Der Wahnsinnige: Eine Erzählung aus Südamerika

By Friedrich Gerstäcker

The Project Gutenberg EBook of Der Wahnsinnige, by Friedrich Gerstäcker

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org


Title: Der Wahnsinnige
       Eine Erzählung aus Südamerika

Author: Friedrich Gerstäcker

Release Date: June 27, 2010 [EBook #33003]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER WAHNSINNIGE ***




Produced by richyfourtytwo, Delphine Lettau and the Online
Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net









Der Wahnsinnige.

Eine Erzählung aus Südamerika


Friedrich Gerstäcker.


Wittenberg.
Verlag von Franz Mohr.
1856.


Inhaltsverzeichniß.

                                                  Seite.

   1) Das Irrenhaus zu Buenos-Ayres                  1
   2) Die Flucht                                    20
   3) Die Reise und ihre Abenteuer                  34
   4) Ankunft in Valparaiso. -- Hülfe in der Noth   47
   5) Die englische Familie                         59
   6) Don Gaspar                                    69
   7) Der Verdacht                                  89
   8) Die Entdeckung                               109
   9) Entschlüsse und Pläne                        120
  10) Don Manuel                                   134
  11) Der Spanier und das Mädchen                  146
  12) Der Ausbruch des Vulkans                     159
  13) Das Rendez-vous                              165
  14) Die Verfolgung -- Schluß                     173




1.

Das Irrenhaus zu Buenos-Ayres.


Ganz am äußersten Ende der Straße Santa Rosa in Buenos-Ayres stand
ein breitschlächtiges niederes Gebäude, aus rothdunklen verwitterten
Backsteinen errichtet; die schmalen und sparsam genug eingebrochenen
Fenster mit dicken eisernen Stäben verwahrt, die schwere eichene Thür,
oder das Hauptthor eigentlich, mit massiven Balken verschlossen und von
der Straße selber aus mit keinem sichtbaren Eingang weiter. Dazu war es
eine Strecke in den Platz hineingebaut, auf dem es stand, und das ganze
Grundstück, das zu ihm gehören mochte, mit einer verwilderten, aber
deshalb um so dichteren Hecke von in einandergedrängten stachlichen
Kackteen eingeschlossen, die nur nothdürftig um den schmalen Eingang in
dieß Gehöft, soweit gekappt waren, daß man bei vorsichtigem Betreten des
äußeren Raums nicht in den Dornen derselben hängen blieb.

So belebt die Straße Santa Rosa nun auch nach dem innern Theil der Stadt
zu sein mochte, so still und öde war sie hier, und glich in der That
eher einer von traurigen Kacktushecken eingefaßten Landstraße. An den
Seiten waren Gräben angebracht, das Wasser abzuleiten; zu den Thüren
der einzelnen Hofräume führten schmale, darübergelegte, oft schlüpfrige
und wurmzerfressene Bretter und der Fahrweg bestand in der jetzigen
Regenzeit, dem südamerikanischen Winter, aus einer schwer flüssigen
Schlammmasse, durch die sich die unbehülflichen Karren der Pampas mit
ihren zwei Riesenrädern, von schläfrigen Stieren gezogen, langsam
hindurch wälzten, und selbst der flüchtige Gaucho[1], der noch weiter
draußen, die Straße verschmähend oder eine neue bahnend, über die
Fläche dahin geflogen, zügelte hier seinen wilden Galopp und ließ
sein ungeduldig schnaubendes, schäumendes Thier langsamer durch die
schwimmende Masse hindurchschreiten.

  1: Gaucho's, die Bewohner der weiten Steppen oder Pampas des
     inneren Landes, aber nicht die Indianer.

Wenn es überhaupt Fußgänger in der Argentinischen Republik gäbe, wo
Alles zu Pferde sitzt, wäre ihr Schuhwerk und ihre Geduld hier erprobt
worden, dieser obere Theil der Straße wurde aber fast schon, wie es
schien, zum Lande gerechnet, und wer selbst von hier aus irgend etwas
aus einem der weiten, dem Mittelpunkt der Stadt zu gelegenen Läden zu
holen oder Geschäfte hatte, die ihn dort hin riefen, verschmähte es
wahrlich nicht, sein Pferd deshalb zu satteln.

Aber die Straße selber kümmert uns wenig, wir haben es mit dem alten
Hause zu thun, und ich wollte die erstere nur etwas genauer beschreiben,
dem Leser mehr die traurige, trostlose Öde des ganzen Platzes zu
versinnlichen, die sogar noch einen unheimlichen Charakter annahm,
wenn man die Bestimmung des alten wettergeschlagenen Gebäudes kannte.

Es war ein Irrenhaus -- von Privatleuten angelegt und später, als sich
diese nicht mehr im Stande fühlten, es fortzuführen, von der Regierung
übernommen, aber in der Aufregung der Zeit nur spärlich verwaltet.
Nichts desto weniger befanden sich gegenwärtig elf unglückliche Gäste
in den Kammern oder Zellen des Gebäudes -- einige in Ketten und Banden,
andere frei in ihrem Zimmer, nur wenigen aber verstattet, den inneren,
ebenfalls streng abgesperrten Hofraum zu betreten, dann und wann die
frische Gottesluft einzuathmen.

Angestellt waren dabei ein Hauptarzt, ein Argentiner oder eigentlich ein
geborener Spanier, denn wenn sich die Republik auch von der Regierung
des Mutterlandes losgerissen, konnte sie doch noch nicht aus eigenen
Kräften die Wissenschaft ersetzen, die ihr von dort herüber gekommen
-- und zwei Unterärzte, der obere von diesen ein geborener Argentiner
aus Cordoba, der andere ein junger Schwede, der von Rio-Grande aus
Brasilien, mit vielen Landsleuten und Deutschen herübergekommen war, dem
aufblühenden Argentinischen Staat seine Kräfte zu weihen und sich hier
rascher und leichter eine Existenz zu gründen. Er hieß Stierna und war
der spanischen Sprache vollkommen mächtig.

Diesem, als jüngsten Arzt war auch die Behandlung der leichtesten
Kranken anvertraut, die in der That hie und da nur verlangten, daß
man nach ihnen sah, damit nicht rauhes Betragen der rauhen Wärter
oder schlechtere Kost vielleicht sie unnöthiger Weise errege und
ihre gehoffte Heilung erschwere.

Don Alvarado, der Oberarzt, kam selten, und bei sehr schlechtem Wetter
nie heraus; Don Pancho hatte indessen die Oberaufsicht, und einzelne der
Kranken waren es, die er ausschließlich behandelte, und zu denen er dem
jungen Schweden fast nie, selbst nur den Zutritt gestattete, und geschah
das wirklich, nur in seinem Beisein.

Zu diesen wenigen, die Don Pancho, und wie er behauptete, ebenfalls
Don Alvarado für unheilbar erklärt hatte, gehörte auch ein Spanier,
von blassen, aber edlen Zügen, reinlich und geschmackvoll, ja elegant
gekleidet, und seine Toilette, auf die er mit größter Sorgfalt hielt,
selbst in diesem Aufenthalt des Jammers auch nicht eine Minute
vernachlässigend. Das schwarze glänzende Haar fiel ihm in reichen vollen
Locken über die Stirn, den linken Zeigefinger schmückte ein kostbarer
Diamant und seine Wäsche war vom feinsten Linnen und größter Sauberkeit.
Auch in seinem ganzen Betragen war er ernst und ruhig, ein vollkommener
Gentleman; und Stierna gab sich, während der zwei Male, die er den
Kranken in Don Panchos Gegenwart besuchen durfte, die größte Mühe,
irgend ein Symptom seines Leidens in einem äußern Zeichen zu entdecken
-- vergebens, der Kranke war artig, wenn auch einsilbig, äußerte nur ein
paar kleine Wünsche wegen eines Zeichnenapparates und mehrerer Bücher,
und der Schwede würde nach den zwei Besuchen nie einen Wahnsinnigen in
ihm vermuthet haben -- hätte er ihn eben an einem anderen Orte
getroffen.

Die Anstalt selbst schien aber ebenfalls größere Rücksicht auf ihn zu
nehmen, wie auf einen der anderen Kranken; sein Zimmer war mit einem
Teppich belegt, der den kalten Backsteinboden vollständig bedeckte,
er konnte schreiben und zeichnen, eine kleine Bibliothek selbst
stand zu seiner Verfügung und er wurde in der That weit mehr wie ein
Staatsgefangener, als ein Geisteskranker behandelt, so daß Stierna
jedesmal nach einem solchen Besuch mehr und mehr den Gedanken in sich
aufsteigen fühlte, es müsse dem Schicksal dieses Unglücklichen irgend
ein tiefes und vielleicht gar düsteres Geheimniß zu Grunde liegen. Ein
paar Mal versuchte er auch von seinem Collegen Aufschluß über dieß
Verhältniß zu bekommen, aber umsonst; so gesprächig Don Pancho in jedem
andern Fall auch sein mochte, hierüber gab er dem Frager immer nur
kurze und stets ausweichende Antworten, bis diesem die ganze Sache zum
peinlichen Räthsel wurde, dem er nun, koste es was es wolle, auch zur
Wurzel nachspüren müsse.

Der Zufall war ihm hierbei günstiger als er erwartet hatte; Don
Pancho nämlich wurde plötzlich so krank, daß er seinem Amte, von einem
bösartigen Schleimfieber an sein Lager gefesselt, längere Zeit nicht
mehr vorstehen konnte, und wenn sich auch Don Alvarado in den ersten
Tagen der Geschäfte außergewöhnlich lebhaft annahm und die Anstalt den
Tag über fast gar nicht mehr verließ, hielt dieser vortreffliche Eifer
doch keineswegs so lange aus, wie das Schleimfieber seines Untergebenen,
und schon nach drei Wochen ließ er Stierna zu sich rufen. Dort übertrug
er ihm die tägliche Aufsicht der übrigen Kranken, zu seiner Hülfe ihm
noch einen jungen englischen Arzt erlaubend, der an den Gouverneur Rosas
von London selber empfohlen und von diesem augenblicklich eine, wenn
auch für jetzt noch untergeordnete Stellung in dem Hospital erhalten
hatte, nur freilich während der Krankheit des einen Unterarztes, dem
aktiven Arzte mit beigegeben werden sollte.

Nach einer kurzen und allgemeinen Übersicht über die Kranken, kam
übrigens Don Alvarado jetzt auch auf den wunderbaren Patienten, den
Spanier zu sprechen, und warnte Stierna besonders, sich nicht in zu
weitläufige Gespräche mit ihm einzulassen, da der Fall vorgekommen sei,
daß er, nach einer sehr lebhaft geführten Unterhaltung einen förmlichen
Anfall von Raserei bekommen haben sollte, während er sonst harmlos und
still blieb, und selten nur den Dämon verrieth, der in ihm schlummerte.

»Ich glaube gerade nicht,« setzte der alte Herr hinzu, »daß Sie Don
Morelos, wie der spanische Cavallero heißt, denn sein Familienname thut
hier Nichts zur Sache, mit seinen Phantasieen behelligen wird, wenn
Sie sich nur im Mindesten, wie Ihnen aufgetragen worden, von ihm
zurückhalten; er ist gerade in letzter Zeit ganz besonders schweigsam
gewesen. Um Sie aber auch auf die _Möglichkeit_ eines solchen Falles
vorzubereiten, wäre es doch wohl gut, ja vielleicht nöthig, daß ich
Ihnen, wenn auch nur mit ganz kurzen Worten die Entstehung seiner
Krankheit mittheilte.«

»Mit einem sehr bedeutenden Vermögen kam er nach Buenos-Ayres und seine
weitere Geschichte, sein Aufenthalt in dieser Stadt berührt uns nicht,
bis wir zu dem Moment kommen, daß er als der anerkannte Bräutigam
der Tochter eines unserer ersten Föderalisten eine Rolle in unserer
Gesellschaft zu spielen begann. Hier hatte er jedoch mit einem
Nebenbuhler zu thun und sein wunderliches abstoßendes Wesen bewirkte
nach und nach, daß er sich seiner Braut mehr und mehr entfremdete. Bei
dem hitzigen Charakter unserer Landeskinder konnte das nicht lange
ohne unruhige Folgen abgehn -- die beiden Nebenbuhler bekamen -- suchten
vielleicht Streit miteinander. Eine Ausforderung wurde angenommen,
Don Morelos aber, vielleicht schon damals in einem Anfall von Raserei,
erstach den Secundanten seines Gegners und verwundete diesen selber
ebenfalls so schwer, daß er für todt auf dem Platz blieb und erst nach
langwierigem Krankenlager wieder hergestellt werden konnte.«

»Die Polizei war damals auf seinen Fersen, und man sagt, daß er der
Strafe nur durch die merkwürdige Ähnlichkeit eines anderen Mannes
entging, der an seiner Stelle von den Mashorqueros unseres glorreichen
Gouverneurs ermordet wurde. Als er nach langem Siechthum wieder erstand,
war er so verändert, daß man ihn kaum wieder erkannte; aber obgleich man
ihn ruhig eine Zeit lang in der Stadt gewähren ließ, hatte man doch noch
immer keine Ahnung davon, daß er irrsinnig geworden sein könne, bis er
das alte Verhältniß mit seiner früheren Braut, die jetzt aber schon
lange seinen früheren Nebenbuhler geheirathet, mit Gewalt fortsetzen
wollte und dabei erklärte und behauptete, Donna Constancia sei vor Gott
sein Weib, und ihr Gemahl, den er mit den entsetzlichsten Schimpfworten
belegte, habe sich heimlich und lügnerisch in ihre Gunst gestohlen.
Immer wildere Mährchen setzte er sich dabei zusammen, und damals kam
man zuerst auf die Vermuthung, daß er wahnsinnig geworden wäre.«

»Eine genaue Beobachtung seines ganzen wunderlichen Lebens, denn er
hatte sich in einem kleinen ärmlichen Häuschen der Vorstadt eingemiethet,
setzte übrigens die Thatsache seines Wahnsinnes bald außer allen Zweifel
er stieß sogar in einem öffentlichen Kaffeehaus einst einen, ihm
wildfremden Menschen, mit dem er in ein immer hitziger werdendes
Gespräch gerieth, plötzlich nieder, weil er behauptete, jener habe vor
dreiundzwanzig Jahren seine Schwester ermordet -- und er selber kann
kaum siebenundzwanzig zählen. Dadurch schien aber damals die wirkliche
Tollheit bei ihm ausgebrochen zu sein -- mit dem noch blutigen Messer
stürmte er damals in das Haus der Donna Constancia, ihren Gatten, Don
Luis de Gomez, dem er die entsetzlichsten Dinge nachsagte -- ebenfalls
zu ermorden. Glücklicher Weise warf ihm die Polizei noch dicht vor
dessen Thür einen Lasso über, und brachte ihn hierher.«

»Die ersten Wochen mußten wir ihn übrigens in einer der unteren festen
Zellen halten; er wüthete und raste und verlangte frei gelassen zu
werden; nach und nach legte sich das aber wieder, ja, er wurde so
vernünftig, daß man wirklich einmal den Versuch mit ihm machte, ihn
wieder, natürlich unter ihm unbewußter Aufsicht, aus der Anstalt zu
entlassen. Das wäre aber beinahe schlimm abgelaufen, denn sein erster
Gang war in das Haus des Don Luis, und ehe man es verhindern konnte,
überfiel er den Señor und würde ihn erwürgt haben, hätte die Polizei
nicht noch gerade zur rechten Zeit einspringen können. Er behauptet seit
der Zeit, jene Dame sei seine eigene Frau, er aber habe einen Fremden
bei ihr ertappt und ermordet, und sei deshalb für einen gewissen
Zeitraum von den Gerichten eingekerkert worden. Er beträgt sich nun
ruhig und ordentlich, und ich glaube, wir haben erst einen neuen
Ausbruch zu erwarten, wenn er seine Zeit für abgelaufen halten wird
-- und müssen abwarten, wann das geschieht.«

»Sie wissen nun genug,« setzte der alte Herr hinzu, »Ihren Patienten zu
behandeln; wie gesagt, vermeiden Sie am Besten jede Unterhaltung mit
ihm. Sollte er aber doch, _wider_ Erwarten, gesprächig werden und neue
Thorheiten aushecken, so wünsche ich, daß ich augenblicklich davon
unterrichtet werde.«

Stierna empfahl sich, und sein erster Gang war nach der Straße Santa
Rosa zurück, die Zellen zu revidiren, und vor allen Dingen den jungen
Mann zu besuchen, für den er, besonders nach der eben gehörten Erzählung,
ein unbeschreibliches Interesse zu fühlen begann.

Der alte Don Alvarado hatte aber recht gehabt, Don Morelos begrüßte
allerdings seine »neue Bekanntschaft,« wie er ihn nannte, auf das
Artigste, schien aber nicht im Mindesten zu einer Unterhaltung
aufgelegt, und drei Besuche vergingen, ohne daß der junge Arzt, der
vor Ungeduld brannte, sich den Charakter dieses wunderbaren Kranken
entwickeln zu sehen, mehr aus ihm herausgebracht hätte, als die
gewöhnlichsten und alltäglichsten Begrüßungs- und Höflichkeitsphrasen.

Am vierten Tag schien der Kranke unruhiger als früher -- er war erregt
und sein Puls zeigte sogar ein leichtes Fieber. -- Stierna erkundigte
sich theilnehmend nach den einzelnen Symptomen, die ihm der Spanier
jedoch nur als in einer unbedeutenden Erkältung entspringend, angab.
Dadurch hatte sich aber zwischen beiden Männern eine Art Annäherung
gebildet -- es war fast, als ob zwischen ihnen eine Schranke gefallen
sei, und der junge Spanier wurde, ehe ihn der Arzt wieder verließ, fast
heiter, scherzte und lachte, und erzählte Anekdoten aus seinem frühern
Leben -- ohne jedoch die unmittelbar vor seiner Einkerkerung liegende
Periode auch nur mit einer Sylbe zu erwähnen.

Als Stierna am andern Morgen wieder in seine Zelle trat, war es fast,
als ob er einen alten Freund begrüßte, und doch hatte Don Morelos auch
im Anfang wieder etwas Zurückhaltendes -- es war, als ob ihm etwas auf
dem Herzen liege, dessen er sich zu entlasten wünsche, und doch den Muth
dazu nicht fassen könne. Stierna sah dies weniger, als daß er es fühlte,
und mit der Berechtigung des Arztes, dem Kranken mit seinen Fragen
geradezu in das Herz des Leidens, an die Wurzel des Übels zu gehen, nahm
er seine Hand, und bat ihn frei und offen, mit ihm wie mit einem Bruder
zu sprechen, wenn er irgend etwas für ihn thun, ihn in irgend etwas
erleichtern könne.

Der junge Spanier sah ihn erst, wohl eine volle Minute, ernst und
schweigend an, dann aber schüttelte er leise und wehmüthig lächelnd mit
dem Kopf und sagte tief aufseufzend, und wie es schien mehr mit sich
selber als zu dem Arzte redend:

»Es ist Alles vergebens -- Sie würden mir doch nicht glauben, und -- ich
bin früher nach solchen Erklärungen nur härter behandelt worden -- Rosas
ist zu mächtig.«

Stierna sah ihn erstaunt an -- diese Worte, ruhig und ohne die geringste
Leidenschaft gesprochen, klangen gar nicht wie aus dem Munde eines
Wahnsinnigen, und doch, auf eine unendlich verschiedene Weise äußert
sich dieß entsetzlichste der menschlichen Leiden -- der Irrsinn -- wenn
er das arme Hirn zerrüttet und den verstümmelten Geist nur noch im
Körper gelassen zu haben scheint, die willenlose Maschine in toller
ungeregelter Bahn vorwärts zu treiben -- was Wunder, daß sie manchmal
auf kurze Zeit der geraden ebenen Straße folgt, wer aber weiß, wenn und
wie schnell sie wieder rechts oder links abstürmt in das Leere.

Der junge Spanier warf einen halb forschenden, halb schmerzlichen Blick
auf das Antlitz des jungen Arztes, und als ob er gelesen, was in dessen
Inneren vorgegangen, setzte er, mit dem Kopfe still vor sich hinnickend
und kaum hörbar hinzu:

»Auch _er_!«

Stierna fühlte sich in einer peinlichen Situation; das Gespräch war
plötzlich viel zu ernst geworden, ihn die Gefahr nicht einsehn zu
lassen, wenn er darauf einging, und wie konnte er jetzt am besten
wieder zurück? -- Das Einfachste schien, irgend ein anderes Gespräch zu
beginnen, ehe er aber dazu kommen konnte, stand Don Morelos plötzlich
auf, nickte finster lächelnd mit dem Kopf, und ein paar Mal im Zimmer
auf und ab gehend, sagte er endlich:

»Ich sehe, Sie haben Ihnen schon dasselbe Mährchen von mir erzählt, wie
meinem früheren -- Wärter, ich bin Ihnen als ein Tollhäusler geschildert,
der anderer Leute Frauen für seine eigenen hält und die Männer deshalb
anfällt -- nicht wahr, ich habe recht?«

Er blieb, während er diese Worte sprach, lächelnd und mit verschränkten
Armen vor Stierna stehen, und es lag etwas Triumphirendes in seinen
Mienen, denn die Überraschung des jungen Arztes war deutlich in dessen
Zügen ausgeprägt.

»Und Sie _fühlen_, daß dies nur eine Phantasie ist?« frug der Schwede,
aber erst nach einer Pause, in der er wirklich seine Sinne diesem neuen
Eindruck sammeln mußte. -- »Sie sind überzeugt, daß diese Ideen nicht
wieder kehren werden?«

»Lieber Freund,« sagte der Spanier ernst, »nur Gott kann hier für
uns einstehen für das was wir _werden_ sollen; nehmen Sie aber den
gesundesten Gaucho von der Straße herauf, sperren ihn in einen dieser
Räume -- schreien ihm in's Ohr, daß er sich in einem Irrenhause befände
und selber toll sei, und seine Sinneswerkzeuge müßten von Stahl und
Eisen sein, wenn er es nicht wirklich auch am Ende würde -- der Geist
hält es nicht aus, gegen eine solche furchtbare Idee immer und immer
wieder vergebens anzukämpfen.«

»Aber wenn Sie _fühlen_, daß Sie jene Idee abgeschüttelt haben, so
werden sich diese Thore auch bald Ihnen öffnen -- ich will gleich heute
mit Don Alvarado --«

»Um Gottes Willen nicht!« unterbrach ihn der Spanier rasch und
ängstlich, indem er seinen Arm ergriff; »das einzige Resultat davon
wäre, daß man Sie nicht wieder zu mir ließe, und ich -- _fürchte_ jetzt
fast, Sie wieder zu verlieren.«

»Aber Sie glauben doch nicht, daß man Sie hier zurückhalten würde, wenn
nicht --«

»Wie lange sind Sie in der Argentinischen Republik?« unterbrach ihn Don
Morelos finster.

»Zehn Monate etwa,« lautete die Antwort.

»Ich dachte es,« sagte der Spanier leise, »da stehen Ihnen denn freilich
noch traurige Erfahrungen bevor. So wissen Sie denn, daß ich ein Opfer
von Rosas furchtbarer, aber schlauer Politik geworden bin. Er hätte mich
mit leichter Mühe tödten können -- er hat das Blut Tausender vergossen,
und das meinige würde nicht viel schwerer auf seiner Seele gelastet
haben -- aber er braucht in späterer Zeit die _Beweise_ meines Lebens
-- es sind dies Familienverhältnisse, zu denen es Stunden bedürfen
würde, sie Ihnen auseinander zu setzen -- und während er keine passende
Entschuldigung finden konnte, mich in einen Kerker zu werfen, wurde die
Straße Santa Rosa ein vortreffliches Asyl für den armen _Geisteskranken_.«

»Aber Don Alvarado --«

»Darf nicht anders -- lieber Freund, wir hüten uns zu tanzen, wenn wir
auf der dünnen Kruste eines Vulkans stehen. Don Alvarado weiß recht gut,
daß er dem Willen des Diktators nicht entgegenhandeln _darf_, und
daß es selbst zu einem Verbrechen werden könnte, auch nur seinem
_Wunsche_ nicht zu begegnen; die Mashorqueros[2] sind vortreffliche
Überzeugungsgründe, und es erfordert starke Nerven, oder -- ein
schnelles Roß -- ihnen zu widerstreben.«

  2: Die Henkersknechte des Diktators Rosas.

»Aber jene Dame?« -- sagte Stierna, noch immer zögernd und halb
ungläubig, obgleich ihn das ruhige resignirte Benehmen des wahnsinnig
gesagten als fast zu starke Beweise für dessen Behauptungen erwuchsen.

»Die Dame?« lächelte Don Morelos wehmüthig, und barg für wenige Sekunden
seine Augen in der deckenden Hand, dann sich aber emporrichtend sagte
er langsam und leise mit dem Kopf dazu nickend: --

»Sie verstehen es -- sie verstehen es, die Teufel, Einem das Herz in der
Brust zu wenden nach eigenem Gutdünken, und wenn es blutet, schreien
sie _Mord_! er ist der Thäter -- das ist Gottes Gericht. Nein, Señor,«
wandte er sich dann lebendiger an den jungen Mann, »lassen Sie nicht
auch das eigene Herz Zeuge gegen den Verstand eines Unglücklichen sein
-- behandeln Sie mich wenigstens nicht wie einen Tollen, und wenn Sie
mir auch nicht helfen können, lassen Sie mir wenigstens das Glück, _ein_
Wesen in meiner Nähe zu wissen, das nicht, mit den Übrigen im Bund, mich
nur dahin zu treiben sucht, wofür diese mich ausgeben.«

Stierna fühlte sich, als er den Unglücklichen an diesem Tage verließ,
wie im Traum, und die widersprechensten Gefühle kämpften in seinem
Innern. Verhielt sich die Sache wirklich so, als sie ihm Don Morelos
erzählt, und was auch seine Vernunft dazu sagen wollte, sein Herz
drängte ihn, es zu glauben -- so war er hier der Mitschuldige eines
furchtbaren Verbrechens, einer That, weit schlimmer als kaltblütiger
Mord, denn dieser tödtet nur den Leib, während jene darauf hin arbeitete,
die Seele eines Menschen langsam und teuflisch zu vernichten.

Am nächsten Morgen suchte er Don Alvarado auf, aber dessen mißtrauischer
Blick nur, als er die erste, noch ganz gleichgültige Frage über diesen
Kranken that, warnte ihn, weiter zu gehen, wenn er nicht allerdings
befürchten wollte, von jeder Verbindung mit ihm abgeschnitten zu werden.
Ebenso vergebens waren seine Nachforschungen in der Stadt, etwas
Näheres von _Unbetheiligten_ über den Zustand des jungen Spaniers zu
hören. Man erinnerte sich allerdings noch eines ähnlichen Vorfalls; die
letzten Jahre hatten aber so viel des Neuen und Entsetzlichen gebracht,
daß einzelne Daten in dem allgemeinen Strom des Blutes, das durch die
Straßen der Stadt, oft aus den treuesten Herzen geflossen, untergingen
und verschwanden. Niemand dachte mehr, wie es schien, an diesen
besonderen Fall, und nur ein einziger alter Spanier, der Don Morelos
auch wohl früher persönlich gekannt, äußerte gegen den jungen Arzt, mehr
dabei als wohlmeinende Warnung, wie irgend eine Auskunft gebend -- »es
sei vollkommen hinreichend, von dem Diktator für wahnsinnig erkannt zu
sein -- um es wirklich zu werden.«

Alles das diente nur dazu, dem exaltirten jungen Schweden mehr
und mehr die eigene Erklärung des angeblichen Kranken glaubhaft
erscheinen zu lassen, und so peinlich wurde ihm zuletzt das Gefühl,
der _Gefängnißwärter_ eines unschuldig Eingekerkerten sein zu müssen,
daß er Pläne auf Pläne entwarf, dem zu entgehen, oder ein Mittel
aufzufinden, dem Gefangenen zu helfen.

Don Pancho hatte sich indessen von seiner Krankheit erholt, und war
wenigstens so weit hergestellt worden, theilweise seinen früheren
Dienst wieder zu versehen; Stierna mußte ihn allerdings noch sehr dabei
unterstützen, aber einige wenige Kranke, und unter diesen Don Morelos,
nahm er wieder unter seine eigene Aufsicht, und nur das schien der
Schwede durch die bisher ihm überlassene Behandlung gewonnen zu haben,
daß er nicht mehr so streng von diesem entfernt gehalten wurde, und
wenigstens dann und wann Zutritt hatte.

Gerade dieser gewisse Zwang beförderte aber, ja beschleunigte, was
vielleicht monatelanges freies Aus- und Eingehen des jungen Arztes,
wenigstens nicht in _der_ Stärke bewirkt haben würde -- diese beiden
jungen Leute, der Arzt und sein »Kranker«, wurden innige Freunde, und
Stierna's einziges Streben war jetzt darauf gerichtet, ein Mittel
ausfindig zu machen, den Freund zu retten. Noch aber hatte er mit ihm
selber nicht ein Wort darüber gesprochen, denn wenn er auch mit Freuden
seine ganze Stellung, wie die Gewißheit, hier einst eine sichere
Existenz für sich zu gründen, von sich geworfen hätte, fehlte es ihm
doch an den nöthigen Mitteln, eine Flucht glücklich durchzuführen, die,
wenn vor der Zeit entdeckt, jedenfalls _sein_ Leben gekostet, und die
Lage des unglücklichen Gefangenen gewiß um vieles verschlimmert haben
würde.

Augenscheinlich war dabei, daß der Gefangene selber zu viel Zartgefühl
besaß, diesen Punkt zu berühren -- er mußte ja recht gut wissen, was
davon für seinen jungen Freund abhing, und überdieß war eine Flucht aus
diesem Gebäude, das mit einer Masse müßiger Wächter versehen, unter der
besonderen Aufsicht des Gouverneurs stand, auch gar nicht so leicht, und
der schwächliche Spanier durfte sich dabei nicht einmal auf seine eigene
Energie und Ausdauer verlassen. Stierna wurde sein Zustand aber trotzdem
zuletzt so peinlich, daß er es nicht länger ertragen konnte, und unter
jeder Bedingung beschloß, Don Morelos wenigsten von seiner eigenen
Absicht in Kenntniß zu setzen, und ihm seine Hülfe anzubieten, wenn er
nur irgend einen haltbaren Plan wüßte, die Flucht nicht allein aus dem
Kerker, sondern auch auf Nachbargebiet nach Brasilien oder wenigstens
nach Monte-Video zu bewerkstelligen.

Hierzu fand sich bald eine günstige Stunde; Don Pancho war eines
Nachmittags mit Don Alvarado zu dem Diktator selber geladen, vielleicht
einen Bericht über ihre Kranken abzulegen, und Stierna säumte diesmal
nicht, den, vielleicht nicht sobald wiederkehrenden Augenblick zu
benutzen.

Merkwürdig und eigenthümlich war der Eindruck, den die Erklärung des
jungen Mannes auf den Gefangenen machte. -- Er wurde leichenblaß, sah
den Freund wohl eine halbe Minute starr und regungslos an, und barg
dann das Antlitz in den Händen, während sein Körper wie in furchtbarer
Aufregung arbeitete, und das Blut in den Adern seiner Schläfe aus der
bleichen Haut herauszuspritzen drohte. Auch erst nach langer Zeit gab
sich diese durch die plötzliche Freudenbotschaft vielleicht so gewaltsam
heraufbeschworene Leidenschaft, und als er die Hände endlich wieder von
seinen Zügen entfernte, hatten diese ihre volle Ruhe zurückgenommen; nur
die Augen leuchteten noch in einem wilden, fast unheimlichen Feuer. Er
lauschte auch jetzt den Plänen und Vorschlägen des jungen Schweden mit
lautloser Ruhe, ja eigene Ideen schienen sich bei ihm in derselben
Zeit zu bilden, und als ihn »Don Federigo« (wie der junge Arzt, nach
der Sitte der Südamerikaner die Leute mit ihren Vornamen zu belegen,
gewöhnlich hier genannt wurde), endlich um seine Meinung frug, gab er
eine ganz verkehrte Antwort. Erst als Stierna als Haupt-, ja als einzige
Schwierigkeit des ganzen Gelingens den Mangel an baarem Geld erwähnte,
ohne das es fast eine Unmöglichkeit sein würde, zu entkommen, ergriff
er des Doktors Hand und sagte rasch und fast fröhlich:

»Wenn weiter keine Fessel meinen Fuß hier bindet, so ist die bald
gehoben -- kennen Sie die Straße Piedras? -- die dritte von hier, die
nächste gleich nach Chacabuco? dort an der Ecke vom Commercio steht ein
kleines niederes Backsteinhaus -- hier ist die Adresse des Mannes an
der Plaza, der es zu vermiethen hat -- steht es leer, miethen Sie es um
jeden Preis, hat es einen Miethsmann, so bieten Sie dem Eigenthümer das
Doppelte, Dreifache -- Hundertfache --« Er besann sich plötzlich und
hielt sich seine Schläfe -- er war in furchtbarer Aufregung, aber die
Wichtigkeit des Moments entschuldigte das auch vollkommen in Stierna's
Augen, und nun seine Hand fassend, bat er ihn sich zu mäßigen, daß man
ihn nicht in den nächsten Zimmern höre, und einer der Wächter vielleicht
herbeigerufen würde.

Don Morelos, der bei der ersten Berührung förmlich zusammenzuckte,
erholte sich doch schnell wieder und einige Mal jetzt mit raschen
Schritten im Zimmer auf und ab gehend, schien er endlich in der
gewaltigen, freudigen Aufregung des Augenblicks seine Sinne soweit
gesammelt zu haben, die Gedanken auf den einen, für sie jetzt
wichtigsten Punkt zu bringen. Er theilte nun dem aufmerksam lauschenden
Freunde mit, daß er in dem Eckzimmer jenes kleinen Gebäudes, in welchem
er mehrere Monate seines ersten Aufenthalts in Buenos-Ayres gewohnt,
unter ein paar genau bezeichneten Steinen einen Beutel mit Unzen
verborgen habe, die für die nächste Zeit alle ihre Bedürfnisse reichlich
decken und ihre Passage nach irgend einem Theil der Welt bezahlt haben
würde. Gelang es ihnen, sich, und sei es auch nur auf einen einzigen
Tag, in ungestörten Besitz des Zimmers zu setzen, so hatten sie was
sie brauchten, alle ihre Pläne in Ausführung zu bringen, und Stierna
selbst, bis zu krankhafter Erregung getrieben, verließ den Spanier,
den erhaltenen Auftrag so rasch als möglich auszuführen.

Vorerst suchte er das bezeichnete Haus in der Calle Piedras auf, und
fand es zu seiner Freude unbewohnt; der Wirth, zugleich Eigenthümer
einer Pulperia oder Schenkwirthschaft, machte erst Schwierigkeiten, da
er schon in nächster Woche dort oben gleichfalls ein Schenkhaus für
#agua ardiente# und #caña# anlegen wollte, als ihm aber Stierna selbst
für die eine Woche einen guten Miethzins bot, indem er vorgab, die
gegenüberliegenden Häuser im Auftrag ihres Eigenthümers abzeichnen zu
wollen, verstand er sich dazu, und der junge Doktor schaffte noch an
demselben Abend eine Staffelei mit dem nöthigen Zeichnen- und Malapparat
in die glücklich gewonnene Stube.




2.

Die Flucht.


Zwei Tage später waren alle nöthigen Vorbereitungen getroffen; Stierna
hatte das Gold gefunden und glücklicher Weise lag gerade ein deutsches
Fahrzeug im Hafen, das am nächsten Morgen, mit Tagesanbruch segeln
wollte. Es war nach Valparaiso bestimmt, wollte aber erst noch einmal
Monte-Video anlaufen, um dort einige Passagiere an's Land zu setzen, und
da Rosas Gewalt nicht bis zu diesem Orte reichte, ein Flüchtling der
Argentinischen Republik jedoch mit offenen Armen dort empfangen wurde,
akkordirte er zwei Plätze nach dieser Stadt, und schaffte durch die
Gefälligkeit des Capitains unterstützt, der ihm die eigenen Leute dazu
borgte, mit einbrechender Dunkelheit was er hatte aus seiner Wohnung
an die Landung, wo es von dem Kapitain selber in Empfang genommen,
für seine eigenen Effekten ausgegeben, und an Bord gebracht wurde. Zu
gleicher Zeit hatte er sich eine kleine Strickleiter zu verschaffen
gewußt, die der junge Spanier unter seine Matratze verbergen mußte, die
Stäbe waren ebenfalls bald durchgefeilt, und es galt jetzt nur noch,
nach zehn Uhr, wenn die Revision vorbei war, die beiden Schildwachen
vorn am Hause auf kurze Zeit zu beschäftigen, wozu Stierna ebenfalls die
beste Gelegenheit hatte und benutzte.

Unten in der Wohnung, in einer der festen Zellen, lag ein Rasender an
Ketten, tobend, bis ihm die fast herkulischen Kräfte versagten, und
schwach und lenksam wie ein Kind für die kurze Zeit der Rast, bis die
erschöpften Sehnen wieder neues Leben, und dadurch die in ihm gährende
Wuth auch, wie es schien, neue Nahrung fand. Die Erinnerung an irgend
etwas Bestimmtes schien er verloren zu haben -- er ras'te eben blos, nur
_Rosas_ Name durfte nicht in seiner Gegenwart genannt werden, wenn man
nicht fürchten wollte, daß er selbst diese furchtbaren Banden zerriß,
die ihn fast zu Boden drückten. -- Seine Zähne knirschten dann über
einander, als ob sie zersplittern müßten, der weiße Schaum trat ihm auf
die Lippen, und die Augen quollen förmlich aus ihren Höhlen. Es ging
ein dumpfes Gerücht im Haus, daß dem Mann, durch die Mashorqueros des
Diktators vor seinen Augen und in wenigen Minuten fünf erwachsene Söhne
abgeschlachtet wären, aber man murmelte das mehr als einen Vorwurf für
den Alten, daß er solch alltäglichen Falles wegen den Verstand verloren,
da ihm Rosas noch dazu den Kopf dafür gelassen, -- gegen die That selber
wagte Niemand ein Wort zu äußern.

Dieser Unglückliche hatte sich an dem einen Handgelenk wundgescheuert,
und Stierna, dem schon an diesem Morgen der Auftrag geworden, die Kette
abzunehmen und anders zu befestigen, verschob dies als eine, seinem
Plan vollkommen günstige Gelegenheit bis zum Abend. Vor Dunkelwerden
mußte er das allerdings vornehmen lassen, fand aber noch eine Ausrede in
dem ihm gefährlich dünkenden Zustand des Alten, das Abnehmen der Ketten,
das ihn wieder aufregen konnte, hinauszuschieben, und rief nun, als
er die Zeit für passend hielt und dem Freund das verabredete Zeichen
gegeben, die beiden Schildwachen nach vorn zum Haus, dort zur Hülfe
bereit zu sein, wenn der Unglückliche, mit dem sie es hier zu thun
hatten, vielleicht gerade dann einen seiner Wuthanfälle bekommen sollte.
Sämmtliche Wärter der Anstalt interessirten sich ebenfalls für den
Alten, der im ganzen Haus nur den Namen #el bruto# führte, und wer
nicht um ihn wirklich beschäftigt war, drängte sich doch in den Gang,
zu sehen, wie sich »das Thier« benehmen würde.

Don Morelos ließ indeß die Zeit nicht unbenutzt vorbeigehen -- rasch
waren die, schon lange durchgefeilten Eisenstäbe ausgebrochen, und
mit der Gewandtheit einer Katze glitt er an der schwanken Leiter
nieder, schlich zu dem Kaktuszaun, schnitt sich hier mit einem großen
Argentinischen Messer, das ihm Stierna ebenfalls verschafft hatte,
die Bahn ins Freie, und war wenige Minuten später in der Dunkelheit
verschwunden.

Der Schwede hatte indessen die Kette von dem Arm des Unglücklichen
nehmen lassen, und die Wunde am Knöchel verbunden, -- der Tolle saß auch
ruhig dabei, und ließ Alles geduldig mit sich geschehen, neugierig nur
starrte er auf die Gesichter der Umstehenden, und es war fast, als ob er
in dem Chaos seiner Erinnerungen vergebens nach ähnlichen Zügen suche.
Zwei Männer hatten ihn, trotz dem Eisen an den Füßen, halten sollen, da
er sich aber so ganz ruhig verhielt, ja so schwach schien, daß er kaum
im Stande war, aufrecht zu sitzen, ließen sie die umklammerten Arme los
und lehnten seinen Oberkörper an ihre Knie.

Die Wunde war indessen ausgewaschen, fing aber wieder frisch zu bluten
an, und Stierna wickelte das mit einer kühlenden Salbe bestrichene
Leinen darum, die Blutung zu stillen. Jenes furchtbare, nichtssagende
todte Lächeln schwebte dabei um die Lippen des Unglücklichen und zuckte
in seinen Wimpern, -- der Schmerz des Verbindens machte ihn zuerst
aufmerksam auf seinen Arm, und in dem nämlichen Moment fast quoll das
Blut durch die Leinwand und färbte diese.

Die Wirkung war entsetzlich, und ehe die hinter ihm Stehenden nur so
weit die verlorene Besinnung wieder gewannen, zuzugreifen, hatte sich
der, noch vor wenigen Minuten fast hülflose Greis emporgeschnellt, und
mit dem tollen Aufschrei »Blut! -- Blut! -- Das war der erste!« -- warf
er sich auf einen der Wärter, der die Lampe hielt und schlug ihm, wie
ein wildes Thier im Ansprung, die Zähne in die Brust.

»Hülfe!« schrie der Arme, ließ die Lampe fallen und stürzte rückwärts zu
Boden nieder -- »Hülfe! Erbarmen!« aber der Rasende hatte ihn zu fest
und sicher gepackt, und vergebens warfen sich die Wärter jetzt auf ihn,
ihn fortzureißen, vergebens schlug ihn Einer derselben, als jede andere
angewandte Gewalt nutzlos blieb, mit seiner eigenen Kette auf die Stirn,
daß er betäubt zusammenbrach. Die Zähne ließen nicht los, bis sie das
Fleisch, das sie gefaßt, vom Körper trennten, und jetzt, an allen
Gliedern wieder gefesselt, wurde der noch immer Bewußtlose, mit schnell
umgelegten Verbande, in seine Zelle zurückgeschleift.

Stierna mußte jetzt erst noch den schwer verwundeten Wärter verbinden,
und dann dem finsteren Schreckenshaus, das noch in seiner letzten Scene
so furchtbare Erinnerung für ihn bewahren sollte, ein leises, aber aus
innerster Brust kommendes Lebewohl zurufend, warf er sich auf sein
draußen angebunden stehendes Pferd, und trabte rasch die Straße hinab,
dem inneren Stadttheile zu, wo er seinen jungen Freund an einem, ihm
genau bezeichneten Ort schon zu finden hoffte.

       *       *       *       *       *

Während die Wärter in dem Irrenhaus mit dem Tollen rangen, sprang die
Straße hinunter, den Schlamm nicht achtend, der um sie her spritzte,
eine dunkle Gestalt mit bleichen, fast geisterhaften Zügen; der Straße
Santa Rosa folgend, bog sie erst in die von Santa Clara ein, und
vollkommen mit der Lokalität des Platzes bekannt, wie es schien, mäßigte
sie erst ihren Schritt, als sie sich einem großen dunklen Gebäude
näherte, das die Ecke dieser und der Calle Lima bildeten. In den langen
Pancho gehüllt, drückte sie sich, diesem gegenüber, in den dunklen
Schatten eines anderen hohen Hauses, von den Vorübergehenden oft und
neugierig angestarrt, aber ohne ihrer zu achten, ja vielleicht ohne sie
zu bemerken, und blickte, das Antlitz jetzt total in dem weiten Tuche
versteckt, daß die glühenden Augen nur eben darüber sichtbar waren,
regungslos nach einem dicht verhangenen, und stark vergitterten
Fenster des unteren Stocks hinüber, aus dem ein schwacher Lichtstrahl
vordämmerte. Aber die Thür öffnete sich nicht -- Niemand verließ das
Gebäude, Niemand betrat es, und eben das einzelne Licht ausgenommen,
hätte man die ganze düstere Steinmasse für öde und unbewohnt halten
können.

Es war nahe an zehn Uhr, nur noch einzelne Fußgänger, die hier in dem
belebtesten Theil der Stadt, in dem selbst Trottoirs hergerichtet waren,
ihren eigenen Wohnungen zueilten, brachen manchmal die stille Öde der
Straße, diese aber wichen jetzt scheu der noch immer dort lehnenden
Gestalt aus, und beschrieben, selbst den Schlamm des Fahrwegs nicht
achtend, lieber einen Bogen um sie, oder kreuzten nach der anderen Seite
hinüber. Alle Läden, alle Thüren waren geschlossen, die meisten Lichter
sogar schon verlöscht, nur das eine, in dem dunklen Haus warf noch
seinen matten Schein auf den Vorhang, der das Innere des Gemaches
vollständig den Augen der Vorübergehenden verbarg.

Niemand war jetzt mehr auf der Straße zu hören, eine kleine Patrouille
Argentinischer Miliz bog um die nächste Ecke und marschirte, zur Ablösung
irgend eines Postens, die Straße hinab, dem Castell zu -- ihre Schritte
verhallten in der Ferne und deutlich tönte der scharfe eigenthümliche
Flügelschlag zahlreicher Züge von Wildenten, die von dem Strom nach den
zahlreichen Binnenwässern hinüber oder zurückstrichen, durch die Nacht,
und unterbrach die sonst todtenähnliche Stille.

Der Mann in dem dunklen Pancho schritt jetzt rasch quer über die Straße
hinüber, horchte einen Augenblick an der Thür und ließ dann zweimal
den Klopfer aufschlagen, daß es durch das ganze Gebäude hallte. Wenige
Sekunden später ging drinnen eine Thür, ein schwerer Schritt klappte
durch das Haus, und eine Stimme von innen heraus frug wer da sei. --

»#Viva la confederation!#[3]« sagte der nächtliche Klopfer mit lauter,
ruhiger Stimme.

  3: »Es lebe die Conföderation.«

»#Mueran los salvajes Unitarios,#[4]« antwortete der im Haus Befindliche,
und zwei zurückgeschobene Riegel kündeten gleich darauf, wie er das
Feldgeschrei seiner Parthei für eine hinlängliche Bürgschaft des guten
Charakters seines nächtlichen Besuches halte, ihm selbst in dieser
späten Stunde Einlaß zu gönnen. Gleich darauf wurde ein Schlüssel im
Schloß umgedreht und die Thür öffnete sich nach Innen, während das
Licht der Lampe, die der Aufschließende in der Hand hielt, voll auf
das Antlitz seines späten und ungekannten Besuchers fiel.

  4: »Es sterben die wilden Unitarier.« Beides das Motto der
     Argentinischen Republik unter Rosas.

»#Ave Maria!#« sagte der Alte aber fast unwillkürlich, als er das
todtenbleiche Gesicht und die dunkelglühenden Augen gewahrte, die auf
ihn geheftet waren -- »was wünscht Ihr, Señor, zu so später Zeit?«

Der Fremde strich sich mit der Linken das feuchte rabenschwarze Haar aus
der Stirn und sagte dann mit ruhiger Stimme, die der unruhige Ausdruck
seiner Züge freilich Lügen strafte.

»Ich muß um Entschuldigung bitten, Sie so spät zu stören, aber ein
wichtiger Auftrag zwang mich dazu -- ist Don Luis de Gomez noch zu
sprechen?«

»Don Luis ist nicht zu Hause,« erwiderte der Alte, und musterte jetzt
zum ersten Mal, und wie es schien, etwas erstaunt den verstörten und
schlammbespritzten Anzug des Fremden, »Ihr kommt wohl aus dem Inneren,
Señor?« setzte er dann fragend hinzu. --

»Nicht zu Hause?« wiederholte aber der Fremde rasch und wie es schien
ungläubig -- »sagt ihm, guter Freund, daß ich ihm wichtige Depeschen
bringe, deren Verschieben Unheil über viele Menschen bringen könnte.«

»Aber Don Luis hat Buenos-Ayres schon vor drei Monaten verlassen,«
bekräftigte der Alte seine frühere Aussage, »und ist nach Valparaiso im
Auftrag Sr. Excellenz des Gouverneurs gegangen -- den Gott beschützen
möge.«

»Nicht in Buenos-Ayres?« rief der Fremde, erschreckt einen Schritt
zurücktretend -- »nach Chile? -- und Donna Constancia? --«

Ehe der Alte diese zweite Frage noch beantworten konnte, öffnete sich
die Seitenthür, und eine alte Dame, den Kopf sorgfältig in ihre Mantille
eingeschlagen, die sie unter dem Kinn durchgezogen und über die linke
Schulter zurückgeworfen hatte, schaute heraus, hatte aber kaum das
bleiche Antlitz des Fremden erkannt, auf das in diesem Augenblick das
volle flackernde Licht der Lampe fiel und ihm einen noch viel wilderen
unheimlicheren Ausdruck gab, als sie einen gellenden Schreckens- und
Hülfeschrei ausstieß und die Thüre wieder ins Schloß werfend, vor der
sie ihren Gatten oder was er sonst sein mochte, total und unbekümmert
seinem Schicksal überließ, riß sie das Fenster ihrer Stube auf und rief
mit einer Stimme, die Todte hätte erwecken können »Hülfe« und »Mord« in
die stille Nacht hinaus.

Der Alte erschrak natürlich nicht wenig über den unerwarteten, und für
jetzt allerdings noch total unbegründeten Nothschrei, riß aber doch das
Messer, das er wie jeder Argentiner bei sich trug, aus der Scheide, und
sah den bleichen Fremden verdutzt und unentschlossen an. Dieser war
bei dem ersten Schrei der Frau wild emporgezuckt, und auch seine Hand
griff wohl unwillkürlich nach der, unter dem Pancho verborgenen Waffe,
wie er aber das Hülfegeschrei der Frau nach der Straße zu hörte, stutzte
und horchte er erst einige Secunden und stieß dann plötzlich ein so
wildes fürchterliches Gelächter aus, daß der Alte entsetzt zurücktaumelte.
In dem nämlichen Augenblick war aber dieser wilde unheimliche Besuch
durch die noch offene Hausthür wieder hinaus auf die Straße geschlüpft,
und während der Alte mit vor förmlicher Todesfurcht zitternden Händen,
die Riegel wieder vorschob und seiner Frau, lange vergeblich durch die
verschlossene und von Innen förmlich verbarrikadirte Thür zurief, daß
jede Gefahr -- wenn überhaupt irgend eine vorhanden gewesen, vorüber
sei, floh Morelos mit lautem, schallendem Gelächter die menschenleere
Straße hinab und das Hülfegeschrei der alten Dame tönte gellend hinter
ihm drein.

Keine Thür, kein Fenster öffnete sich dabei. -- Anfälle auf offener
Straße gehörten in gegenwärtiger Zeit, und unter Rosas strenger Polizei,
allerdings zu den Seltenheiten, fielen aber doch dann und wann vor, und
Privatleute hüteten sich wohl, sich in derlei Streitigkeiten zu mischen;
ja wer sich gerade zufällig in der Nähe auf der Straße fand, floh, so
rasch er konnte, solcher Nachbarschaft zu entgehen, die oft in ihren
Folgen selbst für die Zeugen lange Verhöre und selbst für Einkerkerungen
mit sich brachten -- hatte sich endlich die Polizei wirklich einmal in's
Mittel geschlagen.

Als der Lärm verhallt war, marschirte auch heute eine kleine
Militärpatrouille von sechs Negersoldaten und einem Mulatten als
Unterofficier, langsam durch die Straße -- an den Ecken hielt sie still,
die Straße auf und ab zu horchen, ob sich noch etwas vernehmen lasse,
und schickte hie und da einen Mann nach rechts oder links ab, zu sehen,
ob der dunkle Gegenstand an der anderen Seite der Straße vielleicht
die Leiche irgend eines Ermordeten wäre, als sie aber nichts weiter
Verdächtiges fand, zog sie sich, sehr zufrieden mit dem Resultat, in
ihre Quartiere zurück.

       *       *       *       *       *

Am Ufer des La Plata und überhalb der sogenannten Bootlandung läuft
eine einzelne Reihe von Ombubäumen hinauf, die dort enden, wo die Stadt
eigentlich, trotz dem ausgelegten Plan noch nicht begonnen hat, und eine
hohe Plankenwand weiter keinen Zweck zu haben scheint, als das Ufer
gegen das Anstürmen der Wellen zu schützen, die hier, bei einem tüchtigen
Südosten oft in rasender Gewalt gegen die Küste auftoben können, während
der fast seegleiche Strom mit jedem anderen Winde diese Bucht in
Spiegelglätte hält.

Auf dem Platz lag Bauholz zerstreut umher, und unter dem letzten
Ombubaum, der mit seinen breiten, dichten Ästen seinen Stamm in völlige
Dunkelheit hüllte, stand Stierna in peinlicher Ungeduld und harrte
Stunde nach Stunde vergebens des Freundes. Was war aus ihm geworden,
konnte ihm ein Unglück zugestoßen -- konnte er erkannt und wieder
eingefangen sein? Das Herz schlug dem jungen Schweden in quälender
Angst um den Unglücklichen, denn nicht retten hätte er ihn dann wieder
können, und er selber durfte sich, war ihm sein Leben lieb, wahrlich
nicht wieder in der Stadt zeigen, wo er, ein öffentlich Angestellter des
mächtigen Gouverneurs, diesem selbst in seinen Plänen entgegengewirkt.

Schon hatte er eine Zeit lang von den Thürmen zehn Uhr schlagen hören,
als sich plötzlich Schritte nahten -- es war das regelmäßige Auftreten
einer Wache, die den breiten Fahrweg niederkam und auch dicht an dem
Baum, an dessen Stamm geschmiegt der Doktor stand, vorbeimarschirte.

»Bei dem Wetter soll man nun recognosciren,« sagte der eine der
Soldaten, die sich höchst unbefangen mit einander unterhielten, zu dem
anderen -- »und man weiß gar nicht, wo der Lärm gewesen ist.« --

»Bei Don Gomez -- meint die eine Wache,« erwiederte ein anderer, »aber
noch ist nichts Bestimmtes bekannt -- wie wir vorbeimarschirten war ja
auch Alles still und ruhig dort.« --

Die Worte verklangen in der Ferne, und Stierna zerbrach sich eben
den Kopf, was man mit dieser Patrouille hier eigentlich zu so
außergewöhnlicher Zeit wollte, wenn nicht die Flucht des Gefangenen
schon bekannt geworden wäre, als ihn plötzlich ein leiser Pfiff, dicht
von den Häusern kommend, aufstörte, und freudig emporfahrend, erkannte
er eine dunkle Gestalt, die rasch über die Straße glitt und in seine
ausgebreiteten Arme sank. Es war Don Morelos.

»Aber wo um Gottes Willen sind Sie so lange geblieben?« rief Stierna
ängstlich, seinen Arm ergreifend und haltend -- »ich fürchtete schon
--«

»Pst -- wir müssen fort,« unterbrach ihn aber der junge Spanier -- »die
Patrouillen scheinen schon mehr zu wissen, als uns gut sein möchte.
-- Wie aber kommen wir an Bord?« --

»Ein Canoe liegt hier zwischen den Felsen, das uns --«

»Gut, gut, fort nur, das Wetter ist herrlich -- hurrah, nach Chile, und
wie sie schauen werden, hahahahaha!« --

»Um Gottes Willen nicht so laut,« bat ihn ängstlich der Schwede, »die
Patrouille kann dort oben wahrscheinlich nicht hinaus, und muß hier bei
uns wieder vorbei -- wir dürfen uns deshalb auch nicht auf's Wasser
wagen, bis sie passirt ist.«

Das scharfe Ohr des Spaniers hatte indessen schon wieder die
rückkehrenden Schritte der Soldaten vernommen, und sich dicht an den
Stamm des Baumes schmiegend, dessen ungleiche und hohe Wurzeln ihnen
ungemein günstig waren, drückten sie sich lautlos zwischen diese hinein,
bis die Gefahr vorüber war. Die Patrouille zog indessen mürrisch und
schweigend vorbei; es regnete jetzt, was vom Himmel herunter wollte,
und die armen Teufel von Soldaten dachten in ihren dünnen nassen Jacken
an den feuchten, kalten Raum, der sie erwartete, wenn sie nach ihrer
Hauptwache jetzt zurückkehrten. Wer konnte in solcher Nacht hoffen,
irgend Jemanden einzufangen, dem nicht selber daran lag, arretirt zu
werden.

Eine Viertelstunde später glitt das kleine Canoe, von Stiernas Hand
gerudert, und die Fahrzeuge der Binnenrhede vermeidend, auf die
Außenrhede hinaus. Vom Bug des kleinen Schuners »Oporto« hing eine
Laterne, deren Licht durch die geschliffenen Scheiben wie ein Stern
durch die Nacht funkelte. Zu Starboard vom Bord hing die Fallreepstreppe
nieder, und das Canoe treiben lassend, um morgen irgendwo am Ufer des
La Plata von einem Fischer aufgefangen zu werden, betraten sie das
Fahrzeug, das sie mit Tagesanbruch der gefährlichen Nähe des Diktators
und seiner Häscher entführen sollte.

Der Capitain selber hatte nicht die mindeste Lust in irgend eine
Schwierigkeit mit dem Gesetz zu gerathen, und mit einer ziemlich
günstigen Brise lichtete er noch vor Tagesanbruch den Anker und ging
stromab. Selbst der Lootse erfuhr Nichts von der Anwesenheit der
beiden Passagiere, die bis Monte-Video im »Logis« vorn -- wie der
Aufenthaltsort der Matrosen an Bord eines Schiffes genannt wird
-- untergebracht wurden.

Schon am nächsten Morgen erreichten sie Monte-Video. Stierna erstaunte
aber hier nicht wenig, als Don Morelos ihm plötzlich erklärte, er wolle
mit dem Schiff nach Valparaiso gehn. Monte-Video sei allerdings sicher
genug für ihn, aber das wenige Geld, was er jetzt noch sein eigen
nannte, konnte nicht ewig ausreichen, während er in Valparaiso, weit
eher Gelegenheit fand, auf seine Familie in Spanien zu ziehen. Stierna
konnte dagegen nicht gut etwas einwenden, auch er hatte in dem, überall
vom Feind bedrängten Monte-Video wenig Aussichten, sein Fortkommen
leicht zu gründen, während Valparaiso ihm einen weit freieren Spielraum
für seine Thätigkeit bot, und ihn freute deshalb eher der Entschluß des
Geretteten.

Auffallend war ihm aber dennoch die schnelle Sinnesänderung Don Morelos,
der früher auch nicht eine Sylbe von Chile erwähnt hatte, ja in der That
ganz gleichgültig schien, wohin sie sich wenden würden, nach Osten oder
Westen, nach Norden oder Süden, wenn er nur den »Schauplatz seiner
Qualen« fliehen konnte. Nichts destoweniger sprach er augenblicklich mit
dem Capitain, der sich auch gern bereit zeigte, sie mitzunehmen; über
das Passagiergeld wurden sie bald einig, und da der Capitain selber die
noch immer günstige Brise nicht versäumen wollte, diesem, besonders in
Winterszeit gefährlichen Wasser zu entgehen, wo die tückischen Stürme
dieser Breite, die sogenannten Pamperos fast mit jedem Mondwechsel
mehr oder weniger stark einsetzen, beeilte er seine Geschäfte in der
Hauptstadt der »Unitarier« so rasch ihm das irgend möglich war, und als
der nächste Pampero, einige Tage später wirklich über die weiten Steppen
des Binnenlandes daherwehte, schwammen sie schon draußen im freien Wasser
und hatten Seeraum genug und nicht mehr die niederen gefährlichen Ufer
und Sandbänke des La Platastromes um sich her.

Jeder weiteren Gefahr entdeckt zu werden übrigens auszuweichen, hatten
die beiden Freunde schon mit dem Betreten des Fahrzeugs und den
Seeleuten gegenüber andere Namen angenommen, und Stierna nannte sich
_Leifeldt_ und gab sich für einen _deutschen_ Arzt aus, da er diese
Sprache flüssig redete, während Don Morelos den Namen Don Gaspar de
Monte Silva, einer Familie, mit der er nahe verwandt sein wollte,
angenommen hatte. Auf dem Schiff schon kannte man sie unter keiner
anderen Benennung.




3.

Die Reise und ihre Abenteuer.


Die Reise selber ging rasch und glücklich genug vorüber, Cap Horn
doublirten sie, von einer herrlichen Brise begünstigt, mit Leichtigkeit,
und flogen mit schwellenden Segeln wieder einem milderen, freundlicheren
Klima entgegen.

Don Morelos war den ersten Theil der Reise sehr leidend; kaum aus der
Mündung des La Plata heraus und in offener See, bekamen sie einen
tüchtigen Pampero, der ihn todtseekrank in seine Coje bannte, und
die am Cap Horn fast stets ziemlich hoch gehende See mit der kalten
unfreundlichen Witterung konnte nicht dazu dienen, ihn rasch wieder
herzustellen. Zu diesem Zustand gesellte sich noch ein ziemlich
bösartiges Fieber, das mehrere Tage lang sogar sein Leben bedrohte,
und Stierna wich in dieser Zeit nicht von seinem Lager.

Der Kranke lag indessen in den wildesten Phantasien, in denen die Namen
Constancia und Gomez einem festen Ideengang anzugehören schienen,
während sein oft dazwischen tönendes Lachen förmlich unheimlich klang.
Der Freund allein durfte in dieser Zeit an seiner Seite sein, und er
rief die Anderen, wenn sich Capitain oder Steuermann einmal nach ihm
erkundigen wollten, mit dem Namen seiner früheren Wärter oder Schließer,
und drohte gegen sie anzuspringen.

Seine kräftige Natur überwand aber auch diese Krisis -- wenn auch
langsam, erholte er sich doch allmählig und noch ehe sie die warmen
Breiten der südlichen Zone wieder erreichten, war er vollkommen
hergestellt, wieder im Stande an Deck zu sein und seinen Körper durch
die frische, balsamische Seeluft zu kräftigen. Eigenthümlicher Weise
wußte er dabei Alles, was während seiner Krankheit vorgefallen, was er
phantasirt und wie er sich betragen, entschuldigte sich auch gegen die
Seeleute auf das herzlichste, daß er solch tolles ungereimtes Zeug gegen
sie ausgestoßen und versicherte sie, er habe in demselben Augenblick
gefühlt, was er thue, und sei doch nicht im Stande gewesen, seine Zunge
zurückzuhalten. Viel wurde dabei über die verschiedenen Namen gelacht,
die besonders der Steuermann abwechselnd erhalten hatte, und die kleine
Gesellschaft in der Cajüte des »Oporto« amüsirte sich vortrefflich.

In der Höhe von Chiloe bekamen sie plötzlich eine längere Windstille,
die See lag still und regungslos, nur in ihren ewigen, nie unterbrochenen
Schwellungen, und die Segel flaggten schwerfällig gegen den Mast und das
stehende Takelwerk des Schiffes an. Die Seeleute sagen in solchem Fall
»Reepschläger und Segelmacher (Reepschläger: der Seiler oder Taumacher)
prügeln sich« und sind schrecklicher Laune, und so große Erholung ein
solcher Zustand gewöhnlich den früher von der Seekrankheit schwer
Heimgesuchten gewähren mag, so entsetzlich wird er auf die Länge der
Zeit für den Gesunden, der mit einer förmlich verzweifelten Sehnsucht
nach Ost und West, nach Nord und Süd ausschaut, nur von irgend einer
Seite her, gleichviel von welcher, das Wasser dunklen und die Brise
ankommen zu sehen. Selbst der schlechteste Wind wird in einer solchen
Zeit einer totalen Stille vorgezogen; man will nur _Bewegung_ im Wasser,
nur _Leben_ und gerade das Gefühl vielleicht, so ganz machtlos dem
schläfrigen Element zum Spiel zu dienen, sogar Nichts thun zu können,
einem derartigen Zustand zu entgehen, ist es, das den Körper zuletzt
förmlich aufreibt.

Es läßt sich denken, daß in einem solchen Fall auch das geringste
Außergewöhnliche, was die traurige Monotonie der See unterbricht,
freudig bewillkommt wird -- der ferne Strahl eines Wallfisches wird ein
Moment, eine andere Art von Möve, Albatroß oder Schwalbe sind froh
begrüßte Gäste. -- Springer, jene große Art von Fischen, die der
deutsche Matrose etwas prosaisch nach dem Schweine nennt, weil sie
einen ähnlichen scharfen Rüssel haben -- zeigen sich in weiter Ferne,
und selbst der Streifen wird betrachtet, den sie im Wasser ziehen
-- kräuseln sie doch die Oberfläche des Meeres und das Auge täuschte
sich sogern mit einer kommenden Brise.

Das wichtigste Ereigniß in einer solchen Zeit ist aber das Erscheinen
eines Haifisches, dieses gefräßigen Piraten der Tiefe, und der Mann am
Steuer, der schläfrig am Rade lehnt und das Ruder bald auf diese bald
auf jene Seite legt, das Schiff demselben gehorchen zu lassen und sich
dann zu ärgern, wenn es sich nur faul und langsam eben um den ganzen
Kompaß herum treibt, dreht fortwährend den Kopf nach allen Richtungen
hin, und beobachtet die blanke Spiegelfläche des Wassers, irgend einen
dunklen Punkt zu erkennen, der der Flosse eines anschwimmenden Haies
gleiche. Der Schatten irgend einer sich etwas höher hebenden Schwellung,
das Aufschlagen eines kleinen Fisches, ein müder Wasservogel, der seine
Schwingen auf der glatten Fläche gefaltet hat, und mit dieser steigt und
sinkt, faßt und hält dabei der rasche Blick -- höher richtet er sich
auf, und die Augen mit dem ausgestreckten Arm gegen das blendende Licht
des blitzenden Strahles schützend, den die Sonne auf die Silberhaut des
Meeres wirft, schaut er lange und forschend nach dem verdächtigen Punkt
hinüber. Wieder und wieder getäuscht, läßt er endlich sogar sein Ruder
eine Weile im Stich -- bei Windstille kommt's nicht so genau darauf
an, und der Mann steht wirklich manchmal Tage lang nur zum Staat dabei
-- geht an den Heck und schaut, soweit er möglicher Weise sich kann
hinüberbiegen, nach dem von crystallreinem Wasser umspielten Ruder, das
sich nach unten zum schönsten herrlichsten Dunkelblau schattirt, und
beobachtet kurze Zeit den deutlich sichtbaren Kiel des Schiffes, denn
der Hai treibt sich oft tief unter dem Schiff herum, auf Beute lauernd,
die vom Bord zu ihm herausfallen möchte. Das schwarzlackirte, von der
Sonne gedörrte Holz der Schanzkleidung, auf die er sich gelehnt, brennt
aber zu sehr -- er hält es nicht lange aus und tritt wieder an sein
Ruder zurück -- ein frisches Priemchen seine einzige Erholung.

»#Shark-oh#!«[5] ruft da eine Stimme von der Bramraae herunter; Einer
der Leute hatte etwas an dem oberen Tauwerk auszubessern gehabt und
sein Arm deutet, während er spricht, den zu ihm rasch Aufschauenden die
Richtung an, in der sich das Unthier faul und wohlgefällig in der warmen
Fluth wälzt und schaukelt.

  5: »Hai-oh!«

Im Nu ist die Lethargie der ganzen Mannschaft abgeschüttelt, der Koch
bringt ein Stück gesalzenen Speck als Lockspeise für den Raubfisch, der
Steuermann kommt mit dem wohleingeölten und blankgehaltenen Haken, an
das der Erstere rasch den Speck befestigt -- der Wirbel am Haken muß
sich wohl drehen, denn wie ein Quirl schleudert sich das Unthier herum,
wenn es sich gefangen fühlt -- und das Eisen über Bord geworfen, drängt
Alles nach hinten, die Bewegungen des Fisches, wie er sich nähert oder
theilnahmlos an dem für ihn ausgehangenen Gericht vorbeitreibt, zu
beobachten.

Der Matrose haßt nun überhaupt einen Hai; es ist dieß sein angeborener
erbarmungsloser Feind, der mit den kaltblitzenden grünen Katzenaugen
fortwährend nach Beute ausschauend, faßt, was er eben erreichen kann,
und mit dieser ewigen Raubgier Schnelle und furchtbare Stärke verbindet.
Er beißt auch weniger, als daß er das mit den Zähnen erfaßte förmlich
_ausdreht_, wenn der Gegenstand zu groß ist, ihn gleich ganz zu
verschlingen, und wenn selbst nicht gleich getödtet, ist der unglückliche
Seemann, dem der Hai erst einmal Arm oder Bein gefaßt hat, auch meist
rettungslos verloren. Was Wunder also, daß der Fang eines solchen
Ungethüms stets mit Jubel, begrüßt wird, und selbst sonst ganz gutmüthige
Seeleute die sich wenigstens nie dazu verstehn würden, einen Hund oder
ein anderes Thier muthwillig zu quälen, mißhandeln mit wahrer Wonne
einen gefangenen Hai oder schneiden ihm wohl auch gar den Schwanz ab,
und werfen ihn wieder über Bord, wo er dann bald im Wasser elend
umkommen muß.

Die Seeleute haben Grund ihn zu hassen und thun es von ganzer Seele;
wunderbar aber war die Wuth, die der junge Spanier auf diese Fische
hatte; halbe Tage lang saß er im Mast, nach ihnen auszuspähen, und
war der Fang endlich geglückt, die das Deck peitschende Bestie an
Bord gezogen und hielten sich die Leute noch scheu zurück, von dem
schlagenden Schwanz nicht getroffen zu werden, sprang er, der Erste
hinzu, ihm sein Messer in die Kiemen zu stoßen, daß er dann, trotz dem
wüthenden Springen und Schnappen des gepeinigten Thieres, darin hin und
her wühlte, bis der Fisch, durch Blutverlust und Anstrengung erschöpft,
regungslos liegen blieb. Waren es junge Thiere, so wurden sie gewöhnlich
später gebraten, aber nie konnte Don Gaspar, wie wir ihn denn auch von
jetzt an nennen wollen, bewogen werden, das Fleisch auch nur zu kosten
-- und einen solchen Widerwillen fühlte er dagegen, daß er nicht einmal
in der Kajüte blieb, so lange es auf dem Tische stand.

In dieser Zeit war es, daß ein ungewöhnlich großer Hai von der Bramraae
angerufen wurde und nicht lange, so kam das Ungeheuer der Tiefe, ein
Bursche von fast achtzehn Fuß Länge und von ganz außergewöhnlicher
Stärke heran, den Haken einzuschnappen, den der Steuermann jetzt rasch
anfing einzuziehen, da gar keine Hoffnung da war, ein solch riesiges
Ungethüm selbst mit drei solchen Haken nur zu halten, viel weniger
an Bord zu holen. Kaum aber sah der Fisch den weißen Speck vor sich
hinschießen, den er jetzt wohl in der Eile für einen flüchtigen
Fisch halten mochte, als er einen Schlag in das Wasser that, mit
Pfeilschnelle hinter der vermeintlichen Beute herschoß und sie
verschlang.

Jetzt begann ein toller wilder Jubel am Bord, der aber auch wieder von
Lachen und Verwünschungen unterbrochen wurde, denn wenn der Hai nur im
mindesten seine Kraft gegen das, was ihn hielt, gewandt hätte, mußte
Haken oder Tau brechen und reißen; der gefangene Fisch begnügte sich
aber, sich herumzuwirbeln und dadurch dem Eisen zu entgehen, das ihm
anfing, unbequem zu werden und mehr und mehr zogen sie ihn indessen
dem Heck des Schiffes näher, wo der Capitain schon eine Harpune bereit
hielt, ihn zu werfen und dadurch vielleicht zu sichern.

Don Gaspar war außer sich, er sprang und jubelte, kletterte an den
Besahnwanten[6] hinauf und wieder hinunter und flog nur manchmal mit an
das Tau, das die ganze Mannschaft fest gepackt hielt, um zu fühlen, ob
der Fisch noch sicher daran sei. Endlich brachten sie ihn glücklich
in Wurfsnähe der Harpune, der Capitain, ein alter Wallfischfänger,
schleuderte das Eisen mit Kraft und Sicherheit und die scharfen
Widerhaken drangen selbst durch die horngleiche Haut des Ungethüms
tief in das Fleisch des Halses ein. Die nächsten Minuten hiernach war
Nichts zu sehn als Schaum, so peitschte das Ungethüm die Wogen, und der
Schwanz stieg manchmal wie der Kopf einer riesigen Schlange empor, und
schmetterte dann mit furchtbarer Kraft in die kochende Wassermasse
zurück. Aber das Eisen hielt und nur durch die entsetzlichen Anstrengungen
des zur tollsten Wuth gereizten und vom Schmerz gepeinigten Thieres,
arbeitete sich die Wunde größer und größer, und als sich das Wasser
etwas beruhigte, rief der alte Steuermann, sie würden ihn doch noch
verlieren, denn so bald er noch einmal anfange und hätte keine Schlinge
um den Schwanz, müsse er sich frei machen.

  6: Besahnwanten, das stehende Tauwerk des hinteren Mastes, das
     diesen hält und zugleich zur Strickleiter dient.

Der Koch schlug jetzt, um das Tau der Harpune selber herum, eine
Schlinge, diese auf den Kopf des Haies niederfallen zu lassen, und um
ihn herum zu bekommen. Der gefangene Fisch fing aber aufs Neue an zu
schlagen -- und wenn auch die Schlinge dabei schon über den Kiemen lag,
mußte sie doch wieder abrutschen, sobald aufgeholt wurde.

Don Gaspar zitterte während der Zeit am ganzen Körper von innerer
Aufregung, er schrie und lachte, wenn der Fisch ruhig blieb und der
Koch mehr mit der Schlinge nach rückwärts kam, und tobte und wüthete
förmlich, wenn das Unthier sich wieder zu befreien drohte. -- Alle
möglichen Anordnungen gab er dabei und der Koch, so vielen Respekt er
sonst vor dem Quarterdeck hatte, wurde endlich so ärgerlich, daß er
ausrief --

»Das Schwatzen soll der Teufel holen, geht hinunter und schiebt das Tau
über, und die Satansbestie soll bald hier oben liegen -- da -- da geht's
wieder an -- na, jetzt ist die Geschichte vorbei, diesmal haut er sich
frei.«

Don Gaspar war auf den Rand der Brüstung gesprungen und schaute lautlos
aber mit funkelnden, glühenden Augen in die Tiefe.

»Nehmen Sie sich in Acht, Herr!« rief ihm der Steuermann zu -- »wenn Sie
hinabfallen, kommen Sie in einen heißen Platz!«

Der Spanier hörte ihn nicht. --

»Lockert das Tau mit dem Haken, Leute!« -- schrie da der Kapitain
-- »verdamm es, Ihr zieht zu fest -- die Bestie bricht -- da -- da habt
Ihr's -- der Haken ist ausgerissen -- holla, was ist das -- Don Gaspar
-- was in des Teufels Namen!«

Sein Ausruf erstarb in einem Schrei des Erstaunens der ganzen
Mannschaft, denn ehe Leifeldt, der auf der anderen Seite des Schiffes
stand, und ebenfalls mit gespannter Aufmerksamkeit die furchtbaren
Kraftanstrengungen des gefangenen und zur grimmigsten Wuth getriebenen
Fisches beobachtet hatte, es verhindern konnte, faßte der junge Spanier,
den Hut zurück an Deck werfend, das Tau, an dem die Harpune befestigt
saß, und glitt an diesem nieder in die jetzt wieder aufkochende,
spritzende See, in der sich das tödtlich getroffene Unthier, nur noch
von der Harpune allein gehalten, wälzte. --

»Halten Sie sich am Tau fest, -- um Gottes Willen nicht tiefer! -- er
schlägt Ihnen ein Bein entzwei -- biegen Sie sich das Tau unter den
Ellbogen!« Das waren die Rufe oder Schreie vielmehr, die von allen
Seiten gleichzeitig ausbrachen, und Leifeldt selber rief entsetzt den
Tollkühnen bei Namen und beschwor ihn bei allem, was ihm heilig sei,
zurückzukehren. Hörte es aber schon nicht mehr, in der furchtbaren
Erregung des Augenblicks, was um ihn her vorging, oder wollte er den
Warnungsruf nicht beachten, denn ohne auch nur abzuwarten, bis sich das
Ungeheuer der Tiefe, jetzt dicht unter ihm, in etwas wieder beruhigt
hätte, glitt er nieder, und verschwand im nächsten Augenblick fast unter
dem aufkochenden Schaum. --

»Nieder mit dem Boot!« übertönte des Kapitains ruhige Stimme in dem
Augenblick den Lärm -- »nach vorn, Ihr Leute, nach vorn und hinunter mit
dem Boot, so rasch Ihr könnt -- halt, Koch, Ihr bleibt hier -- da, macht
eine andere Schlinge aus dem Bramfall dort -- vielleicht können wir ihn
hier wieder zu halten bekommen -- wenn ihn der Hai nicht mitnimmt,« und
mit einem leise gemurmelten Fluch über die kecke Tollheit eines solchen
Wagnisses, bog er sich wieder hinten über, das Resultat desselben mit
anzusehen.

Don Gaspar war indessen einer solchen Gefahr keineswegs unbefähigt
in die Arme gesprungen; so exaltirt er sich oben an Deck gezeigt, so
ruhig und umsichtig bewies er sich hier unten, und während er für einen
Augenblick festen Fuß auf dem Fisch selber zu fassen suchte, ließ er mit
der linken Hand das Harpunentau keineswegs los, das ihn auch, vorn am
Kopf des Haies hielt und vor den furchtbaren Schlägen des Schwanzes
sicherte. Trotzdem aber, daß ihm die Füße abglitten auf dem schlüpfrigen
Hals, schien er nur das eine Ziel im Auge zu haben, die Schlinge zu
festigen und unbekümmert um jede Folge, ließ er sich vollkommen auf den
Hai hinunter, faßte das Tau und unter dem Kopf der wüthenden Bestie mit
der Hand niederfahrend, hatte er die Schlinge schon erreicht, als die
Harpune ausriß und diese sich, von oben natürlich gehalten, plötzlich
anstraffte.

Die Männer an Bord standen starr vor Schrecken, und wußten nicht, ob
sie anziehen oder loslassen sollten, denn jetzt hatten sie noch das
Unthier in ihrer Gewalt, glitt es aber aus dem Knoten heraus, so war
der tollkühne Passagier ihm rettungslos anheim gegeben.

Der Hai selber machte diesem peinlichen Moment ein Ende -- vorwärts
schießend, fühlte er sich durch das Tau gehemmt, das ihn auch um die
Kiemen preßte, und während Don Gaspar, durch die rasche Bewegung das
Gleichgewicht verlierend, ihn mit beiden Armen umschlang, fuhr er
zurück, wirbelte sich ein paar Mal um sich selbst herum -- und war
_frei_.

Der Spanier wäre jetzt verloren gewesen, denn das gereizte Thier schoß,
den Druck auf sich noch immer fühlend, nach vorn, so daß der kecke Jäger
natürlich der gegen ihn anpressenden Wassermassen nicht widerstehen
konnte, loslassen mußte. Im Anfang schien es auch, als ob es gegen
die Gewalt, die ihm geschehen, ankämpfen wollte, denn kaum von dem
Gewicht befreit, wandte es sich scharf gegen seinen vorherigen Reiter
um, ohne diesen aber auch nur im mindesten zu schrecken, oder seine
Geistesgegenwart zu berauben. -- Im Begriff, von dem Ungethüm
fortzuschwimmen, wandte Don Gaspar nämlich den Kopf nach ihm um, und sah
kaum die drohende Bewegung, als er ebenfalls Front gegen den Hai machte,
das einzige zu versuchen, was ihm übrig blieb -- drohend gegen den
Ankommenden anzuschlagen, und ihn so zurückzuschrecken. Zu seinem Glück
sollte er aber nicht zu einem solchen und in der That verzweifelten
Kampf gezwungen sein, denn den Hai selber verließen die Kräfte. Der Wurf
der Harpune war tödtlich gewesen, und plötzlich, als Alle an Bord auch
schon in peinlicher Angst und Spannung den ersten Anprall des Thieres
gegen sein Opfer zu sehn erwarteten, bog der Hai seitwärts ab, und fing
an, sich, ohne den Ort zu verlassen, auf dem er stand, wenige Minuten
förmlich im Kreis herumzudrehen. --

Zu derselben Zeit war das Boot auch endlich niedergelassen und schoß,
von vier Riemen (Ruder) getrieben, rasch herbei. Don Gaspar aber,
anstatt ihm entgegenzuschwimmen und der furchtbaren Gefahr zu entgehen,
der er bis dahin ausgesetzt gewesen, strich aus und zwar gerade der
Stelle zu, wo der Hai blutige Kreise in der klaren blitzenden Fluth zog.
Zwei Lootsenfische, die sich bis jetzt, trotz des tollen Kampfes, in der
Nähe ihres früheren Beschützers muthig gehalten, schossen vor und rasch
wieder zurück, einer Gefahr zu entgehen oder auch, wie man ja behaupten
will, dem Hai die Nähe leicht zu gewinnender Beute zu melden; aber
dieser fühlte und sah nicht mehr, was um ihn her vorging -- tiefer
und tiefer senkte er sich in seinem Ringen, immer langsamer wurde der
Flossenschlag, und als Don Gaspar, von dem Boot jetzt fast erreicht,
über der Stelle hielt, und nieder schaute, sah er eben noch, wie sich
der weiße Bauch des _todten_ Fisches aufdrehte und langsam, langsam in
blauer Tiefe verschwand.

Gleich darauf faßte der Steuermann den Kragen des Spaniers und zog ihn
mit einem herzlichen »Ich will verdammt sein, wenn mir so ein Mensch
schon vorgekommen ist,« in das Boot hinein, rasch dann zum Schiff
zurückrudernd, als ob er wirklich fürchtete, daß ihm das tollkühne
Menschenkind noch einmal über Bord springen könne.

Don Gaspar war zum Tode erschöpft, als er das Schiff wieder erreichte,
und Leifeldt machte ihm wirklich ernstliche Vorwürfe, sein Leben in so
rasender, unüberlegter Weise, einem Fisch gegenüber, auf's Spiel gesetzt
zu haben, wo ihn wirklich nur ein Wunder erhalten haben mußte. Don
Gaspar versicherte ihm aber so hoch und theuer, daß er, in der Erregung
des Augenblicks wirklich gar nicht gewußt habe, was er thue, und
versprach ihm so heilig, solche tolle Streiche nicht wieder zu machen,
daß er sich endlich beruhigte und der Kapitain mit einer tüchtigen Bowle
Grog den Frost des Gebadeten wie den Schreck der Übrigen vergessen
machte.

Den Abend schon erhob sich aber eine leichte Brise, die während der
Nacht schärfer und schärfer anwuchs und zuletzt in einen tüchtigen
Südosten ausartete, mit dem sie rasch ihrem Ziele entgegenhielten.




4.

Ankunft in Valparaiso. -- Hülfe in der Noth.


Der »_Oporto_« erreichte am 42. Tag nach seiner Ausfahrt von
Buenos-Ayres den Hafen von Valparaiso und Leifeldt und Don Gaspar
mietheten sich im Hotel de Chile ein. Der Letztere hatte aber kaum seine
nöthigen Einkäufe an Kleidern und Wäsche besorgt, da er sich bis dahin
nur mit dem Nothwendigsten begnügen mußte, das Leifeldt noch in der
letzten Zeit in Buenos-Ayres für ihn eingekauft, als er auch ausging,
um, wie er sagte, ein paar Verwandte, ein paar Freunde aufzusuchen oder
ihnen wenigstens nachzuforschen, die sich vor Jahren nach Valparaiso
gewandt hatten und hier doch vielleicht noch aufzufinden waren. Der
junge Arzt blieb zurück, die eigene Wohnung ein wenig behaglich
einzurichten.

An dem nämlichen Morgen, etwa um elf Uhr, ließ sich ein junger Mann
unter dem Namen de Monte Sylva bei dem Consul der Argentinischen
Republik anmelden, und wurde von diesem auf das Zuvorkommenste
empfangen.

»Es ist ein Fest für uns hier,« sagte der Consul nach den einleitenden
Redensarten und Begrüßungen, mit einer freundlichen Verneigung gegen
seinen Besuch, »wenn wir Buenos-Ayres-Leute an der Westseite der
Cordilleren im Winter einmal Nachricht vom Mutterlande bekommen. Der
Correo[7] wagt sich nur selten über den Schnee, und muß diese Kühnheit
noch dazu manchmal theuer genug büßen, und Schiffe von dorther sind
auch in dieser letzten Zeit ziemlich selten gewesen; Buenos-Ayres bietet
wenig oder gar Nichts, was wir von dort hieher führen könnten, die
Passage nach dem Norden ist auch schwach, und all die Wallfischfänger
die wir vom Atlantischen Meer herüberkriegen, denken natürlich gar nicht
daran, Zeit und Schiff zu wagen, besonders in dieser Jahreszeit in den
von Sandbänken und Pamperos so sehr gefährdeten La Plata einzulaufen.
Bringen Sie uns Neuigkeiten von Buenos-Ayres?«

  7: #Correo#, der Postcourier.

»Gar Nichts von Bedeutung« erwiderte Don Gaspar de Monte Silva
achselzuckend. -- »Se. Excellenz führt den trostlosen Krieg gegen
Monte-Video fort, nur, wie es scheint, die Einwohner jener Districkte in
Bewegung zu halten, -- Engländer und Franzosen protestiren fortwährend,
und die Sache bleibt eben beim Alten. Man sprach allerdings in
Buenos-Ayres von einem erhofften Friedensabschluß, so viel ich aber habe
erfahren können, scheint mir die Sache noch in weitem Felde. -- Haben
Sie viele Bewohner von Buenos-Ayres hier?«

»Nein -- und doch ja, sie sind hie und da ziemlich durch die ganze Stadt
zerstreut, aber wenn nicht auf der Börse, bekommen wir einander wenig
genug zu sehen. -- Haben Sie Bekannte hier?« --

»Sehr wenige, -- lebt noch ein Kaufmann Don Rodriguez hier, der vor etwa
drei Jahren herüber zog?« --

»Nein,« erwiederte der Konsul, nach einigem Besinnen -- »wenn ich nicht
irre, ist derselbe, aber schon vor längerer Zeit, nach Lima gegangen
-- er soll dort in eine andere Geschäftsverbindung getreten sein.«

»Vor kurzer Zeit ist ja wohl auch, im Auftrag der Föderation ein Señor
-- Señor -- wie war doch gleich sein Name?« --

»Don Luis de Gomez?« sagte der Konsul, »nicht wahr, Sie meinen Don Luis,
-- fehlt Ihnen etwas, Señor?« unterbrach er sich plötzlich selbst und
sprang auf, denn das Antlitz des jungen Mannes überflog Leichenblässe.

»Ich darf Sie wohl um ein Glas Wasser bitten, Señor,« sagte Don
Gaspar, rasch aufstehend und zum Fenster tretend, »es ist das eine Art
Herzbeklemmung bei mir, der ich allerdings manchmal unterworfen bin, die
aber auch so rasch vorüber geht, wie sie gekommen.«

»Ist Ihnen nicht lieber ein Glas Wein gefällig?« bat der Argentiner,
eine Caraffe und ein Glas von einem Ecktisch nehmend und rasch
einschenkend, »es wird Ihnen weit besser bekommen.« --

Don Gaspar leerte das ihm gebotene Glas mit einer dankenden Verbeugung
auf einen Zug, und sagte dann lächelnd:

»Es ist schon vorüber -- der rasche Wechsel von See- und Landluft
bringt bei mir sehr häufig solche Wirkung hervor, die sich sogar schon
einige Mal bis zur Ohnmacht gesteigert hat, ohne jedoch auch nur die
geringsten Nachwehen zu hinterlassen -- aber von was sprachen wir
doch? --«

»Ich weiß es jetzt wahrhaftig selber nicht mehr,« lachte der Konsul,
»doch ja -- von unseren Landsleuten -- von Don Luis de Gomez -- kennen
Sie ihn?« --

»Nur oberflächlich,« erwiederte Don Gaspar gleichgültig, aber die Hand,
mit der er seine Stuhllehne gefaßt hielt, wurde todtenweiß. »Er soll
hierher gegangen sein.«

»Allerdings,« erwiederte der Konsul, »wenn auch nicht für den Augenblick
--«

»So ist er gegenwärtig nicht in Valparaiso?« -- frug Don Gaspar rascher
und lebendiger als vorher.

»Nein -- wünschten Sie ihn zu sprechen?«

»Das gerade nicht -- aber ich glaubte nur --«

»Er ist nach Lima gegangen,« sagte der Konsul, »aber ich erwarte ihn
fast mit jedem Schiff zurück, das von dort her kommt. Es war gar nicht
seine Absicht, so lange dortzubleiben, aber wenn ich nicht irre, war ihm
seine Frau dort erkrankt, was seine Abreise verzögerte. Sein letzter
Brief meldet ihn übrigens bestimmt auf Mitte dieses Monats an.«

Don Gaspar war ans Fenster gesprungen, nach einem rasch vorbei
galoppirenden Reiter zu sehen -- er faßte die Fensterbrüstung, sich
gewaltsam zu sammeln. --

»Nicht wahr, die Namen der ankommenden Passagiere werden in den
Zeitungen veröffentlicht?« frug er nach einer kleinen Weile, indem er
seinen Hut ergriff, sich wieder zu empfehlen.

»Allerdings,« erwiederte der Konsul, »wenn auch nicht gerade so ungemein
pünktlich, denn oft werden Namen ausgelassen, noch öfter falsch
gedruckt -- aber wenn es Sie interessiren sollte --«

»Ich danke Ihnen herzlich,« unterbrach ihn jedoch der junge Mann rasch;
»es ist eigentlich bei mir nur Neugierde, oder vielleicht doch ein etwas
edleres Gefühl, das nämlich, sich in einer fremden Stadt, fern von der
eigenen Heimath, nach solchen zu sehnen, die einst in einem, jetzt
leider fern gelegenen Land dieselbe Luft mit uns geathmet haben.«

»So wiederholen Sie dann wenigstens bald Ihren Besuch,« sagte der
Konsul, ihm freundlich die Hand reichend, »Sie werden mir immer
willkommen sein, das schöne Wetter jetzt bringt uns auch vielleicht den
Correo über die Gebirge, und dann bekommen wir frische Nachrichten von
der »Hauptstadt«.«

Don Gaspar dankte ihm herzlich, aber es war fast, als ob ihn eine
merkwürdige Unruhe erfaßt habe, er suchte augenscheinlich rasch ins
Freie zu kommen und hatte kaum die Thüre hinter sich ins Schloß
gedrückt, als er auch die Straße schnell hinunterschritt und um die
erste Ecke rechts dem Wasser zu niederbiegend, den Weg hinaus, der zu
dem Leuchtthurm führte, und von wo man die See weit überschauen konnte,
mehr lief als ging. Der Konsul blieb aber, als jener die Stube schon
verlassen, noch eine ganze Weile im Zimmer stehen, und sah nachdenklich
vor sich nieder, endlich aber, den Kopf schüttelnd und aus seiner Tasche
eine silberne Dose nehmend, setzte er sich lächelnd nieder an seinen
Schreibtisch, und murmelte nur leise vor sich hin:

»Ein wunderlicher Kauz!«

Don Gaspar nahm sich nicht einmal Zeit Athem zu schöpfen, bis er die
Höhe erreicht hatte, auf welcher der Leuchtthurm stand, und von wo aus
man die weite See nach Norden, Westen und Süden trefflich überschauen
konnte. Hie und da waren einzelne Segel -- glänzend weiße Punkte auf dem
dunkelblauen Grunde -- am Horizont sichtbar; eine Brigg arbeitete sich
aus dem Hafen heraus und suchte das Weite, und ein kleiner Schuner kam
mit geblähter Leinwand von Westen herüber, wahrscheinlich von den Inseln
Cocosnußöl und Perlmutterschalen gegen Kattune, Messer, Beile und
Glaskorallen umzutauschen.

Der junge Spanier blieb wohl eine Stunde lang auf diesem, Nachmittags
von der schönen Welt Valparaisos so gern besuchten Ort, dann aber, als
ob dem ersten Drängen seines Herzens, das ihn hier hinauf trieb, nach
nahenden Segeln auszuspähen, Genüge geleistet wäre, stieg er langsam die
nächste Quebrada oder Schlucht nach der Stadt zu wieder nieder. Durch
die Calle San Francisco die Marktstraße erreichend, wollte er dieser
aufwärts folgen, als er angerufen wurde und Leifeldt erkannte, der,
ebenfalls in der Stadt ohne besonderen Zweck herumschlendernd, ihn bat,
mit ihm die Almendral[8] nieder zu gehen, an deren unterem Ende ein erst
kürzlich hier angekommener englischer Arzt wohnen solle, den er zu
sprechen wünschte.

  8: #Almendral#, ein bedeutender Stadttheil Valparaisos.

Die Hauptstraße der Stadt zieht sich hier dicht unter dem felsigen
Fuß eines Hügels hin, auf dessen Kuppe der katholische Gottesacker
Valparaisos, Stadt und Hafen weit überschauend, liegt, und so schmal
für die Passage dem Berge abgewonnen ist, daß dem Strand gegenüber nicht
einmal eine Reihe Häuser oder Hütten gebaut werden konnte, sondern der
nackte Fels den schmalen Fahrweg schroff und scharf begrenzte.

Es war indessen schon weit im Tag vorgerückt und Mittag längst vorüber;
die Straße hier belebte sich auch mehr und mehr; viele Reiter, mit
ihrem wunderlichen chilenischen Reitzeug, den kolossalen hölzernen
Steigbügeln, riesigen Sporen und hochaufgepolsterten Sattel, von blauen
und grünen Panchos umflattert, trabten daher, denn der Galopp ist in
der Stadt verboten, zweispännige offene Droschken oder Fiakre, das eine
Pferd in der Gabel gehend, das andere am festgeschnürten Gurt befestigt,
rasselten vorüber, und eine Menge Fußgänger schlenderten langsam meist
alle dem Leuchtthurm-Plateau zu, dort einen Blick über die See zu haben,
auch wohl kleine Picknicks zu arrangiren und mit der Abendkühle ihren
Häusern wieder zuzuwandern.

Die beiden Freunde schritten langsam das Trottoir nieder, die
verschiedenen Gruppen beobachtend, die ihnen begegneten, und so finster
und selbst niedergeschlagen Don Gaspar im Anfang gewesen war, als ihn
Leifeldt zuerst traf, so schien der düstere Sinn in dem lebendigen
Treiben, das sie hier umgab, bald wie eine Sommerwolke an der Sonne
vorüber von seiner Stirn zu fliehen.

Leifeldt hatte diesen raschen Wechsel seines Temperaments übrigens schon
so häufig Gelegenheit gehabt zu beobachten, und selbst Don Gaspar,
darauf aufmerksam gemacht, gestand das ein, behauptete aber auch, der
Aufenthalt in seinem früheren Gefängnisse trage dabei viele, wenn
nicht die einzige Schuld; es überkomme ihn noch manchmal ein wildes,
beängstigendes Gefühl, das er nicht abzuschütteln vermöge, wie mit einem
Centnergewicht läge es dann auf ihm, und er könne kaum athmen unter der
Last. Wie ein kräftiger Windstoß aber die düsteren Schranken der Gebirge
mit _einem_ kräftigen Zuge aus den Schluchten drängt, und über die Ebene
weht, so sei ein Sonnenblick, ein freundliches Gesicht, das fröhliche
Lachen eines Menschen oft im Stande, all diese düstere Schwermuth zu
zerstreuen, und Tage lang fühle er sich dann so wohl, als ob er wieder
einmal von einer recht schweren Krankheit genesen wäre.

»Und wie gefällt Ihnen die schöne Welt in Valparaiso, Gaspar?« frug
Leifeldt den jungen Mann, als gerade ein ganzer Zug von Damen lachend
und scherzend an ihnen vorüber schritt.

»Gut!« sagte der junge Mann freundlich, »es sind liebe, gutmüthige
Gesichter darunter, und das rege Feuer, das all unseren südlichen
Stämmen eigen ist, verleiht ihnen noch einen weit besonderen Reiz.
-- Ich weiß nicht, ich habe mich nie viel mit den kalten Nordländerinnen
befreunden können; sie sind schön und tugendhaft, ich zweifle nicht
daran, aber mir scheint es fast, als ob ihnen ein Herz fehle, ihren
Augen Leben, ihren Lippen Farbe zu geben, und mir selber ist es, einer
der nordischen Schönheiten gegenüber, fast stets zu Muthe, als ob ich
vor einer wundervollen Statue stehe, die mein Auge fesselt, mein Herz
aber kalt läßt, wie der Marmor selber, aus der sie besteht.«

»Das aber dürfen Sie nicht von _Allen_ sagen,« lachte Leifeldt,
»sehen Sie z. B. das reizende Wesen, das uns hier gerade mit dem
kleinen Knaben, vielleicht einem Bruder, entgegenkommt -- das müssen
Engländerinnen sein, aber ich habe wahrlich nie im Leben ein schöneres
Mädchen gesehen.«

Don Gaspar folgte mit seinen Augen der ihm von Leifeldt angegebenen
Richtung und sah ein wirklich reizendes junges Mädchen die Straße herauf
und ihnen entgegenkommen. Sie hatte eine alte, wie es schien kränkliche
Dame, die sie sorgsam leitete, am Arme, und ein kleiner, vielleicht
dreijähriger Knabe lief vor ihnen her.

»Sieh, Jenny, liebe Hündchen da drüben,« sagte der Kleine plötzlich in
seinem noch halbgebrochenen Dialekt zu der Jungfrau, und zeigte mit dem
einen dicken Patschchen nach der Straße hinüber, auf der ein schwarzes
Wachtelhündchen nach einem eben landenden Boot laut hinunterkläffte und
sprang, und mit dem Schwanze wedelte -- »das hol ich mir.«

Die Freunde waren indessen bis dicht vor die beiden Damen gekommen, und
als sie, ihnen Raum machend, vorüber schritten, sagte Jenny, wie sie von
dem kleinen Burschen angeredet worden, ermahnend:

»Laß das Hündchen, Bill, es könnte Dich beißen -- und Du darfst auch
nicht allein auf den Fahrweg gehen -- komm her zu mir.«

Es ist unbestimmt, ob Bill die Warnung hörte, oder nicht, aber darauf
achten that er keineswegs, denn das Hündchen war gar zu lieb und herzig,
und Bill mochte das Langsamgehen hinter der alten, kranken Großmutter
her auch schon herzlich satt bekommen haben; so unter den Händen fort,
mit den kleinen unbehülflichen Beinchen lief er hinaus, den lebhaften
schwarzen Burschen da vorn zu sich heran zu holen.

»#Guardar se -- guardar se!#«[9] schrie es in dem Augenblick die Straße
nieder und lautes Wagengerassel wurde hörbar.

  9: Vorsehen.

»Bill!« rief die Stimme des jungen Mädchens in Todesangst, als sich
dieses umschaute, und das Kind auf der Straße sah, ohne im Stande zu
sein die Mutter loszulassen, »Bill, #for God's sake#.«[10]

  10: Um Gottes Willen.

Leifeldt und Don Gaspar waren bei dem Schreckensruf rasch stehen
geblieben, und der letztere machte sich von Leifeldts Arme los, die
Straße freier überschauen zu können. Aber sie brauchten nicht lange
auf die Ursache des Tumultes zu warten, denn fast in dem nämlichen
Augenblick donnerte auch schon eine der gewöhnlichen Droschken, von
den rasend gewordenen Pferden in vollem Carrière mit fortgerissen,
die Straße hinauf und Leifeldt erkannte mit Entsetzen, wie der nächste
Moment hier an dem engsten Paß des ganzen Weges, das Kind unter den Hufen
der wild aushauenden Renner zerschmettern müsse. Ehe auch nur Jemand im
Stande gewesen wäre, hinauszuspringen, das Kind der Gefahr zu entreißen,
brausten die wüthenden Thiere heran, und ein allgemeiner Schrei des
Entsetzens rang sich schon aus der Brust der zitternden Zuschauer,
die wirklich ganz die eigene Gefahr in dem gewiß vorauszusehenden
Untergang des Kindes vergaßen, als sich Don Gaspar, ohne Laut, ohne
Ruf, die Gefahr nicht kennend, der er sich aussetzte, oder sie total
verachtend, von dem Trottoir hinüber und schräg an gegen den Kopf des
Sattelpferdes warf, daß dieses im Ansprung hoch auffuhr und nach ihm
niederhieb. Hatte aber das andere Pferd den ausgestreckten linken Arm
des Anspringenden gesehen, oder fühlte es den plötzlichen Druck des
gegengeworfenen Gewichts, aber es fuhr rechts hinüber, und während Don
Gaspar den Zügel des Thieres in der Aufregung des Moments viel zu fest
ergriffen hatte, so rasch wieder loslassen zu können, rissen ihn die
wüthenden Thiere mit über die niedere hölzerne Barrière hinüber, die
vor ihrem Anprall zusammenbrach, der Wagen schmetterte und bröckelte
hinterdrein, und während das wüthende Gespann über die rauhen, hier
aufgeworfenen Steinmassen setzte, und vergebens versuchte, das zwischen
den Steinen hängenbleibende Vordertheil des zerstückelten Wagens rasch
genug herumzubringen, dem jetzt so unverhofft vor ihnen ausdehnenden
Wasser zu entgehen, in das sie gleich darauf mehr hinein stürzten, als
sprangen, sank auch Don Gaspar, blutend und ohnmächtig auf dem Damme
nieder, -- aber das Kind war gerettet.

So rasch war aber das Ganze, hier eben Beschriebene geschehen, so
plötzlich hatte das Einspringen des jungen Mannes die Tod drohenden
Thiere zur Seite geworfen, daß die Gefahr schon längst vorüber war,
als noch die Zuschauer starr und ängstlich nach dem jetzt selbst
erschreckten Kind hinüber schauten, und erst als Leifeldt zusprang, den
Knaben aufgriff und seiner jungen Schützerin brachte, erst als diese,
neben der Mutter auf die Knie fiel, und den geretteten Liebling mit
einem heißen Dankgebet an das Herz schloß, da erst war es, als ob sich
der Zauber löse, der wie ein entsetzlicher Bann auf der Menge gelegen,
und ein förmlicher Jubelschrei dankte der kühnen That.

Während einzelne der Männer jetzt hinüber sprangen, den Verwundeten
aufzuheben, zu dem sich Leifeldt ebenfalls wenden wollte, wurde er durch
einen Ausruf der Angst, von der Jungfrau Lippen aufgehalten, und hatte
eben noch Zeit zuzuspringen, und mit dieser die alte Dame aufzufangen
und vor schwerem Fall zu bewahren, die, starr vor Schreck, als sie die
Gefahr des Enkels bemerkte, jetzt, als die furchtbare Erregung des
ersten Augenblicks vorüber war, bewußtlos zusammenbrach.

Der junge Arzt hob die Ohnmächtige leicht auf seinen Arm, stand aber
einen Augenblick wirklich unschlüssig da, denn wie konnte er den Freund
hier, blutend und ohnmächtig zurücklassen, und was indessen mit der
alten Dame anfangen? --

»Dort hinauf!« flüsterte da die leise, bittende Stimme des Mädchens,
»nur wenige Häuser von hier entfernt wohnen wir, und Ihr Freund, unser
Schutzengel, kann dort Pflege und Beistand finden.«

»Gott sei Dank,« sagte Leifeldt wirklich aus tiefstem Herzen, und den
Peons[11], die den Ohnmächtigen aufgehoben hatten und über die Straße
trugen, zurufend, ihm rasch damit zu folgen, eilte er, so schnell es
seine Last erlaubte, dem bezeichneten und gar nicht fernen Hause zu.

  11: Die niedere Klasse der Chilenischen Bürger, die Arbeiter und
      Diener.




5.

Die Englische Familie.


Während der junge Arzt nun die alte Dame rasch die Treppe hinauftrug und
die nöthigsten Anordnungen traf, sie wieder ins Leben zurückzurufen,
wurde der Verwundete unten im Haus, in ein kleines, freundliches
Stübchen gelegt, und die Ohnmächtige jetzt der Sorgfalt der Tochter und
einiger Dienstleute überlassend, eilte er wieder hinunter zu dem Freund,
nach dessen Wunden zu sehen.

Diese waren jedoch nicht im mindesten gefährlich; nur ein Schlag des
Pferdes wahrscheinlich, hatte ihn am Kopf getroffen und betäubt, und
einzelne andere, aber ebenfalls unbedeutende Quetschungen rührten
jedenfalls von dem letzten Sturz auf die rauhen scharfkantigen Sandsteine
des Strandes her. Schon nach den einfachsten Belebungsversuchen schlug
auch Don Gaspar die Augen wieder auf, und schien nur im Anfang erstaunt
und überrascht, ja fast bestürzt von seiner Umgebung. Erst schloß er die
Augen wieder, dann aber, sich rasch emporrichtend, warf er den Blick
scheu und forschend im Zimmer umher, und ließ ihn endlich mit einem
wilden, fast unheimlichen Ausdruck auf dem Fenster haften, das, nach
der gewöhnlichen Art der spanischen Wohnungen, mit starken Eisengittern
versehen war, den Bewohnern der Parterrelokale in der heißen Jahreszeit
besonders zu erlauben, auch die Nacht über ihre Fenster offen zu halten,
ohne einen Einbruch fürchten zu müssen.

»Was ist dies für ein Haus? -- was für ein Zimmer?« rief er endlich,
und preßte seine Hände gegen die Schläfe, -- »bin ich denn nicht?
-- Stierna, Sie hier? -- wie ist mir denn, waren denn nicht die Pferde
mit uns durchgegangen, und jetzt -- hier wieder?« --

»Wo Sie sind?« lachte aber Leifeldt, der des holden Kindes gedachte, das
er eben an der Mutter Bett verlassen -- »in der Wohnung eines Engels und
aufgehoben wie in Abrahams Schooß -- aber das nehmen Sie mir nicht übel,
Gaspar,« setzte er dann etwas ernster und mit freundlichem Vorwurf hinzu,
»Sie gehen mit Ihrem Leben ungefähr gerade so um, als ob Sie jeden Monat
ein anderes bekommen könnten, und dieses schon drei Tage über die Zeit
getragen hätten. Wenn nicht Gottes Hand an diesem Nachmittag auf Ihnen
lag, so mußten die wüthenden Pferde heute ausführen, wozu sich der Hai
neulich nicht mehr hergeben wollte.«

»Die Pferde -- ja, ja -- Sie haben recht -- Pferde waren es gewesen und
ein junges Mädchen glaub' ich -- oder ein Kind -- Pest noch einmal, mich
schmerzt die Stirn -- ich fange jetzt an, mich auf die ganze Geschichte
zu besinnen -- und ist das Kind gerettet? -- aber nehmen Sie mir doch
den Verband wieder ab -- ich kann doch nicht mit dem Tuch um den Kopf
über die Straße gehen.«

»Das sollen Sie auch nicht,« erwiederte Leifeldt, »das Kind ist
allerdings gerettet, denn Ihr toller Sprung war wie der Arm eines
Engels, der den herzigen Knaben vom sicheren Abgrund fortriß, aber jetzt
müssen Sie sich ebenfalls ein wenig schonen, wenigstens eine Zeit lang
Ruhe gönnen, so bleiben Sie deshalb nur ruhig auf dem Bette liegen,
es läßt sich hier aushalten, und ich will indessen wieder einmal
hinaufgehen und nach der alten Dame sehen.«

»Ist noch Jemand beschädigt worden?« frug Don Gaspar rasch.

»Nein,« sagte Leifeldt, »nur ohnmächtig vom Schreck und der Aufregung
-- aber schlafen Sie selber ein wenig, es kann Ihnen nur gut thun, und in
einem kleinen Stündchen komme ich herein und wecke Sie. Fühlen Sie sich
dann stark genug, so können wir den Damen oben guten Abend sagen, und
gehen dann zusammen zu Hause -- sie werden es sicherlich nicht erwarten
können, dem Retter des Kindes selber zu danken. Ruhig -- keine Einrede,«
sagte er lächelnd, als er sah, daß Gaspar dagegen protestiren wollte,
»ich bin jetzt Ihr Arzt und Sie müssen mir gehorchen, also folgen Sie
brav, und ich hoffe, daß ich Sie morgen wieder in bester Ordnung auf
Ihren Füßen habe.«

Er nickte Don Gaspar noch freundlich zu und eilte, ohne weiter eine
Antwort von ihm abzuwarten, rasch die Treppe hinauf, nach seinem andern
Patienten zu sehen -- und das süße Gift jener seelenvollen blauen Augen
einzusaugen, die ihn schon jetzt, nach kaum einer ersten, flüchtigen
Bekanntschaft ahnen ließen, welche Seligkeit, aber auch welch tiefes
bitteres Weh das arme Menschenherz fähig sei in sich aufzunehmen -- je
nachdem nun gerade die Würfel fielen, die das Loos uns armer Sterblichen
bestimmen.

Don Gaspar warf sich indessen auf sein Lager zurück, aber es ließ ihm
dort nicht lange Ruhe, und wie von irgend einem peinlichen Gedanken
gequält, stand er auf, zog sich an, und ging mit raschen Schritten in
dem zwar etwas niedrigen, aber unendlich freundlichen Gemach auf und ab.
Mehrmals versuchte er es, sich wieder niederzusetzen, aber ein flüchtig
aufgeschlagener Blick trieb ihn wieder empor, und nach und nach ward es
fast, als ob ihm das Zimmer hier zu enge werde, und die Brust nicht mehr
athmen könne in dem eingepreßten Raum.

Das Gitter beunruhigte ihn.

Er sprang wieder auf und schritt, die Augen mit der Hand bedeckt, in dem
Gemach auf und ab, wie ein gefangener Panther den Käfig mißt, der ihn
hält; aber lange vermochte er nicht gegen dieß Gefühl anzukämpfen. Er
ging nach der Thür und drückte vorsichtig auf das Schloß, als ob er
fürchte, daß es verschlossen sein könne, und ein Ausdruck von wilder
Freude zuckte blitzschnell durch seine Züge, als das Schloß dem leisen
Drucke nachgab. Einen Augenblick horchte er hinaus auf den Gang -- es
ließ sich Niemand hören -- die Leute waren alle oben beschäftigt,
theils die nöthige Hülfe zu leisten, theils herauszubekommen aus der
»Herrschaft,« wie denn die ganze Sache eigentlich gelaufen, damit sie
auch den Zusammenhang der Geschichte fänden -- dann griff er seinen
Hut vom Tisch auf, schlich hinaus und verließ das Haus, als ob er ein
Verbrechen begangen und nicht durch eine kühne That eine ganze Familie
glücklich gemacht hätte, die gerade in diesem lieben Kind fast die
einzige Freude fand, und durch den Verlust desselben, besonders in
solch furchtbarer Art, entsetzlich elend geworden wäre.

Als Leifeldt schon nach Dunkelwerden das Zimmer wieder betrat, den
Schlummernden, den er nicht hatte früher stören wollen, zu wecken und
seinen neugewonnenen Freunden vorzustellen, fand er zu seinem Erstaunen
den Vogel ausgeflogen und das Nest kalt.

Wenn er nun auch dies wunderliche Betragen nicht begriff, entschuldigte
er doch oben den Freund, und versprach, ihn morgen früh, wenn er sich
von dem kleinen Unfall vollkommen erholt haben werde, mitzubringen. --

»Aber weshalb war er nicht wenigstens einen Augenblick zu ihnen herauf
gekommen?« -- selbst die alte Dame frug nach ihm und wünschte ihn kennen
zu lernen. Sie hatte sich vollkommen wieder erholt, hielt den Knaben auf
ihrem Knie, und weinte und lachte, wenn sie an die furchtbare Gefahr
dachte, der er, auf fast wunderbare Weise so glücklich entgangen.

Jedenfalls mochte er sich genirt haben, in dem Aufzug, mit durch den
Sturz vielleicht zerrissenen Kleidern, mit verbundenem Kopf, sich ihnen
zu zeigen -- aber war das recht? -- hatten sie nicht gerade das erste
Anrecht ihn so zu sehen, und hieß das nicht die Bescheidenheit zu weit
getrieben?

Leifeldt, der von den guten Menschen schon fast wie zum Hause selber
gehörend, behandelt wurde, versprach ihn gleich nächsten Morgen
einzuliefern, damit er Abbitte thun könne, verabschiedete sich dann aber
auch selber, nach dem Freund, der jedenfalls zu Hause gegangen war, zu
sehen, ob er vielleicht noch irgend etwas heute Abend bedürfe.

Leifeldt wurde übrigens keineswegs angenehm überrascht, als er in sein
Hotel zurückkehrte, und den Freund, vollkommen wider Erwarten, _nicht_
vorfand. Niemand hatte etwas von ihm gesehen -- Niemand wußte von ihm,
und vergebens durchlief er, bis spät in die Nacht, alle Straßen, die
jener möglicher Weise berührt haben könnte, von den Wächtern vielleicht
hie oder da etwas zu erfahren, das ihn wenigstens auf die Spur führen
konnte -- er blieb verschwunden -- und selbst der nächste Morgen, der
nächste Abend brachte den so räthselhaft Entwichenen nicht wieder
zurück. Was in aller Welt konnte ihn bewogen haben, sich gerade
heute, und in so wunderlicher Weise zu entfernen und war er nicht doch
vielleicht etwa, von der Aufregung der letzten Stunden betrübt, irgend
wo zusammengebrochen? --

Die Familie Newland, der Name der Frauen, denen die beiden Freunde am
vorigen Tag so wesentliche Dienste geleistet, fühlten sich besonders
geängstigt durch dies Verschwinden eines Mannes, dem sie so gern ihre
Dankbarkeit bezeugt hätten, und Mr. Newland, ein Greis von einigen
siebzig Jahren, ließ es sich nicht nehmen, selber auf die Polizei zu
gehen, und dort die genauesten Nachforschungen nach dem Fremden
anzustellen. Nichts destoweniger blieben alle derartige Versuche
erfolglos, und eine volle Woche war schon vergangen, ohne auch nur
eine Spur von Don Gaspar gebracht zu haben.

Leifeldt war indessen ein täglicher Besucher der Newland'schen Familie
geworden und dachte, von diesen selbst dazu aufgemuntert, ernstlich
daran, seinen bleibenden Wohnsitz in Valparaiso zu nehmen. Leifeldt
war ein vorzüglicher Kinderarzt, und da ihn sein gutes Glück selbst in
diesen ersten Tagen zwei sehr schwierige und gefährliche Fälle unter
die Hände brachte, denen er sich natürlich mit Aufopferung all seiner
Zeit und Kräfte hingab und die Kleinen auch, trotzdem daß sie von dem
spanischen Arzte schon aufgegeben worden, dem Leben erhielt, schien der
auf so eigenthümliche Weise eingeführte »deutsche Doctor« einen
förmlichen Ruf zu bekommen.

Gegen das Ende der Woche erkrankte aber auch der kleine Bill, ein sonst
kräftiger und derber Junge, und trotz jeder angewandten Vorsicht, artete
das erst leichte Unwohlsein bald in so ein bösartiges hitziges Fieber
aus, daß es selbst Grund zu den schlimmsten Befürchtungen gab.

Leifeldt verließ jetzt fast das Haus nicht mehr; Morgens nur besuchte
er die wenigen Kranken, die sich ihm schon in der kurzen Zeit seines
Aufenthaltes anvertraut hatten und wachte dann selbst die Nächte an dem
Bett des armen kleinen Burschen, der in Fieberphantasien lag und die
Händchen oft, wie Hülfe flehend, nach ihm ausstreckte. Jenny leistete
ihm hier fast ununterbrochen Gesellschaft, selbst die halben Nächte
wachte sie, mit einer alten Dienerin gemeinsam, neben dem Bett des
Lieblings und ach, welch' glückliche Zeit war das für den jungen
Arzt, dem die Stunden da wie Minuten entflogen und dem hier, von der
gemeinsamen Sorge für das arme kleine Wesen begünstigt, mehr Gelegenheit
ward, das gute Herz und tiefe Gemüth der Jungfrau zu ergründen, als er
durch Jahre lange einfache Bekanntschaft gewonnen haben würde.

Bill war der Sohn ihres Bruders, eines Offiziers der chilenischen
Marine, die Mutter des Knaben aber, eine junge Chilenerin, bald nach
der Geburt des Kindes gestorben, das so, allein der Sorge des jungen
Mädchens übergeben und von diesem aufgezogen, auch mit unendlicher
Zärtlichkeit von ihm geliebt wurde. Der Vater des Kleinen war weit in
See und zu der Liebe für das Kind selber steigerte sich jetzt die Angst,
dem theuren Bruder, bei dessen Rückkehr den Knaben nicht wieder, wie
früher, entgegenführen zu können, und in dem einen, seligen Moment
Belohnung, o so reichliche Belohnung für all diese Aufopferung und Liebe
zu finden.

In den ersten Tagen schien sie in der That nur von dem einen entsetzlichen
Gefühl der Angst für das Leben des Kindes fast betäubt, als aber die
Krisis glücklich überstanden, und der Kleine ihr in dem kurzen Raum
weniger Wochen gewissermaßen zum zweiten Mal wiedergeschenkt war, da
kannte ihr Glück auch keine Grenzen, und Leifeldt las in den treublauen,
Freude und Seligkeit strahlenden Augen auch die süße Hoffnung seines
eigenen Lebens.

Was für frohe, lustige Pläne das arme Menschenherz doch aufbaut in solch
schöner Zeit; wie sich die Schlösser da blitzesschnell aus dem Boden
heben und freundlich lachende Gefilde das Glück zurückstrahlen, das
unsere eigenen glücklichen Träume ihm erst verliehen. Wo sind all die
dunklen Schatten, die noch vor so wenigen Monden unser ganzes Leben
umnachten wollten, wo die giftigen Schwaden der Sorge und des Leids, die
sich auf die Blüthen unserer Jugend legten und ihre Keime zu ersticken
drohten? -- eine einzige Sonnenwolke hat sie -- nicht verscheucht, denn
der nächste Augenblick kann sie finsterer, vernichtender emporheben als
je vorher -- nur mit ihrem lichten, goldenen Schimmer überhaucht und
während unser schwaches Auge, das in eine Ewigkeit blicken will, und
nicht einmal im Stande ist, den dünnen Glanz dieses Schimmers zu
durchschauen, entzückt und selig an dem bunten Farbenschmelz hängt und
den glühenden Tinten mit seinen eigenen Bildern Leben giebt, zerstört
ein Windhauch oft den ganzen trügerischen Bau, und das Herz möchte mit
seinen Schlössern zusammenbrechen und sterben, so weh ist ihm nachher.

Zehn Tage nach dem ersten Ausbruch der Krankheit des Kindes, war jede
Gefahr beseitigt, ja es bedurfte nur noch geringer Pflege, den kleinen,
aber sonst kräftigen Körper vollkommen wieder herzustellen. So waren
denn die Wachen am Bett des leidenden Knaben natürlich eingestellt, aber
nichts destoweniger fand sich Leifeldt noch fast an jedem Abend, wie
früher, ein, und im Gespräch mit den wackeren alten Leuten, die nur von
einer kleinen Pension schlicht und einfach, mehr ihren Kindern und dem
kleinen Enkel zu leben schienen, der Jungfrau gegenüber, die dann an
ihrer Arbeit saß und wie ein frohes Kind mit ihnen lachte und scherzte,
oder auch gar ernst und sittsam die Theemaschine überwachte, die auf dem
reinlich gedeckten Tisch brodelte, oder den Eltern das Brod röstete zu
dem frugalen Nachtmahl, vergingen ihm jene Abende wie im Flug, und er
mußte sich wahrlich oft fragen, ob er das Glück, welches ihm jetzt
das ganze Herz füllte, nicht etwa nur träume, und ob das in der That
Wirklichkeit sei, welches ihm die Erde schon in diesem Leben zum
Himmel mache. O wie lieb, wie heilig sie aussah in diesem geschäftigen
Stillleben züchtiger Häuslichkeit, und das Herz wollte ihm manchmal
ordentlich verzagen, wenn er nur der Möglichkeit dachte, ein solches
Wesen einst sein zu nennen.

Jenny dagegen blieb sich immer gleich gegen den jungen Mann; sie war vom
ersten Augenblick an, als er sich der Mutter so annahm, so ungezwungen
freundlich gewesen, als ob sie sich von Kindheit auf schon gekannt,
und hier nicht fremd, im fremden Lande einander zufällig nur getroffen
hätten; nach des Kindes Krankheit aber, in der sich der junge Fremde ihr
als ein wirklich treuer Freund bewährt, hatte ihr Betragen gegen ihn
weit mehr Herzlichkeit gewonnen; wenn er kam, ging sie ihm bis zur Thür
entgegen, und reichte ihm die Hand, plauderte und lachte mit ihm, und
freute sich seiner wachsenden Aussichten in der Stadt, die ihnen ja auch
die Hoffnung ließen, daß er in Valparaiso bleiben und ihnen nicht wieder
so bald genommen würde. Er war ein wirklicher Freund der Familie
geworden.




6.

Don Gaspar.


Und was konnte indessen mit Don Gaspar, dem Verschwundenen geschehen
sein? -- Umsonst waren bis dahin Leifeldt's sämmtliche Anstrengungen
gewesen, auch nur seine Spur zu finden; -- wie von der Erde fort, blieb
ihnen schon fast nichts übrig, als zu glauben, die gierige Fluth, die
auf dieser stillen Bai schon so manches Opfer gefordert, habe ihn
verschlungen. Leifeldt selbst, der bis dahin viel auf sein überhaupt
etwas excentrisches Wesen gebaut und immer noch gehofft hatte, plötzlich
einmal aus irgend einer anderen Provinz einen Brief von ihm zu bekommen
und dann auch die Ursache zu erfahren, weshalb er ihn, den Freund, so
rasch und heimlich verlassen habe, fing an, diese Hoffnung aufzugeben
und an den Tod des unglücklichen Freundes zu glauben, als er eines Tages
von San Jago und zwar von einem jungen Manne Nachricht erhielt, den er
hier in Valparaiso hatte kennen lernen. Dieser versicherte ihn, es
lebe dort ein junger Spanier, der seiner Beschreibung fast vollständig
entspräche, still und zurückgezogen in einem ganz abgelegenen Theile
der Stadt und verkehre fast mit Niemandem. Leifeldt setzte sich
augenblicklich auf die Post, die zwischen Valparaiso und der Hauptstadt
Chile's läuft, suchte und fand die bezeichnete Gegend, das ihm genau
beschriebene Haus und lag, wenige Minuten später in den Armen des
Wiedergefundenen, der bei seinem Anblick zuerst fast eine Bewegung
machte, als ob er wieder fliehen wolle, dann aber sich an die Brust des
Freundes warf und dort weinte, als ob er vergehen wolle vor innerem
Schmerz und Weh.

Trotzdem weigerte er sich im Anfang entschieden, wieder mit ihm nach
Valparaiso zurückzukehren, jede Ausflucht suchte er vor, die ihn
dabei entschuldigen konnte, und war doch auch nicht zu bewegen, einen
wirklichen Grund anzugeben. Leifeldt glaubte diesen endlich in einem zu
großen Zartgefühl des jungen Spaniers zu finden, der sich vielleicht
hier in seinen Erwartungen, Geld zu erheben, getäuscht sah, und nun ihm,
der seinetwegen die sichere Stellung aufgegeben, die kleine noch übrige
Summe unverkümmert lassen wollte. Froh in dem Gefühl, ihn hierüber
wenigstens beruhigen zu können, versicherte er dem Freund, wie er, ganz
wider Erwarten, in Valparaiso, in der kurzen Zeit seines Aufenthaltes
sich schon ein förmliches kleines Capital verdient habe, und nicht
allein einer sorgenfreien, sondern auch frohen Zukunft entgegenzugehen
hoffe -- Gaspar werde dem _Freund_ nicht versagen, das mit ihm zu
theilen, bis er selber seine eigenen Hoffnungen realisirt habe.

Don Gaspar mußte zuletzt wohl oder übel nachgeben, aber so herzlich er
dem treuen Freunde dankte, so froh er sich selber zu zeigen suchte, war
es doch augenscheinlich, daß noch irgend ein schwerer Schmerz auf ihm
lasten mußte, den er, trotz allen Bitten Leifeldts, nur in seinem
eigenen inneren Herzen barg.

Fast mit Gewalt bewog ihn Leifeldt endlich, seine wenigen Sachen
zusammen zu packen und mit ihm, noch an dem nämlichen Abend nach
Valparaiso zurück, aufzubrechen; er that es endlich, und Leifeldt
vergaß dann bald in seinem eigenen Glück die gefurchte Stirn des
Freundes, dem er jetzt einen getreuen Bericht der vergangenen Tage,
seit dieser Flucht, zu geben anfing, und nicht aufhören konnte, die
Liebenswürdigkeit der kleinen Familie zu rühmen, in die ihn sein gutes
Glück geführt, oder in die er eigentlich besser durch Don Gaspars tollen
Sprung förmlich hineingeworfen worden.

Don Gaspar hörte ihm dabei lächelnd zu und strich sich wohl manchmal,
wenn jener immer wieder auf seine frohen Hoffnungen und Aussichten
zurückkam, leicht aufseufzend, mit der flachen Hand über die Stirn. Erst
als sie am anderen Tag die letzten Hügel erreichten, die nach der Stadt
hinunterführten, und wieder in Sicht des Meeres kamen, war es auch fast,
als ob ein neuer Geist in dem jungen Spanier erwache. Er richtete sich
hoch in dem Wagen auf und mit leuchtenden Blicken nach den einzelnen
schneeigen Segeln deutend, die hie und da von dem dunklen Hintergrund
des Meeres herüberblitzten, rief er aus:

»Das Meer! -- das weite fröhliche Meer -- sieh wie es da liegt und wogt
und brandet und sich einwühlt in seine eigenen Arme. -- Wie ein Becher
schäumenden Weines breitet sich's aus -- und oh, wer doch, eine Perle in
seinem Grunde läge.«

»Unsinn,« lachte aber Leifeldt, jetzt mit der Stadt vor sich ausgebreitet,
die Alles in sich barg, was ihm lieb und theuer auf dieser Welt war, in
aufsprudelnder Lust -- »wie eine Perle? -- sag lieber wie eine todte
Fliege, wenn Du das Meer denn doch mit einem Glase vergleichst -- eine
Fliege, Freund, die an's Ufer treibt und wieder ausgeschieden wird.
Nein, fort mit den traurigen Gedanken -- sieh, Dein Auge hat sich schon
ordentlich belebt, und Du fängst an, wieder wie ein vernünftiger Mensch
auszusehn. Jetzt weiß ich auch, was Dir bis dahin in den Knochen gelegen
-- die engen Hügel waren es, die Dich umschlossen, die schwere Luft, die
in das schmale Thal herniederpreßte -- hier ist der Himmel frei, hier
dehnt sich die See wieder in unbegrenzter Breite vor uns aus, und das
Herz wird weit und athmet voll, und es ist ordentlich, als ob das Blut
in unseren Adern flüssiger, lebendiger geworden wäre. Ich möchte nicht
mehr im inneren Lande leben, seit ich erst einmal Seeluft gekostet, und
ich kann mir wahrlich nicht denken, daß man sich wieder da wohl fühlen
könne, wo man schon einmal den vollen Genuß eines solchen Anblicks, wie
wir ihn jetzt feiern, kennen gelernt und mit der Zeit unentbehrlich
gefunden hat.«

»Und wenn Deine Jenny nun nach San Jago zöge?« sagte Don Gaspar,
lächelnd zu ihm aufschauend, »wie wär es dann mit der See?«

Leifeldt schoß das Blut wie mit einem plötzlichen Strahl in die Schläfe,
und er erwiederte, aber mit etwas gezwungener Gleichgültigkeit. »Unsinn,
Gaspar -- wenn mir das Mädchen wirklich nicht gleichgültig wäre, wie
dürfte ich jetzt auch nur daran denken, um sie zu werben, wo ich eben
erst angefangen habe, festen Fuß zu fassen. Valparaiso ist ein theurer
Ort, und wer hier eine Familie haben und sie anständig durchbringen
will, darf eben nicht nur ein junger Arzt und Anfänger sein -- und in
späteren Jahren -- lieber Gott, wir wissen nicht, was die nächste Stunde
bringt, wär' es nicht Thorheit, wollten wir uns Pläne auf lange Jahre
hinaus machen.«

»Und vielleicht helf ich Dir doch,« sagte freundlich Don Gaspar, ihm die
Hand hinüber reichend -- »hier in Valparaiso bin ich allerdings nicht im
Stande gewesen, Geld zu erheben, auf das ich bestimmt gerechnet hatte,
aber ich habe mit der letzten Post nach Madrid geschrieben, und kann
schon etwa die Tage berechnen, wo ich nicht mehr der arme Don Gaspar
sein werde, wegen dem der Freund Existenz und Brod verläßt, ja seine
Freiheit und sein Leben auf's Spiel setzt, ihn zu retten.«

»Unsinn, Unsinn,« lachte Leifeldt, Don Gaspar hatte aber seine Hand
ergriffen, schaute ihm ein paar Sekunden, nur gewaltsam eine innere
Aufregung bekämpfend, ins Auge und fuhr dann mit leiserer aber fester
Stimme fort:

»Es könnte sein, Federigo, daß ich -- wir sind Alle Menschen und wissen
nicht, wann uns Gott abruft -- daß ich plötzlich sterben könnte -- ich
habe deshalb den erwarteten Wechsel an Dich adressirt, und ich möchte
Dich bitten« --

»Gaspar!« rief aber Leifeldt bittend, und jetzt wirklich beunruhigt,
»was zum Henker giebst Du Dich plötzlich so trüben Gedanken hin. -- Wir
sind allerdings sterblich, und jeder Moment kann unserer Laufbahn ein
rasches, gewaltsames Ziel stecken, Du vor allen Anderen darfst aber
nicht fürchten, daß Dich das Schicksal einem schnellen Tode bestimmt
habe, denn wahrhaftig, Du hast ihm Gelegenheit genug gegeben, in
solchem Fall zuzulangen. Aber allerdings möchte ich nicht für Dich
einstehn, wenn Du so fortfährst, Dein Leben wirklich zum Fenster
hinauszuwerfen -- einmal findest Du es doch nicht wieder. Mensch,
wenn ich nur an die beiden Fälle zurückdenke, wie Du auf den Hai
hinuntersprangst, oder Dich den herandonnernden Pferden entgegenwarfst,
so weiß ich wahrlich jetzt selber nicht, wie es überhaupt möglich war,
nicht einer Gefahr -- denn das kann man schon nicht einmal mehr Gefahr
nennen -- sondern dem wirklichen Tode so durch ein Wunder zwei mal zu
entgehen. Die Götter droben können Dich also jedenfalls noch nicht
gebrauchen, und Du magst völlig ruhig und unbekümmert in die Zukunft
blicken.«

»Und es ist merkwürdig,« sagte Don Gaspar kopfschüttelnd, »ich kann mich
auf die Einzelheiten der beiden Fälle gar nicht mehr besinnen -- aber
sieh da,« unterbrach er sich plötzlich, als der Wagen, von den raschen
Pferden wie im Fluge dahin geführt, die äußerste Grenze der Vorstadt
berührte -- »wir sind an Ort und Stelle, wie es scheint, und die Pferde
wittern den Stall. -- Wetter noch einmal, wie sie ausgreifen, und dort«
-- Leifeldt machte plötzlich eine Bewegung, als ob er hinausspringen
wollte, und mehrere Damen gingen, ohne jedoch nach dem Wagen selber
herüberzusehen, auf den Trottoirs der Straße hin, Don Gaspar ergriff
aber seinen Arm und sagte lachend:

»Halt, Señor -- machst Du _mir_ Vorwürfe, daß ich mein Leben thörichter
Weise auf's Spiel setze und willst gleich hinterher Deine eigenen
Gliedmaßen in Gefahr bringen? War das Deine Dulcinea, wie ich keinen
Augenblick mehr zweifle, so werden wir sie heute Abend schon auf eine
weniger halsbrecherische Weise zu sehn bekommen, und jetzt vorwärts
Kutscher, vorwärts, was zügelst Du die Pferde ein, wir sind noch lange
nicht am Ziel!«

»Darf hier nicht galoppiren mit den Thieren, Señor,« erwiederte aber
dieser -- »Polizei will's nicht haben.« --

»Ja so, die Polizei will's nicht haben,« sagte Don Gaspar plötzlich ganz
ruhig, und während sich Leifeldt so weit er konnte aus dem Wagen bog,
den Damen nachzuschauen, lehnte sich der junge Spanier in die Ecke
zurück, und schaute still vor sich nieder.

Im Hotel wieder angekommen, wo Leifeldt, unnützen Fragen zu begegnen,
das anscheinende Verschwinden des Freundes einem von diesem abgesandten,
aber verloren gegangenen Brief zuschrieb, machte sich der junge Deutsche
vor allen Dingen auf, Mr. Newland zu besuchen und der Familie die
fröhliche Nachricht von dem Wiederauffinden und Zurückkehren des
Freundes zu bringen, um diesen dann, wie ihn auch die alten Leute
dringend baten, heute Abend noch dort einführen zu können.

Don Gaspar war an diesem Abend so heiter, wie ihn Leifeldt noch nie
gesehen -- er schien sich selber auf den Besuch zu freuen, kleidete sich
mit besonderer Sorgfalt und erkundigte sich, was er bis dahin noch nicht
gethan, genau nach den verschiedenen Gliedern der Familie; ihrem Alter,
ihren Beschäftigungen, selbst ihrem Äußeren, und Leifeldt wurde nicht
müde, ihm zu erzählen.

Der Empfang, der ihm dort wurde, war auch so herzlich, als ob er ein
eigener Sohn der alten Leute gewesen wäre; der Greis nur machte ihm
Vorwürfe, daß er sich ihrem Dank so lange entzogen und Leifeldts Hand
ebenfalls ergreifend, sagte er mit vor innerer Rührung tief bewegter
Stimme:

»Mir und uns Allen hier gewiß zum Heil, hat Sie Gott Beide an diese
entlegene Küste geführt, denn Ihnen Beiden danken wir das liebe Kind
hier, das -- ich darf den Gedanken gar nicht ausdenken -- auf wie
furchtbare Weise ohne Sie hätte umkommen oder an langwieriger Krankheit
vielleicht dahin siechen müssen. Betrachten Sie sich aber auch Beide
deshalb wie mit zur Familie gehörig und mehr noch wird Ihnen mein Sohn
für diesen, besonders ihm erwiesenen Liebesdienst dankbar sein, denn mit
Gottes Hülfe hoffe ich sein Fahrzeug doch in den nächsten Tagen wieder
hier einlaufen zu sehn. -- Aber Jenny, Kind, was stehst Du da in der
Ecke, hast unserem lieben Gast noch nicht einmal guten Abend gesagt, und
Dich doch so darauf gefreut, ihn begrüßen zu können. Es ist wahr, Don
Gaspar, Sie haben uns das Vergnügen recht, recht lang entzogen, und Sie
werden _sehr_ oft kommen müssen, nur einen Theil davon wieder gut machen
zu können.«

Don Gaspar wandte sich, die Jungfrau ebenfalls zu begrüßen, und Jenny
trat in diesem Augenblick auf ihn zu, reichte ihm, wie einem alten
Freund, die Hand und sagte herzlich:

»Sie sind willkommen, Don Gaspar, wie die Blumen im Mai, und es hat uns
nur Allen so leid gethan, Ihnen das nicht früher sagen zu können -- doch
es war Ihre eigene Schuld -- kommen Sie jetzt nur recht oft, und Sie
werden sich wohl bei uns fühlen. -- Aber hier, Bill« -- wandte sie sich
dann plötzlich zu dem kleinen Burschen, der schüchtern hinter ihr stand
und an ihrem Kleide zupfte »hier, Bill, das ist der Gentleman, der Bill
damals gerettet hat, als #little boy# so sehr unartig war und auf die
Straße hinaus lief, daß #grandmama# krank wurde und nicht mehr gehen
konnte -- weißt Du das noch -- und giebst Du ihm kein Händchen?«

Bill, die kleinen Finger seiner linken Hand, die ihm Jenny drei- oder
viermal herunter bog, immer unverdrossen wieder in das rosige Mündchen
schiebend, kam langsam, das Köpfchen niedergedrückt und nur schüchtern
zu dem Fremden hinaufschielend, näher, und reichte ihm verschämt das
rechte Händchen hin.

Wunderbar war der Eindruck, den Jennys Anblick auf den jungen Spanier
machte, und Leifeldt lächelte mit einer Art freudigen Stolz sogar,
als er sah, wie sich der Freund dem holden lieblichen Kinde gegenüber
förmlich befangen fühlte.

Don Gaspar stand in der That im ersten Moment da, als ob er eine
Erscheinung gesehen, und nur wie bewußtlos ergriff er die dargebotene
Hand in seinen beiden Händen, und hielt sie sogar noch fest geschlossen,
als Jenny sich schon leise von ihm losmachen wollte, ihm den Knaben
zuzuführen. Erst dann, als er fühlte, daß sich ihm die Jungfrau zu
entziehen suchte, ließ er sie erschrocken frei, und das Kind aufnehmend,
das ihn im Augenblick vertraut, mit den großen hellblauen Augen
freundlich anlachte, und in seinem kraußen Bart spielte, küßte er
den Kleinen auf Wangen und Mund und nannte ihn einen braven kleinen
Burschen, der nicht wieder auf die Straße hinauslaufen und seiner guten
Großmutter und Schwester Schmerz bereiten würde.

An dem Abend war Don Gaspar ein ganz anderer Mensch geworden; es schien
ordentlich, als ob die sonst manchmal eisige Rinde seines Herzens
aufthaue in der Gesellschaft der lieben Menschen. Besonders wurde es
Jennys lebendige Unterhaltung, die ihn anzog, Geist und Gemüth fanden
dabei gleiche Nahrung, und fortgerissen von dem lieblichen Feuer des
schönen Mädchens, vergaß er bald seine ganze Umgebung, und ließ sich
mehr und mehr hinreißen in bunter und glühender werdenden Schilderungen
und Bildern. Die Pyrenäen und Felsengebirge, der Amazonenstrom wie der
Ganges waren, so jung er noch schien, schon der Schauplatz seiner Thaten
gewesen -- auf der Jagd bald, bald im Kampf mit den Eingeborenen,
hatte es den Knaben fast von Land zu Land getrieben. Nach Spanien
zurückgekehrt, fand der thätige Geist keine Nahrung für sein Streben,
seine Pläne, und der Krieg der Argentinischen Republik mit Monte-Video,
schon die Schilderung jener wilden Reiter der Pampas ließ ihm bald
daheim den Boden unter den Füßen brennen. Noch ein Jüngling fast, hatte
er schon die Thaten und Erfahrungen eines Menschenalters auf sein Haupt
gesammelt, und er konnte nicht still stehn an der Grenze des Begonnenen.

»Mehr aber fast noch als der Drang, dieses neue wilde Treiben mit
eigenen Augen zu schauen« -- fuhr er endlich in der Schilderung seines
eigenen Lebens, in die er wie unbewußt hinein gerathen war, und der
Alle, besonders Leifeldt, mit gespannter Aufmerksamkeit folgten, fort
-- »zog mich die Sehnsucht herüber, einen Bruder hier zu finden -- einen
_Zwillings_bruder, den ich seit meinem zwölften Jahre nicht gesehen und
an dem mein Herz mit all jener fast wunderbaren, geheimen Sympathie
hing, die das Herz zweier solcher Wesen bis zum -- -- ja vielleicht
noch _nach_ dem Tode umschlingt. Leider wußte ich nur, daß er seinen
letzten Aufenthalt in Buenos-Ayres selber gehabt, und konnte keine
nähere Adresse von ihm bekommen, dort angelangt, blieben auch eine
Zeit lang alle meine Nachforschungen nach ihm vergeblich, und während
Einzelne den Namen wollten in Monte-Video gehört haben, behaupteten
Andere, er sei in eigenen oder Regierungsangelegenheiten nach Mendoza,
der fernen Grenzstadt der Republik gesandt worden. Nach allen diesen
Orten schickte ich jetzt Briefe aus, in der Hoffnung, daß einer von
ihnen den Bruder doch erreichen und ihm meine Nähe melden möge -- und
-- hahaha -- es ist eigentlich zu komisch, wenn man bedenkt, wie das
Schicksal die Leute manchmal zusammenwürfelt, und welch entsetzliche
fürchterliche Folgen aus einer einzigen Idee, einem Wunsch, einem Brief
-- einem _Wort_ entstehen können.«

Don Gaspar lachte halb, als er die Worte sprach, aber die Todtenblässe,
die jetzt seine Züge bedeckte, der starre, kalte Blick, die zitternden
Lippen straften sein Lachen gar furchtbar Lügen. Er hatte auch, wie es
schien, ganz seine Umgebung vergessen, und die Stirn jetzt eine ganze
Weile in den Händen bergend, preßten sich einzelne klare perlende
Tropfen zwischen den fast mädchenhaft zarten Fingern durch.

Die kleine Gesellschaft saß indeß in schmerzlicher, fast peinlicher
Spannung, und Leifeldt besonders, denn selbst ihm hatte der Freund bis
dahin hartnäckig die frühere Geschichte seines Lebens verschlossen
gehalten, empfand eine unnennbare, ihm selbst unerklärliche Angst, die
Schicksale des Unglücklichen zu hören, die wirklich furchtbarer Art
sein mußten, wenn nur die Erinnerung daran das sonst so eiserne,
unerschrockene Herz des Mannes in solcher Art zu erschüttern vermochte.
Keiner wagte ihn indeß zu stören, und selbst Bill schmiegte sich,
die großen, blauen Augen ängstlich und bestürzt auf den fremden Mann
geheftet, an das Knie der Tante, und sein kleines Herz schlug schneller
in dem Mitgefühl um die fallenden Thränen.

Endlich, wohl nach fünf Minuten, in denen nur das monotone Ticken der
großen Wanduhr die fast feierliche Stille unterbrochen, fuhr der
Erzähler, die Hände langsam senkend und stier dabei vor sich nieder
sehend, mit leiserer Stimme, die aber in der Erzählung selber bald
wieder zu der frühern Lebendigkeit anwuchs, fort:

»Drei Monate später erhielt ich endlich Antwort auf eines meiner
Schreiben, und zwar von Cordova aus, wohin der nach Mendoza von mir
gesandte Brief befördert worden war. -- Felipe hatte in einem Jubel
an mich geschrieben, daß wir uns endlich wieder sehen sollten. Er war
glücklich -- in Cordova war ihm Alles geworden, was das Herz nur an
diese Erde zu fesseln vermag: ein treues Weib, ein liebes Kind, und
nicht Worte konnte er finden, mir die Seligkeit zu schildern, in der er
lebe. Nichts destoweniger wollte er Alles dort verlassen, was ihm lieb
und theuer war, den Bruder nach so langen Jahren der Trennung wieder an
sein Herz zu drücken, und den Tag hatte er mir schon bestimmt, an dem er
in Buenos-Ayres eintreffen würde.«

»-- Auch ich hatte indessen,« fuhr Don Gaspar nach einer längeren Pause,
in der er seine innere Bewegung gewaltsam niederkämpfte, fort: »ein
Wesen gefunden, dessen Besitz mich, wie ich damals glaubte, zum
Glücklichsten der Sterblichen machen mußte. -- Der Tag des Wiedersehns
mit meinem Bruder sollte auch am Altar _ihre_ Hand in die meine legen
-- der Tag kam -- aber wie sollte er enden.«

»Schon in der letzten Zeit hatte ich in dem Hause meiner künftigen
Schwiegereltern einen Cavallero aus- und eingehen sehen, dessen Betragen
gegen meine Braut mir nicht gefiel -- mich selber behandelte er dabei
ganz mit dem Eigendünkel der südamerikanischen Raçe dem spanischen Blut
gegenüber, und nur die Gegenwart meiner Schwiegereltern hatte schon
zweimal verhindert, daß es zu harten Worten und vielleicht härteren
Thaten zwischen uns gekommen.«

»So brach der Morgen vor meinem Hochzeittag an, und mancherlei
Geschäfte, die mich an dem Tag auf der Straße hielten, Einkäufe und
Besorgungen, veranlaßten mich, in eine Pulperia[12] zu treten, und ein
Glas Wein zu trinken -- ich wollte eine Erfrischung finden -- und fand
den Tod.«

  12: Schenkwirthschaft.

»In der Pulperia stand, ohne daß ich ihn anfangs bemerkte, ich hätte ihn
sonst an _diesem_ Tage vermieden, jener Argentiner im eifrigen Gespräch
mit einem anderen -- einem anerkannt schlechten Subjekt, das als
Werkzeug schon zu manchem schlechten Streich sollte benutzt sein. Was
der Inhalt ihres Gesprächs gewesen, weiß ich nicht, soviel ist gewiß,
ich hatte kaum Platz an einem der Tische genommen, als sich ihre
Aufmerksamkeit auf mich lenkte und sie mit meinen nächsten Nachbarn ein
lautgeführtes Gespräch begannen, das mich nicht gleichgültig lassen
_konnte_. Es galt mein _Vaterland_, und so fest ich auch gewillt war,
gleich im Anfang, als ich den ziemlich grob angelegten Plan, mich zu
reizen, errieth, den Saal zu verlassen, fielen doch bald Äußerungen,
die es mir unmöglich machten, sie unerwiedert zu lassen. Die beiden
Argentiner besonders, beides wenigstens äußerlich fanatische Anhänger
des Diktators, schmähten meine Nation auf eine so nichtswürdige und
perfide Weise, daß ich endlich gar nicht mehr umhin konnte, ihnen zu
antworten -- ich hätte Fischblut in den Adern haben müssen. Ein Wort
aber gab das andere, im vollsten Übermuth trieben es meine Gegner mit
Gewalt zum Äußersten, und der nächste Morgen -- mein Hochzeittag
-- wurde dazu bestimmt, unseren Streit auszugleichen. Noch an dem
nämlichen Nachmittag aber überfielen mich die beiden Schurken
meuchlerischer Weise, und nur meinem guten Glück hatte ich es zu danken,
daß der erste nach mir geführte und jedenfalls tödtlich gewesene Stoß an
meiner Uhr abglitt, während der Mörder von meiner Hand fiel. Der andere,
der mich rasch wieder gerüstet und seinen teuflischen Plan vereitelt
sah, wollte jetzt entfliehen -- aber ich war flüchtiger als er. Das Blut
zum Sieden getrieben -- die blanke Waffe in der Faust, verfolgte ich ihn
durch mehrere Straßen, mehr und mehr ihm nahekommend. -- Vergebens war
sein Hülferuf, die Leute wagten nicht, dem bewaffneten Verfolger in den
Weg zu treten, und in demselben Augenblick, als er an der einen Ecke
erschöpft und matt zusammensank« -- Don Gaspar schwieg einen Augenblick,
und setzte dann tonlos hinzu -- »traf mein Stahl sein Herz!«

»Erst als ich ihn blutend vor mir liegen sah, wußte ich, was ich gethan,
begriff aber auch zugleich die Gefahr, in die ich mich selber dadurch
gebracht; die Henkersknechte des Diktators waren schnell in der
Vollziehung rascher gegebener Urtheile, und nicht eine Stunde durfte ich
mich länger sicher wähnen, denn ich war in der Verfolgung sowohl, wie
in der That selber erkannt und auch schon umstellt worden. Meine Waffe
brach mir aber auch hier Bahn, und in und durch ein mir bekanntes Haus
flüchtend, brachte ich meine Verfolger auf die falsche Fährte.«

Die bald einbrechende Nacht konnte mich dabei leicht aus dem Bereich
jeder Gefahr bringen; oben in der Boca[13] lag ein kleiner Nachen -- ich
kannte die Stelle genau, und auf der Außenrhede ankerte ein spanisches
Kriegsschiff -- einmal dort an Bord, und Rosas sämmtliche Macht hätte
mir kein Haar meines Hauptes krümmen können. Vorher aber mußte ich
meinem Bruder Nachricht von mir geben; was kümmerte mich die Gefahr,
der ich mich dabei aussetzte, und meinen Versteck wieder verlassend,
wanderte ich, in meinen Pancho dicht eingehüllt, langsam, um keinen
Verdacht zu erregen, dem Mittelpunkte der Stadt zu, wo man mich jetzt,
da ich vor mehreren Stunden gerade in einer entgegengesetzten Richtung
geflohen, auch schwerlich vermuthen durfte. Nichts destoweniger waren
die Straßen heut Abend belebter, als ich sie noch je gesehen, irgend
etwas Besonderes schien hier vorgefallen, und um die eine Ecke biegend,
hörte ich, wie ein Gaucho zum anderen lachend sagte:

  13: Ein kleiner Fluß, der in den La Plata dicht unter Buenos-Ayres
      mündet.

»Sie haben ihn, #amigo# -- #caramba#, er wollte sich noch verantworten,
aber die gnädigen Mashorqueros lassen sich nicht auf Erklärungen ein --
er sieht jetzt aus, als ob er sich beim Rasiren geschnitten hätte.«

»Mir stockte das Blut in den Adern, ich wußte nicht weshalb, aber wie
ein elektrischer Schlag rührte mich das flüchtige Wort, und anstatt
jeder Beobachtung so rasch als möglich zu entgehn, und das nur kaum noch
fünfzig Schritt entfernte Haus, durch dessen Hinterpforte ich leicht
wieder einen Ausgang finden konnte, zu erreichen, frug ich, mein Gesicht
nur soviel als thunlich mit dem Pancho und breitrandigem Hut verdeckt,
den mir nächsten Burschen, _wen_ sie gefangen und ermordet hätten?«

»Wen? -- #caracho#,« sagte der grimmige Gaucho lachend, »wen anders, als
den Hund von Spanier, der heute Morgen zwei wackere Männer der Föderation
meuchlings überfallen und ermordet oder doch bös getroffen hat.« -- »Und
sein Name?« -- mein eigener donnerte mir ins Ohr, und während sich
die Straße mit mir zu drehen begann, weiß ich nur, daß ich dem Orte
zustürmte, wo die Leiche lag.

»Und dort?« -- frugen die Zuhörer in tödtlichster Spannung wie aus einem
Munde -- denn der Erzähler saß mit stieren Blicken, den rechten Arm
vorgestreckt, als ob er das Schreckensbild aus dem Boden steigen sähe,
regungslos da, und die Augen gewannen einen wilden, fast unheimlichen
Glanz. Plötzlich aber, als ob er fühle, daß aller Augen angst- und
erwartungsvoll auf ihn gerichtet seien, fuhr er empor, und den Blick
rasch und forschend im Kreis umherwerfend, haftete dieser auf dem
Thränenglanz in der Jungfrau Auge, die ihm mit bleichen Wangen und
hochklopfendem Herzen gegenüber saß und jedes Wort von seinen Lippen
in peinlicher Spannung aufgesogen hatte. Erst seinem Blick begegnend,
senkte sie den ihren, und Don Gaspar, der jetzt eine ganze Zeit lang
wie träumend zu ihr hinüberschaute, strich sich plötzlich die schwarzen
krausen Locken von der Stirn, und hochaufathmend war es fast, als ob er
ein schweres, furchtbares Gewicht von seiner Brust gewälzt hätte.

»Und dort? -- wen fanden Sie dort?« rief aber jetzt noch einmal die
alte Mrs. Newland und auch Leifeldt, der hinzutrat und die Hand auf des
Freundes Schulter legte, wiederholte leise die Frage.

»Dort?« lachte aber Don Gaspar, dem in diesem Moment schon wieder der
alte kecke Übermuth aus den Augen blitzte, »dort? -- wie mir scheint
hätte ich Schauspieler werden sollen -- hahaha -- habe ich mir doch nie
im Leben solch ein Talent zum Erzählen zugetraut -- wahrhaftig, Señora,
Sie sind ja ganz davon ergriffen, und die Señorita hat Thränen in den
Augen.«

Er sprang auf und Mrs. Jennys Hand ergreifend, sagte er mit leiserem,
fast bittendem Ton:

»Zürnen Sie mir nicht, Señorita, ich wollte weder Sie noch die lieben
Ihrigen betrüben -- nur zerstreuen, habe es aber, wie ich sehe, ganz
falsch angefangen. Nicht wahr, ich wäre alt genug, vernünftig zu
sein, und doch plagt mich ein kleiner Teufel, den ich, zu größerer
Bequemlichkeit mit mir herumtrage, manchmal wahrhaftig bis aufs Blut
solch närrische Streiche zu spielen -- aber ich muß nachher dafür büßen,
wenn ich sehe, welch Unheil ich angerichtet habe« -- setzte er weicher
hinzu.

Jenny war so vollkommen durch diese Wendung des Ganzen überrascht, daß
sie im ersten Moment in der That gar nicht wußte, ob sie weinen oder
lachen solle, ein Blick in die Augen des Fremden aber machte sie auch
wieder stutzen -- dort lag mehr als ein einfach kecker Leichtsinn,
gräßliche Geschichten zu erzählen und das Blut seiner Hörer erstarren zu
machen -- ein furchtbares Geheimniß schlummerte hinter diesen dunklen
Sternen, und welchen gewaltigen Kampf mußte es ihm kosten, das jetzt mit
solcher Macht und Ruhe niederzuhalten.

Das schöne Mädchen ließ ihre Hand in der des Bittenden länger, als sie
selbst wohl wußte, und als sie ihm dieselbe endlich, und nur langsam
entzog, begegnete Don Gaspar dem Blick des Freundes, der halb forschend,
halb zweifelnd auf ihm haftete. Er wich dem Blick aus, lächelte aber,
als er ihm, mit abgewandtem Antlitz die Hand reichte und fest drückte.

»Nein, so 'was!« rief aber jetzt die alte Dame in größtem Erstaunen,
-- »segne meine Seele Herr -- und das war eine bloße _Geschichte_, und
so natürlich, daß Einem das Herz ordentlich zu klopfen aufhörte und der
Athem still stand in der Brust -- aber Mr. Gaspar, das müssen Sie uns
künftig vorher sagen, daß Sie's nicht so ernsthaft meinen; man weiß ja
wahrhaftig sonst gar nicht mehr, woran man ist.«

Don Gaspar hielt indessen noch immer Leifeldts rechte Hand mit seiner
linken, und dessen Arm mit seiner rechten Hand gefaßt -- es war fast,
als ob er ihm noch etwas sagen wollte vor allen Andern -- als ob er
sich gerade bei ihm rechtfertigen müsse, aber er machte sich auch von
ihm endlich los, und sich rasch zu dem alten Herrn wendend, der ihm
entgegentrat, schüttelte er ihm herzlich die Hand und sagte, leicht mit
dem einen Auge dabei blinzend: -- »nicht wahr, Sir, Sie wußten, wo ich
hinaus wollte.«

»#I'll be damned if I did,#«[14] rief aber der alte Herr treuherzig, die
ihm dargebotene Hand aus Leibeskräften schüttelnd -- »nicht die Probe
davon, so wahr mein Name Newland ist -- hielt die ganze Geschichte für
baare Münze und meine Seele dachte nicht daran, daß Sie Spaß machen
könnten -- haben aber ein famoses Talent, und wenn Sie das so auf dem
Theater von sich geben könnten wie hier, Sie müßten reich dabei werden.«

  14: Will verdammt sein, wenn ich's gethan habe.

»Ach, das ist ja gerade unser Unglück auf dieser Erde,« lachte Don
Gaspar dagegen, »daß wir eben in der Jugend noch nicht selbstständig
handeln können, oder _wenn_ wir es könnten, doch nicht im Stande
wären, der Bahn mit den Blicken zu folgen, die anscheinend glatt und
weitdehnend vor uns ausgebreitet liegt -- hat aber die _Erfahrung_ erst
ihre Furchen in unsere Stirn gegraben, dann ist es gewöhnlich zu spät,
noch einen neuen Lebensweg zu wählen, und wir mühen uns verstimmt und
unmuthig auf der, freilich selbst betretenen, breiten und staubigen
Heerstraße hin, während links und rechts abzweigend, und doch alle
demselben Ziel entgegenführend, die schattigsten, blumenreichsten Gänge
und Pfade liegen -- wenn die Chausseegräben nur nicht so verwünscht
breit wären.«

Mit rascher Wendung führte er seine ihn noch immer halberstaunt halb
mißtrauisch betrachtenden Zuhörer wieder auf das erste Feld der
Unterhaltung zurück; kleine interessante Züge aus seinem Leben, mit
einer ganz eigenthümlichen Mischung von Humor und Ernst vorgetragen,
weckten dabei bald wieder ähnliche Erinnerungen bei den Freunden, und
ehe eine halbe Stunde verflossen, war das Gespräch wieder allgemein und
lebendig geworden, und man lachte und erzählte sich noch bis spät in die
Nacht hinein.

Auf dem Heimweg suchte nun zwar Leifeldt den Freund wieder auf die
Geschichte seines Lebens zurückzubringen, aber der hielt ihm nicht
Stand, sprang rechts und links ab, und war gerade heute so voll von
tollen, lustigen Einfällen, daß es unmöglich schien, noch ein ernstes
Wort mit ihm zu reden.




7.

Der Verdacht.


Die nächsten drei Tage war Don Gaspar übrigens nicht zu bewegen, seinen
Besuch bei Newlands zu wiederholen, trotzdem sogar, daß ihm Leifeldt
eine förmliche Einladung dorthin brachte -- er entschuldigte sich mit
einem peinlichen Kopfschmerz und trieb sich fast den ganzen Tag am
Seestrand herum, einkommende Schiffe zu beobachten. Er war auch still
und schweigsam dabei, und es schien fast, als ob nach einer zu starken
Aufregung jenes Abends eine Abspannung gefolgt sei, die er sich nicht
einmal die Mühe geben wollte, von sich abzuschütteln. Bei Newlands
dagegen, bildete er fast den einzigen Punkt, um den sich die Unterhaltung
drehte, und mochte das Gespräch, nach welcher Richtung es wollte, sich
gewandt haben, der erste Schritt im Hause unten, das zufällige Öffnen
oder Schließen einer Thür, brachte fast stets die Worte: »Sollte das Don
Gaspar sein?« -- Leifeldt war auch schon mehrfach gefragt worden, wie
und wo er den Freund kennen gelernt habe, wußte aber die Frage immer
zu umgehen und suchte nun auch seinerseits die alten Leute darin zu
bestärken, Don Gaspar habe sich an jenem Abend mit der gräßlichen
Geschichte -- wo sie ja nicht anders denken konnten, als sein
Zwillingsbruder sei für ihn erschlagen worden -- einen freilich etwas
entsetzlichen Spaß gemacht, während Jenny dagegen eben so bestimmt
behauptete -- und Leifeldt pflichtete ihr im Herzen schon fast bei
-- der Schluß des _wahren_ Vorfalls sei ihm selber so furchtbar
vorgekommen, daß er sich gescheut habe, sie mehr zu ängstigen, und
lieber Alles das gewaltsam niederkämpfte, was ihm in dem Augenblicke
sicher drohte die Brust zu zersprengen. -- Der arme Mann, was mußte er
seit der Zeit heimlich gelitten und mit sich herum getragen haben.

Erst am dritten Abend betrat Don Gaspar wieder das Haus der Newlandschen
Familie, und dießmal bat er sich Leifeldt selber zur Begleitung an.
Wenn die alten Leute aber auch oft und oft versuchten, wieder auf
seine frühere Erzählung -- bei der sie ihn versicherten, wie sie ihn
vertheidigt hätten, zurückkamen, wußte er ihnen doch immer geschickt
auszuweichen, und es war so augenscheinlich, daß ihm selbst eine
Berührung jenes Abends wehe that, und Leifeldt wie Jenny suchten
daher das Gespräch in anderer Richtung zu leiten und zu halten.

Von da an war Don Gaspar ein täglicher Gast in Newlands Haus, und
während Leifeldt jetzt mehr und mehr Beschäftigung bekam, wie das
Zutrauen in der Stadt zu ihm wuchs und seine Kenntnisse sich entwickeln
und Bahn brechen konnten, saß er oft stundenlang mit Jenny am Schachbret,
las irgend ein Buch mit ihr, oder erzählte den alten Leuten Abentheuer
und Scenen aus seinem wunderbar bewegten Leben.

Er war von der Zeit an fast ein anderer Mensch geworden. -- Ruhe und
Friede schien in sein Herz eingekehrt, und was er auch früher gelitten
und ertragen haben mochte, eine freundliche Gegenwart glättete
die schmerzgefurchte Stirn, und das Auge lachte wieder, nicht in
erkünsteltem, sondern in wirklichem Glück. Er zeichnete dabei kein
einziges Glied des kleinen Familienkreises aus -- fand er den alten
Herrn allein, so saß er stundenlang mit ihm da und plauderte von Jagd
und Ackerbau, von Viehzucht und Weinbau, für den sich der alte Gentleman
besonders interessirte, und von der See und der fernen Heimath, -- war
die alte Dame gut aufgelegt dazu, und das geschah oft, so ging er eben
so gern auf all die wunderlichen Kapitel ein, die sie, nach alter
Gewohnheit, vor ihm herauf zu beschwören wußte, -- dann erzog er mit ihr
Kinder und mästete Gänse, legte einen Garten an, oder diskutirte die
Vorzüglichkeit des javanischen vor dem brasilianischen Kaffee. -- Mit
Jenny war er derselbe, ihre Nähe schien aber einen besonders wohlthätigen
Einfluß auf ihn auszuüben, kein wildes, aufloderndes Wort kam über seine
Lippen, wenn er sich gerade allein mit ihr befand, was ihm sonst doch
sogar in Gegenwart der alten Dame manchmal passirte, die aber ihre
Freude daran hatte und dann immer meinte, es thäte ihrem alten Herzen
ordentlich wohl, noch Feuer und Leben in der Jugend zu sehn und ihren
Geist daran zu erwärmen. Aber auch selbst Jenny vergaß er manchmal, wenn
ihm gerade die Lust anwandelte, mit dem Kinde zu spielen und er nun mit
Bill in ausgelassener Fröhlichkeit in Haus und Garten herumtollte, daß
selbst das Kind ihn manchmal ganz ehrbar bat, nicht einen solchen
Spektakel zu machen, sondern ihm lieber eine kleine Geschichte, oder
ein Märchen zu erzählen, wie er sie zu hunderten zu ersinnen und
auszuspinnen wußte.

Anders war es aber mit der Familie selber, so herzlich Don Gaspar
von _Allen_ aufgenommen wurde, so erkannte das scharfe, so leicht
mißtrauische Auge der Eifersucht bald einen Vorzug, den ihm die Jungfrau
selbst vor den Übrigen einräumte. Ein wilder Schmerz durchzuckte
Leifeldts Herz, als dort zum ersten Male der Gedanke an eine solche
Möglichkeit aufstieg. Er war allein mit Jenny gewesen, und neben ihr
sitzend hatte er angefangen von seinen Plänen und Hoffnungen zu
plaudern, wie ihn das Glück hier in Valparaiso so weit über Erwarten
begünstige, und wie er nun fast schon die Zeit berechnen könne, in der
es ihm möglich sein würde, einen _eigenen Heerd_ zu gründen. Das Herz
lag ihm heute auf der Zunge, und der Muth fehlte ihm nur noch, dem
holden Mädchen seine Liebe zu gestehen, und sie -- nicht um ihre Hand
zu bitten -- der unbemittelte, junge Arzt durfte noch nicht wagen, das
Geschick eines so lieben zarten Wesens an das seine zu knüpfen, ehe
er ihm mehr als die Aussicht eines sorgenfreien Lebens bieten konnte
-- aber sie zu fragen, ob sie glaube, sich einst an seiner Seite
glücklich fühlen zu können, und dann, mit solcher Gewißheit im Herzen,
neuen Anstrengungen und Arbeiten in dem süßen, beseeligenden Gefühl
entgegen zu gehen, das Ziel zu kennen, dem er zustrebe, und in ihm
gerade sein ganzes Glück und Heil zu finden.

Ob Jenny fühlte, daß der bisherige _Freund_ einer anderen Gestaltung
ihres Verhältnisses entgegendränge, -- ob sie diese Erklärung fürchtete,
oder ihr nur ausweichen wollte in mädchenhafter Schüchternheit, aber
sie war unruhig und befangen, stand oft auf, unbedeutende Sachen zu
besorgen, und suchte wieder und immer wieder dem Gespräch eine andere,
gleichgültigere Wendung zu geben, als plötzlich der Klopfer unten an
ihrer Thüre ertönte, und gleich darauf des Spaniers rasche Schritte auf
der Treppe gehört wurden.

»Don Gaspar,« rief Jenny, freudig überrascht von ihrem Stuhle
aufspringend, zugleich aber dem Blick des jungen Schweden begegnend, war
sie Weib genug, zu fühlen, wie wehe sie dem in diesem Augenblick gethan.
-- Das Blut schoß ihr in die Schläfe, und langsam den eben so rasch
verlassenen Sitz wieder einnehmend, setzte sie leiser hinzu: »Er wird
sich freuen, Sie hier zu finden.« --

Don Gaspar betrat gleich darauf das Zimmer, und das Gespräch drehte sich
um gleichgültige Gegenstände; von dem Augenblicke an aber war der Same
des Mißtrauens, der Eifersucht in das sonst so treue, ehrliche Herz des
jungen Schweden gefallen, und schlug seine breiten Wurzeln da und wühlte
und nagte in all seiner wachsenden Stärke und Furchtbarkeit.

Von dem Tage an war es um Leifeldts Frieden geschehen -- je
freundlicher, je herzlicher Jenny gegen ihn wurde, desto mehr zog er
sich vorsichtig in die innersten Vesten seiner eigenen Brust zurück,
denn was bis dahin seinem wachenden, sehenden Auge total entgangen,
erschloß sich plötzlich dem von Argwohn bewaffneten Blick mit tödtlicher
Schärfe. -- Er sah, Jenny liebte den Freund, und das war der Todesstoß
all seiner süßen, so heimlich und treu gepflegten Hoffnungen und Träume
-- das der Sturz seiner liebsten, seligsten Pläne.

Sonderbarer Weise blieb sich Don Gaspars Benehmen, der Jungfrau wie
dem Freund gegenüber, vollkommen gleich; oft sahen sie ihn zwei oder
drei Tage nicht, die er in der Nähe Valparaisos verbrachte -- sein
Lieblingsplatz war dann die Seeküste, von wo aus er halbe Tage lang
kommenden Segeln entgegenschaute, und kehrte er endlich zurück, so
betrug er sich gerade, als ob er nicht einen Augenblick abwesend gewesen
wäre und irgend vermißt sein könnte.

Nicht so Jenny; -- wie unbewußt sie sich auch bis dahin ihrem Herzen
überlassen, so war sie seit jenem Abend, wo der erste mißtrauische
Blick des jungen Arztes ihrer eigenen Seele Licht gegeben, ihr selbst
gewissermaßen die eigene Brust erschlossen hatte, ganz still und
schüchtern geworden, und eine fast krankhafte Erregung schien ihr sonst
so heiteres, kräftiges Gemüth umhüllen -- ertödten zu wollen. Das
Mutterauge entdeckte auch bald die, wirklich auffallende Veränderung
selbst in ihrem Aussehen, Jenny leugnete aber, sich anders, als
vollkommen wohl zu befinden, und der deshalb von der alten Dame befragte
Leifeldt erklärte ebenfalls die Blässe der Wangen, den fehlenden Glanz
der Augen für ein leichtes Unwohlsein, das die nächsten Tage wieder
heben könnten. Ach, ihm schnitten diese eingesunkenen Augen tief, tief
ins Herz, und durfte er sagen, was sie verursacht hatte? -- mußte er
nicht dem eigenen, hoffnungslosen Schmerz da ebenfalls die Worte geben?
-- Und Jenny reichte ihm diesmal, als er von ihr ging, die Hand, und
preßte sie leise -- sie sprach kein Wort, aber dieser einzige Händedruck
kündete ihm sein Loos deutlicher, als es Worte je im Stand gewesen
-- sie _dankte_ ihm für sein rücksichtsvolles Schweigen -- und er hätte
vergehen mögen vor bitterem Weh.

So waren noch zwei Tage verflossen, und Leifeldt rang in dieser Zeit
mit sich, ob er offen zu dem Freunde reden, oder dem Schicksal seinen
ungestörten Lauf lassen solle. Mit seinem ganzen ehrlichen, offenen
Wesen trieb es ihn, diesem ersten Gefühl zu folgen, immer aber warf
er sich selber wieder ein, daß der Spanier die Liebe des jungen,
engelschönen Mädchens noch gar nicht einmal zu ahnen scheine, und sollte
_er_ es sein, der da mit eigener Hand den Funken in die Pulverkammer
schleuderte? -- Er konnte sich, so oft er sich auch dazu überreden
wollte, es sei das Beste, ja das Einzige, was ihm zuletzt zu thun übrig
bliebe, doch immer und immer wieder nicht dazu entschließen, und zögerte
damit so lange, bis er sich am Ende selbst wieder einredete, er habe
sich doch vielleicht getäuscht, und noch liege die Möglichkeit vor ihm,
die Geliebte seines Herzens einst auch die Seine nennen zu können.

So kam Jenny's Geburtstag heran, und Mr. Newland hatte in seinem Hause,
diesen Tag zu feiern, eine kleine Festlichkeit angeordnet, zu der,
außer mehreren anderen Bekannten, auch unsere beiden Freunde, wie der
Buenos-Ayres Konsul, Don Guzman de Ribera, geladen waren.

Dieser begrüßte Don Gaspar wie einen alten Bekannten, -- er wußte ja,
der junge Mann war von Buenos-Ayres herübergekommen, und er selber, dort
geboren, hatte noch zu viel Anhänglichkeit an die Stadt, nicht für
jedes ein Interesse zu empfinden, das mit derselben, wenn auch in der
entferntesten Berührung stand. Es war das eine Art Heimweh -- wenn
er sich des Gefühles selber auch kaum bewußt sein mag -- wie es den
Kamtschadalen an seine Eisfelder, den Sohn der Wüsten an die öden
Sandflächen seines Vaterlandes bindet, und Don Guzman war noch dazu ein
gar eifriger Anhänger des Diktators, und freute sich der Erfolge, die
dieser errungen, mit sichtlichem Stolz.

Don Gaspar schien heute besonders guter Laune zu sein, und so viel
Mal auch Don Guzman versuchte, seiner habhaft zu werden, ihm die
allerneuesten Nachrichten von »der anderen Seite der Cordilleren«
mittheilen zu können, wußte er ihm doch immer wieder zu entgehen,
und dem Gespräch eine andere, allgemeinere Richtung zu geben.

Leifeldt dagegen zeigte sich still und zurückgezogen, der Freund hatte
Jenny's Seite noch kaum verlassen, seit sie das Zimmer betreten hatten,
und der junge Schwede versuchte umsonst der Gedanken ledig zu werden,
die ihm mit immer herberer Pein das Herz durchzogen.

»Aber Señor Federigo ist heute Abend so mißgestimmt,« sagte endlich die
alte Mrs. Newland, die sich bis dahin fast nur mit Don Gaspar und ihrer
Tochter unterhalten hatte, und den jungen Arzt eigentlich erst jetzt
in ihrem Gespräch vermißte -- »segne meine Seele, ich weiß mich noch
wahrlich nicht eines Wortes zu erinnern, das Sie heute den ganzen Abend
gesprochen hätten -- fehlt Ihnen etwas?« --

»Nicht das Mindeste,« lächelte Leifeldt, etwas verlegen aufstehend und
sich ihr nähernd -- »aber Sie waren Alle dort so gar lebhaft im Gespräch
begriffen.« --

»Und dazu gehören Sie eben so gut, Mr. Leifeldt,« sagte Jenny,
freundlich ihm die Hand reichend -- »wir sprachen eben davon, wie
glücklich wir uns schätzen dürfen, in einem fremden Lande so viele treue
und liebe Freunde gefunden zu haben, und wie dankbar wir dafür unserem
Schicksal sein müssen.«

»Das Wort _Freundschaft_ ist ein wilder Begriff, Señorita,« erwiederte
aber Don Gaspar rasch -- »und unsere Sprache ist arm, daß wir nicht im
Stande sind, dieß wunderlichste aller Gefühle in seine verschiedenen
Klassen einzutheilen.«

»Und haben _Sie_ verschiedene Klassen für Ihre Freundschaft, Don
Gaspar?« frug ihn das schöne Mädchen lächelnd.

»Allerdings,« sagte der Spanier rasch -- »und so streng geschieden von
einander, wie sie das wunderlichste Gefäß im menschlichen Körper -- das
Herz -- zu scheiden vermag -- Freunde, die ihr Leben für mich lassen
würden« -- und er reichte, während er sprach, dem jungen Schweden die
Hand -- »und Freunde, die mich verfolgen mit -- mit ihrer Liebe und mich
gern unter die Erde drücken möchten vor lauter Herzlichkeit -- Freunde,
deren Lächeln schon das Blut in froher Brust durch meine Adern jagt, und
Freunde, deren Kuß und Schwur es erstarren machen würde.«

»Und zu welchen dürfen wir uns da zählen?« frug Jenny leicht erröthend.

»Ich brauche Ihnen das nicht mehr mit Worten auszudrücken,« sagte Don
Gaspar mit dem herzlichsten Tone seiner Stimme, und während er die
Hand des Mädchens ergriff, bemerkte Leifeldt mit tiefem Schmerz,
wie es die ganze Gestalt der Jungfrau, einem elektrischen Schlage
gleich durchzuckte; »Sie haben mich hier Alle mit so unendlicher
Freundlichkeit behandelt« -- fuhr der Spanier dabei fort -- »ich
müßte ein Herz von Stein in der Brust haben, könnte es anders für Sie
schlagen, als es thut -- aber unser Gespräch wird zu ernst,« brach er
dann rasch und plötzlich ab, und Jenny's Hand loslassend und die der
Matrone ergreifend, setzte er lachend hinzu -- »da, Mama hat schon
Thränen in den Augen, und der dürfen wir doch wahrlich den heutigen,
fröhlichen Abend nicht verderben.«

In diesem Augenblick wurde zu Tische gerufen, und Jenny trat
fast unbewußt einen kleinen Schritt zurück, als ob sie sich der
Aufmerksamkeit der Übrigen entziehen wollte, bis -- Leifeldt wagte den
Gedanken nicht auszudenken und wollte eben an die alte Dame hinantreten,
dieser seinen Arm anzubieten, als Don Gaspar schon die Hand der Mrs.
Newland in seinen Arm zog, Mr. Newland mit Don Guzman im eifrigen
Gespräch langsam dem Speisezimmer zuschlenderte, und der junge Mann
jetzt nicht umhin konnte, Miß Newland zu geleiten. Jenny wollte etwas
sagen, als er sich ihr zögernd näherte, aber, ob sie fürchtete, ihm wehe
zu thun, oder nicht das rechte Wort fand zu beginnen, sie schwieg, und
ließ sich von ihm zur Tafel geleiten.

»Aber Don Gaspar,« begann hier Don Guzman, der dem Spanier gerade
gegenüber seinen Platz hatte, wie sie kaum ihre Sitze eingenommen
-- »ich habe Ihnen noch gar nicht erzählen können, daß der chilenische
Correo glücklich über die Berge von Mendoza herübergekommen ist, und
die Post von ein paar Monaten mitgebracht hat; elf Tage war er in der
dritten Casucha[15] drüben im Schnee »verschlossen«, und ihr Chargue[16]
mußte er mit seinen Leuten zuletzt trocken kauen, sich nur am Leben zu
erhalten -- sie wären beinahe verhungert, und der Temporale[17] soll
furchtbar gewüthet haben.«

  15: Die kleinen Steinhütten in den Cordilleren, zum Schutz der
      Reisenden errichtet.

  16: Getrocknetes Fleisch, ziemlich der einzige leicht tragbare
      Proviant unterwegs.

  17: Schneesturm.

»Die armen Menschen,« sagte Jenny mitleidig -- »es ist doch ein
entsetzliches Brod, sein Leben auf jedem solchen Marsch tollkühn auf's
Spiel zu setzen. Wie Viele sind schon dabei umgekommen, und immer und
immer wieder giebt es Andere, die der wenigen Unzen wegen die Glieder
dem Frost und Hungertode Preis geben.«

»Und Monte-Video ist immer noch nicht über?« sagte Leifeldt, dem es
wohlthat, gerade in diesem Augenblicke mit dem Fremden ein Gespräch zu
beginnen.

»Noch nicht, aber es kann sich keinesfalls lange mehr halten,«
erwiederte Don Guzman zuversichtlich -- »man spricht zwar von einem
Waffenstillstand, ich glaube jedoch, daß ihn die Unitarier nur
verlangen, zu kapituliren.«

»Und giebt es sonst nichts Neues in Buenos-Ayres?« frug Mr. Newland
dazwischen, den Argentiner auf ein anderes Kapitel zu bringen, und nicht
etwa genöthigt zu sein, die fremde Intervention mit ihm zu erörtern
-- »keine neue Revolution, keinen Überfall von Indianern?«

»Nichts derartiges,« lachte Don Guzman, »Se. Excellenz, der Gouverneur,
hält die Zügel der Regierung zu straff für dergleichen Versuche.«

»Aber die Indianer haben sich doch schon einige Mal gegen ihn in das
Feld geworfen,« warf Leifeldt ein -- »die einzelnen Gaucho-Hütten
überfallen, ja selbst die Städte bedroht und sogar der Argentinischen
Cavallerie Stand gehalten.«

»Ist allerdings vorgefallen,« meinte achselzuckend der Konsul, »jetzt
aber sind sie ruhig, und die Grenzbewohner werden wohl nicht wieder von
ihnen beunruhigt werden. Nein, aber etwas anderes hatte die Stadt in
jener Zeit aufgeregt, und es scheint wirklich seit lange Nichts die
Bewohner von Buenos-Ayres in solch Erstaunen versetzt zu haben, als die
Flucht eines Tollen aus einer Irrenanstalt -- die Blätter sprechen fast
von nichts Anderem.«

»Die Flucht eines Tollen?« riefen fast Alle wie aus einem Munde, und
Leifeldt, dessen Blick wie unwillkürlich Don Gaspar suchte, sah, wie
dieser in völligstem Gleichmuth ruhig, aber kaum bemerkbar vor sich hin
lächelte, und mit der Gabel spielte.

»Und hat man ihn nicht wieder bekommen?« frug ängstlich Jenny.

Don Gaspar biß sich auf die Lippen.

»Nein,« versicherte Don Guzman -- »merkwürdiger Weise ist er mit seinem
Arzte, einem Schweden, Namens Stierna, entwichen, und obgleich man
Anfangs alle Ursache hatte, zu vermuthen, Beide wären an Bord eines
Schiffes gegangen, tauchte doch auch zu gleicher Zeit ein Gerücht auf,
sie wären eine Strecke weit im Innern gesehen worden, und die Behörden,
dadurch irre geleitet, scheinen ihre Spur bis jetzt noch nicht wieder
aufgefunden zu haben.«

»Heiliger Gott,« sagte Jenny schaudernd und deckte sich dabei ihre Augen
mit beiden Händen -- »ich glaube, ich würde selber wahnsinnig, wenn ich
einem solchen entflohenen Tollen einmal plötzlich begegnete und ihm
nicht mehr entfliehen könnte.«

»Haben Sie noch nie einen Wahnsinnigen gesehen?« frug Don Guzman.

»Nie -- und Gott bewahre mich auch dafür,« erwiederte das Mädchen, schon
in dem Gedanken an solchen Fall zusammenbebend.

»Aber, liebes Kind,« sagte die Mutter -- »es giebt auch viele Leute mit
einem stillen Wahnsinn, denen man es gar nicht so sehr ansehen kann,
und die haben gar nichts Fürchterliches -- nur manchmal werden sie
gefährlich, wenn ihnen der Rappel kommt. Bei uns im Haus wohnte einmal
ein solcher, aber Du warst noch klein und kannst Dich wohl nicht mehr
auf ihn besinnen -- er sprang später einmal aus dem Fenster und brach
den Hals.«

»Es giebt überhaupt wohl keine Krankheit, die in so verschiedenen
Gestaltungen und Variationen auftritt, als gerade der Wahnsinn,« nahm
hier Mr. Newland das Wort, und Leifeldt hob den Blick fast unwillkürlich
zu dem Freund auf, der jedoch vollkommen ruhig, ja fast gleichgültig zu
dem Sprechenden hinüberschaute -- »von dem Rasenden,« fuhr Mr. Newland
fort, »der in seine Ketten beißt und schäumt, können wir die Grade
hinunterführen bis zu dem Misanthropen, und während der Eine selbst dem
unerschrockensten Menschen, dem, der jeder anderen Gefahr lachend und
muthig entgegen gehen würde, mit unnennbarem, unlöschbarem Entsetzen
erfüllt, treffen wir den Andern gar nicht so selten in unserer eigenen
Mitte und die Krankheit, die ein Zufall vielleicht zum hellen Ausbruch
geführt, schläft in ihm, nur ihm selber fühlbar, bis zu seinem Tode.
Ich bin überzeugt, wir kommen mit hunderten dieser Art zusammen, ohne
den Wurm zu ahnen, der in ihnen schlummert und vielleicht nur eines
zufälligen Funkens bedurft hätte, zu lichter Lohe emporzubrennen.«

»Um Gottes Willen, Väterchen,« bat da das schöne Mädchen -- »sage doch
nicht so Entsetzliches -- es wäre ja gräßlich, in jedem stillen Menschen
einen angehenden Wahnsinnigen fürchten zu müssen -- lachen Sie doch Don
Gaspar, lachen Sie doch Doktor, mir läuft es wahrhaftig schon jetzt
eiskalt über den Körper, wenn ich Sie Alle so _still_ und ernsthaft da
sitzen sehe.«

»Señor Newland macht sich über uns lustig,« sagte aber der Spanier
lächelnd, indem er sich zu der Jungfrau hinüber bog, »er will mich von
neulich in meiner eigenen Münze bezahlen -- es hat überhaupt einen
eigenen Reiz, sich vor etwas zu fürchten, und von dem Kind an verläßt
uns das Gefühl nicht, bis zum Greisenalter; aber Don Guzman erzählt uns
vielleicht ein wenig ausführlicher, wie es mit der Flucht des Verrückten
zugegangen -- hahaha, ich fange wahrhaftig selber an, mich für den Mann
zu interessiren -- und hat den eigenen Arzt mitgenommen, he?« --

»Den Arzt der Anstalt selber,« bestätigte der Argentiner -- »man
begreift eigentlich gar nicht, wie es möglich war, aber der Tolle muß
ihm jedenfalls Versprechungen gemacht haben, und der Doktor ist noch
toller gewesen, sie ihm zu glauben.«

Don Gaspar lachte laut auf, und Leifeldt schaute einen Moment etwas
verlegen vor sich nieder -- es war ihm nicht lieb, daß Don Gaspar so
gewissermaßen muthwillig die Gefahr, verrathen zu werden, herausforderte.
Niemand konnte allerdings in diesem Augenblick einen Verdacht haben,
daß sie selber die Flüchtigen wären, und sogar im schlimmsten Fall
ihrer Entdeckung reichte doch Rosas Arm nicht bis hier herüber, seinen
Gefangenen zurückzufordern; nichts desto weniger brachte es sie in ein
schlechtes Licht und -- die Hauptsache -- in das Gerede der Müßigen,
weshalb also einen solchen Fall noch herausfordern.

»Aber in was bestand seine Tollheit?« frug jetzt der Spanier wieder,
ohne den Blick des Freundes zu verstehen oder zu beachten, der ihn
warnen wollte, zu weit zu gehen -- »hat man nicht erfahren können, in
welcher Art sie sich zeigte, daß selbst der Arzt darauf einging oder
getäuscht werden konnte? und _war_ der Mann überhaupt wahnsinnig?« -- Er
bog sich plötzlich vor und schaute den Konsul mit seinen großen dunklen
Augen erwartungsvoll an -- »man hat Beispiele, daß gesunde Menschen,
ihrer etwas unbequemen Gegenwart enthoben zu sein, in solcher Art
eingekerkert wurden und langsam und elend vergehen und verderben
mußten.«

»Nein, nein,« rief Don Guzman rasch, »die Beweise lagen hier wohl zu
klar auf der Hand. Vorher scheint irgend eine lange Geschichte gegangen
zu sein, aus der man aber, den Zeitungen nach, nicht klug wird, nur so
viel ist gewiß, daß der Kranke irgend einer hochgestellten Person -- es
ist nicht gesagt weshalb -- nach dem Leben trachtete, auch schon in
seiner Raserei viel Blut vergossen haben soll, so daß man allerdings
nicht ohne Besorgnisse war, der Entflohene würde jenen wieder
aufzufinden wissen.«

»Und diese hochgestellte Person?« frug Don Gaspar lauernd.

»Wurde nicht genannt,« erwiederte Don Guzman, »Sie wissen, daß die
Zeitungen in Buenos-Ayres unter einer ziemlich strengen Censur stehen,
und die Redakteure befassen sich nicht gern unnöthiger Weise mit
wirklichen Namen, über die sie vielleicht einmal später könnten
aufgefordert werden, Rechenschaft zu geben. Der des Entsprungenen soll
_Morelos_ gewesen sein.«

»Aber ich werde nun ernstlich böse, wenn Sie nicht die entsetzliche
Unterhaltung schließen,« rief da endlich Jenny -- »ist das ein Gespräch
für ein Familienfest und wollen Sie mir denn mit Gewalt den Abend
verderben?«

»Aber mein Fräulein --«

»Keine Einwendungen, Don Gaspar,« rief jedoch die junge Dame in
halb scherzhaftem, aber auch entschiedenem Tone -- »ich will gern
eingestehen, daß ich eine furchtbare, vielleicht kindliche Angst vor
einem Wesen habe, das ohne Geist -- eine wandernde Leiche -- umhergeht,
ich kann nun einmal diesen Gedanken nicht los werden, und wer mir jetzt
eine rechte Freude erweisen will, erzählt eine hübsche und _muntere_
Geschichte, daß wir die trüben Schatten verscheuchen, die wirklich schon
anfangen sich um uns zu sammeln.«

»Muntre Geschichten?« rief da Don Gaspar, rasch emporspringend, »da bin
ich Ihr Mann -- hol der Böse das Grillenfangen -- wenn nicht der Humor
manchmal dem Menschen zu Hülfe käme, es säh' schlecht in der Welt aus.
-- Aber der Ernst ist uns trotzdem dabei oft näher als wir denken, und
der Tod schaut ins Fenster, wenn wir glauben die Sonne sei es.« --

»Aber Don Gaspar --«

»Ich kannte einen alten Musikus in Madrid -- hahaha, ich muß jetzt noch
lachen, wenn ich an den alten Burschen denke, und es sind lange, lange
Jahre verflossen, seit sie ihn in sein letztes Bett hinaustrugen -- der
hatte einen unverwüstlichen Humor und eine Gabe zu erzählen, und das
Erzählte mit Akkorden und kurzen Sätzen, Präludien und Nachspielen
seiner Geige zu begleiten, daß man manchmal wahrhaftig gar nicht mehr
wußte, ob er spielte oder erzählte, die Töne schienen mit zu sprechen,
die Worte zu tönen und eine eigene barocke Manier, die er sich angewöhnt
und mit der er das Producirte gewissermaßen von sich abstieß, riß seine
Zuhörer, in ihrem wunderlichen Effekt nicht selten zum stürmischen Jubel
hin. Als ich ihn das letzte Mal hörte, hatte er uns gerade eine Skizze
seines eigenen Lebens erzählt, und während uns die Thränen aus den
Augen liefen, denn er hatte genug erduldet für einen einzelnen
Menschen, schrieen wir auch wieder vor Lachen; und wie er zuletzt mit
dahineingreifenden tollen Akkorden schloß und dazwischen schrie und
spielte, übertäubte das folgende Gelächter endlich jeden seiner Laute
dermaßen, daß er wirklich stillschweigen mußte und eine Zeit lang ruhig
sitzen blieb. -- Als wir endlich wieder zu uns kamen und ihn bitten
wollten, fortzufahren -- war er todt. -- Nein, Señorita -- verlassen Sie
uns nicht!« -- rief er plötzlich, als Jenny eine Bewegung machte, als
ob sie vom Tisch aufstehen wollte -- »ich mache wieder gut, was ich
gefehlt« -- und aufspringend setzt er sich an das offene Clavier, auf
dem er mit einem weichen Andante begann, die Töne aber mehr und mehr
anschwellen ließ und endlich in einem wilden Allegro all die neckischen,
englischen und irischen Melodien einflocht, die sie früher so oft
mitsammen geübt und gesungen hatten.

Von dem Augenblick an war es auch, als ob ein ganz anderer Geist über
die kleine Gesellschaft komme, Don Guzman, der noch einmal von dem
entsprungenen Tollhäusler anfangen wollte, wurde gleich unterbrochen und
in den Strudel eines anderen Gesprächs hineingerissen und vor Allen Don
Gaspar hatte sich noch nie so liebenswürdig, ja förmlich ausgelassen
gezeigt, als an diesem Abend. Er war unerschöpflich im Erfinden und
Erzählen, und Jenny lachte und jubelte bald mit den Übrigen.

Es wurde spät und Don Gaspar selber mahnte mehrmals an den Aufbruch,
Jenny aber bat immer wieder, nur noch ein ganz klein wenig zu bleiben,
und des Spaniers Herz hätte müssen von Eisen sein, wenn er solcher Bitte
widerstehen gekonnt.

Eigenthümlich war dabei das Benehmen Don Guzmans, der anfänglich, und
zwar schon den ganzen Abend hindurch, Don Gaspar stets, wenn er sich
besonders unbemerkt glaubte, aufmerksam fixirte und vorzüglich Leifeldt
dadurch beunruhigte, der nicht mit Unrecht fürchtete, der Argentiner
habe einen, wenn auch vielleicht noch vollkommen unbestimmten Verdacht
gefaßt, der wohl noch durch das anfänglich wunderliche Betragen Don
Gaspars verstärkt werden mochte. Wie aber die Laune desselben sich mehr
und mehr den Abend hindurch entwickelte, schwand auch augenscheinlich
dieses Gefühl, der sonst ziemlich ernste Argentiner wurde freundlich
und zutraulich, und als der Wein erst die Köpfe ein wenig erwärmt hatte,
war er mit dem Spanier so befreundet worden, daß er sich zu ihm setzte,
und die beiden Männer lachten zusammen, daß ihnen die Thränen aus den
Augen liefen.

Leifeldt wurde allerdings von der lebendiger werdenden Unterhaltung
unwillkürlich mit fortgerissen, aber der einmal gefaßte Verdacht, daß
Jenny nicht ihn selber, sondern den Freund liebe, verbitterte ihm
nicht allein den Abend, sondern füllte sein Herz auch mit recht tiefem,
schmerzlichem Weh. Er wußte es wohl, er hatte es sich schon in den
letzten Wochen nicht mehr gut fortleugnen können, aber immer noch schien
eine schwache Hoffnung ihn über Wasser gehalten zu haben, heute aber
schwand auch diese, und Jennys ganzes Benehmen, jeder schüchterne Blick,
wenn sie sich unbeobachtet glaubte -- ihr Erröthen, ihr Erblassen in den
Erzählungen seines eigenen Lebens, warfen ein furchtbares, aber nur zu
treues Licht in seine Seele.

Mit diesem Bewußtsein faßte er nun aber auch den festen Entschluß,
zu dem Freund zu sprechen -- er wollte wissen, was der Spanier zu
thun beabsichtige -- er wollte seine Plane hören, denn nicht an ein
leichtsinnig Spiel dieses Mannes sollte das Herz, das einstige Glück
dieses Mädchens gebunden werden. Erst dieser Entschluß brachte aber
auch seiner Seele wieder die volle Ruhe und jede Schwäche von sich
abschüttelnd, fühlte er, wie er das schöne Mädchen wirklich aufrichtig
genug liebe, ihr freudig das eigene Glück zum Opfer zu bringen und über
ihr künftiges Leben mit treuer Freundes Sorgfalt zu wachen. So in sich
selbst erstarkt, nahm er mehr und mehr an dem Gespräche Theil, und
die alte Mrs. Newland, die ihn besonders in ihr Herz geschlossen,
versicherte ihm noch, bevor sie Abschied nahmen, »daß es ihrer Seele
wohl thäte, den guten Doktor auch einmal wieder so frisch und fröhlich
bei sich zu sehen; -- der Don Gaspar,« setzte sie dann in ihrer
Gutmüthigkeit hinzu -- »ist doch ein herrlicher Mensch, er bringt
Leben und Bewegung in eine ganze Gesellschaft, nur ein Bischen zu toll
treibt er's manchmal, und heute Abend besonders macht er doch die
ausgelassensten Streiche -- segne seine Augen, ich bin ihm ordentlich
gut.«

Don Guzman mahnte endlich zum Aufbruch -- es war Mitternacht schon
vorüber, und da die drei Männer ziemlich einen Weg hatten, verließen
sie zusammen Mr. Newlands gastliches Dach und wanderten die stille,
menschenleere Straße noch lachend und erzählend hinauf, während hinter
ihnen die Wächter ihren scharfen Pfiff ertönen ließen[18] und die
einsamen, stillen Häuserreihen allein den Ausbruch ihrer lauten
Fröhlichkeit wiedertönten.

  18: Die Nachtwächter Valparaisos geben einen gellenden Pfiff,
      wenn Nachts irgend ein Mann an ihnen vorübergeht; dadurch wird
      der nächste Nachtwächter darauf aufmerksam gemacht, daß noch
      Jemand auf ist, der eigentlich ins Bett gehörte, erwartet den
      Wandernden und giebt dasselbe Zeichen, wenn er an ihm vorüber
      gegangen ist.




8.

Die Entdeckung.


»Aber wissen Sie, liebster Don Gaspar,« sagte endlich der Argentiner,
als sie an einer der Querstraßen-Ecken, wo dieser von ihnen Abschied
nehmen mußte, stehn geblieben waren, das begonnene Gespräch erst zu
beenden -- »wissen Sie, für was ich Sie heute Abend einmal eine ganze
Weile gehalten habe?« --

»Nun, Señor?« lachte der Spanier -- »doch nicht etwa für den Bösen
selber, der sich in Menschengestalt einen kleinen Spaß mache und nach
Seelen angele, doch nicht für den Feind?« --

»Nein,« sagte Don Guzman lachend. --

»Oder für einen spanischen Spion, der vom Mutterlande herüber geschickt
wäre, sich der Colonien wieder zu versichern?«

»Auch nicht,« lautete die Antwort, »noch schlimmer« --

»Noch schlimmer als Teufel oder Spion?« lachte Don Gaspar, »das ist
schmeichelhaft -- und für was sonst noch?«

»Für den entsprungenen Tollen!« rief Don Guzman, und Alles, was er noch
weiter sagen wollte, erstarb in dem schallenden, dröhnenden Gelächter
des Spaniers, der sich gar nicht wieder zufrieden geben konnte. --

»Aber ich versichere Sie, bester Don Gaspar!« --

»Hahahahaha!« -- donnerte das dröhnende Lachen dazwischen.

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich« --

»Hahahahaha!« --

Der Argentiner mußte zuletzt selber mit in das Lachen einstimmen, und
anstatt dem Spanier den Grund solchen Verdachtes anzugeben, wie er es im
Anfang beabsichtigt, jetzt nur auf seine Vertheidigung sinnen und sich
entschuldigen, einen solchen Fehlgriff begangen zu haben. Eine kurze
Weile plauderten dann die Männer noch mit einander, und wünschten sich
dann eine gute Nacht, vorher aber lud Don Guzman die beiden Freunde noch
auf das Herzlichste ein, ihn recht bald einmal ebenfalls zu besuchen,
was sie ihm auch fest versprachen.

Don Guzman betrat gleich darauf sein Haus und Don Gaspar und Leifeldt
wanderten dem ihrigen, beide jetzt still und schweigend, zu.

Leifeldt hatte überhaupt während der ganzen letzten, so laut und munter
geführten Unterhaltung, nicht ein Wort gesprochen -- es fing ihm an
peinlich zu werden, ihre Flucht von Buenos-Ayres erwähnen zu hören,
und wenn er auch für sich selber nicht die geringsten bösen Folgen
zu fürchten brauchte, hätte er sich hier, in der Stadt zu jenem Fall
bekannt, war ihm doch die ganze Sache fatal, und er begriff Don Gaspars
Leichtsinn und Fröhlichkeit in dieser Hinsicht nicht. Auch sein falscher
Name fing ihm an drückend zu werden und er wußte nur nicht jetzt, wie
ihn abzuschütteln, ohne denen, an deren Meinung ihm etwas gelegen, in
einem falschen Lichte zu erscheinen.

Zu diesem kam noch der Entschluß, der in seiner Seele kämpfte, Licht und
Erklärung selber von dem Freund, die Geliebte betreffend, zu erhalten,
ein Entschluß, gegen den er noch immer in seinem Innern ankämpfte,
der sich ihm aber mit jeder Minute auch als immer dringender werdende
Nothwendigkeit aufdrängte.

So erreichten sie ihre Wohnung, Jeder in seinen Gedanken vertieft und
ohne auch nur eine Silbe weiter mit einander zu wechseln, und während
Leifeldt mit untergeschlagenen Armen rasch in dem kleinen Gemach auf- und
abging, hatte sich Don Gaspar in die eine Ecke des Sophas geworfen und
starrte mit zusammengezogenen Brauen vor sich nieder.

Plötzlich blieb der junge Schwede vor dem Spanier stehen und sagte mit
leiser, aber fester und entschiedener Stimme:

»Gaspar, ich habe etwas auf dem Herzen, das ich nicht länger mehr allein
zu ertragen vermag, und es ist nöthig, daß wir uns darüber verständigen,
oder ich gehe in der steten Aufreibung meiner Kräfte und Gedanken völlig
zu Grunde.«

Don Gaspar erwiederte kein Wort, sondern schlug nur die großen dunklen
Augen staunend und erwartungsvoll zu ihm auf und blieb ruhig und
regungslos in seiner Stellung.

»Wie stehst Du zu Miß Newland?« fuhr da der Schwede noch leiser fast
fort, und man sah, es hatte ihm schwere Überwindung gekostet, den Namen
endlich auszusprechen.

»Miß Newland?« sagte aber Don Gaspar erstaunt, und ein eigenthümliches
Lächeln zuckte und blitzte über seine, heute Abend ungewöhnlich bleichen
Züge -- »wie soll ich zu Miß Newland stehn? -- höchst freundschaftlich,
hoff' ich doch.«

»Eine Umgehung meiner Frage hilft Dir nichts mehr,« rief aber Leifeldt,
durch die, wie er glaubte, angenommene und verstellte Gleichgültigkeit
des Freundes mehr gereizt und in seinem Entschluß bestärkt, »Du kannst
mich nicht glauben machen, daß Dir das schöne Mädchen gleichgültig sei
-- es ist nicht möglich, daß Du blind gegen die Neigung wärest, die
_sie_ für Dich empfindet.«

»Neigung _für mich_?« rief aber jetzt der Spanier mit wirklichem
Erstaunen und richtete sich auf seinem Sitz empor, »wie kommst Du zu dem
tollen, abenteuerlichen Gedanken? -- Wie kann das Mädchen eine Neigung
für mich empfinden -- -- was kann sie _mir_ sein?« --

»Was sie _Dir_ sein kann, Mensch?« -- rief aber der Schwede jetzt durch
die fast wegwerfenden Worte auf das tiefste erschüttert und empört, »was
sie _Dir_ sein kann? -- Heiliger Gott im Himmel, mir hat es Herz und
Seele zerrissen, nur den Gedanken zu fassen, sie aufzugeben, und doch
würfe ich meiner Seele Heil selbst freudig in die Schaale, sie nur
glücklich zu wissen, und Du, Du könntest sie darum an Dich gezogen
haben, nur um sie gleichgültig wieder wie ein Spielwerk, das dem Kinde
genügt, wie eine welke Blume bei Seite zu werfen, ja ohne vielleicht
einmal Freude, ohne eine einzige Regung des Herzens bei der »Tändelei«
gefühlt zu haben?« --

»Aber Federigo, Du faselst,« sagte der Spanier, und ein eignes
eigenthümliches Lächeln zuckte plötzlich über seine Züge, -- »oder ich
verstehe Dich auch falsch -- Du meinst doch nicht, daß mich das Mädchen
liebt, und daß ich sie heirathen soll?« --

»Allerdings mein' ich das,« erwiederte der junge Schwede mit ernster,
fast tonloser Stimme.

»Und soll ich mich hier hängen oder in's Zuchthaus sperren lassen?« frug
Don Gaspar laut auflachend.

»Wie soll ich das verstehn? -- weshalb?« --

»Aus sehr einfachem Grunde -- wie viel Frauen kann ein Mann in diesen
Südamerikanischen Republiken nehmen?« frug Don Gaspar und stellte sich,
die Arme auf der Brust in einander geschlagen, den Kopf auf die linke
Seite geneigt, mit einem komischen Spotte in den Zügen vor dem Schweden
hin.

»Wie viel Frauen? -- natürlich nur _eine_ -- _bist_ Du denn aber schon
verheirathet?« rief der Schwede in unverhehltem Erstaunen.

Eine wunderbare Veränderung ging bei dieser Frage in den Zügen des
Spaniers vor -- zuerst schoß ihm das Blut in Wange und Stirn, als ob es
die Adern zu durchbrechen drohte, und im nächsten Augenblick ließ es ihm
das Antlitz so weiß und kalt, daß die schwarzen großen Augen unheimlich
und wild unter der todtenbleichen Stirn hervorglühten; dann strich er
sich ein paar Mal mit der flachen Hand über die Stirn, und es war fast,
als ob er gegen ein in ihm erwachendes, aufdrängendes Gefühl stark und
gewaltsam anzukämpfen suchte, -- er schien auch des Freundes Frage ganz
überhört zu haben, gab wenigstens keine Antwort, und erst, als dieser
dieselbe wiederholte, lachte er plötzlich still vor sich hin und sagte,
die Hand auf des Arztes Schulter legend, leise und zutraulich --

»Versteht sich, Freundchen, versteht sich -- aber -- man spricht nicht
gern davon. Eine Frau ist ein liebenswürdiger Gegenstand zu Hause, doch
höchst unbequem auf der Reise, und -- man läßt sie deshalb lieber, wo
sie am liebsten ist.«

»Aber wie ist mir denn, in des Himmels Namen,« rief der junge Arzt
verstört, »hast Du mir denn nicht früher gesagt --?«

»Pst, Freund,« flüsterte der Spanier und lauschte nach dem Nachbarzimmer
hinüber, als ob er fürchte, von dort behorcht zu werden, »ich will Dir
die ganze Geschichte mit wenigen Worten erzählen, -- es ist freilich
schon spät, aber wir sind Beide jetzt zu aufgeregt, schlafen zu können
und -- heute ist so gut eine Zeit dafür, wie jede andere.« -- Und seine
Hand ergreifend, führte er ihn zum Sopha und begann, sich an seiner
Seite niederlassend, auch rasch und ohne weitere Vorrede dem staunenden
Freund sein bisher so sorgfältig verschlossen gehaltenes Innere zu
öffnen.

»Wenn ich nicht irre,« sagte er, und strich sich dabei sinnend mit der
linken Hand die Stirn, -- »habe ich schon früher einmal angefangen, Dir
einen Theil meiner Lebensgeschichte zu erzählen -- wir wurden damals
unterbrochen, ich habe vergessen durch was, -- Du weißt jedenfalls,
daß mein Bruder damals statt meiner von Rosas Henkern ermordet oder
gerichtet wurde.« --

»Dein Bruder? -- also doch?« -- rief der Arzt schaudernd.

»Also doch?« wiederholte Don Gaspar, »allerdings; Du hättest dabei sein
sollen,« fuhr er plötzlich lebhafter fort, und die Hand deutete, dem
stieren Blick folgend, in die Ecke des Zimmers -- »Du hättest dabei sein
sollen, wie sie den Mantel zurückschlugen, unter dem die Leiche lag, und
ich in den starren, blutigen Zügen den _Bruder_ erkannte, den ich seit
meinem zwölften Jahre nicht gesehen, und jetzt _so_ -- _so_ -- für
_mich_ geschlachtet, wiederfinden sollte. -- Du hättest dabei sein
sollen, wie sie aufschrieen, als sie dasselbe Gesicht _lebend_ zwischen
sich sahen, das entstellt, entseelt vor ihnen im Schmutz der Straße lag
-- hahahaha, ich müßte jetzt noch lachen, wenn mir nicht eben das Blut
in den Adern erstarrte.« --

Er schwieg erschöpft still, stützte die Stirn viele Minuten lang in
beide Hände, und fuhr dann, während ihn Leifeldt mit ernstem,
mitleidigem Blick betrachtete, leiser noch und langsamer fort:

»So lag ich -- ich weiß nicht wie lange, auf der Straße, unter dem
blutigen Tuch, und erst gegen Abend trugen sie mich hinaus und begruben
mich -- ich glaube aus besonderer Rücksicht -- unter einem alten
Ombubaum an der Boka.« --

»_Dich_?« rief Leifeldt überrascht -- »Deinen Bruder!«

»Mein Bruder? -- ja ich weiß nicht, was mit dem gleich wurde -- ich hatte
damals zu viel für mich selbst zu denken,« murmelte der Unglückliche mit
halblauter Stimme und fast nur wie mit sich selber redend -- »aber
da ich die beiden Argentiner ermordet hatte (und wir Beiden uns so
entsetzlich ähnlich sahen), doch aber nun leider einmal todt war, so
begruben sie mich auch eben, und das Einzige, was ich mir bis jetzt noch
immer nicht so recht erklären kann,« fuhr er, den Finger wie überlegend
an die Nase bringend, fort -- »ist, daß ich nachher -- aber ich weiß
nicht mehr wie lange -- Trauer anlegte in der Stadt und zu meinen
Schwiegereltern ging, ihnen die schmerzliche Nachricht von dem Tod
meines Bruders, der sich thörichter Weise in ein Duell mit zwei
Argentinern eingeladen, mitzutheilen. Ich erinnere mich noch« -- setzte
er unheimlich lächelnd hinzu, -- »wie toll sich meine Frau damals
gebehrdete -- wie sie mich von sich stieß und ein alter Mann mir den
Eingang verwehren wollte -- ich warf den alten Mann damals aus dem
Fenster und ich glaube, er hat den Hals gebrochen, ich habe ihn
wenigstens niemals wiedergesehn, aber auch einen Fremden fand ich bei
ihr im Hause -- wahrhaftig, einen der Burschen, die ich auf der Straße
todtgestochen -- und die _Teufel_ schrien mir zu, das sei ihr Mann. --
Ich wollte ihm um den Hals fallen -- hahahahaha -- aber sie litten es
nicht -- eine Menge Menschen kamen dazwischen, und ich glaube -- ich
glaube, ich ging wieder nachher hinaus unter den Ombubaum, aber das
Alles liegt mir jetzt nur noch, einem Chaos gleich, im Gedächtniß.«

»Die Bilder davon schwimmen zusammen, steigen oft zu riesigen
Bergmassen auf, daß ich fürchten muß, sie würden mich unter ihrer Last
zusammenpressen, und schwinden dann wieder zusammen, daß das Auge den
winzigen, blitzschnell kreisenden, schwingenden Dingen kaum zu folgen
vermag.«

Er schwieg einen Augenblick und die Stirn in den, auf den Tisch
gestützten Arm werfend, lehnte er wohl eine halbe Minute regungslos
da und schien die wild heraufbeschworenen Bilder seiner Phantasie
zurückdrängen zu wollen in ihr altes, ruhiges Bett. Leifeldt aber saß
mit sträubendem Haar und peinvoll schlagendem Herzen neben dem Freund
-- das Blut schien seine Adern, das Leben seine Glieder verlassen zu
haben, und nur den stieren Blick auf die zusammengebrochene Gestalt
des Unglücklichen gebannt, hellte sich zum ersten Mal seinem Auge
der wirkliche Zustand des Mannes, den er selber wieder in das Leben
eingeführt, und die furchtbare Gewißheit, einem _Wahnsinnigen_ gegenüber
zu stehen, trieb ihm das Blut in rasenden Schlägen zum schreckerfüllten
Herz zurück.

Don Gaspar sah aber nicht den auf ihm haftenden Blick des Entsetzens, ja
er schien die Nähe einer anderen Person fast ganz vergessen zu haben und
fuhr nur, wie zu sich selber sprechend, leise fort:

»Es war nicht hübsch von Constancia -- ein falscher -- falscher Name
-- es war nicht hübsch von ihr, mich so bald zu vergessen, aber wart
Bursche, wart -- Du hast ihr trügerische Geschichten in's Ohr geraunt,
meine Briefe unterschlagen, meine Existenz verleugnet -- hast sie
fortgeschleppt in die Fremde und mich selber in Ketten und Banden
geworfen und Dein alter Name, Don Luis de Gomez schützte Dich in der
Zeit in Deiner Verrätherei, aber jetzt -- hahahaha -- bin ich frei,
frei, frei« -- und er sprang empor bei den Worten und seine Augen
blitzten und funkelten in wildem wahnsinnigen Feuer -- »frei wie der
Tiger, der in dem dunklen Waldesschatten seiner Beute geduldig, aber mit
wilder Gier entgegenharrt -- frei wie der« -- er schwieg plötzlich, denn
sein Blick fiel in dem Moment auf das stiere, blaue Auge des jungen
Schweden, das ihn fest und entsetzt fixirte, und als ob der Blick eine
förmlich magische Gewalt über ihn ausgeübt habe, sank er still wieder in
sich selbst zusammen und schaute erst vor sich nieder und dann empor und
umher, wie ein Mann, der plötzlich aus einem schweren Traum erwacht,
und sich wachend müht, die eben geschauten Bilder zu halten und dem
lebendig gewordenen Auge zu bewahren.

»Ich darf keinen Wein mehr Abends trinken,« sagte er plötzlich
aufstehend, und mit beiden Händen gegen seine Schläfe gepreßt, im Zimmer
auf- und abgehend -- »er bekommt mir nicht, und macht mir das Blut
schwer und unbändig -- nicht wahr, es ist spät, Federigo?« --

Er hatte diese Worte gesprochen, ohne dem Blick des Freundes auch nur
in einem Moment wieder zu begegnen, und das Auge des Arztes war ihm in
stummen Staunen durch den Raum auf und ab gefolgt; aber zu plötzlich, zu
unerwartet kam diese Änderung des eben noch so furchtbaren Zustandes
-- der Übergang fehlte zwischen den beiden Extremen und Leifeldt, sich
selber kaum bewußt, was er sagte, flüsterte nur halblaut:

»Constancia!«

Der Name wirkte mit Blitzesschnelle auf den Spanier -- er blieb stehn,
sah den Freund rasch und forschend an, und sagte dann lächelnd:

»Constancia? -- wie kommst Du auf _den_ Namen?«

»Und nanntest Du ihn nicht selber?« frug der Schwede.

»Ich?« -- rief Don Gaspar, jedenfalls mehr erschreckt als erstaunt,
»_ich_ hätte den Namen genannt? -- und doch, ja -- es ist möglich; --
das sind ja die alten wunderlichen Ideen, die sie mir in Buenos-Ayres
andichten wollten, und so lange haben sie mir den Unsinn vorerzählt, bis
ich beinah dazu getrieben gewesen wäre, jene Wahnsinn herausfordernden
Gedanken auch selber zu glauben. -- Aber es ist spät, Federigo, wir
wollen morgen wieder früh aufstehn, und da taugt das lange Schwärmen
nichts gute Nacht, Federigo, gute Nacht,« -- und das eine Licht, das
noch unangezündet auf dem Tische stand, an dem anderen entzündend,
reichte er dem Freunde, wie er das alle Abend that, die Hand, und
verließ dann langsam das Zimmer -- aber er vermied seinen Blick -- er
wandte den Kopf nicht wieder um, als er ging.




9.

Entschlüsse und Pläne.


Der junge Arzt stand wie in den Boden gewurzelt, den stieren Blick noch
immer auf die Thür geheftet, als schon jener das Zimmer lange, lange
verlassen, und es bedurfte einer geraumen Zeit, ehe er sich nur selbst
genug zu fassen wußte, alles das zu _begreifen_, was in der letzten
Stunde mit ihm vorgegangen; erst dann aber war es, daß er das ganze
Entsetzliche seiner Lage begriff, und sich, vernichtet, in einen Stuhl
werfend, barg er das Antlitz in den Händen und schluchzte laut.

Was ihm, ein dunkler, furchtbarer Verdacht, nur manchmal wie das kalte
Wetterleuchten einer Schneenacht durch die Seele gezuckt -- was ihm
selbst dann, wo er den Gedanken von sich warf in wilder Hast, in den
wenigen Momenten das Herz mit Furcht und Entsetzen erfüllte -- es war
Wahrheit geworden, und mit flammenden Buchstaben stand es vor seinem
inneren Auge, was er mit leichtgläubigem, thörichtem Herzen gethan.

Einem Wahnsinnigen hatte er zur Flucht aus dem Krankenhaus geholfen
-- einen Wahnsinnigen eingeführt in den stillen Familienkreis der
Freunde, und Jenny -- heiliger Gott und Erbarmer -- Jenny war elend
geworden durch ihn, durch ihn, der sein Leben mit Freuden hinausgeworfen
hätte, ihr eines Jahres Glück dafür zu kaufen.

       *       *       *       *       *

Er verbrachte die ganze Nacht damit, im Zimmer auf und ab zu gehen und
Pläne zu ersinnen, all dem Unheil vorzubeugen, das er selber muthwillig
heraufbeschworen -- Pläne, die er wieder verwarf, wie sie kaum in
ihm aufgestiegen und er fürchtete selbst den anbrechenden Tag, der
vielleicht schon die Entwickelung des Entsetzlichen mit sich bringen
konnte.

       *       *       *       *       *

Was sollte er thun, wie dem tödtlichen Pfeile wehren, der, einmal der
Sehne entflogen, in wilder Flucht seinem Ziele entgegenstrebte? -- Sich
selber den Gerichten entdecken? bekennen, was er mitleidigen und selbst
getäuschten Herzens gethan und den Wahnsinnigen wieder in die Gewalt
einer Anstalt liefern? es war das Einzige, was ihm, so viel er sinnen
mochte, vernünftiger Weise zu thun übrig blieb, und doch sträubte sich
immer und immer wieder sein Herz gegen solche Maaßregel der Gewalt, die
den Unglücklichen, mit dem er nun einmal Freud und Leid so lange Monate
getheilt, auf's Neue in die Mauern eines Kerkers, vielleicht in die
alten Räume zurückwerfen mußte, und hatte er da nicht die Gewißheit, das
endlich im furchtbarsten Maaße zu werden, was jetzt doch noch möglicher
Weise durch treue Freundeshand geheilt, oder wenigstens gemildert werden
konnte? --

Und Jenny -- mußte ihr nicht das Herz brechen, wenn sie den Geliebten
-- _Geliebten_? einen Wahnsinnigen -- arme, arme Jenny.

Er wollte fliehen, aber war nicht gerade jetzt seine Gegenwart es
allein, die noch vielleicht Unglück und Verderben von bedrohten,
_lieben_ Häusern abwehren konnte? er wollte hin zu Newlands, und sie von
dem Schrecklichen in Kenntniß setzen, und fürchtete doch auch wieder den
Augenblick, wo er dem Mädchen gegenüber die Schreckensworte aussprechen
sollte.

Ihm schwindelte zuletzt von all den Gedanken; die ihm Hirn und Seele
folterten, und zum Tode erschöpft, warf er sich endlich auf sein Lager
-- seine Angst, sein Weh fortzuträumen in tollen Bildern.

Als er am nächsten Morgen erwachte, stand Don Gaspar an seinem Bett,
und noch ehe er sich die Vorgänge des letzten Abends ins Gedächtniß
zurückrufen konnte -- und nur die dunkle Erinnerung daran lag noch,
eine Last, auf seiner Seele -- bat ihn der Spanier mit vollkommen
unbefangener, ruhiger Stimme, aufzustehen und sich anzuziehen -- das
Wetter sei wundervoll und sie wollten einen Spatziergang mitsammen
machen. Fast mechanisch gehorchte er, so oft er aber auch versuchte
dem Blick des Unglücklichen zu begegnen, so oft mißlang ihm das, und
Don Gaspar trat zuletzt an das Fenster, und schaute, an den Scheiben
trommelnd, hinaus, bis jener seine Toilette beendet hatte und ihm auf
die Straße folgen konnte.

Auch dort waren sie schon eine lange Strecke neben einander hingeschritten,
ehe Einer von ihnen auch nur ein Wort gesprochen hätte -- sie schienen
sich Beide vor einem Beginn zu fürchten, und so stutzig Leifeldt im
Anfang über das vollkommen gefaßte, stille Benehmen des Mannes gewesen
sein mochte, bei dem er die Raserei wieder voll ausgebrochen glaubte,
so blieb es doch auch keinem Zweifel unterworfen, daß der Spanier sich
dessen, was er gestern getrieben, wenigstens halb bewußt sein mußte.
Sein ganzes, scheues Benehmen sprach ihn schuldig und Leifeldt wußte nur
nicht, ob ihm der ganze vergangene Abend klar im Gedächtniß liege, mit
all den Einzelheiten dessen, was er gethan und gesprochen, oder ob nur
eine wilde, unbestimmte Ahnung begonnenen Unheils in ihm gähre und
arbeite, und er jetzt darauf hoffe, durch den Freund von selbst und ohne
weiter darauf einzugehen, die nöthige Aufklärung und Beruhigung; oder
-- Bestätigung des unbestimmt Gefürchteten -- zu bekommen.

Leifeldt schwieg aber ebenfalls; er konnte sich nicht dazu zwingen,
jetzt, mit all dem Vergangenen noch frisch, als sei es vor wenigen
Minuten geschehen, im Gedächtniß, eine gleichgültige Unterhaltung zu
beginnen, und er _fürchtete_ den offenen Schaden zu berühren, der im
Bereiche seiner Hand lag.

Don Gaspar konnte endlich dies peinlich werdende Schweigen nicht länger
ertragen und sagte, ohne jedoch zu seinem Begleiter aufzuschauen, mit
leiser, kaum hörbarer Stimme:

»Ich darf keinen Wein mehr Abends trinken, Federigo -- er bekommt mir
jedesmal schlecht, und ich fühle mich aufgeregt und erhitzt nach dem
Genuß.«

»Hast Du gestern so viel Wein getrunken?« frug Leifeldt rasch zu ihm
aufschauend -- eine neue Hoffnung öffnete ihm hier die Bahn -- hätte der
Wein allein die Schuld getragen, und war es möglich, daß wirklich das
starke, ungewohnte Getränk eine solche Aufregung hervorgerufen?

»Viel gerade nicht,« entgegnete der Spanier unruhig, »aber der Wein, den
diese Engländer trinken, ist schwer und feurig, er wird in den Adern zu
glühender Lava, und treibt das Blut kochend in das Hirn hinauf -- ich
darf keinen Wein wieder trinken.«

»Er hat Dich sehr angegriffen,« sagte Leifeldt.

Don Gaspar warf ihm einen scheuen Seitenblick zu, und erwiederte mit
einem verlegenen Lächeln:

»Es ist das mein alter Fehler, und diente einst zum Vorwand für meine
Argentinischen Feinde, mich in Banden zu legen; aber die ganze spanische
Nation ist mäßig -- Du wirst selten, oder nie einen Betrunkenen unter
ihnen sehen, und kleine Quantitäten bewirken dann auch oft bei dem sonst
Nüchternen, was zehnfache Massen nicht bei mehr abgehärteten Naturen zu
Stande brächten.«

»Und _weißt_ Du, was Du gestern Abend gesprochen und getrieben?« sagte
Leifeldt, stehen bleibend und ihn aufmerksam betrachtend.

»Unsinn, wahrscheinlich,« lächelte der Spanier, indem er langsam weiter
schritt -- »blanken Unsinn, wie ich es oft und oft in fieberhafter
Aufregung gethan; ein Wunder wär's nicht, wenn ich zuletzt die tollen
Märchen selber glaubte, die sie mir wieder und immer wieder vorerzählt,
und mich haben zwingen wollen, dem beizustimmen -- mit einiger Ausdauer
könnte man, glaub ich, dem besten Menschen zuletzt einreden, er habe
seine eigene Mutter erschlagen -- was habe ich denn gesprochen?«

Die letzten Worte klangen wieder so leise und lauernd, daß Leifeldt
auf's Neue stutzig wurde, und den Freund mißtrauisch betrachtete, es lag
mehr wie eine unschuldig hingeworfene Erkundigung in der Frage, und er
konnte sich nicht helfen, der Verdacht hatte einmal Wurzel geschlagen,
er war nicht mehr im Stande ihn so rasch wieder aus dem Herzen zu
reißen. Den Kranken deshalb nicht noch mehr zu beunruhigen, oder gar
mißtrauisch zu machen, ehe er sich wirklich von dem Gegründetsein seines
Verdachtes überzeugt habe, sagte er gleichgültig -- und er mußte sich
gar gewaltsam zusammen nehmen, seine Fassung zu behaupten: --

»O, nichts Besonderes -- die alte Geschichte, nur mit so furchtbarer
Wahrheit erzählt, daß dem Hörer das Mark in den Röhren schauderte
-- Gaspar, Du wärest im Stande, Einen selbst zum Wahnsinn zu treiben.«

Don Gaspar seufzte hoch auf und meinte lächelnd, während er des Freundes
Arm ergriff und mit ihm nach dem Inneren der Stadt zurückdrehte: --

»Tolle Geschichten -- tolle Geschichten, und Gott sei Dank, daß ich
wieder des Himmels freie Luft athme, hier hat das keine Gefahr, daß
solche Gedanken überhand nehmen und uns verderben, aber in dem engen
Gemäuer fallen sie wie Tropfen häßlichen Giftes ins Ohr und tödten
unsere Gedanken im Keime -- freie Luft -- freie Luft!«

Mit einem inneren Schauder kämpfend, der ihn wohl in der Erinnerung an
das Ertragene beschleichen mochte, schritt er rasch neben dem Freunde
her, und erst in der Stadt selber schien sich die Wolke zu verziehen,
die vor seiner Seele gelagert. Er wurde gesprächiger, heiterer, und ehe
eine halbe Stunde vergangen, lachte und erzählte er wieder wie früher.

Anders war es mit dem jungen Schweden. Im Anfang -- von den Gräuelthaten
umgeben, die Rosas wirklich verübte oder deren er wenigstens beschuldigt
wurde -- durch sein gutes Herz getäuscht, konnte er in dem angekündigten
Kranken, in dem er selber nie auffallende Zeichen wirklicher
Geisteszerrüttung beobachtet, wohl einen unschuldig Eingekerkerten
glauben, und einmal auf diese Spur gebracht, ist es erklärlich, daß er
trotz den oft wilden excentrischen Streichen des Freundes so wenig daran
dachte, in ihm einen Tollen zu sehen, als wir bei den Menschen, mit
denen wir täglich verkehren, sie mögen sich so wunderlich betragen wie
sie wollen, gleich so Entsetzliches vermuthen. Einmal aber solcher Art
der Verdacht geweckt, und jede Bewegung des jetzt sorgfältig, wenn auch
heimlich Beobachteten, gab Stoff zu neuen Bestätigungen.

So sehr er sich aber nun auch fürchtete, Newlands die furchtbare
Nachricht zu bringen, so wußte er doch nur zu gut, daß sie von
der Gefahr benachrichtigt werden mußten; nur er selber wollte der
Überbringer solcher Botschaft nicht sein, und nach einigem Zögern
entschloß er sich, den Argentinischen Konsul aufzusuchen, und diesem die
ganze Thatsache, unbeschönigt, unverändert mitzutheilen. Er war sich
keiner unedlen Handlung dabei bewußt, und besser jetzt aufrichtig den
Fehler gestanden, und den Rath eines erfahrenen Mannes dabei zur Seite
gehabt, als dann die furchtbaren Folgen thörichten Schweigens _zu spät_
zu bereuen.

Unter dem Vorwand, einige Patienten besuchen zu müssen, machte er sich
von Don Gaspar los, und ging langsam die Almendral hinauf. Der Kopf war
ihm wüst, das Herz schwer -- er fühlte sich recht, recht unglücklich.
Manchmal zwar tauchte auch der Gedanke in ihm auf, jetzt ja den
Nebenbuhler zu verlieren, und der kleine Teufel, der in unser Aller
Seelen wohnt und wühlt und arbeitet, und dem Herzen des Menschen die
Ruhe nimmt, wollte ihm lockende Bilder vormalen, daß ihm nun bald kein
Hinderniß mehr im Wege stehen, ja daß Jenny ihm den Frieden ihres Lebens
danken würde, wenn er sie von der furchtbaren Gefahr befreie, der sie
fast als Opfer gefallen. Aber solche Träume dauerten nicht lange, der
Versucher wich, die kalte Vernunft errang sich nur zu bald wieder den
Sieg, und er fühlte dann, daß er Jenny wohl vor der Gefahr warnen und
bewahren, ihr Herz aber ihm nie und nimmer zuwenden könne -- diese
Entdeckung vermochte nie ihn glücklich, aber Jenny wohl recht bald
elend zu machen.

Wenn Leifeldt übrigens glaubte, den Kranken durch seinen Vorwand,
Patienten besuchen zu müssen, getäuscht zu haben, so hatte er sich
weit geirrt. Mißtrauisch, wie alle derartige Kranke sind, und mit
einer gewissen Schlauheit, die überhaupt den Zustand des Spaniers
charakterisirte, hatte Don Gaspar schon an dem Morgen, durch das ganze
Betragen Leifeldts nur noch mehr und mehr darin bestärkt, Verdacht
geschöpft, der Arzt _ahne_ seinen wirklichen Zustand, und mit dem
Verdacht wuchs natürlich auch die Furcht, daß er ihn verrathen, und an
seine Feinde wieder ausliefern würde -- eine Furcht, die zur Gewißheit
wurde, als er den Schweden seine Richtung gerade zu nach der Wohnung
des Argentinischen Konsuls nehmen sah, wohin er ihm vorsichtig in der
Entfernung gefolgt war.

Das Herz schlug ihm wild und stürmisch in der Brust, und unter seinem
Poncho das Heft des Messers ergreifend, das er heute zum ersten Mal
wieder zu sich gesteckt, schien der erste in ihm aufsteigende Gedanke,
dem er auch augenblicklich nachgab, _der_ zu sein, dem Verräther zu
folgen und beide Mitwissende seines furchtbaren Geheimnisses unschädlich
zu machen. --

Die Hausthür fand er noch angelehnt, und statt zu pochen, wie es in den
südlichen Ländern, selbst an den offenen Thüren Sitte ist, trat er rasch
hinein und wollte eben die Treppe hinauf springen, als er von oben nieder
fremde Stimmen hörte, und dem ersten Impuls folgend in ein offen stehendes
Seitenzimmer, dessen Thür er rasch hinter sich anzog, hineinglitt.

Die Unterhaltung der Heruntersteigenden wurde laut geführt und Don
Gaspar schien ungeduldig ihre Entfernung zu erwarten, als plötzlich ein
Name draußen wie ein jäher Schlag durch seine Glieder zuckte, und er in
gespanntester Aufmerksamkeit, alles Andere um sich her vergessend, an
der Thüre lauschte, kein Wort von dem draußen gesprochenen zu verlieren.

»Don Luis de Gomez,« sagte die eine Stimme, die einem älteren Manne
anzugehören schien, »hat sonst weiter keine Befehle hinterlassen,
Amigo?«

»Keine daß ich wüßte,« entgegnete die andere -- »sorgt nur dafür, daß
seine Zimmer in Guillota bereit sind, denn ich glaube kaum, daß er sich
länger als zwei Tage in Valparaiso aufhalten wird.«

Die beiden Männer standen jetzt unten vor der Thür, hinter welcher der
Spanier, sein Ohr gegen das dünne Holz gepreßt, lauerte, und der erstere
meinte wieder: --

»Die Señora wird wohl nicht so rasch wieder fort wollen -- Reisen greift
an und ein paar Rasttage sind manchmal nöthig.«

»Das weiß ich nicht und geht mich nichts an,« brummte der Andere
-- »Weiberlaunen sind wunderliche Dinge und wenn's ihr in den Kopf
kommt, bleibt sie vielleicht den ganzen Sommer hier, mag Don Gomez
dagegen sagen was er will. -- Wer war denn der junge Mann, der eben
zu Don Guzman ging? -- Den habe ich doch noch nicht hier gesehen.«

»Ein deutscher Doktor, glaub' ich, der sich hier aufhält,« lautete die
Antwort -- »aber ich wollte, wir könnten gehen, weßhalb mögen wir denn
hier noch warten sollen?«

»Blitz noch einmal, wie der Señor erschrak, als er Don Luis Namen
hörte,« sagte der Jüngere wieder, »und hast Du nicht bemerkt, wie er
meinem Herrn etwas ins Ohr flüsterte? -- ich glaube wahrhaftig, es ist
deßhalb, daß wir warten müssen, denn da wird schon wieder geklingelt
oben -- bleibe einen Augenblick, Compañero, ich bin gleich wieder bei
Dir« -- und mit flüchtigen Sätzen sprang er die Treppe hinauf, dem Ruf
Folge zu leisten, während der Alte, die Hände auf dem Rücken unter
seinem kurzen blauen Poncho gekreuzt, auf- und abging und ungeduldig die
Rückkehr des Kameraden zu erwarten schien.

Es dauerte etwa fünf Minuten, bis dessen Schritte wieder auf der Treppe
gehört wurden -- dem Lauschenden dünkte die Zeit indessen eine Ewigkeit
-- als er aber wieder herunter kam, flüsterte er rasch und heimlich dem
Andern zu:

»Hallo, Compañero -- was Neues im Wind -- die Señora wird gar nicht in
der Stadt bleiben, sondern gleich durch, nach Guillota fahren -- der
deutsche Doktor hatte unendlich viel zu erzählen.«

»#Caramba#, was ist da wieder passirt!« rief der Alte, »woher denn
wieder die Gegenordre?«

»Soll mich ein Norder mit meinem Boot in der Bai erwischen, wenn ich
daraus klug werde,« brummte der Erste -- »der Doktor steckt übrigens
dahinter, so viel ist sicher, nur konnte ich nicht herausbekommen, _was_
sie eigentlich mit einander hatten. -- Aber komm, wir haben wahrhaftig
keine Zeit zu verlieren, denn wenn die Herrschaften heute Morgen noch
wirklich eintreffen, möchten wir wenig Stunden zu Vorbereitungen übrig
behalten. -- So viel ist übrigens gewiß, Amigo --« und die Stimmen
wurden hier undeutlich, als die beiden Männer vor die Thür traten, und
diese hinter sich in das Schloß drückten.

Wenige Minuten später stand Don Gaspar auf der Stelle, die jene eben
verlassen, und für Momente schien er unschlüssig, wohin er sich wenden
solle, die Treppe hinauf, seinem ersten Plan zu folgen, oder das Haus
verlassen, dem nach zu handeln, was er eben gehört. Das Letztere schien
zuletzt den Sieg davon zu tragen -- er horchte noch einen Augenblick
gegen die Treppe hin, ob er keine Stimmen unterscheiden konnte, als sich
aber dort gleich darauf eine Thür öffnete und irgend eine fremde Stimme
laut wurde, öffnete er rasch von innen die Hausthür und verschwand
gleich darauf ins Freie und in der belebten Straße.

Leifeldt indessen, der keine Ahnung davon hatte, daß gerade Don Gaspar,
der »entsprungene Wahnsinnige,« ihm gefolgt war und auf ihn gelauert
habe, ja daß dieser nur vermuthen konnte, welchen Weg er eingeschlagen,
nannte kaum den wirklichen Namen des Spaniers, als Don Guzman auch
entsetzt von seinem Stuhle aufsprang und mit wahrhaft peinlicher
Spannung der kurz gefaßten Erzählung des jungen Schweden lauschte.
Rasch theilte er diesem nun auch die baldige Ankunft Don Luis de Gomez
mit, der, wie die Sache jetzt stand, in der That der größten Gefahr
ausgesetzt war, von dem Unglücklichen angefallen zu werden, und rieth
-- nachdem er den Diener wieder heraufgerufen und seine Befehle dahin
geändert hatte, die Señora selber wenigstens jeder Unannehmlichkeit aus
dem Wege zu führen -- dem jungen Arzt, augenblicklich mit ihm auf die
Polizei zu gehen, und dort Hülfe zu bekommen, sich des Wahnsinnigen
wieder zu bemächtigen, den man ja dann, um wo möglich jedes Aufsehen zu
vermeiden, einfach auf seinem Zimmer überraschen und gefangen nehmen
konnte.

Dagegen sträubte sich Leifeldt aber auf das Entschiedenste, denn er
selber wollte nicht an dem Mann, den er einmal aus seinem Kerker
geholfen und dessen Freund er geworden, zum Verräther werden, nur Hülfe
verlangte er, bei wirklich wieder ausbrechender Raserei -- denn es war
ja doch möglich, daß die ganze Krankheit des Unglücklichen einfach und
allein in eine harmlose Schwermuth ausgeartet sei -- jedes Unglück zu
vermeiden, und die nahe Ankunft des einzigen Menschen, der auf den
Kranken einen wirklich gefährlichen Einfluß auszuüben schien, mußte
jedenfalls diese Katastrophe beschleunigen. Erwachte dann in dem Hirn
des Spaniers der alte wilde Grimm auf's Neue, brach sich die Krankheit
wieder Luft, dann erbot sich Leifeldt selber mit Hand anzulegen, sich
des Unglücklichen wieder zu bemächtigen -- nur bis dahin verlangte er
Nachsicht, und ersuchte zu dem Zweck Don Guzman, ihm einen passenden
Mann zu empfehlen, den er möglicher Weise Don Gaspar als seinen Freund
vorstellen und in seiner Nähe halten konnte, im entscheidenden
Augenblick kräftige Hülfe zu haben.

Don Guzman war mit dem Plan gar nicht einverstanden, erklärte auch dem
jungen Arzte rund heraus, er könne sein Betragen, der Argentinischen
Regierung gegenüber, als deren Konsul, keineswegs billigen, und nur der
Name seines Freundes, Don Luis de Gomez, halte ihn zurück, die ganze
Sache ohne Weiteres den chilenischen Gerichten zu übergeben, er fürchte
aber dadurch mehr Aufsehen zu erregen, als Don Luis vielleicht lieb sein
würde, aber es verstehe sich von selbst, daß jener gefährliche Mensch,
dessen getheilte Flucht dem Arzt selber noch theuer zu stehen kommen
könne, wenn er jetzt nicht auch aus allen Kräften dazu beitrage, den
Fehler wieder gut zu machen, ohne weiteres wieder eingezogen und
unschädlich gemacht werden müßte.

»Señor,« sagte Leifeldt da ruhig -- »ich habe Sie aufgesucht und
vertrauensvoll zum Mitwisser meines Geheimnisses gemacht, dem
Unglücklichen noch die _Möglichkeit_ zu geben, seine Freiheit zu
behalten, wenn es sich wirklich ausweist, daß er nicht gefährlich ist;
im anderen Fall hätt' ich mich gleich an die Polizei selber gewandt.
-- _Versagen_ Sie mir die Hülfe, dann bedauere ich aber auch, Sie
umsonst bemüht zu haben, denn seien Sie versichert, daß Sie in dem Fall,
in Zeit einer Stunde weder mich noch Don Gaspar mehr in Valparaiso
finden werden, und alle Folgen kommen über Ihr Haupt.«

Don Guzman war in peinlicher Verlegenheit, und ging wohl zehn Minuten
mit untergeschlagenen Armen und raschen Schritten im Zimmer auf und
nieder; über die Scrupel einer vertraulichen Mittheilung hätte er sich
schon hinweggesetzt, mußte er nicht fürchten, daß der Schwede seine
Drohung wahr mache, und dem Spanier zum zweiten Mal zur Flucht
behülflich wäre. List allein konnte ihm hier helfen.

»Gut, Señor,« sagte er nach einer ziemlich langen Pause, nach der er
mit verschränkten Armen vor dem jungen Arzte stehen blieb -- »ich gehe
auf Ihren Vorschlag ein, und habe auch einen passenden Mann, einen
wirklichen Caballero von Riesenstärke und mir eng befreundet, der mir
zu Liebe die allerdings schwierige, ja vielleicht gefährliche Stellung
übernehmen wird; ich hoffe aber, daß Sie _bald_ -- sehr bald zu einem
entscheidenden Resultat auf eine oder die andere Weise kommen, denn Sie
können sich denken, daß ich Don Luis nicht der Gefahr aussetzen mag,
meiner eigenen und hier allerdings sehr unzeitigen Gutmüthigkeit als
Opfer zu fallen.«

Leifeldt versprach Alles, so lange er nur nicht unnöthiger Weise an
dem Freund zum Verräther zu werden brauchte; ja nahm sogar gern das
Anerbieten Don Guzmans, der ihn nicht aus den Augen lassen wollte,
an, ihn zu der Wohnung dieses neuen Agenten zu begleiten, von dem der
Argentiner so kräftigen Schutz und Beistand hoffte, und die beiden
Männer machten sich dorthin ungesäumt auf den Weg.




10.

Don Manuel.


Don Manuel, den sie glücklicher Weise zu Haus und eben beschäftigt
trafen, in aller Gemüthsruhe seinen Maté[19] aus einer dünnen silbernen
Bombille oder Röhre zu ziehen, war eine kleine behäbige aber korpulente,
kräftige Gestalt, mit dem gutmüthigsten Gesicht von der Welt, das nur
ein paar schmale, schwarze, lebendige Augen, die gar vergnügt aus der
Fettmasse herausblitzten, Lügen straften. Er empfing die Männer auf das
Freundlichste, und wenn sich auch Leifeldt eine solche Hülfe allerdings
anders gedacht hatte, ließ ihn Don Guzman doch gar nicht zu Worte
kommen, sondern machte den neuen Theilnehmer ihres Plans ohne Weiteres
mit dem bekannt, was sie zu ihm geführt hatte, und worin sie seinen
Beistand in Anspruch zu nehmen wünschten.

  19: Der Maté oder Mateh ist ein vegetabilischer Stoff, von der Rinde
      und den Zweigen gewisser Bäume in Brasilien und Paraguay gewonnen,
      der von den Südamerikanern, besonders von denen an der östlichen
      Seite der Cordilleren, aus einem kleinen Flaschenkürbis oder
      #gourd#, mit einer dünnen silbernen oder blechernen Röhre
      getrunken, das heißt ausgeschlürft wird, wobei sich der nicht
      Eingeweihte rettungslos zuerst die Finger, und dann, genau so wie
      bei uns bei heißer Bouillon, die Lippen verbrennt.

Don Manuel schnitt allerdings im Anfang ein etwas bedenkliches Gesicht,
und schien sich einer solchen Mission gerade nicht sehr zu freuen, ja
weigerte sich sogar, etwas derartiges allein zu unternehmen; Don Guzman
zog ihn aber in eine Fensterbrüstung, und nachdem er sich dort eine
ziemlich geraume Zeit gar eifrig mit ihm unterhalten, erklärte sich der
kleine Chilene bereitwillig, jedoch nur unter der Bedingung, daß der
also zu Beaufsichtigende nicht etwa gefährliche Waffen an sich herum
trage.

Alles Weitere besprachen sie unterwegs, denn Leifeldt wünschte so rasch
als möglich zu dem Kranken zurückzukehren, ehe ihn die Nachricht von der
Ankunft Don Luis erreichen konnte.

Sie fanden ihn langsam im Zimmer auf- und abgehend, und er grüßte den
Fremden, der ihm als ein hiesiger Kaufmann Don Manuel vorgestellt wurde,
auf das Freundlichste, ja es schien sogar, als ob er gerade heute seine
rosigste Laune habe, und wie er mit dem kleinen dicken Mann erst nur ein
wenig bekannt war, lachten und erzählten die beiden miteinander, als ob
sie seit Jahren die besten Freunde gewesen wären.

Don Manuel nahm Leifeldts, schon vorher verabredete Einladung zu Tisch
an, und dort war es, wo der Chilene zuerst den Namen Don Luis de Gomez
-- anscheinend leicht hingeworfen -- erwähnte, die Wirkung zu beobachten,
die sie auf den Spanier haben würde; Don Gaspar war aber den Morgen
hindurch so auf diesen Namen vorbereitet, daß seine Bewegung, die er
dennoch nicht ganz unterdrücken konnte, keinesfalls von den beiden
Männern bemerkt worden wäre, hätten ihn diese nicht eben so scharf im
Auge behalten. Das Gefühl, sich bewacht zu wissen, half dazu, und das
Blut schoß ihm im förmlichen Strom in die Schläfe, Don Manuel hatte aber
das Gespräch schon wieder nach anderer Richtung gelenkt, und erzählte
jetzt dem jungen Arzt von einer Schlägerei, die an dem Morgen zwischen
englischen und chilenischen Matrosen statt gefunden, in so komischer
Weise, daß bald alle anderen Gedanken in einem schallenden Gelächter Don
Gaspars untergingen.

Nach Tisch schlug Don Manuel den beiden Freunden einen Spatziergang vor,
und das Gespräch dabei auf die alten spanischen Kriege bringend, in
denen die Chilenen, von dem argentinischen General San Martin wacker
unterstützt, die Macht ihrer bisherigen Herren brachen und sie zum
Lande hinausjagten, schlug er ihnen vor, eine der alten nothdürftigen
Befestigungen zu besuchen, die sich, wenn auch nicht mehr benutzt, doch
bis zu dem heutigen Tag erhalten hätten, und jedenfalls von historischem
Interesse wären.

Leifeldt wußte dabei nicht, wie er sich das Betragen seines neugewonnenen
Bundesgenossen erklären sollte, denn statt einem bestimmten Resultat,
zur wirklichen Ergründung der Krankheit Don Gaspars zuzustreben und
gerade mit Don Luis de Gomez Namen den Unglücklichen zu sondiren, wich
dieser jedem solchen weiteren Gespräch geflissentlich aus, und näherte
sich der junge Arzt nur im Entferntesten wieder diesem gefährlichen
Thema, das er nicht selber direkt beginnen durfte, so hatte gerade Don
Manuel sicher tausend Scherze bereit, auf die Don Gaspar, in heute
wirklich muthwilliger Laune, mit Freuden einging.

So waren sie von der Plaza del Victoria aus zu einer kleinen Gasse
gekommen, deren Häuser an die stattliche Kirche des Platzes stießen, und
von denen das nächste auch wohl mit dieser noch in Verbindung stand,
denn es schien unbewohnt, und die Außenseite der Gebäude zeigte, außer
einem einzelnen starkvergitterten Fenster im unteren Stock, nur die
hohe, kahle Mauer. Schon unterwegs hatte ihnen Don Manuel die Geschichte
dieses kleinen, unscheinbaren, aber jedenfalls merkwürdigen Gebäudes
erzählt, und durch eine Sage besonders, nach der noch in heutigen Tagen
oder vielmehr Nächten, die Geister dreier erschlagener Spanier dort
umgingen, sogar ihre Neugierde rege gemacht.

Don Gaspar selber bat im Anfang Don Manuel, sie zu dem Schauplatz all
dieser wunderlichen Dinge hinzuführen, als sie aber den Platz erreichten,
und er das düstere, niedere, unheimliche Gebäude, die stark vergitterten
Fenster sah, schien er zum ersten Mal Verdacht zu schöpfen und blieb,
einen raschen, mißtrauischen Blick umherwerfend, stehen, als ob er das
Terrain, dem er sich jetzt anvertrauen sollte, vorher erst untersuchen
wolle.

Oben an einem der Fenster waren zwei paar Augen sichtbar geworden, die
neugierig den Kommenden entgegengeschaut, sich aber rasch und scheu
zurückzogen, als sie den Blick des Spaniers nach sich aufschweifen
sahen.

»Nicht wahr, das alte Haus sieht düster genug für eine Gespenstergeschichte
aus,« sagte Don Manuel, dem vielleicht jene zwei paar Augen entgangen
waren, lachend, als er das Zögern seines Schutzbefohlenen bemerkte und
neben ihm stehen blieb: »wär' ich Präsident, ich ließe es einreißen, ich
möchte wenigstens nicht einmal in der Nähe wohnen.«

Don Gaspar zögerte noch einen Augenblick, dann aber, wie zufrieden
gestellt von dem Äußeren und ohne etwas auf seines Begleiters Bemerkung
zu erwiedern, schritt er langsam gegen die offene Thür zu, die er jedoch
nicht eher betrat, bis Don Manuel vor ihm eingetreten war. Der kleine
Mann wollte ihm allerdings den Vorrang lassen, Don Gaspar nöthigte ihn
aber mit so zuvorkommender, aber auch zugleich kalter Höflichkeit, daß
er nicht umhin konnte, nachzugeben. Die Thür blieb hinter ihnen offen.

Der innere Raum sah wüste und öde aus -- zuerst betraten sie einen
kleinen, schmalen Hof, in dem das Gras lustig emporwucherte. In der
Mitte desselben befand sich ein alter verfallener Brunnen, und an den
Seiten stand aufgeschichtetes, halb vermodertes Bauholz und lagen alte,
eiserne Klammern und Bolzen. Aber auch hier im Inneren waren die meisten
Fenster, einige wenige ausgenommen, deren Gewände schon eingebrochen,
den Zahn der Zeit oder die rauhe Hand des Menschen verriethen, mit
starken eisernen Gittern versehen; Don Manuel aber, wie schon bekannt in
diesen Räumen, wandte sich jetzt gleich links, einer schmalen Treppe zu,
die in das Innere hinaufführte.

»Halt, Señor, halt!« rief da Don Gaspar, -- »nicht so schnell, erst
erklären Sie uns diesen Hof, Sie haben uns genug schon davon erzählt,
und der Schauplatz der meisten Gräuelthaten war ja gerade hier. Wo hat
der Galgen damals gestanden?«

»Wir kommen nachher wieder hierher zurück,« erwiederte der Chilene, sich
halb dabei nach dem Frager umwendend, »zuerst wollen wir nur erst die
oberen Gemächer und besonders das Zimmer besuchen, wo die drei Spanier
ermordet wurden und jetzt allnächtlich ihre Zusammenkunft halten
sollen.«

»Und wohnt jetzt weiter Niemand hier im Haus?« frug Don Gaspar, noch
immer ohne von der Stelle zu gehn, und auch Leifeldt schien unschlüssig
zu werden, ob er Don Gaspar zureden solle, zu folgen oder ihn zurückhalten,
denn er fing selber an, mißtrauisch gegen die Bewegungen ihres Führers
zu werden.

»Keine Seele -- schon seit der Revolution,« rief der Chilene zurück, und
stieg langsam die Treppe hinauf, über des Spaniers Züge aber zuckte ein
höhnisches, fast triumphirendes Lächeln, und dem jungen Arzt auf die
Schulter klopfend, rief er laut und lustig:

»#Bueno, vamos compañero#[20]« und mit einigen raschen Sätzen, während
Leifeldt nur halb zufrieden den Beiden folgte, hatte er den Chilenen
wieder eingeholt, der an dem oberen Treppenabsatz stehen blieb, sich
noch einmal nach unten umsah, und dann Don Gaspar bat, ihm zu folgen.
Der Blick jedoch, mit dem er dieß that, mußte bei dem wachsamen Kranken
Verdacht erregt haben -- er zögerte einen Moment, trat dann ein paar
Schritt von der Treppe fort, und als er wieder nach unten schaute, sah
er zwei Männer, die sich an die Treppe postirten und hörte Leifeldts
Stimme, der sie frug, was sie da wollten.

  20: Wohlan, so komm, Kamerad.

»Sehn Sie, Don Gaspar!« rief in diesem Augenblick Don Manuel, mit
vielleicht absichtlich etwas lauter Stimme, »hier ist das eine Zimmer,
von dem ich Ihnen sagte -- bitte, kommen Sie hierher -- dort drüben
können Sie noch das Blut erkennen.«

Don Gaspar lachte laut auf und langsam auf den Chilenen zuschreitend,
sagte er, sich auf dessen Schulter mit seinem linken Ellbogen stützend:

»Wir haben Besuch da unten bekommen -- noch ein paar Herren, die
wahrscheinlich auch die Merkwürdigkeiten dieser alten Revolutionsveste
anzuschauen wünschen, aber Don Federigo, hahaha, Don Federigo will sie
nicht herauf lassen.«

Don Manuel machte ein etwas verdutztes Gesicht, und schien sich in dem
Augenblick so in der unmittelbaren und fast etwas zu vertraulichen Nähe
des jungen Mannes nicht besonders wohl zu fühlen, außerdem mußte ihm die
Unterhaltung unten ebensowenig angenehm sein, und er machte auch schon
eine Bewegung, als ob er nach der Treppe zurückgehen wollte, besann sich
aber wieder und sagte dann gleichgültig:

»Besucher? -- wohl schwerlich, Don Gaspar, müßiges Gesindel, das sich
auf den Straßen herumtreibt und bettelt, Don Federigo wird sie schon
abfertigen, bitte, kommen Sie.«

Don Gaspar hatte indessen seine Stellung nicht verändert und das
Lächeln, das um seine Mundwinkel zuckte, gefiel dem scheu zu ihm
aufschielenden Chilenen nicht; dieser machte sich auch von dem Arm des
ihn ruhig gewähren lassenden Spaniers los und trat auf die Schwelle der
nächsten Thür.

»Aber wollen wir nicht warten, bis sich Don Federigo uns anschließt,
Señor?« sagte der Spanier, ohne den Platz zu verlassen, auf dem
er stand, und wo er aus dem schmalen Gang durch ein offenes und
gitterfreies halbverfallenes Fenster eine kleine Beistraße überschauen
konnte -- »Wetter noch einmal, dieß muß früher wirklich eine Art von
Gefängniß gewesen sein, sehn Sie nur, Don Manuel, was für schwere Thüren
und an einigen wirklich noch starke Riegel -- das Schloß, was dort
liegt, scheint man total vergessen zu haben -- puh, wie dumpfig die
Räume hier sind,« setzte er schaudernd und fast wie mit sich selbst
redend hinzu -- »wie dumpfig und schwül gegen die freie, herrliche Natur
da draußen.«

Er schritt langsam in dem Gang hin und blieb neben Don Manuel stehn,
der wieder, ohne sich irre machen zu lassen, seine Erklärung des
entsetzlichen Mordes begann.

»Und ich werde es unter keiner Bedingung zugeben,« tönte in diesem
Augenblick die Stimme des jungen Arztes klar und deutlich zu ihnen
herauf, »ich habe selber mit --« und die Worte wurden hier leiser und
undeutlich.

»Es scheint doch ein Besuch zu sein,« meinte Don Gaspar lauernd; Don
Manuel aber, der zuerst seine Unterlippe zwischen die Zähne und die
Brauen zusammenzog, gewann bald seine Ruhe wieder und sagte lachend:

»Unser junger Freund hätte die guten Leute auch können herauf kommen
lassen, sie würden uns nicht genirt haben; doch wie dem auch sei, sehn
Sie, Don Gaspar -- dort in jener Ecke können Sie noch die Spuren der
schon erwähnten That erkennen. Ich freue mich, wie irgend einer meiner
Landsleute der gewonnenen Freiheiten unseres schönen Vaterlandes,
aber ich bedauere jene furchtbaren und leider oft unnütz gewesenen
Grausamkeiten, durch die sie theilweis mit erkauft werden mußten.«

In diesem Augenblick öffnete sich dicht neben ihnen leise und
geräuschlos eine Thür, und ein Kopf schaute heraus, fuhr aber schnell
wieder zurück, als er noch eine Gestalt auf der Schwelle der Thüre
bemerkte, Don Gaspar hatte jedenfalls nur den flüchtigen Schein
desselben bekommen, aber er blieb regungslos in seiner Stellung und
wieder nur spielte das Lächeln um seine Lippen. Es war kein Zweifel, er
kannte die Gefahr, in der er sich befand, zu ihrer vollsten Größe, aber
gerade _das_ schien ihn zu reizen, wie er sich dem Hai entgegen und
unter die Hufen der wüthenden Rosse geworfen hatte, so spielte er damit,
den Augenblick mit wahrer und wilder Schadenfreude, erwartend, wo sie in
ihrer Macht über ihn hereinbrechen würde -- was wußte er von _Furcht_?

»Und doch wohnen hier noch Menschen oder hausen hier wenigstens zu
Zeiten,« bemerkte der Spanier, auf fünf oder sechs erst kürzlich
weggeworfene Stümpfe von Cigarillos[21] deutend, die nicht weit von der
Thür am Boden lagen.

  21: Papiercigarren.

»Besucher jedenfalls, die sich den alten Platz anschauen,« erwiederte
der Chilene, »die Regierung soll es aber, wie ich kürzlich gehört
habe, nicht gern sehn, wenn besonders Fremde hierher kommen; solche
Grausamkeiten machen immer böses Blut, und man vermeidet gern, jetzt,
wo überdieß die Zeit auch schon so lange vorüber ist, jede Erinnerung
daran.«

»_Diesem_ Princip nach scheint Don Federigo ebenfalls zu handeln,«
lächelte Don Gaspar, nach dem niederen gegenüber liegenden vergitterten
Fenster deutend, das den inneren Hof überschaute. Dort wurden eben die
beiden Männer sichtbar, die über den Hof schritten und diesen, allem
Anschein nach, verlassen wollten, als Don Manuel auch, wie sie schon
fast die Thür erreicht hatten, an das kleine Fenster sprang, hinaus rief
und sie bat, zurück zu kommen.

»Es sind Bekannte von mir, Señor,« sagte er dabei, sich wieder zu diesem
wendend, brach aber in der fast entschuldigend gehaltenen Rede kurz ab
und sprang nach der Thür, denn er sah nur eben noch, wie Don Gaspar
durch dieselbe verschwand und sie hinter sich zudrückte. Zu spät
warf er sich aber mit all seiner Kraft dagegen, der rasch von außen
vorgeschobene Riegel war bestimmt gewesen, einen _Wahnsinnigen_ zu
halten, und spottete all seiner Anstrengungen.

Im Nu hatte aber auch der wachsame Spanier die zweite Thür, aus der er
vorher lauschend den Kopf gesehn und ohne weiter zu untersuchen, wer
oder was darinnen sei, ebenfalls verriegelt, und laut auf lachte er in
triumphirendem Spott, als auch hier von innen sich Jemand gegen die
Pforte warf und deren Verschließen freilich vergeblich, zu verhindern
suchte.

»Zwei Vögel mit einem Schlag fest,« rief er dabei höhnisch Don Manuel
zu, als er an diese Thür auch noch rasch das Vorlegeschloß hing und
eindrückte und dann der Treppe zuschritt -- »aber ich sah _noch_
mehr Augen. _So_, Compañero,« setzte er dann hinzu, »fest und
richtig verwahrt, o armer Don Manuel, allein und einsam jetzt in
der entsetzlichen Schauerkammer, und von einem _Tollen_ überlistet,
hahahaha!«

»Machen Sie auf, Don Gaspar, machen Sie auf, das ist schlechter Spaß
-- Don Federigo -- Pedro -- Fernando!« schrie der Gefangene.

»Hahahaha!« lachte Don Gaspar, aber seine Hand lag an dem Griff des
langen Messers, das er vorsichtig und versteckt unter der Weste an
seiner linken Seite trug, denn die Treppe herauf klangen rasche,
elastische Schritte. Es war Leifeldt, und der Spanier, die Hand
zurückziehend, begegnete dem _Freund_ an dem oberen Treppensims.

»Was haben Sie gemacht, Don Gaspar, was geht hier vor?« rief dieser, mit
dem Arm den Gang hinabdeutend, von woher die lauten, fast ängstlichen
Laute der Chilenen tönten.

»Komm, Federigo,« entgegnete ihm aber der Spanier, zugleich seine Hand
ergreifend und ihn mit sich die Treppe hinabführend, »komm, wir wollen
den Señor Don Manuel de San José oder wie er sonst heißen mag, ruhig der
Bewunderung seiner spanischen Erinnerungen überlassen -- er hat auch
noch Gesellschaft dort oben, aber in einer Viertelstunde« -- setzte er
dann rascher und bedeutungsvoller hinzu, »erwarte mich in unserem Hotel
auf meinem Zimmer, lieber früher als später, ich habe Dir _Wichtiges_ zu
entdecken -- wirst Du kommen?«

»Gewiß, aber --«

»Kein _aber_ jetzt, Amigo -- jener Bursche hatte Arges mit mir im Sinn
-- beruhige Dich, ich weiß Alles, und die kleine Lehre wird ihm gut
thun, laß mich nur nicht zu lange warten. Du wirst dort über Manches
Aufklärung bekommen, so säume nicht und überlaß den Señor da oben seinem
Schicksal, ein wenig Angst mag ihm die Probe dessen sein, was er mir für
eine Lebenszeit zugedacht.«

Sie hatten indessen den Fuß der Treppe erreicht und begegneten hier den
beiden Peons, die allerdings etwas überrascht stehen blieben, als sie
den in so ruhigem Gespräch die Treppe herabkommen sahen, der, ihrer
Meinung nach, eben da oben eingesperrt, solchen Lärm vollführt hatte,
Don Gaspars fast wunderbare Ruhe sollte sie noch mehr verwirren, denn
dem ersten freundlich auf die Schulter klopfend, sagte er lachend:

»Wir haben ihn, Amigo, das war schlau angestellt und gut ausgeführt
-- da, verzehrt das in der nächsten Pulperia.« Dem ersten einen Dollar
in die Hand drückend, nickte er freundlich dem jungen Arzt zu und rasch
über den Hof der Thüre zuschreitend, blieb er nur einen Moment noch an
der Pforte stehn, zurückzuschauen, warf dem jetzt wüthend in den Hof
hinab tobenden Don Manuel einen lächelnden Kuß mit den Fingerspitzen
zu, und war wenige Sekunden später in dem schmalen dunklen Ausgang
verschwunden.




11.

Der Spanier und das Mädchen.


Eine merkwürdige Ruhe, nur manchmal von einem eigenthümlichen kecken
Humor durchblitzt, hatte das Betragen des Spaniers die ganze Zeit, und
zwar von dem Augenblick an charakterisirt, wo er das ihm verdächtige
Gebäude in der Gesellschaft der beiden Männer betreten, bis zu da, wo
er dessen Schwelle -- allein -- wieder überschritt, wie verwandelt aber
schien er selbst in dem Moment, als er die dunkle, finstere Mauer,
als er die Gefahr damit, hinter sich ließ. Wie nach jeder übergroßen,
übernatürlichen Anspannung und Überreizung der Sehnen, stellte sich
eine um so gewaltigere Erschlaffung ein, da sie so plötzlich war -- der
Schweiß trat ihm in großen Tropfen auf die Stirn und förmlich gewaltsam
mußte er sich aufraffen, noch Kraft genug zu behalten, in flüchtigen
Sätzen die Straße hinab zu fliehn.

Dort passirte gerade in dem Moment einer der gewöhnlichen Wagen mit
zwei Pferden, das eine in der Gabel, das andere am Gurt befestigt, den
Kutscher halb schlafend auf dem Bock.

»#Ahi, amigo!#« rief er dem mechanisch bei dem Ruf in die Zügel
greifenden zu und schwang sich, ohne die Thüre zu öffnen, in das Innere
-- »kennst Du die Wohnung des alten englischen Señors, Don Guillelmo
Nulando?«

»#Si, Señor!#«

»Brav, mein Bursche, rasch denn dort hin, ein gutes Trinkgeld ist Dein.«

Der Kutscher berührte seine Thiere mit der schwanken Peitsche, und der
Wagen klapperte in scharfem Trab die Almendral hinauf, der Wohnung Mr.
Newlands zu, den Passagier kaum zehn Minuten später, vor dessen Thüre
abzusetzen.

Don Gaspar klopfte und folgte der alten Magd, die ihm öffnete, die
Treppe hinauf. »Mr. Newland war auf der Börse, das Dampfschiff ankommen
zu sehn, was diesen Morgen signalisirt worden, und durfte wohl kaum vor
Abend zurück erwartet werden; Mistreß war ebenfalls ausgegangen und Miß
Jenny allein oben im Parlour -- der junge Mann hatte sie ja schon so oft
besucht, Miß Jenny würde sich gewiß freuen, ihn zu sehn, sie brauchte
ihn gar nicht mehr zu melden.«

Don Gaspar war schon lange, ehe die geschwätzige Alte nur die Hälfte
ihrer Rede vollendet hatte, oben an der Treppe und im Vorsaal. Was er
hier wollte, schien er selber nicht recht zu wissen -- Abschied nehmen?
-- sich rechtfertigen? -- das Mädchen noch einmal sehen, von dem ihm der
Freund gesagt, daß ihre Seele an ihm hinge in heißer Liebe? -- Es waren
das dunkle Bilder, die ihm wohl vorschwebten und, einer Art von Ziel
entgegentrieben, ohne daß er sich jedoch feste Rechenschaft davon zu
geben gewußt hätte. Er fühlte mehr den Augenblick nahen, der sein
Schicksal überhaupt entscheiden sollte, und -- er mußte der Stelle noch
ein Lebewohl sagen, wo er seit langen, langen Jahren wieder die ersten
Stunden heiteren stillen Glücks verlebt. War es aber das Haus allein,
das ihn gefesselt, mit dem gastlichen Willkommen, der ihm geboten
worden, der derbe Händedruck des biederen alten Mannes, das geschwätzige,
aber so herzliche Wesen der Matrone, das frohe Lachen des Kindes, das
ihm sonst halbe Straßen lang entgegen lief und an seinem Hals hing -- er
hätte keins von alle diesem missen mögen -- oder _Jenny_? Seine Hand
hielt schon die Klinke erfaßt, und zögernd noch stand er und starrte vor
sich nieder -- und Jenny? hatte sich denn durch das Wort des Freundes
eine ganz neue fremde Welt so plötzlich ihm erschlossen? Er wußte gar
nicht, wie ihm eigentlich geschah, alte wirre Bilder tanzten vor seinem
Hirn, wilde entsetzliche Gestalten drängten aus ihrem blutigen Hintergrund
und wetterschwangere Wolken lagerten an dem Saum des noch vor Sekunden
so sonnigen Himmels. Dort, dort vor ihm lag eine Heimath, spielende
Kinder jagten sich auf dem grünenden Rasen, der alte Feigenbaum, der vor
der Thür stand, warf seinen freundlichen Schatten auf ein glückliches
Paar, dessen Züge er kannte. War das Blut, was dort auf dem grünen,
sonnigen Rasen so röthlich blitzte und funkelte, warmes verströmtes
Blut? -- Nein, die Sonne hatte den Thau noch nicht weggeküßt von den
Halmen, sie spiegelte sich jedoch selber so gern in der blitzenden,
strahlenden Herrlichkeit. Aber das Paar dort -- es waren Jennys Züge,
und der Mann? das war er _selber_ -- nein, das Haar schimmerte licht und
golden in den einzelnen Strahlen, die sich durch das dicht verschlungene,
zitternde Laub des Baumes stahlen -- das war _Stierna_. Was sollte auch
_ihm_ eine Heimath, ein Heerd, ein Weib, ein Kind, _ihm_, dem Verlassenen,
Verstoßenen.

Er barg das Antlitz wie krampfhaft in der linken Hand, und vor den
zusammengepreßten Pupillen tanzten die Bilder toller und wilder und
schmiegten sich rasch und gefügig in wunderliche Form und Gestalt
-- _Heimath_? dort stand eine kleine, trauliche Heimath, ein niederes,
ödes Gebäude, von breiten, zackigen Kacktushecken umgeben, die
schmutzigrothen Backsteinmauern nur von engen, düsteren, vergitterten
Fenstern unterbrochen, kein lebendes Wesen in der Nähe, kein Mensch
-- ja doch, da oben an dem einen Fenster, hinter dem starken Gitter,
die Stirn, die heiße pochende Stirn an das kalte Eisen gepreßt, stand
ein Mann -- es war wunderbar, wie genau er ihn erkennen konnte, mit
den bleichen Wangen und den schwarzen, tief liegenden Augen -- das
war er selber -- und die Welt lag vor ihm, _frei, frei_ im glühenden,
jubelnden Sonnenlicht. Die Schwalben strichen um das Dach, die Sperlinge
zwitscherten vom First nieder oder suchten zwischen den stachlichen
Kacktusarmen _frei_ ihr Futter; drüben über den Häusern konnte er die
grasenden Heerden erkennen, die Möve kreiste über den blutgetränkten
Feldern der nächsten Saladeros[22], dort jene Reiter galoppirten _frei_,
_frei_ über die weite, grünende Steppe, und nur _er_ -- nur _er_
-- -- Wer war der Mann, der da dicht an der Kacktushecke vor dem Haus
stehen blieb und so freundlich hinaufgrüßte? die Gestalt so bekannt, so
verhaßt, in dem weiten Poncho und dem flatternden Haar -- jetzt wandte
sie sich nach ihm her --

  22: Schlachtbänke.

»Don Luis!« schrie er, und die Thürklinke, die er noch immer gefaßt
gehalten in dem wachenden Traum, brach fast vor der furchtbaren Kraft,
mit der sich die Hand auf ihr schloß in krampfhafter Wuth -- »Don Luis!«
-- ihm unbewußt öffnete sich dabei die Thür und der Aufschrei des zum
Tod erschreckten Mädchens rief ihn zum ersten Mal wieder, fast seit er
den Wagen verlassen, zu sich selbst zurück.

»Aber, Don Gaspar, wie Sie mich erschreckt haben,« sagte Jenny, die sich
zuerst wieder gesammelt, mit leisem Vorwurf im Ton, »doch was ist Ihnen,
Sie schauen todtenbleich aus,« setzte sie rasch und besorgt hinzu, »sind
Sie krank? ist Ihnen etwas geschehn? um Gottes Willen, was stieren Sie
mich so an? Don Gaspar?«

»Entschuldigen Sie, Señorita -- entschuldigen Sie,« stammelte
der Spanier, der sich gewaltsam zusammenraffte, seine Gedanken
zurückzuzwingen in die alte Bahn -- »die Aufregung heute, mit einem
leichten Fieber und Unwohlsein, das mich schon einige Tage geplagt
-- der Schmerz der Trennung.«

»Trennung? Sie wollen fort?« -- rief das Mädchen rasch und augenscheinlich
erschreckt, denn ihre Wangen verließ jetzt das Blut, nach wenigen Sekunden
mit so viel mächtigerer Fluth dorthin zurückzuströmen -- »und wohin?
weshalb?« --

»Wohin? -- weshalb?« -- wiederholte der Gefragte, kaum bewußt, daß
er die Worte noch sprach, die Blicke aber fest und forschend auf die
zitternde Gestalt geheftet, die vor ihm stand, und sich kaum aufrecht zu
halten vermochte -- »und schmerzt es Sie, daß ich gehe, Jenny?« setzte
er plötzlich weicher hinzu, indem er ihre Hand ergriff, die sie ihm
willenlos zu nehmen gestattete, »werden Sie den Fernen -- _Fremden_
nicht vergessen haben, wenn der letzte Staub verflogen ist, den die
Hufe seiner Rosse aus den Nachbarhügeln Valparaisos geschlagen?«

Er hörte nicht das leise, kaum gehauchte »Nein,« das von den Lippen
der Jungfrau floh, die Hand, welche die ihre hielt, mit dieser sinken
lassend, starrte er wehmüthig lächelnd vor sich nieder und fuhr mit
halblauter Stimme fort, mehr mit sich selber, als zu dem schönen Mädchen
redend, das zitternd neben ihm stand und an seine Brust gesunken wäre,
hätte sein Arm sich nach ihr ausgestreckt.

»O, es ist ein schmerzliches Gefühl, so weit, weit draußen in der Ferne
umherzuschweifen und Niemanden zu wissen in der weiten Gotteswelt.
Niemand in diesem All des Hasses und der Liebe, der sich freut, wenn wir
kommen, dessen Auge sich näßt, wenn wir gehn; es ist ein trauriges Loos,
den kalten Willkommen des Fremden zu hören, und sich dabei noch bewußt
zu sein, in dem eigenen Herzen einen so reichen Schatz von alle dem zu
tragen, was den eigenen Heerd zu einem Paradiese schaffen könnte. Jeder
in der Abendluft kräuselnde Rauch, der die kleine Familie zu traulichem
Kreis um das knisternde Kamin sammelt, ist ein schneidender Vorwurf in
das arme Herz. Jedes blühende Kindergesicht, das ihm halb keck, halb
herzig in die Augen schaut, schnürt ihm die Brust mit einem tiefen,
schwer auszudrückenden, aber deshalb auch um so mächtigeren Weh zusammen,
und die beiden Worte »_allein_« -- allein und »_heimathlos_« wären
schon in sich selbst genug, ein unglückseliges Menschenkind, das ihnen
erlegen, zu Boden zu schmettern, käme nicht auch noch außerdem von den
Eltern auf das -- aber halt -- was ich gleich sagen wollte,« unterbrach
er sich da plötzlich mit ganz verändertem Ton und Ausdruck, während
seine Hand fester die der Jungfrau umschloß, so fest, daß sie der Druck
zu schmerzen begann, und sein Blick wie neugierig forschend, den ihren
suchte, »wie ist mir denn, fürchteten Sie sich nicht vor einem -- vor
einem _Wahnsinnigen_?«

»Wie kommen Sie _jetzt_ zu der Frage?« hauchte das Mädchen, das Haupt
erbleichend von ihm abwendend.

»Ich glaube, wir sprachen einst davon in Ihrem Hause, und ich sah heute«
--

»O, um Gotteswillen, reden Sie nicht von so Entsetzlichem,« fiel ihm
die Jungfrau rasch und bittend in's Wort, »mir gerinnt das Blut in den
Adern, nur bei dem eigenen Gedanken daran, und fremde Worte könnten
die Bilder heraufbeschwören, die es Monate brauchen würde, wieder zu
verwischen.«

»Und doch ist der Wahnsinn gar nichts so Entsetzliches,« sagte der
Spanier, ihre Hand loslassend und sich das feuchte lange Haar aus der
Stirn streichend.

»O, Don Gaspar,« bat das Mädchen.

»Fürchten Sie Nichts. Señorita,« beruhigte sie aber dieser mit leisem
Kopfschütteln, »ich bin weit davon entfernt, Sie ängstigen oder quälen
zu wollen mit thörichten Schaudergeschichten, wie sie das tolle Volk im
Munde trägt; nein, ein Vorurtheil wünschte ich bei Ihnen zu besiegen,
das Ihnen über kurz oder lang doch vielleicht einmal vielen Schmerz
machen dürfte. -- Mein _Vater_ war wahnsinnig.«

»Aber, Señor.«

Der Spanier lachte und nahm schmeichelnd wieder ihre Hand. »Er _war_ es
ja nur, habe ich Ihnen gesagt, und zwar auf eine wunderliche Art -- er
glaubte, meine Mutter liebe ihn, und habe ihn deshalb geheirathet, und
Jemanden, der ihm den tollen Wahn benehmen wollte -- rannte er den Degen
durch den Leib -- wie es ein neckischer Zufall gerade wollte, traf es
sich, daß das sein -- eigener Bruder war.« --

»Don Gaspar, wenn Ihnen die Ruhe meiner Nächte, meines Lebens nur das
Geringste gilt, so hören Sie auf,« bat aber jetzt in wirklich tödtlicher
Angst das Mädchen und suchte sich von der Hand loszumachen, die sie
jetzt wieder wie mit eisernem Griff umschlossen hielt. -- »Ich begreife
Sie nicht; was um des Himmels Willen ist mit Ihnen vorgegangen? und
sehen Sie nur, wie entsetzlich Sie mich gedrückt haben,« setzte sie dann
hinzu und hielt ihm die eben befreite, ganz dunkelroth gepreßte kleine
Hand halb scheu noch, halb lachend entgegen.

»Schelten Sie mich -- schelten Sie mich _recht_ aus, Señorita,« rief da
der Spanier, sich rasch von ihr abdrehend, »ich bin ein arger Thor, ja
ich bin boshaft genug, mich gerade daran zu freuen, wenn ich die -- die
mir die _liebsten_ sind, ärgern und quälen kann -- und zuletzt habe ich
doch nur mich selber geschlagen, wie ein thörichtes Kind. -- Aber ich muß
wahrlich fort,« setzte er dann rascher hinzu, »und in der Scheidestunde
ist das Herz ja doch stets trüb und traurig und beschwört die Bilder
herauf, die ihm die schmerzlichsten sind in der weiten Welt.«

»Aber weshalb wollen Sie fort? -- was treibt Sie -- was treibt Sie so
plötzlich aus unserer Mitte, aus einem Kreis von Freunden, der Ihnen
-- zu Dank verpflichtet -- so gern noch beweisen möchte, wie -- wie
werth Sie ihm sind« -- sagte die Jungfrau schüchtern und zuletzt mit
leiser bewegter Stimme hinzu.

»Weshalb?« wiederholte Don Gaspar tonlos, und schaute rasch und
forschend zu dem Mädchen auf -- »weshalb? -- ja, wie war mir denn,
weshalb kam ich doch -- ach -- Ihr Vater -- ja doch -- ist Mr. Newland
nicht zu Hause? -- _er_ wird mir die Auskunft geben können.«

»Weshalb Sie fort von uns müssen,« sagte Jenny wehmüthig lächelnd und
den Kopf schüttelnd, »o Sie wunderlicher Mann, wie läge das in seinen
Kräften, und wird's ihn nicht selber schmerzen, wenn er Sie missen soll,
der Sie ihm zuletzt ein wirklich fast unentbehrlicher Freund geworden?«
--

Don Gaspar schüttelte traurig mit dem Kopf.

»Glauben Sie das nicht, Señorita -- was hätte Don Guillelmo an dem
wilden, launischen Gesellen, der unstät wie ein Frühlingstag, bald seine
Nachsicht, bald sein Mitleiden in Anspruch nahm, oder ihn ärgerte und
reizte in heftiger, unerquicklicher Debatte. Nein, nein, er wird den
Fremdling bald vergessen, den einst die gütige Vorsehung wohl einmal
benutzte, einen ihrer kleinen Lieblinge noch länger auf dieser Erde zu
halten, den Seinen zum Trost, zur Lust, der aber jetzt schon weit, o,
recht weit von hier fort sein sollte -- und es auch wäre -- hielten ihn
nicht Banden -- heilige, feste Banden.« --

»Heilige Banden?« rief Jenny rasch und erschreckt emporfahrend, und
den Blick mit durchbohrender Schärfe auf ihn heftend -- »feste Banden?
-- Sie?« --

»_Banden?_« wiederholte der Spanier und sein Geist sprang augenscheinlich
auf dem Wort ab, nach anderer Richtung hin -- »mich? -- nein -- noch
nicht, hahaha -- sie waren nicht schlau genug dazu.«

»Ich verstehe Sie nicht,« sagte das Mädchen, und das Blut schoß ihr in
Strömen in die Schläfe, und färbte ihr Wangen und Nacken.

Don Gaspar schwieg erschreckt -- fast instinktartig fühlte er, daß er
wildes, tolles Zeug gesprochen, aber er fürchtete fast eben so, es zu
widerrufen. Schweigend stand er dem holden Mädchen einige Sekunden
gegenüber, jetzt zum ersten Mal, seit er das Gemach betreten, haftete
sein Blick voll und ruhig auf den lieben, bewegten Zügen, und er sah,
wie an den langen, seidenen, niedergeschlagenen Wimpern zwei große,
schwere Thränen zitterten und langsam niedertropften.

»Jenny,« sagte er da weich und leise, und ihr näher tretend, ergriff er
wieder ihre Hand -- »ich habe Sie wohl recht gekränkt mit meinen harten,
ungestümen Worten -- und -- ich war doch hergekommen aus einem ganz,
ganz anderen Grunde -- weshalb? weiß ich mir eigentlich selber keine
Rechenschaft zu geben; ich verlasse heute die Stadt noch nicht, aber mir
war, als ob ich _vor_ der nächsten Zeit, die in grimmer, unerbittlicher
Entscheidung mein wartet, _Ihr_ holdes Antlitz noch einmal sehen, den
Blick dieser sanften Augen noch einmal in meine Seele prägen _müsse_,
sollte ich im Stande sein, zu ertragen, was -- was nun eben der
wunderliche Herr Gott da droben über mich auszuschütteln im Begriff ist,
und dann --« er hob langsam ihre Hand an seine Lippen und drückte einen
leisen, leisen Kuß darauf -- »mit leichtem Muth der nächsten Zeit zu
begegnen. Ich glaubte mich _durch_ diesen Augenblick gegen Alles
gewappnet, und -- finde nun, daß ich mich bös, o, bös geirrt.« --

»Halloh, Kinder!« rief in diesem Augenblick eine fröhliche Stimme, und
der alte Mr. Newland stand in der geöffneten Thür, die traurige Gruppe
der Beiden, die ihn gar nicht kommen gehört, halb erstaunt, halb lachend
betrachtend.

Jenny schrak zusammen, als ob sie auf einer bösen That betroffen worden,
und wurde todtenbleich, Don Gaspar dagegen hob langsam den Kopf, und dem
alten Herrn ruhig die Hand entgegenstreckend, sagte er freundlich:

»Sie kommen wie gerufen, lieber Señor, mir liegt etwas auf dem Herzen,
daß ich nicht länger allein tragen kann und will, und Sie gerade sind
der Mann --«

»Segne meine Seele!« unterbrach ihn aber der Alte mit lautem Lachen,
»wenn der nicht mit Leesegeln an beiden Seiten vor dem Winde, zehn
Knoten die Stunde geht, offene See und keine Leeküste, o! -- aber darauf
kommen wir nachher zurück, jetzt erst, Kinder, eine fröhliche Botschaft,
daß ich die los werde, und nicht auseinanderspringe vor lauter Vergnügen
-- Bill kommt.«

»Bill?« rief Jenny aus ihren nur halb getrockneten Thränen hervorlächelnd,
»aber wenn, Papa, wenn?«

»Übermorgen, morgen vielleicht schon!« rief der alte Mann fröhlich, »der
Dampfer hat das Schiff an der Küste, gar nicht weit vom Hafen mehr
getroffen, und wenn der Wind nur noch ein wenig aufräumt, können sie
vielleicht morgen schon ihren Anker hier bei uns niederrasseln lassen.
-- Nun kommt auch der Vater des kleinen Burschen, Señor, den Sie
retteten, und einen warmen, dankbaren Freund werden Sie an dem finden.«

Zwei Reiter galoppirten die Straße hinab -- es war Polizei, und Don
Gaspar schaute ihnen lächelnd nach -- er hörte gar nicht, was der alte
Herr in seiner Herzensfreude zu ihm gesagt hatte.

»Und du warst am Bord des Dampfers, Väterchen?« frug die Jungfrau, froh,
einem Gespräch enthoben zu sein, das ihr das Herz zusammen zu schnüren
gedroht -- »hatten sie Bills Schiff signalisirt?«

»Doch wohl, Kind, doch wohl,« sagte der Greis, sie an sich heranziehend
und ihre Stirn küssend -- »aber an Bord war ich nicht, sondern traf eben
bei dem Argentinischen Konsul einen alten Freund, der mir die fröhliche
Botschaft gab. -- Segne meine Seele, ich habe ihm nicht einmal Adieu
gesagt, in solcher Eile war ich, Dir die Nachricht zu bringen -- den
Konsul wollte ich mit hierherschleppen, der hatte aber den Kopf voll und
mußte auf die Polizei, und Don Luis de Gomez --«

Ein wilder, fast nicht mehr irdisch klingender Schrei unterbrach ihn
hier, und als sich Beide rasch und erschreckt der Richtung zuwandten,
von der jener unheimliche Laut ertönte, sahen sie den Spanier mit
todtenbleichem, leidenschaftlich aufgeregtem, fast verzerrtem Antlitz,
die weit geöffneten Augen starr und aus ihren Höhlen drängend auf den
Erzähler geheftet, die Arme vorgestreckt, und das schwarze krause Haar
in ungeregelten, fast emporsträubenden Locken über die marmorblasse
Stirn geworfen, mitten im Zimmer stehen. Eben hatte er dessen letztes
Wort, den Namen, aufgefangen, und die wenigen Sylben schienen einer
Zauberformel gleich auf den Unglücklichen zu wirken.

»Don Gaspar -- was um des Himmels Willen ist Ihnen geschehen,« riefen
Vater und Tochter fast zu gleicher Zeit.

»Don Luis de Gomez!« war aber Alles, was der Spanier nur in bleicher
zitternder Wuth, jede Muskel seines Körpers bebend in der furchtbaren
Aufregung, auszustoßen vermochte -- »Don Luis de Gomez!« und Alles was
er an Haß, Wuth und Rache kannte, häufte sich in dem einen Namen des
Feindes. Die geballten Fäuste schlug er dabei zusammen, und der halb
geöffnete Mund zeigte die beiden Reihen perlenweißer, aber fest
zusammengebissener Zähne, hinter denen vor die Laute zischten.




12.

Der Ausbruch des Vulkans.


Leifeldt stand noch wie in einem Traume, als ihn Don Gaspar schon
mehrere Minuten verlassen hatte, und nur erst der Lärm, den der in
seiner eigenen Falle gefangene Don Manuel oben machte, brachte ihn
wieder zu sich selber.

Die beiden Peons unten ebenfalls wußten nicht, was sie von dem Allen
denken sollten. Ihrer Meinung nach hatte es ihnen kaum anders möglich
geschienen, als daß der, der sie da eben so ruhig und gleichgültig
verlassen, der Bezeichnete sein müsse, den festzunehmen sie heimlich
heute Nachmittag durch Don Guzman de Ribera hierher bestellt waren, und
gleichwohl saß der Andere jetzt oben fest, und dieser ging ruhig und
ungehindert von dannen. Und Don Manuel? -- dem zu gehorchen waren sie
doch herbeordert; konnte es möglich sein, daß er selber der Tolle
gewesen wäre? --

Der junge Arzt stand indeß noch unschlüssig an der Treppe. Er konnte
Don Manuel hier nicht gut hinter Schloß und Riegel sitzen lassen, und
gleichwohl hatte er eine kleine Strafe für sein doppelgängiges Wesen
verdient; Leifeldt freute sich ordentlich, daß Don Gaspar die Falle
gemerkt und auf die Häupter seiner eigenen Verfolger geleitet habe.
Langsam schritt er den Gang entlang und der Thüre zu, hinter der dieser
schrie und tobte und herausgelassen zu werden verlangte, und seine Wuth
wurde noch durch die beiden Peons vermehrt, die unten im Hof jetzt
mit offenem Munde standen, zu ihm hinaufschauten und eben durch sein
furchtbares Wüthen mehr und mehr darin bestärkt wurden, daß doch
wirklich Don Manuel und niemand anders der plötzlich toll gewordene sei,
und jetzt hier zu der Stadt Besten im Allgemeinen, und seinem eigenen
insbesondere, hinter Schloß und Riegel verwahrt werden sollte. All seine
Ausrufungen und Befehle, die er mit vor Zorn halb erstickter Stimme den
unten Gaffenden hinunterschrie, konnten dabei nicht dazu dienen, sie vom
Gegentheil zu überzeugen, und endlich, der Sache auch eine spaßhafte
Seite abfindend, stießen sie sich unter einander mit den Ellenbogen,
und sahen sich an und platzten dann gerade heraus in ein nicht enden
wollendes Gelächter.

Wie lang diese Scene gedauert haben würde, ist unbestimmt, Don Manuel
war aber durch das, was er Spott glaubte, der beiden von ihm selbst
besoldeten Männer so in wirkliche Wuth gerathen, daß er schon die
Stäbe seines Kerkers gefaßt hatte und in blinder Wuth daran riß und
schüttelte, als der junge Arzt seine Thüre erreichte, die beiden von
außen vorgeschobenen Riegel zurücktrieb und das Schloß ebenfalls zu
öffnen versuchte; das aber widerstand allen seinen Bemühungen und
während der Gefangene, der jetzt Jemanden an seiner Thür hörte, dieser
zusprang und von innen dagegen schlug und donnerte, anstatt ruhig zu
warten bis sie geöffnet sein würde, benahm er Leifeldt vollkommen die
Möglichkeit, ihm verständlich zu machen, wie er gerade im Begriff sei
ihn wieder in Freiheit zu setzen. Dieser war zuletzt genöthigt, zurück
in den Hof zu gehen und einen der Peons zu rufen, ihm zu helfen. Eine
der alten eisernen, dort herumliegenden Klammern mit hinaufnehmend,
gelang es ihm endlich mit des Peons Beistand, das massive Schloß
aufzudrehen und den Gefangenen zu befreien.

Der Peon mußte übrigens, wie sich Don Manuel nur erst einmal vor der
Thür und ihm gegenüber sah, machen, daß er die Treppe hinunterkam, denn
der gereizte Chilene warf sich in förmlichem Grimm auf den armen Teufel
und schien wirklich im ersten Augenblick kaum seiner Sinne mächtig.
-- Die nächsten heraussprudelnden Fragen war Leifeldt auch gar nicht
im Stande so rasch zu beantworten, wie sie sich Luft machten von des
zornigen Mannes Lippen, und als auch der Schwede endlich, gereizt von
den scharfen zornigen Worten, kurz und trotzig erwiederte, stürmte der
Erbitterte fort mit Flüchen und Verwünschungen zwischen den Zähnen,
Genugthuung zu holen auf der Polizei für den erlittenen Schimpf.

Es thun das viele Menschen.

Leifeldt sah ihm lächelnd nach, dann aber der Worte gedenkend, die ihm
Don Gaspar noch zugerufen, und der eigenthümlichen Aufregung, in der
er ihn heute gesehen, entließ er die Peons (der dritte, ebenfalls oben
Eingesperrte hatte schon einen anderen Ausgang durch eine Nachbarzelle
gefunden) und eilte mit schnellen Schritten zu seinem Hotel zurück, die
erwartete Aufklärung des Freundes dort zu finden.

Don Gaspar war noch nicht da, und unruhig durchschritt er den kleinen
Raum von dessen Gemach hin und her, Viertelstunde nach Viertelstunde.
Bald trat er an das Fenster, hinauszuschauen, bald an die Thür zu
horchen, ob sich nicht die raschen Schritte des Erwarteten hören ließen.
-- Niemand kam, und wie ihm endlich die feste Überzeugung schwand, mit
der er bis jetzt den Freund erwartet hatte, tauchte Besorgniß in ihm
auf, wohin dieser in seinem überreizten Zustand geeilt sein, was er
angerichtet haben könnte. Jetzt zum ersten Mal, obgleich sein Herz
kaum an etwas anderes gedacht den ganzen Morgen, als Jennys Schicksal
-- zuckte ihm auch, wie ein wilder Schmerz, der Gedanke durchs Hirn, Don
Gaspar könne dorthin geeilt sein, und was dann waren die Folgen, wenn
der Teufel, der in ihm schlummerte, die Lavagluth, auf deren düsteres,
furchtbares Leuchten er nur erst einen einzigen entsetzten Blick
geworfen, zum Ausbruch käme.

Rasch, und jetzt selber in fieberhafter Aufregung, durchschritt er das
Gemach wohl noch zehn Minuten in immer steigender Unruhe, dann aber
hielt er es auch nicht mehr aus -- es litt ihn nicht länger in dem
leeren Raum, und hinaus stürmte er, Newlands selber aufzusuchen und sich
zu überzeugen, ob seine Befürchtungen Wahrheit gewesen wären oder nicht.

Laute, ungewohnte Stimmen, und wildes Lachen schallten zu ihm nieder,
wie er nur das Haus betrat.

»Um Gottes Willen, was geht hier vor?« rief er der alten Magd entsetzt
entgegen, die ihm mit zitternden Händen die Thüre öffnete.

»Don Gaspar,« war Alles, was diese erwiedern konnte, als er auch schon
mit flüchtigen Sätzen die Treppe hinaufflog und die Thür aufriß. --

Ein einziger Blick hier bestätigte aber nicht allein seine schlimmste
bisher gefaßte Befürchtung, sondern zeigte ihm auch, in welche Gefahr
er die ihm liebsten Menschen durch sein unschlüssiges Zaudern gebracht.

Mitten im Zimmer, dicht neben dem großen, runden Tisch, auf den er sich
mit der linken Hand stützte, stand der Greis, den rechten Arm um die
Tochter geschlungen, die sich halb bestürzt, halb erschreckt an ihn
schmiegte und Beide starrten in sprachlosen ja besorgten Staunen nach
dem Spanier hinüber, der lachend und stampfend, mit blitzenden Augen und
gesträubtem Haar ihnen gegenüber stand.

Keiner von ihnen gewahrte das Öffnen der Thür, den eintretenden jungen
Mann, aber die so lang eingehemmte und zurückgehaltene Wuth des Tollen,
die jetzt Monde lang unter der äußeren Schaale seines festen eisernen
Willens gearbeitet und gegohren hatte, wie ein mächtiger Vulkan seine
Gluthen wieder unter der Rinde sammelt, die er sich von seinem letzten
Ausbruch selbst geschmiedet, schlug hier zum ersten Mal wieder in wilder
Lohe ins Freie.

»Don Luis de Gomez!« schrie er mehr, als er es rief, »Don Luis, er ist
hier -- er ist hier! Teufel, wenn ich Dich fasse, wenn ich Dich halte
-- hier -- hier zwischen den zusammengeballten Fäusten -- hier zwischen
den Zähnen und Armen -- huih!« -- und das Zimmer dröhnte von dem
gellenden Aufkreisch des Rasenden. -- »Und _das_ Dein Weib? -- mit
dem marmorbleichen Angesicht? -- _das_ die blühende, liebeglühende
Constancia?« fuhr er plötzlich fort, den Arm gegen das zusammenzuckende
Mädchen ausstreckend -- »_das_ die Schlange, die mich nicht einmal im
Grabe ruhen ließ mit ihren zaubertollen Reizen -- _das die Braut_«
-- und zum Sprung, die Schultern zurückgedrängt, die Augen in wildem
unheimlichem Feuer glühend, die Arme angezogen, bog er sich nieder, als
Leifeldt dazwischen sprang und drohend die Hand gegen den Wüthenden
gehoben, ausrief:

»_Morelos!_«

»Wahnsinnig!« hauchte Jenny, ihr Antlitz in den Händen bergend, und
brach in sich selbst zusammen. Hoch empor aber zuckte der Kranke, und
seine Augen flogen wie irre Pfeile von Leifeldts ihm muthig begegnender
Gestalt zu dem bleichen, am Boden hingestreckten Mädchenbild, über das
der Vater getreten war, mit dem jungen Arzt jede Gefahr von der
Geliebten abzuwenden.

Aber diese schien für den Augenblick vorüber, wenigstens von ihnen hier
abgelenkt. Des Freundes Anblick riß den Wüthenden in etwas zu der ihn
umgebenden Wirklichkeit zurück.

»Leifeldt -- Stierna!« rief er, mit der linken Hand rasch und heftig das
wirre Haar aus seiner Stirn streichend, »und _hier_? -- _hier_? -- nein,
nicht hier -- er ist dort, bei _ihm_, bei _ihm_« -- und ehe Jemand
seine Bewegung hätte hindern, ja nur ahnen können, was er beabsichtigte,
legte er die Hand auf das Sims des offenen Fensters und war mit _einem_
tollkühnen Satz auf der Straße unten.




13.

Das Rendez-vous.


Die Höhe, von der der Wahnsinnige niedersprang, war über achtzehn Fuß,
aber wie ein Federball schnellte er wieder vom Boden empor, und floh mit
flüchtigen Sätzen die Straße hinab, dem Hause des Argentinischen Konsuls
zu. Wohl stutzten ein paar Vorübergehende, die den waghalsigen Sprung
gesehen, und auch wohl erst die lauten Stimmen oben im Hause gehört;
Streitigkeiten sind aber nichts seltenes bei dem heißen Blut des
Südländers, das Messer trägt er dabei nur gar locker im Gürtel, und
rasche Flucht wird oft nöthig, dem Gesetz und vielleicht fatalen Folgen
zu entgehen. Zufällig Gegenwärtige vermeiden aber in einem solchen Fall
nichts sorgfältiger, als Zeugen solcher That zu sein. -- Die Gerichte
waren in Chile so weitläufig, wie in der Argentinischen Republik und man
hält sich gern fern von ihrer kostspieligen Nähe.

So bog Don Gaspar, oder wie wir ihn jetzt lieber wieder bei seinem
rechten Namen nennen wollen, _Morelos_, ungehindert, unbelästigt in die
nächste Straße ein, und stand wenige Minuten später an der Thüre des
Argentinischen Konsuls, die er verschlossen fand.

Den rasch geführten Schlägen des Klopfers öffnete ein junger Bursche in
einem Peruanischen Poncho.

»Don Guzman ist nicht zu Hause!« sagte der Knabe, die Frage nach dem
Konsul beantwortend, »wird auch vor Abend schwerlich zurückkommen.«

»Und der Fremde?«

»Don Luis de Gomez?«

Morelos faßte krampfhaft in seine eigene Seite, die Spuren der Nägel
dort zurücklassend, und die Muskeln seines Gesichts zuckten wie unter
dem Schmerz des Scalpells. --

»Weshalb lachen Sie, Señor?« frug der Knabe erstaunt.

»Wo ist Dein Herr?« frug der Kranke, sich gewaltsam zusammennehmend.
-- Wie der Schwimmer, mit sinkenden Kräften dem rettenden Ufer nah,
noch einmal die Nerven anspannt zum letzten entscheidenden Moment, noch
einmal hineingreift in die Fluth und ausstreicht, und die Zähne fest,
fest aufeinander beißt, so fühlte er, daß der Augenblick, nach dem sein
ganzes Leben gedrängt, ja dem der Geist, selbst krank und bewußtlos,
entgegenstrebt, nahe sei, und nur wenige Minuten Fassung _jetzt_, ihn
siegen lassen müssten.

»Oben in seiner Stube im ersten Stock!« sagte der junge Bursche, durch
die ruhige Frage wieder getäuscht, von dem glühenden, aber ernsten Blick
doch auch zugleich eingeschüchtert. -- »Gleich rechts die zweite Thür,«
rief er dem schon treppauf Springenden noch nach; »das Vorzimmer ist
offen!«

Der Spanier _fühlte_ mehr die letzten Worte, als daß er sie hörte; mit
wenigen Sätzen war er oben -- das Vorzimmer stand nur angelehnt, er
öffnete es, drückte es hinter sich ins Schloß und schob den Nachtriegel
vor, und wenige Sekunden später lag seine Hand auf dem Schloß der
anderen Thüre, die in das Zimmer seines Todfeindes führte.

Das Herz schlug ihm hörbar in der Brust, aber kein Nerv seines Körpers
bebte, wie das Metall selber so kalt und ruhig, hielt die Hand den
Griff, nur das Auge blitzte in wildem, unheimlichem Feuer und ein
kaltes, fast teuflisches Lächeln zuckte jetzt um seine Lippen.

Leise klopfte er an die Thür, und das laute #entra# von innen warf nur
tiefere Gluth in seine Augen, ohne an seiner Stellung auch nur die
Bewegung einer Muskel zu verändern.

_Er spielte mit seinem Opfer._

Noch einmal berührte sein gebogener Finger die Thür, und lauter und
ungeduldiger tönte das scharfe »Herein« des Bedrohten.

Dem Laut nach befand er sich in dem entferntesten Theile des Zimmers,
wie aber statt dem Öffnen der Thür zum dritten Mal das Klopfen, nur
etwas lauter als vorher ertönte, schallten rasche Schritte von innen,
doch ehe sie sich vollkommen der Thüre nähern konnten, riß sie Morelos
auf und stand im nächsten Moment dicht vor dem, mit einem jähen Ausruf
des Schrecks zurückspringenden Argentiner.

Er wollte schreien, aber das lange, haarscharfe Messer des Feindes
blitzte in dessen Hand und die nächste Sekunde, schien es, sollte
sein Schicksal entscheiden. Doch über den wunderlich tollen Geist
des Wahnsinnigen war ein anderer Schatten gezogen, oder hatte die
_Gewißheit_ seiner Rache, das _Bewußtsein_, den Feind nun endlich im
Bereich seines Messers zu haben, der wild ausbrechenden Wuth, die ihn
sonst nur bei Nennung des bloßen Namens befiel, die volle Schärfe
genommen? Ja, er _letzte_ sich jetzt selber an diesem Gefühl und wenn
auch Mord und Blut nur sein erster Gedanke gewesen, als er die Schwelle
betrat, so schien es ihn jetzt zu reuen, gleich mit _einem_ Schlag den
Jahre und Jahre lang aufgebauten Plan seiner Rache zu zerstören.

»Bst!« sagte er, mit dem warnend emporgehobenen Zeigefinger der linken
Hand -- »bst -- Kamerad -- kein Geschrei, die Nachbarn sind munter und
du könntest die Polizei im Schlafe stören -- siehst Du den Gruß hier?«
und er hielt ihm die blanke Klinge lachend entgegen, vor der der
Unglückliche scheu und entsetzt zurücktrat -- »fürchte Dich nicht,
Schatz, es thut nicht sehr weh -- den hat mir Felipe für Dich
aufgetragen.«

»Was wollen Sie von mir, Unglückseliger?« rief jetzt Don Luis in wilder
Angst, denn in den Augen des Wahnsinnigen lag der Tod -- »nennen Sie
Ihre Wünsche, und bei der reinen Mutter Gottes, ich will sie erfüllen
und kostete es mein halbes Vermögen.«

»Bst, bst, Kamerad, sprichst zu laut, viel zu laut,« flüsterte
kopfschüttelnd, einen Blick nach der Thüre werfend, der Spanier, »aber
eine Frage hätte ich doch an Dich -- wo ist Constancia?« -- und seine
Augen leuchteten und funkelten, als er den Namen aussprach und die Hand
umspannte krampfhaft den Griff des Messers.

Don Luis rang augenscheinlich mit sich selbst, aber die Gefahr war zu
dringend mit seinem Leben zu spielen und er sagte rasch, die einzige
vielleicht mögliche Gelegenheit ergreifend, sich zu retten: --

»Wünschen Sie Donna Constancia zu sehen?«

»Zu _sehen_?« rief der Spanier schnell und zornig, »nur zu _sehen_?
-- wo ist sie? -- rasch -- unsere Augenblicke sind kostbar.«

»So will ich Sie zu ihr führen,« sagte Don Luis, zum Tisch tretend und
seinen Hut ergreifend, »wir brauchen das Haus nicht zu verlassen.«

»Bst, bst, Kamerad,« lautete aber wieder die Antwort seines wachsamen
Hüters, »nicht hinaus, mein Bursche, den Weg _dort_ find' ich schon
nachher allein -- wir haben _hier_ noch Wichtigeres mitsammen zu
besprechen. Nicht wahr, das gefiele Dir, aus dem Thor hinaus hier durch
den Hof und in die menschengefüllte Straße mit dem Alarmschrei: »ein
toller Hund!« hinauszuspringen? Eine Frage mußt Du mir erst beantworten,
Señor -- eine Frage, die mir in blutigen Zügen die langen Jahre hindurch
im Hirn geschrieben stand und mich, wie die Leute in Buenos-Ayres
behaupteten -- wahnsinnig gemacht hat -- was wurde aus meinem _Bruder_
-- aus meinem _Weib_?« --

»Don Morelos!« rief der Argentiner entsetzt, denn die Blicke des Feindes
sprühten Feuer und es war augenscheinlich, wie er sich nur mit größter
Mühe selber noch zurückhielt auf sein Opfer zu springen. -- »Doch halt!«
rief da der Unglückliche in seiner Todesnoth, denn ein einziger Gedanke
an Rettung durchblitzte noch seine Seele, »Sie wollen Nachricht von
Ihrem _Bruder_ -- _die_ kann ich Ihnen geben.«

»_Du_?« rief der Spanier überrascht, und die Ruhe der Verzweiflung, die
in des Gegners Blicken lag, täuschte den sonst so Schlauen.

»Wollen Sie einen Brief von ihm sehen?« frug Don Luis.

»Einen Brief?« -- wiederholte Morelos und strich sich wie träumend mit
den Fingern über die Stirn -- »einen Brief? -- wie ist mir denn -- einen
Brief -- von -- dem -- _Bruder_?«

»Sie können sich überzeugen,« sagte Don Luis ruhig, »er liegt in jenem
Pult, und wenn ich Sie täusche, mögen Sie thun mit mir, was Ihnen
beliebt.«

Er nahm einen kleinen Schlüssel von dem Tisch, neben dem er stand, und
schritt langsam an Morelos dicht vorbei, dem Pulte zu, als draußen an
der Vorsaalthür zwei Mal stark geklopft wurde. Don Luis zuckte zusammen,
Morelos lachte.

»Gehen Sie an die Thür, Don Luis,« sagte er zu diesem, »und rufen Sie
hinaus, daß Sie beschäftigt sind -- der geringste andere Laut, die erste
Bewegung zur Flucht aber -- doch ich brauche Sie nicht zu warnen.«

Don Luis schritt in furchtbarer Aufregung zur Thür, gehorsam wie ein
Kind, und diese halb öffnend -- und der Wahnsinnige stand mit der
blanken Waffe dicht an seiner Seite -- rief er laut, wer da draußen sei.

»Ich bin es, Señor,« rief eine, Morelos wohlbekannte Stimme, »ich, Don
Manuel -- ich habe Polizei bei mir und wünschte Sie nur auf wenige
Sekunden zu sprechen.« --

Über Morelos Gesicht zuckte ein spöttisches Lächeln, aber Don Luis
zögerte -- dort draußen, wenige Schritt von ihm entfernt stand Hülfe,
und er, er mußte hier mit einer Lüge dem Feind sich selber rettungslos
in die Hände geben. --

»Bitte, Señor,« sagte der Spanier, mit kalter Höflichkeit, aber
jubelndem Triumph im Blick.

»Ich komme gleich -- warten Sie draußen auf mich,« rief der Gefolterte
und trat von der Thür zurück, die er offen ließ, Morelos drückte sie
wieder ins Schloß und schob den Riegel vor.

»_Den Brief_,« sagte er eintönig.

Don Luis wußte, es war ihm jeder andere Ausweg abgeschnitten, und
schritt zum Pult. Dieses öffnete er und zog mit beiden Händen Gefache
auf, in die er hineinschaute -- er nahm mehrere Briefe heraus und sah
ihre Adresse -- Morelos stand dicht neben ihm, und beobachtete jede
seiner Bewegungen.

»Hier ist er,« sagte er plötzlich, dem Spanier einen derselben
hinüberreichend, wie dieser aber mit scheuem Blick die Adresse
überflog, griff des Argentiners Hand tiefer in das Gefach und ein
Pistol herausreißend, das er im Rückspringen spannte und dem Feind
entgegenhielt, schrie er mit der Kraft, die ihm Todesangst und
Verzweiflung gegeben, laut um Hülfe!

»Lügner und Narr!« rief Morelos, als er den Brief mit wildem Lachen zu
Boden warf und mit dem Fuß stampfte -- »bete -- denn Deine Seele steht
in wenigen Sekunden vor Gott!«

»Hülfe!« tönte des Unglücklichen Stimme und mit dem Ruf zugleich
schmetterte der Schuß dem Angreifer entgegen. Die Kugel traf ihn in die
Schulter, aber was achtete der Tolle einer solchen Waffe. Draußen brach
die Thür zusammen unter dem Andrang der Polizeisoldaten, die den Ruf
gehört, aber er hörte das Prasseln und antwortete ihnen mit einem
gellenden Triumphschrei, denn unter seiner Hand lag und wand sich das
Opfer und sein Messer wühlte in dessen Herzen.

Wenige Sekunden später warfen sich die Diener des Gesetzes gegen die
innere Thür, die jedoch, stärker als die vorige, ihrem ersten Anprall
kräftigen Widerstand leistete.

»Seid Ihr da?« lachte Morelos, sich emporrichtend dem geglaubten Angriff
zu begegnen, »aha, meine Burschen, läßt Euch das Eichenholz nicht herein?«

»Öffnet, Don Luis -- öffnet, Señor -- im Namen des Gesetzes.«

»Hahahaha!« lachte der Tolle, »öffnet Euch selber und holt Euch Don
Luis de Gomez!« und das Fenster öffnend, das auf die, rings den Hof
umziehende Veranda führte, sprang er auf diese hinaus und floh, das
blutige Messer wieder in seiner Scheide bergend, darauf hin, durch eins
der anderen Fenster vielleicht einen Ausgang zu entdecken.




14.

Die Verfolgung. -- Schluß.


Seine Verfolger waren indessen aber auch nicht müßig gewesen. Der
Konsul selber, eben von der Polizei zurückgekehrt, wo er sich
schon einen Verhaftsbefehl und Hülfe verschafft hatte, hörte kaum die
Schreckensbotschaft, daß der Wahnsinnige zu seinem Opfer eingedrungen
sei und wahrscheinlich schon sein Schlimmstes gethan habe, sandte
augenblicklich einen Theil der Mannschaft in den Hof, ihn in Empfang zu
nehmen, wenn er dort hinunterspringen sollte, und ließ durch eine andere
kleine Abtheilung die Hinterthür besetzen, zu der eine schmale Treppe
von der Veranda niederführte.

Don Manuel war beordert, dieselbe anzuführen, und ihm ebenfalls der
Schlüssel zu dieser Pforte, die gewöhnlich offen stand, anvertraut
worden. Seine Ordre war, diese Thür so rasch als möglich zu verschließen
und dann das weitere zu erwarten. Don Guzman ließ unterdessen Don Luis
Thür sprengen, von wo aus sie den Flüchtigen, blieb er nun auf der
Veranda oder zog er sich in eines der Zimmer zurück, leicht erreichen
konnten.

Don Manuel säumte auch nicht, solchem Befehle nachzukommen; galt es ja
noch außerdem die Scharte auszuwetzen von heut Nachmittag, wo ihn der
Tolle überlistet, trotz all seiner Schlauheit; rasch deshalb über den
Hof eilend, und die Pforte, durch die er dorthin gelangt, ebenfalls
von außen verriegelnd, postirte er seine Leute vor die Hinterthür des
Hauses, ohne weitere Ordre, da er sich ihnen augenblicklich wieder
anschließen wollte, und er selber lief die Treppe hinauf, die Verandathür
zu schließen, als er sich in demselben Moment nicht allein in der Nähe,
sondern auch in der Gewalt des Flüchtigen fand, der, die Thür bemerkend,
sie gerade aufriß, als Don Manuel den Schlüssel gehoben hatte, ihn in
das Schlüsselloch zu schieben.

Der Chilene stand da wie vom Schlag gerührt, und die Überraschung lähmte
ihm wirklich im ersten Augenblick alle Glieder. Nicht so Morelos, dessen
tollkühner Muth im Nu die sich ihm bietende Gelegenheit ergriff, den
würdigen Caballero selber, der zu seinem Verderben hierher beordert
worden, zu seiner Flucht zu benutzen.

»Ha, Gott zu Gruß, Compañero,« rief er lachend, indem er mit der Rechten
sein Messer halb aus der Scheide ziehend, dem zum Tod Erschrockenen mit
der Linken auf die Schulter klopfte; »schon fertig mit der Besichtigung
jener alten Zimmer? hahaha, Kamerad, es freut mich, Dich gerade jetzt
hier zu finden, ich habe Lust zu einer Spazierfahrt, und _Du_ sollst
mich begleiten -- Ruhe, Bursche, Ruhe!« zischte er drohend zwischen den
Zähnen durch, als er sah, wie des Mannes Hand langsam nach dem Gürtel
zu schleichen suchte, »die erste verdächtige Bewegung, und Du bist ein
Kind des Todes -- _so_ und nun fort.«

Und damit den Schlüssel aus der widerstandslosen Hand nehmend, ohne
diesen jedoch aus dem Bereich seines Armes zu lassen, schloß er rasch
die Thür hinter ihnen und schritt, seine Hand auf Don Manuels Schulter
haltend, die steile Treppe nieder, die sie bald zur Außenthür brachte.

Die dort postirten Wachen staunten nicht wenig, ihren Führer in solcher
Begleitung zurückkomme zu sehen, Morelos war aber nicht der Mann, einem
gewonnenen Vortheil auch einen Moment nur zu entsagen.

»Zurück, Caballeros!« rief er barsch, als die beiden Wächter nach innen,
jedoch wie im Zweifel, zuspringen wollten, und das Messer schaute
drohend wieder aus seinem Versteck, »zurück, oder dieser Herr da ist
eine Leiche -- freiwillig werde ich mich dem Gericht überliefern, und
Don Manuel wird mich begleiten -- Sie aber gehen zurück und sagen das
dem Herrn des Hauses -- wenn er mich zu sprechen wünscht, werde ich auf
dem Polizeigebäude zu finden sein. -- Kommen Sie, Don Manuel,« und
den Arm des also Überraschten ergreifend, der gar nicht wußte, ob der
entsetzliche Mensch Ernst mache mit seiner Betheuerung, schritt er mit
ihm die Straße hinunter, während die Diener der Gerechtigkeit, vollkommen
verdutzt durch das ernste, zuversichtliche Benehmen des Mannes -- dem sie
überdieß nur zu gern aus dem Weg gingen, zurückblieben.

Rasch schritten indeß die beiden Männer die kleine Straße nieder, die
nach der Hauptstraße der Stadt zu führte, als sie eine der dort überall
haltenden Droschken überholten.

»Halt an, Kamerad!« rief Morelos, dem Kutscher winckend, »fünf Dollar,
wenn Du mich, so rasch Deine Pferde laufen, die Almendral hinunterfährst
-- hier, Dein Geld!« --

»Darf nicht galoppiren, Señor,« sagte der Mann.

»Trabe dann.«

»Die Almendral hinunter?« frug Don Manuel erschreckt, dorthin lag nicht
das Polizeigebäude, ein Blick seines Begleiters aber und ein leises
Drücken von dessen Arm überzeugte ihn bald, wie er willenlos nur zu
gehorchen habe. -- Sie stiegen ein, Don Manuel voran, aber ehe ihm
Morelos folgte, hielt er sich einen Augenblick an dem Schlag des Wagens
fest, er sah todtenbleich aus und es war augenscheinlich, wie er mit
einem furchtbaren Schmerz rang.

»Caracho, Señor!« rief der Kutscher, der sich nach ihm umschaute, »Sie
sind verwundet.« --

»Ich will eben zum Doktor, Amigo,« lächelte der Kranke, und sich
gewaltsam zusammenraffend, hob er sich in den Wagen an Don Manuels
Seite.

»Fort, mein Bursche, fort -- und was die Pferde laufen können.«

Der Kutscher hieb auf die Thiere und im scharfen Trab rasselten
sie eben um die nächste Ecke, als von des Konsuls Haus die Verfolger
niedersprangen.

»Schneller -- schneller, Amigo.«

»Ich darf nicht galoppiren, Señor.«

»Ich zahle die Strafe, Freund -- Du weißt, Ärzte und Polizei dürfen,
und Kranke werden dasselbe Recht haben.«[23]

  23: Es ist in Valparaiso nur der Polizei und den Ärzten erlaubt,
      in der Stadt zu galoppiren.

Der Peon hieb in die Pferde und die Thiere, selber gereizt durch das
stete Strafen der Peitsche, griffen aus in vollem Carrière die Straße
hinunter.

»Halt an, Compañero,« schrie ein an der nächsten Ecke ihnen begegnender
Polizist entgegen, und versuchte dem Wagen vorzuspringen, aber das
Handpferd biß nach ihm und er fuhr zurück, während der leichte Wagen
vorbeistob, als ob ihn die Winde führten.

»Wo ist das Haus, Señor, die Almendral ist beinah zu Ende,« frug der
Kutscher, die Zügel fest in der Hand, den Kopf halb herumwendend.

»Weiter!« war die einzige Antwort, die er erhielt, und donnernde
Hufschläge wurden schon hinter ihnen laut.

Jetzt hatten sie das Ende der Stadt erreicht und über eine kleine Brücke
hin donnerte der Wagen den letzten Häusern entgegen.

»Ist es hier?« frug der Kutscher noch einmal, und wandte sich seinem
wunderlichen Passagiere zu.

»_Weiter!_« tönte die monotone Antwort -- aber die Worte klangen hohl
und unheimlich.

»_Weiter?_ -- ich fahre nicht weiter!« rief der Kutscher erstaunt, »hier
ist meine Grenze.«

»Du fährst,« sagte Morelos eintönig, und er hätte das Messer nicht
gebraucht, das er aus der Scheide zog; der Blick, mit dem er dem
entsetzten Rosselenker ins Auge schaute, trieb diesem das Blut als
Eis ins Herz zurück.

Wilder hieb er in die Pferde, den schrägen Hügel hinauf keuchten die
Thiere, mit Schaum bedeckt, schnaubend und in die Zügel knirschend.
-- Don Manuel sah sich um -- zehn oder zwölf Reiter waren in kaum
hundert Schritt Entfernung hinter ihnen und ein rascher Satz aus dem
Wagen konnte ihn jetzt aus dem Bereich seines Feindes bringen. Aber
dessen Hand lag auf seinem Arm und ein eignes, unheimliches Lächeln
spielte um seine Lippen.

Die Pferde keuchten und schnoben den Berg hinan -- jetzt hatten sie den
Gipfel erreicht, aber nur einen scheuen Blick warf der Peon zurück und
hieb mit neuer Kraft auf die armen, schon zum Tod erschöpften Thiere.

»Halt -- Caracho, verdammter!« schrie die Stimme eines der vordersten
der Verfolger in wildem Grimm, »halt, oder ich reiße Dich mit dem Lasso
vom Wagen herunter.«

Ein Schlag mit der Peitsche auf die eigenen Thiere war die Antwort
-- das blanke Messer lag neben dem armen Teufel von Peon und er
fürchtete weniger die Drohung des Reiters, als den kalten, drohenden
Stahl des entsetzlichen Fremden.

Wieder zog sich der Weg eine kleine Erhöhung hinan, und der Kutscher
hieb aufs Neue in seine Thiere, aber deren Kräfte waren erschöpft.
Das Sattelpferd, mit dem kurzen Lasso am Gurt befestigt, wollte
dem geschwungenen Arm entgehen -- noch einmal warf es sich mit der
Anstrengung aller Sehnen vorwärts, aber die Glieder versagten ihm den
Dienst, und wie es stürzte, war es nicht mehr im Stand, sich wieder zu
erheben.

In demselben Moment fast hielten die ersten Reiter neben dem Wagen, und
zwei davon, mit geschwungenem Lasso heranreitend, wandten sich gegen
den entflohenen Mörder.

»Im Namen des Gesetzes!« rief der Erste, »Ihr seid mein Gefangener,
Señor Morelos!«

Don Manuel blickte scheu zu ihm auf -- noch immer ruhte seine Hand auf
seinem Arm, und dasselbe kalte Lächeln spielte um die bleichen Lippen
und stieren Augen -- er war _todt_.

Die eigenen Pferde vor den Wagen spannend, und es dem Kutscher
überlassend, seine abgehetzten und fast aufgeriebenen Thiere
nachzubringen, sprengten die Polizeidiener mit der Leiche in die
Stadt zurück.

       *       *       *       *       *

Sechs Monate waren seit jenem Tag verflossen -- es war Frühling in
Valparaiso. -- Die Pfirsichen blühten und der Feigenbaum schoß seine
saftigen Blätter; die Natur, durch eine lange Regenzeit wieder frisch
gekräftigt, trieb und keimte in lustigen Knospen und Blumen, und die
Vögel bauten ihre Nester der herrlichen Jahreszeit zu Ehren, und das
große Fest einer neuen Auferstehung mit zu feiern in Liedern und Liebe.
Warm und sonnig lag der junge Morgen auf der thaubedeckten Flur, und ein
frischer Nachtregen hatte den Staub fortgewaschen von den Gräsern, die
jetzt blitzten und funkelten in dem goldenen Licht.

In der von Schiffen überstreuten Bai regte es sich ebenfalls von gar
geschäftigem Leben. -- Boote und kleine Fahrzeuge schossen herüber und
hinüber und besonders um ein mächtiges Schiff drängte die kleine Flotte
bunt bemalter Nachen, Früchte und Provisionen an Bord zu schaffen für
eine lange Reise.

Von der Gaffel des nach London bestimmten Fahrzeugs flatterte lustig die
englische Flagge; das Vormarssegel war schon gelöst, der zweite Anker
schon driftig geworden und die Raaen flogen herum, die Schothörner der
gelösten Segel wurden ausgezogen unter dem fröhlichen, jubelnden Singen
der Matrosen, die ja _heimwärts_ gingen.

Auf dem Quarterdeck des Packetschiffs standen alte, liebe Bekannte von
uns, aber der Tod hatte eine tiefe Wunde in die Familienbande der armen
Leute gerissen, und sie zogen heim, um zu versuchen ob vaterländische
Luft den Schlag vernarben könne, der hier wieder und immer wieder
aufbrach in bitterem Weh.

Es waren Newlands, und vor zwei Monaten hatten sie ihr Töchterlein
hinaufgetragen auf den stillen Gottesacker, zwischen die hohen
beengenden Mauern, die den Schlummer der Todten bewachten.

Bills Vater war wieder in See gegangen und sie nahmen den Kleinen mit
nach England, ihn dort zu einem braven und wackeren Mann heranzuziehen
-- bis sie selber der Todesengel abrufen würde.

Heute Morgen noch hatten sie von dem blumengeschmückten Grab ihrer Jenny
Abschied genommen und jetzt drückten sie dem letzten Freund die Hand,
der in den letzten schweren Monaten nicht von ihrer Seite gewichen und
Schmerz und Leid redlich mit ihnen, und oft, ach fast noch schwerer als
sie selbst getragen hatte. -- Es war Stierna, der junge Schwede. Bill
wollte den jungen Mann gar nicht von sich lassen, und die alte Dame
hatte seine Hand gefaßt und flüsterte leise.

»Und _ihr_ Grab?«

»Ich kann ihm nicht den heimathlichen Boden geben,« sagte der junge Arzt
mit halb abgewandtem Antlitz -- er wollte das Herz der alten Frau nicht
noch schwerer machen als es war -- »aber ich will ihr hier eine Heimath
von Blumen bauen, in der fremden Erde -- im _Tode_ wenigstens -- da es
die _Lebende_ dem Freund verweigerte.«

Der alte Mr. Newland drückte dem jungen Mann schweigend und tief
ergriffen die Hand.

»Señor, es ist Zeit,« sagte da der Bootsmann, den Stierna mit
herausgenommen hatte in den Hafen, ihn zurückzubringen ans Land, wenn
das Schiff unterwegs sein sollte -- die Segel waren gebläht und mit
einer leichten, aber günstigen Brise stand das wackere Fahrzeug dem
schmalen Eingang der Bai entgegen, den es in wenigen Minuten erreichen
mußte.

Stierna griff noch einmal den Knaben auf und küßte seine Stirn, seine
kleinen, schwellenden Lippen, und das Herz wollte ihm fast brechen, wenn
er in _die_ Augen schaute -- noch einmal drückte er die Hände derer, die
ihm Vater und Mutter geworden waren in der fremden Welt, und wenige
Minuten später schoß der stolze Bau, von den schwellenden Segeln
geführt, hinaus in die freie, wogende, offene See -- im Heck des kleinen
Bootes aber, die Augen in den fest dagegen gepreßten Händen bergend, saß
der junge Arzt und weinte wie ein Kind.

_Altenburg_, Druck der Hofbuchdruckerei.




TRANSCRIBER'S NOTE

The table of contents has been moved to the beginning. The spelling
of names has been regularised and missing punctuation added. Obvious
misspellings have been corrected. A few words appear in two different
spellings; these have been retained. Some words now used with the
accusative case were combined with the dative case in Gerstäcker's time;
period usage has been retained where contemporary reference books show
this to have been the case.

The following additional changes were made; the original appears in the
first line, the altered version in the second.


ANMERKUNGEN

Das Inhaltsverzeichnis wurde an den Anfang gesetzt. Namen wurden
vereinheitlicht und fehlende Zeichensetzung ergänzt. Offenkundige
orthografische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Manche Wörter
treten in zweierlei Schreibungen auf und wurden so belassen. In einigen
Fällen treten Wörter heute mit dem Akkusativ auf, wurden zu Gerstäckers
Zeiten aber mit dem Dativ verbunden. Wo sich das nachweisen ließ, wurde
der damalige Usus beibehalten.

Folgende zusätzliche Änderungen wurden vorgenommen; das Original ist
jeweils in der ersten, die geänderte Fassung in der zweiten Zeile zu
lesen:

 breitschlüchtiges
   breitschlächtiges

 die schon lange durgefeilten Eisenstäbe
   die schon lange durchgefeilten Eisenstäbe

 diesem selbst in seinen Plänen entgegenwirkt
   diesem selbst in seinen Plänen entgegengewirkt

 gegen die Gewalt, die gegen ihm geschehen,
   gegen die Gewalt, die ihm geschehen

 Zwei Lootenfische
   Zwei Lootsenfische

 tiefer und tiefer senkte er sich in seinen Ringen
   tiefer und tiefer senkte er sich in seinem Ringen

 Sr. Excellenz führt den trostlosen Krieg
   Se. Excellenz führt den trostlosen Krieg

 auf der ein schwarzes Wachtelhündchen (...) hinunterklaffte
   auf der ein schwarzes Wachtelhündchen (...) hinunterkläffte

 das monotone Picken der großen Wanduhr
   das monotone Ticken der großen Wanduhr

 »Ill' be damned if I did«
   »I'll be damned if I did«

 auf ihn auszuüber
   auf ihn auszuüben

 Sr. Excellenz, der Gouverneur
   Se. Excellenz, der Gouverneur

 das Erzählte mit Akkorden (...) seine Geige zu begleiten
   das Erzählte mit Akkorden (...) seiner Geige zu begleiten

 er hätte keins von alle diesem wissen mögen
   er hätte keins von alle diesem missen mögen

 ungewohnte Stimmen, und wildes Lachen schalten zu ihm nieder
   ungewohnte Stimmen, und wildes Lachen schallten zu ihm nieder

 ihrem ersten Aprall kräftigen Widerstand leistete
   ihrem ersten Anprall kräftigen Widerstand leistete

 und den Arm des also Überraschten, der gar nicht wußte (...)
   und den Arm des also Überraschten ergreifend, der gar nicht wußte (...)





End of the Project Gutenberg EBook of Der Wahnsinnige, by Friedrich Gerstäcker

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER WAHNSINNIGE ***

***** This file should be named 33003-8.txt or 33003-8.zip *****
This and all associated files of various formats will be found in:
        https://www.gutenberg.org/3/3/0/0/33003/

Produced by richyfourtytwo, Delphine Lettau and the Online
Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


Updated editions will replace the previous one--the old editions
will be renamed.

Creating the works from public domain print editions means that no
one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
(and you!) can copy and distribute it in the United States without
permission and without paying copyright royalties.  Special rules,
set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark.  Project
Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
charge for the eBooks, unless you receive specific permission.  If you
do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
rules is very easy.  You may use this eBook for nearly any purpose
such as creation of derivative works, reports, performances and
research.  They may be modified and printed and given away--you may do
practically ANYTHING with public domain eBooks.  Redistribution is
subject to the trademark license, especially commercial
redistribution.



*** START: FULL LICENSE ***

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
Gutenberg-tm License (available with this file or online at
https://gutenberg.org/license).


Section 1.  General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
electronic works

1.A.  By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement.  If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B.  "Project Gutenberg" is a registered trademark.  It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement.  There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement.  See
paragraph 1.C below.  There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
works.  See paragraph 1.E below.

1.C.  The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
Gutenberg-tm electronic works.  Nearly all the individual works in the
collection are in the public domain in the United States.  If an
individual work is in the public domain in the United States and you are
located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
are removed.  Of course, we hope that you will support the Project
Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
the work.  You can easily comply with the terms of this agreement by
keeping this work in the same format with its attached full Project
Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.

1.D.  The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work.  Copyright laws in most countries are in
a constant state of change.  If you are outside the United States, check
the laws of your country in addition to the terms of this agreement
before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
creating derivative works based on this work or any other Project
Gutenberg-tm work.  The Foundation makes no representations concerning
the copyright status of any work in any country outside the United
States.

1.E.  Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1.  The following sentence, with active links to, or other immediate
access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org

1.E.2.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
and distributed to anyone in the United States without paying any fees
or charges.  If you are redistributing or providing access to a work
with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
1.E.9.

1.E.3.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
terms imposed by the copyright holder.  Additional terms will be linked
to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
permission of the copyright holder found at the beginning of this work.

1.E.4.  Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5.  Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6.  You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
word processing or hypertext form.  However, if you provide access to or
distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
form.  Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7.  Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8.  You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
     the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
     address specified in Section 4, "Information about donations to
     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
your equipment.

1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH F3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at https://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
https://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at https://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit https://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including including checks, online payments and credit card
donations.  To donate, please visit: https://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     https://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.