Der Hasenroman

By Francis Jammes

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Title: Der Hasenroman

Author: Francis Jammes

Translator: Jakob Hegner

Release Date: April 6, 2012 [EBook #39391]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER HASENROMAN ***




Produced by Jens Sadowski





Jammes · Hasenroman




Siebentes und achtes Tausend




Francis Jammes

Der Hasenroman





MCMXXII

Bei Jakob Hegner in Hellerau



Berechtigte Übertragung
von Jakob Hegner





Copyright 1916 by Hellerauer Verlag,
Dresden-Hellerau











Erstes Buch







In dem Thymian und dem Tau des Fabeldichters vernahm Langohr die Jagd; er
entlief über den aufgeweichten lehmigen Pfad, denn er fürchtete seinen
Schatten, die Heidekräuter kamen ihm eilig entgegen, die blauen Kirchtürme
standen von Tal zu Tal auf, er rannte hinab, stürmte bergan, und seine
Sprünge bogen die Halme, wo die Tropfen ineinanderflossen. In diesem
geflügelten Lauf wurde der Hase ein Bruder der Lerchen, er flog über die
Bezirksstraßen hinweg, und am Wegweiser überlegte er einen Augenblick lang,
eh er dem Feldweg folgte, der aus dem blendenden Sonnenlicht und der
geräuschvollen Kreuzung in das dunkle stille Moos führt.

An diesem Tag war er beinahe an den zwölften Kilometerstein angestoßen,
zwischen Markt Kastetis und Balansun, denn seine Augen, in denen die Angst
wohnt, stehn seitwärts. Noch konnte er einhalten. Seine natürlich gespaltne
Oberlippe zitterte unmerklich und entblößte die langen Nager. Dann reckten
sich seine gelben Landstreichergamaschen mit den vom Laufen abgestumpften
Fußnägeln: er hüpfte über die Hecke, in Kugelform, die Ohren auf dem
Hinterteil.

Eine gute Weile noch trug er seine Haut aufwärts, indes die beunruhigten
Hunde seine Spur verloren, und wieder abwärts, bis zur Landstraße in die
Pyrenäen, wo er ein Pferd mit einem Karren herankommen sah. In der Ferne,
auf dem Weg, wirbelte der Staub wie im Märchen vom Blaubart, wenn die
Schwester fragt: Schwester Anna, siehst du noch nichts? Die silberne
Trockenheit, wie war sie prächtig und duftete bitter nach Minze. Nicht
lange, so stand das Pferd vor dem Hasen.

Es war ein armseliger Gaul vor einem zweirädrigen Gefährt, und er konnte
nur noch im Galopp und ruckweise ziehn. Jeder Schritt erschütterte sein
gelockertes Gerippe, daß das Geschirr klirrte, und die helle Mähne
flatterte in der Luft, grünlich wie der Bart eines alten Seemanns. Mühsam,
als wären es Pflastersteine, hob das Tier seine geschwulstig aufgetriebenen
Hufe. Langohr erschrak vor der großen lebendigen Maschine und ihrem lauten
Geräusch. Er tat einen Satz und floh weiter über die Wiesen, die Stirn
gegen das Gebirge, den Schwanz gegen die Heide, das rechte Auge gegen die
steigende Sonne, das linke dem Dorf zu.

Endlich verkroch er sich in einem Stoppelfeld, unweit einer Wachtel, die in
der Art der Hennen mit dem Bauch im Sande schlief und, von der Wärme
betäubt, durch die Federn hindurch ihr Fett ausschwitzte.

Der Tag funkelte im Süden. Der Himmel erblaßte unter der Hitze und wurde
perlgrau. Ein Mäusefalk schwebte mühlosen Fluges in immer höhern, immer
weitern Kreisen. Wenige hundert Schritte geradeaus, und die pfauengleich
schillernde Fläche eines Flusses wälzte das Spiegelbild von Erlen mit sich;
ihren klebrigen Blättern entsickerte ein herber Duft, und ihre gewalttätige
Schwärze brach schneidend in den klaren Glanz des Wassers. Nahe dem Damm
glitten die Fische in Rudeln vorüber. Der Mariengruß rührte mit seiner
himmelblauen Schwinge an den Sonnenbrand eines Kirchturms, und Langohrs
Mittagsruhe begann.







Regungslos blieb er bis zum Abend in seinem Stoppelfeld, nur ein
Mückenschwarm belästigte ihn ein wenig, ein Flimmern wie ein Weg in der
Sonne. Erst in der Dämmerung hüpfte er zweimal leicht nach vorn und dann
zwei andere Male nach links und nach rechts.

Die Nacht war da. Er wagte sich an den Fluß, wo im Mondlicht an den
Spindeln des Schilfrohrs das Gespinst der Silbernebel hing.

Mitten im blumigen Gras nahm er seinen Platz, erfreut, daß zu dieser Stunde
die Töne reiner Wohlklang waren und man nicht wußte, lockten Wachteln oder
Quellen.

Waren die Menschen alle tot? Nur einer wachte draußen; geschäftig über dem
Wasser holte er unhörbar sein strahlenrieselndes Netz heraus. Aber er
störte nur das Herz der Welle, das des Hasen blieb in Frieden.

Und da geschah es, daß zwischen den Engelwurzdolden behutsam eine Kugel
erschien. Es war die nahende Freundin. Langohr lief ihr entgegen, bis er
sie tief im bläulichen Heu erreicht hatte. Ihre Nasen kamen aneinander. Und
einen Augenblick lang, mitten im wilden Ampfer, tauschten sie Küsse. Sie
trieben ihr Spiel. Dann wandten sie sich, vom Hunger geleitet, gemächlich
und Seite an Seite, gegen eine dunkel hingestreckte Meierei. In dem
ärmlichen Gemüsegarten, wohin sie eingedrungen waren, gab es knisternden
Kohl und würzigen Thymian. Nebenan hauchte der Stall seinen Atem; hinter
der Tür des Verschlages ließ das Schwein sein bewegliches Grunzen hören und
sein Schnüffeln.

So verstrich die Nacht mit Essen und Lieben. Allmählich, im Morgenrot,
regte sich die Finsternis. Flecken leuchteten von fernher. Alles begann zu
schwanken. Ein Gockel auf dem Hühnerstall zerriß die stille Luft. Er krähte
wie besessen und klatschte sich Beifall mit seinen Flügelstumpfen.

Langohr und seine Frau verließen einander an der Schwelle der Dornen- und
Rosenhecke. Kristallen tauchte ein Dorf aus dem Nebel, und im Felde zeigten
sich hastende Rüden, deren Ruten wie straffe Seile schaukelten; in der
Minze und zwischen den Halmen mühten sie sich, die von dem lieblichen Paar
geistvoll geschlungenen Schleifen zu entwirren.






Unter Maulbeeren, in einer Grube, schlug dann Langohr sein Lager auf, hier
verweilte er bis zum Abend, mit offenen Augen. Hier saß er wie ein König
unter dem Spitzbogen der Zweige, die ein Regenguß mit hellblauen Perlen
geschmückt hatte. Endlich schlief er ein. Doch sein Traum war unruhig und
nicht so, wie ihn der stille Schlummer des schwülen Nachmittags beschert.
Fremd war ihm die starre Schlaftrunkenheit der Eidechse, die kaum zuckt,
wenn sie das Leben der alten Mauern träumt; und fremd die zutrauliche
Feierstunde des Dachses, der da in seinem lichtlosen Erdbau sitzt und es
kühl hat.

Jedes noch so kleine Geräusch raunt ihm von der Gefährlichkeit dessen, was
sich rührt, fällt und stößt; ein Schatten bewegt sich unerwartet: naht ein
Feind? Er weiß, daß man im Nest nur dann glücklich sein darf, wenn alles
jetzt ebenso ist, wie es vorher war. Daher kommt seine Liebe zur Ordnung
und verhilft ihm zu seiner Behaglichkeit.

Denn warum sollte in der blauen Windstille träger Tage am wilden
Rosenstrauch ein Blatt erzittern? Warum, wenn die Schatten des Unterholzes
so langsam vorrücken, als ob sie den Tag festhalten wollten, warum sollten
sie sich plötzlich regen? Und warum hätte er sich zu den Menschen begeben
sollen, die nicht fern von seiner Zufluchtstätte die Maiskolben
einsammelten, darin die Sonne ihre fahlen Lichtkörner enthüllte? Seine
Lider ohne schützende Wimpern vertrugen nicht die verwirrenden Wellen der
Mittage, gewiß nur darum verbot sich ihm die Nähe der Wesen, die
ungeblendet in die weißen Flammen der Sicheln sehn.

Nichts lockte ihn, ehe nicht die Zeit gekommen war, wo er von selbst
ausging. Seine Weisheit war eins mit den Dingen. Das Leben war ihm ein
Tonwerk, und jeder Mißklang riet ihm zur Vorsicht. Er verwechselte niemals
das Geläute der Hunde mit einem fernen Glockenschall; auch nicht die
Bewegung des Menschen mit der des wehenden Baumes; den Knall des Gewehrs
und den des knatternden Blitzes; den Blitz und das Rollen der Karren; den
Ruf des Sperbers und die Dampfpfeife im Dorfe. So gab es eine ganze
Sprache, und ihre Wörter waren ihm bekannt als Feinde.






Wer in der Welt hätte zu sagen vermocht, woher Langohr diese Klugheit und
solches Wissen besaß? Keiner wohl, und keiner kennt ihre geheimen Wege.
Denn sein Ursprung verliert sich in der Nacht der Zeiten, wo die
Geschichten alle eins sind.

Kam er vielleicht aus der Arche des Noah, vom Berg Ararat, an dem Tage, da
die Taube, die in ihrem Gurren noch heute das Rauschen der großen Wasser
bewahrt, den Ölzweig brachte, das Zeichen, daß die Flut abnahm? Oder war
er, so wie er ist, geschaffen worden, der Kurzschwanz, der Strohpelz, die
Spaltnase, der Langohr, der Graustrumpf? Die Hand des Ewigen, hatte sie ihn
fertig unter die Lorbeeren des Paradieses gesetzt?

Gelagert unter einem Rosenstrauch, hatte er vielleicht Eva belauscht? Wie
sie sich bäumte gleich einem Füllen, zwischen den Schwertlilien die Anmut
ihrer gebräunten Beine auf und nieder führte und vor den verbotnen
Granatbäumen ihre goldenen Brüste spannte? Oder war er damals bloß ein weiß
glühender Nebelstreif? Lebte er schon im Herzen der Porphyre, war er,
unverbrennlich, ihrer Lava entronnen, um nach und nach, eh er sich mit
seiner Nase in die Welt wagte, den Granit und dann die Zelle der Alge zu
bewohnen? Verdankte er dem geschmolzenen Jaspis seine Pechaugen? Dem
lehmigen Morast sein Fell? Dem Seetang seine nachgiebigen Ohren? Dem
flüssigen Feuer sein Fieberblut?

. . . Was bekümmerte ihn seine Herkunft! Still begnügt lag er in seiner
Grube. Es war im August, ein gewitterschwüler, zermürbender Nachmittag, der
Himmel dunkel, pflaumenblau, hie und da geschwellt, als sollte er im
nächsten Augenblick über der Ebene bersten.

Und schon hallte der Regen auf den Brombeerblättern. Immer schneller
trommelten die schlanken Wasserstäbe. Langohr aber fürchtete sich nicht,
denn die Regentropfen folgten aufeinander in einer ihm längst vertrauten
Ordnung. Und die Nässe fühlte er nicht, denn das Wasser fiel auf die dichte
Pflanzenwölbung. Nur ein einzelner Tropfen kam bis zum Grunde der Grube und
schlug immer wieder auf dieselbe Stelle.

Und so bangte dem Graustrumpf nicht vor diesem Zusammenspiele. Wohl bekannt
war ihm das Lied, worin die Tränen des Regens die langen Strophen bilden,
und er wußte, daß weder Hund noch Mensch, noch Fuchs oder Falke daran teil
haben. Der Himmel war wie eine Harfe, die Silberfäden des strömenden Regens
waren von oben hinunter gespannt. Und hier unten ließ jedes Ding sie auf
eine besondere Art ertönen und nahm dann wieder seine ihm eigene Weise auf.
Von den grünen Fingern der Blätter rauschten die gläsernen Saiten hoch und
dumpf. Hatten die Nebel Seele und Stimme erhalten?

Die von ihnen erweichte Erde schluchzte auf wie eine vom Südwind gepeinigte
Frau, und dort, wo der Boden am rissigsten war und am trockensten, ließ
sich das fortwährende Geräusch des Aufsaugens vernehmen, die Inbrunst
brennender, dem vollen Ungewitter hingegebener Lippen.






Die Nacht nach dem Gewitter war klar. Der Regen war fast aufgesogen. Auf
dem Rasen, wo Langohr sonst seine Freundin begegnete, schwebte das Wasser
nur noch in dichten Nebelballen. Es sah aus wie unirdische Baumwollstauden,
die ihre Hülsen in der Flut des Mondlichts gesprengt hatten. Längs den
Böschungen standen die regenschweren Büsche reihenweise wie Pilger,
vornübergebeugt unter der Last ihrer Säcke und Schläuche. Ringsum Friede.
In eine Hand legte sich die Stirn des Engels. Das Morgengrauen harrte
frostdurchschauert auf die rosenfingerige Schwester, und das
niedergesunkene Gras betete zum Morgen auf.

Da plötzlich sah Langohr auf seiner Wiese einen Mann nahen, und er erschrak
gar nicht. Ein erstes Mal seit Urzeiten, seitdem der Mensch Fallen stellt
und Bogen spannt, erlosch der Trieb zur Flucht in der Seele des
Leichtfüßigen.

Der Mann, der herankam, war angetan wie ein Baumstamm im Winter, wie mit
wolligem Moos bekleidet. Er hatte eine Kapuze auf dem Kopf und Sandalen an
den Füßen. Er trug keinen Stock. Seine Hände lagen verschränkt in den
Ärmeln seines Mantels, ein Strick diente ihm als Gürtel. Sein bleiches,
knochiges Gesicht hielt er dem Mond entgegen, und der Mond war minder blaß.
Deutlich sah man die Adlernase, die Augen, tief wie die der Esel, und den
schwarzen Bart, worin die Büsche Flocken von Schäfchenwolle hinterlassen
hatten.

Zwei Tauben begleiteten ihn. Sie glitten von Ast zu Ast, hinein in die
mildtätige Nacht. Das verliebte Haschen ihrer Flügel war wie der Kelch
einer entblätterten Blume: als wollte er sich wieder vereinigen und sich
von neuem zur Krone entfalten.

Drei ärmliche Hunde mit Stachelhalsbändern trabten ihm schweifwedelnd
voran, und ein alter Wolf beleckte ihm den Kleidsaum. Ein Schaf und sein
Junges drangen zwischen Krokus vor und stampften blökend, unsicher und
entzückt, auf smaragdgrünen Traubenhyazinthen, indes drei Sperber mit den
beiden Tauben zu spielen begannen. Ein schüchterner Nachtvogel pfiff
jubelnd inmitten der Eicheln, dann schwang er sich auf und holte den
Sperber ein und die Tauben, das Lamm und das Schaf, die Hunde, den Wolf und
den Mann.

Und der Mann trat heran zu dem Hasen und sprach zu ihm:

»Ich bin Franziskus. Ich liebe dich, und ich grüße dich, Bruder. Ich grüße
dich im Namen des Himmels, der die Wasser spiegelt und die glitzernden
Steine, im Namen des Sauerampfers, der Rinden und der Körner, womit du
deinen Hunger stillst. Komm und folge diesen Unschuldigen, die mich
begleiten und sich an meine Schritte hängen, so gläubig wie der Efeu, der
den Baum umklammert und nicht daran denkt, daß sich, vielleicht bald schon,
der Holzfäller zeigen wird. O Hase, ich bringe dir den Glauben, wie wir ihn
der eine in den andern setzen, den Glauben, der das Leben selbst ist, alles
das, was wir doch nicht wissen, aber woran wir glauben. O Hase, liebes
freundliches Tier, sanfter Wanderer, willst du dich unserm Glauben
anschließen?«

Und solange Franziskus sprach, verhielten sich die Tiere still, sie lagen
und saßen in den Zweigen, im Vertraun auf diese Worte, die sie nicht
begriffen.

Nur der Hase, das Auge weit geöffnet, schien jetzt durch das Geräusch der
Menschenlippen beunruhigt zu sein. Das eine Ohr nach vorn, das andere nach
rückwärts gerichtet, war er unschlüssig, ob er fliehn solle oder bleiben.

Dies sah Franziskus. Er rupfte von der Wiese eine Handvoll Gras, reichte es
dem Leichtfüßigen, und der folgte ihm nun.






Von dieser Nacht an blieben sie Gefährten.

Niemand vermochte ihnen zu schaden, denn der Glaube beschützte sie. Wenn
Franz mit seinen Freunden halt machte, auf einem Dorfplatz, wo die Leute
beim Gedudel einer Sackpfeife tanzten, dann, wenn die Ulmen zerfließen und
auf den dunkeln Wirtshaustischen die Mädchen ihr Glas lachend in den
Abendwind heben, bildete man einen Kreis um sie. Und das junge Volk mit
Bogen oder Armbrust dachte nicht daran, Langohr zu töten, so verwunderte
sie sein ruhiges Wandeln, so grausam erschien ihnen, ein armes Tier zu
hintergehn, das ihnen sein Zutrauen zu Füßen legte. Sie hielten Franziskus
für einen Fremden, dessen Gewerb es war, die Tiere zu zähmen, sie öffneten
ihm für die Nacht ihre Scheunen und reichten ihm Almosen, wofür er seinen
Tieren ihre Lieblingsspeisen kaufte.

Auch fanden die Fahrenden mühlos ihren Unterhalt, denn der Herbst, durch
den sie zogen, war freigebig, die Speicher bogen sich, man ließ sie auf den
Maisfeldern Nachlese halten und teilnehmen an der Weinernte, mit den
Gesängen bei Sonnenuntergang. Die blonden Mägde drückten Trauben an ihre
lichtumspielten Brüste. Ihre Ellbogen leuchteten emporgehoben. Oben über
dem blauen Dunkel der Kastanienhaine, in Ruhe, glitten fallende Sterne. Das
Heidekraut in seinem Samt wurde schwärzer. Wie seufzten die Röcke ferne in
den Laubgängen.

Jene schauten vor sich das Meer, ein Gemälde an der Himmelswand, und die
geneigten Segel, den weißen Sand mit seinen Flecken von den Schatten der
Tamarisken, der Erdbeerbäume und der Pinien. Sie wanderten über heitere
Matten, wo, herabgefallen aus der Unbeflecktheit des Schnees, die
Sturzwässer zu Bächen werden, doch glitzernd die Erinnerung noch bewahren
an den Spießglanz und die Firne.

Selbst wenn das Jagdhorn erklang, blieb Langohr jetzt unerschrocken und bei
seinen Gesellen. Sie schützten ihn und er sie. Eines Tages wagte sich eine
Meute heran und entfloh beim Anblick des Wolfes, ein anderesmal wieder
schlich eine Katze den Tauben nach, entwich aber vor den Hunden mit dem
Stachelhalsband, und ein Wiesel auf der Lauer nach dem Lämmchen versteckte
sich vor den Raubvögeln. Langohr schreckte Schwalben ab, die auf die Eule
losstürmten.






Langohrs bester Freund war einer der drei Hunde mit den Stacheln, eine
Jagdhündin, gutmütig, kleinen und gedrungenen Baus, mit gestutztem Schwanz,
hängenden Ohren und gebogenen Beinen. Sie war artig und umgänglich. Ihre
Wiege war ein Schweinekoben gewesen, bei einem Schuster, der des Sonntags
jagte. Nun war der Schuster tot, und niemand nahm sie auf. So jagte sie in
den Feldern, wo sie zuletzt an Franz kam.

Langohr hielt sich immer an ihrer Seite, und wenn sie schlafen wollte,
legte sie ihre Schnauze auf ihn, worauf auch er einschlummerte. Denn alle
pflegten der Mittagsruhe, und Träume erfüllten ihren Schlaf in dem stumpfen
Feuer der Sonne.

Franz schaute dann wieder das Paradies, das er hinter sich gelassen hatte.
Ihm war, als beträte er durch das große Tor die himmlische Hauptstraße mit
ihren Häusern der Auserkornen. Es waren niedrige Holzbuden, jede gleich der
andern, in einem Schatten, der, hell erstrahlend, zu Tränen der Freude
rührte. Aus dem Innern hervor leuchteten da ein Hobel, dort ein Hammer oder
eine Feile. Hier auch war kein Ende der erhebenden Müh. Denn wenn Gott die
Menschen bei ihrer Ankunft in den Himmel fragte, womit er ihre irdischen
Werke belohnen solle, wollten sie immer das behalten, was ihnen zum
Paradiese mit verholfen hatte. Und da war auf einmal eines jeden schlichtes
Wirken irgendwie wunderbar geworden. Handwerker traten auf ihre Schwellen,
und die Tische waren hinausgetragen für die Abendmahlzeit. Man hörte den
Frohsinn der himmlischen Brunnen. Und auf den offnen Plätzen entfalteten
sich die Engel wie Segelboote und neigten sich in der Seligkeit der
andämmernden Nacht.

Die Tiere aber sahn in ihren Träumen die Erde und das Paradies nicht so,
wie wir beides kennen und sehn. Sie träumten von unzusammenhängenden Ebnen,
worin ihre Sinne irre wurden. Nebel fiel in sie. In Langohr wurde das
Hundegebell ganz eins mit der Sonnenhitze, mit jähem Knallen, mit einem
Schwitzen der Läufe, mit dem Taumel der Flucht, dem Schrecken, Lehmgeruch,
hellem Wasser, hin- und herschwankenden Mohren, knisterndem Mais,
Mondschein und freudiger Aufregung beim Anblick des Weibchens, wie es
mitten im Duft der Waldmeister erschien.

Sie alle erblickten hinter den geschlossnen Lidern die bewegten Abbilder
ihrer Lebensläufe. Nur die Tauben schützten vor der Sonne ihre lebhaften
unruhigen Köpfchen: sie erschauten im Schatten ihrer Flügel ihr Paradies.





Zweites Buch







Als der Winter kam, sagte Franziskus zu seinen Freunden:

»Segen über euch, denn ihr seid Gottes. Doch bin ich in Unruhe, denn der
Schrei der ziehenden Gänse verkündet eine Hungersnot, und daß es nicht in
den Absichten des Himmels liegt, euch die Erde zum Wohltäter zu machen.
Gelobt seien die verborgenen Ratschlüsse des Herrn.«

Das Land um sie war wirklich verödet. Aus seinen straffen Schläuchen voll
Schnee träufelte der Himmel ein fahles Licht. Alle Früchte in den Hecken
waren abgestorben und alle in den Gärten. Und die Körner hatten ihre
Schoten verlassen, um in den Schoß der Erde einzugehn.

. . . »Gelobt seien die verborgenen Ratschlüsse des Herrn,« sagte
Franziskus. »Vielleicht will er, ihr sollet mich verlassen und ein
jeglicher seines Weges ziehn, auf der Suche nach Nahrung. Trennet euch also
von mir, der ich nicht allen zugleich folgen kann, wenn euch der Trieb
jeden wo andershin führt. Denn ihr seid im Leben und bedürfet der Speise,
ich jedoch bin auferstanden und bin hier durch die Gnade, den leiblichen
Bedürfnissen enthoben, und Gott ließ mich erscheinen, damit ihr von mir
geleitet wäret bis an diesen Tag. Aber ich weiß nicht mehr, was tun, und
kann nicht länger mehr für euch sorgen. Wollt ihr mich also verlassen, so
sei einem jeden von euch die Zunge gelöst, und er sag es offen.«






Der erste, der sprach, war der Wolf.

Er hob seine Schnauze gegen Franziskus. In seinem zerzausten Schweif fegte
der Wind. Er hustete. Lang war das Kleid seines Elends. Sein kläglicher
Pelz gab ihm das Aussehn eines entthronten Königs. Er zögerte und blickte
im Kreise um sich, von Freund zu Freund. Endlich kam seine Stimme aus dem
Schlund, der rauhe Laut des Winterschnees. Und wie er seine Lefzen öffnete,
sah man seine ganze frühere Entbehrung an der Länge seiner Zähne. So wild
war sein Ausdruck, daß man nicht wußte, ob er seinen Herrn beißen oder ihn
liebkosen wolle.

Er sagte:

»O Honig ohne Stacheln! O Armer! O Sohn Gottes! Wie könnte ich dich
verlassen? Mein Leben war elend, und du hast es mit Freude erfüllt. In den
Nächten, wie mußte ich da den Atem der Hunde, der Hirten und der
Feuerbrände belauschen, um dann im richtigen Augenblick meine Krallen in
die Kehle der schlafenden Lämmer zu versenken. Du lehrtest mich, o Seliger,
die Milde der Obstgärten kennen. Ja eben noch, da sich mir der Bauch in der
Lust nach Fleischesspeise höhlte, ernährte mich deine Liebe zu mir. Wie so
oft war mir doch mein Hunger willkommen, wenn ich meinen Kopf auf deinen
Schuh legte, denn diesen Hunger, ich ertrage ihn, um dir zu folgen, und aus
Liebe zu dir will ich gerne sterben.«






Und die Tauben gurrten.

Sie beendeten ihren frierenden Doppelflug in den Zweigen eines
vertrockneten Baumes. Sie konnten sich nicht zum Sprechen entschließen.
Jeden Augenblick, so schien es, wollten sie zustimmen, dann wieder, in
Schrecken, erfüllten sie von neuem mit ihren weißen aufschluchzenden
Zärtlichkeiten den Wald, der dieser Anmut lauschte. Sie zuckten wie junge
Mädchen, die ihre Tränen und ihre Arme vereinen. Sie sprachen beide zu
gleicher Zeit, als hätten sie nur eine einzige, gemeinsame Stimme:

»O Franz, milder als der Schimmer des Leuchtkäfers im Moose, lieblicher als
der Bach, der uns sein Lied singt, wenn wir unser laues Nest in den
würzigen Schatten der jungen Pappeln hängen. Was kümmert uns, daß Reif und
Not uns aus deiner Nähe verbannen und uns vertreiben wollen, hinweg zu
fruchtbaren Strichen? Um deinetwillen werden wir die Not lieben und Frost
und Reif. Und deiner Liebe willen wollen wir auf unsre Neigungen
verzichten. Und müssen wir vor Kälte sterben, so wird es Herz an Herz
geschehn, o Herr.«






Und einer der Hunde mit dem Stachelhalsband trat hervor. Es war die
Jagdhündin, die Freundin des Hasen. Wie der Wolf, hatte auch sie schon hart
unter dem Hunger gelitten und klapperte mit den Zähnen. Ihre Ohren
runzelten sich, auch wenn sie sie hob; ihr Schwanz, zerfahren wie eine
Baumwollspindel, hielt sich unbewegt wagrecht. Die rotgelben Augen
richteten sich auf Franziskus mit der Glut des unbedingten Glaubens. Und
ihre beiden Genossen, die sich anschickten, vertrauensvoll zuzuhören,
senkten gutmütig und unwissend den Kopf. Und sie, die Hirtenhunde, die
niemals was anderes gehört hatten als das Greinen der Schellen, das Blöken
der Herden und den Geißelschlag des Blitzes auf den Gipfeln, sie warteten
ab, glücklich und stolz darüber, daß die kleine Jagdhündin bekannte.

Da versuchte diese einen Schritt, aber kein Laut kam aus ihrer Kehle. Sie
leckte die Hand des Heiligen, dann legte sie sich ihm zu Füßen.






Und das Schaf blökte.

Sein Blöken war so traurig, als hauchte es seine Seele dem Tod entgegen,
schon bei dem bloßen Gedanken an eine Trennung von Franz. Als es nun
schwieg, hörte man auf einmal sein von einer befremdlichen Schwermut
ergriffenes Lämmchen weinen wie ein Kind. Und das Schaf sprach:

»Nicht die Munterkeit der Matten, die der Morgen mit seinem Brodem dämpft,
nicht in den Bergen das Süßholz, das der Nebel mit seinem Silberseim
beperlt, noch die Streu in der verräucherten Hütte, sie alle sind nicht zu
vergleichen mit den Almen deines Herzens. Lieber als dich zu verlassen, ist
uns das blutige und ekle Schlachthaus, das Schwanken auf dem Karren, der
uns dorthin bringt, blökend und die Füße gebunden und die Rippen und die
Wange auf dein Brett. O Franz, unser Tod wäre, dich zu verlieren, denn wir
lieben dich.«

Und während dieser Rede hielten Uhu und Sperber beisammen hockend
unbeweglich stand, die Augen voll Angst und, um nicht fortzufliegen, die
Flügel fest an den Leib gepreßt.






Der letzte, der sprach, war der Hase.

In seinem stroh- und erdfarbenen Haarkleid nahm er sich aus wie eine
Gottheit der Fluren. Inmitten dieser winterlichen Wüste glich er einer
Scholle zur Sommerzeit. Er rief graue Erinnerung wach an einen
Straßenarbeiter oder an einen Landbriefträger. In den Schnecken seiner
Löffel trug er aufrecht mit sich die Erschütterung aller Geräusche. Sein
linker Löffel horchte, zu Boden gesenkt, auf das Knistern des Frostes,
indessen der andre, in die Ferne gestreckt, die Axtschläge aufsammelte, von
denen der tote Wald widerhallte.

»Wahrlich«, sprach er, »o Franz, ich kann mich begnügen mit der moosigen
Rinde, die unter den Liebkosungen der Schneeflocken aufgeweicht und von den
winterlichen Sonnenaufgängen durchduftet ist. Öfters schon sättigte ich
mich daran jetzt in diesen Unglückstagen, wo die Brombeerzweige nur rosige
Kristalle sind und die wippende Bachstelze ihren heftigen Schrei gegen die
Larven unter dem Ufereis ausstößt, die ihr Schnabel nun nicht mehr
erreicht. Und diese Rinden, ich will sie weiter kauen. Denn, o Franz, ich
mag nicht hinsterben mit den sanften Freunden in ihrem Todeskampf, sondern
leben will ich neben dir und mich nähren von den bittern Fasern des
Bastes.«






Demnach, und weil die Heimat eines jeden eine andre und nur für ihn allein
bewohnbar gewesen wäre, zogen es also die Genossen des Hasen vor, sich
nicht zu trennen, vielmehr in diesem Lande des mörderischen Winters
miteinander zu sterben.

Eines Abends waren die Tauben verwelkt und fielen wie Blätter von ihrem
Zweige, auch der Wolf schloß seine Augen dem Leben, die Schnauze auf den
Schuh des Heiligen gelegt: schon seit zwei Tagen hatte der Hals den Kopf
nicht mehr aufrecht halten können, und das Rückgrat war wie ein
Brombeerzweig geworden, mit Kot belastet, im Winde zitternd; sein Herr
küßte ihn auf die Stirn.

Danach gaben die Wächterhunde, das Schaf, die Sperber, der Uhu und das Lamm
ihren Geist auf, und zuletzt die zierliche Jagdhündin, die der Hase
vergeblich zu erwärmen trachtete. Sie verschied wedelnd, und Langohr war
darüber so tief betrübt, daß er bis zum nächsten Tag nicht imstande war, an
die Eichenrinde zu rühren.






Und Franziskus, in dieser Verheerung, betete, die Stirn in die Hand
geschmiegt, so wie im Übermaß des Leidens ein Dichter sein Herz abermals
schwinden fühlt.

Dann, zum Hasen gewandt, sprach er: »O Langohr, ich höre eine Stimme mir
eröffnen, daß du diese hier (und er wies auf die Tierleichen) in die ewige
Seligkeit bringen mußt. O Langohr, wisse, es gibt für die Tiere ein
Paradies: aber ich kenne es nicht. Kein Mensch wird es jemals betreten. O
Langohr, führe du dorthin die Freunde, die mir Gott gegeben und wieder
genommen hat. Du bist verständig unter allen, und deinem Verstande vertrau
ich die Weggenossen an.«

Franzens Worte stiegen auf in den erhellten Himmel. Das harte Winterblau
war allmählich wieder durchsichtig geworden. Und in dieser Helligkeit wollt
es scheinen, als ob die reizende Jagdhündin nochmals ihre geschmeidigen
Seidenohren aufrichten werde.

»O meine Freunde, ihr Toten,« sagte Franziskus, »seid ihr denn tot, dieweil
ich allein von euerm Tode weiß? Wodurch könntet ihr dem Schlaf beweisen,
daß ihr nicht bloß eingeschlummert seid? Schläft denn die Frucht der
Waldrebe oder ist sie tot, wenn der Wind nicht mehr ihre leichten Wimpern
beschwingt? Vielleicht, o Wolf, geht vom Himmel nur nicht mehr Hauches
genug, um deine Flanken zu heben? Und ihr, Tauben, damit ihr wie ein
Seufzen anschwellt? Und ihr, Schäflein, damit eure sanfte Klage die
Sanftheit noch der überschwemmten Wiesen erhöhe? Und du, mein Uhu, damit
dein Ruf wieder erwache, der Liebesseufzer der Nacht selbst? Und ihr,
Sperber, damit ihr euch aufschwingt vom Boden? Und ihr, Wachthunde, daß
euer Schnappen zusammenströme mit dem Rauschen der Schleusen? Und du,
Hündin, damit deine köstliche Einsicht neu auferstehe und du wieder spielen
dürftest mit dem Graustrumpf da?«






Auf einmal, von dem Maulwurfshügel, wohin er sich gelagert hatte, tat
Langohr einen Sprung ins Blaue und fiel nicht zurück; und dann noch einmal,
so leicht als ging es über eine Wiese von blauem Klee, sprang er in das
Leere hinein, in das Engelreich. Kaum hatte er diesen Sprung vollführt, als
er neben sich die kleine Jagdhündin gewahrte, und er fragte sie voll
Freude:

»Warst du denn nicht tot?« Worauf sie aufhüpfend zur Antwort gab:

»Ich begreife nicht, was das heißt. Mein Schlaf heute war ruhevoll und
hell.«

Und Langohr sah, daß auch die andern Tiere ihm in den Raum nachfolgten,
während auf einer zweiten Himmelsstraße Franziskus ausschritt und dem Wolf
mit der Hand ein Zeichen gab, er möge dem Graustrumpf vertraun. Und
Isegrim, gelehrig und beruhigten Sinnes, fühlte, wie ihn der Glaube
abermals überkam, und er schloß sich an seine Freunde, nach einem langen
Blick auf seinen Herrn und in dem Bewußtsein, daß für die Auserwählten
sogar das Abschiednehmen göttlich ist.






Sie ließen den Winter hinter sich. Sie staunten über ihren Gang durch diese
Wiesen, die ehemals unerreichbar waren und so hoch über ihnen. Doch das
Verlangen nach dem Paradiese gab ihnen Halt und Sicherheit in dem Himmel.

Auf den Pfaden der Seraphim, die Lichtspaliere entlang, auf den
Milchstraßen, wo der Komet eine Garbe ist, leitete Langohr seine Genossen;
Franziskus hatte sie ihm anvertraut, ihn zu ihrem Führer erwählt, weil er
Langohrs Klugheit kannte. Und hatte denn Langohr seinem Herrn nicht bei
verschiedenen Gelegenheiten Proben erbracht von jener Furcht, die der
Anfang der Weisheit ist? Hatte er bei der Begegnung mit Franziskus und bei
der Aufforderung zum Mitgehn nicht gewartet, bis ihm der Heilige ein
Büschel frisches Gras zu fressen reichte? Und als alle seine Gefährten sich
aus Liebe zueinander dem Tode weihten, hatte da er, der Graustrumpf, nicht
weiter die bittere Baumrinde gekaut?

Darum konnte es dem Hasen auch im Himmel an seiner Klugheit nicht fehlen;
wich man ab, so kam er immer wieder auf die rechte Straße, verstand es,
Irrwege zu vermeiden, und wußte, wie man weder an die Sonne noch an den
Mond stößt, auch wie man den fallenden Sternen ausweicht, die so gefährlich
sind wie die Steine aus den Schleudern; und sich zurechtzufinden mit all
den Pfählen, die die Zahl der zurückgelegten Kilometer anzeigen und die
Namen der himmlischen Dörfer.






Die Landschaften, die Langohr und seine Genossen bereisten, erschienen
ihnen hinreißend und begeisternd, und dies um so mehr, als sie, anders
gerichtet als die Menschen, niemals die Schönheiten des Himmels geahnt,
sondern ihn immer nur von der Seite erblickt hatten, doch nicht in der Höhe
über sich, was ein Vorrecht des Herrn der Tiere bleibt.

Also, Kurzschwanz, Wolf, Schaf, Lämmchen, Vogel, Herdenwächter und Jägerin
stellten fest, daß der Himmel nicht minder schön war als die Erde. Und
alle, außer Langohr, dem die Marschrichtung zuweilen Sorge machte, genossen
einer ungemischten Freude auf dieser Pilgerung zu Gott, wo an Stelle des
Himmelfeldes, noch kürzlich unerreichbar über ihren Häuptern, jetzt langsam
die Erde unerreichbar wurde unter ihren Füßen. Und in dem Maße, wie sie
sich von ihr entfernten, ward ihnen diese Erde zu ihrer neuen Himmelskugel.
Das Blau der Meere ballte dort Wolken Schaumes, und die Lichter in den
Buden besternten dort die Weite der Nacht.






Allmählich näherten sie sich den Ländern, die ihnen Franziskus verheißen
hatte. Bereits zergingen der rosenrote Klee der Sonnenuntergänge und die
leuchtenden Früchte des Dunkels, ihre Speise, größer immer und voller, in
ihren Seelen zu paradiesischen Süßen.

Die Blätter, die brennenden Säfte flößten in ihr Blut eine sommerliche
Kraft, einen frohen Überschwang, wovon die Herzen schneller schlugen bei
der Annäherung an die künftigen Herrlichkeiten.






Endlich gelangten sie zu dem Aufenthalt der seligen Tiere, zum ersten
Paradies, dem der Hunde.

Eine Weile schon vernahm man ein Bellen. Sie kamen an den Stumpf einer
zerfressenen Eiche und sahn darin eine Dogge sitzen wie in einer Nische. An
ihrem abweisenden und zugleich sanften Blick merkte man, daß sich ihr
Gehirn ein wenig in Unordnung befand. Es war die Dogge des Diogenes, der
Gott eine Einsamkeit geschenkt hatte in dieser aus dem ganzen Baum
gehöhlten Tonne. Unbewegt sah sie die Stachelhunde vorbeiziehn. Danach, zu
deren großer Verwunderung, trat sie auf einen Augenblick aus ihrer
moosbewachsenen Behausung und knotete sich selbst wieder an, indem sie mit
dem Maule nachhalf -- denn ihre Leine hatte sich gelockert -- kehrte dann
in ihr Holzgewölbe zurück und sagte:

   Hier findet jeder seine
   Lust, wo er sie sucht.

Und wirklich erblickten Langohr und seine Freunde eine Anzahl Hunde auf der
Suche nach vorgestellten, verlornen Wanderern. Sie wagten den Abstieg in
tiefe Schlünde, um die Verunglückten dort zu finden, ihnen ein wenig Brühe
zu bringen, Fleisch und Branntwein, in den kleinen Fässern an ihrem Hals.

Andre wieder warfen sich in vereiste Seen, in der immer getäuschten
Hoffnung, einen Schiffbrüchigen daraus hervorzuziehn. Sie schwammen zurück
ans Ufer, zitternd und betäubt, jedoch befriedigt von ihrer nutzlosen Treue
und bereit, sich aufs neue hinauszustürzen.

Wieder andre bettelten hartnäckig um ein paar alte Knochen vor der Schwelle
verlassner Hütten an der Straße und warteten auf die Fußtritte, die ihren
Blicken eine verehrungswürdige Schwermut verleihen sollten.

Da war auch ein Scherenschleiferhund, der drehte freudig, mit hängender
Zunge, an dem Räderwerk eines Steines, auf dem sich kein Messer glatt
schliff. Aber seine Augen glänzten von dem hinnehmenden Glauben an seine
erfüllte Pflicht, und er unterbrach seine Anstrengung nur, um Atem zu holen
und sich wiederum anzustrengen.

Dann gab es da einen Wächterhund, der wollte ewig verirrte Schafe in ihre
Hürde zurückführen. Er jagte nach ihnen am Rand eines Baches, der am Hang
eines wiesengrünen Hügels leuchtete.

Von diesem grünen Hügel, und aus Unterholz hervorbrechend, stieg eine Meute
nieder, die den ganzen Tag Traumhindinnen und Traumgazellen verfolgt hatte.
Ihr Geläute, festgehalten auf alten Spuren, erklang wie beglückte Glocken
an einem blühenden Ostermorgen.

Nicht weit von dieser Stelle richteten sich die Wachthunde und die kleine
Jägerin häuslich ein. Aber als diese von Langohr zärtlichen Abschied nehmen
wollte, gewahrte sie, daß er sich aus dem Staub gemacht hatte, schon seit
dem Anschlagen der Meute.

Und so mußten ohne ihn die Sperber, die Eule, die Tauben, der Wolf und die
Lämmer ihren Flug wieder aufnehmen. Sie begriffen gar wohl, daß er, ein
kleingläubiger Hase, nicht wie sie zu sterben verstanden hatte, und daß er
lieber, als sich durch Gott gerettet zu sehn, sich selber retten wollte.






Das zweite Paradies war das der Vögel; es lag in einem kühlen Wäldchen, ihr
Sang tropfte auf die Erlen und kräuselte die Blätter. Und von den Erlen
strömten die Lieder hinab in den Fluß und erfüllten ihn so mit Musik, daß
er auf den Schilfrohren spielte.

In der Ferne zog sich ein Hügel hin, voll Frühling und Schatten. Sein Bau
war von einer unvergleichlichen Anmut. Er duftete nach Einsamkeit: nach
nächtlichem Flieder und dem Odem aus dem Herzen dunkler Rosen, woraus die
heiße weiße Sonne trinkt.

Nun mit einemmal, in Pausen, als wären die kristallenen Sterne, ihr Licht
brechend, auf Wasser gefallen, hörte man den Sang der Nachtigall aufgehn.
Nichts hörte man als den Sang der Nachtigall. Auf dem ganzen weiten stillen
Hügel hörte man bloß den Sang der Nachtigall. Die Nacht war bloß das
Seufzen der Nachtigall.

Da, in dem Wäldchen, stieg die Morgenstunde auf, errötend wegen ihrer
Nacktheit inmitten der gefiederten Sänger, die noch nicht daran dachten,
ihr Zwitschern abzustimmen, so schwer waren ihre Flügel von Gefühl und
Morgentau. Noch schlugen die Wachteln nicht in den grünen Halmen. Die
Meisen mit ihren schwarzen Köpfchen rauschten in dem Feigendickicht wie
Kiesel in der Strömung. Ein Grünspecht, beinahe wie ein Büschel Gras von
goldschimmernden Wiesen, eine Kleeblüte auf dem Kopf, zerriß mit seinem
Schrei die Himmelsbläue. Dann richtete er seinen Flug auf die alten,
blendend blühenden Apfelbäume.

Die drei Sperber und die Eule gingen ein in diese Blumenweiden, und nicht
ein Rotkehlchen, nicht ein Distelfink, nicht ein Hänfling erschraken vor
ihnen. Die Raubvögel hockten sich nieder ins Geäst, in anmaßender und
schwermütiger Haltung, und das Auge zur Sonne gekehrt, schlugen sie dann
und wann mit ihren Stahlschwingen gegen den scheckigen Kiel ihrer Brust.

Die Eule aber suchte den Schattenhügel auf, um zurückgezogen in einer
Höhlung, und zufrieden mit ihrem Dunkel und ihrer Einsicht, die Nachtigall
klagen zu hören.






Doch die köstlichste Zuflucht hatten sich die Tauben erwählt. Sie saßen auf
würzigen Ölbäumen im Abendwehn. In diesem Garten lebten junge Mädchen, die
man wegen ihrer tierhaften Anmut eingelassen hatte, alle die jungen
Mädchen, seufzend und wie Jelänger-Jelieber, alle die jungen Mädchen, die
mit den empfindsamen Tauben schmachten, von den Tauben Venetiens an, die
den gelangweilten Dogaressen fächelten, bis zu den Tauben Westindiens, mit
dem neckischen Feuer ihrer orangen- und tabakfarbenen Fischerinnenschnäbel;
alle die Tauben der Träume und alle die träumenden Tauben: die Taube, die
Beatrice aufzog und der Dante ein Korn reichte; und jene, die in der Nacht
von der enttäuschten Quitteria vernommen ward; und jene, die aufschluchzen
mußte auf der Schulter Virginiens, als sie im nächtlichen Quell, im
Schatten der Kokospalme, vergebens ihre Liebesglut zu kühlen versuchte; und
noch die Taube, der die Siebzehnjährige, bedrückt von der Schwüle des
Sommers, im Hausgarten bei den reifenden Pfirsichen zärtlich wilde
Botschaft anvertraut, damit sie sie mit forttrage, auf ihrem Flug ins
Ungewisse.

Und dann waren hier die Tauben der alten, rosenumsponnenen Pfarrkirchen:
die Tauben, die aus seiner weihrauchduftenden Hand Jocelyn nährte, während
seine Gedanken bei Laurence weilten. Und die Taube, die man dem sterbenden
kleinen Mädchen bringt; und die Taube, die man in manchen Gegenden auf die
heiße Stirn der Kranken legt; und die geblendete Taube, die so schmerzlich
aufstöhnt, daß sie den Zug ihrer wilden Schwestern in den Hinterhalt des
Jägers lockt; und die beste aller Tauben, die in seiner Dachkammer den
alten vergessenen Dichter tröstet.






Das dritte Paradies war das der Schäfchen.

Im Schoße eines Smaragdtales, bewässert von Bächen, die unter ihrem
besonnten Kristall eine Decke unerhörten Grüns zeigten; nahe bei einem
perlmutternen, pfauengleich schillernden See, tiefblau und wie
Glimmerschiefer, wie die Kehle der Kolibri und die Flügel der
Schmetterlinge: hier, wo sie das ungetrübte Salz von dem goldgekörnten
Granit geleckt hatten, unter dem Dach ihres dichten Wollvließes wie Blatt
und Ast unter Schnee, träumten die Lämmer ihren langen Traum.

Diese Landschaft war so rein, so traumhaft klar, daß sie die Wimpern der
Schäfchen angesilbert hatte, als sie hineingeglitten war in das Gold ihrer
Augen. Darin schien alles so durchsichtig, daß man tief in ihrem Wasser, so
deutlich enthüllten sich die Umrisse, die gelbgestreiften Kalkgipfel zu
erblicken vermeinte. In die Teppiche der Buchen- und Tannenwälder waren
Blüten eingewirkt, von Reif, von Himmel und von Blut, und der sanfte Wind,
wenn er darüber hinweggeweht hatte, zog noch leichter, noch bedufteter,
noch eisesklarer von dannen.

Gleich einer blauen Meerflut wallten die köstlichen Kegel der Bäume hoch,
mit verflochtenem Silbertang. Abwärts von den felsigen Zähnen des Gebirges
dampften Wasserfälle. Und auf einmal blökten die himmlischen Herden Gott
entgegen; die verzückten Schellen weinten um den Schatten der Farnkräuter.
Und das dunkle Wasser der Grotten brach sich im Licht.

Gelagert unter wilden Lorbeerbüschen erschien das wiedergewonnene Lamm der
Bibel. Seine Pforte ruhte auf seinem Mund und blutete noch. Seine Wege
waren hart gewesen, bald aber sollte es an dem leicht gesäuerten Zucker der
Myrten wieder gesund werden. Schon zitterte es bei dem Laut seiner
zerstreuten Gefährten.

Einziehend in dieses gelobte Land, ihren bleibenden Aufenthalt, gewahrten
die franziskanischen Schäfchen das Lamm aus der Fabel des Lafontaine, wie
es unter Vergißmeinnicht an der spiegelhellen Welle graste. Nicht mehr
stritt es mit dem Wolf des Gedichtes. Es trank, und das Wässerlein wurde
nicht trübe davon. Die ungefaßte Quelle, für das Gefühl durch einen
zweihundertjahrlangen Epheu-Schatten verdüstert, strömte über den Rasen hin
ihre zerbrochenen Wellchen und, fortgerissen mit ihrem Glitzern, das
schneeige Beben des Lammes.

An den Halden der Glückseligkeit hochhängende Schafe, die Schafe sahn sie
jener Helden des Cervantes, die aus Liebesgram alle wegen ein- und
derselben Schönheit ihre Stadt verlassen hatten, um in der Ferne ein
Hirtenleben zu vollbringen. Die Stimmen dieser Tiere waren die
allersanftesten: Stimmen von Herzen, die insgeheim ihr eigenes Leiden
lieben. Sie schlürften von den Quendelbeeten die immer neuen brennenden
Tränen, die ihre bukolischen Dichter wie Tau hatten fallen lassen aus dem
Kelche der Augen.

Am Rande dieses Paradieses erhob sich ein undeutliches Geräusch gleich dem
unendlichen Wellenschlag. Es war der Flöten und der Klarinetten immer
wieder stockendes Schluchzen, ein Rufen, von den Abgründen
zurückgeschnellt, Gebell der unruhigen Hunde, der Sturz eines umgrünten
Steines ins Leere. Es war der Schwall der Wasserfälle hoch über den
tosenden Wildbächen. Wie die Sprache war es eines Volkes auf dem Wege zu
seinem gelobten Land, namenlosen Weintrauben entgegen, brennenden
Dornbüschen entgegen, Laute, untermischt mit dem Aufschrei trächtiger
Eselinnen, die die Last der vollen Milchkannen trugen und die Hirtenmäntel
und das Salz und den schieferig abblätternden Käse.






Das vierte Paradies, in seiner fast unbeschreiblichen Nacktheit, gehörte
den Wölfen.

Auf dem Gipfel eines baumlosen Berges, in der Öde des Windes, in
durchdringenden Nebeldämpfen, genossen sie des Glückes der Märtyrer. Sich
also verlassen zu fühlen, empfanden sie als eine herbe Freude und ebenso
dies, daß sie niemals länger als einen Augenblick lang -- und unter welchen
Qualen! -- ihrem Blutdurst hatten entsagen können. Sie waren die Enterbten
mit dem ewig unverwirklichtem Traum. Schon seit langem konnten sie nicht
mehr heran an die himmlischen Lämmer, deren blanke Augenwimpern in dem
grünen Lichte auf- und niederschlugen. Und dann, da keines dieser Tiere
starb, durften sie auch nicht länger den Leib erwarten, daß ihn der Schäfer
ihnen hinwürfe an den immer lachenden Bach.

Und die Wölfe hatten sich bescheiden gelernt. Ihr Pelz, rauh wie ihr Fels,
war zum Erbarmen. Eine Art von kläglicher Größe herrschte an dem seltsamen
Ort. So tragisch, so unselig wirkte ihr Erlöstsein -- man hätte sie, o
Mitgefühl!, selbst wenn man sie beim Lämmermord ertappte, auf die Stirne
küssen mögen, voll Zärtlichkeit, diese armen Fleischfresser. Die Schönheit
ihres Paradieses, wo nun auch der Herzenswolf des Franziskus Wohnung nahm,
war in der Trostlosigkeit beschlossen und in der hoffnungslosen
Verzweiflung.

Über dieses Gebiet hinaus aber erstreckte sich der Tierhimmel ins
Unendliche.




Drittes Buch







Der Hase nun, der hatte beim Anblick der himmlischen Hundeschar klüglich
das Panier ergriffen. Solange Franziskus bei ihm war, glaubte er an
Franziskus. Bald aber, und wenn auch in den Gefilden der Seligen, hatte
seine mißtrauische Bauernnatur wieder Gewalt über ihn gewonnen. Und da er
sich hier nicht so recht in seinem Paradies fühlte, weder eine vollkommene
Seligkeit auskostete, noch den Reiz der bekannten Gefahr, gegen die man
ankämpfen konnte, war er irre geworden.

Er lief also hin und her, mit Unbehagen, er kannte sich nicht aus, fand
sich nicht zurecht und suchte vergebens, was er doch immer wieder floh und
was ihn geflohen hatte. Was war das nur? War denn der Himmel nicht das
Glück? Wo mochte die Stille noch stiller sein? In welchem andern Nest hätte
der Spaltnasige einen unbedrohten Schlaf besser träumen können als in
diesen wollenen Wiegen, die der Windhauch hinbreitete unter das beblütete
Strauchwerk der Sterne?

Doch schlief er hier nicht, ihm fehlte die Unruhe und noch manches andere.
In den Gräben des Himmels hockend, spürte er unter dem weißen Fleck seines
Stummelschwanzes nicht mehr, wie ihn die Feuchtigkeit mit Schauern
durchdrang. Die Mücken, weit weg in ihrem Teichparadies, gewährten seinen
immer offenen Augenlidern nicht länger das beizende Brennen des Sommers.
Wohin war dieses Fiebern geschwunden? Sein Herz schlug nicht mehr mit jener
Kraft von ehemals, wenn auf den Kuppen der flammendroten Heiden das
Feuerrohr einen Erdregen um ihn herum versprühte. Unter der weichen
Liebkosung des Rasens sproßte ihm sein sonst spärliches Haar aus den
Schwielen der Pfoten. Und er begann den Überfluß des Himmels zu bedauern.
Ihm war wie dem Gärtner, der, König geworden, purpurne Sandalen tragen muß
und sich seine Holzschuhe zurückwünscht, mit ihrem Schwergewicht von Lehm
und Armut.






Und Franziskus in seinem Paradies erfuhr von den Bedrängnissen des Hasen
und von seiner Verwirrung. Und sein Herz litt darunter, daß einer seiner
alten Genossen nicht glücklich war. Seitdem schienen ihm die Gassen des
himmlischen Dorfes, seines Wohnortes, nicht mehr so friedlich, die
abendlichen Schatten nicht mehr so milde, nicht mehr so weiß der Atem der
Lilien, nicht mehr so heilig der Schein des Werkzeugs in den Schuppen,
nicht mehr so hell die singenden Krüge, deren Wasser in frischen Garben
auseinanderstrahlte, kühlespendend über die Leiber der Engel, die an den
Brunnenrändern saßen.






Also begab sich Franziskus zum lieben Gott, und er empfing ihn in seinem
Garten bei sinkendem Tag. Es war dieser Garten Gottes der einfachste und
schönste. Woher das Wunder seiner Schönheit kam, war unerklärlich.
Vielleicht wuchs darin nichts anderes als die Liebe. Über die Mauern,
ausgekerbt von den Weltaltern, wucherte dunkler Flieder. Entzückt trugen
die Steine ihre lächelnden Moose, deren goldne Köpfchen an der schattigen
Brust der Veilchen sogen.

In einem zerstreuten Schimmer, der nichts von Morgenlicht noch von
Abenddämmerung an sich hatte, denn er war noch zarter als diese, inmitten
eines Beetes blühte ein blauer Lauch. Ein Geheimnis umgab die blaue Kugel
seines Blütenstandes, der sich unbewegt in sich verschlossen hielt auf
seinem hohen Stengel. Man begriff, daß diese Pflanze träumte. Wo von wohl?
Vielleicht von dem Werk ihrer Seele, die am Winterabend in dem Topfe summt,
worin die Suppe der Armen kocht. O göttliches Los! Nicht weit von den
Buchsbaumzäunen strahlten die Zungen des Lattichs lautlose Worte, während
ein gedämpftes Licht um den Schatten entschlafener Gießkannen lag. Ihre
Arbeit war getan.

Und zu Gott, voll heitern Vertrauens, nicht hochmütig noch kriechend, erhob
ein Salbei sein geringes Rüchlein.






Franziskus setze sich neben Gott auf eine Bank unter eine mit Efeu
umwachsene Esche. Und Gott sprach zu Franziskus:

»Ich weiß, was dich herführt. Man soll nicht sagen, daß hier einer, Hase
oder Milbe, sein Paradies nicht finde. Geh also zu dem Schnellfüßigen und
frage ihn, was er begehrt. Und sobald er es dir gesagt hat, will ich es ihm
gewähren. Wenn er nicht wie die andern zu sterben und zu entsagen
verstanden hat, gewiß, so war es, weil sein Herz allzusehr an meiner
geliebten Erde hängt. Denn, o Franz, gleich diesem Langohr liebe ich die
Erde mit einer tiefen Liebe. Ich liebe die Erde der Menschen, der Tiere,
der Pflanzen und der Steine. Franz, suche den Hasen auf und sage ihm, daß
ich sein Freund bin.«






Und Fransiskus schritt auf das Paradies der Tiere los, das, von den jungen
Mädchen abgesehn, niemals vorher ein Menschenkind betreten hatte. Dort fand
er den Hasen untröstlich umherirren; sowie aber das Tier seinen alten Herrn
auf sich zukommen sah, verspürte es eine so große Freude, daß es sich
niederhockte, die Augen erschrockener als je, die Nase kaum merklich
zitternd.

»Sei gegrüßt, mein Bruder,« sagte Franziskus. »Ich habe dein Herz klagen
gehört, und ich bin gekommen, den Grund deiner Betrübnis zu erfahren. Hast
du zu viel bittere Körner gegessen? Warum genießest du nicht den Frieden
der Tauben und der ebenso weißen Lämmer . . .? O Mäher hinter der Ernte,
was suchest du also unruhig hier, wo doch keine Unruhe mehr ist und wo du
niemals wieder das Keuchen der Rüden fühlen wirst, wie sie herjagen hinter
deinem Landstreicherfell?«

»Mein Freund,« gab der Spaltnasige zur Antwort, »was ich suche? ich suche
meinen Gott. Solange du mein Gott warst auf der Erde, fühlte ich mich
befriedigt. Aber in diesem Paradies, wo ich verloren bin, weil ich deine
Gegenwart entbehre, du göttlicher Bruder der Tiere, erstickt meine Seele,
denn hier finde ich ihn nicht.« »Meintest du denn,« versetzte darauf
Franziskus, »daß Gott die Hasen verläßt und daß sie allein in der Welt kein
Recht auf das Paradies haben?«

»Dieses nicht,« erwiderte ihm der Graustrumpf. »Darüber habe ich mir keine
Gedanken gemacht. Dir wäre ich nachgegangen, denn ich habe gelernt, mich in
dir so gut auszukennen wie in der irdischen Hecke mit ihren Flocken warmen
Lämmerschnees, der mein Nest wohnlich macht. Vergeblich habe ich über diese
Himmelswiesen hin den Gott gesucht, von dem du da redest. Doch während ihn
meine Freunde sogleich entdeckten und ihr Paradies fanden, irre ich umher.
Von dem Tage an, da wir von dir schieden, und in der Stunde schon meines
Eingangs in den Himmel schlug mein kindisch wildes Herz in Heimweh nach der
Erde.

O Franz, mein Freund, du einziger, an den ich glaube, gib mir meine Erde
wieder. Ich fühle, daß ich hier nicht zu Hause bin. Gib mir meine Furchen
wieder voll Kot, meine lehmigen Pfade. Das heimische Tal gib mir zurück, wo
die Jagdhörner den Nebel aufrühren; die Wagenspur, von wo aus ich mein
Abendläuten hörte, die Meute mit den hängenden Ohren. Gib mir meine Angst
wieder. Gib mir meinen Schrecken wieder. Gib mir wieder die Erregung, die
mich ergriff, wenn plötzlich ein Schuß unter meinem Sprunge die duftenden
Minzen hinwegfegte oder wenn im Strauch unter den Quittenbäumen mein Mund
an das Kupfer der kalten Schlinge stieß. Gib mir die Wiese wieder, wo du
mich entdeckt hast. Gib mir wieder die morgenroten Wasser, aus denen der
gewandte Fischer seine Netze schwer von Aalen herauszieht. Gib mir die
blaue Nachlese im Monde zurück und mein furchtsames heimliches Liebesspiel
in den wilden Ampfern, wenn ich nicht mehr unterscheiden konnte zwischen
einem Blumenblatt, das mit Tau überlastet ins Gras glitt, und der rosigen
Zunge meiner Freundin. Gib mir, o du mein Herz, gib mir meine Schwäche
zurück. Und sage dem lieben Gott, daß ich nicht länger bei ihm leben kann.«

»O Graustrumpf,« erwiderte ihm darauf Franziskus, »mein Freund, sanfter
mißtrauischer Bauer, kleingläubiger Hase, der du lästerst; du konntest
deinen Gott nicht finden? so wisse, um diesem Gott zu begegnen, hättest du
sterben müssen wie deine Genossen.«

»Aber wenn ich sterbe, was soll aus mir werden?« schrie der Strohpelz.

Und Franziskus sagte:

»Wenn du stirbst, wird aus dir dein Paradies.«






Während sie sich so besprachen, gelangten die ans Ende des Tierparadieses.
Hier begann das Paradies der Menschen. Langohr neigte den Kopf und las über
einem Pfahl auf einer blauen, gußeisernen Tafel mit einem Pfeil, der die
Wegrichtung anzeigte:

Von Kastetis nach Balansun 5 Kilometer

Der Tag war so heiß, daß die Schrift in dem stumpfen Sommerlicht zu zittern
schien. In der Ferne, auf dem Weg, wirbelte der Staub wie im Märchen vom
Blaubart, wenn die Schwester fragt: Schwester Anna, siehst du noch nichts?
Die silberne Trockenheit, wie war sie prächtig und duftete bitter nach
Minze.

Und Langohr sah ein Pferd mit einem Karren herankommen.

Es war ein armseliger Gaul vor einem zweirädrigen Gefährt, und er konnte
nur noch im Galopp und ruckweise ziehn. Jeder Schritt erschütterte sein
gelockertes Gerippe, daß das Geschirr klirrte, und die helle Mähne
flatterte in der Luft, grünlich wie der Bart eines alten Seemanns. Mühsam,
als wären es Pflastersteine, hob das Tier seine geschwulstig aufgetriebenen
Hufe . . .

Da überfiel ein Zweifel, stärker als alle bisherigen Zweifel, die Seele des
Hasen und durchbohrte sie.






Dieser Zweifel war ein Schrotkorn, das soeben durch den Nacken in das Hirn
des Löffelmanns drang. Ein Blutschleier, schöner als der glühende Herbst,
schwebte vor seinen Augen, darin die Schatten der Ewigkeit aufstiegen. Er
schrie. Die Finger eines Jägers schnürten ihm die Kehle zu, würgten ihn,
erstickten ihn. Es verlangsamte sich sein Herz, das ehemals flatterte wie
im Wind die bleiche wilde Rose, wenn sie zergeht um die Stunde, da es
Morgen wird und die Hecke die süßen Lämmer liebkost. Einen Augenblick blieb
er unbeweglich in der Faust seines Mörders, matt ausgestreckt, lang wie der
Tod. Dann schnellte er auf. Seine Klauen krallten vergebens nach dem Boden,
sie erreichten ihn nicht mehr, denn der Mann ließ nicht los. Langohr
verrann, Tropfen um Tropfen.

Auf einmal sträubte sich sein Haar, und er wurde den sommerlichen Stoppeln
gleich, worin er einst gelegen hatte neben seiner Schwester, der Wachtel,
und neben seinem Bruder, dem Mohn; gleich auch der lehmigen Erde, die seine
Bettlerfüße benetzt hatten; gleich dem Braun, womit die Septembertage den
Hügel bekleiden, dessen Gestalt er angenommen hat; gleich der Kutte des
Franziskus; gleich der Wagenspur, von wo aus er sein Abendläuten hörte, die
Meute mit den hängenden Ohren; gleich dem starren Felsen, wie ihn der
Quendel liebt; er glich in seinem Blick, worin jetzt ein Hauch nächtlichen
Blaus schwamm, dem gesegneten Rasenplatz, auf dem ihn einst das Herz seiner
Freundin im Herzen der wilden Ampfer erwartet hatte; in den Tränen, die er
vergoß, glich er dem Engelquell, an dem der alte Aalfischer sitzt und seine
Netze ausbessert; er glich dem Leben; er glich dem Tode; er glich sich
selbst; er glich seinem Paradies.



Schluß des Hasenromans





Von Francis Jammes sind
im Verlag Jakob Hegner
in Hellerau erschienen:
Almaide oder der Roman
der Leidenschaft eines
jungen Mädchens, Röslein
oder der Roman
eines leicht hinkenden
jungen Mädchens,
Klara oder der Roman
eines jungen Mädchens
aus der alten
Zeit





Gedruckt bei
Jakob Hegner
in Hellerau
bei Dresden






End of the Project Gutenberg EBook of Der Hasenroman, by Francis Jammes

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER HASENROMAN ***

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electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
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1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
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Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
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liability to you for damages, costs and expenses, including legal
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LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
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LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
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providing it to you may choose to give you a second opportunity to
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opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
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1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
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If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
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provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

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trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
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with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit: http://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     http://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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