Das Stuttgarter Hutzelmännlein

By Eduard Mörike

Project Gutenberg's Das Stuttgarter Hutzelmännlein, by Eduard Mörike

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Title: Das Stuttgarter Hutzelmännlein

Author: Eduard Mörike

Editor: Edmund von Sallwürk

Release Date: March 12, 2015 [EBook #48464]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS STUTTGARTER HUTZELMÄNNLEIN ***




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                                 Das
                      Stuttgarter Hutzelmännlein


                             Märchen von
                            Eduard Mörike

                Herausgegeben und mit einer Einleitung
                             versehen von
                      Prof. Dr. Edm. v. Sallwürk

                               Leipzig
               Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.




                             Einleitung.


Eduard Mörike, 1804 in Ludwigsburg geboren, 1875 in Stuttgart gestorben,
ist zuerst mit einem Prosawerk, dem Roman »Maler Nolten« in die
Literatur eingetreten. Technisch stand er damals, vor 1832, vor allem im
Bannkreis der Novellistik des alternden Goethe und der Romantik, während
er sich durch den Inhalt seines Buches als selbständige Kraft bewies.
Auch die kleinen Novellen, die er dann zum Teil in Zeitschriften
veröffentlichte, bedeuteten noch nicht den Hauptschlag, der seinen Ruhm
als Dichter hätte begründen können. Erst durch die Herausgabe seiner
Gedichte übernahm er als Lyriker die Nachfolge Goethes. Da er aber durch
und durch von Stimmungen abhängig war und eine gewaltsame Leistung von
sich nicht fordern konnte, trat in der Höhe seines Lebens ein Stillstand
der Produktion ein, der befürchten ließ, daß sein dichterisches Ingenium
versiegt sei. Aber in angenehmer und geistig regsamer Umgebung zu
Stuttgart fand er wieder Lust und Kraft zur Arbeit und er schrieb »Das
Stuttgarter Hutzelmännlein«, das 1853 im Frühjahr bei dem Verleger des
»Nolten«, Schweizerbart, erschien. Schon in die Zeit, wo er Pfarrer in
Cleversulzbach war (1834-1843), fällt das Erwachen der Idee des
Märchens, aber erst 1852 wurde es geschrieben, und im November dieses
Jahres erprobte der Dichter die Wirkung der neuen Arbeit in den
Vortragsabenden, die er für die Museumsgesellschaft in Stuttgart hielt.
Mörike war zunächst um die Aufnahme bang, die das Werkchen erfahren
würde; bald aber liefen von allen Seiten begeisterte Äußerungen der
Freude bei ihm ein. Das Büchlein wurde viel verlangt und erfuhr bald
eine neue Titelauflage, der weitere folgten.

Der Geist der Erzählung ist den mittelalterlichen Volksbüchern entnommen
und so geschickt in allen Einzelheiten festgehalten, daß selbst ein so
genauer Kenner der deutschen Literatur wie Uhland zunächst glaubte, eine
Bearbeitung alten Sagenstoffs vor sich zu haben, während Mörike einzig
aus den Quellen seiner Phantasie geschöpft hatte. In treuherziger,
gemütlicher Art schildert er, was er zu sagen hat und opfert dem
künstlerischen Behagen gern zuweilen die Rücksicht auf eine straffe
Komposition. So ist die eingefügte reizende »Historie von der schönen
Lau« zwar eine selbständige Erzählung im Rahmen des Ganzen, aber in der
liebenswürdigsten Art eingeführt und schließlich auch künstlerisch fein
mit dem Gang der Handlung verknüpft. Dies Märchen entzückte vor allem
einen mit Mörikes Geistesrichtung innig vertrauten deutschen Meister,
den Münchner Maler Moriz von Schwind, so sehr, daß er voll Lust und
Freude sieben Umrißzeichnungen dazu fertigte, die eine feinsinnige,
selbständig wertvolle Huldigung für den Dichter bedeuten. Eine solche
Begeisterung ist wohl begreiflich, denn der Dichter zeigt sich hier auf
der höchsten Höhe seiner Kunst; er hat die beengende Abhängigkeit von
Vorbildern geradeso abgestreift, wie er darauf verzichtet, einem
schulmäßigen Programm Genüge zu tun. Vielmehr folgt er nur den Geboten
einer selbstsichern, vollendeten Kraft, die sich selbst Gesetz ist. So
ist das Büchlein, das hiermit den weitesten Kreisen zugänglich gemacht
wird, ein Meisterwerk der Dichtung geworden und als solches geeignet,
den fröhlichen und herzlichen Grundcharakter von Mörikes Dichtung ins
hellste Licht zu setzen.

                                                  Edmund von Sallwürk.




                   Das Stuttgarter Hutzelmännlein.


   Ein Kobold gut bin ich bekannt
   In dieser Stadt und weit im Land;
   Meines Handwerks ein Schuster war
   Gewiß vor siebenhundert Jahr.
   Das Hutzelbrot ich hab' erdacht,
   Auch viel seltsame Streich' gemacht.

Wohl vor fünfhundert und mehr Jahren, zu denen Zeiten, als Graf Eberhard
von Wirtemberg, ein tapferer Kriegsheld und ruhmvoller Herr, nach
langen, schrecklichen Fehden mit des deutschen Reichs Häuptern, mit dem
Habsburger Rudolf und dessen Nachfolgern, zumal auch mit den Städten,
das Schwabenland nun wieder zu Ruh' und Frieden kommen ließ, befand sich
in Stuttgart ein Schustergesell, namens Seppe, bei einem Meister, der
ihm nicht gefiel, deshalb er ihm aufsagte; und weil er nie gar weit vor
seine Vaterstadt hinaus gekommen, nicht Eltern noch Geschwister mehr
hatte, so war er jetzt willens zu wandern.

Die letzte Nacht, bevor er reiste, saß er allein in der Gesellenkammer
auf (die andern waren noch beim Wein oder sonst zu Besuch); sein Ranzen
lag geschnürt vor ihm, sein Wanderstab daneben, der hübsche Bursche aber
hing den Kopf -- er wußte nicht so recht, warum -- und auf dem Tisch die
Ampel brannte einen großen, großen Butzen. Indem er jetzt aufschaute und
nach dem Klämmchen griff, dem Zochen zu helfen, sah er auf seiner leeren
Truche ein fremdes Männlein sitzen, kurz und stumpig, es hätte ihm nicht
bis zum Gürtel gereicht. Es hatte ein schmutziges Schurzfell um,
Pantoffeln an den Füßen, pechschwarze Haare, dazu aber hellblaue,
freundliche Augen.

»Gott grüß dich, Seppe! Kennst mich nit? Ich bin der Pechschwitzer, das
Hutzelmännlein, der Tröster. Ich weiß, du bist ein braves Burgerskind,
sorgst immerdar für anderer Leute Fußwerk und gehst doch selbst nicht
auf dem besten Zeug. Da du nun morgen reisen willt, so hab' ich dir
statt einem Wanderpfennig etwas mitgebracht von meiner eigenen Arbeit:
sind Glücksschuh', zwei Paar, schau her! Die einen legst du an, gleich
morgen; sie ziehen sich nach dem Fuß und reißen nicht dein Leben lang;
die andern aber nimm und stell' sie unterwegs an eine Straße, versteh'
mich, unbeschrien, wo niemand zusieht! Vielleicht, daß dir dein Glück
nach Jahr und Tag einmal auf Füßen begegnet. Auch hast du hier noch
obendrein etwas zum Naschen, ein Laiblein Hutzelbrot. So viel du davon
schneid'st, so viel wachst immer wieder nach im Ranzen oder Kasten, wenn
du auch nur ein Ränftlein fingersbreit übrig behältst. Ganz sollt du's
nie aufzehren, sonst ist es gar. Behüt' dich Gott, und tu' in allem, wie
ich sagte! Noch eins: kommst du etwa ins Oberland, Ulm zu und gen
Blaubeuren, und find'st von ungefähr ein Klötzlein Blei, nimm es
zuhanden und bring's mir!« -- Der Seppe versprach's und dankte geziemend
für alles; das Männlein aber war in einem Hui verschwunden.

Nun jauchzte der Geselle überlaut, beschmeckte bald das Brot, beschaute
bald die zwei Paar Schuhe. Sie sahen ziemlich aus, wie er sie selber
machte, nur daß sie feine wunderliche Stiche hatten und hübsch mit einem
zarten, roten Leder ausgefüttert waren. Er zog sie an, spazierte so ein
dutzendmal die Kammer auf und ab, da ihm denn in der Kürze freilich
nichts Besonderes von Glück passieren wollte. Danach ging er zu Bett und
schlief, bis der Morgen rot wurde. Da deucht' es ihn, als wenn ihm
jemand klopfte, zwei-, dreimal, recht vernehmlich, daß er jählings
erwachte. Die andern hörten's auch, doch schliefen sie gleich wieder
ein. Das haben meine vier Rappen getan! dachte er und horchte hin,
allein es rührte und regte sich nichts mehr.

Als er nun fix und fertig angezogen stand und gar vergnügt auf seine
Füße niedersah, sprach er: »Jetzt laufen wir dem Teufel ein Bein weg!
Jetzt tausche ich mit keinem Grafen!« -- Wohl und gut; nur eine
Kleinigkeit hat er versehen: er hat den einen Schuh von seinem Paar mit
dem einen vom andern verwechselt. Ach, wer ihm das gesagt hätte!

So schlich er denn leis die Stiege hinunter, die Meistersleute nicht zu
wecken; denn Abschied hatte er gestern genommen, und statt der Suppe aß
er gleich ein tüchtiges Stück Schnitzbrot in währendem Gehen. So etwas
hatte er noch niemals über seinen Mund gebracht, wohl aber oft von
seiner Großmutter gehört, daß sie einmal in ihrer Jugend bei einer
Nachbarsfrau ein Stücklein vom echten bekommen, und daß es eine Ungüte
vom Brot drum sei.

Wie er jetzt vor dem obern Tor draußen war, zween Bogenschüsse oder
drei, kam er an eine Brücke: da mußte er ein wenig niedersitzen, die
Türme seiner Vaterstadt, das Grafenschloß, die Häuser und Mauern noch
einmal in der Morgensonne besehen; dann, eh' er weiterging, fiel ihm
noch ein: Hier könnt' ich das Paar Schuh auf den Brückenrand stellen. Er
tat's und zog fürbaß. -- Eine Stunde über die Weinsteig hinaus kommt er
in einen grünen Wald. Von ungefähr hört er auf einer Eiche den blauen
Montag schreien, welches ein kurzweiliger Vogel ist, der seinen Namen
davon hat, daß er immer einen Tag in der Woche mit der Arbeit aussetzt;
da singt er nichts als Schelmenlieder und schaut gemächlich zu, wie
andere Vögel ihre Nester richten, brüten und ihre Jungen ätzen; die
seinigen krepieren ihm auch ordinär, deswegen er ein Raritätsvogel ist.
So einen muß ich haben! denkt der Seppe; ich biet' ihn einem großen
Herrn an unterwegs. Ein sonderer Vogel ist oft gern zwei Kälber wert,
die Hepsisauer haben ihre Kirchweih um einen Guckigauch verkauft: wenn
ich nur einen Taler löse, tut mir's wohl. Wie komm ich nur gleich da
hinauf? -- Seiner Lebtage hat er nie klettern können, diesmal aber
ging's, als hätten ihrer sechs an ihm geschoben, und wie er droben ist,
da sieht er sieben Junge flügg, mit blauen Köpfen im Nest! Er streckt
schon eine Hand danach -- krach! bricht ein fauler Ast, und drunten
liegt der Schuster -- daß er nicht Hals und Bein brach, war ein Wunder.
»Ich weiß nicht,« sagte er, indem er aufstand und die Platte rieb, »was
ich von dem Pechschwitzer denken soll; das ist kein mutiger Anfang!«

Zu seinem Trost zog er sein Schnitzbrot aus dem Ranzen und fand dasselbe
wahrlich beinah schon wieder rund und ganz gewachsen. Er sprach dem
Laiblein aber im Marschieren solang zu, bis ihm ganz übel ward, und
deuchte ihn, er habe sich für alle Zeit Urdrutz daran gegessen. Sei's
drum! ein Sprüchlein sagt: »Es ist nur geschlecket, das nimmer klecket.«

Sein Sinn war allermeist auf Augsburg oder Regensburg gerichtet, denn
diese Städte hatte er vor manchen andern rühmen hören; zuvörderst wollte
er aber nach Ulm.

Mit großen Freuden sah er bald von der Bempflinger Höhe die Alb als eine
wundersame blaue Mauer ausgestreckt. Nicht anders hatte er sich immer
die schönen blauen Glasberge gedacht, dahinter, wie man ihm als Kind
gesagt, der Königin von Saba Schneckengärten liegen. Doch war ihm wohl
bekannt, daß oben weithin wieder Dörfer seien, als Böhringen, Zainingen,
Feldstetten, Suppingen, durch welche sämtlich nacheinander er passieren
mußte.

Jetzt hing sich auf der Straße ein Schönfärbergesell an ihn, gar sehr
ein naseweises Bürschchen, spitzig und witzig, mit Backen rosenrot,
Glitzäugelein, ein schwarzes Kräuselhaar dazu, und schwatzte oder pfiff
in einem weg. Der Seppe achtete nicht viel auf ihn, zumal ihm eben jetzt
etwas im Kopf umging, das hätte er sich gern allein im stillen überlegt.
Am Weg stand eine Kelter, mit einem umgelegten Trog davor, auf diesen
setzt' er sich, der Meinung, sein Weggenoß soll weiter gehen. Der aber
warf sich seitwärts hinter ihm ins Gras und schien bald eingeschlafen,
von der Hitze müd'. Da war es still umher; ein einziges Heimlein sang am
staubigen Rain so seine Weise ohn' Aufhören fort.

Endlich da fing der Seppe vor sich selbst, doch laut genug, zu sprechen
an: »Jetzt weiß ich, was ich tu': ich werd' ein Scherenschleifer! Wo ich
halt geh' und steh', juckt's mich, ein Rad zu treten, und sollt's ein
Spinnrad sein!« (Dem war auch richtig so und konnte gar nicht anders
sein, denn einer seiner Schuhe war für ein Mädchen gefeit und gesegnet.)
»Die Art von Schleiferei,« so sprach der Seppe weiter, »muß einer doch
bald können, und so ein Kerl führt seine Werkstatt lustig auf einem
Schubkarrn durch die Welt, sieht alle Tage eine andere Stadt, da pflanzt
er sich im Schatten an einem Markteck auf und dreht seinen Stein, daß
die Funken wegfliegen. Die Leute mögen sprechen, was sie wollen, das ist
jetzt einmal mein Beruf und mein Genie, ich spür's in allen Gliedern;
und wo mir recht ist, hat mein Ehni seliger einmal gesagt: Der Seppe ist
unter dem Zeichen des Wetzsteins geboren.«

Bei diesen Reden richtete sich das Färberlein halb in die Höh'. Der ist
ein Letzkopf, dachte es, und ich bin meines Lebens neben ihm nicht eines
Glaubens Länge sicher; stand sachte auf, schlich sich hinweg in einem
guten Bogen über das Ackerfeld und fußete sodann der geraden Straße
nach, als brennte ihm der Steiß, Metzingen zu. Der Schuster, welcher
endlich auch aufbrach, sah ihn von weitem rennen, argwöhnte aber nichts
und zog, seines Vorsatzes herzlich vergnügt, demselben Flecken zu.
Allein wie schaute er hoch auf, da alle Leute dort die Köpfe nach ihm
aus den Fenstern streckten und ihm die Kinder auf der Gasse, an zwanzig,
mit Geschrei nachsprangen und sangen:

   Scherr^aschleifer, wetz, wetz, wetz,
   Laß dei Rädle schnurr^a!
   Stu^agart ist ^a grauße Stadt,
   Lauft ^a Gä^nsbach dur^a.

Der Seppe hatte einen Stiefelszorn, schwang öfter seinen Knotenstock
gegen den Schwarm: sie schrien aber nur um desto ärger, und also macht'
er sich, so hurtig er nur konnte, aus dem Wespennest hinaus. Noch vor
der letzten Hütte draußen hörte er ein Stimmlein verhallend im Wind:

   Scherr^aschleifer, wetz, wetz, wetz!

Er hätte für sein Leben gern den Färber, welcher ihm den Possen spielte,
dagehabt und ihm das Fell geruckt, wie er's verdiente; der aber blieb im
Ort zurück, wo er in Arbeit stand. Sonst war der Wicht in Büßingen
daheim, wie er dem Seppe sagte.

Derselbe ließ sich den erlittenen Schimpf nicht allzulang' anfechten,
noch seinen Vorsatz dadurch beugen. Er machte seinen Trott so fort, und
widerfuhr ihm diesen Tag nichts weiter von Bedeutung, als daß er
etlichmal rechts ging, wo er links gesollt hätte, und hinwiederum links,
wo es rechts gemeint war; das freilich nach dem Zeugnis aller
Reis'beschreiber schon gar die Art nicht ist, um zeitig und mit wenig
Kosten an einen Ort zu kommen.

Einstweilen langte es doch eben noch bis Urach, wo er zur Nachtherberge
blieb. Am Morgen ging's hinauf die hohe Steig auf das Gebirg, nicht ohne
vieles Stöhnen, denn sein einer Schuh -- er merkte es schon gestern --
hatte ihm ein Hühneraug' gedrückt, das machte ihm zu schaffen. Da wo die
Steig am End ist, holte er zum Glück ein gutes Bäuerlein aus Suppingen
auf einem Wagen mit etwas Schreinwerk ein, das hieß ihn ungebeten bei
ihm aufsitzen.

Als sie nun eine Weile so, die große Ebene hinfahrend, beieinander
saßen, fing der Bauer an: »Mit Vergunst, i mu^aß jetzt doch fürwitzig
frog^a: Gelt, Ihr sind g'wiß a Dreh^ar?« -- »Warum?« -- »Ei,« sprach das
Bäuerlein und sah auf des Gesellen Fuß, »do der Kamrad arbeit't allfort,
ma moi^nt er mü^aß all' mei' vier Räder trett^a!«

Der Seppe schämte sich ein wenig, im Herzen war er aber selig froh und
dachte: Hat mir der Bauer da ein Licht aufstecken müssen! Auf einen
Drehstuhl will's mit dir hinaus und anderst nirgends hin!

Von nun an war der Schuster wie ein umgewend'ter Handschuh, ganz ein
andrer Mensch, gesprächig, lustig, langte den Schnitzlaib heraus, gab
ihn dem Bäuerlein bis auf den Anschnitt, sagend: »Lieber Mann, des bin
ich froh, daß Ihr mir angesehen, daß ich ein Dreher bin!« -- »Ha,«
sprach der andere, »sell ist gu^at merk^a.« -- Der Alte kaute einen
Bissen und machte ordentlich die Augen zu dabei, so gut schmeckte es
ihm; das übrige hob er als Heimbringens auf für Weib und Kinder. Danach
ward er redselig, erzählte dem Gesellen allerlei: vom Hanf- und
Flachsbau auf der Alb; wie sie im Winter gut in ihren strohgedeckten
Hütten säßen, ingleichen wie man solche Dächer mit besonderer Kunst
verfertige. Auch wußte er ihm viel zu sagen von Blaubeuren, einem
Städtlein und Kloster im Tal, zwischen mächtigen Felsen gelegen; da
komme er hindurch und möge er sich ja den Blautopf auch beschauen, wie
alle Fremde tun.

Du aber, wohlgeneigter Leser, lasse dich, derweil die beiden so zusammen
diskurrieren, auch etlicher Dinge besonders berichten, die, ob sie sich
zwar lang' vor Seppes Zeit begeben, nichtsdestoweniger zu dieser
Geschichte gehören! Vernimm hiernach die wahre und anmutige

                   _Historie von der schönen Lau._

Der Blautopf ist der große runde Kessel eines wundersamen Quells bei
einer jähen Felsenwand gleich hinter dem Kloster. Gen Morgen sendet er
ein Flüßchen aus, die Blau, welche der Donau zufällt. Dieser Teich ist
einwärts wie ein tiefer Trichter, sein Wasser ist von Farbe ganz blau,
sehr herrlich, mit Worten nicht wohl zu beschreiben; wenn man es aber
schöpft, sieht es ganz hell in dem Gefäß.

Zu unterst auf dem Grund saß ehemals eine Wasserfrau mit langen
fließenden Haaren. Ihr Leib war allenthalben wie eines schönen
natürlichen Weibs, dies eine ausgenommen, daß sie zwischen den Fingern
und Zehen eine Schwimmhaut hatte, blühweiß und zarter als ein Blatt von
Mohn. Im Städtlein ist noch heutzutag ein alter Bau, vormals ein
Frauenkloster, hernach zu einer großen Wirtschaft eingerichtet, und hieß
darum der Nonnenhof. Dort hing vor sechzig Jahren noch ein Bildnis von
dem Wasserweib, trotz Rauch und Alter noch wohl kenntlich in den Farben.
Da hatte sie die Hände kreuzweis auf die Brust gelegt, ihr Angesicht sah
weißlich, das Haupthaar schwarz, die Augen aber, welche sehr groß waren,
blau. Beim Volk hieß sie die arge Lau im Topf, auch wohl die schöne Lau.
Gegen die Menschen erzeigte sie sich bald böse, bald gut. Zuzeiten, wenn
sie im Unmut den Gumpen übergehen ließ, kam Stadt und Kloster in Gefahr;
dann brachten ihr die Bürger in einem feierlichen Aufzug oft Geschenke,
sie zu begütigen, als Gold- und Silbergeschirr, Becher, Schalen, kleine
Messer und andere Dinge, dawider zwar, als einen heidnischen Gebrauch
und Götzendienst, die Mönche redlich eiferten, bis derselbe auch endlich
ganz abgestellt worden. So feind darum die Wasserfrau dem Kloster war,
geschah es doch nicht selten, wenn Pater Emeran die Orgel drüben schlug
und kein Mensch in der Nähe war, daß sie am lichten Tag mit halbem Leib
heraufkam und zuhorchte; dabei trug sie zuweilen einen Kranz von breiten
Blättern auf dem Kopf und auch dergleichen um den Hals.

Ein frecher Hirtenjung' belauschte sie einmal in dem Gebüsch und rief:
»Hei, Laubfrosch! git's gu^at Wetter?« Geschwinder als ein Blitz und
giftiger als eine Otter fuhr sie heraus, ergriff den Knaben beim Schopf
und riß ihn mit hinunter in eine ihrer nassen Kammern, wo sie den
ohnmächtig gewordenen jämmerlich verschmachten und verfaulen lassen
wollte. Bald aber kam er wieder zu sich, fand eine Tür und kam über
Stufen und Gänge durch viele Gemächer in einen schönen Saal. Hier war es
lieblich, glusam mitten im Winter. In einer Ecke brannte, indem die Lau
und ihre Dienerschaft schon schlief, auf einem hohen Leuchter mit
goldenen Vogelfüßen als Nachtlicht eine Ampel. Es stand viel köstlicher
Hausrat herum an den Wänden, und diese waren samt dem Estrich ganz mit
Teppichen staffiert: Bildweberei in allen Farben. Der Knabe hurtig nahm
das Licht herunter von dem Stock, sah sich in Eile um, was er noch sonst
erwischen möchte, und griff aus einem Schrank etwas heraus, das stak in
einem Beutel und war mächtig schwer, deswegen er vermeinte, es sei Gold;
lief dann und kam vor ein erzenes Pförtlein, das mochte in der Dicke gut
zwo Fäuste sein, schob die Riegel zurück und stieg eine steinerne Treppe
hinauf in unterschiedlichen Absätzen, bald links, bald wieder rechts,
gewiß vierhundert Stufen, bis sie zuletzt ausgingen und er auf
ungeräumte Klüfte stieß; da mußte er das Licht dahinten lassen und
kletterte so mit Gefahr seines Lebens noch eine Stunde lang im Finstern
hin und her, dann aber brachte er den Kopf auf einmal aus der Erde. Es
war tief Nacht und dicker Wald um ihn. Als er nach vielem Irregehen
endlich mit der ersten Morgenhelle auf gänge Pfade kam und von dem
Felsen aus das Städtlein unten erblickte, verlangte ihn am Tag zu sehen,
was in dem Beutel wäre: da war es weiter nichts als ein Stück Blei, ein
schwerer Kegel, spannenlang, mit einem Oehr an seinem obern Ende, weiß
vor Alter. Im Zorn warf er den Plunder weg ins Tal hinab und sagte
nachher weiter niemand von dem Raub, weil er sich dessen schämte. Doch
kam von ihm die erste Kunde von der Wohnung der Wasserfrau unter die
Leute.

Nun ist zu wissen, daß die schöne Lau nicht hier am Ort zu Hause war:
vielmehr war sie, als eine Fürstentochter, und zwar von Mutter Seiten
her halbmenschlichen Geblüts, mit einem alten Donaunix am Schwarzen Meer
vermählt. Ihr Mann verbannte sie darum, daß sie nur tote Kinder hatte.
Das aber kam, weil sie stets traurig war ohn' einige besondere Ursach'.
Die Schwiegermutter hatte ihr geweissagt, sie möge eher nicht eines
lebenden Kindes genesen, als bis sie fünfmal von Herzen gelacht haben
würde. Beim fünftenmal müßte etwas sein, das dürfe sie nicht wissen noch
auch der alte Nix. Es wollte aber damit niemals glücken, so viel auch
ihre Leute deshalb Fleiß anwendeten; endlich da mochte sie der alte
König ferner nicht an seinem Hofe leiden und sandte sie an diesen Ort,
unweit der obern Donau, wo seine Schwester wohnte. Die Schwiegermutter
hatte ihr zum Dienst und Zeitvertreib etliche Kammerzofen und Mägde
mitgegeben, so muntere und kluge Mädchen, als je auf Entenfüßen gingen
(denn was von dem gemeinen Stamm der Wasserweiber ist, hat rechte
Entenfüße); die zogen sie, pur für die Langeweile, sechsmal des Tages
anders an (denn außerhalb dem Wasser ging sie in köstlichen Gewändern,
doch barfuß), erzählten ihr alte Geschichten und Mären, machten Musik,
tanzten und scherzten vor ihr. An jenem Saal, darin der Hirtenbub
gewesen, war der Fürstin ihr Gaden oder Schlafgemach, von welchem eine
Treppe in den Blautopf ging. Da lag sie manchen lieben Tag und manche
Sommernacht der Kühlung wegen. Auch hatte sie allerlei lustige Tiere,
wie Vögel, Küllhasen und Affen, vornehmlich aber einen possigen Zwerg,
durch welchen vormals einem Ohm der Fürstin war von eben solcher
Traurigkeit geholfen worden. Sie spielte alle Abend Damenziehen,
Schachzagel oder Schaf und Wolf mit ihm; so oft er einen ungeschickten
Zug getan, schnitt er die raresten Gesichter, keines dem andern gleich,
nein, immer eines ärger als das andere, daß auch der weise Salomo das
Lachen nicht gehalten hätte, geschweige denn die Kammerjungfern oder du
selber, liebe Leserin, wärst du dabei gewesen; nur bei der schönen Lau
schlug eben gar nichts an, kaum daß sie ein paarmal den Mund verzog.

Es kamen alle Jahr um Winters Anfang Boten von daheim, die klopften an
der Halle mit dem Hammer, da frugen dann die Jungfern:

   Wer pochet, daß einem das Herz erschrickt?

Und jene sprachen:

   Der König schickt.
   Gebt uns wahrhaftigen Bescheid,
   Was Guts ihr habt geschafft die Zeit!

Und sie sagten:

   Wir haben die ferndigen Lieder gesungen
   Und haben die ferndigen Tänze gesprungen,
   Gewonnen war es um ein Haar. --
   Kommt, liebe Herren, übers Jahr!

So zogen sie wieder nach Haus. Die Frau war aber vor der Botschaft und
danach stets noch einmal so traurig.

Im Nonnenhof war eine dicke Wirtin, Frau Betha Seysolffin, ein frohes
Biederweib, christlich, leutselig, gütig; zumal an armen reisenden
Gesellen bewies sie sich als eine rechte Fremdenmutter. Die Wirtschaft
führte zumeist ihr ältster Sohn, Stephan, welcher verehlicht war; ein
anderer, Xaver, war Klosterkoch, zwo Töchter noch bei ihr. Sie hatte
einen kleinen Küchengarten vor der Stadt, dem Topf zunächst. Als sie im
Frühjahr einst am ersten warmen Tag dort war und ihre Beete richtete,
den Kappis, den Salat zu säen, Bohnen und Zwiebel zu stecken, besah sie
sich von ungefähr auch einmal recht mit Wohlgefallen wieder das schöne
blaue Wasser überm Zaun und mit Verdruß daneben einen alten garstigen
Schutthügel, der schändete den ganzen Platz; nahm also, wie sie fertig
war mit ihrer Arbeit und das Gartentürlein hinter sich zugemacht hatte,
die Hacke noch einmal, riß flink das gröbste Unkraut aus, erlas etliche
Kürbiskern' aus ihrem Samenkorb und steckte hin und wieder einen in den
Haufen. (Der Abt im Kloster, der die Wirtin, als eine saubere Frau, gern
sah -- man hätte sie nicht über vierzig Jahr geschätzt, er selber aber
war, gleich ihr, ein starkbeleibter Herr -- stand just am Fenster oben
und grüßte herüber, indem er mit dem Finger drohte, als halte sie zu
seiner Widersacherin.) Die Wüstung grünte nun den ganzen Sommer, daß es
eine Freude war, und hingen dann im Herbst die großen gelben Kürbis an
dem Abhang nieder bis zu dem Teich.

Jetzt ging einsmals der Wirtin Tochter, Jutta, in den Keller, woselbst
sich noch von alten Zeiten her ein offener Brunnen mit einem steinernen
Kasten befand. Beim Schein des Lichts erblickte sie darinnen mit
Entsetzen die schöne Lau, schwebend bis an die Brust im Wasser, sprang
voller Angst davon und sagt's der Mutter an; die fürchtete sich nicht
und stieg allein hinunter, litt auch nicht, daß ihr der Sohn zum Schutz
nachfolge, weil das Weib nackt war.

Der wunderliche Gast sprach diesen Gruß:

   Die Wasserfrau ist kommen
   Gekrochen und geschwommen
   Durch Gänge steinig, wüst und kraus
   Zur Wirtin in das Nonnenhaus.
   Sie hat sich meinethalb gebückt,
   Mein' Topf geschmückt
   Mit Früchten und mit Ranken,
   Das muß ich billig danken.

Sie hatte einen Kreisel aus wasserhellem Stein in ihrer Hand, den gab
sie der Wirtin und sagte: »Nehmt dieses Spielzeug, liebe Frau, zu meinem
Angedenken! Ihr werdet guten Nutzen davon haben. Denn jüngsthin habe ich
gehört, wie Ihr in Eurem Garten der Nachbarin klagtet, Euch sei schon
auf die Kirchweih angst, wo immer die Bürger und Bauern zu Unfrieden
kämen und Mord und Totschlag zu befahren sei. Derhalben, liebe Frau,
wenn wieder die trunkenen Gäste bei Tanz und Zeche Streit beginnen,
nehmt den Topf zur Hand und dreht ihn vor der Tür des Saals im Oehrn, da
wird man hören durch das ganze Haus ein mächtiges und herrliches Getöne,
daß alle gleich die Fäuste werden sinken lassen und guter Dinge sein,
denn jählings ist ein jeder nüchtern und gescheit geworden. Ist es an
dem, so werfet Eure Schürze auf den Topf! da wickelt er sich alsbald ein
und lieget stille.«

So redete das Wasserweib. Frau Betha nahm vergnügt das Kleinod samt der
goldenen Schnur und dem Halter von Ebenholz, rief ihrer Tochter Jutta
her (sie stand nur hinter dem Krautfaß an der Staffel), wies ihr die
Gabe, dankte und lud die Frau, so oft die Zeit ihr lang wär, freundlich
ein zu fernerem Besuch; darauf das Weib hinabfuhr und verschwand.

Es dauerte nicht lang', so wurde offenbar, welch einen Schatz die
Wirtschaft an dem Topf gewann. Denn nicht allein, daß er durch seine
Kraft und hohe Tugend die übeln Händel allezeit in einer Kürze dämpfte,
er brachte auch dem Gasthaus bald erstaunliche Einkehr zuwege. Wer in
die Gegend kam, gemein oder vornehm, ging ihm zulieb; insonderheit kam
bald der Graf von Helfenstein, von Wirtemberg und etliche große
Prälaten; ja ein berühmter Herzog aus Lombardenland, so bei dem Herzoge
von Bayern gastweis war und dieses Wegs nach Frankreich reiste, bot
vieles Geld für dieses Stück, wenn es die Wirtin lassen wollte. Gewiß
auch war in keinem andern Land seinesgleichen zu sehen und zu hören.
Erst, wenn er anhub sich zu drehen, ging es doucement her, dann klang es
stärker und stärker, so hoch wie tief, und immer herrlicher, als wie der
Schall von vielen Pfeifen, der quoll und stieg durch alle Stockwerke bis
unter das Dach und bis in den Keller, dergestalt daß alle Wände, Dielen,
Säulen und Geländer schienen davon erfüllt zu sein, zu tönen und zu
schwellen. Wenn nun das Tuch auf ihn geworfen wurde und er ohnmächtig
lag, so hörte gleichwohl die Musik sobald nicht auf, es zog vielmehr der
ausgeladene Schwall mit starkem Klingen, Dröhnen, Summen noch wohl bei
einer Viertelstunde hin und her.

Bei uns im Schwabenland heißt so ein Topf aus Holz gemeinhin eine
Habergeis; Frau Betha ihrer ward nach seinem vornehmsten Geschäfte
insgemein genannt der Bauren-Schwaiger. Er war gemacht aus einem großen
Amethist, des Name besagen will: Wider den Trunk, weil er den schweren
Dunst des Weins geschwinde aus dem Kopf vertreibt, ja schon von Anbeginn
dawider tut, daß einen guten Zecher das Selige berühre; darum ihn auch
weltlich und geistliche Herren sonst häufig pflegten am Finger zu
tragen.

Die Wasserfrau kam jeden Mond einmal, auch je und je unverhofft zwischen
der Zeit, weshalb die Wirtin eine Schelle richten ließ oben im Haus mit
einem Draht, der lief herunter an der Wand beim Brunnen, damit sie sich
gleichbald anzeigen konnte. Also ward sie je mehr und mehr zutunlich zu
den wackeren Frauen, der Mutter samt den Töchtern und der Söhnerin.

Einsmals an einem Nachmittag im Sommer, da eben keine Gäste kamen, der
Sohn mit den Knechten und Mägden hinaus in das Heu gefahren war, Frau
Betha mit der Aeltesten im Keller Wein abließ, die Lau im Brunnen aber
Kurzweil halben dem Geschäft zusah und nun die Frauen noch ein wenig mit
ihr plauderten, da fing die Wirtin an: »Mögt Ihr Euch denn einmal in
meinem Haus und Hof umsehn? Die Jutta könnte Euch etwas von Kleidern
geben; ihr seid von _einer_ Größe.«

»Ja,« sagte sie, »ich wollte lange gern die Wohnungen der Menschen sehn,
was alles sie darin gewerben, spinnen, weben, ingleichen auch wie Eure
Töchter Hochzeit machen und ihre kleinen Kinder in der Wiege schwenken.«

Da lief die Tochter fröhlich mit Eile hinauf, ein rein Leintuch zu
holen, bracht' es und half ihr aus dem Kasten steigen; das tat sie
sonder Müh' und lachenden Mundes. Flugs schlug ihr die Dirne das Tuch um
den Leib und führte sie bei ihrer Hand eine schmale Stiege hinauf in der
hintersten Ecke des Kellers, da man durch eine Falltüre oben gleich in
der Töchter Kammer gelangt. Allda ließ sie sich trocken machen und saß
auf einem Stuhl, indem ihr Jutta die Füße abrieb. Wie diese ihr nun an
die Sohle kam, fuhr sie zurück und kicherte. »War's nicht gelacht?« frug
sie selber sogleich. -- »Was anders?« rief das Mädchen und jauchzte:
»Gebenedeiet sei uns der Tag! ein erstes Mal wär' es geglückt!« -- Die
Wirtin hörte in der Küche das Gelächter und die Freude, kam herein,
begierig, wie es zugegangen, doch als sie die Ursach' vernommen -- du
armer Tropf, so dachte sie, das wird ja schwerlich gelten! -- ließ sich
indes nichts merken, und Jutta nahm etliche Stücke heraus aus dem
Schrank, das Beste was sie hatte, die Hausfreundin zu kleiden. »Seht!«
sagte die Mutter, »sie will wohl aus Euch eine Susann Preisnestel
machen.« -- »Nein,« rief Lau in ihrer Fröhlichkeit, »laß mich die
Aschengruttel sein in deinem Märchen!« nahm einen schlechten runden
Faltenrock und eine Jacke; nicht Schuh noch Strümpfe litt sie an den
Füßen, auch hingen ihre Haare ungezöpft bis auf die Knöchel nieder. So
strich sie durch das Haus von unten bis zu oberst, durch Küche, Stuben
und Gemächer. Sie verwunderte sich des gemeinsten Gerätes und seines
Gebrauchs, besah den rein gefegten Schenktisch und darüber in langen
Reihen die zinnenen Kannen und Gläser, alle gleich gestürzt, mit
hängendem Deckel, dazu den kupfernen Schwenkkessel samt der Bürste und
mitten in der Stube an der Decke der Weber Zunftgeschmuck, mit
Seidenband und Silberdraht geziert, in dem Kästlein von Glas. Von
ungefähr erblickte sie ihr eigen Bild im Spiegel, davor blieb sie
betroffen und erstockt eine ganze Weile stehn, und als darauf die
Söhnerin sie mit in ihre Stube nahm und ihr ein neues Spiegelein, drei
Groschen wert, verehrte, da meinte sie Wunders zu haben; denn unter
allen ihren Schätzen fand sich dergleichen nicht.

Bevor sie aber Abschied nahm, geschah's, daß sie hinter den Vorhang des
Alkoven schaute, woselbst der jungen Frau und ihres Mannes Bett sowie
der Kinder Schlafstätte war. Saß da ein Enkelein mit rotgeschlafenen
Backen, hemdig und einen Apfel in der Hand, auf einem runden Stühlchen
von guter Ulmer Hafnerarbeit, grünverglaset. Das wollte dem Gast außer
Maßen gefallen; sie nannte es einen viel zierlichen Sitz, rümpft' aber
die Nase mit eins, und da die drei Frauen sich wandten zu lachen,
vermerkte sie etwas und fing auch hell zu lachen an, und hielt sich die
ehrliche Wirtin den Bauch, indem sie sprach: »Diesmal fürwahr hat es
gegolten, und Gott schenk Euch einen so frischen Buben, als mein Hans da
ist!«

Die Nacht darauf, daß sich dies zugetragen, legte sich die schöne Lau
getrost und wohlgemut, wie schon in Jahren nicht, im Grund des Blautopfs
nieder, schlief gleich ein, und bald erschien ihr ein närrischer Traum.

Ihr deuchte da, es war die Stunde nach Mittag, wo in der heißen
Jahreszeit die Leute auf der Wiese sind und mähen, die Mönche aber sich
in ihren kühlen Zellen eine Ruhe machen, daher es noch einmal so still
im ganzen Kloster und rings um seine Mauern war. Es stund jedoch nicht
lange an, so kam der Abt herausspaziert und sah, ob nicht etwa die
Wirtin in ihrem Garten sei. Dieselbe aber saß als eine dicke Wasserfrau
mit langen Haaren in dem Topf, allwo der Abt sie bald entdeckte, sie
begrüßte und ihr einen Kuß gab, so mächtig, daß es vom Klostertürmlein
widerschallte, und schallte es der Turm ans Refektorium, das sagt' es
der Kirche, und die sagt's dem Pferdestall, und der sagt's dem
Waschhaus, und im Waschhaus da riefen's die Zuber und Kübel sich zu. Der
Abt erschrak bei solchem Lärm; ihm war, wie er sich nach der Wirtin
bückte, sein Käpplein in Blautopf gefallen; sie gab es ihm geschwind,
und er watschelte hurtig davon.

Da aber kam aus dem Kloster heraus unser Herrgott, zu sehn, was es gebe.
Er hatte einen langen weißen Bart und einen roten Rock. Und frug den
Abt, der ihm just in die Hände lief:

   Herr Abt, wie ward Euer Käpplein so naß?

Und er antwortete:

   Es ist mir ein Wildschwein am Wald verkommen,
   Vor dem hab' ich Reißaus genommen;
   Ich rannte sehr und schwitzet' baß,
   Davon ward wohl mein Käpplein so naß.

Da hob unser Herrgott, unwirs ob der Lüge, seinen Finger auf, winkt' ihm
und ging voran, dem Kloster zu. Der Abt sah hehlings noch einmal nach
der Frau Wirtin um, und diese rief: »Ach, liebe Zeit! ach, liebe Zeit!
jetzt kommt der gut' alt' Herr in die Prison!«

Dies war der schönen Lau ihr Traum. Sie wußte aber beim Erwachen und
spürte noch an ihrem Herzen, daß sie im Schlaf sehr lachte, und ihr
hüpfte noch wachend die Brust, daß der Blautopf oben Ringlein schlug.

Weil es den Tag zuvor sehr schwül gewesen, so blitzte es jetzt in der
Nacht. Der Schein erhellte den Blautopf ganz, auch spürte sie am Boden,
es donnere weitweg. So blieb sie mit zufriedenem Gemüte noch eine Weile
ruhen, den Kopf in ihre Hand gestützt, und sah dem Wetterblicken zu. Nun
stieg sie auf, zu wissen, ob der Morgen etwa komme: allein es war noch
nicht viel über Mitternacht. Der Mond stand glatt und schön über dem
Rusenschloß, die Lüfte aber waren voll vom Würzgeruch der Mahden.

Sie meinte fast der Geduld nicht zu haben bis an die Stunde, wo sie im
Nonnenhof ihr neues Glück verkünden durfte, ja wenig fehlte, daß sie
sich jetzt nicht mitten in der Nacht aufmachte und vor Juttas Türe kam
(wie sie nur einmal Trostes wegen in übergroßem Jammer nach der jüngsten
Botschaft aus der Heimat tat), doch sie besann sich anders und ging zu
besserer Zeit.

Frau Betha hörte ihren Traum gutmütig an, obwohl er ihr ein wenig
ehrenrührig schien. Bedenklich aber sagte sie darauf: »Baut nicht auf
solches Lachen, das im Schlaf geschah! der Teufel ist ein Schelm. Wenn
Ihr auf solches Trugwerk hin die Boten mit fröhlicher Zeitung entließet,
und die Zukunft strafte Euch Lügen, es könnte schlimm daheim ergehen.«

Auf diese Rede hing die schöne Lau den Mund gar sehr und sagte: »Frau
Ahne hat der Traum verdrossen!« nahm kleinlauten Abschied und tauchte
hinunter.

Es war nah bei Mittag, da rief der Pater Schaffner im Kloster dem Bruder
Kellermeister eifrig zu: »Ich merk', es ist im Gumpen letz! Die Arge
will Euch Eure Faß wohl wieder einmal schwimmen lehren. Tut Eure Läden
eilig zu, vermachet alles wohl!«

Nun aber war des Klosters Koch, der Wirtin Sohn, ein lustiger Vogel,
welchen die Lau wohl leiden mochte. Der dachte ihren Jäst mit einem
Schnak zu stillen, lief nach seiner Kammer, zog die Bettscher aus der
Lagerstätte und steckte sie am Blautopf in den Rasen, wo das Wasser
auszutreten pflegte, und stellte sich mit Worten und Gebärden als einen
viel getreuen Diener an, der mächtig Aengsten hätte, daß seine
Herrschaft aus dem Bette fallen und etwa Schaden nehmen möchte. Da sie
nun sah das Holz so recht mit Fleiß gesteckt und über das Bächlein
gespreizt, kam ihr in ihrem Zorn das Lachen an, und lachte überlaut, daß
man's im Klostergarten hörte.

Als sie hierauf am Abend zu den Frauen kam, da wußten sie es schon vom
Koch und wünschten ihr mit tausend Freuden Glück. Die Wirtin sagte: »Der
Xaver ist von Kindesbeinen an gewesen als wie der Zuberklaus, jetzt
kommt uns seine Torheit zustatten.«

Nun aber ging ein Monat nach dem andern herum: es wollte sich zum
dritten- oder viertenmal nicht wieder schicken. Martini war vorbei, noch
wenig Wochen, und die Boten standen wieder vor der Tür. Da ward es den
guten Wirtsleuten selbst bang, ob heuer noch etwas zustande käme, und
alle hatten nur zu trösten an der Frau. Je größer deren Angst, je
weniger zu hoffen war.

Damit sie ihres Kummers eher vergesse, lud ihr Frau Betha einen
Lichtkarz ein, da nach dem Abendessen ein halb Dutzend muntre Dirnen und
Weiber aus der Verwandtschaft in einer abgelegenen Stube mit ihren
Kunkeln sich zusammensetzten. Die Lau kam alle Abend in Juttas altem
Rock und Kittel und ließ sich weit vom warmen Ofen weg in einem Winkel
auf dem Boden nieder und hörte dem Geplauder zu, von Anfang als ein
stummer Gast, ward aber bald zutraulich und bekannt mit allen. Um
ihretwillen machte sich Frau Betha eines Abends ein Geschäft daraus, ihr
Weihnachtskripplein für die Enkel beizeiten herzurichten: die Mutter
Gottes mit dem Kind im Stall, bei ihr die drei Weisen aus Morgenland,
ein jeder mit seinem Kamel, darauf er hergereist kam und seine Gaben
brachte. Dies alles aufzuputzen und zu leimen, was etwa lotter war, saß
die Frau Wirtin an dem Tisch beim Licht mit ihrer Brille, und die
Wasserfrau mit höchlichem Ergötzen sah ihr zu, so wie sie auch gerne
vernahm, was ihr von heiligen Geschichten dabei gesagt wurde, doch nicht
daß sie dieselben dem rechten Verstand nach begriff oder zu Herzen nahm,
wie gern auch die Wirtin es wollte.

Frau Betha wußte ferner viel lehrreicher Fabeln und Denkreime, auch
spitzweise Fragen und Rätsel; die gab sie nacheinander im Vorsitz auf zu
raten, weil sonderlich die Wasserfrau von Hause aus dergleichen liebte
und immer gar zufrieden schien, wenn sie es ein und das andre Mal traf
(das doch nicht allzu leicht geriet). Eines derselben gefiel ihr vor
allen, und was damit gemeint ist, nannte sie ohne Besinnen:

   Ich bin eine dürre Königin,
   Trag' auf dem Haupt eine zierliche Kron',
   Und die mir dienen mit treuem Sinn,
   Die haben großen Lohn.

   Meine Frauen müssen mich schön frisieren,
   Erzählen mir Märlein ohne Zahl.
   Sie lassen kein einzig Haar an mir,
   Doch siehst du mich nimmer kahl.

   Spazieren fahr' ich frank und frei,
   Das geht so rasch, das geht so fein;
   Nur komm ich nicht vom Platz dabei --
   Sagt Leute! was mag das sein?

Darüber sagte sie, in etwas fröhlicher denn zuvor: »Wenn ich dereinstens
wiederum in meiner Heimat bin und kommt einmal ein schwäbisch
Landeskind, zumal aus Eurer Stadt, auf einer Kriegsfahrt oder sonst
durch der Walachen Land an unsere Gestade, so ruf er mich bei Namen,
dort wo der Strom am breitesten hineingeht in das Meer -- versteht! zehn
Meilen einwärts in dieselbe See erstreckt sich meines Mannes Reich, so
weit das süße Wasser sie mit seiner Farbe färbt -- dann will ich kommen
und dem Fremdling zu Rat und Hilfe sein. Damit er aber sicher sei, ob
ich es bin und keine andere, die ihm schaden möchte, so stelle er dies
Rätsel. Niemand aus unserem Geschlechte außer mir wird ihm darauf
antworten, denn dortzuland sind solche Rocken und Rädlein, als Ihr in
Schwaben führet, nicht gesehn, noch kennen sie dort Eure Sprache; darum
mag dies die Losung sein.«

Auf einen andern Abend ward erzählt vom Doktor Veylland und Herrn Konrad
von Wirtemberg, dem alten Gaugrafen, in dessen Tagen es noch keine Stadt
mit Namen Stuttgart gab. Im Wiesental, da wo dieselbe sich nachmals
erhob, stund nur ein stattliches Schloß mit Wassergraben und Zugbrücke,
von Bruno, dem Domherrn von Speyer, Konradens Oheim, erbaut, und nicht
gar weit davon ein hohes steinernes Haus. In diesem wohnte dazumal mit
einem alten Diener ganz allein ein sonderlicher Mann, der war in
natürlicher Kunst und in Arzneikunst sehr gelehrt und war mit seinem
Herrn, dem Grafen, weit in der Welt herumgereist in heißen Ländern, von
wo er manche Seltsamkeit an Tieren, vielerlei Gewächsen und Meerwundern
heraus nach Schwaben brachte. In seinem Oehrn sah man der fremden Sachen
eine Menge an den Wänden herum hangen: die Haut vom Krokodil sowie
Schlangen und fliegende Fische. Fast alle Wochen kam der Graf einmal zu
ihm; mit andern Leuten pflegte er wenig Gemeinschaft. Man wollte
behaupten, er mache Gold; gewiß ist, daß er sich unsichtbar machen
konnte, denn er verwahrte unter seinem Kram einen Krackenfischzahn.
Einst nämlich, als er auf dem Roten Meer das Bleilot niederließ, die
Tiefe zu erforschen, da zockt' es unterm Wasser, daß das Tau fast riß.
Es hatte sich ein Krackenfisch im Lot verbissen und zween seiner Zähne
darinnen gelassen. Sie sind wie eine Schustersahle, spitz und glänzend
schwarz. Der eine stak sehr fest, der andere ließ sich leicht ausziehen.
Da nun ein solcher Zahn, etwa in Silber oder Gold gefaßt und bei sich
getragen, besagte hohe Kraft besitzt und zu den größten Gütern, so man
für Geld nicht haben kann, gehört, der Doktor aber dafür hielt, es zieme
eine solche Gabe niemand besser als einem weisen und wohldenkenden
Gebieter, damit er überall, in seinen eigenen und Feindes Landen, sein
Ohr und Auge habe, so gab er einen dieser Zähne seinem Grafen, wie er ja
ohnedem wohl schuldig war, mit Anzeigung von dessen Heimlichkeit, davon
der Herr nichts wußte. Von diesem Tage an erzeigte sich der Graf dem
Doktor gnädiger als allen seinen Edelleuten oder Räten, und hielt ihn
recht als seinen lieben Freund, ließ ihm auch gern und sonder Neid das
Lot zu eigen, darin der andere Zahn war, doch unter dem Gelöbnis, sich
dessen ohne Not nicht zu bedienen, auch ihn vor seinem Ableben entweder
ihm, dem Grafen, erblich zu verlassen oder auf alle Weise der Welt zu
entrücken, wo nicht ihn gänzlich zu vertilgen. Der edle Graf starb aber
um zwei Jahre eher als der Veylland und hinterließ das Kleinod seinen
Söhnen nicht; man glaubt, aus Gottesfurcht und weiser Vorsicht hab' er
es mit in das Grab genommen oder sonst verborgen.

Wie nun der Doktor auch am Sterben lag, so rief er seinen treuen Diener
Kurt zu ihm ans Bett und sagte: »Lieber Kurt! es gehet diese Nacht mit
mir zu Ende, so will ich dir noch deine guten Dienste danken und etliche
Dinge befehlen. Dort bei den Büchern in dem Fach zu unterst in der Ecke
ist ein Beutel mit hundert Imperialen, den nimm sogleich zu dir! Du
wirst auf Lebenszeit genug daran haben. Zum zweiten, das alte
geschriebene Buch in dem Kästlein daselbst verbrenne jetzt vor meinen
Augen hier in dem Kamin! Zum dritten findest du ein Bleilot dort, das
nimm, verbirg's bei deinen Sachen, und wenn du aus dem Hause gehst in
deine Heimat gen Blaubeuren, laß es dein erstes sein, daß du es in den
Blautopf wirfst!« -- Hiermit war er darauf bedacht, daß es ohne Gottes
besondere Fügung in ewigen Zeiten nicht in irgendeines Menschen Hände
komme. Denn damals hatte sich die Lau noch nie im Blautopf blicken
lassen und hielt man selben überdies für unergründlich.

Nachdem der gute Diener jenes alles teils auf der Stelle ausgerichtet,
teils versprochen, nahm er mit Tränen Abschied von dem Doktor, welcher
vor Tage noch das Zeitliche gesegnete.

Als nachher die Gerichtspersonen kamen und allen kleinen Quark
aussuchten und versiegelten, da hatte Kurt das Bleilot zwar beiseit'
gebracht, den Beutel aber nicht versteckt (denn er war keiner von den
Schlauesten) und mußte ihn dalassen, bekam auch nach der Hand nicht
einen Deut davon zu sehen, kaum daß die schnöden Erben ihm den
Jahreslohn auszahlten.

Solch Unglück ahnete ihm schon, als er, auch ohnedem betrübt genug, mit
seinem Bündelein in seiner Vaterstadt einzog. Jetzt dachte er an nichts,
als seines Herrn Befehl vor allen Dingen zu vollziehen. Weil er seit
dreiundzwanzig Jahren nimmer hier gewesen, so kannte er die Leute nicht,
die ihm begegneten, und da er gleichwohl einem und dem andern guten
Abend sagte, gab's ihm niemand zurück. Die Leute schauten sich, wenn er
vorüber kam, verwundert an den Häusern um, wer doch da gegrüßt haben
möchte; denn keines erblickte den Mann. Dies kam, weil ihm das Lot in
seinem Bündel auf der linken Seite hing; ein andermal, wenn er es rechts
trug, war er von allen gesehen. Er aber sprach für sich: »Zu meiner Zeit
sind di^a Blaubeur^am^ar so grob ett gwä!«

Beim Blautopf fand er seinen Vetter, den Seilermeister, mit dem Jungen
am Geschäft, indem er längs der Klostermauer, rückwärts gehend, Werg aus
seiner Schürze spann, und weiterhin der Knabe trillte die Schnur mit dem
Rad. -- »Gott grü^aß di, Vetter Seiler!« rief der Kurt und klopft' ihm
auf die Achsel. Der Meister guckt sich um, verblaßt, läßt seine Arbeit
aus den Händen fallen und lauft, was seine Beine mögen. Da lachte der
andere, sprechend: »Der denkt, mei' Seel, i wandele geistweis! D'Leut
hant g'wiß mi für tot hi^a g'sait, anstatt mein' Herr^a -- ei so
schlag!«

Jetzt ging er zu dem Teich, knüpfte sein Bündel auf und zog das Lot
heraus. Da fiel ihm ein, er möchte doch auch wissen, ob es wahr sei, daß
der Gumpen keinen Grund noch Boden habe (er wär' gern auch ein wenig so
ein Spiriguckes wie sein Herr gewesen), und weil er vorhin in des
Seilers Korb drei große, starke Schnürbund liegen sehn, so holte er
dieselben her und band das Lot an einen. Es lagen just auch
frischgebohrte Teichel, eine schwere Menge, in dem Wasser bis gegen die
Mitte des Topfs, darauf er sicher Posto fassen konnte, und also ließ er
das Gewicht hinunter, indem er immer ein Stück Schnur an seinem
ausgestreckten Arm abmaß, drei solcher Längen auf ein Klafter rechnete
und laut abzählte: »1 Klafter, 2 Klafter, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10« -- da
ging der erste Schnurbund aus und mußte er den zweiten an das Ende
knüpfen, maß wiederum ab und zählte bis auf 20. Da war der andere
Schnurbund gar. -- »Heid^aguguk, ist dees ^a Ti^afe!« -- und band den
dritten an das Trumm, fuhr fort zu zählen: »21, 22, 23, 24 --
Höllelement, mei' Arm will nimme! -- 25, 26, 27, 28, 29, 30 -- Jetzet
gu^at Nacht, 's Meß hot ^a End! Do heißt's halt, mir nex, dir nex,
rappede kappede, so isch usgang^a!« -- Er schlang die Schnur, bevor er
aufzog, um das Holz, darauf er stand, ein wenig zu verschnaufen, und
urteilte bei sich: Der Topf ist währle bod^alaus.

Indem der Spinnerinnen eine diesen Schwank erzählte, tat die Wirtin
einen schlauen Blick zur Lau hinüber, welche lächelte; denn freilich
wußte sie am besten, wie es gegangen war mit dieser Messerei; doch
sagten beide nichts. Dem Leser aber soll es unverhalten sein.

Die schöne Lau lag jenen Nachmittag auf dem Sand in der Tiefe, und, ihr
zu Füßen, eine Kammerjungfer, Aleila, welche ihr die liebste war,
beschnitt ihr in guter Ruh die Zehen mit einer goldenen Schere, wie von
Zeit zu Zeit geschah.

Da kam hernieder langsam aus der klaren Höh' ein schwarzes Ding, als wie
ein Kegel, des sich im Anfang beide sehr verwunderten, bis sie
erkannten, was es sei. Wie nun das Lot mit neunzig Schuh den Boden
berührte, da ergriff die scherzlustige Zofe die Schnur und zog gemach
mit beiden Händen, zog und zog so lang', bis sie nicht mehr nachgab.
Alsdann nahm sie geschwind die Schere und schnitt das Lot hinweg,
erlangte einen dicken Zwiebel (der war erst gestern in den Topf gefallen
und war fast eines Kinderkopfes groß) und band ihn bei dem grünen
Schossen an die Schnur, damit der Mann erstaune, ein ander Lot zu
finden, als das er ausgeworfen. Derweile aber hatte die schöne Lau den
Krackenzahn im Blei mit Freuden und Verwunderung entdeckt. Sie wußte
seine Kraft gar wohl, und ob zwar für sich selbst die Wasserweiber oder
-Männer nicht viel danach fragen, so gönnen sie den Menschen doch so
großen Vorteil nicht, zumalen sie das Meer und was sich darin findet von
Anbeginn als ihren Pacht und Lehn ansprechen. Deswegen denn die schöne
Lau mit dieser ungefähren Beute sich dereinst, wenn sie zu Hause käme,
beim alten Nix, ihrem Gemahl, Lobs zu erholen hoffte. Doch wollte sie
den Mann, der oben stund, nicht lassen ohn' Entgelt, nahm also alles,
was sie eben auf dem Leibe hatte, nämlich die schöne Perlenschnur an
ihrem Hals, schlang selbe um den großen Zwiebel, gerade als er sich
nunmehr erhob; und daran war es nicht genug: sie hing zuteuerst auch die
goldene Schere noch daran und sah mit hellem Aug', wie das Gewicht
hinaufgezogen ward. Die Zofe aber, neubegierig, wie sich das
Menschenkind dabei gebärde, stieg hinten dem Lot in die Höhe und weidete
sich zwo Spannen unterhalb dem Spiegel an des Alten Schreck und
Verwirrung. Zuletzt fuhr sie mit ihren beiden aufgehobenen Händen ein
maler viere in der Luft herum, die weißen Finger als zu einem Fächer
oder Wadel ausgespreizt. Es waren aber schon zuvor auf des Vetters
Seilers Geschrei viel Leute aus der Stadt herausgekommen, die standen um
den Blautopf her und sahn dem Abenteuer zu, bis wo die grausigen Hände
erschienen; da stob mit eins die Menge voneinander und entrann.

Der alte Diener aber war von Stund an irrsch im Kopf ganzer sieben Tage,
und sah der Lau ihre Geschenke gar nicht an, sondern saß da bei seinem
Vetter hinterm Ofen und sprach des Tags wohl hundertmal ein altes
Sprüchlein vor sich hin, von welchem kein Gelehrter in ganz Schwabenland
Bescheid zu geben weiß, woher und wie oder wann erstmals es unter die
Leute gekommen. Denn von ihm selber hatte es der Alte nicht; man gab es
lang' vor seiner Zeit, gleichwie noch heutiges Tags, den Kindern
scherzweis auf, wer es ganz hurtig nacheinander ohne Tadel am öftesten
hersagen könne; und lauten die Worte:

   's leit ^a Klötzle Blei glei bei Blaubeur^a,
   glei bei Blaubeur^a leit ^a Klötzle Blei.

Die Wirtin nannt' es einen rechten Leirenbendel und sagte: »Wer hätte
auch den mindesten Verstand da drin gesucht, geschweige eine
Prophezeiung!«

Als endlich der Kurt mit dem siebenten Morgen seine gute Besinnung
wiederfand und ihm der Vetter die kostbaren Sachen darwies, so sein
rechtliches Eigentum wären, da schmunzelte er doch, tat sie in sichern
Verschluß und ging mit des Seilers zu Rat, was damit anzufangen. Sie
achteten alle fürs beste, er reise mit Perlen und Schere gen Stuttgart,
wo eben Graf Ludwig sein Hoflager hatte, und biete sie demselben an zum
Kauf. So tat er denn. Der hohe Herr war auch nicht karg und gleich
bereit, so seltene Zier nach Schätzung eines Meisters für seine Frau zu
nehmen; nur als er von dem Alten hörte, wie er dazu gekommen, fuhr er
auf und drehte sich voll Aerger auf dem Absatz um, daß ihm der
Wunderzahn verloren sei. Ihm war vordem etwas von diesem kund geworden,
und hatte er dem Doktor, bald nach Herrn Konrads Hintritt, seines
Vaters, sehr darum angelegen, doch umsonst.

Dies war nun die Geschichte, davon die Spinnerinnen damals plauderten.
Doch ihnen war das Beste daran unbekannt. Eine Gevatterin, so auch mit
ihrer Kunkel unter ihnen saß, hätte noch gar gern gehört, ob wohl die
schöne Lau das Lot noch habe, und was sie damit tue, und red'te so von
weitem darauf hin; da gab Frau Betha ihr nach ihrer Weise einen kleinen
Stich und sprach zur Lau: »Ja, gelt, jetzt macht Ihr Euch bisweilen
unsichtbar, geht herum in den Häusern und guckt den Weibern in die
Töpfe, was sie zu Mittag kochen? Eine schöne Sach' um so ein Lot für
fürwitzige Leute!«

Inmittelst fing der Dirnen eine an, halblaut das närrische Gesetzlein
herzusagen; die andern taten ein gleiches, und jede wollt' es besser
können, und keine brachte es zum dritten oder viertenmal glatt aus dem
Mund; dadurch gab es viel Lachen. Zum letzten mußte es die schöne Lau
probieren: die Jutta ließ ihr keine Ruh. Sie wurde rot bis an die
Schläfe, doch hub sie an und klüglicherweise gar langsam:

   's leit ^a Klötzle Blei glei bei Blaubeur^a.

Die Wirtin rief ihr zu, so sei es keine Kunst; es müsse gehen wie
geschmiert! Da nahm sie ihren Anlauf frisch hinweg, kam auch alsbald vom
Pfad ins Stoppelfeld, fuhr buntüberecks und wußte nimmer gicks noch
gacks. Jetzt, wie man denken kann, gab es Gelächter einer Stuben voll,
das hättet ihr nur hören sollen, und mitten draus hervor der schönen Lau
ihr Lachen, so hell wie ihre Zähne, die man alle sah!

Doch unversehens, mitten in dieser Fröhlichkeit und Lust, begab sich ein
mächtiges Schrecken.

Der Sohn vom Haus, der Wirt -- er kam gerade mit dem Wagen heim von
Sonderbuch und fand die Knechte verschlafen im Stall -- sprang hastig
die Stiege herauf, rief seine Mutter vor die Tür und sagte, daß es alle
hören konnten: »Um Gottes willen, schickt die Lau nach Haus! Hört Ihr
denn nicht im Städtlein den Lärm? Der Blautopf leert sich aus, die
untere Gasse ist schon unter Wasser, und in dem Berg am Gumpen ist ein
Getös und Rollen, als wenn die Sintflut käme!« -- Indem er noch so
sprach, tat innen die Lau einen Schrei: »Das ist der König, mein Gemahl,
und ich bin nicht daheim!« -- Hiermit fiel sie von ihrem Stuhl sinnlos
zu Boden, daß die Stube zitterte. Der Sohn war wieder fort, die
Spinnerinnen liefen jammernd heim mit ihren Rocken, die andern wußten
aber nicht, was anzufangen mit der armen Lau, welche wie tot dalag. Eins
machte ihr die Kleider auf, ein anderes strich sie an, das dritte riß
die Fenster auf, und schafften doch alle miteinander nichts.

Da streckte unverhofft der lustige Koch den Kopf zur Tür herein,
sprechend: »Ich hab' mir's eingebildet, sie wär' bei euch! Doch, wie ich
sehe, geht's nicht allzu lustig her. Macht, daß die Ente in das Wasser
kommt, so wird sie schwimmen!« -- »Du hast gut reden!« sprach die Mutter
mit Beben. »Hat man sie auch im Keller und im Brunnen, kann sie sich
unten nicht den Hals abstürzen im Geklüft?« -- »Was Keller!« rief der
Sohn, »was Brunnen! Das geht ja freilich nicht. Laßt mich nur machen!
Not kennt kein Gebot: ich trag' sie in den Blautopf.« -- Und damit nahm
er, als ein starker Kerl, die Wasserfrau auf seine Arme. »Komm, Jutta --
nicht heulen! -- geh mir voran mit der Latern'!« -- »In Gottes Namen!«
sagte die Wirtin. »Doch nehmt den Weg hinten herum durch die Gärten! Es
wimmelt die Straße mit Leuten und Lichtern.« -- »Der Fisch hat sein
Gewicht,« sprach er im Gehn, schritt aber festen Tritts die Stiege
hinunter, dann über den Hof und links und rechts, zwischen Hecken und
Zäunen hindurch.

Am Gumpen fanden sie das Wasser schon merklich gefallen, gewahrten aber
nicht, wie die drei Zofen, mit den Köpfen dicht unter dem Spiegel,
ängstlich hin und wieder schwammen, nach ihrer Frau ausschauend. Das
Mädchen stellte die Laterne hin, der Koch entledigte sich seiner Last,
indem er sie behutsam mit dem Rücken an den Kürbishügel lehnte. Da
raunte ihm sein eigener Schalk ins Ohr: Wenn du sie küßtest, freute
dich's dein Leben lang, und könntest du doch sagen, du habest einmal
eine Wasserfrau geküßt. -- Und eh' er es recht dachte, war's geschehen.
Da löschte ein Schuck Wasser aus dem Topf das Licht urplötzlich aus, daß
es stichdunkel war umher, und tat es dann nicht anders, als wenn ein
ganz halb Dutzend nasser Hände auf ein paar kernige Backen fiel, und wo
es sonst hintraf. Die Schwester rief: »Was gibt es denn?« --
»Maulschellen heißt man's hier herum!« sprach er. »Ich hätte nicht
gedacht, daß sie am Schwarzen Meer sottige Ding' auch kenneten!« -- Dies
sagend stahl er sich eilends davon, doch weil es vom Widerhall drüben am
Kloster auf Mauern und Dächern und Wänden mit Maulschellen brazzelte,
stund er bestürzt, wußte nicht recht wohin, denn er glaubte den Feind
vorn und hinten. (Solch einer Witzung brauchte es, damit er sich des
Mundes nicht berühme, den er geküßt, unwissend zwar, daß er es _müssen_
tun der schönen Lau zum Heil.)

Inwährend diesem argen Lärm nun hörte man die Fürstin in ihrem
Ohnmachtschlaf so innig lachen, wie sie damals im Traum getan, wo sie
den Abt sah springen. Der Koch vernahm es noch von weitem, und ob er's
schon auf sich zog und mit Grund, erkannte er doch gern daraus, daß es
nicht weiter Not mehr habe mit der Frau.

Bald kam mit guter Zeitung auch die Jutte heim, die Kleider, den Rock
und das Leibchen im Arm, welche die schöne Lau zum letztenmal heut' am
Leibe gehabt. Von ihren Kammerjungfern, die sie am Topf in Beisein des
Mädchens empfingen, erfuhr sie gleich zu ihrem großen Trost, der König
sei noch nicht gekommen, doch mög' es nicht mehr lang' anstehn; die
große Wasserstraße sei schon angefüllt. Dies nämlich war ein breiter,
hoher Felsenweg, tief unterhalb den menschlichen Wohnstätten, schön grad
und eben mitten durch den Berg gezogen, zwo Meilen lang von da bis an
die Donau, wo des alten Nixen Schwester ihren Fürstensitz hatte.
Derselben waren viele Flüsse, Bäche, Quellen dieses Gaues dienstbar; die
schwellten, wenn das Aufgebot an sie erging, besagte Straße in gar
kurzer Zeit so hoch mit ihren Wassern, daß sie mit allem Seegetier,
Meerrossen und Wagen füglich befahren werden mochte, welches bei
festlicher Gelegenheit zuweilen als ein schönes Schaugepräng mit vielen
Fackeln und Musik von Hörnern und Pauken geschah.

Die Zofen eilten jetzo sehr mit ihrer Herrin in das Putzgemach, um sie
zu salben, zöpfen und köstlich anzuziehen, das sie auch gern zuließ und
selbst mithalf; denn sie in ihrem Innern fühlte, es sei nun jegliches
erfüllt zusamt dem Fünften, so der alte Nix und sie nicht wissen durfte.

Drei Stunden wohl, nachdem der Wächter Mitternacht gerufen (es schlief
im Nonnenhof schon alles), erscholl die Kellerglocke zweimal mächtig,
zum Zeichen, daß es Eile habe, und hurtig waren auch die Frauen und die
Töchter auf dem Platz.

Die Lau begrüßte sie wie sonst vom Brunnen aus, nur war ihr Gesicht von
der Freude verschönt, und ihre Augen glänzten, wie man es nie an ihr
gesehen. Sie sprach: »Wißt, daß mein Ehgemahl um Mitternacht gekommen
ist! Die Schwieger hat es ihm voraus verkündigt ohnelängst, daß sich in
dieser Nacht mein gutes Glück vollenden soll, darauf er ohne Säumen
auszog mit Geleit der Fürsten, seinem Ohm und meinem Bruder Synd und
vielen Herren. Am Morgen reisen wir. Der König ist mir hold und gnädig,
als hieß' ich von heute an erst sein Gespons. Sie werden gleich vom Mahl
aufstehn, sobald sie den Umtrunk gehalten. Ich schlich auf meine Kammer
und hierher, noch meine Gastfreunde zu grüßen und zu herzen. Ich sage
Dank, Frau Ahne, liebe Jutta, Euch Söhnerin und Jüngste dir. Grüßet die
Männer und die Mägde! In jedem dritten Jahr wird euch Botschaft von mir;
auch mag es wohl geschehn, daß ich noch bälder komme selber: da bring'
ich mit auf diesen meinen Armen ein lebend Merkmal, daß die Lau bei euch
gelacht. Das wollen euch die Meinen allezeit gedenken, wie ich selbst.
Für jetzo, wisset, liebe Wirtin! ist mein Sinn, einen Segen zu stiften
in dieses Haus für viele seiner Gäste. Oft habe ich vernommen, wie Ihr
den armen wandernden Gesellen Guts getan mit freier Zehrung und
Herberg'. Damit Ihr solchen fortan mögt noch eine weitere Handreichung
tun, so werdet Ihr zu diesem Ende finden beim Brunnen hier einen
steinernen Krug voll guter Silbergroschen: davon teilt ihnen nach
Gutdünken mit! und will ich das Gefäß, bevor der letzte Pfennig
ausgegeben, wieder füllen. Zudem will ich noch stiften auf alle hundert
Jahr fünf Glückstage (denn dies ist meine holde Zahl) mit
unterschiedlichen Geschenken also, daß wer von reisenden Gesellen der
erste über Eure Schwelle tritt am Tag, der mir das erste Lachen brachte,
der soll empfangen aus Eurer oder Eurer Kinder Hand von fünferlei
Stücken das Haupt. Ein jeder, so den Preis gewinnt, gelobe, nicht Ort
noch Zeit dieser Bescherung zu verraten. Ihr findet aber solche Gaben
jedesmal hier nächst dem Brunnen. Die Stiftung, wisset! mache ich für
alle Zeit, solang' ein Glied von Eurem Stamme auf der Wirtschaft ist.«

Nach diesen Worten nahm sie nochmals Abschied und küßte ein jedes. Die
beiden Frauen und die Mädchen weinten sehr. Sie steckte Jutten einen
Fingerreif mit grünem Schmelzwerk an und sprach dabei: »Ade, Jutta! Wir
haben zusammen besondere Holdschaft gehabt, die müsse fernerhin
bestehen!« -- Nun tauchte sie hinunter, winkte und verschwand.

In einer Nische hinter dem Brunnen fand sich richtig der Krug samt den
verheißenen Angebinden. Es war in der Mauer ein Loch mit eisernem
Türlein versehen, von dem man nie gewußt, wohin es führe; das stand
jetzt aufgeschlagen, und war daraus ersichtlich, daß die Sachen durch
dienstbare Hand auf diesem Weg seien hergebracht worden, deshalb auch
alles wohl trocken verblieb. Es lag dabei ein Würfelbecher aus
Drachenhaut, mit goldenen Buckeln beschlagen, ein Dolch mit kostbar
eingelegtem Griff, ein elfenbeinen Weberschifflein, ein schönes Tuch von
fremder Weberei und mehr dergleichen. Aparte aber lag ein Kochlöffel aus
Rosenholz mit langem Stiel, von oben herab fein gemalt und vergoldet,
den war die Wirtin angewiesen dem lustigen Koch zum Andenken zu geben.
Auch keins der andern war vergessen.

Frau Betha hielt bis an ihr Lebensende die Ordnung der guten Lau heilig,
und ihre Nachkommen nicht minder. Daß jene sich nachmals mit ihrem Kind
im Nonnenhof zum Besuch eingefunden, davon zwar steht nichts in dem
alten Buch, das diese Geschichten berichtet, doch mag ich es wohl
glauben.

                   *       *       *       *       *

Es waren seit der Fürstin Abschied nah bei hundert Jahr vergangen, als
unser Seppe, der Schuster, im Dörflein Suppingen vom Wagen stieg, dem
Bäuerlein noch vielmals dankte und sich von ihm den Weg Blaubeuren zu
nachweisen ließ. Bis Mittag, sagte der Mann, könne er gar wohl dort
sein.

Das hätte sich auch nicht gefehlt, bald aber fing sein Hühneraug' ihn
wieder zu buksieren an. Er mußte alle fünfzig Schritt hinsitzen, und
wenn er einmal saß, trat er das Rad so fleißig, als wenn er auf
Bestellung zu arbeiten hätte. Endlich zum letztenmal riß er sich auf und
hinkte vollends die Steig hinab.

Sie läuteten im Kloster drei, da er ins Städtlein kam.

Während er nun auf die Herberge zuging, lief eben Jörg Seysolff, der
Wirt und Bräumeister, über den Hof und sprach zu seinem Weib, die auf
der Hausbank saß und ihren Salat zum Abendessen putzte: »Schau, Emerenz,
da kommt auch schon der dritt'!« -- »Ei, weiß Gott!« sagte sie, »und ist
ein Unterländer.« -- »Ach mein, knappt der daher! dem sei es 'gunnt.«

Der Seppe sah hoch auf, als ihn die Leute so mit sonderlicher
Freundlichkeit begrüßten. Sie gingen alle beide gleich mit ihm hinauf.
Er ließ sich eine Halbe geben, ein Sauerkraut mit Schweinefleisch
aufwärmen.

Der Wirt, wie er vernahm, daß er von Stuttgart käme, frug ihn nach dem
und jenem: ob sie auch Hagelwetter drunten hätten, was jetzt die Gerste
gelte, bis wann des Grafen Jüngste Hochzeit habe, von deren Schönheit
man überall höre. Der Seppe diente ihm auf alles ordentlich, dagegen er
sich übers Essen manches von hiesigen Geschichten, besonders von dem
Wasserweib, erzählen ließ. Auch zeigte ihm der Wirt das alte Konterfei
von ihr im Hausgang an der Stiege sowie das herrliche Kunstwerk, den
Bauren-Schwaiger, an welchem er sich nicht satt sehen und hören konnte.
»Der den gemacht hat,« sagt' er, »den laßt mir einmal einen Dreher
heißen!« -- »Ja,« meinte Jörg, »die Arbeit ist auch nicht an einem Tag
gemacht.« -- »Will's glauben!« sagte der Seppe und seufzte, denn er
gedachte an seine Dreherei.

Nachdem er nun gegessen und getrunken, frug er nach seiner Schuldigkeit.
»Zween Batzen!« war die Antwort. Die legte der Seppe auf den Tisch.
»Bekämt Ihr sechzehn Kreuzer 'naus,« sagte der Wirt, zählte sie hin und
steckte die zween Batzen ein, wie wenn es sich so in der ganzen Welt von
selbst verstünde. Es war jedoch ein alter Brauch von der Frau Betha
Zeiten her, den Reisenden auf solche Weise ihren Zehrpfennig zu reichen.
Der Schuster lächelte, als wollt' er fragen: »Wie ist das gemeint?« --
»Laßt's gut sein, lieber Gesell!« sprach Jörg Seysolff. »Kommt mit zu
meinem Ehni! der sagt Euch schon mehr.«

Er führte ihn durch einen langen Gang an eine stille Tür, die tat er vor
ihm auf. Da saß in einer säuberlichen Stube ein gar schöner Greis von
achtzig Jahr in einem Sorgenstuhl beim Fenster. Die Sonne fiel eben ein
wenig zwischen den Vorhänglein durch auf einen kleinen Tisch, so vor ihm
stand, schneeweiß gedeckt, darauf nichts weiter denn ein blauer Topf mit
Wasser und noch etwas in einem Tuche war. Der Alte aber war der kleine
Hans, Frau Bethas Herzblatt gewesen. Er redete den Schuster in Gegenwart
des Wirtes also an:

   Hab' Gott zum Gruß auf dieser Schwell'!
   Obwohl das Glück dein Reis'gesell,
   Ob solches mit dir in der Wiegen
   Von Mutterleib aus kam zu liegen,
   Ob du es in dem Gürtel hegest,
   Ob du es in den Sohlen trägest.

Hierauf behändigte der Greis dem Seppe das Tüchlein und sprach: »Du
magst es einmal, wenn du Meister bist und gründest deinen eignen Herd,
deiner Liebsten verehren, am Heiratstag, dazu dir aller Segen werde.«

Was aber war im Tuch? Eine silberne Haube; man konnte nichts Schöneres
sehen. Der Seppe wäre deckenhoch gesprungen, wenn sich's geschickt
hätte.

Nun sagte ihm der Alte, wem er das Angebind verdanke; dann ließ er ihn
Verschwiegenheit geloben, zu dessen sichtlicher Bekräftigung er einen
Finger in dem Topf netzen und auf den Mund legen mußte. Auch gab er dem
Gesellen noch eine christliche Vermahnung, empfing den Dank desselben,
und ganz am End' empfahl er ihm, wenn er ein Klötzlein Blei von ungefähr
wo finde hier herum, so möge er solches daher in den Nonnenhof bringen.
In seines Herzens Freude fast hätte er's versprochen: da fiel ihm zum
Glück noch der Pechschwitzer ein; deswegen er sagte: »Ich will sehn.«

Jetzt machte er sich auf die Bahn und lenkte seine Schritte zuvörderst
hinter das Kloster, wo ihm der Quell gleich in die Augen strahlte. So
viel man ihm davon gerühmt, doch hätte er sich solche Wunderpracht in
seinem Sinn nicht eingebildet, und meinte er bei sich, es sei nicht
anders denn als wenn zum wenigsten ein Stücker sechs Blaufärber samt
einem vollen Kessel eben erst darin ersoffen wären.

Wie er sich recht daran ersättigt und im Andenken an das Wasserweib
etliche Vaterunser aus gutem Herzen für ihr Heil gebetet hatte (denn er
der Meinung war, sie sitze schon bei hundert Jahr samt andern armen
Heidenseelen auf der hellen Wiese, da sie in Wahrheit jung und schön wie
ehedem noch bei den Ihren lebte), vergaß er auch das Klötzlein nicht,
nach welchem so viel Fragens war. Er hatte von dem Doktor Veylland und
dem Lot schon als ein kleiner Bube den Urgroßvater hören erzählen. Der
Bauer wußte nichts davon; den Wirt im Nonnenhof befrug er aber nicht,
weil ihm erst jetzt einkam, es sei mit dem Blei wohl gar dasselbe Lot
gemeint. Nun sah er hinter manchen Busch und Baum und weiterhin an
seiner Straße hier und dort in einen Graben, fand aber nichts
dergleichen und ließ sich endlich deshalb keine grauen Haare wachsen.

Der Schmerzen seines Fußwerks ganz und gar vergessen und nichts als
Glücksgedanken und Habergeisen in dem Kopf, hinkt' er so immerfort das
Blautal hinunter. Bisweilen, wenn es ihm sein Linker zu arg machte,
hockt' er auf einen Stein, packte die silberne Haube heraus und legte
sie vor sich aufs Knie, an seinen zukünftigen Schatz dabei denkend. Es
war nur gut, daß ihm nicht wissend, was schon zween andere Gesellen, ein
Feilenhauer und ein Nagelschmied, nur eine halbe Stunde, eh' er kam, aus
dem Nonnenhof davongetragen: er hätte seine Haube nur noch mit halben
Freuden angesehen. Die beiden Bursche waren auf der Steig hinter der
Stadt an dem Schuster vorübergekommen und hatten ihn gegrüßt, doch weil
er eben saß und in Gedanken mit dem Rad im besten Werken war, so sah er
gar nicht auf und brummte nur so für sich hin: »Schön guten Morgen!« --
obzwar die Sonne ihm von Abend auf den Buckel schien. »Ja, Morgen nach
dem Bad!« sagte der eine, und lachten sich beide die Haut voll darüber.

Mit sinkender Nacht kam er wohl- oder übelbehalten nach Ulm.

Es war gerade Markt und hie und da Musik und Tanz. Er trat in eins der
nächsten Wirtshäuser, wo ihrer sechs Gesellen beim Wein an einem Tisch
beisammen saßen und einen Rundgesang anstimmten. Mann für Mann sang
einzeln sein Gesetz, darauf mit Macht der Chor einfiel und sie alle die
Gläser anstießen. Der Leser mag wohl so viel Verse vernehmen, als sie
eben jetzt sangen; das Lied im ganzen ist viermal so lang.

   _Erster Gesell_: Seid ihr beisammen all'?
                    Ihr Freund', auf allen Fall
                    Zeigt eure Professionen an,
                    Daß wir nach Sitten stoßen an
                    Mit großem Freudenschall!

   _Chor_:          Zeigt eure Professionen an,
                    Daß wir nach Sitten stoßen an!

   _Zweiter_:       Eine Wiege vor die Freud',
                    Eine Bahre vor das Leid:
                    Meinem Hobel ist das alles gleich,
                    Der denkt: Ich mach' den Meister reich,
                    Spän' gibt es allezeit.

   _Chor_:          Seinem Hobel ist usw.

   _Dritter_:       Meine Arbeit ist wohl fein,
                    Von Gold und Edelstein!
                    Allein das kriegt man bald gar satt,
                    Zumal man es nicht eigen hat:
                    Gebt mir so güldnen Wein!

   _Chor_:          Ich glaub's ihm schon, das wird man satt usw.

   _Vierter_:       Wen freut ein kecker Mut,
                    Nicht dau'rt sein junges Blut,
                    Ich schaff' ihm Wehre mannigfalt,
                    Zu Scherz und Ernst, wid'r Feindsgewalt;
                    Mein Zeug ist allweg gut.

   _Chor_:          Und gilt es wider Feindsgewalt,
                    Ein Spieß und Schwert uns auch gefallt.

   _Fünfter_:       Der Schneider sitzt am Glas:
                    Vom Wirt nehm' ich die Maß.
                    Zu Hause schaff' ich gar nicht viel,
                    Meine Stich' mach' ich beim Kartenspiel,
                    Da weiß ich doch, für was.

   _Chor_:          Ei, Bruder Leipziger, bessr' Er sich!
                    Denn, sieht Er, das ist liederlich.

   _Sechster_:      Meine Kunst, das glaubt gewiß!
                    Schreibt sich vom Paradies.
                    Von Mägdlein bin ich wertgeschätzt,
                    Ich hab' ja, was ihr Herz ergötzt:
                    Veiel und Röslein süß.

   _Chor_:          Von Mägdlein ist er usw.

Jetzt kam die Reihe an den Schuster, und da derselbe sein Gesetzlein so
aus froher Kehle sang, ward es dem Seppe um den Brustfleck weh, daß er
sein gutes Handwerk lassen sollte. Dabei vermerkte er, wie ihn sein
rechter Schuh zweimal ganz weidlich vor Vergnügen zwickte, so zwar, wie
wenn er sagen wollte: Hörst du, Narr?

   _Erster_: Gebt meinem Stand die Ehr'!
             Den Schuster braucht man sehr.
             Zwar führ' ich nicht den besten Gout,
             Allein wer macht euch Hochzeitschuh,
             Wenn ich kein Schuster wär'?

   _Chor_:   Zwar führt er nicht usw.

Dem Seppe quoll bereits das Wasser in den Augen; er sprach bei sich mit
ingrimmigen Schmerzen: Du bist kein Schuster und bist auch kein Dreher,
du bist der wirtembergisch Niemez! Und schwur in seiner Seele, hinfort
zu bleiben, was er war.

   _Zweiter_: Und wer kein Pietist
              Und auch kein Hundsfott ist,
              Der mag sich wohl beim Wein erfreun.
              Mein letzter Schluck soll ehrlich sein!
              So meint's ein guter Christ.

   _Chor_:    Stoßt an, Kameraden, stimmet ein:
              Mein letzter Schluck soll ehrlich sein!

Hier stand der Seppe auf, trat hin zu den Kompanen und grüßte mit
bescheidener Ansprache. Da machten sie ihm Platz an ihrem Tisch, tranken
ihm zu und hörten, was für ein Landsmann er sei, welches Gewerbs, wohin
er wollte. »Warum bleibt Ihr nicht hier?« sagte Vinzenz, der Schuster:
»In Ulm ist es schön, und Arbeit findet Ihr dermal genug.« -- Er ließ
sich nicht schwer überreden, und schon den andern Tag stand er bei einer
jungen Witwe ein, von welcher ihm der Herbergvater sagte.

Als er das erstemal in deren Haus einging, empfing er eine Warnung: sein
Rechter wollte nicht über die Schwelle; doch achtete er weiter nicht
darauf.

Die Witwe war eine schöne Person, und wie der Seppe schon nicht leicht
mehr eine ansah, daß ihm nicht einfiel, was der Pechschwitzer sagte:
»Vielleicht begegnet dir dein Glück einmal auf Füßen,« so prüfte er auch
jetzt, obwohl mit schüchternen Blicken, die stattliche Frau. Sie sah
sehr blaß, nicht gar vergnügt und sparte ihre Worte gegen jedermann. Ihr
Tun in allen Dingen war aber sanft und klug, so daß sie einen jungen
Mann wohl locken konnte.

Es mag zuvor schon manchem so mit ihr gegangen sein, beim Seppe blieb es
auch nicht aus, und desto minder, da ihm nach den ersten Wochen deuchte,
er gelte vor den andern etwas bei der Meisterin. Geschah es, daß sie
ihrer einen nötig hatte zu einer kleinen Hilfe außerhalb der Werkstatt,
dann rief sie immer zehnmal gegen eines ihn vom Stuhl hinweg, und wenn
er Samstags für die Küche Holz klein sägte, sie aber backte eben
Zwiebelkuchen, da trug sie ihm gewiß ein Stück, warm von dem Ofen weg,
zum voraus in den Schopf hinaus; das schmeckte zu solchem Geschäft aus
der Faust ganz außer Maßen.

Von dort an aber gebärdeten sich des Hutzelmanns lederne Söhne sehr
übel; insonderheit auf der Gesellenkammer war oft die halbe Nacht in
Seppes Kasten, wo sie standen, ein Gepolter und Gerutsch, als hätten sie
die ärgsten Händel miteinander, und die Gesellen schimpften und fluchten
nicht wenig deshalb. »Es ist der Marder,« sagten sie. »Er hat den alten
Schlupf zwischen den Dielen wieder gefunden; wird nicht viel fehlen, hat
er Junge; wir brechen morgen auf und bescheren ins Kindbett.« -- Der
Seppe schwieg dazu; am andern Morgen aber holt' er in der Stille einen
schweren platten Stein aus einem Bühnenwinkel vor, den stellte er
bedachtsam mit dem Rand auf sie, quer über den Reihen. »So,« sprach er,
»jetzt, ihr Ketzer, ihr schwernötige, jetzt bocket, gampet und
durnieret, wenn ihr könnt!« -- Da molestierten sie hinfort auch niemand
mehr.

                   *       *       *       *       *

Nun, lieber Leser, ist es Zeit, daß du erfahrest, wie es derweil
ergangen mit dem andern Paar, das der Gesell an jenem Morgen auf der
Brücke ließ, als er aus Stuttgart wanderte.

Nicht tausend Schritt war er hinweg, kam eine Bäuerin von Häslach her
und sah die Schuh. Die hat der Böse hingestellt mir zur Versuchung!
dachte sie, bekreuzte sich und lief ihrer Wege. Spazierte drauf -- denn
es war Feiertag -- ein Seifensieder aus der Stadt gemächlich, nach
seinem Weinberg auszuschauen. Derselbe aber war ein Frommer. Wie er die
herrenlose Ware sieht, denkt er: Wie geht das zu? Die wären meiner Frau
wie angemessen! Ich will mich nicht vergreifen, das sei fern: nur wenn
ich wiederkomme und sie stehn noch da, mag mir's ein Zeichen sein, daß
sie der liebe Gott mir schenkt für meine Christel. Damit das Pärlein
aber nicht etwan von der Sonnenhitze leide, nahm es der kluge Mann und
stellte es unter die Brücke in Schatten, wo es nicht leicht ein Mensch
entdecken mochte.

Bald darauf kommt aus dem Tor ein sauberes Bürgermädchen, Vrone
Kiderlen, einer Witfrau Tochter; trug ein Grättlein am Arm und wollte
Himbeeren lesen im Bupsinger Wald (der hatte seinen Namen von einer
Ortschaft auf dem Berg, von welcher heutzutag die Spur nicht mehr
vorhanden ist, doch heißt der Wald daher noch jetzo der Bopser). Indem
sie nun über das Brücklein geht, patscht etwas unten, und so ein paarmal
nacheinander. Was mag das sein? denkt sie und steigt hinunter an den
Bach. »Heilige Mutter! nagelneue Schuh!« ruft sie und schaut sich um, ob
sie nicht jemand sehe, der sie vexieren wollte oder ihr den schönen Fund
tun ließ, weil eben heut' ihr Wiegentag war. Sie nahm das Paar, zog es
zur Probe einmal an und freute sich, wie gut es ihr paßte, und wie gar
leicht sich darin gehen ließ. Bald aber kam ihr ein Bedenken an, und
schon hat sie den einen wieder abgestreift; der andere hingegen wollte
ihr nicht mehr vom Fuß. Sie drückte, zog und preßte, daß ihr der Schweiß
ausbrach, half nichts -- und war sie doch so leicht hineingekommen!

Je mehr sie diesem Ding nachdachte, desto verwunderlicher kam's ihr vor.
So eine verständige Dirne sie war, am Ende glaubte sie gewiß, die Schuhe
seien ihr von ihrer Namensheiligen Veronika auf diesen Tag beschert, und
dankte alsbald der Patronin aus ehrlichem Herzen. Dann zog sie ohne
weiteres auch den andern wieder an, schob ihre alten in den Deckelkorb
und stieg getrost den Berg hinauf.

Im Wald traf sie ein altes Weib bereits im Himbeerlesen an. Diese
gesellte sich zu ihr, obwohl sie einander nicht kannten. Während aber
nun beide so hin und her suchten, geschah's, daß sich der Vrone an den
linken Fuß eine kostbare Perlenschnur hing, die da im Moos verloren lag.
Das Mädchen merkt' es nicht und trat beim nächsten Schritt von ungefähr
sich mit dem andern Schuh die Schnur vom linken los; das sah das Weib
von hinten, hob heimlich das Geschmeide auf und barg's in ihrem Rock.

Die Schnur war aber keine andere denn jene von der schönen Lau und war
an die Tochter des jetzigen Grafen, die schöne Irmengard, von dessen
Frau Ahne vererbt.

Als endlich die zwei nacheinander heimgingen, verkündigte just in den
Straßen des Grafen Ausrufer, daß gestern im Bupsinger Forst unfern dem
Lusthaus ein Nuster mit Perlen verloren gegangen, und wer es wieder
schaffe, dem sollten fünfzehn Goldgulden Finderlohn werden. Da freute
sich das Weib, zog eilig ihre besten Kleider daheim an, kam in das
Schloß und ward sogleich vor die junge Gräfin gelassen. »Ach Frau, ach
liebe Frau!« rief diese ihr schon in der Tür entgegen, »Ihr habt wohl
mein Nuster gefunden? Gebt her, ich will es Euch lohnen!«

Nun zog das Weib ein Schächtelein hervor, und wie das Fräulein es
aufmachte, lagen sechs oder sieben zierliche Mausschwänze darin, nach
Art eines Halsbands künstlich geschlungen. Das Fräulein tat einen Schrei
und fiel vor Entsetzen in Ohnmacht. Das Weib, in Todesängsten, lief
davon, ward aber von der Wache auf den Gängen festgenommen und in Haft
zu peinlichem Verhör gebracht. Darin bekannte sie nichts weiter, als daß
sie da und da den Perlenschmuck vom Boden aufgehoben und ihn, so schön,
wie er gewesen, daheim in die Schachtel getan, der guten und ehrlichen
Meinung, das gnädige Fräulein damit zu erfreuen. Im Wald sei aber eine
Dirn an sie geraten, die müss' es mit dem Bösen haben; von dieser sei
der Streich. -- Weil nun der Graf nicht wollte, daß man bei so bewandten
Sachen viel Aufhebens mache, da mit Gewalt hier nichts zu richten sei,
ließ man das Weib mit Frieden. Zum Glück kam nichts von ihren Reden an
die Vrone: sie wäre ihres guten Leumunds wegen drob verzweifelt.

Auch anderweits erlebte sie in ihren Wunderschuhen viel Unheil, obwohl
der Segen nicht ganz mangelte. Als zum Exempel ging sie Sonntag
nachmittag gern über einen Wiesplatz hinter ihrem Haus, eine Gespielin
zu besuchen, da stieß sie sich ein wie das anderemal an so ein kleines
verwünschtes Ding von einem Stotzen, wie sie pflegen auf Bleichen im
Wasen zu stecken, fiel hin, so lang sie war, hub aber sicher einen Fund
vom Boden auf: nicht allemal ein Stücklein altes Heidengold, einen
silbernen Knopf oder Wirtel, dergleichen oft der Maulwurf aus der Erde
stößt, doch war ihr ein ehrliches Gänsei, noch warm vom Legen, gewiß.
Besonders ging es ihr beim Tanz: da sah man sie zuweilen so konträre,
wiewohl kunstreiche Sprünge tun, daß alles aus der Richte kam und sie
sich schämen mußte. Als ein gutes und fröhliches Blut zwar zog sie
sich's nicht mehr als billig zu Gemüt und lachte immer selbst am ersten
über sich; nur hieß es hinterdrein: »Schad' um die hübsche Dirne, sie
wird mit einem Mal ein ganzer Dapp!« Die eigne Mutter schüttelte den
Kopf bedenklich, und eines Tages sagte sie, als ginge ihr ein Licht wie
eine Fackel auf, zur Tochter: »Ich wette, die vertrackten Schuh allein
sind schuld! Der Alfanz hat mir gleich nur halb gefallen; wer weiß, was
für ein Rauner sie hingestellt hat!« -- Das Mädchen hatte selber schon
an so etwas gedacht, jedoch verstand sie sich nicht leicht dazu, sie
gänzlich abzuschaffen; sie waren eben gar zu gut und dauerhaft. Indes
ging sie noch jenen Tag zum Meister Bläse, sich ein Paar neue zu
bestellen. Es war derselbige, bei welchem es der Seppe nicht aushalten
mögen. Die Vrone sah auf dessen Stühlchen ungern einen andern sitzen;
sie hatte ihn gekannt und gar wohl leiden können.

Wie nun der alte Bläse ihr das Maß am Fuß nahm, stachen ihm die fremden
Schuhe alsbald in die Augen. Er nahm den einen so in seine feiste Hand,
betrachtete ihn stillschweigend lang' und sagte: »Da hat Sie was
Apartes. Darf man fragen, wo die gemacht sind?« -- Das Mädchen, welches
bis daher von ihrem Fund noch weiter niemand hatte sagen wollen, gab
scherzweis zur Antwort: »Ich hab' sie aus dem Bach gezogen.« -- Die fünf
Gesellen lachten, der Alte aber brummte vor sich hin: »Das könnt' erst
noch wahr sein!«

Am Abend in der Feierstunde sprach er zu seinem Weib und seiner Tochter
Sara: »Ich will euch etwas offenbaren. Die Kiderlen hat ein Paar
Glücksschuh am Fuß; ich kenne das Wahrzeichen.« -- »Ei,« meinte die
Tochter aus Neid, »sie haben ihr noch keinen Haufen Geld und auch noch
keinen Mann gebracht.« -- »Es kann noch kommen,« versetzte der Alte. --
»Wohl,« sagte die Mutter, »wenn man sie ihr nur abführen könnt'! Ich
wollte so etwas der Sare gönnen.« -- Da beschlossen sie dann
miteinander, der Vater solle ein Paar Schuh wie diese machen und die
Sare sie heimlich verwechseln.

Der Mann begab sich gleich den andern Morgen an die Arbeit. So häkelig
sie war, dennoch, die feinen, wundersam gezackten Nähte, die rote
Fütterung mit einem abgetragenen Stück Leder, alles zumal geriet so
wohl, daß er selbst sein Vergnügen dran hatte. Die böse List ins Werk zu
setzen, ersannen sie bald auch Mittel und Wege.

Dicht bei der Stadt, wo man herauskommt bei dem Tor, welches nachmals,
von dortiger Schießstatt her, das Büchsentor hieß, sah man zu jener Zeit
noch einen schönen, ansehnlichen Weiher, ähnlich dem Feuersee, der eine
gute Strecke weiter oben dermalen noch besteht. Am Ufer war ein Balken-
und Brettergerüst mit Tischen und Bänken hinein in das Wasser gebaut, wo
die Frauen und Dirnen der Stadt ihre Wäsche rein zu machen pflegten.
Hier stunden sie manchmal zu vierzig oder fünfzig, seiften und rieben um
die Wette und hatten ein Gescherz und Geschnatter, daß es eine Lust war,
alle mit bloßen Armen und Füßen. Nun paßten des Schusters wohl auf, bis
die Vrone das nächstemal wusch; denn Bläses Haus lag hart am See, und
stieß das Wasser unten an die Mauer. Auf einen Mittwoch Morgen, da eben
schönes warmes Wetter war, kam denn die junge Kiderlen mit einer Zaine:
geschwind sprang auch die Sare mit der ihren und traf es glücklich,
neben sie an einen Tisch zu kommen. Da stellten beide ihre Schuh, wie es
der Brauch war, unter die Bank. Die Vrone hatte seit acht Tagen heute
das erstemal ihr Glückspaar wieder angelegt, mit Fleiß: denn weil sie
richtig dieser ganzen Zeit das Melkfaß nimmer umgestoßen, das Spinnrad
nimmer ausgetreten noch sonst einen bösen Tritt getan, so wollte sie,
des Dinges ganz gewiß zu sein, jetzo die Gegenprobe machen. Die falsche
Diebin war mit den paar Laken, so sie mitgenommen, in einer Kürze
fertig, schlug sie zusammen, bückte sich, stak in einem Umsehn in des
Pechschwitzers Schuhen, schob ihres Vaters Wechselbälge dafür hin und:
»Bhüt' Gott, Vronele! mach' au bald ein End!« -- mit diesen Worten lief
sie fort, frohlockend ihrer wohlvollbrachten Hinterlist. Und als die
andre nach drei Stunden, um die Essenszeit, vergnügt auch heimging unter
den letzten, nahm sie der Täuscherei nicht im geringsten wahr.

Der Pechschwitzer aber, der wußte den Handel haarklein und dachte jetzt
darauf, wie er dem Bläse gleich die nächste Nacht den Teufel im Glas
zeigen wolle.

Derselbe hatte allezeit, besonders auf die Krämermärkte, dergleichen
eben wieder einer vor der Türe war, einen großen Vorrat seiner Ware in
einer obern Kammer, die nach dem See hinausging, liegen. Nach zwölfe in
der Nacht vernahm die Schusterin ein seltsamliches Pflatschen auf dem
Wasser, stieß und erweckte ihren Mann, damit er sehe, was sei. -- »Ei,
was wird's sein! Die Fisch' hant öfters solche Possen.« -- Er war nicht
wohl bei Mute, hatte gestern beim Wein einen Bösen getan, und hub gleich
wieder an zu schnarchen und zu raunsen. Sie ließ ihm aber keine Ruh, bis
er herausfuhr und ein Fenster auftat. Erst rieb er sich die Augen,
alsdann sprach er verwundert: »Der See ist schwarz und g'rutzelt voll
mit Wasserratten, weit hinein, wohl fünfzehn Ellen von der Mauer. Junge
und alte, Kerl wie die Ferkel sind darunter! Man sicht's perfekt, es ist
sternhell. Ei, ei, sieh, sieh! die garstige Kogen! Wie sie die Schwänz'
für Wohlsein schwenken, schlurfen, rudern und schwimmen! Ursach ist
aber, weil es diese Zeit so heiß gewesen, da bad't das Schandvolk gern.«

Dem Bläse kam es so besonder und kurzweilig vor, daß er sich einen Stuhl
ans Fenster ruckte, die Arme auf den Simsen legte und das Kinn darauf.
So wollte er der Sache noch eine Weile warten. Die Augen wurden ihm
allgemach schwer und fielen ihm gar zu, doch fuhr er fort zu seinem Weib
zu sprechen, welches inmittelst wieder eingedoset war, unsinnige
verkehrte Reden, wie einer führt im Traum und in der Trunkenheit. »Du
Narr,« sprach er, »was Armbrust, Bolz und Spieß in solchen Haufen! das
würd' viel batten ... Mordsakerlot, ich wollt', das Bulver wär' erfunden
allbereits! Mit drei, vier Traubenschuß aus einer Quartan-Schlang' oder
Tarras wollt' ich nicht schlecht aufräumen da unter der Bagasche!«

Jetzt aber tat es wiederum Patsch auf Patsch. Der Schuster streckte
seinen Kopf hinaus und wußte nicht, woran er sei mit allen seinen fünf
Sinnen. Denn es flog nur so mit den Tieren aus dem Kammerladen über ihm,
ja unversehens fuhr ihm deren eines an den Schädel, und wie er's packt
in seiner Faust, da sah es wahrlich einem schweren Bauernstiefel von
seiner eigenen Arbeit gleich aufs Haar! Voll Schrecken rief er seinem
Weib, schrie die Gesellen aus dem Schlaf, und bis sie kamen, pflanzet'
er sich mit einem Prügel an der Tür der obern Bodenstiege, damit ihm der
Spitzbuben keiner entkomme. Allein es ließ sich niemand sehn noch hören,
und als die Gesellen erschienen, die Bühne wohl umstellten und der
beherzteste von ihnen die Kammertür aufriß und keine Menschenseele zu
verspüren war, fiel dem Bläse das Herz in die Hosen. Er sagte leis zu
seiner Frau: »Die Sach' steht auf Saufedern, Weib! Es steckt, schätz'
ich, ein anderer dahinter, der ist mir zu gewaltig!« Und nannt' ihr den
Pechschwitzer. Die Schusterin, die sonst ein Maul als wie ein Scharsach
führte, war da auf einmal zahm, bebte an allen Gliedern, und so die
Tochter auch. Der Bläse aber sprach zu den Gesellen: »Macht keinen Lärm!
Geht vor in Nachbar Lippens Hof, des Fischers, macht in der Stille ein
paar Nachen los, nehmt, was ihr findet an Stangen und Netzen! Wir müssen
alle Waren noch vor Tag zusammenbringen, sonst hab' ich Schand und Spott
der ganzen Stadt.«

Indem sie gingen, rannte schon der Fischer über die Gasse und auf sie
zu. Der hatte eben auf den See gehn wollen etlicher Karpfen wegen auf
die Freitagsfasten, sah das wunderliche Wesen und lief, es dem Schuster
zu melden. Indem sie nun zu sieben samt dem Lipp, in zwei Schifflein
verteilt, bald hier, bald dorthin stachen, faheten und suchten, begann
es von neuem zu werfen, und war es damit merklich auf ihre Köpfe
abgezielt. Zwar kamen weder Schuh noch Stiefel mehr, dafür aber Leisten,
deren auch eine Last droben lag: nicht alte, garstige Klötze allein,
vernutzet und vom Wurm zerstochen, auch schöne, neue zum Verkauf,
sämtlich von gutem hartem Holz, und kamen tapfer nacheinander durch die
Luft daher. Da schrie denn einer bald in dem, bald in dem andern
Schifflein: »Hopp! schaut auf!« -- und schlug doch links und rechts ein
mancher Donnerkeil nicht unrecht ein.

Der Fischer sagte zu dem Bläse: »Auf solche Weis', Gevatter, möcht' ich
mein Handwerk nicht das ganz Jahr treiben. In allweg aber sei's bezeugt,
Ihr wisset mit dem Netz wohl umzugehen. Von heut' an möget Ihr als
Obermeister einer ehrsamen Schuhmacherzunft ganz kecklich einen Hecht so
kreuzweis übern Leist in Euer Zeichen lassen malen, dem Sprichwort zum
Trutz!«

Der Morgen kam schon hell herbei, als sie nach vielem Schweiß, Angst,
Not und Schrecken den Weiher wieder glatt und sauber hatten. Der größte
Nachen wurde voll des nassen Zeuges, auch war wieder ziemlich alles
beisammen, nur da und dort fand man am Tag ein und das andre Stück noch
im Röhricht versteckt.

Von dieser Geschichte erging das Gerücht natürlicherweise gar bald an
die Einwohnerschaft. Die mehrsten achteten's für Satanswerk, und ahnete
es dem Meister schon, daß sich ein manches scheuen werde, ihm seine Ware
abzunehmen, wie sich's in Wahrheit auch nachher befand. Nach einem
Scherzwort etlicher Fazvögel aber hat man von dort an lange Zeit eine
besondere Gattung grober Schuhe, so hier gemacht und weit und breit
versendet wurden, nicht anderst mehr verschrieben oder ausgeboten als
mit dem Namen: Echte, genestelte Stuttgarter Wasserratten.

Jetzt war des Meisters erste Sorge, daß das gestohlene Gut nur wieder
fort aus seinem Haus und an die Eigentümerin komme. Zwar seiner Frau war
am lichten Tag der Mut wieder gewachsen; ja, meinte sie, es sollte
lieber alles, Kundschaft und Haus und Hof, hinfahren; nur diese Schuh'
wenn sie behielten, da rindere ihnen (wie ein Sprichwort sagt) der
Holzschlegel auf der Bühne. Der Bläse aber schüttelte das Haupt: »Meinst
du, er könne uns nicht auch am Leib was schaden? Behüt' uns Gott vor
Gabelstich! Dreimal gibt neun Löcher.« -- Er drohte seinem Weib mit
Schlägen, wenn sie noch etwas sage, ging unmüßig im ganzen Haus herum,
von einem Fenster zum andern, und wollte fast verzwatzeln, bis es dunkel
ward, wo seine Tochter die vermaledeiten Schuhe unter den Schurz nahm
und forttrug.

Sie schlich sich damit an der Kiderlen Scheuer von hinten und stellte
sie in eine Fensterluke, wo sie die Vrone, als sie früh in Stall ging,
ihre Kuh zu füttern, auch sicherlich gefunden hätte, wenn sie vom
Pechschwitzer nicht über Nacht wären wegstipitzt worden.

Indessen trug die gute Dirne das falsche Gemächt sonder Schaden, und
wenn ein Tag herum war, hieß es beim Bettgehn allemal: »Jetzt aber,
Mutter, glaubt Sie doch, daß es nicht Not gehabt hat selletwegen?« --
Die Mutter sprach: »Beschrei es nicht!« -- Auf solche Weise kam denn
alles wiederum in sein Geleis, und galt die Vrone wie vordem für ein
kluges, anstelliges Mädchen.

Geraume Zeit, nachdem sich dies zugetragen, saß der Bläse in seinem
Weinberg draußen beim Herdweg auf der Bank am Gartenhaus, bekümmerten
Gemüts, weil es die Zeit her stark hinter sich ging in seinem Geschäft.
Indem er nun so in Gedanken den heurigen Herbst überschlug, was er
ertragen könne, samt den Zwetschgen, davon die Bäume schwer voll hingen
-- horch! wispert etwas hinter ihm, und wer steht da? der Pechschwitzer,
der Hutzelmann, der Tröster. Mein Schuster wurde käsebleich. --
»Erschreckt nicht, Zunftmeister! Ich komme nicht im Bösen. Wir haben
einen Stuß miteinander gehabt, das ist ja wieder gut, und wär' es nicht,
will ich's vergüten, soviel an mir ist. Jetzt aber hätte ich ein kleines
Anliegen, Obermeister.« -- »Und in was Stücken, liebes Herrlein, kann
ich Euch dienstlich sein?« -- »Mit Erlaubnis,« sprach der Hutzelmann und
nahm Platz auf der Bank und hieß den andern zu ihm sitzen. »Seht!
jensmal in der Nacht, da ich auf Eurem obern Boden war und Ihr am
Fenster unten, hörte ich Euch ein Wörtlein sprechen, das will mir nimmer
aus dem Sinn. Ihr habt gesagt: Ich wollt' nur, daß das Bulver schon
erfunden wär'! Was meintet Ihr damit?«

Der Bläse, sich besinnend, machte ein Gesicht, als wenn ein Mensch
aufwacht bei Nacht in einem Kuhstall, darein er seines Wissens auf
eigenen Füßen nicht gekommen ist, lachte und sprach: »Herrlein, das
hätte der Bläse gesagt? Nun, wenn ich es noch weiß, soll mich der Teufel
holen!« -- »Ei, schwöret nicht, mein Freund!« entgegnete ihm der andere.
»Warum wollt Ihr es leugnen? Vertrauet mir's, nur so beim Beilichen, was
das Bulver ist! Ich bin einmal in derlei Heimlichkeit ein
stiegelfizischer, seht! Euer Schaden soll's nicht sein, und möget Ihr
dafür etwas von meinen Künsten lernen.« -- Da stellte sich der Bläse an,
als wenn er freilich etwas wüßte, und sprach: »Weil Ihr es seid,
Pechschwitzer, so möcht' ich Euch wohl gern zu Willen sein; vergönnt mir
nur Bedenkfrist einen Tag, damit ich doch mein Weib auch erst darum
befrage!« -- Der andre fand das nicht unbillig, bat ihn beim Abschied
inständig nochmals, gelobte ihm Verschwiegenheit und wollte morgen
wiederkommen.

»Jetzt, Sante Blasi, hilf!« so rief der Alte aus, wie er allein war.
»Jetzt muß das Bulver 'raus aus meinem dicken Schustersgrind, und wenn's
die halbe Welt kostet!« -- Da saß er, hatte beide Ellbogen auf den
Knieen und beide Fäuste an den Backen. »Vor die Ratten,« sprach er,
»kann's nicht sein. Warum? sotts Bulver hat man lang! Selle Nacht aber
ist es mir wampel gewesen, mag leicht sein, hat mir's traumt vom güldnen
Magen-Triet, so allein der König in Persia hat. -- Es gibt ein
Kräutlein, heißt Allermanns-Harnisch, und gibt ein anders, das heißt
Dierletey, und wieder eins, #Mamortica#: kein Wurzler hat's noch Krämer.
Daraus hat meiner Mutter selig ihre Gschwey eine Salben gemacht, die war
vor alles gut. -- Ich will halt einmal gehn und schauen, was zu machen
ist, und will erst Spezies kaufen; Probieren ist über Studieren.«

Auf seinem Weg zur Stadt sann er scharf nach. Auf einmal schnellt er mit
dem Finger in die Luft, und -- »Wetter!« rief er aus, »kann einer so ein
Stier sein und noch lang' sinnieren hin und her, wo doch ein Ding glatt
auf der Hand liegt! Was mag ein Schuster bei dem andern sonst für einen
Vorteil suchen zu erfahren, wenn es nichts aus dem Handwerk ist? Da laß
ich mich schon finden.«

Er lief zum Krämer stracks, zu holen, was er brauchte. Daheim in einer
hintern Stube setzte er sich an einen langen Tisch mit einer Halbmaß
Wein, macht allda unterschiedliches Gemeng mit seinem besten Essig an zu
einem schwarzen Quatsch, knetet und knauzet's wohl unter dem Daum,
probiert's auf alle Weise, und war ihm lang' nicht fein genug. Das
dauerte bis an den andern Abend.

Wie nun der Hutzelmann auf die gesetzte Stunde pünktlich kam und ihm der
Bläse mit Geschmunzel seinen Teig hinhielt, roch der daran und sagte:
»Lieber Mann, da hätten wir halt eine neue Schuhwichs?« -- »Aufzuwarten,
ja.« -- »Mich will bedünken,« sprach lächelnder Miene der Kleine, »Ihr
habt selbst noch weit hin, bis Ihr das Bulver find't, und habt jetzt nur
viel Arbeit, Müh und Kösten unnötigerweis gehabt mit mir. Dafür wie auch
um andrer Einbuß willen soll Euch indes Vergütung werden. Ich will Euch
das Rezept zu meiner Fett-Glanz-Stiefelwichsen geben, die mögt Ihr
schachtelweis mit gutem Vorteil verkaufen.«

Das Männlein wußte wohl, was es hiermit verhieß: denn Meister Bläse ward
ein reicher Mann mit solcher Handelschaft in wenig Jahren. Seine Erben
bewahren annoch das Geheimnis, und allen feinen Leuten unsrer Tage wüßt'
ich fürwahr eine bessere Wichs nicht zu nennen, obwohl ich nicht
verschweigen darf, was der Pechschwitzer dazumal eben dem Bläse gar
ehrlich bekannte: »Ein Ledder, wohl zu halten nach Ledders Natur, ist
das fürnehmst der Schmeer allezeit, und hat er Glanzes genug an ihm
selbsten.« Welcher Ausspruch indes hier dahingestellt bleibe.

                   *       *       *       *       *

Laßt aber sehen, was seither der Gesell in Ulm für Glückssprünge mag
gemacht haben!

Zween Monat -- eher drunter als drüber -- kann er daselbst gewesen sein,
da war er mürb und gar bereits vor Liebe zu der Meisterin, und wenn er
wohl bisweilen meinte, ein wenig mehr Gespräch und Fröhlichkeit stünd'
ihr gut an, so dachte er doch immer gern eines alten wahrhaften Worts:
Stille Schaf seind mille- und wollereich, wird ihnen gewartet. Alle
Samstag nacht, wenn er auf seine Kammer ging, sprach er bei sich: Jetzt
morgen tragst du ihr die Heirat an! Und wenn er eben drauf und dran war,
ließ er's wieder aus Blödigkeit und Sorge, sie möchte ihn zuletzt doch
stolz ablaufen lassen.

Nun hatten sie einsmals ein Schweinlein gemetzelt, das zweite seitdem
man den Lichtbraten hatte -- es war schon im Hornung und schien ein
vorzeitiger Frühling zu werden -- da befand sich der Seppe am Morgen
allein mit ihr in der Küche, das Fleischwerk in den Rauch zu hängen.
Inmittelst, als er sich die Leiter unter dem Schlot zurechtstellte, die
Würste sich in Ringen um die Arme hing, erzählte er ihr von Regensburg
und Regensburger Würsten, was er vom Hörensagen wußte, und wie er so mit
seiner Tracht aufstieg in das Kamin, sie aber unten stand beim Herd,
sprach sie: »Nach Regensburg geht Ihr doch noch; es liegt Euch allfort
in Gedanken.«

Der Seppe, weil sie ihm nicht ins Gesicht sehn konnte -- denn oberhalb
stak er im Finstern -- nahm sich ein Herz und sagte: »Wenn es auf mich
ankäm', ich wollte leben und sterben bei Euch.«

»Ihr sollt auch unvertrieben sein!« gab sie zur Antwort.

»Ja,« sagte er und stockte, »es mag halt einer doch auch nicht sein
Leben lang ledig verbleiben.«

Sie sagte nichts darauf. Da fing er wieder an: »Nach einem rechten Weib
kann wohl ein armer Teufel heutigstags weit suchen.«

Darauf sie ihm entgegnete: »Man sucht erst einmal in der Nähe.«

Dem Seppe schossen bei dem Wort die Flammen in die Backen, als wollten
sie oben zum Schornstein ausschlagen.

Die Stangen hingen alle voll, er hätte können gehen; allein der
Angstschweiß brach ihm aus: er wußte nicht, wie er am hellen Tagslicht
vor die Frau hintreten, noch was er weiter sagen solle. Drum nestelt' er
und ruckt' und zappelte noch eifrig eine Weile an den Würsten hin und
wieder. Auf einmal aber sprach er: »Meisterin, ich hab' schon je und je
gedacht, wir wären füreinander. Ich hätte eine Lieb' zu Ihr und groß
Zutrauen.«

»Davon läßt sich schon reden!« sagte sie. -- Nun stieg er flugs herab
und stand vor ihr mit einem schwarzen Rußfleck um die Nase, darüber sie
ein wenig lächelte, einen Zipfel ihrer weißen Schürze nahm und ihn
abwischte. Das tat ihm ganz im Herzen wohl, er faßte ihre Hand und hatte
ihren Mund geküßt, eh' sie sich des versah. Sie aber gab ihm ein
Gleiches zurück. -- »So seid Ihr nicht mehr meine Meisterin, Ihr seid
jetzt meine Braut!« -- Sie bejaht' es, und waren sie beide vergnügt,
schwatzten und kosten noch lang' miteinander.

Bevor er wieder in die Werkstatt ging, sagte sie noch: »Wir wollen
niemand etwas merken lassen, bis Ihr das Meisterrecht habt und wir bald
fürsche machen können.«

Selbigen Abend eilte es dem Seppe nicht, wie sonst, nach dem Essen zum
Bier. Er freute sich schon seit dem Morgen auf diese gute Stunde. Sobald
die andern aus dem Haus, begab er sich auf seine Kammer, wusch und
kämmte sich, legte ein sauberes Hemd und sein Sonntagswams an, zu Ehren
dem Verspruch, und als er dann neben der Frau so recht in Ruh und
Frieden saß, die Läden und die Haustür zugeschlossen waren, ein frisches
Licht im Leuchter angesteckt, so legt' er ihr zuvörderst die silberne
Haube, seine Brautschenke, hin. Ja, da empfing er freilich Lobs und
Danks mit Haufen. Wo bringt's der Fantel her? mochte sie denken, da er
es nicht gekauft noch hoffentlich vom Markt gestohlen hat. -- Sie hätte
es gar gern gewußt, doch band er sich die Zunge fest und lachte nur so.

Sie holte Wein herauf vom Keller, und er brachte den Schnitzlaib
herunter. Der Leser bildet sich schon selber ein, sie werde heute
schwerlich das erstemal davon gekostet haben: o nein! Den Seppe kränkte
nur, daß er ihr nicht füglich Tag für Tag ein neues Stück zum Imbiß
bringen konnte, indem die Meisterin schon ohnedas sich wunderte, was
doch der Bursch für einen guten Döte habe an dem Stuttgarter
Hofzuckerbäcken (wie er ihr weisgemacht), dem's auf ein Laiblein alle
acht Tag nicht ankomme. Denn ob es ihm schon nicht verboten war, zu
offenbaren, wie es damit bewandt, so scheute er sich doch. Jetzt fühlte
sie ihm besser auf den Zahn und sagte: »Gesteht's nur, Seppe! Gelt, Brot
und Haube sind aus _einem_ Haus!« -- »Das nicht,« erwidert' er. »Das
eine anbelangend, so will ich meine herzliebe Braut von Grund der
Wahrheit berichten: denn mit dem Zuckerbäck, das war gespaßt. Habt Ihr
in Ulm auch schon gehört vom Hutzelmann?« -- »Kein Wort.« -- »Vom
Pechschwitzer? vom Tröster?« -- »Nichts.« -- »Gut denn!« -- Er nahm sein
Glas, tat ihr Bescheid, fing an, der Frau treuherzig zu eröffnen alles,
was ihm die Nacht vor seiner Reise widerfahren. Im Anfang schaute sie
ihm so in das Gesicht dabei, als gält' es eben Scherz; doch weil er gar
zu ernsthaft dreinsah, dachte sie: Er ist ein Wunderlecker und ein
Träumer. Je mehr sie aber zweifelte, je mehr ereiferte er sich. »Da will
ich meiner Liebsten zum Exempel vom Doktor Veylland eine Geschichte
erzählen, die ist gewiß und wahr, ich hab' sie von meinem Großvater. Ihr
höret sie einmal zum Zeitvertreib, nachher mögt Ihr dran glauben oder
nicht!

Der Veylland war ein alter Freund vom Graf Konrad von Wirtemberg,
demselbigen, welcher den Grund zu meiner Vaterstadt gelegt, und trieb
sein Wesen als ein stiller alter Herr in einem einzechten Gebäu, das
stand daselbst im Tal unweit dem Platz, wo dermalen das Schloß zu sehen
ist. Des Doktors vornehmstes Vergnügen war ein großer Garten hinter
seinem Haus, drin pflanzte er das schönste Obst im ganzen Gau; nur daß
ihm alle Herbst die Bupsinger Bauern die Hälfte wegstahlen trotz einer
hohen Mauer, so rings um das Haus und den Garten her lief. Dies ärgerte
den Herrn, daß er oft krank darüber ward. Jetzt kommt einmal am lichten
Tag, indem er eben bei verschlossener Tür in einem alten Buch studiert,
der Hutzelmann zu ihm, der Pechschwitzer, der Tröster (welchen zuvor der
Doktor noch nicht kannte) und bietet ihm ein Mittel wider diese Gauchen
mit dem Beding, daß er ihm alljährlich einen Scheffel gute Wadelbiren
liefere zu Hutzeln. Der Doktor ging das unschwer ein. Da brachte jener
unter seinem Schurzfell einen Stiefelknecht hervor von ordentlichem
Buchenholz, noch neu und als ein wundersamer Krebs geschnitzt, mit einem
platten Rücken und kurzen starken Scheren; am Bauch untenher war er
schwarz angestrichen, darauf mit weißer Farbe ein Drudenfuß gemacht.
Nehmt diesen meinen Knecht, sagte der Hutzelmann, und stellt ihn, wohin
Ihr wollt im Haus, doch daß er freien Paß in Garten habe, etwa durch
einen Kandel oder Katzenlauf! Im übrigen laßt ihn nur machen und kümmert
Euch gar nichts um ihn! Es kann geschehen, daß Ihr mitten in der Nacht
hört einen Menschen schreien, winslen und girmsen: da springet zu,
greifet den Dieb und stäupet ihn! Dann sprechet zu dem Knecht die Wort':

   Zanges, Banges, laß ihn gahn,
   Wohl hast du dein Amt getan!

Doch ehe Ihr den Bauern oder Nachtschach laufen laßt, sollt Ihr ihn
heißen seine Stiefel oder Schuh abtun, dabei mein Knecht ihm trefflich
helfen wird, und diese Pfandstück möget Ihr behalten, auch seinerzeit
nach Belieben verschenken! Dafern mein Krebs in seiner Pflicht saumselig
würde oder sonst sich unnütz machte, schenkt ihm nur etlich gute Tritt'
keck auf die Aberschanz! Ich hoff', es soll nicht nötig sein. Sonst ist
er ganz ein frommes Tier und zäh, man kann Holz auf ihm spalten; nur
allein vor der Küchen sollt Ihr ihn hüten: er steigt gern überall herum
und fällt einmal in einen Kessel mit heiß Wasser; das vertragt er nicht.
Aber ich komme schon wieder und sehe selbst nach, lieber Herr. Gehabt
Euch wohl!

Der Doktor Veylland stellte jetzt den Stiefelknecht vor seine Stubentür.
Da blieb er stehen bis zum Abend unverregt und sah so dumm wie ein ander
Stück Holz. Im Zwielichten aber, wie man just an nichts dachte, ging es
auf einmal Holterpolter, Holterpolter die Stiege hinab und durchs
Gußloch hinaus in den Garten. Da sahen Herr und Diener ihn vom Fenster
aus durchs grüne Gras an der Mauer hinschleichen und kratteln, an allen
vier Seiten herum und immer so fort, die ganze liebe lange Nacht.

Der alte Diener hatte seine Lagerstatt im untern Stock gegen den Garten;
nun streckt er sich in Kleidern auf sein Lotterbett. Eine Stunde
verstrich nach der andern, der Alte hörte nichts, als hin und wieder wie
durch das Geäst ein reifes Obst herunterrauscht' und plumpste. Doch
gegen Morgen, eben da er sich aufs andere Ohr hinlegte und sein Zudeck'
besser an sich nahm, denn es war frisch, erscholl von fernen her ein
Zetermordgeschrei, als wenn es einem Menschen an das Leben geht. Der
Diener sprang hinaus und sah auf sechzig Schritt, wie des Hutzelmanns
Knecht einen baumstarken Kerl am Fersen hatte und mit Gewalt gegen das
Haus herzerrte, also daß beide Teile rückwärts gingen, Dieb und Büttel
(wie ja der Krebse Art auch ohnedem so ist), und war ein Zerren, Würgen,
Sperren, Drängen und Reißen, dazu viel Keuchens und Schnaufens, Wimmerns
und Bittens, daß es erbärmlich war zu hören und sehen.

Der arme Schächer, so ein Bupsinger Weinschröter war, trachtet' im
Anfang wohl, mitsamt dem Schergen durchzugehen, der aber hatte gut zwo
Ochsenstärken und strafte ihn mit Kneipen jedesmal so hart, daß er sich
bald gutwillig gab. Auf solche Weise kamen sie bis an das Haus; da hielt
der Krebs gerade vor der Tür und stand der Doktor schon daselbst in
seinem Schlafrock, lachend; sprach:

   Zanges, Banges, laß ihn gahn,
   Wohl hast du dein Amt getan!

Dann ließ er den Bauern die Bundschuh austun und mochte der laufen.

Die andere Nacht gleich wurden ihrer zween nacheinander eingebracht, die
dritte wieder einer und alsofort bis auf die dreißig, lauter Bupsinger.
Denn weil sich jeder schämte, sagt's keiner, die andern zu warnen. Der
gute Knecht verfehlte nicht leicht seinen Mann; ein einzigmal kam er mit
einem leeren Stiefel angerutscht und hielt denselben bis zum Morgen
unverruckt mit großer Kraft in seinen Zangen, bis ihn von ungefähr der
Herr vom Haus erblickte. Das Schuhwerk aber nagelte der Diener alles
nach der Reih' im leeren Pferdstall an der Wand herum. -- Es gibt noch
ein liebliches Stücklein davon: wie nämlich einst der Graf mit seiner
Frauen und zwei Söhnlein auf Besuch bei dem Veylland gewesen. Herr
Konrad baute bei dessen Garten eine Stuterei -- daher nachmals die Stadt
Stuttgarten hieß -- beschied seinen Werkmeister her auf den Platz und
zeigte selbst, wie alles werden sollte. Es wollte aber gern der Doktor
denen kleinen Junkherrn eine Kurzweil schaffen und bat den Hutzelmann
derhalben, um daß er ein unschuldig Zinselwerk bereite; der versprach's.
Als nun die Knaben nach der Mahlzeit in dem Garten spielten, da ward's
lebendig in dem Stall, und kam bald aus der Tür hervor ein ganzer Zug
von kleinen, zierlichen Rößlein, lauter Rappen mit Sattel und Zeug, und
das waren die Stiefel gewesen; sie gingen zwei und zwei und wurden von
kleinen Roßbuben geführt, und das waren die Bundschuh. Die Junker hatten
ihre Freude mit den ganzen Abend. Auf einmal tat es außen an dem Garten
einen Pfiff, der ganze Troß saß wie der Blitz ein jeder in seinem
Sattel, die Rößlein aber waren zumal Heupferde geworden, grasgrün, einen
Schuh lang, mit Flügeln, die setzten all' über die Mauer hinweg und
kamen nicht mehr. Doch nachderhand fand man so Stiefel als Schuh wie
zuvor an die Stallwand genagelt.

Vor Jahren habe ich zu Stuttgart auf dem Markt ein Spiel gesehen in
einem Dockenkasten, so auch von diesem handelte. Hätt' ich nur alles
noch so recht im Kopf! Da wird gesagt zum Vorbericht in wohlgesetzten
Reimen, was ich Euch erst erzählt, und sonst noch was voraus zu wissen
nötig ist, vom Bernd Jobsten, dem Hofnarrn. Der ward denselben Spätling
fortgejagt vom Grafen, weil er nicht wollte seiner bösen Zunge Zaum und
Zügel anlegen, absonderlich gegen die fremden Herrschaften und Gäste.
Nun klagte er sein Mißgeschick dem Doktor, als welcher ihm sonst einmal
Gnade beim Herrn derhalben ausgewirkt, jetzt aber sich dessen nicht mehr
unterstand; doch steuert' er ihm etwas auf den Weg und hieß ihn auch die
Schuh im Stall mitnehmen, wofern er etwa meinte, sich ein Geldlein mit
zu machen. Ja, sagte der Narr, das kommt mir schon recht. Vergelt' es
Gott! -- und holte sie gleich ab in einem großmächtigen Kräben und trug
sie auf dem Rücken weg, talabwärts, wußte auch schon, was anfangen
damit.

Am Neckar unterm Kahlenstein fand er des Grafen Schäfer auf der Weid'
und stellte seine Bürde ein wenig bei ihm ab, erzählte ihm, wie er den
Dienst verscherzt, und was er da trage. Hiermit hebt denn die Handlung
an, und spricht sofort der Narr:

   _Narr_:     Ich bin jetzt alt und gichtbrüchig,
               Und meine Sünden beißen mich;
               Drum will ich bau'n ein Klösterlein
               Und selber gehn zuerst hinein,
               In angenehmer Schauenlichkeit
               Verdrönsgen dieses Restlein Zeit.

   Spricht der _Schäfer_: Klöster bauen kost't halt viel Geld.

   _Der Narr_: Just darauf ist mein Sinn gestellt.
               Hiezu bedarf es ein Heiltum,
               Daß alle Leut' gleich laufen drum.
               Ein Armes bringt sein Scherflein her,
               Der Reich' schenkt Äcker, Hof, Wald und mehr.

   _Der Schäfer_: Solch Heiltum kriegen ist nichts Kleins.

   _Der Narr_: Hat mancher keins, er schnitzet eins.
               Ich, Gott sei Dank! bin wohl versehn.
               Diese Schuh', mußt du verstehn,
               Der vielberühmt Doktor Veylland
               Nächst an der Stadt Jerusalem fand
               Unterm Schutt in einer eisen Truh
               Ein gar alt Pergament dazu
               Mit Judeng'schrift. Selbes bekennt:
               Als Mose nun hätt' Israels Heer
               Geführet durch das Rote Meer
               Und König Pharao, Reiter und Wagen
               Ersäufet in der Tiefe lagen,
               Frohlockt das Volk auf diesen Strauß,
               Zog weinend Schuh und Stiefel aus,
               Am Stecken sie zu tragen heim
               Ins Land, wo Milch und Honigseim,
               In ihren Häusern sie aufzuhenken
               Zu solches Wunders Angedenken.
               Aus sechshunderttausend ohngefahr
               Erlas man diese dreißig Paar
               Und brachte sie an sichern Ort
               Als einen künftigen Segenshort,
               Daß, wer das Leder küssen mag,
               Sei ledig seiner Lebetag
               Von Allerweltsart Wassernot,
               Auch Wassersucht und sottem Tod.

   _Der Schäfer_: Hast du das G'schrift auch bei der Hand?

   _Der Narr_: Das, meint' ich, gäb' dir dein Verstand.
               Es liegt im Kräben unterst drin,
               Und hätt' ich's nicht, gält's her wie hin.
               Die War' blieb trocken auf Meeres Grund
               Und ist brottrocken auf diese Stund'.

               Nun kenn' ich einen guten Pfaffen,
               Der soll mir helfen mein Ding beschaffen,
               Soll es anrühmen dem Provinzial,
               Der meld't's gen Rom dem General.
               Da wird sehr bald Bescheid ergehn,
               Man wöll der Sach nit widerstehn,
               Sie soll'n nur forschen bei diesem Jobst,
               Was er lieber wär': Prior oder Propst.

Als nun der Narr zum Pater in seine Zelle kommt und ihm den Antrag
stellt, begehrt derselbe allererst, das Pergament zu sehen. Ja, sagt der
Schelm, vorm Jahr noch hätt' er's ihm wohl weisen können; allein ganz
schrumpflig, mürb und brüchig, wie er es überkommen, sei es ihm nach und
nach zuschanden gegangen. Dafür zieht er aus seinem Korb hervor ein alt,
schwer eisen Marschloß, vorgebend, es sei vor der Truchen gelegen. Der
Mönch, wie leicht zu denken, hält ihm nichts drauf, verachtet ihm sein
ganz Beginnen, verwarnet und bedrohet ihn gar. Der Narr, weil er
vermeint, die Sach' an ihr selbsten gefiel' ihm schon, sie möchte wahr
sein oder nicht, er scheue minder den Betrug als den Genossen -- erboset
er sich sehr in anzüglichen Reden und spricht mit der Letzt:

                Sag, Pfaff! tust du die Bibel les'n?

   _Der Pater_: War die ganze Wuch'n drüber g'sess'n.

   _Der Narr_:  Ich dacht nur, weil sie in Latein.

   _Der Pater_: Wohl! daß nit jed's Vieh stört hinein.

   _Der Narr_:  Wohlan, so weißt du baß dann ich,
                Was dort geweissagt ist auf dich
                Und die Frau Mutter der Christenheit,
                Wie ihr es nämlich treibt die Zeit.
                Zum Exempel §Proverbia§
                Im dreiß'gsten, was steht allda?
                Die Eigel hat zwo Töchter schnöd:
                Bringher, Bringher, heißen alle beed;
                Die ein' hat einen Ablaßkram,
                Die ander heischet sonder Scham. --
                Ei, das hofft' ich nur auch zu nutzen.
                Pfaff, du tät'st mit, hätt's nicht sein Butzen!

So zieht er ab mit seinem Kräben unter heftigem Schelten und Drohen des
Mönchs. Noch aber läßt er sein Vorhaben nicht, ein Kloster zu erbauen,
und sollen ihm die Bundschuh und die Stiefel inallweg dazu helfen.
Sobald er wieder auf der Straßen ist, spricht er:

                Jetzt, wüßt' ich nur 's Pechfisels Haus!
                Der macht' mir ein' Trupp Münchlein draus;
                Die schicket' ich dann in die Welt,
                Zu kollektier'n ein Gottesgeld.
                Vielleicht er macht sie mir gleich beritten
                Auf Saumrößlein mit frommen Sitten:
                Sie kämen doch viel 'ringer so 'rum,
                Als wie §per pedes apostolorum§.

Nachdem er lang vergebens überall dem kleinen Schuster nachgefragt, so
findet er denselben von ungefähr beim Bupsinger Brünnlein sitzen, an dem
Berg, darin seine Wohnung und Werkstatt ist, und wo er eben einen Becher
Wassers schöpfte. Der Narr, mit großer Scheinheiligkeit, entdeckt ihm
sein Anliegen, doch der Pechschwitzer antwortet ihm:

                Ich dient' Euch gern, mein guter Freund,
                Aber was geistliche Sachen seind,
                Laßt meine Kunst mit unverworr'n!
                Es brächt' mir eitel Haß und Zorn.
                Mein Rat ist darum: Geht zur Stund',
                Verkauft, so gut Ihr könnt, den Schund!
                Bei die Bupsinger droben, hör' ich, wär'
                Großer Mangel eine Weil schon her.
                So brauchet es kein lang Hausieren.
                Doch müßt ihr nicht Eu'r Geld verlieren;
                Woll'n sie mit dem Beutel nit schier heraus,
                Droht, es käm' ihnen der Werr ins Haus,
                Der Presser; das werden sie schon verstehn.

   Darauf der _Narr_: Ich folg' Euch, Meister, und dank' Euch schön.

Jetzt kommt das Lustigste, das aber muß man sehen: wie nämlich Bernd
Jobst in dem Dorf seinen Korb auf der Gasse ausschüttet, die Bauern aus
den Häusern kommen und gleich ein groß Geriß anhebt, da jeder mit
Geschrei sein Eigentum aussucht und alle sich untereinander als Diebe
verraten. Sie weigern sich der Zahlung gar hartselig, bis sich der Jobst
anstellt zu gehen und sich etwas verlauten läßt vom Werr, daß er ihn
schicken wolle. Auf dieses ist mit eins ein jeder willig und bereit, ja
auch der gröbst Torangel zahlt, was ihn ein neues Paar vom Krämermarkt
nicht kostete.

Allmittelst hat der Schäfer bei Gelegenheit dem Grafen erzählt, was
Wunderliches der Jobst vorhabe, der Doktor aber bestätiget nach dem, wo
er vom Pechschwitzer vernommen, und ist das Ende von dem Lied, daß Herrn
Konrad dem Narren für diesmal Vergebung erteilt, weil ihm der Schwank
gefallen.«

So erzählte der Seppe. Die Meisterin hörte ihm nur so aus Gefälligkeit
zu und insgeheim mit Gähnen. »Ja, ja,« sprach sie am Ende, »das sind mir
einmal Sachen!« und nahm das Ränftlein in die Hand, das er von seinem
Brot übrig gelassen. Nun, muß man wissen, hatte sie am Fenster einen
schönen großen Vogel, der saß in seinem Ring frei da. Ihr erster Mann
nahm ihn einmal an Zahlungsstatt von einem bösen Kunden an; es war ein
weißer Sittich mit einem schwarzen Schnabel und auch dergleichen Füßen.
Er sollte, hieß es, alles sprechen, wenn er das rechte Futter bekäme,
und ob er zwar die ganze Zeit nicht sprach und sich der Schuster
dessenthalb betrogen fand, so ward er doch der Frau Liebling.

Derselbe schaute jetzt der Meisterin, wie sie das Restlein Brot so
hielt, mit einem krummen Kopf begierig auf die Finger. Da sagte sie zu
ihrem Bräutigam: »Soll es der Heinz nicht haben?« -- Der Seppe dachte
freilich: Damit geht manches Hundert schöner Laiblein ungesehen
zuschanden; doch gab er ihr zur Antwort: »Was mein ist, das ist Euer,
und was Euch hin ist, soll auch mir hin sein.« -- So schnellte sie den
Brocken ihrem Heinz hinauf; der schnappte ihn, zerbiß und schluckt' ihn
nieder. Kaum aber war's geschehn, so hub der Sittich an zu reden und
brachte laut und deutlich diese Worte vor:

   Gut, gut, gut -- ist des Hutzelmanns sein Brot.
   Wer einen hat umgebracht und zween, schlägt auch den dritten tot.

Die Meisterin saß bleich, als wie die Wand, auf ihrem Stuhl, der Gesell
aber, wähnend, sie sei darob verwundert vielmehr denn entsetzt, lachte
und rief: »Der ist kein Narr! Er meint, wenn man es einmal recht
verschmeckte, fräß einer leicht auf einen Sitz drei Laib!« -- Darauf die
Frau zwar gleichermaßen groß Ergötzen an dem Tier bezeugte; doch mochte
es ihr wind und weh inwendig sein, und als der Bräutigam, nachdem er
lang genug von dem närrischen Vogel gered't und Scherz mit ihm
getrieben, jetzo von andern, nötigen Dingen zu handeln begann: wie sie
es künftighin im Haus einrichten wollten, wen von den Gesellen behalten,
wem kündigen und so mehr, war sie mit den Gedanken unstet immer
nebenaus; das wollten sie bei guter Zeit ausmachen, sagte sie, tat
schläfrig, besah die Haube noch einmal und setzte sie auf vor dem
Spiegel. -- »Puh! friert's mich in der Hauben!« rief sie zumal und
schüttelte sich ordentlich. »Das Silber kältet so.« -- Dann sagte sie:
»Wenn schwarze Band dran wären, mein! es wär' recht eine Armesünderhaube
für eine fürstliche Person!« und lachte über diese ihre Rede einen
Schochen, daß den Gesellen ein Gräusel ankam. Gleich aber war sie wieder
recht und gut, gespräch, liebkoste den Gespons und machte ihn vergnügt,
wie er nur je gewesen. Danach so gaben sie einander küssend gute Nacht
und ging er, aller guten Dinge voll, auf seine Kammer.

Den andern Morgen, es war am Sonntag, sah er den schönen Sittich nicht
mehr sitzen in dem Ring, und die Meisterin sagte mit unholder Miene:
»Das Schnitzbrot hat ihm schlecht getan, ich fand ihn unterm Bank da tot
und steif und schafft' ihn mir gleich aus den Augen.«

Das deuchte dem Gesellen doch fast fremde, auch sah er einen Blutfleck
am Boden. Am meisten aber wunderte und kränkte ihn, daß ihm die Frau so
schnorzig war.

Am Nachmittag, weil seine Braut nicht heim kam von der Kirche aus,
spazierte er mit seinen Kameraden um den Wall nach einer neuen Schenke
gegen Söflingen. Einer von ihnen schlug ein paarmal bei ihm auf den
Busch und stichelte auf seine Liebste; da denn ein anderer, ein loser
Hesse, den Scherz aufnahm und sagte: »Der Fang wär' recht für einen
Schwaben, die haben gute Mägen, Schuhnägel zu verdauen.«

Weil nun der Seppe nicht verstand, wie das gemeint sei, blieb er mit
seinem Nebenmann, einem ehrlichen Sindelfinger, ein wenig dahinten und
frug ihn darum. »Das ist dir eine neue Mär?« sprach der gar trocken.
»Deine Meisterin, sagt man, hab' in Zeit von drei Jahr ihren zween
Männern mit Gift vergeben. Vom letzten soll es sicher sein, vom ersten
glaubt's darum ganz Ulm. Den zweiten hat man erst verwichenes Frühjahr
begraben. Die Richter hätten ihr das Urteil gern zum Tod gesprochen,
konnten aber nichts machen; denn auf dem Sterbebett sagte ihr Mann, er
habe Schuhnägel gefressen. Dergleichen fanden sich nachher auch richtig
in dem Leib, allein man glaubt, er habe sie in Schmerzen und
Verzweiflungswut, als er das Gift gemerkt, nur kurze Zeit vor seinem End
geschluckt.«

Dem Seppe verging das Gesicht. Er schritt und schwankte nur noch so wie
auf Wollsäcken bis in die Schenke. Dort stahl er sich hinweg und ließ
sein volles Glas dahinten.

Abwegs in einem einsamen Pfad saß er auf einer Gartenstaffel nieder,
seine Lebensgeister erst wieder zu sammeln. Alsdann dankte er Gott mit
gefalteten Händen, daß er ihn noch so gnädig errettet, überlegte und kam
bald zu dem Beschluß, gleich in der nächsten Nacht das Haus der
schlimmen Witwe, ja Ulm selbst insgeheim zu verlassen. Er blieb dort
sitzen auf dem gleichen Fleck, bis die Sonne hinab und es dunkel war.
Dann ging er in die Stadt, strich, wie ein armer Sünder und Meineider,
lang in den Straßen hin und her und suchte zuletzt, von Durst und Hunger
angetrieben, eine abgelegene Trinkstube, wo viele Gäste zechten, ihn
aber niemand kannte. Dort barg er sich in einem dunklen Sorgeneck bei
einem Fenster nach den Gärten und der Donau zu.

Er konnte, wie man spricht, von keinem Berg sein Unglück übersehen. Zu
allem Herzleid hin nicht gar sechs Batzen im Besitz -- denn einen Rest
Guthabens bei der Frau, wie hätte er ihn fordern mögen? -- dazu sein
gutes Hutzelbrot verheillost, das ihm jetzt auf der Reise für
Hungersterben hätte dienen können, und endlich Spott und Schande vor und
hinter ihm!

Er ging bei sich zu Rat, ob er in seine Heimat solle oder weiterziehen.
Das eine kam ihn schier so sauer wie das andere an. Was werden deine
Freunde sagen, wenn du schon wiederkommst, als wie der Brogel-Wenz vom
welschen Krieg? (derselbe nämlich grüßte die Weinsteig schon wieder am
siebenten Tag) -- so dachte er; allein die Welt, soweit es in der Fremde
heißt, kam ihm jetzt giftig, greulich vor, so öd und traurig wie das
Ulmer Elend, das er dort unten in den Gärten liegen sah: aus einem
Fenster dämmerte der kleine Schein vom Licht des Siechenwärters, dabei
vielleicht ein armer Tropf, fern von dem lieben Vaterland, jetzt seinen
Geist aufgab. Darum, es koste, was es wolle, heim ging sein Weg, nur
Stuttgart zu! Von keinem Menschen gedachte er Abschied zu nehmen, am
wenigsten von ihr, deren Gestalt und Mienen er mit Grauen immer vor sich
sah. Deshalb er auch nicht eher aus dem Wirtshaus ging, als bis er
sicher war, ihr nicht mehr zu begegnen, und seine Mitgesellen ebenfalls
schon schliefen. Es war schon zwölfe, und die Scharwich kam zum
zweitenmal, den letzten Gästen abzubieten.

Wie er nun langsam durch die leeren Gassen nach seinem Viertel lenkte,
vernahm er oben in dem Giebel eines kleinen Hauses den Gesang von zwo
Dirnen, deren eine, eines Kürschners Tochter, Kunigund, er wohl kannte,
ein braves und sehr schönes Mädchen, mit welchem er im Pflug manchen
Schleifer herumgetanzt hatte. Wär' er nicht gleich im Anfang so tief in
die Witwe verschossen gewesen, die hätte ihm vor allen Ulmer
Bürgerskindern wohl gefallen und er ihr auch.

Die Dirnen plauderten, wie es ihm vorkam, finsterlings im Bett und
sangen das Lied von dem traurigen Knaben, dem sein Schatz verstarb, das
hatte zum Titel »Lieb in den Tod« und eine so herrliche Weise als sonst
vielleicht kein anderes. Da sie es noch einmal von vorn anfingen, stand
er still und horchte hinter einer Beuge Faßholz stille zu.

   Uf^am Kirchhof am Chor
   Blüeht ^a Blo-Holder-Strauß,
   Do fleugt ^a weiß Täuble,
   Vor's tag^a tuet, aus.

   Es streicht wohl ^a Gäss^ale
   Nieder und zwu^a,
   Es fliegt mer ins Fenster,
   Es kommt uf mi zu^a.

   Jetzt kenn' i mein' Schatz
   Und sei linneweiß G'wand
   Und sei silberes Ringle
   Von mir an der Hand.

   Es nickt mer en Grueß,
   Setzt se nieder am Bett,
   Frei luegt mer's ins G'sicht,
   Aber a^nrüehrt me's net.

   Drei Woch^a vor Ostr^a,
   Wann's Nachthüehle schreit,
   Do mach^a mer Hochzig,
   Mei Schatz hot mer's g'sait.

   Mer mach^a kein' Lebtag,
   Mer halt^a kein' Tanz.
   Wer goht mit zur Kirch^a?
   Wer flicht mer d^a Kranz?

In währendem Zuhören dachte der Seppe: Die wird sich auch wohl wundern,
wenn sie hört, ich sei bei Nacht und Nebel fort als wie ein Dieb! Und
dachte ferner: Wenn diese Gundel deine Liebste hätte werden sollen und
wär' dir heute gestorben, ob du jetzt übler dran wärest denn so oder
besser? -- Er wußte in der Kürze sich selbst keinen Bescheid darauf,
stöhnte nur tief aus der Brust und ging weiter.

Beim Haus der Witwe angekommen, drehte er den Schlüssel in der Tür, so
leis er konnte, um, schlich auf den Zehen an ihrer Schlafkammer vorbei,
kam in die seinige, von den Gesellen unberufen, und packte seine Sachen
ein, nachdem er erst die guten Kleider aus- und andere angezogen, auch
mit herzlicher Reue des Hutzelmanns Schuhe, die es so gut mit ihm
gemeint, unter dem Stein hervorgenommen und sie nach langer Zeit das
erstemal wieder an die Füße getan.

Und also schied er auf zeitlebens aus dem Haus, darin er sich vor wenig
Stunden noch als wie in seinem Eigentum vergnüglich umgeschaut hatte. Er
kam an das Liebfrauentor und schellte dem Wächter; der ließ ihn hinaus
und war der einzige Mensch in ganz Ulm, welcher ihm Glück auf die Reise
gewünscht.

Als er so in der Nacht auf trockener Landstraße und bei gelinder Luft
nicht völlig eine halbe Stunde weit gewandert war, so regte sich sein
Linker allbereits mit Jucken, Treten, Hopsen und sonst viel Ungebühr. So
rief der Seppe grimmig: »Moi^nst, di^a Gugelfu^ahr gang wieder a^n? I
will d'r beizeit d'rfür tu^a!«, saß nieder, riß den linken ab und faßte
auch den rechten -- da fiel ihm ein: Den könnt'st du anbehalten; mit
_einem_ Fuß im Glück ist besser denn mit keinem! Zog also einen Stiefel
an zum andern Schuh, probiert' es eine Strecke, und wahrlich, es tat
gut.

In seinem Innern aber, so arg es auch darin noch durcheinander ging, daß
ihm das Heulen näher als das Pfeifen lag, so gab er sich doch selbst
schon kühnlicheren Zuspruch mit Vernunft, nahm sein versehrtes Herz,
drückt' es, gleich wie die Hausfrauen pflegen mit einem zertretenen
Hühnlein zu tun, in sanften Händen wieder zurecht, und endlich ging sein
Trost und letzter Schluß dahin, wie sein Vetter als sagte: »Es hat nur
drei gute Weiber gegeben: die eine ist im Bad ersoffen, die ander' ist
aus der Welt geloffen, die dritte sucht man noch.«

Unweit Gerhausen kam schon allgemach der Tag; bald sah er auch
Blaubeuren liegen, und auf den Dächern rauchte hie und da schon ein
Kamin.

Eine Ackerlänge vor dem Tor geschah ihm etwas unverhofft.

Dort zog der Weg sich unter den Felsen linker Hand an einer Steile hin.
Der Seppe dachte eben, wenn er jetzt in das Städtlein käme, ein warmes
Frühstück täte seinem Magen wohl, und rechnete, wie weit er damit komme;
denn sein Beutel mochte nicht viel leiden. Bei dem Bräumeister konnte er
aber mit Ehren nicht wieder einsprechen; er meinte, die Leute möchten
sagen: »Dem hat das Handwerksburschen-Einmaleins im Nonnenhof gefallen
und mag ihm ganz eine kommode Rechnung sein!« Dies denkend, schritt er
hitziger fürbaß -- mit eins aber kann er nicht weiter, und ist er mit
dem Schuh wie angenagelt an den Boden, zieht, reißt und schnellt, zockt
noch einmal aus Leibeskräften: da fuhr er endlich aus dem Schuh, der
aber flog zugleich den Rain hinunter, wohl eines Hauses Höhe, in einen
Felsenspalt.

Gern oder ungern mußte ihm der Seppe nach. Als er nun mit Gefahr den
Fleck erreicht, wo er ihn hatte fallen sehen, und in dem Steinriß mit
der Hand herumsuchte, auch alsbald ihn erwischte, indem so stieß er an
ein fremdes Ding, das zog er mit ans Licht. -- »Hoho! davon kam dir die
Witterung!?« rief er und hielt das Bleilot in der Hand, betrachtet' es
mit Freuden, schlupft in den Schuh und ist wie der Wind wieder oben.
Nachdem er den Fund in den Ranzen gesteckt, der jetzo freilich das
Zwiefache wog, ging er nicht wenig getröstet hinein in die Stadt.

Die Leute machten erst die Läden auf und trieben das Vieh an die Tränke.
Er kam an einem Bäckerhaus vorbei: da roch gerade so ein guter, warmer
Dunst heraus, daß es ihn recht bei der Nase hineinzog. Er ließ sich
einen Schnaps und keinen kleinen Ranken Brot dazu geben; das hielt dann
wieder Leib und Seele auf etliche Stunden zusammen.

Sofort auf seinem Weg probierte er das Lot auf alle Weise, wenn hin und
wieder ein Metzger oder sonst ein Mensch bei ihm vorüberkam, und als er
nur den Vorteil erst mit rechts und links weg hatte, vertrieb er sich
die Zeit samt seinem Herzensbrast auf das anmutigste und beste.

Auf der Höhe der Feldstätter Markung fuhr hinter ihm daher mit einem
leeren Wagen und zween starken Ochsen ein Böhringer Bauer. Der Seppe
wollte gern ein Stück weit von ihm mitgenommen sein und sprach ihn gar
bescheiden und ziemlich darum an; der aber war ein grober Knollfink,
tat, als hört' er ihn nicht. Ei, denkt mein Schuster, hörst du mich
nicht, so hab' mich auch gesehn, und sollst mich dennoch führen! --
verschwand wie ein Luftgeist im Rücken des Manns und setzte sich hinten
aufs Brett. Da sprach der Bauer mit sich selbst und maulte: »Hätt' i
viel z'tau^n wenn i di^a Kerle äll uflad^a wött -- Hott ane, Scheck! --
di^a Scheur^aburzler do! äll Hunds-Od^am lauft o^ar d'rher. Mi^ar kommt
ko^ar über d'Schwell und uf d^a Wag^a, mi^ar ett!« -- Das hörte der
Gesell mit großem Ergötzen und hielt sich immer still, gleichwie der
andre auch still ward. Nach einer Weile holt der Böhringer just aus, auf
schwäbische Manier die Nas' zu putzen, hielt aber jäh betroffen inn',
denn hinter ihm sprach es, als wie aus einem hohlen Faß heraus die
Wort': »Zehn Ochsen und ein Bauer sind zwölf Stück Rindvieh.«

Der Bauer, mit offenem Maul, schaut um, schaut über sich gen die
Sperlachen, horcht, ruft Oha dem Gespann, steigt ab dem Wagen, guckt
unterhalb zwischen die Räder, und da kein Mensch zu sehen war und auf
der Ebene weit und breit kein Baum oder Grube noch sonst des Orts
Gelegenheit danach gewesen wäre, daß sich ein Mensch verbergen mochte:
stand ihm das Haar gen Berg, saß eilends auf und trieb die Tiere streng
in einem Trott, was sie erlaufen mochten, bis vor seinen Ort; denn er
vermeinte nicht anders, als der Teufel habe ihm Spitzfündiges
aufgegeben, und wenn er den Verstand nicht dazu habe, so gehe es ihm an
das Leben.

Der Seppe stieg nicht bälder von dem Wagen, als bis der Bauer in seiner
Hofrait hielt; dann wandelte er durchs Dorf, unsichtbarlich, und hatte
mit diesem Abenteuer, die schöne Kurzweil ungerechnet, wohl eine halbe
Meil' Weges Profit.

Er kam ins Tal hinunter und auf Urach, er wußte nicht wie.

Vor dem Gasthaus, demselben, wo er im Herweg übernachtet war, stiegen
etliche reisende Herren von Adel samt ihren Knechten gerade zu Roß; er
hörte, sie ritten auf Stuttgart. Herrn Eberhards Tochter hatte Hochzeit,
als gestern, gehabt mit Graf Rudolf von Hohenberg; auf eben diese Zeit
beging ihr Herr Vater, der Graf, seine silberne Hochzeit. Es dauerten
die Lustbarkeiten noch drei Tage lang am Hof und in der Stadt: Turnier
und andre Spiele. Das hörte der Geselle gern; er dachte: Da hat man
deiner nicht viel acht und mögen deine Freunde glauben, du kamst des
Lebtags wegen heim. Ihm lüstete nicht sehr danach; demungeachtet säumte
er sich nicht auf seinem Weg, und als er sich um die drei Groschen und
etliche Heller, so er aus allen Taschen elendiglich zusammenzwickte,
noch einmal wacker satt gegessen und getrunken, so setzt' er seinen Stab
gestärkt und mutig weiter. Stets einem flinken Wässerlein, der Erms,
nachgehend, befand er sich gar bald vor Metzingen.

Er dachte trutzig und getrost vor jedermanns Augen den Ort zu passieren,
wo er vor einem halben Jahr den Schabernack erlitten, und war auf
Schimpf und Glimpf gefaßt; nur wollte er zuvor den zweiten Stiefel noch
außen vor dem Ort antun, damit er doch nicht mit Gewalt den Spott der
Gaffer auf sich ziehe. Aber wie er sich dazu anschicken will, kommt ihm
ein anderes dazwischen, das ließ ihm keine Zeit.

Gleich vor dem Flecken, frei auf einem Gutstück lag eines Schönfärbers
Haus; an dessen einer Seite hingen allerhand Stück Zeug, in Rot, Blau,
Gelb und Grün gefärbt, auf Stangen und im Rahmen aufgezogen, davor ein
grüner Grasplatz war. Dort nun, doch näher bei der Straße sah der Seppe
nur einen Steinwurf weit von ihm das nasenweise Färberlein stehn, das
Gesicht nach dem Flecken gekehrt. Das Bürschlein hatte Gähnaffen feil,
weil seine Meistersleute nicht daheim, oder paßte es auf eine hübsche
Dirne, sah und hörte deshalb weiter nichts.

»Wohl bei der Heck', du Laff!« sagte der Seppe frohlockend vor sich,
indem er risch seitab der Straße sprang. »Jetzt will ich dir den Plirum
geigen!« -- warf seinen Ranzen links herum, lief eilig zu und stand
unsichtbar auf dem Wasen ein Dutzend Schritte hinter dem Färber.
Geschwind besann er sich, was er zuerst beginne, trat an das Lattenwerk,
zog wie der Blitz einen trockenen Streif des roten Zeugs herab und
breitete denselben glatt aufs Gras; alsdann stellte er sich in
leibhafter Gestalt ohne Willkomm und Gruß, nicht in gutem noch bösem,
ganz dicht vor den Färber hin. Der, seinen Feind erkennend, macht' ein
Gesicht als wie der Esel, wenn er Teig gefressen hat, und plötzlich
wollte er auf und davon. Der Schuster aber hatt' ihn schon gefaßt: kein
Schraubstock zwängt ein Werkholz fester, denn unser Geselle das Büblein
hielt bei seinen zween Armstecken. Er hieß ihn stilleschweigen, so wolle
er ihm aus Barmherzigkeit an seinem Leib nichts tun, nahm ihn sodann
gelinde, legt' ihn aufs eine Tuchend überzwerch, drückt' ihm die
Ellbogen grad am Leib und wergelt ihn mit Händen geschickt im Tuch
hinab, wie man ein Mangelholz wälzet, daß er schön glatt gewickelt war
bis an das Kinn. Darauf band er ihm ein grünes Band, das er auch von der
Latte gezogen, kreuzweis von unten bis hinauf und knüpft's ihm auf der
Brust mit einer schönen Schlaufe. Nach allem diesem aber nahm und trug
er ihn, nicht anders als ein Pfätschenkind dahingetragen wird, auf
seinen Armen weg (in deren einem er den Wanderstock am Riemen hangen
hatte). Weil er jedoch bei diesem ganzen Vornehmen das Lot links trug,
und weil der Krackenzahn mehr nicht kann ungesehen machen, als das zum
Mann gehört, so war es wunderbarlich, ja grausig, fremd und lustig
gleichermaßen anzusehn, wie auf der breiten Straße mitten inne ein
gesunder Knab, wie Milch und Blut, mit schwarzem Kräuselhaar, in
Wickelkindsgestalt frei in der Luft herschwebte und schrie.

Das Volk lief zu aus allen Gassen, ein jedes lacht' und jammerte in
_einem_ Atem, die Weiblein schrien Mirakel und: »Hilf Gott! es ist des
Färbers Knab, der Vite! Springt ihm denn keiner bei von euch
Mannsnamen?« -- Doch niemand traute sich hinzu.

Da fing der Seppe an sangweis mit heller Stimme:

   Scher^aschleifer, wetz, wetz, wetz,
   Laß dei Rädle schnurr^a!
   Stu^agart ist ^a grauße Stadt,
   Lauft ^a Gä^nsbach dur^a.

Und als das Kind sich ungebärdigt stellte, schwang er's und flaigert's
hin und her und sang:

   Färbersbü^able, schrei net so,
   Mach mer keine Mändl^a!
   D' Bü^asinger mit zwanzig Johr
   Trait mer en de Wendl^a,
   Heisasa! Hopsasa!
   Wi^a de kleine Kendl^a.

Die Leute fanden ihrem Staunen, Schrecken, Dattern und Zagen nicht Worte
noch Gebärden mehr. Eins schob und stieß und drängte nur das andere dem
Abenteuer immer nach oder voraus. Bei dem Gemeindehaus aber schwenkte
sich der Seppe seitwärts nach dem Kirchplatz unversehens, daß alles vor
ihm schreiend auseinanderfuhr.

Dort, mitten auf dem Platz sah man den Vite sänftlich an die Erde
niederkommen. Da lag denn ein seltsamer Täufling, zornheulend, sonder
Hilfe, derweil der Schuster flüchtig durch die Menge wischte. Weit
draußen vor dem Ort noch hörte er das Lärmen und Brausen der Leute.

Bei Tolfingen am Neckar spürte er anfangen in den Beinen, daß er
verwichene Nacht in keinem Bett gewesen, jetzt fünfzehn Stunden Wegs in
einem Strich gemacht, daneben ihn der letzte Possen auch manchen Tropfen
Schweiß gekostet haben mag. Der Abend dämmerte schon stark, und er hatte
noch fünf gute Stunden heim. Bei frischen Kräften hätte er Stuttgart
nicht füglich vor Mitternacht können erlaufen, so schachmatt aber, wie
er war, und mit vier Pfennigen Zehrgeld im Sack, schien ihm nicht
ratsam, es nur zu probieren. Wo aber bleiben über die Nacht und doch
kein Scheurenburzler sein? -- Halt! dacht er, dient nicht in der Stadt
Nürtingen, nur anderthalb Stund von da, der Kilian aus Münster als
Mühlknapp? Das ist die beste Haut von der Welt, der läßt dich nicht auf
der Gasse liegen und borgt dir leicht ein Weniges auf den Weg. Jetzt ist
lang Tag! -- Er tat erst einen frischen Trunk in Tolfingen, wo das
Wasser nichts kostet, dann kaufte er sich ein Brot für seinen letzten
Kreuzer, verzehrt' es ungesäumt und lotterte, indem es finster ward,
gemächlich die Straße am Neckar hinauf. Mit der Letzte erschleppt' er
sich fast nicht mehr, doch endlich erschienen die Lichter der Stadt und
hörte er das große Wuhr ob der Brücke schon rauschen, hart neben welcher
jenseits die vielen Werke klapperten.

Der Müller aß eben zu Nacht mit seinen Leuten und Gesind, darunter nur
kein Kilian zu sehen war. Man sagte dem Schuster, der sei vor einem
Vierteljahr gewandert. Da stand der arme Schlucker mit seinem gottigen
Glücksschuh und seinem Stiefel! wußte nicht, was er jetzt machen sollte.
Indes hieß ihn die Müllerin ablegen und mitessen, und nach dem
Tischgebet, dieweil der Mann leicht merken mochte, es sei ein
ordentlicher Mensch und habe Kummer, bot er ihm an, über Nacht im
Wartstüblein, wo die Mahlknechte rasten, auf eine der Pritschen zu
liegen. Das ließ er sich nicht zweimal sagen und machte sich alsbald
hinunter, ein Jung wies ihm den Weg zwischen sechs Gängen hindurch, die
gellten ihm die Ohren im Vorbeigehn nicht schlecht aus. Zwei Stieglein
hinunter und eins hinauf, kam er in ein gar wohnliches, vertäfertes
Gemach und streckte sich auf so ein schmales Lager hin. Wie grausam müd
er aber war, ein Schlaf kam nicht in seine Augen: Fenster und Boden
zitterten in einem fort, es schellte bald da, bald dort, die Knechte
tappten aus und ein, und die ganze Nacht brannte das Licht.

Um eins, da ihn der Oberknecht noch wachen sah, sprach der zu ihm, wenn
er auf Nachtruh halte, hier sei er in die unrechte Herberge geraten, das
Schlafen in der Mühle woll' gelernt sein wie das Psalmenbeten in der
Hölle; er soll' aufstehn, sie wollten sich selbdritt die Zeit vertreiben
mit Trischacken -- langte die Karten vom Wandbrett herunter und stellte
einen vollen Bierkrug auf den Tisch. Der Seppe wollte nicht, bekannte
auch, daß er Gelds ohne sei; allein da hieß es: »Schuster! dein
Schnappsack hat ein leidlich Gewicht, und Stein hast du keineswegs
darin; wenn aber, so sei uns ein ehrlicher Schuldner!« So gab er endlich
nach und nahm sein Spiel vor sich. Wetter! wie paßten gleich die Kerl da
auf! Was er nur zog und hinwarf: allemal die besten Stiche! Jetzt wurden
seine Sinne hell und wach zumal, er dachte: Hei, da springt ein
Wandergeld heraus! Das erste Spiel gewonnen, das zweite desgleichen!
Beim dritten und beim vierten zog er heimlich den Schuh aus unter dem
Tisch, daß es nicht merklich würde, und verspielt's damit
hintereinander, doch brachte er es vier- und sechsfach wieder ein, und
pünktlich machte einer jedesmal die Striche auf die Tafel, daß man's
nachher zusammenrechnen könne. Es war ihm über einen Gulden gut
geschrieben, und als den andern endlich so die Lust verging, war es ihm
eben recht und legte er sich noch ein Stündlein nieder. Da fiel der
Schlaf auch bald auf ihn als wie ein Maltersack, doch ohne Letzung. Er
war mit seinem Geist in Ulm und träumte nur von Greuel, Gift und
peinlichem Gericht. Ein Mahljung, welcher durch das Stüblein lief,
vernahm von ungefähr, wie er im Schlaf die Worte redete: »Fürn Galgen
hilft kein Goller und fürs Kopfweh kein Kranz!« -- ging hin und
hinterbracht's den Knechten; die kamen juxeshalber und standen um den
Schlafenden, sein bitterlich Gesicht bescherzend. Auch nestelten sie ihm
den Ranzen auf aus Fürwitz, was er Schatzwerts darin habe, zogen das
schwere Blei heraus und lachten ob des Knaben Einfalt solchermaßen, daß
ihnen gleich das Schiedfell hätte platzen mögen. »Tropf!« sprach der
eine, »hast du sonst nichts gestohlen, darum springt dir der Strick
nicht nach!« -- und packten's ihm wieder säuberlich ein.

Als nun der Seppe endlich am lichten Tag erwacht war, gürtete er sich
gleich, nahm Hut und Stock und fand die beiden Spielgesellen in der
Mühle am Geschäft. Er hätte gern sein Geld gehabt, wenn es auch nur die
Hälfte oder ein Drittel sein sollte. Sie aber lachten mit Faxen und
Zeichen, bedeuteten ihm, sie verstünden nicht über dem Lärm, was er
wolle, und hätten unmöglich der Zeit. Nun sah er wohl, er sei betrogen,
kehrte den seellosen Schelmen den Rücken und ging hinauf, dem Müller
seinen schuldigen Dank abzustatten. Dort in der Küche gab man ihm noch
einen glatt geschmälzten Hirsenbrei; damit im Leibe wohl verwarmt, zog
er zum Tor hinaus und über die Brücke, dann rechts Oberensingen zu. Gern
hätte er zuvor den Herbergvater in der Stadt um eine Wegspend
angegangen, er traute aber nicht, weil er in Ulm sich keinen Abschied in
sein Büchlein hatte schreiben lassen.

Auf dem Berg, wo der Wolfschluger Wald anfangt, sah man damals auf einem
freien Platz ein paar uralte Lindenbäume, ein offen Bethäuslein dabei,
samt etlichen Ruhebänken. Allhie beschaute sich der Seppe noch einmal
die ausgestreckte blaue Alb, den Breitenstein, den Teckberg mit der
großen Burg der Herzoge, so einer Stadt beinah gleichkam, und
Hohenneuffen, dessen Fenster er von weitem hell herblinken sah. Er hielt
dafür, in allen deutschen Landen möge wohl Herrlicheres nicht viel zu
finden sein als dies Gebirg zur Sommerszeit und diese weit gesegnete
Gegend. Uns hat an dem Gesellen wohl gefallen, daß er bei aller
Uebelfahrt und Kümmernis noch solcher Augenweide pflegen mochte.

Von ungefähr, als er sich wandte, fand er auf einem von den Ruhebänken
ein Verslein mit Kreide geschrieben, das konnte er nicht sonder Müh
entziffern; denn sichtlich stand es nicht seit jüngst, und Schnee und
Regen waren darüber ergangen. Es hieß:

   Ich habe Kreuz und Leiden,
   Das schreib' ich mit der Kreiden,
   Und wer kein Kreuz und Leiden hat,
   Der wische meinen Reimen ab!

Der Seppe ruhte lang' mit starren Blicken auf der Schrift. Er dachte:
Dem, welcher dies geschrieben, war der Mut so weit herunter als wie dir,
kann sein: noch weiter. Tröst ihn Gott! -- Nachdenksam kehrte er sich
zur Kapelle, legte Ranzen, Hut und Stock, wie sich gebührte, haußen ab
und ging, seine Andacht zu halten, hinein; nach deren Verrichtung er
sich bei den Namen und Sprüchen verweilte, so von allerhand Volk, von
frommen Pilgrimen und müßigen Betern, an den Wänden umher mit Rotstein
oder mit dem Messer angeschrieben waren. In einem Eck ganz hinten stund
zu lesen dieser Reim:

   Bitt, Wandrer, für mich!
   So bittst du für dich.
   Mit Schmerzen ich büße,
   In Tränen ich fließe.
   Das _Erbe der Armen_,
   Das heißet _Erbarmen_.

Recht wie ein Blitzstrahl zückten die Worte in ihn, und war ihm eben,
als flehet' es ihn aus den Zeilen an mit gerungenen Händen um seine
Fürbitte, als eine letzte Guttat an der Frau, so ihrer vor allen den
lebenden Menschen bedürfe. Seit jener Stunde, wo er sich im stillen von
ihr schied, war ihm noch kein Bedenken oder Sorge angekommen um das
verderbte und verlorene Weib; nun aber fiel das treue Schwabenherz
gleich williglich auf seine Knie, vergab an seinem Teil und wünschte
redlich, Gott möge ihren bösen Sinn zur Buße kehren und ihr dereinstens
gnädig sein; für sich insonderheit bat er, Gott wolle seiner schonen und
ihn kein blutig Ende an ihr erleben lassen. Hierauf erhob er sich, die
Augen mit dem Aermel wischend, und setzte seine Reise fort.

Nach dreien Stunden, um Bernhausen auf den Fildern, hub sein Magen an
mit ihm zu hadern und zu brummen. Er hätte sich mit seinem Lot in
manches reichen Bauern Haus und Küche leichtlich wie Rolands Knappe
helfen können, welcher vermittelst seines Däumerlings dem Sultan sein
Leibessen samt der Schüssel frei vor dem Maul wegnahm. Ihm kam jedoch
vor Traurigkeit dergleichen gar nicht in den Sinn: auch hatte er sein
Leben lang weder gestohlen noch gebettelt. Kein leiderer Weggenoß ist
aber denn der Hunger. Er rauft, wenn er einmal recht anfangt, einem
Wandersmann schockweis die Kraft aus dem Gebein, nimmt von dem Herzen
Trost und Freudigkeit hinweg, schreit allen alten Jammer wach, recht wie
bei Nacht ein Hund den andern aufweckt, daß ihrer sieben miteinander
heulen. Das dauerte bei dem Gesellen, bis endlich Degerloch da war und
er nun um die Mittagszeit seine Vaterstadt im lichten Sonnenschein und
Rauch vom Berg aus liegen sah. Da brannten ihn die salzigen Tropfen vor
Freuden im Aug' und waren seine Füße alsbald wie neugeboren.

Von weitem hörte er Trompetenschall und sah es vor dem Tor und in den
Straßen blinken und wimmeln. Die Ritter kamen in Harnisch und Wehr
zurück vom großen Stechen: Roß und Mann bis an den Helmbusch voller
Staub. Es wogte bunt von Grafen, Edelherrn und Knappen, von
Bürgersleuten und vielem Landvolk.

Der Seppe drückte sich, wie er zur Stadt hineinkam, scheu nur an den
Häusern hin: denn ob er gleich unsichtbar ging um seiner schlechten
Kleidung willen, auch weil er übel, schwach und schwindlig war vor
übergroßer Anstrengung, weshalb er nicht viel Grüßens oder Redens
brauchen konnte, so war ihm doch bei jedem Schritt, wie wenn die Blicke
aller Leute auf ihn zielten, und wurde rot und blaß, so oft als ein
guter Bekannter oder ein Mädchen seiner alten Nachbarschaft bei ihm
vorüber lachte. Er strebte einem engen Gäßchen zu im Bohnenviertel, wo
eine alte Base von ihm wohnte. Am Eck schob er den Ranzen rechts herum,
und schon von ihrem Fenster aus begrüßte ihn das gute Fraulein, seine
Dot. Er sprang mit letzten Kräften die Stiege noch hinauf, aber unter
der Tür knickt' er in den Knien zusammen und schwanden ihm zumal die
Sinne. Die Frau rief ihren Hausmann, holte Wein und was sonst helfen
mochte. In Bälde hatten sie den armen Lungerer so weit zurecht gebracht,
daß er auf seinen Füßen stehn, sich hinter den Tisch setzen, essen und
trinken konnte.

Dabei erzählte ihm das Mütterlein, was sich alle die Zeit her begeben:
vom großen Beilager im Schloß wie auch, daß morgen noch ein Haupttag
sei. Weil nämlich eben Faßnacht in der Nähe war und die erlauchte Braut
nichts lieber sah als einen schönen Mummenschanz, so wurde von dem Rat
der Stadt beschlossen, daß ein solcher mit ausnehmender Pracht auf dem
Markt gehalten werde. Der Graf dagegen wollte zu Mittag die Bürgerschaft
in den Straßen bewirten, welches der Jahreszeit halben wohl geschehen
mochte, indem der Winter so gelind und kurz ausfiel, daß wahrlich im
Stuttgarter Tal fast die Bäume ausschlugen. »Auf diesen Tag nun, siehst
du,« sprach die Base, »tut jung und alt sein Bestes, der Arme wie der
Reiche: wer keinen Heiden oder Mohren machen kann, der findet einen
bunten Lappen zum Zigeuner, und wem die Larve fehlt, der färbt sich im
Gesicht. Da hat vorhin die Kiderlen, die Vrone, die du kennst, sich
Feierwams und Hosen von ihrem Vetter, meines Hausmanns Buben, abgeholt,
und er verbutzet sich mit seiner Ahne ihrem Hochzeitstaat. Seppe, wir
müssen uns für dich beizeiten auch nach was umtun. Für jetzo, schätz'
ich aber, hast du das Bett am nötigsten.« -- »Ach wohl, Frau Dot!«
sprach er, »und ich wollt' nur, die Nacht hätt' ihre achtundvierzig
Stund!« -- »Nun,« meinte sie, »vier hast du, bis wir essen; da läßt sich
schon ein schön Stück Schlafs vorweg herunterspinnen!« -- und führte ihn
hinauf in eine kleine Kammer, in welcher allezeit ein gutes Gastbett
aufgemacht war.

Kaum hatte er sich ausgezogen und sein zerschelltes, zerbrechliches und
ganz vermürbtes Knochenrüstwerk behutsam ausgestreckt, da schlief er
auch schon wie ein Dachs und so in einem fort bis abends spät, wo ihm
die Frau eine Suppe mit Fleisch hinaufbrachte und noch ein wenig mit ihm
diskurierte. Nun wünschte sie ihm gute Nacht und ging mit ihrem Licht.

Sie war aber die Stiege noch nicht gar hinunter, so ruckt etwas an
seinem Stuhl, ein Lämplein macht die Kammer klar, und eine Stimme sagte:
»Grüß dich Gott, Seppe! verschrick nit! der Pechschwitzer ist es, der
Hutzelmann, der Tröster. So, so, auch wieder hiesig? Sorg nit, ich plag'
dich lang'! du brauchst der Ruh'. Und auf ein Wort: sag an! gelt,
Bursch, hast's Klötzle?«

»Jo freile han i's, Meister.«

»Laß sehn! wo steckt's? im Bündel? -- Hab' es schon! bei meinem Leisten!
ja, da glotzt er 'raus, der Krackenzahn. Du erzigs Narrenglückskind, du!
Und hast fein nur mit seinem Hund gejagt! Du Malefizglücksspitzbub, du!«
-- Mit diesen und viel andern närrischen Ausrufungen bewies das Männlein
seine Freude. Drauf sagte es mit Ernst: »Mein Sohn, du hast dies teuere
Stück, wie du zwar schuldig warst, deinem Patron getreulich überliefert,
da du es nicht allein im Nonnenhof können vertrumpeln um einen
Pfifferling aus des Wasserweibs Hafen, sondern konntest vor Kaiser und
Könige gehen damit, die hätten dir dies schlechte Blei gern sechsmal und
mehr mit Gold aufgewogen. Nun, Seppe, denk an mich! Das sollt du nicht
bereuen. Hab gute Nacht!« -- Im Gehen frug er noch: »Wie sicht's mit dem
Laiblein?«

»Ja, Meister, um sell bin i komm^a, sell ist --«

»Gfressen?«

»Jo, aber ett vo mir!«

»Ei, daß dich! hat das auch müssen verhansleartlet sein! Nun, wenn's nur
gfressen ist! gibt wieder einmal ein anders vielleicht. Bhüt Gott!
Morgen bei rechter Zeit siehst mich wieder.«

                   *       *       *       *       *

Die Sonne ging am andern Morgen glatt und schön herauf am Himmel und
hatte die Nebel über der Stadt mit Macht in der Früh' schon vertrieben.
Man hörte die Gassen aus und ein vielfach Geläufe, Lachen und Gesprang;
es war schon um die Achte, in einer halben Stunde ging der Aufzug an. Da
hielt es die Base nun hoch an der Zeit, daß sie ihr Patlein wecke, denn,
meinte sie, auf allen Fall muß er die Herrlichkeit mitmachen und soll so
gut wie jeder andere Bürgersohn an der Gesellentafel speisen auf des
Herrn Grafen Kosten. Mit Mühe hatte sie noch gestern abend einen langen
weißen Judenbart samt Mantel und Mütze für ihn bei einer Trödlerin
mietweis erlangt. Sie nahm den Plunder auf den Arm, den guten Burschen
gleich auf seiner Kammer damit zu erfreuen: da klopft es und kam ein
junger Gesell herein, wenig geringer als ein Edelknabe angezogen, mit
einem krachneuen, rotbraunen Wams von Samt, schwarzen Pluderhosen,
Kniebändern von Seide und gelben Strümpfen. Er hielt sein Barett vors
Gesicht gedeckt, und als er es wegnahm, stand da vor seiner lieben Dot
der Schuster Seppe mit Blicken, halb beschämt und halb von Freude
strahlend. Die Frau schlug in die Hände, rief: »Jemine! was soll das
heißen? Bub, sag! wo hast du das geborgt?« -- »Ihr sollt's schon heut'
noch hören, Bas': es ist eine weitläufe Sach', und ich muß gleich fort.«
-- »Nun sei's, woher es wolle: aus einem vornehmen Schrank muß es sein.
Nein, aber, Seppe, wie gut dir's steht, alles, bis auf den feinen
Hemdkragen hinaus! Ich sag' dir, es wär' Sünd und Schad, wenn du eine
Larve umbändest. Mein Jud, so viel ist ausgemacht, darf seinen Spieß
jetzt nur wo anders hintragen. Da schau einmal, was ich dir Schönes
hatte!« -- Und hiermit lief sie in die Küche, dem Knaben eine gute
Eiergerste zum Morgenatz zu bringen.

Derweil er seine Schüssel leerte, zog sich die Base im Alkoven festtägig
an. Sie wollte des Getreibes gern auch Zeuge sein, von einem obern
Fenster aus bei einem Schneider auf dem Markt. Der Seppe aber eilte ihr
voraus, Sankt Leonhards Kapelle und der Wette zu, stracks auf den Platz.

Von keiner Seele unterwegs ward er erkannt noch auch gesehn. Warum? Er
wird doch nicht das Lot mitschleppen? Nein, aber seine linke Brusttasche
barg eine zierliche Kapsel, darinne lag der ausgezogene Krackenzahn,
gefaßt in Gold und überdies in ein goldenes Büchslein geschraubt, samt
einer grünen Schnur daran. Der Hutzelmann ließ alles über Nacht von
einem Meister in der Stadt, mit welchem er gut Freund war, fertigen und
übergab dem Seppe das Kleinod mit der Weisung, dasselbe seinem
Landesherrn, dem Grafen, zu Ehren seines Jubeltags nachträglich zu
behändigen, sobald er merke, daß der Scherz zu Ende gehe und die
Herrschaft am Aufstehen wäre.

Wie der Gesell nunmehr an Ort und Stelle kam, sah er den weiten Markt
bereits an dreien Seiten dicht mit Volk besetzt und Kopf an Kopf in
allen Fenstern. Er nahm seinen Stand beim Gasthof zum Adler, und zwar
zuvörderst unsichtbar, außer den Schranken. Etliche Schritt weit von den
Häusern nämlich liefen Planken hin, dahinter mußten sich die
Schaulustigen halten, daß innerhalb der ganze Raum frei bleibe für die
Faßnachtsspiele, sowie auch für die fremden Tänzer und Springer, welche
ihr großes Seil ganz in der Mitte querüber vom Rathaus aufgespannt
hatten, dergestalt, daß es an beiden Seiten gleich schräg herunterlief
und hüben und drüben noch ein breiter Weg für den Maskenzug blieb.

Am Rathaus auf der großen Altane erhub sich ein Gezelt von
safranfarbigem Samt mit golddurchwirkten Quasten, den gräflichen Wappen
und prächtigen Bannern geschmückt. Den Eingang schützten sechs
Hellebardierer aus der Stadtbürgerschaft. Es hingen aus den Fenstern
aller Häuser bunte Teppiche heraus, und an den Schranken standen,
gleichweit voneinander, grüne Tännlein aufgerichtet. Von den sechs
Straßen am Markt waren viere bewacht: darin sah man die Tische gedeckt
für das Volk, Garküchen und Schankbuden, wo nachher Bier und Wein
gezapft wurde und fünfzig Keller- und Hofbartzefanten die Speisen
empfingen.

Gegen dem Rathaus über sodann, am andern Ende des Markts, war der
Spielleute Stand. Dieselben machten jetzo einen großen Tusch, denn aus
der Gasse hinter ihnen nahete der Hof, nämlich Graf Eberhard mit dem von
Hohenberg, dem Vater, das jüngst vermählte Paar wie auch des Grafen
Sohn, Herr Ulrich, auf weißen, köstlich geschirrten Rossen, die Gemahlin
des Grafen und andre hohe Frauen aber in Sänften getragen; zu deren
beiden Seiten gingen Pagen und ritten Kavaliere hinterdrein.

Sobald die Herrschaften, vom Schultheiß gebührend empfangen und in das
Rathaus geleitet, auf der Altane Platz genommen, einige vornehme Gäste
jedoch an den Fenstern, begann sogleich der Mummenschanz.

In guter Ordnung kamen aus der Gasse an dem Rathauseck beim Brunnen mit
dem steinernen Ritter so einzelne wie ganze Rotten aufgezogen.

Zum Anfang wandelte daher der Winter als ein alter Mann, den lichten
Sommer führend bei der Hand, als eine hübsche Frau. Sie hatte einen
Rosenkranz auf ihrem ungeflochtenen gelben Haar, ein Knäblein trug den
Schlepp ihres Gewands samt einem großen Blumenstrauß, ein anderes trug
ihm ein Kohlenbecken nach und einen dürren Dornbusch. Auf seinem Haupt
und Pelz war Schnee vom Zuckerbäcken; sie raubte ihm bisweilen einen
Bissen mit zierlichem Finger davon zur Letzung bei der Hitze, das er aus
Geiz ihr gern gewehrt hätte.

Nun ritt der hörnene Siegfried ein mit einer großen Schar, auch der
schreckliche Hagen und Volker.

Dann gingen zwanzig Schellennarren zumal an einer Leine, die stellten
sich sehr weise an, da jeder blindlings mit der Hand rückwärts den
Hintermann bei seiner Nase zupfen wollte; der letzte griff gar mühlich
immer in der Luft herum, wo niemand mehr kam. Auf einem höllischen
Wagen, gezogen von vier schwarzen Rossen, fuhr der Saufteufel, der
Spielteufel und ihr Geschwisterkind, Frau Hoffahrt, mit zweien
Korabellen, und hatten zum Fuhrmann den knöchernen Tod.

Jetzt segelte ein großes Schiff daher auf einem niederen Gestell; dies
war mit wasserblauem Zeug bedeckt, und sah man daran keine Räder noch
solche, die es schoben. Auf dem Verdeck stund der Patron, ein
niederländer Kaufherr, welcher sich die fremde Stadt so im Vorüberziehn
beschaute.

Dahinter kam ein Kropfiger und Knegler mit jämmerlichen dünnen Beinen
und führte seinen wundersamen Kropf auf einem Schubkarren vor sich her
mit Seufzen und häufigen Zähren, daß er der Ware keinen Käufer finde,
und rief dem Schiffsherrn nach, sein Fahrzeug hänge schief und mangele
Ballasts, er wolle ihm den Kropf um ein Billiges lassen. Gar ehrlich
beteuerte jener, desselben nicht benötigt zu sein; doch als ein
mitleidiger Herr hielt er ein wenig an und gab dem armen Sotterer viel
Trost und guten Rat: er möge seines Pfundes sich nicht äußern, vielmehr
fein hüten und pflegen, es sollte ihm wohl wuchern, wenn er nach
Schwaben führ auf Cannstadt zum ungeschaffenen Tag; es möge leicht für
ihn den Preis dort langen. Da dankte ihm der arm Gansgalli tausendmal
und fuhr gleich einen andern Weg; der Kaufmann aber schiffte weiter.

Mit andern Marktweibern, ausländischer Mundart und Tracht kam auch ein
frisches Bauermägdlein, rief: »Besen, liebe Frauen! Besen feil!« --
Sogleich erschien auf dem Verdeck des Schiffs ein leichtfertiger
Jüngling in abgerissenen Kleidern, eine lange Feder auf dem Hut und eine
Laute in der Hand. Sein Falkenauge suchte und fand die Verkäuferin flugs
aus dem Haufen der andern heraus, und zum Patron hinspringend, sagte er
mit Eifer, in dieser Stadt sei er zu Haus, er habe gerade geschlafen und
hätte schier die Zeit verpaßt; er wolle da am Hafendamm aussteigen,
wofern der Patron es erlauben und ein wenig anlegen möchte. Der gute
Herr rief dem Matrosen, es ward ein Brett vom Schiff ans Land gelegt,
der Jüngling küßte dem Kaufmann die Hände mit Dank, daß er ihn
mitgenommen, sprang hinüber und auf das Bauernmägdlein zu. Nun führten
sie ein Lied selbander auf, dazu er seine Saiten schlug. Während
desselben hielt der ganze Zug, und alles horchte still.

   Grüß dich Gott, herzlieber Schatz,
   Dich und deine Besen! --
   Grüß dich Gott, du schlimmer Wicht!
   Wo bist du gewesen? --

   Schatz, wo ich gewesen bin,
   Darf ich dir wohl sagen:
   War in fremde Lande hin,
   Hab' gar viel erfahren.

   Sah am Ende von der Welt,
   Wie die Bretter paßten,
   Noch die alten Monden hell
   All' in einem Kasten:

   Sahn wie schlechte Fischtuch aus,
   Sonne kam gegangen,
   Tupft' ich nur ein wenig drauf,
   Brannt' mich wie mit Zangen.

   Hätt' ich noch ein' Schritt getan,
   Hätt' ich nichts mehr funden.
   Sage nun, mein Liebchen, an,
   Wie du dich befunden!

   In der kalten Wintersnacht
   Ließest du mich sitzen:
   Ach, mein' schwarzbraun Äugelein
   Mußten Wasser schwitzen!

   Darum reis' in Sommernacht
   Nur zur all'r Welt Ende!
   Wer sich gar zu lustig macht,
   Nimmt ein schlechtes Ende.

Mit diesem Abschiedsgruß ließ sie ihn stehen. Er spielte, der Dirne
gelassen nachschauend, seine Weise noch vollends hinaus, stieß sich den
Hut aufs linke Ohr und lief hinweg.

Es traten ferner ein fünf Wurstelmaukeler. Das waren von alters her bei
der Stuttgarter Faßnacht fünf Metzgerknechte, mit Kreuzerwürsten über
und über behangen, daß man sonst nichts von ihnen sah. Sie hatten jeder
über das Gesicht eine große Rindsblase gezogen, mit ausgeschnittenen
Augen, das Haupt bekränzt mit einem Blunzenring. Wenn es nachher zur
Mahlzeit ging, dann durften die Kinder der Stadt, für die kein Platz war
an den Tischen, kommen und durfte sich jedes ein Würstlein abbinden, der
Maukeler hielt still und bückte sich, wenn es nötig war; dazu wurden
Wecken in Menge verteilt.

Noch gab es viel mutwillige und schöne Stampaneyen, deren ich ungern
geschweige.

Nachdem der ganze Mummenschanz an den drei Seiten des Markts langsam
heruntergekommen und links vom Rathaus abgezogen war, dem Hirschen zu,
bestiegen die Springer und Tänzer das Seil.

Der Seppe war die ganze Zeit an seinem Platz verharrt, auch hatte er
sich lang' nicht offenbar gemacht, doch endlich tat er dies auf schlaue
Art, indem er sich geheim zur Erde bückte und sichtbarlich aufstand,
dadurch es etwa denen, so zunächst an ihm gestanden, schien, als
schlupfet' er unter den Planken hervor. Von wegen seiner edlen Kleidung
wiesen ihn die Wärtel auch nicht weg, deren keiner ihn kannte; nur seine
alten guten Freunde grüßten ihn von da und dort mit Winken der
Verwunderung.

Der Seppe hatte bis daher alles und jedes, die ganze Mummerei, geruhig,
obwohl mit unverwandtem Aug' und Ohr an ihm vorbeiziehen lassen. Wie
aber jetzt die fremden Gaukler, lauter schöne Männer, Frauen und Kinder,
in ihrer lüftigen Tracht ihre herrliche Kunst sehen ließen und ihnen
jegliche Verrichtung, als Tanzen, Schweben, Sichverwenden, Niederfallen,
Knien, so gar unschwer von statten ging, als wär' es nur geblasen, kam
ihn auf einmal große Unruh an, ja ein unsägliches Verlangen, es ihnen
gleich zu tun. Er merkte aber bald, daß solche Lust ihm von den Füßen
kam, denn alle beede, jetzt zum erstenmal einträchtig, zogen und
drängten ihn sanft mit Gewalt nach jenem Fleck hin, wo das Seil an einem
starken Pflock am Boden festgemacht war und schief hinauflief bis an die
vordere Gabel. Der Seppe dachte: Dieses ist nur wieder so ein Handel wie
mit der Dreherei, und fiel ihm auch gleich ein, daß Meister Hutzelmann,
auf dessen Geheiß er heut' die Glücksschuh alle zween anlegen müssen,
das Lachen habe fast nicht bergen können. Er stieß die Zehen hart wider
das Pflaster, strafte sich selbst mit innerlichem Schelten ob solcher
törichten, ja gottlosen Versuchung und hielt sich unablässig vor im
Geist Schmach, Spott, Gelächter dieser großen Menge Menschen, dazu
Schwindel, jähen Sturz und Tod, so lang' bis ihm der Siedig auf der Haut
ausging und er seine Augen hinwegwenden mußte.

Nun aber zum Beschluß der Gauklerkünste erschien in Bergmannshabit, mit
einer halben Larve vorm Gesicht, ein neuer Springer, ein kleiner,
stumpiger Knorp; der nahte sich dem Haupt der Tänzer, bescheidentlich
anfragend, ob ihm vergönnt sei, auch ein Pröblein abzulegen. Es ward ihm
mit spöttischer Miene verwilligt, und alsbald beschritt er das Seil,
ohne Stange. Er trug ein leines Säcklein auf dem Rücken, das er an eines
der gekreuzten Schlaghölzer hing, dann prüfte er mit einem Fuß die
Spannung, lief vor bis in die Mitte und hub jetzt an so wunderwürdige
und gewaltige Dinge, daß alles, was zuvor gesehen war, nur Stümperarbeit
schien. Kopfunter hing er plötzlich, der kurze Zagstock, an dem Seil
herab und zangelte sich so daran vorwärts und auf das behendeste und
wiederum zurück, schwang sich empor und stand bolzgrad, fiel auf sein
Hinterteil: da schnellte ihn das Seil hinauf mit solcher Macht, daß er
dem Rathausgiebel um ein kleines gleichgekommen wär', und dennoch kam er
wieder jedesmal schön auf denselben Fleck zu stehen und zu sitzen.
Zuletzt schlug er ein Rad von einem End des Seils zum andern, das ging
-- man sah nicht mehr, was Arm oder Bein an ihm sei! So oft auch schon
seit dreien Stunden der Beifallsruf erschollen war, solch ein Gejubel
und Getöbe, wie über den trefflichen Bergmann, war noch nicht erhört.
Die Gaukler schauten ganz verblüfft darein, fragten und rieten
untereinander, wer dieser Satan wäre, indes die andern Leute alle
meinten, dies sei nur so ein Scherz, und das Männlein gehöre zu ihnen.
Hanswurst insonderheit stand als ein armer, ungesalzener Tropf mit
seinem Gugel da: sein Possenwerk war alles Leiresblosel neben solchem
Meister, ob dieser schon das Maul nicht dabei brauchte.

Nachdem der Bergmann so geendigt und sich mit unterschiedlichen
Scharrfüßen allerseits verneigt, sprang er hinab aufs Pflaster. Auf
seinen Wink kam der Hanswurst mit Schalksehrfurcht zu ihm gesprungen,
fing einen Taler Trinkgeld auf in seinem spitzigen Hut und nahm
zugleich, höflich das Ohr herunter zu dem Männlein neigend, einen
Auftrag hin, welchen er gleichbald vollzog, indem er rund herum mit
lauter Stimme rief: »Wer will von euch noch, liebe Leut', den hänfenen
Richtweg versuchen? Es ist ein jeder freundlich und sonder Schimpf und
Arges eingeladen, wes Standes und Geschlechts er sei, das Säcklein dort
am Schragen für sich herabzuholen. Es sind drei Hutzellaib darin. Er
möge aber, rat' ich ihm, in der Geschwindigkeit sein Testament noch
machen -- des Säckleins wegen, mein' ich nur -- denn der Geschickteste
bricht oftermals den Hals am ersten; es ist mir selbst einmal passiert,
in Bamberg auf dem Domplatz -- ja lacht nur!«

Jetzt aber, liebe Leser, möget ihr euch selbst einbilden, was für
Gemurmel, Staunen und Schrecken unter der Menge entstund, als der Seppe
vortrat bei den Schranken und sich zu dem Wagstück anschickte! Mehr denn
zehn Stimmen mahnten eifrig ab, ernsthafte Männer, mancher Kamerad,
zumal einige Frauen setzten sich dawider: allein der Jüngling, dem der
Mut und die Begier wie Feuer aus den Augen witterte, sah fast ergrimmt
und achtete gar nicht darauf. Hanswurst sprang lustig herzu mit der
Kreide, rieb ihm die Sohlen tüchtig ein und wollt' ihm die Bleistange
reichen; doch wies der Gesell sie mit Kopfschütteln weg. Bereits aber
wurden die Dienste des Narren am andern Ende des Seils auch nötig. Denn
zum größten Verwundern der Zuschauer trat dort auch eins aus den Reihen
hervor: man wußte nicht, sei es ein Knabe oder eine Dirne. Es trug ein
rosenrotes, weißgeschlitztes Wams von Seiden zu dergleichen lichtgrünen
Beinkleidern samt Federhut und hatte eine feine Larve vor.

Die Spielleute, Bläser und Pauker, die Gaffens wegen ihres Amtes gar
vergessend saßen, griffen an und machten einen Marsch, nicht zu gemach
und nicht zu flink, nur eben recht. Da traten die beiden zugleich auf
das Seil, das nicht zu steil anstieg, setzten die Füße fest und zierlich
einen vor den andern, vorsichtig, doch nicht zaghaft, die freien Arme
jetzt weit ausgereckt, jetzt schnelle wieder eingezogen, wie es eben dem
Gleichgewicht diente.

Kein Laut noch Odemzug ward unter den tausend und tausend Zuschauern
gehört, ein jedes fürchtete wie für sein eigen Leben; es war, als wenn
jedermann wüßte, daß sich dies Paar jetzo das erstemal auf solche Bahn
verwage.

Die junge Gräfin bedeckte vor Angst das Gesicht mit der Hand; den Grafen
selber, ihren Vater, den eisenfesten Mann, litt es nicht mehr auf seinem
Sitz; gar leise stand er auf. Auch die Musik ging stiller, wie auf
Zehen, ihren Schritt, ja, wer nur acht darauf gegeben hätte, der
Rathausbrunnen mit seinen vier Rohren hörte allgemach zu rauschen und zu
laufen auf, und der steinerne Ritter krümmte sich merklich. -- -- -- Nur
stet! nur still! drei Schritt noch und -- Juchhe! scholl's himmelhoch:
das erste Ziel war gewonnen! Sie faßten beiderseits zumal, jedes an
seinem Ort, die Stangen an, verschnauften, gelehnt an die Gabel.

Der unbekannte Knabe wollte sich die Stirne wischen mit der Hand,
uneingedenk der Larve: da entfiel ihm dieselbe zusamt dem Hut und --
ach! ein Graus für alle Gefreundete, Vettern und Basen, Gespielen,
Bekannte, so Buben als Mädchen -- die Vrone ist's! »Die Vrone Kiderlen,
einer Witwe Tochter von hier!« so ging's von Mund zu Mund. »Ist es denn
eine Menschenmöglichkeit?« rief eine Bürstenbindersfrau. »Das Vronele,
meiner nächsten Nachbarin Kind? Je! Gott sei Dank, bärig vor einer
halben Stund' ist ihre Mutter heim -- es ward ihr übel schon über den
vorigen Künsten -- und jetzt das eigne Kind -- der Schlag hätt' sie
gerührt, wenn sie das hätte sehen sollen!« -- Schon erhoben sich
wiederum Stimmen im Kreis, und noch lauter als vorhin beim Seppe, mit
Drohen, Bitten und Flehn an die Dirne, nicht weiter zu gehen. Sie aber,
ganz verwirrt, flammrot vor Scham, nicht wissend selbst, wie ihr
geschehn, wie sie's vermocht, stand da, wie am Pranger, die Augen
schwammen ihr, und ihre Knie zitterten. Ein Mann lief fort, eine Leiter
zu holen.

Derweil war aber schon der flinke Bergmann an der andern Seite zum Seppe
auf das Seil gekommen und hatte ihm etwas ins Ohr geraunt, worauf der
ungesäumt den linken Schuh abzog und seiner Partnerin mutig die Worte
zurief: »Komm, Vrone, es hat keine Not! Trau auf mein Wort, faß dir ein
Herz und tu mit deinem rechten Schuh, wie du mich eben sahst mit meinem
linken tun, und wirf ihn mir keck zu!«

Sie folgte dem Geheiß, mit Lächeln halb und halb mit Weinen, warf -- da
flog der Schuh dem Burschen wie von selber an seinen ausgestreckten Fuß.
Nun warf er ebenfalls, und ihr geschah dasselbe.

»Jetzt, Vrone, mir entgegen! Es ist nur, bis ich dich einmal beim
kleinen Finger habe, und wenn du mit der Patschhand einschlägst, dann
soll es mir und dir etwas Gutes bedeuten! Frisch dran, ihr Spielleut,
macht uns auf, und einen lustigen!«

Das fehlte nicht. Die vier Füße begannen sich gleich nach dem Zeitmaß zu
regen, nicht schrittweis wie zuvor und bedächtig, vielmehr im
kunstgerechten Tanz, als hätten sie von klein auf mit dem Seil verkehrt,
und schien ihr ganzes Tun nur wie ein liebliches Gewebe, das sie mit der
Musik zustand zu bringen hätten. Von nun an waren alle Blicke sorglos
und wohlgefällig auf das hübsche Paar gerichtet und gingen immer von
einem zum andern. Der Mann auf dem Brunnen hatte längst wieder den Atem
gefunden und das Wasser sprang aus den vier Rohren noch einmal so
begierig als sonst. Auf jedem Mädchenantlitz, unten auf dem Platz und
oben in den Fenstern, war aber recht der Widerschein der Anmut zu
erblicken, die man vor Augen hatte. Kein Kriegsmann war so trutzig und
kein Graubart von der Ratsherrnbank so ernsthaft und gestreng, daß ihm
das Herz dabei nicht lachte, und die Handwerksgesellen der Stadt waren
stolz, daß einer von den Ihren vor all den fremden Gästen so herrlichen
Ruhm davontrage.

Der Seppe sah im Tanz nicht mehr auf seinen schmalen Pfad noch minder
nach den Leuten hin: er schaute allein auf das Mädchen, welches in
unverstellter Sittsamkeit nur je und je seine Augen aufhob.

Als beide in der Mitte jetzt zusammenkamen, ergriff er sie bei ihren
Händen. Sie standen still und blickten sich einander freundlich ins
Gesicht; auch sah man ihn ein Wörtlein heimlich mit ihr sprechen. Danach
auf einmal sprang er hinter sie und schritten beide, sich im Tanz den
Rücken kehrend, auseinander. Bei der Kreuzstange machte er Halt, schwang
seine Mütze und rief gar herzhaft: »Es sollen die gnädigsten
Herrschaften leben!« -- Da denn der ganze Markt zusammen Vivat rief,
dreimal, und einem jeden Teil besonders. Inwährend diesem Schreien und
Tumult unter dem Schall der Zinken, Pauken und Trompeten lief der Seppe
zur Vrone hinüber, die bei der andern Gabel stand, umfing sie mit den
Armen fest und küßte sie vor aller Welt. Das kam so unverhofft und sah
so schön und ehrlich, daß manchem vor Freude die Tränen los wurden, ja
die liebliche Gräfin erfaßte in jäher Bewegung den Arm ihres Manns und
drückt' ihn an sich. Nun wandte sich die Vrone, und unter dem Jauchzen
der Leute, dem Klatschen der Ritter und Damen wie hurtig eilte sie mit
glutroten Wangen das Seil hinab! der Seppe gleich hinter ihr drein, das
leinene Säcklein mitnehmend.

Kaum daß sie wiederum auf festem Boden waren, kam schon ein Laufer auf
sie zu und lud sie ein, auf die Altane zu kommen, das sie auch ohnedem
zu tun vorhatten.

Sämtliche hohe Herrschaften empfingen sie im Angesicht des Volks mit
Glückwünschen und großen Lobsprüchen, dabei sie sich mit höflicher
Bescheidung annoch alles weiteren Fragens enthielten, indem sie zwar
nicht zweifelten, daß es mit dem Gesehenen seine besondere Bewandtnis
haben müsse, doch aber solchem nachzuforschen nicht dem Ort und der Zeit
gemäß hielten. Der Seppe nahm bald der Gelegenheit wahr, ein wenig
rückwärts der Gesellschaft den zwilchenen Sack aufzumachen, nahm die
Laiblein heraus und legte sie, höfischer Sitte unkundig, nur frei auf
die Brüstung vor die Frau Gräfin Mutter als eine kleine Verehrung für
sie, vergaß auch nicht dabei zu sagen, daß man an diesem Brot sein
ganzes Leben haben könne. Sie bedankte sich freundlich der Gabe, obwohl
sie, des Gesellen Wort für einen Scherz hinnehmend, den besten Wert
derselben erst nachderhand erfuhr. Dann zog er sein Geschenk für den
erlauchten Herrn heraus. Wie sehr erstaunte dieser nicht bei der
Eröffnung der Kapsel! und aber wieviel mehr noch, als er das goldene
Büchslein aufschraubte! Denn er erriet urplötzlich, was für ein Zahn das
sei, bemeisterte jedoch in Mienen und Gebärden Verwunderung und Freude.
Er wollte den Gesellen gleichwohl seines Danks versichern, tat eben den
Mund dazu auf, als an der andern Seite drüben der schönen Irmengard ein
Freudenruf entfuhr, daß alles auf sie blickte. Die Vrone nämlich hatte
ihr ein kleines Lädlein dargebracht, worin die verlorene Perlenschnur
lag. (Der kluge Leser denkt schon selbst, wer früh am Morgen heimlich
bei der Dirne war.) Nicht aber könnte ich beschreiben das holde
Frohlocken der Dame, mit welchem sie den Schmuck ihrem Gemahl und den
andern der Reihe nach wies. Er war unverletzt, ohne Makel geblieben, und
jedermann beteuerte, so edle große Perlen noch niemals gesehen zu haben.
Nunmehr verlangte man zu wissen, was Graf Eberhard bekam. »Seht an!«
sprach er, »ein Reliquienstück, mir werter als manch köstliche Medey an
einer Kleinodschnur: des Königs Salomo Zahnstocher, so er im täglichen
Gebrauch gehabt. Mein guter Freund, der hochwürdige Abt vom Kloster
Hirschau sendet ihn mir zum Geschenk. Er soll, wenn man bisweilen das
Zahnfleisch etwas damit ritzet, den Weisheitszahn noch vor dem
Schwabenalter treiben. Da wir für unsere Person, so Gott will, solcher
Fördernis nicht mehr bedürfen, so denken wir dies edle Werkzeug auf
ausdrücklich Begehren hie und da in unserer Freundschaft hinzuleihen, es
auch gleich heut', da wir etliche Junker zu Gast haben werden, bei Tafel
mit dem Nachtrunk herumgehen zu lassen.« -- So scherzte der betagte
Held, und alles war erfreut, ihn so vergnügt zu sehen.

Jetzt wurde den Bürgern das Zeichen zum Essen gegeben. Für jede Gasse,
wo gespeist ward, hatte man etliche Männer bestellt, welche dafür
besorgt sein mußten, daß die Geladenen in Ordnung ihre Sitze nahmen.
Solang, bis dies geschehn war, pflogen die Herren und Damen heiteren
Gesprächs mit dem Gesellen und der Vrone. Ein Diener reichte Spanierwein
in Stotzengläsern, Hohlippen und Krapfen herum, davon die beiden auch
ihr Teil genießen mußten. -- »Ihr seid wohl Bräutigam und Braut?« frug
die Frau Mutter. -- »Ja, Ihro Gnaden,« sprach der Seppe, »dafern des
Mädchens Mutter nichts dawider hat, sind wir's seit einer halben
Stunde.« -- »Was?« rief der Graf, »ihr habt euch auf dem Seil
versprochen? Nun, bei den Heiligen zusammen, der Streich gefällt mir
noch am allerbesten! So etwas mag doch nur im Schwabenland passieren.
Glückzu, ihr braven Kinder! Auf einem Becher lieset man den Spruch:
Lottospiel und Heiratstag Ohn' groß' Gefahr nie bleiben mag. Ihr nun,
nach solcher Probe, seid quitt mit der Gefahr euer Leben lang.« -- Dann
sprach er zu seinem Gemahl und den andern: »Jetzt laßt uns in die Gassen
gehn, unsern wackeren Stuttgarter Bürgern gesegnete Mahlzeit zu
wünschen! darauf wollen wir gleichfalls zu Tisch. Das Brautpaar wird
dabei sein; hört ihr? Kommt in das Schloß zu uns! Ihr habt Urlaub auf
eine Stunde; das mag hinreichen, euch den mütterlichen Segen zu
erbitten; wo nicht, so will ich selbst Fürsprecher sein.«

                   *       *       *       *       *

Begehrt nun der Leser noch weiteres zu wissen, als da ist: wie sich das
Brautpaar heimgefunden? ob sie von Freunden und Neugierigen nicht
unterwegs erdrückt, zerrissen und gefressen worden? was Mutter Kiderlen
und was die Base sagte? wie es denn bei der gräflichen Tafel herging?
auch was nachher der Graf mit dem Seppe besonders verhandelt und so mehr
-- so würde ich bekennen, daß meine Spule abgelaufen sei bis auf das
wenige, das hier nachfolgt.

Am Markt gegen dem Adler über sieht man dermalen noch ein merkwürdiges
altes Haus, vornher versehen mit drei Erkern, davon ein paar auf den
Ecken gar heiter wie Türmlein stehn mit Knöpfen und Windfahnen, hüben
und drüben unterhalb der Eckvorsprünge zwei Heiligenbilder aus Stein
gehauen, je mit einem kleinen Baldachin von durchbrochener Arbeit
gedeckt: Maria mit dem Kind samt dem jungen Johannes einerseits und St.
Christoph, der Riese, andrerseits, wie er den Knaben Jesus auf seiner
Schulter über das Wasser trägt, einen Baumstamm in der Faust zum Stab.
Dies Haus -- in seinen Grundfesten samt dem Warengewölb vermutlich noch
dasselbige -- gehörte von Voreltern her dem Grafen eigentümlich und ward
von ihm auf jenen Tag unserem Schuster in Erkenntlichkeit für seine
kostbare Gabe und zum Beweis besonderer Gnade als freie Schenkung
überlassen, nebst einem Teil des inbefindlichen Hausrats, welchem der
Graf schalkhaftigerweise noch einen neuen Schleifstein mit Rad beifügte.
Die Vrone bekam von den gnädigen Frauen einen künstlich geschnitzten
Eichenschrank voll Linnenzeug zu ihrer Aussteuer.

Am Hochzeittag gaben sich beide das Wort, ihre Glücksschuh zwar zum
ewigen Gedächtnis dankbar aufzuheben, doch nie mehr an den Fuß zu
bringen, indem sie alles hätten, vornehmlich aneinander selbst, was sie
nur wünschen könnten, auch überdies hofften, mit christlichem Fleiß ihr
Zeitliches zu mehren.

Der Seppe, jetzt Meister Joseph geheißen, blieb seinem Gewerbe getreu
noch über achtundzwanzig Jahr; dann lebte er als ein wohlhabender Mann
und achtbarer Ratsherr, mit Kindern gesegnet, seine Tage in Ruh mit der
Vrone.

Unter seinen Hausfreunden war einer, man hieß ihn den Datte, der kam an
jedem dritten Samstagabend auf ein Glas Wein und einen guten Käs zu ihm
mit dem Beding, daß niemand sonst dabei sei als die liebwerte Frau und
die Kinder (diese hatte er gern, und sie taten und spielten als klein
mit ihm, wie wenn er ihresgleichen wäre). Da ward alsdann geschwatzt von
Zunftgeschäften und von den alten Zeiten, ingleichen gern von einem und
dem andern ein starker Schwank erzählt. Derselbe Hausfreund brachte den
werten Eheleuten an ihrem goldenen Jubeltag ein silbernes
Handleuchterlein, vergoldet, in Figur eines gebückten Männleins, so
einen schweren Stiefel auf dem Haupte trägt und einen Laib unter dem
Arm. Rings aber um den Fuß des Leuchters waren eingegraben diese Reime:

   Will jemand sehn mein frazzengsicht,
   ich halt ihm selbs darzu das licht.
   mich kränket nur daß noch zur stund
   mich geküßt kein frauenmund.
   die mir allein gefallen hat
   ein cron und schaufalt dieser stadt
   hab ich vor funfzig jaren heunt
   müeßen lassen meinem freund.
   zum datte hant sie mich erkorn
   zu schlichten zwilauf hadder zorn.
   deß gieng ich müeßig all die jar
   mag es auch bleiben immerdar.

                   *       *       *       *       *

Und nun, mein Leser, liebe Leserin, leb' wohl! Deucht dir etwa, du
habest jetzt genug auf eine Weile an Märchen: wohl, ich verspreche,
dergleichen sobald nicht wieder zu Markte zu bringen; gefiel dir aber
dieser Scherz, will ich es gleichwohl also halten. Es gelte, wie
geschrieben steht zum Schluß des andern Buchs der Makkabäer: »Allezeit
Wein oder Wasser trinken ist nicht lustig, sondern zuweilen Wein,
zuweilen Wasser trinken, das ist lustig; also ist es auch lustig, so man
mancherlei lieset. Das sei das Ende!«




            Anhang Mörikes zum Stuttgarter Hutzelmännlein.


Seite 5. _Zochen_, Docht.

S. 6. _Unbeschrien_, ohne daß dich jemand darüber anredet. --
_Hutzelbrot_, Schnitzbrot, ein Backwerk, hauptsächlich aus gedörrten
Früchten, Birnen (Hutzeln), Feigen, Nußkern usw. bestehend, in Schwaben
gewöhnlich zu Weihnachten beschert.

S. 7. Eine _Ungüte_, unvergleichlich gut; wie man sagt: eine Unmenge,
ein Unlärm usf.

S. 8. _Hepsisau_, ein Dörfchen unweit Kirchheim unter Teck. --
_Guckigauch_, Kuckuck. Dieser Scherz ist auch in E. Meiers schöner
Sammlung von Sagen, Sitten und Gebräuchen aus Schwaben (S. 448)
angeführt. -- _Urdrutz_, Urdruß, Widerwille gegen eine Speise, an
welcher man sich übergessen hat.

S. 9. _Letzkopf_, Querkopf; letz, verkehrt, schlimm.

S. 10. _A grauße_, eine große. -- _Stiefelszorn_, gewaltiger Zorn.

S. 11. _Der Blautopf._ Die dunkle, vollkommen blaue Farbe der Quelle,
ihre verborgene Tiefe und die wilde Natur der ganzen Umgebung verleihen
ihr ein feierliches, geheimnisvolles Ansehn. Kein Wunder, wenn sie in
alten Zeiten als heilig betrachtet wurde, und wenn das Volk noch jetzt
mit abenteuerlichen Vorstellungen davon sich trägt. -- Der Durchmesser
des Beckens ist in der einen Richtung vom Wehr an 125', in der anderen
130', der Umfang ist also 408'. Der Prälat Weißensee nahm im Jahre 1718
eine Untersuchung vor und fand die Tiefe zu 63½ Fuß, gegen welchen
Erfund, besonders von seiten des Volks, das sich die Unergründlichkeit
nicht nehmen lassen wollte, mancherlei Einwendungen gemacht wurden. Das
Ergebnis einer späteren Untersuchung, im Sommer 1829, war aber auch nur
71' am Punkt der größten Tiefe. Dieselbe befindet sich ziemlich in der
Mitte des Topfs; nach den Seiten nimmt sie überall ab, so daß sich
daraus wirklich eine trichterförmige Gestalt des Beckens ergibt. Die
Untersuchung widerlegte auch die Meinung, daß Bäume und Baumstämme auf
dem Grund versenkt liegen, denn das Senkblei fand nirgends den mindesten
Widerstand. Mit Verwunderung vernahmen einzelne die Messung und fragten,
ob denn das Senkblei unten nicht geschmolzen sei; denn eine alte Sage
sprach von glühender Hitze in den untersten Schichten. -- Die schöne
Bläue des übrigens kristallhellen Wassers verstärkt sich mit zunehmender
Tiefe; nur an dem Rande, wo die Vegetation einwirkt, fällt sie ins
Grüne. Bis jetzt ist dieses Blau noch nicht genügend erklärt. Weder in
der Umgebung noch in der Farbe des Grundes kann die Ursache liegen, weil
das Wasser sein bläuliches Ansehen bis zum Ausfluß in die Donau behält.
Ebensowenig hat eine chemische Untersuchung durch Prof. Schübler einen
Gehalt an Metallen oder andern Stoffen, wodurch die Erscheinung
veranlaßt werden könnte, gezeigt: das Wasser stellte sich nur reiner als
die meisten Trinkwasser dar. -- Sein Spiegel ist gewöhnlich ganz ruhig,
so daß man kein Hervorquellen bemerkt; dennoch ist der Abfluß so stark,
daß er nicht nur mittels des an der Quelle angebrachten Brunnenhauses
die ganze Stadt und das Kloster mit Wasser versieht, sondern auch ein
ebenfalls daranstehendes Hammerwerk und unmittelbar darauf vier Mühlen
treibt. Bei anhaltendem Regen- und Tauwetter trübt sich die Quelle, wird
auffallend stärker und so unruhig, daß sie beträchtliche Wellen aufwirft
und Ueberschwemmungen verursacht. Im Jahre 1641 soll die Gefahr so groß
gewesen sein, daß ein Bettag gehalten, eine Prozession zum Blautopf
veranstaltet und zur Versöhnung der erzürnten Gottheit (allerdings
keiner Nymphe) zwei vergoldete Becher hineingeworfen wurden, worauf das
Toben nachgelassen habe. Unstreitig steht der Blautopf durch
unterirdische Klüfte in Verbindung mit der Albfläche und insbesondere
mit den darauf befindlichen Erdtrichtern. -- Einige hundert Schritte von
dem Topfe ist ein ähnlicher Quell, der Gieselbach, an welchem einst die
alte Niklauskapelle und ein Nonnenkloster stand. (Nach Memmingers
Beschr. d. Ob.-Amts Blaubeuren.)

S. 12. _Lau_, von La, Wasser, welches in lo, lau, b'lau überging, daher
nach Schmid[1] der Name des Flüßchens Blau (und Blautopf) abzuleiten
wäre. -- _Gumpen_ (der), gewöhnlich nur eine vertiefte Stelle auf dem
Grunde des Wassers, hier das ganze einer größeren Wassersammlung mit
bedeutender kesselartiger Vertiefung. Wer etwa, wie einige ohne Not
wollen, das Wort Topf im Sinne von Kreisel nimmt und es damit erklärt,
daß das Wasser, besonders bei starkem Regen- und Tauwetter, wo es sich
in der Mitte pyramidalisch erhebt, eine kreisende Bewegung macht, der
wird unsern Ausdruck doppelt gerechtfertigt finden, da gumpen, gampen
entschieden soviel ist als hüpfen, tanzen, mutwillig hinausschlagen. --
_Kleine Messer._ Es war eine alte Sitte, die noch nicht ganz abgekommen
ist, sich zum Zeichen der Freundschaft mit Messern zu beschenken;
vorzüglich herrschte sie in den Klöstern. Der Mystiker Meister Heinrich
von Nördlingen, Taulers und Susos Freund, schickte den Klosterfrauen zu
Medingen öfters Messer zum Geschenke. Daher vielleicht die Redensart:
Messerlein geben, d. h. nachgeben, Abbitte tun.

[Fußnote 1: Joh. Christoph v. Schmid, Schwäb. Wörterbuch (Stuttgart
1831) S. 73.]

S. 13. _Glusam_, mäßig erwärmt (auch in moralischer Bedeutung: stillen
Charakters). -- _Gänge Pfade_, begangene.

S. 14. _Küllhasen_, Kaninchen.

S. 15. _Schachzagel_ (das), Schachspiel.-- _Fernd_, voriges Jahr. --
_Kappis_, Kohl.

S. 17. _Oehrn_, Hausflur.

S. 18. _Habergeis_, von heben, wegen der hüpfenden, hoppelnden Bewegung
des Kreisels. -- _Bauren-Schwaiger_, von geschweigen, stillen. Die alten
Griechen und Römer hatten magische Kreisel, Rollen und Räder, meist aus
Erz, deren sich Frauen und Mädchen zum Liebeszauber bedienten, indem sie
dieselben unter seltsamen Bannsprüchen herumdrehten. So in der zweiten
Idylle des Theokrit. Nach einem Epigramm der griechischen Anthologie
hatten vornehme Thessalierinnen dergleichen aus Edelstein und Gold, mit
Fäden purpurner Wolle umwickelt, welcher besonders eine geheime Kraft
inwohnen sollte. Natürlich hat man sich diese Kreisel weit kleiner,
überhaupt von anderer Form als den unsern zu denken. In jenem Epigramm
wird der Venus ein solches Weihgeschenk gebracht.

   Nikos Kreisel, mit dem sie den Mann fern über das Meer zieht
      Oder dem stillen Gemach sittige Mädchen entlockt,
   Lieget, ein hell Amethystengerät und mit Gold verzieret,
      Kypris, ein lieber Besitz, deinem Altare geweiht,
   Mitten von Wolle des purpurnen Lamms umwunden. Larissas
      _Zauberin_ bracht' ihn dir, Göttin, ein gastlich Geschenk.

         s. Jacobs, Leben und Kunst der Alten.[2]

[Fußnote 2: Vgl. Reclams Univ.-Bibl. 1921-24, S. 59. Anm. d. Hrsgs.]

Während der Stoff, woraus das Instrument der Larisserin bestand, zum
Zweck selbst nichts beitrug, wird er in unserm Fall Hauptsache, und die
von den Alten dem Amethyst zugeschriebene Wirkung, derenwegen man sonst
den Stein in Schmuckform bei sich trug, ist hier an den tönenden Kreisel
geknüpft. -- _Das Selige._ Selig, berauscht, ist nicht gleichbedeutend
mit glückselig, obwohl darauf hinspielend, sondern gleichen Stamms mit
Sal, Rausch, niedersächsisch; #soûl#, betrunken, französisch. -- »Als
verfälschten die Bürger den Landwein auf eine so unleidentliche Weise,
daß mehrere Leute das Selige berührt hätte.« Gemeiners Regensb. Chron.
zum Jahre 1474. -- _Söhnerin_, Schwiegertochter.

S. 19. _Susanne Preisnestel._ Scherzhafte Bezeichnung aufgeputzter
Mädchen. Preis heißt der Saum am Hemd; prisen, einfassen; mit einer
Kette, gewöhnlich von Silber, einschnüren, um den bei der vormaligen
oberschwäbischen Frauentracht üblichen Brustvorstecker zu befestigen;
der hierzu gebrauchte seidene oder wollene Bändel hieß Preisnestel.--
_Aschengruttel_ (Aschenbrödel), sonst im Schwäbischen auch Aschengrittel
und Aeschengrusel genannt.

S. 21. _Einen roten Rock._ Ein alter Reim, welchen die Wärterinnen
hersagen, wenn sie die Kinder auf den Knien reiten lassen, enthält schon
diese Vorstellung:

   Hott^a, Hott^a, Rößle,
   Z'Stu^agart steht a Schlößle,
   Z'Stu^agart steht a Gart^ahaus,
   Guck^at drei schöne Jungfr^a raus:

   Die ein' spinnt Seide,
   die ander' spinnt Weide,
   Die dritt' spinnt ^an rot^a Rock
   Für unsern li^ab^a Herr^agott.

         s. E. Meiers Kinderreime, S. 5.

-- _Verkommen_, begegnen. -- _Baß_, sehr, gut, besser. -- _Unwirs_,
unwirsch, ungehalten. -- _Wetterblicken_, der Blick, Durnblick,
Wetterblick, Blitz. -- _Rusenschloß_ oder Hohen-Gerhausen, vormals eine
gewaltige Bergfeste, jetzt äußerst malerische Ruine über dem Dorfe
Gerhausen gelegen, in der Nähe vom Ruck, einer minder bedeutenden Burg.
-- _Mahd_ (das): 1. die zu mähende Wiese, 2. das Gemähte.

S. 22. _Jäst_, Jast, Gärung, aufbrausender Zorn.

S. 23. _Zuberklaus_, ein Mensch, der seltsame Einfälle hat; vielleicht,
sagt Schmid,[3] eine scherzhafte Verstümmelung des Wortes superklug,
zugleich anspielend auf den Klaus Narr. Letzterer ist ohne Zweifel in
dem Worte enthalten, im übrigen hat diese Erklärung etwas zu Modernes.
Ein humoristischer Etymolog nimmt die erste Worthälfte bar und will, ich
weiß nicht, wo, gefunden haben, daß sich Klaus Narr eines solchen Geräts
bei einem Ulmer Schifferstechen als Fahrzeugs in Ermangelung eines
ordentlichen Nachens bedient habe. -- _Lichtkarz_, Karz, entweder von
garten, müßig sein, umherschwärmen, z'Garten gehen, Besuch machen oder,
wahrscheinlicher, von Kerze. Versammlung von Spinnerinnen, auch Vorsitz
genannt. -- _Spitzweise_, spitzfindig; »mit spitzwysen Worten« (Ulmer
Urk.).

S. 25. _Ein steinernes Haus._ Es ist das der Stiftskirche westlich
gegenüberstehende Mäntlersche Haus (jetzt städtische Gebäude) gemeint,
das gegenwärtig noch »zum Schlößlein« heißt. Es soll den Herrn von
Kaltenthal gehört haben; Memminger, in seiner Beschreibung der Stadt,
macht es aber sehr wahrscheinlich, daß das Gebäude von Anfang gräflich
württembergisches Besitztum, und zwar einer der Sitze oder eine der
Burgen gewesen sei, die nächst dem Stutengarten die Entstehung von
Stuttgart veranlaßt haben mögen. -- _In natürlicher Kunst._ Natürlich,
naturkundig. »Von den sachen des siechtumbs nach gemainen löffen der
natur schreiben die natürlichen maister« (Steinhöwel, Ulmer Arzt).
Natürliche Meister sind aber nicht bloß Aerzte, sondern auch
Philosophen. In dem »Buch der sterbenden Menschheit« heißt es: »Ein
mächtiger wolgelerter man in philosophia, das ist in natürlicher kunst.«

S. 26. _Imperial_, war ehemals eine Goldmünze; der Name ist nur noch in
Rußland üblich.

S. 27. _Spiriguckes_, ein wunderwitziger, neugieriger, auf Kuriositäten
erpichter Mensch von sonderbarem Wesen.

S. 28. _Mir nex -- usgang^a_, sagt man am Schlusse der Erzählung einer
Sache, die auf nichts hinausläuft. -- _Bod^alaus_, bodenlos.

S. 29. _Zuteuerst_, sogar. -- _Irrsch_, nicht recht bei sich.

S. 30. _'s leit ^a Klötzle_, es liegt usw. Diese Zeilen finden sich
ebenso in E. Meiers Kinderreimen. -- _Leirenbendel_, langweiliges
Einerlei; zunächst der schwäbische Volksname für einen Vogel, Wendehals.

[Fußnote 3: A. a. O. S. 551.]

S. 31. _Gesetzlein_, Sprüchlein, Strophe eines Lieds. -- _Buntüberecks_,
verkehrt, durcheinander.

S. 33. _Sottige_, söttige, sotte, solche. -- _Witzung_, Witzigung,
Warnung.

S. 35. _Holdschaft_, Liebschaft, zärtliche Freundschaft.

S. 36. _Buksieren_, necken, plagen. -- _Knappen_, hinken.

S. 37. _Ehni_, Aehne, Großvater.

S. 38. _Heiratstag_, Verlobungstag.

S. 39. _Helle Wiese_, Hölle, Fegfeuer. »Der ward entzuckt vnd gefürt jn
die helle wise« (Legende). -- _Morgen nach dem Bad_, Sprichwort: du
kommst zu spät.

S. 41. _Der wirtembergische Niemez_ (Niemer, Niemand), einer der soviel
als nichts ist, kein Gewerbe versteht oder treibt.

S. 43. _Bocken_, mit den Köpfen aneinander stoßen, klopfen. --
_Durnieren_, lärmen, lautähnlich mit durnen, donnern.

S. 44. _Grättlein_, kleiner Korb. -- _Wiegentag_, Geburtstag
(Marchthalers von Eßlingen Hauschronik).

S. 45. _Irmengard_, eine der vier Töchter Eberhards von seiner zweiten
Gemahlin, Irmengard von Baden, »die prächtigste der Rosen«, wie ihre
Grabschrift sie nennt; starb 1329. -- _Nuster_, Halsschnur, von Pater
noster; daher auch Patter.

S. 46. _Wasen_, Rasen, Anger (auch S. 74). -- _Alfanz_, Gewinn, Vorteil.
-- _Rauner_ (raunen, leise reden, murmeln), Beschwörer. »Dye nit will
hören die stymen der rauner« (alte Uebersetzung des Psalm 58).

S. 47. _Einen ansehnlichen Weiher._ In Wirklichkeit wurde dieser
sogenannte mittlere See beim alten Sebastians-, nachmaligen Büchsentor
(welcher seit 1700 ausgetrocknet ist) um das Jahr 1393 angelegt. Die
obere Vorstadt entstand eigentlich unter Graf Ulrich dem Vielgeliebten
und Eberhard im Bart (Pfaffs Geschichte der Stadt Stuttgart).

S. 48. _Hatte einen Bösen getan_, war unmäßig. -- _G'rutzelt voll_, sehr
voll.

S. 49. _Traubenschuß_, ein Schuß mit vielen Schroten aus kleinem Gewehr,
hier angewendet auf grobes Geschütz, dergleichen die _Quartanschlange_
war, welche zehnpfündige Kugeln schoß, und der _Tarras_, der übrigens
auch als Büchse genannt wird. -- _Die Sach' steht auf Saufedern_, ist
mißlich.

S. 50. _Scharsach_, Schermesser. »Als ein geschliffen Scharsach« (Psalm
52).

S. 51. _Fazvögel_, von fazen, spotten. Italien. #fazio#, Possenreißer;
lat. #facetiae#, witzige Scherze. -- _Der Holzschlegel -- auf der Bühne_
(auf dem obern Boden unter dem Dach), ohne Aufwand und Mühe gelinge
ihnen alles.

S. 52. _Selletwegen_, jeneswegen. -- _Beschreien_, berufen
(abergläubische Warnung vor allzugroßer Sicherheit). -- _Stuß_, Stoß,
Verdruß. -- _Beim Beilichen_, ungefähr; die Beiliche, die Nähe. --
_Stiegelfizisch_, naseweis.

S. 53. _Grind_, pöpelhaft für Kopf. -- _Wampel_, wimbel, übel,
magenschwach; ähnlich #to wamble# im Engl. -- _Triet_ (die), ein
Magenpulver. Franz. #trisenet#. -- _Allermanns-Harnisch_, runde Siegwurz
(#Gladiolus communis#), ehemals in medizinischem Gebrauch; wurde als
Amulett gegen Verwundungen und verschiedene Krankheiten, sowie zu andern
abergläubischen Zwecken getragen und wird zuweilen noch vom Volke
gebraucht. -- _Dierletey_, nicht näher bekanntes Ingrediens einer Salbe;
in der Mörin des Herm. v. Sachsenheim erwähnt. -- _#Mamortica#_
(#Mamordica balsamina#), der echte Balsamapfel, wunderheilendes Mittel.
-- _Wurzler_, Apotheker. -- _Gschwey_, Schwägerin.

S. 54. _Ledder_, statt Leder, sprechen alle gereisten Schuster in
Schwaben. -- _Mille_, Mil, Milch; ulmisch.

S. 55. _Lichtbraten_, Lichtgans, ein Braten, welchen Handwerker, die im
Winter auch des Nachts arbeiten, Schuster, Schneider, Weber u. dergl.,
ihren Gesellen beim Anfang des Winters zum besten geben. Bis zu Ende des
18. Jahrhunderts bestand in Ulm dieser Gebrauch in einem mit Musik,
Trommeln und Pfeifen und bisweilen mit öffentlichen Aufzügen verbundenen
Schmause.

S. 56. _Fürsche_, vor sich, vorwärts.

S. 57. _Döte_, männlicher, Dot, Dote, weiblicher Taufpate. --
_Wunderlecker_, ein Wundersüchtiger (ohne Vorgang). -- _Einzecht_,
einzeln.

S. 58. _Wadelbir_, eine Birnenart. »#Mit manchen bieren#« (Hugo v.
Trimberg). -- _Drudenfuß_, von Drude, Trut, Unholdin; eine magische
Figur, aus zwei zu einem Fünfeck verbundenen Triangeln bestehend. --
_Kandel_, Rinne, Abzugskanal. -- _Nachtschach_, Räuber, Dieb; von
Schach, Raub. -- _Aberschanz_, das Hintere.

S. 59. _Weinschröter_, Weingärtner.

S. 60. _Eine Stuterei._ Gabelkhover (in seiner handschriftlichen Chronik
vom Jahre 1621) will den Platz noch wissen, wo das alte Stutenhaus
gestanden. »Zwanzig Schritt ohngefehrlich,« sagt er, »von der jetzigen
Stiftskirche gegen Mitternacht, da Paulus Sautter, Provisor, sitzt.«
Dieser Sautter saß aber, einer Hausurkunde zufolge, in dem ehemaligen
Weinschenk Thumschen Haus, und nach einer bekannten Ueberlieferung wäre
dies Haus das älteste der Stadt. -- _Zinselwerk_, Gaukelwerk.
»Celestinus hat den introitum mit anderm zinselwerk hin dar gesetzt«
(Spreter, Bericht von der alt. christl. Meß). -- »On vnser verdienst,
vergebenlich, nit durch ablas oder eygen zinselwerk« (Spret, christl.
Instruktion). -- _Dockenkasten_, Puppentheater.

S. 61. _Kräben_, Tragkorb. -- _Schauenlichkeit_, Kontemplation,
beschauliches Leben. »Nit minder vorhalt mich vor disen gesellen, die
allein der Schawenlichkeit gleben (geleben) wend« (Spreter, christl.
Instr.). -- _Drönsgen_, Intensivform von trehnsen, langsam etwas
verrichten; entspricht dem Franz. #trainer#, ziehen, dem Engl. #to
train#, #to trone# und #to drowse#, schlummern, schläfrig sein. --
_Heiltum_, Reliquie. Der Pfarrer zu Leipheim, im Jahre 1500, bestrich
die Leute für ein Opfer mit dem Heiltum St. Veits.

S. 63. _Marschloß_, Maderschloß, Malschl. (Schweizerisch: Malle, Tasche;
franz. #malle#), Vorlegschloß. -- _Die Eigel_, der Blutigel; in den
ältern Ausgaben der Lutherischen Bibel, Sprüche Sal. 30, 15.

S. 64. _Ringer_, mit geringerer Mühe. -- _Schier_, bald. -- _Werr_,
Erdkrebs, ein den Fruchtfeldern schädliches großes Insekt.

S. 65. _Hartselig_, hartnäckig. »Durch Wunderzeichen wil Gott das
hartsälig volck ziehen vnd berüffen« (Spreter, Instr.). -- _Torangel_,
Schimpfname für grobe Bauern. -- _Sittich_, Sitter, #psittacus#,
Papagei.

S. 66. _Wind und weh_, sehr übel, sowohl im körperlichen als geistigen
Sinne gebraucht; wind, wahrscheinlich von schwinden, woher auch
Schwindel stammt, also schwindlig. »Ir ward so swinde und weh dar nach«
(Koloczaer Codex altdeutscher Ged., herausg. von Mailáth usw. S. 232).

S. 67. _Schnorzig_, verdrießlicher Laune, worin man jemand anschnurrt.

S. 68. _Meineider_, Meineidiger (Marchth. Chr.). -- _Brogl-Wenz_; sich
broglen, prahlen; alt brogen, sich regen, in die Höhe richten, ungestüm
sein. Engl. #to brag#, ital. #brogliare#. Die Zusammensetzung mit einem
Namen, als sprichwörtliche Anspielung, ist willkürlich. -- _Elend_, ein
Garten in Ulm hinter dem Hospital an der Donau, auf dessen Stelle
ehemals vermutlich ein Pflegehaus für arme Pilger und Fremdlinge war.
Dergleichen Anstalten hießen auch anderwärts Elendhäuser, elende
Herbergen Elend, #ellend#, aus #el#, fremd, und #lend#, bedeutet
überhaupt die Irre, Fremde.

S. 69. _Pflug_, Name eines Gasthofs in Ulm. -- _Uf^am_, auf dem. --
_Blo-Holder-Strauß_, Busch von blauem Holunder, Syringe. -- _Vor's_,
bevor es. -- _Nachthüehle_, Nachthuhn, Käuzlein.

S. 70. _Di^a Gugelfu^ahr gang wieder a^n_ (gehe wieder an). Die
Gugelnarren, d. h. die Narren mit den spitzigen Hanswursthüten, ließen
sich zur Fastnachtszeit auf Karren herumführen und trieben Unfug; daher
Gugelfuhr für große Lustbarkeiten und jeden lustig lärmenden Unfug.

S. 72. _Herzensbrast_, Beklemmung, Herzeleid; von Bresten, Gebrechen. --
_Scheurenburzler_, Landstreicher, Zigeuner, der in Scheunen auf dem
Lande das Nachtlager zu nehmen pflegt. -- _All Hundsod^am_, alle
Augenblicke.

S. 73. _Gen die Sperlachen_ (#plur.#), gegen das Himmelszelt; von
sperren und Laken oder Lachen, Tuch, das über einen Wagen zur Bedeckung
gespannt ist. »Wann got jnn den sperlachen wonet vnd sy mit seinen
gnaden erleuchtet« (Buch der sterb. Menschh.) -- _Hofraite_ (die), der
ganze zu einem Haus gehörige Umfang von Hof, Bäulichkeiten usw.

S. 74. _Gähnaffen_ (Maulaffen) _feilhaben_, müßig dastehen. -- _Den
Plirum geigen_, abprügeln.

S. 76. _Trait mer_, trägt man. -- _Dattern_, dottern, zittern. Engl. #to
totter#. -- _Jetzt ist lang Tag_, Sprichw., es hat keine Not mehr.

S. 77. _Wuhr_ (das), Wehr. »Ich hab gebawen die wasserwure« (Buch der
sterb. Menschh.). -- _Gottig_, gotzig, gotteseinzig, einzig. --
_Trischacken_, eine Art Kartenspiel. Ital. #i tre sciacchi#.

S. 78. _Schiedfell_, Zwerchfell, weil es Herz und Lunge von den andern
Eingeweiden scheidet; #diaphragma#. -- _Faxen_, auffallende, lächerliche
Gesten.

S. 79. _Seellos_, ruchlos. »Die Trewloßen, Ehrloßen und Seelloßen
bauren« (Brief an Schwäb. Hall im Jahre 1525). -- _Ich habe Kreuz --
ab._ Diese Zeilen fand der Verfasser selbst an einem ähnlichen Ort auf
freiem Felde von einer ungeübten Hand mit Kreide angeschrieben.

S. 82. _Verbutzen_, vermummen. »An Fastnacht soll sich niemand
verbutzen, verkleiden, verwelchen« (von Wale, Walch, Welscher, Fremder).
Ulm, Verordn. v. J. 1612. Die Butz heißt Scherz, Betrug, Lüge; der Butz,
Narr, Possenreißer, Larve.

S. 83. _Verhansleartlen_, auf eine einfältige Weise verlieren,
versäumen. Hans Leand, Hans Leard, Johann Leonhard, wird zur Bezeichnung
eines einfältigen Menschen gebraucht.

S. 84. _Morgenatz_, Frühstück (Marchth. Chronik).

S. 86. _Bartzefant_ (der), Diener. Franz. #poursuivant#.

S. 87. _Korabelle_, Buhldirne, wahrscheinlich aus #mia cara bella#
entstanden und auf Barbara, in der Volkssprache Belle, anspielend; kommt
noch in Weitzmanns Gedichten vor. -- _Knegler_, einer der stark durch
die Nase redet. -- _Sotterer_, ein siecher Mensch; von sottern,
kränkeln; mit Sucht verwandt. -- _Ungeschaffen_, ungestaltet. »Da (in
Cannstatt) ist alle Jar ain tag haißt der ungeschaffene tag, vonn mannen
Jungen gesellen weiber vnd Jungfraw vnnd welcher der vngestaltest ist
der gewindt ain Rockh vnnd ander ding darzu vnnd welche die
vngeschaffnest ist die gewindt ain Gurttl pewtel (Beutel) Handschuh vnnd
ander Ding« (Ladisl. Sunthaim, Historiograph des K. Maximil. I. S.
Memmingers Cannstatt).

S. 88. _Grüß dich Gott, herzlieber_ usw., ein altes Volkslied, aus des
Knaben Wunderhorn (II, 300) mit einiger Veränderung entlehnt.

S. 89. _Wurstelmaukeler_, maucheln, maukeln, maunkeln, mockeln,
vermockeln, verstecken, heimlich zu Werke gehen, betrügen (bemogeln);
daher Butzenmaukeler, die verkleidete Person, welche ehemals an
Fastnacht, an Nikolai oder zu Weihnachten, die Kinder zu erschrecken,
aufgestellt wurde. Die Verbindung mit Wurst in unserm Text ist
willkürlich und diese Gestalt dem Pfingstlimmel nachgebildet. Es war
dies ein Knabe, welcher zur Pfingstzeit, vom Scheitel bis auf die Füße
ganz mit frischem Grün und Feldblumen umflochten, entweder zu Fuß oder
auf einem Pferde sitzend und von zwei andern Burschen geführt, in der
Stadt oder im Dorf herumzog. Den Kopf bedeckte eine ellenlange, spitze
Kappe von Laubwerk, und das Gesicht war zuweilen mit Baumrinde verlarvt.
Der Verfasser fand diese Sitte noch auf der Alb, in Ochsenwang. Zu
Augsburg, wo man Schilf zu der Verkleidung nahm, hieß ein solcher Knabe
der Wasservogel. -- _Blunz_ (der), dicke Blutwurst. -- _Stampaney_
(die), Ersonnenes, Erdichtetes, Märchen; von Stampf, weil Bilder mit dem
Stampf abgedruckt wurden. Josua Mahler (im Jahre 1551) sagt, nachdem er
die in der Hauptkirche zu Aachen vorgezeigten Reliquien aufgezählt hat:
»Es ist dies Münster ein rechter Kramladen zu derley Stampaneyen.«

S. 90. _Der Siedig_, der Angstschweiß.

S. 91. _Leiresblosel_, Leiresbläslein, soviel als: ein dummes Ding; mag
von Leier und Blasen herkommen, zunächst also: schlechtes Geleier.

S. 93. _Bärig_, kaum.

S. 95. _Zwilch_ (der), grobe Leinwand.

S. 96. _Medey_, ein Kleinod, vielleicht eine Medaille, zum Hutschmuck
gehörig. »Ob dem stulp (des spanischen Huts) ging ein Schnur vmbher.
Nicht anderst alß wenns ein Kron wer; Gar köstlich von schönen Medeyen,
Orndlich gesetzet nach der Reyen, Treflich vil schöne Edel Stein Theurer
art dran gestanden sein« (Aus Fürstl. Würt. Pomp und Solennität durch
#M. Jo. Ottingerum# beschrieben, Stuttg. 1607.) »Medeyen oder Rosen an
der Cleinodschnur« (ebendas.). -- _Stotzenglas_, kurzes Kelchglas mit
einem Fuße. -- _Hohlippen_, hohle Hippen, gerolltes Oblaten-Gebackenes.
-- _Krapf_, mit Obst, Weinbeeren, Rosinen und dergl. gefülltes Backwerk.
Im Altdeutschen bedeutet das Wort einen gekrümmten Haken.

S. 99. _Schaufalt_ (der Falt, schwäb.), die Falte an Tüchern, die nach
außenhin, um besonders gesehen zu werden, gelegt wird; daher das
Vorzüglichste seiner Art, womit man prangt, z. B. eine Person in einer
Familie. Aehnlich ist Ausbund: was im Zusammenbinden auswärts gerichtet
wird, und ebenso das vormals gebräuchliche Ueberbund. -- _Datte_, Vater
(Kindersprache). In einigen Orten Württembergs war ehemals die
Gewohnheit, daß Ehezwistigkeiten, ehe sie zu sehr überhand genommen,
durch einen stattlichen, untadelhaften Mann im Dorfe, den man den Datte
nannte, der aber unbekannt blieb, gerügt und bestraft wurden. Er klopfte
nämlich, von zwei selbstgewählten Gehilfen begleitet, an dem Hause
uneiniger Eheleute an, antwortete auf die Frage: »Wer da?« bloß: »Der
Datte kommt« und ging ohne weiteres wieder weg. Hörte der Zwist nicht
auf, so erschien er zum zweitenmal und beobachtete dasselbe. Blieb auch
dies ohne Erfolg, so kam er zum drittenmal vermummt, drang in das Haus
und prügelte den schuldigen Teil tüchtig ab. Der Mißbrauch hob diesen
vielleicht altgermanischen Gebrauch auf. -- _Zwilauf_, Zwist. »Peter
Vngelter vf der Stette haissen gen Straßburg verritten von Irer zwilöff
wegen dorvnter zu reden« (aus e. Städterechnung).

                                Ende.

                 Im Weltkrieg auf K.-Papier gedruckt




Anmerkungen zur Transkription


Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Hervorhebungen, die im
Original g e s p e r r t sind, wurden mit Unterstrichen wie _hier_
gekennzeichnet. Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt sind,
wurden #so# markiert. In den mundartlichen Textteilen vorkommende
einzelne hochgestellte Buchstaben wurden mit einem vorrangehenden ^
markiert.

Die variierende und oft mundartliche Schreibweise des Originals
wurde weitgehend beibehalten. Lediglich offensichtliche Druckfehler
wurden, teilweise unter Verwendung weiterer Ausgaben des Textes, wie
hier aufgeführt korrigiert (vorher/nachher):

   [S. 23]:
   ... Damit sie ihres Kummers eher vergessen, lud ihr Frau ...
   ... Damit sie ihres Kummers eher vergesse, lud ihr Frau ...

   [S. 44]:
   ... Grättlein am Arm und wollte Himbeeren lesen im Bubsinger ...
   ... Grättlein am Arm und wollte Himbeeren lesen im Bupsinger ...

   [S. 103]:
   ... hoppelnden Bewegung des Kreises. -- Bauren-Schwaiger, ...
   ... hoppelnden Bewegung des Kreisels. -- Bauren-Schwaiger, ...

   [S. 109]:
   ... zittern. Engl. to tottor. -- Jetzt ist lang Tag, Sprichw., es ...
   ... zittern. Engl. to totter. -- Jetzt ist lang Tag, Sprichw., es ...






End of Project Gutenberg's Das Stuttgarter Hutzelmännlein, by Eduard Mörike

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Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
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