Nach Amerika! Ein Volksbuch. Vierter Band

By Friedrich Gerstäcker

The Project Gutenberg eBook of Nach Amerika! Vierter Band, by Friedrich
Gerstäcker, Illustrated by Carl Reinhardt


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Title: Nach Amerika! Vierter Band
       Ein Volksbuch


Author: Friedrich Gerstäcker



Release Date: March 4, 2009  [eBook #28243]

Language: German


***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK NACH AMERIKA! VIERTER BAND***


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NACH AMERIKA!

Ein Volksbuch

von

FRIEDRICH GERSTÄCKER

Illustrirt von Carl Reinhardt.

Vierter Band.







Leipzig,
Hermann Costenoble,
Verlagsbuchhandlung

Berlin,
Rudolph Gaertner,
Amelang'sche Sort.-Buchhandlung.

1855.




Inhalt des vierten Bandes.

 1. Die Fahrt durch Arkansas            1
 2. Die Gräfin Olnitzka                50
 3. Der alte Herr Hamann               86
 4. Verschiedene Beschäftigungen      117
 5. Literarische Bekanntschaften      144
 6. Der Feuermann                     171
 7. Die Deutschen in Cincinnati       197
 8. Professor Lobenstein als Farmer   233
 9. Herrn von Hopfgartens Abenteuer   247




Capitel 1.

Die Fahrt durch Arkansas.


Den Mississippi hinauf brauste das kleine, aber tüchtige Dampfboot
_Little Rock_, nach Fort Smith, dem Grenzort des Indianischen
Territoriums bestimmt, aber auch an allen Zwischenorten, wo eben
Passagiere aussteigen oder an Bord kommen wollten, oder wohin Fracht
von New-Orleans aus eingeladen war, anlegend.

Passagiere hatte es aber nicht sehr viele an Bord, denn der große
Menschenstrom der Einwanderung geht vorzugsweise den Mississippi hinauf
bis St. Louis und zu den nördlicher gelegenen Staaten, Iowa oder
Wisconsin, oder den Ohio hinauf, wohin wir der Jane Wilmington mit
unseren Bekannten gefolgt waren. Den Arkansas aufwärts war der Zug der
Einwanderung noch nicht so stark, denn die Fremden fürchteten die kalten
Fieber, die in den östlichen Theilen des Staates herrschen, und scheuen
sich ebenso sehr nach dem Westen zu gehen, den ihre Phantasie nicht
selten auf viel zu poetische Weise mit Bären, Panthern und Gott weiß was
sonst noch für reißenden Thieren bevölkert.

Nichts destoweniger haben die dort gelegenen Städte zum Theil schon
recht wackere Fortschritte gemacht, und blühen und gedeihen in dem
jungen Land, das Fruchtboden aufzuweisen hat, wie kaum ein anderer
Staat der Union, und in seinen westlichen Bergen dabei so gesunde und
trefflich gelegene, überall von schönen Strömen durchzogene Flächen
bietet, wie es der Farmer nur wünschen kann. Freilich war es noch wild
in dem Squatterstaat, noch entsetzlich wild, und als der Little Rock,
der nach der Hauptstadt von Arkansas seinen Namen bekommen, und auch in
der That einem Kaufmann dort gehörte, den lebendigeren Mississippi
verließ, und bei dem kleinen Städtchen Napoleon links in die Mündung des
Arkansas selber einbog, schien Wald, endloser Wald die Ufer zu decken,
aus denen nur hie und da kleine urbar gemachte, oder von den Holzhauern
gelichtete Waldblößen die Wildniß nicht etwa unterbrachen, sondern nur
die Färbung derselben in etwas veränderten. Dicht und unmittelbar
dahinter nahm sie wieder ihre dunklen Schatten an, und die mit wehenden
Schlingpflanzen in schwingenden Festons behangenen Zweige streckten sich
oft weit über das Ufer und den daran hinschäumenden Strom hinaus.

Breite, helle Sandbänke füllten dabei die äußeren Biegungen des in
dieser Jahreszeit ziemlich niedrigen Stromes, auf denen Schwärme von
Wildenten und Gänsen saßen, beim Nahen des heranbrausenden Bootes die
langen dunklen Hälse hoch emporreckten, mit den Flügeln schlugen, und
dann aufstrichen in ihren schnurgeraden Reihen, bis sich der Führer hoch
oben in blauer Luft seinen Zug keilförmig ordnete, und queer über den
Wald weg hielt, einem stilleren Sumpf oder Binnensee zu.

Überall ragten hier häßliche _snags_ und _sawyers_ (in Sand oder Schlamm
unten festsitzende Stämme und Äste) aus der Fluth empor, den Lootsen in
dem nicht so breiten Fahrwasser zu doppelter Vorsicht mahnend, und
auch die Ufer dieses Stromes, wie die des Mississippi, verriethen die
Verheerungen, die er hier angerichtet am bewaldeten Ufer. Ganze Strecken
der hohen, aus dem herrlichsten Fruchtboden bestehenden Bänke waren
unterwühlt, hunderte von mächtigen Stämmen hineingerissen in die um ihre
Äste jetzt quirlende Fluth, und wieder und wieder bohrte und wusch die
Strömung unter den schon halb blos gelegten Wurzeln der nächsten Bäume,
auch sie nachzuholen in ihre gelben Strudel.

Sycamoren, Baumwollenholzbäume, Eschen und Cypressen, mit stämmigen
Weiden am unmittelbaren Ufer, der Unterwald, wie am Mississippi, oft von
dichten fast undurchdringlichen Schilfbrüchen gefüllt, bilden die
Vegetation des Flußlandes, wenigstens die, die vom Fluß selber aus dem
Vorbeifahrenden sichtbar ist, und hier allerdings schleicht der scheue
Panther Nachts zum Strome nieder, seinen Durst zu löschen, oder dem
schlanken Hirsch aufzulauern, der das Wasser des Arkansas, seines
Salzgehaltes wegen, eifrig sucht; in diesen Schilfbrüchen schlägt sich
der Amerikanische gelbnasige Bär sein Lager zurecht, mit den Tatzen, der
wilde Truthahn bäumt in die hohen Baumwollenholzstämme, und sucht von
deren Gipfel aus mit schwerem, leicht ermattetem Flug das andere Ufer zu
erreichen, und das Catamount, ein Mittelding zwischen Panther und wilder
Katze, duckt sich dicht am Ufer in stiller Nacht, als es das Dampfboot
mit den regelmäßig klappenden Radschlägen und dem scharfen Keuchen
stromauf arbeiten hört, und flieht mit flüchtigen Sätzen die steile
Uferbank hinan, als die gegen das Land geworfenen Wellen nach ihm
aufspritzen und züngeln.

Es ist ein wunderbares, nicht zu beschreibendes Gefühl, auf raschem Boot
zwischen diesen stillen rauschenden Wäldern dahinzugleiten, und füllt
die Brust des Fremden besonders, dessen Blick vergebens in des Waldes
Tiefe einzudringen sucht, mit einem halb zagenden Verlangen jene Wildniß
zu betreten. Wie die Wipfel so leise flüstern und so geheimnißvoll, und
im Winde schwanken, herüber und hinüber, und ihren duftigen Schleier über
das zitternde Dunkel des Urwaldes breiten -- wie es da drinnen knarrt und
stöhnt und seufzt, und hindurch schleicht, durch das gelbe, Jahre und
Jahre lang aufgehäufte gelbe Laub mit leisem, scheuem Schritt, und in
den Blättern raschelt, und durch die Büsche hin. -- Hui -- vorbei -- was
war das? -- wie ein Phantom glitts an dem Rand der Waldung hin, und ein
paar glühende Augen blitzten einen Moment von dort herüber. Ein Wolf?
-- vielleicht; die schwarzen tückischen, mordlustigen Burschen haben dort
ihren Tummelplatz, und wenn die Nacht kommt, tönt noch der wunderbar
klagende, unheimlich hohle Laut der Eule von dort heraus, mit dem
neckenden Schrei der Nachtschwalbe,[1] die den Gespielen ruft -- »_whip
poor will_ -- _whip poor will_.«

Der schöne -- wunderschöne Wald -- aber er bleibt Dir ein _verschlossenes_
Heiligthum, wenn Du nicht kühn und keck vom Boote springst, mit starken
Armen die Büsche theilst und den heiligen Boden betrittst, der Gottes
Tempel ist, und seine hohen mächtigen Säulen trägt. -- Nur sein Athmen
hörst Du, wenn Du an der Pforte stehst, die Dir die Arme trotzdem weit
und gastlich entgegen breitet, das stille Rauschen seiner dunklen Wipfel,
und sie grüßen Dich wohl und nicken Dir zu, wie man den Fremden grüßt,
den man auf der Straße trifft, aber der liebende Ton ist es nicht, mit
dem sie den _Freund_, der ihrem Schutz vertraut, das Schlummerlied
flüstern -- leise, leise, daß es ihn nicht stört, und ihm die
Mondesstrahlen von den Augen halten.

»Oh wie großartig -- oh wie herrlich!« seufzte eine entzückte weibliche
Stimme von den _guards_ des Dampfers aus, als dieser dicht an dem wilden
rauschenden Ufer vorüberbrauste -- »wer jetzt hinüber konnte -- dahinein,
die Wunder dieser düsteren, geheimnißvollen Welt zu erforschen!«

»Ja, Mosquitos und Holzböcke würden Sie genug finden, verehrtes
Fräulein,« sagte in diesem Augenblick eine Stimme, als Amalie von
Seebald, die ihren Gefühlen ganz unbewußt laute Worte gegeben, die Arme
fest an die Brust gepreßt, den Blick sehnsüchtig auf die rauschenden
Wipfel geheftet, auf der Gallerie der Damencajüte des Little Rock stand
und nach dem dunklen Wald hinüberschaute.

Fräulein von Seebald schaute überrascht empor, und sah eine kleine
untersetzte, in einen grauen Überrock geknüpfte und mit einem etwas
abgetragenen Strohhut bedeckte Menschengestalt dicht über sich auf dem
Radkasten stehen, die ein Tuch in der Hand hielt und im Begriff schien,
Jemandem, der noch etwas weiter oben am Ufer in einer kleinen, kaum
bemerkbaren Lichtung stand, zuzuwinken.

»Ungeheuer viel Mosquitos da drin,« sagte der kleine freundlich
aussehende Mann, »enorm viel, und Holzböcke? -- puh, ich bin einmal da
drin gewesen, gleich unter der Post Arkansas; Tschisus Etsch Dobbeljuw
Kreist, was für Holzböcke! wenn mich nicht ein Theil festhielt, hätte
mich der andere aus dem Bette gezogen, und am nächsten Morgen war meine
Haut wie ein Sieb, daß ich mich mit Baumharz ordentlich anstreichen
mußte, um nur nicht auszulaufen -- ist aber famoses Land da drinnen.«

»Sie sind hier bekannt?« frug Fräulein von Seebald mit mehr Interesse,
als sie sonst wohl an dem kleinen unscheinbaren Mann genommen
hätte -- »kennen das Land vielleicht und die Leute?«

»Kennen?« sagte der kleine sonderbare Fremde mit einem ungemein
selbstbewußten Lächeln, indem er als bildliche Darstellung seiner
Antwort seine rechte Rocktasche herausdrehte und gegen die Dame
hielt -- »kenne ich meine Tasche? -- ich bin Charley Fischer -- haben
Sie noch nicht von Charley Fischer in Little Rock gehört? wie? -- noch
nicht? -- bin schon zwölf Jahre hier im Lande und habe Little Rock
mit bauen helfen; war damals wirklich ein _little_ Rock,[2] ist aber
jetzt ein hiep bigger geworden.«

Fräulein von Seebald lächelte über die wunderliche Ausdrucksweise des
Mannes, es lag ihr aber daran die genaue Situation der Farm kennen zu
lernen, die dem Grafen Olnitzki gehörte und die, da sie gar nicht so
sehr weite Strecke von der Hauptstadt Little Rock entfernt sein sollte,
auch jedenfalls von dem Mann gekannt sein mußte.

»Dürfte ich Sie da vielleicht um eine Auskunft bitten über Jemand, der
in Ihrer Nähe wohnt? frug sie ihn, und erschrak fast, als der kleine
Fremde ganz zutraulich den kleinen Steg vom Radkasten nieder und zu ihr
auf die Gallerie kam. Sie machte dabei eine fast unwillkürliche Bewegung
zurück, und sah sich nach ihrer Cajütenthür um, Charley aber, der die
Bewegung falsch verstand, sagte freundlich:

»Hat Nichts zu sagen, mein Fräulein; ich darf überall hin, der Capitain
kennt mich und ist mein intimer Freund. Habe selber erst eine kleine
Reise nach Napoleon gemacht, um dort nach Sachen zu sehen, die für mich
von New-Orleans heraufkamen und mit denen das Boot nahe bei Napoleon
verunglückte, habe aber ziemlich Alles wieder bekommen und die ganze
Geschichte gleich selber mitgenommen. Und nach wem wollten Sie sich
erkundigen, wenn ich fragen darf?«

»Kennen Sie einen Graf Olnitzki, der in der Nähe der _Oakland grove_
eine Farm hat und dort ebenfalls schon mehre Jahre ansässig ist?«

»Graf Olnitzki -- Graf Olnitzki?« sagte Charley Fischer, wie er sich
selbst genannt hatte, sein Kinn dabei mit der rechten Hand streichend,
während er die linke tiefer und tiefer in die entsprechende Rocktasche
hineinbohrte -- »Graf Olnitzki -- den Namen habe ich doch oft genug
gehört; er muß auch schon einmal bei mir in Little Rock gewesen
sein -- was hat er denn nur da gewollt -- ich glaube irgend etwas zum
Verkauf gebracht?«

»Wahrscheinlich seine Produkte -- türkischen Weizen oder Baumwolle -- «
sagte Fräulein von Seebald.

»Ne, ne -- es war etwas anderes,« meinte Charley.

»Oder der Ertrag seiner Jagden -- Hirschhäute und Bärenschinken.« --

»Ne, ne,« beharrte der kleine Deutsche, »es war was ganz absonderliches;
Jemine noch einmal, daß ich mich jetzt nicht mehr darauf besinnen kann.«

»Aber das hat ja auch gar Nichts zu bedeuten. -- Sie kennen jedenfalls
die Lage und können mir sagen, wo ich vom Dampfboot abgehen muß den
Platz am leichtesten zu erreichen. Der Capitain meinte, ich würde bis
Little Rock mitfahren müssen.«

»Jedenfalls, jedenfalls,« sagte Charley schnell, »können dann bei mir
logiren, ich halte auch seit einiger Zeit ein Hotel; mein Bruder hält
zwar ebenfalls eins, und wir haben dadurch gewissermaßen eine Opposition
gegeneinander, aber die Opposition ist ja die Seele der Gesellschaft,
der Lebenstrieb, der unsere ganzen Staaten zusammenhält; was wären wir
hier alle mit einander ohne Opposition?«

»Aber ich gedenke mich gar nicht in Little Rock aufzuhalten,« sagte
Fräulein von Seebald ausweichend.

»Es wird aber wohl Abend werden bis wir hinkommen,« meinte Charley --
»doch das können Sie sich noch überlegen; hier haben Sie jedenfalls
meine Adresse.«

»Und welchen Weg schlage ich von Little Rock ein?« frug die junge Dame,
mit einer leicht dankenden Verbeugung die Karte nehmend -- »der Platz
liegt soviel ich weiß auf der anderen Seite des Stromes -- .«

»_Oakland grove?_ -- ja wohl, aber an der Straße -- prächtige Straße
dorthin -- ein Bischen naß, wenn's geregnet hat, aber sonst breit und
famos durch den Wald ausgeschlagen.«

»Und wann geht die Post dorthin ab?« frug Fräulein von Seebald.

»Die Post?« -- sagte Charley, sie rasch und erstaunt dabei ansehend,
setzte aber, sich besinnend, hinzu: »die _Brief_post meinen Sie? -- der
Mailrider[3] geht die Woche zweimal nach Batesville hinauf und kommt
zweimal wieder.«

»Und die Fahrpost?«

»Fahrpost, hahaha« -- lachte Charley, »die Bären und Panther würden
ungemein erstaunt sein, wenn sie einmal eine Fahrpost zwischen sich
durchrasseln hörten. Segne Ihre Seele, mein Fräulein, dahinein geht
keine Fahrpost. Nichts wie ein berittener Bote, und wenn Sie nach
Oakland Grove wollen, so müssen Sie entweder zu Fuß gehen oder reiten.
Ihr Gepäck können Sie indessen zu mir in's Haus stellen.«

»Das wäre ja schrecklich!« rief Fräulein von Seebald.

»Oh es steht dort ganz sicher,« sagte Charley.

»Nein ich meine den Weg zu Fuß oder zu Pferde zu machen; -- ich habe
noch nie auf einem Pferd gesessen.«

»Das ist ganz leicht,« sagte Charley, »der linke Fuß kommt in den
Steigbügel und das rechte Knie nehmen Sie, sehn Sie, _so_, -- über die
Knuppe hinauf, die an dem Damensattel sitzt, dann können Sie gar nicht
herunter fallen, und hängen oben wie eine Klette.«

»Und wie weit ist der Platz von Little Rock?«

»Oakland Grove?«

»Nein, wo Graf Olnitzki wohnt?«

»Ja das weiß ich wahrhaftig nicht genau,« sagte Charley achselzuckend,
»ich bin nach der Richtung hin noch gar nicht gekommen; aber dahin
müssen Sie sich doch einen Führer mit Pferden nehmen, und Ihr Herr
Gemahl -- Sie sind doch verheirathet, wenn ich fragen darf?«

Die Frage kam so plötzlich, daß Amalie von Seebald unwillkürlich darüber
erröthete, aber lächelnd antwortete:

»Nein; ich bin _nicht_ verheirathet.«

»Aber Sie haben doch jedenfalls Begleitung,« sagte Charley.

»Ich bin _ganz_ allein,« erwiederte die Dame.

»_Ganz_ allein? -- und wollen ganz allein in den Wald hinein?«

»Und warum nicht?«

»Nu hören Sie, das nehmen Sie mir nicht übel,« sagte Charley, freundlich
lächelnd, »das ist denn nun doch wohl blos Ihr Spaß?«

»Aber weshalb um Gottes Willen?« frug Fräulein von Seebald wirklich
beunruhigt über das ganze Wesen des Mannes -- »was kann mir denn im Wald
geschehn? Sind noch Indianer dort?«

»Indianer? -- nein; am Fluß lagern vielleicht welche, aber die stehn
unter Aufsicht und sind harmlos.«

»Oder wilde Thiere?«

»Nun ja, es giebt wohl Bären und Panther da, aber man hört doch selten
davon daß sie Jemanden angefallen haben.«

»Was sollte mich also sonst hindern?«

»Ih nun ja« sagte Herr Fischer -- »es ist wahr, es _ginge_ schon,
aber -- ich weiß doch nicht, ich möchte nicht alleine und ohne Gewehr
nach Oakland Grove und von da noch weiter in den Wald hinein gehn, und
ich bin doch nun schon zwölf Jahr in Arkansas. Überhaupt, es ist
nirgends besser wie in Little Rock; das ist ein capitaler Fleck und
sollte mich gar nicht wundern, wenn es einmal die erste Stadt in der
Union würde. Nachher ist aber Charley Fischer am Platz, denn ich habe
eine ganze Parthie Lots gekauft und die müssen einmal einen heillosen
Werth bekommen.«

»Aber es hat doch ungemein viel Romantisches, so allein durch den Wald
zu gehn« sagte Fräulein von Seebald.

»Romantisches, Du lieber Gott« erwiederte achselzuckend der kleine
praktische Mann, »das kauf ich nicht theuer, denn das bringt Nichts ein.
Habe schon mehre Leute hier gekannt -- auch deutsche junge nette Kerle,
die ihre Kräfte hätten an was Vernünftiges wenden können, die thaten
auch eben weiter gar Nichts als im Wald mit der Büchse allein herum zu
laufen, blos ein paar lumpiger Hirsche und des Bischens Romantik wegen.
Was ist nachher aus ihnen geworden? -- weiter hatten sie Nichts auf dem
Leib als ihr ledernes Jagdhemd und ihre Leggins, dabei Moccasins an den
Füßen und keinen Cent in der Tasche, ja nicht einmal eine Tasche an
sich, einen Cent hinein zu thun, wie vielleicht ihren Kugelbeutel, und
nachher brachten sie mit Mühe und Noth Felle genug zusammen um eben ihre
Passage auf einem Dampfboot zu bezahlen, wieder fortzukommen. Der Teufel
soll eine solche Romantik holen -- ne da lob' ich mir Little Rock.«

»Und Sie kennen den Grafen Olnitzki nicht persönlich? -- waren nie dort
in der Gegend?«

»Nein Madame -- mein Fräulein wollt' ich sagen, aber wissen Sie, mit dem
_Grafen_ hat es hier auch nicht viel zu bedeuten.«

»Wie so, geht es ihm schlecht?« frug Amalie rasch und erschreckt.

»Wem? dem Olnitzki? ja ich weiß nicht -- nein ich meine nur mit dem
Titel überhaupt. Wissen Sie, hier in Amerika sind wir alle gleich -- alle
freie Bürger, Einer soviel wie der andere, und wenn ich mich zum Spaß
Graf Charley Fischer nennen wollte, hätte auch Niemand etwas dawieder,
ich wäre eben Graf Charley Fischer, und wenn die Leute zu mir kämen und
ein Glas Brandy trinken wollten, würden sie mir wie jetzt auf die
Schultern schlagen und sagen: 'nu Graf Fischer, altes Haus, wie gehts,
_how do you_ thuts Euch?'«

»Ich glaube auch nicht daß Graf Olnitzki Anspruch auf eine höhere
Stellung macht« sagte Fräulein von Seebald.

»Ne, kann ich mir denken« sagte Charley freundlich, »würde ihm auch gar
Nichts helfen; besonders hier nicht in Arkansas. Wir haben hier übrigens
eine ganze Menge Polen; da ist der Graf Doraski am Red River und der
Graf Potelsk -- Podelscyk -- na wie heißt er denn gleich, verwünschte
Namen tragen die Polen manchmal, und die Amerikaner haben ganz recht
wenn sie meinen, man könnte sie nur aussprechen wenn man dreimal nießte
und dann _ski_ sagte -- na es ist einerlei wie er heißt. Sonderbar, von
Polen kommen blos lauter Grafen hier her, denn wenn man einen Polen
findet, kann man sich auch fest darauf verlassen daß es ein heimlicher
Graf ist; es muß ungeheuer viel Grafen dort im Lande geben.«

»Wie sind aber nur die Verhältnisse der Ansiedler hier in der Nähe von
Little Rock?« frug Fräulein von Seebald, die es drängte etwas Näheres
über die ihr am Herzen liegenden Menschen zu hören, »kommen sie manchmal,
an Sonntagen vielleicht, in die Stadt, zu Theatern oder Concerten? --
haben die Deutschen untereinander nicht Bälle oder andere Festlichkeiten,
bei denen sie sich zusammenfinden und vergnügt sind? das Waldleben denke
ich mir wundervoll, herrlich, aber das Schönste bedarf doch manchmal
einer Abwechslung.«

»Bälle? -- ja, die haben wir manchmal hier unter den Deutschen« lachte
Charley Fischer vergnügt vor sich hin, vielleicht in der Erinnerung
mancher dabei verlebter Stunden, »und amüsiren thun sie sich dabei im
Anfang und prügeln am Schluß, gerade wie bei uns zu Hause; aber wenn die
Farmer, besonders die, die so weit wegwohnen, dazu hereinkommen wollten,
da hätten sie viel zu thun. Die Männer ja, die reiten manchmal her,
stehen[4] auch wohl ein paar Tage und verthun was sie herein gebracht
haben an Produkten, manchmal auch noch das mit, was sie das nächste Mal
bringen wollen, aber die Frauen bleiben zu Hause und hüten das und ihre
Kinder, und haben dabei alle Hände voll zu thun.«

»Aber die Nachbarn kommen dann unter einander wahrscheinlich sehr häufig
zusammen.«

»Ja, wenn sie Nachbarn haben, die Nachbarschaft in Arkansas soll aber
der Henker holen,« sagte Charley -- »die nennen sich so und wenn sie
zwanzig Meilen von einander sitzen.«

»Das ist ein Beweis für ihre Geselligkeit« lächelte Fräulein von
Seebald.

»Ja schöne Geselligkeit, wenn Niemand dazwischen wohnt« meinte
Charley -- »ne, da lob' ich mir Little Rock; wenn mir da mein eigener
Brandy nicht mehr schmeckt, gehe ich um die Ecke herum zum Georg und
trinke da anderen, und alle Wochen kommen ein paar Dampfboote den Strom
herauf oder herunter, die auch Neues bringen, und wo man doch etwas zu
hören und zu sehn bekommt. S'ist ein ganz famoses Leben in Little Rock.«

Fräulein von Seebald fühlte sich, obgleich ihr der fremde Deutsche gar
nichts Direktes von den Ihrigen sagen konnte, und diese jedenfalls
in ganz andern Verhältnissen lebten wie er sie hier schilderte, doch
unangenehm berührt durch diese Beschreibung, sie wußte eigentlich selber
nicht recht weshalb. Es war ihr auch erwünscht daß die Unterhaltung
in diesem Augenblick durch die in der Cajüte geläutete Klingel, das
Zeichen zum Mittagstisch, abgebrochen wurde, und sie zog sich mit einer
leichten dankenden Verbeugung gegen Herrn Fischer, die dieser mit einem
freundlichen Kopfnicken erwiederte, in die _Ladies cabin_ zurück, dort
den Nachmittag hindurch ihren eignen Betrachtungen und Gedanken
nachzuhängen.

Das Boot setzte indessen rasch und wacker seinen Weg fort; die Scenerie
blieb dieselbe -- Wald -- endloser Wald an beiden Seiten, der sich
selbst bei kleinen einzeln zerstreuten Städten, die sie trafen, bis
dicht um diese her zu ziehen schien, als ob er wieder frisch aufgewachsen
sei, seit sie entstanden, und das Land zurück verlange, das sie ihm
abgedrängt.

Am nächsten Tag, gegen Abend, erreichten sie Little Rock, und die
breite, weit ausgehauene Lichtung verrieth schon von weitem eine größere
Ansiedlung, wie sie bis jetzt getroffen. Als sie näher kamen erkannten
sie große ansehnliche steinerne Gebäude, allerdings oft neben kleinen
modernen Holzhütten, und eine Dampffähre spielte über dem Strome nach
dem andern Ufer hinüber. Auch der Landungsplatz, gegen den sie jetzt
aufliefen, bot, wenn auch nicht mit New-Orleans zu vergleichen, doch das
belebte Bild einer größeren, geschäftigen Stadt, die hier im Herzen
eines sonst noch ziemlich wilden Staates entstanden; Karrenführer von
allen Farben drängten sich herbei Güter und Passagiergut fortzuführen,
sobald nur die Taue ausgeworfen und die Planken übergeschoben wären, und
eine Menge Ungeduldiger, wie auf allen Landungspunkten am ganzen Strom
hinab, warteten mit Sehnsucht auf den Augenblick, wo sie an Bord
springen konnten, Neues und Neuigkeiten in Empfang zu nehmen, oder
gegen die mageren Stadt-Berichte einzutauschen.

Fräulein von Seebald befand sich aber jetzt wirklich in Verlegenheit,
denn in der festen Überzeugung, und gar nichts anderes für möglich
haltend, als daß eine Post doch wenigstens die Woche ein paar Mal nach
jener Ansiedlung, auf der ihre Schwester wohnte, hinauf laufen müsse,
hatte sie ihr ganzes Gepäck, drei Koffer und mehre Hutschachteln mit
noch ein paar kleinen Kisten, die Geschenke für Schwester und Schwager
enthielten, mit an Bord des Dampfers genommen. Wie sollte sie die jetzt
mit fortbringen, in den Wald hinein? und fort mußten sie, denn sie
brauchte, wie sie meinte, dort Alles nothwendig was sie enthielten.

Charley Fischer half ihr da übrigens, als die Landung nur erst überstanden
und er alle seine tausend Freunde begrüßt und mit ihnen, wie er's
nannte, Hands geschäkt[5] hatte, aus der Noth, denn er war erstlich
nicht der Mann irgend Jemanden, aus dem er irgend einen Nutzen zu ziehen
hoffte, unbeachtet zu lassen, dann aber auch die gutmüthige Gefälligkeit
gegen Damen selber, und glaubte hier noch dazu das doppelte Interesse an
einer Reisegefährtin nehmen zu müssen. Kaum daher in die Stadt hinauf
gekommen, sah er sich auch schon, alles Übrige indeß hintansetzend, auf
das Eifrigste nach einer möglichen Gelegenheit nach _Oakland grove_ um,
wozu die Landung selber der beste Platz war, da dort fast alle Gastwirthe,
oder doch Leute von ihnen, bei der Ankunft eines Dampfers zusammen
kamen. Zufällig war in der That ein Geschirr -- freilich nur ein
gewöhnlicher Leiterwagen von Rosemores (einer Farm, die eine kleine
Strecke überhalb der _Oakland grove_ lag) in Little Rock, hatte Butter,
Eier, geräucherte Hirschkeulen und andere Produkte hereingebracht, und
nahm Mehl, Kaffee, Zucker, Brandy etc. etc., kurz Provisionen die dort
nicht zu bekommen waren, wieder mit hinaus. Der Fuhrmann wollte am
nächsten Morgen mit der ersten Fähre über den Strom gehen und, da er nur
halbe Ladung hatte mit Vergnügen gegen eine mäßige Entschädigung die
Sachen der Dame bis zu »_Billy Jones clearing_« mitnehmen, von wo aus
ein Fuß- oder Reitpfad nach _Old Nitzkys range_, wie der Mann den Namen
des Grafen Olnitzki mishandelte, hinüberlief. Wollte die Dame bis Billy
Jones mit auf seinem Wagen fahren, so war sie »_perfectly welcome_«, das
heißt: er stand ihr mit Freuden zu Diensten, und durch ein oder zwei
Arme voll Maishülsen ließ sich auch schon zur Noth ein ziemlich bequemer
Sitz herstellen.

Charley Fischer lief ungesäumt mit dieser »guten Nachricht« an Bord
zurück, wo Fräulein von Seebald eben in ziemlicher Ungewißheit war, ob
sie die Karte des Herrn Charley Fischer benutzen, oder ihr Gepäck in ein
anderes Gasthaus sollte schaffen lassen, dessen riesige Firma sie schon
über die Straße herüberleuchten sah. Des kleinen gefälligen Mannes
Erscheinen entschied dies zu seinem Gunsten, die Koffer und Kisten
wurden aufgeladen, und die junge Dame befand sich bald darauf in
einem kleinen kahlen unbehaglichen, nicht überreinlichen Gemach auf
Pinestreet, in dem sie jedoch bald von der freundlichen Wirthin selber
aufgesucht und unterstützt wurde ihre Toilette zur Abendtafel, die aus
einem recht guten compakten Mahl mit Thee bestand, vorzubereiten.

Charley Fischer hätte nun gar zu gern diese Gelegenheit benutzt, aus
seinem Gast alles nur Mögliche über ihre Lebensverhältnisse und besonders
den Zweck ihrer Reise heraus zu bekommen, denn daß eine junge Dame
eine solche Fahrt _allein_ unternommen, hatte jedenfalls auch etwas
ganz Absonderliches zu bedeuten. Nun sagte ihm Fräulein von Seebald
allerdings ganz einfach, daß sie nur nach Arkansas gekommen wäre ihre,
an den Grafen Olnitzki verheiratete Schwester zu besuchen, aber das
glaubte er ihr natürlich nicht, und suchte nun erst recht etwas
Geheimnißvolles unter dem Besuch. Je bereitwilliger und freigebiger er
dabei mit seiner eigenen Lebensgeschichte war, desto mehr verdroß es ihn
natürlich, wenn Andere nicht Gleiches mit Gleichem vergelten wollten.
Fräulein von Seebald war aber ermüdet von der Reise sowohl, als sie sich
auch angegriffen von der Aufregung der letzten Tage, dem erhofften
Wiedersehn entgegenharrend, fühlte, und suchte deshalb zeitig ihr Lager.
Charley Fischer versprach ihr übrigens sie wecken zu lassen, wo sie das
Frühstück bereit finden und immer noch zeitig genug zur ersten Fähre
kommen sollte. Der Fuhrmann hatte dabei zugesagt, bei seinem Hause, wo
er überdies seinen gewöhnlichen Morgentrunk nahm, vorzufahren, und eine
Versäumniß war deshalb gar nicht möglich.

Der Morgen kam; die Sachen wurden vor das Haus geschafft, die beiden
kleinen Kisten besonders mit wieder und wieder empfohlener Vorsicht, da
sie zerbrechliche Sachen enthielten, Fräulein von Seebald hatte ihre
Reisetoilette wie ihr Frühstück beendet, ihre nicht übermäßige Rechnung
bezahlt, ein Glas Brandy und Zucker, das ihr ihr freundlicher Wirth auf
das hartnäckigste gegen die rauhe Morgenluft aufzudringen suchte, wieder
und wieder verweigert, der Wagen kam, die Sachen wurden aufgeladen, und
Charley Fischer ließ es sich nicht nehmen Fräulein von Seebald seinen
Arm zu reichen und sie zur Fähre hinunter zu begleiten.

Allerdings hätten die beiden Figuren nach unseren deutschen Begriffen
vielleicht ein wenig wunderlich zusammen ausgesehen, und Fräulein von
Seebald selber fühlte sich auch so unbehaglich als möglich in der
Begleitung, die sie nicht gut verweigern konnte. Die Dame nämlich war
ganz modern, ja sogar modisch angezogen, mit einem hellen Kleid von
roher Seide, und feinem Strohhut, und einer dunkelrothen seidenen
Schärpe um, während Charley dagegen in einem etwas sehr kurzen und auch
nicht übermäßig reinen leinenen Röckchen prangte, unter dem ein paar
ebenfalls etwas kurze gestreifte wollene Hosen hervorsahen. Er trug
dabei Schuh und gelbwollene Strümpfe oder vielmehr Socken, die nicht
oben blieben wie er erklärte, er mochte dagegen thun was er wollte, und
der alte Strohhut deckte noch immer seinen Scheitel, wie auf dem Schiff;
nur ein reines gelb und roth gestreiftes Hemd hatte er heute Morgen
angezogen, und ein saftblaues seidenes Tuch darum geknüpft. In Amerika
fällt etwas derartiges aber nicht auf; man sieht sogar, selbst in den
größten Städten, die Damen sehr häufig an dem Arm eines Herrn, der in
kurzer weißleinener Jacke geht, in Sammet und Seide nebenher rauschen;
das Kleid macht dort nicht den Mann, sondern der Mann das Kleid.

Nichts destoweniger und trotz der frühen Morgenstunde war Fräulein von
Seebald fest davon überzeugt, daß die Augen sämmtlicher Einwohner
von Little Rock, an deren Fenstern sie vorüber gingen, in Spott und
Neugierde auf sie geheftet wären, und dankte ihrem Gott, als sie das
Fähr- oder Ferryboot endlich erreichten, wo sich Herr Charley Fischer
auf das Angelegentlichste von ihr verabschiedete, wie sie auch ersuchte,
ihn ihrer Frau Schwester, wenn auch unbekannter Weise, freundlichst zu
empfehlen.

Die kleine Fähre dampfte über den ziemlich breiten Strom, auf dem noch
der leichte Morgennebel in dünnen, hie und da von einem blitzenden
Sonnenstrahl getheilten Schwaden lag, und auch den gegenüberliegenden
Uferrand bedeckte. Nur eine Reihe niederer, hellangestrichener,
viereckiger Holzhäuser wurden da sichtbar, die mit riesigen Schilden
bedeckt, und wenn das möglich gewesen wäre, verunstaltet, den oberen
Rand der steilen Uferbank krönten, und wieder ihrerseits von den hohen
majestätischen Wipfeln riesiger Baumwollenholzbäume überragt wurden.
Diese kleine Stadt hier, die dem wachsenden Little Rock ihren Ursprung
verdankte, bestand fast einzig und allein aus Schenkständen -- sogenannten
»_groceries_ und _provision stores_,« in denen, neben allen möglichen
Lebensbedürfnissen, die spirituösen Getränke den Hauptbestandtheil
bildeten; aber sie sah neu und häßlich aus, wie eine Schachtel frisch
ausgepackter Nürnberger Spielwaaren in eine Reihe gestellt, über die der
darüber wohnende Urwald den Kopf schüttelte, und seufzend dabei den
Krebsschaden erkannte, der sich weiter und weiter in seine Seite fraß.

Fräulein von Seebald, von den Leuten an Bord neugierig betrachtet, die
eine einzelne und dabei so elegant gekleidete fremde Dame nicht so oft
und früh zwischen sich sahen, hüllte sich übrigens, ohne mit irgend
Jemand zu verkehren, fester in ihren Shawl -- die Morgenluft wehte
frisch und kühl über den Strom -- und schaute unverwandt nach dem andern
Ufer hinüber, dem sie rasch entgegenstrebten.

Ha, was war das? -- unten am Strand -- dicht unter der hohen steilen,
wohl sechzehn Fuß schroff emporsteigenden Lehmbank, und bis jetzt von
dem tief streichenden Nebel verdeckt, der sich, wie sie dem Lande näher
kamen, theilte, oder doch durchsichtiger wurde, breitete sich eine Scene
vor den erstaunten Blicken der jungen Dame aus, wie sie ihre kühnste,
romantische Phantasie nur im Stande gewesen wäre herauf zu beschwören.

»Indianer!« rief sie fast unwillkürlich laut aus, denn das ganze Ufer
dort war bedeckt, belebt von einem wilden Schwarm brauner, halbnackter
Gestalten, die theils unter niederen ledernen Zelten, theils nur an
kleinen Feuern campirt haben mußten. Pferde wieherten und galopirten am
Ufer hin, Kinder sprangen und jauchzten in und neben dem Wasser, an dem
sie badeten und spielten, Frauen kochten oder trugen Holz herbei, das
andere oben von der Uferbank herunter warfen, und die Männer saßen
theils still und theilnahmlos an den Feuern, ihre Pfeife rauchend, oder
standen am Ufer, die Ankunft des Dampfers zu erwarten.

»Leben hier noch Indianer?« frug Fräulein von Seebald erstaunt einen
der neben ihr stehenden Leute, der auf dem das Deck umschließende
Lattengitter lehnte, und ebenfalls nach den Eingeborenen hinüber
schaute.

»Nein, Madame!« sagte der Mann, ohne seine Stellung zu verändern, »Gott
sei Dank, daß wir die Rothfelle los sind; würden uns weiter Nichts als
Teufels-Eier in die Nester legen. Hole sie alle mit einander der Böse.«

»Aber was thuen diese hier?«

»Die da? -- die wandern aus -- das sind Seminolen, die Onkel Sam[6] nach
dem Territorium schickt, sich dort mit ihren Kameraden, den Creeks und
Cherokesen, den Chocktaws und Kickapuhs und wie sie alle heißen, so gut
zu vertragen wie sie eben können -- oder noch besser, sich einander die
Hälse abzuschneiden -- das Gescheuteste, was sie auf der Gottes Welt
thun könnten.«

»Sie lieben die Indianer nicht.«

»Ich? -- nein, da ist der Himmel mein Zeuge -- habe auch eben keine
Ursache dazu, und weniger Lust -- wenn ich etwas wüßte, die ganze Race
mit einem Schlag von der Erde zu vertilgen, ich thät's.«

Der Mann richtete sich dabei aus seiner Stellung auf und ging langsam an
die andere Seite des Decks, als ob er die rothen Männer nicht einmal
anschauen wollte, so lange er's verhindern konnte. Er sah dabei so
finster und erbittert aus, daß Fräulein von Seebald froh war, seiner
unheimlichen Gesellschaft bald enthoben zu sein.

Das Boot legte indessen an seinen gewöhnlichen Landungsplatze, einem
dort befestigten riesigen flachgedeckten Boote, auf das Geschirre und
Pferde leicht hinaus oder an Bord gebracht werden konnten, an, und die
Indianer, besonders die Kinder, halb scheu, halb neugierig den Platz
umdrängend, sammelten sich dort, die fremden weißen Männer und Frauen
aussteigen zu sehen. Die Kinder gingen fast sämmtlich nackt, die
Erwachsenen aber trugen ein Tuch um die Hüften, und meist ein ledernes
oder kattunenes Jagdhemd, die Haare dabei in einen Büschel gebunden,
Einzelne mit Zierrathen, zwei mit einer Adlerfeder darin. Nur die Frauen
hielten sich schüchtern zurück bei ihren Lagerfeuern, und schauten kaum um
nach dem rasch den Dampf auspuffenden Boot, oder den weißen Leuten -- sie
hatten davon genug gesehen, mehr als ihnen wohl lieb war, und waren von
ihnen aus der Heimath vertrieben und einem fremden unbekannten, kalten
Lande zugeführt -- wie konnten sie sich da an den verhaßten Wesen
freuen. Auch die Männer schauten still und finster drein, und wo sie
Einer der Weißen anredete, drehten sie sich mürrisch ab von ihnen und
schritten ihrem Lager wieder zu.

Es waren edle, kräftige Gestalten unter ihnen, Manche mit schweren, kaum
geheilten Wunden auf der breiten braunen Brust, und wacker schlugen sich
auch diese Krieger in ihrem Vaterland, jeden Fußbreit Boden den weißen
Eindringlingen mit Tomahawk und Büchse streitig machend; ja noch Jahre
lang würden die Bleichgesichter, die sie oft mit blutigen Köpfen
heimgeschickt und in deren Lager selbst sie so manche Nacht den
Schlachtschrei getragen und die nackte Brust keck und todtesmuthig den
Bayonetten entgegenwarfen, ihre Truppen vergebens gegen sie geführt
haben, hätten sie dem _Verrath_ so gut begegnen können wie der blanken
Waffe. Aber ihr Häuptling fiel -- der wackere Osceola, von den
Amerikanern gegen Krieg und Menschenrecht verrätherisch gefangen
genommen, wo er dem _Wort_ des weißen Mann's vertraut, starb elend im
Gefängniß -- andere Häuptlinge wurden übergekauft, und das Banner der
Staaten fügte einen blutigen Stern zu seinen weißen.

»Nun Madame, wenn Sie jetzt aufsteigen wollen,« unterbrach da der
Wagenführer, der sein Geschirr glücklich von Bord und über das Flatboot
weg auf festen Grund und Boden gebracht hatte, die Betrachtungen seiner
Reisegefährtin -- »die Pferde sind ausgeruht und können's schon ziehen,
und hier hinauf geht sich's doch schlecht für so zarte Füße.«

Fräulein von Seebald wäre gern noch länger hier geblieben, das Leben und
Treiben der Indianer mehr zu beobachten und sich vielleicht gar in ein
Gespräch mit ihnen einzulassen; gebrochen Englisch wenigstens sollten
doch Viele von ihnen sprechen. Aber allein ging das auch nicht an, und
dann schien auch der Wagenführer, der noch einen weiten Weg vor sich
hatte, keine große Lust zu haben länger zu warten. Sie mußte sich
deshalb wirklich nicht allein entschließen, den Platz zu verlassen, der
ihr zum ersten Mal in ihrem Leben eine Scene ächt wilder Romantik bot,
sondern auch auf höchst unromantische Weise, und noch dazu im Beisein
einer Masse fremder Menschen, die gewiß dabei ihren Spott über sie
hatten, auf einen ganz gewöhnlichen Rüstwagen hinaufklettern, und sich
dort in raschelnden Maishülsen, zu denen ihr ganzer Anzug auch nicht im
mindesten paßte, vergraben. Es kostete ihr der Entschluß in der That
eine Überwindung; aber trotz ihrem oft übertriebenen Hang zur
Schwärmerei hatte Amalie von Seebald, wie sie auch schon durch ihre
ganze Reise bewiesen, doch viel Charakterstärke, die, mit dem
Abenteuerlichen ihrer Situation, sie bald bewog sich über alles Andere
hinwegzusetzen.

Der Amerikaner brachte indessen, wie überhaupt keine Nation aufmerksamer
gegen Damen sein kann als diese, aus der nächsten _grocery_ einen Stuhl
heraus, daß sie bequemer auf den Wagen kommen konnte; lachend und
verschämt nahm dabei die Dame ihre Kleider zusammen, stieg auf den
Stuhl und schwang sich, von der breiten Hand des Wagenführers dabei
unterstützt, auf das Rad und von da in den Wagen, ein junger Bursche
trug den benutzten Stuhl in die _grocery_ zurück, der Amerikaner
klatschte mit der Peitsche, die Pferde zogen an, und neben hergehend,
bis sie die obere Bank erreicht hatten, fuhr das ziemlich schwerfällige
Geschirr, von den kräftigen Thieren gezogen, verhältnißmäßig rasch den
steilen Weg, der auf das obere Ufer führte, hinan. Die Indianer stießen
dabei einen gellenden Schrei aus, die Kinder jubelten, die Hunde bellten
und der Wagen rasselte, während der Mann selber im Fahren aufsprang und
sich neben die Dame in die Maishülsen setzte, den etwas holperigen
ausgefahrenen Weg rasch entlang.

Das kleine Nest von Wirthshäusern ließen sie dabei gleich zurück,
Lichtungen am Weg zeigten aber noch junge Farmen; sie fuhren eine
Strecke lang zwischen Fenzen hin, die erst kürzlich urbar gemachtes Land
umschlossen -- auch diese hörten endlich auf; hie und da lagen noch
dicht am Weg gefällte und zu Fenzstangen zerspaltete Stämme, dort waren
junge Bäume zu Feuerholz abgeschlagen, und jetzt zog sich die, wohl
breit ausgehauene, aber sonst sehr verwilderte und nur allein durch die
Axt hergestellte Straße, durch den finsteren dichten Urwald hin, der sie
in all seiner großartigen Majestät umfing.

So beengt und unbehaglich sich übrigens Fräulein von Seebald noch bei
dem ersten Besteigen des Wagens, und so lange sie die vielen fremden
Menschen um sich her wußte, gefühlt hatte, so wohl, so frei wurde ihr es
jetzt. Das Herz ging ihr auf, und wie die letzten Fenzen hinter ihr
verschwunden waren, wie jene mächtigen riesigen Bäume, die gerade zu
ihrer gewaltigsten Höhe in diesen Niederungen aufsteigen, ihre Stämme
wie gigantische Säulen um sie her emporreckten, und die prachtvollen
Wipfel schüttelten und mit ihnen rauschten und flüsterten, als ob der
Wald Leben gewonnen hätte; als sie die wunderlich geflochtenen und
verschlungenen Lianen in weiten Festons den Weg überhängen, und von den
höchsten Ästen der Bäume niederschaukeln sah, und ihre Phantasie dabei
diese dunklen Waldesschatten mit all dem Wild und Raubzeug des weiten
Landes dicht belebte, da wußte sie sich vor Glück und Seligkeit kaum zu
fassen; die Thränen traten ihr in die Augen, und sie hätte laut
aufjubeln mögen vor Lust und Wonne.

Ihr Ziel war jetzt erreicht, wonach sie Jahre lang gestrebt und sich
gesehnt; derselbe Wald umfing sie schon, der ihrer Schwester eine
Heimath, ein Paradies geschaffen, und nur ein Herz fehlte ihr jetzt, mit
dem sie ihre Seligkeit theilen, dem sie das Alles zujauchzen konnte, was
ihre Brust in diesem Augenblick erfüllte und erhob.

Mit dem Mann an ihrer Seite, der trocken und gleichgültig auf seinem
Platz saß und nur manchmal, wenn der Weg eine kurze Strecke glatt
fortging, die Pferde zu rascherem Lauf antrieb, ließ sich aber freilich
nicht reden; auch war sie des Englischen kaum mächtig genug, gerade den
Gefühlen Worte zu geben, die es sie trieb und drängte auszusprechen. So
fuhren sie eine Zeitlang schweigend mit einander hin, wobei der Weg
indeß, je weiter sie in das Land hinein kamen, schlechter und sumpfiger
wurde, und die ganze Aufmerksamkeit des Wagenführers erforderte. Der
großartige, wirklich herrliche Wald dieser Niederungen blieb dabei
unverändert, unverkümmert, aber die Bewohner und Besitzer desselben, die
Mosquitos, meldeten sich ebenfalls, und wenn sie auch gerade nicht
häufig waren und durch die Bewegung des Fahrens schon abgehalten wurden,
ließen sie sich doch, wenn der Wagen manchmal auf einen Augenblick hielt
und der Fuhrmann absteigen mußte, irgend einen niedergebrochenen Ast aus
dem Weg zu räumen, oder die Thiere um eine stehengebliebene Wurzel
herumzuführen, hören und fühlen, während die zarte Haut der jungen Dame
leicht unter dem scharfen Stich der kleinen scharfsäftigen Thiere
anschwoll.

Dadurch wurde übrigens ihr Geist auch wieder in etwas mehr dem Irdischen
zugewandt und Fräulein von Seebald begann den Wagenführer nach ihrem Weg,
der Länge desselben, den verschiedenen Ansiedlungen oder »Plantagen«
(wie sie es nannte, was er aber im Anfang nicht verstand) zu fragen.

Der Bursche war ein einfach schlichtes »Kind des Waldes«, wie Fräulein
von Seebald bald genug fand; er wußte auch in der That nicht viel mehr,
als was im Bereich seines Waldes und der Landung von Little Rock lag.
Allerdings kannte er den Weg genau, jeden Stumpf und Stamm, jede
»Clearing«, jedes »_improvement_« wie die allerersten Niederlassungen
genannt werden; war dabei im Stande genau anzugeben, wie viel jeder
»Nachbar« den Tag über »Fenzriegel« spalten könne, wie viel Hirsche
Johnny Bligh in der letzten »_season_« erlegt, und wie viel _coons_[7]
sie in ihrem letzten _crop_ (Erndte) im Maisfelde mit den Hunden
gefangen oder geschossen hätten. Auch die Pferde und Rinder der Nachbarn
kannte er persönlich, wußte jeden Flecken an ihnen, jeden Brand anzugeben,
zeigte ihr auch den Platz, als sie daran vorbeifuhren, wo im vorigen
Jahr der Panther ein junges Füllen erwürgt und beinah auch noch
gefressen hätte, wäre er nicht glücklicher Weise (freilich zu spät es
vor dem Erwürgen zu bewahren) dazu gekommen, und ging dann speciell in
seiner Unterhaltung auf die deutschen Einwanderer über, von denen, wie
er meinte, ein »_heap_« die letzten Jahre herüber gekommen sein müßten,
denn am _cashriver_ hätte er zwei gesehen, und nach Little Rock wäre
eine ganze Familie gekommen, der Mann, die Frau und drei oder vier
Kinder. In Little Rock wären überhaupt eine Masse Deutscher, es wimmelte
ordentlich davon -- er allein kannte sechs oder sieben, und Charley
Fischer sei der fidelste von Allen, und »_a monstrous smart hand too!_«
-- ungeheuer schlau und pfiffig -- und hätte ihm neulich einmal (vor
drei Jahren) einen ganz faulen Western Reserve-Käse aufgehangen -- was
er ihm aber nicht besonders übel zu nehmen, sondern sich eher darüber zu
freuen schien, daß er das fertig gebracht.

Nur von dem »Grafen Olnitzki« wußte er wenig oder gar Nichts zu
erzählen; seine »_old lady_«[8] kannte er gar nicht, hatte sie nie
gesehn und glaubte auch nicht, daß sie viel aus der _range_ (eigentlich
Weideplatz, aber auch von Ansiedlungen gebraucht) herauskäme. _Old
Nitzky_ wie er ihn unverdrossen nannte, sollte übrigens _a powerful
hand_ (sehr geschickt) mit der Büchse sein, und viele Hirsche und auch
schon einige Bären geschossen haben. Jetzt war er lange nicht »in die
Ansiedlungen« gekommen, aber er konnte sich noch recht gut auf ihn
besinnen, denn er war ein großer starker Mann und trug »das ganze
Gesicht voller Haare.«

Wenn aber der Führer ihr auch keine nähern Nachrichten über die geben
konnte, deren Schicksal ihr so sehr am Herzen lag, und die es sie so
glücklich machte, nach so langer Trennung wieder zu sehen, so war er
doch in so mancher anderen Art praktisch und unendlich gutmüthig. Er
brach ihr einen Sassafrasbusch ab, sich damit der dann und wann zu ihnen
kommenden Mosquitos zu erwehren, und hielt einige Male besonders an, ihr
einen Hut voll saftiger, zuckersüßer Persimonen, die dort in Masse
wuchsen, zu suchen und zu bringen, oder wilde Weintrauben zu pflücken,
die von manchen Bäumen in schweren blauen Massen niederhingen. Auch die
Muscadinebeeren, vor deren häufigen Genuß er sie des kalten Fiebers
wegen warnte, mußte sie kosten, und die lange, fast widerlich süße
Papaofrucht. Wie sie dann weiter in den Wald hinein und von den dem
Fluß zunächst liegenden Ansiedlungen abkamen, zeigte er der Fremden hie
und da die rasch erspähte Gestalt eines flüchtigen Hirsches, der
stutzte, als er das Knarren der Räder hörte, und den schönen Kopf mit
dem wunderlich gebogenen Geweih zurückwerfend flüchtig über die Büsche
hinweg in das Dickicht setzte; oder das häßliche aber komische Opossum,
das Amerikanische Beutelthier, das eigentlich, nach Australien gehörig,
nur aus Versehn hier von der Natur geschaffen scheint, wie es scheu über
den Weg lief, oder rasch an niederhängenden Weinreben emporklomm, einer
vermutheten Gefahr zu entgehen. Manchmal hielt er sogar an, um ihr auf
der Straße selber Bären-, Wolf- und Pantherfährten zu zeigen, die sie
hier auf ihren nächtlichen Wanderungen in den weichen Boden eingedrückt,
und that überhaupt Alles was in seinen Kräften stand, der jungen Dame
den langen, etwas monotonen Waldpfad so viel als möglich zu verkürzen.

So zogen sie den ganzen langen Weg dahin; die Straße war breit
ausgehauen, auf einer wie auf der andern Stelle, zeigte aber nur wenig
Gleise, mehr Hufspuren und fast noch mehr die Fährten wilder Thiere.
Dann und wann passirten sie eine große Ansiedlung, und gegen Mittag
hielten sie sogar an einem Ort, deren drei oder vier Blockhütten den
stolzen Namen einer Stadt beanspruchten. Die Leute dort, ein einziger
Farmer mit seinem Bruder, der einen kleinen Laden hielt, waren aber
nicht stolz auf diese Bevorzugung vor den Nachbar _clearings_, bestellten
ihr Land noch selber und machten neues urbar, nicht etwa Häuser darauf
zu bauen, sondern Mais hineinzupflanzen.

Dort wurde ein frugales Mittagmahl eingenommen, da fast sämmtliche
Farmer in den westlichen Wäldern, wenigstens Alle die an einer
Haupt- oder _county_straße wohnen, darauf eingerichtet sind Fremde
zu beherbergen und zu speisen. Wirths- und Gasthäuser giebt es dort
nur sehr wenige; baar Geld haben die Leute auch sehr wenig in ihrem
gegenseitigen Verkehr, da wird dann das Fremdebewirthen gewissermaßen zu
einer Erwerbsquelle, der sie sich um so lieber widmen, als sie wenig
mehr Auslagen dabei haben, wie ein paar Betten mit Matratzen und
wollenen Decken herzustellen. Die alte westliche _Gastfreundschaft_, wie
sie in früheren Zeiten Sitte war, geht dabei freilich verloren; eine
Mahlzeit kostet einen Viertel Dollar, ein Pferd zu beherbergen von einem
Viertel bis halben Dollar, je nach der Gegend, das Bett für den Gast
einen »Bit« bis ein Viertel Dollar, oder Nachtlager mit Abendbrod und
Frühstück für einen Reiter gewöhnlich einen Dollar. Daß sie Jemanden
umsonst beherbergen könnten fällt ihnen nicht ein; hat aber ein armer
Teufel wirklich kein Geld, und sagt er ihnen das gleich von vorn herein,
ehe er etwas verzehrt und genossen hat, so wird ihm selten ein
Amerikaner alles das versagen, was er ihm sonst gegen Zahlung nur
gegeben hätte.

Im Wald selbst, das heißt ab von der Straße, wohin kein ausgehauener,
von Geschäftsreisenden betretener Weg führt, und wohin sich nur der
Jäger dann und wann verliert, ist das ganz etwas anderes. Der Wanderer
theilt da Tisch und Bett mit seinem Wirth und am Morgen, fragte er
wirklich was er dafür schuldig sei, lautet die Antwort: »das Wiederkommen,
Fremder, für das was Ihr gehabt, war't Ihr willkommen; lieber Gott, es
war wenig genug, was wir Euch bieten konnten,« setzt die Frau auch wohl
hinzu.

So wenig neugierig die Leute auch gewöhnlich dabei sind, was der
Reisende treibt, woher er kommt, wohin er geht, wenn sie ihn auch
manchmal im Laufe des Gesprächs danach fragen, so erstaunt waren hier
die Waldbewohner, eine »_lady_« im wahren Sinne des Worts in seidenem
Kleid und Hut mit Handschuhen an den Händen und Ringen an den Fingern,
mit einem Schleier vor, und anderen »_fixin's_« wie sie's nannten,
_allein_ im Wald zu sehn, und wenn sie es auch nicht wagten, die Dame
selbst nach alle dem zu fragen, was sie gern von ihr wissen mochten, und
was ihnen fast das Herz abdrückte vor Neugierde, so stahlen sie sich
doch einzeln hinaus, wo Billy Jones's Mann die Pferde versorgte, von
diesem herauszubekommen was die fremde Dame vermocht haben konnte, eine
so abenteuerliche Fahrt allein zu unternehmen.

Billy Jones's Mann wußte aber auch nicht mehr, als daß die Dame mit
einem Dampfer nach Little Rock gekommen sei -- das verstand sich
ohnedieß von selbst -- und nach _Old Nitzkis_ Farm irgendwo im Busch
drin, Nord-Ost von der _Oakland grove_, hinüber wollte; es müßte wohl
eine Verwandte von _Old Nitzki_ oder seiner Frau sein.

Die Damen hätten sich übrigens die Mühe ersparen können, denn Fräulein
von Seebald kam ihnen bei Tisch auf halbem Wege entgegen, erzählte
ihnen, daß sie ihre Schwester aufsuchen wolle, die sie in zehn Jahren
nicht gesehen, und die hier, unfern von Oakland Grove an den Grafen
Olnitzki verheirathet sei, und frug jetzt selber, ob keine der Frauen
sie vielleicht kürzlich gesehen habe, und wie es ihr gehe.

Niemand kannte sie -- ein Mann wohnte allerdings dort oben im Wald, der
so hieß, er war auch verheirathet, aber noch nie hierher zu ihnen
gekommen, hatte wenigstens nie an ihrem Hause angehalten. Es sollte
übrigens vortreffliches Land sein, wo er wohnte -- nur ein wenig
sumpfig. --

»Und wie weit war es noch bis dorthin?«

»Ih nun, nicht mehr so weit; in ganz gerader Richtung hätte es kaum
vielleicht mehr als zwölf Englische Meilen sein können, aber es führte,
eines dazwischen liegenden Sumpfes wegen, kein Weg direkt dorthin, nur
die Jäger kamen manchmal dahinein; es war ausgezeichneter Jagdgrund. Wer
sonst hinüber wollte, mußte über _Rosemores_ Farm; von da führte ein
ziemlich betretener Pfad hinüber nach der Richtung, wie der alte Mann,
dem das Haus hier gehörte, meinte, und er glaubte auch gehört zu haben,
daß ein Pole da drüben ein »_improvement_« habe.«

Fräulein von Seebald begriff gar nicht daß Graf Olnitzki, der doch von
seiner Farm aus einen lebhaften Verkehr mit Little Rock, der Hauptstadt,
unterhalten mußte, hier so wenig gekannt sei; oder gab es vielleicht
einen andern Punkt im Innern, wohin er seine Produkte absetzte?

»Ih nun ja es sei möglich,« lautete die Antwort, »daß es ihm bequemer
oder ebenso bequem nach Batesville am Whiteriver wäre, wo hinauf auch
kleine Dampfer liefen.«

So mußte es auch sein; wahrscheinlich verkehrte er mit Batesville,
jedenfalls auch eine bedeutende Stadt, wenn sie Dampfbootverbindung
hatte. Viel Zeit zu weiteren Erkundigungen blieb ihr aber auch nicht
mehr, denn »Billy Jones's« Mann hatte wieder eingespannt, Rosemores
Platz noch vor Dunkelwerden zu erreichen; Fräulein von Seebald erfragte
und zahlte deshalb ihre Zeche, und wenige Minuten später rasselte der
Wagen wieder, jetzt auf etwas besserem Wege, durch den Wald weiter und
weiter nach Norden hinauf, seinem Bestimmungsorte zu.

»Dort liegt _Oakland grove_!« sagte der Fuhrmann da plötzlich, als sie
einen kleinen sandigen Hügel hinaufgefahren waren, und in der Ferne
durch den Wald ein paar helle Fenzen herüberschimmern sahen.

»Haben wir von hier noch weit bis zu der Stadt?«

»Stadt? -- was für eine Stadt?«

»_Oakland grove._«

»Ist keine Stadt; unsere Farm und der Wald hier heißt so.«

»Und wo liegt die nächste Stadt?«

»Das ist Batesville; aber noch ein hübsch Stückchen Weg bis man dahin
kommt.«

Bald darauf erblickten sie in der Ferne, an einer langen, ziemlich
gut gehaltenen Fenz hinfahrend, zwei durch eine offene Verandah mit
einander verbundene, aus gut beschlagenen Balken errichtete Blockhütten,
deren ganzes Aussehn wie Umgebung einen gewissen Wohlstand verrieth.
Eine Menge kleiner, dicht daran errichteter Gebäude dienten zu Ställen,
Maisscheuern und Futterböden, und Hühner und Gänse um das Haus herum,
wie eine Meute kleffender wohlgenährter Hunde gaben dem Platze etwas
Lebendiges, Wohnliches, hier mitten in dem stillen Wald.

Dasselbe Behäbige bot auch das Innere des Hauses, und als Fräulein von
Seebald, noch in der Thür, von einer würdigen Matrone, deren ganzes
Äußers schon einen unendlich wohlthätigen Eindruck auf sie machte, nach
kurzen einführenden Worten des Fuhrmanns, begrüßt wurde, und im Hause
selbst noch zwei reizende junge Mädchen fand, die zwar sehr einfach in
selbst gewebte Stoffe, aber nichts destoweniger höchst geschmackvoll
gekleidet waren, und als diese auch alles Mögliche thaten es der Fremden
bei sich recht wohnlich und bequem zu machen, fühlte sie sich zum ersten
Male wieder frei von jenem drückenden Gefühl, das ihr den ganzen
Nachmittag, sie wußte sich eigentlich selber keine Rechenschaft zu geben
weshalb, auf dem Herzen gelegen. Die Häuser, die sie bis jetzt hier
überall getroffen, hatten gar so ärmlich und dürftig ausgesehen, die
Menschen so kränklich und das Nothwendigste selbst entbehrend, was man
doch zu einem wenigstens menschlichen Leben bedurfte. Hier war das
anders, und der kleine Platz wirklich nicht allein praktisch, sondern
auch mit Geschmack angelegt, mit schattigen Bäumen und Sitzen vor
der Thür, und, was sie bis jetzt noch bei allen übrigen Blockhütten
schmerzlich vermißt, einem kleinen Gärtchen dicht daneben. Also das war
doch möglich -- die Wildniß bedingte nicht ein fast Indianisches Leben,
die Leute konnten es sich, wenn sie den Trieb und die Lust dazu hatten,
wohnlich und bequem machen, und mehr noch durfte sie das jetzt bei
Olnitzkis erwarten, die sogar das Bedürfniß dazu vom alten Vaterland mit
herüber gebracht.

Auch das Innere des Hauses war weit verschieden von dem der letzten
Farm, wo sie Mittag gegessen. Statt der zerbrochenen Rohrstühle und
umgedrehten Fässer, die dort als Sitze dienen mußten, fand sie hier
ordentliche Meublen; sogar einen Secretair und ein kleines dicht
besetztes Bücherbret. Große reinlich überzogene und mit bunten Decken
und jetzt aufgeschlagenem Mosquitos-Netz versehene Betten füllten den
hinteren Raum aus, große eiserne Holzstützen mit blankgescheuerten
Messingknöpfen lagen im Kamin, neben dem, ebenfalls von Messing,
Schaufel und Zange hingen; Fenster mit reinlichen Gardinen daran waren
sogar in die mächtigen Stämme, welche die Wände bildeten, eingeschnitten,
und der bald darauf mit dem weißesten Linnen bedeckte Tisch zeigte
eine Menge von delikaten Speisen.

Der ganze Platz, mit dem freundlichen Benehmen seiner Bewohnerinnen, die
ordentlich herzlich gegen sie wurden als sie erst erfuhren _weshalb_ und
wie weit sie hierher gekommen, heimelte sie an; das war, wenn auch mit
sehr bescheidenen Ansprüchen, eine Waldwohnung, wie sie sich solche früher
wohl gedacht und ausgemalt -- hier in der stillen Einsamkeit des Forst's,
unter dem leisen Rauschen der Waldwipfel, von keinen äußeren Stürmen
getroffen und berührt, lebte ein einfach glückliches Volk -- glücklich
in seiner Ruhe und Freiheit, und der Traum einer solchen Existenz, von
kalten egoistischen Menschen im alten Vaterlande oft verlacht und
verspottet, war endlich Wahrheit geworden und lag in Wirklichkeit hier
um sie her. Mit dem seligen Gefühl wuchs aber auch die Sehnsucht nach
der Schwester, und sie konnte den Morgen schon kaum erwarten, der ihr
wieder auf ihren Weg leuchten sollte, in die Arme der Geliebten zu
eilen.

Auch die Entfernung war nicht mehr so groß; nur noch zehn englische
Meilen etwa von hier -- ein flüchtiges Pferd hätte solche Strecke in
einer Stunde durchlaufen können, lag Olnitzkis Farm (das Wort Plantage
hatte sie endlich fallen lassen) oder Olnitzkis »_improvement_« wie es
die Leute auch hier nannten; wenn sie bei Zeiten aufbrachen, konnten sie
den Platz recht gut um Mittag erreichen und dann. -- Wie ihr das Herz
so ungeduldig -- so freudig und doch auch wieder so ängstlich pochte;
lieber Gott, zehn Jahre sind eine lange Zeit -- zehn Jahre hatte sie die
Schwester nicht gesehen, in den letzten Jahren sogar nicht einmal etwas
von ihr gehört, wie manches Schmerzliche ihr dabei mitzutheilen aus der
Heimath, die jene, ein Kind noch fast und von dem Glück der ersten Liebe
wie berauscht, verlassen. Die Mutter war vor zwei Jahren gestorben, und
wenn auch Sidonie die Trauerbotschaft bekommen, blieb das erste Begegnen
der Geschwister nach _dem_ Verlust doch immer schmerzlich, und mußte
ja die Freude des Wiedersehens trüben. Aber fort mit solch traurigen
Gedanken jetzt, wo sie so viel des Freudigen auch dabei brachte -- ihr
Bruder war von seinem Hofe ehrenvoll ausgezeichnet und angestellt
worden, ihre jüngste Schwester die Braut eines geliebten Mannes, ihr
Vater noch immer rüstig und gesund, stand seinen Berufsgeschäften wie
jemals vor, nur mit dem einen Verlangen, sein Kind, sein liebes Kind,
das er damals so ungern von sich gelassen, noch einmal wieder zu sehen.
Wie hatte er sich in jener Zeit gesträubt seine Einwilligung zu einem
Bündniß zu geben, das er allein der tollen Schwärmerei des Augenblicks
zugeschrieben, und in das er nur endlich willigte, sein Kind durch eine
Weigerung nicht noch vielleicht unglücklicher zu machen, als es, wie er
fürchtete, durch die Verbindung werden würde. Jetzt lag _die_ Zeit in
weiter Ferne hinter ihnen. Sidonie war glücklich geworden, wie alle
ihre Briefe ja bezeugten, und wenn sich auch die Schwärmerei der ersten
Jugendliebe in ein ruhigeres und stilleres Gleis die Bahn geöffnet, so
hatte sie doch auch mit keiner Zeile ja erwähnt, daß sie sich fortsehne
aus dem neuen, selbst gewählten Leben, daß sie bereue den Schritt gethan
zu haben, der sie aus den Armen ihrer Familie, der sie aus dem
Vaterlande riß.

Viel Unglück hatte sie trotzdem gehabt -- der älteste Knabe war ihr im
vierten Jahr gestorben, und in dem _letzten_ Brief, den sie zu Haus
geschrieben -- schon zwei Jahr her, schien ihr auch das jüngste Kind,
ein Mädchen, schwer erkrankt. Aber seit dem, und nach dem Tod der
Mutter, hatte kein Brief von ihr die Heimath mehr erreicht, und nur
ein einziges Mal war mündlich Nachricht von ihnen durch einen Fremden
hinübergedrungen, der den Grafen Olnitzki zufällig in Little Rock
gesprochen, und von diesem erfahren hatte, daß sich die Frau vollkommen
wohl befinde und in ihrem, allerdings etwas einsamen Aufenthalt von
Herzen glücklich fühle.

Wunderbarer Weise behaupteten aber auch _Rosemores_ nicht im Stande zu
sein ihr genügende oder nähere Auskunft über die, doch nur kurze Strecke
von ihnen entfernt wohnenden Leute zu geben. Olnitzki allerdings kam
manchmal herüber zu ihnen, ja hatte sogar früher schon einige Mal in
ihrem Hause übernachtet, die Frau dagegen sich noch nie bei ihnen
blicken lassen.

»Aber sie hatte doch andere Nachbarn in ihrer Nähe?«

Allerdings, _Jack Owen_ wohnte kaum tausend Schritt von ihrem Hause
entfernt an der _bearlick ridge_, und _Sam Houston_, ein anderer
Farmer hatte sich, etwa eine Meile oberhalb des »_postoak hollow_«
niedergelassen. -- Beide waren verheirathet, und verkehrten gewiß mit
einander, und besonders _Jack Owens_ junge Frau war ein liebes braves
Weibchen. Wunderbarer Weise wußten diese »Nachbarn« nicht einmal ob
Olnitzkis Kinder hatten, und wie viel -- ein oder zwei waren ihnen
gestorben, aber auch das nur als Gerücht zu ihnen gedrungen, denn dort
hinein führte kein bestimmter Weg, zu ihnen heraus kamen die Leute auch
nicht, so bildete sich denn jeder seinen Wirkungskreis in der eigenen
Umgebung, den Nachbar entbehrend und sich wenig um ihn kümmernd.

Aber was bedurfte Amalie von Seebald auch jetzt noch weitläufiger
Berichte, wo sie sich ja morgen schon -- in wenigen Stunden -- selber
von Allem mit eigenen Augen überzeugen konnte. Nur wie sie hinüber
kommen sollte beunruhigte sie noch; die Frauen vertrösteten sie aber auf
die Ankunft der Männer, die jedenfalls zum Abendbrod daheim sein und
schon Mittel und Wege finden würden sie mit ihrem Gepäck hinüber zu
schaffen. Lieber Gott, das sei nicht mehr als ihre Schuldigkeit, dafür
zu sorgen daß eine einzelne Frau, die so vertrauungsvoll hier herüber zu
ihnen gekommen war, auch nicht ohne Hülfe und Beistand gelassen würde,
und Billy Jones, der Schwiegersohn des alten Rosemore, oder Mr. Rosemore
selber fänden da schon Rath.

Hundegebell und Pferdegestampfe kündigte die Erwarteten, die irgendwo im
Walde gewesen waren nach ein paar ausgebliebenen Kühen zu sehn, auch
schon vor Dunkelwerden an, und drei Reiter hielten gleich darauf vor
Rosemores Thür, sprangen aus den Sätteln, die sie mit dem Zaum den
Thieren abnahmen, ihre weitere Versorgung einem herbeispringenden
Negerknaben überlassend, und betraten bald darauf die innere Fenz, zum
Hause kommend.

»Das trifft sich glücklich!« rief da Sarah, Mr. Rosemores jüngste
Tochter, die in die Thür getreten war den Vater zu begrüßen, »da ist Mr.
Owen von _bearlick ridge_ selber, mit Vater und Bill; der weiß Rath und
geht gewiß morgen früh ebenfalls nach seinem Haus zurück.«

»Halloh Miß Sarah,« lachte der also bezeichnete _back-woodsman_, der
die Worte verstanden hatte, und mit seinem Sattel über dem linken Arm,
seine Büchse in der Rechten, zum Hause heran kam, »haben Sie mich
erwartet?«

»Ich nicht, Mr. Owen,« lachte das junge Mädchen, »aber eine fremde
_lady_, die hier im Hause sitzt, und vor Sehnsucht nach Ihnen schon fast
vergangen ist.«

»Alle Wetter,« rief der Jäger, seinen Sattel rasch unter den Zwischenbau
der beiden Häuser legend und die lange Büchse daneben lehnend -- »eine
fremde _lady_? das wäre der Teufel.«

»Nun der _Teufel_ gerade nicht Mr. Owen,« sagte die Matrone, mit einem
leisen Vorwurf in dem Ton, mit dem sie das Wort wiederholte.

»Bitte tausend Mal um Entschuldigung Missis Rosemore,« sagte der Mann,
leicht erröthend, indem er ihr die Hand entgegenstreckte -- »es fuhr mir
nur so heraus; Ihr wißt ja schon, ich mein' es nicht so bös.«

Es war eine kräftige, männliche Gestalt, der Mann, in die gewöhnliche
Tracht der Hinterwäldler, in ein ledernes Jagdhemd mit eben solchen
Leggins gekleidet; an den Füßen trug er Moccasins von demselben Stoff,
auf dem Kopf aber einen alten abgetragenen, arg mißhandelten Filz, und
an der rechten Seite seine Kugeltasche, während an der Linken in dem
breiten Ledergürtel, das lange Amerikanische Bowie- oder Jagdmesser stak.
Das Haar war gelockt, sein Auge blau und der Ausdruck seines Gesichts
entschieden ehrlich und gerade aus, nur um den Mund und die selbst fein
geschnittenen Lippen lag ein etwas harter Zug, der aber ebensogut Muth
und Entschlossenheit deuten konnte, und den westlichen Amerikanern, die
im Wald erzogen und allen seinen Beschwerden und Gefahren von Kindheit
an preisgegeben sind, besonders eigen ist.

Jack Owen war mit einem Wort ein prächtiges Urbild jener kräftigen,
stählernen Menschenrace, die den westlichen Urwald der Union erst als
Jäger durchziehn, und dann mit ihren keck bis weit über die Grenzen der
Civilisation vorgeschobenen »_improvements_« besiedeln, dem Indianer und
Bären ihre Heimath abtrotzen, und nur mit Büchse und Axt bewehrt, im
Schatten der dichten Wildniß eine Heimath schaffen. Diese Race bildet
den Übergang von der Rothhaut zum weißen Mann, und wie der Wolfshund,
der halb dem Wolfgeschlecht noch angehörig ist, keinen ärgeren Feind
kennt als gerade den Wolf, so haßt der Pionier nichts ärger auf der Welt
als den, in dessen Fußstapfen er doch hier getreten, den rothen Sohn der
Wälder.

Als diese Männer, die mit dem freien, natürlichen Leben um sich her,
auch eben solche Sitten angenommen haben, und sich, von Anderen dasselbe
verlangend und glaubend, ebenso geben wie sie sind, das Zimmer betreten
hatten, gingen sie auf die fremde Dame zu, boten ihr zum Willkommen
freundlich die Hand, und dann ihre Sitze am Feuer einnehmend, an dem sie
ihre Moccasins auszogen, und zum Trocknen aufhingen, war ihre erste
Sorge den Frauen Bericht über die entlaufenen oder ausgebliebenen Kühe,
die wie es schien wieder eingefangen waren, abzustatten. Das Gespräch
drehte sich jetzt ausschließlich um Kühe, Rinder und Schweine, bis zum
Abendbrod, welches die beiden Töchter der alten Mrs. Rosemore indeß
bereitet hatten, und alle Theile der _range_, oder des Weidegrundes, wo
sich noch ein oder das andere Stück verhalten, wurden durchgenommen. Die
Frauen selber interessirten sich dabei so viel dafür wie die Männer, und
Fräulein von Seebald, die dabei als stille Zuhörerin mit am Kamin saß,
war wirklich erstaunt so viel Ortskenntniß bei ihnen zu finden, mit der
sie die nach Meilen entfernten Stellen im Wald bezeichneten, und ihre
Richtung dabei nicht etwa bei bestimmten Wegen, sondern nach den
Himmelsgegenden und kleineren sie durchströmenden Wassercoursen
bezeichneten.

Mit dem Abendbrod, bei dem sich Alle um die im Zimmer zusammengerückten
Tische sammelten, nahm aber auch das Gespräch eine andere Wendung; Jack
Owen wurde der Fremden als der nächste Nachbar ihrer Schwester und jenes
»Mr. Olnitzki« bezeichnet, und dann selber aufgefordert einen Rath zu
geben, wie die junge Deutsche am Besten und Leichtesten mit ihrem Gepäck
hinüber kommen könne.

Jack Owen schien übrigens die letzte Frage ganz zu überhören, denn wie
er erfuhr daß die Fremde eine Schwester der »Missis Olnitzki« und über
das Weltmeer nur einzig und allein herübergekommen sei sie zu besuchen,
sah er sie mit den klaren treuherzigen Augen eine ganze Weile ernst und
sinnend an, und fing dann auf einmal wieder, ohne ein Wort darauf zu
äußern, von vorn an zuzulangen, als ob er bis dahin ganz vergessen habe
zu essen.

»Und können Sie mir nicht etwas Näheres über die Schwester sagen?« bat
Amalie, »ich habe schon so oft und oft gefragt, und wie verschollen
schien sie dort im Wald zu wohnen; Niemand konnte mir Rede stehn,
Niemand erinnerte sich in der That sie je gesehn zu haben.«

»Lieber Gott,« sagte der Jäger, ohne sein Essen auch nur auf einen
Augenblick zu unterbrechen, »unsere Frauen kommen Alle wenig fort;
manchmal zu einer Betversammlung oder irgend einem Nachbarfest beim
Klötzerollen oder Decken-Steppen, und da die Nachbarn so dünn gesäet
sind bei uns, fällt selbst das nicht häufig vor.«

»Aber Sie kennen sie doch?«

»Ich? -- oh gewiß -- wohne keine halbe Meile davon.«

»Und es geht ihr gut? -- «

»Das kalte Fieber hat sie neulich einmal ein klein wenig abgeschüttelt,
hatte aber nicht viel zu sagen, und ist bald vorüber gegangen.«

»Und ihr Kind? hat sich das arme kleine Mädchen erholt?«

»Das Mädchen?« -- wiederholte der Mann, zum ersten Mal zu ihr
aufschauend -- »der Knabe, meinen Sie.«

»Hat Sidonie einen Knaben?« rief Amalie überrascht.

»Hm,« meinte der Jäger, sich ein neues Stück Wildpret auf den Teller
nehmend, »seit wann haben Sie denn eigentlich keine Nachricht von ihr
gehabt?« --

»Seit über zwei Jahren.«

»Lieber Gott,« sagte die alte Mrs. Rosemore.

»Dann freilich,« brummte der Jäger halb laut vor sich hin -- »seit der
Zeit ist das Mädchen gestorben und vor einigen Monaten ein Knabe geboren
worden, und _das_ Kind allerdings ist jetzt schwer krank.«

»Das Mädchen todt -- du großer Gott -- die arme, arme Sidonie.«

»Das Herz wird ihr wohl zu voll und schwer gewesen sein in _der_ Zeit
Briefe zu schreiben,« sagte die Matrone bedauernd, »ja aus_sprechen_ und
aus_weinen_ mag man sich dann wohl gern, aber zum Schreiben zwingt man
die Hand da nicht.«

»Aber wie bekommt die Fremde die vielen Sachen hinüber Mr. Owens?« fiel
Sarah hier ein, Amalie zu zerstreuen, daß sie sich nicht dem traurigen
Gedanken zu sehr hingebe -- »es wird schwer sein das Alles zu Pferde zu
transportiren.«

»Ist's denn so viel?« frug Jack Owen.

»Ei die beiden Kisten hier, dann jene Koffer dort, und diese Schachteln
und Reisesäcke.«

»Hm, das allerdings -- packt sich auch verd -- ungemein schlecht auf ein
Pferd; aber das ist das wenigste -- sind es Sachen für Mrs. Olnitzki
bestimmt?«

»Zum großen Theil; wie auch mein eigenes Gepäck.«

»Sehr gut, dann schaffen wir auch Rath,« sagte der Jäger gutmüthig --
»solltet Ihr nicht mit Euerem kleinen Wagen über die _greenbriar ridge_
hinüberkommen können, Rosemore? nachher geht's glatt und leicht durch
den offenen Wald, dicht an der Bayo hin.«

»Über die _greenbriar ridge_ mit dem Wagen, Mann,« sagte aber der Alte,
dabei mit dem Kopfe schüttelnd, »wo denkt Ihr hin; da müßten wir erst
eine ordentliche Straße durch _brushy hollow_ aushauen, und blieben
nachher noch immer im Sumpf an der andern Seite stecken. Nein nicht in
acht Tagen brächten wir das fertig, aber mit den Thieren an der _overcup
flat_ hin geht es ganz gut; die Kisten und Koffer sind eben nicht
übermäßig schwer, und lassen sich recht gut auf einen Packsattel laden.
Freilich muß man nachher tüchtig im Wald herumlaviren mit den Thieren,
freie Bahn durch die Bäume durchzufinden, aber es geht doch, und ich
getraue mich sie in fünf bis sechs Stunden hinüber zu führen.«

»Aber Euer Falbe wird das nicht tragen wollen.«

»Bah, ich habe gerade Widdersons beide Maulthiere in meiner Fenz, die er
von Santa Fé mitgebracht hat und nach Batesville hinaufnehmen will, die
mögen ihr Futter abverdienen.«

»Das wäre vortrefflich!« rief Jack Owen, »wann wird aber die Dame nach
Olnitzkis zu aufbrechen wollen?«

»Oh so bald nur irgend möglich« -- rief Fräulein von Seebald -- »ich
ginge die Nacht hindurch, die Schwester nur eine Stunde früher zu sehen,
zu begrüßen.«

»Das möchte uns durch _den_ Wald doch wohl schwer werden,« lachte der
Jäger gutmüthig, »aber morgen mit Tagesgrauen steh' ich zu Diensten,
und bin gern bereit Sie hinüberzuführen; ich gehe doch zu Haus.«

»Aber nicht vor dem Frühstück,« fiel ihnen hier Mrs. Rosemore in die
Rede, »mit leerem Magen verläßt Niemand mein Haus, wenn ich's verhindern
kann, und die Mädchen werden schon früh auf sein, daß es nicht zu lange
dauert.«

Amalie von Seebald fügte sich gern dem freundlichen Wunsch, noch dazu da
sie ihren Führer nicht auch vor dem Frühstück fortziehen mochte, und die
Männer besahen sich jetzt das Gepäck, und trafen ihre Eintheilung mit
den Packen, die auf die beiden Maulthiere vertheilt werden sollten,
wonach dann Jack Owen selber noch einmal mit seinem Pferd zurückkommen,
und den Rest nachholen wollte. Die Maulthiere sollte Bill Jones selber
mit seinem Knecht hinüber bringen, Jack Owen aber wollte rascher mit der
Lady voraus nach Olnitzkis _improvement_ gehn.

Der Morgen kam, und mit klopfendem Herzen hatte Amalie ihre Vorbereitungen
zu dem Marsch getroffen, als Jack Owen, nach beendigtem Frühstück, einen
Damensattel auf sein Pferd geschnallt, vor der Thür erschien, und die
Lady einlud sein Thier zu besteigen, während er selber zu Fuß voran
ging. Die junge Dame gestand jetzt freilich mit Erröthen, daß sie noch
nie auf einem Pferd gesessen, der Einwand wurde aber nicht beachtet;
Jack Owens Ponny war anerkannt das frömmste Thier in der _range_, ließ
vor und neben sich schießen, wie der Reiter gerade Lust hatte, und ging
seinen festen sicheren Schritt ruhig fort, fast wie ein Maulthier. Die
Mädchen halfen ihr dabei lachend in den Sattel, ordneten ihre Kleider,
gaben ihr eine kleine Gerte in die Hand, das Thier vorwärts zu treiben,
und Jack Owen, mit der langen Büchse auf der Schulter, von fünf
mächtigen Rüden umbellt, schritt ihr voran, in den dunklen Wald hinein.




Capitel 2.

Die Gräfin Olnitzka.


Im Anfang hatte Amalie von Seebald genug mit ihrem Pferd und dem neuen
Sitz zu thun, auf dem sie sich noch nicht sicher fühlte, und deshalb
auch nicht wohl befinden konnte; das Ungewohnte der Bewegung dabei, und
das öftere Anstreifen an die überhängenden Büsche nahmen ihre ganze
Aufmerksamkeit in Anspruch, und ließen sie sich ängstlich dabei an den
Knopf des Sattels anhalten, nicht herunterzufallen, wie sie immer noch
fürchtete. Das gutmüthige Thier, das Jack Owen auf seinen Jagden schon
so abgerichtet hatte ihm wie ein Hund zu folgen, ging aber einen so
ruhigen sicheren Schritt, und kümmerte sich so gar nicht um die wild
und fröhlich es umbellenden Hunde, nur auf den Weg und die darüber
hinliegenden Wurzeln und Stämme achtend, daß sie sich bald daran
gewöhnte, und nach kaum halbstündigem Ritt schon fast die bis dahin
gefühlte Angst vergaß.

Jack Owen ging dabei meist vor ihr, oft neben ihr her, die Büchse auf
der linken Schulter, über deren Kolben die linke Hand herunter hing, die
Hunde hinter sich, die jetzt, im wirklichen Walde drin, keinen Lärm mehr
machen durften, etwa irgendwo stehendes Wild nicht zu verscheuchen, und
sein Blick schweifte dabei ruhig und forschend über alle offene Stellen
die sie passirten, haftete oft auf einem, vom Herbst gefärbten Busch, ob
sich nicht doch in den gerötheten Blättern die schlanke Gestalt eines
Hirsches berge, und suchte dann wieder in dem weichen Boden des Pfads
die frisch eingedrückten Fährten des Rothwildes oder Raubzeuges, die
herüber und hinüber gewechselt waren.

So hatten sie schweigend einen großen Theil des Wegs zurückgelegt, und
Amalie sah schon in jedem helleren Waldesfleck der vor ihnen lag, die so
heiß ersehnte Lichtung von ihres Schwagers Farm; aber ein Dickicht
wechselte nur mit dem anderen, der Weg, der bis dahin ziemlich breit in
den Wald hinein gereicht hatte, wurde zum engen, kaum mehr begangenen
Pfad, und noch immer zeigten sich nicht jene Spuren der Civilisation,
die unzertrennlich von einer größeren Ansiedlung sind, und wie der dünne
Rauch über einer Stadt, die Nähe des schaffenden Treibens thätiger
Menschen verrathen. Kein Fuhrwerk hatte diesem Boden hier je seine Räder
eingedrückt, keine Axt noch die mächtigen Stämme berührt, und selbst die
wenigen Pferdespuren im Pfad waren von Hirsch- und Pantherfährten fast
unkenntlich gemacht, und doch näherten sie sich mehr und mehr der Farm
des Grafen, doch konnte nur kurze Strecke Waldes mehr, sie von dort
trennen. Nur eins war da noch möglich, daß sein ganzer Verkehr mit
jener nördlich von ihm gelegenen Stadt bestand, die ihm doch wohl näher
liegen mußte als Little Rock, ja vielleicht gar durch einen Strom die
Verbindung erleichterte; aber das Herz des armen Mädchens füllte
sich dennoch, so sehr sie auch dagegen ankämpfen wollte, mit einer
unbestimmten Furcht, und wenn sie der auch keinen Namen zu geben wußte,
drängte es sie doch zuletzt, von ihrem wortkargen Führer das unheimliche
Gefühl verscheucht zu sehn.

»Es ist so einsam hier und still,« brach sie das Schweigen endlich, »und
doch können wir nicht mehr so weit von jener Farm entfernt sein, der
dieser Weg zuführen soll.«

»In einer Stunde kann man's von hier aus, wenigstens in dieser Jahreszeit
gehn,« sagte der Mann, »aber im Winter ist's weiter, denn die Gräben
sind dann mit Wasser gefüllt, und man muß Umwege machen ihrem Schlamme
auszuweichen.«

»Daß sich Olnitzki so tief im Walde angesiedelt hat,« sagte die
Deutsche, fast mehr zu sich selbst als zu dem Führer redend.

»Ja, s' ist etwas einsam hier, für eine Frau wenigstens,« lautete die
Antwort, »aber der Mann fühlt sich desto wohler unter den Bäumen, und
mir ist, wenn ich's aufrichtig gestehen soll, nichts fataler auf der
Welt, als wenn ich an eine Fenz komme -- meine eigene ausgenommen.«

»Wie es Sidonie nur ausgehalten hat.«

»Ist das der Name Euerer Schwester?« frug der Jäger, mit etwas leiserer
Stimme, und sein Blick glitt über die Gestalt der Fremden flüchtig aber
doch forschend hin.

»Ja -- kennt Ihr ihn nicht, als nächster Nachbar?« sagte Amalie rasch
und etwas bestürzt.

»Es ist Sitte bei uns, die Frauen nur nach dem Namen ihres Mannes zu
nennen,« erwiederte der Jäger, »selbst unsere eigenen; ich kann ihn aber
trotzdem doch wohl einmal gehört haben, denn ich kam früher öfter mit
Olnitzki zusammen.«

»Und jetzt nicht mehr?« --

»Oh doch ja, dann und wann wenigstens,« sagte der Mann ausweichend; »er
ist gerade ebenso wie wir Anderen -- eben nicht umgänglicher Natur, und
hält seine Büchse und Hunde für die beste Gesellschaft auf der Welt.«

»Aber die arme Frau -- _sie_ verkehrt doch wenigstens mit ihren
Nachbarn?« frug Amalie.

»Sie? -- o ja -- ja wohl« -- sagte der Jäger -- »im letzten Winter war
sie zweimal bei uns hüben, und meine Alte auch dort, und wie ihr vor
zwei Jahren das Kind krank wurde und dann starb, ist wenigstens eine
von den benachbarten Frauen fortwährend und abwechselnd bei ihr
gewesen -- sie wurde auch damals selber krank und mußte doch eine
Pflege haben.«

»Lieber Gott, im letzten _Winter_,« seufzte Amalie still und kaum hörbar
vor sich hin, und der Wald schien ihr ordentlich unheimlich dazu zu
rauschen, in seiner öden Einsamkeit. Sie fürchtete auch von dem Augenblick
an wirklich eine weitere Frage zu thun, bis ihr Führer selber wieder das
Schweigen brach.

»Ihr habt die Schwester seit langer Zeit nicht gesehn?«

»Seit zehn Jahren nicht.«

»Eine lange Zeit, und wir werden alt dabei.«

»Sidonie war noch so jung wie sie die Heimath verließ.«

»Aus glücklichen, ruhigen Verhältnissen vielleicht heraus« sagte der
Jäger, und sein Blick schweifte dabei wieder über den engen
Waldeshorizont, der ihm da frei lag, nach einem Wilde auszuspähn.

»Aus den glücklichsten,« sagte die Schwester, seufzend der Zeit
gedenkend, »lieber Gott, sie hatte Alles was das Herz begehrt, begehren
kann; in Überfluß und Reichthum erzogen, wurde sie von den Ältern auf
Händen getragen, und die glänzenste Zukunft hätte ihrer im alten
Vaterland gelacht.«

»Hm,« sagte der Jäger, seine Büchse etwas weiter zurück über die
Schulter werfend, und den Tabackssaft seines Priemchens gegen die
nächste Eiche spritzend -- »hm -- und Mr. Olnitzki hatte auch viel
Geld?«

»Der Graf Olnitzki? -- nein,« sagte Amalie, »aus Polen flüchtend, wo
sein Volk besiegt und zerstreut worden, waren ihm von dem Russischen
Czaaren die Güter confiscirt, war ihm selbst die Rückkehr in sein
Vaterland abgeschnitten worden, und jenen unglücklichen Tapferen blieb
damals nichts übrig, als in der neuen Welt auch eine neue Heimath zu
suchen und zu gründen.«

»Aber wie bekam er da so geschwind die reiche Frau?« frug der praktische
Amerikaner, halb ungläubig dazu den Kopf schüttelnd.

»Ich weiß nicht ob Sie sich jener Zeit noch erinnern,« sagte, tief
aufseufzend wieder Amalie, »weiß auch nicht ob Sie in Amerika damals
unsere Gefühle getheilt; aber in Deutschland war es fast, als ob ein
neuer lebendiger Geist über das ganze Volk gekommen, und die träumenden
Nationen aus ihrem Schlafe aufgerüttelt habe. Ein Schrei für Polen ging
durch Deutschlands Gauen, nicht bei den Regierungen zwar, die es mit dem
Nordischen Koloß nicht verderben wollten, wohl aber bei den Völkern.
Doch statt das Schwert aufzugreifen für den bedrohten, geknechteten
Nachbarstaat, begnügten sich die Männer Sammlungen zu veranstalten, den
Verwundeten und Beraubten Hülfe zu bringen, die Frauen zupften Charpie
und sandten Leinwand und Bandagen in die Lazarethe, und als die letzte
Schlacht geschlagen, als die ungeheueren Russischen Heere das kleine
Reich mit ihren Massen überschwemmten, als Polen zertreten, vernichtet
unter den stampfenden Rossen seiner Feinde lag, und die Wenigen seiner
tapferen Krieger, die sich noch bis zur Grenze durchgeschlagen, fremden
Boden Hülfe suchend betreten mußten, da war es Deutschland besonders,
das ihnen seine Arme öffnete, das sie in seine Familien, an seinen Heerd
nahm, die Kranken und Verwundeten pflegte und kräftigte, die Armen
unterstützte, die Besiegten aufrichtete, mit Trost und Hoffnung und
eigener That. Feste, Bälle und Concerte wurden gegeben, Summen zusammen
zu bekommen und den Flüchtigen Reisegeld nach Amerika zu verschaffen,
und Frauen und Mädchen besonders wetteiferten darin ihre Sympathieen für
die zertretene Nationalität der Unglücklichen zu zeigen. Wir trugen in
den Schleifen und Zierrathen unseres Costümes nur die Polnischen Farben,
Polnische Flaggen wehten in den erleuchteten Festesräumen, und viele,
viele von uns gaben was sie an Schmuck und goldenen Zierrathen besaßen
willig her, die Spende für die tapferen Krieger zu erhöhn.«

»Hm, hm, hm, hm,« sagte der Jäger, der mit dem Kopf heftig dabei
schüttelnd, rascher neben dem Pferde herging.

»Auch in unsere Familie,« fuhr Amalie fort, »hatten wir einen jungen
edlen Polen aufgenommen, der unsere Schwelle, von Fieberfrost
geschüttelt, mit einer Menge ungeheilten Wunden, mit zerrissener
Uniform, dem Untergang schon nahe, betrat, und kaum ein Lager für sich
eingerichtet bekommen, als ein hitziges Fieber sein Leben bedrohte, und
ihn für Monate an den Rand des Grabes brachte. Sidonie und ich pflegten
ihn in der Zeit wie Schwestern; Sidonie besonders wich kaum mehr von
seinem Bett, und wir hatten die Freude den Unglücklichen nach langen
Monden dem Leben, der Gesundheit zurückgegeben zu sehn. Vollkommen
endlich wieder hergestellt, und mit Allem reichlich versehn was er zu
einer so weiten Reise brauchte, wollten meine Ältern dann den Fremden
entlassen -- aber es war zu spät; Sidoniens Herz hing an dem fremdem
Mann und konnte -- wollte ihn nicht lassen. Vater und Mutter baten und
beschworen sie -- umsonst, der Pole durfte nicht länger auf deutschem
Boden weilen, unsere deutschen Regierungen fürchteten das Misvergnügen
des Czaaren zu erregen, und mit der warmen Frühlingsluft die über die
Berge zog, und unsere Ströme vom Eis befreite -- mit dem ersten Schiff,
das den aufgethauten Strom befuhr -- verließ Sidonie als Olnitzkis
Gattin das väterliche Haus.«

Amalie schwieg, und Jack Owen ging wieder eine ganze Zeitlang lautlos,
aber recht schwer aufathmend neben dem Pferde her -- endlich sagte er
leise:

»Aber Olnitzki hatte Vermögen wie er Amerika betrat.«

»Mein Vater ist wohlhabend, und wollte die Tochter nicht der Ungewißheit
einer selbst zu erkämpfenden Existenz preis geben.«

Jack Owen blieb stehen und sah die Fremde überrascht und ungewiß
an -- er hatte augenscheinlich nicht recht verstanden was sie mit
den Worten meinte.

»Olnitzki hat also sein Geld nicht mit von Polen herüber gebracht?«
frug er endlich.

»So reich er dort gewesen sein mochte,« sagte Amalie, »der Krieg
verschlang Alles, und jene edlen Herzen warfen nicht allein ihr Leben,
nein Alles was sie auf Erden ihr eigen nannten in die Schaale, das
Vaterland zu retten.«

»Hm, hm, hm, hm, hm!« sagte der Jäger wieder, und schritt rascher
vorwärts, als ob er die versäumten Minuten einholen müsse; aber er
erwiederte nichts weiter, schien sogar jedes fernere Gespräch vermeiden
zu wollen, und beschäftigte sich ausschließlich mit dem Weg, der hier
auch in der That noch eher wilder und verworrener wurde, und seine ganze
Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, der Fremden nur einiger Maßen Bahn zu
brechen. Amalie aber fühlte sich beunruhigt durch das ihr auffällige
Benehmen des Führers, trieb ihr Pferd, jetzt schon vollkommen an den
Ritt gewöhnt, und dreist gemacht durch den sanften Schritt des Thieres,
zu etwas schärferem Schritt mit der Gerte an, und sagte halb schüchtern,
halb entschlossen jeder weiteren Ungewißheit ein Ende zu machen:

»Wie geht es meiner Schwester -- ist sie _glücklich_, und lebt sie so
wie wir es in Deutschland erwartet haben daß sie leben würde und
sollte?« --

»Pst!« sagte ihr Führer aber als einzige Antwort, und bei der rasch
doch vorsichtig abwärts gedrehten rechten Hand, blieb das gelehrige,
aufmerksame Thier wie in den Boden gewurzelt stehn, regte sich nicht mit
dem Kopf, und schüttelte weder Schweif noch Mähne. Der Jäger aber, mit
der Hand langsam, keine rasche auffällige Bewegung zu machen, nach vorne
deutend, zeigte der Fremden, die dem ausgestreckten Finger mit den Augen
folgte, die schlanke prächtige Gestalt eines stattlichen Hirsches, der
aus einem dichten Gebüsch herausgetreten war und sich, keine Gefahr
ahnend, über eine kleine Waldblöße langsam hinüber äßte.

Vorsichtig nahm der Jäger die Mütze vom Kopf, ließ sie geräuschlos auf
den Boden gleiten, und eine Bewegung seiner Hand, mit einem Blick den
die klugen Thiere wohl verstanden, gebot den Hunden den Platz zu wahren
bis er wiederkehre. Nur Einer von ihnen, Deik, ein alter, von Narben
zerrissener Bursche mit ganz kurz abgeschlagenem Schwanz und eben
solchen Ohren, zugestutzt, als ob sein Herr eben nicht mehr von ihm
hätte haben wollen als unumgänglich nöthig war, wußte sich von dem
Befehl ausgenommen, und als der Jäger jetzt, sich nieder duckend und den
Schutz eines kleinen Busches benützend, rasch aber lautlos durch das
feuchte gelbe, den Boden bedeckende Laub hinglitt, folgte er ihm dicht
auf den Fersen, haltend, wenn jener stehen blieb, und vorsichtig
ausschreitend wenn es der Jäger für rechtzeitig hielt weiter
vorzuschleichen.

Amalie selbst vergaß aber in dem neuen Eindruck der Jagd, der jetzt den
Wald mit einem eigenen, kaum geahnten Zauber füllte für den Moment
wenigstens, alles Andere. Das edle, sich so sicher fühlende Wild; die in
das Gras gedrückten klugen Hunde; die lebendige ausdrucksvolle Gestalt
des Jägers mit dem schleichenden Thier an seinen Fersen; das Pferd
selbst auf dem sie saß, das wie ängstlich den klugen Kopf nach dem
leisen Rascheln ihres Kleides wandte; das Rauschen der mächtigen Wipfel
dazu, durch das weit, weit herüber, der gellende Schrei eines Falken
tönte -- sie preßte fast unwillkürlich ihre rechte Hand auf's Herz, so
laut kam ihr jetzt dessen Klopfen vor, und während sie in ängstlicher
Sorge um das Leben des wunderschönen Thieres bangte, das so frei und
glücklich dort durch den Wald schritt, mochte sie selbst kaum athmen,
dem Bedrohten nicht die Nähe des Feindes zu verrathen.

Jack Owen aber war in diesem Augenblick nur noch einzig und allein
Jäger; an seine Schutzbefohlene kaum denkend die er jedoch auch sicher
auf dem Thiere wußte, glitt er, jetzt den Stamm einer Eiche oder eines
Sassafrasbaumes benützend, jetzt einen Busch oder umgestürzten Baumstamm
als Schutz gebrauchend, zugleich aber auch nicht ganz direkt auf das
Wild zu, sondern etwas seitab schleichend, damit durch irgend ein
vielleicht unvorsichtig gemachtes Geräusch die Aufmerksamkeit des
scheuen Wildes nicht etwa auf das im Wege haltende Pferd gelenkt würde,
rasch und geräuschlos über den Boden hin, bis in vielleicht noch hundert
Schritt von seiner Beute. Da knickte ein trockner unter dem Laub versteckt
gelegener Zweig, und ob sich der Moccasin über ihm zusammenzog, und
Jäger wie Hund instinktartig zusammensanken wo sie standen, war der
schwache Laut doch hinübergedrungen zu dem Hirsch, der gerade selber mit
Äsen aufgehört hatte, und hinüberhorchte nach dem Schrei des Falken. Die
Thiere der Wildniß haben eine Sprache untereinander, die der Mensch
nicht versteht -- eine Stimme zu warnen und zu rufen, zu locken und zu
verscheuchen, und sie achten darauf, wenn selbst ein feindliches
Geschlecht die Warnung gäbe.

Einmal aufmerksam geworden, wußte Jack Owen aber auch recht gut, daß
sich das scheue Thier nicht wieder beruhigen würde, weitere Annäherung
zu gestatten, so also rasch die Büchse hebend, die er in der Bewegung
spannte, suchte das Auge den tödtlichen Fleck, der Finger zuckte, scharf
schmetterte der Schlag durch den Wald, und wie sich der Hirsch hob und
zusammenbrach, und wieder empor und mit wilden Sätzen in das Dickicht
hineinschnellte, fuhren die Rüden, die sich nicht länger halten ließen,
von dem Platze auf, an dem sie gekauert, und folgten heulend und
kleffend der flüchtigen Beute. Jack Owen aber wischte indessen
vollkommen ruhig seine Büchse mit dem, an den Ladestock geschraubten
Krätzer aus, lud sie wieder, und sie dann auf die Schulter werfend,
kehrte er zu seinem geduldig haltenden Pferd zurück, seine Mütze
aufzuheben, und das Thier mit sich zu der Stelle zu führen wo sie das
Wild verendet finden sollten.

»Er ist davongelaufen« sagte Amalie von Seebald, als der Schütze
herankam, und sein Pferd ihm -- ohne jedoch seine Stelle zu verlassen,
freudig entgegenwieherte -- halb zufrieden damit, halb in getäuschter
Erwartung.

»Ja Miß« lachte der Jäger, »aber nicht weit; ich bin gut abgekommen und
die Kugel sitzt, vielleicht nur ein wenig tief, auf dem rechten Fleck;
die Hunde haben ihn schon.«

»Die Hunde? wo? -- sie bellen ja noch.«

»Ja,« lachte der Hinterwäldler, »aber nicht mehr gegen den Hirsch,
sondern gegen Deik an, der Besitz von ihm genommen, und keinen
der anderen mehr hinanläßt; der alte Bursche weiß schon was sich
schickt, kommen Sie jetzt mit mir, wir gehen sogar nicht einmal um,
sondern schneiden dort hinüber durch die jetzt vollkommen trockene
Gründorn-Ebene eher noch ein paar hundert Schritte ab bis zu Olnitzkis
Fenz, die auf der anderen Seite daranstößt; ich will nur den Hirsch
aufbrechen und in die Slew hängen, damit ihn die Schmeißfliegen nicht
gleich bedecken; nachher hol ich ihn ab.«

Einen leisen Pfiff dabei ausstoßend, den das Poney gut genug verstand,
drehte er sich, von diesem jetzt dicht gefolgt, wieder auf dem Absatz
herum, und die dichtesten Plätze vermeidend, führte er die Fremde ganz
unbekümmert mitten in das Herz der Waldung hinein. Näher und näher aber
kam dabei das Bellen der Hunde und als sie diese endlich erreichten, war
es wie Jack Owen vorher gesagt. Deik hatte seinen Platz dicht neben dem
schon verendeten Hirsch genommen und sich, seiner Autorität bewußt,
ruhig dabei zusammengekauert, die Ankunft seines Herrn zu erwarten,
während die anderen Rüden ihn kleffend und knurrend, immer aber in
achtungsvoller Ferne, umsprangen, und die Zeit nicht schienen erwarten
zu können, wo ihnen ein Theil des Wildprets preis gegeben wurde. Das
geschah bald; Jack hatte im Nu den Hirsch herumgeworfen, aufgebrochen
und zerwirkt, und dann den vorderen Theil, die beiden Blätter mit Hals
und Kopf an dem das Geweih noch saß, vom übrigen Körper trennend und in
einzelnen mächtigen Stücken den verschiedenen Rüden zuwerfend, zog er
ein Stück Bast von einem dicht dabeistehenden Papaobaum ab, und durch
die Hessen der Hinterläufe des Erlegten, schleifte das Wildpret dann zum
kaum zehn Schritt davon entfernten Wasser, dem das tödtlich getroffene
Thier noch zugeeilt war, und hing es hinein, wusch sich dann selbst
die Hände in der Fluth, warf die Büchse wieder über die Schulter und
schritt, dem Poney ein neues Zeichen gebend, rasch mitten durch den Wald
hin, einer bestimmten Richtung zu.

Diese brachte die Wanderer aber nach kaum viertelstündigem rüstigen
Marsch an die Ecke eines eingefenzten, mit Mais bepflanzten, aber sonst
noch ziemlich wild aussehenden Feldes, in dem die meisten Bäume nur
geringelt und abgestorben oder mitten hinein in das Feld gebrochen,
standen und lagen, und um das hin ein schmaler Feldweg führte.

»Da sind wir am Ziel« sagte der Jäger, als er den Arm gegen das Maisfeld
ausstreckte und zugleich um die Ecke desselben bog, von der aus sie
einen freieren Blick auf die kleine Ansiedlung selber erlangen konnten,
»das hier ist Olnitzkis Feld, und er hat drüben auf der anderen Seite im
letzten Jahr noch drei andere Acker Land urbar gemacht.«

»Und wie weit haben wir noch bis zum Haus?« frug Amalie der das Herz
anfing in fast fieberhafter Aufregung zu klopfen, indem sie fast
unwillkürlich den Zügel des Poneys anhielt, sich erst zu sammeln.

»Zum Haus? -- dort liegt es« sagte der Jäger, und sein Blick haftete
wie in Mitleid auf der bleichen, zitternden Gestalt, die in Angst und
Schreck die Hände faltete, als das suchende Auge nur eine kleine niedere
Hütte traf, aus der dünner Rauch in die blaue Morgenluft emporkräuselte.

»Das?« hauchte sie mit kaum hörbarer, trostloser Stimme -- »_das_
Olnitzkis Haus? -- das der Aufenthalt meiner armen Schwester? -- «

»S'ist eben nur eine Waldwohnung« sagte der Jäger verlegen lächelnd --
»mein eigen Haus ist eben nicht viel besser, und Olnitzki will, glaub'
ich, auch ein anderes bauen; unser Klima hier verlangt es aber kaum
anders, und zum bloßen Staat wäre die Mühe hier ebenfalls weggeworfen.
Doch wollen wir nicht hinangehen?«

»Nein -- bitte, lassen Sie mich vom Pferd« bat Amalie -- »es ist nur
eine kleine Strecke -- ich will von hier zu Fuß gehn -- ich -- ich
möchte gern -- «

»Ich kann mir denken daß Sie die Schwester nach so langer Abwesenheit
allein zu begrüßen wünschen« sagte der Jäger freundlich, indem er dabei
seine Büchse an die Fenz lehnte, und sie mit starkem Griff aus dem
Sattel hob; »ist's Ihnen recht, so gehe ich indeß zurück und hole
mein Wildpret. Ich weiß nicht ob Olnitzki gerade frisches Fleisch im
Hause hat, und da er jetzt Besuch bekommen, wird ihm ein Theil davon
vielleicht willkommen sein. Wild giebt's hier noch genug im Wald, aber
es trifft sich nicht immer daß man gerade zum Schuß kommt wenn man etwas
nothwendig braucht, und besser ist besser. Sie können übrigens nicht
mehr fehlen; der Pfad hier führt Sie, an der Fenz entlang, bis vor die
Thür; das Meiste Ihrer Sachen wird auch bald eintreffen, und das Übrige
bringe ich Ihnen morgen früh.«

Er war bei den letzten Worten in den Damensattel gesprungen, und ohne
einen Dank der Fremden abzuwarten, drückte er dem Thier die Hacken in
die Seite und sprengte, von den Rüden gefolgt, rasch zurück in den Wald,
der sich im nächsten Augenblick schon wieder hinter ihm schloß.

Fräulein von Seebald blieb allein zurück, und brauchte noch Minuten, ehe
sie sich soweit sammeln konnte, der Schwester gefaßt entgegenzutreten.
Aber was zögerte sie auch hier, was fürchtete sie? -- hatte denn der
Jäger nicht vollkommen recht, und durfte sie mitten im Wald etwas anders
erwarten als die Wohnung eines Jägers? Auch Rosemores wohnten in einem
eben so unscheinbaren, vielleicht etwas höheren Blockhaus, und wie
freundlich, wie wohnlich sah es bei denen aus. Es war unrecht von ihr,
sich solch kindischem Kleinmuth in einem Augenblick hinzugeben, wo sie
ihr weitgestecktes Ziel endlich erreicht, und in den Armen der Schwester
wollte und mußte sie ja bald jede solch thörichte Furcht verscheucht,
vernichtet sehn.

Dort lag die Wohnung, und dorthin trug sie jetzt, in Freude und Sehnsucht
zitternd, der Fuß; an der Fenz hin, manchmal noch durch niederes Gestrüpp
und Unkraut das den Boden dicht bedeckte, oder auch über niedergebrochene
Stämme und Äste hin, lief und kletterte sie, von den weiten Kleidern
oft gehalten, in immer wachsender Ungeduld, und erreichte endlich den
kleinen freien, von zahmem Vieh zertretenen und etwas schmutzigen Platz
unmittelbar vor der Hütte, die in die Fenz hineingebaut lag. Hier sah
sie auch das erste lebende Wesen, denn bis jetzt hatte ihr nur der blaue
Rauch die Nähe von Menschen verrathen --eine Frau, in einem ordinairen
weiß-baumwollenen Rock -- der selbstgewebte Stoff der Backwoodsfrauen --
die vor der Thür der Hütte stand und das zu Mittag wahrscheinlich
gebrauchte Geschirr in einem hölzernen Troge reinigte. Gott sei Dank, da
war Jemand den sie erst fragen konnte ehe sie das Haus betrat, und mit
auf dem weichen Boden geräuschlosen Schritten zu ihr hinangehend sagte
sie, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehn, mit lauter Stimme, aber in
Englischer Sprache:

»Guten Tag _madame_[9], könnt Ihr mir sagen ob die Gräfin -- ob Mrs.
Olnitzka zu Hause ist?«

Die Frau drehte sich nach ihr um und sah ihr starr und regungslos in die
Augen, erwiederte aber kein Wort -- sie mußte die Anrede nicht
verstanden haben.

»Entschuldigt mich liebe Frau« sagte die Fremde, den Blick dabei unruhig
nach der Thür der Hütte werfend, als ob sie von dort in jeder Secunde
die Gestalt der Schwester zu sehn erwarte -- »ich bin fremd hier -- eben
erst angekommen und suche die Dame der dieß Haus gehört.«

Die Frau hob langsam die Hände auf -- ihr Blick erst erstaunt und
erschreckt, wurde immer stierer und wilder, und während das Geschirr das
sie darin gehalten ihren Fingern entfiel, streckte sie plötzlich wie
abwehrend die Arme von sich, und den bleichen Lippen entrang sich das
Wort »Amalie!«

»Heiliger -- allmächtiger Gott!« schrie Amalie, in diesem Augenblick von
jähem Schreck getroffen, während sie ihre Stirn mit beiden Händen hielt
und die vor ihr stehende Frau anstarrte, als ob ein Geist vor ihr dem
Boden entstiegen wäre -- »Sidonie!« und die Arme nach ihr ausstreckend
umfing sie wie krampfhaft die bleiche, zitternde schmächtige Gestalt. --

»Meine Sidonie -- mein liebes liebes Herz« flüsterte sie dabei in
ängstlich liebkosender Hast, ihr die blassen eingefallenen Wangen
streichelnd und in vergehendem Schmerze fast, die abgehärmten an sie
geschmiegten Glieder fühlend, »mein armes verlassenes Kind« -- aber sie
vermochte nicht mehr zu sagen, und auch die Schwester hing lautlos --
schluchzend in ihren Armen.

Aber Sidonie faßte sich zuerst wieder, und gewaltsam die Bewegung
zwingend der sie sich im ersten Augenblick wohl unwillkürlich, unbewußt
selbst, hingegeben, strich sie die Haare aus der marmorweißen und fast
eben so kalten Stirn, und die Schwester leise auf Armeslänge von sich
pressend, schaute sie ihr voll und zärtlich in die thränengefüllten
Augen, und sagte mit leiser und so unendlich weicher Stimme:

»Amalie -- oh wie Dein lieber Anblick meinen Augen so wohl thut -- aber
wo kommst Du her -- Mädchen, um Gottes Willen, was hat Dich aus
Deutschland herüber in den Wald gebracht -- Du -- Du bist doch nicht -- «

»Herübergekommen Dich zu sehen und zu küssen« rief aber die Schwester,
sie von Neuem an sich ziehend -- »Du böse böse Frau schreibst ja doch
nicht mehr, und da wir nicht länger ohne Nachricht von Dir leben konnten,
gab der Vater endlich meinen dringenden Bitten nach und ließ mich
ziehen, Dich selber aufzusuchen. -- Aber Sidonie -- um Gottes Willen, Du
bist krank -- Du siehst bleich und elend aus, und strengst Dich dann
dabei noch übermäßig an mit unnützer Arbeit -- was lässest Du die Magd
das nicht besorgen?«

»Die Magd?« sagte die Frau verlegen wehmüthig lächelnd.

»Nun ja, Herz, oder Einen Deiner Leute -- lieber Himmel ich habe Dich ja
gar nicht wieder erkannt, als ich Dich traf, so blaß, so abgemagert
siehst Du aus -- daß wir Dich doch nie fort von uns gelassen hätten.
Aber wo ist Dein Mann? -- wo Dein Kind? und hier -- hier drinnen in dem
kleinen Häuschen wohnst Du wirklich Sommer und Winter?«

»Olnitzki ist hinaus auf die Jagd gegangen, aber ich erwarte ihn heute
zurück, und mein armer kleiner Oscar schläft -- es war recht schwer,
recht schwer krank, das Kind. -- «

»Ich hörte es schon am Weg« sagte Amalie -- »aber Du erwartest Deinen
Mann _heute_ von der Jagd zurück? -- bleibt er denn da über Nacht auch
aus?«

»Selten, aber doch wohl manches Mal.«

»Und läßt Dich mit den Leuten hier ganz allein?«

»Mit den Leuten, Amalie?« sagte die Schwester leise und mit einem halb
verlegenen halb schmerzlichen Lächeln zu ihr aufschauend -- »wir leben
hier einfacher als Ihr daheim zu glauben scheint. Der Wald erzeugt wenig
Bedürfnisse, und den wenigen zu begegnen sind wir selbst genug -- wir
halten keine Leute.«

»Keine Leute für das Feld?« rief Amalie erstaunt -- »und Dein Mann
bestellt das Alles allein?«

»In der Arbeitszeit nimmt er sich manchmal einen Mann herüber ihm zu
helfen« sagte die Frau -- »aber komm Amalie, komm in das Haus; die
Herbstsonne sengt Dir noch die Haut, und Du wirst müde von der Reise
sein; auch mußt Du mir erzählen wie und mit wem Du hierher gekommen,
mitten auf _oakland grove_ allein und ordentlich aus dem Boden
herausgewachsen. Wie ich Dich so da vor mir stehen sah, glaubt ich
wahrhaftig erst, ich sähe Deinen Geist -- aber Du wirst Dir Dein Kleid
verderben, hier bei uns.«

»Warum verderben?« lachte Amalie unter zurückgehaltenen Thränen vor,
als sie die dünne, fast durchsichtige Hand der Schwester faßte und ihren
Arm um ihre Schulter legte, sie zum Haus zu führen, »und wenn es wäre,
ist es ja doch für die Reise bestimmt.«

Sie hatten sich indeß der Thür genähert, und Sidonie streckte den Arm
aus sie zu öffnen -- aber der Arm zitterte, zögerte, und der Schwester
Hand ergreifend und sie plötzlich fest, fast krampfhaft in die ihre
pressend, sagte sie mit wie von innerer Bewegung erstickter hastiger
Stimme:

»Amalie -- meine Heimath ist nicht das was Du, trotz des ärmlichen
Aussehns zu erwarten scheinst -- wir leben einfach -- fast ärmlich, wie
der geringste Waldbewohner im weiten Reich -- Du wirst -- Du wirst Dich
nicht wohl hier bei uns fühlen -- _kannst_ es nicht, denn der Abstand
aus dem Leben das Du gerade frisch verlassen ist zu groß -- zu
-- furchtbar -- für Dich heißt das nur -- für den nicht daran Gewöhnten,
während wir es nicht besser wissen nicht besser -- verlangen.«

»Sidonie, um des Heilands Willen, was ist hier vorgegangen?« rief Amalie
in Todesangst, »was verheimlichst Du mir? was soll die Vorbereitung
jetzt bedeuten?«

»Nichts, Amalie« sagte die Frau jetzt schon gefaßter, »als Dich eben,
wie Du es nennst, vorbereiten, auf ein wildes, ungewohntes, und wie Du
es ja in Deinen Briefen mir so oft beneidet, ein -- romantisches Leben.
Schrick aber nicht davor zurück -- unter der rauhen Außenschaale birgt
es doch noch oft den süßen Kern, und hunderte von Familien leben hier im
Wald gerad' wie wir, und glücklich -- und zufrieden.«

»Aber Du?«

»Ich gehöre zu ihnen« sagte die Frau leise -- »bin eine von den ihren
und -- wenn mir mein Kind erhalten wird -- verlange ich nicht mehr.«

Ihre Sprache war dabei fast zu einem Flüstern herabgesunken, aber ein
schwacher Schrei im Inneren machte ihrem Zögern rasch ein Ende. Das
kranke Kind war erwacht und die Mutter, der Schwester kaum noch
gedenkend, stieß hastig die aus gespaltenen Bretern roh zusammengesetzte
Thür auf, zu dem Liebling zu eilen. Über dessen Lager gebeugt, und
welch ärmliches Bettchen war es für den Grafensohn, ließ sie die
Schwester auf der Schwelle stehn, und Amaliens Blick überflog schaudernd
das Innere der ärmlichen Hütte, die ihr, sie mochte sich dagegen stemmen
wie sie wollte, gerade mit den Resten mancher Überbleibsel aus
früherer, besserer Zeit, nur noch trostloser, leerer, verlassener
vorkam, als das ärmlichste Blockhaus, das sie bis jetzt im Wald gesehn.

Die Wände waren kahl und überall von den unverstopften Spalten der
übereinander gelegten und nur oberflächlich zusammengefügten Stämme
durchbrochen; nur wo die beiden schmalen, kaum mit dem nothdürftigsten
Bettzeug belegten Betten standen hatte, vielleicht die Hand der
Frau, Maisstöcke und Überreste von Kleidungsstücken hineingestopft,
unmittelbaren Zug wenigstens von dort her abzuhalten. An der einen Wand
hing ein zerbrochener Spiegel von starkem herrlichen Glas, dessen
verwitterter, einst reich vergoldet gewesener goldener Rahm durch
Streifen Hickorybast zusammengehalten wurde. Dicht daneben war ein roh
gespaltenes Bret durch hölzerne Pflöcke in den dicken Eichenstamm
befestigt, und neben einem alten Pulverhorn und ein paar nachlässig
dahinaufgeworfenen Sporen, neben Blechbechern und alten Kannen und
blechernen Tellern, standen einzelne Obertassen mit abgebrochenen
Henkeln und ausgebrochenen Stücken, aber vom feinsten vergoldeten und
gemalten Severs-Porcellan. Nur über dem Bett der Frau hingen noch zwei
Bilder aus der früheren Zeit -- die ihrer Eltern -- mit unzerbrochenen
Gläsern; aber die Feuchtigkeit des Hauses hatte das Papier vergilbt und
gefleckt, daß sich kaum noch eine Ähnlichkeit erkennen ließ.

Amalie sah nicht mehr -- heißaufquellende Thränen füllten ihr den Blick,
und als sich Sidonie von dem Krankenbett des Kindes aufrichtete, die
Hand nach ihr ausstreckte und sie zu dem Lager des armen Kleinen zog,
der in einem, aus rohen Bretern zusammengenagelten Gestell, aber auf
weichem, wohl der Mutter entzogenen Kissen sein Bettchen hatte, da brach
die Kraft die sie sich zugetraut in einem wilden Thränenstrom sich Bahn,
und neben dem Kinde niedersinkend barg sie ihr Haupt an dem Bett und
schluchzte laut.

Sidonie wollte sie aufrichten -- wollte sich und den Gatten
entschuldigen -- wollte _lügen_ daß sie sich glücklich und zufrieden
fühle hier in der freilich einsamen, ungewohnten Welt, aber -- sie
vermochte es nicht mehr. Das Jahrelang ertragene, bestandene Weh, hielt
jeden Ton, jedes Wort zurück, und bleich, zitternd, mit thränenlosem
stieren Blick stand sie neben der Knieenden und schaute still und
regungslos zu Boden.

Hundegebell vor dem Haus und Pferdegestampfe unterbrach die peinlich
werdende Stille. Amalie richtete sich rasch und wie erschreckt empor,
und auch Sidonie trat zur Thür und öffnete diese, den rückkehrenden
Gatten zu begrüßen.

»Hallo _the house_!« rief dieser schon von weitem die eigene Wohnung an
-- »heda Dony _hupih_! komm heraus Schatz und sieh was ich Dir
mitgebracht!«

Bis dicht vor die Thür sprengte dabei, von der Hand des Reiters gelenkt,
das Thier, bis es mit den Hufen die Schwelle betrat, und mit dem klugen
Kopf die Thür zu öffnen suchte, in der jetzt Sidonie erschien, und vor
der Nähe des Pferdes erschreckend, angstvoll den Vater bat des eignen
Kindes mit dem Lärm zu schonen.

»Ah paperlapapp« lachte aber der Mann, »wird ihm nicht gleich 'was
schaden -- sieh hier was ich Dir mitgebracht,« und in seinen Armen wand
sich, mit den gebundenen Pranten vergebens arbeitend, von den Banden die
ihn zusammenschnürten loszukommen, ein junger Bär, und die Hunde heulten
und klefften und schnappten am Pferd hinauf, die ihnen vorenthaltene
Beute zu ergreifen und zu zerreißen.

»Ruhe Ihr Bestien!« lachte dabei der Jäger vom Pferd herunter, »Ruhe und
nieder mit Euch Canaillen -- Dony, nimm einmal ein paar Brände heraus
und wirf sie zwischen die Satansthiere, sie ziehen mich sonst wahrhaftig
noch vom Pferd hinunter. -- Zurück mit Euch Watch und Bull -- warte
Bestie, wenn ich hinunter komme dreh ich Dir den Hals um für den Biß.«

»Das Kind ist kränker geworden als es war, Olnitzki,« bat die Frau -- »geh
nur wenigstens mit dem furchtbaren Lärm hier von der Thüre weg; es stirbt
mir ja vor Angst und Schreck.«

»Ah bah -- das ist zäh und stirbt nicht,« sagte der Mann finster, »sonst
wären wir den Jammer lange los,« und hinunter springend vom Pferd, das
er sich selber überließ, während er den jungen Bär mit riesiger Kraft in
den linken Arm gepreßt hielt, führte er mit dem scharfen Büchsenkolben
wohlgezielte Stöße gegen die heranpressenden Hunde, die sie heulend
zurücktrieben in sichere Entfernung. Den Gefangenen dann zu Boden
werfend, nahm er eine Kette herunter, die an einem der äußeren Balken
des Hauses hing, befestigte sie mit einem starken Ledergurt um den Hals
des Thieres, das er zu einem der nächsten Bäume trug, schlug das andere
Ende der Kette um einen der unteren Äste, und die Banden dann rasch mit
dem Messer lösend sprang er zurück und rief lachend.

»So mein Bursche, nun wehre Dich selber Deiner Haut! hupih! Ihr Rüden --
hupih -- jetzt thut was Ihr könnt.«

Und mit dem Jagdruf warf sich die Meute in toller Wuth gegen den kaum
entfesselten jungen Bär, und hätte ihn zerrissen, wäre dieser nicht
rasch und gewandt, seine theilweise Freiheit benutzend, an dem Stamm, an
den ihn die Kette gefesselt hielt, emporgeklettert, wo er sich dann auf
dem untersten Aste festsetzte, und mit zurückgelegten Ohren und
fletschenden Zähnen nach den gierig und wild gegen ihn aufspringenden
Hunden hinunter hieb.

»Hahahaha, das ist göttlich, das ist kostbar!« schrie und jubelte dabei
der Pole, »hupih meine Burschen, hupih! brav Watch, beinah hoch genug,
aber der schwarze Bursche theilt auch dafür böse Ohrfeigen aus -- hupih
-- hahahahaha! Aber Wetter noch einmal,« unterbrach er sich dabei, »wie
er mich selber da zugerichtet hat -- Dony, Dony, da wirst Du tüchtig mit
Nadel und Zwirn und Heftpflaster nachhelfen müssen, alle die verschiedenen
Risse an Leib und Jacke wieder in Ordnung zu bringen -- hallo -- wen
haben wir hier?«

Der überraschte Ausruf galt der Fremden, die er nicht wieder erkannte,
und in seiner Hütte fand als er die Schwelle betrat. »Wie gehts, Madame?
weshalb setzen Sie sich nicht? hier ist ja noch ein Stuhl -- wohl eine
neue Nachbarin von uns?«

»Sie kennen mich nicht mehr, Graf Olnitzki?« sagte Amalie aber auf die
englische Anrede in deutscher Sprache -- »ist mein Gesicht Ihnen in den
zehn Jahren so gänzlich fremd geworden?«

»Alle Wetter!« rief der Pole, überrascht einen Schritt zurücktretend und
die Thür hinter sich aufstoßend, mehr Licht in den inneren fensterlosen
Raum zu bekommen -- »ist das nicht -- ist das nicht Fräulein Amalie,
meine sehr verehrte Schwägerin? aber zum Teufel, Schwägerin, wo kommen
_Sie_ auf einmal her, hier mitten in den Wald hinein? -- Nun einerlei,
das erzählen Sie mir nachher; jetzt sein Sie uns herzlich willkommen,
und machen Sie es sich so bequem wie -- nun wie es die Umstände gerade
erlauben. Es ist gerade nicht _verdammt_ bequem bei uns, läßt sich aber
doch aushalten und genügt für den Wald. Gegen die Indianer leben wir
noch immer wie die Fürsten.«

Er hatte ihr dabei die rechte Hand entgegengestreckt, zog sie aber
lachend zurück, denn sie war mit Blut bedeckt.

»Um Gottes Willen wie siehst Du aus Olnitzki?« rief aber auch in
demselben Augenblick die Frau -- »zerrissen und blutig am ganzen Körper;
was hast Du gemacht?«

»Du hättest dabei sein sollen Dony,« lachte der Pole, seine Mütze in die
Ecke werfend und die ausgestreckten Arme, die Zeugniß des bestandenen
Kampfes gaben, von sich haltend. »Wie ich schon auf dem Heimweg, mein
altes Jagdunglück verwünschend, bin, und drüben an der _brushy slew_
vorüber halte, sehe ich plötzlich eine alte Bärin mit einem Jungen bei
sich, die mir die Hunde vorher auch nicht im mindesten gespürt oder
bezeichnet hatten, aus einem kleinen Schilfbruch aufstehn und das Weite
suchen. Ja wohl Weite; wir mit einem Hupih und Hurrah hinterher wie die
wilde Jagd, und wenn es die Alte auch noch eine Weile ausgehalten hätte,
konnte das Junge doch bald nicht mehr fort, und bäumte auf. Hätt' ich
schon 'was geschossen gehabt die Zeit, wär's mir nicht eingefallen mit
dem Kalbfleisch vorlieb zu nehmen, so aber dacht ich, das Ding auf dem
Baum wär' sicherer wie die magere Alte im Busch drin, warf mein Pferd
herum, sprang herunter und hätt' es nun bequem niederschießen können,
aber so leichte Jagd wär ein Schimpf gewesen, und die Büchse deshalb
unter den Baum legend, mit meinem Sattelseil umgehangen, klett're
ich hinauf zu dem kratzenden schlagenden Ding, pack' es bei einer
Hinterprante und will es eben, während es ein mörderisches Geschrei
ausstößt, mit mir hinunterziehn auf ebenen Boden, als ich die Büsche
wieder brechen und krachen höre, und straf mich Gott, wie ich mich
umsehe kommt die Alte mit zurückgelegten Ohren und weit offenem
rothglühenden Rachen -- aber zum Donnerwetter Ruhe da Ihr Bestien, man
kann ja sein eigen Wort nicht verstehn vor der Teufelsbrut -- kommt die
Alte wie ein losgelassener Satan wieder durch den Wald gesaust, und auf
mich zu. Das Junge loslassen und am Stamm herunter nach meiner Büchse
fahren war im Nu geschehn; aber kaum hatte ich Zeit den Hahn zu spannen
und zu zielen, als die schnaubende Bestie heran kam wie zehntausend
Teufel. Meine Kugel traf sie mitten durchs Herz und die Büchse
fortwerfend behielt ich gerade noch Zeit mein Messer aus der Scheide zu
reißen als sich die Wüthende, wie unverwundet, auf mich warf, und ich
fühlte wie mir Kleider und Haut in Fetzen vom Leibe flogen. Glücklicher
Weise dauerte die Geschichte nicht lange; die Kugel wirkte, und die Alte
brach todt über mir zusammen; aber nun ging der Spaß mit dem Jungen von
vorne los, und ich glaube bei Gott es ist kein handgroßer Platz an
meinem ganzen Leib, wo ich nicht einen Riß oder Biß habe, von den
Satansthieren. Du wirst mich tüchtig ausflicken müssen Dony.«

Das Kind fing wieder an zu schreien; der Lärm der Hunde draußen ließ es
nicht ruhen, und der Mann warf sich indessen, während die Frau nach dem
Kleinen sah, erschöpft und blutig wie er war, auf das Bett.

»Nun Fräulein Schwägerin, oder _Frau_ Schwägerin, ich weiß nicht einmal
wie man jetzt sagen muß so lange haben wir Nichts von einander gehört,
welchem glücklichen Ungefähr verdanken wir diesen Besuch, oder« -- er
fuhr bei einem ihn plötzlich durchzuckenden Gedanken rasch von dem Lager
auf und blickte scharf nach der Frau hinüber -- »hat mich Sidonie damit
freundlich _überraschen_ wollen?«

»Sidonie wußte so wenig von meiner Ankunft wie Sie, lieber Graf,« sagte
Amalie, die mit Entsetzen den versteckten Verdacht in den Worten fühlte,
und deren Blicken sich ein Abgrund öffnete.

»Graf?« lachte der Pole aber spöttisch auf -- »den Grafen müssen Sie
hier weglassen, Fräulein von Seebald; sieht das hier aus wie in einer
gräflichen Wohnung? -- da, das ist der Rest meiner Vergangenheit,« rief
er, während er dort an der Wand hängende baumwollene Frauenkleider
zurückschob, und einen alten mit Rost überlaufenen Cavalleriesäbel an
Tageslicht brachte -- »auch ein prächtiges Symbol,« setzte er mit
höhnischer Bitterkeit hinzu, »denn die Lumpen hängen darüber hin, und
_verstecken_ die letzten Überbleibsel des _Grafen_. Wie gefällt es
Ihnen bei uns, heh? -- hübsch nicht wahr? -- romantisch genug, nur ein
Bischen zu viel davon. Ja,« setzte er dumpf brütend dazu, während er auf
das Bett zurücksank und den Kopf in die Hand stützte, »früher war's
Anders -- besser vielleicht -- vielleicht auch nicht, und ein freies,
fröhliches Leben führen wir doch. Aber komm, komm Dony, sieh nur nach
dem Leib, der verdammte Bär hat mir doch weh gethan, und ich glaube, ich
habe viel Blut verloren, es wird mir so schwach und schwindlich auf
einmal.«

Sidonie trat zu dem Bett des Gatten, mit zitternder Hand die blutigen
Kleider zu lösen, und nach den Wunden zu sehn, die ihm der Bär im
Todeskampf geschlagen, während Amalie, die schon Hut und Tuch abgelegt
hatte, zu dem Kind ging und ihm den von der Mutter eingegossenen Trank
zu geben suchte. Olnitzki hatte dabei recht gehabt; an Brust und
Schultern trug er fast unzählige frische Wunden, keine aber glücklicher
Weise tief oder gefährlich, nur alle in das Fleisch hineingerissen, und
mit dem Verband schwand auch bald jeder Anfall von Schwäche, den
Blutverlust und übermäßige Anstrengung im Halten des jungen, schon ganz
kräftigen Bären auf wenige Momente herbeigezogen.

Sidonie bereitete dann rasch etwas zu essen für den erschöpften Gatten
sowohl, wie für die Schwester, setzte die Kaffeekanne zum Feuer, und
that Kaffee in die Mühle. Früher hätte es Amalie freilich nicht für
möglich gehalten daß die Schwester, auf deren Wink sonst zahlreiche
Dienstboten lauschten, allein, ohne eine einzige Hülfe einem solchen
Leben, solcher Arbeit preisgegeben sei; jetzt kam kein Laut des Staunens
noch des Schmerzes mehr über ihre Lippen. Sie sah, sie fühlte was,
fürchtete sogar, daß noch mehr geschehen war als sie sah, und nur die
Angst erfüllte jetzt ihr Herz, ob da zu helfen -- _wie_ da zu helfen
sei.

Stimmen wurden draußen laut, die Hunde, die sich in etwas beruhigt
hatten als der junge Bär seinen sicheren Platz auf dem Baumast nicht
mehr verließ, und auf die unter ihm gelagerten Rüden ruhig niederschaute,
schlugen wieder an, und Jack Owen's Stimme rief gleich darauf, nach
Waldes Art, das Haus an, von den Bewohnern Einen in die Thür zu ziehn.

Olnitzki sprang selber, trotz Sidoniens Bitte sich zu schonen, von
seinem Lager auf, zu sehn wer da sei, und blieb verwundert in der Thür
stehn, als er die Masse von Sachen, Koffern und Kisten auf die
Maulthiere gepackt, vor seiner Wohnung halten sah.

»Hallo Ihr Leute -- guten Tag -- was bringt Ihr da?« rief er hinaus --
»Wetter noch einmal Rosemore, seid Ihr ein wandernder Krämer geworden,
der mit seinen Packen im Lande herumzieht, Band und Stecknadeln zu
verkaufen? -- ah Jack, Ihr führt wohl die Provisionen mit? -- nur herein
mit Euch, der Kaffee wird gleich fertig sein, und ein heißer Becher voll
uns gut thun.«

»Zum Henker noch einmal, Olnitzki, wie seht Ihr denn aus?« sagte Jack
Owen, der indeß vom Pferde gestiegen war und das Wildpret auf der
Schulter auf ihm zu kam -- »wer hat Euch denn so zugerichtet?«

»Der Bursche da und seine Mutter,« lachte der Pole, auf den
aufgebäumten jungen Bär deutend, »aber was solls mit dem Wilde?«

»Ihr habt Besuch bekommen,« meinte der Jäger leicht erröthend, »und da
ich nicht wußte ob Ihr gerade frisch Fleisch im Hause hättet, wollte ich
Euerer Frau das Stück hier, das ich an der Gründorn-Ebene drüben vor
einer Stunde etwa geschossen, herüber legen -- mir sind die Woche ein
paar vor die Büchse gelaufen.«

»Und die Sachen da draußen?«

»Gehören der Dame -- Euerer Frau, Schwester, glaub' ich, die gestern von
Little Rock mit Billy Jones Geschirr herübergekommen.«

»So? -- so ist die Sache? nur herein Ihr Leute -- stellt die Geschichten
nur indeß da vorne hin, Rosemore; kann Euch wahrhaftig nicht einmal
dabei helfen, denn der verdammte Bär hat mir die Arme so zerfetzt, daß
sie mir steif und matt zu werden anfangen.«

Der alte Rosemore, der mit Bill Jones und Owens Hülfe die Kisten und
Koffer bis zum Haus geschafft, trat jetzt mit diesem hinein, begrüßte
die Frauen, frug nach dem kranken Kind, das er sich aufmerksam betrachtete
und der Mutter verschiedene Kräuter anrieth, ein Bad daraus zu bereiten,
und ließ sich dann von Olnitzki sein Abenteuer mit dem Bär erzählen,
wollte aber unter keiner Bedingung mit zum Essen bleiben; er sah wie
beengt der Raum schon ohnedieß da war, und weigerte sich auch schon
jetzt eine Bezahlung für den Transport der Sachen anzunehmen. Die
Maulthiere gehörten nicht ihm, wie er sagte, und er mußte den
Eigenthümer erst fragen, was er für den halben Arbeitstag für sie
verlange -- seinen eigenen Spatziergang verstünde es sich wohl von
selbst, daß er den nicht rechnete.

Olnitzki redete den Nachbarn auch eben nicht besonders zu noch zu
verweilen, und eine Viertelstunde später trabten diese wieder, auf den
indeß ausgeruhten Thieren, der eigenen Heimath zu.

Sidonie hatte indessen der Schwester Hülfe für heute, da sie ja noch
nicht bescheid wisse in Haus und Wirthschaft, lächelnd abgelehnt, und
Kaffee gemahlen und von dem frischen Fleisch in die Pfanne geschnitten,
so daß bald ein recht gutes, nahrhaftes Mahl von Maisbrod und Wildpret,
Honig und Kaffee auf dem reinlich gedeckten Tische dampfte. Nur mit
Sitzen, wie mit Geschirr und Messer und Gabeln sah es ärmlich aus.
Amalie bekam die einzige noch ordentliche Gabel mit dem dazu gehörigen
Messer, Olnitzki nahm seinen Genickfänger, mit einer einzinkigen Gabel,
das Fleisch, das er schneiden wollte, damit zu halten, und Sidonie
benutzte ein ausgeschnittenes Stück Rohr, das allem Anschein nach schon
lange diesen Dienst verrichtet, abwechselnd des Gatten Messer dabei
gebrauchend. Auch für den Kaffee bekam die Schwester eine der freilich
henkellosen Tassen aus der alten Zeit, und wenn die Untertasse auch
nicht dazu paßte, trank es sich doch besser daraus wie aus den
Blechbechern, die von Olnitzki und seiner Frau benutzt wurden. Aber ein
eigenes unheimliches Gefühl bemächtigte sich der Schwester, als sie den
breiten Goldrand des zerbrochenen Geschirrs neben der blechernen
Schüssel stehen sah, und dann der Zeit gedachte wo sie selber diese
Tasse einst der jungen hoffnungsseligen _Braut_ geschenkt.

Das Gespräch bei Tisch war ziemlich einsylbig, und Sidonie selber konnte
kaum fünf Minuten hintereinander auf ihrem Platz bleiben, so nahm das
kranke Kind sie noch in Anspruch; Olnitzki aber neckte Amalie dabei, daß
sie so viel Gepäck mit in den Wald gebracht, wo sie so wenig brauchten,
und war dann selber neugierig zu sehen was die Kisten enthielten, als
ihm die Schwägerin sagte daß das Meiste darin nur für ihn und seine Frau,
wie für sein todtes kleines Kind bestimmt gewesen, dessen Hinscheiden
sie nicht einmal erfahren.

Einige Schwierigkeit hatte es für ihn, als das Essen beendet und das
Kind in Schlaf gebracht worden, die Kisten mit seinen verwundeten Armen
zu öffnen, aber es gelang ihm endlich, und Amalie suchte jetzt im
Auspacken die Schwester -- ja sich selber zu zerstreuen, denn Manches
hatte sie mitgebracht ihr und dem Gatten eine Freude zu machen. Aber,
lieber Gott, bei der Auswahl der Dinge war es ihnen daheim freilich
nicht eingefallen die Lieben in dem fernen Lande sich in solchen
Verhältnissen zu denken, als sie dieselben jetzt gefunden, und
wunderlich nahmen sich die prachtvollen Stickereien von Cigarrentasche
und Lesepult, Briefmappe und Taschenbuch, die Spitzenhauben und
Glacéhandschuh, das kleine reizende Dejeuner vom feinsten gemalten
Porcellan, das auf seinen Kannen und Tassen Landschaftsscenen aus
Sidoniens Heimath trug, die reich verzierte Lampe, die niedlichen
gestickten Pantoffeln, und alle die anderen unendlich geschmackvoll und
elegant gewählten Sachen in der ärmlich wilden Hütte aus, die ihr graues
Bretdach über sie spannte.

 [Illustration: Capitel 2.]

Sidonie saß mit gefalteten Händen still daneben, und wagte kaum die
Gegenstände zu berühren, während sie Olnitzki langsam eins nach dem
anderen in die Hand nahm, lächelnd herüber und hinüber drehte, und dann
auf den, zu dem Zweck abgeräumten Tisch hinstellte.

»Hahahaha,« brach er endlich in einem wilden, unnatürlichen Humor heraus,
»wie die Burschen, unsere ungeschlachten Nachbarn schauen sollen, wenn
sie die wunderlichen »_fixins_« zum ersten Male sehn, wie sie staunen
und sich den Kopf zerbrechen werden, zu was dieß und das, und jenes da
bestimmt ist -- hab' ich's doch selber fast vergessen« -- setzte er
leise, und unheimlich dabei lachend hinzu. -- »Und wie prächtig das
Dejeuner zu dem alten Blechtopf paßt, und die Glacéhandschuh hier zu
_den_ Fäusten; Schwägerin, Schwägerin, ich fürchte Sie haben da viel
Geld nutzlos verschwendet, und uns nur Illustrationen zu dem Bilde
mitgebracht, wie Sie sich, trotz allen unseren Schilderungen vom
Gegentheil, unser Wald- und Jägerleben hier eigentlich ausgemalt. Es
fehlte jetzt nur noch ein Kronleuchter -- erinnerst Du Dich noch,
Sidonie, wie so ein Ding aussieht? -- unseren _Salon_ würdig zu
schmücken.«

»Aber Sie wollen doch nicht immer ein solches Leben fortführen,
Olnitzki?« sagte Amalie mit vor Angst und innerer Aufregung fast
erstickter Stimme -- »wenn auch _Ihr_ kräftiger Körper solche
Entbehrungen leicht erträgt, sehen Sie dagegen wie die Schwester
hingewelkt -- denken Sie sich das junge lebenslustige glückliche Weib,
das sie aus ihrer Eltern Haus mit sich hineinnahmen in die Welt, und
sehen Sie _jetzt_ die arme Gattin an.«

»_Arme_ Gattin?« wiederholte Olnitzki, finster die Stirn runzelnd, »das
Weib soll dem Mann folgen in Glück und Leid, und wo sie _zusammen_
tragen, hat sich, meiner Meinung nach, kein Theil zu beklagen.«

»Aber Sidonie -- « wollte Amalie erwiedern, doch ein ängstlich flehender
Blick der Frau hielt das Wort auf ihre Lippen gebannt und Olnitzki, eine
mit den Farben seines Vaterlands gestickte Cigarrentasche in der Hand,
saß lange in dumpfem Brüten darauf niederstarrend. -- Aber der böse
Geist wich von ihm; tief aufseufzend strich er sich mit der Hand die
Falten von der Stirn und die Tasche auf den Tisch, zu den übrigen Sachen
legend, sagte er mit freundlicherem Ausdruck in den Zügen:

»Nichts für ungut, Schwägerin, die verdammten Risse, die mir der Bär
heute versetzt, brennen mich, morgen ist das vorüber -- herzlichen Dank
für alles das was Sie uns so weit herüber gebracht; es war ja so gut
gemeint, und wird Sidonie viele Freude machen; sie hängt doch wohl noch
ein wenig an den alten Geschichten. Bereite der Schwester dann ihr Lager
auf meinem Bett, Dony, ich lege mich hier zum Kamin -- keine Umstände
Schwägerin,« setzte er lachend hinzu, als er sah daß sie dagegen
protestiren wollte, »Sie kommen um Nichts besser weg, denn es ist hart
genug, und ich weiß wahrhaftig nicht, ob ich auf meinem alten Bärenfell
hier dicht am Feuer nicht am Ende noch weicher und wärmer liegen werde,
wie Sie da drüben. Jetzt aber gute Nacht, mir fängt der Kopf so wieder
an zu schwindeln, und ich muß morgen früh hinaus, den Bär zum Haus zu
holen, der noch draußen, eben nur aufgebrochen, im Walde liegt. So mein
Kind --das thuts -- das ist gut genug,« sagte er zur Frau, die ihm das
Fell indeß vor das Camin gezogen und ein Kopfkissen mit einer wollenen
Decke darauf gelegt hatte -- »das ist gut genug, nun laßt mich schlafen,
und morgen früh, soll uns die Schwägerin recht viel von zu Haus -- von
Deutschland erzählen.«




Capitel 3.

Der alte Herr Hamann.


Das Kost- und Logirhaus oder »Bordinghaus« nach dem Amerikanisch-deutschen
Ausdruck in New-Orleans, dessen Schenk- und Gastzimmer wir schon einmal
besucht haben, war eins jener alten französischen Gebäude, welche von
den ersten Ansiedlern der Stadt noch in einer Zeit errichtet worden,
wo der Platz selber, auf dem es stand, wenig Werth hatte, und nahm
deshalb, für seine niedrige Dachung, einen unverhältnißmäßig großen
Flächenraum ein. Auch das darauf errichtete Haus sah verwittert und
baufällig genug aus, mit den alten Hohlziegeln auf dem Dach und den,
ihres Kalkes an vielen Stellen beraubten Wänden, der halben hölzernen
Verandah oder Gallerie vor der ersten Etage, und dem entschieden in
sich zusammengeknickten Giebel. Der Eigenthümer aber, ein schon einige
zwanzig Jahr im Lande ansässiger Deutscher Namens Hamann, wollte das
alte Nest, trotz recht guten Geboten, die ihm darauf gemacht worden,
nicht verkaufen, und behauptete jedesmal, wenn wieder dazu gedrängt, so
lange _er_ lebe, halte es auch, ernähre ihn dabei gerade, und sei seit
so langen Jahren nun eine Heimath ankommender Deutscher gewesen, daß es
diese vermissen würden, wenn sie nach Amerika kämen, und das könne er
nicht über's Herz bringen.

Es war etwa drei Wochen nach der Landung der Haidschnucke in New-Orleans,
als der biedere Christoph Hamann in seiner eigenen Wohnstube oben saß,
und emsig beschäftigt war einen ziemlich ansehnlichen Koffer mit
Chirurgischen Instrumenten, der vor ihm im Zimmer stand, einzupacken und
die auf dem Tisch umherliegenden Instrumente selber, wo sie hie und da
etwas von Rost gelitten hatten, zu putzen und wieder herzustellen.

An einem erhöhten Pult, neben dem nächsten Fenster, stand ein junger,
vielleicht vierundzwanzigjähriger Mann, der Sohn des alten Hamann, in
weißer Jacke und Hose, den breiträndigen Strohhut neben sich auf dem
Stuhle, und notirte die einzelnen Gegenstände, die ihm der Vater, wie er
sie in den Koffer legte, diktirte.

»So« -- sagte der Alte, der mit dem Einpacken ziemlich fertig war, und
eben noch ein Etui mit verschiedenen Messern und Lanzetten vom Tisch
nahm und öffnete -- »hier noch das Besteck mit -- Donnerwetter da sind
eine ganze Menge Geschichten darin -- mit einer Quantität Messer und
Eisen und Feilen -- was weiß ich wie die Dinger alle heißen -- warte
einmal wir können sie wenigstens zählen -- fünf, acht, elf, fünfzehn,
und hier noch vier sind neunzehn, und hier die drei kleinen Dinger sind
zweiundzwanzig Stück. Das Leder außen sieht ebenfalls noch ganz wie neu
aus -- na Du wirst schon sehen was Du dafür bekommst.«

»Vater, die eine Tasche ist fast so viel werth, wie Euch der Mann im
Ganzen schuldig war,« sagte der Sohn.

»Was verstehst denn _Du_ davon?« brummte aber der Alte mit einem
mürrischen Seitenblick auf den jungen schlanken Burschen, dessen
gutmüthig offene Züge tiefes Roth in diesem Augenblick färbte --
»bekümmere Du Dich da um Deine Schreiberei, und misch Dich nicht in
Sachen die Dich nichts angehn, und von denen Du keine Idee hast.«

»Der Mann war bei mir und hat mir seine Noth geklagt!« sagte Franz, der
Sohn.

»Noth geklagt?« fuhr aber der Alte unwillig auf, »der hat auch noch über
Noth zu klagen; erst liegt er bei mir hier fünf Wochen im Haus und ißt
und trinkt, ohne einen Pfennig zu zahlen, nachher geb' ich ihm noch
Reisegeld und ein Gewehr, das mich selber fünfundsiebzig Dollar gekostet
hat, und schicke ihn in's Innere, und nun soll ich auch noch seine
Sachen wieder herausgeben und gar Nichts haben, heh? -- Und ist die
Zeit, in der er es abholen mußte nicht etwa schon seit acht Tagen
verfallen? Hätt' er mir _vor_ der Zeit gezahlt was er mir schuldig war,
so konnte er seinen Bettel, der mir überdieß hier lange genug im Wege
gestanden, ruhig wieder mit fortnehmen, ich wäre der letzte gewesen, der
ihn daran verhindert hätte -- hab' ich so vielen Deutschen fortgeholfen,
würd' ich den auch nicht haben sitzen lassen, aber jetzt ist die Zeit
vorbei -- die ganze Sache ist ohnedieß schriftlich abgemacht, und wenn
er sich im Recht glaubt, soll er mich verklagen; Christoph Hamann ist
nicht der Mann, der einer gerechten Sache aus dem Wege geht.«

Der Sohn seufzte tief auf und begann wieder, ohne etwas weiter gegen den
Vater zu äußern, an seiner Arbeit, bis ihn der alte Herr Hamann mit einer
neuen Frage unterbrach.

»Ist der Elsasser wieder da gewesen, wegen dem Land?«

»Ja, gestern Abend.«

»Nun? -- und hat das Geld nicht mitgebracht?«

»Er hatte es, verlangte aber von mir vorher eine genaue Beschreibung des
Landes, wie es gelegen sei, ob sumpfig oder gesund und da -- «

»Hast Du ihm doch wohl nicht etwa in Deiner Dummheit von dem Bischen
Wasser darauf erzählt?« fuhr der Alte heftig in die Höhe.

»Ich mochte nicht lügen, Vater« sagte der junge Bursche entschlossen.

»Na nun wird's Tag!« schrie aber der Alte, mit der geballten Faust
zornig auf den Tisch schlagend -- »füttern soll ich Euch Alle hier, und
die theuere Wirthschaft in Stand halten, Taxen soll ich bezahlen und
Provisionen für alles mögliche Lumpengesindel, das hier herüberkömmt von
Europa, und wenn sich die Gelegenheit bietet einen ehrlichen Pfennig zu
verdienen, schlägt mir den der eigene Sohn vor der Nase weg.«

»Ich hielt das für keinen _ehrlichen_ Pfennig, Vater« sagte Franz
entschlossen.

»_Du_ hieltest es nicht dafür, Holzkopf -- _nun_ freut mich mein Leben,
_Du_ also hieltest es nicht dafür. Ich will Dir einmal sagen was ich von
_Dir_ halte: daß Du ebenso nach Amerika paßt, wie ein wilder Ochse in
eine Porcellanhandlung. Wenn _das_ also Alles ist, was Du während den
zwei Jahren die ich Dich zu Deiner Ausbildung in Deutschland in einem
Geschäft gehabt, gelernt hast, dann kann ich mir gratuliren das
Reisegeld aus dem Fenster geworfen zu haben, und je eher Du machst daß
Du wieder hinüber kommst, desto besser.«

»Aber Vater diese unglücklichen Menschen die hier nach Amerika
herüberkommen, sind ja so schon arm und elend genug -- wir wollen uns
doch nicht an ihnen bereichern.«

»Wollen wir nicht, so? -- aber von was wollen wir denn _leben_ heh?«
rief der Alte -- »der Mosje schwatzt da in's Blaue hinein und bringt mir
moralische Grundsätze auf einen Amerikanischen Markt, die gerade so gute
Geschäfte machen würden, wie ein Zahnarzt bei den Indianern. Junge,
Junge ich glaubte Du hättest ausgelernt, und sehe jetzt daß Du wieder
ganz von vorne anfangen mußt. Die Reise nach Arkansas wird Dir übrigens
gut thun, mein Geschäftsfreund dort, der einen besonders lebhaften
Whiskeyhandel nach dem Indianischen Territorium treibt, ist ein höchst
praktischer gewiegter Bursche, und wird Dir die deutsche Schlafmütze
schon aus den Gliedern treiben, und Du mußt dann endlich einmal lernen,
daß das deutsche Gesindel, das hier zu uns herüberkommt und mit seiner
Überklugheit immer unser ganzes Amerika verbessern will, nicht eher
Verstand bekommt, bis es seinen letzten Groschen an den Mann gebracht
hat; wer also dazu beiträgt daß das recht bald geschieht, thut den
Leuten nur einen Gefallen, und ist ihr wahrer Freund, und nach _den_
Grundsätzen handle ich, wie sich der junge Herr merken kann, und wonach
er zu achten hat -- verstanden?«

»Lieber Vater« sagte Franz, der sein Pult verlassen und die Feder
niedergelegt hatte, ruhig und bestimmt »Sie haben sich da einen Weg
vorgezeichnet, dem ich im Leben nicht folgen kann und will. Es mag,
wie Sie vielleicht recht haben, viel Gesindel aus Europa zu uns
herüberkommen, aber es kommen auch viele wackere, wenngleich arme
Familien herüber, und die gerade sind es dann, die von Agenten und
Seelenverkäufern ausgezogen und beraubt, anstatt von dem Staat, dem sie
ihre Kräfte weihen wollen, dem sie ihr Alles herüberbringen was sie auf
der Welt noch das ihre nennen, unterstützt und geschützt zu werden.«

»Auch noch?« rief der alte Hamann verwundert aus -- »wir sollen wohl
noch überselig sein wenn sie ankommen, und sie füttern und pflegen und
sie noch bitten nur um Gottes Willen Nichts zu arbeiten, daß sie sich ja
nicht die faulen Knochen strapeziren. Gott verdamm mich, Junge, Du
schwatzest da Zeug daß man verrückt werden möchte.«

»Ich spreche nur von etwas« rief sein Sohn, in edlem Eifer erglühend,
»das mir schon lange auf der Seele brennt und das, neben der Sclavenfrage,
ein Schandfleck für die Union ist -- ich spreche von dem unbeschätzten
Zustand, in dem sie gerade _die_ Menschen an ihrer Küste berauben und
plündern läßt, die das Mark ihrer Bevölkerung bilden, und ohne welche
die einzelnen Staaten schon in ihren Schulden erstickt und zu Grunde
gegangen wären -- die fleißigen Ackerbauer die den Boden urbar machen,
die den Verkehr brechen für Dampfschiff und Eisenbahn, die den Werth
des Landes in den meisten Staaten um das zehnfache, in vielen um das
hundertfache vermehrt haben, und anspruchslos und thätig dabei ihre
stille ruhige Bahn fortgehn.«

»Und was soll der Staat mit denen anfangen? was sollte er für die thun?«
sagte der Alte mit einem spöttischen, ja fast verächtlichen Lächeln, »die
der Mosje da für die _Geplünderten_ und _Beraubten_ hält, und seinem
eigenen Vater dabei gewissermaßen _Plünderung_ und _Raub_ unter die Nase
reibt, heh?«

»Er sollte in den Haupthafenplätzen seines großen Reiches, in New-Orleans
und New-York, in Philadelphia, Baltimore und wie sie heißen, Häuser
errichten, in denen die Armen, wenigstens die ersten Wochen hindurch,
ein Unterkommen, im Nothfall _unentgeltlich_ fänden, und wo ihr
Eigenthum, wenn sie in das Land hinein müssen Arbeit zu suchen, von
geschworenen Beamten, sicher und vor Verfall geschützt, aufbewahrt
würde, bis sie im Stande wären es zu reclamiren.«

»Könnte gleich eine Kleinkinderbewahr-Anstalt damit verbunden werden«
lachte der Alte.

»Wollte Gott es geschähe« rief Franz, »tausende von Kindern, die später
einmal unsere besten und kräftigsten Bürger bilden, würden dann vor
Elend und Untergang bewahrt.«

»Aber was sagst Du _mir_ das hier?« rief der Alte endlich ungeduldig
werdend -- »was hab' _ich_ damit zu schaffen? warum gehst Du damit nicht
zum Gouverneur oder zum Präsidenten, und stellst ihm einmal die
Geschichte vor? Der wird mit dem größten Vergnügen darauf eingehn.«

»Der Präsident kann dabei noch Nichts thun,« sagte aber der Sohn, den im
Spott gemachten Vorschlag ganz ernsthaft nehmend -- »nein, die einzelnen
Staaten müssen das aus sich selber kräftig schaffen und herstellen; die
einzelnen wohlhabenden Bürger zusammentreten, und zum Besten ihrer
eigenen Stadt ein solch Asyl gründen. Wie viel tausend Menschen sehen
in Amerika die Hand, die sich ihnen und ihrer Noth Hülfe bietend
entgegenstreckt -- wie viel tausend finden aber nur daß eben die Hand,
anstatt sie zu stützen und zu halten, in ihre Taschen greift, und sie
des letzten beraubt was sie noch mitgebracht, sich selbst zu helfen. Oh
Vater, Sie sind reich -- wenn Sie den Anfang machten zu solchem großen
Werk.«

»Du bist ein Esel hätt' ich bald gesagt« unterbrach ihn der Alte aber
hier mürrisch, »Donnerwetter, jetzt hab' ich den Unsinn satt, nun mach
daß Du fortkommst, und sieh daß Du mir vor allen Dingen den Elsasser
wieder findest -- schick' ihn mir nur herauf; ich will schon mit ihm
fertig werden.«

»Vater!« rief Franz in edler Entrüstung sich gegen einen Auftrag
sträubend, den er selber für unredlich und schlecht hielt, »Vater ich
passe nicht zu dem, zu dem Sie mich machen wollen; lassen Sie mich fort,
allein in die Welt hinaus und ich will mir mein eignes Fortkommen schon
gründen, mir schon Bahn brechen zu einem neuen frischen Leben, und wenn
ich mir mein Brod im Anfang mit der Schürstange, oder mit Axt und
Schaufel verdienen sollte.«

»Und das Geld das ich für Deine Erziehung verwandt?« rief der Alte
ärgerlich -- »wer zahlte mir denn die Zinsen? Schöne Wirthschaft das,
nicht wahr, wenn die Zeit jetzt gekommen ist, wo Du Deinen alten Vater,
der Niemanden auf der Welt weiter hat auf den er sich verlassen kann,
unterstützen solltest, und dann von ihm fortlaufen willst ein eignes
Geschäft anzufangen? Was würde dann aus den paar Dollarn, die ich
mir erspart, wenn ich die Augen einmal zudrücke, und fremde Menschen
dann hier um mich her säßen, die sich die eigenen Taschen in aller
Geschwindigkeit füllen würden? was würde aus dem Geschäft selbst, das
ich seit ein paar Jahren endlich zu einer Art Aufschwung gebracht, und
das nie, so lange ich und Du es verhindern können, in fremde Hände
fallen darf? -- Unsinn Franz, Du weißt gar nicht _was_ Du von Dir stoßen
willst, irgend einer fixen wahnsinnigen Idee, die eben unausführbar ist,
nachzulaufen. Mach jetzt daß Du fortkommst und thue was ich Dir befohlen
habe; ich will Nichts mehr wissen sag ich Dir,« schrie er den Sohn
unwillig an, als dieser wieder etwas entgegnen wollte, und Franz
verließ, tief aufseufzend, aber mehr als je entschlossen seine Hand zu
Nichts zu bieten, was er nicht vor dem eigenen Gewissen verantworten
könne, das Zimmer.

In diesem aber ging, die Arme auf den Rücken gekreutzt mit raschen,
unruhigen Schritten der alte Hamann auf und ab, leise Flüche in den
Bart murmelnd, und mit dem Kopfe dazu finster und unwillig schüttelnd.

Draußen klopfte Jemand leise an die Thür.

»Herein!« rief der Alte barsch.

»Herr Hamann zu sprechen?« frug eine freundliche Stimme.

»Ah, Sie kommen mir gerade wie gerufen, Messerschmidt« rief ihm der Alte
rasch entgegen -- »sind Sie meinem Jungen begegnet?«

»Herr Hamann _junior_ waren eben so freundlich mich auf der, etwas
dunklen Treppe, beinah über den Haufen zu rennen.«

»Er ist verrückt der Bengel!« rief der Vater.

»Verliebt vielleicht« lächelte Herr Messerschmidt.

»Gott bewahre; er will eine deutsche Kleinkinderbewahr-Anstalt, und ein
_gratis_ Einwanderungshaus gründen.«

»Bah,« sagte Herr Messerschmidt, »das ist eine Idee die am Besten durch
dasselbe Mittel curirt wird, das sie allein in's Leben rufen könnte.«

»Und das wäre? -- «

»Geld,« sagte der Agent, achselzuckend -- »das ist die alte Geschichte
die nur von solchen immer vorgebracht wird, die gerade kein eignes Geld
zur Verfügung haben, es darauf zu verwenden. Überweisen Sie Ihrem Herrn
Sohn ein Vermögen, und er wird etwas Gescheidteres damit anfangen.«

»Vermögen überweisen,« brummte der Alte -- »Sie reden da hinaus, als ob
ich zwei oder mehr zu vergeben hätte. _Das_ ärgert mich ja gerade, daß
der junge Laffe eben das ruiniren will, womit sich sein armer alter
Vater das Brod verdienen muß; unter dem Leib will er mir den Stuhl
fortziehn, und sein schmutziges Zwischendecksgesindel darauf setzen; es
ist zum Verzweifeln.«

»Unsinn,« lächelte Herr Messerschmidt -- »lassen Sie uns von etwas
Vernünftigerem reden; das ist eine Idee die in schönen, wohlklingenden
Redensarten verraucht, und wenn Sie mir folgen, geben Sie ihm vollkommen
recht, muntern ihn noch dazu auf etwas derartiges zu beginnen und
versprechen ihm ihre thätige Hülfe und Unterstützung.«

»Daß ich ein Narr wäre,« rief der Alte, »der Junge hielte mich beim Wort,
und was das Schlimmste ist, er jagt mir schon jetzt die Kunden aus dem
Haus hinaus, und wäre im Stande den eigenen Vater an den Pranger zu
stellen.«

»Das wäre allerdings fatal,« sagte Herr Messerschmidt, die Augenbrauen in
die Höhe ziehend und plötzlich ganz ernsthaft werdend, »wenn die Sache
_so_ steht, bester Herr Nachbar, da möchte ich Ihnen denn doch rathen,
den Burschen lieber aus dem Haus zu thun, und Jemanden hinein zu nehmen,
auf den Sie sich sicher verlassen können. Ich selber würde -- «

»Ihnen meinen eigenen Sohn vorschlagen, heh?« fiel ihm der Alte kurz
und mit einem mistrauischen Blick in die Rede -- »hab' ich recht oder
nicht?«

»Nun der Junge hat Talent und guten Willen.«

»Glaub' ich,« brummte der Alte, »aber mein eigen Fleisch und Blut steht
mir näher, und ich werde den Jungen schon zur Raison bringen; er muß mir
gehorchen, oder -- aber hol's der Teufel, wir wollen von 'was Anderem
reden,« unterbrach er sich plötzlich selbst, -- »kommen Sie wegen der
Pfandgeschichte?«

»Oh Gott bewahre,« lachte Herr Messerschmidt, »die Sache ist ganz
einfach; der junge Bursche behauptet, die beiden goldenen Uhren bei
Ihrem früheren Barkeeper, von dem er auch die Quittung hat, versetzt
zu haben; der ist jetzt fort, Niemand weiß wohin, und ich habe ihm
nun den guten Rath gegeben, einen Aufruf an ihn in dem New-Orleans
Advertiser abdrucken zu lassen, daß ihm nachher Niemand darauf antwortet,
versteht sich von selbst. Nein, lieber Hamann, ich wollte unsere kleine
Speditionsrechnung in Ordnung bringen -- brauche gerade Geld, und muß
vor dem neuen Jahr meine Casse jedenfalls reguliren.«

»Und wie viel macht's im Ganzen?«

»Hundert und sieben und neunzig Dollars fünfzig Cent.«

»Seit zwei Monaten?«

»Ja, und einige Tage -- Ihre Geschäfte sind brillant gegegangen, hier
ist übrigens auch die specifirte Note.«

»Hm, hm,« sagte Herr Hamann, das ihm überreichte Papier öffnend und
langsam durchlesend -- »da steht ja der Goldschmied mit 10 Dollarn
darauf, der nur acht Tage im Hause blieb und nicht einmal sein Boarding
zahlte, -- was fällt Ihnen denn ein? -- den müssen Sie streichen.«

»Er war gestern bei mir;« sagte Herr Messerschmidt lächelnd, »und frug
mich um Rath wie er wohl wieder zu der Tuchnadel kommen könne, die wohl
einige achtzig Dollar werth sein soll.«

»Bah, Unsinn, der Quark war nachgemacht -- fünf und siebzig Cent hat mir
der Jude dafür gegeben.«

»Das hab ich ihm auch gesagt,« schmunzelte der Agent, »und ihm sogar
versichert, ich würde es im Nothfall bezeugen können.«

»Nichtsnutziges Gesindel,« brummte Herr Hamann, in gerechter Entrüstung
über die Schlechtigkeit der Welt, erwähnte aber weiter nichts von den
zehn Dollarn. Der Agent beobachtete ihn indessen schweigend, während er
las, und trommelte dabei auf dem Hut den er zwischen den Knieen hielt,
einen Marsch.

»Hier ist noch ein Posten, der nicht hierher gehört.«

»Und? -- «

»Die Oldenburger -- ich bitte Sie um Gottes Willen, was schaffen Sie mir
für Volk in's Haus. Drei Wochen füttere ich jetzt die ganze Gesellschaft,
und habe ihnen heute Morgen, weil _gar_ nichts aus ihnen herauszukriegen
ist, gekündigt -- wie kann ich Ihnen demnach zwei Dollar für den Kopf
zahlen?«

»Sie haben recht, das wäre unbillig,« sagte Herr Messerschmidt
freundlich -- »wir wollen es dann lieber so machen -- ich zahle Ihnen
den »Boarding« für die Leute, ziehe aber, was sie indessen an Arbeit im
Hause geleistet haben, ab, und bekomme dann ihr Gepäck so lange
überliefert.«

Herr Hamann sah mit einem nichts weniger als freundlichen Blick nach ihm
hinüber, faltete aber das Papier zusammen, hielt es ein paar Secunden
wie nachdenkend in der Hand und sagte dann kopfschüttelnd:

»Das würde eine Masse Umstände und Rechnereien machen -- da, gehen Sie
an den Pult und schreiben Sie mir Ihre Quittung, ich hole Ihnen indessen
das Geld.«

»Alter Gauner,« murmelte Herr Messerschmidt, dem Wirth aber unhörbar,
freundlich zwischen den Zähnen durch, und ging mit einer höflichen
Verbeugung zu dem Stehpult, dem Verlangen Folge zu leisten. Wenige
Minuten später war dieß Geschäft zwischen den beiden Männern abgemacht.
Wie Herr Messerschmidt das Geld gerade nachgezählt, die einzelnen
Banknoten sehr genau betrachtet, und dann in sein Taschenbuch gelegt
hatte, klopfte es wieder an die Thür, und auf das mürrische »Herein« des
Hausherrn, drückte sich, ängstlich und verlegen, seinen Hut dabei unter
den Arm quetschend, der eine der Oldenburger in's Zimmer und blieb an
der Thüre stehn.

»Nun, was soll's,« sagte Herr Hamann, während Herr Messerschmidt
aufstehend an das Fenster ging und hinaus auf die Straße sah.

»Herr Wirth,« sagte der Oldenburger mit bittendem Ausdruck in der
Stimme, »Ihr Ausschenker hat uns vorhin gesagt, daß Sie uns nicht länger
in Kost behalten wollen.«

»Füttern wollen, meint Ihr wohl?« sagte Herr Hamann, »wie komme ich
dazu, ganze Schiffsladungen voll Menschen zu ernähren, ohne daß ich
einen Pfennig Bezahlung bekäme?«

»Wir wollen ja gern gehn,« sagte der Mann, »und Ihnen später Alles auf
Heller und Pfennig bezahlen, aber er will uns unsere Koffer nicht
mitgeben.«

»Auch noch, nicht wahr? -- erst hier Gott weiß wie lange mit den ganzen
Familien zehren, und dann auch noch mit Sack und Pack abziehen -- dumm
seid Ihr nicht, das muß wahr sein, und blöde auch nicht.«

»Wir wollen Ihnen ja gern den Werth der gehabten Kost in Sachen
zurücklassen, wenn wir nur das Übrige mit fortnehmen dürfen. Wir können
doch nicht _so_ in die Welt hineinziehn?«

»Das geht mich Nichts an,« entgegnete aber mürrisch der Wirth, -- »ich
habe hier keinen Handel mit alten Kleidern, sondern ein Gasthaus, in dem
ich für jedes Pfund Fleisch, was ich haben will, baar mit meinem Gelde
zahlen muß -- «

»Aber was sind wir Ihnen denn eigentlich schuldig?« frug der Mann, »der
Ausschenker hat uns eine Rechnung gegeben, auf der eine Menge Gläser
Getränke stehn, von denen wir Nichts wissen, aber nicht einen Pfennig
für die Arbeit abgerechnet, die wir in der Zeit für Sie gethan, und die
Frauen haben doch Woche ein Woche aus gewaschen und wir selber all ihr
Holz gespalten und gesägt, Ihren Mist gefahren, Ihre Kartoffeln
ausgemacht im Feld, und hereingeschafft.«

»Die Arbeitstage sind Euch nicht mit aufgeschrieben,« sagte Herr Hamann.

»Nein, das ist wahr, aber auch Nichts dafür zu Gute, lieber Gott, wir
haben uns unsere Kleider dabei herunter gerissen und tüchtig zugegriffen,
das wissen Sie selber am Besten.«

»Mein Essen war auch nicht schlecht, und bei den theueren Zeiten könnt'
ich's vor meinen Kindern nicht verantworten, wenn ich andere Leute
umsonst fütterte; warum sucht Ihr Euch keine feste Arbeit.«

»Lieber, guter Gott,« sagte der Mann, »da der Herr, der da am Fenster
steht, kann Ihnen darauf die beste Antwort geben; hat er uns nicht von
Woche zu Woche hingehalten und immer und immer versprochen, und immer
Nichts gebracht?«

»Na ja, nun macht _mir_ auch noch Vorwürfe, daß ich mir Euretwegen die
Schuhsohlen abgelaufen, ohne einen rothen Dreier dafür zu haben,« rief
Herr Messerschmidt, sich rasch und ärgerlich nach dem Manne umdrehend,
»kann _ich_ die Leute _zwingen_, Euch Arbeit zu geben, oder habe ich
mich überhaupt dazu verpflichtet?«

»Nichts für ungut,« bat der arme Teufel kleinlaut, »es war ja gar nicht
so bös gemeint, und ich habe es nur erwähnt, um dem Herrn da zu beweisen,
daß wir ja Alles thun wollten, was eben nur in unseren Kräften
stand.«

»Gut, ich will Euch was sagen,« rief Herr Hamann nach einer kleinen
Pause, in der er wie überlegend vor sich niedergesehen, »da es Euch doch
zu viel Schererei machen würde die Frauen mitzunehmen, wenn Ihr Arbeit
suchen geht, so mögen die beiden Frauen mit den beiden Kindern hier bei
mir im Hause bleiben, und für ihre Kost die Wäsche besorgen, bis Ihr
wieder kommt. Seid Ihr das zufrieden?«

»Aber würden Sie ihnen denn da nicht wenigstens einen kleinen, nur ganz
geringen Lohn aussetzen?« bat der Mann, »damit wir -- «

»Nun ja, reicht dem Volk einen Finger und sie greifen nach der ganzen
Hand,« rief Herr Hamann sich entrüstet gegen den Agenten wendend -- »geht
zum Teufel mit Eurer ganzen Sippschaft, ich will meinem Gott danken,
wenn ich Euch Alle los bin.«

»Aber, so war es ja gar nicht gemeint,« sagte der Mann schüchtern, »wir
sehen ja ein daß sie Noth und Mühe genug mit uns gehabt haben, und die
Frauen nur aus Gefälligkeit hier so lange im Hause lassen wollen -- nichts
für ungut, und wir Anderen wollen dann unser Mögliches thun, und finden
wir nur Arbeit, gewiß unsere Schuld bald abtragen. Etwas Wäsche dürfen
wir uns doch aus unseren Koffern nehmen, nicht wahr Herr Hamann.«

»Ja, meinetwegen, der Barkeeper soll Euch das nachher herausgeben; jetzt
macht aber, daß Ihr fortkommt, ich habe mehr zu thun, und wenn der
Barkeeper Zeit hat, soll er einmal einen Augenblick heraufkommen.«

Der arme Teufel von Bauer dankte dem Mann auf das Herzlichste, und würde
ihm gern die Hand zum Abschied in aller Freundschaft gereicht haben,
wenn er sich's eben getraut hätte. So verbeugte er sich nur gegen die
beiden Männer, die seiner gar nicht achteten, und zog die Thür hinter
sich in's Schloß, die aber gleich darauf wieder, und zwar rascher als
vorher, aufflog.

Unwillig sah Herr Hamann dorthin, eine nochmalige Störung des Bauern mit
Entrüstung zurückzuweisen, als er in das rothe, halb spöttische, halb
kecke Gesicht Eines seiner Irischen Boarders schaute, der ihm ganz
respektswidrig vertraulich zunickte, die Thür hinter sich zumachte und
dann auf Herrn Hamann zuging.

»Nun, was soll's, Patrick? -- was habt Ihr hier oben zu suchen?« rief
ihm der Wirth, mit der Nähe des stets halbtrunkenen Burschen eben nicht
recht zufrieden, mürrisch entgegen, -- »weshalb hat Euch der Barkeeper
hier heraufgelassen?«

»Konnt's eben nicht verhindern, mein Herzchen,« sagte Patrick lachend,
»denn wie er mir in den Weg treten wollte, legte ich ihn ganz sanft -- ich
habe dem süßen Burschen nicht ein Bischen weh gethan, -- unter den
Schenktisch.«

»Was wollt Ihr denn da von _mir_?« rief Herr Hamann bestürzt aus -- »was
habt Ihr vor, daß Ihr mit Gewalt hier zu mir heraufbrecht, und meine
Leute mishandelt.«

»Frieden, bei Jäsus mein Herzchen,« beschwichtigte ihn aber der
rauflustige Ire, »Nichts _honey_, wie eine kleine Abrechnung zwischen
uns Beiden, von denen Jeder glaubt, daß der Andere in seiner Schuld
ist.«

»Ich in Deiner Schuld Patrick?« rief aber Herr Hamann rasch erstaunt
aus -- »wohl deshalb, weil Du beinah drei Wochen bei mir gegessen und
getrunken hast?«

»An der _bar_ ist jeder Schluck bei Cent und halbem Cent bezahlt,«
betheuerte der Ire.

»Aber das Essen, wer hat das berichtet?«

»Hab ich Euch nicht den Graben um den Hof gezogen?«

»Den Graben,« rief Herr Hamann verächtlich, »Du hast Dich drei volle
Tage, das heißt die Stunden abgerechnet, die Du dabei im Schenkzimmer
gesessen mit dem kleinen Graben -- «

»Über Mittag, Herzchen.«

»Nun ja, das wollen wir nicht untersuchen -- drei volle Tage mit dem
kleinen Graben herumgeschlagen, den ein tüchtiger Arbeiter in _einem_
Tage beendigen würde. Doch bin ich auch Willens Dir selbst _das_ zu
vergüten.«

»Nun ja, _honey_, da sind wir ja schon in Ordnung,« lachte der Ire,
»Dein Holzkopf von Barkeeper hätte mir mein Bündel gleich herausgeben
und sich selber eine Unannehmlichkeit ersparen können.«

»Wenn Du den Rest herauszahlst.«

»Welchen Rest -- «

»Der mir noch zu Gute kommt -- «

»Verdammt der Cent, den Ihr da noch kriegt,« lachte der Ire -- »drei
Tage Arbeit pr. Tag zwei Dollar, sind sechs Dollar.«

»Drei Tage und zwei Dollar den Tag? -- Ihr seid verrückt.«


 [Illustration: Capitel 3.]


»_Never mind_,[10] immer noch genug bei Verstand meinen eigenen Vortheil
wahrzunehmen,« spottete der Ire -- »macht also sechs Dollar, zwei eine
halbe Woche für drei Dollar geboardet, bleiben anderthalb Dollar Rest,
die ich dem Fischkopf von Barkeeper unten auf den Schenktisch gezählt
habe, und die der Töffel nicht nehmen wollte. Natürlich steckt' ich sie
wieder ein, und nun kann er sehn, wie er sie zum zweiten Mal aus
Patricks Tasche kriegt.«

»Ihr könnt Euere Sachen nicht eher bekommen bis Ihr Euere Rechnung
bezahlt habt,« mischte sich in diesem Augenblick Herr Messerschmidt in's
Gespräch, wünschte aber auch gleich darauf gar Nichts gesagt zu haben,
denn der Ire, durch den Streit unten und ein paar Gläser Whiskey
erhitzt, fuhr jetzt dermaßen gegen ihn an, und drohte ihm bei der
geringsten Sylbe, die _er_, den die Sache auf der Welt Nichts anginge,
wieder hineinwürfe, mit einer so ungemessenen Anzahl Hiebe, daß sich der
feige Bursche schon langsam nach der Thüre zurückziehn wollte. Doch
auch hieran wurde er von dem aufmerksamen Iren verhindert, der nicht mit
Unrecht fürchtete, der Agent würde dann unten vielleicht Lärm machen und
einen Constabler herbeiholen; den beiden Männern aber dabei erklärte,
daß er ihnen alles was im Zimmer stände kurz und klein schlagen und ihre
eigenen beiden erbärmlichen Cadaver noch dazu vor sich her die Treppe
hinuntertreten wolle, wenn ihm nicht augenblicklich sein Bündel Wäsche
ausgeliefert würde.

Hamann und Messerschmidt, obgleich der letztere von derber, untersetzter
Statur war, getrauten sich nicht den Burschen zum Ärgsten zu treiben und
Hamann besonders sagte schnell und höflich:

»Aber so machen Sie doch nur nicht solch einen Lärm, bester Herr Patrick
-- wenn Sie Ihre Arbeit für so viel werth halten, habe ich auch nicht
das Mindeste dagegen -- lassen Sie sich nur unten Ihr Bündel geben.«

»Natürlich,« sagte Patrick, der seinen Vortheil rasch übersah, lachend,
»Alles in Ordnung Mr. Hamann -- geht wie geschmiert, bitte dann nur um
die Quittung für bezahlte Kost.«

Hamann wollte sich noch weigern etwas Schriftliches zu geben, er sah
aber auch bald daß er den Burschen nicht anders los würde, und schrieb
ihm rasch ein paar Zeilen für den _barkeeper_ auf.

»Danke Sir,« sagte der Ire, das Geschriebene durchbuchstabirend und dann
in die Westentasche drückend -- »jetzt ist's aber an mir zu traktiren
-- wollen Sie nicht mit hinunter gehn und eins mit mir trinken?«

»Sie haben doch jetzt Alles was Sie wollen?« sagte Herr Hamann, nun auch
endlich ungeduldig werdend.

»Haha, nichts für ungut,« rief aber der Ire, »wenn ein Gentleman den
andern traktiren will, ist das eine Höflichkeit und muß auch als solche
betrachtet werden; aber _never mind_ -- wenn Sie nicht wollen, so viel
besser, und nun _good bye_ Gentlemen.« Und die Hände in die Tasche
schiebend, während er sich eine seiner Irischen Jigs pfiff, verließ
Patrick, mit vollem Grund höchst zufrieden über seinen Erfolg, das
Zimmer, und eine Viertelstunde später, mit seinem Bündel unter dem Arm
auch das Haus, in dem er sich fast drei Wochen Kost und Logis durch ein
paar Tage leichte Arbeit ertrotzt hatte.

»Sie sollten einen Constabler rufen und den Burschen arretiren lassen,«
sagte Herr Messerschmidt ärgerlich, wie der Ire das Zimmer verlassen
hatte.

»Daß mir die Schufte nachher das Haus oder den Schenkstand demoliren,«
knurrte Herr Hamann, »nein der Lump mag laufen, fällt mir vielleicht
einmal wieder auf andere Art unter die Hände, aber eine Warnung soll
mir's für die Zukunft sein, keine Iren wieder in mein Haus zu nehmen --
es ist trunknes, rauflustiges, betrügerisches Volk; da lob' ich mir die
Deutschen, die nehmen Vernunft an, und haben vor der Polizei Respekt.
Aber lieber Gott, mir ist der Ärger ordentlich in die Glieder geschlagen,
und Sie thäten mir einen großen Gefallen, Herr Messerschmidt, wenn Sie
mir durch einen der Leute unten ein Glas Wein heraufschickten.«

»Mit Vergnügen,« sagte Herr Messerschmidt, seinen Hut aufgreifend und im
Begriff das Zimmer zu verlassen -- »apropos Herr Hamann -- die Aktien,
die Sie im vorigen Jahr gekauft haben, sind ja in den letzten Wochen
fabelhaft gestiegen -- Sie müssen ein rasendes Geld daran verdient
haben.«

»Wenn ich sie hätte behalten können,« entgegnete mürrisch der Wirth,
»glauben Sie ich verdiene hier Capitalien zum Hinlegen? -- Gott sei's
geklagt, meine deutschen Landsleute, mit den Verlusten die ich allein an
Auslagen für Proviant und Getränke habe, machen mich, wenn ich noch
länger das Geschäft fortsetze, zum Bettler, und bin mehr als je
gesonnen, mich ganz zurückzuziehn und es meinem Sohn zu übergeben, dem
ewigen Ärger und Skandal zu entgehn. Wäre mit dem thörichten Gesellen
nur ein vernünftiges Wort zu reden -- bitte den Wein, lieber Herr
Messerschmidt.«

»Guten Morgen Herr Hamann.«

»Guten Morgen Herr Messerschmidt« -- und der Alte ging mit auf den
Rücken gekreuzten Händen und fest und ärgerlich zusammengezogenen Brauen
wieder in seinem Zimmer auf und ab, bis der Barkeeper, einen kleinen
Präsentirteller in der Hand, auf dem eine Karaffe Rothwein und ein
Wasserglas stand, herein kam und dieses auf den Tisch setzte. Hamann sah
ihn an, nickte ihm zu daß es gut sei, und setzte seinen Marsch im Zimmer
fort, während Jimmy jedoch auf seiner Stelle stehen blieb, und -- einer
leidigen Gewohnheit nach, einen seiner Finger nach dem anderen
abknackte, daß es klang als ob er sich die Glieder vom Leibe bräche.

»Nun was giebt's noch?« sagte Herr Hamann, mürrisch vor ihm stehen
bleibend -- »was wollen Sie?«

»Verdammt feines Mädchen unten, _Sür_,« sagte Jimmy, zog die Augenbrauen
in die Höhe, und streckte, die Schultern zurückpressend, den Kopf so
weit nach vorn, als er nur möglicher Weise konnte.

»Verdammt feines Mädchen?« sagte Herr Hamann erstaunt, »was zum Teufel
schiert denn das _mich_? -- sind Sie betrunken?«

Jimmy behielt seine Stellung bei, zog aber den Mund, wie in freundlicher
Anerkennung des huldreichen Scherzes, von einem Ohr bis zum andern, ohne
übrigens auch nur eine Sylbe weiter zu erwiedern.

»Nun zum Wetter noch einmal, was wollen Sie denn von mir? stehn da und
ziehen das Maul breit, als ob Sie eine Schlehe verschluckt hätten;
glauben Sie daß ich Zeit habe Ihren Albernheiten zu folgen?«

Wie man, mit einem einzigen Ruck einen Tabacksbeutel zusammen und in
zahllose Falten legen kann, so zuckte das Gesicht des eben noch so
freundlichen Mannes nach dem Mittelpunkt der zu einer Spitze
vorgeschobenen Lippen, von denen sich die Augenbrauen wo möglich noch
weiter entfernten, und eine halbe Minute vielleicht in dieser Stellung
bleibend sagte er ruhig:

»Setzt Jemand irgend etwas in irgend eine Zeitung, wenn Jemand von
irgend etwas nachher nichts wissen will?«

Herr Hamann wollte noch heftiger darauf erwiedern, als ihm plötzlich
einfiel daß er allerdings eine Annonce hatte in das deutsche Blatt
einrücken lassen, wonach er ein junges deutsches Mädchen suchte, die
Aufwartung bei Tisch, das Einschenken des Kaffee und Thee, und die
Überwachung seines Geschirrs und seiner Wäsche zu übernehmen. Jimmy
aber, als er merkte daß sein Principal jetzt wußte was er wollte, begann
wieder seine Fingergelenke zu revidiren und überzuknacken, als ob er
sich von der Brauchbarkeit derselben zu überzeugen wünsche.

»Sie bringen Einen noch zur Verzweiflung, mit Ihrem verfluchten
Gesichter schneiden und Finger brechen« sagte Herr Hamann aber
ungeduldig -- »können Sie das nicht gleich, und gerad' heraussagen?«

»Verdammt feines Mädchen unten, _Sür_!« begann Jimmy wieder, genau wie
im Anfang! seine Rede, den Principal vielleicht zu überzeugen daß er
eben gar nichts anderes gleich gesagt habe.

»Wird wieder so ein Rüpel mit Holzschuhen sein, wie sich schon ein
Dutzend gemeldet hat,« brummte der Alte.

»Venus!« sagte Jimmy, und drohte sich wirklich seine Finger zu
verrenken.

»Esel -- hätte ich bald gesagt« zischte Herr Hamann zwischen den Zähnen
durch und setzte dann lauter hinzu -- »und warum schicken Sie mir sie
nicht herauf?«

Jimmy hielt darauf eine Antwort für unnöthig, und verschwand blitzschnell
durch die noch offene Thür, wenige Minuten später mit der Angemeldeten
zurückzukommen, die er aber, da in diesem Augenblick unten nach ihm
gerufen wurde, allein oben mit seinem Herrn zurücklassen mußte. Aber,
schon in der Thür, drehte er sich noch einmal nach dem jungen, in seiner
dunklen einfachen Tracht wirklich bildhübschen Mädchen um, starrte ihr
vielleicht eine halbe Minute lang stier in die Augen, und war dann in
wenigen Sätzen die Treppe hinunter.

Vor Herrn Hamann indessen, mit, von der Erregung des Augenblicks, der
vielleicht über ihr künftiges Schicksal entscheiden sollte, etwas
gebleichten Wangen, stand Hedwig Loßenwerder, und sagte mit noch ein
wenig zitternder aber bald wieder fest werdender Stimme:

»Sie haben, mein Herr, eine Wirthschafterin für Ihr Hauswesen gesucht,
und ich bin gekommen mich Ihnen dafür anzubieten.«

»Hm« sagte Herr Hamann dicht vor dem jungen Mädchen stehen bleibend, und
sie so, fest und aufmerksam von Kopf bis zu Füßen betrachtend, daß dem
armen Kinde das Blut in Stirn und Schläfe stieg, und es verlegen den
Blick zu Boden senkte -- »hm -- nicht übel, aber -- Sie sind zu jung
mein Kind -- «

»Ich habe in ähnlicher Weise schon drei Jahre in Dienst gestanden« sagte
sie leise.

»_Drei_ Jahre? und wie alt sind Sie jetzt?«

»Ich werde im nächsten Monat sechzehn Jahr.«

Hamann schüttelte mit dem Kopf und setzte, die Fremde dabei dann und
wann von der Seite ansehend, seine Wanderung im Zimmer wieder fort,
während Hedwig indessen still und regungslos stehen blieb, eine
entscheidende Antwort des Mannes zu erwarten.

Die letzten Wochen hatten eine große Veränderung in Hedwigs ganzem
Äußeren hervorgerufen, und das ängstlich schüchterne, fast kindliche
Mädchen, das sie noch an Bord gewesen, war zur ernsten, selbstständigen,
selbsthandelnden Jungfrau herangereift, in der kurzen Zeit. Schwere
Stunden waren es aber gewesen, die das bewirkt, schwere, herbe Stunden,
in denen die selber so unglückliche Clara ihr Alles vertraut, was das
eigene Herz bedrückte, von dem ersten Verdacht des Diebstahls an, bis zu
dem Augenblick wo sie die Gewißheit in Mark und Seele traf, daß der
eigene Gatte der Verbrecher sei, und weit schlimmer und entsetzlicher
als ein bloßer feiger Dieb, nicht allein den treuen schuldlosen Diener
ihres Vaters, nein auch ihr eignes Glück und Leben kalt und meuchlerisch
gemordet habe.

Der Schmerz um den Bruder war damit, wenn nicht aus ihrer Brust
gewichen, doch von anderen, mächtigeren Gefühlen die sie früher nie
gekannt, abgestumpft, ja fast verdrängt -- von einem Gefühle der
Bitterkeit gegen die Menschen, die einen armen Unglücklichen kalt und
theilnahmlos verderben ließen, ohne sich viel um seine Schuld oder
Unschuld zu kümmern, und dem Gemordeten kaum ein einsam verachtetes
Plätzchen an der Kirchhofsmauer gönnten; von einem Gefühle des Hasses
gegen den Mörder selbst, der frei und ledig, in Glück und Reichthum --
der Beute seines Verbrechens -- unter Gottes Sonne wandelte. Nur an
Clara hing sie mit aller Liebe und Aufopferung, deren ihr warmes,
weiches Herz fähig war, nur in Clara sah sie die Leidensschwester --
nicht mehr die Gebieterin -- die mit ihr, noch stärker fast getroffen
und geschlagen worden, und einem Schatten gleich, lag eine dunkle
Ahnung, der sie nicht Ausdruck, Form zu geben wußte, auf ihrer Seele,
daß der Verstorbene in größerem Schmerz und Weh dahin geschieden, auch
von _ihr_ verkannt zu sein.

»Und Sie glauben daß Sie der Sache vorstehen könnten?« -- sagte Hamann
endlich, wieder vor ihr stehen bleibend und ihr scharf und forschend
in's Auge schauend. --

»Ich glaube es« sagte Hedwig, dem Blick fest begegnend.

»Haben Sie Zeugnisse?«

»Ja -- hier.«

Der Wirth überlas die Papiere und gab sie ihr zurück.

»Ja, das klingt Alles recht schön« sagte er, »aber ist weit von hier, und
irgend ein Thorschreiber oder Bäcker kann das eben so gut geschrieben
haben, aber« -- setzte er rasch hinzu, als er sah daß sich die Wangen
des jungen Mädchens unter dem halben Verdacht tiefer färbten, und sich
ihre Gestalt höher emporrichtete -- »aber das kann und wird auch wohl
Alles in Ordnung sein, nur darauf gehn können wir hier nicht, und müssen
selber sehn und prüfen. Sind Sie das zufrieden?«

»Ich will eine Woche auf Probe meinen Dienst antreten« sagte Hedwig,
»wenn Ihnen das genügt.«

»Das wäre gut« sagte Herr Hamann, leise mit dem Kopfe nickend -- »und
wie viel Lohn verlangen Sie?«

»Keinen.«

»Ich meine nicht für die Probewoche, sondern überhaupt.«

»Keinen« sagte die Jungfrau fest und entschieden.

»Keinen Lohn?« rief Herr Hamann, überrascht zu ihr aufschauend -- »und
was sonst dafür? denn um gar Nichts kann ich mir doch nicht gut denken
daß Sie arbeiten wollen?«

»Nein« sagte Hedwig mit leiserer Stimme als vorher -- »ich verlange
vielleicht mehr dafür, als Sie gesonnen sind mir zu bewilligen, könnte
aber auch nur unter der Bedingung die Stelle, die ich gewiß zu Ihrer
Zufriedenheit ausfüllen würde, annehmen.«

»Und das wäre?«

»Ich habe eine kranke Schwester in der Stadt« sagte Hedwig -- »das
wenige was wir mitgebracht ist bald verzehrt, und ich suche deshalb
einen Dienst, uns Beide zu erhalten, bis meine Schwester wieder zu
Kräften gekommen ist. Alles was ich bis dahin für meine Arbeit verlange
ist, daß sie mein Zimmer mit mir bewohnen, mein Lager mit mir theilen
darf, und die wenige Nahrung erhält die ihr Körper verträgt.«

»Eine Kranke in's Haus nehmen?« sagte Herr Hamann, kopfschüttelnd, »nein
Mamsell, das ist eine misliche Sache, davon hat man nur Schererei und
Kosten, und darauf kann ich mich nicht einlassen.«

»Sie ist nicht mehr _krank_« sagte Hedwig rasch, »nur noch schwach und
erschöpft von schwerem doch _überstandenen_ Leiden. Nur Ruhe bedarf
sie, keiner Pflege mehr; auch verlange ich nicht daß sie mit an der
Wirthstafel ißt; das Wenige was sie braucht würd' ich ihr selber
bringen.«

»Wie heißen Sie?« frug Herr Hamann.

»Hedwig. -- «

»Und Ihre Schwester?«

»Clara.«

»Mit Zunamen?«

»Loßenwerder« sagte Hedwig, und wie sie den Namen aussprach färbten sich
ihr Stirn und Schläfe dunkelroth.

»Clara Loßenwerder?« wiederholte Hamann.

»Ich heiße _Hedwig_!« sagte das junge Mädchen, und eine eigene, ihr
selbst unerklärliche Angst schoß ihr bei der Verbindung jener beiden
Namen durch das Herz.

»Ja ja, Hedwig« wiederholte Herr Hamann, sie wieder dabei betrachtend,
als ob er ihr mit dem Blick bis in das innerste Herz hineinsehn wollte
-- »nun ich will Ihnen einmal etwas sagen -- Ihr Gesicht gefällt mir,
obgleich man danach nicht recht gehn kann, und durch eine hübsche Firma
oft genug hinter's Licht geführt wird; aber -- wir könnens ja einmal mit
einander versuchen. Ich brauche zwar eine derartige Wirthschafterin
gerade jetzt nicht mehr so unumgänglich nöthig, und würde auch nur wenig
Lohn geben können; vielleicht, wenn wir einander zusagen, ließe sich's
aber auch auf die Art einrichten, erst müssen wir jedoch Beide wissen,
woran wir miteinander sind; wären Sie das zufrieden?«

»Ich habe nicht mehr verlangt« sagte Hedwig.

»Gut, dann können Sie heute noch anziehn, wenn Sie wollen -- aber die
Schwester bringen Sie mir noch nicht in's Haus« setzte er rasch hinzu
»es ist das mit kranken Leuten eine eigene Sache.«

»Aber darf ich sie in der Woche jeden Tag wenigstens einmal besuchen?«
frug Hedwig.

»Zwischen dem Mittag- und Abendessen ist nicht viel Zeit« sagte Herr
Hamann, »aber die Abende _nach_ dem Essen, können Sie benutzen wie Sie
wollen -- also wann kommen Sie?«

»Noch heute Mittag finde ich mich ein« sagte Hedwig, »und hoffe recht
von Herzen daß Sie mit mir zufrieden sein werden.«

Sie verließ nach kurzem Abschiedsgruß, aber Trost und Hoffnung im
Herzen, das Gemach, während Herr Hamann sich aus der, bis jetzt noch
nicht berührten Karaffe ein volles Glas Wein einschenkte, und dann,
wieder vollkommen zufrieden mit sich selber, seinen Spatziergang im
Zimmer aufnahm.

Für die Besetzung einer solchen Stelle hatte er schon gefürchtet
ziemlich beträchtlichen Lohn zahlen zu müssen, denn er konnte sich eine
Person dazu nicht aus dem Haufen der Auswanderer heraussuchen, und jetzt
war alle Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß er sie durch ein ganz junges
hübsches Mädchen, was ihm jedenfalls eine Masse Kostgänger in's Haus
ziehn würde, und für wenig mehr als Nichts, für die doppelte Kost von
ein paar Frauen, die überdieß nicht viel aßen und gar Nichts tranken,
bekommen konnte.




Capitel 4.

Verschiedene Beschäftigungen.


Vor der Thüre des deutschen Wirthshauses in ---- _street_, standen die
armen Oldenburger, jeder ein kleines Bündel unter dem Arm, und schauten
trübselig und trostlos die Straße hinauf und hinab, die nach Norden und
Süden hin in die Welt, die weite Welt hinaus führte. Und immer noch
hatten sie nur erst deren Schwelle betreten, immer noch hoben sie
zögernd den Fuß, und wagten ihn nicht niederzusetzen, weil er nicht
gleich den altgewohnten Boden unter sich fühlte, und während der eine
seufzte und den Kopf hängen ließ, kratzte sich der Andere mit der
rechten Hand hinter dem Ohr, und zerrieb einen halbgemurmelten Fluch
zwischen den fest übereinander gedrückten Zähnen.

»In Amerika können die Bauern in den Kuts-chen fahren« sang da plötzlich
eine wohlbekannte Stimme ein nur zu wohlbekanntes, aber schon lange
nicht mehr angestimmtes Lied.

»In den Kuts-chen mit Sammet und mit Sa-i-de!« und als sie sich eben
nicht freudig überrascht, nach dem Sänger umdrehten, rasselte eben der
kleine wunderliche Karren Maulbeeres, von diesem geschoben, an ihnen
vorüber, und der Dampf aus der kleinen schmutzigen Pfeife zog in
zusammengedrängten kurzen Kräuselwolken, regelmäßig auspuffend wie von
einer Diminutiv-Locomotive hinter ihm drein. Übrigens that er gar
nicht, als ob er die Oldenburger sähe, und war auch schon an ihnen
vorbei, als ihn der Ruf des Einen -- »Herr Maulbeere -- « erreichte und
anhalten machte.

Es ist ein eigenthümliches Gefühl nach einer gewissen Zeit wieder mit
früheren Reisegefährten zusammenzutreffen, von denen es sich dabei
wunderbarer Weise ganz gleich bleibt, ob man sie gern gehabt unterwegs,
oder gar nicht mit ihnen verkehrt hat, vielleicht die ganze Reise über.
Was da unterwegs auch mag vorgefallen sein, wie man übereinander
gedacht, und sich vielleicht ganz besonders danach gesehnt hat das
Schiff verlassen zu können, von solcher Gesellschaft endlich einmal
fortzukommen; ein kurzer Aufenthalt an Land, mit dem Fremden,
Ungewohnten um sich her, hat das Alles verscheucht, wir haben es
vergessen, und begrüßen mit aufrichtiger Freude den früheren Reise- und
Leidensgefährten.

»Guten Tag Herr Maulbeere« sagte der eine Oldenburger, der, sein Bündel
in der Linken, die paar Schritte hinter ihm hergegangen war und jetzt,
neben ihm stehen bleibend, die Rechte nach ihm ausstreckte -- »wie gehts
hier in Amerika?«

»Hallo« sagte Maulbeere, sein Tragband von den Handgriffen seines
Karrens ziehend und, indem er sich aufrichtete, die gebotene Hand, aber
noch etwas zögernd annehmend -- »hallo Ihr Leute -- immer noch zu Fuß?
-- Donnerwetter, wo sind denn die »Kuts-chen«?«

»Ja Kuts-chen« sagte der Oldenburger in seinem eigenthümlichen Dialekte,
»es fährt sich hier was in Kuts-chen -- wir sind froh daß wir zu Fuß
gehn dürfen -- «

»Ich fahre,« sagte Maulbeere mit einem wohlwollenden Seitenblick auf
seinen Karren.

»Soweit haben wir's noch nicht einmal gebracht,« sagte der Andere, jetzt
ebenfalls hinzutretend, »guten Tag Herr Maulbeere.«

»Guten Morgen meine Herren, guten Morgen; irgend etwas zu schleifen? --
Scheeren, Messer, Rasirmesser, Lanzetten, Pflugschaaren, Sensen?« rief
Maulbeere, mit einer Geschäftsmiene dabei wieder auf seine Schleifsteine
deutend -- »stehe zu Diensten und sollen billig bedient werden -- sehe
mehr auf gute Behandlung, als schlechten Gehalt.«

»Ach lassen Sie das Spaßen, Herr Maulbeere,« meinte der Erste wieder,
einen tiefen Seufzer ausstoßend -- »die Geschichte hier ist verzweifelt
ernsthaft, und wenn man nicht weiß wo man Brod hernehmen soll, ist Einem
nicht gerade wie Lachen zu Muthe.«

»Hoho,« sagte Maulbeere, die Augenbrauen in die Höh ziehend, »schon drei
Wochen in Amerika und noch kein Brod? -- das ist Pech!«

»Ist es Ihnen denn geglückt?«

»Harte Arbeit Schentelmen,« sagte aber der Scheerenschleifer
achselzuckend -- »_sehr_ harte Arbeit -- habe im Sinn die Residenz zu
verlassen.«

»Und wo gehn Sie hin?«

»Den Fluß hinauf, versteht sich; werde das Land durchziehn, hier ist
wenig zu verdienen. Es giebt eben hier zu viel Mäuler die Brod haben
wollen. Apropos, wo sind denn Ihre Frauen?«

»Arbeiten da drin,« sagte der Eine, mit dem Kopf nach dem Haus
hinüberzeigend.

»So? -- untergebracht?« frug der Scheerenschleifer, »nun da kann man ja
gratuliren.«

»Aber kriegen Nichts« sagte der Andere.

»Desto längere Aussicht auf stete Beschäftigung« bemerkte Maulbeere.

»Aber wovon nachher leben?«

»Vielleicht von den großen Rosinen, die Sie früher im Kopf gehabt,«
meinte Maulbeere -- »ist ein merkwürdiges Land das Amerika; guten Morgen
meine Herren!« und mit den Worten tauchte er wieder mit den Ösen seines
Tragbands nach den beiden Griffen des Karrens, warf sie in das richtige
Gleichgewicht und schob, während ihm die weiße Wolke folgte, rasch die
Straße nieder, ohne sich um die beiden Bauern weiter zu bekümmern.

Die nächste Straße rechts einbiegend, die zum Fluß nieder führte,
erreichte er dort die sogenannte Flatbootlandung, und das Ufer sah hier
kahl, und keineswegs so belebt aus als weiter oben, wo die rauchenden
dunklen Schornsteine und oberen Decks der Cajüten, oder die mit ihren
wie spinnwebartig durchflochtenen Masten über die hohe, mit Gütern und
Waarenballen bedeckte Levée hervorragten. Der Strom hatte in dieser
Jahreszeit wenig Wasser, und die niederen flachen Boote schwammen, nur
erst bemerkbar wenn man auf die Levée selber trat, tief unter der
steilen schmutzigen Bank, mit Tauen an diese befestigt am Ufer.
Alligator ähnlich lagen sie dabei in der trüben Fluth, hie und da mit
den Vordertheilen auf dem Schlamm, und nur mit schmalen Laufplanken von
diesem aus nach trockenem Boden oder Sand hinüberreichend.

Wunderbare Fahrzeuge sind aber diese _Flatboats_ des Mississippi, allem
Anschein nach aus den ersten Urzuständen des Schiffsbaues herrührend,
und doch noch nicht, weder durch Dampf- noch Segelschiffe aus ihrer
Wirksamkeit verdrängt, ja eher mit diesen anwachsend und an Zahl
zunehmend.

Ein langes aus derben Planken mit hölzernen Pflöcken zusammengenageltes
und mit Werg und Theer dicht gemachtes, vielleicht sieben Fuß tiefes
Boot mit vollkommen flachem Boden, das, wenn geladen, fünf bis sechs Fuß
im Wasser geht, ist es mit einer Art, vielleicht vier bis fünf Fuß hohem
Fachwerk umgeben, und mit zölligen oder halbzölligen Bretern, die in der
Mitte etwas gewölbt, quer von einem Bord nach dem andern hinübergebogen
sind und ziegelartig übereinander liegen, gedeckt. Diese Boote gehen nur
mit der Strömung, wie wir ihnen schon auf dem Mississippi begegnet sind,
manchmal gradaus, manchmal über Steuer, nicht selten Meilen weit seitwärts,
den Krabben ähnlich, ihre Bahn entlang, hier der Strömung folgend, dort,
durch eine Rückströmung gehalten, daß die Leute mit den langen Finnen
ähnlichen »_sweeps_« oder Rudern Stunden lang arbeiten müssen, nur
wieder los und in freies Fahrwasser zu kommen. Und wie manches sinkt
und verdirbt auf der langen mühseligen, und so oft gefährlichen Bahn;
plötzliche Stürme und Unwetter -- der _Hurricane_ in Natchez 1841
zerstörte damals 112 in wenigen Meilen Entfernung -- im Wasser
verborgene Snags, Untiefen und festgeschwemmtes Driftholz sinken manches
von ihnen, und man kann immer rechnen, daß kaum drei Viertel der Zahl
ihr Ziel erreichen.

So unscheinbar dabei ihr Äußeres ist, so werthvolle Ladungen bergen sie
nicht selten in dem rohen unbehülflichen Kasten, die der Führer, wo er
einen Markt für seine Waaren zu finden glaubt, oder zuletzt in
New-Orleans selber, mit dem Vordertheil an Land schiebt, und seinen,
weder Steuer noch Abgaben zahlenden Laden gleich fix und fertig
errichtet hat, den er, wenn die Waaren abgesetzt sind, auseinander
schlägt und mit verkauft.

Und wie wunderlich sieht es in den Booten selber aus -- hier das erste
-- der Weg ist etwas steil, die schlüpfrige Bank hinunter -- birgt in
seinem Innern ein buntes Gemisch von Allem, was das Herz eines richtigen
Yankees erfreuen könnte, Butter, Schmalz, Kartoffeln, Hühner, Apfelwein
und Whiskey, Heu, Zwiebeln, getrocknetes Obst, und Fässer mit Makrelen,
Kisten mit Stockfisch und Traubenrosinen, Krachmandeln, Nudeln, Käse,
Alles steht bunt und wild durcheinander gepackt, hier in Proben
aufgestellt, dort in angerissenen Fässern und Kisten, unter Deck --
daneben liegt ein Boot mit eingesalzenem Schweinefleisch von Cincinnati,
und das Fett mit dem das Deck beschmiert ist, dampft in der Sonne; dort
liegt ein anderes mit Baumwolle von Tennessee, da ein anderes mit Taback
von Kentucky geladen; und da strecken Rinder und Schaafe den Kopf aus
den offen gelassenen Luftlöchern anderer, und blöken und brüllen ihren
Kameraden zu. Die Staaten Arkansas, Missouri, Texas, Tennessee, Kentucky
und Illinois senden jährlich wohl dreißig tausend Stück lebendigen
Hornviehs nach New-Orleans, und von Ohio werden ebenfalls hunderte
solcher »schwimmenden Sauställe« mit ihren grunzenden Bewohnern der
»Königin des Südens« zugeführt.

Was das für ein Leben ist, zwischen den, einen schauerlich warmen
Fettgeruch und Dunst faulenden Obstes und angegangenen Fleisches
ausstoßenden Fahrzeugen; wie die Eigenthümer auf der Levée stehn, oder
vorn in ihren Booten sitzen, Käufer herbeizurufen, und ihre Waaren dabei
ausschreien, die vorzügliche Qualität derselben anpreisend. Dazwischen
durch dann das Drängen und Treiben der Arbeiter, die hier ein verkauftes
Boot entladen, damit es nachher auseinander geschlagen und in seinen
Planken noch verwerthet werden könne, dort eine Parthie aufgekaufter
Fässer und Kisten die steile Levée mühselig hinaufschaffen, und von Fett
und Schmutz bedeckt unter ihren Lasten keuchen und schwitzen, bis sie
die Höhe der Levée erreicht haben, dort sich einen Augenblick die
glühende tropfende Stirn abtrocknen, und dann wieder schwanken Schritts
niedersteigen, ihr Werk von Neuem zu beginnen.

Maulbeere fuhr mit seinem Schleifkarren, seinem Grundsatz treu keinen
Fleck unbesucht zu lassen wo er die Hoffnung hatte etwas verdienen zu
können, oben an der Levée hin, dann und wann stehen bleibend, seine
schon auswendig gelernten Rufe -- _no knives, no scissors to grind_?[11]
ertönen zu lassen. Hie und da bekam er auch wirklich zu thun; dort und
da schaute ein behaubter Kopf unter einem der niederen Flatboot-Decke
vor, eine rauhe Stimme rief ihm ein »_stop_!« zu, und irgend ein
rothwollener Unterrock, oder auch dann und wann ein schlankes hübsches
Kind in dem kleidsam eng anschließenden Mieder der Backwoodsfrauen, nur
die feinen rosigen Züge von dem unförmlichen Sonnenbonnet fast verhüllt,
stieg die Bank zu ihm hinauf, eine widerspenstige Scheere, mit der der
Vater oder Gatte so lange Bindfaden geschnitten hatte bis sie jeden
weiteren Dienst verweigerte, wieder zu stellen und zu schärfen; oder der
Flatbootman selber stieg langsam das Ufer hinan, ein riesiges langes
Messer in der Hand, mit dem er Speck und Käse schneiden mußte, und das
er auch gern schärfer haben wollte als es war. So lange er seinen Stein
dann drehte, daß die hellen blitzenden Funken daraus vorblitzten,
drängte sich ein Kreis von neugierigen Müßiggängern, von denen die Levée
schwärmt, um ihn her, nicht selten fast mehr von der wunderlichen
Gestalt des Mannes selber, als von seiner Arbeit ergötzt, bis er die ihm
gebrachten Instrumente in Stand gesetzt, sein Geld dafür eingestrichen
und sein Tragband wieder eingehakt hatte, mitten zwischen die Schaar,
die ihm lachend Raum gab, mit einem deutschen »bitt' um Verzeihung«
hineinzufahren.

An manchen Stellen wurde er übrigens durch die dort aufgestapelten
Fässer und Waaren in seiner Bahn aufgehalten, und mußte einen Umweg
machen, den Hindernissen aus dem Weg zu kommen. Eben auch war er wieder
einer Anzahl fettglänzender und entsetzlicher duftender Porkfässer
ausgebogen, als er eine lachende Stimme seinen Namen nennen hörte. Wie
er aber stehen blieb und sich überall vergebens nach einem bekannten
Gesicht umschaute -- denn auf die Arbeitsleute, von denen ein großer
Theil gerade Mittag gemacht, während das Ausladen noch nicht wieder
begonnen hatte, achtete er gar nicht -- rief Einer der Flatboatleute,
die zwischen den heraufgerollten Pork- oder Schweinefässern standen, und
von der schmutzigen Arbeit und Schweiß und Sonne in ihren kurzen blauen
Oberhemden und abgetragenen oder zerdrückten Strohhüten kaum eine
Physionomie erkennen ließen, indem er dem Scheerenschleifer freundlich
zunickte:

»Aber Herr Maulbeere, kennen Sie mich nicht mehr?«

»Wetter noch einmal,« sagte dieser, seinen Karren niedersetzend und die
Gestalt erstaunt von oben bis unten betrachtend, »die Stimme ist mir
bekannt und das Gesicht auch, hat wenigstens, wie Herr Schultze sagen
würde, eine merkwürdige Ähnlichkeit mit einer Nebelkrähe oder einem
Schornsteinfeger.« --

»Habe ich mich denn in den paar Tagen so merkwürdig verändert,« lachte
der Mann, seinen Hut abnehmend, unter dem eine Fülle kastanienbraunen
lockigen Haares vorfiel, »daß mich ein Reisegefährte und Coyennachbar
nicht einmal mehr kennt?«

»Herr Eltrich -- so wahr ich lebe,« sagte Maulbeere, jetzt aber wirklich
auf das Äußerste erstaunt, »wie um Gottes Willen sehn Sie denn aber
aus, und was machen Sie hier in _dem_ Aufzug und bei _der_ Arbeit?«

»Mein Schicksal ist bald erzählt,« sagte der junge Mann mit lachendem
Gesicht, aber doch kaum im Stand einen gewaltsam aufsteigenden Seufzer
zu unterdrücken -- »kaum hier in New-Orleans angekommen ließ ich mir auf
leichtsinnig kindische Weise -- ich war genug davor gewarnt worden -- und
von dem Neuen was mich überall umgab beirrt, von dem Neger, der mein
sämmtliches Gepäck auf seinem Karren hatte, dieses mit allen unseren
Effekten, ein paar Kleinigkeiten die meine Frau in der Hand trug
ausgenommen, entführen. Von Allem entblößt, was schon der einzelne Mann,
wie viel mehr dann eine Familie zu ihrem Leben braucht, sah ich, wenn
ich nicht rasche Anstalt machte Geld zu verdienen, unseren Untergang,
oder doch einen Zustand grenzenloser Noth vor Augen. Vergebens lief ich
dabei herum in meiner Kunst Beschäftigung zu erhalten -- ich konnte mich
nicht einmal anständig kleiden, denn es war ja Alles zum Teufel, und mit
dem etwas abgerissen aussehenden Menschen wollte sich Niemand einlassen.
Wir aber brauchten auch außerdem Brod, die paar Dollar, die ich noch im
Vermögen besaß, nahmen schon in der ersten Woche so rasend schnell ab,
daß ich mir genau die Zeit berechnen konnte wo wir, wenn nicht irgend
etwas geschah das aufzuhalten, auch ohne einen Pfennig dasitzen würden,
und ich entschloß mich kurz und gut Arbeit zu suchen und zu nehmen, wo
ich sie finden würde. Drei Tage lief ich auch hiernach vergebens herum;
der gute Wille that es nicht allein, denn die wieder gesündere
Jahreszeit in New-Orleans hatte eine wahre Unmasse von Arbeitern hierher
zurückgeworfen, bis ich, eigentlich in letzter Verzweiflung diese Boote
besuchend, Arbeit und guten Lohn auf einem von ihnen fand, das seine
Leute, Streites halber, den sie mit dem Eigenthümer gehabt, entlassen
hatte.«

»Und _die_ Arbeit hier können Sie thun?« sagte Maulbeere, abwechselnd
und erstaunt bald die leichte schmächtige Gestalt, und die sonst so
feinen, jetzt fettbeschmutzten Hände des jungen Mannes, bald die
schweren Pork- und Mehlfässer betrachtend, die um ihn her aufgestapelt
lagen.

»Der Mensch kann Alles was er _muß_,« lachte der junge Mann, »früher
hab' ich es freilich selber nicht für möglich gehalten, jetzt aber geht
es, und Alles berücksichtigt, sogar vortrefflich, denn ich verdiene,
außer der Kost, einen Dollar den Tag, und befinde mich vollkommen wohl
und gesund dabei.«

»Und Ihre Frau?«

»Pflegt zu Hause das Kind und weint und lacht, wenn sie mich in diesem
Aufzug ankommen sieht -- ich habe sie aber noch nicht bewegen können,
einmal mit dem Kleinen hier herunterzukommen und unserer Arbeit
zuzusehen -- sie meint es bräche ihr das Herz.« --

»Bah,« sagte Maulbeere kopfschüttelnd, »wenn _Sie_ sich nicht den Rücken
bei den verdammt schweren Fässern brechen, glaube ich nicht daß Gefahr
für ihrer Frau Herz zu fürchten ist, aber -- was Leichteres wäre mir
doch auch lieber -- ich weiß nicht, den Begriff Amerika habe ich mir
anders gedacht, als Fässer gepökelten Schweinefleisches bergauf zu
kullern.«

»Ich auch lieber Maulbeere, ich auch, aber was wollen wir machen?«
lächelte Eltrich, »Hunger thut weh und ehrliche Arbeit schändet hier
nicht, das ist schon ein ungeheuerer Vortheil dieses freien Landes --
andere habe ich allerdings noch keine Gelegenheit gehabt kennen zu
lernen.«

»Es ist eine kleine, aber doch immer eine Empfehlung,« sagte Maulbeere
achselzuckend, »und ungefähr so, als ob ich Jemanden in's Wasser werfe,
und erlaube ihm dann das Maul zuzumachen und zu schwimmen -- und dafür
35 Thaler Gold Passage -- kommt mir beinah ein wenig theuer vor -- haben
Sie die Fässer Pech -- oder ist das etwa gar Kolophonium? auch mit
heraufgewälzt?«

»Ja,« lachte Eltrich.

»Stoffverschwendung,« murmelte Maulbeere zwischen den Zähnen durch, und
setzte dann lauter hinzu, »nein, zu _solcher_ Arbeit möchte ich mich
doch nicht verstehen; werde wenigstens suchen mich so lange davor zu
bewahren als möglich. Meine Absicht ist hier in Amerika, so bald sich
eine schickliche Gelegenheit dazu bietet, meinen Händen wie meinemersten
linken Hinterbein, das nun so lange Jahre hat das Rad treten müssen,
Ruhe zu gönnen, und mit dem Geist zu arbeiten.«

»Aber wie wollen Sie das anfangen Herr Maulbeere?«

»Daran arbeitet mein Geist eben noch,« sagte der Scheerenschleifer
etwas geheimnißvoll, »der passende Zeitpunkt ist auch noch nicht
gekommen -- sollte er nahen werde ich ihn nicht versäumen.« --

»Hallo _boys_ -- hier, macht daß die Sachen hinaufkommen!« unterbrach
da eine Stimme vom Flatboot herauf, die Unterhaltung der beiden
Reisegefährten -- »die Karren kommen da oben schon wieder zurück und
wollen Ladung haben.«

»Ich muß fort Herr Maulbeere,« rief Eltrich rasch, dem Mann die Hand
entgegenstreckend, sie aber wieder zurückziehend -- »ich mache Sie
schmutzig,« setzte er, dabei leicht erröthend, hinzu.

»Ich wasche mich wieder,« sagte Maulbeere, ohne eine Miene zu verziehn,
nahm die nochmals dargebotene Hand, schüttelte sie weit wärmer als das
sonst seine Gewohnheit war, und blieb dann, während Eltrich wieder nach
dem Boot hinuntersprang, noch eine Weile oben auf der Levée, die heiß
niederbrennende Sonne nicht weiter beachtend, halten, zuzusehn wie sein
Reisegefährte arbeite. Eltrich war dabei vielleicht der Einzige von den
Zwischendeckspassagieren gewesen, mit dem er nie ein unfreundliches Wort
gehabt, der ihn nie verspottet oder geärgert; Einer der Wenigen, dem,
wie seiner Frau, man es auf den ersten Blick ansah, daß sie einst in
besseren Verhältnissen und größeren Bequemlichkeiten gelebt, während sie
sich doch alle Beide nie, auch über die größten Unannehmlichkeiten
nicht, weder über Kost noch Raum beklagten. Das besonders hatte ihnen
die Achtung dieses wunderlichen Zwitterdings von Thier und Mensch, des
Scheerenschleifers, gewonnen, und wenn dieses Herz überhaupt einer
solchen Regung fähig gewesen wäre, würde er den jungen Mann, der sich
mit seinem schmächtigen Körper jetzt gegen ein ziemlich dreihundert
Pfund schweres Porkfaß legte, und es mit triefender Stirn den Hang
hinaufarbeitete, bemitleidet, ja ihm vielleicht irgend eine Hülfe
angeboten haben, er hätte von vornherein überzeugt sein können daß sie
Eltrich nicht annahm. Maulbeere wollte etwas derartiges aber auch nicht
einmal riskiren, und nur nach einer Weile auf das Entschiedenste mit dem
Kopfe schüttelnd, drehte er sich um, hakte sein Tragband wieder ein, und
fuhr in seinem gewöhnlichen schwankenden Gang die Levée hinauf, der
Dampfbootlandung zu.

Über den freien, vor dieser Landung liegenden Platz, schritt ein Mann
mit einer Frau. Der Mann trug einen Jagdranzen über der Schulter, die
Frau ein, in ein rothes Tuch eingeknüpftes Bündel in der Hand, aber
den Kopf blos dabei, die Haare wirr und ungemacht, und nur mit einem
schwarzsammetnen Stirnband zusammengebunden, das vorn eine kleine
unächte emaillirte Broche trug. Ohrringe und Halskette waren von
demselben Metall, paßten aber wie das in grellbunten Farben prangende
seidene Tuch, das sie um den Hals trug, schlecht zu den bleichen Wangen,
den hohl liegenden stieren Augen, und die Leute die ihnen begegneten,
und nicht gerade zu viel mit sich selber zu thun hatten, noch auf irgend
etwas anderes zu achten, blieben stehn und schauten der wunderlichen, ja
fast unheimlichen Gestalt nach, die wankenden Ganges neben dem Mann
hinschritt, mit den Händen dabei focht, und einzelne unzusammenhängende
Worte ausstieß.

»Sei jetzt vernünftig Jule!« flüsterte ihr da der Mann, ihren Arm zu
gleicher Zeit fassend daß sie vor Schmerz einen leisen Schrei ausstieß,
zu -- »zum Donnerwetter noch einmal, alle Menschen, die uns begegnen,
stieren uns an, und halten Dich am Ende noch für verrückt. Laß doch zum
Teufel die Arme ruhig, was hast Du denn damit in einem fort in der Luft
herumzufahren? Wenn Du mir nicht unterwegs wieder vernünftig wirst, weiß
ich wahrhaftig gar nicht was ich mit Dir anfangen soll.«

»Unterwegs? -- ja -- das ist gut,« sagte die Frau, leise vor sich
hinlachend, »unterwegs -- wenn wir nur erst unterwegs wären -- ich sehne
mich danach.«

»Na dann geh auch ordentlich zu, und betrage Dich nicht so albern,«
brummte der Mann, »sieh' das Boot raucht schon, wir müssen machen daß
wir hinunter kommen.«

»Herr Gott!« rief die Frau da, plötzlich stehen bleibend, und sich mit
der linken Hand wild über die Stirn streichend, »wir haben -- wir haben
etwas zu Haus vergessen!«

»Vergessen?« sagte der Mann, sie fragend anschauend, »na was ist nun
wieder los -- die Brieftasche? -- nein die habe ich hier, und das Geld
ist auch da -- was hast Du denn vergessen?«

»Die _Kinder_,« flüsterte die Frau, und ergriff heftig seinen Arm, der
Mann aber schleuderte sie wild von sich; wie er jedoch sah daß mehr und
mehr Menschen auf sie aufmerksam wurden, und stehen blieben und ihnen
nachschauten, trat er rasch an die Frau wieder hinan, zog ihren linken
freien Arm in den seinen, und sie wie mit eisernem Griffe haltend und
mit sich fortziehend, zischte er ihr in's Ohr:

»Bist Du denn ganz des Teufels, sinnloses Weib, hier auf offenem
Platze den Unsinn auszuschreien? -- oder möchtest Du etwa mit den
Amerikanischen Zellengefängnissen Bekanntschaft machen? Komm -- halte
Dich fest an mich an und verlier Dein Bündel nicht; ein Glück daß die
Leute kein Deutsch verstehn.«

»Gehn wir denn hin wo sie sind?« frug die Frau rasch, immer noch an dem
einen Bild sich anklammernd.

»Mir wär's recht wenn Du's thätest,« rief der Mann in finsterem, kaum
zurückgehaltenem Groll, »ich habe das Gewinsele und Geklage satt --
begreife überhaupt nicht, wie ich es so lang ausgehalten, und geb' Dir
meinen Segen auf die Reise.«

»Und ich _dürfte_ zurück?« rief die Frau rasch und heftig bewegt zu ihm
aufschauend.

»Treib' keinen Unsinn,« knurrte der Mann, »Du wärst's am Ende im Stande,
ihnen gerade wieder in den Rachen zu laufen, und die Freude zu machen,
daß sie Dich eine halbe Lebenszeit in's Spinnhaus stecken könnten. --
Dort liegt unser Boot -- alle Wetter, da geht auch ein alter Bekannter;
noch von Bord her; kennst Du den, Jule?«

»Laß den widerlichen Menschen,« sagte die Frau, in sich zusammenschaudernd.

»Guten Tag Herr _Meier_!« rief in diesem Augenblick Maulbeere, der mit
seinem Karren gerade an ihnen vorüber fuhr und den Hut in spöttischer
Ehrerbietung tief gegen ihn schwenkte -- »bitte mich Ihrer Frau Gemahlin
auf das Gehorsamste zu empfehlen.«

Steffen, der seine rechte Hand in der Hosentasche stecken hatte, zog sie
heraus, griff an die Mütze und ging steif und finster an dem, ihm aus
mehr als einer Hinsicht verhaßten Scheerenschleifer vorüber.

»Ein nobeles Pärchen,« murmelte dieser aber vor sich hin, als er, ohne
sich nach den Beiden weiter umzusehn, an ihnen vorbei gefahren war, »ein
_sehr_ nobeles Pärchen, das muß wahr sein. Gäbe auch was drum wenn ich
wüßte was die einmal für ein Ende nehmen hier in Amerika -- jedenfalls
auf Staatsunkosten, oder müßte mich sehr irren.«

»Hallo Scheerenschleifer!« rief da eine laute fröhliche Stimme hinter
ihm her -- »halt da, hier ist Arbeit für Euch.«

Maulbeere hielt rasch still und sah sich nach dem Rufer um, der vorn auf
dem Bug desselben Bootes stand, das der Mann von der Haidschnucke mit
seiner Frau eben betreten hatte, und das an seinem Boilerdeck ein großes
Schild mit seinem Namen »_The backwoods queen_« und dem Bestimmungsort
_St. Louis_ trug.

»Ist denn heute die ganze Haidschnucke über die Landung hier
weggeschüttelt?« murmelte der Scheerenschleifer erstaunt zwischen den
Zähnen durch, als er wieder einen seiner Reisegefährten, ebenfalls als
Bootsmann gekleidet, gar nicht weit von sich entfernt stehen und winken
sah, »und blaue verdammt kurze Hemden scheinen ein ordentlicher
Modeartikel zu sein -- hm, hm, hm, Herr Donner als Matrose auch nicht
übel; Zachäus Maulbeere darf da, seinen größeren Fähigkeiten
entsprechend, wohl bald erwarten Capitain zu werden.«

»Nun Maulbeere wie gehn die Geschäfte?« rief ihm Georg Donner noch
einmal zu, und kam dann über die Laufplanke, seine beiden Daumen vorn in
dem breiten Ledergürtel, der seine Hüften umschloß, herüber an Land --
»Wetter noch einmal Mann, Ihr seht noch genau so aus wie an Bord, und
habt Euch nicht im mindesten amerikanisirt.«

»Hätte bald 'was gesagt« brummte Maulbeere, die Gestalt vor sich mit
einer eigenen Mischung von Spott und Humor betrachtend; »aber was thun
Sie hier eigentlich, und wie sehn Sie aus?«

Maulbeere hatte allerdings Ursache so zu fragen, denn mit Georg Donner
schien jedenfalls eine ganz eigenthümliche und große Veränderung
vorgegangen zu sein. Schon in seinem Äußeren war er ein anderer Mensch
geworden, der den dunklen Rock ab- und ein kurzes blaues Matrosenhemd
übergeworfen hatte, das in der Mitte von dem schon erwähnten Ledergürtel
zusammengehalten wurde. Die Beine staken in Hosen von demselben
einfachen Stoff, sein blaugestreiftes Hemd hielt ein schwarzseidenes in
einen Matrosenknoten geschlagenes Halstuch zusammen, und das dunkle
lockige Haar deckte eine blauwollene schottische Mütze, während an dem
Gürtel ein kurzes Matrosenmesser mit hölzernem Griff und in lederner
Scheide hing. Aber das nicht allein -- sein ganzes Wesen hatte das
ernste, träumerische verloren das ihm an Bord so eigen gewesen, und war
frei und entschlossen, ja fast keck geworden, ohne jedoch dadurch irgend
etwas von seiner offenen Ehrlichkeit verloren zu haben.

Er lachte, als er den schmutzigen verdrossenen Burschen, der ihm immer
in seinem ganzen Wesen viel Spaß gemacht, noch eben so sauertöpfisch,
bis in dasselbe Knopfloch hinauf eingeschnürt, und ohne die Spur von
irgend einer reinen Wäsche vor sich stehen sah, besserte aber dadurch
Maulbeeres Laune keinenfalls.

»Wie ich aussehe, mein würdiger Maulbeere?« lachte Donner, »wie ein Mann
der entschlossen ist seinen Weg in Amerika zu machen, und das Land zu
sehn und kennen zu lernen.«

»Um das Land kennen zu lernen gehn Sie auf's Wasser?« sagte der
Scheerenschleifer, seine Stirnhaut zu unzähligen Falten zusammenziehend
-- »auch nicht übel, und als was? -- Capitain, Steuermann, Koch,
Ingenieur?«

»Nichts von alle dem Kamerad« lachte der junge Mann, »zu so hohen Posten
kann man erst avanciren, wenn man von der Pike auf gedient hat; vorerst
mache ich eine Reise als Feuermann mit.«

»Als Heizer an Bord?« frug Maulbeere wirklich erstaunt.

»Als Heizer« bestätigte Donner lachend, »mit dreißig Dollar monatlichem
Gehalt, und frei Kost und Logis, Whiskey, Zucker, Kaffee und wie die
Vortheile alle heißen, die uns das wackere Boot bietet.«

»Sind Sie bei dieser Anstellung als _Lehrling_ oder gleich als _Geselle_
eingetreten?« frug Maulbeere, der sich noch immer nicht an dem Costüm
seines früheren Reisegefährten satt sehn konnte.

»Als Geselle, Herr Maulbeere, als Geselle, und Sie sollten einmal sehn
wie ich die Schürstange schwingen werde.«

»Kann ich mir lebhaft denken« betheuerte der Scheerenschleifer, sein
Gesicht in einen förmlichen Knoten zusammendrückend -- »kann ich mir
lebhaft denken -- ist auch eine recht passende Beschäftigung für einen
Pastors-Sohn.«

»Schadet Nichts Maulbeere« lachte aber der junge Mann, »nur ehrlich und
rechtschaffen gehandelt und sich sein Brod selber erarbeitet, auf das
Übrige kommts dann nicht an; ob ich einen Frack oder ein Schurzfell
trage, und _durch_ komm' ich, darauf können Sie sich verlassen, so lange
mir Gott meine Gesundheit und meine gesunden Glieder läßt. Übrigens
sind noch ein paar Bekannte von Ihnen hier an Bord« setzte er rasch
hinzu -- »Carl Berger, der Deserteur, und Herr Schultze aus Hannover.«

»_Auch_ Feuermann?« rief Maulbeere rasch und erstaunt.

»Der erste ja, der letzte nicht« lachte Georg Donner -- »sollte sich
nicht übel mit der Schürstange ausnehmen, und würde das Feuern wohl kaum
vierundzwanzig Stunden aushalten; er geht als Passagier, glaub' ich,
nach St. Louis.«

»Hm« brummte Maulbeere vor sich hin -- »alle Welt geht fort von hier;
wenn ich wüßte daß es im Lande besser wäre, schöb ich meinen Karren auch
an Bord.«

»Scheeren und Messer wird's überall zu schleifen geben« sagte Donner.

»Die Möglichkeit ist vorhanden daß ich mir in Zukunft meine eignen
Messer schleifen _lasse_« sagte Maulbeere.

»Oho?« rief Donner verwundert aus, »ja wenn Sie solche Pläne haben,
Freund Scheerenschleifer, dann ist doch wohl New-Orleans der beste
Platz, galopirende Speculationen rasch zur Ausführung zu bringen; ich
wüßte übrigens eine für Sie.«

»Eine Speculation? -- und die wäre?«

»Haben Sie die riesenhaften Ankündigungen von Stiefelwichse gesehn, die
überall in der Stadt an den Straßenecken kleben?«

»Allerdings -- wo sich der Neger vor dem Stulpenstiefel rasirt« feixte
Maulbeere, dem die Idee ungemein gefallen.

»Dieselbe!« lachte Donner, »wenn Sie Ihren Stiefeln im Stande sind halb
den Glanz zu geben den das Schultertheil Ihres Rockes hat, so ist Ihr
Glück gemacht.«

»Hören Sie einmal mein lieber Herr Donner« sagte aber jetzt Maulbeere
gereizt, und mit einem fast boshaften Lächeln in den entsetzlich
häßlichen Zügen -- »wenn Ihre Feuer nicht besser scheinen werden als Ihr
Witz, so glaub' ich, käm' ich eher mit meinem Schiebkarren nach St.
Louis hinauf, wie Sie mit Ihrem Dampfboot -- wer weiß ob mein blanker
Rock nicht noch länger hält als Ihr blaues Hemd, und Sie im nächsten
Winter nicht vielleicht Gott danken würden, einen so warmen Überzieher
zu haben.«

»Frieden, würdiger Greis, Frieden« lachte der junge Mann, »die Bemerkung
war keineswegs böse gemeint und sollte Sie nicht beleidigen -- im
Gegentheil hab' ich sogar eine Bitte an Sie, mir nämlich über ein paar
junge Leute von unserem Schiff Auskunft zu geben, die Sie gewiß nicht,
wenigstens trau' ich das Ihrem Scharfblick kaum zu -- aus den Augen
verloren haben.«

»Und die wären?« -- sagte Maulbeere immer noch mistrauisch den jungen
Burschen dabei betrachtend.

»Was ist aus dem Doktor Hückler geworden?« sagte dieser -- »ich habe ihn
nicht wieder gesehn, seit er an jenem ersten Landungsabend unser Schiff
verließ.«

»Wohnt jetzt in ---- _street_« sagte Maulbeere, »führt ein großes Schild
über der Thür _J. A. Hückler_, deutscher Doktor und Geburtshelfer«
schmunzelte Maulbeere -- »und rechts und links an dem Schild hat er sich
ein paar große schwarz-roth-goldene Kokarden malen lassen.«

Georg Donner lachte.

»Der wird sein Brod schon hier finden« sagte er achselzuckend, »wer
kann's ändern; vielleicht haben die Leute recht, die da behaupten, in
Amerika _wollten_ die Menschen betrogen sein.«

»_Vielleicht_ haben sie recht,« brummte Maulbeere vor sich hin -- »da
ist gar kein vielleicht dabei, und wer hier seine _Knochen_ einsetzt,
muß gewöhnlich die Haut mit in Kauf geben -- ich gedenke hier _Gerber_
zu werden -- aber nach wem wollten Sie noch fragen?«

»Haben Sie von Henkel und seiner Frau Nichts gehört?«

»Hm -- « sagte Maulbeere, sich mit der linken Hand die grauen
Kinnstoppeln streichend -- »gehört gerade nicht, aber gesehn.«

»Gesehn? -- was?«

»Nun wie sie von Bord ging« sagte Maulbeere.

»Die arme Frau -- ob sie sich wohl erholt hat -- «

»Wunderliche Geschichte das,« meinte Maulbeere.

»Ich glaube nicht daß die Krankheit von Bedeutung war« sagte Donner, die
Bemerkung darauf beziehend -- »Ruhe und nahrhafte Kost werden sie wohl
bald wieder hergestellt haben. Ich hätte sie gern einmal wieder besucht
und mich nach ihrem Befinden erkundigt, mochte sie aber doch auch nicht
stören -- wissen Sie nicht wo sie wohnen?«

»Wer? -- die Frau mit dem Mädchen?«

»Henkels -- «

»Möglich daß sie sich wieder zusammengefunden haben,« meinte Maulbeere
trocken -- »im Anfang waren sie auseinander.«

»Wie so?« frug Donner erstaunt.

»Nun die Madame ist in _ein_ Hotel gezogen, und der Herr in ein anderes«
meinte Maulbeere -- »waren lange genug zusammen an Bord, und Amerika ist
ein freies Land.«

»Unsinn« sagte der junge Mann lachend, »da haben Sie sich etwas aufbinden
lassen, Herr Maulbeere -- Henkel wird sich hüten und seine junge,
wunderhübsche Frau in ein anderes Hotel ziehen lassen -- ich möchte nur
wissen ob sie sich wieder vollkommen wohl fühlt.«

»Könnten Sie am Besten wissen, wenn Sie wären zu finden gewesen« sagte
Maulbeere trocken.

»Zu finden gewesen? -- was wollen Sie damit sagen?«

»Daß Sie das kleine Ding -- wie hieß das Mädchen doch, das in der Cajüte
die Kammerjungfer spielte? -- «

»Hedwig!« rief Donner schnell.

»Ja wohl, Hedwig, daß Sie die wie eine Stecknadel in der ganzem Stadt
gesucht und mich, den sie zufällig auf der Straße traf, auch nach Ihnen
gefragt hat.«

»Guter Gott, hätte ich nur eine Ahnung davon gehabt« rief Georg, »aber
was wollte sie von mir -- ärztliche Hülfe?«

»Nun was sonst? -- die Frau lag lebensgefährlich krank und sie hatten,
wie sie sagte, kein Vertrauen zu einem Amerikanischen Arzt; müßte mich
übrigens sehr irren, wenn nicht vielleicht ebenso wenig Geld wie
Vertrauen -- .«

»Eben so wenig Geld? -- Unsinn, ihr Vater ist Einer der reichsten Leute
in Heilingen und ihr Gatte Herr oder Erbe einer halben Million -- .«

»Ja -- ist recht schön, aber wie mir jetzt scheint, ist die halbe
Million noch nicht reif, und muß erst noch eine Weile hängen. Die junge
Mamsell habe ich indessen zu Herrn Doktor Hückler geschickt, der sein
Schild gerade an dem Tage aufgemacht; von dem wollte sie aber Nichts
wissen und ging traurig fort.«

»Und welches Hotel war das?« rief Georg rasch.

»Ja, das weiß ich nicht mehr« sagte Maulbeere.

Das scharfe Läuten der Bootsglocke von der _Backwoods queen_ unterbrach
ihre Unterhaltung.

»An Bord da Ihr Leute, an Bord! Höll' und Verdammniß, was steht Ihr da
draußen herum und habt Maulaffen feil. -- An Bord jeder Mutter Sohn von
Euch, wenn ich Euch nicht Beine machen soll -- .«

»Wenn ich nicht irre« sagte Maulbeere freundlich, »so ersucht sie der
Mann da drinnen doch gefälligst zum Kaffee hinein zu kommen, nicht
wahr?«

»Lieber Gott!« rief Georg, die spöttische Bemerkung ganz überhörend,
»daß ich jetzt hierher gebannt sein muß, und keine Zeit mehr übrig habe
sie aufzusuchen.«

»Würden in dem Costüm auch außerordentlich achtbar und vertrauenweckend
aussehn« bemerkte der Scheerenschleifer.

»Holla an Bord da -- Ihr, Dutchman dort drüben mit der schottischen
Mütze -- wie heißt der Bursche gleich -- heh, George, an Bord hier, hört
Ihr nicht, oder soll' ich Euch Beine machen?«

»Gleich, gleich!« rief der junge Mann ängstlich und ungeduldig mit dem
Fuße stampfend, »ich wollte meine acht Tage Lohn, die ich hier schon an
Bord gearbeitet habe, einbüßen, wenn ich nur zwei Stunden Raum jetzt
hätte die arme Dame zu suchen, und zu erfahren wie es ihr geht.«

»Haben drei Wochen Zeit gehabt und nicht daran gedacht« meinte Maulbeere
ruhig, »woher kommt jetzt auf einmal die Eile?«

»Wollen Sie mir einen Gefallen thun, lieber Maulbeere?«

»_Lieber_ Maulbeere« sagte der Scheerenschleifer still vor sich hin
lachend -- »_lieber_ Maulbeere, wie zärtlich das klingt -- und was
wär's?«

»Wollen Sie die Frauen auskundschaften?«

»Die Mamsell meinte, Madame Henkel hätte sich schon unendlich nach mir
gesehnt -- wenn die Sache nur nicht zu gefährlich ist.«

»Wollen Sie ihnen sagen, daß ich keine Ahnung gehabt hätte, sie
bedürften meiner Hülfe, in vierzehn Tagen aber spätestens kehre mein
Boot nach New-Orleans zurück und ich stünde dann ganz zu ihren Diensten,
ihre Adresse sollen sie mir unter meinem Namen auf die Post legen.«

»Ich soll doch sagen, daß Sie _Schiffsdoktor_ an Bord geworden wären?«
frug Maulbeere.

»Sagen Sie die _Wahrheit_,« rief Georg, »das ist immer das Beste; aber
adieu Maulbeere -- ich muß wahrhaftig fort.«

»Der Kaffee wird kalt« meinte dieser. --

»Sie ziehen die Planken schon ein!« rief der junge Mann, »leben Sie
wohl, und wenn ich Ihnen je wieder einen Dienst erweisen kann, zählen
Sie auf mich!«

»Werft das Tau da los!« rief ihm in diesem Augenblick die Stimme des
Steuermanns zu, der vorn auf dem Bug stand und das in den Strom Gehen
des Bootes leitete -- »das Tau da vorn in dem Ring an Land, wo der
Baboon von einem Menschen steht -- siehst Du nicht?«

Maulbeere, der mit dem Baboon gemeint war, verstand glücklicher Weise
nicht was der Mann auf Englisch rief, Georg aber warf das Springtau, an
dem der Vordertheil des Bootes noch an Land befestigt war, los, wieder
tönte die Glocke, die letzte Planke, auf der der junge Mann kaum Zeit
behielt an Bord zu laufen, wurde eingezogen, und Georg Donner winkte
noch einmal von Bord aus, dem am Ufer zurückbleibenden Maulbeere mit der
Hand, was dieser, sehr zum Ergötzen der übrigen Feuerleute und
Deckhands, mit einer sehr tiefen und ehrfurchtsvollen Verbeugung, bei
der er den alten Hut in der Luft schwenkte, erwiederte, dann aber seinen
Karren aufnehmend vor sich hinmurmelte:

»Lieber Maulbeere, ja wohl -- _lieber_ Maulbeere -- Angenehmen spielen
und Maulbeere soll Bote spielen -- bah -- werde ihm selber eine Adresse
auf die Post legen, die ihn freuen soll -- .« Und der Scheerenschleifer
fuhr, von dem Gedanken ergötzt, still vor sich hinschmunzelnd die Levée
entlang.




Capitel 5.

Literarische Bekanntschaften.


In New-Orleans, in der ---- Straße, an der untern Ecke des Marktes stand
ein schmales hohes, aus rothen, unbeworfenen Backsteinen errichtetes
Haus, das über seine ganze Breite hin ein mächtiges, weißlackirtes
Schild und auf diesem die Worte:

 _»Expedition der New-Orleans Biene«_

trug. An der Thüre unten war noch ein kleines deutsches Schild
angebracht, das die »Office« des »Editors« oder Redakteurs als eine
Treppe hoch liegend, und die Stunden von zehn bis zwölf Vormittags, wie
von drei bis fünf Uhr Nachmittags als die passendsten bezeichnete, ihn
zu sprechen.

Es war etwa halb vier Uhr Nachmittags Anfangs November jenes Jahres, als
ein junger Mann, sehr anständig gekleidet, in schwarzem Frack, dunklen
Beinkleidern und Handschuhen, seinen Hut vielleicht der Wärme wegen in
der Hand, das Haus erreichte, das kleine Schild unten durchlas, sein
Haar dabei etwas ordnete, und dann die ziemlich steile, noch ganz neue
Treppe langsam hinanstieg. Er trug ein fest eingeschlagenes Packet, das
möglicher Weise Manuscript enthielt, unter dem linken Arm, und klopfte
leise an die mit einem entsprechenden Schild bezeichnete Thür.

»_Walk in!_«[12]

»Habe ich das Vergnügen mit Herrn Doktor Rosengarten zu sprechen?«

»Bitte -- ich bin kein Doktor -- aber mein Name ist Rosengarten; mit wem
habe ich die Ehre?«

»Theobald -- Fridolin Theobald -- Lyrischer Dichter und Schriftsteller
im Allgemeinen, aus Deutschland« stellte sich unser Freund dem kleinen,
etwas schwärzlich aussehenden Manne selber vor, indem er ihm eine,
gewissenhaft an der Ecke eingedrückte Visitenkarte überreichte.

»Und womit kann ich Ihnen dienen?« sagte Herr Rosengarten, einen etwas
mistrauischen Blick nach dem Packet werfend, das jener unter dem Arme
trug -- »wohl erst ganz kürzlich von Deutschland gekommen, wenn man
fragen darf?«

»Seit etwa drei Wochen« sagte Herr Theobald, indem er anfing sein Packet
aus einem großen Bogen Makulatur herauszuwickeln, »und wollte mir nur
die Freiheit nehmen, Ihnen hier Einiges für Ihr sehr geschätztes Blatt
anzubieten.«

»Ah, Sie sind sehr freundlich« sagte Herr Rosengarten etwas verlegen,
indem er nach seiner Brille auf dem neben ihm stehenden Schreibtisch
herumfühlte, die gefundene aufsetzte und beide Hände dann, als ob er
nicht voreilig damit zu sein wünschte, in seine Rocktaschen schob.

»Ich habe hier zweierlei,« sagte Herr Theobald mit einer leichten
Verbeugung, »was Beides, wie ich kaum zweifle und wovon Sie sich auch
wohl bald überzeugen werden, nicht geringes Furore beim Publicum machen
wird. Ich will und möchte nicht gern unbescheiden sein, aber ich weiß,
daß der Erfolg nicht fehlen kann. Sie haben doch vollständige
Preßfreiheit hier in Amerika?«

»Vollständige« versicherte Herr Rosengarten, mit einem sehr
entschiedenen Kopfnicken.

»Ihre Constitution garantirt es Ihnen wenigstens -- .«

»Ah, und wir wissen es aufrecht zu erhalten« betheuerte Herr Rosengarten
»der Präsident in seinem Weißen Hause ist nicht sicher angegriffen und
seiner verborgensten Fehler wegen öffentlich an den Pranger gestellt zu
werden.«

»Schön -- sehr schön« rief Herr Theobald -- »Gott sei ewig gedankt, daß
ich endlich einmal diesen Engelsgruß, wenn ich mich so ausdrücken darf,
von geweihten Lippen aussprechen hören kann. -- Sie sind auch
Schriftsteller, nicht wahr? -- «

»Hm -- ja« sagte Herr Rosengarten mit einem bescheidenen Blick nach dem
breiten, halbgeöffneten Glasfenster, das ihn von der Druckerei trennte
-- »eigentlich Buchdrucker -- die Ausstattung unserer Sachen läßt Nichts
zu wünschen übrig, aber die leichten Sachen, die Leitartikel vorn im
Blatt, und die Angriffe auf die Gegenparthei, schreib ich gewöhnlich
selber.«

»Ihr Blatt ist rein demokratisch?«

»Diamant« sagte Herr Rosengarten, »das heißt« setzte er rasch hinzu --
»Sie werden mich wohl verstehn, was man damit sagen will -- Demokrat den
Grundsätzen, aber nicht immer den Principien nach.«

»Das verstehe ich allerdings _nicht_« sagte Theobald erstaunt.

»Nun ich meine« versicherte der Editor der New-Orleans Biene, »daß wir
grundsätzlich reine Demokraten sind, und die demokratischen Principien
auch in unserem Blatt, gerade im demokratischen Sinne aber auch die
allgemeinen Menschenrechte vertreten, zu denen die Whigs als unsere
Brüder eben so gut gehören, und solcher Art denn eine Verschmelzung der
beiden Partheien zu vermitteln suchen. Wissen Sie« fuhr er fort, als ihn
der Fremde immer noch nicht zu begreifen schien, »die Demokraten sind
gewöhnlich ungemein enthusiasmirt für ihre Sache, aber -- nur ein sehr
geringer Theil von ihnen befindet sich in hinlänglich günstigen
pecuniären Verhältnissen, nicht allein eine Zeitung zu lesen, sondern
auch zu halten und -- was die Hauptsache ist, auch zu bezahlen, während
die Whigs besonders zeitweise, auf höchst liberale Weise auch die
kleinste Vergünstigung anerkennen -- ich weiß nicht ob ich mich deutlich
genug ausgedrückt habe.«

»Ich muß allerdings gestehn, daß ich das noch nicht ganz vollkommen
begreife« sagte Herr Theobald.

»Es ist unser Princip, im ächt demokratischen Sinne« sagte Herr
Rosengarten, »_beiden_ Theilen _gerecht_ zu werden; wir stehen, um ihnen
gewissermaßen durch ein Beispiel unser Ziel anschaulich zu machen, in
Fechterstellung, bei zurückgeworfenem Körper mit dem linken Fuß auf der
Demokratie, mit dem rechten den Whiggismus nur allerdings leicht
berührend, nur danach fühlend, aber jeden Augenblick bereit uns im
Angriff momentan ganz darauf zu werfen, und dann nur wieder zum Schutz
auf den linken Fuß zurückzufallen.«

»Aber gegen _wen_ kämpfen Sie dann?« sagte Herr Theobald, wirklich
selber confus gemacht durch diese Erklärung, in sehr natürlicher Frage.

»Gegen Jeden der uns angreift,« sagte Herr Rosengarten schnell -- »die
Biene kann auch stechen, mein verehrter Herr« -- er warf einen raschen
Blick auf die vor ihm liegende Karte -- »mein verehrter Herr Theobald;
die Biene kann auch stechen, trotz ihrem Fleiß mit dem sie Wachs für
ihre Zellen, Honig für ihre Leser einträgt. Wir haben uns dabei mit den
besten Kräften Amerikas verbunden,« setzte er mit innigem Selbstgefühl
hinzu, »und wissen, daß wir dem Publikum etwas Gediegenes, Solides
bieten können.«

»Sie bringen aber, wie ich gesehen habe, außer der Politik auch
Erzählungen, Novellen und Lyrik« sagte Herr Theobald.

»Gewiß, oh sicher« betheuerte Herr Rosengarten, »nur durch
Mannichfaltigkeit kann sich ein Blatt in Amerika halten.«

»Und verschmähen dabei gewiß nicht Artikel, welche auf die Verbesserung
der Cultur, der Zustände hinarbeiten, und diese, wo sie unzweckmäßig
oder faul sind, rügen?«

»Gewiß nicht« sagte Herr Rosengarten rasch und erfreut, »wir suchen
sogar etwas darin, mit sämmtlichen Zuständen unzufrieden zu sein, und
indem wir Viel, _sehr_ viel verlangen, wenigstens _etwas_ dadurch zu
erreichen. Wenn sie Amerika näher kennen lernen, werden Sie uns ganz
recht geben.«

»Ich habe schon jetzt einige Erfahrungen gemacht« versicherte ihm Herr
Theobald, »die mich veranlassen Ihnen in mancher Hinsicht beizustimmen,
und die Zeit die ich in Amerika zubringe, nicht allein benutzt frische
Eindrücke zu sammeln und Beobachtungen und Vergleiche anzustellen,
sondern auch diese Beobachtungen und Resultate niederzuschreiben. Nun
muß ich Ihnen aufrichtig gestehen, daß ich bis jetzt der Tagespresse
nicht solche Macht zutraute, auf die öffentliche Meinung zu wirken,
indem ein Journal, ob es nun täglich oder wöchentlich erscheint, mit
der nächsten Nummer schon gewissermaßen bei Seite geschoben wird und
veraltet ist; der Buchhandel dagegen auf einer, von jedem anderen Lande
unerreichten Stufe steht, und die Exemplare populär gewordener, oder in
die Zeitumstände eingreifender Werke, in einer enormen Masse in das Volk
geworfen und verbreitet werden. Ich habe in diesen letzten Tagen deshalb
auch versucht meine Beobachtungen, in Verbindung mit einigen anderen
literarischen -- und wie ich mir schmeicheln will nicht ganz werthlosen
Artikeln, als Band vereinigt, hier bei einem der ziemlich zahlreich
vertretenen Buchhändler herauszugeben, aber eine solche grenzenlose
Apathie bei ihnen gefunden, daß ich wirklich erstaunt bin.«

»Sie haben es nicht drucken wollen?« sagte Herr Rosengarten, etwas derb
der Sache gleich auf den Grund gehend.

»Nun das will ich gerade nicht sagen,« parirte Theobald den Stoß auf
seine Eitelkeit, »aber sie machten mir so viele Umstände und
Schwierigkeiten, daß ich es in Widerwillen aufgab mit ihnen in irgend
eine Geschäftsverbindung zu treten. Die Sache selber aber ist zu
wichtig, im speciellen Fall für Louisiana, in seinem ganzen Umfang aber
auch für die Vereinigten Staaten von Amerika, sie aufzugeben, und ich
bin es als Schriftsteller der Welt schuldig dem Ungethüm, das seine
Fittige drohend über das wunderschöne Land breitet, wenn ich ihm nicht
gleich einen Stoß in's Herz versetzen kann, eine so gefährliche Wunde
als möglich beizubringen, damit es unter den nach und nach auf es
geführten Streichen endlich verblutet.«

»Und welches Ungeheuer meinen Sie?« frug Herr Rosengarten gespannt.

»Welches Ungeheuer? -- die Sclaverei!«

»Ja mein lieber Herr Theobald,« sagte da der kleine Redakteur, sich wie
verlegen die Hände reibend, und die Schultern hinaufziehend, »da sind
Sie allerdings gleich auf den wundesten Fleck gekommen.«

»Nicht wahr?« rief der Dichter erfreut.

»Ja wohl, ja wohl, aber -- «

»Aber?« --

»Das ist eine Geschichte,« setzte Herr Rosengarten hinzu, »an der wir
uns nicht die Finger verbrennen dürfen.«

»Die Finger verbrennen? -- ich verstehe Sie nicht -- haben Sie mir nicht
selbst gesagt daß Sie hier vollständig freie Presse -- «

»Ja, vom Staat aus,« unterbrach ihn der Redakteur, »aber was will ich
machen, wenn mir ein Haufen zügellosen Gesindels hier in meine Officin
bricht, meine Pressen zerstört, meine Buchstaben aus dem Fenster
wirft, und mich selber mishandelt oder gar todt schlägt?«

»Aber ich bitte Sie um Gotteswillen, so etwas kann doch in einem
gesetzlich organisirten Staat nicht vorkommen?«

»_Kann_ nicht vorkommen,« wiederholte Herr Rosengarten achselzuckend,
»_ist_ aber vorgekommen, und zwar schon diverse Male in den civilisirtesten
Staaten, in Philadelphia und New-York, in Cincinnati und hier selbst in
New-Orleans. Lassen Sie hier Jemanden leichtsinnig, oder ich möchte fast
sagen _wahnsinnig_ genug sein den Beinamen _Abolitionist_ zu verdienen,
und er wird finden daß es etwa denselben Erfolg hat, als ob man irgend
einem ausreißenden Köter das Wort »toller Hund« nachruft; wer irgend
etwas Werfbares in der Geschwindigkeit aufraffen kann, wirft es nach
ihm, und haben sie ihn dann todt geschlagen, geben sie sich vielleicht
die Mühe sich zu erkundigen ob er auch wirklich toll, oder was hier
dasselbe sagen will, ein Abolitionist gewesen.«

»Aber das können sie ja dann doch keine freie Presse nennen?« rief der
Dichter in Verzweiflung aus.

»Warum nicht?« sagte Herr Rosengarten achselzuckend, »wir dürfen über
Alles schimpfen was vorkommt. Lesen Sie die verschiedenen Zeitungen der
Gegenparthei bei einer Präsidentenwahl, und sein Sie versichert daß Sie
glauben würden der Candidat für diese erste Würde der Vereinigten
Staaten verdiene eher lebenslängliche Zuchthausstrafe, als den Ehrensitz
im weißen Hause zu Washington, so wird über ihn los gezogen. Alle unsere
Institutionen dürfen Sie angreifen, jede Magistratsperson nach
Herzenslust, natürlich vorausgesetzt daß Sie sich außer dem Bereich
einer Privat-Injurienklage halten, und Sie werden durch Niemanden darin
beschränkt werden.«

»Nur nicht die Sclaverei darf man bei ihrem Namen nennen?« rief Theobald
in gereizter Bitterkeit.

»Beileibe nicht,« sagte der Redakteur, »das ist der wunde Punkt der
südlichen Staaten, die recht gut wissen welchen Makel sie dadurch auf
sich haften haben, aber auch nicht Aufopferung genug besitzen ihn mit
einem Schlage von sich abzuschütteln, und nun ängstlich wachen daß
Niemand an die schon so oft berührte und allerdings etwas schadhaft
gewordene Geschichte stößt, sie nicht am Ende doch einmal über den
Haufen zu werfen. Aber lassen Sie das gut sein, damit werden Sie, nur
erst einmal ein halbes Jahr bei uns, schon noch vertrauter werden, und
dann wohl einsehn wie recht ich heute habe Ihnen das zu sagen. Für jetzt
zeigen Sie mir einmal was Sie sonst noch -- das heißt _nicht_ die
Sclavenfrage, selbst nicht im Gedicht berührend -- bei sich haben, und
wir wollen dann sehn was wir davon gebrauchen können. Ich weiß schon,
junge Schriftsteller wünschen ihre Sachen gern gedruckt zu haben, und
man muß sie darin unterstützen.«

»Sie sind unendlich freundlich, bester Herr Doktor, Herr Rosengarten
wollte ich sagen -- aber sollte es denn gar nicht möglich sein auf
irgend eine Weise gerade dieser Frage beizukommen?«

»Thun Sie mir den einzigen Gefallen und bleiben Sie mir mit allen
solchen Sachen vom Leibe,« rief aber der Redakteur ganz entschieden,
indem er seine Hand in Erwartung des Manuscripts dem jungen Mann
entgegenstreckte; »lassen Sie uns sehn was sie sonst haben, und Alles
was sich auf Sclaverei etc. bezieht schließen Sie, wenn Sie meinem Rath
folgen wollen, so lange Sie sich in irgend einem Sclavenstaat aufhalten,
in Ihren Koffer, oder noch besser, stecken es in das erste beste Kamin
das Sie erreichen können; da sind Sie sicher daß es Ihnen weiter keine
Unannehmlichkeiten über den Hals bringt. Also was haben wir denn hier?«
fuhr er, die überreichten Papiere durchblätternd, fort, »ein kleines
Bändchen Gedichte.«

  »Werden wir in des Lebens Wirren
  Manchmal fehlen, manchmal irren,
  Oder giebt unsres Sternes Sichtung
  Unserem Dasein andere Richtung,
  Blüht uns doch in des Herzens Tiefen,
  Wo die Gedanken ruhend schliefen,
  Neues Gebären, neues Entstehn --
  Neues Erwachen -- neues Vergehn!«

»Sehr brav -- vortrefflich -- wirklich neue Gedanken und ganz originell
ausgedrückt; hm -- da sind ja eine ganze Menge; auch an Amerika --

  »Ein Fels im Meere -- und doch so warm,
  Den Fremden, Bedrückten, politisch Todten
  Die helfende Hand und den starken Arm
  Gastfrei zu ehrlichem Schutz geboten,
  so entsteigst Du dem Meere, so liegst Du da,
  Gegrüßt und gesegnet -- Amerika!«

sehr brav, ganz vortrefflich -- ungemein viel Gefühl -- wird meinem
Blatt alle Ehre machen. -- Und das Andere?«

»Sind kleine Erzählungen, die mir in Deutschland die Censur gestrichen
-- Dorfgeschichten aus dem Jammerleben der Proletarier -- Hofgeschichten
aus vorzüglichen Quellen, überall mit den wirklichen Namen, für deren
Wahrheit ich Ihnen garantire.«

»Vortrefflich -- ganz vortrefflich -- etwas derartiges können wir
brauchen, apropos Herr Theobald -- wo logiren Sie denn eigentlich, daß
wir Ihnen ein Exemplar unserer Biene regelmäßig zusenden können?«

»Oh Sie sind zu freundlich,« sagte Herr Theobald, »ich habe die ersten
vierzehn Tage im »deutschen Vaterland« gewohnt, bin aber da so furchtbar
und auf so raffinirte Weise geprellt worden, daß ich, selbst mit
Aufopferung eines Theils meiner Wäsche, die mir abgeleugnet wurde,
auszog, und jetzt in einem anderen deutschen, etwas besseren Kosthaus,
bei Herrn Weiß, logire.«

»Ah ich weiß schon -- nicht weit vom unteren Markt; werde mir Ihre
Adresse notiren, und wenn ich Ihnen sonst mit etwas dienen kann, bin ich
mit Vergnügen dazu bereit.«

Herr Rosengarten war aufgestanden und Theobald fühlte daß der Redakteur
der Biene mehr zu thun hatte, als sich den halben Tag mit ihm zu
beschäftigen. Nichts destoweniger lag ihm noch eine schwere und
jedenfalls unangenehme, aber auch nicht zu umgehende Frage auf den
Lippen, die er lieber von der anderen Seite hätte angeregt gehabt. Da
das aber nicht geschah mußte er es selber thun.

»Und wie halten Sie es mit dem Honorar, wenn ich fragen darf, verehrter
Herr Rosengarten?« sagte er schüchtern.

»Mit dem Honorar?« wiederholte Herr Rosengarten ungemein überrascht.

»Für diese Sachen hier mein ich -- honoriren Sie Gedichte und Prosa in
_einem_ Verhältniß, oder machen Sie einen Unterschied darin?«

»Honoriren? -- ja so, Sie verlangen _Honorar_ für Ihr Manuscript?« sagte
Herr Rosengarten, allem Anschein nach ungemein überrascht.

»Ja mein bester Herr« bemerkte Theobald, sich verlegen lächelnd die
Hände reibend -- »wenn wir _kein_ Honorar bekämen, wovon sollten wir
Schriftsteller denn da eigentlich leben?«

»Ah? -- leben Sie wirklich _nur_ vom Schreiben?« frug der Redakteur mit
unverstellter Überraschung.

»Allerdings -- Sie doch auch.«

»Ich? -- doch nicht so ganz« bemerkte der Redakteur, wieder mit einem
Seitenblick auf die im Nebenzimmer befindliche Druckerei »ich habe auch
durch jene meine Beschäftigung und -- meinen Verdienst -- mit Schreiben
allein wird sich wohl kaum Jemand hier in Amerika ernähren und über
Wasser halten können.«

»Aber es giebt doch eine Menge Amerikanischer Schriftsteller und
Dichter. -- «

»Ja Amerikaner, die haben auch ein großes Publicum, aber wir Deutschen,
mein guter Herr Theobald, sind wiederan gerade nur auf die Deutschen
angewiesen, und wenn Sie _die_ erst einmal hier in Amerika näher kennen,
werden Sie mir vollkommen recht geben wenn ich Ihnen sage, daß man die
eigentlich gar nicht für deutsche Literatur in Anschlag bringen kann.
Die Englisch verstehn, oder sich wenigstens den Anschein geben wollen
als ob sie es verstünden, lesen kein Deutsch mehr, und buchstabiren sich
lieber ihre Englische Nachrichten sylbenweis zusammen, und die, die eben
erst angekommen sind und von Englisch noch gar keine Idee haben, lesen
auch gewöhnlich gar Nichts, oder kaufen sich noch weniger ein Buch oder
eine Zeitung.«

»Wer aber, um Gotteswillen hält da die deutschen Blätter?« frug Theobald
erstaunt.

»Ja lieber Herr Theobald« versicherte Herr Rosengarten »ich gebe Ihnen
mein Ehrenwort, daß mir das manchmal selber ein Räthsel ist.
Kaffeehäuser, selbst Amerikanische, halten allerdings dann und wann
deutsche Zeitungen, und die deutschen Kosthäuser _müssen_ sie haben;
einzelne gehen auch in das innere Land und nach den kleinen Städtchen am
Mississippi hinauf, die mit New-Orleans in lebhafter Verbindung stehn
und in denen Deutsche wohnen, wie Natchez, Vicksburg, Bayou-Sarah, St.
Franzisville, Baton-Rouge etc., der Hauptabsatz geschieht aber auf oft
räthselhafte, jedenfalls sehr geschickte Weise durch die Colporteurs
oder Zeitungsjungen, Individuen von zehn bis dreißig Jahren, die bei
unseren Blättern interessirt sind, d.h. gewisse Procente für jedes
Exemplar bekommen, das sie absetzen. Jemehr die also unterbringen, desto
größer ist ihr eigener Nutzen, und es ist mir gesagt -- selber darum
bekümmern thun wir uns natürlich nicht -- daß sie manchmal zu den
wunderlichsten Listen ihre Zuflucht nähmen, und sei es auch nur
halbjährige Abonnenten zu bekommen; das nächste Semester muß ihnen dann,
wenn ein Theil von diesen abfällt, andere bringen.«

»Nun ich will glauben« sagte Theobald, der auf Kohlen stand, »daß Sie
bei so unsicheren Einkünften nicht gerade im Stande sind ein, wenigstens
nach hiesigen Begriffen, sehr bedeutendes Honorar zu zahlen; wie viel
könnten Sie mir also versprechen, wenn ich mich zugleich dabei
verpflichtete, regelmäßiger Mitarbeiter der Biene zu werden. Meinen
Namen werden Sie sicher schon von Deutschland aus gelesen haben; ich
kann mit aller Bescheidenheit sagen, daß er dort einen guten Klang hat.«

»O gewiß Herr Theobald, gewiß« versicherte Herr Rosengarten, und fuhr
dann, in's Blaue hinein rathend, rasch fort: »Sie haben glaub' ich vor
ganz kurzer Zeit wieder ein paar Bände Novellen herausgegeben.«

»Allerdings.«

»Ich habe sie gesehn -- vortrefflich -- ganz vortrefflich -- doch -- so
leid es mir thut, aber -- ich bin in der That nicht im Stande Ihnen
irgend welches Honorar für Ihre literarischen Beiträge zuzusagen. Ja
wenn wir jetzt nur etwas bessere Zeiten hätten, aber die ältesten Leute
in New-Orleans erinnern sich wirklich nicht eine so gedrückte,
schwierige Stimmung in New-Orleans je erlebt zu haben. -- Wenn Sie
übrigens noch ein oder selbst zwei Exemplare der Biene wünschten -- ich
möchte gern Alles thun was in meinen Kräften steht Sie zufrieden zu
stellen. -- «

»Aber wo bekommen Sie Manuscript her Ihre Spalten zu füllen« rief
Theobald erstaunt aus, »wenn Sie kein Honorar dafür bezahlen -- Sie
können doch nicht Alles selber schreiben?«

»Um Gottes Willen -- nein!« rief Herr Rosengarten, »das wäre ich
allerdings nicht im Stande, schon des Zeitverlustes wegen; aber wir
helfen uns da vortrefflich mit, vor längerer Zeit in Europa gedruckten
Sachen. So hat mir im vorigen Frühjahr ein Freund von dort vier oder
fünf alte Jahrgänge der Didaskalia geschickt, in denen allerliebste
kleine Erzählungen und Gedichte stehn -- unsere Leser sind ordentlich
versessen darauf. Die drucken wir so eine nach der anderen ab, und
füllen damit aus, was die politischen Nachrichten der Grenzboten, der
Kölnischen Allgemeinen und Weserzeitung, die wir nun leider einmal
halten müssen, an Raum gelassen haben.«

»Aber bester Herr Rosengarten!« rief Theobald, der bei so bewandten
Umständen doch einsah daß er hier auf keine Einnahme rechnen konnte, und
in einer Art von Verzweiflung sich das letzte Bret unter den Füßen
fortgehen fühlte -- »Sie nehmen mir das nicht übel, aber das ist ja doch
eigentlich, nach unseren deutschen Begriffen wenigstens, ein reines
Plünderungssystem, das Sie hier befolgen, ein reiner Nachdruck, eine
mechanische Vervielfältigung schon vorhandener Sachen, worauf Sie ja von
den respectiven Zeitungen verklagt werden könnten.«

»Hier in Amerika? nein« lächelte Herr Rosengarten gutmüthig »das nicht
-- nicht einmal _verklagt_, einen ungünstigen Ausfall eines solchen
Processes ganz abgerechnet, denn für deutsches literarisches Eigenthum
besteht hier nicht der geringste Schutz, und kein Amerikanischer
Gerichtshof würde selbst nur eine solche Klage annehmen.«

»Das ist allerdings eine Freiheit« flüsterte Theobald, »auf die ich
nicht ganz vorbereitet war; aber -- nicht wahr es ist _noch_ eine
deutsche Zeitung in New-Orleans.«

»Allerdings« sagte Herr Rosengarten mit einem eigenen Lächeln, das
allerlei bedeuten konnte -- »allerdings existirt hier noch ein Blatt das
mit deutschem Druck herauskommt, nach einem nur oberflächlichen
Vergleich würden Sie aber bald finden, daß es sich mit der _Biene_ nicht
messen kann.«

»Und seine Expedition? -- können Sie mir die vielleicht angeben?«

»O warum nicht« sagte Rosengarten, nach dieser Bemerkung jedenfalls
fest entschlossen das Gespräch sobald als möglich abzubrechen -- »Sie
können nicht fehlen -- Ecke von Fulton und Renaissance-Straße -- großes
Schild über der Thür wie für eine Wirthschaft -- hier Ihr Manuscript
Herr Theobald -- war mir ungemein angenehm Ihre werthe Bekanntschaft
gemacht zu haben.«

Theobald drückte sein Manuscript unter den Arm, machte eine stumme
Verbeugung, und befand sich wenige Augenblicke später wieder vor der
Thür der Officin auf der Straße. Diese sah er eben unschlüssig hinauf
und hinunter, welchen Weg er von hier aus einzuschlagen hätte, als ein
Fremder, in einem blauen Überrock, und mit einer eben solchen Tuchmütze
auf, mit einem vollen, aber etwas krankhaften fleckigen Bart, die Straße
herunterkommend an ihm vorbeiging, stehn blieb, ihn ansah, und dann
wieder zurück und auf ihn zukam.

»Sie sind ein Deutscher« redete er den jungen Mann, der ihn etwas
verblüfft betrachtete, an, »nicht wahr ich habe recht?«

»Allerdings bin ich ein Deutscher.«

»Und eben erst angekommen?«

»Wenigstens erst vor einigen Wochen.«

»Bleibt sich gleich, ist dasselbe« lachte der Fremde -- »ich bin der
Advocat Heindel, jetzt etwa drei Viertel Jahr hier, und eben im Begriff
wieder zurück nach Deutschland zu gehn -- und Sie? -- «

»Theobald ist mein Name.«

»Und Beschäftigung? -- Schullehrer?«

»Literat« sagte Herr Theobald. --

»Ah so -- brodlose Kunst hier, lieber Herr« bemerkte ziemlich ungenirt,
Herr Heindel »na werden das auch noch selber hier ausfinden; waren wohl
gar da oben um Manuscript zu verkaufen?«

»Ich? -- o nein« sagte Theobald, und fühlte daß er bis weit hinter die
Ohren roth wurde. Herr Handel sah das aber nicht; er hatte beim ersten
Begegnen zwar zu seiner neuen Bekanntschaft aufgeschaut, war dann aber
an dessen Blick immer wieder wie scheu heruntergefahren, und ließ den
eigenen bald auf Theobalds Westenknöpfen, bald auf dessen Halstuchschleife
oder Hemdkragen haften, was bei diesem aber auch zuletzt ein unangenehmes,
fast nervöses Gefühl erzeugte, und ihn selber wünschen ließ einen Blick
auf die so scharf aufs Korn genommenen Gegenstände zu thun, ob der
Fremde irgend etwas außergewöhnliches --Fleck oder Riß daran entdecke.

Herr Heindel hatte übrigens andere Sachen im Kopf, als Herrn Theobalds
Vatermörder oder Westenknöpfe, und nur einen derselben, nach dem der
junge Mann rasch hinunterschielte, fassend und festhaltend, sagte er,
indem er die Augenbrauen in die Höhe zog und bedenklich mit dem Kopfe
nickte:

»Würde Ihnen auch wenig helfen, verehrter Herr, würde Ihnen verdammt
wenig helfen -- ich habe selber darin verwünscht bittere Erfahrungen
gemacht. Ja stehlen -- stehlen thun sie; diese nichtswürdigen Hallunken
von Zeitungsredakteuren, wo sie die Hand an irgend etwas Gedrucktes
legen können, aber Manuscript _bezahlen_, irgend etwas selbstständig
Vernünftiges mit baarem Gelde _kaufen_? -- Gott bewahre!«

»Es sind das eigenthümliche Verhältnisse« stammelte Theobald, der nicht
mit Unrecht um seinen Westenknopf besorgt war, und mit Schrecken daran
dachte daß er hier in Amerika nicht einmal wieder einen passenden zu dem
ausgesucht schönen halben Dutzend bekommen würde. Aber trotzdem hatte er
nicht den Muth sich von der arbeitenden Hand des wunderlichen Fremden zu
befreien, der ihm wieder unverwandt auf den Rockkragen sah -- er _mußte_
da irgend einen Fettfleck, oder wenigstens eine Spinne sitzen haben.

»Eigenthümliche Verhältnisse?« rief aber Herr Heindel entrüstet, und
stieg mit seinen Augen bis zu Theobalds Halsbinde auf -- »Spitzbübereien
sind's, nichtswürdige erbärmliche Gaunereien, unter denen ordentliche,
anständige Menschen aus ihrer Heimath fort nach dem vermaledeiten
Amerika gelockt werden, bis sie hier sind, in der Falle drin sitzen und
nicht wieder hinaus können. Hol der Teufel das ganze Amerika, so viel
sag ich, und alle die Canaillen dazu, die dicke Bücher zu dessen Lobe
schreiben -- ich wünsche ihnen weiter Nichts als daß sie wieder herüber
müßten.«

»Aber sollte es denn wirklich so schlecht hier sein?«

»Schlecht? -- erbärmlich, hundsföttisch sag ich Ihnen« rief der Mann,
ganz eifrig über das Thema werdend, »arbeiten, immer nur arbeiten ist
die Losung, und zwar arbeiten mit den Fäusten, als ob alle Menschen als
geborene Holzhacker auf die Welt gekommen wären -- Kopfarbeit wird hier
gar nicht gerechnet, Gott bewahre, und die Deutschen hier, sind nun gar
die erbärmlichste Nation die sich ein Mensch auf der Welt denken kann.
Glauben Sie daß das Volk in irgend einer Proceßsache einen _deutschen_
Advocaten anstellt, so lange sie einen Amerikanischen Lumpen bekommen
können? -- Gott bewahre, nicht d'ran zu denken, und dabei quälen sie
sich mit ihrem nichtswürdigen Englisch ab, radebrechen, daß man glaubt
die Kinnladen gehen ihnen dabei entzwei, und lassen sich nachher
anschmieren nach Noten.«

»Ja, das hab' ich auch gehört« seufzte Theobald, durch seine bisherigen
regelmäßig verunglückten Versuche seine Manuscripte in Geld zu verwandeln,
doch nach und nach ängstlich gemacht, »daß man unvernünftig arbeiten
müsse um hier ehrlich in Amerika durchzukommen.«

»Ja und _was_ für Arbeit« rief Herr Heindel, »draußen im Wald Büsche
ausroden und Bäume umschlagen, an denen ein einzelner unverheiratheter
Mann eine halbe Woche hacken kann, und hier in der Stadt Straßen fegen,
hinter der Bar stehn und Schnaps ausschenken, Zeitungen herumtragen,
Zettel ankleben, bei irgend einem schmierigen Handwerker als Handlanger
in Dienst gehn, oder gar unten an der Levée Fracht mit helfen aus- und
einladen, Porkfässer heraufrollen und Kaffee- und Reissäcke wieder
hinunterschleppen bei 32 Grad Hitze; das sind so die verschiedenen
Beschäftigungen, denen die Holzköpfe den Namen _ehrliche Arbeit_ geben.
Arbeit schändet nicht sagen sie dabei; das dank' ihnen der Teufel; auch
noch schänden -- wenn sie nicht schändet ruinirt sie aber die Knochen,
und unter _Arbeit_ verstehen gebildete Leute nicht bloß mit der Mistgabel
und der Schaufel wirthschaften, sondern eher noch sein Gehirn zum
Besten der Menschheit anstrengen, und für das Volk, jenes tollpatschige
Ungeheuer das nun einmal seine halbe Lebenszeit an den Tatzen leckt, zu
denken, zu überlegen. Glauben Sie daß neulich so ein erbärmlicher Schuft
von Amerikanischem Advocaten, dem ich ein Compagniegeschäft anbot und
ihm meine deutsche Praxis dafür einzubringen versprach -- _ich_ habe sie
_auch_ bis jetzt nur erst versprochen bekommen -- mir die Compagnieschaft
vor der Nase abschlug, aber die Frechheit hatte mir eine _quasi_
Schreiberstelle bei sich anzutragen?«

»Es ist doch kaum denkbar« sagte Theobald, dessen Gedanken übrigens
mehr bei seinem bedrohten Knopfe, als bei der dem deutschen Advocaten
gemachten schändlichen Zumuthung geweilt hatten.

»Allerdings« rief Herr Heindel -- »aber« fuhr er dann in allem Eifer und
jetzt jedenfalls auf seinem Steckenpferde reitend fort -- »was ist denn
auch Amerika für ein Land, _für_ wen ist es und zu was? für unsere
tölpischen Bauerjungen von daheim, die sich nicht anders glücklich
fühlen, als wenn sie mit aufgestreiften Ärmeln den ganzen Tag in
Schmutz und Arbeit wühlen können, und es nicht besser haben wollen und
dürfen. Wenn _die_ Canaillen nur ein oder zwei Mal Fleisch den Tag und
keine Schläge kriegen, sind sie oben auf, und lassen sich mit Vergnügen
politisch knechten und unter die Füße treten. Das Gesindel ist zu
_Allem_ zu gebrauchen, und glauben Sie daß da _ein_ Deutsches oder
Amerikanisches Blatt ein Einsehn hätte, und ein paar hundert Dollar
daran wenden möchte dieses Volk einmal aufzuklären über ihre Pflichten
als Staatsbürger, wenn sie nun doch einmal in einer solchen leidigen
Republik leben wollen und müssen? fällt ihnen nicht ein -- besser wissen
wollen sie, was man ihnen sagen könnte -- besser wissen und gescheuter
sein wie Leute, die ihre Lebenszeit darauf verwandt haben ein
staatliches Leben zu übersehen und in die Speichen mit kundiger Hand
einzugreifen. Arbeiten -- arbeiten -- es thäte bei Gott Noth daß man
sich noch zwischen den Irländern als Straßenkehrer anstellen ließe, und
mit dem Besen in der Hand umherliefe, sein »tägliches Brod« auf
den Trottoirs zusammenzukehren. Na lassen Sie mich nur erst wieder
einmal nach Deutschland zurückkommen, _das_ Amerika werde ich ihnen
anstreichen; eine Lebenszeit verwende ich darauf es schlecht zu machen.
Aber kommen Sie Freund« brach er plötzlich kurz ab, und faßte Theobald
unter den Arm, »wir wollen uns nicht über diese Amerikanischen
Jämmerlichkeiten und Lumpereien unnützer und thörichter Weise ärgern;
ändern können wir's doch nicht, und bessern wollen sich die Lumpe ja
nicht lassen. So gehn Sie da drüben mit in das Kaffeehaus hinein, daß
wir ein Glas auf bessere Bekanntschaft und bessere Zeiten trinken.«

Theobald hatte Nichts dagegen; er bedurfte selber einer kleinen
Aufregung, der niederschlagenden Erfahrung von heute Morgen etwas
entgegenzuarbeiten, und Herr Heindel bestellte zu dem Zweck, gleich wie
sie den Saal des sogenannten Cafés, wo aber fast nur Spirituosen feil
gehalten wurden, betraten, eine Flasche Champagner.

Es war Theobald, der darin viel Ehrgefühl besaß, unangenehm, sich von
einem so gänzlich fremden Mann gleich an Champagner traktiren zu lassen;
gleichwohl hatte er so viel schon von Amerikanischem Leben gesehn daß er
wußte, es wäre eine Unhöflichkeit gewesen mit Jemand mit dem man, von
ihm aufgefordert, ein Schenkhaus betreten hat, nicht zu trinken. Ebenso
bezahlt auch stets der, der die Getränke fordert, für sich oder für so
viele wie mit ihm trinken. Das Einzige was ihm zu thun übrig blieb war,
sich bei einem nächsten Begegnen zu revangiren -- aber auch hierbei
genirte ihn der Champagner.

An der Sache ließ sich aber für jetzt Nichts mehr ändern; die Flasche
war gebracht und mußte getrunken werden, und Theobald, selbst in einiger
Aufregung über das was er bis jetzt von Amerikanischem Leben, von seinem
Standpunkt aus betrachtet, gesehn, goß mit einem gewissen Wohlbehagen
ein Glas nach dem anderen des feurigen Tranks hinunter.

Sein neuer Bekannter machte sich selber indessen ein Vergnügen, und zog
über die Vereinigten Staaten los, von denen er dem armen jungen Dichter
ein Bild entwarf, daß diesem angst und bang zu Muthe wurde. Seiner
Beschreibung nach, und er behauptete das Land durch und durch zu kennen,
bestand die eine Hälfte der Bewohner aus Räubern, und die andere aus
Spitzbuben, die nicht allein wie die Mosquitos gemeinschaftlich über die
armen Einwanderer herfielen, und sie aussögen so lange sie noch einen
Blutstropfen in sich trügen, sondern auch, wenn sie mit denen fertig
wären, einander selber angriffen und auffräßen. Gesetze gab es dabei gar
nicht, die Geschworenen Gerichte waren nur zum Schein da, und die, die
ihnen in die Fäuste liefen, gleich von vorn herein verloren -- das
deutsche Gerichtsverfahren war Gold gegen diesen Auswurf der Menschheit.
Bestechlichkeit herrschte dabei bis zum äußersten, wobei er selber als
glänzendes, mit Füßen getretenes Beispiel da stand, indem er nur aus dem
einzigen Grund keine brillante und seinen Fähigkeiten angemessene
Stellung erlangt, weil er es verschmäht, für unter seiner Würde gehalten,
einen einzigen Dollar zu einem solchen Zwecke auszugeben. Und selbst die
Bauern waren übel dran, trotz den lügenhaften Berichten, die Amerika
freundliche, das heißt demokratische, rothrepublikanische Zeitungen
in Deutschland darüber ausstreuten. Wenn die »Schaafsköpfe« hätten in
Deutschland so arbeiten wollen, wie sie hier arbeiten _mußten_, so würden
sie es -- seiner Meinung nach -- auch zu 'was gebracht haben, aber
jetzt, da sie gezwungen wären die faulen Knochen zu regen, nur um nicht
zu verhungern, thäten sie auf einmal als ob ihnen der Staar gestochen
wäre, und sie nun das gelobte Land gefunden hätten --Brummköpfe die es
wären, wenn sie die Lüneburger Haide oder sonst einen noch brach
liegenden anständigen Fleck in Deutschland so in Angriff nähmen, könnten
sie sich auch Farmen darauf gründen und dann, statt hier vogelfrei zu
sein, unter glücklichen Gesetzen, unter einer väterlich für sie
sorgenden Regierung darauf leben.

Herr Dr. Heindel hatte sich so in Gift und Bitterkeit hineingesprochen,
daß er sich den Rest der Flasche in sein Glas stülpte, und dieses auf
einen Zug leerte, dann aufstand und seinen Hut ergreifend in die Tasche
fühlte die Flasche zu bezahlen, wegen der sich ihm der _barkeeper_ schon
freundlich genähert hatte.

»Ja mein junger Freund,« sagte er dabei, an Theobald wieder hinuntersehend
bis sein Blick an dessen Knieen haftete und diesen ebenfalls dort
hinunterschielen machte -- »ja mein junger Freund, nehmen Sie sich
besonders vor diesen verwünschten Amerikanern in Acht, und wenn Sie es
irgend können, wenn es Ihnen Ihre Mittel nur halbwege erlauben, so
schiffen Sie sich wieder so rasch Sie können nach Deutschland ein;
lieber trockene Brodrinde dort, mit vaterländischem Quell- oder
Brunnenwasser, als Champagner hier, in diesem Gottvergessenen Lande
--Donnerwetter,« unterbrach er sich dabei in alle seine Taschen fühlend,
»jetzt habe ich mein Portemonnaie zu Hause auf meinem Schreibtisch
liegen lassen -- ei das ist mir doch ungemein fatal -- ah lieber Freund,
bitte legen Sie diese Flasche doch einmal bis heute Nachmittag für mich
aus; -- Sie logiren?« --

»Im Weißeschen Kosthaus,« sagte dieser etwas überrascht und verlegen.

»Sehr schön -- ich kenne das Weißesche Kosthaus, da sind wir ja halbe
Nachbarn -- wohne kaum drei Thüren von Ihnen entfernt; desto besser --
und nun was ich Ihnen noch sagen wollte« -- er hatte wieder denselben
schon vorher in Beschlag genommenen Westenknopf gefaßt -- »stecken Sie
Ihr Manuscript in den Ofen -- «

»Aber mein bester Herr Doktor -- «

»Stecken Sie Ihr Manuscript in den Ofen,« rief aber Herr Dr. Heindel
in einiger Aufregung, »die Lumpe hier sind nicht werth daß sie einen
ordentlichen deutschen Originalaufsatz bekommen -- hol sie der Böse --
sie glauben daß sie einem Schriftsteller noch einen Gefallen thun, wenn
sie ihre Setzer nur nach einem Manuscript arbeiten lassen, da diese
gewohnt sind fast nur schon Gedrucktes zu setzen. Und dann schiffen Sie
sich ein -- schiffen Sie sich ein so rasch Sie können« -- er war mit
seinen Augen wieder bis zur Weste in die Höhe gefahren. -- »Amerika ist
ein vortreffliches Land für Taback und Baumwolle, für Mosquitos und
Alligatoren, für Räuber und Diebe; aber für einen gebildeten Mann, für
Jemand, der weiß was er sich und seiner Nationalehre als deutscher
Bürger schuldig ist, paßt Amerika gerade so gut, wie -- wie der Knopf
hier,« setzte er hinzu, als er das unglückliche Stück Perlmutter endlich
wirklich abgedreht hatte, »zu dem Kehrichthaufen da« -- und mit den
Worten schleuderte er, ehe Theobald danach greifen konnte, oder in der
That eine Ahnung hatte was der exaltirte Mensch damit anfangen wollte,
den besagten Knopf wirklich auf einen, unfern der Thür liegenden
Kehrichthaufen in der Straße; dann aber Theobalds Hand rasch ergreifend
und freundlich schüttelnd rief er ihm noch zu: »Guten Morgen lieber
Freund -- guten Morgen -- ich komme heut' Nachmittag hinüber zu Ihnen,
die Kleinigkeit mit Ihnen abzumachen,« und verschwand gleich darauf um
die nächste Ecke.

»Aber mein Knopf,« rief Herr Theobald, und wollte auf den Kehrichthaufen
zueilen, sein Eigenthum wiederzusuchen, als ihm der Kellner den Weg
vertrat und freundlich sagte:

»Nicht wahr, _Sie_ bezahlen die Flasche?«

Theobald hatte eine unbestimmte Idee, was der junge Mann in Hemdsärmeln,
mit der Englischen Anrede meinte, nickte deshalb, in aller Verlegenheit
mit dem Kopfe und sagte _Yes_ und mußte endlich wirklich die zwei und
einen halben Dollar für den Champagner »auslegen« wie sein neuer, etwas
zweideutiger Freund gemeint hatte.

Als er das, wenn auch nicht zu seiner eigenen, doch zur Zufriedenheit
des _barkeepers_ abgemacht, ging er hinaus vor die Thür, nach seinem
Knopf zu sehn, hatte aber kaum eine halbe Minute auf der Erde da
herumgesucht, als sich schon sechs oder acht Menschen um ihn sammelten
und ebenfalls, in Erwartung irgend eines bedeutenden Fundes,
umhersuchten. Alle Vorübergehenden blieben jetzt stehn und drängten
herbei, und Theobald, wenn er nicht einen Straßenauflauf veranlassen
wollte, mußte sich rasch zurückziehn und den Knopf -- das halbe Dutzend
war schändlich verdorben -- seinem Schicksal überlassen.




Capitel 6.

Der Feuermann.


Es war Nacht, und die »Backwoods-Queen« schnaubte den Strom hinauf. Das
Boot hatte vor kurzer Zeit die nördliche Grenzlinie Louisianas hinter
sich gelassen, und auf dem linken Stromufer, im Staat Mississippi Holz
eingenommen. Es mochte elf Uhr vorbei sein, und die Feuerleute und
Deckhands der »Hundewache« (von 12-4), die aus ihrem kurzen Schlaf
aufgestört worden die Feuerung mit an Bord zu tragen, mochten sich,
der halben Stunde wegen, nicht wieder niederlegen, und saßen und lagen
jetzt bunt gruppirt vor den Kesseln auf dort nachlässig hingeworfenem
Klafterholz, dem letzt an Bord gekommenen, das hier nur so ohne
Ordnung hingeschüttet worden, gleich mit verfeuert zu werden. Vor den
Kesseln, unter denen die mächtigen Thüren geschlossen waren und die
langen Scheite, über diesen, durch kleine dazu angebrachte Klappen
hineingeschoben wurden, standen die Feuerleute, die ihre Wacht von
acht bis zwölf hatten, mit den unten rothheißen Schürstangen in den
rußgeschwärzten Händen, und wühlten die flammenden Scheite durch- und
ineinander, daß sie wieder Raum bekamen frische oben hineinzuwerfen, als
Nahrung für die Gluth.

Mitten zwischen der Gruppe stand eine riesige blecherne Kanne, die wohl
einen halben Eimer Kaffee fassen mochte, daneben eine bauchige Kruke mit
Whiskey gefüllt, und Einer der Leute kam eben vom Bug vorn, wo ein halb
Dutzend gewaltige Zuckerfässer, die nicht mehr in den Raum gingen, frei
auf Deck lagen, und brachte eine große Blechschaale voll Zucker herbei,
die er mit einem gespaltenen Schilfstück aus den großen, der frischen
Luft wegen darin angebrachten Bohrlöchern der Fässer herausgepurrt
hatte.

Es war dieß ein vielleicht dreiundzwanzig Jahr alter wunderhübscher
junger Bursche, mit einem leichten dunklen Schnurrbart auf der
Oberlippe, und langem wie seidenem, fast mädchenhaftem Haar; auch das
Gesicht, wo es Rußflecke nicht bedeckten, war zart und weiß, und die
langen Wimpern schatteten ein paar dunkle, aber keck und entschlossen
umherblitzende Augen, die jetzt besonders von einem eigenen lebendigen
Feuer leuchteten.

»Hallo Wolf, was bringen Sie?« rief ihm Georg Donner lachend entgegen --
»hat's Brei geregnet draußen?«

»Brei nicht,« lachte der junge Mann, »aber Zucker! Wetter noch einmal,
wir werden doch diese Unmasse guten Stoffes nicht den Mississippi
hinaufführen, ohne wenigstens so viel Zoll davon zu erheben, als wir in
unseren Whiskey brauchen; kommen Sie her Donner, nehmen Sie eine von den
kleinen Blechschaalen dort, ich will uns einmal einen richtigen
Feuermannstrank zusammenbrauen.«

»Bei Golly,« lachte Einer der andern Feuerleute, ein Neger, der mit zwei
andern Landsleuten oder wenigtens doch gleichfarbigen Kameraden, an der
Larbordseite des Bootes, das sechs Feuerleute auf Wache hatte, heitzte,
»was die Bukras[13] da für Zeug zusammenschwatzen, keine Kuh wird d'raus
klug.«

»Aber was der da ineinander gießt werden wir schon verstehn,« schmunzelte
der Andere. -- »Oh Jimminy das riecht gut.«

Der junge Deutsche hatte indessen die gereichte Schaale halb voll
Whiskey gefüllt, dann Kaffee dazu gegossen, fast so viel als das Gefäß
halten wollte, und warf nun, mit dem gespaltenen Rohr, mit dem er auch
die Mischung ordentlich umrührte, Zucker hinein, es süß zu machen.

»So,« sagte er, als er es erst langsam gekostet, und dann einen
tüchtigen Zug gethan, »das wird gut sein -- brennt wie Feuer und treibt
die Hitze hier von den Kesseln wieder hinaus aus dem Körper. So lange
wir das haben, brauchen wir nicht zu fürchten krank zu werden.«

»Ist doch ein wunderliches Leben hier an Bord,« sagte Georg, der
ebenfalls einen tüchtigen Zug that, und zurück zu den Kesseln trat, die
Scheite, die nur wenige Minuten ruhen dürfen, wieder frisch aufzuschüren,
»großer Gott, wenn man bedenkt wie wir von zu Hause gewohnt waren zu
existiren, und jetzt dieß Dasein damit vergleicht -- und darum nach
Amerika;« setzte er langsam mit dem Kopf schüttelnd hinzu.

»Geht es mir besser?« lachte Wolf, der mit Georg Donner, drei Negern
und einem Irländer ein und dieselbe Wacht hatte, während Carl Berger
ebenfalls mit drei Negern, einem Amerikaner und einem Franzosen feuerte
-- (die dritte Wacht, die erst um vier an die Reihe kam, war gleich nach
dem Holztragen wieder zu Coye gegangen) »geht es mir etwa besser? --
wenn Sie meine Geschichte kennten, Georg, würden Sie mehr als einmal den
Kopf schütteln über den Wahnsinn, der mich, z.B. hierher über das Meer
getrieben.«

»Lieber Gott, es wird die Geschichte von Tausenden von uns sein« sagte
Georg -- »sehn Sie dort den jungen Burschen an, der sich da kaum auf die
Scheite geworfen hat, und schon wieder so sanft und süß eingeschlafen
ist, als ob er im weichsten Bette läge; das ist ein deutscher Deserteur,
den die Soldaten noch wieder vom Schiff holen wollten, und den der
Untersteuermann, wir wissen selbst nicht wie, auf so geschickte Weise
versteckt hatte, daß ihn die Policey nicht finden konnte, und ihn aufgeben
mußte. Jetzt arbeitet er sich nun tüchtig in's Leben hinein und wer
weiß, ob er nicht in einigen Jahren, anstatt die Muskete in Deutschland
herumzuschleppen, hier seinen eignen Heerd gegründet hat. Ich selbst --
wer hat es mir an der Wiege gesungen, daß ich einmal hier auf dem
Mississippi, nachdem ich in Deutschland studirt, die Kessel eines
Dampfboots, mit Negern und Mulatten zusammen, heitzen sollte, und
doch bin ich jetzt scharf dabei, und noch sogar froh eine derartige,
wenigstens lohnende Beschäftigung gefunden zu haben. Kommt Zeit kommt
Rath, und nur erst einmal vollkommen der Englischen Sprache mächtig,
findet sich dann auch schon etwas anderes, besseres für uns.«

»Das ist Alles recht schön und gut« lachte Wolf, »aber lange nicht so
romantisch oder -- toll wenn Sie wollen, wie mein eignes Schicksal, das
es vielleicht recht gut mit mir gemeint, dem ich aber im wahren Sinne
des Wortes durch die Lappen gegangen bin.«

»Die Romantik hat an unserer jetzigen Beschäftigung allerdings nur einen
ganz geringen Theil« sagte Donner lächelnd.

»Ja und nein« rief Wolf, seinen Strohhut auf das Holz und seine dunklen
Locken mit einer raschen Bewegung des Kopfes aus der Stirn werfend;
»auch ich betrachte es als Mittel zum Zweck, und muß, so prosaisch das
klingen mag, Geld dabei verdienen.«

»Da ist die Romantik schon zum Teufel« sagte Georg.

»Und doch nicht« rief Wolf, »ja wenn ich es thäte zu _leben_, aber mein
Vater ist reich.«

»Dann begreife ich freilich nicht, weshalb Sie sich hier in den
_untersten_ Schichten der Gesellschaft auf solche Art herumtreiben«
sagte Georg, »zum Vergnügen doch wahrhaftig nicht.«

»Wäre wenigstens ein wunderbarer Geschmack« lachte der junge Mann,
»wüßten Sie aber meine Geschichte, würden Sie mir recht geben.«

»Sie sind jedenfalls aus guter Familie« sagte Georg.

»Meine Freunde in Deutschland -- bah, _Freunde_, das Wort ist zu gut für
sie -- meine _Bekannten_ in Deutschland würden allerdings nicht sowohl
lachen als die Nase rümpfen, wenn sie den einzigen Sohn des Grafen vom
Berge hier als Feuermann auf einem Dampfboot, mit Negern aus einer
Schüssel essen, in einem Feuer schüren sähen!«

»Aber was um Gottes Willen hat Sie da zu diesem verzweifelten Entschluß
getrieben?«

»Die Liebe« lachte der junge Mann, seinen Schürer wieder ergreifend, die
kleine Thür oder Klappe öffnend, und mit dem langen Eisen die Scheite
durcheinander rührend -- »die Liebe, Georg, und die Sache ist ungeheuer
einfach und rührend. Ich liebte und liebe ein bürgerliches Mädchen, mein
Vater, noch ein ächt Pommerscher Graf von altem Schrot und Korn, drohte
mich zu enterben, wenn ich dem Mädchen nicht entsagte, und ich arbeite
jetzt daran ihm zu beweisen, daß ein Graf vom Berge keine hinterlassenen
Schätze braucht, sich selber einen eignen Heerd zu gründen. In Deutschland
wäre mir das nicht möglich gewesen, hier bietet sich die Aussicht dazu.
Schon ein Jahr arbeite ich jetzt wie ein Sclave -- aber nur um ein ganz
kleines Capital zusammenzuhaben; mit harter Arbeit allein wird jedoch
Niemand hier im Stande sein rasch Geld zu verdienen, die Speculation muß
ihm dabei helfen, und dieß wird deshalb die letzte Reise sein, die ich
auf einem Dampfboot mache, dann gehe ich nach dem Westen der Vereinigten
Staaten in das Indianische Territorium, dessen Verhältnisse ich schon
recognoscirt habe, und fange einen Schweinehandel an. Lachen Sie nicht,
das Geschäft ist, wenn richtig betrieben, vortrefflich und wenn ich
sieben Jahre, wie Jacob um seine Rahel dienen müßte, ich habe meinen
Kopf darauf gesetzt, und setze ihn durch -- oder gehe darüber zu
Grunde.«

»Und Ihr Vater?«

»Wenn ihm der _Sohn_ mehr am Herzen gelegen als sein Wappenschild, hätte
er mich gar nicht ziehen lassen.«

»Und haben Sie sich das ganze Jahr in solchem Leben schon herumgetrieben?«
frug ihn Georg erstaunt.

»Gott bewahre« rief Wolf, wieder neue Scheite ergreifend und durch die
enge Öffnung in den inneren, glühenden Raum stoßend -- »lieber Himmel,
was habe ich nicht schon Alles getrieben seit ich in Amerika bin.
Zeitungsaustragen war mein erstes Geschäft, um nicht zu hungern, aber
das rentirte schlecht und widerstrebte mir auch, einer Masse Sachen
wegen die drum und dran hingen; dann wurde ich Holzschläger am
Mississippi, auch das war nicht schlecht, aber ich bekam es satt; ging
dann wieder in die Stadt und wurde Mäkler. Dabei aber fühlte ich das
Mangelhafte meines Englisch und zog in den Wald, mir mit der Jagd Geld
zu verdienen. Das war die schlechteste Speculation; wo es Wild gab, galt
weder Wildpret noch Haut viel, und wo Nichts mehr zu schießen war,
versäumte ich Wochen oft vergebens. Da brach das gelbe Fieber in
New-Orleans aus, Alles flüchtete von dort und _das_ schien mir der
geeignete Platz rasch zu einer kleinen Summe zu kommen und meinen Plan,
den ich als Jäger im Westen von Arkansas gefaßt, in's Werk zu setzen.
Bald sah ich daß ich mich nicht geirrt -- zwischen Leichen und Gräbern
eine Zeit durchlebend, die mir noch jetzt das Blut in den Adern gerinnen
macht, wenn ich daran zurückdenke, erreichte ich aber meinen Zweck und
verdiente _Gold_. Arbeiter waren fast gar nicht mehr zu bekommen, und
die wenigen, die aus Noth oder Gleichgültigkeit der Seuche trotzten,
wurden mit Geld überschüttet. Neben mir fielen dabei meine Kameraden,
Burschen von allen Farben und Nationen, wie die Fliegen, ich selber
blieb, Dank meiner guten Natur, oder wenn Sie wollen von jenem
unerforschten Wesen beschützt, gesund und kräftig. Jetzt aber ist die
Zeit in New-Orleans vorbei; das Fieber hat seine letzten Opfer für
dieses Jahr gefordert, Arbeiter strömen, so rasch sie eine Unzahl von
Dampfbooten den Strom nieder oder aus Europa herüberführen kann, in
ordentlichen Schaaren dahin, und ich selber bin jetzt im Stand einem
anderen, besseren Leben entgegenzugehen. Ich hätte als Passagier fahren
können, aber es liegt ein eigner Reiz, den ich früher nie gekannt,
darin, ein kleines, selbsterworbenes Capital nicht unnöthiger Weise
wieder zu verringern, sondern eher zu vergrößern; so schür' ich mich
denn nach St. Louis hinauf, verlasse dort das Boot, und beginne meinen
Handel, der mich ein freies prächtiges Jägerleben dabei führen läßt.
Werden Sie mir nun einräumen, daß auch in diesem Beruf auf solche Weise
Romantik liegen kann?«

»In dem Beruf darum doch nicht, Herr -- ich weiß jetzt wahrhaftig nicht
wie ich Sie nennen soll« -- unterbrach sich Georg lächelnd.

»Wolf, bei meinem Vornamen« rief der junge Mann rasch, »das Andere paßt
nicht zur Schürstange und zu der Umgebung hier, hab ich mir den _Titel_
einst wieder verdient, darf ich ihn tragen, _hier_ klänge er wie Spott.«

»Vorwärts _boys_, vorwärts« rief da des Ingenieurs Stimme, der um die
Kessel herum nach vorn gekommen war, das Heitzen zu überwachen. »Steht
nicht da wie die Schlafmützen und laßt mir das Feuer ausgehn; die Pest
auch, es sieht ja ordentlich schwarz unter den Kesseln aus.«

»Geht nicht mehr hinein Massa« lachte ihm der eine Neger entgegen,
»hahaha bei Golly, wenn wir noch mehr feuern, blasen wir das süße Ding
von einem Boot in die Luft hinein!«

»Blaßt sie zum Teufel!« rief der Ingenieur, »aber, gebt ihr Hölle --
verdamm' meine Augen, wenn ich nicht die Kessel noch rothheiß haben will
-- zu _boys_, zu, macht daß wir von der Stelle kommen, das alte faule
Boot kriecht ja nur so am Land hinauf!«

»Alle Wetter« rief Georg, als der Mann wieder zurück zu der Maschine
gegangen war, »der Bursche scheint selber »rothheiß« zu sein, wie er es
nennt, und dem Whiskey mehr als gerade zweckmäßig zugesprochen haben;
wenn er nur keine dummen Streiche macht.«

»Ah bah,« sagte Wolf, »so ist er jedesmal auf seiner Wacht, aber sonst
ein guter Kerl, und sorgt dafür daß seine Feuerleute ebenfalls nicht
Durst leiden -- er weiß am Besten wie das thut -- heda Scipio, Du gießt
ja den Whiskey hinein als ob's Wasser wäre -- laß noch 'was in der Kruke
Gesell.«

»Genug Wulfy, genug« lachte der Schwarze, die fast gefüllte Schaale, die
reichlich eine halbe Flasche des starken Trankes halten mochte, auf
einen Zug leerend, »und andere Wacht mag wieder für sich selber sorgen
-- dieß Kind,« auf seinen eigenen Magen deutend, »macht's genau ebenso.«

Der Mate oder Steuermann stieg in diesem Augenblick die kleine steile
Treppe vom Boilerdeck nieder, ging nach der vorn hängenden Glocke und
schlug darauf nach Schiffsart, acht Glasen (12 Uhr).

»Feierabend!« rief Wolf seine Schürstange aufgreifend, den Raum unter
den Kesseln, wie das Sitte ist von der abziehenden Wacht, noch einmal
frisch aufzufüllen.

»Das ist recht Jungens, das ist recht!« nickte ihnen der wieder
zurückkommende Ingenieur Beifall zu, indem er auf der »_guard_« stehen
blieb und nach dem nahen Lande -- sie passirten eben eine der größeren,
mitten im Mississippi liegenden Inseln -- hinüberdeutete -- »hurrah wie
das geht; jetzt soll uns einmal eines der anderen schuftigen Boote
versuchen nachzukommen. Feuert Jungens, feuert, daß sich die andere
Wacht die faulen Knochen wärmen kann, wenn sie dran kommt.«

»So -- wieder auf acht Stunden Ruhe« rief Wolf, seine Schürstange zu
Boden werfend, »nun können sich unsere Kameraden ein Vergnügen machen --
hallo Berger? -- auch schon munter? -- wie der Bursche verschlafen
aussieht -- «

»Oh -- i« sagte dieser, der die kurze Zeit benutzt hatte, noch auf dem
rauhen Holz ein halb Stündchen zu schlafen, indem er sich langsam
streckte und dehnte -- »ist das ein Leben, aber -- zum Teufel auch --
ich habe einen furchtbaren Traum gehabt, wie ich da auf dem verwünscht
scharfen, eckigen Holze lag.«

»In der kurzen Zeit?« rief Wolf.

»Mir träumte« sagte der junge Bursch, in sich selber dabei
zusammenschaudernd -- »die Rothkragen hätten mich in Bremerhafen vom
Schiff geholt, ich läge drin in der Festung auf scharfen Latten, und
sollte mit Tagesanbruch Spießruthen laufen. Wie die Glocke dort tönte,
knarrte die Thür und -- ha« -- er schüttelte sich in Furcht und
Entsetzen bei dem Gedanken -- »der Henker kam herein, mich abzuholen --
Gott sei Dank, daß es nur ein Traum war.«

»Dickes Blut, Kamerad« lachte Wolf -- »da steht noch Kaffee und Whiskey
-- nehmt einen Schluck, der wird Euch gut thun. Nun gute Wacht! -- aber
trinken möcht' ich noch einmal -- haben Sie den Wassereimer da, Georg?«

»Hier liegt er« sagte dieser -- »warten Sie, ich zieh' es selbst herauf
-- habe auch Durst!«

Carl Berger hatte eben die Schürstange aufgegriffen, nach dem Feuer zu
sehn, während die beiden jungen Leute auf die _guards_ hinausgingen,
einen Eimer Wasser heraufzuziehen, als ein wilder gellender Schrei von
Deck heraustönte:

»Thüren auf -- um Gottes Willen -- Feuer aus!«

Die Feuerleute fuhren empor und horchten, den Befehl nicht gleich
begreifend, auf, als ein grell und dröhnend schmetternder Schlag das
Boot bis in den Kiel erschütterte. Kochend heißer Dampf füllte zugleich
einen Theil der unteren Räume, während Wolf und Georg entsetzt einen
weißen zischenden Strahl über sich hinausschießen sehen, dem Trümmer und
Balken, wie von dem Ausbruch eines Vulkans hinausgeschleudert, folgten.
Ein Moment todtenähnlicher Stille folgte diesem Knall, aber im nächsten
Augenblick schon schlugen die ausgeworfenen Stücke auf das Wasser
nieder, während jammernde Menschenstimmen nach allen Richtungen hin laut
wurden.

»Die Kessel sind geplatzt!« gellte der schrille Weheruf über die Fluth
und die, durch die geborstenen Thüren hinausgeschleuderten brennenden
Scheite Holz vermehrten nur noch die Verwirrung.

In diesem ersten Augenblick war sich auch, die schwer Verwundeten
ausgenommen, noch Niemand bewußt, welches Unglück sie am Meisten
bedrohe, ob das Boot sinke oder brenne oder ein zweiter Schlag sie
vielleicht Alle zerstückt in die Ewigkeit senden würde -- keinen Schritt
weit konnte man dabei vor sich hinsehn, oder selbst den nächsten
Nebenmann erkennen, so füllte dicker weißer zischender Qualm den ganzen
Raum und lag wie ein dichter, undurchdringlicher Schleier auf dem Boot.

Bald aber änderte sich das Schauspiel -- ein scharfer Windzug der über
den Strom herüber strich, fegte wie mit einem Schlag den Nebel über
Bord, und als Georg und Wolf zurück vor die Kessel sprangen, bot sich
ihren Augen ein Anblick, der ihnen das Blut in den Adern starren machte.

Von den Leuten, die dort noch vor wenigen Minuten gesund und kräftig
gestanden, lagen vier todt und zerstückt über das Holz hingeschmettert,
das von glühenden Scheiten bestreut, zu brennen begann. Durch das
Boilerdeck und in die obere Cajüte hinein, war ein mächtiges Loch
geschlagen, aus dem Winseln und Hülferufen wiedertönten, und beide
Schornsteine -- riesige wohl dreißig Fuß hohe Röhren von schwarzem
Eisenblech mit fünf Fuß im Durchmesser hingen zerrissen über Deck, und
neigten das Boot nach der Seite, während aus dem Zwischendeck ebenfalls
schrilles und markdurchschneidendes Hülfegeschrei hervorgellte.

Die beiden jungen Leute, ohne für den Augenblick an einen der
Verwundeten zu denken, griffen nur rasch die brennenden Scheite auf und
warfen sie über Bord -- noch größeres Unheil von dem Boote und seiner
übrigen Mannschaft abzulenken, als ein neuer Schreckensruf auch diese
Arbeit unnöthig machte.

»Wir sinken -- wir sinken!« schrie es von der anderen Seite herüber »wir
sind verloren!«

Wolf sprang wieder an den Rand des Bootes, sich von der Wahrheit des
Rufs zu überzeugen, und fand hier wirklich daß die Guards kaum noch
einen halben Fuß von der Oberfläche des Wassers entfernt waren, ja
konnte den gurgelnden stillgrollenden Ton sogar hören, mit dem die
gierige Fluth sich in einem irgendwo nicht weit von dort entfernten Leck
sog. Dicht unter ihnen, denn das Boot, das jetzt keinen Fortgang mehr
machte, trieb mit der Strömung wieder abwärts, ragten aber Bäume und
dunkle Stämme aus dem Wasser -- sie befanden sich gerade oberhalb
derselben Insel, an der sie vorhin hinaufgelaufen, und wenige Minuten
noch mußten ihr Schicksal entscheiden.

Georg hatte sich indessen über die Unglücklichen gebeugt, die der erste
Schlag des platzenden Kessels getroffen, und erkannte mit Schaudern
unter ihnen Carl Bergers Gestalt, der mit zerschmetterter Schulter,
blutend und bewußtlos über die Scheite hingeworfen lag. Wohl athmete er
noch, aber wie war ihm hier Hülfe zu bringen?

Ein heftiger Stoß traf zu gleicher Zeit gegen das Boot, unter dem
die eine, das Boilerdeck tragende und stark gesplitterte Decke
zusammenbrach, während ein Theil des vorderen Decks ihr nachfolgte. Die
Frauen kreischten, die Verwundeten stöhnten und winselten, die Männer
fluchten wild durcheinander, und hie und da sprangen Einzelne in
Todesangst über Bord, die dort aus dem Wasser ragenden Äste versenkter
Bäume zu erfassen, und sich dadurch vor dem, ihnen gewiß scheinenden
Untergang des Bootes zu retten. Von dort aber konnten sie nirgends an
Land; die dunkle Fluth quirlte und gurgelte dabei um sie her, und als
ihre Kräfte erschlafften, und das kalte Wasser ihre Glieder mit
Fieberfrost schüttelte, schrieen sie von dort herüber, wieder an Bord
geholt zu werden.

Aber das Boot sank _nicht_, und ob auf den Sand, oder irgend einen
schützenden, unter Wasser liegenden Stamm gelaufen, wohin es durch die
mächtige Strömung gedrängt worden, blieb es sitzen, und nur das
Vordertheil, gegen das die volle Fluth anpreßte, drückte sich halb unter
Wasser, und ließ das schäumende Element darüber hinspritzen.

Wohl eine halbe Stunde verging, ehe nur einiger Maßen der erlittene
Schaden übersehn, und Ordnung in das durcheinander Schreien und Stürzen
der zum Tode erschreckten Menge, unter der sich auch mehre Frauen aus
Cajüte und Zwischendeck befanden, gebracht werden konnte. Georg Donner
hatte indessen den schwer verwundeten Landsmann mit Wolf's Hülfe zurück
in das höher liegende Zwischendeck gebracht, wo jetzt auch die übrigen
Todten und Verwundeten auf aus den Coyen gerissenen Matratzen gebettet
wurden, und die beiden jungen Leute gingen dann daran, das Terrain zu
untersuchen, auf dem sie sich befanden.

Mit einer über Bord geschobenen Planke, von denen der Zimmermann eine
Menge auf dem hinteren Deck liegen hatte, fühlten sie daß das Wasser
dicht hinter dem Boot und nach der Insel zu kaum vier Fuß tief war,
und von übereinander gestürzten und dort anschwemmten Stämmen fast
überdeckt wurde. Durch diese hin arbeiteten sie sich bis zu der,
höchstens zwanzig Schritt entfernten Sandbank, die an dichtes Gestrüpp
und Unterholz hinanlief. Wolf watete dann zum Boot zurück und ließ sich
von dort unter den Kesseln vor, ein brennendes Scheit herüber reichen,
das an seinem unteren Ende mit einem rasch aufgegriffenen Kopfkissen aus
dem Zwischendeck, umwickelt wurde, um es in der Hand halten zu können.
Dieß trug er zum Ufer, und bald loderte dort, von hinzugeschleppten,
niedergebrochenen dürren Ästen reichlich genährt, ein helles Feuer auf,
das die unheimliche Scene des gestrandeten Bootes mit seinem rothen
Lichte übergoß.

Nun wünschte der Capitain besonders, an Bord zu bleiben und den Tag zu
erwarten, damit sie von einem vorbeikommenden Boot konnten abgeholt
werden; der Steuermann aber, der vorn am Bug das Wasser untersucht und
es dort weit tiefer gefunden hatte als das Boot war, erklärte jetzt daß
dieses nur auf irgend einen Stamm oder Ast aufgeritten sei, und jeden
Augenblick von diesem abrutschen oder ihn niederdrücken könne, wo sie
dann gar nicht sicher wären das ganze Boot dem einsinkenden Bug
nachfolgen zu sehn; je eher sie daher das Wrack verließen, desto besser.

 [Illustration: Capitel 6]

Die Leute gingen denn auch, unter des Steuermanns Leitung, rasch daran
eine sogenannte »_stage_« von zusammengebundenen Bretern zu bauen, die
eine Brücke bis an Land bilden sollte, denn die Jölle war, bis Bahn
gehauen werden konnte, in den verworrenen Ästen nicht zu brauchen.
Diese halfen ihnen aber vortrefflich den rasch hergerichteten
Plankenweg, oder die ihn haltenden Taue, zu tragen, und das beendet,
wobei sie noch durch einen plötzlichen Ruck, den das Boot gab, zu
größerer Eile angetrieben wurden, trugen sie vor allen Dingen die
Verwundeten hinüber auf den Sand und neben das wärmende Feuer, wo ihnen
die unverletzt gebliebenen Passagiere ein so gutes Lager als möglich
herrichteten, während die Mannschaft dann beordert wurde zu retten was
irgend anging.

Dazu aber behielten sie keine Zeit; der Steuermann hatte nur zu recht
gehabt als er trieb das Boot zu verlassen, denn durch das in den Raum
gedrungene Wasser, das besonders die Zuckerladung gleich sättigte, war
der Rumpf so furchtbar schwer geworden, daß ihn der Stamm, auf den er
jedenfalls aufgesessen, nicht mehr zu tragen vermochte, jetzt ein Stück
nachgab, und dann, vielleicht mit der Wurzel ausgehoben, den Vordertheil
des Boots niedergleiten ließ.

Die kecksten der Matrosen und Feuerleute, und unter ihnen der junge
Wolf, denn Georg war mit den Verwundeten beschäftigt, ließen sich
allerdings nicht durch das erste Sinken abhalten, sprangen nur zurück
auf das hintere Deck, wo sie sich festhielten, und erwarteten das
Weitere, ob dieser Theil des Bootes über Wasser bleiben, oder dem
vorangegangenen Gewicht nachfolgen werde. Einen Augenblick schien es
auch als ob es sich setzen wolle, aber ein neuer Stoß warnte sie bald
auf ihre eigene Sicherheit bedacht zu sein; noch einen Moment schwankte
das große mächtige Boot, das jetzt halb seitwärts gegen die Strömung
angedreht war, dann preßte diese es auf die Seite; das was es bis dahin
noch gehalten gab nach, und schwerfällig die Fluth von sich abstoßend,
die vor der andringenden Masse zurückwich, um gleich nachher nur so viel
gieriger über die Beute herzufallen, glitt das Wrack in so tiefes Wasser
hinein, daß nur der obere Theil seiner Cajüte an der Larbordseite daraus
hervorsah, und die schmutzig gelbe Fluth gar unheimlich mit den weiß und
gelben Zierrathen der blitzenden Fensterreihe spielte.

Die Leute hatten dabei wirklich kaum Zeit gehabt sich über die Planken
hin an Land zu retten, und standen jetzt, ihres Alles beraubt, halbnackt,
naß, erschöpft, Einzelne davon selbst ohne Hut und Schuhe, auf dem kahlen
Sand der Insel.

Über den Kameraden hinüber gebeugt, der gerade die Augen zu ihm
aufschlagen und die Lippen wie zum Sprechen bewegt hatte, stand Georg.

»Wie ist Ihnen, Berger, haben Sie viel Schmerzen?« frug er theilnehmend.

»Wasser,« stöhnte der Unglückliche.

Wolf sprang zum Wasserrand und brachte den gefüllten Hut zurück; der
Verwundete that ein paar Züge, dann ließ er den Kopf zur Seite sinken.
»Mein Traum,« flüsterte er, »sie -- sie -- holen -- mich« -- und sank
todt in die Arme des Kameraden.

Über die Leiche gebeugt, mit gefalteten Händen, stand ein anderer
Reisegefährte von ihm, Schultze, der auf demselben Boot nach St. Louis
Passage genommen.

»Guter Gott« stöhnte er leise vor sich hin -- »wie unerforschlich und
dunkel sind Deine Wege; wie jubelte der junge Mensch als er sich frei,
seinen Verfolgern entzogen sah, und wenige Monate nur, und todt und
verstümmelt liegt er auf demselben Boden, dem er mit solch freudiger
Hoffnung und Zuversicht entgegenstrebte!« --

»Hülfe -- Wasser -- « jammerten Andere daneben, und füllten mit ihren
Wehklagen die Luft -- »oh mein Gott -- oh mein Gott! Hülfe, Hülfe!« und
die Feuer loderten dazu hoch und glühend auf, und warfen ihren
blutrothen Schein über diese Scene des Schreckens und des Jammers.

»Das ist die Vergeltung -- das ist Gottes Gericht!« murmelte da dicht
neben Georg, der mit Einem der anderen Verwundeten schon beschäftigt
war, und dessen Schmerzen zu lindern suchte, eine leise, heisere Stimme
in deutscher Sprache, und als er sich dorthin wandte, erkannte er
überrascht die Frau von der Haidschnucke, die auf der damaligen
Überfahrt fast fortwährend krank in ihrer Coye gelegen und jetzt, nicht
weit von dem einen Feuer auf den Sand gekauert, die beiden mageren Arme
um ihre Knie geschlagen saß, und vor sich hin in die Flamme stierend,
mit dem Kopfe kalt und unheimlich dazu nickend, murmelte: »das ist die
Strafe für begangenen Frevel von dem alten Mann da oben, der mir das
Gewissen schon fast in Stücke zerrissen hat auf der langen Fahrt -- die
_Kinder_ sind uns nachgekommen -- die todten Kinder, und haben sich mit
auf das Boot gesetzt -- _die_ zogen's hinab auf den Grund -- tief, tief
hinab -- ha!« rief sie da plötzlich lauter und zusammen schaudernd --
»sie haben ein furchtbar entsetzliches Gewicht.«

»Du wirst Dir das Maul noch verbrennen mit den tollen, wahnsinnigen
Reden« flüsterte ihr da der Mann, der sich über sie gebogen, finster und
mürrisch in das Ohr -- »denk' wenigstens nicht laut, wenn Du denn einmal
solch albernes Gewäsch fortwährend im Kopf herumtragen mußt, oder, Gott
verdamm' mich, ich -- ich kriege die Geschichte einmal satt, und gehe
meiner Wege.«

»Wie das Kleine da im Bettchen liegt, mit den rothen gesunden Backen«
fuhr die Frau aber fort, ohne auf die Drohung des Mannes zu achten, ja
ohne sie wahrscheinlich zu hören -- »ich _mußte_ es noch einmal küssen,
brach mir doch so beinah das Herz, und gleich wieder schlief es ein und
schlief so sanft -- so süß.«

»Beim ewigen Gott!« rief da Georg Donner, dem keines der Worte entgangen
war, während er zugleich in das von der Flamme hell beschienene bärtige
Gericht des Mannes geschaut hatte, indem er aufsprang und auf diesen
zutrat -- »Ihr stammt aus Waldenhayn, heißt Steffen und seid derselbe,
der mit der Frau flüchtig geworden und die eigenen Kinder der Noth, ja
dem Hungertode preis gegeben, zurückgelassen hat!«

»Geht zum Teufel -- was wollt Ihr von _mir_?« rief der schwarze Steffen
aber ärgerlich »ist Euch auch der Dampf in den Kopf gestiegen? -- ich
heiße Meier und nicht Steffen.«

»Was ist, was giebts?« rief auch jetzt Wolf, aufspringend und zu dem
Kameraden tretend -- »was ist mit dem Manne?«

»Das ist der Schuft der seine Kinder verlassen hat?« rief aber auch
jetzt Herr Schultze sich gegen den Verbrecher wendend -- »das ist der
Bursche den sie in Deutschland mit Steckbriefen verfolgt, und den wir
auf unserem eignen Schiff mit herüber gebracht haben nach Amerika?«

»Hallo -- wo brennts nun wieder?« riefen aber die Amerikaner, die mit um
das Feuer standen und kein Wort von der ganzen Verhandlung begriffen
hatten, wirr durch einander; »was zum Henker kauderwelscht Ihr da jetzt
zusammen?«

Da schilderte ihnen Georg, in edler Entrüstung das Verbrechen der
Beiden, und zornfunkelnde wilde Blicke hafteten dabei auf der Gestalt
des Mannes, der ihnen finster und trotzig gegenüber stand.

»Tod und Teufel!« schrie ein langer Bootsmann, »da ist's kein Wunder
wenn wir, mit solcher Fracht an Bord, aufgeblasen sind -- der Schuft
verdiente seine Hände zusammengebunden zu haben und hier in's Wasser
geworfen zu werden, wo es am tollsten wirbelt.«

»In's Wasser nicht; der würde die Fische vergiften« schrie da ein
Kentuckier, sich durch die Übrigen Bahn machend, auf den Burschen zu,
»aber an einem der Bäume hier sollte er hängen, zur Verzierung der
Insel.«

»Zurück da!« rief aber der Mann, einen Schritt bei Seite springend, als
der Amerikaner nach ihm herüberdrängte -- »was wollt Ihr von _mir_? -- es
sind Lügen und Verläumdungen!«

»Was sagt er?« riefen Andere wieder, die ihn nicht verstanden -- »und
das da ist die Frau? -- eine schöne Mutter!«

»Wie sie geschaut haben werden« flüsterte aber diese, das Toben und
Schreien um sie her gar nicht beachtend, indem sie, in derselben Stellung
als vorher, sich herüber- und hinüberwiegte -- »wie sie geflucht haben
werden, als sie am anderen Morgen kamen und die Alten vom Neste geflogen
fanden, die Jungen zu füttern hatten -- aber -- was ist denn das?« --
setzte sie unruhiger, sich scheu überall umsehend hinzu -- »sie kommen
_nicht_ -- nicht den ersten Tag -- nicht den zweiten --nicht den dritten
-- das Mehl ist aufgezehrt -- die Milch sauer geworden für das Kind --
wie es schreit und die Händchen nach der Mutter ausstreckt -- großer
barmherziger Gott, ich muß zurück -- ich _muß_, ich _muß_ zurück!«

Sie war aufgesprungen, und hatte beide Hände, zwischen denen die matten
glanzlosen Augen stier und wild umherschauten, fest gegen die Schläfe
gepreßt. Georg, der wohl fühlte wie ihr Geist von den letzten Schrecken,
mit dem nagenden Wurm des verübten Verbrechens am Herzen, angegriffen
und erschüttert sei, trat da zu ihr, legte ihr die Hand auf die
Schulter und wollte sie beruhigen.

»Fort« sagte sie aber leise, ohne sich nach ihm umzusehn -- »an Deiner
Hand ist Blut -- mich schaudert wenn ich Dich anschaue.«

»Sie ist übergeschnappt« riefen jetzt die Bootsleute, die sich um sie
drängten, und ihr halb scheu halb neugierig ins Gesicht sahen -- »bei
Gott sie ist verrückt!« Die Frau aber, ohne sich weiter um die Männer zu
kümmern, sank wieder an ihrem vorigen Platz zusammen, zog sich ihr
weißes Tuch über, daß es den Kopf völlig bedeckte, und blieb so, still
und regungslos neben dem Feuer kauern. Als sich die Übrigen jetzt aber
wieder nach dem Manne umsahen, war er in dem dichten, die Sandbank
umgrenzenden Unterwuchs und Rohr der Insel verschwunden.

Allerdings wollte ein Theil der Leute den Burschen, der durch seine
Flucht sein böses Gewissen hinlänglich bekundet hatte, aufgesucht, und
den Amerikanischen Gerichten übergeben haben, die Insel war aber groß,
und so lange es dunkel blieb an etwas derartiges gar nicht zu denken.
Dann aber nahm auch die eigene Lage ihre Aufmerksamkeit viel zu sehr in
Anspruch, sich mit dem Fremden viel länger zu beschäftigen, als man ihn
eben sah, und Alles drängte sich jetzt um den zweiten Ingenieur her, der
ebenfalls schwer verwundet am Feuer lag, und gerade wieder ein erstes
Lebenszeichen gab. Donner sprang zum Wasser hin, tauchte dort sein Tuch
ein, es wieder anzufrischen, und legte es dem noch halb Bewußtlosen um
die Schläfe, während ihm Wolf die Lippen netzte, und etwas Wasser in
das Gesicht spritzte.

Der Mann kam endlich wieder zu sich, und seine Wunden erwiesen sich
glücklicher Weise nicht so schwer, an seinem Aufkommen zweifeln zu
lassen; andere aber, und unter ihnen zwei Passagiere, ein Deutscher und
ein Amerikaner waren von dem heiß ausgeströmten Dampf furchtbar verbrüht
worden, und jammerten und stöhnten, und baten um Gottes Willen ihren
Leiden ein Ende zu machen.

Während Alles für diese geschah, was der Augenblick nur zu thun
erlaubte, hatte sich der Ingenieur wieder so weit erholt, um wenigstens
einige Fragen zu beantworten, die der Capitain über die Ursache des
Unglücks an ihn richtete.

Was der arme Teufel noch aussagen konnte stimmte mit dem Zeugniß der
Feuerleute überein. Er war kurz vorher, ehe die Explosion erfolgte, zu
seiner Wacht geweckt worden, und hinunter in den Maschinenraum gegangen,
wo ihm das schon auffiel, daß er Niemanden dort antraf. Über die Guards
hin rasch den Feuerleuten zugehend, begegnete er hier dem andern
Ingenieur den er augenblicklich für halb betrunken erkannte. Er bat ihn
jetzt um das Holz, das dieser noch in der Hand hielt, die Stärke des
Dampfes zu prüfen, der aber weigerte sich lachend ihm das zu geben, sich
noch dabei äußernd daß er ihm dann seinen besten Dampf hinausließe, und
das Boot gerade jetzt gegen den Strom anlief wie ein durchgehendes
Pferd. Zurückgehend zur Maschine sah er da zu seinem Schrecken, daß die
Sicherheitsvalve auf eine Weise beschwert war, die die Sicherheit des
Bootes auf das höchste bedrohen mußte -- rasch sprang er zu, die
Gewichte fortzureißen, und rief dabei nach vorn die Thüren zu öffnen als
er, wie er sich zu erinnern glaubt, auf dem Maschinenholz, in der Hast
und Angst ausrutschte und in demselben Augenblick zu Boden stürzte, wo
der eingepreßte Dampf sich endlich mit Gewalt seinen Weg in's Freie
bahnte und die Kessel sprengte. Das allein rettete ihn jedenfalls, er
wäre sonst, wie der andere Ingenieur der neben ihm, aber aufgerichtet
stand, zu Atomen zerschmettert worden.

Mächtige Feuer waren indessen auf der Sandbank und dicht am Holzrand
entzündet worden, Gesunden wie Verwundeten ein nur einiger Maßen
erträgliches Nachtquartier zu bieten, und vorzüglich hatten die
Amerikaner schon für die Damen aus der Cajüte, an einem besondern Feuer,
ein dichtes Dach von Zweigen hergerichtet, sie gegen den Nachtthau und
die kalte, über den Strom herüberstreichende Zugluft zu schützen; an
Schlaf war aber, selbst für die gar nicht Verletzten, kaum zu denken,
denn die Unglücklichen stöhnten und winselten in ihrem Schmerz bis an
den hellen Morgen. Donner gab sich dabei jede nur erdenkliche Müh' ihre
Schmerzen zu lindern, zerriß sein leinenes Hemd, das letzte das ihm
geblieben, Verbände zu machen, und suchte vor allem die Fiebergluth der
Armen zu kühlen. Aber menschliche Mittel, selbst wenn er Alles zu Händen
gehabt hätte was er bedurfte, reichten da nicht mehr aus, und die beiden
Verbrühten, die im Maschinenraum als die Kessel explodirten, auf dort
aufgestapelten Kaffeesäcken geschlafen hatten, starben ihm unter den
Händen, noch ehe die Sonne aufging und die traurig wilde Gruppe
beleuchtete.

Bald nach Sonnenaufgang kam ein Boot stromauf, und dicht an der Insel
vorbei -- das noch zum Theil aus dem Wasser ragende Wrack, wie die
Menschen am Ufer verriethen ihm deutlich genug was hier vorgefallen, und
es schickte sein Boot an Land Mannschaft und Passagiere aufzunehmen und
nach der nächsten Stadt zu bringen, wo sie Hülfe bekommen konnten.
Die Verwundeten wurden zuerst an Bord geschafft, in Memphis wieder
ausgeschifft zu werden, und nur die Frau, die noch immer regungslos am
Feuer saß, weigerte sich ihnen zu folgen. Sie wollte keinen Schritt
weiter mit dem Manne gehn, der Fluch und Elend über sie gebracht, und
erst als ihr Georg, der die Unglückliche nicht in dem Zustand ihrem
Schicksal überlassen mochte sagte, daß Steffen in den Wald entsprungen
und nicht zurückgekommen wäre, stand sie endlich auf, strich sich die
langen wirren Haare aus der Stirn, und folgte dem jungen Mann von da an
willenlos, wohin er sie brachte.

In Memphis angekommen, wurden die Verwundeten gelandet und ärztlicher
Pflege dort übergeben, und der Capitain der »Mississippi-Belle« wie das
Dampfboot hieß das sie aufgenommen, erbot sich freundlich Passagiere und
Mannschaft der Backwoods-Queen die sämmtlich ihr Gepäck mit dem Untergang
des Bootes verloren hatten, unentgeltlich mit nach St. Louis zu nehmen,
wohin auch er bestimmt war. Die meisten nahmen dieß großmüthige
Anerbieten an, obgleich fast Alle, wie auch Wolf und Georg, ihr baares
Geld bei sich trugen und gerettet hatten, nur Wolf verlangte seine
Passage als Feuermann abarbeiten zu dürfen, wobei sich ihm Donner
anschloß. Der Capitain lachte freilich über die eigensinnigen Burschen,
ließ sie aber gewähren, und Wolf wie Georg wurden Feuerleute auf der
Mississippi-Belle.

Die Frau brachte Georg, kurz vor der Abfahrt des Bootes, in ein
deutsches Kosthaus, und bat die Leute dort sich ihrer anzunehmen, bis
sie sich erholt habe; er selber wolle dann auf dem Rückweg wieder
vorsprechen, und gern die Kosten, zu denen er schon einige Dollar da
ließ, tragen.

Die Frau sprach dabei kein Wort -- sie dankte ihm nicht, sie sah nicht
auf, und saß still und regungslos, wie sie am Feuer gesessen hatte, in
der Ecke, als er das Haus verließ.




Capitel 7.

Die Deutschen in Cincinnati.


Herr von Hopfgarten, den wir auf seiner Fahrt nach Cincinnati verlassen
haben, hatte sich indessen in der »Königin des Westens« wie sie
ernsthaft, oder _Porkopolis_ -- wie sie der ungeheueren Masse Schweine
wegen, die dort jährlich geschlachtet und verschickt werden, scherzhaft
im Lande heißt, einige Wochen aufgehalten, um sich mit dem Leben und
Treiben einer der inneren Städte Amerikas bekannt zu machen.

Die Lage Cincinnatis, das den Centralpunkt aller dort gelegenen
deutschen Ansiedelungen bildet, ist reizend; der wunderschöne Ohio
(schon von den Indianern _O-hy-o_ -- der schöne Strom genannt) bespühlt
ihren Fuß und bietet ihr eine treffliche Landung, an der die größten
Mississippi-Dampfer ihre Frachten ein- und ausladen können, während
freundliche, jetzt schon vielfach mit Reben bepflanzte Hügel die Stadt
im Rücken umschließen. Es kam ihm dabei so vor, als ob fast der dritte
Theil der Einwohner Deutsche wären, und einzelne Viertel besonders
schienen nur von Landsleuten bewohnt, ja auf dem trefflich bestellten
Markt hörte man kaum etwas anderes als Deutsch sprechen, und besonders
amüsirte es ihn dabei die Verschmelzung der Trachten, den Übergang des
deutschen Bauers, der nur erst nach hartnäckigem Widerstand in _jeder_
Hinsicht den deutschen Bauer auszieht, in den Amerikaner zu beobachten.

Wunderliche Transformationen kamen da vor, nicht unähnlich denen, wie
man sie überall an wilden Stämmen beobachten kann, und unser deutscher
Bauer hat wirklich einige Ähnlichkeit, so sonderbar das klingen mag,
mit dem Indianer. An seinen alten Sitten mit einer Zähigkeit hängend die
ihres Gleichen sucht, betrachtet er Jeden der ihm daran rütteln will
mistrauisch, eifersüchtig selbst -- sein Vater hat das so und so gethan
und so war's gut, warum sollt's jetzt wohl anders werden -- etwa weil
»Stadtmenschen mit Brillen auf, die das aus Büchern gelesen haben« --
meinen sie könnten es besser machen? _die_ hatten jedenfalls ihre
Absichten, suchten ihren Vortheil dabei, das war Alles. So gehn sie auch
nach Amerika, nicht etwa weil sie sich dort ein freieres, ungebundeners
Schaffen versprechen, sondern weil ihnen Steuern und Abgaben im
alten Vaterland zu drückend werden, und Briefe auf Briefe von dort
herüberkommen, die ihnen mit goldenen Schilderungen den Mund so lange
wässrig machen, bis sie eben nicht länger widerstehen können und nun
auswandern. Und nicht um dort zu lernen, und sich den Sitten und
Gebräuchen der neuen Heimath zu fügen, betreten sie das fremde Land,
sondern fest überzeugt daß sie den Leuten dort noch zeigen müssen wie
man ackert und säet. Ihre eigene Sitten, ihr eignes Ackergeräth und
Handwerkszeug, so unpraktisch das sein mag, so wenig es den dortigen
Bedingnissen entspricht, ändern sie auch deshalb nicht, bis nicht ihre
Kinder herangewachsen und den Bettel aus dem Hause werfen, oder die Noth
sie zwingt das eine oder andere zu verbessern.

So mit ihrer Kleidung; mit den langen blauen Zimmermannsröcken mit
fingerbreiten Kragen, und riesigen, zwischen den Schößen zeitweilig
herausfahrenden weißleinenen Taschen, mit dem ausgeschweiften Hut und
den kolossalen Schuhen, und die Frauen mit ihren kurzen Röcken und
weiten Ärmeln, den wunderlichen Hauben, dick wattirten, wulstigen
Jacken und tausendfach gefalteten Röcken, wie lange währt das, bis sie
auch nur das kleinste daran ändern, und thun sie's selbst, legen sie das
und jenes ab, und dieß und das dafür an, die Art wie sie's tragen bleibt
dieselbe, und der Deutsche ist im Nu herauszufinden.

Herr von Hopfgarten hatte Briefe an ein paar deutsche Kaufleute mit. Der
Eine, den er zuerst besuchte, hielt einen Laden im Mainstreet, und schien
durch Importiren deutscher Waaren ein ziemliches Vermögen erworben, sein
Deutsch aber dabei vergessen zu haben. Er sprach nur Englisch -- wenn
auch freilich mit traurigem Accent -- selbst mit seinen deutschen
Dienstleuten, die sich abquälen mußten ihn nur zu verstehen -- kleidete
sich ganz Amerikanisch, d.h. er coquettirte damit einen sehr feinen,
aber an dem einen Ellbogen zerrissnen Rock zu tragen, besuchte den
ganzen Sonntag Amerikanische Kirchen und -- kaute Taback.

  »Wie er sich räuspert und wie er spuckt,
  Das habt Ihr ihm glücklich abgeguckt.«

Das vernachlässigte, Widerliche des Amerikanischen Charakters nehmen
diese Art Leute an, das aber, was seinem ganzen Wesen die innere
Triebkraft giebt, das Bewußtsein seiner Freiheit, sein Nationalstolz,
mit dem er sein Vaterland wachsen und gedeihen sieht, wie noch kein
Beispiel die Geschichte je geliefert, das leider Gottes liegt ihnen
unerreichbar fern. Sie sagen sich nicht allein los vom deutschen
Vaterland -- das ist gut, das Vaterland kann sie verschmerzen und
hat des Gelichters noch leider mehr als genug -- nein sie schämen sich
auch Deutsche zu sein, schimpfen nicht auf das was Deutschland so
niedergedrückt hat und zu Boden gehalten, sie haben das nie begriffen
noch gefühlt, nein auf den deutschen Stamm, dem ihre eigene Mutter
angehörte, und spreitzen sich in ihrem fremden Wesen, mit dem gewonnenen
Reichthum, von dem ordentlichen Amerikaner ausgelacht, von dem wackeren
Deutschen verachtet, in einem kleinen Raum herum, den ihr eigener
Dunstkreis bildet, und den sie für die Welt halten.

Hopfgarten konnte sich nicht wohl bei diesen Menschen fühlen; diese
vornehme Gemeinheit widerte den wackeren Mann an, und er suchte sich
eine andere Schicht der Bevölkerung unter den Deutschen.

Er wurde bei einem Landsmann, der eine Apotheke in ---- _street_ hatte
eingeführt und sehr freundlich aufgenommen, und lernte hier einige
Doktoren, Advocaten und Geistliche kennen, aber ein steifer Ton
herrschte auch in diesen Zirkeln; von einem herzlichen Verstehen war
zwischen ihnen nicht die Rede. Die Doktoren waren natürlich nur solche
die zur Ausführung ihrer Recepte die Patienten nach _seiner_ Apotheke
schickten, die Advocaten und Pastoren »gute« Patienten von beiden, aber
auch hier wurde kein freundliches Wort über die _Landsleute_ gesprochen.
Alle diese Männer befanden sich noch nicht in den Verhältnissen ihren
Beruf aufzugeben und von ihren Zinsen zu leben, ja Manche waren erst
seit kurzer Zeit von Europa herübergekommen und suchten sich erst eine
Carriere oder Stellung zu gründen. Der Apotheker _protegirte_ Manche von
diesen, und war außerdem, seiner Äußerung gegen Herrn von Hopfgarten
nach, _stolz_ darauf ein »Bürgerlicher« zu sein.

Hopfgarten lachte damals über diese etwas wunderliche Bemerkung, und
meinte darauf, Herr Hohlziegel habe dazu wohl eben so wenig Grund, als
wenn _er_ auf seinen Adel stolz sein wolle, da sie als vernünftige
Männer doch wüßten wie des Menschen Handeln seinen Werth bestimme --
aber wohl konnte er sich dennoch nicht zwischen den Leuten fühlen. Es
war auch dabei von Nichts die Rede als von Geschäften, und wenn ein Mann
genannt wurde, mußte die Zahl seines Vermögens den Zunamen bilden -- das
ganze Geschlecht wurde in _gut_ und _nicht gut_ geschieden. Selbst der
Geistliche, der neu angekommen, in den nächsten Tagen eine Probepredigt
zu halten hatte, damit sich dann die Gemeinde entscheiden könne ob sie
ihn haben wolle oder nicht, sprach nur von dem _Effekt_ seiner Rede, von
dem »Packen der Menge« und von seinem _Gehalt_.

Diese Leute verschmähten es, oder hielten es vielmehr unter ihrer Würde
in ein deutsches Bierhaus zu gehn, und tranken mit kleinen Stückchen
sehr trockenen, staubig schmeckenden Confekts, einen nichtswürdig
saueren Amerikanischen Wein, der das Einzige zu seiner Entschuldigung
hatte, daß er auf Herrn Hohlziegels eigenem Weinberg gereift war, und
dieses Meinung nach, einmal ein »famoses Gewächs« werden mußte.

Hopfgarten stand eines Abends, nach einem schrecklich verlebten
Nachmittag in Verzweiflung unten in der Apotheke und beschloß schon
Cincinnati mit seiner prachtvoll gebauten Unterstadt, und den
Holzbaraken des Canalviertels in Mismuth zu verlassen, als der Provisor,
ein behäbig aussehender Mann, mit fettem Unterkinn und kleinen lebhaften
Augen, seinen Hut aufsetzte, dem anderen jungen Mann in der Apotheke
zurief daß er mit dem »fremden Herrn« ausgegangen sei, und diesen dann
sehr zu dessen Erstaunen ohne weiteres unter den Arm nahm und hinaus auf
die Straße führte.

»Wenn Ihr Magen von dem verdammten Grüneberger Ausbruch noch nicht
ruinirt ist,« sagte er dabei, »und Sie noch eine halbe Stunde aufsitzen
können ohne einzuschlafen, wie es die »Honoratioren« gewöhnlich machen,
so denk' ich Sie zu einem guten Glas Bier zu führen, wo wir auch muntere
Gesellschaft finden. Gemischtes Publicum allerdings, aber nette Kerle,
und Cincinnati Bier mit Limburger Käse.«

»Oh Sie scherzen,« rief Hopfgarten rasch, »Limburger? ächter Limburger?
Herr, das ist eine schwache Seite von mir.«

»Sie werden ihn _riechen_ sobald wir in's Haus kommen,« sagte Bohle, der
Provisor. Überhaupt aber ziemlich schweigsamer Natur, ließ er sich auch
unterwegs auf kein großes Gespräch weiter ein, sondern beantwortete alle
an ihn gerichteten Fragen so einsylbig als irgend möglich.

Sycamorestreet hinauf und in eine der Queerstraßen, die mit dem Strom
parallel laufen, einbiegend, erreichten sie endlich ein Haus, das
nicht mit dem entsetzlichen »Deutsches Coffe-Haus« wie fast alle
Schnapskneipen die Überschrift tragen, versehen war, sondern wo ein
weiß und blaues Schild -- ein Stückchen Heimweh des bairischen
Bierbrauers -- dem durstigen Wanderer mit lakonischen aber zum Herzen
sprechenden Worten kündete, daß hier ein gutes Bier verzapft werde. Es
war keine Prahlerei mit dem Worte Bairisch dabei, kein Coquettiren mit
der Zugabe »Amerikanisch« -- es hieß nur »gutes Bier« und ein kleines
hölzernes Täfelchen was darunter hing trug, anscheinend mit dem in
Stiefelwichse getauchten Finger geschrieben, die Worte:

    Limburger Käse!
    Schweizer Käse!
    Rettiche!

Der Platz bedurfte weiter keiner Empfehlung, und Hopfgarten betrat mit
einer gewissen Art von heimischem Wohlbehagen den kleinen niederen,
schon von zahlreichen Gästen belebten Raum, wo sie kaum seinen Begleiter
erkannten, als ihnen auch an einem der Tische Raum gemacht und sie
freundlich eingeladen wurden sich dort niederzulassen.

»Meine Herren,« begann da Bohle seinen Gast vorzustellen, »ich bringe
Ihnen hier ein Opfer der Etikette, einen Unglücklichen, den Hohlziegel
mit Cincinnati-Ausbruch vergiftet und der Doktor Held außerdem aus der
Haut getrieben hat vor langer Weile. Der Herr hier ist erst vor kurzer
Zeit von Deutschland herübergekommen, heißt von Hopfgarten und würde
Cincinnati mit der moralischen Überzeugung verlassen haben, daß es der
ekelhaft langweiligste Platz unter der Sonne sei, und die Deutschen
darin nicht einmal deren Scheinen verdienten. Ich habe ihn gerettet,
unter den Arm genommen und bin mit ihm hierher an Land geschwommen --
bitte meine Herren, stellen Sie sich jetzt eigenhändig vor, damit unser
neuer Freund weiß woran er ist, und in welch anständiger Gesellschaft er
sich eigentlich befindet. -- Sie Lochhausen, fangen Sie einmal an; aber
hallo hier Brand, bringen Sie uns doch Bier, zum Donnerwetter, sollen
wir denn an der Quelle verschmachten. Zwei Quart Bier und einen halben
Limburger Käse! also Lochhausen.«

»Ich heiße von Lochhausen,« sagte der junge Mann, der dicht neben Herrn
von Hopfgarten saß, ein junger blondhaariger Bursche mit blauen treuen
und doch lebendigen Augen, »und bin Zeitungsträger beim Volksblatt, wie
auch Exzeitungsträger des Christlichen Apologeten, habe aber die Hoffnung,
wenigstens das Versprechen der betreffenden Behörden, denen ich durch
meine Familie dringend empfohlen bin, eine feste Anstellung als
Straßenkehrer für Sycamore und Wallnutstreet zu bekommen.«

Hopfgarten sah seinen Führer von der Seite an, denn unwillkührlich stieg
der Verdacht in ihm auf, daß man sich vielleicht auf seine Kosten
amüsiren wolle, und ihn für »grün« genug halte zu glauben was man ihm
eben aufbinde. Bohle, der aber etwas Ähnliches vielleicht vermuthen
mochte, sagte freundlich:

»Fürchten Sie nicht, lieber Herr, daß Ihnen Einer der Leute hier eine
Unwahrheit erzählt, sie würden _Alle_ über ihn herfallen; die ganze
Geschichte soll Ihnen auch eigentlich nur einen Beweis liefern, wie uns
das Schicksal hier zusammengewürfelt hat, und was wir treiben. Am Tag
müßten Sie Gott weiß wo überall umherkriechen uns anzutreffen, Abends
finden wir uns aber gewöhnlich hier von selber zusammen; nicht aus
freiem Willen übrigens, sondern durch die Nothwendigkeit zu einander
getrieben, einen Anhalt in uns selber gegen das praktische Leben draußen
zu haben. Jetzt kommen Sie Höfner.«

»Meinen Namen haben Sie eben gehört« sagte der also Aufgerufene, mit
einer leichten freundlichen Verneigung gegen den Fremden; »ich bin der
Sohn des früheren Justizministers Höfner aus -- seit zwei Jahren in
Amerika und im ersten halben Jahr in einer Kohlengrube in Pennsylvanien
beschäftigt gewesen. Die Arbeit war mir zu hart, ich ging deshalb als
Koch auf ein Dampfboot, wurde später Bäcker in Dayton und drehe jetzt
Cigarren, in welchem Geschäft ich mir schmeichle ziemliche Fertigkeit
erlangt zu haben.«

»Ich heiße Sorgfeld,« sagte der Dritte, »war früher Officier in
Braunschweigischen Diensten, kam vor drei Jahren nach Amerika, wurde
Farmer, d.h. diente anderthalb Jahr als Ackerknecht, bekam Streit mit
einem Amerikanischen Advokaten in der Nachbarschaft, und flüchtete in
Folge eines Duells nach Ohio, wo ich jetzt Bilderrahmen in der
Spiegelfabrik von _Hoppe & brothers_ vergolde.«

Der vierte war eine etwas schwammige, eben nicht übermäßig reinliche,
in einen grauen Sommerrock eingeknöpfte Gestalt mit einem dicken
aufgedunsenen Gesicht, in dem aber Humor und viel Gutmüthiges lag, trug
eine Brille schief auf der Nase, daß er über das eine Glas hin und unter
dem anderen weg sah, und hatte eine Gewohnheit sich mit den Fingern
durch das lange dünne feuchte Haar zu fahren.

»Ich heiße Müller,« sagte er, dabei still vor sich hinlächelnd, »und bin
Redakteur des Volksboten -- ultra demokratischer Würgengel und Hackklotz
des Christlichen Apologeten wie »Wahrheitsfreundes«[14] -- Principal
jenes jungen blondhaarigen Menschen da, dem ich etwas mehr auf die
Finger sehen muß, da ich nicht begreife wie er mit dem geringen Absatz
meines Blattes so viel Biertrinken vereinigen kann -- habe früher in
Deutschland _jura_ studirt und eine Zeitlang hier Recht verdreht, dann,
als das nicht mehr gehn wollte, und die Eisenbahnspeculation begann, bei
der ich mich auch in etwas betheiligen wollte, zwei Monate an der St.
Louis-Bahn mit geschaufelt und gegraben, bin dann, da die Arbeit meiner
Constitution nicht zusagte, hierher nach Cincinnati gekommen, wo ich
eine Zeitlang für einen hiesigen Kürschner, meinen Nachbar hier, Felle
zupfte, und habe nachher, einem »dringenden Bedürfniß« abzuhelfen, den
»Volksboten« gegründet, an dem mich jetzt meine Zeitungsträger und
Setzer ruiniren.«

»Ich bin der Kürschner Helfich,« sagte ein kleiner Mann mit einem großen
Höker auf der linken Schulter, mit dem er nicht viel mehr als eben auf
den Tisch hinauf reichte. »Habe hier in Amerika eine Ladung Pelze
gekauft, dieselben nach Deutschland hinüber zu schaffen, litt dicht vor
dem Hafen Schiffbruch, bekam, da die Assecuranzcompagnie einfach
bankerott machte, nur fünf Procent, etwas über meine Einzahlung
vergütet, und begann nun hier, da ich solcher Art nicht zurückkehren
mochte, ein kleines Geschäft ganz von vorn; habe auch Clavierunterricht
und Zeichenstunde gegeben, und werde mich im nächsten Frühjahr einer
Gesellschaft anschließen, eine Reise mit der Pelzcompagnie in die
Felsengebirge zu machen.«

»Ich bin Doktor Eberhard,« sagte der nächst ihm Sitzende, »meine
Geschichte ist bald erzählt; vor zwei Jahren als Schiffsdoktor
herübergekommen, habe ich mir die wenigen Patienten, die mir Glück oder
Zufall geliefert, selber todt gemacht -- wenigstens behaupten meine
Freunde so,« sagte er, als die Übrigen lachten, »und würden einen
Mordscandal erhoben haben, hätte ich etwas anderes erzählt. Jetzt habe
ich einen Cigarrenladen errichtet, an dem mein Freund Höfner da
Mitarbeiter ist.«

»Ich habe Theologie studirt« nahm der letzte am Tisch, der neben Bohle
saß, die Reihenfolge auf, »und heiße Tanne. Glaubte auch meinen Beruf
hier in Amerika, nach Allem, was ich früher darüber gehört, sehr bequem
fortsetzen zu können, fand aber nach Jahresfrist daß ich mich darin
geirrt. Von einer Gemeinde in Pennsylvanien engagirt, wöchentlich ein
Mal zu predigen und sämmtliche Festtage zu halten, wofür ich 30 Dollar
monatlich bekam, war ich den Orthodoxen bald nicht orthodox, den
Freisinnigen nicht freisinnig genug. Darin vereinigten sich beide
Partheien, daß ich nicht für sie tauge und ich ging nach Ohio, wo ich in
Columbus eine Zeitlang der deutschen Gemeinde predigte. Umtriebe, die
von einem andern »Pfarrer« dort gemacht wurden, ließen mich meine
dortige Stellung freiwillig aufgeben, und ich zog die ruhigere
Beschäftigung eines Constablers -- quasi Nachtwächter -- in Dayton vor,
wo ich gleichen Gehalt wie als Prediger bekam. Die Nachtluft sagte aber
meiner Constitution nicht zu -- ich wurde dann in Covington, über dem
Ohio drüben, Schullehrer, ärgerte mir da fast den Tod an den Hals und
machte dann zwei Reisen als Koch auf einem Dampfboot, bis ich mich jetzt
endlich als Pillenfabrikant hier zu Ruhe gesetzt habe, und jetzt
ziemlich einträgliche Geschäfte, besonders nach dem Westen der Union mit
blutreinigenden sogenannten Tanneschen Pillen mache.«

»So« sagte Bohle, »haben Sie nun die Güte und introduciren Sie sich
ebenfalls.«

»Lieber Gott, das ist bald geschehen« lachte Hopfgarten »und ich komme
mir, diesen Mannigfaltigkeiten gegenüber, hier ordentlich klein vor. Ich
heiße von Hopfgarten, und reise durch die Vereinigten Staaten von
Nord-Amerika, das Land selber kennen zu lernen und einen richtigen
Begriff davon zu bekommen -- sonst bin ich hier noch weiter Nichts
gewesen als -- Passagier.«

»Aller Ehren werth« rief da Müller lachend, »wenn Sie wirklich noch
weiter Nichts gewesen sind; die meisten Fremden sind gewöhnlich in der
ersten Zeit auch noch »Hühnchen« und werden gerupft.«

Hopfgarten lachte und meinte, das stünde ihm wohl noch bevor. Von jetzt
an wurde das Gespräch allgemein; dadurch übrigens, daß sich alle selber
persönlich aufgeführt und vorgestellt hatten, war ein heiterer,
ungenirter Geist in das Ganze gekommen; der Fremde war ihnen nicht mehr
fremd, und fühlte sich zum ersten Mal, seit er Amerika betreten hatte,
wirklich wohl in einer fremden Umgebung. Die Gesellschaft bestand nur
aus gebildeten Leuten, die sich schon in der Welt etwas umgesehn und
ihre Kräfte versucht hatten, es herrschte ein höchst anständiger, aber
vollkommen zwangloser Ton, und trotz ihren verschiedenen
Beschäftigungen, die Alle vielleicht wieder in den nächsten Monaten
wechselten irgend etwas anderes ihnen mehr zusagendes oder mehr
einträgliches zu ergreifen, sah man daß sie einander achteten und gern
hatten.

»Und es gefällt Ihnen in Amerika?« hatte Hopfgarten im Lauf der
Unterhaltung gewissermaßen die Frage an die ganze Gesellschaft
gerichtet; »Sie fühlen sich wohl und zufrieden hier?«

»Ich will Ihnen etwas sagen, mein lieber Herr von Hopfgarten,« nahm hier
Tanne die Frage auf -- »die Antwort kann nicht einfach mit ja oder nein
gegeben werden. Von gefallen oder nicht gefallen kann überhaupt nicht
die Rede sein irgend einen Maasstab anzulegen, denn das richtet sich
auch großentheils nicht allein nach den Ansichten des Einzelnen, sondern
auch nach dem, was er in der alten Heimath zurückgelassen hat. Das
Vaterland liegt uns noch _Allen_ in den Gliedern, und wird darin liegen,
so lange wir einen Tropfen _menschlichen_ Blutes in uns laufen haben,
und nicht solche erbärmliche nichtsnutzige Schwachköpfe -- ja ich möchte
fast sagen, _Schufte_ geworden sind wie jenes Gesindel, das, ohne irgend
eine Vergangenheit, ohne ein Gefühl von Liebe oder Dankbarkeit sich
_schämt Deutsche_ zu sein. Eigentlich ist das übrigens nur ein Irrthum
von ihnen, sie geben dem Gefühl der Schaam, die ganz richtig in ihnen
besteht, nur einen falschen Namen, sie sollten sich überhaupt schämen
daß sie auf der Welt sind, und reduciren das auf das Vaterland. Doch
um auf unser Thema zurückzufallen -- die Galle läuft mir immer über,
wenn ich auf das Gesindel zu sprechen komme -- so meine ich mit dem
_Gefallen_, daß es sich besonders danach richtet, was wir im alten
Vaterland zurückgelassen haben. War das viel Liebes und Gutes, dann
freilich wird es Manchem schwer werden, hier in ganz anderen, fremden,
ja kalten Verhältnissen -- denn Jeder sorgt hier nur für sich selbst,
und Gott für uns alle -- zurecht zu finden, oder wohl zu fühlen. War das
nicht der Fall, gingen wir mit leichtem Herzen fort, ist es freilich
etwas anderes, und wir werden auch im Stande sein, uns hier leichter
einzurichten. Es sind dann nicht zu viel alte Herzensfasern, beim
Herausreißen aus dem Mutterboden darin zurückgeblieben, und die Pflanze
kommt besser fort und gedeiht -- wenn ich auch gerade nicht weiß, ob ich
_die_ Leute beneiden soll« -- setzte er ernster hinzu. »Überhaupt ist
es mit dem _ubi bene ibi patria_ eine eigene Sache, es klingt recht gut
im Lied, und singt sich ganz erträglich, ist aber doch nicht wahr -- zur
Ehre des Menschengeschlechts nicht wahr, und in melancholischen Stunden,
die fast jeder Staatsbürger einmal hat, und die sich bei den hiesigen
Deutschen gewöhnlich am auffallendsten zur Weihnachtszeit einstellen,
sing' ich die Geschichte manchmal verkehrt.«

»Also das Heimweh existirt doch auch in Amerika« sagte Hopfgarten.

»Moralischen Katzenjammer nennen sie's hier« sagte Müller,
»und gebrauchen Bier und Cognac dagegen.«

»Zeitweise existirt's« fuhr Tanne fort, »aber _Amerika_ ist da nicht die
Ursache, sondern die Fremde überhaupt, und so wunderlich es mir hier
schon gegangen, ja so erbärmlich oft und miserabel, wär' ich der Letzte
der über das Land klagte. Es ist ein großes, herrliches Reich dieß
freie Amerika, von tüchtigen edlen Männern gegründet, die einen
Grundstein für die Ewigkeit gelegt. Nachfolgende Generationen haben daran
unverdrossen weiter gebaut, und wenn auch hie und da einmal ein Miston,
durch die _vielen_ Baumeister hineingekommen, wenn auch hie und da
ein wilder Schnörkel oder Knauf die massenhafte Hoheit des Ganzen
unterbricht und stört, andere Stellen noch roh und unbehauen liegen und
der Arbeiter harren, die _Harmonie_ des Ganzen kann's nicht stören, das
wächst und steigt und breitet sich nach Nord und Süd und West ein Asyl
den Bedrückten, den Nothleidenden, ein weiter Hafen für die ganze Welt.«

»Ja« sagte Hopfgarten, »das klingt nicht so übel, ist aber die alte
Geschichte von der romantischen Seite aufgefaßt; mir läge daran das
_Praktische_ zu hören.«

»Darin kann _ich_ Ihnen vielleicht dienen« sagte Müller, sein Glas
wieder vollschenkend und austrinkend, und das geleerte Blechmaas dem
Wirth um »neuen Stoff« zurückreichend. »Tanne hat die schwache Seite daß
er manchmal Verse macht, und es wird ihm sogar hier nachgesagt, er hätte
in Pennsylvanien einmal eine »gereimte« Predigt gehalten -- _das_ konnten
die Leute nicht vertragen und er mußte fort. -- «

»Ihr reitet nur immer auf _uns_ herum« lachte Tanne -- »wenn Ihr die
Geistlichen nicht hättet --

»Und keinen Löffel, so müßten wir unsere Suppe _trinken_, ja wohl, das
ist ganz in der Ordnung,« sagte Müller trocken, »die kommen aber hier
gar nicht in Betracht, sondern unser Amerika, in dem wir nun einmal
existiren, und wenn vielleicht wenig Menschen weniger Ursache haben
günstig davon zu denken, so wär' ich es, wollte ich eben ungerecht sein
und die ganze Geschichte nur nach mir selber beurtheilen. Wenig Deutsche
in Amerika haben aber gerade so viel Gelegenheit das Wirken und Schaffen,
das Fortschreiten und Wachsen ihrer Landsleute zu beurtheilen, wie
gerade wir Zeitungsredakteure, deren _Beruf_ es eben ist, sich, indem
sie für sich selber sorgen, um Andere zu bekümmern. Wir gerade lernen
dabei eine Menge Menschen kennen, die herüber kommen, hören am
häufigsten was sie darüber sagen, weil wir eben _darauf_ hören, lesen
was sie darüber schreiben, und fühlen zuletzt, wie wir nur zu häufig die
Triebfedern durchschauen, die sie zu dem oder jenem Urtheil geleitet.«

»So zum Beispiel -- um Ihnen die Sache etwas handgreiflicher zu machen
-- ist seit lange nicht so viel Volk vom alten Vaterland herübergekommen,
wie in den letzten zwei Jahren, und zwar meistens aus einer Klasse, die
Sie zwar hier im Zimmer und an diesem Tische besonders vertreten finden,
die wir aber gerade hier in Amerika am allerwenigsten gebrauchen können,
und die auch in der That hier am allerwenigsten mit sich selber anzufangen
weiß. Ich meine eben die mittellose gebildete Klasse, die für ihre
Schulbildung hier keinen Markt findet, und nur zu häufig dann auch noch
zu faul ist da mit den Händen zuzugreifen, wo sie mit dem Kopf nichts
ausrichten kann. Hierzu gehören Juristen, Geistliche -- wenn sie sich in
die bestehenden Eigenthümlichkeiten nicht fügen können oder wollen --
Philologen und Philosophen, die unglückseligsten Menschenkinder von
Allen zwischen den praktischen Amerikanern -- und jene Unmasse von
»falschen Doktorn« wie man sie hier nennt, solche nämlich, die Doktoren
heißen, aber keine Ärzte sind, und deren Schicksal Einen manchmal
wirklich dauern könnte, wenn es nicht gerade auch oft wieder so
komisch wäre. Eine Masse Advokatengesindel, _present company always
excepted_[15] kommt daher, radebrecht Englisch auf eine schauerliche
Art, kennt die hiesigen Gesetze nicht, will nichts Anderes ergreifen,
und schimpft und raisonirt dann über das Land, nimmt das Maul voll und
thut als ob ihm das größte Unrecht geschehen wäre; Ladenschwengel, die
in Deutschland in einer »angenehmen Condition« gestanden, finden hier
nicht gleich Jemand, in dessen Laden sie mit gekräuselten Locken und
faden Redensarten den Angenehmen spielen können. Daß sie nun ihre
_Fäuste_ brauchen, die ihnen der liebe Gott nicht allein zum
Kattunausmessen gegeben hat -- Gott bewahre, nein, Amerika ist ein
gesetzloses, nichtsnutziges Land, gesetzlos, weil sie irgendwo in einer
Kneipe, wo sie sich unnütz gemacht, oder an Plätzen herumgekrochen, wo
sie Nichts zu suchen hatten, hinausgeworfen wurden; nichtsnutzig, weil
man ihnen keine, »ihren Fähigkeiten entsprechende Stellung« anweißt.«

»Eine Menge von diesen Leuten suchen sich dann in hiesigen Blättern zu
expectoriren, theils in Versen, theils in Prosa, schreiben Bogen lange
Artikel über das Land, das sie nicht kennen, über die Verhältnisse, von
denen sie Nichts verstehn, und verlangen dann auch noch Honorar dafür.
Nehmen wir es nun nicht -- denn wenn man all den Unsinn drucken wollte,
hätten _zehn_ Schnellpressen Arbeit -- dann schicken sie die Wische,
weil sie doch einmal geschrieben sind, nach Deutschland, und dort gelten
sie dann als »Stimmen aus Amerika« -- der Schreiber des und des Artikels
muß ja die Sache verstehn, =er ist ja selber drüben= -- daß sie der
Teufel hole. -- «

»Ein Glück für uns, daß von dem Gelichter es doch manchmal ein oder der
Andere möglich macht nach Deutschland zurückzukommen; dort schlägt er
Feuerlärm, schildert uns als Tabackkauende, betrügerische Ungeheuer,
das ganze Land als eine gesetzlose Wildniß -- eine Falle leichtgläubige
Menschen zu fangen, zählt alle Mordthaten und Diebstähle, die in dem
ganzen ungeheueren Reiche, und _wenigstens_ in der Hälfte durch _Fremde_
ausgeübt werden auf, und hält dadurch doch wenigstens viele Andere
seines Gelichters ab herüberzukommen.«

»Der fleißige Arbeiter -- der Ackerbauer, der Handwerker, dem es hier
gut geht, der sich glücklich und wohl fühlt, der schimpft nicht, und
schreibt auch keine albernen Artikel über Amerika, höchstens Briefe in
die Heimath, seine Anverwandten, und die die er lieb hat, herüberzurufen.
Still und unverdrossen geht der seine Bahn fort; sieht sein Land sich
mehr und mehr verwerthen, mit jedem Tag seine Heerden wachsen, seine
Felder blühen, und segnet die Stunde, in der er den Entschluß gefaßt
auszuwandern.«

»Daß es nicht Allen glückt -- wenigstens nicht gleich in der ersten Zeit
und Manche viel Böses und schwere Zeit durchzumachen haben, versteht
sich von selbst -- es fiele mir auch nicht ein, Allen anzurathen
hierherzukommen, das wäre Wahnsinn. Man wirft dem Amerikaner vor daß er
kein Gemüth hat, und ich glaube fast der Vorwurf ist gerecht, wenigstens
im Allgemeinen; auf ein _gemüthliches_ Leben darf man hier im Land denn
auch nicht rechnen, außer man hat _sehr_ viel Geld, und in dem Fall
kehrt der Deutsche doch am liebsten wieder nach Deutschland zurück.
Amerika paßt auch wirklich nicht für eine Menge Leute, und wem es
halbwege gut in Deuschland geht, wem die Verhältnisse dort nicht zu
drückend auf den Schultern liegen, der soll bleiben wo er ist; dort weiß
er was er hat, hier weiß er nicht was er kriegt, und das ist, das
Wenigste zu sagen, eine unangenehme Geschichte.«

»Wenn man nur einmal so einen richtigen deutschen Farmer über Amerika
könnte sprechen hören« sagte Hopfgarten »das wäre mir in der That
ungemein interessant.«

»Nichts leichter als das« lachte Helfig »Ohio wimmelt davon, und wohin
Sie hinein in's Land gehn, finden Sie deutsche Ansiedlungen. Sie
brauchen auch nicht zu fragen wo Deutsche wohnen, Sie sehn es schon an
den reinlichen massiv errichteteten Gebäuden, den steinernen Scheunen,
dem ordentlich aufgestellten Ackergeräth, den sorgfältig urbar gemachten
Feldern.«

»Aber es fällt doch noch manches Außergewöhnliche in den Städten vor«
sagte Hopfgarten, in wirklicher Besorgniß jetzt, daß sie ihm die ganze
Romantik des Landes über den Haufen würfen; »in Cincinnati besonders
habe ich mir sagen lassen, daß Raubanfälle keineswegs zu den
Seltenheiten, und zwar in den besten Theilen der Stadt gehörten.«

»Ah Papperlapapp,« lachte von Lochhausen, »ja es kommt vor, aber im
Verhältniß zu der Unmasse von Proletariat, das uns die alte Welt
herüberschickt, doch unverhältnißmäßig selten, außer in den Fällen wo
sich die Leute selber an Orte begeben in die sie nicht gehören, wie
Müller sagt. Mancher ist in liederlichen Häusern bestohlen worden, und
macht nachher ein Geschrei daß er angefallen und beraubt wäre -- er mag
natürlich nicht sagen _wo_ er sein Geld verloren hat; Andere erzählen
solche Geschichten, wie sie von Abenteuern mit Tigern und Bären
erzählen, sobald sie nur den Fuß in Wald oder Busch gesetzt. Einbrüche
und Raubanfälle kommen vor, ja, aber nicht mehr wie in jeder andern
großen Europäischen Stadt, London gar nicht gerechnet. -- Lieber Gott,
wir Alle die wir hier sitzen, fürchten uns nicht vor der Nachtluft, und
sind schon manchmal Abends spät zu Hause gegangen, und ist schon Einer
von uns Allen angefallen worden? und so wird es Ihnen schwer werden
Jemanden zu finden, der Ihnen etwas derartiges aus eigener Erfahrung
bestätigen kann, wenn er die Wahrheit reden will -- aber es fällt vor!«

»Nun laßt aber Amerika,« rief Sorgfeld dazwischen, »die Geschichte
wird langweilig; wenn der Herr da noch länger hier bei uns bleibt, wird
er sich seine Meinung schon selber bilden; uns Allen wie Tausenden, ja
Millionen unserer Mitbrüder hat das wackere Land die Arme freundlich
geöffnet und uns seine Schätze geboten nach allen Richtungen hin; wer
blöde war und nicht zulangte, oder nicht wußte wie er es anfangen
sollte, dessen eigene Schuld war's -- und vielleicht lernt er's noch
-- Amerika soll leben -- _hoch_!« und das Glas erhebend standen die
meisten Deutschen von ihren Sitzen auf, stießen mit den Gläsern an, und
stimmten in das Hoch ein. -- Einzelne blieben auch sitzen.

Das Gespräch ging von da an wieder auf allgemeine Gegenstände über;
es wurde dabei gelacht und erzählt bis zum Abend; und als Herr von
Hopfgarten ziemlich spät an den Aufbruch dachte, mußte er sich gestehen
daß dieß eigentlich der erste Abend sei, an dem er sich in Amerika
wirklich amüsirt habe. Durch das Gespräch war aber auch der Wunsch um so
mehr in ihm rege geworden, einen Theil des inneren, cultivirten Landes
hier zu sehen, denn die Umgegend von Cincinnati sollte einem Garten
gleichen; so schon am nächsten Morgen miethete er sich ein Pferd in der
Stadt, und ritt Mainstreet hinauf über den Canal durch die deutsche
Vorstadt hin, wo jedes Schild fast einen deutschen Namen trug, und ganze
Schaaren frisch eingewanderter Staatsbürger, in ihren Nationaljacken und
Röcken die Straßen durchwanderten.

Die Hügel, welche die Stadt umgeben, und zu denen sie hinaufsteigt, und
die sie in gar nicht so langen Jahren wird erstiegen haben, lagen zum
Theil mit Gärten, zum Theil mit Rebenpflanzungen bedeckt, und eine
treffliche Straße wand sich dort hindurch. Oben auf dem Hügel aber
hielt Hopfgarten still, das Thal zu überschauen das er eben verlassen,
und das sich jetzt in wundervoller Herrlichkeit vor ihm ausbreitete.

Drüben den Hintergrund bildeten die eben nicht sehr hohen, aber
freundlichen Hügel Kentuckys, theilweise noch mit Wald, meist aber mit
wohl umfenzten Feldern überzogen, bis zu dem Häuserbedeckten Ufer des
Ohio, der seine klaren Fluthen schlängelnd durch das reizende Thal wand.
Haus an Haus aber drängte an dieser Seite des Stromes die junge
Riesenstadt, ein wundervolles Panorama regen thätigen Lebens, das hier,
mit tropischer Keimkraft fast, dem Boden wie entsprungen liegt.

Im Jahre 1788 standen hier in dem Thal, in einer Wildniß, die von Bären
und Büffeln nur bewohnt, von den leichtfüßigen Söhnen der Wälder auf
ihren Kriegszügen durchstreift wurde, drei einzelne Blockhütten, aus den
Stämmen des Waldes aufgebaut -- fünfzig Jahr später zählte die Stadt
Cincinnati 40000 Einwohner,[16] und von da an vermehrte sich die Zahl
fast mit jedem Jahre um 6-7000. Der Strom, den damals fast nur das
schlanke Canoe des Indianers durchfurchte, wimmelte jetzt von mächtigen
Dampfbooten, die mit dem dünnen weißen Schaumstreifen hinter sich, auf-
und niederglitten, und überall streckten qualmende Riesenschornsteine
die langen Hälse empor, thätiges schaffendes Leben bekundend. In den
Straßen der Stadt selber wogte die rastlose Menge auf und ab, zahlreiche
Wagen mit Früchten und Gemüsen, dem reichen Herbstsegen, schwer beladen,
kamen die breite vortrefflich macadamisirte Landstraße nieder, und wie
der Blick weiter schweifte, über die Hänge und Flächen dort umher,
haftete er überall an reizenden Villen, schattigen Gärten, fruchtbaren
Feldern, auf denen Gottes Segen ruhte, und über die sich der reine
wolkenleere Himmel in durchsichtiger Bläue spannte.

»Welch wundervolles Land!« rief Hopfgarten da unwillkührlich aus, »welche
Lebenskraft -- welche Zukunft liegt für dich noch in der Zeiten Schooß
-- wie das gährt und kocht und keimt und sproßt und Blüthen treibt und
Früchte reift -- und über dem Allen _ein einziges Banner_ -- _ein_
Schlachtschrei im Krieg für ein einig Volk, _ein_ Ziel im Frieden, für
das ganze Reich -- armes Deutschland«, setzte er dann seufzend hinzu,
als er sein Thier wieder wandte und der Straße weiter folgte, »kein
Wunder daß ein solches Volk mit solchen Resultaten, solcher Zukunft vor
sich, manchmal über die Stränge schlägt oder ein klein wenig übermüthig
wird, wie ein junges kräftiges Füllen -- hat es doch Ursache dazu, und
darf sich freuen zu seines Schöpfers Lob. -- Wir Deutschen sind freilich
ruhig und gesetzter, springen und schlagen nicht und gebehrden uns nicht
so unanständig; singen keinen Yankeedoodle -- haben auch keine Ursache
dazu, und keine Flagge, sondern nur ein Flickwerk von bunten Lappen;
nicht einmal ein gemeinsames Vaterland, das wir das unsere nennen dürfen.
Aber das Alles möchte sein, schlimmer und schlimmer uns drücken was uns
drückt -- knechten was uns knechtet in Religion und Gewissens-Freiheit
und politischer Meinung; die Hoffnung wäre ja da, daß auch uns vielleicht
einmal ein Washington erstände, wie er den Amerikanern erstanden ist,
gerade als sie seiner am nöthigsten bedurften. Das aber ist ja eben das
Verzweifelte unserer Lage -- _wir_, könnten ihn gar nicht gebrauchen,
wir würden gar nicht wissen was wir mit ihm anfangen sollten, denn wenn
er nicht in allen acht und dreißig Ländern _zugleich_ geboren wäre,
würde ihn ja doch keiner der Nachbarstaaten anerkennen. -- Ich wollte
ich wäre ein Amerikaner,« setzte er leise seufzend hinzu als er, kaum
noch auf den Weg achtend, die breite Straße entlang ritt -- »ich wollte
ich wäre ein Amerikaner und könnte _so_ Deutschland beneiden, wie ich
jetzt Amerika beneiden muß.«

 [Illustration: Capitel 7.]

Der kleine Mann, der sich einen weit anderen Eindruck von dem
freundlichen Ritt versprochen, war ganz schwermüthig geworden bei den
trüben Bildern, die sich seine Phantasie heraufbeschwor, ja vergaß fast,
zwischen Fenzen und Hecken, und einzelnen reizend gelegenen
Häusergruppen durchreitend, den Zweck seines Ausflugs, bis das Pferd,
dessen Zügel er nur ganz locker in der Hand hielt, plötzlich rechts
einbog, das Gebiß, als er es rasch umlenken wollte, zwischen die Zähne
nahm, und sporenstreichs mit ihm in einen Hof, über diesen weg auf eine
offene Thür zu und so direkt in den dort befindlichen Stall hineinfuhr,
daß der Reiter kaum noch Zeit behielt sich in der Thür zu bücken und
nicht gegen den oberen Balken und aus den Sattel geschlagen zu werden.

»Hallo, so eilig?« rief da eine lachende Stimme in deutscher Sprache
hinter ihm drein, und in Holzpantoffeln schlurrte eine etwas
schwerfällig aber sonst behäbig und gutmüthig genug aussehende Gestalt
in gelber unten um die Knöchel gebundener, kniefettiger Lederhose, mit
rother Weste auf der zwei Reihen silberner Knöpfe funkelten und in
Hemdsärmeln, auf dem Kopf aber eine große unförmliche braune Pelzmütze,
über den Hof, und blieb in der Stallthür stehen, neben der sich
Hopfgarten eben aus dem Sattel geschwungen und den Zügel über den Kopf
des Pferdes geworfen hatte, das er jetzt aus Leibeskräften, aber
ebenfalls ohne den geringsten Erfolg, wieder aus dem Stall
hinauszuziehen suchte.

»Laßt den Braunen nur stehn« lachte aber der Bauer, »der kennt die
Krippe und hat da schon manche Metze Hafer gefressen. Guten Morgen
Landsmann, Ihr seid doch ein Deutscher.«

»Allerdings, Herr Landsmann,« sagte der höfliche Hopfgarten, mit einem
eben nicht ganz freundlichen Seitenblick auf den Braunen, »aber es ist
doch immer fatal, wenn man nur eben da halten muß, wo es dem Pferde
gerade einfällt zu bleiben.«

»Deshalb braucht Ihr Euch aber keine Sorge zu machen« sagte der Deutsche
schmunzelnd -- »er macht's seinem Herrn oder allen Anderen die ihn
reiten, nicht besser, und seit den letzten drei Jahren kann sich Niemand
rühmen auf _dem_ Pferd, ohne bei mir anzuhalten, hier vorbeigeritten zu
sein. -- Seid Ihr schon lang in Amerika?«

»Erst wenige Wochen.«

»Und Ihr gleichts?«

Hopfgarten wußte daß dieß der deutsch-amerikanische Ausdruck für
»gefallen« sei und sagte »Sehr.«

»Nu das ist hübsch -- da seid Ihr wohl Landkaufen gekommen -- aber hier
im Stall wollen wir doch nicht stehen bleiben« unterbrach er sich rasch,
»Ihr ruht Euch nun doch schon ein halb Stündchen bei mir aus, und seht
Euch einmal mein Feld und meine neue Scheune an -- seid wohl kein
Bauer?«

Hopfgarten mußte dieß, während der Mann einem Jungen pfiff, und ihm
befahl »Bless,« (wie der Braune nach einem kleinen weißen Fleck vorn
an der Stirn hieß) zu besorgen, und ihm ordentlich Futter zu geben,
verneinen. Bless hatte ihm aber, durch seinen Entschluß sich hier etwas
aufzuhalten, wirklich einen Gefallen gethan, denn von Hopfgarten fand
bald, daß er in dem Mann gerade gefunden was er suchte: einen richtigen
deutschen Bauer, der seit vier Jahren hier im Land angesiedelt war, und
sich in der Zeit eine allerliebste, wohleingerichtete Farm hergestellt
hatte.

Der Mann war aber entsetzlich neugierig, und er selber, ehe er irgend
etwas von ihm herausbekommen konnte über sein Leben und Treiben,
genöthigt _ihm_ erst Alles zu sagen was ihn selber betraf: wo er her
sei, mit welchem Schiff er gekommen, wie viel Passagiere es an Bord
gehabt, wo gelandet, ob Krankheiten unterwegs, ob sie gute Kost an Bord
gehabt hätten, ob er nicht in New-Orleans Jemanden Namens Schmidt kennen
gelernt habe, der »in der Nähe vom Wasser« wohne und einen kleinen
Schenkstand oder einen Kleiderladen habe, und was _Corn_ (Mais) jetzt in
New-Orleans koste. -- Nur nach Deutschland frug er nicht, weder aus
welcher Gegend der Fremde stamme, noch wie es dort aussehe jetzt, im
alten Vaterland. Es waren gerade vier Jahre, daß er die Heimath
verlassen, und als ihn von Hopfgarten später danach frug stellte sich
heraus, daß er noch nicht ein einziges Mal an seine Verwandten drüben,
Geschwister und Schwäger geschrieben habe. Die hatten zu leben, es ging
ihnen gut, das wußte er, wenigstens hätten sie es ihm sonst wohl
gemeldet (sie konnten nicht einmal eine Ahnung haben, wo er angesiedelt
sei) und ihm selber fehlte auch Nichts; seine Farm gedieh, sein Vieh
wuchs heran, seine Erndten waren vortrefflich -- was hatte er da groß zu
schreiben?

In der Stube d'rin bei ihm sah es genau so aus wie in den Bauerstuben
daheim; das Amerikanische Kaminfeuer verschmähend, hatte er sich einen
tüchtigen, ächt deutschen Ofen, dessen Tafeln jedenfalls von Europa
herübergeschafft worden, eingesetzt, hinter dem die Familie in
Winterszeit gewiß eben so geschmort, wie daheim. An der Seite auf dort
befestigten Bretern prangten die alten deutschen irdenen Schüsseln und
Teller, mit ihren frommen Sprüchen und Phantasieblumen, mit Jahreszahl
und Datum, in der Ecke der Stube stand eine blaugemalte, und ebenfalls
mit großen hellen, durch die Chablone gemalten Blumen verzierte Kiste,
auf der noch mit weißen Buchstaben jene bedeutungsschweren Worte
»Auswanderer-Gut -- Cincinnati Ohio, für Johannes Rohrberger aus
Sohlfeld« obgleich später einmal mit dünner blauer Farbe übermalt, doch
noch deutlich sichtbar waren, und am Fenster in der Ecke saß eine alte,
aber noch rüstige Frau an ihrem alten Spinnrad -- jeder Zoll eine
Deutsche. Der aber lag manche Frage wohl schwer auf dem Herzen, als sie
den Landsmann bei sich eintreten sah; dennoch mochte sie ihn selber
nicht anreden, und als die Frau des Bauers, ein hübsches rundes
Weibchen, ebenfalls in ihrer heimischen Tracht mit dem mit Knöpfen und
Zierrathen besetzten Mieder und dem dickgefalteten Rock, in die Stube
kam, und schneeweißes Waizenbrod, und Butter mit einem Kleeblatt in der
Form, und guten deutschen Käse auftrug, und ein paar blitzende Gläser
daneben setzte, zu denen der Mann einen selbst gebrauten dunkelrothen
Kirschschnaps aus dem kleinen Schranke holte (den Schlüssel dazu trug er
selber in der Westentasche) mußte sich Hopfgarten an den Tisch setzen,
und vor allen Dingen essen und trinken. Nachher wollten sie hinaus in
das Feld gehn »damit der Herr auch sähe daß es bei den _Deutschen_ nicht
etwa so liederlich gearbeitet würde wie bei denen Amerikanern.«

Hopfgarten sah nun dort allerdings nicht sehr viel, denn er verstand zu
wenig vom Amerikanischen Ackerbau und besonders von den Schwierigkeiten,
mit denen ein erster Ansiedler zu kämpfen hat, sein Land nicht allein
urbar, sondern auch _holzrein_ zu bekommen (zwei sehr von einander
verschiedene Sachen) die hier gethane Arbeit gehörig würdigen zu können.
Der Amerikaner nämlich -- beiläufig gesagt ein furchtbarer Holzverwüster
so lange ihm nur ein Stück im Wege ist -- schlägt, wie bekannt, die
Bäume um, rollt die kurz abgehauenen Stämme auf Haufen, brennt sie
an, und läßt dabei die Stümpfe stehn, um die er indeß herumackert,
und die in zehn Jahren etwa genug abfaulen mit dem Pflug stückweis
herausgerissen zu werden. Die Deutschen lernen ihnen diese bequeme Art
zu arbeiten bald ab; Viele aber, und besonders in der Nähe von Städten
wo das Holz auch schon eher einen Werth hat, gehen sparsamer mit dem um,
was ihnen Gott auf ihrem Land bis dahin hat wachsen lassen, und scheuen
sich der Arbeit nicht auch das Geringste darauf zu verwerthen.

So lagen Johannes Rohrbergers Felder frei von all diesen fatalen
Stümpfen, glatt und eben als ob sie schon Jahrzehnde dem Pfluge dienstbar
gewesen da; keine Holzverschwendenden Zickzack- oder Wurmfenzen umgaben
sie, sondern Eichen-Pfosten waren ringsum eingeschlagen und durch breite,
unten dicht schließende Queerhölzer, den Ferkeln den Eintritt zu
verweigern, geschlossen, und nicht weit davon aufgeschichtete, selbst
gesägte Breter, Planken, Rafters und Stützen bewiesen, wie der Deutsche
einen besseren Gebrauch für sein treffliches Holz gewußt habe, als es
eben zu verbrennen. Hinter dem Haus lagen außerdem einige achtzig
Klafter, aus dem sich im Winter guter Nutzen in der Stadt ziehen ließ,
und die im Feld errichteten Getraidefeimen gaben zugleich auch Zeugniß
von der Thätigkeit des Mannes nach dieser Richtung hin.

»Sie sind fleißig hier gewesen« sagte Hopfgarten, als ihn der Bauer auf
das Alles aufmerksam gemacht, »und müssen jetzt wackeren Nutzen von
ihrem Lande ziehen.«

»Ach ja es geht« schmunzelte der Mann; »die ersten Jahre freilich kam's
mir ein Bischen hart an; ich kaufte die Farm von einem Amerikaner, der
nach Arkansas übersiedeln wollte, um einen eben nicht zu hohen Preis,
aber es sah auch furchtbar darauf aus -- wüste holzgefüllte Felder,
zerfallene Blockhäuser, von Scheunen und Ställen kein Gedanke, die
Hälfte Boden noch mit Busch bewachsen. Da ging ich mit meinen drei
Jungen an's Werk, und wie wir es erst einmal so weit gebracht hatten daß
wir unser deutsches Handswerkszeug, was wir mitgeschleppt, wegwarfen,
und uns Amerikanische Äxte und Pflüge anschafften, förderte es auch.
Wir haben zwar gearbeitet wie die Pferde, das ist wahr; vor Tag heraus,
und hinein bis in die späte Nacht. Die Amerikaner lachten uns dabei noch
aus, und meinten daß wir es uns unnöthig schwer machten; und in mancher
Hinsicht mochten sie recht haben, denn wir wußten eben noch nicht
ordentlich wie wir die Sache anzufangen hatten, und mußten noch lernen.
Aber schon nach zwei Jahren kriegte der Platz ein anderes Ansehn; ich
nahm mir noch Amerikanische Arbeiter dazu, und _wir_ setzten uns
ebenfalls nicht in die Stube, sondern arbeiteten tüchtig mit; da
förderte es denn freilich. Nicht allein daß uns die Amerikaner, die doch
wenigstens eben so zufassen mußten wie wir selber, ein ordentlich Stück
Arbeit fertig machten, sondern wir lernten auch von ihnen ihre Handgriffe
und ihr praktisches Wesen, denn das muß man ihnen lassen. Ich hätte sie
auch gerne noch ein halb Jahr länger bei mir behalten, wäre mir meine
Alte nicht in einem hin in den Ohren gelegen sie fortzuschicken. Die
konnte sie nicht leiden, weil sie nicht verstand was sie sagten, und
weil sie ihr die reingescheuerten Stuben überall vollspuckten -- immer
freilich in die Winkel hinein, wo sie vielleicht glaubten daß man nicht
hinkäme, aber meine Alte kam doch hin, und es wurde nicht eher Frieden
im Haus bis sie weg waren.«

»Und jetzt geht es Ihnen gut? -- Sie befinden sich wohl hier?«

»Ich glaub's« sagte der Bauer schmunzelnd -- »ich hatte in Deutschland
ein kleines ärmliches Gütchen, das seinen Mann freilich eben nährte,
aber ich mußte mich abquälen und plagen, wie ich eben nur hier die
beiden ersten Jahre gearbeitet habe, ohne, was vor mich zu bringen. Mein
Grundstück fiel dabei eher im Werth als daß es stieg, Abgaben und
Steuern, von denen die Herren im Gericht zuletzt gar nicht mehr wußten
wie viel sie fordern sollten, eine Masse unnützes Gesindel zu füttern
die wir nicht brauchten, die uns aber haben mußten zum Zahlen, und dann
noch holzgrob dabei waren, wuchsen von Jahr zu Jahr, und wenn's mir und
der Alten auch schwer wurde von daheim fortzugehn, jetzt gereut mich's
doch nimmermehr, und ich möchte nicht wieder zurück.«

»Und was haben Sie für Ihre Farm gezahlt?« frug Hopfgarten.

»Viertausend Thaler hab' ich, nach Abzug meiner Passage, mit herüber
gebracht« sagte der Mann, »um zweihundert etwa hatten sie mich noch in
Deutschland geprellt beim Geldwechseln, und vierhundert bin ich nachher
hier an meine Landsleute losgeworden. Für die Farm, mit achtzig Acker
Land, und dem Bischen Vieh was drauf war, und den Gebäuden, in denen
aber ein Christenmensch gar nicht existiren konnte, zahlte ich dann
dreitausend fünfhundert _Dollar_, zweitausend gleich baar an, und das
übrige in jährlichen Raten, und dabei befinde ich mich vortrefflich,
denn mit noch eben so viel beinah, was ich jetzt nach und nach
hineingesteckt habe, ist der Platz in der Zeit das vierfache werth
geworden, und selbst dafür gäb' ich ihn jetzt nicht wieder her. Aber
Land genug ist noch hier herum zu bekommen« setzte er dann rasch hinzu,
»wenn Ihr Euch etwa hier ansiedeln wolltet. Die Amerikaner, mögen sie
einen noch so guten Platz haben, wenn sie einen Profit bekommen,
verkaufen _Alle_ aus; einem Amerikaner ist auch Alles feil was er an
sich hat. Es sind Euch närrische Kerle, sie verkaufen das Hemd vom
Leibe, wenns Einer haben will, die Stiefel von den Füßen, und beim
Pferdehandel betrügen sie den eigenen Vater -- wenn er nicht selber klug
genug ist -- ohne daß sie sich gerade, was Böses dabei denken.«

»Hm hm« sagte Hopfgarten nachdenkend vor sich hin, als er mit ihm zum
Haus zurückging -- »_Sie_ befinden sich nun hier so wohl, Ihnen geht es
so gut, und Sie sehen dabei wie sich Alles vorwärts arbeitet und besser
wird, und andere Leute klagen wieder über das Land, schimpfen darüber
und warnen vor Auswanderung.«

»Das sind die Hungerleider« lachte der Bauer, »ich habe auch schon
ein paar Mal solche bei mir gehabt; die kommen herüber und wollen
Anstellungen haben, wo sie eben so wenig dabei zu thun brauchen wie in
Deutschland, und vom Bauer dabei gefüttert werden, und wenn's damit
nachher nicht geht, wenn das Geld alle ist, und die Kosthäuser nicht
weiter borgen wollen, dann heißt's »wir müssen arbeiten« und dann
kommen sie in Handschuhen heraus und fragen nach »Beschäftigung« wie
sie's nennen. Von denen schick' ich aber _keinen_ fort,« schmunzelte er
dabei, »die stelle ich nur an einen richtigen Baumstumpf zum Ausroden,
und nach drei Stunden haben sie solche Blasen in den Händen, daß sie
keine Radehacke mehr heben können. Nachher essen sie bei mir zu Mittag,
ziehen ihre Handschuh wieder an, gehen nach Cincinnati zurück und
schreiben Bücher über Amerika.«

»Apropos, was ich Sie fragen wollte« rief da Hopfgarten, »Sie haben doch
freie Jagd hier überall -- schießen Sie viel?«

»Schießen? -- ich möchte wissen was« sagte der Bauer -- »es giebt ja
hier Nichts wie so eine kleine Art Rebhühner, ein Bischen größer wie bei
uns die Wachteln, und Kaninchen und Eichkätzchen. Die Eichkätzchen thun
im Felde viel Schaden und hinter die machen wir manchmal Feuer, und die
Rebhühner fangen wir im Winter in Schneehauben, wie wir's in Deutschland
manchmal heimlich gemacht haben; sonst sollte Einer schöne Zeit versäumen,
wenn er mit der Flinte draußen herumliefe und meinen Jungen mache ich
das schon gar nicht weiß. Ein Bauer der auf die Jagd geht ist immer
schon ein halber Lump.«

Hopfgarten mußte noch die neuaufgeführten und in der That trefflich
gebauten Scheunen und Ställe bewundern, wohin ihn Rohrberger »den
nächsten Weg« über eine frisch geackerte Stürze führte, damit der Fremde
doch auch sähe was er für wackere Pferde hätte, und wie brav seine
Jungen ackerten, dachte aber dann auch wieder an den Aufbruch, um noch
mehr vom inneren Land zu sehn, und seinen Ritt so auszudehnen, daß er
wenigstens erst gegen Abend nach Cincinnati zurück kam.

Als er seinen freundlichen Wirthen für ihre Gastfreundschaft gedankt
hatte, und in der Thür von ihnen Abschied nahm, kam auch die Alte
hinter dem Spinnrad vor, gab ihm die Hand, sah ihm eine Weile scharf
und forschend in's Gesicht und sagte dann:

»Ihr seid wohl nicht in der Gegend von Sohlfeld zu Hause?«

»Nein liebe Frau, ich weiß nicht einmal wo der Ort liegt.«

»Seid auch in Muschenberge nicht bekannt?«

»Auch nicht im mindesten.«

»Hm, hm« murmelte die Frau vor sich hin und humpelte langsam, ohne
weiter ein Wort zu sagen, zu ihrem Spinnrad zurück.

Der Junge hatte »Bless« indessen wieder vorgeführt, und Rohrberger gab
dem Fremden die Richtung an, die er am bequemsten nehmen könnte einen
hübschen Ritt zu machen, und doch zu Abend wieder in der Stadt zu sein.
Dort würde er auch unterwegs noch eine Menge deutsche Farmen und Gärten
finden, und »wenn er sein Pferd am sieben Meilen-Haus vorbeibrächte« wo
er aber wahrscheinlich wieder auf kurze Zeit halten müßte, des Braunen
wegen, sollte er auf der nächsten Farm die rechts am Wege läge
einsprechen.

Hopfgarten grüßte noch einmal freundlich zurück, und sprengte dann rasch
auf seinem jetzt vollkommen zufrieden gestellten Braunen, die Straße
hinauf.




Capitel 8.

Professor Lobenstein als Farmer.


Herr von Hopfgarten fühlte sich nur halb befriedigt durch seinen Ritt.
Das Land selber ließ allerdings nichts zu wünschen übrig, und war in
einer Art cultivirt die er »soweit westlich« wirklich kaum für möglich
gehalten hatte. Reges Leben herrschte dabei auf den Straßen, Fuhrwerke
gingen nach allen Richtungen, überall waren Bauten im Werk, wurden
Schienenwege gelegt, das Land auch vom Strome ab in seinen Hauptplätzen
mit einander zu verbinden, und ein rastlos thätiges Leben herrschte
wohin das Auge traf, aber von Romantik war auch keine Spur dabei zu
finden. Alles ging seinen festen praktischen Gang, Hals über Kopf zwar,
aber in gleichen Bahnen fort, als ob das ganze Amerika schon ein
einziger Schienenweg geworden, und selbst die Gespräche der verschiedenen
Leute mit denen er verkehrte, drehten sich um Nichts anderes als Handel
und Geschäfte, Preise der verschiedenen Produkte, Eisenbahnaktien, und
wo wirklich einmal irgend etwas Außerordentliches, Außergewöhnliches
geschehen war, so wurde der »ferne Westen« als der Ort genannt.

Der _Westen_ genirte ihn überhaupt; nach der Landkarte hatte er sich
schon Cincinnati als einen ungemein _westlich_ gelegenen Punkt gedacht,
einen Binnenort Amerikas, der gewissermaßen schon den Charakter der
Backwoods vertreten müsse; hier angelangt fand er aber zu seinem
Erstaunen, daß von _backwoods_, wie die Wälder des Westens genannt
werden, auch nicht die Spur mehr zu finden sei, und selbst da wo noch
Wald existirte, kleine Farmen überall hindurchgestreut lagen, und Wege
ihn überall durchkreuzten.

Weiter _westlich_ beschloß er also zu ziehen; der Osten interessirte ihn
nicht weiter, denn um große Cultur aufzusuchen war er nicht nach Amerika
gekommen; ihm lag daran, die noch wenig civilisirten Stellen kennen zu
lernen, er wollte _das_ Amerika aufsuchen das _er_ sich gedacht, und das
fand er in und um Cincinnati und überhaupt in einem Staat nicht, wo die
Cultur schon solche Fortschritte gemacht, daß es wirklich nur noch der
schon fast beendeten Eisenbahnen bedurfte, sie vollkommen zu nennen.

Hierbei so wenig als möglich Zeit zu versäumen, beschloß er nach
Lobensteins Farm zurückzukehren, dort seinen Koffer zu lassen den er
sich, in New-Orleans wieder angekommen, jede Woche konnte nachschicken
lassen, und nur seinen Reisesack mit auf die nächste Wanderung zu
nehmen, wodurch er in den Stand gesetzt wurde im Wald zu Wagen oder auch
zu Pferd, ja wenn es möglich war in einem _Canoe_ seine Reise,
unbehindert durch Gepäck, fortzusetzen.

Einmal einen Entschluß gefaßt, und der kleine energische Mann ließ mit
der Ausführung auch nicht lange auf sich warten; Dampfboote, den Strom
hinunter, gingen jetzt an jedem Tage fünf oder sechs ab, und eins
derselben benutzend, landete ihn dieses bald wieder am Fuß des
Grahamstown Werftes, das noch eben so still und öde in der Sonne lag,
als an dem Tag wo sie es zuerst betreten.

Ezra Ludkins war aber nicht zu Hause, sondern wie man ihm eben sagte,
nach St. Louis in Geschäften gegangen, er hielt sich auch deshalb gar
nicht in der Stadt auf, sondern miethete nur ein Pferd, das ihn selber
trug, wie einen Mann, der ihm sein Gepäck nach »Lobensteins« -- oder wie
sie den Platz hier schon nannten, der »deutschen Farm« hinausschaffen
sollte, und galopirte bald darauf die ihm wohlbekannte Straße entlang,
sein Ziel noch vor Sonnenuntergang zu erreichen.

Er fand Lobenstein's auf ihrem neuen Besitzthum, und wurde von ihnen mit
einer Herzlichkeit begrüßt, als ob er selber mit zur Familie gehörte.
Sie hatten sich hier schon so gut eingerichtet, wie das eben in der
kurzen Zeit möglich gewesen; aber das Innere des Hauses, mit seinen
kahlen, rohbehauenen Balken, der unbedeckte Erdboden, nur theilweise
mit Stücken alten Teppichs belegt, die zum Umpacken gedient hatten, die
noch zur Hälfte ungeöffneten Kisten, die in dem anderen Gebäude nicht
hatten sämmtlich untergebracht werden können, und hier zum Theil mit zu
Bettstellen benutzt wurden, sahen keineswegs wohnlich und behaglich aus.
Dazu paßte der schöne Mahagony-Flügel ebenfalls nicht, der mit den
Messing-Rollen in die Erde hineingegraben in der einen Ecke stand, und
den knappen Raum der Wohnung nur noch mehr beengte; aber man hatte ihn
nirgends anders trocken unterbringen können, und seine obere Decke mußte
jetzt, wo an _Spielen_ doch nicht gedacht werden konnte, zum Sammelplatz
aller leichteren, Raum wegnehmenden Dinge, wie Hutschachteln etc. dienen,
von denen ein ganzer Berg auf ihn gehäuft war.

Mit den Arbeiten ging es dagegen, wie ihn der Professor versicherte,
rüstig vorwärts; er hatte außer der Weberfamilie noch acht eben von
»drüben herüber« gekommene Deutsche gemiethet, ihm die nöthige
Einrichtung, den nächsten Hausbau wie das Bestellen der Felder beenden
zu helfen -- die Leute campirten jetzt alle zusammen mit in der Hütte
des Webers, dessen Frau für sie kochte -- und nur das eine vermißte er
bis jetzt noch, daß er kein deutsches Dienstmädchen bekommen konnte,
ihnen in den Hausarbeiten, die meistentheils auf den Töchtern lasteten,
beizustehn. Mit den Amerikanerinnen war Nichts anzufangen, sie machten
enorme Forderungen und wollten Nichts arbeiten, und der Professor
äußerte sich, daß er gesonnen sei in nächster Woche selber nach
Cincinnati zu fahren, um sich von dort ein paar Dienstboten zu holen.
Wenn er das vorhergewußt, hätte ihnen Herr von Hopfgarten gleich eine
oder zwei von dort mitbringen können.

»Aber des Webers Frau?« --

»Lieber Gott, die hatte jetzt alle Hände voll mit Kochen und Waschen zu
thun.«

»Und wo war Eduard?« Hopfgarten hatte ihn noch nicht gesehn.

»Eduard -- oh, der fühlte sich ganz glücklich in diesem neuen Leben und
hatte, das Land und die Umgegend ein wenig kennen zu lernen, die
Doppelflinte und Botanisirtrommel auf den Rücken genommen, und war schon
seit zwei Tagen 'im Innern', mußte aber jetzt jeden Augenblick
zurückkommen.«

Dem Professor gefiel es ungemein hier, wo er ein ganz neues frisches
Feld für seine Thätigkeit gewonnen, und in Stand gesetzt war, das, was er
bis dahin in Deutschland nur theoretisch betrieben, endlich einmal im
praktischen Leben ausführen zu können. Er versprach sich dabei
Außerordentliches von den hier neueinzuführenden Systemen, mit denen er
den Amerikanern, die nur so oberflächlich in's Blaue hineinarbeiteten,
einmal beweisen wollte wie man eine solche Farm, nach allen Zweigen und
Richtungen hin, ausbeuten und verwerthen könne. Er hatte großartige
Pläne in dieser Mannigfaltigkeit, über die er sich aber jetzt noch nicht
näher auslassen und Herrn von Hopfgarten damit überraschen wollte, wenn
derselbe sie im nächsten Sommer, wie er das fest versprochen, wieder
besuchen würde. Bis dahin mußte schon viel in Angriff genommen und
geschehn sein.

Die Frau Professorin war leidend; sie hatte sich in dem ungewohnt
luftigen Aufenthalt sehr erkältet. Dazu war der Ärger mit einem
kürzlich in's Haus genommenen und gleich wieder fortgeschickten
Amerikanischen Mädchen gekommen, dessen Eltern sich jetzt gekränkt
glaubten, und dem Vater schon einige unangenehme Auftritte gemacht
hatten; sie hütete deshalb das Bett, um sich in dem jetzt eintretenden
kälteren Wetter keinem Rückfall auszusetzen.

Hopfgarten beabsichtigte, als er Cincinnati verließ, ein paar Tage bei
Lobensteins zuzubringen, ehe er seine Reise fortsetze; er hatte die
Familie lieb gewonnen, und nahm wirklich Theil an ihrem Wohlergehn. Wie
er aber jetzt hier die Zustände fand, mit kaum Platz für sich selber
die Nacht zu schlafen, hielt er es doch für besser schon am andern Tag
wieder aufzubrechen, und seinen Besuch lieber das nächste Mal, wenn sie
vollständig eingerichtet sein würden, länger auszudehnen.

Zu gleicher Zeit konnte er sich aber auch eines unbehaglichen Gefühles,
dem er trotzdem keinen rechten Ausdruck zu geben wußte, nicht erwehren;
die ganze Art, wie der Professor seine Ansiedlung in Angriff nahm,
schien ihm nicht die rechte; die vielen _deutschen_ Arbeiter, die so
wenig von der hiesigen Art zu bauen und Feld zu bestellen wußten, und
nebenbei ein schmähliges Geld kosten mußten; die _vielen_ Pläne, die der
gewiß sehr gelehrte, aber vielleicht gar nicht so praktische Mann auf
einmal hatte; das Spatzierengehn des Sohnes selbst, eine Kleinigkeit an
und für sich, aber doch von Bedeutung hier, wo es im Hause eben noch
_Alles_ zu thun gab -- er sträubte sich gegen das Gefühl so viel er
konnte, aber es war ihm immer als ob da nicht Alles so in Ordnung sei,
wie z.B. bei dem deutschen Bauer Rohrberger, den er bei Cincinnati
getroffen, und konnte nur jetzt hoffen daß er sich irre, und Professor
Lobenstein die Sache viel besser verstehe als er es ihm, wenn er recht
aufrichtig sein wollte, zutraute.

Nur Marie war heiter wie immer, lachte über die Masse von kleinen
Unbequemlichkeiten die sie auszustehen hatten, und freute sich wie ein
Kind auf die nächste Zeit, wo ihre Hühnerzucht heranwachsen und ihr
Garten erst in Ordnung sein würde. Bis dahin hatte sie freilich noch
ein wenig zu thun; aber der nächste Sommer mußte das, nach Vaters
Versicherung, auch Alles beendet sehn. Wenn nur erst einmal das Haus
stand, denn das war für jetzt die Hauptsache, und in der That auch der
Punkt, um den sich jede weitere Hoffnung für Bequemlichkeit und
Wohnlichkeit drehen mußte.

Marie hatte übrigens, trotz all dem Wirwarrr in dem sie Hopfgarten
antraf, doch Zeit gefunden den versprochenen Brief an Clara Henkel
zu schreiben. Eine nähere Adresse wußte sie freilich nicht darauf
anzugeben, als das St. Charles Hotel, das Henkel selber dem Professor
als sein nächstes Domicil, bis er eine eigene Wohnung würde in Stand
gesetzt haben, bezeichnet hatte; das genügte aber auch, und war er
von da wirklich schon ausgezogen, so konnte er weiter erfragt werden.
Überhaupt mußte ja auch die Firma selber leicht aufgefunden werden
können.

Übrigens wünschte Hopfgarten die Reise nach St. Louis nicht gern,
wie er gekommen, zu Wasser fortzusetzen; es lag darin etwas gar zu
monotones, und er bekam auch auf die Weise das Land wirklich gar nicht
zu sehen; aber wie das anders anfangen? Reiten sagte seiner Constitution
nicht besonders zu; er hatte sich an dem einen Tag bei Cincinnati schon
einen solchen Denkzettel im Sattel geholt, daß er drei Tage danach nicht
ordentlich gehen konnte, und war deshalb auch nicht im Stande eine
längere Tour auszuhalten -- zu Fuß wäre noch viel weniger möglich
gewesen und Eisenbahnen existirten noch nicht; was nun anfangen? -- Der
Professor erzählte ihm da, daß er unter anderen Annehmlichkeiten seines
Platzes auch die hätte rühmen hören, in kaum fünf Meilen von der Farm
eine nach St. Louis vorbeigehende Postverbindung zu haben, die eben all
die kleinen, im Inneren liegenden Orte berührte, und eigentlich nach
Vincennes am Wabasch bestimmt schien, von wo aus sie dann weiter durch
Illinois, gerade West nach St. Louis lief, und auch wohl, wenn er nicht
sehr irre, schon theilweise mit einer Eisenbahn in Verbindung stand.

Hier war eine Aushülfe, auf einer Amerikanischen Post zu fahren überdieß
schon etwas Neues und Interessantes, und ging dieselbe vielleicht gar
mehrmals die Woche, konnte man auch leicht an einem, des Bleibens
werthen Platz ein paar Tage anhalten, von da kleine Ausflüge in die
Nachbarschaft machen, und mit der nächsten Post weiter fahren. Die
nächste Post_station_ war also Hollowfield, etwa fünf Meilen von
Lobensteins Farm gelegen; die Postkutsche selber lief, als Speculation
eines Privatunternehmers, von irgend einer kleinen Stadt am Ohio nach
Vincennes hinauf, wo sie mit der Vereinigten Staaten Post, die von
Cincinnati nach St. Louis ging, zusammentraf und wieder zurück fuhr,
während die letztere die mitgekommenen Passagiere weiter zu befördern
hatte. Sein Koffer konnte indeß, wie er sich das auch gedacht, hier
stehen bleiben bis er selber wieder in New-Orleans angekommen war, die
nothwendigsten Sachen hatte er auch schon in einen Reisesack gepackt,
und der Professor, der ihn unter den jetzigen Umständen gar nicht
nöthigen konnte länger bei ihm zu bleiben, versprach ihm am nächsten
Morgen zwei Pferde mit einem Mann zu besorgen, der ihn, nebst seinem
Reisesack sicher nach Hollowfield geleiten konnte.

Als Hopfgarten am nächsten Morgen nach eingenommenem Kaffee die Farm
verließ, sah er die Deutschen draußen beschäftigt theils im Wald
abgesägte Stämme mit Ochsen herbeizuschaffen, theils schon hergebrachte
zu behauen. Er blieb, bis die Pferde gebracht wurden, bei ihnen stehn
und schaute ihnen zu, aber Alles was sie anfaßten ging ihnen nur langsam
von Händen; sie arbeiteten, wie es schien, sehr akkurat, aber mit keiner
Idee von dem Werth der Zeit hier in Amerika. Es waren Tagelöhner, die
nur eben auf anständige Weise ihren Tag von Mahlzeit zu Mahlzeit
durchzuschleppen hatten, und jede Anstrengung, die sie dabei ihrem
Körper ersparen konnten, galt natürlich für reinen Gewinnst; daß der
Professor ihnen dabei ihren _vollen_ Lohn bezahlte, verstand sich von
selbst.

Der Weber, als auf dem Schiff gelernter Zimmermann, hatte die Leitung
des Ganzen überkommen und that allerdings sein Möglichstes; der
Professor hielt mit Recht große Stücken auf ihn. Dem Weber waren aber
auch im Anfang die vielen verschiedenen Arbeiter nicht recht gewesen,
die Einem ja, seiner Äußerung nach, »die Haare vom Kopf fräßen« -- wann
hätte aber da das Haus fertig werden sollen? --

Als Hopfgarten endlich im Sattel saß, und sein Führer den Eingang zur
Fenz niedergelegt hatte, daß die Reiter hinauskonnten, standen
Lobensteins in der Thür ihres Hauses, und winkten ihm noch ein letztes
Lebewohl nach. Marie war schon an der Arbeit gewesen und stand
hochaufgeschürzt, mit aufgestreiften Ärmeln, neben dem kleinen Viehhof
in dem ihre Melkkühe eingesperrt waren.

»Und grüßen Sie mir Clara viel tausendmal!« rief sie ihm nach.

»Und sie soll recht, recht bald schreiben,« bat Anna noch.

»Ich werde Alles bestellen,« winkte Hopfgarten zurück, schwenkte noch
einmal den Hut gegen sie, und galopirte dann, seinem Thiere die Sporen
eindrückend, rasch den schmalen Weg entlang, der gen Hollowfield führte.

       *       *       *       *       *

Der Brief Mariens, den er in seiner Brieftasche für Clara mit sich trug,
lautete:


    »Meine liebe gute Clara!«

    »Wenn Dich diese Zeilen erreichen, hast Du Dich hoffentlich ganz
    wieder erholt, und bist wieder das frohe, heitere Wesen, das Du
    warst, als wir zusammen das Schiff betraten.«

    »Uns geht es hier recht gut; Vater hat eine Farm in Indiana, nur
    einige englische Meilen von dem schönen Fluß Ohio gekauft, und
    wenn wir uns auch jetzt noch ein wenig behelfen müssen, wird es
    später desto freundlicher werden.«

    »Früher hatten den Platz Amerikaner inne, aber Du glaubst gar
    nicht, Clara, wie ihn die zugerichtet hatten; mit Körben und
    Schaufeln haben wir den, überall in die Ecken gekehrten Schmutz
    zum Hause hinaus und auf das Feld getragen, und unter dem Dach auf
    den Queerbalken, wo einzelne Breter lagen, fanden wir den Staub
    fingerdick und schon ganz hart geworden. Vater läßt aber jetzt ein
    anderes bauen; von den Arbeitern, die wir angenommen haben ist
    Einer Maurer, und will uns das Ganze ordentlich herstellen.«

    »Wir besitzen jetzt schon zwei Pferde, vier Zugochsen, acht Kühe,
    drei Kälber, elf Hühner und vier Truthühner; Anna, die das
    Milchwesen überkommen, hat schon einmal gebuttert, und in vierzehn
    Tagen denken wir unsere erste Butter nach der Stadt -- freilich
    ein kleines erbärmliches Nest -- zu verkaufen. Wir haben zwar noch
    eine andere Stadt, Hollowfield -- die erste heißt Grahamstown und
    liegt am Ohio -- irgendwo im Lande drin in der Nähe, die wird aber
    auch nicht besser sein als die erste, und der Weg dorthin soll
    sehr schlecht sein. Wir arbeiten jetzt aber sehr viel; um fünf Uhr
    wird aufgestanden, und da haben wir vollauf zu thun bis es dunkel
    wird; ja die Tage vergehn uns dabei nur immer noch zu schnell.
    Anna hat sich hier recht erholt und ist munterer als sie auf dem
    Schiff war, auch Camilla wird dick und fett, und muß ebenfalls
    schon mit zufassen, die Hühner füttern, in der Küche mit
    aufwaschen helfen, und allerlei kleine Arbeiten thun. Wir haben
    allerdings die Webersfamilie, die zufällig auf demselben Dampfboot
    mit uns stromauf ging, in Dienst genommen, und auf ein Jahr
    engagirt, und eigentlich sollte uns die Frau die Küche besorgen;
    die hat aber jetzt so viel mit den Arbeitern zu thun, und mit
    Scheuern und Waschen, daß sie noch nicht dazu kommt. Wenn wir nur
    erst einmal weniger Arbeiter brauchen wird das schon besser
    werden.«

    »Eduard fühlt sich ganz glücklich hier; er ist jetzt auf einen
    Entdeckungszug, wie er es nennt, in das Innere; wenn er aber
    zurückkommt muß er auch tüchtig mit zufassen; denn faule Leute
    können wir hier nicht brauchen -- hier muß Alles arbeiten.«

    »Die Lage unserer Farm ist reizend; in einem kleinen Thalkessel,
    von nicht sehr hohen aber dicht bewaldeten Hügeln umgeben, liegen
    wir wie mitten in der Wildniß, und sind doch ganz dicht an
    civilisirten Gegenden. Ein kleiner Bergbach mit klarem Wasser
    läuft kaum zwanzig Schritt am Haus vorbei. In dem allerdings sehr
    verwilderten Garten stehen dabei eine Menge junger Pfirsich- und
    Quitten- und Apfelbäume, die einmal später gute Früchte tragen
    werden, im Walde wachsen eine Unmasse wilder Brombeeren, und
    überhaupt viele andere Fruchtbäume mit wildem Wein, die ich Dir in
    meinem nächsten Briefe näher beschreiben werde, denn jetzt hab'
    ich sie selber noch nicht aufsuchen können.«

    »Mit unserem Englisch geht es noch sehr schwach, und die Nachbarn,
    der Eine in Grahamstown ausgenommen der uns den Platz verkaufte
    und ein Pennsylvanier ist, sprechen gar nichts Anders wie Englisch,
    und wir radebrechen dabei schön mit ihnen herum; da wir aber
    lauter deutsche Arbeiter haben, können wir das Englisch jetzt noch
    eine Weile entbehren.«

    »Mutter ist leider die letzten Tage unwohl gewesen und hat das
    Bett hüten müssen; das ganz neue fremde Leben hat sie auch wohl
    mehr angegriffen als uns, die wir noch jung sind und uns gerade
    keine Sorgen machen. Im Anfang hat sie sogar immer verweinte Augen
    gehabt -- wenn sie es auch vor uns verbergen wollte, wir haben es
    doch gemerkt. Jetzt aber, da sie sieht daß es vorwärts geht,
    findet sie sich schon besser hinein, und im nächsten Jahre wird
    hoffentlich Alles gut sein.«

    »Vater ist jetzt ganz glücklich; er ist von früh auf bei der Hand,
    und zeichnet und mißt aus und ordnet an, und wenn er sich auch
    manchmal mit den Leuten zankt, die Vieles nicht so machen wollen
    wie er es für gut befindet, so bekommt ihm die kleine Aufregung
    doch ganz gut, denn er wird dick und fett dabei, und sieht wohl
    und munter aus.«

    »Aber jetzt genug von uns; mich und uns Alle drückt die Sorge wie
    es Dir in Deinem neuen Leben geht, mein Herz, und ob Du Dich von
    Deiner Krankheit vollständig erholt. Herr von Hopfgarten, der Dir
    viel von uns erzählen wird, hat uns freilich versprochen Dich
    selber aufzusuchen, und uns genauen Bericht abzustatten, aber wir
    möchten auch von Dir selber es schriftlich sehn daß es Dir gut
    geht, bis Dein lieber Mann sein Wort hält, und Dich zu uns bringt.
    Wir freuen uns unendlich darauf, und bis dahin sind wir auch schon
    besser eingerichtet als jetzt. Unsere Adresse schreibe ich Dir
    hier unten ganz genau. Wie geht es denn Hedwig, ist sie froh und
    gesund?« --

    »Doch ich muß jetzt schließen, draußen kommen die Leute mit der
    einen Kuh, die uns fortgelaufen war, und nach der sie schon den
    ganzen Tag gesucht haben, in der Küche ist auch so viel zu thun,
    daß ich nicht länger hier sitzen darf; ich wollte Dich nur
    wenigstens wissen lassen wie es uns geht. So lebe recht wohl,
    grüße Deinen lieben Mann und Hedwig recht freundlich von uns
    Allen, wie mir auch Alle für Dich viel tausend Grüße aufgetragen
    haben, und gedenke manchmal freundlich

    Deiner Marie.«




Capitel 9.

Herrn von Hopfgartens Abenteuer.


Hopfgarten erreichte nach einem kurzen und nicht unangenehmen Ritt das
kleine Städtchen Hollowfield, von dem er aber im Anfang wirklich glaubte
er sei wieder nach Grahamstown gekommen, so glich eins dem anderen. Nur
das Wirthshausschild war anders: das scheußliche Brustbild irgend einer
menschlichen Figur mit großer Allongenperrücke und in eine blaue Uniform
eingeknöpft, dessen Unterschrift, den innerlich gewiß sehr verehrten,
hier äußerlich aber traurig mishandelten Namen »George Washington« trug.

Zur rechten Zeit war er übrigens eingetroffen, denn die _mailcoach_ oder
Postkutsche stand gerade ausgefahren vor dem »Washington Hotel«, und in
ein ledernes Behältniß, das hinten an dem etwas unbehülflich aussehenden
Fuhrwerk angebracht war, wie vorn in den Kasten unter dem Kutschenbock
(von den Engländern _Stiefel_ genannt) waren ein paar junge Burschen
eben beschäftigt kleine Koffer, Reisesäcke, Hutschachteln und andere
Passagierübliche Gegenstände einzuschieben, und -- wenn sie sich nicht
gutwillig dem beschränkten Raum fügen wollten -- mit den Füßen
hineinzutreten.

Diese Postkutsche hielt in ihrem Innern neun Personen; acht Passagiere
waren schon eingeschrieben, von denen jedoch außer ihm, nur zwei bis
Vincennes fuhren, und nachdem der Deutsche sein Passagegeld bezahlt,
hatte er die Genugthuung seinen eigenen Reisesack auf dieselbe Art und
Weise behandelt zu sehn, wie das Gepäck seiner Postgefährten.

Mit etwas mistrauischen Blicken betrachtete er übrigens gleich von
Anfang an dieses ihm noch neue Amerikanische Beförderungs-Mittel, das
allerdings, mit seinen Schwestern in Europa verglichen, Manches zu
wünschen übrig ließ. Stark genug schien übrigens der Kasten gebaut, auch
den schwersten Wechselfällen ihrer Fahrt wacker zu begegnen. Die »Federn«
bestanden aus Streifen roher Haut, und die Kutsche selber hatte nur, wie
Herr von Hopfgarten bei näherer Besichtigung fand, eine einzige Thüre in
der linken Seite. Drei Sitze waren im Inneren angebracht, jeder für drei
Personen, wobei die mittelsten Passagiere auf eine bewegliche und
ebenfalls in Rohhaut hängende Bank zu sitzen kamen, und ihre Rücken
gegen einen anderen breiten ledernen Riemen legen durften. Statt der
Polster in den Ecken -- die Thür hatte eine Glasscheibe -- hingen an den
Seiten lederne Gardinen herunter, die nach Gefallen der Passagiere
auf- und niedergelassen werden konnten.

Soweit war Alles gut, beim Einsteigen, was natürlich für sämmtliche
Passagiere nur durch die eine Thür geschah, fand sich aber daß
Hopfgarten, als letzter Passagier, den mittelsten Platz auf der
mittelsten Bank bekommen hatte, und dadurch natürlich jedes
Anhaltepunktes für seinen Kopf beraubt war. Er mußte denselben
fortwährend in der Schwebe halten, und durfte nur hoffen in eine Ecke zu
kommen, wenn einige der anderen Reisenden, die nicht ganz mit bis nach
Vincennes fuhren, ausstiegen. Die Pferde waren vorgespannt, die
Passagiere kletterten in ihre Sitze, der Deutsche als Vorletzter, der
Schlag wurde zugeworfen. »_All right!_« rief der Hausknecht, oder ein
dem ähnliches Individuum, das sich aber sonst sehr unabhängig zu fühlen
schien, die vier munteren, ziemlich gut gehaltenen Rappen zogen an, und
mit einem furchtbaren Stoß, der schon die Güte des ledernen Rückbandes
probte, in Gang gebracht, rasselte der Wagen plötzlich unter dem Jubel
der jugendlichen Bevölkerung von Hollowfield in voller Flucht zu dem
kleinen Ort hinaus und in den Wald hinein.

Dem Leser, der noch nie in einer Amerikanischen Postkutsche gefahren,
auch nur einen Begriff der stoßweisen Bewegung, selbst nur stoßweise
beizubringen, wäre unmöglich, und Hopfgarten dankte schon nach der
ersten Viertelstunde Gott, daß ihm in Hollowfield keine Zeit gelassen
worden eine ordentliche Mahlzeit zu sich zu nehmen, er hätte sonst
Höllenqualen ausstehen müssen.

Einer anderen Unannehmlichkeit entging er aber _nicht_; das Ausspucken
der Amerikaner hatte er schon seit seiner ersten Dampfbootfahrt bemerkt,
und es war ihm fatal gewesen, ohne daß es ihn weiter belästigte; hier
aber, in dem engen Raum des Kutschkastens kam er mit den Leuten in so
nahe Berührung, daß er dem ekelhaften Gebrauch nicht mehr aus dem Wege
gehen konnte, und bald zu seinem Entsetzen fand, wie er sich wirklich in
eine höchst fatale Lage muthwilliger Weise hineingebracht hatte. Daß die
übrigen Passagiere durch das offene Fenster des Schlags ein ziemlich
regelmäßiges Feuer von ausgespritztem Tabackssaft unterhielten, durfte
ihn natürlich nicht in Erstaunen setzen, er war auch darauf, wenn auch
nicht in dem Grade, vorbereitet gewesen. Das genirte ihn also weiter
nicht, er schloß die Augen und überließ sich dabei, bis er sich etwas
mehr daran gewöhnt haben würde, seinen eigenen Gedanken, aber der
unglückselige Passagier zu seiner rechten, der mit ihm auf ein und
demselben Bret saß, wie der in der vorderen rechten Ecke -- und der
letztere fast noch mehr als der erste -- brachten ihn bald zur
Verzweiflung. Die guten Leute nämlich, lange ungeschlachte _Hoosier_,[17]
die überdieß nicht wußten was sie mit ihren Beinen anfangen sollten,
mußten, da das Leder an ihrer Seite niedergeschnallt war, schräg an ihm
und über ihn wegspucken, das Wagenfenster zu erreichen, und wenn auch
der Mittelpassagier im Anfang versuchte zwischen ihren beiden Knieen den
Boden zu treffen, so war das noch eher schlimmer als das erste.
Hopfgarten konnte jedoch nie den geringsten Grund zur Klage bekommen, denn
auch nicht das kleinste Spritzchen traf ihn, so geschickt dirigirten die
Burschen den braunen Saft wohin sie ihn wollten. Aber trotz dieser, in
der nächsten Stunde vielleicht sechzig Mal gemachten Erfahrung, mußte er
unwillkürlich nach jeder neuen Expectoration an sich hinunter sehn, um
sich von dem _status quo_ seines Rockes und seiner Beinkleider zu
überzeugen, bis er endlich -- der Mensch stumpft zuletzt selbst gegen
Tabackssaft ab -- eine mitgenommene wollene Decke um sich her zog und
diese preisgebend sich fest vornahm auf Nichts weiter zu achten.

Sämmtliche Passagiere schienen Farmer aus der Umgegend oder aus
Vincennes zu sein -- selbst ein Quäker, der sich zwischen ihnen befand
-- die theils zum Viehhandel, theils zu anderen derartigen Zwecken den
Ohio und dessen kleine Ansiedlungen zwischen Cincinnati und der Mündung
des Wabasch besucht hatten. Das Gespräch drehte sich dabei, zwischen dem
Spucken und Rasseln und Schütteln des Wagens, einzig und allein um
Rinder und Schweine, Maispreise und »was Mehl und Whiskey werth waren.«
Die Gegend blieb sich ebenfalls ziemlich gleich, Wald wohin das Auge
reichte, nur dann und wann von kleinen Ansiedlungen unterbrochen, die
sich immer schon auf einige Zeit vorher durch den schlammigen Weg
bemerkbar machten. Es mußte hier überhaupt mehr geregnet haben als am
Fluß, oder regnete vielmehr noch, wie ihnen bald einzeln niederkommende
Schauer bewiesen. Die Wege, die dann und wann über kleine offene und
natürliche Wiesenflecke -- erste Ausläufer der Prairieen -- führten,
wurden immer weicher und unwegsamer, und der rüstige Galop mit dem ihre
Fahrt begonnen, schrumpfte zuletzt zu einem zähen Schritt zusammen, in
dem die keuchenden Pferde das unbehülfliche Fuhrwerk durch den schweren
Lehmboden fortschleppen mußten.

       *       *       *       *       *

Hie und da hielten sie an kleinen dürftig genug aussehenden
Wirthshäusern an, irgend eine Erfrischung die stets mit Brandy in allen
möglichen Formen und Mischungen gewürzt wurde, zu sich zu nehmen, sonst
aber ging die Fahrt ununterbrochen rasch vorwärts, und die verschiedenen
Kutscher, mit stets guten Pferden, thaten wirklich ihr Möglichstes
weiter zu kommen.

       *       *       *       *       *

So brach die Nacht an; der Regen wurde stärker, die Straße unwegsamer;
überall lagen dabei niedergebrochene Äste und Zweige, selbst
umgeworfene Stämme, die zu umgehn es oftmals Viertelstunden kostete,
kreutz und queer darüber hin, während schon die Hülfe einzelner
Passagiere in Anspruch genommen werden mußte mit der, vorn im »_boot_«
liegenden Axt, die schlimmsten Hindernisse aus dem Wege zu schlagen.
Wenn sie manchmal eine tiefe Sumpfstelle in der Straße zu passiren
hatten blieb ihnen sogar nichts Anderes übrig als darum hin eine neue
Bahn zu haun. Hopfgarten hatte sich diesen »kleinen Hülfsleistungen« von
denen die wackeren Hoosiers oft ganz durchnäßt und voll Schlamm
zurückkehrten, und einen entsetzlichen Dunst im Wagen verbreiteten, bis
jetzt noch immer zu entziehen gewußt, und war, trotz mehrfachen
Sticheleien der Übrigen, bergauf und ab ruhig im Wagen sitzen
geblieben. So lange er sich trocken erhalten konnte war die Sache auch
noch zum Aushalten, und brauchten sie dann ein paar Stunden länger nach
Vincennes und versäumten die Cincinnati-Post, was that's? dann blieb er
einige Tage dort und besah sich die Umgegend, wie die hier beginnenden
Illinois Prairieen.

Langsam rumpelte das schwerfällige Geschirr indessen, jetzt fast bei
jedem Stoß von den Flüchen und Verwünschungen der ungeduldig werdenden
Passagiere begleitet, durch die wilde stürmische Nacht. Der Wind heulte
in den Bäumen, und der Regen schlug mit einer solchen Gewalt gegen die
niedergelassenen Schutzleder an, daß selbst die Bereitwilligsten von
heute den Kopf bedenklich über die Möglichkeit eines nochmaligen
Aussteigens schüttelten. Wider Erwarten ging die Kutsche aber, jetzt
auf besserem Wege, rasch und lebendig, dann wieder in weicheren Boden
gerathend, langsam und schwer vorwärts, aber doch wenigstens vorwärts;
der Wald war hier weit offener als an den Stellen, die sie am Abend
passirt, und der Weg von Holz fast gänzlich frei.

So mochte es elf Uhr geworden sein; eben hatten sie wieder ein kleines
Städtchen mit irgend einem großartigen Namen verlassen, und der
abgehende Kutscher dem, ihnen neu überlieferten noch einige wohlmeinende
Warnungen über den jetzt zu passirenden »_green blossom swamp_« (den
grünen Blüthen-Sumpf) gegeben, als sie draußen Plätschern an den Rädern
hörten. Rasch hinaussehend bemerkten sie, wie sie eben eine Reihe von
Lachen oder Dümpel, die jetzt bei dem Regen einen ordentlichen kleinen
See bildeten, passirten; das Land schien hier flach und eben, und die
Räder schnitten tief in den schwammigen Boden ein. So fuhren sie etwa
eine halbe Stunde, bis sie wieder verhältnißmäßig trockeneren Grund
gewannen, das heißt Grund, der wenigstens nicht vollkommen unter Wasser
stand. Hier begann auf's Neue Hügelboden, dessen ersten schlüpfrigen
Hang sie sich gerade mühsam hinauf gearbeitet als der Wagen, wie sie auf
der anderen Seite rascher hinunter fuhren, nach links zu auffallend tief
zu gehen begann. Die von den Passagieren, die begonnen hatten ein wenig
einzunicken, wurden rasch genug munter, und »Hallo _driver_! (Kutscher)«
schrie jetzt Einer der Leute mit einer dünnen pfeifenden, näselnden
Stimme -- »was macht Ihr denn da draußen -- Ihr werft doch nicht um? --
ich habe nur noch etwa eine halbe Meile zu Wittwe Jones's zu fahren, bis
dahin werdet Ihr doch den verdammten alten Kasten in Gang halten?«

»Verdamm Wittwe Jones's« lautete die eben nicht höfliche, halblaut
gebrummte Antwort des Wagenlenkers, der allerdings in dem Wetter mit
seinem Geschirr und den Pferden mehr zu thun hatte, als noch auf die
Fracht, Koffer und Passagiere, Acht zu geben; »Wittwe Jones soll zu
Grase gehn.«

»In der That Freund, der Wagen fängt an unverhältnißmäßig schräg zu
gehn« sagte in diesem Augenblick der Quäker, der bis dahin, selbst an
den Orten wo sie angehalten, noch keine zehn Worte gesprochen hatte,
indem er sich, soweit das irgend möglich war, von der bedrohten Seite
fort auf Herrn von Hopfgarten in einem unbestimmten Gefühl das
Gleichgewicht wieder herzustellen, drängte -- »Du wirst doch nicht
umwerfen?«

Er hatte seinen Satz noch nicht ganz vollendet, als das rechte Vorderrad
auf eine Erhöhung, einen Stein oder Ast, auflief; einen Moment noch
rollte der Wagen, durch die rasch anziehenden Pferde fortgerissen, auf
den beiden linken Rädern fort, um im nächsten Augenblick, unter dem
Aufschrei sämmtlicher Insassen, schwerfällig nach links, und zwar auf
_die_ Seite überzuschlagen an der sich die einzige Thür befand.

Die Verwirrung die jetzt im Inneren entstand war furchtbar, Alles wühlte
und drängte durcheinander, nur einmal erst auf die Füße zu kommen und
das Geschrei nach dem Kutscher sie »aufzuknöpfen« daß sie »zu
windwärts« aus dem »verdammten Kasten« kommen könnten, übertäubte alles
Andere, und ließ sie natürlich in dieser ersten Zeit gar nicht hören was
draußen vorging.

Der »_Driver_« der sich indessen während die Pferde glücklicher Weise
still standen, wieder aus dem Schlamm, in den ihn der erste Stoß
geworfen, aufgelesen hatte, trat jetzt zu dem Wagen hinan, den
Nothschreien der Passagiere Folge zu leisten; nicht etwa aber diesen zu
Gefallen, sondern weil er ohne deren Hülfe sein Geschirr natürlich gar
nicht wieder hätte aufrichten können.

»Höll und Verdammniß« fluchte er dabei laut genug in den Bart jedes Wort
zu verstehen, während er in der Dunkelheit nach den Knöpfen und
Schnallen der ledernen Vorhänge fühlte, diese zu öffnen und seine
Passagiere in's Freie zu lassen -- »muß der Mensch da so eine
verwünschte Bande müßiger Tagediebe und Faullenzer in Nacht und Nebel in
der Welt herumfahren, und seinen eignen Hals, wie seine Pferde riskiren
-- wenn sie nur der Teufel holte, den ganzen Schwamm, wie sie dadrinn
hocken. -- Da Herzchen« schloß er dann seine schmeichelhafte Anrede,
indem er das endlich geöffnete Leder zurückwarf, und den jetzt
ordentlich nieder _fluthenden_ Regen zwischen die unglücklichen
Passagiere hineinließ -- »jetzt könnt Ihr Euch auch eine Güte thun und
einmal sehn wie's draußen ist -- nun sind wir lange genug gefahren und
dürfen ein Stück zu Fuße gehn.«

War der Kutscher übrigens übler Laune, so waren es die Passagiere noch
mehr, und nur das Wetter und die Stockdunkelheit verhinderten vielleicht
eine ernsthafte Schlägerei zwischen einem oder dem anderen der Schaar,
mit dem groben Driver. Hier war aber keine Zeit zum Besinnen, denn je
länger sie neben dem umgeworfenen Wagen standen, desto länger goß auch
der Regen auf sie nieder und je eher sie den wieder aufhoben, desto
schneller kamen sie wieder in's Trockene.

»Ungeschicktes Vieh von einem Kutscher!« schrie indessen der eine
Hoosier, der letzte der im Wagen stand, und vergebens im Innern nach
seinem hinuntergefallenen Hute fühlte »fährt erst in's Blau hinein, und
nimmt dann auch noch das Maul voll mit Grobheiten. Wo hast Du denn Dein
Fahren gelernt, Langbein, heh? -- Dich möcht' ich einmal auf acht Tage
unter der Hand haben.«

»_Nevermind Bill_« rief ihm ein Anderer zu »komm heraus aus der Falle
und drück Deine Schulter hier mit unter, daß wir das verdammte Ding
wieder in die Höhe bringen. So hier -- hebt Jungens -- ahoy-y -- Sie da,
kleiner _Dutchman_ Sie sind der kürzere von uns, kriechen Sie doch
einmal drunter, daß er nicht wieder zurückfällt.«

Herr von Hopfgarten, dem diese gemüthliche Anrede galt, dachte aber gar
nicht daran ihr Folge zu leisten, und seinen eigenen Rücken zum Ruhestuhl
des ganzen Wagens herzugeben; mit anfassen mußte er aber doch, wollte
er nicht die Nacht da im Schlamm halten bleiben, und den vereinten
Anstrengungen der Passagiere gelang es denn auch endlich den schweren
Wagen wieder auf seine Räder zu stellen und das herausgefallene Gepäck
beim Schein der einen Laterne -- die andere war schon vorher ausgegangen
und dann auch noch zum Überfluß im Sturz gebrochen, zusammenzusuchen.
Der Kutscher hatte indeß das verwickelte Geschirr der Pferde in Ordnung
gebracht und kletterte, die Sorge für das Gepäck ganz den Passagieren
überlassend, mit einem »Na so packt Euch wieder hinein, Alle mit
einander, bis zum _nächsten_ Loch« auf seinen Sitz zurück, von wo aus
er, als das Zuschlagen der Wagenthür ihm dazu das Signal gab, mit
erneuten Flüchen auf die Pferde einhieb.

Der Zustand der Passagiere im Inneren war übrigens, trotzdem daß sie
jetzt wenigstens vor dem Regen geschützt saßen, ein sehr mislicher, denn
naß bis auf die Haut, die Hände und Füße voll Schlamm, durften sie gar
nicht daran denken sich irgend einer behaglichen Ruhe hinzugeben. Des
Kutschers ominöse Worte -- »sie sollten einsteigen _bis zum nächsten
Loch_« klangen ihnen auch dabei noch immer in den Ohren, und in der That
bewieß das Schleudern des Wagens, in dem sie herüber- und hinübergeworfen
wurden, daß sie die schlechtesten Plätze keineswegs überstanden hatten.

Eine halbe Stunde später hielten sie allerdings bei Wittwe Jones, und
konnten ihre halberstarrten Glieder -- den Quäker ausgenommen, der keine
Spirituosen trank -- an einem nichtswürdigen Glas Cognac, halb Wasser
und halb Schwefelsäure erwärmen, aber gehalten wurde hier nicht länger,
und der eine Passagier der hier ausstieg rief ihnen noch lachend nach,
»wenn sie gleich unten am Hügel wieder umwürfen, sollten sie nur rufen,
und er wollte dann mit der Laterne hinunter kommen und sie
zusammensuchen.«

Trotz der unangenehmen Fahrt übrigens, und trotz dem Regen, der immer
schärfer anfing niederzupeitschen, während die Nacht dunkler und
stürmischer wurde, schien der Humor in dem engen mit Menschen
vollgepfropften Kasten doch endlich die Oberhand zu gewinnen; die
Passagiere beschrieben untereinander die Situationen, in denen sie
sich befunden als der Wagen umschlug, lachten über die einzelnen
verzweifelten Ausrufe, und selbst über die unverschämte Grobheit
des Kutschers, und wurden dabei bekannter zusammen, als sie es
wahrscheinlich beim schönsten Wetter geworden wären. Sie fingen schon
auch wirklich an sich wieder einem wohltuenden Gefühle der Sicherheit
hinzugeben, als der Wagen auf's Neue einen Alles zusammenwerfenden Ruck
that -- und dann festsaß. Vergebens blieben alle Peitschenhiebe und
Flüche des »_drivers_«; der Wagen stak und war nicht von der Stelle zu
bringen, und die Passagiere mußten, trotz dem Wetter, noch einmal
hinaus.

Hier zeigte sich nun allerdings, daß das rechte Vorderrad in eine alte
Wurzel hineingefahren war, aus der es leicht wieder befreit werden
konnte; als man es aber näher untersuchte, erwieß sich daß zwei Speicher
gebrochen seien, die unter dem schweren Gewicht von acht Passagieren
keine hundert Schritt weit mehr gehalten hätten. Das nächste ordentliche
Wirthshaus war zugleich noch sieben englische Meilen entfernt, und sie
sämmtlich gezwungen, wenn sie das beschädigte Rad nicht wieder
zusammenflicken konnten, bis dorthin zu Fuß durch die Nacht zu laufen.
Dem zu begegnen gingen die jungen Farmer und Viehhändler, die mit
derartigen Sachen gut umzuspringen wußten, daran, den Schaden soviel als
möglich wieder auszubessern. Auf ebener Straße hätte das Rad auch wohl
die paar Meilen noch gehalten, und so versuchten sie's denn und stiegen
wieder ein. Lieber Gott, der erste Baumstumpf an den sie kamen, machte
die immer mehr aufgeweichten Riemen nachgeben, noch hielten die
übrigen Speichen, aber nicht lang; über eine Strecke steinigen Boden
dahinfahrend krachte und splitterte es wieder, und ehe die Hälfte der
Passagiere hinausspringen konnte, schlug der Kasten zum zweiten Mal um.

An ein wieder einsetzen war jetzt nicht mehr zu denken; eine Stange
wurde nur abgehauen, vorn befestigt und quer unter die rechte Axe
gelegt, den Wagen aufrecht zu halten, und dann nach einigen Versuchen
selbst das Gepäck zum großen Theil für zu schwer befunden, auf diese
Weise transportirt zu werden. Der Kutscher machte nun allerdings den
Vorschlag, sämmtliche Koffer und Säcke hier irgendwo unter einem Baum
aufzustapeln, und Einen von ihnen als Wache dabei zurückzulassen. Hierzu
aber wollte sich nicht allein Niemand verstehn, sondern auch Niemand
sein Gepäck zurücklassen, und der Kutscher wurde soweit überstimmt, dem
Passagiergut im Wagen so lange Raum zu gönnen, bis es effektiv nicht
weiter gebracht werden _konnte_; dann wollte es Jeder tragen.

Das Gepäck war aber wirklich in dem schlammigen Weg wenn auch nicht zu
schwer für das gebrochene Rad und die untergeschobene Stange, doch
jedenfalls für die Pferde, die den Wagen mit dem scharfeinschneidenden
Hemmschuh endlich kaum noch fortschleppen konnten. Die Amerikaner hatten
zwar Stangen abgehauen, die als Hebebäume dienen mußten, den Wagen, wo
er stecken blieb wieder herauszuheben, und nicht ganz auf der Straße
sitzen zu bleiben, aber es ging das endlich auch nicht mehr, und das
Gepäck mußte heraus und geschultert werden. Die Pferde _konnten_ es
nicht weiter bringen. Hopfgarten wie der Quäker, die eben nur leichte
Reisesäcke hatten, bekamen dazu noch eine der Stangen zu tragen, während
die Amerikaner mit Axt und Hacke -- Amerikanische Posten sind schon
darauf eingerichtet -- nebenher gingen, und dem Wagen fortwährend freie
Bahn machten, Holz aus dem Weg zogen, oder auch die Hebebäume von den
Schultern ihrer Leidensgefährten nahmen und die angeschleifte Stange über
irgendwelche Hindernisse hinüberhoben.

Hier war es Hopfgarten, der sich zuerst widersetzte, und gegen solche
Behandlung mit Erfolg Protest einlegte.

»Ich habe« sagte er zu dem erstaunt ihn ansehenden _driver_ »meine volle
Passage noch dazu bis _Vincennes_ bezahlt; ich bin jetzt, den halben Weg
fast, zu Fuß gelaufen -- nicht das allein, ich habe auch mein Gepäck
geschleppt, und gearbeitet wie ein Pferd den verwünschten Kasten in Gang
zu halten. Ich bin dabei erbötig weiter zu marschiren und mein Gepäck
selber zu schultern -- _aber die verdammte Stange trag ich keinen
Schritt mehr_;« und das Holz dem Mann vor die Füße werfend, stiefelte er
ruhig weiter durch den Schlamm.

Die Situation hatte viel komisches, und ein paar Leute lachten, das
Wetter war aber doch zu entsetzlich irgend etwas gerade sehr spaßhaft zu
finden. Die kleine Caravane hatte sich indessen eben wieder in Bewegung
gesetzt, als Hopfgarten zu ihrer Linken ein Licht durch die Bäume
schimmern sah, einen der Mitpassagiere darauf aufmerksam machte, und ihn
frug, ob er wisse wer da wohne.

»Oh hol's der Teufel« brummte der Mann, »_dort_ können wir nicht
bleiben, das ist ein wüster Ort, mit dem Niemand gern Verkehr hat.«

»Wie so?« frug rasch der Deutsche, neugierig gemacht durch die
Bemerkung.

»Ein alter Jude wohnt dort mit seiner Mutter« sagte der Amerikaner,
einen scheuen Blick nach dem Licht hinüberwerfend, »und _handelt_ am Tag
in der Gegend herum; die Leute sagen auch er hätte eine Masse kostbarer
Waaren bei sich aufgehäuft, wo er die aber her und womit er sie bezahlt
hat weiß kein Mensch, und es mag auch Niemand seine Schwelle betreten.«

Der Mann schritt weiter; während das Wetter aber immer wüthender wurde,
der Regen immer toller niederpeitschte und der Sturm in den Baumwipfeln
raste, als ob er die alten Riesenkronen, die ihm Jahrhunderte getrotzt,
bei dem Armvoll niederwerfen wollte, zog sich der Weg wieder in eine
Niederung hinab, in der sie bis an die Knie fast in Schlamm und Morast
waten mußten. Das Licht kam dabei näher, obgleich man deutlich
unterscheiden konnte daß es links etwas von der Straße ab lag und
Hopfgarten, an solche Beschwerden nicht gewöhnt, und mit der
_Möglichkeit_ ihnen zu entgehn vor sich, beschloß endlich mit seinem
Gepäck, das er ja überdieß auf dem Rücken trug, querfeldein auf das Haus
zuzugehn, und die Gastfreundschaft der Leute, mochten sie sein was sie
wollten, für diese Nacht in Anspruch zu nehmen. Morgen fand sich dann
schon Gelegenheit weiter zu kommen, oder er gab auch seine ganze Reise
nach Vincennes und von da mit der Post weiter nach St. Louis auf, und
kehrte auf dem nächsten Weg nach dem Ohio zurück -- er hatte das
Postfahren satt bekommen.

Der eine Farmer rieth ihm allerdings, als er den Entschluß hörte
gar eifrig ab, und tröstete ihn damit, daß sie höchstens noch fünf
Miles bis zum nächsten Wirthshaus hätten; Hopfgarten war aber fest
entschlossen seinen einmal gefaßten Plan auszuführen, unangenehmere
Gesellschaft konnte er dort auch nicht finden, und da die Leute noch
Licht hatten, also auch folglich noch auf waren, würden sie ihm doch
wenigstens einen Platz am Feuer nicht versagen. Ohne sich also weiter an
die Übrigen zu kehren, und Postkutsche nebst Passagieren ihrem
Schicksal überlassend, wandte er sich links ab dem Lichte zu, und kam
nach etwa viertelstündigem Wandern, wobei er die Post noch immer konnte
durch den Schlamm rasseln und sogar das Fluchen der Passagiere hören, an
eine niedere Fenz, die er mit einiger Mühe überkletterte. Er war durch
die Anstrengungen der Nacht und die naßkalte bösartige Witterung
ordentlich steif und gelenklos geworden, und konnte kaum hinüberkommen.




 FUSSNOTEN -- FOOTNOTES

 [1] Die Amerikanische Nachtschwalbe, ihres leise klagenden Rufs
 wegen, der ganz diesen Worten ähnlich klingt, _Whippoorwill_ genannt.

 [2] Little Rock -- kleiner Fels -- die Ansiedlung bekam ihren Namen
 zuerst von einzelnen kleinen Felsblöcken, die hier am Ufer liegen.

 [3] Postreiter.

 [4] stehen, der deutsch-amerikanische Ausdruck von _bleiben_ von dem
  Englischen _to stay_.

 [5] _To shake hands_ die Hand schütteln.

 [6] Vereinigten Staaten.

 [7] _racoon_, der Waschbär.

 [8] _old man_ und _old woman_ werden fast alle verheirateten Leute
 in den westlichen Wäldern genannt, sie mögen so jung sein wie sie wollen.

 [9] Alle Frauen werden dort so angeredet.

 [10] Macht Nichts aus

 [11] Keine Messer, keine Scheeren zu schleifen?

 [12] »Herein!«

 [13] Weißen Männer.

 [14] Methodisten und ultramontanes Blatt.

 [15] Gegenwärtige Gesellschaft immer ausgenommen.

 [16] Sie hat jetzt nahe an 130000.

 [17] _Hoosiers_ werden die Bewohner Indianas scherzhafter Weise in
 Amerika genannt.




       *       *       *       *       *




ANMERKUNGEN -- TRANSCRIBER'S NOTE

Contemporary spellings have generally been retained, even when not
consistent. A small number of obvious typographical errors have been
corrected and some names regularised; missing punctuation has been
added.

Zeitgenössische Schreibungen wurden generell beibehalten, auch wenn
gelegentlich mehrere Variaten auftauchen. Einige wenige orthografische
Fehler wurden korrigiert und Namen vereinheitlicht; fehlende
Zeichensetzung wurde ergänzt.

The following additional changes have been made to the text:

Die folgenden zusäzlichen Änderungen wurden vorgenommen:


 und von ihnen                        und waren von ihnen
 aus der Heimath vertrieben           aus der Heimath vertrieben

 nahmen ihre ganze Aufmerksamkeit     nahmen ihre ganze Aufmerksamkeit
 in Anspruch, und ließ sie            in Anspruch, und ließen sie

 aber komm Sidonie                    aber komm Amalie

 die beiden Töchter der alten         die beiden Töchter der alten
 Mr. Rosemore                         Mrs. Rosemore

 eine nochmalige Störung der Bauern   eine nochmalige Störung des Bauern

 von den großen Rosinen, die Sie      von den großen Rosinen, die Sie
 früher im Topf gehabt                früher im Kopf gehabt

 versucht, (...) als Band             versucht, (...) als Band
 herausgegeben                        herauszugeben

 Den Fremden, Bedruckten              Den Fremden, Bedrückten

 umwinkelt wurde                      umwickelt wurde

 wie sie der (...) Schweine,          wie sie der (...) Schweine wegen,
 die dort (...) geschlachtet (...)    die dort (...) geschlachtet (...)
 werden                               werden

 wüßten wie des Menschen Handeln      wüßten wie des Menschen Handeln
 seinen Werth bestimmen               seinen Werth bestimme

 Hopfgarten wie die Quäker            Hopfgarten wie der Quäker



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including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at https://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at https://www.gutenberg.org/about/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit https://www.gutenberg.org/fundraising/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:
https://www.gutenberg.org/fundraising/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     https://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.