Eine Gemsjagd in Tyrol

By Friedrich Gerstäcker

Project Gutenberg's Eine Gemsjagd in Tyrol, by Friedrich Gerstäcker

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Title: Eine Gemsjagd in Tyrol

Author: Friedrich Gerstäcker

Illustrator: Carl Trost
             Richard Illner

Release Date: October 19, 2015 [EBook #50252]

Language: German


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  Eine
  Gemsjagd in Tyrol

  von
  Friedrich Gerstäcker.

  Mit 34 Illustrationen und 12 Lithographien
  nach Originalzeichnungen von C. Trost.

  Der Autor behält sich das Uebersetzungsrecht vor.

  Leipzig,
  Ernst Keil.
  1857.




Inhalts-Verzeichniß.


                                      Seite

  1.  In die Alpen                        1

  2.  Hinauf!                            10

  3.  Aufbruch zur Jagd                  23

  4.  Das Riegeln                        31

  5.  Das Treiben am Joch                41

  6.  Die Pirsche                        48

  7.  Ragg's Erzählung vom Wilderer      65

  8.  Ein Sonntag Morgen                 75

  9.  Die Baumgart-Alm                   83

  10. Die Delpz                         107

  11. Die Grasberg-Alm                  120

  12. Das Gemsjoch                      127

  13. Die Nebeljagd                     137

  14. Die Nachsuche                     148

  15. Schluß                            155




[Illustration]




1.

In die Alpen.


_Die Gemsjagd!_ -- Welchen eigenen Zauber nur das Wort allein auf mich
ausübt! Kaum nehme ich die Feder in die Hand, und lasse die Erinnerung
zurückschweifen zu jenem wilden fröhlichen Leben, so tauchen auch schon die
grimmen Berge in all ihrer Pracht und Herrlichkeit empor. Wieder sehe ich
jene schroffen Kuppen und Joche, jene Schluchten und Wände hoch über mir
emporragen -- unter mir in schwindelnder Tiefe liegen -- wieder höre ich
in weiter Ferne das Donnern der Lawinen, das Prasseln der aufgescheuchten
Gemsen auf dem lockeren Geröll der Reißen, und wie mit _einem_ jähen Schlag
steht plötzlich jene wunderbare Welt in ihrer ganzen Pracht und Größe
bewältigend um mich her.

Das Herz fängt mir an zu schlagen, als ob ich noch einmal da draußen, halb
in einen Laatschenbusch hineingeklemmt, auf überhängender vorspringender
Felsenspitze klebte, und kaum athmend, mit der gespannten Büchse in der
Hand, in ängstlicher, fast peinlicher Lust, die Sinne zum Zerspringen
angestrafft, des flüchtigen Wildes harrte -- und Alles wird lebendig um
mich her:

In den gelblich schimmernden Lärchentannen, die tief unter mir ihre
halbtrockenen Spitzen heraufstrecken, rauscht und murmelt der Wind,
schüttelt und schaukelt die elastischen zähen Zweige der Krummholzkiefer,
und fegt den Staub aus den trockenen Ritzen und Spalten der weiten Klamm,
die sich neben mir, mit ihren gähnenden Schluchten tief in den Berg
hineingefressen hat. Dort drüben balgt sich ein Schwarm schreiender
munterer Alpendohlen, und still darüber hin, in stummer gewaltiger
Majestät, zieht ein einzelner Jochgeier -- der braune Steinadler -- seine
luftige Bahn.

Oh komm! -- fort, fort aus dem flachen Land. -- Dort hinten ragen schon die
starren, lichtübergossenen Joche aus dem duft'gen Nebel auf, der wie ein
Schleier auf den Bergen liegt; neben uns rauscht und funkelt die grüne
Isar, und trägt den flüssigen, wie mit leuchtendem Silber übergossenen
Bergcrystall zum niedern Land hinab. Die kleinen zierlichen reinlichen
Häuser mit ihren steinbeschwerten Dächern, hölzernen Veranda's, bunten
Heiligenbildern und Außenwerken von gespaltenen Winterscheiten werden
häufiger; freundlich grüßende Gesichter mit spitzen, feder-geschmückten
Hüten darüber, das unvermeidliche »Regendach« unter dem Arm, begegnen uns,
und jetzt rasselt der Wagen über das Pflaster des Bergstädtchens Tölz
die lange Straße hinab, die wie eine Bildergallerie an beiden Seiten alle
möglichen »Schildereien« aus der biblischen Geschichte und christlichen
Sage zeigt. -- Den Hang nieder geht's, durch eine Planken belegte mit
blauen Hemmschuhspuren gestreifte Gasse über die Isar hinüber, die hier
ärgerlich schäumt weil sie da plötzlich in ein Wehr gedrängt, nun Mühlen
treiben soll, das freie Kind der Berge, und jetzt -- oh wie uns das Herz da
weit wird, und die Brust noch einmal so leicht in der reinen Luft zu athmen
scheint, strecken die alten lieben Berge die Arme aus, uns zu begrüßen.
Und enger, tiefer wird das Thal mit jeder Meile, grüner der Fluß an dem wir
aufwärts ziehen, reiner der Himmel, schmaler der Weg, dem der leichte Wagen
folgt. Schon nickt die Krummholzkiefer, der _Laatschenbusch_ wie sie der
Tyroler nennt, uns von den nächsten Hängen ein freundliches Willkommen
zu, und läutende, trefflich genährte Heerden -- die Lieblingsthiere mit
riesigen Glocken um den Hals -- Schafheerden der Bergamasker Race mit
herunter hängenden Ohren, und Hirten, schwer mit allerlei Alpengeräth
bepackt, begegnen uns in der Straße. Es ist Oktober, und Hirten und Heerden
weichen dem nächst zu erwartenden Schneefall aus. Der hat auch die höchsten
Kuppen des Gebirges schon dann und wann einmal auf ein paar Tage mit seinen
weißen Mänteln überworfen -- nur als ob er sehen wollte, ob ihnen die alten
Kleider vom vorigen Jahr noch passen -- und sie sitzen wie angegossen.

[Illustration]

Es ist Herbst, und die Hirten »drin im Gebirg« haben selbst die letzten
»Unterleger« verlassen, ihre Thalwohnungen aufzusuchen und ihre Heerden vor
Lawinensturz und Wintersturm in Sicherheit zu bringen.

In den Bergen wird's jetzt leer, da Vieh und Heerden sie geräumt, und
wunderhübsch schildert Tschudi das in seiner Alpenwelt:

»Weißt Du doch selber, Alpenwanderer,« sagt er, »was für ein schwermüthig
drückender Ton im Herbst über diesen Felsen liegt, wenn Menschen und
Heerden, Pferde und Hund, und Feuer, Brod und Salz sich in's Thal
zurückgezogen. Wenn Du an der verlassenen und verrammelten Hütte vorüber
steigst, und Alles immer einsamer und einsamer wird, wie wenn der alte
Geist des Gebirges den majestätischen Mantel seines furchtbaren Ernstes
über sein ganzes Revier hinschlüge. Kein befreundeter Athemzug weht Dich
meilenweit an, kein heimischer Ton -- nur das Krächzen des hungrigen
Raubvogels, das Pfeifen des schnell verschwindenden Murmelthiers mischt
sich in das Dröhnen der Gletscher und das monotone Rauschen des kalten
Eiswassers. Die kahlgeweideten Gründe, in denen die kleinen Gruppen der
giftigen Kräuter mit frischen Graskränzen welche das Vieh nicht berührte,
sich auszeichnen, haben die letzten anmuthigen Tinten des Idylls verloren.
Der schwarze Salamander und die träge Alpenkröte nehmen wieder Besitz von
den verschlammenden Tränkbetten der Rinder, und die verspäteten Bergfalter
schweben mit halb zerrissenen und abgebleichten Flügeln durch das Revier,
aus dem die beweglichen Unken in trostlosen Chören die sommerlichen
Jodelgesänge der Hirten wie spottend zu wiederholen scheinen.«

Nicht wahr wie schade, daß der _Jäger_ gerade in diese Berge einzieht, wenn
sie der Hirt mit seinen idyllischen Heerden verläßt, und der Jäger bedauert
das gewiß. --

»Gott sei Dank daß das langweilige Vieh mit seinem Gebimmel endlich
abzieht« murmelt er vergnügt vor sich hin, »jetzt bekommen die Berge doch
endlich einmal Ruh, und man braucht nicht zu fürchten auf jedem Pirschpfad
und Joch, statt einem Rudel Gemsen eine Heerde Schafe anzutreffen.«

Die _Poesie_ der Berge verträgt sich recht gut mit der Jagd, und der ächte
Jäger weiß sie gewiß zu würdigen, denn sein ganzes Leben und Treiben ist
poetisch; aber -- sie darf ihm nur nicht in's Gehege kommen, sonst sind sie
eben die längste Zeit Freunde gewesen. Wo sie die Ausübung seiner Jagdlust
stört, hat sie für ihn aufgehört Poesie zu sein, und -- wenn er sie
nicht zum Teufel wünscht, geschieht dies nur in einzelnen Fällen aus ganz
besonderer Rücksicht.

Aber der Wagen rollt indessen lustig den wenn auch schmalen, doch glatten
Weg entlang, der sich allmählig, dem Lauf der Isar folgend aufwärts zieht.
Die Krummholzkiefer kommt schon bis an den Weg herab, und läuft hinüber,
bis zu dem Stein besäeten Ufer des crystallhellen Bergstroms, in dessen
blitzender Fluth hie und da eine muntere Forelle, leicht und rasch die
Strömung stemmend, aufschwimmt. Noch umgeben uns hohe, aber bis zu ihrem
Gipfel dicht bewaldete, wenigstens bewachsene Berge, -- noch haben wir
die Alpenregion nicht erreicht, und zu nah steigen die uns nächsten Hänge
nebenauf, die dahinter liegenden mächtigeren Kuppen erkennen zu können.
Aber das Gebirg wird schon wilder. -- Rechts von uns ragt eine hohe
schroffe Steinwand von der Sonne mit ihrer flammenden Gluth übergossen, wie
eine riesige Silberstufe auf, nach links zu öffnet sich jetzt das Thal, und
herüber grüßt da plötzlich mit seiner scharfgeschnittenen schneegedeckten
Pyramidenkuppe der Scharfreuter, während weiter nach vorne, wo jetzt
die Riß sich in die Isar gießt der Stuhlkopf, und dahinter der gewaltige
Steinkegel, der »große Falken« sichtbar wird.

[Illustration]

Mit ihnen taucht die Erinnerung an manche wilde Schlucht, an manche
romantische, tief in Berg und Wald hineingedrückte Lagerhütte wieder
auf, die uns da drinnen sehnlich schon erwarten. Dieselben sind ja alte
Bekannte, alte Freunde, und es ist fast, als ob sie die mächtigen Hälse
reckten, und freundlich herüber nickten uns zu grüßen. -- Es war nur
Augentäuschung. -- In grimmer stolzer Majestät stehn sie dort, und bieten
den Jahrhunderten die Stirne. Ob sie Orkane umrasen, ob der Föhn durch
ihre Schluchten tobt, und die Lawine, von ihrem Nacken nieder, donnerndes
Entsetzen in die Thäler wirft, oder ob kosende Frühlingslüfte ihre Hänge
und Wände mit Blüthen decken, was kümmert's sie. Geschlechter gehn und
kommen und vergehn auf's Neu, und starr und trotzig recken sie die Häupter
nach wie vor dem blauen Aethermeer entgegen.

Aber hier sind wir schon im Gemsenrevier. -- Rechts und links hinauf sucht
das Auge unwillkürlich nach einem dunklen Fleck auf dem Grau der Steine,
oder in dem matten Braun der Haidedecke, die kleine Blößen zwischen den
Krummholzkiefern bildet, und die Hand greift rasch und unwillkürlich nach
dem Fernrohr an der Seite, irgend einen erspähten Punkt, und auch nicht
größer eben als ein Punkt, mit dem scharfen Glas mistrauisch näher zu
untersuchen. -- Aber nein; der dunkle Schatten einer alten Wurzel; ein
Erdloch, aus dem sich ein thalabgerollter Stein gebröckelt; ein wunderlich
gebogener Ast ist vielleicht, was das scharfe Auge des Jägers für einen
möglichen Gemsbock gehalten, und mit einem getäuschten »es ist Nichts,«
wird das Glas wieder zur Seite gelegt.

Hier haben wir auch schon die Isar verlassen, und sind in das Rißthal
eingebogen.

Weiter aber noch rollt der Wagen; immer enger wird das Thal, immer wilder
und rauschender die muntere Riß, die hier schon über wildes Steingeröll
hinüber schäumt, und manchen kecken Sprung versucht. Immer steiler
werden die Wände unter denen der Weg sich jetzt wie ängstlich hindrückt.
Menschenwohnungen ließen wir mit der »Fall« in der ein Forsthaus steht
schon längst hinter uns, und nähern uns jetzt dem Distrikt wo, der Meinung
der Flachländer nach »die Füchse einander gute Nacht sagen.« Nur in äußerst
seltenen Fällen zeigt noch hie und da eine verlassene Sennhütte ihr helles
Dach -- die Sennen selber sind mit dem Vieh thalab gezogen.

Wilder wird hier die Landschaft; dunkle Kiefer- und Fichtenwaldung schickt
ihre grünen Schatten bis zum Strom herab, und hier -- wo sich die Wände
fast zusammen drängen, die Riß, in ihr schmales Bett hineingepreßt,
ärgerlich und tobend, tief unter eine darüber hingespannte Brücke,
sprudelnd und schäumend niederspringt, kommen wir zur Grenze. An dieser
Seite steht ein blau und weißer Pfahl, jenseits der Brücke ein anderer, von
dem die Sage behauptet daß er einst schwarz und gelb gemalt gewesen. Jetzt
lehnt er grau und mürrisch im Schatten der dunklen Tannen, und schaut in
den Waldbach nieder, als ob er selber gar nicht so übel Lust hätte hinein
zu springen und mit fort zu schwimmen in's flache Land -- was er auch
vielleicht längst gethan hätte, wenn's eben nicht über eine fremde Grenze
-- in's Ausland ginge.

Warum rollt der Wagen hier noch einmal so leicht, warum hebt sich die Brust
so viel höher, warum schaut das Auge so viel schärfer nach Wild umher an
den Hängen, nach Fährten auf den Weg und in den weichen Waldgrund, der ihn
an beiden Seiten begrenzt? -- Das ist _das eigene Jagdrevier_ -- die Gemse
die hier steht, das Wild das hier in stiller Nacht vorüber zieht, gehört
zu befreundeten Rudeln, und die Berge die hier ihre grünen Arme und graue
Häupter aus- und emporrecken, sind der Tummelplatz ihrer Spiele, und tragen
den gedeckten Tisch für sie.

Jetzt macht der Weg eine Biegung, voraus steigt der »Stuhlkopf« schroff
empor -- das Wasser rauscht lebendiger, einzelne Dächer in dem sich weiter
öffnenden Thal werden sichtbar -- ein kleines Kloster, von mehreren Hütten
umgeben dehnt sich langsam aus und dahinter liegt, dem überraschten
Blick wie aus dem Boden steigend, hineingebaut in die waldigen Berge, den
schäumenden Strom überragend und mit seinen eingeschnittenen hellen Mauern
und flatternden Fahnen gar so freundlich herüberleuchtend, ein reizendes
Jagdschloß, vor dem sich schon ein buntes Gemisch von Jägern, Dienern und
Hunden gesammelt hat, den Herrn und seine Gäste zu begrüßen.

Wie kühn und wacker die Burschen aussehn in ihrer malerischen Tracht, wie
freundlich die gesunden gutmüthigen Gesichter darein schauen, wie glücklich
diese Adler-Augen lächeln den lieben Herrn wieder begrüßen zu können der ja
des Jahrs nur einmal, auf wenige Wochen aus weiter Ferne, zu ihnen kommt.
-- Und nun giebt's wieder Leben in den Bergen.

Und wahrlich malerisch ist die Tracht der Leute. Auf dem Kopf tragen
sie den bekannten Tyroler-Hut mit ein paar nach rückwärts gebogenen
Spielhahnfedern, den Stoß eines Schnee- oder Haselhuhns, und manchmal einen
Gemsbart. Der Hals ist frei und das weiße Hemd wird durch ein schwarz oder
bunt seidenes Tuch locker zusammengehalten. Vortrefflich unter den Hut paßt
aber die graue Joppe -- eigentlich etwas zu dunkel für die Berge, weil die
lichteren Farben viel besser mit dem Grün und Grau der Büsche und Felsen
verschmelzen -- und unter dieser reichen die schwarzen Lederhosen nur bis
zum oberen Rand des Knies, das sie bloß lassen, während unter dem Knie
der dick wollene, meist gewebte grüne oder graue Strumpf beginnt. Die Füße
stecken in mächtigen Bergschuhen, von festem, wenig geschmeidigem Leder,
das den Fuß kräftig zusammenhält, während die darunter eingeschlagenen
Nägel nur durch den bloßen Anblick einem mit Hühneraugen geplagten
Menschenkinde Entsetzen einflößen müßten. Es sind das auch keine
gewöhnlichen Nägel, sondern nach innen scharf abschneidend, nach außen mit
breitem Griff die Sohle fassend und schützend, bilden sie einen
scharfen eisernen Rand um den Schuh herum, und ahmen dadurch die ähnlich
eingeschnittenen Schaalen der Gemse nach. Ohne diese Schuh würde selbst
nicht der an die Berge von klein auf gewohnte Jäger im Stande sein an
den steilen Graslannen und schroffen Hängen, die oft nur kaum zollbreite
Vorsprünge auf ihrer glatten Fläche bieten, fortzukommen. Mit solchem
scharfen Eisenrand schneidet man aber fest und sicher in die Wände ein, und
wenn der Kopf nicht schwindelt, läuft man mit einiger Uebung sicher über
nicht eben ganz senkrechte Wände hin.

Dazu aber braucht man außer den Schuhen noch ein anderes, höchst nöthiges
Instrument, und zwar den Bergstock, der von etwa sechs Fuß Länge, mit oder
ohne eisernen Stachel, gewöhnlich nur roh aus einer Haselstaude geschnitten
und getrocknet, dem Bergwanderer die Hauptstütze und Hülfe bietet. Ohne den
Stock wär' er nur wenig nütz da oben, und weniger beim Auf-, besonders aber
beim Niedersteigen, sichert er den Gang, hemmt den zu raschen Lauf und ist
in der That des Kletternden bester Freund. Besonders nützlich zeigt er sich
an steilen Hängen, wo man ihn wagerecht in Händen hält, mit der Spitze die
Wand berührend, die eine Hand an seinem äußersten Ende untergehalten, die
andere etwa in der Mitte aufgestemmt, das Gewicht des Körpers darauf, vom
Abgrund fort, zu lehnen. Nicht zu steile Lannen läuft der Jäger mit diesem
Stock, indem er ihn hinten einsetzt und sich darauf zurückbiegt, fast in
voller Flucht hinunter. Er dient ihm so als Hemmschuh, mit dessen Hülfe er
jeden Augenblick seinen Lauf einzügeln kann.

Noch darf ich den Bergsack nicht unerwähnt lassen, dann sind wir, sobald
wir die Büchse auf die Schulter werfen, zum Marsch gerüstet, und wenn die
Sonne morgen früh über die Berge schaut, findet sie uns hoch über dem Nebel
droben.

Der Bergsack ist, wie Alles was der Alpenjäger braucht und mit sich trägt,
so einfach, leicht und praktisch wie nur irgend möglich eingerichtet. Er
besteht aus einem grünleinenen Sack, der hinten mit einem starken Seil
auf und zu geschnürt werden kann, und auf dem Rücken, wo er keine
Bewegung hindert, mit zwei Achselbändern getragen wird. Er ist dabei so
zusammengefaltet daß er, wenn der Jäger nur sein Bischen Proviant, seine
Steigeisen, seine Munition und etwas Wäsche oder seine Regenjoppe darin
hat, ganz klein aussieht, soweit läßt er sich aber ausbreiten, mit
Leichtigkeit den größten Gemsbock noch obendrein mit aufzunehmen. Die
»Gams« wird dann so zusammengelegt, daß Kopf und Läufe ineinandergeschoben
oben auf kommen, und nur die äußersten Spitzen der Läufe mit den Krickeln
(Hörner der Gemse) zum Schlitz herausschauen.

[Illustration: Das Jagdschloss.]




2.

Hinauf!


Wir sind gerüstet! -- Drüben im Westen neigt sich schon die Sonne den hohen
Jochen zu, und nach dem rasch eingenommenen Mahl geht es hinauf in die
Berge, zur fröhlichen Jagd.

Wie sich das so wunderbar leicht mit den nackten Knieen steigt -- denn alle
Schützen, ohne Ausnahme haben jetzt schon die Tracht der Gebirgsbewohner
angelegt. -- Wie sich das Bein so frei da biegt, und Arme und Bergstock
mit eifriger Gefälligkeit nachhelfen, den hochaufathmenden Jäger bergan zu
bringen -- und wie die Lungenflügel sich so weit bewegen! Man fragt sich
selber oft erstaunt: »wirst Du denn nur gar nicht müde?« -- denn höher
immer höher hinauf zieht sich der zickzacklaufende Reitsteg dem wir jetzt
folgen. Müde? -- das Wort kennt man kaum in den Bergen, und wenn man
wirklich einmal nach einer gar zu steilen anstrengenden Tour zum Tode
erschöpft glaubt niedersinken zu müssen, und dann den Gliedern nur wenige
Minuten Ruhe gönnt, ist alles Ueberstandene im Handumdrehen vergessen.

Das Jagdschloß liegt schon etwa 3000 Fuß über der Meeresfläche und
steil auf führt der Weg uns nun empor; erst durch prächtige Buchen- und
Ahornwälder, in die hinein die dunkle schlanke Tanne ihre dichten Zweige
reckt, dann kommt die Birke mit dem weißen Stamm, die Espe, Eller,
Eberesche und hie und da ein Krummholzkiefer- oder Laatschendickicht, mit
dem der Jäger wohl bald weit mehr und näher bekannt werden soll, als ihm
manchmal lieb ist. Jetzt wird das jedoch nicht sonderlich beachtet.
Der ausgehauene Weg führt hindurch und man bemerkt entweder die
weitausreichenden zähen Zweige nicht, oder kann sie auch nicht gleich
ordentlich übersehn. Zuviel des Neuen bietet sich überhaupt nach allen
Seiten hin dem Blick, das Einzelne zugleich mit zu erfassen.

Noch aber sind wir fortwährend in diesem Wald bergauf gestiegen, und die
überhängenden Zweige der Tannen, wie das dichte Unterholz mit den Laatschen
zusammen, hindert die Aussicht in's Freie. Höher und höher steigen wir so,
und lauter und lauter rauscht unten im Thal die Riß, die am Fuß des Bergs
nur eben mit leisem Plätschern vorüberquoll, hier aber den Ton, durch die
Wände zusammengedrängt in vollen Accorden nach oben sendet. Reiner wird
hier der Himmel, leichter die Luft und unwillkürlich packt man, im Gefühl
der eigenen Kraft, den Bergstock fester.

Wild giebt es hier freilich noch nicht; der Pfad ist schon an dem Morgen
von den Trägern begangen worden, das Nöthigste an Provisionen, Betten und
Geschirr hinaufzuschaffen, und der Wald ist auch zu dicht, weit darin auf
oder ab sehn zu können -- aber Rothwild spürt sich im Pfad. Hier ist
ein starker Hirsch hinaufgewechselt; dort sind ein paar Stück Wild --
wahrscheinlich ein Alt- und Schmalthier demselben eine Strecke gefolgt
und haben sich dann links hinein in die Klamm oder Schlucht gezogen.
Das Rothwild liebt überhaupt mehr als die Gemse einen bequemen Pfad, und
benutzt die Pirschwege außerordentlich gern.

Höher, immer höher kommen wir hinauf; die Kiefern und Tannen werden
immer niedriger und stehn dünner, die Buchenregion haben wir schon längst
verlassen, wo das fatal raschelnde gelbe Laub den Boden bedeckt, den
pirschenden Jäger zu doppelter Vorsicht nöthigt, und geräuschloses
Anschleichen oft ganz unmöglich macht. Hier beginnt die »Laatsche« ihr
Regiment und eine offene Stelle erreichend, von der aus der Blick frei nach
dem gegenüber liegenden Gebirgshang, über das Thal weg schweifen kann, hebt
ein plötzliches, überraschtes »Ach!« die Brust. Vergessen ist das Steigen,
vergessen Alles um uns her in dem einen, wundervollen Schauspiel, das sich
dem erstaunten, jubelnden Blick da bietet.

[Illustration]

Dort drüben vor uns, dem Blick scheinbar so nah, daß man glauben könnte
mit einer Büchsenkugel die Wände zu erreichen, während sie in der That in
gerader Richtung wohl eine Stunde und weiter entfernt liegen, steigt die
riesige Gruppe des Falken empor, und wie gewaltig ist der Fels gewachsen,
seit wir ihn von unten zum letzten Male sahen. Dort schien er nur ein
breitgedrängter, mit Nadelholz dicht bewachsener Berg, aus dem sich eine
graue Felsenkuppe, nicht eben übermäßig hoch erhob. -- Jetzt, nachdem wir
fast eine Stunde gestiegen, und uns die Umrisse des ganzen Gebirgs scharf
und klar in's Auge fallen, sehen wir daß wir noch nicht einmal die Höhe des
gegenüberliegenden höchsten Fichtenwaldes erreicht, und weit weit darüber
hinaus, wie ein Gebirg von Fels und Schlucht, während der blaue Aether
ihn durchsichtig und leicht umfließt, thürmt sich ein riesiger Block von
Felsenmassen auf, in dem sich wieder Berg und Thäler bilden. Die mächtigen
Tannen die an ihm mehre tausend Fuß emporsteigen, sehn kaum Zoll hoch aus;
die stattlichen Krummholzkiefern deren Büsche von zehn bis funfzehn Fuß
Höhe halten, gleichen grünem Moos, das auf den nackten Flächen liegt, und
schroff und steil, zerspalten und eingerissen mit furchtbaren Schluchten,
für die der Blick noch nicht einmal den Maßstab hat, hebt sich die
colossale Masse unfruchtbaren kahlen Kalkgesteins empor.

Diese Kegel, Kuppen und Joche muß man aber selber erst einmal, wenigstens
zum Theil, bestiegen haben, um einen Begriff ihrer Höhe und Entfernung
zu erhalten. Ueberhaupt täuscht die feine, reine Luft oben auf der Höhe,
selbst beim Schießen, ungemein, und Gegenstände die dem Anschein nach nur
geringe Entfernung haben, weichen zurück, wenn man sich ihnen nähern will.
Bis in's Unglaubliche hinein betrügt man sich ganz vorzüglich, wenn man
irgend einen gegenüberliegenden Hang erreichen will. Ein Berg liegt vor
uns, ein kleines, dem Anscheine nach nicht sehr tiefes Thal dazwischen;
man denkt in einer halben Stunde wenigstens an der anderen Seite sein zu
können, und hat in einer Stunde kaum den unten fließenden Bach erreicht.
An den von Holz entblößten Almen sieht man oft weite offene Flächen, die
so glatt und eben ausschauen, als ob man aus weiter Ferne jeden darüber
springenden Hasen erkennen müßte, und hat man sich endlich über vorher gar
nicht bemerkte Hindernisse mit Mühe und Noth zu ihnen durchgearbeitet, so
findet man Hügel und Thäler in dem was man für glatten Boden gehalten, und
Risse und Spalten in denen ein Reiter unbemerkt und vollkommen gedeckt,
hinreiten könnte. So arg ist die Augentäuschung in den Bergen, und deshalb
wird auch nie ein Gemälde, mag es noch so treu und gewissenhaft, und von
der Hand des größten Künstlers aufgenommen sein, die ungeheuere Größe jener
Berge, das Riesige der Umrisse wiedergeben können, denn dem Beschauer fehlt
eben der Maßstab den er an solch ein Gemälde legen könnte -- täuscht ihn
doch selber die Natur.

Aber wir müssen weiter. Im Gebüsch zwitschert das Goldhähnchen und piept
die Meise und sucht sich ihr Ruheplätzchen für den dunkelnden Abend. Noch
glühen zwar jene Kuppen im Licht der scheidenden Sonne; in den Thälern da
unten, deren Uebersicht uns hier im dicken Unterholze abgeschnitten ist,
lagert sich aber schon die Nacht, zieht sich die weiße Nebeldecke langsam
an den Zipfeln aus Felsenspalte und Waldesschlucht heraus, und schmiegt
sich tief hinein in's weiche Bett.

_Wir_ haben noch ein tüchtig Stück zu steigen; doch mit dem Abend wird die
Luft so kühl und frisch, so geheimnißvoll rauscht dazu der Strom unten im
Thale hin, und zirpt die Grille tief im Dickicht drin, daß man recht gut
noch einmal so rasch vorwärts rücken könnte -- wenn sich eben die Kuppen
hinter uns nicht gar so wundervoll und wechselnd färbten, und den Wanderer
wieder und wieder zwängen stehn zu bleiben, mit durstigem Auge jenes
Götterschauspiel einzusaugen.

Wie der »Stuhlkopf« und die »rothe Wand« dort hinten im rosigen Licht der
untergehenden Sonne glühn, die zwischen den hohen Kuppen der beiden Falken
durch ebenfalls noch ihre Streiflichter wirft, und an dem zackigen Gemsjoch
wie der abgeplatteten Spitze des Sonnenjochs die letzten Strahlen bricht.
Und immer lichter werden dort die Höhn, immer durchsichtiger, duftiger
wird das graue schwere Gestein das, wenn auch scharf abgezeichnet gegen den
reinen Horizont, doch mit dem Aether zu verschwimmen scheint. Und grüner,
dunkler wird der Wald, schattiger das Thal; mit tieferem Blau färbt sich
der Himmel und düsterer und wilder wird drüben der Bergeswall, der jetzt
nur noch die dunkeln Schattenwände zeigt und in den innern Conturen schon
in einander fließt. Einzelne Sterne blitzen am Himmel auf, und wie sich im
Westen dort am hellen Aetherrand mit schwarzen schroffgerissenen Linien
die oberen Joche abschneiden, liegt die andere Welt in tiefer, schweigender
Nacht. Stärker rauscht dazu der Strom, als ob er eiliger hinaus wollte aus
den dunkeln Thälern, in's Freie nieder. Heimlicher säuselt der Wald von
einem leichten Süd-West bewegt, der flüsternd, und mit den thaufeuchten
Zweigen kosend, das Thal hinauf weht, und über den ganzen weiten Himmel
ausgegossen, ist plötzlich der Sterne funkelnder Glanz.

Und dort liegt die Pirschhütte; hellblinkend schauen die neuen Breter aus
dem dichten Grün der Laatschen vor; aus dem verhangenen Fenster schimmert
Licht, und nebenan leuchtet aus einem anderen kleinen Haus der Feuerschein
vom Kamin der Jäger herüber. Die Schweißhunde schlagen an; die Jäger die
ein paar Stunden vorausgeschickt waren, springen vor die Thür, und der
Herr betritt, freundlich grüßend, zum ersten Mal wieder und mit leuchtendem
Blick sein Pirschhaus zu Steileck, die stille Jägerhütte in den Alpen.

Zur Toilette braucht's da oben wenig Zeit, die ist in den Bergen rasch
beendet, und jetzt kommt eigentlich der schönste Augenblick: Der Jägerrath,
der Bericht der Leute wie's in den Bergen steht, und was am Besten jetzt zu
thun sei, dem scheuen Wilde beizukommen.

»Rainer soll herein kommen!«

Wenige Minuten später geht die Thür auf und Rainer, der grad' vom Essen
aufgesprungen ist tritt, sich noch geschwind den Mund in der Thür wischend,
in's kleine Gemach. Er war schon eine Zeit lang vorher heraufgeschickt
worden, das Terrain, das er selber aus früheren Jahren genau kennt, zu
recognosciren, die verschiedenen Joche und Klammen, wie die eingerissenen
scharfen Schluchten -- Gräben, wie die breiten Seitenthäler genannt werden
-- abzuäugen, und von den verschiedenen dort stationirten oder mit der
Ueberwachung beauftragten Jägern Erkundigungen einzuziehen.

Rainer ist aber an sich selber eine viel zu interessante Persönlichkeit,
ihn so ohne Weiteres, und ohne etwas nähere Beschreibung einzuführen.

Bei Tafel unten im Schloß im schwarzen Frack, schwarzen langen Hosen und
steifer Halsbinde mit aufwartend, giebt es kaum eine steifere, unbeholfener
aussehende Figur als ihn, und wie verwandelt ist der Mann, wenn er in
die freie Bergtracht hinein, und mit Knieen und Hals aus den beengenden
Kleidern herausfahren kann. Es ist ordentlich als ob er mit
der Tyroler-Joppe und dem spitzen Hut, den kurzen Hosen und den
eisenbeschlagenen Schuhen auch einen anderen Menschen angezogen -- und das
geschah auch in der That. Jede seiner Bewegungen ist frei und natürlich,
und das charakteristisch geschnittene Gesicht mit dem blonden, sorgfältig
gepflegten Bart, die klugen, hellen Augen und der sehnige Körper, machen
ihn zu einem tüchtigen Repräsentanten des ganzen Jägervolks.

[Illustration]

Seine Worte setzt er freilich manchmal, als ob er doch noch im schwarzen
Frack stäcke, und ich weiß auch nicht ob er sich selber nicht vielleicht
ganz gern darin sieht, -- wenn das der Fall wäre hätte er unrecht.

Rainer hat die Schweißhunde unter sich, und selber einen kleinen Dachs, der
sogar in den Alpen seinesgleichen auf der Fährte sucht. Bergmännle spielt
eine zu bedeutende Rolle auf der Nachsuche, ihn unerwähnt zu lassen, und
manches angeschossene Stück hat der kleine unerschrockene und unverdrossene
Teckel schon gefunden und gestellt.

»Nun Rainer wie steht's? ist noch 'was da?«

»Nu ich denk' Hocheit -- s' sieht gut aus;« lautete die vergnügt lächelnde
Antwort, und Rainer holt sich indeß mit den Augen seinen Dank für die gute
Botschaft von sämmtlichen Gesichtern.

»So? -- hast Du Gemsen gesehn?«

»Sehn thut man gerade nicht viel, aber spüren überall -- nur noch nicht
recht oben auf den Alpen. Es ist noch zu warm, und sie stehn drin in den
Gräben.«

»Aber Du hast doch auch welche _gesehn_?«

»Ei ja wohl. Gestern war ich drüben an dem Leckbach, da standen drei Rudel
auf den Reißen, eins von zwölf, eins von sieben und eins von funfzehn
Stück. Capitalgemsen und eine Menge Kitzgeisen dazwischen.«

»Und keine Böcke?«

»Nachher guckt ich in die Delpz nur so von oben hinein, da standen dicht
unter der Wand drei Capitalböcke -- Einer schußrecht; und unten drin war
ein Rudel von elf Stück -- und noch zwei Böcke.«

Des Herrn Augen leuchteten.

»Also es _giebt_ Gemsen?«

»Ich sollt's meinen,« sagt Rainer mit vergnügtem Gesicht. »Und besonders
viel Kitzen hab' ich gesehn. Der Weinseisen hat auch gestern zwei starke
Rudel an der Luderstauden[1] gespürt, und einen mordmäßig starken Bock
gesehn. Er soll Krickeln aufgehabt haben _so_ hoch, und der Bart hat
ordentlich in Wind geweht.«

  [1]: Luderstauden heißen dort die Alpenerlbüsche.

»Wo war das?«

»Gleich dort oben auf dem Roßkopf.«

»Das ist der alte Bursch,« lacht der Jagdherr, »der uns schon drei Jahre
zum Besten gehabt hat; der ist zu schlau, den bekommen wir nicht.«

»Nu, vielleicht fallirt's ihm doch einmal,« sagt Rainer, eins seiner
schwarzen-Frack Worte riskirend.

»Nun, und drüben am Grasberg? -- an der Fleischbank oben, und in den
Gräben?«

»Gemsen sind überall,« lautet die Antwort, »man sieht sie aber da herum nur
selten, weil sie in den Dickichten drin stecken.«

»Hast Du am Waldeck etwas gespürt?«

»_Leer_ ist's nicht,« weicht hier Rainer vorsichtig aus, denn
wahrscheinlich wird dort morgen zuerst gejagt, und er möchte nicht gern zu
große Erwartungen wecken, obgleich er auch dort Gemsen gesehen hat.

»Und drüben am Heimjoch, in der Laures und am Blunzjoch drüben?«

»Das ist ein Hauptplatz,« sagt Rainer und wird warm dabei -- »der Wastel
ist vorgestern mit dem großen Ragg drüben gewesen. -- Am Eiskönig soll's
ordentlich lebendig sein.«

»Also auf dieser Seite sieht's gut aus, und wie steht's drüben? Ist das
Pirschhaus im Laritter Thal fertig?«

»Sie hämmern noch drüben,« meint der Gefragte etwas kleinlaut, »soll aber
heute oder morgen fertig werden.«

»Und im Leichwald; am Falken?«

»Da wimmelt's,« versichert Rainer. -- »Am Falken -- das giebt ein
Haupttreiben, da stehn wenigstens 200 Gemsen.«

Der hohe Herr zieht ein bedenkliches Gesicht und schüttelt den Kopf, Rainer
aber, durch den Zweifel gekränkt fährt eifrig fort »Hocheit, sollen mir den
Hals abschneiden, wenn's nicht wahr ist.«

Da von dem Anerbieten für jetzt noch kein Gebrauch gemacht wird, ergeht er
sich dann in näherer Beschreibung des Terrains und der dortigen Rudel, die
allerdings das Außerordentlichste verspricht. Beiläufig muß ich aber hier
nur bemerken, daß dies berühmte Falkentreiben später wirklich gemacht wurde
und statt der 200 Stück versprochenen Gemsen, _sieben_ darin waren, aber
nicht zum Schuß kamen. Rainer erwähnte dabei nichts weiter von seinem Hals.

»Und wie steht's mit dem Rothwild?« geht nun die Frage auf den anderen
Zweig der Jagd über, der allerdings jetzt nicht zur Ausübung kommt, da die
Jahreszeit für die Hirsche schon zu weit vorgerückt ist, und diese schon
fast sämmtlich abgebrunftet haben.

»Drüben am Roßkopf haben zwei starke Hirsche noch gestern geschrien; an
dem Leckbach drei -- Hirsche hört man überall und Wildpret spürt sich auch
überall auf den Pirschwegen.«

»Aber viel eingegangen ist doch im letzten Winter?«

»Acht Stück sind im Ganzen gefunden,« lautet die traurige Bestätigung, denn
der Winter war gar zu streng, der Schnee zu tief und dauernd, und das
arme Wild konnte nicht dagegen ankämpfen. Starke Hirsche selbst wurden,
im Schnee stehend, todt entdeckt, und auch viel Rehwild war eingegangen.
Rehwild hält sich überhaupt nur spärlich in den Bergen.

»Und was machen wir morgen?« lautet jetzt die direkt auf die Gegenwart
bezughabende Frage -- »was hast Du Dir gedacht?«

»Nun ich dachte so -- wenn Hocheit vielleicht morgen oben die Fleischbank
trieben oder den Waldeckelgraben -- leer ist's nicht, und schießen thäten's
gewiß; dafür bin ich beinah ganz überzeugt.«

»Und wie wollt Ihr's treiben?«

»Nun ich dachte so, daß der Wastel und Weinseisen mit dem großen Ragg vom
unteren Pirschweg den Graben dußemang heraufstiegen und sich nur manchmal
sehn ließen und ich mit dem Martin dann die Wand von drüben herein
brächte.«

»Und ich soll mich dann oben an den Graben stellen?«

»So war meine Meinung -- wenn Sr. Hocheit was Besseres wissen --«

»Und da treibt Ihr mir die Gemsen ruhig in den Seitengräben hinauf; denn
daß Ihr sie nicht bis oben hin bringt, wißt Ihr, und ich stehe zum Spaß
dort zwei oder drei Stunden lang.«

»Wenn's da nicht wenigstens vier, fünfmal schießen, sollen Sie mir den Hals
abschneiden,« erbietet sich Rainer zum zweiten Mal leichtsinniger Weise --
»die anderen Schützen stellen wir dann an der hervorderigen Seite oben und
unten hin.«

»Nun gut,« sagt der Herr resignirt, »dann kommen die Herren wenigstens zum
Schuß, _ich_ aber stehe zur Abwehr da oben. Du wirst sehen.«

Rainer macht eine halb verzweifelte, halb unglückliche Geberde über das
schmerzende Mistrauen, schweigt aber --

»Sonst noch etwas?«

»Draußen« sagt Rainer, der überhaupt dem Gespräch eine andere Richtung zu
geben wünscht »steht der neue Jäger von der Au. Hocheit haben ihn hieher
beordert, und er wünscht unterthänigst den Grund seines Daseins zu wissen.«

»Er soll nur kommen.« Alle lachten.

Rainer ist entlassen, und gleich darauf tritt ein anderer erst kürzlich
einberufener Jäger aus den entfernteren Thälern, mit einer kurz
abgeknickten Verbeugung, aber mit offenem, freundlichen Gesicht herein,
und bleibt nicht etwa schüchtern an der Thür stehn, sondern geht gerade auf
seinen Herrn zu.

»Nun, Johann, wie steht es bei Euch da drüben?«

»Gut,« sagte der Mann mit einem kurzen, ihm eigenthümlichen Kopfnicken,
indem er seinen Hut in der Hand rasch herumdreht -- »es macht sich mit den
Gemsen.«

»Sind starke Rudel drüben?«

»Nu ja,« nickt der Jäger und lehnt sich mit dem Ellbogen zutraulich auf die
hohe Lehne desselben Stuhles, auf dem der Herr sitzt. Dieser lächelt still
vor sich hin, läßt aber den Mann gewähren. Es ist ein braver Bursch und
wenn er die Sitte draußen im Land nicht kennt, weiß er dafür desto besser
in seinen Bergen Bescheid. »Es giebt schon hübsche Rudel drüben, und
besonders viel Kitzgeißen das Jahr.«

»Und der Winter hat ihnen nichts gethan?«

»Ih -- ich denk,« lächelt der Jäger kopfschüttelnd, »wenn nicht einmal eine
oder die andere von einer Lawine erwischt wird -- im Uebrigen hat's keine
Noth.«

Es folgt jetzt ein ausführlicher, ziemlich befriedigender Bericht
des dortigen Gems- und Wildstandes, und der Jäger wird endlich wieder
freundlich entlassen.

Die Nacht ist jetzt weiter vorgerückt, und die heutige noch ungewohnte
Anstrengung, mit der feineren reineren Bergluft macht auch ihr Anrecht
geltend, als der Ruf »da schreit ein Hirsch!« von draußen, halbflüsternd
aber doch laut genug hereintönt, die Aufmerksamkeit rasch dorthin zu
lenken. --

Wir treten hinaus vor die Thür. -- Wie still die Nacht hier auf den Bergen
liegt. Nur das Rauschen des Stromes tönt herauf, und das einzelne Zirpen
einer Grille mischt sich in das leise heimliche Flüstern und Rascheln der
Zweige. -- Drüben liegen in schweigender Majestät schwarz und düster
die mächtigen Bergrücken wie schlummernde Riesen -- kein Laut weiter
unterbricht die Todtenstille.

»Huh -- a -- h!« tönt da langsam und faul, aber tief und gewaltig der
Brunftschrei eines starken Hirsches weit aus dem unten liegenden Thal
herauf.

»Das ist ein braver Hirsch,« geht der leise geflüsterte Ruf, den
Schreienden nicht etwa zu stören und »da ist noch Einer« ruft Martin,
als drüben vom »Roßkopf« herüber ein anderer schwächerer herausfordernd
antwortete.

Wie wunderbar das in dem stillen Walde klingt; wie seltsam feierlich, und
doch so wild. Nur das Herz des Jägers füllt der Ton mit unbeschreiblichem
Entzücken. -- Was ist Nachtigallenschlag, was irgend eine Symphonie
dagegen, die sonst im Lande drin vielleicht sein Herz entzückt. _Das_ ist
Musik, das zittert durch die Nerven, und macht das Herz rascher schlagen,
das Auge glühn und leuchten.

-- Jetzt ist wieder Alles still -- da noch einmal tönt der Ruf herauf, aber
weiter nach rechts. Der alte Bursch unten hat die Ausforderung angenommen
und zieht hinüber nach dem andern Hang, den Gegner zu bekämpfen oder zu
vertreiben. -- Nun ist Alles ruhig; -- nur die Grille zirpt fort, und der
Bergstrom unten rauscht sein volltönendes brausendes Lied durch die stille
Nacht. --

Es ist das überhaupt ein eigenthümliches Gefühl, das den aus dem unteren
Land heraufgekommenen Jäger die erste Nacht erfaßt -- diese ungewohnte
heilige Stille der Natur. Kein Wagenrasseln, kein Nachtwächterruf, kein
Glockenschlag, kein lauter Tritt der durch öde Straßen hallt -- es ist
Alles Frieden und Ruhe, als ob hier oben gar keine Leidenschaften
tobten und stürmten. Nur das leise Flüstern des Laubes legt mit sanftem,
wohlthuenden Finger den Schlaf auf unsere Augen -- und wie gut schläft
sich's in den Bergen.

[Illustration: =Das Aufsteigen.=]




3.

Aufbruch zur Jagd.


-- -- -- Draußen schlägt ein Hund an -- der langsame Schritt eines Jägers
auf dem Steinboden wird laut; -- durch das verhangene Fenster dringt
der erste dämmernde Schimmer des jungen Tags -- der erste freudige Bote
begonnener Gemsenjagd.

Frisch und stärkend schlägt die kühle Morgenluft in das weit geöffnete
Fenster und dort? -- träume ich denn noch oder wach' ich, und _kann_ das
wundervolle Bild das dort, den staunenden Blicken ausgebreitet in all
seiner Pracht und Herrlichkeit liegt, Wahrheit -- Wirklichkeit sein?

Gerad gegenüber, und hoch in die reine duftige Morgenluft hineingebaut,
ragen die grauen lichtumflossenen Kuppen der Falken hinein -- rechts hebt
der Stuhlkopf sein breites mächtiges Joch, und tief da unten, weit zwischen
beiden hinein, und im Hintergrund von einer schroffen wallartigen Wand, dem
Carvendelgebirge begrenzt, zieht sich ein tiefes grünes Thal, in das der
Schöpfer zu dieser frühen Morgenstunde all seine wunderbarsten Tinten
und Schatten, von all der zauberhaften Pracht der Alpenwelt übergossen,
hineingeworfen hat.

Vom Carvendelgebirge nieder springt der Johannisbach wie ein
silberschlängelnder Faden zwischen dichtem Waldesteppich durch, der rechts
und links in leichten wellenförmigen, selten schroffauflaufenden Hügeln die
Seitenwand erklimmt. Kleine saftgrüne Grasflächen, hie und da mit Spuren
hineingestreuter Hütten und Einfriedungen sind dazwischen sichtbar, und
über dem Ganzen liegt ein leichter, durchsichtiger blauer Duft, der in dem
dunklen Grün der Tannen über dem Silber des Baches, über dem Lichtgrau der
in die Wälder hineinragenden Reißen seine Schattirung wechselt, während
klar und schroff die hohen nackten Kuppen und Joche der umschließenden
Gebirge dies wunderbare Meer von Licht und Farbenpracht überragen. --
Jetzt plötzlich erglühen diese in dem ersten Strahl der aufgehenden Sonne,
während ihre Zacken in ganz fremdartigem Licht und Raumtäuschung die
weiten Schatten werfen, und unten im Johannisthal zittert, von den oben
hellerleuchteten Wänden reflectirt, ein mattes rosiges Licht über
das bläulich dunkle Grün der Waldung, das gegen den fremden Schimmer
anzukämpfen scheint. Farben führen aber nur auf schlechten Bildern
und geschmacklosen Kleidern Krieg mit einander; in der Natur ist Alles
Harmonie. In wenigen Minuten ist das Ganze zu einem Rosenduft verschmolzen,
in dem die tiefe Landschaft glühend liegt. Wie aus dem Grund heraus heben
sich dabei die dunkleren Schatten der Waldung mit ihren eingerissenen
und jetzt weit schärfer hervortretenden schwarzen Schluchten und Spalten;
klarer schneidet sich der silberhelle blinkende Bach heraus, auf dem das
Auge jetzt schon die kleinen schneeweißen Schaumwellen erkennen kann. --
Der Rosenhauch geht in einen helleren, lichteren Duft über, und wie die
Sonne drüben hinter dem Sonnenjoch emporsteigt und ihre Strahlen hell und
mächtig in die Thäler wirft, schwinden die zitternden Tinten der Morgenluft
in ihrem Schein und -- es ist _Tag_.

Heiliger Gott, wie ist deine Welt so schön und reich, daß du selbst in die
geheimsten Schluchten dieser Erde solch wunderbare Pracht gestreut. Worte
fehlen da auch, solcher Allmacht gegenüber, und wie die Lerche draußen im
Land wirbelnd ihr frohes Dankgebet zum Himmel trägt, wie der duftende Baum
sein Weihrauchopfer haucht, wie die Berge, im Wiederglanz des himmlischen
Lichts höher und freudiger erglühn, so bringt die zitternde Thräne im
Menschenauge, bringt das jubelnde Herz in Menschenbrust dem unerkannten
Wesen über uns seinen stillen Dank, den es mit Worten und Gebeten nimmer so
heiß, so glühend sprechen könnte.

Und doch vergessen ist im Nu die vor uns ausgebreitete Pracht und
Herrlichkeit. --

»Da drüben steht ein Hirsch!« ruft mit seiner heiseren Stimme Martin (kein
_Tyroler_ Jäger), der ein Auge wie der Falke hat -- »und dahinter noch zwei
Stück Wild!« Zu gleicher Zeit zieht er das immer händige Perspectiv hervor
und richtet es nach dem Hang des Roßkopfs hinüber, der in einer Entfernung
vor uns liegt als ob ihn eine Büchsenkugel leicht erreichen müßte.

Vergebens aber sucht das Auge, noch nicht an diese Lichttäuschung in der
Ferne gewöhnt, durch die offenen Blößen des dort ziemlich lichten Waldes,
nach dem gemeldeten Wild. Nirgends läßt sich auch nur das geringste
Lebendige erkennen.

»Dort weiter oben steht auch noch ein Altthier mit einem Schmalthier, und
links davon ein Sechsender. -- Donnerwetter, ist das da unten ein
starker Hirsch!« murmelt Martin dabei vor sich hin, indem er durch sein
ausgezogenes »Bergspectiv« (wie es die Tyroler nennen) hinüber schaut.

»Aber wo? um Gottes Willen?«

»Gerad dort drüben auf der offenen Stelle; dicht neben der umgefallenen
Tanne, wo der gelbe Fleck im Boden ist -- gleich links darüber.« --

Der gelbe Punkt? -- wenn man nach einem Kaninchen ausgeschaut hätte, würde
man etwa ein lebendes Wesen von _der_ Größe in _der_ Entfernung erwartet
haben, und jetzt ist das ein starker Hirsch, zehn- oder zwölfendig, der
sich dort ruhig an der Lanne im Walde äst, und nur manchmal nach den, nicht
weit über ihm stehenden Thieren auf äugt. Jetzt wird der Blick auch erst
auf die verhältnißmäßige Größe der Bäume aufmerksam, die da drüben wie
zierlicher Nipptischschmuck, trotz der Entfernung in der reinen Luft mit
jedem kleinen ausgezackten Zweig fast sichtbar, stehn, und steigt man zu
ihnen hinüber, zu mächtigen Stämmen anwachsen.

Das Wild äst sich indessen langsam in die Dickung hinein -- wird wieder auf
einer kleinen Blöße sichtbar, und verschwindet endlich in den Laatschen.
Aber die kostbare Zeit verschwindet ebenfalls, und rasch wird das leichte
Frühstück eingenommen, das nur ein kleines Intermezzo draußen nicht etwa
stört, sondern eher noch würzt.

[Illustration]

Der rothe Schweißhund, Pirschmann, von guter tüchtiger Race -- ob aus
misverstandenem Eifer oder Langeweile -- es läßt sich kaum vermuthen aus
eigennützigen Zwecken -- hat den etwas primitiv angelegten Keller auf
seiner nächtlichen Runde entdeckt, und der dort niedergelegte Kern eines
gekochten Schinkens war verschwunden. Pirschmann läugnete allerdings
hartnäckig, oder weigerte sich wenigstens, wozu er auch nicht gezwungen
werden konnte, gegen sich selber zu zeugen; und Rainer dem die Ueberwachung
der Hunde übertragen, bekam vom Mundkoch die von ein oder dem andern
verdiente Nase.

Aber keine Zeit ist's mehr für solche Dinge. Die Jäger stehn draußen
gerüstet, den Bergsack auf dem Rücken, den Stock in der Hand, die
Büchsflinte oder den Wender über der linken Achsel; die Sonne scheint voll
auf die markigen malerischen Gestalten, auf die offenen treuherzigen, und
oft doch so verschmitzten Züge, und geduldig harren sie des Zeichens zum
Aufbruch. --

»Und nun vorwärts!« ruft der Herr der Jagd, der in der leichten
Jägertracht, den Bergstock in der Hand, nur statt des spitzen zum Pirschen,
seiner Höhe und dunklen Farbe wegen nicht einmal ganz praktischen Tyroler
Hutes, eine einfach graue sehr leichte Mütze trägt. Die Jäger reißen, als
er an ihnen freundlich grüßend vorübergeht, rasch die Hüte herunter, und
während er den schmalen Pirschpfad voranschreitet folgen mit so wenig
Geräusch als möglich, die übrigen Schützen und Jäger in bunter Reihe und
ächt indianischem Marsch, Einer hinter dem Andern. -- Bietet der schmale
Weg doch oft kaum Raum für den einen Fuß. --

Langsam windet sich so der Zug bergauf. Der Tyroler Jäger und überhaupt der
Alpenjäger hat einen langsamen aber stäten Schritt; den aber behält er bei,
ob er eine sanfte Anhöhe, oder eine steile Wand ersteigt. Ruhig setzt er
Fuß vor Fuß, der Brust dazwischen Zeit zum Athmen lassend; aber er rastet
nie. Wenn er nicht pirschen geht, wo die ganze Jagd nur im Vorschleichen
und wieder Halten und Umheräugen und Lauschen besteht, fällt's ihm nicht
ein sich auszuruhen, Stunden lang, -- er müßte denn eine schwere Last mit
sich tragen. Die ächten Bergsteiger haben auch alle einen etwas vorwärts
gebogenen Gang, aber desto sichereren Schritt, und Schwindel kennen die
Leute nicht. Bricht ihnen nicht einmal an gefährlicher Stelle ein Stein
unter den Füßen weg, oder schleudern über ihnen losgegangene Gemsen auf
ihrer Flucht nicht lockeres Geröll auf sie nieder, das sie mit in den
Abgrund nimmt, so wandern sie auf ihren schwindelnden Bergpfaden und an
den hängenden Wänden so sicher hin, wie der Bewohner des flachen Landes
auf seinen breiten Straßen. Der Gefahr müssen sie aber doch stets in's Auge
sehn; der Tod lauert auf sie in mancherlei Gestalt und Art, und _weil_ sie
das wissen und ihm doch begegnen, deshalb auch ist ihr Blick so frei und
offen, ihr Schritt so fest und keck und männlich.

Jetzt haben wir den oberen Pirschpfad erreicht, und von der Stelle, an der
wir einen Augenblick halten, sehn wir das, vor einer halben Stunde etwa
verlassene Pirschhaus wie ein kleines aus Marzipan gebackenes Zuckerwerk
tief hinter uns im Schatten der Bäume liegen. Hell schimmert das Dach aus
der dunklen Umgebung vor, und heller noch jener schneeweiße Punkt der sich
daneben zeigt. Es ist der Mundkoch, der mit seiner weißen Jacke, Schürze
und Kappe vor seiner Thür stehend, die Jäger noch mit den Blicken am
Berggelände suchen will. Aber die Erd- und Steinfarben gekleideten
Gestalten sind lange aus seines Auges Bereich, und ihre Umrisse
verschwimmen mit dem Boden auf dem sie stehn.

Wieder wechseln hier die Bilder von Berg und Schlucht um uns her, aber das
Auge forscht jetzt nach anderem Ziel: -- Gemsen. Ueber den Weg laufen die
Fährten eines ganzen Rudels das hier vom Joch nieder dem vorderen »Graben«
zugezogen ist. Die Jäger sehen, wie sie darüber hinschreiten die Fährten
an, und deuten mit der Hand auch wohl hie und da auf die besonders tief
eingedrückten breiten Spuren eines alten Bockes; aber keiner von ihnen
spricht mehr ein Wort. Wir sind hier im eigentlichen Gemsrevier. Spuren wie
frische Losung zeigen überall die Nähe des scheuen Wildes, und der Klang
der menschlichen Stimmen schallt weit auf diesen Höhen.

Aber nichts Lebendes zeigt sich noch. Hie und da hüpft in einem
Laatschenbusch einer der kleinen befiederten Bergsänger umher, und lenkt
den Blick der Vorüberschreitenden rasch und forschend auf sich. Nichts
Lebendes, was sich im Sehkreis regt, und überhaupt Bewegung hat entgeht
dem Auge der aufmerksamen Jäger. Fünfzig Mal dabei getäuscht, sei es durch
einen Vogel, eine raschelnde Maus, oder einen losgebröckelten Stein, -- er
ermüdet nicht, und wieder und wieder sucht das Auge nach Leben und Bewegung
hier im Wald, und die Hand greift unwillkürlich nach der Waffe.

Jetzt ist »der Graben« der getrieben werden soll erreicht, und in einem
Dickicht, noch unter dem Rand, daß in der Nähe sitzende Gemsen nicht die
sich regenden Gestalten der Jäger auf dem Abhang erkennen könnten, bleibt
der Herr stehn.

»Und wie wollt Ihr's nun machen?« lautet die mit unterdrückter Stimme an
die herbeitretenden Jäger gerichtete Frage.

Rainer beginnt jetzt, mit eben so vorsichtig gedämpfter Stimme seinen
nochmaligen Vortrag: Dort unten auf einem bezeichneten Felsenkamm, der den
Schuß nach rechts und links hinein in die steile, lawinenzerrissene Klamm
erlaubt, an der und jener Wand, und dort und da sollen die Schützen stehn,
und wenn die Treiber dann von dort und da herüber kommen, weiß Rainer
auf ein Haar, in welchem Graben, welch eingerissene Spalte und Klamm die
aufgescheuchten Rudel ihre Flucht hin nehmen müssen.

Jetzt werden rasch die verschiedenen Jäger als Treiber oder Abwehr nach
rechts und links geschickt und vorsichtig, auch das geringste Geräusch
vermeidend, pirscht sich Jeder zu dem angegebenen Stand. Den Bergstock
verkehrt in der Hand, die eiserne Spitze nach oben, daß sie nicht zufällig
vielleicht einen Stein berühre und durch den fremden Metallklang die Gemsen
schrecke, mitten in die Laatschen hinein an deren Zweigen sich die rechte
Hand anklammert, während die linke den Bergstock hält und zu gleicher Zeit
die Büchse aus dem Weg der Aeste rückt, schleicht der Schütze nieder. Hier
einen kleinen Vorsprung benutzend, durch einen Busch gedeckt den Ueberblick
über einen vielleicht lichten Fleck zu bekommen, dort der ausgewaschenen
Rinne eines jetzt trockenen Bergquells folgend, indem er dadurch wenigstens
das Geräusch der zurückgebogenen Zweige vermeiden kann; jetzt auf dem
Boden nieder unter den Büschen durchkriechend, jetzt dazwischen hin den
Weg suchend. Da wird es plötzlich licht. -- Dort vor uns liegt der Rand der
Klamm, und vor sich abäugend erst, ob nicht vielleicht ein einzelner alter
Bock dort unten schußgerecht steht und durch längeres Zögern verscheucht
werden könnte, sucht man sich jetzt, da sich die Hoffnung nicht bestätigt,
einen zugleich gedeckten und doch freien Fleck, den größtmöglichsten Raum
in der Nähe überschießen zu können, und so wenig als möglich durch nahe
Büsche verhindert zu sein, nach verschiedenen Richtungen hin die Pässe und
Wechsel zu beherrschen.

[Illustration: =Steileck.=]




4.

Das Riegeln.


Trefflich für solche Lausch- und Anstandsplätze eignen sich die, diesen
Gebirgen eigenthümlichen schmalen Ausläufer vorgeschobenen Gesteins, die
gewöhnlich von beiden Seiten in die Ränder der Klammen hineinreichen, und
oft bei nur wenigen Fuß Breite, mit Laatschen oben bis zur äußersten Spitze
bewachsen, nicht allein den größten Theil der Klammen überschauen lassen,
sondern auch nach drei Seiten hin einen freien Schuß gewähren.

Auf einer solchen wunderbaren, oben kaum anderthalb Fuß breiten aber
vollkommen sicheren Steinkoulisse sitzen wir jetzt, der Leser und ich, und
obgleich rechts und links ein tiefer Abgrund gähnt, und man den Bergstock
nicht einmal dicht vor sich einstoßen dürfte, weil er hinunter in die Tiefe
fallen würde, haben wir doch nicht das Mindeste zu befürchten. Die den
Armen eines Kronleuchters nicht unähnlichen zähen Laatschenzweige
halten fest und gut, und während wir den Raum in der Mitte rasch mit
dem Jagdmesser etwas ausgehauen, ragen die Zweige um uns her wie ein
künstlicher grüner Schirm empor, und halten uns dahinter dicht versteckt.

Nur eine Vorsicht muß der versteckte Jäger gebrauchen: nicht unvorsichtig
auf die elastischen Zweige zu drücken, die durch ihr Auf- und
Niederschaukeln dem scharfen Blick der noch so weit entfernten Gemse nicht
lang verborgen blieben.

Was für ein wundervoller Platz das ist, und wie so still und schweigend der
dunkle wilde Wald hier um uns liegt. Auf dem aushängenden Felsen, dessen
schmalen Verbindungsweg man, rechts und links umschauend, nicht einmal
erkennen kann -- und viele Bewegung verstattet der kaum fußbreite Sitz auch
nicht -- hängt man da; gleichsam abgeschnitten, über der wild zerrissenen,
zu Thal stürmenden Schlucht, und von steilen, mit überhängenden Laatschen
überall besetzten Wänden fest und drohend eingeschlossen.

Der _Graben_, wie diese steilen Bergthäler genannt werden, bildet im Ganzen
eine weite gewaltige Schlucht, wie denn auch der ganze breite Gebirgshang
an der Südseite in solche Thäler oder Gräben ziemlich gleichmäßig vertheilt
ist, während zwischen ihnen von oben nach unten laufende und dicht
bewaldete Abschüsse oder Hänge sie von einander trennen. Im Einzelnen reißt
sich aber ein solcher Graben wieder in hundert und hundert kleinere und
größere Einschnitte, Schluchten, Felsspalten und Klammen, jede im Kleinen
und in sich selbst, das große Bild des Ganzen wiedergebend.

Die schroffen Wände, an denen kein fruchtbarer Boden halten kann, stehen
da drinnen freilich kahl, und in den Schluchten, wo sich zur Regenzeit der
Bergbach das reingewaschene ausgeschwemmte Bett gewühlt, kann auch kein
Pflanzenleben gedeihen; aber die zähe Laatsche dringt doch ein, wo sie's
nur irgend möglich machen kann. Nicht allein auf den Nacken der Felsen hin
kriecht sie, und wirft ihre Zweige zwölf und sechzehn Fuß weit nach
rechts und links bis über den Abgrund hin, nein auch, wo nur irgend eine
Felsenspalte eine Hand voll von oben niedergeschwemmter Erde aufgefangen
und gehalten, säet sie ihren Samen, treibt Keime und Schößlinge, und
klammert sich mit den festen Wurzeln ein. Wo sich ein solcher Anhaltspunkt,
und sei er noch so unbedeutend, bietet, findet man diese Büsche, die
Nadelspitzen oft klein und kümmerlich, die Zweige dünn und kurz, aber
immer fest und sicher in die Felsspalte eingeklemmt, und gar willkommene
Anhaltspunkte sind das dann für den Steigenden. Der einmal gefaßte Zweig
bricht nicht ab in der Hand, und, wenn er das ganze Gewicht seines Körpers
daran hinge.

Ha -- was war das? ein zischender Pfiff der von dort herüber schallt. Eine
schreckende Gemse, der irgend woher der verrätherische Luftzug die fremde
Witterung des Feindes zugetragen -- und dort drüben? -- ein rollender
Stein, der von den scharfen Klauen eines aufgescheuchten Thieres
losgestoßen, hinunter zu Thal die springende Bahn nimmt. -- Aber zu sehn
ist noch Nichts und der forschende Blick sucht rasch und mistrauisch all
die hundert kleinen Schluchten und Spalten ab, aus denen allen das ersehnte
Wild im Augenblick herausfliehen kann.

Todtenstille herrscht -- da bricht ein Schuß von oben dröhnend und donnernd
in's Thal nieder und weckt das Echo in den Bergen von Wand zu Wand. Das war
des Jagdherrn Büchse -- wie den Schall die gegenüberliegenden Gebirge jetzt
wiedergeben, und wie er sich prasselnd und schmetternd die Bahn
hinunter bricht in's tiefe Thal. Und doch ist das hier in den Bergen so
eigenthümlich mit eben dem Schall, daß ein im Nachbargraben Stehender den
Schuß vielleicht nicht einmal hören konnte.

Da poltert's und bricht's über das Felsgestein, ganz in der Nähe. Wie mit
einem Messer sticht's bei dem Ton dem lauschenden Jäger in's Herz hinein,
und bebt und zittert ihm durch alle Glieder. Und ob er von Kindheit an
die Büchse geführt und der Spur des Wildes gefolgt wäre, _dem_ ersten,
unwillkürlichen, fast krampfhaften Herzklopfen beim plötzlichen Erscheinen
eines Stücks Wild, beim Rascheln oder Rauschen das seine sichere Nähe
verräth, entgeht er nicht. -- Aber es dauert nicht lange, und in der
nächsten Minute schon muß er die alte Ruhe wieder erlangt haben, und hat
sie auch -- einzelne Fälle natürlich ausgenommen.

Wie das dort rasselt und tobt durch die kleine Schlucht. Drunten heraus aus
ihrer Mündung kollern und springen die losgegangenen Steine schon vor, und
den Berg hinab. Das muß ein ganzes Rudel sein. -- Und richtig, dort in den
Laatschen zeigt sich plötzlich der schwarze Körper einer alten Geis mit den
weißen Backenstreifen und den hohen scharf umgebogenen Krickeln. Wenn sie
allein käme könnte man sie recht gut für einen Bock halten. Aber ein Rudel
wird meist immer, ja fast ohne Ausnahme von einer alten Geis geführt, oft
der Stammmutter des ganzen Trupps, die so von Kindern und Kindeskindern
gefolgt, den Berg durchzieht. Jetzt werden die andern auch sichtbar --
leider außer Schußweite, denn das ganze Rudel ist wohl noch vier- bis
fünfhundert Schritt entfernt. Auf einem mit Laatschen dünn bewachsenen
Felsrücken tauchen sie auf, eine hinter der andern -- jetzt eine braune
Geis mit schwarzem Rücken, das kleine munter springende Kitz an der Seite,
jetzt ein junger zweijähriger Bock der ernst und gravitätisch, wie er es
von den älteren gesehn, eine Weile daher schreitet. Dann aber plötzlich,
als er das munter seitwärts springende Kitz um sich her tanzen sieht,
vergißt er, wenn er auch vorn seinen stolzen Ernst beibehält, hinten doch
die Gravität, und macht mit den Hinterläufen einen Jugendsprung. Mehr
und mehr drängen herauf und bleiben Kopf an Kopf auf der kleinen Lichtung
stehn, alle hinauf nach der Klamm äugend und windend, von der der Schuß
tönte. Ehe die Altgeis weiter geht, denkt keins daran sich von der Stelle
zu rühren.

Von drüben herüber ist das Rudel gekommen, jedenfalls von dem Schuß aus
sicherer Ruhe aufgeschreckt. Jetzt aber mag doch irgend ein Geräusch der
von unten herauf brechenden Treiber von dem scharfen Gehör der Leitgemse
erfaßt sein, oder ihr Blick hat auch wohl die sich da unten regende
Gestalt, sei sie noch so weit entfernt, gesehn, ihre Nase die fremde
gefährliche Witterung gefangen. Da unten ist's jedenfalls nicht recht
geheuer, _was_ es auch sei, und seitwärts an der Wand auf der sie gestanden
niedertretend, läuft und rutscht sie halb die fast senkrechte Steinplatte
hinab, an der sich, von hier aus wenigstens, nicht der geringste
Anhaltpunkt erkennen läßt. Jedenfalls will sie schräg durch den Graben dem
anderen Ausläufer zu; ihr aber folgen auch, ohne weiter zu fragen weshalb
oder wohin, die andern Gemsen. Zuerst die Geis mit dem Kitz, dann der
zweijährige Bock, wahrscheinlich ein Herr Sohn vom vorvorigen Jahr, dann
wieder zwei Kitzgeisen und nun ein starker Bock. -- Wetter noch einmal, ob
der Bursche nicht aussieht wie ein Wildschwein, als er da breitspurig und
bequem den halsbrechenden Pfad ohne die mindeste scheinbare Anstrengung
hinuntergleitet. Wenn der zum Schuß herüberkäme, der wär' recht. -- Jetzt
folgen noch ein paar wahrscheinlich gelte Geisen oder schwächere Böcke
-- es läßt sich von hier aus nicht so deutlich erkennen -- dann wieder
Kitzgeisen dazwischen, und zum Schluß noch ein alter Bock. Im Ganzen ein
Rudel von drei und zwanzig Stück.

Jetzt ist Alles wieder still -- die Gemsen haben irgend einen bewaldeten
Hang angenommen, und ziehen geräuschlos und gedeckt darin fort.

Es ist aber, selbst für den geübten Gemsjäger, gar nicht etwa so leicht
Geis und Bock von einander zu unterscheiden, ja in der Ferne fast ganz
unmöglich, wenn nicht die Geis eben ihr Kitz als Legitimation mit sich
führt. Die Farbe der Gemsen ist im Sommer lichter als im Winter, und
schmutzig isabellfarbenartig nur mit dem dunklen Rückenstreifen. Im rechten
Winter werden sie aber ganz schwarz, und alte gelte Geisen die allein
kommen, und oftmals gar starke ansehnliche Krickeln tragen, sehn genau so
aus wie ein Bock. Nur in der Nähe unterscheidet sie der längere dünnere
Hals, wie auch der etwas zierlichere Kopf vom Bock. Ebenso stehn ihre
Krickeln mehr parallel zusammen auflaufend, während die Krickeln des Bocks
gleich unten von der Wurzel aus etwas stärker sind und sich ein wenig
auseinander biegen. Allerdings nur schwache Unterscheidungszeichen in der
Ferne.

Links, dicht neben uns flattert etwas -- welch prächtiger gewandter Vogel
sucht sich da sein Mahl an dem nackten Felsen? -- Es ist ein Alpenspecht,
der mit den scharfen Klauen einkrallend in den Stein, die Flügel
ausgespannt und wie zur Stütze an die Wand gestemmt, den Kopf
zurückgebogen, auf und ab, bald rechts bald links hinüberläuft, und
blitzschnell mit dem nur leicht gebogenen spitzen Schnabel in Ritz und
Spalte fährt, Käfer und kleineres Gewürm daraus hervorzuholen. Und welche
Pracht in dem Gefieder. Der ganze kleine Bursch ist in seiner Haupt- und
Grundfarbe schön stahlgrau mit schwarzem Kopf und dunklen Streifen
auf Schwung- und Deckfedern, aber über die zierlichen Flügel läuft ein
rosenrother Streif, in dem Grau verschmelzend, wie an den Schwingen des
Weinvogels, jenes zierlichen Nachtfalters, und die kleinen schwarzen Augen
schauen so scharf, so klug umher. Ist er so wenig furchtsam daß er den, nur
wenige Fuß von ihm kauernden Jäger gar nicht scheut? -- Ja, der rührt und
regt sich nicht, und sitzt da wie hineingewachsen in die Laatsche. Die
erste Bewegung freilich -- was war das? -- Dort flattert auch schon der
Alpenspecht zur Seite. Aber was kümmert uns jetzt der -- gerade da drüben
in der schmalen Klamm, die seit ab aus dem Walde niederführt, rollte ein
Stein; dort unten springt er vor und da -- wieder der Stich in's Herz -- da
drüben auf der nächsten Felsenspitze, auf einem Raum den ich mit der Hand
bedecken könnte, steht ein schwarzer etwa drei- oder vierjähriger Bock, den
klugen Kopf mit dem weißen Backenstreif nach unten gedreht, wo in diesem
Augenblick ebenfalls eine Kitzgeis sichtbar wird.

Wie krampfhaft faßt die Hand den Büchsenkolben, sucht der Zeigefinger
der rechten Hand den Drücker, der Daumen den Hahn. Geräuschlos wird er
gespannt, langsam durch keine rasche Bewegung den Blick des aufmerksamen
Thieres hierherzulenken, hebt sich der Lauf und Korn und Visir zusammen.

»Pest!« murmelt der Jäger leise zwischen den zusammengebissenen Zähnen
durch, und er hat Ursache, denn oben auf dem Lauf, gerade vorn auf dem
Korn, von dem blitzenden Metallpunkt vielleicht angezogen, schaukelt sich
ein kleiner zierlicher gelber Schmetterling, und will nicht wanken und
weichen.

Noch steht der Bock da drüben und die Gemse unten interessirt ihn mehr
als irgend ein Geräusch oder Luftzug der ihn von oben fortgescheucht.
Mit unzerstörbarem Ernst schaut er nieder auf das spielende Kitz und die
lauschende Geis.

Langsam und vorsichtig hat der Jäger indeß die Büchse zurückgezogen, bis
er mit dem Korn den nächsten Laatschenbüschel erreichen kann. Der
Schmetterling weicht den drohenden Stacheln des grünen Busches aus, und
flattert thalauf, und wieder richtet sich das Rohr dem heißersehnten Ziele
zu.

[Illustration]

Da -- hat sein Auge irgend einen verrätherischen rückschlagenden
Sonnenstrahl von dem blanken Lauf gefaßt? -- wirft der gefährdete Bock
rasch den Kopf empor, und die klugen Augen haben im Nu den Ort der
wirklichen Gefahr erkannt -- aber zu spät. Korn und Visir schmelzen gerade
auf dem Blatt der wenig mehr als hundert zwanzig Schritt entfernten Beute
zusammen; der Finger berührt den Stecher und mit dem Schlag, noch während
der Bock sich vorn niederläßt, von seinem spitzen Stand hinabzusetzen,
schlägt ihm die Kugel, schon etwas hoch, das Rückgrat über dem Blatt
entzwei. Vergebens sucht das Thier sich mit den scharfen Läufen in den
abschüssigen Boden einzukrallen, die Steine rollen unter ihm fort; halb
fällt er, halb rutscht er nieder. Während ihm das Geröll polternd folgt und
über ihn wegspringend dem nächsten Abhang zu fliegt, erreicht er unten
den ersten festen Halt -- Steinblöcke, die Lawine oder Bergstrom da nieder
geschmettert -- und sucht noch einmal dort sich aufzurichten. Vergebens;
seine Kraft ist gelähmt, sein Lauf in diesen Bergen beendet, und während
der rothe Schweiß den Boden um ihn färbt, bricht er stöhnend zusammen.

Aber an ihm vorbei fliegt die Kitzgeis, den offenen Weg zur Flucht nach
unten nicht benützend. Zwar ist sie sicher vor des Schützen Rohr, denn
keine Kitzgeis wird in der ächt weidmännisch betriebenen Jagd geschossen,
aber was scheucht sie denn auf einmal dort hinauf? -- Hat sich der Schall
des Schusses in den Bergen, was oft geschieht, so gebrochen, daß sie die
Gefahr da unten wähnt, während sie hier oben in der Nähe des Feindes droht?
Oh nein -- das scheue Thier weiß recht gut vor wem es flieht, denn über die
Steine unten, über Geröll und Felsenblock hinwegspringend, so rasch fast
wie der Bock selber früher sprang, der dort verendend liegt, kommt ein
Jäger herauf aus der steilen Schlucht.

Den Bergsack auf dem Rücken, die Büchse über der linken Schulter, den
Bergstock zum Springen über Spalte und Stein gebrauchend, wie der Rabe
seiner Berge der den Geruch des Blutes wittert und mit raschem Flügelschlag
schon nach dem Schuß krächzend herbeistreicht, setzt der kleine gewandte
Bursch heran. Im Nu hat er dabei die Stelle gefunden wo das, noch einmal
wenn auch vergebens seine letzten Kräfte anwendende Thier liegt. Büchse,
Hut und Bergstock drückt er gleich darauf neben sich auf die Steine, das
Messer fliegt aus der Scheide, und die sich krampfhaft streckende Beute
stöhnt unter dem Gnadenstoß. Aber zu gleicher Zeit fast greift die eine
Hand auch nach dem _Bart_ des verendenden Bocks, zieht die langen, mit
weißer Spitze versehenen Rückenhaare[2] rasch und geschickt heraus, soweit
sie sich zum Hutschmuck eben brauchen lassen, nimmt dann ein altes, schon
mit früherem Schweiß beflecktes Stück Papier aus der Tasche, wickelt sie da
sorgfältig hinein und birgt das in seiner Brusttasche. Jetzt erst geht
er an das Geschäft des Aufbrechens, die Gemse dann später in dem rasch
abgeworfenen Bergsack mit hinaus aus dem Graben zu nehmen.

  [2]: Der Gemsbart sitzt dem Bock nicht etwa unter dem Kinn, sondern auf
  dem untern Theil des Rückens; an derselben Stelle, wo das Wildschwein
  die längsten starren Borsten hat.

[Illustration]

Der Bursch da unten ist aber eine der interessantesten Persönlichkeiten
unter sämmtlichen Jägern. Klein und fast schmächtig von Gestalt, aber
trotzdem von zähem, nervigem Körperbau, munkelt man daß er früher, wie er
jetzt Einer der besten, wenn nicht der beste Jäger des Reviers ist, auch
Einer der berüchtigtsten Wildschützen gewesen sei. Jedenfalls kommt ihm
keiner der Uebrigen gleich im Fallenstellen für alles mögliche Raubzeug,
vom Jochgeier nieder bis zum kleinen Wiesel. Niemand lockt wie er Hasel-,
Stein-, Schneehuhn und Birkwild, und fängt die Schnepfen und andere
Strichvögel so geschickt in Schlingen. Auch Alles was man lebendig verlangt
liefert er -- wohl nicht gleich, denn solch Ding erfordert Zeit -- aber
_mit_ der Zeit gewiß und sicher.

[Illustration]

Wenn man von oben die kleine unansehnliche Gestalt betrachtet,
kommt's Einem auch wohl unwahrscheinlich vor, daß das der grimmste und
gefährlichste Feind sein sollte, den die schlauen und scheuen Thiere der
Wildniß hier in den Bergen, in ihrem eigenen Reviere hätten; so wie er aber
den Kopf nur umdreht glaubt man's ihm. Der ganze Schnitt des Gesichts ist
schon dem Adler gleich, das Auge nicht groß aber lebendig und rastlos,
nicht einen Moment an ein und derselben Stelle haftend. Die Augenbrauen
sind dabei hoch heraufgezogen, und wie durch das stete Horchen und Wachen
so stehn geblieben. Der kleine Ragg, wie er zum Unterschied von seinem
Vetter, dem _großen_ heißt, sieht aus, als ob er nicht einmal im Schlaf die
Augen schlösse.

[Illustration: =Treiber an einer Wand.=]




5.

Das Treiben am Joch.


Mit dem Riegeln -- wie diese Art Treiben genannt wird -- ist's jetzt
vorbei. Dort drüben pfeift noch einmal eine Gems, die wahrscheinlich den
Wind von einem der andern Treiber bekommen. Platz genug hat sie indessen
zur Flucht, und bringt sich auch rasch in Sicherheit. Wieder hinauf
klettern wir jetzt, von dem schmalen Steinkamm bis hinüber zum Waldeshang,
denn hinunter zur erlegten Gemse könnte wohl kaum eins der scheuen Thiere
selbst, so schroff und jäh läuft da der Fels hinab. Ragg wird sie schon
hinauf zum Sammelplatz schaffen.

Aber auch selbst das Aufklettern geht nicht so rasch, denn bist Du ein
einziges Mal durch die Laatschen _aufwärts_ gestiegen, Freund, dann weißt
Du auch was das Ding zu sagen hat. Die zähen elastischen Zweige liegen alle
nach unten, eine Strecke erst am Boden oder einen Fuß darüber hinlaufend,
und dann wieder in die Höhe biegend, daß sie die Büschel an den Spitzen der
Zweige gerade und aufrecht tragen. Ein in einander greifen sie dabei, und
wenn auch die schlanke Gemse, die nur ihre Krickeln auf den Rücken zu legen
hat, leicht hindurch schlüpft, bleibt doch der Jäger mit seiner Büchse über
der Schulter, mit dem Bergstock in der Hand, mit Hut und Rock und Riemen
alle Augenblick darin hängen, und abzubrechen ist fast gar kein Zweig. --
Nur mit dem Messer gehauen oder eingeschnitten, knickt er augenblicklich
ab. Noch schlimmer ist es dabei, wo dürre Aeste mit dazwischen liegen;
ein Durchkommen wird da fast zur Unmöglichkeit, oder muß Zoll für Zoll
erzwungen werden.

Und dennoch ist es, wenn nicht leichter, doch jedenfalls sicherer in den
Laatschen auf, als abwärts zu klettern. Die zähen Büsche hängen über alle
Abgründe weit hinaus, und wollte man rasch zwischen ihnen niedergleiten,
da sich die weichen Zweige dem nach unten Hindurchdrängenden aus dem Wege
biegen, wäre man jedem Augenblick der Gefahr ausgesetzt ganz
gemüthlich vielleicht in eine fünf- bis sechshundert Fuß tiefe Schlucht
hineinzufahren.

[Illustration]

Als ich den Sammelplatz endlich erreichte hatten sich, den kleinen Ragg
ausgenommen, der noch mit seinem Gemsbock irgendwo unten im Graben stak,
schon sämmtliche Treiber um den Herrn versammelt.

Wie wundervoll die Wildniß um uns liegt. Dort drüben hebt der große
Falke sein riesiges Haupt empor, während die gewaltigen Tannen an dem
gegenüberliegenden Hang so niedrig aussehn wie kleine zierliche Büsche,
und unter uns gähnt eine wilde Schlucht tief in den Graben nieder, der hier
scharf und abschüssig viel hundert Fuß wohl jäh hinunter sinkt.

Auf einem Felsenvorsprung aber, der weit über den dunklen Abgrund
hinausragt, die Büchse über der Schulter, den Bergstock in der Hand, steht
unser Jagdherr, und neben ihm demonstrirend und erzählend der große Ragg,
während sich Rainer etwas kleinlaut hinter diesen gedrückt hat.

Die anderen drei Jäger, von denen der eine den vom Herrn erlegten starken
Bock im Bergsack trägt, stehen etwas weiter zurück.

»Und Ihr seht jetzt daß ich recht hatte,« sagt dieser; »die drei starken
Rudel die von unten kamen, haben alle mit einander gar nicht daran gedacht
bis zu mir herauf zu klettern, sondern sind, wie sie das _jedesmal_ thun,
seitwärts ausgebrochen. Haben _Sie_ etwas geschossen?«

»Einen Bock« --

»Nun ja, ich auch einen, und die andern Freunde sind gar nicht zum Schuß
gekommen, während wenigstens vierzig Gemsen in dem Treiben waren.«

Rainer spricht kein Wort, Ragg hingegen, der ganz ungleich seinem Vetter
nie eine Gelegenheit vorüber gehn läßt seine Meinung, lebhaft dabei
gesticulirend, zu sagen, will sich auf eine nähere Beschreibung des
Treibens einlassen -- es ist die Elster unter den Jägern. Diesmal aber
wird er unterbrochen, das zweite Treiben rasch besprochen, und fort geht's
wieder, die steilen Höhen hinan, ein Treiben an der Nordseite des Jochs,
im sogenannten Ochsenthal zu machen, wo nur ein paar gezwungene Wechsel
den Gemsen bleiben sich zu retten und die schützenden Dickichte wieder zu
erreichen.

Ein wilder rauher Marsch war das jetzt den steilen Hang hinauf, bald in
überbiegende Laatschen hinein, bald an steilem Felsgeröll emporklimmend.
Einer hinter dem Anderen her, oder seitwärts auch ausbiegend, einen
bequemeren Aufweg zu finden. Der Stock nützt dabei gar wenig, und ist oft
nur im Weg; die Laatschenzweige sind dagegen treffliche Hülfen und oft,
wenn ein lockerer Stein losbröckelt, schützt die rasch ergriffene Laatsche
den Steigenden vor einen bald mehr bald weniger gefährlichen Fall.
Unverdrossen aber, nur das eine Ziel, die Höhe im Auge, wird jede
Schwierigkeit besiegt, und nach drei Viertelstunden schweren Steigens etwa
haben wir endlich das ersehnte Joch erreicht.

Bald ist hier Alles besprochen, die Schützen sind vertheilt, die Treiber,
die sich auf den kahlen Felsen an bestimmten Punkten nur zu zeigen, und ein
paar Steine hinab zu werfen haben, sind abgegangen und Jeder hat sich,
so gut das eben auf dem offenen Terrain gehen will, hinter irgend einen
Felsblock, einen einzelnen Laatschenbusch, oder eine sonstige Erderhöhung
gedrückt.

Da rasselt's da drüben an der Wand, Steine rollen und kleine dunkle Punkte,
nicht größer wie Ameisen, springen blitzschnell über die lichten Wände hin.

Mit dem Fernrohr, nach Büchse und Bergstock das wichtigste Instrument für
dem Gemsenjäger, suchen die Schützen indessen das Terrain, das sie übersehn
können, ab. -- Unerwartet kann ihnen überhaupt hier kein Wild kommen,
denn der steinige, rauhe Boden verräth es schon aus größere Entfernung.
Da drüben ist ein dunkler Punkt an der nämlichen Wand über der der erste
Treiber sichtbar wurde -- richtig es ist ein alter Bock, der sich hier
unter einen Felsvorsprung gestellt hat, nach unten hin aufmerksam die
springenden Gemsen betrachtet, nach oben ganz erstaunt hinauf horcht, woher
auf einmal all die großen dicken Steine kommen, von denen er freilich,
g'rad wo er steht, wenig zu fürchten hat.

Dort und da wird es jetzt lebendig. Ueber den tiefen Thalgrund des
weiten Felsenkessels springt das stärkste Rudel grade dort hinauf, wo der
fürstliche Jäger, die Büchse im Anschlag, fest hinter einen hohen Stein
gedrückt steht. Näher und immer näher kommen sie hinan -- der Wind schlägt
auf und sie wittern nicht die Gefahr der sie sich nahen. Prachtvoll
sieht es dabei aus, wie die dunklen schlanken Thiere an den lichtgrauen
Steinwänden hin und aufwärts setzen. Jetzt bleibt die Leitgeis auf einer
vorspringenden Zacke mit dicht zusammen geschobenen Schaalen stehn und
sichert umher. -- Aber nicht lange braucht sie nach der vermutheten Gefahr
zu suchen -- der Treiber dort oben auf dem nackten Joch schwenkt den Hut
nach ihnen hinüber; seine ganze Gestalt zeichnet sich ihnen scharf und
rein gegen den blauen Himmel ab, und fort stürmen sie wieder, geschützteren
Platz zu erreichen und aus so gefährlicher Nähe zu kommen -- die armen
Dinger.

Jetzt setzen sie die Schlucht hinauf an dessen oberem Ende der Jagdherr
steht -- kaum fünfzig Schritt an ihm vorbei springt das Leitthier -- hält
einen Augenblick auf dem Kamm, sieht den neuen Feind, thut einen scharfen
Pfiff und verschwindet an der andern Seite des Jochs. -- Und kein Schuß?
-- noch eine Gems und noch eine folgen ihr und jetzt -- eine kleine blaue
Wolke steigt hinter dem Felsen auf -- jetzt noch eine, und zwei Gemsen sind
schon lange zusammengeknickt und von der steilen Höhe niedergerollt, als
der dumpfe Knall der Büchse sich erst donnernd an den Wänden bricht, und in
das Thal seine Schallwellen niederwälzt. -- Wie die übrigen Thiere stutzen
und schrecken -- aber die Leitgeis ist voraus, der _müssen_ sie folgen, und
nach drängt deshalb, trotz dem Schuß, der ganze Trupp, nur einen scheuen
Bogen um die gestürzten Kameraden beschreibend.

Wieder steigt in zwei kurzen Stößen der blaue drohende Dampf empor, und
wieder taumelt eine Gemse. Wild vorbei stürmen die entsetzten Thiere. Aber
noch ist der Donner nicht verhallt als auf's Neue die tödtliche Kugel ihr
Opfer sucht.

Sechsmal hat es aus den drei Doppelbüchsen gesprochen und drei Gemsen
liegen verendet auf dem Platz und schwer verwundet schleppten sich zwei
andere noch über das Joch hinüber, davon eine der Hund nach kurzer Suche
in einem Laatschenbusche antrifft und niederreißt. Die andere ward später
verendet gefunden.

Die übrigen Rudel brachen zwischen den Treibern durch, und nur der eine
alte Bock war halsstarrig in seinem wohlversteckten Platz stehn geblieben,
bis die Jäger ihn längst passirt hatten. Dann drehte er sich um und
verschwand plötzlich in einer der zahlreichen Spalten, wie in die Wand
hinein.

Und nun der fröhliche Heimzug von der Jagd! Rasch sammeln sich die Jäger,
guter Dinge daß der mühselige »Trieb« gelungen; brechen das erlegte Wild
auf, und werfen es aus, thun sorgfältig das gesammelte Feist wieder hinein,
packen die Gemsen in ihre Bergsäcke, und heimwärts geht es jetzt, am Rücken
des Jochs auf einem ziemlich guten Pirschweg hin.

[Illustration]

Ihr Tagewerk war aber auch kein leichtes, und wer ihnen zusieht wie sie an
den steilen Wänden hinlaufen, oft über Abgründen hängen wo der geringste
falsche Tritt sie rettungslos in die Tiefe schickte -- denn ein Anklammern
wäre da nicht mehr möglich -- wie sie jetzt im Schweiß ihres Angesichts
durch ein Laatschendickicht arbeiten, jetzt über das Geröll einer Reißen
klettern und immer munter, immer vergnügt dabei, der muß die Leute wahrlich
bewundern. Und trotz den oft furchtbaren, jedenfalls höchst mühseligen
Wegen die sie zu steigen haben, achten sie nicht blos auf ihren schmalen
Pfad, nicht blos auf das Wild, das sie dort losgehen sollen, nein ihr Auge
späht zugleich, sorglos um die Gefahr die sie umgiebt, nach dem spärlich,
und nur an den wildesten rauhsten Stellen wachsenden Edelweiß, nach einer
einzelnen, vom Sommer übrig gebliebenen Scabiosa, nach einem tiefblauen
Enzian oder einer in dieser Jahreszeit sehr seltenen Alpenrose, mit diesen
Blüthen, neben Spielhahnfedern und Gemsbart ihren Hut zu schmücken.

Der Bruch von einer Laatsche an Mütze oder Hut ist heute das Siegeszeichen
der gelungenen Jagd, und das Behagen erreicht den höchsten Grad, wenn
Abends die erlegten Gemsen am Pirschhaus oder der Almhütte mit den Krickeln
oben am Dach eingehakt zur Zierde, als ebensoviel wohlerworbene Trophäen
hängen.

[Illustration: =Die Berathung.=]

[Illustration: =Nach dem Treiben.=]




6.

Die Pirsche.


So prachtvoll eine solche Treibjagd ist, besonders wenn man von irgend
einer vorspringenden Stelle aus den größten Theil derselben mit dem darin
aufgescheuchten Wilde übersehen kann, soviel interessanter ist die Pirsche.
Bei dem Treiben ist der Jäger vom Wild abhängig, ob es ihn gerade annehmen
will, und darf seinen Stand nicht verlassen, den ganzen »Bogen« nicht zu
stören. Bei der Pirsche sucht er selber das Wild auf, und es hängt
dann, allerdings neben vielem Glück, doch auch viel von seiner eigenen
Geschicklichkeit und Umsicht ab, ob er zum Schuß kommen wird oder nicht.
Hier in den Bergen ist die Pirsche freilich weit beschwerlicher, und in
mancher Hinsicht auch gefährlicher, als im Walde unten, denn die alten
Gemsböcke suchen sich am allerliebsten die rauhsten Wände in den Klammen
aus, in die sie sich hineinstellen, und von wo aus sie eine weite Strecke
überschauen können -- und dort muß sie der Jäger finden und beschleichen.

Für den Wildstand selber ist aber, besonders wenn eine gewisse Anzahl
Gemsen abgeschossen werden soll, das Treiben weit besser als das öftere
Pirschen. Beim Treiben wird ein Revier einmal durchgegangen, und hat dann
Ruhe -- kehrt die aufgescheuchte Gemse nach einigen Tagen auf ihren Stand
zurück, so findet sie denselben gewohnten Frieden und bleibt. Wird dagegen
oft durch ein und denselben Platz gepirscht, so verjagt der Jäger, wenn er
selber auch vielleicht gar Nichts oder nur wenige Stück zu sehn bekommt,
und scheinbar ganz unbemerkt den Berg durchschlichen hat, doch viel Wild.
Was den Wind von ihm bekommt flieht fast noch ängstlicher, als was ihn
selber sieht, und einen schärferen Geruchssinn als die Gemse, hat wohl kein
Säugethier weiter auf Erden, möge es, welcher Gattung es wolle angehören.

Beim Pirschen hängt das Meiste davon ab früh aufzubrechen. Die Gemse,
ziemlich wie anderes Wild, äst sich Morgens von Tagesanbruch bis etwa
um acht oder neun Uhr, und thut sich dann bis ziemlich genau um zwei Uhr
nieder. Zu dieser Zeit steht sie wieder auf, beginnt aber erst gegen Abend
recht lebendig zu werden.

In der Brunftzeit, die bei kalter Witterung schon gegen Ende Oktober, bei
warmer erst mit dem Monat November beginnt, läuft der Bock allerdings
den ganzen Tag herum, äst sich dann aber nur sehr wenig und paßt
außerordentlich auf.

Beim Pirschen ist es nun allerdings stets und unter jeder Bedingung
am besten, _ganz_ allein zu sein. _Ein_ Mann macht schon überdies beim
Anschleichen Geräusch genug, und zwei verderben oft die Jagd. In den Alpen
aber und auf vollkommen fremdem Revier, noch dazu für den Fall daß etwas
erlegt oder angeschossen wird, bleibt ein Begleiter ein nothwendiges Uebel.
-- Und doch ist es auch wieder eine eigene Lust mit einem solchen Tyroler
Gemsjäger im stillen Wald, in den wilden Bergen pirschen zu gehen.

Diese vor allen anderen sind auch die einzigen und ächten deutschen
Indianer, -- nur daß sie Schuh und Kleider tragen. Abgehärtet gegen Frost
und Hitze, wie nur ein Wilder sein kann, mäßig in ihrer Lebensart bis zum
Aeußersten, einfach in ihren Sitten, leidenschaftlich ihrer Jagd ergeben
und darin Meister -- was um Gottes Willen könnte man von einem wirklichen
Indianer mehr verlangen. Auch ihre Farbe ist nicht viel, wenn überhaupt,
lichter, als die einiger Stämme der Südsee, und was ihre Sinne betrifft, so
haben sie jene Wilden schwerlich schärfer. Nur im Anschleichen könnten sie
von ihnen lernen.

Wie der Pfeil vom Bogen, und dabei geräuschlos wie die Nachteule auf ihre
Beute stößt, gleitet der Indianer, jeden nur irgend möglichen Vortheil des
Terrains benutzend über den Boden hin. Der Bergbewohner ist plumper -- er
tritt fester auf und sein Schritt, auch wenn er sich noch so viele Mühe
giebt leise zu gehen, ist dennoch schwer. Natürlich tragen da die schweren,
eisenbeschlagenen Schuhe das Ihrige dazu bei. Aber eine Wonne ist es, zu
sehn wie so ein Gemsjäger den Wind nimmt, wie sein Blick gleichzeitig über
jede Blöße an den Hängen als auch über den Boden schweift die Fährten zu
beachten; mit welcher Aufmerksamkeit er dabei jedem Geräusch horcht und wie
er, mit einem Worte, so ganz Jäger ist. Jede Bewegung an ihm ist Natur, und
wie der Adler oben in seinem Element auf ruhendem Fittig kreist, wie der
Fisch im Wasser schwimmt, wie das Reh zierlich und leicht durch den Wald
tritt, so leicht und unbehindert, so ganz in _ihrem_ Element, steigen
dieses Kinder der Berge Fels auf und ab, über schräg wegsinkende Lannen,
über bröckelndes Gestein, immer mehr um sich nach Wild, als auf ihren
gefährlichen Pfad schauend.

Aber jetzt fort, drüben die hohen Joche, wenn auch im Thal unten noch
dunkle Nacht liegt, zeigen schon den dämmernden Morgen, und kalt und
frostig zieht uns der erste Sonnengruß durch die Glieder. -- Sonderbar ist
es in der Natur, daß _vor_ dem warmen Licht der Sonne die Luft erst noch
einmal recht kalt, daß vor dem dämmernden Tag die Nacht erst noch einmal
_recht_ dunkel wird.

Unseren Pfad können wir jedoch schon erkennen -- ein guter Pirschsteig
läuft am Hange hin, und gerade mit Büchsenlicht kommen wir dann an
die besten Stellen im Revier -- _zu_ früh kann man da fast gar nicht
aufbrechen.

Mein Begleiter ist diesmal -- den ich schon früher erwähnt habe -- die
Elster unter den Jägern: der große Ragg. -- Er spricht allerdings viel
-- wenn man ihn läßt; aber was sein »Handwerk« angeht, wird er darin
vielleicht nur von seinem Vetter übertroffen. Wo übrigens nicht gesprochen
werden darf, weiß er auch recht gut zu schweigen und vielleicht nur in
dem ernsten stillen Wesen der übrigen Bergjäger scheint das bei ihm
Schwatzhaftigkeit, was man im flachen Lande gar nicht bemerken würde. Die
Berge sind in der That nicht der Ort zum Sprechen. Die stille Ruhe um uns
her fordert zu gleichem Schweigen auf, und jedes, selbst geflüsterte Wort,
scheint den heiligen Frieden dieser Wildniß zu stören.

[Illustration]

Und hier ist wirklich noch _Wildniß_, denn _Urwald_ umgiebt uns in all
seiner einsamen Pracht. Kein Holz wird hier geschlagen; der alte morsche
Baum bricht über seiner Wurzel zusammen und fault wo er gewachsen und
gestanden. Wo der Föhn oftmals ganze Strecken dieser vielarmigen Waldriesen
niedergestreut, liegen sie toll und bunt über einander hin gesäet, und was
eben wachsen will und kann, bricht sich zwischen ihnen hinaus die junge
Bahn.

Aber der umgestürzte Baum hat für uns in diesem Augenblick nur insofern
Interesse, als er mit seinem dichten Wipfel vielleicht eine sich dahinter
äsende Gemse deckt. -- Jeder Stein wird mistrauisch betrachtet, jedes
raschelnde Laub bannt den Horchenden an die Stelle, und erst dann schleicht
er weiter, wenn er sich überzeugt hat daß kein Wild Ursache des Geräusches
war. Wie ein paar Verbrecher, mit dem erbärmlichsten Gewissen von der Welt,
vor jedem fallenden Blatt erschreckend, vorsichtig und ängstlich nach dem
geringsten fremden Ton hinüber horchend, schleichen wir so dahin -- langsam
mit dem umgedrehten Bergstock nieder fühlend, daß er keinen unzeitigen
Lärm mache, sorgfältig den eisenbeschlagenen Schuh auf das Geröll im Pfad
niedersetzend und jeden dürren Zweig, jedes gelbe Blatt dabei vermeidend
-- sind es doch lauter Verräther, und nur zu rasch geneigt ihren alten
Bekannten und Freunden, dem scheuen Wild, Nachricht zu geben daß Jemand
naht, der da nicht hingehört.

So ein dürrer Zweig ist auch wirklich oftmals schlimmer als ein
Telegraphendraht. Er knickt unter dem ungeschickten Fuß -- der Jäger bleibt
erschrocken stehn und wagt sich nicht zu rühren -- aber das Unglück ist
schon geschehn. Ein Alt-Thier vielleicht, mit dem man gar nichts zu thun
haben will, das aber hinter einem Dickicht irgendwo gestanden, hört das
fatale Geräusch und wird aufmerksam. Sehn kann es dabei Nichts, aber der
Verdacht ist einmal gefaßt -- vielleicht trägt gerade jetzt auch ein sehr
unnützer Windzug die Witterung dort hinüber, und schreckend, mit Tönen die
man über eine halbe Stunde weit hört, setzt es den steilen Hang hinab, und
macht den ganzen weiten Berg rege. An Pirschen ist in _der_ Gegend dann
weiter gar nicht zu denken.

Aber wir ziehen vorwärts. -- Da drüben zeigen sich die nackten Felsen einer
weitausgebrochenen Klamm, und dort stellen sich die Gemsen am liebsten ein.
Zwischen dem Geröll wächst spärliches, aber sehr süßes Gras, und ziemlich
offenen Raum haben sie zugleich, nach oben und unten auszuschauen.
Besonders sind diese Klammen ein Lieblingsplatz der alten Böcke, und denen
stellt man ja auch vor Allen nach.

Hier ist aber eine Hauptsache der _Wind_. Wenn dieser auf jeder Jagd eine
sehr bedeutende Rolle spielt, und bei Treibjagen wie Pirsche stets darauf
Rücksicht genommen werden muß, da man das Wild _mit_ dem Wind nun einmal
nicht beschleichen _kann_, so ist das noch viel mehr auf der Gemsjagd der
Fall. Man hat es hier nämlich nicht allein mit einem Wild zu thun, dem an
Geruchssinn kein anderes gleich kommt, sondern die Gebirge selber haben in
ihren Luftströmungen so viele Eigenheiten, daß der mit ihnen nicht betraute
Jäger nur wirklich zufällig einmal ein Stück zum Schuß bekommen würde.

Ziemlich regelmäßige Luftströmungen sind thalauf und thalab, Seitenwinde
finden fast nie, oder nur höchst selten statt. Im Schatten zieht dabei der
Wind stets _nieder_; in der Sonne _auf_wärts, und zwar aus sehr natürlichen
Gründen: die von der Sonne erwärmte Luft strebt nach oben, die kältere
drängt sich ins Thal hinab. Ehe die Sonne über die Berge steigt, und
auf den Hängen, die sie nicht bestreicht, oder nicht erreicht hat, zieht
deshalb die Luft stets bergab, und oben an einem Joch hingehend, würde
man wenig oder gar Nichts zu Schuß bekommen. Man muß sich deshalb tiefer
halten, nach aufwärts sehn zu können, und was oben steht, kann man dann
auch leicht beschleichen -- ist wenigstens sicher daß man den Wind von dort
herunter bekommt. Steigt dann die Sonne, nimmt man den Rückweg oben hin,
und hat denselben Vortheil wie vorher.

Beim Treiben läßt sich diese Eigenschaft besonders gut benutzen, da man
im Stande ist sich den Wind auszusuchen, je nachdem man in eine kühle
schattige Schlucht, oder auf den sonnenbeschienenen Rücken irgend eines
Felsens tritt.

Da es noch früh am Morgen und kühl und frisch war, wo der Wind natürlich
scharf nach unten zog, hielten wir uns ziemlich tief, verließen, sobald
es nur ordentlich hell im Wald geworden, den Pirschpfad und kletterten
vorsichtig den grasigen mit Kiefern und Krummföhren überwachsenen Hang
hinab.

Wie das so still im Walde war -- weit von drüben herüber, von der andern
Seite des Rißthales klang der tiefe Schrei eines Brunfthirsches her
-- sonst fast kein Laut. -- Doch halt ja -- dort oben wo jene schmale
Felsenwand so hoch emporstieg und mit ihren grauen Seiten durch die Bäume
schimmert, balzte ein Birk- oder Spielhahn mit weichen, melodischen Kullern
-- aber die Jäger hören das zu dieser Jahreszeit nicht gern, denn es soll
schlechtes Wetter deuten.

Jetzt haben wir beinah die Klamm erreicht, Ragg wird immer ängstlicher im
Gehen, und jeder Schritt weiter zeigt auch schon mehr und mehr die helleren
Felsen, die übereinander geschichtet und aus gewaltigen Blöcken bestehend,
bis fast oben unter das Joch hinauf ragen. Längst schon haben wir den
Pirschweg verlassen, und steigen lautlos nebeneinander hin, Jeder vollauf
damit beschäftigt den Ort auszusuchen wohin er den Fuß geräuschlos setzen
kann, und hat er den gefunden, einen raschen forschenden Blick umher zu
werfen. Da plötzlich packt er meinen linken Arm und die vorsichtig und
langsam ausgestreckte Hand deutet nach vorn. Der Richtung zu liegt dort
ein dichter Laatschenbusch und der eine Zweig -- wahrhaftig da drin steht
irgend ein Stück Wild, was es auch sei -- der eine Zweig bewegte sich, als
ob irgend etwas Schweres dagegen drückte. _Was_ für Wild, war natürlich
noch nicht zu erkennen.

Leider lag der Busch etwas unter uns, und links abbiegend, von unten herauf
dahin zu kommen, krochen wir jetzt mehr als wir gingen der Stelle zu. Die
Gegend dort war wie gemacht zum Anpirschen, und lockere Felsblöcke, und
umgestürzte, halb verdorrte Stämme bildeten ebensoviele Schutzwehren für
den anschleichenden Jäger. Vorsichtig benutzte ich auch das Terrain nach
besten Kräften, und leise, nachdem ich vielleicht zwanzig Schritt auf den
Knieen gekrochen war einen schräg auflaufenden Fels zu erreichen, hob ich
langsam den Kopf und sah hinüber.

»Mord!« war der mehr gedachte als gemurmelte Fluch, als ich mich plötzlich
einem starken Spießhirsch auf kaum vierzig Schritte gegenüber sah, der
sich hier so ruhig äste, als ob nicht ein scharfgeladenes Rohr hinter dem
nächsten Steine lauerte, und sein leckeres Mahl hätte bös versalzen können.
Aber Hirsche wurden natürlich in dieser Jahreszeit nicht geschossen und der
übrigens ziemlich stark und feist aussehende Bursche hätte uns die ganze
Jagd verderben können.

Vorsichtig vor allen Dingen wieder hinter meinen Stein zurückkriechend,
telegraphirte ich dem mir aufmerksam zuschauenden Ragg die unangenehme
Botschaft hinunter, und dieser kam jetzt langsam heraufgeschlichen. -- Was
nun thun? Zeigten wir uns, so brach der derbe Bursche hier ganz in der Nähe
der Klamm durch das Dickicht, und wenn er nicht einmal schreckte, warnte er
doch jedenfalls alle dort herum stehenden Gemsen, und verdarb uns die Jagd.
Es blieb uns nichts anders übrig als ihm aus dem Weg zu gehn, und mit einer
Aufmerksamkeit und zarten Rücksicht für seine Ruhe und ungestörte Mahlzeit
die ihn hätte innig rühren müssen, wenn es ihm nur verstattet gewesen wäre
uns zu beobachten, krochen wir jetzt zurück wie wir hinaufgeschlichen,
tiefer hinab ihm aus den Weg zu kommen.

[Illustration]

Das gelang auch vollkommen und etwa vier- oder fünfhundert Schritt tiefer
unten näherten wir uns endlich dem wirklichen Rand der Klamm, der gerade
an dieser Stelle von einem mit Laatschen bewachsenen Felsenvorsprung
überhangen wurde.

Zum Abäugen gab es keinen bessern Platz, und vorsichtig krochen wir, die
Hüte und Stöcke abgelegt, ich nur mit der Büchse im Anschlag hinaus, die
untere Schlucht von hier zu übersehen.

Dort stand ein Bock -- da drüben an der Wand, gleich unter ein paar kleinen
mit gelbem Laub noch spärlich bedeckten Espen. Das wenige Gras abäsend,
das in der Spitze von zwei dort von verschiedenen Seiten niederspringenden
Bächen wuchs, ging er langsam umher, vorsichtig dabei oben hinauf windend,
und den Blick zugleich, mit dem halb schräg gedrehten Kopf, nach der Tiefe
drehend. Aber er schien das mehr aus alter Gewohnheit zu thun, als daß
er wirklich eine Gefahr gefürchtet hätte. Der Morgen war so still, die
Schlucht lag so ruhig, und so lange hatte Nichts den Frieden hier gestört
-- armer Bock -- es geht uns Menschen eben so. Die Gefahr naht gerade da am
liebsten, wo wir sie am allerwenigsten erwarten, und gut für uns dann, wenn
sie uns gerüstet findet.

Unser Schlachtplan war bald entworfen. Ragg wollte zwar gern, wie es
gewöhnlich die Jäger in den Bergen thun wenn zwei zusammen pirschen
gehn, mich hinunter auf den Wechsel schicken, und dann selber oben hinum
schleichen und dem Bock in den Wind kommen, oder sich auch zeigen, wodurch
er ihn mir dann vielleicht hinunter getrieben hätte. Durch das Anpirschen
an den verwünschten Spießer war aber schon ein guter Theil des Morgens
verloren gegangen, und da er einen tüchtigen Umweg hätte machen, und ich
selber an die andere Seite der Klamm hinüber klettern müssen, an der der
Wechsel lag, blieb es immer die Frage, ob wir nicht doch zu spät kommen
würden. Ueberdies äste sich der Bock gegen den Wind hinauf. So beschloß ich
denn mein Glück mit Anschleichen zu versuchen und rasch zogen wir uns jetzt
von unserem Ausguck zurück, unterhalb desselben eine gedeckte Stelle zu
finden an der ich in die schroffe Klamm hinabsteigen konnte.

Das gab ein bös Stück Arbeit. Durch einen ziemlich weit hineinragenden
Vorsprung gleich unterhalb verdeckt, war allerdings hier keine Gefahr daß
uns der Bock hätte sehn können, und den Wind bekam er eben so wenig, denn
der wehte noch scharf und stät die Klamm nieder, aber wie an einer Wand
ging es hinab, und mit der Büchse auf dem Rücken, die den Ungeübten oft im
Klettern hindert, war die Sache doch viel leichter berathen als ausgeführt.
Ueberdem steigt es sich zehnmal besser bergauf, als in die Tiefe nieder.
Aber dort stand der Bock und hinunter mußte ich; so die Zähne zusammen
beißend und den Bergstock, als treuen Helfer fest in den steinigen, mit
lockerem Geröll bedeckten Boden stemmend, ging die Fahrt zu Thal. Manchmal
löste sich, trotz aller Vorsicht, ein kleiner Stein, und rollte polternd
in die Tiefe, aber theils waren wir noch zu weit von der Gemse entfernt,
theils achten auch die Thiere auf _dies_ Geräusch, das sie in den Bergen
gewohnt sind, nicht sonderlich viel. Fortwährend lösen sich in diesen
steilen Hängen, besonders nach feuchtem Wetter, kleine und größere Steine
los, und auf den größeren Reißen klappern sie fast ununterbrochen fort.

Hier nun eine Laatsche ergreifend, mit Hülfe ihrer zähen Zweige ein Stück
hinab zu kommen, dort mit dem eingestemmten Stock niederrutschend und jeden
vorspringenden Stein aufmerksam benutzend, den Fuß darauf zu ruhen, kamen
wir endlich glücklich unten an. Ob der Bock freilich noch oben stand oder
nicht, ließ sich von da aus nicht mehr erkennen. Da er sich aber dicht an
dem sprudelnden Bach geäst, wo das Geräusch des Wassers schon selber Vieles
übertäubt, hatten wir die Hoffnung daß er unsere Niederfahrt nicht gehört,
und folgten nun selber dem Bach rascher und zuversichtlicher aufwärts.

So leicht und glatt jedoch dieser Theil des Weges von oben ausgesehn hatte,
so schwierig fanden wir ihn hier. Riesige Felsblöcke lagen überall umher
zerstreut, und hie und da schlossen die Wände diese so eng ein, daß sich
das Wasser über sie hin den Weg bahnte -- und diesem schlüpfrigen Pfad
mußten wir folgen. Was that's -- wenn nur der Fuß und Bergstock sich da
einklammern konnte, die Nässe kümmerte uns Nichts, und mühselig aber doch
ziemlich rasch arbeiteten wir uns aufwärts.

»Dort stehn die Espen,« flüsterte mir da mein Begleiter zu; und schon
konnten wir die Wipfel der beiden kleinen Bäume, dicht über denen wir den
Bock zuletzt gesehn, auf ungefähr zweihundert Schritt Entfernung erkennen.

Wie mir das Herz da an zu klopfen fing -- wie der Athem so schwer wurde
-- aber vorwärts. Jeder Augenblick nutzlosen Säumens konnte uns das Wild
verlieren lassen, und der ganze mühselige Weg wäre umsonst gewesen.

[Illustration]

Hier lief die Schlucht auf kurze Strecke glatt und gerade aus, und gleich
darüber zog sich ein kleiner, spärlich mit Laatschen und Erlen bewachsener
Hang empor. Dem mußten wir folgen. Der Boden war auch weich hier und zum
Anpirschen trefflich, und von dem oberen Theil des Hangs blieb höchstens
noch eine Strecke von etwa sechzig Schritt bis zu den Espen. In wenigen
Minuten war die zurückgelegt. --

Jetzt hatte ich den höchsten Punkt erreicht -- ein paar Felsblöcke dicht
vor mir sperrten noch die Aussicht auf den kleinen Grasfleck auf dem der
Bock stehen mußte, wenn er nicht schon vorher das Weite gesucht; aber zu
ihnen anpirschend brachten sie mich ihm auch soviel näher. -- Mir war dabei
zu Muthe, als ob mir Jemand die Kehle mit Gewalt zuschnüre; ich konnte
keine Luft bekommen und drückte mich hinter dem einen Felsen nieder, erst
wieder ruhig zu werden.

Ragg sah aber die Bewegung, und als ich den Kopf nach ihm umdrehte
geberdete er sich, ohne jedoch den geringsten Laut von sich zu geben, wie
ein Rasender. Vorsichtig auf den Boden niedergedrückt, gesticulirte er
nämlich mit beiden Armen auf alle mögliche Art und Weise daß ich schießen
solle; er hatte jedenfalls den Bock gesehn. -- Zeit war auch in der That
nicht mehr zu verlieren, und die Zähne aufeinander beißend, spannte ich
rasch und geräuschlos die Büchse, nahm sie in Anschlag und -- da prasselte
und polterte es in den Steinen, der Bock ging flüchtig, und wie ich jetzt
mit einem verzweifelten Satz hinter dem mich bergenden Steine vorsprang,
sah ich eben noch, wie einen Schatten, den schwarzen Körper des Wildes im
Laatschendickicht verschwinden.

»Jesus Maria und Joseph!« hörte ich hinter mir die verzweifelte Stimme
meines Begleiters, aber ohne mich nach ihm umzusehn, übersprang ich rasch
den kleinen Grasfleck, von dort aus vielleicht den Bock noch irgendwo an
der Wand, wenn auch flüchtig, erkennen zu können. So rasch vermochte er
doch nicht daran hinauf zu laufen, daß ihn die Kugel nicht noch erreicht
hätte. Da bröckelte gerad' über mir ein Stein, und wie ich aufschaute sah
ich den Bock der eben an der Spitze einer niederlaufenden Laatschenzunge
einen kleinen Vorsprung erreicht, dort einen Augenblick hielt und seinen
scharfen warnenden Pfiff ausstieß. Gerade als er sich wandte, mit einem
Satz das schützende Laatschendickicht, das ihn jeder weiteren Verfolgung
entzogen hätte, zu gewinnen, schickte ich ihm meine Kugel hinauf. Als sich
der Rauch verzog, war er verschwunden.

»Den haben Sie heilig gefehlt!« schrie aber jetzt der herbeispringende
Ragg, und machte Bewegungen dabei als ob er sich nur erst geschwind die
Arme ausrenken wollte, ehe er aus der Haut führe.

Ich hatte zu rasch gezielt meiner Sache ganz sicher zu sein, und mochte
wohl etwas kleinlaut aussehn.

»Aber um Gottes Willen, haben Sie ihn denn nicht gesehn, wie er da
hinter dem Steine stand? -- breit -- _so_ Sie hätten ihn mit einem Stein
todtwerfen können.«

»Aber ich stak ja auch hinter den Steinen, Ragg, und konnte ihn von dort
aus nicht sehn.«

»O Jesus, o Jesus!« lamentirte der Jäger und schlenkerte den Kopf herüber
und hinüber.

Der scharfe Pfiff einer Gemse, oben aus den Laatschen antwortete ihm.

»Na ja, da geht er hin -- dem thut kein Haar weh!«

»Aber wollen wir nicht einmal auf den Anschuß sehn? Ich _muß_ ihn getroffen
haben.«

Ragg erwiederte Nichts, seufzte nur tief auf, drückte den Hut -- den er
abgenommen hatte sich bequemer kratzen zu können -- wieder auf den Kopf,
warf sich die Büchse um und stieg mit einer Miene die steile Wand hinauf,
als ob er hätte sagen wollen: -- »Na ja, nachsehn muß ich, das ist meine
Schuldigkeit, aber die Gemse die ich da oben finde, freß ich mit Haut und
Haar.«

»Und soll ich nicht mitgehn, Ragg?«

Er schüttelte mit der Hand -- das gewöhnliche Zeichen für _nein_ unter den
Jägern und setzte dann, sich halb umdrehend hinzu -- »es geht sich hier
nicht besonders bequem, und wir müssen doch nachher an die andere Seite der
Klamm hinüber.« --

»Es geht sich hier nicht besonders bequem,« -- es war eine völlig
senkrechte, etwa sieben Fuß hohe Wand, an der er sich nur mit Hülfe einiger
kleiner Laatschenbüsche hinaufarbeitete. Ueber dieser hatte er aber etwas
bequemere Bahn, und während ich ihm von unten zusah, und meine Büchse
dabei wieder lud, erreichte er den Platz auf dem die Gemse, als ich feuerte
gehalten. Er blieb oben aufrecht stehn, und sah sich rings am Boden um.

[Illustration]

»Ein klein wenig mehr links, Ragg!«

Das fatale Schütteln mit der Hand war die einzige Antwort. _Gefehlt!_
es war wirklich zum aus der Haut fahren, und _damit_ die ganze schöne
Morgenpirsche verdorben, denn hier in der Klamm war nun Nichts mehr zu
machen. Plötzlich bog er sich auf den Boden nieder und hob ein Blatt auf,
das er genau besah, und mit dem Finger abwischte. Um mein Leben gern
hätt' ich gerufen »Schweiß?« -- aber ich fürchtete das nichtswürdige
Handschütteln. In dem Augenblick war Ragg auch in den Laatschen
verschwunden, und in peinlicher Ungewißheit blieb ich in der Klamm zurück.

Da bröckelte weiter oben ein Stein. -- Etwa hundert Schritt höher die Klamm
hinauf, wo sich ein Arm derselben rechts ab und in das Joch hineinzog,
war ein anderer kahler Vorsprung -- dort hing Ragg am oberen Rande und
schwenkte den Hut.

»Der Bock?«

»Hier liegt er!«

Wie ich die Wand hinaufgekommen bin weiß ich heute noch nicht, aber oben
war ich, und dort lag der Bock -- ein prächtiger starker, etwa vierjähriger
Bursche, gerade auf's Blatt geschossen -- aber _ohne_ Bart. Die langen
Rückenhaare schienen gänzlich zu fehlen. Freilich auf sehr natürliche Art,
denn Ragg hatte sie schon, wie sein Vetter früher, in Papier gewickelt in
der Tasche -- mußte sie indessen ebenfalls wieder herausgeben.

Den Bock schafften wir jetzt zusammen zum Wasser hinunter, hingen ihn dort
mit den Krickeln an einen niedergebogenen Erlenbusch, und waideten ihn
aus. Ragg schnürte ihn dann in seinen Bergsack, und still dabei vor sich
hinlachend daß wir ihn doch erwischt -- denn die Jäger setzen einen Stolz
darein, wenn sie mit Jemand pirschen gehn ihn auch zum Schuß zu bringen
-- kletterten wir auf der anderen Seite der Klamm hinaus, nach einer
Nachbarschlucht hinüberzuhalten, und dort unser Glück noch einmal zu
versuchen.

Ragg schwamm jetzt in seinem Element und erzählte eine Jagdanekdote nach
der andern: wie er mit dem und jenem Herrn gepirscht wäre und das und das
erlebt, und wenn ich ihn bat ruhig zu sein, da wir hier doch
vielleicht Gemsen antreffen könnten, beruhigte er sich stets mit einem
zuversichtlichen -- »ah, hier ist Nichts.«

Die Folge davon war daß uns bald darauf wieder ein einzelner Bock anpfiff,
und den Hang hinauffloh. Auf etwa fünf Minuten brachte ihn das zum
Schweigen, dann aber fing er von vorne an, und ließ sich auch nicht wieder
irre machen. Einmal über das andere lobte er aber dabei meine Fertigkeit
im Steigen -- die gewöhnliche Bergschmeichelei. Wenn ein Schütz aus dem
flachen Lande mit einem Bergjäger zusammengeht, und nur einigermaßen vom
Fleck kommt, macht ihm schon der Mann die größten Elogen was er für ein
vortrefflicher Steiger sei, und denkt sich dabei: »na Du solltest einmal
mit mir da und dort hin gehn, da würdest Du schön hängen bleiben.« -- Es
ist das gewissermaßen ihr Kleingeld im Verkehr mit der Civilisation, mit
dem sie sich Cigarren und Guldenstücke eintauschen.

Ich will ihnen aber auch nicht Unrecht thun; bei Manchen mag es wirklich
Ernst sein, und sie haben sich die flachen Landbewohner so steif und
ungeschickt gedacht, daß sie schon auf's Aeußerste erstaunt sind wenn sie
außer den Pirschpfaden nur mit fortkommen und deshalb rechnen sie ihnen das
geringste Außergewöhnliche vielleicht schon so hoch an.

»Und ich dachte heilig Sie hätten ihn gefehlt,« wiederholte er wieder und
wieder. -- »Er sprang mir gar so geschwind in die Laatschen hinein. Es wär'
aber eine Schand gewesen, wenn wir _den_ Bock nicht gekriegt hätten.«

Seine Last im Bergsack schien ihn nicht im Geringsten zu stören, und rasch
und munter, viel zu rasch und munter für einen Pirschgang, schritten wir
vorwärts bis zur nächsten Klamm.

Die Sonne war indessen höher gestiegen und warf auf die ziemlich dünn
bewachsene Seitenwand des Berges ihren vollen Strahl. Wir hatten uns auch
die letzte Stunde höher und höher hinaufgehalten, den Vortheil des jetzt
aufziehenden Windes zu haben. So erreichten wir den oberen Theil der
Nachbarschlucht, und mit ihr den Pirschweg wieder, der drüben hinlief,
postirten uns gedeckt an den Rand und äugten mit unseren Gläsern den
inneren Theil der Klamm sorgfältig ab.

Ragg hatte aufmerksam den unteren Theil abgesucht aber Nichts gefunden, als
ich zufällig gerade hinunter schaute und dort, etwa sechshundert Schritt
unter uns, einen alten Bock mitten in der Wand stehen sah, der hier schon
heraufgestiegen schien seine Siesta nach eingenommenem Mahl zu halten. Ein
Wink genügte für den Jäger, und wir Beide beobachteten jetzt aufmerksam den
alten Burschen, der gar so ernst und ehrbar den weiß gestreiften Kopf nach
rechts und links und in die Tiefe drehte, nur nicht ein einziges Mal nach
oben blickte.

Ragg war mit seinem Plan bald fertig.

»Wenn wir Zeit hätten,« sagte er, nach seiner dicken silbernen Taschenuhr
sehend, »so blieben wir hier ruhig bis um zwei Uhr liegen. Der Bock
thut sich jetzt nieder und steht bis dahin wieder auf, wo er dann leicht
überredet werden könnte hier herauf zu kommen. Wenn wir aber um vier Uhr
in der Riß sein wollen, müssen wir früher Anstalt machen. Erst können wir
indessen abwarten was er vor hat; ob er da gedenkt sitzen zu bleiben, oder
nicht.«

Ohne Weiteres warf er jetzt seinen Bergsack mit dem Bock zu Boden, seinen
Hut und sich selbst daneben und holte aus der Tasche das mitgenommene
Frühstück hervor, die Zeit die uns hier blieb, wenigstens so zweckmäßig als
möglich zu verwenden. Ich folgte seinem Beispiel.




7.

Ragg's Erzählung vom Wilderer.


»Sehn Sie die Laatsche da drüben?« nahm da Ragg das Gespräch, das aber
jetzt mit unterdrückter Stimme geführt wurde, wieder auf -- »gleich die da
drüben; die, wo das Dickicht bis zum Abgrund hinläuft, hinüber hängt?«

»Ja, Ragg -- aber ich kann da drüben Nichts erkennen.«

»Ist auch _jetzt_ nichts mehr da zu sehn« sagte er, leise dabei vor sich
hin lachend, »fünf Jahre sind's aber jetzt, da hat die eine Laatsche, die
dort über die steile Wand hinüber hängt, einem Malefizkerl von Wilderer
einmal einen großen Gefallen gethan.«

»Einem Wilderer?«

»Ich und der Wastel« erzählte Ragg jetzt weiter, nachdem er erst noch
einmal einen vorsichtigen Blick nach unten geworfen, ob der Bock noch
dastände, »waren drüben am Scharfreuter gewesen, und an der Grenze
hingegangen, theils zu sehn ob das Wild dort viel herüber wechsele, theils
auch umzuschauen ob wir keine fremde Fährten finden könnten, denn daß hier
Wilddiebe von Baiern herüber kämen hatten wir schon gehört. Den Morgen um
neun Uhr etwa war ein leichter Schnee gefallen, und es schneite noch in
dünnen, einzelnen Flocken, als wir oben an der Luderstauden, gerade wo
die oberste Klamm gegen das Joch vorläuft, eine ganz frische Mannsfährte
fanden, die keiner von uns kannte. Das konnte niemand anders als ein
Wilderer sein, und während Einer die Fährte hielt, während der Andere
scharf umher schaute, ob er den Burschen nicht vielleicht so, aus freier
Hand entdeckte, folgten wir so rasch und leise wir konnten.

»Das ging nun allerdings gut, so lange wir oben am Joch blieben, denn dort
lag wenigstens Schnee genug zum Spüren, der Malefizkerl hatte das aber auch
wohl bedacht und war in eine der nächsten Klammen hinein, und Gott weiß wie
darin herum gestiegen, so daß wir auf den kahlen Steinen zuletzt die Spur
verloren, und nun nicht wußten wo er geblieben war. Wastel wollte nun zwar
wir sollten uns trennen und nach verschiedenen Seiten suchen. Hatte er sich
aber irgend wo eingedrückt und sah uns anpirschen, so wäre ein Einzelner
verloren gewesen; auf zwei schießen die Schufte aber nicht so gleich.«

»Hanthiert nur nicht so mit den Händen, Ragg, Ihr liegt überhaupt zu nah
an der Wand, und wenn der Bock einmal den Kopf hier herauf dreht, muß er ja
die helle Hand in der Sonne herum fahren sehn.«

»Der steht noch baumfest« erwiederte der Jäger, indem er einen Blick
hinunter warf, und dann einen halben Schritt von dem Rand des Hanges
wegrutschte.

»Und der Wilddieb?«

»Warten Sie nur -- die Fährten nahmen im Ganzen die Richtung nach dem
Leckbach zu. Wastel glaubte nun freilich nicht daß er sich soweit von
der Grenze weggemacht hätte. Das blieb sich aber ganz gleich, Grenze oder
nicht, denn drüben auf königlichem Gebiet hatte er jedenfalls eben so wenig
Recht zu jagen wie hier, und erwischten ihn _die_ Jäger, so ging's ihm
nicht um ein Haar besser, als wenn wir ihn kriegten. Wir äugten also aus
dem Wald heraus, die ganze Leckbach sorgfältig ab, spürten noch einmal über
das Joch hinüber, auf dem Schnee, und mußten endlich glauben, er habe uns
vielleicht irgendwo auf seiner Spur gesehn, und sei wieder in das andere
Revier, wohin wir ihm nicht folgen durften, zurückgewechselt. Viel Zeit
hatten wir übrigens auch nicht mehr zu verlieren, denn wir wollten die
Nacht noch nach der Grasberg Alm, und mit dem Umhersuchen war der Tag
ziemlich drauf gegangen. So stiegen wir denn rasch hinter einander her
aufwärts, als mich der Wastel plötzlich, ohne ein Wort zu sagen, am Arm
packt, und dort hinauf zeigte, etwa in die Gegend, wo der dürre Baum da
oben auf der schmalen Lanne steht. Ich guckte hin, und kauerte da nicht der
verdammte Hallunke so ruhig auf einem umgefallenen Baum, und kaute an einer
Brodrinde, oder irgend etwas anderem, als ob er daheim in seiner Hütte, und
nicht mit der Büchse auf einem fremden Revier säße?«

»Der kann nicht mehr fort« flüsterte mir dabei der Wastel zu -- »ich
springe hier unten herum, Du von der Seite hinauf, und dann haben wir ihn
in der Mitte -- vorn ist die Klamm, und da kann nicht einmal ein Gemsbock
hinunter!«

»Wie wir ihn nur erst gewahr wurden, hatten wir uns gleich hinter einen
Laatschenbusch gedrückt, und ohne weiter ein Wort zu reden, rutschte der
Wastel ein Stück auf der Erde fort, bis er in einen kleinen Graben kam. Den
annehmend, schnitt er dem Wilderer den Weg von jener Seite ab, denn hätte
der's erzwingen wollen, braucht' er ihn ja nur über den Haufen zu schießen.
Mir konnt' er auch nicht mehr wegkommen, und wie ich sah daß der Wastel
war wo er sein sollte, pirscht ich mich noch vorsichtig auf etwa hundert
Schritt von dem Burschen an, legte dann meinen Hut, Bergsack und Stock
ab, nahm die Büchse herunter, und sprang was ich springen konnte den Berg
hinauf.

»Ich hatte noch keine drei Sätze gethan, da fuhr er schon mit dem Kopf
herum -- der Art Gesellen haben ein schlecht Gewissen -- und mich sehn,
aufspringen und die Büchse an den Backen reißen, war das Werk eines
Augenblicks. Zu gleicher Zeit schrie ihm aber auch Wastel sein drohendes
»Halloh« entgegen und wie er den zweiten Mann sah, und nun wohl merkte daß
es ihm an den Kragen ging, setzte er die Büchse erschrocken ab. Ich hätte
ihn jetzt bequem umschießen können,« fuhr Ragg ruhig fort, »aber wir
wollten ihn gern lebendig haben, und -- wenn's nicht gerade sein _muß_,
ist's doch immer eine häßliche Geschichte. So also schrie ich dem Burschen
zu: seine Büchse fort zu werfen, oder er wäre ein todter Mann, und sprang
zu gleicher Zeit wieder rasch auf ihn ein. Daran dachte er aber nicht, und
umdrehn und in die nächsten Laatschen hineinfahren, war im Nu geschehn.

[Illustration]

»An manchem andern Platz wäre das nun vielleicht recht gut gegangen, denn
Jemanden durch die Laatschen zu verfolgen, ist ein verzweifelt mühselig
Ding; hier aber mußte er keinesfalls wissen, wohin die führten. Der ganze
Laatschenstreifen war keine zwanzig Fuß breit, und unter ihnen weg sank der
Abgrund, während der Wastel und ich den einzigen Ausweg, der nach rechts
und links abführte, leicht überschießen konnten.

»Jetzt haben wir ihn« schrie Wastel auch, als er vorwärtssprang und in die
Laatschen mit hinein setzte, -- »pass' nur da draußen auf, Ragg, daß er
nicht über die Lanne springt!« -- Aber er kam nicht weiter -- ein furchtbar
gellender Schrei tönte plötzlich vom Rand der Klamm herüber und als wir
erschreckt und lautlos halten blieben, hörten wir erst unten etwas hartes
gegen die Felsen schlagen, und gleich darauf schallte der Schuß der durch
den Sturz losgegangenen Büchse zu uns herauf.

»Gott sei seiner armen Seele gnädig« sagte der Wastel und drehte sich
schaudernd um. -- Wir Beide standen jetzt still und horchten, aber Nichts
ließ sich hören.

»Ob man wohl hinunter sehen kann?« sagte ich endlich.

»Ich mag's nicht sehn« meinte der Wastel -- »ich hab' genug an dem Schuß.«

»Ich arbeitete mich jetzt durch die Laatschen durch, wo ich gleich vorn
den Hut des Wilderers fand. Wie ich aber an den Rand kam, hingen die Zweige
tief darüber hinunter und zwischen der Wurzel der einen durch, bröckelte
das Gestein los, und stürzte mit hohlem Fall in den Abgrund nieder. Ich
stand auf den Zweigen schon über der Tiefe. Es wurde mir unheimlich da
draußen und ich kroch zum Wastel zurück.

»Wollen wir hinunter klettern und nachsehn?« sagte ich endlich. Der Wastel
erwiederte Nichts, wir warfen unsere Büchsen über den Rücken und stiegen
thalab, mußten auch einen großen Umweg machen unten hinein zu kommen, und
es mochte immer eine Stunde darüber hingegangen sein, eh' wir den Platz
erreichten. Indessen hatte es stärker an zu schneien gefangen, und der
Wind heulte so häßlich durch die hohle Klamm -- es war ein gar so fatales
Gefühl, da unten nach einem zerschmetterten Menschen zu suchen. _Wir_
hatten ihn aber doch nicht umgebracht, er war selber dahinunter gesprungen,
und wenn wir ihn auch dazu getrieben, ei, was zum Teufel hatte er auf
fremdem Revier zu suchen.«

»Da liegt die Büchse« sagte der Wastel plötzlich, -- der Kolben war
abgebrochen, und das Gewehr durch den Sturz losgegangen -- aber wo war
der Wilderer? Gerad in die Höh' konnte man bis oben hinauf unter die
überhängenden Laatschen sehn, an ein Anhalten unterwegs war nicht zu
denken, die Wand bog sich dort sogar nach innen, und selbst der Bergstock
lag etwa zehn Schritt von der Büchse entfernt -- aber kein Blutfleck, auf
dem der dünne fallende Schnee in keinem Fall liegen geblieben wäre. Oben
durch war er auch nicht gekommen, so lange wir oben standen, und wir
zerbrachen uns jetzt den Kopf, was aus dem Burschen geworden sein könne.
Gewißheit _mußten_ wir aber darüber haben. Wastel nahm deshalb das
zerbrochene Gewehr, ich den Stock, und wir ließen uns die Müh' nicht
verdrießen und kletterten noch einmal hinauf. Hol's der Deixel, der Vogel
war ausgeflogen, und zwar seit wir den Fleck verlassen hatten, denn die
ganz frische Spur im »Neuen« ließ auch nicht den mindesten Zweifel darüber.
Todesangst mußte er aber in der Zeit daß wir oben suchten ausgestanden
haben, denn wie wir jetzt Alles ablegten und vorsichtig dahinauskrochen,
woher die Spur kam, fanden wir daß er die ganze Zeit über, und bis wir fort
waren, da _draußen_ über dem Abgrund, an den Zweigen des Laatschenbusches
_gehangen_ haben mußte. _Außen_ an der Wand waren die Spuren seiner
Fußspitzen, als er sich wieder hinaufgearbeitet, und wenn einer von
den dünnen Zweigen gebrochen oder ihm nur die Hand ausgerutscht oder
»verkrampft« wäre, lag er unten bei seinem Gewehr, den Hals wie den Kolben
gebrochen.«

Ragg hatte die ganze Geschichte in einem, nur ihm allein von allen Jägern
eigenthümlichen, schauerlichen Bergdialekt und mit flüsternder Stimme
erzählt, wobei man wirklich mit peinlicher Aufmerksamkeit zuhören mußte, zu
verstehn was er meinte. Vorsichtig schaute er dabei dann und wann über den
Hang hinunter, den Bock nicht aus den Augen zu verlieren. Der stand aber
noch baumfest da unten und rührte und regte sich nicht.

»Und habt Ihr nie erfahren wer der Wilderer war?«

Ragg schüttelte den Kopf und meinte, still dabei vor sich hinlachend: »Der
ist damals mit ausgerupften Federn davongekommen, wird aber wohl an der
Lektion über dem Abgrund dadrüben genug gehabt haben. Wir haben ihn hier
drüben wenigstens nie wieder gespürt. Uebrigens« -- setzte er, leise mit
dem Finger dabei drohend hinzu -- »wußte er auch wohl _warum_, und daß wir
ihn jetzt kannten. Wo er sich wieder hätt' sehn lassen, wär' ihm eine Kugel
gewiß gewesen.«

Ragg prahlte nicht im Mindesten; es herrscht zwischen den Jägern und
Wilderern im Gebirge noch ein so romantisches und vollkommen ausgebildetes
Faustrecht, wie es sich der Dichter, der die Poesie ganz aus der
Wirklichkeit verschwunden wähnt, gar nicht besser wünschen könnte. Wo sich
Jäger und Wildschütz im Berg begegnen, ist es zwischen Beiden eine Sache
auf Tod und Leben, und wer am schnellsten die Büchse an den Backen reißt,
und den Anderen über den Haufen schießt, hat gewonnen. Der Jäger ist
allerdings stets im Vortheil, denn er hat für alle Fälle das Gesetz auf
seiner Seite; draußen auf Gottes freier Alm aber, und mit den wilden Bergen
um sich her, wo alle »Civil- und Militairbehörden umsonst ersucht werden
dem mit rechtsgültigen Paß Reisenden, nöthigenfalls Schutz angedeihen zu
lassen,« hülfe ihm das oft gar wenig, wenn er nicht, _außer_ dem Gesetz
auch noch die eigene Waffe bei sich führte, mit der er den auf ihn
anlegenden Wilderer rasch und für immer unschädlich macht.

Daß er es thut, kann ihm auch Niemand verdenken, denn sein eigenes Leben
ist in jedem Fall, wo er einem Wilderer begegnet, mehr als _bedroht_ -- es
ist ernstlich gefährdet. Ob der Mann da drüben, den er mit der Kugel in den
Abgrund wirft, daheim Weib und Kind hat, die ohne dem Ernährer verderben
müssen, was kümmert's ihn -- auch er hat Weib und Kind daheim, und denen
sich zu erhalten ist ihm erste Pflicht.

Das klingt nun vielleicht im ersten Augenblick recht schwer und
schrecklich, daß, einer einzigen Gemse wegen, so manches Leben genommen,
so manche Familie unglücklich und elend gemacht wird, aber wollen wir nicht
alle Gesetze von Mein und Dein aufheben, soll überhaupt noch ferner ein
Eigenthumsrecht auf der Welt bestehn und dies vom Staat geschützt werden,
so darf den Leuten eben das Wilderen nicht gestattet werden, und _sanfte_
Mittel reichten nimmer aus, es zu verhindern. Wo so ein Gemsjäger den
eigenen Hals mit Vergnügen riskirt in Nacht und Nebel in den Gebirgen umher
zu klettern, ein Gemsthier zu erlegen, würde er sich wahrlich durch ein
paar Wochen darauf gesetzte Strafe nicht abhalten lassen -- und in wenigen
Jahren wären die Berge leer.

»Und welch ein Unglück wäre _das_?« hör' ich Viele sagen, »lieber alle
Gemsen der Welt, als ein einziges Menschenleben.« Es ist das eine von den
Phrasen, die scheinbar die ganze Humanität auf ihrer Seite haben und doch
nicht wahr sind. Die Burschen die sich einmal an das Leben eines Wilderers
gewöhnt haben, sind, so lange ihnen solch wildes Treiben ihr Dasein fristen
kann, zu jeder anderen ruhigeren und stäten Beschäftigung verdorben,
und fehlten ihnen die Gemsen oder das Wild in den Bergen, so nehmen sie
Anderes, was sie grad' bekommen können. Gestattet man ihnen aber das Recht
Gemsen und Wild zu schießen, warum denn nicht auch Ziegen, Schafe und
Rinder? Das Rothwild muß so gut im Winter gefüttert werden, als das zahme
Vieh und warum soll der Besitzer von _wilden_ Heerden nicht ebenso in
seinem Recht geschützt sein wie der von zahmen? Der Polizeidiener, der in
irgend einer Stadt einen Dieb auf frischer That ertappt und den Gerichten,
dem Zuchthaus überliefert, ruft über die Häupter der unschuldigen Familie
des Unglücklichen eben so viel Noth und Elend herein, mit Schande noch
dazu in den Kauf, als der Jäger, der den Wilddieb niederschießt. Der
Polizeidiener sah dabei nicht einmal sein eigenes Leben gefährdet, und
trotzdem wird es Niemandem einfallen ihn zu tadeln und zu verdammen.

Das ist übrigens eine Sache, die Jäger und Wilddiebe ganz allein unter
einander ausmachen. Der Letztere, wenn er mit der Büchse in die Berge
geht, weiß ganz genau welcher Gefahr er sich aussetzt, und ist meist von
vornherein entschlossen ihr eben mit den Waffen in der Hand zu begegnen.
Wie der Dieb, der Nachts in ein Haus einbricht und das Messer dabei
im Gürtel stecken hat, verübt er gewiß keinen Mord, wenn er bei seinem
Geschäft nicht gestört wird. Ertappt man ihn aber und will ihn festhalten,
oder sieht er selbst nur die Gefahr erkannt und verrathen zu werden, dann
wird aus dem einfachen Räuber auch ein _Mörder_.

Daß die Gefahr des Steigens in den Bergen, und die Möglichkeit eines
zufälligen Sturzes der Leidenschaft wilder Herzen auch wohl dann und wann
Vorschub leistet, und manche rasche dunkle That befördert und verdeckt, ist
wohl leicht erklärlich. Die tiefen oft vollkommen unzugänglichen Schluchten
sind dabei ein sicheres Grab, das nur der Jochgeier und Kolkrabe findet und
heimsucht, ekle Stücken Beute von dort seinem Horste zuzutragen.

Aber der Bock?

Dort unten stand er noch so still und regungslos, was den Körper wenigstens
betraf, wie ein wirklich künstlich ausgestopfter und aus irgend einer
Liebhaberei gerade hier hergestellter Gemsbock. Nur der weiß gestreifte
Kopf schien Leben zu haben, und bewegte sich langsam bald nach dieser bald
nach jener Seite.

»Da unten stehn jedenfalls Gemsen« flüsterte Ragg endlich, nachdem wir ihn
wieder eine ganze Zeit lang schweigend beobachtet hatten, »es wird doch am
Ende besser sein ich steige hinunter, und sehe zu daß ich ihn hier herauf
bringe -- der Wechsel ist gleich dort drüben an der kleinen Kiefer.«

Ragg ging nicht gern fort, denn er liebte es sich auszusprechen. Der
Wunsch den Bock noch zu bekommen war aber doch stärker und überwand seine
Schwatzhaftigkeit. So seinen Bergsack wieder schulternd, und Hut, Stock und
Büchse vom Boden aufgreifend, gab er mir noch eine unbestimmte Anzahl von
Vorsichtsmaßregeln, und verschwand dann im Dickicht, den nöthigen Umweg zu
machen und dem Wild später unten in der Klamm in den Wind zu kommen.

Ich lag indessen oben, unter dem dichten Laatschenbusch auf der Brust und
hatte jetzt Zeit und Muße genug den Bock zu betrachten. Drei Viertelstunden
blieb er auch noch etwa auf derselben Stelle, den Platz nur manchmal um
einen Schritt zur rechten oder linken wechselnd. Ein paar Mal kratzte er
sich mit dem Hinterlauf vorn am Hals und hinter dem Gehör. Die Gemsen unten
mußten aber verschwunden sein, denn er sah nicht mehr hinab, und es
war fast als ob er sich nieder thun wollte, als er plötzlich rasch und
aufmerksam den Kopf emporhob. Jedenfalls hatte er den nahenden Jäger in den
Wind bekommen, oder auch gesehn, denn er schaute jetzt still und unverwandt
nach der einen Richtung nieder.

Wieder verfloß eine volle Viertelstunde, und ich begriff schon gar nicht wo
Ragg nur blieb, als ich diesen plötzlich in der Klamm, unterhalb dem Bock
heraufkommen sah, ohne daß dieser auch nur gewichen wäre.

»Halloh!« rief der Jäger unten, und stieß mit seinem eisenbeschlagenen
Stock auf die Steine -- der Bock regte sich nicht -- »halloh -- huh -- ah!«
-- er rührte sich nicht von der Stelle. Erst wie der Jäger höher und immer
höher stieg, und schon fast in Schußnähe an ihn angekommen war, drehte er
sich langsam ab, und nahm den Wechsel an.

Ich hatte mir indessen einen Platz ausgesucht auf dem ich gut hinüber
schießen konnte, sobald der Bock nur hoch genug kam, und die Wand sah aus,
als ob er möglicher Weise gar keinen anderen Weg nehmen _könne_. Was
kann aber ein Gemsbock nicht, wenn er es sich einmal in den Kopf setzt.
Plötzlich, ohne daß er im Stande gewesen wäre Witterung von mir zu haben,
nahm er seitwärts eine ganz steile Wand an, an der er hin galopirte, als
ob er auf breiter Straße gewesen wäre. Ragg schrie und gesticulirte unten,
aber Alles umsonst, das störte ihn gar nicht, und an einer Wand von etwa
siebzig Fuß Höhe, die scheinbar nicht den geringsten Halt selbst für den
Fuß einer Gemse bot, glitt er, halb auf den Hinterläufen rutschend, hinab,
sprang unten über den Bach, setzte die andere Wand hinauf, und war wenige
Minuten später im Dickicht verschwunden.

Was ihm Ragg unten nachwünschte weiß ich nicht, aber ich selber hatte
jetzt da oben auch nichts weiter zu thun, und kletterte thalab, sobald als
möglich die Riß zu erreichen.




8.

Ein Sonntag Morgen.


Wie freundlich das Schloß da tief im Thale liegt; wie rasch und munter der
klare schnelle Strom vorüber springt, und wie so lustig die Flaggen auf den
zierlichen Thürmen wehn. Die hellen Mauern und der dunkle Wald vom blauen
Aether sonnig überspannt, so recht im Herzen des edlen Waidwerks mitten
drin; die kräftigen Gestalten dann darum her, die Jäger -- die Hunde,
und dann vor Allem -- _kein_ Gasthaus in der Nähe in dem sich eine
Schaar schwärmerischer Städter concentriren könnte, von dort aus ihre
Picknickparthieen in die Berge hinauf zu senden -- oh es ist ein wonniges
-- ein unbeschreibliches Gefühl der Sicherheit und Lust.

Aber nicht allein die Jagd lockt dort die Leute zusammen. Am Sonntag
Morgen ziehen die Jäger und nächsten Nachbarn des Klosters nach der kleinen
Klosterkirche, die sie hier mitten in die Berge eingebaut, und auch
manch liebes Mädchengesicht lächelt da unter dem spitzen grünen Hut das
freundliche »Gott grüß Dich« vor. -- »Gott grüß Dich« -- wie lieb und hold
das klingt. Es giebt doch keine Sprache in der weiten Welt die noch _so_
herzlich grüßte als die deutsche -- wenn die Leute nur nicht alle
das verwünschte »Regendach« trügen. Gestalten findet man unter den
Bergbewohnern wie man sie sich nicht edler und kräftiger wünschen könnte,
und Alle fast ohne Ausnahme mit den ehrlichen, gutmüthigen Gesichtern, und
den treuen wenn auch ein Bischen verschmitzten Augen. Die Tracht ist dabei
so malerisch, und selbst den Mädchen steht der grüne Männerhut so lieb
auf den vollen blühenden Gesichtern, aber -- gebt einem Apollo, gebt einer
Venus einen rothbaumwollenen Regenschirm unter den Arm, und die ganze
Poesie ist zum Teufel.

[Illustration]

Ein solcher Sonntag Morgen in dem Thal ist auch das schönste was man sich
in stiller traulicher Waldeinsamkeit nur denken kann. Noch hat die Sonne
kaum die hohen Joche mit ihrem ersten Strahl gegrüßt, da mischt sich
schon in das fröhliche Plätschern des Bergbachs, in das leise Rauschen der
mächtigen Waldeswipfel, das harmonische Geläut der Glocken, und wenn der
Himmel dann so rein und blau herniederschaut, und mit den weißen duftigen
Nebelschleiern wie zum Schmuck die wundervollen Berge überhängt, dann geht
das Herz dem Menschen auf, dann _zwingt_ es ihn zur Andacht, dann wird die
ganze wundervolle Welt zur Riesenkirche, und jedes rauschende Blatt, jede
flüsternde Welle predigt die Allmacht, predigt die Liebe Gottes.

Die Berge sind auch der eigentliche Tempel des Herrn, denn nirgends fühlt
der Mensch sich seinem Gott so nah -- nirgends so klein und unbedeutend,
dem Allmächtigen gegenüber.

Die Kirche ist aus. Die Andächtigen kommen einzeln und langsam aus dem
Gotteshaus -- nur die Frauen eilen, denn sie haben den Mittagstisch
zu besorgen, und die Männer bleiben hie und da auf den Wegen plaudernd
zusammen stehn. Sie haben heute Nichts zu versäumen, und es wäre auch
schade, wenn sie so rasch wieder nach Haus in die engen Stuben gingen, und
ihren blinkenden Sonntagsstaat nicht erst ein wenig in der warmen hellen
Sonne lüfteten und -- zeigten.

Wetter noch einmal wie blank sie aussehn, mit den neuen hellgrünen Hüten,
den reinen Hemden und den sauber geputzten Gürtelschlössern. Manche von
ihnen, den Tag _recht_ feierlich zu begehn, tragen auch lange Hosen, aber
das steht ihnen nicht; sie schlenkern auch darin die Beine beim Gehn, und
bewegen die Knie herüber und hinüber. Es sitzt ihnen unbequem, und sie
wissen's vielleicht selber nicht; die Knie wollen hinaus in's Freie, und da
sie das nicht können, halten sie sich steif und ungelenk.

Dort aus dem Schloß kommt ein alter Mann. Er trägt, ungleich den Anderen,
die nur höchstens, und _trotz_ dem sonnigen Wetter, ihr roth oder blaues
Regendach unter dem Arm haben, ein paar blecherne Milchkannen, die er heut
Morgen gefüllt heruntergebracht, und jetzt wieder mit heim nimmt, oder
zurück trägt wohin sie gehören.

[Illustration]

Das ist ein Charakter, von dem wir in unserem Eisenbahn durchzogenen und
durchflogenen Flachland kaum noch einen Begriff haben -- giebt es ja doch
selbst in den Bergen nur wenige seines Gleichen, ja kaum einen zweiten
alten Gori. Es ist eine untersetzte kräftige Gestalt mit frischer Farbe und
von mittler Größe, und unterscheidet sich in seinem Aeußeren durch wenig
oder Nichts von den Uebrigen, aber kein Mensch sieht ihm an daß er schon
zweiundsiebzig Jahre zählt, obgleich nicht soviel graue Haare auf seinem
Haupte sind, und daß er _sechzig_ davon hier in dem Thale zugebracht.
_Sechzig_ Jahre hier in den Alpen, in den engen Felsenkessel eingezwängt,
ohne ein einziges Mal den Fuß hinausgesetzt zu haben in's flache Land, oder
hinüber über die Alpen »auf die andere Seite.« _Sechzig Jahre_, und was
seitdem geschehn da draußen, davon hat der Mann keine Ahnung; er kennt es
nicht, er kümmert sich nicht drum. Als Knabe kam er her, auch nicht von
weit, und was die nächsten Joche hier umspannen, ist für ihn _die Welt_.
Andere haben ihm von der Herrlichkeit draußen, von den Wundern des flachen
Landes, vom Dampf und seiner Kraft, vom Telegraphen, von weiten ebenen
Flächen erzählt, über die man Tage lang marschiren könne, ohne den Fuß nur
mehr als vom Boden zu heben; von Eisenbahnen, von Schiffen -- von Amerika
-- er hört das auch recht gern, und nickt dazu mit dem Kopf und lächelt
-- aber all die Sachen haben für sein Ohr nur ein und denselben Klang: sie
gehören _der_ Welt nicht an in der die Riß fließt und existiren deshalb
nicht für ihn. Amerika -- das liegt »im flachen Land« -- was soll er
draußen?

Abgeschlossener sitzt kein Südseeländer auf seiner kleinen Insel mitten im
Weltmeer, und lebt von seiner Brodfrucht und seinen Cocosnüssen, als der
alte Gori hier im einsamen Thal, von Käse, Butter und Milch, und da ihm das
Bedürfniß fehlt hinaus zu kommen, ist auch kein Grund vorhanden anzunehmen,
daß er sich nicht vollkommen glücklich fühle. Trotz seinem Alter arbeitet
er dabei noch rüstig fort, und hat sich auch wohl ein paar hundert Gulden
gespart, oder hat er sie geerbt, ich weiß es nicht; in ihrem Besitz ist
er aber, und das Capital scheint ihm die einzige Sorge zu machen, die
er überhaupt im Leben kennt. Vorsichtiger Weise steckte er sein kleines
Vermögen allerdings nicht in unzuverlässige Aktien sondern in einen alten
Strumpf, die Welt aber, die er nun schon zweiundsiebzig Jahre kennt,
scheint sich in dieser langen Zeit seine unbedingte Achtung doch nicht
erworben zu haben, und Mistrauen bildet einen nicht unbedeutenden Theil
seines sonst so einfachen Charakters. Demnach verbirgt er seinen Schatz
auch bald hier bald da, ohne daß irgend Einer seiner Hausgenossen eine
Ahnung hat, welcher Ort der bevorzugte sei; ja man kannte vor einiger Zeit
den alten Gori noch nicht einmal als Capitalisten, bis die Sache auf
eine wunderliche Art zu Tage kam. Einer der Arbeiter nämlich räumte eines
Nachmittags den Holzkasten aus, und fand unten drin, zu seinem nicht
geringen Erstaunen einen Strumpf mit Geld. Der alte Gori meldete sich da
etwas bestürzt als Eigenthümer, und der Strumpf verschwand auf's Neue.

In früheren Jahren soll der alte Mann ein vortrefflicher Birkwildjäger
gewesen sein, und da das, neben seinem Strumpf eigentlich die einzige
sichtbare Leidenschaft war die er hatte, wurde ihm die Erlaubniß -- die
sonst nur die wirklich angestellten Jäger haben -- jährlich in der Balzzeit
einen Spielhahn zu schießen. Von der machte er denn auch Gebrauch, und
erlegte richtig jedes Jahr den gestatteten Hahn. Vor zwei Jahren nun, doch
fühlend daß er alt würde, und in einer Art von Ahnung, daß das vielleicht
der letzte sein möchte den er schösse, beschloß er seine Jagd auf würdige
Art zu beschließen, _kaufte_ sich den erlegten Hahn um 48 Kreutzer, lud
sich eine alte Köchin vom Schloß, die er achtete, zu Gast, und verzehrte
mit ihr die muthmaßlich _letzte_ Jagdbeute seines Lebens. Eigenthümlich muß
dem alten Mann dabei zu Muthe gewesen sein.

So verging wieder ein Jahr -- die Balzzeit kam auf's Neue heran, und der
Greis fühlte zu seiner Freude, daß er die _letzte_ Jagdfeier doch etwas zu
voreilig angestellt habe und die Berge noch immer steigen, die Büchse noch
immer führen könne. Wieder schulterte er die alte treue Waffe, suchte
sein gewöhnliches Revier auf, lockte den balzenden Hahn und -- das Gewehr
versagte. Beim Anpirschen war ihm das Zündhütchen vom Piston gefallen,
und kein zweites fand er in den ängstlich durchsuchten Taschen. Da ist
er wieder zu Thal hinabgestiegen, und hat die Jagd aufgegeben, -- wundern
sollt' es mich aber nicht, wenn er es trotzdem dies Jahr noch einmal
versuchte. Wir klammern uns ja Alle an das Leben und Keiner, mag er den
Tod auch noch so ruhig und Gott ergeben erwarten, gesteht sich's gern und
freiwillig ein: »ich bin jetzt fertig!«

Die Jäger, die nicht ihr Dienst gerade an ein entferntes Terrain fesselt,
haben sich meist hier unten eingefunden; denen aber sieht man's an daß
ihnen eine Beschäftigung, daß ihnen die Büchse auf der Schulter fehlt.
_Nach_ der Kirche schlendern sie müßig umher -- und der Blick den sie
manchmal zur Sonne hinaufwerfen, scheint die Zeit herbei zu sehnen, in der
sie ihr fröhliches Werk auf's Neue beginnen dürfen. Auch der kleine Ragg
ist unter ihnen, weiß aber von seiner Zeit besseren Nutzen zu ziehn als
die Kameraden, und sucht Spielhahnfedern, kunstgerecht gebundene Gemsbärte,
Stöße von Hasel-, Schnee- und Steinhuhn, und anderen Jägerschmuck zu
ziemlich hohen Preisen an den Mann zu bringen.

Eigenthümlich an ihm ist selbst der Gang, mit dem er auf der belebten
Straße oder im Hof dahin schreitet. Wie auf der Pirsche haftet sein Blick
nicht zwei Secunden lang an ein und derselben Stelle, und sucht herüber und
hinüber, bald auf den Boden hin nach den Fährten, bald nach links bald
nach rechts hinüber. Wie ein Stück Wild, das draußen in den Bergen eine
friedliche Heerde angenommen hat und mit ihr eine Strecke dahin zieht,
scheu und mistrauisch aber der geringsten Bewegung, dem schwächsten fremden
Laut mit Aug' und Ohr begegnet, während die zahmen Thiere friedlich
und unbekümmert ihr Gras von der Lanne zupfen, so wandert der kleine,
falkenäugige Gesell hier zwischen den ruhigen, sonntägigen Gestalten
umher, und ordentlich erwartet hab' ich's oft, daß er bei dem ersten
ungewöhnlichen Geräusch blitzschnell im Wald verschwinden würde.

Dort unter der hohen, breitästigen Tanne stehn zwei Männer in eifrigem, und
wie es scheint, heimlichem Gespräch; wenigstens schweigt der kleinere von
ihnen, der etwas ihm höchst Aergerliches vorzutragen scheint, jedesmal
still wenn eine Gruppe der Jäger grüßend an ihnen vorübergeht, und wirft
auch wohl einen mistrauischen, unzufriedenen Blick hinter ihnen drein. --
Es ist Bandey, allerdings auch in der Jägertracht, aber doch kein rechter
Jäger und mit mehr weichlichen, nicht so sonnverbrannten derben Zügen wie
die Anderen, die ihn sich auch größtentheils nicht ebenbürtig halten.
Er aber, der von seinem Geschäft eine ganz andere Meinung trägt, hat die
_Fischerei_ unter sich und den Forellenteich, und klagt heute Morgen dem
Haushofmeister des Schlosses, einer langen würdigen Gestalt mit einer Feder
hinter dem Ohr und einer Brille auf, sein schweres Leid. Sein Forellenteich
ist ihm nämlich in der letzten Zeit, und nächtlicher Weise, arg geplündert
worden, und er hat jetzt auf alle Welt Verdacht und traut Keinem mehr.

»Aber lieber Bandey, wer von den Jägern sollte es denn hier wagen, und
Angesichts vom Schloß den Teich bestehlen? Das thäten sie ja schon nicht
einmal dem Herrn zu Leide.«

»Die _nicht_?« sagt Bandey, der eine ganz andere Meinung von der Sache
hat, »was machen _die_ sich drauß? -- sind doch die Hälft' von Allen nur
zahmgemachte Wilderer. Aber ich krieg' sie. -- Den Bandey lachen sie aus
daß er nicht schießen könnt' -- ich will's ihnen zeigen ob ich's kann oder
nicht.«

»Bandey -- Du wirst doch nicht des Teufels sein und wegen einem paar
lumpigen Forellen ein Menschenleben --«

»_Da_ haben sie's Menschenleben nicht sitzen wo _ich_ sie hinschießen
werde,« sagt Bandey determinirt, »aber soviel weiß ich, heute Abend setz'
ich mich mit der Schrotflinten an, und die ganze Woche durch. Der Schlaf
soll mich nicht verdrießen, _bis_ ich ihn habe, und daß mir _der_ dann
nicht zum zweiten Male kommt, darauf können Sie sich verlassen.«

»Und hast Du denn auf irgend Jemand Verdacht hier herum?«

»Sie taugen Alle mitsammen Nichts,« brummt der Bandey verdrießlich vor sich
hin -- »die Malefizkerle die. Wo sie Einem einen Schabernack spielen können
thun sie's gewiß. So ein Jäger hat einen Stolz im Kopf, das ist ganz was
Erschreckliches, und glaubt, weil _er_ mit dem Stutzen auf'm Buckel, und
den Spielhahnfedern am Hut in den Bergen herumsteigen darf, _er_ sei der
liebe Herrgott. -- Na _Euch_ will ich beforellen!«

Der Haushofmeister suchte den Mann noch einmal von seinen bösen Gedanken
abzubringen, aber Bandey's Groll saß zu tief, und ärgerlich über die ganze
Welt, ging er heim. Was kümmerten ihn die im Sonnengold leuchtenden Berge,
der blaue Himmel und das grüne Thal; daheim lud er die Flinte mit feinem
Vogeldunst, und in der Nacht schon begann er seine Wacht, den Uebelthäter
zu belauern und -- zu strafen.




9.

Die Baumgart-Alm.


Wir Menschen sind ein ungenügsam Volk. Wenn es uns _gut_ geht, verlangen
wir's besser, und daß das nun einmal in unserer Natur liegt, mag nur ein
leidiger Trost sein. Goethe kannte auch die Menschen _im Allgemeinen_
recht gut, und daß er seinen Faust beim Packt mit dem Teufel die Bedingung
stellen läßt:

  »Werd' ich zum Augenblicke sagen
  Verweile doch, du bist so schön!
  Dann sollst Du mich in Fesseln schlagen,
  Dann will ich gern zu Grunde gehn!«

ist nur ein Ausspruch dieses ewigen Drängens und Treibens, dieser rastlosen
Ungenügsamkeit. Goethe war freilich kein Jäger; er hat nie die Wonne
gekannt, nach dem blitzenden Schuß die scheue Gemse auf ihrer sicher
geglaubten Höhe zusammenzucken, und prasselnd, klammernd in die
Tiefe rollen zu sehn. Ich wenigstens wäre nach _solchem_ Packt meinem
Contrahenten schon verschiedene Male verfallen gewesen.

Kein Wunder denn daß es den müssigen Jäger, selbst aus dem reizenden Thal,
aus dem freundlichen Schloß fort, und wieder hinauf in die Berge zieht, und
wir segnen den Abend, der uns mit freundlichem Nicken und Sonnengruß
den Bergstock auf's Neue in die Hand drückt, und unseren Pfad mit seinem
schönsten Glanz, mit seinen rosigsten Tinten überstreut. Mir ging es
da immer wie Jean Pauls gemüthlichem Schulmeisterlein Wuz, wenn der als
Schulknabe noch in die Ferien zog -- ich hatte Mitleiden mit allen Menschen
die zurückbleiben mußten.

Und diesmal geht es nicht in ein bequemes Pirschhaus hinauf, sondern in
den wildesten Theil der Berge, in die sogenannte Delpz, einen rauhen
Thalkessel, in dessen Nähe ein Hochleger mit einer ziemlich geräumigen
Almhütte liegt. Nur ein kleines Häuschen, etwa von der Größe eines
zweischläferigen Schilderhauses, um ein Bett und einen Tisch hinein zu
stellen, war dort aufgerichtet.

Die Leckbach aufwärts führt dorthin der wilde Weg, und rauheren Bergstrom
giebt es wohl kaum in der Welt, wie jenes Thal. Der innere Kessel nämlich
ist fast ganz durch das Abbröckeln und Niederbrechen der hinteren Wand,
bei dem die Lawinen redlich mit halfen, vollgeschüttet worden, und riesige
Felsblöcke sind von den mächtigen Schneestürzen weit thalab geschleudert,
während der ganze Thalboden wie die Hänge, mit entsetzlichem Geröll (von
den Bergbewohnern _Reißen_ genannt) bedeckt liegen.

Diese Berghänge sind in steter Bewegung, denn steil und schroff
ausgerissen, löst sich fortwährend locker hängendes Gestein, am meisten
bei nasser Witterung und Thauwetter, ab von der Wand, und rollt und springt
in's Thal nieder. Die Gemsen die dort stehn sind auch an solch Geräusch
gewohnt, und achten gar nicht mehr darauf.

Oben im Baumgarten-Joch liegt die Almhütte, und selbst der Name
»Baumgarten« klingt hier wie Schmeichelei, denn es wächst kein einziger
Baum dort bei den Hütten, während nur von Osten her der aus dem Thal
heraufdrängende Wald bis in die Nähe reicht. Der Nacken des Jochs und der
benachbarten Hänge ist aber mit gutem, nahrhaftem Gras bedeckt, und nach
der Delpz hinüber läuft die Lanne bis zum höchsten schroffen Rand.

Das ist überhaupt eine Eigenthümlichkeit dieser Gebirge daß sie an ihrer
Nord- und Südseite einen durchaus verschiedenen Charakter zeigen. In der
gewöhnlichen Bergregion und bis etwa zu 4500 Fuß tritt dieser allerdings
noch nicht so augenscheinlich hervor; wie sich aber die Gebirge über
diese Höhe aufstrecken, nimmt die Nordseite, während an der Südseite
die Graslannen fast ununterbrochen bis zum Gipfel laufen, ihren wilden
trotzigen Charakter an. Fast bei all diesen Bergen besteht der Nordhang
aus schroffen, meist senkrechten Wänden die grau und starr emporragend der
ganzen Landschaft etwas unbeschreiblich Großartiges, Kühnes geben, das sich
aber, sowie man das Auge nach Süden wendet, ganz verliert.

Allmählig steigt man deshalb auch an der Südseite dieser meisten Berge,
ohne weitere Schwierigkeit als hie und da eine etwas steile Lanne, empor,
und sieht sich plötzlich, sowie man den höchsten Gipfel erreicht, an einem
oben scharf abgebrochenen furchtbaren Abgrund, der jäh unter den Füßen
wegsinkt, und an vielen Bergen nicht einmal von der Gemse begangen werden
kann.

So steigt zum Beispiel die Carwendelwand, wie die Nordseite des
Carwendelgebirgs mit Recht genannt wird, so steil und glatt empor, daß
keine Gemse dort hinüber kann, und meilenweit thalab oder aufwärts wandern
müßte, ehe sie einen schmalen Paß fände, der an einer oder der anderen
Stelle, meist durch nieder gebrochenes Gestein begünstigt, ein Aufklimmen
möglich machte -- aber wir kommen dort noch hin.

Wir haben jetzt das Baumgarten-Joch betreten, und schreiten noch kurze
Strecke den Hang hinab, wo die niederen flachen Almhütten, Schildkröten
nicht unähnlich, auf dem Bauche liegen. Der Boden ist hier merkwürdig vom
Vieh mishandelt worden, das sehr thörichter Weise immer wieder in seine
eigenen Fußtapfen tritt, und die Wiese dadurch in eine künstliche Sammlung
von Schlammlöchern und Grasknollen verwandelt. Im Dunkeln ist es kaum
möglich über solche Stellen fortzukommen, ohne Hals und Beine, wenn auch
nicht zu brechen, doch jedenfalls zu riskiren. Unterwegs war übrigens kein
Wild zu sehn, da die Jäger und Lastträger etwa eine Stunde früher (Einige
davon überholten wir noch unterwegs) hier eingetroffen waren. Nur dicht
an der Alm angekommen, sahen wir die Jäger unter der Thür der großen
Hütte stehn, und mit ihren »Bergspectiven« nach dem grasigen Rand des
Delpzkessels hinaufschauen, wo sich sechs oder acht Gemsen, unbekümmert um
die sich unten bewegenden Menschlein ästen. Sie waren jedenfalls Leute da
unten an der Alm gewöhnt, und wußten recht gut daß ihnen die Delpz,
sowie sie nur irgend Jemand gegen sich ankommen spürten, jeder Zeit einen
sicheren Rückzug bot.

Die Baumgarten-Alm ist ebenfalls ein _Hochleger_ der Sennen, und diese
Art Hütten werden hier in den Alpen in Hoch-, Mittel- und Unterleger
eingetheilt. In die Unterleger, die am tiefsten unten am Berg liegen,
ziehen die Sennen im Frühjahr, oder Anfangs Sommer, sobald der Schnee dort
gewichen ist, während die höher liegenden Strecken dem Vieh noch nicht
zugänglich sind. Wie der Schnee schwindet, rücken ihm die Hirten nach, und
nehmen dann im Mittelleger ihre Wohnung, bis sie im hohen Sommer mit ihren
Heerden die oberen Alpen beziehen, und sich dann, freilich nur für kurze
Zeit, im Oberleger einquartieren können. Der eintretende Winter oder Herbst
treibt sie wieder hinab, und Anfang Oktober verlassen sie die Alpen ganz,
in die tiefer gelegenen Thäler, meist nach Lenggries, Tölz und die dortige
Umgegend zurückzukehren. Die meisten dieser Hirten die jene Almen pachten,
sind bairische Unterthanen.

Beim Hinuntersteigen ist es indeß schon fast ganz dunkel geworden. Oben am
Hang sah es freilich so aus, als ob die Hütten dicht darunter lägen, und
doch, wie lange braucht man jetzt sie zu erreichen. Und die verzweifelten
Grasknollen! sie sind kaum noch zu erkennen, stauchen aber den Körper bei
jedem Fehltritt. Ja, es wird Nacht -- nur auf den höchsten Jochen liegt
noch das Dämmerlicht des scheidenden Tages.

Der Platz selber sah auch wild und abenteuerlich genug aus. Fünf oder sechs
zu den verschiedensten Zwecken benutzte Almhütten lagen bunt zerstreut, die
Ecken nach jeder Richtung durch einander kehrend, an dem nackten Hügelhang,
und kein einziger Baum versprach gegen den Wind Schutz, für die Sonne
Schatten. Der Boden selber zwischen den einzelnen, aus rohen Stämmen roh
aufgerichteten Gebäuden, war von dem Vieh zu einem sanften Brei getreten,
und hatte nur oberflächlich Zeit bekommen wieder abzutrocknen. Die
eingedrückten Klauenspuren machten ihn dabei rauh und holperig, während er
zugleich eine gewisse ängstliche Elasticität bewahrte.

Hell leuchtete indeß das Feuer aus dem inneren Raum der größten Hütte, die
einem, aus Versehn platt gedrückten gewöhnlichen hölzernen Wohnhaus nicht
unähnlich war. Etwa dreißig Fuß lang und zwanzig breit begann das mit
Steinen reichlich beschwerte Schindeldach schon etwa sieben Fuß vom Boden,
und hob sich in der Mitte höchstens bis zwölf Fuß hoch. -- Wie aber sah es
da im Innern aus.

Wenn noch vor ein paar Monaten, vielleicht vor Wochen, stille Hirten ihren
Käse und »Schmarren« hier gekocht und hölzerne Löffel und andere friedliche
Werkzeuge der Butter- und Käsebereitung auf den Querbalken der Hütte
gelegen, so hatte diese jetzt dafür ein ganz anderes Aussehn gewonnen, und
sich sehr zu ihrem Vortheil verändert.

Statt der schläfrigen Sennerinnen, die damals ihre Blechpfanne auf den
Kohlen herumgestoßen haben mochten, wirthschaftete jetzt der Koch in
schneeweißer Jacke, Mütze und Schürze zwischen dem, so gut als möglich
untergebrachten Vorrath und Geschirr. Die friedlichen Hirten hatten
rüstigen bärtigen Jägern Platz gemacht, und auf den Querbalken lag
eine wackere Reihe von vierzehn bis sechzehn Stück Doppelbüchsen und
Büchsflinten drohend ausgestreckt.

Das Eigenthümlichste in dem weiten, sonst eben nicht eleganten Raum waren
aber zwei mächtige Feuerplätze, rechts und links von der Thür in den
nächsten Ecken, und die Feuerstellen nur durch aufgesetzte Steine von der
rohen Balkenwand, etwa drei Fuß hoch getrennt, während die Flammen lustig
gegen die schon glänzend schwarz gebrannten, und wie glasirten Balken
aufloderten.

Um das Feuer rechts sammelt sich jetzt die Schaar der Jäger und Träger, die
kurzen Pfeifenstummel im Mund, erzählend und lachend und die Vorgänge der
letzten Tage besprechend, während an dem Feuer links die Jagdgesellschaft
Platz nimmt. Aber einzelne der Jäger drücken sich auch mit seitwärts an
dies Feuer an. -- Sie wissen schon wie freundlich man mit ihnen ist, und
lauschen gar zu gern dem was dort gesprochen wird, und sie oft weit hinweg
aus ihren Bergen führt.

Und merkwürdige Gestalten sieht man dabei, von denen der Leser erst die
wenigsten kennt.

Weinseisen heißt einer von ihnen, ein Bursche in den besten Jahren noch,
wenn auch schon mit mancher Falte in Wange und Stirn. Ihm fehlt ein Auge
-- aber Niemand weiß das, denn eine ziemlich breite, nach innen gekrümmte
Locke hat er so trefflich über das fehlende hinüber gezogen, daß es die
Lücke auch nicht auf einen Moment sichtbar werden läßt. Er gilt dabei als
Einer der besten Jäger im Revier, und ist still und schweigsam; vermißt
auch das eine Auge nicht, denn das andere ist so scharf, als ob es einem
Jochgeier gehörte.

[Illustration]

Ein anderer ist Michel, unstreitig der hübscheste von allen; ein junger
Bursch von sechsundzwanzig Jahren, mit einem gar so offenen ehrlichen und
guten Gesicht, und so treuen blauen Augen, denen das freundliche Lächeln
prächtig steht. Ein guter Jäger und kecker Steiger wie Alle, hat er eine
besondere Vorliebe, einen besonderen Blick für Blumen, und vom Edelweiß,
das oben in den schroffen Nordwänden der steinigen Gebirge steht, bis zum
blau und rothen Vergißmeinnicht das an den Bächen der hochgelegenen und
geschützten Thäler keimt, sucht und findet er die einzelnen Blüthen, die
der einbrechende Herbst bis dahin noch verschont. War sein Weg den Tag über
noch so rauh und wild, prangt sein Hut gewiß, kehrt er Abends zurück, von
einem Blumenflor.

Wie wohl thut es Einem, wenn man sich lang wieder in der _civilisirten_
Welt herumgetrieben, und dort die ausgemergelten, faden, geputzten nur vom
Schneider zusammengehaltenen Menschenbilder geschaut hat, auf so kräftige
Glieder, in so ehrliche Augen zu blicken.

Die Leute da oben, ob sie fast durchaus in einer Wildniß leben, und wenig
mit Menschen zusammen kommen, haben auch gar nichts Aehnliches mit dem
Bauer des flachen Landes, und gleichen weit eher den ungezwungenen wilden
Gestalten der amerikanischen Backwoodsmen. Der deutsche Bauer ist nur zu
oft denen gegenüber die er über sich weiß, scheu, täppisch und unbeholfen,
oder gar kriechend; gegen die die ihm gleich stehn und seine Untergebenen,
oder gegen Aermere grob und hochfahrend. Der Bergbewohner hat dagegen eine
ihm angeborene Natürlichkeit, ja ich möchte sagen Grazie, die sich in allen
seinen Bewegungen ausspricht. Er ist nie scheu und verlegen, selbst nicht
den Höchsten gegenüber, er ist aber auch nie grob und unverschämt, und sein
natürliches Gefühl führt ihn fast stets den richtigen Weg -- den Weg eines
Mannes der da weiß daß er das leistet in der Welt was man von ihm verlangt
-- verlangen kann.

Alle diese Leute hängen dabei mit einer unendlichen Liebe an ihrem hohen
Jagdherrn, und die Zeit die der bei ihnen zubringt, ist ihnen nicht eine
Zeit der Mühe und Arbeit, trotz den beschwerlichen und gefährlichen Wegen
die sie in den Tagen zu durchsteigen haben, sondern mehr wie ein fröhliches
Fest auf das sie sich das ganze Jahr schon freuen, und das ihnen, neben
der fröhlichen Jagdlust, ja auch Verdienst und Nutzen bringt. Ihr Stolz ist
dabei der waidmännische Betrieb der Jagd, das Schonen des edlen Wildes, das
ausgenommen, was jährlich in einem so tüchtig besetzten Revier nun einmal
abgeschossen werden _muß_. Und daß der Herr sich dem mit solcher Lust und
Liebe hingiebt, und so wacker mit ihnen über die schroffen Pfade, in die
steilsten Hänge hineinsteigt, und eben so wenig die dichten ungeleckten
Laatschen, wie die bröcklichen Wände scheut, das freut sie vor allem
Anderen.

Und wie traulich sitzt es sich an den knisternden Flammen, die selber toll
und lustig ihre goldenen sprühenden Funken zum schwarz gebrannten Dach
emporwirbeln, und welchen wunderlichen Schein werfen sie auf die bunt darum
gruppirten malerischen Gestalten. Es ist gerad kein fürstliches Gemach das
uns umgiebt, und die rauhen Stämme die die Wand bilden, der nackte Boden,
der etwas wackelige Tannentisch der in der Mitte steht, die wunderlichen
»Lehnstühle« selbst am Feuer, die aus halbdurchgebrochenen rund hölzernen
Schüsseln bestehn -- in denen es sich aber ganz vortrefflich sitzt, -- das
an die Wand gehangene Tischtuch selbst, den ärgsten Zug mit abzuhalten,
der doch noch außerdem Zugang genug hat, ließen vielleicht in Hinsicht
der _Eleganz_ Manches zu wünschen übrig, aber -- es ist ein ächtes
Waidmannslager in den Bergen, und wer daran Lust und Freude findet wie der
Herzog, und nicht verweichlicht genug ist gepolsterten Sitz und mit den
gewohnten Bequemlichkeiten ausgestattete Umgebung zu _vermissen_, dem geht
das Herz hier auf, und sendet seine knisternden sprühenden Funken hinan in
Kopf und Auge, wie die Flamme da.

Das ist dann die Zeit für die Erzählungen und Berichte der Jäger aus den
angrenzenden, und zum ganzen Revier noch gehörenden Distrikten, denn nicht
der dritte Theil vom ganzen Jagdgrund wird wirklich bejagt.

Wo in den Bergen ein verdächtiger Schuß gehört ist, wird besprochen, und
wo die meisten Gemsen stehn; wie es sich mit dem Rothwild stellt, und dem
Raubzeug, und ob kein Luchs wieder in den Bergen gespürt worden.

Raubzeug giebt es in der That nur noch sehr wenig im Gebirg, und wohl kann
man sagen _leider_, daß dem so ist, denn wie viel interessanter würde die
Jagd dadurch. Ließe sich aber wirklich einmal wieder ein Bär da sehn, da
wär' der Teufel auch sicherlich in den Bergen los, denn Alles würde in
der ganzen Umgegend aufgeboten werden ihn zu erlegen oder zu vertreiben.
Begnügte er sich freilich mit Wild und Gemsen, ließen ihn die Hirten wohl
gern in Frieden, aber die alten schwarzpelzigen Burschen setzen es sich in
den Kopf auch manchmal ein Rind todt zu schlagen, oft aus lauter Uebermuth,
oder um sich nach Tisch ein wenig Bewegung zu machen, und das können die
Hirten nicht vertragen.

Auch kein Luchs läßt sich mehr in den Bergen sehn, von denen die Schweiz
doch noch einige aufzuweisen hat. Nur der Fuchs treibt in ziemlicher Anzahl
die hohe Jagd auf Hasel-, Schnee-, Birk- und Steinhühner, lauert dem weißen
Alpenhasen auf, wenn er zu Nacht um die verlassenen Sennhütten spazieren
geht, und wagt sich auch wohl, wenn ihm die Gelegenheit dazu wird, an ein
Gemskitz.

Mitten zwischen den Jägern steht, um einen halben Kopf größer als irgend
einer der anderen, trotz der etwas in einander gedrückten Stellung, eine
rauhe, eben nicht übermäßig reinliche, aber enorm kräftige stattliche
Figur, mit rothem Gesicht, blondem Haar, gutmüthigen blauen Augen, riesigen
Fäusten und einem alten Maserkopf im Mund.

Braver, ehrlicher Jackel, wie manche schwere, schwere Last hast Du auf
Deiner »Kraxen« unermüdet, unverdrossen immer willig, immer guter Laune
hinauf zu Berg getragen, wie manche Gemse, und zwei und drei manchmal zu
gleicher Zeit, hinunter in das Thal. Aber Du verdienst auch eine nähere
Beschreibung, und sie soll Dir werden.

Jackel ist ein Original, aber eins, an dem man seine rechte Freude haben
kann. Von kräftigem, breitschulterigem, knochigem Körperbau, stark und
muskulös, und dabei viel größerer Gestalt, als man es seiner Breite gleich
ansieht, eignet er sich vortrefflich für das Geschäft dem er sich, während
der Jagd wenigstens, unterzogen zum Lasttragen, und es ist wirklich kaum
glaublich was der Mann öfters die steilen hohen Berge auf seinen Schultern
stundenweit hinauf schafft. Er theilt dabei, nicht zu seinem Vortheil, den,
ich möchte fast sagen _Aberglauben_ der Leute seines Standes und Gewerbes
wie auch mancher anderer Arbeiter im Gebirg (bei den Jägern selber hab'
ich es nie bemerkt), _den_ Aberglauben nämlich, daß ihm ein reines Hemd zur
Schande gereiche. -- »Die Leut' müssen ja denken man arbeitet Nichts,
wenn man immer wie Sonntags herumgeht« sagt er, und übertreibt seine
Gewissenhaftigkeit, selbst den Schein zu vermeiden, sogar bis über den
Sonntag hinüber und in und durch die nächste Woche.

[Illustration]

Seine Lebensbedürfnisse sind dabei eben so einfacher Art. -- Vom Revier
kauft sich z. B. Jackel in der Herbstjagd einen starken Gemsbock -- _zwei_
Winter liefern ihm dabei _zwei_ Gemsdecken, was gleichbedeutend mit _einer_
ledernen Hose ist. -- Das Wildpret davon wird aber, bis auf das letzte
Genießbare, getrocknet und für den Winter aufbewahrt, und »in kleinen
Stücken« zur Mahlzeit »daß es recht lange reicht« verzehrt. Dazu gehört
aber noch Schmarren -- das einzige wirkliche Bedürfniß der Bergbewohner,
denn ohne Schmarren könnten sie nicht bestehn. Er ist ihnen, was der
Reis dem Indier, der Damper dem australischen Schäfer, die Eichel dem
californischen Indianer, die Brodfrucht dem Südseeländer, das Maniokmehl
dem Neger, die Kartoffel dem Deutschen, der Mais dem Amerikaner -- und die
Bereitung dabei einfach genug. Sie besteht aus Mehl mit Schmalz oder Butter
in der Pfanne gebraten oder geschmort. Mehl mit Milch oder Wasser angerührt
kommt nämlich als Brei, wie zu einem Pfannkuchen, in die Pfanne. Hier aber
wird ihm nicht gestattet sich zu einem abgerundeten Ganzen zu formiren,
sondern die brodelnde, zischende, backende Masse fortwährend mit einem
Messer oder anderen Instrument gestoßen und geärgert, bis es endlich zu
einer bröcklichen, von dem Fett je mehr desto besser durchdrungenen Masse
quillt. Mit ein paar Pfund Mehl und ein wenig Schmalz ziehen diese Leute
auch im Winter, wo besonders die Jäger die entlegenen Reviere begehen
müssen, wochenlang in dem Schnee der Berge umher, lagern in den einsamen
öden Almhütten und behaupten daß ihnen der Schmarren mehr Kräfte gebe als
selbst das Fleisch.

Eine Anekdote von Jackel wird aber ein viel besseres Bild von ihm
entwerfen, als ich im Stande wäre hier mit bogenlanger Beschreibung zu
liefern.

Ein älterer Herr aus der Jagdgesellschaft sah eines Tages, als er eben an
einer ziemlich steilen, wenigstens sehr rauhen Wand hinpirschte, einen
Mann dieselbe, nur mit einem Stock und einem Bergsack auf dem Rücken,
herunterkommen. Er blieb stehn, und erkannte bald zu seinem Erstaunen
Jackel der, mit _einem_ Schuh an, und den andern Fuß nackt, über das
scharfe Geröll unbekümmert niederstieg und ganz ruhig, auf die überraschte
Frage des Herrn wo er den anderen Schuh gelassen, erwiderte, er habe ihn
nach Lengries, der _sieben_ Stunden entfernten Stadt, zum Schuhmacher
gebracht, und müßte nun so lange bis er gemacht sei, _so_ herumgehn. Der
Schütze äußerte dabei sein Befremden daß Jackel hier in den rauhen Bergen
_solcher_ Art umherliefe, während er selber kaum mit seinen kräftigen
Schuhen fortkomme. »Ja, es geht klein gut da hier« meinte Jackel ruhig,
»nicht wahr es wird Ihnen sauer hier oben? -- ja, wer nicht daran gewöhnt
ist kommt schlecht fort -- aber ein Stück weiter unten ist's schon ein
Großes besser, und -- wenn's Ihnen recht ist, _trag_ ich Sie da hinunter.«

[Illustration]

Die Proposition wurde im gutmüthigsten Ernst gemacht, und hätte es der
Schütze angenommen, Jackel würde ihn mit der größten Freundlichkeit, und
ohne irgend etwas Außerordentliches darin zu finden, den steilen steinigen
Hang trotz seinem einen nackten Fuß wirklich hinunter getragen haben.

Heller knistert und flackert das Feuer, von neu aufgeworfenen Bränden
genährt, und Jackel kommt eben mit einem Kübel frischen Quellwassers
herein, den er aus dem nahen, durch eine Rinne gefangenen Quell geholt --
das ist ein Trunk. Ich bin gerade sonst kein besonderer Freund von Wasser,
und eigentlich der Meinung, daß der liebe Gott dies Element den Menschen
nur eigentlich als Urstoff geliefert habe, es zu anderen Getränken,
hauptsächlich jedoch zum Waschen zu verwenden. Dort oben in den Bergen
aber, und ganz vorzüglich in der Baumgarten-Alm, quillt eine so wundervolle
crystallhelle und wohlschmeckende Fluth, als ich sie noch nirgends in der
weiten Welt gefunden. Ich weiß das Wasser dort wirklich mit nichts Anderem
als mit Champagner zu vergleichen.

»Nun, Jackel, wie steht es mit dem Wetter?« frug man den Eintretenden --
»sieht es noch gut aus?«

»Nun, es ist nur klein hübsch draußen« erwiderte Jackel, den Kübel
sorgfältig in die Ecke stellend »es macht recht dunkel, und Sterne sind
auch keine zu sehn -- aber warm und ruhig ist's sonst.«

»Wenn nur ein Bischen Schnee käme« sagte der kleine Ragg. -- »Es wäre schon
recht -- die Gemsen zögen sich dann alle lieber in die Joche hinauf.«

»Aber in der Delpz liegt doch Schnee?«

»Es liegt schon etwas drin, aber es dürft' mehr sein.«

»Jetzt kam's mir beinah draußen vor, als wenn ich einen Schuß danüber
gehört hätt',« sagte der Jackel, »es schallte g'rad so --«

»Nun ein Wilddieb war's bei der Dunkelheit nicht,« lacht der Ragg -- »es
kann auch ein Stein gewesen sein, der sich irgendwo losgebrochen hat.
Manchmal schallt das gerad' so wie ein Schuß.«

»Von Wilddieben habt Ihr doch hier in der letzten Zeit nichts weiter
gespürt?«

»Nichts wieder, seit der Mann im vorigen Jahr drüben im Bairischen von
dem Soldaten erschossen wurde -- es ist überhaupt hier lange Nichts
vorgekommen.«

»Aber doch der Mann der damals in den Bockgräben gefunden wurde -- hat man
nie erfahren wie er dahin gekommen, und wer er gewesen?«

»Nein,« sagt der große Ragg etwas zögernd -- »er hatte auch schon zu
lange gelegen und -- war so zerfallen von dem Sturz die Wand 'nunter. Ist
wahrscheinlich im Nebel verunglückt.«

»Der wurde damals gleich draußen begraben, nicht wahr?«

»Nein, ich hab' en 'nunter in's Kloster getragen,« sagte Jackel ruhig.

»Getragen? -- auf den Schultern?«

[Illustration]

»Auf der Kraxen, ja -- oh er war nicht mehr so schwer denn er hatte schon
seine acht oder neun Monat gelegen, aber« -- setzte Jackel hinzu, und es
schien doch, als ob ihm die Erinnerung schaudernd durch die Seele liefe --
»'s war g'rad keine hübsche Ladung, und ich trag' Gemsen lieber.«

»Zwei Menschen sind doch auch wieder im letzten Jahr die Wand
hineingefallen« sagt da der kleine Ragg, indem er die Augenbrauen so in die
Höhe zieht, als ob er das, was er sagte, selber nicht glaube -- »ein Mann
und ein Mädchen.«

»Ein Mädchen?«

»Des Haßlich Tochter, von der hohen Alm. Sie schnitt Gras an einer steilen
Lanne, unter der die Wand gerad hinunter sank, und hatte Steigeisen an den
Füßen. Beim Bücken muß sie's aber versehen haben, sie kommt in's Fallen und
kann sich nicht mehr halten. Ihr Bruder war dicht bei ihr, und wie er sie
hinunter gleiten sieht, mit ein paar Sätzen bei ihr. Ehe er aber den Rock
fassen kann, und dicht unter seiner Hand hin schießt sie fort -- es war
gerade schrecklich tief wo sie fiel.«

»Und der Andere?«

»War ein Enziansucher, der vom Roßkopf hinunter gefallen ist. Wie er's
versehen hat, weiß man nicht. Er kam Abends nicht zu Haus, und am anderen
Tag ging sein Bruder aus, ihn zu suchen -- er hat ihn auch gefunden, drin
in einer von den Schluchten aber -- er soll schrecklich ausgesehn haben
-- was er noch vom Körper finden und zusammenlesen konnte, hat er im
Nasentüchel nach Haus getragen.«

»Von der Scharfenwandkar ist auch ein Fremder hinunter gefallen, hat ihm
aber weiter Nichts gethan,« sagte der Wastel.

»Das war ein Algäuer« schmunzelte der große Ragg.

»Ja, das kann schon sein« sagte Jackel auf seine gewohnte bedächtige, und
ganz ernste Weise. Die Anderen lachten.

»War der Mann bekannt hier?«

»Oh Jackel hat seine besondere Art, wie er die Algäuer kennt« lachte der
kleine Ragg.

»Ich nicht« vertheidigt sich Jackel, »aber mein Wirth meint, einen Algäuer
könnt' man immer kennen. -- Wenn man ihn mit einem Stück Holz auf die Nasen
schlägt und er nießt nicht, so ist's gewiß Einer.«

Lautes Lachen schallte von allen Seiten der Hütte, brach aber plötzlich,
wie mit einem Schlag, kurz ab, während Aller Gesichter im ganzen Raum
den Ausdruck scharfer gespannter Erwartung zeigten. Nur Jackel sah sich
verwundert um, und wußte nicht was plötzlich geschehen sein könne.

»Das war ein Hirsch,« flüsterte Weinseisen.

»Ja -- ich glaub's auch,« sagte Ragg mit ebenso vorsichtig gedämpfter
Stimme.

»Hu -- ah -- h -- h -- h!« tönte da draußen, kaum vier hundert Schritt vom
Haus entfernt der Ruf auf's Neue klar und deutlich herüber, und mit einem
freudigen Lächeln in den Zügen horchten alle dem wohlbekannten, so gern
gehörten Laut -- aber keiner regte sich.

[Illustration]

»Hu -- ah -- h -- h -- h -- h!« noch einmal der wunderbare Schrei -- leider
waren aber jetzt die Hunde ebenfalls aufmerksam geworden -- Bergmann der
mit am Feuer lag, hatte schon lang geknurrt -- und Pirschmann, der draußen
war, schlug an. Das mochte dem Hirsch doch nicht angenehm sein, denn er
wurde nicht wieder laut.

»So was könnt' ich die ganze Nacht zugehör',« sagte Martin.

Das Gespräch lenkte indessen bald wieder in die frühere Bahn ein -- in das
was eben das praktische Leben der Jäger und ihre alltäglichen Erlebnisse,
und dann auch wohl einmal ein außergewöhnliches Abenteuer betraf.

Merkwürdiger Weise existiren in diesen wilden Bergen nämlich gar keine
Sagen, während die Schweiz deren so viele birgt. Alles was die Menschen
hier umgiebt, ist reelle Wirklichkeit, und wie fast jedes andere
europäische Volk seine Kobolde oder Wichtelmännchen, seine Nymphen oder
Nixen, oder wo die fehlen wenigstens irgend das eine oder andere anständige
Gespenst hat, das dann und wann einmal sich sehen läßt oder Glück
oder Unglück bedeutet, sind diese schönen Berge hier jedes solchen
geheimnißvollen Zaubers beraubt. Man hat die armen Geister mit der
trockenen Vernunft sauber hinausgefegt aus Schlucht und Klamm und von
den hohen Jochen nieder, auf denen sie doch gewiß einmal in früherer Zeit
gehaust.

Gespenstergeschichten sind aber auch eigentlich in den Bergen nichts nütz.
Der Mann braucht dort seine fünf _gesunden_ Sinne, den Gefahren die ihm
seine schwere Bahn schon ohnedies in den Weg wirft, kaltblütig die Stirn zu
bieten. Es ist keineswegs gesagt, daß das Herz, das der augenscheinlichsten
Todesgefahr ohne ängstliches Klopfen entgegengeht, nicht stillstehn
würde, wo es sich um irgend ein abgeschmacktes, wenn nur _über_natürliches
Schreckniß handelt -- wir haben davon auf See und Land zu viele Beispiele.
Hat es der Mann allein mit der Natur zu thun, und wenn sie ihm in allen
ihren Schrecken entgegenträte, kann er sich mit kaltem Blut und festem Muth
noch manchmal retten -- kommen übernatürliche Schrecken, kommt irgend ein
toller Aberglaube dazu, so ist er fast immer verloren.

»Ist nicht neulich einmal Einem von Euch hier ein Unglück auf der Jagd
passirt? -- Wenn ich nicht irre, hat sich Einer geschossen.«

»Von uns nicht,« nahm Wastel das Wort. »Kaltschmidt's Bruder ging die
Büchse los, und er hat sich zwei Finger zerschossen.«

»Durch Unvorsichtigkeit?«

»Nein. Er hatte einen Gemsbock erlegt, läd't seine Büchse wieder und steigt
dann hinüber ihn zu holen. Dort angekommen, wo der Bock im Feuer zusammen
gestürzt war, bricht er ihn auf, packt ihn in den Bergsack und hebt sich
den auf den Rücken. Wie er aber die neben ihm lehnende Büchse über die
linke Schulter wirft, reißt ihm der Büchsenriemen ab, oder das Leder geht
aus der Schraube, und als er unwillkürlich mit der Hand zufährt, sie zu
halten, greift er dabei vor den Lauf, der Hahn trifft wahrscheinlich auf
einen Stein, der Schuß fährt heraus, und die Kugel schlägt ihm den vierten
Finger ganz und den dritten halb weg. Nun hat er erst eine ganze Weile
nach seinem Finger gesucht, ihn aber nicht wieder gefunden, und mußte ihn
draußen lassen.«

»Er war doch nah bei Menschen?«

»Das gerade nicht,« sagte Wastel lachend -- »er mußte drei Stunden gehn bis
er zu Hause kam. Seinen Bock hat er aber darum nicht im Stich gelassen, und
ist glücklich damit heim gekommen.«

Es war nichts Uebertriebenes in dem Bericht. Mit der furchtbar
verstümmelten Hand hatte der Mann die schwere Gemse, die doch etwa ihre 50
östr. Pfund wiegt, den weiten Weg allein zurückgetragen, und war nachher
glücklich geheilt worden.

[Illustration]

»Und solche Fingerwunden sind gar schlecht«, meinte Weinseisen -- »der
Waldwart weiß auch davon zu erzählen.«

»Ja, aber ich habe mich nicht geschossen,« fiel der Angeredete in's Wort,
-- »mich hat ein Wilderer hinein gebissen.«

»Ein Wilderer?«

»Es sind nun schon ein paar Jahre her, da hört' ich, als ich vom Heimjoch
eines Tages nieder stieg, in der Laures einen Schuß. Ich machte daß ich
hinüber kam und ungefähr in der Gegend, wo ich glaubte daß es gewesen sein
könnte, vorsichtig herumpirschend, sah ich plötzlich einen fremden Kerl
mit einer grauen Joppe, und einem schwarzen Bergsack neben sich, auf einem
Stein sitzen und ganz behaglich frühstücken. Dicht bei ihm lehnte sein
Stutzen und vor ihm lag eine Geis, die er eben geschossen hatte. Der Wind
ging gerade ziemlich stark und ich konnte dicht an ihn hinankommen. So,
eh' er sich's versah, sprang ich auf ihn, und drohte ihn über den Haufen zu
schießen wenn er die Hand nach der Büchse ausstreckte. Was wollte er machen
-- ich war im Vortheil und er mußte thun was ich von ihm verlangte. Ich
nahm ihm also vor allen Dingen den Stutzen weg und hing ihn über, ließ ihn
die Geis einpacken und aufhucken, und dann mußte er mit mir zu Hause gehn.
Er jammerte freilich ich sollte ihn laufen lassen, aber das durfte ich
nicht, und so waren wir bis vielleicht eine Viertelstunde vor meinem Haus
gekommen, als er mich bat ich möchte ihn einen Augenblick niedersetzen
lassen -- er sei so müde. Er legte den Bergsack ab, und ich blieb neben
ihm stehen. Wie ich nun dachte daß er gerastet, sagt' ich ihm wir wollten
weiter gehn, und er gehorchte auch und that als ob er den Sack wieder
aufnehmen wollte. Als er sich aber danach niederbarg, erwischte er einen
Stein, den er sich wahrscheinlich schon vorher dazu ausgesucht hatte, fuhr
wie der Blitz wieder in die Höh', und schlug mich damit an den Kopf. Nun
glaubt' er freilich er hätt' mich, aber damit war's gefehlt. Ich packte ihn
bei der Schulter und Kehle, und wenn's auch ein junger Kerl war, wär' er
mir doch nicht fortgekommen. Da erwischt er meinen Daumen hier zwischen die
Zähne daß ich glaubte, er hätt' ihn mir schier abgebissen, und wie ich ihn
im ersten Schmerz losließ, stieß er mich von sich, und war im Augenblick
nachher in den Laatschen drin. Das war das letzte was ich von ihm gesehn
habe, und mein Finger wurde nachher gar arg schlimm.«

»Wie Jackel noch gewilddiebt hat, soll ihm auch einmal ein Jäger die eine
Fingerkuppe weggeschossen haben,« sagte auf einmal der Kammerdiener ganz
ernsthaft aus dem Hintergrund vor.

»Wer? ich?« rief Jackel, dem die Pfeife beim Zuhören wohl zwanzig Mal
ausgegangen war, ganz erstaunt. »Aber schon nicht. Den hab' ich mir mit
einem Handbeil weggeschlagen.« -- Die anderen Jäger lachten.

»Hat nicht der Rainer vor ein paar Jahren einmal dem Jackel ein Gewehr
weggenommen?« frug ich, das Bergmännle vor mir auf dem Schooß haltend und
es langsam streichelnd.

»G'raubt hat er's!« rief aber Jackel, dem die Frage eine höchst fatale
Erinnerung weckte -- »heimlicher Weise aus der Hütte 'raus.«

»Was hatt'st Du mit einem G'wehr in der Hütte zu thun?« vertheidigte sich
aber Rainer -- »Du bist kein Jäger.«

»Das weiß ich,« sagte Jackel, und zieht vergebens an der ausgegangenen
Pfeife, »aber damals, 48, wie die Welschen herüber kommen sollten, da hatt'
ich mir ein gutes G'wehr gekauft -- es kostete mich _fünf_ Gulden, aber
es schoß auch gut, und weil ich's nicht zu Haus lassen wollt', wo sie mir
schon einmal mit Schroten drauß geschossen hatten, nahm ich's mit auf die
Alm zum Holzhacken. Der Rainer aber der war mir nachgeschlichen und hat
sich hinter 'en Busch gelegt, bis wir an die Arbeit 'gangen waren, und dann
ist er hergekommen und hat es heimlich g'raubt und mit fortgenommen -- und
ich soll's heute noch wiedersehn.«

Jackel stand übrigens in der That in dem Verdacht früher manchen eben
nicht nöthigen Spaziergang in den Bergen gemacht zu haben. _Die_ Zeit lag
indessen hinter ihm, und er läugnete das jetzt hartnäckig. So gutmüthig
diese Bursche dabei sind, so schlau sind sie, und als ihm der Herzog einmal
in den Bergen befahl seine Büchse zu laden, stellte er sich so ungeschickt
dabei an, als ob er gar nicht wisse, was unten hin gehöre, die Kugel oder
das Pulver.

Der Jagdplan auf den morgenden Tag wurde jetzt besprochen, und da wir
vor Tag ausbrechen mußten, unseren Stand noch vor der Morgendämmerung zu
besetzen, stand der Herzog auf, die Nacht auf seiner mit Heu gestopften
Matratze unter einer wollenen Decke zu verbringen.

»Wie viel Uhr ist's? -- es muß schon spät geworden sein.« Rainer hat rasch
nach seiner silbernen Uhr gesehn.

»Zehn Uhr, Hocheit.«

»Zehn Uhr?«

»Point du tout, zehn Uhr!« versichert Rainer.

       *       *       *       *       *

Die meisten Jäger schliefen in einer anderen Almhütte, in der noch Heu
vorräthig lag, und krochen dort hinein. Der Kammerdiener hatte mit dem
Mundkoch sein »Bett« in einer Ecke der Hütte hier gemacht, und während ein
Theil der Jäger ebenfalls in's Lager kroch, sammelte sich ein anderer noch
um das Feuer, stopfte sich eine frische Pfeife, und sprach sich über seine
morgenden Jagdhoffnungen aus.

Auch Jackel hatte, da der Raum frei wurde seine Pfeife wieder frisch
gestopft und angezündet, und ging jetzt daran seine nächtliche _Arbeit_ zu
beginnen.

Ihm war nämlich das Amt übertragen sämmtliche Schuhe der Schützen wie
des Kammerdieners und Kochs zu schmieren und etwa herausgebrochene Nägel,
sogenannte _Zahnlücken_ nachzusehn und wieder auszubessern. Das hielt ihn
allerdings manchmal bis spät in die Nacht beschäftigt, verhinderte ihn aber
nie, Morgens der Erste wieder am Platz zu sein und Feuer anzumachen.

»Nun Jackel, wie ist es den letzten Sommer hier oben gegangen, gut?«

»Ih, muß ja wohl gut sein -- ich bin ja halt immer gesund gewesen.«

»Aber er hat Aerger mit seinem Wirth gehabt,« sagt Martin, mit einem
Blinzeln des linken Auges, »der hat ihm zu viel für Miethe abgefordert.«

[Illustration]

»Ih nun ja,« sagt Jackel gutmüthig -- »aber er braucht sein Bischen auch
-- vorigen Winter hat er mir's aber ganz geschenkt, weil ich ihm soviel
erzählt habe, was die Herren hier untereinander gesprochen.«

»Und was zahlt Ihr jährlich Miethe?«

»_Zwei_ Gulden,« erwiederte Jackel, mit einer starken Betonung des
Zahlworts, und paßte einen neuen Nagel in den vor ihm auf dem Knie
liegenden Schuh.

»_Zwei_ Gulden?« ist die erstaunte Gegenfrage, »jährlich?« --

»Ja, aber ich hab' auch frei Holz dafür,« ergänzt Jackel, seine Extravaganz
in Miethe doch etwas zu mildern.

»Aber das muß Er sich selber klein machen?« vertheidigt ihn der
Kammerdiener wieder mit komischem Ernst, den Eigennutz des Wirths in recht
grelles Licht zu setzen.

»Ih nun ja, das thu' ich gern,« sagt Jackel gutmüthig.

»Und mit was beschäftigt Ihr Euch nun den Sommer über?«

»Mit Allem was vorkommt, eigentlich aber bau' ich Cithern und Geigen.«

»So? und die sind wohl theuer?«

»Nu ja,« sagt Jackel, und zieht die Augenbrauen hoch in die Höh' -- »eine
recht _gute_ Geige, was sie eine _Tanzmeistergeige_ nennen, die kann ich
doch schon nicht unter _sechs_ Gulden zusammenbringen, und eine hübsche
Wiener Cither kostet auch so viel -- sie sind ein Bischen theuer, aber es
ist auch große Arbeit d'ran.«

»Und die gewöhnlichen sind billiger?«

»Ei ja schon -- aber doch auch immer zwei bis drei Gulden -- unter dem
ist's nicht möglich. -- Oh ich verdien' ein recht hübsches Geld und Viele
haben's noch schlimmer wie ich, in den Bergen --«

Ehrlicher Jackel -- wie wohlthätig wäre es Manchem der seine Einnahme nach
Tausenden zählt, und immer noch nicht zufrieden ist, immer nicht auskommt,
und mit dem Schicksal murrt, sich einmal mit einem solchen Mann zu
unterhalten. Wie wenig braucht der Mensch und wie viel braucht er
eigentlich. -- Mit wie wenigem können Leute glücklich und zufrieden sein,
und wie häufig laden wir uns selber da draußen in dem tollen Treiben das
wir die Welt nennen, neue und neue Lasten, neue und neue Bedürfnisse auf,
keuchen unter dem thörichten Gewicht, das wir freiwillig mitschleppen, und
klagen das Schicksal an, daß es uns nicht zu Hülfe kommt.

Es ist Nacht -- schon halb im Schlaf hör' ich noch das Klopfen Jackels,
der die pyramidenköpfigen Randnägel in die geschmierten Schuhe schlägt.
Der Wind hat sich dabei aufgemacht und heult über das Joch, und der Regen
schlägt kaltpeitscheud auf das Dach nieder. -- Dort steigt der Jackel, mit
_einem_ Schuh an, den halbverwesten Leichnam auf der Kraxen, die steile
Wand hinunter, und statt dem Bergstock trägt er eine Cither unter dem Arm.
-- Und wie das prasselt und donnert um uns her. -- Das ist ein Rudel Gemsen
das über die Reißen setzt und hier hernieder stürmt -- und jetzt ist
die Büchse abgeschossen. Rasch das Pulver hinein, und die Kugel mit dem
Pflaster obendrauf -- heiliger Gott sie steckt fest -- der Ladstock bringt
sie nicht hinunter, und dort steht das ganze Rudel und starrt uns an. --
Ha -- jetzt geht's -- langsam rutscht sie nieder -- der kalte Schweiß läuft
mir von der Stirn -- jetzt sitzt sie -- der Ladstock springt -- und nun ein
Kupferhütchen. -- Das eine rutscht aus den Fingern und fällt zwischen die
Steine -- die Gemsen sehen die Wand hinunter -- in der Tasche _muß_ doch
noch eins stecken -- keins mehr zu finden -- und da auch nicht -- da wieder
nicht -- halt hier ist richtig noch eins im Futter drin und nun nach. Noch
können die Gemsen nicht aus Schußweite sein, und wenn ich jetzt hinab
nach jenem Absatz springe -- ha, wie die Steine unter dem flüchtigen Fuß
hinwegstieben und nieder, nieder rollen in die Tiefe -- weiter und weiter
-- und jetzt -- der ganze Berg rollt. Wie eine furchtbare Fluth schiebt
sich die ganze Decke in's Thal hinab dem steilen Abgrund zu, und dort gähnt
schon die furchtbare Tiefe schwarz herauf. -- Die überhängende Laatsche
faßt noch die zitternde Hand, das Gewehr poltert nieder und unten -- tief
unten in der Nacht hör' ich den dumpfen Knall und wenn der Zweig jetzt --
er knackt -- er dreht sich in der Hand -- hinab -- ha -- -- Gott sei Dank
-- es war nur ein Traum! Was man für Dinge in den Bergen träumt.

[Illustration: =Die Almhütte.=]




10.

Die Delpz.


Draußen ist's still geworden. Durch das kleine Fenster schaut das
Siebengestirn freundlich herein und der Sturm scheint vorüber zu sein.
-- »Schritte vor der Thür?« -- wahrhaftig schon Morgendämmerung, der
Kammerdiener kommt zu wecken.

Wie die kalte frische Luft durch die Nerven zieht und die Haut prickelt,
aber den Schlaf auch dafür im Nu von den Lidern scheucht. Und was für ein
wunderbares Dämmerlicht, da oben auf die hohe Rasenwand der Delpz fällt,
und wie nah und niedrig jetzt die Berge aussehn. -- -- Fangt aber nur an zu
steigen und sie dehnen und strecken sich und ihre Gipfel wollen nicht näher
kommen, stundenlang.

Jetzt Gesicht, Brust und Hände im kühlen Quell gebadet -- nun hinein an
das knisternde Feuer so rasch als möglich eine Tasse Kaffee zu bekommen und
dann fort, denn eine tüchtige Strecke haben wir zum heutigen Treiben noch
zu machen.

Der Mundkoch, zwischen einer Quantität Töpfe und Kannen ist indessen
emsig beschäftigt das Frühstück für die Jäger herzustellen, und der
_Kammerdiener_ besorgt das Gleiche für die Jagdgesellschaft.

Ueberhaupt ist dieser das Factotum in den Bergen, das Kammrad um das sich
die ganze Maschinerie des _inneren_ Ministeriums wenigstens dreht. Stände
er einmal still, es gäbe eine Heidenconfusion. Er hat für Alles zu sorgen
und sorgt für Alles; die ganze Einrichtung verschwindet auf dem einen
Pirschhaus und taucht auf dem anderen wieder auf. -- Niemand wüßte wie,
wenn nicht die Träger hie und da beim Treiben oben an einer Wand dem
Pirschpfad folgend sichtbar würden, und gewissermaßen die Fäden zeigten, an
denen sie bewegt werden.

[Illustration]

Aber von all den tausend Kleinigkeiten, an die zu denken ist, vergißt er
selten oder nie etwas. -- Alles ist besorgt, alle Träger sind zur rechten
Zeit bestellt und an den rechten Ort gewiesen -- Erkundigungen sind
schon vorher eingezogen ob an dem neuzuwählenden Platz Heu vorhanden ist,
Matratzensäcke und Kopfkissen damit auszustopfen, wie es mit dem Proviant
gehalten wird, den der Haushofmeister vom Jagdschloß aus hinauf befördern
läßt. -- Die Träger die das Essen heraufbringen, nehmen denn auch
gewöhnlich die erlegten Gemsen mit, und Boten wechseln dabei herüber und
hinüber. Er ist zugleich Tafeldecker und Kammermädchen, Haushofmeister
und Kammerdiener, bessert erlittene Schäden aus und beugt neuen vor -- hat
Alles von Instrumenten und Utensilien in Vorrath was man sich nur denken
kann, ein ganzes Arsenal von Knöpfen, Nadeln, Zwirn, Nägeln, Bändern etc.
etc. etc.

In seiner ärgsten Geschäftigkeit trägt er dabei einen weißen Hut; nur
Morgens nach dem Frühstück wenn _Alles_ abgefertigt, wenn die ganze Jagd
hinausgezogen ist in die Berge, und ihm das Feld allein überlassen
wurde, dann hat er eine gestrickte Mütze die er aufsetzt, und die
_Beruhigungsmütze_ nennt. Dann ist Frieden im Reich, und höchstens Jackel
mit den übrigen Trägern zurückgeblieben, seine Anordnungen auszuführen.

Aber fort -- fort; draußen hellen sich schon die Höhen und der Morgen
bricht sonst an, ehe wir die, noch ziemlich ferne Schlucht erreichen. Kalt
und frostig schickt ein scharfer Nordost seinen eisigen Hauch herüber, und
die Glieder müssen wir durch Gehn erwärmen. Das ist auch leichte Arbeit in
den Bergen, denn jetzt an steiler Lanne hin, den kaum sichtbaren Pirschpfad
folgend, jetzt thalauf und ab, fühlt man die Kälte bald nicht mehr, und
gar nicht lange, so zeigen die fallenden Schweißtropfen und die heiße Stirn
eine ganz andere Temperatur, als die beim Ausgang war.

Die Nacht, oder vielmehr gegen Morgen hatte es etwas geschneit und in
dem Delpzkessel selber, an der Nordwand, lag auch noch Schnee von einem
früheren Fall her. Dort wurde ich hinaufgeschickt, und zwar so weit, daß
ich bis dicht unter die steil anlaufende Wand und auch eine Strecke nach
unten -- wo außerdem noch gegenüber eine Wehr hinkam, schießen konnte.
Die Parole war dabei: ruhig und still liegen zu bleiben und sich nicht zu
rühren, denn das Geringste was sich regt, gewahrt die Gemse.

Der einzige günstige Platz den ich mir da oben, wo auch nicht der geringste
Busch, nicht die kleinste Laatsche stand, aussuchen konnte, war in einem
flachen Erd- oder vielmehr Schneekessel, denn der ganze Hang lag dicht mit
gefrorenem Schnee bedeckt. Im Bergsack hatte ich allerdings den für solche
Fälle höchst nöthigen Mantel und war auch noch von dem raschen Marsch warm
genug, trotz den nackten Knieen eben keinen Frost zu fühlen -- aber das
Treiben wollte nicht beginnen. Eine Viertelstunde verging -- eine halbe --
eine ganze Stunde -- und noch regte sich nicht das Geringste, weder auf der
Höhe von Treibern, noch im Kessel drin von einer Gemse.

Die Zähne fingen mir jetzt an zusammen zu schlagen und ich kauerte mich
eine Weile so eng ich konnte auf dem nichtswürdig kalten Schnee zusammen.
Die Neugierde läßt den Menschen aber auch da nicht ruhn, und vorsichtig
wieder den Kopf hebend, schaute ich mit abgenommenem Hut über den Rand der
kleinen Höhlung in der ich lag, ob sich denn noch gar Nichts sehen ließ. Zu
hören war nicht das Mindeste.

Einen wunderbaren Anblick bot, als der Tag völlig angebrochen war und die
Sonne das hohe pyramidenförmige Joch des Scharfreuters beschien, der Kessel
selber. Die Dämmerung hatte sich aus diesem noch nicht ganz hinausarbeiten
können, und der Schnee der auf den Reißen der Nordseite lag, schillerte
in bläulich matter Farbe. Kein einziger Busch war zu erkennen; nur drüben
unter dem Scharfreuter der die südliche Grenze desselben bildet, wuchsen
kleine verkrüppelte Laatschen. Links hob sich dabei die vollkommen kahle
schroffe Wand viele hundert Fuß empor und grad' aus lief sie zu einem engen
niederen Passe nieder.

Wenn man so da lag und hineinschaute, sah es auch aus als ob der ganze
Platz kahl, und leicht zu übersehen wäre, nicht eine Ratte hätte sich
ja darin verbergen können, außer vielleicht hie und da hinter einem
niedergebröckelten Stein. -- Ich war aber mistrauisch gegen diese
Augentäuschung geworden, die mich schon einige Mal irre geführt, und
untersuchte vorsichtig auch den kleinsten dunklen Punkt mit meinem
Fernrohr.

Wenn es nur nicht so furchtbar kalt gewesen wäre -- und dann der Schweiß
vorher. Wunderbarer Weise hat aber ein Temperaturwechsel, der im flachen
Lande und in der dicken schweren Luft da unten die schlimmsten Krankheiten
nach sich ziehen müßte, hier nicht die geringsten Folgen. Man friert eben
oder wird heiß, und mit der Ursache ist auch die Wirkung vorbei.

Zwei volle Stunden mochte ich so auf der einen Stelle gelegen haben, da
klapperte ein Stein! -- noch in weiter Entfernung zwar, aber es war da
jedenfalls etwas unterwegs. Oben auf der Wand wurde auch jetzt ein Jäger
sichtbar -- nicht größer wie ein Fingerglied stand er oben, und nur sein
ha -- ho! schallte klar und deutlich nieder. Da donnerte ein Schuß durch
den Kessel, und brach sich rasselnd an der rauhen Wand -- ich sah auch den
blauen Dampf in einem kaum erkennbaren Wölkchen aufsteigen, weiter war
aber nichts zu sehn. Da -- dort waren Gemsen, sieben -- acht -- neun Stück,
klein wie die Ameisen die an einer Kalkwand hinlaufen, sprangen sie über
den weißen Schnee der Reißen, gerad' nach mir zu. Die kamen sicher hier
herüber. Jetzt sind sie plötzlich verschwunden -- das was ich von hier
für ebenen Grund gehalten, sind tiefe Schluchten und Spalten und einer von
diesen folgend haben sie sich dem inneren Kessel zugewandt, dort vielleicht
hinunter und in das Thal nieder zu brechen. Aber dort steht auch ein
Schütze der sie schon empfangen wird.

Es sieht wundervoll aus, wenn die kleinen winzigen Dinger so flüchtig über
die Steine wegsetzen. Was für einen Spektakel sie dabei auf dem Geröll
machen -- und doch sind sie so weit entfernt. Jetzt kommen sie dort
plötzlich, als ob sie aus der Erde herausdrängten, wieder zum Vorschein.
Hei, wie sie dem Engpaß zuspringen an dem -- Wie von einer Kugel getroffen,
knickte ich zusammen und in den Schnee hinein, denn dort vor mir -- kaum
vierhundert Schritt entfernt, und in schnurgerader Linie auf mich zu, kam
ein alter pechschwarzer Bock langsam über den knatternden Schnee daher
getrollt. Vorsichtiger Weise hatte ich mir heute Morgen ein weißes Tuch
mitgenommen, das ich jetzt über den Kopf band, die dunklen Haare zu
verdecken, dann die Büchse spannte und mich nun langsam aufrichtete,
den Bock zu empfangen, oder wenn er zu weit nach unten einbiegen sollte,
anzuspringen. -- Er war stehn geblieben, und schaute jedenfalls nach dem
Rudel hinunter das jetzt durch den vom Schnee freien Kessel setzte. Wie er
so dastand sah er wahrhaftig aus wie ein dreijähriger Keuler, so schwarz
und zottig und anscheinend plump auf den Füßen.

Ich fing jetzt vor Kälte und Aufregung an zu zittern, daß mir die Glieder
ordentlich am Leibe flogen, aber das dauerte nur wenige Momente, und jetzt
drehte sich auch der Bock langsam nach mir um und -- verschwand. Im Schnee
war er auf einmal wie geschmolzen, und da ich fürchtete daß er auch am
Ende, wie das Rudel, irgend eine Spalte angenommen haben könnte und dieser
dann thalab folgte, sprang ich in die Höh' und aus meiner Höhlung heraus
auf den höheren Rand, dort jedenfalls mehr Uebersicht zu haben, und einen
freieren Schuß zu bekommen. Unwillkürlich sah ich dabei nach unten hin, als
es _über_ mir wieder krachte und der Bock jetzt, der dort auf's Neue zum
Vorschein gekommen war, und mich jedenfalls gesehen hatte, in voller Flucht
über den Schnee fort und dem steilen Felsrand zusauste, der ihn vor meiner
Kugel gesichert hätte. _Die_ wurde ihm aber, ehe er noch zwanzig Sätze
gemacht; die Kugel schlug auch vortrefflich und der Bock zeichnete; nichts
destoweniger setzte er mit unverminderter Schnelle seinen Lauf fort, und
mein zweites Rohr -- versagte.

Das todte Niederschlagen des Hahns auf das Hütchen ist unter allen
Umständen ein fataler Laut, hier aber, nachdem man ein paar Stunden im
Schnee gelegen hat und bald erfroren ist, bringt es Einen wirklich zu
gelinder Verzweiflung und man faßt unwillkürlich die Büchse, als ob man ihr
etwas zu Leide thun wollte -- man thut ihr aber Nichts.

»Piff -- paff« -- ging es jetzt auch unten im Thal, und als ich den Kopf
dorthin wandte, sah ich wie das Rudel den schmalen Engpaß angenommen, und
trotz dem dort stehenden Schützen forcirt hatte.

Mir machte jetzt indeß mein eigner Bock zu schaffen, und vor allen Dingen
den abgeschossenen Lauf wieder ladend, und dem anderen ein frisches
Zündhütchen aufdrückend, nahm ich meinen Hut und Bergstock, und kletterte
an dem harten Schnee hinauf, den Anschuß zu untersuchen. Der Bock selber
war lange um die Felswand verschwunden.

Schweiß! -- beim Himmel! ein großer dunkler Tropfen, gleich dort wo ich die
Fährte fand, und weiter zurück wo die Kugel in den Schnee gefahren, lagen
abgeschossene Haare. Der Bock hatte hier gleich vom Anfang an auf beiden
Seiten geschweißt; und war jedenfalls durchgeschossen. Für jetzt ließ sich
indessen weiter Nichts thun als den Anschuß zu verbrechen -- aber womit?
Kein Busch stand auf tausend ja vielleicht zweitausend Schritt. Ich that
endlich das Einzige was mir übrig blieb, ich legte meinen Hut auf den
Schweiß und stieg nun in's Thal hinab wo sich die Schützen schon sammelten.
Oben auf der Wand halloten die Treiber noch, und warfen dann und wann
Steine nieder. Lärm genug machten die allerdings, wenn sie mit hohlem
Sausen in's Thal hinab donnerten; nützen konnten sie aber für den
Augenblick Nichts weiter.

Nach halbstündigem Marschiren näherte ich mich endlich der Stelle wo unser
Jagdherr einen starken Bock erlegt hatte. Er lag dicht unter der Wand
und der glückliche Schütze stand neben ihm. Martin kam eben seitwärts vom
Treiben herein. Da löste sich oben ein kleiner Stein von der Wand, kam
herunter gesprungen, und schlug etwa zehn Schritte vom Herrn ein. Er kam
übrigens hoch genug nieder, dem unten Stehenden den er traf, noch ein
tüchtiges Loch in den Kopf zu werfen, -- wenn nicht mehr zu thun.

»Werft keine Steine mehr da oben 'runger!« rief Martin hinauf, und hielt
sich den Hut hinten, um besser nach oben sehn zu können.

»Ja!« lautete die Antwort und gleich darauf donnerte und krachte es oben,
als ob ein Felsblock nieder käme. Ich war noch ein Stück davon entfernt,
konnte aber deutlich sehn wie Herr und Diener eben noch Zeit behielten
unter einen vorhängenden Felsblock zu springen, als die etwa kopfdicken
Brocken niederprasselten.

[Illustration]

»Ihr sollt keine Steine mehr oben herunter gewerf!« schrie Martin jetzt
wieder, sobald das Geröll unten anlangte, indem er vorsprang den Befehl
hinaufzurufen.

»_Ja!_« lautete die, wie ärgerlich gegebene Antwort und mit dem Ruf
zugleich donnerte es auch auf's Neue von oben wieder, und jagte Martin
eben so rasch unter die Wand, um welche die zerschellenden Stücken herum
spritzten.

»Ihr sollt nicht mehr _werfen_!« schrieen jetzt andere Jäger hinauf, und
Martin wollte eben einen neuen verzweifelten Versuch machen dem Steinhagel
Einhalt zu thun, denn die Lage seines Gebieters fing dort unten an
gefährlich zu werden; wieder aber schickte ihn eine neue Ladung zurück, und
ich selber konnte von der Stelle aus auf der ich stand deutlich erkennen,
wie sich der oben stehende und hitzig gewordene Rainer die größte Mühe
von der Welt gab, nur recht rasch noch ein paar frische Steinbrocken
aufzutreiben, oder von der Wand loszutreten und nieder zu senden. Er hatte
keine Ahnung davon welch Unheil er anrichten konnte. Nur mit entsetzlicher
Mühe brachten wir ihn auch endlich, durch vereintes Geschrei dahin, von
seinem Bombardement abzustehen, denn während ihm von unten aus zugerufen
wurde mit Werfen aufzuhören, hielt er das fortwährend für eine Aufforderung
mehr Baumaterial herunter zu lassen, weil er, seiner späteren Aussage
nach, glaubte man hätte irgendwo an der Wand einen alten hartnäckigen
Bock entdeckt, der nicht heraus zu bringen wäre, und »den wollen wir schon
kriegen, dacht' ich.«

Der erlegte Bock wurde jetzt zum Eingang der Delpz und auf den scharfen
Rand gebracht, der direkt zum Scharfreuter herunterläuft. Dort sammelten
wir uns alle, von da aus ein zweites Treiben das am Wisinger Berg gemacht
werden sollte, zu umstellen -- aber vorher ein wenig zu frühstücken.

Eine zweite Gemse die unten geschossen worden, war jetzt auch herbei
gebracht und Martin beschrieb gerade wie er von oben hereingekommen, und
den erlegten Bock an der Wand hinaufklettern gesehn, als er seinen Bericht
plötzlich mit dem halbunterdrückten aber ängstlich hervorgestoßenen »Ein
Bock!« unterbrach, und zu gleicher Zeit deutete der Arm mitten in den
Kessel hinein, derselben Wand zu, von der Rainer sich vor noch kaum einer
halben Stunde die größte Mühe gegeben hatte Alles niet- und nagellose
nieder zu senden.

Und er hatte recht; trotz dem Lärm, trotz dem Rufen und Schreien, trotz dem
vielen Schießen endlich, da wir nach dem Treiben unsere Büchsen abgefeuert,
kam da schon wieder ein Bock in's Thal herein, und schien die Wand entlang
die Richtung gerade auf uns zu zu nehmen.

Noch war er allerdings so klein, als ob eine Maus auf der Schneebahn
hinliefe; die Thiere äugen aber ganz vortrefflich und wir wußten Alle daß
wir uns nicht rühren durften, wenn er nicht augenblicklich umdrehen und den
Rückwechsel annehmen sollte.

»Was thun wir jetzt?«

»Ich laufe hinten herum und schneid' ihm den Weg ab,« rief Martin schnell
bereit, »wenn die Anderen dann wieder oben auf den Rand gehn und die paar
Pässe besetzen, _muß_ er hier heraus.«

»Aber es sind außen herum zwei Stunden Wegs bis zu der Wand dort drüben,«
sagte Einer.

»Ich lauf's in einer halben,« versicherte Martin, und versprach keinesfalls
mehr als er leisten konnte.

»Sowie wir hier aufstehn sieht uns der Bock,« flüsterte Ragg.

»Wir brauchen nicht aufzustehn,« lachte der Herr und gab das Beispiel zum
allgemeinen Rückzug, indem er sich langsam hinten überbog. Ohne den Körper
oben wieder zu zeigen glitt er so nach hinten, und rasch, aber mit nur
mühsam unterdrücktem Lachen folgten Alle in derselben Art. Komisch genug
muß es auch ausgesehn haben, und wenn Jemand hätte oben vom Berg aus diese
plötzliche wunderbare Bewegung der ganzen Jagdgesellschaft beobachten
können, ohne die Ursache zu wissen, wäre er mit Recht erstaunt gewesen. Das
Manoeuvre hatte jedoch vollständigen Erfolg; der Bock gewahrte nicht das
Mindeste und Alle eilten jetzt, von dem Hang gedeckt, den ihnen bestimmten
Plätzen zu. Es konnte auch wahrlich kaum eine halbe Stunde gedauert
haben als Martin, der die Ausdauer eines Windhundes hat, sich an dem
entgegengesetzten Felsvorsprung zeigte und der Bock, also beunruhigt rasch
dem bequemsten Ausgang zueilte der gerade vor ihm lag. Da freilich mußte
er in etwa hundertfünfzig Schritt von dem Felsblock vorbei hinter dem unser
Gastherr geschickt sich verborgen hatte. Daß er in voller Flucht ging half
ihm ebenfalls Nichts. Er bekam die Kugel seines Namenvetters[3] mitten
auf's Blatt, lief noch etwa sechzig Schritt, und brach dann zusammen.

  [3]: Die doppelläufigen Büchsen in denen die Läufe übereinander liegen,
  werden _Böcke_ genannt.

Durch dieses Intermezzo war nun freilich der Tag für ein zweites Treiben
zu weit vorgerückt, und Martin wurde mit Pirschmann auf meinen kranken Bock
geschickt. Leider brachte er von der Nachsuche blos meinen Hut zurück, denn
der Bock der jedenfalls hoch und hohl durchgeschossen worden, hatte den
Berg angenommen und war, obgleich tüchtig schweißend, über die Grenze
gegangen. -- Gemsen sind überhaupt entsetzlich hart, und laufen, selbst bei
tödtlichem Schuß, oft noch eine lange Zeit. Eine _hoch_ geschossene Gemse,
wenn die Kugel nicht gerade das Rückgrat zerschlägt, kommt fast immer
durch, oder ist wenigstens in den meisten Fällen für den Jäger verloren.

Daß sich die Böcke übrigens, wie wir heut mehre gesehn, schon von den
Rudeln abhielten und einzeln umher zogen, war ein Zeichen daß die
Brunft bei ihnen begonnen hatte. In der Zeit ist der Gemsbock ein so
eigenthümliches wie merkwürdiges Thier. Ehe er sich wieder mit seines
Gleichen einläßt, scheint er sich erst eine Zeitlang in sich selbst
zurückzuziehn, stellt sich ganz allein, und nur mit seinen eigenen Gedanken
beschäftigt in steile Wände und Klammen ein, nimmt sehr wenig Nahrung zu
sich, und spielt mit einem Wort den ächten »Oansiedl vom Berge.« Sowie
aber die wirkliche Brunftzeit beginnt verläßt er diese verdeckten Orte und
steigt auf die Joche, am liebsten zu schmalen Stellen auf, von wo er nach
beiden Seiten hinab und nach den vorbeiziehenden Rudeln niederschauen kann.
Auch auf einzelne vorspringende Felsen geht er gern hinaus, einen besseren
Ueberblick über die Thäler zu gewinnen. Schließt er sich endlich einem
Rudel an, so setzt es gewöhnlich hartnäckige Kämpfe zwischen den schon
dabei befindlichen Böcken, wo dann natürlich das Recht des Stärkeren
entscheidet.

Laute giebt er in dieser Zeit nicht von sich, ein leises, nur in geringer
Entfernung hörbares Mekkern ausgenommen. Er soll aber dann, besonders wenn
die Jahreszeit weiter vorgerückt ist, außerordentlich neugierig werden,
und herbei kommen sobald er etwas Ungewöhnliches sieht -- vorausgesetzt
natürlich, daß er keinen Feind wittert.

Die Jäger bethören ihn auch wohl manchmal, indem sie, dicht versteckt
hinter einem Fels oder Busch, ihren Hut mit dem weißen Stoß von Schneehuhn
oder Birkwild daran, langsam hin und her bewegen, worauf der Bock gar nicht
selten herbei kommen soll, zu sehn was es gäbe. Einzelne haben sich auch
schon schwarze wollene Mützen mit einem breiten weißen Streifen an jeder
Seite stricken lassen, die sie dann über den Kopf ziehn, und diesen an
irgend einem Felsenvorsprung oder aus einem Busch heraus zeigen. Merkwürdig
ist, daß sich in dieser Zeit, dicht hinter den Krickeln des Bocks, am
oberen Theil des Kopfes, eine eben nicht ambraduftende Anschwellung,
der sogenannte Brunftknopf bildet, der etwa zu der Größe einer Haselnuß
anwächst.

[Illustration]

So scheu der Bock im Allgemeinen ist, und so sehr er besonders den Menschen
fürchtet, ist doch in der Riß schon einmal ein Fall vorgekommen, wo eine
Gemse unten im Thal, und auf dem Fahrweg, einen dort vorbeikommenden
Menschen aus freien Stücken angefallen, und bös gestoßen hat.

Merkwürdig bleibt das überhaupt in der Naturgeschichte der Thiere, und
für uns ein bis jetzt noch keineswegs aufgeklärtes Geheimniß, daß
ausnahmsweise, und in einem uns nicht erklärbaren Zustand von Aufregung
und Wuth sonst ganz friedliche und furchtsame, wenigstens den Menschen
_fürchtende_ Geschöpfe diesen anfallen, und dann auch nicht eher ablassen
bis sie getödtet oder unschädlich gemacht werden. Ich weiß solche Beispiele
von Füchsen, Wieseln, Mardern, wilden Katzen, ja selbst mit dem Hasen soll
es vorgekommen sein, und jener Gemsbock liefert ebenfalls den Beweis dafür.

Von großen Thieren bieten Elephanten und Rhinocerosse ähnliche Beispiele,
diese aber meist in der Brunftzeit, wenn sie von einem stärkeren Gegner
besiegt wurden und nun in höchst verdrießlicher Laune allein den Wald
durchziehn. Sie fallen dann Alles an was ihnen in den Weg kommt. Die
Wallfischfänger ebenfalls kennen die Gefahr der ihre Boote ausgesetzt sind,
wenn sie einen einzeln umherstreifenden Pottfisch (Cachelot, Spermfisch)
angreifen. Ist ja doch schon der Fall mit dem englischen Schiff Essex
vorgekommen, daß es ein einzelner Spermfisch selber ungereizt angefallen
und in Grund gebohrt hat.

Ueberhaupt kennen wir bis jetzt nur erst leider die alleräußersten Umrisse
des Familienlebens der wilden Thiere, denn die eingefangenen leben in einem
ganz unnatürlichen Zustand, und können keinen Maßstab geben, während in der
Wildniß selber eine genauere Beobachtung unmöglich ist. Es fehlt uns der
Schlüssel zu ihren Handlungen, wir verstehen ihre _Sprache_ nicht, und
begnügen uns gewöhnlich mit dem einen nichtssagenden Wort _Instinkt_ das,
was wir Außergewöhnliches von ihnen zu sehn bekommen, zu erklären.

[Illustration: =Der Bock in Sicht.=]




11.

Die Grasberg-Alm.


Die Nacht wehte ein fliegender Sturm, und der Mundkoch behauptete am
nächsten Morgen, daß ihm gerade um Mitternacht die Mütze, die er im Bett
aufbehalten, im Bett vom Kopf geflogen sei. Rein und wolkenlos brach
aber der nächste Morgen wieder an, und da hier nicht weiter gejagt werden
sollte, wurde das Lager zum Abend auf die Grasberg-Alm beordert. -- Weiter
war Nichts nöthig, und der Kammerdiener besorgte das Uebrige.

Auf dem Weg dorthin sollten einige, zwischen der Baumgart- und der
Grasberg-Alm liegende Gräben geriegelt werden. Gemsen zeigten sich hier
überall, und wenn auch natürlich die wenigsten zum Schuß kamen, wurden doch
wieder vier erlegt; drei von des Herzogs eigener Hand.

Ich saß unten, ziemlich tief im Graben in einer schattigen Felsspalte
drin, da die Sonne warm auf die Berghänge schien, und die Luft dort aufzog.
Völlig gedeckt mußte ich übrigens Alles, was mir etwa hätte schußmäßig
kommen können, schon zeitig genug hören oder sehen, mich fertig zu machen.
Ich vertrieb mir also damit die Zeit, durch mein Perspektiv zwei alte
Kitzgeisen zu beobachten die sich an einem grasigen Abhang ästen, während
die beiden kleinen niedlichen Kitzen, die eben die kurzen Krickeln etwa
zwei Zoll hoch zeigten, lustig um sie herumsprangen, auf den beiden
Hinterläufen tanzten, die kleinen kaum bewehrten Köpfchen gegeneinander
andrückten, und sich gerade so benahmen, wie sich ein paar junge
übermüthige Ziegenböckchen an ihrer Statt benommen haben würden. Obgleich
die Gemse nicht zum Ziegen-, sondern zum Antilopengeschlecht gehört, hat
sie in der Bewegung und Lebensart doch manche Aehnlichkeit mit ihr.
Sonst halten sich die beiden aber in den Bergen, wo sie doch manchmal
zusammentreffen, ziemlich entfernt von einander, und man soll eher Gemsen
zwischen Schafheerden auf der Aesung finden, als zwischen Ziegen, obgleich
das erstere ebenfalls sehr selten geschieht.

Von da wo ich lag konnte ich den oberen Pirschweg ziemlich deutlich
erkennen, der sich wie ein matt-lichter Streifen hie und da über nacktes
Gestein hinzog, bald zwischen Laatschenbüschen verschwand und an einer
kleinen Lanne oder sonst offenen Stelle wieder zum Vorschein kam. Wie ich
zufällig einmal den Blick hinaufwarf, sah ich sich etwas bewegen, und das
Fernrohr dorthin richtend erkannte ich bald einen geringen Hirsch -- es
mochte ein Sechs- oder Achtender sein -- der, von einem Thier gefolgt,
langsam den Pirschweg hin und zwar nach Osten zuhielt. Der Hirsch blieb
dabei manchmal stehn und äugte zurück, trollte aber dann immer wieder
rascher vorwärts, als ob ihm da hinten etwas nicht recht gefalle.

Ich zerbrach mir noch den Kopf darüber, was ihn in aller Welt könne
beunruhigt haben, da er sich vollständig außerhalb des Treibens befand, als
ich plötzlich zur Linken, auf demselben Pfad, etwas Weißes aus den Büschen
vorleuchten sah. Rasch richtete ich mein Glas dorthin, und erkannte bald
zu meiner innigen Freude den Kammerdiener und den Koch die, Beide in
Hemdsärmeln -- und der heiße Tag rechtfertigte vollkommen eine solche
Erleichterung -- die Röcke durch den linken Arm gesteckt Einer hinter dem
Anderen in angenehmer Unterhaltung daher kamen, und den Hirsch mit
dem Thier ebenfalls zu einem, wahrscheinlich gar nicht beabsichtigten
Spatziergang nöthigten. Der Mundkoch trug dabei etwas in der Hand, das hin
und her schaukelte und eigenthümlich in der Sonne blitzte, was es sei, ließ
sich indeß in solcher Entfernung nicht gut erkennen. Es war dies übrigens
das friedlichste Hirschtreiben das ich je gesehn, und hätte der Hirsch
ebensowenig von seinen Treibern gewußt, wie diese von ihm, wären sie
beide jedenfalls näher zusammen gekommen. So ließ sich das Wild noch eine
Zeitlang den Pirschweg gefallen, und verschwand dann endlich in einem, nach
unten in den Graben führenden Dickicht.

Einen eigenthümlichen Anblick hatten wir an dem Abend, als wir, schon etwas
nach Dunkelwerden, die Grasberg-Alm-Hütte erreichten. Unten die Thäler
lagen schon in tiefer Nacht, und selbst die Berge zeichneten sich düster
gegen den noch hellen Horizont ab. Dicht hinter den Häusern stieg eine
kahle, nur von breiten Streifen, fast wie angelegten Beeten von Alpenrosen
bedeckte Anhöhe hinauf, und lief, nach dem Kumpar hinüberführend, mit
ziemlich ebenem Rücken etwa tausend Schritt von Nord nach Süd. Der kahle
Rand stach jetzt desto auffallender gegen den noch lichtgrauen Himmel
ab. Oben aber, daß der ganze Körper bis zu den Klauen hinunter deutlich
sichtbar blieb und fast so aussah, als ob er zierlich aus schwarzem
Papier geschnitten wäre, stand ein Hirsch, spitz gegen uns gekehrt, und
beobachtete aufmerksam den Einzug der _ihm_ jedenfalls unwillkommenen
Gäste. Regungslos verharrte er dabei in seiner Stellung und man konnte mit
dem Fernglas deutlich das ausgreifende Geweih erkennen, bis wir durch eine
Senkung des Hügelhangs seinen Blicken entzogen wurden. Aber selbst dann
beruhigte er sich noch nicht, und wenige Secunden später tauchte der
schlanke Körper wieder auf einer anderen etwas vorragenden Stelle des
Hügelrückens auf, von wo aus er die Häuser selber überschauen konnte. Dort
stand er bis es so dunkel geworden war, daß man ihn kaum noch erkennen
konnte, und verschwand endlich, wie in den Berg hinein.

Das Wetter blieb die letzten Tage ziemlich schwankend. Den Tag über hatte
es manchmal ein wenig geregnet, manchmal die Höhen mit dichtem Nebel
umzogen; auch der Wind war eben nicht zum Besten gewesen. In der Nacht
drehte er sich indessen nach Südost herum, die Luft wurde kalt und rein,
vom Himmel funkelten Myriaden Sterne, und gegen Morgen deckte leichter Reif
den Boden.

Ich war früh aufgestanden, in erster Morgendämmerung die Aussicht nach den
gegenüberliegenden Bergen zu haben. Von hier aus hatten wir den Blick auch
in ein anderes Thal, dessen Pulsader, der klare muntere Bergstrom, wie der
Johannisbach, an der Carwendelwand entsprang, und sein Wasser von Nord nach
Süd in die Riß hinein jagte. Laut aufjauchzen hätte ich aber mögen, als
ich hinaus vor die Thür der Hütte trat und von dem nächsten, kaum dreißig
Schritt entfernten Grashang das zu meinen Füßen liegende Thal, die
gegenüber liegende Berggruppe überschaute.

Ich will versuchen den Anblick zu beschreiben aber, lieber Gott, wie weit
bleiben da Worte hinter dem wundervollen zauberschönen Bild zurück das sich
hier, wie durch den Stab eines Magiers heraufbeschworen, vor meinen Blicken
entrollte, und mir die Seele mit Lust und Jubel füllte. Das ganze Rißthal
unter uns, soweit das Auge darin nach rechts hinunter, nach links hinauf
schweifen konnte, wie das schmale, zwischen dem Falken und Roßkopf nach
der Carwendelwand zulaufende Laritter Thal war in der Tiefe mit dichtem
milchweißem Nebel angefüllt, aus dem die grünen bewaldeten Wände wie die
dunklen Ufer eines Nebelstroms emporstiegen. Darüber hoch hinaus ragten
die starren Kuppen der ewig schönen Berge vor uns, mit den kühn gerissenen
Gipfeln des Gemsjochs während links der Kumpar sein spitzes Haupt in die
blaue Luft hineinreckte. Ein Duft lag dabei über dem Allen, wie er sich
weder mit Farbe noch Feder schildern läßt, und wie die Sonne höher und
höher stieg, und der Nebel da unten Leben und Bewegung bekam, wie es
den Wiederschein von den Gipfeln in's Thal hinunterwarf, wie sich die
schneeigen luftigen Schichten anfingen zu rollen und ineinander zu drängen,
und ihre Ränder jenen eigenen wunderbaren fast durchsichtigen Rosenschimmer
annahmen -- wie es da endlich mehr und mehr zu wogen begann, als ob die
Bergriesen dadrinnen die Schultern gegengestemmt hätten, und die weiße
Fluth mit aller Macht zum Thal hinaus schöben, wie hie und da ein kleiner
Bergesvorsprung inselgleich und dunkel daraus empor stieg, daß ihm die
weißen Schwaden durch die Wipfel seiner Bäume schwindend, schmelzend über
den Nacken flossen und die ganze Pracht des morgenglühenden Thales jetzt
plötzlich sichtbar ward, da wußte ich gar nicht mehr wie mir geschah, so
leicht, so froh, so glücklich fühlt' ich mich, und hätt' ich mich nicht
vor den Jägern geschämt, ich glaube, ich wäre dem nächsten Baum um den Hals
gefallen, und hätte laut geweint.

Es giebt ja aber auch nichts Edleres, nichts Reineres als die Natur. Wer
sich ihrer freut, wem Gott Empfänglichkeit dafür in's Herz gelegt, der hat
ein Recht sich den bevorzugt Glücklichen zu zu zählen, denn überall auf
dieser weiten wunderschönen Welt sind ja Genüsse für ihn ausgestreut.

Eigenthümlicher Weise erfaßte mich hier ein ganz ähnliches Gefühl als
damals, als ich das erste Rauschen der Palmen über mir hörte. In jener
heiligen Ruhe der Tropenwelt unter den mächtigen wunderbaren Bäumen
vermochte ich _den_ Eindruck unwillkürlich nichts Anderem zu vergleichen,
als dem stillen heimischen Schneefall in einem Fichtenwald, wenn die
großen Flocken so langsam und sanft hernieder sinken, zwischen den grünen
schützenden Zweigen durch, und mit der weichen reinen Decke den Boden
warm belegen. So zitterte mir hier, den wilden trotzigen Alpen, dieser
gigantischen, kühn gerissenen Bergesschönheit gegenüber, dasselbe selige
Gefühl durch's Herz das ich empfand, als ich vom Megamendong in Java nieder
das herrliche Preanger Thal mit seinen einzelnen Fruchtbaum-Oasen, seinen
dichten Wäldern und all seiner tropischen Pracht vor mir ausgebreitet sah
-- und doch wie ganz verschieden sind die beiden Scenen.

Dichter und compakter sammelte sich indeß, während die Sonne höher stieg,
der Nebel, rollte langsam, ein Zeichen guten Wetters, zum Thal hinaus und
weiter in's flache Land --, und unsere Jagd begann.

Aber ich darf den Leser auch nicht mit Wiederholungen ermüden. Wohl hätt'
ich ihm freilich gewünscht das wundervolle Schauspiel mit zu genießen, das
uns noch einmal über Tag am Heimjoch der Nebel in seinen eigenthümlichen
Schatten und Formen gab, oder ihn einmal über einen der dortigen Pirschwege
in die Bockgräben, und so mitten in die wilde Fels- und Schluchtenwelt da
eingeführt, doch versäumen wir leider zu viel Zeit dabei.

Diese _Pirschwege_, so behaglich das Wort _Weg_ auch in den Bergen klingt,
darf man sich übrigens nicht etwa zu bequem denken. Sie sind meist immer
nur angelegt vollkommen unerreichbare Klammen und Wände passiren zu können,
und dort hinein zu pirschen, oder -- wenn man auf die andere Seite will --
weite, oft stundenlange Umwege, zu sparen. Das würde aber einestheils sehr
viel und hier in den Bergen äußerst werthvolle Zeit kosten, und dann ist
auch ein _Anschleichen_ an die scheuen, mit so scharfen Sinnen begabten
Gemsen an solchen Stellen ohne derartige Hülfe fast ganz unmöglich --
wenn man nicht eben Tagelang darauf verwenden will und kann, sie zu
durchkriechen. Die Spitzhacke hat dabei oft nur in sehr rauher Weise eine
natürliche Ader des Felsens benutzt, dem Fuß geringen Halt zu bieten, oder
das Jagdmesser über die Klippen hier nur einfach durch die Laatschen Bahn
gehauen. Gar nicht selten aber ziehn sich diese sehr schmalen Pfade an
schroffen wilden überhängenden Wänden schwindelnd hin, und der Wanderer muß
sich wohl hüten dem Steine nicht nachzuschauen der von seinem Fuß berührt
mit dumpfem langem -- langem Fall die blaue Tiefe sucht.

Die Jäger sagen daß ein solcher Stein den Menschen nachziehe, und
Unglücksfälle dadurch herbeigeführt, sollen allerdings schon vorgekommen
sein, ja nicht einmal zu den Seltenheiten gehören. Die Ursache liegt aber
auch dafür klar auf der Hand, denn während der Stein senkrecht an der Wand
niederfällt muß er allmälig, je tiefer er fällt, mehr und mehr aus dem
Gesichtskreis des Nachschauenden kommen der, um ihm mit den Augen zu
folgen, gezwungen ist sich weiter und weiter nach Außen zu biegen. Dadurch
kommt er mit dem schweren Oberkörper unmerklich _über_ den Abgrund, und mag
er so schwindelfrei sein wie er will, er _muß_ das Gleichgewicht verlieren.
Ueberhaupt ist das Steigen da oben an den Wänden herum manchmal wirklich,
wie der Amerikaner sagt »viel zu interessant, um angenehm zu sein.«

[Illustration: =Stillleben.=]

[Illustration: =Ein Pirschpfad.=]




12.

Das Gemsjoch.


Dem Grasberg gegenüber, und der steilen Carwendelwand zu, zieht sich ein
enges, von steilen Wänden eingedrängtes Thal. Die Scenerie ist hier viel
wilder wie an der Riß, weil die Felshänge viel schroffere und deshalb auch
weit weniger und nur stellenweis bewaldete Vorsprünge, zum unten vorbei
quillenden Bach hinunter schieben. Sieht man dabei von dort zu ihnen auf,
so hält man es auch wahrlich nicht für möglich, daß weder die Gemse, noch
viel weniger ein keckes Menschenkind an ihnen fußen und sich ihren fast
senkrechten Schluchten anvertrauen dürfe. Und doch bieten sie dem kühnen
Gemsjäger nur geringes Hinderniß. Mit dem scharfen Eisen unter dem Fuß, den
spitzen starken Stock in der Hand, laufen diese Bergmenschen furchtlos die
schmale Bahn entlang, jede Hülfe die ihnen hie und da der Boden bietet
mehr in einer Art von Instinkt als mit Vorbedacht benutzend. Ihre Uebung
in dergleichen Werk, die ähnlichen Hindernisse die ihnen überall
entgegenstehen, geben ihnen auch schon den raschen und höchst nöthigen
Ueberblick, die besten -- oft die allein möglichen -- Stellen zum Uebergang
rasch und unverzagt zu wählen und zu behaupten.

Dort zogen wir hinauf, dem engen Thal folgend, das hier durch die breiten
Wände des kleinen Falken und Gemsjochs rechts und links gebildet wurde.
Dicht an den Ufern eines ziemlich starken rauschenden Bergbachs, dessen
breites steiniges Bett von der furchtbaren Gewalt Kunde gab mit der diese
Wasser im Frühjahr nieder stürzen, und Alles mitnehmen, was sie in ihrem
Wege finden, lag unser Pfad. Da plötzlich, wie durch Zauberei, war der
Strom verschwunden, selbst unter unseren Füßen fort, und nur die gähe
Stille um uns her, machte uns erstaunt niederschauen in das noch allerdings
eben so breite und steinige, aber vollkommen _trockene_ Strombett. Dies
plötzliche Verschwinden war so merkwürdig, daß wir zwanzig oder dreißig
Schritt zurückgingen, wo wir den hier etwa drei Fuß breiten, mächtig
quellenden Bach von der kleinen Falkenwand herüber unter dem Geröll
vorbrechen sahen, während ein schwächerer Zufluß von oben her, aber
ebenfalls tief unter dem Gestein hervor zu kommen schien. So eigenthümlich
es auch aussah und so sehr es uns im Anfang überraschte, so leicht erklärte
es sich doch, denn diese steilen Wände lösen durch Lawinen und Thauwetter
ununterbrochen kleinere oder größere Massen Steine los, und schleudern sie
in das Thal hinab. Diese sogenannten _Reißen_, die aus Nichts als wilden
unfruchtbaren toll durcheinander gestreuten Felsmassen und kleinerem Geröll
bestehn und an manchen Stellen hunderte von Fußen hoch liegen, nehmen
deshalb auch schon einen ungeheueren Flächenraum im Gebirge ein, und
scheinen sich von Jahr zu Jahr zu vergrößern. Es läßt sich denken, daß
sie dadurch oft ganze Bäche verschütten, die sich jetzt unter der lockeren
Decke die Bahn suchen müssen. Eben so wenig unterliegt es einem Zweifel,
daß durch diese ewigen Bergstürze und Abscheidungen des Gesteins die
scharfen und schroffen Gipfel der höchsten Kuppen mit der Zeit eine
Veränderung erleiden, und niedriger werden müssen; ihr Umfang ist nur zu
gewaltig, als daß ein einzelnes Jahrhundert es auffallend bemerkbar machen
sollte. So sieht die vollkommen senkrechte Carwendelwand, an deren Fuß
ungeheuere Reißen, ja wirklich Berge von Steinen liegen, die das Herz eines
Chausseesteinklopfers mit Entzücken füllen würden, gerade so von unten
aus, als ob sie durch diese Abbrüche jährlich wenigstens einen Fuß an
Höhe verlieren müsse. Kommt man aber an die Südseite der grasbewachsenen,
allmählig aufdachenden Hänge hinauf, und berechnet erst ihre Höhe, dann
begreift man freilich, wie eines einzigen _Zolles_ Dicke, von der Wand
abgeschält, ganze Berge von Geröll in's Thal hinab schleudern müssen. Wären
es aber auch selbst zwanzig Fuß so würden sie doch kaum den oberen Rand
verändern können.

Aufwärts jetzt, Freund Leser, aufwärts! Das ist ein mühsamer, langer Stieg
das Gemsjoch hinan. Wetter nocheinmal, wie massenhaft sich das Gebirg hier
aufthürmt und in Lanne und Felsgeröll aus dem bewaldeten Thal empor sich
hebt. S'ist auch am Besten man sieht sich gar nicht um, und steigt nur
ruhig, unverdrossen fort; einmal erreicht man den Gipfel doch.

Das Gemsjoch sollte getrieben werden und ich selber war -- beiläufig
gesagt der beste Platz -- auf die höchste Kuppe hinauf beordert worden.
Aufgescheuchte Gemsen nahmen gern gerad' dort hinüber ihren Wechsel.
Schweres Steigen hatten indeß bei diesem Treiben die Jäger, die sich ihre
Bahn an den steilen schroffen Hängen suchen mußten. Es dauerte auch lange,
bis sich das Mindeste zeigte oder hören ließ, und ich lag wohl anderthalb
Stunden lang ungestört auf der achttausend Fuß hohen Kuppe des Jochs -- in
deren Nachbarschaft alle Fenster und Thüren auf sein mußten, denn es zog
furchtbar. Die Aussicht war aber wundervoll, und ich ließ den Blick
frei über die herrlichen, mit Schnee dicht bedeckten Alpenriesen,
den Großglockner und seine Nachbaren hinausschweifen, die unter ihrer
weißfunkelnden Hülle in unbeschreiblicher Pracht die zackigen wilden Gipfel
gen Himmel reckten.

Hinter mir, nach Norden hinauf, öffneten sich dagegen die Berge; das
weite flache Land mit einzelnen weißen hervorragenden Gebäuden und kleinen
Städtchen, wurde sichtbar, und im Süd-Westen lagen wild und zackig die
steyrischen Alpen dazwischen, ein weites Meer von Felsenjoch und Graten.
Was für ungeheuere Wogen reckten da die weißen Häupter, züngelnd, wie
wirkliche schaumdurchwühlte Wellen empor.

Auf dem Gemsjoch selber lag, trotz der Höhe desselben noch kein Schnee,
denn der darauf gelegene war durch die letzten warmen Tage wieder
fortgeschmolzen. Merkwürdig ist es auch, daß dieser Theil der Alpen keine
Gletscher hat -- ein einziger kleiner ausgenommen der dort in der Nähe sein
soll, den ich aber nicht sah. Ihre Höhe berechtigt sie vollkommen dazu,
denn in der Schweiz reichen die Gletscher viel tiefer hinab, und sieben und
achttausend Fuß hohe Kuppen sind dort drei Viertheile des Jahres mit Schnee
bedeckt. Dazu mag aber auch wohl die zusammengedrängte Masse _höherer_
Gebirge, die fortwährend ihre Schneekronen tragen und deshalb eine viel
größere Kälte um sich her verbreiten, mit beitragen.

Eine große Anhäufung von Schnee und Eis muß in sehr natürlicher Folge eine
solche Wirkung hervorbringen, wie wir den Unterschied z. B. außerordentlich
auffallend in den beiden Continenten von Europa und Nordamerika sehn.
Europa, das im Norden einen weit größeren Flächenraum an eisfreiem Meer,
und deshalb die eigentliche Eisregion auf einem weit kleineren Raum
zusammengedrängt hat, ist deshalb auch viel wärmer als Nordamerika, dessen
breite Basis nach Norden zu, mit den ausgedehnten Süß-Wasser-Binnenlandseen
und dem enormen Flächenraum Eis und Schnee bedeckter Regionen den
Unterschied um viele Grade spüren läßt. Philadelphia z. B. das mit Neapel
auf einem Breitegrad liegt, hat eben so strenge und strengere Winter, als
wir im höchsten Norden von Deutschland. In Louisiana, das mit der Wüste
Sahara gleiche Breite hat, ist leichter Schnee nichts Seltenes. Stehendes
Wasser friert oft selber in New-Orleans das, nur wenige Fuß über der
Meeresfläche, auf einer Breite mit Cairo liegt.

Von Gemsen war noch Nichts zu sehn, als ich aber so dalag fest in meinem
Regenmantel gewickelt, die kalte Zugluft abzuhalten, konnte ich nicht
umhin die kleinen dichten Büschel außerordentlich zarten feinen Grases zu
bemerken, die um mich her ziemlich reichlich wuchsen. Ich pflückte von
dem zunächst stehenden etwas ab, kostete es, und fand es nicht allein
außerordentlich weich, sondern auch zuckersüß -- so süß und angenehm in
der That von Geschmack daß ich Alles, was ich um mich her erreichen
konnte, rein abäste und Nebucadnezars Geschmack, der bekanntlich den Salat
erfunden, ganz begreiflich fand -- wenn er nämlich dort so treffliche Weide
hatte.

Dicht neben mir, denn ich lag auf dem allerhöchsten gar nicht etwa sehr
breiten Gipfel, ging es steil und bergetief hinab. Wie wild und furchtbar
sah es dort unten aus. Die steile Nordwand dieses Jochs, die vielleicht
einige tausend Fuß hoch ohne Absatz niederging, bestand allerdings
nicht aus einem glatten Fels, sondern aus bröcklichem zerrissenem und
zerklüftetem Gestein. Man hätte selber hineinklettern können, wäre den
Zacken eben nur zu trauen gewesen; aber unter dem Fuß oder Griff brachen
die wettermürben Brocken los, und dann -- es schwindelte mir als ich in die
dunkle, Wind durchbrauste fürchterliche Tiefe hinabsah, und ich wandte mich
schaudernd ab.

Und doch giebt es Menschen die an diesen Wänden an denen ihr Leben wie an
dünner Faser hängt, ihre kärgliche Nahrung suchen. Die Enzianwurzelgräber
klettern dort, an die Gefahr gewöhnt und gegen sie vollkommen abgestumpft,
mit einem Sack, die gefundenen Wurzeln hinein zu thun, und einer kleinen
Hacke, sie aus ihrem rauhen Bett heraus zu heben, sorglos herum, und die
Gemse selbst hebt staunend den Kopf, wenn sie an _solchen_ Stellen
einen Menschen sieht. Kameraden finden auch wohl dann und wann eine alte
verrostete Hacke, einen halb verfaulten Sack, und werfen einen scheuen
Blick in den Abgrund nieder. Selbst unter dem leisen Ave Maria aber, für
die Seele des Verunglückten, dessen Gebeine dort in irgend einem Abgrund
bleichen, schauen sie sich schon wieder nach neuen Wurzeln um -- der da
unten ist wohl aufgehoben.

_Das_ waren Gemsen -- vorsichtig hob ich den Kopf zwischen den wild
umhergestreuten Steinen empor, und sah eins der schönsten Schauspiele, das
sich der Gemsjäger nur wünschen und ersehnen kann.

Der Gipfel des Gemsjochs theilte sich in drei ungleiche Spitzen, von
denen die beiden westlichsten die höchsten, die östlichste, die vielleicht
tausend Schritt von der westlichsten entfernt ist, etwas, aber nur wenig
niedriger liegt und in einen kleinen spitzen Kopf aufläuft.

Auf dieser Spitze, die vier Läufe dicht zusammengedrängt, den schönen Kopf
hoch und sichernd gehoben, stand eine Gemse und etwa zwanzig Schritt weit
unter ihr, während noch andere über den Rand des Abhangs, scheinbar aus
der blauen Luft, heraufstiegen, befand sich das Rudel, im Ganzen vielleicht
zwölf oder dreizehn Stück.

[Illustration]

Die Wachtgemse stand voll und klar gegen den lichtblauen Himmel
abgezeichnet, und die sichere Ruhe mit der das prachtvolle Thier den weiten
Plan, auf dem es jede nahende Gefahr leicht und rasch erkennen konnte,
als Schildwache oben für das ihr anvertraute Rudel überschaute, war ein
Anblick, den ich im Leben nicht vergessen werde. Das Rudel selber, das
jedenfalls durch einen der unten durchgehenden Treiber heraufgescheucht
worden, schien sich indessen auch ganz auf seine Wache zu verlassen, und
vollkommen sicher zu fühlen. Die jungen Thiere spielten mit einander, und
die Alten pflückten hie und da an den süßen Grasbüscheln herum -- mehr
wahrscheinlich zum Desert und aus Naschhaftigkeit, als aus wirklichem
Hunger.

Endlich stieg die Wachtgemse, gewöhnlich eine Geis, von ihrem hohen
Standpunkt langsam nieder. Ob sie da unten wieder etwas Verdächtiges
gewittert, oder sonst mehr Verlangen nach der Seite trug, auf der ich
lauernd mit gespannter Büchse lag, aber plötzlich setzte sie sich an die
Spitze des Zuges, und kam in kurzem Galop auf dem äußersten Rand des Berges
ein Stück hin, verschwand dann in einer scharf eingeschnittenen Schlucht,
die die beiden Kuppen von einander trennte, mit dem ganzen Rudel, und stieg
klappernd und die lockeren Steine hinter sich ausstoßend, den kleinen
Hang herauf, an dessen äußersten Rand ich, vollständig gedeckt, ihrer
herzklopfend harrte.

Nun ist es eine alte Gemsjägerregel, die mir von allen Seiten wieder
und wieder gegeben worden, _nie_ auf ein ankommendes Rudel zu schießen.
Erstlich kommen sie spitz, -- immer schon ein _böser_ Schuß; dann ist die
erste im Zug _jedesmal_ eine alte Geis, während die Böcke nachfolgen, und
dann -- ist es eben gar nicht nöthig. In solchem Fall, besonders wenn
man gedeckt ist, muß man _die ersten_ des Rudels erst vollständig vorüber
lassen, ja womöglich ein Dritttheil desselben, und sich dann erst einen
Bock heraussuchen, auf den man in solchem Fall auch viel ruhiger und
sicherer schießt. Außerdem hat man bei solchem Verfahren auch noch die
Gewißheit, daß die schon vorbeigesprungenen Gemsen unter keiner Bedingung
wieder umkehren, und die anderen, die noch zurück _sind_, _folgen_ ihnen,
es mag auf sie geschossen werden so viel da will. Der zweite Schuß ist
daher eben so sicher anzubringen als der erste.

Hätt' ich also dort oben meine Zeit ruhig abgewartet, so mußte das ganze
Rudel auf kaum zehn Schritt an mir vorbei, und an Ausweichen war auf dem
schmalen Kamm gar nicht zu denken. Wie ich aber das immer stärker werdende
Klappern auf den Steinen hörte, das gerade so klang, als ob es links und
rechts um mich her in allen Ecken und Spalten lebendig würde, da ging mir
der Athem aus, das Herz fing an zu hämmern als ob es mit hinaus wollte,
ebenfalls zuzusehn was da passire, und alle Warnungen und Rathschläge,
alle guten Vorsätze, alle Erfahrungen selbst, waren in dem einen Moment
unbeschreiblicher Aufregung und Leidenschaft vergessen. Die Büchse im
Anschlag richtete ich mich in meinem Versteck auf, und wie die ersten
Krickeln nur hinter den Steinen vorsahen, und ich den dunklen Schatten
eines Körpers erkennen konnte, gab ich Feuer.

Ich weiß nicht einmal ob es geknallt hat -- weiter Nichts als das wilde
Hals-über-Kopf-Hinabstürzen der erschreckten Thiere hörte ich, die aber
auch im nächsten Augenblick in der Schlucht verschwunden waren, und als
ich dort nachsprang, und noch einmal hinter den Flüchtigen auf etwa
zweihundertfünfzig Schritt -- und ich muß zu meiner Schande gestehn,
_nachfeuerte_, stob das ganze Rudel auseinander, und eilte wieder der
Stelle zu, auf der ich sie zuerst gesehen hatte.

Allerdings sonderte sich ein Bock vom Rudel ab und rutschte, zu meiner
innigen Freude, ein ganzes Stück den ziemlich steil da ablaufenden Hang
hinunter, ob er aber vielleicht nur ausgerutscht war -- und warum sollte
das einer Gemse nicht auch geschehen können -- oder mich gar damit
verhöhnen wollte, ich weiß es nicht, spätere Nachsuche auf der Fährte ergab
nicht einen Tropfen Schweiß, der auf dem grauen Geröll überall deutlich
sichtbar gewesen wäre. Bald darauf schloß er sich auch wieder seinem Rudel
an.

Gleich nach dem Schuß kam ein ganzer Flug Alpendohlen -- sonst entsetzlich
scheue Vögel, die den Jäger nicht auf hundert Schritt hinanlassen -- um
den Gipfel des Jochs herum. So wie sie mich da oben aufrecht stehen sahen
flogen sie auf mich zu, kreisten mir, auf kaum zwanzig Schritt um den Kopf
und stießen sogar nach mir, wobei mir ein paar so nahe kamen, daß ich sie
fast hätte mit der Flinte schlagen können.

Die Alpendohle, oder auch Schneekrähe genannt, ist ein wunderhübscher
zierlicher Vogel, etwa von der Größe einer Elster, wenn nicht noch etwas
stärker, nur ohne die langen Schwanzfedern, mit bläulichem Schiller auf
ihrem schwarzen Gefieder, hellgelbem Schnabel, grellrothen Ständern und gar
so munteren braunen Augen. Ihr Pfeifen klingt auch fast melodisch, und wie
sie munter und gesellig in den Alpen herumtummeln und in der Luft kreisend
zusammen spielen, hab' ich sie immer gern gehabt. Jetzt aber kamen sie mir
ungelegen. Das Pfeifen nach dem schlechten Schuß behagte mir auch nicht.
Ich zielte auf den rasch über mir hinstreichenden Vogel, und schoß ihm mit
der Kugel eine seiner Flügelfedern durch. Das nahmen jedoch die anderen
sehr übel, begannen einen Heidenlärm, wobei sie sich übrigens in weiterer
Entfernung hielten, und strichen dann nach unten. Gleich darauf fiel dort
auch ein Schuß und unser Jagdgeber hatte einer der ebenfalls nach ihm
stoßenden Krähen mit der Kugel Kopf und Hals abgeschossen.

Das ist Alles recht schön und gut -- übereilt hat sich schon mancher sonst
vollkommen ruhige alte Jäger und vorbeigeschossen auch. Der Schütze soll
noch geboren werden, der da sagen kann er habe nie gefehlt, aber der
Heimweg -- der Abend nach solchem Fehlschuß. Wenn man gleich mit einem
Satz darüber hinweg auf den nächsten Tag und in das nächste Treiben
hinein springen könnte möcht's noch gehn, aber so überdenkt man die letzte
unglückliche Scene wieder und wieder, hört den ganzen Abend, die ganze
Nacht das Rudel über die Steine klappern, weiß jetzt ganz genau _wie_ man
es hätte machen sollen, und daß trotzdem _der_ Augenblick im ganzen Leben
nicht wiederkehrt, und ist mit einem Wort, in einer verzweifelten Stimmung.

[Illustration]




13.

Die Nebeljagd.


Kalt und trübe brach der nächste Morgen an, und dicker undurchdringlicher
Nebel lag im Thal, in dem er erst etwa um zehn Uhr Morgens ein wenig
in Bewegung kam. Nichts ist aber peinlicher, als in den Bergen durch
schlechtes Wetter einen Jagdtag zu verlieren, und wie sich deshalb auch
nur die Luft ein klein wenig günstiger gestaltete, und die Jäger ihr »Ich
meinet halt doch es sollt' schon etwas besser werden,« herausgegeben, wurde
der Aufbruch bestimmt.

Unser Ziel lag an diesem Tag an dem oberen Theil des Engthals, das
vom Laritterthal, in dem wir uns befanden, nur durch einen sogenannten
»Hügelrücken« getrennt war, und leicht erreicht werden konnte.

»Leicht erreicht werden,« ja. Der Paß lag allerdings dicht unter der
Carwendelwand, und bestand aus nicht sehr steilen Grashängen, was aber hier
zu Land ein _Hügel_ heißt, ist anderswo ein _Berg_ -- wie ja die Leute auch
ein stundenbreites Thal einen _Graben_ nennen. Wir mußten auch, immer noch
im dicken Nebel, wacker zusteigen den höchsten Kamm zu erreichen und waren
tüchtig warm dabei geworden. Oben wurden wir dann angestellt, und den
angeblichen Kessel vor uns -- denn sehen konnte man keine fünfzig Schritte
weit -- die Jäger abgeschickt ihn einzuriegeln. Standen Gemsen darin so
mußten sie Wind von den Treibern bekommen, in welchem Fall sie dann rascher
flüchtig werden, als wenn sie den Feind erkennen konnten.

Der kalte Luftzug der aus dem Thal heraufstieg that mir im Anfang, nach dem
scharfen Steigen wohl -- von Erkältung weiß man ja hier überhaupt Nichts.
-- Ich nahm also meinen Mantel aus dem Bergsack, hing ihn um, drückte mich
hinter einen einzelnen Stein von der Größe eines mäßigen Elephanten,
der allein zu meiner Bequemlichkeit dort von irgend einem Bergriesen
hingeschleudert schien, und erwartete geduldig den Beginn der Jagd -- d. h.
das Klappern der Steine, das die heranprellenden Gemsen verrathen würde.

Es war ein wunderlicher Platz -- der Nebel lag voll und schwer auf dem
ganzen Thal, in das der Hügel, auf dessen Kamm ich saß niedersenkte. Der
Phantasie blieb dabei der weiteste Spielraum gelassen, sich dort hinein den
Horizont des Auges nach Gefallen auszudehnen. Wie ich deshalb so träumend
auf das ungewisse milchige Dämmerlicht hinausschaute, aus dem nur, von den
Wänden zurückgeworfen, das dumpfe Rauschen des Bergbachs herüber tönte,
kam es mir plötzlich vor, als ob ich am kahlen felsigen Strand des Meeres
sitze, das an dem Fuß desselben Hügels seine Wellen peitschte, und seiner
Brandung Donnern im dumpfen hohlen Brausen zu mir herübersandte.

Lebhafter hab' ich wachend noch nie geträumt, und in der Erinnerung an
frühere ähnliche Scenen, konnt' ich mir jetzt schon gar keine Berge
dort hinein mehr denken. Das _mußte_ Meer sein. Wie das dumpf kochte und
rauschte, und wenn der Nebel sank und dort hinaus dem Auge Freiheit gab,
dann lag auch sicher die blaue See vor mir, und einzelne weiße Segel zogen
wie leuchtende Punkte darüber hin.

Wenn es nur nicht so schmählig kalt gewesen wäre.

Jetzt wurde der Nebel oben lichter; die Sonne brach sich mit einem
einzelnen Strahl wenigstens Bahn, und im Zenith erschien der blaue Himmel.
Endlich! Jetzt zog auch der Wind schärfer aus dem Thal herauf -- er schnitt
im wahren Sinn des Worts durch Mark und Bein -- und dort -- ich vergaß
Gemsen und Jagd über das Schauspiel das sich plötzlich, als ob ein
riesiger Vorhang mit einem Wurf zurückgeschleudert würde, vor meinem Blick
entfaltete. Mit Windesschnelle öffnete sich der Nebel und wich nach beiden
Seiten so zurück, daß er wie durch ein gigantisches Medaillon den Blick
hinausgestattete. Vor mir aber -- so dicht daß meiner Meinung nach
die Armbrust einen Bolzen hätte hinübertragen müssen stieg dunkel
und massenhaft, eine Riesenmauer, die Carwendelwand empor, und blaue
zerfließende Lichter schossen dabei, wie nach einem Brennpunkt, in der
Mitte dieses wunderbaren Bildes zusammen und schmolzen für jetzt noch die
einzelnen Theile ineinander. Allmählig löste sich aber auch dies -- das
Bild wurde rein und klar, und scharf gezeichnet lag plötzlich dort drüben,
wo ich die See geträumt und so hoch aufragend daß ich empor schauen mußte
ihre dunklen Ränder in dem sich wieder mit Nebel bedeckenden Himmel zu
suchen, die schroffe Wand, mit allen ihren einzelnen Spalten und Rissen
vor mir da. Während aber fast den vierten Theil der ganzen Höhe, die Reißen
einnahmen, die sich der Berg in's Thal hinabgeschüttelt, lag auf diesen
Reißen wieder, noch immer von dem jetzt lichter gewordenen blauen Schein
übergossen, ein breiter Streifen Schnee den dort der letzte Winter noch
gelassen.

Wunderbarer Weise zog sich der Nebelrahmen jetzt mehr und mehr zusammen,
die schärfsten Lichter auf die Mitte werfend und dort -- auf dem Schnee --
deutlich konnte ich es mit bloßem Auge erkennen -- regte sich ein dunkler
Gegenstand, und kroch langsam und gerade, dem Zug der Wand folgend, darüber
hin.

Ich würde es für eine einzelne Gemse gehalten haben, wenn es mir nicht
so entsetzlich klein vorgekommen wäre -- aber was konnte es sonst sein
-- vielleicht ein Fuchs? Ich nahm das Fernrohr rasch aus seinem Futteral,
richtete es und erkannte in dem kleinen Punkt -- einen Menschen -- einen
Jäger der dort an der scheinbar senkrechten Wand in solcher ungeheueren
Entfernung noch seine mühsame Bahn verfolgte.

Als ob der Nebel sich aber nur geöffnet mir _das_ zu zeigen, flossen in
diesem Augenblick wieder breite glänzende Strahlen nach der Mitte zu -- das
Medaillon schloß sich, und dichter als vorher lagerte die weiße Nacht auf
Berg und Thal.

Und was für ein kalter Zug _mit_ dem Nebel wieder von da unten herauf und
über den Hügel strich -- die Zähne fingen mir an zu klappern und in der
Aussicht jetzt, daß wir hier sitzen müßten bis der Jäger, den ich eben
erst als kleinen dunklen Punkt gesehn, seinen _Bogen_gang um den Kessel her
vollendet hätte, wickelte ich mich nur fester und verzweifelter in meinen
Mantel.

Wie lange ich so gesessen weiß ich nicht; der Nebel wurde aber immer
dichter, und das einzige Vergnügen das ich mir unter der Zeit machen konnte
war, an eine recht gut geheizte Stube zu denken. Wie die Aufregung dieses
plötzlichen Phänomens, -- ich kann es kaum anders nennen -- vorüber war,
kam der Frost mit verdoppelter Schärfe wieder, und ich fror, wie nur ein
unglückseliges auf einem kalten Stein, in einem solchen Nebel und auf
solcher Höhe sitzendes Menschenkind frieren _kann_.

Das Treiben nahm auch kein Ende -- der Nebelvorhang war wieder gefallen,
und auf's Neue träumte ich mich an der Seeküste -- irgendwo in der
unmittelbaren Nähe des Eismeers. Endlich -- Gott sei Dank das war ein
Geräusch -- endlich doch ein Wild zum Schuß, denn wenn es hier nur
_sichtbar_ wurde hätt' ich es auch mit einem Blasrohr treffen können. Ich
machte mich rasch fertig, konnte aber kaum den Hahn der Büchse spannen,
so steif war ich gefroren. Da kam's über das lockere Gestein herauf --
mit Gewalt brachte ich den Kolben an den Backen -- schon sah ich, über den
Büchsenlauf hin, sich einen dunklen Schatten bewegen -- sobald sich das
als ein alter Bock auswies. -- Erschrocken setzte ich die Büchse ab und den
Hahn in Ruh -- der Schatten gehörte einem der Jäger und der Mann stieg in
Schweiß gebadet, den rauhen mühseligen Hang herauf. -- Ich konnte ihn nur
um seine Temperatur beneiden.

Das Treiben war vorbei; die Schützen kamen, ohne daß ein einziger Schuß
gefallen wäre, auf dem Hügelrücken zusammen und wie froren sie. Wir sahen
alle blau und roth marmorirt im Gesicht aus, und wenigstens eine halbe
Stunde scharfen Marschirens war nöthig, mich nur einigermaßen wieder
biegsam zu machen.

Heute blieb freilich nicht mehr viel zu thun. Nichts destoweniger wäre es
Schade gewesen den ganzen übrigen Tag ohne weiteren Versuch aufzugeben.

Bei dem gestrigen Auszug hatten wir an einer der, dicht unter der
Carwendelwand liegenden Reißen zwei starke Böcke gesehen. Wenn die alten
Burschen jetzt noch dort oder in der Nähe standen, war es vielleicht
möglich ihnen mit Hülfe des Nebels anzukommen. Die Luft schlug abwärts,
und wenn die Schützen unten und seitwärts vorgestellt wurden, konnte sie
nachher ein einziger Treiber losgehn.

Vorsichtig schlugen wir deshalb, von einem der Treiber geführt, einen
schmalen Vieh- und Gemspfad ein, der quer unter den Reißen, aber noch in
ihrem Bereich hinführte, und merkwürdig war in der That diese wilde Welt,
durch die wir jetzt hinschritten. In eine Wolke von Nebel gehüllt, blieb
nur die nächste Nähe sichtbar, und diese bestand einzig und allein aus
Steinen die von der Größe eines mäßigen Wohnhauses, bis hinunter zu der
eines Chausseesteines in toller Mischung durcheinander lagen. Kein Busch,
kein Grashalm war dabei zu sehn, nur Nebel und Felsgeröll und das Rücktheil
des vor Einem hinschreitenden Jägers. Und wie mußte das hier donnern und
schmettern wenn die Felsstücke von der mehre tausend Fuß hohen steilen Wand
unter der wir hinschritten, zu Thal stürzten. Und wenn nun gerade _jetzt_
ein solcher Brocken sich losgebrochen und seinen Weg hierher gefunden
hätte? An ein Ausweichen wäre gar nicht zu denken gewesen, denn wie
Kanonenkugeln prellen solche Stücke, nur einmal in Schwung gebracht,
bergab. Störend war in der That der Gedanke, daß wahrscheinlich in diesem
selben Augenblick hunderte solcher Blöcke über uns, nur vielleicht noch
durch ein wenig Erdreich gehalten, hingen, und von der geringsten Ursache
losgestoßen werden konnten. Wenn die jetzt niederbrachen, über uns -- um
uns her -- --

Es ist ein unbehagliches Gefühl an solchen Stellen hinzugehn, an denen das
Leben eigentlich nur an einem nicht zu verhindernden Zufall hängt -- es hat
Aehnliches mit dem Spatzierengehen in den Straßen einer verpesteten Stadt,
wo man kaum zu athmen vermag.

Alle Wetter -- da oben ging's schon los! --

Wie wir eben an einer Stelle vorüberschritten die solch unnöthiges
Baumaterial in außergewöhnlicher Masse geliefert zu haben schien,
polterte es plötzlich über uns in den Steinen, und einzelne kleine
Carwendelwandsplitter, von der Größe eines gewöhnlichen Kinderkopfes kamen
springend nieder.

Das waren jedenfalls Gemsen -- deutlich konnten wir sie auch, vielleicht
nur wenige hundert Schritt von uns entfernt, davon klappern hören -- aber
zu sehn war weiter Nichts, als die unerbittliche weiße Decke, die uns
umhüllte. Rasch wurden jetzt die nöthigen Befehle ertheilt den Platz auf
dem die Gemsen plötzlich zu halten schienen, zu umstellen, und sie doch
vielleicht noch zum Schuß zu bekommen. Martin, dem der Boden schon lange
unter den Füßen brannte, sprang dann in seinem wolfsähnlichen langen Galop
zurück, den äußersten Vorposten so rasch als möglich zu besetzen, während
unser Jagdherr selber sich noch weiter vorpirschte, um später mit Rainer
die beschwerlichen Reißen hinan bis unter die Wand zu klettern. Waren die
Gemsen noch darin, so _mußten_ sie jetzt einem der Schützen kommen, denn
die steile vielleicht mehre tausend Fuß hohe Carwendelwand konnten selbst
diese Thiere nicht empor. Was nicht Flügel hatte kam da nicht hinüber.

Der hohe Herr stand senkrecht über mir, und als der Windzug einmal auf
Momente die oberen Nebelschichten in Bewegung setzte, daß der düstere
Schatten der nahen Wand wie eine drohende Gewitterwolke über uns stand,
konnt' ich seine hohe dunkle Gestalt, nur eben wie fast in der Luft
schwebend, erkennen. Tiefer im Thal stand ein jüngerer Anverwandter
desselben, der schon einige Tage mit in den Bergen gejagt hatte, und neben
ihm, seinen schottischen Plaid über der Schulter und seinen breiträndigen
Hut auf, der ihm den Namen eines »falschen Spaniers« zugezogen, der
Zeichner dieser Skizzen.

Ich hatte mich in einen Laatschenbusch gedrückt, und Platz genug zum
Schießen -- wenn eben nur etwas kam -- auch heute zwei Büchsen neben
mir, da die Erinnerung an das gestrige Rudel den Verdacht in mir hatte
aufsteigen lassen, daß mir heute etwas Aehnliches wiederfahren würde. Der
Mensch giebt sich manchmal solchen angenehmen Träumen hin.

Ein paar Mal schwankte der Nebel, und es schien fast als ob er sich
zerstreuen wolle -- das wäre für die Jagd prächtig gewesen. Jedenfalls
hatte sich der Wind gedreht, und kam jetzt mehr von Norden als heut Morgen
-- aber der Nebel wich und wankte nicht. Da fing es plötzlich über mir an
in den Steinen zu donnern und zu prasseln, daß ich glaubte, der ganze Berg
käme herunter. Piff -- paff, gingen dabei oben die Schüsse rechts und links
-- _eine_ Kugel konnte ich auf die Steine aufschlagen hören -- und ein
ganzes Rudel mußte dort irgend wo aufgestanden und nach allen Richtungen
gleich hin flüchtig geworden sein.

Wie als ob Jemand auf dünnem Eise geht, es plötzlich links und rechts um
sich knackern hört, und nun in Todesangst, die Augen rasch hinüber und
herüber wirft, von welcher Seite die Gefahr, der schlimmste Riß zuerst wohl
kommen könne, _so_ hing ich in der Laatsche. Nebel daß man keine dreißig
Schritt weit sehen konnte, und jetzt rings um das tolle Poltern, ja sogar
soweit das Auge nach rechts und links schauen konnte, niederspringende
Steine -- es war ein Augenblick der peinlichsten Spannung und Erwartung,
einer der wenigen Momente im Leben, in denen man auf jeder Schulter und
besonders auf dem Rücken noch ein Gesicht mit ein paar Augen haben möchte,
und sich fast den Kopf in den vollkommen nutzlosen Versuchen abdreht,
überall hin, zu gleicher Zeit zu schauen.

Schüsse jetzt nach allen Richtungen -- Schreckschüsse wie sich später
auswies, die Gemsen die oben durchbrechen wollten zurückzubringen und
springende Steine von allen Seiten her. -- Wie Rettung aus dieser Noth,
brachen da plötzlich drei dunkle Schatten quer vor mir hinüber. Wenn ich
aber auch ziemlich deutlich sah daß es Gemsen waren durfte ich doch nach
_der_ Richtung hin nicht schießen, da leicht schon ein Treiber hier herüber
gekommen sein konnte, und die Kugeln auf den eckigen Steinen oft nach
ganz verkehrten Richtungen abprallen. Ehe ich aber auch nur hätte anlegen
können, waren sie von einer Schlucht oder vom Nebel verschlungen, und ich
hörte nur noch, wie sie bergab und der Richtung zusprangen, in der Prinz C.
stand.

_Paff!_ knallte ein Schuß, kurz und trocken von dort herüber, und es fiel
mir jetzt auf, was ich schon bei den früheren Schüssen bemerkt hatte, wie
wenig Schall sie nämlich in solchem Nebel haben. Bei klarem Wetter hätte
die rauhe mächtige Wand das Echo sicherlich mit donnerndem Getös hinab in's
Thal geworfen.

Aber ich brauchte meine fünf Sinne jetzt zu etwas Anderem, als
naturhistorischen Studien. Links von mir hatte ich einen, nur mit
Alpenrosenbüschen bewachsenen Hügelhang, den ich eben, als der Nebel vom
Wind darüber hingejagt wurde, erkennen konnte. Dorthin hörte ich auch
Getrappel und entdeckte gleich nach dem Schuß ziemlich deutlich die dunklen
Gestalten zweier Gemsen -- so groß dem Anschein nach wie Kälber --, die am
Hügelhang flüchtig aufwärts gingen. Das mußten jedenfalls Böcke sein, und
das war die letzte Gelegenheit für mich. Wenn sie mir auch in den dichten
Nebelschichten ein paar Mal unter den Augen weg verschwanden, schickte ich
ihnen doch, sobald sie wieder sichtbar wurden, rasch hintereinander drei
Kugeln nach.

Nach jedem Schuß -- und das Einschlagen der Kugeln mußten sie an dem
steilen Hang hören -- blieben sie allerdings einen Moment wie erstaunt
stehn, setzten aber auch dann eben so ungenirt ihre Flucht fort, bis mir
Hügelhang und Gemsen und Nebel vor den Augen zu einer grauen unbestimmten
Masse zusammenschmolz.

Bei der Nachsuche später fanden wir übrigens keinen Tropfen Schweiß, und
ein älterer erfahrener Schütze der mit unten gestanden und das Wild weit
näher gehabt als ich, aber nicht geschossen hatte, weil er behauptete es
sei eine Geis und Kitz gewesen, versicherte: die alte Geis wäre nach jedem
Schuß stehen geblieben, hätte sich nach dem Kleinen umgesehn und zu ihm
gesagt, »komm nur mit, mein Kindchen, du hast _gar_ Nichts zu fürchten.«

[Illustration]

Unser Jagdherr hatte in dem nichtswürdigen Nebel ebenfalls vorbeigeschossen
oder doch eine Gemse nur gestreift; die Nachsuche am nächsten Tag ergab
trotz hie und da gefundenem Schweiß kein Resultat.

Glücklicher dagegen war mein junger Nachbar gewesen, und als wir hinunter
kamen, fanden wir Michel emsig damit beschäftigt einen prachtvollen
Bock, der in voller Flucht den Berg hinunter gekommen und im Feuer
zusammengebrochen war, zu zerwirken.

Merkwürdig ist, wie sehr man sich bei solchem Nebel in den Formen und
Umrissen, besonders flüchtig gehenden Wildes täuscht, während die stete
Aufregung, Gemsen überall, vielleicht in Schußnähe, um sich zu wissen und
zu hören, und doch Nichts sehn zu können, dem Schützen auch die letzte Ruhe
nimmt. Ich wenigstens, obgleich sonst auf der Jagd gar nicht so übermäßig
hitzig, befand mich bei diesem Nebeltreiben in einer ganz unbeschreiblichen
Aufregung -- ein Anderer soll ruhig dabei bleiben.

Während wir wohl noch eine halbe Stunde mit der vergeblichen Nachsuche
verloren, war es fast dunkel geworden. Ein frischer Wind der sich zugleich
erhob trieb jetzt die oberen Nebelschichten vor sich her, und als wir dicht
unter der senkrecht niederfallenden Carwendelwand hingingen, zeigte sich
über uns der blaue reine Himmel, an dem einzelne lichte, von der Sonne
erhellte Wolken rasch nach Süden zu vorüber zogen. Zu gleicher Zeit
wurde die ganze dunkle zackige Wand sichtbar, und wir Alle blieben fast
erschreckt vor dem Anblick stehn, der sich hier uns bot.

Die Wolken zogen von uns weg, über die Wand hinüber, und wie es bei
halbklarem Himmel, wenn der Mond oben steht, gerade so aussieht, als
ob jene ihren Platz behaupteten, und nur der Mond in wilder Flucht
hindurchjage, so war es jetzt in wirklich Herz beklemmender Täuschung, als
ob die ganze furchtbare düstere Steinmasse, die ihre scharfen Zacken in die
klare Luft hineinreckte, langsam nach uns herüber schwankte, und Alle im
nächsten Augenblick mit ihrer riesigen Wucht zerschmettern müßte.

Ich wußte, es war nur Augentäuschung, und doch mußte ich den Kopf
wegwenden. Wie schön der Anblick war, so über alle Maßen furchtbar und
bewältigend war er auch.

Wieder schloß sich da der Nebel, und des zurückkehrenden Martin Bericht
brachte uns bald auf andere Gedanken.

Als er nämlich, wie er erzählte, vorher war abgeschickt worden dem
Rudel, das wir poltern gehört, den Weg abzuschneiden, glückte ihm dies
so vollkommen, daß er, vom Wind und ihrem eigenen Steingerassel dabei
begünstigt, dicht an sie hinankam. Im ersten unbedachten Schreck flohen sie
auch, wie sie den Menschen gewahr wurden, soweit es ihnen der starre Fels
erlaubte, grad' an der Wand hinauf. Dorten aber kamen sie bald zu einem
gezwungenen Halt, während ihnen der jetzt aufspringende Martin den Rückweg
abschnitt oder doch wenigstens verstellte. Ein paar Minuten blieben sie so
-- und das muß wundervoll ausgesehen haben -- an der steilen Felswand, eine
hinter der anderen kleben, bis der Jäger endlich, um sie dort herunter zu
bringen, einen Schreckschuß abfeuerte. Aber jetzt kamen sie, und zwar
so rasch daß Martin versicherte: »Jetzt mußt' ich aber gemach daß
ich fortkam,« denn kollernde und springende Steine und Gemsen, Alles
durcheinander, brachen und prasselten plötzlich zusammen und hintereinander
her den schroffen Hang nieder. Im Nu waren sie aber auch im Nebel
verschwunden und nur ihr Geklapper auf den lockeren Reißen verrieth die
Richtung die sie genommen.

[Illustration: =Die Nebeljagd.=]

[Illustration: =In der Flucht.=]




14.

Die Nachsuche.


Es giebt in unseren Naturgeschichten einige althergebrachte Anekdoten von
Menschen und Thieren die einmal »gang und gäbe« sind und die Einer
dem Anderen so unbefangen nacherzählt, als ob es sich nur um allgemein
anerkannte Thatsachen handelte. So versteht es sich von selbst daß der Löwe
ein höchst großmüthiges uneigennütziges Thier sei, der Rinaldo Rinaldini
unter den Bestien, der eine bestimmte Aversion gegen den Blick des
Menschen habe, und demselben unter keinen Umständen begegnen könne. Bei
der Klapperschlange heißt es, daß sie mit ihrem Blick allein Vögel
anlocke, banne und -- verschlinge. Ein Gemsjäger ferner ist, für die Jugend
wenigstens, untrennbar von dem Bilde eines Menschen der, mit einem sehr
spitzen Hut, auf einer sehr steilen Eiszinke steht und sich die Fußsohle
aufschneidet. Ich selber kann mich auch noch recht gut aus meiner
Jugendzeit erinnern, daß ich das Fußaufschneiden als vollkommen identisch
mit der Gemsjagd hielt, und so natürlich und einleuchtend, wie das Anziehen
von Ueberschuhen bei schmutzigem Wetter fand. Wie hätten sie anders an
_solchen_ Eiszacken herumklettern wollen. Kommt man dann aber später in
das wirkliche Leben und auf den Schauplatz solcher außerordentlichen
Ankündigungen hinaus, so findet man nicht allein bei diesen, sondern
auch bei noch vielen anderen, mit großer Entschiedenheit aufgestellten
Behauptungen, daß sich irgend ein biederer Gelehrter daheim im warmen
Studirzimmer bei einer Pfeife Tabak und mit Hülfe einer unbestimmten Anzahl
von Folianten derlei Schlüsse excerpirt und combinirt, und mit großem
Selbstvertrauen in die Welt hinausgestreut hat. Natürlich glaubt er das am
Ende selber was er geschrieben, und darf das Nämliche nun auch von Anderen
verlangen.

Wenn die Klapperschlangen aber nur davon leben sollten was sie mit den
Augen fangen, würde es bald keine mehr geben, und wenn sich der Gemsenjäger
dadurch _forthelfen_ sollte daß er sich des einzigen Mittels dazu durch
einen Riß in die Sohlen _beraubte_ -- seiner gesunden Füße -- so hätten die
Gemsen wahrlich gute Zeit.

Nichtsdestoweniger ist das Steigen in den Bergen doch eine keineswegs so
leichte Sache, und wenn der noch nicht recht darin Geübte auch gerade
nicht an solche Stellen hinzugehen braucht, die selbst den alten Steigern
»schiech« vorkommen, findet er doch Gelegenheit genug zu versuchen ob er
schwindlig ist und einen festen Schritt hat.

Die Jagd selber bietet dabei noch nicht das Schlimmste, denn dort kann sich
der Schütze und selbst der Treiber doch immer noch den gangbar scheinenden
Weg aussuchen und die schlimmsten Stellen vermeiden. Auf der _Nachsuche_
dagegen, um ein angeschossenes Gemsthier, führt dieses selber den Jäger,
der ihm auf dem Schweiß folgen _muß_, und daß sich die kranke Gems nicht
die bequemsten Wechsel aussucht läßt sich denken. Die Nachsuche ist
jedenfalls der wildeste und gefährlichste Theil der ganzen Gemsenjagd, und
eine recht hübsche Probe habe ich wenigstens davon bekommen. Am Heimjoch
hatte ich eine Gemse, die flüchtig auf dem Pirschgang vor mir in die
Laatschen sprang, angeschossen, und Rainer war ihr schon an dem Abend
soweit auf dem Schweiß gefolgt, bis er eben nicht weiter nach konnte. Die
Nacht regnete es was vom Himmel herunter wollte, und um das angeschossene
Wild nicht zu verlieren, ging ich am nächsten Morgen mit ihm, Wastel und
zwei Hunden aus, dort wo er gestern die Spur verlassen, heute »verloren«
nachzusuchen.

Da dem Platz, wie Rainer versicherte, von oben nicht gut beizukommen war,
versuchten wir es von unten, die Klamm aufwärts, und mit Steigeisen an
den Füßen, jetzt an steilen Klüften hinauf, wo wir den Hunden nachhelfen
mußten, jetzt durch die nassen Laatschen kriechend, über glattes Gestein
und bröckelige Reißen, an Abgründen und Felsspalten hin, erreichten wir
endlich die Stelle wo der Jäger vermuthete, daß sie sich eingestellt
haben möchte. Wastel war ein Stück zurück geblieben, in ein paar andere
Felsspalten hinein zu schauen, ob sie dort nicht vielleicht verendet läge,
als plötzlich die Hunde dicht vor mir laut wurden. Und sie hatten Ursach
dazu, denn aus den Laatschen heraus, durch die steile Schlucht vor, an
deren Wänden wir hingen sprang plötzlich die angeschossene Gems, machte
ein paar Sätze und stellte sich dann kaum zehn Schritt von mir entfernt auf
eine kleine spitze Felskuppe.

Jetzt kam ein Moment den der Amerikaner sehr treffend mit dem Sprichwort
bezeichnet »den Teufel zu bezahlen und kein Pech heiß.« Das Schloß der
Büchse hatte ich, die Nässe davon abzuhalten, mit dem Taschentuch umwunden,
und an einer Stelle wo ich mich nicht einmal umdrehen konnte, während ich
mit dem linken Arm um einen Laatschenzweig hing, war ich nicht im Stande
den verwünschten Knoten der nassen Seide aufzubekommen. Lang' hielt sich
die Gemse aber auch nicht auf, die Hunde waren ihr zu dicht auf den Fersen,
und nur einen halberstaunten, halberschrockenen Blick auf uns werfend
sprang sie, von den Hunden verfolgt und augenscheinlich krank den Hang
hinunter. Bergmann besonders, der kleine Teckel, warf sich mit wahrer
Todesverachtung, und ganz auch seine kurzen krummen Beinchen vergessend,
hinter drein. Ein Stück Wegs sah ich ihn auch wirklich auf dem Rücken, die
Beinchen in der Luft, hinabrutschen; aber er kam richtig wieder auf die
Füße, und es dauerte gar nicht lange so hatten sie unten die kranke Gemse
gestellt, die der herbeigeeilte Wastel todt schoß.

Rainer hatte seine innige Freude daß die angeschossene Gems gefunden worden
-- die Leute setzen einen Stolz darein Alles wobei sie betheiligt sind mit
Erfolg gekrönt zu sehn.

»Ich wußte daß wir ihn heut' bekommen würden,« rief er, als der Schuß von
unten herauf, und das plötzliche Schweigen der Hunde den Tod der Beute
kündete -- »wie ich nur den Schweiß gestern observirte wußt' ich es. Was
aber der Bursch noch springen konnte. Er setzte mit wahrer Tolleranz die
Wand hinunter.«

Außerdem entwickelte er bei dieser Gelegenheit auch noch eine, auf
praktische Erfahrung gegründete Theorie der Bergschuh, insofern sie auf
Lannen und Felsen verschiedene Eigenschaften besitzen müssen. Er hielt
nämlich _die_ Schuh für gefährlich, die außer den Randnägeln auch noch
eiserne Nägel in der Mitte hätten. »Auf den steilen Lannen und Grasboden,«
sagte er dabei, »schadet das Nichts, da ist Eisen die Hauptsache, aber wenn
man auf Steine kommt, dann ist es auch nöthig daß man Leder unter dem Schuh
zu fühlen bekommt. Das Eisen rutscht auf den Steinen eher ab, aber das
Leder ist mehr »elektrisch« -- das hält!«

       *       *       *       *       *

Die Jagd! Die frohe herrliche Jagd! oh wie viel könnt' ich dem Leser noch
davon erzählen, müßt' ich nicht fürchten ihn zuletzt zu ermüden. Es ist ein
Unterschied das mit durchzuleben, oder es nur erzählen zu hören, obgleich
der, der selber Jäger ist, sich wohl leicht und gern in das herrliche Leben
solcher Berglust mit hineindenkt, und selbst der Laie für kurze Zeit
Theil daran nimmt. Lieber Gott, die Poesie liegt uns, in der altbackenen
Wirklichkeit unseres Daseins, meist so fern, daß man eigentlich froh sein
sollte noch einen Platz in gar nicht so weiter Ferne zu wissen, in dem sie
in all ihren Reizen prangt und thront. Wenige Herzen sind es ja außerdem,
die den Sinn, die das Gemüth und den freien männlichen Muth haben sie dort
festzuhalten.

Wie eine Schnur kostbarer Perlen reiht sich da ein Tag an den anderen,
keiner dem vorigen ähnlich, alle wieder neue Abenteuer, neue Scenen,
neue Erfahrungen bringend, und alle gleich werthvoll, gleich schön in der
Erinnerung. Heute ein Treiben in wild zerrissener und zerklüfteter Klamm,
während der Sturm durch die Berge heult, und wie Kanonendonner durch die
Schluchten saust, die Laatschen wie ein grünes Meer durchwogt und schwere
Steine von den Wänden reißt -- Morgen ein stiller Pirschgang in früher
Morgenstunde über die Joche hin und durch die Gräben nieder, und gerad'
Beschwerden und Gefahr genug dem wahren Manne das Herz mit Lust und Wonne
bis zum Rand zu füllen.

[Illustration]

Auch daß die Jagd nicht alle Tage glückt, verleiht ihr einen weit höheren
Reiz, als wenn man eben nur hinauszugehen brauchte das Wild todt zu
schießen. Es _ist_ wirkliche Jagd, und hat deshalb auch gar keine
Aehnlichkeit mit den Hasenschlächtereien des flachen Landes. Was man
erlegt, hat man sich wahrlich sauer und schwer genug verdient. Wenn man
dann auch drei oder vier Tage umsonst die schwersten Touren gemacht, bringt
der Erfolg des fünften hundertfachen Lohn.

So verfliegt der Tag draußen in den Bergen, daß man oft gar nicht weiß wo
er hingekommen, und der Abend am lodernden Kamin vergeht nicht schneller
fast. Müde wird der Körper ja überhaupt nicht in dieser reinen Luft,
selbst nach Anstrengungen, die im flachen Land den stärksten Mann zum Tod
erschöpfen würden. Die Zeit dann zwischen Jagd und Jagd ist deshalb nicht
Erholung, sondern wieder nur ein Vergnügen anderer Art. Man hat eben nicht
zu jagen aufgehört weil man müde -- sondern einfach weil es dunkel wurde,
und beginnt frisch, wie am vorigen Morgen, sobald die Sonne sich im Osten
zeigt -- bis der Schnee kommt.

       *       *       *       *       *

Der Schnee ist des Gemsjägers Feind, und so erfreulich ein Neues im flachen
Lande sein mag, Wild zu bestätigen, und den Wald nach Raubzeug abzuspüren,
so derb und mächtig tritt er dort in den Bergen gewöhnlich auf, wenn er
erst einmal beginnt.

Oft geschieht es allerdings, daß es oben auf den Jochen in der Nacht einen
Fuß Schnee herunterwirft, und um Mittag herum die Sonne, von dem warmen
Boden begünstigt, auch das Letzte an der Südseite der Hänge wieder
aufgesogen hat. Er liegt dann auch weit lockerer dort wie im flachen Land.
Das geht aber ein- oder zweimal so -- nachher wird's Ernst, und hat er sich
erst einmal ordentlich da festgesetzt, dann ist's auch in den Alpen mit der
Jagd vorbei, -- wenigstens mit der Treibjagd. Ja selbst der Pirschende wäre
gezwungen alle gefährlichen und selbst nur steilen Plätze zu vermeiden, und
hätte sich noch außerdem vor Lawinen und Schneestürzen arg zu wahren.

Die Gemsen sollen sich bei heftig eintretendem Schneewetter in den Wald
hinunterziehn. Sobald es aber aufgehört hat zu schneien, gehen sie wieder
auf die Höhen, und wo die Lawine den Schnee in's Thal hinunter reißt,
öffnen sich für sie nicht allein vollkommen sichere, sondern auch
treffliche, von der hemmenden Decke freie Aesungsplätze.

Daß Gemsen von Lawinen erfaßt und begraben werden geschieht außerordentlich
selten. Die klugen Thiere kennen schon die gefährlichen Plätze wie die
gefährlichen Zeiten, und meiden sie sorgfältig. Weit eher wird ein Stück
Wild von diesen »Schrecken der Berge« überrascht, wie denn auch das Roth-
und besonders das Rehwild, weit eher dem schweren Schnee erliegt.

[Illustration: =Das Niedersteigen.=]




15.

Schluß.


Und muß es denn geschieden sein? -- Die Hörner und Joche sind bis zum Fuß
hinab in ihre weißen, wallenden, grün beränderten Mäntel gehüllt; der Frost
hat diese Decke mit einem glänzenden, spiegelglatten Panzer umzogen, und
wäre es jetzt selbst möglich in den Bergen fortzukommen, die Gemsen hörten
doch schon halbe Stunden weit den lauten Schritt. -- Und wie so furchtbar
wild und öde jene weiten Klüfte jetzt aussehn, nun der Winter sie mit
tiefem Schnee gefüllt, und Felsenspalten und Bergesschlucht mit seinem
Athem glatt geebnet hat. Wie bläulich die Schatten sich darüber legen, und
der Sturm den weißen Staub hochwirbelnd in die Lüfte führt. Die Laatschen
biegen unter der gewaltigen Last, und sind schon lange zu festen
untrennbaren Massen zusammen gegossen worden. Nur die obersten Joche hat
die Windsbraut sich rein gefegt zum tollen heulenden Tanz, wirbelt da oben
den Schnee lustig im Kreise herum, und jauchzt ihr wildes Jubelgeschrei in
die Schluchten nieder, daß es wie gäher Donner durch die Thäler braust.

Zitternd und scheu sucht in solcher Zeit das arme Wild den Schutz der
bergenden Waldung, und die breitarmige Tanne, die ihre Zweige wie ein Dach
zur Erde niedersenkt, hat immer noch ein Plätzchen für ihre Lieblinge.
An Nahrung kann sie ihnen freilich Nichts weiter bieten, als was sie
sich selber gegen den Schnee geschützt gehalten, und was vielleicht der
Nachbarbaum noch birgt. Ob nun das Wild den Sommer durch absichtlich das
Gras unter diesen Bäumen schont, im Winter Nahrung dort zu finden, oder ob
es ihm, wo überall genug der süßen Aesung steht, zu unbequem ist unter
die niederhängenden Zweige zu kriechen, aber diese unter den Bäumen
freigehaltenen Stellen sind dem Wild in jenen Bergen der größte Schutz
gegen Sturm und Hunger, und nur, wenn der Schnee zu furchtbar arg wird,
wie im vorletzten Jahr, und die armen Geschöpfe vielleicht gar an solchen
Stellen einschneien und sich nicht wieder vorarbeiten können, dann freilich
gehn sie ein, und Füchse und Raubvögel haben reiche Atzung.

[Illustration]

Sobald aber die Schneedecke friert und hart wird, ist die flüchtige Gemse
wieder auf den Füßen, und dann geht es mit frohen Sprüngen in die Berge
hinauf, dort süßere Aesung zu suchen als der Wald ihr bieten konnte. An den
schroffen Wänden giebt es auch überall Schneestürze, die hie und da einen
Grasfleck freigeschoben haben, bis die Lawine mit vollen Händen den grün
und reich besetzten Tisch für sie deckt. In der Zeit haben sie auch nicht
mehr des Jägers Rohr zu fürchten. Wenn sie nur die Augen gut nach oben
Wacht halten lassen -- nach unten sind sie sicher.

       *       *       *       *       *

Vor dem Schloß stehn die Jäger, dem scheidenden Herrn noch ein Lebewohl
zuzurufen. Sie sind meist Alle in ihrer Sonntagstracht und sehen ernst,
ja fast traurig aus, unterhalten sich auch nur leise miteinander. Die
fröhliche Jagd ist vorbei, der lange schwere Winter liegt vor ihnen, und
sie haben Nichts, das sie heiter stimmen, oder ihnen Anlaß zu den sonst
häufigen Scherzen und Neckereien geben könnte.

Auch Bandey, der Fischer und Vogelsteller steht dazwischen, mit noch ganz
besonderer Ursache unzufrieden zu sein. Armer Bandey, Du paßtest vergebens
auf einen Deiner Kameraden, den Du für den Fischdieb hieltest, und während
Du mit Zorn und Rache in dem sonst so gutmüthigen Herzen auf einen spitzen
Hut und ein paar Lederhosen zur Zielscheibe wartetest, stahl Dir eine
Fischotter, fast unter dem Lauf der alten Schrotflinte weg, die mühsam
gefangenen und so treu bewachten Forellen.

Selbst Jackel fehlt nicht mit dem rothen, gutmüthigen aber immer etwas
verdutzt dreinschauenden Gesicht. Er sieht heute aber nicht reinlicher aus
als gewöhnlich. Da tritt der Kammerdiener zu ihm, und reicht ihm freundlich
die Hand zum Abschied.

»Nun Jackel, halte Dich gut bis zum nächsten Jahr.«

»Danke schön; gleichfalls -- kommen Sie hübsch gesund wieder her,« nickt
Jackel gutmüthig, und schüttelt die gebotene Rechte aus Leibeskräften.

»Aber Jackel,« sagt da der Kammerdiener, indem er seinen prüfenden Blick
an der vierschrötigen Gestalt auf und nieder gleiten läßt, mit freundlich
verweisender Stimme, »wie siehst Du wieder aus. Reine Wäsche hätt'st Du Dir
doch wenigstens heute anziehen können. Was sollen denn die Herren von Dir
denken?«

»Ach Herr Kammerdiener,« sagt Jackel gutmüthig lächelnd, aber doch ein
wenig dabei erröthend, -- »die sind's halt schon an mir gewöhnt.«

Die Wagen fahren vor -- die Jagdgesellschaft tritt in den kleinen Vorhof
hinaus, und Jeder springt auf seinen Sitz. -- Noch einen freundlich
grüßenden Blick wirft der scheidende Herr über die Gestalten der Jäger, die
ihm mit rasch heruntergezogenen Hüten den herzlichen Abschiedsgruß
zurufen, einen anderen, fast mit einem leichten Seufzer nach den schneeigen
Bergriesen hinauf, von denen er jetzt wieder auf ein volles Jahr Abschied
nimmt -- und wie im Flug rollen die leichten Wagen die schmale aber glatte
Straße entlang, dem flachen Lande zu.


  Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.




[ Hinweise zur Transkription


Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. In dieser Transkription
werden _gesperrt_ gesetzte Schrift sowie Textanteile in =Antiqua-Schrift=
hervorgehoben.

Der Halbtitel wurde entfernt.

Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Buchende an den Buchanfang verschoben.

Die 12 ganzseitigen Lithographien (nicht: "Das Jagdschloss.") sind im
Original mit dem Hinweis "Lith. Inst. v. L. Sachse & Cº Berlin." versehen,
der in der Transkription entfernt wurde. Die ganzseitigen Illustrationen
wurden an das jeweilige Kapitelende verschoben.

Zwei textumgreifende Illustrationen auf den Seiten 61 und 68 werden in der
Transkription beschnitten dargestellt.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden
Ausnahmen,

  im Inhaltsverzeichnis:
  "Seite 121" geändert in "Seite 120"
  "Seite 128" geändert in "Seite 127"
  "Seite 138" geändert in "Seite 137"
  "Seite 149" geändert in "Seite 148"

  Seite 3:
  "," hinter "Heerden" entfernt
  (ihre Heerden vor Lawinensturz und Wintersturm in Sicherheit)

  Seite 10:
  "-" eingefügt
  (erst durch prächtige Buchen- und Ahornwälder)

  Seite 15:
  "Jäger-rath" geändert in "Jägerrath"
  (Der Jägerrath, der Bericht der Leute)

  Seite 17:
  "«" eingefügt
  (weil sie in den Dickichten drin stecken.«)

  Seite 18:
  "." eingefügt
  (vorgestern mit dem großen Ragg drüben gewesen.)

  Seite 21:
  "." eingefügt
  (mit unbeschreiblichem Entzücken. -- Was ist Nachtigallenschlag)

  Seite 61:
  "." eingefügt
  (oben ein Stein. -- Etwa hundert Schritt höher)

  Seite 69:
  "»" eingefügt
  (»ich hab' genug an dem Schuß.«)

  Seite 69:
  "»" vor "Der" entfernt
  (Der Wastel erwiederte Nichts)

  Seite 87:
  "aufloderte" geändert in "aufloderten"
  (schwarz gebrannten, und wie glasirten Balken aufloderten.)

  Seite 97:
  "«" eingefügt
  (es war gerade schrecklich tief wo sie fiel.«)

  Seite 97:
  "«" eingefügt
  (hat er im Nasentüchel nach Haus getragen.«)

  Seite 100:
  "»" eingefügt
  (»er mußte drei Stunden gehn)

  Seite 115:
  "Schnebahn" geändert in "Schneebahn"
  (als ob eine Maus auf der Schneebahn hinliefe)

  Seite 131:
  "," eingefügt
  (die beiden westlichsten die höchsten, die östlichste)

  Seite 134:
  "," eingefügt
  (flogen sie auf mich zu, kreisten mir)

  Seite 137:
  "ihn" geändert in "ihr"
  (und die Jäger ihr »Ich meinet halt)

  Seite 139:
  "konte" geändert in "konnte"
  (deutlich konnte ich es mit bloßem Auge erkennen)

  Seite 140:
  "." eingefügt
  (sich das als ein alter Bock auswies.)

  Seite 143/144:
  "," eingefügt
  (Schreckschüsse wie sich später auswies, die Gemsen die oben)

  Seite 150:
  "gelieben" geändert in "geblieben"
  (Wastel war ein Stück zurück geblieben)

  Seite 151:
  "»" vor "das" entfernt
  (-- das hält!«)

  Seite 157:
  "Banday" geändert in "Bandey"
  (Armer Bandey, Du paßtest vergebens)]







End of Project Gutenberg's Eine Gemsjagd in Tyrol, by Friedrich Gerstäcker

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or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

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facility: www.gutenberg.org

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