Die Verdorrten

By Ernst Weiss

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Title: Die Verdorrten

Author: Ernst Weiß

Release Date: December 19, 2010 [EBook #34696]

Language: German


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Produced by Jens Sadowski




Transcriber's Note: Source:
Die Entfaltung, Max Krell (Ed.), Ernst Rowohlt Verlag, Berlin, 1921,
pp. 220-223.




Ernst Weiß

Die Verdorrten







I.


Edgar und Esther kannten einander viele Jahre, bevor sie einander liebten.
Sie änderte sich in diesen Jahren nicht viel: groß, blond, die Haare schwer
um den schmalen Kopf, schiefgestellt die blauen Augen, ihr Mund groß oder
klein, weich oder hart, kindlich oder verbittert, wie sie eben lebte, an
Regentagen war er anders als an starken, sonnigen.

Er liebte an ihr den spitzigen gotischen Bogen ihres Kinnes, ihr Gesicht
konnte er dann zwischen zwei Finger nehmen, leise hin und her bewegen, und
es strömte wie Licht ohne Grenzen. Für Augenblicke wurde sie, war sie:
wovon er träumte: ein Wesen ohne Wissen, ein Etwas, umschwungen von _ewiger
Sommerzeit_, schwimmend in Duft wie in einer eigenen Welt! Ein Stern, allem
Bekannten unbekannt, entfernt von Tier, von Pflanze, eine starke Gewalt,
beide Hände triefend voll mit Wollust, etwas tiefes zum hineinversinken,
dem Schlafe gleich und dem Tod, dem ersehnten, dem gefürchteten.

Das war sie nicht. Sie war ein Mensch aus bürgerlichen Kreisen, ein Herz,
noch unberührt, in ihrer Blüte ein junges Mädchen. In ihrer Blöße eine
zitternde Braut, das hatte Esther zu geben, das gab sie ihm.




II.


Er wollte sie besitzen, immer zu ihr zurückkehren können. Aber auf die
Dauer konnte er mit ihr nicht leben. Er konnte überhaupt nicht dauernd mit
Menschen Wand an Wand, Mund an Mund, Brust an Brust leben. Es beengte ihn
bis zur Angst des Erstickens: er haßte, er verfluchte, stampfte in die Erde
Vater, Mutter. Die Samtmöbel im Zimmer, die Geliebte, den Hauch ihres
Atems, den etwas vergilbten Einsatz ihres Hemdes, ihr Haar, das er am Tage
nachher in seinem Kamm fand oder auf dem Grunde seines Waschbeckens, alles
reizte ihn zum Erbrechen, als ziehe es sich durch seinen Hals die Kehle
herab! Wie als Kind trieb er sich viel herum auf steinigen Bergen, sprach
zu sich, sang stundenlang zu dem Takte seiner Schritte, zu dem Stampfen der
Lokomotiven, zu dem Surren der Zentrifuge in seinem Laboratorium, während
er umherging.

Er liebte die Freiheit über alle Worte, aber er liebte auch die Menschen,
und zwischen beiden schwankte er. War die Geliebte verreist, dachte er an
sie in allerinnigster Sehnsucht, schwoll an mit der schwersten Qual des
gierigen Geschlechts. Wieder sah er, und die Wehmut jugendlicher Tage kam
nie mehr, die rauschende Halle des Fernbahnhofes, Eisen und gebräuntes
Glas, die überstickte Schwüle des Wartesaales, in Wehmut preßte sich der
kleine Hügel ihrer unbewehrten Brust an seine Schulter beim Abschied des
Abends, feucht und schwer machte der sich verdichtende Nebel ihr sanft
fallendes Haar, rührend rauschte es an seinen Lippen vorbei, demütige
Liebkosung! Wenn sie gerade entschwinden wollte, fühlte er sie ganz: die
holden Brüste, die schräg gleitende Falte, von der Schulter abwärts, ihren
kleinen Fuß, den er wie ein Stück warmes Elfenbein zwischen seinen Händen
rollte, und ihr Duft, unvergeßlich war ihr Duft zu Anfang ihrer Liebeszeit,
scharf und sommerlich zugleich, ein fremdes Gewürz, das sie mit ihrer
Unschuld dahingab, das ihn dann nie mehr zu Tränen überwältigte. Aber wenn
sie wiederkehrte, etwas blieb auf immer verloren.

So erlebte er, daß nicht nur das Sterbliche am Menschen verwesen konnte,
sondern auch das Unsterbliche, die glühende Flamme, Duft von Seele zu
Seele, die letzte, die einzige Wirklichkeit, wie ein Pfeilerbogen gespannt
über zwei Säulen, unerschütterlich dem Blick, aber nicht der Zeit!

An manchen Tagen verblaßte auch das stärkste bei ihnen beiden, das letzte
kam nicht, war nicht zu erreichen, mit den Spitzen der Zähne nicht zu
erraffen.

Schon vorher hatte er sie nackt gesehen, in der schwankenden Kühle ihrer
Gestalt am weißen Porzellanofen, schon früher hatte er ihre Hände in den
seinen gehalten, während sie langsam erkalteten in der beginnenden Glut
ihrer Begierde. Wußte er nicht um ihr Zittern, wie ein Mond wuchs auf der
lichte Stern ihrer Augen, etwas schräg in dem Dunkel des weißwolkigen
Gesichts, und überall war Licht. Unendliche Vereinigung, zweier
Sterngebilde gleichmelodisch schwebender Tanz, Ehe der Ehen, das ersehnte
er. Esther aber war das verführte Kind, der geschlagene Feind, der
bestochene Besitzer, ärmer jetzt als der Bettler, in dessen Hut er seinen
Heller hatte fallen lassen.

Sie waren beide jung, das war ihr letzter Besitz, und er schien
unerschöpflich. Gesundheit lebten sie wie Unsterblichkeit.

Der Sommer war schön, schön war es, auf der Terrasse des Kaffeehauses zu
sitzen nachts, ohne Bewußtsein der Zeit, hinter den verstaubten
Oleanderbüschen gedeckt, Nacht schwebte um sie, sie saßen noch, als das
Licht verlöscht war, und im Dunkel, im Schweigen glaubte der Mann zu sehen,
wie die starren Spitzen ihrer eisenschweren Brüste durch den weißen Batist
ihres Kleides stachen, das, wie bei einem Kinde hoch geschlossen sich
kräuselte um ihren wild pochenden Hals.

Das herrlichste war jetzt nicht mehr das allein mit ihr im dunklen Zimmer,
im Widerschein des dunkelpurpurnen Seidenteppichs, sondern im Freien mit
ihr zu leben, nie hatte er Tage, Nächte empfunden wie jetzt, der Mai, der
Juni, immer wolkenlos, wolkenlos, weit ging er mit ihr, ohne zu reden, bis
in die Nacht, in der Nacht schimmerte ihr weißes Kleid, ihr bloßer Nacken,
wie zart stieg alles an ihr empor! Sie gingen schnell, sie liefen, die
goldene Kette um ihren Hals klirrte, aus ihrer noch von der
Nachmittagshitze erregten Brust schwamm Duft, bitter und süß, duftend ihr
feuchter Mund nach Niewiederkehr, ganz war sie umwölkt von dem quellenden
Safte vieler gepflückter Pflanzen.

Nie fühlte er Müdigkeit, alle Glut entzitterte ihm zu unbeschreiblichem
Entzücken, er liebte sie wie ein hochgeschwungener Ton von der tiefsten
Tiefe aufrührend ihr sommerfeuchtes Fleisch, und beide waren, wie ein
unhörbar hohes, durchdringendes Schwingen am Ende ihrer Liebe am Ende der
erreichbaren Welt. Sein Schweigen nachher eins mit dem Schweigen des
Waldes, ihr Zittern, so mädchenhaft, eins mit dem Zittern der
windgestreiften Birke. Immer neu, immer jungfräulich erwachte unter Bäumen
der nächste Tag den Liebenden. Als sie nach der Reise wiederkehrte, war es
nicht mehr die gleiche Luft, die gleiche Zeit. Sie fühlte tiefer, tiefer
gruben sich ihre Frauenschritte in den Boden.

Ihn hatten diese Monate des Fernseins jünger gemacht um Jahre, er hatte
Esther ersehnt, anders als sie ihn verlassen hatte, leidenschaftlicher,
dunkler, mit krallenden Wünschen, entflammenden Gebärden, wild alles
emporreißend zu dem Unsagbaren, nicht einen nackten Körper bloß, eine
nackte Seele. Sie aber war verwandelt in das Mädchen von einst, geschlossen
zurück zur Knospe, stark im Schweigen. Jungfrau war sie nicht mehr, sondern
einer Mutter Seele, eine mütterliche Zärtlichkeit. Sie war nicht mehr
Esther, er war Edgar nicht mehr, sie lebten hintereinander, stets auf der
Flucht einer vor dem anderen, stets beisammen in unselig verzaubertem
Kreis. Soviel sie zusammen waren, soviel sie einander sagten, sie wurden
einander fremd und seine Treue zu Esther schien ihm Untreue zu sein gegen
sich selbst.

Für kurze Zeit nur, dachte er, mußte er zu der alten Geliebten
zurückkehren, dann erst begann eine neue Zeit, umsoviel herrlicher als das
Jetzt, als Esther in ihren schönsten Sommertagen herrlicher gewesen war als
die »alleinige Zeit« vorher. Aber war es noch Esther? Nur eine Woche oder
zwei hatte er sie gemieden, nun erkannte er sie kaum mehr wieder. Ganz grau
wurde die alte Geliebte neben ihm. Jetzt war sie nichts als die Vernunft,
der tägliche Tag, die kleine Entzauberung, die Wirklichkeit. Ihre Haare
waren noch lastend und blond, aber Esther selbst, in ihrem innersten Wesen
schien ihm furchtbar ergraut.




III.


Lange schon fühlten sie beide, daß sie einander nicht mehr mit Liebe von
einst liebten, aber sie wußten zuviel voneinander, sie waren einander
gewohnt.

Seine chemische Fabrik, die er in einem Vorort hatte, ging schlecht. Es kam
eine gute Gelegenheit, sie teuer zu verkaufen, und in dem in eine
Aktiengesellschaft umgewandelten Unternehmen noch eine fast leitende
Stellung zu erhalten. Aber war das ein glücklicher Zufall, so bewährte sich
das Glück auf der Börse, wo er zu spielen begann, nicht so sehr. Er verlor
die Hälfte seines Vermögens an drei aufeinanderfolgenden schrecklichen
Tagen, das letzte ließ sich nur abwenden, weil er mit dem seine Geschäfte
führenden Bankier seit Kindeszeiten befreundet war und der Bankier keine
weitere Deckung verlangte, so daß das Engagement vielleicht bei einer
Besserung der Konjunktur doch noch ohne großen Schaden abgewickelt werden
konnte. Auf alle Fälle hatte er die fast leitende Stellung in der Fabrik,
es war zwar sicheres, aber doch fremdes Brot und manchmal bitter für ihn.
Es waren kleine Verhältnisse, in denen er lebte.

Die alte Geliebte war ihm auch jetzt treu. Sie hatte nie an besondere
Glücksfälle geglaubt, sie war die Wirklichkeit, die Vernunft. Immer blieb
die Sorge bei ihr, die Angst bewachte jede Umarmung. Das Keuscheste wurde
schamlos, wenn sie, die Geliebte des Verarmten, daran dachte, daß sie ein
Kind bekommen könnte.

Sie suchte und fand einen »Gelderwerb«. Leicht war es ihr nicht, die an
fremden Türen zu klopfen nicht gewohnt war, aber es war leichter, als Edgar
»zur Last zu fallen«. Das Böse der bösen Tage draußen, trieb ihn und sie zu
ihr und ihm.

Verzweiflung kam nach Jahren, kam nach lange geduldig getragenen
Enttäuschungen. Er verzweifelte an ihr, sie am Leben.

Aber nach erbitterten Faustkämpfen mit Worten, denn zur Gewalt liebte er
sie nicht genug, nach Hieben mit alten Beschuldigungen, längst verjährten
Sünden, gab es Umarmungen, es rauschten wortlose unbeschreibliche Nächte.
Auch er erwachte aus ihrer Schwäche nicht mehr strahlend wie einst und
herrlich verjüngt -- beide entstiegen sie der Dunkelheit gealtert,
verwüstet, entgöttert. Aus einer dieser Nächte wurde das Kind.

Sie dachten lange nicht daran, daß »es« möglich sein könne, aber dann kam
eine Zeit, da sie einstimmig lachten, wenn sie davon sprachen, aber allein
gelassen Gelübde ablegten für den Fall, daß das »Unglück« nicht einträfe.
Es war mehr als Unglück, es erschien ihm als völlige Vernichtung seines
Lebens, Erstickung jeder besseren Zukunft. Esther aber hatte sich endlich
daran gewöhnt, die Schwefelsäure in ihrem Zusammenleben mit ihm zu
ertragen.

Sie war reifer geworden, denn sie fürchtete nichts mehr. Anderen Männern,
wie dem Bankier, trat sie mit Sicherheit entgegen, es war ihr trauriger
Triumph, daß niemand von ihrer Verbindung mit Edgar wußte. Sie spielte mit
den anderen, und so tränenselig sie bei Edgar war, so konnte sie doch in
großer Gesellschaft verführerisch lächelnd am Klavier stehen, leicht über
die Tafel des Instrumentes gebeugt, sehr schlank in der zarten Linie ihrer
an den Flügel geschmiegten Hüften. Oft sprach man von Liebe und Ehe und sie
erzählte mit mädchenhafter Schwärmerei von einem edlen Jugendgeliebten, der
nun in Afrika oder sonst an einem Ende der Welt als Elefantenjäger lebte.

Edgar konnte nicht jeden Tag mit der ungeliebten Geliebten zusammensein,
aber auch Einsamkeit ertrug er nicht, sie machte ihn irr, wahnsinnig, jagte
ihn in ewige Flucht durch die ewige Verfolgung des eigenen Ich, in Furcht
vor dem Wahnsinn fieberte er, wie in der Zeit vor Esther. Er konnte nicht
ohne Bücher, Zeitungen leben. Mußte er einmal eine Stunde allein sein, dann
las er, rechnete, schrieb, blieb lange über die Arbeitszeit in dem ganz
verlassenen Laboratorium, zündete die Gashähne der Bunsenbrenner an,
stellte sie wieder klein, nutzloses Werk, Werk des nutzlosen, endlich warf
er sich auf ein Sofa, zog den Rock über das Gesicht, tat sich Gewalt an,
langsam zu atmen, irgendwie sich zu schützen vor der großen Angst, dem
idiotischen Verhängnis, das an unrechter Stelle »Feuer gefangen hatte«.
Gebrochen, zermalmt kam er abends zu Esther, die in seiner Wohnung auf ihn
gewartet hatte. Auch da war es unerträglich. Sie hatte, rührend und
unerträglich sanft wie immer, mit dem Abendbrot auf ihn gewartet, nun trieb
er sie hungrig zu einem Spaziergang, rannte sich müde, schleppte sie durch
unbekannte Gassen, durch Fabrikhöfe, über Schutt- und Schlackenhaufen,
endlose Straßenbahngeleise entlang. Er sprach nun, redete hemmungslos ins
Unmögliche, übertäubte alles, endlich war er müde genug, um sie zu küssen.

Endlich doch, und nachher, in einem befreiten Aufatmen gestanden sie
einander ihre Sorgen ein, und als sie lange genug einander eingeredet
hatten, daß »es« unmöglich sei, begannen sie Pläne zu schmieden. Jetzt, da
er neben ihr lag, und ihr mattes Haar schimmern sah im Licht der Laterne
draußen, da seine Finger sich um ihre nackten, wie Pfirsiche zu tastenden
Knie spannten, jetzt lebte sie in ihm, unverlierbar.

Er mußte fort, die Stadt beengte ihn, jetzt hatte er eine brutale
Arbeitslust, er mußte eine neue Freiheit haben. Er sprach nicht für sich,
sondern doch für beide? Es war das beste, das einzige für sie, es handelte
sich nur um Monate, um wenige Jahre, um wenige tragende Ideen, die Ideen
waren einfach, das Geld lag auf der Straße, der Bankier glaubte auch daran,
aber hier konnte er sie nicht zuende bringen, da er sich zu sehr um seinen
Liebling, um Esther sorgen müsse. Vor allem mußte doch für sie gesorgt
werden, er wollte viel Geld verdienen, »Brüsseler Spitzen handbreit um das
da« flüsterte er, während er mit falscher Schmeichelei ihr nacktes Knie
umfaßte.

Nach einem langen Schweigen sagte er leise, wenn sie beide alt geworden
wären und müde, dann könnten sie einander heiraten.

Für alles war ein Ausweg, ein guter Trost, nur diese unheimliche
Möglichkeit mußte fort, dieses Gespenst einer Familie, einer Kinderschar
bei einem Einkommen von 2 800 für alle. Dieses Gespenst erst mußte fort,
alles stand ja gut, morgen konnte man in Sicherheit sein, auch sie, die
vielumsorgte Esther, morgen oder spätestens in einer Woche.

Aber es kam nicht zum Aufatmen, von neuem gab es Kämpfe, hartnäckigen
Widerstand gegen das ungeborene Kind. Die mathematische Wahrscheinlichkeit,
die klare Vernunft, der höhere Sinn des Lebens wurden dagegen zu Hilfe
gerufen. Sah die Geliebte gut aus, dann sprach ja ihr rosiger Teint
dagegen, hatte sie ein verfallenes Gesicht, dann war sie eben krank, und
diese Krankheit täuschte das Kind vor, das nicht da war, weil es nicht da
sein durfte.

Aber es war doch da. Er schickte sie zum Arzt, nur zur Beruhigung, um seine
Sorgen loszuwerden. Sie kam sehr bald zurück, setzte sich still und ruhig
zu ihm, so ruhig, daß er aufatmete. Waren sie befreit? Nein. Es war da. Es
gab keinen Zweifel mehr.

Und warum weinte sie nicht?

Sie weinte, er hatte ihre Tränen nicht bemerkt. Seitdem sich ihre Liebe so
sonderbar geändert hatte, hatte Edgar verlernt, sie zu trösten. Nur er
konnte es, sagte sie. Einmal war sie von einem Wagen beinahe überfahren
worden, der Kutscher hatte sie in den Kot gestoßen und nachher noch gemein
beschimpft. In zerrissenen, mit Straßenkot getränkten Kleidern war Esther
zu ihm gekommen, ihr krampfhaftes Weinen war jammervoll. Er hatte sie wie
ein Kind getröstet, in zehn Minuten hatte sie gelacht und in seinen Armen
vor Lust sich gekrümmt, während die Kleider am Herd trockneten.

Auch jetzt tröstete er sie. Aber sie wollte nicht Lust. Sie war still, seit
langem hatte sie »es« gefühlt, daß es kommen mußte, gewußt seit der ersten
Nacht, vor so langer Zeit. Aber sie hatte sich nie mit Schmerzen an dieses
»es« in Gedanken geklammert, vielleicht es immer gewollt, »es« allein. Aber
sein Unglück war nicht zu ermessen? War es so schwer?

Sie liebte ihn jetzt mit einer so sublimen, außerirdischen Liebe, ganz ohne
Grund, denn wenn Gründe gegolten hätten, wie hätten sich die Verstummten
jetzt in die Augen sehen können?

Draußen regnete es im Gewitter. Es war ein später Apriltag und ungewöhnlich
warm. Als sie auf die Straße kamen, hörte der Regen auf. Sie gingen in den
Park. Langsam hoben sich die Blätter in der abendlichen Sonne, befreit von
der Feuchtigkeit. Goldfarbene Regenwürmer schlängelten sich über
ockerfarbigen Sand, die zart gestrichelten Glieder schienen sich neu aus
dem Innern der Würmer zu gebären. Die Vögel sangen, am Abhang sah man einen
Knaben einen weißen Reifen vor sich hertreiben, Liebespaare schwankten
seitwärts in tiefen Schatten. Von überall kamen die Regenwürmer hervor,
schwer war es, sie nicht zu zertreten. Während der Mann sein ganzes Wollen
hinzwang, zu schonen die goldenen Windungen der schädellosen Tiere, fühlte
er mit Entsetzen, daß etwas ebenso wortloses, ebenso lebendiges im Schoße
Esthers lebe und nicht zertreten sein dürfe. Er wollte »es« also zertreten?
Er wollte es, er wußte in seiner Seele, daß er dieses ungeborene Kind
haßte. Er konnte nicht ertragen, dieses gegen seinen Willen Lebende lebend
zu wissen. Es sprach nichts. Sie sah ihn von der Seite an, nicht anders als
sonst, sie lehnte an seinem Arm, mit der gleichen unerträglich sanften
Wärme wie sonst.

Er führte sie zur Vorortbahn; noch war es Zeit, hinauszukommen, bevor es
dunkel wurde. In schwebendem Entzücken hatte er sonst die rußbeschwerte
Luft der Lokomotive eingeatmet. Wie wundervoll waren die schwarzen Berge,
an den Konturen leicht gezähnt, wie herrlich weiße Blütenbäume zur Nacht,
Wirtshäuser mit Blechmusik am Sonntagnachmittag, Wege, wie Wurzeln sich
krümmend, in die Täler gezielt, Waldgründe in Sommerfeuchtigkeit gewölkt,
lichte Blumen, gestützt auf leichte Moose. In allem hatte er sich
wiedergefunden. Daß anderes lebte, machte auch ihn aufs tiefste leben.

Alles war jung, blühend, glücklich um ihn, den Glücklichen. Bis auf den
heutigen Tag. Nun war schon das Abteil wie ein Krankenzimmer. Alles war
erfüllt von Berechnung, von Enge, von ewigem Absorgen. Endlich waren sie im
Freien. Aber noch nicht frei genug. Er fragte sie, ob sie in ihrem Zustand
gehen könne, ob ihr die Feuchtigkeit nicht schade, mußten sie langsam
gehen, oder noch nicht?

Die Nacht war tief. Verborgen die Lichter des Ortes hinter schwankenden
Zweigen. Ein Vogel schrie, pickte auf dem schon trocken gewordenen
Waldboden hin und her, Bäume traten über einem kleinen Weg zusammen, die
Kronen verschlangen sich, der Himmel verschwand, der Pfad war ein Tunnel.
Weit vorne, jenseits der Lichtung, führte die Landstraße, ein Wagen
knarrte, wie Honig schimmerte das Licht der Laterne.

Sie hatten von der Schweiz gesprochen, wenn er angegesichts der sicheren
Sorgen auf alle großen Pläne verzichtete, gab es ja eine Möglichkeit. Er
machte sich klein, er war im Augenblick der Mitleidwürdige, er wollte
verzichten für sich, wenn es dann für Esther und das Kind reichte. Er
stellte eine Bilanz auf, rechnete Ziffern zusammen auf seiner bloßen Hand,
gut, ein ganzes Leben voll von Geldsorgen, eine elende Existenz auch für
das Kind, aber es mußte ja sein? Kinder proletarischer Eltern, für die
nicht vorgesorgt war, nicht einmal Wäsche war vorbereitet für Esthers Kind,
hatten keine starken Lebensaussichten, aber ein Zufall konnte es doch am
Leben erhalten? Sie ließ ihn reden, atmete schnell, sagte nichts.

Seit diesen drei Stunden sah ihr jeder die Schwangerschaft an.
Zusammengeklumpt ihr sonst so zartes Gesicht, schwer ihr Gang, nichts mehr
von dem Mädchen Esther, dem knabenschlanken.

Frühere Tage! Einst verlebte Herbststunden, so kühl, Wintertage, klar
belebt, schwarz der Himmel in seiner tiefsten Bläue! Erwachendes Frühjahr,
die Zweige geschwellt, warme Luft und warme Blätter, Esther voraus am Wege,
rechts und links zugleich, von überallher ihr zwitscherndes Lachen, von
überallher die Überraschung ihrer herrlichen Jugend, immer auf der Flucht,
bis es plötzlich neben ihm aufrauschte, lautlos aufschwellend neben ihn
sich drängte, scheu, wollüstig, Esther.

Heute, am siebenundzwanzigsten April, im vierten Jahre ihrer Gemeinschaft
war Esther die unentrinnbare. Gegen seinen Willen zerrte ihn das
unsinnigste Verhängnis zu der alten Geliebten, er mochte sich wie immer
seine Zukunft vorstellen, irgendwo kroch doch dieses Kind umher. Er sah es
immer im Alter von drei Jahren, ein halbes Tier, ohne Sprache, zudringlich,
drohend, es zwang ihn, es zu hassen, wie es sich erzwungen hatte, auf der
Welt zu sein. Aber die anderen, Esther und dieses Kind, wie fühlte er, daß
diese anderen einander lieben würden ohne ihn! Er entschloß sich. Er
zerstörte dieses Kind in seinen Gedanken, dann erst konnte es in Esthers
Gedanken zerstört werden, und am Ende in Wirklichkeit.




IV.


Edgar ging schnell, er lief, Esther begriff ihn noch nicht, sie eilte ihm
nach, er rannte dahin, sprang über Wurzeln, die hoch bogenförmig sich
spannten über kaum sichtbare Saumpfade. Winterlich schwere Gebüsche trat er
herab, sie folgte ihm, schweigend, ihr Atem jagte, ihr Herz schlug.

Noch waren die Bäume feucht vom Regen, die Erde schwer am Fuße der hohen
Bäume, wo kein Gras wuchs. Er lief weiter, beflügelte sie, verzweifelte
Leidenschaft ließ sie jetzt dahinstürmen, Hand in Hand, er hielt die Zweige
von ihren Augen ab, aber Esther riß er hoch, vor dem Abhang, der Dämmerung,
der Tiefe.

Jetzt hatte sie wieder das alte Gesicht, wollüstig und scheu, Esther, aber
war sie mit neuer Jungfräulichkeit geschwellt, »es« lebte noch, »es« würgte
ihn wie ein Haar, in seiner Kehle tief. Aber Edgar und Esther, gemeinsam
rasend in hingewölbtem Schwung, weiter Wiesen erstes Grün, unter den Füßen
sinkender Hang, rollend in Geröll, fliehender Mond unter spiraligen Wolken,
blasender Wind über der nächtlichen Waldblöße, der kalt versteinerten
Ebene, von einem einzigen Trieb getrieben, schleuderten sie hin auf den
Boden: Brust an Brust, Fleisch an Fleisch: in einer verzweifelten Umarmung
umarmten sie ihre ganze Liebe noch einmal.

Tränen wurden. Überwältigung. Nun war Esther das Wesen ohne Wissen, die
allem Bekannten unbekannte, ein nackter Schoß, eine Seele nackt, nicht der
mütterlich schützende Leib, sondern nur des Geliebten Geliebte, Braut.

Sie schämte sich, ihn anzusehen nachher. Von dem Kinde sprach sie nicht
mehr. Sie zitterte in Schmerzen, war elend, ohne Mitleid grub der Geliebte
seinen Blick in ihr gemartertes Gesicht. In Esthers Gedanken war »es«
zerstört. Sie kam an dem nächsten Tage in ein Privathaus. Sie gab einen
fremden Namen an. Er durfte ihr nicht schreiben, aber sie durfte es. Sie
sagte ihm, er solle sich keine Sorgen machen, das war Hohn und Zärtlichkeit
zugleich. Er ließ sie dort, lange ging er unter den Fenstern hin und her.
Hunde bellten, Kinder schrien, eine Maschine, vielleicht in einer
Druckerei, bewegte sich stöhnend. Ein sehr schönes, sehr junges Mädchen
ging vorbei, so leichte zarte Hüften, so feine Knöchel in glimmernden
Seidenstrümpfen. Zum erstenmal ergriff Edgar Schmerz um die Geliebte, er
wußte, über diesen Tag konnten sie weiterleben, aber nicht mehr so wie
jetzt, eine Esther war auf ewig verloren, wenn auch eine Esther wiederkam.

Am nächsten Tage hatte er nur Angst. Angst vor dem notwendigen »Eingriff«,
Angst, daß Esther im letzten Augenblick Angst vor dem Eingriff bekäme und
»es« zu retten versuchte. Fremde Augen, fremde, robuste Hände, brutale
Worte, ihre, der armen Esther kranke Nacktheit fühlte er als seine eigene
Schande.

Am dritten Tage dachte er nur an ihren Tod. Tausendmal war solches
geschehen, die blühendsten Menschen hatte »es« so hinweggerafft, warum
sollte es nicht sie hinwegraffen, die er liebte? Er liebte sie? Alles,
fühlte er tief erschüttert, tat sie seinetwegen, unauslöschlich war seine
Schuld, ohne Grenzen ihre Liebe.

Was lag jetzt an der Freiheit, an dem ersehnten Alleinsein, an eines neuen
Lebens Beginn? Er konnte sich nicht betäuben, Wein wirkte nicht gegen
Wirklichkeit, die Welt war zu klein für Flucht. Sie sprechen, ihr
schreiben? Esther lag vielleicht schon in dieser Minute auf dem schmutzigen
Seziertisch eines Vorstadtspitals, sie krümmte sich nicht unter der
knochigen Hand eines betrunkenen Sezierdieners, der ihren zerstörten Leib
mit groben Bindfaden zusammennähte. Aber nicht erst der Tod, schon er,
Edgar, hatte diesen Körper aufgerissen, ihn mit einem Atom Lust gefüllt und
mit einem Berg von Schmerz und Tod. In ihren Fenstern war es dunkel.

Gebrochen von Ekel und Wut kam er nach Hause.

Schlaflos saß er die ganze Nacht, eingehüllt in graue Dumpfheit, mit der
Hand ohne Aufhören ein Stück Kerze knetend, bis es, klebrig und grau
geworden, an seinen Fingern hing. Am Morgen ging er zu ihr.




V.


Esther, in verdunkeltem Zimmer, riß ohne Worte seine Hand in eine eiserne
Klammer zwischen ihre Schulter und den seitwärts gesenkten Kopf.

»Vorbei?«

»Nein, laß es mir, laß es!«

»Habe ich dich je zu etwas gezwungen?«

»Willst du es?«

»--«

»Ein Tier, eine wilde Bestie läßt man austragen, wer läßt die Mutter leben,
das Muttertier, und vertilgt das Kind?«

»Habe ich dich hergebracht? Wer kann dich zwingen?«

»Nein, nicht so. Du willst mich nicht, das verstehe ich so gut. Du, was war
ich als Geliebte? Als Mutter werde ich leben!«

»Leben, wovon? Du und dein Kind, und ich, der letzte, aber doch auch ein
Mensch.«

»Ich werde arbeiten.«

»Du hast doch bis jetzt gearbeitet und doch muß ich es bezahlen, wenn du
hier zu Bett liegst. Ist das gemein? Es ist so.«

»Im Bett? Ich erwarte ihn.«

»Wen?«

»Der es schlachten soll!«

»Schlachten! Worte! Kleide dich an, komm fort. Wie du willst.«

»Nicht so. Nicht so! Ist es nicht von dir? Ich habe dich doch geliebt,
kannst du es nicht fassen, ich bin nicht mehr, was du bis jetzt bei dir
gehabt hast, in mir ist jetzt etwas anderes, ja, da, da,« sie nahm seine
Hand und führte sie an ihre eisenschwere Brust, die von Feuchtigkeit
triefte, wie ein Baum im Mittagsgewitter August, »das fließt aus mir, seit
der Hetzjagd im Wald, seit diesem Abend.«

»Meine Brust ist Mutter, ich soll es nicht sein?«

»Wer besteht darauf, ich bin der letzte . . .«

»Der letzte! Der letzte!« Sie drückte auf einen Klingelknopf, ein
stämmiges, dickes, kleines Weib, wie ein Insekt lackartig glänzend in
spiegelnder Wachstischschürze bis zu den Fersen, erschien: »Gnädige Frau?«

»Kann der Arzt kommen? Kann er augenblicklich kommen?«

»Wir werden telephonieren«, sie verschwand, entglitzerte.

»Ich gehe«, sagte Edgar.

»Nein! Soll >es< vertilgt werden, dann unter deinen Augen!«

»Esther!«

»Nun?«

»Wie soll ich dir danken?«

Knirschend hervorgerollt, »Edgar!«

Das Weib: »Der Herr wird sofort kommen, zur Untersuchung.«

Edgar: »Untersuchung?«

»O, keine Angst. Dein Wille geschieht, es ist ernst, _Liebling_!« Zu dem
Weib: »Kann ich meine Kleider anbehalten, muß ich nackt sein?«

»Aber Gnädigste, wie Sie wollen! Es ist höchstens, daß etwas schmutzig
wird.«

»Dann kleide ich mich an.«

»Aber, Gnädigste, der Herr . . .«

»Mein Bruder.«

Der Arzt: »Wir wollen also gleich uns umsehen. Aber hier, der Herr?«

»Der Bruder der Dame.«

»So, also der Bruder der Dame. Sie können, verehrte Gnädige, das Tuch ohne
Besorgnis vom Gesicht nehmen. Ich bin Arzt, sollten wir uns in Gesellschaft
treffen, sind Sie mir fremd, ich Ihnen . . . selbstverständlich . . . unser
Eid, übrigens, welche Bagatelle, eine Untersuchung, sonst nichts!
Schmerzlos.«

Esther, ein Tuch um den Kopf, ihr Gesicht zu verbergen, wankte an Edgars
Hand aus dem dunklen Zimmer, von Ihrer Brust rann Mütterlichkeit, Nässe
fast schwarz auf leicht vergilbten Spitzen. Halbblind erturnte sie den
hohen Operationstisch. Sie sagte nichts, seufzte nicht. Ihre Hose,
handbreite Stickerei um die Knie, so mädchenhaft, ihrer Schenkel edel
geschwungenes Fleisch, alles goldgelb, elektrisch umgleißt vom blendenden
Scheinwerfer. Sie stieß Edgars Hand von sich, er schlich in den Winkel,
Metall klirrte, Wasser rauschte.

»Also? Es ist vorbei, meine Dame! Die Untersuchung hat nichts --
bedrohliches ergeben. Sollten aber doch, was nicht vorauszusehen, und nicht
beabsichtigt, gewisse Blutungen einsetzen, so bitte mich zu verständigen,
auch zur Nacht! Sie! Sie,« er stieß Edgar an, »helfen Sie, machen Sie mit,
tragen Sie mit mir Ihre Schwester in ihr Zimmer zurück!«

»Lassen Sie ihn!« Unter einem Schwall von Tränen schleuderte sie das Tuch,
das ihr Gesicht verbarg, zur Erde, gebückt wie ein Tier, schwer schleifte
sie durch das helle Zimmer in ihren Raum, wo im Dunkel Hitze brütete.




VI.


Am nächsten Tage rief Edgar seine Geliebte an, es meldete sich die Wirtin,
sagte, alles gehe gut, nach zwei Tagen hieß es, die Dame sei bereits auf
dem Wege der Besserung, immer wurde Esther an den Apparat gerufen, sie kam
nie. Er schrieb ihr. Seine Vermögensverhältnisse hatten sich gebessert, er
konnte Esther eine unvergleichlich schönere Existenz verschaffen, sie
sollte in den Beruf nicht mehr zurück. Er war erschüttert, besänftigt durch
ihre Tat, daß »es« nicht mehr lebte, gab ihm ein neues Dasein, eine neue
Gewalt, da sein Wille sich durchgesetzt hatte, Esthers Liebe zu ihm die
Natur überwunden hatte. Aber sehr lange erfuhr er nichts von ihr, als daß
sie lebte, dann schrieb sie auf einer bunten Karte mit unleserlichem
Poststempel: »Bitte, mir jetzt nicht zu schreiben.« Drei Tage nachher las
er in der Zeitung, daß sie sich mit dem Bankier Anschütz, seinem Freund,
verlobt hatte, sechs Wochen nachher fand die Trauung statt ohne Fest, nur
in Gegenwart der Zeugen.

Edgar verreiste, seine Aktien waren inzwischen von 700 auf 825 gestiegen.
Kaum war er zurück, wurde er telephonisch angerufen, der Bankier meldete
sich: Edgar sprach seine Glückwünsche aus, aber nicht darum handelte es
sich, die Papiere wankten, sehr sicher war nichts, sollte man verkaufen?
Der Bankier antwortete nicht, die Verbindung wurde wie durch Zufall
unterbrochen. Edgar, der seine Ruhe und sein Kapital für eine Erfindung,
einen neuen Farbstoff, brauchte, rief nochmals an, Anschütz antwortete
etwas ungeduldig, er könne seinen Rat nicht mehr wie bisher »unter
Freunden« gehen, die Verantwortung sei zu groß. Schließlich riet er Edgar,
entweder augenblicklich, wenn auch mit Verlust loszuschlagen, oder zu
warten, er selbst scheide aus, Edgar fühlte erst beim letzten Wort am
Telephon, daß er einen Freund verloren hatte.

Nun lebte er, ganz wieder, wie in der Zeit vor Esther, in seine Arbeit
hineingezwungen in seinem Laboratorium. Er hatte mit der Unterstützung
eines jüngeren Kollegen eine Erfindung gemacht, ein nie dagewesenes Rot,
eine wundervolle Farbe, säureecht, unzerstörbar.

Nach Wochen meldete sich der Bankier wieder, er rief nachts an. Am Telephon
hörte man Summen, Musik, wie auf einen Gummifaden gespannt. Es sei
Gesellschaft bei ihm, sagte er, dennoch riefe er an. Die Papiere zeigten
Tendenz nach abwärts, sollte man abstoßen? Er entschuldigte sich mit keinem
Worte, das er den früheren Freund nicht zu sich einlade, ihm nur so im
Vorübergehen am Telephon seine Entschlüsse abzwinge. Verantwortung
übernehme er nicht, riete aber doch dazu zuzuwarten, die Deckung, für die
er seit zehn Jahren aus eigenem gebürgt, müsse freilich erhöht werden. Wie?
Vielleicht einen Vorschuß auf den Gehalt Edgars als Chemiker, denn auch die
Fabrik, in der Edgar arbeitete, gehörte der Bank Anschütz.

Drei Tage nachher war alles verloren, die Aktien standen so tief, daß Edgar
dem Bankier einen Betrag schuldete, der nie abzuzahlen war. Aber Esther,
zum erstenmal Esthers Stimme am Telephon, sagte, er solle sich keine Sorgen
machen, Edgars Stellung in der Fabrik, fast leitend, blieb. Edgars Stellung
in der Fabrik, fast leitend, war unhaltbar, denn sein Mitarbeiter, der um
acht Jahre jüngere Mitarbeiter, wurde Chefchemiker, stand über Edgar. Die
Erfindung, bei dem verpfändeten Gehalt die einzige Rettung, war beiden
Chemikern bekannt. Trat Edgar aus, blieb dem Jüngeren alles, mit ihm
zusammenzuarbeiten war trotz der Demütigung, die der alternde Edgar auf
sich nehmen wollte, unmöglich. Der Direktor der Fabrik war machtlos.
Anschütz war der Herr, Anschütz hatte es so verfügt. Aber die Erfindung,
das neue Rot, wurde von Anschütz dem Assistenten zuerkannt. Edgar hätte
doch nichts dabei getan, als die schmutzigen Probiergläser auszuwaschen,
und sich unaufhörlich die farbigen Hände mit Bimsstein zu reinigen. Das war
Lüge? Dann sollte doch Edgar persönlich zu Anschütz, und freundschaftlich
alles aufklären. Edgar ging. Anschütz war stets unerreichbar. Man ließ ihn
warten, niedersitzen in einem ungeheizten Zimmer, nebenan war Anschütz zu
hören, wie er lachte, mit Esther sich lange unterhielt, seine Schritte
schienen oft nahe der Tür, seine Hände drückten schon an der Klinke; Edgar
erhob sich, aber niemand kam, es wurde still. Edgar nahm sich zusammen, er
trat ein, fand Esther allein. Sie war sehr elegant, mit Schmuck behängt,
sehr verjüngt, ein junges Mädchen, ein glücklicher Mensch.

»Was willst du? Deine Stelle ist vergeben, nicht einem besseren, einem
anderen einfach. Warum hast du so lange gewartet? Die Stadt ist zu klein
für Edgar und Esther. Die Welt ist groß. Man wird dich entschädigen. Du
erhältst Nachricht. Kommen? Nein, man schreibt dir.«

Nach kurzer Zeit kam ein Angebot. Edgar reiste in den Ort, der frühere
Chemiker war an Lungenblutungen erkrankt, er lag in elendem Zustande in
einem verlotterten Hotelzimmer. Die Tätigkeit, unaufhörlich in feuchten
Salzsäuredämpfen, verätzte jede Lunge, auch sein Vorgänger sei erkrankt,
erzählte er und warnte.

Edgar kehrte zu Esther zurück. »So, das ist schade,« immer lächelnd, »wozu
es leugnen, ich will dich nicht hier.«

»Man wird mich nicht sehen.«

»Aber, Edgar, wozu die Demütigung, vor ihm, meinem Mann. Du!«

»Denke doch, du zwingst mich zum Selbstmord, erinnere dich . . .«

»Erinnern? Liebe ich dich nicht? Aber wir sprechen von Geschäften. Warum
hast du deine Papiere nicht behalten, du wärest Millionär. Wozu es leugnen,
es machte mir Spaß, und für ihn, meinen Mann, war es ein gutes Geschäft.
Mein Rat ist: Gehe ruhig in die Fabrik, die neue Farbe gelingt dir, dann
bist du dein eigener Herr. Das war doch stets dein Wunsch. Aber beeile
dich, auch die Stelle dort könnte besetzt sein.«

Edgar reiste hin, arbeitete den ganzen Winter dort, schlief in dem Bett des
erkrankten Vorgängers in dem verlotterten Hotel. Die Zeit war fürchterlich,
er hatte alle Mühe für die Fabrik, dazu reichte kaum der Tag, die Nacht
brauchte er für sein _Rot_.

In einer Märznacht schlief er bleiernen Schlaf, auf die Glasplatte des
Tisches gesunken. Er träumte, er schwämme durch das Meer, im Munde alle
salzige Bitternis des Meerwassers, und Esther, über den Bord eines Schiffes
gelehnt, schütte neue Bitternis in seinen Schlund. Er erwachte. Es war
Blut.

Er reiste zurück, zu dem einzigen Menschen, den er kannte, Esther: »Blut?
Einfache Lungenblutungen, Tuberkulose ist es nicht.«

»Du bist gut unterrichtet.«

»Ich denke viel an dich, weil ich dich liebe. Du bist grau geworden. Mußt
du das?«

Sie fuhr mit ihrer Hand in den Schlitz seines Hemdes, befühlte wie ein
Liebender Edgars Brust, sein hart pochendes Herz, seine Haut, die schwamm
in bitterer Feuchtigkeit.

»Ich will dir etwas sagen, aber nicht hier. Ich will dir etwas vorschlagen,
nur ein Geschäft, aber nicht hier, willst du?«

»Komm zu mir?«

»Kommen? Wohin?«

»Hast du vergessen, wo ich wohnte? Esther, hast du vergessen? . . .«

»Habe ich vergessen?« sagte sie und ein fürchterliches Lächeln ging um
ihren Mund.




VII.


Am nächsten Abend, Esther zu Edgar: »Was ich von dir will? Ein nacktes
Geschäft. Ich bin zwei Jahre verheiratet, mein Mann ist jung, ist stark,
jünger, stärker als du. Aber ich bin nicht mehr fruchtbar.

Meine Brust hat zu fließen nicht mehr aufgehört, in mir ist es Mutter, wie
kann ich weiterleben? Steh jetzt nicht auf, rühre dich nicht, du wirst
deine Kräfte noch brauchen, heute Nacht, das ist mein Geschäft.

Du bist in Geldsorgen, so kann dir nur durch Geld geholfen werden. Dieses
Geld erhältst du, wenn du mir meinen Willen tust und dann verschwindest,
das wird auch deine Absicht sein, denn zu sagen haben wir uns sonst heute
nichts. Nimm mich, aber nimm mich nicht als die Esther, die du gehabt hast.
Jetzt will ich nur eins: fruchtbar sein. Ich bin ohne Kleider vor dir
gelegen, nackt bin ich jetzt vor ihm, nachts wälze ich mich über ihn,
meinen Mann, aber er ist eine unfruchtbare Quelle, wer konnte das vorher
wissen? Aber jetzt genug Worte, ist es dir heute recht? Kann ich angezogen
bleiben, soll ich nackt sein, mir ist es gleich. Wie alles, nur das eine
nicht, >es<.«

Er tat es aus Not. Ohne Worte, wie sie es verlangte, umwand er die
verwandelte Geliebte in eine kalte Umarmung.

»Liebe ich dich noch?« sagte sie, »zürne ich dir, du hast mich zum Menschen
gemacht, du hast mich zum Tier gemacht. Und du, und du,« sie strich mit
steinernem Finger eine tiefe Linie von der Halsgrube über das Brustbein den
Leib hinab den schmerzlich aufatmenden Geliebten, »jetzt, wo du leidest,
bist du Mann. Deine Lunge wund? Daß deine Wunde nicht außen liegt, Esther
würde dich heilen.« Sie überbreitete sich ihm, Feuchtigkeit, lauwarme,
streifte, wie einer Weide regengetränkte Zweige, seine hingestreckte
Gestalt, ihre langen Augenwimpern, tränenumflossen, liebkosten sein
vereistes Herz mit Liebkosungen, ungeahnt.

Er fühlte: Hätte ich doch einen Stachel, eisern, rostig, mit Widerhaken,
damit ich ihn in sie bohren könnte!

Er sagte: Mein Geld, wann?

»Morgen, erwarte mich etwas früher.«

Am nächsten Tage war sie schon um fünf Uhr da, sie verdunkelte das Zimmer,
entkleidete sich, erwartete ihn. War er roh, sie freute sich. Geld brachte
sie nicht.

Am dritten Tage: »Es ist genug, ich will nicht mehr.«

»Was habe ich dir getan? Edgar?«

»Was noch? Du weißt alles. Mein Vermögen . . .«

»Mein Kind . . .«

»Meine Stellung, meine Zukunft, die Erfindung . . .«

»Mein Kind . . .«

Er riß Furchen in sein verstörtes Gesicht, er grub mit seinen von der
Färberarbeit farbig gebeizten Fingern Gruben zwischen Stirn und Mund:
»Meine Gesundheit, mein Leben, mein Mund voll Blut?« Sie schwieg. »Bist das
alles nicht du?«

»Es ist heute zum letztenmal, der Abschiedstag. Wobei soll ich schwören?«
Auch am nächsten Tage brachte sie nur Zärtlichkeiten, Geld aber nicht. Er
ergriff die im Zimmer lüstern Umhertaumelnde an den Fußknöcheln, stürzte
sie von untenher krachend auf den Erdboden. »Hast du kein Erbarmen, was bin
ich dir?«

»_Liebling_« flötete Esther.

»Noch bin ich nicht wehrlos. Für mich habe ich nichts mehr zu hoffen,
endlich sehe ich das Muß, aber du sollst nicht reine Freude haben.« Er fuhr
mit beiden Händen unter ihr Beinkleid, mit den Händen es ausweitend,
zerfetzte er es zischend, mit den Nägeln riß er Stücke heraus und ballte
sie in einen Knäuel in seiner Faust. Sie hielt ihm ihr weißes Gesicht
entgegen, voll Hohn: »Wie willst du mir drohen?«

»Ein Wort an deinen Mann . . .«

»Und wenn er es weiß? Wenn er mich herschickt zu dir? Aber gleich. Es ist
genug. Ich bin zu versöhnen. Ich bin es nicht, es ist meine Natur. Meine
Natur will Befriedigung, ein Kind, lebendigen Samen. Was ist Esther als
Geliebte? Du hast mich gehaßt, in dem, was aus mir kommen sollte. Was bin
ich als Gattin?« Sie breitete die zerrissenen Stücke Spitze auf ihren
Fingern aus und blies mit lauem Atem hindurch. »Als Mutter werde ich
leben.«

Nach einer Woche kam sie, aber sie verdunkelte das Zimmer nicht, warf sich
ihm nicht hin.

»Es wächst in mir.«

»Und . . .«

»Hast du es nur des Geldes wegen getan? Ist das noch Edgar? Einerlei,
morgen bringe ich dir das Geld. Um vier Uhr erwarte mich.«

Edgar verbrachte die Nacht schlaflos aus Haß.

Um vier Uhr übergab sie ihm einen Scheck, um viertel fünf erschien
Anschütz, von Edgar durch ein anonymes Telegramm bestellt. »Bin ich
zugrunde gegangen,« sagte er zu Esther, während der Mann an der Tür pochte,
»dann wenigstens nicht allein.«

»Warte ab«, sagte Esther, sie trat Anschütz mit Unbefangenheit entgegen.
»Mein Jugendfreund«, sagte sie, wie sie vor Jahren zu dem dienenden Weib
gesagt hatte. »Mein Bruder.« Anschütz ging scheinbar beruhigt mit Esther
fort, Edgar wurde seiner Infamie nicht froh, das Geld wurde ihm nicht
ausgezahlt, Esther hatte es gesperrt.

Edgar konnte ohne Geld die verhaßte Stadt nicht verlassen. Er bekam nach
langem Suchen eine Stelle als Hilfschemiker in einer Anstalt, wo man Kot,
Urin, Auswurf chemisch untersuchte, aber auch zu dieser Arbeit ließ man ihn
nur widerwillig zu, da ältere Kräfte wie er als schwer behandelbar galten.
Und dann, was konnte ein Mensch leisten, der es in Edgars Alter zu keiner
Position gebracht hatte und sich in den Zeitungen anbot?

In der Mitte des Sommers traf Edgar Esther. »Du bist immer noch hier?
Konntest nicht fort. Ich bin unschuldig. Anschütz hatte Verdacht, es durfte
kein größerer Betrag auf geheimnisvolle Art ausgegeben werden, du
verstehst.«

»Aber du hast doch den Scheck schon vorher gesperrt.«

»War es nicht gut für mich? Ich kannte dich.«

»Willst du mich jetzt gehen lassen?«

»Hast du keine Zeit für mich? Ich könnte dir manches erzählen, komm mit mir
ins Freie, in den Wald, wo wir damals waren, erinnerst du dich?«

Während der Fahrt: »Wie lebst du? Du siehst nicht gut aus, bist du denn
wirklich krank? Deine Erfindung? Dein tägliches Brot?«

»Ich untersuche, was die Menschen auswerfen, sie bringen Kot in kleinen
Töpfen von Liebigs Fleischextrakt, eitrigen Speichel in Wassergläsern, die
mit einem Taschentuch oben zugebunden sind, und anderes --, aber genug,
auch so kann man leben.«

Sie stiegen an der gleichen Station aus, wie an dem späten Abend im April,
nach dem Gewitter, sie suchten die Gegend des stürmenden Laufes, die
Waldblöße, den Winkel, wo sie sich endlich, einer hinstürzend über den
andern in verzweifelter Umarmung berauscht hatten, aber sie fanden die
Gegend nicht mehr.

»Wie sollten wir den Eingang zur Hölle finden, da wir doch mitten in ihr
leben? Ich habe >es< noch nicht, bin noch nicht gerettet, Anschütz hat
Verdacht, er berührt mich seit dem Abend bei dir nicht mehr, er lauert mir
auf, spioniert mir nach, sieh her«, sie streifte den Ärmel ihrer
spitzenumflossenen Bluse von der Schulter, eine leicht verharschte Wunde
wies sich. »Verstehst du das? Diese Wunde gibt alle vier Wochen Blut.
Dieses Blut soll Anschütz täuschen, mein Kind vor ihm schützen,
inzwischen,« sie rauschte auf der Erde zusammen und schwere Wolken starken
Parfüms erhoben sich zu Edgar, »inzwischen locke ich ihn Nacht für Nacht,
mit was man Menschen seiner Art lockt, bis es gelingt. >Es< wird leben, ich
lebe in zweifacher Welt, wachend hier, schlafend dort, ich fühle, wie es in
mir aufgeht, ich habe etwas, das du nie gekannt hast, auch in meiner ersten
Nacht nie, ich höre immer, wie es lebt in mir.

Sie standen zwischen harzstrotzenden jungen Bäumen, in wehenden Wänden ohne
Dach, in hoch flirrendem Mittag.

Alles an ihr starrte wie heißes Erz ihm entgegen, ihre gewaltige Brust mit
blauschwarzem Hof in der Mitte, glühte. »Bist das nicht du, Edgar, jetzt
erst du?« Adern in verknäuelten Strängen zogen von allen Seiten dieser
Brust zu, vor seinen Augen sah Edgar diese Brust sich wie Wolken senken,
die Brustwarzen sich abwärts, herzwärts neigen, einem Kinde entgegen, das
geahnt war in diesem Augenblick aufzusteigen aus dem geschwellten Leibe zu
der glühenden Quelle dieser mütterlichen Brust.

»Ich werde dich nicht vergessen, bald muß es sich entscheiden, wird das
Kind gerettet, ich schwöre es dir, dann bist du es auch!« So kehrten sie in
die Stadt zurück.




VIII.


Nach vier Wochen war abends Esther vor der Schwelle von Edgars Tür, dort
hatte sie den ganzen Nachmittag gewartet. Auf das Fensterbrett des nächsten
Stockwerks gehockt, da sie in ihrem Zustand nicht lange stehen konnte.
Statt der Worte zeigte Esther, die sonst so knabenschlanke ihre wie Säulen
angeschwollenen Beine. Stumm spielte sie mit dem Geliebten von einst, griff
ihm in die Hosentasche, holte loses Geld heraus, ließ es klingeln, »ist das
alles?« machte einen Zug in seine Brusttasche, entfaltete die gefundenen
Banknoten wie Spielkarten zu einem Fächer in ihrer Hand, legte schließlich
ihre Ohrgehänge hinzu, Ringe, eine kleine Uhr. »Das ist unser Geld, ich
kehre zu meinem Mann nicht mehr zurück. Für ihn spiele ich umsonst Komödie.
Für mich, sagt er, die Wunde an der Schulter, wer könnte derartiges
glauben, wenn dein Bauch den Leuten zum Gelächter dient, wenn deine
Elefantenbeine jeden Strumpf zerreißen. Ich habe Liebe nie verlangt, sagt
er, bloß Aufrichtigkeit, du warst nicht schön, bist mittellos, Edgars
abgelegte Geliebte, ich liebte dich trotzdem, sagt er, aber das da, und er
faßt an meinen Leib, wessen Frucht? Mein Kind ist das nicht. Du bist um
zwanzig Jahre jünger als ich, dein Kind ist um dreißig Jahre jünger als du,
ihr werdet mich beerben. Würdet, sagt er. Mord könnte ich verstehen,
Diebstahl nicht, dein Kind bestiehlt mich und meine Nachkommen, an denen du
nicht hättest verzweifeln müssen. Dienstboten traten ein. Schweige jetzt,
sagte ich. Nein, sagt er, es mögen alle davon wissen, nur so entgeht man
dem Gespött, ich lege keinen Wert mehr darauf, dich als Hausfrau hier zu
sehen. Ich ging. Zu wem zurückkehren?

Nun sind wir eins, nicht mehr zwei, ich habe mich zugrunde gerichtet mit
dir und mein Kind. Hätte ich dir deinen Sündenlohn gegeben, dann hätten
alle drei Brot. Ist es vorbei? Was bist du, was hast du? Und vor allem
eins: läßt du »es« am Leben?«

Edgar ließ »es« leben. Er selbst kündigte, weil Esther es so riet, die
Stellung am Untersuchungslaboratorium, sein früherer Assistent hatte die
Erfindung jener Farbe nicht vollendet, es bestand noch die Möglichkeit für
ihn, die Sache zum Gelingen zu bringen. Esther verkaufte alles, was sie an
Schmuck hatte, man schaffte dafür eine chemische Wage, einen Arbeitstisch,
Platintiegel an, eine große Anzahl von Flaschen kam, da schon die
Ausdünstung von ganz unschuldigen Lösungen Edgars kranke Kehle reizte, in
den Raum zwischen den Fenstern. Esther diente ihm wie eine Magd, so
retteten sie durch die Sommermonate ein erbärmliches Dasein, die Arbeit
ging ohne Glück vor sich.

Eines Nachts erwachte Edgar, Blut auf die von Esther frisch gewaschenen
Kissen speiend. Esther, hochschwanger, flackernd im Kerzenlicht, riß ihm
den Kopf aus dem Bereich der Kissen, tauchte ein Handtuch in Wasser, hielt
es ihm unter den Mund. »Blut!« stammelte er.

»Nun, Blut! Mußt du die Kissen beschmutzen, wir müssen darauf liegen, wer
wird sie waschen?« Schluchzend: »Nun erst ist >es< verloren, wo es gebären,
für wen zuerst sorgen, wohin es legen? wenn er schon da liegt!« Sie faßte
das Handtuch und preßte es aus, blutige Flüssigkeit tröpfelte zur Erde, mit
ihren Tränen vereint; so verbrachte sie stöhnend die Nacht und ließ die
Hand nicht von Edgars Stirn.

Am nächsten Morgen ging sie zu dem Weib, das sie in funkelnder
Wachsschürze, glänzend wie ein Insekt, empfing, als wäre sie gestern eben
von dort fortgegangen. Der Arzt, höflich, gemein, alltäglich zugewandt dem
unerhörtesten Mord der Mutter an ihrer Mütterlichkeit, tat, was man von ihm
erwartete, wofür sie ihn mit dem letzten Gelde bezahlte. Das Kind wurde
vertilgt. Sie kehrte zu Edgar zurück, pflegte ihn, bis er sich wieder
erheben konnte, um in das Untersuchungslaboratorium zurückzukehren, wo man
ihn aus Mitleid wieder einstellte. Auch Esther verdiente ihr tägliches
Brot.

Edgar und Esther lebten miteinander viele Jahre, nachdem sie einander
geliebt hatten. Sie wehrten sich nicht gegen Kindersegen, als sich ihre
Einkünfte gehoben hatten, aber es kam nichts mehr.

Sie wohnten am äußersten Ende der Stadt, liebten sich nicht und haßten sich
nicht, der Spiegel in dem Glase Wasser zwischen ihnen bei den grauen
Mahlzeiten trübte sich nicht; rührt sich nie, sie lebten ihre alternde
Zeit, als wäre es Unsterblichkeit, sie erwarteten weder Gutes noch Böses.
Er, der Irrsinn und menschenleere Einsamkeit gefürchtet hatte, war
verflucht zu endlosem Alter, nie von Esther verlassen, sie, die Mutter ohne
Samen, verdorrt, ein Strauch am Gestein.







End of the Project Gutenberg EBook of Die Verdorrten, by Ernst Weiß

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE VERDORRTEN ***

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written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
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provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at https://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
https://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at https://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit https://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including including checks, online payments and credit card
donations.  To donate, please visit: https://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


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     https://www.gutenberg.org

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including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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