Barriere weg, mitten zwischen die Schaar
hineinzuspringen -- »da drängen sie herbei, vom Teufel gepeitscht, der
hinter ihnen mit ausgespreizten Krallen dreinspringt, den Einen oder
Anderen noch von denen die ihm entfliehen wollen zurückzureißen in sein
Reich der Verdammniß!«

»#Oh L--o--o--o--o--o--rd -- merci -- merci!#« schrieen die Frauen
wieder, die sich jetzt zwischen den Bänken anfingen ängstlich umzusehn,
und sogar manchmal mistrauische Blicke auf den Scheerenschleifer warfen
-- »habe Gnade mit uns, barmherziger Gott; rette uns, rette uns vor dem
Teufel -- rette uns vor dem ewigen Feuer!«

»Gnade?« schrie aber der Mann auf der Kanzel mit seiner Donnerstimme
nieder in den Lärm und Aufruhr -- »Gnade wollt Ihr? -- Gnade für Euere
_Sünden_? -- Gnade für Euern _Unglauben_? Gnade für Euere verderbten und
verstockten Herzen? -- der Fluch _Gottes_ wird Euch treffen am jüngsten
Gericht -- niederschmettern wird er Euch in den Staub, die Ihr Euch
jetzt am stolzesten und höchsten wähnt -- niederschmettern in ewige
Verdammniß und Nacht und Finsterniß und ewiges Feuer, wo Satan die Macht
über Euch haben wird und die Kraft und die Gewalt; und _dort_ steht er!«
schrie er plötzlich wild gellend auf, mit dem ausgestreckten Arm gegen
den Wald hinauszeigend -- »dort grinst er herüber auf Euch und fletscht
die gelben fürchterlichen Zähne! -- dort steht er und schüttelt sich vor
Lachen und innerer grimmiger Lust, wie er die Heerde sieht, die er bald
eintreiben kann in sein höllisches Reich, die Opfer sieht, die ihm
verfallen sind durch ihre eigene Sünde und Lust und rettungslos,
rettungslos verloren gehn!«

»#Merci -- merci -- glory -- glory -- oh Looooord!#« schrie und stöhnte
die Schaar wieder, und ein solches Wüthen und Drängen und Ächzen und
Winzeln begann zwischen den Menschen, daß Maulbeere mistrauisch die
Leute von der Seite ansah, und doch nicht herausbekommen konnte ob sie
im Ernst waren, oder sich nur verstellten.

Und trotzdem war der Paroxismus noch nicht zum höchsten Grade gestiegen.
Der Geistliche auf der Kanzel hatte wieder eine Pause gemacht; es fehlten
ihm Worte weitere Schrecken heraufzubeschwören, das Schlimmste was er
hatte aufführen können war geschehn -- der Teufel stand mit gekrümmten
Krallen hinter den Bäumen und lauerte auf seine Opfer; _der_ Schrecken
mußte jetzt wirken und dann _die Möglichkeit_ der eingeschüchterten
Schaar gezeigt werden, dem zu entgehn.

»Fühlt Ihr Euere Gefahr? -- erkennt Ihr den Abgrund an dem Ihr steht?«
rief der lange finstere Mann plötzlich wieder mit nicht sehr lauter,
aber zu den entfernteren Stellen dringender, bohrender Stimme, »habt Ihr
das schwarze Meer, mit seinen stürmenden rollenden Wogen gesehn, das
über Euch hereinwälzen will, Euch in seine Tiefe zu ziehn? -- _fühlt_
Ihr endlich Euere Nichtigkeit, Euere Erbärmlichkeit, Euere Sünde, die
schwarz genug ist daß sie die Sonne verfinstern und der Engelein
Gnadengebet ersticken könnte? -- _fühlt_ Ihr sie? wißt Ihr daß Ihr
_verloren_ sein müßtet -- rettungslos, erbarmungslos für immer und ewig,
wenn Ihr nur das bekämt was Ihr hier _verdient_? nur dem _gerechten_
Richter gegenüber?«

»#Oh Looooooo'od a massy!#« schrie eine dicke, vor Maulbeere sitzende
Negerin jetzt mit gellendem Aufkreisch, und fiel von der Bank herunter
auf der sie gesessen, als ob sie todtgeschossen wäre. Niemand bekümmerte
sich aber um sie, und sie blieb eine Weile regungslos liegen, ohne ein
Glied zu rühren.

»Aber _noch_ ist es Zeit!« donnerte da plötzlich des Redenden Stimme,
wie eine schmetternde Posaune Heil verheißend durch den Wald -- »_noch_
ist die zwölfte Stunde nicht vorüber, noch hält der Engel der Gnade
die Hand ausgestreckt nach den Strauchelnden -- _noch_ ist es Zeit
Mitbrüder, Mitschwestern, der Himmel ist offen, das Licht des
Heilands leuchtet Euch entgegen, das Wort der Verheißung kann noch
Wahrheit werden -- _noch_ ist es Zeit Gentlemen -- Brüder, Schwestern,
Reisegefährten!« schrie der Mann, der beinah in der Hitze der Rede in
sein altes Geschäft, das Auktioniren, gefallen wäre und eben noch Raum
fand wieder einzulenken -- »_noch_ ist es Zeit -- kommt, kommt, kommt zu
dem Herrn -- kommt, kommt, kommt zu Jesus Christus -- kommt -- oh kommt
in des Heilands Arme, der Euch rettet aus Noth, Tod und Verdammniß
-- kommt!«

»#Glory -- glory -- happy -- happy!#« brüllte und tobte da plötzlich die
Masse -- »#blessed be de Looo'd# Dschisos!« schrie die dicke Negerin mit
einem gewaltigen Ruck sich emporrichtend, daß sie gerade vor Maulbeere
auf die Erde zu sitzen kam, und ihm starr in's Antlitz sah. Aber überall
zu gleicher Zeit brach der langverhaltene Sturm jetzt donnernd los
-- Männer und Frauen sprangen empor, rissen sich die Röcke vom Leib,
die Tücher von den Schultern, rauften sich die Haare, schlugen sich die
Brust, stöhnten, kreischten, schrieen, den dicken Schaum auf den Lippen,
große Schweißtropfen auf der Stirn, und die Augen fast aus ihren Höhlen
drängend.

Es wäre überhaupt unmöglich dem Leser auch nur im Entferntesten
eine solche Scene lebendig genug zu beschreiben, daß er sich selber
hineindenken könnte; etwas Derartiges muß man selber gesehn und erlebt
haben, und ist es dann vorbei, zweifelt man trotzdem wieder ob es
wirklich geschehn sein _könne_, ob nicht ein toller Fiebertraum uns
geneckt, und selbst der Erinnerung glauben wir nicht mehr, die uns
solch wildes, tolles Zeug will aufbewahren. Nichts Geisterhafteres,
Unnatürlicheres giebt es auf der weiten Gotteswelt, als diese Scenen, wo
der heilige Geist von den schaumbedeckten Lippen wahnsinniger Schwärmer
sprechen soll, und diese sich auf der Erde wälzen, die Fingernägel in
den Boden einwühlen, den Rasen beißen und #glory, glory!# schreien, Ruhm
dem Herrn in der Höhe!

Viele mag es dabei geben, die einen solchen Zustand aus irgend einem
Grunde heucheln; die sich eben nur stellen als ob der »Geist« über
sie käme, mit den Armen und Beinen werfen, und solcher Art einen sehr
billigen Ruf großer Religiosität erlangen, vielleicht Einlaß in manche
Familie zu bekommen, deren Kreis ihnen sonst verschlossen geblieben
wäre. Ebenso gewiß ist es aber auch, daß Viele, _sehr_ viele in
Wirklichkeit und Wahrheit in diesen Zustand verfallen, daß sie nur
durch die oft vollkommen sinnlose, nur mit einer gewissen Begeisterung
und mit steigendem Affekt gesprochene Rede in einen halb bewußtlosen
überspannten Zustand gerathen, in dem sie sich der Erde entrückt und von
einem anderen, außer-, und jedenfalls überirdischen Wesen begeistert
wähnen.[2] Fieberanfälle folgen nicht selten demselben, und die aufgeregte
Einbildungskraft ist nachher jedenfalls sehr leicht im Stande das, wo
sich etwa noch eine Lücke in ihren Gedanken und Bildern finden sollte,
mit Leichtigkeit auszufüllen. Auf Jemandem aber, der einer solchen
Versammlung mit kaltem, ruhigen Blute beiwohnt, macht sie unausweichlich
den Eindruck eines Haufens wahnsinniger Menschen, die losgebrochen sind,
und die kurze Zeit ihrer Freiheit geschwind benutzen, sich einmal recht
tüchtig auszuschrein.

In diesen Pferchen besonders, wohin die sich drängen, die den heiligen
Geist über sich kommen fühlen, geht es zuweilen zu, daß man sich mit
Ekel von einem solchen Bilde menschlicher Entwürdigung abwendet, und
doch fühlen sich diese verblendeten Menschen auf dem Gipfel menschlicher
Erhöhung, und werden natürlich darin von den Geistlichen, die den
Erfolg ihrer Wirksamkeit nach den Köpfen ihrer geretteten _Schaafe_
zählen, bestärkt.

Ich weiß wirklich nicht, ob der Ausdruck »Schaaf« in _solchen_ Fällen
hinlänglich und stark genug bezeichnend ist -- er genügt mir sehr häufig
bei uns nicht einmal.

»Glory! Glory! Hallelujah!« brüllte die Schaar, »heiliger Geist komm
-- senke Dich auf uns herab, rette uns, hilf uns -- #glory, happy, happy,
happy!#«

»Uch!« schrie oder kreischte da plötzlich eine einzelne Stimme, so
scharf und gellend durch die Mistöne um sie her, daß sich selbst von den
augenblicklich Begeisterten Viele, halb dabei aus ihrer Rolle fallend,
nach der Stelle umsahen, von wo der merkwürdig wilde, unheimliche Laut
ertönte, und hier bot sich ihnen allerdings ein neues seltsames
Schauspiel.

Zachäus Maulbeere hatte der Geist ergriffen, und während die dicke
Negerin, die sich wieder aufgerichtet, seine Knie umklammert hielt und
abwechselnd Hülfe und Glory! schrie, stand Maulbeere auf der Bank, auf
der er bisher gesessen, mit bloßem Kopf, an der Stirn noch die Spuren
des niedergelaufenen Regenwassers von der vorigen Nacht, die Arme zum
Himmel ausgestreckt, und das Gesicht ebenfalls dorthin erhoben, und
tobte ärger als Einer der Anwesenden sein #happy -- happy -- happy# dem
grünen Waldesdome entgegen.

»Dort ist _noch_ ein Schaaf!« schrie der Geistliche von der Kanzel
nieder, mit dem Arm auf den begeisterten Scheerenschleifer deutend, und
mit funkelnden, fast wie beutelustigen Augen die Wirkung seiner Rede an
dem Fremden beobachtend -- »dort ist ein verirrtes, abtrünniges Schaaf
das zur Heerde zurückkehrt -- ein Lamm das sich in den Händen des Herrn
vor den Krallen des Teufels bergen will -- eine Taube, die den Fängen
des ewig nagenden Geyers zu entziehen sucht. -- Oh komm -- komm Lamm
Gottes -- komm in den himmlischen Pferch -- komm in die Arme des
Heilands, die sich liebend und sehnsüchtig nach Dir ausstrecken -- oh
komm -- oh komm! --«

»Ich bin ein arger Sünder gewesen!« schrie da Maulbeere, plötzlich seine
Brust schlagend und einen vergeblichen Versuch machend sich von der
dicken Schwarzen zu befreien -- »ein nichtswürdiger, verstockter Sünder
-- eine Kerze des Satans, ein Pflegekind der Hölle -- der rothen,
feurigen, flammenden Hölle.«

»#Oh do--nt -- do--nt -- oh Loooood#« schrie die Schwarze dazwischen.

»Aber ich fühle die Kraft in mir,« fuhr Maulbeere in seiner Begeisterung
fort -- »Alles abzuwerfen was mich bis dahin gehalten (ausgenommen die
Schwarze, die nicht von ihm ließ), ich fühle den _Geist_ kommen -- ja
Brüder, ja Schwestern, ich fühle den Geist kommen, den heiligen, lieben,
gesegneten Geist!«

»#Oh glory -- glory -- glory -- happy -- happy!#«

»Ich fühle, wie es in mir tobt und wühlt und brennt; _das_ ist das Feuer
das die Sünde läutert, das ist der letzte Rest der Sünden die jetzt
verkohlen und verfliegen -- ich komme -- ich komme -- _heih!_«

Seine Worte arteten zuletzt in eine Art Geheul aus -- Augen schienen
aus ihren Höhlen herauszudrängen, die struppigen Haare sahen in diesem
Augenblick so aus als ob sie vor Entsetzen emporständen, und mit einer
gewaltigen und wirklich verzweifelten Kraftanstrengung aus den ihn
umklammernden Armen der Negerin sich herauswindend, und jetzt ebenfalls
#glory, glory, happy, happy# rufend, arbeitete er sich nach dem schon
vollgedrängten Pferch durch, kletterte über die Fenz, sprang mitten
in den Haufen hinein, und verschwand dort in dem Gewühl und Zucken
menschlicher Gliedmaßen, die sich auf dem bestreuten Boden wanden.




Capitel 3.

Der wandernde Krämer.


Warm und freundlich schien die Sonne nieder auf die weiten grünen
Prairieen von Illinois, die sich in ungeheueren Flächen, nur hie und da
von einem dunklen Streifen hoher Eichen unterbrochen, nach Nord und Süd,
nach Ost und Westen dehnten. Wie eine wogende See stand dabei das hohe,
üppige Gras in der frischen Westbrise, die darüber hinstrich, und lichte,
rasch über die Oberfläche laufende Wellen bildete, täuschend ähnlich
einer ruhigen See, über die ein leiser Passat die leicht gekräußten,
eben nur sich hebenden Wogen zieht.

Wie Inseln darin, um die Täuschung noch größer zu machen, lagen einzelne
kleine Farmen weit zerstreut, deren Maisfelder gleichfalls wogten und
dem Wind sich neigten, und das grüne Wasser darstellen konnten in der
Nähe des Landes, während die Prairieen schon eine dunklere, gelblichere
Färbung angenommen. Daraus vor aber ragten die kleinen grauen Dächer der
Blockhäuser, mit ihren blauen dünnen Rauchstreifen, die weit über die
Fläche zogen; Felsen gleich, an denen sich die Brandung brach, während
in den Wogen der Prairieen selber zahlreiche Heerden, nur mit Kopf und
Rücken oft aus dem schwellenden Gras herausreichend, das seine Wellen an
ihnen vorübertrieb, herumschwammen, oder die breiten gutmüthigen Köpfe
witternd und schnüffelnd der frischen Luft entgegenhielten.

Aber kein Fahrzeug strich auf dem weiten wasserähnlichen Grasspiegel
einher; vergebens suchte das Auge nach einem lichten Segel, die Täuschung
nicht größer zu machen, sondern mehr fast zur Bestätigung, daß dieß
nicht Land- und Pflanzenwuchs, sondern wirklich schiffbares, wogendes
Wasser sei.

»Ein Kahn!« von den grünen Wellen getragen schwimmt, einen dunklen
Streifen hinter sich herziehend, ein schmaler dunkler Kahn dahin, und
ein einzelner Ruderer sitzt darin, still und regungslos sein Forttreiben
Wind und Strömung überlassend. Mit Gewalt muß sich das Auge zuletzt
zwingen in dem kleinen Kahn und Ruderer Mann und Pferd zu erkennen, die
langsam einem schmalen, sich durch die Prairie ziehenden Wege folgen,
und gerade auf die nächste, von einem kleinen Feld begrenzte Blockhütte
zuhalten.

Der Reiter aber war ein alter Bekannter von uns, Georg Donner, der,
langsam seinen Weg verfolgend, die kleine Hütte endlich erreichte, und
dort seinem Pferde kurze Rast zu gönnen beschloß. Die ganze Umgebung
des Hauses ließ ihn auch auf Landsleute als Eigenthümer schließen, und
den Zügel seines klugen wackeren Thiers abstreifend, band er ihm die
Vorderfüße, nach Landesart zusammen, und ließ es sich sein Futter auf
der weiten Wiese selber suchen. Da ging die Thür der Hütte auf, und ein
junges, rothwangiges, kräftiges und auch recht hübsches Mädchen von etwa
achtzehn Jahren trat auf die Schwelle, den Fremden neugierig betrachtend.

»Grüß Euch Gott, Kind,« rief ihr dieser freundlich entgegen, »kann man
ein Glas Milch hier bekommen? -- es ist warm heute und das Wasser in der
Prairie schmeckt schlecht.«

»Recht gern und so viel Ihr wollt -- grüß Euch Gott,« sagte das Mädchen,
rasch in das Haus zurückgehend und bald mit einem großen, bis zum Rand
gefüllten Blechmaas voll Milch wiederkehrend. »Ihr seid wohl von weit
her unterwegs?« frug sie dann, als Georg das Gefäß dankend an die Lippen
hob, und einen langen durstigen Zug daraus that.

»Ich komme von Wisconsin herunter, wo ich ein Jahr mich aufgehalten,«
sagte der junge Mann.

»Von Wisconsin; da soll es auch recht gut sein -- wir haben viel Freunde
drüben, die mit uns über See gekommen sind -- wir wollten auch erst
dorthin, aber die Schwester wurde hier krank, und da dem Vater die
Gegend gefiel, blieben wir da, und ließen die andern weiter ziehn.«

»Und es geht Euch gut hier?«

»Gott sei Dank, ja; wir haben ziemlich billig gekauft, und die Jahre nun,
die wir hier sind, recht sparsam gelebt und recht fleißig gearbeitet,
und da sieht man doch daß man vorwärts rückt.«

»So kommt Ihr hier besser fort wie in Deutschland?«

»Ei Gott ja, _viel_ besser; lieber Himmel dort fraßen die Steuern, was
wir mit Mühe und Noth erzwingen konnten; wir schafften und schafften,
daß uns das Blut unter den Nägeln vorkam, aber nur schlimmer wurd' es,
nicht besser; wir _konnten_ nicht erschwingen was wir brauchten, und
langsam aber sicher ging's bergunter. Hier ist's besser; arbeiten müssen
wir freilich auch, beinah so viel wie in Deutschland, aber was wir
einnehmen ist unser, wir brauchen Nichts davon abzugeben, haben keine
groben Gerichtsleute die uns quälen, und keine Taxen und Steuern, die
Einem das Mark aus den Knochen saugen. Auch das Land ist vortrefflich;
was man pflanzt gedeiht, und wenn wir nur ein Bischen mehr an einem
großen Fluß wohnten, daß wir Alles gleich verkaufen könnten was wir
bauen, wär's noch viel besser. Die Leute sagen freilich, daß wir eine
Eisenbahn hier vorbeibekommen, nachher wär's schon gut. Wo seid _Ihr_
her, wenn man fragen darf?«

»Aus Waldenhayn.«

»Aus Waldenhayn -- Jesus, in unserer Gegend liegt auch ein Waldenhayn,
aber s'ist doch wohl nicht das --«

»Und welches ist das?« lächelte der junge Mann.

»Krisheim -- und Bachstetten liegt auch nicht weit von dort, der Pfarrer
von Bachstetten ist ein Bruder vom Waldenhayner Pfarr.«

»_Der_ Waldenhayner Pfarr' ist mein Vater,« sagte Georg.

»Und Ihr seid in Krisheim gewesen?« frug das Mädchen und hohe freudige
Röthe goß sich ihr über Stirn und Schläfe.

»Oft und oft; es sind ja nur höchstens vier Stunden von unserem Ort.«

Das Mädchen sah dem jungen Mann fest und forschend dabei in die Augen,
und dann drehte sie sich plötzlich ab, und die hellen klaren Thränen
liefen ihr an den Wimpern nieder.

»Ihr hängt wohl noch recht an daheim?« sagte Georg endlich leise und
nach langer Pause, »möchtet Ihr wieder zurück?«

»Ich weiß nicht,« flüsterte das Mädchen, immer noch von ihm abgewandt,
»ich hatt' es schon beinah vergessen, und seit dem letzten Weihnacht
wenig mehr daran gedacht -- wenn ich aber den Ort wieder nennen höre,
und nun gar wieder Jemanden sehe, der selber dort war, selber eigentlich
dorthin gehört, dann -- dann fängt's freilich wieder an zu stechen,
und -- und es kommt mir dann manchmal doch wohl vor, als ob ich das
alte, liebe Dorf im Leben nimmer vergessen könnte. -- Wenn ich an den
Kirchthurm denke und -- und was daneben liegt -- und an die großen
Linden -- nur an den Weg der dorthin führt, möcht ich mir die Augen aus
dem Kopfe weinen. -- Aber der Vater darf's nicht merken,« setzte sie
rasch hinzu, »sagt Ihm Nichts wenn er kommt. Es ist ihm gerade so wie
uns zu Muthe, ich weiß es wohl, wenn er sich's auch nicht will merken
lassen -- aber weinen kann er nicht, das geht ihm nicht von der Hand,
und da wird er lieber grob, wenn er's auch nicht so böse meint und
-- wenn man eigentlich weiß warum er's wird, möcht' man ihn nur um so
lieber d'rum haben.«

Georg war es, als er das Mädchen so plaudern, und selbst den Dialekt
aus seiner eigenen Gegend dabei hörte, ebenfalls recht weich um's Herz
geworden; ihm selber klang die Rede wie Glockentöne aus der Heimath, und
er hätte den lieben Lauten stundenlang lauschen mögen, so wohl, so weh
wurde ihm dabei in der Brust. Von der Fenz herüber tönte da das Knallen
einer Peitsche, Stimmen wurden laut und der Bauer, mit seiner andern
Tochter, Lisbeth, kam den Weg die Fenz entlang; der Mann hatte frischen
Mais aus dem Felde in seinem kleinen Karren geholt, und das Mädchen,
wie ein Knabe von etwa dreizehn Jahren, ihm dabei aufladen helfen. Die
Leute sahen frisch und wohl aus mit ihren sonnverbrannten aber gesunden
Gesichtern, und man merkte es ihnen an, daß sie die Arbeit freute die
sie thaten. Sie luden auch den jungen Mann freundlich ein bei ihnen die
Nacht zu bleiben und sich und sein Pferd auszuruhen, von dem langen
Ritt in der Sonne. Georg aber hatte keine Ruh, es zog ihn nach Indiana
hinüber, wo er wenigstens hören wollte wie es denen ging, an denen sein
Herz, so weh ihm auch der Mann gethan, den er vor allen Anderen gern
geliebt hätte, mit festen -- er fürchtete unzerreißbaren Banden hing,
und je länger er sich fern gehalten von dem Platz, destomehr drängte und
trieb es ihn jetzt, wo seines Pferdes Kopf der Richtung sich wieder
zuwandte.

Eine kleine Weile plauderte er noch mit den Leuten; es that ihm wohl
hier zufriedene, glückliche Menschen zu sehn, die dem Lande ihr Brod
sauer genug abverdienen mußten, die aber die Schultern ernst dagegen
stemmten, gegen das Werk, und, wenn auch langsam vorrückten, doch eben
sahen, _daß_ sie vorrückten, und sich glücklich dabei fühlten.

»Die gebratenen Tauben fliegen uns hier nicht in den Mund,« sagte der
Mann unter Anderem und im Laufe des Gesprächs lächelnd, »wie sie uns
manchmal, als wir von Deutschland fortgingen, vorgehalten haben, daß wir
so etwas erwarteten; aber wenn wir richtig zugreifen und unsere Knochen
nicht schonen, dann können wir uns doch Tauben braten, und haben dann
welche, und in Deutschland ging das eben _nicht_ mehr an. Das erste Jahr
haben wir uns freilich tüchtig placken müssen, und sind bei anderen
Leuten in Dienst gegangen, alle miteinander -- es war ein schweres Jahr,
aber es ging vorüber, wir lernten auch das Land dabei kennen und die
Arbeit, und nun hab' ich das kleine Grundstück hier gekauft. -- Ganz
ist's freilich noch nicht bezahlt, aber in zwei Jahren hoffentlich ist's
mein, und mit dem Vieh was ich indessen ziehe, und das den Werth der
Farm erhöht, können wir der Zukunft ruhig und sorgenfrei entgegengehn.«

Der Mann hatte hundert Preußische Thaler mit herübergebracht, und mit
dem dazu was er und seine Familie das erste Jahr verdient, den Stamm
gelegt, der ihm eine sorgenfreie Existenz geben konnte.

Georg fing sein Pferd endlich wieder ein, band die Hobbeln ab, legte ihm
den Zügel wieder an, und ritt nach freundlichem Abschied von den Leuten
auf dem ausgeruhten Thiere rascher die etwas staubige Straße entlang,
wo er, wie ihm der Hesse gesagt hatte, noch eine andere kleine deutsche
Farm erreichen würde, die ebenfalls ziemlich armen, aber braven, fleißigen
Deutschen gehörte. Es waren noch zwölf Englische Meilen bis dorthin, und
kein Haus lag dazwischen, kein Baum -- unabsehbar mit dem wogenden Gras
den Horizont begrenzend, dehnte sich die weite Prairie um ihn aus.

Erst unfern dem Haus lief ein kleiner Steppenstrom dem Wabasch zu, an
dessen Ufer dichte Büsche von Weiden, Eichen, Erlen, und einzelne
Hickorybäume wuchsen, und dem Platz etwas unendlich freundlich Heimliches
gaben. Prairiehühner[3] gab es dort ebenfalls in Menge; auch Kaninchen
und die kleinen Rebhühner Nord-Amerikas -- ein Mittelding zwischen
Rebhuhn und Wachtel.

Die Ansiedlung, die hier stand, war noch ganz neu, das Land erst
kürzlich urbar gemacht, aber mit einer prachtvollen Erndte wehenden
Maises, die Blöcke zu der Hütte frisch gehauen, und sogar das von ihnen
übrig gebliebene und dort zum Feuer gelassene Holz noch nicht ganz
verbrannt. Ebenso bestand die Fenz aus ganz neu gespaltenen Riegeln, und
selbst die Hühner, die vor dem Haus herumliefen, die Schweine, die dann
und wann einmal einen vergeblichen Versuch machten, irgend wo eine Lücke
in der Einfriedigung des Feldes zu entdecken und diesem einen Besuch
abzustatten, die beiden Kühe, die zum Melken nach Hause gekommen waren,
sahen aus, als ob sie dort noch nicht recht hingehörten, und keinen
eigentlich bestimmten Platz hätten zu Aufenthalt und Wohnung. Weit
eher hatten sich die Kinder eingerichtet, von denen drei vor dem Hause
spielten und sich herumtummelten, und ein junges Mädchen von etwa vierzehn
Jahren schien alle Hände voll zu thun zu haben, ihnen zu wehren und auf
sie aufzupassen.

Heute gab es freilich auch etwas Neues für sie, das die Einförmigkeit
ihres Steppenlebens auf erfreuliche Weise unterbrach, denn vor dem Hause
hielt ein kleiner Karren, ein sogenannter Pedlar-Wagen, mit allerlei
bunten, wunderhübschen Sachen zum Verkauf, und der Mann hatte gesagt,
daß er die Nacht da bleiben und jedenfalls warten würde bis Vater und
Mutter vom Felde heim kämen, ihnen seine Waaren auszupacken, von denen
sie Manches brauchen könnten. Indessen zeigte er ihnen aber allerlei,
und gewann ihre Herzen noch überdieß durch ein paar kleine Spielereien,
die er ihnen preisgab. Endlich kamen die beiden Leute von ihrer Arbeit
zurück, und während die Frau nach den Kühen ging, diese zu melken, trat
der Bauer zu dem Pedlar, und reichte ihm die Hand.

»Guten Tag Landsmann -- Ihr seid doch ein Deutscher, wie?« --

»Allerdings,« sagte der Pedlar, freundlich den Handdruck erwiedernd,
»möcht's nicht verleugnen.«

»Möcht' Euch auch schwer werden,« lachte der Bauer, »Euer Gesichtsschnitt
würd' Euch verrathen; nicht wahr Ihr seid von »unsere Leut«, wie wir bei
uns zu Lande sagen?«

»Na, wie mer's so nimmt,« lachte Wald, denn es war unser alter
Reisegefährte von der Haidschnucke, der hier seine Umstände als Pedlar
schon so verbessert hatte, mit einem Güterkarren durch's Land fahren
zu können, »wir _leben_ wie die Christen, und handeln wie die Christen
-- der Mensch kann nicht mehr verlangen.«

»Aber Ihr eßt kein Schweinefleisch,« lachte der Bauer.

»Nu, was wär der mehr d'rum, wenn wir's _nicht_ thäten,« sagte Wald
achselzuckend, »aber setzt mich 'mal auf die Probe, besonders wenn
Bohnen dabei sind.«

»Na, ein Mann ein Wort,« rief der Bauer, »das sollt Ihr heut' Abend
haben, und Eueren Kasten könnt Ihr dann auch auskramen, wenn meine Alte
mit Melken fertig ist; die hat schon die ganze Zeit lamentirt, daß sie
kein Band und keinen Zwirn und keine Nadeln und Kämme und Gott weiß was
hat; es ist in Ewigkeit kein Pedlar hier vorbeigekommen.«

»Glück muß der Mensch haben,« sagte Wald vergnügt, »da komm ich wieder
einmal gerade recht, und was die Frau braucht, steckt da Alles im Karren
d'rin.«

 [Illustration: Capitel 3]

»Ja, glaub's schon, wenn nur da im Hause drin auch Alles stäk' um damit
zu zahlen -- na, aber so viel wird schon da sein. Und nun Cathrine, wie
ist's mit dem Kranken drin?« wandte er sich dann an das junge Mädchen
das, indessen die Eltern im Felde arbeiteten, auf die Kinder hatte
Achtung geben müssen.

»Nun es geht wohl nicht gut Vater, er hat viel gestöhnt, ist aber vor
einer Stunde etwa eingeschlafen und liegt jetzt ruhig.«

»Habt Ihr Jemand krank in der Familie?« frug Wald, »ich habe kleine
Hausmittel bei mir, vielleicht kann ich da helfen.«

»Nein in der Familie nicht, Gott sei Dank,« sagte der Bauer, »aber ein
Landsmann, ein Bischen ein verkehrter Kauz, der ein paar Wochen bei mir
hier gewohnt, und hier versuchen wollte eine neue Erfindung zu machen,
ist dabei gefallen und hat das Bein gebrochen. Da nun kein Arzt in der
Umgegend zu haben ist, mußten wir es ihm selber zurechtrücken so gut es
gehen wollte, und das, fürcht' ich, wird wohl nicht zum Besten geschehn
sein. Wir können den armen Teufel aber nicht so verkommen lassen, und
ich will lieber morgen nach Vandalia hinunterreiten und einen Doktor
holen; es ist ein Bischen weit dazu, kann aber Nichts helfen.«

»Wie ist denn das gekommen?« frug Wald, »und _wo_ hat er das Bein
gebrochen?«

»Wo? -- da hinten von dem Baume herunter,« sagte der Bauer, »seht Ihr
die einzelne Eiche dort an der Prairie, an der die Balken lehnen?
-- dort drüben links.«

»Ja aber, was um Gottes Willen hatte er denn da oben zu thun?« frug Wald
erstaunt.

»Ih nun, er hat eine neue Erfindung gemacht -- er hat _fliegen_ wollen,
und das ist noch nicht recht gegangen.«

»Fliegen wollen, Gott der Gerechte, ich bin froh daß ich 'nen Karren
habe auf dem ich _fahren_ kann -- fliegen, und da ist er von oben
heruntergestürzt?«

»Wie ein Mehlsack -- er hatte sich so ein Gestell gemacht wie ein Drachen
etwa, aber ohne Bindfaden unten d'ran,« sagte der Bauer, »woran man
sonst so ein Ding hält, daß es nicht wegfliegt; das war aber hier auch
nicht nöthig, denn es kam gleich von selber herunter, und ich hätte gern
gelacht, wenn's nur dem armen Teufel dabei nicht so schlecht gegangen
wäre -- es ist auch ein Deutscher.«

»Hm, hm, hm,« sagte Wald, »was es doch für wunderliche Menschen auf der
Welt giebt, und macht er da ein Geschäft d'raus?«

»Nein, er ist eigentlich Cigarrenmacher --«

»Er heißt doch nicht Schultze?« rief Wald schnell.

»Schultze heißt er allerdings -- am Ende kennt Ihr ihn gar.«

»Du lieber Gott; wenn's der ist den ich meine, sind wir miteinander
über See herübergekommen, und er hatte da schon immer so einen kleinen
Sparren; wenn's ihm nur nicht gar am Ende im Oberstübchen fehlt. Kann
ich ihn einmal sehn?«

»Jetzt schläft er, wie die Cathrine sagt,« meinte der Bauer, »und da er
die ganze Zeit über Schmerzen gehabt hat, wird's wohl besser sein wir
lassen ihn ruhig liegen, bis er von selber aufwacht.«

»Und wie lange ist's her, daß er das Bein gebrochen?« frug der Pedlar.

»Heute gerade elf Tage,« sagte der Bauer.

»_Gerade_ elf, hm -- arme Teufel -- hat er denn Geld?«

»Nun ein Bischen was wohl,« meinte der Bauer achselzuckend, »er kam hier
durch, und die Gegend gefiel ihm hier für das was er machen wollte, wie
er sagte.«

»Er meinte, er könnte hier recht hübsch in der Prairie herumfliegen?«

»Wahrscheinlich so -- und er bot mir ein und einen halben Dollar
wöchentlich, wenn ich ihn ein paar Monate beköstigen wollte, bis er mit
seiner Arbeit fertig wäre. Nu ja, viel zu verdienen war da nicht dabei,
aber ein Bischen baar Geld thut auch gut, und da's ein Deutscher war,
und sonst ein ordentlicher Mann schien, sagten meine Alte und ich ja.
Jetzt liegt er nun freilich da, und wir haben die Sorge und Noth mit
ihm, können ihn aber nun auch nicht im Stich lassen, bis er wieder
gesund ist und sich selber helfen mag.«

»Das ist brav von Euch gehandelt,« sagte Wald, »hier in dem Amerika weiß
man nie wie Einer den Andern braucht; aber da kommt die Frau, nun kann
ich meine Sachen auspacken, daß wir noch fertig werden eh' die Sonne
unter ist; nachher wird's dunkel im Handumdrehen.«

»Guten Tag miteinander,« sagte die Frau zu dem Pedlar tretend, und ihm
die Hand reichend, »na das ist recht daß endlich einmal Einer von Euch
sich hierher verliert, wir haben lange darauf gewartet. Was habt Ihr
denn da in Euerem Karren drin?«

Wald säumte nicht seine Waaren anzupreisen, und die verschiedenen Kästen
und Schubfache herausziehend, legte er den Blicken der jetzt um ihn
herdrängenden Familie die Herrlichkeiten offen, die, aus den Städten des
Ostens hergeführt, die Herzen in den westlichen Prairieen entzücken
sollten.

Viel Geld hatten die Leute nun zwar nicht an derlei Gut zu wenden,
Manches aber wurde wirklich nothwendig gebraucht und _mußte_ geschafft
werden, und ging der Mann auch einmal in die ziemlich fern liegende
Stadt, konnte er's doch nie im Leben so aussuchen wie die Frau, und die
Pedlar bleiben deshalb auch immer den Frauen willkommene Gäste.

Eine Anzahl Kleinigkeiten war indessen ausgesucht und bezahlt worden,
und obgleich der Pedlar bat, die Frau möchte das Nachtquartier in Abzug
bringen, wollte diese doch davon Nichts hören. Sie hätten so Nichts
großes zu bieten, und für ein Nachtquartier dürften sie kein Geld
nehmen, das ginge nicht an -- »aber wie ist mir denn,« setzte sie hinzu,
den Pedlar dabei immer schärfer und aufmerksamer ansehend, »ich dächte
doch, wir hätten einander schon einmal gesehn?«

»Wär wohl möglich,« lachte Wald, »ich zieh' nun schon ein paar Jahr lang
die Kreuz und Queer im Lande herum -- hierher bin ich aber doch noch
nicht gekommen.«

»Es war auch nicht hier,« sagte die Frau, ihn immer stärker in's Auge
fassend, »es war unten noch am Wasser, gleich wie wir ankamen -- Jesus,
Heinrich, sieh mal, ist das nicht der Mann, der mir den halben Dollar
gab, den Kindern Milch dafür zu kaufen?«

»Seid _Ihr_ die Leute, die da unten in New-Orleans an der Levée saßen
und kein Brod und keine Arbeit hatten?« frug aber nun Wald seinerseits
wirklich erstaunt, »alle Wetter, dann habt Ihr Euch aber tüchtig
herausgearbeitet in der kurzen Zeit.«

»Siehst Du's, er ist's,« rief aber die Frau, rasch und herzlich Wald's
Hand ergreifend, »wenn nur ein Mensch wüßt' wie ich mich danach gesehnt
habe Euch wieder zu sehn, und Euch danken zu können.«

»Ah, papperlapapp,« sagte Wald, abwehrend, »macht kein Aufhebens von der
Läpperei -- ich wollt' ich hätt' mehr thun können.«

»Ich glaub's Euch,« sagte der Mann jetzt auch, dem Juden die Hand
reichend und derb drückend, »Ihr habt das Herz auf dem rechten Fleck,
gerade wo's hingehört.«

»Ihr wißt aber gar nicht wie Ihr uns damals geholfen habt,« sagte, mit
Thränen in den Augen, die Frau, als sie an die schwere Zeit zurückdachte,
»wir anderen hätten uns helfen können, aber das Kleinste schrie nach
Milch, und ich hatte keinen Tropfen mehr für das arme Würmchen. Seht
jetzt den Jungen an, was für ein kräftiger Bengel das geworden ist;
wer weiß ob er sich jetzt dort so herumtummelte, wenn Ihr uns nicht
damals beigestanden. Lieber allmächtiger Gott, Du magst mir die Sünde
verzeihen, aber ich wäre lieber mit ihm in's Wasser gesprungen wie
nicht, so weh, so traurig war mir um's Herz, weil sich so gar Niemand
um uns kümmerte, und es _allen_ Menschen eben ganz gleichgültig zu
sein schien, ob wir da am Flußufer verdarben oder nicht. Euer Geschenk
brachte mir zuerst wieder, _mit_ der Hülfe, Hoffnung in's Herz, und von
dem Augenblick auch an schien's beinah, als ob es hätte besser werden
sollen.«

»Auf gefundenem Gelde ruht ein Segen,« lächelte Wald.

»Ich glaub's Euch nicht, daß Ihr es gefunden habt,« sagte die Frau, ihn
scharf ansehend.

»Und mir hat's seit der Zeit immer schwer auf der Seele gelegen, Geld
genommen zu haben, was ich nicht _verdient_ hatte,« sagte der Mann, »es
war das erste Mal gewesen, und Gott sei Dank, daß wir jetzt im Stande
sind es mit tausend Dank zurückzuzahlen.«

»Wie heißt zurückzahlen,« sagte Wald halb verlegen, halb lachend, »hab'
ich's mir doch schon selber wieder geholt -- zurückzahlen, was sagen Sie
zu _dem_ Mann; hab' mit ihm um sieben Dollar Geschäfte gemacht, und
werde den halben nicht dabei haben.«

Wald war in der That auf keine Weise zu bewegen etwas, was er für einen
Nebenmenschen gethan, »bezahlt zu nehmen«, und der Bauer mußte ihm
jetzt erzählen wie es ihm hier so schnell geglückt. Ohne Mittel auf's
gerathewohl hin, und einen Theil seiner Sachen verkaufend nur die
Passage zu zahlen, war dieser mit seiner Familie nach Illinois gekommen
und hatte da ein kleines Stück Land zuerst gepachtet. Die Erndte, von
der er einen Theil abgeben mußte, war trefflich gerathen, und so langsam
fortarbeitend hatte er jetzt den kleinen Platz, mit der Zeit ihn in den
nächsten Jahren langsam abzuzahlen, käuflich übernommen.

Wie sie noch so zusammen plauderten, und der Bauer nicht müde wurde dem
Krämer von den Vorzügen des Landes zu erzählen, kam noch ein Reiter die
Straße nieder die zum Hause führte, und hielt neben der Gruppe.

»Hallo Wald! so fleißig und eifrig im Geschäft, hier mitten in der
Prairie?« rief diesen da die freundliche Stimme Georg Donners an.

»Herr Donner, wahrhaftig!« sagte aber auch Wald, ihm die Hand auf das
Pferd entgegenstreckend, »woher des Wegs?«

»Vom Norden herunter -- guten Abend Ihr Leute, wie weit ist's noch bis
zum nächsten Haus dahinein zu?«

»Nach der Richtung hin liegt keins,« sagte der Mann, »bis Ihr nicht zum
nächsten Waldstreifen kommt, und der ist sieben englische Meilen von
hier entfernt. -- Dort wohnen Irische, aber eben kein freundliches Volk,
und je weniger man mit ihnen verkehrt, desto besser.«

»Ja, ich bäte Euch gern, Leute, ob Ihr mich die Nacht hier behalten
wolltet,« sagte Georg, »aber Ihr habt schon Besuch, und in dem Häuschen
möcht' ich Euch auch nicht gern beschränken.«

»Das thut Nichts,« sagte die Frau freundlich, »wir müssen uns
eben einrichten, und dürfen schon einen Landsmann nicht dicht vor
Sonnenuntergang von der Thür weisen.«

»Ja und _den_ schon gar nicht,« rief Wald rasch, »denn erstens ist er
ein braver Kerl, und zweitens ein _Doktor_!«

»Ein Doktor?« riefen die beiden Leute rasch, »ja das wär schon recht!«

»Ist Jemand krank hier bei Euch?« frug Georg.

»Ein Schiffskamerad von uns Beiden, die Nachtigall, Herr Donner, von der
Haidschnucke hat das Bein gebrochen, und liegt im Haus drin schon elf
Tage ohne ärztliche Hülfe.«

»Aber so steigen Sie doch nur ab,« bat der Mann.

»Du lieber Gott,« sagte Georg, aus dem Sattel springend, und den Zaum
über einen Zweig des nächsten Baumes werfend, »da ist's ja doch die
höchste Zeit daß irgend etwas für den armen Mann geschieht.«

»Aber er schläft jetzt,« sagte das älteste Kind, »ich habe deshalb die
Kleinen aus dem Haus genommen, weil er so lange schon keine ordentliche
Ruhe gehabt hat.«

»Ich will ihn nicht stören,« sagte Georg, »nur wenn er wacht geh' ich zu
ihm; aber ich möchte ihn wenigstens sehn -- liegt er in diesem Haus?«

»Gleich links am Kamin auf dem kleinen Bett.«

Georg schlich auf den Zehen in's Haus, aber wie er nur über die Schwelle
trat, hörte ihn der Kranke, drehte den Kopf nach ihm um, und streckte
ihm dann rasch und freudig die bleiche abgemagerte, zitternde Hand
entgegen.

»Donner, Sie sendet mir Gott selber, und von jetzt glaub' ich an
Wunder!« sagte er, und die Stimme klang hohl und matt; »guter Himmel,
was habe ich ausgestanden -- wie führt Sie denn jetzt mein Schutzgeist
her zu _mir_?«

Georg ließ sich aber auf keine weiteren Erklärungen und
Auseinandersetzungen ein, bis er nicht den Bruch untersucht hatte. Viel
war dabei schon in der langen Zeit, in der er uneingerichtet gelegen
hatte, verloren, und das rechte Schienbein, das bei dem Sturze, wie es
schien, schräg abgebrochen, noch ziemlich stark geschwollen. Er gab aber
die Hoffnung nicht auf noch Alles gut werden zu sehn, ging vor allen
Dingen mit der Axt hinaus an den kleinen Fluß, sich selber die passenden
Rindenstücken zu Schienen abzuschlagen, und richtete den Bruch erst
ordentlich ein, schiente und band ihn, und stellte dann mit Walds Hülfe,
der Manches dazu in seinem Karren mit sich führte, eine Art Schwinge
her, in der sie das Bein frei schwebend hängen konnten, was dem Kranken
große Erleichterung gab, und ein wieder Verschieben des Knochens
verhinderte.

Indessen war es dunkel geworden, der Mann hatte die beiden Pferde seiner
Gäste in einen Verschlag gebracht und ihnen dort Mais eingeschüttet,
die Frau kochte emsig am Kamin das Abendbrod für ihre gern bewirtheten
Gäste, und Schultze mußte nun Georg und Wald, dem er ebenfalls herzlich
die Hand geschüttelt, erzählen, wie er zu dem unglückseligen Sturz
gekommen. -- Georg Donner hatte nämlich noch gar keine Ahnung, was er
hier für Unsinn getrieben.

»Wie, um Gottes Willen kamen Sie zu dem Bruch, lieber Schultze,« frug er
ihn, als er neben dem Bette saß und seine Hand dabei dem kleinen jetzt
überglücklichen Mann, der sich schon der schwärzesten Verzweiflung
hingegeben, überließ.

»Der Schwanz war zu kurz, lieber Herr Donner, ich hab' es mir gleich
gedacht; aber es hatte wahrhaftig keinen andern Grund, der Schwanz war
um dritthalb Fuß zu kurz.«

»Aber von was in aller Welt reden Sie denn?« rief Georg, auf's Äußerste
erstaunt.

»Nun von meinem Drachen -- ich sage Ihnen Herr Donner, wenn ich den
unglückseligen Fall nicht gethan hätte, flög ich jetzt im ganzen Lande
umher. Ich habe das Geheimniß gefunden, das uns wieder zu unserer alten
verlorenen Eigenschaft verhelfen soll.«

»Aber bester Herr Schultze, was machen Sie für Streiche,« lachte Georg,
als ihm ihr Wirth jetzt ebenfalls mit kurzen Worten die ganze Geschichte
erklärt hatte, wie sich Herr Schultze mit unendlicher Mühe aus Schilf
und Rohrwerk und Seide ein breites Gestell gebaut, dieses dann oben an
dem Baum befestigte, und bei einer frischen Brise endlich, wo sich die
Fläche von selber an zu heben fing, oben darauf gestiegen wäre und die
Seile durchgeschnitten hätte, wonach der Drache, oder wie es sonst
heißen möchte, auf der einen Seite übergekippt wäre, Herrn Schultze
heruntergeworfen, und sich selber im nächsten Baume wieder gefangen
hätte.

»Was ich für Streiche mache, bester Donner?« rief aber Schultze, »ich
schlage mein Leben für die Wissenschaft in die Schanze, _das_ mache ich.
Meine feste, innige Überzeugung ruht auf dem System, und ich weiß, daß
ich es durchsetze; was liegt daran, ob ich später noch einmal ein oder
beide Beine breche, ich werde doch in meinem Leben nur noch sehr wenig
gehn, denn nicht allein bin ich dahinter gekommen wie die Flug_kraft_
am Besten herzustellen ist, nein ich bin auch im Stande, mein später
vervollkommtes Luftschiff in eine höhere oder tiefere Luftschicht zu
lenken und es dort zu _steuern_ -- was sagen Sie nun, Freundchen?«

»Daß Sie, sobald Ihr _Bein_ wieder geheilt ist, mit _diesen_ Ideen
nächstens den _Hals_ brechen werden,« erwiederte Georg achselzuckend;
»was aber um des Himmels Willen hat Sie auf diese unglückselige, brodlose
Idee gebracht? -- was wollen Sie damit bezwecken, was _hilft_ es Ihnen,
wenn Sie wirklich eine Strecke durch die Luft fliegen und mit
unzerbrochenen, unverrenkten Gliedern wieder auf Gottes Erdboden
kommen?«

»Das kann ich Ihnen nicht so auseinandersetzen, mein junger Freund,«
sagte aber Schultze, ernst und recht wehmüthig dabei mit dem Kopfe
schüttelnd, »das ist das Ziel, die Aufgabe meines Lebens, für die mich
Gott eigends geboren und in die Welt gesetzt. Ich fühle das auch in mir,
ja was noch mehr ist, ich fühle daß ich es durchsetzen werde, daß ich
bestimmt bin, der Menschheit eine neue Ära zu gründen, oder vielmehr
unsere jetzige Bahn zu dem alten Punkt zurückzuführen. Die Kraft und
Eigenschaft, die wir einst besessen, haben wir nicht _verloren_, sondern
nur auf eine Zeitlang _vergessen_. Es ist das Ei des Columbus; wenn
gefunden, wird die ganze Welt schreien: »ja das ist gar Nichts -- wenn
wir das _so_ gemacht hätten, hätten wir's auch gekonnt.« Die Sache ist
aber die, sie haben's nicht _so_ gemacht, und Schultzes Name, mein
lieber Freund, Benjamin Schultze wird unsterblich werden.«

»Wenigstens bald zu den Unsterblichen gehören, wenn Sie in der Art
fortfahren,« lächelte Georg. »Ich will eine mögliche Ausführbarkeit der
Luftschifffahrt gar nicht etwa bestreiten; es sind in den letzten Jahren
andere Sachen möglich gemacht, die wir früher für eben so unmöglich
gehalten; aber ich fürchte, lieber Schultze, Sie haben das Zeug nicht
dazu etwas derartiges durchzuführen. Ihnen stehen keine bedeutende
Mittel zu Gebote, Sie haben auch, so viel ich weiß, keine mechanischen
Kenntnisse, Sie in der Ausführung eines solchen Plans zu unterstützen,
und der gute Willen genügt dazu nicht. Dieser Sturz sollte Ihnen deshalb
eine Warnung sein; Sie kommen dießmal noch hoffentlich mit ein paar
Monate Hinken davon -- daß es nicht später schlimmer wird.«

Wald mußte jetzt erzählen, was er bis dahin getrieben, und that das mit
dem ihm eigenen, drolligen Humor. Er war mit etwa zwanzig Spanischen
Dollarn in der Tasche an Land gekommen und hatte dort gleich, nach
dem Beispiel seiner Glaubensgenossen, einen kleinen Handel mit Band,
Litzen, Nadeln etc., etc., etc. angefangen. Den war er bald im Stande
zu vermehren und kaufte jetzt, anstatt ein theueres Haus in der Stadt,
das er nicht hätte bezahlen können, und wo das Standgeld allein seinen
Nutzen halb aufgezehrt haben würde, ein kleines altes Flatboot an der
Landung, das er dort ruhig auf dem Schlamm liegen ließ, und zu einem
Laden herrichtete. Er mußte dort natürlich viel von den Mosquitos sowohl,
als dem schauerlichen Dunst der benachbarten Boote leiden, aber er
verdiente Geld, und blieb da so lange, bis er im Stande war, sich eine
ordentliche Quantität Waaren mit Wagen und Pferd zu kaufen, mit denen er
dann von New-Orleans fort zu Lande am Mississippi hinaufzog, bis ihn die
Fieberzeit dort wieder vertrieb, und er an Bord eines Dampfschiffes
ging, sich in Cincinnati mit seinem Karren an Land setzen zu lassen. Von
dort aus hatte er Indiana ziemlich durchstreift, vortreffliche Geschäfte
gemacht, und große Lust wieder dorthin zurückzukehren, und vielleicht
erst zum Spätherbst nach Illinois zu kommen, da die Fliegen den Tag über
das Pferd so belästigten, und Nachtreisen ihm bei seinem Geschäft doch
nichts nützen konnten.

»Durch Indiana?« -- Georg fühlte wie sein Herz stärker an zu klopfen
fing, denn er dachte der Möglichkeit, der Krämer könne auch Lobensteins
besucht haben, von denen er über ein Jahr auch nicht die geringste Kunde
gehabt. Wald ließ ihn aber auch darüber nicht lange in Zweifel, und fing
an aus freien Stücken die ihrer früheren Reisegefährten aufzuzählen, die
er auf seinen Wanderungen angetroffen.

Die ersten waren zwei von den drei Passagieren, die von dem Leuchtschiff
zu ihnen an Bord gekommen, die beiden dem Zuchthaus wahrscheinlich
entnommenen jungen Verbrecher, die ihre alte Gewohnheit hier nicht hatten
verleugnen können oder wollen, und bei einem Pferdediebstahl erwischt
waren. Die Eigenthümer schienen Lust gehabt zu haben sie gleich an Ort
und Stelle zu hängen, aber der Sheriff legte sich zu ihrem Glück noch
in's Mittel, und sie wurden (Wald kam gerade dazu sie abführen zu
sehen), nachdem die dortigen Ansiedler ihnen wenigstens erst eine
tüchtige Tracht Schläge mit einem schwanken Hickory verabreicht, in das
Staatsgefängniß abgeliefert.

Dann hatte er ein paar von _seinen_ Landsleuten, auch
Zwischendeckspassagiere der Haidschnucke, im Lande, und ebenfalls als
Krämer oder Händler angetroffen. Löwenhaupt war Eigenthümer eines
Kleiderladens am Wasser unten, in Cincinnati, wollte sich aber von
seiner Frau scheiden lassen, weil sie ihn mishandelte. Rechheimer war
ebenfalls Pedlar geworden und die beiden Rechheimer Mädchen hatten sich,
die eine in Cincinnati, die andere in Vincennes, an ziemlich wohlhabende
Leute verheirathet.

Der Polnische Jude mit seiner Holzharmonika war wieder nach New-Orleans
zurückgegangen, der Knabe aber so krank geworden, daß er nicht mehr
singen konnte -- und erst ganz kürzlich -- vor ein paar Tagen nur
-- hatte er ein ganzes Nest von Haidschnucken-Passagieren auf einer Farm
unweit Grahamstown in Indiana getroffen.

»Und wie geht es Lobensteins?« rief Georg rasch.

»Sie kennen den Platz?«

»Ich habe dort gearbeitet,« erwiederte Georg ausweichend.

»Thut mir leid um die Leute,« sagte Wald.

»Wie so? -- was ist mit ihnen?« frug Georg rasch.

»Nun, daß es ihnen so schlecht geht.«

»Ist Jemand krank?«

»Nicht daß ich wüßte -- nur so, meine ich.«

»Aber der Professor hat doch die Farm?«

»_Hatte_ sie,« sagte Wald.

»Er hat sie verkauft?« rief Georg, rasch und erschreckt.

»Noch nicht,« meinte der Pedlar, »doch heute oder morgen wird's wohl
dran gehn. Wie ich dort vorbei kam war's dicht daran.«

»Aber wie ist das möglich,« sagte Georg, »die Erndte ist doch gewiß
dort wie hier gut ausgefallen, die Verbesserungen, die er auf der Farm
gemacht, müssen ihm wenigstens _etwas_ eingetragen haben, und so war der
Platz doch nicht verschuldet, ein solches Ende so rasch herbeizuführen.«

»Wie die Geschichte ganz genau ist, weiß ich nicht,« sagte Wald, »so
viel aber ist gewiß, daß der Professor Vieh und manches Andere verkaufen
mußte, dem Weber, der sich bei ihm mit seiner Familie verdingt hatte,
seinen Jahrlohn zu geben. Außerdem hat er Unglück gehabt mit dem
einzigen Sohn, der sich auf der Jagd eine Ladung Schroth durch den Leib
geschossen.«

»Großer Gott, Eduard,« rief Georg, entsetzt von seinem Sitz aufspringend.

»Wie ich die Sache hörte,« fuhr Wald fort, »war der junge Mann mit einem
andern unserer Zwischendeckspassagiere -- dem langhaarigen Burschen, der
immer die Verse an Bord machte -- auf die Jagd gegangen, und weiß der
liebe Gott, was die beiden jungen Leute zusammen angefangen, aber der
junge Lobenstein, Eduard hieß er, glaub' ich, schoß sich, wie jener
Versemacher sagte, beim über einen Graben springen durch den Leib, und
starb ein paar Stunden darauf unter den furchtbarsten Schmerzen.«

»Das ist ja entsetzlich,« stöhnte Georg.

»Nicht so, als der Mensch vielleicht denken möchte,« meinte Wald ruhig,
»denn wie mir der Weber erzählte, war der junge Bengel zum Arbeiten nie
etwas nutz gewesen, und durch den Fall wurden sie auch, als reinen Gewinn,
den Literaten los, der sich auf dem ersten Dampfboot wieder nach
New-Orleans einschiffte.«

»Aber wie um Gottes Willen konnte er so zurückkommen, _gezwungen_ zu
werden seine Farm verkaufen zu müssen?« frug Georg.

»Wie? -- einfach genug,« meinte der Pedlar, »ich habe weitläufig darüber
mit dem Weber, einem ordentlichen, braven Menschen gesprochen, der die
Sache schon lange hat kommen sehn, aber Nichts ausrichten konnte gegen
den Starrkopf des Professors. Anstatt sein Feld ordentlich mit Mais oder
Waizen zu bepflanzen, Produkte, von denen er wußte, daß er sie wieder in
baar Geld verwandeln konnte, machte er Experimente, baute in eine Ecke
Runkelrüben und in die andere Ölsaat, verschwendete dabei ein Capital an
Arbeitslohn, für eine Bande müssiger, ungeschickter Gesellen, die ihren
Nutzen dabei fanden ihn in dem Glauben zu bestärken er könne Mühlen und
Gott weiß was sonst noch, bauen. Die Leute wollten dann allwöchentlich
ausgezahlt sein, und was nicht mehr länger verborgen bleiben konnte, kam
an's Tageslicht. Mit einem recht großen, tüchtigen Capital hätte der
Mann vielleicht Manches erreichen können, so aber reichten seine Mittel
nicht aus; Mühlen, Zuckerpressen, Backsteinmaschinen, Alles was er zu
gleicher Zeit begann, und was in einigen Jahren, wenn richtig geleitet,
gewiß einen hübschen Profit abgeworfen hätte, blieb mitten in der Arbeit
stehn, und zehrte, anstatt zu helfen, mit an dem übrigen Capital.«

»Und ist der Weber noch bei ihm?« frug Georg.

»Oh Gott bewahre,« sagte Wald, kopfschüttelnd, »der Professor hat ihn
bei Heller und Pfennig ausgezahlt, was er ihm und seiner Familie für
die Jahresarbeit schuldete, und seinen Contrakt ehrlich gehalten, damit
aber auch, wie es scheint, seine eigenen Kräfte total erschöpft, und
Brockfeld sitzt jetzt, etwa zwei Meilen diesseit von Lobensteins Farm,
auf einem eigenen Stück Land, in einem eigenen freundlichen Häuschen,
und es geht ihm und den Kindern und der alten Mutter _recht_ gut.«

»Wie weit ist es bis dorthin?« frug Georg, fast unwillkürlich dabei von
seinem Stuhle aufspringend.

»Nun heute Abend kommen Sie nicht mehr hin,« lachte Wald, »wenn Sie aber
ordentlich zureiten, mögen Sie in vier Tagen den Platz erreichen -- Sie
wissen ja wohl wo er liegt.«

»Ach wenn Sie nur noch eine ganz kurze Zeit bei mir bleiben könnten,
bester Donner,« seufzte Schultze wehmüthig vor sich hin, »wie soll es
denn werden, wenn Sie fortgehn?«

Georg beruhigte ihn übrigens hierüber, und versprach ihm, heute Abend
noch seine beiden Wirthsleute und Pfleger so zu unterrichten, daß sie
den jetzt gut eingerichteten und fest und sicher geschienten Bruch auch
allein behandeln könnten. Ruhe war das Einzige was er brauchte, und das
Hauptsächlichste dann nahrhafte Speisen, die sich die Leute nicht
getraut hatten ihm zu geben, damit sich sein Körper, was er so sehr
bedurfte, wieder kräftige und stärke. Sei es ihm möglich, wolle er
selber noch einmal in vierzehn Tagen etwa hierher zurückkehren.




Capitel 4.

Georg und Marie.


Vier Tage später mit Sonnenuntergang erreichte Georg nach scharfem Ritt,
auf dem er sein Pferd nicht geschont, »Brockfelds Farm,« erfuhr aber hier,
wo man ihn auf das Herzlichste begrüßte, nur die Bestätigung dessen, was
ihm Wald schon in Illinois gesagt, daß es mit den Vermögensumständen
des Professors _recht_ traurig stehe, dieser nicht im Stande sei, seine
letzte Zahlung an den Wirth in Grahamstown, von dem er die Farm gekauft,
zu machen, und gesonnen sei, sie am nächsten Montag -- der erste
im Monat September, wo Gerichtssitzung in Hollowfield wäre -- zu
verauktioniren, wenn er sich nicht vorher mit dem Wirth selber über die
Rücknahme des Platzes einigen könnte. Dieser aber wollte jetzt freilich
nur entsetzlich wenig dafür geben, weil er behauptete, die Aussichten
für die Lage desselben hätten sich allerdings, und ganz wider Erwarten,
sehr verschlechtert. Noch immer war keine Hoffnung eine Eisenbahn
hierherzubringen, indeß die Cincinnati-Bahn schon beendet worden, und
was sollte er nun mit einer mitten im Wald liegenden Farm anfangen?

Der Professor mochte jetzt wohl recht gut einsehn, daß er damals von dem
schlauen Wirth bei seinem Ankauf betrogen worden, und sich bös damit
übereilt habe; war das aber nicht seine eigene Schuld? Anstatt, wenn er
selber darin nicht Zeit gehabt Erfahrungen zu sammeln, wenigstens einen
unpartheiischen Sachkundigen dazuzunehmen, der die Verhältnisse des
Landes kannte, war er mit den beiden Deutschen hinübergeritten die,
so gut sie es mit ihm selber meinen mochten, doch nur im Stande sein
konnten einen _deutschen_ Maasstab an das Land zu legen; von allem
Anderen verstanden sie Nichts, und der pfiffige Amerikaner hatte nicht
gesäumt das zu benutzen.

Die Summe, die der Professor dem Wirth in Grahamstown noch schuldete,
kannte der Weber nicht, und Georg hätte das Herz brechen mögen vor Weh
und Schmerz, wenn er der Zukunft dachte, der jetzt die Frauen
entgegensahen.

Dem Weber ging es indeß recht gut hier auf seinem neuen Platz; er hatte
Zeit gehabt sich die Umgegend genau anzuschauen, und nach allen Seiten
hin etwa die Preise der verschiedenen Plätze zu erfahren. Dies kleine
#improvement# mit vierzig Acker vom Staat gekauften und fünf Acker
darunter urbar gemachtem Landes war da, durch das plötzliche Fortziehn
des Eigenthümers, unter dem Werth gegen baar Geld zu verkaufen gewesen;
die Gelegenheit hatte er benutzt, und befand sich wohl dabei. Die Leute
waren auch unendlich fleißig, griffen _Alle_ zu, und arbeiteten von früh
bis spät, sich ihre neue Heimath nicht allein wohnlich, sondern auch
einträglich zu machen. Der Viehstand besserte sich dabei ebenfalls, und
die Aussicht war da, daß sich ihr Vermögen von Jahr zu Jahr vermehren,
nicht zurückgehen werde, und sie ihre Auswanderung aus der Heimath, so
weh ihnen die im Anfang auch gethan, nicht zu bereuen brauchten. Auch
die alte Mutter, die noch am längsten an der Heimath gehangen, und
doch immer heimlich gestöhnt und geklagt, so gut es ihren Kindern auch
ging, und so sorglos sie in's Leben sehen durften, hatte sich endlich
hineingefunden in die neue Welt. Freilich, so warm und freundlich schien
die Sonne doch hier nicht wie in Deutschland, so kühl war der Schatten,
so lau die Luft nicht im Frühling, die Blumen rochen nicht so gut, die
Vögel sangen nicht so lieb, der Himmel war nicht so blau, die Wiese
nicht so grün, das Wasser nicht so süß, und einen Vergleich mit
Deutschland hielt »das Amerika« lange nicht aus. Aber -- sie mußte doch
zuletzt einsehn, daß es ihren Kindern gut hier ging; in Deutschland
hatten sie ihr Schwein verkaufen müssen, Steuern davon zu zahlen, hier
hielten sie schon vier Kühe und so viel Dutzend Schweine, wie sie zu
Hause Stück gehabt, und Hühner und Gänse daneben, hatten zwanzig Mal so
viel Land wie daheim, und wenn das Haus auch noch nicht so warm und
bequem war, der nächste Sommer würde das schon bessern. So saß sie denn
jetzt auch wieder wie vordem in ihrer Ecke im Haus, oder bei schönem
Wetter unter einem breitästigen Eichbaum vor der Thür im Schatten, wo
ihr der Sohn ein großes freundliches Asterbeet angelegt, ihre Augen an
dem Glanz der Herbstblumen zu letzen. So, mit dem Spinnrad vor sich,
wenn sie auch nur wenig spann, und das mehr aus alter Gewohnheit bei ihr
stand, legte sie oft die Hände in den Schooß und schaute schweigend und
still befriedigt die neben ihr spielenden Enkel an, die sich munter auf
dem Platz da umher tummelten, und amerikanischen Boden gerade so passend
zu ihren Spielen fanden, wie deutschen.

Georg hatte aber keine Ruhe hier -- ihn drängte es mehr von dem Schicksal
einer Familie zu hören, deren Wohl ihm warm am Herzen lag, und mit
Tagesanbruch am anderen Morgen sattelte er sein Pferd, nahm freundlichen
Abschied von den Leuten, die ihn noch Alle gern vom Schiff und von der
Farm her hatten, und ritt in scharfem Trabe, Lobensteins Farm für jetzt
umgehend, dem kleinen Grahamstown zu, dort erst vor allen Dingen mit dem
Gläubiger des Professors zu sprechen, und zu sehen wie tief dieser
eigentlich in Schulden stecke.

Etwa um zehn Uhr Morgens erreichte er den kleinen Platz, der noch gerade
so still und öde lag wie vor zwei Jahren, ja eher noch stiller, noch
verlassener, denn drei oder vier damals gebaute Häuser waren wirklich
von ihren Eigenthümern, da alle die großen Verheißungen nicht wahr
geworden, im Stich gelassen, und gaben dem Ort noch mehr ein wüstes,
trauriges Aussehn. Auch Ezra Ludkins hatte Lust auszuverkaufen, und
zu dem Zweck einen großen Anschlag unter seine Seejungfer befestigt,
welchem zufolge ihn dringende Familienverhältnisse nach Texas riefen,
und er Haus und Geschäft unter dem Werth losschlagen wolle. Es fand sich
aber kein Käufer, und Wind und Wetter bekamen es endlich satt, das
Papier da nutzlos hängen zu sehn, und rissen es herunter.

Ezra Ludkins war übrigens zu Hause, hatte auch freie Zeit genug, denn er
schien der einzige Gast seines ganzen Hauses, das leer und öde stand und
mit den nackten Wänden und unbesetzten Tischen recht gut zu der ganzen
kleinen Stadt paßte, deren erstes Gebäude es gewesen.

Amerika bietet viel solcher Beispiele; wo sich die Wahl für den Bau
einer Stadt als eine glückliche erwiesen, strömt die Bevölkerung ihr in
Masse zu, und einzelne Beispiele wie Cincinnati, Milwaukie, Buffalo
und hundert andere zeigen, welche Lebenskraft in dem Fall in dem
Volke liegt. Wo das aber nicht der Fall war, wo die Möglichkeit oder
Zweckmäßigkeit der Verbindungswege falsch berechnet worden, oder, wenn
die Stadt dicht am Ufer des Flusses lag, dieser vielleicht zufällig
den Grund zu versanden anfing, wenn auch für jetzt noch Wasser für die
größten Boote blieb, da war es vorbei mit der _Stadt_; nicht allein
keine neuen Ansiedler ließen sich dort nieder, nein auch die, die schon
ein Grundstück gekauft, und viele Hoffnungen früher auf den Platz
gesetzt hatten, suchten das so rasch als möglich wieder loszuwerden, und
ließen es lieber ganz im Stich, ehe sie weiter noch Geld und Zeit darauf
verwandt hätten ihr Glück hier zu versuchen; es gab andere Gelegenheit
dazu im weiten Land.

Ezra Ludkins schien aber nichtsdestoweniger kaum geneigt, dem jungen Mann
den Stand der Verhältnisse zwischen ihm und dem Professor, auseinander
zu setzen; er mochte wohl Hoffnung haben, die für diese Gegend kostbaren
Meublen, wie die andern mitgebrachten Sachen, auf eine Auktion geworfen
zu sehn, und dann im Stande zu sein billig genug zu kaufen, da hier
Niemand Anders fast Gebrauch für solche Gegenstände hatte. Nur erst, als
Georg in ihn drang, und fest darauf bestand, er sei von dem Professor
selber abgeschickt worden, die noch bestehenden Rechnungen nachzusehn,
und so weit das möglich wäre, zu ordnen, entschloß er sich dazu sein
Buch herbeizuholen, und brachte eine Forderung an den Professor von
einhundert und dreißig Dollar.

»Aber das Andere, was auf dem Haus noch steht,« drängte Georg.

»Nun das ist _das_ hier,« sagte Ludkins mürrisch, »hol' der Henker einen
solchen Handel, denn wenn ich gewußt hätte, daß ich so lange auf mein
Geld warten mußte, wär's mir nicht eingefallen den Platz zu verkaufen
-- ich hätte zehn andere Käufer gehabt die das Geld baar niederzahlten.
Baar Geld ist stets noch einmal so viel werth, wie die beste Note.«

»Wieviel ist aber die _ganze_ Summe, die Ihnen der Professor schuldig
ist?« frug Georg, jetzt ebenfalls ungeduldig werdend, »wenn Sie in
solcher Eile sind, antworten Sie mir wenigstens einfach auf meine
Frage.«

»Nun die Antwort habe ich Dir auch einfach genug gegeben,« brummte
der Pensylvanier -- »wenn Du kein Deutsch verstehst, kann ich's nicht
helfen -- hundert und dreißig Dollar.«

»Und das ist Alles?« rief Georg, wirklich kaum im Stande sein Erstaunen
zu verbergen.

»Das ist Alles, wenn er's nur zahlt,« sagte der Pensylvanier.

»Und an den früheren Eigenthümer der Farm hat er keine Verpflichtungen
weiter?« frug der junge Mann noch einmal vorsichtig.

»Der bin ich; mein Junge hatte sie nur dem Namen nach; -- für hundert
und dreißig Dollar kann er meinetwegen dort wohnen bleiben, und alle
seine wahnsinnigen Experimente durchführen nach Herzenslust.«

»Sein Sie so gut und schreiben Sie mir die Quittung,« sagte Georg ruhig.

»Für die ganze Summe?«

»Ja -- bis auf den heutigen Tag für Alles was Ihnen Mr. Lobenstein noch
schuldet.«

»Das soll schnell genug geschehen sein,« brummte der Pensylvanier, ging
hinter seine #bar#, wo Dinte und Feder stand, und schrieb die Quittung
aus. Georg nahm indessen aus seinem Taschenbuch die Summe in guten
Indiana-Banknoten, die der Wirth jedoch erst höchst aufmerksam und
sorgfältig nachsah, endlich für richtig befand und den verlangten Schein
dem jungen Mann aushändigte. Eine Viertelstunde später saß Georg wieder
im Sattel, und galopirte rasch und mit einem recht freudigen Gefühl in
der Brust, den schmalen, schattigen Weg hinauf, der nach der »deutschen
Farm« führte.

Wie hatte sich der Platz verändert, seit dem letzten Jahre; das
fröhliche regsame Leben was dort geherrscht, war verschwunden, das Haus,
in dem die Weberfamilie mit den Arbeitern gelebt, stand ganz leer, von
dem munter blökenden Vieh, das die Fenzen sonst umgeben, war fast
Nichts mehr übrig geblieben -- eine einzige Kuh und ein paar Schweine
ausgenommen -- da mit dessen Verkauf die nöthigsten Ausgaben hatten
gedeckt, die dringendsten Schulden bezahlt werden müssen, und der Platz
selber verrieth nur zu deutlich, wie keine ordnende Männerhand mehr ihm
vorstehe, selbst nur ihn so in Stand zu halten wie er war.

Über die Fenz lagen ein paar der im Feld noch gelassenen alten
abgetrockneten Bäume umgestürzt, und die niedergebrochenen Riegel, mit
den unausgefüllten Lücken, verschwanden schon allmählich in dem Unkraut,
das über sie emporwucherte. Der Mais war gereift, aber noch zum Theil
-- was nicht hatte verkauft werden müssen -- im Felde gelassen, und die
nicht umgebrochenen Kolben, von Spechten und Krähen angepickt, begannen
anzufaulen. Der kleine Garten hinter dem Haus sah ebenfalls wüst und von
Unkraut überwuchert aus; die Frauen hatten nicht Zeit mehr gehabt, vor
dringenderen Arbeiten, die Blumen zu pflegen, die sie im Anfang gesäet,
und nur die paar Gemüsebeete, für das Nothwendigste was sie im Hause
brauchten, waren rein vom Unkraute gehalten, daß die Sonne es bescheinen
konnte. Selbst über den Weg hinüber lag ein umgestürzter Baum, und der
Pfad, den sich die Bewohner darum hingemacht, bewieß, wie er schon
längere Zeit gefallen sein mußte, ohne daß sich irgend Jemand die Mühe
genommen, ihn hinwegzuräumen.

Es mochte Mittagszeit sein, als Georg den Platz erreichte; kein
menschliches Wesen war aber in dem breiten Hofraum zu sehn; nur der
aus dem Haus selber aufsteigende dünne Rauch, wie ein paar einzelne
scharrende Hühner, verriethen, daß der Ort bewohnt, und nicht ganz
verlassen sei, und mit klopfendem Herzen ritt er über die niedergeworfenen
Stangen der Einfriedigung hinweg bis fast an das Haus hinan, band dort
sein Pferd an und -- zögerte wieder, ob er den Fuß vorwärts setzen und
die Schwelle jetzt betreten sollte, die bald zu erreichen, er sein Pferd
fast zu Schanden geritten. Da schlug der Hund an, ein junger Brake,
den sich Eduard hatte zum Jagdhund dressiren wollen, und der jetzt auf
eigene Hand des Nachts Opossums und Waschbären in die Bäume jagte und
Stunden lang darunter vergebens heulte, Hülfe herbeizurufen.

Am Fenster des kleinen Hauses wurde Jemand sichtbar, Georg konnte aber
nicht gleich erkennen wer es sei, so trübe war ihm das Auge geworden,
als er die trostlose Veränderung hier erkannte, und langsam schritt er
auf die Thüre zu, indeß der Hund, der ihn erkannte, an ihm hinaufsprang
und winselte und bellte.

»Kennst Du mich noch Hektor?« sagte er, des freundlichen Thieres Kopf
streichelnd -- »hast Du mich nicht vergessen in der langen Zeit?«

»Georg!« rief da eine, oh nur zu wohlbekannte, aber erschreckte Stimme
dicht vor ihm, und Marie, die aus der Küche unten getreten, zu sehn wer
da komme, brach todtenbleich in die Knie, und wäre zu Boden gesunken,
hätte sie Georg nicht in seinem Arme aufgefangen.

»Oh Georg -- Georg ist wieder da!« rief da eine fröhliche Kinderstimme
und Camilla, die jüngste Tochter Lobensteins, von dem um ein Jahr älteren
Carl rasch gefolgt, sprang aus der Thür und flog auf den jungen Mann zu.
Auch Marie hatte sich jetzt wenigstens so weit gesammelt, wieder allein
stehn zu können, aber noch immer war kein Tropfen Blutes in ihr Gesicht
zurückgekehrt, doch lenkte der Neugekommene die Aufmerksamkeit der
Übrigen glücklich von ihr ab.

»Herr Donner?« sagte der Professor, der jetzt ebenfalls in der Thür
erschien, und den jungen Mann halb erstaunt, halb verlegen erkannte
-- »aber bitte, kommen Sie näher -- bleiben Sie nicht draußen auf der
Diele stehn.«

»Mein lieber -- lieber Herr Professor!« rief Georg, dem alten Herrn
entgegeneilend, und seine Hand herzlich drückend -- »wie freue ich mich,
Sie so wohl und munter wiederzufinden -- aber -- wo ist die Frau
Professorin?«

»Sie ist nicht wohl,« sagte der Professor nach kurzer, aber ängstlicher
Pause -- »Sie wissen vielleicht noch nicht, wie schwer uns das Schicksal,
seit Sie uns verlassen, in meinen Sohne heimgesucht --«

»Ich weiß es,« sagte Georg leise, und mit tiefem Mitgefühl.

»Seit der Zeit kränkelt meine Frau,« fuhr der Professor langsam fort
-- »der Schlag damals traf sie zu schwer. Um sich zu zerstreuen und die
bösen Gedanken loszuwerden, arbeitete sie dabei mehr als ihr gut war,
und hütet nun jetzt schon seit vier Wochen ununterbrochen das Lager.
Anna war gerade hinüber gegangen nach ihr zu sehen. Aber komm Marie
-- setz einen Stuhl zum Tisch für Herrn Donner -- wenn Sie mit uns
vorlieb nehmen wollen, wir sind gerade bei Tisch, aber Schmalhans ist
heute Küchenmeister -- Sie haben es sehr unglücklich getroffen.«

Georg -- selber nicht wissend, wie er das, was ihm auf dem Herzen lag,
beginnen sollte -- setzte sich mit zu Tisch -- die Mahlzeit bestand in
Kartoffeln mit Butter und einem sehr einfachen Amerikanischen Gericht,
Hominy -- gequollener und in Wasser abgekochter Mais.

»Wenn Georg die letzte und vorletzte Woche gekommen wäre,« rief Camilla
dazwischen -- »hätte er auch nichts Anderes gefunden.«

»Mögen Sie das Hominy?« frug der Professor verlegen lächelnd, und
versuchend die Aufmerksamkeit des jungen Mannes von dem Kinde abzuziehn
-- »_ich_ habe mich so daran gewöhnt, daß es ordentlich ein Leibgericht
von mir geworden ist.«

»Wir Andern mögen es aber alle mit einander nicht,« sagte Camilla -- »es
schmeckt gerade wie Stroh.«

Die Thür ging in diesem Augenblick auf, und Anna's Eintritt unterbrach
glücklicher Weise die naseweise Bemerkung des Kindes. Anna begrüßte den
jungen Mann auf das Herzlichste, und auch Marie wurde zutraulicher, und
gewann ihre ganze Fassung wieder, als sie sah, wie unbefangen sich die
Schwester mit dem frühern Hausgenossen unterhielt. Georg beseitigte
dabei auf sehr praktische Weise jede Verlegenheit, die der Professor
etwa hätte wegen dem Essen fühlen können, indem er, durch den scharfen
Ritt auch wirklich hungrig geworden, tapfer zulangte, und dem Hominy und
den Kartoffeln alle nur mögliche Ehre anthat.

»Und wissen Sie, weshalb ich hierher zurückgekommen bin?« frug Georg
nach beendeter Mahlzeit, indem er lächelnd den Professor ansah, nur aber
einen ganz scheuen, flüchtigen Blick nach Marien hinüberzuwerfen wagte,
deren Auge er jedoch nicht begegnete. --

»Weshalb, weiß ich nicht,« sagte der Professor herzlich -- »aber es
freut mich, _daß_ Sie wiedergekommen sind, und mir wenigstens dadurch
beweisen, Sie tragen keinen Groll nach, wegen dem Vergangenen.«

»Lieber Professor.«

»Ich hätte selber schon an Sie geschrieben,« fuhr dieser jedoch
entschlossen fort, »konnte aber von keiner Seite auch nur die geringste
Nachricht bekommen, _wo_ Sie sich befänden; Sie waren auf einmal
verschollen und blieben es, von dem Augenblick an, wo Sie den Platz
verlassen, da Sie Herr von Hopfgarten damals, ein paar Stunden später,
vergeblich im ganzen Township suchen ließ.«

»Herr von Hopfgarten?«

»Ich erzähle Ihnen die Geschichte ein ander Mal -- aber -- sind Sie
_zufällig_ wieder in unsere Nähe gekommen, oder haben Sie uns noch nicht
ganz vergessen gehabt, und absichtlich aufgesucht?«

»Ich bin vier Tage so scharf geritten, wie mein Pferd laufen konnte,«
lächelte Georg, tief dabei erröthend -- »nur um recht bald hier zu
sein.«

»Das ist brav, das ist recht brav von Ihnen,« rief Anna freudig, und
Marie dankte es ihm dießmal mit einem lächelnden Blick.

»Um aber kurz zu sein,« fuhr Georg zögernd und erröthend fort, »so -- so
möchte ich wieder hier in Arbeit treten, und -- und wenn Sie mir beweisen
wollen, daß auch Sie keinen Groll mehr gegen mich hegen, vielleicht
manches voreilig gesprochenen Wortes wegen -- so schicken Sie mich nicht
wieder fort, sondern behalten mich hier.«

»Ach das ist brav, das ist schön,« rief Carl -- »da brauche ich und
Marie nicht mehr das schwere Holz aus dem Wald herbeizuschleppen.« Anna
und Marie aber sahen sich verlegen an und der Vater sagte, ohne die
Frage direkt zu beantworten und dann Georgs Arm nehmend, zu seinen
Töchtern:

»Haltet den Kaffee bereit, Kinder, bis wir zurückkommen, ich muß Herrn
Donner doch einmal zeigen, wie weit wir mit unseren Arbeiten vorwärts
gelangt sind, seit er uns verlassen, und unterwegs können wir dann auch
alles Weitere viel besser und bequemer besprechen,« und ihn mit sich
die Treppe hinunterführend, traten sie in den Hof, wo Georg vor allen
Dingen sein Pferd absatteln, in den Stall einstellen und füttern mußte,
und dann mit dem Professor langsam den Weg hinabging, der an den Feldern
hinführte.

»Lieber Donner,« sagte dieser hier zu ihm, und es war ihm angenehm, daß
er, neben ihm hingehend', nicht in sein Auge zu schauen brauchte -- »die
Zeiten, seit wir uns nicht gesehen, haben sich _sehr_ verändert, und
-- so gern ich Sie wieder auf meiner Farm beschäftigen möchte, ja so -- so
nöthig ich sogar Jemanden dazu brauchte -- bin ich nicht mehr -- durch
die dießjährigen niedrigen Getreidepreise noch außerdem gedrückt -- im
Stande Arbeiter zu halten und -- zu bezahlen.«

»Aber bester Professor --«

»Bitte, lassen Sie mich ausreden,« sagte dieser, fest entschlossen, die
einmal begonnene Sache nun auch durchzuführen -- »ehe wir von etwas
Anderem beginnen -- ehe ich Ihren freundlichen Antrag, wieder auf meiner
Farm eine bestimmte Beschäftigung zu nehmen, zurückweise, bin ich Ihnen,
mein lieber Donner, eine Ehrenerklärung schuldig, die mir -- thun Sie
mir die Liebe und unterbrechen Sie mich jetzt nicht -- die mir schon
lange schwer und drückend auf dem Herzen gelegen.«

»Lieber Herr Professor --«

»Ich bin damals nicht allein unfreundlich, nein, ich bin auch ungerecht
gegen Sie gewesen,« fuhr aber der Professor entschlossen fort, »und es
mag Ihnen einige Beruhigung oder Genugthuung gewähren, von mir ganz
offen das Geständniß zu hören, daß ich durch Schaden habe klug werden
und die Wahrheit dessen erleben müssen, was Sie gerade vertheidigten,
und gethan haben wollten.«

»Oh wie gern wollt' ich Unrecht gehabt haben, bester Professor, wenn
nur --«

»Sie haben _nicht_ Unrecht gehabt,« unterbrach ihn der Professor
rasch, »und selbst, was Sie mir an dem letzten Morgen über jenen faden
Dichterling sagten, hat sich furchtbar, viel furchtbarer freilich als
wir Beide damals ahnen konnten, bewährt. Ich habe schwer -- fast zu
schwer für meine Leichtgläubigkeit, mit der ich unreifen, oft vielleicht
selbst eigennützigen Plänen Glauben schenkte, büßen müssen, und wollte
es gern, wenn nicht -- wenn nicht meine arme Familie jetzt auch so
schwer darunter leiden müßte. Sie sehn, lieber Donner, ich bin offen und
aufrichtig gegen Sie, das mag Ihnen den besten Beweis liefern, daß ich
mein Unrecht gegen Sie bereue.«

Georg war tief erschüttert; das Bekenntniß des sonst so strengen
abgeschlossenen Mannes, das gerade _ihn_ furchtbare Überwindung mußte
gekostet haben, machte einen unendlich wehmüthigen Eindruck auf ihn, und
er brauchte Minuten, sich selber erst wieder so weit zu sammeln, dem zu
erwidern. Der Professor war indessen an einer Stelle stehen geblieben,
wo ein dürrer Baum erst ganz kürzlich über die Fenz heruntergeschlagen
schien, und dieselbe zusammengebrochen hatte, was sich ein paar Schweine
zu Nutz gemacht, die drinne an einem Kürbiß herumbissen und, als sie
die Männer kommen hörten, grunzend in das Feld weiterhinein flüchteten.

»Die Farm sieht arg verwildert aus,« sagte Georg endlich leise, eine
direkte Antwort auf das Geständniß vermeidend, »man sollte kaum glauben,
daß ein einziges Jahr eine solche Veränderung hervorbringen könnte.«

»Seit dem Tode meines Sohnes,« sagte der alte Herr seufzend, »habe ich
selber an Allem die Lust verloren, und nichts thun noch arbeiten mögen;
selbst das Nothwendigste ist liegen geblieben, und der spätere Besitzer
der Farm mag nachholen, was ich versäumen mußte.«

»Sie wollen fort von hier?«

»Wir brauchen uns über das Hülfsverbum nicht zu täuschen, lieber
Donner,« sagte der Professor wehmüthig lächelnd, »ob ich _will_ oder
nicht -- ich _muß_!«

»Und Ihre Familie?« sagte Donner halb vorwurfsvoll.

»Sie haben recht,« seufzte der Mann, »es ist schwer für sie, geht aber
doch nicht anders an; ich will nach dem »fernen Westen«, wo man, wie ich
aus sicherer Quelle weiß, ein kleines #improvement# für fünfzig Dollar,
und vierzig Acker Land für denselben Preis bekommen kann. So viel wird
mir nach dem Verkauf meiner Sachen und Abzug aller Reisespesen übrig
bleiben, und wir müssen dort eben ein neues Leben beginnen.«

»Und glauben Sie, daß Ihre Frauen das aushalten würden?« frug Georg ihn
ernst, »_kennen_ Sie das Leben im Westen, mit seinen Entbehrungen,
seinen Beschwerden, seinem Klima?«

»Ich habe viel darüber gelesen,« sagte der Professor ausweichend.

»Du lieber Gott,« seufzte der junge Mann, »wenn ich mir da die arme Frau
Professorin, die zarte Anna und selbst die kräftige Marie denken müßte
-- ich würde im Leben nicht wieder froh werden.«

»Aber was _soll_ ich thun?« sagte der Professor, froh endlich einmal
Jemanden zu haben, mit dem er sich aussprechen, gegen den er sein Herz
erleichtern konnte, »Ihnen gegenüber brauch' ich kein Hehl daraus zu
machen, denn ich weiß, Sie nehmen Theil an unserem Schicksal, das sich
nicht allein durch eigene Schuld, sondern auch durch das Zusammentreffen
unglückseliger Umstände so traurig gestaltet hat. Ich bin nicht im
Stande das letzte Kaufgeld für die viel zu theuer bezahlte Farm, so
wenig das sein mag, aufzutreiben, der Bursche in Grahamstown, dem mein
Mobiliar in die Augen sticht, drängt mich mit der Zahlung, und auch
meine letzte Hoffnung, Herr von Hopfgarten, ist nicht mehr aufzufinden.
Ich habe mich nach ihm bei dem Wirth des St. Charles Hotels in New-Orleans
erkundigt, und wenn mir die Leute die Wahrheit geschrieben, so ist
Freund Hopfgarten vor kurzer Zeit nach Europa zurückgekehrt. Den Termin
länger hinauszuschieben bin ich ebenfalls nicht im Stande, und werde
schon nächste Woche gezwungen sein meine Farm und Mobiliar vielleicht
für den sechsten Theil dessen was sie mich selber gekostet hat, zu
verkaufen, und mit den Meinen dann von vorn anfangen zu müssen, ein
allerdings vollkommen neues Leben zu beginnen.«

»Wenn Sie denn fest entschlossen sind,« rief da Georg, der klopfenden
Herzens, das Geständniß seiner Liebe zu Marie auf den Lippen, noch nicht
gewagt hatte damit herauszutreten, »wenn Sie die Wildniß wählen wollen
und müssen zu Ihrem Aufenthalt -- dann nehmen Sie mich mit und -- seien
Sie mir mehr als Freund dann, lieber Herr -- seien Sie mir _Vater_
-- Vater im wahren Sinn des Worts. Lange Monden hin,« fuhr der junge Mann,
als ihn der Professor staunend ansah, leidenschaftlicher fort, »habe ich
die Qual der Ungewißheit, die Sehnsucht nach dem einen Wesen auf dieser
Welt, das meiner Seele Ziel geworden, mit mir herumgetragen -- ich darf
das nicht länger mehr -- geben Sie mir Marie zum Weibe, lassen Sie
_mich_ den verlorenen Sohn ersetzen, und nie, nie sollen Sie bereuen mir
so vertraut zu haben.«

»Mein lieber, lieber Donner,« sagte der Professor, der sich noch immer
nicht von seiner Überraschung erholen konnte »Sie wollen Ihr Schicksal
an das einer Familie ketten, die sich -- die sich eben nicht im Glück
befindet -- und weiß Marie --«

»Noch keine Sylbe -- noch habe ich selber nicht gewagt, ihr meine Liebe
zu gestehen,« rief Georg, »aber wenn mich nicht Alles täuschte, darf ich
hoffen.«

Der Professor sah dem jungen Mann lange und fest in's Auge -- bis sich
sein eigener Blick in langsam aufsteigenden Thränen dunkelte, dann nahm
er Georgs Hand, drückte sie fest und herzlich, und zog ihn endlich leise
aber liebend an seine Brust.

»Mein lieber, lieber Vater,« flüsterte Georg.

»Mein lieber, lieber Sohn!«

»Und nun zur Mutter!« rief da Georg, dem Lust und Freude das Herz bald
in der Brust zu sprengen drohte, »nun zur Mutter, ihr Sorge und Kummer,
und mit den beiden Menschenquälern auch die böse Krankheit zu nehmen,
die sie noch an's Lager fesselt. Wir gehen _nicht_ nach dem Westen Vater
-- wir bleiben _hier_, und die Fenzen werden wieder ausgebessert, das
Unkraut wird hinausgeworfen aus dem Felde, und die Mühle fertig gebaut,
dem Wirth in Grahamstown gerad zum Trotz und Ärgern.«

Der Professor schüttelte traurig mit dem Kopf und sagte seufzend:

»Das sind _Pläne_, mein junger Freund, wie sie die _Jugend_ eben
entschuldigt; das ruhige Alter findet sich nicht mehr so leicht mit
Unmöglichkeiten ab.«

»Und wissen Sie denn Vater -- o daß ich Sie jetzt -- daß ich Sie
_endlich_ so nennen darf,« sagte Georg, seinen Arm ergreifend, und ihm
mit blitzenden Augen in's Antlitz sehend, »daß ich vom Glück begünstigt
in Michigan in das Haus eines reichen Mannes kam, bei ihm ein Viertel
Jahr in gutem Gehalt stand und ihm die beiden Kinder, die ihm schwer
erkrankten, rettete? -- wissen Sie, daß mich der Mann aus Dankbarkeit
in den Stand setzte, durch den zweckmäßigen Kauf einer Anzahl von
Bauplätzen in einer neu gegründeten Stadt, in den letzten drei Viertel
Jahren nur durch einen theilweisen Verkauf derselben Parcellen wieder,
fünfzehnhundert Dollar an baarem Gelde zu verdienen? -- Und kennen Sie
die Quittung hier von Grahamstown?« rief er unter vorquellenden Thränen
lachend aus, »kennen Sie den Autographen von Ezra Ludkins? -- Da behalten
Sie das Papier und lesen Sie es aufmerksam durch, hoffentlich ist Alles
in Ordnung und -- mag mich Marie nicht -- sagt sie _nein_ -- ja dann
soll mich mein Rappe noch heute Abend fort -- weit fort von hier tragen,
gleichviel wohin. -- Sagt sie aber ja -- oder lacht oder weint sie nur
-- oder thut sie gar Nichts -- und sieht sie mich nicht einmal an, dann
-- aber ich kann es wahrhaftig nicht länger mehr in der Ungewißheit
ertragen; kommen Sie nach Vater, so rasch Sie Ihre Füße tragen, und
voraus hol' ich mir mein Glück oder Leid aus Mariens Munde!«

Und den Hut freundlich gegen den Professor schwenkend ließ er ihn an der
hinteren Fenz und am Holzrande zurück, und sprang in flüchtigen Sätzen
dem kaum verlassenen Hause wieder zu.

Und dort? -- lieber Leser, das ist eine Sache, die nur immer zwei Leute
auf einmal in der Welt interessirt. Wie »Vielliebchen« aus _einem_
Mandelkern hat der liebe Gott die Herzen, von denen immer zwei und zwei
für einander geschaffen sind, über die Welt wild und bunt hinausgestreut
-- selig die, die ihre Theile wieder zusammenfinden.

Und Marie und Georg _waren_ selig; an dem Abend, neben dem Bett der
Mutter, der mit der frohen frischen Hoffnung auch wieder neuer Muth,
neue Kraft in das Herz gezogen, wie es Georg gehofft, saßen sie Hand
in Hand und plauderten und bauten mit der Schwester Pläne auf, die
Glücklichen, nach Herzenslust. Und der Vater ging dabei, die Hände auf
den Rücken gelegt, schmunzelnd auf und ab; in der Kinder jungem Leben
ging auch ihm ein neues frisches Dasein auf -- die trübe böse Zeit lag
dahinten, und wenn auch bittere Erfahrungen ihn geprüft, so waren es
doch eben Erfahrungen geworden, und _auf_ ihnen weiter schreitend, mit
einer jungen kräftigen Stütze jetzt an seiner Seite, konnt' er der
Zukunft wieder froh in's Auge schaun.




Capitel 5

Jimmy.


Die Fieberzeit, trotz ihren Schrecken von den Amerikanern scherzweis
»der gelbe Jack« genannt, war vorüber; der Oktober hatte, gleich von
Anfang an mit kalten und scharfen Nordwest-Winden einsetzend, die Seuche
seewärts geweht, und die Luft gereinigt, und vom Norden herunter kehrten
die geflüchteten Bewohner der gefährdeten Stadt in Schaaren zu ihren
Wohnsitzen zurück.

Welch ein Unterschied zwischen dem New-Orleans jetzt, und dem, vier
Wochen früher. Welch Drängen und Treiben überall von frischem, fröhlichem,
kräftigem Volk, das herüber und hinüber drängt, kauft und verkauft, und
plaudert, lacht und singt. Welch Treiben und Leben an der Levée, wo Boot
nach Boot, Schiff nach Schiff anlegt, seine Waaren der neugeborenen
Stadt zuzuführen; welch Treiben und Leben in den Straßen, den kleinen
Adern des Verkehrs, in denen das warm pulsirende Herzblut herüber und
hinüber treibt, und nur vier Wochen Unterschied, wie sahen da die
Straßen aus? -- wie der Strom? -- wo war das Leben, das jetzt, dem
schäumenden Bache gleich, aus seinen Ufern quoll?

Der Wanderer, der die Stadt in _der_ Zeit, im August und September,
betrat, und das lebendige Bild von ihr im Herzen, ein fröhlich
schaffendes, lebenslustiges Volk zu finden erwartete, steht entsetzt
und traut den Augen kaum.

New-Orleans, des Südens Königin, der keine andere Stadt im weiten Reich
die Spitze bieten kann, scheint in _der_ Zeit ein weiter offener Sarg
-- die Straßen liegen todt und leer, der Fußtritt des einzelnen flüchtigen
Wanderers schallt hohl und unheimlich von den verschlossenen Häusern
wieder -- dort begegnet ihm ein anderer, eben so rasch, das Tuch am
Munde -- aber scheu weicht man sich aus und will aneinander vorüber -- da
zuckt der Fuß fast unwillkürlich -- es ist ein Freund, den man so lange
nicht gesehn, schon todt gewähnt -- einerlei, vorbei; die Krankheit
könnte in seiner Nähe weilen, sein Hauch vielleicht sie bringen, und mit
stummem, traurigem Nicken fliehen sich die Beiden.

Wo ist dann der fröhliche Lärm der Dampfbootlandung, das Rasseln der
schwerbeladenen Güterkarren mit den trunkenen Irländern, das Singen und
Lachen der Neger. Dort fährt etwas über das Pflaster -- wie hohl das
in den leeren Straßen klingt -- es ist nur der Leichenwagen, der im
scharfen Trab hinausfährt, seine Doppellast abzuwerfen und neue, schon
lang bestellte Fuhre zu holen. Wo ist das rege geschäftige Treiben der
Läden -- die meisten sind geschlossen, wer soll jetzt kaufen, und der
Trauerflor an den Thüren dort und hier, und da und drüben, kündet die
Stelle, wo sich die Seuche mit den langen gelben, gierigen Krallen ihre
Opfer herausgeholt.

Und jetzt? -- kaum ein Monat ist verflossen, daß diese Straßen wüst
und öde lagen, und der große Vernichter seine Erndte in der scheinbar
menschenleeren Stadt hielt; wo er mit schwülem Flügelschlag über die
Dächer strich, und rechts und links in boshafter Lust seinen Giftodem
einbließ in das, in jenes Haus -- und seht, wie das wieder drängt und
wogt, und lacht und singt und fröhlich ist, und die Todten in ihren
stillen Gräbern schon lange, lange vergessen hat. Lieber Gott, _Wochen_
sind ja auch schon darüber hingegangen, und eine fast neue Bevölkerung
hat Besitz von dem Grund und Boden genommen, den die Seuche gelichtet
und verödet.

Was damals freilich New-Orleans verlassen _konnte_, that es, und
die Wirths- und Gasthäuser standen öd' und leer, ja man vermied die
Schwellen derselben mit scheuer Angst, aus Furcht, gerade dort am
meisten Kranke zu treffen, und in dem Athemzug vielleicht den Tod schon
einzuziehen. So flohen auch »das deutsche Vaterland« sechs Wochen lang
die meisten »Boarder«, aber die dort Wohnenden _konnten_ nicht alle
fort. Viel arme Deutsche, die mit verspäteten Schiffen nach langer
Reise hier eingetroffen waren, fanden theils kein Boot mehr, das sie
mit fortnahm von hier, theils hatten sie kein Geld, die in der Zeit
entsetzlich hohe Passage zu bezahlen. Die Capitaine der wenigen dort
anlegenden Dampfer wußten recht gut, daß Alles, was jetzt die Stadt
verlassen konnte, ging, und rechneten fünf- und sechsfache Passagepreise,
sich selbst für die Gefahr bezahlt zu machen, der sie die Stirn boten.

So lag eine ganze Schaar Baiern, ohne Mittel fortzukommen, in den
kleinen dumpfigen Hinterstuben des »deutschen Vaterlands«, und wie die
Seuche hereinbrach über die Stadt, suchte sie sich schon ihre ersten
Opfer aus der Schaar.

Im »deutschen Vaterland« war aber indessen auch noch außerdem eine große
Veränderung vorgegangen, und Hedwig hatte das Haus nicht allein nicht
verlassen, sondern Franz seinem Vater frei und offen erklärt, daß er das
junge wackere Mädchen, sobald er nur erst einmal selbstständig dastehe,
wenn sie ihn haben möge, zum Weibe nehmen wolle.

Den alten Mann fesselte in dieser Zeit ein Sturz, den er von der Treppe
gethan, an sein Lager, und Franz mußte überdieß indessen die Leitung der
ganzen Wirthschaft übernehmen. Mit _dem_ Plane seines Sohnes war er im
Anfang aber gar nicht einverstanden, hatte die und jene Einwendungen,
erklärte, er sei doch nicht ganz _so_ arm wie Franz zu glauben scheine
(und wie er ihm allerdings selber oft genug betheuert) und _sein_ Sohn
könne da wohl schon noch eine bessere Parthie machen, und sich seine
Frau aus einem anderen Hause -- und wenn es das größte Steingebäude in
der Stadt wäre -- holen. Da Franz aber, nicht gerade gleich auf eine
Einwilligung dringend, hartnäckig bei dem einmal gefaßten Entschlusse
blieb, gewöhnte er sich zuletzt an den Gedanken, und sah, wenn er dem
Sohne das auch nicht gestand, selbst seiner abnehmenden Kräfte wegen,
eher noch eine Stütze in dem fleißigen, wirthschaftlichen Mädchen.

Nur der »verschwenderische Geist« des Sohnes, wie er es nannte, machte
ihm Sorge; er rief ihn deshalb auch oft an sein Bett, und beschwor ihn,
doch nur um Gottes Willen auf sein eignes Gut mehr zu achten, den
eigenen Nutzen mehr im Auge zu haben, denn wenn er selber einmal die
Augen schließe, und nicht mehr rathen, nicht mehr wehren könne, wie
bald seien dann die paar gesparten Thaler auch wieder fort, an der die
Undankbarkeit der Menschen schon lange arbeite und wühle und zehre.

Franz hatte ein zu gutes Herz, dem Eigennutz mehr zu folgen als diesem,
und der Vater würde dem einzigen Sohne auch wirklich schon lange den
Willen gelassen, und die Wirthschaft ganz übergeben haben, hätte ihn
nicht Messerschmidt bis jetzt noch immer aus allen Kräften davon
abgehalten und gewarnt; wie dieser denn auch sein Möglichstes that, die
Heirath mit dem jungen Hamann und dem fremden »hergelaufenen« Mädchen
aus allen Kräften zu hintertreiben.

Die Seuche unterbrach das Alles -- Niemand, der nicht mußte, verkehrte
mit dem Anderen; Messerschmidt selber betrat in dieser ganzen Zeit
das Haus nicht, Franz aber lernte gerade da den Werth des holden
anspruchslosen Kindes, mit seiner Aufopferung und Herzensgüte im reinsten
Lichte kennen. Hier war kein _Schein_ mehr, wo der Tod grinsend und
drohend an der Schwelle stand; hier war nicht mehr Verstellung denkbar,
»das Herz des reich geglaubten Wirthssohnes«, wie Messerschmidt dem
jungen Hamann oft und heimlich warnend zugeflüstert, zu fesseln;
unbekümmert um Alles, wo sie nur nützen konnte, ging Hedwig ihren
stillen Weg, und an den Krankenbetten stand sie oft ein Engel des
Trostes und der Hülfe.

Schon seit Clara damals sich von ihrer Krankheit erholt, und selber im
Stande gewesen war durch weibliche Arbeiten ihren Unterhalt wenigstens
zu verdienen, hatte Hedwig Gehalt bezogen, den ihr der alte Hamann
selber, _trotz_ seinem Geiz, freiwillig erhöht, als er sich doch nicht
leugnen konnte, wie sie arbeitete und schaffte, und wie sie Alles ihm
zusammenhielt. Was sie aber an Geld bekommen, nahm die schwere Zeit auch
wieder fort, denn keine Woche verging, in der nicht hülflose Wittwen und
Waisen den Sarg des Gatten und Vaters hinausbegleitet zu seiner stillen
Ruhestätte, dann aber selber verlassen und allein in der fremden Welt
gestanden hätten, die ihnen eine Heimath werden sollte, und jetzt nur
Tod und Elend zeigte, wohin sie schauten. Für wie viele zahlte sie da
nicht das Passagegeld auf den einzelnen Dampfbooten, sie nur fort, einer
gesunden Gegend zuzubringen, ehe sie hier ihr Letztes verzehrt, und mehr
noch vielleicht von ihren Lieben begraben mußten; wie viele unterstützte
sie hier mit Rath und That, löste die schon versetzten Koffer für sie
ein, und zog sich scheu und schüchtern in ihr kleines Kämmerchen zurück,
wenn ihr die Leute nur dafür danken wollten, was sie gethan.

Mit der gesunden Jahreszeit kehrte aber auch die gewöhnliche Arbeit
wieder für das deutsche Gasthaus; Schiff nach Schiff traf ein, alle mit
Auswanderern schwer beladen, und da sich nicht Alle gleich entschließen
konnten die eben betretene Stadt, die keine Spur der überstandenen Pest
mehr zeigte, gleich wieder zu verlassen, füllten sich die Gasthäuser,
wie das um diese Zeit fast stets der Fall ist, bis unter die Dächer mit
Fremden und ihren Gütern an. Dieß war auch immer die geschäftigste und
einträglichste Zeit für den alten Hamann gewesen, und jetzt saß er, in
sein Zimmer gebannt, regungslos fest auf seinem Stuhl, und durfte und
konnte nicht hinaus.

Zuerst quälte und sorgte er sich denn auch ab dabei, und wollte es wohl
gar erzwingen, trotz allen Ärzten und Medicinen; endlich sah er aber
doch wohl ein daß es nicht ging, daß er sich Ruhe gönnen müsse, bis ihn
die Glieder wieder trügen, und die Hauptarbeitszeit wohl überhaupt für
ihn vorbei sei. Der Sohn drängte und bat dabei daß er nun endlich in
seine Verbindung mit Hedwig willigen möchte; es sei ein anderes Leben
wenn eine _Hausfrau_ in der Wirthschaft wäre, besonders _solche_
Hausfrau, und er, der Vater selber, könne ruhiger sein, wo er nicht
_fremden_ Menschen nur sein Eigenthum anzuvertrauen habe.

Der alte Hamann gab endlich seine Einwilligung, und Hedwig, die dem
jungen Mann von Herzen zugethan war, und mehr fast noch in dem Bewußtsein
nun freier handeln, noch mehr Gutes thun zu können, sich wohl und
glücklich fühlte, legte am Altar ihre Hand in die seine, und zog als
_Herrin_ in das Haus hinein, das sie in Noth und Sorge, als Dienerin
betreten.

Franz schwelgte in der Zeit in einem Meer von Wonne, und wenn er auch
von seinem Vater -- der Termin dazu war auf den ersten December
festgesetzt worden -- die ganze unbeschränkte Führung des Hauses noch
nicht überkommen hatte, fühlte er sich doch zu glücklich im Besitz
seines braven, inniggeliebten Weibes, anderen Gedanken in dieser Zeit
noch Raum zu geben. Hedwig aber wirthschaftete nach wie vor, in stiller
anspruchsloser Weise -- wo sie helfen konnte, half sie gern, und das
»deutsche Vaterland,« früher der einträglichste Platz für alle Arten
diebischer Agenten, und die Höhle, in der hunderte von armen Einwanderern
ihr Alles verloren, und nackt in die Welt hinausgestoßen wurden, schien
ein Asyl der Hülfsbedürftigen zu werden, und erweckte deshalb auch
besonders in den Herzen einzelner, bei dem früheren Gewinn Betheiligter,
rege Besorgnisse.

Unter diesen standen der Agent Messerschmidt, und Jimmy der Barkeeper
vorne an, denen Beiden die Hochzeit zwischen den jungen Leuten ein Dorn
im Fleisch geworden, und was sie nicht mehr hintertreiben konnten,
suchten sie wenigstens so viel als möglich zu stören. Franz wußte das,
vermochte aber noch nicht selber irgend etwas mit Beiden anzufangen, bis
er nicht die Wirthschaft allein in Händen hielt, und als unumschränkter
Herr darin gebieten konnte. Der Tag rückte jedoch mehr und mehr heran,
und als der November endlich verflossen war und der alte Hamann am 1sten
Morgens, wie schon früher verabredet, einen Advokaten zu sich in's
Zimmer kommen, und in dessen Gegenwart dem einzigen Sohne schon bei
seinen Lebzeiten Haus und Wirthschaft überschreiben ließ, war Franzes
_erstes_ Geschäft, hinunter in die Bar zu gehn und dem darüber
allerdings verdutzten Jimmy, wie ihr Contrakt zusammen lautete, mit
vierwöchentlicher »Warnung« auf den ersten Januar des nächsten Jahres zu
kündigen.

»Jimmy,« sagte er, als er zu dem Burschen hinunter in den gerade
unbesetzten Schenkraum kam, »ich bin jetzt eben Herr hier im Haus
geworden, und da wir Beide nicht recht zusammenpassen, meine Frau mir
auch Manches von Euch erzählt hat was mir nicht gefällt, so ist's
besser, daß Ihr zu der zwischen Euch und meinem Vater abgemachten Zeit
das Haus verlaßt. Heute ist der erste December -- am ersten Januar könnt
Ihr eine andere Stelle antreten, und habt bis dahin Zeit Euch umzusehen;
wollt Ihr aber früher fort, hält Euch Niemand hier -- verstanden?«

»Das war deutlich genug Mr. Hamann, #anyhow#,« sagte Jimmy, der dabei
wieder ganz in Gedanken an seiner Lieblingsbeschäftigung begann -- die
Finger zu knacken, »werde aber von Ihrer Güte wohl keinen Gebrauch
machen, _vor_ der bestimmten Zeit, da ich dann ebenfalls zu heirathen
gedenke. Sonderbar -- wollte Ihnen auch heute aufsagen.«

»Desto besser, Jimmy,« sagte Franz, »dann haben wir Einer dem Andern
nicht weh gethan, und können und werden uns ziemlich gut ohne einander
behelfen.«

»Jes,« sagte Jimmy, eine gleichgültige Miene dabei annehmend, »verdammt
gut, denk' ich mir so; -- werden eine _sehr_ schöne Wirthschaft hier
anrichten, Mr. Hamann _junior_.«

»Jes, Jimmy -- denk' ich mir so,« lachte Franz leise vor sich hin, und
verließ dann, ohne sich weiter um den Menschen zu bekümmern, das Zimmer.

»Denk' ich mir so -- Einfaltspinsel« -- knurrte der Barkeeper finster
und verdrießlich hinter seinem neuen Principale her -- »_Du_ wirst noch
Manches zu denken kriegen, mein Bursche, bis wir Beiden auseinander
sind, denk' _ich_ mir so. Und noch bist Du mich auch nicht los, und es
müßte doch mit dem Henker zugehn, wenn zwischen hier und da nicht noch
was auftauchen sollte, was der Sache eine andere Wendung gäbe. _Was_,
weiß ich freilich selber noch nicht, aber daß Jimmy eine sich etwa
bietende und ihm passende Gelegenheit nicht unbenutzt wird vorübergehn
lassen, darauf mein Juwel, könntest Du allenfalls Gift nehmen.«

»Hallo Jimmy,« sagte da eine bekannte Stimme, und als sich der Barkeeper
rasch nach der Thür umdrehte, sah er den eben nur hereingesteckten,
etwas dicken Kopf des Agenten Julius Messerschmidt.

»Ah -- Ihr kommt gerade recht Alterchen,« sagte Jimmy, in einer Art
Instinkt dabei hinter die Bar tretend und zwei Gläser umsetzend -- »was
trinkt Ihr?«

»Immer Brandy Jimmy, im Winter,« sagte Messerschmidt jetzt ganz zur
Thüre hereinkommend, und den Kautabak, den er nach Amerikanischer Sitte
im Munde hielt, daraus entfernend, dem besprochenen Getränke Raum zu
geben; »immer Brandy, und im Sommer erst recht Brandy, denn da kühlt er;
besonders wenn er so gut ist wie der Hamann'sche.«

»Ihr seid doch der Einzige der ihn lobt, weil Ihr ihn selbst geliefert
habt;« lachte Jimmy.

»Unsinn, Jimmy -- baarer Unsinn -- an dem Brandy hab' ich mein Geld
verloren, und such' es nur dadurch wieder einzubringen, daß ich recht
viel davon trinke. _Der_ Brandy ist spottbillig mit sechs Cent das Glas,
und an der Levée verkaufen sie ihn aus demselben Faß für zwölf und einen
halben.«

»Werden wohl ihre Gründe dafür haben,« meinte Jimmy, »aber was führt
_Euch_ gerade _heute_ Morgen her?«

»Mich _gerade_ heute? -- ist heute ein besonderer Tag, Jimmy?« frug
Messerschmidt.

»Hm, nicht das ich wüßte,« meinte Jimmy, der erst herauszubekommen
wünschte, was der Agent hatte, ehe er ihm von dem heute abgeschlossenen
Vertrag zwischen dem alten und jungen Hamann sagte. Er wußte recht gut,
wie Messerschmidt bei dem letzteren angeschrieben stand.

»Nun also, Jimmy;« meinte Messerschmidt, »aber Ihr könnt mir wohl sagen,
wie's mit dem _Alten_ steht; ich möcht' ihm ein Anerbieten machen.«

»Nicht zu sprechen,« sagte Jimmy trocken, »alle Geschäfte heute an die
junge Firma angewiesen.«

»Hm -- mit dem _Jungen_ hab' ich gerade nicht gern viel zu thun,«
brummte der Agent langsam zwischen den Zähnen durch, »wenn aber der Alte
ja sagt, kann _der_ mir auch den Hobel ausblasen. Also den Alten kann
man nicht sprechen?«

»Ertheilt Niemand Audienz.«

»Und wo ist der Junge?«

Jimmy mache eine entsprechende Bewegung mit dem über die Schulter
gestoßenen Daumen nach dem Hof hinaus.

»Wollt Ihr ihn einmal rufen, Jimmy?«

»Wenn's sein _muß_, ja,« sagte dieser.

»Apropos Jimmy --«

»Nun? -- was giebt's noch?«

»Wißt Ihr, die Mecklenburger Bauern, die ich Euch gestern zugebracht --«

»Nun? -- kein Geld?«

»Kein Geld?« -- wiederholte der Agent, indem er die Lippen vorspitzte,
so weit er sie bringen konnte -- »oh Jimmy, wenn wir Beide das nur
hätten, was in den zwei grünen Koffern steckt -- nachher könnten wir
zufrieden sein.«

»Nun, wird das Große eben nicht sein,« meinte Jimmy gleichgültig.

»Das Große nicht sein? -- wenn _ich_ ihnen nicht hätte Amerikanisches
Gold für Dänisches geben müssen -- und das Säckchen voll, was da drin
stand -- und die goldenen Uhren und Ketten die daneben lagen. Die
Menschen müssen ein heidenmäßiges Geld haben, und das ist nur erst ein
_Theil_, denn das Meiste haben sie, wie sie sagen, zu Hause gelassen,
um mit dem erst einmal zu probiren, wie es hier eigentlich ist.
-- Jammerschade, daß sie keine Schwiegersöhne brauchen.«

»Wir Beide wären ein paar kostbare Exemplare,« schmunzelte Jimmy.

Die beiden liebenswürdigen Gesellen lachten noch zusammen als die Thür
aufging, und der junge Hamann wieder in's Zimmer trat.

»Ah Franz, das ist mir lieb, daß Sie kommen,« sagte Messerschmidt in
seiner vertrauten Weise; »ich hatte eine Bitte an den Alten, aber da ich
höre, daß er noch auf der Kante liegt, können Sie mir auch den Gefallen
thun.«

»Und das wäre?« sagte Franz, dem Mann ruhig in's Gesicht sehend.

»Sie wissen, daß ich in letzter Zeit ein Bischen in Geldverlegenheit
gewesen bin,« sagte der Agent, »das verdammte Spielen, was ich schon so
oft verschworen, hat mich wieder einmal angeführt, und ich mußte sogar,
wogegen ich mich bis jetzt hartnäckig gesträubt, mein Quadroonmädchen,
das allerdings das letzte Jahr in einem fort gekränkelt und keinen
Dollar verdient hat, verkaufen. Ein deutscher Violinspieler hatte einen
Narren an ihr gefressen und mir die Dirne noch gut genug bezahlt; jetzt
hab' ich Niemand Anderem im Haus; Lohn möcht' ich auch nicht gern viel
zahlen --«

»Bitte, kommen Sie zur Sache,« sagte Franz.

»Nun die ist einfach genug,« meinte Messerschmidt -- »Sie haben da ganz
kürzlich ein paar arme, aber ganz hübsche Braunschweiger Mädchen in's
Haus genommen, die der jungen Frau glaub' ich, um ihren Boarding zu
bezahlen, mit in der Küche helfen -- bitte -- Sie brauchen sich deshalb
gar nicht zu entschuldigen --« setzte er rasch hinzu, als ob er etwas
Derartiges von dem jungen Hamann vermuthete -- »das versteht sich von
selber, und ist ganz in der Ordnung; aber ich möchte gern eine von
denen, die Jüngste hat mir am besten gefallen, zu mir in's Haus nehmen,
das zu besorgen, was ich eben zu besorgen habe; sollte sie dann etwa
noch eine Kleinigkeit im Hause schuldig sein, so könnten wir das ja am
nächsten _Geschäfte_ abrechnen.«

»Ist sonst noch etwas, Herr Messerschmidt, was Sie vielleicht an das Haus
hier zu fordern haben?« sagte Franz ruhig.

»Für den Augenblick Nichts; die letzte Sendung Mecklenburger hat mir Ihr
Alter ja gleich ausbezahlt; ich war damals besonders klamm.«

»Also sind wir Ihnen weiter Nichts schuldig?«

»Nicht einen Cent, bewahre, aber ich hoffe Ihnen morgen früh vielleicht
--«

»Erlauben Sie mir Ihnen dann zu bemerken,« unterbrach ihn Franz ziemlich
kalt und trocken, »daß von jetzt an jede Geschäftsverbindung zwischen
uns aufgehört hat --«

»Unsinn, Franz -- Sie wissen ja --«

»Entschuldigen Sie, mein Name ist für _Sie_ Mr. Hamann; mein Vater hat
heute die Führung dieses Hauses in meine Hände gelegt, und ich ersuche
Sie, alle weiteren Bemühungen für mich zu unterlassen.«

»Hoho« -- rief Messerschmidt dunkelroth im Gesicht werdend, und sich
hoch dabei aufrichtend -- »weht der Wind aus _der_ Richtung, und hat der
Alte richtig den dummen Streich, gemacht?«

»Ich verbitte mir solche Bemerkungen, Herr Messerschmidt --«

»Oh Herr -- ich werde Ihre Schwelle nicht mehr betreten --«

»Ich bin davon überzeugt,« sagte Franz, vollkommen ruhig, »würde auch
sonst mich in die unangenehme Nothwendigkeit versehn, Sie
hinauszuwerfen.«

»Herr Hamann!« rief der Agent drohend.

»Herr Messerschmidt?« sagte Franz ihm ruhig aber fest und entschlossen
in's Auge sehend.

»Es ist gut!« rief dieser, keineswegs gewillt dem jungen Mann
entgegenzutreten; »das ist mein Dank jetzt für die jahrelange Protektion
dieses Hauses, das aber jetzt _kein_ Gast mehr betreten soll, den _ich_
daran verhindern kann.«

»Sie werden zu spät zu Ihrem #Lunch#[4] kommen,« sagte Franz ziemlich
bedeutungsvoll auf die Thür zeigend.

»Jimmy, Sie sind mein Zeuge, wie ich hier behandelt werde,« rief
Messerschmidt mit gekränktem Stolz, »Sie werden mir dafür Rede stehn
müssen, Herr Hamann.«

»Sie werden wirklich zu spät zu Ihrem #Luncheon# kommen,« sagte der
junge Hamann, die Thüre jetzt selber öffnend und mit einer ungeduldigen,
nicht miszuverstehenden Bewegung hinausdeutend.

»Guten Morgen Herr Hamann!« rief da der Agent, bebend vor Zorn, drückte
sich den Hut fest in die Stirn, und flog im nächsten Augenblick voll
und breit gegen die Gestalten zweier anderer Männer an, die eben im
Begriff waren, die beiden steinernen Stufen in das Schenkzimmer
hinaufzusteigen.

»Hallo,« sagte der Erste von diesen, nur mit Mühe sein Gleichgewicht
bewahrend und dem Davonstürmenden erstaunt nachsehend, »der hat's
verdammt eilig -- das Gesicht sollt' ich auch kennen, ging der
freiwillig, oder _wurd'_ er gegangen?«

Der junge Hamann warf einen flüchtigen Blick auf die neu Eintretenden
und drehte sich dann, ohne sich weiter mit ihnen einzulassen, rasch
herum und verließ das Zimmer.

»Alle Wetter, Mr. Meier!« rief da der Barkeeper den früheren »Boarder«
erkennend -- »wo haben Sie die Zeit gesteckt -- man hat Sie ja mit
keinem Auge mehr gesehn.«

»Geschäftsreisen, mein junger Freund, Geschäftsreisen,« sagte der
Passagier der Haidschnucke, indem er die Augenbrauen in die Höhe zog,
und mit den Achseln zuckte, »komme gerade von Milwaukie herunter, die
»balsamische Luft« des Südens einzuathmen. Aber weshalb war der Mann,
der da zur Thür hinaussprang und mich beinah über den Haufen warf, so in
Eile? -- irgend etwas Unangenehmes vorgefallen?«

»Häusliche Scenen wie sie manchmal in einer Familie vorkommen,« lachte
Jimmy ausweichend -- »soll ich Gläser aufsetzen?«

»Hm, ja -- aber nicht hierher,« sagte Meier -- »gebt uns ein paar Glas
rechten steifen kalten Punch -- lieber etwas reichlich Zucker und
Citrone, aber desto mehr Arrak -- dort in das Eßzimmer an den kleinen
Ecktisch -- wir haben 'was mit einander zu reden -- werft auch ein paar
Stück Eis hinein, und wenn Ihr noch zwei andere Gläser in Vorrath macht,
schadet's ebenfalls Nichts -- wir sind alle Beide durstig.«

»Ich auch,« sagte Jimmy.

»Gut mein Herz, macht Euch dann auch ein Glas zurecht; uns aber nicht
schlechter, verstanden? -- werdet ja wohl irgendwo so eine bestaubte
Flasche noch stecken haben.«

Meier winkte dabei seinen Gefährten ihm zu folgen, und ging mit ihm in
das Nebenzimmer, wo ein paar deutsche Zeitungen auflagen, und sie, mit
diesen zwischen sich, ohne jedoch darin zu lesen, an einem kleinen Tisch
dicht am Fenster und der nächsten Wand, Platz nahmen.

»Nun, was war's also Kamerad, was Du mir sagen wolltest,« frug hier
Meier seinen Gefährten -- »wir sind hier ungestört.«

»Wißt Ihr, was aus Euerer Frau geworden ist?« frug der Andere, eine
kleine, gedrungene Gestalt mit struppigem, grau gesprenkelten Bart und
darüber unstät umhersuchenden kleinen grauen, stechenden Augen, sonst
aber in anständiger behäbiger Tracht.

»Meiner _Frau_?« sagte Meier erstaunt, »wie kommt Ihr auf die? _lebt_
sie denn noch?«

»Ein zärtlicher Gatte, das muß wahr sein,« lachte Pelz -- auch
eigentlich ein alter Bekannter von uns, wenn auch jetzt in anderer
Schaale -- »sie war noch vor acht Tagen hier in New-Orleans.«

»'S ist mir lieb daß Ihr sagt sie _war_« -- brummte Meier, »hol' der
Teufel das Weibervolk, das flennt und heult und wimmert und ist immer
eine Kette am Fuß, wo der Mann einmal einen raschen, entscheidenden
Schritt zu thun gedenkt. Wo ist sie hin?«

»Zu Schiff fort.«

»Zu Schiff?« rief Meier, rasch und erstaunt in seinem Stuhle auffahrend.

»Mit einem deutschen Schiffe zurück,« bestätigte aber der Andere.

»Nach _Deutschland_ zurück; ist sie denn toll? -- aber Ihr habt Euch
geirrt, Pelz, das kann sie nicht gewesen sein.«

»Geirrt? -- ich werde die Frau nicht kennen;« sagte der Mann mürrisch
-- »sie sah noch dazu weit besser aus als an Bord, ging einfach und
reinlich gekleidet, und hatte 'was höllisch Ordentliches an sich; trug
auch keinen Schmuck mehr, weder am Hals noch in den Ohren, und kam mir
nur verdammt elend vor.«

»Und hat sie _Euch_ gesehn?«

»Ja; aber ob sie mich nicht gekannt hat, oder mich nicht kennen wollte,«
sagte Pelz, »weiß ich nicht. Sie sah mir ein paar Secunden starr in's
Gesicht, und ging dann still und ernst an mir vorüber auf's Schiff, das
etwa eine halbe Stunde später seine Taue einholte und, von einem Dampfer
in's Schlepptau genommen, den Strom hinunter qualmte.«

»Glückliche Reise,« brummte Meier, sein Glas, das ihm in diesem
Augenblick Jimmy hereinbrachte, auf einen Zug leerend.

»Danke,« sagte dieser etwas erstaunt, »aber woher wißt _Ihr_, daß ich
fort will?«

»Ihr?« sagte Meier, mit einem halbspöttischen Lächeln den Barkeeper über
sein Glas ansehend, »nun dazu braucht man kein Prophet zu sein; Ihr habt
Euch ja, so lange wir hier sind, die Gelenke schon in einem fort zum
Marschiren eingerenkt.«

»Hundeleben hier,« sagte Jimmy, der sich Meiers Einladung nach sein Glas
mit zum Tisch gebracht hatte, und jetzt daran nippte, »möchte hier nicht
länger _abgemalt_ sein.«

»Wär auch Schade um die Farbe,« lachte Meier -- »aber was ist im Wind?
-- Skandal im Haus?«

»Neue Wirthschaft!« sagte Jimmy mit einem vorsichtigen Blick nach der
Thür -- »_moralische_, verstanden? -- der Sohn hat die Haushälterin
_endlich_ geheirathet, und nun wird's _fromm_ im Hause hergehn. _Wie_
das Geld verdient ist, kommt jetzt nicht mehr darauf an; obendrauf legt
man ein Gesangbuch.«

»_Viel_ Geld hier verdient, sollt' ich denken,« sagte Meier, den Rest
seines Glases hinunterspülend und dieses dem Barkeeper zu neuer Füllung
hinreichend.

»Ein Haufen,« versetzte dieser, aber wieder leise -- »der Alte muß oben
einen Kasten voll haben, Gott weiß wie groß.«

»Kostet auch viel so eine Wirthschaft,« sagte Pelz, ruhig vor sich
niedersehend -- »wer das nicht weiß, glaubt's kaum -- das geht meist
Alles wieder d'rauf.«

»Wie Ihr's versteht,« rief Jimmy, in Eifer gerathend, seine Behauptung
bezweifelt zu sehn; _ich_ weiß was da _hinauf_ gekommen ist, und daß
Nichts wieder herunter geht, denn Alles, was die Wirthschaft selber
kostet, wird aus der Kasse hier bestritten -- _so_ scharf geht's. Wenn
der alte Hamann in seinem Geldkasten oben nicht seine _Hunderttausend_
liegen hat, will ich Holz hacken mein Lebelang.«

»Noch ein Glas, Jimmy, bitte,« sagte Meier -- »mein Kamerad ist auch
fertig, und _Ihr_ trinkt so langsam, als ob's Wasser wäre, wir haben
Durst.«

»Gleich,« sagte Jimmy, mit den Gläsern wieder zurück in die Bar gehend,
während die beiden Männer bedeutsame Blicke mitsammen wechselten.

»Ich glaube, der Junge taugte dazu,« flüsterte Pelz leise und rasch.

»Vielleicht -- vielleicht auch nicht,« sagte Meier, mit dem Kopf
schüttelnd -- »nur um Alles in der Welt vorsichtig.«

»Nu versteht sich; aber _der_ weiß Hausgelegenheit --«

»Pst -- er kommt.«

»Da -- _der_ wird Euch noch besser schmecken,« sagte Jimmy, mit den
frisch gefüllten Gläsern hereinkommend, und die Lippen schon im Voraus
ableckend, »der ist famos.«

»Ne zum Donnerwetter Jimmy, das sollte mir wirklich leid thun wenn Ihr
fort gingt,« sagte Meier -- »wo kriegt denn der Esel von Wirth auch
gleich wieder einen solchen Barkeeper her? Ihr kennt doch das Geschäft
von innen und außen.«

»Sollt' es denken,« brummte Jimmy an seinem zweiten Glas vorsichtig
nippend.

»Und das Haus und die Wirthschaft --«

»Wie meine Tasche, jede Ecke, jeden Winkel drinne.«

»Apropos Jimmy,« sagte Meier, seinen Punch dabei mit dem Löffel umrührend,
»ist noch Platz hier im Haus für uns Beide?«

»Das wird schwer halten,« meinte der Barkeeper, die Augenbrauen in die
Höhe ziehend -- »so arg ist's noch beinah nicht gewesen wie heuer, mit
der Einwanderung.«

»Oh das wird alle Jahr besser, Kamerad,« lachte der Alte dazwischen
-- »je hübscher sie's drüben in Deutschland treiben, desto mehr Leute
glauben, daß sie so ein Glück gar nicht verdienen. Wie bei einem vollen
Kelterfaß -- je mehr man oben drauf preßt, je mehr läuft über den Rand
fort, bis die Presse unten aufsitzt -- und dann kann man vielleicht
wieder frisch nachgießen.«

»Und das _Beste_ läuft oben ab,« sagte Jimmy, nicht ohne einen gewissen
Humor die Beiden betrachtend.

»Wenn man _uns drei_ hier ansieht,« bestätigte Pelz, »sollte man's
beinah glauben.«

»#Don't flatter me, Mr. Mac Karthy# wie die Wittwe sagte,« meinte Jimmy
in einem breiten Schmunzeln.

»Also es wird wohl noch Platz für uns werden, nicht wahr Jimmy?« nahm
Meier die vorige Frage wieder auf.

»Platz? ja das weiß ich wahrhaftig nicht; wenn's _gestern_ gewesen wäre,
wo noch vernünftige Menschen im Hause regierten, ja, da wäre Platz
_gemacht_ worden, wenn keiner mehr da war; ob sich aber der gestrenge
Herr von _Heute_ dazu verstehen wird, ist eine andere Frage -- es könnte
Einer von dem Bauerpack dabei _incommodirt_ werden, und in der Hinsicht
werden jetzt furchtbar strenge Rücksichten genommen.«

»Hm so? und erst seit heute Morgen?«

»Heute ist die Geschichte an den jungen Hamann übergeben worden,« sagte
Jimmy leise, »und der Alte lebt von jetzt ab von seinen Interessen.«

»Alle Wetter, da muß er sich einen hübschen Pfennig gespart haben,«
sagte Meier, dem Barkeeper mit dem linken Auge zuwinkend, »wenn _wir_
das hätten, Jimmy, _wir_ legten's nicht hin, einen faulen Bauch bis an
sein Ende zu füttern, so viel weiß ich.«

»Ne, das ist sicher,« sagte Jimmy, der plötzlich wieder an seinen Fingern
begann, »aber an unser Einen kommt so 'was auch nicht.«

»Ih nu,« brummte Pelz, sich seinen kurzen Bart kratzend, »die
Mecklenburger z. B., die vor ein paar Tagen hier eingezogen, sind doch
auch nur ganz gewöhnliche Bauern, und _ich_ möcht' es nicht auf einmal
fortschleppen, was sie in ihren Koffern mit herumführen.«

»Die Koffer sind mordmäßig schwer,« betheuerte Jimmy.

»Jimmy, 's ist wahrhaftig Schade, daß Ihr hier Euere Fähigkeiten so
nutzlos verschwendet, Brandy und Bier einzuschenken,« meinte Meier,
nach kurzer Pause -- »ich wüßte eine famose Beschäftigung für Euch.«

»Und die wäre?« frug der Barkeeper neugierig.

»Wir sprechen ein andermal darüber,« erwiederte Meier ausweichend,
»wenn's nur einen Platz für uns im Hause gäbe.«

»Ich denke, ich kann noch einen schaffen,« sagte Jimmy, sich die Sache
ein wenig überlegend -- »Ihr macht Euch doch natürlich Nichts draus in
_einem_ Bett zu schlafen?«

»Keine Objektion in der Welt,« betheuerte Meier.

»Und die Aussicht ist auch ziemlich gleichgültig?«

»Total.«

»Gut, gleich über den Mecklenburgern ist noch ein kleines Käfterchen mit
einem Bett drin, dicht unter dem Dach; sonst nicht viel Bequemlichkeiten
oben, aber famose frische Luft, wenn Ihr _das_ haben wollt, frag ich den
Schlaps, den jungen Herrn Hamann gar nicht, und schaff Euch hinauf. Aber
wo ist Euer Gepäck?«

»Kommt in einer halben Stunde etwa mit der #dray#. -- Also sind wir
eingezogen?«

»Denke so,« sagte Jimmy, die geleerten Gläser mit dem dazu gelegten
Geld mit fortnehmend nach der Bar. Ohne dann weiter seinen jungen Herrn
um Erlaubniß zu fragen, wieß er den beiden neuen Gästen ihr kleines
Kämmerchen an, es ihnen selber überlassend, ihr Gepäck hinaufzuschaffen,
und ging wieder in die Bar hinunter, wo er, die Hände auf dem Rücken,
mit raschen Schritten und in tiefen Gedanken auf- und ablief. Das
Gespräch mit den beiden Leuten hatte ihn auf allerlei Ideen gebracht,
und Jimmy brauchte einige Zeit, die gehörig zu verarbeiten.




Capitel 6.

Kapellmeister Eltrich.


Das Paketschiff von Havre war angekommen, und von den verschiedenen
Passagieren desselben hatte sich Einer, der im St.-Charles-Hotel
abgestiegen, kaum Zeit genommen, seine Kleider zu wechseln und war dann,
jedenfalls dringende Geschäfte zu besorgen, ein paar Stunden lang Straße
auf und ab in der Stadt gefahren, bis er endlich am unteren Markt sein
Fuhrwerk ablohnte, und müde und erhitzt in eine der dort befindlichen
kleinen Eisbuden trat, sich abzukühlen und ein Glas Sherbet zu trinken.

Die Passage da vorbei war sehr belebt, kleine Gruppen von Kaufleuten
standen überall zusammen, Geschäfte wurden entrirt und abgeschlossen,
Aufträge gegeben und genommen und selbst neben dem Glas Gefrorenen in
der Bude, das oft unbeachtet zusammenschmolz, hatten die Leute ihre
Brieftafeln vor sich liegen, und notirten und rechneten mitsammen, und
ordneten die Bestimmungsorte jener Wälle von verschiedenen Waaren, die
draußen an der Levée durch Tausende von Händen aufgehäuft, und zugleich
wieder durch andere fortgeführt wurden, ohne sich anscheinend zu
vermindern oder zu vermehren.

Nur der eben angekommene Fremde hatte, wie es schien, mit Geschäften
Nichts zu thun; sein einziger Zweck war, sich auszuruhn und zu erholen,
und selbst das Leben und Treiben um ihn her interessirte ihn nicht, oder
war ihm bekannt, denn er nahm abwechselnd eine der verschiedenen, dort
liegenden Zeitungen zur Hand, flüchtig die Spalten überfliegend, oder
saß auch wohl, in Gedanken vor sich niederschauend da, nicht einmal die
Vorübergehenden beachtend.

»Täuschen mich meine Augen nicht, oder habe ich das Vergnügen, Herrn von
Hopfgarten wieder einmal begrüßen zu können?« sagte in diesem Augenblick
eine feine, unserem alten Freund sehr wohl bekannte Stimme, der auch
rasch, aber zugleich erstaunt zu der breiten, korpulenten Gestalt des
vor ihm stehenden Mannes aufsah, und sich trotzdem auf das Gesicht
durchaus nicht besinnen konnte.

»Ich weiß nicht« -- sagte er wirklich etwas verdutzt, von seinem Stuhle
aufstehend und die ganze Figur des Mannes, der jedenfalls seinen Namen
kannte, auf das Aufmerksamste betrachtend -- »Gestalt und Stimme erinnern
mich allerdings an einen früheren Reisegefährten, aber zu denen paßt das
Gesicht durchaus nicht.«

»Ja, mein guter Herr von Hopfgarten,« sagte wieder die nur zu wohl
bekannte Stimme, während der Mann selber vergnügt dabei mit dem Kopfe
nickte -- »ich bin es auch eigentlich nicht mehr; ich habe mich geschält
und die Haut abgeworfen, wie eine Klapperschlange. Schöner bin ich
dadurch freilich nicht geworden, aber heiße doch noch immer Christian
Mehlmeier.«

»Also sind Sie's _doch_!« rief Hopfgarten, ihm freundlich die Hand
entgegenstreckend, »aber um Gottes Willen, Mann, was ist mit Ihnen
vorgegangen? ich hätte Sie im Leben nicht wieder erkannt.«

»Ja, das ist anderen Leuten auch so gegangen,« schmunzelte Mehlmeier
in seinen weichsten Tönen vor sich hin -- »sehn Sie sich einmal mein
Gesicht genauer an.«

»Haben Sie die Blattern gehabt?« frug Hopfgarten mitleidig -- »es ist
voller Narben -- und die Augenbrauen fehlen ganz. Was in aller Welt
haben Sie mit sich angefangen?«

»Es ist mir wie Berthold Schwarz gegangen,« sagte Herr Mehlmeier, mit
seinem vergnügtesten Gesicht -- »ich habe ebenfalls, freilich nach einem
vorgeschriebenen Recept, auf die Art wie er, das Pulver erfunden, war
jedenfalls über die unerwartete Explosion eben so erstaunt wie er. Sie
-- Sie erinnern sich vielleicht noch des -- des Geschäfts, was ich
damals betrieb, als Sie mich, hier ganz in der Nähe, dort am Markt
drüben, fanden?«

»Sie verkauften Schwefelhölzer, wenn ich nicht irre --«

»Ich stand wenigstens zu diesem Zweck an einem jener Pfeiler,« betätigte
Mehlmeier, »verkaufte übrigens ungemein wenig, und diente eigentlich, wenn
ich so recht an jene Zeit zurückdenke, nur dazu, etwa Vorübergehenden,
die mich um Feuer baten, ihre Cigarren anzuzünden. »Danke« sagten
dann die Leute und damit war die Sache abgemacht; _sie_ gingen ihren
Geschäften nach, und ich blieb an dem Pfeiler stehn, über das meinige
Betrachtungen anzustellen.«

»Sie sehen jetzt weit besser, weit behäbiger in Ihrem Äußern aus,« sagte
Hopfgarten.

»Das wäre noch immer kein großes Lob,« meinte Mehlmeier, »denn
_schlechter_ wie ich damals aussah, kann der Mensch nicht gut
anständiger Weise in der Welt herumlaufen. Hosen und Rock hielten
gewissermaßen nur aus Gefälligkeit für mich zusammen, und außerdem
durfte ich nicht einmal vor Dunkelwerden Abends von meinem Pfeiler, den
ich mit der Dämmerung in Besitz nahm, weggehn, meines hinteren Menschen
wegen. Da traf ich _Sie_ und den fremden Herrn, der mit Ihnen war, und
von der Stunde an, mein guter Herr von Hopfgarten änderte sich mein
Loos. Ich hatte damals schon lange bemerkt, daß die Leute, welche die
Streichhölzer fabricirten, einen recht hübschen Nutzen dabei machten,
während wir Verkäufer daran verhungern konnten; von zu Hause aus war
ich auch mit der Fabrikation vollkommen gut bekannt, das Material dazu
hätte ich hier billiger wie irgendwo gehabt, das Holz brauchte ich
nicht einmal zu kaufen, denn eine kleine Strecke von der Stadt entfernt,
konnte ich mir so viel davon selber nehmen, wie ich brauchte, aber -- ich
hatte kein Capital um damit zu beginnen, und meine täglichen Einnahmen
gelangten oft nicht einmal zu der Höhe, mich, worauf ich den ganzen Tag
hungerte, Abends satt zu essen. Ich mag beiläufig bemerken, daß ich der
Schrecken der verschiedenen kleinen Eßbuden geworden war, in die ich,
sobald sich meine Kasse in den Umständen befand, ein Abendessen zu
zahlen, hineinfiel. An jenem Tage nun gab mir jener fremde Herr für
eine unbedeutende Nachricht ein Stück Geld -- ein Goldstück. Herr von
Hopfgarten -- ich will nicht versuchen, Ihnen zu schildern, was ich an
dem Tage ausgestanden habe« -- sagte Mehlmeier; seine Stimme klang dabei
leise und heiser, indeß ihm ein paar große schwere Thränen, trotzdem,
daß er mit den Augen auf das Lebhafteste blinzte und sie zurückzudrücken
suchte, zwischen die Wimpern traten -- »es war _kein_ verdientes Geld,
ich mochte dagegen argumentieren, wie ich wollte,« setzte er dann nach
kurzer Pause hinzu, »und ich -- ich war zuletzt fest davon überzeugt,
daß ich die kleine Summe -- für mich damals ein Capital -- mehr meinen
zerissenen Hosen, als der Nachricht verdankte.«

»Nein, lieber Herr Mehlmeier,« rief aber Hopfgarten rasch dazwischen
-- »die Kunde, die Sie uns gaben, hätte tausend solcher Stücke verdient
-- der alte Herr suchte sein _Kind_ und Sie zuerst brachten ihn auf die
rechte Spur.«

»Es freut mich ungemein, wenn ich dem fremden Herrn nützlich gewesen
bin,« sagte Mehlmeier ruhig, »_das_ aber war meine damalige Ansicht von
der Sache und -- hat sich auch bis jetzt noch nicht verändern können.
-- Aber meine Lage änderte sich damals. Für zwei Dollar kaufte ich mir
ein blaues Überhemd, eine solche Hose, wie sie die Feuerleute und Matrosen
tragen, ein paar Schuh, einen Hut und ein Halstuch. Trotzdem behielt
ich noch genug übrig, mich einmal recht tüchtig satt zu essen und -- es
war vielleicht eine Schwäche, aber ich hatte eine unendliche Sehnsucht
danach -- ein Glas Bier zu trinken, und für die übrigen zwei Dollar
schaffte ich mir das nöthige Material an, auf _meine_ Art _gute_
Streichhölzchen herzustellen. Mörser und sonstige Geräthschaften mußte
ich mir allerdings im Anfang noch borgen, aber das Alles machte ich,
jetzt einmal in anständigen Kleidern, wo ich mich wenigstens sehn lassen
konnte, möglich, und so klein die Quantität sein mußte, die ich mit
meinen geringen Mitteln zum ersten Mal fabricirte, so sehr sprach die
Qualität an. Wohin ich Proben brachte, bekam ich Bestellungen, von denen
ich im Anfang nur einen kleinen Theil ausführen konnte, mit jeder Woche
mehrte sich aber meine Einnahme, mit jeder Woche konnte ich größere
Mengen liefern, und war zuletzt sogar im Stande, mir erst einen, dann
zwei und mehre Arbeiter zu nehmen, dem immer steigenden Bedarf zu
begegnen. Gleich im Anfang, bei der Zusammenstellung einer Mischung,
passirte mir eines Abends das Unglück, daß mir die ganze Masse im
Mörser explodirte, und ich fand mich erst am andern Morgen in der
entgegengesetzten Ecke meines Zimmers wieder, da die Nachbarn weiter
keine Notiz von dem Knall und Qualm genommen.

»Seit der Zeit befinde ich mich aber ausnehmend wohl; ich _boarde_ in
einem anständigen Französischen Kosthaus und beschäftige jetzt elf
Arbeiter, lauter arme deutsche Einwanderer, die ich mir abrichte und gut
bezahle, verdiene dabei ein recht hübsches Geld und beginne sogar schon
an Sparen und Zurücklegen zu denken, drohenden Alters wegen.«

»Nun das freut mich wahrhaftig recht, recht herzlich von Ihnen zu
hören,« sagte Hopfgarten, dem fast die Thränen in die Augen gekommen
waren, bei der so anspruchslos und wirklich rührend vorgetragenen
Erzählung, indem er seinem alten Reisegefährten die Hand reichte und
derb und freundlich schüttelte; »es giebt wenig Leute, lieber Mehlmeier,
die so ernst und entschlossen und so brav und rechtschaffen dabei, einem
einmal gesteckten Ziele entgegenstreben, und ich wünschte in der That
recht von Herzen Ihnen irgend einen Dienst erweisen zu können, um Ihnen
zu zeigen, wie sehr ich Sie achte und schätze.«

»Ich danke Ihnen recht herzlich, mein guter Herr von Hopfgarten, für die
freundlichen Worte,« sagte Mehlmeier, wirklich gerührt, »Sie thun mir
wohl -- und eine Bitte hätt' ich wirklich an Sie, wenn Sie dieselbe
erfüllen wollten.«

»Von Herzen gern -- und was ist es?«

»Sie kennen den Herrn, der -- der mir damals das Goldstück gab?«

»Sehr gut -- ich komme jetzt gerade von dort her -- war nämlich in der
Zeit wieder in Deutschland --«

»Sie waren in Deutschland?« frug Mehlmeier, rasch und erstaunt, »ja, hm
-- das ist eigentlich gar nichts so Wunderbares, denn man fährt jetzt
rasch genug herüber und hinüber, aber -- es ist doch ein eigenes,
sonderbares Gefühl, wenn man so von Deutschland sprechen hört, fortwährend
Schiffe sieht, die hinüber gehn und von dorther kommen, und -- so gern
man hinüber _möchte_, und auch _könnte_, was eben die Passage betrifft,
doch auf der weiten Gottes Welt da drüben, wo man doch eigentlich zu
Hause ist, Nichts weiter zu thun hat; Nichts wieder anfangen könnte, und
nun ganz allein aus dem Grunde hier bleiben muß.«

»Aber mit was sollte ich Ihnen dienen?«

»Ja,« sagte Mehlmeier rasch, »sehn Sie den Herrn -- wie war sein Name
gleich?«

»Dollinger.«

»Sehn Sie den Herrn Dollinger wieder?«

»Hoffentlich bald, jedenfalls schreibe ich ihm in den nächsten Tagen.«

Mehlmeier griff in die Tasche, nahm ein Amerikanisches Goldstück heraus
und sagte, es Herrn Hopfgarten hinreichend:

»Dann thun Sie mir die große Liebe, mein bester Herr von Hopfgarten, und
geben Sie ihm das _Goldstück_ nicht allein zurück, sondern sagen dem
Herrn auch _wie_ Sie mich wieder gefunden haben, und daß ich das nur
allein als _sein_ Werk betrachten könne, ihm auch ewig dankbar dafür
sein würde.«

»Aber mein bester Herr Mehlmeier,« rief Hopfgarten, das Goldstück
zurückweisend, »Herr Dollinger ist ein reicher, ein _sehr_ reicher Mann,
und ich weiß --«

»Und wenn er ein Millionair wäre,« sagte Mehlmeier fest und bestimmt,
»es ist nicht der wenigen Thaler, es ist der Sache wegen, das Geld hat
mir auf der Seele gebrannt, und Sie erzeigen mir einen unendlich großen
Dienst, wenn Sie es dem rechtmäßigen Eigenthümer zurückerstatten. Es hat
mir genug genützt, und da jetzt die _Ursache_ verschwunden ist, der ich
es verdanke« -- und Mehlmeier warf einen wehmüthigen Blick an seinen
Beinen hinunter -- »so darf ich auch mit gutem Gewissen die Wirkung
zurückgeben. Sie thun mir einen _großen_ Gefallen mit der Erfüllung
meiner Bitte, mein lieber Herr von Hopfgarten.«

»Sie sind ein wunderlicher Mensch,« sagte der kleine Mann freundlich,
das Goldstück dabei nehmend und einsteckend, »ich will es besorgen; aber
Herr Dollinger glaubt sich Ihnen nun einmal zu Dank verpflichtet, und
wird das auf andere Weise wieder gut machen wollen. Jedenfalls muß er
Ihnen die Quittung einsenden, daß _ich_ wenigstens das Geld richtig
abgeliefert habe, und ich möchte Sie deshalb um Ihre Adresse bitten.«

»Das wird nicht nöthig sein,« sagte Herr Mehlmeier mit einem wehmüthigen
Blick.

»Nein, nein; es muß Alles seine Ordnung haben,« rief Hopfgarten, »also
Ihre Adresse?«

»Erlaube ich mir denn hier auf einem Exemplar meines Fabrikats zu
überreichen,« sagte Mehlmeier mit einer etwas linkischen und verlegnen
Verbeugung Hopfgarten ein kleines elegantes Etui mit Streichhölzchen,
auf denen seine genaue Firma angegeben stand, übergebend, »das sind
meine Visitenkarten,« setzte er lächelnd hinzu.

»Vortreffliche Visitenkarten,« lachte Hopfgarten, sie betrachtend
und einsteckend; »aber apropos, mein lieber Herr Mehlmeier, Sie als
wandernder Adreßkalender sind vielleicht im Stande mir wieder eine
Auskunft zu geben. Können Sie mir vielleicht sagen, wo ich einen
gewissen Ledermann, einen Juristen, hier in der Stadt finde?«

»Ledermann? -- Ledermann? -- nein, der Name ist mir gänzlich unbekannt,«
sagte Mehlmeier, sehr bestimmt mit dem Kopf nickend; Hopfgarten kannte
aber seine schwache Seite mit den verkehrten Gesticulationen, und wußte
was er meinte.

»Er arbeitete früher in dem Bureau des Mr. Mac Culloch, des Staatsanwalts,«
setzte er dann hinzu, »der ist aber in diesem Augenblick verreist und
sein Bureau geschlossen, und von den Hausleuten wollte ihn Niemand
kennen.«

»Ledermann?« sagte Mehlmeier, die Hände am Kinn, in tiefem Nachdenken.

»Eine lange hagere Gestalt,« half Hopfgarten seinem Gedächtniß nach,
»ein dünnes, mageres Gesicht und blonde Haare.«

»Hm, ich kenne einen Herrn _Fort_mann, der etwa auf diese Beschreibung
paßte.«

»Donnerwetter, _Fort_mann!« rief Hopfgarten, sich vor den Kopf schlagend,
»jetzt hab' ich die Namen verwechselt -- Fortmann heißt er ja auch
-- Mehlmeier, Sie sind ein kapitaler Mann -- _wo_ find' ich den?«

»Ja, wo Sie den _jetzt_ finden, wenn er nicht in seinem Bureau ist,
weiß ich allerdings auch nicht -- er müßte denn sonst vielleicht beim
Kapellmeister sein.«

»Was für ein Kapellmeister? -- wo wohnt der?«

»Kapellmeister Eltrich, gar nicht weit von hier.«

»Eltrich? -- _unser_ Eltrich von der Haidschnucke? -- ich glaubte, der
sei ein Arbeiter an einem Dampf- oder Flatboot geworden.«

»Allerdings, im Anfang, weil ihm seine sämmtlichen Sachen, selbst seine
Violine gestohlen worden; nachher aber hat er sich ganz tüchtig wieder
herausgearbeitet, und jetzt eine brillante Anstellung an der hiesigen
französischen Oper erhalten.«

»Und dort ist Ledermann zuweilen?«

»Herr Fortmann? ja, aber wir gehn hier nur diese Straße hinunter, und
ich kann Ihnen dann das Haus zeigen.«

»Kommen Sie nicht mit hinauf?«

»Es ist meine Arbeitszeit jetzt, mein bester Herr von Hopfgarten,« sagte
Mehlmeier, »und ich habe mich überdieß schon zu lange von meinen Leuten
entfernt -- jedenfalls hoffe ich Sie noch zu sehn ehe Sie New-Orleans
verlassen. Denken Sie sich lange hier aufzuhalten?«

»Einige Tage -- doch noch eins, mein lieber Mehlmeier, so viele Menschen
sind Ihnen hier vorgekommen -- wissen Sie vielleicht zufällig, wo sich
-- Herr Henkel jetzt aufhält?«

»Nein, das ist merkwürdig, _den_ Herrn habe ich auch mit keinem Auge
wieder gesehn, seit wir gelandet sind. Im Anfang ging einmal ein dumpfes
Gerücht, daß doch nicht Alles mit ihm so in Ordnung -- nicht eben Alles
Gold sei, aber ich weiß nicht, ich habe weiter Nichts darüber gehört und
-- wenn ich aufrichtig sein soll, mich nicht weiter darum bekümmert.
Sehn Sie dort? das ist die Wohnung Eltrichs -- das kleine freundliche
weiße Häuschen, mit den grünen Jalousieen, und dorthinein wohne _ich_.
Also mein lieber Herr von Hopfgarten, ich habe die Ehre mich Ihnen auf
das Freundlichste zu empfehlen.«

Hopfgarten nahm herzlichen Abschied von ihm; der Mann hatte etwas rührend
Hartnäckiges in seinem ganzen Wesen, mit dem er dem Unglück die Spitze
geboten und sich, allen bösen Neigungen wacker dabei begegnend, an die
Oberfläche gearbeitet.

Noch stand er in der Straße, unfern von Eltrichs Wohnung, und sah
dem rasch und geschäftig davongehenden Manne nach, als ein, in einen
abgetragenen blauen Frack geknöpftes Individuum an ihm vorüberging,
ihn scharf fixirte, und sich rasch gegen ihn wendend die rechte Hand
-- unter dem linken Arm trug er ein Cigarrenkistchen -- nach ihm
ausstreckte und rief. »Sieh da, sieh da Thimoteus, die Kraniche des
Ibikus -- Herr von Hopfgarten; eine höchst angenehme Erscheinung beim
Zeus, in diesem verdammten hausbackenen Land.«

»Herr Steinert?« rief Hopfgarten erstaunt aus, »ich hätte Sie fast nicht
wieder erkannt -- wie geht es Ihnen?«

Steinert zuckte die Achseln.

  »Durch Unglück mehr als durch Versehn,
   Verlor Alcest im Handel sein Vermögen

-- verwünschte Geschichte das hier, man darf seinem eigenen Bruder nicht
trauen, wenn man wirklich einen hier hat. Ich habe bittere Erfahrungen
gemacht, Herr von Hopfgarten -- bittere Erfahrungen und -- wenn weiter
Nichts -- Menschenkenntniß gesammelt, wie wohl kaum Einer vor mir. Ich
sage Ihnen, ich könnte eine Geographie des menschlichen Herzens, der
menschlichen Schwachheiten, Laster und Leidenschaften herausgeben.«

Hopfgarten hatte sich indessen, so genau das geschehn konnte, ohne den
Mann durch ein zu scharfes Anschauen zu kränken, die vor ihm stehende
Gestalt betrachtet, und das Resultat fiel gerade nicht zu Steinerts
Vortheil aus. Sein Anzug, einst jedenfalls modern, war abgerissen, und
noch schlimmer, war schmutzig; eben so seine Wäsche. Nur den äußeren
Staat hatte er noch beibehalten; der große Siegelring saß auf einer
ungewaschenen Hand, und neben den Uhrberloquen zeigte das Tuch häßliche
farbige Flecke. Sein Gesicht sah dabei verwildert aus; die Augen lagen
ihm tief und durchschwärmte Nächte, wenn nicht Mangel kündend, in den
Höhlen, und flogen unruhig, ungeduldig, ohne auf irgend einem Punkte zu
haften, umher.

»Und womit beschäftigen Sie sich jetzt,« sagte Hopfgarten endlich, dem
es unheimlich in der Nähe des Mannes wurde, »haben Sie irgend eine
Anstellung? irgend ein -- ein --«

»Ein freies Leben führen wir,« unterbrach ihn aber Steinert, den rechten
Arm mit einer etwas theatralischen Bewegung zum Himmel hebend. »Ich
konnte mich erstlich nie dazu verstehen, zu irgend Jemand in ein
dienstliches Verhältniß zu treten -- der Gott, der Eisen wachsen
ließ, der wollte keine Knechte -- und dann bin ich wohl ein halb Jahr
vergebens herumgelaufen,« setzte er, wieder in eine natürlichere
Stellung zurückfallend, hinzu, »ohne irgend einen passenden Platz für
mich auftreiben zu können. Für jetzt habe ich übrigens eine famose
Quelle ächter Havanna-Cigarren entdeckt,« und er nahm bei den Worten
das Kästchen rasch unter seinem linken Arme vor, »die ich Ihnen mit
gutem Gewissen empfehlen kann, mein bester Herr von Hopfgarten. Famose
Cigarren, sage ich Ihnen, und zu einem Preis,« setzte er leise flüsternd,
und mit einem scheuen Blick umher, hinzu, indem er das Kästchen sehr
aufmerksam und ängstlich öffnete, »wie sie kein Mensch auf der Welt
liefern _könnte_, wenn sie eben nicht -- _geschmuggelt_ wären.«

»Sie wissen ja, bester Herr Steinert, daß ich gar nicht rauche,« sagte
Hopfgarten freundlich, »ich bin auch wirklich in diesem Augenblick so
mit meiner Zeit --«

»Sie rauchen gar nicht?« sagte Steinert etwas bestürzt, »aber Sie haben
doch gewiß Jemand, den Sie mit einem halben Tausend Regalias glücklich
machen würden.«

»In der That Niemanden hier, mein bester Herr; es ist auch schon spät
geworden heute, und ich bin eben erst wieder angekommen.«

»Ich sehe, Sie sind in Eile,« sagte der frühere Weinreisende rasch,
indem er das schon halb geleerte Kästchen -- was in Hopfgarten den
Verdacht aufsteigen ließ, daß er die Regalias auch im Einzelnen verwerthe
-- wieder an seinen früheren Platz zurückschob. »Ich will Sie nicht
länger aufhalten, aber -- ich dürfte Sie wohl um eine Gefälligkeit
bitten. Wir sind hier gerade in der Nähe und ich habe vergessen mein
Portemonnaie zu mir zu stecken -- bin jedoch einem Freund von mir da
drüben fünf Dollar schuldig. _Wären_ Sie wohl so freundlich, mir diese
kleine Summe auf ein paar Stunden zu leihen?«

»Mit dem größten Vergnügen,« sagte Hopfgarten verlegen, und
unwillkürlich zugleich in seiner angeborenen Gutmüthigkeit in die
Westentasche fahrend, »ich weiß nur nicht --«

»Philemon, der bei großen Schätzen ein edelmüthig Herz besaß,« recitirte
Steinert.

»Wenn Ihnen für den Augenblick mit dieser Dollarnote gedient wäre.«

»Sie sind sehr freundlich -- aber Sie erlauben mir, daß ich es mir
gleich notire; ich habe so vielerlei im Kopf, und morgen zahle ich es
Ihnen jedenfalls zurück. Welches Hotel?«

»St. Charles --«

»Ah, desto besser; dort dinire ich auch gewöhnlich -- Herr von
Hopfgarten »Haben« 1 Dollar.«

Er hatte dabei eine rothe, ziemlich umfangreiche Brieftasche vorgenommen,
die Cigarrenkiste auf das linke emporgezogene und ziemlich geschickt
balancirte Knie gelegt, und notirte sich den Fall auf ein weißes Blatt.

»Mein guter Herr Steinert, ich habe indessen das Vergnügen Ihnen einen
angenehmen Abend zu wünschen.«

»Ah, guten Abend, lieber Hopfgarten, guten Abend,« rief Steinert, ihm,
immer noch in der vorigen Stellung, mit dem Bleistift freundlich
zuwinkend.

Hopfgarten benutzte die Gelegenheit, Eltrichs Haus zu erreichen, und
stieg die wenigen Stufen vor der Hausthür, an deren Klingel er zog,
rasch hinan.

Ein wunderhübsches, nur etwas kränklich aussehendes, beinah weißes
Mädchen, aber doch mit dem eigenen dunkeln Teint und fast blauschwarzen
Haar dieser Race, das die Quadroonin verrieth, öffnete ihm die Thür,
frug den Erstaunten in deutscher Sprache was er wünsche, und führte
ihn dann in das untere Zimmer, wo Hopfgarten zu seiner nicht geringen
Genugthuung -- denn Mehlmeier hatte ganz recht gehabt -- Herrn Ledermann
#alias# Fortmann, am Kaffeetisch bei Eltrichs traf, und von den dreien
auf das Herzlichste begrüßt wurde. Eltrichs kleine reizende Frau war
besonders glücklich den alten Reisegefährten, der sich schon an Bord von
allen Cajütspassagieren immer am freundlichsten gegen sie benommen, bei
sich zu sehn und bewirthen zu können, und verschwand gleich aus dem
Zimmer, aufzutragen, was nur, trotz Hopfgartens Protestiren, Küche und
Keller vermochte.

Nach den ersten Begrüßungen aber lag Hopfgarten viel zu sehr daran zu
erfahren was er von Ledermann hinsichtlich seiner Nachspürungen nach
jenem Soldegg hören sollte. Eltrich wußte überdieß von der Sache, über
die Ledermann schon oft mit ihm gesprochen, und Hopfgarten erfuhr jetzt
daß von Soldegg selber allerdings nicht das Mindeste wieder gesehen
wäre, seit Herr von Hopfgarten die letzten Nachrichten von ihm mit
aus Milwaukie gebracht, daß aber ein Compagnon von ihm, jener Goodly,
unter einem falschen Namen in New-Orleans ertappt sei, und einen
Schlupfwinkel gestohlener Güter verrathen habe, in dem man auch einen
nicht unbeträchtlichen Theil von Herrn Dollingers Waaren gefunden hätte.
Nach allen verschiedenen Staaten, selbst nach Canada hinauf, war indeß
geschrieben worden, des Burschen habhaft zu werden, doch umsonst;
entweder war er untergegangen, oder lebte irgendwo, unter einem falschen
Namen, von seinem Raube, wo es freilich dem Zufall überlassen bleiben
mußte, ihn einmal auszuspüren und zu Tag zu bringen.

Herr _Fort_mann, der übrigens Eltrich gegenüber sein Incognito nicht
beibehalten konnte, da Beide schon in Heilingen befreundet, wenigstens
bekannt gewesen waren, wünschte, wie sich wohl denken läßt, ebenfalls
etwas Neues von dort zu hören, das ihm Hopfgarten denn auch nicht
vorenthielt. Während Frau Eltrich nun dem Gast, der endlich eingestehn
mußte, daß er in aller Eile heute auf Amerikanischem Boden noch nicht
einmal zu Mittag gegessen, ein kleines Mahl mit Claret und Eis
herrichtete und ihn selber dabei, trotz allen Einwendungen, bediente,
mußte er erzählen, wie er es in Heilingen gefunden, wie es dort aussah,
was die Leute dort trieben und -- wie es vor allen Andern der Frau
Aktuar Ledermann ging, für die sich Frau Eltrich ganz speciell
interessirte.

»Hm, ja,« sagte Hopfgarten lächelnd, und emsig dabei beschäftigt ein
kaltes gebratenes Huhn zu zertheilen, »gut -- sehr gut -- hat ihre
Trauer -- dieß Huhn ist wirklich delikat -- hat ihre Trauer abgelegt und
wohnt jetzt bei ihrem Bruder.«

»Existirt der Lump auch noch?« frug Ledermann.

»Wollte wieder ein Geschäft eröffnen,« fuhr Hopfgarten langsam fort,
»scheint aber doch nicht, nach den beiden vorher erfolgten Fällen, das
nöthige Vertrauen gefunden zu haben, und hat sich, auf dringendes
Anrathen des Herrn J. G. Weigel entschlossen, mit seiner Schwester --«

»Den Teufel auch!« rief Ledermann von seinem Stuhl aufspringend, und in
jäher Angst den Schluß des Satzes errathend.

»Mit seiner Schwester,« fuhr Hopfgarten ruhig fort, »nach Amerika
auszuwandern.«

»Was für ein rührendes Wiederfinden das werden würde, Herr Ledermann,«
lachte diesen Frau Eltrich schelmisch an.

»Man soll den Teufel nicht an die Wand malen,« rief aber der Aktuar
wirklich bestürzt -- »tollere Sachen sind schon vorgefallen, und _mir_
bliebe nachher Nichts übrig, als mir eine Kugel vor den Kopf zu schießen.
-- Aber -- nicht wahr, lieber Herr von Hopfgarten, Sie machen nur Spaß?
das ist Ihr Ernst nicht. -- Meine Frau, ich meine die verwittwete Frau
Aktuar Ledermann, denkt nicht daran nach Amerika zu kommen?«

»Ich gebe Ihnen meinen Ehrenwort, daß die Sache schon so gut wie
abgemacht war; das Ziel aber, soviel wie ich davon erfahren konnte, lag
nach den nördlichen Staaten, New-York oder Baltimore, wo Sie denn hier
allerdings nicht viel zu befürchten hätten; ich habe mich, wie Sie
sehen, genau nach Allem erkundigt.«

»Der Henker traue,« rief Ledermann, unruhig im Zimmer auf- und abgehend,
»wenn die Frau erst einmal nicht mehr durch das ganze Weltmeer von mir
getrennt ist, findet sie mich auch wieder heraus, und wenn sie nur erst
einmal eine Ahnung davon bekömmt, daß ich noch lebe, bin ich verloren.«

Eltrich und Hopfgarten lachten über die Angst des armen Teufels, der eine,
vielleicht noch jahrelang entfernte Gefahr schon jetzt heraufbeschwor,
sich selber zu quälen; Ledermann konnte aber den Gedanken nicht los
werden, und Hopfgarten ihn endlich nur dadurch beruhigen, daß er ihm
versicherte, der Schiffsakkord für seine Frau wäre erst für das nächste
Jahr abgeschlossen, bis wohin noch mancher Tropfen Wasser den Berg
hinunter fließe. Übrigens schien kein Mensch in ganz Heilingen, seiner
Betheuerung nach, eine Ahnung zu haben, daß der Aktuar _nicht_ ertrunken,
sondern nach Amerika geflüchtet sei. Der Körper war allerdings, trotz
hartnäckigem Suchen, _nicht_ gefunden worden, aber das _Spielen vor_her,
und die kalte, ruhige, sehr gut geheuchelte Verzweiflung _nach_her,
schienen bei den in solcher Art auch eben nicht mistrauischen Heilingern
keinen Zweifel mehr übrig gelassen zu haben. #Dr.# Hayde besonders
hatte die Gelegenheit gleich wahrgenommen, einen langen, allerdings
etwas schlecht stylisirten Artikel im Tageblatt zu schreiben, worin
er nachwieß, daß der Selbstmord nur eigentlich, trotz einzelner
Ausnahme-Fällen, ein durchaus _bürgerliches_ Laster sei, (und später
dafür von seiner Regierung den gelben Sperlings-Orden fünfter Klasse
erhielt;) die Sache war dadurch, wenn auch eben nicht bewiesen, doch
außer allen Zweifel gesetzt. Es dachte sich in der That Niemand die
Möglichkeit eines anderen Falles, und Therese Ledermann selber, wenn
ihr ja einmal ein solcher Gedanke dunkel und unbestimmt vor der Seele
aufgestiegen sein sollte, verwarf ihn eben so rasch wieder. Wo hätte
Ledermann den Muth herbekommen, sich ihrem Regiment auf eine solche
Weise zu entziehn.

Herrn Hopfgarten lag aber auch jetzt daran zu erfahren, wie Eltrich, von
dem er doch durch Maulbeere gehört, daß er an einem Boote als Handlanger
arbeite, sich so rasch und glänzend heraufgeschwungen habe, und dieser,
seine kleine Frau dabei rasch zu sich nieder auf seinen Stuhl ziehend,
gab ihm gern Bescheid.

Vor allen Dingen erzählt er ihm seine erste Landung, wie sie, durch das
viele Neue verwirrt, den Karren aus den Augen gelassen hätten, auf dem,
von einen Neger gezogen, ihre sämmtlichen Sachen, selbst sein Instrument,
gelegen. Der diebische Schwarze war damit durchgegangen, und nie wieder,
trotz allen Nachforschungen, aufzufinden gewesen. In der ungeheueren
Stadt, wo noch dazu weder über Kommende noch Gehende auch nur die
geringste ernstliche Controlle geführt wird, hätte nur der Zufall sie
auf die Spur des Diebes bringen können.

Dort begann eine schwere Zeit, besonders für seine arme Frau, die, von
allem entblößt, mit dem Kinde der dringenden Noth entgegen ging. Noth
aber lehrt nicht allein beten, sondern mehr noch arbeiten, und fest
entschlossen, sich durch Nichts beugen zu lassen, sondern dem Schicksal
fest und trotzig die Stirn zu bieten, lief Eltrich, mit _ganz_ andern
Hoffnungen nach Amerika gekommen, und als andere Schritte fehl schlugen,
in der Stadt herum _Arbeit_ zu suchen; Arbeit wie sie vorkam, hart oder
leicht, nur Brod zu verdienen, für sich und die Seinen. Nach einiger
Anstrengung gelang ihm das auch -- er wurde zuerst auf einem Flatboot
zum Ausladen der Fracht engagirt, mit einem Dollar den Tag; wie das
beendet war, fand sich Arbeit auf einem anderen, und ihre Existenz war
wenigstens gesichert.

Aber er brauchte mehr als das -- er mußte Geld verdienen, wieder eine
Violine, und zwar ein tüchtiges Instrument zu kaufen; er mußte Geld
verdienen, sich wieder anständige Tuch-Kleider anzuschaffen, in denen er
Besuche machen konnte, und seine Finger, die ihm später in seiner Kunst
sein Brod verdienen sollten, ruinirte er indessen mit Fässer rollen und
dem scharfen Tau der Winde. Unermüdlich aber, unverdrossen, schaffte
und arbeitete er dabei im gießenden Regen, wie in der brennenden Sonne,
und sparte jeden Cent, den sie nicht nothwendig zum Leben brauchten,
während sich die Frau ebenfalls Mühe gab Geld zu verdienen, und es
endlich möglich machte, erst von der Frau des Hausbesitzers, und dann
durch diese empfohlen, auch von einigen Nachbarn feine Wäsche zum
Waschen und Plätten zu bekommen.

»Es war dabei eine recht traurige und entmuthigende Zeit für mich,«
erzählte Eltrich, »denn während ich meinem nächsten Ziel, mir wieder
ein Instrument und uns beiden anständige Kleider zu kaufen, wohl
entgegenrückte, sah ich doch um mich her eine Menge Leute meiner Kunst,
die mit ziemlichem Talent und guten Empfehlungsbriefen ausgerüstet,
ankamen, eine Weile sich schwimmend über Wasser hielten, und dann
spurlos verschwanden. Ich wußte dabei nicht, ob sie untergegangen, oder
nur von der Strömung mit fortgerissen waren, und mußte mir zu meiner
Beschämung gestehn, daß ich wahrscheinlich jetzt mit meiner Hände
Arbeit, als gewöhnlicher Tagelöhner, _mehr_ verdiente, wie es mir
möglich sein würde mit meiner Kunst zu erschwingen; nichts destoweniger
ließ ich den Muth nicht sinken. Dabei hatten wir Glück; meine Frau gab
unserer Wirthin, die sich überhaupt sehr freundlich gegen uns bewieß,
Clavierunterricht, da sie dorthin unseren Knaben mitnehmen konnte. Unser
Schicksal war dabei durch unsere Wirthsleute bekannt geworden, und ich
wurde von dem Eigenthümer unserer Wohnung eines Abends, wo ich gerade
von der Arbeit zu Hause kam, aufgefordert, in einer Gesellschaft, die er
gab, zu spielen. Ein Instrument sollte ich dort vorfinden, und leichte,
anständige Sommerkleider besaß ich schon, Dank unseren Ersparnissen;
aber meine Finger waren steif geworden, und nicht ein einziges Mal hatte
ich die ganze Zeit geübt. Die Sache ging mir, wie Sie wohl denken können,
im Kopf herum -- trotzdem nahm ich, mit einer mir selbst jetzt noch
unerklärlichen Keckheit, die Einladung an, und die Sehnsucht, wieder
einmal einen Bogen in der Hand zu fühlen, mochte wohl größtentheils die
Schuld dabei tragen. Dann aber war ich es auch meiner armen kleinen Frau
schuldig, Alles zu thun, was in meinen Kräften stand, unsere Lage zu
verbessern, und dadurch geschah vielleicht der erste Schritt.

»Die Gesellschaft versammelte sich ziemlich zahlreich, und ich spielte,
zu Adelens Entsetzen, aber aus sehr natürlichen Gründen, spottschlecht.
Nichts destoweniger waren die Leute freundlich genug gegen mich -- sie
wußten ja, daß ich den Tag über Porkfässer gerollt und Maissäcke
geschleppt hatte; der Wirth aber überließ mir von da an die Violine
zum Üben, bis ich mir selber eine kaufen konnte, und -- veranstaltete
heimlich, aber in meinem Namen, ein Concert. Ich spielte, und es ging
nicht allein vortrefflich, sondern ich kam dadurch auch plötzlich und
eigentlich ganz unerwartet in den Besitz eines Capitals von hundert und
einigen achtzig Dollarn, mit denen ich allerdings jetzt ein neues Leben
beginnen konnte. Am nächsten Tage mußte ich freilich noch einmal Fässer
rollen -- ich hatte dem Mann versprochen gehabt zu kommen und hielt auch
Wort; aber es war das letzte Mal, und ich begann eine neue Existenz.
Allerdings stand ich nicht mehr allein und freundlos da, denn die
Amerikaner und Franzosen, mit denen wir bekannt geworden, und die
doch wohl fanden, daß wir Beide nicht in die Masse der gewöhnlichen
Einwanderer gehörten, nahmen sich unserer auf das Herzlichste an. Ich
sowohl, wie meine Frau, bekamen eine Menge Stunden zu geben, und Madame
Fleurette, unsere freundliche Wirthin, ließ es sich nicht nehmen, den
Knaben indessen bei sich zu behalten. Wieder gab ich jetzt mit meiner
Frau zusammen zwei Concerte, und während andere, weit größere Künstler
als ich, kaum die Kosten solcher Abende herausgeschlagen, traf ich Zeit
und Umstände so glücklich, daß ich das erste Mal einen Überschuß von
zwei-, das zweite Mal von dreihundert Dollar hatte. Ich bekam einen Ruf
in New-Orleans, und um kurz zu sein, zuletzt die Stelle am hiesigen
Französischen Theater, mit einem recht anständigen Gehalt, habe dabei
Stunden zu geben, so viel ich geben kann, und befinde mich jetzt mit
meiner kleinen Familie wohl und zufrieden.«

Hopfgarten sprach seine innige Freude über das glückliche Gedeihen in
Eltrichs Verhältnissen aus, und erzählte jetzt auch wie er die beiden
früheren Freunde, Steinert und Mehlmeier, gefunden habe.

»Herr Steinert ist ein Lump,« sagte da Eltrich, »und Mehlmeier, trotz
einigen Eigenheiten, die er an sich haben mag, ein Ehrenmann. Wie
Mehlmeier im Unglück war, und Steinert noch Leute fand, die ihm borgten,
hat er den armen Teufel nicht einmal mehr angesehn, und sich seiner
Bekanntschaft geschämt; ihn jetzt aber, wo sich Mehlmeier herausgearbeitet
hat, schon drei oder vier Mal angeborgt. Mehlmeier in seiner Gutmüthigkeit
läßt sich auch beschwatzen, er wird aber doch endlich einmal klug
werden, und aufhören sein Geld in diesen Schmutzbrunnen zu werfen.«

»Wie der Trunk hier in Amerika die Leute ruiniren kann,« sagte Ledermann,
»davon habe ich in der kurzen Zeit meines Aufenthalts hier, schon mehre
recht traurige Beispiele gesehn. So traf ich heute Morgen erst wieder
einen alten Bekannten, und früher sehr wohlhabenden Mann aus oder bei
Heilingen, den Wirth des rothen Drachens dort, den ich in brillanten
Verhältnissen in Deutschland zurückließ.«

»Lobsich? -- hier in New-Orleans? -- was ist mit dem?« rief Hopfgarten.

»Kennen Sie ihn?«

»Von Milwaukie her -- das ist ja derselbe Wirth, in dessen Hause ich
verhaftet wurde; aber was treibt er jetzt? hat er sein Gasthaus
aufgegeben?«

»Seine Frau, die das Ganze zusammengehalten zu haben scheint, ist ihm
gestorben,« sagte Ledermann, »und der Mann hat dann wahrscheinlich durch
den Trunk -- denn er taumelte selbst hier, als ich ihn sah -- sein
Geschäft nach und nach ruinirt.«

»Hat er Sie gesehn?« frug Hopfgarten lächelnd.

»Brille und Bart haben mich sehr verändert,« erwiederte Ledermann etwas
verlegen; »ich kann darin ziemlich sicher sein; dennoch fühle ich mich
nicht wohl hier, und werde mich wahrscheinlich in nächster Zeit weiter
in das Innere zurückziehn; es kommen doch fast zu viel Bekannte
hierher.«

Ledermann mußte jetzt Herrn von Hopfgarten erzählen, was er von den
hiesigen Verhältnissen seiner Bekannten wußte, und besonders interessirte
ihn dabei Hedwig Loßenwerders glückliche Verbindung, die sie in eine
angenehme und unabhängige Stellung gebracht hatte. Er trug auch Briefe
für Hedwig von Clara, wie die Hinterlassenschaft ihres Bruders bei
sich; ebenso die in den gelesensten deutschen Blättern veröffentlichte
Erklärung der Gerichte selber, nach denen der damals angeschuldigte, und
durch unglückliche Umstände zum Selbstmord getriebene Franz Loßenwerder
von jeder Schuld an dem ihm zur Last gelegten Diebstahl freigesprochen,
und sein Name von jedem auf ihm haftenden Makel gereinigt wurde. Herr
Dollinger selber hatte dann noch eine eigene Erklärung erlassen, und
überhaupt Alles gethan, was in seinen Kräften stand, wenigstens das
Andenken des armen unglücklichen Menschen von jedem bösen Leumund zu
befreien, und seinen ehrlichen Namen wieder herzustellen. Ein einfacher
Stein auf seinem Grabe erzählte ebenfalls in kurzen schlichten Worten
seine Leidensgeschichte, und was er unschuldig getragen -- guter Gott,
er war todt, und gedruckte, und in Stein gegrabene Worte konnten das
Unrecht nicht ungeschehen machen, das ein armes, treues Menschenherz in
Gram und Schmerz gebrochen.

Wie froh, aber auch wie schmerzlich mußte die arme Hedwig eine solche
Nachricht bewegen, und Adele bat deshalb ihren Mann die junge Frau,
die sie schon auf dem Schiffe lieb gewonnen, und mit der sie auch in
New-Orleans öfter zusammengekommen, heute Abend _mit_ dem jungen Hamann
hierherzuholen, und ihr die Briefe hier zu übergeben. Eltrich verstand
sich gern dazu, und er und Hopfgarten beschlossen augenblicklich hinüber
nach Fayetteville zu fahren und die jungen Leute gleich mitzubringen.
Ledermann hatte noch einige Geschäfte zu besorgen, versprach aber auch
gegen Abend zurückzukommen und diesen in ihrer Gesellschaft zu
verbringen.

Als Hopfgarten mit Eltrich wieder durch das Haus ging, öffnete ihnen das
junge Quadroon-Mädchen die Thür.

»Wetter noch einmal, was ist das für ein liebes freundliches Gesicht,«
sagte Hopfgarten, als sie draußen auf der Straße waren, und dem nächsten
Omnibus zugingen, »doch mit Negerblut in den Adern.«

»Es ist das erste gute Werk, das ich in Amerika habe thun können,«
lächelte Eltrich, »eine durch mich befreite Sclavin.«

»Was?« rief Hopfgarten, sich rasch und erstaunt nach ihm umdrehend, »das
hab' ich ja gar nicht gewußt, daß Sie schon Zeit zu Entführungen gehabt
-- davon haben Sie mir ja kein Wort erzählt.«

»Die Sache hat auch keineswegs einen solchen poetischen Hintergrund
-- ich habe sie, mit Hülfe meines früheren Wirthes, der mir die Hälfte
der Summe vorgestreckt, _gekauft_, und diese zweite Hälfte arbeitet sie
nun selber ab, so daß sie, mit den Geschenken, die sie bekommt, denn
alle meine Freunde nehmen Theil an ihr, schon wahrscheinlich in zwei
Jahren, vielleicht noch früher, vollkommen frei und ihre eigene Herrin
sein wird. Ich erzähle Ihnen die Geschichte ein ander Mal, denn hier
ist unser Omnibus, der uns hinüber nach Fayetteville nehmen soll.«

Sie stiegen in den schon ziemlich gefüllten, auf Rädern gestellten
unförmlichen Kasten, der dazu diente, Passagiere von einem Ende der
Stadt zum andern zu befördern, und mußten eng zusammenrücken, da der
Bursche hinten am Schlag hinein beförderte, was eben Passage bezahlte,
gleichviel wie viel Platz der inwendige Raum bot.

Dicht vor ihnen, auf der gegenüber befindlichen Bank, daß ihre Kniee
ineinanderpreßten, saß ein sehr anständig gekleideter Mann, der Hopfgarten
ungemein bekannt vorkam. Auch dieser fixirte ihn und Eltrich in der
schon einbrechenden Dämmerung ein paar Augenblicke, und dann dem
letztern die Hand entgegenstreckend sagte er freundlich:

»Ich glaube, daß wir zum zweiten Male Reisegefährten sind -- Herr
Eltrich -- Herr von Hopfgarten -- nicht wahr?«

»Leupold, wahrhaftig!« rief Eltrich, rasch und freundlich die
dargebotene Hand nehmend und schüttelnd, »wir haben uns nicht gesehn
seit wir das Schiff verlassen; wie geht es Ihnen?«

»Körperlich _recht_ gut,« sagte Leupold, doch ein recht wehmüthiger Zug
um den Mund strafte ihn Lügen dabei, oder verbarg mehr als er sagen
wollte.

»Sie sind hier in New-Orleans etablirt?« frug ihn Hopfgarten.

»Ja, Herr Baron, und ich muß gestehen, ich habe viel Glück gehabt
-- wie man hier so im gemeinen Leben sagt -- in meiner Familie aber
destomehr Leid.«

»Ist Ihre Mutter krank geworden?« frug Eltrich.

»Sie starb vorigen Herbst am gelben Fieber;« erwiederte Leupold, »auch
ein Knabe, der vor zwei Jahren beide Eltern an der Seuche verloren,
und den ich an Kindesstatt zu mir genommen hatte, nur irgend Jemand zu
haben, den ich lieben konnte, der mich liebte. Sie sind Alle todt, und
ich arbeite jetzt eigentlich für weiter Nichts, als eben zu essen und zu
trinken.«

»Doch sonst geht es Ihnen gut?« frug Hopfgarten.

»Was pecuniäre Verhältnisse betrifft, allerdings. Wie das gelbe Fieber
dießmal nahte, floh Alles, was nur fortkommen konnte. Ich selber hatte
eine stille Hoffnung, daß mich Gott ebenfalls abrufen würde; ohne Zweck
und Ziel sich so allein in der Welt herumzutreiben wird Einem doch zuletzt
verleidet; ich wurde aber nicht einmal krank. Ich war bei, Gott weiß wie
vielen Leichen, fertigte Särge so viel ich mit vier bei mir ausharrenden
Gesellen fertigen konnte, und verdiente ungezähltes Geld in der Zeit
-- ich ginge auch gern zurück nach Deutschland, aber -- ich habe den Muth
nicht dazu -- ich werde die nächste gelbe Fieberzeit noch abwarten, und
sehen was da wird.«

»Sie fühlen sich nicht wohl in Amerika?« sagte Hopfgarten mitleidig.

»Wie soll man sich da wohl fühlen, wenn man Alles verloren hat, was
Einem noch lieb und theuer auf dieser Welt war, und für das nur einzig
und allein man arbeitete. Das Amerika ist ein recht guter Platz Geld zu
verdienen, wenn man fleißig ist, aber das ist auch Alles; ja wenn es
mir in Deutschland schlecht gegangen wäre. -- Aber ich will Ihnen nicht
die Ohren voll lamentiren -- überhaupt ist hier die Straße, wo ich
aussteigen muß. Es hat mich _herzlich_ gefreut Sie wieder einmal begrüßen
zu können!«

Er reichte ihnen die Hand, schüttelte sie freundlich, und drängte sich
dann durch die ihm mürrisch Raum gebenden Passagiere der Thüre zu, den
Omnibus zu verlassen.

»Dem armen Mann ist Amerika theuer zu stehn gekommen,« sagte Eltrich
traurig, »lieber Gott, wenn ich mich in seine Lage setze, kann ich mir
recht gut denken, wie furchtbar es ihm sein muß, jetzt so allein und
verlassen dazustehen. Was hilft ihm das Geld, das er verdient, wenn er
Niemanden hat, der es mit ihm theilt, für den er spart.«

»Es ist seine eigene Schuld,« sagte aber Hopfgarten achselzuckend,
»er hat uns selbst erzählt, daß es ihm in Deutschland nicht schlecht
gegangen wäre; weshalb wandert er da aus? -- Das kommt von dem
thörichten Misvergnügtsein ohne Grund.«

»Lieber Gott, es läßt sich da doch Manches zur Entschuldigung sagen,«
seufzte Eltrich, »wir könnten es auch den Trieb sich zu verbessern
nennen, den doch jeder Mensch in der Brust mit herum trägt -- warum ihm
den schlimmsten Namen geben? Thäten die daheim, deren _Pflicht_ es wäre,
für das wahre Glück der Völker zu sorgen, etwas mehr ihren Unterthanen
das Leben daheim erträglich zu machen, bedächten sie, daß das »Von Gottes
Gnaden« nicht nur auf _ein_ Haupt niedergeht und da ruhen bleibt, als
auf etwas ganz Besonderem -- wie oft nur auf etwas sehr Gewöhnlichem
-- sondern niederfällt, wie Thau und Regen auch auf die kleinste
unscheinbarste Wiesenblume. Stäke mit einem Wort einer Masse Menschen da
drüben nicht der verdammte Dünkel zu fest in der Stirne aus einem ganz
besonders feinen Porcellainteig geknetet und gebrannt zu sein, Tausende
würden nicht daran denken, die Heimath zu verlassen, sondern in einer
möglich bürgerlichen Existenz gern und freudig ausharren. Die Noth
treibt vielleicht nur zwei Dritttheile aller Auswanderer über das große
Wasser, der Ekel das andere -- und _das_ gerade thut Deutschland weh
-- unendlich weh, denn _was_ für wackere Kräfte sind ihm dadurch
verloren gegangen.«

»Ja, die Geheimenräthe wandern nicht aus,« lachte Hopfgarten.

»Nein, leider Gottes,« seufzte Eltrich, »_die_ liegen an zweifarbigen
Bändchen fest vor Anker. Der Deutsche theilt sich in seiner Unschuld in
Nähr-, Wehr- und Lehrstand -- daß er den _Zehr_stand gar nicht dabei
berücksichtigt. Wie war Ihnen zu Muthe, als Sie jetzt wieder nach
Deutschland zurückkamen?«

»Wunderbar,« lachte der Gefragte, »unendlich wunderbar -- ich gebe Ihnen
mein Wort, es kam mir in einem fort so vor, als ob die Leute nur Comödie
spielten -- und sie thun's auch. Wenn man hier aus dem frischen, freien
Leben, das allerdings viele, unendlich viele Mängel und Schwächen hat,
aber dem Menschen doch seine freie, ihm von Gott zugesprochene Entwickelung
garantirt, wieder hinüber in das abgetheilte, angeblich _geordnete_
Leben kommt, wo die Menschen wie in Gefachen, mit kleinen darauf
geklebten Zettelchen eingeschachtelt liegen, sieht wie die untersten,
bequemsten Gefache fortwährend herausgezogen und gebraucht werden,
während auf den oberen der dicke ehrwürdige Aktenstaub liegt, und dann
zurückdenkt, wie das Alles gar nicht nöthig ist, und wie es noch eine
andere Welt giebt, in der Gottes Creaturen frei und fröhlich aufathmen
dürfen; wenn man sieht, wie das dort kriecht und scharwenzelt, und auf
Kindereien sein höchstes Ziel setzt, wenn man einen Blick wieder auf
jenen Beamten-Wust wirft, der einem in das Kleinste zergliederten,
auf das peinlich kunstvollste hergestellten und berechneten Räderwerk
gleicht -- einfach einen Stein zu drehn und Brod zu mahlen, dann wundert
man sich wirklich, daß die eigentlichen Menschen nicht _Alle_ auswandern
und das ganze kunstvolle Beamtensystem, wie ein von Insekten
skelettirtes Blatt als Satz zurückbleibt.«

»Und doch wollen Sie wieder nach Deutschland?« frug Eltrich.

»Es ist ja das Vaterland,« sagte Hopfgarten herzlich, »der Himmel
ist doch nirgends so blau, die Erde nirgends so grün wie daheim. Sie
mögen mich auslachen, lieber Eltrich, aber wie ich im vorigen Herbst
zurückfuhr, und in der Nordsee die nackten Sanddünen, den Thurm von
Wanger-Ooge wieder sah, hab' ich geweint wie ein Kind -- es giebt doch
nur ein Deutschland.«

»Ja, leicht können sie's nicht todtmachen,« rief Eltrich, »aber ich
kehre doch nicht dahin zurück.«

»Verschwören Sie's nicht,« rief Hopfgarten; »es kommt doch eine Zeit, wo
es uns wieder hinüberzieht -- das Grab unserer Väter ist ein heiliger
Platz, wo wir mit beiden Händen anfassen müssen, wenn wir unser Herz
davon losreißen wollen. Mit dem Leben dort, was man die eigentliche Welt
da nennt, mag ich auch Nichts mehr zu thun haben, dafür bin ich schon zu
viel Amerikaner geworden; aber ich ziehe mich auf das Land zurück und
lebe mir und den Meinen. Denken Sie nie an unsern Frühling, wenn die
Lerche an zu wirbeln fängt, wenn die Birken keimen -- werden Sie das je
vergessen können?«

»Ich will's versuchen,« sagte Eltrich seufzend, »aber hier ist unser
Halteplatz -- dort in der Straße liegt für jetzt unser »Deutsches
Vaterland«.«

»Ein trauriger Ersatz,« lächelte Hopfgarten, als der Wagen hielt, und
sie, an ihrem Ziele angekommen, aussteigen mußten.




Capitel 7.

Meier, Pelz & Co.


Es war indessen, bis sie die Straße erreichten, in welcher das »Deutsche
Vaterland« lag, schon vollständig dunkel geworden, denn der kurzen
Dämmerung in Amerika folgt rasch und fast plötzlich die Nacht. Dicht
vor der Thür des Gasthauses standen drei Leute in leisem, flüsternden
Gespräch, und als sich Eltrich im Vorübergehn nach ihnen umsah, glaubte
er bei zweien, auf die gerade das Licht der Gaslaterne fiel, bekannte
Gesichter zu erkennen, wenn er sich auch nicht gleich auf das Wo und
Wann einer Begegnung erinnern konnte. Die Männer wandten sich aber rasch
von ihnen ab, und gingen langsam in dasselbe Haus, doch nicht in das
Schenkzimmer, sondern in die kleine Hausthür, die mit der Treppe nach
oben in Verbindung stand.

Natürlich achteten sie nicht weiter darauf, und öffneten gleich nachher
die Glasthür des unteren Schenkraumes, wo sie den jungen Hamann allein,
und mit verschränkten Armen und finster zusammengezogenen Brauen auf und
abgehend, fanden. Freundlich begrüßte er Eltrich, mit dessen kleiner
Familie er, wie seine Frau, schon manchmal zusammengekommen waren, und
hörte mit großer Theilnahme, wie jener schändliche Verdacht endlich auch
öffentlich von dem unglücklichen Bruder seiner Frau gewälzt sei, und
diese sich doch nun wieder froh und glücklich fühlen würde, mit solcher
Sorge vom Herzen.

Die freundliche Einladung Eltrichs, den heutigen Abend mit Hedwig bei
ihnen zuzubringen, mußte er aber, wenigstens für sich selber, ablehnen,
wenn auch die Frau kein Hinderniß hatte, und unter Eltrichs Schutz die
Herren gern begleiten würde.

»Ich habe heute einen schlimmen Ärger und bösen Auftritt im Haus gehabt,«
setzte er, sich entschuldigend, hinzu, »und meinen Barkeeper, einen
nichtsnutzigen, frechen Gesellen, den ich, wie ich fast fürchte, auf
verbotenen Wegen ertappte, zum Teufel jagen müssen.«

»Ihren Jimmy?« rief Eltrich -- »Gott sei Dank, daß der Bursche fort ist;
wenn irgend Jemand auf der Welt, so hatte der eine böse, galgenwürdige
Physiognomie, und ich bin fest überzeugt, er strafte die auch nicht
Lügen.«

»Was ich heute von ihm gesehn habe,« meinte Hamann, »widerspräche dem
wenigstens nicht, denn ich fand ihn über Tisch in dem Zimmer einiger
meiner »Boarder,« die, wie vermuthet wird, viel Geld bei sich haben, bei
einer sehr verdächtigen Untersuchung des einen Koffers, für dessen sehr
hübsche Arbeit er sich angeblich interessirte. Ich bin übrigens froh,
den Burschen, den ich sonst noch hätte einen vollen Monat behalten und
füttern müssen, auf solche Art so rasch losgeworden zu sein, nur muß ich
jetzt, bis ich mich morgen nach einer passenden Persönlichkeit dafür
umsehen kann, selber die Stelle verwalten. Sie thun mir übrigens einen
Gefallen,« setzte er dann hinzu, »wenn Sie selber zu meiner Frau hinauf
gingen und es ihr sagten; Sie werden sie jetzt warscheinlich in meines
Vaters Zimmer finden. Sie, Herr Eltrich, kennen ja den Weg. Meine Gäste
sind drin beim Abendbrod, und ich muß indessen hier in der Bar bleiben;
hab' ich aber heut Abend zugeschlossen, was heute früher als gewöhnlich
geschehen wird, komme ich noch selber zu Ihnen hinaus und hole Hedwig in
meinem kleinen Wagen ab.«

Die Herren waren eben im Begriff, der Bitte Folge zu leisten, als die
Thür aufging und ein junger Mann hereinkam, Hopfgarten und Eltrich aber
kaum erblickte, als er auch schon mit einem lauten, etwas exaltirten
Freudenruf auf sie zusprang, ihre Hände ergriff, und wie es schien, sich
alle Gewalt anthun mußte, ihnen nicht auch um den Hals zu fallen.

»Ach Herr von Hopfgarten -- ach Herr Kapellmeister -- welch glückliches
Zusammentreffen -- nein, ich kann Ihnen gar nicht sagen, _wie_ froh
ich bin, Sie endlich einmal wieder zu sehn. Wie geht es Ihnen? -- was
machen, was treiben Sie -- Herr Hamann, darauf müssen wir ein's trinken,
bitte meine Herren, was nehmen Sie -- ich habe ja überhaupt hier noch
eine kleine Kreide stehn --«

»Herr Theobald!« rief Hopfgarten erstaunt aus, den Dichter dabei mit
einem flüchtigen Blick, eben nicht zu dessen Gunsten, von oben bis unten
messend -- »wie kommen Sie wieder nach New-Orleans?«

»Ich? -- lieber Gott, wo kommt man nicht in diesem verwünschten Lande
hin!« rief Theobald mit einer gewissen Wehmuth aus --

  »Treibt auf wildbewegtem Meere
   Auch mein schwank-gebrecher Nachen,
   Dräut mir auch der Wogen Schwere,
   Soll's mich doch nicht muthlos machen --

»wo kommt man hier _nicht_ hin? -- sag' ich noch einmal -- Sie kennen ja
die alte Geschichte, bester Baron, »willst Du in meinem Himmel mit mir
leben -- #à la bonheur#, aber auf Erden sind alle Kämmerchen vermiethet«
-- Nichts wie Prosa, Nichts wie gemeine, hausbackene Wirklichkeit, in
der das dumme Volk auch nicht einmal eine Ahnung hat, daß ein höher
begabter Mensch auch noch mit etwas Anderem _arbeiten_ könnte, als mit
Spitzhacke und Schaufel. _Arbeiten_ schreien sie -- _arbeiten_, immer
nur arbeiten, und was der Geist dabei thut, rechnen sie nicht, das nennen
sie faullenzen. Aber zum Henker mit der Bande, wenn's uns hier nicht
länger gefällt, Herr von Hopfgarten, dann gehn wir nach Amerika! und
jetzt wollen wir trinken, Herr Hamann hat uns schon die Gläser
aufgestellt -- bitte, was nehmen Sie?«

»Ich danke wirklich herzlich,« sagte Hopfgarten ablehnend -- Theobald
sah ihm gar nicht danach aus, als ob er so viele Sechs-Cent-Stücke
wegzuwerfen hätte, für Andere zu bezahlen, und zugleich ließ sein
ganzes, außergewöhnlich aufgeregtes Wesen auch noch überdieß darauf
schließen, daß er schon selber eigentlich mehr wie seine tägliche
Quantität getrunken habe -- »bitte, erzählen Sie mir lieber, wie es
Lobensteins geht, was sie thun und treiben und wie der Professor mit
seinen Arbeiten vorwärts rückt.«

»Bah -- _so_ viel für den Professor,« rief Theobald mit einer wegwerfenden
Bewegung -- »ein Schwachkopf, der sich einbildet, von Landwirthschaft
und Poesie gleich viel zu verstehn, und wirklich gleich viel davon
versteht. Er ist ruinirt, und Eduard, der große Nimrod, hat sich auf der
Jagd todtgeschossen --«

»Heiland der Welt,« rief Hopfgarten entsetzt aus, »das ist ja furchtbar,
und Sie erzählen das hier, als ob Sie die Leute nicht das Mindeste
angingen.«

»Thun Sie auch nicht,« sagte Theobald ruhig -- »wenn Jemand
Verbindlichkeiten gegen den Anderen hat, so ist es der Professor gegen
_mich_; ich habe ihm meine Kräfte nicht allein, ich habe ihm auch meinen
Geist geliehen; aber die Rathschläge, die ich ihm gab, konnten ihn nur
noch eine Zeit lang über Wasser halten -- sein eignes Gewicht zog ihn in
die Tiefe.«

»Und was ist aus ihnen geworden?« frug Hopfgarten.

»Oh sie sind für jetzt wohl noch, so viel ich weiß, in Indiana,« sagte
Theobald, »der Professor wird jedoch jedenfalls gezwungen sein, seine
Farm zu verkaufen, weil er Schulden hat, die er nicht tilgen kann. Aber
kommen Sie, meine Herren, kommen Sie, der Brandy wird kalt.«

Auch Eltrich suchte sich von der Einladung loszumachen, Theobald
drang aber auf das Ungestümste in sie, und da es in Amerika für eine
Beleidigung gilt, mit Jemand, von dem man eingeladen wird, nicht zu
trinken, traten die beiden Männer, um ihn nur loszuwerden, mit ihm an
den Schenktisch.

Die Gläser waren gefüllt und Hopfgarten wie Eltrich hoben sie mit einem
höflichen Nicken gegen den jungen Mann, der mit einer hochtragischen
Bewegung, den Arm ausstreckend, rief:

»Halt! nicht also dürfen wir, verehrte Gönner und Freunde, die edle
Gottesgabe unseren Kehlen zusenden. Der Geist verlangt Geist:

   So fließe denn dieser edle Trank,
   Ein perlender Tropfen Himmelsthau,
   Als Weiheopfer, als Gottes Dank,
   Den schönen Augen der schönsten Frau.
   Wie er zittert im Glase, wie funkelndes Blut --
  _Sie_, deren Bild uns im Herzen ruht,
       Lebe hoch!«

»Lebe hoch!« stimmte Eltrich gutmüthig mit ein, indem sie ihre Gläser
leerten.

»Also Sie haben auch ein paar schöne Augen?« lachte der Kapellmeister,
»die Ihnen im Herzen ruhn? sollt' ich sie am Ende kennen? -- an Bord
ging einmal ein unbestimmtes Gerücht --«

Theobald wandte den Kopf von ihm fort, und streckte den Arm abwehrend
aus:

  »Tief begraben hier drinnen da ruhet ihr Bild,
   Da ruht mit dem Bild auch der Namen,
   Ein düsterer Schleier decket das zu --
  _Ich_ bin zu dem Bild nur der Rahmen --

aber apropos« -- wandte er sich dann rascher und lebhafter plötzlich an
den Kapellmeister -- »ich habe ein paar prächtige Lieder für Sie zum
Komponiren, lieber Eltrich -- ich weiß, daß Sie in neuerer Zeit einige
Lieder von Heine und Freiligrath reizend in Musik gesetzt haben, das
sind aber natürlich nur immer gerade zufällig passende Sachen, die Sie
sich in Ermangelung eines Besseren heraussuchen mußten. In den meinigen
werden Sie _Deutschen_ Geist in Amerikanischer Hülle finden, etwas
Passendes, Zeitgemäßes, mit dem Sie, wie ich fest überzeugt bin, Ihre
Hörer entzücken können, und ich bin gern erbötig, Ihnen nicht allein
die Wahl zwischen einigen fünfzig vortrefflichen Sonetten zu gestatten,
sondern Ihnen auch das Stück der ausgewählten mit zwei Dollar zu
überlassen.«

»Sie sind _sehr_ gütig, lieber Theobald,« sagte Eltrich, verlegen, wie
er das Anerbieten abweisen sollte, und doch auch wieder zu gutmüthig,
geradezu nein zu sagen. »Sie werden mir erlauben, daß ich die Sachen
einmal gelegentlich durchsehe, denn in der nächsten Zeit bin ich zu sehr
mit andern Sachen beschäftigt, an irgend eine Composition denken zu
können --«

»Oh gewiß -- gewiß,« rief Theobald rasch -- »aber -- mit dem Lesen,
wissen Sie, ist es eine unangenehme Sache; ich weiß zu gut, wie ungern
Leute Manuscript lesen, und wie verschieden sich auch etwas im Manuscript
und Vortrag ausnimmt. Wie wäre es also, wenn Sie mir jetzt ein halbes
Stündchen gönnten, und ich Ihnen die Kleinigkeit --« er holte dabei ein
etwa daumenstarkes, sehr eng beschriebenes Manuscript aus der Tasche
-- »einmal hier flüchtig vorläse; es würde --«

»Lieber Eltrich,« drängte Hopfgarten, »wir _müssen_ hinaufgehn, es wird
die höchste Zeit, wenn wir Frau Hamann noch heute Abend mit fortnehmen
wollen, und Sie wissen, ich habe _wichtige_ Sachen mit ihr zu besprechen.«

»Sie haben recht,« rief Eltrich -- »wir müssen uns wahrhaftig heute
entschuldigen, Herr Theobald -- wenn Sie mir später das Manuscript
vielleicht einmal anvertrauen wollen, so würde ich --«

»Ich werde mir selber das Vergnügen machen, es Ihnen in Ihrer eigenen
Wohnung vorzulesen,« sagte Theobald rasch entschlossen -- »zu welcher
Zeit trifft man Sie am Besten?«

»Es ist jetzt _sehr_ unbestimmt,« sagte Eltrich, den ungeduldigen Winken
Hopfgartens nachgebend und seinen Hut nehmend -- »vielleicht einmal
Nachmittags -- also auf Wiedersehn, Herr Theobald --«

»Auf Wiedersehn, lieber Kapellmeister -- auf Wiedersehn Herr von
Hopfgarten.«

»Gott sei Dank, daß wir den schrecklichen Menschen los sind,« sagte
Hopfgarten, als sie durch den dunklen Gang, der im Hause hin zur nach
oben führenden Treppe gingen, »der wäre im Stande gewesen und hätte uns
die halbe Nacht seine faden Mondscheinergüße vorgelesen. Aber -- alle
Wetter, Eltrich -- hier ist's dunkel -- kennen Sie den Weg?«

»Ja -- ich bin freilich nur erst einmal Abends hier oben gewesen, und da
dächt' ich, hätte eine Laterne auf der Treppe gebrannt; aber kommen Sie
nur -- hier ist das Geländer -- fassen Sie mich an -- so -- sehn Sie?
-- hier steigen wir hinauf, und nun weiß ich auch Bescheid, denn gleich
oben an der Treppe, zwei oder drei Schritt an der rechten Seite, ist die
Vorsaalthür, die zu dem alten Hamann führt.«

»Es soll nicht besonders mit ihm gehn,« meinte Hopfgarten.

»Ach der ist zäh,« sagte Eltrich, »der kann noch lange leben; sehn Sie,
da sind wir schon -- fallen Sie nicht wieder rückwärts hinunter, es geht
ganz häßlich steil ab. Daß die Leute hier auch keine Laterne brennen,
man könnte ja Hals und Beine dabei brechen. Hier hab' ich die Klingel!«
und den kurzen Griff fassend, zog er daran, daß die kleine Glocke
drinnen hell und klar ertönte.

Alles todtenstill -- kein Laut antwortete.

»Sie haben es nicht gehört -- ziehn Sie noch einmal,« sagte Hopfgarten.

Eltrich klingelte noch einmal, stärker als vorher, und legte dann das
Ohr an die Thür, ob er nicht Schritte hören könne.

»Hülfe!« tönte da ein wilder, markdurchschneidender Schrei zu ihm herüber
-- »Hülfe!« rief es noch einmal, aber mit schwacher, gedämpfter, doch
nichtsdestoweniger deutlicher Stimme, als ob eine Hand den rufenden Mund
zu schließen suchte.

»Was ist das?« rief Eltrich; Hopfgarten hatte den Schrei aber ebenfalls
gehört, und ohne sich weiter zu besinnen, ohne irgend eine Frage zu
thun, oder ein Wort weiter zu verlieren, fühlte er nach der Thür, und
führte im nächsten Augenblick einen so gut gemeinten und kräftigen Tritt
gerade nach der, eben nicht übermäßig dicken Füllung, daß er diese
gleich mit dem ersten Stoß nach innen trat. Ein zweiter machte die
Bresche passirbar, und sich in wilder Hast, von Eltrich dicht gefolgt,
hindurchdrängend, fand er sich wenige Secunden später in dem inneren
Raum, den zu durchfliegen und der nächsten Stubenthür, aus der ein
Lichtstrahl drang, zuzuspringen, das Werk weiterer, nur weniger Secunden
war.

       *       *       *       *       *

Es dämmerte, und am Ufer des Flusses gingen, nur die Fronte des einen
#square# haltend, zwei Männer in eifrigem, aber mit unterdrückter Stimme
geführten Gespräch, mit raschen Schritten auf und ab. Allem Anschein
nach erwarteten sie Jemanden, der sich ihnen auch endlich, nach einigem
Herüber- und Hinübersuchen, anschloß.

»Nun, Jimmy, wie ist's?« frug der Eine von ihnen, Meier (der Andere war
sein Reisegefährte Pelz), den eben Gekommenen -- »wird's noch was heute
Abend?«

»Jetzt oder nie,« flüsterte Jimmy mit leiser, ängstlicher Stimme, »denn
schon heut' Morgen war die Rede davon, daß sie den Alten am nächsten Tag
hinüberbetten wollten, wo die jungen Leute ihre Zimmer haben, damit er
dort mehr Pflege hätte; wenn das geschieht, kann kein Teufel mehr dazu.«

»Und lohnt's wirklich?« frug Meier, noch immer mistrauisch.

»_Lohnt's?_»wiederholte Jimmy ärgerlich -- »glaubt Ihr, daß _ich_
meinen Hals an so eine Geschichte setzen würde, _wenn's_ nicht eben
was Außerordentliches wäre?«

»Na, ob _Dein_ Hals das gerade ist,« brummte Meier.

»Jetzt ist keine Zeit zu Albernheiten,« sagte aber Pelz mürrisch, »also
Ihr glaubt wirklich, daß wir mit dem einen Schlag _genug_ kriegen
können, Jimmy.«

»Ich _glaube_ gar Nichts,« rief dieser rasch und eifrig, »ich _weiß_,
daß der Alte in dem einen kleinen, erbärmlichen Holzschrank, den er
nicht gegen einen eisernen vertauscht hat, um sich nicht in den Verdacht
zu bringen, daß er wirklich etwas Stehlenswerthes in seiner Wohnung
habe, für vielleicht hunderttausend Dollar Juwelen, Geld, Papier und
Aktien liegen hat, und mit einem einzigen Faustschlag kann man den
Deckel sprengen.«

»Und der Alte?«

»Ist in einer halben Stunde etwa, auf dreißig oder fünf und dreißig
Minuten allein, denn der junge Lümmel muß heute, weil ich nicht da bin,
in der Bar bleiben, und die Frau guckt nach der Kaffeekanne im Eßzimmer,
daß Niemand eine Tasse zu viel trinkt.«

»Ich weiß nicht -- mir ist nicht recht wohl bei der Geschichte,« meinte
Meier -- »ja wenn ich selber den Grund und Boden, und die Winkel und
Schliche da kennte, wo man hinausfahren muß, wenn's Noth thut, dann wär'
mir's gerade recht; aber mich so von Jemand Anderem in ein ganz fremdes
Haus, denn in dem Theil sind wir doch noch nicht gewesen, hineinführen
zu lassen, das hat mir 'was verdammt Unbehagliches. Passirt 'was, so
drückt sich Jimmy sachte ab, und wir Andern sitzen drin.«

»Aber ich bitt' Euch um Gottes Willen, was soll passiren?« rief Jimmy
-- »wir brauchen auf der Welt weiter Nichts zu thun, als die Treppe im
Haus hinaufzugehn; in der Tasche hab' ich den Schlüssel zur Thür -- die
schließen wir hinter uns zu, wer dann hinein will, muß klingeln, und die
Thür vom Alten, der in der Zeit mutterseelensallein ist, steht auf.«

»Wenn's aber weiter Nichts wäre,« brummte Meier, »da hättet Du ja auch
die ganze Geschichte allein machen, und den Profit allein in die Tasche
stecken können.«

»Das hätt' ich auch,« sagte Jimmy, halb verlegen, halb mürrisch, »aber
-- es ist mir so ein eignes, wunderliches Gefühl mit dem Alten. Mit
_einer_ Hand könnte man ihn zusammendrücken, und doch -- doch _fürcht'_
ich mich vor ihm; sein Blick sieht Einem bis in die Kniekehlen hinunter,
und er schläft -- Ihr mögt mich auslachen, wie Ihr wollt -- mit einem
Auge offen.«

»Vor dem Sohn fürchtest Du Dich nicht?« lachte Meier.

»Daß ihn der gelbe Jack hole,« fluchte Jimmy -- »ich vergelte ihm die
heutige Behandlung, oder ich will im Leben keinen Brandy wieder trinken;
er soll's noch bereuen, mich auf diese Weise behandelt zu haben. Doch
jetzt kommt, denn wir haben keine Zeit mehr zu verlieren; mit dem
Schlage sieben gehen die Leute zu Tisch, und von da bis halb acht sind
wir sicher; länger keine Secunde.«

»Und wenn Jemand, indeß wir drinnen sind, an die Thüre draußen kommt und
hinein will?« frug Meier.

»Neben der Stube ist eine Schlafkammer,« sagte Jimmy, »und aus dieser
führt eine stets offen stehende Thür nach dem Gang hinaus, der in den
andern Theil des Hauses läuft -- aber es _kommt_ auch Niemand, zum
Donnerwetter noch einmal; und wenn auch, so wär's vielleicht der junge
Tölpel selber, und dazu seid Ihr zwei baumfeste Kerle, die dem wohl
einen Schlag über den Schädel geben können, daß er ein paar Secunden
ruhig ist. Erst einmal wieder unten auf der Straße, und in der
Menschenmenge, die dort noch auf- und niederströmt, ist eine Verfolgung
ganz unmöglich. Ja, wenn's nach zehn Uhr Abends wäre, da könnte uns eine
einzige Wachtmann-Rassel ein ganzes Viertel Nachtwächter über den Hals
ziehn.«

Meier schien, von Pelz dabei noch heimlich bearbeitet, seine letzten
Bedenklichkeiten endlich, wenn nicht ganz überkommen, doch bei Seite
gestellt zu haben, und die drei Männer schritten jetzt raschen Ganges,
sich unterwegs das Weitere überlegend, ein Stück noch am Wasser, und
dann die Straße hinauf, die nach dem »Deutschen Vaterland« zuführte.

Gerad um sieben kamen sie dort an; durch die mit Flaschen und Karaffen
besetzten Fenster des »Barrooms« konnten sie von außen ganz deutlich die
kleine Uhr im Innern erkennen, die drei Minuten über sieben zeigte.
Dennoch zögerten sie einen Augenblick, ganz sicher zu sein, daß sie
nicht zu früh kämen, und blieben indessen vor der Thür stehn. Daß der
junge Hamann allein in der »Bar« war, konnten sie von außen ebenfalls
deutlich erkennen; so weit stand die Sache günstig genug für sie, und
die Gäste waren jedenfalls schon drin bei Tisch.

Zwei Männer kamen dicht an ihnen vorbei, und gingen auf die Thür des
Schenkzimmers zu; Meier und Pelz drehten sich nach ihnen um, wandten
sich aber auch fast unwillkürlich wieder ab, und schritten dem kleinen
Thorweg zu, der neben dem Schenkzimmer in das Haus führte.

»Weißt Du, wer die Beiden waren?« flüsterte Meier Pelz zu.

»Ja!« nickte dieser leise -- »ein paar alte Bekannte; das schadet Nichts
-- im Gegentheil, die halten den jungen Laffen da drin um so sicherer an
der Flasche fest, und in zehn Minuten können wir wieder unten sein.«

Jimmy führte sie indessen, ohne weiter ein Wort mit ihnen zu wechseln,
rasch die schmale, hölzerne Treppe hinauf, an der oben ein Licht
brannte; an diesem zündete Pelz, wie schon vorher verabredet, seine
eigene kleine Blendlaterne an, und bließ es dann aus, und oben wollten
sie ihren Weg wieder fortsetzen, als sie leichte Schritte auf dem Gange
hörten und einen fremden Lichtschimmer bemerkten, der diesen herunter
und auf dieselbe Thür zukam, in der auch _ihr_ Ziel lag.

»Höll und Teufel,« flüsterte Jimmy leise und ingrimmig vor sich hin
-- »das ist die Madame -- was zum Donnerwetter hat denn _die_ heute
Abend bei dem Alten zu suchen? -- Ruhig Leute, wir müssen hier einen
Augenblick warten; sie wird nicht lange bleiben.«

Es war Hedwig, die mit dem Licht den schmalen Gang herüber kam, nach dem
Kranken zu sehn; sie öffnete mit einem Schlüssel, den sie bei sich trug,
die Thür, und sah sich dabei nach der ausgegangenen Lampe an der Treppe
um, unter der die drei Schurken kauerten, betrat jedoch, ohne diese zu
entzünden, den Vorsaal, und klinkte die Thür nur einfach hinter sich
in's Schloß.

»So, jetzt sitzen wir hier auf der Treppe,« brummte Meier finster vor
sich hin, »und wenn Jemand heraufkömmt, findet er das ganze Nest.«

»Das wär' weiter keine _Gefahr_,« flüsterte Jimmy zurück, »wir gingen
nur einfach die Treppe hinunter und kein Teufel wüßte in der Dunkelheit,
wer's gewesen ist.«

»Und das Geld?« frug Pelz.

»Wäre dann allerdings zum Henker,« fluchte Jimmy zwischen den
zusammengebissenen Zähnen durch, indem er wieder anfing, seine Finger
zu knacken.

»Was zum Teufel machst du denn da?« rief ihn mit unterdrückter, doch
zorniger Stimme Meier dabei an, »willst Du das verdammte Knacken lassen,
das hört man ja durch's ganze Haus; das fehlte auch noch, daß wir Dich
als Sturmglocke dabei hätten. Übrigens seh' ich nicht ein, weshalb wir
zögern,« setzte er rasch hinzu, »ob die Madame da drin ist oder nicht,
wenn wir's mit weiter Niemand als dem Alten zu thun haben. Wir sind
unserer drei, und mit einer solchen Aussicht vor uns, daß _wir_ künftig
von unseren Interessen leben können und eben nur zuzulangen brauchen,
sollte uns _das_ wenigstens nicht abhalten.«

»Nur um Gottes Willen kein Blut vergießen,« bat Jimmy, ängstlich werdend
-- »Ihr habt mir das schon vorher versprochen, denn _da_mit möchte ich
Nichts zu thun haben.«

»Unsinn,« brummte Meier, »wer spricht denn davon? wir verlangen von
denen da drinnen weiter Nichts, als daß sie ein paar Minuten das Maul
halten, und dazu können wir sie schon bringen, ohne ihnen gleich den
Hals abzuschneiden.«

»Wenn wir nur noch einen Moment warten,« ermahnte Jimmy noch einmal;
»sie _muß_ gleich wieder zurückkommen.«

Die beiden Männer erwiederten Nichts darauf, sondern kauerten eine ganze
Weile, dem Rathe folgsam, auf der Treppe, gleich vorsichtig dabei nach
oben wie unten horchend, ob sich kein gefährliches Geräusch irgendwo
vernehmen lasse. Es blieb todtenstill, denn im Haus war Alles im
Eßzimmer versammelt, die Frau kam aber eben so wenig zurück, und Jimmy
selbst fühlte jetzt, daß es die höchste Zeit würde, ihr Vorhaben
auszuführen, wenn sie nicht die günstige Periode des Abendessens, und
damit Alles versäumen wollten. So als Pelz endlich erklärte, wenn Sie
nun nicht an's Werk gingen, wolle _er_ mit der Sache nichts weiter zu
thun haben, da er hier auf der Treppe nervös würde, stand er langsam
auf, bat die Männer noch einmal sich jeder Gewaltthätigkeit zu
enthalten, und stieg langsam, von ihnen dicht gefolgt, die wenigen
Stufen noch hinauf.

Ihrem verabredeten Plane nach sollten sie, was sie auch jetzt thaten, so
geräuschlos als möglich die Vorsaalthür öffnen und mit dem Schlüssel,
den Jimmy bei sich führte, wieder hinter sich schließen, dann über den
Vorsaal schleichen, wo sie hatten vorsichtig an der Thür des Alten
anklopfen wollen, erst zu sehn ob dieser wache. Da aber das Erscheinen
der Frau diesen Angriffsplan jetzt geändert hatte, glitten sie nur, so
leise sie konnten, über den kleinen, dunklen, schmalen Vorplatz hin,
wobei ihnen Pelzes Blendlaterne leuchtete, Jimmy ergriff dann die
Thürklinke, und diese rasch und plötzlich öffnend, sprangen alle drei zu
gleicher Zeit, und ehe die im inneren Raum Befindlichen auch wirklich
nur einen Schrei der Überraschung ausstoßen konnten, auf sie zu. Pelz
warf sich dabei auf den Alten, der neben seinem Bett auf einem großen
Stuhle saß, während Meier Hedwig ergriff, sie an der Kehle faßte und ihr
mit augenblicklichem Tode drohte, wenn sie auch nur einen Laut von sich
gebe.

Nicht so leichtes Spiel sollte Pelz haben, denn der alte Geizhals, stets
in Furcht bestohlen zu werden, hatte, ohne daß selbst Jimmy etwas davon
wußte, fortwährend ein paar geladene Pistolen neben sich auf demselben
Tisch, auf dem seine Arznei stand, mit einem seidenen Tuch bedeckt
liegen, und fast instinktartig nach diesen in demselben Moment
gegriffen, als er die Thüre seines Zimmers so plötzlich aufreißen sah.
Spannen und Abdrücken war auch wirklich nur das Werk eines einzigen
Augenblicks, und um Pelz wäre es, außer dem gefährlichen Knall des
Gewehres für die beiden Anderen, jedenfalls geschehen gewesen, hätte
die Pistole, die da schon Gott weiß wie lange geladen lag, nicht
versagt. Der alte Gauner erschrak aber doch nicht wenig über die
nahe Todesgefahr, und als Hamann, den Anspringenden mit dem linken
ausgestreckten Arm noch von sich drückend, nach der zweiten Waffe griff,
führte er mit einem ingrimmigen Fluch und einer in der Hand verborgenen
Kugel einen so gut gemeinten Schlag nach ihm, daß er ihn besinnungslos
zu Boden streckte.

Jimmy indessen sprang, ohne sich weiter um die Übrigen zu bekümmern,
die er in guten Händen wußte, mit einem Satz nach dem alten hölzernen
Secretair, in dem des Wirthes Schätze lagen. Mit einem Stemmeisen, das
er bei sich führte, brach er diesen auch rasch und ohne Mühe auf, und
leerte den Inhalt der Gefache in einen zu dem Zweck mitgenommenen
Leinwandsack.

Hedwig sah das Alles, wie in einer Art wachen Traumes; sie fühlte dabei,
wie die Hand des Mörders, dessen Gesicht sie trotzdem erkannte, auf ihr
lag, und vermochte keinen Laut auszustoßen, hätte sie der Bube selbst
frei und unberührt gelassen. Jimmy arbeitete indessen mit einer
fabelhaften Geschäftigkeit, und Pelz, der ihm der Sorge um den Alten
enthoben dabei half, schob in die eigenen Taschen, was er hineinbringen
konnte, als plötzlich draußen, scharf und hell, die kleine Klingel an
der Vorsaalthür ertönte.

Wie ein Schlag fuhr der klare durchdringende Laut in aller Glieder
-- die Räuber schreckten, aufhorchend, empor, und selbst Meier ließ in
seinem Griff an Hedwig -- nur erst zu wissen, welcher Art die Gefahr
sei, die ihnen drohe, etwas nach. Hedwig aber, der dieser Laut wie neues
Leben durch die Adern schoß, warf mit plötzlicher Anstrengung den Arm,
dessen Finger ihre Kehle umspannt hielten, zurück, und stieß, unbekümmert
um jede Gefahr, die ihr selber drohen konnte, jenen wilden gellenden
Hülferuf aus.

»Bestie!« knirrschte Meier zwischen den Zähnen durch, und suchte mit
seiner breiten Hand, der sie sich umsonst erwehrte, ihren Mund zu
decken.

»Hülfe!« stöhnte Hedwig, und draußen brach und prasselte in dem
Augenblick die dünne Thür zusammen.

»Herr Du mein Gott!« schrie Jimmy, in aller Angst den Leinwandsack
fallen lassend und nach der Kammerthür fahrend. Hier aber mußte er an
Meier vorbei, und dieser, der nicht gesonnen war allein in dem fremden
Haus im Stich gelassen zu werden, faßte ihn und hielt ihn, während Pelz
an den Beiden vorüberglitt und in die Kammerthür verschwand, am Kragen
fest. --

»Nicht ohne mich, Kamerad.« knurrte er dabei, »den Weg mußt Du mir
wenigstens zeigen, und daß _Du_ hier, mein Täubchen, uns nicht indessen
vor der Zeit das ganze Haus über den Hals schreist, nimm _das_ indessen,«
und sie loslassend führte er, während er sprach, einen gewiß gut
gemeinten Schlag mit der Faust nach der Stirn der jungen Frau, der
dieser wahrscheinlich verderblich geworden wäre, wenn sie nicht, die
Gefahr sehend, ihren Kopf unter seinen linken Arm geworfen, und sich
fest an ihn angeklammert hätte.

»Hülfe, Hülfe!« schallte dabei ihr gellender Schrei, jetzt um das eigene
Leben ringend und Jimmy, den Moment benutzend, riß sich von Meiers Griff
los, und sprang ebenfalls in die Kammer, während dieser indeß umsonst
versuchte die Frau von sich abzuschütteln oder in den Schwung seines,
nach ihr schlagenden Arms zu bringen. Hedwig, ihre schwachen Kräfte zu
wilder verzweifelter Anstrengung getrieben, hielt ihn fest umklammert,
und Meier, endlich selbst zum Äußersten gebracht, riß ein Messer aus
seinen Gürtel, als die Stubenthür auf- und Hopfgarten in demselben
Moment auch in gänzlicher Verachtung der eben so rasch auf ihn
gerichteten Waffe, gegen den Mörder anflog.

Mit dem linken Arm den nach ihm geführten Stoß, so gut das im Augenblick
ging, abwehrend, warf er sich mit dem ganzen Gewicht seines Körpers
so voll und gut gewillt gegen ihn, daß er den sonst viel stärkeren,
jetzt aber auch noch durch die Frau behinderten Mann zum Taumeln
brachte, und Meier fand sich, wenige Secunden später unter den ihn fest
niederhaltenden Armen Hopfgartens und Eltrichs, die er jedoch Beide mit
seinem Messer verwundet hatte, am Boden liegen, während aus dem ganzen
Haus schon die Leute, durch das Geschrei aufmerksam gemacht, herbei und
zur Hülfe strömten.

»Hopfgarten,« stöhnte indeß der Räuber, in der Anstrengung seine Arme
wenigstens frei zu bekommen, und mit der Angst jetzt vor der gerechten
Strafe, »lassen Sie mich los -- ich -- ich weiß, wen Sie suchen -- ich
weiß -- ich weiß wo er steckt. Henkel ist hier in der Stadt -- aber
-- heut Abend noch oder morgen früh geht er fort von hier -- lassen
Sie mich frei, und ich sage Ihnen, wo Sie ihn finden können!«

»Alle Wetter!« rief Hopfgarten überrascht, »da könnte man einen Wolf mit
dem andern fangen.«

»Glauben Sie doch nicht was der Schurke sagt,« rief aber Eltrich, der
das warme Blut an seiner Schulter niederrieseln fühlte, »der Bursche ist
zum Galgen reif -- Hülfe -- Hülfe hierher.«

Der Ruf galt einer neuen, verzweifelten Anstrengung des Räubers, aber
die Hinterthür, die in die Schlafkammer führte, und _nicht_ verschlossen
gewesen war, wurde in diesem Augenblick von den herbeistürmenden
Boarders, mit dem jungen Hamann an der Spitze, gesprengt, während von
der Straße herauf ebenfalls die Leute herbeisprangen. Wenige Minuten
später war das Zimmer mit Menschen gefüllt, und Hopfgarten und Eltrich,
den Gefangenen der Masse überlassend, konnten jetzt daran denken das
wild umhergestreute und gefährdete Eigenthum des alten Mannes in
Sicherheit zu bringen. Die indessen ohnmächtig gewordene Frau sahen sie
in dem Schutz ihres Gatten, und den noch immer am Boden ausgestreckten
alten Mann hatten unter der Zeit ein paar Nachbarn aufgehoben und auf
sein Bett getragen.

Unter den Fremden waren übrigens auch zwei Constabler mitgekommen,
die sich als solche zu erkennen gaben, und Meier vor allen Dingen in
Gewahrsam nahmen. Andere, die von unten heraufkamen, hatten eine dunkle
Gestalt zum Haus hinauslaufen sehen, und Einige unter dem, nach dem Hof
zuführenden Kammerfenster eine goldene Uhr gefunden, die der Räuber dort
wahrscheinlich, nach einem verzweifelten, aber glücklich abgelaufenen
Sprung aus dem Fenster, verloren haben mußte.

Nur erst als sich Hedwig, unter den zärtlichen Bemühungen ihres Gatten
wieder soweit erholte sprechen zu können, erfuhren sie, daß drei Männer:
der Gefangene, ein früherer Reisegefährte Pelz, und ihr heute
fortgeschickter Barkeeper, die Räuber gewesen seien. Hopfgarten, der
sich indessen mit dem alten Mann beschäftigt hatte, fand in diesem
Augenblick die Wunde an seinem Kopfe, und konnte nun keinen Augenblick
mehr zweifeln, daß er _todt_ sei.

Die Verwirrung, die jetzt folgte, ist kaum zu beschreiben, Alles schrie
und drängte durcheinander, und Meier, mit auf dem Rücken festgeschnürten
Ellbogen konnte nur wirklich durch die Constabler vor der Wuth der
Bürger geschützt werden, die große Lust hatten, ihn gleich an Ort und
Stelle, als warnendes Beispiel aus dem Fenster hinauszuhängen.

Jimmy mußte übrigens, da die wider Erwarten sehr starke Kammerthür
verschlossen gewesen, und erst von den zur Hülfe Eilenden durch
gemeinsames Dagegenwerfen gesprengt war, jedenfalls mit seinem anderen
Kameraden, Pelz, aus dem Fenster in den Hof hinunter entkommen sein,
denn aus der Thür hatte er nicht entziehen können. Die Constabler
kannten ihn aber, und versprachen dem jungen Hamann ihr Möglichstes
zu thun, ihm die Flucht aus der Stadt abzuschneiden, und ihn in den
unzähligen Diebeswinkeln, die New-Orleans hat, herauszustöbern.

Der Gebundene sollte jetzt abgeführt werden, und Hopfgarten, die
erhaltene Wunde im Oberarm, durch dessen dickes Fleisch das Messer
gefahren war, gar nicht achtend, suchte ihn dahin zu bringen, ihm
Näheres über den Aufenthalt Henkels, von dem er behauptet, daß er darum
wisse, mitzutheilen.

»Geht zum Teufel,« knurrte ihn aber der Gefangene an, »macht mit mir was
Ihr wollt, Ihr _habt_ mich einmal, doch verlangt dann nicht auch noch
_Gefälligkeiten_ von mir. Vorhin war's Zeit; wenn Sie nicht holzköpfig
gewesen wären, wüßten Sie jetzt was Sie wollen; nun könnt Ihr mir aber
die Zunge aus dem Halse reißen, ehe ich eine von Eueren Fragen
beantworte. Hole Euch Alle der Henker.«

»Der wird Dich zeitig genug bekommen, mein Bursche,« sagte der eine
Constabler, ein Deutscher, indem er ihn vor sich her stieß. »Fort mit
Dir; was aus Dir herauszukriegen ist, werden wir schon kriegen, hab'
keine Furcht; mit solcher Art wissen wir schon umzugehen. Herr Hamann,
Sie werden gut thun sich die Zeugen, die Sie brauchen, zu notiren, daß
man sie finden kann; der Coroner mit dem Arzt wird wohl auch nicht lange
auf sich warten lassen. Einer von unseren Leuten mag indessen noch vor
der Hand unten im Haus bleiben, vielleicht ist doch noch etwas von Einem
der andern beiden Burschen aufzufinden. Jedenfalls müssen wir uns genau
überzeugen, wo die Herren heraufgekommen sind, und mit welcher Hülfe,
und ob sie nicht im Haus noch andere Helfershelfer haben.«

Der Gefangene wurde jetzt fortgeführt, der Platz von den Fremden geräumt,
und Hamann, der Hopfgarten und Eltrich bat, ihn nur jetzt nicht zu
verlassen und bei ihm und seiner Frau zu bleiben, machte dann mit dem
rasch herbeigerufenen Arzt, der nachher auch die beiden Freunde zu
verbinden hatte, den freilich vergeblichen Versuch, seinen Vater in's
Leben zurückzurufen. Der Schlag mit der Schlingkugel, die noch in der
Stube auf dem Boden lag, hatte dem alten Mann den Schädel eingeschlagen
und augenblicklichen Tod herbeigeführt.

Im Hof, wo die beiden anderen Verbrecher aus dem etwa sechzehn Fuß hohen
Fenster hinuntergesprungen sein mußten, war indessen auch nichts weiter
zu erkennen. Das Fenster stand offen, und ließ, mit der unten gefundenen
goldenen Uhr allerdings keinen Zweifel über die Art der Flucht; obgleich
aber der Hof nicht gepflastert, und der Boden ziemlich weich war, hatten
doch die seit der Zeit darauf herumgeschwärmten Menschen Alles derart
zertreten, daß es sich nicht mehr unterscheiden ließ wohin sich die
Beiden gewandt. Das Wahrscheinlichste blieb übrigens, daß sie durch den
schmalen Gang auf die Straße geflohen wären, und eine Verfolgung war
dorthin nicht mehr möglich. Nur um die nächste Ecke, und die Räuber
konnten in dem Menschengedränge der Straße ihren Weg ruhig und
unbeachtet fortsetzen.

Der junge Hamann hatte indessen seine arme kleine Frau, deren zarte
Glieder der rauhen Behandlung des Buben fast erlegen waren, auf ihr
Zimmer gebracht, und sie dort der Pflege von ein paar im Hause wohnenden
Frauen, die sich freundlich dazu erboten, übergeben, wonach er wieder zu
dem Todtenbette seines Vaters zurückkehrte, und jetzt auch die beiden
Freunde bat, ernstlich nach ihren Wunden zu sehn, daß sich dieselben
nicht durch Vernachlässigung verschlimmerten. In der Aufregung aber, in
der noch Beide waren, dachten sie kaum an die Fleischrisse, ließen sich
jedoch von dem Arzt einen Verband darum legen und suchten dann wieder
den Sohn über den ihn betroffenen Verlust zu trösten.

Der junge Hamann, mit der ersten wilden und aufreizenden Erregung
vorüber, saß, in sich zusammengeknickt, in der kleinen Kammer neben dem
Bett, auf dem der Ermordete lag, und starrte mit fest und krampfhaft auf
den Knieen zusammengefalteten Händen still und schweigend vor sich
nieder.

»Lieber Herr Hamann,« sagte Hopfgarten, freundlich auf ihn zutretend
und seine Hand ergreifend, »geben Sie sich Ihrem Schmerze nicht also hin.
Es ist ein trauriges Geschick was Sie betroffen hat, aber es war Gottes
Wille, ohne den kein Sperling vom Dache fällt. Ich will Sie nicht etwa
trösten,« setzte er freundlich und teilnehmend hinzu, »Ihr Schmerz muß
sein Recht und seine Zeit haben -- ich weiß das gut genug, und gerade
die Zeit allein kann ihn lindern, zuletzt heilen -- aber man muß ihm
auch nicht in dem ersten Moment so ganz die Gewalt über sich lassen,
denn gerade dann ist er am gefährlichen, und füllt uns das ohnedieß
genug gequälte Herz mit bitterer Angst und Weh zum Überlaufen voll.«

»Mein armer, armer Vater,« stöhnte Franz, »und auf so schmähliche,
schändliche Weise um sein Leben zu kommen, das ihm überdieß nur noch in
Spannen zugemessen war.« --

»Nun hoffentlich entgehen die Buben der gerechten Strafe nicht,« sagte
Eltrich; »der deutsche Constabler hatte alle Hoffnung Ihren sauberen
Barkeeper wenigstens abzufangen. Er behauptete die Schlupfwinkel genau
zu kennen, die jener frequentirt, und wir haben ihm auf die Seele
gebunden, kein Geld zu sparen, den Schurken aufzufinden, ehe er
vielleicht im Stande wäre New-Orleans zu verlassen.«

Eine eigen, wunderliches Geräusch schallte in diesem Augenblick durch
das stille Zimmer, und Franz fuhr, wie von einem Blitz getroffen, von
seinem Stuhle auf.

»Was haben Sie? -- was ist?« frug ihn Hopfgarten erstaunt.

»Hörten Sie Nichts?« flüsterte Franz, mit geöffnetem Mund und
ausgerecktem Arm, ein regungsloses Bild der gespanntesten
Aufmerksamkeit.

»Hörten? -- _was_?« rief Hopfgarten, sich ebenes überall in dem leeren
Raume umschauend.

»Es war beinah, als ob Jemand mit den Fingern schnalzte,« sagte Eltrich.

»Das war Jimmy!« schrie aber Franz, wild auffahrend, »ich will nicht
selig werden, wenn das nicht das Fingerknacken des Buben war. An die
Thüren, Herr von Hopfgarten -- um des Heilands Willen an die Thüren
-- der Bube ist hier noch im Zimmer versteckt!«

»Aber wo?« rief dieser, den jungen Mann erstaunt ansehend.

»Haben Sie dort in dem Kleiderschrank? -- haben Sie hier unter dem Bette
nachgesehn?«

»Aber ich bitte Sie um Gottes Willen.«

»Er ist hier, ich schwöre es Ihnen zu,« rief aber Franz, »ich kenne das
unselige Knacken, durch das sich der Bube jetzt verrathen hat,« und das
Licht vom Tisch aufgreifend, hatte er es kaum an die Erde gehalten,
unter das Bett zu leuchten, auf dem der Ermordete lag, als auch die
klägliche Stimme des dort versteckten, und also ertappten Barkeepers
jedem weiteren Zweifel der Männer ein Ende machte.

»Ach mein bester, bester Herr Hamann,« flehte dieser mit winselnder,
kläglicher Stimme, »ich bitte Sie doch um tausend und tausend
Barmherzigkeits Willen, haben Sie Erbarmen mit einem unglücklichen,
verführten, zu Grunde gerichteten Menschen -- oh Jesus, oh Jesus, thun
Sie mir Nichts -- ich will ja vorkommen, ich will ja Alles gestehn,
Alles was ich weiß -- Alles herausgeben was ich habe -- thun Sie mir
nur Nichts.«

»Giebt es etwas Erbärmlicheres auf der weiten Welt als _diesen_
Menschen?« rief Franz, das Licht auf den Tisch zurückstellend, und mit
zusammengeschlagenen Armen jetzt, wo er seines Opfers gewiß war, ein
paar Schritte von dem Bette zurücktretend, dem Elenden Raum zu geben
vorzukommen.

»So 'was ist mir aber in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen!«
rief Hopfgarten erstaunt aus, »der Mensch verdiente wahrhaftig allein
seiner Dummheit wegen begnadigt zu werden.«

»Ach bester Herr, bitten Sie -- bitten Sie für mich!« schrie Jimmy, der
jetzt rasch vorgekrochen war, sich an das Wort klammernd, indem er gegen
Hopfgarten an auf den Knieen fortrutschte, und die Hände verzweifelnd
rang. »Ja ich _bin_ zu dumm, ich bin zu entsetzlich dumm, und habe mich
ja allein verführen lassen zu dem schlechten, nichtsnutzigen Streich
-- o Gnade, Gnade, Barmherzigkeit.«

Hopfgarten, ohne alle Antwort, deutete nur auf die Leiche hin, und
Jimmy, der mit scheuem Blick der Richtung des Armes folgte, sah kaum
die furchtbare Lösung der Bewegung, als er auch mit einem wilden
Aufschrei des Entsetzens, »Herr Jesus -- mein Herr Jesus,« nach dem Bette
zufliegen wollte; Franz aber faßte ihn am Kragen und schleuderte ihn mit
unwiderstehlicher Kraft davon ab.

»Zurück von da!« zürnte er dem winselnd Niederbrechenden zu, »feiger,
erbärmlicher Mörder -- rühre die Leiche nicht an!«

»Ach Herr Hamann, Herr Hamann, ich bin unschuldig, ich bin unschuldig.«
schrie aber Jimmy, »ich bin ein Dieb, ein nichtsnutziger, erbärmlicher,
gemeiner Dieb, Herr Hamann, aber kein Mörder -- bei Allem was mir und
Ihnen heilig ist, schwöre ich es Ihnen zu, ich bin unschuldig an dem
Blut, ich weiß Nichts davon, ja Pelz und Meier haben es mir hoch und
theuer versprechen müssen, kein Blut zu vergießen.«

Hopfgarten, der die Zerknirschung des Burschen zu benutzen wünschte,
forderte ihn jetzt auf Alles zu erzählen von Anfang an, wie es gekommen
und geschehn, und Jimmy, der mit der Leiche vor sich, eine furchtbare
Angst über sich kommen fühlte, beichtete mit gefalteten Händen, und nur
von einzelnen Ausrufungen um Erbarmen und Gnade unterbrochen, Alles
was er wußte, von dem Augenblick an, wo er sich mit seinen beiden
Helfershelfern besprochen, bis wo sie auf der Treppe Hedwig hatten in
das Zimmer gehn sehn, und in der Besorgniß, die Zeit nicht zu versäumen,
eingebrochen waren. Was in dem Zimmer selber geschehen sei, davon wollte
er keine Sylbe wissen, und schwur und winselte wieder, bei Allem was er
über und unter der Erde zu schwören fand -- und er sprach dießmal die
Wahrheit -- daß er nur Hals über Kopf gesucht habe Schmuck und Geld, was
in dem Secretair gelegen, in seinen Leinwandsack hineinzupacken. Pelz
und Meier hätten es übernommen gehabt, die beiden im Zimmer
befindlichen Personen indessen ruhig zu halten.

Der junge Hamann bat jetzt Herrn Eltrich um die Gefälligkeit, den
Constabler heraufzuholen, indeß sie Beide den Burschen bewachen wollten;
Jimmy hörte aber kaum das für ihn furchtbare Wort, als er sich wieder
vor Franz auf die Erde warf, seine Knie umfaßte und um Gottes Willen
bat, ihn nur dieß eine Mal den Gerichten nicht zu übergeben; er wolle
»so 'was« ja in seinem ganzen Leben nicht wieder thun, und Alles
herausgeben, was er schon in seinem Koffer habe, ja für Herrn Hamann
arbeiten von früh bis spät, um Nichts wie die Kost -- _nur_ keinen
Constabler. Der junge Mann mußte sich mit Gewalt von dem Burschen frei
machen, und Eltrich fing schon fast an Mitleid mit ihm zu fühlen, aber
ein Blick auf die Leiche zerstörte das bald wieder, und seinen Hut
aufgreifend, verließ er rasch das Zimmer, den verlangten Constabler
herbeizubringen, der wenige Minuten später den zitternden, weinenden
Jimmy in Empfang nahm, und mit sich fortführte.




Capitel 8.

Die Überraschung.


Hopfgarten verbrachte in körperlicher wie geistiger Hinsicht eine
peinliche Nacht. Die Wunde, so wenig gefährlich sie auch sein mochte,
war doch durch das ganze Fleisch des Oberarmes gedrungen, und schmerzte
ihn sehr, und dabei quälte ihn der Gedanke, den der Gefangene in ihm
wach gerufen, daß Henkel oder Soldegg, wie der Schuft nun auch hieß,
hier in New-Orleans und zwar im Begriff sein solle wieder abzureisen.
Zwar stellte er sich selber wieder und wieder vor, daß jenes Versprechen
des ertappten Räubers eben nur eine wilde leere Ausflucht gewesen sei,
Rettung zu finden vor dem Arm des Gerichts, und daß jener Meier so wenig
von Soldeggs Aufenthalt wisse, wie er selber. Und doch auch wieder
hatte eben die _Möglichkeit_ der Sache auch etwas Wahrscheinliches, daß
derartiges Gesindel, mochte es nun im gesellschaftlichen Leben stehen
auf welcher Stufe es wolle, wenn einmal im Verbrechen erst so weit
gediehen, auch gegenseitig Kenntniß von einander habe, und die
verschiedenen Schlupfwinkel und Wege kenne.

Und wie nun, wenn jener schurkische Soldegg, den zu fassen und
unschädlich zu machen, hauptsächlich aber das Band zu lösen, das sein
unglückliches Weib noch an ihn fesselte, er allein zum zweiten Mal nach
Amerika gekommen, jetzt hier fast in Arms Bereich von ihm war, und ihm
vielleicht mit nächstem Morgen wieder hinaus in alle Weite entfloh?
-- wie dann, wenn jener Meier wirklich recht gehabt, und er nun auf den
zahllosen Dampf- und Segelschiffen, Fähren und Booten, die New-Orleans
von Tagesanbruch bis in die späte Nacht verließen, umsonst umherrannte
den Verbrecher zu finden. Und einmal entschlüpft, konnten dann nicht
Jahrelang dazu gehören, bis er wieder zufällig mit ihm zusammentraf?
-- ja war es nicht sogar möglich, daß der Bursche, müde der Gefahr, in
den Staaten doch einmal gefangen zu werden, mit seinem Raube hinüber
nach Frankreich oder England, oder hinunter nach Texas oder Mexico ging?

Der Kopf wirbelte ihm von all dem Denken und Sinnen, und als er endlich
in einen wilden, unruhigen, fieberhaften Schlummer fiel, quälten ihn
tolle Träume noch mehr, als selbst das wachende Nachdenken es gethan.
Da fand er den Betrüger, wohin er trat, und überall äffte ihn die,
ihm unter den Händen wegschwindende Gestalt; zu Pferd wollte er ihn
verfolgen, und der Sattel rutschte ab -- das Pferd stürzte, riß sich
wieder auf und kam in Moorboden, in dem es stecken blieb; schießen
wollte er nach ihm, und sein Gewehr war nicht in Ordnung -- der Pfropfen
ging nicht in den Lauf hinunter, die Zündhütchen glitten ihm durch
die Finger, und als er endlich geladen hatte, versagte das Gewehr; zu
Schiff wollte er ihn verfolgen, und das flüchtige Dampfboot brauste und
schnaubte hinter dem kleinen Kahn her, in dem sich der Bube zu retten
suchte, da plötzlich rannten sie auf eine Sandbank; das Dampfboot saß
fest, peitschte vergebens mit seinen Rädern die schäumende Fluth und in
weiter Ferne verlor er den Kahn, der den hohnlachenden Verbrecher trug,
aus den Augen -- zu Wagen war er hinter ihm drein und die Stränge
rissen, ein Rad brach, die Pferde stürzten -- sie kamen nicht von der
Stelle, und vor sich -- immer dicht vor sich mußte er das Hohnlachen des
Buben hören.

In Schweiß gebadet, und an allen Gliedern wie zerschlagen, wachte er
endlich mit Tagesgrauen etwa auf, und verließ, wenngleich ihm der linke
Arm arg geschwollen war und sehr weh that, doch augenblicklich sein Lager,
wusch sich und zog sich an und schrieb dann, trotz seiner Aufregung
und seinen körperlichen Schmerzen, einige Zeilen an den Professor
Lobenstein, in denen er ihm seine Rückkunft von Deutschland meldete und
ihn bat, sich, wenn er ihm in _irgend etwas_ dienen könne, ohne Rückhalt
und vertrauungsvoll an ihn zu wenden. Den Brief übrigens behielt er noch
in seiner Brieftasche, erst den heutigen Tag und seinen Erfolg
abzuwarten, um seine Adresse sicher angeben zu können.

Die Sonne war indessen aufgegangen und er eilte jetzt, nach rasch
eingenommenem Frühstück, an die Dampfbootlandung hinunter, die dort
liegenden Boote zu besuchen und ihre Passagiere zu revidiren. Vergebens
aber kletterte er an Bord aller der Dampfer, deren Schornsteine rauchten,
in Cajüte wie Zwischendeck herum, kein bekanntes Gesicht traf er an,
und ob er sich gleich die Mühe nicht verdrießen ließ und _sämmtliche_
Privat-Cajütenthüren, eine nach der anderen, öffnete und hineinsah, fand
er doch nicht den Gesuchten.

Ein Paketschiff nach Liverpool lag zum Auslaufen fertig; er ging an Bord
-- von Soldegg keine Spur, und Ledermann, den er abgeholt, und der den
besonderen Auftrag bekommen hatte, die Fährboote zu überwachen, schien
eben so erfolglos gesucht zu haben. Meier hatte jedenfalls nur die Lüge
rasch ersonnen, seine eigene Haut in Sicherheit zu bringen.

Um elf Uhr sollte nach Verabredung Ledermann, der von dem Staatsanwalt
einen neuen Verhaftsbefehl gegen den Verbrecher bekommen, Hopfgarten
wieder an der Dampfbootladung treffen, das Weitere dort zu berathen, und
dieser schoß indessen in fieberhafter Aufregung, mit dem schmerzenden
Arm in der Binde, hin und her an der Landung, nur erst einmal, und immer
vergebens, eine Spur des Gesuchten zu finden.

Über den Strom herüber von »Algier,« dem andern Ufer, kam ein großer
Dampfer herüber und legte an der Landung an. Vorn am Boilerdeck trug er
wie gewöhnlich ein kleines Schild, das unter dem Namen den Ort seiner
Bestimmung und die Stunde der Abfahrt anzeigte. Es war der:

  _CHIKASAW_
  für Little Rock.
  Abfahrt _zehn_ Uhr!

Der Chikasaw hatte in Algier Fracht für Arkansas eingenommen und jetzt
an der New-Orleans-Landung noch einmal angelegt, etwaige Passagiere für
Arkansas, oder die dazwischenliegenden Plätze, die schon durch die
Zeitungen darauf aufmerksam gemacht waren, an Bord zu nehmen. Die Glocke
läutete dabei, rasche Abfahrt kündend, und der Rauch wirbelte dick und
schwarz in die reine klare Luft hinauf.

»_Nach Little Rock!_« -- Hopfgarten gab es ordentlich einen Stich
durch's Herz, als er den Namen las. Wenn Soldegg wirklich heute
beabsichtigte, New-Orleans zu verlassen, so war Nichts wahrscheinlicher,
als daß er wieder nach dem Westen gehen würde. Jedenfalls lag hier die
Möglichkeit, ihn zu finden, und sich den Hut tief in die Stirn ziehend,
daß an Bord, oben von der Cajüte aus, Niemand sein Gesicht erkennen
konnte, schritt er rasch über die schmale Planke an Deck und stieg auf
das Boilerdeck hinauf, die dort versammelten Passagiere zu mustern.

Henkel war nicht unter ihnen, aber noch die Möglichkeit nicht
ausgeschlossen, daß er vielleicht eben nur die wirkliche Abfahrt des
Bootes erwarten würde, an Bord zu gehn, und Hopfgarten beschloß,
jedenfalls, bis die Planken eingezogen würden, in der Cajüte zu bleiben.

Unruhig hier auf- und abgehend, hielt er sich fortwährend in der Nähe
des Boilerdecks, von wo aus er einen freien Blick über die Levée und
Landung hatte, und besonders die Planke des Bootes selber im Auge
behielt, ohne selber auffallend sichtbar zu sein. Es konnte dieses
Niemand, ungesehn von ihm, betreten.

Eine Menge Passagiere kamen, als die Glocke zum zweiten Mal läutete,
heran; Männer mit Koffern auf den Schultern und Hutschachteln in der
Hand, oder Reisesäcken unter dem Arm, Auswanderer von Deutschland, ihre
schweren, riesigen, hölzernen, buntbemalten Koffer zu zweien im Schweiß
ihres Angesichts, und in der Furcht zurückgelassen zu werden, über die
Levée schleifend -- die Frauen Kinder auf Rücken und Armen. Auch ein
Transport Altenburger Bauern, in ihrer Nationaltracht, schritt herunter
zum Boot, sich nach dem fernen Westen einzuschiffen, und die Amerikaner,
die fast alle Trachten der Welt zu sehn bekommen, und sich um keine groß
bekümmern, blieben stehn, sahen den Leuten nach, und lachten über die
wunderliche Kleidung.

Jetzt kam ein ganzer Trupp braun gekleideter Männer, mit breiträndigen
Hüten und weißen Halsbinden, von zwei Güterkarren begleitet, die
ihr Gepäck führten, die Levée nieder und auf das Boot zu. Es waren
jedenfalls Geistliche, und Hopfgarten wandte sich an den neben ihm
stehenden Clerk oder Buchhalter des Bootes mit der Frage, ob er wisse,
wer die Herren wären, und wohin sie in solcher Menge gingen.

»Ah blos Methodistenprediger,« lachte dieser -- »ein ganzer Schwarm, den
wir vor acht Tagen von Little Rock mit herunter gebracht haben. Es sind
meist Circuit-rider aus dem Westen, die hier zu einer protestantischen
Versammlung, wirksame Maasregeln gemeinschaftlich gegen den »Antichrist«
zu berathen, wie sie uns selber sagten, heruntergekommen sind, und jetzt
wieder auf ihre Posten zurückgehn. Es ist eine Vergnügungsreise für die
Herren, zu der sie vorher natürlich eine tüchtige »fromme Sammlung«
gemacht haben.«

Die Geistlichen, elf an der Zahl, kamen indeß an Bord und die
Boilerdeckstreppe herauf in die Cajüte. Hopfgarten blieb an der Thür
stehn, und sah sie einzeln neben sich vorübergehn. Es waren meist
ausdruckslose Gesichter, einzelne aber auch mit verschmitzten Augen, und
scharfgeschnittenen Zügen; der Deutsche hatte jedoch kein Interesse an
ihnen, und wollte seine Aufmerksamkeit eben wieder der Levée zuwenden,
als Einer der Geistlichen ihn mit einem langsamen, salbungsvollen
Kopfnicken grüßte, und an ihm vorbei die Cajüte betrat.

Hopfgarten sah ihn überrascht und verwundert an; der Mann trug allerdings
einen sehr anständigen, braunen, langen Rock von feinem Tuch, eine
schneeweiße Halsbinde, blank gewichste Stiefeln und einen breiträndigen,
schwarzen Filzhut, wie die Anderen, aber _das_ Gesicht war nicht zu
verkennen, und, wenn einmal gesehn, nicht wieder zu vergessen.

»Herr Maulbeere!« rief Hopfgarten, in diesem Augenblick selbst Henkel
vergessend, »träume ich denn oder wach ich -- sind Sie es, oder sind Sie
es nicht?«

»Mein lieber Herr von Hopfgarten,« sagte der Angeredete, dem wirklich
Verblüfften, mit einem milden Lächeln in dem glatt rasirten Gesicht,
die Hand reichend und feierlich schüttelnd, »es ist mir ein ungemein
wohlthuendes Gefühl, Sie nach so langer Trennung wieder einmal begrüßen
zu können -- ich habe in meinen Gebeten manches Mal recht freundlich
Ihrer gedacht.«

Hopfgarten blinzte mit den Augen, trat sich auf den Fuß und suchte sich
im Anfang wirklich erst ordentlich gewaltsam davon zu überzeugen, daß er
nicht träume, und mit wachenden Augen den schmutzigen Scheerenschleifer
Maulbeere, den Schnapsprediger von der Haidschnucke, solcher Art
ausgekrochen und als Schmetterling -- als Braunes Ordensband -- der
Gedanke kam ihm unwillkürlich -- in der sonnigen Luft herumflattern zu
sehn. Aber Maulbeere lebte und athmete, that auch Nichts, das Erstaunen
des vor ihm Stehenden zu beseitigen, sondern schien sich eher an dessen
Überraschung zu weiden.

»Aber wie, um Gottes Willen, kommen Sie in _diesen_ Rock, in _diese_
Gesellschaft?« rief er endlich, jede weitere Höflichkeit bei Seite
setzend, aus -- »ja, wenn mir Jemand des Himmels Einsturz --«

»Spotten Sie nicht, oder profaniren Sie nicht eine so heilige, ernste
Sache« -- unterbrach ihn aber Maulbeere schnell und fast ängstlich. »Daß
der Herr da oben« -- und er warf einen frommen Blick nach der Decke
hinauf, »_Wunder_ thut, brauche ich Ihnen, als gebildetem Mann, nicht
zu sagen. _Sein_ Geist hat mich erleuchtet -- Sein Hauch den Teufel
ausgeblasen, der in mir lebte und thätig war -- der Herr hat Gräuel an
den verkehrten Herzen, und Wohlgefallen an den Frommen -- der Gottlose
ist wie ein Wetter, das überhingeht, und nicht mehr ist, der Gerechte
aber bestehet ewiglich -- der Mund des Gerechten bringt Weisheit,
aber das Maul des Verkehrten wird ausgerottet -- rühme Dich nicht des
folgenden Tages, denn Du weißt nicht, was heute sich begeben mag.«

 [Illustration Capitel 8]

»Aber wie ist es möglich gewesen, in der kurzen Zeit eine solche
Verwandlung --«

»Der Herr ist Allen gnädig,« sagte Maulbeere, mit einem zweiten frommen
Blick die Hände faltend, »und erbarmet sich aller seiner Werke -- des
Herrn Geist stieg auf seinen Knecht nieder in der Nacht des Unglaubens,
da Alles finster war, und siehe da, ein feines Lämplein wurde
aufgestellt in dem Tummelplatz des Satans, und sein helles, goldenes
Licht trieb die Sünde aus dem gereinigten Gefäß!«

Hopfgarten schüttelte immer noch, wie seinen Sinnen nicht recht trauend,
den Kopf. Die Gestalt vor ihm aber hatte Fleisch und Bein, und der
braune Rock so wenig, wie die schneeweiße, reine Binde ließen sich
wegleugnen.

Die übrigen Geistlichen hatten sich indeß in der Cajüte versammelt, ein
paar Minuten leise mitsammen geflüstert, und Einer von ihnen kam jetzt
wieder der Thüre zu, wo die Beiden standen und sagte mit einem milden,
lächelnden Blick:

»Der Bruder Mulberry wird freundlich von uns aufgefordert, an einem
stillen Dank, dem Höchsten für die glückliche Beendigung unserer frommen
Sendung zu bringen, Theil zu nehmen.«

Maulbeere neigte langsam sein Haupt, und sich dann wieder zu Hopfgarten
wendend, sagte er:

»Wir haben wohl das Vergnügen, mit Ihnen zusammen die Reise nach Little
Rock zu machen?«

»Nein, bester Herr Maulbeere, das thut mir wahrhaftig leid,« erwiederte
dieser -- »ich bin nur an Bord gekommen, Jemand zu suchen.«

»Das schmerzt mich in der That,« sagte Maulbeere, indem er in die Tasche
griff und ein kleines Paket Bücher und eine Visitenkarte herausnahm
-- »sollten Sie aber später einmal wieder in unser wildes, westliches
Land kommen, so wird es mich herzlich freuen, zu sehn, daß es Ihnen gut
geht -- diese Karte hier enthält meine Adresse -- und mich _glücklich_
machen, zu hören, daß auch Sie den _wahren_ Frieden in Gott gefunden,
und die Bahn des Heils betretend, den breiten, ebenen Weg verlassen
haben, der hinab zu Sünde und Verdammniß führt. Gott sei mit Ihnen -- er
erleuchte Sie -- er neige sein Antlitz über Sie, und gebe Ihnen seinen
Frieden -- Amen!«

Und mit einer halb segnenden, halb grüßenden Handbewegung gegen Herrn
von Hopfgarten, der Bücher und Karte fast unbewußt in der Hand behielt,
und dann ebenso in die Tasche steckte, drehte er sich langsam von ihm
ab, und schritt seinen Gefährten am andern Ende der Cajüte zu.

Ein neuer Trupp Fremder zog in diesem Augenblick die Aufmerksamkeit
unseres Freundes auf sich, die Glocke läutete dabei zum dritten Male,
und das Boot machte Anstalt zur Abfahrt. Nirgends aber ließ sich eine
Gestalt erkennen, die der des Gesuchten auch nur im Entferntesten
geglichen hätte, obgleich Hopfgarten vollkommen darauf vorbereitet war,
das Gesicht Soldeggs durch Bart oder Brille vielleicht so viel als
möglich unkenntlich gemacht zu sehn. Mit dem Chikasaw beabsichtigte
dieser keinesfalls, den Strom hinaufzugehn, und er mußte zuletzt, als
die Planken und Taue eingeholt wurden und die Räder nach rückwärts an zu
arbeiten fingen, das Boot in den Strom hinauszuschieben, an Land
springen.

Auf seiner Uhr war es jetzt halb elf Uhr, und er ging, die Ankunft
Ledermann's hier verabredeter Maßen zu erwarten, indessen ungeduldig an
der Levée auf und ab. Seine rechte Hand in die Tasche schiebend, fühlte
er dort die vorher in Gedanken eingesteckten, ihm von Maulbeere
übergebenen Schriften, und nahm sie heraus, zu sehn, was sie enthielten.

Es waren natürlich Traktätchen. Das eine handelte über die Heiligkeit
des Sabbaths und die Gefahr der Sabbathschändung, mit einem
abschreckenden Beispiel, wie ein Knabe an einem Sonntag einmal den Fluß
befahren hatte und ertrunken war -- während Millionen Beispiele,
dasselbe Verbrechen jeden Sonntag verübend, glücklich abfuhren und eben
so landeten -- das andere über die Bibelvertheilung, und die übrigen
über das Missionswesen, und dessen dringende Nothwendigkeit; jedes am
Schlusse mit einer Bitte um die Unterstützung der frommen Männer, die in
die Wildniß, unter wilde Bestien und wildere Menschen zögen, und von
Wurzeln und Rinde lebten, das Evangelium zu predigen. Auf der Karte
stand:

   #The Reverend Zachäus Mulberry.#
         #Little Rock. Arks.#

Die Karte steckte Hopfgarten zum Andenken ein, die Bücher warf er fort.

Und Ledermann kam noch immer nicht -- es war schon fast drei Viertel auf
elf, und Hopfgarten ging wie auf Kohlen, in Angst und Ungewißheit, den
Strahlen der heißen Sonne ausgesetzt, an der Landung auf und ab.

»Gott der Gerechte, der Herr Baron,« redete ihn da plötzlich eine Stimme
an, und als er sich rasch danach umdrehte, stand ein Mann, augenscheinlich
ein Israelit, von dessen Gesicht Hopfgarten aber keine Ahnung hatte, in
einem dunklen, anständigen Rocke, mit einem kleinen Strohhute auf, vor
ihm, und machte ihm eine tiefe Verbeugung; der Mann mußte aber jedenfalls
sehn, daß ihn der Herr, den er angeredet hatte, nicht erkannte und er
fuhr lächelnd fort:

»Gottes Wunder -- hob' ich mich denn gar so sehr verändert, daß so an
lieber Herr anen alten Raisegesellschafter sollte vergessen haben.
Kennen Sie den Veitel Kochmer nicht mehr?«

»Veitel Kochmer? -- nein --«

»Kennt den Veitel Kochmer nicht mehr;« lachte der Alte, mit dem Kopf
dabei schüttelnd -- »den Mann mit der Holzharmonika, dem Sie an
Concertchen zusammengebracht haben an Bord, als an guter und
freundlicher Herr.«

»Veitel Kochmer,« rief Hopfgarten, sich jetzt des Namens entsinnend,
»ja Euch hätte ich allerdings nicht wieder erkannt -- Ihr seht ganz
anders aus -- tragt den langen Bart nicht mehr und den Kaftan -- es geht
Euch gut?«

»Gott soll gedankt sein, ja.«

»Und Euer Sohn --«

»Mai Sohn? -- wie haißt mai Sohn --« sagte der Mann, ungeduldig den Kopf
schüttelnd -- »das Jüngelche, was ich bei mer hatte, mit die hibsche
Stimme -- wenn's ane bessere Lunge und a schlechtere Stimme gehabt
hätte, lebt es _noch_.«

»Ihr habt ihn sich todt singen lassen,« sagte Hopfgarten ernst.

»_Ich_ hab' ihn sich todt singen lassen? -- wie haißt? -- soll sich die
Lunge beim Magen beschweren -- der Eine arbeitet mit die Händcher, der
Andere mit die Lunge, aber Alle arbeiten mer um ze leben, ze essen un
ze trinken, und an Rock auf dem Leib ze haben -- hob ich en nich acht
Wochen gepflegt, als _ob_ er mai Sohn gewesen wäre, und stirbt er mer
nich zuletzt wie zum Possen? -- Soll mer Gott helfen, als ich nich hob'
Schaden gehabt an dem Jüngelche. -- Aber Herr Baron -- kennten wir zwei
Beide nich a klanes Geschäftche zesammen machen; hob' ich was ganz
Extraes von gute Staincher, vor solch einen fürnehmen Herrn, wie der
Herr Baron.«

»Ich danke, lieber Kochmer, ich brauche Nichts in der Art,« sagte
Hopfgarten, wieder nach seiner Uhr sehend, »kann mich auch
augenblicklich gar nicht damit befassen -- haben Sie eine Uhr bei
sich?«

»Ja wohl, Herr Baron -- werd' ich ka Ürche haben, un a Staatsürche is
es,« fuhr er fort, eine goldene Cylinderuhr aus der Tasche nehmend,
»geht se doch um drei Minuten besser wie die Sonne -- s' ist gerade
sieben Minuten über dreiviertel auf elf -- kennten wir _damit_
vielleicht en Handelche machen?«

»Ich danke wirklich -- ich habe selber eine ganz gute Uhr und brauche
keine, wollte auch nur sehen ob die meinige richtig ginge.«

»Wenn Sie die Staincher emol sähen, würden Sie Appetit kriegen -- se
sain zum 'Reinbeißen,« fuhr aber Veitel, nicht so leicht abgewiesen, in
seinem Anpreisen der Juwelen fort, »hob ich die Musik doch jetzt ganz
an den Nagel gehängt un mich auf die Staincher gelegt. Wer die Sache
versteht ist's a solides, prächtiges Geschäftge hier in Amerika -- wenn
mer sai Zeit kann abpasse.« Und er nahm dabei ein kleines Etui aus
seiner Brusttasche, das er öffnete und dann, den Kopf schräg zur Seite
davon zurückhaltend, die Sonnenstrahlen auf die wirklich schönen Steine,
die in tausend Lichtern funkelten, wieder fallen ließ.

Hopfgarten hatte indessen die Levée auf und abgesehn, den so sehnlich
Erwarteten endlich irgendwo zu erspähen, aber vergebens; Ledermann ließ
sich nirgends blicken und der Zeiger seiner Uhr, den er ungeduldig und
ununterbrochen fragte, schien nicht von der Stelle zu rücken.

»Ich danke Euch Veitel -- ich brauche wirklich Nichts der Art,« sagte
er zerstreut, »trage weder Ringe noch Tuchnadeln, und muß hier im Lande
auf- und abreisen, wo man solche Sachen am allerwenigsten bei sich
führen kann.«

»Aber so sehn Sie nur emol die Pracht an,« drängte Veitel.

»Ja, sehr schön -- wirklich brillant,« sagte Hopfgarten, einen flüchtigen
Blick darauf werfend, und dann durch das Feuer derselben doch verlockt
sie aufmerksamer zu betrachten; »sehr schöne Steine in der That, aber
wie gesagt, Nichts für mich.«

»Und _das_ Stainche hier vor a Tuchnadel -- ah?« sagte Veitel, vor
Hopfgartens Augen ein Türquis in der Sonne blitzen lassend.

»Mensch, wo hast Du den Stein her?« rief aber Hopfgarten unwillkürlich
erschreckt aus, als sein Blick auf einen sehr schönen großen _dreieckigen_
Türquis fiel, den Veitel zwischen den Fingern hin und her drehte.

»Woher? -- Gottes Wunder!« rief der Jude erschreckt, »ehrlich gekauft,
soll mer Gott helfe.«

»Ich sage ja Nichts dagegen, Veitel,« rief Hopfgarten rasch, ihn zu
beruhigen, »gewiß ist er ehrlich gekauft, aber von wem? ich kenne den
Stein -- habe wenigstens von ihm, oder einem ganz ähnlichen gehört, ich
möchte gern --«

»Von wem? von em achtbaren, soliden Herrn, von em wahren Schentelmenn in
sein Handeln und Geschäftcher,« sagte Veitel, immer noch in der Meinung,
ein Verdacht ruhe auf ihm, »und wenn er nicht hait Morgen abgereist
wäre, kennten Se ihn selber fragen, Herr Baron -- ist en alter
Bekannter von Sie, noch vom Schiff her.«

»Heute Morgen abgereist? -- wohin Veitel?« sagte Hopfgarten, der sich
krampfhaft mit der rechten Hand in die Seite griff, nur um ruhig zu
bleiben und seine Aufregung nicht zu verrathen, »wer war es denn
eigentlich -- der -- der Doktor Hückler?«

»Gott soll bewahren, der Herr Henkel, und mit dem Schtiemer ist er fort
nach der Havanna.«

»Mit dem Postdampfer nach Havanna?« rief Hopfgarten, jetzt wirklich
_nicht_ mehr im Stande sich zu mäßigen -- und der ist heute Morgen
fort?«

»_Hait_ Morgen wird er fort sain,« sagte Veitel, »Gottes Wunder was is
jetzt dermehr?«

»Ledermann!« schrie da Hopfgarten, Veitel gar nicht mehr beachtend, den
Freund an, der eben jetzt, so lang schon herbeigewünscht, gerade über
die Levée herüber und auf Herrn von Hopfgarten zukam, »wann, um Gottes
Willen, geht der Havanna Steamer?«

»Die Cuba? -- um elf Uhr,« sagte dieser erstaunt.

»Großer Gott -- es muß gleich schlagen -- so ist er noch nicht fort?«

»Dort drüben können Sie ihn sehn,« sagte Ledermann, der von der hohen
Levée aus ein paar Momente mit den Augen in den Fluß hinein gesucht
hatte -- gerade zwischen den beiden ausgezackten Schornsteinen jenes
Bootes dort -- das große Dampfschiff, aus dem der Rauch so dick
aufsteigt.«

»Henkel ist an Bord!« war Alles was Hopfgarten herausbringen konnte,
»großer Gott, daß wir nicht an das Havanna-Schiff gedacht.«

»Gott der Gerechte!« rief Veitel, seine Steine einsteckend und in
Verwunderung die Hände zusammenschlagend, »was han Se uf amol vor a Eil;
wird der Herr Henkel doch wiederkommen in vier oder fünf Woche, wie er
mer hot gesagt.«

»Noch ist es vielleicht Zeit,« rief aber Ledermann, der indeß rasch das
Terrain überschaut hatte; »_so_ pünktlich gehen die Dampfer nicht ab;
einzelne Passagiere zögern immer etwas länger am Ufer, oder der Capitain
kann auch seine Geschäfte nicht so rasch besorgen. Dort fährt ein Cab
-- gegenüber dem Dampfer nehmen wir ein Boot, und einmal von den Schiffen
frei, daß sie an Bord unser Tücherschwenken sehen können, und wir kommen
noch zur rechten Zeit.«

»Veitel!« rief Hopfgarten, sich rasch nach diesem umdrehend, »kommt
morgen früh zu mir in das St. Charles Hotel -- verstanden? -- bringt
Euere Steine mit -- und nun fort Ledermann, fort!« und diesem voran
laufend winkte er schon von weitem dem kleinen einspannigen Cabriolet
zu, dessen Kutscher, Passagiere suchend, langsam die Levée an der
Dampfbootlandung hinabfuhr. Der Mann zügelte sein Pferd ein und
Hopfgarten bot ihm einen Dollar, wenn er sie so rasch das Pferd laufen
könne dem Havanna Steamer gegenüber die Straße niederführe.

»Halt, dort geht ein Constable!« rief ihm aber Ledermann zu, »den nehmen
wir mit.«

»Kann nicht drei Passagiere fahren, Sir,« sagte der Kutscher.

»Du bekommst einen Dollar für jeden, wenn Du uns rasch an Ort und Stelle
bringst!« rief der Deutsche, dem Angst und Aufregung fast die Sprache zu
nehmen drohte. Ledermann lief indessen, so rasch ihn seine langen Füße
trugen, und sehr zum Ergötzen der ihm Begegnenden, der nächsten Straßenecke
zu, an der er einen ihm bekannten Constable erspäht hatte. Wenige Worte
genügten, diesen mit Allem bekannt zu machen was Noth that, und zwei
Minuten später galopirte das eben nicht sehr kräftige Pferd, von der
wacker geführten Peitsche seines Herrn getrieben, in flüchtigen Sätzen
die Straße nieder. Unterwegs unterrichtete der Constable diesen dabei,
dem großen Dampfschiff gegenüber, das sie jetzt deutlich erkennen
konnten, anzuhalten, wo er Miethboote wüßte.

»Ay ay Sir!« sagte der Mann, und hieb stärker auf sein Pferd, »kommen
noch zurecht, wenn mein alter Jack nicht bis dahin zusammenbricht.« Das
Pferd hielt sich aber wacker, und plötzlich gegen die Levée anfahrend,
denn den Wasserrand konnten sie von da aus, des hochaufgeworfenen Dammes
wegen nicht sehen, hielt er an.

»Boot Sir? -- Boot für den Steamer?« riefen ihnen hier schon vier, fünf
Bootsleute zu gleicher Zeit entgegen, die sich herbeidrängten, die
geglaubten Passagiere nach dem Dampfschiff zu bringen; dieses konnte
seines Tiefgangs wegen hier nicht dicht am Ufer anlanden, und mußte ein
Stück draußen im Strom vor Anker liegen; »höchste Zeit, Gentlemen, aber
wir bringen Sie hinüber.«

»Fünf Dollar, wenn wir zur rechten Zeit kommen.«

»Hier Sir! hier ist ein Boot das es thun kann!« schrie Einer Hopfgarten
am Arm ergreifend.

»Mit dem alten Kasten kommst Du nicht vor Abend hinüber,« überschrie ihn
ein Anderer, »_meins_ ist der Clipper, Gentlemen, der über das Wasser
fliegt.«

Der Constable hatte indessen von der Levée aus mit einem Kennerblick die
Boote rasch übersehen, und den beiden Fremden winkend ihm zu folgen,
sprang er in das, was ihm am tüchtigsten schien, hinein, und hinten an
das Steuer. Die beiden Bootsleute, die dazu gehörten, nahmen mit einem
Hohnlachen über die besiegten Gefährten ihre Sitze ein, und wenige
Sekunden später schoß das scharfe, wackere Boot, die gelbe Fluth zu
beiden Seiten in Schaum hinauswerfend, zischend und spritzend über den
breiten Strom dem Dampfer zu.

»Wir kommen wahrhaftig zu spät!« rief Hopfgarten in Todesangst mit der
rechten Hand sein Tuch schwenkend, »dort pufft das Schiff schon seinen
Dampf aus, und die Räder fangen an zu arbeiten.«

»Nur keine Furcht Sir,« sagte der eine der Bootsleute, der einen Blick
über seine Schulter weg nach dem näher und näher rückenden Fahrzeug
warf, »sie arbeiten nur gegen die Strömung langsam an, den Anker
heraufzuheben; die Kette ist noch unten.«

»Er hat recht,« rief aber auch der Constable jetzt, »die Kette ist noch
aus und wir kommen zur rechten Zeit.«

»Gott sei Dank,« sagte Hopfgarten leise, aber tief aufseufzend vor sich
hin, und von dem Augenblick an schien es, als ob jede Unruhe, jedes
Schwanken von ihm genommen sei. Ruhig ein Bein über das andere gelegt,
beobachtete er ihre Annäherung an das keuchende, gewaltige Dampfschiff,
und überflog mit seinem Blick nur manchmal rasch und forschend das
aufgebaute Quarterdeck des Fahrzeugs, zwischen den dort auf- und
abgehenden Passagieren den Gesuchten herauszufinden; aber er bemühte
sich nicht mehr sein Gesicht zu verbergen -- der Verbrecher konnte ihm
nicht mehr entgehen.

An Bord traten jetzt ein paar Mann, das nahende Boot bemerkend, oben an
die noch aushängenden Fallreeps; der eine von diesen hielt ein dünnes
zusammengerolltes Tau in der Hand, und warf es dem einen der Bootsleute
zu, der es durch den Ring vorn zog und um die vordere Queerbank
schlug. Im nächsten Augenblick lag das kleine schwanke Boot, auf
den kurzen Wellen tanzend, die das Starbordrad schlug, dicht an die
steilaufsteigende Seitenwand des mächtigen Fahrzeugs an, und der
Constable rief hinan:

»Ein Tau hier herunter, Boys, für den Gentleman; er hat einen kranken
Arm und kann sich nicht halten.«

Wenige Secunden später war dem Rufe Folge geleistet; der Constable legte
das Seil um Herrn von Hopfgartens Mitte, und während die Matrosen oben
langsam anzogen und ihn dadurch stützten, lief derselbe rasch an der
steil niederhängenden Fallreepstreppe auf.

»Danke -- danke herzlich,« sagte dieser, während sein Blick an dem
Quarterdeck hing; aber auch dort sah er nicht den, den er suchte, und
sich an den Steuermann des Schiffs wendend, der seine Leute eben gefragt
hatte, ob der Herren _Gepäck_ schon an Bord sei, bat er diesen ihm zu
sagen wo er den _Clerk_ der Cuba fände.

»Dort oben, Sir -- an der Starbordtreppe; der mit dem Panama-Hut auf,
Sir, und dem kleinen Buch in der Hand.«

»Sie wünschen Plätze in der Cajüte, Sir?« frug ihn dieser freundlich,
»der Steward soll Ihnen gleich Ihre #staterooms# anweisen.«

»Bitte, mein Herr,« sagte Hopfgarten, dem seine beiden Begleiter auf dem
Fuße folgten, »können Sie mir nicht Auskunft geben, ob ein gewisser
_Soldegg_ an Bord ist?«

»Soldegg? -- Soldegg?« sagte der Clerk nachdenkend sind dabei sein
kleines Buch öffnend, eine dort eingetragene Liste mit den Augen
überfliegend, »ist noch nicht notirt, Sir.«

»Oder Henkel?«

»Ebenfalls nicht,« lautete die Antwort, nach kurzer Pause.

»Oder Holwich?«

»Keiner der drei Herren; aber es sind einige Gentlemen erst in der
letzten halben Stunde an Bord gekommen, deren Namen ich noch nicht
eingeschrieben habe. Sie werden unterwegs Zeit genug bekommen deren
Bekanntschaft zu machen; soll ich Ihnen indessen --«

»Bitte, mein Herr, mein Besuch ist anderer Art,« sagte Hopfgarten ruhig;
»ich habe einen Verhaftsbefehl mit gegen einen gefährlichen Verbrecher,
und ich glaube, ja ich weiß ihn an Bord.«

»Oh wenn das ist,« lachte der Clerk, »dann hat der Herr auch vielleicht
einen andern Namen angegeben; nichts leichter als das. Wohl ein Constable,
der eine der Herren?« -- dieser nickte mit dem Kopf -- »#well#, dann
bemühen Sie sich nur gefälligst selber in die Cajüte hinunter, und sehn
Sie sich dort um; ich werde es indessen dem Capitain melden, und Ordre
geben, daß das Schiff nicht unterwegs geht.«

Hopfgarten blieb einen Augenblick stehn, Athem zu holen, so preßte ihm
die Aufregung dieses Momentes Brust und Herz zusammen, äußerlich aber
war er vollkommen ruhig, und Ledermann und den Constable bittend, ihn
vorangehn zu lassen, und erst nach ein paar Minuten zu folgen, stieg er
mit festen, ruhigen Schritten die Quarterdeckstreppe hinauf, und die
breiten Mahagonystufen, die von da in die untere Cajüte führten, wieder
hinunter, und öffnete, von dem Steuermann begleitet, dem der Clerk ein
paar Worte über den Zweck dieses Besuches zugeflüstert, die Thür der
Cajüte, in der einige zwanzig Passagiere in den verschiedensten
Stellungen umhersaßen und standen, und ziemlich ruhig die nahe Abfahrt
des Dampfers, dessen Maschine schon unter ihnen arbeitete, zu erwarten
schienen.

Aber Hopfgarten sah nur _Einen_ von allen diesen; auf dem mittleren
Sopha, das eine Bein behaglich über das andere gelegt, und neben sich
auf einem kleinen Tisch eine Flasche mit Rothwein und ein Gefäß mit
großen, klaren Eisstücken, ein Buch in der Hand, in dem er nachlässig
blätterte, lag _Henkel_ und schien so sorglos und unbekümmert die
Abfahrt des Bootes zu erwarten, so sicher seiner Umgebung zu sein, daß
er nicht einmal aufsah, als Hopfgarten langsam auf ihn zuging, bis
dieser neben seinem Tische stehn blieb und Henkel jetzt, mit einem
leisen Schrei der Überraschung emporfahrend, ganz plötzlich seinen alten
Reisegefährten neben sich erkannte.

»Alle Wetter! Herr von Hopfgarten,« sagte er aber, sich rasch sammelnd;
»das ist ein prächtiges Zusammentreffen, und wir sind auf's Neue
Reisegefährten? -- Schade, daß Frau von Kaulitz nicht da ist, für den
dritten _Mann_.«

»Wir bekommen noch Gesellschaft,« sagte Hopfgarten, sich ruhig umsehend
und den jetzt eben eintretenden Ledermann heranwinkend -- »Herr Henkel
oder Soldegg oder Holwich -- ich weiß nicht unter welchem Namen Sie
jetzt reisen -- ich habe ihnen hier einen alten Bekannten vorzustellen,
der eine weite Reise im Auftrag seiner Regierung gemacht hat, nur das
Vergnügen Ihrer werthen Begleitung zu haben.«

»Was soll das? -- was wollen Sie von mir?« sagte Henkel finster, sich aber
doch leicht entfärbend, als er den Aktuar von Heilingen plötzlich hier
erkannte. Einen forschenden, unruhigen Blick warf er dabei in der Cajüte
umher, der indeß weiter Nichts Beunruhigendes bot, da der Steuermann an
die Bar getreten war, und der Constable, der Gruppe die Seite zudrehend,
eine Zeitung aufgenommen hatte, als ob er mit zu den Passagieren gehörte
-- »ich bin gerade nicht aufgelegt zu scherzen, sonst könnte ich Ihnen
vielleicht wieder meinen -- Zwillingsbruder schicken, sich mit dem
abzufinden.«

»Herr Henkel,« sagte Ledermann ruhig -- »wir haben ein Boot unten
liegen, und ersuchen Sie, uns gutwillig und ohne weiteres Aufsehn zu
erregen, da hinein zu folgen, das Weitere werden wir an Land abmachen.
So viel genüge Ihnen zu wissen, daß wir autorisirt sind, in dieser Weise
zu handeln -- ich habe einen Verhaftsbefehl für Sie in der Tasche.«

»Haho!« rief Soldegg aber, dem im Nu die ganze Größe der über ihn
hereinbrechenden Gefahr klar wurde -- »Herr von Hopfgarten will
sich revangiren -- hahaha -- aber die Herren haben sich verrechnet
-- _lebendig_ bekommen sie mich nicht -- und überdieß -- wer giebt
Ihnen das Recht, mich hier verhaften zu wollen?« Seine rechte Hand glitt
dabei rasch und verstohlen unter die Weste, die Bewegung aber war
dem Constable, der ihn indessen scharf und aufmerksam von der Seite
beobachtet hatte, nicht entgangen, und seinen Rock zurückwerfend, unter
dem er sein Polizeizeichen trug, ging er auf den wild und drohend zu ihm
aufblickenden Verbrecher zu und wollte, mit den Worten: »#You are my
prisoner!#«[5], die Hand auf dessen Schulter legen, als Henkel, unter
dem Arm fortgleitend, einen Schritt zurücksprang; mit der rechten aber
zu gleicher Zeit ein mächtiges, blitzendes Bowiemesser aus der Weste
riß, und mit wildem, höhnischen Lachen schrie:

»Lebend nicht -- Bahn frei, oder, beim Teufel, ich hacke Pastetenfleisch
aus Euch!« Zu gleicher Zeit führte er einen Hieb nach dem Constable, dem
dieser nur durch ein jähes Zurseitespringen entgehn konnte, und warf
sich auf Hopfgarten, wieder die Klinge zum Hieb gehoben. Dieser aber,
ohne einen Zoll breit zu weichen, hatte eine gleiche Waffe gezogen,
und bereitete sich, den Schlag zu pariren, als der Steuermann, etwas
Ähnliches schon lange erwartend, ohne sich aber selber zwischen die
gehobenen Messer hineinzuwagen, einen Stuhl aufgriff und Henkel so
geschickt vor die Füße schleuderte, daß dieser im vollen Wurf darüber
hinflog.

»Brav gemacht!« schrie der Constable, der indeß einen Revolver aus
seinem Gürtel gerissen hatte, Gewalt mit Gewalt zu begegnen -- »jetzt
bekommen wir den Burschen lebendig.« Und um den Stuhl flog er herum,
zwischen die Thür und den Gefangenen zu kommen, und diesem den Weg
abzuschneiden. Henkel aber, zum Äußersten getrieben und recht gut
wissend, was ihn erwartete, wenn er in die Hand der Feinde fiel,
schnellte im Nu, sein Messer noch fest im Griff haltend, vom Boden
wieder auf und sprang gegen die Thür an, von der fort die zufällig
dort herabkommenden Passagiere, vor der drohenden Gestalt mit der
geschwungenen Waffe scheu zur Seite stoben.

»Halt!« schrie der Constable, »im Namen des Gesetzes!«

Henkel hatte die Thür erreicht und stieß sie vor sich auf, als ein
scharfer Knall, und gleich darauf weißer Pulverrauch den Raum füllte
-- ein wilder Schrei und eine blutende, todtenbleiche Gestalt, der die
blanke Waffe entfiel und klirrend die Stufen zurückrollte, taumelte die
Treppe hinauf an Deck, zwischen die entsetzten Passagiere.

»#You are my prisoner Sir!#« schrie der Constable, den Flüchtling
einholend und an der Schulter fassend.

»#Ready for hell!#«[6] stöhnte dieser, ließ die Arme sinken, drehte sich
einmal im Kreise herum und brach, wo er stand, zusammen.

»_Den_ Passagier könnt Ihr von der Liste streichen, Clerk,« sagte der
Steuermann ruhig zu diesem, als er an Deck kam -- »steht bei hier,
Jungen, und hebt den Cadaver einmal in's Boot hinunter, und zwei von
Euch waschen die Flecken hier weg und die Treppe rein. Marsch mit Euch
und ein Bischen schnell -- ist der Anker auf?«

»Alles klar, Sir!«

»Gut, in fünf Minuten müssen wir unterwegs sein -- die Herren mögen die
Geschichte dann selber an Land ausmachen.«

Hopfgarten stand neben der Leiche und sah tief aufseufzend in die
bleichen Züge, in die stieren zu ihm aufgedrehten Augen -- aber er
sprach kein Wort; nur das Messer, das er noch offen in der Hand trug,
barg er wieder in der Scheide, und einen kleinen weißen Handschuh aus
seiner Brust nehmend, bog er sich nieder, und netzte das zarte
schneeige Leder mit dem quellenden Blut des Gerichteten.

Zwei Matrosen faßten die Leiche jetzt auf und trugen sie zu der
Fallreepstreppe, wo Andere mit den Tauen standen und sie hinunter
ließen; der Constable hatte sich indessen vom Clerk das Gepäck, das
dem Gericht verfallen war, ausliefern lassen.

»Hallo, da kommt noch ein Passagier!« rief der eine Bootsmann, als die
Seeleute die Leiche rasch nach unten viehrten -- »dacht' es mir beinah,
wie ich den Schuß hörte.«

»Hast eine gute Nase, Kamerad,« rief Einer der Matrosen nieder, »das
aber da ist nur Ballast; schlagt die Taue los!«

Die Koffer folgten dem Körper, und diesen die Passagiere -- oben läutete
die Glocke, die Räder rauschten und peitschten den gelben Schaum zu
wirbelnden Wellen auf -- stromauf arbeitete das gewaltige Schiff, einen
weiten Bogen beschreibend in der kochenden, zischenden Fluth, und
während es sich stromab wandte, und das flatternde Banner der Vereinigten
Staaten lustig im Winde wehte, ruderte das kleine Boot mit seiner
traurigen Last langsam dem Lande wieder zu.




Capitel 9.

Das Haus im Walde.


Wieder keimten und sproßten die Blumen im lieben deutschen Vaterland;
die Wiesen hatten sich mit frischem Grün gedeckt, im Wald rauschte
und flüsterte der Wind gar so traulich und heimlich durch die jungen,
saftigen Blätter, und schaukelte die langen, duftenden Zweige der Birke,
und trug die wirbelnde Lerche hoch in die blaue, sonnige Luft hinein.

Wie das draußen in den Feldern so regsam schaffte und arbeitete; wie
die Heerden so fröhlich blökten, die wieder hinaus durften in die warme,
sommerliche Flur; wie die Schwalben -- die lieben, lieben Schwalben
so froh durch den Äther strichen und die Störche, von den Kindern mit
scheuer Ehrfurcht betrachtet, klappernd und von ihren Reisen erzählend,
auf den Dächern standen, oder langsam über die feuchten Wiesenflächen
schritten, alte Jagdgründe zu revidiren.

[Illustration: Capitel 9]

Wie das zwitscherte und klang und sang und schmetterte in dem weiten,
lichtdurchflutheten Raum, und die Luft mit seinem Glanz und Jubel
füllte, jeder Ton ein Loblied dem Herrn, jedes grüne Blatt, jeder
duftende Kelch, jeder Thautropfen am schwankenden Halm, ein Dankesopfer
seiner Allmacht und Güte. Oh wie sich auch die Menschenbrust da so froh
und fröhlich hebt, und das Herz mit jauchzt und jubelt, und hinauf
möchte, höher und höher hinauf, der steigenden Lerche nach, die mit
zitterndem Flügelschlag, ein lebendiges Bild der Lust und Wonne, dort
oben steht und betet. Wie es da stammelnd danken und preisen möchte auch
in _seiner_ Weise, und nicht Worte, nicht Ausdruck findet für die
Seligkeit, die in ihm glüht und lebt, und seine Adern füllt, und deren
Wiederglanz nur in der Thräne zittert, die heiß und doch so lindernd da
in's Auge steigt.

Der Winter war vorbei -- die Natur erwacht, und Gottes Odem wehte,
ein Segen, über das weite, wundervolle Land, Luft und Frieden in der
Menschen Herzen gießend -- aber nicht in alle. -- Den schmalen Pfad der,
das Dorf Waldenhayn umgehend, nach dem dunklen, die Hügel deckenden
Kieferwald hinaufführte, schritt eine schlanke, bleiche Frau, einsam und
allein; sie sah krank und hülfsbedürftig aus, und die bloßen, wegwunden
Füße ließen hie und da in den Spuren Blutflecken zurück, wo ein scharfer
Stein sie verletzt; der Straßenstaub deckte dabei ihr Gewand, und die
weiße, fast durchsichtige Hand klammerte sich fest und wie krampfhaft an
den rohen Eichenstock, der ihr zur Stütze diente.

Neben ihr auf stieg wirbelnd die Lerche, und im Korn lockte das Rebhuhn
und die Wachtel; -- sie blieb stehn und horchte dem Laut, aber nicht vom
Boden nahm sie den Blick, schauderte zusammen, als ob selbst diese süßen
Töne nur furchtbare Erinnerungen für sie hätten, und schritt langem
weiter ihre stille Bahn, dem Walde zu.

Nur einmal blieb sie noch stehn, und zitterte, und wäre fast in die Knie
gesunken, als vor ihr, bis jetzt von Birken- und Weidenbüschen verdeckt,
ein kleines, einsam gelegenes, ödes Häuschen, mit halb geöffneter Thür
und ausgebrochenen Fenstern sichtbar wurde; aber wie gewaltsam raffte
sie sich zusammen, faßte ihren Stab fester und schritt auf das niedere,
verlassene Gebäude zu.

Als sie die Schwelle erreichte, läuteten unten die Glocken den
Nachmittagsgottesdienst aus, und als ob _die_ Töne sie mit furchtbarer,
unwiderstehlicher Gewalt getroffen, brach sie zusammen in die Knie, und
lag lange Minuten wie betend da. Dann erhob sie sich langsam wieder,
warf noch einen scheuen Blick über das, unten das kleine Thal füllende
Dorf, und verschwand dann in dem dunklen Raum der Hütte.

       *       *       *       *       *

Unten im Dorf läuteten die Glocken den Nachmittagsgottesdienst aus, und
der würdige Pastor Donner, dessen Haar die letzten drei Winter doch um
ein Bedeutendes gebleicht, kam freundlich, rechts und links die noch vor
der Kirche stehenden Kinder und Gemeindemitglieder grüßend, die ihn, mit
dem Hut in der Hand, vorbeiließen, seiner kleinen Wohnung, dem duftigen,
schattigen Garten zu, wo ihn zu dieser Zeit der Nachmittagskaffee in der
blühenden Fliederlaube erwartete. Aber mehr als das harrte heute sein.

»Vater -- lieber Vater!« jubelten ihm die Kinder entgegen, Blätter
Papier hoch und jauchzend empor haltend -- »Brief von Georg ist gekommen
-- Brief vom Bruder Georg; er kommt herüber in ein oder zwei Jahren mit
seiner _Frau_! -- er hat geheirathet, Vater -- Bruder Georg hat
geheirathet und es geht ihm gut!«

Der Pastor blieb stehn, und als die Kinder auf ihn zugesprungen kamen
und ihm in ihrer frohen Kindeslust den Brief entgegen hielten, bog er
sich zu ihnen nieder und küßte sie, aber die Mutter folgte ihnen, und
barg ihr Haupt an des Gatten Brust. Sie hatte sprechen -- erzählen
-- mit den Kindern jubeln wollen, und kein Wort brachte sie jetzt vor
Thränen über die Lippen -- aber es waren _Freudenthränen_.

»Georg hat geheirathet!« jubelte Fritz dabei, der jüngste Sohn, den
Brief in der Hand schwenkend, und um die Anderen herumspringend -- »ich
bin jetzt ein _Schwager_ geworden, und Du, Louise und Du Trinchen, Ihr
seid Schwägerinnen -- hurrah, Bruder Georg soll leben!«

»Und es geht ihm gut?« flüsterte der Pastor, der Gattin an ihn gelehnte
Stirn wieder und wieder küssend.

»Gut -- recht, recht gut, Gott sei ewig gelobt und gedankt,« schluchzte
die Frau -- »da, lies nur selbst -- ich habe vor Thränen nicht weiter
lesen können.«

Auch Louise, die ältere Tochter, kam mit ihrem Bräutigam, einem jungen
Geistlichen aus Heilingen, dem Vater freudestrahlenden Auges entgegen,
und während die Glocken von dem alten Thurm noch klangen und tönten,
und den tiefen harmonischen Laut weit aus über das stille Dorf und an
die sonnbeschienenen Hänge der blühenden Hügel sandten, saßen die
glücklichen guten Menschen in der duftenden Laube, und horchten der
lieben, lieben Botschaft des fernen Bruders und Sohnes, der ihnen Grüße
und Küsse weit über das Meer herübergesandt, und ihre Herzen mit Glück
und Wonne und Dank, heißem Dank gegen den Höchsten erfüllt hatte.

-- -- »Seit drei Tagen bin ich jetzt mit meiner Marie vermählt,
und der glücklichste Mensch unter der Sonne. In den angenehmsten
Familienverhältnissen dabei, hat sich unsere Farm, die mein Schwiegervater
schon im Begriff war um ein Spottgeld zu verschleudern, auf eine ganz
unerwartete und kaum geahnte Weise verwerthet, denn ich habe beim Graben
eines Brunnens, in der Nähe einer neu errichteten Mühle, selber ein
_Kohlen_lager entdeckt, das, wenn auch noch nicht für den Augenblick,
doch für die Zukunft einen bedeutenden Ertrag verspricht. Ein Amerikaner
hat mir schon für die Bearbeitung eine sehr bedeutende Summe baar geboten,
aber ich zögere noch sie anzunehmen. Dabei bin ich ganz gegen meinen
Willen, und durch einige glückliche Kuren in den Ruf eines geschickten
Arztes gekommen, und da sich unsere Gegend, durch die Unmasse der hier
eintreffenden Einwanderer, sehr belebt, bleibt mir schon gegenwärtig
kaum mehr Zeit, meinen ländlichen Arbeiten so obzuliegen, wie ich es
eigentlich wünschte -- -- -- --«

-- »Noch eine andere Nachricht aus unserer Familie, die auch Euch
interessiren wird, habe ich Euch mitzutheilen. Meine Schwägerin Anna,
die ältere Schwester Mariens und ein sehr liebes, braves Mädchen, hat
ganz unerwarteter Weise einen Heirathsantrag aus Deutschland und zwar
aus Heilingen, von dem frühern Kürschnermeister Kellmann bekommen.
Kellmann ist, so weit ich ihn kenne, ein braver, rechtschaffener Mann
und Anna scheint ihm auch gut zu sein. Er hat geschrieben, wenn sie ihm
ein freundliches Ja schicke, wolle er ungesäumt herüberkommen -- ich
denke, wir werden ihn wohl nächstens hier sehn -- -- -- --«

-- »Der Rosensenker von Mutters Strauch vor dem Fenster, den mir Louise
noch an jenem schmerzlichen Abend der Trennung gegeben, hat den
Ehrenplatz in unserm freundlichen Garten, und grünt und blüht, daß es
eine Lust und Freude ist, -- die einliegende Knospe hat er getragen. Oh,
wie mich der Blüthenstock an Euch erinnert; ich habe ihn so lieb, und
doch treten mir jedes Mal Thränen in die Augen, wenn ich ihn ansehe.
Meine Marie pflegt ihn selber; sie wird _Euch_ auch gefallen. Hat sich
das Geschäft mit dem Kohlenlager erst geordnet, und sich dasselbe so
einträglich erwiesen, wie ich es jetzt wirklich glauben muß, dann komme
ich mit ihr hinüber, Euch zu besuchen. Lieber Gott, es ist ja doch unser
Aller Wunsch, später einmal wieder nach Deutschland zurückkehren und
dort unsere Tage beschließen zu können. -- -- -- --«

Unten am Brief in einer Nachschrift stand:

-- »Über den Steffen, der bei uns der schwarze Steffen hieß, und von dem
ich Euch schon früher schrieb, wie ich mit ihm zusammengekommen, habe
ich nichts Näheres erfahren können. Auch seine Frau, die sich von ihm
getrennt hatte, ist aus dem kleinen Städtchen, wo sie die letzte Zeit
still und fleißig, und mit keinem Menschen verkehrend, gearbeitet hatte,
spurlos verschwunden; Amerika ist zu groß, solche Leute im Auge behalten
zu können. --«

»Du guter, barmherziger Gott,« sagte die Frau Pastorin, seufzend die
Hände faltend, »ich begreife, wie schlechte Menschen einen Anderen
aus Geldgier oder Rache, oder sonst in böser, sündhafter Leidenschaft
_morden_ können, aber daß Eltern im Stande sein sollen, ihre _Kinder_
auf solche Art zu verlassen, begreife ich _nicht_. Das unvernünftige
_Thier_ thut das ja nicht, sorgt für seine Jungen, und vertheidigt sie
in Gefahr, und der _Mensch_ soll schlechter sein, als das Thier?«

»Für die Kinder war es ein Glück,« sagte der Pastor, seufzend mit dem
Kopfe nickend -- »_was_ hätten sie von solchen Eltern gelernt, _wie_
wären sie von ihnen erzogen worden, und jetzt sind sie bei guten
Menschen untergebracht und versorgt.«

Ein paar Knaben aus dem Dorfe kamen in diesem Augenblick athemlos an den
Garten gerannt, rissen die Mützen vom Kopfe, und schauten mit den roth
erhitzten, dicken, gutmüthigen, jetzt aber jedenfalls durch irgend etwas
sehr erregten Gesichtern durch die Gitterthür hinein, wo der Geistliche
saß.

»Was wollt Ihr, Kinder?« sagte dieser freundlich, indem er von seinem
Sitze aufstand und auf sie zuging.

»Oben am Berge spukt's!« rief aber der Eine von ihnen, in aller Eile
und Geschäftigkeit ganz den sonst gewiß nicht versäumten Gruß vergeßend
-- »am schwarzen Steffen seinem Hause geht's um!«

»Am Hause des schwarzen Steffen?« rief Pastor Donner, erstaunt den Platz
gerade jetzt, wo sie sich selber damit beschäftigt, genannt zu hören
-- »wer hat Euch den Unsinn weiß gemacht?«

»Ne, wahrhaftig,« rief der Andere betheuernd aus -- »Hollebens Liese und
Gutegrunds Annamarie haben den Geist von der »stolzen Jule« gesehn, der
oben herumgeflogen ist.«

Nur mit Mühe bekam der jetzt aufmerksam werdende Geistliche heraus, daß
zwei Mädchen aus dem Dorfe oben am Wald auf dem kleinen, dem Haus gerade
gegenüber liegenden Hang gewesen waren, Blumen zu suchen, und an der,
von den Dorfbewohnern ängstlich gemiedenen Hütte des schwarzen Steffen
eine Gestalt gesehen hätten, von der sie erklärten, daß sie der Geist
der »stolzen Jule« sei. Sie habe keine Ruhe im Grabe, und ginge dort an
der Stelle um, wo sie ein Verbrechen begangen, für das wir in der sonst
so reichen deutschen Sprache nicht einmal einen Namen haben. Die Hütte
lag auch noch, gefürchtet und gescheut, unberührt so, wie man die Kinder
damals darin gefunden, und nur mit dem Bettzeug und dem besten
Hausgeräth herausgenommen hatte, und die Leute in den Spinnstuben
erzählten sich Abends schauerliche Geschichten von dem Ort.

Pastor Donner schüttelte ungläubig den Kopf zu der Erzählung, Andere
aber aus dem Dorf kamen nach, und der Schultze, der von den jungen
Mädchen selber den Bericht gehört, den sie mit bleichen Wangen und
zitternden Lippen in's Dorf getragen, folgte den Übrigen, bestätigte dem
Herrn Pastor, was sich die Leute erzählten, und bat ihn, mit ihm hinauf
zu gehn nach dem alten Hause, das Gerücht zu widerlegen, das sonst leicht
mehr Nahrung gewann und von dem abergläubischen Volke ausgeschmückt
wurde, oder sich zu überzeugen, was Wahres an der Sache sei.

Die Frau Pastorin wollte mit den Kindern ihren Mann begleiten, er bat
sie aber, zurückzubleiben, und schritt dann, seine Amtstracht ablegend
und Hut und Stock nehmend, an der Seite des Schultzen durch das Dorf
hin, den kleinen, mit Unkraut überwucherten und fast verwachsenen
Pfad hinauf, der zu dem, etwa eine kleine halbe Stunde von Waldenhayn
entfernten Gebäude führte. Eine Menge der Dorfbewohner schloß sich ihnen
unterwegs an, sie zu begleiten.

Als sie den Platz erreichten, war Alles todtenstill; nur hie und da
zwitscherten die Vögel in den Zweigen, und auf dem alten Eichbaum neben
dem Haus saß ein Rabe, drehte, als er die Menschen auf sich zukommen
sah, den Kopf scheu nach rechts und links hinüber, und strich dann mit
seinem tief und unheimlich krächzenden »_krah -- krah_« -- von dem
Zweige ab, auf dem er gestanden, dem Holze zu!

»Das war sie -- das war sie!« flüsterten die Frauen untereinander,
indeß sie sich näher zusammendrückten, und scheu nach dem schwarzen
Galgenvogel hinüberschauten, »jetzt werden sie Nichts mehr finden; die
ist fort, und in der Nacht kommt sie wieder und sitzt dort auf dem alten
Dach. Ich gehe nicht weiter mit -- ich auch nicht -- Gott soll mich
bewahren vor _der_ Stelle, die ewiglich verflucht ist.« rief eine andere
Frau. »Man sollte Feuer anlegen und das Nest von der Erde vertilgen,«
sagte Einer der Männer dann, »_ich_ wenigstens möchte nicht einmal einen
von den Balken in meinem Ofen brennen.«

»Die Thür steht offen, daß sie immer recht bequem aus und ein können,«
flüsterte wieder eine Andere, »huh, wie mag's da drinnen um Mitternacht
zugehn -- der Schornstein sieht auch nicht umsonst so gelb und schweflig
aus, und unsere Annakathrine hat neulich die Irrlichter hier oben wie
toll herumtanzen sehen.«

Die Leute aus dem Dorf blieben wirklich, als sie den kleinen freien
Platz vor dem Haus erreichten, scheu an dessen Grenze stehn, und nur
Pastor Donner schritt, von dem Schultzen begleitet, langsam dem Hause
selber zu.

»Ich habe schon lange einmal heraufgehen wollen, zu sehn, wie der Platz
hier eigentlich aussieht,« sagte dieser endlich, »bin aber immer nicht
dazu gekommen. Hm, wie öde und unheimlich das hier ist -- es wundert
mich gar nicht, daß sich die Kinder davor fürchten, ist mir's doch
selber ein ganz eignes, unbehagliches Gefühl hier herzugehn -- es ist
fast, als ob man eine Richtstätte beträte.«

»Wohl ist es so,« sagte Pastor Donner feierlich und mit halb unterdrückter
Stimme, als ob er selber sich scheue, an diesem Orte laut zu sprechen.
»Aber wir wollen hier nicht stehen bleiben; die Leute dort hinten
murmeln schon miteinander, und glauben sonst, daß wir selber uns
fürchten, das Haus zu betreten.«

»Aber was sollen wir darin?« sagte der Schultze ausweichend, und es lag
ihm wirklich Nichts daran, dort hineinzugehen, »'was Lebendiges hält
sich hier oben nicht auf, sonst hätte der scheue Rabe da nicht im Baum
gesessen, und an Gespenster glauben wir doch alle Beide nicht.«

»Ich bin einmal oben,« sagte der Geistliche mit seinen eigenen Gedanken
beschäftigt, denn vor seinen Augen schwebte in diesem Augenblick die
Scene auf dem Amerikanischen Dampfboot, die ihm in einem früheren Briefe
der Sohn beschrieben, »und möchte auch das Innere des Hauses sehn, das
ich seit jenem Tag, wo wir die armen, halb verhungerten Kinder hier oben
abholten, nicht betreten.«

Langsam schritt er, von dem Schultzen nur widerstrebend gefolgt,
der Thüre zu, schob diese noch etwas weiter auf, mehr Licht und Luft
hineinzulassen, und betrat, durch den schmalen dunklen Gang gehend,
die frühere Stube des »schwarzen Steffen«. Dort aber schrak er selber
einen Schritt zurück, denn auf dem Boden vor ihm lag ausgestreckt und
regungslos eine menschliche, weibliche Gestalt.

»Was giebt's? -- was ist?« rief der Schultze, der den unwillkürlich
ausgestoßenen Ruf des Erstaunens gehört, und auf der Stelle stehen
blieb, wo er gerade stand, während sich eine Anzahl Burschen aus dem
Dorfe näher herandrängten, die Frauen und Mädchen aber noch scheuer
zurückwichen, und sich schon halb zur Flucht wandten.

Pastor Donner winkte aber dem Schultzen langsam und traurig näher zu
kommen, und als dieser die Schwelle betrat, deutete er nieder auf den
vor ihm ausgestreckten Körper der Unglücklichen, die Gram und Reue, und
der nagende Wurm im Herzen wieder herüber, zurückgetrieben hatte durch
das weite, wilde Land, über das weite Meer, an dem Ort, wo sie so
furchtbar sich vergangen -- _zu sterben_.

Jetzt rasteten die blutigen, nackten Füße von der weiten Wanderschaft,
jetzt ruhte das arme Herz, das in Verzweiflung und Gram wohl manche
lange furchtbare Nacht _die_ Stunde hier herbeigesehnt, mit dem Kopf
auf den zerfallenen Kasten gestützt, der dem jüngsten Kind in früherer
Zeit zu seinem Bettchen gedient hatte, aus von seinem Leid und Weh. Der
Körper selber war abgefallen und mager, die Wangen hohl und dünn, aber
ein ruhiges, seliges Lächeln zog sich um die bleichen, kalten Lippen,
die der Tod für immer geschlossen. Was sie verübt, was sie gesündigt,
sie hatte schwer gelitten -- hatte tief bereut, und wie, als ob die
Kräfte ihr nur eben noch gehorcht, _die_ Stelle zu erreichen, war hier
der Tod, ein willkommener lieber Freund, zu ihr getreten, sie zu erlösen
von ihren Leid.

Neugierig und muthig gemacht, durch das Verweilen der beiden Männer im
Haus, drängten die übrigen Dorfbewohner jetzt auch nach und nach heran,
und der Ruf. »die stolze Jule -- die stolze Jule liegt todt im Haus!«
füllte den kleinen Raum bald mit einem Theil der Schaar, die jedoch die
Leiche immer noch scheu und furchtsam umstanden. Über ihr aber faltete
Pastor Donner die Hände und sagte mit leiser, tiefbewegter Stimme:

»Gott hat in seiner Vaterhuld sich Dein erbarmt, Du armes verirrtes Kind
-- Du hast schwer gesündigt -- schwer und furchtbar, aber auch viel, viel
gelitten, und Gram und Reue haben ihre Züge mit scharfen Furchen in Dein
Angesicht gegraben. Er sei Deiner armen Seele gnädig!«

Und seinen Hut abnehmend, welchem Beispiele rasch und scheu alle Übrigen
folgten, betete er still und brünstig über der abgerufenen Sünderin.




Capitel 10.

Der rothe Drachen bei Heilingen.

Schluß.


Im rothen Drachen bei Heilingen herrschte heute ein reges, geschäftiges
Leben; Kellner liefen und stürzten durcheinander hin, Tische wurden
gerückt, Stühle getragen, Tischtücher ausgebreitet, und Körbe mit Flaschen
und Getränken angeschleppt, als ob ein Regiment damit versorgt werden
sollte. Im Garten, der mit einer Masse Kränze und Blumen und Guirlanden
geschmückt war, standen noch einzelne Arbeiter, die mit frischem Sand
bestreuten Gänge von den hineingefallenen Blättern und Zweigen des
Ausschmucks zu reinigen, und unter einem kleinen, erst kürzlich
aufgeschlagenen und ganz mit frischen Blumen besteckten und behangenen
Zelt, lagen eine Reihe breitbauchiger Bierfässer mit eingesteckten
gefälligen Hähnen, nur der Hand harrend, die sie aufdrehen würde, ihr
schäumendes, kräftiges Naß zu spenden.

Den Pfad herunter, der von Zurschtel niederführte, kam ein Bettler an
einer Krücke daher gehinkt. Es war sonst eine breitschultrige, kräftige
Gestalt, aber mit eingefallenen Backen und hohlliegenden Augen, das
linke Bein ziemlich dick in alte zerlumpte Tücher und Lappen eingeschlagen,
und die linke Seite seines Gesichts ebenfalls mit einen schmutzigen Tuch
verbunden.

Als er die Gartenthür erreichte, blieb er stehen, und sah hinein, betrat
aber den Garten selber nicht, und schaute still und aufmerksam nach dem
Haus hinüber.

Den breiten Gang herunter, der von der Guirlanden geschmückten Hausthür
in gerader Linie nach dem Thore zu führte, schritt der Eigenthümer des
Grundstücks, Herr Kaspar Helker, nach seinen Arbeitern zu sehn. In die
Nähe des Bettlers gekommen, zog dieser den Hut ab, und sagte mit
bittender Höflichkeit:

»Wären Sie wohl so gut, lieber Herr, mir zu sagen was heute hier los ist
im rothen Drachen, mit all den Kränzen und Blumen, und welches Fest Sie
feiern?«

»Ja wohl Freund,« sagte Herr Kaspar Helker, den armen zerlumpten Teufel
dabei mit aufmerksamem, vielleicht nicht besonders befriedigtem Blick
betrachtend, »Herr von Hopfgarten feiert heute seine Vermählung mit des
reichen Dollinger jüngster Tochter, die früher, ich weiß nicht, ob Ihr
die Geschichte kennt, an einen, jetzt gestorbenen, Amerikaner verheirathet
war.«

»Herr von Hopfgarten -- hm -- Herr von Hopfgarten -- der Name ist mir doch
gar bekannt; stammt er von hier?«

»Nein, aus dem Mecklenburgischen. -- Kommt Ihr weit her? -- Ihr seht müde
und krank aus.«

»Sehr weit -- bin aber wohl mehr hungrig und durstig, wie krank,« sagte
der Mann, mit einem scheuen Blick nach den Brod- und Kuchenkörben
hinüber.

»So kommt herein und eßt und trinkt,« lud ihn der Wirth freundlich ein,
»und Ihr habt _mir_ nicht einmal dafür zu danken,« setzte er rasch
hinzu; »Herr von Hopfgarten hat strengen Befehl gegeben, Niemand heute,
wer es auch sei, ungespeist von dannen zu lassen. Es ist frei Bier und
Essen hier im Haus.«

»Hm, da bin ich gerade zur rechten Zeit gekommen,« sagte der Mann, immer
aber noch zögernd den Garten zu betreten.

»So kommt herein und setzt Euch gleich dort in eine von jenen kleinen
Lauben,« sagte der Wirth; »die werden heute nicht benutzt und Ihr -- Ihr
seht eben nicht appetitlich genug aus zwischen den andern Gästen zu
sitzen. Es soll Euch aber an Nichts fehlen,« fügte er rasch hinzu, »heh
Wilhelm! besorgen Sie mir einmal für den Alten dort in die Laube ein
Mittagsessen und Bier.«

»Bier kann ich nicht gut vertragen -- wenigstens nicht gleich auf den
leeren Magen hinein -- gäben Sie mir einen Schnaps vorher?«

»Auch den sollt Ihr haben -- heh Wilhelm -- ein Glas Kümmel -- aber ein
großes Glas, und dann dürft Ihr ihm Bier geben, was er trinken will.«

»Danke,« sagte der Bettler, und hinkte an seiner Krücke in den Garten
hinein. An der Schwelle blieb er noch einmal stehn, und warf einen
scheuen Blick nach rechts und links, und wandte sich dann der kleinen
Laube zu, in deren Schatten er verschwand.

»Dort kommen die Wagen!« rief da Einer der Kellner, der vor die Thür
getreten war, den Weg hinunter zu sehen, »hierher, Herr Helker -- sie
kommen!«

Der Wirth sprang mit seinem Kellner der Thür zu, die Gäste zu empfangen,
und die Wagen rasselten unter dem fröhlichen Schmettern der Posthörner
lustig die Straße herunter.

In dem vordersten saß Herr von Hopfgarten mit seiner jungen Frau, sein
gutmüthiges Gesicht ordentlich verklärt, seine Augen blitzend in Wonne
und Seligkeit, und auch in Claras liebe Züge war das frohe, süße Lächeln
zurückgekehrt, das ihrem Antlitz sonst einen so unwiderstehlichen Reiz
verliehen. Die düstere trübe Zeit lag hinter ihr, wie ein böser Traum,
und hell und freundlich glühte wieder das Sonnenlicht auf ihren Weg.

Den zweiten Wagen füllte die Dollingersche Familie, der alte Herr mit
Frau, Tochter und Schwiegersohn, denn auch Sophie war im vorigen Herbst
an einen reichen Gutsbesitzer, aber ebenfalls einen alten Bekannten
von uns, verheirathet worden. Herr Baron von Benkendroff nämlich hatte
sich nach seiner Rückkehr von Amerika zufällig einige Zeit in Heilingen
aufgehalten, dort die schöne reiche Kaufmannstochter gesehn und kennen
gelernt, sich zu gleicher Zeit sterblich in sie verliebt und seine
Hochzeit, da ihn auch Sophie lieb gewonnen, gleich in demselben Monat
noch gefeiert.

In den anderen Kutschen, aber alle von mit Blumen geschmückten
Postillionen gefahren, saßen die Hochzeitsgäste aus der Stadt, bunt
gemischte, aber fröhliche Menschen, und unter ihnen das gutmüthige
Gesicht unseres alten Freundes Kellmann, neben der scharfgeschnittenen
aber heute ebenfalls zufrieden lächelnden Physiognomie seines
unzertrennlichen Gesellschafters, des Apotheker Schollfeld.

An der Gartenthür von dem Wirth und einer Schaar geschäftiger Kellner
empfangen, stiegen die jungen Eheleute aus, und begrüßten hier zuerst
ihre Gäste, und während das, hinter einer künstlichen Blumenhecke
aufgestellte Militair-Musikchor -- eine Überraschung Kellmanns
-- plötzlich mit schmetternden Trompeten in Mendelsohns herrlichen
Hochzeitsmarsch des Sommernachtstraums einfiel, und dem kleinen
glücklichen Hopfgarten vor Rührung auf einmal die großen hellen Thränen
in die Augen traten, setzte sich der Zug in Bewegung, dem Hause zu.

Das Mahl ging vorüber, wie derartige Mahlzeiten gewöhnlich thun; eine
Menge Toaste wurden ausgebracht, und die glücklichen Menschen jubelten,
lachten und erzählten bis spät am Nachmittag, wo der Kaffee im Garten
selber servirt werden sollte, und die Gäste dann zusammen in das
Dollingersche Haus eingeladen waren, wo Herr Dollinger einen kleinen
Ball für den Abend arrangirt hatte.

Im Garten, bei lustig tönenden Fanfaren, bildeten sich dann kleine
Gruppen, und Benkendroff, Kellmann und Schollfeld hatten sich nächst
dem Thor auf dem kleinen Vorbau, wo sie die wundervolle Aussicht nach
dem grünen herrlichen Thal und den fernen Bergen genießen konnten,
zusammengefunden ihre Cigarre zu rauchen. Nach einer Weile fand sich
auch Hopfgarten zu ihnen, sie zu bitten, sich bereit zu halten, da die
Wagen bald wieder vorfahren würden.

»Wer uns das damals gesagt hätte, Hopfgarten,« rief Benkendroff, seine
Hand lächelnd auf des Freundes Schulter legend, »als wir auf der
Haidschnucke zusammen Whist spielten, oder selbst als wir in New-Orleans
von einander Abschied nahmen, daß wir _heute_ hier _so_ zusammenstehen
würden.«

»Dem wär' ich schon damals vor Freude um den Hals gefallen, Benkendroff,«
sagte der kleine Mann mit leuchtenden Augen.

»Es ist eine merkwürdige, mir aber höchst interessante Thatsache,« rief
da Herr Schollfeld, sich die Hände reibend, »daß _die_ Menschen, die
einmal in Amerika _gewesen_, und glücklich wieder, ein sehr seltener
Fall, zurückgekommen sind, sich am wohlsten fühlen. Und trotzdem, trotz
allen schlagenden Beweisen, will sich dieses unglückselige Menschenkind,
dieser frühere Kürschnermeister hier, nicht warnen lassen, sondern
ebenfalls mit einem Leichtsinn, den man kaum einem jungen Menschen von
achtzehn Jahren verzeihen würde, hinüber nach diesem gottvergessenen
Lande der Freiheit ziehn, und _das_ nennt er _sich zu Ruhe setzen_. Es
wäre mehr Verstand darin, wenn er hier Nachtwächter oder Briefträger
würde.«

»Aber bester Herr Schollfeld,« sagte Hopfgarten, »Sie wissen ja, daß
er um seine jetzige Braut erst _dort_ angehalten hat, und von Fräulein
Lobenstein doch nicht verlangen kann herüber _zu ihm_ zu kommen; er muß
sie doch wenigstens _abholen_.«

»Ich will auch noch gar nicht verschwören, daß ich drüben _bleibe_,«
sagte Kellmann ruhig, »mir aber jedenfalls die Verhältnisse dort
ordentlich ansehn. Meines künftigen Schwagers, Georg Donners, Beschreibung
des dortigen Landes lautet keineswegs entmuthigend; von anderer Seite
habe ich ebenfalls recht gute Berichte über das wirkliche Farmerleben
gehört, und kann ich mir dort mit meinem Capital, und von dem Rath
meiner guten Freunde unterstützt, eine ruhige, _glückliche_ Stellung
gründen, warum nicht? -- Freund Schollfeld müssen Sie aber viel zu gut
halten, mein lieber Herr von Hopfgarten; er ist als ein Antiamerikaner
hier schon bekannt.«

»Und hab' ich nicht recht?« rief dieser hitzig, »hatt' ich nicht recht
auch mit jenem lebendigen Loblied Amerikas, jenem Weigel, der
Betrügereien halber landesflüchtig werden mußte.«

»Das war ein einzelner Lump und kann nicht als Maasstab gelten,« sagte
Kellmann.

»Lassen Sie das gut sein,« nahm Benkendroff hier des Apothekers Parthie,
»Herr Schollfeld hat sehr gediegene und vernünftige Ansichten über
Amerika, und Sie werden mir zugeben, daß _ich_ ebenfalls im Stande bin
ein Urtheil darüber zu fällen; ich kenne das Land aus Erfahrung, aus
eigener, persönlicher Anschauung.«

Hopfgarten wechselte mit Kellmann einen gutmüthig lächelnden Blick, und
sagte, sich an diesen wendend:

»Wie kommt es nur, daß Sie Fräulein Lobenstein, wenn Sie dieselbe schon
so lange geliebt haben, von hier fortziehen ließen, ohne ihr Ihr Herz zu
öffnen?«

»Weil es ein wahnsinnig, unnatürlich verschämter Kürschnermeister war,«
rief Schollfeld, die Antwort für seinen Freund aufnehmend, »wie
Lobensteins hier fort waren, ging er herum wie ein begossener Pudel,
sprach mit Niemandem, trank nicht mehr, schnitt ein Gesicht, als ob er
Äpfelwein getrunken hätte, und wollte keinem Menschen Rede stehn, beinah
zwei Jahre lang. Endlich bekam ich's heraus, und da gestand er mir, daß
er -- sehn Sie sich den Menschen einmal an -- _keine Courage hätte_ den
Schritt zu wagen, obgleich er selber fast hoffe, Anna Lobenstein sei
ihm nicht ganz abgeneigt. Da hört denn doch Alles auf. Na ich nahm ihn
dann ordentlich in's Gebet, schon meiner selbst willen, denn es ist ja
langweilig mit einem solchen verliebten Kopfhänger umgehn zu müssen.
Er ließ sich auch endlich überzeugen, und ist mir nachher, wie er den
Zusagebrief erhielt, um den Hals gefallen, und hat mich »sein liebes
Schollfeldchen« genannt -- und so ein Mensch will nach Amerika.«

Die Männer lachten über Schollfelds komischen Eifer und Hopfgarten
sagte, noch immer lächelnd. »Sie reden gerade als ob Amerika ein
_Unglück_ wäre.«

»Ist es auch,« rief Schollfeld hitzig, »ist es auch, und der arme Teufel,
der Ledermann, sonst so ein netter, rechtschaffener Kerl, wußte wohl,
was er that. _Der_ hätte auch nach Amerika gehn können, aber was ich
ihm darüber die ganze Zeit vorgepredigt, hatte gute Früchte getragen;
er sprang lieber in's Wasser, Ruh zu haben, ehe er solch verzweifelten
Schritt that. Ist mir übrigens doch Leid um ihn, und ich hätte ihm etwas
Besseres gewünscht -- das verfluchte Spiel.«

»Seine Frau ist noch in Heilingen?« sagte Hopfgarten.

»Ja,« sagte Schollfeld mürrisch, »will aber wirklich dieses Frühjahr mit
ihrem Bruder auswandern. Das ist auch so ein Lump, hat zweimal Bankerott
gemacht, und nun natürlich nichts Gescheuteres zu thun, als daß er nach
Amerika geht. Solche Leute gehören auch dorthin, aber vernünftige und
rechtschaffene Menschen sollten besser wissen, was sie sich und ihren
Familien schuldig wären.«

»Apropos, lieber Kellmann,« sagte Hopfgarten da plötzlich an diesen
gewandt, »erinnern Sie mich doch daran; ehe Sie fortgehn, möchte ich
Ihnen noch ein paar Zeilen an einen sehr lieben Freund von mir, einen
Herrn _Fortmann_ in New-Orleans, mitgeben; er kann Ihnen dort von Nutzen
sein.«

»Ich danke Ihnen, ich werde es nicht vergessen -- Sie haben ja wohl
heute Briefe von dort bekommen?«

»Ja -- eben von Fortmann. Das wird Sie auch interessiren; Sie wissen
doch, daß der arme, unglückliche Loßenwerder eine Schwester hatte?«

»Lieber Gott,« sagte Kellmann, hinauf auf die Straße deutend, »an
_dieser_ Stelle trafen wir das arme Kind, Ledermann und ich, an jenem
Abend, wo sie hier allein und zu Fuß in die Stadt kam, und noch keine
Ahnung von der furchtbaren Nachricht hatte, die ihrer wartete. Es geht
ihr gut jetzt, wie Sie uns schon früher sagten.«

»Besser jetzt wenigstens wieder -- Fortmann schreibt mir eben, daß außer
der bei dem Raubanfall erlittenen Mishandlung Schreck und Aufregung sie
so ergriffen hätten, sie lange Monate an ihr Lager zu fesseln. Hamann
hat auch deshalb besonders sein Geschäft aufgegeben, und sich weiter den
Strom hinauf in ein gesünderes Klima gezogen. Der Nachlaß seines Vaters
ergab übrigens, wie es scheint, ganz unerwarteter Weise, ein gar nicht
geahntes, höchst bedeutendes Vermögen, das der alte Geizhals von dem
Schweiß und Blut armer Auswanderer zusammengescharrt. An Aktien und
Papieren, Geld und Juwelen, ganze Säle voll Leinwand und anderen Sachen
gar nicht gerechnet, fanden sich weit über hunderttausend Dollar. Der
junge Hamann ist aber ein braver, rechtschaffener Kerl, der gern wieder,
wenigstens einen Theil dessen gut machen möchte, was sein Vater schlecht
gemacht, und Fortmann schreibt mir eben, daß er, besonders von seiner
Frau dazu angeregt der Stadt New-Orleans die volle Hälfte des ganzen
Vermögens zur Verfügung gestellt habe, wenn sie das andere Geld zuschießen
und ein großes Auswanderungshaus, das unter städtischer Aufsicht steht,
gründen wolle, wo der Einwanderer vor Betrug sicher sei, und der arme
hülfsbedürftige Arbeiter auf eine gewisse Zeit, seinen ersten Aufenthalt
zu decken, selbst unentgeldlich Obdach und Nahrung fände. Wenn es zu
Stande käme, wäre es ein Segen für Tausende, und New-Orleans, als
Theil der Staaten, erfüllte damit nur eine schon längst schwer auf ihm
gelegene Pflicht der Hafenstädte, Tausende von Unglücklichen, die nach
Amerika kamen, dem Lande ihre Kräfte zu weihen, vor Verderben und
Untergang, wenigstens vor grenzenloser Noth zu bewahren. Gott gebe
seinen Segen dazu.«

»Wie wunderbar doch Gottes Wege sind,« sagte Kellmann, langsam mit dem
Kopf dazu schüttelnd; »das arme Kind, das wenige Jahre früher, ohne
einen Groschen, seine Nachtherberge zu zahlen, barfuß hier die Straße
wanderte, verfügt jetzt über Tausende, und sucht Schmerz und Elend zu
lindern, das sie selber ja so schwer aus ihrem eigenen Leben kennt.«

»Da kommen die Damen,« sagte von Benkendroff, der sich für die Leute
nicht im mindesten interessirte, und indessen langsam seinen Kaffee
getrunken und seine Cigarre geraucht hatte, »Schwiegermama scheint
aufbrechen zu wollen, die Anordnungen zum Ball zu revidiren. Dort
rasseln auch schon die Wagen heran,« rief er seine Cigarre wegwerfend,
»also meine Herren, auf Wiedersehn heute Abend.«

Die Kutschen kamen jetzt, unter dem fröhlichen Hörnerschmettern des
Postillions, um die Gartenwand gefahren und die erste hielt vor dem
Thor, in die Hopfgarten wieder, als Ehrenpaar den Zug anzuführen, seine
junge, lächelnde Frau hineinhob, und dann Platz an ihrer Seite nahm.
Langsam fuhr dann der Postillion voraus, bis sämmtliche Gäste ihre Sitze
eingenommen hatten, und der ganze Zug unter dem Hurrahgeschrei der
sämmtlichen Dorfbewohnerschaft, der ebenfalls für den Abend hier draußen
ein Fest bereitet worden, rasch die Straße nach Heilingen hinabrollte.

Der Wirth hatte seine »innigsten Glückwünsche« sämmtlich angebracht, und
seine tiefen und freundlichen Bücklinge noch gemacht, bis der letzte
Wagen schon lange sein Grundstück passirt war, drehte sich dann mit
demselben freundlichen Gesicht um, gab einem der in die Lehre genommenen
jungen Kellner, der mit offenem Maule neben ihm stand, eine Ohrfeige,
und schickte den darüber auf's Äußerste Erstaunten an seine Arbeit, und
lief selber in das Haus zurück, das Wegräumen der nicht getrunkenen
Weine zu überwachen.

Nur der Oberkellner blieb, sich vergnügt die Hände reibend, und mit
schmunzelnden, ein vortreffliches Trinkgeld verrathendem Antlitz noch
einen Augenblick in der Thüre stehn, bis auch die letzte Staubwolke auf
der Straße verschwunden war, und wandte sich eben, seinem Principal zu
folgen, als der alte Bettler, der bis dahin vollkommen unbeachtet in
der dichten Laube gesessen hatte, daraus hervor und auf ihn zu hinkte,
den Garten zu verlassen.

»Nun, Alter, hat's geschmeckt?« sagte der Oberkellner mit einem
huldvollen Lächeln ihm zunickend -- »seid Ihr satt geworden?«

»Vollkommen, Gott lohn' es Ihnen!« seufzte der Mann und strich sich mit
der Hand über das Gesicht -- »aber eine Frage hätt' ich noch, die Sie
mir wohl beantworten können. Jener Herr von Hopfgarten --«

»Ja?« frug der Kellner, die Augen fest zusammenpressend, und sich wieder
aus Leibeskräften die Hände reibend -- »der eben fortfuhr?«

»Ja, derselbe -- war der Herr auch schon einmal in Amerika?«

»Der? -- nun ja, gewiß; auf der Hinreise hat er ja seine jetzige Frau,
die frühere Madame Henkel kennen lernen.«

»Hm -- ja _Henkel_,« wiederholte der Mann leise vor sich hin.

»Dort hat er auch,« fuhr der Kellner, seinem Ideenlauf folgend, der ihn
besonders interessiren mochte, fort -- »den früheren Wirth hier vom
rothen Drachen, den Lobsich, gefunden, der in Milwaukie ebenfalls einen
rothen Drachen errichtet hat. Bei Tisch erzählte er uns die Geschichte
-- hahahahaha -- es war zu komisch. Na adieu Alter -- glücklichen
Marsch,« und den Mann in der Thüre stehn lassend, ging er vor allen
Dingen in die Laube, wo jener gesessen, zu sehn, ob er auch weder Messer
noch Gabel mitgenommen und schoß dann, wieder wie vorher die Hände
reibend, als ob er sie in Feuer bringen wollte, nach dem Speisesaal
hinüber.

Der Bettler drehte sich langsam ab von ihm.

»'S ist mir doch 'was Unbedeutendes!« flüsterte er leise und tief
aufseufzend vor sich hin, und hinkte, während ihm eine große Thräne über
die eine offene Backe hinunter und in das Tuch lief, dem nicht mehr
fernen Heilingen zu.




FUSSNOTEN -- FOOTNOTES


 1: In Arkansas kann und darf kein Ansiedler wegen irgend welcher
    Schulden gepfändet werden, wenn er nicht mehr hat, als ihm das
    Gesetz an Eigenthum gestattet und für seine Existenz für nöthig
    hält. Seine Wohnung, sein Bett, seine Büchse, sein Ackergeräth,
    sein Pferd und zwei Kühe dürfen nicht angerührt werden, und
    so gerecht und wohlthätig das Gesetz auch sein mag, läßt sich
    denken daß es manchmal gemißbraucht wird, indem der Farmer sein
    »überzähliges Vieh« nur auf kurze Zeit zu verleugnen und einem
    andern Nachbar zuzusprechen braucht.

 2: Ich frug einst in Arkansas die Frau, in deren Hause ich wohnte, eine
    geborene Irländerin und sonst ganz vernünftige, brave Matrone, die
    ebenfalls dieser Sekte angehörte, ohne jedoch selber jemals vom
    »Geiste befallen zu werden,« ob sie denn wirklich glaube, daß die
    in solchen Zustand verfallenden Menschen etwas Derartiges ohne
    ihren freien Willen, ohne jede Absicht thäten, und also wirklich
    begeistert würden? -- worauf sie mir antwortete: »Ja! -- ich habe
    auch früher geglaubt, die Menschen verstellten sich, wenn ich mir
    auch den Schaum auf den Lippen nicht erklären konnte; ich dachte
    aber doch, der _Wille_ des Menschen vermöchte auch dieß zu
    bewirken, und so sehr mich die Religion der Methodisten erfaßte
    und zu sich hinzog, so sehr schreckte mich diese Begeisterung, die
    ich für Heuchelei hielt, zurück. Da kam ich eines Abends auch aus
    einer solchen Versammlung zu Hause, und war recht traurig, uneinig
    mit mir selber; ich wußte nicht was ich thun, was lassen sollte,
    und bat den lieben Gott noch unterwegs recht inbrünstig, er solle
    mir ein Zeichen geben. Als ich mein Haus betrat hörte ich ein
    Flattern und mit den Flügeln Schlagen; ich hatte ein paar kleine
    zierlich gefleckte Hennen, die oft zu mir ins Haus (das Zimmer
    ist in Arkansas gewöhnlich gleich das ganze Haus) kamen, und die
    Brosamen aufsuchten. Ich sah mich danach um, und fand das eine von
    den beiden Hühnern unter dem Bett, anscheinend in Krämpfen, mit
    den Flügeln schlagend, mit den Beinen strampelnd, die Augen
    verdrehend, gerade wie ich die Bewegungen bei den Begeisterten
    gesehen hatte, und -- es gab mir ordentlich einen Stich in's Herz
    -- mit Schaum am Schnabel. _Da_ war ich überzeugt; das Huhn -- ob
    sich die Menschen verstellten -- das Huhn verstellte sich _nicht_;
    _das_ war Natur; der Zustand _war_ also natürlich, er existirte,
    und von dem Augenblick an beschloß ich zu dieser Sekte
    überzutreten.«

 3: Das Prairiehuhn ist ein Mittelding etwa zwischen dem wilden Truthahn
    und Rebhuhn; es erreicht die Größe eines gewöhnlichen Haushuhns, hat
    aber einen ziemlich langen Hals und befiederte Stender, den kurzen,
    niedergekehrten Schwanz aber vom Rebhuhn. Das Fleisch ist nicht
    besonders, ziemlich dunkel und leicht zäh; nur die Brust ist gut,
    doch trocken zu essen. Sie finden sich in ungeheueren Mengen über
    die ganzen Prairieen von Illinois, und schaaren sich im Winter
    besonders zu Völkern von vielen hunderten zusammen. Aufgescheucht
    gehen sie aber ziemlich weit, ehe sie wieder einfallen, und
    verlangen einen tüchtigen Schuß und schweren Schroth, erlegt zu
    werden.

 4: Zweites Frühstück

 5: Sie sind mein Gefangener.

 6: Fertig für die Hölle!




TRANSCRIBER'S NOTE -- ZUR KENNTNISNAHME

The original text is printed in Fraktur type, with Roman type being
used for foreign terms or quotations. The symbol # has been used to
highlight these in this plain text version.

Das Original wurde in Fraktur gedruckt, während Antiqua für
fremdsprachliche Ausdrücke und Zitate diente. Diese wurden in
dieser Textfassung mit dem Symbol # hervorgehoben.

Contemporary spellings have generally been retained even when
inconsistent. A small number of obvious typographical errors have been
corrected and some names regularised; missing punctuation has been
silently added.

Zeitgenössische Schreibungen wurden generell beibehalten, auch wenn
gelegentlich mehrere Variaten auftauchen. Einige wenige orthografische
Fehler wurden korrigiert und Namen vereinheitlicht; fehlende
Zeichensetzung wurde ergänzt.

The following additional change has been made:

Die folgende zusätzliche Änderung wurde vorgenommen:

 das junge, ängstlich umherschauende   das junge, ängstlich umherschauende
 und ihrem Glück noch immer nicht      und _seinem_ Glück noch immer
 trauende Mädchen                      nicht trauende Mädchen



***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK NACH AMERIKA! SECHSTER BAND***


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things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement.  See
paragraph 1.C below.  There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
works.  See paragraph 1.E below.

1.C.  The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
Gutenberg-tm electronic works.  Nearly all the individual works in the
collection are in the public domain in the United States.  If an
individual work is in the public domain in the United States and you are
located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
are removed.  Of course, we hope that you will support the Project
Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
the work.  You can easily comply with the terms of this agreement by
keeping this work in the same format with its attached full Project
Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.

1.D.  The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work.  Copyright laws in most countries are in
a constant state of change.  If you are outside the United States, check
the laws of your country in addition to the terms of this agreement
before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
creating derivative works based on this work or any other Project
Gutenberg-tm work.  The Foundation makes no representations concerning
the copyright status of any work in any country outside the United
States.

1.E.  Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1.  The following sentence, with active links to, or other immediate
access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org

1.E.2.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
and distributed to anyone in the United States without paying any fees
or charges.  If you are redistributing or providing access to a work
with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
1.E.9.

1.E.3.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
terms imposed by the copyright holder.  Additional terms will be linked
to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
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License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

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electronic work, or any part of this electronic work, without
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1.E.6.  You may convert to and distribute this work in any binary,
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request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
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1.E.7.  Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
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1.E.8.  You may charge a reasonable fee for copies of or providing
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that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
     the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
     address specified in Section 4, "Information about donations to
     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
your equipment.

1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH F3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
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providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://www.gutenberg.org/about/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://www.gutenberg.org/fundraising/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:
http://www.gutenberg.org/fundraising/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     http://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.