Das wandernde Licht: Novelle

By Ernst von Wildenbruch

The Project Gutenberg eBook, Das wandernde Licht, by Ernst von Wildenbruch


This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
other parts of the world at no cost and with almost no restrictions 
whatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
the Project Gutenberg License included with this eBook or online at 
www.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll have
to check the laws of the country where you are located before using this ebook.




Title: Das wandernde Licht


Author: Ernst von Wildenbruch



Release Date: September 19, 2017  [eBook #55580]

Language: German


***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS WANDERNDE LICHT***


E-text prepared by the Online Distributed Proofreading Team
(http://www.pgdp.net)



Hinweise zur Transkription

      Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.

      Symbole für abweichende Schriftarten:
         _gesperrt_
         ~kursiv~
         #fett#
         =Antiqua=
         ^Schwabacher^





Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek.
Eine Auswahl der besten modernen Romane aller Völker.
Zehnter Jahrgang. Band 3.

DAS WANDERNDE LICHT.

Novelle

von

ERNST VON WILDENBRUCH.






Stuttgart.
Verlag von J. Engelhorn.
1893.

Alle Rechte, namentlich das Übersetzungsrecht, vorbehalten.

Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.




An der kleinen Station, die nicht weit hinter Breslau an dem großen
Schienenstrange liegt, der, Schlesien durchquerend, Berlin mit Wien
verbindet, war zu später Abendstunde der Eisenbahnzug angekommen.

Es war keiner von den Kurierzügen; wenige Fahrgäste nur saßen in den
Wagen verteilt; auf der Station stiegen nicht mehr als zwei Reisende
aus. Dies waren zwei Männer, von denen der eine, der bejahrter und
dicker als der andre war, sogleich von dem Gepäckträger des Bahnhofs in
Empfang genommen und begrüßt wurde. Er schien am Orte bekannt zu sein,
und das war natürlich genug, denn es war der Arzt, der in der kleinen,
etwa zwei Meilen hinter der Station landeinwärts gelegenen Stadt seinen
Wohnsitz hatte.

»Ist der Wagen da?« fragte er den Gepäckträger, dem er seine Reisetasche
anvertraute; er war offenbar nur zu einem kurzen Ausfluge von Hause fort
gewesen.

»Is da, Herr Dukter,« erwiderte jener; »die Frau Dukter hat och den
Mantel für'n Herrn mit eingelegt, wird aber nicht nötig sein, is
scheenes Wetter heut abend zur Nacht.«

Jetzt wandte sich der Arzt an den Mitreisenden.

»Wollen Sie nicht auch nach -- fahren?« Und er nannte den Namen des
Städtchens.

Der Angeredete bejahte. Er wollte am nächsten Tage noch weiter ins Land
hinein; darum hatte er die Absicht gehabt, in der Stadt zu übernachten.

Mit einem raschen Blick stellte der Doktor fest, daß außer einem Koffer
nichts weiter an ihm hing.

»Wenn's Ihnen also recht ist,« meinte er, »steigen Sie mit ein, und wir
fahren zusammen.«

Das wurde angenommen, und bald darauf rasselte der Wagen mit seinen
Insassen durch das Gitterthor des Bahnhofgebäudes auf die Chaussee
hinaus, die sich im Mondlicht wie ein weißes flimmerndes Band in das
Land hinein verlor.

Es war, wie der Gepäckträger gesagt hatte, schönes Wetter heut abend zur
Nacht.

Man befand sich im Juli; zu beiden Seiten der Chaussee stand das
reifende Korn auf den Feldern; über dem weiten, flachen Lande lag die
tiefe, süße Stille der Sommernacht, nicht unterbrochen, sondern nur
eindringlicher gemacht durch das Gequak der Frösche, in das sich von
Zeit zu Zeit der dumpfe Ruf der Rohrdommel mischte.

Um die Fahrt zu verkürzen, bog jetzt der Kutscher von der Chaussee in
einen Weg ab, der quer durchs Land einen Bogen der großen Fahrstraße
abschnitt. Obschon man hier stellenweise durch sandigen Untergrund
hindurch mußte, blieben die kräftigen Braunen, die vor den Wagen
gespannt waren, in munterem Trabe, so daß man gut vom Flecke kam.

Nach einer halben Stunde etwa tauchten vor den Reisenden die dunklen
Umrisse eines baumreichen Parks auf, und indem man näher kam, sah man
über den Bäumen ein Haus emporsteigen. Vielleicht war es das Dunkel der
Nacht, welches die Linien des Gebäudes undeutlich machte -- jedenfalls
erschien es, von hier unten gesehen, außerordentlich groß, beinahe
kolossal.

»Ist das das Schloß, das zu dem Park gehört?« unterbrach der zweite
Reisende, der im Lande fremd zu sein schien, die Stille, die bisher im
Wagen geherrscht hatte.

»Jawohl, das ist das Schloß,« erwiderte der Arzt. »Ein gehöriger Kasten!
Nicht wahr?«

Die Bezeichnung traf zu. Einem ungeheuren finstern Kasten sah das
Bauwerk ähnlich, wie es in seiner schweren Masse, lautlos, scheinbar
leblos, auf der Terrasse über dem Parke lag, und mit den schwarzen,
lichtlosen Fenstern in die dunkle Nacht hinausstierte.

Indem die Blicke des Reisenden noch an dem merkwürdigen Bilde hafteten,
griff der Kutscher mit einem plötzlichen Ruck in die Zügel, so daß die
Pferde zum Stehen kamen.

»Herr Dukter,« wandte er sich vom Bocke zum Wagen um, »itze sucht er
wieder -- da!«

Mit dem Peitschenstiele deutete er auf das Schloß hin; die Augen des
Arztes und seines Begleiters folgten der angegebenen Richtung.

In dem toten Hause war es lebendig geworden.

Hinter einem der dunklen Fenster, und zwar demjenigen, welches sich an
der äußersten Ecke des Hauses befand, dämmerte ein Lichtschein auf, der
sich allmählich verstärkte, so daß es aussah, als käme eine Leuchte aus
dem hinteren Teile eines weitläufigen Gelasses langsam nach vorn.

Dann blieb das Licht stehen, flackerte eine Zeitlang hin und her, als
würde die Leuchte von der Hand, die sie trug, im Kreise umhergeführt;
alsdann verdunkelte sich das erste Fenster, das danebenliegende wurde
hell -- das Licht wanderte. Man konnte wahrnehmen, wie es aus dem ersten
Zimmer in das anstoßende Gemach ging. Dort blieb es abermals stehen, und
der Vorgang von vorhin wiederholte sich. Aus dem zweiten wanderte es
in das dritte, und so die ganze lange Flucht von Zimmern entlang, und
jedesmal das flackernde Umherfahren, jedesmal aber hastiger, als würde
die Hand, die die Leuchte trug, immer erregter, als suchte das Licht
etwas in den Ecken der Gemächer, und fände nicht, wonach es suchte. Wie
das Ringen einer stummen, verzweifelten Seele, beinahe gespensterhaft
sah das alles aus.

Zwölf Fenster befanden sich in der langen Front des Schlosses; an allen
zwölf wanderte das Licht entlang, bis daß es endlich in das letzte, von
dem ersten Zimmer entfernteste Gemach gekommen zu sein schien.

Hier wurden die Bewegungen noch ungestümer als zuvor, das Licht fuhr
herauf und herab, daß es aussah, als suchte es am Fußboden umher.

»Itze is er in ihrem Schlafzimmer,« sagte der Kutscher, der kein Auge
von dem Vorgange verwandt hatte.

»Ja, jetzt ist er in ihrem Schlafzimmer,« bestätigte der Arzt. In dem
Augenblick aber trat eine neue Erscheinung ein: das Licht, das ganz
tief am Boden umhergeglitten war, als suchte es unter Möbeln und Betten,
wurde plötzlich hoch gehoben und stand ruhig und still, ohne weiter
umherzuirren und zu flackern. Es sah aus, als wäre eine andre, festere
Hand hinzugekommen, die es der ersten abgenommen hatte und emporhielt.
Dies dauerte einige Zeit, dann verdämmerte der Lichtschein nach dem
Hintergrunde des Zimmers, verschwand sodann völlig, und gleich darauf
lag das Schloß wieder finster und leblos da, wie es zuvor gelegen hatte.

»Itze is der Johann gekommen und hat ihn geheißen vernünftig sein,«
sagte der Kutscher, indem er leise in sich hineinlachte, wie jemand, der
sich gegrauelt hat und froh ist, daß der Spuk zu Ende ist.

»Es scheint,« erwiderte der Arzt, »jetzt ist der Johann gekommen. Also
-- fahr auch zu.«

Er lehnte sich zurück; der Kutscher schnalzte mit der Zunge, und
die Pferde zogen wieder an. Wenige Minuten später lag das Schloß den
Fahrenden im Rücken.

Der zweite Reisende, der das abenteuerliche Schauspiel schweigend
beobachtet hatte, wandte sich jetzt an seinen Begleiter. Aus dem
Gespräche des Arztes und des Kutschers hatte er entnommen, daß der
rätselhafte Vorgang ihnen verständlich erschien.

»Können Sie mir denn sagen,« fragte er, »was das alles für eine
Bewandtnis hat?«

Es erfolgte zunächst keine Antwort. Der Arzt saß in seiner Wagenecke
und brummte vor sich hin; er schien nicht recht aufgelegt, Auskunft zu
erteilen.

»Sie sind wohl nicht aus der Gegend?« fragte er dann zurück.

»Nein -- warum?«

»Hm -- nu ja --« meinte der Arzt, »weil sonst -- haben Sie nie von den
Fahrenwalds gehört?«

»Fahrenwalds?«

»Nu ja -- die Freiherren von Fahrenwald.«

»Niemals gehört,« versicherte der Gefragte.

Der Arzt brummte wieder vor sich hin; es klang beinahe wie Mißbilligung.
Als echter Schlesier konnte er kaum begreifen, daß jemand von einem
Geschlechte, wie das der Fahrenwalds, nichts wissen sollte.

»Gehört denen das Schloß?« fuhr der Reisende nach einer Pause fort.

»Nu, das versteht sich,« entgegnete der Arzt, »der Baron, der jetzt da
oben sitzt, ist der letzte von ihnen.«

Er drückte sich tiefer in seinen Sitz.

»Aber wenn Sie fremd sind -- es sind Sachen -- man thut schon besser,
man spricht nicht viel davon.«

Der andre wurde immer neugieriger.

»Ist etwas los mit dem jetzigen Baron?«

»Nu -- was soll mit ihm los sein?« sagte der Arzt, dessen Antworten
immer zögernder wurden, »man könnte halt eben von ihm sagen: es blakt
bei ihm ein wenig.«

»Es -- blakt?« fragte der Gefährte. »Was meinen Sie damit?«

Der Arzt lachte in sein feistes Doppelkinn.

»Nu, sehen Sie, das Gehirn der Menschen, damit ist's so ungefähr wie
mit den Lampen. Bei den einen brennt das ruhig und manierlich, bei den
andern flickert's und flackert's, und endlich gibt's welche, bei denen
die Lampe blakt.«

»Also -- irrsinnig?«

Der Arzt schlug mit der Hand durch die Luft und wandte den Kopf nach der
andern Seite.

Eine längere Pause entstand.

Dann fing der andre wieder an.

»Und -- er hat also eine Frau?«

Der Arzt warf den Kopf herum.

»Wieso?« fragte er.

»Nun -- weil Sie doch vorhin sagten, daß er jetzt in ihrem Schlafzimmer
wäre.«

Der Arzt stieß einen schnaubenden Seufzer aus. Es war ihm offenbar
nicht lieb, daß er so ausgeholt wurde, und er ärgerte sich, daß er schon
zuviel gesagt hatte.

»Eine Frau,« sagte er dann, »kann ja sein, daß er eine hat, oder
wenigstens gehabt hat. Aber das ist eine Sache, wo es schon am besten
ist, wenn man halt gar nicht davon spricht.«

Er seufzte noch einmal; seine Stimme sank herab, daß es wie ein
Selbstgespräch klang: »Die Frauensleute -- das ist ja manchmal nicht
viel anders als die Schafe, die ins Feuer laufen, weil es glänzt.
Nachher, wenn sie drinnen sind, merken sie, daß es auch brennt, aber
dann ist's zu spät.«

Er schüttelte die Achseln und reckte sich auf.

»Aber, wie gesagt -- da wird alles Mögliche geredet -- denn wovon reden
die Leute nicht -- und wenn man nachher zusieht, wer etwas weiß, ist
niemand, der etwas Sicheres weiß. Darum mein' ich schon, es ist halt das
beste, man spricht nicht davon. Und ich für mein Teil, ich meine, es
ist gut, wenn einer keine Verpflichtung hat, sich um gewisse Dinge zu
bekümmern. Dann soll er sich auch nicht darum bekümmern. Und ich habe
keine Verpflichtung, mich geht's nichts an -- also bekümmere ich mich
nicht drum.«

Damit lehnte er sich tief in die Wagenecke zurück, wie jemand, der genug
gesagt hat und nichts weiter sagen will. Der andre schien es zu fühlen
und schwieg. Die Andeutungen des Arztes hatten ihm die Sache beinahe
noch dunkler gemacht, als sie gewesen war. Irgend ein Vorgang mußte sich
da oben abgespielt haben, vielleicht sogar ein schrecklicher, aber was?

Immerfort sah er das stumme Licht hinter den Fenstern des toten Hauses
dahinwandern, von Zimmer zu Zimmer, wie ein schlummerloses böses
Gewissen, immerfort das zuckende Umherfahren der Leuchte, das Suchen in
den Ecken der Gemächer, am Fußboden entlang, unter Möbeln und Betten,
das wilde verzweifelte Suchen. Wer war der nächtliche Wanderer? Wen
suchte das Licht? Ein Schauder bedrückte ihm das Herz -- was mochte das
finstere Haus gesehen haben?

       *       *       *       *       *

In den Breslauer Gesellschaftskreisen war vor einiger Zeit eine
Persönlichkeit aufgetreten, deren Erscheinen in den Familien, denen
sie Besuch machte, jedesmal eine gewisse Aufregung, eine Mischung von
geschmeicheltem Stolz und von beklommener Sorge hervorrief. Das war der
Baron Eberhard von Fahrenwald.

Alle Welt kannte den Namen und den Reichtum des Geschlechts, alle Welt
aber munkelte auch, daß es mit den Fahrenwalds nicht recht richtig sei.

Jahrelang nach dem Tode des Vaters war der Baron Eberhard unsichtbar,
wie verschwunden gewesen. Wo hatte er gesteckt? Einige behaupteten, er
hätte Reisen um die Welt gemacht, andre, er wäre gar nicht von seinem
Schlosse fortgekommen, sondern hätte vergraben und verborgen unter
seinen Büchern gelebt, eine dritte Art von Berichterstattern endlich
wußte zu erzählen, daß er ganz einfach in einer Anstalt untergebracht
gewesen sei. Anverwandte, von denen man Gewisses und Genaues hätte
erfahren können, waren nicht vorhanden; die Fahrenwalds waren wie ein
alter, verdorrender Baum, der keine Aeste mehr treibt, von dem nur noch
der Stamm übrig geblieben ist.

Und nun tauchte diese geheimnisvolle Persönlichkeit plötzlich auf,
machte Besuche und that alles das, wodurch Menschen anzudeuten pflegen,
daß sie mit Menschen verkehren wollen. Und doppelt auffällig -- seine
Besuche galten vornehmlich den Familien, wo Töchter im Hause waren. Was
hatte das zu bedeuten? Etwa, daß er daran dachte --? Man konnte es den
Eltern im Grunde nicht verdenken, wenn sie sich aufgeregt fühlten.

Einen Freiherrn von Fahrenwald zum Schwiegersohn zu besitzen, die eigene
Tochter als Gebieterin eines großen Vermögens, als Besitzerin eines
von aller Welt gepriesenen Herrensitzes zu wissen -- unter normalen
Umständen wäre es ja ein Ziel gewesen, »aufs innigste zu wünschen«. Aber
so -- wie nun einmal die Verhältnisse jetzt lagen --

Erklärlicherweise bemächtigte sich die Aufregung der Eltern in noch
stärkerem Maße der Töchter selbst. Neugier mischte sich mit Grauen; es
war eigentlich ein noch nie dagewesener Gesellschaftsreiz.

Sobald es feststand, daß der »verrückte Baron« -- denn unter dieser
Bezeichnung ging er kurzweg -- zu einer Gesellschaft eingeladen sei und
erscheinen würde, flogen die jungen Damen auf, von Haus zu Haus, herüber
und hinüber, und es gab ein Gewisper und Geflüster, ein Kichern und
Lachen, und ein wollüstig wonnevolles Graueln.

Wie doppelt begehrenswert man sich erschien! Wie man sich gegenseitig
darauf ansah, auf welche von ihnen wohl der unheimliche Mensch die
Augen richten, nach welcher von ihnen er die Hand ausstrecken würde! Die
blühenden Wangen beugten sich zu einander, die kleinen Hände drückten
sich mit gegenseitigem Verständnis -- es war wie ein erregter
Taubenschwarm, über dem der Habicht in Lüften steht.

Man kann sich hiernach vorstellen, wie eigentümlich und gepreßt der
Empfang war, der dem Baron Eberhard von Fahrenwald zu teil wurde, so oft
er in Gesellschaften erschien.

Seine persönliche Erscheinung und die Art seines Auftretens bestärkte
alles das, was über ihn gemunkelt und geredet wurde.

Man wußte, daß er stets von seinem Diener begleitet wurde, der nie von
seinen Schritten wich und ihm zu jeder Gesellschaft folgte.

Dieser Diener war ein langer, hagerer, eisgrauer Mann, mit einem von
schweren Runzeln durchfurchten Gesicht, aus dem eine starke, gekrümmte
Nase hervorragte. Stets in schwarzem Frack und weißer Krawatte, wie ein
versteinerter Ueberrest aus der Zeit, da es noch große Herren und große
Kammerdiener gab.

Nie hatte man ein Wort aus seinem Munde vernommen, kaum einmal hatte
man gesehen, daß er nach rechts oder links blickte -- an einem einzigen
Gegenstande haftete sein Denken und Sinnen, das war sein Herr.

Jeden Abend, wenn er den Baron zu einer Gesellschaft begleitete,
wiederholte sich ein besonderer Vorgang: er stand hinter seinem Herrn
und nahm ihm mit schweigender Würde den Mantel ab; währenddem wandte der
Baron sich zu ihm um und sagte: »Geh nach Haus, Johann, und hole mich
nachher ab.« Jedesmal, so oft der Baron dieses sagte, verneigte sich der
alte Johann, feierlich wie ein Senator, nahm den Mantel seines Herrn an
sich und ging nicht nach Haus. Im Dienerzimmer setzte er sich nieder,
ernst, würdevoll und schweigsam, und wartete, bis die Gesellschaft zu
Ende war. Sobald der Baron dann heraustrat, stand der Alte schon wieder
da, den Mantel in beiden Händen, stumm, regungslos, wie eine Bildsäule.
Natürlich hatten die Diener und Hausmädchen der Häuser, wo die
Gesellschaften stattfanden, sich bemüht, den komischen alten Kerl zum
Sprechen zu bringen und über seinen Herrn auszuholen, aber sie hatten
ihre Versuche aufgeben müssen; sie hätten ebensogut zu einem Stein
sprechen können; der Alte hatte nicht einmal gethan, als ob er sie
überhaupt vernähme.

Ein einziges Mal hatte er ein Lebenszeichen gegeben -- der Fall
war sorgfältig registriert worden -- als einmal ein schnippisches
Stubenmädchen in seiner Gegenwart gesagt hatte, nun würde der Herr Baron
wohl nächstens heiraten und eine Frau Baronin nach Haus bringen. Er
wäre so zusammengezuckt, erzählte das Mädchen, als er das gehört, daß
es nicht anders ausgesehen hätte, als wenn er sich schüttelte, und
dann hätte er sie mit einem Blick angesehen -- ganz gräßlich, sagte das
Mädchen. Und dann hätte er die Achseln gezuckt, ganz hoch hinauf,
und alsdann wieder stumm dagesessen. Und das Achselzucken, das hätte
ausgesehen, als wollte er sagen: »Was redst du denn? Weißt du denn
nicht, daß er verrückt ist?«

Seitdem stand es für die Dienerschaft fest: der Baron von Fahrenwald
war verrückt. Der alte Johann war sein Wärter, und der Wärter hatte es
gesagt.

Und aus dem Dienerzimmer flüsterte sich das, wie es ja stets geschieht,
in die herrschaftlichen Zimmer hinüber: der Baron von Fahrenwald war
verrückt.

Und wer, der ihn ansah, hätte zweifeln können, daß es wirklich also war?

Wenn die Thür sich aufthat und er hereintrat mit langsam schleppendem
Schritt, ein langer, eckiger Mann, mit dunklem, fast schwarzem Haar,
das bleiche, beinahe marmorweiße Gesicht von dunklem Barte umrahmt, dann
legte es sich unwillkürlich wie ein Alp auf die Anwesenden, Wirte und
Gäste, Herren und Damen.

Und dieser Bann ging hauptsächlich von den Augen des Mannes aus, die
ganz tief, wie zwei dunkle tiefe Löcher in dem bleichen Gesichte lagen,
und aus denen ein starrender, suchender, bohrender Blick hervorgekrochen
kam, langsam, beinahe wie ein Wurm.

»Er sieht eigentlich kolossal interessant aus,« hatte die junge Komtesse
Karmsdorf, als sie ihn zum erstenmal erblickte, hinter dem Fächer hervor
zu ihren Freundinnen gesagt, »aber da man weiß, wie es mit ihm steht,
ist es des Interessanten denn doch ein bißchen zu viel.«

Die Freundinnen hatten kopfnickend und kichernd bestätigt, daß es so
sei, und als der Baron Miene machte, auf sie zuzutreten, waren sie samt
und sonders, wie von einem panischen Schrecken erfaßt, nach einer andern
Ecke des Saales entwischt, und es hatte nicht viel gefehlt, so hätten
sie laut aufgekreischt.

So erging es dem Baron Eberhard von Fahrenwald. Die Wirte, die ihn
eingeladen hatten, konnten sich seiner Begrüßung natürlich nicht
entziehen. Aber wenn er alsdann mit schwerer, eckiger Verbeugung auf
sie zutrat, sah man ihm an, wie wenig er in fröhlich ausgelassene
Gesellschaft paßte. Er versuchte, sein Gesicht zu einem verbindlichen
Ausdruck zurechtzulegen, zu lächeln, aber das Lächeln wollte sich so gar
nicht mit dem bleichen, schwermütigen Gesicht verstehen, es sah aus, als
thäte es ihm weh.

Beim Tanze blieb er Zuschauer, am Kartenspiel nahm er nicht teil, so
blieb er einsam, und das wiederholte sich in jeder Gesellschaft, so daß
man sich unwillkürlich fragte, wie lange er die zwecklosen Besuche und
Versuche fortsetzen würde.

Offenbar fühlte er das selbst, denn der Ausdruck dumpfer Schwermut
in seinem Gesichte verstärkte sich von einem zum andern Mal, seine
Bewegungen wurden immer schleppender, es sah aus, als ermüdete der Mann
unter der Last des Daseins.

So näherte sich der Winter seinem Ende. Ein großes Ballfest wurde
gegeben, dem der Baron, einsam und teilnahmlos wie gewöhnlich,
beiwohnte.

Indem er, an den Thürpfosten des Nebenzimmers gelehnt, dem wirbelnden
Tanze zuschaute, der im Saale auf und nieder flog, richtete er plötzlich
das Haupt zur Seite -- es war ihm gewesen --

Auf einem Stuhle, dicht an die Wand gerückt, saß ein junges Mädchen. Sie
nahm nicht teil am Tanze, offenbar, weil sie nicht aufgefordert worden
war, ein Mauerblümchen, wie man zu sagen pflegt.

Wenn man sie ansah, begriff man das einigermaßen; sie hatte etwas
Unscheinbares; sie war nicht besonders hübsch und, wie es schien, arm.
Ein schmaler Silberreif um den Hals, das war der ganze Schmuck des
jungen Körpers; ihr dürftiges weißes Tüllkleidchen stach von den
Gewandungen ihrer reicheren, glücklicheren Altersgenossinnen ab.

Indem der Baron den Kopf nach ihr umwandte, bemerkte er, daß sie ihn
schon längere Zeit von der Seite betrachtet hatte. Er sah zwei runde,
nicht besonders schöne, aber unendlich gutmütige Augen, die stumm
beobachtend, aber ohne Neugier auf ihm ruhten. Jetzt, da er zu ihr
hinblickte, senkte sie die Augen, und er gewann Zeit, sie von seiner
Seite zu betrachten.

Sie war in Verlegenheit etwas errötet; um den kleinen Mund, der sich ein
wenig nach vorn zuspitzte, war ein unmerkliches Zittern; dadurch
erhielt das ganze Gesichtchen etwas Trauriges, beinahe, als wenn es mit
verhaltenem Weinen kämpfte.

Er war also nicht der einzige Einsame heute abend; da war noch eine, und
er sah es ihr an, sie fühlte sich unglücklich. Solch ein junges Mädchen,
das zum Balle eingeladen, nicht zum Tanze aufgefordert wird und in der
Ecke sitzen bleibt, leidet ja in Wirklichkeit ganz bitterlich; alle
Qualen der Zurücksetzung lasten auf der armen jungen Seele.

Jetzt schrak die einsame Kleine leise auf, die Röte auf ihren Wangen
wich einer tiefen Blässe, ihre Hände, die einen mageren Fächer im Schoße
hielten, preßten sich zusammen -- der Baron Eberhard von Fahrenwald
hatte sich neben sie gesetzt. Sie hatte natürlich, wie alle andern, von
dem »verrückten Baron« erzählen gehört, und nun saß er plötzlich neben
ihr, nicht durch Zufall, sondern weil er sie aufgesucht hatte. Es wurde
ihr unheimlich zu Mute.

Vorhin, als sie den blassen einsamen Mann, dem man das Unglück am
Gesicht ansah, an der Thür hatte lehnen sehen, war ihr Herz ganz von
tiefem Mitleid erfüllt gewesen -- jetzt fühlte sie eine Angst, die ihr
die Nähe des unheimlichen Menschen verursachte.

Eine Zeit lang saßen beide schweigend, dann erhob der Baron das Gesicht.

»Es thut mir so leid,« sagte er, »daß ich nicht tanze, gnädiges
Fräulein, sonst würde ich um die Erlaubnis bitten, Sie dort hineinführen
zu dürfen.«

Er hatte mit dem Kopfe nach dem Tanzsaale gedeutet; mit unwillkürlichem
Staunen wandte sie sich zu ihm um und sah ihm ins Gesicht. War das die
Stimme eines »Verrückten«?

Ein so tiefer, milder Wohlklang lag in den einfachen Worten; etwas so
Sanftes, so Warmes, so Gütiges kam von ihm zu ihr herüber, daß es
ihr war, als hätte eine Hand ihre Hand erfaßt, mit liebem, tröstendem
Drucke.

Schweigend blickte sie ihn an und war sich kaum bewußt, daß sie es
that. Schweigend hielt er die Blicke in die ihrigen gerichtet; in seinen
tiefen geheimnisvollen Augen erwachte etwas, wie eine sehnende Frage,
wie ein Hoffen, das sich nicht hervorgetraut, wie ein verstohlenes
Leuchten in lichtloser Nacht.

So saßen die beiden, von niemand beachtet, nach niemand fragend, wie
zwei Leidensgefährten, die unausgesprochenes Verständnis zu einander
führt, und nach einiger Zeit schob er, ohne ein Wort zu sagen, die Hand
zu ihr hin, und ohne ein Wort zu erwidern, löste sich ihre kleine Hand
vom Fächer, den sie immer noch krampfhaft umspannt hielt, und senkte
sich zitternd in seine Hand. Und als sie nun den leidenschaftlichen
Griff fühlte, mit dem er ihre Finger zusammenpreßte, erschrak sie; aber
als sie dann fühlte, wie er sogleich, indem er ihren Schreck empfand,
den Druck mäßigte, faßte sie neues Vertrauen. Welche Aufmerksamkeit
sprach aus seiner Bewegung, welche Zartheit; es war, als streichelten
seine Finger ihre erschreckte Hand, als spräche seine Hand: »Ich thue
dir nichts, fürchte dich nicht.«

Sie kamen dann ins Gespräch, und im Verlaufe desselben erfuhr er
Genaueres über die Kleine.

Anna von Glassner hieß sie und war eine Waise. Ihre Eltern hatten ihr so
gut wie nichts hinterlassen, und weil sie doch irgendwo bleiben mußte,
war sie von einem entfernten Onkel, einem alten pensionierten Major und
dessen Frau aufgenommen worden. Bei denen wohnte sie in Breslau, und es
war nicht schwer, aus ihren Andeutungen zu entnehmen, daß der Aufenthalt
ein ziemlich trübseliger war.

Die alten, kränklichen, kinderlosen Leute besuchten keine
Gesellschaften, weil sie sie nicht erwidern konnten; bei Gelegenheiten,
wie die heutige eine war, ließen sie das junge Mädchen allein gehen und
durch das Dienstmädchen aus der Gesellschaft abholen.

»Wollten Sie mir sagen,« fragte sie nach einiger Zeit den Baron, »welche
Zeit es ist? Ich darf nicht zu spät nach Haus kommen.« Der Baron sah
nach der Uhr. Sie raffte ihr dünnes Kleidchen zusammen. »Dann muß ich
gehen.«

»So früh schon?«

»Mein Onkel und meine Tante schlafen so schlecht,« erwiderte sie, »und
haben es nicht gern, wenn ich sie so spät in der Nacht störe.«

Sie erhob sich; zugleich mit ihr stand er auf.

»Ich werde auch gehen,« sagte er.

Sie senkte das Köpfchen und errötete.

Auf dem Flure draußen saß die Köchin, die sie erwartete. Eine Person
mit groben, mißmutigen Zügen, der man ansah, wie wenig Vergnügen es ihr
bereitete, daß sie, neben der gewöhnlichen Tagesarbeit, jetzt auch
noch durch die Winternacht laufen mußte, um das »Fräulein« nach Haus zu
bringen.

Ein Paar Gummischuhe standen neben ihr, die sie dem jungen Mädchen mit
nicht übermäßiger Verbindlichkeit zuschob. Während Anna ihre kleinen,
mit weißen Atlasschuhen bekleideten Füße in die Ueberschuhe zwängte,
stand der Baron hinter ihr und sah zu. Die Köchin trat heran und gab ihr
den Mantel um, ein dickes, schweres Kleidungsstück von grobem, dunklem
Tuch, unter dem die jugendliche Gestalt ganz unkenntlich und unförmlich
wurde. Jetzt wandte sich Anna, und da sie den Baron noch immer stehen
sah, wollte sie mit einer flüchtigen Neigung des Kopfes an ihm vorüber.

Mit einem hastigen Schritte war er an ihrer Seite.

»Darf ich Sie um eine Gnade bitten?« fragte er.

Erstaunt, beinahe erschreckt, blickte sie auf.

»Wollen Sie meinen Wagen benutzen, damit er Sie nach Haus bringt?«

Nun erschrak sie wirklich.

»Ach nein -- wie könnte ich das -- nein wirklich --«

Er wich einen halben Schritt zurück; ihre Schüchternheit erschien ihm
als Angst; sie fürchtete sich also auch vor ihm. Als er so jählings
verstummte, erhob sie unwillkürlich das Haupt. Sie sah, wie der Kummer
in seine Züge zurückgekehrt war.

»Ich -- weiß wirklich gar nicht« -- begann sie stockend. »Sie -- sind
wirklich -- so gut zu mir --«

Wie neubelebt trat er wieder heran.

»Ach, wenn Sie es annehmen wollten,« flüsterte er, »wenn Sie wüßten, was
für eine Freude Sie mir damit bereiten würden.«

Nun konnte sie nicht mehr »nein« sagen; mit einer leisen Neigung senkte
sie das Haupt.

Der Baron wandte sich rasch zurück. Hinter ihm stand der alte Johann,
den Pelzmantel seines Herrn in Händen, regungslos wie eine Bildsäule,
mit starren, sonderbaren Augen auf den Baron und das Fräulein blickend.

»Ist der Wagen da?« fragte der Baron.

Der Alte verneigte sich mit schweigender Würde. Hurtig fuhr der Baron in
den Mantel, dann bot er Anna von Glassner den Arm.

»Darf ich Sie hinunterführen?«

Von ihm geleitet stieg das junge Mädchen die Treppe hinab; die Köchin
folgte hinterdrein.

Vor der Hausthür stand ein verdecktes Coupé mit einem mächtigen Pferde
bespannt; zwei strahlende Wagenlaternen warfen ihr Licht in die Straße
hinaus.

Anna wich beinahe zurück -- in solch' eleganten Wagen sollte sie sich
hineinsetzen?

Der Baron aber hatte bereits den Schlag geöffnet und bot ihr die Hand
zum Einsteigen. Indem er ihre Hand ergriff, zog er sie an die Lippen,
und sie fühlte, wie er den Mund darauf preßte, einmal, zweimal,
leidenschaftlich.

»Leben Sie wohl,« sagte er leise, »leben Sie wohl, ich sehe Sie wieder?
Nicht wahr, ich sehe Sie wieder?«

Anna war keiner Antwort fähig. Wie in Betäubung stieg sie in den Wagen
und sank in eine Ecke, nach ihr kam die Köchin, die sich gesperrt
und geweigert hatte, und erst auf ein »nur zu« des Barons sich zum
Einsteigen entschloß.

Der Baron ließ sich Straße und Hausnummer angeben, rief sie dem Kutscher
zu, und im nächsten Augenblick rasselte der Wagen von dannen.

In ihren Mantel gewickelt saß Anna da und fragte sich, ob das alles ein
Traum sei, was sie erlebte.

Für gewöhnlich reichten ihre Mittel gerade zu einer Fahrt auf der
Pferdebahn -- und jetzt sauste sie durch die Straßen von Breslau, daß
das Pflaster unter den Rädern knatterte!

Die Köchin, die ebenfalls ganz sprachlos vor Staunen gewesen war, hatte
angefangen, mit tastenden Händen den Stoff der Polster zu untersuchen,
auf denen sie saß. Jetzt seufzte sie in Bewunderung auf.

»Du meine Gütte -- gnä' Fräulen,« sagte sie, »die reine Seide alles, die
reine Seide!«

Die weibliche Neugier siegte über Annas Befangenheit; sie zog den
Handschuh von der einen Hand und tastete ebenfalls auf den Wagenpolstern
herum. Die Köchin hatte recht gehabt. Alles Seide -- die Polster, die
Wände des Wagens, alles Seide. Lautlos sank sie in ihre Ecke zurück. Was
bedeutete das alles und wohin ging das alles?

Sie, das arme, unscheinbare Mädchen, das sich zu Gesellschaften ein paar
armselige Fähnchen zusammenstückelte, um nur nicht gar zu erbärmlich
gegen den Reichtum der andern abzustechen, plötzlich, wie durch die Hand
eines Zauberers, mitten hineinversetzt in Fülle, Glanz und Pracht!

Ihr, an der die Menschen auf der Straße vorübergingen, wie an einem
Nichts, die man auf Bällen in der Ecke sitzen ließ, weil es sich nicht
der Mühe lohnte, mit ihr zu tanzen oder gar sie zu unterhalten -- ihr
näherte sich plötzlich ein Mann, einer der reichsten Männer von ganz
Schlesien, und bat sie schüchtern, ängstlich und demütig, ihm zu
erlauben, daß er seinen Reichtum in ihren Dienst stellen dürfe. Sie
schloß die Augen; war das Wirklichkeit, was ihr geschah? Dann aber
schrak sie innerlich auf: der Mann war ja ein Wahnsinniger; alle Welt
sagte es ja? Und also war es nur die Phantasie seines kranken Hirns, die
ihn zu alledem getrieben hatte, was er heute abend gethan? Aber, indem
der Schauder sie übermannen wollte, kam ihr die Erinnerung an den Ton
seiner Stimme zurück, die zu ihr gesprochen hatte, wie noch keines
Menschen Stimme je zuvor. Nein, nein, nein -- es war ja doch nicht
möglich; es konnte ja nicht sein!

Während Anna unter solchen wechselnden Empfindungen zu ihrer in der
fernen Vorstadt gelegenen Wohnung fuhr, wanderte der Baron Eberhard von
Fahrenwald, von seinem Diener gefolgt, zu Fuß nach Haus.

Sein Haupt, das für gewöhnlich zur Erde hing, war aufgerichtet, seine
ganze Gestalt hatte etwas Aufatmendes, Befreites, ein Glücksgefühl wie
heut abend hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht empfunden.

Welche Wonne, daß das Mädchen arm war! Immer wieder vergegenwärtigte
er sich den süßen Augenblick, als sie in ihrer Bescheidenheit gezögert
hatte, den prächtigen Wagen zu besteigen -- und dieser Wagen war der
seinige! All die Behaglichkeit, all die weiche Ueppigkeit, die sie jetzt
umgab, kam ihr von ihm! Er lachte still glückselig vor sich hin. All
sein Denken und Thun war ein beständiges brütendes Grübeln über sich
selbst, über seinen Zustand und über das Verhängnis, das auf ihm lastete
-- zum erstenmal konnte er an etwas andres denken, an einen andern
Menschen; und dieser andre Mensch, dieses liebe Wesen konnte glücklich
werden durch ihn. Glücklich durch ihn, der sich wie ein zum Unglück
Geborener, wie eine Last der Menschheit empfand! Hatte er nicht den
dankbar erstaunten Ausdruck in ihrem bescheidenen Gesichtchen gesehen
und hatten ihre Augen ihm nicht gesagt, daß er stark genug sei, um
Glück auf Menschen ausgehen zu lassen? Ja, ja, ja, es war so, und
unwillkürlich, indem er so seinen Gedanken nachhing, reckte er die
Arme aus, als wollte er dem Kraftgefühle Ausdruck geben, das ihn
durchströmte.

Einige Schritte hinter ihm kam der alte Johann. Den Kopf weit
vorgebeugt, kein Auge von seinem Herrn verwendend, ging oder schlich
er vielmehr hinter dem Baron einher. In seiner ganzen Haltung war etwas
Beobachtendes, Lauerndes. Als er sah, wie der Baron die Arme ausreckte,
war er unhörbar mit einem Sprunge ganz dicht hinter ihn herangekommen,
das hagere Gesicht zu einer Aufmerksamkeit gespannt, die beinahe
feindselig aussah. Seine Hände, die er in den Taschen des Ueberziehers
getragen, hatte er hervorgezogen und frei gemacht, so daß es den
Anschein bekam, als bereitete er sich darauf vor, sich im nächsten
Augenblick auf seinen Herrn zu stürzen, wie der Wärter eines
Wahnsinnigen sich auf seinen Schutzbefohlenen stürzt, um ihn von irgend
einer schrecklichen That zurückzuhalten. Denn der Mensch da vor ihm war
ja ein Kranker, ein Wahnsinniger, Verrückter, das wußte er ja wohl genau
genug, er, der ihn als Kind auf den Armen getragen hatte, der ihn hatte
heranwachsen sehen und um ihn gewesen war zu jeder Zeit und an jedem
Orte. Und seit heute abend wußte er ja auch, daß er seine Aufmerksamkeit
verdoppeln und vervierfachen mußte. Für den unglücklichen Menschen da
vor ihm gab es nur eine Möglichkeit zum Leben, Ruhe, Ruhe und immerdar
Ruhe. Das hatte ihm vor Jahren der Arzt gesagt, und wenn es der Arzt
nicht gesagt hätte, würde sein Instinkt es ihm verraten haben. Ein Tag
mußte sein wie der andre, gleichmäßig, immer, immer gleichmäßig. Und
heute abend hatte er mit ansehen müssen, wie dieser Mann anfing, sich zu
verlieben!

Verlieben! Wohl etwa gar heiraten?

Er war ganz wütend, er knirschte beinahe mit den Zähnen. So wenig also
kannte der unglückselige Mensch seinen Zustand? Na -- es war nur gut,
daß er da war, der alte Johann; er würde schon acht auf ihn geben, ja,
das würde er, ja!

Und er schob die Hände, indem er sie zu Fäusten ballte, in die Taschen
seines Ueberziehers zurück, weil er sich überzeugt hatte, daß der Baron
vorläufig nichts weiter Gefährliches unternahm.

Am nächsten Vormittag, und zwar am ziemlich frühen Vormittag, klingelte
es an der Wohnung von Annas Onkel, und als die Köchin öffnete, ging ein
verständnisvolles Grinsen über ihre Züge; der Herr von gestern stand vor
der Thür, der Baron Eberhard von Fahrenwald.

Ein sprachloses Erstaunen bei dem Onkel und der Tante, ein glühendes
Erröten bei Anna -- und im nächsten Augenblick, noch bevor man ihn
eigentlich hereingebeten hatte, stand er schon auf der Schwelle. Auch
wenn man ihn abgewiesen hätte, er würde sich nicht haben abweisen
lassen, das sah man ihm an. Seine Brust ging auf und nieder, und in dem
bleichen Gesicht glühten die Augen wie Kohlen.

Beinahe wie ein Spieler, der das letzte Geld auf eine Karte gesetzt hat,
so sah er aus.

Es kostete ihn Mühe, die äußerlichen Regeln der Höflichkeit
innezuhalten; seine Blicke hingen an Anna, unverwandt, beinahe mit
angstvollem Ausdruck, als fürchtete er, daß sie hinausgehen, daß sie ihm
entfliehen könnte.

Nachdem er den alten Major und dessen Frau begrüßt hatte, trat er auf
das junge Mädchen zu.

»Darf ich Sie sprechen?« fragte er. »Darf ich Sie allein sprechen?«

Seine Stimme war heiser vor innerer Erregung.

Anna stand gesenkten Hauptes mitten im Zimmer. Herz und Kehle waren
ihr durch die Angst wie zugeschnürt; sie hatte in diesem Augenblick die
sichere Empfindung, daß sie es mit einem Wahnsinnigen zu thun hatte.
Etwas Aehnliches schienen auch der Onkel und die Tante zu empfinden, die
sich gegenseitig stumm fragend ansahen.

Der Baron bemerkte das alles. Plötzlich ging er auf die beiden alten
Leute zu, streckte beide Hände aus und faßte den Onkel an der linken,
die Tante an der rechten Hand.

»Aengstigen Sie sich nicht,« sagte er, und das Wort kam feierlich aus
der Tiefe seiner Brust; in seinen Augen war ein flammendes Leuchten.

Die beiden alten Leute sahen ihn ganz verdutzt an, machten eine
verlegene Verbeugung und zogen sich in das Nebenzimmer zurück.

Anna stand noch immer, wo sie gestanden hatte. Als sie sich jetzt mit
ihm allein sah, überkam sie die Angst so heftig, daß sie sich nicht mehr
zu raten und zu helfen wußte. Sie zog ihr Taschentuch hervor, drückte es
an die Augen und fing an zu weinen. Der Baron stand einige Schritte von
ihr entfernt und sah ihr schweigend zu.

»Bin ich Ihnen so schrecklich?« fragte er endlich. Der Ton klang wieder
so sanft und herzlich, daß sie einigermaßen zu sich selbst kam. Sie
steckte das Tuch in die Tasche und schüttelte leise das Haupt.

»Denken Sie denn gar nicht mehr an gestern?« fuhr er fort. »Gestern
abend waren Sie doch so -- so lieb und gut, denken Sie denn gar nicht
mehr daran?«

Er war zu ihr herangetreten und hatte sie an beiden Händen erfaßt; Anna
fühlte, wie behutsam er sie berührte, trotzdem vermochte sie noch nicht,
das Gesicht zu ihm zu erheben.

Er behielt ihre Hände in den seinigen.

»Gestern abend,« sagte er, »bin ich so glücklich gewesen, und darum bin
ich heut so früh wiedergekommen. Bitte, seien Sie doch nicht böse darum.
Wenn Sie sich auch vor mir fürchten, dann habe ich ja niemand mehr.«

Seine Stimme war ganz leise geworden.

»Denken Sie doch einmal,« sprach er weiter, »Sie gehen auf der Straße,
und indem Sie da gehen, sehen Sie einen Menschen am Wege liegen, dem
irgend ein Unglück geschehen ist, und der ruft Sie um Hülfe an. Und Sie
könnten ihm helfen, wenn Sie wollten, aber Sie fürchten sich und laufen
davon -- glauben Sie nicht, daß Sie sich einmal Vorwürfe machen würden,
wenn Sie dann erfahren, daß der Mensch zu Grunde gegangen ist?«

Das alles war so einleuchtend, kein Vernünftiger hätte es klarer
auseinandersetzen können. Sie wurde wieder schwankend, wieder ganz
verwirrt. Vor ihr stand ein Mann, der über Reichtümer gebot, von denen
sie sich kaum eine Vorstellung machen konnte, und sagte ihr, daß sie
ihm helfen könne, sie, die in der ärmlichen Wohnung, in einem
fadenscheinigen Morgenanzuge, in Morgenschuhen mit abgestoßenen Spitzen,
in aller Kläglichkeit eines ärmlichen, erbärmlichen Lebens steckte. War
es denn möglich, das alles?

Sie erhob das Gesicht und sah seine Augen mit dem fragenden, flehenden
Ausdruck vom gestrigen Abend auf sich gerichtet. Ja ja, es war ja
derselbe Mensch -- leise drückte sie seine Hände, und indem sie es that,
leuchtete sein Gesicht auf.

»Darf ich sprechen?« flüsterte er.

»Aber ich -- Ihnen helfen --« stammelte sie -- »wenn ich nur
begriffe --«

Er zog sie an den Händen zu einem Stuhle.

»Kommen Sie,« sagte er, »kommen Sie, bitte, setzen Sie sich, ich will
Ihnen eine Geschichte erzählen, eine ganz kurze.«

Sie setzte sich nieder, er schob einen Sessel neben den ihrigen und
legte den einen Arm über die Rücklehne ihres Stuhles, so daß sein
Oberleib sich zu ihr hinüberbeugte und sein Mund nahe an ihrem Ohre war.

»Ich kenne einen Menschen,« begann er, und seine Stimme war so gedämpft,
als wollte er verhüten, daß irgend jemand, außer Anna, seine Worte
vernähme, »ich kenne einen Menschen, der in einem Boote auf einem Wasser
fährt. Er sitzt ganz allein in dem Kahn, und das Wasser, auf dem er
fährt, ist ein breiter Fluß, und der Fluß hat einen starken Strom, denn
er fließt einem Abhang zu, über den er sich hinunterstürzen wird. Der
Abhang ist gar nicht mehr weit und er ist sehr hoch, so daß man den
Donner des Wassersturzes bereits hört. Und da treibt nun der Kahn hin,
in dem der Mann sitzt. Und obschon er weiß, daß er zerschmettert werden
wird, wenn er in den Sturz gerät, läßt er den Kahn dennoch treiben
und thut nichts, um ihn aufzuhalten -- ist das nicht sonderbar von dem
Mann?«

Er unterbrach sich und blickte Anna von der Seite an. Sie saß
aufgerichtet, wie erstarrt, ihre Hände hatten sich ineinandergeschoben,
ihre Augen blickten vor sich hin. Es ahnte ihr, wer der Mann war, von
dem er erzählte.

Er beugte sich noch näher zu ihr.

»Soll ich Ihnen nun sagen, warum er das thut?«

Sie blieb regungslos; nur ihre bleichen Lippen bewegten sich.

»Warum?« fragte sie tonlos.

»Sehen Sie,« fuhr er fort, »weil im Wasser neben dem Kahn etwas
einherschwimmt, und weil er nichts thun und nichts denken kann, als
immer und immer und immerfort auf das, was da neben ihm schwimmt,
hinzublicken.«

Seine Stimme sank zu einem heiseren Flüstern herab.

»Und das, was da schwimmt, sehen Sie, das ist etwas Schreckliches,
etwas Gräßliches, das ist ein Ungeheuer, so etwa, verstehen Sie, wie die
Seeschlange, von der die Schiffer erzählen, daß sie ihnen auf der See
begegnet sei. So müssen Sie sich das denken. Mit einem schuppigen Leibe,
verstehen Sie, und ganz lang. Und das Schrecklichste an dem Dinge, sehen
Sie, das ist der Kopf. Der läßt sich eigentlich gar nicht beschreiben,
aber er sieht so ungefähr aus, wie ein ungeheurer Papageienkopf. Ein
Schnabel ist daran, ein großer krummer Schnabel, und zwei Augen sind in
dem Kopfe --«

Er verstummte. Anna vernahm, wie sich die Luft in seiner Kehle
zusammenpreßte, als fände sie keinen Ausweg.

»Die Augen,« fuhr er fort, »sehen Sie, die sind es, auf die der Mann in
dem Kahne immerfort hinschauen muß. Die Augen sind fürchterlich, ganz
groß und ganz grün, wie die Augen von einem furchtbaren bösen Menschen.
Und die Augen blicken immerfort zu dem Manne herauf, und wenn sie ihn
ansehen, dann ist's wie ein Lächeln darin, wie ein grauenvolles, und
als wollten sie sagen: >ich habe dich, du entkommst mir nicht<. Und das,
sehen Sie, das ist es, was den Mann gefesselt hält und gefangen hält und
gebannt hält, daß er nichts thun und nichts denken und sich nicht helfen
und nicht retten kann, obschon er hört, wie der Wassersturz immer näher
und näher kommt.«

Abermals verstummte er, und da auch Anna, von Grauen versteinert, keinen
Laut hervorbrachte, herrschte eine Zeit lang ein beklommenes Schweigen.

Dann that er einen tiefen, seufzenden Atemzug und seine Stimme nahm
wieder den ruhigen, sanften Ton vom gestrigen Abende an.

»Und nun, sehen Sie, nun kommt ein Augenblick, da gelingt es dem
Manne, einmal für eine Sekunde den Blick über das Ding da im Wasser
hinwegzubringen, und da sieht er am Ufer ein menschliches Wesen stehen.
Und das menschliche Wesen, sehen Sie, das ist eine Frau, ein junges
Mädchen, und er merkt, daß sie ihm zugesehen hat, eine ganze Zeit lang,
und sich gewundert hat, was er da treibt. Und mit einemmal kommt ihm
der Gedanke: wenn du dahin gelangen könntest, wo die steht, wenn du ihre
Hand fassen könntest, daß sie dir hülfe, aus dem Kahn und dem Wasser
herauszukommen, dann wärest du mit einemmal das Ding da los, das
gräßliche, und brauchtest nicht in den Wassersturz hinunter und wärest
gerettet! Und da, sehen Sie, faßt er mit einemmal das Ruder und wendet,
und fährt auf die Stelle zu, wo sie steht -- und dann, wie sie ihn
kommen sieht, faßt sie der Schreck, weil sie denkt, er käme, um ihr ein
Leides zu thun, und sie wendet sich, um davonzulaufen -- und er sieht
das, und schreit ihr nach -- bleib doch, ich thue dir nichts! Sei doch
barmherzig! Ich komme ja nur, damit du mich rettest! Und da --«

Mit einem Griffe hatte er ihre Hände erfaßt, sein Gesicht war dicht
an ihrem Gesichte, so daß sie seinen keuchenden Atem auf ihrer Wange
fühlte. Weiter bog er sich vom Stuhle und immer weiter zu ihr hinüber,
bis daß er plötzlich auf beiden Knieen vor ihr lag.

»Anna -- was thut sie da? Anna -- läuft sie dennoch fort? Läuft sie
dennoch fort?«

Sein totenbleiches Antlitz war zu ihr erhoben, kalter Schweiß netzte
seine Stirn, seine Augen hatten den Blick eines Menschen, der den Spruch
über Leben und Tod erwartet, und an ihren Knieen, an die seine Brust
sich preßte, fühlte Anna das Herz in seinem Leibe pochen.

Ein namenloses Mitgefühl überschwoll ihr Herz. Ohne zu wissen, was sie
that, breitete sie beide Arme um sein Haupt, und indem sie in Thränen
ausbrach, drückte sie das Gesicht auf sein Haupt.

»O Sie armer, unglücklicher Mann,« sagte sie schluchzend.

Ein Stöhnen drang aus seiner Brust hervor. »Du gehst nicht? Du läufst
nicht davon? Läufst nicht davon?«

»Nein, nein, nein, ich will nicht davonlaufen.«

Jählings fühlte sie sich von zwei gewaltigen Armen umfaßt. Er war
aufgesprungen und hatte sie, wie ein Kind, an seine breite Brust
gerissen.

»Ach du -- mein Leben -- meine Seligkeit -- mein heiliges Heiligtum --
mein Alles!«

Und er küßte, küßte und küßte sie.

Endlich beruhigte er sich einigermaßen, so daß Anna wieder zu Atem kam.
Unter seinen Küssen und Umarmungen waren ihre Wangen ganz heiß geworden,
so daß sie hübscher aussah als zuvor. Der Baron war einen Schritt von
ihr hinweggetreten und blickte sie mit strahlenden Augen an, wie sie
verwirrt und verschämt vor ihm stand. Sie drehte den Kopf zu ihm herum.

»Aber wenn ich nur wüßte, was ich thun soll?«

Mit einer stürmischen Bewegung hatte er sie an beiden Händen erfaßt.

»Gar nichts sollst du thun!«

Sie schüttelte langsam das Haupt.

»Gar nichts thun soll ich?«

Er lachte laut auf vor Vergnügen.

»Nur da sein sollst du und dir gefallen lassen, was ich thue.«

Sie lächelte leise. »Was wird denn das sein, was Sie vorhaben?«

Nun legte er beide Arme um ihren Leib, so sanft, so vorsichtig, als
fürchtete er, sie zu erschrecken oder ihr weh zu thun.

»Dich glücklich machen,« sagte er.

Das Wort kam so aus der Tiefe eines von Liebe erfüllten Herzens hervor,
daß das junge Mädchen unwillkürlich an seine Brust sank.

»Du guter Mann,« sagte sie. Ihre Augen suchten die seinen. Er hielt sie
in den Armen, seine Hände strichen leise an ihren Seiten hinunter.

»Siehst du,« sagte er, »indem ich dich so halte, ist mir, als wäre der
ganze liebe Körper und alles, was darinnen ist, ein Gefäß, ein zartes,
zerbrechliches, und daß es so zerbrechlich ist, das ist gerade das Gute
daran. Nun darf ich an nichts mehr denken, als daß es in meinen Händen
nicht entzweigeht, und das gerade ist ja so gut. Siehst du, nun will
ich in das Gefäß hineinthun alles, was der Mensch sich für den Menschen
ausdenken kann an Gutem und Glücklichem. Und wenn wir da draußen auf
meinem Gute leben, das nun auch dein Gut ist, wir beide ganz allein,
jedesmal, wenn dann ein neuer Tag anbricht, will ich nach deinem lieben
Gesichte sehen; und du brauchst mir nie zu sagen, daß du mich liebst,
das verlange ich nicht, nur ob du glücklich bist, will ich in deinem
Gesichte sehen, und wenn ich das sehe, siehst du, dann werde ich
glücklich sein, glücklich, o -- so glücklich.«

Seine Worte erstarben in einem tiefen leisen Flüstern. Sie hielt das
Haupt gesenkt, als wollte sie lauschen und immer länger lauschen; als er
schwieg, richtete sie sich auf und wiegte das Haupt und legte beide Arme
um ihn her.

»Wie, soll ich dir denn nicht sagen, daß ich dich liebe,« sprach sie,
und ihre Stimme war ruhig und fest geworden, »da ich dich jetzt schon
liebe, von ganzer Seele, du teurer, du geliebter Mann.«

Sie hielten sich schweigend umschlungen, dann richtete sie sich auf.

»Komm,« sagte sie, »nun wollen wir den Onkel und die Tante rufen.«

Sie faßte ihn an der Hand und ging mit ihm an die Thür des Nebenzimmers,
die sie öffnete. Die alten Leute traten heraus und blieben verblüfft
stehen, als sie Anna Hand in Hand mit dem Baron gewahrten.

Mit einem ruhigen Lächeln sah sie sie an.

»Lieber Onkel,« sagte sie, »liebe Tante, ich teile euch mit, daß ich
mich mit dem Herrn Baron von Fahrenwald verlobt habe.«

Am Nachmittag erst verließ der Baron seine Braut und deren Angehörige.

Als er die Treppe hinunterstieg und den letzten Absatz erreicht hatte,
sah er im Hausflur einen Mann, der mit aufgeregten Schritten hin und her
ging; es war sein Diener, der alte Johann.

Verwundert blieb er stehen; in dem Augenblick hatte der Alte den Kopf
herumgedreht und seinen Herrn erkannt; er unterbrach seinen Gang und
stand wie angewurzelt.

»Was soll denn das?« fragte der Baron. »Ich hatte dir doch gesagt, daß
du mich nicht begleiten solltest.«

Der Alte lüftete den Hut, ohne die Augen von seinem Herrn zu lassen.

»Gnädiger Herr blieben so lange --« erwiderte er.

Der Baron lachte. Er war in so fröhlicher Stimmung, daß er sich über
nichts geärgert hätte, am wenigsten über die übertriebene Sorgfalt
seines alten Dieners.

»Hast gedacht, mir wäre ein Unglück passiert?« meinte er. »Na, du kannst
dich beruhigen.«

Er ging die Stufen vollends hinunter und schlug ihn auf die Schulter.

»Will dir eine Neuigkeit sagen, Johann, ich habe mich verlobt.«

Der Alte riß die Augen weit auf und wich zwei Schritte zurück; der Mund
stand ihm halb offen.

»Das Fräulein -- da oben, im zweiten Stock?« stotterte er.

»Jawohl, das Fräulein da oben, im zweiten Stock,« erwiderte gutlaunig
der Baron. »Und nächster Tage ist die Hochzeit.«

Er wandte sich nach der Hausthür, und indem er ihm den Rücken drehte,
konnte er nicht sehen, was der Johann hinter seinem Rücken für ein
merkwürdiges Gesicht schnitt. Er warf einen wütenden, geradezu giftigen
Blick nach der Treppe, die das Haus hinaufführte, dann glättete er mit
dem Aermel seines Ueberrocks den Cylinderhut, den er noch in der Hand
hielt, und während er das that, neigte er das Haupt, wie jemand, der
sich plötzlich in eine schwere Notlage versetzt sieht und Mittel und
Wege überdenkt, die nun zu ergreifen sind. Dann stülpte er den Hut mit
einem Rucke auf, biß die Zähne aufeinander und folgte seinem Herrn.
Die Hausthür fiel schmetternd zu, weil der Alte sie wütend ins Schloß
geworfen hatte.

Am nächsten Tage ging bei Anna ein Brief ein.

Sie erhielt selten Briefe und zögerte ein Weilchen, den Umschlag zu
öffnen. Die Handschrift war ihr nicht bekannt und sah so sonderbar
aus; man hätte kaum sagen können, ob sie von einem gebildeten oder
ungebildeten Menschen herrührte.

Endlich entschloß sie sich, und nun las sie folgende Zeilen:

»Haben Sie auch bedacht, was Sie thun? Sie wissen doch, daß der Mensch,
mit dem Sie sich verlobt haben, ein Verrückter ist?«

Ein Name stand nicht darunter. Der Brief war unterschrieben:

»Ein Wissender.«

Anna hielt das widerwärtige Blatt in den Händen. Was sollte sie thun?

Das beste bei solchen Gelegenheiten ist ja, demjenigen, vor dem man
gewarnt wird, den anonymen Wisch ruhig zu zeigen, damit man kein
Geheimnis vor ihm behält. Aber das war doch in diesem Falle nicht
möglich. Durfte sie den unglücklichen Mann lesen lassen, wie das, wovon
er sich an ihrer Seite zu befreien und zu erlösen hoffte, ihm in so
roher und gemeiner Weise auf den Kopf zugesagt wurde?

Sie faßte sich kurz, riß den Brief samt dem Umschlage in Fetzen und
steckte sie in den Ofen. Die Sache war abgethan.

Eine Stunde später kam der Baron, und nun pries sie ihren Entschluß. Er
sah so heiter aus, so klar; man merkte ihm an, wie in Annas Gegenwart
der dunkle Schleier sich hob und lüftete, der seine Seele umdüsterte.
Hätte sie, deren Nähe ihm die Gesundheit bedeutete, ihn in sein Leiden
zurückstoßen sollen, indem sie ihn daran erinnerte? Nimmermehr!

Heut brachte der Baron ihr den Verlobungsring mit, einen goldenen Reif,
der einen Brillanten umfaßte. Mit schüchternem Erröten ließ sie sich den
Ring an den Finger stecken, und während sie die Hand hin und her drehte,
um das Licht in dem geschliffenen Steine aufzufangen, griff der Baron
schon wieder in die Rocktasche. Er holte ein Schmuckschächtelchen
hervor, das er vor ihren Augen aufspringen ließ. Anna blickte hinein
und fuhr zurück. Ein goldenes Armband mit einem prächtigen Amethyst
leuchtete ihr entgegen.

»Aber nein!« erklärte sie, »nein, nein, das geht ja nicht, daß du mich
so überhäufst! Das kann ich ja nicht annehmen!«

Er sah glücklich lächelnd zu ihr hinüber.

»Aber Anna,« sagte er, »weißt du denn nicht, daß ich mich beschenke,
wenn ich dir ein Geschenk mache?«

Sie mußte es sich gefallen lassen, daß er ihren Arm ergriff und ihr das
Armband umlegte. Die Haut an der Hand und dem Handgelenk war rot und
aufgesprungen; man sah es ihr an, wie schonungslos die Hände des jungen
Mädchens in der Hauswirtschaft mitarbeiten mußten. Anna deutete mit den
Augen darauf hin.

»Sieh doch nur selbst,« sagte sie: »für solche Hände paßt doch ein so
wundervolles Armband gar nicht.«

Der Baron hob ihre kleine gerötete Hand empor.

»Das ist Anna von Glassner,« sagte er. Dann schob er den Aermel ihres
Kleides so weit zurück, daß die weiße, zarte Haut des Armes sichtbar
wurde.

»Und hier kommt die Baronin von Fahrenwald heraus,« fügte er lächelnd
hinzu. »In einigen Tagen sind auch die Händchen so weiß und zart wieder,
wie das.« Er drückte die Lippen auf ihren entblößten Arm und schob das
Armband so hoch hinauf, daß es auf der weißen Haut lag.

»Siehst du,« sagte er, »wie gut es sich hier ausnimmt!«

Sie mußte lächelnd zugestehen, daß er recht hatte, und dann siegte die
weibliche Freude am Schmuck über alle ihre Bedenken.

Mit leuchtenden Augen fiel sie ihm um den Hals.

»Du wirst mich noch so verwöhnen, daß ich ganz hochmütig und schlecht
werde.«

Er hielt sie an sich gedrückt.

»Sei was und wie du willst, nur sei glücklich.«

Es wurde alsdann zwischen ihnen verabredet, daß die Hochzeit möglichst
bald stattfinden sollte.

»Wie ist es denn?« fragte er, »möchtest du eine Hochzeitreise machen?«

Anna lächelte.

»Nicht wahr,« sagte sie, »das ist doch dein Park, den sie das
Schlesische Paradies nennen?«

»Wirklich?« erwiderte er, »davon habe ich ja noch gar nichts gewußt.«

»Ja, ja,« versicherte sie, »er soll ja auch wunderschön sein!«

»Nun, er ist groß genug, das ist wahr; nur vielleicht ein bißchen
verwahrlost.«

Sie legte die Hände auf seine Schultern.

»Und da fragst du mich, ob ich eine Hochzeitreise machen will? Nach dem
Schlesischen Paradies reise ich mit dir und da bleiben wir.«

»Das wolltest du? Wirklich?« Man sah ihm die Freude an, die ihre
Entscheidung ihm bereitete.

»Aber daß du nur keinen Schreck bekommst,« fuhr er fort, »wenn du da
hinauskommst; es ist etwas einsam, verstehst du. Ich habe da ganz allein
mit meinem alten Johann gehaust.«

»Ach Gott,« versetzte sie, »das denke ich mir ja gerade so wunderschön!
Siehst du, ich bin ja auch mein Leben lang so allein gewesen, so an die
Einsamkeit gewöhnt. Nun richten wir uns das alte schöne Schloß ein, wie
es für uns beide paßt, dann gehen wir durch den Park, und nicht wahr,
den Park gibst du in meine Obhut? Ich denke mir das so köstlich,
Gärtnerin zu sein!«

Sie war ganz lebhaft geworden; ihr Gesicht glänzte. Der Baron sah sie
hingerissen an. Vor seinem Geiste erschien eine Reihe der lieblichsten
Bilder: er sah seine junge Frau durch die düsteren Räume des alten
Schlosses wandeln, wie den Geist des neuen jungen Lebens; er sah sie im
Park umherschalten, anmutig zur Arbeit aufgeschürzt, und Haus und Garten
wurden jung und lebendig und schön unter ihren Händen und seine Seele
ward jung und freudig und stark in ihrer geliebten Nähe.

»Alles soll so sein, wie du es sagst,« rief er jauchzend, indem er sie
an sein Herz drückte, »sobald das Wetter einigermaßen wird, fahren wir
hinaus und ich zeige dir alles, und dann kommen wir zurück und kaufen
Tapeten und Möbel und Blumensamen und alles was der Mensch sich denken
kann. Und nachher, da leben wir da draußen zusammen, wie auf einer Insel
im weiten Meer. Wir beide ganz für uns, und fragen nach keinem Menschen
und nach keiner Welt!«

Er war wie trunken von Freude, als er sie endlich verließ, und auch
vor Annas Phantasie begann die Zukunft wie ein helles freundliches Land
emporzusteigen.

Am nächsten Tage aber erhielt ihre fröhliche Stimmung einen Stoß. Genau
zu der Stunde, an der gestern der anonyme Brief gekommen war, erschien
heute, von derselben Hand verfaßt, ein zweites Schreiben.

Gar nicht erst aufmachen, sondern ohne weiteres in den Ofen stecken, das
war Annas erstes Gefühl -- aber die Neugier war stärker als die Wallung
der Vernunft, und sie folgte dem verhängnisvollen Triebe, der in uns
ist, Dinge, von denen wir wissen, daß sie uns gräßlich widerwärtig sein
werden, daß sie unsern Seelenfrieden stören werden, recht genau und in
der Nähe anzusehen.

Das, was sie heute las, war dies:

»Haben Sie denn das Verhältnis noch nicht gelöst? Noch immer nicht?
Bedenken Sie sich, es wird Zeit! Es wird hohe Zeit!!!«

Diesmal war der Brief unterschrieben »der Warner«. Nun nachdem sie
gelesen, stand sie da und bereuete, daß sie gelesen hatte. Es war ihr zu
Mute, wie einem Kinde, das man vor giftigen Beeren gewarnt hat und das
trotzdem genascht hat. Mochte sie das Geschreibsel auch zerreißen und
in den Ofen stecken, vergessen konnte sie ja doch nicht, was darin
gestanden hatte. Dazu kam der sonderbare Ton und die Form des Briefes;
beides war so aufgeregt. Die drei Ausrufungszeichen am Schluß, und die
Unterschrift war mit ganz merkwürdigen Schnörkeln verbrämt und verziert.

Das Ende ihres Ueberlegens war, daß auch dieser Brief in Fetzen ging und
in den Ofen wanderte.

Am darauf folgenden Tage aber lauschte sie schon mit aller Spannung, ob
heute auch der Briefträger erscheinen würde. Und richtig, als die Stunde
schlug, klingelte es, und ein dritter Brief lag in ihren Händen. Heut
überlegte sie schon nicht mehr, ob sie lesen sollte, oder nicht, mit
einer Art von Heißhunger fiel sie darüber her.

Der unbekannte Verfasser betitelte sich heute »Prüfer von Herz und
Nieren«; das, was er verkündete, lautete folgendermaßen:

  »Verblendete!! Das gefällt Ihnen wohl, daß der unglückselige Mensch
  Sie mit Schmuck und Flitter überhäuft? Wollen Sie denn mit Gewalt
  blind und taub sein? Daran sollten Sie doch merken, daß er ein
  Wahnsinniger ist!! Ein Wahnsinniger!!!«

Ein unheimlicher Schauder überlief Anna, als sie diese Worte las. Es
klang wie eine dumpfe Wut daraus, eine Wut gegen sie und zugleich gegen
ihn. Sie versank in Gedanken, und so geschah es, daß der Baron
sie überraschte, bevor sie noch Zeit gefunden hatte, den Brief zu
vernichten. Sie hatte ihn gerade noch in die Tasche stecken können, als
er eintrat, und sie mußte sich beinahe Zwang anthun, um dem Bräutigam
unbefangen und heiter entgegenzugehen.

Als er aber jetzt, vergnüglich schmunzelnd wie ein Kind, das jemandem
eine rechte Ueberraschung zugedacht hat, eine große Schachtel zum
Vorschein brachte, und als sie darin ein prachtvolles Perlenhalsband
erblickte, fuhr sie zurück, und diesmal war es nicht Schüchternheit noch
Bescheidenheit, was sie zurückfahren ließ, sondern Schreck, wirklicher,
wahrhaftiger Schreck.

Die Worte des unbekannten Briefschreibers fielen ihr ein, und die
schrecklichen Worte hatten ja recht gehabt; so rasend verschwenden
konnte ja nur ein Wahnsinniger!

Mit hängenden Armen stand sie da und starrte, wie geistesabwesend, auf
den Schmuck, der ihr vom dunkelblauen Sammet, auf dem er gebettet lag,
entgegengleißte.

Der Baron hielt den geöffneten Schrein mit beiden Händen vor sie hin und
lachte still in sich hinein. Er ahnte nicht, was in ihr vorging, und
sah in ihrer Starrheit nur das hülflose Staunen der Armut, die sich
plötzlich vom Reichtum überflutet sieht.

»Aber Anna,« sagte er endlich, als sie noch immer wie leblos vor ihm
stand, »freust du dich denn gar nicht ein bißchen?«

Sie hörte wieder den Ton seiner Stimme, sie blickte auf und sah
sein Gesicht mit einem Ausdrucke unsäglicher Güte und Liebe auf
sich gerichtet, und plötzlich brach sie in Thränen aus und fiel ihm
schluchzend um den Hals.

Dieser Ueberschwall von Gebensfreudigkeit -- das sollte alles nur eine
Ausgeburt des Wahnsinns sein? Dieser Mensch, der sich auflöste, nur um
ein Lächeln auf ihrem Gesicht hervorzurufen, das sollte ein Verrückter
sein? Nein, nein, nein! Und sie drückte das Gesicht an seinen Hals und
schüttelte, wie in Verzweiflung, das Haupt.

Der Baron stand ratlos. Diese Thränen sahen doch gar nicht wie Uebermaß
von Freude, sondern wie echter Schmerz aus. Bevor er aber noch zu Worte
kommen konnte, fing sie an.

»Eberhard,« sagte sie, indem sie die Arme von seinem Halse löste,
»siehst du, es ist ja so himmlisch gut von dir, und ich bin dir ja so
maßlos dankbar für alles, aber ich bitte, ich beschwöre dich, laß es
genug sein, schenke mir nichts mehr.«

Die Heiterkeit wich von seinem Gesichte.

»Ich hatte geglaubt,« sagte er langsam, »es würde dir Freude machen --
und nun willst du es gar nicht haben?«

Er schickte sich an, den Schrein zu schließen, und dabei sah er so
kummervoll aus, daß ein reißender Schmerz durch ihre Seele ging.

»Nein, nein,« rief sie, »ich will es ja nehmen, gern nehmen, und ich bin
dir ja so, so dankbar dafür, aber ich wollte ja nur sagen: dann nichts
mehr, Eberhard. Laß es damit genug sein, bitte, versprich es mir, bitte,
bitte!«

Er drückte den Kasten ins Schloß und sah sie an, als begriffe er nicht,
was sie wollte.

Sie faßte seine Hand mit beiden Händen.

»Siehst du,« sagte sie, »du mußt doch bedenken, daß ich an so etwas
nicht gewöhnt bin; du weißt ja doch, daß ich ganz arm bin; ich habe
doch früher nie Schmuck getragen, und an so etwas muß man sich doch
allmählich gewöhnen. Und wenn das dann so mit einemmal, so massenhaft
kommt, siehst du, Eberhard, lieber guter Eberhard, das mußt du dir doch
selbst sagen, daß einen das geradezu ängstigt. Das erstickt einen ja und
erdrückt einen und das hält man gar nicht aus.«

Ihre Worte waren hastig erregt von ihren Lippen gekommen, aber sie
beruhigten ihn. Er entnahm daraus, daß es wirklich nur die Armut in ihr
war, die vor dem plötzlichen Reichtum erschrak.

»Du liebes, bescheidenes Kind,« sagte er zärtlich, indem er den Arm um
sie legte, »ich glaube wirklich, du hast vollkommen recht, und es war
falsch, daß ich zu rasch gewesen bin. Aber du weißt ja doch, warum ich
es gethan habe und bist mir nicht böse?«

»Ich -- dir böse sein --« erwiderte sie stockend, und die Thränen
drängten ihr von neuem empor, so daß sich ihr die Kehle zuschnürte.

Er stellte den Schmuckkasten auf den Tisch.

»Also mag er da bleiben,« sagte er, indem er seinen Ton zur Heiterkeit
anstrengte, »und vorläufig genug damit.«

Sie blieben dann noch eine Zeit lang bei einander, aber eine unbefangene
fröhliche Stimmung wollte nicht mehr recht aufkommen. Der Vorgang von
vorhin wirkte in beiden nach, und zwischen ihnen, auf dem Tische stand
der verhängnisvolle Schmuckkasten, der an dem allen schuld war.

Am nächsten Tage blieb Anna verschont; es lief kein Brief ein. Als der
Baron indessen erschien, lag ein Schatten auf seinem Gesicht und in
seinen Augen war ein dumpfes Glühen.

Anna erschrak einigermaßen, als sie ihn sah; sein Ausdruck war so anders
als an den vergangenen Tagen.

Sie forschte nach dem Grunde seines Mißmuts, aber er wollte nicht mit
der Sprache heraus.

»Bist du mir böse wegen gestern?« fragte sie endlich, indem sie sich
neben ihn setzte.

Er strich mit freundlicher Hand über ihr Haar.

»Nein, gar nicht, lieber Engel,« sagte er, »verlaß dich darauf, gar
nicht.«

Sie fragte nicht weiter, sie wollte nicht in ihn dringen, aber ihre
Augen blieben stumm besorgt an ihm hängen.

»Ach weißt du,« sagte er endlich, indem er sich aus seinem Brüten
aufraffte, »es ist wirklich gar nicht der Mühe wert, und es ist unrecht,
daß ich dich damit quäle. Ich habe einen Auftritt mit meinem Diener
gehabt, das ist die ganze Geschichte.«

Er war aufgestanden und ging im Zimmer hin und her. Anna folgte ihm von
ihrem Sitze aus mit den Blicken.

»Mit deinem alten --«

»Mit meinem alten Johann, ja.«

»Aber ich denke,« wandte sie ein, »er ist dir so treu und ergeben?«

»Freilich ist er das,« gab er zur Antwort, »treu beinah bis zum
Uebermaß, und das ist es ja eben --« er brach mitten im Satze ab und
wanderte wieder schweigend auf und nieder.

»Siehst du,« fuhr er nach einer Weile fort, »solche alten Diener, die
man vom Vater überkommt, die einen als Kind auf dem Arm getragen haben,
die einen immerfort begleitet haben, sind ja einerseits ein Schatz,
und darum kann man sie nicht so aus dem Hause schicken, wie man es
vielleicht mit andern machen würde.«

Ein Zucken ging über sein Gesicht und in seinen Augen flimmerte es, wie
die Erinnerung an einen schweren Grimm, den er durchgemacht hatte.

»Du wirst doch nicht an so etwas denken!« sagte Anna, indem sie
aufstand. Eine innere Stimme flüsterte ihr zu, wie notwendig ihm die
stetige Begleitung eines treuen, mit seiner Natur vertrauten Menschen
sein mochte.

»Ich denke ja nicht daran,« versetzte er, »nur das wollte ich sagen,
siehst du, solche alten Diener werden andrerseits auch manchmal zu
einer Art von Last. Sie wollen den Haushofmeister, gewissermaßen den
Schulmeister spielen, und das -- na, indessen --« er brach wieder ab.
»Lassen wir die dumme Geschichte; sie ist abgethan und, wie gesagt, gar
nicht der Rede wert.«

Anna war zu ihm herangetreten und sah ihm bittend in die Augen.

»Mir zuliebe,« sagte sie, »sei geduldig mit dem alten, treuen Menschen;
er meint es gewiß so redlich und gut mit dir.«

Der Baron blickte mit einem eigentümlichen Lächeln auf sie nieder.

»Das sagst du,« erwiderte er langsam. Seine Lippen bewegten sich,
als wollte er noch etwas hinzusetzen; aber er sprach es nicht aus.
Allmählich aber, indem seine Augen auf ihrem Gesichtchen ruhten, kehrte
der Ausdruck stiller Zufriedenheit in seine Züge zurück.

»Du bist ein Engel,« sagte er, »und so gut, wie du selbst es gar nicht
weißt.«

Bald darauf verließ er sie.

Es war, wie der Baron gesagt hatte; zwischen ihm und dem alten
Johann hatte es am Morgen dieses Tages einen Auftritt gegeben, einen
merkwürdigen, schrecklichen Auftritt.

In sein junges Glück versenkt, hatte der Baron nicht weiter acht auf den
Alten gegeben, sonst hätte es ihm auffallen müssen, daß dieser seit
dem Tag, als er mit ihm das Haus verlassen hatte, wo Anna von Glassner
wohnte, ein seltsames Wesen angenommen hatte.

Jeden Vormittag, wenn der Baron ausging, um sich zu seiner Braut
zu begeben, schlich der Alte geräuschlos hinter ihm drein. Dem
Juwelierladen gegenüber, in den er seinen Herrn eintreten sah, auf der
andern Seite der Straße, stellte er sich auf und wartete, bis der Baron
wieder herauskam; und wenn dieser zu Annas Hausthür gelangt war, ahnte
er nicht, daß wenige Schritte hinter ihm sein Diener stand und ihn mit
Augen verfolgte -- mit Augen, die den lauernden Ausdruck eines wilden
Tieres hatten. Wenn er alsdann in die Behausung zurückgekehrt war, wo
er mit dem Baron wohnte und wo ihm ein geräumiges Zimmer angewiesen war,
setzte der Alte sich an den Tisch, der inmitten des Zimmers stand, und
dort saß er Stunden und Stunden lang. Er aß nicht, er trank nicht, er
rauchte nicht; er war ganz versunken in dumpfes, stumpfes Brüten. Die
einzige Thätigkeit, zu der er sich aufraffte, war, daß er sich alsdann
erhob, eine große Schreibmappe auf den Tisch legte, Tinte und Feder
herbeiholte und nun mit fanatischem Eifer zu schreiben anfing. Was er da
schrieb -- niemand sah es, denn niemand war dabei; jedesmal, bevor er an
seine Schreiberei ging, riegelte er sorgfältig die Thür seines Zimmers
ab. Es schienen jedoch Briefe zu sein; denn das Papier, worauf er
schrieb, waren Briefbogen, und jedesmal, nachdem er geendigt und das
Geschriebene wohl zehnmal mit gerunzelter Stirn und stumm glühenden
Augen durchgelesen hatte, steckte er den Bogen in ein Couvert, das er
mit einer Adresse und Postmarke versah. Leise schloß er alsdann seine
Thür wieder auf, steckte horchend den Kopf hinaus, und wenn er sich
überzeugt hatte, daß niemand ihn hörte und sah, schlüpfte er behutsam
aus der Wohnung, aus dem Hause, um den Brief in den nächsten Briefkasten
zu stecken.

Abends fand der Baron, wenn er nach Haus kam, die Lampen in seinen
Gemächern bereits angezündet, alles zu seinem Empfange bereit, und den
alten Johann, einmal wie allemal fertig, ihn des Mantels zu entledigen,
ihm den Thee zu bereiten und alles zu thun, woran er von jeher gewöhnt
war. Was der Baron nicht beachtete, das waren die Blicke, mit denen der
Alte ihn lauernd beobachtete, und was er nicht sah, das war, daß der
Alte, nachdem er sich zurückgezogen hatte, draußen auf dem Flur
stehen blieb, lautlos an die Thür gepreßt, hinter der sein Herr saß,
stundenlang horchend, lauschend, ob er nicht da drinnen plötzlich ein
verdächtiges Geräusch, irgend etwas vernehmen würde, das ihn nötigte,
zuzuspringen und Hand anzulegen. Denn er wußte ja doch, daß da drinnen
ein Wahnsinniger saß und daß es sein Beruf und seine Pflicht war, den
Wahnsinnigen zu bewachen.

An dem Vormittag dieses Tages nun, als der Baron gefrühstückt und darauf
dem Diener geklingelt hatte, damit er ihm beim Anziehen behilflich sei,
hatte dieser sich, im Bewußtsein seiner Pflicht, ein Herz gefaßt und
beschlossen, mit seinem Herrn einmal ein Wort zu reden.

Es kam ihm nicht leicht an, denn er war ein echter Schlesier, und daher
steckte ihm ein knechtischer Respekt vor seinem Gebieter in Fleisch und
Bein. Aber es mußte sein, es mußte.

Den Pelz seines Herrn in den Händen, trat er in das Zimmer ein; als der
Baron aber in den Mantel fahren wollte, ließ der Diener ihn sinken.

»Gnädiger Herr wollen mir eine unterthänige Frage erlauben -- gehen
gnädiger Herr wieder zu dem Fräulein?«

Der Baron sah sich überrascht um; ein Lachen zuckte über sein Gesicht.

»Interessiert dich das so? Allerdings gehe ich zu ihr.«

Der Alte senkte das Haupt und stierte auf den Teppich.

»Nun, was gibt's? Worauf wartest du?« fragte der Baron, indem er ein
Zeichen machte, daß er den Pelz anzulegen wünschte.

»Gnädiger Herr, wollen entschuldigen,« erwiderte der Alte, ohne die
Augen zu erheben, »ob gnädiger Herr es sich nicht noch einmal überlegen
möchten?«

»Was soll ich mir überlegen?«

»Daß gnädiger Herr das Fräulein wirklich heiraten wollen.«

Der Baron machte auf dem Absatze kehrt, so daß er seinem Diener
unmittelbar gegenüberstand. Er war einen Augenblick ganz sprachlos vor
Erstaunen.

»Was geht das dich an?« stieß er hervor. »Was fällt dir denn ein?«

»Gnädiger Herr wissen ja doch,« murrte der Alte mit hohler Stimme von
unten herauf, »daß ich gnädigen Herrn von Kindesbeinen her kenne -- daß
ich vom seligen Herrn Baron --«

»Weiß ich, weiß ich, weiß ich alles!« rief der Baron, indem er
ungeduldig aufstampfte. »Was gehört das hierher?«

»Und daß ich weiß, was gnädigem Herrn gut thut und gnädigem Herrn nicht
gut -- weil ich weiß, wie es steht.«

Der Baron trat einen halben Schritt zurück.

»Wie was steht?«

Jetzt richtete der Alte das gesenkte Haupt so weit auf, daß er einen
schrägen, lauernden Blick in die Augen seines Herrn bohren konnte. Seine
Stimme wurde dumpf und leise.

»Wie es -- mit gnädigem Herrn steht.«

Das bleiche Gesicht des Barons wurde noch um eine Färbung bleicher, so
daß es ganz weiß aussah, und in dem weißen Gesichte glühten die Augen
auf. Ein Zittern durchlief seine Gestalt, seine Hände schlossen sich,
er konnte keinen Laut hervorbringen. So standen sich die beiden Männer
stumm gegenüber. Am Leibe des alten Johann regte sich keine Fiber, nur
seine Augen hafteten stieren Blicks an dem Baron. Er sah ja, daß
der Mann dort unmittelbar vor einem Ausbruche von Tollwut stand, und
Tobsüchtige darf der Wärter nicht aus den Augen lassen.

Es dauerte geraume Zeit, bis daß der Baron seine Fassung einigermaßen
zurückgewann. Seine Brust keuchte, indem er zu sprechen begann; die
Worte kamen abgebrochen heraus.

»Johann -- weil ich weiß -- daß du es gut meinst -- will ich dir
verzeihen, was du -- da eben gesagt hast. Aber, wenn du es noch einmal
thust, dann nimm dich in acht!« Er hob den rechten Arm mit geballter
Faust empor. »Nimm dich in acht!« wiederholte er, »nimm dich in acht!«

Seine Stimme war immer lauter angeschwollen, so daß sie zuletzt beinahe
brüllend geworden war. Sein Körper schüttelte sich wie im Krampf. Dann
plötzlich ließ er den erhobenen Arm sinken, warf sich stöhnend in einen
Sessel und legte beide Arme auf die Lehne, das Gesicht auf die Arme
drückend.

Regungslos stand der Alte; in seinen Augen war etwas, wie ein wilder
Triumph, indem er auf seinen Herrn niederblickte. Wer hatte nun recht
gehabt? War der Mann da, der unglückselige, etwa kein Wahnsinniger?

Zunächst sprach keiner von beiden ein Wort; eine schwüle, beängstigende
Stille trat ein. Dann erhob der alte Johann wieder die Stimme.

»Und wenn gnädiger Herr heiraten, thut es gnädigem Herrn nicht gut.«

Der Baron erwiderte nichts; er gab überhaupt kein Zeichen, als hätte er
gehört.

»Und wenn ein Fräulein kommt,« fuhr der Alte fort, »und will den
gnädigen Herrn heiraten, weil das Fräulein Frau Baronin werden möchte
und reich werden möchte, weil sie selber nichts hat --«

Jetzt richtete der Baron das Haupt auf; seine Hand griff in den
Stoffüberzug des Sessels, man sah, wie sie sich hineinkrallte, seine
Augen drehten sich zu dem Alten herum, mit einem gefährlichen Ausdruck.
Der Alte aber hörte nicht auf, wollte nicht aufhören; indem er des
Mädchens gedachte, war es, als überkäme auch ihn eine dumpfe, schwälende
Wut. Seine Augen unterliefen rot. »Dann ist das nicht recht von dem
Fräulein,« polterte er rauh und rücksichtslos heraus.

In diesem Augenblick rollte der Stuhl, auf welchem der Baron gesessen
hatte, bis mitten ins Zimmer; mit einem jähen Satze war der Baron
aufgesprungen.

»Mach, daß du 'rauskommst!« brüllte er den Alten an. Der Alte stand wie
an den Boden gewachsen.

»Gnädiger Herr dürfen nicht heiraten,« sagte er.

»Halt 's Maul und mach, daß du 'rauskommst!« donnerte der Baron noch
einmal. Seine Hände flogen, sein Körper erbebte konvulsivisch. Es
war aber, als wenn seine Aufgeregtheit den andern nur um so eisiger
erstarren machte.

»Ein Arzt hat mir gesagt, der jetzt tot ist, wenn gnädiger Herr
heiraten, werden gnädiger Herr jemand umbringen.«

Kaum daß er das gesagt hatte, warf er jedoch den Pelz, den er immer noch
in Händen hielt, über den nächsten Stuhl und zog sich eilends nach der
Thür zurück. Der Baron hatte den schweren gepolsterten Sessel mit
beiden Händen an der Lehne gepackt und mit einer Kraft, wie sie nur der
Paroxismus verleiht, emporgeschwungen. Es sah aus, als wollte er
den Alten im nächsten Moment zu Boden schmettern. Mit einer hurtigen
Bewegung riß dieser die Thür auf und verschwand.

Eine halbe Stunde später, während er lautlos horchend in seinem Zimmer
gesessen hatte, vernahm er, wie der Baron aus seinen Gemächern trat und
mit schweren Schritten die Wohnung verließ. Er eilte an eines der
nach der Straße gehenden Fenster und blickte ihm nach. Richtig -- die
gewohnte Richtung, er ging zu seiner Braut. Also doch!

Der Alte kehrte in sein Zimmer zurück, warf die Mappe auf den Tisch und
gleich darauf saß er wieder vor seinen Briefbogen. Heute knirschte das
Papier unter seiner kratzenden Feder; seine Augen brannten, und die
Muskeln seines Gesichts spannten sich zu einem Ausdruck grimmiger
Verbissenheit, indem er schrieb.

Am Abende des Tages erhielt Anna von Glassner folgenden Brief:

  »Zum letztenmal werden Sie gewarnt! Sie ruinieren ihn und gehen in
  Ihr Verderben! Heute war der unglückselige Mensch dicht daran, daß
  er seinen Wärter und treuesten Begleiter totgeschlagen hätte.

    Wer Augen hat, zu sehen, der sehe!!!

      Der Pflichterfüller.«

Scheinbar beruhigt war der Baron von Anna hinweggegangen, in seinem
Innern aber saß die Erinnerung an das, was er mit dem alten Johann
erlebt hatte. Und diese Erinnerung war wie ein gärender Keim in seinem
Blute, sie ließ ihn nicht mehr zur Ruhe kommen.

Es erging ihm, wie es dem Menschen geht, wenn er sich mit einem andern
gestritten hat. Im Augenblick, da uns der Gegner seine Behauptung ins
Gesicht wirft und wir sie ihm leidenschaftlich zurückschleudern, sind
wir darüber hinweg -- nachher, wenn die Leidenschaft verraucht
ist, kommt das Wort uns wieder, leise, schleichend und in seiner
Geräuschlosigkeit eindringlicher als vorher, und nun kommt das Grübeln,
ob das Wort nicht vielleicht doch recht gehabt haben könnte.

»Ich weiß, wie es mit gnädigem Herrn steht« -- immer wieder war es da,
das Wort, immerfort und immerfort, wie der Wassertropfen, der unablässig
auf den Kopf des Gefolterten fällt. Und indem es in seinem Ohre
nachklang, war ihm, als käme das Ungetüm wieder herangeschwommen, von
dem er Anna erzählt hatte, als höbe es die gräßlichen grünen Augen
wieder auf, und das, was aus diesen Augen sprach, war ja nichts andres
als das: »Ich weiß, wie es mit dir steht.«

Und, war es denn etwa so ganz unberechtigt? War nicht in ihm
selbst etwas gewesen, das ihn mit Schauder erfüllte, wenn er daran
zurückdachte? Immer wieder hörte er eine fürchterliche Stimme, die das
Zimmer durchtönte, und das war seine Stimme; der Mensch, der so gebrüllt
hatte, war er selbst gewesen. Immer wieder empfand er den Krampf,
der plötzlich in seinem Rückenmark losgebrochen war, seine Glieder
durchschüttelt, seinen Arm erhoben und seine Fäuste geballt hatte. Es
ließ ihn gar nicht los; immer und immer wieder mußte er sich bis ins
einzelne vergegenwärtigen, wie das gekommen, wie ihm dabei zu Mute
gewesen war. Wie wenn etwas von außen über ihn herfiele, so war es
gewesen, wie wenn ihn etwas anspränge, sich seiner bemächtigte, eine
fremde, furchtbare Gewalt, beinahe wie ein wildes Tier, das jählings
in ihn eingedrungen war und aus ihm hervortobte. Dazu diese plötzliche,
unbegreifliche Kraft, die er in den Armen gefühlt hatte. Wenn er jetzt
den schweren gepolsterten Sessel anschaute, begriff er gar nicht, wie es
ihm möglich gewesen war, ihn wie eine Keule emporzuschwingen. Und in
dem Augenblick war es doch so gewesen, und in dem Augenblick war ihm
das mächtige Ding so federleicht erschienen. Unwillkürlich schloß er die
Augen. Hatte er nicht gehört und gelesen, daß Menschen in der Tollwut
eiserne Stangen zerbrechen? Was war das gewesen, was ihm die Muskeln so
schrecklich gestählt hatte? Brütend saß er in seinem Zimmer und wagte
sich nicht Antwort auf das zu geben, was in ihm fragte.

So also stand es mit ihm? Und wie viel hatte gefehlt, so hätte er seinen
alten Johann niedergeschlagen und totgeschlagen. -- Freilich, der Alte
hatte ihn gereizt; aber wußte er denn nicht, wie er an ihm hing, treu
wie ein Hund? Und er hätte ihn beinahe umgebracht!

Und wie hatte der Alte von Anna gesagt? »Wenn ein Fräulein kommt und den
gnädigen Herrn heiraten will, weil sie reich werden möchte --«

Hier aber sprang er auf. Das war falsch und gelogen, das wußte er, so
weit war er noch vernünftig. Das waren die Gedanken, wie sie in einer
Knechtsseele sich zusammenkleistern! Er wußte ja doch, daß er zu ihr
gekommen war, nicht sie zu ihm. Mit den Armen griff er in die Luft. Daß
sie nur da gewesen wäre in diesem Augenblick, daß er sie an sich hätte
pressen können! Denn mächtiger und bestimmter als je zuvor empfand er in
diesem Augenblick, daß es nur ein Ziel und eine Rettung für ihn gab, und
das war sie, an die er dachte, nach der er verlangte, Anna, Anna, Anna!

Wie eine Todesangst erfaßte ihn der Gedanke, daß sie ihm doch noch
entgehen könnte, und mit krampfhafter Ungeduld sah er dem Tage entgegen,
da sie Hochzeit machen würden, da sie ihm ganz gehören, immer und
allerorts bei ihm und mit ihm sein würde.

Das nächste, was er darum zu thun beschloß, war, daß er seine Braut zu
seinem Schlosse hinausführte. Sie sollte den Ort kennen lernen, wo sie
mit ihm zusammen sein würde, die künftige Heimat.

Man befand sich zu Anfang April; der Winter war überstanden, aber noch
nicht überwunden, er kämpfte noch mit dem nahenden Frühling. Trotzdem
wollte der Baron nicht länger warten. Es mußte etwas geschehen, wodurch
Anna körperlich mit dem neuen Dasein verknüpft würde, und sie selbst
hatte Lust dazu. Auch in ihr war ein Bedürfnis, die Umgebung des
künftigen Lebens kennen zu lernen; daneben regte sich die Neugier, das
schlesische Paradies endlich einmal mit Augen zu sehen.

So wurde der Besuch denn für einen der nächsten Tage beschlossen.

Mit seinem alten Diener hatte der Baron seit jenem verhängnisvollen
Vormittage kein Wort mehr gesprochen; schweigend waren sie umeinander
hergegangen; es war wie ein Waffenstillstand zwischen ihnen.

Als er damals seine Wohnung verließ, um zu Anna zu gehen, hatte Eberhard
von Fahrenwald ernsthaft erwogen, ob er den Alten nicht fortschicken
sollte. Es war das erste Mal, daß ihm der Gedanke kam.

Er hatte ihn von seinem Vater ererbt und es bisher wie eine Art von
Naturnotwendigkeit empfunden, ihn fortwährend um sich zu haben. An
dem Tage zum erstenmal erhob sich eine Stimme in ihm, die ihm zurief:
»Schick' ihn fort!« Er würde ihm natürlich eine für seine alten Tage
ausreichende, ja eine glänzende Pension zahlen, aber er wollte ihn los
sein.

Als er dann aber zu Anna gekommen war, und diese für den Alten gebeten
hatte, war sein Entschluß wieder schwankend geworden. Er war sich nun
wieder bewußt geworden, daß er gegen den ausdrücklichen letzten Willen
seines Vaters handeln würde, wenn er so thäte, und er sagte sich, daß
er es doch gewesen war, der durch seine Heftigkeit den widerwärtigen
Auftritt verschuldet hatte. Kampf mit sich selbst, das war ja nun
einmal die Aufgabe, die ihm vom Schicksal auferlegt worden war, und dazu
gehörte, daß er auch den Widerwillen, den unheimlichen, niederkämpfte,
der sich in ihm gegen den Alten zu regen begann.

Also schwieg er; der alte Johann schwieg auch, und äußerlich schien es,
als wäre alles, wie es früher und immer gewesen war.

Jetzt, am Tage, bevor er mit Anna hinauszufahren beschlossen hatte,
befahl der Baron dem Alten, vorauszufahren und das Schloß einigermaßen
zum Empfange vorzubereiten. Die Zimmer sollten gelüftet, in den Oefen
und Kaminen sollten Feuer angezündet werden. In den Wegen des Parks,
die vom Tauwetter jedenfalls aufgeweicht sein würden, hieß er ihn Sand
aufschütten und an besonders morastigen Stellen Bretter legen. Endlich
sollte für ein Frühstück gesorgt werden.

Alle diese Weisungen erteilte der Baron in kurzem, bestimmtem Tone; der
alte Johann nahm sie mit schweigender Unterwürfigkeit entgegen; er war
in diesem Augenblick nichts weiter, als der demütige, gehorsame Knecht.

Ein grauer, nasser Himmel lag über der Erde, als der Baron am nächsten
Morgen mit seinem Wagen bei Anna von Glassner vorfuhr, um sie zum
Bahnhofe abzuholen.

Als er bei ihr eintrat, stand sie schon reisefertig in ihrem grauen
Reisemantel da. Lächelnd wickelte er einen Gegenstand, den er in Händen
trug, aus dem umhüllenden Papier; es war ein Paar nagelneuer, mit Pelz
gefütterter Gummischuhe.

»Das ist kein Schmuck,« sagte er, »das darfst du annehmen, und im Park
draußen wird es feucht sein.«

Sie sah ihm dankbar ins Gesicht.

»Auch an so etwas denkst du?«

Sie setzte sich, um die Gummischuhe anzulegen, und dabei konnte sie
nicht verhindern, daß er sich auf ein Knie vor ihr niederließ, um ihr
beim Anziehen behilflich zu sein.

Zärtlich drückte er ihre kleinen Füße.

»Aber Eberhard!« mahnte sie.

Er sprang auf, schloß sie in seine Arme und küßte sie auf den Mund.

»Komm,« sagte er, »heute fährst du als Anna von Glassner hinaus; das
nächste Mal als Anna von Fahrenwald.«

Nach einer Eisenbahnfahrt von etwa einer Stunde kamen sie an der kleinen
Station an, von der man zum Gute des Barons gelangte. Als der Zug
einlief, stand bereits ein grauhaariger Mann mit abgezogenem Hute und
gebeugtem Rücken auf dem Bahnsteige; es war der alte Johann.

»Sieh, wie pünktlich und aufmerksam er ist,« flüsterte Anna, mit dem
Kopfe nach dem Alten deutend, dem Bräutigam zu. Dieser erwiderte nichts,
und als Johann hinzutrat, um dem Fräulein beim Aussteigen behilflich zu
sein, verhinderte er, daß er sie berührte.

»Ist der Wagen da?« fragte er kurz.

Der Wagen war da.

Indem sie dahin gingen, drückte sie mit leisem Vorwurfe den Arm des
Bräutigams; er war so freundlich und gut, nur dem alten Diener gegenüber
erschien er ihr so barsch.

Der Wagen war zugedeckt, weil es vorher geregnet hatte; jetzt aber hatte
der Regen aufgehört.

»Möchtest du ihn lieber offen haben?« fragte der Baron.

»O ja,« bat sie. Es war ja eine neue Welt, in die sie kam, und die
will man doch gern ordentlich sehen können. Also wurde das Verdeck
zurückgeschlagen; im Wagen befanden sich Fußsäcke und Decken; zwei
prächtige Rappen stampften an der Deichsel. Der Ueberfluß kam ihr
entgegen und breitete beide Arme aus.

Nachdem er sie in eine Wagenecke gepackt und sorgfältig in die Decken
gewickelt hatte, setzte er sich neben sie; die Pferde zogen an und der
Wagen rollte auf die Landstraße hinaus. Wege und Stege trieften von
Nässe, in den Feldern rechts und links standen breite Wasserlachen, so
daß sie wie Sümpfe aussahen; am Himmel, der kalt und grau wie Stahl war,
taumelten die Wolken, vom Aprilwinde gejagt, in dicken schwärzlichen
Ballen dahin. Alles in allem war es kein freundlicher Empfang, den die
neue Welt dem jungen Mädchen bereitete.

Der Baron sah sie von der Seite an und sah, wie ihr Stumpfnäschen keck
und vergnügt aus Hüllen und Decken in die graue Luft ragte.

»Ist dir kalt?« fragte er.

»Nicht im geringsten!« erwiderte sie.

»Aber schön ist es nicht?«

»Himmlisch,« gab sie zur Antwort. »Was denkst du denn? So eine
Stadtpflanze, wie ich; das ist ja die reine Wonne, so über Land zu
fahren!«

Er war ganz glücklich und legte den Arm um sie; durch die Decken und
Tücher, mit denen er sie umwickelt hatte, war sie aber ganz unförmlich
geworden, so daß sein Arm nicht um sie herumreichte. Sie kicherte vor
Vergnügen.

»Siehst du,« sagte sie, »wenn du mich so weiter verwöhnst, werde ich
noch so dick werden, daß du mich gar nicht mehr umarmen kannst -- es
fängt schon an damit.«

Er hörte ihrem Geplauder zu. Wie ihn das beglückte, daß sie so zufrieden
war! Wie wenig sie brauchte, um zufrieden zu sein!

Der Wagen war inzwischen von der Landstraße abgebogen und quer
durchs Land gefahren. Jetzt tauchten in einiger Entfernung die kahlen
Baumkronen eines weit ausgedehnten Parkes vor ihnen auf.

Plötzlich kam Annas Hand unter den Decken hervorgekrochen und erfaßte
die Hand des Barons.

»Eberhard,« fragte sie leise, indem sie sich zu ihm hinüberbog, »ist es
das?«

Er sah ihr ins Gesicht.

»Das ist es,« erwiderte er.

Sie verstummte; ihre Augen wurden groß und ernst.

»Gefällt es dir?« fragte er nach einiger Zeit.

»Es scheint ganz wundervoll,« gab sie flüsternd zurück. Dann zeigte sie
mit dem Finger nach vorn.

»Und das da -- das ist das Schloß?«

Ueber den Wipfeln des Parks stiegen die Mauern eines großen Gebäudes
finster empor.

»Das ist das Schloß,« versetzte er.

Dann ergriff er ihre Hand, die langsam niedergesunken war. »Gefällt dir
das auch?«

Sie nickte gedankenvoll mit dem Haupte. Nachdem sie dann ein Weilchen
geschwiegen, schmiegte sie sich an ihn.

»Eberhard,« bat sie leise, »könnten wir nicht am Park aussteigen und
durch den Park zum Schlosse geh'n?«

»Wäre dir das lieber?« fragte er.

Sie nickte wieder; sie hätte kaum sagen können, warum, aber es war
ihr wirklich lieber. Vielleicht, daß ihr das große düstere Gebäude
unwillkürlich einen Schreck einflößte.

Der Park öffnete sich in das umgebende Gelände; weder Mauer noch Zaun
schloß ihn ab.

Als jetzt der Wagen die Stelle erreicht hatte, wo die Parkwege sich mit
der Fahrstraße kreuzten, befahl der Baron, anzuhalten.

»Also komm,« sagte er zu Anna, »wir wollen aussteigen und zu Fuße
gehen.«

Rasch entledigte sie sich ihrer Umhüllungen, und auf seine Hand
gestützt, sprang sie hinab.

Während der Wagen zum Schlosse weiterfuhr, schritten die beiden, Arm in
Arm, in den Park hinein.

Ihr Weg führte sie eine Allee entlang, die von hochstämmigen, uralten
Buchen gebildet wurde. In den blätterlosen Wipfeln brauste der Wind, der
immer stärker angeschwollen und jetzt beinahe zum Sturm geworden war.
Die Bäume neigten und beugten sich, die kahlen Aeste schlugen klatschend
aneinander, ein Chor von tausend seltsamen Lauten, ein Krachen, Pfeifen
und Heulen erfüllte die Luft.

Unwillkürlich schloß Anna sich dichter an ihren Begleiter. Zum erstenmal
setzte sie den Fuß auf Fahrenwaldschen Grund und Boden, und es war,
als wenn die Geister und Dämonen, welche dieses Gebiet bewohnten, sie
begrüßten.

Der Baron fühlte ihre ängstliche Bewegung; er sagte sich, daß er sie
nun da hatte, wo er sie haben wollte, haben mußte, aber es war wie ein
Gefühl des Unrechts in ihm. Er kam sich vor, wie ein Jäger, der in einem
fremden Erdteile ein Wild gefangen und es in seine Heimat geschleppt
hat. Wird das fremde Geschöpf sich an die Luft der neuen Umgebung
gewöhnen?

In Gedanken verloren, waren sie schweigend fürbaß geschritten. Dann fing
Anna an.

»Siehst du,« sagte sie, »nun begreif' ich, warum sie deinen Park das
schlesische Paradies nennen; das find' ich so schön, daß der Garten so
offen ist; da können die armen, müden Leute, wenn sie von den Feldern
draußen kommen, hereintreten und sich unter den schönen schattigen
Bäumen erholen.«

»Gefällt es dir?« fragte er zurück, »das freut mich. Früher, verstehst
du, war ein Gitter rings um den Park herum; ich habe es wegnehmen
lassen.«

»Das hast du gethan?«

»Ja,« sagte er einfach.

Sie ruckte an seinem Arm; beide blieben stehen.

»Eberhard,« sagte sie leise, indem sie ihm in die Augen sah, »weißt du,
was ich glaube? Daß du der beste, gütigste Mensch bist, den es auf Erden
gibt.«

Er wandte das Haupt zur Seite, als wolle er ihrem Blicke ausweichen.
Es gibt Menschen, die es nicht vertragen, daß man sich mit ihnen
beschäftigt; vielleicht auch, daß er an den Vormittag zurückdachte, da
er nahe daran gewesen war, den alten Johann zu erschlagen, und daß
ihr Lob ihm darum ungerechtfertigt erschien -- er erwiderte nichts und
drückte nur hastig ihre Hände. Dann schlang er ihren Arm wieder in den
seinen und setzte den Weg mit ihr fort.

Von der Allee bogen sie in einen Seitenweg ab, und indem sich nun der
Park tief wie ein Wald vor ihr aufthat, sah und empfand Anna erst, wie
schön und herrlich er war.

»O Eberhard,« fuhr sie bewundernd heraus, »wie muß das alles herrlich
sein, wenn es erst Frühling wird und alles in Laub und Blättern steht!«

Nun warf er den Arm um sie her; sie fühlte seinen leidenschaftlichen
Druck.

»Meinst du, daß es schön sein wird? Glaubst du, daß es dir gefallen
wird? daß du glücklich sein wirst? Glaubst du's?«

»Ja doch, ja gewiß,« erwiderte sie, indem sie sich bemühte, ihn
den Schreck nicht fühlen zu lassen, den seine plötzliche
Leidenschaftlichkeit ihr eingejagt hatte.

»Dann will ich dir etwas sagen,« fuhr er fort, indem er sie eng an sich
preßte, »sprich nie von mir! Hörst du? Sag nie, daß ich gut bin! Von
mir, siehst du, muß nie die Rede sein; das ist mir gerade recht, ist mir
das allerliebste! Nur du bist da, und du sollst glücklich und zufrieden
sein. Siehst du, ich will mal ein Bild brauchen, damit du's verstehst:
du bist für mich wie die Sonne, und ich bin wie die Erde. Und wenn die
Sonne scheint, siehst du, dann ist die Erde glücklich, daß sie sich um
die Sonne drehen kann. Und mehr will ich nicht und brauch' ich nicht.
Und darum gibt's für die Sonne nur eine Verpflichtung: nämlich, daß sie
da ist und leuchtet, weiter gar nichts. Und nun sag' mir, wirst du
daran denken? Und da sein für mich und leuchten? Wirst du's? Versprichst
du's?«

Was blieb ihr anders übrig, als es zu versprechen? Aber während sie es
that, fühlte sie beklommenen Herzens, daß es nicht immer leicht sein
mochte, nichts weiter als »Sonne« zu sein und immerdar zu leuchten.

Indem sie dem Schlosse näher kamen, lichtete sich der Park, das
Baumdickicht blieb hinter ihnen und der Weg führte an Rasenflächen und
Blumenbeeten vorüber.

Anna riß sich vom Arme des Bräutigams los und schlug in die Hände.

»O herrlich!« rief sie, »hier beginnt mein Reich!«

Sie lief einige Schritte voraus und achtete nicht darauf, daß ihre
Füße in dem aufgeweichten Boden beinahe bis an die Knöchel einsanken.
Zwischen den kahlen Blumenbeeten ging sie auf und ab.

»O Eberhard,« rief sie, »Eberhard, wie sieht das hier aus! Da bekomme
ich Arbeit! Da bekomme ich Arbeit!«

Der Baron war hinter ihr stehen geblieben.

»Geh nicht zu weit,« warnte er scherzend, »du ertrinkst mir am Ende
noch, bevor du an deine Arbeit kommst.«

Jauchzend flog sie zu ihm zurück. Blumen gab es also auch hier in
dem verwunschenen Hause, und da wo Blumen sind, ist ja auch Licht!
Im Augenblick aber, da sie ihm in die Arme fallen wollte, blieb sie
jählings stehen. Jetzt erst bemerkte sie, was sie vorhin nicht gesehen
hatte, daß sie unmittelbar vor dem Schloß standen.

Auf einem Unterbau von mächtigen Granitquadern, der nur von wenigen,
engen, vergitterten Fenstern durchbrochen war, erhoben sich zwei
Stockwerke, deren jedes zwölf Fenster zeigte. Himmelhoch sah es von hier
unten aus, die Mauern ganz grau, beinahe schwärzlich, wie angeblakt vom
schweren Atem der Jahrhunderte; wie ein Gebirge lag es da, und obschon
keine Sonne am Himmel stand, war es, als wenn es einen schweren Schatten
über die Menschen würfe, die schweigend zu ihm aufblickten.

»Du mußt nicht erschrecken,« sagte der Baron, als er in Annas Zügen den
Eindruck wahrnahm, den die düstere Behausung in ihr hervorrief, »es
ist ein altes Komtureigebäude, daher ist es so alt und sieht so finster
aus.«

»Aber weißt du,« erwiderte sie, indem sie sich in seinen dargebotenen
Arm hing, »wenn du es mit frischer Farbe anstreichen ließest, würde es
gewiß viel freundlicher aussehen.«

Er nickte zufrieden.

»Siehst du,« sagte er, »das ist gleich ein vortrefflicher Gedanke. Ich
merke schon, es kommt mit dir ein neuer Geist ins alte Haus.«

Er führte sie darauf durch eine Halle, die vom Garten nach dem Hofe
hindurchging, und als Anna, mit offenem Munde, stehen bleiben und
den großen, seltsam ausgeschmückten Raum bewundern wollte, zog er sie
weiter.

»Komm,« mahnte er, »es ist kalt hier drin.«

In dem schwachen Lichte, das durch enge Fenster hereinfiel, hatte
sie nur soviel sehen können, daß die Wände von oben bis unten
mit Jagdtrophäen und Jagdgeräten behangen waren. Hirschgeweihe,
Wildschweinsköpfe und Köpfe von Elentieren, mit lang herabhängenden
Schnauzen, ragten aus den Mauern hervor; das Jagdgerät und die Waffen
schienen uralt zu sein; ein riesiger Kamin, in dem kein Feuer brannte,
befand sich in der einen Wand.

Sie traten auf den Hof hinaus, den auf der einen Seite das Schloß, auf
der andern ein Wirtschaftsgebäude umgab, und hier öffnete sich das Thor,
das zu den oberen Räumen führte.

Durch einen Vorflur, dessen Boden mit Steinfliesen belegt war, und wo
rechts und links zwei alte große Bilder an den Wänden hingen, Pferde
in Lebensgröße darstellend, die von Stallknechten in der Kleidung des
siebzehnten Jahrhunderts geführt wurden, gelangte man an die Treppe.

Es war eine Stiege von altem dunklen Eichenholz, mit so flachen Stufen,
daß man das Steigen kaum gewahr wurde. Schwere Geländer liefen zu beiden
Seiten hinauf.

Anna wußte kaum, wie ihr zu Mute war, als sie in diese wuchtige, von
Jahrhunderten gesammelte und aufgespeicherte Pracht hineinschritt; die
Erinnerung an den Abend kam ihr zurück, als sie zum erstenmal in seinem
Wagen nach Hause gefahren war.

Der Mann an ihrer Seite aber preßte ihren Arm und ließ ihr keine Zeit
zum Besinnen.

»Hast du gehört,« fragte er, indem er sie die Stufen hinaufzog, »wie die
alte Treppe geknackt hat? Das ist eine gute Vorbedeutung; sie hat die
neue Herrin erkannt und sie begrüßt.«

Stumm drückte sie ihm die Hand. Sie hätte so gerne etwas Fröhliches
erwidert, aber das fremdartige Neue, das sie umgab, lastete auf ihrer
Brust.

Es war ein altertümlich gebautes und verbautes Haus mit lichtlosen
Räumen. Die Treppe mündete in einen Flur, der keine Fenster hatte,
sondern nur durch eine hoch oben im Dache angebrachte Glasscheibe so
viel Helligkeit empfing, daß man die Gegenstände ringsumher erkennen
konnte. Eine schmalere Treppe leitete vom ersten zum zweiten Stockwerke
hinauf; der Haupttreppe gegenüber öffnete sich ein Gang, an dessen
rechter, nach dem Hofe gelegener Seite sich eine Reihe kleiner, winklig
ineinander geschobener Gemächer befand; die eigentlichen Wohn- und
Staatszimmer lagen vom Eintretenden links, durch eine Glasthür vom Flure
getrennt.

Als der Baron mit Anna die Treppe bis zum ersten Stock hinaufgestiegen
war, öffnete sich die Glasthür und es erschien eine Gestalt, die Anna,
in dem Dämmer, der sie umgab, kaum zu erkennen vermochte. Es war der
alte Johann, der lautlos daran ging, seinem Herrn und dessen Begleiterin
die Mäntel abzunehmen.

Hinter der Glasthür war noch ein Vorraum, und hier herrschte eine so
völlige Dunkelheit, daß Anna nur tappend weiter zu schreiten vermochte.
Plötzlich aber brach Licht herein. Der Baron hatte eine Thür geöffnet,
die Anna nicht gesehen hatte; an der Hand zog er sie über die Schwelle,
und mit einem unwillkürlichen »Ah« -- des Staunens und der Bewunderung
stand sie mitten im Zimmer.

Der Raum, der sie umgab, war ein großer, viereckiger Saal, dessen Decke
in gotischen Spitzbogen gewölbt war und dessen Wände von großen, vom
Fußboden bis an die Decke reichenden Bücherschränken eingenommen
wurden. Die Schränke waren durch dicke, rotbraune Holzsäulen voneinander
getrennt, die kunstvoll, in Gestalt von Palmbaumstämmen ausgeschnitzt
waren. In den Schränken drängte sich eine Masse von Büchern; vom Knaufe
der Decke, in dem die Spitzbogen des Gewölbes zusammenliefen, hing ein
schwerer, altertümlicher Kronleuchter herab und unter dem Kronleuchter,
inmitten des Raumes, stand ein Frühstückstisch für zwei Menschen
zugerichtet.

Der Baron trat an den Tisch.

»Du mußt hungrig geworden sein,« sagte er, »wollen wir gleich
frühstücken?«

Anna aber stand in Staunen befangen und erstarrt.

»Nachher,« erwiderte sie auf die Einladung des Barons, »erst muß ich mir
das alles ansehen. Das ist ja zu merkwürdig!«

Sie ging von Schrank zu Schrank, sie befühlte mit den Händen die
geschnitzten Säulen und sah erst jetzt, welche Fülle erfinderischer
Kunst dahineingelegt war. An den Palmen kletterten, in Holz geschnitzt,
Affen, Leoparden und andre fremdartige Tiere auf; in den Wipfeln, die
sich unter der Deckenwölbung ausbreiteten, sah man Papageien und andre
Vögel sich wiegen.

»Wie wundervoll,« sprach sie staunend vor sich hin, »wie wundervoll.«

Der Baron verfolgte schweigend ihr Umherwandern.

»Das ist Holzschnitzerei aus dem Anfange des siebzehnten Jahrhunderts,«
erklärte er.

Aus dem Anfange des siebzehnten Jahrhunderts -- Anna blieb stehen und
sah zu ihm hinüber. Das war ja ein königliches Besitztum -- und in
dem sollte sie gebieten? Sie, das dürftige Gewächschen des neunzehnten
Jahrhunderts?

Sie trat vor den Kamin, in dem ein Feuer von mächtigen Holzscheiten
prasselte; dann ging sie an die Fenster und bemerkte, daß sie auf den
Park hinausgingen und daß sie sich hier am Ende der Schloßfront befand.
Zu ihrer Rechten war die Thür geöffnet, durch die man in die anstoßenden
Gemächer blickte. Die Thüren all dieser Zimmer standen offen, so daß
sich der Blick in einer schier endlosen Flucht von Räumen verlor, aus
denen ein unbestimmtes Leuchten und Glänzen zu ihr drang. Sie ahnte,
daß in allen diesen Gemächern eine gleiche Pracht wie in diesem ersten
herrschen mochte. Stärker als Hunger und Durst war die Neugier.

»O Eberhard,« sagte sie leise, indem sie die Hände zusammenlegte,
»thu mir's zuliebe, zeig mir das alles erst. Frühstücken können wir ja
nachher.«

Er war bereit, und an seiner Seite ging sie nun über den spiegelglatten
Parkettboden in das nächste Zimmer und von da weiter.

Die Räume waren, wie man das in alten Häusern findet, launenhaft
unsymmetrisch gebaut; bald in Form von langen, schmalen Gängen, bald zu
tiefen Gelassen ausgeweitet.

Allen gemeinsam aber war die reiche Pracht der Ausstattung. Ein
altertümlicher schwerer Prunk herrschte in dem Mobiliar. Tiefrückige
Sofas, mit vergoldeten, in Löwenköpfen auslaufenden Armlehnen;
Lehnstühle von schwarzem Ebenholz; dazwischen, einer jüngeren
Epoche entstammend, kleine Stühle von zartem, vergoldetem Holz und
Rohrgeflecht. Dunkelroter Sammet in dem einen, dunkelblauer Sammet in
dem nächsten Zimmer, dann wieder Polster von goldgepreßtem Seidenstoff.
An den Wänden große Spiegel in massiv goldenen oder silbernen Rahmen und
eine Fülle von Bildern. Unter diesen, die sämtlich von älteren Meistern
herrührten, vielfach hervorragende Werke; wie denn überhaupt die ganze
Ausschmückung der Räume den Eindruck erweckte, daß ein hochentwickelter
Kunst- und Schönheitssinn zur geistigen Erbschaft der Fahrenwalds
gehörte.

Am liebsten wäre Anna vor jedem einzelnen Bilde stehen geblieben; aber
dann hätte sie bis zum Abend stehen können, und heut abend wollten
sie doch wieder in Breslau zurück sein. Darum ließ sie sich von ihrem
Begleiter weiterführen, und nur in einem der Gemächer machte sie
unwillkürlich vor den Gemälden Halt.

Es war dies ein gangartiger Raum, ungefähr wie eine Galerie. Auf
der Tapete von dickem purpurrot gefärbten Leder hing eine Reihe von
Porträts, Männer und Frauen darstellend, offenbar die hauptsächlichen
Vertreter des Geschlechts.

Aus dem sechzehnten Jahrhundert kamen sie hervor und gingen bis in die
Neuzeit, eine gemalte Chronik der wandelnden Tracht und Kultur.

Die Augen des jungen Weibes hafteten an den Kleidungen, daneben
aber beschäftigte es sie, den stark hervortretenden Zug von
Familienähnlichkeit wahrzunehmen, der die Gesichter innerlich verband.
Lauter edle, fein ausgearbeitete Physiognomieen, mit bleichen Zügen und
dunklen, schwermütigen Augen, eine Reihe von Menschen, von denen der
vorhergehende immer dem nachfolgenden die schwere Bürde des Lebens
auf die Schultern zu legen schien, froh, daß er sie nicht länger zu
schleppen brauchte.

Annas Blicke gingen zu Eberhard hinüber, dem letzten Fahrenwald, der mit
offenbarer Ungeduld an der Thür zum nächsten Zimmer ihrer wartete, und
sie stellte fest, daß sein Aeußeres ihn als echten Nachkommen seiner
Vorfahren verkündete.

Als sie seine Ungeduld bemerkte, riß sie sich los, um ihm zu folgen,
an der Thür zum Nebenzimmer aber hing ein Bild, das ihre Schritte wider
ihren Willen bannte.

Ein alter, weißhaariger Mann, in langem schwarzen Rock, über den am
Halse ein breiter, spanischer Spitzenkragen fiel, saß an einem Tische,
auf dem sich Phiolen, Retorten und all die Geräte befanden, wie sie vor
Zeiten die Alchimisten gebraucht hatten.

Das aber, was den Beschauer an das Bild fesselte, waren die Augen des
alten Mannes; diese Augen waren schrecklich. Stier und starr, mit einer
Wut im Ausdruck, die lebendig geblieben zu sein schien, nachdem der
Körper des Mannes längst im Grabe zerfallen war, bohrten sie aus der
Leinwand hervor.

Während Anna sprachlos vor dem Gemälde stand, trat der Baron zu ihr
heran und faßte sie, beinah heftig, am Arm.

»Komm fort,« sagte er. Der Ton seiner Stimme war rauh, wie nie zuvor.

Von dem unheimlichen Anblick gefesselt, stand sie noch immer.
Jetzt wandte er sich nach der Thür, durch welche sie in die Galerie
eingetreten waren.

»Hatte ich dir nicht befohlen, das Bild fortzunehmen?«

Sie drehte den Kopf -- zu wem sprach er?

In der Thür stand der alte Johann, der, wie es schien, lautlos hinter
ihnen drein gekommen war.

Sie sah, wie er langsam den Kopf vorstreckte und die Augen auf den Baron
richtete.

»Gnädiger Herr,« sagte er, »haben nichts davon befohlen.«

In dem Augenblick fühlte Anna, deren Arm in dem des Barons lag, wie
ein Zucken durch dessen Körper ging. Seine Gestalt reckte sich in allen
Gelenken, so daß er Anna um mehr als Kopfeslänge überragte.

»Wenn ich's also wirklich noch nicht befohlen haben sollte,« fuhr er
fort, indem er über sie hinweg sprach, »so befehl' ich es jetzt. Das
Bild kommt fort von der Wand! Gleich auf der Stelle! Jetzt!«

Nun kam der alte Diener, immer den Kopf vorgestreckt, und immer die
Augen auf seinen Herrn gerichtet, zwei Schritte näher.

»Das soll fort? Das Bild von dem alten Herrn?«

»Ja -- hast du mich nicht verstanden?« erwiderte der Baron, und seine
Stimme rollte dumpf empor.

»Wohin -- soll ich's denn bringen?«

Der Baron überlegte einen Augenblick.

»Oben hinauf,« befahl er dann, »in die grüne Kammer.«

In den Augen des alten Dieners zuckte ein grelles Licht auf; es sah aus,
als traute er seinen Ohren nicht.

»Das Bild --« fragte er, beinah drohenden Tons, »von hier fort? in die
grüne Kammer?«

Und jetzt geschah etwas, das Anna mit eisigem Schreck überlief; von dem
Mann an ihrer Seite, von dessen Mund sie bisher nur Töne sanftester Güte
vernommen hatte, kam plötzlich ein unbeschreibbarer Laut.

»Wenn dir das also nicht paßt,« schrie er, »dann also anders: auf den
Boden mit dem Bild!«

Der alte Johann erwiderte nichts, rührte sich aber auch nicht vom Fleck,
nur sein Mund that sich halb auf, daß man die langen Zähne darin sah.

In der Brust des Barons stieg etwas herauf, gurgelnd und rauschend, wie
eine steigende Flut.

»Auf den Boden damit, hast du mich gehört?«

Diesmal schrie er nicht, er brüllte. Anna blickte auf; sein Gesicht war
verzerrt.

Ein furchtbares Entsetzen überkam sie.

»Eberhard!« kreischte sie auf.

Als er den Schrei vernahm, senkte er den Blick zu ihr. Sie stand
leichenblaß, mit schlotternden Gliedern, die Hände wie flehend und
zugleich wie abwehrend zu ihm erhoben. In dem Augenblick war es, als
knickte sein aufgestraffter Körper in sich zusammen, die lodernde Wut in
seinen Augen erlosch, um einem maßlosen Erschrecken zu weichen, und mit
einem dumpfen »o mein Gott« schlang er beide Arme um sie, riß sie an
seine Brust, und so, indem er sie an sich gepreßt hielt, zog er sie
aus der Galerie in das anstoßende Gemach, wo er sie auf das Sofa
niedersinken ließ.

Sobald sie Platz genommen, sank er knieend zu ihren Füßen, das Haupt in
ihren Schoß gedrückt, die Hände um sie gelegt, als fürchtete er, daß
sie aufspringen und entfliehen würde. Daran aber hätte Anna wohl kaum
gedacht, sie fühlte sich von dem eben erlebten Schreck ganz kraftlos
und gebrochen. Sie mußte die Zähne aufeinanderpressen, damit sie nicht
klappernd zusammenschlugen, ihre Glieder zitterten wie im Frost.

Als der Baron das Beben ihres Leibes verspürte, hob er das Gesicht zu
ihr auf.

»Aengstige dich nicht,« flehte er, »ängstige dich nicht.«

Aber er sah ihre Augen mit stummem Grauen auf sich gerichtet.

»Es war ja um deinetwillen, daß ich so heftig wurde,« fuhr er fort,
»weil ich sah, daß das Bild dich erschreckte.«

Und als sie noch immer nicht im stande war, ein Wort zu erwidern,
drückte er das Haupt wieder in ihren Schoß und schüttelte es und faßte
sie fester mit den Händen.

»Geh nicht von mir!« stöhnte er, »verlaß mich nicht!«

Bei diesem Worte wurde ihr wieder weich und warm. Schweigend breitete
sie die Arme um ihn her, senkte das Gesicht auf sein Haupt und ein Strom
von Thränen, der lautlos aus ihren Augen brach, verkündete, daß das Eis
geschmolzen war, das sich für einen Moment um ihre Seele gelegt und sie
von ihm getrennt hatte.

So saßen sie schweigend bei einander, lange Zeit. Das einzige Geräusch,
das man vernahm, war das Knistern des Holzes im Kamin, das in sich
zusammenfiel, um sich in Kohle zu verwandeln und danach zu Asche zu
werden. Sonst regte sich kein Laut, und es war, als hauchten die alten
Möbel, die Bilder an den Wänden die dumpfe Stille aus, die wie eine Last
im Zimmer lag. Es war, als thäten sich geräuschlos in Winkeln und Ecken
und in der Luft umher Augen auf, dunkle, schwermütig forschende Augen,
als blickten sie fragend auf die beiden in sich versunkenen Menschen
dort, und als blinzelten sie sich gegenseitig zu, Gedanken tauschend,
wie die Abgeschiedenen sie verstehen, die Lebenden aber nicht.

Endlich hatte Anna ihre Fassung wieder erlangt.

»Komm weiter,« sagte sie, indem sie sich vom Sofa erhob.

Er stand auf.

»Nun wirst du wohl nichts mehr sehen wollen?« fragte er.

Sie fühlte, daß sie ihm Mut machen müsse.

»O ja, gewiß,« versetzte sie, »du hast es mir versprochen, und
Versprochenes muß man halten.«

Sie hing sich in seinen Arm, sie bemühte sich, einen leichten Ton
anzuschlagen und ihm zu zeigen, daß alles überwunden und vergessen sei.

So führte er sie denn weiter, bis daß sie am andern Ende der
Zimmerflucht in zwei kleinere, freundlichere Gemächer gelangten.

»Siehst du,« sagte er, stehen bleibend, »dies, hatte ich gedacht, sollte
dein Wohnzimmer sein, und dort nebenan solltest du schlafen.«

Anna blickte umher.

»O ja,« meinte sie, »hier könnte es mir gefallen.«

Sie ging ans Fenster.

»Da hab' ich ja gerade meine Blumen vor mir,« sagte sie, indem sie in
den Garten hinunterblickte. »Das macht sich alles ganz vortrefflich.
Nur, weißt du, was ich möchte? Daß das Zimmer vielleicht eine andere
Tapete bekäme.«

Sie trat an die Wand und befühlte den dicken, dunkelbraunen Stoff, mit
dem sie bekleidet war.

»Das ist ja alles ganz prachtvoll,« fuhr sie fort, »und die eingepreßten
Goldmuster geradezu kostbar, aber siehst du, ich bin nun einmal ein
Kind unsrer Zeit und möchte es gern ein bißchen heller haben und
freundlicher.«

Der Baron machte ein Gesicht wie ein vergnügtes Kind.

»Aber Anna,« rief er, »das ist ja mein Gedanke gewesen von Anfang an!
Alle Zimmer miteinander möchte ich umtapezieren lassen, damit mehr
Licht in die alte Finsternis kommt. Und in Breslau habe ich ein Muster
gesehen, weißen Untergrund mit goldenen und blauen Blumen, etwas reizend
Freundliches, den suchen wir uns, gleich morgen, nicht wahr?«

Sie nickte ihm zu.

»Gleich morgen,« sagte sie.

Er ergriff ihre Hände. Es sah aus, als wolle er sich bei ihr bedanken.

»Und andre Möbel darf ich dir auch hineinstellen? Nicht wahr? Diese
alten, schweren Sessel mit den riesigen Lehnen, diese bauschigen Sofas,
das ist doch alles nichts für dich? Nicht wahr? Etwas recht Zartes,
Luftiges und Duftiges suchen wir uns aus, das erlaubst du mir? Nicht
wahr? Hast du Rosenholz gern?«

Sie sah ihm in die Augen und neigte das Haupt.

»Alles, was dir gefällt, wird auch mir gefallen, und was du mir
schenkst, nehme ich gern.«

Ein Freudenschein zuckte über sein Gesicht. Er machte eine Bewegung,
um sie zu küssen, bevor er aber dazu gelangte, bog er den Kopf wieder
zurück. Der ängstliche Ausdruck, mit dem er sie ansah, verriet, daß er
sich nicht getraute. Er dachte an den Auftritt von vorhin.

Anna schob langsam die Hände an seinen Armen hinauf, bis daß sie auf
seinen Schultern ruhten. Da stand er vor ihr, der Besitzer all dieser
Pracht und Herrlichkeit, der gegenüber sie sich wie eine Bettlerin
erschien, da stand er, der starke Mann, in dessen Armen sie wie Glas
zersplittert wäre, wenn seine Kraft sich gegen sie gewandt hätte -- und
bat sie, demütig wie ein Knabe, ihr all seinen Reichtum zu Füßen legen
zu dürfen, und wie ein Schuldbewußter wagte er nicht, sie zu küssen. Und
worin bestand denn seine Schuld? Ein unaussprechliches Mitleid quoll ihr
im Herzen empor, die Thränen drängten sich ihr in die Augen. Aber sie
wollte ihn keine Thränen sehen lassen, sie zwang sich zum Lächeln, und
so, weil ihr trotz allem Widerstand die Augen dennoch übergingen, hob
sie sich auf den Fußspitzen empor, und unter Thränen und Lächeln
suchte sie mit ihrem Munde seinen Mund. Aufatmend, wie nach tiefer
überstandener Qual, beugte er sich zu ihr herab, und der Kuß, in dem sie
sich zusammenfanden, war wie ein gegenseitiges Versprechen, daß sie nun
ein neues Leben begründen wollten in dem alten, ausgestorbenen Hause.

Raschen Schrittes kehrten sie darauf zu dem Saale zurück, wo das
Frühstück angerichtet stand. Die warmen Speisen waren inzwischen kalt
geworden, aber das störte die Laune nicht. Auch war neben den warmen
Gerichten kalter Braten in genügender Fülle da, um sich daran satt zu
essen. Während der alte Johann die Teller wechselte, schenkte der Baron
ihr Wein ein, und sie trank ein tüchtiges Glas. Sie war nun ganz
heiter, ganz ihrem Berufe als »Sonne« treu, und der Baron, ihre »Erde«,
leuchtete in ihrem Lichte auf.

Das einzige, was sie einigermaßen hätte stören können, war der Anblick
des alten Dieners, der schweigend aufwartete und, während sie aßen und
tranken, hinter dem Stuhle seines Herrn stand.

Unwillkürlich gingen ihre Blicke von Zeit zu Zeit zu ihm hin, und immer
sah sie ihn dann in einer ganz seltsamen Haltung, regungslos, den Kopf
wie in brütendem Sinnen zu Boden gesenkt, an seinem Platze stehen.

Offenbar dachte er immer noch darüber nach, wie furchtbar und eigentlich
grundlos der Baron ihn vorhin angefahren hatte. Das that ihr so leid
um den alten Mann. Sie fühlte das Bedürfnis, ihm irgend eine kleine
Freundlichkeit zu erweisen. Zwischen Herrn und Diener war offenbar eine
Spannung; es wäre ihr so lieb gewesen, wenn sie das Verhältnis zu einem
guten hätte machen können; Menschen, die so einsam leben, wie sie drei
nun bald leben würden, müssen sich doch verstehen, dürfen nicht mit
feindseligen Gedanken umeinander hergehen.

»Aber wissen Sie, Johann,« fing sie möglichst unbefangenen Tones an,
indem sie den Kopf zu ihm erhob, »ich muß Ihnen wirklich mein Kompliment
machen, wie das Schloß im Stande gehalten ist. Da ist ja kein Stäubchen
und kein Fleckchen, und das Feuer in den Kaminen --« Sie brach im Satze
ab.

Der Alte, als er seinen Namen von ihrem Munde hörte, hatte langsam, wie
aus einem Traume zurückkommend, den Kopf erhoben und die Augen auf sie
gerichtet, und als sie seine Augen sah, konnte sie nicht weiter.

Was für Augen waren das! Stierend, bohrend, als wollten sie sich durch
ihre Augen hindurch bis in das Mark ihres Lebens hineinwühlen. Dabei
that sich, wie sie es vorhin schon an ihm wahrgenommen hatte, sein Mund
halb auf, so daß die langen Zähne sichtbar wurden, der Kopf schob sich
nach vorn, und das ganze Gesicht nahm einen Ausdruck an -- ja, was war
es nur für ein Ausdruck? Anna begriff ihn zuerst gar nicht, dann kam ihr
das Bewußtsein: das war ja Haß! Wütender Haß! Sie hing wie gebannt an
diesem Gesicht. -- Was hatte sie ihm gethan? War er so erbittert über
sie, weil sie ahnungslos die Ursache gewesen war, daß sein Herr so
heftig gegen ihn wurde?

Der Baron, der nervös aufgezuckt war, als sie sich an den Alten wandte,
hatte ihr plötzliches Verstummen bemerkt. Jetzt sah er ihr totenblasses
Gesicht und ihre verstörten Augen.

»Ist dir etwas?« fragte er.

Er faßte nach ihrer Hand; ihre Hand war eiskalt.

»Ist dir unwohl?« wiederholte er hastig seine Frage.

Sie schüttelte den Kopf. Von der Stuhllehne, an die sie zurückgesunken
war, richtete sie sich gewaltsam auf. Sie drückte seine Hand, als wollte
sie ihn beruhigen.

»Nein, nein, nein,« erwiderte sie. Ihre Stimme war gepreßt, ihre Augen
gingen zu den Büchern hinüber und von den Büchern in irgend eine Ecke.
Es war, als flüchteten sie sich, als wüßten sie nicht mehr, wo sie
hinblicken sollten. Aufzuschauen wagte sie nicht, denn da stand ja der
Alte; den Baron anzuschauen vermochte sie auch nicht, denn sie spürte,
wie die wilde Unruhe in sein Gesicht zurückkehrte. Der seltsame Raum, in
dem sie sich befand, die fremdartigen Tiergestalten in den geschnitzten
Palmen -- es war, als wenn das alles zu einem lautlosen, unheimlichen,
gespenstischen Leben erwachte, als wenn es wirklich ein verwunschenes
und verzaubertes Haus sei, in das sie sich tollkühn hineingewagt hatte,
und aus dem es nun kein Entrinnen mehr gab. Eine betäubende Angst legte
sich auf sie, es war ihr zu Mute, als würde ihr eine schwere bleierne
Haube über den Kopf gezogen.

Jählings stand sie auf.

»Ach, weißt du,« sagte sie mit taumelnder Stimme, »ich glaube, wir
möchten nach Haus fahren -- ich glaube, es wird Zeit.«

Mit einem Sprunge war er neben ihr; er hatte gesehen, wie sie wankte;
er schlang den Arm um sie; mit lastender Wucht lehnte sie an seiner
Schulter.

»Der Wagen soll vorfahren!« herrschte er dem Alten zu.

Sobald dieser hinaus war, beugte er sich zu ihr.

»Was ist dir?« forschte er voller Besorgnis, »ist dir etwas geschehen?
Hat dir jemand etwas gethan?«

Sie suchte mit den Augen umher -- der Alte war fort. Ihre Lippen
bewegten sich lallend.

»Er -- ich weiß nicht, was ich ihm gethan habe -- hat mich so
schrecklich angesehen.«

»Der Johann?«

Sie drückte das Gesicht an seine Brust.

»Um Gottes willen bleib ruhig,« bat sie. Schon hörte sie, wie die
steigende Flut in seiner Brust wieder zu rauschen begann; schon fühlte
sie, wie der Griff seiner Hand, mit der er sie umschlungen hielt, wieder
eisern wurde.

»Ich schicke ihn fort!« knirschte er.

»Nein,« flehte sie, »nicht um meinetwillen!«

»Ich jage ihn fort!« wiederholte er drohend.

Sie waren, indem er das sagte, auf den Flur hinausgetreten; er hatte so
laut gesprochen, daß seine Worte durch den ganzen Treppenraum hallten.
Am Fuße der Treppe stand der alte Johann; er hatte hören müssen, was der
Baron eben gesagt hatte. Und nun begab sich etwas Unerhörtes.

Indem der Baron mit Anna die Treppe hinabzusteigen begann, knickte der
Alte da unten in die Kniee und fiel zu Boden, beide Hände nach oben
ausgestreckt. Das Haar hing ihm wirr übers Gesicht, seine Augen waren
ganz rot; seine Brust arbeitete und sein Mund war weit offen. Aber er
brachte nichts hervor, als ein dumpfes Keuchen; mit plattem Leibe warf
er sich auf die Treppe, so daß sein grauer Kopf auf den Stufen lag.

»Jesus, Gottes Sohn --« stammelte Anna, indem sie, von Grausen gepackt,
den Arm ihres Begleiters umklammerte und ihn zum Stillstehen zwang.

Jetzt fing der Alte mit dumpfer, heulender Stimme an: »Gnädiger Herr
wollen mich fortjagen -- und ich habe gnädigen Herrn auf den Armen
getragen -- und ich bin immer mit gnädigem Herrn gewesen -- und habe
immer nichts andres gedacht, als was gnädigem Herrn gut wäre und gesund
-- und gnädiger Herr wollen mich fortjagen --«

Annas Hand krallte sich in den Arm ihres Bräutigams, sie wußte
kaum mehr, was sie that; sie fühlte, wie die Ohnmacht ihre Augen zu
verdunkeln begann.

»Sag ihm, daß du ihn behältst,« raunte sie mit fliegendem Atem; »wenn du
mich lieb hast, sag ihm, daß du ihn behältst!«

Der Baron strich mit leiser Hand über ihr glatt gescheiteltes Haar; die
Ruhe war ihm zurückgekehrt.

»Steh auf, Johann,« sagte er, »du sollst bleiben, ich jage dich nicht
fort.«

Schwerfällig raffte sich der alte Mann auf und trat an den Fuß der
Treppe zurück. Er blickte nicht auf, seine Arme hingen herab, mit der
rechten Hand wischte er den Treppenstaub von seinem Rock.

»Und hier, bei dem gnädigen Fräulein bedanke dich,« fuhr der Baron fort,
indem er mit Anna bei ihm vorüberschritt, »küß ihr die Hand, sie hat für
dich gebeten.«

Knechtisch gebeugten Hauptes trat der Alte auf Anna zu, um ihr die Hand
zu küssen. Solcher Bezeigungen ungewohnt, wollte Anna es nicht dulden.
Der Baron stieß sie heimlich an.

»Thu's,« flüsterte er ihr zu, »es muß sein!«

Nun überließ sie ihm ihre Hand, die der Diener, ohne die Augen zu
erheben, an den Mund führte.

Indem sie die gebrochene Gestalt vor sich sah, überkam sie ein wahres
Jammergefühl. Unwillkürlich drückte sie seine Hand.

»Das alles wird vorübergehen,« sagte sie mit wohlwollendem Trost, »ich
weiß ja, wie treu Sie dem Herrn Baron immer gewesen sind, und das sollen
Sie auch in Zukunft bleiben, und dann werden wir ganz gewiß gute Freunde
werden, ganz gewiß.«

Sie vermochte nicht zu erkennen, welche Wirkung ihre Worte auf den Alten
hervorbrachten; ohne aufzublicken, zog er sich zurück, und gebeugten
Hauptes blieb er stehen, bis Anna mit ihrem Begleiter auf den Hof
hinausgetreten war. Sie stiegen ein; der Wagen rollte ab, und als das
Schloß hinter ihnen lag, fühlte Anna es wie eine Erleichterung. Aus dem
Bereiche der Gespenster und Dämonen kehrte sie zu den Menschen zurück.

Von den Aufregungen erschöpft, die sie durchlebt hatte, lehnte sie blaß
und schweigend in der Wagenecke; der Baron saß gleichfalls mit seinen
Gedanken beschäftigt; so kamen sie auf der Bahnstation an, und als der
Abend einbrach, waren sie wieder in Breslau.

In seinem Coupé brachte er sie zu ihrer Wohnung; im Hausflur nahmen sie
Abschied voneinander.

»Du siehst so müde aus,« sagte er, indem er sie in die Arme nahm. »Wirst
du auch gut schlafen?«

Sie nickte stumm.

Er stand noch immer und hielt sie umschlungen; sie fühlte, wie schwer
es ihm wurde, von ihr zu gehen. Es war, als wenn er noch eines guten
Wortes, eines Trostes bedürfte. Sie nahm sich zusammen und sah ihn
freundlich lächelnd an.

»Ich werde gut schlafen,« versicherte sie, »sei ganz unbesorgt, und
morgen holst du mich ab, damit wir uns die Tapeten ansehen.«

Das gab ihm das Leben wieder. Freudig drückte er ihre Hand.

»Ja, ja, morgen komm' ich, und dann holen wir uns das neue Leben in das
alte Haus!«

Als Anna zu dem Onkel und der Tante zurückkam, saßen die beiden
alten Leute und spielten »Rabouge«, ein Kartenspiel ältester Art, das
heutzutage kaum jemand mehr kennt. Das war ihre Beschäftigung, einen
Abend wie alle Abende. Von dem jungen Mädchen, das mit leisem »guten
Abend« zu ihnen eintrat, nahmen sie so gut wie keine Notiz. Man konnte
zweifeln, ob sie überhaupt wußten, daß sie den Tag über fortgewesen war.

Anna war daran gewöhnt. Ohne weiter zu sprechen, setzte sie sich in
einiger Entfernung von den Spielenden nieder, so daß die Lampe, die
auf dem runden Tisch stand, gerade noch genug Licht für ihre Handarbeit
abgab, dann häkelte sie still vor sich hin und dachte nach.

Welch ein Kontrast! Heut am Tage das Fahrenwaldsche Schloß, und jetzt
hier diese Behausung! Daß die Wohnung ärmlich war, hatte sie wohl immer
gewußt -- wie erbärmlich sie war, fühlte sie heut abend zum erstenmal
ganz. Als sie nach Haus gekommen war, hatte sie das Behagen empfunden,
daß sie wieder in Sicherheit sei -- jetzt, da sie in Sicherheit saß,
fühlte sie, daß diese gleichbedeutend mit Oede und Langeweile war.

Hier diese dumpfen, stumpfen alten Menschen, die vom Leben nichts mehr
wissen wollten, die kein Wort, kaum einen Blick für sie übrig hatten
-- und dort drüben der Mann, der nur ein Verlangen hatte, aus Nacht
und Grauen ins helle gesunde Leben zu gelangen, der nach ihrer
Persönlichkeit lechzte, wie der Verschmachtende nach dem Wasser!

Als sie heute mittag auf Schloß Fahrenwald beim Frühstück gesessen
und das Todesgrauen empfunden hatte, mit dem all das Unverständliche,
Unbegreifliche über sie herfiel, war der Gedanke in ihr aufgestanden,
daß es ihr unmöglich sein würde, dort in Zukunft zu leben, daß sie
das Verhältnis mit Eberhard von Fahrenwald abbrechen müsse -- jetzt
verblaßten die Schrecken und das Schöne blieb.

Sie dachte an den Park zurück, den herrlichen, walddunkeln, waldtiefen
Park, und vergegenwärtigte sich, wie schön es sein würde, wenn er im
Frühling, Sommer und Herbst ihr zu Häupten rauschte. An die Räume des
Schlosses dachte sie, die schweigenden, feierlichen Gemächer, an die
Bilder der Männer und Frauen, mit den edlen leidvollen Gesichtern. War
es ihr nicht, indem sie an sie dachte, als wenn sie die Lippen aufthäten
und sprächen: »Fürchte dich nicht vor uns -- wir sind nur unglücklich,
nicht böse.« War es nicht, als zeigten sie mit den stummen dunklen Augen
auf ihn, den Letzten ihres Stammes, und als sprächen sie: »Hilf ihm --
nur du kannst ihm helfen -- und auch er ist nicht böse.«

Ach -- ob sie es wußte, daß er nicht böse war!

Als sie am späteren Abende ihr Schlafkämmerchen aufgesucht hatte, lag
sie knieend vor ihrem dürftigen Bett, die gefalteten Hände in die Kissen
gestützt, bitterlich weinend.

Es war ihr, als stände er vor ihr und sähe sie an mit den schwermütigen,
bittenden Augen, als hätte er in ihrem Herzen die Gedanken gelesen, die
ihm die Treue gebrochen hatten, und als müßte sie ihm abbitten, alles
was sie gedacht.

»Nein, nein, nein, ich will dich nicht verlassen! Furcht und Feigheit
sollen nicht stärker sein in mir, als die Liebe in deinem gütigen,
geliebten Herzen! Was auch das Leben bringen mag, an deiner Seite will
ich ihm entgegengehen -- das will ich -- ja.« Und während ihre Lippen
noch das beteuernde »ja« sprachen, sank ihr Köpfchen in die Kissen
zurück, und sanft und ruhig schlief sie ein.

Am nächsten Vormittage, seinem Versprechen getreu, erschien der Baron,
um Anna abzuholen.

Bei drei Tapetenhandlungen fuhr man vor, und alle drei Lager wurden von
oben bis unten durchstöbert, bis man das Muster gefunden hatte, das für
die beiden Zimmer als das passendste erschien; eine weiße Tapete
mit blaugoldenen Frucht- und Blumenstücken für das Wohngemach, eine
himmelblaue für das Schlafzimmer; beide das Lieblichste, Freundlichste,
was man sich denken konnte. Anna war ganz erschöpft, der Baron zeigte
keine Spur von Müdigkeit.

»Jetzt,« meinte er, »sollten wir gleich noch an die Möbel denken.«

Anna verweigerte lachend den Gehorsam.

»Morgen,« sagte sie, »das hat Zeit bis morgen.«

»Gut, so wollen wir jetzt aber frühstücken.«

Es half ihr nichts, daß sie auf das nah bevorstehende Mittagessen
verwies.

»Ach was, dein Onkel und deine Tante können auch ohne dich essen.«

Er war ganz ausgelassen, ganz glücklich, daß er das geliebte Wesen
einmal in seiner Gewalt hatte.

So mußte sie ihm zu einem Restaurant folgen, und es war natürlich nicht
das schlechteste von Breslau. Dort tafelten sie.

Als sie auf die Straße hinaustraten und den Wagen wieder bestiegen,
glühte Annas Gesicht und ihr Köpfchen sank ganz schwer zurück.

»Aber Eberhard,« sagte sie, »du hast mich ganz betrunken gemacht mit dem
vielen Champagner.«

Sie lächelte, ihre Augen hatten einen schwimmenden Glanz; indem sie
sich lässig in die Wagenkissen zurücklehnte, war eine Auflösung in ihrer
ganzen Gestalt, wie er sie noch nie an ihr gesehen hatte.

Er schlang den Arm um sie und küßte sie mit einer Glut, wie nie zuvor.

»Weißt du,« sagte er, »das ist köstlich. So wollen wir es jetzt alle
Tage machen; so reizend wie heut bist du mir noch nie erschienen.«

Ihr Körper lag warm und weich in seinen Armen; das nachgiebige
Widerstreben des jungen Leibes verlieh ihm eine berauschende
Lebendigkeit; es war das erste Mal, daß das Blut der beiden Menschen zu
einander zu sprechen begann.

Am nächsten Tage ging es in gleicher Weise durch alle Möbelhandlungen
der Stadt, und endlich war ein Mobiliar für die beiden Zimmer ausfindig
gemacht, so zart und duftig, als wären die Gemächer für eine Elfe
bestimmt. Das Frühstück durfte natürlich auch heut nicht fehlen, und so
folgte nun ein Tag dem andern.

Der Baron war unerschöpflich in der Erfindung von Notwendigkeiten.

An Teppiche war ja noch gar nicht gedacht worden, und als auch diese
besorgt waren, fiel es ihm ein, daß Portieren über den Thüren, Gardinen
und Vorhänge vor den Fenstern fehlten.

Anna ergab sich lachend. Der Rausch, der ihn erfüllte, teilte sich ihr
allmählich mit; die täglichen Rundfahrten und Einkäufe fingen an, ihr
gar nicht übel zu gefallen. Es war ja, als wenn sie das Märchen vom
»Tischlein deck' dich« leibhaftig erlebte; kaum daß sie einen
Wunsch gedacht hatte, war er schon erfüllt. Und wie unter seinen
leidenschaftlichen Küssen ihr Blut in immer heißeren Wellen zu rollen
begann, war es, als reckte und streckte sich ihre ganze Persönlichkeit;
aus der unscheinbaren Hülse des kleinen Mädchens blühte die Jungfrau
auf.

An einem dieser Tage, als sie durch Blumen- und Samenhandlungen
gestreift waren, um Sämereien für den Garten zu kaufen, und nun wieder
im Wagen saßen, rückte er, den Arm um sie geschlungen, dicht an sie
heran.

»Weißt du,« flüsterte er ihr ins Ohr, »nun hätte ich eine große Bitte.«

Sie lächelte vor sich hin; sie wußte ja, daß, um ihm etwas zu geben, sie
nur still zu halten brauchte und zu nehmen.

»Was denn also?« fragte sie.

»Siehst du, ich habe mir das in meiner Phantasie so ausgedacht: Wenn ich
dich so in den Armen halte und an mir fühle, komme ich mir vor, wie ein
Gärtner, der eine Blume groß zieht. Den Winter hindurch hat meine Blume
ihr altes, unscheinbares Gewand getragen, aber nun wird es Frühling,
siehst du, und da ist es doch in der Natur geboten, daß sie sich anders
und reicher und schöner kleidet? Nicht wahr?«

Anna senkte die Augen und sah stumm an sich hernieder. Aermlich genug
war sie ja freilich angezogen.

»Und siehst du,« fuhr er fort, »was ich dich nun bitten wollte: daß
wir morgen in Kleiderhandlungen und Modemagazine gehen und uns Stoffe
aussuchen zu Kleidern für dich, wie sie dir gefallen und am besten
stehen?«

Sie errötete in Scham.

»Aber Eberhard,« erwiderte sie leise, »für seine Ausstattung muß doch
ein jedes Mädchen selbst sorgen!«

Indem sie das aber sagte, fragte sie sich im stillen, wer denn ihre
Ausstattung besorgen sollte. Der Onkel und die Tante etwa? Oder
sie selbst, aus ihrem eigenen Vermögen? Ja, wo war denn ihr eigenes
Vermögen?

»Nein, siehst du,« nahm er wieder eifrig auf, »das ist mit uns etwas
ganz andres. Das hab' ich dir ja gesagt, daß du das Licht in meinem
Leben bist, und ein Licht, siehst du, das muß man sich selbst anzünden.
Und sein Glück muß man sich selbst erschaffen, wenn's ein echtes Glück
sein soll und einem Kraft und Mut verleihen soll. Und darum, verstehst
du, wenn ich dich so von Kopf bis zu den Füßen einkleide in Stoffe, die
ich dir geschenkt habe, dann wird mir zu Mute sein, als hätte ich mir
die ganze geliebte Gestalt, die dann vor mir steht, selber erschaffen,
und das wird mir dann eine solche Kraft und Wonne und Seligkeit
verleihen, und das wirst du mir nicht verweigern. Nicht wahr? Nicht
wahr?«

Sie vermochte nichts zu erwidern. Anfänglich, als sie nur Mitleid mit
dem Mann gefühlt hatte, der um ihre Liebe flehte, war nur ihre Seele
wach gewesen; jetzt, da er stark und fröhlich war und sie am lebendig
klopfenden Herzen hielt, waren auch ihre Sinne erwacht. Sie hatte
angefangen, sich in ihn zu verlieben, und in dem großen Strome des
süßen, unbestimmten Gefühls trieb sie willenlos dem Manne zu. Sie
drückte ihr erglühendes Gesicht an seinen Hals.

»Thu, wie du willst,« flüsterte sie.

Und nun war es, als wären alle diese Besorgungen nur Vorbereitungen für
das Eigentliche und Wahre gewesen.

Die Seidenwarenlager wurden förmlich geplündert, und als sie damit
fertig waren, wollte er sie in Wäschehandlungen führen. Dem aber
widersetzte sie sich.

»Ich müßte mich ja zu Tode schämen, wenn mich ein Mann dabei
begleitete.«

Er fügte sich ihrem Willen. Aber sie mußte versprechen, daß sie sich
das schönste Linnen, die zartesten seidenen Strümpfe und das zierlichste
Schuhwerk kaufen wollte. Die Rechnungen sollten auf ihren Namen
geschrieben werden, er würde sie bei ihr abholen und alles abmachen.

Wenn sie nicht gewußt hätte, daß er reich war, so hätte sie ihn für
einen rasenden Verschwender halten müssen.

Ganze Ballen von Seidenstoffen und Leinen liefen nun bei Anna ein;
vierzehn Tage lang wurde geschneidert und geschustert, als gälte es, den
Brautstaat einer jungen Königin fertigzustellen; der Onkel und die Tante
gingen mit dumpf verblüfften Gesichtern umher und wußten nicht, was sie
sagen sollten. Anna wußte es selber kaum; die Welt war nicht mehr die
Welt.

Der Baron ließ sich in diesen Tagen nur von Zeit zu Zeit sehen, und
wenn er kam, war er in fliegender Hast. Er war jetzt vielfach auf dem
Schlosse draußen, wo die Zimmer für Anna eingerichtet wurden. So oft
er bei ihr in der Stadt erschien, wurde er rasch wieder
hinauskomplimentiert -- Frauen, die in solcher Thätigkeit stecken,
können Männer nicht brauchen. Gegen Ende der vierzehn Tage aber, als sie
ihn auf den Flur hinausbegleitete, hielt sie ihn an der Hand fest.

»Heute abend,« sagte sie leise, mit lieblichem Erröten, »wird das
crèmefarbige Seidenkleid fertig, das du so besonders gern magst. Es hat
einen sehr hübschen Schnitt und wird mir vielleicht leidlich stehen.«
Sie beugte sich näher zu ihm.

»Wenn du willst, kannst du morgen mittag kommen, und ich will mich dir
zeigen.«

Er schloß sie an die Brust, als wollte er sie erdrücken.

»Du Engel,« erwiderte er.

Ein Glutstrom floß aus seinen Augen. Dann riß er sich los, eilte die
Treppe hinab, kehrte vom Absatz noch einmal zurück, schloß sie noch
einmal wie rasend in die Arme und schoß dann zum Hause hinaus.

Anna begriff kaum, was ihn so erregt hatte; aber die Glut, die
ihn erfüllte, setzte auch sie in Feuer, und als das Kleid am Abend
angekommen war, beschloß sie, sich am nächsten Vormittage recht schön
für ihn herauszuputzen.

Es war das erste Mal im Leben, daß sie sich in so kostbare Stoffe
hüllte. Sie schloß sich in ihr Schlafkämmerchen ein und kleidete
sich von Kopf bis zu Füßen um, weil es sie nun doch gelüstete, die
neuangeschafften Sachen wirklich einmal zu probieren.

Wie das alles anders war als das, was sie bisher getragen hatte! Wie
grob das Hemd war, das sie auszog, und wie weich sich das neue zarte
Linnen um ihren Leib schmiegte! Und die seidenen Strümpfe, in die ihre
Füßchen, nachdem sie die alten baumwollenen abgestreift hatte, beinahe
schüchtern hineinschlüpften, als wagten sie gar nicht zu glauben, daß
sie wirklich da hinein gehörten! Sie saß ganz schamrot auf ihrem Stuhl
und kicherte vor sich hin, wie ein Kind, das etwas Unerlaubtes thut und
jeden Augenblick gewärtig ist, daß es ertappt und ausgescholten werden
wird. In den Spiegel zu sehen, hatte sie noch kaum gewagt, auch befand
sich in ihrem Schlafzimmer nur ein kleiner Handspiegel, der ihr
nicht sagen konnte, ob das Kleid ihr saß. Dazu mußte sie in das
Gesellschaftszimmer gehen, wo zwischen den Fenstern ein größerer
Wandspiegel angebracht war.

Als sie nun hier, die Bänder an ihrer Taille zurechtzupfend, vor dem
Spiegel, mit dem Rücken gegen die Thür stand, wurde diese von außen
aufgerissen und auf der Schwelle erschien der Baron. Sie sah, wie er
stehen blieb und ihre Gestalt mit den Augen verschlang; in seinem Blick
war eine verzehrende Gier. Anna sah wirklich niedlich genug aus.
Das Kleid war tief ausgeschnitten, am oberen Rande und an den
Aermel-Oeffnungen mit einem Spitzenbesatze eingefaßt, und aus den zarten
Spitzen quollen die runden, weichen Schultern, die nackten Arme in
jugendlicher Fülle hervor.

Sie wollte ihn bedeuten, daß er sich noch einen Augenblick gedulden
müsse, aber bevor sie dazu gekommen war, stand er schon hinter ihr,
und gleichzeitig fühlte sie sich von seinen Armen umfaßt, vom Boden
emporgehoben und mit einer Gewalt, wie von einem Orkane, an seine Brust
gerissen. Ihre Schultern, ihr Nacken und ihr Hals loderten unter seinen
Küssen.

»Du zerdrückst mir ja das ganze Kleid,« wandte sie ein. Der Ueberfall
war ihr zu jäh gekommen; sie sträubte sich in seinen Armen, aber
er hörte nicht auf ihre Worte, achtete nicht auf ihre sträubenden
Bewegungen; in der Art, wie er mit ihr umging, war etwas Gewaltsames.
Seine Liebkosungen hatten etwas Erstickendes, Erdrückendes,
Zermalmendes; seine Küsse fühlten sich an, als wenn er am liebsten in
Annas Fleisch hineingebissen hätte.

Den einen Arm hatte er unter sie geschoben, so daß sie halb darauf saß,
mit dem andern drückte er ihren Oberleib an seine Brust, ihr Gesicht an
sein Gesicht, und so, indem er sie in seinen riesenstarken Armen wie ein
Kind, wie eine Puppe, ein Spielzeug drückte, preßte und trug, ging er
mit ihr im Zimmer auf und ab, dumpf abgerissene Laute von sich gebend,
wie trunken, beinah wie sinnlos.

Er merkte gar nicht, wie peinvoll dem jungen Mädchen die Lage wurde, in
der sie sich befand, wie keuchend ihre Brust sich hob und senkte, weil
sie, an ihn gepreßt, kaum noch Luft zum Atmen fand. Endlich warf sie mit
äußerster Anstrengung den Kopf zurück, stemmte beide Hände gegen seine
Brust und »laß mich los!« stieß sie wie in Verzweiflung hervor.

Der Ton kam so rauh, so zornig heraus, daß er erschrak. Er hielt in
seinem Auf- und Niedergehen inne, sah ihr ins Gesicht und sah, daß sie
die Augen geschlossen hatte.

Nun ließ er sie aus den Armen gleiten; sie warf sich in den Lehnstuhl,
der ihr zunächst stand, drehte sich mit ganzem Leibe von ihm ab, legte
beide Arme auf die Lehne des Sessels, das Gesicht auf die Arme, und
brach in schluchzendes Weinen aus.

Der Baron stand totenblaß vor ihr. »Anna,« stammelte er, »was ist dir?«

Sie gab keine Antwort und weinte immer heftiger.

Mitten im Zimmer lag einer von ihren kleinen seidenen Schuhen, der ihr
vorhin, als er sie vom Boden emporgehoben hatte, vom Fuße geflogen war.
In seiner Ratlosigkeit hob der Baron ihn auf, als er sich aber zu Anna
niederbeugte, um ihr den Schuh wieder anzuziehen, riß sie denselben aus
seiner Hand und verbarg ihren Fuß unter dem Kleide.

»Nein!« rief sie, »faß mich nicht an! Du sollst mich nicht mehr
anfassen! Ich weiß gar nicht, wie du bist!«

Sie sprach aus, was sie empfand; sie konnte sich in der That die Art des
Mannes nicht erklären. Das war ja gewesen, als wenn ein wildes Tier sich
über sie gestürzt hätte.

Bei der zornigen Bewegung, mit der sie ihm den Schuh entrissen hatte,
war er einen Schritt zurückgewichen; jetzt stand er wie zerschmettert
da.

»Aber Anna,« fing er wieder an, »bist du mir denn böse, daß ich dich so
liebe?«

Sie warf den Leib herum und heftete die verweinten Augen auf ihn.

»Liebe?« sagte sie zornig, »ist das Liebe, wenn man jemand so anfaßt? so
behandelt? Faßt man eine Frau so an?«

Sie blickte an sich herab und strich mit bebender Hand das zerknitterte
und zerdrückte Kleid glatt, dann schlüpfte sie wieder in den Schuh, und
als sie den Fuß aufsetzte, stampfte sie beinah auf.

»Du hast keine Achtung vor mir,« fuhr sie fort, »du denkst, weil du mir
all die schönen Sachen geschenkt hast, die ich da trage, ich gehöre dir,
und du kannst mit mir machen, was dir beliebt! Und darum gehst du so
mit mir um -- und behandelst mich wie -- wie --« sie wollte von neuem in
Thränen ausbrechen, aber sie kam nicht dazu. Indem sie die letzten
Worte dem Baron ins Gesicht schleuderte, sah sie, wie seine Gestalt
zusammenzuckte, als wenn ein Stich ihm mitten durch den Leib gegangen
wäre.

»Anna --« sagte er schweren Tones, »das kannst du von mir denken?«

Er war langsam in die Kniee gesunken, seine Augen waren den ihrigen nah
gegenüber, und indem sie das namenlose Leid in seinen Augen gewahrte,
fühlte sie, daß sie dem Manne mit häßlichen Gedanken ein häßliches
Unrecht angethan hatte.

»Nein, Eberhard,« sagte sie, »was ich da eben gesagt habe, das war nicht
recht; ich fühl's, das war häßlich; und ich bitte dich um Vergebung
dafür.«

Nun legte er auch seinerseits die Arme um sie, aber so leise, als
fürchtete er, sie zu zerbrechen, und ihr Köpfchen lag wieder an seinem
Halse.

»Aber siehst du,« fuhr sie zagend fort, »wenn du so bist, wie vorhin, so
wild, so -- ich weiß gar nicht, wie ich's nennen soll -- dann verstehe
ich dich nicht, und dann -- siehst du -- muß ich mich ja vor dir
fürchten.«

Sie hatte das letzte ganz leise, wie eine Beichte, ihm ins Ohr
geflüstert, und wie eine solche nahm er es auf. Aber nicht ihre Schuld
war es, die sie ihm beichtete, es war die seine, seine Schuld, der
er nicht geachtet hatte auf die Scham, auf die Angst des lieben,
vertrauenden Geschöpfes, der er nahe daran gewesen war, das Wesen,
das ihm Leben und Seligkeit bedeutete, in seinen wahnwitzigen Armen
zu zertrümmern, wie ein Knabe, der eine unersetzliche Kostbarkeit mit
thörichten Händen zerstört.

Von dem allen hatte er nichts gefühlt -- das alles kam ihm jetzt zum
Bewußtsein.

Ein peinvoller Gram lagerte sich auf seinen Zügen, mit leiser Hand schob
er Anna von sich hinweg.

»Armer Engel,« sagte er dumpf und schwer.

Dann erhob er sich, trat von ihr hinweg, und mitten im Zimmer, den Kopf
nachdenklich gesenkt, blieb er stehen.

Eine schweigende Pause trat ein, und als sich Anna nach ihm umwandte,
sah sie ihn noch immer, in düsteres Sinnen verloren, an seinem Platze.
Ein Schatten überwölkte sein Gesicht; man sah ihm an, wie er mit den
finsteren Gewalten Zwiesprache hielt, die in seinem Innern emporstiegen.

»Eberhard,« rief sie ihn an, »warum gehst du von mir fort?«

Es war, als wenn er aus seinem Brüten erwachte. Langsam kam er zu ihr
zurück. Er schob einen Sessel neben den Stuhl, auf dem sie saß, ließ
sich nieder und verharrte dann abermals, den Blick zu Boden gesenkt,
in langem Schweigen. Endlich rückte er sich dichter an ihre Seite, aber
ohne aufzusehen, ohne sie zu berühren.

»Anna,« sagte er, »ich muß dir etwas anvertrauen.«

Wieder stockte er -- das Bekenntnis wurde ihm schwer. Er nahm ihre Hand
in seine Hand.

»Anna -- ich hatte bis heute noch nie eine Frau berührt -- heute war es
das erste Mal -- und du bist die erste gewesen, die ich geküßt habe.«

Sie drückte leise seine Hand.

»Aber du hattest mich doch schon vorher geküßt.« --

»Ja,« versetzte er, und eine dunkle Röte färbte sein Gesicht, »aber es
war mir noch nie so zu Mute gewesen, wie heute. Damals, siehst du, war
es noch weit bis zu unsrer Hochzeit, und jetzt steht es nahe vor der
Thür, daß wir heiraten. Und darum -- siehst du -- als ich vorhin zu dir
hereintrat, war mir doch in dem Augenblick, als wäre es schon so weit
und wir wären schon Mann und Frau. Und wie ich dich nun so stehen sah --
siehst du -- da überkam mich etwas --«

Er verstummte, sein Oberleib bog sich vornüber, als läge eine
Centnerlast auf seinem Rücken, langsam glitt er vom Stuhle, ihr zu
Füßen, und seiner Gewohnheit nach drückte er das Gesicht in ihren Schoß.

»Ich kann's dir ja nicht beschreiben,« murmelte er, »was es war; und ich
kann dich ja nur anflehen, daß du mir verzeihst; und wenn du jetzt
den Fuß aufhöbest und mich trätest, so geschähe mir ja nur recht; aber
siehst du, ich konnte nicht anders, und es war etwas so Wundervolles, so
rasend göttlich Herrliches, Himmlisches --«

Er hatte beide Arme um ihre Kniee geschlungen und preßte ihre Kniee
aneinander, als wollte er sie zermalmen.

»Bleib ruhig,« flüsterte Anna.

Sie fühlte, wie die verzehrende Glut wieder in ihm aufstieg.

Ein wundersames Gemisch von Grauen und Lust schwoll ihr zum Herzen,
indem sie schweigend auf ihn hinabsah, auf den riesenstarken Mann, der
sich gebrochen zu ihren Füßen wand.

Kein Weib hatte er noch berührt -- sie war die erste, und sie war die
Brandfackel, die ihn verzehrte.

Vernunft und Gewissen sagten ihr, daß sie aufstehen, ihn wecken mußte
aus seiner Phantasie -- aber stärker als Vernunft und Gewissen war
in diesem Augenblicke das Weib, das mit heimlicher, beinahe lüsterner
Neugier zu erfahren begehrte, was für einen Eindruck sie auf den Mann zu
machen vermocht hatte.

Sollte sie immer nur Arzt sein? Immer nur Wärterin? War sie nicht auch
ein Weib? Mit jungem, blühendem Fleisch und Blut? Stand nicht auch
sie zum erstenmal vor der dunklen, geheimnisvollen Flut, in die
alle Geschöpfe der Erde hinein müssen, sei es zum Leben, sei es zum
Ertrinken, die man die Liebe nennt? War nicht die warme Welle des
großen Wassers auch zu ihr schon herangerollt und hatte ihr den Saum des
Kleides und die nackten Füße genetzt, leise winkend und rufend: »Komm
herab -- steig herab!«

Von der Stirn herab, über Wangen und Hals und bis tief in die Brust,
die schwer atmend aus der seidenen Umhüllung des Kleides hervorstrebte,
senkte sich purpurne Glut, als sie sich über den Mann zu ihren Füßen
herbeugte, die Lippen an sein Ohr andrückend.

»Sag mir,« hauchte sie, »was du gefühlt hast, als du mich sahst?«

Er beugte sich zurück, so daß er ihr ins Gesicht sehen konnte. Warum
fragte sie? Als er jedoch ihr glutübergossenes Gesicht gewahrte, merkte
er, daß der Dämon auch in ihrem Blute zu wühlen begann. Rasch war er
vom Boden empor, auf seinem Stuhle, und nun saßen sie, wie zwei
Schuldgenossen, die sich gegenseitig ein Geheimnis anvertrauen.

»Siehst du,« hob er leise an, indem er mit dem Kopfe nach dem Fenster
deutete, »es ist doch heut ein grauer Tag, und nun denk dir, wie
merkwürdig: im Augenblick, als ich die Thür aufmachte und dich stehen
sah -- aber du mußt nicht denken, daß ich übertreibe oder in Bildern
rede -- war mir's, als wäre hier im Zimmer heller Sonnenschein.
Richtiger Sonnenschein, siehst du, war es eigentlich nicht, sondern es
war wie eine Feuersbrunst, wie wenn das Licht, das im Zimmer war, von
Flammen herrührte. Und mitten in den Flammen standest du drin. Aber
es war, als wenn sie dir nicht weh thäten, denn es sah mir in dem
Augenblick so aus, als ob du mich ansähest und die Arme nach mir
ausstrecktest und riefest: Komm herein.«

»Aber, Eberhard,« unterbrach sie ihn, »ich drehte dir doch den Rücken zu
und habe kein Wort gesagt?«

»Das weiß ich ja,« erwiderte er hastig, »das weiß ich ja, ich sage dir
ja nur, wie es mir in dem Augenblick erschien. Und als ich das sah,
siehst du, da mußte ich hinzuspringen und dich in die Arme schließen,
und nun war mir's, als stände auch ich in der Flamme, und das Feuer
schlug in mich hinein, daß ich fühlte, wie es in mir hinaufstieg, in die
Brust, in die Augen, ins Gehirn, daß ich nichts mehr sah, nichts mehr
hörte und nur noch fühlte, daß ich etwas in den Armen trug, etwas
Köstliches, Göttliches, Unbeschreibliches, wie ich es nie im ganzen
Leben noch gefühlt hatte, etwas Warmes und Weiches, und wie ich das so
an meinem Leibe fühlte, da überkam mich ein Verlangen --«

Er brach plötzlich ab.

Anna wartete, daß er fortfahren sollte, aber er schwieg.

»Also --« forschte sie leise, »da kam dir ein Verlangen --«

Er wandte das Haupt zur Seite.

»Nein, nein,« sagte er, wie in Angst, »frage danach nicht.«

Sie blickte ihn von der Seite an; sie faßte seine Hand und drückte
sie; dann schob sie ihre heiße Wange an seine Wange; die Neugier war zu
mächtig in ihr geworden, sie mußte erfahren, was für ein geheimnisvolles
Verlangen das gewesen war.

»Sag's mir doch,« hauchte sie, »sag's mir, ich bitte dich.«

Er wandte den Kopf zurück und drückte ihn an ihre Schulter, als wollte
er sich verbergen, zugleich aber fühlte sie, wie seine Hände sich an
ihren Leib preßten.

»Da überkam mich ein Verlangen,« sagte er dumpf, »dieses, was ich in
den Armen trug, dies Köstliche, dies Warme, Weiche in meinen Armen zu
zerdrücken, zu ersticken, zu zermalmen --«

Seine Stimme, anfänglich dumpf und schwer, war immer lauter geworden;
sein Atem flog, und als er jetzt die flackernden Augen auf Anna
richtete, sah es aus, als würde er sich von neuem über sie herstürzen,
wie er vorhin gethan hatte. Von Annas Gesicht war die Röte jählings
gewichen, unwillkürlich streckte sie, wie abwehrend, die Hände gegen ihn
aus.

»Eberhard --« preßte sie hervor.

Im Augenblick, als er ihre erschrockene Stimme vernahm, ließ der Taumel
von ihm ab; sein Körper sank kraftlos in sich zusammen. Er ließ die Arme
an ihr niedergleiten, drehte sich im Sessel herum und legte das Gesicht
auf die Stuhllehne.

»Warum fragtest du auch?« stöhnte er dumpf.

Anna stand vor ihm; sie fühlte sich so schuldig. Begütigend streichelte
sie über sein Haar.

»Eberhard,« sagte sie, »sei doch nicht so außer dir; es war ja alles nur
eine Einbildung.«

Er gab keine Antwort, aber er schüttelte das Haupt, daß es aussah,
wie ein trostloses »Nein«. Dann sprang er auf, und beide Hände an die
Schläfen gedrückt, ging er im Zimmer auf und ab.

Endlich blieb er stehen, plötzlich und wie mit einem Ruck. Sein Körper
richtete sich straff empor, beide Arme streckte er vor sich hin,
wagerecht und mit geballten Fäusten.

»Nein!« sagte er laut, »nein! nein!«

Es sah aus, als spräche er mit irgend einem Unsichtbaren. Anna blickte
sprachlos zu ihm hinüber, sie wagte nicht zu fragen, mit wem er sich
unterhielt.

Er ließ die Arme sinken und wandte sich um. Als er ihren entsetzten
Blick gewahrte, kam er auf sie zu.

»Aengstige dich nicht,« sagte er, »ich habe es in der Gewohnheit,
manchmal laut zu denken.«

Er war völlig beruhigt, seine Stimme klang sicher und fest.

Sie schöpfte wieder Mut.

»Was dachtest du denn?« fragte sie, zärtlich an ihn geschmiegt.

»Ich habe mir das Versprechen gegeben,« erwiderte er, »daß mir das nie
wieder begegnen soll. Das, was ich dir vorhin erzählt habe, ist in mir
gewesen, ja. Aber es ist gewesen, verstehst du, und nun ist es nicht
mehr da. Nun kommt es nicht wieder, das verspreche ich mir, das
verspreche ich dir! Niemals!«

Er hatte den Arm um sie gelegt, er stand neben ihr, stark und gesund,
wie einer, der Herr seiner selbst ist, wie ein ganzer Mann.

»Siehst du,« fuhr er fort, »ich habe dir kein Hehl gemacht über meine
Schwäche, darum darfst du mir glauben, was ich dir jetzt sage: ich liebe
dich, Anna. Ich liebe dich so unsäglich, daß der Gedanke, es könnte dir
ein Leid geschehen, mich umbringt und vernichtet. Glaubst du mir das?«

Er blickte auf sie nieder; ein Strom von tiefem, warmem Gefühl floß
über sie hin; aus allen Schatten und Wolken, die unverständlich,
unbegreiflich und unberechenbar in dieses Menschen Seele wogten, tauchte
immer wieder das edle, herrliche Herz wie ein leuchtender Stern empor.

»Ja, Eberhard,« versetzte sie, »das glaube ich dir so sicher, daß ich es
weiß.«

Sie legte die Arme um ihn und drückte die Lippen auf seine Brust.

»Wo solch ein Herz ist,« sagte sie, »da ist ja alles andre ganz
gleichgültig. Darum glaube auch du mir, was ich dir sage: ich fürchte
mich nicht vor dir, Eberhard, gar nicht. Ich liebe dich, Eberhard, wie
nur eine Frau einen Mann lieben kann.«

Er küßte sie auf den Scheitel, und die Berührung seiner Lippen war
wie ein Hauch. Man fühlte, wie er nur seiner Seele noch Zutritt zur
Geliebten gestatten wollte und seinen Sinnen Einhalt gebot. Und so kam
nach der Erregung, die vorangegangen war, eine Stunde so tiefer Ruhe für
die beiden Menschen, wie sie sie kaum je zuvor genossen hatten.

Als er dann aber von ihr ging und die Thür hinter sich geschlossen
hatte, so daß Anna ihn nicht mehr sah, schwellte ein Seufzer seine Brust
-- der schwere Seufzer der Entsagung.

Inzwischen war es Mai geworden, und der Frühling hielt seinen
siegprangenden Einzug.

Eines Tages, als der Baron vom Schlosse draußen hereinkam, brachte er
Anna die Kunde mit, daß auch im Fahrenwalder Parke der Lenz eingekehrt
sei, daß die Kastanien blühten und der Flieder.

»Auch in deinen Zimmern im Schlosse selbst,« sagte er, »ist es Frühling
geworden; sie sehen aus, wie zwei junge fröhliche Augen in einem alten
Gesicht -- die Einrichtung ist fertig -- wenn du nun willst, so ist die
Zeit gekommen, daß Frau von Fahrenwald ihr Reich betritt -- willst du?«

Sie wollte.

Er hatte ihr seine Mitteilungen leise und beinahe feierlich gemacht,
wie jemand, der an eine große Entscheidung herantritt. In derselben Art
hatte Anna sie hingenommen. Die Vorbereitungen zum neuen Dasein waren
vollbracht, nun kam das neue Dasein selbst; durch dunkle und helle
Stunden war sie hindurchgegangen, nun sollte es sich entscheiden, ob
ihr Leben fortan ein großes Licht oder ein großes Dunkel sein würde.
Ein Schauer ging über ihr Herz -- aber ihr Entschluß war gefaßt, sie
wollte. --

In verborgenster Stille, beinahe verschwiegen, fand die Hochzeit statt.

Der standesamtlichen Trauung folgte eine kirchliche Einsegnung im Hause,
wo Anna bei dem Onkel und der Tante gewohnt hatte. Anna fühlte kein
Bedürfnis, sich in einer Kirche öffentlich zur Schau zu stellen und die
klatschsüchtige Neugier zu Gast dazu zu laden.

Ihr Gesicht war kaum minder weiß, als das weiße Brautkleid, in dem sie
erschien; als sie, mit dem Myrtenkranze im Haare, vor dem Geistlichen
kniete und ihre Hand in die Hand des Bräutigams legte, mochte mancher
von den wenigen Trauzeugen für sich denken: »Ein Opfer, das zum Altar
geführt wird.«

Blaß, schweigsam, mit einem Ausdruck unergründlichen Ernstes in den
Zügen, stand Eberhard von Fahrenwald an ihrer Seite.

Ein leises Mittagsmahl, dem nur wenige Gäste anwohnten, schloß die
Feierlichkeit ab. Reden wurden nicht gehalten; es lag wie ein Gewölk
über der Versammlung. Bei jeder Hochzeit steht man wie vor einem
geschlossenen Vorhang. Hier aber war der Vorhang von dunkler Farbe und
geheimnisvolle Zeichen waren in ihn verwebt.

Nachdem die Tafel aufgehoben war, kehrte Anna zum letztenmal dahin
zurück, wo sie als Mädchen gewohnt hatte. In aller Stille wollten sie
beide am Nachmittage nach Fahrenwald hinaus fahren. Koffer und Kisten
waren schon am Tage vorher vorausgegangen.

Nachdem sie den Brautstaat abgelegt und das Reisekleid angethan
hatte, erschien ihr Gemahl, um sie abzuholen. Bald darauf saßen sie im
Eisenbahnwagen, und wieder einige Zeit darauf stampften die Rosse vor
dem Wagen, der sie zum Schlosse hinaustragen sollte -- heute für immer.

Wie anders, wie viel schöner sah sich heut alles an, als damals, da sie
zum erstenmal diesen Weg gefahren war. Der reiche Ackerboden, der so
lange unter Schnee und Regen begraben gelegen hatte, kochte förmlich
von Fruchtbarkeit; die jungen Saaten schossen empor, daß es aussah, als
wollte ein Feld das andre im Wachstum überbieten; die Sonne, die sich
zum Untergange neigte, warf lange, warme, rotgoldene Lichter über das
junge samtartige Grün.

Heute brauchte man keine Fußsäcke und keine Decken. Schweigend, Hand
in Hand, saßen Anna und der Baron in ihrem Wagen, mit stillen Augen
hinausblickend in das stille Land, die Wangen von der linden Abendluft
umspielt, den Duft einatmend, der aus der frühlingsfeuchten Erde
emporstieg.

Die Dorfbewohnerschaft hatte das junge Paar mit schmetternder
Festlichkeit empfangen wollen; der Baron hatte alles abgelehnt
und, damit die Leute nicht um ihre Freude kämen, sich durch reiche
Geldspenden von dem geplanten Empfange losgekauft. Damit hatte er ganz
in Annas Sinn gehandelt. Auch ihr war nicht nach rauschendem Jubel
zu Mute; Arm in Arm mit ihm, wie sie es am ersten Tage gemacht hatte,
wollte sie auch heute durch den Park zum Schlosse gehen.

An der bewußten Stelle, wo die Parkwege sich mit der Fahrstraße
vereinigten, hielt darum auch heute der Wagen an und beide Fahrenwalds
stiegen aus.

Da lag er wieder vor ihr, der Park, an den sie so oft in stillen Stunden
gedacht, nach dem sie sich gesehnt, den sie so lieb gewonnen hatte, der
ihr wie ein Vermittler zwischen dem bisherigen und dem zukünftigen Leben
erschien; da lag er, und wenn die Bezeichnung, die er trug, jemals auf
ihn gepaßt hatte, so war es heute der Fall: »das Schlesische Paradies«.

An der Kreuzung der Wege blieb Anna stehen, beide Arme in kindlicher
Wonne ausbreitend.

»O Eberhard!« seufzte sie aus tiefster Brust, »wie herrlich! wie schön!«

Am Eingang des Parks, wie ein Grenzpfahl, stand ein mächtiger Eichbaum.
Am knorrigen Stamme, einige Fuß über dem Erdboden, war ein Kranz
aufgehängt, von bunten Bändern umflattert, in dessen Mitte sich eine
Tafel mit einer Inschrift befand.

»Was ist denn das?« fragte Anna.

Sie trat heran und las:

  »Tritt gern herein, in Freuden bleib,
  Und sei mein Leben und mein Weib.«

Sie wandte sich um.

»Von wem ist denn das?«

Eberhard von Fahrenwald stand ganz verlegen da.

Jauchzend flog sie ihm um den Hals.

»Eberhard, du? Du hast das gedichtet?«

Er hielt lächelnd ihr Haupt in seinen Händen.

»Gedichtet?« erwiderte er, »nun -- jedenfalls siehst du, ein großer
Dichter bin ich nicht.«

Sie blickte ihm in die Augen.

»Ach, siehst du, das ist nun wirklich ein ganz entzückender Gedanke
von dir! Auf so etwas, siehst du, kann wirklich nur ein so guter Mensch
kommen, wie du es bist! Nun aber mußt du mir den Kranz herunterholen,
damit ich ihn bei mir aufhängen kann.«

»Aufhängen willst du ihn? Bei dir?«

»Ja!« erklärte sie. »Den hänge ich in meinem Zimmer, womöglich in meinem
Schlafzimmer auf, und alle Abend, wenn ich zu Bette gehe, und jeden
Morgen, wenn ich aufstehe, lese ich, was du geschrieben hast.«

»Gut,« versetzte er, »heute bekomme ich ihn nicht herunter, dazu braucht
es eine Leiter, aber morgen soll er in deinem Zimmer sein.«

Den Weg, den sie das erste Mal gegangen waren, die Buchenallee,
wandelten sie nun entlang. Heute war kein Aufruhr in der Natur wie
damals; das magere junge Laub hing still zu ihren Häupten; heute
brauchte sie sich nicht an ihn zu drängen in ängstlicher Beklommenheit;
alles war so friedlich, so ruhig, auch er, an dessen Arm sie ging. Ja --
er war so ruhig, daß es beinahe wie eine leise Schwermut aussah.

In den Seitenweg bogen sie alsdann ein, und nun war es wirklich ein
Meer von wogenden grünen Wipfeln, das ihr entgegenrauschte. Die weißen
Kastanien hatten schon abgeblüht, aber wie versprengte Rubinen flammten
hie und da die Blüten der roten im Blätterdickicht auf. Am Himmel lag
purpurner Wiederschein der gesunkenen Sonne, und alles war so groß, so
wunderbar und schön, daß Annas Herz in tiefer, wonnevoller Seligkeit
überschwoll.

»O Eberhard,« flüsterte sie, »freust du dich denn auch so wie ich?«

Er blickte zärtlich auf sie nieder und drückte schweigend ihren Arm. Sie
befanden sich gerade an der Stelle, wo er ihr damals gesagt hatte, daß
sie seine Sonne sein sollte und daß er die Erde wäre, die sich um die
Sonne dreht.

Wie wild hatte er sie damals umfaßt -- wie sanft und ruhig war er heute.
Hatte sich etwas in ihm verändert seitdem? Nun -- jedenfalls war es
besser so, wie es heute war. Jetzt kamen sie in die Nähe des Schlosses,
und wieder blieb Anna mit einem Ausrufe der Ueberraschung stehen;
von oben bis unten war das mächtige alte Gebäude mit frischem hellen
Farbenanstrich versehen.

Eberhard lächelte.

»Es war eigentlich noch zu früh im Jahre zum Anstreichen,« sagte er,
»aber ich wollte, daß dir das Haus ein freundlicheres Gesicht zeigen
sollte, als das erste Mal.«

Sie neigte das Haupt in stummen Gedanken. Jeder ihrer Wünsche war in
seinem Gedächtnis niedergelegt, wie ein Wertstück in den Händen eines
treuen Verwalters.

Durch die Halle mit den Jagdtrophäen schritten sie hindurch, welche
heute abend durch zwei große, in den Ecken aufgestellte Kandelaber
erhellt wurde, und eben solche Kandelaber standen im Flure am Fuße
der großen Treppe. Große, schwere, altertümliche Leuchter, mit steif
gestreckten Armen von Messing, mit dicken Wachskerzen besteckt.

Auf jedem Treppenabsatze stand ein solcher Kandelaber und in gleicher
Weise waren Flur und Gänge beleuchtet. Ein stilles, schweres, goldiges
Licht.

»Heut gehen wir nicht durch die Bibliothek, sondern gleich in dein
Zimmer,« sagte der Baron, als sie die Treppe erstiegen hatten. Er führte
sie den Gang entlang, der auf den Flur stieß, dann that er eine Thür
auf, die sich von links auf den Gang öffnete, und nun schlug Anna,
geradezu entzückt, beide Hände ineinander. Sie waren in ihren Gemächern
angelangt, die Fenster standen offen, und durch sie hinaus blickte man
in den Park und über den Park hinaus in die weite grünende Landschaft.
Im Kamin, den Fenstern gegenüber, flackerte ein lustiges Feuer von
Fichtenscheiten; der harzige Duft des brennenden Holzes vermengte
sich mit der einströmenden Frühlingsluft zu einem feinen, köstlichen
Wohlgeruch. An den Wänden, die mit einer hellfarbigen, mit blaugoldenen
Mustern geschmückten Tapete bedeckt waren, hingen Landschaftsbilder, die
aus den nebenanliegenden Gemächern hierhergeschafft worden waren; ein
Schreibtisch in allerliebstem Schnörkelstile in einer Fensterecke,
Stühle mit silberdamastenen Polstern, und ein Ruhebett von dem gleichen
Stoffe; zwischen den Fenstern ein hoher Wandspiegel, in schwerem
goldbronzenen Rahmen, und das Ganze überflutet vom sanften Lichte eines
zierlichen, von der Decke herabhängenden Kronleuchters, und mehrerer,
in den Ecken verteilter Lampen, deren Glocken mit roter Seide umhüllt
waren. Ein Aufenthalt, wie für eine Fee, hergerichtet von einem guten
Geiste.

Der Baron öffnete die Thür zum Nebenzimmer, wo eine große Glasglocke,
blau verschleiert, von der Decke schwebte und ein trauliches Licht
verbreitete. An der gegenüberliegenden Wand, unter einem Zelte von
mattblauer Seide, stand ein Bett, kostbar und reich im Gestell,
schneeweiß leuchtend mit seinen Kissen und Linnen vom feinsten Gespinst.

Sprachlos, von Dankbarkeit überwältigt, hing Anna am Halse ihres Gatten;
so viel hatte sie von ihm empfangen, dies aber war doch das Höchste. So
beschenkt nur ein Mensch, dessen Seele uns nachgeht, ununterbrochen und
überall.

»Ich denke,« sagte der Baron, »wir rufen jetzt deine Jungfer, damit du
die Reisekleidung abthust und es dir bequem machst!«

Er ließ den Blick umhergehen; auf Stühlen und Sofas des Schlafzimmers
lagen Annas eben ausgepackte Kleidungsstücke verstreut; eine Haus-
und Morgentoilette von rosarotem Wollenstoff lag obenan, zum Gebrauche
bereit.

»Ich gehe unterdes zu mir hinauf,« fuhr er fort, »und wenn ich
wiederkomme, abendbroten wir, und wenn es dir recht ist, lassen wir hier
in deinem Zimmer anrichten, hier ist es gemütlicher, als da drüben.«

»Zu mir hinauf,« hatte er gesagt -- sie sah ihn fragend an.

»Wo wohnst denn du eigentlich?«

»O -- ziemlich weit von hier,« gab er zur Antwort, »da oben im zweiten
Stock.«

Er sah die Ueberraschung auf ihrem Gesicht; aber es war, als wollte er
weitere Fragen abschneiden. Er nahm ihren Kopf zwischen die Hände, küßte
sie auf den Scheitel und mit einem »auf Wiedersehen« ging er hinaus.

Von der Thür aus hatte er ihr lächelnd zugenickt. Bildete sie es sich
nur ein, oder war in seinem Lächeln etwas Gezwungenes gewesen?

Sie begab sich in ihr Schlafgemach, wo die Jungfer bereits auf sie
wartete. Es war ein Mädchen vom Dorfe, nicht übermäßig geübt in den
Künsten feinerer Bedienung. Schweigend, und nicht ohne Verlegenheit
wartete sie ihres Amtes. Kaum weniger verlegen aber war die Gebieterin
selbst. Es war das erste Mal, daß Anna sich beim Aus- und Ankleiden
bedienen ließ; mit innerlichem Lächeln gestand sie sich, daß das
Prinzessinsein gelernt sein wollte.

Als sie in ihr Wohnzimmer zurückkehrte, stand inmitten desselben der
Tisch mit dem Abendbrote bereits angerichtet. Eberhard war noch nicht
wiedergekommen, sie war allein. Sie trat an eines der beiden Fenster,
kniete auf einen Stuhl und lehnte sich auf das Fensterbrett, in die
weiche dunkle Luft hinausträumend.

Nachdem sie ein Weilchen so gelegen, fuhr sie auf und sah sich um -- und
richtig, da stand er hinter ihr in der Thür. Sie hatte ein Gefühl, als
hätte er sie schon längere Zeit schweigend betrachtet.

Er stand so regungslos -- in seiner aufgereckten Gestalt war eine Art
von lautloser Spannung, in seinen Gesichtszügen eine Art von Starrheit,
als hätte ein Kampf getobt, der zur Ruhe gezwungen worden war.

Indem Anna sich aufrichtete, glitt ihr eines der braunsamtnen
Pantöffelchen, die sie trug, vom Fuße; jählings neigte er sich herab und
küßte sie auf die Fußsohle, die nur noch vom seidenen Strumpfe bedeckt
war.

Ebenso rasch richtete er sich wieder auf.

»Verzeih!« sagte er. In Verwirrung trat er zurück.

Lachend warf sie sich an seine Brust.

»Aber was soll ich dir denn verzeihen?«

In seinen Augen flackerte es auf, um gleich darauf wieder zu erlöschen.
Er küßte sie, beinah wie abwehrend, auf die Stirn.

»Ja, ja,« sagte er heiser, »nichts, nichts!«

Dann rückte er ihr den Stuhl zurecht und setzte sich mit ihr an den
Tisch.

Das Abendessen zu zweien verlief in glücklicher Gemütlichkeit, man aß,
man trank und plauderte. Als sie abgespeist hatten, sah Anna mit
einer gewissen Aengstlichkeit nach der Thür. Würde nun der alte Johann
erscheinen, um abzuräumen?

Eberhard schien ihre Gedanken erraten zu haben.

»Der Johann wartet nicht mehr bei Tische auf,« beruhigte er sie. »Ich
denke, wir lassen alles, wie es ist. Wozu sollen wir uns stören lassen?«

Damit war sie einverstanden. Sie ließ sich von ihm Champagner
einschenken.

»Aber du trinkst ja gar nicht!« unterbrach sie sich.

»Doch, doch,« erwiderte er, und hastig leerte er sein Glas.

Sie hatte aber ganz recht gesehen; er trank nur sehr wenig. Er saß vom
Tische etwas abgerückt, und sah seine junge Frau an und sah, wie der
Wein ihr Blut zu erwärmen begann, so daß ihr Gesicht sich leise
rötete und der junge Leib aus dem zarten rosafarbenen Morgenkleide
hervorzuatmen und herauszublühen schien.

Einen starren, beinah stieren Ausdruck nahmen seine Augen dabei an,
bis daß er, wie plötzlich zu sich kommend, den Blick von ihr hinweg zur
Seite wandte.

Anna merkte nichts davon. Sie erzählte von ihren Blumen, mit denen
sie gleich morgen anfangen wollte; daneben plante sie einen großen
Gemüsegarten, der natürlich auch unter ihrer Obhut stehen sollte. Sie
war ganz vertieft in ihre Entwürfe und glücklich wie ein Kind.

Unterdessen saß der bleiche Mann schweigend ihr zur Seite. Ob er hörte,
was sie sprach? Ob er acht darauf gab? Es sah nicht so aus. Seine Seele
schien mit den dunklen Gewalten beschäftigt, die wieder übermächtig über
ihn wurden.

Es war spät geworden; die Stutzuhr auf dem Kaminsimse schlug elf Uhr.
Zeit zum Zubettegehen.

Anna wurde still, der Baron blieb stumm wie bisher -- es trat das
verlegene Schweigen ein, wenn zwei Menschen dasselbe denken und keiner
von beiden zu sprechen anfängt.

Annas Gesicht erglühte immer tiefer, ihre Hände spielten mit den Quasten
der Schnur, mit der ihr Kleid gegürtet war; sie senkte die Augen in den
Schoß und blickte verstohlen zu ihm auf. Jetzt erst bemerkte sie, wie
verschattet sein Antlitz war.

Noch eine Weile peinlichen Schweigens, dann erhob er sich. Seine
Bewegung hatte etwas Unsicheres, wie die eines Menschen, der nicht recht
weiß, was er thun soll.

Langsam war auch Anna aufgestanden; nun stand sie mitten im Zimmer,
Nacken und Haupt schamhaft geneigt.

Sein unstäter Blick ging rund im Zimmer umher, dann blieb er an ihr
haften, und der Ausdruck flackerte wieder darin auf, wie an dem Tage in
Breslau.

Wie sie vor ihm stand! Unbewußt in keuscher Hingabe, wie eine demütige
Magd! Wie sie lieblich war, wie sie reizend, schön und entzückend war!

Ein dumpfer Laut rang sich aus seiner Brust; wie damals, als sie vor
dem Spiegel stand, umschlang er sie und riß sie an sich; mit dem Munde
drückte er ihr Haupt nach hintenüber und dann wühlten sich seine Lippen
auf ihren Mund, in ihr Gesicht, in ihren Hals.

Halb erstickt hing sie in seinen Armen; ihr Gesicht war ganz blaß
geworden, ihre Augen geschlossen, unwillkürlich, wie damals, stemmte sie
die Hände gegen ihn.

»Eberhard,« ächzte sie.

Und nun geschah, was an jenem Tage geschehen war: jählings ließ er von
ihr ab, stürzte ihr zu Füßen und umschlang ihre Kniee.

»Verzeih mir,« stöhnte er, »verzeih mir und schlaf wohl, schlaf wohl,
schlaf wohl!«

Mit einem Sprunge war er auf den Füßen, an der Thür, und ohne sich
umzusehen, wie ein Gejagter, Verfolgter, zur Thür hinaus.

So rasch war dieses alles geschehen, daß Anna nicht Zeit gefunden
hatte, ihm nachzurufen. Einsam blieb sie zurück, in völliger dumpfer
Ratlosigkeit.

Sollte sie ihm nachgehen? Durch das fremde, dunkle Haus? Wo sie nicht
einmal seine Gemächer kannte? Es grauete ihr. Auch hätte sie sich
schämen müssen.

Was also blieb zu thun? Zu Bette gehen.

Seufzend ging sie in ihr Schlafzimmer. Die Jungfer, die ihr beim
Entkleiden behülflich sein wollte, schickte sie hinaus; in der Stimmung,
in der sie war, brauchte sie keine fremden Augen, die ihr zusahen. Das
Bett mit dem schön verzierten Untergestell, das seidene Zelt darüber --
wie prachtvoll alles. Aber in all dieser Pracht, welche Einsamkeit!
Die frischen Linnen des Betts berührten sie mit fröstelnder Kühle; sie
huschte tief in die Decken und unter Thränen schlief sie zum erstenmal
auf Schloß Fahrenwald ein.

Aber während sie schlief, war droben im zweiten Stock einer, der nicht
schlief, das war ihr Mann, der Baron Eberhard von Fahrenwald, der in
sein Zimmer gelangt war, die Thür verriegelt hatte und nun in seinem
Zimmer auf und nieder ging, ohne Aufhören und ohne Rast, wie ein wildes
Tier hinter den Stäben des Käfigs.

Die Ruhe, die er sich den ganzen Tag hindurch aufgezwungen hatte, war
dahin, abgesprengt von seiner Seele, wie die Kruste, die sich auf die
Lava im Krater gelegt hat und die in alle vier Winde fliegt, sobald der
Vulkan da drunten lebendig wird. All die dunklen Gewalten, die in den
Tiefen seiner Seele brodelten, hatten Feuer gefangen, all die wilden
Instinkte, die da drunten, wie Ungeheuer im Tropenschlamme, vergraben
lagen, reckten plötzlich die Häupter; sie wollten sich nicht mehr
bändigen lassen, wollten nicht mehr dem befehlshaberischen »nein«
gehorchen, mit dem er sie damals für einen Augenblick niedergezwungen
hatte, wollten nicht mehr; jetzt hatten sie ihn, jetzt schüttelten sie
ihn, daß ihm die Glieder am Leibe flogen, und wie mit feurigen Geißeln
peitschten sie seine Phantasie. Immerfort sah er es vor sich, das Weib
da unten, das junge, blühende Weib, zu dem es ihn hinriß. Jeden
ihrer Schritte begleitete er mit seinen Gedanken. Er sah, wie sie ihr
Schlafgemach betrat, wie sie langsam anfing, sich zu entkleiden. Ganz
deutlich, ganz handgreiflich sah er das. Stück nach Stück sank die
Gewandung herab; jetzt breitete sie die schneeweißen Arme nach ihm, und
jetzt geschah etwas -- mitten im Zimmer blieb er jählings stehen, die
Hände an die Schläfen gedrückt, die Augen weit offen, wie fest gebannt
von einer furchtbaren Vision. War das er, den er da sah, der sich wie
ein reißendes Tier über das hüllenlose Weib herstürzte: Ja, ja, ja!
Wie hatte der Alte damals gesagt? Wenn er heiratete, würde er jemanden
umbringen. So hatte der Alte gesagt, und das hatte ein Arzt dem Alten
gesagt. Also mußte es so sein, und so war es ja auch, und nun wußte er
ja auch, wer das war, den er umbringen würde! Und also kam der Wahnsinn
doch! Und all das Kämpfen, all das Ringen, all das Sichzurwehrsetzen war
vergeblich gewesen, alles, alles?

An einem Sessel brach er in die Kniee; mit beiden Fäusten griff er
sich ins Haar; er schlug die Stirn auf den Stuhl; ein heiseres Keuchen,
beinah wie ein dumpfes Geheul, brach aus seiner Kehle.

»Ich will nicht! Ich will nicht! Ich will nicht!«

Dann ließ der Sturm nach; gebrochen blieb er am Boden liegen, und nach
einer Stunde dumpfen kraftlosen Vorsichhinstarrens raffte er sich auf
und schleppte sich nach seinem Lager.

Während sich dies begab, war dort oben im zweiten Stock noch jemand
wach. Das war der alte Johann.

Er schlief nicht. Nein. Er wußte ja, daß er von jetzt an überhaupt nie
mehr schlafen durfte. Seit heute war die »Einbrecherin« im Schloß. Das
Unheil war eingezogen, jetzt hieß es, Wache halten! Das war sein Amt,
seine Pflicht. Darum von nun an die Augen aufbehalten! Nicht mehr
schlafen! Nie mehr schlafen!

Der Baron hatte ihm verboten, sich zu zeigen, wenn er heute nachmittag
mit seiner jungen Frau ankommen würde.

Natürlich hatte er gehorcht; alte Haushunde sind gehorsam, aber wachsam
sind sie auch. Und sie haben Zähne!

Er hatte auch ganz recht gehabt, der Herr Baron, daß er ihn
fortschickte, daß er »die Person« in Sicherheit vor ihm brachte, ganz
recht, ganz recht, ganz recht.

In seinem Zimmer eingeschlossen, drei Stunden lang und mehr war er
ununterbrochen hin und her gegangen, die knochigen Hände reibend,
immerfort das eine Wort murmelnd »ganz recht, ganz recht, ganz recht«.

»Ganz recht, daß du mich nicht an sie heranläßt -- denn wenn ich ihr zu
Leibe könnte --« Bei diesem »wenn« knirschten seine Zähne, seine Fäuste
streckten sich in die Luft.

Dann, als es elf Uhr geschlagen, hatte er gehört, wie jemand mit
hastigen Schritten, als wenn er liefe, als wenn er flüchtete, die Treppe
draußen heraufgekommen war. Er hatte gelauscht, hatte gehört, wie die
Thür zum Zimmer des Barons aufgerissen, schmetternd zugeworfen und dann
von innen verriegelt wurde.

Aha -- also, schon heut am ersten Abend fing es an! Das war der Baron,
den er da hatte kommen hören, der jetzt da drüben in seinem Zimmer saß,
wie die Maus im Loch, wie die dumme Maus, der man Speck gestreut hat und
die genascht hat und jetzt dahinter kam, daß der Speck vergiftet gewesen
war! Er grinste übers ganze Gesicht, er mußte an sich halten, daß er
nicht laut herauslachte, laut, daß man's durchs ganze Haus hörte.

Die dumme, dumme Maus! Es war doch eigentlich zu komisch! zu lächerlich!

Dann war er über den Flur geschlichen, an die Thür seines Herrn, hatte
sich mit dem Ohr an das Schlüsselloch gebeugt und gehorcht, und wie er
da drinnen das Hin- und Hergehen, das Rasen, das Keuchen und Schnaufen
hörte, hatte er grinsend mit dem Kopfe genickt: »Siehst du, siehst du,
siehst du wohl?«

Die ganze Nacht hätte er so stehen können und horchen, denn es
verursachte ihm ein namenloses Vergnügen, zu hören, wie sein Herr da
drinnen litt. Das hatte er nun davon, der unglückselige, verrückte
Mensch, und das geschah ihm recht! Ein Glück nur, daß wenigstens ein
Vernünftiger noch da war, einer, der noch zum Rechten sehen und die
verfahrene Geschichte wieder herausreißen konnte. Und das war er, der
alte Johann; und er würde sie wieder herausreißen, ja, das würde er!
Noch wußte er nicht genau wie, aber fertig bringen würde er es, das
wußte er, das sagte er sich, indem er jetzt über den Flur zu seinem
Zimmer zurückging, nicht mehr schleichend wie vorhin, sondern
hocherhobenen Hauptes. Denn ein Stolz erfüllte seine Brust, daß er sich
vorkam, als wäre er jetzt eigentlich der Herr im Hause, als hätte er zu
befehlen und kein andrer sonst.

Er konnte sich noch gar nicht entschließen, in seine Kammer
zurückzukehren; es war ein Gefühl in ihm, als müßte er noch irgend etwas
thun, etwas vollbringen; ein solches Kraftgefühl, daß er am liebsten
laut gebrüllt hätte. Darum stieg er noch einmal die Treppe hinunter und
wandelte durch alle Gänge des Hauses, alles im Dunkeln, ohne Licht,
wozu brauchte er denn Licht? Er fand sich ja auch im Dunkeln zurecht in
seinem Hause. Sein Haus -- er drückte sich mit den Fingern die Lippen
zu, damit sein Kichern nicht zum lauten Gelächter ward. Als er endlich
zu seinem Zimmer zurückkehrte und über die Schwelle trat, bückte
er sich. Er wußte, daß er plötzlich gewachsen war. Ja, ja, es war
merkwürdig, aber wahr, er war gewachsen, mindestens um einen Kopf, darum
mußte er sich in acht nehmen, sonst wäre er mit dem Kopfe oben an die
Thür gestoßen. --

       *       *       *       *       *

Der Frühling that seine Pflicht. Zu allen Ritzen und Löchern des
Schlosses Fahrenwald schickte er am nächsten Morgen die Sonnenstrahlen
hinein, als wollte er dem alten Kasten bis in die finstersten Eingeweide
hineinleuchten und wärmen.

Als der Baron an das Fenster seines Zimmers trat und hinunterblickte,
sah er, daß andre schon früher aufgestanden waren als er. Einen Strohhut
auf dem Kopf, das Kleid hoch aufgeschürzt, wandelte im Blumengarten
unten eine Gestalt zwischen den Beeten auf und ab, bald rechts sich
niederbeugend, bald links, so daß der breitkrämpige Hut bedächtig auf
und nieder schwankte. Es war seine junge Frau.

Die Sonne hatte sie früh am Morgen geweckt und ihr keine Ruhe im Bette
gelassen.

Als er ihrer ansichtig wurde, war ihm, als sänke die Nacht und alles,
was in der Nacht gewesen war, wie ein Spuk hinter ihm nieder, in eine
endlose Tiefe. Ohne sich zu besinnen, riß er das Fenster auf und »Anna!«
rief er laut hinunter.

Als sie seine Stimme vernahm, richtete sie den Kopf zu ihm auf, und als
sie ihn erblickte, hob sie die Hände an den Mund und warf ihm Kußfinger
zu. Ihr Antlitz, vom gelben Hute umrahmt, strotzend von Fülle und
Jugend, sah aus wie eine Sonnenblume.

»Komm herunter Eberhard,« rief sie zu ihm hinauf, »hier unten ist's
wundervoll.«

Wie der Morgenruf der Lerche drang ihre Stimme an sein Ohr. Das Leben
war ihm wiedergegeben, und da unten stand es vor ihm, leibhaftig
verkörpert in dem geliebten Geschöpf.

Er lehnte sich weit über die Fensterbrüstung hinaus. »Gleich komm' ich,
gleich,« sagte er; aber während er das sagte, blieb er ruhig im Fenster
liegen. Er konnte sich nicht satt sehen an ihr.

Sie stand und lächelte ihm zu und nickte; er nickte zurück. Dann zog
sie ihr weißes Taschentuch hervor und wie mit einem Fähnchen winkte sie
hinauf.

»Komm doch,« rief sie wieder, »komm doch endlich.«

Nun erhob er sich, um sich anzukleiden, und jetzt erst spürte er, wie
schwer die Nacht ihn angegriffen hatte. Er taumelte beinah, und erst das
kalte Brunnenwasser, mit dem er sich überströmte, brachte ihn wieder
zu sich. Als er aber in den Garten zu ihr hinunterkam, vergaß er seine
Schwäche und alle Leiden. Blaß war er freilich, aber das war sie ja an
ihm gewöhnt; sie hüpfte ihm entgegen; er fing sie in seinen Armen auf,
und als sie an seinem Herzen lag und die Liebe fühlte, die wie ein Strom
aus diesem Herzen über sie dahinging, vergaß auch sie, daß sie gestern
abend in Thränen eingeschlafen war.

Der Tag blieb dem Morgen treu, heiter und schön bis zum Ende. Aber weil
er so schön war, wurde er für Eberhard von Fahrenwald anstrengend. Anna
nahm ihn vollständig in Beschlag und schleppte ihn vom Morgen bis zum
Abend im Park umher. Kaum daß sie ihm zu den Mahlzeiten Ruhe vergönnte.

Der Park hatte es ihr angethan; sie war geradezu darein verliebt. Bisher
hatte sie ihn nur im allgemeinen kennen gelernt, nun sollte Eberhard ihr
alle Winkelchen und Eckchen zeigen. Sie war in der Stadt groß geworden;
die Natur, in die sie zum erstenmal hineinblickte, war für sie wie ein
Märchenbuch, das man vor den Augen des Kindes aufschlägt. Jeder kleinste
Vorgang darin war ihr ein Gegenstand des Staunens und Bewunderns. Unter
jedem Baume, in dem eine Nachtigall saß, mußte Eberhard mit ihr stehen
bleiben und dem Gesange lauschen; wenn ein Buchfink über den Weg
vor ihnen herhüpfte, hielt sie ihren Begleiter am Arme fest, mit
ausgestrecktem Finger zeigend: »Sieh doch nur, sieh! was für ein
reizendes Tierchen!« Sie war vollständig zum Kinde geworden; sie
brauchte nichts weiter, verlangte nichts weiter, sie war glücklich.

Der gestrige Abend mit seiner schwülen Erregung, seiner dumpfen
Niedergeschlagenheit war in ihr ausgelöscht. Sie hatte ja ihren
Gatten nicht recht begriffen, allerdings, aber sie hatte ja auch durch
Erfahrung gelernt, daß man in solchen Augenblicken nicht in ihn dringen,
ihn nicht fragen durfte; also fragte sie nicht.

Eine sinnliche Natur war sie nicht. Es kamen wohl Stunden und waren
sogar dagewesen, wo ihr Blut heißer wurde -- aber für gewöhnlich war
ihr das Verlangen der Sinne fremd, und es bereitete ihr keine
Schwierigkeiten, sich eine Ehe zu denken, in welcher die Eheleute wie
zwei gute Freunde nebeneinander hergingen.

Und sie begann sich mit der Vorstellung vertraut zu machen, daß ihr
beiderseitiges Verhältnis fortan in dieser Art weitergehen würde.

Ob der Mann, der müden Schrittes hinter ihr drein kam, diese Gedanken in
ihrer Seele las? Vielleicht.

Er war etwas hinter ihr zurückgeblieben, denn weil er ihr zu langsam
ging, hatte sie sich von seinem Arme losgerissen. Nun sah er sie
vor sich dahintrippeln mit hastigen, fröhlichen Bewegungen, den grün
übersponnenen Laubgang entlang, durch dessen Dach die Sonne ihr Licht
in verstreuten Funken herniederschickte, die junge Gestalt wie mit
Edelsteinen übersäend.

Wie glücklich sie war! Und wie ihr Glück ihm die tiefste Seele erwärmte!

Aber wie harmlos auch, wie sorglos sie war! Wie so keine Ahnung sich in
ihr regte von dem, was gestern abend in ihm vorgegangen war, von all dem
Dunklen, Entsetzlichen!

War es nicht gut, daß es also war? Freilich war es gut. Aber warum
seufzte er trotzdem innerlich auf?

Er fühlte, daß er dieses alles vor ihr verstecken mußte. Den einen
Menschen, der in ihm war, den gütigen, liebevollen, edlen Menschen, den
durfte er ihr zeigen, -- den andern mußte die Nacht bedecken und das
Dunkel, daß sie nie in sein Gesicht sah -- denn wenn sie es gesehen
hätte -- Und also mußte er stark sein und immer stark, und allein für
sich tragen und schweigen.

Und so, indem er sie vor sich herschlendern sah, im Sonnenlichte
gebadet, sie selbst wie ein verkörperter Sonnenstrahl, kam er sich vor
wie das dunkle Gewölk, das hinter dem Lichte einherzieht, in dessen
Schoß das Ungewitter brütet, der Untergang des Lichtes und sein Tod. Wer
war vorhanden, um das vertrauensvolle Licht davor zu bewahren, daß das
Ungewitter es verschlang? Nur er selbst. Er selbst war ihre Gefahr
und sollte ihr Beschützer vor ihm selbst sein. Indem er die furchtbare
Anforderung empfand, die von nun an jede Stunde und Minute, jeder
Anblick des ersehnten Weibes an seine Selbstbeherrschung stellte,
überlief es ihn wie ein Grausen.

Würde er Kraft behalten? Immer? Es legte sich schwer auf seine Brust,
beinahe wie eine Todesangst.

Und dieses Angstgefühl verließ ihn nicht mehr; es wurde zu einer
bleibenden, körperlichen Beklemmung, und diese Beklemmung wuchs, je mehr
der Tag sich zum Ende neigte. Das Dunkel erschreckte ihn; er fürchtete
sich vor der Nacht. Als er daher gegen Abend mit seiner Frau ins Schloß
zurückgekehrt war, ließ er alles, was an Lampen aufzutreiben war,
anzünden, damit Licht würde, damit er sich das Tageslicht einbilden
könnte. Denn bei Tage, so schien es ihm, hatte der Dämon keine Gewalt
über ihn. Nur hatte er dabei vergessen, daß in dem Lichte, das jetzt,
aus allen Spiegeln widerstrahlend, die Gemächer füllte, auch die Gestalt
des Weibes um so leuchtender hervortreten mußte. Und gerade vor ihr
fürchtete er sich ja am meisten. Heute, im Laufe des Tages, als sie mit
ihm den Park durchtändelt hatte, war sie ihm wie ein kleines Mädchen,
wie ein Kind erschienen, dem gegenüber die Sinne schweigen -- jetzt, da
die Nacht kam, wurde sie wieder zum Weibe. Jede Bewegung ihrer Glieder
wuchs in seiner Phantasie zu einer verstrickenden Umarmung, jedes
Rauschen ihres Kleides zu einem sinnbethörenden Lockruf.

»Ich ziehe mir meinen Morgenrock an,« hatte Anna gesagt, als sie ins
Schloß zurückkehrten, und es hatte ihm auf der Zunge geschwebt, zu
sagen, »thu's nicht!«

Aber er sagte es nicht. Was hätte sie denken müssen? Wie hätte sie es
verstehen können? Sollte er sagen, daß er wahnsinnig sei? Er selbst? Er
lächelte.

»Freilich, freilich; wir gehen wohl heute früh zu Bett? Du wirst dich
müde gelaufen haben?«

Als er zu ihr zurückkam, stand sie vor einem Bilde, mit einer Lampe
hinaufleuchtend. Der weite Aermel des Schlafrocks war zurückgefallen,
der volle weiße Arm kam bis über den Ellbogen hervor. Alles vergessend,
wollte er mit einem Sprunge sich über sie stürzen -- da wandte sie sich
lächelnd um. Ein harmloses, ahnungsloses Kinderlächeln. Alles war für
den Augenblick vorbei. Ruhig trat er zu ihr heran und nahm ihr die Lampe
ab.

Heute, nachdem sie zu Abend gespeist hatten, wartete er nicht, bis die
Uhr auf dem Kamin elf schlug.

»Du bist müde?« fragte er.

Sie nickte ihm mit traumverschleierten Augen zu.

In einem Armstuhl saß sie da, behaglich hintenüber gelehnt, die Füße
weit ausgestreckt und übereinander gelegt.

»Die Frühlingsluft macht so müde,« sagte sie mit dämmernder Stimme, »und
es ist so schön, einzuschlafen, während man die Nachtigallen singen hört
-- horch doch nur, wie das klingt -- entzückend.«

Er war an das geöffnete Fenster getreten -- sie hatte recht. Wie
die Stimme des Frühlings drang der süße Ton der Nachtigallen aus dem
nachtdunklen Parke herauf. Liebe war es, die ihren Gesang erweckte, und
es war, als riefen sie allen Geschöpfen der Erde zu »liebt euch, jetzt
ist die Zeit der Liebe«. Und da stand er und durfte nicht lieben. Die
Qual, die er empfand, war so groß, daß er lange Zeit lautlos am offenen
Fenster stehen bleiben mußte. Dann trat er zu ihr.

»Nun gute Nacht,« sagte er. Er stand über sie gebeugt; sie blickte
lieblich zu ihm auf.

Plötzlich griff er mit der Hand hinunter und riß ihr den einen Schuh vom
Fuße.

Sie erschrak beinah.

»Aber Eberhard.«

Sie wollte nach ihrem Schuh greifen, aber er hielt ihn fest.

»Ein Andenken,« rief er, »ein Andenken,« er lachte dabei laut, beinahe
gellend, und dann, indem er den Schuh, in dem noch die ganze Wärme
ihres Fußes war, an die Lippen drückte, schoß er auf die Thür zu und war
hinaus. Kopfschüttelnd saß Anna und sah ihm nach; dann erhob sie sich,
und den einen Fuß im Schuh, den andern im Strumpfe, wanderte sie in ihr
Schlafgemach.

Eine Reihe von Tagen folgte, alle diesem Tage gleich. Luft und Himmel
voll Sonnenschein, das Laubgezelt des Parks immer dichter anschwellend
zum grünen, rauschenden Wald, von Düften durchflutet, von Vogelstimmen
durchtönt, und durch die grünende Wildnis dahinwandelnd die rosige
blühende Frau und der bleiche hohläugige Mann.

Immer größer wurde der Abstand, in dem sie gingen; immer weiter flog sie
ihm voran, immer müder blieb er zurück, und es kam auch schon vor,
daß er sich auf eine Bank niedersetzte und sie allein auf Entdeckungen
ausziehen ließ.

Die schlaflosen Nächte griffen ihn zu furchtbar an. Seine Nerven waren
des Morgens wie aufgeweicht, um sich dann im Laufe des Tages allmählich
aufzustraffen, bis daß sie am Abende wieder angespannt waren, wie die
Saiten eines Streichinstrumentes, jeden Augenblick zum Springen bereit.

Jeden Abend dann wieder das Aufsteigen des wütenden Verlangens und das
Niederkämpfen desselben, so daß sein Inneres einem Schlachtfelde glich,
und jeden Abend die Wiederkehr einer Erscheinung, die er sich nicht zu
erklären vermochte, und die trotzdem vorhanden war, die er empfand, mit
Grauen empfand:

Jeden Abend, wenn er in sein Zimmer gekommen war, hatte er ein Gefühl,
als stände etwas hinter ihm, irgend etwas, er hätte nicht sagen können,
was. Etwas Fürchterliches, das unablässig auf ihn hinblickte, mit grünen
Augen, mit einem wartenden Blick. So deutlich empfand er die Anwesenheit
dieses schrecklichen, unsichtbaren Etwas, daß ihm manchmal geradezu
war, als hörte er ein leises, keuchendes Atemholen, so daß er die Lampe
aufnahm und Winkel und Ecken seiner Zimmer durchstöberte, bis daß er die
Lampe wieder niedersetzte und sich sagte, daß niemand da war und nichts,
daß alles nur in ihm selbst war, ein Spukgebilde seiner Seele, der
Wahnsinn, der Wahnsinn.

Eines freilich sah er bei diesen Gelegenheiten nicht: wenn er mit der
Lampe in der Hand durch seine Zimmer stöberte und der Thür nahe kam,
die zum Flur ging, dann sah er nicht, wie sich draußen an der Thür eine
hagere Gestalt aufrichtete, die bis dahin lauernd zum Schlüsselloch
gebeugt, mit leise keuchendem Atemholen gestanden hatte und nun, wenn
sie seine Schritte nahen hörte, über den Flur hinweg huschte und sich
in den Schatten des großen Schrankes drückte, der an der Wand des Flurs,
neben der Thür stand.

Anna hatte in den letzten Tagen sein übles Aussehen bemerkt und ihn
zärtlich besorgt gefragt, ob ihm etwas fehle. Aber er hatte hastig und
entschieden verneint, »Gar nichts fehlte ihm, er war vollkommen wohl!«
Und um sie zu beruhigen, hatte er sogleich einen weiten Spaziergang mit
ihr durch den Park gemacht.

Mit aller Gewalt hatte er sich zusammengenommen und zusammengerafft;
liebenswürdig und freundlich war er gewesen, wie nur je zuvor.

»Daß nur sie nichts merkte! Um Gottes willen, nur nicht sie!«

Aber diese letzte gewaltsame Anspannung gab ihm den Rest.

Da er sich heute, seiner Versicherung nach, so wohl fühlte, hatte Anna
ihn wieder durch den ganzen Park mit sich genommen, herauf und herab,
die Kreuz und die Quer. Mehrere Vogelnester hatte sie entdeckt, die
noch im Bau begriffen waren, und das Treiben der Vögel dabei war doch zu
reizend, jedes einzelne mußte sie ihm zeigen. Und nachdem das erledigt
war, hatte er ihr dahin folgen müssen, wo sie ihren Gemüsegarten
anzulegen gedachte; sie hatte ihm die einzelnen Felder schon gezeigt,
wo Salat gebaut werden sollte, und Bohnen, Rüben und Tomaten, und was es
alles gab.

Am Abend war sie daher schläfrig geworden wie ein Kind, das sich
tagsüber müde gespielt hat.

»Heute werde ich aber gehörig schlafen,« sagte sie, als sie sich erhob,
um ihm gute Nacht zu wünschen.

Er war heut so besonders liebenswürdig gewesen, dafür war sie ihm Dank
schuldig. Zärtlich hing sie sich um seinen Hals, um ihn zu küssen. Wie
es jetzt in seiner Gewohnheit lag, richtete er den Oberleib steif auf,
als wollte er ihren Lippen ausweichen, aber sie hatte es sich in den
Kopf gesetzt, heute sollte er einmal seinen Kuß bekommen. Lachend
versuchte sie, mit ihrem Munde an den seinen zu gelangen, und weil ihre
Körperlänge dazu nicht ausreichte, stieg sie mit den Füßen auf seine
Füße. Indem sie sich auf den Spitzen erhob, reichte sie ihm bis an den
Mund, und nun erhielt er einen langen, warmen, liebevollen Kuß.

Ihre Lippen lagen auf den seinen, ihr junger Leib drängte sich an ihn,
auf seinen Füßen empfand er ihre warmen weichen Füßchen.

In dem Augenblick war ihm zu Mute, als risse etwas in ihm, beinah, als
spränge eine Saite, so daß er das Nachsummen des Schlags in seinen Ohren
zu vernehmen meinte.

Er schob sie von sich.

»Gehst du jetzt zu Bett?« fragte er; der Ton seiner Stimme war lallend.

»Freilich geh' ich zu Bett.«

An der Thür des Schlafzimmers blieb sie noch einmal stehen und warf ihm,
traumselig nickend, Kußfinger zu.

Kaum daß sie dann ihr Lager erreicht hatte, war sie schon eingeschlafen.

Einige Zeit später, sie hätte kaum sagen können, ob Stunden oder nur
Minuten, wurde sie durch ein Geräusch geweckt, und als sie blinzelnd die
verschlafenen Augen öffnete, bemerkte sie, daß ein Lichtschein im
Zimmer war. Wie kam das? Sie hatte doch vor dem Einschlafen alles Licht
gelöscht?

Indem sie sich allmählich ermunterte, sah sie, daß das Licht von der
Thür herkam, und durch den blauseidenen Bettvorhang hindurch gewahrte
sie eine dunkle Gestalt, die in der Thür stand. Genau zu erkennen
vermochte sie nicht, wer es war.

»Bist du's, Eberhard?« fragte sie schläfrig.

Es erfolgte keine Antwort. Die Gestalt rührte sich nicht. Sie richtete
sich auf den Ellenbogen auf.

»Eberhard, bist du's?« fragte sie noch einmal.

Jetzt kam die Gestalt mit einem Schritt heran, bis an das Fußende ihres
Bettes, schlug den Vorhang zurück -- ein Licht in Händen, stand ihr
Gatte vor ihr, Eberhard von Fahrenwald.

Er gab keinen Laut von sich, seine Augen ruhten auf ihr, mit stierendem,
beinahe gläsernem Blick.

Sie wußte nicht, was sie denken sollte, verwirrt schaute sie ihn an.
Dann streckte sie den Arm nach ihm aus.

»Aber Eberhard -- was machst du denn?«

In dem Augenblick hatte er das Licht auf den Nachttisch gesetzt und
ihren Arm mit beiden Händen ergriffen. Als wäre ihr Arm in einen
Schraubstock gespannt -- so war es. Es wurde ihr unheimlich.

»Aber -- so sprich doch nur ein Wort,« bat sie leise.

Er sprach nicht; es war, als hörte er sie überhaupt nicht. Plötzlich
ließ er ihren Arm fahren, griff sie mit beiden Händen an den Schultern
und drückte sie in die Kissen zurück. Sie lag wie gefesselt unter seinen
Händen, unfähig sich zu bewegen; ihre Augen blickten angstvoll in
sein Gesicht empor, das mit steinernem, rätselhaftem Ausdruck über sie
gebeugt war.

»Was thust du denn?« stammelte sie; dabei warf sie die Schultern hin und
her und versuchte, sich seinem Griffe zu entwinden.

Als er die windenden Bewegungen ihres Körpers fühlte, bog er plötzlich
den Oberleib zurück, richtete sich auf, sein Anblick wurde wie der eines
wilden Tieres, das sich zum Sprunge auf die Beute anschickt.

Von Todesangst gepackt, fuhr sie auf und aus dem Bette. Keuchend stand
sie, zu ihm hinüberblickend, der auf der andern Seite des Bettes stand.
In das Zimmer ihrer Jungfer zu gelangen, vermochte sie nicht, weil er
zwischen Bett und Thür war.

Als er jetzt aber eine Bewegung machte, als wollte er auf sie zu, stieß
sie einen gellenden Schrei aus, und so wie sie war, mit nackten Füßen,
nur im Hemd, rannte sie durch die Thür, durch die er gekommen und die
hinter ihm offen geblieben war, in ihr Wohnzimmer. Halb sinnlos
vor Angst drückte sie sich hinter dem Ruhebett nieder, das an der
gegenüberliegenden Wand stand. Ein Augenblick verging -- dann erschien
der Verfolger auf der Schwelle, das Licht haltend, mit dem Lichte nach
ihr suchend.

Jetzt hatte er sie entdeckt -- und wieder sprang sie auf und flüchtete
weiter, in das nächste Zimmer. Hinter ihr kam er her, mit langen
Sprüngen. Aus dem zweiten Zimmer ging es in das dritte, in das vierte
und weiter, immer weiter, durch alle Zimmer hindurch, die Galerie
entlang, bis daß sie endlich im Bibliotheksaale, am Ende der
Zimmerflucht angelangt war und sich bewußt wurde, daß es nun nicht
weiter ging, daß sie gefangen war, verloren war. -- Mitten im Saale, die
entsetzten Augen auf ihn gerichtet, blieb sie stehen, beide Arme reckte
sie in die Höhe, -- ein verzweifeltes Geschrei -- und jählings, mit
schwerem Fall schlug sie auf den Fußboden nieder, ohnmächtig, wie eine
Leiche anzusehen.

Als dies geschah, als er den Schrei vernahm und die weiße Gestalt
zusammenbrechen sah, blieb der Mann stehen und sah sich einen Augenblick
wie verwundert um. Es sah aus, als müßte er seine Erinnerung sammeln.
Dann kam er, das Licht hoch haltend, mit vorsichtigen Schritten da
heran, wo das da am Boden lag, das Weiße. Er senkte das Licht und
leuchtete über die regungslose Gestalt hin, richtete sich wieder auf und
trat einen Schritt zurück. Er setzte das Licht auf den Tisch, und auf
die Tischplatte niederstarrend, fing er wieder an, sich zu besinnen,
nachzudenken, nachzudenken. Dann erhob er die Augen, richtete sie dumpf
brütend den Fenstern zu, hinter denen die schwarze Nacht hing, und nun
war es, als käme aus weiter Ferne der Nacht ein Licht heran, ganz fern
erst, ganz klein, aber näher kommend, immer näher, bis daß es sein
Gesicht erreicht hatte, bis daß es in seine Augen gestiegen war. Und
nun begannen die Augen, die bis dahin gläsern gestiert hatten, wieder zu
sehen, die Züge des verwandelten Gesichts wandelten sich wieder zurück,
und nun war es wieder Eberhard von Fahrenwald, der dort am Tische stand.

Mit einem Ruck, daß die Gelenke in seinem Leibe krachten, richtete er
sich plötzlich in die Höhe, ergriff noch einmal das Licht und trat heran
-- im nämlichen Augenblick aber flog er rückwärts, als wenn ein Stoß ihn
zurückgeworfen hätte. Auf dem glatten Parkett des Fußbodens schlug er
der Länge lang hin, mit dem Gesicht am Boden, beide Hände in den Mund
stopfend, mit den Zähnen in die Hände beißend, daß das Blut herabtroff.
Ein gurgelndes Röcheln, ein ersticktes Heulen wühlte sich aus ihm heraus
und in den Fußboden hinein; dann kroch er bis zu dem nächsten Stuhle,
arbeitete sich mühselig an dem Stuhle auf, bis daß er auf den Füßen
stand, und nun, wie ein Mensch, der nicht mehr gehen kann, dem das
Rückgrat gebrochen ist, schleppte er sich, die Augen immerfort auf
die Gestalt am Boden dort gerichtet, bis an die Thür, die aus dem
Bibliotheksaale auf den Flur führte. An der Thürklinke hielt er sich
mit beiden Händen aufrecht, das Haar klebte ihm im Gesicht, eine
dicke Feuchtigkeit -- war es Schweiß, war es Blut, waren es Thränen --
rieselte ihm vom Gesicht; es war, als wenn er weinen wollte, aber er
vermochte es nicht -- als wenn er etwas sagen wollte, aber er vermochte
es nicht -- nur ein Aechzen wurde vernehmbar: »Anna -- Anna -- Anna« und
diesen Namen wiederholend und fortwährend, sinnlos wiederholend, schob
er sich zur Thür hinaus. Sobald er aber die Thür hinter sich hatte,
fühlte er sich von einem eisernen Arm umschlungen und aufrecht gehalten.
Der Mann war da, der ihn als Kind auf den Armen getragen hatte, und dem
er nun wieder gehörte, der alte Johann.

»Kommen Sie nur, gnädiger Herr,« sagte er mit starker, harter Stimme,
»kommen Sie nur und lassen Sie mich machen. Jetzt wird sich alles wieder
geben.«

Er führte den gebrochenen Mann, der hülflos, willenlos in seinem Arme
schwankte, die Treppe hinauf, in sein Zimmer; er brachte ihn zu Bett,
wie ein Kind; er deckte ihn zu.

»Nun schlafen Sie,« sagte er laut, beinah befehlend; dann sah er sich
noch einmal in den Zimmern um: kein Messer da? Keine Schere? Kein
Werkzeug irgend welcher Art? Nichts. Er rieb sich die Hände; so stolz
war er! so vergnügt! An den Fenstern machte er sich noch zu schaffen,
und es dauerte ziemlich lange, bis er damit fertig war; er hatte einen
Schraubenbohrer in der Tasche und Schrauben; sämtliche Fenster in den
Zimmern des Barons schraubte er zu -- für alle Fälle -- man konnte ja
nicht wissen. -- Dann riegelte er die Räume seines Herrn von außen
ab und nun war er fertig, nun hatte er ihn da drin, nun hatte er ihn
sicher. Als er auf dem Flur draußen stand, reckte er sich lang auf. »Ah«
-- sagte er laut vor sich hin und jetzt brauchte er sich ja keinen Zwang
mehr anzuthun, jetzt konnte er lachen und er lachte, laut, immer lauter,
zuletzt brüllend. Mit den flachen Händen schlug er sich auf die Lenden;
»wer hatte nun recht behalten?«

Vom Augenblick an, als der Baron in der Nacht sein Zimmer verlassen
hatte und hinuntergegangen war, hatte er ja alles mit angehört.

»Jetzt kommt's,« hatte er sich gesagt, indem er im Dunkel hinter
ihm hergeschlichen war. Dann hatte er den Ruf in Annas Schlafgemach
vernommen, das Jagen und Laufen durch die Zimmer, endlich den letzten
Schrei und das Fallen des Körpers im Bibliotheksaale.

»Jetzt hat er sie totgeschlagen,« hatte er sich gesagt, und er hatte an
sich halten müssen, um nicht schon da lachend herauszuplatzen. In
dem Augenblick war er ja noch Diener gewesen, da hätte es sich nicht
geschickt.

Aber jetzt -- jetzt blieb nur noch zu thun, daß er sich danach umsah, wo
der Leichnam lag. Zu dem Zwecke ging er jetzt nach dem Bibliotheksaal.

Einen dicken Stock trug er in der einen, eine brennende Laterne in der
andern Hand. Warum er den Stock mitnahm? Er hatte so ein Gefühl, als
könnte sich möglicherweise eine Gelegenheit bieten, -- er wünschte
sich eine Gelegenheit -- er hatte so ein Bedürfnis, auf irgend etwas
loszuhauen, irgend etwas zu zerschmettern, irgend etwas, am liebsten
aber menschliche Glieder und einen menschlichen Körper. Er hieb mit dem
Stock auf das Treppengeländer, daß es krachte. Ah -- wie ihm das wohl
that! Wenn »sie« so vor ihm gelegen hätte! Wenn er so auf »sie« hätte
loshauen können, daß ihre Glieder unter seinen Streichen zerflogen wären
wie Glas! Aber der Baron hatte ihm ja schon vorgearbeitet. Jetzt war
er nur noch neugierig zu sehen, wie er es gemacht haben, wie er »sie«
zugerichtet haben würde. Mit der lüsternen Begier der blutdürstigen
Natur, die dem Anblick von irgend etwas Gräßlichem entgegengeht, trat er
in den Bibliotheksaal ein, sah sich um -- und blieb enttäuscht stehen.
Der Saal war ja leer?

Die Jungfer, die Thür an Thür mit ihrer Gebieterin schlief, war von
dem dumpfen Rumoren in Annas Schlafzimmer aufgewacht. Anfangs nur halb
ermuntert, war sie ganz wach geworden, als sie den gellenden Schrei
nebenan vernahm.

Rasch war sie aufgestanden, hatte Licht angezündet und war eingetreten.
Nun sah sie Annas zerstörtes Bett, von dem die Decken heruntergeworfen
waren, in dem die Kissen wüst und wild durcheinander lagen. Sie sah
die Thür zum Nebenzimmer offen, und in dem Augenblick vernahm sie von
drüben, aus der Ferne, Annas verzweifelten Schrei. Im ersten Augenblick
hatte sie in ihr Zimmer zurücklaufen und den Kopf unter die Bettdecke
stecken wollen. Aber dann hatte sie sich gesagt, daß das nicht recht
wäre, daß der Frau Baronin etwas zugestoßen sein müßte, der armen jungen
Frau Baronin, die so gut zu ihr war, von der sie nie ein böses Wort zu
hören bekam, und daß es ihre Pflicht sei, zuzusehen, was geschehen war.
Darum hatte sie sich rasch in die notdürftigste Kleidung gesteckt, und
zitternd, mit schlotternden Gliedern, war sie die Zimmerflucht entlang
bis nach dem Bibliotheksaale gegangen.

Wie sah es hier aus! Ein Leuchter lag am Fußboden; das Licht war nicht
erloschen, die Flamme hatte schon angefangen, ein glimmendes Loch in
das Parkett zu brennen, und einige Schritte weiter war noch etwas, etwas
lang Hingestrecktes, Weißes, das sich jetzt stöhnend zu regen begann,
die junge Frau Baronin, die nur mit dem Hemde bedeckt, mit aufgelöstem
Haare ohnmächtig am Boden lag.

Bei dem Anblick brachen dem Mädchen die Thränen aus den Augen. Sie hob
das schwälende Licht auf, kniete zu ihrer Gebieterin nieder und nahm
ihren Kopf in ihren Schooß.

»Gnädige Frau Baronin,« sagte sie, »Frau Baronin, Frau Baronin!«

Anna schlug die Augen auf, und als sie die Jungfer erkannte, klammerte
sie sich um ihren Hals.

»Hilf mir!« seufzte sie, »hilf mir!«

Das Mädchen riß den Mantel ab, den sie um die Schultern geworfen hatte,
und verhüllte damit die schutzlosen Glieder ihrer Gebieterin, dann
umfaßte sie sie unter den Achseln und half ihr aufstehen. Aengstlich
aneinandergeschmiegt wanderten die beiden Frauen nach Annas Schlafgemach
zurück.

Hier sank Anna auf einen Stuhl, wie in Betäubung vor sich
niederstarrend. Das Mädchen holte ihre Kleidungsstücke heran und begann
sie anzuziehen; eine Ahnung sagte ihr, daß man sich auf weiteres gefaßt
zu machen hatte und daß man sich rüsten müsse. Anna ließ sie schweigend
gewähren.

»Wo ist denn mein Mann?« fragte sie nach einiger Zeit.

»Der Herr Baron? Ich weiß nicht,« versetzte das Mädchen. »Soll ich
einmal nach ihm seh'n?«

»Ja, ja,« sagte Anna.

Das Mädchen schlüpfte hinaus, auf den Flur, die Treppe zum oberen
Stockwerk hinauf. Sie kam gerade zurecht, um zu sehen, wie der alte
Johann die Thür des Barons von außen verriegelte, wie er dann in sein
Zimmer ging und mit der Laterne in der einen, dem Stock in der andern
Hand wieder herauskam; unhörbar glitt sie die Treppe hinab, dann kam sie
zu Anna zurückgelaufen.

»Gnädige Frau Baronin -- eben hab' ich's geseh'n -- der Johann hat den
gnädigen Herrn eingesperrt -- und ich glaube jetzt kommt der Johann
herunter -- und einen dicken Stock hat er mit sich -- und er sieht aus,
wie ich's gar nicht sagen kann -- gar so fürchterlich -- o Herr Jeses
ne, Herr Jeses ne!«

Sie war ganz außer sich, ihr Atem flog, zu Annas Füßen niedergekauert,
umschlang sie sie mit den Armen. Hülflos, ratlos drückten sich die
beiden Frauen aneinander.

Nach einiger Zeit vernahmen sie ein dumpfes Geräusch; schwere Schritte
stampften vom Bibliotheksaale heran. Dazwischen hörten sie eine Stimme;
es sprach jemand ganz laut.

Das Mädchen beugte lauschend den Kopf vor.

»Das ist der Johann,« flüsterte sie.

Anna saß, wie in Eis gebadet.

»Mit wem spricht er denn nur?«

Das Mädchen zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf.

Jetzt konnte man schon einzelnes von dem verstehen, was er sagte: »Aber
tot muß sie sein! Muß sie sein! Lebendig aus'm Haus lass' ich sie nicht!
Lass' ich sie nicht!«

Dann plötzlich blieb er stehen, und im nächsten Augenblick gab es einen
fürchterlichen Krach; mit dem dicken Knotenstock hatte er in einen der
hohen Spiegel hineingehauen, die vorn in den Zimmern hingen.

»Siehste du!« kreischte er, und während das klirrende Glas zu Boden
rauschte, stieß er ein Gelächter aus, daß den beiden Frauen die Haare zu
Berge stiegen.

Weiter gingen die Schritte, Stühle flogen beiseite, Tische schmetterten
zu Boden, wie wenn ein Ungeheuer durch die Zimmer stapfte und alles
hinwegschleuderte, was ihm in den Weg kam. Im nächsten Zimmer war wieder
ein Spiegel zwischen den Fenstern -- klirr -- ging der Knüppel hinein
und -- klirr -- kam das splitternde Glas herunter. Wieder kam das
»siehste du!« wieder das gellende Lachen und das wahnwitzige Schwatzen:
»Tot muß sie sein! tot muß sie sein! muß sie sein!«

Jetzt war kein Zweifel mehr, auf das Schlafzimmer kam er zu.

»Frau Baronin!« sagte das Mädchen, indem es, kreideweiß im Gesicht, auf
die Füße sprang.

Anna saß wie leblos.

»Frau Baronin!« sie schüttelte sie an den Schultern, »um Jesus und aller
Heiligen willen, kommen Sie fort!«

Mit einem Griff packte sie Anna um den Leib, riß sie vom Stuhle auf und
zog sie aus dem Schlafzimmer in ihre nebenanstoßende Kammer, deren Thür
sie hastig von innen verriegelte.

Es war höchste Zeit gewesen.

Im Augenblick, als sie sich hinter die Thür gebracht hatten, erdröhnten
die Schritte in Annas Wohnzimmer, und im nächsten Augenblicke erschien
auf der Schwelle des Schlafgemachs eine grauenvolle Gestalt, die Gestalt
eines Wahnsinnigen, Tobsüchtigen, des alten Johann.

In der Linken hielt er die Laterne hoch, dann hörten die Frauen, die
sich draußen zähneklappernd an die Thür drängten, seine Stimme, die
jetzt pfeifend, in schneidenden Fisteltönen herauskam: »Siehste du,
Kurnallje! Itze hab' ich dich!«

Dann ein Sausen durch die Luft und ein schwerer schmetternder Streich;
sein Stock hatte mit aller Gewalt in Annas Bett hineingeschlagen. Die
gepolsterte Rolle die unter Annas Kopfkissen gelegen hatte, war
während des Kampfes verschoben worden und lag jetzt mitten im Bett. Die
längliche runde Gestalt des Polsters täuschte seinen wahnsinnumnachteten
Sinnen vor, daß die junge Frau selber vor ihm läge; auf sie hatte er
eingehauen.

Ein wütendes Lachen folgte dem Streiche.

»Hat's gut gethan? Hat's gut gethan?«

Dann wurde seine Stimme undeutlich und verworren, als hätte er einen
Brei im Munde, den er nicht mehr zu Worten zu zerkauen vermochte, wie
die Stimme eines bösen Hundes, den die Wut so übermannt hat, daß er
nicht mehr bellen kann.

»Noch leben willst de? Noch mucken willst de? Tot mußt de sein! Tot mußt
de sein! mußt de sein!«

Und »krach«, »krach« und »krach« wie eine schaudervolle Begleitung
zu den schaudervollen Worten schmetterte der Stock wieder, wieder und
wieder in das Bett hinein.

Nun schien er befriedigt.

Ein langgezogenes »so -- siehste itze war's recht«, dann noch ein
wortloses unverständliches Wühlen und Rumoren, und dann vernahmen
die Frauen, wie er stampfenden Schrittes, so wie er gekommen war, das
Schlafzimmer wieder verließ.

Was that er jetzt? Wo ging er hin? Den Finger auf den Mund gelegt,
bedeutete das Mädchen Anna, daß sie sich ruhig verhalten, daß sie
zurückbleiben sollte, dann öffnete sie leise, leise, die Thür, streifte
die Schuhe ab und schlich barfuß dem Alten im Dunkel nach. Nach längerer
Zeit erst kam sie zurück.

»Frau Baronin,« sagte sie, »Frau Baronin, kommen Sie schnell, seh'n Sie,
was er jetzt angibt.«

Sie warf Anna einen Mantel um, dann ergriff sie sie an der Hand und riß
sie durch die dunklen Räume des Schlosses, über eine Hintertreppe in den
Garten hinunter.

In einiger Entfernung vor ihnen schritt der Alte, die Laterne in der
einen, statt des Stocks jetzt einen Spaten in der andern Hand. Im linken
Arme trug er die weiße Kopfrolle aus Annas Bett, die infolge seiner
Streiche mitten durchgeknickt war und in zwei bammelnden Enden über
seinen Arm hing.

»Er glaubt, das sind Frau Baronin, die er da trägt,« stammelte das
Mädchen Anna ins Ohr.

Anna blickte starr.

Das Mädchen zog sie am Arme und bedeutete sie, weiterzugehen; »aber
leise,« mahnte sie, »leise!«

Mit angehaltenem Atem schlichen sie hinter dem Alten her, so weit
entfernt, daß sie seine von der Laterne beleuchtete Gestalt gerade noch
zu erkennen vermochten.

Jetzt sahen sie, wie er vom Wege in das Gebüsch abbog, und nachdem er
sich einige Schritte weit hineingearbeitet hatte, blieb er stehen. An
der Stelle, wo er sich befand, war eine kleine Lichtung im Dickicht,
einige Fuß im Geviert. Er hing die Laterne an einen Ast, warf das
Polster zur Erde, spuckte sich in die Hände und mit einem »nu jetzt
aber 'mal« stieß er den Spaten in die Erde und fing an, eine Grube
auszuwerfen.

Die beiden Frauen hatten sich bis an den äußeren Rand des Gebüsches
herangemacht; sie verfolgten jede seiner Bewegungen.

Er arbeitete mit grimmiger Verbissenheit; ein dumpfes Grunzen begleitete
jeden Spatenwurf. Dann richtete er sich auf, so daß das Licht der
Laterne sich in seinen blutunterlaufenen, gräßlichen Augen spiegelte. Er
raffte das Polster vom Erdboden auf, hob es mit beiden Armen empor und
dann mit aller Gewalt schleuderte er es in das gähnende schwarze Loch,
so daß man den dumpfen Puff vernahm, mit dem es unten aufschlug.

Er stierte in die Grube hinunter.

»Da gehste nein,« sagte er, »da bleibste und kommst all dein Lebtag
nicht wieder heraus!«

Dann griff er wieder zum Spaten und schaufelte das Loch zu.

»Frau Baronin, kommen Sie fort,« flüsterte das Mädchen. Der Alte hatte
sein Werk vollbracht, gleich würde er jetzt zurückkommen, auf die Stelle
zu, wo die beiden standen. Sie wichen einige Schritte in dem dunklen
Laubgang zurück. Durch das Dickicht brach er sich hindurch und an ihnen
vorbei trottete er nach dem Schloß zurück.

»Jetzt meint er, hat er Frau Baronin begraben,« sagte das Mädchen.

Anna konnte nichts erwidern.

Die gutgemeinte aber plumpe Art, mit der ihre Begleiterin ihr all
das Schreckliche, was sie erlebte und sah, noch einmal wiederholte,
steigerte die Entsetzensqual, die auf ihr lastete, bis zum
Unerträglichen; der Atem versagte ihr, sie schluckte, schluckte und
schluckte noch einmal, dann taumelte sie und wäre ohnmächtig zur Erde
gefallen, wenn sie nicht mit dem Rücken gegen einen Baumstamm gesunken
wäre, und wenn nicht das Mädchen mit beiden Händen zugegriffen und sie
aufrecht gehalten hätte.

Erst allmählich hob sich der Druck, der ihr wie ein eiserner Reif die
Brust umspannte. Endlich vermochte sie tief Atem zu holen, und nun brach
sie in einen endlosen Thränenstrom aus.

»Was soll ich jetzt machen?« schluchzte sie, »ins Schloß kann ich doch
nicht mehr zurück!«

Vom Jammer überwältigt, kniete das Mädchen vor ihr nieder und umfing sie
mit den Armen.

»Frau Baronin,« sagte sie flehend, »liebe, gutte, gnädige Frau Baronin,
weinen Se och nich so! Gott is gutt, Gott wird Sie nicht verlassen! Ins
Schloß dürfen Frau Baronin nicht zurück, das is ja klar; also will ich
Frau Baronin etwas sagen: Frau Baronin gehen mit mir, zu meinen Eltern
ins Dorf« -- in ihrer Erregung hatte sie all ihr Hochdeutsch vergessen
und war wieder ganz das schlesische Landmädchen geworden --, »meine
Eltern haben halt nur a paar kleene Stiebchen, aber 's sind gutte Leite,
gutte Leite! Frau Baronin können ganz gutt a paar Tage bei ihnen wohnen.
A Bett für Frau Baronin find't sich schon und a Brinkel zum essen auch,
und murne is wieder a Tag, und da werden wir schon weiter seh'n, schon
weiter seh'n.«

Mit diesen Worten hatte sie Anna unter den Arm gefaßt und führte sie,
die willenlos alles mit sich geschehen ließ, durch den Park auf das
freie Feld hinaus und dann im weiten Bogen in das Dorf, zum Hause ihrer
Eltern, wo sie in tiefer nächtlicher Stunde an die Fensterläden klopfte
und die alten Leute aus dem Schlaf pochte.

Eine halbe Stunde später lag Anna im Bette der alten Tagelöhnersfrau,
während diese und ihr Mann sich mit ihrer Tochter, der Franzel, nebenan
in die Küche setzten und mit offenem Mund und Augen die fürchterlichen
Dinge anhörten, die sich droben auf dem Schlosse begeben hatten.

       *       *       *       *       *

Am nächsten Morgen saß Eberhard von Fahrenwald oben in seinem Zimmer, in
einen Armstuhl geschmiegt, die Kniee mit einer wollenen Decke umhüllt,
müde, gebrochen, wie ein plötzlich alt gewordener Mann.

Die Thür that sich auf, und der alte Johann erschien, eine Platte in
Händen, auf der er ein Frühstück trug. Er setzte sie auf den Tisch neben
seinen Herrn.

»Frühstücken Herr Baron jetzt!« befahl er.

Seine ehemalige demütige Haltung war nicht mehr; er stand neben seinem
einstigen Herrn wie ein Aufseher bei einem Gefangenen.

Der Baron senkte die Augen, es sah aus, als fürchtete er sich vor seinem
Diener.

»Frühstücken Sie,« gebot dieser noch einmal, und während Eberhard von
Fahrenwald einige Bissen zum Munde zu führen versuchte, ging er, die
Hände in den Hosentaschen, in den Zimmern auf und ab, die Fenster
und Thüren untersuchend. Dann kam er zurück, um das Frühstück wieder
abzuräumen.

Eberhard sah mit scheuen Blicken an ihm vorbei. Seine Hände zupften an
der wollenen Decke; man merkte ihm an, daß eine Frage auf seiner Seele
lag, die sich nicht über die Lippen getraute. Endlich kam sie heraus:
»Wo -- ist denn -- meine Frau?«

Der Alte zuckte die Achseln, als verlohnte es sich nicht, auf solche
Frage überhaupt zu antworten, und ging auf die Thür zu.

»Wo ist meine Frau?« wiederholte Eberhard mit heiserer Stimme.

Jetzt drehte der Alte die Augen zu ihm herum, die giftigen Augen.

»Denken Herr Baron denn immer noch daran? Wäre abgethan, die Geschichte,
hätt' ich gemeint. Wär' schon am besten, Herr Baron fingen an, an andres
zu denken.«

Eberhard ruckte und zuckte in seinem Stuhl; es sah aus, als ob er
aufstehen wollte, aber der gefährliche Blick des Alten hielt ihn am
Platze fest.

Beide sahen sich eine Zeitlang stumm in die Augen. Dann traten
Schweißtropfen auf die Stirn des Barons; erst nur vereinzelt, dann immer
mehr, immer dicker, so daß ihm der Schweiß plötzlich über das Gesicht
zu laufen begann. Er wollte sprechen, aber es sah aus, als wären seine
Kinnladen verrenkt.

»Aber -- sie ist nicht --«

Er kam mit der Frage nicht zu Ende.

»Ja, versteht sich!« fiel ihm der Alte mit wüster Brutalität ins Wort.
»Was soll sie denn sonst auch sein? Da können Herr Baron warten, eh' die
wiederkommt!«

Eberhard stierte ihn an.

»Fortgegangen?« fragte er tonlos.

Jetzt kam der Alte von der Thür zurück, setzte die Platte wieder auf den
Tisch und sah grinsend auf ihn herab.

»Tot ist sie! Was haben Sie denn auch gedacht?«

Eberhards Kniee zogen sich wie im Krampfe empor, sein Mund ging auf, als
wenn er nach Luft schnappte, er stopfte beide Fäuste in den Mund,
dann fiel sein Oberleib vornüber, so daß seine Brust beinah die Kniee
berührte. Ein konvulsivisches Zucken ging durch seinen Körper.

Wie ein Teufel stand der Alte neben ihm.

»Das alles,« sagte er mit eiserner Stimme, »habe ich Herrn Baron zuvor
gesagt, Herr Baron haben nicht hören wollen.«

Eberhard gab keine Antwort. Er hatte die Hände unter den Kopf gestützt,
er dachte nach. Merkwürdig -- mitten in der Zerrüttung seiner Seele
fühlte er deutlich, daß er ganz klar dachte. Der ganze gestrige Abend
war ihm gegenwärtig, alle Einzelheiten standen vor seiner Seele. Mit
einem Ruck warf er den Kopf auf.

»Aber als ich sie zuletzt sah, war sie nicht tot,« sagte er.

Es war ihm plötzlich in Erinnerung gekommen, daß als er aus dem
Bibliotheksaale ging, Annas lebloser Körper sich zu regen begonnen
hatte.

Der Alte that einen Schritt zurück; seine herabhängenden Hände ballten
sich. Wollte der elende, verrückte Mensch da sich unterstehen, ihm zu
sagen, daß sie nicht tot wäre? Es kam ihm vor, als sollte er um sein
gutes Recht bestohlen werden.

Eberhard hatte sich erhoben.

»Wo ist meine Frau?« fragte er keuchend.

»Tot ist sie!« brüllte ihm der Alte ins Gesicht. »Und das hab' ich Herrn
Baron immer gesagt, und Herr Baron haben nicht hören wollen, und nun
ist es gekommen, wie ich's gesagt habe! Und wenn Herr Baron mir nicht
glauben wollen, dann ziehen Herr Baron sich an und kommen mit hinunter;
will ich Herrn Baron zeigen, allwo daß sie da unten liegt!«

Eberhard drückte beide Hände an den Kopf.

»Gib mir meine Sachen!« sagte er dann, »gib mir meine Sachen!«

In fliegender Hast kleidete er sich an.

»Also jetzt,« sagte er dann, »vorwärts!«

Schwankenden Schritts trat er auf den Flur, am Geländer sich haltend,
wie ein Greis, arbeitete er sich, Stufe nach Stufe, die Treppe hinunter,
und so ging es weiter, bis in den Garten hinab.

Der Alte faßte ihn unter den Arm, weil er seine hülflose Schwäche sah.
Eberhard machte eine Bewegung, als wollte er es nicht dulden, aber die
Zeit war vorüber, da er zu gebieten hatte.

»Kommen Sie,« sagte der Diener barsch. Jetzt hatte der gnädige Herr zu
gehorchen.

Den Laubgang führte er ihn entlang, bis an das Gebüsch, dann brach
er sich durch die Büsche hindurch, und einen Augenblick darauf stand
Eberhard vor dem frisch zugeworfenen Loch.

Als er das sah, fiel er mit einem heulenden Schluchzen nieder,
dann griff er mit den Händen in das Erdreich und begann, die Erde
aufzuwühlen. Mit rauher Gewalt riß der Alte ihn fort.

»Ah, was soll denn so etwas!« sagte er.

Er nahm ihn wieder unter den Arm, noch fester als vorhin, ungefähr wie
ein Polizist, der einen Entsprungenen geleitet. So führte er ihn aus dem
Laubgange auf den Rasenplatz hinaus, in den Sonnenschein, und dort an
eine Bank.

»Setzen Herr Baron sich hier,« gebot er.

Eberhards Widerstandskraft war gebrochen, er ließ sich nieder und
drückte sich in die Ecke der Bank.

Der Alte ging um den Rasen herum und dann, auf der andern Seite des
Platzes, so daß er Eberhard fortwährend unter Augen behielt, auf und
nieder. Mit dem Knüppel, den er jetzt immer bei sich trug, schlug er in
den Erdboden, daß der Kies raschelte. Dann setzte er sich auf eine Bank,
Eberhard gerade gegenüber, und von dort aus stierte er unverwandt auf
diesen hin. Er hätte tagelang so sitzen können, ohne sich zu langweilen.

Die »Einbrecherin« war beseitigt, er war wieder, was ihm von Gottes und
Rechts wegen zukam, der Wärter seines »elenden, verrückten« Herrn -- er
war zufrieden.

Und inzwischen saß der unglückliche Mann, die Augen zu Boden gesenkt,
weil er unablässig den fürchterlichen Beobachterblick auf sich gerichtet
fühlte, erdrückt unter der Last seines Bewußtseins, das ihm jede
Willens- und Widerstandskraft raubte, das ihn zum hülflosen Kinde in
den Händen des grauenvollen Alten da drüben machte. Er war ja ein
Verbrecher, ein Mörder! Was für ein Recht hat ein solcher, sich
aufzulehnen? Er hat zu schweigen und dankbar zu sein, wenn man ihm das
Leben läßt. Und warum ließ man ihm das Leben? Weil man annahm, daß er
verrückt sei. Also -- er war verrückt. Sein Kinn senkte sich auf die
Brust, sein Körper kroch förmlich in sich zusammen.

Und dann kam immer wieder das merkwürdige Bewußtsein, daß er trotzdem
ganz klar dachte. Er sträubte sich beinah dagegen. Kann ein Verrückter
klar denken? Und dennoch war es so, und immer wieder und wieder tauchte
die Erinnerung auf, daß sie sich zu regen begonnen hatte, als er aus
dem Bibliotheksaale ging. Wäre nur der Alte nicht gleich bei der Hand
gewesen, der ihn fortriß, so daß er nicht mehr Zeit behielt, noch einmal
zurückzugehen und sich nach ihr umzusehen!

Und dennoch also war sie tot? So war sie wohl nachher gestorben, nachdem
er den Saal verlassen hatte? Er hatte ja die Grube mit eigenen Augen
gesehen, in der sie lag -- also tot war sie wirklich?

Und während er sich das alles sagte, kam immer und immer wieder ein
Gefühl, als sei alles nicht so, als wäre sie nicht tot, nur irgendwo
versteckt. Von der Bank, auf der er saß, konnte er die Buchenallee
hinuntersehen, durch welche er damals mit ihr in den Park eingetreten
war, bis hinunter an den Eichbaum, an den er damals den Kranz gehängt
hatte. Immerfort gingen seine Augen die Allee entlang, immer war es
ihm, als würde er dort unten am Ende der Allee plötzlich eine Gestalt
erscheinen sehen, von der Sonne umleuchtet, eine ersehnte, geliebte
Gestalt, als würde er auf sie zustürzen und sie ihm entgegenfliegen,
als würde er in ihren Armen aufwachen aus gräßlichem, gräßlichem Traume,
aufwachen als ein glückseliger Mensch zu neuem glückseligen Leben.

So stark war seine Einbildung, daß er unwillkürlich von der Bank
aufstand. Im selben Augenblick aber war schon der Aufpasser an seiner
Seite. Er hatte die Blicke des Barons verfolgt, er sah in die Allee
hinein -- war da etwas? Nichts.

»Kommen Herr Baron,« sagte er, »es wird Zeit, daß Herr Baron etwas
essen.« Er faßte ihn unter den Arm und schleppte ihn ins Schloß.

So kam der Abend heran, und als es dunkel wurde, erfaßte eine qualvolle
Unruhe den gepeinigten Mann. War es denn wirklich wahr, daß sie da
draußen in der finsteren Nacht in dem finsteren tiefen Loche lag? Nein,
nein, nein! Wenn er sich nur hätte überzeugen, nur die Grube aufwühlen
und hineinschauen können, ob sie wirklich da unten war! Aber der Alte
stand hinter ihm; er fühlte, wie er ihn von hinten ansah; seine Blicke
lagen auf ihm wie Keulen. Wenn er den Versuch gemacht hätte, in den
Garten hinauszukommen, würde jener sich wie ein Bullenbeißer auf ihn
geworfen haben. Es schauderte ihn, schweigend kroch er wieder in sich
zusammen.

»Gehen Herr Baron jetzt zu Bett,« sagte der Alte, indem er, mit dem
brennenden Lichte in der Hand, an die Thür des Bibliotheksaales trat.

Eberhard erhob sich, dann aber, mit einem plötzlichen Griff, entriß er
dem Diener das Licht, und ehe dieser es zu hindern vermochte, stürzte er
damit ins Nebenzimmer.

»Anna!« rief er laut und klagend, »Anna! Anna!«

So lief er durch die Galerie und so von Zimmer zu Zimmer, das Licht
emporhebend, im Kreise umherführend, mit den Augen umhersuchend in allen
Ecken, ob er sie nicht irgendwo entdecken würde, irgendwo. Aber sie war
nicht mehr da.

So kam er in ihr Wohnzimmer, wo ihre Möbel standen und ihr Schreibtisch
und ihre Blumen, wo alles noch erfüllt schien vom Dufte ihrer
Persönlichkeit, und so endlich in ihr Schlafgemach. Da stand noch
das Bett, in dem sie gelegen hatte, das einst so zierliche, jetzt so
verwüstete Bett, und nun erfaßte es ihn wirklich wie Raserei, und er
fing an, mit dem Lichte unter die Sofas zu leuchten und unter das
Bett, als müßte sie da irgendwo versteckt sein, als müßte, müßte er sie
finden.

In dem Augenblick aber ertönte hinter ihm die eiserne Stimme: »Was soll
denn so etwas? Herr Baron stecken ja noch das ganze Schloß in Brand.«

Die harte Faust des Alten riß das Licht aus seiner Hand und hielt es
hoch, so daß es ruhig stand, dann zog er ihn vom Boden empor, nahm
seinen Arm unter seinen Arm, und indem er ihn wie in einer Zwinge
gefangen hielt, führte er ihn hinaus, die Treppe hinauf in sein Zimmer.
Er brachte ihn zu Bett, wie ein Kind, untersuchte noch einmal die
Fenster.

»Nun schlafen Herr Baron,« befahl er; dann riegelte er von außen die
Thür zu.

So verging Tag nach Tag, und so ein Abend nach dem andern. Jeden Tag das
stundenlange Sitzen am Rasenplatze auf der Bank, das stumme Suchen mit
den Augen in der Allee, jeden Abend das wandernde Licht von Zimmer
zu Zimmer, das Suchen und Suchen und Nichtfinden, und bei Tage und
am Abend, immerfort der Alte um ihn, hinter ihm, neben ihm, immer und
immerfort.

Im Dorfe und in der Umgegend verbreitete sich unterdessen die Nachricht,
daß die junge Frau Baronin plötzlich gestorben sei, und dieser Nachricht
folgte ein Gerücht, das man sich nur unter der Hand zuraunte: Der Herr
Baron hatte seine eigene Frau umgebracht.

Er war verrückt geworden, der Baron, und der alte Johann bewachte ihn.
Der brave alte Johann!

Er hatte immer großes Ansehen im Dorfe genossen, jetzt aber war er
geradezu eine imposante Persönlichkeit geworden. Eigentlich war doch er
jetzt der Herr vom Schloß.

Wenn er mit seinem dicken Stock die Dorfstraße entlang kam, flogen
die Mützen und Hüte von den Köpfen; er aber war ein stolzer Mann, er
erwiderte keinen Gruß; wie ein Stier mit vorgestrecktem Kopf ging er
seines Wegs. »Er hat jetzt halt so einen zornigen Blick,« flüsterten
sich die Leute zu, wenn er vorüberging.

Ja, er hatte einen zornigen Blick, und besonders, wenn er bei dem
Taglöhnershause vorbeikam, wo die Eltern des Mädchens, der Franzel,
wohnten.

Die Frau war tot und hin, das wußte er ja, aber das Mädchen, das seit
dem Abende verschwunden war, wo war das Mädchen geblieben?

Jeden Vormittag, bevor er seinen Herrn herausließ, ging er durch das
Dorf und jeden Vormittag trat er bei den alten Leuten ein.

»Wißt ihr's immer noch nicht, wo daß euer Mädchen ist?«

Die alten Leute zitterten am ganzen Leibe.

»Nein, gnädiger Herr Johann, nischte wissen wir.«

Das war die Antwort, die ihnen die Franzel eingelernt hatte, und
währenddem saß diese auf dem Heuboden, unter dem Heu versteckt, zitternd
wie Espenlaub.

Anna war fort. Im Morgengrauen des Tages, der auf die schreckliche
Nacht folgte, war sie, von der Franzel begleitet, zu Fuß nach der
Eisenbahnstation gegangen. In der Tasche ihres Kleides hatte sie ihr
Portemonnaie und in diesem ein paar Groschen Geld gefunden. So war sie
nach Breslau zurückgelangt und hatte bei dem Onkel und der Tante
wieder angeklopft. Wo sollte sie sonst bleiben? Und nun saß sie, eine
verheiratete Frau, da, wo sie als Mädchen gesessen hatte, in wahrhaft
jammervollem Zustande. Wie eine Prinzessin ausgezogen, war sie wie eine
Bettlerin zurückgekommen.

Dem Onkel und der Tante hatte sie erklären müssen, warum sie kam;
schweren Herzens hatte sie es gethan, denn indem sie die Ereignisse
jener Nacht andeutungsweise enthüllte, war ihr, als beginge sie einen
Verrat an dem unglücklichen, trotz allem immer noch tief geliebten
Manne.

Der Onkel hatte nun mit einemmal »von vornherein gewußt und
vorhergesagt, daß die ganze Geschichte Blödsinn sei und schlimm endigen
würde«. Er gab sich kaum die Mühe, Anna zu verheimlichen, wie lästig
ihre Anwesenheit ihm war, die er noch dazu, um nicht ins Gerede der
Leute zu kommen, vor aller Welt verschweigen mußte. Der Zustand wurde
mit der Zeit schier unerträglich. Da eines Tags kam aus Fahrenwald ein
Brief für Anna, mit plumpen Schriftzügen zusammengefügt, ein Brief von
der Franzel.

Im Dorfe war es ruchbar geworden, wie der Baron Tag für Tag stundenlang
am Rasenplatze saß, in die Allee blickend, wie er am Abend mit dem
Lichte in der Hand durch die Zimmer lief und nach seiner Frau suchte und
nach ihr rief. Dies alles berichtete ihr die Franzel.

Als Anna dieses las, als sie erfuhr, wie er nach ihr verlangte, traf es
sie wie ein Vorwurf ins Herz. Sie kam sich wie eine Pflichtvergessene
vor, die von ihrem kranken Manne davongelaufen war, statt bei ihm
auszuharren. Ein Entschluß stand in ihr auf, von dem sie zu niemand
ein Wort sagte -- am nächsten Morgen war sie lautlos aus dem Hause des
Onkels und der Tante verschwunden.

       *       *       *       *       *

Es war um die Mittagsstunde. Die Sonne stand hoch, und im Sonnenschein
saß Eberhard von Fahrenwald, in Decken gehüllt, auf seiner Bank. Ihm
gegenüber, wie immer, der Alte als Aufpasser. Plötzlich sah dieser, wie
der Baron, die Augen in die Allee gerichtet, aus der einen Ecke der Bank
in die andre rutschte. Er schlug ein paarmal mit dem Stock in die Erde,
als wollte er dem da drüben sagen, »nimm dich in acht, ich passe auf«.

Aber der Baron achtete nicht auf ihn.

Das war doch keine Täuschung, was er da eben gesehen hatte, daß da
hinten eine Gestalt in hellem Kleide hinter den Büschen des Parks
entlang und hinter den Eichbaum geschlüpft war, hinter dem sie sich
jetzt verbarg?

Und diese Gestalt -- war das nicht --?

Und jetzt bog sich ein Hutrand hinter dem Baumstamme vor, ein gelber
Hutrand, und unter dem Hutrande ein Gesicht --

Gerade aufgereckt wie eine Eisenstange stand er von der Bank auf --
in demselben Augenblick trat die Gestalt hinter dem Baume hervor und
breitete beide Arme aus --

»Anna!!« -- Es war Eberhard von Fahrenwald, der den Schrei ausgestoßen
hatte, aber es hatte geklungen, wie wenn zehn Männer aufschrieen.

Jetzt aber kam der Alte in Sprüngen über den Rasenplatz heran. Ein
Blick in die Allee -- ein momentanes Erstarren -- dann ein Geifern und
Knirschen wie von einem tollen Hunde. Die Allee entlang, gerade auf
den Rasenplatz zu kam eine geschritten -- und diese eine war sie --
die Tote! Jählings, bevor Eberhard, der immer noch wie in Erstarrung
dastand, es verhindern konnte, stürmte der Alte, mit gesenktem Haupte,
auf die Allee zu, Anna entgegen. Den Stock hatte er wie zum Schlage hoch
erhoben, ein Gebrüll ertönte aus seinem Munde. Anna war unwillkürlich
stehen geblieben, jetzt wandte sie sich um und fing an, die Allee
zurückzulaufen. Endlich war Eberhard zu sich gekommen und zum Bewußtsein
dessen, was sich begab. Mit einem Ruck schleuderte er den dicken
Ueberzieher ab, den ihm der Diener heute früh angezogen hatte. Dann kam
er gestreckten Laufes hinter dem Alten her.

»Johann!« donnerte er. Seine Stimme hatte wieder den Klang früherer
Tage, es war wieder die Stimme des Herrn.

Für einen Augenblick regte sich in dem Alten wieder der Knecht; sein
Gebrüll verstummte und einen Augenblick schwankte er auf die Seite.

Dann aber brach die Wut von neuem in ihm los.

»Das ist nicht wahr, daß sie lebendig sein will! Tot ist sie! Tot ist
sie! Tot ist sie!«

Und jetzt mit verdoppelter Wut raste er hinter dem flüchtenden Weibe
her.

Annas Kniee wankten und schwankten -- immer näher kamen die dröhnenden
Schritte -- immer deutlicher vernahm sie das heisere Keuchen in ihrem
Rücken, das belfernde Schnappen -- ihre Kräfte verließen sie -- vor
ihren Augen wurde es dunkel -- ein schriller Schrei: »Eberhard --«

Und in dem Augenblick hörte sie hinter sich ein Geräusch, wie sie es
bis dahin nie gehört -- und als sie zusammenbrechend gegen einen Baum
taumelte und sich umsah, erblickte sie Eberhard von Fahrenwald, der sich
in dem Augenblick über den Alten gestürzt, ihn mit beiden Händen an der
Gurgel gepackt hatte und mit einer Gewalt zu Boden schleuderte, daß der
Körper sich um und um rollte und krachend in die Büsche flog.

Mit einem gräßlichen Schrei raffte der Alte sich auf, mit geschwungenem
Stock ging er seinem Herrn zu Leibe, und nun entspann sich zwischen den
beiden Männern ein Kampf wie zwischen zwei Bären.

Den Stock hatte ihm der Baron beim ersten Anprall entrissen, mit
fletschenden Zähnen drang der Alte auf ihn ein, mit beiden Händen hielt
Eberhard ihn am Halse gepackt, um ihn am Beißen zu verhindern. Und
nun straffte der Körper des Barons sich zu einer letzten ungeheuren
Anstrengung auf; mit einer Kraft, als wenn es gälte, einen Baum aus der
Erde zu reißen, schwenkte er den Alten von rechts nach links und von
links nach rechts, so daß er zu taumeln begann und seine Füße den Halt
verloren, dann gab es einen schmetternden Krach, der Länge lang fiel
der Alte zur Erde und im selben Augenblick kniete Eberhard auf seinem
Rücken, ihm die Hände hinter dem Rücken zusammenpressend.

Ein Gebrüll, das nichts Menschliches mehr hatte, ein Geblöck, wie das
eines wütigen Stieres, brach aus der Brust des Alten; mit den Zähnen biß
er in die Erde; bläulicher Schaum stand auf seinen Lippen.

In diesem Augenblick kamen mehrere Männer, die auf den Feldern in der
Nähe beschäftigt gewesen waren und die furchtbaren Töne im Innern des
Parks vernommen hatten, eilend die Allee entlang.

»Hierher, Leute, hierher!« rief Eberhard ihnen entgegen.

Als sie aber den Baron auf dem Johann knieen sahen, wurden sie stutzig
und blieben stehen. Sie glaubten nicht anders, als daß der Wahnsinnige
seinen Wärter überwältigt hatte. Was sollten sie thun?

Jetzt trat Anna auf sie zu.

»Helft dem Herrn Baron, lieben Leute, helft ihm!«

Die Männer prallten zurück -- die Frau Baronin? Aber die Frau Baronin
war ja tot?

Anna begriff ihr Zaudern und Stutzen.

»Es ist nicht wahr, was euch der Johann gesagt hat! Ich bin nicht tot;
der Johann ist wahnsinnig, nicht der Baron, nicht der Baron!«

Noch einen Augenblick standen die Männer wie besinnungslos; ihre
schweren Gehirne konnten einen so völligen Umschwung aller Verhältnisse
nicht so rasch fassen.

Dann aber kamen sie im Sturm heran; im nächsten Augenblick war der Alte
von zehn kräftigen Händen gepackt, weggerissen und unschädlich gemacht.

»Bringt ihn ins Schloß,« gebot Eberhard von Fahrenwald, noch atemlos,
aber mit ruhiger Sicherheit in der Stimme. »In die Stube unten, neben
der Küche, mit den Eisengittern vor dem Fenster. Heute nachmittag fahre
ich selbst mit ihm nach Breslau und bringe ihn ins Irrenhaus.«

»Is gutt, gnädiger Herr Baron, is gutt,« kam es zur Antwort. Wer so
sprechen und befehlen konnte, war vernünftig, das war ihnen klar.

Die Männer zogen mit dem Wahnsinnigen ab; Anna und der Baron blieben
zurück; an der Stätte, die eben von dem furchtbaren Lärm erfüllt gewesen
war, trat eine tiefe Stille ein. Annas Kraft war zu Ende; sie saß am
Rande des Wegs, hatte ihr Taschentuch hervorgezogen und weinte still in
ihr Tuch hinein.

Ihr gegenüber, mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, stand Eberhard
von Fahrenwald. Seine breite Brust arbeitete noch von dem überstandenen
Kampfe; seine Augen ruhten stumm auf seiner Frau.

So verging geraume Zeit. Dann erhob sie langsam das Haupt und wandte es
zu ihm herum. Er that einen Schritt auf sie zu; es sah aus, als wollte
er etwas sagen, aber bevor er noch dazu gelangt war, sprang sie auf,
breitete die Arme aus und mit einem Schrei der Liebe flog sie an seine
Brust.

»Umarme mich,« sagte sie, »ich will, daß die Arme mich umfangen, die
mich vom Tode gerettet haben!«

Als sie das sagte, brachen auch ihm die Thränen aus den Augen,
unaufhaltsam, wie ein Strom. Ja -- er hatte sie zum Leben errettet; und
sie wußte es und hatte es ihm gesagt.

Er drückte sie an sich, nicht mit der wilden Glut und nicht mit der
ängstlichen Scheu der früheren Tage, sondern mit der Sicherheit der
warmen bewußten Liebe.

»Anna,« sagte er leise und innig; und er küßte ihr Gesicht, das
hingegeben zu ihm aufblickte.

Dann legte er die Arme um sie, und sie schlugen den Weg zum Schlosse
ein.

»Siehst du nun,« sagte er, »wie es mir ergangen ist; dreißig Jahre bin
ich alt geworden, und heute ist der erste Tag, da ich lebe. Siehst du,
es ist wunderbar, wie sich einem das ganze Leben in einem Augenblick
zusammendrängen kann: solch ein Augenblick ist es für mich gewesen,
als ich den Alten zu Boden gekriegt hatte und auf ihm kniete. In dem
Augenblick -- ich kann's mir nicht anders erklären -- ist der Bann
gebrochen gewesen, der mich dreißig Jahre lang gehalten hat. Der Alte,
siehst du, war mir gewissermaßen von meinem Vater vermacht; darum ist er
von meiner Kindheit an fortwährend um mich gewesen und ich habe wie an
etwas Unfehlbares an ihn geglaubt. Und weil er sich vom ersten Tage an
eingebildet hat, daß er zum Wärter eines Wahnsinnigen bestellt wäre, so
ist es ihm allmählich zur fixen Idee geworden, daß ich wahnsinnig sei
und nichts andres sein dürfte.«

Von der schrecklichen Vorstellung überwältigt, schwieg er. Dann preßte
er sie leise mit dem Arm.

»Mir ist das alles in dem einen Augenblick klar geworden. Kannst du es
dir vorstellen?«

An seine Schulter gelehnt, mit ihm dahinschreitend, drückte Anna seine
Hand.

»Ja, vollkommen,« erwiderte sie, »das was sich in dir geregt hat,
war die Gesundheit, die sich wider die Krankheit wehrte, die man ihr
aufzwingen wollte. Du warst vernünftig und bist bewacht worden von einem
Wahnsinnigen. Nun aber wollen wir leben!«

Es war, als wenn ein frischer Lebensquell in ihr aufgesprungen wäre; in
der Stunde, da sie auf der Schwelle des Todes gestanden und ihr Gatte
sie ins Leben zurückgerissen hatte, war sie zur Lebensgefährtin ihres
Mannes gereift.

Sie betraten das Schloß.

An den Wänden hingen die zerschmetterten Spiegel, das Glas bedeckte noch
jetzt den Fußboden, Annas Schlafgemach stand noch in der Unordnung, in
der es sich befunden hatte, als sie damals das Schloß verließ -- ein
Bild der Verwahrlosung und Verwüstung.

Anna blieb stehen und faßte ihren Gatten an beiden Händen.

»Eberhard,« sagte sie, »wir müssen zu einem Entschluß kommen. Dein Vater
hat dir den alten Diener vermacht; er hat geglaubt, dir einen Segen
damit zu bereiten -- du hast erfahren, was es gewesen ist. Siehst du,
wie soll ich's dir sagen, ich meine, man kann nur leben, wenn sein Leben
einem gehört; und dein Leben hat dir bis heute nicht gehört. Du hast es
wie ein Erbteil empfunden, das zur Hälfte dir, zur andern Hälfte deinen
Vorfahren gehörte. Komm und laß uns überlegen, wie wir's anfangen, daß
wir nun wirklich unser eigenes Leben leben.«

Er sah sie mit strahlenden Augen an.

»Den Anfang dazu weiß ich,« versetzte er. »Diese Ahnengalerie, die
hier seit Jahrhunderten gehangen hat und jetzt als eine Sammlung
Abgeschiedener immer noch mitten in unsren Wohnräumen hängt, lass' ich
hinaufschaffen in den oberen Stock. Da mögen sie hängen, als das, was
sie sind, als historische Reliquien. Denn die Erinnerung, scheint mir,
ist schließlich doch wie ein Leichnam im lebendigen Dasein, und
darum ist mir immer zu Mute gewesen, als lebte ich fortwährend in der
Gesellschaft von Toten.«

»So ist's recht,« erwiderte sie, »und nun noch eins. Wir können über die
Erinnerung an jenen bewußten bösen Abend nicht so hinweg, und wenn
wir's mit Gewalt versuchen, werden wir wieder krank. Du hast mich einmal
gefragt, ob wir eine Hochzeitreise machen wollten, ich hab's damals
nicht gewollt -- nun schlag' ich dir vor, Eberhard, wir wollen reisen,
und wenn wir wiederkommen, bringen wir die große weite Welt in unsren
Seelen mit und schließen uns nicht mehr, wie bisher, in unsrem Schlosse
ein, sondern denken und sorgen für die Menschen um uns her -- und
wenn man für Menschen zu sorgen hat, behält man keine Zeit, sich vor
Gespenstern zu sorgen.«

In tiefer Freude schloß er seine junge, kluge, mutige Frau in die Arme.

»Heute nachmittag,« sagte er, »fange ich mit meinen Pflichten an, indem
ich den Alten nach Breslau in die Anstalt bringe, und morgen früh reisen
wir in die Welt. Reisen wir ganz allein?«

»Nur eine soll uns begleiten,« erwiderte sie lächelnd, »die gute treue
Franzel.«

Und so geschah es.

Im August reiste der Freiherr von Fahrenwald mit seiner Gattin ab, und
als im Mai des nächsten Jahres der Frühling wieder in das schlesische
Paradies herabstieg, kamen sie zum Schlosse Fahrenwald zurück.

Heute stiegen sie nicht am Parkrande aus, heute fuhren sie durch das
Dorf, heute gingen sie nicht, einsam wie damals, vor der Welt versteckt,
durch den einsamen Park, heute durchschritten sie, Hände schüttelnd,
grüßend und lächelnd, die Bewohnerschaft des Dorfes, die sich festlich
gesammelt hatte und, den Schulzen an der Spitze, die Herrschaft
bewillkommnete.

Der Schritt des Barons war elastisch und frisch, der der jungen
Frau Baronin, die an seinem Arme hing, etwas gehemmt, und auf ihrem
freundlichen Gesichte lag eine leise schamhafte Röte.

»Nu sag mir, Franzel,« sagte am Abende nach der Ankunft die alte
Taglöhnersfrau, die in der Zwischenzeit mit ihrem Manne die Obhut über
das Schloß geführt hatte und jetzt auf ihm als wohlbestallte Verwalterin
eingesetzt war, »nu sag mir. Mit unsrer Frau Baronin -- hm?«

Die Franzel nickte und kicherte, und was die beiden sich mit halben
Worten unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut hatten, kam im
Juni ans Licht, als in dem Schlafgemache, zu dessen geöffneten Fenstern
die Frühlingsluft hereinströmte und der Sang der Vögel hereintönte,
unter dem blauseidenen Betthimmel ein reizender, rosiger, kleiner
Fahrenwald neben der blassen, glückseligen jungen Mutter lag.

»Daß du doch das Schenken nicht lassen kannst, du Unverbesserlicher,«
sagte sie lächelnd zu dem Manne, der glücküberströmt neben ihr stand
und soeben einen großen köstlichen, mit einem Brillantenbande
zusammengebundenen Blumenstrauß auf ihr Bett gelegt hatte.

»Seit einem Jahr das erste Mal wieder,« entgegnete er, indem er sein
Gesicht auf das ihrige niederbeugte und sie mit tiefer Seligkeit auf
Mund und Stirn und Augen küßte.

Und wieder einige Zeit später, als der Sommer in voller schwerer Wucht
auf der Erde lag, vernahm der Mann, der dort oben in seinem Bette eben
vom Schlaf erwachte, einen Ruf von unten, wie den Ruf der Lerche,
die zum Leben weckt. Aber es war nicht die Lerche und auch nicht die
Nachtigall, und als er ans Fenster stürzte, sah er im Garten dort unten,
zwischen den Blumenbeeten wandelnd, seine Frau, seine Anna, die heute
zum erstenmal ins Freie gekommen war.

Das Kindermädchen ging hinter ihr, den Kleinen im Kissen tragend; und
als am Fenster droben das Gesicht des Vaters erschien, nahm Anna das
Kind in ihre Arme. Nicht mit dem Taschentuche wehte sie heute, heute
winkte sie mit dem Kinde: »Komm herunter, Eberhard, hier unten ist's
wundervoll.«

Und er kam, wie ein Sturmwind kam er hinunter zu Mutter und Kind, und es
war, wie sie gesagt hatte -- wundervoll -- wundervoll.


Ende.




=ENGELHORNS=

~Allgemeine~

~#Romanbibliothek#~.

Eine Auswahl der besten modernen Romane aller Völker.

Alle vierzehn Tage erscheint ein Band.

Preis pro Band 50 Pf. Elegant in Leinwand geb. 75 Pf.


Als vor nunmehr zehn Jahren unsre roten Bände ihren ersten Flug in die
Welt wagten, begegneten sie manchen Zweifeln, ob ihr Prinzip #billig und
gut# ihnen Bahn zu brechen im stande sein werde.

Bald aber zeigte es sich, daß der Gedanke, dem deutschen Volke
die besten Erzeugnisse der Romanlitteratur aller Nationen zu einem
beispiellos billigen Preise bei guter und geschmackvoller Ausstattung
und in handlicher Form zu bieten, nicht nur lebensfähig, sondern
geradezu zündend war.

Seither hat sich unser Unternehmen mehr und mehr eingebürgert, und
auf Schritt und Tritt begegnet man den schmucken Bänden, die sowohl am
häuslichen Herd, als auch auf der Reise und im Bade zum unentbehrlichen
Freund und Begleiter geworden sind.

Der bisher erzielte Erfolg ist uns nicht nur ein Sporn geworden, sondern
macht es uns auch möglich, nicht stillzustehen, vielmehr rüstig auf der
betretenen Bahn weiterzuschreiten. Mit wachsamem Auge verfolgen wir die
Romanproduktion, und kein Opfer soll uns zu groß sein, wenn es gilt, ein
hervorragendes Werk für unsre Sammlung zu erwerben.

Die bisher erschienenen, in dem nachfolgenden Verzeichnis aufgeführten
Romane können fortwährend durch jede Buchhandlung zum Preise von
#50 Pf.# für den broschierten und #75 Pf.# für den gebundenen Band
bezogen werden.


Erster Jahrgang.

  #Der Hüttenbesitzer.# Von ^Georges Ohnet^. Aus dem Französ. 2 Bände.

  #Aus Nacht zum Licht.# Von ^Hugh Conway^. Aus dem Englischen.

  #Zéro.# Eine Geschichte aus Monte Carlo. Von Mrs. ^Praed^. Aus dem
  Englischen.

  #Wassilissa.# Von ^Henry Gréville^. Aus dem Französischen. 2 Bände.

  #Vornehme Gesellschaft.# Von ^H. Aïdé^. Aus dem Englischen.

  #Gräfin Sarah.# Von ^G. Ohnet^. Aus dem Französischen. 2 Bände.

  #Unter der roten Fahne.# Von Miß ^M. E. Braddon^. Aus d. Englischen.

  #Abbé Constantin.# Von ^L. Halévy^. Aus dem Französischen.

  #Ihr Gatte.# Von ^G. Verga^. Aus dem Italienischen.

  #Ein gefährliches Geheimnis.# Von ^Charles Reade^. Aus d. Engl.
  2 Bde.

  #Gérards Heirat.# Von ^André Theuriet^. Aus dem Französischen.

  #Dosia.# Von ^Henry Gréville^. Aus dem Französischen.

  #Ein heroisches Weib.# Von ^J. I. Kraszewski^. Aus dem Polnischen.

  #Eheglück.# Von ^W. E. Norris^. Aus dem Englischen. 2 Bände.

  #Schiffer Worse.# Von ^Alex. Kielland^. Aus dem Norwegischen.

  #Ein Ideal.# Von ^Marchesa Colombi^. Aus dem Italienischen.

  #Dunkle Tage.# Von ^Hugh Conway^. Aus dem Englischen.

  #Novellen# von ^Hjalmar Hjorth Boyesen^. _Glitzer-Brita._ -- _Einer,
  der seinen Namen verlor._ Deutsch von _Friedrich Spielhagen_. --
  _Ein Ritter vom Danebrog._ Aus dem Englischen.

  #Die Heimkehr der Prinzessin.# Von ^Jacques Vincent^. Aus d.
  Französ.

  #Ein Mutterherz.# Von ^A. Delpit^. Aus dem Französischen. 2 Bände.


Zweiter Jahrgang.

  #Der Steinbruch.# Von ^G. Ohnet^. Aus dem Französischen. 2 Bände.

  #Helene Jung.# Von ^Paul Lindau^.

  #Maruja.# Von ^Bret Harte^. Aus dem Englischen.

  #Die Sozialisten.# Aus dem Englischen.

  #Criquette.# Von ^L. Halévy^. Aus dem Französischen.

  #Der Wille zum Leben. -- Untrennbar.# Von ^Adolf Wilbrandt^.

  #Die Illusionen des Doktor Faustino.# Von ^Valera^. Aus d. Span.

  #Zu fein gesponnen.# Von ^B. L. Farjeon^. Aus dem Englischen.
  2 Bände.

  #Gift.# Von ^Alexander Kielland^. Aus dem Norwegischen.

  #Fortuna.# Von ^Alexander Kielland^. Aus dem Norwegischen.

  #Lise Fleuron.# Von ^G. Ohnet^. Aus dem Französischen. 2 Bände.

  #Aus des Meeres Schaum. -- Aus den Saiten einer Baßgeige.# Von
  ^Salvatore Farina^. Aus dem Italienischen.

  #Auf der Woge des Glücks.# Von ^Bernhard Frey^. (_M. Bernhard._)

  #Die hübsche Miß Neville.# Von ^B. M. Croker^. Aus dem Engl. 2 Bde.

  #Die Verstorbene.# Von ^Octave Feuillet^. Aus dem Französischen.

  #Mein erstes Abenteuer und andere Geschichten.# Von ^Hans Hopfen^.

  #Ihr ärgster Feind.# Von Mrs. ^Alexander^. Aus d. Englischen. 2 Bde.

  #Ein Fürstensohn. -- Zerline.# Von ^Claire von Glümer^.

  #Von der Grenze.# Novellen von ^Bret Harte^. Aus dem Englischen.

  #Eine Familiengeschichte.# Von ^Hugh Conway^. Aus d. Englischen.
  2 Bde.


Dritter Jahrgang.

  #Die Versaillerin.# Von ^Ernst Remin^. 2 Bände.

  #In Acht und Bann.# Von Miß ^M. E. Braddon^. Aus dem Englischen.

  #Die Tochter des Meeres.# Von ^Johanne Schjörring^. Aus dem
  Dänischen.

  #Lieutenant Bonnet.# Von ^Hector Malot^. Aus d. Französ. 2 Bände.

  #Pariser Ehen.# Von ^E. About^. Aus dem Französischen.

  #Hanna Warners Herz.# Von ^Florence Marryat^. Aus d. Englischen.

  #Eine Tochter der Philister.# Von ^Hjalmar Hjorth Boyesen^. Aus dem
  Englischen. 2 Bände.

  #Savelis Büßung.# Von ^Henry Gréville^. Aus dem Französischen.

  #Die Damen von Croix-Mort.# Von ^Georges Ohnet^. Aus d. Französ.
  2 Bände.

  #Die Glocken von Plurs.# Von ^Ernst Pasqué^.

  #Fromont junior und Risler senior.# Von ^Alphonse Daudet^. Aus dem
  Französischen. 2 Bände.

  #Der Genius und sein Erbe.# Von ^Hans Hopfen^.

  #Ein einfach Herz.# Von ^Charles Reade^. Aus dem Englischen.

  #Baccarat.# Von ^Hector Malot^. Aus dem Französischen. 2 Bände.

  #Mein Freund Jim.# Von ^W. E. Norris^. Aus dem Englischen.

  #Hanna.# Von ^Heinr. Sienkiewicz^. Aus dem Polnischen.

  #Das beste Teil.# Von ^Léon de Tinseau^. Aus dem Französischen.

  #Lebend oder tot.# Von ^Hugh Conway^. Aus dem Englischen. 2 Bände.

  #Die Familie Monach.# Von ^Robert de Bonnières^. Aus dem Französ.


Vierter Jahrgang.

  #Eine neue Judith.# Von ^H. Rider Haggard^. Aus d. Englischen.
  2 Bde.

  #Schwarz und Rosig.# Von ^Georges Ohnet^. Aus dem Französischen.

  #Das Tagebuch einer Frau.# Von ^Octave Feuillet^. Aus dem Französ.

  #Jahre des Gärens.# Von ^Ernst Remin^. 2 Bände.

  #Gute Kameraden.# Von ^H. Lafontaine^. Aus dem Französischen.

  #Die Töchter des Commandeurs.# Von ^Jonas Lie^. Aus dem Norweg.

  #Zita.# Von ^Hector Malot^. Aus dem Französischen. 2 Bände.

  #Die Erbschaft Xenias.# Von ^Henry Gréville^. Aus dem Französischen.

  #Kinder des Südens.# Von ^Rich. Voß^.

  #Daniele Cortis.# Von ^A. Fogazzaro^. Aus dem Italienischen.
  2 Bände.

  #Die Herz-Neune.# Von ^B. L. Farjeon^. Aus dem Englischen.

  #Sie will.# Von ^Georges Ohnet^. Aus dem Französischen. 2 Bände.

  #Die Kinder der Excellenz.# Von ^Ernst v. Wolzogen^.

  #Um den Glanz des Ruhmes.# Von ^Salvatore Farina^. Aus dem Ital.

  #Der Nabob.# Von ^Alphonse Daudet^. Aus dem Französischen. 3 Bände.

  #Der kleine Lord.# Von ^F. H. Burnett^. Aus dem Englischen.

  #Der Prozeß Froideville.# Von ^André Theuriet^. Aus d.
  Französischen.

  #Stella.# Von Miß ^M. E. Braddon^. Aus dem Englischen. 2 Bände.


Fünfter Jahrgang.

  #Robert Leichtfuß.# Von ^Hans Hopfen^. 2 Bände.

  #Der Unsterbliche.# Von ^Alphonse Daudet^. Aus dem Französischen.

  #Lady Dorotheas Gäste.# Von ^Ouida^. Aus dem Englischen.

  #Marchesa d'Arcello.# Von ^Memini^. Aus dem Italienischen. 2 Bände.

  #Was der heilige Joseph vermag.# Aus dem Französischen.

  #Alessa. -- Keine Illusionen.# Von ^Claire von Glümer^.

  #Wie in einem Spiegel.# Von ^F. C. Philips^. Aus d. Englischen.
  2 Bände.

  #Schnee.# Von ^Alexander Kielland^. Aus dem Norwegischen.

  #Jean Mornas.# Von ^Jules Claretie^. Aus dem Französischen.

  #Auf der Fährte.# Von ^H. F. Wood^. Aus dem Englischen. 2 Bände.

  #Satisfaction. -- Das zersprungene Glück. -- La Speranza.# Von
  ^Alexander Baron von Roberts^.

  #Die Scheinheilige.# Von ^Karoline Gravière^. Aus dem Französischen.

  #Doktor Rameau.# Von ^Georges Ohnet^. Aus dem Französ. 2 Bände.

  #Frau Regine.# Von ^Emil Peschkau^.

  #Zwei Brüder.# Von ^Guy de Maupassant^. Aus dem Französischen.

  #Mein Sohn.# Von ^Salvatore Farina^. Aus dem Italienischen. 2 Bände.

  #Dosias Tochter.# Von ^Henry Gréville^. Aus dem Französischen.

  #Der Lotse und sein Weib.# Von ^Jonas Lie^. Aus dem Norwegischen.

  #Numa Roumestan.# Von ^Alphonse Daudet^. Aus dem Französischen.
  2 Bände.


Sechster Jahrgang.

  #Die tolle Komteß.# Von ^Ernst v. Wolzogen^. 2 Bände.

  #Eine Sirene.# Von ^Léon de Tinseau^. Aus dem Französischen.

  #Jack und seine drei Flammen.# Von ^F. C. Philips^. Aus dem
  Englischen.

  #Mr. Barnes von New-York.# Von ^A. C. Gunter^. Aus d. Engl. 2 Bde.

  #Gertruds Geheimnis.# Von ^André Theuriet^. Aus dem Französischen.

  #Wunderbare Gaben# und andere Geschichten. Von ^Hugh Conway^. Aus
  dem Englischen.

  #Letzte Liebe.# Von ^Georges Ohnet^. Aus dem Französischen. 2 Bände.

  #Die Sabinerin. -- Felice Leste. -- Die Mutter der Catonen.# Von
  ^Richard Voß^.

  #Mia.# Von ^Memini^. Aus dem Italienischen.

  #Diana Barrington.# Von ^B. M. Croker^. Aus d. Englischen. 2 Bände.

  #Der reine Thor.# Von ^Karl v. Heigel^.

  #Ein Kirchenraub. -- Junge Liebe.# Von ^H. Pontoppidan^. Aus dem
  Dänischen.

  #Die Könige im Exil.# Von ^Alphonse Daudet^. Aus d. Französ.
  2 Bände.

  #Die verhängnisvolle Phryne.# Von ^F. C. Philips^ u. ^C. J. Wils^.
  Aus dem Englischen.

  #Sergius Panin.# Von ^Georges Ohnet^. Aus d. Französischen. 2 Bände.

  #Achtung Schildwache!# und andere Geschichten. Von ^Mathilde Serao^.
  Aus dem Italienischen.

  #Salonidylle.# Von ^H. Rabusson^. Aus dem Französischen.

  #Mr. Potter aus Texas.# Von ^A. C. Gunter^. Aus dem Engl. 2 Bände.

  #Ein gefährliches Werkzeug.# Von ^D. C.^ u. ^H. Muray^. Aus d. Engl.


Siebenter Jahrgang.

  #Preisgekrönt.# Von ^Alexander Baron von Roberts^. 2 Bände.

  #Die Seele Pierres.# Von ^Georges Ohnet^. Aus dem Französischen.

  #Zum Kinderparadies.# Von ^André Theuriet^. Aus dem Französischen.

  #Imogen.# Von ^Hamilton Aïdé^. Aus dem Englischen. 2 Bände.

  #Port Tarascon.# Von ^Alphonse Daudet^. Aus dem Fanzösischen.

  #Ein Mann von Bedeutung.# Von ^Anthony Hope^. Aus d. Englischen.

  #Ohne Liebe.# Von ^Fürst Galitzin^. Aus dem Russischen. 2 Bände.

  #Die Erbin.# Von ^W. E. Norris^. Aus dem Englischen.

  #Die kühle Blonde.# Von ^Ernst v. Wolzogen^. 2 Bände.

  #Mein Pfarrer u. mein Onkel.# Von ^Jean de la Brète^. Aus d.
  Französ.

  #Der Mönch von Berchtesgaden# und andere Erzählungen. Von ^Rich.
  Voß^.

  #Oberst Quaritch.# Von ^H. Rider Haggard^. Aus dem Engl. 2 Bände.

  #Noras Roman.# Von ^Emil Peschkau^.

  #Auf Vorposten# und andere Geschichten. Von ^F. de Renzis^. Aus dem
  Italienischen.

  #Versiegelte Lippen.# Von ^Léon de Tinseau^. Aus d. Französ.
  2 Bände.

  #Aus den Papieren eines Wanderers.# Von ^Jeffery C. Jeffery^. Aus
  dem Englischen.

  #Mein Onkel Scipio.# Von ^André Theuriet^. Aus dem Französischen.

  #Wie's im Leben geht.# Von ^A. Delpit^. Aus dem Französischen.
  2 Bde.

  #Verhängnis.# Von ^F. de Renzis^. Aus dem Italienischen.


Achter Jahrgang.

  #Irgend ein Anderer.# Von ^B. M. Croker^. Aus d. Englischen.
  2 Bände.

  #Fräulein Reseda. -- Ein Mann der Erfolge.# Von ^Julien Gordon^. Aus
  dem Englischen.

  #Künstlerehre.# Von ^Octave Feuillet^. Aus dem Französischen.

  #In frischem Wasser.# Von ^Helene Böhlau^. 2 Bände.

  #Die geprellten Verschwörer.# Von ^W. E. Norris^. Aus dem
  Englischen.

  #Daphne.# Nach =A Diplomat's Diary= von ^Julien Gordon^, deutsch
  bearb. von _Friedrich Spielhagen_.

  #Ein Genie der That.# Von ^Ernst Remin^. 2 Bände.

  #Mischa.# Von ^Maguerite Poradowska^. Aus dem Französischen.

  #Der Thronfolger.# Von ^Ernst von Wolzogen^. 2 Bände.

  #Im Reisfeld. -- Ohne Liebe.# Von ^Marchesa Colombi^. Aus d. Ital.

  #Eine Künstlerin.# Von ^Jeanne Mairet^. Aus dem Französischen.

  #Miß Niemand.# Von ^A. C. Gunter^. Aus dem Englischen. 2 Bände.

  #Marienkind.# Von ^Paul Heyse^.

  #Schwarzwaldgeschichten.# Von ^Hermine Villinger^.

  #Jack.# Von ^Alphonse Daudet^. Aus dem Französischen. 3 Bände.

  #Der schwarze Koffer.# Aus dem Engl.

  #Der Affenmaler.# Von ^Jeanne Mairet^. Aus dem Französischen.

  #Schwer geprüft.# Von ^J. Masterman^. Aus dem Englischen. 2 Bände.


Neunter Jahrgang.

  #Im Schuldbuch des Hasses.# Von ^Georges Ohnet^. Aus d. Französ.
  2 Bände.

  #Meine offizielle Frau.# Von ^Col. Richard Henry Savage^. Aus d.
  Engl.

  #Sein Genius.# Von ^Claus Zehren^.

  #Ein Zugvogel.# Von ^B. M. Croker^. Aus dem Englischen. 2 Bände.

  #Violette Merian.# Von ^Augustin Filon^. Aus dem Französischen.

  #Fräulein Kapitän.# Eine Eismeergeschichte von ^Max Lay^.

  #Ein puritanischer Heide.# Von ^Julien Gordon^. 2 Bde. Aus d. Engl.

  #Das Stück Brot und andere Geschichten.# Von ^François Coppée^. Aus
  dem Französischen.

  #In der Prairie verlassen.# Von ^Bret Harte^. Aus dem Englischen.

  #Zwischen Lipp' und Kelchesrand.# Von ^Charles de Berkeley^. Aus dem
  Französischen. 2 Bände.

  #Mein erster Klient und andere Geschichten.# Von ^Hugh Conway^. Aus
  dem Englischen.

  #Auf steinigen Pfaden.# Von ^Léon de Tinseau^. Aus dem
  Französischen.

  #Heimatlos.# Von ^Hector Malot^. 3 Bände. Aus dem Französischen.

  #Baronin Müller.# Von ^Karl von Heigel^.

  #In guter Hut.# Von ^Jeanne Mairet^. Aus dem Französischen.

  #Das Kind.# Von ^Ernst Eckstein^.

  #Das Haus am Moor.# Von ^Florence Warden^. Aus d. Englischen. 2 Bde.

  #Giovannino oder den Tod! -- Dreißig Prozent.# Von ^Mathilde Serao^.
  Aus dem Italienischen.

  #Des Seemanns Tagebuch.# Von ^Gustave Toudouze^. Aus d. Französ.


Zehnter Jahrgang.

  #Das Geheimnis des Hauslehrers.# Von ^Victor Cherbuliez^. 2 Bände.

    Ein wirklich herzerfreuendes Buch ist es, das der beliebte Erzähler
    hier darbietet; ein Kunstwerk, bezaubernd in Form und Inhalt. Zwei
    reizvolle Vertreterinnen der heutigen Jugend hat er erwählt, und mit
    Geist und Grazie weiß er sie zu schildern.

  #Das wandernde Licht.# Von ^Ernst v. Wildenbruch^.

    Diese Novelle des berühmten Dichters ist das durchaus ungewöhnliche
    Werk eines selbständigen Geistes, voll Leben und dramatischer Kraft.


Die nachstehenden Romane sind auch in einer #zu Geschenken ganz
besonders geeigneten#

=Salon-Ausgabe=

auf #feines, extra starkes Papier# gedruckt und in #elegantem
Liebhaber-Einband# zum Preise von #M. 2.-- für den einfachen und M. 3.--
für den doppelten Band# erschienen.


Einfache Bände:

  ^Burnett^, #Der kleine Lord#.
  ^Feuillet^, #Das Tagebuch einer Frau#.
  ^Paul Lindau^, #Helene Jung#.
  ^Voß^, #Kinder des Südens#.
  #Was der heilige Joseph vermag#.
  ^v. Wolzogen^, #Die Kinder der Excellenz#.


Doppel-Bände:

  ^Conway^, #Eine Familiengeschichte#.
  ^Croker^, #Die hübsche Miß Neville#.
  ^Hopfen^, #Robert Leichtfuß#.
  ^Ohnet^, #Der Hüttenbesitzer#.
  ^v. Wolzogen^, #Der Thronfolger#.
        "       #Die tolle Komteß#.




      *      *      *      *      *      *




Hinweise zur Transkription

Die Verlagsreklame wurde am Buchende zusammengefasst.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten,
einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "Schooß"
-- "Schoß",

mit folgenden Ausnahmen,

  Seite 22:
  "." eingefügt
  (Erstaunt, beinahe erschreckt, blickte sie auf.)

  Seite 42:
  "," eingefügt
  (»Ich hatte geglaubt,« sagte er langsam)

  Seite 68:
  "," geändert in "."
  (Stumm drückte sie ihm die Hand.)

  Seite 72:
  "," eingefügt
  (fuhr er fort, »weil ich sah)

  Seite 90:
  "«" entfernt hinter "Vermögen?"
  (Ja, wo war denn ihr eigenes Vermögen?)

  Seite 99:
  "," geändert in "."
  (ihre Kniee aneinander, als wollte er sie zermalmen.)

  Seite 109:
  "," eingefügt hinter "trug"
  (eines der braunsamtnen Pantöffelchen, die sie trug, vom Fuße)

  Seite 123:
  "Entsetz-ichen" geändert in "Entsetzlichen"
  (von all dem Dunklen, Entsetzlichen!)

  Seite 127:
  "," eingefügt
  (»Bist du's, Eberhard?« fragte sie schläfrig.)

  Seite 130:
  "«" eingefügt
  (»Aber Eberhard -- was machst du denn?«)

  Seite 134:
  "," eingefügt
  (»Hilf mir!« seufzte sie, »hilf mir!«)

  Seite 141:
  "," geändert in "."
  (und in zwei bammelnden Enden über seinen Arm hing.)

  Seite 155:
  "»" entfernt vor "dreißig"
  (ergangen ist; dreißig Jahre bin ich alt geworden)

  im Reklameteil:
  "Fortsetzung siehe am Schluß dieses Bandes." wurde entfernt



***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS WANDERNDE LICHT***


******* This file should be named 55580-8.txt or 55580-8.zip *******


This and all associated files of various formats will be found in:
http://www.gutenberg.org/dirs/5/5/5/8/55580


Updated editions will replace the previous one--the old editions will
be renamed.

Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
law means that no one owns a United States copyright in these works,
so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
States without permission and without paying copyright
royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
of this license, apply to copying and distributing Project
Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
specific permission. If you do not charge anything for copies of this
eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
performances and research. They may be modified and printed and given
away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
trademark license, especially commercial redistribution.

START: FULL LICENSE

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
www.gutenberg.org/license.

Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
Gutenberg-tm electronic works

1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or
destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your
possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
1.E.8.

1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement. See
paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
electronic works. See paragraph 1.E below.

1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
works in the collection are in the public domain in the United
States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
United States and you are located in the United States, we do not
claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
displaying or creating derivative works based on the work as long as
all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when
you share it without charge with others.

1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
in a constant state of change. If you are outside the United States,
check the laws of your country in addition to the terms of this
agreement before downloading, copying, displaying, performing,
distributing or creating derivative works based on this work or any
other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no
representations concerning the copyright status of any work in any
country outside the United States.

1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear
prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work
on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the
phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed,
performed, viewed, copied or distributed:

  This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
  most other parts of the world at no cost and with almost no
  restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it
  under the terms of the Project Gutenberg License included with this
  eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the
  United States, you'll have to check the laws of the country where you
  are located before using this ebook.

1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is
derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
contain a notice indicating that it is posted with permission of the
copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
the United States without paying any fees or charges. If you are
redistributing or providing access to a work with the phrase "Project
Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
posted with the permission of the copyright holder found at the
beginning of this work.

1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
any word processing or hypertext form. However, if you provide access
to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works
provided that

* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
  the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
  you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
  to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
  agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
  within 60 days following each date on which you prepare (or are
  legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
  payments should be clearly marked as such and sent to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
  Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
  Literary Archive Foundation."

* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
  you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
  does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
  License. You must require such a user to return or destroy all
  copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
  all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
  works.

* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
  any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
  electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
  receipt of the work.

* You comply with all other terms of this agreement for free
  distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than
are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The
Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm
trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
electronic works, and the medium on which they may be stored, may
contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
cannot be read by your equipment.

1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from. If you
received the work on a physical medium, you must return the medium
with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org 

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary 
Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.