Die gefesselte Phantasie

By Ferdinand Raimund

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Title: Die gefesselte Phantasie

Author: Ferdinand Raimund

Posting Date: September 20, 2012 [EBook #6642]
Release Date: October, 2004
First Posted: January 9, 2003

Language: German


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Die gefesselte Phantasie

Original-Zauberspiel in zwei Aufzügen

von Ferdinand Raimund

Erstaufführung am 8. Jänner 1828
im Theater in der Leopoldstadt

ferdinand raimund "die gefesselte phantasie"

Personen

apollo
die poetische phantasie
hermione, Königin der Halbinsel Flora
affriduro, Oberpriester des Apollo
vipria,
arrogantia, die Zauberschwestern
distichon, Hofpoet
muh, Hofnarr
odi, ein Höfling
ein dichter
amphio, Hirte der Lilienherde
nachtigall, Harfenist aus Wien
ein fremder
der wirth zum Hahn
ein fiaker
ein schuster
ein spengler
ein kellner
Hermionens Hofstaat.  Götzendiener.  Dichter.  Inselbewohner.
Verschiedene Gäste.  Volk




I. Aufzug

(Garten in Hermionens Palast.  In der Mitte ein erhabener

Thron mit Veilchengirlanden auf Blumenstufen.)



1. Szene

affriduro.  odi.  götzendiener.  inselbewohner

(Alles in Bestürzung.)


chor.
Götter, schleudert eure Blitze,
Schickt der Eumeniden Schar
Vom erhab’nen Wolkensitze,
Straft das freche Zauberpaar!

affriduro.  Habt Hermionen ihr berichtet, daß wir um ihr
Erscheinen bitten?

odi.  Es ist geschehen.

affriduro.  Nicht länger dürfen wir die Frechheit dieser
Zauberschwestern dulden; Apollo selbst befiehlt es
uns.

odi.  Hier kommt der Hofpoet.

affriduro.  Jauchzet ihm entgegen, seiner Muse Flug soll
euch begeistern.




2. Szene

vorige.  distichon mit einer Menge Gedichte in Rollen


alles (ruft).  Willkommen, Distichon!

distichon (feierlich).  Verderben diesen Zaubernymphen!
Die ganze Nacht hat meine Phantasie geraset und den
geflügelten Gaul beinahe zu Schanden geritten, bis
Aurora vierzig Schmähgedichte beleuchtete, die mein
schöpferischer Geist in dieser Nacht gebar.

mehrere.  Hier sind noch mehr.  (Zeigen sie vor.)

distichon.  Ich glaub’ es euch.  An Dichtern fehlt’s auf
unserer Insel nicht.  Flora heißet sie, weil sie die
Göttin hat mit Blümlein aller Art bedeckt.  Wir
kennen keinen Schnee, als wenn uns Zephyr weiße
Blüten streut; darum begeistert uns der ewige
Blumenduft und weihet uns zu Priestern des Apoll’,
so daß der Schuster selbst mit einer Hand nur seinen
Stiefel schafft und in der andern hält er hoch die
gold’ne Leier:

"Sein kühner Geist ist mit Apoll’ verwandt,
Ist seine Lyra gleich mit Schustergarn bespannt."
affriduro.  Doch hohe Zeit ist’s nun, die Leier zu
vertauschen mit dem Mut; die Zauberschwestern
müssen fallen.

distichon.  Ich werfe sie mit Knittelreimen tot.  Ein Jahr
ist’s nun, daß diese beiden Zauberschwestern auf
unsere Insel kamen in einem Wolkenwagen, den zwei
weiße Löwen zogen; wir glaubten schon, die Götter
hätten sie gesendet, doch bald erfuhren wir, daß sie
der Orkus ausgespien; denn ihre Zaubermacht
erbaute schnell ein Schloß, vor dem die beiden Löwen
wachen und jeden töten, der sich ihnen naht.

affriduro.  Sie zertreten unsere Fluren, und mit
vergifteten Pfeilen schießen sie nach den Dienern des
Tempels.

alle.  Wehe, Wehe über sie!



3. Szene

vorige.  der narr


narr (mit Pathos).  Wehe, Wehe über sie!  Ich weiß zwar
nicht über wen, aber ich bin ein Narr, ich muß überall
dabeisein.  Also Weh’ über euch alle, nur nicht über
mich!

affriduro.  Es freut uns, Narr, daß du so fröhlich bist.

narr.  Das bin ich immer unter meinesgleichen.

distichon.  Sprich vernünftig, wird die Beherrscherin
erscheinen?

affriduro.  Wir haben große Dinge vorzutragen.

narr.  Sie kommt sogleich, sie ordnet nur ein Fest, wozu
nicht lauter Dichter eingeladen sind, gemeine Geister
auch.

distichon.  Sie wird doch nicht gar Handwerksleute laden?

narr.  Aha, der fürchtet sich, es möchten welche darunter
sein, denen er schuldig ist.

distichon.  Das fürcht’ ich nicht; des rühm’ ich mich, daß
einer lebt, der mir noch borgt.  Wer borgt denn nicht?
Alles ist auf dieser Welt geborgt, das Leben selbst ist
nur geliehene Ware; die Erd’, auf der wir wandeln, ist
nicht schuldenfrei: der Raum, in dem sie schwebt,
gehört der Luft, sie wäre blind, wenn ihr die Sonn’
den Star nicht sticht; und auch die Sonne, die
Verschwenderin, die ein zu glänzend’ Haus nur führt,
bezieht ganz sicherlich ihr leuchtend’ Gold aus einer
Wucherwelt.

narr.  Du sprichst ja wie ein Sokrates!

distichon.  Beneid’ mich nicht um meinen Genius!  Wem
Höheres geworden, der hat auch höhere Zinsen abzutragen.

narr.  Da kommst du gut davon, denn für das bißchen
Hirn, was dir Natur geliehen, wirst du ihr wenig
Zinsen zahlen.

distichon.  Man will an andern niemals finden, was man
selbst vermißt.  Ästhetisch Wirken herrscht auf Flora;
du gehörst nicht unter uns, wir ringen nach Unsterblichkeit.

narr.  O, ihr betriebsamen Florianer!  Müßiggang heißt
euer Gewerb; ich will dir ein Mittel sagen, das dich
unsterblich macht: leg’ du die Zeit, in der du müßig
gehst, als Kapital zurück, und wenn dein lumpicht
Leben ausgeht, flick’ sie hinten dran, dann lebst du
fort in alle Ewigkeit.

affriduro.  Wie kannst du’s wagen, Narr, in meiner
Gegenwart solch ungeschliffenen Scherz zu treiben?

narr.  Verzeih’, dich hab’ ich nicht gemeint, dich nehm’
ich schon ein andersmal aufs Korn.  Er hat ein
Spottgedicht auf mich gemacht, drum hetz’ ich ihn, so
lang ich Atem hab’!

odi.  Versöhnet euch, ich hab’ euch etwas zu entdecken.

narr.  Was, eine Neuigkeit?  Waffenstillstand unterdessen!
Vielleicht gibt’s neuen Stoff zum Schimpfen.

odi.  So hört denn!  Unsere Fürstin ist verliebt.

distichon.  In wen?

odi.  Ja seht, das weiß ich nicht.

narr.  Ich bitte dich, bewahre dein Geheimnis.

affriduro.  Was sprachst du für ein Wort?

odi.  Als gestern sie den stillen Hain betrat, wo sie so
gerne weilt, schlich ich ihr nach und sah, wie ein
Gedicht sie aus dem Busen zog, das sie wohl mehr als
zwanzigmal geküßt.

distichon (seufzend).  O!  wär ich dies Gedicht gewesen!

narr.  Dann hätt’ sie’s sicher nicht gelesen.

odi.  Dann rief begeistert sie: "Nur ein Genie, das so die
Liebe schildern kann, ist meiner Liebe wert."

distichon (beiseite).  War’s mein Gedicht, bin ich der
Glückliche?

odi.  Doch in dem Augenblick kam Amphio mit ihrer
Lilienherde, und ich ward verscheucht.

affriduro.  Sag’ mir doch, Odi, wie kommt Amphio, ein
Fremdling hier im Lande, zu der Ehre, Hermionens
Lieblingslämmer zu bewachen?

odi.  Das will ich euch erzählen.  Dieser Hirt scheint mir
nichts Gewöhnliches zu sein.  Der Aufseher der
fürstlichen Herde ward vor einem Jahr von einer
Schlange überfallen, die ihn getötet hätte, wenn nicht
ein junger Wanderer aus einem Busche springt und sie
erschlägt.  Amphio war der kühne Jüngling, er
forderte keinen Dank, als einen kleinen Dienst in
unserem Land; er wäre eine Waise, sagte er, und
suchte unter fremden Völkern nun sein Glück, da er’s
in seiner Heimat nicht gefunden hat.  Der Aufseher,
von Dankbarkeit bewegt, erinnert sich, daß er einen
Stier besäße, welcher gold’ne Hörner trägt.
distichon.  Goldene Hörner?  Hätt’ ich diesen Stier, das
wär’ ein Kapital!

narr.  Mir wär’ ein Hirsch mit gold’nem G’weih viel
lieber, der wirft doch alle Jahr’ Interessen ab.

odi.  Nun stellt euch vor, von Dankbarkeit bewegt,
ernennt er ihn zum Hüter dieses Stiers.

narr (weint).  O, edler Mann!  O schöne Vermundschaft!
Wie war denn das?  Hat der Ochs ihm befohlen oder
er dem Ochsen?

odi.  Das letztere.

narr.  Das ist doch noch ein Glück.  Ich hab’ das erste auch
erlebt schon in der Welt.

odi.  Und da er seinen Dienst so treu versah, schwang er
sich zum Hirten uns’rer Lilienherde auf; doch liegt
etwas Geheimnisvolles in dem Jungen, und daß zum
Hirten er geboren, glaub’ ich nimmermehr.

affriduro.  Hermione naht, zieht euch zurück.



4. Szene

hermione.  gefolge.  vorige


chor.
Heil Hermione!
Glücklich die Zone,
In der sie thront!

hermione.  Ganz ungewöhnlich ist die Stunde zwar, in der
ihr meine Gegenwart verlangt, doch gibt es keine
Zeit, in der ich euch nicht angehörte; stets haben
unsere Wünsche freundlich sich begrüßt, daß sie sich
heute feindlich trennen werden, hoff’ ich nicht.
Sprecht aus, was ihr begehrt!

affriduro.  Auf dein Geheiß, o Königin, befragt’ ich das
Orakel des Apoll’, wodurch der Übermut der
Zauberschwestern sei zu bändigen und was durch sie
die dunkle Zukunft unserem Lande droht.

hermione.  Und des Orkakels Spruch?

affriduro.  Verderben, Krieg droht Eurem Blumenreich,
wenn Ihr die Zauberschwestern nicht daraus verjagt.

alles.  Wehe uns!

hermione.  Was raten meine Weisen mir?

distichon (tritt vor).  So höre mich denn, hohe Hermione!

narr (springt in die Mitte).  Um des Himmels willen, du
vergißt dich ja!  Die Weisen sollen sprechen; du hast
das Gegenteil verstanden; bist denn du ein Weiser?

distichon.  Das bin ich--oder hältst du mich für einen
Narren?

narr (bescheiden protestierend).  Du hast mich eben dieser
Müh’ enthoben.

distichon.  Wieso?

narr.  Du glaubst ja fest, daß du ein Weiser bist.

distichon (unwillig).  Nun ja!

narr.  Da hältst du dich ja selbst für einen Narren; was
brauch’ denn ich’s zu tun?  Für naseweis hab’ ich dich
stets gehalten, doch eine and’re Weisheit trau’ ich dir
nicht zu.

distichon.  Das gedenk’ ich dir, Bastard des Jokus!

hermione.  Endet euren Streit!  Sprich, Affriduro, kann
Gewalt uns retten?

affriduro.  Gewalt?  Zum erstenmal hör’ ich dies Wort
von dir.  Entsprossen aus dem Stamme deines güt’gen
Vaters, herrschest du durch Sanftmut stets.  Wir
kennen hier nur Poesie, Gesang und Tanz; der rauhe
Klang der Waffen ist uns unbekannt, nur ein
arkadisch’ Leben führten wir bis jetzt.  Von einer Seite
schützt des Meeres Wellenschild unseren
blumenreichen Strand, und von der andern trennen
steile Berge uns von unserem mächt’gen Nachbar,
dem König von Athunt.  Die Waffen sind uns fremd,
wir kennen nur die List.

narr.  Ich rate auch zur List; sie machen sich zu mausig
hier, drum muß man sie wie Mäuse fangen.  (Beiseite.)
Ich richte eine diamant’ne Falle auf und statt dem
Speck häng’ ich zwei türk’sche Schals hinein.

affriduro.  Doch höre des Orakels Schluß.  Nicht eher
wird die Macht der Zauberschwestern sich besiegen
lassen, bis Hermione sich vermählt und dem Lande
einen Herrscher gibt, der gleich ihr zu herrschen
würdig ist; wenn das geschieht, wird jene Macht
verschwinden.  Drum hör’ die Bitte deines ganzen
Reichs und wähle dir den König von Athunt, er strebt
nach deiner Hand.  Du besitzest Geist, er Mut und
Macht; erwähle ihn, bevor die Zauberschwestern noch
in seine Brust des Hasses Samen streu’n, und mit
Gewalt er fordert, was du seinem Edelmut verweigert
hast.  Du wirst dem Schicksal nicht entrinnen, denn die
Sterne prophezeien unserem Lande einen Herrscher
aus dem Hause von Athunt.

hermione.  Als vor zwei Jahren der König von Athunt mit
seinem Sohn an meinem Hof erschien, für sich um
meine Hand zu werben, gestand ich ihm ja frei, daß
ich, vom Wert der Poesie begeistert, im Tempel des
Apollo ein Gelübde abgelegt, als Gemahl nur einen
Sänger hoher Lieder zu umarmen; sei er der Ärmste
meines Volkes auch, wenn er nur reich ist an Gemüt
und hohem Geist.  Der König von Athunt belächelte
den Schwur, gestand, daß er die Verse nur mit
blut’gem Schwert zu schreiben wüßte.  Er zog von
meinem Hof; doch hinterließ er das Versprechen mir,
daß er den schönen Frieden meines Landes niemals
stören wolle.  Glaubst du, ich hätte meinen Schwur
vergessen?  Nur einem Sohn der Musen reich’ ich
meine Hand.

distichon (stolz).  Mein Vaterland ist der Parnaß.

narr.  Ich bin vom Kahlenberg zu Haus.

affriduro.  Erwäge des Orakels Spruch, und wählest du
nicht ihn, so wähle doch und rette dadurch deine
Treuen.

hermione (für sich).  Peinliche Verlegenheit!  Was beginn’
ich?  Mein Herz ist ja nicht frei.

alles (kniet).  Wir flehen zu dir, Herrscherin!

hermione.  Wohlan, so will ich wählen.  Wenn wiederum
der Mond uns seine Sichel zeigt, so werd’ ich meine
Hand verschenken.

alles.  Heil, Hermione!

hermione.  Bis dahin will ich meines Stolzes Panzer mit
geschmeid’gem Samt der Klugheit überziehen und
durch sanfte Worte die Zauberschwestern zu
gewinnen suchen.  Eilet hin nach ihrem Schloß und
bescheidet sie hierher.

odi (sieht hinaus; erschrickt).  Götter, dort sind sie.  Sie streifen
durch die Flur und jagen weiße Raben.

hermione.  So eil’ hinaus und rufe sie.

odi (erschrocken).  Ich?

hermione.  Ja, du!

odi.  Verzeih’, ich wag’ es nicht.

affriduro.  So bist du ja ein ganzer Hase?

narr.  O nein, er ist ein bloßer Hasenfuß.

hermione.  Beschämt keiner ihn?

distichon (kühn für sich).  Mut, Distichon, du stiehlst ihr

Herz.  (Laut.)   Ich hole sie.  (Eilt ab.)

narr (tut, als hebe er etwas von der Erde auf).  Pst!

hermione.  Was treibst du, Narr?

narr.  Er hat beim Fortgehen seine Furcht verlor’n, ich
heb’ ihm s’ unterdessen auf.  (Er tut, als steckte er sie in den
Sack.)

odi.  Er ist schon dort und spricht mit ihnen.  Sie drohen
ihm--er läuft davon.

hermione.  Pfui!

odi.  Sie senden Pfeile nach.  (Schrei.)   Er ist getroffen.

hermione (ängstlich).  Götter!

odi.  In dem Waden steckt ein Pfeil.

narr.  Jetzt haben wir doch einen gespickten Hasen
auch.

hermione.  So sinkt er?

odi.  Nein, er läuft.



5. Szene

distichon, einen Pfeil mitten durch die Wade gesteckt.  vorige.


distichon (atemlos).  Es ist gescheh’n!

hermione.  Du bist verwundet, Unglückssohn.  (Verhüllt sich
das Antlitz.)

distichon.  Im Herzen, Königin!

hermione.  Nicht doch, im Fuß.

distichon.  Nicht möglich!  (Besieht sich und erstaunt.)   Das
hab’ ich wirklich nicht bemerkt.

narr (zieht ihm den Pfeil heraus).  Was das für ein Glück ist,
wenn man falsche Waden hat!  Unverwundbar wie
Achill!

distichon.  Ein kluger Feldherr weiß sich zu verschanzen,
Den Arm weiht man der Schlacht, den Fuß braucht
man zum Tanzen .



6. Szene

vorige.  arrogantia und vipria gleich gekleidet; in tigerartigen
Kleidern, mit Bogen und Pfeilen, treten schnell und kühn herein.

Allgemeiner Schreckensausruf.


alles (mit Entsetzen).  Die Zauberschwestern!

(Alles steht erstarrt in Gruppen.)

vipria.  Ha, ha, ha!  Hast du’s gehört?  Wir sind angemeldet.

arrogantia (mit Verachtung).  Ha, furchtsam Volk!  Der
Schreck ist Kammerdiener hier.

vipria.  Nun, wie wird’s?  Habt ihr ’s Medusenhaupt
geschaut, daß ihr versteinert steht?

arrogantia.  Sind zur Komödie wir geladen, daß ein
Tableau man uns zum besten gibt?  Wo bist du,
Hermione, die uns rufen ließ?

hermione.  Frag’ sanfter, wenn du’s zu erfahren wünschest;
solche Frage ist der Antwort Tod.

vipria (persiflierend).  Wo weilt denn die gestrenge gnäd’ge
Frau?  (Befehlend.)   Wer bist denn du?  Bist du die Magd
vom Haus, so lös’ die Riemen auf an meinem Schuh!--
Aha, du bist das Kammerkätzchen hier, du willst
gestreichelt sein; so meld’ uns an, teil’ Gnaden aus,
wir bitten dich.  Zwei arme Zauberschwestern, sag’,
wir küssen dir die Hand.  (Küssen ihr heuchlerisch die
Hände.)

hermione (erzürnt).  Laßt ab.  Ich bin es selbst!  Ich bin
Hermione!

vipria.  Nicht möglich!  Ach verzeih’, ich hab’ dich wirklich
nicht erkannt, wir haben dich ganz anders uns
gedacht.  (Zu Arrogantia.)   Sie hat ja so gesunde Backen!

arrogantia.  Eine gewöhnliche Gestalt.

vipria.  Sie sieht so einfach aus.

arrogantia.  Einfältig fast.

vipria (sie heuchlerisch umarmend).  Unendlich freut uns
das.

arrogantia (ebenso).  Ich bin entzückt im höchsten Grad.

narr.  O Schierlingskraut, mit Zucker überstreut!

affriduro.  Kannst du dies dulden, Zeus?

narr.  Laß deinen Zeus zu Haus!

hermione.  Bekämpfe dich, mein Stolz, es gilt ja meines
Landes Glück.

vipria.  Du wohnst hier allerliebst!  Ein schöner
Blumenhain.

hermione.  Es ist mein liebster Garten.

vipria.  Und eine nette Dienerschaft.

narr (macht ihr eine Verbeugung).

vipria.  Quelle figure?

arrogantia.  Der ist gebaut als wie ein Telegraph.

vipria.  Ist der im Garten hier bestimmt, daß er die Vögel
dir verscheucht?

narr.  Ich soll die Fledermäus’ vertreiben, aber heut’ sind
mir doch ein paar hereinkommen.

arrogantia.  Wer bist du, kecker Freund?

narr.  Man spricht nicht gern davon.

hermione.  Es ist mein Narr.

vipria.  Bravissimo!  Bist du der einz’ge Narr auf dieser
Insel?

narr.  Nein!  (auf Distichon deutend.)   Hier führ’ ich dir noch
einen auf.

vipria.  Nun, Hermione, uns gefällt’s in deinem Reich.

arrogantia.  Wir haben doch die ganze Welt durchreiset.
Wir sahen Indiens gewürzte Fluren--

vipria.  Die Kecskemeter Heide--

arrogantia.  Ägyptens Pyramiden--

vipria.  Die Spinnerin am Kreuz--

arrogantia.  Die Höhe des Montblanc--

vipria.  In Wien den Tiefen Graben--

arrogantia.  Arabiens Wüstenei--

vipria.  Und Nußdorfs schöne Auen.

arrogantia.  Doch unter allen diesen Welten haben wir
zwei Lieblingsinseln uns erwählt.

vipria.  Die meine liegt am Donaustrom.

arrogantia.  Die meine heißet Flora.

hermione.  Wenn ihr die Insel liebt, so ehrt auch ihren
Frieden und stört ihn nicht durch euren Übermut.

arrogantia (auffahrend).  Wer?

vipria (steigend).  Wie?

narr (grell für sich).  Was?

hermione.  Verzeiht, daß ich den harten Ausdruck hab’

gewählt.  Ich bitte euch, schont dieses Landes Glück.

vipria.  Nicht weiter sprich!  Also darum ließest du uns
rufen?

arrogantia.  Um einen Mentor hier zu spielen?

vipria.  So wisse denn, wir hassen dich wie Schlangengift.

hermione.  Was hab’ ich euch getan?

vipria.  Als wir auf deine Insel kamen, hättest du um
Schutz uns flehen sollen; doch mit Verachtung hast du
uns empfangen.

arrogantia.  Selbst nicht zum Tee hast du uns eingeladen,
das hat die Schwester so empört.

vipria (zu Arrogantia).  Sprich nicht so albern, schweig’!

arrogantia.  Warum?  Der Tee ist deine schwache Seite.

narr.  Sie hat ja so schon ihren Tee.

vipria (zu Arrogantia).  Erzürn’ mich nicht und schweig’!

arrogantia.  Was hast du zu befehlen mir?

vipria (heftig).  Ich will’s!

arrogantia (ebenso).  Ich nicht!

narr.  Sie fangen noch zu raufen an.

vipria (zu Arrogantia).  Ein andermal!  (Zu Hermione.)  Zu dir,
du freches Weib!

hermione.  Halt’ ein, das geht zu weit!  Soll denn Gewalt
nichts über euch vermögen?  Ergreift sie schnell!

alles (will auf sie zu).

beide (spannen ihre Bogen schnell).  Wer wagt’s?

distichon (zieht sich erschrocken zurück).  Ich nicht!

narr (auch).  Detto mit Obers.

vipria.  Entfernt euch schnell!  Wir lizitieren euer Leben.

(Mit gespanntem Bogen drohend.)

narr.  Die Lizitation wart’ ich nicht ab.  (Er läuft davon.)

odi.  Ich geh’ schon auf den ersten Ruf.  (Läuft ab.)

arrogantia (zu Distichon).  Nun?  Was zahlst du für das
deine?

distichon (schnell).  Das Fersengeld.  (Erschrocken ab.)

vipria (zu Affriduro).  Hast du für unsern Pfeil ein
überflüssig’ Leben?

affriduro.  Ich hab’ nur eins, das brauch’ ich selbst; leb
wohl!  (Ab.)

arrogantia (zu allen).  Und ihr?

alles.  Wir laufen schon.

(Alles in Verwirrung ab.)

vipria (triumphierend).  Ha, ha, ha!  Virtuosen in der Furcht.



7. Szene

hermione.  vipria.  arrogantia


arrogantia.  Verlassen stehst du nun.

vipria.  Erkenne unsere Macht!

hermione (weinend).  Wehe mir!

arrogantia (höhnend).  Was weinst du denn?

vipria (ebenso).  Du zartes Turteltäubchen, du!

hermione.  Auf euer Haupt zurück den Spott, ihr niedern
Zauberdirnen!  Entweicht auch ihr, vergiftet nicht den
Hain durch euren Hauch.

vipria.  So komm!  Wir wollen sie verlassen.

arrogantia.  Doch unser Haß bleibt ihr zurück.

vipria.  Und diese Flur, des Streites bunter Zeuge, die ihn
mit farb’gem Aug’ geschaut, verödet soll sie sein.
(Nimmt einen Stern hervor.)  Du auberstern, der finstern
Hekate entwendet, jetzt steh’ mir bei!  (Zu Hermione.)
Du liebest diesen Blumentempel?  So stürz’ ich seine
Säulen ein, und eine einzige Distel setz’ ich dafür hin,
Verwesung heißet sie; schau her!

(Der Garten stürzt zusammen, Sumpf und verdorrte
Bäume zeigen sich.  Raben sitzen auf den Ästen und flattern
in der Luft.  Das ganze ist ein grauser Anblick, der Wind
heult gräßlich.)

hermione (schaudernd).  Entsetzlich!

vipria.  Unersättlich werde meine Rache, gleich dem
Hunger des Erysichthons, überall will ich dich necken
und verfolgen, in jedem Grashalm will ich dich
belauschen.

arrogantia.  Aus jedem Unkraut strecke ich meinen Hals.

vipria.  Bis die Verzweiflung bittend dich zu meinen
Füßen reißt, dann erst ist Vipria versöhnt.  (Erschöpft.)
Ha, wie wird mir jetzt, ich bin zu schwach für meinen
Grimm.

arrogantia (sanft).  Du hast dich angegriffen, liebes
Schwesterchen, o stütze dich auf meinen Arm!

vipria (höhnisch).  Ich danke dir.  (Heimlich.)  Wie kommst
denn du zu dieser Zärtlichkeit?

arrogantia (beiseite).  Aus Bosheit, weil sie’s ärgert.  (Laut.)
Das macht die Eintracht unserer Herzen.  Wenn du
leidest, leid’ ich auch.

vipria (zart).  O gutes Kind!  (Umarmt sie zärtlich mit
durchbohrendem Blick auf Hermione.)  Wart, Schlange!
(Matt zu Arrogantia.)  Leit’ mich.  (Geht gestützt auf
Arrogantia ab.)



8. Szene

hermione allein


hermione.  O ihr Götter!  Wodurch verdient’ ich euren
Fluch?  Erniedrigt--und vor wem?  Vor meinem
eigenen Geschlecht.  Wenn’s noch ein mächt’ger
Zauberer wär’--doch daß es Weiber sind, die mich
besiegt, das kränkt mich gar so tief!  Und wenn ich,
gleich dem Argus, hundert Augen hätte, so würde
jedes sich mit Tränen füllen über diese Schmach.  O
Amphio, könntest du den Schmerz mir tragen helfen!
Doch halt!  Hat das Orakel nicht bestimmt: daß, wenn
ich einen Gatten wähle, die Macht der Zauberbrut
vernichtet ist?  Doch, darf ich meinem Volke sagen,
daß ich einen Hirten liebe?  Und kann ich einen
andern wählen?  Ich vermag es nicht.  Es sind nicht
Amors Rosenketten, die mich an ihn binden, eherne
Bande sind es, die mein Herz an seines schmieden.
Doch wie--hat Minerva mich berührt?--So gelingt es
--so muß er siegen!--So wird er mein, ich kann auf
seinen Geist vertrauen.  (Der Narr sieht zur Kulisse herein.)
Was suchst du, Narr?



9. Szene

narr.  Dann distichon.  affriduro.  odi.  volk.  vorige


narr.  Ich muß rekognoszieren.  Sie trauen sich nicht
herein.  Nur herein, ihr florianischen Helden, der
Feind ist fort, ihr habt gesiegt.

alles (kommt gelaufen und stürzt zu Hermionens Füßen).  Heil,
Hermione, ewige Treue geloben wir dir!

distichon.  Nur einen Augenblick hat uns die Furcht
besiegt; sie ist vorbei, jetzt bau’ auf unsre Kraft.

hermione.  Ich bau’ auf sie, wie auf die Reize dieser Flur.

alles (blickt hin).  Ha, was ist das?

hermione.  Ein blühend’ Bild von eurem Mut; er ist so
treu, wie dieser Sumpf, wer auf ihn baut, sinkt ein.
Darum will ich nicht länger ihm mein Wohl vertrauen,
ich befolge des Orakels Wunsch.  Noch heute abend
soll mein Land gerettet sein, ich will noch heute mich
vermählen, damit die morgige Sonne der Zauberinnen
Ohnmacht schon bescheint.  Affriduro, eile hin und
schmück’ den Tempel des Apoll’; in einer Stunde seid
ihr dort versammelt und höret meinen Eid: "Dem
reich’ ich heut’ noch meine Hand, der, bis die siebente
Stunde tönt, mir ein Gedicht ersinnt, das an Wert
hoch über allen andern steht." Es gelte gleich, welch’
Land ihn auch gezeugt, ob ihn ein Lorbeer schmückt,
ob er den Hirtenstab erwählt.  So fordre ich in die
Schranken eure Poesie; weil ihr nicht kämpfen könnt
um mich durch eurer Sehnen Kraft, so kämpft um
mich mit kräftigen Gedanken.  Die Phantasie trag’
euch die Fahne vor, Vernunft steckt auf den Helm,
der Witz sei euer Pfeil, die Verse stellt in dichte
Reihen, statt der Trompete laßt den Reim erklingen;
so rücket vor und kämpfet um den Preis:
Drei Kronen bietet er zugleich,
Mein Herz, den Lorbeer und dies Reich.  (Ab.)

affriduro (mit den Götzendienern zur entgegengesetzten Seite ab).



10. Szene

vorige ohne Hermione und Affriduro


mehrere.  Ha, jetzt gilt’s!

distichon (mit Emphase, schnell).
Dichtergeister!
Hört den Meister,
Spornt den Gaul,
Seid nicht faul;
Zieht vom Leder
Eure Feder,
Schreibt drauf los,
Der Preis ist groß.
Fortunens Blick
Verkündet Glück!

narr.  Auweh, zwick’, Jetzt wird ’s mir z’ dick!  Reim’ dich
oder ich friß dich.  Ha, ha, ha!

distichon.  Was lachst du, Schafskopf, Kalb, dem Mond
entsprungen?

narr.  Pfui der Schande!  Durch ein Gedicht müßt ihr die
Hand der Herrscherin erkämpfen, weil ihr so
furchtsam seid, daß ihr beim Anblick einer Spinne
lauft.  O ihr Heroen der Vorzeit!  Nehmt euch doch ein
Beispiel an dem Theseus von Canova, der hält den
Minotaurus schon zehn Jahr’ beim Schopf und laßt
ihn noch nicht aus.  Das ist ein Held!
Und ihr Wichte
Schreibt Gedichte
Voll Gewinsel!
O ihr Pinsel
Dieser Insel!
Apoll’, du Zechmeister aller Dichter, schlag ihnen
deine Leier um den Kopf, ihre Väter schamen sich im
Grab!

distichon.  Mein Vater war ein Held.

narr.  Der meine auch, er war Hanswurst und hat den
Harlekin geprügelt.

odi.  Wir sind es auch.

narr (ruft erschrocken).  Die Zauberschwestern!

alles (will erschrocken davonlaufen).  Hilfe!

narr.  Ha, ha!  Probatum est.  O ihr Schmucknadeln, zum
Zittern seid ihr auf die Welt gekommen.  Einen Esel
laßt euch bauen, so groß, wie das Trojan’sche Pferd,
und schlieft’s mit eurer Tapferkeit hinein.

distichon.  Nein, das wird zu arg!
Auf, ihr Brüder
Hoher Lieder,
Schlagt ihn nieder!

(Alle prügeln auf ihn.)

narr (indem er fällt).  Jetzt schreiben s’ ein Vers auf meinen
Buckel.

odi.  Triumph, das Ungeheuer ist besiegt!

distichon.  Ich hab’ ihn auf das Haupt geschlagen!

odi (schadenfroh).  Ich gab ihm in die Rippen ein’s.

distichon.  Wir lassen uns in Kupfer stechen.

alle.  Es lebe Distichon, der tapf’re Held!

(Alles ab.)



11. Szene

narr allein, seinen Rücken reibend


narr.  Das Schlachtfeld ist leer.  Ah, das nenn’ ich ein
Treffen!  Jeder hat getroffen, keiner hat g’fehlt.  Aber
dem Verdienste seine Kränze, einer ist dabei, der
kann’s; wann das ein Dichter ist, der hat eine
shakespearische Kraft!  (Überdenkend.)  O Schicksal
eines Narren!  Geboren auf Österreichs fetten Triften,
studiert bis an den Hals, dann Kammerdiener eines
span’schen Lords, vom Schiffbruch ausgespuckt an
diesen Strand der Feigheit und der Ochserie.  Aus
Gnaden haben sie mich zum Hofnarren
aufgenommen, mich, der ich mehr Witz in meinem
Daumen hab’ als alle Köpfe dieses Fabellandes seit
hunderttausend Jahr’.  Und nun zu euch, ihr gift’gen
Zauberkröten, denn Frauenzimmer seid ihr nicht;--
Respekt vor allen andern Frauenzimmern!  Ehret die
Frauen, sie flechten und weben--Punktum!  Das andre
fällt mir nicht mehr ein; aber das sind keine
Frauenzimmer, das sind Töchter des liebenswürdigen
Zerberus und der reizenden Hydra.  Darum beschwör’
ich euch, ihr vier Winde des Himmels, blas’t mir alle
Krankheiten dieses schwindsüchtigen Jahrhunderts
auf einen Haufen zusammen und überlaßt sie mir zu
meiner Disposition.  Herbei, ihr zwölf Monate dieses
tiefbeleidigten Jahres, ich will einen Kalender
zusammenfluchen und euch ein Neujahrsgeschenk
damit machen:

Ganz leicht beginn’ der Januar
Mit Schnupfen, Halsweh und Katarrh;
Des Abends sanftes Gliederreißen,
Daß sie vor Schmerz die Lippen beißen.
Dann werd’, weil beide eitel sind,
Die eine taub, die andre blind,
Und ihre niedlichen Gefriesel
Bedeck’ ein scharlachroter Riesel.
Dem Februar laß ich die Wahl,
Zu sinnen eine eigne Qual.
Die Gicht ist schön, doch wünscht’ ich lieber
Die Bleichsucht oder ’s gelbe Fieber.
März und April bringt Seitenstechen,
Der Mai muß sich durch Krämpfe rächen;
Im Juni Regen allenfalls,
So hab’ns die Wassersucht am Hals.
Im Juli ist Sommerszeit,
Wo man auf grüner Flur sich freut:
Nur ihnen blüh’ kein schönes Tal,
Die ganze Welt sei ihr Spital.
August, da werd’ ihr Hunger heiß,
Doch bleib’ ihr Magen kalt wie Eis;
Nichts hemme ihrer Eßsucht Lauf,
Vielleicht frißt eine d’andre auf.
September streu’ vergift’ten Tau,
Der färbe ihre Haare grau;
Oktober ruft das Blatt nach Haus,
Da brechen ihre Zähne aus;
November fällt ihr Namensfest,
Da schick’ zum Bindband ich die Pest,
Und bis Dezember kommt herbei,
Sind schon in Zügen alle zwei.
Doch noch ist nicht der Spaß verdorben,
Kaum glauben sie, sie sind gestorben,
So speien sie, der Welt zum Graus,
Aufs neu’ zwei gift’ge Drachen aus.
So drück’ auf ihre Qual die Zeit
Das Siegel einer Ewigkeit;
Den Wunsch bringt froh zum neuen Jahr
Mein gutes Herz den Schwestern dar.

(Ab.)


verwandlung

(Romantisches Tal.  Weiße Lämmer weiden auf den Hügeln,
Amphio sitzt auf einem Steine und bläst ein sanftes Lied auf
seiner Flöte.  Im Vordergrunde befinden sich zwei steinerne
Wassernymphen auf Postamenten, in Lebensgröße, welche auf
Wasserurnen ruhen.)



12. Szene

amphio allein


amphio.  Wo weilst du heute, hohe Phantasie, daß sich dein
Bild noch nicht auf blauem Äther malt und mit den
bunten Schwingen zu mir niedertaucht?  So wie der
Arzt den Kranken jeden Tag besucht, so schwebst du
jeden Morgen zu mir nieder, zu heilen meinen
liebekranken Geist.  Durch dich begeistert sang ich
jene Lieder, die mir das Herz der Königin errangen;
dir verdanke ich die schöne Hoffnung, an Hermionens
Hand zu herrschen über dieses Reich.  Ihre Liebe
nenn’ ich mein, sie selbst gestand es mir.  Nun will ich
meinen Rang entdecken, um heimzuführ’n die
königliche Braut; doch dir muß ich’s vorher vertrauen,
hohe Phantasie, du hast den wilden Mut in mir
gezähmt, zum stillen Hirten mich gemacht, und nur
dein Rat soll mich bestimmen, ob ich den Schleier
ziehen darf von dieser Täuschung Bild.  Doch, was seh’
ich?  Eine andre Sonne strahlt mir dort entgegen,
Hermione ist’s, die über jene Hügel eilt.  Ist’s Freude,
ist es Angst, die ihre Schritte so beflügelt?



13. Szene

voriger.  hermione.


amphio (eilt ihr entgegen und sinkt zu ihren Füßen).  Gebieterin!

hermione (spricht die ganze Szene schnell und unruhig).  Heut’
bin ich’s nicht; ich hab’ die Herrschaft abgetreten an
die Zeit, ein Sklave bin ich meiner Eile.

amphio.  Mir bangt um dich.  Was kämpft in dir?

hermione.  Vertrauen gegen Furcht.  Mein Volk, der
Zaubernymphen Wut, Apollo selbst befiehlt, daß ich
mein Herz noch heute binden muß.

amphio.  Dein Herz?  Ist es noch dein?

hermione (sanft).  Du weißt es ja.--Doch meine Hand--

amphio.  Weh’ mir!

hermione.  Sei ruhig, Amphio!  Ein schöner Sieg winkt
deinem Geist.  Von dem Gedicht, das du mir gestern
überreicht, aufs neue überzeugt, daß du gegen alle
Dichter meines Reichs ein Krösus bist an Phantasie,
hab’ ich, dich heute abend noch Gemahl zu nennen,
den kühnen Schwur gewagt: "Wer bis zur siebenten
Stunde mir die schönste Dichtung liefert, erhält noch
heute meine Hand und dieses Reich."

amphio.  O wie beglückst du mich!  (Beiseite schnell.)  Ha,
Wink der Phantasie!  Die Dichtkunst soll allein den
hohen Preis erringen!  Nein, ich entdecke mich noch
nicht.  das höchste Glück soll durch mich selbst mir
werden.

hermione.  Was vertrauest du den Lüften deine Worte?
Bist du verwirrt?

amphio.  Verzeih’, die Freude tanzt mit meinen Sinnen.
Vertrau’ auf mich und meiner Liebe Kraft!  Mein wird
der Sieg, ich kämpfe ja um dich, darum ist das Gefühl
der Dichter deines Landes ein Tau gegen das Meer
meiner Empfindungen.

hermione.  Ja, ich vertraue dir.  Die Hoffnung schwingt die
gold’ne Fahne!  Doch jetzt leb’ wohl; ich eile in den
Tempel, um zu bekräftigen den Schwur, und wenn die
Sonne sinket in des Meeres Silberschloß, so sink’ ich
dir, dem Sieger, dankend an die Brust.  Doch jetzt
entflieh’, man suchet mich; dann eile nach dem
Tempel hin, dort wird durch des Orakels Mund des
Preisgedichtes Stoff dir kund.

amphio.  Leb’ wohl, vertrau’ auf mich!  (Entfernt sich schnell.)



14. Szene

Der narr.  Dann affriduro und inselbewohner.  vorige


narr.  Verzeih’, ich bin vorausgeeilt, dich tiefergebenst
abzuholen.
hermione.  Kömmst du allein?

narr.  O nein!  Ein Narr bringt zehn.  (Deutet in die Szene.)
affriduro (tritt auf und verbeugt sich).  Ich bin der zweite--
(kleine Pause.)  der die Nachricht bringt, daß dich Apoll
erwartet.

(Neun Inselbewohner treten auf, verbeugen sich und stellen
sich auf einer Seite fünf, auf der andern vier, daß Affriduro
der fünfte ist.)

narr.  Ich halte Wort, die Zahl ist voll.

hermione.  So folget mir!  (Alles ab.)

narr.  Ihr Narren geht voraus, der Weise folget nach.  (Geht
gravitätisch nach.)



15. Szene

(Die beiden liegenden Statuen verschwinden und statt ihnen
liegen die Zauberschwestern in der nämlichen Stellung auf den
Postamenten, springen erzürnt auf und gehen auf und ab.)


vipria.  arrogantia


vipria.  Nein, das ist zu viel!  Einen Hirten liebt sie!  Das
hat die Sonne nicht erlebt.  Ist er denn wirklich schön?
Ich hab’ ihn nicht genau betrachtet.

arrogantia.  Er hat ein glänzend’ Aug’.

vipria.  Im Ernst?

arrogantia.  Und Lippen wie Rubin.

vipria.  Da hätt’ er sich in uns verlieben sollen, nicht in sie.

arrogantia.  Der Meinung bin ich auch.

vipria.  Sie darf ihn nicht besitzen!--Wie verhind’re ich
es?

arrogantia.  Ach, sinne, Schwesterchen!  ich bitte dich.

vipria.  Geduld!--Durch ein Gedicht soll ihre Hand ihm
werden, ist es nicht so?  Das Dichten muß man ihm
verleiden.  Doch wie?  Ich frag’ dich, Zauberstern!
(Zieht den Stern heraus und sieht hinein, fährt auf.)  Hollah!
Was spiegelt sich in dir?  Was schwebt da in des
Himmels Blau?  Blick’ auf!

arrogantia (blickt in die Luft).  Ein Adler ist’s.

vipria.  Du irrst, es ist die Phantasie, sie kömmt zu
Amphio, sie hat ihm Hermionens Hand gelobt.

arrogantia.  So sagte er.

vipria.  Jetzt lebt es auf in mir; mein Plan ist reif!  Wir
fangen sie und sperren sie dann ein, dann will ich
sehen, wer ein Gedicht hier schreibt.

arrogantia.  Ich habe viel Verstand, doch dich versteh’
ich nicht.

vipria.  Begreif’s!  Wer dichtet denn?  Die Phantasie ist’s,
die Gedanken schafft.  Wir halten sie gefangen, dann
fällt keinem Dichter etwas ein.

arrogantia.  Also wird auch kein Preisgedicht gemacht?

vipria.  Es wird gemacht, heut’ abend noch, doch zwingen
werde ich die Phantasie, den zu begeistern, den ich für
Hermione zum Gemahl bestimmt, und wie der
aussehen wird, das kannst du dir wohl denken; und
nehmen muß sie ihn, wenn er das Beste liefert: sie
schwört’s in diesem Augenblick im Tempel des
Apoll’.

arrogantia.  Ein schöner Plan!--verbergen wir uns jetzt!
vipria.  Flieg’ nur, mein Vögelchen, du fliegst in unser
Netz.

(Beide verbergen sich, die Statuen erscheinen wieder an
ihrer vorigen Stelle, das Ritornell der Arie beginnt.  Die
Phantasie schwebt mit ausgespreiteten irisfarbigen Flügeln
auf rosigem Nebel nieder.)



16. Szene

die phantasie allein


phantasie.
Arie.
Ich bin ein Wesen leichter Art,
Ein Kind mit tausend Launen,
Das Nied’res mit dem Höchsten paart,
’s ist wirklich zum Erstaunen.
Kurzum ich bin ein Kraft-Genie:
Sie sehn in mir die Phantasie.

(Ans Publikum.)

Wenn rauhe Wirklichkeit auch gleich
Verwundet Ihre Herzen,
So flüchten Sie sich in mein Reich,
Ich lind’re Ihre Schmerzen;
Denn alles Glück, man glaubt es nie,
Am End’ ist’s doch nur Phantasie.
Im dichterischen Übermut
Durchschweb’ ich weite Fernen,
Ich steck’ die Sonne auf den Hut
Und würfle mit den Sternen;
Doch vor des Beifalls Melodie
Verbeugt sich tief die Phantasie.

(Sich tief verneigend.)

Es ist doch wahrlich eine Schande, daß die Phantasie,
die von oben stammt, als Unterhändlerin in einem
Liebesroman erscheint.  Apollo selbst will dieses
Pärchen einen; denn unter uns gesagt, er ist ein eitler
Man, wie viele Dichter sind, und Hermionens Schwur,
nur einem Dichter zu gehören, hat ihn so sehr
entzückt, daß er mir befahl, ihr einen Würdigen zu
bilden, zu bilden: weil gewöhnlich die gebildetsten
Dichter die ungebildetsten Ehemänner sind.  Hier
kömmt mein Kandidat, ich will ihn doch ein wenig
aufziehen.



17. Szene

amphio.  Die phantasie


phantasie.  Nun, mein dichterischer Freund, wie haben
wir uns aufgeführt?  Hat unser gestriges Gedicht
Amors Bande fester geknüpft?

amphio.  Auf ewig sie zu binden steht in deiner Macht.

phantasie.  Ich armes Kind soll andere vermählen, und für
mich selbst wird Hymens Fackel niemals leuchten.

amphio.  Wer würde deine Hand verschmähen?

phantasie.  Ach, ihr güt’gen Götter, die Männer fliehen ja
schon in jetziger Zeit, wenn ihnen ein Mädchen
gesteht, daß sie 20 Jahre alt sei, wie würden sie erst
wettrennen, wenn ich gestehen müßte, daß ich schon
so viele tausend Jahre auf der Welt herumfliege.
Nichts, nichts, ich bin eine Tochter der Luft, und
lüftige Personen sind nicht zum Heiraten geneigt.  Was
kümmern mich die Männer dieser ird’schen Welt?
Was gilt mir selbst ein menschlicher Apoll’?  Ich bin
die Phantasie; der höchsten Schönheit Bild kann ich
mir selbst erschaffen, nach Adonis’ reizender Gestalt
form’ ich aus ros’gem Äther mir den Bräutigam, seine
Muskeln stähl’ ich durch die Kraft des Herkules, in
sein Gehirn leg’ ich Minervens Weisheit ihm, der
Zunge schenk’ ich die Beredsamkeit der Polyhymnia,
in seine Brust gieߒ ich Selenens Sanftmut aus.  So
bild’ aus Götterkräften ich mein Ideal und flieh’ mit
ihm nach einer Himmelswelt in unbekannte Sphären,
dort bau’ ich Amors Tempel auf von glänzendem
Rubin, und laß von tausend Sonnen ihn bestrahlen,
dann raub’ ich dem Saturn die Sichel seiner Zeit und
breche sie ob unserer Lieb’ entzwei, damit mir jeder
Kuß zur ew’gen Wonne wird.

amphio.  Du scherzest, du weißt nicht, wie poetisch wichtig
diese Stunde ist.

phantasie.  Beleidige mich nicht!  Ich selbst hab’ heute
Hermione zu dem Entschluß begeistert, ein
Preisgedicht zu fordern, damit nur einmal dieser
langweilige Liebeshandel sein Ende erreicht.

amphio.  O dann wirst du mir auch deine Hilfe nicht
versagen, der heut’ge Tag entscheidet.

phantasie.  Du bist doch noch bescheiden, du nimmst
meine Hilfe nur bei Tage in Anspruch, aber manche
Dichter sind so wahnsinnig, die ganze Nacht zu
schreiben, und wenn die Phantasie nicht gleich auf
dem Tintenfasse sitzt, so beschwören sie mich durch
Punsch und Champagner, daß ich erscheinen soll, und
wer kann der Einladung eines so artigen Franzosen,
wie der Champagner ist, widerstehen?  Ich nicht!

amphio.  In jenem Tempel schwört die Herrscherin.  Ich
eile, um dir zu berichten, was wir zu besingen haben.
Wie freu’ ich mich, wie bebe ich!  Ach, wie quälend ist
dieser Wechsel von Freude und Furcht.

phantasie.  Ach, wie quält dich dieser kleine Wechsel, und
wie gerne würde mancher mit dir tauschen, der heute
einen recht großen auszuzahlen hat.  Die Freude ist ein
Handelshaus, sie muß wechseln, denn im Wechsel
liegt Freude.  Doch um dich zu beruhigen, will ich dir
einen Wechsel ausstellen an das große Wechselhaus
Amor et Compagnie, nun, der wird dir doch sicher
sein?  Denn wenn die Liebe zu zahlen aufhört, dann
macht die Welt Bankrott.  So geh’ denn hin und hole
den Stoff, die Phantasie bleibt hier zurück, und wenn
du wiederkehrst, umschling’ ich deinen Geist, und
fertig ist das kindische Gedicht.

amphio.  Und wird es Hermionens Hand erringen?

phantasie.  Ich schwör’ es dir bei Schillers Haupt, in dem
ich lang gewohnt.

amphio.  Ich trau’ auf diesen Schwur.  (Sinkt ihr zu Füßen.)

phantasie (hebt ihn auf).  Komm bald, ich harre dein.

amphio (ab).

phantasie.  Heute habe ich einen fröhlichen Tag.  Wie
wohl ist der Phantasie, wenn sie vom Versemachen
ruh’n und in ungezwungener Prosa sprechen kann.  (Sie
singt eine lustige Rossinische Melodie.)  Die Phantasie kann

alles.  (Hüpft herum.)  Sie ist ein mutwilliges Geschöpf.



18. Szene

vipria und arrogantia.  Erstere mit Pfeil, letztere mit Bogen und
Pfeil.  vorige


vipria (tritt der Phantasie in den Weg).  Halt’ an!  Qui vive?

phantasie.  Bon amie, die Phantasie.

vipria.  Nichts passiert!  Gib dich gefangen, bunter Rabe!

phantasie.  Doch nicht so leicht.  (Entreißt ihr den Pfeil und
verwundet sie.)

vipria.  Verdammte Schlange!  (Hält sich den Arm.)

phantasie (eilt auf einen kleinen Hügel und macht Miene zum
Auffliegen).  Du Hexe, denk’ an mich!

arrogantia (hat den Bogen gespannt und schießt die Phantasie in
eine Achsel, an der der Flügel verwundet wird).  Und du an
mich!

phantasie (sinkt).  Weh’ mir, das traf!

vipria (schadenfroh).  Fort mir ihr!

phantasie.  O unglücksel’ges Los!

arrogantia.  Jetzt kennst du mein Geschoß.  (Beide fesseln
sie.)

vipria.  Sperr’ in den Käfig sie; ich such’ ihr einen Dichter
aus.

arrogantia (zieht die Phantasie an den Fesseln fort).

phantasie.  Apollo!

arrogantia.  Folge mir!  (Arrogantia mit der Phantasie ab.)

vipria (allein).  Umhülle mich, magische Finsternis!
(Schwarze Wolken fallen ein, die in der Mitte einen Stern bilden,
es wird Nacht.)  Jetzt, Zauberstern, entehre deinen Glanz
und strahl’ Gemeinheit ab und Häßlichkeit, wie sie
mein rachetrunk’ner Sinn begehrt.  (Der Stern öffnet sich,
man sieht das farbige Transparentbild des Harfenisten, mit
seiner Harfe sitzend, an der Wand.)  Ha, ha, ha!
Willkommen, Fratzenbild, dich ernenne ich zu ihrem

Gemahl.  (Ein Wagen, mit sechs Raben bespannt, statt der
Laternen zwei Fackeln, erscheint.)  Durch die Lüfte fort,
damit ich es schnell entführe, dies Werk einer
hypochondrischen Stunde der Natur!  (Fliegt ab.)


verwandlung

(Das Innere eines Bierhauses.  Verschiedene Gäste an Tischen;
der Schuster, der Spengler, der Fiaker, ein Fremder, der Wirt.
Seitwärts eine Kredenz mit Zimenten.  Rückwärts hängt ein
Kästchen von schwarzem Papier, worauf transparent zu lesen
ist: "Heute spielt der berühmte Harfenist Nachtigall." Kurze
passende Musik zur Verwandlung.)



19. Szene


mehrere gäste.  Aber was ist denn das, Herr Wirt?

wirt.  Ich bitt’ Sie, meine Herren, sind S’ nur nicht bös,
daß der Harfenist noch nicht da ist; mit dem
Menschen ist’s nicht zum Aushalten.

schuster.  Wenn er nur nicht so grob wär’ mit den Gästen.

spengler.  Nein, das ist just recht, da hat man was z’
lachen über ihn, er hat gute Einfälle und so wahr.
schuster.  Den Herrn hat er neulich ein’ Esel g’heißen,
das war ein guter Gedanken.

wirt.  Ja, es ist wahr, er ist der zweite Narrendattel.  Ich
hab’ eine Menge Gäst’ wegen ihm.  Den Leuten g’fallt
sein’ Grobheit; aber er übernimmt sich.  Ich hab’ ihm’s
schon g’sagt, wie er noch wen beleidigt, muß er
ausbleiben.

fremder.  Ist das der Harfenist, der gestern g’sungen hat?
Der kann ja gar nichts!  Da wird jetzt ein anderer
kommen aus Linz, den werden s’ hören.  He, Kellner,
eine Portion Schafköpfel!

kellner.  Gleich, Euer Gnaden!--Der Nachtigall kommt!
alle.  Nun, endlich einmal!



20. Szene

vorige.  nachtigall karikiert gekleidet, mit der Harfe
nachtigall.


Lied.
Nichts Schöner’s auf der ganzen Welt
Als wie ein Harfenist,
Wenn er nur seinen Gästen g’fällt
Und all’weil lustig ist.
Trinkt er sich auch ein Räuscherl an,
Dann singt er erst recht frisch,
Und wenn er nimmer singen kann,
So fallt er unter’n Tisch.
Er hat nur für sein’ Harfen G’fühl,
Sie ist sein Weib sogar,
Die kann er schlagen, wie er will,
Die fahrt ihm nicht in d’ Haar.
So singt er sich durch’s Lebensjoch,
Und wird er einst kaputt,
So sag’n die werten Gäste noch:
Er war ein Haupt-Adut.

kellner (setzt ihm einen Stuhl in die Mitte der Bühne).
wirt.  Aber warum denn gar so spat?  Herr Nachtigall?

nachtigall.  Ich bitt’ um Verzeihung, ich hab’ Kopfweh
g’habt, ich hab’ mich ang’schlag’n.  Ich hab’ gestern
einen Rausch g’habt, und unser Hausmeister, wenn
man um zwölf Uhr anläut’t, so macht er erst um eins
auf--und da hab’ ich mich derweil ans Tor angelehnt
und hab’ eing’schlafen; auf einmal macht er gäh’ auf,
und ich lieg’ nach aller Längst beim Tor drin, ihn
schlag’ ich nieder und mich schlag’ ich auf.

fiaker.  Weil Er halt wieder ein’ Rausch g’habt hat, jetzt
nur anfangen!

nachtigall.  Gleich!--Hansel, mein’ Kolophoni zum
Halsschmieren.

kellner.  Weiß schon.  (Beiseite.)  Das sind sechs Maß Bier.

nachtigall.  Und den Zinnteller zum Einsammeln.

fremder.  Kellner!

nachtigall.  Aha!  Bist schon da, Vogel!  Heut’ setzt es
was.

fremder.  Wann krieg’ ich denn einmal meinen
Schafskopf?

nachtigall.  Nu, so gebt’s dem Herrn sein’ Schafskopf,
laßt’s die Leut’ nicht so lang ohne Kopf dasitzen.

kellner (bringt das Schafsköpfel).

wirt.  Er fangt schon wieder an.  Herr Nachtigall, ich rat’
Ihm’s!

nachtigall.  Herr Wirt, mit dem gibt’s ein Streit, ich
kenn’ ihn, er will mich ums Brot bringen.

wirt.  Untersteh’ Er sich.

nachtigall.  Nutzt nichts.  Ich bin ein streitbarer Mann,
g’stritten wird!

wirt.  Wenn Er mir ein’ Gast beleidigt--

nachtigall.  Er ist kein Gast, ich werd’ ihm’s schon sagen,
warum?

fiaker (mit der Peitsche).  Anfangen einmal, und a bissel was
Neues singen!

nachtigall.  Allemal!  (Singt und spielt die Harfe).

Lied.
He!  Brüderln, wollt’s recht lustig sein,
Es kost’ euch nicht viel Geld,
Da spannt’s nur eure Rappeln ein
Und fahrt’s ins Lerchenfeld.
Da ist ein neues Wirtshaus drauߒ,
Das heißt beim gold’nen Affen,
Da schaut der Wirt beim Fenster ’raus
Und fragt gleich, was wir schaffen?
He!  Brüderln, wollt’s etc.

chor.  Bravo, Harfenist!  O bravo, Harfenist!

nachtigall.
Die Wirtin hat gar feinen Sinn,
Und heißt die schöne Franzel,
Geboren ist sie in Berlin,
Erzogen ist’s beim Schanzel.
Der Wirt ist gar ein flinker Mann,
Bedient die Gäst’ gar schleuni,
Schafft einer was um sieb’n Uhr an,
So bringt er’s erst um neuni.
Die Wirtin hat gar etc.

chor.  Bravo, Harfenist!  O bravo, Harfenist!

nachtigall.
Der Wirt, der halt aufs Wasser viel,
Er sagt: das macht recht munter,
Und weil ein jeder Bier hab’n will,
So schütt’ er g’schwind eines d’runter.
Ein Extrazimmer hab’ns, a schön’s,
Das braucht der Wirt alleini,
Da füttern’s Hend’l und die Gäns’,
Ein Gast darf gar nicht eini.
Der Wirt, der halt etc.

chor.  Bravo, Harfenist!  O bravo, Harfenist.

nachtigall.
Auch stellt ein Harfenist sich ein,
Der singt die schönsten Lieder,
Und kommt ein’ schöne Köchin ’rein,
Klopft er sie gleich aufs Mieder.
Und setzt es eine Rauferei,
Die Leut’ hab’n z’viel Courage:
Da singt der Harfenist halt glei,
Ah, das ist a Bagage!
Auch stellt ein Harfenist etc.

chor.  Bravo, Harfenist!  O bravo, Harfenist!

nachtigall.
Drauf spielt er aus ein’ ander’m Ton,
Gar à la Paganini,
Jetzt geht erst der Spektakel an,
Die Gäst’ werd’n völlig wini.
Um zwölf Uhr, da heißt’s umgesteckt,
Und alles muß nach Haus,
Da kommt der Kellner voll Respekt,
Und wirft die Gäst’ hinaus.
Drauf spielt er aus ein’ etc.

chor.  Bravo, Harfenist!  O bravo, Harfenist!

fremder (lacht laut).  Das ist nicht zum Anhören.  Kellner,
zahlen!

nachtigall (hört plötzlich auf).  Ah, heut’ kommst mir nicht
aus.  (Nimmt den Sammelteller und geht damit herum.)  Haben
Sie die Güte, meine Herren!  (Zu dem Fremden.)  Sie, ich
bitt’ untertänig.

fremder.  Was gibt’s?  Er hat ja noch nichts g’sungen.

nachtigall.  Ich hab’ ja just aufg’hört.

schuster.  Ja, aber der Herr hat schon eher aufg’hört, eh’
der Herr ang’fangt hat.

nachtigall.  Das geht mich nichts an, er hat gestern zwei
Lieder b’stellt und hat nix bezahlt.

fremder.  Impertinent!

nachtigall.  Sie sind impertinent!

fremder.  Fahr’ Er mir nicht auf!

nachtigall.  Fahren Sie mir nicht ab!

fremder.  Just nicht!  Kellner, zahlen!

nachtigall.  Nichts Kellner zahlen, Harfenisten zahlen!

schuster.  Ruhig, der Herr hat recht; wer wird eh’ zahlen,
eh’ man was hört?  Ich trag’ als Schuster die War’ ins
Haus und krieg’ oft kein Geld, viel weniger vorhinein.

nachtigall.  Warum ist der Herr ein Schuster worden?
Dem Herrn sein’ War’ treten die Leut’ mit Füßen,
aber ich leid’ das nicht.  Das ist ein verkleid’ter
Harfenist von Linz, der will mich ausstechen.

fremder.  Das ist erlogen.  (Wirft ihm ein Stückel Geld hin.)  Da
hat Er, und jetzt marsch!

nachtigall.  Nichts marsch, halt!  wird kommandiert.  Da
haben Sie Ihre zwei Groschen, mit denen kaufen Sie
mir die Grobheiten nicht ab, die ich Ihnen heut’ noch
antun will.--Über meine Stimm’ haben Sie
g’schimpft?  Sie haben g’sagt: ich heiߒ deswegen
Nachtigall, weil d’ Leut immer ein’ Gall’ haben, wenn
ich auf die Nacht sing’.

fremder.  Kerl, ich nimm mein spanisches Rohr und--

nachtigall.  Was?  Für deutschen G’sang wollen Sie
spanische Schläg’ hergeben?  Wenn Sie ein g’schickter
Harfenist sein, so lassen Sie ein paar tüchtige Triller
heraus; aber Sie sind ein Sänger der Vorzeit, der in
der jetzigen nichts mehr kann.

fremder.  Meine Herren, nehmen Sie sich um mich an, ich
bin ein Reisender.

nachtigall.  Und ich bin ein Rasender.  Und wenn Sie
noch so weit gereist sind, in meinen Augen sind Sie
doch nicht weit her.

wirt.  Jetzt sei der Herr still, oder ich red’ aus einem
andern Ton.

nachtigall.  So stimmen Sie einen an!  Ich red’ einmal aus
dem F.

wirt.  Ich sag’ drauf G.  (Zeigt auf die Tür.)

nachtigall.  Was G!  Solche Buchstaben stoßen sie aus?
Ah, jetzt muß ich als Harfenist andre Saiten aufzieh’n.
schuster.  So, jetzt geht er über’n Wirt auch.

wirt.  Ich verbiet’ Ihm mein Haus ganz.

nachtigall.  Das können Sie nicht ganz, weil Sie noch die
Hälfte drauf schuldig sein.  Übrigens sind Sie in
meinen Augen ein braver Mann, aber Ihr Bier ist
nichts nutz.

wirt.  Weil Er seine Grobheiten nicht aufgibt, so geh’ Er
gleich.

nachtigall.  Weil ich meine Grobheiten nicht aufgib’, so
bleib’ ich gleich.  Allen Respekt vor meine verehrten
Gäst’; aber meine Herren ich fordere Sie bei Ihrer
Ehr’ auf, können Sie mir etwas Höfliches nachsagen?

alle.  Nein, das ist wahr.

nachtigall.  Sehen Sie, nur eine Stimm’.  Ich bin ein
gerader Mann, ich laß mich kerzeng’rad bei der Tür
hinauswerfen, ich geh’ doch wieder herein; ich weiß
schon warum; aber zwei Leirer in einem Wirtshaus
tun nicht gut.  Das ist ein Harfenist, der muß hinaus!

alle.  Er muß hinaus!

nachtigall.  Ich will sehen, wer mich aus dem Haus
bringt.



21. Szene

(Die Kellerei verwandelt sich in eine finstre Wolke, aus der
Vipria tritt.)


vorige.  vipria

vipria (stark).  Ich!

nachtigall.  O Jegerl, der Mon-Mon!

(Sie verschwindet mit Nachtigall.  Feuer strömt aus der
Erde.)

alle (in Staunen).  O Spektakel, was ist das?

(Heftiger Donnerschlag.  Ein Blitzstrahl fährt schief über
die Hinterwand und spaltet sie, so daß die untere Hälfte
eine Art Dreieck bildet.  Der obere Teil stürzt ein, und man
sieht in lichter Ferne ganz im kleinen einen Wolkenwagen
mit Nachtigall und Vipria schweben, während es vorne
finster bleibt.)

(Die Kurtine fällt.)

(Ende des ersten Aufzuges.)




II. Aufzug

(Romantische Gegend vor dem kolossalen Palaste der
Zauberschwestern.  Zwei weiße Löwen liegen vor dem
Eingange.  Vipria sinkt unter leiser Musik mit Nachtigall in
ihrem Wolkenwagen nieder, sie streiten noch während dem
Niedersinken.)



1. Szene

vipria.  nachtigall


nachtigall.  Lassen S’ still halten, ich bleib’ einmal nicht.

vipria.  Schweig!

(Der Wolkenwagen ist am Boden; Nachtigall springt
erzürnt heraus.)

nachtigall.  Wann ich aber nicht will!  Da haben wir’s,
jetzt geht s’ mit mir in einem Land nieder, wo ich gar
nimmer z’Haus find’, da muß ich verhungern.  Das ist
eine unwirtbare Insel, wo soll ich da einen Wirt
finden, der einen Harfenisten braucht?

vipria.  Beruhige dich, ich werde schon deine Tafel
besorgen.

nachtigall.  Sie?  Nun da hab’ ich schon gegessen, wenn
ich das hör’.  Sie führen mich nimmer an.

vipria.  Die Zunge halt’ im Zaum, Räson nimm an.

nachtigall.  Was Räson!  Ich räsonier’ genug.  Wie können
Sie eine ordentliche Person sein?  Sie kommen ganz
allein ins Wirtshaus, wie ein Husar, packen mich auf
und entführen mich, mich unschuldsvollen Mann,
schamen Sie sich nicht?

vipria.  Ich habe dich zu deinem Glück entführt.

nachtigall.  So?  Und da kommen Sie mit der Equipage?
Da kommt man mit sechs Rappen, aber nicht mit
sechs Raben; da muß einer ja rabiat werden.

vipria.  Und doch werd’ ich dich hoch erheben.

nachtigall.  Ich bedank’ mich für eine solche Erhebung,
wenn ich in der Luft oben häng’, und fliegen die
Raben um mich herum.  Wollen Sie ein Rabenbratel
aus mir machen?

vipria.  Ein Bettler bist du jetzt, ein Krösus sollst du
werden.

nachtigall.  Ah, da muß ich bitten, jetzt heißt s’ mich gar
einen Bettelmann?  Haben Sie meine glänzenden
Verhältnisse nicht bemerkt?  Haben Sie nicht g’hört,
wie mich der Wirt auf den Glanz hergestellt hat?  Jetzt
werden Sie gleich mit mir gehen und werden mich an
ein’ Ort führen, wo ich Sie verklagen kann.

vipria.  Den Löwen schenk’ ich dich zum Mahl, wenn du
dich nicht in meinen Willen fügst.

nachtigall.  Was für Löwen?  (Sieht sich um und erblickt das
Gebäude samt den Löwen; erzittert.)  O sapperment, das
sind zwei Bologneserl.  (Auf einen Löwen deutend.)  Das
eine muß ein Weibel sein, sie kokettiert auf mich.
Jetzt zieh’ ich andre Saiten auf.  (Fällt auf die Knie.)
Verehrteste, ich bin jetzt, was Sie wollen; ich bin ein
Bettelmann, ein Bettelweib, eine ganze Bettelfamilie,
wenn Sie befehlen; ich bitt’ gar schön, schenken S’ mir
nur ein bissel mein Leben.

vipria.  Steh auf!  Gib Augen deiner blinden Furcht und
sieh dich um im Vaterland der Blumen.

nachtigall (bleibt knien).  Ich weiß es; ich bin voll Respekt;
ein schönes Land, ich küss’ ihm die Hand, und
blumenreich!  Mir hat’s von weitem schon g’fallen, ich
hab’s für ein großes Garteng’schirr g’halten.

vipria.  Entzückt dich nicht der Wohlgeruch?

nachtigall.  Das glaub’ ich, die Woll’ riecht sehr gut, das
ganze Land ist ein völliger Pomadetiegel!

vipria (beiseite).  Der Narr taugt ganz für meinen Plan.
(Laut.)  Steh auf!  Dies Land ist nicht so unbewohnt, als
du es wähnst, hier atmen Tausende, und über sie
herrscht eine junge und eine schöne Königin.

nachtigall.  Also zwei Königinnen?  Eine junge und eine
schöne?  Nun, wenn die junge auch schön ist, und die
schöne auch jung, da muß einem schon die Wahl weh
tun.  Das wär ein Glück, wenn ich da Harfenist werden
könnt’.

vipria.  O du bescheid’ner Wurm!  An ihrer Seite wirst du
herrschen, morgen schon.

nachtigall.  Hören S’ auf, Sie Gspaßige, Sie foppen mich.
Eine Kinigin soll ich erhaschen?  Ein’ Kiniglhasen
vielleicht.

vipria.  Zum Werkzeug meiner Rache hab’ ich dich
entführt.  Noch heute abend wirst du hier ein
Preisgedicht verfassen, wodurch die Hand der
Herrscherin dir werden muß.  Unter Tausenden wirst
du das Beste liefern.

nachtigall.  Das Beste liefern?  Selt’ne Tugend eines
Lieferanten.

vipria.  Jetzt eilst du hin und meldest dich in jenem
herrlichen Palast; dort gibst du vor, du wärest ein
Minstrel, ein Sänger aus dem fernen Engelland, dir
wär’ Apoll’ erschienen im Begeist’rungstraum und
hätte dir befohlen, in dies Land zu segeln und der
Dichtkunst Ehre hier zu retten, und eine Würde zu
erringen, die deinem Geist gebührt und deinem Stolz.

nachtigall.  Das wird ein ungeheurer Triumph werd’n
mit dem zerrissenen Hut und dem g’flickten Rock.

vipria.  Ein Wink von mir wird dich in goldene Kleider
hüllen, und eine goldene Harfe schenk’ ich dir.

nachtigall.  Ah, da werd’ ich eine goldene Schneid’
haben, da geben S’ acht.  Das ist die neueste Erfindung
in der Medizin, daß Gold die Nerven stärkt, und wie
haben s’ das entdeckt?--Da haben s’ einen armen
Teufel, der vor Hunger kaum mehr geh’n hat können,
alle Säck’ voll mit Dukaten gefüllt, und auf einmal hat
sich eine solche Kraft bei ihm geäußert, und er ist so
impertinent geworden, daß er die schönsten Leut’ bei
der Tür hinausg’worfen hat.  Bums, haben s’ ihm das
Gold wieder weggenommen, und er war wieder so
miserabel wie vorher.

vipria.  Ich will an dir erproben diese Kraft.  Geh hin, du
wirst dort viele Dichter treffen, doch lache ihres
Spotts.  Zu Hermione laß dich führen, so heißt die
Königin, dort bläh’ dich auf, durch Prahlerei vermehr’
die Häßlichkeit, die dir Natur verlieh’n, damit dein
Anblick ihre Heiterkeit vergifte, dann kehrst du
schnell zurück und schlägst an dieses Tor; hier wirst
durch fremde Phantasie du das Gedicht erschaffen,
das dich zu Hermionens ew’ger Qual zum Herrscher
stempelt ihres Reichs und ihrer halb verlosch’nen
Reize.

nachtigall.  An das Tor soll ich anklopfen, wo die zwei
Hausmeister vor der Türe liegen?  Das laß ich bleiben!
Wenn einer unrecht versteht, so macht er statt der Tür
den Rachen auf.  Da geh’ der Aken hinein, ich nicht.

vipria.  Den Löwen kümmert nicht die Maus.  Geh hin,
versuch’s, die Schwester öffnet dir.

nachtigall.  Jetzt haben die zwei Löwen eine Schwester
auch noch.  Was ist zu tun?  Hier zwei männliche
Löwen, (Auf Vipria deutend.)  dort ein weiblicher Tiger.
Wer ist jetzt bissiger?  Aufs Beißen geht’s einmal los.
(Entschlossen.)  ich halt’s mit die Löwen.  Doch, vielleicht
sind sie ebenso großmütig als ich kleinmütig bin.  Mut,
Richard Löwenherz!  (Lauft hin, klopft schnell an und
springt gleich wieder zurück.)  Getroffen hab’ ich!  Was ich
getroffen hab’, das wird der Himmel wissen.



2. Szene

(Die Torflügel springen auf, Arrogantia tritt heraus.)


vorige.  arrogantia

arrogantia.  Wer wagt es, anzupochen hier?

nachtigall.  So ist’s recht!  Eine war nicht g’nug zu meiner

arrogantia.  Was willst du, Übergang vom Affen zu den

nachtigall.  Da haben wir’s!  Ich hab’s ja g’wußt, der

vipria.  Wie kannst du den beschimpfen, den mein Blick
Qual, die Fortsetzung kommt auch noch heraus.
Menschen?
zweite Teil ist immer schlechter als der erste.
aus Millionen sich zum Werkzeug hat erkoren?

nachtigall.  Just mich hat’s erwischt; das ist ein solches
Glück, als wenn der zehnte Mann erschossen wird.
vipria.  Hier stell’ ich dir den Helden dieses Tags, den
künft’gen Schach der Insel, vor.

arrogantia.  Welch eine herrliche Karikatur!  Ha, ha, ha!
Freund, du bist die schönste Mißgestalt, die ich
erblickt noch hab’.

nachtigall.  Ich bitt’ recht sehr, meine schöne Bella-
Donna, Sie sind zu gütig.  Nein, was die für eine
Beschreibung von mir herausgibt, das ist schandvoll.

vipria.  Was macht die Phantasie?  Hat sie den Käfig nicht
zertrümmert?

arrogantia.  Verzweiflung hat in ihr gewütet, doch blickt
sie ruhig jetzt um sich, und bald erglänzt ihr Aug’,
bald spiegelt eine Träne sich in ihm.

vipria.  Sie dauert mich, die arme Nachtigall.

nachtigall.  Also da drin haben s’ auch eine Nachtigall?
Auf die Letzt geh’n die herum und fangen die
Nachtigallen zusamm’.  O ich unglücklicher Nachtigall!
Auf die Letzt komm’ ich in ein Vogelhaus und muß
aus einem Nirschel saufen, und mir ist ein Maßziment
zu klein.

vipria.  Wie steht’s mit unserem Dichterschwarm?  Wirkt
ihre Gefangenschaft auf ihn?

arrogantia.  Herrlich!  Alle Dichter dieser Insel rennen in
geistloser Verwirrung durcheinander; auch nicht ein
Vers steht ihren hohlen Köpfen zu Gebot, seit sich die
Phantasie daraus entfernt.

vipria.  So komm, ich will der Phantasie verkünden,
wodurch sie ihre Freiheit kann erringen.  Unterdessen
wird sich dieser im Palaste Hermionens zeigen.
Berühre ihn mit deinem Pfeil!

arrogantia.  Erglänze, Kies, und werd’ zum Edelstein, von
außen wenigstens!  (Sie berührt Nachtigall; er hat ein mit Gold
gesticktes Staatskleid an.)

vipria (berührt einen Baum, es hängt augenblicklich eine gold’ne
Harfe daran).
Und ich schenk’ diese Harfe dir, geh hin und lasse sie
erklingen;
Durch Harfenton erfreutest du so manches trübeHerz,
Doch heute bring’ ein fröhliches durch ihren Klang
zum Schmerz!
Erring’ durch sie das Preisgedicht, du Sänger froher Lust,
Und bohr’ dadurch den Rachepfeil in Hermionens Brust!

(Beide ab in ihren Palast.)



3. Szene

nachtigall allein


nachtigall.  Jetzt laufen s’ alle zwei davon und lassen
mich allein da steh’n.  Wenn ich nur ein Wort
verstanden hab’ von der ganzen Schnatterei, so bin ich
ein schlechter Mann.  Ich weiß gar nicht, was s’ mit mir
da wollen.  Wann ich lieber in meinem Bierhaus wär’,
mir wird mein Lungenbratel kalt, das ich ang’schafft
hab’.  Und tu ich nicht, was sie schaffen, so bringen s’
mich am Ende gar um, die zwei Bißgurn.  Anzogen
hätten s’ mich schön, es könnt’ was herausschauen;
aber ich kenn’ mich nicht aus, mir bleibt der Verstand
aus, und ich soll ein Preisgedicht machen!  Um keinen
Preis, das kann ich nicht.  Lieder hab’ ich genug
gemacht, ich war sehr liederlich--will ich sagen
liederreich; aber andere Vers’, gerührte, die hab’ ich
noch nie versucht.--Ach was, ich verlasse mich auf
meine zwei Rabenschwestern.  Ich geh’ jetzt einmal in
den Palast und hol’ mir entweder einen tüchtigen
Respekt oder tüchtige Schläg’ ab.  Der Zufall ist ein
kurioser Kerl, der hat schon manchen herausgeholfen.

Arie.
Der Zufall, der sendet viel’ Vögelchen um
Von zweierlei Gattung per se,
Die flattern der Welt um die Nase herum
Und bringen ihr Wohl oder Weh’.
Die Glücklichen hab’n eine rote Bordur,
Die Schlimmen sind schwarz wie ein Rab’,
Doch streifen die roten auf blumiger Flur,
Die schwarzen, die fliegen talab.
Drum send’ mir, o Zufall, ich bitte dich fein,
Ein rosiges Vögelchen heut’,
Das flieg’ in den Saal meiner Zuhörer ’nein
Und stimm’ sie zur Nachsicht und Freud’;
Dann schwing’ ich die Harfe, erob’re die Braut
Und führ’ sie im Jubel nach Haus.
Doch ist sie mein Weibchen, dann rufe ich laut,
Freund Zufall, jetzt pack’ dich hinaus!
Die Treue darf nie bloß durch Zufall besteh’n,
Der Zufall bringt oft ein’ Chapeau,
Und Zufälle, die durch ein’ Dritten entsteh’n,
Die machen nur selten uns froh,
Doch stürbe mein Weibchen, fatale Geschicht’
Mein Wunsch wird es niemals zwar sein,
Dann, glücklicher Zufall, vergesse mich nicht,
Find’ mit einer andern dich ein.

(Geht ab.)



4. Szene

(Hermionens Palast.)

odi und alle Dichter der Insel stürzen herein


chor (zu Odi).
Laß uns vor, eile hin,
Rufe schnell die Herrscherin!
Wir erdulden nicht die Qual,
Sie verschieb’ die Dichterwahl!

odi.  Seid ihr denn unsinnig geworden; hat das Dichten
euch die Sinne verwirrt?
ein dichter.  Vorbei ist’s mit der Dichtkunst hoher Gabe,
wir sind behext, uns fällt kein Vers mehr ein.
Hermionen bitt’ hieher, wenn du ein Freund zu
deinem Rücken bist.

alle.  Ja, hörst du, Wicht!

odi (schreiend).  Ich höre schon.  (Für sich.)  Du grobes
Dichtervolk!  (Geht ab.)



5. Szene

vorige.  narr.


narr (eilt herein).  Ist’s wahr, was ich gehört?  Die
Hypokrene ist vertrocknet, die Dichtkunst sitzt auf
dürrem Sand?  O weh, o weh, o weh!

alle.  Hermione ist für uns verloren.

narr.  Fällt euch denn gar nichts ein?

alle.  Gar nichts.

narr.  O arme Waisenkinder des Apoll’, ich will nach
Deutschland reisen und bei unsern Dichtern eine
Gedankenkollekte für euch machen.



6. Szene

vorige.  distichon


distichon (verstört, rasch eintretend).  Verrat!  Verrat!  Mein
Geist hat sich empört!

narr.  Dem Himmel sei gedankt, hier ist der
Weisheitsmillionär.

distichon.  O Brüder, stimmt in meine Klage ein!  Apoll’
hat mich verflucht.  Verzweiflung, nimm als Sohn mich
an!

narr.  Da kriegt s’ ein sauber’s Kind.

distichon.  Verloren ist mein Geist, wo find’ ich ihn?

narr.  Ich trommle ihn dir aus, dein Geist ist ein verlorner
Schlüssel, dir geht er ab und andern nützt er nichts.

distichon.  Gar, gar nichts fällt mir ein, und heut’ soll ich
den Preis erringen!

narr (kniet sich nieder).  O du Herkules aller Dichter, ich
winde mich im Staube und bewundere deine
Unwissenheit.

distichon (verzweifelnd sich vor die Stirne schlagend).  O!  hätte
ich meine Gedanken in Spiritus aufbewahrt--

narr (ebenso).  O!  hätte ich meinen Witz an einen
Eseltreiber verschenkt--

distichon.  So dürft’ ich die Schmach nicht erleben, der
Narr dieses Narren zu sein.

narr.  So dürfte ich die Schand’ ihm nicht antun, an Euch
ihn zu üben.



7. Szene

vorige.  hermione


hermione (schnell).  Wer ist’s, der mich begehrt?  Was will
die bunte Menge mir?

narr.  Die Verzweiflung hält ihren Triumpheinzug hier.

hermione.  Hier ist nicht euer Platz, im Tempel seh’n wir
uns; zu flink war euer Geist.

distichon.  O Königin!  Laß mich zu deinen Füßen
sterben!

hermione.  Stirb im Gedicht, nicht in der Wirklichkeit, ein
Distichon darf nur in Versen enden.

distichon.  An Knittelversen werd’ ich noch ersticken.
Unmöglich ist’s uns heut’, dich, hohe, zu besingen.  Es
ist, als hätten alle wir nur einen einz’gen hohlen
Schädel, aus dem die Dummheit selbst mit einem
ungeheuren Besen die Vernunft hinausgefegt.  Ein
Zauberkrampf zieht unser Hirn in einen Knau’l
zusammen.

hermione.  Bist du mein Hofpoet, was sprichst du so
gemein?

distichon.  Das ist das Schönste, was ich noch den ganzen
Tag gesagt, ich kann nichts Edles denken mehr, und
wo ich hinseh’, (Sieht auf den Narren.)  seh’ ich ein
Fratzengesicht.

narr.  Ich auch.

distichon.  Darum, o Herrscherin, verschieb’ den heut’gen
Preis, wir können dich heut’ nicht erringen; laß uns bis
morgen Zeit, wenn du nicht unbesungen aus dem
Tempel eilen willst.

hermione.  Die Furcht ist es, die euren Geist bestrickt.
Wie wagt ihr’s zu behaupten, daß hier außer euch kein
Dichter lebt?  Bestraft sei euer Stolz, ich halte meinen
Schwur, und ich erneu’ ihn hier: "Und wenn’s ein
Bettler ist!  Verse will ich klingen hören, Hermione
heißt der Stoff, sieben ist der Stunde Zahl." Jetzt eilet
hin und erjammert ein Gedicht, weil ihr zu feig es zu
ersinnen seid!

distichon.  So leb’ denn wohl, du stolze Dichterbraut!
Kommt, ihr enterbten Söhne der lyrischen Muse,
erleichtern wir durch Schimpfen unser edles Herz.
Wir sind doch Genies, der Zeit zum Trotz, und wenn
wir gar nichts wüßten, so wissen wir doch das.  Wir
finden uns im Tempel ein, vielleicht, daß sich die
Zaubernacht in unsern Köpfen lichtet; dann brüllen
wir die Verse gegen seine Kuppel, daß sie erzittert
und unser eignes Echo uns den Preis entgegenruft.

(Läuft ab.)

alle.  Ja, das wollen wir.  (Ihm nach.)

narr.  Jetzt haben s’ ihm’s geben!  O ihr Verseverarmten,
prosaischen Bettelhunde!

hermione.  Das ist Apollos Werk.  Amphio, nun hast du
leichteres Spiel.



8. Szene

vorige.  odi


odi.  Gebieterin, ein Fremdling bittet um Gehör, er richtet
viele Grüße von Apollo aus, der ihn gesandt.  Er ist
der schnellste Schwimmer, den das Meer je trug, in
einer Nacht schwimmt er von England her.  Es ist ein
spaßiger Patron.

narr.  Vielleicht Apollo selbst.
hermione.  Ist es ein schöner Mann?

odi.  Von weitem hielt ich ihn für einen Pavian; in der
Nähe magst du selbst ihn hier betrachten.



9. Szene

vorige.  nachtigall mit der goldenen Harfe


nachtigall.
Arie.
Serviteur!  Serviteur!
Ist Ihnen allerseits ein’ Ehr.--
Ich bin ein fremder Dichtersmann,
Das sieht mir jeder Narr gleich an,
Und schwimme übers Rote Meer
Als gold’ner Fisch aus England her.--
Apollo selbst ist mein Herr Vetter,
Im Himmel lauf’ ich ab und zu,
Und erst mit alle andern Götter
Da bin ich gar auf du und du.
Kurzum, ich bin hierher gekommen,
Weil, wer ein Preisgedicht ersinnt,
So hab’ die Nachricht ich vernommen,
Am ersten Ruf die Braut gewinnt.
Drum lach’ ich mir voll an den Buckel,
Der Sieg, ich wette drauf, ist mein;
Ich stiehl’ Fortunen ihre Kugel
Und scheib’ als Dichter alle neun!
Hab’ ich die Ehre, die Prinzessin Hermione zu
betrachten?

hermione.  So ist es, Freund, du hast dich nicht geirrt.

nachtigall.  Bin ungemein erfreut!  (Beiseite.)  Ach, das ist
eine liebe Person, wenn die meine Frau ist, schau’ ich
vierzehn Tag’ kein’ andre an.  (Zum Narren.)  Und wie
heißt dieser Herr?

narr.  Ich heiße Muh.

nachtigall.  Ein schöner Nam’, so leicht, so flüssig--eine
jede Kuh kann ihn aussprechen.

narr.  Ich hab’ ihn auch schon aus eines Esels Mund
gehört.

nachtigall.  Vielleicht ein Anverwandter der Prinzessin?

narr.  Der Hofnarr bin ich hier.

nachtigall.  Hofnarr?  Fidonc!  Da gehört er in den Hof
hinunter, Freund, und nicht in den Saal herauf.

narr.  Heut’ ist schon so ein Tag, wo alle Narren
eingelassen werden, sonst wärst du auch nicht da.

nachtigall.  Also wie steht’s mit uns, Verehrteste!

hermione.  Mit uns?  Du sprichst sehr kühn, mein Freund.

nachtigall.  Ja, wer wird denn da viel’ Umständ’ machen!
Wir werden heut’ abend Mann und Weib.

hermione (lächelnd).  Weißt du das so gewiß?

nachtigall.  Gar kein Zweifel!  Sie sind der Preis, der
ausgesungen wird, und ich der entsetzlichste der
Dichter in der Welt, das merkt man gleich an der--
wie sagt man nur--nun an Verschiedenem.

narr.  An der Ideenfülle hauptsächlich.

nachtigall.  Das will ich hoffen; die gefüllten Ideen sind
immer besser als die ungefüllten, das ist so wie mit
den Krapfen.  Übrigens hab’ ich als Dichter eine
außerordentliche Leichtfertigkeit, ich hab’ schon über
fünfhundert Trauerspiels geschrieben, und je mehr als
ich schreibe, desto trauriger wird das Publikum.

hermione.  Kennst du den Homer?

nachtigall.  Nein!  Aber den Humor kenn’ ich, und der
soll mir auch Ihr Herz erobern.  Auch darf man gar
nicht glauben, daß ich ein armer Teufel bin, ich hab’
in England schöne Revenuen.

narr.  Also nicht der arme Poet von Kotzebue?

nachtigall.  Nein, der reiche, aber es sind nicht alle so
reich.  Es gibt geschickte Dichter, wenn sie den Mund
auftun, machen sie sehr witzige Ausfälle, aber wenn
sie den Sack aufmachen, fällt ihnen nie was heraus.
Doch zur Sach’ jetzt!  Mein Herr Vetter, ein g’wisser
Apollo, ist mir die vorige Nacht im Traum erschienen,
hat mir Ihre Hand versprochen und den heut’gen
Abend zur Vermählung b’stimmt.  Machen Sie also
keine Umständ’ und fügen Sie sich in sein’ Willen.
Meine Aufwartung hab’ ich g’macht, ich werd’ jetzt
noch ein klein’s Jausenschlaferl machen, und dann
fang’ ich zum Dichten an, daß der Rauchen auffliegt.
Und eh die Sonne in das Meer noch plumpst, bin ich
so glücklich, Ihr Gemahl zu sein.  (Will ab.)

hermione.  So lebe wohl; beweise bald, ob du ein Meister
in dem Versbau bist.

nachtigall.  Was Bau?  Verzeihen Sie, da muß ich
nochmal umkehren.  Ein Baumeister bin ich nicht, das
sag’ ich gleich.

hermione.  Ist nicht die Dichtkunst mit der Baukunst
formverwandt?  Denn wie der Bauherr Stein an Stein
aus edlem Marmor füget, so reihet der Poet
Gedanken an Gedanken und bindet sie durch seines
Witzes Mörtel.

nachtigall.  Sie irren sich.  Wissen S’ was für ein
Unterschied ist zwischen einem Dichter und ein’
Baumeister?  Wenn einem Dichter was einfallt, ist ’s
ihm eine Ehr’, wenn aber einem Baumeister etwas
einfallt, das ist eine schöne Schand’, das glauben Sie
mir, der ich die Ehre habe mich zu empfehlen.  (Ab.)



10. Szene

vorige ohne Nachtigall


hermione.  Ein sonderbarer Mensch; ein Abenteurer ist’s,
der hier sein Glück versucht; doch er erheitert mich.

narr.  Wenn der den Preis gewinnt, dann gibst du unterm
Preis dich weg.

hermione.  Schweig’, Narr!  Ein Dichter ist er nicht, doch
besser scheinet sein Gemüt als deines zu sein, und
seine Laune könnte deiner leicht gefährlich werden.
Verlaß mich jetzt!

narr (für sich).  So muß sogar ein Narr auf seiner Höhe
zittern.  O undankbare Welt!  Da glaubt so mancher
oft, er wär’ allein der Narr im Haus, da kommt ein
and’rer her und sticht ihn wieder aus; und dieser
and’re wird von einem andern Andern dann
verdrängt, und so zerstreiten sich die armen Narren
ums traur’ge Narrentum.  Ein jeder möcht’ der
größere sein, und jeder narrt sich selbst.  O eitle
Narretei, o närr’sche Eitelkeit!  Ich wollt’, ich hätt’
brav Geld, dann mach’ ein Narr’n, wer will!  (Ab.)

hermione (allein).  Gemeiner Neid, der selbst den Weisen
schändet oft.  O Amphio, wie wird man dich beneiden,
wenn dich die Myrte und der Lorbeer schmückt.



11. Szene

vorige.  amphio verstört und bleich


amphio.  O Hermione, find’ ich dich!  Wenn du mich je
geliebt, so blick’ mich gütig an!

hermione.  Was quält dich, Amphio?  Was führt dich jetzt
hierher?

amphio (starr).  Laß mich in deine Augen schau’n, ich bitte
dich, so lang, bis sich mein Geist an ihrem Strahl
entzündet.

hermione (sieht ihn verwundert an).

amphio.  Ich danke dir.  (Er macht das Spiel, als wollte er sich
durch ihren Anblick zum Dichten begeistern, und vermag es
nicht; er geht daher hoffnungsvoll einen Schritt von ihr und sagt,
nachdenkend gegen Himmel schauend.)  So--so--nun wird
es gehen.  (Immer unruhiger.)  Flamm’ auf, Gemüt,
flamm’ auf!  (Verzweifelnd.)  Es ist umsonst, sie ist für
mich verloren!  (Will ab.)

hermione.  Wo willst du hin?

amphio.  Ins Meer.  (Lacht wild.)  Ich will Neptun mich
weih’n.

hermione.  Doch seiner ungetreuen Tiefe nicht?

amphio.  Sie ist nicht tiefer als mein Schmerz, und seinen
Wellen kann ich nur vertrau’n, warum’s in ihren
Grund mich reißt.

hermione.  Bist du mein Amphio?  Hermione sei der Stoff,
sprach das Orakel heut’, und so besingst du mich?

amphio.  So wisse denn, ich kann dich nicht besingen; mein
Geist ist wüst, mein Herz ist kalt; seit du mich
sprachst, bin ich nicht Amphio mehr.

hermione.  Ermanne dich, dir fehlt Vertrau’n auf deine
Kraft.

amphio.  Betrogen bin ich durch die Phantasie, sie ist ein
Weib.  Hätt’ ich ihr nicht getraut!

hermione (empört).  O könnt’ ich für dich dichten, um dir
zu beweisen, wie schön ein Weib aus Liebe denken
kann.

amphio.  Sie ist erschöpft, sie hat sich selbst verbannt.

hermione.  O lästre nicht!  Sagst du nicht selbst durch dein
Gedicht: Es ist die Phantasie ein tiefer
Zauberbrunnen, Aus dem wir der Gedanken Nektar
schöpfen; Es reichet vom Olymp bis in des Orkus
tiefsten Schlund, Mit seinem Ring umschließet er die
Welt, Und unausschöpfbar ist sein ew’ger Born; Denn
alle Ströme der Verhältnisse Ergießen sich auf seinem
Grund.

amphio.  O Königin, warum hast du den kühnen Schwur
gewagt?  Es hätte des Gedichtes nicht bedurft; nur
deine Liebe braucht’ ich zu erringen, den wisse, daß--
doch nein, nun ist’s zu spät, du wirst des Siegers Braut,
und mein Geheimnis laß ich mit mir untergeh’n.

hermione.  O halt’!  Noch hab’ ich einen Hoffnungsstrahl.
Wie du, so klagen alle meine Dichter, vielleicht, daß
es ein Spuk der bösen Zauberschwestern ist.  Drum
Mut, denn in dem Tempel des Apolls muß dieser
Zauber schwinden.  Freude, Amphio, mir sagt’s mein
Herz.

amphio.  Das Elend hascht nach jedem Hoffnungswahn, so
will ich mein Vertrauen mit deinem Hoffen denn
vermählen und einen Sohn erwarten, der Erfüllung
heißt.

hermione.  Ich will noch vor dem Fest schnell das Orakel
fragen, mehr darf ich nicht für unsere Ruhe tun.  Nicht
mir gehör’ ich an, nein, ich gehör’ Apoll’!  Mein
höchst’ Vertrau’n setz’ ich auf ihn, den
Weltbestrahlenden; denn eine Ahnung hat er mir in
meine Brust gelegt, daß mich ein andrer nicht
erringen darf als du.  Darum erwart’ ich in dem
Tempel dich.  Mut, Amphio, die Götter sind uns nah!
Vertrau’ auf ihren Schutz!  (Ab.)

amphio (allein).  Nun wohl, ich will mein Glück dem letzten
Augenblick vertrau’n; und konnte mich die Phantasie,
die hohe, täuschen, dann laß mich ziehen aus dir,
Welt, in der das Edle trügt und nur Gemeines sich
bewährt.  (Ab.)


verwandlung

(Gemach im Palaste der Zauberschwestern.  An der Seite ein
griechisches Schreibepult auf einer Stufe.)



12. Szene

arrogantia und vipria treten rasch ein


vipria.  Wo bleibt der Tropf?

arrogantia (sieht durch das Fenster).  Hier kommt er schon.

vipria.  Jetzt bring’ die Phantasie!  (Arrogantia ab.)



13. Szene

vipria.  nachtigall


nachtigall.  Da bin ich schon, ich hab’ meine Sachen
prächtig gemacht.  Nun, wie schaut’s jetzt mit dem
Gedicht aus, machen wir’s zusammen g’schwind!  Ich
kann’s gar nicht erwarten.  Die Königin ist schön, da
sind Sie nichts dagegen.  Ich bin in sie verliebt, ich
kann’s gar nicht erwarten, bis ich König bin.



14. Szene

vorige.  arrogantia.  phantasie


arrogantia (zerrt die Phantasie in Ketten herein, die Flügel sind
ihr abgeschnitten).  Hier bring’ ich sie, sie hat entwischen
wollen, als ich ich den Käfig öffnete.

vipria.  Wo hast du deine Flügel?

arrogantia.  Ich hab’ sie ihr beschnitten.

vipria.  Das hast du klug gemacht.  (Höhnisch.)  Wo wolltest

phantasie (ebenso).  Ich hab’ zum Geier fliegen wollen,
du denn hin, du Täubchen, du?
weil’s bei der Eule mir mißfiel.

arrogantia.  Ich will auf Kundschaft mich begeben;
mache mit ihr, was du willst!  (Ab.)



15. Szene

vorige ohne arrogantia


vipria (zu Nachtigall).  Durch diese wirst du das Gedicht hier
schreiben; das ist die Phantasie.

nachtigall.  Ah!  das freut mich, daß ich die Ehr’ hab’,
kennenzulernen.  (Heimlich zu Vipria.)  Was ist denn das,
die Phantasie?

vipria.  Es ist der Geist, der im Gehirn der Dichter tobt.
nachtigall.  Also die springt den Dichtern im Gehirn
herum?  Dann ist’s kein Wunder, wenn’s bei ihnen

rappelt.  Drum sagt man, die Dichter sind närrische
Köpf’!

vipria.  Ich schmied’ sie dir an diesen Schreibtisch an.  (Sie
hängt die Fessel der Phantasie in einen Ring, der an der Seite des
Schreibepultes angebracht ist, ein, so daß die Phantasie an der
Seite des Tisches gegen die Mitte der Bühne auf der breiten Stufe
sitzt, doch ja nicht etwa auf dem Boden.)  Sei stolz darauf!
Kein Dichter kann sich dessen rühmen, daß sie als
Sklavin ihm gedient.  Was sie dir vorsagt, zeichne
emsig auf, als schriebst du Diamanten hin!  Hermione
ist der Name des Gedichts, den schreibst du oben hin.

nachtigall.  Also ich bin ein Dichter, der nur schreibt,
ohne daß er was denkt?  Da bin ich nicht der einzige.
Und sie ist die, die für die Dichter alle denkt?

vipria.  So ist’s.

nachtigall.  Das muß a Marter sein!  Drum schaut s’ so
mager aus.



16. Szene

vorige.  arrogantia


arrogantia (ängstlich).  Hermione ist auf dem Wege zu den
zwei Orakelpriestern, um vor der Wahl noch das
Orakel zu befragen, warum die Geistesnacht auf ihren
Dichtern ruht.  Wenn das geschieht, ist unser Plan
vereitelt.

vipria.  Das muß verhindert werden!  Komm, wir
verwandeln diese beiden Priester schnell in Stein und
setzen uns an ihre Stelle hin.  In der Gestalt des
Affriduro frag’ ich dich, und du sprichst als Stimme
des Orakels aus: Apollo habe einem Fremdling seine
Gunst geschenkt, den Hermione wählen muß.  (Zu
Nachtigall.)  Unterdessen bleibst du hier und schreibest
dein Gedicht, doch bevor die Stunde halb verfließt,
find’st du dich in dem Tempel ein und trägst es mit
der Harfe vor; wenn es auch schlecht ausfällt, das
beste ist es doch, weil es das einz’ge ist.  (Zur Phantasie.)
Du halte deinen Schwur, begeist’re ihn, so viel in
deiner Macht es steht.  (Zu Nachtigall.)  Laß sie nicht frei,
wenn du dein Leben liebst, und will sie dir nicht
dienen, zwinge sie, du bist ihr Herr.  (Beide ab.)



17. Szene

die phantasie.  nachtigall


phantasie (für sich).  O Amphio, welch schrecklich’ Los!
Ich kann dich nicht erretten.

nachtigall (setzt sich an den Tisch).  Jetzt werden wir halt
schauen, daß wir was zusammen dichten.  Das wird
ein’ Arbeit werden.--Also: Hermione.--Und eine
rote Tinte haben s’ mir hergestellt.  Das wird ein
blutiges Gedicht.  Also g’schwind anfangen!--Kommt
was oder nicht?

phantasie (seufzt).  Ach!

nachtigall.  Ach?  Ist denn das ein schöner Gedanken?
Ach!  Da wird einem völlig bang dabei.  (Ungeduldig.)
Nu, weiter um ein Haus!  Ich komm’ nicht von der
Stell’.  Nu?  (Er rüttelt sie.)

phantasie.  Was willst du, Tropf?  Die Phantasie muß frei
sein, wenn sie dichten soll.  Nie wird sie dir in Fesseln
dienen.

nachtigall.  Was ist das für ein Diskurs?  Wo ist denn ein
Stock?  (Nimmt einen Thyrsusstab von einer Draperie.)  Da
liegt er jetzt auf dem Tisch.  Jetzt, wie nicht ordentlich
phantasiert wird, wird er wo anders aufgelegt.

phantasie (lacht verzweiflungsvoll).  Ha, ha, ha!

nachtigall.  Wie dumm als sie lacht!

phantasie (wie wahnsinnig).
Einst war ein gold’nes Vögelein,
Das nannt’ sich Phantasie.

nachtigall.  Was ist denn das?  Die phantasiert ja ohne
Hitz’?

phantasie (fährt wild auf).  Ich duld’ es nicht!

nachtigall (tunkt ein und schreibt schnell).  Nu, endlich
einmal!

phantasie.  Ihr Blitze!  stürzt herab--

nachtigall (schreibt schnell nach).  Jetzt geht’s drauf los.

phantasie.  Und euren glüh’nden Kuß--

nachtigall (wie oben).  Holla, hast es nicht g’sehen.

phantasie.  Drückt auf die freche Stirn!

nachtigall.  Die freche Stirn--Nicht gar so g’schwind, ich
komm’ nicht nach.

phantasie (toll).  Du Schafskopf, schweig’!

nachtigall (stutzt, ohne zu schreiben).  Was ist das für ein
Vers?

phantasie.  Willst du ihn zweimal hören?

nachtigall.  Was die alles zusamm’diktiert?--Was hab’
ich denn da g’schrieben?  (Liest das Geschriebene.)  "Ich
duld’ es nicht, ihr Blützer stürzt herab und euren
glühenden Fuß drückt auf den frechen Stier--(Pause.)
Du Schafskopf schweig’!" Was ist denn das für eine
Phantasiererei?  Da phantasier’ ich ja besser, wenn ich
das Nervenfieber hab’?

phantasie.  Zu gut für dich, gemeiner Wicht!

nachtigall.  Das Weibsbild halt’ mich für einen Narren.
Die Zeit vergeht; ich bring’ nichts z’samm’.  Wenn nur
die zwei Schwestern von Prag da wären.  Die ganze
Sach’ ist schon dumm ang’stellt; ein and’rer hat die
Phantasie im Kopf, und ich hab’s bei den Füßen da.
Wie soll da was herauskommen?  Ich krieg’ schon alle
Hitzen.  (Er zieht den Rock aus.)  O Himmel, was ist das
für ein’ Marter um einen Dichter, dem nichts einfallt.
Du mußt mir helfen, oder ich verzweifle.

phantasie.  Du zwingst mich nicht, du feiger Tropf!

nachtigall.  Das ist eine boshafte Person.  Ich bring’ s’
um, ich schneid’ ihr den Kopf ab und nimm ihr die
Gedanken heraus.  (Läuft zu dem Tisch.)  Ich setz’ mich
nochmal nieder.  (Liest den Titel.)  Hermione!--Diktier’
weiter!  (Boshaft in den Tisch trommelnd.)  Hermione--sie
hört mi halt nit an; ich fahr’ durch die Luft.  Jetzt hab’
ich die Gedanken von allen Dichtern in der Welt (Auf
die Phantasie zeigend.)  in diesem Binkel da beisamm’ und
ich hab’ von dem ganzen Gedicht noch nichts fertig als
das einz’ge Wort: Hermione; da kann ich doch den
Preis nicht kriegen damit?  Ich verzweifel’.

phantasie.  Ha, ha, ha!  Das freut die Phantasie.

nachtigall (wütend).  Jetzt lacht’s mich aus; ich werd’ noch
wahnsinnig.  (Kniet sich vor ihr nieder.)  Ich beschwöre
dich bei allen Sternen, phantasier’!

phantasie (kniet auch).  Ich dich bei allen Sonnen, laß mich
frei!

nachtigall.  Ich beschwöre dich bei allen griechischen
und walachischen Dichtern, phantasier’!

phantasie.  Ich bau’ dir eine Welt aus glücklichen
Gedanken, laß mich frei!

nachtigall.  Ich kann ja nicht.  Hab’ doch Barmherzigkeit!
(Weint.)

phantasie (weint).  Du unempfindlich Tier!

nachtigall (weinend).  Jetzt fangt s’ zu weinen an.  Jetzt
sind wir alle zwei im Wasser.  Wenn s’ nur in Versen
weinte, um des Himmels Willen--die helle Prosa lauft
ihr übers G’sicht.--(Ein sanftes Glöcklein läutet in der
Ferne.)  Jetzt muß ich fort,
jetzt läuten s’ siebene im Apollosaal!  Du, g’freu dich,
wenn ich wieder komm’!  O Todesschweiß, du stehst
mir an der Stirn!  Ich weiß kein anders Mittel--ich
kann ein Lied von der schönen Magellona, das änder’
ich um und sing’ statt: Mageroni, Hermioni, und
wann’s nicht g’fallt, ich schieߒ mich tot, ich häng’
mich auf, ich bring’ mich viermal nacheinander um!
Ich Dummkopf ohne alle Phantasie!  (Rennt verzweifelnd
ab.)



18. Szene

phantasie allein


phantasie.
Quodlibet.

(Die Musik beginnt, es schlägt dreiviertel auf sieben, die
Phantasie springt ängstlich auf.)

Ha!  Was ist das?  die Stunde tönt,
Und Amphio ist verloren!

(Ängstlich.)

Wenn, Apoll’, du mich nicht rettest,
Werd’ ich noch des Wahnsinns Raub!

(Trauernd.)

Durch den Äther, durch die Lüfte
Schwebt’ ich leichten Flugs dahin!--
Ihr ungetreuen Flügel, nur einen Augenblick
Wünscht’ ich euch zu besitzen, ihr wär’t mein höchstes Glück!--
Entsetzlich!  Entsetzlich!  Wenn Phantasie so weit es bringt,
Daß sie ein Quodlibet gar singt.
Doch mir leuchtet am Himmel ein tröstendes Licht,
Ich fleh’ zu den Göttern, sie täuschen uns nicht!--

(Kniet.)

O Jupiter!  der du mich einst aus deinem Hauptgebarst,
Der du mir stets ein güt’ger Vater warst,--
Kannst du die Tochter hier gefesselt seh’n?
O, schleud’re deinen Blitz und laß mich untergeh’n!
O Jupiter!  Erhöre mich!  Höre mich!

(Ein Blitzstrahl fährt herab und zertrümmert ihre Fessel.)

Ha, ich bin frei, hohen Dank euch ihr Götter!
Ha, wie durchströmt mich dies freudige Sein!
Fort sind von mir jetzt die lästigen Ketten!
Schnell hin zu Amphio, ihn zu befrei’n!
Amphio, halt!  Amphio, halt!  Die Phantasie ist frei!

(Sie wirft einen griechischen Mantel der Zauberschwestern
um und eilt ab.)


verwandlung

Das Innere des Apollotempels.  Im Hintergrunde die Statue des

Apoll.  Im Vordergrunde ein Seitenthron, worauf sich Hermione

befindet.  Neben ihr Hofleute; ihr gegenüber die Schar der

Dichter.  Dem Thron gegenüber sitzt auf dem hervorragenden
Postamente einer Säule Amphio in verzweifelnder Attitüde.

Volk.  Vipria, Arrogantia als Opferpriester verkleidet.  Mehrere
Priester des Apollo.)



19. Szene

alle dichter.


Chor.
Vergebens winkt des Preises Glück,
Die Phantasie kehrt nicht zurück;
Und beschämt gestehen wir
Unsre Geistesohnmacht hier.

vipria (im Tone des Affriduro).  Verhüll’ dein Antlitz, hohe
Muse!  Hermione, hör’ das Unerhörte an: Alle Dichter
deines Landes erklären laut, daß sie nicht fähig waren,
ein Gedicht zu deinem Lob zu schreiben, und selbst
Apollos hehrer Anblick sie nicht kann dazu begeistern.

amphio.  Hörst du es, Nemesis?

hermione.  Sind das die Weisen meines Landes, die
gelehrten Männer?

distichon.  Verzeih’, o Königin!  Gelehrsamkeit allein
verfasset kein Gedicht.  Wissen ist ein goldener Schatz,
der auf festem Grunde ruht; doch in das Reich der
holden Lieder trägt uns nur der Phönix Phantasie.

hermione (sieht auf Amphio).  So lebt auf Flora keiner mehr,
der Hermionens Ehre retten kann?

narr.  In einem Lobgedicht gewinn’ ich keinen Preis, ich
bin zum Schimpfen auf die Welt gekommen.

hermione (steht auf).  So hebt die Feier auf!

arrogantia.  Halt’ ein!  Noch tönt die siebente Stunde
nicht!  Du kennest des Orakels Spruch: Ein Fremdling
wird es sein!

hermione.  Auch das Orakel ist bezaubert.

vipria.  Läst’re nicht.  (Für sich.)  Wo bleibet der Verräter
nur?



20. Szene

vorige.  nachtigall


nachtigall (von innen).  He, he!  Halt’ ein!  Ein Gedicht!
Ein Gedicht!  (Stürzt atemlos herein.)  Halt’ ein!  Ein
Gedicht und auch ein Dichter, alle zwei sind da!

alle.  Was ist das?

vipria.  Wie?  Du hast ein Gedicht?

nachtigall.  Ein schreckliches Gedicht!

narr.  Mich trifft der Nervenschlag.

alle.  So lies es vor!

distichon.  Ja, lies!

nachtigall.  Das kann ich nicht.  Das hab’ ich nicht

gelernt.  Ich sing’s, weil ich ein Sänger bin aus Engund

Schottenland.  Merkt auf!  Mein ist der Preis!

narr.  Das wird was Schönes werden.

nachtigall (stellt sich in die Mitte, spielt mit der Harfe und singt).
Liebe Leutchen, kommt zu mir,
Will euch etwas singen,
Ich will Hermionen hier
Schnell ein Loblied bringen.
Jeder, der sie nur erblickt,
Liegt in Liebesbanden,
Selbst der Weise wird berückt,
Habt ihr mich verstanden?

chor.
Wie gemein!  Wie gemein!
Was sind das für Verse?

nachtigall.
Zeigt sie sich im Blumenreich,
Atmet alles Wonne,

Alle Blümchen rufen gleich:
Servus Hermione!
Wandelt auch in finst’rer Nacht,
Ganz ohne Laterne,
Ihre Äuglein voller Pracht
Leuchten wie zwei Sterne.

chor.
Ha, ha, ha!  Ha, ha, ha!
Das ist nur zum Lachen.

nachtigall.
Und der lieben Vöglein Zahl
Ist ihr recht gewogen,
Auch ein’ alte Nachtigall
Kommt herbeigeflogen;
Kurz, ihr holder Nam’ erschallt
Laut in jeder Zone,
Selbst die Bären in dem Wald
Brummen: Hermione!

chor.
Hört den Wicht!  Solch’ Gedicht
Wagt er hier zu singen!

hermione.  Bin ich zum Spotte dieses Narren hier
geworden?  Soll ein Gedicht das sein?

distichon.  Das heißt Apoll’ gelästert; schleppt zum
Tempel ihn hinaus!

alle.  Hinaus mit ihm!

vipria.  Halt’ ein!  Erfüllen mußt du, Hermione, deinen
Schwur.  Er hat das beste dir gebracht, er werde dein
Gemahl!

hermione.  Unmöglich!

alle.  Verräterei!  Zu schlecht ist sein Gedicht.

vipria.  Wer spricht ein besseres hier?  Ich fordere nochmal
auf.

amphio (leise).  Wehe mir!
(Allgemeines Schweigen.)

vipria.  Dies Schweigen spricht dein Urteil aus.
arrogantia (winkt; es donnert).  Und Apoll’ bestätigt es.

nachtigall.  Jetzt donnert’s gar wegen mir.

vipria.  Wagt ihr’s zu widersprechen?

alle (langsam).  Nein, er werde ihr Gemahl!

amphio.  Entsetzliches Geschick!

narr.  Je dummer der Mensch, je größer sein Glück.

hermione.  So ist denn keine Rettung mehr?

nachtigall (trippelt kindisch).  Ich werd’ König!  Ich werd’ König!



21. Szene

vorige.  die phantasie


phantasie (tritt ein, im Mantel gehüllt, ergreift Amphios Hand;
leise ihm ins Ohr).  Amphio, die Phantasie ist frei, nur
dich begeistert sie.

amphio (springt auf, plötzlich inspiriert).  Halt’ ein!  Ich rett’ des
Tempels Ehre hier, wage ein Gedicht.  Zu kostbar ist
der Preis, ich entreiߒ ihn dir.

alle.  Apoll’, wir preisen dich.

amphios gedicht.
Die Nacht zieht fort ins ewig finst’re Heimatsland,
Die Welt umkränzt ihr Haupt mit Phöbus’ Strahlenband,
Und wie Auror’ die Erd’ in Purpur hüllt,
Entdeckt sie einen Jügling, gramerfüllt.
Ein Königssohn ist’s, der die Nacht durchweint
Und seines Auges Tau mit dem des Morgens eint.
Aurora grüßt ihn sanft und strahlt ihm Trost ins Herz,
Da fleht er zum Apoll’, gibt Worte seinem Schmerz.
Im Wunderland, das meines Vaters Reich begrenzt,
Wo die Natur im tausendfarb’gen Schmuck erglänzt,
Thront meiner heißen Liebe Königin.
Mit zartem Reiz vereint sie hohen Sinn,
Es haben sich die anmutsvollen Musen
Zum Sitz erkoren ihren holden Busen,
Und wie sich Daphne einst dem Dichtergott entwand,
So reichet sie nur einem Dichter ihre Hand.
Darum, Apoll’, magst du nur schnell die Muse senden,
Soll Amors bitt’re Qual nicht bald mein Leben enden!
So jammert er und fluchet seinem Leben;
Da faßt sein Herz ein namenloses Beben,
Mit seinem Schmerz fühlt er die Freude ringen,
In Wolken hört er Harmonien klingen,
Es schwebt die Phantasie auf Rosennebel nieder
Und schwingt im Morgenstrahl ihr glänzendes Gefieder.
"Mich hat Apoll’ gesandt, ihn rühren deine Leiden,
Vertauschen wirst du sie mit Hymens Götterfreuden."
So spricht die Phantasie, ergreifet seine Hand
Und schwebt mit ihm nach Hermionens Land.
Zwei kühne Aars, durchsteuern sie die Lüfte
Und rauschen nieder in das Reich der Düfte.
Dort wandelt sich der Prinz zum stillen Hirten um
Und sucht durch Poesie zu gründen seinen Ruhm.
Ihn sieht die Königin; er weiht ihr sein Gedicht,
Da faßt sie ein Gefühl, ihr Herz erklärt sich’s nicht,
Es kämpft ihr Stolz, sie will den Kühnen hassen,
Doch Eros spricht: "Du darfst ihn nimmer lassen."
Ein Preisgedicht läßt sie im Land verkünden,
Nur mit dem Sieger will sie sich verbinden.
So wie der Fels im Meer trotzt sturmbewegten Wellen,
Will des Geliebten Geist auf gleiche Prob’ sie stellen.
Schon harrt das Volk, da kommt der Hirt’ heran,
Trägt Wahrheit vor, nicht was die Dichtung sann,
Dann tritt er auf und fordert seinen Lohn:
Die Hand der Königin und Floras Thron.
Wagt kühn den Kauf und schließt mit ihr den Herrscherbund,
Denn wißt, ich bin der Sohn des Königs von Athunt.

alle (freudig).  Heil dem Sohn des Königs von Athunt!  es
lebe unser neuer Herrscher!

zauberschwestern.  Verdammt!
distichon.  Das Gedicht hat eine Menge Fehler.

hermione (stürzt in Amphios Arme).  O Amphio!  Mein Prinz!
O nehmt mein Herz, mein Reich und meinen ew’gen
Dank!

nachtigall.  Jetzt steh’ ich frisch.

amphio (stürzt zu den Füßen der Phantasie).  Nur ihr gebühret
unser Dank.

alle.  Wer ist das?

phantasie (wirft den Mantel ab).  Ich bin die holde Phantasie,
die euch nicht retten konnte, bis mich Jupiter befreit,
weil ich gefangen in den Händen eurer
Zauberschwestern war.

vipria und arrogantia (verwandeln sich schnell in ihre wahren
Gestalten um).

arrogantia.  Ihr triumphiert zu früh!

vipria.  Noch atmet Vipria und ihre Zauberwut!  Dem Tod
send’ ich als Braut dich zu.  So stürz’ denn dieser
Tempel ein, und unter seinem Schutt begrab’ dich
ew’ge Hochzeitnacht!

(Es wird Nacht, zwischen dem Tempel und Meere sinken
finstre Wolkenschleier ein.  Donner und Blitz.  Die Statue
des Apoll samt dem Opferaltar versinkt.)

Warum trotzen diese Hallen?  Wer verhindert ihren
Sturz?

(Heftiger Donnerschlag, die Bühne wird licht, der Nebel
verrinnt zu beiden Seiten, man hat die vorige Aussicht auf
das Meer.  Apollo mit den Sonnenrossen will soeben in den
Schoß der Thetis sinken; der Sonnenwagen gleitet noch auf
der Oberfläche des Meeres.)

alle.  Weh’ uns!



22. Szene

vorige.  apollo

apollo.  Wer wagt es, meinen Tempel zu zerstören?

alle.  Apoll’!
die zauberschwestern.  Weh’ uns, er selbst!

apollo (steigt aus und tritt vor).

phantasie (sinkt zu seinen Füßen).  Um Schutz fleht dich die
Phantasie für deine Insel an.  Zwei Zauberinnen rasen
hier; gefangen nahm man mich.

apollo.  Wer hat’s gewagt, die Phantasie zu fesseln?

phantasie.  Diese hier.

apollo.  Der Orkus strafe sie dafür!  (Die Zauberschwestern
versinken.)

narr.  Jetzt haben sie’s überstanden.

apollo (zu Hermione).  Ich war es selbst, der Amphio dir
bestimmt.  Das Orakel ist erfüllt, dein Land hat einen
Herrscher aus dem Hause von Athunt; von mir
gesendet war die Phantasie.

alle.  Heil Apoll’ dir!

apollo.  Mein Tempel ist zerstört, baut einen neuen auf
und heiligt ihn der Phantasie; sie wird vereint mit mir
in Zukunft eure Insel hier beschützen, die auch von
heute an die Dichterinsel heißt.

nachtigall.  Den Namen kriegt s’ nicht wegen mir.

narr.  Ich such’ mir jetzt ein Land, wo lauter Narren sind.

nachtigall.  Und ich schau’, daß ich eine
Nachtigalleninsel find’.

apollo.  Wer ist der Fremdling hier?

nachtigall.  Jetzt kommt er über mich, das wird a schöne
Wäsch’.

distichon.  Aus England ein Minstrel.

nachtigall (kniet nieder).  Und Harfenist aus Wien, die
Rabenschwestern haben mich entführt.

hermione.  Ich nehme ihn zum zweiten Narren auf.

nachtigall.  Ich küss’ die Hand.

narr.  Den Kerl bring’ ich um.

nachtigall.  Ich bin der singende und das der redende,
ich hoff’, daß man mit beiden wird zufrieden sein.

apollo (zur Phantasie).  Die bunten Flügel hat man dir
geraubt, dich werden künftig gold’ne zieren!  Zu

Amphios Vater sei dein erster Flug, bericht’ des
Sohnes Glück dem König von Athunt!

phantasie (tritt vor).
Ein Schlußwort spricht die Phantasie,
O lohnt mit Nachsicht ihre Müh’!
Wenn sie auch Kleines euch gebar,
So denkt--daß sie gefesselt war.

apollo.
Die Götter wachen über euer Los,
Mir winkt die Nacht, ich sink’ in Thetis’ Schoß.

(Er geht zurück und steigt in den Sonnenwagen, mit
welchem er langsam untersinkt.  Eine allgemeine Abendröte
verbreitet sich über die ganze Bühne.  Die Meereswellen
erglänzen mit roter Folie und der Chor dauert solange, bis
Phöbus ganz im Meere ist.  Die Hinterkurtine, welche
reinen Horizont vorstellt, hebt sich bei dem Sinken des
Sonnenwagens, und es präsentiert sich auf ihr die
Abendröte.)

chor.
Sink’ hinab, du heißer Tag
Und vergolde dir dein Grab,
Doch zum schönern Lebenslauf
Strahle morgen neu herauf!

(Der Vorhang fällt.)


Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Die gefesselte Phantasie,
von Ferdinand Raimund.









End of Project Gutenberg's Die gefesselte Phantasie, by Ferdinand Raimund

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Foundation as set forth in Section 3 below.

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work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
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Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

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     www.gutenberg.org

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