Arabische Nächte : Erzählungen aus Tausend und eine Nacht

By Edmund Dulac

The Project Gutenberg eBook of Arabische Nächte
    
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Title: Arabische Nächte
        Erzählungen aus Tausend und eine Nacht

Illustrator: Edmund Dulac

Release date: March 24, 2025 [eBook #75699]

Language: German

Original publication: Potsdam: Müller & I. Kiepenheuer Verlag, 1920

Credits: Richard Illner and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ARABISCHE NÄCHTE ***





                           ARABISCHE NÄCHTE

                              ERZÄHLUNGEN
                                  AUS
                        TAUSEND UND EINE NACHT

                        MIT 20 FARBIGEN BILDERN
                                  VON
                             EDMUND DULAC

                      [Illustration: Druckerlogo]

               MÜLLER & I. KIEPENHEUER VERLAG · POTSDAM
                              G. M. B. H.




                      [Illustration: Schehersad]

         Gedruckt in der Offizin Haag-Drugulin AG. in Leipzig




                                INHALT


                                                         Seite
  Eingang                                                    3

  Geschichte vom Fischer und dem Geiste                     14

  Geschichte vom versteinerten Prinzen                      36

  Geschichte vom Zauberpferde                               51

  Geschichte vom Prinzen Chodadad                           84

  Geschichte des Prinzen Achmed und der Fee Pari Banu      100

  Geschichte von Ali Baba und den vierzig Räubern          181

  Ausgang                                                  234




                           BILDERVERZEICHNIS


  Geschichte vom Fischer und dem Geiste.
  Bild auf Seite:                               1, 20, 28, 32

  Geschichte vom versteinerten Prinzen.
  Bild auf Seite:                                          40

  Geschichte vom Zauberpferde.
  Bild auf Seite:                      52, 60, 64, 72, 74, 82

  Geschichte vom Prinzen Chodadad.
  Bild auf Seite:                                    102, 132

  Geschichte des Prinzen Achmed und der Fee Pari Banu.
  Bild auf Seite:                                         160

  Geschichte von Ali Baba und den vierzig Räubern.
  Bild auf Seite:                188, 196, 204, 208, 220, 224




                                EINGANG


Im Namen Gottes, des Gütigen und Gnädigen, Friede sei mit unserm Herrn
Mohammed, dem höchsten Gesandten Gottes, und über seiner Familie und
seinen Freunden; Friede sei mit ihnen bis zum jüngsten Tage! Die
Geschicke der Früheren seien eine Lehre den Kommenden, damit sie
daraus lernen und in der Vergangenheit fleißig lesen mögen. In diesen
Erzählungen, die »Tausend und eine Nacht« genannt sind, soll euch
Belehrung und Weisung gegeben sein. So nämlich wird von dem berichtet,
was sich ehemals bei den Völkern zugetragen hat:

Vor langen Zeiten regierte ein König auf den Inseln Indiens und Chinas,
der war reich und hatte viele Diener und Truppen. Seine zwei Söhne
hießen Scheherban und Schahseman. Scheherban war der ältere; Schahseman
herrschte über Samarkand in Persien und regierte zwanzig glückliche
Jahre. Einst nun erfaßte den älteren König innige Sehnsucht nach seinem
jüngeren Bruder; er rief seinen Wesir und befahl ihm, zu Schahseman
zu reisen und ihn mitzubringen. Der jüngere Bruder gehorchte alsbald
der Aufforderung, ließ Kamele und Maultiere rüsten und begab sich
mit stattlichem Gefolge auf den Weg. Seinem Wesir aber übertrug er
die Regierung, solange er abwesend sei. Da geschah es, daß er sich
erinnerte, etwas in seinem Schlosse vergessen zu haben; rasch eilte er
dorthin zurück und überraschte seine Frau in verbotener Liebe zu einem
schwarzen Sklaven. Heiße Wut stieg in ihm empor, er zückte sein Schwert
und erstach beide; darauf reiste er weiter bis vor die Hauptstadt
seines Bruders. Er ließ durch einen Boten seine Ankunft melden, und
Scheherban zog ihm mit Gepränge entgegen, umarmte und begrüßte ihn
voller Freude. Aber die Erinnerung an die Untreue seiner Gemahlin nagte
an der Seele des Königs Schahseman, so daß die Farbe seines Gesichtes
verblich und die Kraft seines Körpers abnahm. Kein Fest vermochte
seinen umdüsterten Sinn zu erheitern. Scheherban meinte, daß die
Sehnsucht nach der Heimat an ihm zehrte und fragte ihn eines Tages voll
Sorge: »Lieber Bruder, ich sehe, daß deine Wangen blaß werden, und daß
ein heimlicher Kummer in deiner Seele wohnt.« Jener entgegnete: »Mich
quält eine innere Krankheit,« und verheimlichte, was bei seiner Abreise
geschehen war. Er ließ seinen Bruder allein zur Jagd reiten und blieb
daheim voll Sorge und Verdruß.

Es waren aber in dem Schlosse, das Schahseman bewohnte, einige
Fenster, durch die er in den Garten seines Bruders blicken konnte. Da
sah er, wie aus der Türe des Palastes zwanzig Sklaven und Sklavinnen
heraustraten, und in ihrer Mitte schritt die Frau seines Bruders,
die war von wunderbarer Schönheit und herrlichem Wuchse. Sie gingen
zu einem Teiche, dort entkleideten sich die Sklavinnen und setzten
sich zu den Sklaven. Die Königin rief Masud, einen schwarzen Sklaven,
umarmte ihn und koste mit ihm. Und die anderen Sklaven und Sklavinnen
taten desgleichen und verbrachten den Tag mit Küssen und in Liebe. Als
Schahseman das erblickte, sprach er zu sich: »Wahrlich, meinem Bruder
ist Härteres widerfahren als mir.« Sorge und Kümmernis wichen von ihm,
und er aß und trank.

Als der König Scheherban von der Jagd zurückkehrte und sah, daß sein
Bruder die frühere Kraft und Farbe wiedererlangt hatte und mit Freuden
aß und trank, sprach er zu ihm: »Lieber Bruder, gestern noch warst du
schwach und bleich, und heute sehe ich dich in voller Gesundheit; wie
ist das zugegangen?« Da entgegnete ihm jener: »Wisse, mein Bruder,
als ich mit meinem Gefolge zu dir reisen wollte und schon meine
Hauptstadt verlassen hatte, fiel mir ein, daß ich in meinem Schlosse
etwas vergessen hatte; ich fand meine Frau in vertrautem Umgange bei
einem Sklaven und erschlug sie beide voll Zorn. Weil ich immer dieses
Vorfalles gedenken mußte, wurde ich blaß und schwach; warum ich aber
mein früheres Aussehen wiedergewann, das möchte ich dir verschweigen.«
Als jedoch Scheherban in seinen Bruder drang und mit Bitten nicht
abließ, erzählte ihm jener, was er im Garten gewahrt hatte. Der Sultan
rief voll Zorn und Ingrimm: »Ich will mit meinen eigenen Augen ihre
Sünde sehen!« Schahseman gab ihm folgenden Rat: »Sag ihr, du wolltest
zur Jagd reiten, und verbirg dich dann bei mir, damit du sie heimlich
beobachten kannst.«

So ließ Scheherban bekannt machen, daß er eine große Reise unternehmen
wolle, und zog mit seinen Truppen zur Stadt hinaus. Im Lager sprach er
zu seinem Pagen: »Laß niemanden zu mir herein«; dann verkleidete er
sich und kehrte heimlich zu seines Bruders Schloß zurück. Dort setzte
er sich ans Fenster und blickte erwartungsvoll in den blühenden Garten
hinaus. Nach einer Weile öffnete sich das Tor, und seine Frau trat mit
den Sklavinnen und Sklaven heraus, und sie taten so, wie ihm Schahseman
erzählte hatte, bis das Nachmittagsgebet gerufen wurde. Als Scheherban
dieses sah, war er fassungslos vor Schmerz und rief: »Mein Bruder, laß
uns gehen; ich mag nichts mehr mit der Regierung zu schaffen haben! Wir
wollen wandern, bis wir jemanden finden, dem es ebenso wie uns ergeht;
wenn wir aber niemanden sehen, so möge uns der Tod von unserer Qual
erlösen!«

Sie machten sich auf und gingen aus einer versteckten Türe des Palastes
hinaus und reisten viele Tage und Nächte. Eines Tages fanden sie eine
friedliche Ebene; dort rauschten dichtbelaubte Bäume, und eine süße
Quelle rieselte neben dem Meere durchs Gebüsch. Da tranken sie und
ruhten. Plötzlich aber erhob sich ein Toben, und das Meer rauschte, und
eine schwarze Säule wand sich zum Himmel empor, durchfurchte die Wellen
und näherte sich der Ebene. Als die beiden Brüder das sahen, fürchteten
sie sich sehr und erstiegen einen hohen Baum.

Es kam aber ein Geist unseres Herrn Salomo (Friede sei mit ihm!),
der war sehr lang und hatte einen großen Kopf und eine breite Brust.
Auf seinem Haupte trug er einen Kasten aus Glas, der war mit vier
Schlössern aus Stahl verschlossen. Der Geist setzte sich unter den
Baum, auf den die beiden Brüder geklettert waren, nahm den Kasten
vom Kopfe und öffnete die Schlösser mit vier Schlüsseln. Er zog
aber ein wunderbares Mädchen heraus mit süßem Munde, schönem Busen
und einem Gesichte, das dem Vollmond glich. Der Geist betrachtete
sie liebevoll und sagte: »O Geliebte meiner Seele! Du schönste und
vollkommenste aller Frauen, die ich entführt habe, ehe ein anderer
dich kannte! Laß mich in deinem Schoße schlafen.« Er legte den
Kopf auf ihre Kniee, streckte sich aus und schnarchte alsbald, daß
es klang wie fernes Donnerrollen. Da hob das Mädchen von ungefähr
ihr Haupt empor und erblickte Scheherban mit seinem Bruder auf dem
Baume. Langsam legte sie den Kopf des Geistes auf die Erde und gab
den beiden durch ein Zeichen zu verstehen, sie möchten doch zu ihr
herabsteigen. Jene aber antworteten: »Herrin, entschuldige, wenn wir
nicht kommen.« Da entgegnete sie: »Wenn ihr nicht herabkommt, so wecke
ich den Geist, meinen Gemahl; er soll euch auffressen.« Als sie ihnen
abermals freundlich winkte, kletterten die Brüder zu ihr herunter.
Dann verlangte sie, daß ihr beide zu Willen sein möchten. Die Brüder
aber sagten: »Beim Allmächtigen, verlange das nicht von uns, denn wir
fürchten uns vor dem Geiste.« Sie sprach: »Wenn ihr mir nicht zur
Seite liegt, so schwöre ich, daß ich den Geist aufwecke, damit er euch
töte!« Da taten die Brüder, was sie von ihnen forderte. Sie aber zog
einen Beutel aus ihrem Gewande hervor und entnahm ihm achtundneunzig
Silberringe und sagte: »Wißt ihr, was diese Ringe bedeuten? Sie stammen
von achtundneunzig Männern, die mir willfährig waren. Nun gebt mir auch
eure Ringe, damit ich weiß, daß es hundert Männer waren, mit denen ich
diesen schrecklichen, häßlichen Geist hintergangen habe. Denn er hat
mich in diesen Kasten gesetzt und läßt mich im tiefen Meere wohnen,
damit ich nur ihm gehöre und tugendhaft bleibe. Dieses Scheusal weiß
nicht, daß der Wille der Frauen sich von niemandem bestimmen läßt!«

Als die beiden Brüder dieses hörten, waren sie sehr verwundert und
riefen: »Es gibt keinen Schutz, außer bei dem erhabenen Gotte! Deshalb
wollen wir bei ihm gegen die List der Frauen Hilfe suchen; denn
wahrlich! nichts kommt ihr gleich!« Das Mädchen aber sprach zu ihnen:
»Gehet eures Weges!«

Als sie nun weiterschritten, sagte Scheherban: »Sieh, lieber Bruder,
dieses Abenteuer ist noch seltsamer als unseres, denn hier ist ein
Geist, der ein Mädchen in der Hochzeitsnacht raubte und es in einen
gläsernen Kasten eingesperrt hat. Er hat sie mit vier Schlössern
eingeschlossen und in das tobende Meer versenkt, damit er sie dem
Schicksal entreißen könnte, aber sie hat doch hundertmal Verrat geübt.
Wahrhaftig, es gibt keine treuen Frauen! Wir wollen getrost in unser
Königreich zurückgehen und den festen Entschluß fassen, nie mehr
zu heiraten.« Also kehrten sie wieder um und gingen, bis die Nacht
hereindämmerte; am dritten Tage aber trafen sie wieder in ihrer Heimat
ein, traten unter die Zelte, setzten sich auf den königlichen Thron,
und alle Fürsten und Großen des Landes versammelten sich um sie. Der
König befahl nun, daß man in die Stadt zurückziehen möge; er aber begab
sich in sein Schloß, ließ seinen Wesir kommen und befahl ihm, seine
Gemahlin zu töten. Und alsbald brachte der Wesir sie um. Darauf ging
der König zu den Sklavinnen und erschlug sie alle mit seinem Schwerte;
dann ließ er sich andere kommen und schwur, daß er sich jede Nacht eine
andere erwählen wolle und sie am folgenden Morgen hinrichten lassen
würde, denn auf Erden gäbe es kein tugendhaftes Weib mehr. Sein Bruder
Schahseman reiste sogleich ab und kehrte in sein Königreich zurück. —
Sultan Scheherban gebot indessen seinem Wesir, ihm eine Sklavin für
die Nacht zuzuführen; dieser brachte ihm eine der Fürstentöchter. Der
König tat, wie er verheißen, und befahl dem Wesir, ihr am Morgen den
Kopf abzuschlagen. Er gehorchte den Worten seines Herrn und brachte
das Mädchen um. Darauf führte er ihm eine andere Tochter der Großen
des Landes zu, und auch ihr wurde wieder am Morgen der Kopf vom
Rumpfe getrennt. So ging es lange fort, bis es zuletzt keine Mädchen
mehr gab; die Mütter und Väter klagten und weinten, verwünschten
den König und erflehten vom Himmel Rache und Hilfe. Nun hatte der
oberste Wesir, der auf Geheiß des Sultans die Frauen ermorden mußte,
zwei Töchter. Die ältere hieß Schehersad und die jüngere Dinarsad.
Schehersad kannte viele Bücher und besaß ein erstaunliches Gedächtnis;
sie hatte Gedichte auswendig gelernt und wußte Geschichten und Reden
der Könige und Weisen. Eines Tages sagte sie zu ihrem Vater: »Lieber
Vater, ich will dir ein Geheimnis anvertrauen: ich verlange, daß du
mich mit dem Sultan Scheherban verheiratest, denn ich möchte die Welt
von seinen Greueltaten erlösen oder selber sterben, wie die andern
Mädchen.« Als ihr Vater diese Rede hörte, erschrak er sehr und rief:
»Weißt du denn nicht, was der König geschworen hat, du Törin? Wenn
ich dich zu ihm bringe, so wird er dich töten lassen!« Schehersad
entgegnete: »Führe mich zu ihm; mag er mich auch ermorden lassen.« Da
wurde der Vater zornig und rief: »Warum willst du dich so trotzig in
die Gefahr stürzen? Hast du den Verstand verloren? Wer nicht Klugheit
in seinem Handeln walten läßt, der bringt sich ins Unglück, und wer
nicht das Ende seiner Taten bedenkt, hat auf Erden keinen Freund. Das
Sprichwort sagt: ich saß im Wohlbehagen, da hat mir der Übermut nicht
Ruhe gelassen.« Schehersad aber antwortete: »Ich werde meinen Entschluß
nicht ändern; wenn du mich nicht zum Könige führst, werde ich allein zu
ihm gehen und Klage gegen dich erheben, weil du mich einem so großen
Manne verweigerst und ein Mädchen, wie mich, ihm entziehen willst.«

Der Erzähler berichtet nun, daß der Wesir, nachdem er vergeblich
gedroht und gebeten hatte, sich entschloß und zum Sultan Scheherban
ging, die Erde küßte und zu ihm sagte: »Mein Gebieter, ich werde dir
in der nächsten Nacht meine Tochter zuführen.« Der Sultan erstaunte
sehr und fragte: »Was bedeutet dies? Habe ich nicht bei Dem geschworen,
der den Himmel droben gewölbt hat, daß ich sie morgen umbringen lassen
werde? Und wenn du nicht gehorsam bist, so werde ich dich selbst
ermorden lassen.« Der Wesir antwortete: »O mein König, ich habe ihr
dies alles selbst gesagt und sie inständig beschworen, aber sie hat
mich nicht hören wollen und wünscht nur, diese Nacht bei dir zu
schlafen.« Der Sultan sprach: »So gehe denn, bereite ihre Ankunft vor
und führe sie in dieser Nacht zu mir.« Der Wesir ging in sein Haus
zurück, überbrachte seiner Tochter den Befehl des Herrn und sagte:
»Gott gebe, daß ich keine Sehnsucht nach dir fühle!« Schehersad war
hocherfreut, machte ihre Sachen zurecht und sprach zu ihrer jüngeren
Schwester Dinarsad: »Liebe Schwester, höre meinen Rat. Wenn ich bei
dem Sultan weile, werde ich nach dir schicken; wenn du dann kommst und
siehst, daß sich der Sultan nicht mehr mit mir abgibt, sage zu mir:
liebe Schwester, wenn du nicht schläfst, so erzähle uns doch einige
deiner schönen Geschichten, damit wir dabei die Nacht durchwachen. Das
allein kann meine und der Welt Rettung sein, nur so wird der König von
seinem unseligen Beginnen lassen.« Dinarsad versprach das. — Als die
Nacht hereindunkelte, ging Schehersad zu dem Sultan. Er empfing sie
zärtlich und scherzte mit ihr, sie aber begann zu weinen. Scheherban
fragte: »Warum weinst du?« Sie antwortete: »O König der Zeit, zu Hause
habe ich eine Schwester; laß mich von ihr in dieser Nacht noch Abschied
nehmen.« Da befahl der Sultan, daß man nach Dinarsad schicke. Sie kam
und wartete, bis der Sultan mit ihrer Schwester gekost und ein wenig
geruht hatte, dann stieß sie einen Seufzer aus und sprach: »Wenn du
nicht schläfst, liebe Schwester, so erzähle uns einige von deinen
schönen Geschichten, damit wir dabei die Nacht durchwachen. Wenn der
Tag dämmert, will ich dir dann Lebewohl sagen, denn ich weiß ja nicht,
ob ich dich morgen wiedersehen werde.« Schehersad erbat nun vom Sultan
die Erlaubnis, und als er sie erteilt hatte, freute sie sich gar sehr
und begann:




               DIE GESCHICHTE VOM FISCHER UND DEM GEISTE


Man hat mir erzählt, daß vor Zeiten ein Fischer gewesen sei, der schon
hoch bei Jahren war. Er besaß eine Frau und drei Töchter und war so
arm, daß er nicht einmal seine tägliche Nahrung hatte. Viermal am Tage
warf er gewöhnlich seine Netze aus. Einst, als der Mond leuchtete, ging
er zum Dorfe hinaus bis an das Ufer des Flusses, streifte sein Hemd auf
und watete bis zur Hälfte des Körpers in die Flut; dort warf er sein
Netz aus und wartete, bis es untersank. Dann zog er es zu sich heran
und wollte es langsam zusammenfalten, als er bemerkte, daß es durch
etwas gehemmt wurde. Er zog also mit größerer Kraft, aber es gelang ihm
nicht, es näherzubringen; er ging zurück ans Land, kleidete sich aus
und tauchte in den Fluß hinab und bemühte sich so lange, bis er das
Netz endlich ans Ufer brachte. Da fand er zu seinem großen Erstaunen
einen toten Esel darin, der die Maschen des Netzes entzweigerissen
hatte. Der Fischer war sehr traurig, seufzte und sprach: »Es gibt
nur Hilfe und Macht beim allmächtigen Gott! Es geht doch mit dem
Lebensunterhalt recht wunderlich zu.« Und darauf sprach er folgende
Verse: »O du, der in das Düster der Nacht und der Gefahren hinabtaucht,
mühe dich nicht zu sehr, denn der Lebensunterhalt wird nicht durch
Anstrengung gewonnen. Sieh das Meer und den Fischer darin, der seinen
Lebensunterhalt sucht, während die Sterne sich im Dunkel verstecken!
Bis zur Hälfte des Körpers steigt er hinab in die Wellen, und sein
wachsames Auge wendet er nicht ab von seinem Netze. Und wenn sich ein
Fisch in den feindlichen Maschen gefangen, dann ist er zufrieden mit
seiner Nacht. Denn seinen Fisch kauft ihm einer ab, der die Nacht in
Behagen und Wohlleben, nicht in der Kälte verbracht hat. Gepriesen sei
der Herr; er gibt dem einen und versagt dem andern; der eine fängt die
Fische, und der andere ißt sie auf.«

Als der Fischer diese Worte gesprochen hatte, löste er den Esel aus
seinem Netze, ließ sich auf der Erde nieder und besserte die Maschen
aus. Dann rang er es gehörig aus, watete wieder in den Strom, warf
es aus und wartete, bis es niedersank. Doch als er es wieder an sich
ziehen wollte, spürte er abermals einen starken Widerstand. Er freute
sich sehr, denn er meinte, ein Fisch habe sich gefangen, entkleidete
sich rasch und tauchte unter, um das Netz freizumachen. Mühsam brachte
er es ans Ufer, aber er fand darin nur einen großen Topf mit Schlamm
und Sand. Da weinte er heftig und rief betrübt: »Das ist wahrlich ein
seltsamer Tag; aber ich vertraue auf Gott, der den Himmel erschaffen
hat!« Dann sprach er diese Verse: »Du quälendes Schicksal, laß ab, sei
mitleidig und verschone mich mit deiner Verfolgung! Ich warf mein Netz,
um mir Lebensunterhalt zu suchen; aber jetzt weiß ich, daß er für mich
verloren ist. Das Glück hat sich von mir gewandt, und die Arbeit meiner
Hände ist fruchtlos. So mancher Törichte weilt bei den Gestirnen, und
mancher Weise liegt unten im Staube!«

Er schleuderte den Topf weit fort, rang das Netz wieder aus, rief
den Namen Gottes, warf es zum dritten Male in die Wogen und wartete
geduldig, bis es untersank. Als er es wieder heraufzog, fand er darin
nur Kiesel, Muscheln und mancherlei Unrat. Da verzweifelte der Fischer,
denn er war müde von der Arbeit und vom Unglück; er dachte daran, daß
seine Frau und seine drei Töchter daheim ohne Nahrung blieben, verbarg
den Kopf in den Händen und sprach folgende Verse: »Du kannst deinen
Lebensunterhalt nicht lösen noch binden; Kunst und Bildung können dir
ihn nicht verschaffen. Wahrlich, Glück und Lebensunterhalt sind nur
Bestimmung; in dem einen Lande waltet Üppigkeit, und Mangel in dem
andern. Das Schicksal wechselt; es wirft einen edlen Menschen nieder
und erhöht einen, der wertlos ist. Nimm mich denn hin, o Tod; denn ist
das Leben nicht abscheulich, wenn die Falken erniedrigt und die Gänse
erhöht werden? Es ist nicht wunderbar, wenn du Armut beim Tugendsamen
und Reichtum bei dem Lasterhaften siehst! Im Buche des Schicksals
gleichen wir alle den Vögeln, die umherflattern und bald hier, bald
dort ein Körnchen auflesen. Mancher Vogel fliegt um die Erde nach
Westen und Osten, und ein anderer findet seine Nahrung, ohne den Flügel
zu rühren.«

Der Fischer wandte seine Augen zum Himmel empor; die Röte des Morgens
zog schon herauf, der Tag begann zu glänzen. Da rief er: »Du weißt, o
Herr, daß ich nur viermal am Tage meine Netze werfe; schon dreimal tat
ich es, nun will ich es zum letzten Male versuchen. Erweise mir ein
Wunder, großer Gott, wie du es Moses im Meere erwiesen hast!« Darauf
flickte er wieder die Maschen seines Netzes, warf es in den Strom und
wartete, bis es untersank. Als es hängen blieb und er es herausziehen
wollte, vermochte er es nicht, denn es hatte sich am Grunde festgehakt
und war ganz verwirrt. »Nur beim allmächtigen Gott ist Hilfe und
Schutz!« rief der Fischer, zog die Kleider aus und tauchte hinab.
Viel Arbeit kostete es ihm, bis er das Netz freimachen konnte. Als
er wieder damit ans Ufer kam, entdeckte er darin etwas Schweres; mit
großer Mühe löste er es aus dem Gewirr der Maschen und fand, daß es
eine Messingflasche war, die mit dem Siegel unseres Herrn Salomo
verschlossen war. Der Fischer freute sich des Fundes, denn er dachte
bei sich: ich werde sie beim Kupferschmied verkaufen, sie ist gewiß
zwei Malter Weizen wert. Er schüttelte die Flasche und bemerkte, daß
sie gefüllt war. »Ich will doch sehen, was darin ist,« dachte er, »ich
will sie öffnen und dann erst verkaufen.« Er durchstach darauf das Blei
mit seinem Taschenmesser und mühte sich so lange ab, bis die Flasche
geöffnet war; dann führte er sie an den Mund und schüttelte abermals,
doch es kam nichts heraus, worüber der Fischer sehr erstaunte. Mit
einem Male aber stieg aus der Flasche ein Rauch empor, schwebte und
breitete sich über die Erde und nahm zu, bis er die Fläche des Meeres
bedeckte und an die Wolken des Himmels hinaufstieg. Der Fischer war
in großer Verwunderung, als er dies seltsame Schauspiel erblickte.
Kaum war der letzte Rauch der Flasche entquollen, so verdichtete und
sammelte er sich und wurde zu einem Geiste, dessen Füße auf der Erde
standen, und dessen Haupt hoch bis in die Wolken hineinragte. Sein
Kopf glich einem Brunnenloche, seine Vorderzähne waren wie eiserne
Haken, sein Mund wie eine Höhle, seine Nasenlöcher wie Trompeten, sein
Schlund wie eine Gasse, und seine Augen glichen Laternen. Er war ein
ganz abscheulicher Geist; der Himmel bewahre uns davor! Der Fischer
bebte an allen Gliedern, als er ihn erblickte, und seine Zähne schlugen
aufeinander. Da sprach der Geist: »Salomo, du Prophet Gottes! Verzeihe
mir! Nie mehr will ich dir ungehorsam sein, nie mehr deinen Befehlen
entgegen handeln!«

                  [Illustration: Der Geist erscheint]

Der Fischer begriff diese Worte nicht und stammelte: »O Geist, was
sagst du da von Salomo, unserm Herrn, dem großen Propheten Gottes? Ist
er doch schon vor achtzehnhundert Jahren gestorben, und wir leben in
viel späteren Tagen. Künde mir, was dir widerfahren ist. Auf welche
Weise bist du in die Flasche hineingeraten?« Als der Geist diese Worte
vernahm, rief er mit lauter Stimme: »Ich bringe dir gute Nachricht!«
Der Fischer freute sich im stillen und dachte: o glückseliger Tag!
Aber der Geist fuhr fort: »Ich bringe dir die Kunde, daß du sogleich
umgebracht werden mußt.« Da erschrak der Fischer und sprach: »Möge dir
Gottes Gnade und Huld ewiglich ferne bleiben, da du so abscheuliche
Botschaft bringst! Warum willst du mich morden; habe ich dich nicht
errettet und aus den Tiefen des Meeres an das warme Licht des Tages
heraufgezogen?« Der Geist aber entgegnete ihm: »Ich will dir eine Bitte
gewähren,« und der Fischer fragte voll Freuden: »Sag mir, um was ich
dich bitten soll.« Und der Geist sprach: »Du kannst dir eine Todesart
wählen, damit du sterben mögest, wie du es dir selbst bestimmt hast.«
Der Fischer zitterte vor Furcht und fragte: »Was habe ich verbrochen,
daß du meine gute Tat so schmählich belohnen willst?« — »Höre meine
Geschichte,« sagte der Geist und erzählte:

»Vernimm! Ich bin einer der abtrünnigen und bösen Geister, denn ich
war dem Propheten Gottes, dem großen Salomo, ungehorsam. Er sandte mir
seinen Minister Asaf, den Sohn des Berachja, der zu mir eilte und
das Urteil an mir vollziehen mußte. Er fesselte mich und warf mich in
Ketten und brachte mich mit Gewalt zu Salomo, dem Propheten Gottes.
Der aber erschrak sehr, als er mich erblickte, denn er fürchtete sich
vor meiner Gestalt, und rief Gott um Hilfe an. Er befahl mir, daß ich
ihm gehorchen solle, aber ich weigerte mich seinen Worten; da ließ er
diese Messingflasche bringen und sperrte mich hinein; dann verschloß
er sie mit einem Bleisiegel, darauf er den Namen des erhabenen Gottes
drückte, und hieß einem Geiste, die Flasche tief hinab in das Meer zu
versenken. Als ich zweihundert Jahre so in den Fluten gelegen hatte,
beschloß ich, dem Reichtum zu verschaffen, der mich in den nächsten
zweihundert Jahren aus meiner Gefangenschaft erlösen würde. Aber
die Jahre gingen hin, und keiner kam und erlöste mich. Und abermals
verflossen zweihundert Jahre, und ich beschloß nunmehr, daß ich meinem
Befreier alle Schätze dieser Erde zur Verfügung stellen wollte; aber
wieder verging die Zeit, und es nahte mir kein Erretter. Und abermals
beschloß ich, daß ich den, der in den folgenden zweihundert Jahren mich
erlösen würde, zum Sultan machen, daß ich selbst sein Diener werden
und ihm täglich drei Wünsche erfüllen wollte. Aber auch dieses Mal
befreite mich niemand. Da ergrimmte ich, tobte und wütete und faßte den
Entschluß, denjenigen umzubringen, der von jetzt an mich erretten
würde. Er sollte des gräßlichsten Todes sterben oder selbst wählen,
wie er verscheiden wollte. Kurz darauf hast du mich in deinem Netze
aufgefischt und ans Land gezogen. Künde mir jetzt, auf welche Weise du
sterben willst.«

Als der Fischer diese Rede des Geistes vernommen hatte, rief er aus:
»Nur Gott gehöre ich an, und nur zu ihm kehre ich zurück! Verflucht
ist mein Schicksal, daß ich dich gerade jetzt erretten mußte! Doch
sei gnädig und erbarme dich meiner, so wird auch Gott Erbarmen mit
dir haben; laß mich am Leben, sonst wird Gott jemanden erwecken, der
auch dich töten soll.« Der Geist aber antwortete: »Vergeblich flehst
du um Gnade; sage mir, wie du sterben willst!« Da wurde der Fischer
sehr traurig, brach in Tränen aus und schluchzte: »O mein Weib! O
meine Kinder! Gott gebe, daß mein Herz stark bleibe um euch!« Und
er bat abermals den Geist, daß er ihm verzeihen möge, weil er ihn
aus dem Meere und aus der Messingflasche erlöst habe. Aber der Geist
beharrte bei seinen Worten und ließ sich nicht durch Bitten erweichen.
»Wahrlich!« rief der Fischer entrüstet, »du willst mir Böses tun,
weil ich gut gegen dich gehandelt habe! Das Sprichwort lügt also
nicht, welches sagt: Es sind ruchlose Menschen, die Gutes mit Bösem
vergelten; wer Gutes tut an einem, der es nicht verdient, dem wird
es wie dem ergehen, der einer Hyäne Obdach gewährt.« Der Geist aber
rief: »Zaudere nicht, denn ich werde dich umbringen, wie ich es dir
versprochen habe.« Der Fischer überlegte eine Weile im stillen und
sagte zu sich selbst: »Ich bin ein Mensch, dieser aber ist nur ein
Geist. Gott gab mir den Verstand, so will ich ihn auch mit meinem
Verstande überlisten.« Und er wandte sich an den Geist und fragte: »Ist
es dein fester Entschluß, daß ich sterben soll?« Und als der Geist
nicht von seinem Willen wich, sagte der Fischer: »Im Namen des höchsten
Gottes, der auf dem Siegel Salomos, des Sohnes Davids, eingedrückt
war, willst du mir die Wahrheit künden, wenn ich dich jetzt um etwas
befrage?« Der Geist erbebte, als er den Namen des gewaltigen Gottes
hörte, und erwiderte: »Frage mich, aber sei kurz!«

Da fragte der Fischer: »So sage mir im Namen des erhabenen Gottes,
ob du in dieser Flasche eingesperrt warst oder nicht.« Und der Geist
antwortete: »Im Namen des erhabenen Gottes, ich war darin eingesperrt.«
Aber der Fischer rief: »Das lügst du, denn diese Flasche ist so klein,
daß ich sie mit meiner Hand umspannen kann! Wie kann diese Flasche dich
fassen, da sie schon durch deine Füße zersprengt würde?« Der Geist
sprach darauf: »Ich schwöre dir, daß ich darin war! Willst du es nicht
glauben?« — »Nein!« entgegnete der Fischer. Da löste sich der Geist
langsam auf, verflüchtigte sich und wurde wieder zu einem Rauche, der
emporschwebte und sich über dem Meere und dem Lande niederließ. Er zog
sich zusammen und verschwand nach und nach in der Messingflasche, bis
nichts mehr von ihm zu sehen war. Da kam eine Stimme aus der Flasche
heraus: »Glaubst du mir nun, du dummer Fischer, daß ich in der Flasche
bin?« Aber der Fischer langte rasch nach dem Blei, mit dem die Flasche
geschlossen war, und drückte es wieder fest auf die Öffnung. Dann rief
er: »Wähle du jetzt, du dummer Geist, wie du sterben willst, und wie
ich dich wieder ins Wasser schleudern soll! Dann werde ich mir hier
eine Hütte bauen und alle Fischer warnen, die hier ihre Netze auswerfen
wollen, und zu ihnen reden: Hier unten liegt ein schlimmer Geist,
der alle umbringen will, die ihn befreien, und sie nur wählen läßt,
auf welche Weise sie sterben möchten.« Als der Geist nun sah, daß er
wieder eingeschlossen war und nicht mehr entweichen konnte, weil ihn
Salomos Siegel daran hinderte, merkte er wohl, daß ihn der Fischer
überlistet hatte. Da bat er inständig und sagte: »Tue das nicht,
guter Fischer, denn ich habe ja nur Scherz mit dir getrieben.« — »Du
erbärmlichster und schändlichster aller Geister,« rief der Fischer
entrüstet, »du lügst!« Und sogleich rollte er die Flasche wieder an
das Meer, während der Geist ihn anflehte: »Nicht doch, nicht doch!«
Aber der Fischer sagte: »Ja doch! ja doch!« und lachte. Der Geist
wurde sehr kleinlaut und traurig und bat ihn demütig: »Tue das nicht
mit mir, guter Fischer.« Der aber antwortete: »Ich werde dich doch
ins Meer werfen! Da magst du abermals achthundert Jahre darin liegen
bleiben, und nie mehr werde ich dich daraus befreien. Denn ich habe
dich heiß und inständig gebeten, mich leben zu lassen, du aber hast
mich nicht erhört und bist treulos gegen mich gewesen; nun werde ich
Gleiches mit Gleichem vergelten.« Der Geist jammerte und sagte: »Öffne
mir, lieber Fischer, denn ich will dir Reichtümer schenken und dir
viel Gutes erweisen. Befreie mich aus diesem Gefängnis! Die Handlungen
der Menschen sollen immer edler sein, als die eines Geistes. Denn
ein Sprichwort sagt: Du sollst Böses mit Gutem vergelten, und nicht
so handeln wie Imama mit Ateka.« »Was ist es mit Imama und Ateka?«
fragte der Fischer. »Jetzt mag ich es dir nicht erzählen, so lange
ich in dieser engen Flasche sitze,« sagte der Geist, »ich will es
dir erzählen, wenn du mich wieder freiläßt.« Der Fischer antwortete:
»Niemals werde ich dich herauslassen; ich habe dich auch vorhin lange
gebeten, und du wolltest mich dennoch umbringen. Nun werfe ich dich
wieder in das Meer, denn du bist ein boshafter Geist und wolltest Gutes
mit Bösem vergelten. Ich werde aber an der Stelle, wo ich die Flasche
ins Wasser geschleudert habe, ein Haus erbauen und darauf schreiben:
Hier unten liegt ein schlimmer Geist; wer ihn heraufzieht, der wird
von ihm umgebracht. Da kannst du noch fünfmal zweihundert Jahre dort
unten bleiben, du erbärmlichster aller Geister!« Da sagte der Geist:
»Ich bitte dich, laß mich noch einmal aus dieser engen Flasche, denn
ich verspreche dir, daß dir kein Leid geschehen soll. Ich werde dich
reich machen und dir viel Gutes erweisen.« Der Fischer sprach: »Schwöre
mir das beim erhabenen Gotte, damit ich dir glauben kann.« Nach diesen
Worten leistete der Geist einen Eid bei dem Namen dessen, der auf
Salomos Siegel stand, und der Fischer öffnete die Flasche wieder und
befreite den Gefangenen. Abermals quoll ein Rauch empor, aus dem sich
die Gestalt des Geistes sammelte; der aber zertrümmerte die Flasche mit
seinen Füßen, schleuderte sie in die Wellen und flog sodann auf das
Meer hinaus. Da befiel den Fischer große Angst, denn er glaubte, daß
der Tod ihm gewiß sei, und er kniete nieder und rief: »Du hast einen
Eid geschworen, darum darfst du nicht treulos sein, sonst wird dich
Gott bestrafen.« Der Geist lachte und antwortete: »Folge mir, Fischer!«
Mutlos erhob sich der Fischer und folgte ihm, denn er glaubte, daß er
nicht mit dem Leben davon kommen werde. Die beiden wanderten durch die
Wüste einen langen Weg bis zu einem Berge; dort lag, zwischen vier
kleine Hügel geschmiegt, ein wundersamer See. Der Geist blieb stehen
und befahl dem Fischer, daß er hier sein Netz auswerfen möge, denn in
dem Wasser schwammen viele bunte Fische, blaue, weiße, gelbe und rote.
Der Fischer machte große Augen über diesen ungewohnten Anblick und tat,
wie der Geist ihm geheißen. Als er das Netz wieder herauszog, lagen
vier Fische darin, ein weißer, ein blauer, ein roter und ein gelber;
und er freute sich sehr. Der Geist aber sagte: »Nun gehe hin zu deinem
Sultan, er wird dich reich machen; doch beachte meine Worte, und wirf
hier dein Netz nie mehr als einmal am Tage aus. Jetzt aber entschuldige
mich, denn ich muß dich verlassen. So lange lag ich in der Tiefe des
Meeres, daß ich jetzt auf der Erde ganz hilflos bin. Allah sei mit
dir!« Nach dieser Rede stampfte der Geist mit dem Fuße, und alsbald
öffnete sich die Erde und verschlang ihn.

Der Fischer wanderte vergnügt und zufrieden in die Stadt zurück und
verwunderte sich sehr über das, was er mit dem Geiste erlebt hatte.
Er ging in den Palast des Sultans und brachte ihm die vier bunten
Fische. Als der Sultan sie erblickte, sprach er mit heiterm Gesichte
zu seinem Wesir: »Gehe hin und gib sie der geschickten Köchin, welche
uns der König der Griechen geschenkt hat.« Der Wesir tat, wie ihm
befohlen war, und sagte zu dem Mädchen: »Richte die Fische gut zu, denn
sie sind soeben dem Sultan zum Geschenk gemacht worden.« Der Fischer
erhielt vierhundert Dinare zum Geschenk; damit lief er nach Hause und
war so glücklich, daß er oft auf dem Wege strauchelte und fiel, denn
er meinte, es sei alles nur ein Traum. Es war aber kein Traum, sondern
helle Wirklichkeit, denn er war nun reich und konnte seiner Frau und
seinen drei Töchtern alles kaufen, was sie begehrten. — Soviel weiß
ich bis jetzt von dem Fischer zu erzählen.

Was aber die Köchin betrifft, so geschah folgendes: Als sie die Fische
wohl gespalten und gereinigt hatte, setzte sie die Pfanne aufs Feuer,
goß Öl hinein und wartete, bis sie heiß war; darauf legte sie die
vier bunten Fische hinein, buk sie, bis sie auf der rechten Seite gar
waren und drehte sie dann um. Da tat sich plötzlich die Mauer auf, und
aus dem Spalt trat ein schönes Mädchen heraus, das war edel von Wuchs
und ohne Makel, hatte ovale Wangen und mit Kohle bemalte Augen. Sie
trug ein Oberkleid von blauem Atlas, auf welchem ägyptische Blumen
abgebildet waren, an ihrem Arme und an den Ohren blitzten große Perlen
und wundervolle Ringe. In der Hand hielt sie ein indisches Rohr, das
steckte sie in die Pfanne und sagte dazu mit sanfter Stimme: »O Fisch,
gedenkst du deines Versprechens?« Als die Köchin das sah und hörte,
fiel sie vor Entsetzen in Ohnmacht. Das fremde Mädchen aber wiederholte
ihre Frage, und die vier Fische erhoben ihre Köpfe und antworteten
mit heller Stimme: »Ja, ja; wenn du wiederkehrst, so kehren auch wir
wieder; wenn du treu bist, so sind auch wir treu; wenn du fliehst,
so siegen wir und sind zufrieden.« Da stürzte das Mädchen die Pfanne
um und ging durch den Mauerspalt zurück, wie sie vorher genaht war,
und die Wand schloß sich wieder hinter ihr. Als die Köchin aus ihrer
Ohnmacht erwachte, fand sie die Fische ganz verbrannt und verkohlt; da
war sie sehr traurig und jammerte und sprach: »O König, dir ist der
Lanzenschaft bei deinem ersten Kriegszuge zerbrochen« (d. h.: dir ist
gleich zu Anfang ein Mißgeschick begegnet). In diesem Augenblicke trat
der Wesir herein und sagte: »Gib mir deine Fische, denn der Sultan
wartet darauf.« Die Köchin begann zu weinen und erzählte, welches
Unglück sich mit den Fischen zugetragen habe. Der Wesir war sehr
verwundert, schickte heimlich zu dem Fischer und ließ ihn holen. »Du
mußt uns sogleich neue Fische besorgen,« sprach er zu ihm, »aber sie
müssen den ersten gleichen, denn sie gefallen uns sehr.« Da machte
sich der Fischer auf und ging, trotz der Weisung des Geistes, an den
See zwischen den vier Hügeln, warf sein Netz aus und fing vier bunte
Fische von ähnlicher Gestalt; damit kehrte er zurück zu dem Wesir. Der
brachte sie der Köchin und sprach: »Nun backe die Fische in meiner
Gegenwart, denn ich will selbst sehen, was du mir erzählt hast.« Die
Köchin spaltete und salzte die Fische und legte sie in die Pfanne.
Aber als sie gebacken waren, tat sich die Wand wieder auf, und das
Mädchen trat in derselben Kleidung in die Küche; sie trug wieder die
indische Rute in der Hand, langte damit in die Pfanne und sagte mit
sanfttönender Stimme: »O Fisch, gedenkst du deines Versprechens?« Die
Fische reckten abermals die Köpfe empor und erwiderten: »Ja, ja,
wenn du wiederkehrst, kehren wir auch wieder; wenn du treu bist, so
sind auch wir treu; wenn du fliehst, so siegen wir und sind zufrieden.«
Als die Fische das gesagt hatten, stieß das Mädchen die Pfanne um und
verschwand durch den Riß in der Wand, die sich wieder hinter ihr schloß.

  [Illustration: Die Pfanne kippt um und der Fisch fällt ins Feuer.]

Der Wesir blickte der Erscheinung fassungslos nach und sprach: »Das
kann ich meinem Sultan unmöglich verbergen.« Er ging zum Könige und
erzählte ihm, welche wunderbare Begebenheit sich mit den vier Fischen
zugetragen hatte. Der Sultan erstaunte gleichfalls und rief: »Das
will ich mit meinen eigenen Augen sehen!« Er sandte sogleich einen
Boten zum Fischer und ließ ihm sagen, er solle noch einmal vier Fische
besorgen, die so schön und bunt wie die ersten wären, aber er möge
sich damit eilen. Der Fischer ging wieder an den See zwischen den vier
Hügeln, warf sein Netz und fing abermals vier Fische, einen blauen,
einen weißen, einen gelben und einen roten, und brachte sie zu dem
Sultan. Der schenkte ihm wieder vierhundert Dinare und ließ ihn streng
bewachen. Dann befahl der Sultan dem Wesir: »Backe du selbst diese
Fische in meiner Gegenwart.« Als er die Fische gespalten und gesalzt
hatte, goß er Öl in den Tiegel, stellte ihn aufs Feuer und warf dann
die Fische hinein. Kaum aber waren sie gebacken, da öffnete sich die
Wand der Küche, und ein schwarzer Sklave trat daraus hervor, als käme
er aus einem Berge. Der König und der Wesir fürchteten sich sehr,
denn er war sehr groß und breit und trug einen grünen Zweig in der
Hand; damit rührte er an die Pfanne und sprach: »O Fisch, gedenkst du
deines Versprechens?« Die Fische reckten abermals die Köpfe empor und
erwiderten: »Ja, ja, wenn du wiederkehrst, kehren wir auch wieder; wenn
du treu bist, so sind auch wir treu; wenn du fliehst, so siegen wir und
sind zufrieden.« Nach diesen Worten stürzte der schwarze Sklave die
Pfanne um und entfernte sich durch die Wand, die sich sogleich wieder
hinter ihm schloß. Die Fische aber waren verbrannt und verkohlt. Den
Sultan ergriff heimliches Grauen, er erschrak und sagte: »Unmöglich
kann ich mich wieder niederlegen, bevor ich dieses Wunder ergründet
habe; sicherlich hat es eine besondere Bewandtnis mit diesen Fischen.«
Sogleich schickte er wieder zu dem Fischer, ließ ihn holen und sprach
zu ihm: »Sage mir, wo du diese Fische gefangen hast!« Der Fischer
antwortete: »Außerhalb der Stadt liegt ein See zwischen vier Hügeln,
dort habe ich sie mit meinem Netze herausgezogen.« Der Sultan wandte
sich an den Wesir und fragte: »Weißt du etwas von diesem See?« Der
aber antwortete: »Schon dreißig Jahre lang gehe ich auf die Jagd,
durchstreife Ebenen und Gebirge, doch diesen See habe ich noch nie
entdeckt.« Der Sultan sagte zu dem Fischer: »Wie weit geht man nach
diesem See?« — »Zwei Stunden,« erwiderte der Fischer.

Der Sultan befahl nun einigen Soldaten, ihn zu Pferde zu begleiten,
und machte sich selbst mit dem Wesir auf die Wanderung. Der Fischer
mußte sie führen; er ging gehorsam voran, im stillen aber fluchte er
auf den Geist. Als sie an den vier Hügeln angelangt waren, erblickten
sie den See und in dem durchsichtigen Gewässer die vielen buntfarbigen,
glänzenden Fische. Der Sultan verwunderte sich sehr und sprach: »Dieser
See liegt doch so nahe bei meiner Hauptstadt, und dennoch habe ich ihn
noch niemals gesehen. Sagt mir, Soldaten, ob einer von euch jemals
diesen Ort gekannt hat!« Aber alle Soldaten erwiderten, auch sie hätten
ihn zum ersten Male erblickt. Da schwur der Sultan und rief: »Beim
allmächtigen Gott, der den Himmel gewölbt hat, nicht eher kehre ich in
die Stadt zurück, bis ich weiß, was dieser See und diese bunten Fische
für ein außerordentliches Geheimnis bergen!« Er ließ die Soldaten
absitzen und die Zelte aufschlagen, denn er wollte hier bis zur Nacht
an dem See verweilen. Dann rief er seinen Wesir, der ein sehr kluger
und erfahrener Mann war, und sprach zu ihm, ohne daß die Soldaten es
hörten: »Vernimm, was ich zu tun beabsichtige! Ich will abseits von den
anderen gehen, um zu erfahren, was dies für Fische sind. Lebe wohl.
Sage aber morgen den Truppen und meinen Beamten, ich sei krank, es
könnte niemand bei mir vorgelassen werden. Wohne so lange in meinem
Zelte; ich aber bleibe drei Tage lang fort, nicht länger.« Der Wesir
erwiderte: »Es soll geschehen, wie du befohlen hast.« Der Sultan
umgürtete sich nun mit seinem Schwerte und machte sich ohne Begleitung
auf den Weg. Er ging jenseits der Berge, bis der Morgen zu dämmern
begann. Als die ersten Strahlen der Sonne aufblitzten, erblickte er
in der Ferne etwas Schwarzes; da freute er sich, denn er dachte:
vielleicht wohnt dort jemand, den ich um Auskunft befragen kann. Er
schritt rüstig zu, und als er nahe kam, sah er, daß es ein Schloß war
aus schwarzem, geschliffenem Marmor und mit eisernen Platten belegt;
er erkannte, daß es unter einem glücklichen Sterne gebaut war. Das
Schloß hatte ein Tor, von dem ein Flügel durch den andern geschlossen
war. Der Sultan trat heran und klopfte leise, aber niemand öffnete
ihm. Er klopfte noch einmal etwas stärker, aber wieder vernahm er
keine Antwort und erblickte keinen Menschen. »Ohne Zweifel ist dieses
Schloß ohne Bewohner,« dachte sich der König, ging furchtlos weiter
und rief: »Hier steht ein hungriger Reisender, der weit gewandert ist.
Bewohner dieses Schlosses, habt ihr etwas für ihn zu essen? Der Herr
aller Sklaven wird euch reichlich dafür belohnen.« Er rief diese Worte
zwei- und dreimal, aber wieder hörte er keine Antwort. Da faßte er Mut
und schritt in das Innere des Schlosses hinein, wandte die Augen nach
rechts und links, aber niemand war zu erblicken. Er sah, daß das
Schloß mit seidenen Teppichen und Stoffen geschmückt war, er sah auch
goldene Vorhänge und schöne Polster. Mitten im Saale war ein großer
Raum, an den noch andere Zimmer mit Nischen und Polstern grenzten. Ein
Springbrunnen plätscherte, der war aus vier goldenen Löwen gebildet,
die aus ihren Rachen helles, kühles Wasser spien. In einem goldenen
Netze sangen viele Vögel gar lieblich durch den Saal; sie waren in
den zarten Maschen gefangen und konnten nicht entweichen. Der König
stand und blickte staunend umher, denn niemand war zu finden, den er
fragen konnte. Er setzte sich müde auf ein Polster an der Seite des
Saales und sann auf Rat, als er plötzlich eine klagende Stimme vernahm,
welche voll Wehmut diese Worte sang: »Unseliges Schicksal, warum kennst
du kein Erbarmen und kein Mitleid? Mein Leben schwebt ja zwischen
Gefahr und Qualen. Warum habt ihr kein Mitleid mit einem Großen seines
Volkes, der im Bunde der Liebe erniedrigt wurde, warum erbarmt ihr euch
nicht des Reichsten unter seinem Volke, der arm geworden ist? Ich war
eifersüchtig auf die Luft, die um euch wehte; aber wo das Schicksal
niederfällt, da verdüstert sich das Gesicht. Was frommt dem Schützen
die Kunst, wenn er seinem Feinde entgegentritt, und die Sehne zerreißt,
wenn er den Pfeil abschleudern will? Und wenn sich ganze Scharen um den
Tapfern häufen, wie könnte er der Macht des Schicksals entweichen?«

   [Illustration: Er kam in Sichtweite eines Palastes aus glänzendem
                              Marmor an.]

Als der König den Gesang und das heftige Schluchzen vernahm, folgte er
dem Klang der Stimme; er sah einen Vorhang an der Türe eines Zimmers
hängen, raffte ihn zur Seite und erblickte einen Jüngling, der auf
einem Throne saß. Er war sehr schön gewachsen, hatte eine leuchtende
Stirn, frische Locken und rote Wangen, auf denen ein Fleckchen wie
Ambra glänzte, gleich wie der Dichter sagt: »Er war von schönem Wuchse,
durch seine Locken und seine Stirn wandelte die Welt in Licht und
Dunkelheit. Verleugnet nicht das braune Fleckchen auf seiner Wange,
denn auch der Anemone ist es verliehen.«

Der König trat heran und grüßte den Jüngling; der war in einen
seidenen Mantel mit goldenen Stickereien gekleidet, und auf seinem
Haupte glänzte eine ägyptische Krone. Er blickte traurig vor sich hin
und hatte Tränen im Auge; er dankte für des Königs Gruß und sprach:
»Wahrlich, es genügt nicht, daß ich nur vor dir aufstehe, denn du
verdienst mehr; darum entschuldige mich.« Der Sultan entgegnete: »Ich
komme als dein Gast zu dir, schöner Jüngling, und will dich über eine
seltsame Angelegenheit um Rat fragen. Sage mir, welche Bewandtnis es
mit dem See an den vier Hügeln und den bunten Fischen hat und mit
diesem einsamen Schlosse, in welchem du allein hausest, ohne Diener und
Gefährten, und mit deinem Kummer.« Als der Jüngling diese freundlichen
Worte vernahm, rannen ihm die Tränen über Wangen und Brust, und er
sprach folgende Verse:

»Wieviel Unglück hat das Schicksal schon bereitet! Das wissen alle, die
von ihm mißhandelt wurden. Magst du auch schlafen — wann schläft das
Auge Gottes? Wer genoß ohn' Unterlaß die Gunst der Zeiten? Wem hat die
Welt ewig gewährt?«

Und wieder weinte der Jüngling und seufzte; der König aber fragte
mitleidig: »Sage mir, warum vergießest du so heiße Tränen, Jüngling?«
Sprach jener: »Wie sollte ich nicht weinen, da ich der Unglücklichste
der Unglücklichen bin?« Er hob den Saum seines Kleides und ließ den
Sultan sehen, daß er halb Mensch und halb ein schwarzer Marmor war.
Da betrübte sich der König sehr über diesen schrecklichen Anblick.
»Du hast meinen eigenen Kummer noch vermehrt,« sprach er zu dem
Jüngling, »ich war gekommen, um über den See und die bunten Fische
Kunde zu vernehmen, nun muß ich auch nach deiner Geschichte fragen,
Unglücklicher. Es gibt kein Heil und keine Gnade außer bei dem höchsten
Gott. Berichte mir, was du weißt.« Der Jüngling antwortete ihm: »Neige
dein Ohr zu mir, und blicke mich an; denn wahrlich! eine wunderbare
Geschichte hat sich mit mir und mit den Fischen zugetragen. Ich würde
sie einem jeden willig erzählen, damit er daraus Mahnung und Belehrung
schöpfen kann. Vernimm also:




             DIE GESCHICHTE VON DEM VERSTEINERTEN PRINZEN


Mein Vater herrschte als König über diese Stadt; er hieß Sultan Mahmud
und regierte siebzig Jahre über die Inseln dieser Berge. Als ihn der
Tod hinweg genommen, folgte ich ihm in der Herrschaft. Ich heiratete
meine Nichte; die liebte mich so sehr, daß sie weder Speise noch Trank
zu sich nehmen wollte, wenn ich nur einen Tag von ihr entfernt war.
Fünf Jahre unserer Ehe waren verflossen, als sie sich eines Tages in
das Bad begab. Ich aber ging in dieses Schloß und schlief hier, an
jenem Orte, wo du jetzt weilst. Ich befahl zwei Sklavinnen, mich zu
salben und zu beräuchern. Die eine saß mir zu Füßen, die andere zu
Häupten. Es geschah nun, daß ich nicht zu schlafen vermochte, denn es
quälte mich eine Übelkeit; meine Augen waren zwar geschlossen, aber
ich vernahm, was um mich vorging. Da hörte ich, wie die eine Sklavin
zu ihrer Gefährtin sagte: »Blicke unsern armen Herrn an, Masuda! Wie
ist er jung und schön, und doch muß er bei unserer verruchten Herrin
weilen.« Die andere entgegnete: »Verflucht seien alle Verräterinnen!
Wirklich, unsere Herrin ist eine Buhlerin, die keine Nacht in ihrem
Schlosse schläft; es ist ein Unglück, daß unser junger König ihr
angetraut ist.« — »Aber unser König ist sehr töricht,« sagte die
erste wieder, »denn er merkt es nicht, wenn er nachts erwacht und sein
Lager neben sich leer findet.« Darauf entgegnete die zweite: »Gott
verfluche unsre Gebieterin, dieses verbuhlte Weib! Sie mischt ihm einen
Schlaftrunk, und dann schläft er wie ein Toter. Und wenn sie morgens
wieder heimkommt, dann hält sie ihm Räucherwerk unter die Nase, damit
er wach wird. Wehe unserm Herrn!«

Da ich diese Rede meiner beiden Sklavinnen hörte, reckte sich die Wut
in mir auf. Als meine Frau aus dem Bade kam, wartete ich ungeduldig,
daß die Nacht herannahen sollte. Ich aß nur wenig und ging darauf mit
ihr zu Bett. Sie reichte mir wieder einen Becher; ich stellte mich,
als ob ich ihn tränke, aber ich goß ihn heimlich zum offenstehenden
Fenster hinaus. Darauf streckte ich mich auf mein Lager, schloß die
Augen, und heuchelte, daß ich schliefe. Ich hörte jedoch, wie sie mit
verhaltener Stimme sprach: »Möge fester Schlaf dich umfangen! Möchtest
du doch nie mehr erwachen! Wahrlich, deiner Gestalt bin ich satt,
und du wirst mir zum Überdruß.« Durch die halbgeschlossenen Lider
sah ich, wie sie sich erhob, ankleidete und sich ein Schwert umhing;
dann öffnete sie die Türe und verschwand. Sofort stand ich auf und
folgte ihr durch alle Straßen der Stadt bis zu einem Tore; sie ging
vor mir her und blickte nicht zurück. An dem Tore sagte sie einige
mir unverständliche Worte; die Riegel fielen, und die Türe öffnete
sich; sie ging hinaus, und ich folgte ihr, bis sie zu einer kleinen
Hütte aus Ziegelsteinen gelangte, die zwischen einigen Schutthaufen
lag. Ich kletterte sogleich auf das Dach des Hauses, um zu lauschen.
Da sah ich meine Frau mit einem alten schwarzen Sklaven, der ganz in
Lumpen gehüllt war und auf einem Bündel Rohr saß. Sie kniete nieder und
küßte die Erde, der Sklave aber blickte zu ihr empor und sagte: »Warum
säumst du so lange? Unsere schwarzen Vettern waren soeben hier und
haben mit ihren Liebchen gekost und haben getrunken; ich aber rührte
keinen Becher an, weil du nicht bei mir warst.« Meine Frau entgegnete:
»Geliebter meiner Seele! Weißt du denn nicht, teurer Herr, daß ich mit
meinem Vetter vermählt bin? Die Welt ist mir verhaßt, weil ich in sein
Antlitz blicken muß. Wahrhaftig, ich möchte, daß diese Stadt in Trümmer
fiele, ehe die Sonne hinter den Bergen aufsteigt, daß Raben und Eulen
in ihren leeren Mauern herumstrichen und Füchse und Wölfe darin heulten
und hausten! Ich würde die Steine bis ans Ende der Welt hinter den
Berg Kaf schleudern.« Da schrie der Schwarze: »Du Schändliche, bei der
Ehre der Schwarzen schwöre ich, daß du Lügen redest! Von dieser Nacht
an werden wir nicht mehr mit unsern Vettern zusammen sein, ich werde
dich nicht mehr berühren und dich hassen. Denn du hintergehst uns, du
Stinkende, und wir sind nur da für deine schmähliche Begierde!« Als
ich solches sah und vernahm, wankte die Erde vor meinen Blicken, und
mein Blut wurde heiß. — »Mein Geliebter,« hörte ich meine Frau nun
sagen, »warum ergrimmst du denn? Du Licht meiner Augen, wer wird mich
aufnehmen, wenn du mich verstößt? Habe Mitleid mit mir!« Sie klagte
und bat und vergoß Tränen, bis er wieder versöhnt war. Da wurde sie
froh und sprach: »Sage mir, mein Herz, ob du nichts für deine Sklavin
zu essen hast?« Er antwortete: »Gehe zu jenem Becken dort.« Sie legte
einige Kleider ab, deckte darauf das Becken ab und fand darin ein Stück
von einer Maus. Sie aß es und trank sodann aus einem Topfe noch etwas
Bier, wusch ihre Hände und setzte ich zu ihm mitten unter die Lumpen.
Sie schmiegten sich eng aneinander auf dem Bündel Rohr und küßten sich.
Rasch schwang ich mich von dem Dache, rannte in das Haus und ergriff
das Schwert, das meine Frau mitgenommen hatte; denn ich wollte die
beiden umbringen. Zuerst schlug ich den Schwarzen auf den Hals und
glaubte schon, ihn getötet zu haben; aber ich hatte nur die Haut und
die Kehle durchschnitten und nicht die Halsader. Er schrie und sank
schwer zur Erde, so daß ich wähnte, er sei ohne Leben. Meine Frau fiel
vor Entsetzen seitwärts und lag hinter mir.

Nachdem ich meine Rache ausgeführt hatte, ging ich wieder in die
Stadt zurück und legte mich in das Bett, bis der Morgen in die
Fenster schien. Nicht lange danach kehrte meine Frau zurück; sie trug
Trauerkleider und hatte ihre Haare abgeschnitten. Sie sprach zu mir
mit kummervoller Stimme: »Wisse, mir haben Boten gemeldet, daß meine
Mutter gestorben ist, daß mein Vater im heiligen Kriege getötet wurde
und daß der eine meiner Brüder durch einen Sturz und der andere durch
einen Schlangenbiß umgekommen ist. Wie sollte ich da nicht seufzen und
weinen, mein Vetter? Willst du dich meinem Schmerze widersetzen?« Ich
aber winkte ihr zu gehen und sagte kurz: »Tue, was dir gut dünkt; ich
will dich nicht stören.«

Meine Frau brachte nun ein volles Jahr in Weinen und in Tränen zu, und
ich hinderte sie nicht an ihrem Schmerze. Nach dieser Zeit trat sie
zu mir und sprach: »Laß mir im Hause eine Grabstätte mit einem Zimmer
bauen; dorthin möchte ich mich zurückziehen und mich meinen Tränen
weihen.« — »Tue, was dir gut dünkt,« sagte ich, »denn ich will dich
nicht hindern.« Alsdann befahl ich, ihr das Trauergebäude zu errichten,
in dessen Mitte eine Kuppel emporragen sollte. Sie aber brachte den
schwarzen Sklaven in dieses Tränenhaus. Er lebte zwar noch, denn seine
Tage waren noch nicht abgelaufen; er konnte auch noch trinken, doch
die Sprache war ihm geschwunden, seitdem ich ihn mit meinem Schwerte
verwundet hatte, und er vermochte nicht mehr, sich aufrecht zu
halten. Meine Frau ging jeden Abend und Morgen zu ihm und brachte ihm
Suppe und Wein und jammerte um den Geliebten. Und wiederum war ein
volles Jahr verflossen, und ich hatte alles geduldig mit angesehen.
Eines Tages folgte ich ihr unbemerkt; sie klagte, seufzte und rief:
»Mein Geliebter! Warum mußte mir das widerfahren? Warum muß ich dich in
einem so traurigen Zustande erblicken? Warum gönnst du mir kein Wort,
du Licht meiner Augen? O rede nur ein einziges Mal zu mir!« Und dann
sagte sie folgende Verse: »Wahrlich, das war der Tag, der alle Wünsche
erfüllte, an dem ich zuerst deine Nähe genoß; ein Tag des Unglücks aber
war der, an dem ich von dir getrennt wurde! Und wenn auch Angst und
Schrecken mich nachts überfielen, so ist deine Nähe mir doch süßer, als
die sicherste Sicherheit. Und wenn ich alle Reichtümer der Welt mein
eigen nennen könnte und lebte gleich den Großen der Erde, so würde es
mir nicht so viel gelten, als der Flügel einer Mücke, wenn mein Auge
dich nicht erblicken kann.«

            [Illustration: Die Königin der Ebenholzinseln.]

Als ich diese Worte vernommen hatte, trat ich zu ihr und sprach: »Warum
klagst du immer noch? Wahrlich, du hast genug umsonst geseufzt!« Sie
erwiderte mir: »Störe mich nicht in meinem Tun, sonst werde ich dich
umbringen.« Da schwieg ich und ließ sie weiter weinen; und sie trauerte
abermals ein volles Jahr lang. Danach ging ich ihr wieder einmal nach;
ich war aber erzürnt, weil mir ein unangenehmes Ereignis widerfahren
war. Sie stand an der Trauerhöhle, und ich hörte, wie sie wehmütig
sagte: »So soll ich niemals, Geliebter, ein einziges Wort aus deinem
Munde hören? Drei Jahre sind verflossen, und noch immer schweigst du!«
Und dann sprach sie folgende Verse: »O Grab! Sage mir, unbarmherziges
Grab, ob seine blühende Gestalt verblichen ist! Sind seine Reize von
ihm gewichen? Kein Himmel und keine Luft lächeln zu dir hernieder,
und keine Sonne und kein Mond können dir ihre Strahlen ins Dunkel
senden!« Bei diesen Worten übermannte mich die Wut, und ich schrie:
»Soll dein Schmerz denn nie ein Ende finden!« Und dann erwiderte ich
mit folgenden Versen: »O Grab! Ist seine abscheuliche Gestalt endlich
dahingewelkt, unbarmherziges Grab? Ist sein nichtswürdiges Auge endlich
matt geworden? O Grab, du bist ja kein Teich und kein Topf, wie können
Schlamm und Schmutz zu dir hinabdringen?« Bei diesen Worten ergrimmte
sie sehr und rief: »Was tatest du mir an, du Hund! Du hast meinen
Geliebten, das Licht meiner Augen, verwundet und hast mich durch seinen
Tod um seine Jugend betrogen. Schon drei Jahre liegt er hier und ist
weder tot noch lebendig.« Ich aber antwortete und schrie: »Du Dirne! Du
schmutzige Buhlerin du! Ja, ich habe dieses Ungeheuer bestraft!« Ich
zog in rasendem Zorne mein Schwert und drang auf sie ein, um sie zu
töten. Da lachte sie hohnvoll, als sie meine Wut sah, und sagte: »Was
vergangen ist, kommt nicht wieder, bis die Toten auferstehen. Gott gab
mir die Macht über den, der mir Übles getan hat, und über das, was in
meinem Herzen wie ein ewiges Feuer zehrt. Weiche zurück, wie ein Hund!«
Sie reckte sich in die Höhe, murmelte einige Worte, die ich nicht
verstand, und rief: »Durch meines Zaubers Kraft sollst du halb Stein
und halb Mensch werden!« Nun siehst du mich, Herr, so wie ich geworden
bin. Ich kann nicht stehen, nicht sitzen oder schlafen; ich bin nicht
tot bei den Toten und nicht lebendig bei den Lebendigen. Wahrlich, mein
Herz ist voll Klage und Betrübnis!

Als mich meine Frau so verzaubert hatte, erhob sie sich und verwandelte
die Stadt mit allen Gassen und Marktplätzen und Häusern. Dies hier ist
der verwunschene Ort, wo jetzt deine Zelte mit den Truppen stehen.
Die Bewohner meiner Stadt waren Muselmänner, Juden, Christen und
Feueranbeter. Das abscheuliche Weib verwandelte nun die Muselmänner in
weiße, die Christen in blaue, die Juden in gelbe und die Feueranbeter
in rote Fische, und die Inseln des Königreichs in jene vier Berge,
die sie mit einem See umschloß. Aber damit begnügte sie sich noch
nicht. Jeden Tag kommt sie zu mir, entblößt mich und gibt mir hundert
Streiche, bis das Blut mir von den Schultern rinnt; dann legt sie
ein härenes Kleid um meinen Leib und darüber dieses Prachtgewand. In
meinem Schmerze sage ich dann folgende Verse: Dein Urteil und deinen
Beschluß will ich standhaft tragen, mein Gott! Wenn du an meinem
Unglück Gefallen hast, so will ich es geduldig erleiden. Schmach und
Gewalt hat man mir angetan; aber das Paradies wird mir vielleicht
doppelte Wonne bescheren. Vor deinem Auge kann kein Übeltäter
entfliehen, allmächtiger Gott: befreie mich von der Qual, und beschütze
mich vor meinen Peinigern!«

Als der Sultan diese Erzählung vernommen hatte, war er gerührt und
sprach zu dem verzauberten Jüngling: »Du hast mir Antwort auf meine
Frage gegeben; mein Kummer und mein Schmerz um dich sind groß. Doch
sage mir vor allem, wo weilt die Schändliche, und wo liegt der
Sklave?« Der Jüngling antwortete: »Der Sklave ist in der Grabhöhle
unter der Kuppel, sie aber hält sich wahrscheinlich in einem der
gegenüberliegenden Säle auf. Jeden Morgen, wenn die Sonne aufgeht,
besucht sie den Sklaven, und wenn sie zurückkommt, gibt sie mir
hundert Streiche. Ob ich auch weine und klage, so kann ich mich doch
nicht rühren, um mich zu verteidigen; denn die eine Hälfte meines
Körpers ist ja aus schwarzem Stein. Und wenn mein Blut über Brust und
Schultern geflossen ist, dann geht sie wieder zu dem verruchten Sklaven
und bringt ihm Suppe und Trank; am Morgen aber kehrt sie zurück und
peinigt mich aufs neue.« Da rief der König, von Mitleid ergriffen:
»Wahrlich, Jüngling, es wird etwas geschehen, wovon man nach langen
Jahren noch erzählen wird.« Dann setzte er sich neben den Weinenden
und plauderte mit ihm bis zur Nacht. — Des Morgens aber machte er
sich auf, zog sein Schwert aus der Scheide und begab sich zu dem
Tränenpalaste. In der Grabstätte brannten viele Lampen und Wachskerzen,
und die Düfte von Weihrauch und lieblichen Ölen wehten ihm entgegen.
Er nahm sein Schwert, ging zu dem Bette des Sklaven und tötete ihn mit
einem kräftigen Streiche; dann schleppte er den Leichnam hinaus und
warf ihn hinab in den Schloßbrunnen. Darauf legte er die Kleider des
Schwarzen an, kroch hinab in die Grabeshöhle und versteckte das blanke
Schwert unter der Decke des Bettes. Nicht lange darauf vernahm er das
Geschrei des Jünglings, denn die Zauberin war zu ihm gekommen, hatte
ihn entkleidet und mit hundert Streichen gezüchtigt. Der Jüngling rief:
»Erbarme dich meiner, liebe Nichte! Wahrlich, ich habe genug gelitten.«
Sie aber entgegnete: »Hast du wohl Mitleid mit meinem Geliebten
gefühlt, Elender?« Als sie ihren Gemahl geprügelt hatte, bis ihm das
Blut von Brust und Armen rann, legte sie ihm ein härenes Kleid um und
zog ihm darüber das Brokatgewand an. Dann nahm sie Wein und Suppe und
ging zu dem Sklaven unter die Kuppel. Sie begann zu jammern und klagte:
»Mein Geliebter, warum versagst du mir deinen Anblick? Verstoße mich
nicht länger, sondern besuche mich wieder, denn dein Anblick allein
verleiht mir Leben! O komme wieder in meine Arme, du meine Sonne,
denn unsere Feinde frohlocken über uns. O Herr, entreiße mich meiner
Pein, denn genug der Tränen hab ich vergossen! Du meine Seele, gib
mir Antwort, und sprich zu mir!« Da rief der König aus der Grabkammer
mit tiefer Stimme und schwerer Zunge, gleich dem Schwarzen: »Ach,
ach! Es gibt kein Heil und keine Hilfe außer bei Gott, der den Himmel
gewölbt hat.« Da die Zauberin ihn sprechen hörte, sank sie vor Freude
in Ohnmacht; als sie wieder bei Besinnung war, sagte sie: »So ist es
wahr, Geliebter: Du hast mit mir gesprochen? Ist es keine Täuschung
der Sinne? O rede weiter!« Der König antwortete: »Du Nichtswürdige!
Du bist nicht wert, daß man zu dir spricht! Denn du peinigst deinen
Gemahl Tag für Tag, so daß er nicht schläft und jammernd um Hilfe
schreit. Er weint und flucht mir und dir, daß sein Geheul durch
die leeren Zimmer gellt. Ich vermag seinen Klageruf nicht mehr mit
anzuhören, denn er raubt mir den Schlaf. Längst wäre ich genesen, wenn
du mich von seinem Geschrei befreit hättest.« Sie antwortete: »Wenn
du befiehlst, geliebter Herr, so will ich ihn erlösen.« Und der König
sprach: »Befreie ihn, damit ich Ruhe finde und wieder mit dir reden
darf.« Da ging die Zauberin rasch hinaus, ergriff eine Schüssel voll
Wasser und raunte einige Worte darüber, bis es zu sieden begann;
darauf bespritzte sie den Jüngling mit dem wallenden Wasser und sprach:
»Bei der Allmacht des lebendigen Gottes! Wenn dir der Schöpfer der
Welt diese Gestalt verliehen oder dich aus Zorn so geschaffen hat,
so verändere dich nicht. Wenn aber die Kraft meines Zaubers dich
verwandelt hat, so nimm durch die Macht des erhabenen Gottes deine
frühere Gestalt wieder an!«

Alsbald sprang der Jüngling empor, jubelte über seine Befreiung und
rief: »Gelobt sei Gott, der Himmel und Erde gemacht hat!« Die Zauberin
aber zürnte und sagte zu ihm: »Hebe dich hinweg und kehre nie mehr
zurück; denn sobald dich meine Augen wieder erblicken, kostet es dir
das Leben!« Als der Jüngling ihre Worte befolgt und sich entfernt
hatte, ging sie zu dem Grabgewölbe zurück und sprach in die Gruft
hinunter: »Komm doch heraus, mein Geliebter, damit ich mich wieder
deiner schönen Gestalt erfreuen kann; denn ich habe getan, wie du mir
geheißen.« Der König antwortete aus der Gruft mit tiefer Stimme: »Wohl
hast du jetzt einen Ast zur Ruhe gebracht; nun aber bringe auch den
ganzen Stamm zur Ruhe.« — »Sag mir, Herr, wer ist der Stamm?« — »Du
Verruchte!« rief der König, »weißt du nicht, daß es die Bewohner der
Stadt der vier Inseln sind? Zu jeder Mitternacht strecken die Fische
ihre Köpfe aus dem Wasser und rufen um Rache und fluchen mir. Befreie
sie, damit ich gesunden kann; eile dich und kehre schnell zurück!
Dann gib mir die Hand und richte mich empor, denn die Genesung ist mir
nahe.« Als die Zauberin diese Worte vernahm, war sie voll Hoffnung
und Glück und machte sich schleunigst auf den Weg. Sie ging zum See,
schöpfte mit der Hand etwas Wasser heraus und raunte darüber einige
Worte. Da begannen die Fische zu tanzen, denn ihr Zauber war gelöst;
sofort erschien die Stadt wieder, und die Bewohner gingen umher,
plauderten und lachten, kauften und verkauften. Sie aber kehrte rasch
zu dem Grabgewölbe zurück und sprach: »Nun gib mir deine erlauchte
Hand, mein liebes Herz, und erhebe dich!« Der König rief mit einer
Stimme, welche der des Schwarzen glich: »Tritt näher zu mir!« Und als
sie heran kam, sagte er: »Tritt noch näher zu mir, Geliebte.« Als sie
so dicht bei ihm war, daß ihr Gewand ihn berührte, reckte sich der
König empor, spaltete sie in zwei Stücke und ließ sie so geteilt in dem
Gewölbe liegen. Darauf eilte er hinaus zu dem Jüngling, der auf ihn
wartete, ihm die Hand küßte und ihn zu seiner Rettung beglückwünschte.
Der Sultan fragte ihn: »Sage mir, ob du in deiner Stadt bleiben willst
oder mir folgen möchtest?« Der entzauberte Jüngling erwiderte: »Du
großer und guter Herrscher! Du Meister deiner Zeit, weißt du auch,
wie weit meine Stadt von deiner Stadt entfernt liegt?« Der König
blickte ihn verwundert an und erwiderte: »Einen halben Tag bin ich
hierher gereist.« Der Jüngling entgegnete ihm: »Du träumst, o Herr;
denn ein volles Jahr braucht man von deiner Stadt zu meiner. Als du
hierher gingst, war ja die Stadt verzaubert; darum war der Weg so kurz.
— Jetzt aber will ich immer bei dir bleiben und dir folgen.« Der
Sultan war sehr beglückt über diese Worte und sagte: »Preis sei dem
Allmächtigen! Ich will dich zu meinem Sohne und Erben machen, da mir
ein Sohn in meinem Leben versagt worden ist.« Und er umarmte ihn und
küßte ihn unter Tränen. Als sie ins Schloß zurückgingen, verkündete
der Jüngling den Großen seines Reiches, daß er sich hinweg begeben
wolle; und alle Kaufleute und Emire brachten ihm, wessen er zur Reise
bedurfte. Dann machte er sein Gepäck fertig und begleitete den Sultan,
welcher sich gar sehr nach seiner Heimat sehnte, die er vor so langer
Zeit verlassen hatte. Ein ganzes Jahr lang wanderten sie, Tag und
Nacht, und hatten bei sich hundert Ladungen von Geschenken und fünfzig
Sklaven. Sie kehrten wohlbehalten in die Hauptstadt des Königs zurück,
und der Wesir zog mit allen Truppen und allen Bewohnern dem Sultan
entgegen; denn schon war Angst und Trauer gewesen, weil man nicht mehr
hoffte, daß er jemals zurückkehren werde. Alle Häuser der Stadt waren
geschmückt mit seidenen Tüchern und Teppichen, und überall erschollen
Jubellieder; der Wesir aber trat zum Sultan, küßte die Erde vor ihm und
begrüßte ihn aufs treueste. Und alles Volk jauchzte und frohlockte.
Der König erzählte nun, welche Bewandtnis es mit dem See und den
Fischen gehabt habe, und was ihm mit dem Jüngling widerfahren sei; wie
er die elende Zauberin getötet und die Stadt aus ihrem Bann erlöst
hätte. Da neigte sich der Wesir auch vor dem jungen Manne und wünschte
ihm viel Glück zu seiner Befreiung. Der König ließ Freudenfeste feiern
und Geschenke und prächtige Kleider verteilen, denn er war sehr erfreut
über seine Rückkehr. Er befahl, auch den Fischer zu holen, beschenkte
ihn reichlich und fragte ihn, ob er Kinder habe. Als der Fischer sagte,
er besäße drei Töchter, ließ sie der Sultan sofort zu sich kommen. Der
König heiratete eine von ihnen und der Jüngling eine andere. Darauf
machte der Sultan den Fischer zu seinem Schatzmeister; den Wesir aber
schickte er als Sultan in die Stadt der vier Inseln und schenkte ihm
die fünfzig Sklaven, die er mitgebracht hatte. Der König blieb mit
seinem Erben in der Stadt, und beide herrschten noch lange zum Segen
ihres Landes. Der Fischer aber war ein reicher Mann und lebte viele
Jahre in Glück und Frieden.




                  DIE GESCHICHTE VON DEM ZAUBERPFERDE


In längst vergangenen Tagen lebte ein König in Persien, der hieß Sabur
und war der gewaltigste und mächtigste Herrscher seiner Zeit, denn
er besaß unermeßliche Reichtümer und viele Truppen, die sein Land
beschützten. Sein Herz kannte Güte und Milde, und seine Hand tat sich
den Armen auf und gab viele Almosen. Er war ein Trost der Kranken und
Mühseligen; Verfolgte und Verirrte fanden bei ihm gastliche Unterkunft.
Er war sehr klug und gerecht, er bestrafte die Bösen, zürnte allen, die
unrecht handelten, und die Unterdrückten beschützte er großmütig vor
Gewalt und Missetat. Seine Gattin schenkte ihm drei Mädchen und einen
Sohn, die er von Herzen liebte, denn sie waren edel und wohlgestaltet.

Der König Sabur feierte in jedem Jahre zwei Feste, die waren Niradj und
Mihrdjan genannt. An diesen hohen Festtagen verteilte er Gaben, ließ
seine Paläste und Gärten öffnen, so daß alle Untertanen freien Zutritt
zu ihm hatten, ihm Geschenke bringen und ihre Anliegen vortragen
konnten. Es geschah aber, daß an einem dieser Festtage drei sehr weise
und gelehrte Männer in seiner Stadt erschienen, um ihm seltene und
kostbare Geschenke zu bringen. Sie kamen aus drei verschiedenen Ländern
und hatten alle verschiedene Sprachen. Der eine war ein Grieche, der
zweite ein Perser und der dritte ein Indier. Dieser trat zuerst vor
den König, beugte die Knie vor ihm, wünschte ihm Glück und Heil und
übergab ihm eine goldene Bildsäule. Sie war ganz mit prachtvollen,
funkelnden Edelsteinen geschmückt und trug in der Hand ein goldenes
Horn. Der König Sabur freute sich sehr darüber, nahm sie in Augenschein
und fragte sodann: »Sage mir, weiser Mann, wozu soll mir dein Geschenk
dienen?« Der Indier erwiderte: »Großer König! Diese Bildsäule hat die
Eigenschaft, daß sie sogleich in das goldene Horn stößt, wenn sich ein
Spion in die Stadt einschleichen will. Alsbald beginnt er zu zittern
und fällt tot zu Boden.« Der König verwunderte sich sehr über diese
Rede und sprach: »Wahrlich, wenn deine Worte wahr sind, so werde ich
dir alle Wünsche gewähren.« Dann kam der Grieche heran, küßte die
Erde und übergab dem König ein Becken aus Silber; in der Mitte saß
ein goldener Pfau, und um ihn herum waren vierundzwanzig Junge. Der
König betrachtete das Geschenk mit Entzücken und fragte: »Sage mir,
wozu mir dieses Kunstwerk dienen soll?« Der Grieche antwortete: »Mein
König, wenn eine Stunde verflossen ist, wird dieser Pfau eines seiner
Jungen aufpicken und dir so die Tageszeit anzeigen. Nach einem Monat
aber wird er immer den Schnabel öffnen, und dann wird darin der Mond
erscheinen.« Als der König dieses Wort vernahm, sagte er: »Wahrlich,
wenn du wahr sprichst, so werde ich dir alle deine Wünsche erfüllen.«
Dann nahte der persische Gelehrte, neigte sich tief und überreichte dem
Könige ein Pferd aus Ebenholz; das war vollkommen ausgerüstet, hatte
Zaum und Steigbügel und einen prächtigen Sattel und war ganz mit Gold
und Edelsteinen geziert. Der König erstaunte sehr und fragte, welches
der Zweck dieses kunstreichen, leblosen Tieres sei. »Mein König,«
erwiderte der persische Weise, »es ist nicht das äußere Ansehen, warum
ich dir dieses Pferd zum Geschenk bringe. Es birgt ein wunderbares
Geheimnis; denn es legt mit seinem Reiter in einem Tage eine Strecke
von einem Jahre zurück; es fliegt durch die Luft an jeden Ort der Erde,
wohin du dich wünschest.« Der König war sehr verwundert über diese
Worte und sprach zu dem Perser: »Beim allmächtigen Gott, der die Welt
und die Menschen geschaffen hat, wenn du die Wahrheit gesprochen hast,
so sei dir jede Bitte gewährt, die du an mich richten wirst.« Darauf
nahm er die drei Weisen gastlich auf und prüfte ihre Gaben. Ein jeder
von ihnen zeigte dem König, daß er wahr geredet hatte. Das Bildnis
stieß in das goldene Horn, der Pfau pickte die Jungen auf, und das
Zauberpferd schwang sich mit dem Perser hoch in die Lüfte und ließ sich
darauf mit großer Leichtigkeit wieder zur Erde herab. Der König war
in äußerster Freude über die seltenen Geschenke und sagte: »Da ihr die
Wahrheit eurer Rede durch die Tat bewiesen und euer Versprechen erfüllt
habt, so will ich euch jetzt gewähren, was ich vordem versprochen habe.
Jeder von euch mag etwas fordern; ich werde es ihm sogleich gewähren.«
Die Weisen aber hatten schon von den drei lieblichen Prinzessinnen
vernommen und sagten daher: »Wenn du mit unseren Geschenken zufrieden
bist, o Herr, und uns eine Bitte gewährst, so möchten wir, daß du uns
deine Töchter zur Frau gibst und uns zu deinen Schwiegersöhnen machst.«
— »Eure Bitte sei erfüllt,« sprach der König und ließ sogleich den
Kadi rufen, damit er den Ehevertrag aufsetze.

 [Illustration: Angesichts einer so arroganten Behauptung brachen alle
                  Höflinge in lautes Gelächter aus.]

Hinter einem Vorhange hatten die drei Prinzessinnen gelauscht, denn
sie waren neugierig, die unerhörten Schauspiele mit anzusehen; als
die jüngste von ihnen den Perser erblickte, den sie heiraten sollte,
erschrak sie sehr; denn er war ein hundertjähriger Greis und hatte
viele Runzeln und Falten. Das Haupthaar starrte wie Borsten, aber die
Augenbrauen und der Bart waren ihm ausgefallen. Seine Augen waren rot
und triefend, seine Wangen ganz eingefallen und so gelb wie Leder, und
die Backenknochen traten spitz und scharf hervor. Seine plumpe Nase
sah einer Gurke ähnlich, die Zähne wackelten oder waren ausgefallen,
seine Lippen waren blau und glichen den Kamelnieren, und seine Hände
zitterten beständig. Wahrlich, er war der häßlichste aller Menschen
und von Aussehen wie der Teufel, so daß selbst die Vögel des Himmels
vor seinem Anblick flohen! Die Prinzessin aber war sehr schön und
liebreizend, leichtfüßig wie eine Gazelle, mild wie der Zephir und
sanft und leuchtend gleich dem Mondlichte. Sie tanzte zarter und wiegte
sich leichter wie die Zweige der Büsche im Morgenwinde, und keine
Gazelle glich ihr an Geschmeidigkeit und behendem Spiele der Glieder.
Als das reizende Mädchen den ihr erwählten Bräutigam erspähte, war ihr
Herz sehr bekümmert; sie eilte in ihr Zimmer, zerriß ihre Kleider,
streute sich Asche aufs Haupt, schlug sich Brust und Gesicht und weinte
bittere Tränen. Ihr Bruder aber, der sie vor allen seinen Schwestern
liebte, kehrte soeben von einer Reise zurück. Als nun ihr Klagen bis
in seine Gemächer klang, lief er zu ihr und fragte sie nach dem Grunde
ihres Kummers. Sie aber warf sich ihm in die Arme und rief: »Was habe
ich Schändliches getan, daß mein Vater so mit mir handelt? Ist ihm
das Schloß zu eng geworden, so will ich mich gern von hier entfernen.
Ach, mein Bruder, ich Unglückliche werde dich verlassen; aber es gibt
ja einen allmächtigen Gott, der wird mich führen und mit mir sein!«
Ihr Bruder schüttelte mißmutig den Kopf, denn er konnte die Worte der
Schwester nicht begreifen, und bat sie, ihm deutlicher zu erklären,
warum sie so verzweifelt und traurig sei. Da sagte sie: »Wisse, lieber
Bruder, mein Vater hat mich mit einem alten, lahmen und runzeligen
Zauberer verlobt, der ihm ein Pferd aus Ebenholz geschenkt hat.
Wahrlich, er hat sich überlisten lassen! Ich aber verabscheue diesen
jämmerlichen Alten, denn ich weiß, daß ich nicht seinetwegen zur Welt
gekommen bin.« Ihr Bruder erschrak über das Vorhaben seines Vaters,
sprach ihr Trost zu und eilte sofort zu dem Könige. »Wo ist der alte
Zauberer, mit dem du meine liebe schöne Schwester verlobt hast? Ich
will ihn strafen für seine unverschämte Forderung! Wo ist das Geschenk,
um dessentwillen meine Schwester sich in Gram und Leid verzehren soll?
Wie kannst du so grausam an deinem eigenen Kinde handeln!« Als der
weise Perser diese Rede hörte, ergrimmte er in seiner Seele über die
heftigen Worte des jungen Prinzen. Der König aber sagte: »Besichtige
nur erst das Pferd; wenn du seine Kunst gesehen hast, wirst du gewiß
verstummen und vor Verwunderung fast von Sinnen kommen.« Er ließ das
Geschenk des Persers holen, und der Prinz ging um das Pferd herum
und fand Gefallen daran. Er schwang sich sogleich auf seinen Rücken,
denn er war ein guter Reiter, und stieß ihm den spitzen Sattel in den
Leib. Das Tier aber rührte sich nicht und bewegte sich nicht von der
Stelle. Da sprach der König zu dem Weisen: »Zeige ihm, wie man das
Roß in Bewegung setzen muß, dann wird er sich dir gewiß nicht mehr
widersetzen.« Der Perser, in dessen Seele grimmiger Haß gegen den
Prinzen keimte, wies ihm nun einen Wirbel an der rechten Seite des
Pferdes, dann verließ er ihn. Sofort rieb der junge Prinz den Wirbel,
und alsbald erhob sich das Pferd mit rasender Geschwindigkeit und
flog mit ihm davon, so daß er bald aller Augen entschwunden war. Der
König ängstigte sich um seinen Sohn, und alle, die es sahen, erhoben
ein lautes Geschrei der Verwunderung. Der König fragte den Alten:
»Sage mir, wie der Prinz das Pferd wieder zur Erde lenken kann?«
Der Weise aber entgegnete mit kalter Stimme: »Diese Kunst ist mir
unbekannt, Herr; nicht meine und nicht seine Schuld ist es, wenn du
ihn bis zum jüngsten Tage nicht wiedersiehst. Warum hat er auch aus
unverständigem Hochmute verschmäht, mich um Rat darum zu fragen, auf
welche Weise er wieder zur Erde zurückfliegen kann? Ich selbst war so
bestürzt, als ich ihn plötzlich aufsteigen sah, daß ich den Gebrauch
meiner Sprache verlor und nicht daran dachte, ihm das Geheimnis zu
verraten.« Der König ergrimmte über diese Worte und sprach: »Ich kann
dir nicht mehr trauen; darum soll dein Kopf mir für das Leben meines
Sohnes haften,« und er ließ den Perser peitschen und in ein enges
Gefängnis einschließen. Dann begab sich Sabur in sein Gemach, sorgte
sich und seufzte und war in großer Betrübnis darüber, daß das Fest
so schmachvoll zu Ende gegangen war. Alle Tore des Palastes wurden
geschlossen, und in der ganzen Stadt herrschten Trauer und Klage. Der
König, seine Gemahlin und seine Töchter weinten Tag und Nacht über den
Verlust des geliebten Prinzen.

Der Prinz aber war unterdessen mit schwindelnder Eile zum Himmel
emporgeführt worden, so daß er nahe der Sonne schwebte und auf der
Erde nichts mehr zu erkennen vermochte. Als er zurückkehren wollte,
drehte er den Wirbel an der rechten Seite nach der verkehrten Richtung,
jedoch das Pferd trug ihn immer höher. Da erschrak er, denn er meinte,
daß er nun seinem gewissen Tode entgegenritte. Er war aber ein
entschlossener und kluger Jüngling; deshalb faßte er Mut, untersuchte
aufmerksam Kopf und Hals des Rosses und entdeckte auf der linken Seite
einen zweiten, kleineren Wirbel, den er sogleich zu drehen begann.
Augenblicklich senkte sich das Tier, und bald konnte er wieder Berge,
Städte und Ströme auf der Erde unterscheiden. Dann rieb er wieder
an dem rechten Hebel und stieg in geringe Höhe hinauf. Als die rote
Sonne hinter den Bergen sank und der Abend dunkelte, kam er in eine
blühende Ebene; dort wiegten sich viel bunte, duftende Blumen, und ein
klarer, silberner Bach murmelte durch das Gras, und Gazellen sprangen
leicht und lustig durch die Wiesen. Bald sah er unter sich eine große
Stadt mit vielen Häusern, festen Türmen und starken Mauern. Auf der
andern Seite der Stadt erhob sich ein prächtiger, stolzer Palast,
um den vierzig bewaffnete Sklaven mit Bogen und Lanzen aufmerksame
Wache hielten. Der Prinz blickte sich um und dachte: »In welches Land
bin ich hier verschlagen worden; werde ich hier Freunde oder Feinde
finden?« Nach einigem Zögern entschloß er sich, die Nacht im Dunkel der
Terrasse zuzubringen, und bemühte sich, sein Pferd nach dem fremden
Schlosse hinzulenken. Es war schon Nacht geworden, als er abstieg,
hungrig und durstig und von Müdigkeit überwältigt. Er tappte durch die
Finsternis und entdeckte endlich eine Treppe an der Terrasse, welche
in das Innere des Schlosses führte. Er stieg die Stufen hinunter und
trat auf einen Platz, der mit weißem Marmor gepflastert und vom Monde
schwach beleuchtet war. Vorsichtig spähte er umher und sah ein Licht,
das aus dem Innern des Schlosses glänzte. Er schritt darauf zu und kam
an eine Türe, vor welcher ein Sklave schnarchte. Der war so groß wie
ein Baum und so breit wie eine steinerne Bank und glich einem Geiste
Solimans. Neben ihm brannte eine kleine Lampe, und an seiner Seite
lag ein Schwert, das funkelte und blitzte wie eine Flamme. Der Prinz
zögerte einige Augenblicke, denn dieser ungewohnte Anblick erschreckte
ihn; dann aber faßte er Mut und sprach: »Allmächtiger Gott, dich flehe
ich um Rettung an! Verleihe mir Kraft, und verschone mich vor allem
Ungemach!« Nach diesen Worten ergriff er ein Tischchen mit steinernen
Pfeilern, das neben dem schlafenden Sklaven stand, schob es zur Seite
und nahm die Decke weg. Da fand er köstliche, duftende Speisen und
Getränke, und er aß und labte sich daran, bis er gesättigt war. Dann
trug er das Tischchen wieder zurück, schlich auf den Zehen zu dem
Schlafenden und zog ihm leise das Schwert aus der Scheide. Langsam und
vorsichtig schritt er weiter und entdeckte abermals eine Tür, welche
durch einen Vorhang verschlossen war. Er zog den leichten Seidenstoff
zur Seite und trat in das Gemach. Darin stand ein Thron aus weißem
Elfenbein, der war mit Rubinen und Smaragden und anderen Edelsteinen
geschmückt; um ihn herum lagerten vier schlafende Sklavinnen. Er
schlich sich näher und sah auf dem Throne ein schlummerndes Mädchen;
in ihr mildes Gesicht fielen die langen, glänzenden Haare, ihre Stirn
leuchtete wie das Mondlicht, und ihre Wangen glichen den Anemonen.
Der Prinz bewunderte ihre Anmut und ihren stolzen Wuchs; zaghaft und
zitternd näherte er sich ihr und küßte sie leise auf die rechte Wange.
Alsbald erwachte das Mädchen, öffnete die hellen Augen und blickte den
Prinzen fragend an. »Wer bist du, Jüngling, und wo kommst du her?«
begann sie mit sanfter Stimme. Er antwortete: »Ich bin dein Geliebter
und dein Sklave; der allmächtige Gott hat mich zu dir, du Schönste,
geführt. Laß mich bei dir bleiben, und weise mich nicht ab!«

      [Illustration: Er sah schwarze Eunuchen schlafend liegen.]

Die Prinzessin aber war kürzlich von ihrem Vater mit einem der
vornehmsten Männer der Stadt verlobt worden und glaubte nicht anders,
als daß der unbekannte Prinz ihr Bräutigam sei. Sie betrachtete ihn
mit Wohlgefallen, und da er schön war wie der Glanz des Mondes,
so entflammte er alsbald ihr Herz zu heißer Liebe. Sie plauderten
traulich und scherzten miteinander. Plötzlich erwachten jedoch die
vier Sklavinnen und riefen, als sie den fremden Mann neben ihrer
Gebieterin erblickten: »Wer ist dieser Jüngling, der hier bei dir
weilt, o Herrin?« Die Prinzessin erwiderte: »Ich weiß es nicht. Als
ich erwachte, sah ich ihn neben mir stehen. Ohne Zweifel ist er mein
Verlobter.« Die Sklavinnen aber sprachen: »Beim allmächtigen Gott! Wehe
dir! Dein Verlobter kann nicht einmal der Diener dieses Mannes sein!«
und sogleich liefen sie zu dem schnarchenden Sklaven, rüttelten ihn,
daß er erwachte, und riefen: »Beschirmst du das Schloß so schlecht,
daß du nicht siehst, wenn fremde Leute hier eindringen, während wir
ruhen?« Bei diesen Worten sprang der Sklave erschrocken in die Höhe
und griff nach seinem Schwerte; da er es aber nicht fand, stürzte er
voll Angst und Entsetzen hinein zu seiner Herrin. Er sah den Prinzen
bei ihr sitzen, lief auf ihn zu und schrie: »Du Dieb! Wie bist du
hereingekommen, du Betrüger?« Bei diesen Schimpfworten reckte sich
der Prinz empor, packte das Schwert und drang wie ein grimmiger Löwe
auf den Sklaven ein; den aber trieb die Furcht, daß er floh und
zitternd zu dem Könige eilte und ihm das Vorgefallene meldete. Der
König erschrak und zückte in bebender Wut sein Schwert. »Du Hund!«
rief er, »was bringst du mir für schlechte Kunde, du Nichtswürdiger!«
Der Sklave wich zurück und erwiderte mit leiser Stimme: »Habe Mitleid,
hoher Herr! Der Schlaf hatte uns überwältigt; als wir erwachten,
erblickten wir einen vornehmen Mann neben meiner Gebieterin; wir wissen
nicht, woher er kam, und wie er zu uns hereingedrungen ist.« Der
König stürzte mit der Waffe in der Hand zu dem Zimmer seiner Tochter,
und als er hereintrat, sah er den Prinzen in vertrautem Gespräch bei
der Prinzessin sitzen. Da packte ihn sinnloser Zorn; er hob sein
Schwert und wollte den Prinzen erschlagen. Der aber blickte ihm fest
ins Auge, streckte ihm sein Schwert entgegen und sprach: »Weiche
zurück! Bei Gott, dem Allmächtigen! wäre das Haus nicht heilig durch
meinen Eintritt, so würde ich dich zu denen senden, die in der Gruft
deiner Väter schlummern.« Der König rief: »Wer bist du, Elender? Wer
ist dein Vater, du Niedriggeborener, daß du es wagst, meine Tochter
heimtückisch zu überfallen? Ich bin der größte und mächtigste König
der Erde, und du führst eine Sprache, als ob ich dein niedrigster
Sklave wäre. Du Dieb, ich will dich zum Schrecken aller Welt auf die
jammervollste Weise umbringen; das schwöre ich beim erhabenen Gott!«
Der Prinz lächelte und sprach: »Herr, du zeigst eine grobe Art und
einen recht schwachen Verstand! Denn was nützt es dir, wenn du mich
töten läßt? Würde nicht ein Gerede bei allen Leuten umgehen, daß du
einen Jüngling bei deiner Tochter gefunden und niedergeschlagen hast?
Schmach und Spott würden dir folgen, und niemals wärest du vor Schande
sicher. Aber auch wir sind Könige und Söhne von Königen und könnten
dich leicht vom Throne stürzen. Doch Gott bewahre dich vor Unheil!
Kannst du übrigens der Prinzessin einen bessern Mann wünschen? Wisse:
Ich bin Kamr al Akmar, der Sohn des Königs von Persien.« Da fragte
ihn der König etwas sanfter: »Warum bist du nicht zu mir gekommen
und hast um sie angehalten, wie es die Sitte verlangt?« Der Prinz
entgegnete mit ruhiger Stimme: »Was geschehen ist, das ist geschehen!
Aber ich will dir einen günstigen Vorschlag machen. Gebiete allen
deinen Truppen, sich zu versammeln, und ich will ganz allein gegen sie
streiten; wenn ich besiegt werde, so bin ich schuldig, wenn ich sie
aber in die Flucht schlage, so wirst du gewiß meine Würde erkennen und
mir mit Achtung begegnen. Man kann die Menschen nicht wie Korn mähen
und messen.« Der König freute sich im stillen über diese Wendung der
Dinge, denn er war sehr in Verlegenheit gewesen, wie er den Fremden
töten lassen sollte, ohne sich und seiner Tochter Schimpf und Spott
zu bringen. »Dein Vorschlag ist mir angenehm,« antwortete er; und
sobald der Tag begann, versammelte er seine Truppen und ließ sie in
Schlachtordnung aufstellen. Der Prinz trat in glänzenden Waffen aus
dem Schlosse und sprach: »Ich will mein eigenes Roß reiten, bringt
es mir von der Terrasse, wo ich es in dieser Nacht angebunden habe!«
Die Diener führten das Pferd herbei, und der König bewunderte seine
Schönheit und sein künstliches Sattelzeug. Der Prinz stieg auf sein
Roß, und sofort umringten ihn die Truppen und drangen auf ihn ein, um
ihn zu erschlagen. Schnell rieb der Prinz den Wirbel an der rechten
Seite des Pferdes, und augenblicklich stieg es mit ihm in die Luft und
schwebte wie ein leichter Vogel. Der König rannte umher und schrie
in einem fort: »Tötet ihn doch! Erschlagt ihn!« Aber die entsetzten
Soldaten wichen und sagten: »Das ist ein Teufel, beim allmächtigen
Gott! Wie sollen wir ihn ergreifen? Dank sei dem Erhabenen, daß er uns
von diesem Zauberer befreit hat!« Betrübt und beschämt kehrte der König
mit seinen Truppen in das Schloß zurück, er ging sogleich in die Zimmer
der Prinzessin und erzählte ihr, was sich zugetragen hatte. Er schalt
sehr auf den Prinzen und rief: »Dieser Elende! Daß ihn Gott verdammen
möge, den Betrüger, den schändlichen Geist!« Der König wußte freilich
nicht, daß seine Tochter in Liebe für den Prinzen entbrannt war. Als er
ihre Tränen fließen sah, merkte er wohl, daß er sie schlecht getröstet
hatte und verließ sie wieder. Die Prinzessin aber schloß sich ein,
wehklagte und konnte nicht essen und trinken und schlafen.

 [Illustration: Die ganze Zeit über hatte die Prinzessin den Kampf vom
                  Dach des Palastes aus beobachtet.]

Indessen durchflog der Prinz Kamr al Akmar die Luft mit seinem Pferde,
bis er wieder in das Land seines Vaters kam. Er ließ sich vor dem
heimatlichen Schlosse nieder und stieg aus dem Sattel. Die Treppe lag
mit grauer Asche bestreut, und überall war ein dumpfes Schweigen.
Verwundert schritt der Prinz durch die Gemächer und fand dort seine
Eltern und seine Schwestern in Trauerkleider gehüllt, bleich, mit
tränengeröteten Augen. Sein Vater erblickte ihn zuerst und fiel mit
einem lauten Schrei in Ohnmacht; als er wieder zur Besinnung kam,
umarmte er seinen Sohn und weinte vor Freude. Die Königin und die
Prinzessinnen eilten auf ihn zu, herzten und küßten ihn und fragten,
wie es ihm ergangen sei. Er berichtete alles auf das genaueste und
vergaß keine Einzelheit. Als er geendet hatte, rief sein Vater: »Es ist
kein Heil und kein Schutz, außer bei dem allmächtigen Gotte! Gepriesen
sei der Herr, der dich mir wiedergab, du Freude meines Herzens!«
Überall in der Stadt war Jubel und Frohlocken; man blies die Trompeten
und schlug die Pauken und legte Freudenkleider an; alle Häuser waren
festlich geschmückt, und die Großen des Reiches kamen und brachten ihre
Glückwünsche dar. Der König aber veranstaltete ein prunkvolles Fest,
ließ alle Gefangenen frei und gab sieben Tage und sieben Nächte lang
Mahlzeiten, bei denen jeder so viel essen konnte, wie er wollte. Als
die Festlichkeiten zu Ende waren und der König mit seinem Sohne bei
Tische saß, befahl er einer Sklavin, daß sie ein Lied zur Laute singen
möchte. Sie griff in die Saiten und sang mit milder, wohltönender
Stimme folgende Verse: »Ich habe dich nicht in der Ferne vergessen!
Denn wie könnte ich noch denken, wenn ich dich vergäße? Die Zeit
vergeht, aber meine Liebe zu dir ist ewig. Mit dir werde ich sterben,
und mit dir werde ich auferstehen.«

Bei diesen Worten weitete sich das Herz des Prinzen vor Schmerz und
Sehnsucht; Trauer und Wehmut schlichen in seine Seele, und er verließ
seinen Vater heimlich, schwang sich auf das Roß aus Ebenholz, stieg mit
ihm empor und flog, bis er zum Schlosse der Prinzessin gelangte. Er
ließ sich auf der Terrasse herab, stieg dieselbe Treppe hinunter, wie
vormals, und fand den Sklaven, der, wie das erste Mal, schlafend lag
und schnarchte. Vorsichtig schlich er an ihm vorbei und trat hinter den
Vorhang, der die Türe zum Schlafgemach der Prinzessin bedeckte; hier
blieb er stehen und lauschte, denn er hörte, daß sie laut jammerte. Die
Sklavinnen erwachten durch die Klagen ihrer Gebieterin und sprachen zu
ihr: »Warum trauerst du, geliebte Herrin, über einen, der doch deinen
Gram nicht mit dir teilt?« Die Prinzessin antwortete: »Wie seid ihr
unverständig, ihr Mädchen! Wer könnte diesen Mann jemals vergessen?«
Sie brach von neuem in Schluchzen aus und weinte, bis sie darüber
entschlummerte. Der Prinz, der hinter dem Vorhange stand und alles
mit anhörte, war sehr erregt, und sein Herz pochte heftig. Er trat
hastig in das Gemach und ging zu dem Throne, auf welchem die Prinzessin
ausgestreckt lag. Er nahm sie leise bei der Hand und rief ganz heimlich
ihren Namen. Sogleich erwachte sie und schlug die großen Augen auf.
Ein leiser Schrei entfuhr ihr, als sie den ersehnten Prinzen vor sich
stehen sah. Freudig sprang sie empor, warf sich ihm an die Brust,
küßte ihn und rief: »Geliebter, wie glücklich bin ich, daß ich dich
wieder habe!« Der Prinz fragte: »Sage mir, warum weinst du und bist
du so betrübt?« Sie antwortete ihm: »Muß ich nicht klagen und Tränen
vergießen, da ich so lange von dir getrennt war?« Der Prinz sprach:
»Was geschehen mußte, das laß geschehen sein. Freue dich mit mir, daß
ich dich wiedergefunden habe! Jetzt aber befiehl, daß mir Speisen und
Getränke gebracht werden, denn ich bin sehr hungrig und durstig.« Als
er seinen Hunger gestillt hatte, setzte er sich zu ihr, umarmte sie
und plauderte mit ihr bis tief in die Nacht. Der Morgen dämmerte,
und die erste zarte Röte schien durch die Fenster, da erhob er sich,
um Abschied von ihr zu nehmen, ehe der Sklave vor der Tür erwachte.
Die Prinzessin (sie hieß aber Schems ulnahar) fragte ihn verwundert:
»Warum willst du mich schon verlassen? Wohin gehst du?« Der Prinz
entgegnete: »Ich reite mit meinem Pferde zu meinem Vater zurück; aber
ich verspreche dir, daß ich jede Woche einmal zu dir kommen werde, denn
ich habe große Sehnsucht nach dir.« Da umschlang ihn die Prinzessin und
rief: »Warum willst du allein von hinnen reiten? Ich beschwöre dich
beim höchsten Gott, der den Himmel über uns gewölbt hat, nimm mich
mit dir! Laß mich nicht allein zurück, Geliebter, denn die Trennung
nagt an mir, und mein Herz verzehrt sich in Sehnsucht.« Als der Prinz
diese tapferen Worte vernahm, war er hocherfreut und rief: »Ist es dein
fester Wille, daß du mit mir ziehen willst?« Schems ulnahar blickte
ihn vertrauend an und erwiderte: Ȇberall, wo du bist, da will auch
ich sein, mein Geliebter.« Sie erhob sich eilends und ging zu einer
großen Truhe, welche in einer Nische des Zimmers stand, und entnahm ihr
viel köstliche Gewänder und gleißende Perlen und Edelsteine. Darauf
schlichen die beiden leise hinaus, ohne daß die Sklavinnen erwachten,
und gingen auf die Terrasse, wo schon die ersten Strahlen des Morgens
schimmerten. Sie bestiegen das Pferd aus Ebenholz, und als der Prinz
den Wirbel drehte, erhob es sich sogleich in die Lüfte und flog wie
ein Vogel dahin. Es währte nur kurze Zeit, da sahen sie von fern die
Hauptstadt des Perserkönigs im Sonnenlichte funkeln; der Prinz ritt
darauf zu und ließ das Roß in einem Garten außerhalb der Stadt langsam
nieder, hob die Prinzessin sorglich aus dem Sattel und geleitete sie
in ein Lusthaus. »Warte hier auf mich,« sprach er, »ich will zu meinem
Vater gehen und ihm dein Nahen melden. Denn du sollst mit Jubel und
Ehren empfangen werden, und die Großen des Reiches sollen dir mit allem
Volke entgegeneilen.« Er machte sich eilends auf den Weg, ging in das
väterliche Schloß und erzählte seinen Eltern, was ihm in der Nacht
begegnet war. Der König und die Königin schlossen ihn in ihre Arme,
waren hochbeglückt und befahlen, ein Fest zu rüsten. Da erschollen
Pauken und Trompeten in der Stadt, von allen Häusern wehten bunte
Teppiche und Tücher, und das Volk sang und zog jubelnd hinaus in den
Garten, wo die Prinzessin ihres Geliebten harrte.

Es begab sich aber, daß der persische Gelehrte, der vom Könige nach
der Rückkehr des Prinzen wieder in Freiheit gesetzt worden war, oft in
jenem Garten spazieren ging, denn er war ein Freund des Gärtners. Er
hatte von weitem mit angesehen, wie Kamr al Akmar mit einer fremden
Jungfrau angekommen war, und näherte sich alsbald dem Lusthause. Dort
fand er ein schönes Mädchen, das war so lieblich wie der Mond, und
neben ihr stand das Pferd aus Ebenholz, welches er dem Könige zum
Geschenk gemacht hatte. Er zürnte aber dem Prinzen noch wegen seiner
heftigen Worte und sprach in seinem Herzen: »Dieser junge Mann hat
ungehörig zu mir geredet und mich ergrimmt; wahrlich, ich will ihm
Gleiches mit Gleichem vergelten und dieses reizende Mädchen sogleich
mit meinem Pferde entführen.« Er näherte sich der Türe und klopfte
bescheiden mit dem Finger an. Die Prinzessin fragte von drinnen: »Bist
du es, mein Geliebter?« Der Perser erwiderte: »Ich bin der Diener und
Sklave deines Herrn; er schickt mich zu dir und läßt dich bitten, mir
zu folgen. Die Herrin, meine Königin, ist schon alt und kann nicht
einen so weiten Weg zurücklegen; darum soll ich dich auf dem Pferde in
die Stadt bringen, denn sie sehnt sich danach, dich in ihre Arme zu
schließen und zu begrüßen.« Die Prinzessin, welche nicht an den Worten
des Persers zweifelte und schon Sehnsucht nach dem Prinzen fühlte,
öffnete die Türe und trat heraus. Als sie aber sah, daß der Bote sehr
alt war und so welke Züge und gelbe Haut hatte, wurde ihr bange, und
sie rief: »Hat die Königin keine angenehmeren Diener als dich? Warum
wählte sie dich alten Weißbart und runzeligen Greis, um mich zu ihr zu
geleiten?« Der Perser ärgerte sich über diese Worte und sagte: »Alle
Sklaven meiner Herrin sind schöner als ich. Ich aber bin ihr ältester
Diener, und sie hat mich aus Eifersucht zum Boten gewählt, denn du bist
jung und sehr schön und gleichst der strahlenden Sonne.« Die Prinzessin
glaubte der List des Alten und schwang sich mit ihm auf das Pferd. Der
Perser, der hinter ihr saß, rieb an dem rechten Wirbel, und sogleich
erhob sich das Tier pfeilgeschwind und schwang sich empor in der
Richtung nach China.

Indessen ordnete sich vor dem Palaste des Königs der festliche Zug,
welcher die Prinzessin aus dem Lusthause abholen sollte. Der Prinz ritt
in glänzender Rüstung an der Spitze seiner Truppen, und ihm folgten
seine Eltern mit den Wesiren und den Großen des Reiches. Überall
erschollen Jubelgesänge und der Klang der Trompeten und Trommeln.
Als sie nun an dem Garten angekommen waren, stieg der Jüngling vom
Pferde und trat zuerst in das Lusthaus, um seine Geliebte zu holen.
Wie erschrak er, als er das Zimmer leer fand! Er rief, aber niemand
antwortete. Da schlug er sich Gesicht und Brust, stieß tausend
Verwünschungen aus und raufte sich verzweiflungsvoll die Haare.
Zufällig kam der alte Gärtner vorbei und fragte, was hier geschehen
wäre. Der Prinz schrie ihn an: »Du Schuft! Du Elender! Wo ist die
Prinzessin? Sage mir, was du mit ihr begonnen hast, oder ich ziehe mein
Schwert und schlage dir den Kopf vom Rumpfe!« Der Gärtner war sehr
in Angst über den Zorn seines Herrn, und seine Knie wankten. »Mein
Gebieter, ich weiß nicht, von was du redest,« sagte er demütig. »Beim
Barte deines Vaters schwöre ich dir, daß ich nichts gesehen habe. Ich
bin unschuldig: hab Erbarmen mit mir!« — »Wer ist heute in deinen
Garten gekommen?« fragte der Prinz, denn er zweifelte nicht mehr an
der Ehrlichkeit des Gärtners. Dieser antwortete: »Ich habe niemanden
gesehen; nur der persische Weise ging heute unter den Bäumen auf und
nieder.« Da erschrak der Prinz sehr und wußte sofort, daß der Perser
Rache an ihm genommen hatte. Er bebte vor Wut, denn er schämte sich vor
dem Volke. Nach einer Weile ging er zu seinem Vater zurück und sprach
zu ihm: »Ziehe mit deinen Truppen wieder in die Stadt. Wahrlich, Gott
hat ein großes Unglück über mich verhängt, und alles Unrecht findet
seine Strafe! Ich bleibe hier, denn ich will ergründen, was sich
zugetragen hat.« Der König seufzte und sagte: »Fasse Mut, mein Sohn,
und vergiß dein Ungemach. Tröste dich über das, was dir widerfahren
ist! Wähle dir eine andere Prinzessin zur Gemahlin, denn ich will, daß
du glücklich werdest.« Dann zog er mit seinen Truppen wieder in die
Stadt, und alle Freude verwandelte sich in Trauer und Wehklagen. Der
Prinz aber blieb einsam zurück und sann auf Rat und Hilfe.

Der persische Weise ritt unterdessen mit der geraubten Prinzessin
durch die Lüfte, bis er in China war. Als er eine blühende Ebene unter
sich entdeckte, lenkte er sein Zauberpferd in dieser Richtung und ließ
sich an einer sprudelnden Quelle herab. Er hob die Prinzessin aus dem
Sattel und setzte sich mit ihr zur Rast unter einen schattigen Baum.
Die Prinzessin, welche meinte, daß sie nun bald bei ihrem Geliebten
wäre, fragte erstaunt: »Sage mir, wo ist dein Herr, der Prinz, und
wo sind seine Eltern?« Der persische Weise lachte höhnisch, daß
sein gelbes Gesicht noch häßlicher wurde, und sagte: »Verdammt mögen
sie alle sein, die Betrüger! Jetzt bin ich dein Gebieter. Denn dieses
Pferd habe ich gemacht, und mir gehört es an. Niemals wirst du den
Prinzen wiedersehen; vertraue dich mir an, denn ich werde alle deine
Wünsche erfüllen und werde dir prächtige Gewänder schenken und Gold und
Edelsteine, soviel du verlangst. Ich besitze große Schätze und reiche
Güter; mir dienen hundert Sklaven und hundert Sklavinnen, und ich werde
dir ebenso viele schenken.« Er wollte sie lüstern umarmen, doch sie
stieß ihn entrüstet von sich, barg ihr Gesicht in den Händen und weinte
bitterlich. Der Weise aber streckte sich auf den Boden und schlief
rasch und unbekümmert ein. (Der Himmel möge ihn nie wieder erwecken!)

 [Illustration: Sie saßen am See und trösteten sich mit süßer Liebe.]

Nun traf es sich aber, daß der Kaiser von China gerade in jener Gegend
eine große Jagd abhielt. Da der Tag sehr heiß war und ihn der Durst
plagte, kam er zu dieser Quelle unter dem Baume, um seinen Gaumen zu
letzen und zu ruhen. Wie erstaunte er, als er ein sanftes, zartes
Mädchen erblickte, und neben ihm ein schwarzes Pferd! Lange stand er
und bewunderte ihre Schönheit und konnte sich nicht satt an ihr sehen.
Da entdeckte er auch den Weisen, der nicht weit davon im Grase lag und
schnarchte. Er stieß ihn mit dem Fuße an, bis der Alte erwachte und
sich gähnend die Augen rieb. »Wer ist dieses liebliche Mädchen, und
warum führst du es mit dir?« fragte der Kaiser. Jener gab mißgelaunt
und kurz zur Antwort: »Es ist meine Frau.« Bei diesen Worten erhob
sich die Prinzessin, und als sie den Fremden erblickte, trat sie auf
ihn zu, küßte die Erde vor ihm und sprach: »Befreie mich von diesem
argen Zauberer! Hab Erbarmen, Herr, und bestrafe ihn, denn er hat mich
überlistet und gestohlen.« Der Kaiser rief seine Diener und befahl
ihnen: »Gebt diesem Alten hundert Streiche, dann bindet ihn und werft
den Schändlichen ins tiefste Gefängnis!« Der Perser winselte und
heulte, aber die Diener taten, wie ihnen gesagt war, und züchtigten
ihn, bis ihm das rote Blut vom Rücken rieselte.

Der Kaiser von China hob das fremde Mädchen vor sich auf sein Roß und
kehrte mit ihr in seine Hauptstadt zurück. Er fragte sie aber, was das
für ein Pferd sei, das er bei ihr gefunden habe. Sie antwortete ihm:
»Ich weiß es nicht, hoher Herr; es scheint ein wunderbares Tier zu
sein, denn der Alte machte allerlei Kunststücke darauf und flog mit mir
durch die Luft.« Als der König diese seltsame Kunde vernahm, befahl
er seinen Dienern, das Pferd wohl zu hüten und in seine Schatzkammer
zu bringen. »Lasset uns heimreiten!« rief er vergnügt, »denn wir sind
ausgezogen, um wilde Tiere zu erlegen, und haben dafür eine menschliche
Gazelle erjagt.« Sie kehrten im Trabe zu dem Palast des Kaisers
zurück, und der Prinzessin wurden reiche und prächtige Gemächer zum
Aufenthalte angewiesen. Der Kaiser hatte Wohlgefallen an dem Mädchen
gefunden und begab sich noch an demselben Tage zu ihr, um ihr seine
Hand anzutragen. Als die Prinzessin seine Worte hörte, erschrak sie
sehr und stellte sich irrsinnig. Sie schrie allerlei unverständliche
Worte, zerriß ihre Kleider, schwang die Fäuste in der Luft und stampfte
die Erde mit ihren Füßen. Der Sultan entsetzte sich gewaltig bei ihrem
Toben und sandte sogleich zu allen Ärzten und Sterndeutern. Er gab der
Kranken viele Sklavinnen zur Bedienung und ließ sie sorgfältig hüten
und bewachen.

        [Illustration: Viele Monate lang reiste er ahnungslos.]

Soviel weiß ich jetzt von der Prinzessin zu erzählen. Was aber den
Prinzen Kamr al Akmar betrifft, so irrte er trostlos von Land zu Land,
von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf, und fragte und forschte nach
der Verlorenen. Die Macht des allmächtigen Gottes führte ihn auch
nach China. Nachdem er lange gegangen war, kam er in die Hauptstadt
und wanderte suchend und traurig durch die Straßen. Er ging in alle
öffentlichen Läden und besuchte alle Basare in der Hoffnung, daß er
dort die Vermißte entdecken würde. Vor einem Laden standen einige
Leute, die unterhielten sich eifrig und achteten nicht darauf, als
sich der Fremde zu ihnen gesellte. Der Prinz erlauschte, daß sie von
dem Kaiser sprachen und von einem Mädchen, das man allgemein in der
Stadt bemitleidete. Da mischte sich der Prinz in das Gespräch und
fragte, worüber sie sich so eifrig erregten. Ein alter Mann, der sehr
geschwätzig war, begann sogleich zu erzählen: »Gewiß bist du ein
Fremder, daß du noch nichts von dem gehört hast, was unserm Kaiser
neulich auf der Jagd begegnet ist. An einer Quelle fand er ein schönes
Mädchen mit einem alten Manne und neben ihnen ein hölzernes Pferd.
Der Kaiser fragte den Alten, wer das Mädchen sei, der aber sagte, es
wäre seine Frau. Doch die Jungfrau rief, der böse Zauberer hätte sie
entführt, und bat den Kaiser um Hilfe. Da ließ er den Alten schlagen
und ins Gefängnis sperren und nahm das Mädchen zu sich in das Schloß
und wollte es zu seiner Frau machen. Die Jungfrau aber raste plötzlich
und schrie und zerriß ihre Kleider, denn sie war wahnsinnig geworden.
Alle Ärzte und Sterndeuter sind im Schlosse gewesen, aber keiner wußte
Rat und konnte die Besessene heilen. Der Kaiser trauert, denn er
liebt die Fremde aus tiefer Seele.« — Als der Prinz diese Erzählung
vernommen hatte, jubelte er und rief: »Gepriesen sei der allmächtige
Gott, denn er hat mich den rechten Weg geleitet und mich unerwartet
finden lassen, was ich suchte!«

Alsbald ging er in einen Laden und kaufte sich Kleider, denn er
hatte beschlossen, nichts unversucht zu lassen, um in das Schloß zu
gelangen. Er färbte seine Augenbrauen und seinen Bart weiß, setzte
sich einen großen Turban auf und hing sich ein weites Gewand mit lang
herabfallenden Ärmeln um. Dann nahm er ein dickes altes Pergamentbuch
unter den Arm und steckte eine Schachtel mit Sand zu sich; in der einen
Hand trug er seinen großen Stock und in der andern einen Rosenkranz. So
durchwanderte er alle Straßen und zählte die Perlen des Rosenkranzes
ab, wie die Astrologen zu tun pflegen. Dabei blickte er zu allen
Fenstern empor und rief beständig: »Friede sei mit euch und mit eurem
Hause!« Als er an das Tor des Palastes kam, meldete er sich bei dem
Pförtner und sagte: »Gehe zu dem Kaiser und künde ihm, daß ein weiser
Sterndeuter aus Persien angekommen sei. Ich habe die Geschichte von
der Sklavin vernommen; zwar erscheint es keck von mir, daß ich noch
einmal den Versuch wage, bei ihr eine Heilung zu bewirken, nachdem so
viele gelehrten Ärzte es mit ihr versucht haben. Aber ich kenne sehr
wirksame und eigentümliche Mittel, die, wie ich hoffe, von Erfolg sein
werden.« Der Pförtner eilte sofort zu dem Kaiser und berichtete, was
ihm der Fremde aufgetragen hatte. Der Prinz wurde vor den Thron des
Herrschers geführt, verneigte sich tief und murmelte allerlei dunkle
und unklare Worte, die keiner der Hofleute verstehen konnte. Der Kaiser
begrüßte ihn und sprach: »Weiser Mann, in meinem Palaste habe ich ein
Mädchen, das rauft sich die Haare und zerreißt die Kleider, denn es
ist von Sinnen. Wenn du es heilen kannst, so darfst du jede Belohnung
erwarten, die du von mir forderst.« Der verkleidete Prinz wurde in
die Gemächer der Prinzessin geleitet und hörte schon von weitem, wie
sie klagte und wehmütige Verse sprach. Er trat schnell in das Zimmer
und sah sie auf dem Boden liegen, ganz entstellt, mit eingefallenen
Wangen und geröteten Augen. Kaum erblickte sie den Fremden, da sprang
sie wie eine Wütende empor, überhäufte ihn mit Schmähungen und suchte
ihn aus dem Zimmer zu drängen. Er aber wehrte ihr und sagte halblaut:
»Schems ulnahar, deine Erlösung ist nahe, denn der allmächtige Gott
hat dein Flehen erhört. Vor dir steht Kamr al Akmar.« Als sie seine
Worte vernahm, blickte sie ihn prüfend an und erkannte unter der
Entstellung die Züge ihres Geliebten. Sie warf sich ihm an die Brust,
küßte ihn und fragte: »Wie bist du zu mir gelangt? Denn ich bin
weit entfernt von der Heimat und von dem Hause deiner Eltern.« Er
entgegnete mit leiser Stimme: »Frage mich jetzt nicht darum; vor der
Türe steht der Oberkämmerer und kann uns hören. Ich will versuchen,
dich durch List zu erretten; wenn aber mein Vorhaben mißglückt, so
kehre ich in meine Heimat zurück und werde Truppen sammeln, um dich
mit Gewalt aus dem Palaste des Kaisers zu entführen.« Er wies ihr an,
wie sie sich zu verhalten habe, eilte zu dem Kaiser und bat ihn, mit
ihm zu der Prinzessin zu gehen. Als Schems ulnahar die Eintretenden
gewahrte, schrie sie, schlug mit den Händen um sich und verdrehte die
Augen. Da ging der Prinz mit würdigen Schritten auf sie zu, murmelte
einige Beschwörungsformeln, blies ihr in die Augen und biß sie in das
linke Ohr. Dann sagte er mit ernster und feierlicher Stimme: »Erhebe
dich, du Unglückliche, gehe zum Kaiser und küsse ihm die Hand!« Das
Mädchen tat, wie ihr der Geliebte geheißen hatte, heuchelte eine
Ohnmacht und warf sich zu Boden. Darauf erhob sie sich, starr wie
eine Schlafwandelnde, ging mit steifen Schritten auf den Kaiser zu,
neigte sich vor ihm und küßte ihm die Hand. »Sei gegrüßt, erhabener
Herr,« sagte sie zu ihm mit leiser Stimme, »welche Ehre widerfährt
mir, daß du deine Sklavin besuchst?« Bei diesen Worten schlug der
Kaiser vor Glück und Überraschung die Hände zusammen, hob die Kniende
empor und strich ihr liebkosend über die wallenden Locken. Dann wandte
er sich an den Sterndeuter und sagte: »Wahrlich, du hast ein Wunder
vollbracht, denn dir ist gelungen, was kein anderer vor dir vermochte!
Nun wünsche dir, was du willst, deine Bitte sei schon im voraus
erhört.« Der Prinz überlegte eine kleine Weile und entgegnete darauf:
»Noch weiß ich nicht, ob das Mädchen endgültig geheilt ist, denn die
Möglichkeit besteht, daß ihre Krankheit von neuem ausbricht. Laß sie
von zwölf Sklavinnen in das Bad tragen, und schmücke sie mit glänzenden
Edelsteinen und blinkendem Geschmeide, damit sie ihren Kummer vergißt
und wieder freudigen Herzens werde. Dann aber soll sie wieder an den
Ort zurückgebracht werden, wo du sie gefunden hast, denn dort ist der
böse Geist in sie gefahren.«

Der König konnte sich nicht genug über die Worte des vermeintlichen
Sterndeuters verwundern und rief: »O du weiser Mann! Du Gelehrter
und Philosoph! Nie gab es einen geschicktern Arzt, als dich! Denn du
weißt, daß ich das Mädchen außerhalb der Stadt gefunden habe.« Der
Prinz runzelte die Stirn gewichtig und sagte mit bedeutsamer Stimme:
»Mir ist noch mehr bekannt: der Ort, an dem du sie entdeckt hast,
liegt in einer Ebene, wo eine silberkühle Quelle rieselt. Dorthin laß
die Prinzessin führen, damit sie gesunde.« Der Kaiser tat sogleich,
wie ihm der weise Mann befohlen hatte, schmückte die Prinzessin
mit den herrlichsten Kleinodien und befahl, sie unter den Baum zu
tragen, wo er sie mit dem alten Zauberer überrascht hatte. Dann begab
er sich mit Kamr al Akmar und seinen Wesiren an diese Stelle. Der
verkleidete Prinz ließ Räucherwerk bringen, entzündete die Pfannen,
denen ein süßer, dichter Rauch entquoll, wandte die Augen zum Himmel
und rief unverständliche Worte aus. Dann wandte er sich an den Kaiser
und sagte: »Ich weiß jetzt, daß sich der böse Geist, von dem dieses
Mädchen besessen war, im Leibe eines Pferdes verborgen hält, das aus
schwarzem Ebenholz geschnitzt ist. Wir müssen nun das Tier auffinden,
damit ich den bösen Geist vertreiben kann, denn sonst wird er das arme
Mädchen immer wieder peinigen und irreführen.« Da rief der Kaiser voll
Begeisterung: »O du göttlicher Meistert Du Weisester aller Weisen! Dir
ist gegeben, auch das Verborgene zu erkennen. Denn ich sah neben dem
Mädchen und dem alten Zauberer ein Pferd aus Ebenholz stehen; gewiß
ist es das Tier, das du meinst.« Der Kaiser befahl sogleich, das Pferd
herbeizuführen, und der Prinz prüfte es genau, um zu sehen, ob es
noch unbeschädigt sei. Darauf entzündete er wieder die Räucherpfanne,
warf ein Pulver hinein und beschrieb seltsame Zeichen mit den Händen.
Dann gab er dem Kaiser die Büchse mit Sand, die er mitgenommen hatte,
und sagte: »Streuet diesen Sand in die Flammen, sobald ich auf dem
Pferde sitze, denn diesen Geruch liebt es sehr; aber der böse Geist
wird dadurch bezaubert und muß von hinnen fahren.« — Flugs setzte
sich Kamr al Akmar auf das Roß und hob auch die Prinzessin in den
Sattel; er rieb an dem Wirbel, und das Pferd erhob sich und flog in
die Lüfte wie ein Vogel. Der Kaiser traute seinen Augen nicht und rief
seinen Dienern zu: »Haltet ihn fest!« Die aber sagten: »Der Himmel
behüte uns, das ist ein Teufel oder selbst ein böser Geist!« Der
Kaiser starrte den Entfliehenden unverwandt nach, bis das Pferd in
weiter Ferne entschwunden war. Dann tobte er und rief: »Es gibt keine
Hilfe und keine Macht, außer beim allmächtigen Gott! Hat jemals ein
Auge erblickt, daß ein Mensch in den Lüften reiten kann? Wahrlich,
ich bin hintergangen und von einem Zauberer geblendet worden!« Er
kehrte mit seinen Truppen in die Stadt zurück, ließ den alten Perser
aus dem Verließ heraufholen und schrie: »Du Erbärmlicher! Du hast
mich betrogen, denn du verhehltest mir, daß dein hölzernes Pferd eine
wundersame Kraft besaß. Nun hat ein hergelaufener Schwindler mir das
Mädchen geraubt und all die kostbaren Perlen und Edelsteine, mit denen
ich sie geschmückt hatte.« Der Perser warf sich zu Boden, weinte und
rief: »Ich bin es selbst, der dieses kunstvolle Tier erbaut hat! Der
die Jungfrau entführte, heißt Kamr al Akmar und ist der Sohn des
Königs Sabur von Persien; kein anderer kannte das Geheimnis.« Als der
Kaiser diese Worte vernahm, wurde er rot vor Wut, schloß sich in seine
Gemächer und trauerte lange über den Verlust des schönen Mädchens.

     [Illustration: Sie gab den Befehl, ein reichhaltiges Bankett
                            vorzubereiten.]

Der Prinz aber durchflog mit seiner Geliebten die Luft, bis er zur
Hauptstadt seines Vaters gelangte. Er stieg jedoch nicht wieder an dem
Lusthause ab, denn er war durch Schaden klug geworden, sondern ließ
sich im Schloßgarten seines Vaters nieder. Der König war hochbeglückt
über die Ankunft der reizenden Prinzessin und verheiratete sie sogleich
mit seinem Sohne. Das ganze Volk freute sich mit ihnen und jubelte, die
Häuser waren geschmückt, und alle Großen des Reiches kamen in den
Palast und begrüßten die Neuvermählten. König Sabur schickte Boten zu
dem Vater der Prinzessin, gab ihnen die prächtigsten Geschenke mit und
bat um seine Einwilligung zu der Verbindung. Sieben Tage und sieben
Nächte lang dauerten die Lustbarkeiten. Das Zauberpferd aber wurde in
der Schatzkammer aufgestellt und sorglich behütet. — Kamr al Akmar
folgte seinem Vater in der Herrschaft und regierte noch lange und
segensvoll über sein Land, bis ihn der Tod hinwegnahm, der auch die
festesten Bande zu lösen vermag.




            DIE GESCHICHTE VON CHODADAD UND SEINEN BRÜDERN


In der Stadt Harran herrschte einst ein sehr reicher und mächtiger
König, der seine Untertanen ebenso liebte, wie er von ihnen geliebt
wurde. Er war sehr weise und tugendsam, und nichts fehlte ihm zu
seinem vollkommenen Glücke, als ein Erbe. Er hatte die schönsten und
lieblichsten Frauen in seinem Serail, aber er konnte keine Kinder von
ihnen erhalten. Täglich bat er den Himmel um seine Gnade, denn er
sehnte sich sehr nach einem Sohne. Eines Nachts, als er in sanftem
Schlummer lag, erschien ihm ein Mann, der blickte ihn sanft und
gütig an, wie ein Heiliger, und sprach zu ihm: »Deine Bitte wird
erfüllt; dir ist gewährt, wonach du verlangst. Sobald du erwachst,
erhebe dich, sprich dein Gebet und beuge zweimal die Knie; dann gehe
hinaus in den Garten deines Schlosses, und laß dir vom Gärtner einen
Granatapfel pflücken; iß davon so viele Kerne, als dir beliebt, und
deine Wünsche werden erfüllt werden.« — Als der König die Augen
aufschlug, erinnerte er sich des verheißungsvollen Traumes, stand auf,
verrichtete sein Gebet und dankte dem Himmel inbrünstig für seine
Huld. Dann machte er zwei Kniebeugungen, ging in den Garten, nahm
fünfzig Körner des Granatapfels und aß sie. Er hatte einen Harem von
fünfzig Beischläferinnen, die wurden nun alle guter Hoffnung; eine aber
von ihnen, die Piruza hieß, wurde nicht schwanger. Deshalb verabscheute
der König sie so, daß er sie umzubringen beschloß. »Gewiß ist sie dem
Himmel verhaßt, weil er sie nicht würdig findet, Mutter eines Knaben
zu werden,« sprach er bei sich. Er hatte schon den Befehl gegeben, sie
zu töten, als sein Wesir ihm sagte, Piruza könne wohl in gesegneten
Umständen sein, auch wenn man es nicht deutlich an ihr bemerkte. »So
soll sie am Leben bleiben,« entgegnete der König unwirsch. »Aber ich
mag sie nicht mehr sehen; ich will, daß sie sogleich mein Schloß
verlasse.« Er befolgte den weisen Rat seines Wesirs und schickte Piruza
zu seinem Vetter, dem Prinzen Samer von Samarien, mit einem Briefe, in
welchem er ihn bat, sie wohl zu empfangen und ihm Nachricht zu geben,
falls sie eines Knaben genesen sei.

Piruza war aber noch nicht lange fort, da erhielt der König von seinem
Vetter, dem Prinzen Samer, ein Schreiben, das ihm die Geburt eines
Sohnes meldete. Der König freute sich sehr darüber und antwortete
folgendermaßen: »Lieber Vetter, da alle meine anderen Frauen hier
ebenfalls einen Prinzen geboren haben, so haben wir jetzt hier eine
so große Menge Kinder, daß ich Dich bitten muß, den Sohn der Piruza
aufzuziehen. Nenne ihn Chodadad, und schicke ihn mir zurück, wenn ich
Dich darum ersuche.«

Der Fürst Samer sparte nichts, um seinem Neffen eine gute Erziehung
angedeihen zu lassen. Er unterwies ihn im Bogenschießen, gab ihm
Unterricht im Reiten und lehrte ihn alle Künste, die einem Königssohne
zukommen, so daß Chodadad, als er achtzehn Jahre geworden war, mehr
als alle seine Altersgenossen galt. Seine Kraft und sein Mut waren
außerordentlich, dazu war er herrlich von Angesicht und von würdiger
Gestalt. Da der Prinz einen männlichen Mut in sich fühlte, sprach
er eines Tages zu seiner Mutter: »Liebe Mutter, ich beginne mich in
Samarien zu langweilen; darum beurlaube mich und laß mich hinausziehen
auf das Schlachtfeld, wo ich meine Tapferkeit erproben kann, denn ich
weiß, daß ich hier niemals Ruhm ernten werde. Der König von Harran,
mein Vater, hat viele Feinde, die es danach gelüstet, seinen Frieden zu
stören und ihn mit Krieg zu überziehen. Ich wundere mich sehr, daß er
mich nicht zu Hilfe ruft. Denn ich bin kein Kind mehr, und es frommt
mir nicht, meine Kraft und Tapferkeit zu Hause erlahmen zu lassen.
Warum hat er mich nicht schon längst an seinen Hof gezogen? Alle meine
Brüder dürfen an seiner Seite kämpfen und dem Feinde entgegenreiten;
warum soll ich hier mein Leben müßig versitzen?« Piruza antwortete:
»Mein Sohn, die Trennung von dir schmerzt mich sehr; dennoch wünsche
auch ich, daß dein Name überall mit Preis und Ruhm genannt werde. Es
geziemt dir wohl, dich gegen die Feinde deines Vaters auszuzeichnen,
aber du solltest warten, bis er um deine Hilfe ruft.« — »Wahrlich,
liebe Mutter,« sprach Chodadad, »schon zu lange habe ich diese
Verzögerung ertragen! Ich muß meinen Vater von Angesicht sehen, denn
ich brenne vor Verlangen, ihm meine Dienste anzubieten; ich glaube, daß
ich sterben werde, wenn ich nicht zu ihm eile und ihm die Füße küsse.
Als ein Fremdling und ein Unbekannter will ich in sein Heer eintreten,
und er wird ohne Zweifel mein Anerbieten nicht verschmähen. Mit Kraft
und Ausdauer will ich ihm auf allen Feldzügen folgen, damit ich seine
Achtung verdienen und ihm beweisen kann, daß ich wirklich sein Sohn und
seiner würdig bin.« Der Fürst Samer aber verweigerte seine Einwilligung
und wollte nicht dulden, daß Chodadad ohne Befehl des Königs aufbräche;
der aber machte sich eines Tages auf den Weg unter dem Vorwande, er
wolle auf die Jagd reiten. Er schwang sich auf ein weißes Roß, dessen
Zügel und Hufbeschläge von Golde blinkten. Decke und Sattel waren aus
blauem Atlas, mit Edelsteinen geziert und mit köstlichen Perlen. Er
trug einen Säbel mit einem Griffe, der aus einem einzigen Diamanten
bestand, und die Scheide aus Sandelholz war mit Rubinen und Smaragden
eingelegt und haftete an einem edelsteinblitzenden Gürtel. Über seiner
Schulter hing ein Bogen und ein Köcher, der ganz in Silber getrieben
war. In dieser herrlichen Ausrüstung, geleitet von seinen Freunden,
traf er in der Stadt Harran glücklich ein. Es gelang ihm auch bald,
sich dem Könige vorzustellen. Der Sultan war entzückt von der Schönheit
und dem stattlichen Wuchse des jungen Unbekannten und erwiderte gar
gnädig seinen Gruß; vielleicht auch war es die Macht des Blutes, die
sein Herz für diesen Jüngling wärmer schlagen ließ, — jedenfalls rief
er ihn voll Huld an seine Seite und fragte ihn nach Stand und Namen.
Chodadad neigte sich tief zur Erde und sprach: »Hoher Herr, ich bin der
Sohn eines Emirs in Kairo; Reiselust und die Sehnsucht nach fremden
Ländern trieben mich aus meinem Vaterlande; lange bin ich umhergezogen,
bis mir neulich die Kunde wurde, daß deine Nachbarn dich mit Krieg
überziehen wollen; sofort eilte ich an deinen Hof, denn es gelüstet
mich sehr, dir meine Dienste anzubieten und meinen Mut zu beweisen.«
Der König freute sich über diese mutigen und heldenhaften Worte und
ernannte ihn sogleich zu einem Befehlshaber in seinem Heere.

Der junge Prinz überwachte die Truppen des Königs aufs sorgfältigste
und erwarb sich schnell die Achtung der Hauptleute und die Bewunderung
und Zuneigung der Soldaten, denn er war milde und gütig zu ihnen
und hielt sie alle in Gehorsam und strenger Zucht. Der König war
entzückt, als er sein Heer in so trefflichem Zustand erblickte, und
machte Chodadad zu seinem besondern Günstling; alle Emire und Wesire
und die übrigen Höflinge bewarben sich um sein Wohlwollen und zeigten
ihm, welch hohe Achtung sie ihm, dem Fremdling, entgegenbrachten.
Die anderen Prinzen aber sahen dies nur mit Neid, und ihr Herz
entbrannte in Ärger und Haß, weil sie vor dem Unbekannten an Bedeutung
und Ansehen verloren. Der König dagegen freute sich von Tag zu Tag
mehr über die kluge und einsichtige Rede und den Verstand und Geist
seines Günstlings, so daß er ihn immer um sich haben wollte und
ihm schließlich sogar die Erziehung und Aufsicht über die andern
neunundvierzig Prinzen anvertraute, trotzdem Chodadad im gleichen
Alter wie seine Brüder war. Ihr Haß wuchs durch diese Maßnahme des
Vaters nur um so heftiger, und eines Tages traten sie zusammen und
berieten sich: »Wie ist es möglich, daß unser Vater diesen Fremdling
mehr liebt, als uns, und ihn sogar zu unserm Erzieher einsetzt? Wir
müssen uns seinen Befehlen unterwerfen und dürfen nichts ohne seine
Erlaubnis tun. Wahrlich, dieser Zwang ist unerträglich; wir müssen
trachten, uns von ihm frei zu machen! Laßt uns darüber nachdenken, wie
wir uns dieses unbequemen Hofmeisters auf die beste Art entledigen
können.« Einer von ihnen meinte: »Wollen wir uns nicht vereinigen und
ihn alle zusammen an einem einsamen Orte totschlagen?« Ein anderer
wandte dagegen ein: »Nein! wenn wir ihn erschlügen, würden wir uns
selbst zu Fall bringen, denn wir könnten unser Tun vor dem Könige nicht
geheimhalten; er würde uns mit seinem Haß verfolgen und uns gewiß alle
des Thrones für verlustig erklären. Ich habe einen andern Rat. Laßt uns
zu einer List greifen. Wir wollen darum bitten, auf die Jagd reiten zu
dürfen; wenn wir weit genug vom Palaste entfernt sind, dann wollen wir
in irgendeiner Stadt bleiben und uns dort eine geraume Zeit aufhalten.
Sicherlich wird dann der König über unsre Abwesenheit verwundert sein
und sich grämen; und wenn wir nicht mehr zurückkehren, wird er Argwohn
hegen und die Geduld verlieren und dann unsern Peiniger gewiß fortjagen
oder töten lassen. Dies scheint mir der sicherste Weg zu sein, um den
Verhaßten aus dem Wege zu räumen.«

Dieser Vorschlag wurde allgemein anerkannt und fand ungeteilten
Beifall. Die Brüder gingen nun zu Chodadad und ersuchten ihn darum,
auf die Jagd ziehen zu dürfen, zugleich versprachen sie, mit
Sonnenuntergang desselben Tages zurückzukommen. Er ging auch in die
Schlinge und gewährte ihnen ihre Bitte. Sie ritten fort, kehrten aber
weder an diesem, noch am nächsten Tage ins Schloß zurück. Drei Tage
waren vergangen, da wurde der König unruhig und fragte Chodadad: »Ich
vermisse die Prinzen sehr; warum zeigt sich keiner vor meinem Throne?«
— »Erhabener Herr,« erwiderte dieser, »sie baten mich darum, auf die
Jagd reiten zu dürfen; aber sie versprachen mir, bald heimzukehren,
und ich bin selbst in Sorge, weil sie ihr Wort nicht gehalten haben.«
Der König war ratlos, und seine Unruhe wuchs. Als auch der folgende
Tag verstrich und die Prinzen nicht erschienen, konnte er seine Wut
kaum zurückhalten und sprach zu Chodadad in hellem Zorne: »Nachlässiger
Fremdling, wie konntest du so verwegen sein und meine Söhne allein zur
Jagd reiten lassen, ohne sie zu begleiten? Wahrlich, du verwaltest das
Ehrenamt schlecht, das ich dir anvertraut habe! Mache dich sogleich
auf und suche sie; wenn du sie aber nicht zurückbringst, so werde ich
dich des schrecklichsten Todes erbleichen lassen!« Bei diesen Worten
erschauderte Chodadad und erschrak sehr; auf der Stelle schwang er
sich auf sein Roß und ritt zur Stadt hinaus, um nach den Verlorenen
zu forschen. Gleich einem Hirten, dessen Herde sich verirrt hat, zog
er von Land zu Land, durchstreifte alle Gefilde und fragte in allen
Dörfern; aber weder in der Wüste, noch in den Städten konnte er eine
Spur von den Prinzen finden. Da wurde er sehr traurig und rief in
heftiger Bekümmernis: »O meine Brüder, wohin seid ihr verschlagen? Hat
euch ein grimmiger Feind erbeutet, oder ist euch ein anderes Unglück
widerfahren? Niemals kann ich an den Hof von Harran zurückkehren, denn
der König wird vor Herzeleid und Verdruß mir seine Gnade gewiß nie
wieder zuwenden.« Er fand keinen Trost darüber und bereute bitterlich,
daß er die Prinzen ohne seine Begleitung hatte auf die Jagd ziehen
lassen.

Schon lange war er von Feld zu Feld und Wald zu Wald gezogen, als
er an eine sehr große und weite Ebene gelangte, in deren Mitte ein
riesiger Palast aus schwarzem Marmor stand. Langsam und vorsichtig
ritt er darauf zu und erblickte an einem Fenster ein Fräulein von
wunderbarer Schönheit, das mit keinen anderen Reizen, als mit ihrer
eigenen Lieblichkeit geschmückt war; denn ihre Kleider waren zerrissen,
ihre Haare hingen gelöst und verwirrt, und auf ihrem Gesicht lagen
die Züge tiefster Kümmernis und nagender Trauer. Als Chodadad so nahe
herangekommen war, daß er ihre Worte hören konnte, vernahm er folgende
Warnung: »Fliehe vor diesem verhängnisvollen Palaste, Jüngling, sonst
wirst du in die Hände des Ungeheuers fallen, das hier wohnt! Ein
schwarzer Menschenfresser haust in diesen Räumen; er ergreift alle
Leute, welche das Unglück in diese Ebene geschickt hat, und sperrt
sie in finstere, enge Kerker ein und befreit sie nur, wenn er sie
auffressen will.« Chodadad verwunderte sich über diese Rede und rief:
»Sage mir, Herrin, wer du bist und woher du stammst! Wegen mir sei
unbesorgt.« Sie erwiderte: »Ich stamme aus einem edlen Hause und bin
aus Kairo gebürtig; neulich, als ich auf einer Reise nach Bagdad in
diese Ebene kam und an dem Schlosse vorbeizog, begegnete mir der
Abessinier, erschlug alle meine Leute und schleppte mich in diesen
Palast, wo er mich jetzt in Gewahrsam hält. Ich fürchte den Tod nicht,
aber ein gräßliches Unglück steht mir noch bevor; denn dieses Scheusal
verlangt von mir, daß ich mich seinen unreinen Liebkosungen ergeben
soll! Wenn ich mich ihm morgen nicht willfährig zeige und mich seinen
rohen Lüsten nicht ausliefere, wird er mich schänden und mir Gewalt
antun. Eile von hinnen und rette dich, ehe der Schwarze zurückkommt! Er
ist vorhin ausgegangen, um einige Wanderer zu verfolgen und wird bald
heimkehren. Du darfst keine Zeit verlieren, denn das Ungeheuer sieht
weit und breit, wer durch die Ebene zieht, und wird dich gewiß fangen
und in eine dunkle Zelle werfen.«

Kaum hatte die Jungfrau diese Worte gesprochen, als der Abessinier
erschien; er war riesengroß und hatte furchtbare Züge, ritt auf einem
mächtigen tatarischen Pferde und trug ein breites, langes Schwert, das
niemand schwingen konnte, außer ihm. Der Prinz Chodadad entsetzte sich
gewaltig über diese Erscheinung, und sein Herz krampfte sich zusammen;
er betete leise und empfahl sich dem Schutze Gottes. Dann zog er sein
Schwert und erwartete mutig und unerschrocken den Abessinier, welcher
seinen Gegner für so schwach hielt, daß er ihm zurief, er möge sich
ohne Widerrede ergeben, denn er wolle ihn lebendig fangen. Chodadad
aber war entschlossen, um sein Leben zu kämpfen, sprengte auf ihn zu,
packte seine Klinge und versetzte dem Schwarzen einen so kraftvollen
Hieb in das Knie, daß er ein lautes Geschrei erhob und vor Wut
schäumte, so daß die ganze Ebene von seinem Geheul erscholl. Rasend vor
Schmerz, erhob sich der Schwarze in seinen Steigbügeln und ließ sein
Schwert herabsausen, um Chodadad mit einem einzigen Streiche zu Boden
zu schlagen.

Der Prinz wäre wie Gurke gespalten worden, wenn er nicht seine
Geschicklichkeit gezeigt hätte; aber mit einer gewandten Schwenkung
seines Rosses wich er dem Hiebe aus und versetzte selbst dem Mohren
einen zweiten Streich von solcher Gewalt, daß er ihm die rechte Hand
abhieb, die den Schwertgriff gepackt hielt. Die Klinge fiel zugleich
mit der Faust zu Boden, und der Schwarze war von der Heftigkeit des
Schlages so erschüttert, daß er das Gleichgewicht verlor und aus dem
Sattel sank, so daß die Erde weithin von dem Anprall erdröhnte. Behende
schwang sich der Prinz von seinem Pferde, trennte den Kopf des Feindes
vom Rumpfe und warf ihn in großem Bogen über das Feld. Das Fräulein
hatte aus dem Fenster dem furchtbaren Kampfe zugeschaut und fortwährend
innige Gebete für den tapfern Jüngling zum Himmel emporgeschickt;
als sie den Fall des Ungetüms erblickte, schrie sie laut auf vor
Überraschung und Entzücken und rief dem Prinzen zu: »Preis und Ehre
sei dem allmächtigen Gott, der dir die Kraft und den Mut verliehen
hat, dieses Ungeheuer zu vernichten: Wahrlich, nur bei Allah ist
Schutz und Hilfe! Nun aber gehe hin zu dem Abessinier, und nimm die
Schlüssel zum Palaste, die er bei sich trägt; öffne das Tor und befreie
mich aus meinem Kerker!« Chodadad folgte ihren Worten und fand die
Schlüssel am Gürtel des Erschlagenen, dann öffnete er die Pforte und
trat in einen großen Saal, wo er das Fräulein antraf, daß ihm voll
Jubel entgegeneilte. Sie wollte sich ihm aus Dankbarkeit zu Füßen
werfen, doch er hinderte sie daran. Sie pries ihn wegen seines Mutes
und erhob ihn über alle Helden der Erde; er aber erwiderte ihren Gruß
und ihre Höflichkeit, denn er sah, daß sie in der Nähe noch reizender
und liebenswürdiger war, als von ferne. Darum freute sich der Prinz
ebensosehr über ihre Befreiung, als darüber, daß er sich dem schönen
Mädchen hatte gefällig erweisen können; er setzte sich zu ihr, rastete
und plauderte mit ihr.

Plötzlich vernahm Chodadad Schreien und Jammern und Stöhnen und fragte
das Mädchen erstaunt und erschrocken: »Woher kommen diese kläglichen
Töne, die an mein Ohr dringen?« Sie deutete mit dem Finger auf eine
niedrige Pforte in der Ecke des Hofes und sagte: »Mein Prinz, von
dorther klingt das Geschrei. Dort härmen sich viele Elende in ihrem
Kerker, die das Unglück in die Klauen dieses Ungeheuers fallen ließ;
der Schwarze fesselte sie und warf sie ins Gefängnis, damit er jeden
Tag einen von ihnen braten und fressen könnte.« Der Prinz freute sich
über diese Kunde, und seine Augen leuchteten. »Wie glücklich bin ich,«
rief er aus, »daß ich diesen Unglücklichen das Leben wiedergeben kann!
Komm, Herrin, und zeige mir den Weg zu ihren Zellen; du wirst gewiß
meine Freude teilen, da du selbst dem Unheil entronnen bist, das dir
täglich drohte.« Sie näherten sich zusammen den Kerkertüren, und immer
lauter wurde das Kreischen und Weinen der Gefangenen, so daß Chodadad
erschauderte. Eilends stieß er einen der Schlüssel in das Schloß, aber
er hatte nicht den rechten gefaßt und mußte einen andern nehmen; mit
dem öffnete er hastig das Tor. Da die Unglücklichen das Rasseln der
Schlüssel vernahmen, glaubten sie, daß der Mohr zu ihnen herabsteige,
um ihnen wie gewöhnlich Speise zu bringen und sich einen von ihnen zur
Nachtmahlzeit auszusuchen; jeder fürchtete, daß die Reihe an ihn käme,
und so wuchs das Gestöhn und Geschrei, daß es klang, als ob aus dem
Mittelpunkte der Erde unaufhörlich Seufzer und Klagelaute herauftönten.

Als der Prinz die Türe geöffnet hatte, fand er eine sehr steile und
tiefe Treppe, auf welcher er in eine finstere und feuchte Höhle
hinabklomm; darin waren mehr als hundert Menschen mit gefesselten
Gliedern an Pfähle festgebunden; durch ein kleines rundes Loch schien
das spärliche Licht des Tages herein. Er rief ihnen zu: »Ihr armen
Unglücklichen, fürchtet euch nicht mehr, denn ich habe das Ungeheuer
erschlagen; preiset mit mir den erhabenen Allah, der euch durch meinen
Arm erlöst hat! Ich komme, um euch die Fesseln abzunehmen und euch die
Freiheit wiederzugeben.« Als die Gefangenen diese frohe Kunde hörten,
erhoben sie vor Seligkeit und Entzücken ein lautes Geschrei. Chodadad
und das Mädchen begannen nun, die Eingesperrten loszubinden, so daß
sie bald alle ihrer Fesseln ledig waren. Sie küßten Chodadad die
Füße, dankten ihm und stiegen mit ihm aus der tiefen Grube ans Licht
herauf. Wie verwunderte sich Chodadad, als sie in den besonnten Hof
traten und er unter den Gefangenen auch seine Brüder erkannte, die zu
finden er so lange umhergeirrt war! Rief Chodadad: »Ruhm und Preis sei
dem Herrn, daß ihr mir wiedergegeben seid! Täuschen mich meine Augen
nicht? Seid ihr es, liebe Prinzen? Der König, euer Vater, trauert sehr
und härmt sich über euer Ausbleiben; wie froh bin ich, daß ich euch
meinem edlen Herrn zurückführen kann!« Die neunundvierzig Prinzen
umarmten ihren Erretter und dankten ihm im Übermaße des Glückes; dann
erzählten sie ihm, auf welche Weise sie in die Gewalt des grausamen
Abessiniers gefallen waren. Chodadad bereitete allen Gefangenen ein
Gastmahl, dann durchforschte er mit ihnen den Palast und entdeckte
untermeßliche Schätze: chinesische Seidenstoffe, Atlas, Brokat, Gold
und Silber und unzählige Warenstücke, welche der Mohr den Karawanen
nach und nach geraubt hatte. Der Prinz forderte nun einen jeden auf,
sein Eigentum zu suchen und wieder an sich zu nehmen, und was noch
übrigblieb, das verteilte er zu gleichen Teilen unter sie alle. Dann
sagte er zu ihnen: »Wie aber wollt ihr eure Ballen fortbringen, da wir
hier in der Wüste sind und keine Lasttiere finden?« Sie antworteten:
»Herr, der Abessinier hat uns mitsamt unseren Waren auch unsere Kamele
geraubt; sicherlich stehen sie noch in den Ställen dieses Schlosses.«
Sie begaben sich in die Stallungen und fanden nicht nur die Kamele der
Kaufleute, sondern auch die neunundvierzig Pferde der Prinzen, die dort
angebunden waren. In den Ställen hockten aber auch viele abessinische
Sklaven; als sie sahen, daß die Gefangenen alle befreit waren, wußten
sie, daß ihr Herr tot war und flohen vor Schrecken auf geheimen Wegen
hinaus in den Wald; und keiner dachte daran, sie zu verfolgen. Die
Kaufleute packten ihre Waren voll Freude auf die Rücken der Kamele,
dankten dem Prinzen nochmals, wünschten ihm Glück und Segen und machten
sich alsbald auf den Heimweg. Lange blickte ihnen Chodadad in Gedanken
versunken nach, bis sie fern in der flimmernden Wüste verschwunden
waren; dann wandte er sich an das Fräulein und sprach zu ihr: »Edle
und schöne Dame, sag mir, woher du kamst, als der Abessinier dich
überfiel, und wohin du jetzt zu reisen gedenkst. Ich will dich wieder
in deine Heimat führen, und ohne Zweifel werden alle diese Prinzen dir
gern das Geleit geben.«

»Mein Retter,« entgegnete das Fräulein, »ich stamme aus einem fernen
Lande, ich lebe in Ägypten, und der Weg ist so weit, daß ich dein
Anerbieten abweisen muß, um deine Großmut nicht länger zu mißbrauchen.
Vorhin sagte ich dir, ich sei ein Mädchen aus Kairo; aber da du mir das
Leben gerettet und mir so viel Edles erwiesen hast, wäre es undankbar
und stünde es mir übel an, wenn ich dir meine Geschichte länger
verhehlen wollte. Ich bin die Tochter eines weitbekannten Königs, der
über Said regiert; ein Räuber bemächtigte sich seines Thrones und
nahm ihm das Leben; da entfloh ich, um meine Ehre zu retten.« Nach
diesen Worten baten Chodadad und seine Brüder die Prinzessin, ihnen
ihre Geschichte zu erzählen und was ihr widerfahren sei, und sprachen
zu ihr: »Wir werden alles aufbieten, damit du hinfort in Glück und
Wohlstand leben kannst, denn wir wollen dich schützen und dir dein
Reich wieder gewinnen helfen.« Als sie sah, daß sie die Neugierde der
Brüder befriedigen mußte, begann sie mit folgenden Worten:




          GESCHICHTE DES PRINZEN ACHMED UND DER FEE PARI BANU


Es war einmal ein Sultan, welcher nach einer vieljährigen friedlichen
Regierung im Alter die Freude hatte, zu sehen, daß seine drei Prinzen,
als würdige Nachahmer seiner Tugenden, nebst einer Prinzessin, die
seine Nichte war, die Zierde seines Hofes ausmachten. Der älteste von
diesen Prinzen hieß Hussain, der zweite Aly, der jüngste Achmed und
seine Nichte Nurunnihar.

Die Prinzessin Nurunnihar war die Tochter des jüngsten Bruders des
Sultans, der schon wenige Jahre nach seiner Vermählung gestorben
war und sie als zarte Waise zurückgelassen hatte. Mit einer
unvergleichlichen Schönheit und mit allen Vollkommenheiten des Körpers
verband die Prinzessin einen ebenso außerordentlichen Verstand, und
ihre fleckenlose Tugend zeichnete sie unter allen Prinzessinnen ihrer
Zeit aus.

Der Sultan, als Oheim der Prinzessin, der sich schon längst vorgenommen
hatte, sie, wenn sie mannbar geworden sein würde, zu verheiraten und
durch ihre Vermählung ein Verwandtschaftsbündnis mit irgendeinem
benachbarten Fürsten anzuknüpfen, dachte jetzt um so ernsthafter daran,
da er bemerkte, daß seine drei Prinzen dieselbe leidenschaftlich
liebten. Er betrübte sich darüber außerordentlich, nicht sowohl
deswegen, weil ihre Zuneigung ihn hinderte, die beabsichtigte
Verbindung zu schließen, als vielmehr wegen der Schwierigkeit, sie alle
drei über diesen Punkt zu einigen und die beiden jüngeren wenigstens
zu veranlassen, die Prinzessin dem ältesten zu überlassen. Er sprach
mit jedem von ihnen besonders, und machte ihnen die Unmöglichkeit klar,
daß eine einzige Prinzessin drei Männer auf einmal heiraten könne, und
zugleich, welche Uneinigkeit daraus entstehen würde, wenn sie alle
drei bei ihrer Leidenschaft beharrten. Er bot alles auf, um sie zu
bewegen, daß sie entweder der Prinzessin die entscheidende Wahl unter
ihnen dreien überlassen oder selber von ihren Ansprüchen abstehen, an
eine andere Wahl denken und sie mit einem auswärtigen Prinzen vermählen
lassen sollten. Doch als er bei ihnen auf eine unüberwindliche
Hartnäckigkeit stieß, ließ er sich alle drei kommen und richtete die
folgenden Worte an sie:

»Meine Kinder, da es mir nicht gelungen ist, euch zu eurem Glück und
zu eurer Ruhe dahin zu vermögen, daß ihr euch nicht weiter um die Hand
meiner Nichte bewerben möchtet, und ich von meinem väterlichen Ansehen
nicht Gebrauch machen und sie einem von euch geben will, so glaube ich
ein Mittel gefunden zu haben, um euch alle zufrieden zu stellen und
die Einigkeit unter euch zu erhalten, sofern ihr anders auf mich hören
und das, was ich euch sagen werde, tun wollt. Ich finde es nämlich am
passendsten, daß ihr alle drei, doch jeder anderswohin, eine Reise
macht, so daß ihr euch durchaus nicht treffen oder begegnen könnt,
und da ihr wißt, wie neugierig ich auf alles bin, was in seiner Art
selten und einzig ist, so verspreche ich die Prinzessin demjenigen zur
Gemahlin zu geben, der mir die außerordentlichste Seltenheit mitbringen
wird. Ihr sollt dann selber über die Vorzüglichkeit der von euch
mitgebrachten Sachen entscheiden und euch selbst euer Urteil sprechen,
indem ihr den Vorzug demjenigen unter euch gebet, der ihn verdient. Zu
den Reisekosten und zu dem Ankauf von Seltenheiten, die ihr euch zu
verschaffen suchen werdet, will ich jedem von euch eine eurem Stand
angemessene Summe mitgeben. Indes, ihr dürft sie nicht auf Reisegefolge
oder Reisegepäck verwenden, weil ihr dadurch verraten würdet, wer ihr
seid und dadurch jede Freiheit einbüßen würdet, deren ihr nicht bloß
zur Ausführung dieses Planes, sondern auch sonst noch bedürft, um alles
das, was eurer Aufmerksamkeit wert ist, beobachten zu können.«

  [Illustration: Piruza, die Schönste und Ehrenhafteste von allen.]

Da die Prinzen sich stets den Wünschen des Vaters willig gefügt
hatten, und da überhaupt ein jeder von ihnen hoffte, das Glück werde
ihm günstig sein und ihm den Besitz der Prinzessin Nurunnihar
verschaffen, so antworteten sie ihm, daß sie ihm zu gehorchen bereit
wären. Ohne Verzug ließ ihnen nun der Sultan die versprochene Summe
auszahlen, und noch denselben Tag gaben sie ihre Befehle zu den
Vorbereitungen zur Reise, ja sie nahmen sogar von ihrem Vater, dem
Sultan, Abschied, um den folgenden Tag ganz früh schon abreisen zu
können. Sie zogen alle drei, mit allem Nötigen wohl versehen und
ausgerüstet und als Kaufleute verkleidet, zu einem und demselben Tore
der Stadt hinaus, jeder bloß von einem einzigen vertrauten Diener in
Sklavenkleidern begleitet. So gelangten sie miteinander bis zur ersten
Nachtherberge, wo der Weg sich in dreifacher Richtung teilt und wo sich
jeder einen Weg zur Fortsetzung seiner Reise wählen konnte. Als sie
hier miteinander die Abendmahlzeit verzehrten, verabredeten sie sich
untereinander, daß ihre Reise gerade ein Jahr dauern sollte, und sie
bestellten sich nach Ablauf dieser Frist wieder in dieselbe Herberge,
mit der Bedingung, daß, wer zuerst da einträfe, auf den andern, und
beide dann auf den dritten warten sollten, so daß sie alle drei, so wie
sie miteinander zugleich von ihrem Vater Abschied genommen, auch bei
ihrer Rückkehr sich ihm alle zusammen wieder vorstellen könnten. Den
folgenden Morgen stiegen sie bei Tagesanbruch zu Pferde, und nachdem
sie sich umarmt und einander glückliche Reise gewünscht hatten, schlug
jeder von ihnen einen von den drei Wegen ein.

Der Prinz Hussain, der älteste von den drei Brüdern, welcher viel von
der Größe, der Macht, dem Reichtum und dem Glanze des Königreichs
Bisnagar hatte erzählen hören, nahm seine Richtung nach dem indischen
Meere. Nach einer Reise von etwa drei Monaten, auf der er sich an
verschiedene Karawanen anschloß und bald öde Wüsten und Gebirge, bald
sehr bevölkerte, angebaute und fruchtbare Länder durchzog, gelangte
er endlich nach Bisnagar, welches die Hauptstadt des gleichnamigen
Königreichs und zugleich der Sitz der Könige dieses Landes ist. Er
kehrte in einen Chan ein, in welchem die fremden Kaufleute abzusteigen
pflegten, und da er hörte, daß es hauptsächlich vier Orte in der Stadt
gäbe, wo die Kaufleute und Verkäufer aller Arten von Handelswaren
ihre Läden hatten, begab er sich gleich am folgenden Tage nach einem
dieser Plätze. In der Mitte desselben lag das Schloß oder vielmehr der
königliche Palast, welcher einen großen Raum einnahm und gleichsam den
Mittelpunkt der Stadt bildete, die drei Ringmauern hatte und deren Tore
zwei volle Stunden Weges weit voneinander entfernt waren.

Der Prinz Hussain konnte das Stadtviertel, in dem er sich befand, nicht
ohne Verwunderung betrachten. Es war sehr geräumig, und von mehreren
Straßen durchschnitten, welche gegen die Sonnenglut oben überwölbt
und doch alle sehr hell waren. Die Kaufläden waren alle gleich groß
und von ein und derselben Form, und die Läden derjenigen Kaufleute,
welche dieselben Waren verkauften, waren nicht zerstreut, sondern in
ein und derselben Straße beisammen, und ebenso war es mit den Buden der
Handwerker.

Die Menge der Läden, welche mit derselben Gattung von Waren angefüllt
waren, wie z. B. mit den feinsten indischen Schleiertüchern, mit
buntgemalten Linnentüchern, welche in den lebhaftesten Farben ganze
Landschaften, Menschen, Bäume und Blumen darstellten, mit Brokat
und Seidenstoffen aus Persien, China und andern Orten, ferner mit
japanischem Porzellan oder Fußteppichen von allen Gattungen und von
jeder Größe, überraschte ihn so sehr, daß er nicht wußte, ob er seinen
eignen Augen trauen dürfte. Doch als er zu den Läden der Goldschmiede
und Juweliere kam — beide Gewerbe wurden nämlich von einer und
derselben Klasse von Kaufleuten betrieben —, war er beim Anblick der
ungeheuren Menge trefflicher Gold- und Silberarbeiten ganz außer sich
und wie geblendet von dem Glanze der Perlen, der Diamanten, Smaragde,
Rubine, Saphire und anderer Edelsteine, die hier in Fülle zum Verkauf
ausgeboten wurden. Wenn er nun schon über so viele, an einem einzigen
Orte aufgehäufte Reichtümer verwundert war, so mußte er sich noch
mehr über den Reichtum des Königreichs im allgemeinen wundern, als er
bemerkte, daß — mit Ausnahme der Brahmanen und der Tempeldiener,
die es zu ihrem Berufe machten, fern von den Eitelkeiten der Welt
zurückgezogen zu leben — es im ganzen Reiche nicht leicht einen Inder
oder eine Inderin gab, die nicht Hals- und Armbänder, Schmuck an den
Schenkeln und Füßen von Perlen und Edelsteinen gehabt hätten, die um so
glänzender erschienen, als die Hautfarbe der sämtlichen Einwohner so
schwarz war, daß sie den Glanz derselben bedeutend hob.

Nachdem Prinz Hussain das ganze Stadtviertel von Straße zu Straße
durchkreuzt und den Kopf ganz voll von den Reichtümern hatte, die
sich seinen Augen darboten, empfand er endlich das Bedürfnis, etwas
auszuruhen. Er sagte dies einem Kaufmann und dieser lud ihn sehr
höflich ein, in seinen Laden einzutreten und sich zu setzen, was er
denn auch annahm. Er hatte noch nicht lange dagesessen, als er einen
Ausrufer vorübergehen sah, mit einem Teppich von etwa sechs Fuß ins
Geviert, den er zu einem Preise von dreißig Beuteln ausbot. Er rief
den Ausrufer heran und wünschte den Teppich zu sehen, der ihm nicht
bloß wegen seiner Kleinheit, sondern auch in Hinsicht auf die Güte
viel zu teuer ausgeboten zu werden schien. Als er den Teppich genug
besichtigt hatte, sagte er zu dem Ausrufer, daß er nicht begreife, wie
ein so kleiner und so unscheinbarer Fußteppich zu einem so hohen Preise
feilgeboten werden könne.

Der Ausrufer, welcher den Prinzen für einen Kaufmann hielt, antwortete
ihm:

»Gnädiger Herr, wenn Euch dieser Preis schon so übermäßig hoch
vorkommt, wie werdet Ihr Euch erst wundern, wenn ich Euch sage, daß ich
Befehl habe, ihn bis zu vierzig Beuteln zu steigern und ihn bloß für
diesen Preis, und zwar in barem Gelde abzulassen.«

»So muß er,« erwiderte der Prinz, »diesen Preis um irgend einer
Eigenschaft willen wert sein, die mir unbekannt ist.«

»Ihr habt es erraten, edler Herr,« antwortete der Ausrufer, »und Ihr
werdet mir gewiß zugeben, daß der Preis nicht zu hoch ist, wenn Ihr
erst wißt, daß, wenn man sich auf diesen Teppich setzt, man sich auf
ihm überall hin versetzen kann, wohin man sich wünscht, und daß man
augenblicklich da ist, ohne daß einem irgendein Hindernis unterwegs
zustoßen kann.«

Diese Äußerungen des Ausrufers bewirkten, daß der Prinz von Indien,
mit Rücksicht darauf, daß der Hauptzweck seiner Reise ja doch nur der
sei, seinem Vater, dem Sultan, irgendeine Seltenheit mitzubringen, der
Meinung wurde, er könne nicht leicht einer Sache habhaft werden, die
dem Sultan mehr Freude zu machen imstande wäre.

»Wenn der Teppich,« sagte er zu dem Ausrufer, »wirklich die Eigenschaft
hätte, die du ihm beilegst, so würde ich den dafür verlangten Preis von
vierzig Beuteln nicht zu hoch finden, ja, ich könnte mich wohl selbst
entschließen, auf diesen Preis einzugehen und außerdem dir noch ein
Geschenk zu machen, womit du gewiß zufrieden sein würdest.«

»Gnädiger Herr,« erwiderte der Ausrufer, »ich habe Euch die Wahrheit
gesagt, und es wird mir leicht sein, Euch davon zu überzeugen, wenn Ihr
erst den Handel für vierzig Beutel eingegangen seid, mit der Bedingung,
daß ich Euch zuvor einen Versuch der Art machen lasse. Da Ihr nun die
vierzig Beutel nicht hier habt, und ich Euch doch, um sie in Empfang
zu nehmen, erst nach dem Chan begleiten müßte, wo Ihr als Fremder
eingekehrt seid, so wollen wir mit Erlaubnis des Besitzers in diesen
Laden treten. Dort werde ich den Teppich ausbreiten, und wenn wir uns
beide darauf gesetzt haben und Ihr den Wunsch geäußert haben werdet,
mit mir nach Eurem Zimmer in dem Chan versetzt zu sein und es nicht
auf der Stelle in Erfüllung geht, so soll der Handel ungültig und Ihr
zu nichts verpflichtet sein. Was das Geschenk betrifft, so werde ich
es — da meine Mühe mir ja von dem Verkäufer bezahlt werden muß — als
eine Gnade betrachten, die ihr mir erzeigt, und für die ich Euch stets
verpflichtet sein werde.«

Der Prinz ging im Vertrauen auf die Redlichkeit des Ausrufers auf
diesen Vorschlag ein. Er schloß den Kauf unter der erwähnten Bedingung
ab und trat mit Erlaubnis des Kaufmanns in den Laden ein. Der Ausrufer
breitete den Teppich aus, beide setzten sich darauf, und kaum hatte
der Prinz den Wunsch, in das Zimmer seines Chans versetzt zu werden,
geäußert, so befanden sie sich auch schon dort, und zwar in derselben
Lage. Da er weiter keine Versicherung für die Kraft des Teppichs mehr
bedurfte, zahlte er dem Ausrufer die Summe von vierzig Beuteln in
Gold aus und fügte noch für ihn besonders ein Geschenk von zwanzig
Goldstücken hinzu.

So war denn nun der Prinz Hussain Besitzer des Teppichs und hatte die
Freude, gleich bei seiner Ankunft in Bisnagar ein so seltnes Stück an
sich gebracht zu haben, das, wie er nicht zweifelte, ihm den Besitz
der Prinzessin Nurunnihar verschaffen mußte. In der Tat hielt er es
für unmöglich, daß seine beiden jüngeren Brüder etwas von ihrer Reise
mitbringen könnten, daß mit demjenigen verglichen werden könnte, was er
so glücklich gewesen war, zu finden. Er hätte sich jetzt nicht länger
in Bisnagar aufzuhalten brauchen, denn der Teppich ermöglichte es ihm,
sich in einem Augenblick nach dem verabredeten Zusammenkunftsort zu
versetzen. Allein da er dann so lange hätte warten müssen, bechloß er,
da er neugierig war, noch einige Monate zu bleiben, um den König von
Bisnagar und seinem Hofe, sowie seine Streitkräfte, Gesetze, Sitten,
die Religion und die Verfassung des Reichs kennen zu lernen.

Das tat er denn auch und er sah so viele merkwürdige Dinge, daß er
sich wohl bis zum Ablauf des Jahres hätte angenehm zerstreuen können,
nach welchem er sich, der Verabredung gemäß, wieder mit seinen
Brüdern zusammenfinden wollte; allein, da er auch durch das, was er
gesehen, völlig befriedigt und beständig mit dem Gegenstand seiner
Liebe beschäftigt war, dünkte ihm, sein Gemüt werde ruhiger und er
selber zugleich seinem Glücke näher sein, wenn er durch eine geringere
Ferne von ihr getrennt wäre. Nachdem er daher dem Wirte des Chans
den Mietzins für das Zimmer, welches er innegehabt, bezahlt und ihm
die Stunde bezeichnet hatte, wo er sich den Schlüssel seines Zimmers
abholen könne, ging er, ohne ihm weiter zu sagen, wie er abreisen
würde, in sein Gemach, machte die Tür hinter sich zu, ließ aber den
Schlüssel darin stecken. Hier breitete er den Teppich aus und setzte
sich mit seinem vertrauten Diener darauf. Sodann sammelte er seine
Gedanken, und kaum hatte er recht ernstlich gewünscht, daß er doch
in der Herberge sein möchte, wo seine Brüder mit ihm zusammentreffen
sollten, als er auch schon da war. Er kehrte dort ein, indem er sich
für einen reisenden Kaufmann ausgab, und erwartete die andern.

Der jüngere Bruder Hussains, Prinz Aly, welcher sich eine Reise nach
Persien vorgenommen hatte, war mit einer Karawane, an die er sich
schon am dritten Tage nach der Trennung von seinen beiden Brüdern
angeschlossen, dahin abgegangen. Nach einer Reise von beinahe vier
Monaten kam er endlich nach Schiras, welches damals die Hauptstadt
des persischen Reiches war. Da er unterwegs mit einer kleinen Anzahl
von Kaufleuten Bekanntschaft und Freundschaft geschlossen hatte, doch
ohne sich ihnen weiter zu erkennen zu geben, nahm er seine Wohnung in
demselben Chan mit ihnen.

Den folgenden Tag, während die anderen Kaufleute ihre Warenballen
öffneten, zog der Prinz Aly andere Kleider an und ließ sich nach
dem Orte führen, wo Edelsteine, Gold- und Silberarbeiten, Brokat,
Seidenstoffe, feine Schleiertücher und andere seltene und kostbare
Waren zu verkaufen waren. Dieser Ort, der sehr geräumig und sehr
dauerhaft angelegt war, war oben überwölbt, und das Gewölbe wurde
von dicken Pfeilern getragen; die Buden aber waren teils um diese
herum, teils an den Mauern entlang, sowohl von innen, als von außen
angelegt. Der Ort selbst war in Schiras allgemein unter dem Namen
Besastan bekannt. Gleich anfangs durchstreifte der Prinz Aly den
Besastan in die Länge und die Breite und nach allen Seiten und schloß
voll Verwunderung aus der erstaunlichen Menge kostbarer Waren, die er
ausgelegt sah, auf die Reichtümer, die da beisammen sein möchten. Unter
allen Ausrufern, welche da kamen und gingen und die verschiedensten
Sachen zum Kauf ausboten, sah er zu seinem Erstaunen auch einen, der
ein elfenbeinernes Rohr in der Hand hielt, das etwa einen Fuß lang und
von der Dicke eines Daumens war, welches er um einen Preis von dreißig
Beuteln ausrief. Anfangs glaubte der Prinz, der Ausrufer sei nicht
recht bei Verstande. Um sich darüber Auskunft zu verschaffen, trat er
in den Laden eines Kaufmanns und sagte zu diesem, indem er auf den
Ausrufer hindeutete:

»Herr, sagt mir doch, ich bitte Euch, ob ich mich täusche. Ist jener
Mann, der ein kleines elfenbeinernes Rohr zu einem Preise von dreißig
Beuteln ausbietet, wohl bei völligem Verstande?«

»Herr,« erwiderte der Kaufmann, »wenn er nicht etwa seit gestern seinen
Verstand verloren hat, so kann ich Euch nur sagen, daß er der klügste
unter allen unseren hiesigen Ausrufern ist und zugleich am meisten
gesucht ist, wenn man Sachen verkaufen will, weil man zu ihm am meisten
Zutrauen hat. Was indes jenes Rohr betrifft, das er zu einem Preise von
dreißig Beuteln ausruft, so muß es wohl aus irgendeinem Grunde, den
wir nicht wissen, soviel und vielleicht noch mehr wert sein. Er wird
augenblicklich wieder hier vorbeikommen, wir wollen ihn dann anrufen,
und Ihr mögt Euch selber über die Sache unterrichten. Unterdes könnt
Ihr Euch ja auf mein Sofa hier setzen und etwas ausruhen.«

Prinz Aly lehnte das höfliche Anerbieten des Kaufmanns nicht ab, und
kaum hatte er eine Weile dagesessen, als der Ausrufer schon wieder
vorbeiging. Der Kaufmann rief ihn beim Namen, und jener trat herein.
Hierauf sagte er zu ihm, indem er auf den Prinzen hinwies:

»Gebt einmal diesem Herrn da Antwort, der mich fragt, ob Ihr wohl bei
Verstande wärt, daß Ihr ein elfenbeinernes Rohr, daß so wenig Wert zu
haben scheint, für dreißig Beutel ausbietet. Ich würde mich selbst
wundern, wenn ich nicht wüßte, daß Ihr ein verständiger Mann seid.«

Der Ausrufer wandte sich jetzt zu dem Prinzen und sagte zu ihm: »Herr,
Ihr seid nicht der einzige, der mich wegen dieses Rohres für einen
Toren ansieht; doch Ihr mögt selber urteilen, ob ich einer bin, wenn
ich Euch die Eigenschaft desselben gesagt haben werde. Ich hoffe, daß
Ihr dann ein ebenso hohes Gebot darauf tun werdet, wie diejenigen,
denen ich es bisher gezeigt und die eine ebenso üble Meinung von mir
hatten als Ihr.«

»Zuerst,« fuhr der Ausrufer fort, indem er dem Prinzen das Rohr
überreichte, »müßt Ihr wissen, daß dieses Rohr an jedem Ende ein Glas
hat, und daß, wenn man durch eines dieser Gläser sieht, man sogleich
alles erblickt, was man irgend zu sehen wünscht.«

»Ich bin bereit, Euch eine feierliche Genugtuung zu geben,« erwiderte
der Prinz Aly, »wenn Ihr mir die Wahrheit dessen, was Ihr behauptet,
beweisen könnt.« Und da er das Rohr in der Hand hatte, besah er
sich die beiden Gläser und fuhr dann fort: »Zeigt mir doch, wo ich
hineinsehen muß, um mir darüber Aufklärung zu verschaffen.«

Der Ausrufer zeigte es ihm. Der Prinz sah hinein, und als er
seinen Vater und Nurunnihar zu sehen wünschte, sah er die beiden
augenblicklich in der vollkommensten Gesundheit auf dem Dache des
Schlosses sitzen.

Es bedurfte keiner Probe weiter, um den Prinzen zu überzeugen, daß
dieses Rohr die kostbarste Sache wäre, die in der Stadt Schiras, ja in
der ganzen Welt damals existierte, und er glaubte, daß wenn er diese
zu kaufen unterließe, so würde er nie mehr, weder zu Schiras, wenn er
auch zehn Jahre dabliebe, noch auch anderswo eine Seltenheit der Art
antreffen, die er von seiner Reise mitbringen könnte. Er sagte daher zu
dem Ausrufer:

»Ich nehme meine unvernünftige Ansicht, die ich von Eurem Verstande
gehabt habe, gern zurück. Da es mir leid tun würde, wenn ein anderer
als ich das Rohr kaufte, so sagt mir aufs genaueste den Preis, den der
Verkäufer dafür haben will. Ohne Euch mit Hin- und Hergehen zu ermüden,
dürft Ihr dann nur mit mir kommen, und ich werde Euch die Summe bar
auszahlen.«

Der Ausrufer versicherte ihm mit einem Schwur, ihm sei befohlen,
es durchaus für vierzig Beutel zu verkaufen, und wenn er daran
zweifele, so wolle er ihn zu dem Verkäufer selber führen. Der Prinz
glaubte seinem Wort, nahm ihn mit sich nach Hause, und als sie in
seiner Wohnung in dem Chan angelangt waren, zahlte er ihm die vierzig
Beutel in den schönsten Goldstücken aus und wurde so Besitzer des
elfenbeinernen Rohres.

Als der Prinz Aly diesen Kauf gemacht hatte, freute er sich um so mehr
darüber, als er glaubte, daß seine zwei anderen Brüder gewiß nichts
so Seltnes und Bewunderungswürdiges angetroffen haben würden, und
daß folglich die Prinzessin Nurunnihar der Lohn für die Beschwerden
seiner Reise sein werde. Er dachte jetzt bloß noch daran, unerkannt den
Hof von Persien und die Merkwürdigkeiten der Stadt Schiras und ihrer
Umgegend kennen zu lernen, bis die Karawane, mit welcher er gekommen
war, wieder ihren Rückweg nach Indien antreten würde. Er hatte seine
Neugierde vollkommen befriedigt, als die Karawane Anstalten zur Abreise
machte. Der Prinz schloß sich an sie an und machte sich mit ihr auf den
Weg. Kein Unfall störte oder unterbrach die Reise, und ohne weitere
Unbequemlichkeit, außer den gewöhnlichen Beschwerden des Weges, kam
er glücklich an dem bestimmten Ort an, wo der Prinz Hussain bereits
eingetroffen war. Prinz Aly fand ihn schon vor und wartete mit ihm
daselbst auf den Prinzen Achmed.

Prinz Achmed hatte unterdessen seinen Weg nach Samarkand genommen, und
gleich am folgenden Tage nach seiner Ankunft hatte er es wie seine
beiden Brüder gemacht und war nach dem Besastan gegangen. Kaum war er
eingetreten, als ein Ausrufer zu ihm trat, mit einem künstlichen Apfel
in der Hand, den er zum Preise von fünfunddreißig Beuteln ausrief. Er
hielt den Ausrufer an und sagte zu ihm:

»Zeigt mir diesen Apfel und sagt mir, welche außerordentliche Kraft
oder Eigenschaft er wohl hat, daß Ihr ihn zu einem so hohen Preise
ausbietet?«

Der Ausrufer gab ihm den Apfel in die Hand, damit er ihn in Augenschein
nehmen möchte, und sagte dann zu ihm:

»Herr, dieser Apfel, wenn man ihn bloß äußerlich betrachtet, ist
wirklich etwas sehr Unbedeutendes, doch wenn man die Eigenschaften und
Kräfte desselben in Erwägung zieht, so muß man sagen, daß er eigentlich
unschätzbar ist. Es gibt keinen Kranken, er mag mit einer tödlichen
Krankheit behaftet sein, mit welcher er nur immer will, mit anhaltendem
Fieber, mit rotem Friesel, Seitenstechen, Pest und anderen Krankheiten
der Art, der nicht, und läge er auch schon im Sterben, durch den Apfel
geheilt würde. Er erhält seine Gesundheit so vollständig wieder, als
wäre er niemals krank gewesen, und das auf die leichteste Art von der
Welt, nämlich durch das bloße Riechen daran.«

»Wenn man Euch glauben darf,« erwiderte der Prinz Achmed, »so ist das
freilich ein Apfel von wunderbarer Kraft, ja man kann sagen, er ist
unschätzbar; allein, wodurch kann denn ein rechtlicher Mann wie ich,
der ihn gern kaufen möchte, sich überzeugen, daß bei Eurer Lobpreisung
des Apfels keine Verstellung oder Übertreibung stattfindet?«

»Herr,« erwiderte der Ausrufer, »die Sache ist in der ganzen Stadt
Samarkand bekannt und bewährt, und ohne erst weit zu gehen, könnt Ihr
ja alle hier versammelten Kaufleute befragen und zusehen, was sie Euch
sagen werden. Ihr werdet darunter mehrere finden, die, wie sie es Euch
selber versichern werden, heute nicht mehr am Leben sein würden, wenn
sie nicht dieses treffliche Mittel gebraucht hätten. Es ist die Frucht
der Studien und Nachtwachen eines sehr berühmten Philosophen dieser
Stadt, der sich sein ganzes Leben hindurch auf die Erforschung der
Kräfte der Pflanzen und Mineralien gelegt hatte und endlich auf den
Punkt gelangt war, daraus diese zusammengesetzte Masse zu bereiten, die
Ihr hier seht, und mit der er in dieser Stadt so erstaunliche Kuren
bewirkt hat daß sein Andenken hier nie in Vergessenheit kommen wird.
Vor kurzem raffte ihn der Tod so plötzlich hin, daß er selber nicht
mehr so viel Zeit hatte, um von seinem Universalmittel Gebrauch zu
machen, und seine Witwe, welcher er nur ein sehr geringes Vermögen und
eine große Anzahl unerzogener Kinder hinterlassen, hat sich endlich
entschlossen, diesen Apfel verkaufen zu lassen, um sich und ihre
Familie etwas bequemer einrichten zu können.«

Während der Ausrufer ihn von den Eigenschaften des künstlichen Apfels
unterrichtete, blieben mehrere Personen stehen und umringten sie.
Die meisten bestätigten das Gute, das er von demselben erzählte, und
einer derselben sagte, er habe einen Freund, der so gefährlich krank
sei, daß man an seinem Aufkommen zweifle. Dies bot eine sehr bequeme
Gelegenheit, um einen Versuch damit zu machen, und Prinz Achmed nahm
das Wort und sagte zu dem Ausrufer, er wolle ihm vierzig Beutel dafür
geben, wenn der Kranke durch das bloße Riechen daran geheilt würde.

Der Ausrufer, welcher Befehl hatte, ihn um diesen Preis zu verkaufen,
sagte zu dem Prinzen:

»Herr, wir wollen diesen Versuch machen, und der Apfel ist somit Euer,
denn es ist gar kein Zweifel, daß er nicht diesmal ebensogut seine
Wirkung tun sollte, als die früheren Male, wo man so oft Kranke, die
schon aufgegeben waren, durch ihn wieder von den Pforten des Todes
zurückrief.«

Der Versuch glückte, und der Prinz erwartete nun, nachdem er die
vierzig Beutel dem Ausrufer, der ihm den künstlichen Apfel überließ,
bar ausgezahlt hatte, mit Ungeduld den Abgang der ersten besten
Karawane, um nach Indien zurückzukehren. Er benutzte die Zwischenzeit
unterdes, um in Samarkand und dessen Umgebung alles zu besehen,
was irgend seine Neugierde reizte, besonders das Tal Sogd, welches
von dem gleichnamigen Flusse seinen Namen hat, und das die Araber
wegen der Schönheit seiner Gefilde und seiner Gärten und Paläste,
sowie auch wegen seines Überflusses an Früchten aller Art und wegen
der Annehmlichkeiten, welche man da während der schönen Jahreszeit
genießt, für eines der vier Paradiese der Welt halten. Dann reiste er
ab, und ungeachtet der Unbequemlichkeiten, die bei einer langen Reise
unvermeidlich sind, gelangte er dennoch bei vollkommener Gesundheit in
der Herberge an, wo die Prinzen Hussain und Aly ihn erwarteten.

Prinz Aly, welcher etwas früher als Prinz Achmed dort eingetroffen war,
hatte den Prinzen Hussain, welcher zuerst angekommen war, gefragt, wie
lange er schon da sei. Und als er erfuhr, daß es fast schon drei Monate
her wäre, hatte er zu ihm gesagt: »Du mußt also wohl nicht weit gewesen
sein.«

»Ich will jetzt,« erwiderte Prinz Hussain, »von dem Orte, wo ich
gewesen bin, weiter nichts sagen; allein ich kann dir versichern, daß
ich mehr als drei Monate gebraucht habe, um hinzukommen.«

»Wenn das der Fall ist,« sagte darauf der Prinz Aly, »so mußt du dich
sehr kurze Zeit da aufgehalten haben.«

»Mein Bruder,« antwortete ihm der Prinz Hussain, »du täuschest dich.
Mein Aufenthalt daselbst währte länger als vier bis fünf Monate, und es
hing bloß von mir ab, ihn noch zu verlängern.«

»Wofern du nicht etwa zurückgeflogen bist,« erwiderte darauf Prinz Aly,
»begreife ich nicht, wie es schon drei Monate her sein kann, daß du
hier bist, wie du mich überreden willst.«

»Ich habe dir die Wahrheit gesagt,« fuhr der Prinz Hussain fort, »und
das Rätsel werde ich dir erst bei Ankunft unseres Bruders Achmed lösen,
wo ich dir sogleich sagen werde, welche Seltenheit ich von meiner
Reise mitgebracht habe. Was dich betrifft, so weiß ich nicht, was du
mitgebracht hast, aber es mag wohl eben nichts Bedeutendes sein; ich
sehe nicht, daß dein Reisegepäck ansehnlicher und größer geworden wäre.«

»Und was dich betrifft,« erwiderte der Prinz Aly, »so kommt es mir
vor, daß, wenn ich den unscheinbaren Teppich ausnehme, womit dein Sofa
überdeckt ist, ich deinen Spott durch einen gleichen erwidern könnte.
Indes, da du, wie es scheint, aus der mitgebrachten Seltenheit ein
Geheimnis machen willst, so wirst du es mir nicht übelnehmen, wenn ich
es ebenso in Hinsicht auf die meinige mache.«

Der Prinz antwortete: »Ich setze die Seltenheit, welche ich
mitgebracht, so weit über jede andere, von welcher Art sie auch sein
mag, daß ich sie dir ohne Schwierigkeiten zeigen und dich durch eine
nähere Angabe ihres Wertes leicht dahin bringen würde, mit mir
übereinzustimmen, ohne zu fürchten, daß die, welche du vielleicht
mitgebracht, ihr vorgezogen werden könnte. Doch es ist am passendsten,
daß wir erst die Ankunft unseres Bruders Achmed abwarten; dann können
wir mit mehr Rücksicht und Anstand uns einander das Glück mitteilen,
das uns zuteil geworden ist.«

Prinz Aly wollte sich mit dem Prinzen Hussain nicht weiter wegen des
Vorzugs der von ihm mitgebrachten Seltenheit in Streit einlassen,
und so verabredete er mit ihm, mit dem Vorzeigen bis zur Ankunft des
Prinzen Achmed zu warten.

Als der Prinz Achmed bei seinen beiden Brüdern wieder eingetroffen
war und sie sich einander zärtlich umarmt und sich zu dem glücklichen
Wiedersehen an diesem Orte Glück gewünscht hatten, nahm Prinz Hussain
als der älteste das Wort und sagte:

»Meine Brüder, wir werden noch Zeit genug übrig haben, um uns von den
einzelnen Umständen unserer gegenseitigen Reisen zu unterhalten. Für
jetzt wollen wir davon reden, was uns zu wissen am wichtigsten ist,
und wollen uns nicht verhehlen, was wir mitgebracht. Und indem wir
es uns gegenseitig vorzeigen, wollen wir im voraus jedem sein Recht
widerfahren lassen und zusehen, welchem von uns wohl der Sultan, unser
Vater, den Vorzug erteilen könnte.«

»Um euch mit gutem Beispiel voranzugehen,« fuhr Prinz Hussain fort,
»will ich euch nur sagen, daß die Seltenheit, die ich von meiner Reise
in das Königreich Bisnagar mitgebracht, in dem Teppich besteht, worauf
ich sitze. Es ist freilich ein sehr gewöhnlicher und unscheinbarer, wie
ihr seht; doch wenn ich euch seine Eigenschaft auseinandergesetzt habe,
werdet ihr euch um so mehr wundern, da ihr wohl nie von etwas Ähnlichem
der Art gehört habt, wie ihr selbst eingestehen werdet. Wenn man sich,
wie wir jetzt, darauf setzt und an irgendeinen Ort hin versetzt zu
werden wünscht, wie entfernt er auch sein mag, so ist man fast in
einem Augenblicke da. Ich habe es selber versucht, ehe ich die vierzig
Beutel, die er mich kostet, bezahlte, und habe es nicht bereut. Als ich
meine Neugierde am Hofe und im ganzen Königreiche Bisnagar befriedigt
hatte und heimkehren wollte, bediente ich mich keines Fahrzeugs weiter
als dieses Wunderteppichs, um sowohl mich hierher zurückzubringen,
als auch meinen Reisegefährten, der euch sagen wird, wieviel Zeit ich
gebraucht habe, um hierher zu gelangen. Ich werde euch beiden, sobald
ihr es nur haben wollt, eine Probe davon zeigen. Ich erwarte nun, daß
ihr mir sagt, ob das, was ihr mitgebracht habt, mit meinem Teppich
irgendwie verglichen werden kann.«

Prinz Hussain hörte mit diesen Worten auf, seinen Teppich anzupreisen,
und Prinz Aly nahm das Wort und sprach:

»Mein Bruder, man muß gestehen, daß dein Teppich eines der
wunderbarsten Dinge ist, die man sich nur denken kann, wenn er
wirklich, wie ich nicht zweifle, die Eigenschaft besitzt, die du von
ihm ausgesagt hast. Indes, du wirst zugeben, daß es noch andere Dinge
geben kann, die, wenn auch nicht noch mehr, doch wenigstens ebenso
wunderbar in ihrer Art sind, und um dich zu dieser Ansicht zu bekehren,
— fuhr er fort, — so ist zum Beispiel dies elfenbeinerne Rohr hier,
so gut wie dein Teppich, eine Seltenheit, die alle Aufmerksamkeit
verdient. Ich habe sie minder teuer gekauft, als du deinen Teppich,
und ich bin mit meinem Kauf nicht minder zufrieden, als du mit dem
deinigen. Wenn man nämlich in das eine Ende hineinsieht, so erblickt
man alles, was man nur irgend wünscht. Du darfst mir nicht auf mein
bloßes Wort glauben,« fügte der Prinz Aly hinzu, indem er ihm das Rohr
überreichte, »hier ist es, siehe zu, ob ich dir bloß etwas vorspiegele
oder nicht.«

Der Prinz Hussain nahm das elfenbeinerne Rohr aus der Hand des Prinzen
Aly, hielt es mit dem von ihm bezeichneten Ende ans Auge und wünschte
die Prinzessin Nurunnihar zu sehen und zu erfahren, wie sie sich
befinde. Der Prinz Aly und der Prinz Achmed, welche die Augen auf
ihn geheftet hatten, gerieten in das äußerste Erstaunen, als sie ihn
plötzlich die Farbe verändern sahen, und zwar auf eine Weise, die die
höchste Bestürzung und eine große Betrübnis verriet. Der Prinz Hussain
ließ ihnen nicht erst Zeit, um ihn nach der Ursache dieser Erscheinung
zu fragen, sondern rief aus:

»Brüder, es ist umsonst, daß wir alle drei eine so beschwerliche
Reise unternommen haben, in der Hoffnung, durch den Besitz der
reizenden Nurunnihar dafür belohnt zu werden; sie wird binnen wenigen
Augenblicken nicht mehr am Leben sein. Ich sah sie eben in ihrem
Bette, umgeben von ihren Frauen und Verschnittenen, die alle in Tränen
schwammen und jeden Augenblick zu erwarten schienen, daß sie den Geist
aufgeben würde. Da nehmt und seht sie selber in diesem traurigen
Zustande und vereinigt eure Tränen mit den meinigen.«

Der Prinz Aly nahm das elfenbeinerne Rohr aus der Hand des Prinzen
Hussain, sah hinein und gab es, nachdem er zu seinem tiefen Schmerz
dasselbe erblickt hatte, an den Prinzen Achmed weiter, damit dieser
ebenfalls ein so trauriges und betrübendes Schauspiel, das sie alle
drei gleich nahe anging, betrachten möchte.

Als der Prinz Achmed das elfenbeinerne Rohr aus den Händen des Prinzen
Aly empfangen und beim Hineinsehen ebenfalls die Prinzessin Nurunnihar
dem Tode nahe erblickt hatte, nahm er das Wort und sagte zu den beiden
anderen Prinzen:

»Brüder, die Prinzessin Nurunnihar, welche der gemeinsame Gegenstand
unserer Wünsche ist, befindet sich wirklich in einem höchst
beunruhigenden Zustande, indes, wie es mir scheint, ist es wohl
noch möglich, wenn wir nur keine Zeit verlieren, den Tod von ihr
fernzuhalten.«

Zugleich zog der Prinz Achmed aus seinem Busen den künstlichen Apfel,
den er sich gekauft hatte, zeigte ihn seinen Brüdern und sagte:

»Der Apfel, den ihr hier seht, hat mich nicht weniger gekostet als der
Teppich und das elfenbeinerne Rohr, das ein jeder von euch von seiner
Reise mitgebracht hat. Um euch nicht länger in gespannter Erwartung zu
halten, sage ich euch hiermit, er hat die Kraft, daß jeder Kranke, und
läge er auch schon in den letzten Zügen, durch das bloße Daranriechen
seine Gesundheit auf der Stelle wiedererlangt. Der Versuch, den ich
selber damit angestellt, läßt mich nicht daran zweifeln, und ich kann
euch selber die Wirkung desselben an der Prinzessin Nurunnihar zeigen,
wenn wir die nötige Eile anwenden, um ihr zu helfen.«

»Wenn dies der Fall ist,« sagte hierauf Prinz Hussain, »können wir
nicht schneller dahin kommen, als wenn wir uns vermittelst meines
Teppichs augenblicklich in das Zimmer der Prinzessin hinversetzen. Laßt
uns keine Zeit verlieren, kommt und setzt euch mit mir hierher, er ist
groß genug, um uns alle drei ohne Unbequemlichkeit aufzunehmen; doch
vor allen Dingen muß jeder von uns seinem Diener anempfehlen, daß er
mit den andern sogleich abreise und uns dort im Palaste aufsuche.«

Als dieser Befehl gegeben worden war, setzten sich die Prinzen Aly und
Achmed nebst dem Prinzen Hussain auf den Teppich, und da sie alle drei
dasselbe Interesse hatten, wünschten sie sich alle drei, in das Zimmer
der Prinzessin Nurunnihar versetzt zu werden. Ihr Wunsch ward erfüllt,
und sie wurden so schnell dahingebracht, daß sie es nicht eher merkten,
als bis sie an dem erwünschten Ort angelangt waren.

Die unerwartete Erscheinung der drei Prinzen erschreckte die drei
Frauen und die Verschnittenen der Prinzessin, welche nicht begreifen
konnten, durch welche Zauberei auf einmal drei Männer in ihrer Mitte
erschienen. Sie erkannten sie sogar anfangs nicht einmal, und die
Verschnittenen waren schon im Begriff, auf sie loszustürzen, als auf
Leute, die sich an einen Ort eingedrängt hatten, wohin sie nicht
gehörten; allein sie kamen sehr bald von ihrem Irrtum zurück und
erkannten die Prinzen.

Kaum sah sich Prinz Achmed in dem Zimmer der sterbenden Nurunnihar,
als er nebst seinen Brüdern von dem Teppich aufstand, sich ihrem Bette
näherte und ihr den Wunderapfel vor die Nase hielt. Einige Augenblicke
später schlug die Prinzessin die Augen auf, wandte den Kopf nach beiden
Seiten, sah die Umstehenden an, setzte sich dann aufrecht und verlangte
angekleidet zu werden, und zwar mit derselben Unbefangenheit, als ob
sie bloß von einem langen Schlaf erwache.

Während sich die Prinzessin ankleidete, gingen die Prinzen von ihr
aus zu ihrem Vater, um sich ihm zu Füßen zu werfen und ihm ihre
Ehrerbietung zu bezeigen. Als sie vor ihm erschienen, fanden sie,
daß der Oberaufseher der Verschnittenen der Prinzessin ihnen bereits
zuvorgekommen war und ihm ihre unvermutete Ankunft und die durch
sie erfolgte vollständige Heilung der Prinzessin gemeldet hatte.
Der Sultan umarmte sie um so freudiger, da er in dem Augenblick, wo
er sie wiedersah, auch zugleich erfuhr, daß seine Nichte, die er
wie seine eigne Tochter liebte, nachdem sie von den Ärzten bereits
aufgegeben worden, auf eine so wunderbare Weise ihre Gesundheit
wiedererhalten habe. Nach den Begrüßungen zeigte ihm jeder der Prinzen
die mitgebrachte Seltenheit vor: der Prinz Hussain seinen Teppich, der
Prinz Aly das elfenbeinerne Rohr und der Prinz Achmed den künstlichen
Apfel. Nachdem jeder das Seinige gepriesen, händigten sie ihm der Reihe
nach alle drei Stücke ein und baten ihn, zu entscheiden, welchem von
den drei Stücken er den Vorzug erteile und welchem von ihnen er, seinem
Versprechen gemäß, die Prinzessin Nurunnihar zur Gemahlin gebe.

Nachdem der Sultan von Indien wohlwollend alles, was ihm jeder der
Prinzen zum Lobe der von ihm mitgebrachten Seltenheit gesagt hatte,
angehört und sich nach allem, was bei der Heilung der Prinzessin
Nurunnihar vorgegangen, erkundigt hatte, schwieg er eine Weile still,
als überlegte er, was er ihnen antworten solle. Endlich unterbrach er
dieses Schweigen und hielt folgende sehr weise Rede an sie:

»Meine Kinder, ich würde sehr gern einen unter euch nennen, wenn ich
es mit voller Gerechtigkeit tun könnte; allein überlegt selber, ob ich
es kann. Dir, o Achmed, und deinem künstlichen Apfel verdankt freilich
meine Nichte ihre Heilung; aber ich frage dich selber, würdest du
sie haben bewirken können, wenn nicht zuvor das elfenbeinerne Rohr
Alys dir Gelegenheit gegeben hätte, die Gefahr kennen zu lernen,
in der sie schwebte, und wenn nicht der Teppich Hussains dir seine
Dienste geleistet hätte, um ihr schnell zu Hilfe eilen zu können? Dein
elfenbeinernes Rohr, o Aly, hat wiederum dazu gedient, dir und deinen
Brüdern zu zeigen, daß ihr auf dem Punkte standet, die Prinzessin zu
verlieren. Doch mußt du auch gestehen, daß dir deine Kenntnis für
die Erreichung deines Zwecks nichts genützt hätte, wenn nicht der
Teppich und der künstliche Apfel gewesen wären. Und was dich, Hussain,
betrifft, würde die Prinzessin sehr undankbar sein, wenn sie dir nicht
wegen des Teppichs, der zur Bewirkung ihrer Wiederherstellung so nötig
gewesen, vielen Dank wissen sollte; allein bedenke selbst, daß er dir
hierzu von gar keinem Nutzen gewesen sein würde, wenn du nicht durch
das elfenbeinerne Rohr Alys ihre Krankheit erfahren und Achmed nicht
seinen Wunderapfel zu ihrer Heilung angewendet hätte. Da nun also
weder der Teppich, noch das elfenbeinerne Rohr, noch der künstliche
Apfel irgend einem von euch einen Vorzug vor dem andern geben, sondern
vielmehr euch alle einander gleichstellen, und da ich die Prinzessin
Nurunnihar doch nur einem einzigen geben kann, so seht ihr selber, daß
die einzige Frucht, die ihr von euren Reisen geerntet habt, in dem
Ruhm besteht, daß ihr alle auf gleiche Weise zur Herstellung ihrer
Gesundheit beigetragen habt.«

»Wenn dies nun so ist,« fuhr der Sultan fort, »so seht ihr zugleich
ein, daß ich zu einem andern Mittel meine Zuflucht nehmen muß, um
mich über die Wahl, die ich unter euch treffen soll, bestimmt zu
entscheiden. Geht und nehmt ein jeder einen Bogen und einen Pfeil, und
begebt euch aus der Stadt hinaus auf die große Ebene, wo die Pferde
zugeritten werden; ich werde mich auch dahin begeben, und ich erkläre,
daß ich die Prinzessin Nurunnihar demjenigen zur Gemahlin geben werde,
welcher am weitesten schießen wird.«

Die drei Prinzen wußten gegen diese Entscheidung des Sultans nichts
einzuwenden. Als sie sich von ihm entfernt hatten, verschaffte man
jedem von ihnen einen Bogen und einen Pfeil, und dann gingen sie, von
einer unzähligen Menge Volk begleitet, auf die Ebene hinaus, wo die
Pferde zugeritten wurden.

Der Sultan ließ nicht lange auf sich warten. Sobald er angekommen war,
nahm Prinz Hussain, als der älteste, Pfeil und Bogen und schoß zuerst.
Darauf schoß Prinz Aly, und man sah seinen Pfeil viel weiter fliegen
und niederfallen als den des Prinzen Hussain. Der Prinz Achmed schoß
zuletzt. Aber man verlor seinen Pfeil aus dem Gesicht, und niemand sah
ihn niederfallen. Man eilte hin, man suchte, allein wieviel Sorgfalt
alle und auch der Prinz Achmed selber anwandten, es war nicht möglich,
den Pfeil weder in der Nähe, noch in der Ferne aufzufinden. Obwohl man
glauben mußte, daß er am weitesten geschossen und folglich verdient
habe, daß ihm die Hand der Prinzessin Nurunnihar zugesprochen würde,
so war dennoch, um die Sache augenscheinlich und gewiß zu machen, die
Auffindung des Pfeiles erforderlich, und der Sultan unterließ daher
nicht, ungeachtet aller Gegenvorstellungen Achmeds, sich zugunsten
seines Bruders Aly zu entscheiden. Er gab nun sogleich Befehl, daß zu
der Hochzeitsfeier die nötigen Anstalten getroffen würden, und wenige
Tage darauf ward die Hochzeit mit vielem Glanze gefeiert.

Der Prinz Hussain beehrte das Fest nicht mit seiner Gegenwart. Er
empfand im Gegenteil ein so tiefes Mißfallen darüber, daß er den Hof
verließ und auf sein Recht der Thronfolge Verzicht leistend, hinging
und Derwisch wurde und sich zu einem sehr berühmten Scheich in die
Lehre gab, der wegen seines musterhaften Lebenswandels in hohem Ansehen
stand und in einer anmutigen Einöde seine und seiner Schüler Wohnungen
aufgeschlagen hatte.

Der Prinz Achmed war aus denselben Gründen wie Hussain ebenfalls bei
der Hochzeit des Prinzen und der Prinzessin Nurunnihar nicht zugegen;
doch er entsagte deshalb nicht der Welt wie jener. Da er gar nicht
begreifen konnte, wie der von ihm abgeschossene Pfeil sozusagen
unsichtbar geworden sei, entfernte er sich von seinen Leuten, und
mit dem Entschlüsse, ihn so eifrig zu suchen, daß er sich nichts
vorzuwerfen habe, begab er sich an den Ort, wo die Pfeile der Prinzen
Hussain und Aly von der Erde aufgehoben worden waren. Von da ging er in
gerader Richtung vorwärts, immer rechts und links blickend. Und ohne zu
finden, was er suchte, war er endlich so weit gekommen, daß er seine
Mühe für ganz vergeblich hielt. Indes, gleichsam wider seinen Willen
weiter fortgezogen, verfolgte er dennoch seinen Weg immer weiter,
bis er zu sehr hohen Felsen kam, bei denen er offenbar seitwärts
ablenken mußte, wenn er noch weitergehen wollte. Diese Felsen waren
außerordentlich steil und lagen in einer öden und unfruchtbaren Gegend,
etwa vier Stunden von da entfernt, wo er ausgegangen war.

Als der Prinz Achmed sich diesen Felsen näherte, bemerkte er einen
Pfeil, hob ihn auf, betrachtete ihn und sah zu seiner großen
Verwunderung, daß es der von ihm abgeschossene war.

»Er ist es wirklich,« sprach er bei sich selbst, »aber weder ich, noch
ein Sterblicher auf der ganzen Welt kann die Kraft haben, einen Pfeil
so weit zu schießen.«

Da er ihn auf der Erde liegend und nicht mit der Spitze darin fest
steckend gefunden hatte, schloß er, daß er an den Felsen geflogen und
von da zurückgeprallt sei.

»Es steckt hinter dieser seltsamen Sache,« dachte er bei sich selbst,
»irgend ein Geheimnis.«

Da die äußere Form der Felsen vorspringende Spitzen und auch tief sich
hineinziehende Schluchten hatte, trat der Prinz unter solchen Gedanken
in eine der Vertiefungen hinein, und während er dort seine Augen von
einem Winkel zum andern gehen ließ, zeigte sich ihm eine eiserne Tür,
an welcher aber kein Schloß zu sehen war. Er fürchtete, sie würde wohl
verschlossen sein, doch als er daran stieß, öffnete sie sich nach innen
zu, und er erblickte einen sanft abschüssigen Weg ohne Stufen, den
er sofort mit dem Pfeile in der Hand hinabstieg. Er glaubte hier in
tiefe Finsternis zu geraten; allein an die Stelle des entschwindenden
Tageslichtes trat ein anderes ganz verschiedenes Licht. Nach fünfzig
bis sechzig Schritten gelangte er auf einen geräumigen Platz, auf
welchem er einen prachtvollen Palast erblickte, dessen Wunderbau zu
bewundern er aber nicht Zeit hatte. Denn in demselben Augenblick trat
eine Frau von majestätischem Anstand und Wesen und von einer Schönheit,
die durch den reichen Anzug und durch den Edelsteinschmuck, den sie
trug, nicht noch mehr gehoben zu werden vermochte, unter die Vorhalle,
begleitet von einer Anzahl von Frauen, unter denen aber die Gebieterin
leicht zu unterscheiden war.

              [Illustration: Die Dame kam ihm entgegen.]

Sobald der Prinz Achmed die schöne Frau bemerkt hatte, beschleunigte
er seine Schritte, um ihr seine Ehrerbietung zu bezeigen; doch die
schöne Frau, welche ihn kommen sah, kam ihm ihrerseits durch die Anrede
entgegen: »Prinz Achmed, tretet näher, Ihr seid hier willkommen.«

Die Überraschung des Prinzen war nicht gering. Er warf sich zu den
Füßen der schönen Frau und redete sie auf folgende Weise an:

»Gnädige Frau, darf ich wohl so dreist sein, Euch zu fragen, welch
seltsamem Zufall ich es verdanke, daß ich Euch nicht unbekannt bin,
Euch, die Ihr zwar in unserer Nachbarschaft wohnt, doch ohne daß ich
jemals bis zu diesem Augenblick etwas davon erfahren hätte?«

»Prinz,« erwiderte die schöne Frau, »laßt uns in den Saal treten, dort
werde ich mit größerer Bequemlichkeit für mich und Euch Eure Frage
beantworten können.«

Mit diesen Worten führte die Dame den Prinzen in den Saal hinein. Der
wundervolle Bau desselben, das Gold und das Himmelblau, womit das
kuppelförmige Gewölbe geschmückt war, und der unschätzbare Reichtum
des Geräts erschienen ihm als etwas so ganz Neues, daß er seine
Verwunderung darüber an den Tag legte und ausrief: er habe noch nie
etwas der Art gesehen, und er glaube nicht, daß man in der Welt irgend
etwas sehen könne, was diesem hier gleichkäme.

»Gleichwohl versichere ich Euch,« erwiderte die schöne Frau, »daß dies
das unbedeutendste Zimmer meines Palastes ist, und Ihr werdet meiner
Ansicht beistimmen, wenn ich Euch erst die übrigen alle gezeigt haben
werde.«

Sie stieg einige Stufen empor und setzte sich auf ein Sofa, und als der
Prinz auf ihre Bitten neben ihr Platz genommen hatte, sagte sie zu ihm:

»Prinz, Ihr seid, wie Ihr sagt, darüber erstaunt, daß ich Euch kenne,
ohne daß Ihr mich kennt; doch Eure Verwunderung wird nachlassen, wenn
Ihr erst wissen werdet, wer ich bin. Euch wird ohne Zweifel nicht
unbekannt sein, daß die Welt ebensowohl von Geistern, als von Menschen
bewohnt wird. Ich bin die Tochter eines dieser Geister, und zwar eines
der mächtigsten und ausgezeichnetsten, und mein Name ist Pari Banu.
So wirst du dich denn also nicht mehr wundern, daß ich dich, deinen
Vater, den Sultan, und deine beiden Brüder kenne. Ich weiß sogar von
deiner Liebe und von deiner Reise, deren einzelne Umstände ich dir alle
hier wiedererzählen könnte, weil ich es eben war, die zu Samarkand den
künstlichen Apfel, den du gekauft hast, zum Verkauf ausbieten ließ,
so wie zu Bisnagar den Teppich, den der Prinz Hussain bekommen hat,
und endlich zu Schiras das elfenbeinerne Rohr, welches der Prinz Aly
von da mitgebracht hat. Dies mag hinreichend sein, um dir begreiflich
zu machen, daß nichts von alledem, was dich betrifft, mir unbekannt
ist. Ich will nur dies eine hinzufügen, daß du mir ein glücklicheres
Los zu verdienen schienest, als das war, die Prinzessin Nurunnihar zu
besitzen, und da ich zugegen war, als du den Pfeil, den du da in der
Hand hast, abschossest, und voraussah, daß er nicht einmal so weit als
der des Prinzen Hussain fliegen würde, faßte ich ihn in der Luft und
gab ihm den erforderlichen Schwung, so daß er an die Felsen anprallen
mußte, neben denen du ihn gefunden hast. Es wird nun bloß von dir
abhängen, die Gelegenheit, die sich dir jetzt bietet, zu benutzen, um
noch glücklicher zu werden.«

Prinz Achmed erriet sehr leicht, welches Glück hier gemeint sei. Er
überlegte, daß die Prinzessin Nurunnihar nicht mehr die Seine werden
könne und daß die Fee Pari Banu an Schönheit, Anmut und Reiz, sowie
durch einen überwiegenden Verstand und durch ihre unermeßlichen
Reichtümer, soweit er nämlich aus der Pracht des Palastes auf diese
schließen konnte, jene unendlich weit überträfe. Er segnete den
Augenblick, wo ihm der Gedanke eingekommen war, noch einmal den
abgeschossenen Pfeil zu suchen, indem er sich ganz der Neigung hingab,
die ihn nach dem neuen Gegenstände seines Herzens hinzog.

Er näherte sich ihr, um ihr den Saum ihres Gewandes zu küssen. Sie ließ
ihm indes nicht Zeit, dies zu tun, sondern reichte ihm ihre Hand, die
er küßte, und indem sie die seinige festhielt und sie drückte, sagte
sie zu ihm:

»Prinz Achmed, gebt Ihr mir nicht Euer Wort, wie ich Euch das meinige
gebe?«

»Ach, gnädige Frau,« erwiderte der Prinz voll freudigem Entzücken, »was
könnte ich wohl Besseres und Freudigeres tun? Ja, meine Sultanin, meine
Königin, ich gebe es Euch nebst meinem Herzen, ohne Rückhalt!«

»Wenn das ist,« antwortete die Fee, »so seid Ihr mein Gemahl und ich
bin Eure Gemahlin. Die Ehen werden bei uns Feen ohne weitere Zeremonien
geschlossen, sind aber weit fester und unauflöslicher, als die der
Menschen, ungeachtet letztere mehr Förmlichkeiten dabei anwenden.
Jetzt — fuhr sie fort — während man für heute abend die Anstalten
zu unserem Hochzeitsmahle trifft, wird man Euch, da Ihr offenbar
heute noch nichts zu Euch genommen habt, vorerst einen leichten Imbiß
vorsetzen, dann werde ich Euch die Zimmer meines Palastes zeigen, und
Ihr mögt dann selbst entscheiden, ob es nicht wahr ist, was ich Euch
sagte, daß nämlich dieser Saal gerade das schlechteste Zimmer darunter
ist.«

Einige von den Frauen der Fee, die sich bei ihr im Saale befanden,
hatten kaum ihren Wunsch vernommen, als sie auch schon hinausgingen und
bald darauf einige Speisen und trefflichen Wein hereinbrachten.

Als der Prinz Achmed zur Genüge gegessen und getrunken hatte, führte
ihn die Fee Pari Banu aus einem Zimmer in das andere, und er sah darin
Diamanten, Rubine, Smaragde und alle Arten der feinsten Edelsteine im
Verein mit Perlen, Achat, Jaspis, Porphyr und dem kostbarsten Marmor
von allen Gattungen angebracht, ganz von dem Zimmergerät zu schweigen,
welches alles von einem unschätzbaren Reichtum war. Alles war in so
erstaunlichem Überfluß angebracht, daß er, weit entfernt, je etwas
gesehen zu haben, was dieser Pracht auch nur nahe gekommen wäre,
vielmehr eingestand, daß es nichts der Art auf der ganzen Welt geben
könne.

»Prinz,« sagte hierauf die Fee, »wenn Ihr schon meinen Palast so sehr
bewundert, der wirklich sehr schön ist, was würdet Ihr erst zu den
Palästen unserer Geisterfürsten sagen, die von ganz anderer Pracht
und Schönheit sind? Ich könnte Euch auch noch meinen Garten bewundern
lassen, allein — fuhr sie fort — das mag lieber ein andermal
geschehen. Die Nacht kommt schon, und es ist Zeit, daß wir uns zur
Tafel setzen.«

Der Saal, in den die Fee den Prinzen führte, wo die Tafel gedeckt war,
war das letzte Zimmer des Palastes und zugleich das einzige, was der
Prinz noch nicht gesehen hatte; es stand indes hinter keinem derjenigen
zurück, die er bereits in Augenschein genommen hatte. Beim Hereintreten
bewunderte er den Lichtglanz unzähliger, von Ambra duftender
Wachskerzen, deren Menge, anstatt zu verwirren, vielmehr so symmetrisch
aufgestellt war, daß man sie mit Vergnügen ansah. Ebenso bewunderte er
einen großen Schenktisch, besetzt mit goldenen Gefäßen, welche durch
ihre kunstreiche Arbeit einen noch weit höheren Wert hatten als durch
ihren Stoff; ferner mehrere Chöre der schönsten und reichgekleidetsten
Mädchen, welche ein Konzert, aus Gesang und harmonischen Instrumenten
bestehend, begannen, so schön, als er es nur je in seinem Leben gehört.
Sie setzten sich zu Tische. Da Pari Banu sich ganz besonders bemühte,
dem Prinzen Achmed die wohlschmeckendsten Speisen vorzulegen, und
sie ihm jedesmal wenn sie ihn zum Zulangen aufforderte, mit Namen
nannte, da ferner der Prinz noch nie etwas von denselben gehört hatte
und sie ganz ausgesucht wohlschmeckend fand, lobte er dieselben
außerordentlich und rief aus, daß dies treffliche Mahl, womit sie ihn
bewirte, alle Mahlzeiten der Menschen weit überträfe. Auch war er ganz
entzückt über die Vortrefflichkeit des Weines, welcher aufgetragen
wurde, und wovon er und die Fee erst beim Nachtisch, der aus Früchten,
Kuchen und anderem dazu passendem Imbiß bestand, zu trinken anfingen.

Nach dem Nachtisch standen die Fee Pari Banu und der Prinz Achmed
von der Tafel auf, die sogleich weggetragen wurde, und setzten sich
bequem auf das Sofa, indem sie den Rücken an Polster von Seidenstoff
lehnten, die mit großem, vielfarbigem Blumenwerk, alles von der
feinsten Stickerei, bedeckt waren. Sogleich trat nun eine große Anzahl
von Geistern und Feen in den Saal und begannen einen herrlichen Tanz,
welcher so lange dauerte, bis die Fee und der Prinz Achmed aufstanden.

An das Hochzeitsfest schloß sich eine lange Reihe festlicher Tage,
in die die Fee Pari Banu die größte Mannigfaltigkeit zu bringen
wußte, durch neue Speisen und Gerichte bei den Mahlzeiten, durch neue
Konzerte, neue Tänze, neue Schauspiele und neue Ergötzlichkeiten, die
alle so außerordentlich waren, daß der Prinz Achmed während seines
ganzen Lebens unter den Menschen, und hätte es auch tausend Jahre
gedauert, sich dergleichen nicht hätte erdenken können.

Nach Verlauf von sechs Monaten fühlte endlich Prinz Achmed, welcher
stets seinen Vater geliebt und verehrt hatte, ein heftiges Verlangen,
ihn zu besuchen, und bat die Fee, ihm das zu erlauben. Pari Banu aber
fürchtete, er wollte sie verlassen und antwortete:

»Mit was habe ich denn Euer Mißfallen erregt, daß Ihr Euch gedrungen
fühlt, mich um diese Erlaubnis zu bitten? Sollte es möglich sein,
daß Ihr Euer mir gegebenes Wort vergessen hättet und mich nicht mehr
liebtet, die ich Euch doch so zärtlich liebe?«

»Meine Königin,« erwiderte der Prinz Achmed, »ich tat meine Bitte
nicht, um Euch zu kränken, sondern bloß aus Ehrfurcht für meinen Vater,
den Sultan, den ich gern von seiner Betrübnis zu befreien wünsche, in
die ich ihn durch eine so lange Abwesenheit unfehlbar versetzt habe;
denn ich habe Grund zu vermuten, daß er mich für tot hält. Da ihr indes
nicht erlaubt, daß ich hingehe, so will ich tun, was Ihr wollt.«

Prinz Achmed, der sich nicht verstellte und sie wirklich liebte, drang
nicht weiter in sie, und die Fee zeigte ihm, wie sehr sie über seine
Nachgiebigkeit erfreut war.

Übrigens verhielt es sich wirklich so, wie Prinz Achmed vermutet
hatte. Der Sultan von Indien war mitten unter den Lustbarkeiten bei
der Hochzeit des Prinzen Aly und der Prinzessin Nurunnihar durch die
Entfernung seiner beiden Söhne tief betrübt worden. Es dauerte nicht
lange, so erfuhr er den Entschluß, den der Prinz Hussain gefaßt
hatte, die Welt zu verlassen, und auch den Ort, den er sich zu seinem
künftigen Aufenthalte gewählt hatte. Als ein guter Vater, der einen
Teil seines Glückes darin sieht, seine Kinder um sich zu haben, hätte
er es freilich lieber gesehen, wenn er bei ihm geblieben wäre. Indes
aus Liebe zu seinen Kindern ertrug er seine Abwesenheit mit Geduld.
Er wandte alle Sorgfalt an, um Nachricht von dem Prinzen Achmed zu
erhalten; doch alle Mühe hatte nicht den gehofften Erfolg, und sein
Kummer wurde, anstatt abzunehmen, nur noch größer. Oft besprach er sich
darüber mit seinem Großwesir.

»Wesir,« sprach er einst zu ihm, »du weißt, daß Achmed derjenige
unter meinen Söhnen ist, den ich immer am zärtlichsten geliebt habe,
und du weißt, welche Mittel und Wege ich eingeschlagen habe, um ihn
wiederzufinden, doch stets ohne Erfolg. Der Schmerz, den ich darüber
empfinde, ist so lebhaft, daß ich ihm am Ende erliegen werde. Wenn dir
nur irgend etwas an der Erhaltung meiner Gesundheit liegt, so beschwöre
ich dich, daß du mich mit deinem Beistand und deinem Rat unterstützt.«

Der Großwesir sann auf Mittel, um ihm etwas Beruhigung zu verschaffen,
und da fiel ihm eine Zauberin ein, von weicher man Wunderdinge erzählte.

Er schlug ihm vor, diese kommen zu lassen und zu befragen, und der
Sultan erlaubte es. Der Großwesir ließ sie also aufsuchen und führte
sie selbst bei ihm ein.

Der Sultan sagte zu der Zauberin: »Die Betrübnis, in der ich mich seit
der Hochzeit meines Sohnes Aly mit der Prinzessin Nurunnihar wegen der
Abwesenheit des Prinzen Achmed befinde, ist so allgemein bekannt, daß
du ohne Zweifel darum wissen wirst. Kannst du mir nun nicht vermöge
deiner Kunst und Geschicklichkeit sagen, was aus ihm geworden ist?
Ist er noch am Leben? Was macht er? Darf ich hoffen, ihn noch einmal
wiederzusehen?«

Die Zauberin antwortete: »Herr, welche Geschicklichkeit ich auch immer
besitzen mag, so ist es mir doch nicht möglich, sofort der Anfrage
Eurer Majestät zu genügen; doch wenn Ihr mir bis morgen Zeit lassen
wollt, so werde ich Euch Bescheid geben können.«

Der Sultan gestattete ihr diesen Aufschub und entließ sie mit dem
Versprechen, sie gut zu belohnen.

Die Zauberin kam den folgenden Tag wieder, und der Großwesir stellte
sie wiederum vor. Sie sagte zu dem Sultan:

»Herr, ich habe nichts weiter ermitteln können, als daß der Prinz
Achmed nicht tot ist. Dies ist ganz gewiß, und Ihr könnt Euch darauf
verlassen. Wo er sein mag, habe ich jedoch nicht entdecken können.«

Der Sultan von Indien war genötigt, sich mit dieser Antwort zu
begnügen, die ihn wegen des Schicksals des Prinzen fast in derselben
Ungewißheit ließ, als er zuvor war.

Um wieder auf den Prinzen Achmed zurückzukommen, so unterhielt sich
dieser oft mit der Fee Pari Banu über seinen Vater, den Sultan, doch
äußerte er nie den Wunsch, diesen wiederzusehen, und aus dieser
Absichtlichkeit erriet die Fee seine innere Gesinnung. Da sie nun seine
Zurückhaltung und seine Furcht, nach jener abschlägigen Antwort noch
einmal ihr Mißfallen zu erregen, bemerkte, wußte sie, daß seine Liebe
zu ihr aufrichtig sei, und so beschloß sie, ihm das zu bewilligen, was
er so sehnlich wünschte. Sie sagte daher eines Tages zu ihm:

»Prinz, die Erlaubnis, um die Ihr mich batet, daß Ihr nämlich Euren
Vater besuchen wolltet, hatte mir die Besorgnis eingeflößt, daß
dies bloß ein Vorwand sei, um mich zu verlassen; es war der einzige
Beweggrund, warum ich Euch Eure Bitte abschlug. Doch heute bin ich
anderer Ansicht geworden und gewähre Euch diese Erlaubnis, doch nur
unter der Bedingung, daß Ihr mir zuvor schwört, daß Ihr sehr bald
wieder zurückkehren werdet.«

Der Prinz Achmed wollte sich der Fee zu Füßen werfen, um ihr deutlicher
an den Tag zu legen, wie sehr er von Dankbarkeit gegen sie durchdrungen
sei, allein die Fee hinderte ihn daran.

»Prinz,« sagte sie zu ihm, »Ihr könnt abreisen, sobald es Euch beliebt;
aber erwähnt gegen Euren Vater nichts von unserer Verbindung, von
meinem Stande, oder von dem Orte, wo Ihr Euch niedergelassen habt.
Bittet ihn, daß er sich mit der Nachricht begnüge, daß Ihr Euch nichts
weiter wünscht, und daß der einzige Grund Eurer Reise zu ihm bloß
der gewesen, daß Ihr ihm seine Besorgnis über Euer Schicksal nehmen
wolltet.«

Dann gab sie ihm zu seiner Begleitung zwanzig wohlgerüstete und
stattliche Reiter. Als alles bereit war, nahm der Prinz Achmed von
der Fee Abschied, indem er sie umarmte. Man führte ihm das Pferd vor,
welches sie für ihn hatte in Bereitschaft halten lassen: dies war nicht
bloß reich angeschirrt, sondern auch sehr schön und von einem noch
höheren Wert als irgendeines in dem Marstall des Sultans von Indien. Er
bestieg es mit vielem Anstande, winkte ihr sein letztes Lebewohl zu,
und sprengte von dannen.

Da der Weg nach der Hauptstadt nicht weit war, langte Prinz Achmed
binnen kurzer Zeit dort an. Sobald er in die Stadt einritt, empfing
ihn das Volk, voll Freude über sein Wiedererscheinen, mit lautem
Beifallruf, und ein großer Teil begleitete ihn bis an die Zimmer des
Sultans. Der Sultan empfing und umarmte ihn voll Freude, beklagte sich
gleichwohl aber über die Betrübnis, in die ihn seine lange Abwesenheit
versenkt habe.

»Herr,« erwiderte der Prinz Achmed, »es liegt hier ein Geheimnis vor,
und ich bitte Euch, es nicht ungnädig aufzunehmen, wenn ich darüber
stillschweige. Ich bin glücklich und mit meinem Glücke zufrieden. Da in
meinem Glücke nichts war, was mich beunruhigen und dasselbe zu stören
vermochte, als der Gedanke an den Kummer, den Eure Majestät über mein
Verschwinden haben mußte, so hielt ich es für meine Pflicht, Euch
denselben zu benehmen. Dies ist der einzige Grund, warum ich komme. Die
einzige Gnade, die ich mir für die Zukunft von Eurer Majestät erbitte,
besteht darin, daß Ihr mir erlaubt, von Zeit zu Zeit hierher zu kommen,
um Euch meine Ehrerbietung zu bezeigen und mich nach Eurem Befinden zu
erkundigen.«

»Mein Sohn,« antwortete der Sultan von Indien, »ich kann dir diese
Erlaubnis nicht verweigern, doch würde ich es weit lieber gesehen
haben, wenn du dich hättest entschließen können, hier in meiner Nähe zu
bleiben. Indes sage mir wenigstens, wo ich von dir Nachricht erhalten
kann, wenn du mir selber keine zukommen lässest, oder wenn deine
Gegenwart einmal nötig sein sollte.«

»Herr,« erwiderte der Prinz Achmed, »das, wonach Eure Majestät mich
fragt, gehört mit zu dem erwähnten Geheimnis, und ich bitte Euch daher,
mir zu gestatten, daß ich über diesen Punkt schweige.«

Der Prinz Achmed blieb am Hofe seines Vaters nicht länger als drei
Tage, und schon am vierten reiste er sehr früh wieder ab.

Einen Monat nach der Rückkehr des Prinzen bemerkte die Fee Pari Banu,
daß, seitdem der Prinz ihr von seiner Reise Bericht erstattet, er nie
mehr mit ihr über den Sultan gesprochen hatte, was er früher doch so
oft getan hatte, gerade als ob er nicht mehr auf der Welt wäre. Sie
mutmaßte, daß er bloß aus Achtung gegen sie dies vermiede, und nahm
daher eines Tages Gelegenheit, folgendes zu ihm zu sagen:

»Prinz, sagt mir doch, habt Ihr Euren Vater, den Sultan, denn so ganz
vergessen?«

»Verehrte Frau,« erwiderte der Prinz Achmed, »ich fühle mich einer
solchen Vergeßlichkeit nicht fähig, indes ich wollte lieber diesen
Euren Vorwurf unverdient ertragen, als mich einer abschlägigen Antwort
aussetzen, wenn ich Euch gegenüber eine Sehnsucht nach etwas blicken
ließe, was Euch irgendwie hätte in Unruhe versetzen können.«

»Prinz,« sagte die Fee zu ihm, »ich will nicht, daß Ihr länger diese
Rücksicht gegen mich nehmt, und so dächte ich, da Ihr Euren Vater seit
einem Monate nicht gesehen, Ihr ließet keine längere Frist verstreichen
und stattet ihm den schuldigen Besuch ab. Fangt also morgen damit an,
und fahrt so von Monat zu Monat fort, ohne daß Ihr mir deshalb jedesmal
etwas sagt oder von mir eine Äußerung erwartet.«

Prinz Achmed reiste schon den folgenden Tag mit demselben Gefolge
ab, das aber weit prächtiger ausgerüstet und gekleidet war, als das
erstemal. Er wurde von dem Sultan wieder ebenso freudig empfangen.
So setzte er denn seine Besuche mehrere Monate lang fort, und immer
erschien er in einem reicheren und glänzenderen Aufzuge.

Endlich wußten einige Wesire die Freiheit, die ihnen gestattete mit
dem Sultan zu reden, dazu zu mißbrauchen, daß sie in ihm Argwohn gegen
den Prinzen weckten. Sie stellten ihm vor, die Klugheit erfordere es,
zu wissen, wo der Prinz seinen eigentlichen Aufenthalt habe, und wovon
er seinen großen Aufwand bestreite, dann fuhren sie fort und sagten:
»Habt Ihr recht bemerkt, daß jedesmal, wenn er ankommt, er und seine
Leute ganz frisch und munter und ihre Kleider, die Decken der Pferde
und der übrige Schmuck so blank aussehen, als wären sie soeben erst
neu gemacht? Sogar ihre Pferde sind nicht müder, als kämen sie nur von
einem Spazierritt. Dies sind alles Beweise, daß sich der Aufenthaltsort
des Prinzen in der Nähe befindet, und wir glauben unsere Pflicht zu
verletzen, wenn wir Euch dies nicht untertänigst vorstellten, damit Ihr
zu Eurer eigenen Erhaltung und zum Wohl Eures Reichs die erforderliche
Rücksicht darauf nehmen könnt.«

Der Sultan geriet durch die Reden der Günstlinge in einige Unruhe
und beschloß, die Schritte des Prinzen Achmed beobachten zu lassen,
doch ohne seinem Großwesir das mindeste davon zu sagen. Er ließ die
Zauberin zu sich kommen und sagte zu ihr:

»Du hast mir die Wahrheit gesagt, als du mir versichertest, daß mein
Sohn Achmed nicht tot sei, und ich danke dir dafür; allein du mußt mir
noch einen Gefallen tun. Seitdem ich ihn nämlich wiedergefunden habe
und er wieder jeden Monat einmal an meinen Hof kommt, habe ich noch
nicht von ihm erfahren können, an welchem Ort er seine Wohnung hat.
Du weißt, daß er jetzt eben hier ist, und da er von hier immer wieder
abzureisen pflegt, ohne von mir oder irgendeinem an meinem Hof Abschied
zu nehmen, so verliere keine Zeit, begib dich noch heute auf den Weg
und beobachte ihn so gut, daß du erfährst, wo er jedesmal hingeht, und
mir darüber Antwort bringen kannst.«

Die Zauberin entfernte sich aus dem Palast des Sultans, und da sie
erfahren hatte, an welchem Orte der Prinz Achmed seinen Pfeil gefunden
hatte, begab sie sich augenblicklich dahin und versteckte sich bei den
Felsen.

Den folgenden Tag reiste der Prinz Achmed mit Anbruch des Morgens ab,
ohne daß er vom Sultan oder von einem anderen Manne des Hofes Abschied
nahm, wie er dies gewöhnlich tat. Die Zauberin sah ihn kommen und
begleitete ihn mit den Augen so weit, bis sie ihn und sein Gefolge aus
dem Gesicht verlor.

Da die Felsen wegen ihrer Steilheit jedem Sterblichen unzugänglich
waren, schloß die Zauberin, eines von beiden könne hier nur der
Fall sein, nämlich daß der Prinz sich hier entweder in eine Höhle
zurückzöge, oder an einen unterirdischen Ort, wo Feen und Geister
wohnten. Sobald sie nun vermuten konnte, daß der Prinz und seine
Leute verschwunden und in die Höhle oder in das unterirdische Gemach
hineingegangen sein müßten, kam sie aus ihrem Versteck hervor und ging
geraden Weges auf die Schlucht los, wo sie dieselben hatte hineintreten
sehen. Sie ging in diese hinein, schritt bis dahin, wo dieselbe in
allerlei Krümmungen endigte, sah sich nach allen Seiten um und ging
mehrere Male auf und ab. Allein ungeachtet aller Sorgfalt bemerkte
sie doch weder eine Höhlenöffnung, noch die eiserne Tür, welche
früher den Nachforschungen des Prinzen Achmed nicht entgangen war —
und zwar darum, weil diese Tür nur für Männer, und zwar nur für die,
deren Gegenwart der Fee Pari Banu angenehm war, aber nicht für Frauen
sichtbar war.

Die Zauberin ging also wieder zurück, um dem Sultan Antwort zu bringen,
und nachdem sie diesem über alle ihre Schritte Bericht abgestattet
hatte, fügte sie hinzu:

»Herr, ich will Euch gegenwärtig noch nicht sagen, was ich denke,
sondern ich will Euch lieber eine so klare Kenntnis von der Sache
verschaffen, daß Ihr nicht mehr zweifeln könnt. Um dies bewirken zu
können, erbitte ich mir bloß Zeit und Geduld, nebst der Erlaubnis, daß
Ihr mich handeln laßt, ohne nach den Mitteln zu fragen, deren ich mich
hierzu bedienen muß.«

Der Sultan sagte zu ihr: »Ganz nach deinem Belieben! Geh und handle
so, wie du es für angemessen findest, ich werde die Erfüllung deiner
Versprechungen ruhig abwarten.«

Da der Prinz Achmed, seitdem er von der Fee Pari Banu die Erlaubnis
erhalten hatte, dem Sultan von Indien seine Aufwartung zu machen, nicht
unterlassen hatte, dies regelmäßig alle Monate einmal zu tun, wartete
die Zauberin, bis der laufende Monat zu Ende ging. Ein oder zwei Tage
vor dem Ende desselben begab sie sich an den Fuß der Felsen, und zwar
an die Stelle, wo ihr der Prinz mit seinen Leuten aus dem Gesicht
verschwunden war, und wartete da, um den Plan, den sie entworfen hatte,
auszuführen.

Schon am folgenden Tage ritt Prinz Achmed, wie gewöhnlich, aus der
eisernen Tür heraus, und zwar mit dem Gefolge, das ihn immer zu
begleiten pflegte; er kam dicht an der Zauberin vorbei, die er nicht
für das erkannte, was sie war. Da er bemerkte, daß sie den Kopf auf den
Felsen gelegt hatte und wie eine schwer Leidende jammerte, bewog ihn
das Mitleid, seitwärts abzulenken, um sich ihr zu nähern und sie zu
fragen, was ihr denn fehle und was er zu ihrer Linderung tun könne.

Die arglistige Zauberin sah den Prinzen, ohne den Kopf emporzuheben,
mit einer Miene an, die sein schon gewecktes Mitleid noch vermehrte.
Sie antwortete ihm in abgebrochenen Worten, und als könnte sie kaum
atmen, sie sei von Hause weggegangen, um nach der Stadt zu gehen.
Unterwegs sei sie von einem heftigen Fieber befallen worden, die Kräfte
seien ihr geschwunden, und sie sei genötigt gewesen, auszuruhen und in
dieser unbewohnten Gegend, ohne Aussicht auf menschlichen Beistand, in
der Lage zu bleiben, in der er sie gefunden.

»Gute Frau,« erwiderte der Prinz Achmed, »Ihr seid nicht so weit von
aller menschlichen Hilfe entfernt, als Ihr denkt; ich bin bereit, Euch
an einen Ort zu bringen, wo Ihr nicht bloß alle mögliche Pflege finden,
sondern auch bald geheilt werden sollt. Ihr dürft bloß aufstehen und
zugeben, daß einer von meinen Leuten Euch hinter sich aufs Pferd nimmt.«

Bei diesen Worten des Prinzen Achmed stellte sich die Zauberin, als
suche sie sich mit vieler Mühe aufzurichten. In demselben Augenblick
stiegen zwei von den Reitern ab, halfen ihr auf die Beine und setzten
sie hinter einen anderen Reiter aufs Pferd. Während sie sich wieder
aufsetzten, sprengte der Prinz an der Spitze seiner Reiterschar den Weg
wieder zurück und kam bald an die eiserne Tür, welche ihm durch einen
vorausgeeilten Reiter geöffnet worden war. Der Prinz ritt hinein, und
als er in den Hof des Feenpalastes gelangt war, ließ er, ohne selber
abzusteigen, durch einen seiner Reiter der Fee melden, daß er sie zu
sprechen wünsche.

Die Fee Pari Banu eilte um so schneller herbei, als sie nicht begreifen
konnte, was den Prinzen Achmed sobald wieder zur Umkehr veranlaßt haben
könnte. Ohne ihr Zeit zu lassen, nach dem Grunde zu fragen, sagte der
Prinz zu ihr, indem er auf die Zauberin wies, die zwei seiner Leute vom
Pferde herabgehoben hatten und nun unter den Armen geführt brachten:

»Meine Prinzessin, ich bitte Euch, dieser Frau dasselbe Mitleid zu
schenken, das ich ihr geschenkt habe. Ich habe sie in dem Zustande,
in dem Ihr sie seht, unterwegs getroffen und habe ihr den Beistand
versprochen, dessen sie bedarf.«

Die Fee Pari Banu, die während der Rede des Prinzen ihre Augen auf die
angebliche Kranke geheftet hatte, befahl zweien ihrer Frauen, die ihr
gefolgt waren, sie aus den Händen der Reiter zu übernehmen, sie in ein
Zimmer des Palastes zu führen und für sie ganz ebenso zu sorgen, als ob
sie es selber wäre.

Während die beiden Frauen den empfangenen Befehl vollzogen, näherte
sich die Fee Pari Banu dem Prinzen Achmed und sagte mit niedergesenkten
Augen zu ihm:

»Prinz, ich lobe Euer Mitleid; es ist Euer und Eures Standes würdig,
und ich freue mich, Eurer guten Absicht entsprechen zu können: allein
erlaubt mir, Euch zu sagen, daß ich sehr fürchte, diese gute Absicht
werde uns übel belohnt werden. Es scheint mir nämlich nicht, daß diese
Frau so krank ist, als sie vorgibt, und ich müßte mich sehr täuschen,
wenn sie nicht ausdrücklich dazu hergekommen ist, Euch großes Unheil zu
bringen. Indes laßt Euch das nicht kümmern. Was man auch immer gegen
Euch anzetteln mag, Ihr könnt versichert sein, daß ich Euch aus allen
Schlingen, die man Euch irgend legen mag, befreien werde. Geht daher
und setzt Eure Reise fort.«

Diese Äußerungen der Fee beunruhigten den Prinzen weiter nicht und er
antwortete:

»Meine Prinzessin, da ich mich nicht erinnern kann, jemandem etwas
zuleide getan zu haben, und da ich auch gegen niemanden etwas Böses
vorhabe, so glaube ich nicht, daß irgend jemand dergleichen mir
zuzufügen gedenkt. Wie dem aber auch sein mag, ich werde nicht
aufhören, Gutes zu tun, so oft sich mir die Gelegenheit dazu bieten
wird.«

Hierauf nahm er Abschied von der Fee und setzte seine Reise weiter
fort. Nach wenigen Stunden langte er am Hofe des Sultans an, der ihn
fast so wie sonst empfing, indem er sich soviel als möglich zwang,
um weder seine Unruhe, noch den Argwohn merken zu lassen, den die
Äußerungen der beiden Günstlinge in ihm geweckt hatten.

Unterdes hatten die beiden Frauen, denen die Fee Pari Banu die
Sorge für die Zauberin aufgetragen, diese in ein sehr schönes und
reichgeschmücktes Zimmer geführt. Zuerst betteten sie sie auf ein
Sofa; dann machten sie ihr eine Lagerstatt zurecht, deren Kissen aus
Atlas waren, die Stickereien aus Seide trugen; das Bettuch war von
der feinsten Leinwand und die Oberdecke von Goldstoff. Als sie ihr
nun ins Bett geholfen hatten — denn die Zauberin tat, als ob ihr
Fieberanfall sie so quäle, daß sie sich selber nicht helfen könne —,
ging eine von den Frauen hinaus und kam bald darauf mit einem sehr
feinen Porzellangefäß in der Hand zurück, welches mit einer Flüssigkeit
angefüllt war. Sie reichte es der Zauberin, während die andere Frau ihr
half, sich im Bette aufzusetzen, und sagte zu ihr:

»Da, nehmt die Flüssigkeit, es ist Wasser aus der Löwenquelle, ein
Universalmittel gegen jede Art von Fieber. Ihr werdet binnen einer
Stunde die Wirkung davor, empfinden.«

Um noch kränker zu erscheinen, ließ sich die Zauberin lange bitten und
tat, als hätte sie eine unüberwindliche Abneigung gegen diesen Trank.
Endlich nahm sie das Porzellangefäß und schluckte die Flüssigkeit
hinunter, während sie den Kopf schüttelte, als ob sie sich große
Gewalt antäte. Als sie sich wieder gelegt hatte, deckten die beiden
Frauen sie gut zu, und die, welche den Trank gebracht hatte, sagte zu
ihr:

»Bleibt jetzt ganz ruhig und schlaft, wenn Ihr Lust habt. Wir wollen
Euch jetzt verlassen und hoffen, Euch bei unserer Wiederkehr nach einer
Stunde vollkommen genesen zu finden.«

Die Zauberin, die nicht darum gekommen war, um hier lange die Kranke
zu spielen, sondern bloß um den Aufenthalt des Prinzen Achmed
auszuspähen, hätte jetzt gern erklärt, daß der Trank seine Wirkung
getan habe, so groß war ihr Verlangen, zurückzukehren und den Sultan
von dem glücklichen Gelingen des Auftrags, den er ihr gegeben, zu
benachrichtigen; indes, da man ihr nicht gesagt hatte, daß der Trank
auf der Stelle wirke, mußte sie wider ihren Willen die Rückkehr der
Frauen abwarten.

Die beiden Frauen kamen nach Verlauf der angegebenen Zeit wieder und
fanden die Zauberin aufgestanden und angekleidet auf dem Sofa. Bei
ihrem Eintritt stand sie sogleich auf und rief:

»O der bewunderungswürdige Trank! Er hat weit schneller gewirkt, als
ihr mir sagtet, und ich erwarte euch schon seit einer Weile voll
Ungeduld, um euch zu bitten, mich doch zu eurer mildtätigen Gebieterin
zu führen, damit ich ihr für ihre Güte meinen Dank abstatte.«

Die beiden Frauen, welche ebenfalls Feen waren, freuten sich mit ihr
über die Wiederherstellung ihrer Gesundheit und führten sie durch
mehrere Zimmer, die alle weit prächtiger waren als das, woraus sie eben
kam, in den prachtvollsten und reichgeschmücktesten Saal des ganzen
Palastes.

Pari Banu saß in diesem Saal auf einem Thron von gediegenem Golde,
der mit Diamanten, Rubinen und Perlen von ungewöhnlicher Größe reich
verziert war und neben dem rechts und links eine große Anzahl von Feen
stand, die alle reich gekleidet waren und einen entzückenden Anblick
boten. Durch solchen Glanz und solche Majestät ward die Zauberin nicht
nur ganz geblendet, sondern sie ward auch so verwirrt, daß sie, nachdem
sie sich vor dem Throne niedergeworfen, nicht einmal den Mund zu öffnen
vermochte, um der Fee ihren Dank abzustatten. Pari Banu ersparte ihr
diese Mühe und sagte zu ihr:

»Gute Frau, ich will Euch nicht länger zurückhalten; doch es wird Euch
nicht unlieb sein, zuvor meinen Palast zu besehen. Gehet mit meinen
Frauen, sie werden Euch begleiten und Euch denselben zeigen.«

Die Zauberin, welche noch immer ganz verwirrt war, verneigte sich
nochmals mit der Stirn bis auf den Teppich herab, welcher die
Stufen des Thrones bedeckte, und nahm Abschied. Sie vermochte kein
einziges Wort vorzubringen, und ließ sich von den beiden Feen, die
sie begleiteten, herumführen. Sie sah nun zu ihrem Erstaunen und
unter beständigen Ausrufen der Verwunderung dieselben Reichtümer und
dieselbe Pracht, welche die Fee Pari Banu dem Prinzen Achmed, als er
das erstemal vor ihr erschien, hatte zeigen lassen. Was ihr aber die
größte Bewunderung einflößte, war, daß die Feen, nachdem sie das ganze
Innere des Palastes in Augenschein genommen, ihr sagten, daß alles
das, was sie soeben bewundert habe, nur eine Probe von der Größe und
Macht ihrer Gebieterin sei, und daß sie in ihrem Bereich noch andere
unzählige Paläste habe, die alle von verschiedener Form und Bauart,
doch nicht minder stattlich und prächtig wären. Indem sie sich mit ihr
unterhielten, führten sie sie bis zur eisernen Tür, durch welche der
Prinz Achmed sie eingeführt hatte, öffneten dieselbe und wünschten
ihr, nachdem sie von ihnen Abschied genommen und gedankt hatte, eine
glückliche Reise.

Als die Zauberin einige Schritte weit gegangen war, drehte sie sich um,
um sich die Tür zu merken, doch sie suchte dieselbe vergebens; sie war
bereits wieder für sie unsichtbar geworden. Sie begab sich nun also
ganz zufrieden zum Sultan zurück. Der Sultan ließ sie vor sich kommen,
und da er sie mit einem sehr traurigen Gesicht erscheinen sah, mutmaßte
er, die Sache sei ihr nicht gelungen, und sagte zu ihr:

»Deinem Aussehen nach schließe ich, daß deine Reise fruchtlos gewesen
und daß du mir die Aufklärung nicht mitbringst, die ich von deinem
Diensteifer erwartete.«

»Herr,« erwiderte die Zauberin »der traurige Zug, den Ihr vielleicht in
meinem Gesichte bemerkt, rührt aus einer anderen Quelle als daher, daß
mir meine Aufgabe nicht gelungen wäre. Welches die eigentliche Ursache
ist, sage ich Euch nicht; der Bericht, den ich Euch abstatten werde,
wird Euch alles erklären.«

Nun erzählte die Zauberin dem Sultan alles, was sie gesehen, und
schilderte ihm besonders die Majestät der Fee, die auf einem
von Edelsteinen blitzenden Throne gesessen, deren Wert leicht
die Reichtümer ganz Indiens übersteige, und endlich die übrigen
unermeßlichen und unschätzbaren Reichtümer, welche in dem großen Palast
enthalten wären.

Hier beendete die Zauberin ihren Bericht und fuhr dann fort:

»Herr, was denkt nun Euer Majestät von diesen unerhörten Reichtümern
der Fee? Vielleicht werdet Ihr sagen, Ihr freut Euch über das hohe
Glück des Prinzen Achmed, der dieselben mit der Fee gemeinschaftlich
genießt. Ich will gern glauben, daß der Prinz Achmed vermöge seiner
guten Gemütsart nicht fähig ist, etwas gegen Euer Majestät zu
unternehmen, allein wer kann dafür Zeuge sein, daß nicht die Fee durch
ihre Reize, ihre Liebkosungen und durch die Gewalt, die sie bereits
über ihren Gemahl erlangt hat, ihm den verderblichen Plan eingibt,
Euer Majestät zu verdrängen und sich der Krone Indiens zu bemächtigen?«

Wie sehr auch der Sultan von dem guten Gemüt seines Sohnes überzeugt
war, regten ihn dennoch die Äußerungen der Zauberin sehr auf.

Als man dem Sultan die Ankunft der Zauberin gemeldet hatte, unterhielt
er sich gerade mit denselben Günstlingen, die ihm bereits früher
Argwohn gegen den Prinzen Achmed eingeflößt hatten. Er gebot nun der
Zauberin, ihm zu folgen, begab sich zu den beiden Günstlingen und
teilte diesen mit, was er soeben vernommen.

Einer von den beiden Günstlingen nahm das Wort und antwortete:

»Herr, da Euer Majestät denjenigen kennt, welcher dies Unglück zustande
bringen konnte, da er mitten an Eurem Hofe lebt und in Euren Händen
ist, so solltet Ihr ihn ungesäumt verhaften und in einen engen Kerker
werfen lassen.« Die übrigen Günstlinge gaben dieser Ansicht einstimmig
ihren Beifall.

Die Zauberin fand indes diesen Ratschlag zu gewaltsam; sie bat den
Sultan um Erlaubnis zu reden, und als sie dieselbe erhalten, sagte sie
folgendes zu ihm:

»Herr, bei Verhaftung des Prinzen müßte man auch zugleich seine
Begleiter mit verhaften, die aber nicht Menschen, sondern Geister
sind. Wird es aber leicht sein, sich dieser zu bemächtigen? Würden
sie sich nicht auf der Stelle unsichtbar machen und augenblicklich
die Fee von der ihrem Gemahl angetanen Beleidigung unterrichten,
die diese Schmach nicht ungerächt lassen würde? Wäre es daher nicht
angebrachter, wenn der Sultan sich durch ein anderes Mittel gegen
die bösen Anschläge, die der Prinz Achmed etwa haben mag, sicher
stellen könnte? Da die Geister und die Feen Dinge vermögen, welche
weit alle menschliche Kraft übersteigen, so könnte Seine Majestät den
Prinzen Achmed ja bei seiner Ehre fassen und ihn verpflichten, ihm
durch Vermittelung der Fee gewisse Vorteile zu verschaffen, unter dem
Vorwande, daß er, der Sultan, davon großen Nutzen haben und ihm dafür
stets dankbar sein würde. Zum Beispiel, so oft Euer Majestät zu Felde
ziehen will, seid Ihr genötigt, einen ungeheuren Aufwand zu machen,
nicht bloß an Pavillons und Zelten für Euch und Euer Heer, sondern
auch an Kamelen, Mauleseln und andern Lasttieren, um dieses ganze
Gerät fortzubringen. Könntet Ihr ihn nun nicht verpflichten, daß er
Euch einen Pavillon verschaffte, der in der Hand Platz hätte, unter
dem aber Euer ganzes Heer Obdach finden könnte? Wenn der Prinz diesen
Pavillon herbeischaffen sollte, so bleiben Euch immer noch so viele
andere Forderungen an ihn zu stellen übrig, daß er am Ende dennoch der
Unmöglichkeit der Ausführung wird unterliegen müssen. So wird er sich
dann aus Scham nicht mehr sehen lassen und gezwungen sein, sein Leben
bei der Fee, fern vom Verkehr mit der Welt, hinzubringen, und so
wird dann Euer Majestät nichts mehr von seinen Anschlägen zu befürchten
haben.«

   [Illustration: Sie rief: »O elender Mensch, was ist das für eine
               traurige Wache, die du da aufbewahrst.«]

Als die Zauberin ausgeredet hatte, frug der Sultan seine Günstlinge, ob
sie ihm etwas Besseres vorzuschlagen wüßten, und da sie stillschwiegen,
so beschloß er, den Rat der Zauberin zu befolgen.

Als der Prinz Achmed am folgenden Tag vor seinem Vater erschien und
neben ihm Platz genommen hatte, ließ sich dieser durch seine Gegenwart
nicht abhalten, sein Gespräch über allerlei gleichgültige Gegenstände
noch eine Weile fortzusetzen. Dann erst wandte er sich zum Prinzen
Achmed und sagte zu ihm:

»Mein Sohn, als du erschienst und mich von der tiefen Traurigkeit, in
die mich deine lange Abwesenheit versenkt hatte, befreitest, machtest
du mir ein Geheimnis aus dem Orte, den du dir zum Aufenthalt gewählt
hattest, und in der ersten Freude, dich wiederzusehen, wollte ich nicht
weiter in dein Geheimnis eindringen. Ich kenne jetzt dein Glück, freue
mich dessen und billige deine Wahl, daß du eine Fee geheiratet, die so
liebenswürdig, so reich und mächtig ist. Dem hohen Range eingedenk, zu
welchem du jetzt erhoben bist, bitte ich dich, daß du deinen ganzen
Einfluß, den du bei deiner Fee haben magst, aufbietest, um mir in
Fällen der Not ihren Beistand zu verschaffen und du wirst mir erlauben,
daß ich diesen deinen Einfluß noch heute auf die Probe stelle. Du
weißt, mit welchen ungeheuren Kosten meine Heerführer, Offiziere und
ich selber, so oft ich in Kriegszeiten ins Feld zu ziehen genötigt
bin, Pavillons und Zelte, sowie auch Kamele und andere Lasttiere zum
Fortbringen derselben, anschaffen müssen. Deshalb bitte ich dich, mir
von deiner Fee einen Pavillon zu verschaffen, der gerade in einer Hand
Platz hat, und unter welchem dennoch mein ganzes Heer Obdach finden
kann.«

Der Prinz Achmed hatte sich dessen gar nicht versehen, daß sein Vater
von ihm eine Sache verlangen würde, die ihm gleich von vornherein sehr
schwierig, wenn nicht gar unmöglich schien. Er war daher wegen der
Antwort, die er jetzt geben sollte, in nicht geringer Verlegenheit.

»Herr,« erwiderte er endlich, »ich bin Gemahl der Fee, von der man Euch
gesagt hat, ich liebe sie, und bin überzeugt, daß sie mich ebenfalls
liebt; doch was meinen Einfluß bei ihr anbetrifft, wie Euer Majestät
anzunehmen scheint, so weiß ich davon nichts zu sagen. Ich habe
diesen nicht nur niemals versucht, sondern noch nicht einmal daran
gedacht, ihn zu versuchen. Indes der Wunsch eines Vaters ist Befehl
für einen Sohn. Obwohl höchst ungern und nur mit unbeschreiblichem
Widerwillen, werde ich dennoch nicht unterlassen, meiner Gemahlin die
Bitte, die Euer Majestät hat, vorzutragen. Indes ich kann Euch nicht
versprechen, daß sie mir wirklich erfüllt werden wird, und sollte ich
daher aufhören, vor Euch zu erscheinen und Euch meine Ehrerbietung zu
beweisen, so wird dies ein Zeichen sein, daß ich nichts ausgerichtet
habe, und ich bitte daher im voraus, daß Ihr es mir verzeihen möget.«

Der Sultan von Indien antwortete dem Prinzen:

»Mein Sohn, ich sehe schon, daß du die Gewalt nicht kennst, die ein
Mann über seine Frau hat. Die deinige würde beweisen, daß sie dich
wenig liebt, wenn sie dir bei der Macht, die sie als Fee hat, eine so
geringfügige Sache abschlagen wollte. Geh, bitte sie nur, und du wirst
sehen, daß die Fee dich weit mehr liebt, als du es glaubst.«

Der Prinz reiste voll Verdruß zwei Tage früher ab, als er sonst zu tun
pflegte. Sobald er zu Hause angekommen war, frug ihn die Fee, welche
ihn bisher immer mit heiterem Angesicht hatte kommen sehen, nach der
Ursache der Veränderung, die sie an ihm bemerkte. Der Prinz sträubte
sich lange dagegen, indem er ihr versicherte, es sei weiter nichts;
allein je mehr er sich sträubte, desto mehr drang sie in ihn. Endlich
vermochte er nicht länger den inständigen Bitten der Fee zu widerstehen
und sagte also zu ihr:

»Meine Gemahlin, Gott verlängere das Leben des Sultans, meines Vaters,
und segne ihn bis an das Ende seiner Tage! Ich verließ ihn vollkommen
frisch und gesund. Dies ist es also nicht, was mir die Bekümmernis
veranlaßt, die Ihr an mir wahrgenommen habt, sondern der Sultan selber
ist die Ursache davon. Erstlich, meine Gemahlin, wisset Ihr, wie
sorgfältig ich ihm mein Glück zu verhehlen gesucht habe; gleichwohl hat
er alles erfahren.«

Bei diesen Worten unterbrach die Fee Pari Banu den Prinzen Achmed und
sagte zu ihm:

»Erinnert Euch an das, was ich Euch in betreff der Frau vorausgesagt
habe, die sich krank stellte und mit welcher Ihr so großes Mitleid
hattet; diese ist es, die dem Sultan, Eurem Vater, alles berichtet hat,
was Ihr ihm verhehlt. Indes erzählt nur weiter.«

»Meine Gemahlin,« fuhr der Prinz Achmed fort, »Ihr werdet bemerkt
haben, daß ich bis zu diesem Augenblick nie eine Gunstbezeigung von
Euch verlangt habe. Was könnte ich auch bei dem Besitz einer so
liebenswürdigen Gemahlin noch weiter wünschen? Es war mir keineswegs
unbekannt, wie groß Eure Macht sei, allein ich hatte es mir zur Pflicht
gemacht, dieselbe nie auf die Probe zu stellen. Bedenkt also, ich
beschwöre Euch darum, daß nicht ich es bin, sondern mein Vater, der
Sultan, der die unbescheidene Bitte an Euch tut, ihm einen Pavillon zu
verschaffen, der ihn, seinen ganzen Hof, und sein ganzes Heer, so oft
er im Felde ist, gegen das Ungemach der Witterung schützt, aber dabei
in der Hand Platz hat.«

»Prinz,« erwiderte die Fee lächelnd, »es tut mir leid, daß eine solche
Kleinigkeit Euch so viel Unruhe und Herzenspein verursacht hat.«

Nach diesen Worten befahl sie, ihre Schatzmeisterin zu rufen. Die
Schatzmeisterin kam, und die Fee sagte zu ihr:

»Nurdschihan« — so hieß nämlich die Schatzmeisterin — »bringe mir den
größten Pavillon, der in meinem Schatze ist.«

Nurdschihan kam binnen wenigen Augenblicken wieder und brachte einen
Pavillon, der nicht bloß in der Hand Platz hatte, sondern den man
sogar in der Handfest verschließen konnte; sie überreichte ihn ihrer
Gebieterin, die ihn nahm und dem Prinzen Achmed einhändigte, damit er
ihn besehen möchte.

Als der Prinz Achmed hörte, daß die Fee Pari Banu einen Pavillon holen
ließ, und zwar den größten Pavillon aus ihrem Schatze, glaubte er, daß
sie seiner spotten wolle, und die Spuren seines Befremdens verrieten
sich in seinen Mienen und Gebärden. Pari Banu, die es bemerkte, lachte
laut auf und rief:

»Wie, Prinz, Ihr glaubt also, daß ich Euch bloß verspotten wolle? Ihr
werdet bald sehen, daß ich keine Spötterin bin. Nurdschihan,« sagte sie
zu ihrer Schatzmeisterin, indem sie den Pavillon aus den Händen des
Prinzen nahm und ihn ihr wiedergab, »geh und spanne ihn aus, damit der
Prinz sehen kann, ob sein Vater, der Sultan, ihn so groß finden wird,
als er ihn verlangt hat.«

Die Schatzmeisterin ging aus dem Palaste und entfernte sich so weit,
daß beim Ausspannen das eine Ende desselben gerade bis an den Palast
reichte. Als sie dies nun getan, fand ihn der Prinz Achmed so groß, daß
zwei Heere, wenn sie auch ebenso zahlreich wären als das des Sultans
von Indien, darunter Platz gehabt hätten.

»Meine Prinzessin,« sagte er jetzt zu Pari Banu, »ich bitte Euch
tausendmal um Verzeihung wegen meines Unglaubens; nach dem, was ich
jetzt gesehen, glaube ich, daß unter allem, was Ihr irgend unternehmen
möget, nichts ist, was Euch unerreichbar wäre.«

»Ihr seht,« erwiderte die Fee, »daß der Pavillon größer als nötig ist;
jedoch Ihr werdet bemerken, er hat die Eigenschaft, daß er größer oder
kleiner wird, je nach dem Maße dessen, was darunter Platz finden soll,
ohne daß man dabei irgendwie Hand anzulegen braucht.«

Die Schatzmeisterin legte den Pavillon wieder zusammen, brachte ihn
in seine vorige Lage und gab ihn dann in die Hände des Prinzen. Der
Prinz Achmed nahm ihn, und schon den folgenden Tag setzte er sich, ohne
länger zu zögern, zu Pferde und eilte in Begleitung seines gewöhnlichen
Gefolges von dannen, um ihn dem Sultan, seinem Vater, zu überreichen.

Der Sultan, welcher geglaubt hatte, ein Pavillon, wie er ihn verlangt
hatte, könne gar nicht gefunden werden, war über die schnelle
Wiederkehr seines Sohnes nicht wenig erstaunt. Er empfing den Pavillon,
und nachdem er die Kleinheit desselben bewundert hatte, geriet er in
Erstaunen, als er ihn in der Ebene errichten ließ und sah, daß zwei
Heere, so groß als das seinige, darunter reichlich Platz hatten.

Dem äußern Scheine nach bezeigte der Sultan von Indien dem Prinzen
seine Dankbarkeit, indem er ihn bat, der Fee Pari Banu in seinem
Namen dafür herzlich zu danken. Und um ihm zu zeigen, wie hoch er es
schätzte, befahl er, es in seiner Schatzkammer sorgfältig aufzuheben.
Allein in seinem Herzen faßte er eine weit ärgere Eifersucht, als ihm
seine Schmeichler und die Zauberin zuvor eingeflößt hatten, indem er
überlegte, daß sein Sohn mit Hilfe der Fee Dinge ausführen könnte,
die weit über die Grenzen seiner eigenen Macht und seines Vermögens
hinausgingen. Dies veranlaßte ihn, alles zu versuchen, um ihn zugrunde
zu richten. Er fragte deshalb die Zauberin um Rat, und diese riet ihm,
den Prinzen aufzufordern, daß er ihm Wasser aus der Löwenquelle bringen
solle.

Als der Sultan am Abend, wie gewöhnlich, seine Hofleute um sich
versammelt hatte und der Prinz Achmed sich ebenfalls zugegen befand,
redete er diesen mit folgenden Worten an:

»Mein Sohn, ich habe dir schon gesagt, zu welchem Dank ich mich dir
wegen des Pavillons verpflichtet fühle; du mußt mir zuliebe noch
etwas anderes tun, das mir nicht minder angenehm sein wird. Ich höre
nämlich, daß deine Gemahlin, die Fee, sich eines gewissen Wassers aus
der Löwenquelle bedient, welches alle Arten von Fieber heilt; da ich
nun vollkommen überzeugt bin, daß meine Gesundheit dir sehr teuer
ist, rechne ich mit Gewißheit darauf, daß du dir von ihr ein Gefäß
voll solchen Wassers erbitten und es mir dann bringen wirst, als ein
Universalmittel, das mir jeden Augenblick gute Dienste tun kann.
Erzeige mir also auch noch diesen wichtigen Dienst und setze dadurch
deiner kindlichen Liebe zu mir die Krone auf.«

Der Prinz Achmed, welcher geglaubt hatte, der Sultan, sein Vater,
werde sich mit dem Besitz eines so einzigen und brauchbaren Pavillons
begnügen und ihm nicht einen neuen Auftrag aufbürden, war bei dieser
zweiten Aufforderung ganz verwirrt, ungeachtet ihm die Fee versichert
hatte, sie werde ihm alles gewähren, was irgend in ihrer Macht stände.
Nach einem Stillschweigen von einigen Augenblicken erwiderte er:

»Herr, ich bitte Euer Majestät versichert zu sein, daß ich alles
zu tun bereit bin, um Euch alles zu verschaffen, was irgendwie zur
Verlängerung Eures Lebens beitragen kann; indes ich wünschte bloß,
daß es ohne die Vermittlung meiner Gemahlin geschehen könnte. Aus
diesem Grunde wage ich denn auch nicht, Euer Majestät zu versprechen,
daß ich dies Wasser bringen werde. Alles, was ich tun kann, ist,
Euch zu versichern, daß ich darum bitten werde, obwohl mit demselben
Widerwillen wie damals, als ich um den Pavillon bat.«

Als der Prinz Achmed den folgenden Tag zu der Fee Pari Banu
zurückgekehrt war, stattete er ihr einen aufrichtigen und treuen
Bericht von alledem ab, was am Hofe seines Vaters bei Überreichung
des Pavillons vorgegangen war, den der Sultan mit vielem Dank für sie
angenommen hatte. Er unterließ nicht, ihr die neue Bitte, die er in
seinem Namen ihr zu machen beauftragt war, vorzutragen, und schloß mit
den Worten:

»Meine Prinzessin, ich teile Euch dies bloß als einfachen Bericht über
das mit, was zwischen meinem Vater und mir vorgefallen; im übrigen
steht es ganz in Eurem Belieben, seinen Wunsch zu erfüllen oder nicht,
ich werde mich gar nicht darein mischen, sondern will bloß das, was Ihr
wollt.«

»Nein, nein,« erwiderte die Fee Pari Banu, »es ist mir sehr lieb, wenn
der Sultan von Indien erfährt, daß Ihr mir nicht gleichgültig seid.
Ich will seinen Wunsch befriedigen, und welche Ratschläge ihm auch
immer die Zauberin eingeben mag — denn ich sehe wohl, daß er nur auf
sie hört —, wir wollen ihm gegenüber stets auf der Hut sein. Es liegt
in seiner diesmaligen Forderung etwas Boshaftes, wie Ihr aus meinem
Bericht bald ersehen werdet. Die Löwenquelle befindet sich nämlich
mitten in dem Hofe eines großen Schlosses, dessen Eingang von vier
ungeheuren Löwen bewacht wird, von denen immer zwei schlafen, während
die andern wachen. Indes, das darf Euch nicht in Schrecken setzen. Ich
werde Euch ein Mittel an die Hand geben, vermöge dessen Ihr ohne Gefahr
mitten durch sie hindurchgehen könnt.«

Die Fee Pari Banu war gerade mit Nähen beschäftigt, und da sie in
ihrer Nähe mehrere Zwirnknäuel liegen hatte, nahm sie eines davon,
überreichte es dem Prinzen Achmed und sagte:

»Zuerst nehmt dieses Knäuel; ich werde Euch bald den Gebrauch lehren,
den Ihr davon machen könnt. Zweitens, laßt Euch zwei Pferde anschirren,
eines, um selber darauf zu reiten, das andere, um es neben Euch her
als Handpferd zu führen, beladen mit einem in vier Teile zerhackten
Hammel, der heute noch geschlachtet werden muß. Drittens verseht
Euch mit einem Gefäß, das ich Euch geben lasse, damit Ihr es morgen
dort voll Wasser schöpfen könnt. Ganz früh setzt Euch dann zu Pferde
und führt das andere Pferd am Zügel nebenher, und sobald Ihr aus der
eisernen Tür hinaus seid, werft das Zwirnknäuel vor Euch her; dies wird
dann anfangen zu rollen und so immer fort rollen bis an das Tor des
Schlosses. Folgt demselben bis dahin nach, und wenn es stillsteht und
das Tor sich öffnet, werdet Ihr die vier Löwen erblicken. Die beiden
wachenden werden durch ihr Gebrüll die beiden andern schlafenden
sogleich wecken. Fürchtet Euch indes nicht, sondern werft einem jeden
ein Hammelviertel hin, ohne vom Pferde abzusteigen. Ist dies geschehen,
so spornt ohne Zeitverlust Euer Pferd und reitet im gestreckten Galopp
zur Quelle hin, füllt dann Euer Gefäß, ohne abzusteigen, und eilt dann
mit derselben Schnelligkeit wieder zurück. Die Löwen werden noch mit
Fressen beschäftigt sein und Euch einen freien Rückweg gestatten.«

Der Prinz Achmed reiste am folgenden Morgen um die Stunde, welche die
Fee Pari Banu ihm bestimmt hatte, ab und vollzog pünktlich, was sie ihm
vorgeschrieben hatte. Er kam an dem Tore des Schlosses an, verteilte
die Hammelviertel unter die vier Löwen, und nachdem er unerschrocken
durch sie hindurchgeritten war, drang er bis zu der Quelle vor und
schöpfte das Wasser ein. Sowie er das Gefäß gefüllt hatte, wandte
er um und gelangte wohlbehalten und gesund wieder aus dem Schlosse
hinaus. Als er etwas davon entfernt war, sah er sich um und erblickte
zwei Löwen, die gerade auf ihn losstürzten. Ohne zu erschrecken zog er
seinen Säbel und setzte sich zur Wehr. Doch da er unterwegs bemerkte,
daß der eine in einiger Entfernung seitwärts ablenkte und mit Kopf und
Schweif zu verstehen gab, daß er nicht komme, um ihm etwas zuleide zu
tun, sondern bloß, um vor ihm herzulaufen, und daß der andere ihm
folgen würde, steckte er seinen Säbel wieder ein und setzte so seinen
Weg bis nach der Hauptstadt von Indien fort, wo er in Begleitung
der beiden Löwen ankam, die ihn nicht verließen, bis an die Tür des
Palastes des Sultans. Dort ließen sie ihn hineingehen und kehrten
sodann denselben Weg wieder zurück, den sie gekommen waren, zum großen
Entsetzen des Volkes und aller derer, die sie erblickten.

Mehrere Palastbeamte, welche sogleich erschienen, um dem Prinzen
Achmed vom Pferde herabzuhelfen, begleiteten ihn bis an das Zimmer des
Sultans, wo dieser sich eben mit seinen Günstlingen unterhielt. Hier
näherte er sich dem Throne, setzte das Gefäß zu den Füßen des Sultans,
küßte den reichen Teppich, welcher die Stufen desselben bedeckte, stand
dann wieder auf und sagte:

»Herr, hier ist das heilsame Wasser, welches Euer Majestät in der
Sammlung von Kostbarkeiten und Seltenheiten zu besitzen wünschte, die
eine Zierde Eurer Schatzkammer sind. Ich wünsche Euch übrigens eine
vollkommene Gesundheit, daß Ihr niemals davon Gebrauch zu machen nötig
habt.«

Als der Prinz seine Anrede beendet hatte, ließ der Sultan ihn zu seiner
Rechten Platz nehmen und sagte dann zu ihm:

»Mein Sohn, ich bin dir für dein Geschenk großen Dank schuldig, da du
dich mir zuliebe in so große Gefahr begeben hast. Tue mir jetzt den
Gefallen, mir zu sagen, durch welche Geschicklichkeit oder durch welche
unglaubliche Kraft du dich dagegen sichergestellt hast?«

Der Prinz erzählte ihm nun alles, und als er geendet hatte, stand der
Sultan, der ihn mit den größten Freudenbezeigungen, doch innerlich mit
derselben, ja mit noch größerer Eifersucht angehört hatte, von seinem
Sitze auf und zog sich in das Innere seines Palastes zurück, wo die
Zauberin, nach welcher er sogleich geschickt hatte, vor ihn geführt
wurde.

Die Zauberin hatte bereits ein — wie sie meinte — unfehlbares Mittel
ausgedacht. Sie teilte dies Mittel dem Sultan mit, und der Sultan
zeigte es dem Prinzen Achmed mit folgenden Worten an:

»Mein Sohn, ich habe nur noch eine einzige Bitte an dich, nach dieser
will ich dann nichts mehr, weder von deinem Gehorsam, noch von deiner
Gemahlin, der Fee, verlangen; diese Bitte besteht darin, daß du mir
einen Mann herbeischaffst, der nicht über anderthalb Fuß hoch ist,
einen Bart von dreißig Fuß Länge hat, und der auf der Schulter eine
fünfhundert Pfund schwere Eisenstange trägt, die ihm als Stab dient,
und welcher reden kann.«

Prinz Achmed, welcher nicht glauben konnte, daß es auf der Welt einen
Menschen gäbe, der so wäre, wie sein Vater ihn verlangte, wollte sich
entschuldigen, doch der Sultan blieb bei seiner Forderung, mit der
Begründung, daß die Fee noch weit unglaublichere Dinge vermöge.

Den folgenden Tag, als der Prinz in das unterirdische Reich der Fee
zurückgekehrt war, teilte er derselben das neue Begehren seines Vaters
mit.

»Mein Prinz,« erwiderte die Fee, »dieser Mann ist mein Bruder Schaïbar,
welcher, obwohl er mit mir denselben Vater hat, anstatt mir zu
ähneln, von einer sehr heftigen Gemütsart ist, daß nichts imstande
ist, ihn zurückzuhalten, daß er nicht sogleich blutige Beweise seines
Rachegefühls gibt, wofern man ihm mißfällt oder ihn beleidigt. Übrigens
ist er der beste Mensch von der Welt und stets bereit, gefällig zu
sein, wo und wie man es irgend wünscht. Er ist ganz so gestaltet, wie
der Sultan, Euer Vater, ihn beschrieben hat, und trägt keine anderen
Waffen als die fünfhundert Pfund schwere Eisenstange, ohne die er
niemals ausgeht. Ich werde ihn gleich kommen lassen, und Ihr mögt dann
selbst urteilen, ob ich wahr gesprochen habe. Doch vor allen Dingen
bereitet Euch vor, daß Ihr nicht vor seiner seltsamen Figur erschreckt.«

Die Fee ließ sich in die Vorhalle ihres Palastes ein goldenes
Räucherpfännchen mit glühenden Kohlen und eine Kapsel von demselben
Metall bringen. Aus der Kapsel nahm sie wohlriechendes Räucherwerk,
und als sie es in die Räucherpfanne geworfen, stieg ein dicker Rauch
daraus empor.

Einige Augenblicke nach diesem Verfahren sagte die Fee zu dem Prinzen
Achmed: »Mein Prinz, da kommt mein Bruder, seht Ihr ihn?«

Der Prinz sah hin und erblickte Schaïbar, welcher nicht mehr als
anderthalb Fuß hoch war und mit seiner fünfhundert Pfund schweren
Eisenstange und seinem stattlichen, dreißig Fuß langen Barte, der
sich nach vorn zu aufstützte, feierlich einhergeschritten kam. Sein
verhältnismäßig dicker Knebelbart war bis zu den Ohren aufgestülpt und
bedeckte ihm fast das ganze Gesicht; seine Schweinsohren steckten tief
im Kopfe, der ungeheuer dick und mit einer nach oben spitz zulaufenden
Mütze bedeckt war; außerdem war er vorn und hinten bucklig.

Hätte der Prinz es nicht vorher erfahren, daß Schaïbar der Bruder der
Fee Pari Banu sei, hätte er ihn nicht ohne das größte Entsetzen ansehen
können. Doch durch diese Nachricht beruhigt, erwartete er ihn festen
Fußes mit der Fee und empfing ihn, ohne eine Spur von Schwäche blicken
zu lassen.

Schaïbar, der beim Näherkommen den Prinzen mit einem Blicke ansah, der
ihm das Herz im Leibe hätte in Eis verwandeln können, frug die Fee
sofort, wer der Mann da sei?

»Lieber Bruder,« erwiderte sie, »es ist mein Gemahl, sein Name ist
Achmed, und er ist der Sohn des Sultans von Indien. Der Grund, warum
ich dich nicht zu meiner Hochzeit eingeladen habe, war der, daß ich
dich nicht von deinem Kriegszuge abhalten wollte, den du damals
vorhattest, und von dem du, wie ich mit vielem Vergnügen höre, jetzt
so siegreich zurückgekehrt bist. Bloß um seinetwillen bin ich so frei
gewesen, dich rufen zu lassen.«

Bei diesen Worten sagte Schaïbar, indem er den Prinzen Achmed mit einem
freundlichen Blicke ansah, der indes sein stolzes und wildes Aussehen
nicht im geringsten milderte:

»Liebe Schwester, kann ich ihm mit irgend etwas dienen? Er darf es bloß
sagen.«

»Der Sultan, sein Vater,« erwiderte Pari Banu, »ist neugierig, dich zu
sehen; ich bitte dich also um die Gefälligkeit, dich von ihm hinführen
zu lassen.«

»Er darf bloß vorangehen,« antwortete Schaïbar, »ich bin bereit ihm zu
folgen.«

»Lieber Bruder,« erwiderte Pari Banu, »es ist wohl schon zu spät,
um noch heute diese Reise zu unternehmen, du wirst sie also wohl
gefälligst auf morgen früh verschieben. Indes, da es gut ist, daß du
von dem unterrichtet wirst, was zwischen dem Sultan von Indien und dem
Prinzen Achmed seit unserer Verheiratung vorgefallen, so werde ich dich
diesen Abend davon unterhalten.«

Am folgenden Morgen brach Schaïbar, von allem, was ihm zu wissen nötig
war, unterrichtet, sehr zeitig auf, begleitet von dem Prinzen Achmed,
der ihn dem Sultan vorstellen sollte. Sie erreichten die Hauptstadt,
und sobald Schaïbar sich am Tore zeigte, wurden alle die ihn sahen,
beim Anblick eines so scheußlichen Menschen von Entsetzen ergriffen,
und versteckten sich teils in Buden und Häusern, deren Türen sie
hinter sich zuschließen ließen, teils ergriffen sie die Flucht und
teilten allen, denen sie begegneten, dasselbe Entsetzen mit, die dann
sogleich umkehrten, ohne sich weiter umzusehen. Je weiter Schaïbar und
Prinz Achmed mit abgemessenen Schritten vorwärts kamen, je öder und
menschenleerer fanden sie alle Straßen und öffentlichen Plätze bis
zum Palaste des Sultans. Dort aber ergriffen die Pförtner, anstatt
Vorkehrungen zu treffen, daß Schaïbar nicht hereinkäme, nach allen
Seiten hin die Flucht und ließen das Tor offen stehen. Der Prinz und
Schaïbar gelangten ohne Hindernis bis an den Saal der Ratsversammlung,
wo der Sultan auf seinem Throne sitzend jedem Gehör gab, und da auch
die Türsteher beim Erscheinen Schaïbars ihren Posten im Stich ließen,
traten sie ungehindert hinein.

Schaïbar näherte sich stolz und mit erhobenem Kopfe dem Throne, und
ohne erst zu warten, bis Prinz Achmed ihn vorstellte, redete er den
Sultan von Indien mit folgenden Worten an: »Du hast mich zu sehen
verlangt; hier bin ich. Was willst du von mir?«

Der Sultan hielt sich, anstatt zu antworten, die Hände vor die Augen,
und wandte das Gesicht seitwärts, um eine so fürchterliche Gestalt
nicht ansehen zu müssen. Schaïbar, voll Unwillen darüber, daß man
ihn erst herbemüht habe, und ihn nun auf eine so unhöfliche und
beleidigende Weise empfing, hob seine Eisenstange empor, und mit den
Worten: »So rede doch!« ließ er sie ihm auf den Kopf herabfallen, und
schlug ihn tot, ehe noch der Prinz Achmed daran denken konnte, für
ihn um Gnade zu bitten. Er vermochte nichts weiter zu tun, als zu
verhindern, daß er nicht auch den Großwesir totschlug, der nicht weit
von der Rechten des Sultans entfernt war, indem er ihm vorstellte, daß
er mit den guten Ratschlägen, welche derselbe seinem Vater gegeben,
nicht anders als zufrieden sein könne.

»Diese beiden also sind es,« sagte Schaïbar, »die ihm immer so
schlechte Anschläge eingegeben.«

Mit diesen Worten schlug er die andern Wesire zur Linken und Rechten
tot, die sämtlich Günstlinge und Schmeichler des Sultans und Feinde
des Prinzen Achmed waren. So viel Schläge, so viel Leichen gab es, und
nur diejenigen entkamen, deren Schrecken nicht so groß war, daß er sie
regungslos gemacht und sie gehindert hätte, ihr Heil in der Flucht zu
suchen.

Als das schreckliche Gemetzel zu Ende war, ging Schaïbar aus dem
Versammlungssaale heraus, und als er mit seiner Eisenstange auf der
Schulter mitten in den Hof gekommen war, sah er den Großwesir an, der
den Prinzen Achmed, seinen Lebensretter, begleitete und sagte:

»Ich weiß, daß es hier auch noch eine Zauberin gibt, die eine weit
ärgere Feindin des Prinzen, meines Schwagers, ist als die unwürdigen
Günstlinge, die ich soeben bestraft habe. Ich will, daß man diese
Zauberin vor mich führe.«

Der Großwesir ließ sie holen, und man brachte sie geführt. Schaïbar
schlug sie mit der Eisenstange und sagte:

»Ich will dich lehren, verderbliche Ratschläge zu geben und die Kranke
zu spielen.« Die Zauberin blieb auf der Stelle tot.

»Aber das ist noch nicht genug,« fügte Schaïbar hinzu, »sondern ich
werde jetzt auch noch die ganze Stadt totschlagen, wenn sie nicht
augenblicklich den Prinzen Achmed, meinen Schwager, für den Sultan von
Indien anerkennt.«

Sogleich ließen alle, die zugegen waren und diesen Urteilsspruch
vernahmen, die Luft von dem lauten Ausruf ertönen: »Es lebe der Sultan
Achmed!«

In kurzer Zeit hallte die ganze Stadt von diesem Ruf und Ausruf wieder.
Schaïbar ließ ihm das Kleid des Sultans von Indien anlegen und setzte
ihn feierlich auf den Thron, und nachdem er ihm hatte huldigen lassen,
ging er und holte seine Schwester Pari Banu, führte sie mit großem Pomp
ein und ließ sie ebenfalls für die Sultanin von Indien erklären.

Was den Prinzen Aly und die Prinzessin Nurunnihar betrifft, die an
der Verschwörung gegen den Prinzen Achmed, die soeben gesühnt worden,
keinen Teil, ja nicht einmal die geringste Kenntnis davon gehabt
hatten, wies ihnen der Prinz Achmed ein bedeutendes Jahresgehalt
nebst einer Hauptstadt an, um darin ihre Lebenstage zuzubringen. Auch
schickte er einen seiner Diener an seinen älteren Bruder, den Prinzen
Hussain, ab, um ihm die eingetretene Veränderung anzuzeigen und ihm das
Anerbieten zu machen, er möge sich im ganzen Reiche irgendeine Provinz
nach Belieben auswählen, um sie als sein Eigentum in Besitz zu nehmen.
Doch der Prinz Hussain fühlte sich in seiner Einsamkeit so glücklich,
daß er den Abgesandten auftrug, seinem jüngeren Bruder, dem Sultan,
in seinem Namen herzlich für die Gefälligkeit zu danken, die er ihm
zugedacht, ihn seiner Unterwürfigkeit zu versichern und ihm anzuzeigen,
daß er sich die einzige Gnade ausbäte, ihm zu erlauben, daß er hinfort
in seiner selbstgewählten Zurückgezogenheit verbleiben könne.




         DIE GESCHICHTE VON ALI BABA UND DEN VIERZIG RÄUBERN,
                DIE DURCH EINE SKLAVIN UMS LEBEN KAMEN


In alten Zeiten lebten in einer Stadt Persiens zwei Brüder; der eine
hieß Casim und der andere Ali Baba. Ihr Vater hatte ihnen nur wenig
Vermögen hinterlassen, und da sie es zu gleichen Hälften untereinander
geteilt hatten, so sollte man meinen, daß ihre äußere Lage ziemlich
gleich gewesen sein müßte; aber der Zufall fügte es anders. Casim
heiratete die Tochter eines Kaufmanns, die nach dem Tode ihres Vaters
einen Laden mit vielen Waren erbte, ein wohlgefülltes Lager und viele
seltene Teppiche und Tücher; daher gehörte Casim bald zu den reichsten
Leuten in der ganzen Stadt. Ali Baba aber nahm eine Frau, die sehr
arm war, so daß er sehr dürftig in einer engen Hütte lebte und seinen
Lebensunterhalt damit verdienen mußte, in einem nahen Walde Bäume zu
fällen, die er auf drei Esel lud und in der Stadt zum Verkaufe ausbot.

Eines Tages war Ali Baba wieder im Walde und hatte soviele Äste
gebrochen, daß er die Esel, sein einziges Besitztum, damit voll laden
konnte — da erblickte er auf einmal in der Ferne eine mächtige
Staubwolke, die hoch emporwirbelte und sich ihm näherte. Er sah
aufmerksam und genau nach ihr hin und entdeckte bald, daß es eine
Reiterschar war, die rasch und scharf auf ihn zukam. Da Ali Baba
fürchtete, die Reiter könnten etwa Räuber sein, die ihn ermorden
wollten, trieb er seine Esel in ein Gebüsch, um sie ihrem Schicksale zu
überlassen, und erkletterte darauf einen starken, alten Baum, dessen
Äste so dichtes Laub trugen, daß er sich bequem darin zu verstecken
vermochte. So sah er alles, was unter ihm vorging, während ihn keiner
von unten erspähen konnte. Der Baum aber stand an einem schroffen
Felsen, der seine Äste überragte und so groß war, daß man ihn auf
keiner Seite zu ersteigen vermochte.

Die Reiter, junge und stattliche Männer, die wohlbewaffnet waren,
führten ihre Pferde dicht unter den Felsen und saßen dort ab. Ali
Baba zählte, daß es ihrer vierzig waren und erkannte aus ihren
Gesichtern und ihrem Gebaren, daß es wirklich Räuber waren, die hier
wahrscheinlich ihre Beute in Sicherheit bringen wollten. Jeder von
ihnen schirrte sein Roß ab, band es an einen Baum und warf ihm einen
Sack voll Gerste vor. Dann nahmen sie ihre Reisetaschen ab, und Ali
Baba sah, daß sie schwer von Gold und Silber waren. Der kräftigste und
stattlichste von ihnen, der ihr Hauptmann zu sein schien, legte seine
Satteltasche auf die Schulter, näherte sich dem Felsen, der dicht an
dem Baume stand, auf den Ali Baba hinaufgeklettert war, bahnte sich
den Weg durch Sträucher und Dornen und sprach die wundersamen Worte:
»Sesam, öffne dich!« Sofort tat sich eine große Türe auf, durch welche
alle Räuber in den Felsen hineingingen; der Hauptmann trat zuletzt
ein, und das Tor schloß sich hinter ihm von selbst. Lange Zeit blieb
die Bande in der Höhle, und Ali Baba mußte notgedrungen oben auf dem
Baume hocken und warten; denn er hatte Angst, hinabzuspringen, weil
vielleicht gerade einige der Räuber zurückkehren, ihn fangen und töten
könnten. Seine Gedanken gingen schließlich so weit, daß er beschloß,
sich eines der Pferde zu bemächtigen, seine Esel vor sich her zu
treiben und so rasch wie möglich nach Hause zu reiten — da öffnete
sich das Tor wieder, der Hauptmann trat heraus, zählte seine Leute,
die er an sich vorbeiziehen ließ, und sprach zuletzt die Zauberworte:
»Sesam, schließe dich!« worauf sich die Tür wieder von selber zutat.
Dann nahm jeder sein Pferd, zäumte es, band die leere Satteltasche
darauf, und alsbald ritten sie hastig denselben Weg zurück, auf dem sie
gekommen waren.

Ali Baba wagte noch nicht, von seinem Aste herabzusteigen, bis sie
alle seinen Blicken entschwunden waren. »Einer von ihnen könnte etwas
vergessen haben,« dachte er, »dann wird er zurückkehren, mich hier
entdecken, und ich wäre trotzdem verloren.« Dann aber ließ er sich auf
den Boden herab, blickte um sich, und als er alles leer fand, sagte er
zu sich: »Ich habe mir die Worte wohl gemerkt, die der Räuberhauptmann
vorhin gesprochen hat, und will sehen, ob sie bei mir dieselbe
Wirkung haben und ob sich auf meinen Befehl ebenfalls das Tor öffnen
und schließen wird.« Er kroch also durch das Gebüsch, entdeckte die
verborgene Türe, stellte sich davor und rief mit lauter Stimme: »Sesam,
öffne dich!« Kaum hatte er diese Worte gesprochen, da sprang die Türe
angelweit auf, und er konnte eintreten. Wie erstaunte er, als er statt
einer finstern und engen Höhle eine weite und geräumige Wölbung fand,
die so hoch wie ein Mensch war und von oben durch runde Fenster in
der Decke erleuchtet wurde. Da sah er viele Warenballen und köstliche
Seidenstoffe, Brokat, bunte Teppiche und viel Mundvorrat. Besonders
aber verwunderte er sich über eine unermeßliche Menge von Gold und
Silber, das teils auf dem Boden in Haufen aufgeschüttet, teils in
ledernen Beuteln und Säcken wohlverwahrt lag. Als er diese unzählbaren
Schätze erblickte, erkannte Ali Baba sofort, daß diese Höhle nicht erst
seit ein paar Jahren, sondern schon seit Jahrhunderten den Dieben als
Zufluchtsort und als Speicher für ihren Raub gedient haben mußte. Er
ging mutig vorwärts, und sofort schloß sich die Türe hinter ihm; doch
er fürchtete sich nicht, denn er hatte das Zauberwort nicht vergessen
und wußte, wie er sich wieder ins Freie retten konnte. Der Teppiche
und Silbermünzen achtete er wenig, sondern machte sich sofort an die
Beutel, in denen das gemünzte Gold lag. Er nahm so viele, als er tragen
und seinen drei Eseln glaubte aufladen zu können. Er trieb sie wieder
zusammen, packte ihnen die Säcke auf und legte Holz und Reisig darüber,
um seinen Raub gut zu verbergen. Dann stellte er sich vor die Türe,
rief: »Sesam, schließe dich!« und alsbald schloß sich der Felsen wieder
von selbst; denn jedesmal, wenn einer die Höhle betrat, ging die Türe
von selber zu, wenn er aber hinausging, blieb sie so lange offen, bis
das Zauberwort gesprochen war.

Ali Baba trieb seine Esel schnell in die Stadt zurück, und als er vor
seinem Hause anlangte, führte er sie in den kleinen Hof hinein. Er
schloß die Türe sorgfältig hinter sich zu, lud dann das Reisig ab, mit
dem er seinen Schatz verdeckt hatte, nahm die Säcke herunter, trug
sie ins Haus und legte sie vor seinem Weibe auf den Tisch. Seine Frau
betrachtete die Beutel, wog sie in der Hand, und als sie fühlte, daß
Münzen darin waren, glaubte sie, Ali Baba habe das Geld geraubt. Sie
schalt ihn aus und rief: »Du solltest nicht so gottlos und sündhaft
handeln!« Ihr Mann aber unterbrach sie und sagte: »Tadele mich nicht,
liebes Weib, und sei außer Sorge; ich bin kein Räuber, aber ich habe
dieses Geld Räubern abgenommen. Freue dich über unser Glück, und
höre, was mir begegnet ist.« Er schüttete die Säcke aus und legte das
Gold auf einen Haufen zusammen, so daß seine Frau von dem Glanze ganz
geblendet wurde; dann erzählte er ihr sein Abenteuer von Anfang bis zu
Ende und befahl ihr besonders, die Sache wohl geheimzuhalten. Die Frau
aber, die vor Freude und Erstaunen wie verwirrt war, begann den ganzen
Geldhaufen, Stück für Stück, zu mustern. Ali Baba wurde ungeduldig und
rief: »Törichtes Weib, was fällt dir ein? Du kannst ja eine Woche lang
diese Münzen wenden und zählen! Ich will lieber hinausgehen und ein
Loch graben, damit wir unsern Schatz darin verstecken können; laß uns
nicht zaudern und warten.« Antwortete das Weib: »Du hast recht; doch
möchte ich gern wissen, wieviel dieser Schatz wert ist. Darum will ich
bei einer Nachbarin ein Maß borgen und ihn damit messen.« — »Liebe
Frau,« entgegnete Ali Baba, »ich rate dir, davon abzulassen. Tue aber,
was du willst, doch achte darauf, daß du das Geheimnis gut bewahrst und
verschwiegen hältst.«

Sofort eilte sie zu ihrem Schwager Casim, der in der Nähe wohnte.
Er war nicht daheim und darum bat sie sein Weib, ihr auf kurze Zeit
ein Maß zu borgen. Die Schwägerin fragte: »Willst du ein großes
oder ein kleines?« und sie entgegnete: »Gib mir ein kleines.« Die
Schwägerin sagte: »Ich will dir gern den Gefallen erweisen; warte
einen Augenblick, damit ich das verlangte holen kann.« Mit diesen
Worten ging Casims Frau hinaus, holte das Maß und bestrich den Boden
heimlich mit etwas Teig und Wachs, denn sie kannte Ali Babas Armut und
war begierig zu erfahren, was seine Frau in dem Gefäße messen wollte.
Dann brachte sie das Maß und entschuldigte sich, daß sie solange
ausgeblieben wäre, sie habe es aber nicht sogleich finden können. Ali
Babas Frau dankte und ging nichtsahnend nach Hause, stellte das Maß
auf den Tisch und begann, es mit dem Golde zu füllen und dann auf
dem Fußboden auszuleeren. Als sie damit fertig war, freute sie sich
sehr über ihren großen Schatz, trug die Münzen hinaus in den Garten
und verbarg sie in der Grube, die ihr Mann soeben vollendet hatte.
Während er das Geld sorgfältig mit Erde bedeckte, trug seine Frau
ihrer Schwägerin das Gefäß zurück, ohne zu merken, daß außen am Boden
ein Goldstück kleben geblieben war. »Liebe Schwägerin,« sagte sie,
»hier gebe ich dir dein Maß zurück; ich bin dir sehr dankbar dafür und
hoffe, daß ich es nicht zu lange behalten habe.« Sofort betrachtete
Casims Frau das Maß und untersuchte es genau; wie erstaunte sie, als
sie am Boden das Geldstück entdeckte! Neid und Wut erfüllten ihr Herz,
und sie sprach zu sich selber: »Wie geht das zu? Ohne Zweifel hat Ali
Baba Gold gemessen; aber woher mag er es genommen haben?« Sie konnte
kaum die Zeit erwarten, bis Casim zurückkehrte, der tagsüber in seinem
Laden war und erst abends wieder nach Hause kam. Kaum war er ins
Zimmer getreten, da lief ihm seine Frau entgegen, zog ihn sogleich am
Arme herein, stellte sich vor ihn hin und sagte mit zornfunkelnden
Augen: »Du glaubst, ein wohlhabender Mann zu sein; aber du irrst dich,
denn Ali Baba, dein Bruder, ist tausendmal reicher als du! Er hat eine
solche Menge Geldes, daß er es nicht mehr zählen kann, sondern messen
muß.« Casim war sehr erstaunt über diese Nachricht und bat um genauern
Bescheid; sie erzählte ihm nun, wie sie Ali Babas Frau hintergangen
habe und zeigte ihm das Goldstück, das am Boden haften geblieben und so
alt war, daß es die Inschrift und das Bild eines Königs trug, der ihnen
völlig unbekannt war.

  [Illustration: Sobald er hereinkam, begann sie, ihn zu verspotten.]

Casim wurde von Neid und Habgier ergriffen und konnte die ganze Nacht
keinen Schlaf finden; andern Tages aber, schon früh am Morgen, machte
er sich auf und ging zu seinem Bruder, den er seit langer Zeit weder
gesehen, noch gesprochen hatte; denn Casim war stolz und hochmütig
geworden, seitdem er die reiche Frau geheiratet hatte. Er sagte: »Höre,
Ali Baba, du spielst den Notleidenden und Bedürftigen und gibst dir
den Anschein, ein Bettler zu sein; aber in Wahrheit bist du so reich,
daß du dein Gold in Maßen messen mußt.« Ali Baba tat sehr verwundert
und sagte: »Ich weiß nicht, was du meinst; sprich deutlicher, denn
ich verstehe dich nicht.« Da wurde Casim zornig und sagte mit
wütender Stimme: »Glaubst du, mich täuschen zu können? Sieh hier das
Goldstück, das meine Frau an dem Maße gefunden hat; wieviel hast du
davon?« Bei diesen Worten erschrak Ali Baba, denn er sah ein, daß
durch den Starrsinn seiner Frau Casim und sein Weib bereits um sein
Geheimnis wußten; da nun der Fehler nicht wieder gutzumachen war und
er Verdruß und Unheil fürchtete, erzählte Ali Baba seinem Bruder die
ganze Geschichte, wie er durch Zufall den Schlupfwinkel der Banditen
und den Schatz darin entdeckt habe; er war sogar bereit, sein Gold zu
teilen, wenn Casim nur nichts verlauten lassen und das Geheimnis gut
hüten wollte. »Ich muß alles wissen,« sagte Casim trotzig, »beschreibe
mir den Ort genau, wo der Schatz verborgen liegt, und nenne mir das
Zauberwort, das ich sprechen muß; wenn du mir aber nicht alles der
Wahrheit gemäß gestehst, so werde ich dich beim Richter anzeigen. Dann
wirst du deines Schatzes verlustig gehen und Schande auf dich laden;
und ich werde für meine Anzeige eine gute Belohnung erhalten.« Ali Baba
fürchtete sich keineswegs vor der frechen Rede seines Bruders, aber aus
Gutmütigkeit erzählte er ihm alles, was er verlangte, und nannte ihm
auch die Zauberformel, durch die er in den Felsen hinein und wieder
hinaus gelangen konnte.

Kaum hatte Casim alles erfahren, so eilte er nach Hause, denn er wollte
seinem Bruder zuvorkommen und den herrlichen Schatz für sich allein
behalten. Als die ersten Strahlen des Morgens leuchteten, brach er
auf und trieb zehn Maulesel vor sich her, die er mit großen Kisten
bepackt hatte; denn er gedachte, so viel von dem Golde nach Hause zu
schleppen, als ihm irgend möglich war, und vielleicht noch einmal zu
der Höhle zu gehen, um auch das Übrige mitzunehmen. Er wählte den Weg,
den Ali Baba ihm angewiesen hatte, und gelangte bald an den Felsen;
er erkannte ihn an dem Baume, in dem Ali Baba sich vor den Räubern
versteckt hatte. Sogleich entdeckte er auch die Türe und rief mit
freudiger Stimme: »Sesam, öffne dich!« Alsbald sprang das Tor weit
auf, er trat ein in die Grotte und sah in hellem Erstaunen, daß weit
mehr Juwelen und Reichtümer darin angehäuft waren, als er vermutet
hatte. Kaum hatte er die Höhle betreten, als sich der Felsen von selbst
hinter ihm schloß. Sprachlos wanderte er umher; bestaunte und betastete
die unermeßlichen Schätze, die er gern den ganzen Tag lang bewundert
hätte, wenn ihm nicht eingefallen wäre, daß seine zehn Maultiere mit
den Kisten warteten, um die gefüllten Beutel nach Hause zu tragen. Er
nahm also so viele Säcke, als er schleppen konnte, und ging damit auf
den Eingang zu, um sie draußen den Eseln aufzubürden; aber über allem
Staunen und Erraffen war ihm gerade das entfallen, was für ihn am
bedeutungsvollsten war; er hatte das Zauberwort vergessen, und rief:
»Gerste, öffne dich!« Aber wie bestürzt und erschrocken war er, als
die Türe seinem Rufe nicht gehorchte, sondern verschlossen blieb! In
seiner Angst rief er alle Getreidenamen, die ihm gerade einfielen, nur
nicht den richtigen, der seinem Gedächtnis entschwunden war — aber die
Höhle blieb nach wie vor verschlossen. Bestürzung und Angst beschlichen
wachsend seine Seele, und je mehr er rief und schrie, desto verwirrter
und ratloser wurde er; das Wort »Sesam« war seiner Erinnerung
so entschlüpft, als hätte er es niemals nennen hören. Er rannte
verzweiflungsvoll in der Höhle auf und nieder, nach vorn und zurück,
und warf die Säcke zornig auf die Erde, denn all die Schätze, die ihn
vorher mit Gier und neidischer Freude erfüllt hatten, waren jetzt
nutzlos und bereiteten ihm Schmerz und Furcht. Hoffnungslos setzte er
sich auf eine der Kisten, die mit wertvollen Teppichen vollgepackt war,
raufte sich die Haare und versank in tiefes, dumpfes Brüten. So wollen
wir Casim verlassen, denn unseres Mitleids ist er nicht würdig.

Gegen Mittag kamen die Räuber durch den Wald auf den Felsen zugeritten
und erblickten schon von ferne die mit Kisten bepackten Maulesel,
die ungefesselt im Walde grasten und weideten. Bestürzt über diesen
Anblick sprengten die Räuber näher, trieben die Tiere auseinander
und achteten ihrer nicht weiter, denn ihre erste Sorge war, den
Besitzer aufzufinden. Sie schlichen sich also um den Felsen herum und
suchten alle Gebüsche ab, spähten auf alle Bäume, aber vergebens. Der
Hauptmann schwang sich vom Pferde, zog den Säbel, trat auf die Türe
zu und sprach das Zauberwort. — Casim hatte von drinnen das Getrappel
und Stampfen der Pferde gehört und ahnte, daß es die Banditen seien,
welche neue Beute bringen wollten. In seiner Angst stellte er sich
dicht vor die Türe, denn er hatte beschlossen, den letzten Versuch zu
seiner Rettung zu wagen, ehe er dem sichern Tode anheimfiele. Als sich
der Felsen auftat, stürzte er hastig hinaus und prallte so ungestüm
gegen den Hauptmann, daß er ihn heftig zu Boden warf. Aber sofort
ergriffen ihn die übrigen Räuber, packten ihn, warfen ihn nieder und
schlugen ihm auf der Stelle mit dem Säbel den Kopf entzwei. Dann
stürmten sie in die Höhle hinein und fanden die Säcke, die Casim am
Tore hingeworfen hatte; sie legten alles wieder an die vorige Stelle
zurück, achteten aber nicht darauf, daß noch andere Beutel fehlten,
die Ali Baba vorher weggetragen hatte, denn sie waren sehr bestürzt
und verwundert. Sie dachten nun darüber nach, wie der Fremde wohl in
die Höhle gekommen wäre; durch die Fenster an der oberen Wand, durch
welche das Licht des Tages schimmerte, hatte er unmöglich einsteigen
können, denn der Felsen war zu glatt und hoch; sie verstanden aber auch
nicht, wie Casim durch das Tor hatte hereinkommen können, denn nur sie
allein kannten die Zauberformel, um es zu öffnen. Sie wußten ja nicht,
daß Ali Baba sie auf dem Baume belauscht hatte. Um aber künftighin vor
Spähern sicher zu sein, vierteilten sie den Leichnam Casims und hingen
die Stücke zu beiden Seiten des Tores auf, zwei zur rechten, zwei zur
linken, damit ein jeder abgeschreckt und gewarnt würde, der etwa in
die Grotte einzudringen wagte. Sie kamen überein, nicht eher an diesen
Ort zurückzukommen, bis sich der Leichengeruch verflüchtigt hätte,
schlossen das Tor wieder, bestiegen ihre Rosse und ritten durch den
Wald der Straße zu, um neue Karawanen abzufangen und auszuplündern.

Als nun die dunkle Nacht kam und Casim nicht nach Hause zurückkehrte,
ängstigte sich sein Weib und wurde unruhig. Sie lief zu Ali Baba und
sagte: »Weißt du, lieber Schwager, wohin dein Bruder gegangen ist? Es
ist bereits finster, und er ist noch nicht wieder daheim; ich fürchte
sehr, daß ihm draußen im Walde irgendein Unglück widerfahren ist.« Ali
Baba war an diesem Tage nicht fortgegangen, weil er erriet, daß sein
neidischer Bruder schleunigst die Höhle aufsuchen würde; er vermutete
wohl, daß Casim irgendein Unheil zugestoßen sei, blieb aber äußerlich
heiter und ruhig, tröstete seine Schwägerin, so gut er es vermochte,
und sagte ihr, daß ihr Mann vielleicht mit Absicht erst spät und auf
Umwegen in die Stadt zurückkehre, um seinen Raub geheimzuhalten.
Casims Frau ging nach Hause zurück und wartete, bis die Mitternacht
verstrichen war; aber ihre Sorge und Angst wuchsen, da der Vermißte
noch immer ausblieb; sie wagte nicht zu schreien und laut zu weinen,
damit nicht eine der Nachbarinnen ihr Geheimnis erführe. Sie bereute
sehr ihren Neid und ihre Neugierde und verwünschte ihre Eifersucht, die
sie dazu getrieben hatte, sich in fremde Angelegenheiten zu mischen.
Als der Tag anbrach, lief sie zu Ali Baba und bat ihn unter heißen
Tränen, seinen Bruder im Walde zu suchen.

Mit drei Mauleseln machte sich Ali Baba auf den Weg und ging hinaus
in den Wald, nachdem er seiner Schwägerin zugeredet und sie mit
freundlichen Worten besänftigt hatte. Als er nun zu dem Felsen kam,
staunte er sehr darüber, als er die frischen roten Blutspuren am
Eingang entdeckte, und ahnte sofort Unheil. Er blickte um sich, aber
auch die Maultiere des Bruders waren nirgends zu sehen. Er trat nun
vor die Türe, sprach die Zauberformel und ging hinein. Wie erschrak er
aber, als er in der Höhle den gevierteilten Leichnam seines Bruders
hängen sah, zwei Teile zur rechten und zwei zur linken! Vor Staunen und
Schmerz blieb er lange reglos stehen; dann aber beschloß er, seinem
Bruder die letzten Ehren zu erweisen, nahm aus den Warenballen einige
kostbare Tücher, hüllte die vier Teile seines Bruders hinein und lud
alles einem seiner Tiere auf. Darüber aber legte er Reisig und Holz,
damit niemand Argwohn schöpfen sollte. Dann bepackte er die beiden
anderen Esel mit Goldsäcken, die er ebenfalls unter Reisig versteckte,
schloß das Tor wieder mit der Zauberformel und zog ohne Umstände nach
Hause zurück. Als er mit Anbruch der Nacht die Stadt erreichte, übergab
er die zwei mit Gold beladenen Esel seinem Weibe und befahl ihr, den
Schatz schleunigst zu vergraben. Mit dem andern Tiere aber, auf welchem
Casims Leiche lag, ging er zu dem Hause seiner Schwägerin. Er klopfte
vorsichtig an das Tor, und alsbald öffnete ihm Casims Sklavin Morgiana,
ein kluges und verständiges Mädchen; sie schob leise den Riegel
zurück, führte Ali Baba in den Hof und lud das Holz ab, nebst den
eingehüllten Leichenteilen. Dann sprach Ali Baba leise zu ihr: »Höre,
Morgiana, was ich dir jetzt sage. In diesen beiden Teppichen liegt der
Leichnam deines Herrn; wir müssen sogleich die Bräuche zur Beerdigung
vollziehen, als ob er eines natürlichen Todes gestorben wäre. Vor allem
aber sei verschwiegen, denn das Geheimnis ist sehr wichtig und könnte
deiner Herrin Unglück zuziehen. Jetzt führe mich hinein, damit ich
mit deiner Gebieterin reden kann.« Ali Baba trat in das Gemach seiner
Schwägerin, die ihm verstört und ungeduldig entgegenkam. »Gewiß bringst
du mir schlechte Nachrichten von meinem Manne,« rief sie, »denn dein
Gesicht ist umdüstert und kündet mir nichts Gutes.« Ali Baba erwiderte:
»Nicht eher kann ich dir etwas erzählen, als bis du mir gelobst, kein
Wort laut werden zu lassen über das, was nun einmal geschehen ist; für
dich und für mich geziemt es sich gleichermaßen, Verschwiegenheit zu
bewahren.« Bei diesen Worten weinte die Schwägerin und versetzte: »Nun
weiß ich, daß mein Gatte nicht mehr unter den Lebenden weilt; aber ich
erkenne, daß Verschwiegenheit nötig ist und gebe dir das Versprechen,
das du von mir forderst.« Hierauf erzählte Ali Baba, was sich mit Casim
zugetragen hatte und fügte noch hinzu: »Was Allah bestimmt hat, müssen
wir ruhig hinnehmen. Hab' Geduld, und betrübe dich nicht allzusehr,
denn das Unglück ist unabänderlich! Wenn du aber deinen Gatten nach
Gebühr betrauert hast, so will ich dich gern zum Weibe nehmen, wenn dir
das einen Trost geben kann; du brauchst nicht zu fürchten, daß meine
erste Gattin dich durch Eifersucht quälen wird, denn sie ist freundlich
und wird dir gewiß mit Zärtlichkeit entgegenkommen. Vor allem aber
müssen wir jetzt darauf halten, daß die Leiche meines Bruders verbrannt
werde, als ob er eines natürlichen Todes gestorben wäre; überlaß nur
alles deiner Sklavin Morgiana, ich werde mit ihr beraten, was zu tun
ist.« Casims Witwe war gern bereit, auf Ali Babas Vorschlag einzugehen,
denn außer dem Vermögen, das sie von ihrem ersten Mann ererbte, erhielt
sie ja noch einen sehr reichen Mann; sie trocknete ihre Augen, tröstete
sich rasch und entließ ihren Schwager mit der Versicherung, daß sie
sein Anerbieten nicht ausschlagen würde. Der aber setzte sich auf
seinen Esel und ritt gemächlich seiner Wohnung zu.

[Illustration: Mustapha zweifelte stark an seiner Fähigkeit, sich keine
                          Fragen zu stellen.]

Als Ali Baba das Haus verlassen hatte, eilte Morgiana hinüber in den
Laden eines Apothekers; sie klopfte bei ihm an und verlangte eine
gewisse Arzenei, die man bei den gefährlichsten Krankheiten anwendete.
Er gab ihr, was sie verlangte, und fragte sie: »Wer ist denn im Hause
deines Herrn so krank, daß ihr dieses seltenen Heilmittels bedürft?«
Sie erwiderte mit betrübter Stimme: »Ach, ach, mein armer Herr Casim
selbst liegt danieder! Er ißt und trinkt nichts und spricht seit
einigen Tagen kein Wort mehr, so daß wir fürchten, daß es mit ihm zu
Ende geht.« Damit nahm sie die Arzenei, die dem toten Casim nichts
mehr nützen konnte, und ging. Am nächsten Morgen trat Morgiana wieder
bei dem Kräuterhändler ein, weinte und seufzte sehr und verlangte
einen noch kräftigem Saft, den man den Kranken nur in der letzten Not
einzugeben pflegte, damit der Sterbende schmerzlos entschlafen sollte.
»Ach, ach!« rief sie, »mein armer Herr, mein guter Herr! Er wird gewiß
nicht mehr die Kraft haben, die Arzenei zu trinken, und ich fürchte,
sie wird ebensowenig nützen, wie die gestrige.« Den ganzen Tag über
gingen Ali Baba und seine Frau mit betrübten und klagenden Gesichtern
umher und warteten schon darauf, daß das Jammern der Schwägerin
und ihrer Sklavin ihnen das Zeichen geben sollte, Casims Begräbnis
ehrenvoll und feierlich zu begehen.

Am Morgen des zweiten Tages lief Morgiana zu der Bude eines alten
Schusters, der seinen Laden stets sehr früh, vor den anderen öffnete,
grüßte ihn freundlich und drückte ihm ein Geldstück in die Hand. Der
Schuhflicker, der in der ganzen Stadt Baba Mustapha genannt wurde,
war ein fröhlicher und lustiger Geselle, wendete die Münze hin und
her, weil es noch etwas dämmerig war, und sagte dann: »Schönen Dank,
mein Fräulein! Das ist ja ein gutes Handgeld! Was steht zu Diensten?«
Morgiana sagte: »Lieber Baba Mustapha, mache dich auf und folge mir;
nimm auch alles Handwerkszeug mit, das du zum Flicken brauchst. Du mußt
dir aber die Augen verbinden lassen, bis wir an dem Orte angekommen
sind, wohin ich dich jetzt führen werde.« — »Ach nein, lieber nicht,«
wehrte Baba Mustapha ab, »gewiß forderst du etwas, was gegen das Gesetz
oder gegen mein Gewissen verstößt! Laß mich lieber hier in meinem
Laden bleiben.« Morgiana gab ihm ein zweites Goldstück, beruhigte ihn
und sagte: »Wie kannst du so etwas von mir glauben? Ich werde nichts
verlangen, was du nicht in allen Ehren vollbringen dürftest. Hab'
keine Angst und folge mir getrost.« Baba Mustapha weigerte sich noch
ein wenig, dann aber ließ er sich ein Tuch um die Augen binden, nahm
Morgianas Hand und ließ sich von ihr bis zu dem Hause Casims führen;
als sie in dem Zimmer angelangt waren, in welchem der Leichnam lag,
nahm ihm Morgiana die Binde von der Stirn und sagte: »Baba Mustapha, du
sollst die vier Stücke dieses Toten zusammennähen; eile dich mit der
Arbeit; wenn du dein Werk getan hast, werde ich dir noch ein Goldstück
geben.« Baba Mustapha tat, wie sie ihm gesagt hatte, und als er fertig
war, bekam er die versprochene Münze. Dann ließ er sich wieder die
Augen verbinden und eine Strecke Weges begleiten. Als ihm Morgiana das
Tuch abgenommen hatte, hieß sie ihn nach Hause gehen und verfolgte ihn
mit ihren Augen, bis er verschwunden war; denn sie fürchtete, er könnte
etwa umwenden und ihr heimlich nachgehen.

Als Morgiana nach Hause zurückkam, bereitete sie warmes Wasser, um
den Leichnam zu waschen, und Ali Baba, der zu gleicher Zeit mit ihr
eingetreten war, half ihr dabei, salbte und beräucherte ihn und hüllte
ihn dann in das Leichentuch. Bald kam auch der Schreiner und brachte
den Sarg, den Morgiana an der Türe abnahm; sie legten den Leichnam
hinein und stellten ihn feierlich in dem Zimmer auf. Dann gingen sie
in die Moschee und meldeten, daß alles zum Begräbnis fertig wäre. Sie
sagten, daß die Leiche bereits gewaschen sei und die Dienste der dazu
bestimmten Leute also unnötig wären. Kurze Zeit darauf kam der Imam
mit seinen Dienern, vier Nachbarn hoben den Sarg auf die Schultern
und trugen ihn hinter dem Imam und den übrigen Trauernden, indem sie
fortwährend Gebete sprachen, bis sie an den Begräbnisplatz kamen.
Morgiana ging barhäuptig, jammernd und weinend vor dem Sarge, schlug
sich die Brust und raufte sich die Haare. Ali Baba und die Nachbarn,
die von Zeit zu Zeit die Sargträger ablösten, schritten hinter ihr her.
Casims Frau war zu Hause geblieben und erhob mit den Nachbarinnen ein
großes Wehegeschrei, so daß das ganze Stadtviertel von ihren Klagen
widerhallte. So blieb Casims Tod verborgen, und niemand, außer Ali
Baba, dessen Frau, Morgiana und Casims Witwe, wußte etwas von dem
Geheimnis. — Wenige Tage nach dem Begräbnis brachte Ali Baba seinen
Hausrat und das Geld, welches er aus der Räuberhöhle gestohlen hatte,
zur Nachtzeit in das Haus von Casims Witwe, wo er fortan zu leben
gedachte. Damit vollzog er seine öffentliche Vermählung mit der Witwe
seines Bruders, über die niemand irgendwelche Verwunderung oder Argwohn
hegte. Casims Laden aber mußte Ali Babas Sohn übernehmen, der bei einem
reichen Kaufmann in die Lehre gegangen war und sich ein tüchtiges
Wissen angeeignet hatte; er sollte den Handel weiterhin betreiben
und später, wenn er seine Geschäfte gut und erfolgreich führte, eine
vermögende Frau erhalten. —

Was nun die vierzig Räuber anbetrifft, so kehrten sie nach einer
bestimmten Frist wieder in die Höhle zurück und waren höchst
verwundert, als sie keine Spur mehr von Casims Leiche fanden und auch
bemerkten, daß eine Menge von den schweren Goldsäcken fortgetragen
worden war. Sie sagten untereinander: »Wehe, wir sind verraten! Wir
müssen jetzt die Sache genau untersuchen und auf der Hut sein, sonst
werden wir allmählich den ganzen Schatz verlieren, den unsere Väter und
wir selbst in vielen Jahren, unter so großen Gefahren und Beschwerden,
hier angesammelt haben.« Der Hauptmann sprach: »Sicherlich wußte der
Dieb, den wir in der Höhle erschlugen, das Zauberwort, durch das sich
die Türe auftut, aber noch ein anderer muß Kenntnis davon haben, denn
wer sollte sonst den Leichnam des Ermordeten weggetragen haben? Auch
sind viele Beutel fortgeschleppt worden, so daß unsere Reichtümer
sehr zusammengeschmolzen sind. Wir haben den ersten Dieb gefangen und
getötet, nun wollen wir überlegen, wie wir auch den andern finden und
aus dem Wege räumen können. Sagt mir euere Meinung, Kameraden, und
beratet mit mir.« Einer von ihnen sagte: »Du hast recht, Hauptmann;
unser erstes Streben muß dahin gehen, den Dieb ausfindig zu machen;
laß uns alle Kräfte daran setzen, seiner habhaft zu werden.« — »Klug
hast du geredet,« versetzte der Hauptmann, »nun aber höret folgenden
Vorschlag, meine wackeren Leute! Einer von euch muß sich verkleiden und
in der Tracht eines fremden Reisenden in die Stadt begeben, um in allen
Straßen zu forschen, ob nicht kürzlich einer der Städter gestorben ist,
und wo er gewohnt hat. Ein tapferer und unternehmungslustiger Mann soll
sich sofort dem Wagnis unterziehen, denn es ist wichtig für uns, daß
wir nicht in dem Lande verraten werden, in dem wir so lange unsern
Unterschlupf hatten. Damit aber derjenige, der die Sendung übernimmt,
keine falsche Kunde bringt, die uns etwa Unheil und Verderben zufügen
kann, so soll über ihn die Todesstrafe verhängt werden, wenn er unserer
Sache untreu wird und Verrat übt.« Sofort meldete sich einer der
Räuber und sagte: »Laß mich in die Stadt ziehen und auf Kundschaft
ausgehen! Wenn es mir nicht gelingt, etwas zu erforschen, so sei mein
Leben verwirkt; aber ihr seht dann doch, daß ich tapfer und guten
Willens war.« Der Hauptmann und seine Kameraden lobten ihn sehr und
freuten sich über seinen Wagemut; dann halfen sie, ihren Kameraden zu
verkleiden, so daß ihn auch sein bester Freund nicht wiedererkennen
konnte.

Der Räuber zog aus und kam gerade in die Stadt, als der Tag zu dämmern
begann. Er begab sich sogleich auf den Marktplatz, wo noch alle Läden
geschlossen waren, außer dem des Baba Mustapha. Der Schuster saß auf
seinem Schemel, mit dem Pfriemen in der Hand, und wollte eben seine
Arbeit beginnen. Der Räuber bot ihm einen Gutenmorgen, trat näher und
sagte freundlich zu ihm: »Du bist sehr alt und fängst doch schon so
zeitig dein Geschäft an. Unmöglich kannst du gut sehen, da es noch
graue Frühdämmerung ist.« Der Schuhflicker antwortete: »Ich merke, daß
du nicht aus der Stadt stammst, denn du kennst mich nicht. Zwar bin
ich schon sehr betagt, aber meine Augen blicken noch scharf. Was sagst
du dazu, daß ich vor nicht langer Zeit eine Leiche zusammengeflickt
habe, und zwar in einem Zimmer, das noch dunkler war, als dieser
Morgen?« Der Räuber freute sich sehr, als er diese Worte hörte, weil
er ahnte, daß er sogleich den richtigen Mann gefunden hatte; deshalb
wollte er ihn noch ein wenig ausfragen und sagte: »Du darfst nicht
so mit mir scherzen, lieber Freund! Warum solltest du denn eine
Leiche zusammennähen? Gewiß hast du dich versprochen und meintest das
Leichentuch, in das sie eingewickelt wurde.« Baba Mustapha lachte
verschmitzt und sagte obenhin: »Laß mich nur zufrieden; ich weiß
sehr gut, was ich meine. Ich sehe, du möchtest mich gern mit Fragen
beschwatzen, aber ich werde dir nichts erzählen.« Der Räuber, dem viel
darauf ankam, genauere Auskunft zu erhalten, zog ein Goldstück aus der
Tasche und drückte es Mustapha in die Hand. »Es liegt mir fern, deine
Geheimnisse auszuspüren,« sagte er, »obschon du glauben kannst, daß
mein Herz und mein Mund sehr verschwiegen sind, wie es sich für einen
Mann geziemt. Nur das eine möchte ich gerne wissen, und du wirst mir
die Antwort gewiß nicht verweigern: wo ist das Haus, in welchem du den
Leichnam genäht hast? Kannst du es mir zeigen und mich dorthin führen?«
Baba Mustapha zauderte und steckte das Goldstück nicht in die Tasche,
sondern wollte es dem Räuber wiedergeben; er entgegnete: »Was nützt
mir die Belohnung, wenn ich dir keinen Dienst erweisen kann? Es steht
gar nicht in meiner Macht, deinen Wunsch zu erfüllen. Eine Sklavin
führte mich an eine bestimmte Stelle und verband mir da die Augen; von
dort brachte sie mich in jenes Haus und in das dunkle Zimmer; und als
ich meine Arbeit vollendet hatte, legte sie mir wieder das Tuch um die
Augen und führte mich an denselben Ort zurück, wo sie mich abgeholt
hatte. Du siehst also selbst, daß ich dir das Haus nicht weisen kann;
darum nimm hier dein Geldstück wieder.« Der Räuber entgegnete: »Wenn du
auch das Haus nicht kennst, so erinnerst du dich vielleicht des Weges,
den dich die Sklavin geführt hat. Bitte folge mir bis zu der Stelle,
wo sie dir die Augen verband; dann werde ich dich dieselben Gassen und
Querstraßen leiten, und vielleicht weißt du noch, welche du damals
gegangen bist. Damit du aber deine Arbeit im Laden nicht unnütz liegen
läßt, gebe ich dir hiermit ein weiteres Goldstück.« Baba Mustapha nahm
die zweite Münze, wog sie lange in der Hand, besah sie aufmerksam und
überlegte, was er tun sollte. Dann steckte er sie zufrieden in seinen
Beutel, erhob sich und folgte dem Räuber, indem er sagte: »Zwar kann
ich dir nicht versprechen, deinen Wunsch zu erfüllen; aber ich werde
mich anstrengen und mich besinnen.« Er verschloß seinen Laden nicht
erst, weil er darin nichts Wertvolles liegen hatte, und führte den
erfreuten Räuber an jenen Ort, wo ihm die Sklavin damals die Augen
verbunden hatte. Als sie dort angelangt waren, legte ihm der Räuber ein
Tuch um die Stirn und ließ sich von dem Schuster führen, indem er ihn
an der Hand hielt und allen seinen Schritten folgte. Baba Mustapha ging
vorsichtig und berechnend die Straße entlang; plötzlich machte er halt
und sagte: »Ich glaube, daß wir hier vor dem richtigen Gebäude stehen.«
Der Räuber zog sofort ein Stück weißer Kreide hervor und machte ein
Zeichen an die Haustüre, um sie wiederzuerkennen, dann nahm er Baba
Mustapha das Tuch von den Augen und fragte, wem das Haus gehöre. Der
Schuhflicker entgegnete: »Ich kenne mich in diesem Stadtviertel nicht
aus, denn ich wohne nicht hier, darum kann ich dir keine Antwort
geben.« Der Räuber sah, daß er nichts weiter in Erfahrung bringen
konnte, dankte Baba Mustapha für seine Freundlichkeit und schickte ihn
wieder in den Laden. Dann machte er sich eilends auf und kehrte in den
Wald zurück, wo seine Kameraden auf ihn warteten.

    [Illustration: Indem er sich verkleidete, verwandelte er sich.]

Nicht lange danach trat Morgiana aus dem Hause, um eine Besorgung zu
machen; als sie zurückkam, erblickte sie das Zeichen, das der Räuber
mit weißer Kreide an der Türe angemerkt hatte. Sie blieb verwundert
stehen und betrachtete es gedankenvoll. »Was bedeutet das?« fragte sie
sich selbst. »Gewiß will jemand meinem Herrn einen Streich spielen.
Oder sollte ein Mißgünstiger oder Neider irgend etwas im Schilde
führen? Auf jeden Fall ist es gut, wenn man vorsichtig ist.« Mit diesen
Worten nahm sie ebenfalls ein Stück Kreide und bemalte die Türen der
Nachbarhäuser, die fast ebenso aussahen, mit demselben Zeichen und an
derselben Stelle; dann ging sie wieder an ihre Arbeit, ohne ihrem Herrn
oder ihrer Herrin irgend etwas von dem Vorgefallenen mitzuteilen.

Indessen war der Räuber im Walde angelangt und kehrte vergnügt zu
seinen Kameraden zurück. Er erzählte ihnen sein Abenteuer und den
guten Verlauf seiner Reise und freute sich über das Glück, daß er
sogleich den richtigen Mann gefunden hatte, von dem er das Nötige
erfahren konnte. Der Hauptmann war voll Lobes und sagte zu seinen
Leuten: »Wir wollen jetzt ohne Säumen und unbemerkt nach der Stadt
aufbrechen. Bewaffnet euch gut, und laßt Vorsicht walten! Während
ich mit unserm Kameraden, der uns eben jetzt so erfolgreiche Kunde
gebracht hat, zu dem Hause gehe, das er ausgekundschaftet hat, sollt
ihr von verschiedenen Seiten aus auf dem Marktplatze zusammenkommen,
wo ich euch dann alles weitere mitteilen werde.« Diese Worte fanden
allgemeinen Anklang. Zwei und zwei zogen die Räuber in die Stadt, ohne
irgendwie Verdacht zu erregen, da sie auf der Hut waren und getrennt
voneinander gingen. Zuletzt kam der Hauptmann mit seinem Führer und
ließ sich sogleich zu Ali Babas Haus geleiten. Hier wies ihm der
Räuber das Zeichen am Tore, sie musterten das Haus unauffällig, aber
genau, und gingen dann ruhig weiter, als ob sie, wie Fremde, zufällig
diese Straße durchwanderten. Da bemerkte der Hauptmann, daß auch
die folgenden Türen dasselbe Zeichen an derselben Stelle trugen und
sprach entrüstet und barsch zu dem Führer: »Nun sage mir, du Schuft,
welches das richtige Haus ist!« Der Räuber geriet in Verwirrung und
Verlegenheit und wußte keine Antwort. Er fluchte heftig und rief:
»Wahrlich, ich habe nur eine einzige Türe bezeichnet und verstehe
nicht, woher die übrigen Kreidestriche stammen. Nun aber kann ich
nicht mehr mit Sicherheit angeben, welches Haus ich anmerkte, denn ich
habe es nicht genau betrachtet.« Sie gingen also unverrichteter Sache
zum Marktplatze zurück, und dort sagte der Hauptmann zu einem seiner
Leute: »Sage den übrigen, daß unser Weg erfolglos war, und daß sie
alle wieder nach dem Sammelpunkte im Walde zurückkehren sollen.« Er
selbst folgte ihnen und ging zu der Felsenhöhle, wo er die Räuberbande
beisammen traf. Sie hielten Gericht über den ungeschickten Führer und
erkannten ihn einstimmig für des Todes schuldig; ohne Widerrede und
Furcht hielt der Unglückliche seinen Hals hin und ließ sich den Kopf
abschlagen. Dann trat ein anderer aus der Bande auf und sagte, er
würde es besser machen; man solle ihm die Ehre erweisen und ihn das
Haus suchen lassen. Man war es zufrieden und schickte ihn ans Werk.
Auch er traf Baba Mustapha auf dem Markte, schenkte ihm Goldstücke und
ließ sich von ihm zu Casims Hause geleiten, wo er die Türe an einer
verborgenen Stelle mit roter Kreide zeichnete, um sie von den anderen
weißgezeichneten unterscheiden zu können. Aber wieder sah Morgiana
das rote Zeichen, als sie aus dem Hause ging, und bemalte sofort die
übrigen Türen ebenfalls mit Rötel, da sie noch stärkern Verdacht hegte.

  [Illustration: »Herr,« sagte er, »ich habe mein Öl von einer weiten
           Strecke mitgebracht, um es morgen zu verkaufen.«]

Der Räuber kehrte fröhlich und zufrieden in den Wald zurück, erzählte,
wie schlau er zu Werke gegangen sei und forderte den Hauptmann auf,
sogleich mit ihm in die Stadt zu gehen. Vorsichtig und in derselben
Ordnung, wie am vorigen Tage, begaben sie sich auf den Weg, und
der Hauptmann wanderte mit seinem Führer zu Ali Babas Wohnung.
Aber hier bemerkten sie mit Erschrecken und Staunen, daß auch die
Nachbartüren mit Rötelstrichen versehen waren, und so mußten sie
enttäuscht und bestürzt wieder den Rückweg antreten. Der törichte
Spion wurde gleichfalls enthauptet, wie der erste. Der Hauptmann war
bekümmert darüber, daß er nun schon zwei seiner tapferen Leute hatte
hingeben müssen und fürchtete, daß auch noch andere ihm verloren
gehen könnten, denn sie waren mehr für Angriff und Raub geeignet,
als zu geschickten und listigen Unternehmungen. Er beschloß daher,
selbst auf Kundschaft zu gehen, bestach gleichfalls den Schuster
Baba Mustapha und ließ sich von ihm zu Ali Babas Behausung führen. Er
vermied es aber, irgendein äußeres Zeichen anzubringen, sondern ging
verschiedene Male an dem Hause vorüber und betrachtete es so genau,
daß es sich seinem Gedächtnis unverlierbar einprägte. Dann kehrte er
wieder in den Wald zurück und sagte, als er in der Felsengrotte war
und die Bande um sich versammelt sah: »Jetzt werden wir sicherlich
das Haus wiederfinden, denn ich habe es mir genau gemerkt; es wird
uns gewiß nicht mehr schwer fallen, den Dieb zu finden. Nun hört, was
ich mir überlegt habe! Vor allem darf niemand etwas von unserer Höhle
und dem Schatze erfahren, denn sonst würden wir uns ins Verderben
stürzen. Gehet hin in die umliegenden Dörfer und kauft dort neunzehn
Maulesel, nebst achtunddreißig großen ledernen Ölschläuchen, von
denen der eine gefüllt, die anderen aber leer sein müssen, und bringt
alles hierher; dann soll jeder von euch, wohl bewaffnet, in einen
Schlauch hineinkriechen, und so werde ich euch unbemerkt in die Stadt
hineinbringen; das andere überlaßt mir.« In kurzer Zeit hatten die
Räuber alles beisammen. Nachdem sie in die Schläuche hineingekrochen
waren und sich durch eine kleine Ritze, die sie auftrennten, Luft
verschafft hatten, nahm der Hauptmann Öl aus dem vollen Schlauche
und befeuchtete die übrigen Schläuche damit, um die Täuschung besser
zu vollenden. Dann lud er alle Schläuche, in denen je einer von den
Räubern stak, sowie den mit Öl gefüllten auf die Maulesel und zog,
als Händler verkleidet, in der Abenddämmerung nach der Stadt. Er nahm
sogleich seinen Weg zu Ali Babas Haus, denn er hatte die Absicht, bei
ihm anzufragen, ob er ihm und seinen Maultieren ein Nachtquartier
gönnen wollte. Ali Baba saß behaglich vor der Türe, denn er hatte
soeben sein Abendessen eingenommen und wollte noch ein wenig frische
Luft atmen. Der Räuber grüßte ihn, hielt die Maultiere an und sprach:
»Herr, ich komme von weit her und möchte morgen mein Öl, das du hier
siehst, auf dem Markte zum Verkaufe ausbieten. Ich bin leider etwas
zu spät in die Stadt gekommen und weiß nicht, wo ich zur Nacht ein
Unterkommen finden kann. Habe Mitleid und nimm mich für diese Nacht
in deinem Hause auf; ich will dir nicht lästig fallen.« Ali Baba
hatte zwar den Banditen damals im Walde, als er auf dem Baume saß,
gesehen und auch seine Stimme gehört, aber infolge der Verkleidung
konnte er in dem Ölhändler den Räuberhauptmann nicht wiedererkennen;
er sagte also: »Tritt ein, Fremder, und sei mir willkommen; du magst
hier nächtigen.« Und er führte den Händler mit seinen Mauleseln in den
Hof. Dort ließ er die Tiere von seinem Sklaven anbinden und mit Heu
und Gerste füttern; er selbst ging in die Küche zu Morgiana und sagte
zu ihr: »Bereite schnell für unsern Gast, der soeben angekommen ist,
ein gutes Nachtmahl, und richte in einem der Zimmer ein Bett für ihn
her.« Dann begab er sich wieder in den Hof und in den Stall, wo der
Hauptmann seine Esel abgeladen hatte. »Du darfst nicht unter freiem
Himmel schlafen, Fremder,« sagte er. »Komm mit herein in meinen Saal,
damit ich dich würdig als meinen Besuch aufnehmen kann.« Der Räuber
weigerte sich, denn er wollte lieber im Hofe bleiben, um sein Vorhaben
desto besser und ungestörter ausführen zu können; aber auf die Bitten
des Hausherrn, denen er nicht länger widerstehen konnte, folgte er ihm
in das Haus. Dort unterhielt ihn Ali Baba aufs beste und ließ ihm ein
leckeres Abendessen auftragen; er leistete ihm so lange Gesellschaft,
bis er sein Mahl beendet hatte; dann stand er auf und sagte: »Ich muß
dich leider jetzt verlassen; wenn du etwas brauchst, so rufe nur, es
soll dir alles im Hause zu Diensten sein.« Darauf ging er hinaus zu
Morgiana und sprach: »Sorge auch weiterhin für unsern Gast, daß es ihm
an nichts fehle. Morgen früh, vergiß es nicht, will ich ins Bad gehen;
lege die Tücher zurecht, und gib sie meinem Sklaven Abdallah; ferner
bereite mir eine gute, kräftige Fleischbrühe, damit ich sie trinken
kann, wenn ich wieder nach Hause komme.« Nach diesen Worten begab sich
Ali Baba auf sein Zimmer und legte sich ins Bett.

Der Räuberhauptmann war indessen in den Hof hinausgetreten, um im
Stalle nachzusehen, ob seine Maultiere Futter und Wasser erhalten
hätten. Er flüsterte seinen Leuten, die in den Schläuchen staken,
heimlich und vorsichtig zu: »Wenn ich um Mitternacht aus meinem Zimmer
kleine Steine herabwerfe, so schneidet mit euren scharfen Messern den
ledernen Schlauch von oben bis unten auseinander, und kriecht sofort
heraus. Ich werde dann augenblicklich zu euch kommen.« Leise ging er in
das Haus zurück, und als er an der Küche vorüberkam, ergriff Morgiana
das Licht, führte ihn in seine Kammer und fragte ihn, ob er noch irgend
etwas brauche, dann solle er nur seine Wünsche äußern. Der fremde
Händler aber dankte, löschte das Licht und legte sich angekleidet auf
das Bett, um ein wenig zu ruhen.

Morgiana ging nun an den Schrank und legte die weißen Badetücher
zurecht, die sie dem Sklaven Abdallah übergab; dann stellte sie den
Topf aufs Feuer, um die Fleischbrühe zu bereiten. Während sie nun damit
beschäftigt war, verlosch plötzlich ihre Lampe, und die Magd bemerkte
mit Schrecken, daß keine Lichter mehr bereit standen und auch alles Öl
verbraucht war, das sie vorrätig hatte. Sie war ratlos und wußte sich
nicht zu helfen; Abdallah bemerkte ihre Verlegenheit und Bestürzung
und sagte: »Warum trauerst du? Gehe doch in den Hof und hole dir aus
einem der vielen Schläuche etwas Öl; der fremde Händler wird dich gewiß
nicht darum schelten, zumal er die Gastfreundschaft unseres Herrn
genießt.« Morgiana dankte für den guten Rat, und während Abdallah
sich behaglich niederlegte, um zu schlafen, weil er in der Frühe Ali
Baba ins Bad begleiten mußte, nahm sie die Ölkanne und ging damit in
den Hof. Als sie nun zu dem ersten Schlauche kam, fragte der Mann, der
darin verborgen war, mit Flüsterstimme: »Ist es jetzt Zeit, Hauptmann?«
Der Räuber hatte sehr leise gesprochen, aber Morgiana hatte trotzdem
seine Worte verstanden, stutzte und wunderte sich um so mehr, weil sie
sich jetzt erinnerte, daß der Händler vorher alle Schläuche geöffnet
hatte, damit seine Leute, welche kaum Atem schöpfen konnten, etwas
frische Luft genießen sollten. Die Sklavin war zwar sehr erschrocken,
als sie statt des Öls einen Mann in dem Schlauche fand, aber sie
bezwang sich und vermied es sorglich, Lärm zu schlagen. Sie war kühn
und wußte sogleich, daß eine Gefahr für Ali Baba und seine Familie
im Anzuge wäre, und daß sie schnell und sicher handeln müsse. Ohne
irgendwie zu zittern oder zu zaudern, antwortete sie mit tiefer Stimme,
indem sie die des Räuberhauptmanns nachahmte: »Die Zeit ist noch nicht
gekommen; aber bald.« Dann ging sie auch zu den anderen Schläuchen und
überall, wo dieselbe Frage erscholl, gab sie dieselbe Antwort, bis
sie zu dem letzten Schlauche kam, der mit Öl gefüllt war. Dort goß
sie schnell ihren Krug voll und ging damit in die Küche zurück, wo
sie die Lampe wieder putzte und entzündete. Sie sprach aber zu sich
selbst: »Wahrlich, das ist kein Händler, sondern der Räuberhauptmann
mit seinen siebenunddreißig Gesellen, die wir beherbergen; der Himmel
schütze und bewahre uns vor Unheil!« Dann nahm sie einen großen Kessel,
setzte ihn auf den Herd und füllte ihn mit Öl aus dem Schlauche; sie
schürte das Feuer zu einer gewaltigen Flamme auf, indem sie immer neues
Holz aufhäufte, bis das Öl kochte und wallte. Rasch ergriff sie den
Kessel, ging damit in den Hof hinaus und schüttete das siedende Öl
in jeden Schlauch, so daß die Räuber, die nicht entfliehen konnten,
verbrüht und erstickt wurden.

Nachdem Morgiana diese Tat geräuschlos vollbracht hatte, kehrte sie
in die Küche zurück, verschloß die Türe, löschte das Feuer, bis nur
noch eine kleine Flamme brannte, und kochte die Fleischbrühe für Ali
Baba. Dann blies sie ihre Lampe aus und setzte sich ans dunkle Fenster,
denn sie wollte alles beobachten, was vor sich ging. Nicht lange
darauf erwachte der Räuberhauptmann, stand auf und blickte in den Hof
hinunter, der nachtschwarz und still vor ihm lag. Kein Licht war zu
sehen. Sofort warf er kleine Steine hinab, um das verabredete Zeichen
zu geben; an dem Schalle merkte er, daß einige die Schläuche trafen,
und er horchte begierig; aber nichts regte sich, kein Ton war zu hören.
Zum zweiten und dritten Male schleuderte er die Steinchen auf die
Schläuche, doch abermals blieb alles stumm, und kein Laut antwortete
ihm. Erstaunt und bestürzt ging er möglichst leise in den Hof hinaus
und trat an den ersten Schlauch; ein übler Geruch von kochendem Öl
und verbranntem Fleische quoll ihm entgegen, und auch alle übrigen
Schläuche waren sehr heiß und in dem gleichen Zustande. Als er aber den
vollen Ölschlauch leer fand, wußte er, was geschehen war, verzweifelte,
kletterte über die Mauer in einen Garten und entfloh, so schnell er
vermochte.

Morgiana hatte alles vom Fenster mitangesehen, und als es still
geworden war und der Hauptmann nicht zurückkehrte, wußte sie, daß er
über die Mauer gestiegen war und die Flucht ergriffen hatte, denn die
Haustüre war doppelt verschlossen. Beruhigt legte sich die wackere
Sklavin nieder und schlief sogleich heiter und zufrieden ein. Am
nächsten Morgen ging Ali Baba mit seinem Sklaven Abdallah in das
Bad, ohne irgendwelche Kenntnis von dem gräßlichen Abenteuer, denn
Morgiana hatte weder ihm, noch Abdallah etwas erzählt, weil sie ihren
Herrn nicht stören und beunruhigen wollte. Die Sonne stand schon
hoch und strahlend am Himmel, als Ali Baba wieder nach Hause kam und
die Ölschläuche noch im Stalle stehen sah; er wunderte sich, daß der
Händler noch nicht mit seinen Maultieren auf den Markt gegangen war,
und fragte Morgiana darum, die nichts im Hofe verändert hatte, damit
ihr Herr um so deutlicher sehen könnte, aus welcher Gefahr sie ihn
gerettet hatte. Sie sagte: »Der allmächtige Gott erhalte dich und dein
Haus noch lange in Frieden und Sicherheit! Was du von mir zu wissen
verlangst, wirst du am besten aus eigener Anschauung erfahren; darum
folge mir, und gehe mit mir in den Hof hinaus!« Die Sklavin führte
ihn an die Ölschläuche, verschloß aber vorher die Türe sorgfältig und
sagte dann: »Sieh einmal in diesen Schlauch hinein, gewiß hast du noch
niemals derartiges Öl erblickt.« Ali Baba tat, wie sie gebeten hatte,
und als er in dem Schlauche einen Mann entdeckte, entsetzte er sich
sehr, sprang zurück und schrie laut auf, als ob er auf eine giftige
Schlange getreten hätte. Morgiana sprach: »Ängstige dich nicht; dieser
Mann wird dir kein Leid zufügen, denn er ist tot; er hat keine Kraft
mehr, etwas Böses zu tun.« Rief Ali Baba: »O Morgiana, sage mir,
welchem Unheil wir entgangen sind! Beim allmächtigen Gott, ich staune
und zittere vor Überraschung!« Morgiana versetzte: »Sprich nicht so
laut, Herr, damit die Nachbarn nichts hören und unser Geheimnis nicht
etwa erfahren. Jetzt aber betrachte dir auch alle übrigen Schläuche.«
Ali Baba prüfte sie der Reihe nach, untersuchte sie und fand in jedem
einen toten und verbrühten Mann. Ratlos blieb er vor Morgiana stehen,
betrachtete bald sie, bald die Schläuche mit weit geöffneten Augen und
wußte nichts zu sagen, so groß war seine Verwunderung. Als er sich
ein wenig erholt hatte, fragte er: »Sage mir doch vor allem, wo der
Ölhändler geblieben ist.« — »Dieser Händler,« erwiderte Morgiana,
»war kein Kaufmann, — ebensowenig wie ich eine Händlerin bin. Ich
will dir jetzt alles erzählen, was sich zugetragen hat und wer jener
Nichtswürdige war. Vorerst aber geh hinein in dein Zimmer, denn du
kommst eben aus dem Bade, und trinke deine Fleischbrühe; so erfordert
es deine teuere Gesundheit.«

Ali Baba begab sich hinein, und Morgiana holte die Fleischbrühe und
setzte sie ihm vor. Ali Baba war sehr ungeduldig, und während er
trank, sagte er: »Erzähle mir nur die wunderbare Begebenheit sehr
ausführlich, denn ich bin unruhig, bevor ich nicht alles erfahren
habe.« Morgiana begann zu erzählen und sagte: »Wie du befohlen
hattest, legte ich gestern die Badetücher zurecht und übergab sie dem
Sklaven Abdallah. Dann bereitete ich deine Fleischbrühe, aber die
Lampe erlosch plötzlich, weil das Öl zu Ende gegangen war. Abdallah
riet mir, neuen Vorrat aus den Schläuchen des Händlers zu holen, und
sein Rat dünkte mich gut. Als ich zu dem ersten Schlauche trat, hörte
ich eine Stimme darin fragen: ›Ist es jetzt Zeit?‹ Ich durchschaute
sofort die List des fremden Kaufmanns und antwortete, indem ich seine
Stimme nachahmte: ›Die Zeit ist noch nicht gekommen; aber bald.‹ Und
so ging ich von einem Schlauche zum andern, und auf jede Frage gab ich
dieselbe Antwort. Als ich meine Lampe aus dem letzten Schlauche wieder
gefüllt hatte, kehrte ich rasch in die Küche zurück, nahm den größten
Kessel und goß ihn voll Öl. Dann machte ich es kochend und siedend
über dem Feuer und schüttete davon in jeden Schlauch, in dem ein Räuber
versteckt war, so daß sie alle verbrüht und getötet wurden. Nicht lange
danach gab der Hauptmann das verabredete Zeichen; aber als ihm niemand
antwortete, ging er selbst hinunter und entdeckte zu seiner Bestürzung,
was geschehen war. Er muß über den Gartenzaun gestiegen sein, denn ich
habe ihn nicht wiedergesehen, und ganz gewiß ist er vor Verzweifelung
entflohen. — Ich will dir nun noch etwas anderes mitteilen; denn ich
habe vor einigen Tagen eine sehr seltsame Entdeckung gemacht, die in
mir einen Verdacht erregt hat. Ich bemerkte nämlich an der Haustüre
ein Zeichen mit weißer Kreide und tags darauf ein rotes. Ich wußte
zwar nicht, zu welchem Zwecke sie angebracht waren, aber aus Vorsicht
bemalte ich unsere Nachbarhäuser ebenso. Ich glaube, wenn du alles
genau überdenkst, wirst du selbst einsehen, daß es sich um die Räuber
aus dem Walde handelt, von denen jedoch zwei nicht mehr unter ihnen
weilen; warum, weiß ich nicht. Jedenfalls sind höchstens noch drei von
ihnen am Leben; du mußt also sehr sorglich und vorsichtig sein, denn
du weißt nun, daß sie dir nach dem Leben trachten. Glaube mir, daß ich
alles daransetzen werde, um dich vor Unglück und Schaden zu bewahren,
wie es einer ergebenen und getreuen Sklavin zukommt. Dies, Herr, ist
die Geschichte, nach der du mich gefragt hast.«

Über diese Worte war Ali Baba hocherfreut und rief: »Wie dankbar
bin ich dir, Morgiana, denn du hast mir einen sehr wichtigen Dienst
erwiesen! Du hast mich vor Gefahr und Tod bewahrt; darum will ich dir
die Freiheit schenken und dir Gutes tun, soviel ich immer vermag. Preis
und Lob sei Gott, dem Erhabenen, daß er mich so glücklich aus der Hand
der vierzig Räuber befreit hat! Möge er mich auch ferner behüten und
vor ihren Nachstellungen schützen, denn wahrlich, sie sind Schurken
und müssen von der Erde getilgt werden! Jetzt aber geziemt es uns vor
allem, die Leichen der Nichtswürdigen zu begraben, damit niemand unser
Geheimnis erfahren und uns in das Gerede der Leute bringen kann.«
Nach diesen Worten ging Ali Baba mit seinem Sklaven hinaus in seinen
großen Garten, der von hohen und alten Bäumen umzäunt war; unter einem
dieser Bäume schaufelten sie eine breite und tiefe Grube; da der Boden
sehr locker und frisch war, hatten sie in kurzer Zeit ihr Geschäft
beendigt. Dann nahmen sie die Leichen aus den Ölschläuchen heraus,
entkleideten sie ihrer Waffen und schleppten sie an das Ende des
Gartens; dort warfen sie die Toten, einen nach dem andern, in das Grab
hinein, schütteten die Gartenerde über sie hin und machten darauf den
Boden wieder eben und sauber, wie zuvor. Die wertvollen Waffen und die
Lederschläuche verbargen sie sorgfältig; die Maulesel aber ließ Ali
Baba an verschiedenen Tagen auf den Markt bringen und durch Abdallah
verkaufen. So blieb alles aufs beste verborgen, und niemand erfuhr, daß
Ali Baba so plötzlich zu einem unermeßlichen Reichtume gekommen war.

Der Hauptmann war inzwischen in den Wald zurückgekehrt; in seinem
Herzen nagten Wut und Ärger, weil seine Unternehmung, auf deren
glücklichen Ausgang er so feste Hoffnungen gesetzt hatte, ein so
trauriges und schmähliches Ende genommen hatte. Sein Geist war
umdüstert; in tiefen und schwermütigen Gedanken wanderte er einsam
durch den Wald, bis er wieder zu der verlassenen Höhle kam. Da wartete
keiner der Gefährten mehr auf ihn, und er mußte bekümmert und verstört
einen Unterschlupf in dem Zauberfelsen suchen. Er rief: »Ihr treuen
Gefährten, ihr wackeren Kameraden und Genossen meiner Raubzüge, wo
seid ihr? Nun muß ich ohne euch auf Abenteuer ziehen, und mit euch
ist ein Teil meiner Kraft und Freudigkeit gewichen, als hätte einer
meiner Feinde mir den rechten Arm vom Leibe geschlagen! Nicht war es
euch vergönnt, in hitzigem Streite und mit dem Schwerte in der Faust
als mutige Männer zu sterben; ein klägliches und unwürdiges Geschick
hat euch hinweggenommen. Nie mehr werde ich eine Schar so tüchtiger
und tapferer Leute um mich sehen! Und euer Tod ist nicht mein einziger
Kummer: der elende Dieb hat mir auch die köstlichsten meiner Schätze
gestohlen, ohne die ich machtlos bin und nichts unternehmen kann. Aber
ich will euch rächen und allein ausführen, was euch versagt war; ich
will den Schatz zurückgewinnen und den Nichtswürdigen töten, der ihn
uns entwendet hat!« Nach diesen Worten legte sich der Hauptmann zur
Ruhe und sank bald darauf in tiefen Schlaf; denn die Klagen hatten
seinen Schmerz gelindert und sein bedrängtes Herz erleichtert.

 [Illustration: Sie goss nacheinander in jedes Gefäß eine ausreichende
    Menge des kochenden Öls, um den Insassen zu Tode zu verbrühen.]

Als die Morgenröte zwischen den alten Bäumen des Waldes schimmerte,
erhob sich der Hauptmann und legte ein prunkvolles Gewand an; dann
begab er sich in die Stadt und suchte Wohnung in einer Karawanserei,
da er erwartete, irgend etwas Bestimmtes von dem Morde in Ali Babas
Hause zu vernehmen. Er fragte also den Besitzer des Chans, welche
Neuigkeiten sich jüngst in der Stadt zugetragen hätten, und der Wirt
erzählte ihm die verschiedensten Dinge, die er gehört und gesehen
hatte; aber von dem, was der Hauptmann am sehnlichsten zu wissen
wünschte, konnte er nichts in Erfahrung bringen. Er ersah daraus, daß
Ali Baba sehr vorsichtig zu Werke gegangen war, weil er vermutlich
den Reichtum, den er in so kurzer Zeit erworben hatte, geheimzuhalten
wünschte, um keinen Verdacht damit zu erwecken. Der Hauptmann beschloß
also, alles daranzusetzen, um den Verhaßten sobald wie möglich aus dem
Wege zu räumen. Er ritt zu verschiedenen Malen in den Wald, wo er aus
der Höhle bunte Teppiche, schimmernde Seidenstoffe und feine Schleier
holte, und als er die Ballen beisammen hatte, mietete er sich einen
Laden, der ihm günstig erschien, brachte seine Waren dorthin und bezog
ihn ungesäumt. So begann er, das Gewerbe eines Kaufmanns zu betreiben,
um seine List möglichst schnell und geschickt ausführen zu können.
Er nahm den Namen Chogia Husein an und stattete seinen Nachbarn der
Sitte gemäß alsbald einen Besuch ab; seine übertriebene Gefälligkeit
und seine höflichen Sitten verschafften ihm bald ihre Freundschaft und
Achtung.

Gegenüber dem Laden des Hauptmanns lag der des verstorbenen Casim,
wo jetzt Ali Babas Sohn seine Geschäfte trieb. Der war über die
Freundlichkeit und Huld des neuen Ankömmlings sehr erfreut und
unterhielt sich lange mit ihm, denn es ließ sich angenehm mit ihm
plaudern. Wenige Tage darauf besuchte Ali Baba seinen Sohn und traf ihn
in dem Laden des Chogia Husein; der Hauptmann erkannte seinen Feind
sofort wieder und fragte den Jüngling, als sein Vater wieder nach Hause
gegangen war: »Sage mir doch, lieber Freund, wer dieser Mann gewesen
ist?« Jener antwortete: »Er ist Ali Baba, mein Vater, und er besucht
mich von Zeit zu Zeit in meinem Laden.« Da erwies ihm der Hauptmann
noch größere Gefälligkeiten, beschenkte ihn reichlich, überhäufte ihn
mit Gunst und lud ihn oft an seine Tafel, wo er ihm erlesene Gerichte
vorsetzen ließ.

Der Jüngling überlegte sich nun, daß er die Höflichkeiten seines
Nachbars erwidern müsse; aber er bewohnte nur ein enges und kleines
Haus und war nicht vornehm genug eingerichtet, um Chogia Husein auf
würdige Weise bewirten zu können. »Es schickt sich wohl, daß ich meinen
Nachbar einmal zum Nachtmahl einlade,« sagte er zu seinem Vater. Jener
erwiderte: »Mein Sohn, es ist recht, wenn du deinem Freunde vergelten
willst, was er dir Gutes erwiesen hat. Morgen ist Freitag, da magst du
deinen Laden schließen, wie es alle großen Kaufleute tun; führe Chogia
Husein am Nachmittage in der Stadt spazieren und zeige ihm alles,
was er zu sehen wünscht; richte es aber so ein, daß du ihn auf dem
Rückwege unversehens zu meinem Hause bringst. Bitte ihn dann, bei uns
einzutreten, denn ich möchte, daß wir eine förmliche Einladung umgehen.
Ich werde Morgiana Befehl geben, ein gutes Abendessen herzurichten und
alles bereitzuhalten, was unsern Gast ergötzen kann.« Am kommenden
Tage, dem Freitag, unternahmen also Ali Babas Sohn und Chogia Husein
einen Spaziergang durch die Stadt und betrachteten alle Paläste und
prangenden Gärten; auf dem Rückwege aber gingen sie durch die Straße,
wo Ali Baba wohnte, und ab sie vor der Haustüre anlangten, blieb der
Jüngling stehen, pochte an und sagte zu seinem Gefährten: »Hier ist
das Haus meines Vaters, lieber Freund; ich habe ihm schon viel von
deiner Liebenswürdigkeit und Güte erzählen müssen, und er wünscht
sehr, deine Bekanntschaft zu machen. Erweise mir nun die Ehre, hier
einzutreten und ihm einen Besuch abzustatten; du würdest damit meinem
Vater eine große Gefälligkeit erzeigen.« Der Hauptmann freute sich
im Innern sehr, daß er endlich zum Ziele seiner Wünsche gelangt war
und Zutritt in das Haus seines Feindes erhalten hatte, wo er ihn ohne
allzu großes Aufsehen beiseite schaffen konnte; dennoch zögerte er
eine Weile, suchte allerlei Entschuldigungen hervor und stellte sich
so, als wollte er weitergehen. Da aber öffnete ein Sklave das Tor,
der Jüngling ergriff seinen Gast bei der Hand und führte ihn höflich
und artig ins Haus, so daß er nicht weiter widerstreben konnte. Ali
Baba empfing ihn mit Ehrfurcht und Freundlichkeit, dankte ihm für die
Ehre seines Besuches, wünschte ihm Glück und Wohlergehen und sagte
dann: »Wir sind dir sehr verpflichtet, weil du meinem Sohne so viel
Aufmerksamkeit und Güte erwiesen und ihm aus den Schätzen deiner
Erfahrung mitgeteilt hast.« Der Fremde erwiderte Ali Babas Gruß und
Höflichkeit und sagte: »Zwar schmückt deinen Sohn noch nicht die
Weisheit der Greise, da er noch jung an Jahren ist; aber sein Verstand
ist schnell und gesund, so daß ich mein Wohlgefallen an ihm gefunden
habe.« So plauderten sie noch eine Weile heiter und ungezwungen
über mancherlei Dinge, dann aber erhob sich Chogia Husein, um sich zu
verabschieden. Ali Baba hielt ihn jedoch sanft und bittend zurück und
ließ ihn nicht gehen; er sagte: »Wohin willst du ziehen, mein Freund?
Ich wollte dich bitten, das Nachtmahl bei mir einzunehmen; erweise uns
die Gunst und speise an unserer Tafel. Zwar wird das Essen nicht so
glänzend und lecker sein, als du es gewohnt bist; aber ich denke, du
wirst es dennoch annehmen, da ich es dir mit dankbarem Herzen anbiete.«
— »Herr,« erwiderte Chogia Husein, »ich bin dir sehr verpflichtet für
dein höfliches Anerbieten und bin vollkommen von deiner huldvollen
Gesinnung überzeugt; glaube mir, daß ich mit Vergnügen deiner Einladung
folgen würde und daß ich sie nicht aus Mißachtung oder Unhöflichkeit
ausschlage, aber ein besonderer Umstand zwingt mich dazu, nach Hause
zurückzukehren.« Erwiderte Ali Baba: »Sage mir, Herr, was für ein Grund
das sein mag?« Der Kaufmann entgegnete: »Ich will es dir mitteilen;
ich darf nämlich kein Fleisch und keinerlei Fische essen, die mit Salz
bereitet sind; gewiß würde ich dir bei Tisch nur Unannehmlichkeiten
bereiten.« — »Wenn dies allein der Grund ist,« sagte Ali Baba und bat
noch dringender, »so sollst du uns nicht der Ehre deiner Gesellschaft
berauben. An unserm Brote, das du bei uns essen wirst, ist niemals
Salz, und was den Fisch und das Fleisch betrifft, so werde ich der
Köchin Befehl geben, bei ihrer Zubereitung ebenfalls kein Salz zu
gebrauchen. Entschuldige mich einen Augenblick, denn ich will der
Köchin selbst Bescheid bringen; ich kehre im Augenblick zu dir zurück.«
Sogleich begab sich Ali Baba in die Küche zu Morgiana und gebot ihr,
in keine der Schüsseln, die sie heute auftragen würde, Salz zu tun und
außerdem noch einige Gerichte zu bereiten, die ebenfalls ungesalzen
wären. Morgiana erstaunte höchlich über diesen neuen Befehl und war
sehr unzufrieden darüber; mit verdrossenem Gesicht wandte sie sich
um und fragte ihren Herrn: »Wer ist denn dieser seltsame Mann, der
alle Speisen ungesalzen haben will? Das Essen wird verderben, wenn
ich es nicht sogleich auftragen kann.« — »Sei nicht böse, Morgiana,«
besänftigte sie Ali Baba, »sondern tu nur nach meinem Geheiß. Ein
redlicher, wackerer Mann ist bei uns eingekehrt.« Morgiana befolgte,
was Ali Baba gesagt hatte; aber sie war widerwillig und wunderte sich
im stillen; auch plagte sie die Neugierde, den Mann zu sehen, der so
wunderliche Forderungen stellte. Als das Essen bereitet war, half sie
dem Sklaven Abdallah, der soeben den Tisch gedeckt hatte, die Speisen
hineinzubringen. Sie betrachtete Chogia Husein mit scharfen und
mißtrauischen Blicken und erkannte sofort, wer er war, trotz seiner
Verkleidung; zudem bemerkte sie, als sie ihn aufmerksam von der Seite
musterte, daß er einen Dolch unter seinem Gewande verborgen hatte.
»Nun weiß ich,« sprach sie entrüstet in ihrem Herzen, »warum dieser
Gottlose kein Salz mit meinem Herrn essen mag: er ist sein Todfeind und
trachtet ihm nach dem Leben, darum verschmäht er das Sinnbild der Treue
und Unverletzlichkeit. Aber ich will ihm zuvorkommen und ihn auf immer
daran hindern, meinem Herrn ein Böses zuzufügen.«

 [Illustration: Als Morgiana die ganze Zeit auf der Hut gewesen war.]

Nachdem Morgiana alle Speisen hineingebracht hatte, ging sie wieder
in die Küche zurück und überlegte, während die Herren aßen, wie sie
ihren Plan am besten und sichersten ausführen könnte. Während sie noch
nachdachte, kam Abdallah herein und meldete, daß Ali Baba befohlen
habe, den Nachtisch zu reichen. Der Sklave räumte den Tisch ab, und
Morgiana trug frische und getrocknete Früchte auf, stellte sie auf ein
kleines Tischchen, zugleich mit einer Flasche Wein und drei Schalen
und ging dann mit Abdallah hinaus, um die Schmausenden nicht etwa beim
vertraulichen Gespräche zu belästigen; sie stellte sich so, als wollte
auch sie nun ihr Nachtmahl einnehmen.

Da freute sich Chogia Husein, oder vielmehr der Räuberhauptmann, denn
er glaubte, daß endlich der günstige Augenblick nahe sei, und sprach
bei sich selbst: »Jetzt ist die Luft frei, und ich kann Rache nehmen!
Ich will die beiden betrunken machen und dem Dieb mein Messer in die
Brust stoßen; seinen Sohn will ich gern verschonen, wenn er sich nicht
widersetzt oder Lärm schlägt. Ich muß aber warten, bis die Köchin und
der Sklave ihr Abendbrot gegessen und sich zur Ruhe begeben haben. Ich
werde wie das erstemal über die Mauer steigen und in den Nachbargarten
entfliehen.«

Morgiana, welche die Absicht des falschen Kaufmanns mit klugem Sinne
durchschaut hatte, war darauf bedacht, ihm keinen Vorteil zu gewähren
und ihn sobald wie möglich an der Ausführung seines arglistigen
Planes zu hindern. Sie legte rasch ein reizendes Kleid an, wie es die
Tänzerinnen zu tragen pflegen, schmückte sich mit einem schillernden
Kopfputze und umgürtete sich mit einem golddurchwirkten Gürtel, in
welchem sie einen Dolch befestigte, dessen Scheide mit herrlichen
Edelsteinen geschmückt war; ihr Gesicht verhüllte sie mit einem
fließenden Schleier. Als sie sich so verkleidet hatte, sprach sie zu
dem Sklaven Abdallah: »Geh und hole deine Schellentrommel, und laß
uns vor unseren Gästen tanzen und ein fröhliches Spiel aufführen,
damit wir sie nach Gebühr erheitern.« Der Sklave tat, wie sie befohlen
hatte, spielte die Schellentrommel und ging so vor Morgiana her in
den Saal hinein. Morgiana verneigte sich tief und mit Anmut und erbat
sich die Erlaubnis, zu tanzen und zu singen. »Unterhaltet nur unsern
werten Gast,« sagte Ali Baba lächelnd, und zu dem Kaufmanne gewandt,
fuhr er fort: »Glaube nicht, mein Freund, daß dieses Vergnügen mir
große Unkosten bereitet; du siehst, es ist niemand anders als meine
Köchin und der Sklave, die uns oft ihre Tänze zum besten geben. Ich
hoffe, auch du wirst dich ein wenig durch die beiden belustigen
lassen.« Chogia Husein war über diesen Zwischenfall sehr verstimmt,
denn er glaubte, daß ihm der günstige Augenblick nun entglitten sei; er
verwünschte die beiden Tänzer, stellte sich aber so, als wäre er sehr
erfreut über diese unerwartete Unterhaltung und sagte: »Ich bin dir
sehr dankbar für deine Überraschung; was dir Vergnügen bereitet, lieber
Gastgeber, das will ich nicht verschmähen, denn auch ich werde gewiß
viel Vergnügen daran finden.«

Sofort begann Abdallah aufs neue die Schellentrommel zu schlagen
und ein frisches Lied zu singen. Morgiana erhob sich und fing an zu
tanzen; sie wiegte sich und beugte sich, hüpfte vorwärts und zurück
in zierlichsten Schritten, bewegte sich heiter und ungezwungen und
erntete bei allen Anwesenden besondern Beifall. Nur der falsche
Kaufmann beachtete ihre Kunst sehr wenig und blickte oft verdrossen
und enttäuscht vor sich hin. Nachdem Morgiana verschiedene schwierige
Stellungen ausgeführt hatte, zog sie plötzlich den Dolch aus dem
Gürtel, schwang ihn in der Hand und begann einen neuen Tanz, der den
drei Zuschauern am meisten gefiel. Sie bildete die verschiedensten
und kühnsten Figuren, streckte bald den Dolch wie zum Stoße empor,
richtete ihn bald auf ihren eigenen Busen und ließ ihn in der
Luft blitzen und funkeln. Dann riß sie dem Sklaven Abdallah die
Schellentrommel aus der Hand, während sie in der Rechten noch den Dolch
hielt und bot den Zuschauern die hohle Seite der Trommel dar, um Geld
einzusammeln, wie es die gewerbsmäßigen Tänzer und Tänzerinnen zu tun
pflegen. Ali Baba warf ihr ein Goldstück in die Trommel; dann trat sie
vor seinen Sohn hin, der ihr auch eine hohe Münze gab, und schließlich
vor Chogia Husein, der schon seinen Beutel hervorzog, als er sie auf
sich zukommen sah. Eben wollte er eine Gabe in die Trommel werfen, als
Morgiana mit Mut und Entschlossenheit ihm den blitzenden Dolch mitten
durch das Herz stieß, so daß der Räuber tot wie ein Stein zurücksank.

Ali Baba und sein Sohn sprangen entsetzt empor und erhoben ein lautes
Geschrei. »Unselige!« rief Ali Baba und packte Morgiana heftig bei der
Hand, »was hast du getan! Du hast mich und meine ganze Familie in das
Unglück gestürzt!« Morgiana blieb sehr ruhig und sagte: »Du irrst dich,
Herr, ich habe dich vielmehr vor einem Unglück errettet; merk auf, was
ich dir zeige.« Damit löste sie Chogia Huseins Kleider und zeigte Ali
Baba den Dolch, den der falsche Kaufmann in seinem Gewande verborgen
hatte. »Blick ihn dir genau an,« fuhr Morgiana fort, als Ali Baba
voll Staunen und Erschrecken zurückwich; »du siehst, daß du deinen
Todfeind vor dir hattest. Erkennst du nicht den Ölhändler wieder und
den Hauptmann der vierzig Räuber? Nun weißt du, warum der Schändliche
kein Salz mit dir zu essen wünschte; ich schöpfte Argwohn wider ihn
und blickte ihm prüfend ins Angesicht, denn ich war davon überzeugt,
daß er dich verderben wollte. Mein Verdacht war nicht grundlos, wie
du dich soeben überzeugt hast; dem Himmel sei Preis und Lob, daß er
dich aus der Gefahr befreit hat!« Ali Baba war tief gerührt über ihre
Wachsamkeit und Treue und überschüttete Morgiana mit Dankesbezeigungen,
weil sie ihm zum zweiten Male das Leben gerettet hatte. »Ich habe
dir die Freiheit geschenkt; nun möchte ich dich auch fest an unsere
Familie binden, denn ich will dich mit meinem Sohne vermählen.« Dann
wandte er sich zu seinem Sohne und sprach: »Ich glaube, du wirst meinen
Wunsch gutheißen und dich nicht widersetzen, wenn ich dir Morgiana zur
Frau gebe. Denn auch du bist ihr zu Dank verpflichtet; Chogia Husein
hat ja deine Freundschaft nur darum gesucht, damit er desto leichter
Gelegenheit fände, mich meuchlings zu ermorden. Aber Morgiana hat
uns durch ihren Mut und ihre Entschlossenheit gerettet, und du wirst
erkennen, daß ihre Pflichttreue und ihre Klugheit unserer Familie
zur Zierde gereichen werden bis ans Ende unserer Tage.« Der Jüngling
zeigte nicht das geringste Widerstreben, sondern erklärte sich ohne
Umschweife bereit, Morgiana zu heiraten, nicht nur aus Gehorsam gegen
den Vater, sondern auch aus inniger Zuneigung zu dem wackern Mädchen.
Dann nahmen alle drei die Leiche des Räuberhauptmanns, trugen sie
hinaus in den Garten und vergruben sie in aller Stille und mit Eile
neben den übrigen Banditen, so daß erst nach langen Jahren, als
niemand von den Beteiligten mehr am Leben war, die Geschichte dieses
wunderlichen Abenteuers bekannt wurde.

Kurze Zeit darauf feierte Ali Baba die Hochzeit seines Sohnes mit
seiner ehemaligen Sklavin; er richtete ein glanzvolles Fest her und
verschönte es durch Tänze und mancherlei Lustbarkeiten. Er freute sich
aber besonders, daß alle Nachbarn, die er geladen hatte, die Vorzüge
Morgianas priesen, ohne die wahren Beweggründe zu ihrer Vermählung zu
kennen.

Seitdem Ali Baba zum letzten Male in der Höhle gewesen war und dort die
Leiche seines Bruders gefunden hatte, war er nie wieder an den Felsen
zurückgekehrt, da er sich vor den Räubern fürchtete und beständig in
der Gefahr lebte, er könnte vielleicht von ihnen überrascht werden.
Noch lange Zeit nach dem Tode des Hauptmanns hütete er sein Geheimnis,
weil er besorgte, daß noch die beiden übrigen Banditen am Leben sein
könnten. Erst nach einem Jahre, als ihm keine Unannehmlichkeiten
wieder begegnet waren, bestieg er eines Morgens sein Pferd und
ritt vorsichtig hinaus in den Wald nach der Grotte; er fand weder
Spuren von Menschen, noch von Tieren und freute sich über dieses
gute Vorzeichen; sein Roß band er an einem Baume fest, näherte sich
dann der Türe und sprach die Worte, die er nicht aus dem Gedächtnis
verloren hatte: »Sesam, öffne dich!« Sofort tat sich die Türe auf,
er trat ein und sah die Waren und den Schatz noch unberührt; daraus
konnte er erkennen, daß niemand mehr in dem Felsen gewesen und daß
keiner von den Räubern mehr am Leben war. Dies überzeugte ihn, daß er
allein um das Geheimnis der Höhle wußte; er war Herr all der Schätze,
die in unermeßlichen Mengen vor ihm ausgebreitet lagen. Er nahm einen
Sack, füllte ihn mit soviel Gold, wie sein Tier zu tragen vermochte,
und kehrte dann vergnügt und zufrieden in die Stadt zurück. Er lebte
noch lange in Glanz und Reichtum; und als er sein Ende nahen fühlte,
weihte er seinen Sohn in das Geheimnis ein, so daß durch den Segen des
Schatzes von Kind zu Kindeskindern Glück und Wohlstand blühten, weil
sie ihren Reichtum mit Mäßigung und durch Wohltun genossen.




                                AUSGANG


Also erzählte Schehersad dem Könige Scheherban viele wundersame Märchen
in den tausendundein Nächten; als sie das letzte beendet hatte,
kniete sie vor dem Sultan nieder und sprach: »Hoher Gemahl, König der
Zeit, darf ich dich nun um eine Belohnung bitten und mir eine Gnade
erwirken?« Der Sultan erwiderte: »Du hast mich mit deinen Erzählungen
aufs höchste beglückt, Schehersad; darum will ich dir deine Wünsche
gern gewähren.« Da rief sie die Ammen herein und befahl ihnen, ihre
drei Söhne zu bringen, die sie während der Zeit geboren hatte; der
eine konnte noch nicht laufen, der andere kroch noch am Boden, und
der dritte lag noch an der Brust seiner Wärterin. Sprach Schehersad:
»O Herr deines Jahrhunderts, sieh hier unsere Kinder: schenke mir um
ihretwillen das Leben, damit sie nicht mutterlos werden!« Der König
weinte vor Rührung, umarmte sie und sprach: »Ich habe deinen edlen und
klugen Sinn erkannt und hatte schon längst beschlossen, dich vor dem
Tode zu bewahren. Allah sei mit dir und unseren Kindern!« Schehersad
kniete nieder vor dem König, küßte ihm die Hand und wünschte ihm Glück
und ein langes ruhmvolles Leben.

Als die freudige Nachricht in der Stadt bekannt wurde, herrschte
überall Jubel und Frohlocken. Am nächsten Morgen rief der König seine
Truppen zusammen und schenkte dem Wesir, seinem Schwiegervater, ein
Prunkgewand und stattete ihm seinen Dank dafür ab, daß er ihm seine
gute und weise Tochter zur Gemahlin gegeben habe. Er verteilte viele
Almosen, beschenkte auch alle übrigen Emire und Hofleute und ließ in
der Stadt Spiele und Lustbarkeiten veranstalten. Noch lange Jahre
herrschte er voll Güte und Weisheit, bis ihn der Tod hinwegnahm, der
alle irdischen Bande unerbittlich löst.

       *       *       *       *       *

Preis und Ehre sei dem, der über aller Zeit herrscht; gelobt sei er mit
seinem Gesandten Muhammed, der Zierde aller Sterblichen!




                      Anmerkungen des Bearbeiters


Das Inhaltsverzeichnis und das Bilderverzeichnis wurden an den Anfang
des Textes verschoben.

Die Bilder wurden passend zum Text neu positioniert.

Unterschiedliche Schreibweisen desselben Wortes wurden vereinheitlicht.

Geringfügige Zeichensetzungsfehler wurden stillschweigend korrigiert.

Seite 141: Ein abschließendes Anführungszeichen wurde hinzugefügt zu:
und deinem Rat unterstützt.«

Seite 162: "uud" geändert zu "und" in: Offiziere und ich selber

Seite 162: Ein einleitendes Zitat wurde hinzugefügt zu: erwiderte er
endlich, »ich bin Gemahl der Fee

Seite 166: "irdendwie" geändert zu "irgendwie" in: ohne daß man dabei
irgendwie Hand«

Seite 195: "ihm" geändert zu "ihr" in: befahl ihr, den Schatz
schleunigst zu

Seite 205: "selbt" geändert zu "selbst" in: Was bedeutet das?« fragte
sie sich selbst.

Das Umschlagbild wurde vom Bearbeiter gestaltet und in die Public
Domain eingebracht.





*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ARABISCHE NÄCHTE ***


    

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Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™

Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s
goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg™ and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state’s laws.

The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
visit www.gutenberg.org/donate.

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate.

Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of
volunteer support.

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the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
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