Die Majoratsherren

By Freiherr von Ludwig Achim Arnim

The Project Gutenberg EBook of Die Majoratsherren, by Achim von Arnim

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Title: Die Majoratsherren

Author: Achim von Arnim

Illustrator: Alfred Kubin

Release Date: January 3, 2016 [EBook #50833]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE MAJORATSHERREN ***




Produced by Jens Sadowski





                           Achim von Arnim
                          Die Majoratsherren

                           Achim von Arnim




                          Die Majoratsherren


                       Mit 24 Federzeichnungen
                                 von
                             Alfred Kubin

                   Avalun-Verlag · Wien und Leipzig

                       Alle Rechte vorbehalten

Wir durchblätterten eben einen ältern Kalender, dessen Kupferstiche
manche Torheiten seiner Zeit abspiegeln. Liegt sie doch jetzt schon wie
eine Fabelwelt hinter uns! Wie reich erfüllt war damals die Welt, ehe
die allgemeine Revolution, welche von Frankreich den Namen erhielt, alle
Formen zusammenstürzte; wie gleichförmig arm ist sie geworden!
Jahrhunderte scheinen seit jener Zeit vergangen, und nur mit Mühe
erinnern wir uns, daß unsere früheren Jahre ihr zugehörten. Aus der
Tiefe dieser Seltsamkeiten, die uns Chodowieckis Meisterhand bewahrt
hat, läßt sich die damalige Höhe geistiger Klarheit erraten; diese
ermißt sich sogar am leichtesten an den Schattenbildern derer, die ihr
im Wege standen, und die sie riesenhaft über die Erde hingezeichnet hat.
Welche Gliederung und Abstufung, die sich nicht bloß im Äußern der
Gesellschaft zeigte! Jeder einzelne war wieder auch in seinem Ansehn, in
seiner Kleidung eine eigene Welt, jeder richtete sich gleichsam für die
Ewigkeit auf dieser Erde ein, und wie für alle gesorgt war, so
befriedigten auch Geisterbeschwörer und Geisterseher, geheime
Gesellschaften und geheimnisvolle Abenteurer, Wundärzte und prophetische
Kranke die tiefgeheime Sehnsucht des Herzens, aus der verschlossenen
Brusthöhle hinausblicken zu können. Beachten wir den Reichtum dieser
Erscheinungen, so drängt sich die Vermutung auf, als ob jenes
Menschengeschlecht sich zu voreilig einer höheren Welt genahet habe und,
geblendet vom Glanze der halbentschleierten, zur dämmernden Zukunft in
frevelnder Selbstvernichtung fortgedrängt, durch die Notdurft an die
Gegenwart der Erde gebunden werden mußte, die aller Kraft bedarf und uns
in ruhiger Folge jede Anstrengung belohnt.

Mit wie vielen Jahrhunderten war jene Zeit durch Stiftungen aller Art
verbunden, die alle ernst und wichtig gegen jede Änderung geschützt
wurden! So stand in der großen Stadt ... das Majoratshaus der Herren von
..., obgleich seit dreißig Jahren unbewohnt, doch nach dem Inhalte der
Stiftung mit Möbeln und Gerät so vollständig erhalten, zu niemands
Gebrauch und zu jedermanns Anschauen, daß es, trotz seiner
Altertümlichkeit, noch immer für eine besondere Merkwürdigkeit der Stadt
gelten konnte. Da wurde jährlich, der Stiftung gemäß, eine bestimmte
Summe zur Vermehrung des Silbergeschirrs, des Tischzeugs, der Gemälde,
kurz zu allem dem verwendet, was in der Einrichtung eines Hauses auf
Dauer Anspruch machen kann, und vor allem hatte sich ein Reichtum der
kostbarsten, ältesten Weine in den Kellern gesammelt. Der Majoratsherr
lebte mit seiner Mutter in der Fremde und brauchte bei dem übrigen
Umfange seiner Einnahme nicht zu vermissen, was er in diesem Hause
unbenutzt ließ. Der Haushofmeister zog der Stiftung gemäß alle Uhren auf
und fütterte eine bestimmte Zahl von Katzen, welche die nagenden Mäuse
wegfangen sollten, und teilte jeden Sonnabend eine gewisse Zahl von
Pfennigen an die Armen im Hofe aus. Leicht hätten sich unter diesen
Armen, wenn sie sich dessen nicht geschämt hätten, die Verwandten dieses
Hauses einfinden können, dessen jüngere Linien bei der Bildung des
großen Majorats völlig vergessen worden waren. Überhaupt schien das
Majorat wenig Segen zu bringen, denn die reichen Besitzer waren selten
ihres Reichtums froh geworden, während die Nichtbesitzer mit Neid zu
ihnen aufblickten.

So ging täglich vor dem Majoratsgebäude zu bestimmter Stunde ein Vetter
des jetzigen Besitzers, ihm durch dreißig Jahre überlegen, aber an
Vermögen ihm sehr untergeordnet, mit ernsten Schritten vorbei und
schüttelte den Kopf und nahm eine Prise Tabak. Niemand war vielleicht so
bekannt bei alt und jung in der ganzen Stadt, wie dieser alte, rotnasige
Herr, der gleich dem eisernen Ritter an der Rathausuhr durch sein
Heraustreten, noch ehe die Glocke angeschlagen, den Knaben zur
Erinnerung der Schulstunde diente, den älteren Bürgern aber als
wandernde Probeuhr, um ihre hölzernen Kuckucksuhren darnach zu stellen.
Er trug bei den verschiedenartigen Klassen von Leuten verschiedene
Namen. Bei den Vornehmen hieß er der Vetter, weil seine Verwandtschaft
mit den ersten Familien des Reiches unleugbar und er diese einzige, ihm
übrig gebliebene Ehre auch gern mit dieser Anrede geltend machte. Unter
den gemeinen Leuten hieß er nur der Leutnant, weil er diese Stelle in
seinen jungen Jahren bekleidet hatte, sowie sie ihn noch jetzt bekleiden
mußte. Es schien ihm nämlich völlig unbekannt, daß der Kleiderschnitt
sich in den dreißig Jahren, die seitdem verflossen, gar sehr verändert
hatte. Etwas stärker mochte das Tuch damals wohl noch gearbeitet werden,
das zeigten jetzt die mächtigen, wohlgedrehten Fäden, nachdem die Wolle
abgetragen war. Der rote Kragen war schon mehr verdorben und gleichsam
lackiert; die Knöpfe aber hatten die Kupferröte seiner Nase angenommen.
Gleiche Farbe zeigte auch der fuchsrote, dreieckige Militärhut mit der
wollenen Feder. Das Bedenklichste des ganzen Anzuges war aber das
Portepee, weil es nur mit einem Faden am Schwerte, wie das Schwert über
dem Haupte des Tyrannen am Haare, hing. Das Schwert hatte leider das
Unglück des armen Teufels gemacht und den Lebensfaden eines vom Hofe
begünstigten Nebenbuhlers in den Bewerbungen bei einer Hofdame
durchschnitten; und diese unglückliche Ehrensache, bei welcher ihm doch
niemand mehr Schuld als seinem Gegner zumessen konnte, hatte seine
militärische Laufbahn versperrt. Wie er sich seitdem durch die Welt
fortgeholfen, war freilich seltsam, aber es war ihm doch gelungen. Er
hatte eine höchst vollständige Wappensammlung mit unablässig dreistem
Fordern und unermüdlichem Briefschreiben zusammengebracht, verstand
diese in verschiedenen Massen nachzuformen, auch abzumalen, wo jenes
nicht gelang, sauber aufzukleben, und verkaufte diese Sammlungen durch
Vermittlung eines Buchhändlers zu hohen Preisen, sowohl zum Bedürfnisse
der Erwachsenen als der Kinder eingerichtet. Nebenher war es eine
Liebhaberei von ihm, Truthähne und anderes Federvieh zu mästen und
Raubtauben über die Stadt auszusenden, die immer mit einigen
Überfliegenden in die geheime Öffnung seines Daches heimkehrten. Diesen
Handel besorgte ihm seine Aufwärterin Ursula, eine treue Seele; ihm
durfte niemand von diesem Handel sprechen, ohne sich Händel zuzuziehen.
Von dem Erworbenen hatte er sich ein elendes, finsteres Haus im
schlechtesten Teile der Stadt, neben der Judengasse, und vielerlei alten
Kram gekauft, womit die Auktionen seine Zimmer geschmückt hatten, die er
dabei in einer Ordnung erhielt und in einer Einsamkeit, daß niemand
wußte, wie es eigentlich darin aussehe. Übrigens war er ein fleißiger
Kirchengänger und setzte sich da einer Wand gegenüber, die mit alten
Wappen von Erbbegräbnissen geschmückt war, machte aber übrigens alles
mit wie andere Menschen, welche in die Kirche zum Zuhören gehen. Nach
der Kirche aber pflegte er jedesmal bei der alten Hofdame anzutreten,
vor deren Tür er an anderen Tagen mit einer Prise Schneeberger
Schnupftabak, auf die er wohl funfzig Male niesen mußte, den
geckenhaften schöntuenden Hahnentritt und Stutzerlauf sich vertrieb, der
ihn in das Haus hineinzutreiben drohte, während ihm dabei der Degen, den
er nach alter Art durch die Rocktasche gesteckt hatte, zwischen die
Beine schlenkerte. Diese alte, hochauf frisierte, schneeweiß
eingepuderte, feurig geschminkte, mit Schönpflästerchen beklebte Hofdame
übte auch nach jenem unglücklichen Zweikampfe seit dreißig Jahren
dieselbe zärtliche Gewalt über ihn aus, ohne daß sie ihm je ein
entscheidendes Zeichen der Erwiderung gegeben hatte. Er besang sie fast
täglich in allerlei erdichteten Verhältnissen, in kernhaften Reimen,
wagte es aber nie, ihr diese Ergießungen seiner Muse vorzulegen, weil er
vor ihrem Geist besondere Furcht hegte. Ihren großen, schwarzen Pudel
Sonntags in ihrer Nähe unter hergebrachten Fragen zu kämmen, war der
ganze Gewinn des heiß erflehten Sonntags; aber ihr Dank dafür, dies
angenehme Lächeln, war auch ein reicher Lohn, -- wer ihn nur zu schätzen
wußte. Andern Leuten schien dies starre, in weiß und rot mit blauen
Adern gemalte Antlitz, das am Fenster unbeweglich auf eine Filetarbeit
oder in den Spiegel der nahen Toilette blickte, eher wie ein seltsames
Wirtsschild. Sie lebte übrigens sehr anständig von den Pensionen zweier
Prinzessinnen, die sie bedient und überlebt hatte, und die Besuche von
Hofleuten und Diplomaten an ihrer silbernen Toilette, während welcher
sie vielerlei Brühen zur Erhaltung ihrer Schönheit zu genießen pflegte,
waren zu einer herkömmlichen Feierlichkeit geworden und zugleich zu
einer Gelegenheit, die Neuigkeiten des Tages auszutauschen.

Es geschah aber an einem Frühlingssonntage, daß die Hofdame durch ein
Zusammenlaufen der Leute in der Straße auf eine außerordentliche
Neuigkeit aufmerksam gemacht wurde. Diese Außerordentlichkeit war aber
diesmal der Leutnant, oder vielmehr sein vom Frühling verjüngtes Laub.
Ein neuer, moderner Hut mit einer Feder statt der Wolle, ein glänzendes
Degengehenk, eine neue Uniform mit geschmälerten Rockschößen, verkürzten
Taschen an der Weste und neue, schwarze Samthosen verkündeten eine neue
Periode der Weltgeschichte. Auch trat der Leutnant bald mit frohem
Gesichte ins Zimmer und mit dem Berichte ihr entgegen: »Liebe Kusine,
der Majoratsherr kommt in diesen Tagen; seine Mutter ist gestorben, ihm
ist von einer prophetischen Kranken geraten, hierher zu gehen, wo er
seine Ruhe finden werde, nachdem ihn ein heftiges Fieber um seine
Gesundheit gebracht hat. Nun denken Sie sich, der junge Mann hat aus den
Erzählungen der Mutter einen Abscheu gegen das Majoratshaus; er will
durchaus bei mir wohnen und hat mich ersucht, ihm bei mir ein Zimmer
recht bequem einzurichten, wozu er mir ein Kapital übermache. Mein
Häuschen ist für einen so verwöhnten, reichen Herrn nicht eingerichtet;
in unsern hohen Familien ist es leider wie bei den Katzen, ein junges
wird als erstgebornes gut aufgefüttert, und alle jüngern Geschwister
werden ins Wasser geworfen.« -- »Sie waren einmal schon recht nahe, das
Majorat zu erhalten?« sagte die Hofdame. -- »Freilich,« antwortete er,
»ich war dreißig Jahre alt, mein Oheim sechzig und hatte in erster Ehe
keine Kinder bekommen. Da fällt es ihm ein, noch einmal ein junges
Fräulein zu heiraten. Umso besser, dachte ich, die Junge ist des Alten
Tod. Aber umso schlechter gings; sie brachte ihm kurz vor seinem Tode
einen jungen Sohn, diesen Majoratsherrn, -- und ich hatte nichts!« --
»Wenn der junge Mann stürbe, würden Sie Majoratsherr,« sagte ruhig die
Hofdame; »junge Leute können sterben, alte Leute müssen sterben.« --
»Leider!« antwortete der Leutnant; »der Prediger sprach heute auch davon
auf der Kanzel.« -- »Was wurde denn gesungen?« fragte die Hofdame; »ich
wollte es zu meiner Hausandacht wissen.« -- Der Leutnant schlug die
Lieder auf; sie sang leise, und er kämmte den Pudel nach Gewohnheit,
indem er ihr mit Bewunderung zuhörte. -- Als er sich empfahl, trug ihm
die Hofdame auf, den jungen Vetter doch gleich, wenn er angekommen, bei
ihr einzuführen.

Als der Leutnant zu Hause kam, trat ihm ein großer, bleicher, junger
Mann entgegen, in einer Kleidung, wie er sie noch nicht gesehen: seine
Haare waren phantastisch ohne strenge Ordnung emporfrisiert, und
Figaroslocken in leichten, dünnen Röhren umliefen wie ein Halbkreis die
Ohren. Hinten vereinigte ein dicker Katillon die Haare, welche in einer
Locke hinübergekämmt waren. Ein streifiger Rock mit prächtigen
Stahlknöpfen und große silberne Schuhschnallen verrieten ihm den
Reichtum des Majoratsherrn. Auch dieser hatte aus den Briefen an die
Mutter gleich den Vetter erraten und berichtete ihm, daß er Tag und
Nacht mit Kurierpferden gereist sei und ihm nicht genug sein
Wohlgefallen über das Haus ausdrücken könne, das ganz nach seinem
Geschmack sei, nur müsse er ihm erlauben, daß er neben dem für ihn
bereiteten großen Zimmer auch ein kleines nehme, das nach der engen
Gasse hinaussehe; denn da er nie oder selten ausgehe, so liebe er vor
allem diese Beweglichkeit der engen Straßen. -- Der Vetter bewilligte
ihm gern das schlechte Zimmer an der Judengasse und wollte gleich
Anstalt machen, die trüben, von der Sonne verbrannten Fenster durch
andere mit großen Scheiben zu ersetzen. -- »Mein lieber Herr Vetter!«
rief der Majoratsherr, »diese trüben Scheiben sind meine Wonne; denn
sehen Sie, durch diese eine helle Stelle seh ich einem Mädchen ins
Zimmer, das mich in jeder Miene und Bewegung an meine Mutter erinnert,
ohne daß sie mich bemerken kann.« -- »Ei, das gesteh ich,« sagte der
Vetter und setzte sich in die Schultern und fing an gegen das Fenster zu
streichen, mit seinem Liebestritt, daß er in Eil eine Prise nahm, nieste
und kaltblütig sagte: »Die da ist ein Schickselchen.« -- »Mein
Schicksal?« fragte der Majoratsherr bestürzt. »Wie Sie es nennen
wollen,« fuhr der Vetter fort, »ein Schicksalchen also, ein
Judenmädchen; sie heißt Esther, hat unten in der Gasse ihren Laden, eine
gebildete Jüdin, hat sonst mit ihrem Vater, der ein großer Roßtäuscher
war, alle Städte besucht, alle vornehme Herren bei sich gesehen, spricht
alle Sprachen; das war eine Pracht, wenn sie hier ankam, und die
Stiefmutter Vasthi mit den jüngern Kindern ging ihnen in Schmutz
entgegen. Es konnte niemand was dagegen sagen; die Ursach, warum? Weil
sie mit ihrem Wesen dem Vater gute Käufer anlockte. Aber zuletzt hatte
der Vater großes Unglück durch einen Handelsgenossen, der ihm mit dem
Vermögen durchging. Da gings ihm knapp; das konnt er nicht vertragen und
starb. Dieser Tochter erster Ehe, der Esther, hinterließ er ein kleines
Kapital, damit sie von der Stiefmutter nicht zu Tode gequält würde; aber
das läßt sich die alte Vasthi doch nicht nehmen.« -- »Das ist ja
entsetzlich!« sagte der Majoratsherr, »zwei Leute, die sich hassen, die
sich totärgern, in einem Hause! Ich habe die alte Vasthi auch schon am
Fenster gesehen: ein schrecklich Gesicht!« -- »Sie wohnen wohl in einem
Hause,« antwortete der Vetter, »aber jede hat ihren besonderen Laden und
Wohnung.« -- »Ich will ihr bald etwas zu verdienen geben,« sagte der
Majoratsherr. »Es scheinen hier viele Juden zu wohnen.« »Nichts als
Juden,« rief der Vetter, »das ist die Judengasse, da sind sie
zusammengedrängt wie die Ameisen; das ist ein ewig Schachern und Zanken
und Zeremonienmachen, und immer haben sie so viel Plackerei mit ihrem
bißchen Essen; bald ist es ihnen verboten, bald ist es ihnen befohlen,
bald sollen sie kein Feuer anmachen; kurz der Teufel ist bei ihnen immer
los.« -- »Nein, lieber Vetter, Sie irren sich darin,« sagte der
Majoratsherr und drückte ihm die Hände. »Wenn Sie gesehen hätten, was
ich in Paris bei meiner Kranken sah, Sie könnten den Teufel nicht für
den Vater des Glaubens ansehen; nein, ich versichere es Ihnen, er ist
der Feind allen Glaubens! Aller Glaube, der geglaubt wird, kommt von
Gott und ist wahr, und ich schwöre Ihnen, selbst die heidnischen Götter,
die wir jetzt nur als eine lächerliche Verzierung ansehen, leben noch
jetzt, haben freilich nicht mehr ihre alte Macht, aber sie wirken doch
immer etwas mehr als gewöhnliche Menschen, und ich möchte von keinem
schlecht sprechen. Ich habe sie alle mit meinem zweiten Augenpaar
gesehen, sogar gesprochen.« -- »Ei der Tausend, da erstaune ich,« rief
der Vetter, »das könnte uns erstaunliches Gewicht bei Hofe geben, wenn
wir sie den hohen Herrschaften zeigen könnten.« -- »So geht das nicht,
lieber Vetter,« antwortete jener ernst, »der Mensch, der sie sieht, muß
noch mehr darauf vorbereitet sein durch jahrelanges Nachdenken, als jene
Geister, die ihm erscheinen sollen; sonst entsetzen sich beide
voreinander, und der sterbliche Teil erträgt es nicht. Aber wer auch bis
zu der innern Welt vorgedrungen, -- wenn auch noch scheinbar lebend wie
ich -- ist dennoch abgestorben bei ihrem Bestreben, ihrer Tätigkeit. Das
wußte meine Mutter von mir und war darum so unruhig auf ihrem
Totenbette, was aus mir werden sollte. Sie hatte bis dahin alle
Geschäfte mit großer Einsicht und Ordnung betrieben, während ich mich
den Studien und der Beschauung hingab. Ich habe meine Zeit mit großer
Anstrengung genutzt, ich habe gerungen wie keiner, ich habe erreicht,
was wenigen zuteil geworden. Aber verloren war ich, erdrückt, bis zum
Wahnsinn zerstreut von den Geschäften, die nach dem Tode der Mutter auf
mich eindrangen, ich wollte mich bezwingen, das Höhere dem Niedern zu
opfern; die Qual brachte mich um meine Gesundheit. Eine Kranke, deren
Blick weit reicht, sagte mir zu, daß ich hier Ruhe finden würde bei
Ihnen, Vetter; Sie hätten ein seltenes Geschick für das praktische
Leben, mein Vermögen würde sich unter Ihrer Spekulation verdreifachen. O
Vetter! nehmen Sie mir die Last des Geldes und der Güter ab, genießen
Sie des Reichtums, ich brauche wenig, und auch auf den Fall, daß ich den
Luftgeist der Erde wieder binden könnte, daß Kinder mein Haus füllten,
soll Ihnen die Hälfte meiner Einnahmen für die Besorgung des Ganzen
bleiben.« -- Bei diesem Vortrage flossen zwei edle Tränen aus den Augen
des Majoratsherrn, während die großen Augen des Vetters mit
heraufgezogenen Augenbrauen ihn verwunderlich von der Seite anstierten,
ohne dem köstlichen Vortrage Glauben beimessen zu können. Dann fuhr der
Majoratsherr, um das Gespräch zu ändern, fort: »Als ich mit schwellendem
Gefühl, was mir in der Stadt bevorstehe, in welcher der Kreis meines
Lebens angefangen, die große Straße herabfuhr, da begegneten mir
ausgemergelte Leute, die sich kaum zu den Kaffeehäusern hinbewegen
konnten, denn sie wurden fast gewaltsam an den Röcken von unglücklichen
Seelen zurückgezogen, die wegen ungeendigter Prozesse nicht zur Ruhe
kommen konnten und jammervolle Vorstellungen ihnen nachtrugen. Auch
meinen Vater sah ich dabei wegen des einen Konkursprozesses, dessen Ende
wohl keiner erleben wird. Schaffen Sie Ruhe seiner Seele, lieber Vetter,
ich bin zu schwach.« -- »Wahrhaftig,« rief der Vetter, »zu dem Tore
gehen Sonntags die Räte, Schreiber und Kalkulatoren des großen Gerichts
gewöhnlich mit ihren Frauen und Kindern zum Kaffeegarten hinaus.« --
»Der Postillon meinte auch, das wären Kinder, die sich ihnen an die
Röcke gehangen«, fuhr der Majoratsherr fort, »aber solche jammervolle
Gesichter haben Kinder nicht, das sind die Plagegeister, die sie wegen
ihrer Nachlässigkeit umgeben. Lieber Vetter! befriedigen Sie meines
Vaters, Ihres Oheims, arme Seele.« -- Der Vetter sah sich ängstlich in
dem trüben Zimmer um, ihm war es zumute, als ob die Geister, wie der
Schnupfen, in der Luft lägen. »Alles, alles will ich tun, was sie
wünschen, bester Vetter«, rief er dann, »ich bin nicht glücklich, wenn
ich nicht so etwas zu betreiben habe. Prozesse sind mir lieber als
Liebeshistorien, und Ihre Angelegenheiten sollen bald in eine Ordnung
kommen wie meine Wappensammlung.« Bei diesen Worten führte er ihn in ein
Vorderzimmer und hoffte, den Majoratsherrn durch den Anblick seiner
zierlichen, gebohnten Schiebkasten, in welchen die Wappen, zum Teil mit
Zinnober abgedrückt, die Namen in Frakturschrift beigefügt, glänzten, zu
zerstreuen und zu befriedigen. Der Majoratsherr schien auch hierin, wie
in allen Kenntnissen wohlbewandert; der Vetter mußte seine Bemerkungen
achten. Als er aber den Schrank mit dem französischen Wappen eröffnete,
da fuhr der Majoratsherr auf: »Gott! welch ein Lärmen! Wie die alten
Ritter nach ihren Helmen suchen, und sie sind ihnen zu klein, und ihre
Wappen sind mottenfräßig, ihre Schilde vom Rost durchlöchert; das bricht
zusammen, ich halte es nicht aus, mir schwindelt, und mein Herz kann den
Jammer nicht ertragen!« Der Vetter rückte den unglücklichen Schrank fort
und führte den Majoratsherrn ans Fenster, daß er Luft schöpfen möchte.
»Und wer fährt dort?« rief er, »der Tod sitzt auf dem Bocke, Hunger und
Schmerz zwischen den Pferden, einbeinige und einarmige Geister fliegen
um den Wagen und fordern Arme und Beine von dem Grausamen zurück, der
sie mit kannibalischer Begierde ansieht. Seine Ankläger laufen mit
Geschrei hinter ihm drein; es sind die Seelen, die er vorzeitig der Welt
entriß -- bester Vetter! ist denn hier keine Polizei?« -- »Ich will den
Mann rufen, lieber Vetter, daß er Ihren Puls fühle,« entgegnete der
Vetter, »es ist unser bester Arzt und Chirurgus. Sie haben ihn gewiß an
seinem schmalen, einsitzigen Wagen erkannt; sein Kutscher ist freilich
mager und seine Pferde abgetrieben, aber die den Wagen umflattern, sind
Sperlinge, und die ihm nachbellen, Gassenhunde.« -- »Nein,« antwortete
der Majoratsherr, »um Gotteswillen rufen Sie keinen Arzt! Wenn die
meinen Puls fühlen, der immer in abwechselnden Takten sich bewegt, dann
ganz stille steht, so schreien alle, ich sei schon gestorben; und am
Ende haben sie recht, denn mich erhält nur der Gedanke einer guten
Seele, die auch krank ist. Übrigens habe ich Sie diesmal ohne Grund
erschreckt, lieber Vetter, meine Worte drückten nur die Gefahr aus,
worin sich der französische Adel befindet; ich bildete mir die Unruhe
ein, die Frankreich in den alten Schlössern von den Geistern erfahren
muß, Ihre Sammlung ist Geist-los. Ich kann genau unterscheiden, was ich
mit dem Auge der Wahrheit sehen muß, oder was ich mir gestalte; wirklich
bin ich ein guter Beobachter meiner selbst, und die Physik der Geister
war von je mein Lieblingsstudium.«

Der Leutnant, der mit dieser Physik der Geister durchaus nichts zu tun
haben mochte, brachte die Rede auf häusliche Einrichtungen. Der
Majoratsherr erklärte, daß er nur wenig Aufwartung bedürfe, nur die
wenigsten um sich leiden könne und deshalb sich selbst frisiere und
rasiere, auch alle Dienerschaft entlassen habe. »Die Aufwärterin hier«,
sagte er, »ist eine herrliche Seele, sie trägt nicht mit Unrecht diesen
Heiligenschein um ihr Haupt.« -- »Heiligenschein?« brummte der Vetter
vor sich, »das ist wohl das weiße Tuch, womit sie sich den Kopf
eingebunden hat!« Dann sprach er laut: »Wenn Gott aus der eine Heil'ge
schnitzeln wollte, die ginge wohl ganz in die Späne!« Noch berichtete
der Majoratsherr, daß er gewöhnlich bei Tag schlafe und erst, wenn die
Sonne im Sinken, aus dem Bette aufzustehen und seine stille Arbeit zu
betreiben pflege, wogegen der Vetter heimlich brummte: »Davon kommt der
Geisterspuk im Kopfe; er lebt ja wie die Nachteulen.«

Nachdem das Abendessen eingenommen, hatte sich der Vetter mit einer
guten Nacht empfohlen. Auch die Aufwärterin war zu Bette gegangen,
während der Majoratsherr sein großes Zimmer mit Wachskerzen tageshell
erleuchtet hatte, um seine Bücher und Handschriften, auf- und abgehend,
mit gleicher Bequemlichkeit zu durchlaufen und die Hauptarbeit seines
Lebens, sein Tagebuch, fortzuführen. Dieser glänzende Kerzenschein war
eine neue Erscheinung für die Bewohner der Gegend und die erste Unruhe,
die er ihnen machte; denn bei der Sparsamkeit des Leutnants mußten sie
vermuten, daß dort ein Feuer ausgebrochen sei. Als sie sich aber vor dem
Hause sammelten und die klagenden Töne einer Flöte durch das offene
Fenster erschallen hörten, beruhigten sie sich wieder und freuten sich
des neuen Lichtes, das ihnen den Schmutz der Straße deutlich machte. Der
Flötenspieler war der Majoratsherr, aber seine Töne sollten sich
eigentlich zu Esther hinrichten, die er am Fenster des dunklen
Nebenzimmers belauschte, wie sie ihre Kleider abwarf und im zierlichsten
Nachtkleide vor einem eleganten Spiegeltische ihre Haare flocht. Der
enge Bau jener Gasse, in welche die Balkenlagen jedes Stockwerkes immer
weiter hinausragten, um den Zimmern noch etwas Raum zu gewinnen, brachte
ihm ihr Fenster so nahe, daß er mit einem kühnen Sprunge zu ihr hinüber
hätte fliegen können. Aber das Springen war nicht seine Sache; dagegen
übte er die seltene Feinheit seines Ohres, das auf bedeutende Entfernung
ihm hörbar machte, was jedem andern verhallte. Er hörte zuerst einen
Schuß oder einen ähnlichen Schlag; da sprang sie auf und las ein
italienisches Gedicht mit vielem Ausdruck, in welchem der Dienst der
Liebesgötter bei einem Putztische beschrieben wurde; und gleich sah er
unzählige dieser zartbeflügelten Gestalten das Zimmer beleben, wie sie
ihr Kamm und Bänder reichten und ein zierliches Trinkgefäß, wie sie die
abgeworfenen Kleider ordneten, alles nach dem Winken ihrer Hände, dann
aber, als sie sich in ihr Bett gestreckt, wie ein gaukelnder Kreis um
ihr Haupt schwebten, bis sie immer blässer und blässer sich im Dampfe
der erlöschenden Nachtlampe verloren, in welchem ihm dagegen die Gestalt
seiner Mutter erschien, die von der Stirn des Mädchens eine kleine
beflügelte Lichtgestalt aufhob und in ihre Arme nahm, -- wie das Bild
der Nacht, die das Kindlein Schlaf in ihrem Gewande trägt -- und in dem
Zimmer bis zur Mitternacht damit auf- und niederschwebte, als wenn sie
ihm die unruhigen Träume vertreiben wollte, es dann aber über den
schwindelnden Straßengrund dicht an das Auge des Staunenden trug, der
Esthers verklärte Züge in der Lichtgestalt deutlich erblickte, sie aber
mit einem Schrei des Staunens unwiderruflich zerstreute. Denn mit diesem
Schrei war er aus dem höheren Seelenzustande, aus dem Kern in die Schale
zurückgesunken, und kein Wunsch führte ihm diesen seligen Anblick
zurück. Er sah Esther in ihrem Bett nicht mehr liegen, ihr Zimmer war
dunkel, nichts regte sich in der Gasse als die Ratten, die eine muntere
Jagd unter den Brücken der Gossen hielten, auch hustete die alte Vasthi
mit hoher Pelzmütze aus einem Fenster und fing an zu beten, als ein
Stier in der Nähe ein heftiges Gebrüll erhob. Diesem Gebrüll ging der
Majoratsherr im Hause nach und erblickte durch ein Hinterfenster beim
Schein des aufgehenden Mondes auf grüner, mit Leichensteinen besetzten,
ummauerten Fläche einen Stier von ungeheurer Größe und Dicke, der an
einem Grabsteine wühlte, während zwei Ziegenböcke mit seltsamen
Kreuzsprüngen durch die Luft sich über sein Wesen zu verwundern
schienen. Hier stand dem Majoratsherrn der Verstand still; diese
schreckliche Wirtschaft auf einem Gottesacker empörte ihn, er klingelte
der Aufwärterin. Sie erschien bald und fragte ihn, was er befehle?
»Nichts, gar nichts,« antwortete er, »aber was deutet dieser Spuk?« --
Die Frau trat ans Fenster und sagte: »Ich sehe nichts als die
Majoratsherren der Juden, das sind die erstgebornen Tiere, welche sie
nach dem Befehle ihres Gesetzes dem Herrn weihen, die werden hier
köstlich gefüttert, sie brauchen nichts zu tun; wenn sie aber ein Christ
erschlägt, so tut er den Juden einen rechten Gefallen, weil er ihnen die
Ausgabe spart.« -- »Die unglücklichen Majoratsherren,« seufzte er in
sich, »und warum haben sie Nachts keine Ruhe?« -- »Die Juden sagen, daß
einer aus der Sippschaft stirbt, wo sie nachts so wühlen am Grabe,«
antwortete die Frau; »hier, wo dieser wühlt, ist der Vater der Esther,
der große Roßtäuscher, begraben.« -- »O Gott nein!« rief er und ging in
den betrübtesten Gefühlen auf sein Zimmer und suchte sich wieder mit
heftigem Flötenspiel zu zerstreuen.

Endlich wurde es Tag; die großen Schatten der Häuser lagerten sich unter
dem hellen Himmel, die Mägde sprangen frisch geschuht, als ob sie sich
an diesem Tage durchaus nicht beschmutzen wollten, von einem trocknen
Stein zum andern, die Schwalben dagegen kreuzten hin zu dem köstlichen
Baumörtel, den ihnen der gestrige Regen bereitet hatte, und füllten
damit alle Lücken der menschlichen Architektur. Auch an dem Fenster, das
zu Esther blickte, hatten sich heute zwei von den zwitschernden
Grauröcken eingefunden und wollten ihr Nest gerade da ankleben, wo er
durch die einzige helle Scheibe zu Esther hinblickte. Da stand der
Majoratsherr zweifelnd, ob er sie stören, ob er alles abwarten solle,
was ihm so bedeutend erschien. Seine Sinnesart überwog für das Abwarten.
Nun ihm Esther verborgen, konnte er sich an den lieben Geschöpfen, an
ihrer Lust, an ihrem Fleiße nicht satt sehen, es war ihm zumute, als ob
er sich selbst da anbaue, als hänge sein Glück davon ab, daß sie fertig
würden, und ehe er sich zu Bette legte, sang er noch zu seiner
Mandoline:

   Die Sonne scheinet an die Wand,
   Die Schwalbe baut daran;
   O Sonne, halt nur heute Stand,
   Daß sie recht bauen kann.
   Es ward ihr Nest so oft zerstört,
   Noch eh es fertig war,
   Und dennoch baut sie wie betört,
   Die Sonne scheint so klar!

   So süß und töricht ist der Sinn,
   Der hier ein Haus sich baut, --
   Im hohen Flug ist kein Gewinn,
   Der fern aus Lüften schaut,
   Und ging er auch zur Ewigkeit,
   Er paßt nicht in die Zeit,
   Er ist von ihrer Freudigkeit
   Verschieden himmelweit.

Den Abend, als er aufwachte, fand er den Vetter schon mit einem guten
Abendessen in seinem Zimmer, auch sprach er von einer unangenehmen
Überraschung, die er ihm gemacht. -- Deswegen führte er ihn in das
Nebenzimmer, von wo er die Gasse beobachten könnte, und der Majoratsherr
fand es mit Sofa und Stühlen, mit Schränken und Tischen geschmückt, auch
war das Fenster gewaschen -- aber die Schwalben waren herabgestoßen.
»Meine guten schützenden Engel sind vertrieben«, dachte der
Majoratsherr. »Ich soll sie sehen, meinen Todesengel, soll den ganzen
Traum durchleben, der mich plagte; denn eins ist schon erfüllt, was ich
im Schlafe sah.« -- »Warum so traurig, Vetter?« fragte der Leutnant. --
»Ich habe unruhig geschlafen,« antwortete der Majoratsherr, »und mir
träumte von der Esther, sie sei mein Todesengel. Närrisches Zeug! Ihr
Kleid hatte unzählige Augen, und sie reichte mir einen Schmerzensbecher,
einen Todesbecher, und ich trank ihn aus bis zum letzten Tropfen!« --
»Sie hatten Durst im Schlafe,« sagte der Leutnant. »Setzen Sie sich zum
Essen, da steht guter Wein, echter Unger, ich habe ihn selbst gemacht,
aus Rosinen und schwarzem Brote. Apropos, Sie müssen die gute alte
Hofdame bald einmal besuchen; sie hat mich heute halbtot gequält, daß
ich Sie zu ihr bringe, sie wäre eine Freundin Ihrer Eltern.« -- »Dazu
muß ich einen Tag leben, und ich verschlafe meine Tage viel lieber,«
antwortete der Majoratsherr. »Lassen wir das, nehmen Sie meinen Dank für
die Ausschmückung des Zimmers! Eins möchte ich mir noch kaufen, seidene
Vorhänge vor jenes Fenster; Sie haben die Scheiben so hell polieren
lassen, daß ich nicht mehr versteckt bin, wenn ich in die Gasse schaue.«
-- »Die finden Sie gleich unten bei der schönen Esther,« rief der
Vetter, »da können Sie ihre Bekanntschaft viel näher machen als durch
die Fensterscheiben. Alle unsere Majoratsherren waren verliebter
Komplexion, Sie müssen keine Ausnahme machen, bester Vetter! Ich will
Sie auch begleiten, damit Sie im Handel nicht betrogen werden, und daß
Sie sich nicht abschrecken lassen, wenn das Mädchen sehr spröde tut.« So
gingen beide, der Majoratsherr vom Leutnant fortgezogen, in die Gasse,
und der letztere konnte sich eines Schauers nicht erwehren; ihm wars,
als wären die hohen, hölzernen Häuser nur aus Pappdeckeln
zusammengebaut, und die Menschen hingen wie ein Spielzeug der Kinder an
Fäden und regten sich, wie es das Umdrehen der großen Sonnenwalze ihnen
geboten. Jetzt fingen sie an, ihre Läden zu schließen, räumten auf,
zählten den Gewinn, und der Majoratsherr wagte in dem Lärmen, in dem
Dufte nicht aufzublicken.

»Hier, hier!« rief der Leutnant, und der Majoratsherr wollte eben in
einen Laden treten, als er statt der Esther ein grimmig Judenweib, mit
einer Nase wie ein Adler, mit Augen wie Karfunkel, einer Haut wie
geräucherte Gänsebrust, einem Bauch wie ein Bürgermeister, darin
erblickte. Sie hatte sich ihm schon mit ihren Waren empfohlen und
gefragt, ob sie auf sein Zimmer kommen solle, sie wolle ihm das Schönste
zeigen, auch wenn er keine Elle kaufen möchte; denn er sei ein schöner
Herr! -- Schon wollte er eintreten, als der Leutnant ihn am Rock zupfte
und zuflüsterte: »Hier im andern Laden ist die schöne Esther!« -- Da
wendete er sich fort und sagte verlegen, er wolle nichts kaufen, er
hätte sich nur nach einem Komödienzettel an der Ecke umgesehen, und mit
diesen Worten wandte er sich nach dem Nebenladen, wo er Esther zu sehen
erwartete. Aber die alte Jüdin ließ ihn noch nicht los. Sie rief eifrig:
»Junger Herr! hier im Winkel ist auch ein Zettel, ich habe vielleicht
auch einen im Laden! Treten Sie ein, ich habe auch den Zettel von den
spanischen Reitern!« Der Majoratsherr ward dadurch gestört und blickte
sich um, erschrak aber, daß die Jüdin einen schwarzen Raben auf dem
Kopfe trug, und verweilte. Unterdessen hatte der Leutnant schon ein
Gespräch mit Esther angeknüpft, welche ihm ohne Zudringlichkeit Bescheid
gegeben. Dieser zog den Majoratsherrn in den Laden der Esther, und nun
erschallte hinter ihm ein fürchterliches Rabengekrächze aus dem Munde
der alten Jüdin. In halb hebräischen Schimpfreden und im verzerrtesten
Judendialekt zeihte sie die arme Tochter der Unkeuschheit, mit der sie
Christen in ihren Laden locke, um ihrer eigenen Mutter den Verdienst zu
rauben, und verfluchte sie dabei zu allen Martern. Endlich ließ der Atem
des wütenden Weibes nach, der trotz der warmen Luft wie im Winter
geraucht hatte, und sie hetzte vergeblich ein paar vorübergehende kleine
Buben auf, daß sie ihr sollten schimpfen helfen, wofür sie ihnen Kuchen
versprach. Esther glühte von Schamröte, aber sie erwiderte nichts.
Endlich lief die Alte fort, weil ein Käufer kam. Der Majoratsherr
fragte, wer die grimmige Alte mit dem Raben auf dem Kopfe gewesen? --
»Meine Stiefmutter,« antwortete Esther, »haben Sie vielleicht das
schwarze Tuch mit den langen Zipfeln für einen Raben angesehn?« -- Der
Klang der Stimme schien dem Majoratsherrn nun erst bekannt, nun er sie
so nahe hörte; noch deutlicher als aus dem Fenster durchdrang ihn die
Ähnlichkeit mit seiner Mutter. Esther war nicht frischer, aber
jugendlicher; eine schmerzliche Blässe hatte das zarte Antlitz, selbst
die feingeformten Lippen, wie ein schädlicher Frühlingsnebel überzogen;
auch ihre Augen schienen dem Lichte zu schwach und verengten sich
unwillkürlich, wie Blumen gegen Abend die Blätter um ihren Sonnenkelch
zusammenziehen. Während sie mit Eilfertigkeit seidene Zeuge entrollte,
suchte sie der Leutnant in ziemlich ungeschickter Art zu trösten, indem
er ihr die Hoffnung zusicherte, ihre Stiefmutter werde bald sterben. --
»Ich wünsche ihr langes Leben,« antwortete die Gute, »sie hat noch
Kinder, für die sie sorgen muß. Wer weiß, wer zuerst den bittern Tropfen
des Todesengels kosten muß. Ich fühle mich heute in allen Nerven so
gereizt und schwach.« -- Der Majoratsherr meinte einen Todesengel nicht
nur fliegen zu sehen, sondern auch sein Flügelsausen zu hören: »Wie
schrecklich seine Flügel sausen!« -- Aber Esther sprang nach einer
Hintertür, schlug sie zu und entschuldigte sich wegen des heftigen
Zuges; ihr kleiner Bruder habe die Tür offen gelassen. Der Majoratsherr
wählte nun unter den Zeugen, fragte aber nach einer Farbe, die nicht im
Vorrate war. Gleich sprang Esther zu ihrer Mutter nach dem andern Laden,
und diese brachte mit fröhlichem Antlitz den verlangten Stoff, als ob
der Gewittervorhang mit einem Hauche fortgezogen worden wäre. Der
Leutnant wollte viel abdingen; aber der Majoratsherr warf das Geld hin,
was verlangt worden. Da gab ihm Esther einige Taler heraus, denn soviel
betrüge ihr Vorschlag; darüber fing die Mutter wieder an zu wettern,
aber diesmal ganz hebräisch. Als Esther wieder geduldig die Augen
niederschlug, antwortete der Leutnant ihr auf Hebräisch, so daß die
Alte, ganz erstaunt über seine seltene Fertigkeit, das Feld räumte und
sich in ihr Schneckenhaus verkroch. Esther schien sich darüber noch mehr
zu kränken als über den Schimpf, den sie erdulden müssen, und der
Majoratsherr zog aus Schonung den Vetter, der schon Triumph ausrufen
wollte, mit sich fort, indem er zugleich das seidene Zeug unter dem Arme
selbst forttrug.

Als sie zu Hause, fragte er den Leutnant, woher er das Hebräische wisse?
-- »Das brauchte ich zu meinem Verkehr mit den Juden,« antwortete er,
»und was es mir kostet an Büchern und Lehrmeistern, hat es mir reichlich
wieder eingebracht, denn ich konnte nun alle ihre Heimlichkeiten
verstehen. Sehen Sie, Vetter, in dem Schranke sind lauter jüdische
Sagenbücher und Beschreibung ihrer Sitten und Gebräuche. Wissen Sie, was
die Alte zuletzt sagte? Sie freue sich darauf, wenn Esther stürbe, da
würde es eine schöne Auktion geben! Wirklich ist sie auch aus dem
Nachlasse ihres Vaters mit allen eleganten Möbeln versorgt, und die
Leute erzählen, weil nun die feinen Herren nicht mehr, wie bei ihres
Vaters Lebzeiten, zu ihr kommen, daß sie sich abends prächtig anputze
und Tee mache, als ob sie Gesellschaft sehe, und dabei in allen Sprachen
rede.« -- Aber der Majoratsherr hörte wenig mehr darauf, denn er war mit
ganzer Seele über die Sagenbücher hergefallen. Der Leutnant wünschte ihm
gute Nacht, und kaum hatte er ihn verlassen, so sah der Majoratsherr
beim Lesen der alten Bücher in seinem Zimmer alle Patriarchen und
Propheten, alle Rabbinen und ihre wunderlichen Geschichten aus den
Sagenbüchern hervorgehen, daß die Stube zu eng schien für die ungeheure
Zahl. Aber der Todesengel schlug sie endlich alle mit seinen Flügeln
hinweg, und er konnte sich nicht satt lesen an seiner Geschichte: »Lilis
war die Mitgeschaffne Adams im Paradiese; aber er war zu scheu und sie
zu keusch, und so gestanden sie einander nie ihr Gefühl, und da erschuf
ihm der Herr im Drange seines Lebens ein Weib aus seiner Rippe, wie er
es sich im Schlafe träumte. Aus Gram über diese Mitgenossin ihrer Liebe
floh Lilis den Adam und übernahm nach dem Sündenfalle des ersten
Menschen das Geschäft eines Todesengels, bedrohte die Kinder Edens schon
in der Geburt mit Tod und umlauert sie bis zum letzten Augenblicke, wo
sie den bittern Tropfen von ihrem Schwert ihnen in den Mund fallen
lassen kann. Tod bringt der Tropfen, und Tod bringt das Wasser, in
welchem der Todesengel sein Schwert abwäscht.«

Unruhig lief der Majoratsherr bei diesen Worten im Zimmer umher, dann
sprach er heftig: »Jeder Mensch fängt die Welt an, und jeder endet sie.
Auch ich liebte scheu und fromm eine keusche Lilis, sie war meine
Mutter; in ihrer ungeteilten Liebe ruhte das Glück meiner Jugend. Esther
ist meine Eva, sie entzieht mich ihr und gibt mich dem Tode hin!« -- Er
hielt es nicht aus bei dem Anblick des Todesengels, den er immer hinter
sich lauernd zu schauen glaubte; er eilte auf die Straße im Mantel
verhüllt, um sich an dem Nachhall des Tages zu zerstreuen. Endlich
setzte er sich ermüdet hinter das Fußgestell einer Bildsäule, die in der
Nische eines hohen Hauses stand, und sah den eiligen Läufern zu, die mit
Fackelglanz einem rollenden Wagen vorleuchteten; die Lilis zog hinter
ihm her. Jubelnde Gesellschaften zogen lärmend aus der Trinkstube nach
Hause und klapperten noch mit den Nägeln gegen die Saiten, die sie so
lange hatten schwingen lassen; aber auch ihnen zog der Todesengel nach
und -- blies sie an aus einem Nachtwächterhorn. Und es wurden der
Todesengel so viele vor seinen Augen, daß sie zueinander traten und
paarweis wie Liebende nebeneinander gingen in traulichen Gesprächen. Und
er horchte ihnen zu, damit er wüßte, wie er zu Esther reden müsse, um
ihr seine Liebe kund zu tun. Aber die Liebenden wurden von den
Geschäftigen verdrängt, und er mochte nicht eher zuhören, bis ihm die
Stimme der Vasthi auffiel, die mit einem alten Rabbiner vorüberging und
ihm sagte:

»Was soll ich die Esther schonen; ist sie doch nicht das Kind meines
Mannes, sondern ein angenommenes Christenkind, der er den größten Teil
seines Geldes zugewendet hat.« -- »Sei Sie still,« sagte der Rabbiner,
»weiß Sie denn, wieviel der Mann mit dem Kinde bekommen hat?« »Alles. Er
hatte nichts und konnte damit anlegen großen Handel. Was kann das
Mädchen dafür, daß ihm sein Geld ist gestohlen worden?« -- Hier kamen
sie ihm aus dem Bereich seines scharfen Gehörs, er eilte ihnen nach,
aber sie hatten sich schon in irgend ein Haus begeben. Auch hier war er,
wie gewöhnlich, zu spät zu einem Entschluß gekommen, doch war ihm der
Fingerzeig seltsam bedeutend und führte ihn sinnend hin in sein Haus.

Als er sich kaum ein paar Minuten ausgeruht hatte, hörte er einen Schuß,
er sah zum Fenster hinaus, aber niemand schien es gehört zu haben.
Beruhigt rückte er auf seine Warte am Fenster und wagte es, einen
Fensterflügel zu öffnen, so daß er noch genauer, als die Nacht vorher,
das Zimmer der, schönen Esther übersehen konnte. -- Da hatte sich vieles
verändert, die Kappen der Stühle waren abgenommen, und sie glänzten in
weißem Atlas um einen prachtvollen Teetisch, auf welchem eine silberne
Teemaschine dampfte. Esther schüttete wohlriechendes Wasser auf eine
glühende Schippe, dann sprach sie in die Luft: »Nanni, es ist höchste
Zeit, daß ich meine Locken mache, meine Gäste müssen bald kommen.«
Esther antwortete darauf mit veränderter Stimme: »Gnädiges Fräulein, es
ist alles bereit.« -- Im Augenblicke des Worts stand eine zierliche
Kammerjungfer vor Esther und half ihr die Locken ausziehen und ordnen.
Dann reichte sie Esther den Spiegel, und diese klagte: »Gott, wie bin
ich bleich! Hat es denn nicht Zeit mit dem Erbleichen, bis ich tot bin?
Du sagst, ich soll mich schminken. Nein, dann gefalle ich dem
Majoratsherrn nicht, denn er ist auch blaß wie ich, gut wie ich,
unglücklich wie ich; wenn er nur heut käme, die Gesellschaft macht mir
ohne ihn keine Freude.« Nun war alles im Zimmer geordnet, und Esther,
sehr elegant angezogen, legte einige schön gebundene englische Bücher
aufs Sofa und begrüßte auch englisch das erste Nichts, dem sie in ihrer
Gesellschaftskomödie die Tür öffnete. Kaum antwortete sie englisch in
seinem Namen, so stand da ein langer, finsterer Engländer vor ihr, mit
der Art Freiheit und Anstand, die sie damals vor allen Nationen in
Europa auszeichnete. Mit solchen Luftbildern von Franzosen, Polen,
Italienern, endlich auch mit einem kantischen Philosophen, einem
deutschen Fürsten, der Roßhändler geworden, einem jungen aufgeklärten
Theologen und einigen Edelleuten auf Reisen belebte sich der Teetisch.
Sie war in einer unerschöpflichen Bewegung durch alle Sprachen. Es
entspann sich ein Streit über die Angelegenheiten Frankreichs. Der
Kantianer demonstrierte, aber der Franzose wütete. Sie suchte sehr
gewandt die Streitenden auseinander zu halten und schüttete endlich, als
ob sie angestoßen wäre, eine Tasse heißen Tee dem Kantianer auf die
Unterkleider, um eine Diversion zu machen. Das gelang auch; es wurde
entschuldigt, abgewischt, und sie versicherte, den Tritt des
Majoratsherrn zu hören, eine neue Bekanntschaft, die sie erst jetzt
gemacht, ein ausgezeichneter junger Mann, der Frankreich erst kürzlich
verlassen habe und jene streitigen Fragen am besten beantworten könne.
-- Bei diesen Worten durchgriff eine kalte Hand den Majoratsherrn. Er
fürchtete, sich selbst eintreten zu sehen; es war ihm, als ob er wie ein
Handschuh im Herabziehen von sich selbst umgekehrt würde. Zu seiner
Beruhigung sah er gar nichts auf dem Stuhle, den Esther ihm hinrückte,
aber den andern Mitgliedern der eleganten Gesellschaft mußte sein
Ansehen etwas Unheimliches haben, und während Esther zu ihm flüsterte,
empfahlen sich diese, aber einer nach dem andern. Als alle sich entfernt
hatten, sprach Esther lauter zu dem leeren Stuhle: »Sie haben mir in
aller Kürze gesagt, ich sei nicht, was ich zu sein -- scheine, und ich
entgegne darauf, daß auch Sie nicht sind, was Sie scheinen.« Darauf
antwortete Esther, indem sie zum Staunen des aufhorchenden Majoratsherrn
seine Stimme täuschend nachahmte: »Ich will mich erklären: Sie sind
nicht die Tochter dessen, den die Welt Ihren Vater nennt, Sie sind ein
geraubtes Christenkind, Ihren wahren Eltern, Ihrem wahren Glauben
geraubt, und mein Entschluß, Sie dahin zurückzuführen, hat mich
bestimmt, Ihnen meine Aufwartung zu machen. Erklären Sie sich mir jetzt
auch deutlicher.« -- Esther: »Es sei. Ich bin Sie und Sie sind ich;
sollte aber die Sache wieder in Ordnung gebracht werden, so zweifle ich,
daß ich dabei gewinnen kann, Sie aber verlören unglaublich viel, und nur
der schreckliche, rotnasige Vetter würde zu einer schwindelnden Höhe
erhoben.«

Sie schwieg und flehte sich selbst mit der Stimme des Majoratsherrn an,
weiter zu reden, denn eine Ähnlichkeit mit der geliebten Mutter
enthüllte ihm nun halb das Geheimnis. -- Dann fuhr sie fort: »Ist Ihnen
denn der Eigensinn eines alten Majoratsherrn, der von seinem Vetter, dem
Leutnant, mehrmals gekränkt worden, einem eignen Sohne die geliebten
Reichtümer überlassen möchte, so geheimnisvoll? Nehmen Sie an, daß die
Erfüllung dieser Hoffnung ihm nahe bevorstand, daß seine Frau in Wochen
kommen sollte, daß ihn aber die Furcht quälte, die Geburt eines Mädchens
könne alles vereiteln. Wenn diese oft geäußerte Furcht eine listige
Hofdame benutzt, um ihm einen Knaben aufzuschwatzen, den sie eine Woche
früher insgeheim geboren: bedarf es da mehr als einer oft bestochenen
Hebamme, wenn nun die Furcht erfüllt wird, und ich statt eines Knaben
geboren werde? Ich werde einem dienstbaren Juden überliefert, der, außer
dem Vorteil, auch seiner Religion dadurch etwas zuzuwenden hofft. Haben
Sie Nathan den Weisen gelesen?« -- Majoratsherr: »Nein!« -- Esther: »Nun
gut, Sie werden der Mutter an die Brust gegeben, wie die Nachtigall auch
Kuckuckseier ausbrütet, doch es versteht sich, ohne etwas Böses damit
sagen zu wollen. Und daß ich dies alles weiß, danke ich der Sterbestunde
meines Pflegevaters; er versicherte mir noch dabei, daß jenes Kapital,
was er mir zurücklasse, mehr betrage, als was ich nach der Stiftung des
Majorats fordern könne; er habe aber wohl das Dreifache vom alten
Majoratsherrn empfangen, um das Geheimnis zu bewahren, es sei die
Grundlage seines großen Handelsverkehrs geworden. Sie verstummen, Sie
zweifeln, was zu tun sei? Sie verfluchen die Eitelkeit des männlichen
Geschlechts, seinen Namen allein in Ansehen erhalten zu wollen? Aber was
ist zu tun? Lassen Sie denn den alten, lächerlichen Vetter Ihres
Reichtums mit froh werden, wie Sie schon jetzt getan; meine Bahn ist
bald durchlaufen, und ich ertrage keinen großen Wechsel der Witterung.
Aber Sie lieben mich, sagen Sie. Ach ich habe Ihre Augen beim ersten
Anblick verstanden, aber unsre Liebe ist nicht von dieser Welt; diese
Welt hat mich mit aller ihrer Torheit zerstört. Freund, nicht alle
Männer meinten es mit mir so ehrlich wie Sie, und sie umstrickten mich
mit jeder Eitelkeit des kindischen Verstandes. Scheiden wir für heute,
denn es kostet mir viel Zeit, Ihnen zu sagen, daß ich Ihnen kein ganzes
Herz mehr schenken kann; es brach, es ging in Stücken, und nur dort
heilt sich der Riß.« -- Bei diesen Worten verfinsterte eine Tränenflut
die Augen des Majoratsherrn. Als er aufblickte, lag Esther, nachdem sie
das Nachtlicht ausgelöscht, in ihrem Hemdchen im Fenster und atmete
heftig die kalte Nachtluft ein; dann ging sie zu Bette, und er setzte
sich zu seinem Tagebuche, um alles Wunderbare, so treu er vermochte,
aufzuzeichnen.

Gegen Mittag kam der Vetter, wie gewöhnlich, vor sein Bette und fragte
ihn, ob er nicht endlich Lust habe, die Hofdame zu besuchen. Der
Majoratsherr überraschte ihn mit einem vernehmlichen Ja, hätte aber gern
hinzugefügt, daß er lieber allein den Besuch gemacht hätte. Er kleidete
sich schnell an und machte sich mit dem Vetter auf den Weg, der sich
darüber freute, daß sie jetzt gewiß noch allein sei. Wie sie sich dem
Hause näherten, pochte dem Majoratsherrn das Herz. »Was ist das für ein
schrecklich großer Menschenkasten dort,« fragte er, »mit den
Spiegelscheiben? In dieser Nische habe ich einmal nachts hinter der
Statue in der Nische gesessen!« -- »Kennen Sie noch nicht Ihr eigenes
Majoratshaus?« fragte der Vetter, »da ließe es sich besser wohnen als in
meinem kleinen Neste!« -- »Bewahre der Himmel,« antwortete der
Majoratsherr, »ich wollte, daß ich es nie gesehen hätte; die großen
Steine scheinen mit Hunger und Kummer zusammengemauert.« -- »Freilich,
der es baute, hat sich kaum satt zu essen gewagt, und Ihr Vater war
nicht auf sonderliche Ausgaben eingerichtet, hat mir einmal, als ich
knapp von einem Tage zum andern lebte, einen Prozeß gemacht, weil ich
eine Schneiderrechnung, die er für mich ausgelegt, am festgesetzten Tage
ihm nicht wieder gezahlt hatte.« -- »Gott, das ist hart,« sagte der
Majoratsherr, »das kann den Erben keinen Segen bringen!«

Unter solchen Gesprächen waren sie in das Vorzimmer der Hofdame
getreten, die darum bitten ließ, daß die Herren eine halbe Stunde warten
möchten, sie hätte noch einige Worte zu schreiben. Der Vetter sah an
seiner Uhr, daß er nicht so lange warten könne, wegen seines
regelmäßigen Spazierganges, und ließ den Majoratsherrn allein. Diesem
ward sehr unheimlich in dem Zimmer. Der schreiende Laubfrosch auf der
kleinen Leiter schien von einem fatalen Geiste beseelt; auch die Blumen
in den Töpfen hatten kein recht unschuldiges Ansehen; aus dem Potpourri
glaubte er ein Dutzend abgelebte Diplomaten heraufhorchen zu sehen. Aber
mehr als alles quälte ihn der schwarze Pudel, obgleich sich dieser vor
ihm zu fürchten schien; er hielt ihn für eine Inkarnation des Teufels.
Als nun endlich die Hofdame wie ein chinesisches Feuerwerk mit dem
steifen Wechsel ihrer Farben aus dem andern Zimmer hervortrat, da
vergingen ihm fast die Sinne, denn ihm stand's vor der Seele, daß die
Abscheuliche seine Mutter sei. »Mutter,« sagte er, und sah sie scharf
an, »deinem Sohn ist sehr wehe!« Er dachte, sie würde erschrecken, ihn
für einen Toren erklären; aber sie setzte sich ruhig zu ihm und sagte:
»Sohn, deiner Mutter ist sehr wohl.« Sie wollte ihm ein emailliertes,
großes Riechfläschchen reichen, aber er scheute sich davor und sagte:
»Da sehe ich eine Seele eingesperrt!« Sie legte es leise beiseite und
sagte: »Wenn darin eine Seele, so ist es die Seele deines Vaters, des
Schönen; ich reichte es ihm, als er vom Leutnant, dem Vetter,
durchstochen ward, im unerwarteten Zweikampf vor meiner Türe.« -- »Ich
lebe mit dem Mörder meines Vaters unter einem Dache, und du bist seine
geliebte Freundin?« -- »Du weißt zuviel, mein Sohn,« fuhr sie fort, »als
daß du nicht alles wissen solltest, wieviel du mir zu danken, was ich
für dich getan habe. Dein Vater hieß der schöne ... in der ganzen Stadt;
dieser Ruf machte, daß ich gegen ihn alle Vorsicht vergaß. Unser
Liebeshandel blieb zwar heimlich; aber bei den Folgen, die ich trug,
mußte ich auf Verbannung vom Hofe gefaßt sein, wenn ich diese Folgen
nicht verheimlichen könnte, nachdem dein Vater erstochen war, ehe er
sein Versprechen, mich zu heiraten, erfüllen können. Das gelang mir.« --
»Ich weiß es.« -- »Und zugleich rächte ich deinen Vater an seinem
Mörder, indem ich dir das Vermögen zuwandte, was jenem mit allem Rechte
zugefallen wäre. Ich tat noch mehr. Durch meinen Einfluß am Hofe hemmte
ich jeden seiner Versuche, sich in Ehren fortzuarbeiten, und erhielt ihn
dabei in den Netzen meiner Reize. Weder seinem Verstande noch seinem
Mute wurde gerechte Anerkennung; so veraltete er in sinnlosem Treiben
und quälenden Nahrungsspekulationen, ein lächerliches Spottgesicht aller
Welt, während die ältern Leute noch mit Entzücken von der Schönheit
deines Vaters reden, ihn noch als Sprichwort brauchen, um Schönheit zu
bezeichnen. Wenn ich dich in deinem Reichtum edel, sorgenfrei
aufgewachsen sehe, allem Höheren zugewendet, und den Vetter denke, wie
er da täglich unter schielenden Seitenblicken der Alten und mit
Hohnlachen der Gassenbuben in lächerlichen Hahnentritten vor meinem
Fenster vorübertrippelt, oder Sonntags meinen Hund kämmen muß, dann
fühle ich, daß ich deinen Vater gerächt, ihm ein rechtes Totenopfer
gebracht habe. Oder soll ich noch mehr tun, um den Vetter zu kränken,
soll ich ihn heiraten, ihn in seinem Stundenlauf durch die Stadt stören,
seine Wappensammlung zusammenwerfen?« -- Der Majoratsherr hatte auf das
alles nicht gehört, sonst möchte sein Widerspruch sie früher
unterbrochen haben. Er sprach halbträumend in sich hinein: »Also ward
ich der Edlen nur als ein Dieb an die Mutterbrust gelegt. Und wo ist das
unglückliche Kind, das meinetwegen verstoßen wurde? Ich weiß es, Esther
ist es, die unglückliche, geistreiche, von der Gemeinheit der Ihren, von
dem Fluch ihres Glaubens niedergebeugte Esther!« -- »Darüber kann ich
dir keine Antwort geben,« sagte die Hofdame, »der alte Majoratsherr
allein führte die Sache aus; ich war beruhigt, als ich dich aus der
Schande unehelicher Geburt zu dem glänzendsten Schicksale erhoben sah.
Du dankst mir nicht dafür?« -- Er saß in sich versunken und hörte nicht,
sondern sprach halblaut: »Ich sollte reich sein auf Unkosten einer
Armen? Habe ich nicht manches gelernt, was mir einen Unterhalt
verschaffen kann? Ich spiele mehrere Instrumente so fertig wie
irgendeiner; ich male, ich kann in mancher Sprache Unterricht geben.
Fort mit der Sündenlast des Reichtums, sie hat mich nie beglückt!« --
Die Hofdame hörte ihm aufmerksam zu und sprach mit ihrem Pudel, der
seine Vorderpfoten auf ihre Knie stützte und ihr ans Ohr den Kopf
ausstreckte, dann nahm sie die Hand des Majoratsherrn und sagte: »Du
bist deiner Mutter wenigstens Gehorsam schuldig, und was ich fordere,
ist nicht unbillig; nur vierundzwanzig Stunden bewahre das Geheimnis
deiner Geburt und schiebe jeden Entschluß auf, den es in dir erregen
könnte; darauf gib mir Hand und Wort!« -- Der Majoratsherr war froh, daß
er in vierundzwanzig Stunden zu keinem Entschluß zu kommen brauchte,
schlug ein, küßte die Hand, empfahl sich ihr und eilte nach Hause, um zu
einer ruhigen Fassung zu gelangen.

Aber eine neue Veranlassung zur tiefsten Beunruhigung seines Gemüts
mußte er dort vorfinden. Er sah vor dem Hause der Esther eine große
Versammlung von Juden und Jüdinnen, die heftig miteinander redeten. Weil
er sich nicht darunter mischen wollte, so ging er in sein Haus und
befragte die alte Aufwärterin. Sie berichtete ihm, daß der Verlobte der
schönen Esther vor einer Stunde ganz zerlumpt von einer Reise nach
England zurückgekommen sei; er habe alles das Seine verloren. Die alte
Vasthi habe ihm darauf erklärt, daß er ihre Schwelle nie betreten, an
ihre Stieftochter nicht denken solle; aber Esther habe laut versichert,
daß sie gerade jetzt ihre Zusage erfüllen wolle, den Unglücklichen zu
heiraten, weil er ihrer bedürfe, sonst hätte sie wegen ihrer
Kränklichkeit das Verlöbnis aufgelöst. Darüber sei eine schreckliche Wut
der Mutter Vasthi ausgebrochen, die kaum durch das Zwischentreten der
ältesten Nachbarn beschwichtigt worden sei. Jedermann gebe ihr laut
schuld, daß sie nicht aus Vorsorge für die Stieftochter, sondern aus
Verlangen, sie zu beerben, weil sie sehr kränklich, die Heirat zu
hindern suche.

So war nun ein Mittel der Ausgleichung, wenn er selbst, der
Majoratsherr, die verstoßene Esther geheiratet hätte, fast verloren, und
seine Neigung schien ihm jetzt sträflich. Er sah Esther, die bleich und
erstarrt wie eine Tote auf ihrem Sofa lag, während der Verlobte, ein
jammervoller Mensch, ihr seine unglücklichen Begebenheiten erzählte. Es
wurde Licht angezündet; sie schien sich zu erholen, tröstete ihn,
versprach ihm ihren Handel zu überlassen, wenn sie verheiratet wären,
aber er dürfe dann nie ihr Zimmer betreten. Er beschwor alle
Bedingungen, die sie ihm machen wolle, wenn sie ihn aus dem Elend reißen
und vor dem Zorn der grausamen Vasthi bewahren wolle. »Sie ist der
Würgengel, der Todesengel,« sagte er, »ich weiß es gewiß; sie wird
abends gerufen, daß die toten Leute nicht über Nacht im Hause bleiben
müssen, und saugt ihnen den Atem aus, daß sie sich nicht lange quälen
und den Ihren zur Last fallen. Ich hab's gesehen, als sie von meiner
Mutter fortschlich, und als ich ans Bette kam, war sie tot; ich hab es
gehört von meinem Schwager, es darf nur keiner davon reden. Es ist eine
Sache der Milde, aber ich scheue mich davor.« Esther suchte es ihm
auszureden, endlich sagte sie: »Bedenk Er sich wohl! Wenn Er sich
allzusehr vor ihr fürchtet, so heirate Er mich nicht. Mir ist es
einerlei, ich tue es nur, um Ihn aus dem Elend zu retten; das bedenk Er
sich und geh Er und laß Er mich allein.« Der Verlobte ging. Kaum war er
fort, so stand Esther mit Mühe auf, erschrak, als sie sich im Spiegel
erblickte, und rang die Hände.

Der Majoratsherr beschaute den schmalen Raum, der sie trennte; er
glaubte sie trösten zu müssen. Aber ehe er entschlossen, ob er sich
einem kühnen Sprunge hingeben oder durch ein Brett beide Fenster in
aller Sicherheit vereinigen könnte, hörte er, wie alle Abende, einen
Schuß, und es überfiel der gesellige Wahnsinn die schöne Esther schon
wieder. Sie schlüpfte mit Eile in ein kurzes Ballkleid und warf darüber
einen feuerfarbenen Maskenmantel, nahm auch eine Maske vor, und so
erwartete sie die übrigen Masken zu dem Balle. Es ging wie am vorigen
Tage, nur viel wilder. Groteske Verkleidungen, Teufel, Schornsteinfeger,
Ritter, große Hähne schnarrten und schrien in allen Sprachen, er sah die
Gestalten, sowie ihre Stimme sie belebte. Sie war schlagend witzig gegen
alle Angriffe, die sie sich selbst machte, und scheute in diesen
Spottreden keine ihrer Schwächen, die sie je gehabt hatte; aber sie
wußte auch von allem die beste Seite zu zeigen. Nur einer Maske wußte
sie nichts zu antworten, die ihr vorwarf, so nahe ihrer Hochzeit solchen
Leichtsinn zu treiben. »Nennen Sie dieses Almosen, das ich dem armen
Jungen reiche, keine Hochzeit. Ich bin verlassen; der Majoratsherr wird
sich immerdar zu lange in Unschlüssigkeit bedenken, ehe er etwas für
mich tut, meine Pulse schlagen bald die letzte Stunde, kurz David tanzte
vor der Bundeslade, und ich tanze dem höheren Bunde entgegen.« Bei
diesen Worten ergriff sie die Maske und raste einen schnellen Walzer,
welchem Beispiel die anderen Masken folgten, während ihr Mund mit
seltener Fertigkeit Violinen, Bässe, Hoboen und Waldhörner tanzend
nachzuahmen wußte. Kaum war dieser allgemeine Tanz beendet, so wurde sie
angefleht, die Fandango zu tanzen. Sie warf die Maske und auch das
Ballkleid von sich, ergriff die Kastagnetten und tanzte mit einer
Zierlichkeit den zierlichsten Tanz, daß dem Majoratsherrn alle anderen
Gedanken in Wonne des Anschauens untergingen. Als ihr nun alle für diese
Kunst ihren Dank zollten und sie nur mit Mühe wieder zu Atem kam, sah
sie mit Schrecken einen kleinen Mann eintreten, den auch der
Majoratsherr, sobald sie ihn genannt, in einer sehr abgetragenen Maske
die Herren begrüßen sah. »Gott, das ist mein armer Bräutigam,« sagte
sie, »der will mit seinen Kunststücken Geld verdienen.« Diese armselige
Maske trug einen kleinen Tisch und Stuhl auf dem Rücken, empfahl seine
Kunststücke, ließ einen Teller umhergehen, um für sich einzusammeln, und
eröffnete den Schauplatz mit sehr geschickten Kartenkünsten; dann
brachte er Becher, Ringe, Beutel, Leuchter und ähnliche
Schnurrpfeifereien vor, mit denen er das größte Entzücken in der ganzen
Gesellschaft erregte. Zuletzt sprang er in einem leichten, weißen
Anzuge, doch wieder maskiert, wie eine Seele aus dem schmutzigen
Maskenmantel heraus und versicherte, mit seinem Körper seltsame
Kunststücke machen zu wollen, legte sich auf den Bauch und drehte sich
wie ein angestochener Käfer umher. Aber Esther faßte einen so gräßlichen
Widerwillen gegen ihn in dieser Verzerrung, daß sie mit zugehaltenen
Augen in Krämpfen auf ihr Bett stürzte. Im Augenblicke waren dem
Majoratsherrn alle Gestalten verschwunden; er sah die Geliebte, die
Unterdrückte im schrecklichsten Leiden verlassen; er beschloß, zu ihr zu
eilen. Er sprang die Treppe hinunter; aber er fehlte die Tür und trat in
ein Zimmer, das er nie betreten. Und ihm und seiner Laterne entgegen
drängten sich ungeheure gefiederte Gestalten, denen rote Nasen wie
Nachtmützen über die Schnäbel hingen. Er flieht zurück und steigt zum
Dache empor, indem er sein Zimmer sucht. Er blickt umher in dem Raume,
und still umsitzen ihn heilige Gestalten, fromme Symbole, weiße Tauben;
und das Gefühl, wie er zwischen Himmel und Hölle wohne, und die
Sehnsucht nach dem himmlischen Frieden, dessen Sinnbilder ihn umgaben,
stillte wie Öl die Sturmeswellen, die ihn durchbebten, und eine Ahnung,
daß er ihm nahe, daß es seiner auf Erden nicht mehr bedürfe, drängte
seine aufglimmende Tätigkeit für Esther wieder zurück.

Doch diesem höheren Traum stellte sich die Wirklichkeit mit spitzer
Nachtmütze, einem bunten Band darum gebunden, eine Brille auf der roten
Nase, einen japanischen, bunten Schlafrock am Leibe, mit bloßem Schwerte
entgegen; natürlich der Vetter, der, von dem Geräusch im Hause erwacht,
den Majoratsherrn mit den Worten begrüßte: »Sind Sie es, lieber Vetter,
oder Ihr Geist?« -- »Mein Geist,« antwortete der Majoratsherr verlegen,
»denn kaum weiß ich, wie ich hier unter die Engel versetzt bin.« --
»Kommen Sie in Ihr Zimmer zurück,« entgegnete der Vetter, »sonst
verlassen die Tauben ihre Eier; meine Puthähne unten wollen sich ohnehin
nicht zufrieden geben, Sie waren gewiß auch dort, ich konnte mir dieses
Treppensteigen, den Lärm bei den Tieren nicht anders erklären, als daß
ein Dieb von der Judengasse eingestiegen sei. Nun ist es mir nur lieb,
daß Sie es sind. Vielleicht etwas mondsüchtig, lieber Vetter? Das weiß
ich zu kurieren.« -- Unter solchen Gesprächen führte er den
Majoratsherrn in sein Zimmer zurück. Dieser aber faßte den Entschluß,
dem Vetter zu erzählen, daß er Esther in Krämpfen ganz verlassen aus
seinem Fenster gesehen habe, und daß er in der Eil', ihr zu Hilfe zu
kommen, die Türen verfehlt habe. -- »Welch ein Glück,« rief der Vetter,
»denn wenn die Türe der Gasse offen gewesen, Sie wären nicht ohne
Unglück oder Schimpf hinausgekommen.« -- Der Majoratsherr war an das
Fenster gegangen und sagte: »Sie scheint jetzt zu schlummern, der
schreckliche Anfall ist vorüber.« Der Leutnant erzählte aber weiter:
»Vor einem Jahre hätten Sie die Esther sehen sollen, da war sie schön;
da kam der Sohn eines Regimentskameraden vom Lande hieher unter die
Dragoner. Er war das einzige Gut der Mutter, seitdem der Vater in einem
Scharmützel geblieben; denn die sind oft gefährlicher als die großen
Schlachten. Ich sah es, wie sie ihm das letzte Hemde zu seiner
Equipierung nähte; sie dachte nicht, daß es sein Sterbehemde werden
sollte. Aber der Mensch war unbesonnen, ich sah es ihm gleich beim
Reiten an: er wollte immer Kunststücke auf den Straßen machen und dachte
nicht daran, daß da Leute neben ihm gingen. Genug, der verliebt sich in
die schöne Esther, und sie in ihn, und mein junger Herr will abends zu
ihr schleichen, und wie die armen Juden außer ihrer Gasse mißhandelt
werden, so meinen sie die Christen drinnen auch mißhandeln zu können,
und fallen über ihn her, -- besonders die alte Vasthi, die hätte ihn
fast erwürgt. Die Sache ward laut, die Offiziere wollten nicht mit dem
jungen Fähndrich weiter dienen. Er kam zu mir: was er tun sollte? Ich
sagte ihm: schießt Euch tot, weiter ist nichts zu tun. Und der Mensch
nimmt das Wort buchstäblich und schießt sich tot. Da hatte ich Mühe, es
der Mutter auf gute Art beizubringen. Die Esther aber bekommt seitdem
abends um die Zeit, wo er sich erschossen, einen Eindruck, als ob ein
Pistolenschuß in der Nähe fiele, -- andre hören es nicht, -- und dann
ein Anfall von Reden, Tanzen, daß kein Mensch aus ihr klug wird; und die
andern im Hause lassen sie allein und scheuen sich vor ihr!« -- Entsetzt
von dem kaltblütigen Vortrage rief der Majoratsherr: »Welche Klüfte
trennen die arme Menschheit, die sich immer nach Vereinigung liebend
sehnt! Wie hoch muß ihre Bestimmung sein, daß sie solcher Fundamente
bedarf, daß solche Opfer von der ewigen Liebe gefordert werden, solche
Zeichen, -- die, mehr als Wunder, die Wahrheit der heiligen Geschichte
bewähren? O, sie sind alle wahr, die heiligen Geschichten aller Völker!«
-- Nach einer Pause fragte er: »Ist denn die Vasthi wirklich der
Würgengel? Die Leute sagen, daß sie den Sterbenden den Todesdruck gebe.«
-- »Wenn das der Fall ist,« sagte der Vetter, »so ist es Milde, daß sie
nicht lebend begraben werden, weil ein törichtes Gesetz gebietet, die
Toten nach dreien Stunden aus dem Hause zu schaffen.« Es habe ihm ein
Arzt versichert, daß er deswegen einem, der an Krämpfen gelitten,
schwören mußte, bei ihm zu bleiben, daß er nicht erstickt würde, wenn
man ihn für tot hielte. Und da sah er, wie die Verwandten ihn verlegen
bereden wollten, fortzugehen, der Tote sei tot; aber er blieb und
rettete das Leben des Erstarrten, der ihm noch lange dankte. Da sollte
die Obrigkeit ein Einsehen haben und das frühe Beerdigen verbieten.
»Aber lassen Sie uns von angenehmeren Dingen reden,« fuhr der Vetter
fort. »Ich habe Ihnen vielen Dank zu sagen, Sie haben mein Glück
gemacht. Meine vortreffliche Herzens- und Hofdame fühlt eine so gütige,
mütterliche Zärtlichkeit gegen Sie, daß sie mir die seit dreißig Jahren
versagte Hand reichen will, insofern ich Sie verpflichten kann, als ein
geliebter Sohn in ihrer Nähe zu bleiben und unser nahendes Alter zu
unterstützen. Da Sie nun, lieber Vetter, Ihr ganzes äußeres Dasein mit
der Verwaltung des Majorats mir übertragen haben, ich auch aus der
näheren Kenntnis der Verhandlungen ersehe, daß Sie viel zu abstrakt in
Ihren Studien sind, um Ihrem Vermögen selbst vorstehen zu können, so
habe ich, gleichsam als Ihr natürlicher Vormund, Ihr Wort dazu gegeben.«

Der Majoratsherr fühlte sich in den Willen des Vetters ebenso
hingegeben, wie Esther in den Willen der Vasthi; er kam ihm auch vor wie
ein Würgengel, und er konnte sich denken, daß er ihm ebenso gleichgültig
wie dem jungen Dragoner die Pistole reichen würde, wenn er das Geheimnis
des Majorats erführe. Der Majoratsherr liebte aber sein Leben wie alle
Kranke und Leidende, und es schien ihm ein milder Ausweg, den die
Hofdame ersonnen, ihn durch diese Heirat als Sohn dem Hause dergestalt
zu verknüpfen, daß bei der Unwahrscheinlichkeit, in ihrem Alter noch
andre Kinder zu bekommen, er allein die Aussicht und der Mittelpunkt
aller Hoffnungen beider werden müßte. So fand er sich gezwungen, dem
Vetter zur Heirat Glück zu wünschen und ihm seine kindliche Ergebenheit
gegen die Hofdame zu versichern; auch versprach er ihm, künftig mit ihm
im Majoratshause zu wohnen, Gesellschaften zu sehen und am Hofe sein
Glück zu suchen. Dann las ihm der Vetter einige wohlgereimte Gedichte
vor, in denen er dieses Glück besungen hatte, und empfahl sich erst spät
dem schlaftrunkenen Majoratsherrn, der heimlich allen Versen
abgeschworen, seitdem er die edle Reimkunst mit so fataler nichtiger
Fertigkeit hatte handhaben hören. Und doch konnte er es nicht lassen,
einige Reime bis zum Verzweifeln sich zu wiederholen, und wußte auch
nicht, wo er sie gehört hatte, doch meinte er damals, als er die alte
Vasthi hinter der Bildsäule belauerte.

   Es war eine alte Jüdin,
   Ein grimmig gelbes Weib;
   Sie hat eine schöne Tochter
   Ihr Haar war schön geflochten
   Mit Perlen, soviel sie mochte,
   Zu ihrem Hochzeitskleid.

   »Ach liebste, liebste Mutter,
   Wie tut mirs Herz so weh; --
   In meinem geblümten Kleide
   Ach laß mich eine Weile
   Spazieren auf grüner Heide,
   Bis an die blaue See.

   Gut Nacht! Gut Nacht, Herzmutter,
   Du siehst mich nimmermehr;
   Zum Meere will ich laufen,
   Und sollt ich auch ersaufen,
   Es muß mich heute taufen;
   Es stürmet gar zu sehr!«

Spät entschlafen unter diesen wiederkehrenden Reimen, wurde er erst
gegen Abend durch den Pistolenschuß erweckt, der sich zur gewohnten
Stunde hören ließ. Fast zugleich trat die alte, gute Aufwärterin leise
ein, und als sie ihn wachend fand, fragte sie: ob er nicht der
Judenhochzeit aus dem Hinterfenster zusehen wolle. -- »Wer wird
verheiratet?« fuhr er auf. -- »Die schöne Esther, mit dem armen Lump,
der gestern zurückgekehrt ist.« -- Zum Glück war der Majoratsherr
unausgekleidet auf seinem Sofa eingeschlafen, denn Zeit konnte er nicht
verlieren, mit solcher Heftigkeit sprang er nach den hinteren Fenstern
des Hauses, aus denen er den Begräbnisort mit den wilden Tieren gesehen
hatte. Lange Häuserschatten und zwischendurch strahlende Abendlichter
streiften über den grünen Platz neben dem Begräbnisort, der mit einem
schrecklichen Gewirre schmutziger Kinder eingehegt war. Die Art der
Musik, welche jetzt anhub, erinnerte an das Morgenland, auch der
reichgestickte Baldachin, der von vier Knaben vorausgetragen wurde.
Ebenso fremdartig waren alle Zeichen der Lustigkeit unter den
Zuschauern, welche Nachtigallen und Wachteln künstlich nachahmten,
einander zwickten und Gesichter schnitten, und endlich, zum Teil mit
künstlichen Sprüngen, den Bräutigam begrüßten, der wie ein
Schornsteinfeger ein schwarzes Tuch um den Kopf trug und mit einer Zahl
befreundeter Männer eintrat. Und welche Ungeduld, wie viele seltsame
Einfälle unter den Leuten, als die Braut länger als erlaubt auf sich
warten ließ. Aber endlich kam händeringend ein Weib und schrie
unbarmherzig: »Esther ist tot!«

Die Musik der Zimbeln und kleinen Pauken schwieg, die Knaben ließen den
Thronhimmel fallen, der wilde Stier brüllte schrecklich oder wurde jetzt
erst gehört. Der Majoratsherr allein, während alles lief zu schauen,
blieb erstarrt in seiner Fensterecke liegen, bis die Tauben heimkehrend
es mit lautem Flügel umflogen, und die Aufwärterin sagte: »Ach Gott! da
haben sie wieder eine mitgebracht; wer weiß, welchem armen Menschen sie
gehört hat, und wieviele sich darum grämen!« -- »Sie ists,« rief der
Majoratsherr, »die himmlische Taube, und ich werde nicht lange um sie
weinen!« Er ging auf sein Zimmer zurück und wagte es nach ihrem Fenster
hinzublicken. Schon waren alle aus ihrem Zimmer entflohen, aus Furcht
der Einwirkung eines Toten. Der Verlobte zerriß sein Kleid vor dem Hause
und überließ sich allen Rasereien des Schmerzes, während die Ältesten
von der Beerdigung redeten. Sie lag auf ihrem Bette. Der Kopf hing
herab, und die Haarflechten rollten aufgelöst zum Boden. Ein Topf mit
blühenden Zweigen aller Art stand neben ihr und ein Becher mit Wasser,
aus dem sie wohl die letzte Kühlung im heißen Lebenskampfe mochte
empfangen haben. -- »Wohin seid ihr nun entrückt,« rief er nun zum
Himmel, »ihr himmlischen Gestalten, die ahnend sie umgaben? Wo bist du,
schöner Todesengel, Abbild meiner Mutter! So ist der Glaube nur ein
zweifelhaft Schauen zwischen Schlaf und Wachen, ein Morgennebel, der das
schmerzliche Licht zerstreut! Wo ist die geflügelte Seele, der ich mich
einst in reinster Umgebung zu nahen hoffte? Und wenn ich mir alles
abstreite, wer legt Zeugnis ab für jene höhere Welt? Die Männer vor dem
Hause reden vom Begräbnis, und dann ist alles abgetan. Immer dunkler
wird ihr Zimmer, die geliebten Züge verschwinden darin.«

Während er in tränenlosem Wahnsinn so vor sich hinredete, trat die alte
Vasthi mit einer Diebeslaterne in das Zimmer, öffnete einen Schrank und
nahm einige Beutel heraus, die sie in ihre lange Seitentasche steckte.
Dann nahm sie den Brautschmuck der Erstarrten vom Kopfe und maß mit
einem Bande ihre Länge, wohl nicht zu einem Kleide, sondern zur Auswahl
des Sarges. Und nun setzte sie sich auf das Bett, und es schien, als ob
sie bete. Und der Majoratsherr vergab ihr den Diebstahl für dies Gebet
und betete mit ihr. Und wie sie gebetet hatte, zogen sich alle Züge
ihres Antlitzes in lauter Schatten zusammen, wie die ausgeschnittenen
Kartengesichter, welche, einem Lichte entgegengestellt, mit dem
durchscheinenden Lichte ein menschliches Bild darstellen, das sie doch
selbst nicht zu erkennen geben: sie erschien nicht wie ein menschliches
Wesen, sondern wie ein Geier, der, lange von Gottes Sonne gnädig
beschienen, mit der gesammelten Glut auf eine Taube niederstößt. So
setzte sie sich wie ein Alpdruck auf die Brust der armen Esther und
legte ihre Hände an ihren Hals. Der Majoratsherr meinte einige
Bewegungen am Kopf, an Händen und Füßen der schönen Esther zu sehen;
aber Wille und Entschluß lagen ihm wie immer fern, der Anblick ergriff
ihn, daß er es nicht meinte überleben zu können. »Der grimmige Geier,
die arme Taube!« -- Und wie Esther das Ringen aufgab und ihre Arme über
den Kopf ausstreckte, da erlosch das Licht, und aus der Tiefe des
Zimmers erschienen mit mildem Gruße die Gestalten der ersten reinen
Schöpfung, Adam und Eva, unter dem verhängnisvollen Baume und blickten
tröstend zu der Sterbenden aus dem Frühlingshimmel des wiedergewonnenen
Paradieses, während der Todesengel zu ihrem Haupte mit traurigem Antlitz
in einem Kleide voll Augen mit glänzendem, gesenktem Flammenschwerte
lauerte, den letzten, bittern Tropfen ihren Lippen einzuflößen. So saß
der Engel wartend, tiefsinnig, wie ein Erfinder am Schlusse seiner
mühevollen Arbeit. Aber Esther sprach mit gebrochener Stimme zu Adam und
Eva: »Euretwegen muß ich so viel leiden!« -- Und jene erwiderten: »Wir
taten nur eine Sünde, und hast du auch nur eine getan?« -- Da seufzte
Esther, und wie sich ihr Mund öffnete, fiel der bittre Tropfen von dem
Schwerte des Todesengels in ihren Mund, und mit Unruhe lief ihr Geist
durch alle Glieder getrieben und nahm Abschied von dem schmerzlich
geliebten Aufenthaltsorte. Der Todesengel wusch aber die Spitze seines
Schwertes in dem offenen Wasserbecher vor dem Bette ab und steckte es in
die Scheide und empfing dann die geflügelte, lauschende Seele von den
Lippen der schönen Esther, ihr feines Ebenbild. Und die Seele stellte
sich auf die Zehen in seine Hand und faltete die Hände zum Himmel, und
so entschwanden beide, als ob das Haus ihrem Fluge kein Hindernis sei,
und es erschien überall durch den Bau dieser Welt eine höhere, welche
den Sinnen nur in der Phantasie erkenntlich wird: in der Phantasie, die
zwischen beiden Welten als Vermittlerin steht und immer neu den toten
Stoff der Umhüllung zu lebender Gestaltung vergeistigt, indem sie das
Höhere verkörpert. Die alte Vasthi schien aber von all der Herrlichkeit
nichts zu erkennen und zu sehen; ihre Augen waren abgewandt, und als
sich der Todeskampf gestillt hatte, nahm sie noch einigen Schmuck zu
sich und hob das Bild von Adam und Eva von der Wand und schleppte es
auch mit fort.

Erst jetzt fiel dem Majoratsherrn ein, daß etwas Wirkliches auch für
diese Welt an allem dem sein könne, was er gesehen, und mit dem Schrei:
»Um Gottes Gnade willen, die Alte hat sie erwürgt,« sprang er, seiner
selbst unbewußt, auf das Fenster und glücklich hinüber in das offene
Fenster der Esther. Sein Schrei hatte die Totengräber und den Verlobten
ins Haus gerufen. Sie kamen in das Zimmer, wo sie den Majoratsherrn, den
keiner kannte, beschäftigt fanden, der armen Esther Leben einzuhauchen.
Aber vergebens. Mit Mühe sagte er ihnen, was er gesehen, wie Vasthi sie
erwürgt habe. Der Verlobte rief: »Es ist gewißlich wahr, ich sah sie
hinaufschleichen und sah sie herunterschleichen, aber ich fürchtete mich
vor ihr!« Die Totenbegleiter verwiesen ihm aber solche frevelhafte
Gedanken, der Fremde sei ein Rasender, vielleicht ein Dieb, der solche
Lügen ersonnen, um sich der Strafe zu entziehen. Da ergriff der
Majoratsherr den Becher mit Wasser und sprach: »So gewiß der Tod in
diesem Wasser sein Schwert gewaschen und es tödlich vergiftet hat, so
gewiß hat Vasthi die arme Esther vor meinen Augen erwürgt!« -- Bei
diesen Worten trank er den Becher aus und sank am Bette nieder. -- Alle
sahen an dem Glanze seiner Augen, an der Bleichheit seiner Lippen, daß
ihm sehr wehe sei, und sie hörten seinen gebrochenen Reden zu. »Sie
würgte an ihr schon manches Jahr,« sagte er, »und Esther starb in einem
Abbilde ihres Lebens, das mit seinem eiteln Schmuck noch in dem Tode die
Raubgier der Alten und vergebliche Liebe in mir regte. Sie ist dem
Himmel ihres Glaubens nicht entzogen, sie hat ihn gefunden, und auch ich
werde meinen Himmel, die Ruhe und Unbeweglichkeit des ewigen Blaus
finden, das mich aufnimmt in seiner Unendlichkeit, sein jüngstes Kind,
wie seine Erstgeborenen, alle in gleicher Seligkeit!«

Bald wurden seine Worte undeutlicher, und er bewegte kaum noch die
Lippen. Und die Juden alle sagten, daß das Wasser in einem Sterbezimmer
gefährlich und selbst öfter als tödlich erfunden sei bei gewaltsamen
Todesfällen. Sie trugen ihn in das Haus des Leutnants und erzählten, was
er ihnen von den Ereignissen berichtet hätte. Dieser versicherte ihnen,
der Sterbende sei schon lange sehr kränklich gewesen, und rief eben den
Arzt in das Haus, den der Majoratsherr zuerst erblickt hatte, wie der
Tod auf seinem Wagen gesessen und die beiden Rosse, Hunger und Schmerz,
gelenkt habe. Dieser zuckte die Achseln, machte Versuche mit Stechen und
Brennen und einigen heftigen Mitteln; aber er konnte die Ruhe des
Unglücklichen nicht mehr stören, sondern beschleunigte nur seinen Tod.

Noch am Abend nahm der Leutnant Besitz von dem Majoratshause und schlief
seine erste selige Nacht in dem Prachtbette des Hauses. Seine glänzende
Bedienung, sein Geschmack in der Pracht zeigte sich zur allgemeinen
Bewunderung bei dem Leichenbegängnisse des Majoratsherrn. Er gab mehrere
große Mittagessen, und es verging keine Woche und jedermann war
erstaunt, wie dem Manne Unrecht geschehen. Viele rühmten seinen echt
praktischen Verstand, wie er sich durch alle Not des Lebens
durchgearbeitet habe; andre erinnerten sich jetzt, wie viele Proben
seines Mutes er im Kriege gegeben; einige verehrten sogar seine Gedichte
und erboten sich, sie herauszugeben. Bald trat er nach seinem
Dienstalter in die Armee ein und reichte als General der alten Hofdame
seine Hand, nachdem er durch die glückliche Erfindungsgabe jenes Arztes
von seiner roten Nase kuriert war.

Dem Hochzeitstage zu Ehren wurde alles Geflügel geschlachtet, das er im
kleinen Hause so lange verpflegt hatte. Die hohen Herrschaften beehrten
ihn selbst mit ihrer Gegenwart, und jedermann rühmte die Fröhlichkeit
und die Pracht dieses Festes. Um so unruhiger war die Nacht. Die Ärzte
behaupteten, der Vetter habe sich im Weine übernommen; die Leute im
Hause aber berichteten, die Hofdame habe im zu Bette gehen ein
emailliertes Riechfläschchen zerbrochen, worin der Geist ihres
erstochenen Freundes eingeschlossen gewesen. Dieser Geist habe ihr Bett
gegen ihn mit dem Degen verteidigt, und beide hätten die ganze Nacht
gefochten, bis endlich der Herr ermüdet sich vor ihm zurückgezogen. Die
Hofdame verhöhnte ihn am Morgen als einen törichten Geisterseher, und
als er ihr im Zorne antwortete, drohte sie die Geschichte zu seinem
Schimpfe am Hofe bekannt zu machen. Zu ihren Füßen flehte er, daß sie
schweigen möchte, und sie versprach es unter der Bedingung, daß er sie
in keiner ihrer Launen stören wolle. So mußte er es ruhig dulden, daß
die Hunde der Frau, als diese die Wappensammlung besehen und offen
stehen lassen, mit den kostbarsten Wappen spielten und sie im Spiel
zerbissen. Auch mit der Ordnung seiner Zeit hatte es ein Ende, denn die
Frau verstellte und verdrehte ihm alle Uhren, wenn die Hunde zum
Mittagessen früher eine Lust bezeigten. Auch hatte er zum Spazierengehen
nun so wenig Zeit übrig, seit ihm die Frau eine gewisse Anzahl junger
Hühnerhunde und Hetzhunde zum Abrichten übergeben hatte. Die gute alte
Ursula wagte es, zuzureden, ihn zum Widerstand aufzumuntern; aber er
fürchtete schon bei dem bloßen Gedanken, daß sie in der nächsten Nacht
den Geist aus dem emaillierten Riechfläschchen loslassen möchte, und
jagte sie aus seinem Dienste; er trug die physische Angst in seinem
Herzen, wie ein gebissener Hahn, der einmal vor seinem Gegner flüchtig
geworden ist.

Die Frau kannte diese schwache Seite und trieb ihn mit dieser Furcht aus
allen guten Zimmern des großen Hauses auf ein Bodenzimmer, um ihre neuen
Kolonien von Hunderassen aller Art in den Prachtzimmern wohl
unterzubringen. Ungeachtet seiner Ehrenstellen wagte er sich unter
solchen beschämenden Umständen nicht in die Welt, die sich der Frau
wegen der allmählich verbreiteten Geschichte ihrer heimlichen
Niederkunft und des Kindertausches ohnehin verschloß. Um so ungestörter
gab sie sich ihrer Liebhaberei zu Tieren aller Art und gestattete
niemand den Eintritt in das Innere ihres Hauses. Neugierige Leute
lauerten wohl abends vor dem Fenster, wenn sie durch die Ritzen der
Fensterladen die Kronleuchter hell brennen sahen, und kletterten auch
wohl hinan, um etwas von diesem seltsamen Feste zu ersehen. Sie
erzählten dann, daß sie unzählige Hunde und Katzen an großen
wohlbedeckten Tischen hätten tafeln sehen, und wie der Herr General
hinter dem Stuhle des Lieblingshundes mit einem Teller unter dem Arme
aufgewartet habe, während sie alle mit den artigsten französischen
Worten zum Essen überredet habe. Sie erzählten, wie sie als einen
artigen Einfall belacht habe, als ein paar Hunde die schmutzigen Pfoten
an dem großen Wappen des Majoratsdamastgedeckes abgewischt hätten,
während der Teller des Eheherrn hinter dem Stuhle des Hundes vom Zittern
des unterdrückten Zornes an den Uniformknöpfen den hellsten Triller
geschlagen habe. »Wir sind jetzt alle bei recht guter Laune«, hatte sie
da befragt gesagt, »lesen Sie uns Ihr Gedicht auf den Namenstag meines
Kartusch vor!« Als der Horcher bei diesen Worten laut auflachte, brachte
dies dem ganzen Feste eine Störung. Die Frau schalt, die Hunde bellten,
der General schickte seine Leute hinaus. Alle Zuschauer flüchteten, und
am anderen Tage wurde das Haus mit einem hohen, eisernen Gitter umgeben,
so daß niemand mehr diesen Heimlichkeiten zusehen konnte.

Mit diesem Gitter schließen sich auch, zufällig oder historisch, je
nachdem man es ansehen will, die Nachrichten von den Majoratsherren. Die
Stadt hatte während des Revolutionskrieges sehr bald Gelegenheit, andere
Leutnants und Generale zu beobachten. Es war eine so unruhige Zeit, daß
die alten Leute gar nicht mehr mitkommen konnten und deswegen unbemerkt
abstarben. So erging es wenigstens dem Majoratsherrn, seiner Frau und
ihren Hunden nach einigen heftigen Auftritten, in denen einer der
fremden Offiziere, der eine bessere Hausordnung zu stiften sich berufen
glaubte, die Hunde auf gewaltsame Weise aus dem Staatszimmer hetzte und
den alten Majoratsherrn in seine Rechte auf die Hausherrschaft wieder
einzusetzen strebte. Bald darauf kam die Stadt unter die Herrschaft der
Fremden; die Lehnsmajorate wurden aufgehoben, die Juden aus der engen
Gasse befreit, der Kontinent aber wie ein überwiesener Verbrecher
eingesperrt. Da gab es viel heimlichen Handelsverkehr auf Schleichwegen,
und Vasthi soll ihre Zeit so wohl benutzt haben, daß sie das
ausgestorbene Majoratshaus durch Gunst der neuen Regierung zur Anlegung
einer Salmiakfabrik für eine Kleinigkeit erkaufte, welche durch den
Verkauf einiger darin übernommenen Bilder völlig wiedererstattet war. So
erhielt das Majoratshaus eine den Nachbarn zwar unangenehme, aber doch
sehr nützliche Bestimmung, und es trat der Kredit an die Stelle des
Lehnrechtes.

              Achim von Arnim's »Die Majoratsherren«
              mit den Zeichnungen von Alfred Kubin
              wurde im Auftrage des Avalun-Verlages,
              Wien, neunzehnhundertzweiundzwanzig
              bei Jakob Hegner in Hellerau bei Dresden
              in Jean-Paul-Fraktur auf Bütten gedruckt.




Anmerkungen zur Transkription


Die folgenden Fehler wurden wie hier aufgeführt korrigiert
(vorher/nachher):

   [S. 15]:
   ... in ununsern ...
   ... in unsern ...

   [S. 22]:
   ... von den Grausamen zurück, der sie mit kannibalischer Begierde
       ansieht. ...
   ... von dem Grausamen zurück, der sie mit kannibalischer Begierde
       ansieht. ...

   [S. 46]:
   ... beschwichtigt worden sei. Jederman gebe ihr laut schuld, daß ...
   ... beschwichtigt worden sei. Jedermann gebe ihr laut schuld, daß ...






End of the Project Gutenberg EBook of Die Majoratsherren, by Achim von Arnim

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including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
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or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org



Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

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including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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