Neue Novellen

By Elise Polko

The Project Gutenberg EBook of Neue Novellen, by Elise Polko

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org/license


Title: Neue Novellen

Author: Elise Polko

Release Date: June 9, 2020 [EBook #62358]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NEUE NOVELLEN ***




Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
https://www.pgdp.net (This book was produced from images
made available by the HathiTrust Digital Library.)









  Neue Novellen

  von

  Elise Polko.

  [Illustration]

  Leipzig,
  Verlag von Bernhard Schlicke.
  1861.




  »Dem Verfasser des Werkes:

  »Die Frauen in der Culturgeschichte«

  dem

  Oberbibliothekar und Hofrath

  Herrn

  =Dr.= G. Klemm

  widmet diese »#Frauennovellen#«

  in

  herzlicher Verehrung

                Elise Polko.




Inhaltsverzeichniss.


                                  Seite.

  Vor hundertfünfzehn Jahren 1745      1

  Elisabeth                           69

  Czinka                             187




Vor

hundertfünfzehn Jahren.

1745.

(Ein Skizzenblatt.)

(1860.)


»Euer Stück, Lustspiel benannt, scheint mir in der That nicht übel,
junger Freund«, ließ sich der hochberühmte und vielgelehrte Professor
der Philosophie und Dichtkunst, Logik und Metaphysik, Johann Christoph
Gottsched zu Leipzig, vernehmen, und wandte sich zu einem jungen
Studenten, der an seinen Schreibtisch getreten war, während ein Anderer in
bescheidener Haltung an der Thür des Studirzimmers stehen geblieben.
»Die Redeweise ist rein, die Figuren nicht verzeichnet, ich wüßte nichts
Sonderliches gegen Euer Werk zu erinnern, nur muß ich Euch offen gestehn,
daß mir ein Trauerspiel allzeit angenehmer denn ein lustiges Stück, und so
gefällt mir auch schon aus diesem Grunde das Machwerk Eures Freundes, so er
»die Matrone zu Ephesus« benannt, weit besser. Auch schreitet es in Worten
und Sätzen ruhig und feierlich einher, und ist ganz nach meinen Regeln
aufgebaut, während Euer Stück ohne rechten Zaum und Zügel dahinläuft.
Nun ist aber, meines Bedünkens, erst ein gesattelt und gezäumtes Roß zu
Jedermanns Nutzen und Frommen da, während ein loslediges Füllen nur sich
selber zum Vergnügen daherspringt. Damit Ihr Beide aber nicht die
Meinung faßt, ich _allein_ wolle mich zum Richter aufwerfen über Eure
Geisteskinder, so mögt Ihr Euch heute um die sechste Abendstunde in
den Wohnstuben meiner Frau einfinden. Daselbst wird sich ein Kreis
hochgebildeter Frauen und Männer versammeln, denen Ihr selbst Eure Stücke
vorlesen könnt. Bringt also Eure Manuscripte wieder mit und seid pünktlich
hier!« --

Nach dieser Rede erhob sich der Gelehrte ein klein Wenig von seinem
Schreibschemel, grüßte mit der Hand, herablassend wie ein Fürst die beiden
Studenten und setzte sich dann, ohne auf deren Abschiedsverbeugungen zu
achten, zum Schreiben zurecht. -- Die Thür des Arbeitszimmers schloß sich,
und man hörte eine Weile Nichts als das Knirschen der Feder, die über
das Papier schlich, denn der Professor Gottsched pflegte so langsam zu
schreiben als er redete. Er mochte jedoch kaum eine Zeile zu Wege gebracht
haben als die Thür sich wieder leise öffnete und ein schöner Frauenkopf
hereinschaute. Dem Kopfe folgte eine hohe schlanke Gestalt, die etwas
zagend auf den Schreibtisch zuschritt. Auf halbem Wege blieb sie aber
stehn und sah ein Wenig furchtsam auf den berühmten Mann, der sich so eben
umwandte, einen erstaunten Blick auf die Eingetretene warf und mit dem
Ausdruck großer Verwunderung fragte: »Ihr seid es, Victoria Adelgunde, --
und zu solch ungewohnter Stunde? Was bringt Ihr?« -- »Nichts!« lachte sie
heiter und stand mit einem Sprunge neben ihm, die Hand auf seine Schulter
legend, »ich komme nur um Euch Etwas zu fragen -- aber werdet mir nicht
böse ob der Störung.« --

Es geschieht wohl zuweilen, daß eine mitleidige Seele einem armen
Gefangenen einmal einen Frühlingsstrauß oder eine Hand voll Rosen in seine
Zelle wirft, -- just solchen Eindruck machte diese Erscheinung in der
großen finstern Gelehrtenstube voll staubiger Folianten, wunderlicher
Instrumente, und neben jenem ernsthaften steifen Mann mit der
wohlgepuderten Perrücke, der da vor dem Schreibtisch saß. -- Der Professor
der Logik und Metaphysik selbst mußte, als er in _dies_ Frauenantlitz sah,
ein Wenig lächeln, er legte die Feder nieder und seinen rechten Arm um den
schlanken Leib der Fragerin, freundlich wiederholend: »Was bringt Ihr --
was wollt Ihr denn von mir?« --

»Sagt mir doch, bitte, wer die beiden jungen Leute waren, die da so eben
von Euch gingen!«

»Studenten der Theologie -- aus denen aber schwerlich etwas Rechtes werden
wird, denn sie treiben allerlei Allotria.«

»Aber aus dem mit den großen Augen wird doch gewiß etwas Gutes -- wenn auch
vielleicht kein Pfarrer. Wie hieß er wohl?«

»Ziemt es sich für die Ehefrau des Professor Gottsched nach den Namen
solcher junger Burschen zu forschen? Hat der mit den großen Augen Euch
irgend ein Leid angethan?« scherzte der berühmte Mann.

»O nein! Er lief nur etwas hastig die Treppe hinab und ich kam just aus
dem Keller, und so hätte er mich fast umgestoßen, er verlor sein Manuscript
dabei, -- die Blätter flogen um mich her -- -- und da mußten wir Beide
lachen und ich half ihm die Blätter aufnehmen. -- Der Andere, glaube ich,
stand äußerst verlegen dabei und rührte keine Hand.«

»Wenn er hastig gelaufen, so war das zweifelsohne der Schlimmste der
Beiden, nämlich der Studiosus Gotthold Ephraim Lessing aus Kamenz. Ihr
hättet Euch den Andern lieber ansehen sollen denn ihn, Frau Victoria
Adelgunde, der hat ein wackeres Trauerspiel geschrieben, und war des
Ansehens werther. Sein Name lautet Christian Felix Weiße aus Annaberg. Es
ist wunderlich daß der sanfte sinnige Mensch so mit Leib und Seele an
dem unsteten Burschen, dem Lessing, hängt. Sie wohnen beisammen und sind
unzertrennliche Gefährten bei Tag und Nacht. -- Beide werden diesen Abend
kommen um ihre Dichterversuche zu Gehör zu bringen, Beide haben Stücke
geschrieben und hoffen, daß die Neuberin sie auf dem Theater aufführen
läßt. -- Ich würde aber, so ich mit dem genannten nichtswürdigen Weibe
noch ferneren Verkehr pflegte, sicherlich nur dem Trauerspiel des Christian
Weiße das Wort reden. Es führt den Titel: »die Matrone zu Ephesus«, -- das
Lustspiel des Andern heißt nur schlechtweg: »der junge Gelehrte.«

»Wer soll denn heute Abend zuhören?«

»Der Professor Gellert, und meine gelehrten Freundinnen, die berühmten
Frauen Leipzig's.«

»Die Zieglerin wollt Ihr einladen?« fragte die schöne Frau, und über ihr
Gesicht flog etwas wie ein Wolkenschatten. »Diese Person soll in unser Haus
kommen?« -- Und heftig zog sie die rosenfarbenen Bänder der kleinen Haube,
die oben auf der Spitze des leichtgepuderten Haars befestigt war, zusammen.
»Habt Ihr vergessen daß eben sie sich gegen Eure Frau nicht so benimmt, wie
es ihr zukäme sich gegen die Gefährtin eines Gottsched zu benehmen?«

»Seid nicht kleinlich, Victoria Adelgunde! Einer so hochberühmten Gelehrtin
muß man mancherlei Sonderlichkeiten verzeihn. Sie ist meine Freundin, --
und ich bitte Euch sie denn um _meinetwillen_ freundlich aufzunehmen. Ihr
seht ja sonst alle diese verdienstvollen Dichterinnen leider niemalen bei
Euch, und begleitet mich zu meinem Leidwesen nimmer wenn ich zu ihnen gehe
-- heute Abend müßt Ihr, nun schon Eurem Eheherrn einmal die Liebe anthun,
selbige bei Euch zu empfangen. Und nun laßt mich wieder allein, und sorgt,
daß mich ferner Niemand störe.« --

Er stand auf, küßte ihr die Hand, geleitete sie feierlich bis zur Thür, und
sie verließ ohne weiter zu reden das Zimmer. Ganz langsam und gedankenvoll
schritt sie über den Gang der Treppe zu. -- An dem Geländer blieb sie aber
plötzlich stehn, schaute hinab und murmelte dann mit dem Lächeln eines
Kindes: »da -- an der zwölften Stufe war's! -- Es ist doch gut, daß ich
den Ephraim Lessing schon kenne. Ich denke wir Beide werden heute Abend
zusammenhalten. Er sieht ganz so aus als ob er sich auch -- wie ich -- vor
gelehrten Frauen fürchten könne. -- Wie wunderbar und fremd blickten aber
seine Augen! -- Mich dünkt, ich sah nie schönere -- -- außer den Augen
meines Gottsched -- --« setzte sie lieblich hinzu und ging dann die Treppe
hinab in die Küche. --

Seit zehn Jahren war Luise Victoria Adelgunde, geborene Kulmus aus Danzig,
die Gattin des berühmten Leipziger Professors, und bis zur Stunde fühlte
sie sich nur in den vier Wänden ihres engen Hauses wohl und heimisch,
nicht aber in der Stadt und in dem Bekanntenkreise ihres Mannes. Lange Zeit
krankte sie an einem tiefen Heimweh nach ihrer alten düstern Vaterstadt,
obgleich sie, außer zahlreichen Freunden, von ihrer eigentlichen Heimath
nichts mehr dort fand als -- die Gräber ihrer Eltern. Und dies Heimweh
steigerte sich, je mehr Menschen sie sah, und von ihrem reizenden Gesicht
schwanden die Rosen und das Lächeln wich von ihren Lippen. Stundenlang saß
sie an dem Fenster ihres Wohnzimmers in der Grimmaischen Gasse und starrte
auf das finstere Thor und den seltsamen Thurm und wünschte sich Flügel,
um weit weit hinwegzuflattern aus jener Lindenstadt, die sich Klein-Paris
nannte. Die Menschen erschienen ihr so ganz anders denn daheim, so
ernsthaft und gelehrt, oder so übermäßig geschäftig und zerstreut. Und doch
hatte sie unter den Männern, die ihr hier in den Weg traten, bald mehr denn
Einen gefunden, der ihr lieb und werth geworden und dessen Reden sie gern
lauschte. Mit besonderer Innigkeit hing sie an dem freundlichen Professor
Gellert, der auch seinerseits an der bildschönen kindlichen Frau großes
Wohlgefallen bezeigte. Aber jene Frauen, die ihr Gatte seine »Freundinnen«
nannte, und mit denen er täglichen Verkehr pflegte, verleideten ihr den
ganzen Aufenthalt in Leipzig. So eindringlich Gottsched ihr solchen Umgang
als einen besonders bildenden und belehrenden bezeichnet, sie konnte sich
trotz aller Mühe, die sie sich gab, mit diesen Gestalten nicht befreunden,
ja sie empfand eine Art Grauen vor ihnen und war in ihrer Nähe einem
furchtsamen Kinde zu vergleichen. -- Vor jeder Frage die eine oder die
Andere jener Berühmtheiten an sie richtete, erschrak sie, und beantwortete
selbige wie das schüchternste Mädchen nur mit einem »ja« oder »nein.« Um
die Welt hätte sie all jene dichtenden Frauen nicht merken lassen, daß
sie selber in ihres Vaters Hause so oft und mit voller Seele Poeterei
getrieben, und bat fast auf den Knieen ihren Gatten, Keiner von ihnen
jemals zu verrathen, daß sie schon als achtzehnjährige Jungfrau eine Ode
verfaßt auf die Kaiserin Anna von Rußland, und die Schriften der Frauen
Lambert und Gomez aus dem Französischen in's Deutsche übertragen. -- Als
die hochgefeierte Zieglerin, geborene Romanus, die am 17. October des
Jahres 1733 von dem Decan der philosophischen Facultät zu Wittenberg,
dem Pfalzgrafen Johann Gottlieb Krause, »Kraft der Kaiserlichen Macht
und Gewalt und im Namen seiner Facultät« durch die Ueberreichung eines
Lorbeerkranzes und Ringes zur kaiserlichen gekrönten Poetin erhoben worden,
zum ersten Mal vor der jungen Gottschedin erschien, fühlte sich Victoria
Adelgunde sofort auf das Entschiedenste von der berühmten Dichterin
abgestoßen. Hochmüthig und kalt schaute die Leipziger Bürgermeisterstochter
auf das Danziger Doctorskind, und hielt mit scharfen grauen Augen Musterung
über die Erkorene des gefeierten Freundes Gottsched. Dann ließ sie sich
zu der Frage herab: »haben die wertheste Gottschedin auch schon Etwas
gearbeitet?« »Ja -- ich habe mir alle meine Spitzen selber geklöppelt«
stieß da die junge Frau ängstlich hervor, und mit einem siegenden
Hohnlächeln wandte sich die Zieglerin an ihre, eben zum Besuch anwesende,
Schülerin, die hübsche und anmuthige Hedwig Zäunemann aus Erfurt und sagte
laut genug, daß Jeder der im Zimmer war, es hören konnte: »mich dünkt sie
gehöre zu jenen Vögeln, deren Geschrei einstmals das Capitol errettet. Wir
müssen sie fallen lassen!« --

Ein glückseliges Lächeln hatte damals, nach diesen Worten, die Lippen
Victoria Adelgundens umspielt. Tief aufathmend murmelte sie: »O dem lieben
Gott sei's gedankt, sie läßt mich fallen!« --

Und es geschah also. Keine der gelehrten und berühmten Frauen, die
damals ihren Wohnsitz in Leipzig aufgeschlagen und in dem weltbekannten
Pleiß-Athen aus- und einflogen, verkehrte mit der Gottschedin. Sie war
erstens zu hübsch und zweitens zu »gering«, um der Ehre für würdig befunden
zu werden in jenem Kreise Aufnahme zu erlangen. Man zuckte die Achseln über
den wunderlichen Freund und hochgelehrten Mann, daß er eine so seltsame
unbegreifliche Wahl getroffen, und tadelte ihn laut und leise, daß auch
_er_ ein Mann wie alle Männer, und ein roth und weißes Lärvchen den
höchsten _innerlichen_ Schönheiten vorzuziehen gewagt. -- Man lud den
Gelehrten nach wie vor zu jenen »himmlischen« Abenden ein, wo man, bei
möglichst kärglicher irdischer Speise, mit Apollo und den neun Musen
schwelgte, _ohne_ Frau Victoria aufzufordern, an jenen Götterfesten Theil
zu nehmen, und so sehr auch Gottsched seine Gattin liebte und hoch hielt,
so schmeichelte es doch seiner Eitelkeit gar zu gewaltig, in einem Kreise
gefeierter Dichterinnen angebetet und besungen zu werden, als daß er es
vermocht sich von ihnen loszusagen, weil sie sich von der Frau seiner Wahl
lossagten. --

Es war gar zu angenehm Orakelsprüche aus eignem Munde fallen zu lassen,
und als unumschränkter Herrscher zu thronen. -- Er hatte daher nichts
einzuwenden, wenn seine Gattin sich ihr Klöppelkissen zu der Frau des
Cantor Doles tragen ließ und in der Wohnung derselben, in der Thomasschule,
plaudernd einige Stunden verweilte, oder mit dem Cantor selber Musikübungen
anstellte, ihm auf der Laute vorspielte und jene reizenden Weisen mit
wunderlieblicher Stimme dazu sang, die sie aus ihrer Vaterstadt Danzig
mitgebracht. -- Das waren heitere Abende für Victoria Adelgunde. Keine
Gewalt der Erde hätte sie vermocht ihren Gatten zu seinen »Freundinnen«
zu begleiten, so bitter es sie auch schmerzte, daß er solcher Gesellschaft
fast täglich einige Stunden opferte. Sie zog es bei Weitem vor, mit irgend
einer schlichten Bürgersfrau von den Preisen der Lebensmittel und den
schlechten Mägden und ungehorsamen Kindern zu reden, denn ein Gedicht
vorlesen zu hören von der Dichterin selber. Wenn sie ihre Uebersetzungen
aus dem Englischen, welcher Sprache sie vollkommen mächtig war, in jenen
Stunden nach Tisch unternahm, in denen Gottsched seine Mittagsruhe hielt,
so konnte ein Kind, das an einem verbotenen Leckerbissen nascht, nicht
erschreckter zusammenfahren denn Victoria Adelgunde bei dem Ton der
Hausklingel, und im Nu waren Papier, Dinte und Feder verschwunden.
Selbst von ihrem Gatten ließ sie sich nur ungern bei einer schriftlichen
Beschäftigung überraschen, und erröthete dann wie eine Siebzehnjährige
die man bei dem ersten Liebesbriefe ertappt. -- Dagegen kannte sie kein
größeres Vergnügen, als ihm bei seinen Arbeiten zu helfen, indem sie für
ihn Wörter aufschlug, kleine Auszüge machte, oder ein Manuscript in's Reine
schrieb. Wenn er sie zu solchen Hülfsleistungen in das Heiligthum seines
Studirzimmers rief, vergaß sie sogar die Küchenschürze abzulegen, und
wenn der Braten in _diesem_ Haushalt einmal anbrannte, oder der Suppe
das richtige Maß des Salzes fehlte, so trug nicht die Hausfrau, sondern
lediglich der Herr Professor Gottsched selber die Schuld daran. -- Victoria
Adelgunde hielt ihren Hausstand in musterhafter Ordnung, wie man denn
auch an ihrer eignen reizenden Person niemalen die kleinste Ungehörigkeit
wahrnahm, weder eine zerdrückte Schleife, noch eine schlecht gewaschene
Spitze, noch einen schief getretenen Schuh, oder gar lose hängendes Haar
oder einen auffallenden Putz. Man konnte zu jeglicher Zeit die Wohnung des
Professors der Logik und Metaphysik vom Boden bis zum Keller durchwandern,
und die schärfsten Basenaugen würden weder Unordnung noch Staubwolken,
aber eben so wenig irgend eine sinnlose Zierrath entdeckt haben. Dies Alles
bewunderte nun der gelehrte Mann an der Gefährtin seines Lebens gar sehr
-- auch wußte er recht wohl, wie hell ihr Geist und wie empfänglich ihre
Seele, aber es bekümmerte ihn doch im Grunde mehr denn billig, daß sie sich
sogar nichts aus seinen gelehrten Freundinnen machte, und kein einzig Mal
Verlangen zeigte zuzuhören, wie man ihn anbetete. -- Da er aber den Verkehr
mit den Musen Leipzigs nun einmal durchaus nicht entbehren zu können
glaubte, so kam es, daß mit jedem Jahre der einsamen Stunden mehrere wurden
für die schöne Frau. Einsamkeit ist aber eine gefährliche Freundin, und
frommt solcher Umgang besonders keinem Frauenherzen, und dem Wärmsten
just am Wenigsten. Da der Himmel dem Gottsched'schen Ehepaar keine Kinder
bescheerte, so war es wohl natürlich, daß allmählich allerlei Wünsche
und Gedanken aufstiegen in dem Herzen Victoria Adelgundes. -- Dann
kamen heimliche Thränen, die auf das Klöppelkissen fielen, und tausend
halberstickte Seufzer wurden in die Spitzen gewebt -- und endlich wählte
man sich gar eine Vertraute, zwar zum Glück nicht von Fleisch und Bein
aber immerhin gefährlich genug: die kleine Feder nämlich. Die schöne
Frau arbeitete in jenen einsamen Stunden plötzlich fast anstrengend. Sie
übersetzte Pope's Lockenraub, und Addision's Cato, und in eben dem Jahre,
von dem wir just reden, =Anno= 1745, beschäftigte sie sich mit einer sehr
berühmten jesuitischen Streitschrift: =la femme docteur=, die sie in sehr
zierlicher Weise in's Deutsche übertrug. -- Wer von den »gelehrten Frauen«
hätte Solches von der kleinen »albernen« Gottschedin vermuthet. -- Es
stiegen aber trotz all dieser Thätigkeit in dem Herzen der jungen Frau
doch auch hin und wieder Bedenken auf, ob sie ihrem Manne, den sie so
schwindelnd hoch über sich erblickte, nicht vielleicht in der That gar zu
einfach sei, und sann sie allen Ernstes darüber nach, was sie wohl lernen
und beginnen könne, um ihm endlich jenen verhaßten Verkehr mit
seinen »Freundinnen in Apoll« entbehrlich zu machen, und ihn bei sich
zurückzuhalten. -- Wie ein Lichtstrahl durchblitzte sie endlich ein
Gedanke. -- Die Zieglerin hatte einmal den Professor Gottsched in einer
lateinischen Ode besungen, und Solches hatte einen mächtigen Eindruck auf
den Gefeierten gemacht. Er äußerte, daß diese Arbeit das Höchste sei, was
je eine Frau geleistet, die Ode lag stets neben ihm auf dem Schreibtisch,
und er wiederholte oftmals, daß er um solcher fehlerlosen Dichtung Willen
einer Frau anhangen würde, wenn sie auch das Urbild aller Häßlichkeit
und Verschrobenheit. -- -- Victoria Adelgunde hatte es also gefunden: sie
wollte ihren Gatten in einer Ode besingen, die mindestens noch einmal so
lang als die der Zieglerin. -- Dazu fehlte ihr nur noch eine Kleinigkeit:
sie mußte erst Latein lernen, _heimlich_ lernen. -- Aber wer wollte, wer
konnte wohl ihr Lehrmeister sein? --

       *       *       *       *       *

Am Abend brannten in dem Stübchen der Frau Gottschedin mehrere Kerzen,
und seine für die damaligen Zeiten prunkhafte Einrichtung zeigte sich im
vollsten Glanze. Die gestreiften Zitzbehänge der Fenster schimmerten rosig,
und das harte, aber große, und mit demselben Stoff bezogene Sopha nahm
sich gar stattlich aus. Hochlehnige, festgepolsterte Stühle standen um den
mächtigen Tisch, und eine niedere Bank war an das Spinett geschoben, das in
einem Winkel zwischen dem Fenster und der langen Wand seinen Platz gefunden
hatte. Eine Laute hing darüber, mit tief herabhängendem, blauen Bande; die
Gottschedin war eine Meisterin im Lautenspiel, aber das wußten kaum ihre
nächsten Freunde. -- Den Schmuck der Wand über dem Sopha bildeten die
kerzengeraden Conterfeys der Eltern der jungen Frau. Der königlich
polnische Leibarzt Johann Gottlieb Kulmus schaute gewaltig finster darein,
und hatte die Unterlippe mehr als nöthig vorgeschoben, während seine
Gattin, ganz Sanftmuth und Ergebung, mit einem matten Lächeln auf eine Rose
schaute, die sie zwischen den spitzen Fingern hielt. Ein Schattenriß des
Professor Gottsched, auf goldenem Grunde, war unter dem kleinen Spiegel
angebracht, ein Kranz von Immergrün schlang sich um den Rahmen. Auf der
steifbeinigen Kommode aber stand ein hohes Glas voll frischer Astern, denn
es war eben im Herbst, die Abende wurden schon lang und die Stürme rüsteten
sich zum Aufstehen. --

Die Stimme der Wanduhr verkündete schrillend die sechste Stunde. Der
Herr Professor saß neben seiner Frau in seinem besten Anzug, gestickter
Schooßweste, braunem Sonntagsrock und schwarzseidenen Kniehosen, und
versuchte ihr zuzureden, sich nicht vor den erwarteten Gästen zu fürchten,
wie man einem Kinde zuredet, wenn es sich sträubt, irgend einem bärtigen
Onkel oder einer verknöcherten Tante die Hand zu geben. Das feine Gesicht
der Gottschedin verlor auch bald genug jenen Ausdruck ängstlicher Spannung,
den es seit Mittag zur Schau getragen. Die dunkelblauen Augen wurden
wieder heiter und glänzten, und als mit dem Schlage der sechsten Stunde die
Hausklingel ertönte, denn dazumal hielt man es für eine Pflicht, pünktlich
zu sein, und der Hauswirth sich mit den Worten erhob: »wird wohl die
Zieglerin sein mit ihrem Gaste, der berühmten Dichterin Anna Barbara
Teuberin, verwitwete Knackrüggin, aus Augsburg« -- lachte sie ihm
schelmisch zu. Er aber setzte noch hinzu: »ich bitte Euch dringlich, seid
freundlich zu ihnen, Herzliebste!« -- Und die Herzliebste nickte, warf
einen Blick in den Spiegel, drückte die Rose an dem linken Ohr fester in
die gepuderten Locken, zupfte an der Spitzengarnitur am Halse und sah aus,
als ob sie sich vor keiner gelehrten Frau der Welt mehr fürchte. -- Die
Stubenthür öffnete sich auch bald darauf, und herein zwängte sich eine
rauschende Wolke von wunderlich gemustertem und verblichenem Seidenstoff,
und selbige Gestalt blieb mit allerlei Spitzen und Schleifen an der Klinke
hängen. Ein paar behandschuhte Hände von gewaltigen Formen zerrissen aber
mit Manneskraft die hemmenden Fesseln, und eine sehr große, magere Frau in
vorgerücktem Alter, mit weit entblößtem Busen und nackten Schultern, neigte
sich drei Mal mit unbeschreiblicher Feierlichkeit vor dem Professor der
Logik und Metaphysik, und reichte ihm dann die Fingerspitzen zum Handkuß.
Auf den Fersen folgte ihr eine schlichte Erscheinung, deren zerknittertes,
braunes Gesicht aus einer tief in die Stirn gehenden, gesteiften Haube
schaute, und die altmodisch geschnittene enge Kleider trug, dem Hauswirth
derb die Hände schüttelte, sich jedoch gewaltig sträubte, als er bei ihr
einen Handkuß versuchen wollte. »Es ist eine gar seltene Freude, zu Gaste
geladen zu werden in dem Hause des berühmtesten Mannes zu Leipzig,« sagte
die zuerst Eingetretene spöttisch, und verneigte sich vor der Gottschedin,
»und haben wir solche hohe Ehre und Vergünstigung wohl nur meinem Gaste und
meiner Seelengefährtin, der Anna Barbara Teuberin, verwitwete Knackrüggin,
zu danken, welche allhier vor Euch steht.«

»Und welche wohl nimmermehr solcher Ehre genösse, so nicht die
hochberühmte, gekrönte Dichterin Christiane Marianne Zieglerin, geborene
Romanus, solch armselig Augsburger Gewächslein hierher getragen,« fiel die
Teuberin ein und faltete demüthig die Hände, während sie der Hauswirthin
einen kurzen Knix machte.

Die Zieglerin lächelte wohlgefällig, machte aber dennoch eine bescheidene
Geberde der Abwehr, da flog wiederum die Thür auf und ein rundes,
lautlachendes weißgekleidetes Etwas rollte dem gelehrten Manne, unter einem
Schwall von zärtlichen Redensarten, an den Hals. Es war eine kleine üppige
Frau mit kurzgeschnittenem, dunklem Haar, ziemlich freiem Ausschnitt des
fliegenden Kleides, lustigen Augen, die ein Wenig schielten, einem hübschen
Munde und großer Zungengeläufigkeit. Ganz Leipzig kannte sie, jeder Student
grüßte sie, und die Thomasschüler blieben bei ihren Umzügen gern vor ihrem
Hause stehn, da sie wußten, daß sie jeden Vers eines Chorals mit einer
Flasche Bier zu bezahlen pflegte, und dazu auch allezeit zur Genüge frische
Semmeln beigeschafft wurden. Es war die Dichterin Anna Helena Volkmann,
geb. Wolffermann aus Leipzig. Schon im Jahre 1736 waren die Kinder
ihrer heitern Muse unter dem Titel erschienen: »Erstlinge unvollkommener
Gedichte, durch welche hohen Personen ihre Unterthänigkeit, Freunden und
Freundinnen ihre Ergebenheit, vergnügten Seelen ihre Freude und Betrübten
ihr Mitleiden erzeiget, sich selbst aber bei ihren Wirthschaftsnebenstunden
eine Gemüthsergötzung gemacht: Anna Helena Volkmannin.«

Sie erschien niemalen in ganz sauberem Anzug, auch fehlte es selten an
einigen Dintenspuren an den Händen, eben so war es schon vorgekommen, daß
sie noch mit der Feder hinter dem Ohr in eine Gesellschaft getreten,
aber ihre Bescheidenheit, Fröhlichkeit, und ihre witzige Zunge ließen
dergleichen übersehen, wenigstens war die Dichterin trotz alledem bei
Männern und Frauen beliebt. Eine sehr hübsche, jugendliche Frau wurde
von ihr dem Hauswirth und der Hauswirthin vorgestellt, sie hieß Johanna
Charlotte Unzer, geborene Ziegler aus Halle, Gattin eines ausgezeichneten
Arztes, die auf ihrer Durchreise nach Hamburg, allwo sich ihr Gatte vor
wenigen Wochen angesiedelt, einige Tage in Leipzig verweilte. Man rühmte
von den Gedichten der Unzerin, daß sie sich durch ungezwungene Munterkeit
auszeichneten, und nannte sie eine Schülerin der Volkmann. Was aber die
Gottschedin für diese liebliche Frau zur Stelle einnahm, war der Ruf einer
zärtlichen Gattin und Mutter, der ihr vorausging. Die Volkmann selbst
konnte nicht müde werden, die beiden Frauen einander gegenseitig
anzupreisen, wobei sie nicht verfehlte bald die Eine, bald die Andere
heftig zu umarmen. Dann flüsterte sie der Gottschedin zu: »setzt Euch zu
mir oder der kleinen Unzerin, und überlaßt den jungen Weiße der Zieglerin,
sie ist nämlich in ihn verliebt und er könnte doch beinahe ihr Enkel sein.
Den Lessing setzen wir dann zur Augsburgerin. Das wäre zum Todtlachen!« --
Damit schlüpfte sie fort und dem eben eintretenden Gellert entgegen, dem
sie, ehe er sich dessen versah, einen Kuß auf die Wange gedrückt. -- Dicht
hinter ihm erschienen nun auch die jungen Studenten Ephraim Lessing und
Christian Weiße. -- Letzterer war seines sanften feinen Gesichts und seiner
anmuthigen Manieren wegen von den Frauen sehr gern gesehen. Den Andern
kannten nur Wenige, und diese Wenigen fanden seinen Blick zu stolz, sein
Haar zu fliegend, seinen Gang zu kühn, seinen Anzug zu nachlässig, und
insbesondere seine Redeweise, für einen jungen Studenten der Theologie,
viel zu keck und frei. Während Christian Weiße nun Reihe um die Hände
küßte, und Lessing hinter den Stuhl der Hauswirthin trat, huschte die
Volkmann an ihn heran, zupfte ihn am Ohr und flüsterte ihm die Frage zu,
wie ihm die Gottschedin gefalle. Ein flüchtiges Erröthen war die einzige
Antwort des jungen Mannes, was ihm ein helles Gelächter der boshaften
Dichterin eintrug. Als sie aber sich von ihm wandte, nahm er, nachdem er
einige Worte mit dem Hausherrn gewechselt und alle Anwesenden mit einer
stummen Verneigung begrüßt, hinter dem Stuhl der kleine Doctorsfrau aus
Halle Platz, allwo er den ganzen Abend hindurch verblieb. -- Warum hätte
er ihn auch verlassen sollen? -- Das reizende Bild, dessen Anblick er von
seinem versteckten Sitze aus so ungestört genießen durfte, würde ihm ja
dann entzogen worden sein, und welch reichen Stoff zum Denken und Träumen
gab eben dies Bildchen, ein Frauenköpfchen auf dunklem Grunde. Von dem
tiefbraunen Grunde eines Rockes, den der hochberühmte Professor der
Dichtkunst, Logik und Moral, Christian Fürchtegott Gellert, trug, hob sich
nämlich ein feines Frauenprofil ab. Die Linien waren so edel und rein, daß
sich die Augen des jungen Studenten der Theologie nicht satt daran sehen
konnten. Und zuweilen regte und bewegte sich dies Bild ein klein Wenig,
das Profil verschob sich und zeigte das holdseligste Antlitz mehr als zur
Hälfte, der köstlich geschnittene Mund lächelte, ein Grübchen in der Wange
erschien, und die Wimpern des zweiten Auges tauchten auf. Und es kamen auch
Momente, wo sich der kleine Kopf Victoria Adelgundens ganz zu ihm wandte
und zwei dunkelblaue Augen ihn anschauten, halb fragend, halb schüchtern
freundlich grüßend. --

Der Kreis hatte sich endlich unter lebhaftem Hin- und Widerreden geordnet,
und der Professor Gottsched zwischen der Zieglerin und der Knackrüggin
einen etwas engen Sophaplatz gefunden. Neben der Dichterin aus Augsburg saß
der junge Weiße, dann folgte die Volkmann mit dem Professor Gellert, die
Gottschedin mit der Unzerin, und der junge Lessing machte den Schluß. --
Man schlürfte eine Schaale dünner Chokolade, aß allerlei Backwerk dazu
und schickte sich allmählich an zuzuhören. -- Ja, aber wem zuerst? -- Die
Zieglerin sprach nämlich laut und vernehmlich den Wunsch aus, zuvor einige
_ihrer_ eignen neuesten Dichtungen vortragen zu dürfen, ehe die jungen
Studenten ihre Schauspiele dem Richterspruch des »edlen Kreises« zu
unterwerfen begannen, und setzte mit sauersüßem Lächeln hinzu, daß sie
hoffe, ihre geliebten Schwestern in Apoll würden nachher desgleichen
thun. »Wir wissen gar wohl, wir armen Frauenzimmer,« sagte sie mit einem
wohlstudirten Augenniederschlag und tiefem Seufzer, »daß wir nicht mehr
bestehen können, so ein _Mann_ vorher seine Werke zu Gehör gebracht. Die
Schöpfungen der Herren der Welt gleichen ja den Palmen, dieweil wir
nur armselige Gänseblümlein bringen. Ist's nicht so, meine theuren
Freundinnen?«

Die Knackrüggin senkte zustimmend das Haupt, die hübsche Doctorsfrau
lächelte verstohlen die Hauswirthin an, die Volkmann aber rief: »ich will
Nichts wissen von Gänseblümchen, und habe auch, so ich mich erinnere, im
Garten der Poesie niemalen welche gepflückt! Die Unzerin und ich suchten
nur allezeit nach Veilchen!«

Einen vernichtenden Blick warf die gekrönte Dichterin auf die schalkhafte
Sprecherin, dann sagte sie, zu Gottsched gewandt: »Hochverehrter Freund,
sintemalen doch Bescheidenheit die höchste Zier des Weibes, mögen denn
meine armen Geisteskindlein diesen Reigen eröffnen, damit -- --«

»Das _Beste_ gebührend zuletzt komme, meint Ihr sicher, liebste Zieglerin?«
unterbrach hier lachend die Volkmann.

Die berühmte Frau fuhr auf, aber der Professor der Logik und Metaphysik
zog sie mit einer ängstlichen Geberde auf ihren Sitz zurück und flüsterte:
»bleibt würdevoll und ruhig, liebwertheste Freundin. Sie liebt es nun
einmal, Jedweden weidlich zu necken, und weiß doch so gut als ich, daß Ihr
die berühmteste Frau der Lindenstadt seid und bleibt.« -- Die Gottschedin
legte erschrocken ihre Hand auf den Arm Gellerts, der aber lächelte und
sagte ruhig: »Ihr müßt Euch an dergleichen gewöhnen, schönste Frau, sie
sind nun einmal Alle so unter einander und mit einander. Sie fahren sich
aber dabei doch nimmer wirklich in die Haare und nennen sich trotz alledem
gute Freunde.«

Und die Zieglerin zog geräuschvoll eine dicke Rolle beschriebener Blätter
aus der Tiefe ihrer Kleidertasche und las, ohne viel zu wählen, mit
erhobener Stimme, wie folgt:

  »Auf ein paar schöne Augen.«

»Hört zu, Christian Weiße!« schaltete noch die Volkmann schnell ein.

  »So oft ein Künstler euch zu schildern ist bemüht,
  So trifft er euch doch nicht, wie man gar öfter sieht;
  Doch ist nicht seiner Faust der Fehler beizumessen,
  Wenn er die Aehnlichkeit von euch dabei vergessen.
  Und lebt' Apelles noch, so könnt' es nicht geschehn,
  Denn Adler können nur blos in die Sonne sehn.
  Der Strahl, der in euch sitzt, steht gar nicht abzureißen,
  Der Maler müßte denn ein Halbgott wirklich heißen.«

»Wessen Augen habt Ihr dabei im Sinne gehabt, theuerste Zieglerin?« fragte
die Volkmann sehr freundlich.

»Welche anders als die _Euren_, geliebte Freundin!« lautete die höhnische
Antwort.

»Ich danke Euch, und werde dagegen zum Beweis meiner Erkenntlichkeit Eure
Rosenwangen und Perlenzähne besingen.«

»Habt Ihr noch ein so fürtreffliches Gedicht für unsere verzückten Ohren?«
fragte da Gottsched rasch, denn die fast zahnlose Dichterin erglühte unter
ihrer Schminke vor Wuth. Wie ein Balsamtropfen fielen aber diese Worte
in die Wogen ihres Zorns, und sie las und las die verschiedensten ihrer
größern und kleinern Dichtungen hastig und bunt durcheinander, wie z. B.
»Das Bild eines wahren Christen,« und gleich darauf »die Unterkehle
Celindens,« und die »höhnische Lisette« wobei sie während der
Schlußstrophe:

  »es läßt aus Furcht sich Niemand mit ihr ein,
  Lisette ist fürwahr ein schädlich Stachelschwein,«

einen bedeutsamen Blick auf ihre Lieblingsschwester in Apoll zu werfen
nicht ermangelte, den die Volkmann jedoch mit dem zärtlichsten Nicken
erwiderte. Auch die »Grabschrift eines Verliebten« trug die Unermüdliche
vor, welche folgendermaßen lautete:

  »Die Gluth verzehrte mir das Mark in den Gebeinen,
  Und diese machet auch die Gruft zu Feuersteinen.
  Ihr Tobaksbrüder kommt und tretet noch heran,
  Zieht Stahl und Schwamm hervor und schlagt euch Feuer an.«

Als hierauf Gellert doch leise an die verrinnende Zeit zu mahnen wagte, las
die berühmte Frau noch schnell ein Lied auf die »garstige Lorette«, einige
»zufällige Gedanken über einen Mopsen«, ein geistlich Lied, und schloß dann
mit den Strophen:

  »Bin ich der Arbeit überdrüssig,
  Die man von Damen fordern kann,
  So kommt mir, weil ich nicht kann müssig
  Wie Viele gehn, das Dichten an.
  Da greif' ich schnell zu meiner Feder,
  Ob selb'ge gleich nur, wie ihr wißt,
  Von schlechtem Gänserumpf und Leder
  Und nicht vom Schwan geborget ist.«

»Herrlich!« rief die Volkmann, klatschte in die Hände und sprang auf,
um die Zieglerin zu umarmen, »man könnte euch allein schon lieben um
der wunderbaren treffenden Wahrhaftigkeit willen in Euren meisterlichen
Gedichten, Höchstverehrte! Aber nach Euch wage ich nicht in meine Leier
zu greifen! Aber ich habe einige Kleinigkeiten unserer Freundin _Hedwig
Zäunemann_ aus Erfurt mitgebracht, die, wie Ihr Alle wohl vernommen, vor
vier Jahren, bei Arnstadt von einem Brückenstege fallend, eines kläglichen
Wassertodes gestorben. Sie hat mir noch wenig Tage vor ihrem unerwarteten
Sterben damals ein anmuthig Verslein über unsere Stadt Leipzig eingesandt,
allwo sie so oft glückliche Tage verlebt, und das folgendermaßen lautet:

  »Was man vordem in Rom, Athen und Tyro fand,
  Was diese wünscheten, wonach Karthago stand,
  Das läßt die Lindenstadt, das schöne Leipzig sehn,
  Welch Pinsel, welcher Kiel kann dessen Ruhm erhöhn?«

Ein ander Gedichtlein von ihr greift die Männer an, meine Freunde, und
liest sich auch recht gut. Hört nur!

  »Ihr Männer, bildet euch nicht ein,
  Als ob Vernunft, Verstand, Gelehrsamkeit und aufgeklärter Sinn
  Sollt' Euer Eigenthum und Erbrecht sein.
  Nein wahrlich, der das Firmament gesetzt,
  Der hat das Weibervolk nicht minder hoch geschätzt,
  Und ihnen auch Verstand und Witz verlieh'n.
  Es soll wie Ihr des hohen Geistes Gaben
  Auch im Besitze haben.
  Drum muß _ihr_ Lorbeerzweig so wie der Eure blühn,
  Zürnt, tobet, lästert, neidet immerhin,
  Ihr werd't es doch nicht hindern können,
  Ihr sollt und müßt denselben doch die Ehre gönnen,
  Drum bildet Euch, Ihr Männer, ja Nichts ein!«

       *       *       *       *       *

Ein heiteres Wortgespräch entspann sich nach diesem Madrigal, worin sich
insbesondere Gottsched selber und die Volkmann hervorthaten. Aber die
Zieglerin gönnte ihrer freundlichen Feindin nicht lange das Vergnügen die
Gesellschaft durch ihren Witz zu belustigen, und unterbrach die Debatte mit
der dringenden Bitte: die theuerste Teuberin, verwitwete Knackrüggin, möge
der Versammlung nun auch einige Proben ihrer herrlichen Kunst ablegen. Die
würdige Matrone ließ sich auch nicht allzulange bitten, obgleich sie zuerst
behauptete, Nichts bei sich zu haben. Der geschwollene Arbeitsbeutel aber
bewies genugsam, daß sie auf den Fall, die »lieben Freunde zu erlustiren
mit den Spielen ihres schwachen Geistes« vorbereitet war, und selbiger
wurde denn auch mit manchem Scherzwort ausgeleert. Es kamen da allerlei
unschuldige Betrachtungen hervor, wie zum Beispiel: »Gedanken bei des
Sohnes erster Predigt,« »beim Gesindemiethen,« »beim Aderlassen,« »bei der
Wäsche,« »Gedichte auf einen Donnerschlag,« »auf den Tod meines Gatten,«
»auf die Tugend der Weiber,« mit welchem Verse sie auch endlich ihre
gewaltig lange Vorlesung zu allgemeiner Zufriedenheit, folgendermaßen
beschloß:

  »Ein Weib, das reinlich ist und jeden Unflath hasset,
  Ein Weib, das sparsam ist und niemals Geld verprasset,
  Ein Weib, das fleißig bleibt, die Kinder wohl regieret,
  Ein Weib, das ihr Gesind' mit Lust zur Arbeit führet,
  Ein Weib, das freundlich ist, lacht leise, redet wenig,
  Ein Weib, dem Mann getreu, doch mehr dem Himmelskönig,
  Ein Weib, das Gott, den Mann und ihre Kinder liebt,
  Verdient ein größ'res Lob, als hier die Feder giebt.«

Es war spät geworden unter all diesem Lesen und Reden, und Christian Felix
Weiße mußte nun sein Schauspiel: »Die Matrone zu Ephesus« ziemlich rasch
lesen, was indessen nicht dazu beitrug das Stück sonderlich zu heben. Dabei
hatte sich die Zieglerin obendrein dicht neben ihn gesetzt und schaute mit
in das Manuscript. Gar häufig unterbrach sie den Lesenden durch allerlei
Ausrufungen und Bemerkungen. Trotzdem sprachen sich Alle zu Gunsten des
Stückes aus, als Weiße endlich zum Schluß gelangt war, und tief aufathmend,
mit glühenden Wangen, sein Manuscript zusammenrollte. Die gekrönte Poetin
aber nahm es ihm ab, las einzelne Stellen mit lauter pathetischer Stimme
noch einmal, strich dann mit einem gewaltigen Bleistift, den sie allezeit
bei sich führte, einige Worte, auch wohl ganze Sätze, schob dafür andere
ein, und äußerte endlich mit vornehmer Herablassung, daß sie selbst sich
bei der Neuberin verwenden werde: das Stück solle und müsse aufgeführt
werden. »Mein herrlicher Freund und Gönner Gottsched steht jetzund mit dem
anmaßenden Weibe nicht sonderlich, sonst würde ich nicht von meiner armen
Fürsprache geredet haben,« sagte sie, »die Theaterdirectorin hat sich, wie
Jedermann weiß, allzu frech benommen gegen den berühmtesten Mann Leipzigs.
Sie wagte es, einem »Cato« Gesetze vorzuschreiben über den Bau und Inhalt
der aufzuführenden Stücke, und sogar schnöde Verspottung mußte unser
Gefeierter von ihr erleben -- --«

»Reden wir nicht davon,« unterbrach sie der Professor der Logik und
Metaphysik mit einem Ausdruck von Verlegenheit und Aerger; »ich liebe das
nicht!«

Während der letzten Verhandlungen und Besprechungen hatte die schöne
Hauswirthin öfters gedankenvoll zu dem jungen Lessing hinübergeblickt, und
zwei blaue und zwei dunkle Augen begegneten sich in mancher stummen
Frage. Je länger und öfter Victoria Adelgunde das Gesicht des Studenten
betrachtete, der nun seine Schöpfung diesem wunderlichen Kreise enthüllen
sollte, je anziehender erschien ihr dasselbe. Es war ihr zu Muth, als sie
diese klare, herrliche Stirn, ein Eiland des Friedens und der Wahrheit,
betrachtete, als könne und dürfe sie sich dorthin flüchten mit ihren Augen
und Gedanken aus diesem, für sie so unerquicklichen, Gewirr und Geschwätz.
-- Ihr eigner Gatte kam ihr so fremd und verwandelt vor in dieser Umgebung,
und vor den Frauen empfand sie mehr als Furcht, die heftigste Abneigung.
Nur zu der kleinen bescheidenen Doctorsfrau fühlte sie sich hingezogen. --
Der Gedanke aber, der junge Lessing solle _hier_ in diesem Kreise lesen,
wurde ihr plötzlich unerträglich, und die Vorstellung, die Zieglerin
werde auch _sein_ Manuscript, wie das des jungen Weiße, mit jenem dicken
Bleistift bearbeiten, trieb ihr das Blut in die Wangen. Je länger sie
darüber nachsann, je unmöglicher erschien es ihr, daß er seine Dichtung
_dieser_ Kritik unterwerfe. Ein seltsames Angstgefühl kam über sie, wenn
sie sich seine weiche Stimme dachte, -- die sie zwar nur einmal vernommen
deren Ton sie aber nicht vergessen, -- wie sie untertauchte in dem
Geschwirr dieser scharfen Frauenstimmen. Sie hörte schon im Geiste wie
sie über ihn herfielen, schon an dem Titel seines Werkes mäkelten, in jede
Scene witzelnd oder tadelnd hineinredeten, um ihn am Ende zu zwingen sich
unter den Schutz der Zieglerin zu stellen, die dann bei der Neuberin für
ihn zu betteln versprechen würde. -- Das sollte, das durfte aber nimmermehr
geschehn! -- Ein wunderlicher Entschluß stand in ihrer Seele auf. Sie
wollte verhindern daß er las, selbst auf die Gefahr hin daß er sie für eine
alberne, launenhafte Frau hielt. Um jeden Preis wollte und mußte sie ihm
zahllose Kränkungen und Nadelstiche ersparen. Aber alle diese Gedanken,
Empfindungen und Vorsätze erregten sie fast fieberisch, und die Farbe
wechselte so jäh auf ihren Wangen daß Gottsched plötzlich in besorgtem Tone
fragte: ob sie sich unpaß befinde. Mit einem schwachen Lächeln schüttelte
sie den Kopf, und beruhigt wandte sich nun der berühmte Gelehrte zu dem
Studenten Lessing und sagte: »so mögt Ihr lesen, junger Freund!«

Da aber erhob sich plötzlich die sonst so schüchterne Hauswirthin und
antwortete statt des Angeredeten mit fester Stimme: »Ich bitte, daß Herr
Lessing _nicht_ lese, -- -- mein Kopf thut mir sehr weh, und der Abendimbiß
verdirbt, da es schon gewaltig spät geworden.« -- Eine glühende Purpurröthe
folgte dieser ersten Lüge, die diese Lippen ausgesprochen. Man blickte
einander theils verwundert, theils spöttisch an. Wie konnte man an solche
Dinge denken, und gar von ihnen reden bei solchen Genüssen?! Wieder ein
Beweis, wie erbarmungswürdig tief doch die Gottschedin stand. -- Die Unzer
und Gellert allein fanden einige Worte des Mitleidens, dann aber schlossen
auch sie sich den Andern an, die näher zusammenrückend sich wiederum in ein
Gespräch über die »Matrone von Ephesus« vertieften. Ephraim Lessing hatte
sich während dessen langsam erhoben und trat jetzt zu der jungen Frau.
Seine Stirn war lebhaft geröthet, eine feine Ader trat in der Mitten
hervor, die Augen blickten finster, und um die vollen Lippen zuckte
Schmerz. Das leicht gepuderte Haar mit einer heftigen Handbewegung zurück
aus den Schläfen streichend, sagte er stolz: »Erlaubt, daß ich nach Hause
gehe -- da mein Bleiben allhier nunmehr seinen Zweck verloren.«

»Geht, wenn Ihr durchaus wollt,« antwortete die leise süße Stimme der
Gottschedin, »ich mag Euch nicht zumuthen länger unter Fremden zu weilen.
Aber Euer Stück müßt Ihr mir zur Aufbewahrung überlassen bis morgen
Abend, wo Ihr vielleicht ein Stündchen Zeit finden werdet, es einer armen
unwissenden Frau, die Euch keine Bleistiftzeichen auf die Blätter zu
kritzeln versteht -- sonder Störung vorzulesen. --«

Sie sah ihn ernst und doch voll milder Freundlichkeit an, als sie diese
Worte sprach, und es flog plötzlich wie ein Lichtstrahl in seine Seele. --
Sein Zorn war verflogen. -- Er begriff und verstand wie gut sie es mit ihm
gemeint, und sein Herz schwoll ihm vor Dank und Freude. --

»Nicht Morgen allein, sondern allezeit bis an mein Lebensende werde ich zu
Euren Diensten sein, Gütigste der Frauen« sagte er fast leidenschaftlich --
reichte ihr das Manuscript hin, küßte ihre Hand und flüsterte: »aber gehen
werde ich doch -- und jetzt erst recht!« verneigte sich stolz vor dem
kleinen Kreise, wechselte noch einige flüchtige Worte mit Gottsched und
ging. --

       *       *       *       *       *

An jenem Abend, der mit einem frugalen Nachtmahl schloß, athmete die
Gottschedin erst erleichtert auf, als der letzte Gast das Zimmer verlassen.
Dann fiel sie ihrem Manne um den Hals und rief: »Thut mit mir was Ihr
wollt, herzliebster Ehegemahl, Ihr dürft es ja auch, denn Euch ist die
Macht gegeben über meinen Leib wie über meine Seele, -- aber versucht nur
nimmermehr eine Zieglerin aus mir zu machen!« -- --

Als am andern Morgen, -- an demselben Abend wagte sie's doch nicht
recht, -- Victoria Adelgunde ihrem Gatten ihre kleine List in Betreff des
Studenten Lessing beichtete und ihn bat, mit ihr zu Gericht zu sitzen
über das Werk ihres Schützlings, lachte der Professor, streichelte ihr die
Wangen und sagte: »Ihr seid allzu mitleidig mit dergleichen Burschen, und
werdet keinen Dank davon haben. Das Stück mag er Euch getrost _allein_
vorlesen, -- ich habe es bereits durchgeblättert und dann -- -- dünkt mich,
wolle sich's nicht recht schicken, wenn ein Professor als Zuhörer vor einem
Studiosen sitze. --«

       *       *       *       *       *

Am nächsten Abend sah es behaglicher aus in der Wohnstube der Gottschedin
als am verflossenen. Es brannte zwar nur eine einfache Kerze, und auf dem
Tische war kein Damasttuch ausgebreitet, sondern das Klöppelkissen
lag darauf und davor saß eine heiter blickende Frau im Hauskleide, das
gepuderte Köpfchen über die zierliche Arbeit der schlanken Finger geneigt.
Gegenüber aber hatte der Student Ephraim Lessing Platz genommen, und las
sein Schauspiel: Der junge Gelehrte. --

Der Vogel im Käfig schlief, der kleine Hund Gottsched's lag am Ofen und
regte sich nicht, nur dann und wann, wenn vielleicht der Leser seine
Stimme ungewöhnlich erhoben, blinzelte er schlaftrunken mit den Augen. Der
Asternstrauß, den gestern kein Mensch recht angeschaut, stand heute mitten
auf dem Tische im Kerzenlicht und glühte und leuchtete wunderbar, und die
Blumen schienen sich zu regen, wie vom Winde geschaukelt. -- Die schönsten
Lichter und Schatten aber spielten auf dem Frauenantlitz dicht vor dem
jugendlichen Lector, der heute so schlecht las wie noch nie in seinem
Leben. Das war ein Blitzen und Gaukeln auf dieser mädchenhaften Stirn, auf
diesen rosigen Wangen, in dem Grübchen am Kinn, auf Hals und Schultern, und
dazu das rasche Spiel der Finger mit den zahllosen Klöppeln. Und wenn gar
die Augen langsam aufblickten und auf den Leser sich richteten, und die
Hände lässig in den Schooß sanken, weil Victoria Adelgunde das Arbeiten
vergaß beim eifrigen Hören, -- dann schien das Manuscript gar zu schwer zu
entziffern, denn der junge Student gerieth aus einem Stocken in's andere.
-- Seine Zuhörerin mußte endlich laut darüber lachen, und wie lieblich
lachte sie, und da konnte er nicht anders als ein Weilchen mitlachen. --
Als das Stück endlich aus war, -- der Poet dankte sich selber im Stillen
zu tausend Malen, daß er's nicht länger denn zu drei Aufzügen gemacht,
geriethen die Beiden unvermerkt so recht in's trauliche Plaudern. Lessing
vertraute vor allen Dingen der jungen Frau sein innigstes Wünschen und
Hoffen: daß nämlich die Theaterdirectorin Caroline Neuberin sich geneigt
finden lassen möchte, dieses sein Lustspiel aufzuführen, und klagte
ihr seine Sorge, daß die so vielfach Bestürmte wohl schwerlich das
Erstlingswerk eines Studenten ohne gewichtige Empfehlung einstudiren
lassen werde. Victoria Adelgunde versuchte ihn hierüber zu trösten, und
sie redeten lange hin und her, auch über die bedauerlichen Zerwürfnisse
zwischen Gottsched und der Neuberin. Der berühmte Mann hatte nämlich die
volle Schale seines Zorns ausgegossen über die einstige Freundin, weil
diese sich geweigert, ein Stück nach seiner Bearbeitung aufführen zu
lassen. Gottsched war, in Folge dieser Weigerung, die Veranlassung gewesen
daß sich eine zweite Truppe, die Schönemann'sche Theatergesellschaft, in
Leipzig niederließ, die dann auch die Truppe der Neuberin bald vertrieb.
Die energische Frau kehrte jedoch nach mancherlei Irrfahrten im Jahre 1744
nach Leipzig zurück, sprengte durch ihre reizenden Schauspielerinnen, die
Lorenz und die Kleefelder, und die ausgezeichneten männlichen Mitglieder
ihrer Gesellschaft, wie z. B. Koch und Heydrich, die Schönemann'sche Bande,
und eine ihrer ersten Thaten war nun, ihren frühern Freund und Gönner, den
Professor der Logik und Metaphysik, Johann Christoph Gottsched, von der
Bühne herab als Zerrbild dem allgemeinen Gelächter Preis zu geben. -- Nun
war an keine Aussöhnung mehr zu denken, so sehr sich auch die Neuberin,
ihre Uebereilung bereuend, gar bald mühte den Schwerbeleidigten wieder gut
zu machen. Gottsched verbot seiner Frau das Theater zu besuchen, und die
ganze Stadt theilte sich in zwei Partheien, die Anhänger der Neuberin und
die Gottsched's. Die Parthei der Theaterdirectorin war jedoch unbestritten
die Stärkste, denn sie hatte, wenn sie wollte, die Lacher auf ihrer Seite.
Victoria Adelgunde hatte sich alle Mühe gegeben, ihren Gatten milder zu
stimmen gegen die verdienstvolle Frau, deren rasches entschlossenes Wesen,
und große Wärme und Lebendigkeit, sie gar mächtig angezogen, -- allein
vergebens. Oft war sie sogar mit dem Vorsatz ausgegangen der Neuberin zu
begegnen, um sie zu bitten, noch einmal dem Gekränkten ein reuevolles
Wort zu sagen, aber seltsamer Weise war es ihr nie gelungen der Ersehnten
habhaft zu werden. Die Neuberin zeigte sich auch selten allein, immer nahm
sie ihre jungen Schauspielerinnen unter ihre Flügel, für deren Wohlergehn
und guten Ruf sie in jeder Art wahrhaft mütterlich sorgte. -- Die
Gottschedin war dann bei ihrem Herannahen allezeit schüchtern zur Seite
getreten und hatte es bei einem verstohlenen Gruß bewenden lassen, statt
sie anzureden. Die Zieglerin ließ es sich dagegen bei jeder Gelegenheit
angelegen sein, den Professor noch mehr gegen die Neuberin aufzubringen,
da ihr die Freundschaft des berühmten Gelehrten mit dieser Frau von allem
Anfang an ein wahrer Dorn im Auge gewesen. --

Von all diesen Dingen redete nun Victoria Adelgunde mit dem jungen
Studenten, -- und die Zeit flog mit solcher Windeseile über ihre beiden
Häupter hinweg, daß die junge Frau erstaunt aufblickte als Gottsched
eintrat und nach dem Nachtessen verlangte.

»Habt Ihr die Zieglerin, die Ihr besuchen wolltet, nicht daheim getroffen?«
fragte sie.

Er lächelte und antwortete: »volle vier Stunden habe ich ihres Umgangs
genossen, von 5 Uhr bis 9 Uhr, und ich freue mich von Herzen, daß der
Studiosus Lessing Euch in dieser Zeit so wohl unterhalten. Er muß aber nun
dafür auch die Abendsuppe mit uns essen!«

Aber Ephraim Lessing dankte. Es war ihm zu Sinn als hätten die Götter
eigenhändig ihn mit Necktar und Ambrosia gespeist, -- wie sollte ihm da
irdische Kost munden? Auch konnte und wollte er sich den Suppenlöffel nicht
in einer gewissen kleinen Hand denken, die ihm nur dazu geschaffen schien,
Lorbeern und Rosen zu vertheilen, oder allenfalls beim Vorlesen mit
schlanken Fingern Spitzen zu klöppeln. -- Er stürzte also nach einigen
wunderlichen Entschuldigungen fort, nachdem ihn Gottsched noch ungewöhnlich
freundlich aufgefordert bisweilen des Abends seiner Frau ein Stündlein zu
vertreiben durch erbauliche Lectüre, dieweil _er_ »leider« mit seinen
alten Freundinnen nicht brechen dürfe, sondern sie nach wie vor besuchen
müsse. --

Während des Nachtessens fragte der berühmte Mann seine schöne
Lebensgefährtin: »was haltet Ihr denn eigentlich von dem jungen Studenten
und seinem Stück? Meint Ihr daß Beide etwas taugen?« --

»Das Stück verdient daß es die Neuberin aufführe,« antwortete sie lebhaft,
»und ich gäbe viel darum wenn ich's zu Wege bringen könnte!«

»Er muß sich an die Zieglerin wenden!«

»Meint Ihr daß _die_ Alles könnte?«

»Ja!«

»Ich meine es aber nicht! Laßt uns das abwarten! -- Und was den Lessing
angeht, so ist mir heute nur Eines klar geworden, daß aus ihm nämlich eben
so wenig ein _Pfarrer_ wird, wie aus mir -- eine Zieglerin!«

       *       *       *       *       *

Seitdem kam der Student Lessing wenigstens drei Mal in der Woche in das
Haus des Professors der Logik und Metaphysik, las der jungen Frau vor, oder
hielt eine Zwiesprache mit ihr über Alles was sein junges Herz bewegte
und seinen Feuergeist beschäftigte. Und es war eine Welt von Fragen und
Zweifeln, Träumen und Gedanken, die in diesem Jünglingskopf auf und nieder
wogte wie die Wellen des Meeres. Da that es denn wohl Noth, daß solch eine
Meerfey am Ufer saß und mit ihrer weißen Hand die wild rauschenden Wasser
glättete, und zuweilen ein Zaubersprüchlein murmelte wenn es gar zu
ungestüm hin und her und auf und nieder wallte. Und doch zögerte sie
zuweilen jenes Wort zu sprechen, denn es dünkte sie gar wunderbar herrlich
diesem Auf- und Abwogen zuzuschauen, und dem Gesang der Sturmgeister zu
lauschen. So seltsam und erhaben klangen die Melodien, daß die Meerfey
darein schaute mit schwimmenden Augen, und ein Entzücken empfand wie noch
nie zuvor. -- Zuweilen war es ihr als müsse es eine Seligkeit sein, sich in
diese brausenden Wellen zu stürzen, sich heben und tragen zu lassen, mit zu
kämpfen und mit zu ringen, wie dies junge Herz, diese mächtige Seele da
vor ihr, -- wie dieser Geist, dessen künftige Größe sie ahnend im Voraus
empfand. -- Die engen Schranken ihrer eignen Gedankenwelt stürzten gar
bald zusammen, in diesem Verkehr mit dem seltsamen jungen Studenten, sie
gewöhnte sich unvermerkt weit und immer weiter auszuschauen, die Augen
thaten ihr Anfangs weh dabei, aber sie hob sie immer und immer wieder, und
lernte allmählich die Fülle des Lichts ertragen, die sie überströmte. --
Sie verlor auch nach und nach ihre mädchenhafte Schüchternheit ihrem
neuen Freunde gegenüber, wagte einen Gedanken auszusprechen, urtheilte,
vertheidigte und unterwarf sich. -- Gottsched erstaunte oft, im
Zusammensein mit seiner Frau überraschende Blitze freiesten Denkens und
Empfindens an ihr wahrzunehmen. Victoria Adelgunde fing sogar, zu seiner
großen Freude, an in Gegenwart anderer Männer, erröthend zwar, und
in reizend weiblicher Weise, aber doch bestimmt und klar ihr _eignen_
Ansichten darzulegen. Ihr Gatte vermochte sein Entzücken darüber kaum zu
bergen, und mit echt männlicher Eitelkeit schrieb er sich allein und seinem
Einfluß diese wunderbare Wandlung zu. Wie hätte er auch ahnen können,
der berühmte Mann, daß in jenen stillen Abendstunden, in denen sich
seine Gattin mit dem »wunderlichen« Studenten aus Kamenz, aus »purer
Gutherzigkeit« ohne Zweifel gewaltig »langweilte«, jene Blüthen getrieben
wurden, deren Duft ihn jetzt berauschte. --

Und der junge Student selber? -- Nun der lag unter einem Blüthenbaum, und
neben ihm saß die Göttin Poesie selber, und streute Blumen auf ihn herab
und flüsterte: »laß dich begraben Träumer!« -- Aber das Grab war nur eine
durchsichtige Blumendecke, -- und darüber hing der blaue Himmel zweier
wunderschönen Frauenaugen. -- --

Dem Ephraim Lessing waren, seit er die Fürstenschule zu Meißen verlassen,
-- allwo schon seine große Selbstständigkeit in seinen Studien und Arbeiten
kein geringers Aegerniß erregt, -- und die Universität zu Leipzig bezogen,
erst wenige Frauen begegnet, mit denen er länger denn fünf Minuten
geredet. -- Als Student der Theologie eingeschrieben, mit nur unbedeutenden
Empfehlungsbriefen versehen, war er in wenigen Häusern und Familien bekannt
geworden. Seine Neigung zu den Wissenschaften, zu den alten Sprachen, der
Mathematik und Dichtkunst, gab ihm hinlängliche Beschäftigung in seinen
Freistunden und bannte ihn in sein Stübchen, er las und schrieb viel, und
beschäftigte sich überhaupt unablässig -- nur nicht mit dem Studium der
Theologie. Die zärtliche Freundschaft, die er mit dem weichen und --
liebenswürdigen Christian Felix Weiße schloß, ließ ihn gar keinen andern
Umgang vermissen. Das sogenannte schöne Geschlecht war ihm daher ziemlich
gleichgültig geblieben, höchstens daß er einmal einem hübschen Mägdlein,
das hinter Rosmarin und Rosen am Fenster hervorlugte, eine Kußhand
zugeworfen, einem frischen Bürgerkinde die Wange gestreichelt, oder unter
dem Fenster einer niedlichen Schauspielerin einige Male zerstreut auf und
nieder gegangen war. -- Jetzt befand er sich aber zum ersten Mal in einem
zwanglosen Verkehr mit einer Frau der höhern Stände, und zwar mit einer
eben so schönen als fein gebildeten Frau, die bei all ihrer, von ihm sehr
bald erkannten, geistigen hohen Bedeutsamkeit, doch ihren höchsten Ruhm
nur darin zu suchen schien, eine tüchtige Hausfrau und zärtliche Gattin zu
sein.

Der Zauber ihres ganzen Wesens umspann ihn wie mit einem goldenen Netze,
und jener eine Abend hatte ihn plötzlich in eine Sphäre getragen in der er
noch nie geathmet, in der zu leben ihm aber wunderbar süß däuchte. Es war
ihm zu Muthe wie einem Falter, der nach langem Umherflattern, zum ersten
Mal, einer kaum erblühten Rose in den Schooß taumelt. -- --

Gotthold Ephraim Lessing war in kurzer Zeit ein täglicher Gast geworden im
Gottsched'schen Hause und Gottsched selber fand Gefallen an dem Jüngling,
ließ sich wohl auch zu Zeiten herab längere philosophische Gespräche mit
ihm zu führen, wunderte sich im Stillen über den Feuergeist, schüttelte
aber dennoch den Kopf über die »freigeisterischen Gedanken« des jungen
Burschen. Was nun Lessing's wiederholte dichterische Versuche betraf, so
schenkte er diesen wenig oder gar keine Aufmerksamkeit, und verwies ihn
mit dergleichen »Kinderspielen« an seine Frau, indem er dieser jedoch
wiederholt versicherte, daß in dem Felix Weiße ein ungleich größerer
Dichter stecke denn in dem Studenten aus Kamenz. --

Mittlerweile aber erblühten unter dem Sonnenschein der schönen Augen
Victoria Adelgunden's langsam und farbenfrisch die _Anakreontischen_
Gedichte Lessing's, und zu ihren Füßen legte er diese reizenden Blumen
nieder. --

Da geschah es aber eines Tages daß die junge Frau ihren Schützling bat ihr
ein wenig im Latein fortzuhelfen, das sie bereits bei ihrem Vater in Danzig
begonnen, -- -- die Anakreontischen Gedichte hatten sie plötzlich in eine
seltsame Unruhe gebracht. -- Mit großem Eifer erbot sich der junge Dichter
zu dieser anmuthigen Arbeit, und dieser Eifer verdoppelte sich als Victoria
Adelgunde den schüchternen Wunsch aussprach, diese Lehrstunden einstweilen
vor Jedermann geheim zu halten. »Mein eigner Gatte soll nicht eher ein Wort
von diesem Unterricht erfahren als bis ich meinem geduldigen Lehrmeister
Ehre bringe« sagte sie lieblich lächelnd. --

Die Vorlesungen hörten also nun auf und ernste Lehrstunden nahmen ihren
Anfang, die junge Frau athmete erleichtert -- sie wußte aber doch nicht
recht was sich ihr so schwer auf das Herz gelegt. -- Es war ein anmuthiges
Bild diesen Lehrer und diese Lernende einander gegenüber zu sehen. Er,
dessen Kopf mit der Imperatorstirn und den Feueraugen einen mächtigen
Eindruck auf Jedweden machen mußte, der ihn mit Aufmerksamkeit betrachtete,
sprach möglichst ruhig im belehrenden Ton, aber mit einem reizenden
Schimmer von Glück um den Mund, zu jener Frau die bald schreibend, bald
lesend, bald unter mädchenhaftem Erröthen irgend eine Frage beantwortend,
sich nun seine Schülerin nannte. --

Victoria Adelgunde war ungewöhnlich lieblich. Ihre Züge waren so fein,
ihre Gestalt von vollendeten Formen, ihr Lächeln bezaubernd, ihre Farben
rosenfrisch und ihre Augen von wunderbarem Glanz und Ausdruck. --
Armer Falter! -- -- Die junge Frau machte aber auch erstaunenswerthe
Fortschritte, und nach kaum einem halben Jahre fing sie bei ihrem
jugendlichen Lehrmeister das Griechische an, das sie ebenfalls mit großer
Leichtigkeit faßte. Sie äußerte wiederholt ihre Freude bei dem Gedanken,
ihren Gatten eines Tages mit dieser neuerworbenen Wissensfülle zu
überraschen, ihn die Ode der Zieglerin vergessen zu machen, und lernte in
dieser Hoffnung mit immer regerem Eifer, nur zu tausend Malen die Kürze der
Zeit beklagend. -- Da war es denn Ephraim Lessing selber der einstmals den
Vorschlag machte, seine Schülerin möge, um die Zeit außer den festgesetzten
Lehrstunden möglichst zu nutzen, lateinische Uebungsbriefe an ihn richten,
die er dann am andern Tage wohlcorrigirt und mit allerlei belehrenden
Randglossen versehn, ihr wieder einzuhändigen versprach. -- Victoria
Adelgunde ging nach kurzem Zögern auch wirklich auf jenen nützlichen
Vorschlag ein, und so nahm denn an jedem Abend der junge Student ein
zierlich beschriebenes, und wohl adressirtes Blättchen mit heim, und
legte es in der nächsten Lehrstunde, mit verschiedenen rothen Strichen und
Bemerkungen versehn, der schönen Frau wieder vor. -- Allmählich wurden der
Striche weniger, aber der Blättchen mehr, -- -- und zuletzt gewöhnte sich
Victoria Adelgunde daran, ein ausführliches Tage- und Gedankenbuch in
lateinischer Sprache zu führen, das immer in die Hände ihres jungen
Lehrmeisters wanderte, und -- -- immer _seltener_ in die ihren zurückkam.
-- Es mochten vielleicht der Fehler zu wenige darinnen sein, -- oder
der junge Student litt an Vergeßlichkeit und hatte versäumt jene Blätter
einzustecken, -- genug, die Briefe blieben bei ihm, aber ihr Inhalt wurde
um so eifriger besprochen in den Lehrstunden, so eifrig, daß die junge Frau
über all dem Hin- und Widerreden vergaß die Blätter zurückzufordern. --

In jedem Menschenleben giebt es eine Zeit, -- oft ist's nur eine Stunde,
-- oft ein Tag -- ein Monat -- wo das Herz jene leidenschaftliche Bitte
Josua's nachstammelt: »o Sonne stehe still!« -- Aber sie steht nicht still
bei unserm Ruf sie eilt unaufhaltsam weiter -- -- und wenn wir im tiefsten
Herzen dies Gebet kaum ausgesprochen -- -- -- dann ist schon Mittag vorüber
und -- -- es will Abend werden. --

Als die zweite Hälfte des Jahres zu Ende gegangen und der Herbst schon
dem Winter Platz zu machen sich anschickte, da sann die Gottschedin allen
Ernstes darüber nach, welche Freude sie wohl ihrem Lehrmeister bereiten
könne zum heiligen Weihnachtsfeste. Und sie sann so viel, daß sie bisweilen
in den Lehrstunden gar sehr zerstreut erschien, und somit den jungen
Dichter oft genug aus der Fassung brachte. -- Noch mehr als ihr verändertes
Wesen beunruhigte ihn jedoch ihre Bitte, ihr einmal seinen Freund und
Stubengenossen, Felix Weiße, herzusenden, und so zärtlich Lessing jenen
treuen Gefährten liebte, so durchzuckte ihn doch ein bis zur Stunde nie
gekanntes Gefühl des Neides und der Eifersucht, als er den Jüngling bald
_allein_ zu seiner Schülerin gehen sah. -- Seit jenem Besuche Weiße's
schien auch die Zerstreutheit seiner Schülerin sichtlich zuzunehmen,
das glaubte wenigstens Lessing zu bemerken, und gerieth deshalb in nicht
geringe Aufregung. In den lateinischen Uebungsblättern fanden sich bald
Lücken vor, der Ton wurde unruhiger, die Gedanken springender. Kein Zweifel
mehr: sie hatte ein Geheimniß vor ihm, -- und Felix Weiße wußte um dies
Geheimniß. -- In der Woche vor dem Feste bat ihn Victoria Adelgunde sogar
plötzlich, die Lehrstunden in den Nachmittag zu verlegen, da sie von nun an
des Abends mit Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt sei. -- Mit bedrücktem
Herzen erfüllte er ihren Wunsch, -- aber am Abend mußte er doch das Haus
umstreifen, zu gewohnter Stunde, wie ein abgeschiedener Geist, der Sage
nach, die Stätte seines einstigen Glücks umschwebt. -- Und was geschah ihm
da? -- Allabendlich, um die siebente Stunde, öffnete sich nun -- und das
dauerte eine Woche lang -- die Hausthür des Professor Gottsched, -- und
heraus trat, Ephraim Lessing glaubte zu träumen, seine Schülerin selbst,
gestützt auf den Arm Weiße's, eine Magd mit einer Laterne leuchtete dem
Paare voraus. Daß sie es war, wirklich und wahrhaftig, wer hätte daran
zweifeln können, -- keine Frau der ganzen Stadt hatte diese kleinen Füße,
diese weichen reizenden Bewegungen, diesen schwebenden Gang. -- Die Drei
schlüpften allezeit sehr eilig im Schatten der Häuser dahin, über den
Markt, die Hainstraße hinunter. Vor dem Gasthof zur Taube machte man Halt
-- pochte an die Thür, die sich dann sofort öffnete und das Kleeblatt
einließ. -- Lessing blieb zum ersten Mal wie versteinert stehn. -- Allda
wohnte ja die Neuberin! -- Was konnte die Ehefrau Gottsched's zu seiner
Feindin führen? -- Und noch dazu in Begleitung Weiße's, dessen Stück die
Zieglerin bei der Theaterdirectorin nicht hatte anbringen können?! --
Wollte seine Schülerin etwa ein gutes Wort einlegen für die »Matrone
zu Ephesus?« Warum hätte sie da nicht eben so gut sich für den »jungen
Gelehrten« verwenden können, den bittend zu der Neuberin zu bringen der
Dichter selber zu stolz gewesen, und der somit ruhig daheim im Pulte
schlummerte. -- Wunderliche Gedanken und Empfindungen bewegten den
Wartenden, der kaum merkte, daß er wohl zwei Stunden draußen stand in
grimmer Winterkälte. -- Er verspürte damals eine ganz absonderliche Lust,
irgend einen Jemand aus der Welt zu schaffen, aber er war noch nicht mit
sich einig, ob den Weiße, die Gottschedin oder -- die leuchtende Magd.
Dabei wunderte er sich über die ausnehmend heiße Witterung, die ihm den
Schweiß auf die Stirne trieb, -- und nahm zuweilen eine Hand voll Schnee,
um sich zu kühlen. -- Als das Kleeblatt endlich wieder erschien, besann er
sich jedoch so lange, auf wen er losstürzen solle, bis die Gottschedin mit
ihrer Dienerin in ihrem Hause verschwunden, und ihr junger Begleiter
sich mit einem äußerst devoten Kratzfuß von ihr verabschiedet. -- Wie ein
Balsamtropfen fiel aber ihr gleichgültiges: »Gute Nacht, werthester Herr
Studiosus -- auf Morgen denn --« um dieselbe Zeit in die erregte Seele des
Lauschers, und er gewann es in Folge dessen über sich, ruhig nach Hause zu
wandern, sich schlafen zu legen wie ein gewöhnlicher Mensch, um wieder --
von seiner Schülerin zu träumen wie -- er allezeit wachend und schlafend
von ihr träumte.

Am nächsten Tage schaute er sie aber doch zuweilen seltsam forschend an,
als er ihr wieder als ernster Lehrmeister gegenüber saß, -- und wenn sie
auch ihre Aufgabe ohne Stocken herzusagen wußte, und einen Akt aus den
Trauerspielen des Aeschylos fließend übersetzte, so riefen diese Blicke
doch ein Erröthen hervor auf ihren Wangen, und ihre Hand zitterte ein
Wenig, als sie ihm die lateinischen Tageblätter gab. -- --

»O Sonne stehe still!« -- --

Es hatten sich aber mittlerweile gar böse Augen auf das junge Paar
gerichtet, das da alltäglich bei einander war, und jene schlimmen Zungen
begannen allmählich zu zischeln, von denen es in jenem alten Volksliede
heißt:

  »Die Disteln und die Dornen die stechen gar zu sehr,
  Die falschen, falschen Zungen stechen _noch viel_ mehr!«

Solche Zungen waren es nun, die ungehindert allerlei Uebles redeten von der
Gottschedin und dem jungen Studenten. Wie durften auch eine schöne Frau und
ein geistvoller feuriger Mann _ungestraft_ mit einander verkehren?
Solcher Verkehr allein war schon eine himmelschreiende Sünde wider --
jene häßlichen Schwestern, mit denen eben _kein_ junger geistvoller Mann
verkehrte. -- Und der arglose Professor der Logik und Metaphysik, Johann
Christoph Gottsched, erfuhr bald genug von den dünnen Lippen seiner
Freundin Marianne Zieglerin, gebotene Romanus, eines Tages gar arge Dinge,
-- so arg, daß er urplötzlich auffuhr wie von einer Tarantel gestochen, und
nach Hut und Stock griff, um spornstreichs nach Hause zu laufen, und zur
Stelle die Wahrheit zu erforschen aus dem Munde der geliebten Treulosen
selber. -- Solches geschah am 22. December in der sechsten Stunde. Es war
Licht in dem Stübchen der Frau Victoria Adelgunde, -- -- Gottsched schlich
leise in's Haus und trat an die Thür der Wohnstube. Mit zitternder Hand
schob er die Gardine vor dem kleinen runden Fensterchen in der Thür zurück
und schaute in's Zimmer. Da sah er denn die Beiden sitzen, die Lehrstunde
sollte just geschlossen werden. Seine Frau las noch mit lauter Stimme. --
Es war aber Latein, was sie las, -- es waren Verse, -- es war wahrhaftig
eine Ode! -- Und in welchem reinen Latein, -- und wie correct las sie.
Und die Ode, -- -- es schwindelte ihm, war an _ihn_ gerichtet, er hörte
deutlich seinen Namen. Sollte Victoria Adelgunde dies classische Gedicht
selbst verfaßt haben?! -- -- Unmöglich, der Gedanke wäre gar zu schön! --
Da verstummte die Leserin und er hörte nun den Studiosus Lessing sagen:
»Fürtrefflich, hochgeehrteste Frau Professorin, es ist kein einziger Fehler
in Eurem Gedicht!« --

Da riß der freudetrunkene Professor der Logik und Metaphysik die Thüre auf,
stürzte mit dem Rufe: »habt Ihr wirklich diese lateinischen Verse gemacht?«
auf die Erschrockene los und riß sie in die Arme. Und als sie halb unbewußt
leise nickte, sagte er tief aufathmend mit ungewöhnlicher Hast: »Ich weiß
zwar jetzt auch, daß ich Euch Nichts zu verzeihn, und daß die Zieglerin
eine elende Lügnerin, aber ich gestehe Euch auch, daß ich um einer
_selbstgefertigten_ reinen _lateinischen_ Ode Euch ganz gewaltig viel
verziehn. O Victoria Adelgunde, ein schöneres Weihnachtsgeschenk hättet Ihr
mir nimmer machen können! -- Euch aber, mein werthester Herr Lessing, danke
ich zu tausend Malen, und werde Euch -- hier habt Ihr meine Hand darauf
-- als Lehrmeister überall empfehlen, -- nur _eine_ Schülerin muß ich Euch
abnehmen, alldieweil ich sie nun gern selber weiter bringen möchte, und das
ist diese hier, -- meine geliebteste Ehefrau.« --

Und wieder zog er sie zärtlich an sich.

Sie aber entwand sich ihm und sagte, ihren jungen Lehrmeister seltsam
traurig anblickend: »da mein Gatte sein Weihnachtsgeschenk, meine arme
Ode so früh empfangen, so mag ich auch Eure Christgabe nicht länger
zurückhalten. Nehmt sie denn hiermit, -- 's ist ein schwacher Dank für die
Mühe, so Ihr mit mir gehabt!« -- Und sie zog aus ihrer Kleidertasche einen
gedruckten Zettel, worauf zu lesen stand:

  »Am zweiten Christtage wird allhier folgendes Stück aufgeführt werden,
  mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung:

    »_Der junge Gelehrte._«

  Lustspiel in drei Aufzügen von Gotthold Ephraim Lessing. Folgende
  Personen werden darin vorkommen:

  Chrysander, ein alter Kaufmann                    Heinrich Koch.
  Damis, der junge Gelehrte, Chrysander's Sohn      Karl Heydrich.
  Valer                                             Johann Neuber.
  Juliane                                           Mamsell Lorenz.
  Anton, Bedienter des Damis                        Fritz Huber.
  Lisette                                           Mamsell Kleefelder.

    u. s. w.«

Der junge Dichter aber -- den Zettel in der Hand -- stand da wie ein
beschenktes Kind und staunte die schöne Geberin an wie im Traume, -- dann
wieder die gedruckten Worte, -- und hat in seinem Leben kein so seliges
Christfest wieder gefeiert denn damals in dem Stübchen der Gottschedin am
22. December Anno 1746. --

Als aber später die Gatten wieder allein waren, und Victoria Adelgunde nach
dem Grunde der so überraschenden Rückkehr Gottsched's fragte, -- wagte er
doch, ihren ernsten reinen Augen gegenüber, nicht die volle Wahrheit zu
gestehn. Es war nur eine halbe Beichte, die er ihr da stammelte. Sie
hatte jedoch mit dem feinen Gefühl der Frau Alles errathen, -- und fühlte
plötzlich einen scharfen Schmerz durch ihr Herz gehn. -- »Meine Lehrstunden
werden mit diesem Tage für immer enden,« sagte sie nach einer Pause ruhig,
aber mit einem tiefen Seufzer, »dafür bitte ich Euch aber mir zu erlauben
am zweiten Weihnachtstage das Theater der Neuberin zu besuchen. Ich gestehe
Euch hiermit, daß _ich selbst_ diese Frau überredet, das Stück Lessing's
aufzuführen, -- aber auch die »Matrone zu Ephesus« des jungen Weiße soll
Anfang Januar einstudirt werden, nachdem die Zieglerin sich vergeblich bei
der Theaterdirectorin dafür verwendet. Ich denke, die Verzeihung für diesen
Schritt und die Gewährung meiner Bitte sei eine geringe Belohnung für eine
lateinische _Ode_ und eine gelinde Strafe für Euch für das, was Ihr von
mir, Eurer Ehefrau, geglaubt!« -- --

Und am zweiten Weihnachtstage wurde der »junge Gelehrte« wirklich
aufgeführt, unter großem Beifall der Zuhörer. Die Schauspieler thaten ihr
Bestes, und die versammelte heitere Menge schaute oft neugierig auf den
Platz, den der Professor Gellert eingenommen. Hinter ihm saßen nämlich
zwei Studenten, und man bezeichnete den Einen von ihnen als den Dichter des
Stückes, mit der Bemerkung, »der da, mit den großen Augen und fliegenden
Haaren, der ist's!«

Ephraim Lessing aber war in einer wunderbar gehobenen Stimmung. Er sah
seiner Seele höchsten Wunsch erfüllt, -- er sah seine Dichtung lebendig vor
Augen, der Beifall der Hörer klang wie Musik in sein Ohr -- es war ihm als
lebe er ein Märchen. Und in seinem Herzen fühlte er sich so froh und
leicht wie noch nie. Der Schleier, der noch vor Kurzem die Holdeste aller
Frauengestalten umhüllt, lag nun zerrissen zu seine Füßen, in ungetrübtem
Glanze lächelte Victoria Adelgunden's Bild zu ihm hernieder. -- Die
Erzählungen seines Freundes Weiße, von dessen Lippen jetzt der Bann des
Schweigens genommen, hatten alle seine bangen Zweifel zerstreut. Welch
reizende Lösung jenes Räthsels, das den jungen Dichter so sehr bedrückt.
Durch Christian Felix allein hatte sich ja die Gottschedin das Manuskript
des »jungen Gelehrten« verschafft, -- und er war ihr Begleiter gewesen
zur Neuberin, in derem Hause man die ersten Proben in Gegenwart der holden
Schützerin Lessing's abgehalten. --

Ueber alle diese entzückenden Dinge sann der Dichter wieder und wieder
nach, während auf der Bühne _seine_ Worte geredet wurden und die Gestalten
_seiner_ Schöpfungen sich vor seinen leiblichen Augen auf und ab bewegten.
-- Und als endlich der Vorhang fiel und die Zuhörer jubelten, da flog
ein Lorbeerkranz auf die Bühne. -- Wessen Hand hatte ihn wohl dem jungen
Dichter gewunden? --

Am nächsten Tage aber nahm Victoria Adelgunde einen feierlichen Abschied
von ihrem Vorleser und Lehrmeister und bat ihn ferner nur in Gesellschaft
seines Freundes, nimmer wieder allein, und an fest bestimmten Abenden zu
ihr zu kommen. Was sie ihm dann noch erzählt -- was sie zu ihm gesprochen
-- was er ihr erwidert -- Niemand weiß es, -- aber die Beiden schieden in
tiefster Erschütterung von einander und sahen sich fortan selten und immer
seltner. -- Und wie viele Späheraugen die schöne Frau und den Jüngling
auch fort und fort beobachteten wenn man sie mit einander in Gesellschaften
unter Andern sah, Niemand konnte in Haltung und Wesen der Beiden gegen
einander auch die kleinste Ungehörigkeit entdecken. Denn das leise Zittern,
das wohl auf einen Augenblick die Gestalt der liebenswürdigen Gefährtin
Gottsched's durchflog wenn der junge Dichter eintrat, -- fühlte zum Glück
nur _sie_ allein, und das verrätherische Beben _seiner_ Stimme, wenn er mit
_ihr_ redete, vernahm Niemand denn _sie_ allein. Aber Beide erkannten aus
diesen Zeichen doch daß sie -- an einem Abgrund gespielt, wie Kinder, die
Gefahr nicht ahnend, -- und daß die Hand, die sie zurückgezogen, die Hand
eines Mannes war, den Beide verehrten. -- -- Den Studenten Lessing jedoch
litt es nicht mehr lange in Leipzig -- -- _was_ ihn forttrieb hat wohl
Niemand je erfahren.

Victoria Adelgunde aber schloß sich inniger an ihren Mann an, der nun
auch nicht ermüdete ihr öffentlich wie unter vier Augen die Beweise einer
zärtlichen und anbetenden Liebe zu geben. Es war als fühle er, daß er ihr
Etwas zu ersetzen habe, und sie fühlte wiederum daß sie ihm Dank schulde.
Wofür -- wagte sie sich kaum zu gestehn. -- Großes Aufsehn machte aber
das Zurückziehn des berühmten Gelehrten von seinen Freundinnen. Gottsched
besuchte plötzlich jene »himmlischen« Kreise nicht mehr, und brach allen
Verkehr mit den Musen Leipzig's ab. Dagegen öffnete er nun sein Haus
jedem jungen strebsamen Talent, und wandte sich jetzt mehr denn je der
studirenden Jugend zu, was ihm viele dankbare Herzen erwarb, obgleich er
nicht, wie der liebenswürdige Gellert, jenes mild ernste und doch warme
Wesen zeigte, das die Jugend so unwiderstehlich anzieht und fesselt. --
Victoria Adelgunde nun, fand den leitenden Faden aus dem Labyrinth ihrer
aufgeregten Gedanken und Gefühle zunächst in der _Arbeit_, die schon
Manchen davor bewahrt Schaden zu nehmen an Leib und Seele. Sie hörte alle
Privat-Vorlesungen ihres Gatten über Philosophie, Poesie und Rhetorik, an
der verschlossenen Thüre ihres Schlafzimmers sitzend an, -- sie übersetzte
aus dem Englischen und Französischen, sie wurde dem Gelehrten eine treue
umsichtige Helferin bei all seinen ernsten Arbeiten, sammelte, sichtete,
und stellte für ihn die verschiedenen Stoffe zusammen, überraschte ihn auch
zu seinem Geburtstag, oder zum Christfest, regelmäßig mit einem kleinen
Drama, wie z. B. »Die ungleiche Heirath,« »Die Hausfranzösin,« »Der
Witzling« u. A. m. -- Nur das Lateinische und Griechische hatte sie,
seltsamer Weise, bei Seite geschoben und begraben, trotz aller leisen
Mahnungen ihres Gatten. -- Ihr Hauswesen dagegen hielt sie nach wie vor in
musterhafter Ordnung, sah fleißig in Küche und Keller nach und zeigte eine
ungleich lebhaftere Freude wenn ihr Gatte ein von ihr selbst verfertigtes
_Gericht_ denn ein _Gedicht_ lobte, und alle ihre Freunde wußten daß sie
lieber über ihre Spitzen Bewundrung einerntete als über ihre Feder. --

Noch in ihren letzten schmerzensvollen Lebenstagen sagte sie lächelnd zu
Gottsched: »Gottlob daß ich mein Bischen Latein und Griechisch jetzt völlig
vergessen, nun darf ich doch sterben wie ich gelebt: eine _ungelehrte_
Frau!« --

Auf ihrem Schreibtisch fanden sich nach ihrem Tode -- den 26. Juni 1762 --
folgende rührende Verse:

  »Mein Gottsched -- Du allein
  Und daß Du mich geliebt das soll mein Lorbeer sein!
  Daß Du mich hochgeehrt, daß Du mich unterwiesen,
  Das wird der Nachwelt noch durch manches Blatt gepriesen.
  Wer _solchen_ Meister hat, da stirbt der Schüler nicht.
  So leb ich denn durch Dich -- wie könnt' ich schöner leben?
  Dein Ansehn wird mir schon Lob, Ruhm und Ehre geben.«

       *       *       *       *       *

Eine Sammlung ihrer bewunderungswürdigen Briefe gab eine ihrer Freundinnen,
Frau von Runkel, in drei Bänden heraus. In diesen Blättern hat sich die
geistvolle warmfühlende Frau das schönste Denkmal gesetzt, und sonnenklar
bewiesen, daß nicht _jede_ Frau, die einmal die Feder zu andern Dingen
in die Hand nimmt als um Tagesausgaben oder Waschzettel zu schreiben,
dintengeschwärzte Finger, und nachlässige Kleidung zur Schau tragen, und
eine schlechte Hausfrau _sein muß_. Es sind reizende Briefe, das Abbild
einer wahrhaft schönen Frauenseele, -- der zu ihrer vollen Befriedigung
vielleicht nur _Eines_ fehlte: -- das selige Gefühl Mutter zu sein. --
Die _lateinischen_ Uebungsbriefe, die Victoria Adelgunde an ihren jungen
Lehrmeister schrieb, sind aber _nicht_ unter jenen gesammelten Blättern.
Die hat der Lessing so wie jenen Lorbeerkranz, den _ihre_ Hand damals für
den jungen Dichter auf der ersten Stufe des Ruhmestempels niederlegte, --
und _so gut_ verwahrt, daß nur _ein_ Augenpaar sie erblickt: nämlich das
der Erzählerin

  Elise Polko.




Elisabeth.

(1859.)


Kein Dorfgeschichtenschreiber hätte eine hübschere Lage für die Heimath
seiner Lieblingsgestalten erfinden können als die Lage der beiden Dörfer
M. und N. Die niedern Häuser mit den rothen Dächern standen in dem Schatten
von Obstbäumen, im Vordergrunde breiteten sich fette Wiesen und Kornfelder
aus, im Hintergrunde zeigte sich ein frischer Laubwald, dem die dunkleren
Parthien, kleine Tannengruppen, auch nicht fehlten, und den Horizont
begrenzte jene malerische Bergreihe, die sich längs dem Rheinufer zwischen
St. Goar und Bingen hinzieht. Jedes Dorf hatte einen schlanken Kirchthurm,
auf dem einen schimmerte ein Kreuzlein, auf dem andern blitzte ein
Wetterhahn. Die Kirchthüre in N. stand allezeit weit offen und trug die
Inschrift: »Kommt her zu mir Alle, die ihr müheselig seid und beladen --
ich will euch erquicken.« Ueber der Kirchthüre des andern Dorfes stand
keine Inschrift, und der alte Küster, der zugleich Schullehrer war, schloß
sie nur des Sonntags auf, oder zu Trauungen und Kindtaufen. In jener
offenen Kirche waren buntgemalte Fenster, die einen warmen lieblichen
Schein warfen auf die dunkelbraunen geschnitzten Betstühle und die Steine
des Bodens; auf dem sinnig geschmückten Altar standen im Sommer frische
Blumen, in silbernen Gefäßen, um das Crucifix, und brennende Kerzen, und
inmitten der Kirche hatte man eine lebensgroße heilige Mutter aufgestellt,
mit dem Jesuskind im Arme, in einem blauen Mantel, dessen Saum mit
silbernen Sternen gestickt war. Die ewige Ampel schimmerte sanft, und graue
Weihrauchwolken zitterten wie Nebelschleier durch den geweihten Raum. Kühl
und würzig war die Luft in dem Kirchlein, denn die liebe Sonne kam durch
die weit offene Thür mit den frommen Betern zugleich herein.

In der viel größeren Sonntagskirche waren die Wände recht hübsch weiß
getüncht. Den Mittelraum füllten lange Reihen von braunen Holzbänken,
mit braunen Holzwänden davor, die einen vorspringenden Rand hatten um die
Gesangbücher darauf zu legen. An diesen Holzwänden, sowie an der Rücklehne
der Bänke, waren viele grüne, rothe und blaue Schilder angebracht, worauf
mit Goldschrift verschiedene Namen standen. Auf solche Schildplätze durfte
sich Sonntags kein anderes Menschenkind setzen als jenes, so den Namen
trug der darauf zu lesen war. -- Der Altar hatte eine verblichene grüne
Tuchdecke auf der die Bibel lag, zwischen zwei Leuchtern deren Kerzen
niemals brannten. An der Wand hinter dem Altar war ein großes Bild
eingefügt, Gott der Herr, strenges Gericht haltend über die Guten und die
Bösen, und die Schafe sondernd von den Böcken. Der unbekannte Maler hatte
am Ende des Bildes, mit bedeutendem Farbenaufwand, den leibhaftigen Bösen
mit Hörnern, Ofengabel und ellenlangem Schwanz dargestellt, wie er eben
mit frohem Grinsen seines feuerspeienden Rachens einige verstoßene Seelen
aufspießt. Diese höllische Fratze hatte schon manche fromme Beterin in
ihrer Andacht gestört, und sogar manche zu frühe Entbindung veranlaßt. --
Die hohen trüben Fenster waren theilweise verhangen mit grauleinenem Zeuge,
damit die andächtige Gemeinde nicht von den zudringlichen Sonnenstrahlen
verhindert wurde den Herrn Pfarrer auf der Kanzel zu sehen.

Mit einem Worte -- das eine Dorf war katholisch, das andere protestantisch,
und das hätte man schon allein den Pfarrhäusern anmerken können. In dem
protestantischen Pfarrhause in M. standen allezeit die Hausthür und die
Hinterthür, die in den Hof und in den Garten führte, gegen einander offen,
was einen argen Zug gab, in dem aber verschiedene muntere Knaben und
Mägdlein aufwuchsen. Der hübsche Garten, in dem viel Gemüse gedieh, hing
die ganze Woche voll Kinderwäsche, bunte Gardinen verhüllten die Fenster,
und an den Sonnabenden pflegte der Herr Pastor, bei leidlich gutem Wetter,
immer seine Predigt auf dem Spazierwege oder in der Fliederlaube zu
memoriren, weil das ganze Haus sodann unter Wasser stand. --

Des andern Pfarrhauses breite dunkelgrüne Thür war immer wohl verschlossen,
wer Einlaß begehrte, mußte an ein Seitenpförtchen klopfen, das man im
grünen Weinlaube kaum sah. Blendend weiße Gardinen bauschten sich an den
hellen Scheiben, sanft singende Vögel hingen in zierlichen Käfigen vor den
Fenstern. Im Gärtchen, das so niedlich aussah, daß man es hätte gleich in
einem Salon als Zierrath aufstellen mögen, blühten die schönsten Blumen in
jeder Jahreszeit, der wohleingerichtete Küchengarten lag versteckt hinter
üppigem Strauchwerk, in dem Hof und Hühnerstall sich umzusehen, war
eine Lust, und das Taubenhaus sah einem hübschen Pavillon gleich. -- Die
freundliche alte Schwester des Pfarrherrn trug zwar nur Kattunkleider und
weiße, eng anschließende Hauben, sie sah aber doch allezeit aus, wie die
Leute im Dorfe meinten, wie eine »Weihnachtspuppe.«

Daß sich »die Herrn Collegen« von M. und N. niemals anders als mit einem
sehr steifen Kopfnicken grüßten, und die Frau Pastorin und die »alte
Mamsell« gar nicht, verstand sich von selbst. Die M'sche Pfarre war
ausgezeichnet, aber der »Herr Pastor« sagte oft zu seiner Frau, daß er mit
der Hälfte der Einnahmen zufrieden sein würde, wenn er die Katholiken nicht
zu Nachbarn hätte. -- Er war sonst, wenigstens nach seiner eignen Meinung,
äußerst »tolerant,« nur gegen die »Katholiken« und gegen »Juden« spürte er
eine kleine Abneigung, ähnlich jener, die er empfand, wenn ihm seine Frau
einmal gelbe Rüben auf den Tisch brachte. -- Wäre N. zehn Meilen von M.
belegen gewesen, keinen katholikenfreundlicheren Mann hätte man sich denken
können als den Pastor Müller. So aber kaufte man im Pfarrhause zu M.
keiner Bäuerin aus N. etwas ab, auf strengen Befehl des Hausherrn, was der
Pastorin oft schwer genug wurde, und jeder kleine Liebeshandel zwischen
einem M'schen und N'schen Pfarrkinde wurde um so strenger vom Pastor
getilgt, als der katholische Pfarrherr gegen dergleichen »Verirrungen,« wie
er diese Verhältnisse mit seinem feinen Lächeln zu nennen pflegte, ziemlich
nachsichtig war.

Der Herr Pastor richtete sogar seine Spaziergänge nie nach der Seite
von N., weil er es nicht ertragen konnte, an Marienbildern, Kreuzen und
Heiligen vorbei zu passiren. Sein steter Kummer war, daß die Post, die
damals von Köln nach Frankfurt ging, zuerst durch N. kommen und anhalten
mußte, während der Pfarrherr von N. ohne Neid es geschehen ließ, daß der
Schwager auf dem Rückwege seine Pferde in M. fütterte. Weder gemeinsames
Glück, nämlich reiche Ernten, noch gemeinsames Unglück, Mißwachs oder
Hagelschaden, noch die alles gleichmachende Zeit vermochten hier die
Verhältnisse zu ändern, und bewahrte man auch nach Außen hin einen gewissen
Schein von Verträglichkeit, predigte man auch von den Kanzeln gewissenhaft
das »liebet eure Feinde,« so hatte wenigstens der Herr Pastor seine
»grillenhaften Stunden,« in denen er darüber nachsann, warum wohl der
Herr nur in »grauen Zeiten« Schwefel und Pech vom Himmel regnen ließ --
natürlich auf jene, die es verdienten! --

Als der Herr Pastor älter und in Folge des ewigen Zuges und vielen
Scheuerns gar sehr von der Gicht geplagt wurde, bewilligte man ihm auf
seine Bitte einen jungen Helfer, den er zu sich in's Haus nahm.
Gottfried Berger, ein Theologe wie ihn empfindsame Seelen malen, nämlich
»Johannesartig« mit blauen Augen und blondem Haar, war der hinterlassene
Sohn der verstorbenen Schwester des Pastors. Er verstand sich trefflich
in Onkel und Tante zu finden, und es wurde bald ein Lieblingsgedanke
des Kränkelnden, sich diesen Neffen als Nachfolger und -- Schwiegersohn
dermaleinst in M. zu denken. Hatte er auch zur Zeit an dem jungen Manne
noch vieles auszusetzen, vornehmlich daß er den Pfarrherrn von N. viel
zu freundlich grüßte, auch seine Spaziergänge in jener von ihm stets
vermiedenen Richtung machte und dergl. mehr, so hoffte er ihn doch durch
seine unausgesetzten Ermahnungen auch in dieser Hinsicht auf den »allein
richtigen« Weg zu leiten.

       *       *       *       *       *

Die Nachmittagspredigt in der M'schen Kirche war vorüber. -- Der junge
Berger, der sie gehalten, ging eben langsam über den Kirchhof weg nach
dem Pfarrhause. Einige alte Frauen verloren sich, die Gesangbücher in den
Händen, zwischen den Gräbern, die Männer schritten grüßend an ihm vorüber.
Kinder liefen ihm entgegen und boten ihm große Sträuße von Hollunder und
Goldregen. Freundlich dankend nahm er sie und drückte sein Gesicht tief in
die Blumen. Als er in den Hausflur trat, sagte die Magd, daß ihn der Herr
Pastor bitten lasse, zu ihm in die Laube zu kommen, der Kaffeetisch
sei allda aufgestellt. Er nickte und ging hinauf in seine Stube, sich
umzukleiden.

Die Laube lag auf einer Anhöhe an dem äußersten Ende des langen Gartens.
Im Sommer war sie recht dicht, fast kühl, denn die große Linde, die davor
stand, stritt sich tagtäglich mit den Sonnenstrahlen herum, denen sie
durchaus den Eintritt wehren wollte. Jetzt hingen nur einige grüne frische
Ranken lose über das Gitterwerk, und die Linde selbst stand da, mit ihren
jungen Blättern, wie unter einem durchsichtigen grünen Schleier, zitterte
in der Frühlingssonne und dachte nicht daran Schatten zu geben. Auf die
gelbliche Damastserviette auf dem Tisch fielen helle Lichter und zuckten
hin und her.

Der alte Pastor saß in einem bequemen Sessel, den rechten etwas gichtischen
Fuß auf einer gepolsterten Bank ruhen lassend. Es war ein hübsch
geschnittener Kopf, von schlichtem Haar umgeben mit einigen Härten um
Mund und Augen und einer eisernen Stirn. -- Die Pastorin war einst schön
gewesen, der bitterste Nachruhm für eine Frau, und sehr verwöhnt, als
einziges Kind eines reichen Kaufmanns. Ihr Vater machte einen bösen
Bankerott und erschoß sich nachher; die Mutter starb vor Schreck und Gram,
und die kaum zwanzigjährige Armgard war froh, eine Gouvernantenstelle in
einem gräflichen Hause zu erhalten.

Dort umgab sie doch wenigstens jener gewohnte Glanz und Comfort, den
sie allein »Leben« nannte. Die Unlenksamkeit ihrer Zöglinge, die
Zudringlichkeit des Herrn Grafen, und die Eifersucht der launenhaften
Gräfin machten ihr aber im Laufe der Zeit das Dasein im Hause so schwer,
daß sie -- den Heirathsantrag des Gutspastors annahm, der jeden Abend
mit den gräflichen Herrschaften Whist zu spielen pflegte. Gleich nach der
Hochzeit erhielt Müller die Pfarrstelle in M., um die er sich insgeheim
schon lange beworben, und siedelte mit seiner jungen Frau dahin über.

Ihre Ehe war wie tausend Ehen, wo eben beide Theile nur an das denken, was
sie dem Andern geben, nie an das, was sie empfangen. -- Armgard fühlte sich
noch als die einzige gefeierte Tochter des reichen Bankiers, und Eberhard
Müller fand es höchst anerkennenswerth daß ein wohlsituirter Pastor eine
arme Gouvernante, »vom Fleck weg« zur Frau Pastorin erhoben. Die junge Frau
versuchte Anfangs das schlichte Pfarrhaus umzumodeln in Erinnerung früherer
Zeiten. Wunderlicher Flitterkram wurde hie und da aufgestellt, der in
keinem Zusammenhange stand mit der übrigen Einrichtung; sie selbst trug
sich ziemlich auffallend und schleifte die seidenen Kleider zum Staunen
der Gemeinde durch das Dorf. Wer hätte sich getraut an solche vornehme
Pastorsfrau ein fragendes oder bittendes Wort zu richten! Eine Weile
schaute der Pastor anscheinend geduldig zu. Als aber das erste Kind da war
und das Tauffest vorüber, gab es einmal eine ernste Scene im Pfarrhause.
Acht Tage lang sah die Magd die Pastorin mit verweinten Augen herumgehen,
-- nachher verschwand ein Zierrath nach dem andern, der Flitterputz dazu,
-- statt der langen seidenen, trug sie jetzt kattunene oder wollene Kleider
ohne Schleppen, und an die Stelle der dünnen Zeugstiefelchen traten
derbe Lederschuhe. -- Fünf Kinder wurden im Laufe der Jahre im Pfarrhause
geboren, und vier kleine Särge standen zu verschiedenen Zeiten in der
Gartenstube. Da gab es Leid genug und Thränen, und in diesem Jammer
näherten sich denn auch die Herzen der Gatten mehr als sie es je in der
Freude gethan.

Ein einziges, das jüngste Kind wurde groß, es zählte jetzt volle 17 Jahre
und führte den Namen Elisabeth. Der Pastor hatte zwar Anfangs viel gegen
diesen Namen, er klang ihm zu katholisch, aber er war doch im Laufe der
Zeit etwas nachgiebiger geworden gegen die Wünsche seiner Frau, und
so wurde die Kleine endlich nach ihrer verstorbenen Großmutter
mütterlicherseits, Elisabeth getauft. -- Das Mädchen wuchs auf, nicht
nur als ein einziges, sondern auch als ein allein übrig gebliebenes Kind,
bewacht und gehütet Tag und Nacht. Sie war beider Eltern Abgott, obgleich
immer der Vater die Mutter, und diese wieder den Vater beschuldigte der
kleinen Elisabeth zu viel Willen zu lassen. Jedes bewachte heimlich das
Andere und freute sich über jeden sogenannten »Streich« in Betreff der
Verwöhnung des Kindes, um ihn zu notiren und gelegentlich, bei irgend einem
Angriff, als Vertheidigungswaffe zu gebrauchen.

So pflegte der Pastor als größten Beweis einer mütterlichen Schwäche
zu erzählen, daß seine Frau lächelnd zugesehen, wie die Kleine ein
Pastellbildchen -- die schöne Armgard im Costüm einer Schäferin darstellend
-- so lange mit einem feuchten Schwamme bearbeitet, bis von den Farben
keine Spur mehr vorhanden. Die Pastorin entschuldigte sich zwar damit, daß
Elisabeth eben die Masern gehabt und der Arzt ihr befohlen, das Kind weder
zu reizen, noch zum Weinen zu bringen, -- ihr Mann lachte aber immer etwas
spöttisch dazu. -- Als Gottfried Berger später in's Haus zog, hatte
ihm jedoch die Pastorin am ersten Abend gleich so viele Anekdoten von
umgeworfenen Dintenfässern und zerrissenen Predigten vorgetragen, für
welche Verbrechen das Töchterchen völlig straflos davon gekommen sei, daß
dem jungen Kandidaten der Kopf schwindelte.

Mit jedem Jahre gestalteten sich die Träume der Pastorin in Bezug auf
des Kindes Zukunft farbenreicher. Tausend Hoffnungen hingen an diesem
jugendlichen Haupt. Sie verbarg aber dergleichen auf Goldgrund gemalte
Bilder sehr sorgfältig vor den Augen ihres Mannes. Durch Elisabeth und mit
ihr sollte ja ein neuer Tag kommen, der Tochter wünschte sie jenes reiche
Leben, das sie selbst einst gelebt, -- in der Tochter Glück gedachte
sie sich zu sonnen. Elisabeth sollte keine Dorfpastorin werden, _sie_
wenigstens durfte nicht in dieser Einsamkeit zwischen Rüben, Kartoffeln und
Kornfeldern verblühen. Wie das freilich zu verhindern überließ die Pastorin
zunächst einigen Jugendfreunden, mit denen sie noch korrespondirte, und --
der Zeit. Das Kind war ja noch so jung! --

Eben trat der Kandidat in die Laube. »Haben Sie Elisabeth nicht gesehen?«
fragte die Pastorin. Sie nannte vorsätzlich den Neffen ihres Mannes, trotz
aller Einreden, »Sie«. -- »Sie war nicht in der Kirche!« antwortete der
junge Mann und zog einen Holzstuhl an die Seite seines Onkels. »Soll ich
mich nach ihr umsehen?« -- »O nein! Das große Kind geht nicht mehr verloren
-- es ist mir nur um den Kaffee zu thun. Er wird kalt.«

»War unser Gotteshaus voll?« fragte der Pastor. -- »Nicht sonderlich. Ein
Dutzend alter Frauen, kaum eine Handvoll Männer, ein paar Wöchnerinnen, die
den ersten Kirchgang hielten -- das war alles.« -- »Das alberne Volk wird
der Prozession nachgezogen sein. Heut haben sie ja wieder da Drüben so
etwas. Ich weiß nicht, was für ein Fest es ist! -- Wollte nur die Linde
endlich einmal grün und voll werden, damit ich doch nicht auch von hier aus
die Kirchthurmspitze sähe! -- Nicht genug, daß mir diese Nachbarschaft
die Pfarre verleidet und die Gemeinde verdirbt -- sie verkümmert mir sogar
meinen harmlosen Platz in der Laube.« --

Gottfried sah schweigend in seine Tasse.

»Ich begreife nicht, daß Du Dich nicht mehr über Deine leere Kirche
ärgerst,« fuhr der Pastor fort. »Aber das soll und muß aufhören! Morgen
in der Betstunde werde ich ein strenges Verbot erlassen. Wer sich
untersteht --,« -- »Da ist Elisabeth!« rief jetzt die Mutter mit froher
Stimme dazwischen.

Den gelben Kiesweg herab, der zur Laube führte, kam schnellen Schrittes
ein junges Mädchen in einem hellen Sommerkleide. Ein kleines Tuch von
dunkelblauer Farbe hing ihr über dem Arm, den runden gelben Strohhut hatte
sie abgenommen. Ein schönes etwas sonnenverbrannntes Gesicht lachte Allen
einen Willkommen zu. »Wo warst Du so lange?« rief ihr der Vater in
einem gereizten Tone entgegen; das abgebrochene Gespräch hatte ihn sehr
verstimmt.

»Gleich zeige ich Dir's,« antwortete sie geheimnißvoll und fröhlich
zugleich. Dann befreite sie ihre Hände von der Last von verschiedenen
Dingen, die sie auf den Tisch legte: -- Blumen, Papierblätter, ein Buch,
Zeichenstifte, Hut und Tuch. Jetzt erst schob sie die schweren braunen
Flechten zurück, die sie noch immer wie in ihrer Kinderzeit um den Kopf
geschlungen trug und die sich vom raschen Gange etwas in die Stirn gesenkt
hatten. Ohne die Aufforderung der Mutter in Betreff des Kaffees und Kuchens
zu beachten, rollte sie ein größeres Papierblatt auf. »Gottfried soll's
zuerst sehn! Bitte, komm hieher, da ist das beste Licht.«

Ihre dunkeln Augen lachten ihn an; Gottfried war im Augenblick an ihrer
Seite, etwas linkisch zwar und befangen wie immer, aber so schnell als
möglich. Kaum hatte er aber einen Blick auf die Zeichnung geworfen, als
er blaß wurde und ängstlich flüsterte: »zeige das jetzt nicht -- nur
heute nicht!« -- Sie sah ihn erstaunt an, rollte jedoch langsam das Blatt
zusammen und legte es bei Seite.

»Nun? Wirst Du mir Dein Meisterwerk diesmal vorenthalten wollen?« fragte
der Pastor. -- »Es ist noch nicht ganz fertig.« -- »Gieb her, ich will es
sehn, ob fertig oder nicht!« sagte der Vater heftig. -- Elisabeth zögerte.
Die Mutter setzte ängstlich die Tasse aus den Händen. -- Einem bestimmten
Befehl des Vaters ungehorsam zu sein, das hatte die Tochter noch nie
gewagt. Das Mädchen streckte auch jetzt mechanisch die Hand aus, um das
verhängnißvolle Blatt zu ergreifen. Allein Gottfried kam ihr zuvor. Schnell
wie ein Blitz hatte er das Papier aufgenommen und in viele kleine Stücke
zerrissen, die nun der Wind nach allen Seiten davontrug.

Diese ungewöhnliche Handlung und rasche That eines sonst so scheuen stillen
Mannes, machte in dem kleinen Kreise einen verschiedenen Eindruck. Das
Gesicht des Pastors wurde sehr roth. -- -- »Was fällt Dir ein, Neffe,«
rief er halb verwundert halb zornig. »Hast Du nicht gehört, daß ich die
Zeichnung sehen wollte?« -- »Sie war aber nicht des Ansehens werth!«
lautete die ruhige Antwort. -- »Nun, das wäre doch die erste schlechte
Zeichnung die Elisabeth gemacht!« sagte da die Mutter gereizt. -- »Sie war
auch nicht schlecht!« murmelte jetzt das junge Mädchen und warf dem
Vetter einen trotzigen Blick zu. »Du hattest wenigstens kein Recht sie
zu zerreißen.« -- »Du wirst eine bessere Zeichnung machen, Elisabeth!«
antwortete er begütigend. -- »O gewiß nicht! In meinem ganzen Leben habe
ich noch niemals mit solcher Lust gezeichnet wie diesmal.«

»Und was war's, was Dich so gefangen nahm?« fragte der Vater milder
und streckte den Arm aus, um die Tochter näher zu sich hinzuziehen. Die
Zuversicht des verzogenen Kindes erwachte wieder in Elisabeth. Sie näherte
sich dem Vater, legte ihre Hand auf seine Schulter und sagte mit
heiterem Lächeln: »ich hatte die Prozession gezeichnet, wie sie vor dem
Allerheiligsten auf den Knieen lag.«

Wie von einem Dolchstich getroffen sprang der Pastor auf. »Also mein
eigenes Kind macht solche Dinge mit?« rief er bebend vor Zorn. »Und das muß
ich erleben? Ich?« -- Er schritt mühsam athmend auf und ab. -- Keiner regte
sich. -- Da fragte die weiche Stimme des jungen Mädchens bebend: »War
das denn ein Unrecht, daß ich _Betende_ zeichnete? Ich habe sie ja nicht
gestört, sondern kniete mitten unter ihnen, Vater!« --

Niemand antwortete. -- Der Pastor preßte, gewaltsam nach Fassung ringend,
die Lippen zusammen -- wandte sich dann plötzlich um und schritt dem Hause
zu.

-- »Sie haben das Beste des Kindes gewollt, Gottfried,« sagte die Pastorin
freundlicher als gewöhnlich, indem sie die Tassen zusammenräumte; »ich
sehe das jetzt ein. Ihre Schuld war es nicht, daß der Versuch, das Kind
aufmerksam zu machen, mißlang. Du hast Deinem Vetter den trotzigen Blick
von vorhin abzubitten, Elisabeth!«

»Ich mag mich lieber schelten lassen vom Vater, als zusehn wie man mir
meine Zeichnungen zerreißt,« antwortete sie mehr traurig als trotzig. »Daß
es der Gottfried _gut_ meinte, sehe ich ein.« -- Dabei nahm sie aber ihren
Hut und ihr Zeichenbuch und ging den Kiesweg hinab, schlug dann einen
Seitenweg ein und stand nun vor der niedern Kirchhofmauer. Sie setzte sich
auf den Rand des Gemäuers und sah hinüber in den stillen Garten der Todten,
und wohl kein Lebender hätte jene Fragen beantworten können, von denen eben
jetzt dies junge heftig schlagende Herz übervoll war.

       *       *       *       *       *

Dies anscheinend unbedeutende Ereigniß hatte gewichtigere Folgen als
Elisabeth träumte. -- Von jenem Tage an durfte sie nämlich nicht mehr
allein spazieren gehen. Der Vater erlaubte ihr nur im Garten, auf dem
Kirchhofe oder im Hause zu zeichnen, ihre Spaziergänge unternahm sie
fortan nur in seiner Begleitung und ohne ihr Zeichenbuch. Alle jene
Heiligenbilder, die sie so gern in ihren kleinen Landschaftsskizzen
anzubringen pflegte, wurden auf Befehl des Vaters daraus verbannt, selbst
kein einfaches Kreuzlein am Wege duldete seine strenge Kritik mehr. Alles,
was nur im Entferntesten an den Katholicismus erinnern konnte, sollte auf
das Bestimmteste vermieden werden. Er hatte mit seiner Tochter nicht ein
Wort über jenen Vorfall mit der Zeichnung geredet, ihr jedoch einfach
gesagt, daß er selbst fernerhin ihr Begleiter sein werde auf ihren, sonst
so zwanglosen, Spaziergängen.

Anfangs fühlte Elisabeth in dieser Neuerung einen unerträglichen Zwang,
bald aber fügte sie sich in das Unabänderliche, und kurze Zeit darauf war
sie wieder das heitere, lebensfrohe Mädchen das sie bisher gewesen.
Auch ihr Verhältniß zu ihrem Vetter behielt nur wenige Tage lang eine
eigenthümliche Spannung, dann warf sie ihm wieder, wie zuvor, ihren
Blumenstrauß in's offene Fenster, wenn sie Morgens aus dem Garten kam,
und quälte sich redlich, um keine Schelte von ihm zu bekommen, mit ihren
französischen Aufgaben. Auch zeichnete sie ihn wieder, zu ihrer Uebung, wie
schon hundertmal wenn er mit dem Vater Schach spielte, im Profil, =en face=
und Dreiviertel, und übte geduldig jeden Tag vierhändige Kirchenlieder mit
ihm.

So ging ein Tag nach dem andern hin, die Morgen, Mittage und Abende
sahen sich gleich wie ein Ei dem andern. Und dennoch fühlte Elisabeth nie
Langeweile oder irgend eine Sehnsucht nach Abwechslung. Zuweilen hätte sie
wohl gern einmal andere Bücher gehabt, als Friederike Bremer's Werke und
Schiller's Geschichte des dreißigjährigen Krieges, -- seine Dramen gab ihr
der Vater nicht -- und die verschiedenen Reisebeschreibungen, aus denen
Vetter Gottfried Abends vorzulesen pflegte, machten sie oft gewaltig müde,
es schlief sich aber auch um so besser darauf. Zudem drängte ein sonniger
Tag oder eine Partie in den Wald diese Wünsche wieder für eine Weile in den
Hintergrund. -- Freilich standen dafür andere auf, wie z. B. das Verlangen
jene alte Kapelle auf der buschigen Anhöhe einmal zu besuchen, wo ein
wunderthätiges Marienbild stand, welchen Ort zu betreten ihr der Vater
jedoch schon vor Jahren ein- für allemal streng untersagt.

Seltsam, seitdem jene Geschichte mit der Zeichnung vorgefallen, war
eben dieser halb vergessene Wunsch plötzlich in ihr mit fast ungestümer
Lebhaftigkeit wieder erwacht. -- Sie träumte sogar die Nacht von jener
stillen Kapelle mit den bunten Scheiben, und von den vielen Herzen von
Wachs, die man der Maria geschenkt, wie ihr ein kleines Mädchen aus N., der
sie einmal verstohlen einen Maiblumenstrauß abgekauft, erzählt hatte. --
Mit der Mutter wagte sie schon eher über diesen Herzenswunsch zu reden --
aber helfen konnte ihr die Pastorin auch nicht, sie ehrte in allen Dingen,
die sich auf Religion bezogen, ihren Mann sehr, und bemühte sich nach
Kräften der Tochter dies »tolle Verlangen«, wie sie es nannte, aus dem
Kopfe zu bringen. -- Dabei schien sie aber in der letzten Zeit
häufiger denn je mit ihren fernen Freunden zu korrespondiren, und die
eigenthümliche, halb frohe, halb sorgenvolle Art, mit der sie zuweilen ihre
Tochter anblickte, gab dem ruhig beobachtenden Kandidaten viel zu denken.

Da kam eines Tages, Niemand schien sich dessen zu versehen, Besuch ins
stille Pfarrhaus, nämlich ein entfernter Verwandter der Pastorin. Herr
von Plessow, der Direktor der Malerakademie in F., war auf einer Badereise
begriffen und sprach für wenige Stunden in M. ein, um die »liebe Cousine«
zu begrüßen. Beide hatten einander viel zu fragen, sich so vieler Dinge und
Personen zu erinnern daß es beinahe nicht dazu gekommen wäre, Elisabeth's
Skizzenbuch zu durchblättern, nach welchem der »Herr Cousin« doch sogleich
gefragt. -- Der ältliche freundliche Herr fand sehr viel Wohlgefallen an
den artigen Bilderchen, noch größeres aber an der Zeichnerin selber und
sagte endlich, im Beisein des Pastors, sehr ernsthaft: »ich möchte Dich
wohl mit nach F. nehmen, Elisabeth, wenn ich aus dem Bade komme, -- aus Dir
kann eine tüchtige Malerin werden. Ueberlege Dir die Sache und schreibe
mir nach T., wenn Du willst daß ich Dich abholen soll. Ein halbes Jahr lang
unter einem tüchtigen Lehrer und Du würdest Bedeutendes leisten!« --

Ein Wort zu guter oder böser Stunde ist ein Samenkorn, -- und der Wind
weht selten es auf einen steinigen Boden. Es fällt in warmes Erdreich --
es schießt auf -- gepflegt in stillen Nächten, getränkt von heimlichen
Thränen, und wächst empor, oft eine üppige Giftpflanze -- oft ein
Rosenstrauch voll Dornen und süßen Knospen -- oft eine »blaue Blume,«
jene mährchenhafte Blüthe, die demjenigen, der sie einmal erblickt, nie zu
stillende Sehnsucht bringt.

Die Worte des Direktors aus F. ließen in dem Herzen des jungen Mädchens
jene blaue Blume erwachsen. Eine leise Sehnsucht beschlich sie urplötzlich
nach einem Etwas, das sie nicht hatte. -- Sie vermochte selbst mit ihrer
Mutter nicht darüber zu reden, -- sie saß in tiefen Gedanken vor ihrem
Zeichenbrettchen, -- keine ihrer kleinen Schöpfungen wollte ihr mehr
gefallen -- und es geschah ihr nicht selten daß sie mitten im Zeichnen
unlustig den Stift von sich warf und das angefangene Blatt zerriß. Es begab
sich auch, daß sie in der Nacht erwachte und lange, lange schlaflos da lag,
und mit ihren Gedanken weit wegflog über den Garten des Pfarrhauses --
weit über Hügel und Wälder fort -- »wohin -- ach wohin?« -- Nur einmal, auf
einem Spaziergange mit dem Vater, gab sie ihren Gedanken Worte. Sie hatte
sich einen Feldblumenstrauß gepflückt. Plötzlich blieb sie stehen, legte
ihre Hand auf den Arm des Vaters und sagte, bebend vor Erregung: »Sieh,
wenn ich diese Blumen da malen könnte, wie ich sie so vor mir sehe in
ihren sanften köstlichen Farben, -- ich glaube, ich wäre das glücklichste
Geschöpf der Welt!« -- Der Pastor lächelte über den Ausdruck strahlender
Freude in ihrem Gesicht, antwortete aber nichts.

An einem Sonnabend Abend lehnte sie wieder, wie so oft, an der
Kirchhofmauer und schaute hinüber auf die Gräber der Geschwister. Der
Pastor ging in seinem Studirzimmer auf und ab, bei geöffnetem Fenster seine
Predigt memorirend, denn die Stube war in der Sommerwärme diesmal schon
vollständig getrocknet. Die Pastorin stand auf einer kleinen Leiter an dem
Pfirsichspalier und pflückte behutsam die ersten reifen Frühpfirsiche. Der
Kandidat Berger kam eben von seinem Abendspaziergang zurück. Er trug einen
Strauß von Waldblumen in der Hand, blieb erst einen Augenblick bei der
»Frau Tante« stehn, ging dann weiter und setzte sich nahe zu dem jungen
Mädchen auf die niedrige Mauer. Er reichte ihr den Strauß hin wie
immer, sie nahm ihn freundlich nickend wie immer. -- Eine Weile sah sie
gedankenvoll in die Blumen, dann wandte sie sich plötzlich gegen ihn und
sagte mit halberstickter Stimme und schnellem Athem: »ich kann es nicht
mehr aushalten hier!« -- --

In sprachlosem Erstaunen starrte er sie an. Ihr Gesicht war wie mit Purpur
übergossen, ihre Augen standen voll Thränen. »Ja ja, es ist so!« fuhr sie
fort und trat ihm näher, »ich weiß es jetzt ganz genau und Dir kann ich's
auch zuerst sagen. Ich will nach F. und Malerin werden. In vier Wochen
kommt der Direktor wieder hier durch und ich -- werde mit ihm gehn!«
-- »Aber mein Gott, welch ein Gedanke!« -- »Und Du mußt mir helfen ihn
auszuführen, Du mußt mir beistehen die Eltern zu bereden mich auf ein
Jahr, -- auf ein halbes vielleicht nur, -- von sich zu lassen.« -- »Ich,
Elisabeth?« -- »Eben Du. Warst Du nicht allezeit gut zu mir? Seit Du jene
Zeichnung zerrissen habe ich das erst gewußt, aber nun vergesse ich's auch
nimmermehr.« -- »Aber es ist ja ganz unmöglich daß Du fortgehen kannst von
hier!«

»Warum denn? Die Mutter braucht mich nicht so nöthig, sie liebt es gar
nicht wenn man ihr im Hause hilft. Und der Vater -- wird mit _Dir_ fortan
spazieren gehen, bis ich wiederkomme. Du wirst der Einzige sein der mehr
Last und Arbeit davon haben wird daß ich gehe, denn ich werde Dir allerlei
Aufträge hinterlassen. Du mußt die Vögel füttern und nach meinen Blumen
sehn und jede Woche einmal meine Epheuwand abwaschen. Daß Du die Eltern
aufheitern mußt, versteht sich ganz von selbst.« -- »Ich soll den Eltern
rathen, Dich fortzulassen?« wiederholte er noch einmal wie im Traume.
»Nein, Elisabeth, das thue ich nicht -- das kann ich nicht!« setzte er fast
heftig hinzu und richtete sich hoch auf.

Mehr betrübt als erstaunt über seine Weigerung hatte sie langsam ihre Hände
zusammengelegt und sah ihn stumm und bittend an. -- Es gibt Momente, in
denen uns das Bild eines Menschen, wie er eben vor uns steht, plötzlich
gleichsam in's Herz gepreßt wird. Die Seele nimmt ein Photographie-Portrait
auf, und dies Portrait ist unverwischbar, wir sehen fortan diese Gestalt
_nur_ so wie sie uns in jenem Augenblick erschien, und weder Trennung, noch
Alter vermag einen Zug in solchem Bilde zu verändern.

Wenn der junge Kandidat von dieser Stunde an des Mädchens gedachte, so
sah er sie in einem blaßrothen weiten Sommerkleide, eine Epheuranke um die
Flechten geschlungen, eine verwelkte Rose im Gürtel, das kleine seidene
Tuch, das sie eben vom Halse genommen, spielend um das Handgelenk
geschlungen, mit dem wunderbaren Ausdruck von Sehnsucht und Erwartung in
dem blühenden Gesicht, die Augen auf ihn gerichtet, deren lange dunkle
Wimpern ihrem Aufschlag einen so eigenthümlichen Zauber gaben.

Da er nicht antwortete, so fragte sie noch einmal, aber ungeduldiger: »Und
warum nicht?« Da zuckte es über sein Gesicht -- sein Athem stockte -- die
Lippen öffneten sich -- --

»Herr Neffe, wollen Sie mir den Korb heraufreichen? Elisabeth, der Vater
verlangt nach einer neuen Pfeife!« rief die Pastorin. -- Der junge Mann
fuhr auf, wandte sich mechanisch und schritt auf das Spalier zu. --
Elisabeth folgte gedankenvoll.

       *       *       *       *       *

An demselben Abend, vor Schlafengehen, fiel die Tochter der Mutter um
den Hals, und bat sie ihr zu erlauben das Anerbieten des Direktors aus
F. anzunehmen. »Ich möchte gar zu gern eine Malerin werden!« sagte sie
aufgeregt.

Die Pastorin war hocherfreut, obgleich nicht erstaunt -- sie hatte
ihre Tochter seit des »Cousins« Weggang wohl beobachtet und diese Bitte
erwartet. Ihre Gedanken nahmen aber sofort einen hohen Flug. Sie sah
für Elisabeth eine Zeit des Glanzes voraus wie sie sie selbst kaum einst
erlebt. Wie groß war F., wie lebendig und interessant mußte das Haus des
Cousins sein, besonders seit er sich zum zweiten Mal verheirathet! -- Wie
entscheidend konnte dieser Besuch für die Zukunft Elisabeth's werden! --
Von alledem sagte sie aber kein Wort, sie küßte nur ihr Kind und meinte:
»ich kann mir wohl denken, wie sehr Dich's verlangen mag eine ordentliche
Malerin zu werden. Deine arme Mutter könnte Dich ja doch nicht weiter
bringen im Zeichnen, Du hast sie schon längst überholt, und Du kannst nun
viel zu viel um es liegen zu lassen. Als meinen Vater das Unglück traf,
sollte ich eben auf Porzellan malen lernen -- wer weiß, zu was mir das
genützt haben würde! Laß mich mit dem Vater reden -- und rede Du nicht eher
mit ihm über Deinen Wunsch, als bis ich Dir einen Wink gebe.« --

Wie es die Beiden in den nächsten Tagen angefangen, den Pastor zu bereden
-- wer konnte es sagen? -- Gewiß war nur, daß genau eine Woche nach
jenem Gespräch zwei Wäscherinnen und zwei Schneiderinnen im Pfarrhause
beschäftigt waren, und daß wenige Tage darauf noch eine Büglerin zu Hülfe
genommen werden mußte. --

Die Pastorin aber nahm eines Morgens ihre Tochter mit herauf in eine
abgelegene Kammer, schloß dort eine große Truhe auf, und zog vor den
staunenden Augen des Kindes allerlei Schätze an's Tageslicht. Da kam ein
hellblaues Taffetkleid zum Vorschein und ein dunkelgrünes, ein
weißes gesticktes Mousselinkleid mit rosenrothen Schleifen, und ein
buntschillerndes Seidengewand. Auch wunderliche Echarpen und Umhängsel,
die ebenso unmodern aussahen wie die Kleider, zu denen sie getragen worden
waren. Elisabeth jubelte aber über Alles. Sie hätte diese Ueberbleibsel aus
der so oft beseufzten und betrauerten Glanzzeit ihrer Mutter am liebsten
gleich so angezogen, trotz der bauschigen Falten, puffigen Aermel und
kurzen Taillen, hätte es die Pastorin gelitten.

In kurzer Zeit aber waren alle diese Kleider durch die Hände der
Nadelkünstlerinnen in die prächtigsten Toiletten umgewandelt worden, so
meinten wenigstens Mutter und Tochter, -- und mit wahrem Stolz packte
die Pastorin eigenhändig die Koffer ihres Kindes, ehe noch die bejahende
Antwort des Direktors auf die feierliche Anfrage des Pastors eingelaufen
war. Elisabeth stand dabei und reichte ihr jedes Stück mit kindlicher
Freude hin. -- Das war eine anmuthige Arbeit. Zuletzt war aber alles fertig
-- Schneiderinnen, Wäscherinnen und Büglerin verschwanden, und es gab
endlich nichts mehr zu thun als -- auf den aus dem Bade Heimkehrenden zu
warten. -- Seine Antwort war längst da -- er beabsichtigte, im Laufe der
nächsten Woche in M. einzutreffen. »Es wartet sich doch gar schwer,« meinte
Elisabeth. Sie hatte nirgends mehr Rast noch Ruh, selbst nicht auf der
Kirchhofmauer. -- Die vierhändigen Kirchenlieder spielte sie längst nicht
mehr, sie hielt keinen Takt, und der Vater wurde ungeduldig beim Zuhören,
sie las auch nicht, -- höchstens zeichnete sie dann und wann ein wenig.
Am liebsten ließ sie sich von der Mutter von dem Leben und Treiben in F.
erzählen, wie es die Pastorin, als sie noch die schöne Amgard Albert war,
kennen gelernt.

Gottfried Berger ließ sich jetzt selten sehen, auch Abends zog er sich
unter dem Vorwand dringender Studien in sein Zimmer zurück. Man vermißte
ihn auch wenig oder gar nicht, denn Elisabeths Abreise war das fesselnde
und unerschöpfliche Thema aller Gespräche. Der Pastor erinnerte sich dabei
eines alten Universitätsfreundes nach dem Andern, der in F. leben mußte,
und denen er sein Kind zu empfehlen gedachte. Der alte Herr hatte übrigens
von jeher für das Zeichentalent seines Kindes eine Art von Bewunderung
gefühlt, er war stolz auf seine Tochter, und seit jenem Besuche des Cousins
war ihm selber der Gedanke gekommen, daß ja sogar die Bibel gebot: »Du
sollst dein Licht leuchten lassen vor den Leuten.« Die Idee, sein Kind sei
vielleicht dazu bestimmt eine große Malerin zu werden, beschäftigte ihn
lebhaft, so daß er sehr bald fest überzeugt war, es bedürfe nur eines
Winteraufenthalts in der Stadt, um aus ihr mindestens eine zweite Angelika
Kaufmann zu machen. Er blickte so recht eigentlich in Bezug auf Elisabeth
in einen »goldenen Kelch« -- wie das Volk so poetisch zu sagen pflegt --
und in der Tiefe dieses Kelchs lag -- eine Perle, ihr Talent, zwar ein
Talent, an dessen Ausbildung er auch seinen Antheil zu haben glaubte. Hatte
er doch dem Kinde erlaubt alle seine Papiere vollzukritzeln, selbst die
Ränder seiner Predigt-Manuscripte! Brachte er ihr doch jedes leere Blatt,
das er von eingegangenen Briefen abgeschnitten, und ließ ihr endlich gar
ein Zeichenbrett zimmern! --

Obgleich ihm die Trennung von Elisabeth nahe ging, so war es ihm doch
äußerst angenehm, sie dann in einer so protestantischen Stadt zu wissen
wie eben F. -- Es war ihm lieb, sie aus der Nähe der Marien- und
Heiligenbilder, der Prozessionen und Kapellen für eine Weile verbannen zu
können. Das Kind stand in einem gefährlichen Alter: -- eben 17 Jahre alt!
»Und was sie da drüben machen sieht sich mit siebzehnjährigen Augen ganz
anders an als mit siebzigjährigen!« meinte er.

Als der Direktor der Malerakademie wirklich da war und der Wagen endlich
vor der Thür stand, der Elisabeth, und ihren neuen Beschützer fortbringen
sollte, da wurde ihr junges Herz mit einemmale centnerschwer. -- Während
die Andern beim Frühstück saßen, ging sie noch einmal wie im Traume durch's
Haus, vom Boden bis zum Keller, öffnete alle Thüren und schaute hinein,
besonders lange aber in des Vaters Studierzimmer, allwo die blaue
Rauchwolke nimmer wich, die über dem Schreibtisch hing, und wo die vielen
gottesgelehrten Männer unter Glas und Rahmen so grämlich dreinschauten, als
hätten sie wenig Freude gehabt im Leben. Sie ging auch in die große
düstere Küche, wo die alte, sonst so rauhe und zänkische Magd hinter dem
Küchenschrank in Thränen zerfloß, weil die »Mamsell Lieschen« fort
wollte. Im Gange draußen begegnete ihr die große schwarze Katze, die sonst
nimmermehr ihr Liebling war, heute aber lockte sie das Thier und strich ihm
sogar schmeichelnd über den Rücken. Draußen auf dem Hofe warf sie dem
alten Kettenhunde, der nur noch bellen, nicht mehr beißen konnte, ihr
Frühbrödchen zu, trat an ihn heran, nahm seinen rauhen Kopf in ihre
Hände, und drückte ihre Wange einmal gegen ihn. Dann ging sie nach der
Kirchhofmauer und winkte den Gräbern der Geschwister den Abschiedsgruß zu.

Als sie auf dem Rückwege an der Laube vorüber kam, trat ihr Gottfried
entgegen und sagte: »laß mich hier Dir Lebewohl sagen, Elisabeth!« Er sah
sehr blaß aus, und die Hand, die er ihr gab, war eiskalt. -- »Mache mir
doch nicht mit Gewalt das Herz noch schwerer,« antwortete sie; »ich komme
ja aus dem Abschiednehmen nicht heraus. Laß es doch in Einem hingehen,
lieber Gottfried!«

Stumm ging er an ihrer Seite weiter -- denn sie war nicht stehen geblieben.
Mild und lieblich bat sie nach einer Weile: »sorge gut für die Eltern!« --
Er gab keine Antwort, sondern fragte nur nach einer Pause gepreßt: »wirst
Du oft schreiben?« -- »So oft ich kann!« -- »Wird auch ein Gruß in Deinen
Briefen sein für mich?« -- »Tausend für einen!« versicherte sie. »Aber
weißt Du, ich könnte Dir wohl französisch schreiben, das wäre eine gar gute
Uebung -- und Du antwortetest mir dann auch so und schriebst mir was ich
für Fehler gemacht. -- Willst Du?« -- Er nickte.

Sie waren bis an das Ende des Kiesweges gekommen. »So leb denn wohl!« brach
er plötzlich hervor und die Thränen stürzten aus seinen Augen. -- »Aber
Gottfried! -- Sei doch vernünftig!« bat sie -- und seltsam -- ihre weiche
Stimmung verschwand plötzlich, als sie seine Thränen sah. -- »Wenn Du Dich
wunderst, daß ich weinen kann, so weißt Du auch nicht --« -- »Was denn?«
-- »Wie unsagbar lieb Du mir bist!« -- »Lieber guter Gottfried, ich weiß ja
Alles -- aber trotzdem sehe ich nicht ein warum Du weinst, wenn ich auf ein
paar Monate weggehe, um etwas zu lernen was mich glücklich machen wird!«
Sie hatte sehr ruhig gesprochen. -- Er sah sie schmerzlich lächelnd an.
»Glücklich machen wird!« wiederholte er. »Ja, so glücklich, daß Du -- _uns_
(mich hatte er sagen wollen) darüber vergißt!« -- »Das thue ich nimmermehr!
Da, meine Hand darauf,« sagte sie rasch und innig. »Und nun auf Wiedersehen
im nächsten Frühling.«

Sie pflückte eine volle Rose von dem Bäumchen, an dem sie eben standen,
und gab sie ihm. Aber als er die Blume ergriff und an sich zog, fielen die
rothen Blätter auf den Boden. -- Elisabeth sah es nicht mehr -- sie hatte
sich abgewandt und ging -- sich ohne noch einmal umzuschauen, dem Hause zu.

Als aber eine Stunde später das junge Mädchen den Abschiedskuß und die
Segensworte des Vaters empfing, weinte sie. -- »Geh fleißig in unsere
Kirche und berichte mir ausführlich über die Predigten meiner Collegen,«
sagte der Pastor noch zum Schluß. »Geh nur fremdem Gottesdienst aus dem
Wege, wenn Dir an meinem Segen noch etwas gelegen, -- und meide sogar den
Umgang mit Andersgläubigen. Enthalte Dich aller religiösen Gespräche und
verschließe Deine Ohren vor den Worten der Spötter.« -- »Vater, so hübsch
wie Heute ist mir unser Pfarrhaus noch nie vorgekommen!« sagte sie als
er sie an den Wagen führte. -- »So ist's recht!« antwortete er leise. »Du
sollst es auch lieb haben! Komm Du nur bald und gern wieder. -- Es ist ja
Deine eigentliche Heimath, denn so der Herr will, sollst Du Dein Lebenlang
hier bleiben, aber nicht etwa als altes Jüngferlein, sondern als junge
hübsche Pastorsfrau! -- Der Gottfried würde dermaleinst ein prächtiger
Ehemann werden! Nur gar _zu gut_, fürchte ich, für Dich, kleiner
Trotzkopf!« -- Sie sah ihn überrascht an und blieb einen Augenblick stehen.
Die Farbe wich von ihren Wangen. Dann aber lachte sie, wie ein junges
Mädchen lacht das man eben geneckt, und meinte: »ja, _der_ wäre wahrlich zu
gut!«

Die Mutter, die mit dem Cousin vorausgegangen und bis jetzt sehr gefaßt
gewesen, zerfloß nun doch in Thränen und ließ ihr Kind sehr schwer aus
den Armen. Aber mitten im Schluchzen, als der Wagen schon sich in Bewegung
setzen wollte, rief sie ihr noch zu: »merke es Dir, Elisabeth, das Blaue
nur für Abendgesellschaften, das Grüne kannst Du aber jeden Sonntag
anziehen! -- Die gelbe Echarpe --!« Die Pferde zogen an -- ein Winken
herüber und hinüber -- und Alles war vorbei.

Eine Weile nachher hatte Elisabeth schon die Heimath im Rücken und lachte
recht herzlich über die lustigen Geschichten, die der »Herr Onkel,« denn so
nannte sie ihn jetzt, ihr von seinen ersten Portraitversuchen erzählte.
Zur selbigen Zeit ging der Pastor, von einer seltsamen Unruhe befallen,
in seinem Studierzimmer auf und ab, und ließ ein über das andere mal seine
Pfeife ausgehn -- und in dem kleinen Schlafstübchen saß die Mutter auf dem
verlassenen Lager der Tochter und weinte sich satt. -- Aber draußen in der
Fliederlaube saß Einer -- der keine Thränen mehr hatte in seinem Leid.

       *       *       *       *       *

Der Sommer und Herbst waren vorüber, am ersten November empfing Frau von
Plessow wieder, und die Empfangsabende in ihrem Hause waren eben so
besucht als amüsant, wie besonders die junge Welt behauptete. -- Die
verschiedensten Stände fanden dort ihre Vertreter, und wenn auch die Zahl
der jungen Mädchen, denen man erlaubte in diesem Salon erschienen, nur
klein war, so traf man desto mehr hübsche Frauen dort, mit denen sich's ja
ohnehin nach der Ansicht der jungen Elegants, ungleich »bequemer« verkehrt.

Die hübsche Enfilade von fünf Zimmern war glänzend erleuchtet, die
Einrichtung zeigte Comfort und feinen Kunstgeschmack. -- Große Tische
mit prächtigen Mappen und Büchern, davor bequeme Fauteuils und kleine
Ottomanen, im Mittelsalon ein aufgeschlagener Flügel, halbversteckte
Büffets mit Erfrischungen, und einer leise auftretenden Bedienung, --
nirgends betäubend duftende Blumen, überall verschleierte Kugellampen,
deren Licht für den Teint so vorteilhaft, überall Winkel zum Plaudern, und
in keiner Ecke jene lästigen Nippes, die nur aufgestellt sind um angestoßen
zu werden.

Die Räume waren schon ziemlich gefüllt von jungen und alten Künstlern,
einigen wenigen Uniformen und ungewöhnlich vielen Frauen in glänzenden
Toiletten.

Zu einer heitern Gruppe in der Nähe einer sehr schönen, kleinen Copie
der Diana aus dem Louvre, in Marmor ausgeführt, die künstlerisch zwischen
dunklem Grün aufgestellt war, trat jetzt der Hausherr. »Ich habe Dir einen
angenehmen Gast anzukündigen, liebe Amélie,« sagte er zu einer zarten
Frau in blaßblauen Tafft und langen blonden Locken, offenbar eine der
elegantesten Erscheinungen im Salon; »Paul Albano ist von Griechenland
zurückgekehrt, seit vorgestern, und wird sich selbst und einige seiner
Skizzen diesen Abend wieder hier einführen.« -- »Albano zurück?« rief Frau
von Plessow ungewöhnlich lebhaft, und ihre aristokratisch bleiche Wangen
überflog ein verrätherisches Roth. »Ich glaubte er würde den Winter über
in Athen bleiben!« -- »Wer weiß, welcher Magnet ihn zurückzog,« antwortete
Plessow gleichgültig. »Er hat freilich zu Vielen den Hof gemacht, als
daß man an eine »Einzige« glauben könnte der solche Macht über den
Schmetterling verliehen.«

»Deßhalb also der ungewöhnlich reiche Damenflor!« flüsterte ein bekannter
sarkastischer Portraitmaler dem Hausherrn ins Ohr. »Die Kunde seiner
Rückkehr hatte sich im Fluge heut in dem guten F. verbreitet. -- Welche
Macht ist nun ausgerückt den gefährlichen Feind zu bekämpfen.« -- »Oder
sich besiegen zu lassen!« lachte Plessow. »Seine Skizzen sind mir aber
viel werth,« setzte er laut hinzu; »geistvoll und glühend ist alles was aus
seinem Pinsel fließt. -- Nicht so Amélie?« -- Frau von Plessow, anscheinend
sehr vertieft in ein Gespräch mit ihrer Nachbarin, der alten Gräfin
Darschau, über die Eleganz der Hofmäntel, antwortete nachlässig: »meinst Du
die Skizzenblätter Albano's, =cher ami=? Sie sind allerdings hübsch, aber
zu unruhig und phanthastisch für meinen Geschmack. Wie könnten sie auch
anders sein da der, der sie schafft --« -- »Du hast nun einmal ein kleines
Vorurtheil gegen ihn,« unterbrach Plessow die Rede seiner Frau, die in
demselben Augenblick in vollendeter Haltung einigen ankommenden Gästen
entgegen ging.

Man ging und stand umher, man empfing und theilte Huldigungen aus wie
immer. -- Die Frau vom Hause war sehr umringt -- aber man wollte bemerken
daß sie zerstreut war, und mehr als einmal sah man, daß ihre Augen sich auf
die Thür richteten mit dem Ausdruck einer gewissen Unruhe. -- Auch weigerte
sie sich heut ihre graziösen Mazurka's und Notturno's zu spielen, mit denen
sie sonst zu brilliren liebte.

»Da ist Albano,« sagte plötzlich ein junger Mann in ihrer Nähe und trat
zur Seite. Wieder flog jenes feine Roth über Frau von Plessow's Wangen,
-- einen Augenblick nachher begrüßte sie aber mit vollkommener Ruhe einen
jungen Mann, der rasch durch den Salon geschritten war und ihr jetzt
gegenüber stand. -- Es war in der That der bekannte und vielgesprochene
Landschaftsmaler, dessen Talent selbst in den allerhöchsten Kreisen die
schmeichelhafteste Aufnahme gefunden, dessen reizende Skizzenblätter zu
kennen zum guten Ton gehörte. Er hatte ein halbes Jahr in Griechenland
verträumt, und war so plötzlich zurückgekehrt wie er aufgebrochen. Die
Frauen beteten ihn an, nicht _obgleich_, sondern grade _weil_ er sie
unbarmherzig behandelte. Ihn wirklich zu fesseln war noch Keiner gelungen,
-- an Versuchen dazu ließen es wenige fehlen.

Kurz vor seiner Abreise bezeichnete das Gerücht Frau von Plessow selbst als
den ausschließlichen Gegenstand seiner flüchtigen Huldigungen. Seine Flucht
gab aber damals kaum mehr Stoff zur Unterhaltung als eben jetzt seine
unerwartete Rückkehr. -- Unbarmherzige Augen waren von allen Seiten auf die
Wirthin gerichtet, feine Ohren lauschten auf jedes ihrer Worte. Frau von
Plessow war aber Weltdame genug um das zu wissen. -- Vollkommen unbefangen
rief sie dem Ankommenden scherzend entgegen: »willkommen im Winterquartier!
Nicht wahr, unsere Kamine haben auch ihren Reiz?« -- »Sagen Sie lieber,
unsere Oefen, gnädige Frau!« antwortete er eben so und küßte ihre Hand. An
dem Blick der über ihr Gesicht glitt, an dem conventionellen Lächeln das
sie ihm zurückgab, konnte Niemand etwas aussetzen. Auch der übliche Handkuß
konnte nicht flüchtiger ausgeführt werden. -- »Weßhalb schon zurück,
Unstäter?« fragte hinzutretend Plessow, dem Maler die Hand schüttelnd.

»Ich fror!« lautete die einfache Antwort. -- Man lachte -- eine halbe
Stunde verging mit verschiedenen Begrüßungen, -- endlich sah man, wie der
junge Mann sich an der Seite der Frau vom Hause niederließ. Die Comtesse
Feldern, die sich nur zögernd hinweg begab um, wie sie boshaft gegen einen
Freund bemerkte, »das Pärchen nicht zu stören,« wollte gehört haben, daß
Albano ein »Endlich!« geseufzt. -- In Wahrheit sagte er aber in demselben
Augenblick, in elegantem Französisch: »nun erzählen Sie mir, angebetete
Freundin, wie man hier gelebt hat.«

Ehe sie zu antworten vermochte, kam ein junges Mädchen in einem etwas
engen, etwas verblichenen, etwas unmodernen blauen Seidenkleide hastig
zu ihr und fragte, nach flüchtiger Verbeugung vor dem Fremden, sichtlich
freudig erregt: »liebe Frau Tante, erlauben Sie, daß heute getanzt wird?
Herr von Winter will Tänze spielen, wir sind sechs Paare.« -- Sie sah so
ernsthaft bittend Frau von Plessow an, als hinge Leben und Seligkeit von
ihrer Gewährung ab. -- Mit einem ungeduldigen Wink der Hand sagte die
schöne Frau: »=mais mon Dieu= -- tanzt so viel ihr wollt! Nur erhitzen Sie
sich nicht noch mehr -- das =echauffement= ist für Sie nicht vortheilhaft.«
-- Aber das junge Mädchen war schon verschwunden, ehe sie die zweite Hälfte
des Satzes völlig beendet, und mit einem Spottlächeln wandte sich Frau von
Plessow wieder zu ihrem Nachbar. -- Der aber war aufgestanden und folgte
verwundert mit den Augen jener jugendlichen Erscheinung. Dann neigte er
sich zu seiner Dame und fragte lebhaft: »Wer war denn dies wunderlich
angezogene, reizende Mädchen das Sie »Tante« zu nennen das Glück hat? Sie
erzählten mir nie zuvor von dem Dasein einer Nichte.«

»Ich würde auch in Verlegenheit gerathen sein, solch einen Ausbund von
Uneleganz als zu _mir_ gehörig präsentiren zu müssen. Die Kleine gehört
zur Verwandtschaft meines Mannes. Sie heißt Elisabeth Müller und ist ein
Gänseblümchen vom Lande, abgepflückt aus dem Garten einer schlichten Pfarre
durch Plessow's Hand. -- Er wird sich freuen, daß Sie seinen Geschmack
theilen. Die Kleine soll Malerin werden. Sie ist übrigens, glaube ich, ein
gutes Kind. Seit September oder Ende August ist sie hier. -- Wünschen Sie
noch weitere Details?« -- Sie sah ihn spottend an und lachte. Sie wußte,
daß sie doppelt reizend war wenn sie lachte. -- Albano setzte sich wieder.

»Erlauben Sie mir diese »Details,« für jetzt wenigstens, ausreichend zu
nennen. -- Wie schön kleidet Sie dies schelmische Lachen! -- Das Lachen
einer Frau ist doch tausendmal bestrickender als ihre Thränen. Ich möchte
Sie nie weinen sehen, gnädige Frau!« -- »Eine kluge Frau gönnt Euch
wahrhaftig solchen Triumph auch nicht so leicht. Denn ein Triumph ist es ja
nun doch einmal für einen Mann eine Frau zu Thränen zu bringen! Eine kluge
Frau weint daher im Stillen.« -- »Vielleicht nur weil sie weiß daß wir es
ihren Augen dennoch später ansehen, und daß wir »Augen, die sich im Weinen
übten,« um so heftiger lieben. Nur die Thränen selbst zu sehen lieben
wir nicht -- das wirkliche Weinen macht häßlich!« -- »Mich dünkt, niemand
verdiene weniger daß eine Frau um seinetwillen häßlich werde, als eben Paul
Albano.« -- »Sie mögen Recht haben. Ich verlange es aber auch von Keiner --
und doch müßte es schön sein wenn eine Frau --.« -- »Bitte, nur keine Ihrer
alten Paradoxen! Ich vergesse sonst daß Sie sechs Monate fern waren, und
also als ein eben Zurückgekehrter noch einigen Anspruch auf Nachsicht
haben.« -- »Sechs Monate, 15 Tage, 13 Stunden, gnädige Frau -- ich rechne
besser! -- Aber -- sagen Sie mir doch, wie lange soll denn jene Kleine in
dem seltsamen Kleide bei Ihnen bleiben?« -- »So lange wahrscheinlich, bis
sie ein wenig pinseln gelernt. Mag sie -- mich genirt sie nicht -- sie hat
ihre eignen kleinen Zimmer und erscheint, außer zum Diner und Souper, nur
wenn ich sie rufen lasse.«

Eben trat Plessow heran. »Wollen Sie ein allerliebstes Genrebild sehen,
Albano?« fragte er. »Werfen Sie einen Blick in den Tanzsaal dort. Es ist
eine wahre Herzenserquickung Elisabeth tanzen zu sehen. Könnte ich ihr
diese Freude am Leben doch erhalten!« Albano erhob sich sofort und bot der
Frau vom Hause den Arm um sie in den Salon zuführen, wo die jungen Leute
tanzten. Aber sie lehnte kühl ab, und trat rasch zu einer Gruppe von Damen,
die sich um ein Album gesammelt hatten.

»Mein Gott wie schön ist dies Mädchen!« murmelte Albano, die Tanzende mit
glühenden Blicken verfolgend, »wahrhaft leuchtend schön in ihrer Freude!«
-- »Und wie lieblich sind diese ungeschulten Bewegungen!« fügte Plessow
hinzu.

Eben stand sie unfern von ihnen still. Sie bemerkte ihren »Herrn Onkel« und
in überwallender Lebhaftigkeit ihm die Hand hinreichend, sagte sie so
recht aus tiefster Seele: »ach ich bin so vergnügt! Wie schön ist's doch
zu tanzen! Ich hätte es nimmer gedacht!« Aus dem Ton der Stimme klang
der innere Jubel durch, ihre wunderschönen Augen, mit den Wimpern einer
Murillo'schen Madonna, strahlten vor Glück, ihr reizender Mund lachte, und
ihre junge Gestalt erschien wie getragen von Lust und Freude. -- Albano
beneidete plötzlich ihren Tänzer, er, der seit Jahren schon den Blasirten
gespielt auf allen Bällen. Er bat Herrn von Plessow ihn seiner Nichte
vorzustellen. -- »Hatte das meine Frau nicht schon gethan?« fragte der
verwundert indem er ihn zu Elisabeth führte. »Herr Albano kann jetzt Deinen
Onkel ein wenig ablösen bei Dir, liebes Kind, und Dein Zeichnen und Malen
überwachen. Er ist unser erster Landschaftszeichner. Du mußt ihn aber recht
freundlich bitten daß er Dir helfe, er ist gewohnt gebeten zu werden,«
setzte er scherzend hinzu.

Ein Schatten von Ernst flog plötzlich über die Stirn des jungen Mädchens.
»Dazu hätte ich nicht den Muth, Herr Onkel,« antwortete sie. »Sie wissen,
wie verzagt ich geworden bin mit meinem Zeichnen! Ich habe nie geträumt daß
man soviel dabei zu lernen hätte. -- Ach, ich kann ja noch gar nichts, und
niemand wird so viel Geduld haben mit mir als Sie!« -- »Sie erlauben,
daß wir darüber zu einer andern Zeit ausführlicher reden,« sagte Albano
verbindlich. »Morgen z. B., wenn ich meine Mappe bringe. Jetzt aber möchte
ich Sie nur bitten den nächsten Tanz mit mir zu tanzen.« -- »O! ich bin
schon für den ganzen Abend versagt!« entgegnete sie plötzlich wieder in
heller Freude aufleuchtend, mit einem triumphirenden allerliebsten Lächeln.

»Nun, dann muß ich eine Extratour haben!« bat er, sich zuerst vor ihr, dann
vor ihrem Tänzer verneigend. Ueber und über erglühend nahm sie seine Hand.
Wie lange hatte er nicht getanzt. In diesem Augenblicke dachte er daran,
aber er empfand zugleich ein süßes Behagen, eine Wiederkehr längst
entschwundener jugendlicher Lebenslust, als er seinen Arm um ihre schlanke
Taille legte und ihre kleine, rasch pulsirende, Hand in der seinen
fühlte. Wie leicht flog sich's mit diesem Kinde! Wie flüchtig berührt ein
siebzehnjähriger Fuß den Boden! -- Wie anmuthig waren die Bewegungen seiner
jungen Tänzerin die noch nie den glatten Boden eines Tanzsaals betreten, ja
die noch kein französischer Tanzmeister geschult!

Albano hatte früher für einen der besten Tänzer gegolten, er mühte sich in
diesem Augenblick diesen Ruhm aufzufrischen, und als er seine Tänzerin an
ihren Platz zurückgeführt, begriff er nicht warum er dem angenehmen Reiz
des Tanzes so lange entsagt. »Sie tanzen gut!« sagte sie und sah mit ihrem
Kinderlächeln dankend zu ihm auf. -- Dies naive Lob entzückte ihn so daß er
den Rest des Abends im Tanzsaal verbrachte, abwechselnd zuschauend oder mit
Elisabeth plaudernd. Als die jungen Leute endlich aufhörten zu tanzen, und
die jungen Damen sich um Elisabeth drängten -- sie war ja die Nichte des
Hauses wo man sich so gut amüsirte, und viel zu unelegant um ihnen zu
schaden -- da verschwand Albano.

»Modernisiren Sie doch Ihre artige Verwandte ein wenig, Liebe!« sagte die
Gräfin Darschau bittersüß scherzend, als eben Albano zu Frau von Plessow
herantrat um sich zu verabschieden. »Geben Sie ihr ein wenig Unterricht in
jener Kunst, in der Sie unser aller Meisterin sind, -- die böse Welt könnte
sonst auf den Gedanken gerathen Sie fürchteten eine Nebenbuhlerin!« --
»Unsere Darschau hat Recht!« setzte die überschlanke Comtesse Feldern
hinzu. »Etwas mehr Stoff für das Kind, liebe Plessow -- -- mein Gott, das
blaue Taffetfähnchen ist ja kaum vier Ellen weit!« -- »Und dennoch ist
Fräulein Elisabeth ganz unbeschreiblich reizend!« Mit diesen neckisch
hingeworfenen Worten, und einer tiefen Verbeugung vor der Dame des Hauses,
entfernte sich Albano.

Elisabeth konnte an diesem Abend lange nicht einschlafen vor lauter Freude.
Zwar hatte die »Frau Tante« sie ungewöhnlich unfreundlich entlassen zur
guten Nacht, und sie ein tolles Landmädchen gescholten, -- es war aber doch
schön hier. -- Sie hätte nie gedacht, daß solche »=soiréen=« so angenehm
wären. Köstlich lebte sich's in diesen schimmernden Räumen, unter diesen
liebenswürdigen Menschen, die ja alle ein Lächeln für sie hatten. An all
dieser Freundlichkeit hatte gewiß auch das schöne hellblaue Taffetkleid der
guten Mutter seinen Theil -- wie hübsch sah es doch aus am Abend! --
Sie sah sich noch einmal aufmerksam im Spiegel an. »Wenn die Mutter
mich gesehen hätte!« seufzte sie. »Die beiden Fräulein Warburg fanden es
freilich nicht genug ausgeschnitten, sie meinten, die Schultern dürften
nie bedeckt sein, das mache eine schlechte Figur. Und Alle trugen ein
Blumenbouquet vor der Brust, das möchte ich wohl auch künftig tragen. Aber
es könnte Flecken geben auf der schönen Seide. Wie habe ich das Kleid lieb
-- wie köstlich tanzte sich's in dem Kleide, aber am Besten doch mit -- --
mit wie hieß er doch?«

Seinen Namen hatte sie vergessen, aber seine Augen nicht. Schönere hatte
sie nie gesehen! -- Und sie träumte von diesen Augen und der Tanzmusik und
dem blauen Kleide die ganze Nacht.

       *       *       *       *       *

Am nächsten Tage, -- Elisabeth saß in ihrem Stübchen und arbeitete an den
Zeichenvorlagen die ihr Herr von Plessow gegeben, -- rief man sie hinab in
das Boudoir der »gnädigen Frau.« -- Albano war da mit seinen neuen Skizzen.
Das junge Mädchen begrüßte ihn erröthend und nahm an dem Tische Platz,
worauf man die kostbaren Blätter gelegt. -- Frau von Plessow, im
Sammetsessel lehnend, in ihrem dunkelblauen Atlaskleide und coquettem
Häubchen, wandte sich nur wenig nach ihr um und sagte vornehm nachlässig,
indem sie mit ihrem goldenen Lorgnon spielte: »Berühren Sie diese Blätter
nicht, Elisabeth -- Sie verstehen nicht mit dergleichen Dingen umzugehen!«

Eine Purpurgluth überströmte das junge Gesicht. Albano, der in diesem
Augenblick zu ihr herübersah, begriff nicht wie er sie gestern so
bezaubernd gefunden. Wie übermäßig frisch sah sie aus, und wie unmodern
war sie angezogen! -- Dies abscheulich grüne Wollkleid mit dem schwarzen
Moireegürtel, und diese dichten weißen Aermel mit den unächten Spitzen
an dem Handgelenk! Und dazu eine stehende kleine Halskrause von einem
dunkellila Bande zusammengehalten! -- =Quel horreur!= -- Wie konnten
nur die Hände so ausgezeichnet hübsch aussehen, die aus solchen Aermeln
hervorsahen? -- Er wunderte sich aber auch als er das offenbar gekränkte
Mädchen jetzt so freundlich sagen hörte: »Sie irren, Frau Tante! Der Vater
hat eine große Kupferstichsammlung, und ich weiß gar wohl, wie behutsam man
dergleichen berühren muß!«

Albano reichte ihr ein Blatt hin und sagte: »ich bin nicht so ängstlich
mit meinen kleinen Skizzen, mein Fräulein.« -- Sie lächelte wieder und sah
plötzlich in diesem Lächeln so hübsch aus, wie man in einem »abscheulichen
grünen Wollkleide« nur aussehen kann. -- Allein sie blieb still, während
die Andern sehr viel und lebhaft von »Tönen -- Tinten -- Lichteffekten und
Uebergängen« redeten, aber ihre ganze Seele war in ihren Augen, indem sie
diese reizenden Farbenskizzen anblickte. -- Als man das letzte Blatt in
die Mappe gelegt, saß sie seinen Augenblick wie in tiefe Gedanken verloren,
dann schlug sie plötzlich die Hände vor's Gesicht und Thränen drangen
zwischen ihren Fingern hervor, während die junge Brust sich von
unterdrücktem Schluchzen hob.

»Was soll diese Kinderei?« fragte unwillig Frau von Plessow, während ihr
Mann einige mitleidige Worte an die Weinende richtete. -- »Ach!« sagte
Elisabeth nach einer Pause mit der Stimme eines tieftrauernden Kindes dem
man sein liebstes Spielzeug zertreten, »als ich diese Bilder sah, da wurde
es mir erst klar, daß ich -- doch _nie_ eine rechte und ordentliche Malerin
werden kann!« -- »Liebe Kleine,« lachte die schöne Frau, »das hätte ich
Ihnen schon früher sagen können. Eine Malerin wird nicht aus einer Jeden
die ein bischen zeichnen kann, -- und wenn auch vielleicht eine Malerin,
doch sicher noch keine Künstlerin.« -- »Die Tante scherzt,« sagte Herr
von Plessow sehr mild; »Du zeichnest ganz artig und machst tüchtige
Fortschritte. Mit den Farben hast Du es ja noch gar nicht versucht. Die
Meister fallen nicht mehr vom Himmel, sie müssen sehr langsam zu Meistern
werden.« -- »Darf ich Herrn Albano bitten daß er einmal meine Skizzenbücher
und Zeichnungen durchsieht?« fragte Elisabeth plötzlich sich aufrichtend.
»Er soll mir sagen, ob ich -- noch länger hier bleiben oder -- nach
Hause gehen soll. Ich weiß, er wird aufrichtig sein!« -- »Hier meine Hand
darauf!« antwortete Albano rasch, den diese Scene seltsam berührt hatte.
»Lassen Sie mich Ihre Zeichnungen sehn und vertrauen Sie mir!« -- Das
junge Mädchen verließ das Zimmer. »_Er_ wird aufrichtig sein?! -- =Pauvre
enfant!=« flüsterte Frau von Plessow mit einem Seitenblick auf den
Maler. --

Es war ein ziemlich dickes Buch und mehrere einzelne Blätter, das Elisabeth
brachte. Ehe jedoch Albano einen Blick darauf warf, sagte er: »Aber ich
gebe mein unumwundenes Urtheil nur unter _einer_ Bedingung, mein Fräulein.
Sie dürfen mir nämlich durchaus nicht böse werden, wenn es nicht nach
Ihren Wünschen ausfällt.« -- Sie schüttelte, blässer werdend, den Kopf
und verließ dann mit ihren Blicken sein Gesicht nicht mehr. -- Während er
langsam Blatt für Blatt umschlug, wechselte sie oft die Farbe und athmete
schnell.

Endlich klappte der Maler das Buch zu und sagte lächelnd: »wenn Sie mir
versprechen wollen, eine gehorsame Schülerin zu sein -- so möchte ich wohl
Herrn von Plessow um die Erlaubniß bitten, ihn einigemal in der Woche bei
seinem Unterricht unterstützen zu dürfen. Ich weiß, wie beschränkt seine
Zeit ist!« -- Elisabeth unterdrückte einen Freudenschrei -- aber sie ließ
ihre seligen Augen leuchten. »Erlauben Sie es auch, lieber Herr Onkel?«
fragte sie dann, und als Herr von Plessow lachend sagte: »ich muß mich
sogar bei ihm bedanken für solch großmüthiges Anerbieten!« -- da neigte sie
mit dem Ausdruck reizendster Demuth ihre Lippen auf die Hand der »gnädigen
Frau« und bat: »nicht wahr, auch _Sie_ werden es erlauben?«

»Wie wunderbar hübsch sie jetzt ist!« dachte Albano, während Frau von
Plessow kalt ihre Hand zurückzog und in gezwungen scherzhaftem Tone sagte:
»Meine Erlaubniß ist überflüssig -- ich selbst möchte vielmehr um Erlaubniß
bitten, in diesen Unterrichtsstunden als Zuschauerin figuriren zu dürfen,
=ma chère=. Wer weiß, vielleicht nehme ich selbst noch den Pinsel in
die Hand und wetteifere mit Ihnen!« -- Die Sache war abgemacht. -- Man
betrachtete noch einmal die Skizze mit der Akropolis, plauderte, kritisirte
-- Albano erzählte -- der kleine Zwischenfall schien vergessen.

       *       *       *       *       *

»Der Gottfried hat wieder einen Brief mitgebracht von Elisabeth!« rief
die Pastorin durch die halbgeöffnete Thür in ihres Mannes Studierstube.
-- »Endlich! Sie ließ diesmal lange warten!« -- »Nun wir haben heut den
12. März und der letzte Brief war vom 1. Februar. Du vergißt immer, wie
viel die Kleine mit ihrem Zeichnen zu thun hat.« -- »Gieb nur schnell das
Schreiben her.« -- »Die Aufschrift ist an mich, Väterchen. Ich muß zuerst
lesen. Komm Du lieber in die Wohnstube hinunter, da will ich Euch vorlesen.
Hier treibt mir der Tabaksqualm ohnehin das Wasser in die Augen. Und der
Gottfried möchte doch auch gern zuhören.« -- »Gut, so laß uns gehn.«

Während er aber langsam hinter der Voraneilenden die knarrende Treppe
hinabstieg, murmelte er doch ärgerlich: »daß sie diese Tabaksempfindelei
nicht ablegen kann! Qualm! Als ob je aus einer einzelnen Pfeife ein Qualm
aufsteigen könnte!« --

Der Pastor und dessen junger Substitut mußten sich jedoch noch lange
gedulden und schritten, in zwar sehr einsilbigen, aber doch kirchlichen
Gesprächen auf und nieder. Die Mutter mußte ja erst den Brief allein lesen,
ganz allein, dann wurde ein Weilchen geweint, nachher kamen verschiedene
Ausrufe und endlich las sie dann, oft unterbrochen von eigenen und fremden
Bemerkungen, folgenden Brief:

»Geliebte Mutter! -- Böse mußt Du mir nicht sein, und auch der Vater darf's
nicht, daß ich so lange nicht geschrieben -- ich hab's selber bis zu dieser
Stunde nicht gewußt daß es so viele Tage her war. Es fiel mir nur auf, daß
Frau von Plessow mich heute fragte, ob ich nicht daran denken wolle meine
Kleider und Hüte für das Frühjahr zurecht machen zu lassen. Da erfuhr
ich denn erst, welches Datum wir schreiben. In der Stadt merkt man ja den
Frühling nicht, wie Ihr ihn merkt da draußen. Am 12. ist ja Gottfrieds
Geburtstag -- wenn ich Zeit habe, schreibe ich ihm eine französische
Gratulation unter den Brief.

»Recht viel habe ich zu thun, liebe Mutter, und doch, wenn ich am Abend zu
Bette gehe, bin ich oft recht traurig, denn es kommt mir dann vor, als ob
ich nichts gethan. Eine ganze große Mappe voll Zeichnungen habe ich, die
ich Euch einst mitbringen werde, aber es stehen nicht wie sonst Bäume,
Felsstücke, Wasserfälle, sondern Arme, Beine, Füße und Köpfe darauf. Albano
behauptet ich hätte mehr Talent zum Porträt als zur Landschaft. Ich habe
nämlich seinen Kopf aus dem Gedächtniß nachgezeichnet, und den fand er in
meiner Mappe. Selbst Frau von Plessow fand ihn ähnlich und hat ihn in ihr
Album gelegt. Er ist aber auch so leicht zu treffen, die Linien sind alle
so schön und regelmäßig. Ich freue mich eigentlich, daß ich Porträtirtalent
haben soll, es ist so hübsch ein liebes Gesicht so festzuhalten. Euch Alle
will ich zeichnen, Dich, liebe Mutter, in der Blondenhaube mit den
breiten Bandschleifen, die Du immer des Sonntags trägst, den Vater im
Sammetkäppchen und mit der Pfeife, und den Gottfried? -- Ja, wie zeichne
ich den gleich? -- Am besten wohl über ein Buch geneigt, die Augen tief
niedergeschlagen, wie ich ihn immer Abends beim Vorlesen sah. -- Auch
Brigitte wird gezeichnet im Sonntagsputz, die Katze auf dem Schooße.

»Du fragst gewiß, wann das geschehen wird, Mütterchen. Freilich noch nicht
so bald als wir dachten, aber doch, so Gott will, bestimmt im nächsten
Herbst. Wer hätte geglaubt, daß so sehr viel zu lernen sei! -- Zu den
Farben bin ich noch gar nicht gekommen! -- Ich begreife nicht, daß Albano
nicht die Geduld mit mir verliert. Aber er ist eben so unendlich gut --
ich könnte mir keinen bessern Lehrer wünschen. -- Im Sommer wollen mich
Plessow's mit auf ihr Gut nehmen, da will ich aber doch ganz heimlich
wieder Baumschlag und Landschaft studieren. Ein kleines Atelier soll ich
dort haben, und mich malen zu lehren, hat mir der Onkel versprochen. Das
sind wunderschöne Aussichten. Und Stoff zu Porträts werde ich genug finden,
denn es soll immer sehr viel Besuch dort sein. -- Obgleich man sagt, daß
man mit dem Porträtiren sich viel Geld verdienen könne, so möchte ich doch
lieber -- arm bleiben, wenn ich dafür nur einen kleinen Theil so warm, so
leicht, so lebendig skizziren könnte wie Albano. Ach! wenn ich Euch einmal
ein Stückchen Landschaft von ihm zeigen könnte!

»Ein recht unruhig Leben haben wir hier -- ich möchte manchmal davonlaufen
vor all den Besuchenden. Sitze ich in meinem Stübchen, so schickt Frau von
Plessow wohl zehnmal im Vormittag herauf, bald soll ich eine neue Mantille,
die mir der Herr Onkel gekauft, anprobiren, bald mir vom Schneider Maß
nehmen lassen zu einem neuen Kleide, das mir Frau von Plessow schenkt, bald
muß ich mit ihr in die Läden fahren, bald mich einigen Fremden vorstellen
lassen. Deine lieben Kleider, gute Mutter, und die langen Shawls habe ich
aber nicht etwa aufgetragen, behüte mich der Himmel, ich soll sie nur
jetzt eine Weile liegen lassen, Frau von Plessow hat einen so wunderlichen
Geschmack.

»Um sie nicht böse zu machen, ziehe ich die Sachen an, die sie mir giebt,
aber will ich mich einmal recht nach meinem Sinne putzen und vergnügt sein,
so schließe ich meine Thür zu und ziehe eines der Kleider an die Du mir
gegeben. Besonders lieb habe ich das blaßblaue Seidenkleid -- ich trug es
ja an meinem ersten Tanzabend! -- Weißt Du, wann ich nur ganz allein bin,
liebe Mutter? -- Nach Tische, von 3--4, zuweilen sogar bis 5. Dann aber
fahren wir aus, und Abends besucht Frau von Plessow Gesellschaften oder das
Theater, und ich spiele mit dem Herr Onkel und zwei seiner alten Schwestern
Whist, oder wir bleiben ganz einsam und spielen Schach.

Auf einen Ball wollten mich Plessow's zuweilen mitnehmen, aber ich habe ja
dem guten Vater versprochen niemals in öffentlichen Sälen zu tanzen, und
werde mein Versprechen auch gewissenhaft halten. Aber schön mag's dort
sein, Albano erzählt mir oft davon, und wenn Frau von Plessow so strahlend
hervorschaute aus einer Wolke von leichten und glänzenden Stoffen, Blumen
und Perlen, da -- nun, Dir darf ich's ja leise in's Ohr sagen, Mütterchen,
da wurde ich so traurig, wie wohl Aschenbrödel gewesen sein mag, wenn sie
ihre Stiefschwestern zum Balle schmückte. Wenn dann der Wagen fortgefahren
war und ich so allein saß -- lauschte ich doch heimlich, ob nicht aus
irgend einem Winkel eine gute Fee hervortreten würde, ein Gewand von
Silberstoff für mich in der Hand tragend. -- Im Theater sehe ich immer nur,
wie ich's ja gleichfalls dem Vater versprochen, lauter ernste Stücke. Wie
im Traume bin ich wenn der Vorhang aufgegangen, und es ist mir, als lebte
ich wirklich mit denen, die da auf- und niedergehen vor mir, und hätte auch
ein Wörtchen darein zu reden. Wenn Albano in der Plessow'schen Loge nicht
immer hinter mir säße und mich mit ruhigen Worten und Erklärungen zur
rechten Zeit aufweckte, wer weiß welchen Unsinn ich begehen würde. --
Nur das Weinen kann ich nicht unterdrücken; neulich in der Maria Stuart
stürzten mir die Thränen unaufhaltsam aus den Augen. Es war mir, als
fühlte ich mein Herz in Stücke brechen, wie sie von dem treulosen Leicester
scheidet. Sie hat ihn nämlich noch lieb, Mutter, Du kannst mir's glauben,
ich fühlte das. Ich war nur froh, daß sie bald ausgelitten hatte, -- der
Gang zum Tode kann ihr nicht schwer geworden sein -- das Leben wäre ja
doch viel schwerer gewesen. -- Warum hat uns Gottfried niemals Maria Stuart
vorgelesen?

»Liebe, liebe Mutter, schreibe mir nur bald und erzähle mir recht von Euch.
Knurrt der alte Caro noch immer so, wenn Gottfried vorübergeht? --

»Wie mir's nur sein wird, wenn ich wieder einmal in der Laube sitze oder an
der Mauer lehne, wo ich auf den Kirchhof sah! -- Nun, zu Deinem Geburtstag
im Oktober bin ich wieder bei Euch. Liebe Mutter, ich kann dem Gottfried
nicht mehr besonders gratuliren, thu Du's recht von Herzen für mich. Albano
wird gleich hier sein, und ich muß hinuntergehen um Papier und Stifte
zurecht zu legen. Lebe wohl, Du Liebe, Gute! Ich denke oft daran, wie
einsam es Dir sein mag in unserm stillen Dorfe, da Du ja auch weißt wie
bunt und schön sich's in der Stadt lebt. --

»Wie viel werde ich Euch zu erzählen haben, wenn ich heimkehre! Der
Gottfried braucht dann nicht vorzulesen, den ganzen Winter lang nicht. --
Ich grüße Euch alle und umarme Dich und den Vater in Gedanken viel hundert
tausendmal. -- Elisabeth.

»Nachschrift. -- Ich gehe auch alle Sonntage in die Kirche, aber der alte
Konsistorialrath hat keine Zähne mehr, und da können nur die ihn verstehn,
die dicht unter der Kanzel, oder ihr gerade gegenüber sitzen. Sie haben
hier auch auf allen Bänken Schilder mit Namen, wie bei uns, auch klappert
der Küster gerade so hart mit dem Klingelbeutel wie in unserer Kirche. Aber
viele geputzte Damen gehen hin, und die Herren stehen in den Gängen umher
und gucken sich keck frei die verschiedenen Gesichter an. -- Ich bin recht
traurig immer auf dem Heimwege, daß ich nie dort von Herzen andächtig sein
kann. Wenn mir der Vater nur nicht böse wird deßhalb!« --

Mit strahlenden Augen reichte die Mutter den Brief dem Vater hin. »Sie ist
da wie Kind im Hause,« sagte sie freudig, »sie hat ein gutes Leben dort!«
-- »Und wird als tüchtige Malerin zurückkommen,« meinte der Pastor, nahm
die Brille aus dem Futteral und setzte sich behaglich an das Fenster,
um die Epistel noch einmal zu lesen. »Ich wundere mich nur,« murmelte
er zwischen dem Lesen, »daß sie gar nichts von meinen alten
Universitätsfreunden schreibt, für die sie doch dicke Briefe mitgenommen --
von dem muntern Fritsche, ehemaligem Calculator, und vom dicken Senf,
der uns immer Predigten hielt und nun Nachmittags-Prediger an der F.
Frauenkirche ist, so viel ich weiß.«

»Elisabeth lebt in einem gar vornehmen Hause,« fiel hier Gottfried Berger
ein, und seine sonst so sanfte Stimme klang so bitter und verändert, daß
beide Eltern aufsahen. Er stand abgewendet von ihnen an dem Fenster und
trommelte leise an die Scheiben. -- »Sie haben ganz recht! Ich
glaube nicht, daß eine Frau wie die Plessow, mit Calculatoren und
Nachmittags-Predigern verkehrt!« sagte die Pastorin kühl. -- »Nun, ein
Nachmittags-Prediger ist doch immer ein Prediger, und wer steht denn höher
in der menschlichen Gesellschaft als ein geweihter Diener des Herrn?«
rief der Pastor, sich hoch aufrichtend mit allem Stolz jenes souveränen
Herrschers, dem die Macht gegeben »zu binden und zu lösen.« -- »Wer höher
steht?« wiederholte der junge Kandidat und wandte langsam sein bleiches
Gesicht dem Fragenden zu. »Hier in M. freilich niemand, lieber Onkel; in
großen Städten aber gilt jeder Pinsel mehr heut zu Tage.« --

»Herr Kandidat -- die Kinder mit dem Geburtstagsstrauß sind draußen!«
meldete Brigitte. »Sie haben aber gewaltig schmutzige Klumpen (Holzschuhe)
an; in die Wohnstube kann ich sie nicht lassen, die ist gestern erst
gewaschen.« -- »Sie mögen in meine Stube kommen!« antwortete Gottfried und
verließ das Zimmer.

Draußen begrüßte ihn eine kleine Schaar mit Händedrücken und frohem
Gemurmel. Das größte Mädchen trug einen Strauß von Tannenreisern und
Märzveilchen in der Hand. Er nickte ihnen freundlich zu und schloß seine
Stube auf. Nach kurzem Kampf mit Brigitten, die ihnen gewaltsam die
beschmutzte Fußbekleidung abnahm, drängte sich die kleine Schaar in
Strümpfen nach. -- Der junge Mann hörte geduldig allerlei stockende
Glückwünsche an, versprach den Ueberbringern für nächsten Sonntag einen
Kuchen, und die Kinder gingen vergnügt wieder weg.

Da saß er nun allein, -- den Strauß von Tannenzweigen in den Händen, in
tiefe Gedanken versunken. Der starke Duft des winterlichen Grüns durchzog
die kleine Stube. Das Feuer im Ofen warf seinen flackernden Schein auf
den Fußboden, der mit weißem Sand, von Brigittens kunstfertiger Hand in
allerlei Schlangenwindungen, bestreut war, Regentropfen schlugen an die
Scheiben, Frühlingswinde fuhren draußen durch die kahlen Bäume -- er hörte
es nicht. -- Seine geistigen Augen sahen eben jetzt einen hellen Sommertag
-- die Rosen blühten und die Linde -- ein warmer Abendschein lag auf dem
stillen Garten. Er sah sich auf dem Rande jener Mauer, welche die Gräber
abgrenzte von den Blumenbeeten, und -- den breiten Kiesweg hinab kam eine
schöne junge Gestalt in einem blaßrothen leichten Kleide, eine Epheuranke
um die schweren braunen Flechten geschlungen, eine verwelkte Rose im
Gürtel.

»Zum Nachtessen, Herr Kandidat!« rief die harte Stimme Brigittens ins
Stübchen. -- Hatte er denn so lange geträumt? --

       *       *       *       *       *

Jedes Geschöpf hienieden hat seinen Sonnentag -- jedes Menschenherz seinen
Frühling. Aber wie ein nordischer Frühling verschieden ist von dem Lenz des
Südens, so sind auch die Frühlinge der Herzen verschieden. Wie viele liegen
im Norden -- in wie wenigen glüht die Wärme des Südens! -- Wohl aber, --
tausendmal wohl jenen Wenigen! Für _sie_ ist aller Blüthenreichthum da,
aller Glanz, alles Licht, wie in jenen gesegneten Ländern des ewig blauen
Himmels, und vernichten auch furchtbare Erdstöße oft mit einem Schlage die
ganze Herrlichkeit -- ist es nicht besser, neidenswerther, _einen_ Tag
lang überreich gewesen zu sein -- als sich mondenlang zu begnügen mit einer
Handvoll kargen Grüns, blasser Blumen, spärlicher Sonnenstrahlen? --

Ueber Elisabeths Herz hing der Himmel des Südens -- es war, als sei _sie_
beschenkt worden mit all jener Wärme, die sowohl der Natur des Vaters, wie
dem Wesen der Mutter fehlte -- und in diesem jungen Herzen blühte eben der
erste köstliche Frühling. -- Es war Sonnenschein da und Blumenpracht und
Lerchenjubel und Nachtigallenklage: -- ein junges Herz liebte mit aller
Kraft, aller Gläubigkeit und aller Sorglosigkeit einer ersten Liebe. --

Seit drei Monden waren sie alle auf dem reizenden Plessow'schen Gute, zwei
Stunden von der Stadt gelegen, -- seit drei Monaten fand das junge Mädchen
einen Tag schöner als den andern, seit drei Monaten lebte sie mit Albano
unter einem Dache und sah ihn täglich. -- Sie war freilich niemals allein
mit ihm, -- er redete kaum zehn Worte mit ihr, und sie sah ihm auch oft
mit stiller Trauer nach, wenn er an der Seite der Frau vom Hause seine
regelmäßigen Spazierritte unternahm. Denn wie vortheilhaft erschien die
zierliche Gestalt der eleganten Reiterin, wie keck saß der braune Hut mit
Feder und Schleier auf den blonden Locken, und wie schön war Albano zu
Pferde! -- Recht lange währten diese Ausflüge, meinte Elisabeth, und so gut
sie dem »Herrn Onkel« war, der dann immer mit ihr spazieren ging, oder auf
der Terrasse saß und ihre Zeichnungen korrigirte, so hätte sie es -- sie
wußte nicht recht warum -- doch lieber gehabt, wenn er sie ganz allein
gelassen. -- O, sie war so gern allein! -- Es ließ sich so köstlich -- an
_ihn_ denken. --

Ob er sie wieder liebte, daran dachte sie lange nicht; sie hatte genug an
ihre eigene Liebe zu denken. Später -- es war an einem schönen Sommerabend,
viele Fremde waren da, und sie hatte viel hin und wider zu gehn und für
Jeden zu sorgen -- da hatte er ihr wohl klar gezeigt, daß auch er sie
liebe. -- Man war nämlich ein wenig in den nahen Wald gegangen -- Frau
von Plessow am Arm des schönen Grafen Reinberg voraus, hinter ihnen
verschiedene Paare, der »Herr Onkel« war mit einigen gichtischen alten
Herren zurückgeblieben. Wer war da plötzlich an die einsam nachschlendernde
Elisabeth herangetreten? Wer hatte ihr da einen Waldblumenstrauß gepflückt
und Grashalmenkränze im Weiterwandeln für sie gebunden? Und als sie auch
_ihm_ einmal die Halme zum Kranz gehalten und ihm gesagt, daß er sich nun
etwas Ernstes, Großes wünschen könne, da hatte er leise geantwortet: »ich
wünsche mir nur _Eines_ für mein Leben -- wollen Sie's wissen, Elisabeth?«
-- Aber von einer süßen Angst ergriffen, hatte sie da den Kopf schütteln
und dann langsam die Augen zu ihm aufschlagen müssen. -- Da war sie denn
seinen Augen begegnet, die ihre Seele an sich gezogen mit unwiderstehlicher
Gewalt -- und es war über sie gekommen wie Seligkeit und Entsetzen
zugleich, und sie hätte in den Wald hineinlaufen mögen, so weit als ihre
Füße sie getragen. -- Und doch war sie nicht entflohen, sie hatte vielmehr
ihren Arm in den seinen gelegt, und so waren sie neben einander schweigend
hergegangen, bis sie die Gesellschaft erreicht.

Das war Alles gewesen -- aber dieser Waldgang erschien in ihren schönsten
Träumen -- an dieser Erinnerung hing sie mit Seele und Gedanken. -- In
dieser zauberschönen Zeit bemerkte sie nicht, daß Frau von Plessow immer
kälter und härter gegen sie wurde, -- sie lebte eben in einer andern
Atmosphäre. Keiner Wolke aus der Alltagswelt gelang es, ihren Himmel zu
trüben. -- Nie war sie lieblicher gewesen, nie heiterer, nie hatte sie
von allen, die das Plessow'sche Haus besuchten, größere Aufmerksamkeit
erfahren. Wäre sie kein armes Predigerstöchterlein gewesen -- viele hätten
ihr zu Füßen gelegen, viele hätten um ihre Gunst geworben, viele hätten
es für ein Glück gehalten, eine so reizende junge Braut zu erringen! -- So
aber -- unsere Geschichte spielt in der Neuzeit, -- war »die Kleine« vor
allen Dingen nicht reich, zweitens hatte sie einen abscheulich plebejischen
Namen, drittens sprach sie nicht Englisch, und viertens war sie durchaus
nicht musikalisch. -- Sie war also, nach Ansicht der heirathsfähigen
Männer, eine Null im Plessow'schen Salon, freilich hübsch genug »=pour
passer le temps= mit der Kleinen.« --

Während dessen träumte aber im stillen Pfarrhaus von M. eine Mutter
wunderbare Träume vom einem vierspännigen Wagen mit gräflichem Wappen am
Schlage -- von einer strahlenden Braut im weißen Spitzenkleide, die in der
Dorfkirche getraut wurde, um gleich darauf mit ihrem jungen Ehegemahl eine
Reise nach Italien anzutreten, von Koffern, Hutschachteln, Kisten u. s. w.

Albano war sehr gewissenhaft in seinen Unterrichtsstunden, alles Neue
reizte ihn. Regelmäßig jeden Vormittag verbrachte er bei den beiden Frauen,
mit der Einen plaudernd -- die Andere unterweisend. -- Elisabeth war eine
talentvolle Schülerin und unermüdlich fleißig. Die Welt der Farben, in die
sie jetzt die Hand des Geliebten einführte, entzückte sie. Es war ihr,
als schmölzen sie alle zusammen zu einem prächtigen Farbenbogen, einem
strahlenden Bande, dazu bestimmt ihre Herzen fester aneinander zu ziehen.
-- Ueber das erste, nach der Natur gemalte Bouquet jubelte sie, um in
der nächsten Stunde traurig die unerreichbare Wärme, den unnachahmlichen
Schmelz der wirklichen Blumen mit ihren gemalten zu vergleichen. -- Und
dennoch sagte ihr Albano: »Sie könnten eine der ersten Blumenmalerinnen
werden -- aber dann müßten Sie auch einen andern bessern Lehrer haben,
_ich_ verstehe nichts davon. Wenn wir wieder in die Stadt kommen, muß S.
Ihnen Unterricht geben.« -- Sie hörte schweigend zu; aber seit jenem Tage
wurde sie lässiger im Malen der Blumen und fing, zu seiner Ueberraschung,
an sich in Aquarell-Landschaften zu versuchen. Auch hierin zeigte sie
Talent, auch hierin machte sie Fortschritte -- Albano war ja ihr Lehrer.

Einmal hörte sie von ihm den Ausspruch: »Frauen sollten _nur_ Blumen malen
lernen, wenn sie den Pinsel in die Hand nehmen, sie würden sicher sein uns
auf diesem Felde allezeit zu besiegen. -- Eine Frau, die historische Bilder
und Landschaften schaffen will, erreicht im besten Falle nur dasselbe, was
eine Frau erreicht, die -- einen Roman schreibt. -- Wir Männer bilden uns
nämlich doch immer ein es tausendmal besser zu verstehn als sie. Und nicht
ganz mit Unrecht! -- Ein ächter Mann wird übrigens in unserer Zeit ebenso
selten Blumenmaler, wie eine kräftige Feder sich herabläßt Lilien- und
Rosenmärchen zu schreiben.« --

Zwei Tage nachher brachte sie ihrem Lehrmeister eine wilde Rose in
Wasserfarben, halb vom Stengel gebrochen, einen Thautropfen auf den
Blättern, mit einer so reizenden Grazie und Wärme gemalt, daß er sie bat,
ihm das Blatt zu schenken. -- Wie stolz und freudeglühend sah sie zu, als
er es in seine Mappe legte! --

Die erste Liebe eines reinen jungen Mädchenherzens ist doch das
unschuldigste, lieblichste, traurigste Ding der Welt, -- ein Strahl, der
dem Gegenstand den er trifft, erst Farben, Glanz und Wärme verleiht. --
Und wie der Sonnenstrahl zerfallenes Gemäuer, zerbröckelte Felsen, die
alltäglichsten und ärmlichsten Dinge rosig verklärt, -- so die erste
Mädchenliebe die unbedeutendsten Gestalten. -- Ein ächtes Mädchenherz liebt
es eben zu malen und zu schmücken, und je mehr graue Flächen vorliegen,
desto freudiger geht es an die Arbeit und malt und malt, bis die wirkliche
Erscheinung jenem reizenden Fantasiebilde, wie es jede junge Seele mit
sich herumträgt, täuschend ähnlich sieht. -- Nur Schwärmer reden von einem
unwiderstehlichen Zuge der Seele zur Seele in solcher Zeit. -- Hand auf's
Herz -- die feurigsten reinsten Mädchenherzen lieben fast immer zuerst um
Nichts. --

In einem flüchtigen Beobachter wäre wohl kaum noch ein Zweifel aufgestiegen
daß Elisabeth und Albano sich liebten. Das junge Mädchen verrieth sich zwar
nur durch ihr strahlendes Erröthen, durch ihr freudiges Aufleuchten, wenn
er sich zu ihr wandte, durch ihre Begeisterung, wenn von seinen Bildern
gesprochen wurde; Albano dagegen zeigte bei jeder Gelegenheit die
lebhafteste Theilnahme an ihrem Sein und Wesen, und seine wirklich schönen
dunklen Augen hingen an der jungen Gestalt mit sichtlichem Entzücken.

Frau von Plessow selbst war es, die ihren Mann zuerst scherzend aufmerksam
machte auf die Vorliebe des Malers für die »kleine Feldblume.« Plessow
zuckte nur die Achseln und antwortete: »eine Laune -- wie wir sie von
ihm gewohnt sind! Elisabeth wird aber vernünftig genug sein, das
herauszufühlen. Um ihren verlorenen Frieden wäre es schade. Ich werde auf
sie achten!« --

Die Plessow'sche Ehe galt schon mehrere Jahre lang für ein Musterverhältniß
in den höheren Kreisen F.s. Der stattliche Fünfziger hatte nach
zwölfjährigem Witwerstande seinen Namen und sein Vermögen der armen, aber
reizenden Adele Felsen zu Füßen gelegt. Sie brachte ihm zwar kein freies,
aber ein dankbares Herz zu -- er hatte sie ja aus einer drückenden Lage im
Hause hochmüthiger Verwandten erlöst, und eine Jugendliebe zu einem armen
Offizier war ohnehin hoffnungslos. -- Fast zehn Jahre lang stand sie als
anmuthige Wirthin und liebenswürdige Frau dem Hause ihres Mannes vor, der
sie schmückte und werth hielt wie ein Lieblingsspielzeug. Er versagte ihr
keinen Wunsch, aber sie war auch so artig, nur die billigsten Wünsche zu
äußern -- die unbilligern höchstens errathen zu lassen. -- Die Gesellschaft
hatte bis vor einem Jahre über Frau von Plessow nicht mehr zu flüstern
gewagt, als sie eben über jede hübsche Frau, die einen ältern Mann
geheirathet, zu flüstern gewohnt ist. -- Da erschien Albano, der junge
elegante Maler, im Plessow'schen Hause -- die Scenerie veränderte sich --
die Beleuchtung wechselte. -- Die Männer spöttelten, die Frauen munkelten,
verdammten, kreuzigten -- aber nicht, weil hier eine Frau heilige Pflichten
zu verletzen schien -- sondern nur -- weil der schönste Mann F.s den
kunstreichsten Netzen sich entzogen hatte, um in den Locken der »kleinen
koketten Plessow« hängen zu bleiben! --

Eines Tages -- der Herbst kam heran, man redete schon davon in die Stadt
zurückzukehren -- unternahmen Plessow's mit einigen ihrer Gäste einen
Ausflug nach einer, wenige Stunden vom Gute entfernten Ruine. -- Mehrere
Damen, unter ihnen Elisabeth, fuhren, -- Frau von Plessow und die Männer
ritten. Wieder war Albano an ihrer Seite -- wieder wehte die braune Feder
und der lange Schleier, und stolz lächelnd, mit flüchtigem Kopfnicken und
fliegenden Locken, sprengte die graziöse Frau vorüber. -- Ein Seufzer flog
ihr nach -- ein schöner Mädchenkopf unter einem runden Hute neigte sich
weit über den Wagenschlag, um ihr nachzusehen. -- Als der Wagen aber nach
kurzer Fahrt vor dem Wirthshause hielt, trat Albano an den Schlag -- und
einen Augenblick lang nur zitterte Elisabeths Hand in der des Geliebten --
und fühlte einen kurzen heißen Druck, -- aber solche Augenblicke werden
zu seligen Jahren in der Erinnerung, Dank dem Gotte der uns die Erinnerung
gönnte! -- Nachdem man eine Erfrischung genommen, bestieg man die
romantische Burg, Elisabeth am Arme ihres »Herrn Onkels« war die Letzte
im Zuge. -- »Erspare mir die steile Bergtreppe, mein Kind,« sagte Herr von
Plessow plötzlich, »im Burggarten ist die Aussicht ebenso schön -- komm,
ich will Dir's beweisen, auch möchte ich gern mit Dir ein Wort allein
reden.«

Sie sah ihn ahnungsvoll an und ließ sich schweigend von ihm führen. -- Der
Burggarten war groß, romantisch verwildert, und voll poetischer Plätzchen,
die einen Blick in das weite Land gestatteten. An Grotten, verfallenen
Bassins und eingestürzten Brücken fehlte es nicht, Herr von Plessow zog
es aber vor sich auf eine neugezimmerte Bank zu setzen, die der Wirth
der naheliegenden Waldschenke für die Besucher der Ruine an einer der
lieblichsten Stellen hatte aufführen lassen.

Als Elisabeth neben ihm Platz genommen, sagte er ohne alle Einleitung: »ich
habe heute einen Brief von Deinem Vater erhalten. Die Eltern wünschen, daß
Du vor dem Winter nach Hause kommst, -- die Mutter wird Dir wohl selbst in
diesen Tagen schreiben. Der junge Berger will fort. Er hat sich zu einer
Pfarrstelle in S. gemeldet und wird bald dort eine Probepredigt halten.«
-- »Gottfried will den Vater verlassen?« rief Elisabeth und schlug staunend
die Hände zusammen. -- »Ueberrascht Dich das so sehr?« -- »Wie sollte es
nicht, Herr Onkel! Und Unrecht ist es auch vom Gottfried!« -- »Warum?«
-- »Nun, er hat mir ja versprochen die Eltern nicht zu verlassen, bis
ich heimkomme.« -- »Hast Du ihm denn alle _Deine_ Versprechungen so
gewissenhaft gehalten, daß Du ihn so streng richtest?« -- »Ich habe dem
Gottfried im Leben noch nichts versprochen als das Eine: bald möglichst
nach M. zu kommen. Sie wissen ja selbst, Herr Onkel, daß ich das nicht
halten konnte.«

»Aber -- Elisabeth, sieh mich nicht so erschreckt an! -- der Vater schreibt
ganz so als ob ihr Beiden euch _näher_ anginget, der junge Berger und Du --
als ob --« -- »Gottfried und ich? Gewiß gehen wir uns nahe an -- wir haben
uns lieb wie Bruder und Schwester.« -- »Nein, Elisabeth -- so ist's nicht!
Und wenn Du's nicht weißt oder nicht wissen willst, so laß mich Dir's nur
rund heraussagen: -- Dein Vater will, daß Du den Gottfried heirathest,
und der Gottfried will Dich auch zur Frau, -- aber jetzt denkt er daß
ein Anderer Dich ihm streitig gemacht hat, und da will er denn, nach Art
unglücklicher Liebhaber, allsogleich auf und davon gehen.« --

Todtenblaß schaute das Mädchen dem Sprechenden ins Gesicht und ihre Hand
zitterte, als sie nach einer Weile die Hand Plessows berührte und mit
veränderter Stimme bemerkte: »Herr Onkel, _das_ kann der Vater nicht
wollen!« -- »Lies den Brief selber, mein Kind! Der Vater ist plötzlich
ängstlich geworden um Dich und verlangt Dich heim. -- Und wenn Du meinen
Rath hören willst, mein Kind -- Du weißt, ich habe Dich lieb, sehr lieb
sogar -- so geh! -- Geh, Elisabeth, so lange es noch Zeit ist.« --

Er verstummte, denn Stimmen wurden laut und Fußtritte, die Gesellschaft
überraschte die Zurückgebliebenen. Elisabeth steckte den Brief wie im
Traume zu sich -- sie schrack zusammen, als neben ihr Albano's Stimme
leise, halb scherzend, sagte: »jetzt weiche ich nicht mehr von Ihrer
Seite!«

Man streifte durch den Garten. Ein breiter Fahrweg durchschnitt
unbarmherzig die schönsten Taxuswände, Fuhrleute und arme Wanderer
zogen darüber hin, unbekümmert um die gestürzten steinernen Helden und
Göttergestalten, die hart an der Straße, überwuchert von Gras und
Kräutern, lagen. -- Herbstblätter bedeckten den Weg, den jetzt die elegante
Gesellschaft betrat. -- Der Himmel hing blau über ihnen, die Sonne schien
warm, und fröhliches Lachen klang durch die heitere Luft. Die geschmückten
Frauen, leicht über den rauhen Pfad hinschreitend, erschienen so glücklich
und anmuthig, die Männer so liebenswürdig -- die Unterhaltung war so
lebhaft und glänzend, der landschaftliche Hintergrund so reich -- es war
ein lebendiges Wouvermann'sches Bild in moderner Tracht.

Elisabeth erschien ungewöhnlich lebhaft, sie plauderte hastig mit ihrem
Begleiter, aber ihre Wangen glühten, ihre Augen schimmerten feucht. In
all dieses Schwirren fröhlicher Menschenstimmen klang jetzt plötzlich ein
fremder trauriger Ton -- das Glöcklein des Monstranzdieners. -- Aus dem
Walde hervor schritt ein ehrwürdiger Priester, gefolgt von dem Meßner, der
die letzte heilige Labung einem Sterbenden entgegen trug -- Alle traten
zur Seite -- der einzige Katholik unter ihnen -- Paul Albano -- beugte das
Knie. -- Aber -- war es eine weiße Wolke die neben ihm zur Erde sank in
demselben Augenblick? -- Er hob die Augen -- dicht an seiner Seite kniete
Elisabeth am Rande der Straße, die Hände gefaltet -- das holdselige Gesicht
überströmt von einem verklärenden Schimmer von Andacht und -- Liebe. --

Warum sie niedergesunken -- sie wußte es nicht; sie betete, weil sie eben
ihren Geliebten beten sah; sie warf sich mit ihm, neben ihm in den Staub
vor dem Gotte der ihr reines Herz -- ihre Liebe kannte; sie hatte in diesem
einen überwältigenden Moment alles vergessen, nur das Eine nicht: daß sie
neben ihm, _mit ihm_ auf den Knien lag. -- Der Priester lächelte gütig,
machte das Zeichen des Kreuzes über diese beiden jungen Häupter -- und
wandelte weiter. -- Das Glöcklein verhallte, die ganze Scene ging vorüber
wie ein Schattenspiel. --

Elisabeth kam erst wieder zu sich bei dem Klange einer scharfen
Frauenstimme, die folgende Worte sagte: »seit wann kniet die Tochter eines
protestantischen Geistlichen vor einem katholischen Kaplan? Sie spielen
ja recht artig Komödie, Fräulein Müller!« -- Frau von Plessow war es, die
spöttisch lachend neben Elisabeth stand.

Das junge Mädchen erhob sich. Verwirrt blickte sie umher; sie begegnete
überall neugierigen Augen; man flüsterte mit einander -- man flüsterte über
sie! -- Jetzt erst besann sie sich _was_ sie gethan; aber ihre plötzliche
Verwirrung, ihr Erröthen und Erblassen galt nicht jener Gesellschaft, der
sie unbewußt »eine artige Vorstellung« gegeben -- Elisabeth dachte einzig
und allein in diesem Moment an ihren Vater. -- Was würde er empfunden
haben, hätte er sein Kind _so_ gesehen! -- Sie fühlte ihr Herz heftig
schlagen -- sie fühlte, wie eine namenlose Angst herankroch: -- sie rang
nach Athem. »Komm, mein Kind,« sagte jetzt die gedämpfte Stimme Plessow's.
»Es ist besser, wir fahren nach Hause -- Du und ich. -- Meinst Du nicht
auch Elisabeth?« -- »Ja, ja, nach Hause!« wiederholte sie und athmete auf.
-- Noch einmal wandte sie im Fortgehen den Kopf zurück -- Albano stand
neben Frau von Plessow, -- seine Augen trafen die ihren mit einem tiefen
dunklen Blick.

Als sie im Wagen neben ihrem stummen Begleiter saß, wandte sie sich
plötzlich gegen ihn und sagte: »ich will aber wirklich nach Hause, Herr
Onkel!« -- »Du thust wohl daran, mein Kind!« lautete die Antwort. --
»Morgen früh will ich fort! Ich muß dem Vater alles sagen!« -- »Wußtest Du
nicht, daß Albano ein Katholik sei?« -- »Nein! Ich sah nur daß er betete
und -- ich betete mit ihm.« --

»Aber Elisabeth, glaubst Du, der Vater, _Dein_ Vater, würde zugeben, daß
Du, sein einziges Kind, eines Katholiken Weib würdest?«

Sie sah ihn erblassend an -- ein Ausdruck von so unendlicher Angst breitete
sich über das Gesicht, daß Plessow mitleidig seinen Arm um sie schlug und
sehr weich sagte: »sei nur ruhig, Elisabeth, ich schreibe selbst an Deinen
Vater -- es wird schon alles gut werden. Albano hat doch sicher längst
mit Dir geredet?« -- »Er hat mir nie gesagt daß er mich zu seiner Frau
begehre,« antwortete sie, und ihr Auge strahlte wieder, »aber ich weiß ja
-- daß er mich lieb hat, denn --« -- »Was denn?« -- »Denn -- _ich_ liebe
ihn ja so über alle Maßen!« Sie war in diesem Augenblicke wunderschön in
ihrer einfachen starken Zuversicht. -- »Armes Kind!« murmelte Plessow. --

Sie sprachen nun Beide kein Wort weiter miteinander auf der Rückfahrt,
und als sie aus dem Wagen gestiegen, ging Elisabeth sogleich in ihr Zimmer
hinauf. -- Herr von Plessow hielt sie nur noch einmal zurück, um ihr zu
sagen: »Morgen Mittag, sobald ich aus der Stadt komme, sprechen wir weiter
mit einander. Bringe Deine Sachen nur einstweilen in Ordnung, vielleicht
begleite ich Dich selber nach M. -- Mit der Post kannst Du nicht reisen,
die fährt des Nachts um zwei Uhr hier vorbei.« --

Die übrige Gesellschaft kam erst mit Dunkelwerden zurück -- Elisabeth
ließ sich zum Souper entschuldigen, und bald nach neun Uhr zogen sich die
verschiedenen Gäste in ihre Gemächer zurück. --

Es war fast zehn Uhr als Elisabeth, inmitten ihrer fast krankhaften
Geschäftigkeit, sich plötzlich erinnerte, ihr Skizzenbuch im Salon
vergessen zu haben. Es mußte auf dem Klavier liegen, Albano hatte diesen
Morgen noch darin geblättert. -- Sie nahm ein Licht und ging geräuschlos
die teppichbelegten Treppenstufen hinunter. Im Vorzimmer war es leer, die
Thür des Salons nur angelehnt, -- es war noch Licht da, auch in dem Boudoir
der Frau vom Hause, das dicht daran stieß. Das junge Mädchen fand die Mappe
und wollte eben wieder den Rückweg antreten, als eine tiefe, ach nur zu
sehr geliebte Männerstimme gedämpft, von dem Nebenzimmer her, an ihr Ohr
schlug. Sie hörte Albano reden und stand still, keine Macht der Welt hätte
sie jetzt dazu gebracht von dieser Stelle zu weichen. Starr, ein schönes
Steinbild, das Buch an die Brust gedrückt, den kleinen silbernen Leuchter
mit der brennenden Kerze in der Hand, stand sie und lauschte: -- _er_
redete ja! -- Bleicher als das weiße Kleid, das sie trug, wurden ihre
Wangen, ungestüm schlug ihr Herz -- aber sie wankte nicht -- es war ja
_seine_ Stimme! --

»Aber ich will sie nicht länger dulden in meinem Hause -- sie ist eine
gemeine Kokette!« sagte die bebende Stimme der Frau von Plessow. --
»Erlauben Sie mir zu bemerken daß meiner Ansicht nach Elisabeth sich grade
in _dieser_ Hinsicht bis jetzt wunderbar ungelehrig gezeigt hat!« -- »Wie?
Sie wagen es mir gegenüber dies Mädchen in Schutz zu nehmen?« -- »Sie
bedarf meines Schutzes nicht, meine Gnädige. Wer so rein und blumenhaft wie
dieses junge Wesen --.« »Ich verbitte mir alle sentimentalen Phrasen! Sie
langweilen mich!« -- »Aber um Gotteswillen Ruhe, Adele! Sie sind ja außer
sich -- Sie sind -- -- verblendet!« -- »O! Sie meinen ich sei eifersüchtig?
Lassen Sie mich lachen! Und recht von Herzen! -- Nein, Paul, _solche_
Nebenbuhlerin fürchte ich noch nicht!« -- »Aber Sie dürften sie vielleicht
zu fürchten haben, wenn Sie -- Elisabeth beleidigten, wenn Sie das Mädchen
zwängen Ihr Haus zu verlassen!« -- »Auf diese Drohung hin wage ich es,
mein Herr! -- Oder hätten Sie vielleicht Lust die kleine Pastorstochter
zu heirathen? Eilen Sie -- Papa und Mama in M. werden Sie mit offnen Armen
aufnehmen. Ein Schwiegersohn ist allzeit willkommen. Gehen Sie -- versäumen
Sie keine Zeit mein Herr -- wer möchte Sie halten?« -- »Und wenn ich nun
diese Erlaubniß benutzte?« -- Ein halb unterdrückter Schrei -- der Name
»Paul!«, ausgestoßen in Verzweiflung und Zorn, drang in Elisabeths Ohr.

Das junge Mädchen glitt hinweg, geräuschlos wie sie gekommen. --

Als die Postkutsche in der zweiten Morgenstunde langsam heranrollte, stand
eine verhüllte Frauengestalt, ein kleines Bündel in der Hand, am Wege, hart
am Thore des Plessow'schen Gartens. -- »Nach M.« sagte eine schüchterne
Stimme. -- Der Wagen war leer. -- Die Dame stieg ein, die Pferde trabten
weiter, und das Geräusch der Räder verlor sich allmählich in der tiefen
Stille der Nacht. -- --

Elisabeths kleine Dienerin brachte am frühen Morgen dem Herrn des Hauses
folgenden Brief:

»Lieber Herr Onkel! -- Zürnen Sie mir nicht, daß ich eher abgereist bin als
ich wollte. Ich _mußte_ fort, ich würde gestorben sein wenn der Postwagen
nicht gekommen wäre. O wäre ich nur schon zu Haus! -- Fragen Sie mich aber
nie, weßhalb ich so schnell fortlief, schreiben Sie mir auch nie,
auch nicht dem Vater -- schicken Sie mir nur meine Staffelei und mein
Malergeräth. -- Ich will wieder fleißig sein, recht fleißig, damit ich es
auch verdiene, daß Sie mich lieb haben. -- Dank für Ihre Güte -- Dank für
alles -- Gott segne Sie! -- Elisabeth.«

       *       *       *       *       *

Wie still waren die langen Herbstabende in dem Pfarrhause! -- Die
Schwarzwälder Uhr in der Wohnstube tickte einförmig, der Pastor saß
rauchend und sinnend in einem Sessel, die Pastorin strickend auf dem harten
Sopha, Gottfried Berger auf einem Strohsessel ihr gegenüber. Zwar lagen
zwei Bände »Lebensbeschreibungen berühmter Deutschen« auf dem Tische, zwar
fing der Kandidat regelmäßig nach dem Nachtessen an darin zu lesen -- er
wurde aber sicher, noch ehe er zwei Seiten vollendet, von irgend einem
Etwas unterbrochen. Entweder fiel nämlich die Nadel der Frau Pastorin unter
den Tisch, und er bückte sich sie aufzuheben, oder die Pfeife des Pastors
erlosch, und der Lesende war es der es zuerst bemerkte und einen Fidibus
anzündete, und bei solchen Gelegenheiten war man ehe man sich dessen
versah, in das allgemeine Lieblingsgespräch vertieft, das sich immer und
immer wiederholte und dessen doch niemand müde wurde: man redete über
Elisabeth. -- Ihre Briefe wurden aus dem Strickkörbchen, wo sie jederzeit
lagen, hervorgeholt, und wieder und wieder durchgegangen und hin und her
besprochen.

Wochen waren vergangen, seit der letzte Brief ins Pfarrhaus geflogen. Und
diese Zeilen waren so jubelvoll gewesen, und doch so kurz, daß der Vater
über das theure Porto schalt. Nachher meinte er aber doch das Blättchen
habe ihm Freude gebracht, obgleich im Grunde nichts darin gestanden, es
sei ihm gewesen, als ob Elisabeth in alter Weise ihm heimlich einen
Blumenstrauß ins Studierzimmer gestellt. -- Der Mutter Herz hatte im
Stillen gejubelt und in ihr Abendgebet jenen Mann eingeschlossen, dessen
Namen ihr Kind _nicht_ in diesem letzten Zettelchen genannt. -- »Sie wird
die Frau eines berühmten Künstlers, der Himmel hat meine Pläne gesegnet.
Gott behüte das Plessow'sche Haus.«

An demselben Abend hatte sie eine lange Unterredung mit ihrem Gatten, und
als sie sein Studierzimmer verließ, nahm sie die Genugthuung mit hinweg,
daß der Pastor, anscheinend wenigstens, von einer seiner Lieblingsideen
völlig zurückgekommen sei. Er hatte nämlich am Schlusse jenes wichtigen
Gespräches geäußert: »es sei ihm jetzt ganz lieb und recht, daß der
Gottfried die Pfarrstelle in S. erhalten und in einem Monat dahin abgehe.«
-- Seitdem war aber eine Pause eingetreten, die allmählich anfing auf alle
zu drücken: -- Elisabeth schrieb nicht.

Es war am Abend vor Gottfried Bergers Abgang nach S. -- draußen pfiff ein
schneidender Herbstwind, der Himmel zeigte sich grau verhangen, die welken
Blätter retteten sich in wilder Flucht von den Bäumen, als fürchteten sie
noch einen schlimmern Feind als -- den Tod. Drinnen in der Wohnstube hatte
man schon längst die grüne Schirmlampe angesteckt, auch brannte ein kleines
Feuer im Ofen, -- die Drei saßen wie immer um den runden Tisch.

»Ob die Postkutsche schon durchgekommen sein mag?« fragte die Pastorin
eben. -- »Sie wird in zehn Minuten hier sein,« antwortete Berger mit
melancholischer Stimme, »ich will hinunter gehn zum Postverwalter,
vielleicht ist heute ein Brief da.« -- Und er rückte seinen Stuhl, wie
jeden Abend, und stand auf um seinen Hut zu nehmen. Da klinkte es an
der Hausthür -- da kamen Schritte -- da klopfte es wie im Fluge an die
Stubenthür -- eine hohe Mädchengestalt im verhüllenden Mantel und Hute
trat ein, ehe Jemand »herein« gerufen, -- eine sanfte Stimme sagte: »Vater!
Mutter! Gottfried!« -- Herr Gott des Himmels -- es war das Kind, -- es war
Elisabeth!

Als Vater und Mutter sie umfaßt hielten, da begriffen Beide nicht daß sie
dies Kind so lange entbehren konnten. -- Aber als die Mutter ihr den Mantel
und den Hut abnahm und der Vater den Schirm von der Lampe abhob, damit der
volle Lichtschein das geliebte junge Angesicht treffe, da war es ihnen, als
sei das nicht mehr jenes Mädchen, das damals von ihnen gegangen. -- Größer
war sie geworden, doch blaß -- recht sehr blaß -- und ihr Lachen war nicht
mehr so fröhlich -- ihre Stimme klang anders.

»Und Du kommst allein, -- und so überraschend, -- warum schriebst Du
nicht vorher?« fragte die Mutter und küßte sie wieder und wieder. -- »Der
Gottfried wollte ja fort, und da mußte ich wohl kommen,« antwortete sie
scherzend, aber die Augen standen ihr voll Thränen. -- »Er geht auch morgen
nach S. zur Probepredigt für nächsten Sonntag,« sagte der Vater. Sie sah
ihn erstaunt an. »Also wirklich? Auch nicht noch einen Tag sollen wir mehr
mit einander plaudern, Gottfried?« -- »Willst Du es -- so kann ich noch
einen Tag bleiben.« -- »Ich bitte Dich darum!«

Die Pastorin konnte es diesen Abend kaum erwarten ihr sichtlich ermüdetes
Kind in die Schlafkammer zu führen, -- sicherlich hatte Elisabeth eine Last
froher Mittheilungen auf dem Herzen. Sie sah ja ganz aus wie eine heimliche
Braut -- so ernst, so gedankenvoll, sie wechselte die Farbe so jählings! --

Endlich waren die Stunden des Hin- und Herfragens, und das Nachtessen,
vorüber, -- Brigitte hatte in der Freude ihres Herzens den Eierkuchen
verbrannt -- und Mutter und Tochter waren allein im stillen Kämmerlein.
-- Die Pastorin stellte den Leuchter auf den Tisch, und nestelte wie
sonst ihrem Kinde das Kleid los. Aber Elisabeth sprach und fragte nur
gleichgültige Dinge, wenngleich sie sich's gefallen ließ daß die Mutter,
wie vormals, sie auskleidete, ihr das Haar einflocht und das Nachtkleid
überwarf. -- »Dein Haar ist viel schöner geworden, sieh, ich bringe die
Flechten kaum unter das Häubchen!« sagte die Pastorin mit mütterlichem
Stolz. »Und wie viel hübscher verstehst Du Dich zu kleiden! Du hast auch
gewiß allerlei Schönes mitgebracht. Plessow's waren ja so gut gegen Dich.
Wann kommen Deine Sachen?«

Als ihr Kind den Kopf auf die Kissen gelegt, setzte sich die Mutter auf
den Rand des Bettes, und herab sich beugend zu der lang entbehrten jungen
Gestalt, flüsterte sie bewegt: »hat meine Tochter auch ihr altes schönes
Vertrauen zur Mutter wieder mitgebracht?« -- Da schlang Elisabeth ihre
beiden Arme um den Nacken der Mutter und brach in ein heißes Weinen aus.
Lange lange kam kein Wort über ihre Lippen, das Schluchzen sänftigte sich
nur allgemach, und als die Thränen endlich milder flossen, konnte sie nur
kaum vernehmbar murmeln: »es ist alles -- alles vorbei. Aber bitte, bitte,
frage mich nicht -- ich muß sterben wenn ich davon reden soll! Es
ist vorbei und ich bleibe bei Euch für immer.« -- Sie hatte die Hände
zusammengepreßt und sah mit dem Ausdruck tiefsten Leides zu ihr auf.

»Ich verspreche es, wenn Du wieder ruhig werden willst,« antwortete die
weinende Mutter. -- »Nun gute Nacht denn, Mütterchen,« sagte sie mit der
Zärtlichkeit früherer Tage, »aber bete, ehe Du gehst, noch einmal mein
Kindergebet mit mir. Ich habe es lange nicht mehr gebetet.« Und leise
flüsterten nun zwei bewegte Stimmen:

  »Müde bin ich, geh' zur Ruh,
  Schließe meine Augen zu,
  Vater laß das Auge dein
  Ueber meinem Bette sein.

  Hab' ich Unrecht heut gethan,
  Sieh' es lieber Gott nicht an,
  Deine Gnad und Christi Blut
  Macht ja allen Schaden gut.

  Kranken Herzen sende Ruh,
  Nasse Augen schließe zu,
  Alle Menschen groß und klein
  Sollen Dir befohlen sein.«

Die Mutter küßte die Tochter noch einmal und ging. -- Ob der liebe
Gott wohl diese nassen jungen Augen schloß, in dieser ersten Nacht im
Vaterhause?

       *       *       *       *       *

Seltsame Tage waren es, die nun kamen und gingen im Pfarrhause. Es war
scheinbar alles wie sonst und doch alles anders. Zuerst kam der Gottfried
schon am zweiten Tage und erklärte, daß er nicht nach S. zur Probepredigt
reisen werde. Er gab an, einen Brief erhalten zu haben, der die Aussicht
auf Erfolg dort seinerseits zweifelhaft gemacht. Der Pastor und seine
Frau sahen ihn zwar zuerst mit großen Augen an, freuten sich aber dann
aufrichtig den gewohnten Hausgenossen behalten zu dürfen. Elisabeth reichte
ihm stummdankend die Hand.

Sie saß jetzt wieder wie früher mit der Mutter im Wohnstübchen, -- Abends
versammelte man sich um den runden Tisch, Gottfried las, als ob man gar
nichts zu Plaudern hätte, aber es war etwas Fremdes zwischen Allen, das
keiner mit Namen zu nennen wußte. Das junge Mädchen trug Kleider von
anderm Schnitt, ihr Haar war in anderer Weise geordnet, aus den Schläfen
weggestrichen, in Puffen zurückgeschlagen und hinten in einen tiefen Knoten
zusammengenommen. Die edlen Linien ihres jugendlichen Profils traten so
sehr blendend hervor. Die Rundung ihres Gesichts war aber verschwunden, die
Wangen zeigten eine merkliche Verminderung ihrer sonstigen Fülle, und
leise Schatten lagen unter den Augen. Das fröhliche Singen durchs Haus,
das leichte Springen Trepp ab, Trepp auf, das helle Auflachen -- alles war
nicht mehr da. Ernst glitt die junge Gestalt durchs Haus und sah man sie
die Treppe hinaufsteigen, so meinte man, sie müsse müde sein, sehr müde. --
Zu den Poststunden zeigte sie eine gewisse fieberhafte Spannung, die Keinem
entging. »Ich erwarte meine Staffelei und mein Malergeräth,« sagte sie dann
wie zur Entschuldigung.

Eine Woche war vergangen -- da kam Gottfried Berger eines Abends nicht
allein von der Post zurück; Männer, die verschiedenes Gepäck trugen,
folgten ihm, und Allen voraus eilte ein kleiner starker Herr in einen
Mantel gehüllt. Er war schon in der Wohnstube, ehe Berger das Pfarrhaus
erreichte.

»Plessow!« rief die Mutter freudig überrascht. Der Pastor stand auf
und legte seine Pfeife bei Seite. Aber Plessow beachtete keinen Gruß.
»Elisabeth, liebes böses Kind!« rief der Eintretende mit dem heitersten
Gesicht, »ich bin Dir nachgelaufen! Nicht nur Deine Sachen mußte ich Dir
selbst bringen, sondern auch eine gar gute Nachricht dazu!« -- Und damit
wollte er sie umarmen, aber sie sah ihn mit weitgeöffneten Augen, ohne sich
zu regen an, wurde todtenblaß und sank dann plötzlich zurück. Sie war zum
erstenmal in ihrem Leben ohnmächtig geworden.

Das gab denn eine gewaltige Bewegung und viel rathloses Hin- und Herrennen,
bis endlich Gottfried das Fenster öffnete, und die Bewußtlose dem frischen
Luftstrom entgegentrug. -- Sie kam wieder zu sich und streckte auch gleich
mit freundlichem Lächeln dem »Herrn Onkel« die Hand entgegen. Er neigte
sich zu ihr herab und flüsterte ihr zu: »so sei doch ruhig, wunderliches
Kind! Mein Kommen bedeutet das Beste. Ich selbst bin jetzt mit der ganzen
Geschichte ausgesöhnt. -- Denke Dir, der Schmetterling hat gestern bei mir
um Dich angehalten -- wirklich angehalten -- und ich trage Briefe an Dich
und den Vater in der Tasche!«

Da brach ein Freudenstrahl aus ihren Augen, da stand ein siegendes Lächeln
auf, in ihrem Angesicht -- aber nur einen Moment lang -- dann erwiederte
sie leise aber fest: »Und Sie sind doch _umsonst_ geschrieben, diese
Briefe!« -- Er sah sie ungläubig an, -- dann bat er den Pastor in
scherzhafter Feierlichkeit um eine Unterredung unter vier Augen,
überreichte ihm ein Schreiben, drückte Elisabeth einen Brief in die Hand
und setzte sich in der Sophaecke zurecht. -- Das junge Mädchen verließ
sofort das Zimmer.

»Ich denke, wir können diese Unterredung hier abmachen,« sagte der Pastor
etwas unruhig. »Vor meiner Frau kann ich kein Geheimniß haben, und vor dem
Gottfried da _mag_ ich keins haben, besonders, wenn es unsern gemeinsamen
Liebling, die Elisabeth angeht, wie ich vermuthe.« Aber Berger war schon
aufgestanden, schützte einen dringenden Krankenbesuch im Dorfe vor, und
ging hinaus.

       *       *       *       *       *

Das Gespräch der Drei währte lange, lange. -- Die Mitternachtstunde war
vorüber, als sie sich trennten. Die Pastorin geleitete mit rothgeweinten
Augen ihren Gast in die Fremdenstube. An der Thür gab Plessow ihr noch die
Hand und sagte verdrießlich: »Dein Mann ist ein Starrkopf, wie ich ihn
nie gesehn! Heut zu Tage macht kein Mensch mehr einen Unterschied zwischen
einem katholischen oder protestantischen Schwiegersohn. Hätte ich eine
Tochter, und sie wollte einen Juden oder Türken heirathen -- und er wäre
brav und das Kind hätte sein Glück in ihm gefunden, -- ich sagte Ja. Und
ein Prediger will intoleranter sein als wir gewöhnlichen Menschenkinder,
die wir dem lieben Herrgott doch lange nicht so nahe stehen? -- Er mag sich
in Acht nehmen, daß ihm diese Starrköpfigkeit nicht seine Tochter kostet.
Ein Mädchenherz ist ein zerbrechlich Ding.« -- »Warum habe ich sie je von
mir gelassen!« schluchzte die Pastorin.

»Versuche Du Dein Heil mit ihm -- wir Beide sind fertig mit einander.
Morgen spreche ich noch einmal mit Elisabeth, und dann reise ich ab. Gute
Nacht!«

Die tiefbetrübte Mutter schlich noch einmal an Elisabeths Kämmerlein und
drückte auf die Klinke. -- Die Thür war jedoch abgeschlossen, auf ihr
leises Rufen kam keine Antwort. »Gott sei Dank! Sie wenigstens schläft,«
dachte sie und ging wieder hinab.

Das junge Mädchen saß aber völlig angekleidet vor einem kleinen Tische, und
hatte eben unter tausend, tausend Thränen folgende Zeilen an Paul Albano
niedergeschrieben:

»Sie haben mir in Ihrem Briefe gesagt, daß Sie mich liebten, und mich
gefragt, ob ich Ihr Weib werden wolle. Vor wenig Wochen hätte mich solch
ein Geständniß und solch eine Frage selig gemacht -- jetzt machen mich Ihre
Worte nur ganz unsagbar traurig. -- Vor wenig Wochen glaubte ich ja noch,
daß _Sie_ mich liebten wie _ich_ Sie liebte -- -- das ist nun vorbei. --
Ich weiß jetzt daß Sie mir nur geben, was Sie einer Andern genommen, oder
-- was eine Andere verschmäht, -- und die kleine Predigerstochter ist zu
ehrlich und zu stolz solche Geschenke anzunehmen. -- Fragen Sie nicht woher
mir dies traurige Wissen kommt, -- ich würde es Ihnen doch nie gestehen,
wie ich es wohl keinem Menschen gestehen werde.

»Ob mein Vater seine Einwilligung geben würde zu einer Heirath seines
Kindes mit einem Katholiken, weiß ich nicht, -- Alle, die ihn kennen
zweifeln daran. Wäre Ihre Frage aber vor Wochen gekommen, Albano, Gott weiß
es daß meine Liebe stark genug gewesen ihm zu trotzen mit jenem Spruche,
der allen Gläubigen gleich heilig sein muß: »_Du sollst Vater und Mutter
verlassen und Deinem Manne anhangen._« -- Jetzt hat meine Liebe eines
verloren: -- den Muth.

»Leben Sie wohl, Albano! Ich liebe Sie -- also glaube ich an ein
Wiedersehn, und da ich hier auf Erden nicht Ihr Weib werden sollte, so
vergessen Sie nicht, daß ich Sie im Himmel mein nennen will. Leben Sie
wohl, tausend, tausendmal, lieber, geliebter Albano! -- Elisabeth.«

»Ein Narr mag eine Mädchenliebe begreifen!« murmelte Plessow, als er am
andern Tage in dem Wagen saß und nach F. zurückrollte. »Die Kleine ist,
seit sie die Luft im Elternhause athmet, wie verwandelt und noch toller
als der Alte. -- Nun, meintwegen mag sie heirathen wen sie will. Im Grunde
gönne ich dem Schmetterling Albano diese Zurückweisung -- das Herz
bricht ihm nicht darüber! Aus dem Kinde werde ich aber nicht klug.
Erst kompromittirt sie sich aus Liebe zu dem Wildfang vor einer ganzen
Gesellschaft -- kaum eine Woche darauf weist sie den regelrechten
Heirathsantrag desselben Mannes zurück, weil -- ihr Vater nicht will daß
sie die Frau eines Andersgläubigen werde! Und mit welcher Ruhe giebt sie
ihm den Abschied! Da glaube einmal Einer noch an die Beständigkeit eines
Frauenherzens.«

       *       *       *       *       *

Von nun an war es stille, sehr stille im Pfarrhause. -- Zwar kamen noch
einige Briefe aus F. an die Pastorin, nach deren Empfang sie mehrere Tage
mit verweinten Augen umherging, -- auch an Elisabeth kamen Briefe, die sie
aber uneröffnet verbrannte. Gesprochen wurde über den Besuch Plessow's nie
wieder, nach des Mädchens ausdrücklichem Wunsch. Ihre Staffelei hatte
sie in dem sogenannten Gartenzimmer aufgestellt und arbeitete unermüdlich
fleißig, -- aber sie malte nur Blumen, gepflückt auf jenen einsamen
Spaziergängen die der Vater ihr jetzt schweigend gestattete. Die
Zusammenstellung der einzelnen Blumen und Gräser beschäftigte sie oft Tage
lang -- sie saß wie in tiefen Träumen verloren zwischen all dem Grün und
den Blüthen, die sie gesammelt.

Die Bilder aber die dann entstanden, hätte man nicht »Stillleben,«
sondern »Seelenleben« nennen mögen, es mußten dem warmherzigen Beschauer
lieblich-wehmüthige Gedanken kommen, beim Anblick dieser Schöpfungen.
Aus dem kleinen Stückchen frischen Rasen z. B., auf dem eine Hand
voll Feldblumen hingestreut war, standen Märchen auf, und das in einem
zerbrochenen Glase geordnete Bouquet Astern, an deren schönster ein todter
Falter hing -- war ein gemaltes Gedicht.

Vater und Mutter standen oft bewundernd vor ihres Kindes Staffelei --
aber Elisabeth nahm nicht mehr wie sonst ihr Lob mit freudigem Erröthen
entgegen. Es war überhaupt etwas Fremdes zwischen Eltern und Tochter
getreten, für das Niemand einen Namen wußte, und das auch Keiner dem Andern
gestehen mochte. -- Nur das Verhältniß Elisabeths zu Gottfried gestaltete
sich unerwartet freundlich, zur großen Genugthuung des Pastors, der
allmählich im Stillen seine alten Lieblingsideen wieder aufnahm. -- Sie
bat den Vetter zuweilen ihr vorzulesen, sie plauderte mit ihm in den
Dämmerstunden, sie zeigte ihm ihre Bilder, sie verkehrte mit ihm recht
wie eine zärtliche Schwester mit einem Bruder, von dem sie lange getrennt
gewesen. Und er? -- Nun er war still wie immer, aber er schien heiterer als
seit langer Zeit. Keinen Moment ließ er sie aus den Augen, allezeit bereit
für sie zu thun was sie eben von ihm begehren mochte, und nur zuweilen
bekümmert daß sie eben so wenig begehrte.

»Die Kinder finden sich endlich,« flüsterte der Pastor einmal seiner Frau
zu, »und wenn ich den Gottfried bewegen könnte, sich einstweilen um
eine kleine Pfarre zu bewerben und wegzugehn, so hoffe ich das Beste. --
Trennung ist allezeit ersprießlich für die Liebe. Elisabeth wird sich in
einem Jahre nicht mehr weigern Frau Pastorin zu werden, und wenn ich einmal
todt bin entgeht dem Gottfried diese Pfarre nicht. Ihre Zukunft ist nun
geordnet -- wir werden Freude an dem Mädchen erleben! Sie ist ja auch mein
starkgläubiges vernünftiges Kind!«

Das »starkgläubige« Kind war seltsamer Weise nur nicht zu bewegen in die
Kirche zu gehn, auch spielte sie nie mehr mit dem Vetter jene vierhändigen
geistlichen Lieder, die zu hören dem Vater immer so viel Freude gemacht.
-- Dagegen hatten manche Leute sie am Marienbilde gesehn, und auch im
Gespräche getroffen mit der freundlichen Jungfer Marianne, der alten
Schwester des katholischen Pfarrers.

       *       *       *       *       *

Es geschieht oft, daß ein Stück Leben hinschleicht, Jahre lang, wie ein
schwüler Sommertag, daß man immerfort ein Gewitter ahnet und doch noch
keine Wolke sieht, von der herab der zerschmetternde Blitzstrahl zucken
soll.

So waren im Pfarrhause fast zwei Jahre vergangen. Gottfried Berger war
schon seit Monaten wohlbestallter Paster in L., kaum zwei Stunden von M.
-- Einen anderen sehr steifen und sehr trockenen Kandidatus Theologiä hatte
man in seine Stelle geschoben, der mit der Familie in gar keiner Verbindung
stand. Die Pastorin kränkelte, Elisabeth lebte malend und still einen Tag
wie den andern fort. -- Sie ging umher mit ernsten Augen und traurigem
Lächeln, und die alte Brigitte pflegte von ihr zu sagen, sie schaue aus wie
Jemand, dem man einen kalten schweren Stein auf's Herz gebunden. Regelmäßig
jeden Morgen in der ersten Frühe trat sie ihren Spaziergang an, Winter und
Sommer, und kam um acht Uhr wieder heim. --

So war denn wieder einmal ein Frühling gekommen. Die Laube that diesmal ihr
Möglichstes, kein Sonnenstrahl vermochte durch die dichten Geisblattranken
zu dringen, die Goldregensträuche legten sich noch zum Ueberfluß darüber
hin und schmückten den Eingang mit ihren Trauben, der Flieder blühte blau
und weiß, und die alte Linde mit ihren hellgrünen Blättern rauschte ganz
vernehmlich: »das Leben ist doch schön!« und die Vögel sangen auf dies
Thema die kunstvollsten Variationen. Da kam an einem Sonntag-Nachmittag
Gottfried Berger von L. herüber und hielt feierlich, und sichtlich
tiefbewegt, um Elisabeth an. -- Alles Blut wich aus ihren Wangen als er
seine Worte an sie richtete -- sie waren allein in der Laube. -- Hastig und
verwirrt dankte sie ihm für seinen Antrag und -- wies ihn bestimmt und kurz
ab. --

Er schien im ersten Augenblick völlig fassungslos über solche Antwort.
Seine Züge verzerrten sich -- seine Augen flammten. »Also _das_ meiner
langjährigen Liebe?« stammelte er. »Habe ich noch nicht geduldig und lange
genug gewartet und geschwiegen? -- Beherrscht sie Dich _noch_ unumschränkt
die Erinnerung an jenen Mann der Dich so leichten Kaufes aufgab, daß er
nicht einmal kam um -- Abschied von Dir zu nehmen?«

»Quäle mich nicht!« sagte sie mit bleichen Lippen; »ich bin kaum fertig
geworden mit meinem Herzen, und habe zur Noth so viel Frieden gefunden wie
ich brauche, um weiter zu leben. -- Ich werde aber nie eines Andern Weib,
da ich nicht das Weib dessen werden konnte den ich liebte.« -- »O ich
weiß Alles! Sein Glaube allein trennte Dich nicht von ihm. Er war ein
Nichtswürdiger, der Dich nur zur Ehe begehrte weil er seiner Geliebten,
einer verheiratheten Frau, überdrüssig war. Hörst Du nun, daß ich Alles
weiß? -- Und früher als Du selbst es wußtest -- und mein _Herz_ allein hat
mir das verrathen!« -- »Und trotzdem gehöre ich ihm doch!« -- »Und trotzdem
lasse ich Dich nicht! Das ist auch Liebe, Elisabeth! Jetzt wollen wir
sehen, welche Liebe festeren Stand hält, die Deine oder die meine. Die Zeit
des Duldens, Harrens und Schweigens ist jetzt für mich vorbei -- es ist
eine Kampfeslust über mich gekommen, die mir das Blut wild durch die Adern
jagt. -- Immer und immer werde ich wieder kommen, Dich bitten, Dich
quälen mein Weib zu werden -- so lange, bis Du gemartert von meiner Treue,
gemartert von Deinem armen öden Leben, gemartert von den Bitten
Deiner Eltern, die jetzt Beide zu mir stehen, -- die Meinige zu werden
einwilligst. -- Ich weiß, daß Du mir ein krankes Herz zubringst, eine
zerquälte Seele, einen müden Leib, -- aber ich will mich begnügen
Krankenpfleger zu sein. -- Sieh, _so_ liebe ich Dich!« --

War das Gottfried, der Stille, Sanfte, der _so_ sprach, so blickte? Einen
Zug von Energie hatte die Leidenschaft in dies Johannesgesicht gezeichnet,
der es völlig verwandelte. -- Er sah jetzt aus wie -- ein Mann. -- »Ich
nehme den Kampf an -- auf Leben und Tod!« sagte Elisabeth nach einer Weile
fest. »Gut. Wer unterliegt, dem möge Gott helfen.« -- Sie trennten sich. --

Von diesem Tage an begann ein Leben voll Qual für Elisabeth. -- Die Eltern
fingen an, in Anspielungen und Andeutungen, bald in sanfter, bald in
gereizter Weise ihr den Wunsch zu erkennen zu geben, sie nun als Gottfrieds
Braut zu sehn. -- Des Mädchens ruhiger und beharrlicher Weigerung folgten
immer dringendere Versuche. Sie waren ebenso erfolglos. -- Lange peinliche
Ermahnungen des Vaters kamen nun, und thränenreiches Zureden der Mutter. --
Elisabeth setzte jedoch dem allen eine abweisende Kälte entgegen, sie
ließ sich weder auf Gründe, noch Erklärungen ihrer Weigerung ein, sondern
wiederholte nur immer einfach: »ich will nicht heirathen.« Nach und nach
wurden dergleichen Scenen heftiger, die Gereiztheit des Vaters, die Thränen
der Mutter nahmen überhand, dazu kam jeden Sonntag Gottfried herüber und
warb mit Blicken und Worten unermüdlich. -- Sie blieb scheinbar ruhig,
unbewegt wie ein Fels, den die Wogen umbrausen, aber sie wurde bleich, ihre
Augen verloren an Glanz, ihre Gestalt an Fülle. -- So schleppte sie ihr
Dasein weiter. Halbe Tage lang verweilte sie vor ihrer Staffelei und die
übrige Zeit ließ sie sich geduldig quälen. --

Es schien, als ob die Verheirathung der Tochter plötzlich der alleinige
Lebenszweck beider Eltern geworden und kein anderes Interesse, außer dieser
einen Angelegenheit, mehr ihre Seelen zu beschäftigen vermöchte. Die Mutter
quälte allerdings zunächst die Sorge, die Tochter möchte unverheirathet
bleiben in dieser Abgeschiedenheit, ein Gedanke, der ihr wie vielen Müttern
unerträglich war. Seitdem sie ihre so kühnen Hoffnungen hatte begraben
müssen, ängstigte sie sich allen Ernstes um die Zukunft Elisabeths. Zudem
fühlte sie eine Art rastloser Unruhe ihr einen Halt zuzuweisen, da sie sich
als die Veranlassung zu dem geheimen Herzleid ihres Kindes ansah. Hätte
sie das Mädchen ruhig in M. gelassen, sie wäre ja jetzt ohne Zweifel längst
Frau Pastorin Berger. An einem eigenen Heerd, an der Brust eines Mannes
der sie auf seinen Händen zu tragen verheißen, würde Elisabeth schon wieder
froh werden und sich aufrichten, meinte sie. Der Gottfried war ja in der
That auch keine schlechte Partie, so jung und schon eine so gute Pfarre und
dazu die sichere Anwartschaft auf M.! Und vor allen Dingen liebte er ihr
Kind, gewaltig, unermüdlich, das hatte er in Worten und Thaten bewiesen.
Elisabeth mußte das endlich einsehen! Ein Tropfen, der immer und immer
auf dieselbe Stelle fällt, höhlt ja den härtesten Stein aus: -- die
Mutterthränen mußten ihre Wirkung thun mit der Zeit. --

Der Vater marterte sein Kind aus ganz andern Gründen. Es handelte sich bei
ihm um Erfüllung eines lange gehegten Wunsches, um eine Bitte die er
ja, kraft seiner väterlichen Autorität, in einen Befehl hätte verwandeln
können, ohne daß es ihm Jemand zu verwehren vermocht. Und seine Tochter
stellte sich trotzig ihm, einem Bittenden, gegenüber! Er war an
keinerlei offene Widersetzlichkeiten gewöhnt, weder in dem Verhältniß als
Familienvater zu den Seinen, noch als Pastor zu seiner Gemeinde. -- Die
Störrigkeit seines Kindes betrübte ihn nicht, sie empörte ihn. Als er
ihr damals mit dürren Worten gesagt daß er niemals in eine gemischte Ehe
willigen und selbige segnen werde, war sie doch so ruhig gewesen, wie es
sich für eine gehorsame Tochter ziemte. -- Und nun? Doch er verzagte keinen
Augenblick, er war sich der Mittel bewußt, diesen Trotz zu brechen.
-- Hatten Nadelstiche doch schon einen Elephanten getödtet -- diesem
unablässigen Mahnen und Drohen mußte der Teufel des Eigensinns weichen.

Aber er war trotz alledem noch nicht gewichen, als der Herbst kam -- und
so befahl denn der Pastor eines Tages seinem Kinde, unter Vorhaltung des
Spruches: »ehre Vater und Mutter, auf daß Dir's wohl gehe und Du lange
lebest auf Erden,« -- am nächsten Sonntage Gottfried Bergers Antrag, falls
er denselben wiederholen werde, anzunehmen. --

Elisabeth erwiederte kein Wort -- sie ging umher wie sonst, mit ernsten
milden Augen -- sie blieb nur am Sonnabendmorgen länger als gewöhnlich auf
ihrem Spaziergange. Als dann nun am Sonntage Gottfried Berger kam und,
in Gegenwart von Vater und Mutter, sie wiederum bat sein Weib werden zu
wollen, sah sie ihn kalt an und sagte: »Frage den Vater, ob er eine Ehe
einsegnen wolle zwischen mir und Dir! -- Seit gestern Morgen gehöre ich
nicht mehr zu Euch -- seit gestern nahm mich eine Kirche auf, die mir
tröstend zurief: »wer viel geliebt, dem wird viel vergeben werden.« -- Ich
bin Katholikin.« --

       *       *       *       *       *

Etwa zehn bis zwölf Jahre später sprach man in F. viel von einer
Blumenmalerin, deren reizende »Stillleben« ein bedeutendes Aufsehen
machten, in den Ausstellungen wie in den Kunsthandlungen. Die kleinen
Blumenstücke athmeten eine überwältigende Fülle von trauriger, süßer
Poesie. Der Name der Malerin war Elisabeth Müller. -- Vorzüglich rühmte man
ihre Darstellung verwelkter Blumen. Ueber ihren todten Blättern, geknickten
Knospen, sterbenden Rosen, schwebte ein Hauch der Verklärung. -- Kleine
Skizzen von ihr, in Wasserfarben, wurden sehr gesucht. Elisabeth Müller
lebte aber so still und eingezogen in F., daß man dort längst schon ihre
Schöpfungen bewunderte, ehe man ahnte, daß die Schöpferin in derselben
Stadt wohnte, in der man sich für ihre Bilder so warm begeisterte.

Bei der Comtesse Feldern war »=reunion=.« Viel Lichterglanz, viel
Uniformen, viel blendende Arme und weiße Schultern, viel Blumen und
Federn, viel Zuthaten aller Art, wenig Natur, viel hübsche Gesichter, wenig
bedeutende, viel nichtssagendes Geplauder, viel versteckte Langweile, viel
forcirte Heiterkeit -- =et voila tout=. --

Aber dort, in der Nähe des Kamins, wer war der stattliche Mann mit dem
leicht ergrauten Haar und dem schönen Kopfe, mit jener leisen Linie von
Lebensüberdruß, die sich an den beiden feinen Mundwinkeln herabzog? Er
saß allein und durchblätterte eben mit einem leichten Spottlächeln das
Prachtalbum der Gnädigen. Man streifte an dem Einsamen mit besonders
freundlichem Gruße vorüber, manche reizende Frau blieb wohl auch neben ihm
stehen, einige flüchtige Worte an ihn richtend. Man schien ihn allgemein
zu kennen. Es war der berühmte Landschaftsmaler Paul Albano, der erst seit
zwei Tagen wieder in F. lebte, nachdem er seit länger als einem Jahrzehnt
sich im Orient und Italien umhergetrieben, und bald hier bald dort, sein
Künstlerzelt aufgeschlagen.

»Haben Sie das Letzte der Blätter schon eines Blickes gewürdigt?« fragte
die sehr alt gewordene Comtesse heranrauschend. -- Als er verneinte, schlug
sie das Buch ganz auf. Ein Blatt von neuem Datum war sorgfältig angefügt.
Man sah einige Feldblumen aus einem Stück Rasen sprießen, unter ihnen
ein Vergißmeinnicht das welkend das Haupt neigte. Rings umher blühten
Löwenzahn, Schlüsselblumen und Veilchen, frisch und lebendig, trotz des
Todes in ihrer Nähe. -- Albano stand plötzlich betroffen auf. »Wer hat dies
Blatt gemalt?« fragte er hastig und gedämpft.

»Eine gewisse Elisabeth Müller. O, Sie entsinnen sich ihrer gewiß nicht
mehr! Sie war mit Plessow's verwandt und einmal, vor vielen Jahren, eine
kurze Zeit im Plessow'schen Hause. Daß Sie die Kleine vergaßen, ist ganz
natürlich -- Sie waren eben damals etwas angelegentlich mit der guten
Plessow beschäftigt. =Mais -- en passant= -- war die schöne Adele nicht
tausendmal liebenswürdiger in jener Zeit als jetzt, wo sie zum Orden der
strengen Betschwestern gehört? -- Sie haben sie doch wohl schon auf ihrem
Landsitz aufgesucht, den sie weder Sommer noch Winter verläßt? Fanden
Sie nicht daß die Arme bedeutend gealtert, und daß Plessow etwas mürrisch
geworden?« -- »Elisabeth Müller -- sagten Sie?« wiederholte Albano wie im
Traume, und legte die Hand auf das Herz.

»=Mon Dieu!= -- Sie erinnern sich wirklich ihrer? Dann kommt es daher, weil
die Kleine sich damals auf die abscheulichste Weise trug. Unvergeßlich ist
mir auch eine hellblaue Seidenfahne, kaum vier Ellen weit.« -- »Aber sie
lebt wirklich hier -- hier in F. und -- allein?« -- »So viel ich weiß.
Aber hübsch ist sie nicht mehr, ich sah sie einmal auf der Straße im
Vorüberfahren. Kränklich soll sie sein -- irre ich nicht, so sprach man
neulich bei der Gräfin Reiner von einer auszehrenden Krankheit. Sie trägt
sich aber jetzt weit besser -- ziemlich elegant im Schnitt, aber immer in
Grau oder Schwarz. Künstlermarotte!«

Albano griff nach seinem Hut. »Entschuldigen Sie mich, gnädige Frau, ich
muß fort.« -- »Doch nicht etwa um sich der kleinen Müller vorstellen zu
lassen?« lachte die Dame. »Sie irren sich in der Zeit, lieber Albano! Sehen
Sie, meine Uhr zeigt eben Mitternacht. Warten Sie zwölf Stunden länger!«
-- »Sie haben recht -- ich warte. -- Vergessen Sie mein lächerliches
Auffahren, aber -- erzählen Sie mir noch was man von dieser Elisabeth hier
sagt.«

Die Feldern lehnte sich in den dunkeln Fauteuil zurück, winkte Albano zu
sich und flüsterte geheimnißvoll: »sie soll katholisch geworden sein -- aus
Interesse für einen jungen hübschen Kaplan wahrscheinlich, der in der Nähe
ihres Heimathdorfes Pfarrer war, dergleichen Geschichten ereignen sich ja
häufig. Der Uebertritt führte natürlich einen Bruch herbei mit Papa
und Mama. Sie verließ ihre Heimath, Plessow verschaffte ihr hier ein
Unterkommen in einer Familie, und veranstaltete zuerst eine kleine
Ausstellung ihrer Bilder. Plötzlich verschwand sie wieder und pflegte ihre
erkrankte Mutter bis zum Tode, brachte dann einen gichtbrüchigen, halb
blinden Vater mit zurück, für den sie mit unermüdlicher Treue gesorgt haben
soll, bis vor einem Jahre, wo er endlich starb. Ihre Staffelei stand in
seinem Krankenzimmer, und sie verließ den Kranken nur zuweilen in den
Abendstunden, um frische Luft zu schöpfen in dem kleinen Garten vor dem
Hause. -- Sie hat ihm seine Verzeihung nach und nach wirklich abringen
müssen, -- er soll im Anfang sein Kind entsetzlich gequält haben.
Zuletzt starb er in ihren Armen, die Tochter segnend. -- Da haben Sie die
Geschichte. -- Mir erzählte sie vor längerer Zeit die Baronin Eichstädt,
die dem Hause der Kleinen gegenüber wohnt und sie sehr protegirt. --
Apropos, mein Herr -- wollen wir etwa morgen zusammen zur Eichstädt fahren?
Sie citirt uns dann vielleicht die Malerin herüber?«

»Ich danke, gnädige Frau. Ich reise wahrscheinlich morgen früh auf einige
Tage nach D.« -- »Unstäter! Aber Sie sehen recht angegriffen aus, Albano,
-- ich bitte Sie, nehmen Sie ein Glas Eis.« -- »Sie sind sehr gütig --
meine Gnädige. Sie erlauben -- --«

Er stand auf und verließ den Saal. -- Als die Comtesse sich nach einer
Weile in den andern Zimmern nach ihm umsah, war er verschwunden. --

       *       *       *       *       *

In der nächsten Woche hatte man nach langer Dürre wieder einmal einen recht
pikanten Unterhaltungsstoff in den Salons von F. Die kleine Blumenmalerin
war gestorben, an einem schleichenden Fieber, und hatte sich in einem
wunderlichen altmodischen hellblauen Seidenkleide begraben lassen. -- Ihrem
Sarge folgte der katholische Priester, der tieftrauernde Albano, -- und
die Wagen vieler Vornehmen. Ihre nachgelassenen Bilder übergab eine alte
würdige Frau, die schon seit längerer Zeit bei der Verstorbenen gewohnt,
und die man im Hause unter dem Namen »Jungfer Marianne« kannte, dem
berühmten Maler im Auftrage der Heimgegangenen. Albano ließ ein kostbares
Marmorkreuz an dem Grabe aufstellen, auf dem mit goldenen Lettern nur zu
lesen war:

  _Elisabeth._

Man zerbrach sich die Köpfe über den Zusammenhang des Ganzen. -- Es war
nur leider Niemand da den man ausfragen konnte; Albano reiste am Tage der
Kreuzaufstellung nach Italien, ohne von Jemand Abschied zu nehmen, und ließ
nie wieder von sich hören. --

Die alte Marianne fand eine neue Heimath in dem Hause des neuen
protestantischen Pastors in M. Er kam selbst, um sie von F. abzuholen. Sie
sollte ihm den Haushalt führen, da er unverheirathet war und blieb. Sein
Name war Gottfried Berger.

Mit seinem neuen Kollegen in N., denn Elisabeths alter Freund ruhte ja
längst schon aus von seiner Arbeit in der kühlen Erde, verkehrte er auf das
Freundlichste. -- Gottfrieds Lieblingsplatz blieb jene Stelle an der Mauer
des Gartens, wo man auf die grünen Gräber des Friedhofes schaute, und zu
seiner Grabschrift hatte er sich den Spruch bestellt: »Wer viel liebet, dem
wird viel vergeben werden.«




Czinka.

(1859.)


                                                  »=Huzdra Cziganny!=«
                                                  »Spiel auf, Zigeuner!«

In Wien, der schönen glänzenden Kaiserstadt, lebte vor etwa sechszig Jahren
ein junger eleganter Cavalier, der sich durch seinen Reichthum und seine
Unabhängigkeit (Eltern und Geschwister waren ihm gestorben) mit leichter
Mühe, ohne sonderliches Zuthun gar viele Freunde und Freundinnen erworben.
Sie ermüdeten nicht ihm immer und immer zu wiederholen, daß er ohne alle
Frage nicht nur der liebenswürdigste Wirth, der angenehmste Gesellschafter,
der kühnste Reiter und beste Tänzer, sondern auch der geistvollste und
eleganteste Cavalier zehn Meilen in der Runde sei, und seltsamer Weise
hörte Graf Alfred diese Versicherungen, so oft sie ihm auch zu Ohren kamen,
mit demselben Vergnügen an. Er glaubte seinen Freunden auf's Wort, und mit
solcher festen Ueberzeugung der Wahrheit ihrer Behauptungen ließ sichs ganz
angenehm leben. Der allgemeine Liebling war daher stets heiterer Laune,
hielt offene Tafel, gab reizende kleine Feste und half, wo man ihn um Hülfe
ansprach. Die Gesellschaften, die er in seinem mit vollendetem Geschmack
eingerichteten Hause veranstaltete, wurden von den vornehmsten Frauen
besucht, da eine alte Tante des Grafen, die verwitwete Marquise d'Anville,
bei solchen Gelegenheiten die Honneurs auf die feinste Weise zu machen
pflegte. Freilich munkelte man auch von manchen andern üppigern Gelagen,
bei denen keine Marquise präsidirte, bei denen man aber dennoch nicht
minder schöne Gestalten, nicht minder werthvolle Diamanten und Spitzen zu
bewundern fand als bei jenen Soupers und Bällen der vornehmen Aristokratie.

Trotz diesen Extravaganzen war der junge Graf durchaus kein Roué, er lebte
eigentlich nur _äußerlich_ wie ein vornehmer Cavalier. In seinem Herzen
achtete er die Frauen hoch, denn eine engelgleiche Mutter hatte
seine Kindheit gehütet und eine zärtlich geliebte, früh verklärte,
Zwillingsschwester stand noch wie eine Heilige vor den Augen seiner
Seele. Im Grunde war ihm, wie er seinen vertrauten Freunden gestand, der
Frauenumgang zu unbequem, er liebte ein lustiges Zechgelage unter
Männern weit mehr als jene fantastisch-wilden »gemischten« Feste und die
reizendsten Frauen vermochten ihn kaum eine flüchtige Stunde zu fesseln.
Wunderliche Geräthschaften verschollener Zeiten, alte Waffen und
seltene Blumen interessirten ihn mehr als menschliche Gestalten, eine
Eigenthümlichkeit, die er von seinem Vater geerbt, und er reiste viel eher
Stunden weit, um eine alte ausgegrabene Vase zu sehen, als daß er um einer
hübschen Frau Willen einen Weg von wenigen Minuten gemacht hätte. Tropische
Gewächse, und vorzüglich die so mannigfach und seltsam geformten Cacteen
waren es denen er eine besondere Zärtlichkeit widmete, seine Wohnzimmer
glichen Treibhäusern, und je wunderlicher die Form der Pflanze, je
brennender die Farbe der Blüthen, desto leidenschaftlicher liebte er sie.

Seine Freunde baten ihn im Scherze oft inständig sich nicht dermaleinst mit
einer Blumenfee zu verheirathen, und Diners und Soupers von Sonnenstaub und
Thautropfen zu veranstalten, und warnten ihn ganz besonders dringend vor
der gluthäugigen Purpurblüthe des =Cactus speciosissimus=, welches seltsame
Gewächs sein bevorzugter Liebling war. Er pflegte darauf heiter lachend
zu antworten, daß er jedenfalls dermaleinst nur eine Frau heimzuführen
gedenke, deren Blick ihn an jene geliebte Blume erinnere.

Daß sich der Graf Alfred bis zu seinem neunundzwanzigsten Jahre
nicht verheirathete, fand Jeder, wenn auch vielleicht nicht _Jede_,
cavaliermäßig, als man aber seinen dreißigsten Namenstag mit einem
lucullischen Mahle feierte, wagten sich schon einige schüchterne
Trinksprüche hervor mit deutlichen Anspielungen auf eine junge reizende
Hausfrau. Sie veranlaßten manches Erröthen, manchen schmachtenden
Augenaufschlag, manches kokette Fächerspiel. Diese Mahnungen wurden
mit jedem Jahre lauter und dringlicher, und glichen bei der Feier der
dreiunddreißigjährigen Wiederkehr des ominösen Tages fast einer Bestürmung.
Da erhob sich endlich der Graf und erklärte, daß er noch in diesem
Jahre sein Möglichstes zu thun bereit sei, um den Wunsch seiner Gäste
zu erfüllen. Er versicherte feierlich daß er Alles aufbieten werde den
Speisezettel des künftigen Festdiners mit einem neuen Gerichte, freilich
nur einem Schaugerichte zu vermehren: mit einer schönen Wirthin nämlich.

Unter der anwesenden unverheiratheten Damenwelt brachte diese, einem
Versprechen gleiche, Erklärung eine nicht geringe Aufregung hervor und Jede
sah sich schon im Geiste dort oben an jenem Ende der Tafel, geschmückt mit
Brillanten und Blumen, in weißem schimmerndem Atlas, eingerahmt von
hohen silbernen Vasen, bestrahlt vom Lichterglanz des vielarmigen
Kronenleuchters. Graf Alfred hielt nämlich alle seine Diners auch zur
Frühlingszeit, wie eben jetzt, bei Kerzenlicht.

Es war dies eigentlich ebensowohl eine Beleidigung als eine Galanterie, dem
schönen Geschlecht gegenüber. Er behauptete, daß keine vornehme Dame über
sechszehn Jahre hinaus, keine Aristokratin der Kaiserstadt wenigstens, die
Beleuchtung durch Sonnenstrahlen zu ertragen vermöchte ohne bedenkliche
Beeinträchtigung ihrer Reize, und er liebte nun einmal, wie bei den Blumen,
vor Allem die Frische in der Erscheinung einer Frau. Keine der Damen seiner
Bekanntschaft konnte sich übrigens einer besondern Bevorzugung von ihm
rühmen, er war leider liebenswürdig und aufmerksam gegen Jede. Er vergaß
keinen Namenstag seiner zahlreichen Freundinnen und knauserte nie mit den
Blumen seiner Treibhäuser und seines Gartens. Hatte er auf einem Balle
mit der blonden Comtesse Delphine zwei Mal getanzt (die seit ihrer
Bekanntschaft mit ihm sehr oft rothe Blumen und rothe Schleifen trug), und
dagegen das stolze Freifräulein Melanie zu Tische geführt, so bat er
bei der nächsten Gelegenheit sicher die hübsche Comtesse um den
»beneidenswerthen« Platz an ihrer Seite, und ließ sich beim Tanze von den
Augen der dunkellockigen Melanie heldenmüthig verbrennen. Kein Kaufmann
konnte gewissenhafter seine Waare seinen verschiedenen Kunden zuertheilen
und abwiegen, als Graf Alfred seine Aufmerksamkeiten, und selbst seine
genauesten Freunde hatten keine auf irgend eine derartige Bevorzugung
gegründete Vermuthung, welche Erscheinung aus der Reihe der
aristokratischen Schönheiten den Platz als Wirthin beim nächsten Diner
einnehmen dürfte.

Schon kurze Zeit nach diesem Feste schien jedoch Graf Alfred sein
öffentlich gegebenes Versprechen ernstlich zu bereuen, er zeigte
sich unruhig, ungleich in seiner Stimmung, verlor seine gute Laune,
vernachlässigte seine Blumen, wurde bleich und einsiedlerisch und die
Aerzte, so wie seine erschreckten Freunde, riethen ihm dringend und
einstimmig zu reisen. Gar mancher bot sich ihm sogar in rührender
Opferwilligkeit zum Reisegefährten an, was jedoch der Graf dankend
ablehnte. Niemand wußte, ob er wirklich den Rath, den man ihm ertheilt,
befolgen werde -- als eines Tages die Fenster seines Hauses sich mit grauer
Leinwand verhangen zeigten und Abschiedskarten mit der zierlichen Krone und
dem Namen »Alfred Graf Saldern« sich in schönen weißen Händen befanden
und eben so schöne Augen nachdenklich das bedeutungsvolle »=p. p. c.=«
betrachteten. -- Der elegante Cavalier war entflohen. Der sonst so glänzend
geschmückte Portier stand in einem unscheinbaren Rocke gähnend in der Thür,
der Gärtner lief mit Blumentöpfen aus den Zimmern in das Treibhaus, im
Hofe klopften Diener langsam und pfeifend Teppiche aus, die Orangerie
des Balcons war verschwunden -- es blieb kein Zweifel: Graf Saldern war
abgereist -- aber _wohin_ wußte Niemand.

       *       *       *       *       *

Ein warmer Junitag neigte sich seinem Ende zu als der bequeme Reisewagen
des Grafen Alfred durch den vielgerühmten Bakonyer Wald rollte in der
Richtung nach Raab. Die Sonne blitzte noch durch die Zweige der Bäume und
huschte über das Moos, Kräuter und Gräser dufteten, Vögel zwitscherten
ihr Abendlied, Bienen taumelten schwer beladen durch die Luft --
aufgescheuchtes Wild lief über den Weg, blieb wohl auch in geringer
Entfernung keck zwischen den Gebüschen stehen und schaute mit großen
glänzenden Augen herüber, -- man hörte die Räder des Wagens kaum im tiefen
Moose rollen. Der Kutscher hielt die Zügel lässig, der Diener nickte auf
seinem schwankenden Sitze und der Graf selber hatte sich noch nie in
seinem Leben so wohl gefühlt als eben jetzt. Es war aber nicht ein blos
körperliches Wohlsein, auch über sein Herz kam es wie ein Hauch süßer
Freude und köstlichen Friedens. Eine wonnevolle Müdigkeit ergriff ihn, er
blinzelte schläfrig zwischen den Wimpern hervor und athmete in langen und
immer längeren Zügen die berauschende Waldluft ein. Es war ihm zu Sinne als
sei er in jenen verzauberten Wald gerathen, von dem ihm die Mutter so oft
in seiner Kindheit erzählt, und er müsse nun fahren und fahren und könne
doch nimmermehr an's Ende kommen. Aber dieser Gedanke erfüllte ihn nicht
mit Furcht wie damals, als er an den Knien der Mutter seinen kleinen Kopf
verbarg, er hätte vielmehr immer und immer weiter rollen mögen, an den
uralten Baumstämmen vorüber, die ihre Wipfel hoch über seinem Haupte
rauschend gegeneinander neigten in die endlose grüne Dämmerung hinein.
Die Erinnerung an die prunkende Kaiserstadt, die er verlassen, lag wie
ein ferner Traum hinter ihm und nebelhaft wandelten die Gestalten seiner
Freunde an ihm vorüber. Er fühlte sich so jung, so kräftig, so lebensfrisch
wie noch nie, und doch hätte er sich um die Welt jetzt nicht wieder in
jenes Leben hineinstürzen mögen, das er so eben verlassen.

Es geschehen trotz aller Zweifel noch Wunder an uns und Lebenselexire
werden trotz aller medicinischen und andern Aufklärung noch täglich
gebraut und getrunken. Die _Mutter Natur_, diese uralte Zauberin, die
sich glücklicherweise nicht verbrennen läßt, braut sie aus den einfachsten
Mitteln für ihre eigensinnigen störrischen Kinder. Ein Wald, eine
Bergwiese, ein Schweizersee, das Alpglühen vollbringen an den
verstocktesten Herzen die größten Wunder, -- Ketten und Schlacken fallen
ab, die Seele athmet Genesungsluft, das Herz verliert seine Runzeln und
schaut wieder mit Kinderaugen und Kinderglauben in die schöne reiche Welt
hinaus. -- Wie lange der Graf in dem köstlichen Eichenwalde umhergefahren
-- er wußte es nicht, er richtete sich nur rasch auf, als der Kutscher
plötzlich die Pferde anhielt und sagte:

»Wir haben uns verirrt, der Weg hat hier ein Ende!«

Der arme Schelm sah leichenblaß aus, denn er kannte die Heftigkeit seines
Herrn. Zu seiner großen Verwunderung sprang dieser aber heiter aus dem
Wagen und anwortete:

»Wartet nur hier auf mich, ich werde den Weg suchen und Franz soll auch
bleiben, ich will allein gehen!«

Und eine lustige Melodie pfeifend schlug er den ersten schmalen Fußweg ein,
der vor ihm lag. Wie köstlich ließ sich's hier wandern in dem Purpurschein,
der jetzt den Wald durchzitterte. Leichter war er nie über die glänzenden
Parquets der Tanzsääle Wiens geschritten. Da war es ihm mit einem Male als
trüge der Wind die abgerissenen Klänge einer fremdartigen Musik zu ihm.
Unwillkürlich blieb er stehen und lauschte. -- Dann folgte er rascher
der Richtung, aus welcher die Töne ihm zuströmten. Immer deutlicher,
zusammenhängender schlug es an sein Ohr, endlich unterschied er eine
wunderliche wilde Tanzweise im Zweivierteltact. Weiter schreitend lösten
sich die Töne von Violinen, Violen, einer Clarinette und Cymbal aus dem
Chaos.

Darüber war er aber sehr lange gegangen, -- endlich überfluthete es ihn
wahrhaft mit Tonwellen und zugleich wandte sich der Weg, die Büsche traten
zurück, als ob ein grüner Vorhang zerrisse, und Graf Alfred blieb wie
erstarrt stehen. Er befand sich vor einem großen freien Platze mitten im
Walde. Kaum zwanzig Schritte von ihm hatten ungarische Zigeuner ihr Lager
aufgeschlagen. Auf der andern Seite sah man durch eine Lichtung die Umrisse
der wunderschönen Cisterzienserabtei bei Zircz im Abendroth schimmern.
Kleine Zelte waren aufgeschlagen, ein lustiges Feuer brannte in der Mitte,
um das sich einige alte Frauen gesammelt hatten. Nackte braune Kinder,
schön geformt wie antike Statuen von Bronce, haschten sich unter den
Bäumen, Männer lagen und standen müssig umher und hörten der Musik des
Zigeunerorchesters schweigend zu. Die zwölf Musikanten selbst saßen in
einem Halbkreise. Sechs von ihnen spielten erste und zweite Geige, zwei die
Viola, Einer eine Baßgeige, ein Anderer eine Art von Cello und die beiden
Letzten Clarinette und Cymbal. Junge Männer und Mädchen knieten und
kauerten am Boden, der kecken Musik lauschend und dem Tanz eines jungen
Mädchens zuschauend, das eben in die Mitte des Kreises getreten war, und
anfing nach dem Tacte der Musik sich hin und her zu bewegen.

Als der Graf jetzt die Tanzende anschaute, fiel ihm plötzlich seine
Lieblingsblume ein, die glühende leuchtende Purpurblüthe der =Cactus
speciosissimus=, und es war ihm als ginge das warme rothe Licht, das jetzt
die ganze lebensvolle Gruppe überstrahlte, von dieser einen zarten Gestalt
aus. Die Kleine war wohl kaum fünfzehn Jahr alt und reizend gewachsen. Sie
trug einen scharlachrothen kurzen Rock und rothe Stiefeln an den kleinen
Füßen. Den schlanken Oberkörper umschloß ein blendend weißes faltiges Hemd,
das unter dem Halse mit einer Schnur zusammengezogen war. Ein Korallenkreuz
hing an einem schwarzen Bande auf ihrer Brust. Eine lose Jacke, die vorn
offen war, mit kurzgeschnittenen weiten Aermeln trug sie noch über dem
Hemde. Ihr Haar fiel in schweren schwarzen Flechten fast bis zu ihren Knien
herab, und an die Enden der Zöpfe hatte sie rothe Schleifen gebunden. Um
beide Handgelenke der zarten, aber tadellos geformten Arme trug sie schmale
silberne Ringe. Ihr feines, leicht gebräuntes Gesicht mit den köstlich
frischen Lippen, lachte wie das Gesicht der glücklichen sorglosen Jugend
lacht. Sie hob die Augen und blickte in das Grün der Bäume oder gerade in
den Himmel hinein, wer konnte das wissen? Das waren Augen! Ja, von ihnen
mußte jener Lichtstrom ausgehen in dem die ganze köstliche Gestalt schwamm,
und auf- und niedertauchte, es konnte nicht anders sein! Das war ein
Leuchten, Glühen, Schmachten, Funkeln, Drohen und Lächeln dieser zwei
großen schwarzen Sterne! -- Jenem lautlosen Zuschauer, der Jahre lang
ungeblendet in die Augen der berühmtesten Schönheiten der üppigen
Kaiserstadt geschaut, kam ein Schwindel an, eine seltsame Angst und
Seligkeit zugleich den Augen der kleinen Zigeunerin gegenüber. Und dazu die
kleinen beweglichen Füße, dieser von Jugendlust und Jugendkraft geschwellte
und getragene Körper! Was war dieser lebensvolle Tanz gegen jenes seltsame
Schlürfen und Drehen, gegen jenes Hüpfen und Rasen in den Tanzsälen des
großen Wien? Und dies junge, von Luft und Sonne gebräunte Angesicht konnte
sich den vollen Sonnenstrahlen aussetzen und wurde nur schöner je heller
es beleuchtet. Ein Schauer des Entzückens durchrieselte den Grafen, als
endlich die tanzende Kleine mit dem Ausdruck höchster kecker Lust jenen
bedeutungsvollen Zigeunerruf: »jah!« herausjubelte, den ebenso das höchste
Leid als die höchste Freude von den Lippen gleiten läßt, -- und dann mit
einem kühnen Sprunge ihren Tanz schloß. Als das Orchester nun mit einem
vollen kurzen Accord abbrach, da war es aber dem Grafen plötzlich als sei
er im Theater an der Burg und habe eben die schönsten Tänzerinnen gesehen.
-- Der grüne Wald wurde zur täuschend gemalten Coulisse, die stattlichen,
seltsam gekleideten Männer, mit den langen schmalen Schnurrbärten und
schwarzen, glatt herabhängenden Haaren, zu trefflich costümirten
Choristen, die üppigen, nachlässig verhüllten Frauengestalten zu koketten
Choristinnen, die nackten Kinder, das Feuer, die kochenden brodelnden alten
Weiber zu meisterhafter Staffage, -- Graf Alfred klatschte mit dem Feuer
eines echten Balletenthusiasten in die Hände und rief:

»=Brava, Brava!=«

Da geschah es fast wie in jenen Märchen von den Elfentänzen, wenn die
Elfenkönigin plötzlich einen unberufenen Lauscher entdeckte: wie ein
Wirbelwind fuhr es über das ganze Zigeunerlager hin und die Scene
veränderte sich rascher wie auf einem Pariser Theater. Die Frauen drängten
sich hinter die Männer, die Kinder hingen sich an ihre Mütter, die Hexen
des Feuers kauerten sich nieder wie zum Sprunge bereite Katzen, die
Musikanten hörten auf zu spielen und nahmen eine trotzig drohende Haltung
an und wohl hundert flammende Augen richteten sich plötzlich auf den
Grafen. Die kleine Tänzerin allein war ruhig geblieben und blickte
neugierig zu dem kühnen Fremden hin. Ein dunkler hochgewachsener Knabe,
die Geige im Arm, war aber dicht an sie heran getreten in einer so
herausfordernden Haltung, so schutz- und kampfbereit, daß der Graf sich
eines Lächelns nicht erwehren konnte.

Da wendete sich die Kleine an ihn und fragte in gebrochenem Deutsch mit
gerunzelter Stirn:

»Was willst Du hier?«

»Dich bewundern!« antwortete er und sah sie mit seinen hübschen blauen
Augen leidenschaftlich an.

Jede Frau, sie gehöre welchem Volke und Stande sie auch wolle,
unterscheidet mit einem Blicke die wahrhafte Bewunderung ihres Selbst von
leichtem Wohlgefallen und tändelndem Spiel und ist niemals unempfindlich
gegen dieselbe. Die junge Zigeunerin nahm daher auch die Hand des Grafen
und sagte freundlich:

»Kommt mit mir und bleibt bei uns eine Weile. Seid ohne Sorge, Czinka wird
Euch schützen!«

Sie rief ihren Gefährten einige ungarische Worte zu, und führte dann ruhig
ihren neuen Bewunderer mitten in den Kreis.

Es war auch kaum eine Stunde vergangen, da saß der Graf wie ein echter
Czigàny unter ihnen, plauderte mit den Männern, die sich mit deutscher
Zunge einigermaßen verständlich zu machen wußten, scherzte mit den
Frauen, sah dabei die schöne Czinka an, die ihm gegenüber saß neben dem
finsterblickenden Knaben, und sprach dem großen Becher mit jenem süßen
Tranke, den die Weiber trefflich zu bereiten verstanden, tapfer zu. Erst
als die Nacht hereinbrach, dachte er wieder an seinen Wagen und an den
armen wartenden Kutscher. Zögernd brach er auf und bat um einen Führer, um
ihn an den Wagen und dann auf den Weg nach Zircz zu bringen, welcher Ort
kaum eine halbe Stunde entfernt sein konnte.

»Anthony mag mitgehen!« sagte da Czinka gebietend und wandte sich zu jenem
dunkellockigen Burschen mit der Geige, der noch nicht von ihrer Seite
gewichen. Er stand auf, nickte gleichgültig, hing seine Geige an den
nächsten Baum, und warf seinen Mantel um die Schultern.

»Wie lange bleibt und lagert Ihr hier an dieser Stelle?« fragte ihn der
Graf.

»So lange es uns gefällt,« lautete die kurze Antwort des Burschen.

»Ich möchte Euch noch oft besuchen,« sagte der Graf zur schönen Czinka
gewendet, »wenn Ihr es erlauben wolltet.«

Sie neigte freundlich gewährend mit stolzer Grazie den zierlichen Kopf.
Dann nahm Alfred Saldern Abschied von den Vornehmsten der Bande und folgte
seinem Führer, der eine Fackel angezündet hatte.

Das war ein seltsamer Spaziergang! Mit der Behendigkeit einer Schlange
schlüpfte der Knabe voraus durch die Gebüsche, und sprang über Wurzeln
und Baumstämme, über Gräben und Bäche, ohne sich zu kümmern ob der Fremde
folgte.

Der elegante Cavalier hatte die größte Mühe nachzukommen und blieb überall
hängen. Aber das ganze Abenteuer und die seltsame Waldfahrt hatten ihn in
eine ungewöhnlich glänzende Laune versetzt und so ließ er sich denn Alles
ohne ein Wort des Aergers gefallen.

Nur einmal mußte er athemlos inne halten, er konnte nicht weiter, rief
seinen Führer zurück und gebot ihm eine kleine Weile zu warten.

Der Knabe gehorchte und setzte sich mit einem spöttischen Auflachen unfern
von dem Erschöpften nieder. Sein seltsames unschönes Gesicht sah in der
Fackelbeleuchtung fast koboldartig aus.

»Seid Ihr unter den Musikanten?« fragte der Graf, indem er sich eine
Cigarrette anzündete. »Es ist mir als hätte ich Euch im Orchester gesehen
als die kleine Czinka tanzte.«

»Ich spiele die Geige,« antwortete der Knabe mürrisch.

»Wie heißt Ihr?«

»Anthony Czermak.«

»Liebt Ihr die Musik?«

»Wie meint Ihr das?«

»Nun -- ob Ihr gern Tänze spielt?«

»Wenn die Czinka tanzt -- sonst spiele ich lieber Lieder.«

»Habt Ihr die Czinka lieber oder Eure Geige?«

»Wenn Ihr so fragen könnt, so wißt Ihr nichts von einer Geige,« antwortete
der Knabe verächtlich. »Mir ist meine Geige lieber als zehn Czinkas.«

Damit stand er trotzig auf und ging weiter. Wie ein Irrlicht huschte er hin
und her und den Grafen überkam oft ein unheimliches Gefühl wenn er ihn
so auftauchen und verschwinden sah zwischen dem dunklen Grün. Plötzlich
verlöschte die Fackel und aus dem Dunkel heraus kicherte wie aus weiter
Ferne der Knabe:

»Versuchts noch zehn Schritte weiter -- da steht Euer Wagen, Eurem Kutscher
habe ich gesagt wie er fahren soll, um nach Zircz zu kommen!«

Dann rauschte Etwas durch die Büsche, streifte hart an ihm vorbei, ein
spöttisches Gelächter wurde laut und Graf Alfred stand im tiefsten Dunkel.
Mit einem derben Fluch rief er den Namen seines Dieners, der denn auch in
geringer Entfernung antwortete und nach einiger Mühe und nachdem er über
verschiedene Wurzeln gestolpert, an verschiedene Bäume gerannt, wobei er
immer ein leises boshaftes Kichern zu hören glaubte, athmete er wie von
einem bösen Traume befreit auf, als er wieder in seinem Wagen saß. Nach der
Weisung, die in der That der Kobold Anthony dem Kutscher gegeben, rollte er
nun auch auf der Straße nach Zircz fort, und noch vor Mitternacht erreichte
er glücklich das Städtchen.

       *       *       *       *       *

Am nächsten Tage besuchte Graf Alfred das Zigeunerlager wieder und so noch
viele Tage, nur daß er sich Abends nie wieder von jenem trotzigen Burschen,
sondern von seinem eigenen Diener zurückgeleiten ließ nach seinem Wagen,
der ihn stets am Ausgange des Waldes erwartete. Schon beim dritten seiner
Besuche nahm er allerlei Geschenke für die Frauen mit, die er von Raab sich
kommen ließ, glänzenden Tand, der mit noch glänzenderen Augen empfangen
wurde. Für die schöne Czinka brachte er zwei Korallenschnuren, die sie eben
lächelnd um ihre Arme zu schlingen sich anschickte, als Anthony, der kleine
Geiger, plötzlich herbeisprang, die Ketten aus des Mädchens Händen riß und
mit den Worten: »Czinka trägt nur die silbernen Ringe ihrer Großmutter!«
die Perlen ins Moos streute.

Da sprang die Kleine mit einem Ruf des Zornes auf -- stampfte mit dem Fuße
und blitzte den Frevler mit einem Blick an, der den Grafen erschreckte und
entzückte. Dann drehte sie ihm langsam fast königlich stolz den Rücken ohne
ein Wort zu reden, machte aber auch keine Bewegung die Korallen aufzuheben.
-- Allein sie erlaubte ihrem fremden Bewunderer den ganzen Abend an ihrer
Seite zu sitzen und mit ihr zu plaudern.

Als der Graf endlich den Heimweg antrat, streifte er an dem kleinen Geiger
vorüber, der einsam auf einem umgestürzten Baumstamm saß. Die nackten Füße
hatte er über einander geschlagen, den Kopf auf den linken Arm gestützt,
seine Geige lag neben ihm im Grase. Sein Gesicht war todtenblaß und der
Ausdruck um Lippen und Augen ein so verzweifelter, daß Alfred Saldern
erschrak. Unwillkürlich blieb er neben dem Knaben stehen in der Absicht
ihn anzureden. Aber wie vor dem plötzlichen Anblick einer giftigen Schlange
fuhr Anthony Czermak da empor, raffte seine Geige auf und war in zwei
Sprüngen verschwunden.

Wenige Tage später sah man nicht nur zwei herrliche Korallenbänder an den
Armen Czinka's, sondern sie trug auch eine Korallenkette um ihren Hals. An
demselben Abend als Alfred Saldern sie der kleinen Zigeunerin in den Schoß
warf, tanzte sie freiwillig vor dem Grafen. Aber Anthony Czermak spielte
nicht mit, wie damals. Er warf seine Geige gleich nach den ersten Tacten zu
Boden und lief in den Wald.

Ungarische Zigeunermusik! Wer sie je einmal hörte in ihrer melancholischen
Wildheit, in ihrer hinreißenden Gluth, ihrem fremdartigen Reiz und
wunderbaren Rhythmus, der vergißt sie so wenig wie man eine Masurka, oder
einen jener zauberischen traurigen Walzer des Chopin vergißt, wo die
Lust mit dem Leid zum Tanz antritt. -- Beide Musikarten rufen ähnliche
Empfindungen hervor: unsagbare Traurigkeit, die sich gleich darauf in
rasende Lust verwandeln möchte, Wohlgefühl wie es den Gefangenen beim
Anblick einer Schwalbe durchbebt, und zitternde Seligkeit wie beim Hauche
des Wortes: »Ich liebe Dich!« Diese häufigen Synkopen, punktirten Achtel,
entgegengesetzten rhythmischen Bewegungen reißen uns in einen Wirbel von
Leidenschaft hinein, und die harmonischen kecken Licenzen in Bezug auf
Octav und Quintenfortschreitungen, die unvorbereitete Anwendung von
Septimen und Nonenaccorden, die seltsamen Halte und Figurirungen auf
der Dominante, wirken fast wie der Genuß des Champagners in toller
Gesellschaft, wenn wir eben für immer von der Geliebten Abschied
genommen. --

Alfred Saldern fühlte sich von einem Taumel befangen, seit er unter und
mit diesem seltsamen Völkchen der Zigeuner lebte, gegen dessen täglich
wachsende Macht er sich so vergebens wehrte, wie ein des Schwimmens
Unkundiger gegen die Gewalt der Wellen. Ein neuer Tag ging allmählich vor
den Augen seiner Seele auf und die Sonne dieses Tages hieß: Czinka.

Czinka's fremdartige Schönheit, ihr schillerndes seltsames, halb scheues,
halb zuthunliches Wesen bestrickte ihn täglich mehr. Sie verkehrte fast mit
ihm wie eine junge Schwester mit einem ältern Bruder verkehrt, dessen Liebe
sie verwöhnt, indem sie allen Launen nachgab. Sein Herz fühlte sich von
einem Feuer ergriffen das ihn mehr entzückte als marterte, und seine Seele
träumte am Tage davon wie es doch eigentlich das Beste und Kurzweiligste
sei, eine Zeit lang Zigeuner zu werden, und mit dieser kecken Bande schöner
Frauen und fröhlicher Männer, frei und ungebunden in der schönen Gotteswelt
umherzuziehen. In den Nächten träumte er aber noch viel seltsamere Dinge,
an die er mit wachen Augen kaum zu denken wagte: er sah sich selbst nämlich
wieder in Wien in seinem eleganten Hause. -- Seine Blumen dufteten ihm
entgegen, der Speisesaal war mit Guirlanden geschmückt, auf der gedeckten
Tafel schimmerten kostbare Geräthe, -- aber es brannten keine Kerzen, wie
sonst bei den glänzenden Festen im Saldern'schen Hause, -- die Vorhänge
waren nicht geschlossen, die Sonnenstrahlen hielten ungehindert Musterung
über die Schaar der versammelten Gäste. Und oben an der Tafel saß der
Festgeber -- und ihm zur Seite -- -- sein Weib: -- die lebendig gewordene
fremde, leuchtende Purpurblüthe des =Cactus speciosissimus=, _Czinka_, die
reizende Zigeunerin.

       *       *       *       *       *

Das ungewöhnliche Musiktalent des wunderlichen Anthony Czermak erregte
selbst die Aufmerksamkeit des vielbeschäftigten Grafen. Unwillkürlich mußte
er lauschen, sogar mitten im Gespräch mit dem jungen Mädchen, wenn der
Knabe, was jetzt öfter geschah, auf seiner Geige seine phantastischen
Stücke vortrug. Die übrigen Musikanten ruhten dann aus, die Frauen zogen
die spielenden Kinder auf ihre Knie, die Männer lagerten sich im Kreise,
und so schwebte der großartige Ton seiner Geige wie ein Vogel über alle
Häupter dahin. Aber es war dieser Ton keine fröhlich himmelan steigende
Lerche, sondern eine Nachtigall, die ihr Lied in die dunklen Gebüsche
trägt, oder ein sterbender Schwan, der seine Todesseufzer mit dem Gemurmel
der Wellen mischt. Einmal, bei einer besonders elegischen Melodie, welche
unter allerlei selbstgeschaffenen wilden Verzierungen und Wendungen immer
wieder, wie ein blasser Mond durch zerrissene Gewitterwolken, auftauchte,
bemerkte Alfred Saldern eine besondere Traurigkeit auf den Gesichtern
aller Hörer. Er selbst neigte sich seltsam bewegt zu der schönen Czinka und
fragte sie um die Bedeutung jener Melodie.

»Das ist die =siralmas nota= -- die weinende Melodie« sagte sie ernst, »die
uralte Klage der Zigeuner um ihr verlorenes Reich.« Und als Anthony geendet
rief sie ihm zu: »spiele jetzt die Rakoczy Nota!« Der Ton ihrer Stimme war
zwar herrisch, aber ihre Augen baten.

Der junge Geiger streifte das junge Mädchen einen Moment mit einem halb
wilden, halb zärtlichen Blick, dann ließ er ein rührendes Adagio, dem ein
feuriges Allegro folgte, über die Saiten seiner Geige ziehen. Als er nun
geendet, kam er zu Czinka, neigte sich zu ihr und fragte:

»Wirst Du nun auch wieder einmal mit mir singen?«

Sie schlug die Augen nieder und nickte kaum merklich mit dem Kopfe. Da flog
ein Lächeln über sein dunkles Gesicht wie ein Sonnenstrahl über die braune
Haide. Und nach einem köstlichen Ritornell fiel Czinka mit ihrer schwachen,
aber süßen Stimme ein und sang mit der Geige um die Wette ein wehmüthiges
Lied im Vierachteltact in sehr langsamem Tempo. Fremd und ergreifend war
der Accent der leichten Tacttheile des zweiten und vierten Achtels, den der
Geiger mit voller Gewalt unterstützte. Die Textesworte verstand der Graf
nicht, die leidenschaftliche klagende Melodie traf aber mächtig sein Herz.

»Wie heißt das Lied?« fragte er am Schlusse die Sängerin.

»Ich will versuchen es Euch zu übersetzen,« antwortete Czinka. »Es ist
meine Lieblingsnota, die Worte und die Melodie hat Anthony gemacht:

  »O meine müden Füße, ihr müßt tanzen
  In bunten Schuhen
  Und möchtet lieber tief
  Im Boden ruhen.

  »O meine armen Augen, ihr müßt blitzen
  Im Strahl der Kerzen
  Und möchtet im Dunkel lieber
  Schlafen von euren Schmerzen.«

»Was kann ich Euch schenken?« fragte der Graf an diesem Abende freundlich
den jungen Geiger. »Bis zur Stunde haben sie Alle von mir irgend eine
kleine Gabe angenommen, nur Ihr allein nicht! Meint Ihr, es sei mir
entgangen, wie Ihr die silberne Kette, die ich Euch durch Czinka
überreichen ließ, zerrissen und von Euch weggeschleudert? Erlaubt mir doch
endlich Euch zu zeigen wie wohl mir Euer Spiel gefällt!«

»Nun, so schenkt mir den kleinen Dolch, den Ihr immer mit Euch führt!«
antwortete Anthony nach kurzem Besinnen.

Alfred zog die zierliche Waffe aus ihrem Futterale und überreichte sie nach
kurzem Zaudern dem Geiger. »Laßt uns nun auch Freunde sein,« sagte er.

Die Augen des Knaben blitzten. Er prüfte die feine Klinge und musterte mit
Wohlgefallen den zierlich ausgelegten Griff. Dann schob er die Waffe in
die lederne Scheide und verbarg sie an seiner Brust. Mit heiterem Lächeln
dankte er nun dem Grafen und war von Stund an minder scheu und fremd zu
ihm, aber wahrhaft zutraulich wurde er dennoch keinen Augenblick, so viele
Mühe sich auch Alfred Saldern gab seine Zuneigung zu erwerben.

       *       *       *       *       *

Tage und Wochen vergingen -- das Leben des Grafen glich einem
phantastischen Märchen, und er verspürte zuweilen den Drang sich an
Nase und Ohren zu zupfen, um zu erproben ob er wirklich wache. -- Jene
nächtlichen Träume, in denen er die schöne Czinka in seinem eleganten
Hause in Wien sah, träumte er jetzt auch sogar am Tage: immer unabweisbarer
tauchte der Gedanke in ihm auf, dies köstlich frische Kind als sein
Weib heimzuführen. Zerflossen waren alle Bedenken, verstummt die
widerstreitenden Stimmen in seiner Brust; die Stimme der Liebe hatte sie
alle zur Ruhe gebracht. Das leidenschaftliche Verlangen nach dem Besitze
eines Etwas das er _nicht_, wie sonst Alles was ihm gefiel, durch die Macht
seines Reichthums zu erkaufen vermochte, entzückte ihn, -- er schwelgte in
diesem neuen Gefühl und empfand zu Zeiten kaum die Sehnsucht sich durch
ein entscheidendes Wort aus diesem, für ihn so neuen, köstlichen Zustand zu
erlösen. Ob Czinka seine Empfindungen ahnte? Er wagte es nicht zu hoffen.
Sie war und blieb unbefangen gegen ihn wie ein Kind. Seine Geschenke hatte
sie mit harmloser Mädchenfreude entgegengenommen, seinen Erzählungen von
der großen Kaiserstadt, von seinem Palaste, von den Genüssen des Reichthums
mit glühenden Wangen und leuchtenden Blicken gelauscht, wenn aber Anthony
Czermak seine Geige stimmte, schnellte sie doch empor, wurde zerstreut und
unachtsam, und spielte er in seiner kecken wilden Manier gar den ersten
Tact irgend eines Tanzes, so hatte Alfred das Gefühl als ob diese Töne
Czinka von einem offenen Grabe, worin man ihr Liebstes so eben versenkt,
wegzulocken vermöchten. Fast mit einem Schauer sah er zu, wie sie dann auf
und dahin flog: ihr Busen wogte, ihre Füße berührten kaum den Boden, ihre
Augen lachten und die leichte Gestalt schwebte dahin, als sei eben die
Bewegung des Tanzes ihr einziges Element. Ließ sie endlich mit dem letzten
Strich der Geige des braunen Knaben die Arme sinken und warf sich in's
Gras, halberschöpft, halb selig von der eben genossenen Lust, da hätte der
Graf sein Leben und seine Habe ihr zu Füßen werfen mögen und doch war
es ihm, als könne er dreister der stolzesten Herzogin in Wien einen
Heirathsantrag machen, als zu dieser kleinen Zigeunerin von Liebe reden.

Eines Tages jedoch, der Abend dunkelte bereits, saß er mit ihr auf einem
kleinen freien Platze unfern des Lagers unter einer großen Eiche. Die
Musikbande war schon am Morgen fortgezogen, um zu dem Hochzeitfeste eines
reichen Bauern aufzuspielen, mehrere der Männer und Frauen hatten sie
begleitet. Es war still im Zigeunerlager. Das Feuer schimmerte durch die
Büsche, das Lärmen und Lachen der spielenden Kinder drang gedämpft herüber.
Czinka war ungewöhnlich ernst. Alfred Saldern saß stumm an ihrer Seite. Als
die Sonne sank, brach das junge Mädchen plötzlich in Thränen aus und sagte:

»Um diese Stunde, heute vor fünf Jahren, starb meine Mutter und ließ mich
allein. Den Vater habe ich nie gekannt, der starb ehe ich geboren war!«
Nach diesen Worten küßte sie ein kleines Kreuz, das sie am Halse trug.
»Ich möchte so gern wieder einmal in meiner Kirche beten,« fuhr sie dann
gedankenvoll fort, »nehmt mich doch einmal mit nach Zircz! Die Andern
lassen mich nicht allein fort und sind keine guten Katholiken! -- Wenn
die Mutter noch lebte, wäre ich auch wohl nicht mehr hier unter ihnen! Wir
wollten damals nach Raab ziehen oder vielleicht gar in's österreichische
Land mit dem Anthony, damit er tüchtig Geige spielen lerne und ein großer
Musikant werde. Armer Anthony!«

»Beklagt ihn nicht, Czinka, für ihn ließe sich noch Hülfe finden -- noch
ist es Zeit, ich will ihn mit nach Wien nehmen, wir haben dort hochberühmte
Meister bei denen er Tüchtiges lernen könnte.«

Sie fuhr empor mit leuchtenden Augen. »O wie gut Ihr seid!« rief sie
freudig und faßte seine Hände. »Wollt Ihr das wirklich? -- Dann ginge ja
die böse Weissagung der Czinka Panna, meiner Großmutter, nimmermehr in
Erfüllung! -- Habt Ihr niemals von jener vielgefeierten Zigeunerin und
Quartettspielerin reden hören? Nun seht, sie starb an dem Tage meiner
Geburt. Aber man brachte mich an ihr Bette und da legte sie ihre kalten
Hände auf mein Haupt und murmelte: »Armes Kind! Du wirst leben müssen
ohne die berauschende Musik unseres Volkes und wenn eines Tages der größte
Geiger unsers Stammes die =siralmas nota= vor Dir spielt, wird es -- in
Deiner Todesstunde sein!« Wenn nun aber der Anthony Czermak wirklich ein
_großer Geiger_ wird, so werde ich ihn alle Tage spielen hören, denn er
wird mir oft genug die =siralmas nota= geigen wenn ich erst seine Frau
bin.«

»Ihr des Anthony Frau?«

»Ja, so wollte es die Mutter, um die Prophezeiung der Großmutter zu nichte
zu machen. Sie liebte den Anthony, der auch schon längst keine Eltern mehr
hat, und Anthony liebt mich sehr!«

»Und Ihr, Czinka -- Ihr selbst -- redet doch -- möchtet _Ihr_ denn solch
eines wandernden Zigeuners Weib werden?«

Sie sah ihn erstaunt an, des leidenschaftlichen Tones wegen, in dem er
geredet. Er war so bleich geworden daß sie erschrak und eine Bewegung
machte sich zu erheben. Mit Heftigkeit aber schlang er seinen Arm um ihren
schlanken Leib, zog sie zu sich nieder und rief:

»Nicht eher weicht Ihr, Czinka, als bis ich Euch Alles gesagt!« Und als sie
bebend es geschehen ließ daß er ihren Kopf an seine Brust lehnte, da redete
er mit leisen glühenden Worten von seiner unbesiegbaren Liebe zu ihr, zu
der wilden Rose, die da so dicht an seinem Herzen blühte und strahlte.
Was er ihr sagte und versprach -- sein Kopf wußte nichts davon, sein Herz
allein redete. -- Lange währte es auch nicht -- dann kam die Endfrage, die
er aber mit fester, fast feierlicher Stimme aussprach: »Czinka, wollt Ihr
mein Weib werden und mir in meine Heimath folgen?«

Er schwieg wie von einer schweren Last befreit, und lehnte mit dem Ausdruck
der Erschöpfung seinen Kopf an den Stamm des Baumes, dessen Zweige sie
Beide beschattete.

Da richtete sie sich langsam aus seinen Armen auf, sah ihn traurig an und
antwortete mit langsamem Kopfschütteln nur das eine Wort: »Nein!« aber so
ruhig, so unabweisbar, daß er fühlte, wie keine Bitten und Klagen diesen
Laut in ein »Ja« zu verwandeln vermöchten. -- Ein unendlicher Schmerz zog
durch seine Seele. Schweigend senkte er die Stirn. -- Was kümmerte es
ihn zu wissen, was sie zu diesem »Nein« getrieben? Wozu noch ein
Auseinanderreißen der Wunde, die er empfangen? Er sah sie noch einmal an,
wie sie in ihrer sinnverwirrenden fremdartigen Schönheit vor ihm saß, die
Fleisch gewordene Blüthe des =Cactus speciosissimus= -- dann riß er ihre
Hände an seine Lippen und sagte einfach:

»Lebt wohl, Czinka!«

Da neigte sie ihr liebliches Haupt herab und küßte ihn leicht wie ein Hauch
auf die Stirn. »Lebt wohl!« flüsterte auch sie. Aber plötzlich fuhr sie
empor und wurde todtenbleich. »Hörtet Ihr nicht einen Seufzer, wie das
Todesächzen eines getroffenen Rehs?« fragte sie leise und ängstlich.

Er schüttelte den Kopf und stand auf. Wirre Töne, Rufen und Lachen, klangen
vom Lager her.

»Sie sind wiedergekommen!« sagte Czinka tiefaufseufzend. »Anthony sucht
mich gewiß!« Dann legte sie ihre Hand auf den Arm Alfreds und flüsterte:
»Jetzt weiß ich, daß ihr den Anthony _nicht_ mit nach Wien nehmen könnt,
-- aber ich danke Euch doch daß Ihr es gewollt! Vergeßt mich und ihn, ich
bitte Euch!«

Sie verschwand im Gebüsch. Er blieb noch einen Augenblick in tiefen
Gedanken stehen, dann schlug er einen Seitenweg ein, der ihn zu seinem
Wagen leitete.

In Zircz angekommen, befahl er seine Sachen sogleich zu packen und fuhr
in derselben Nacht noch nach Raab. Dort blieb er einige Tage, trieb sich
ruhelos umher und schwankte stündlich zwischen Abreisen und Bleiben. Die
Festungsmauern beengten ihn, die düstern Straßen erhöhten seine Schwermuth,
nur in dem Stadtviertel der Juden und Zigeuner, und in dem herrlichen
alten Dom athmete er auf. Stunden lang konnte er in den schlechten Schenken
sitzen und die Gestalten der ungarischen Zigeuner anstarren, die dort
zechten, scherzten und ihr wildes Wesen trieben. Nur wenn irgend Einer
der Bande seine Geige stimmte, üppige Frauengestalten aus den Winkeln
auftauchten und der Wirth die Bänke zusammenrückte, um die niedere schmale
Stube in einen Tanzsaal zu verwandeln, floh er, aber die tolle Musik,
das Jauchzen und Stampfen folgte ihm bis an das Portal des ernsten
Gotteshauses, allwo erst der böse Spuk wich. Wie viele Tage er in Raab
verträumt -- er hatte sie nicht gezählt -- eines Abends aber stand Alfred
Saldern an dem Fenster des Gasthauses mit dem festen Entschlusse, am
nächsten Morgen nach Wien abzureisen. Der Regen schlug an die Scheiben,
der Wind heulte, im Hofe irrten Laternen umher, -- auf den Straßen war
es stille, -- auf Flur und Treppen nicht minder, obgleich es noch früh am
Abend war. Die Lampe brannte düster auf dem Tische, gespenstische Schatten
zuckten an den Wänden auf und nieder. Ein unsagbares Heimweh überkam den
Verlassenen -- aber kein Heimweh nach seinem in all seiner Pracht doch
öden Hause in Wien, oder nach den Gestalten der Genossen seiner rauschenden
Freuden, nein, eine verzehrende Sehnsucht nach der längst gestorbenen
Mutter, nach der längst begrabenen Schwester, -- ja nach dem kaum gekannten
Vater, und in tiefer Wehmuth legte er seine Stirn in die Hände und fühlte
Thränen -- seltene Gäste -- in seinen Augen. Da klopfte es rasch an die
Stubenthür, sein Diener trat ein und meldete einen Knaben, der nach ihm
gefragt. Zerstreut winkte der Graf ihn einzulassen. Er blickte kaum auf, in
seine Erinnerungen versenkt, als die schlanke Gestalt eintrat -- er zuckte
erst mit einem Schrei empor als eine kleine Hand, deren Pulsschlag ihn
sympathisch berührte, die seine erfaßte. Hastig wandte er sich nun und
erkannte, trotz der entstellenden Tracht, trotz des verschnittenen Haars
-- Czinka, das geliebteste Geschöpf der Erde. Mit einem Laut des Entzückens
riß er sie an seine Brust, er sah nicht wie bleich sie war und wie sie
zitterte.

»Hier bin ich,« sagte sie mit leidenschaftlichem Trotze, »ich will Dein
Weib werden -- vergiß, daß ich Dir einst »nein« gesagt, aber Eins mußt Du
mir zuvor versprechen: Du mußt ihn mir suchen helfen, den Anthony. Er ist
in derselben Nacht da Du uns verlassen, mit seiner Geige entflohen, hinaus
in die weite Welt! Niemand wird und kann mir suchen helfen als Du, Du
allein! _Und wir werden ihn finden_ -- nicht wahr?«

       *       *       *       *       *

Der Namenstag des Grafen Alfred rückte heran und noch wußte Niemand, wo
der wunderliche Flüchtling sich umhertrieb. Manche glaubten ihn auf seinem
schönen Gute in der Steyermark, Andere in Italien, wieder Andere wollten
gehört haben, daß er sich am Rhein niedergelassen, und Alle bedauerten
den Ausfall des sonst allezeit so glanzvollen Festes, als plötzlich die
Einladungen für diesen Tag in gewohnter Weise ergingen, die fast ein Jahr
lang verschlossenen Fenster und Thore des Saldern'schen Palastes sich
öffneten, und bald in ihrem sonstigen Schmuck an Blumen und kostbaren
Umhängen wiederum strahlten. Neugierige Freunde eilten herbei, aber der
alte Haushofmeister wies einen Jeden ab mit der ruhigen Bemerkung, sein
Herr sei noch bis zur Stunde nicht zurückgekehrt. Mit welcher Spannung man
endlich am bestimmten Tage die prächtigen Raume des Festgebers betrat, läßt
sich denken.

»Ob er wohl jenes Versprechen halten wird, das er vor einem Jahre der
Versammlung gegeben, ob er sich verlobte auf seiner langen Reise, oder ob
er irgend einer der geladenen Schönen öffentlich Herz und Hand anzubieten
gedenkt?« diese Fragen beschäftigten die meisten der Gäste. Treppen, Flur
und Vorzimmer waren ungewöhnlich glänzend decorirt, aber im Empfangzimmer
wurden Viele unangenehm überrascht: _Tageshelle_ statt des gewohnten
Kerzenlichts strömte ihnen entgegen; doch verschwand diese kleine fatale
Empfindung bald bei dem überaus liebenswürdigen Empfang des Grafen, der
dies Mal seine Gäste mit dem Ausdrucke wahrer Freude begrüßte, und jedem
Einzelnen zu verstehen zu geben sich sichtlich mühte, wie sehr angenehm
ihm gerade seine Erscheinung sei. Jeder und Jede sagte sich: »so freundlich
lächelte er noch nie, so verbindliche Worte hörte ich noch nie von ihm!«
Die Stimmung der Versammlung war deshalb sofort eine heitere, trotz
aller Spannung. Als der Speisesaal geöffnet wurde, der auch im vollsten
Tagesglanze strahlte, bewunderte man die geschmackvoll aufgehäufte Pracht
der Geräthe und seltenen Blumen. Der Hausherr führte seine Tante zur Tafel,
die alte Marquise d'Anville, die aber dies Mal ihre starre Miene abgelegt
und mit schlauem Lächeln um sich schaute; ihm zur Rechten saß die schöne
Gräfin Delphine -- der Platz auf seiner linken Seite blieb ganz frei -- ein
leerer rother Sammetsessel stand dort und statt des Couverts erblickte
man eine silberne Vase von herrlicher Arbeit, aus der ein selten schönes
Exemplar des =Cactus speciosissimus= seine feurigen Blüthen durch den Saal
leuchten ließ. Das Diner war glänzend, doch wollte die Unterhaltung, trotz
der Lebhaftigkeit des Wirthes und der ungewöhnlichen Redseligkeit der alten
Marquise, nicht recht in Fluß kommen, sie stockte öfter als der gute Ton
es erlaubt, die Erwartung und Ungeduld der Gäste wuchs zusehends, man
flüsterte unverhohlen mit einander, die Blicke der Männer wurden immer
zerstreuter, das Lächeln der Frauen immer gezwungener. Endlich wurde das
Desert aufgetragen, der feurige Cliquot löste die Zungen, der erste Toast
auf den Hausherrn flog durch den Saal. Da erhob der Graf dankend sein Glas,
ließ seine stolzen blauen Augen heiter über die Versammlung wandern, und
sagte mit heller Stimme:

»Ich kam nur zurück von meiner Reise um meinen liebenswürdigen Gästen ein
Versprechen zu halten, das ich Ihnen vor einem Jahre an eben dieser Stelle
gegeben. Darf ich also bitten die Gläser auf das Wohl meiner _Hausfrau_ zu
füllen?« Stürmischer Beifallsruf war die Antwort. Als der Jubel verhallt,
verlangte man einstimmig die schöne Wirthin zu sehen. »Dieser leere Sessel
ist für die Königin dieses Hauses bestimmt, wie Sie Alle wohl schon längst
vermuthet, ich hoffe, sie weigert sich nicht ihn einzunehmen!« sagte nun
Alfred und erhob sich.

Die schöne Delphine warf schnell einen schmachtenden Blick in den gegenüber
hängenden Spiegel: das weiße, theure Spitzenkleid, in Paris gemacht,
saß vortrefflich, der blaßrothe Atlas des Unterkleides schimmerte wie
Morgenroth durch die köstlichen Kanten, die Rose an der linken Seite der
langen Locken hätte freilich noch etwas tiefer, mehr wie herabgesunken,
stecken können, die dumme Margot verstand doch gar Nichts! Das Freifräulein
Melanie aber, das dem Grafen gegenüber saß, warf ihm zu derselben Zeit
einen kecken Blick zu und lachte, -- sie wußte nämlich genau daß sie nie
hübscher war, als wenn sie lachte. Beide Damen knüpften jedoch ein eifriges
Gespräch an mit ihren Nachbarn, denn sie hörten, daß der Graf seinen
Sessel rückte und -- man mußte ja die _Ueberraschte_ spielen, wenn man
ihn plötzlich vor sich sah! Allein sie sprachen und sprachen -- was sie
redeten, wußten weder sie selber noch verstanden es ihre Nachbarn, -- es
dauerte auch allzu lange! Endlich mußten doch Beide ein wenig zur Seite
blinzeln und da sahen sie -- wie die Sammetportière eines Seitencabinets
zurückgeschlagen wurde, und der Graf auf dessen Schwelle erschien. --
Aber an der Hand führte er eine Frau, die er zu jenem leeren Sammetsessel
geleitete und mit den einfachen Worten: »Czinka, Gräfin von Saldern,«
jetzt der Versammlung vorstellte. Die neue Gräfin verneigte sich mit der
schüchternen Grazie eines Kindes, und nahm den Platz an der linken Seite
ihres Gemahls neben der alten Marquise ein, die sie mit mütterlicher
Zärtlichkeit empfing. »Da meine Frau als Ungarin unsere deutsche Sprache
nur mangelhaft versteht und kaum redet, so sieht sie sich für heute zu
ihrem Bedauern noch genöthigt auf das Vergnügen der Unterhaltung mit meinen
Freunden zu verzichten,« sagte der Graf noch, dann knüpfte er sofort
mit seiner schönen, fast zu Stein erstarrten Nachbarin so unbefangen ein
Gespräch an, als gäbe es keine Gräfin Saldern in der Welt und die stolze
Delphine war Weltdame genug, um scheinbar heiter auf seine Unterhaltung
einzugehen. Dann und wann wandte sich jedoch Alfred Saldern mit einem
sonnigen Blick und Lächeln zu seiner jungen Frau, ihr einige leise Worte
zuflüsternd, die sie eben so leise und mit einem lieblichen Erröthen
beantwortete. Redete er nicht mit ihr, und gönnte die Marquise d'Anville
ihr Ruhe, so saß sie ernst und gedankenvoll da und betrachtete mit dem
Staunen eines jungen Mädchens das zum ersten Mal den Ballsaal betritt, jene
glänzenden Gestalten der Gäste, die sich um die Tafel reihten. Aber überall
begegnete ihr Blick dem Ausdruck so lebhafter Bewunderung und Neugier, daß
sie endlich ihre dunklen traurigen Augen senkte, und nicht anders wieder
erhob als um ihren Gemahl anzusehen, oder jene stolze Purpurblüthe in der
silbernen Vase vor ihrem Sitze. -- Die junge Gräfin trug ein Kleid von
kostbarem indischen Mousselin, mit Spitzen reich verziert, der zarte Hals,
die feinen Schultern und Arme schimmerten durch den klaren Stoff doppelt
reizend. Die Aermel waren mit Korallenagraffen zurückgenommen, eine Kette
von Korallen mit einem prachtvollen Schloß schlang sich um ihren Hals,
eine andere um die zierlichen Handgelenke. In dem schwarzen lockigen,
kurzverschnittenen Haar trug sie einen Kranz von Granatblüthen. Ihr
Gesicht, leicht angehaucht von einem köstlich feinen Bronceton, war
bezaubernd in seinen Linien und in dem Ausdruck einer sanften Melancholie.
Die Lippen strahlten in köstlicher Frische, und es war nicht möglich
sich schönere Augen mit vollkommnerer Zeichnung von Brauen und Wimpern zu
denken, so behaupteten wenigstens alle männlichen Gäste des Grafen, während
die Frauen den Augen der Gräfin Saldern wenigstens in so fern Gerechtigkeit
widerfahren ließen, als sich eine Jede gestand, sie seien, ihre _eigenen_
Augen natürlich ausgenommen, die »hübschesten« im Saale. -- Zu diesem
glänzenden Vorzug der jungen Frau kam aber noch ein Jugendschein, eine
Frische, die in den Herzen der sämmtlichen Schönheiten der Tafelrunde die
heißeste Sehnsucht erweckten nach -- dem verbannten _Kerzenlicht_, die
Herzen der Männer dagegen in lebhafte Bewegung versetzte. Das war der
wirkliche Frühling der sechszehn Jahre der auf dieser Stirn, auf diesen
Wangen seinen Siegerthron aufgeschlagen, jener reiche Frühling mit seinem
üppigen Grün, seinen Knospen und Verheißungen, seinem Duft und Schimmer. --
Ein sechszehnjähriges liebliches Mädchen ist ja eine wilde Rose im Walde,
eine Siebzehnjährige eine Moosrosenknospe, die Achtzehnjährige die Moosrose
selbst -- -- die Neunzehnjährige aber schon meist -- -- eine Theerose -- --
zuweilen reizend zart, schmachtend -- -- und Theerose bleibt sie dann bis
-- -- -- die Liebe kommt, sie in eine Centifolie zu verwandeln und sie vor
dem bittern Loose zu schützen eine -- Klatschrose zu werden. --

Als die Tafel aufgehoben war und die Gäste sich zurückgezogen hatten,
entließ die junge Frau die glänzende Versammlung mit so vollendeter
Haltung, daß Niemand _laut_ gewagt hätte -- wenigstens an demselben Tage
noch nicht -- -- die überraschende Wahl des Grafen zu bekritteln. --

       *       *       *       *       *

                                »O meine müden Augen,
                                Ihr müßt blitzen
                                Im Schein der Kerzen
                                Und möchtet doch im Dunkeln
                                Schlafen von euren Schmerzen.«

Jahre waren hingegangen. Aus der sechszehnjährigen wilden Rose war
eine bleiche vornehme Theerose geworden, Czinka Saldern trat als
sechsundzwanzigjährige Frau so sicher auf, in der großen Welt, als hätte
sie sich von Kindheit an in derselben bewegt. Man bewunderte die junge
Frau, man machte ihr den Hof, sie war eine gefeierte Erscheinung wo sie
sich zeigte, und die Eigenthümlichkeit ihres Wesens und das Fremdartige
ihrer Schönheit rechtfertigte diese Bewunderung vollkommen. Ihre Gestalt
war noch immer schlank und zierlich, aber von vollendeten Formen, ihr
Gesicht mit dem Ausdrucke geduldiger Trauer um den Mund, und den Augen
voll verschleierter Leidenschaft war hinreißender denn je. Sie lernte die
deutsche Sprache nie vollkommen und schien sie auch nicht gern zu reden;
dieser Mangel und ein unbezwinglicher, fast trotziger Stolz, allen
Huldigungen gegenüber, erwarben ihr den Namen die »fremde Königin.« Als
eine auffallende Seltsamkeit bezeichnete man ihre Abneigung gegen den Tanz.
Niemand konnte sie bewegen auf den Bällen einen Fuß zu heben zu irgend
einem Walzer oder Galopp. Sie saß dann ruhig und träumerisch auf der
Estrade und schaute zu.

»Solche Musik macht mich nicht tanzen, sie schläfert mich ein,« sagte sie
einmal.

Eine zweite Eigenthümlichkeit nannte man ihre unbezwingliche Reiselust. In
jedem Frühjahr wurde sie nämlich von einer Unruhe und Sehnsucht nach der
Ferne befallen, die nicht eher endete als bis sie in den Reisewagen
stieg. Man tadelte den Grafen, daß er alljährlich immer wieder diesen
kostspieligen Launen nachgab, den größten Theil des Jahres mit seiner Frau
auf Reisen zubrachte und Europa nach allen Richtungen hin durchstreifte.
Wie ein Kind froh, lachend und strahlend nahm sie allezeit Abschied, und
müde und bleich kehrte sie zurück. Allmählich munkelte man deshalb auch,
daß der Graf doch vielleicht nicht ganz glücklich sei, und bemerkte
mit weisen Mienen, wie es doch wohl nimmer rathsam sein könne sich eine
»Curiosität« als sein Weib heimzuführen. Der Graf selbst gab durch sein
Wesen durchaus keinen Grund zu dergleichen Bemerkungen, er erschien
alle Zeit heiter und angeregt, arrangirte und besuchte Feste wie sonst,
begegnete seiner Gemahlin mit der ausgezeichnetsten Aufmerksamkeit, hatte
nur Augen für sie, schien es aber doch nicht zu sehen, daß die junge
Frau, trotz ihres Lächelns, einer welken Blume glich oder einer an Heimweh
Erkrankten. Wie man aber in _Wien_, der unvergleichlichen Kaiserstadt, sich
nach irgend etwas zu sehnen vermochte das Draußen lag, das begriff eben
Niemand.

War aber Czinka wirklich heimwehkrank? -- Sie wußte es selbst nicht. Sie
fühlte nur, daß sie gern sterben würde wenn sie noch einmal den Wald von
Zircz über ihrem Haupte rauschen, und Anthony Czermaks Geige dazu hätte
spielen hören dürfen. Der böse Anthony -- wo war er nur, und warum war er
davon gelaufen? Tagtäglich dachte sie ja an ihn und alljährlich suchte sie
ihn mit einer Angst und Hast, die sie krank machte, -- und bis zur Stunde
hatte sie noch keine Spur von ihm gefunden. Wie gut doch Graf Alfred war
-- er hatte ihn so treulich suchen helfen -- er hatte sein Versprechen
gehalten! -- Und wenn sie den Flüchtling endlich wirklich finden würde? Was
dann? -- Sie kam nicht weiter mit ihren Gedanken -- sie dachte nur daran,
daß er dann alle die wilden köstlichen Melodien spielen und sie -- _tanzen_
dürfe. O, tanzen, nur noch einmal tanzen nach _seiner_ Geige, -- das war
die heimliche glühende Sehnsucht ihres Herzens. Wie oft verschloß sie sich
in ihrem Schlafzimmer und öffnete einen schmalen unscheinbaren Schrein, der
zu Häupten ihres Bettes stand, zog dort zwischen einem Bündel von Kleidern
ein Paar kleine rothe Schuhe hervor, und legte sie an. Dann hob sie ihr
schleppendes Seidenkleid ein wenig und sah lächelnd wie ein Kind auf ihre
Füße, stampfte wohl auch einmal den Boden und stellte sich auf die Spitzen
und schwankte, wie eine vom Winde bewegte Blüthe, hin und her. Nach einer
Weile zog sie die rothen Schuhe aber langsam wieder aus, drückte sie an
die Lippen und schluchzte bitterlich. Dann verschloß sie ihre Kleinodien
sorgsam wieder und ihre gewöhnliche stolze Haltung annehmend, verrieth,
wenn sie die Thür öffnete, kein Zug ihres Gesichts jene heimlichen Thränen.

Im elften Jahre seiner Ehe, gegen das Frühjahr hin, sah sich der Graf
genöthigt, seine Frau auf einige Wochen zu verlassen, um nach Steyermark
abzureisen. Auf seinem schönen Besitzthum dort, das ihm der Bruder seiner
Mutter hinterlassen, war Feuer ausgebrochen, ein Theil der Wohngebäude
zerstört worden, und der Gutsverwalter bat dringend um den Rath und das
Erscheinen seines Herrn. Gleich nach des Grafen Rückkunft wollte dann das
Paar eine längstbesprochene Reise nach Spanien antreten. Alfred trennte
sich schweren Herzens von Czinka, es war ja die erste größere Trennung
von ihr, und als er sie an einem kalten trüben Märzmorgen zum Abschied
in seinen Armen hielt, lag das Vorgefühl eines ungeheuren Wehs auf seiner
Brust.

»Sei heiter, Czinka,« bat er, »zerstreue Dich und schließe Dich nicht ab
-- in vier Wochen spätestens bin ich bei Dir und dann, -- Du weißt es ja,
_dann suchen wir ihn wieder_! Und dies Mal vielleicht nicht umsonst.«

Sie sah ihn gerührt an: »Wie gut Du bist!« antwortete sie leise, »tausend
Mal besser als der Anthony! Gott segne Dich, Alfred. Ich wollte, Du
bliebest hier!«

Er küßte sie noch einmal zärtlich, der Wagen fuhr vor, er ging -- sie
neigte sich aus dem Fenster und winkte ihm noch einen letzten Gruß
nach. Der Wagen rollte dahin. -- Als die Gräfin dann die großen Räume
durchschritt, um sich wieder in ihr Boudoir zu begeben, strömte plötzlich
das Gefühl der Verlassenheit wie ein Eishauch durch alle ihre Glieder. Sie
eilte, angstvoll und erschreckt wie ein Kind das sich im Dunkeln befindet,
die Treppen hinauf, warf sich in ihrem reizenden Gemach auf den Divan und
weinte bitterlich.

       *       *       *       *       *

Die einzige Freude und angenehmste Zerstreuung der Gräfin seit längerer
Zeit und insbesondere nach der Entfernung des Grafen, war der Besuch des
Ballets. Sie zog jene Stunden im Theater der glänzendsten Gesellschaft vor,
und an jedem Balletabend stand das elegante Cabriolet der Gräfin vor
der Thür des Saldernschen Hauses und man konnte später die schöne
Frau, meistens in Weiß gekleidet, welche Farbe sie am Liebsten trug,
in Begleitung der Marquise in ihrer Loge erscheinen sehen, aus deren
dunkelrothem Hintergrund sich der seltsam fesselnde Kopf wundervoll
abhob. Kaum vierzehn Tage nach der Abreise Alfreds war ein neues Ballet
angekündigt, und beim Beginn der Vorstellung saß Czinka Saldern einsam in
ihrer Loge, mit jenem schweren träumerischen Blick und jener nachlässigen
Haltung, die ihre Feindinnen verdammten, die aber ihre Anbeter entzückte.
Den Theaterzettel hatte sie spielend zusammengerollt zwischen ihren
zierlichen Fingern, sie wußte nicht was er ankündigte, das Lesen war so
mühsam! Die Marquise d'Anville hütete heute eines kleinen Unwohlseins
halber das Zimmer. Das Theater erschien ungewöhnlich gefüllt. Die
Logennachbarin der schönen Frau, die alte Herzogin M., erzählte ihr daß
heute eine ausgezeichnete Musikbande spielen werde. Der Vorhang flog auf --
die Gräfin zuckte zusammen. Alles Blut drängte sich nach ihrem Herzen. --
Die Decoration stellte ein Zigeunerlager vor. Das Feuer brannte, Männer und
Frauen lagerten im Kreise, spielende Kinder liefen umher, der Mond stand
über dem Walde. Da tönte der erste Accord einer fremden Musik -- er
übertönte einen schwachen Aufschrei, der sonst wohl großes Aufsehen gemacht
haben würde, denn er kam aus dem Munde der schönen gefeierten Gräfin
Saldern. -- Das war ja eine wirkliche Zigeunerbande, die da spielte! Czinka
glaubte zu träumen. Das war ja jener hüpfende, hinreißende Tact, das waren
jene leidenschaftlich zuckenden Syncopen, der unregelmäßige Herzschlag der
punktirten Achtel, die wie Blitze niederfahrenden unvorbereiteten Septimen
und Nonen, und endlich diese Halte auf der Dominante, gleich wie stockender
Athem bei dem Worte: »ich liebe Dich!« -- Sie starrte in wilder Erregung
auf die Bühne. Zwölf junge Zigeuner zogen paarweise herein und gruppirten
sich malerisch. Aber wer war jener seltsame, schlanke, hochgewachsene
Geiger mit der finstern Stirn und den todestraurigen Augen, der jetzt
einige Schritte vortrat und ein Geigensolo begann dem das ganze Haus wie
von einem Zauber befangen lauschte? -- Niemand wußte es, denn sein Name
stand nicht auf dem Zettel. Und doch kannte ihn Eine, Eine nannte heimlich
seinen Namen, Eine hing an seinen Zügen mit leuchtenden Augen, -- aber
diese Eine allein regte keine Hand als das ganze Haus in Jubel ausbrach
als der Geiger geendet. Man war entzückt, fast verwirrt von der seltsamen
Schönheit dieses Spiels. Die Wiener hatten noch keinem der berühmtesten
Geigenvirtuosen _so_ toll zugejauchzt wie jetzt diesem braunen unbekannten
Zigeuner. Endlich als sich der Sturm gelegt, begann das Ballet, die steif
geschnürten gezierten Zigeunerdamen des Balletcorps erschienen nämlich,
und begannen einen kunstvollen Tanz nach der plötzlich voll losbrechenden
Zigeunermusik. -- Da glitt die Gräfin geräuschlos aus der Loge -- da
lief sie, in ihren leichten Mantel gewickelt, in den feinen Atlasschuhen
pfeilgeschwind durch die Straßen nach Hause, da schlich sie wie eine Diebin
die Treppe der Dienerschaft hinauf, in ihr Schlafzimmer, da zog sie jenen
geheimnißvollen Schrein hervor, schloß ihn auf, warf ihre Kleider ab in
fieberhafter Hast, -- und schlich nach Verlauf von kaum einer Viertelstunde
tief vermummt wieder fort, an dem Kammermädchen und dem Portier vorüber,
die zu tief in ihrer Unterhaltung begriffen waren, als daß sie jene
vorüberhuschende Gestalt bemerken konnten. -- Im Theater war eben der
erste Theil des Ballets vorüber, lebhafter Beifall lohnte den erschöpften
Ballerinas. Plötzlich verstummte aber der Jubel, denn eine neue
Ueberraschung enthüllte sich. -- Durch die Reihen der Tänzerinnen brach
sich eine schlanke Frauengestalt Bahn. Sie trug einen kurzen rothen Rock
mit seltsamen goldenen Zeichen gestickt, ein eng anschließendes Mieder,
kleine rothe Schuhe und silberne Ringe an den Handgelenken. Ihr Haar hing
in schweren Flechten herab. Wie schön war sie! Wie fremdartig schön! Und
doch meinten Viele dies Antlitz schon einmal gesehen zu haben! Aber wo?
-- Sie warf einen Feuerblick auf den Geiger und rief: »=Huzdra Czigány!=«
(Spiel auf, Zigeuner!) -- Da fuhr es wie ein Blitzstrahl durch die Gestalt
des Mannes, seine Lippen wurden aschfarben, seine Augen traten aus ihren
Höhlen, er regte sich nicht -- wie zu Stein erstarrt stand er da. Aber sie
trat dicht an ihn heran -- jetzt selber so bleich wie er, -- und sagte mit
der Miene einer Königin: »=Huzdra, Anthony Czermak!=« Ihr Blick der nicht
von ihm ließ, belebte allmählich die dunkle Statue. Wie im Traume erhob der
Zigeuner seine Geige und spielte. Was er spielte -- in Worten ließ sichs
nicht fassen, noch mit Worten bezeichnen: wie gewitterschwüle Wolken zog
es über die Häupter der Hörer hin, wie ein glühendheißer Sommerabend voll
schweren betäubenden Blumendufts und Wetterleuchten. Im weiten Saale regte
sich Niemand. Keiner war da der solches Geigenspiel je gehört. Wer konnte
sagen, wo die gewaltigste Schönheit: im Ton, in der Bogenführung, in der
Composition? -- Und zu diesem hinreißenden Spiel tanzte die fremde Tänzerin
wie man noch Keine hatte tanzen sehen. Das war der Tanz wie er zu diesem
Spiel gehörte -- oder war das Spiel für diesen Tanz gemacht? -- Die
reizende keusche Beweglichkeit der Glieder -- der tolle Jubel und die
schmerzliche Lust dieses Tanzes entzückte und erschütterte jedes Herz:
-- wie Waldesrauschen zog es durch das Haus, wie Elfenmärchen von der
todtbringenden Königin zitterte es durch den Saal -- wie ein Traum lag
es auf Aller Augen. -- Die Menge kam erst wieder zur Besinnung als die
Zaubergeige längst verstummt war. Das Zigeunerorchester fiel nun rauschend
ein. Die Ballettänzerinnen sprangen höher und kunstvoller denn je -- die
Gestalten des Vorgeigers aber und seiner Tänzerin waren verschwunden!

       *       *       *       *       *

Im dem kleinen zierlichen Gartenhause des Saldern'schen Gartens lag Anthony
Czermak zu den Füßen Czinka's, eine kleine Lampe brannte auf dem Tische,
die Läden der Fenster waren geschlossen. Die Gräfin trug aber nicht mehr
jenes Zigeunercostüm, das sie während des tollen Tanzes getragen, sie hatte
sich in ein weites dunkles Hauskleid gehüllt und einen Mantel fröstelnd um
die Schultern geschlagen. Sie sah sehr bleich und erschöpft aus, und ihre
Augen hingen voll leidenschaftlicher Trauer an der Gestalt des Geigers, der
vor ihr kniete. Langsam strich sie ihm mit der schlanken Hand das lockige
Haar aus der Stirn:

»Du siehst so fremd und wild aus,« sagte sie in weichem Ungarisch
träumerisch.

»Sage lieber verloren und untergegangen,« antwortete er düster.

»Daß Du mich verloren ist ja Deine Schuld, -- Du hast es selbst gestanden,
Anthony!«

»Ich _konnte_ nicht mehr an Dich glauben als ich Dich an jenem Abend Stirn
an Stirn mit _ihm_ sah, -- aber ich wunderte mich, daß ich Euch Beide nicht
niederstieß damals.«

»Es wäre vielleicht besser gewesen für uns Alle.«

»Wie Du das traurig sagst -- wie Du traurig blickst, Czinka, und wir haben
uns doch wieder gefunden, wir sind doch wieder bei einander, Du wirst mir
folgen und alles Leid wird vergessen sein!«

»Ich gehe nicht _heimlich_ von ihm fort, ich wiederhole es Dir -- er ist zu
gut! Es würde ihm das Herz brechen!«

»Mag es doch -- hast Du nicht das meinige tausendfach gebrochen?«

»Aber Du hast es so gewollt in blinder Eifersucht und Du hattest einen
Trost: _Deine Geige_ -- _er_ hat keinen Trost wenn ich ihn verlasse.«

Er schwieg eine Weile und sah finster zu Boden. Dann fragte er hart:

»Und wann willst Du kommen?«

»Wenn ich ihm Alles gestanden -- wenn er wieder bei mir ist.«

»Laß mich rechnen: -- in etwa vierzehn Tagen wird er zurückkehren. Dann
wirst Du in der Stunde des Wiedersehens noch mit ihm reden, hörst Du?« Sie
neigte bejahend das Haupt. »Ich erwarte Dich dann hier an dieser Stelle,
oder einen Brief von Dir,« fuhr er fort, »der mir die Stunde unserer
Vereinigung angiebt. -- Du wirst mich nicht warten lassen Czinka, ich weiß
es!«

Er stand auf.

»Ich werde kommen,« flüsterte sie, »ich werde ihm in der ersten Stunde
unseres Beisammenseins Alles, Alles sagen, Anthony, und er wird mich
freigeben, -- und sollte ich zögern aus Muthlosigkeit oder aus Mitleid, so
komm mit Deiner Geige unter mein Fenster und rufe mich, -- Deiner Geige muß
ich folgen ohne Wahl. Du bist ein Dämon mit Deinem Spiel! Ich glaube, es
risse mich in die Hölle!«

»Ich hätte vielleicht wie die Engel im Himmel geigen gelernt wenn Du bei
mir geblieben.«

»Sprich nicht so, Du thust mir weh, sag' mir lieber wer Dich so spielen
lehrte?«

»Mein verzweifeltes zertretenes Herz!«

»Armer Anthony!«

»Laß mich -- reiche mir nicht die Hand hin -- das sieht aus wie ein
Almosen! Ich will kein Almosen, ich will Dich -- _Dich_ mit Leib und Seele
-- geh weg mit Deiner Hand und laß Deinen mitleidsvollen Blick von mir!
-- Hier küsse dies Amulet auf meiner Brust, Czinka, -- Du weißt, daß
Deine Mutter es mir umgehängt, als sie mich zu Deinem künftigen Schützer
bestimmte, und daß Deine berühmte Großmutter, die weise Czinka Panna, es
getragen, küsse es, sage ich und schwöre, daß Du kommen willst!«

Sie berührte den aus einem Stein geschnittenen Stern und schwur.

»So leb' denn wohl, Du geliebte Verlorene! Auf Wiedersehen Czinka, auf
Wiedersehen, zu einem Leben voll toller Lust!« Er neigte sich, nahm
ihr bleiches Antlitz zwischen seine beiden Hände, sah sie mit einem
verzehrenden Blicke an und murmelte: »Ich erwarte Dich, Gräfin Czinka
Saldern! O, Du bist noch schön genug um die Geliebte Anthony Czermaks zu
werden!«

Dann ließ er sie los und ging in die Nacht hinaus.

       *       *       *       *       *

Zwei Tage später erhielt die Gräfin die entsetzliche Nachricht, daß
ihr Gemahl todtkrank in einem kleinen Dorfe an der Grenze von Tyrol
daniederliege. Auf der Rückreise begriffen war er mit dem Wagen umgeworfen
und schwer verletzt in das Haus des menschenfreundlichen Caplans in B.
getragen worden. »Eilen Sie,« schrieb der würdige Geistliche an die Gräfin,
»dem Sterbenden den letzten Trost ihrer Gegenwart zu bringen, er nennt
Ihren Namen mit dem Ausdruck innigster Sehnsucht.«

Czinka war fast gelähmt vor Schreck und Trauer. Sie ließ sogleich
das Nöthigste packen und reiste wenige Stunden nach Ankunft der
Schreckensbotschaft in Begleitung ihres Hausarztes nach dem Orte des
Unglücks ab. Nach beschwerlicher, unausgesetzter Fahrt von mehreren Tagen,
kam sie gegen Abend in dem lieblichen B. an. Sie ließ sich ohne Aufenthalt
in's Pfarrhaus führen. Es lag wenige Schritte vom Dorfe entfernt in
einem reizenden Garten, und sah aus wie eine Stätte des Friedens, wie ein
Zufluchtsort für müde Wanderer. Der schöne Greis, der ihr grüßend auf
der Schwelle entgegentrat, erschien ihr wie ein gottgeweihter Bote der
Genesung. Sie streckte ihm beide Hände entgegen und brach in Thränen aus,
unfähig zu fragen oder seinen Gruß zu erwiedern.

»Er lebt noch,« war sein erstes ernst-mildes Wort.

Erschöpft sank sie nun auf eine kleine Bank im Hausflur und faltete die
Hände. Die Schwester des Caplans trat jetzt aus einer Seitenthür, eine
freundliche Gestalt mit dem Antlitz einer barmherzigen Schwester, und
führte die Fremde in ein kleines zierliches Zimmer.

»Ruhen Sie eine Stunde hier,« bat sie sanft, auf das blendende Bett
zeigend, »Sie brauchen Kraft seinen Anblick zu ertragen -- der Odem ist
noch in ihm, aber noch ist die Besinnung nicht wiedergekehrt!«

Czinka's Augen füllten sich von Neuem mit heißen Thränen, dann aber warf
sie ihre Reiseumhüllungen ab und sagte entschlossen:

»Wie könnte ich ruhen, ohne ihn gesehen zu haben! Ich bitte, führt mich
sogleich zu ihm!«

Niemand versuchte sie zurückzuhalten. Mit bebenden Knien trat die junge
Frau in das enge halbdunkle Krankenzimmer. Da lag er, der sie in der Fülle
der Gesundheit und Kraft verlassen, bleich und regungslos, das Gesicht
entstellt und verzerrt von tausend Schmerzen, das Haupt in Tücher
geschlagen und den linken gebrochenen Arm in den Schienen des Verbandes.
Czinka's Herz bebte vor Schmerz. Sie neigte sich über ihn, sie nannte
seinen Namen, -- er regte sich nicht -- nur zuweilen öffnete er müde und
schwer die Augen, aber der Blick blieb glanzlos und starr.

»Ich bleibe bei ihm bis zum letzten Athemzuge,« sagte jetzt die Gräfin
und sank, im innersten Wesen gebrochen, an dem Lager des Kranken auf einen
Schemel.

       *       *       *       *       *

Tage und Wochen vergingen. Die Gräfin richtete sich in dem einfachen
Pfarrhause ein, der Arzt mußte sich's gefallen lassen in der kleinen
Dorfschenke zu leben. Der Zustand des Kranken änderte sich wenig. Ein
zweiter Arzt war aus der naheliegenden größern Stadt verschrieben
worden, auch er schüttelte den Kopf und gab wenig Hoffnung, sprach
von Gehirnerschütterung und Rückenmarksverletzung, und prophezeihte im
günstigsten Falle bleibenden Blödsinn. Seine traurige Weissagung schien
sich in der That erfüllen zu wollen, denn die Körperkräfte des Kranken
fingen an sich zu heben, Schlaf und Appetit stellten sich wieder ein, von
Tag zu Tag besserte sich sein Aussehen, nur das Bewußtsein blieb erloschen.
Mit tiefem Schmerze geleitete ihn nach Monaten Czinka zum ersten Male
wieder in den kleinen Garten, er erfreute sich an der Rosenpracht wie ein
unmündiges Kind sich an den Lichtern des Weihnachtsbaumes freut, er griff
nach den Blumen, um sie entzückt zu betrachten und dann nach einer Weile
seufzend wieder fallen zu lassen. -- Sanft und geduldig war und blieb er
gegen seine Pflegerin, aber mit unendlichem Weh mußte Czinka gewahren, daß
er die Schwester des Pfarrherrn mit nicht minderer Freude begrüßte als sie
selbst, und ihr oft den Namen Czinka gab, während er sie Therese nannte.
Die Vergangenheit schien für ihn auf ewig in die Nacht der Vergessenheit
versunken, die Gegenwart kaum mehr als ein Traum, eine Zukunft war für
ihn gar nicht da. Nur in den Abendstunden, wo auch das Unglück geschehen,
überfiel den Kranken eine seltsame Unruhe, er sprach dann von seiner
Abreise, rief den Namen seines Weibes mit zärtlichster Sehnsucht, und
konnte nur beruhigt werden wenn Czinka ihn in ihre Arme nahm und seinen
Kopf an ihre Brust lehnte. Dann saß er still Stunden lang, bis er endlich
heiter lächelnd sagte:

»So -- nun laß mich schlafen gehen!«

Sie sagte ihm gute Nacht, und bei diesem Scheiden sah er sie zuweilen noch
mit einem Blicke an, der sie bis ins Innerste erbeben ließ: es leuchtete ja
ein Etwas wie durch einen Schleier ihr aus diesen Augen entgegen, -- eine
ringende Seele die ihre fesselnden Bande zu lösen sich mühte. In heißem
Gebet sank sie dann in ihrer Kammer auf die Knie und rief:

»Hilf ihm, hilf ihm, heilige Jungfrau!«

Czinka's Leben war jetzt völlig ausgefüllt von einer unablässigen Sorge
und Pflege. Wie eine Mutter um ihr hülfbedürftiges Kind, so waltete sie um
ihren Gatten. Sie trug dunkle, fast nonnenhafte Gewänder, und wer sie so
schaffen und aus- und eingehen sah in dem Zimmer des Genesenden, oder ihr
begegnete, wie sie ihn stützte und leitete, der hätte sie für eine jener
edlen Gestalten aus dem gesegneten Orden der barmherzigen Schwestern halten
müssen, die wie verkleidete Engel Gottes allezeit da zu finden sind, wo
Noth und Elend ihre Seufzer zum Himmel schicken. -- Schlummerte Alfred, so
saß sie bei der schlichten Therese und plauderte mit ihr, oder begleitete
auch wohl den würdigen Pfarrherrn auf seinen kurzen Spaziergängen, oder
in die Hütten seiner Beichtkinder. -- Trotz dieser, aus strenger
Pflichterfüllung erwachsenden Thätigkeit, fühlte sie sich nicht ruhig und
zufrieden. Der Gedanke an Anthony, der sie erwartete, der ihr vielleicht
zum zweiten Male fluchte, quälte sie oft bis zur Verzweifelung. -- Sie
konnte ihm keine Nachricht von sich geben -- sie wußte ja nicht, wohin er
sich gewendet. Die furchtbare Angst daß er kommen möchte um sie hier --
_hier_ an dieser Stelle zu mahnen, ihr gegebenes Versprechen zu halten,
fiel oft mit vernichtender Schwere auf ihre Seele. Was band sie auch noch
an Alfred? Fühlte er einen Schmerz, wenn sie jetzt von ihm ging? -- Hatte
sie eine Entschuldigung, der Leidenschaft Anthony's gegenüber, wenn er
jetzt käme und verlangte sie solle ihm zur Stelle folgen? -- Sie mußte sich
gestehen, daß sie keine hatte -- aber dies Bewußtsein brachte ihr seltsamer
Weise eine namenlose Qual. Tausendmal versuchte sie sich ein Leben an
der Seite Dessen auszumalen, den ihre geliebte todte Mutter ihr einst
als Gatten bestimmt -- Tausendmal gedachte sie schaudernd der dunklen
Prophezeihung der Großmutter -- -- vergebens, -- ein einziger Blick auf
ihren Gatten, der mit gedankenlosem Lächeln einen Blumenstrauß zerpflückte,
-- oder leise vor sich hin den Namen Czinka rief, genügte um in ihrem
Herzen den Wunsch hervorzurufen bei ihm zu bleiben, bis sein Auge sich auf
ewig schlösse. -- -- Mit fast fieberhafter Angst widersetzte sie sich
dem Andringen der Aerzte, die Rückreise mit dem Grafen anzutreten, sie
fürchtete Wien, sie fürchtete die größere Möglichkeit einer Begegnung mit
Anthony. -- Aber der Herbst kam, der Körperzustand des Kranken war fast
der eines völlig Gesunden, täglich wiederholten die Aerzte ihren Rath,
den Grafen nach Wien zurückzuschaffen, und als man der Gräfin endlich zu
verstehen gab, daß man eine leise Hoffnung auf Wiederherstellung an die
Rückkehr in bekannte Räume knüpfe, -- da sah sie alle ihre Weigerungsgründe
erschöpft, und mit stiller Verzweiflung gab sie eines Tages selbst den
Befehl, die Reisewagen zu packen. -- Der Abend, der dem gefürchteten
Abschiede von diesem Friedensasyl voranging, war ungewöhnlich rauh und
traurig. Der Kaplan hatte das Haus verlassen, um einem Sterbenden die
letzte Labe zu reichen, seine Schwester Therese trug einer armen Wöchnerin
die Abendsuppe hin, die beiden Diener packten, Czinka saß einsam neben dem
Grafen, der, wie gewöhnlich ihre Hand in der seinen haltend, seinen Kopf an
ihre Schulter lehnte. -- Regen und Wind schlugen an die Fenster, die alten
Kastanienbäume seufzten und ächzten, Raben flogen mit scharfen Geschrei um
das Haus und die Lampe flackerte in der Zugluft bald hell auf, bald sank
sie wie erlöschend zusammen. Im Ofen brannte ein kleines Feuer, denn es
wehte schon wie Winterhauch durch die Räume, und bei dem scharfen Knistern
des feuchten Holzes zuckte der Kranke oft schreckhaft zusammen. -- Czinka
war mit ihren Gedanken weit, weit weggezogen. Sie sah sich in dem Walde von
Zircz -- aber es war heller Frühling und junges Grün wohin sie schaute. Und
sie saß auf dem moosigen Boden und Alfred Saldern saß neben ihr und wand
schöne lange Ketten von geschliffenen Korallen um ihre Arme. -- Ihre Augen
leuchteten auf in der Erinnerung an dies reizende Geschenk! -- Da griff
plötzlich eine schlanke braune Hand über ihre Schulter weg nach dem rothen
Schmucke: Anthony zerriß mit häßlichem Lachen die Ketten und die glänzenden
Perlen rollten wie Blutstropfen in das Gras. Wie böse war sie ihm da
gewesen! Und wie bald hatte sie dennoch Alles vergessen beim ersten Tone
seiner seltsamen Geige. Dieser Ton -- wahrlich er konnte Todte erwecken
-- -- und Engel abtrünnig machen!

Czinka war es jetzt als hörte sie den unbeschreiblichen Ton von Czermaks
Geige ganz deutlich in weiter Ferne, -- ach, sie _träumte_ ja -- _träumen_
ließ sichs gut von Anthony Czermak -- er durfte nur nicht in Wirklichkeit
da sein mit seinen wilden Feueraugen und seiner verzehrenden Leidenschaft!
Horch -- da spielte er die Rackoczy Nota -- wie süß ist's doch so
_deutlich_ zu träumen! -- Langsam und deutlich zog sie daher jene
köstliche Melodie, mitten durch das Heulen des Sturmes! -- Aber da -- ewige
Barmherzigkeit -- da richtete sich Alfred Saldern heftig in ihren Armen auf
und rief fieberhaft erregt: »Czinka, hörst Du nicht -- es ist Anthony, der
da spielt! Rufe ihn herein, mein Kind, freue Dich -- wir haben ihn endlich
gefunden!« -- Nach diesen Worten sank er ohnmächtig zurück. --

Fast zwölf Stunden dauerte die Ohnmacht des Grafen, und während dieser
ganzen Zeit des bangen Harrens lag Czinka fast ununterbrochen auf den Knien
neben seinem Lager. Sie schien in eine nicht minder gefährliche Apathie
verfallen zu sein als der Kranke selbst, -- sie gab keine Antwort auf
die dringenden Fragen der Aerzte und regte keine Hand zu irgend einer
Hülfsleistung für den Ohnmächtigen. Nur wenn man Miene machte sie sanft
aufzuheben, und ihr zuredete Ruhe zu suchen, fuhr sie wild empor und barg,
heftig den Kopf schüttelnd, wie ein geängstigtes Kind ihr Gesicht in das
Kissen des Lagers, auf dem ihr Gemahl ruhte. In der neunten Morgenstunde
des folgenden Tages schlug der Graf die Augen auf. Czinka schrie auf: --
ein Blick seligsten _Erkennens_ war in ihre arme zagende Seele gefallen!
-- Der Kranke legte einen Augenblick die Hand auf die Stirn, dann sagte er
ruhig:

»Ich bitte, mich eine Stunde mit der Gräfin allein zu lassen.«

Alle entfernten sich. »Wir haben ihn gerettet!« riefen die beiden Schüler
Aesculaps triumphirend, und schüttelten einander die Hände.

       *       *       *       *       *

Als die beiden Gatten sich nach einer fast dreistündigen Unterredung
erhoben, sagte Alfred Saldern scheinbar ruhig, aber mit dem Ausdruck
unendlichen Schmerzes um Mund und Augen:

»Gott segne Dich, daß Du mir Nichts verschwiegen. Wenn er _nun_ kommen
wird, so magst Du allein entscheiden zwischen uns. -- Ich habe nicht
vergessen daß Dich damals nur Anthony's Flucht in meine Arme trieb. Du hast
mir viel gegeben -- ich bin nicht undankbar -- _wenn er kommen wird_ so
merke auf Dein Herz, Czinka, und _Du sollst frei sein_!« --

Wenige Stunden später reiste das gräfliche Paar ab, aber nicht nach Wien,
sondern nach dem kleinen reizenden Gute S. in der Nähe Badens, wo Alfred
seine Kinderjahre zugebracht und wo die Gräber seiner Eltern und Schwestern
lagen.

Die Gräfin kam krank nach S. Sie erschien hinfällig und doch aufgeregt,
reizbar und traurig. Der Arzt empfahl Ruhe. Der Graf verrieth die Sorgfalt
eines zärtlichen Bruders. Stunden lang saß er an dem Ruhebette der jungen
Frau und bewachte ihren Schlummer. Allein jene tiefe ernste Trauer, die
nach jener langen Unterredung mit Czinka über ihn gekommen, wich nicht mehr
von ihm und lag wie ein dunkler Schleier über all seinem Thun und Wesen.
Sie sah ihn oft verstohlen lange an und wenn sie sich dann von ihm wendete,
waren ihre Augen voll Thränen. -- Sie lasen jetzt auch öfter zusammen, was
sonst nie geschehen, er hatte sich erboten ihr vorzulesen und sie lauschte
dem Laute seiner Stimme mit der Achtsamkeit eines Kindes, dem die Mutter
Märchen erzählt. -- Dagegen redeten sie jetzt weniger denn je mit einander,
es war als ob ein unsichtbares Etwas zwischen ihnen stünde und jeden freien
Austausch der Gedanken und Empfindungen hemmte. -- Nicht das leiseste
Zeichen ehelicher Zärtlichkeit erlaubte sich der Graf seiner Frau
gegenüber, er küßte ihr nur zuweilen mit der Innigkeit eines Bruders die
Hand, streichelte auch wohl einmal ihr Haar -- das war Alles. Sie schien
scheu und befangen in seiner Gegenwart, und doch war es immer als ob etwas
wie Sonnenschein über ihr Gesicht flog, wenn er am Morgen in ihr Zimmer
trat. Er ließ sich seine Bücher und sein Lieblingspferd aus Wien kommen,
auch einige seiner Blumen, und richtete sich in der herbstlichen Einsamkeit
des kleinen Schlosses allmählich ein als wolle er für alle Ewigkeit da
bleiben. Auch einige Lieblingsmöbel der Gräfin kamen an, und ihr kleiner
Papagei, mit dem man sonst so viele Stunden, träge im Sessel ruhend und mit
den schönen Fingern am Käfig hin- und wiederstreifend vertändelt hatte. Der
einen Sendung hatte man auch jenen geheimnißvollen Schrein beigefügt, der
in Wien alle Zeit zu Häupten des Bettes der Gräfin gestanden. Der Graf ließ
ihn in das kleine Schlafgemach Czinka's tragen. Sie bemerkte es erst am
Abend und schrak zusammen. Als sie am nächsten Morgen ihren Gatten wieder
sah, und er sie in gewohnter Weise fragte wie sie geschlafen, sagte sie
ungewöhnlich lebhaft:

»Bitte, laß den Schrein aus meinem Zimmer wegnehmen -- er steht da wie ein
Sarg und bringt mich um den Schlaf!«

»Ich glaubte einen geheimen Wunsch von Dir zu erfüllen indem ich ihn kommen
ließ,« antwortete er ruhig.

Sie sah ihn traurig an und wendete sich ab. -- Am Nachmittage stand der
Schrein geöffnet und leer mitten im Salon. Als der Graf von einem kurzen
Spazierritte heimkehrend seine Gemahlin dort aufsuchte, lächelte sie ihm
entgegen und rief:

»Laß nun den Sarg verbrennen oder mach' damit was Du willst, ich nahm den
Inhalt heraus. Sieh da, was damit geschehen!«

Und ihn zum Kamin führend zeigte sie ihm noch den Rest eines verkohlten
rothen Schuhes und einige verglühende Gold- und Silberflittern. -- Er
zuckte zusammen und sah sie fragend an, da sie aber schwieg, wandte er sich
von ihr und ging einige Male heftig bewegt im Zimmer auf und nieder.

»Fühlst Du Dich wohler, Czinka?« fragte er nach einer Pause in ruhigem Ton
und sah zu ihr herüber. Wie schön sie ihm erschien in diesem Augenblicke!
Sie erinnerte ihn mehr als je an seine Lieblingsblume, die Purpurblüthe
des =Cactus Speciocissimus=. Fremd und dunkel schaute ihr Antlitz aus den
faltigen weißen Kleidern hervor, die längst wieder voll und lang
gewordenen Flechten hatten sich verschoben und waren auf ihre Schultern
herabgeglitten. Wunderbar! Der Blick, den sie jetzt auf ihn heftete, war
nicht mehr jener kecke, aufleuchtende der fünfzehnjährigen Tänzerin im
Walde von Zircz, er war auch nicht mehr jener sanft traurige einer in
das Treibhaus verpflanzten Waldblume, jener Czinka, die den entflohenen
Jugendgefährten vergeblich sucht. Es drang jetzt ein Strahl aus diesen
wunderbaren Augen in seine Seele, dessen Licht ihn mit einer zagenden
Seligkeit erfüllte und ihn leise beten ließ:

»Ich danke Dir, Gott, daß Du dies Weib für eine Weile an meine Brust
gebettet!«

»Fühlst Du Dich wohler?« wiederholte er inniger und trat ihr näher.

»O viel, viel wohler!« antwortete sie heiter.

»Sage mir,« und hier griff sie fast scherzend nach seiner herabhängenden
Hand und hielt sie fest, »was würdest Du thun, wenn Du mich nicht mehr
hättest?«

»Warum quälst Du mich?« fragte er ernst, fast finster.

»Weil ich wissen muß ob Du mich wirklich missen könntest.« Sie ließ seine
Hand los und lehnte sich zurück.

»Nun denn, so wisse, daß ich leben würde, wenn ich Dich _todt_ -- aber
nicht, wenn ich Dich im Besitze eines _Andern_ wüßte.«

Sie hatte die Augen gesenkt und schob ihren kleinen Trauring am Finger hin
und her. »Ob Anthony _bald_ kommen wird?« fragte sie plötzlich und sah ihn
fest an.

Wie von einem Dolchstich getroffen fuhr er auf. »Du wünschest es -- ich
weiß das Czinka -- aber Du bist mehr als unbarmherzig, daß Du mir es sagst
-- gerade jetzt es sagst!«

»Alfred, ich sehne mich, daß er komme!« Sie war bei diesen leise gehauchten
Worten aufgestanden, hing sich gewaltsam an seinen Arm und blickte ihn
mit ihren heißen Augen so leidenschaftlich an, daß es ihn bis ins Innerste
durchschauerte.

»Laß ab von mir, Weib!«

»Ich _sehne_ mich, daß er komme -- hörst Du es, und weißt Du auch warum?
Weil ich ihm jetzt sagen kann, daß ich ihm nicht mehr folgen _darf_ weil
ich -- Dich liebe, Alfred!« --

Er stieß einen Schrei des Entzückens aus und riß sie an sich. Sie umschlang
ihn mit beiden Armen. Da schwirrte ein Geigenton durch die Luft -- kam er
aus den Wolken -- vom Garten herauf -- aus dem Seitenzimmer -- vom Balcon
her? -- Der seltsame Laut wiederholte sich -- der Ton klang wie aus weiter
Ferne -- er schwoll leise an und eine langsame schauerlich klagende Melodie
zog daher, wie von unseligen Geistern gesungen.

»Das ist Anthony's Geige!« flüsterte Czinka todtenbleich, »hörst Du, er
spielt die =Siralmas nota=!«

»Der tolle Geisterspuk soll nun enden!« rief der Graf heftig. »Jetzt
ruh' ich nicht eher bis ich ihn gefunden! Hier an dieser Stelle magst Du
zwischen uns Beiden wählen -- hier entscheide sich unser Aller Geschick!«

Mit diesen Worten eilte er in das anstoßende Gemach, auf den Balcon, und
dann hinaus. Die Töne verstummten. -- --

Haus und Garten wurden durchsucht -- keine Spur des Geigenspielers fand
sich. -- Es mochte wohl eine Stunde verflossen sein ehe der Graf,
unmuthig und erbittert, in das Gemach seiner Gemahlin zurückkehrte. -- Ein
furchtbarer Schrei rief die entsetzte Dienerschaft gleich darauf herbei,
der Graf Saldern lag besinnungslos ausgestreckt neben der Leiche Czinka's.
-- Einen kleinen Dolch fand man bis an den äußerst kunstvoll gezierten
Griff in ihrem Herzen.

Welche Hand hatte den sichern Stoß geführt?

       *       *       *       *       *

Anthony Czermak, der tolle Geiger, wie ihn die Zigeuner selber nannten,
tauchte im Jahre 1818 etwa, plötzlich wieder in Pesth auf. Eine
Zigeunerbande spielte in dem berühmten Zrynischen Kaffeehause ungarische
Weisen, vor einer dichtgedrängten Zuhörermenge. Da stürzte ein halb
nackter, wild blickender Bettler herein, entriß dem Vorgeiger seine Geige,
setzte den Bogen an und spielte so hinreißend, so dämonisch, so gewaltig,
daß ein Beifallssturm losbrach wie er in den Mauern dieses Saales noch nie
gebraust. Mit grellem Gelächter warf der Fremde aber die Geige zu Boden
und verschwand. -- »Das war Anthony Czermak,« ging es von Lippe zu Lippe.
Später erschien er, fast spukhaft, bald hier, bald dort, doch nur wo
Zigeunerbanden spielten, und überall wirkte sein Bogen zauberhaft. Er
erging sich meistens in freien Phantasien, in die er dann ergreifend
ungarische Melodien einzuweben pflegte. Zuletzt will man ihn in Prag
gesehen haben, wo endlich diese wunderliche und düstere Erscheinung hinter
den Mauern eines Klosters verschwunden sein soll. -- --

Die Sage von seinem unvergleichlichen Spiel erhielt sich aber bis auf den
heutigen Tag, und so berühmt auch wenige Jahre später der deutsche Zigeuner
Mattinovich wurde, der mit mangelhafter Bogenführung, und ungeregeltem
Fingersatz Zigeunerweisen, sowie Paganinische Etüden hinreißend vortrug und
mit selten markigem Tone spielte, so nannten doch Alle, denen je die Geige
des Anthony Czermak geklungen, den Mattinovich nur einen Vasallen jenes
Zauberers. Die düster leidenschaftlichen Melodien jenes verschollenen
Geigers sind noch heute unter den Zigeunerbanden in und um Raab die
Lieblingsnoten, und wenn sie erklingen, reißen sie unaufhaltsam die Herzen
der Hörer in ein Meer von schmerzlicher Lust und süßem Weh. Erzählte man
sich doch, daß eine Melodie Czermaks, die während der Anwesenheit des
Königs der Pianisten, Franz Liszt, von der Bande des berühmten Patikarus
Ferko, an einem Festabend ihm zu Ehren in Pesth gespielt wurde, den
Gefeierten so mächtig ergriffen, daß er zur Stelle ein Clavier herbeitragen
ließ, und in tiefer Erregung die Sturmeswellen seines Spiels mit jenen
unendlich klagenden Tönen mischte. -- War es vielleicht die Melodie zu
jenem Liede, das die schöne Czinka einst im Walde von Zircz gesungen?

  »O meine müden Füße, ihr müßt tanzen
  In bunten Schuhen
  Und möchtet lieber tief
  Im Boden ruhen.

  »O meine müden Augen, ihr müßt blitzen
  Im Strahl der Kerzen
  Und möchtet lieber im Dunkeln
  Schlafen von euren Schmerzen.«


Druck von _G. Pätz_ in Naumburg.




[ Hinweise zur Transkription


Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.

Darstellung abweichender Schriftarten:

_gesperrt_, =Antiqua=, #fett#.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich
uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "Bewunderung" --
"Bewundrung", "erwiderte" -- "erwiederte", "sehen" -- "sehn", "Tanzsääle"
-- "Tanzsäle",

mit folgenden Ausnahmen,

  der Schmutztitel wurde entfernt;

  Seite 15:
  "und" eingefügt
  (das Urbild aller Häßlichkeit und Verschrobenheit)

  Seite 19:
  "," eingefügt
  (und verneigte sich vor der Gottschedin,)

  Seite 37:
  "«" eingefügt
  (ein Professor als Zuhörer vor einem Studiosen sitze. --«)

  Seite 43:
  "den" geändert in "denn"
  (Da that es denn wohl Noth)

  Seite 44:
  "ihre" geändert in "ihr"
  (die Augen thaten ihr Anfangs weh dabei)

  Seite 44:
  "ihr" geändert in "ihre"
  (Sie verlor auch nach und nach ihre mädchenhafte Schüchternheit)

  Seite 45:
  "," hinter "und" entfernt
  (und streute Blumen auf ihn herab)

  Seite 46:
  "befan der" geändert in "befand er"
  (Jetzt befand er sich aber zum ersten Mal)

  Seite 47:
  "Spähre" geändert in "Sphäre"
  (hatte ihn plötzlich in eine Sphäre getragen)

  Seite 48:
  "," entfernt hinter "ihn" und eingefügt hinter "mußte"
  (Eindruck auf Jedweden machen mußte, der ihn mit Aufmerksamkeit)

  Seite 54:
  "«" entfernt hinter "Studiosus" und eingefügt hinter "denn --"
  (»Gute Nacht, werthester Herr Studiosus -- auf Morgen denn --«)

  Seite 57:
  "," entfernt hinter "ihren" und eingefügt hinter "sagte"
  (und sagte, ihren jungen Lehrmeister seltsam traurig anblickend)

  Seite 57:
  ":" hinter "Sohn" entfernt
  (Damis, der junge Gelehrte, Chrysander's Sohn)

  Seite 63:
  "«" eingefügt
  (sterben wie ich gelebt: eine _ungelehrte_ Frau!« --)

  Seite 77:
  "einiziges" geändert in "einziges"
  (sehr verwöhnt, als einziges Kind eines reichen Kaufmanns)

  Seite 78:
  "schichte" geändert in "schlichte"
  (das schlichte Pfarrhaus umzumodeln in Erinnerung)

  Seite 87:
  "Enferntesten" geändert in "Entferntesten"
  (was nur im Entferntesten an den Katholicismus erinnern konnte)

  Seite 88:
  "dei" geändert in "die"
  (die Morgen, Mittage und Abende sahen sich gleich)

  Seite 98:
  "," eingefügt
  (spielte sie längst nicht mehr, sie hielt keinen Takt)

  Seite 102:
  "vergißst" geändert in "vergißt"
  (_uns_ (mich hatte er sagen wollen) darüber vergißt!)

  Seite 110:
  "einen" geändert in "einem"
  (Mit einem ungeduldigen Wink der Hand sagte die schöne Frau)

  Seite 111:
  "," eingefügt
  (in Verlegenheit gerathen sein, solch einen Ausbund)

  Seite 111:
  "abgeflückt" geändert in "abgepflückt"
  (abgepflückt aus dem Garten einer schlichten Pfarre)

  Seite 114:
  "entgegente" geändert in "entgegnete"
  (entgegnete sie plötzlich wieder in heller Freude)

  Seite 116:
  "«" eingefügt
  (das blaue Taffetfähnchen ist ja kaum vier Ellen weit!«)

  Seite 118:
  "nachläßig" geändert in "nachlässig"
  (vornehm nachlässig, indem sie mit ihrem goldenen Lorgnon spielte)

  Seite 120:
  "." eingefügt
  (Du zeichnest ganz artig und machst tüchtige Fortschritte.)

  Seite 120:
  "," eingefügt
  (fallen nicht mehr vom Himmel, sie müssen sehr langsam)

  Seite 122:
  "vergißst" geändert in "vergißt"
  (Du vergißt immer, wie viel die Kleine mit ihrem Zeichnen)

  Seite 124:
  "wlches" geändert in "welches"
  (Da erfuhr ich denn erst, welches Datum wir schreiben.)

  Seite 124:
  "." eingefügt
  (Am 12. ist ja Gottfrieds Geburtstag)

  Seite 126:
  "Stükchen" geändert in "Stückchen"
  (Euch einmal ein Stückchen Landschaft von ihm zeigen)

  Seite 126:
  "»" eingefügt
  (»Ein recht unruhig Leben haben wir hier)

  Seite 134:
  "." eingefügt
  (der erste köstliche Frühling. -- Es war Sonnenschein)

  Seite 146:
  "gefogt" geändert in "gefolgt"
  (ein ehrwürdiger Priester, gefolgt von dem Meßner)

  Seite 155:
  "!" geändert in ","
  (antwortete Berger mit melancholischer Stimme,)

  Seite 159:
  "eimal" geändert in "einmal"
  (noch einmal mein Kindergebet mit mir)

  Seite 165:
  "sie" geändert in "Sie"
  (Leben Sie wohl, tausend, tausendmal)

  Seite 175:
  "," eingefügt
  (Störrigkeit seines Kindes betrübte ihn nicht, sie empörte)

  Seite 179:
  "wirkilch" geändert in "wirklich"
  (Sie erinnern sich wirklich ihrer?)

  Seite 190:
  "Möglichtes" geändert in "Möglichstes"
  (in diesem Jahre sein Möglichstes zu thun bereit sei)

  Seite 194:
  "Er" geändert in "Es"
  (Es war ihm zu Sinne als sei er in jenen)

  Seite 198:
  "funfzehn" geändert in "fünfzehn"
  (Die Kleine war wohl kaum fünfzehn Jahr alt)

  Seite 200:
  "schönste" geändert in "schönsten"
  (habe eben die schönsten Tänzerinnen gesehen)

  Seite 202:
  "dunckellokigen" geändert in "dunkellockigen"
  (zu jenem dunkellockigen Burschen mit der Geige)

  Seite 204:
  "Seit" geändert in "Seid"
  (Seid Ihr unter den Musikanten?)

  Seite 208:
  "," hinter "Zigeuner" entfernt
  (mit diesem seltsamen Völkchen der Zigeuner lebte)

  Seite 209:
  "," hinter "Macht" entfernt
  (wachsende Macht er sich so vergebens wehrte)

  Seite 214:
  "," eingefügt
  (der Gedanke in ihm auf, dies köstlich frische Kind)

  Seite 217:
  "," eingefügt
  (noch ist es Zeit, ich will ihn mit nach Wien nehmen)

  Seite 217:
  "jenen" geändert in "jener"
  (Habt Ihr niemals von jener vielgefeierten Zigeunerin)

  Seite 226:
  "prachen" geändert in "sprachen"
  (und sprachen -- was sie redeten, wußten weder sie selber)

  Seite 232:
  "," eingefügt
  (hatte nur Augen für sie, schien es aber doch nicht)

  Seite 242:
  "sie" geändert in "Sie"
  (Sie neigte bejahend das Haupt.)

  Seite 243:
  "«" eingefügt
  (sag' mir lieber wer Dich so spielen lehrte?«)

  Seite 250:
  "Arzte" geändert in "Aerzte"
  (täglich wiederholten die Aerzte ihren Rath)

  Seite 254:
  "zärtichen" geändert in "zärtlichen"
  (Der Graf verrieth die Sorgfalt eines zärtlichen Bruders.)

  Seite 257:
  "erfülle" geändert in "erfüllte"
  (dessen Licht ihn mit einer zagenden Seligkeit erfüllte)

  Seite 259:
  "»" eingefügt
  (flüsterte Czinka todtenbleich, »hörst Du, er spielt)

  Seite 259:
  "," entfernt hinter "anstoßende"
  (Mit diesen Worten eilte er in das anstoßende Gemach) ]







End of the Project Gutenberg EBook of Neue Novellen, by Elise Polko

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NEUE NOVELLEN ***

***** This file should be named 62358-8.txt or 62358-8.zip *****
This and all associated files of various formats will be found in:
        http://www.gutenberg.org/6/2/3/5/62358/

Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
https://www.pgdp.net (This book was produced from images
made available by the HathiTrust Digital Library.)


Updated editions will replace the previous one--the old editions
will be renamed.

Creating the works from public domain print editions means that no
one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
(and you!) can copy and distribute it in the United States without
permission and without paying copyright royalties.  Special rules,
set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark.  Project
Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
charge for the eBooks, unless you receive specific permission.  If you
do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
rules is very easy.  You may use this eBook for nearly any purpose
such as creation of derivative works, reports, performances and
research.  They may be modified and printed and given away--you may do
practically ANYTHING with public domain eBooks.  Redistribution is
subject to the trademark license, especially commercial
redistribution.



*** START: FULL LICENSE ***

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
Gutenberg-tm License (available with this file or online at
http://gutenberg.org/license).


Section 1.  General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
electronic works

1.A.  By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement.  If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B.  "Project Gutenberg" is a registered trademark.  It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement.  There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement.  See
paragraph 1.C below.  There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
works.  See paragraph 1.E below.

1.C.  The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
Gutenberg-tm electronic works.  Nearly all the individual works in the
collection are in the public domain in the United States.  If an
individual work is in the public domain in the United States and you are
located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
are removed.  Of course, we hope that you will support the Project
Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
the work.  You can easily comply with the terms of this agreement by
keeping this work in the same format with its attached full Project
Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.

1.D.  The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work.  Copyright laws in most countries are in
a constant state of change.  If you are outside the United States, check
the laws of your country in addition to the terms of this agreement
before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
creating derivative works based on this work or any other Project
Gutenberg-tm work.  The Foundation makes no representations concerning
the copyright status of any work in any country outside the United
States.

1.E.  Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1.  The following sentence, with active links to, or other immediate
access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org/license

1.E.2.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
and distributed to anyone in the United States without paying any fees
or charges.  If you are redistributing or providing access to a work
with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
1.E.9.

1.E.3.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
terms imposed by the copyright holder.  Additional terms will be linked
to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
permission of the copyright holder found at the beginning of this work.

1.E.4.  Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5.  Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6.  You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
word processing or hypertext form.  However, if you provide access to or
distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
form.  Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7.  Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8.  You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
     the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
     address specified in Section 4, "Information about donations to
     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
your equipment.

1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit: http://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     http://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.