Klein Zaches, genannt Zinnober: Ein Märchen

By E. T. A. Hoffmann

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Title: Klein Zaches, genannt Zinnober

Author: E. T. A. Hoffmann

Posting Date: October 3, 2014 [EBook #9200]
Release Date: October, 2005
First Posted: September 15, 2003

Language: German


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Klein Zaches
genannt Zinnober

Ein Märchen

E.T.A. Hoffmann







Erstes Kapitel: Der kleine Wechselbalg. - Dringende Gefahr einer
    Pfarrersnase. - Wie Fürst Paphnutius in seinem Lande die
    Aufklärung einführte und die Fee Rosabelverde in ein Fräuleinstift
    kam.

Zweites Kapitel: Von der unbekannten Völkerschaft, die der Gelehrte
    Ptolomäus Philadelphus auf seinen Reisen entdeckte. - Die
    Universität Kerepes. - Wie dem Studenten Fabian ein Paar
    Reitstiefel um den Kopf flogen und der Professor Mosch Terpin den
    Studenten Balthasar zum Tee einlud.

Drittes Kapitel: Wie Fabian nicht wußte, was er sagen sollte. -
    Candida und Jungfrauen, die nicht Fische essen dürfen. - Mosch
    Terpins literarischer Tee. - Der junge Prinz.

Viertes Kapitel: Wie der italienische Geiger Sbiocca den Herrn
    Zinnober in den Kontrabaß zu werfen drohte, und der Referendarius
    Pulcher nicht zu auswärtigen Angelegenheiten gelangen konnte. -
    Von Maut-Offizianten und zurückbehaltenen Wundern fürs Haus. -
    Balthasars Bezauberung durch einen Stockknopf.

Fünftes Kapitel: Wie Fürst Barsanuph Leipziger Lerchen und Danziger
    Goldwasser frühstückte, einen Butterfleck auf die Kasimirhose
    bekam und den Geheimen Sekretär Zinnober zum Geheimen Spezialrat
    erhob. - Die Bilderbücher des Doktors Prosper Alpanus. - Wie
    ein Portier den Studenten Fabian in den Finger biß, dieser ein
    Schleppkleid trug und deshalb verhöhnt wurde. - Balthasars Flucht.

Sechstes Kapitel: Wie der Geheime Spezialrat Zinnober in seinem
    Garten frisiert wurde und im Grase ein Taubad nahm. - Der
    Orden des grüngefleckten Tigers. - Glücklicher Einfall eines
    Theaterschneiders. - Wie das Fräulein von Rosenschön sich
    mit Kaffee begoß und Prosper Alpanus ihr seine Freundschaft
    versicherte.

Siebentes Kapitel: Wie der Professor Mosch Terpin im fürstlichen
    Weinkeller die Natur erforschte. - Mycetes Belzebub. -
    Verzweiflung des Studenten Balthasar. - Vorteilhafter Einfluß
    eines wohleingerichteten Landhauses auf das häusliche Glück. - Wie
    Prosper Alpanus dem Balthasar eine schildkrötene Dose überreichte
    und davonritt.

Achtes Kapitel: Wie Fabian seiner langen Rockschöße halber für einen
    Sektierer und Tumultuanten gehalten wurde. - Wie Fürst Barsanuph
    hinter den Kaminschirm trat und den Generaldirektor der
    natürlichen Angelegenheiten kassierte. - Zinnobers Flucht aus
    Mosch Terpins Hause. - Wie Mosch Terpin auf einem Sommervogel
    ausreiten und Kaiser werden wollte, dann aber zu Bette ging.

Neuntes Kapitel: Verlegenheit eines treuen Kammerdieners. - Wie die
    alte Liese eine Rebellion anzettelte und der Minister Zinnober
    auf der Flucht ausglitschte. - Auf welche merkwürdige Weise der
    Leibarzt des Fürsten Zinnobers jähen Tod erklärte. - Wie Fürst
    Barsanuph sich betrübte, Zwiebeln aß, und wie Zinnobers Verlust
    unersetzlich blieb.

Letztes Kapitel: Wehmütige Bitten des Autors. - Wie der Professor
    Mosch Terpin sich beruhigte und Candida niemals verdrießlich
    werden konnte. - Wie ein Goldkäfer dem Doktor Prosper Alpanus
    etwas ins Ohr summte, dieser Abschied nahm und Balthasar eine
    glückliche Ehe führte.



Erstes Kapitel

Der kleine Wechselbalg. - Dringende Gefahr einer Pfarrersnase. - Wie
Fürst Paphnutius in seinem Lande die Aufklärung einführte und die Fee
Rosabelverde in ein Fräuleinstift kam.

Unfern eines anmutigen Dorfes, hart am Wege, lag auf dem von der
Sonnenglut erhitzten Boden hingestreckt ein armes zerlumptes
Bauerweib. Vom Hunger gequält, vor Durst lechzend, ganz verschmachtet,
war die Unglückliche unter der Last des im Korbe hoch aufgetürmten
dürren Holzes, das sie im Walde unter den Bäumen und Sträuchern mühsam
aufgelesen, niedergesunken, und da sie kaum zu atmen vermochte,
glaubte sie nicht anders, als daß sie nun wohl sterben, so sich aber
ihr trostloses Elend auf einmal enden werde. Doch gewann sie bald
so viel Kraft, die Stricke, womit sie den Holzkorb auf ihrem Rücken
befestigt, loszunesteln und sich langsam heraufzuschieben auf einen
Grasfleck, der gerade in der Nähe stand. Da brach sie nun aus in laute
Klagen: "Muß," jammerte sie, "muß mich und meinen armen Mann allein
denn alle Not und alles Elend treffen? Sind wir denn nicht im ganzen
Dorfe die einzigen, die aller Arbeit, alles sauer vergessenen
Schweißes ungeachtet in steter Armut bleiben und kaum so viel
erwerben, um unsern Hunger zu stillen? - Vor drei Jahren, als mein
Mann beim Umgraben unseres Gartens die Goldstücke in der Erde fand,
ja, da glaubten wir, das Glück sei endlich eingekehrt bei uns und nun
kämen die guten Tage; aber was geschah! - Diebe stahlen das Geld,
Haus und Scheune brannten uns über dem Kopfe weg, das Getreide auf
dem Acker zerschlug der Hagel, und um das Maß unseres Herzeleids
vollzumachen bis über den Rand, strafte uns der Himmel noch mit diesem
kleinen Wechselbalg, den ich zu Schand' und Spott des ganzen Dorfs
gebar. - Zu St.-Laurenztag ist nun der Junge drittehalb Jahre gewesen
und kann auf seinen Spinnenbeinchen nicht stehen, nicht gehen und
knurrt und miaut, statt zu reden, wie eine Katze. Und dabei frißt die
unselige Mißgeburt wie der stärkste Knabe von wenigstens acht Jahren,
ohne daß es ihm im mindesten was anschlägt. Gott erbarme sich über ihn
und über uns, daß wir den Jungen großfüttern müssen uns selbst zur
Qual und größerer Not; denn essen und trinken immer mehr und mehr wird
der kleine Däumling wohl, aber arbeiten sein Lebetage nicht! Nein,
nein, das ist mehr als ein Mensch aushalten kann auf dieser Erde! -
Ach könnt' ich nur sterben - nur sterben!" Und damit fing die Arme an
zu weinen und zu schluchzen, bis sie endlich, vom Schmerz übermannt,
ganz entkräftet einschlief. -

Mit Recht konnte das Weib über den abscheulichen Wechselbalg klagen,
den sie vor drittehalb Jahren geboren. Das, was man auf den ersten
Blick sehr gut für ein seltsam verknorpeltes Stückchen Holz
hätte ansehen können, war nämlich ein kaum zwei Spannen hoher,
mißgestalteter Junge, der von dem Korbe, wo er querüber gelegen,
heruntergekrochen, sich jetzt knurrend im Grase wälzte. Der Kopf stak
dem Dinge tief zwischen den Schultern, die Stelle des Rückens vertrat
ein kürbisähnlicher Auswuchs, und gleich unter der Brust hingen
die haselgertdünnen Beinchen herab, daß der Junge aussah wie ein
gespalteter Rettich. Vom Gesicht konnte ein stumpfes Auge nicht viel
entdecken, schärfer hinblickend, wurde man aber wohl die lange spitze
Nase, die aus schwarzen struppigen Haaren hervorstarrte, und ein Paar
kleine, schwarz funkelnde Äuglein gewahr, die, zumal bei den übrigens
ganz alten, eingefurchten Zügen des Gesichts, ein klein Alräunchen
kundzutun schienen. -

Als nun, wie gesagt, das Weib über ihren Gram in tiefen Schlaf
gesunken war und ihr Söhnlein sich dicht an sie herangewälzt hatte,
begab es sich, daß das Fräulein von Rosenschön, Dame des nahegelegenen
Stifts, von einem Spaziergange heimkehrend, des Weges daherwandelte.
Sie blieb stehen und wurde, da sie von Natur fromm und mitleidig,
bei dem Anblick des Elends, der sich ihr darbot, sehr gerührt. "O du
gerechter Himmel," fing sie an, "wieviel Jammer und Not gibt es doch
auf dieser Erde! - Das unglückliche Weib! - Ich weiß, daß sie kaum das
liebe Leben hat, da arbeitet sie über ihre Kräfte und ist vor Hunger
und Kummer hingesunken! - Wie fühle ich jetzt erst recht empfindlich
meine Armut und Ohnmacht! Ach, könnt' ich doch nur helfen, wie ich
wollte! - Doch das, was mir noch übrig blieb, die wenigen Gaben, die
das feindselige Verhängnis mir nicht zu rauben, nicht zu zerstören
vermochte, die mir noch zu Gebote stehen, die will ich kräftig und
getreu nützen, um dem Leidwesen zu steuern. Geld, hätte ich auch
darüber zu gebieten, würde dir gar nichts helfen, arme Frau, sondern
deinen Zustand vielleicht noch gar verschlimmern. Dir und deinem Mann,
euch beiden ist nun einmal Reichtum nicht beschert, und wem Reichtum
nicht beschert ist, dem verschwinden die Goldstücke aus der Tasche,
er weiß selbst nicht wie, er hat davon nichts als großen Verdruß und
wird, je mehr Geld ihm zuströmt, nur desto ärmer. Aber ich weiß es,
mehr als alle Armut, als alle Not, nagt an deinem Herzen, daß du jenes
kleine Untierchen gebarst, das sich wie eine böse unheimliche Last an
dich hängt, die du durch das Leben tragen mußt. - Groß - schön - stark
- verständig, ja, das alles kann der Junge nun einmal nicht werden,
aber es ist ihm vielleicht noch auf andere Weise zu helfen." - Damit
setzte sich das Fräulein nieder ins Gras und nahm den Kleinen auf den
Schoß. Das böse Alräunchen sträubte und spreizte sich, knurrte und
wollte das Fräulein in den Finger beißen, _die_ sprach aber: "Ruhig,
ruhig, kleiner Maikäfer!" und strich leise und linde mit der flachen
Hand ihm über den Kopf von der Stirn herüber bis in den Nacken.
Allmählich glättete sich während des Streichelns das struppige Haar
des Kleinen aus, bis es gescheitelt, an der Stirne fest anliegend, in
hübschen weichen Locken hinabwallte auf die hohen Schultern und den
Kürbisrücken. Der Kleine war immer ruhiger geworden und endlich fest
eingeschlafen. Da legte ihn das Fräulein Rosenschön behutsam dicht
neben der Mutter hin ins Gras, besprengte diese mit einem geistigen
Wasser aus dem Riechfläschchen, das sie aus der Tasche gezogen, und
entfernte sich dann schnellen Schrittes.

Als die Frau bald darauf erwachte, fühlte sie sich auf wunderbare
Weise erquickt und gestärkt. Es war ihr, als habe sie eine tüchtige
Mahlzeit gehalten und einen guten Schluck Wein getrunken. "Ei," rief
sie aus, "wie ist mir doch in dem bißchen Schlaf so viel Trost, so
viel Munterkeit gekommen! - Aber die Sonne ist schon bald herab
hinter den Bergen, nun fort nach Hause!" - Damit wollte sie den Korb
aufpacken, vermißte aber, als sie hineinsah, den Kleinen, der in
demselben Augenblick sich aus dem Grase aufrichtete und weinerlich
quäkte. Als nun die Mutter sich nach ihm umschaute, schlug sie vor
Erstaunen die Hände zusammen und rief - "Zaches - Klein Zaches, wer
hat dir denn unterdessen die Haare so schön gekämmt! - Zaches - Klein
Zaches, wie hübsch würden dir die Locken kleiden, wenn du nicht solch
ein abscheulich garstiger Junge wärst! - Nun, komm nur, komm! - hinein
in den Korb!" Sie wollte ihn fassen und quer über das Holz legen, da
strampelte aber Klein Zaches mit den Beinen, grinste die Mutter an und
miaute sehr vernehmlich: "Ich mag nicht!" - "Zaches! - Klein Zaches!"
schrie die Frau ganz außer sich, "wer hat dich denn unterdessen reden
gelehrt? Nun! wenn du solch schön gekämmte Haare hast, wenn du so
artig redest, so wirst du auch wohl laufen können." Die Frau huckte
den Korb auf den Rücken, Klein Zaches hing sich an ihre Schürze, und
so ging es fort nach dem Dorfe.

Sie mußten bei dem Pfarrhause vorüber, da begab es sich, daß der
Pfarrer mit seinem jüngsten Knaben, einem bildschönen goldlockigen
Jungen von drei Jahren, in seiner Haustüre stand. Als der nun die Frau
mit dem schweren Holzkorbe und mit Klein Zaches, der an ihrer Schürze
baumelte, daherkommen sah, rief er ihr entgegen: "Guten Abend, Frau
Liese, wie geht es Euch - Ihr habt ja eine gar zu schwere Bürde
geladen, Ihr könnt ja kaum mehr fort, kommt her, ruht Euch ein wenig
aus auf dieser Bank vor meiner Türe, meine Magd soll Euch einen
frischen Trunk reichen!" - Frau Liese ließ sich das nicht zweimal
sagen, sie setzte ihren Korb ab und wollte eben den Mund öffnen, um
dem ehrwürdigen Herrn all ihren Jammer, ihre Not zu klagen, als Klein
Zaches bei der raschen Wendung der Mutter das Gleichgewicht verlor und
dem Pfarrer vor die Füße flog. Der bückte sich rasch nieder und hob
den Kleinen auf, indem er sprach: "Ei, Frau Liese, Frau Liese, was
habt Ihr da für einen bildschönen allerliebsten Knaben! Das ist ja
ein wahrer Segen des Himmels, ein solch wunderbar schönes Kind zu
besitzen." Und damit nahm er den Kleinen in die Arme und liebkoste ihn
und schien es gar nicht zu bemerken, daß der unartige Däumling gar
häßlich knurrte und mauzte und den ehrwürdigen Herrn sogar in die
Nase beißen wollte. Aber Frau Liese stand ganz verblüfft vor dem
Geistlichen und schaute ihn an mit aufgerissenen starren Augen und
wußte gar nicht, was sie denken sollte. "Ach, lieber Herr Pfarrer,"
begann sie endlich mit weinerlicher Stimme, "ein Mann Gottes, wie Sie,
treibt doch wohl nicht seinen Spott mit einem armen unglücklichen
Weibe, das der Himmel, mag er selbst wissen warum, mit diesem
abscheulichen Wechselbalge gestraft hat!" "Was spricht," erwiderte
der Geistliche sehr ernst, "was spricht Sie da für tolles Zeug, liebe
Frau! von Spott - Wechselbalg - Strafe des Himmels - ich verstehe Sie
gar nicht und weiß nur, daß Sie ganz verblendet sein muß, wenn Sie
Ihren hübschen Knaben nicht recht herzlich liebt. - Küsse mich,
artiger kleiner Mann!" - Der Pfarrer herzte den Kleinen, aber Zaches
knurrte: "Ich mag nicht!" und schnappte aufs neue nach des Geistlichen
Nase. - "Seht die arge Bestie!" rief Liese erschrocken; aber in dem
Augenblick sprach der Knabe des Pfarrers: "Ach, lieber Vater, du bist
so gut, du tust so schön mit den Kindern, die müssen wohl alle dich
recht herzlich lieb haben!" "O hört doch nur," rief der Pfarrer, indem
ihm die Augen vor Freude glänzten, "O hört doch nur, Frau Liese,
den hübschen verständigen Knaben, Euren lieben Zaches, dem Ihr so
übelwollt. Ich merk' es schon, Ihr werdet Euch nimmermehr was aus
dem Knaben machen, sei er auch noch so hübsch und verständig. Hört,
Frau Liese, überlaßt mir Euer hoffnungsvolles Kind zur Pflege und
Erziehung. Bei Eurer drückenden Armut ist Euch der Knabe nur eine
Last, und mir macht es Freude, ihn zu erziehen wie meinen eignen
Sohn!" -

Liese konnte vor Erstaunen gar nicht zu sich selbst kommen, ein Mal
über das andere rief sie: "Aber, lieber Herr Pfarrer - lieber Herr
Pfarrer, ist denn das wirklich Ihr Ernst, daß Sie die kleine Ungestalt
zu sich nehmen und erziehen und mich von der Not befreien wollen,
die ich mit dem Wechselbalg habe?" - Doch, je mehr die Frau die
abscheuliche Häßlichkeit ihres Alräunchens dem Pfarrer vorhielt, desto
eifriger behauptete dieser, daß sie in ihrer tollen Verblendung gar
nicht verdiene, vom Himmel mit dem herrlichen Geschenk eines solchen
Wunderknaben gesegnet zu sein, bis er zuletzt ganz zornig mit Klein
Zaches auf dem Arm hineinlief in das Haus und die Türe von innen
verriegelte.

Da stand nun Frau Liese wie versteinert vor des Pfarrers Haustüre und
wußte gar nicht, was sie von dem allem denken sollte. "Was um aller
Welt willen," sprach sie zu sich selbst, "ist denn mit unserm würdigen
Herrn Pfarrer geschehen, daß er in meinen Klein Zaches so ganz und
gar vernarrt ist und den einfältigen Knirps für einen hübschen,
verständigen Knaben hält? - Nun! helfe Gott dem lieben Herrn, er
hat mir die Last von den Schultern genommen und sie sich selbst
aufgeladen, mag er nun zusehen, wie er sie trägt! - Hei! wie leicht
geworden ist nun der Holzkorb, da Klein Zaches nicht mehr darauf sitzt
und mit ihm die schwerste Sorge!" -

Damit schritt Frau Liese, den Holzkorb auf dem Rücken, lustig und
guter Dinge fort ihres Weges! - -

Wollte ich auch zurzeit noch gänzlich darüber schweigen, du würdest,
günstiger Leser, dennoch wohl ahnen, daß es mit dem Stiftsfräulein von
Rosenschön, oder wie sie sich sonst nannte, Rosengrünschön, eine ganz
besondere Bewandtnis haben müsse. Denn nichts anders war es wohl, als
die geheimnisvolle Wirkung ihres Kopfstreichelns und Haarausglättens,
daß Klein Zaches von dem gutmütigen Pfarrer für ein schönes und
kluges Kind angesehn und gleich wie sein eignes aufgenommen wurde.
Du könntest, lieber Leser, aber doch, trotz deines vortrefflichen
Scharfsinns, in falsche Vermutungen geraten oder gar zum großen
Nachteil der Geschichte viele Blätter überschlagen, um nur gleich mehr
von dem mystischen Stiftsfräulein zu erfahren; besser ist es daher
wohl, ich erzähle dir gleich alles, was ich selbst von der würdigen
Dame weiß.

Fräulein von Rosenschön war von großer Gestalt, edlem majestätischen
Wuchs und etwas stolzem, gebietendem Wesen. Ihr Gesicht, mußte man es
gleich vollendet schön nennen, machte, zumal wenn sie wie gewöhnlich
in starrem Ernst vor sich hinschaute, einen seltsamen, beinahe
unheimlichen Eindruck, was vorzüglich einem ganz besondern fremden
Zuge zwischen den Augenbrauen zuzuschreiben, von dem man durchaus
nicht recht wußte, ob ein Stiftsfräulein dergleichen wirklich auf der
Stirne tragen könne. Dabei lag aber auch oft, vorzüglich zur Rosenzeit
bei heiterm schönen Wetter, so viel Huld und Anmut in ihrem Blick, daß
jeder sich von süßem unwiderstehlichen Zauber befangen fühlte. Als ich
die Gnädige zum ersten- und letztenmal zu schauen das Vergnügen hatte,
war sie dem Ansehen nach eine Frau in der höchsten, vollendetsten
Blüte ihrer Jahre, auf der höchsten Spitze des Wendepunktes, und ich
meinte, daß mir großes Glück beschieden, die Dame noch eben auf dieser
Spitze zu erblicken und über ihre wunderbare Schönheit gewissermaßen
zu erschrecken, welches sich dann sehr bald nicht mehr würde zutragen
können. Ich war im Irrtum. Die ältesten Leute im Dorf versicherten,
daß sie das gnädige Fräulein gekannt hätten schon so lange als sie
dächten, und daß die Dame niemals anders ausgesehen habe, nicht älter,
nicht jünger, nicht häßlicher, nicht hübscher als eben jetzt. Die Zeit
schien also keine Macht zu haben über sie, und schon dieses konnte
manchem verwunderlich vorkommen. Aber noch manches andere trat hinzu,
worüber sich jeder, überlegte er es recht ernstlich, ebensosehr
wundern, ja zuletzt aus der Verwunderung, in die er verstrickt, gar
nicht herauskommen mußte. Fürs erste offenbarte sich ganz deutlich
bei dem Fräulein die Verwandtschaft mit den Blumen, deren Namen sie
trug. Denn nicht allein, daß kein Mensch auf Erden solche herrliche
tausendblättrige Rosen zu ziehen vermochte, als sie, so sprießten auch
aus dem schlechtesten dürresten Dorn, den sie in die Erde steckte,
jene Blumen in der höchsten Fülle und Pracht hervor. Dann war es
gewiß, daß sie auf einsamen Spaziergängen im Walde laute Gespräche
führte mit wunderbaren Stimmen, die aus den Bäumen, aus den Büschen,
aus den Quellen und Bächen zu tönen schienen. Ja, ein junger
Jägersmann hatte sie belauscht, wie sie einmal mitten im dicksten
Gehölz stand und seltsame Vögel mit buntem glänzenden Gefieder, die
gar nicht im Lande heimisch, sie umflatterten und liebkosten und
in lustigem Singen und Zwitschern ihr allerlei fröhliche Dinge zu
erzählen schienen, worüber sie lachte und sich freute. Daher kam es
denn auch, daß Fräulein von Rosenschön zu jener Zeit, als sie in das
Stift gekommen, bald die Aufmerksamkeit aller Leute in der Gegend
anregte. Ihre Aufnahme in das Fräuleinstift hatte der Fürst befohlen;
der Baron Prätextatus von Mondschein, Besitzer des Gutes, in dessen
Nähe jenes Stift lag, dem er als Verweser vorstand, konnte daher
nichts dagegen einwenden, ungeachtet ihn die entsetzlichsten Zweifel
quälten. Vergebens war nämlich sein Mühen geblieben, in Rixners
Turnierbuch und andern Chroniken die Familie Rosengrünschön
aufzufinden. Mit Recht zweifelte er aus diesem Grunde an der
Stiftsfähigkeit des Fräuleins, die keinen Stammbaum mit zweiunddreißig
Ahnen aufzuweisen hatte, und bat sie zuletzt ganz zerknirscht, die
hellen Tränen in den Augen, doch sich um des Himmels willen wenigstens
nicht Rosengrünschön, sondern Rosenschön zu nennen, denn in diesem
Namen sei doch noch einiger Verstand und ein Ahnherr möglich. - Sie
tat ihm das zu Gefallen. - Vielleicht äußerte sich des gekränkten
Prätextatus Groll gegen das ahnenlose Fräulein auf diese - jene Weise
und gab zuerst Anlaß zu der bösen Nachrede, die sich immer mehr und
mehr im Dorfe verbreitete. Zu jenen zauberhaften Unterhaltungen im
Walde, die indessen sonst nichts auf sich hatten, kamen nämlich
allerlei bedenkliche Umstände, die von Mund zu Mund gingen und des
Fräuleins eigentliches Wesen in gar zweideutiges Licht stellten.
Mutter Anne, des Schulzen Frau, behauptete keck, daß, wenn das
Fräulein stark zum Fenster heraus niese, allemal die Milch im ganzen
Dorfe sauer würde. Kaum hatte sich dies aber bestätigt, als sich das
Schreckliche begab. Schulmeisters Michel hatte in der Stiftsküche
gebratene Kartoffeln genascht und war von dem Fräulein darüber
betroffen worden, die ihm lächelnd mit dem Finger drohte. Da war dem
Jungen das Maul offen stehen geblieben, gerade als hätt' er eine
gebratene brennende Kartoffel darin sitzen immerdar, und er mußte
fortan einen Hut mit vorstehender breiter Krempe tragen, weil es sonst
dem Armen ins Maul geregnet hätte. Bald schien es gewiß zu sein, daß
das Fräulein sich darauf verstand, Feuer und Wasser zu besprechen,
Sturm und Hagelwolken zusammenzutreiben, Weichselzöpfe zu flechten
etc., und niemand zweifelte an der Aussage des Schafhirten, der zur
Mitternachtsstunde mit Schauer und Entsetzen gesehen haben wollte, wie
das Fräulein auf einem Besen brausend durch die Lüfte fuhr, vor ihr
her ein ungeheurer Hirschkäfer, zwischen dessen Hörnern blaue Flammen
hoch aufleuchteten! - Nun kam alles in Aufruhr, man wollte der Hexe
zu Leibe, und die Dorfgerichte beschlossen nichts Geringeres, als das
Fräulein aus dem Stift zu holen und sie ins Wasser zu werfen, damit
sie die gewöhnliche Hexenprobe bestehe. Der Baron Prätextatus ließ
alles geschehen und sprach lächelnd zu sich selbst: "So geht es
simplen Leuten ohne Ahnen, die nicht von solch altem guten Herkommen
sind, wie der Mondschein." Das Fräulein, unterrichtet von dem
bedrohlichen Unwesen, flüchtete nach der Residenz, und bald darauf
erhielt der Baron Prätextatus einen Kabinettsbefehl vom Fürsten des
Landes, mittelst dessen ihm bekannt gemacht, daß es keine Hexen
gäbe, und befohlen wurde, die Dorfgerichte für die naseweise Gier,
Schwimmkünste eines Stiftsfräuleins zu schauen, in den Turm werfen,
den übrigen Bauern und ihren Weibern aber andeuten zu lassen, bei
empfindlicher Leibesstrafe von dem Fräulein Rosenschön nicht schlecht
zu denken. Sie gingen in sich, fürchteten sich vor der angedrohten
Strafe und dachten fortan gut von dem Fräulein, welches für beide,
für das Dorf und für die Dame Rosenschön, die ersprießlichsten Folgen
hatte.

In dem Kabinett des Fürsten wußte man recht gut, daß das Fräulein von
Rosenschön niemand anders war, als die sonst berühmte weltbekannte Fee
Rosabelverde. Es hatte mit der Sache folgende Bewandtnis:

Auf der ganzen weiten Erde war wohl sonst kaum ein anmutigeres Land zu
finden, als das kleine Fürstentum, worin das Gut des Baron Prätextatus
von Mondschein lag, worin das Fräulein von Rosenschön hauste, kurz,
worin sich das alles begab, was ich dir, geliebter Leser, des
breiteren zu erzählen eben im Begriff stehe.

Von einem hohen Gebirge umschlossen, glich das Ländchen mit seinen
grünen, duftenden Wäldern, mit seinen blumigen Auen, mit seinen
rauschenden Strömen und lustig plätschernden Springquellen, zumal da
es gar keine Städte, sondern nur freundliche Dörfer und hin und wieder
einzeln stehende Paläste darin gab, einem wunderbar herrlichen Garten,
in dem die Bewohner wie zu ihrer Lust wandelten, frei von jeder
drückenden Bürde des Lebens. Jeder wußte, daß Fürst Demetrius das Land
beherrsche; niemand merkte indessen das mindeste von der Regierung,
und alle waren damit gar wohl zufrieden. Personen, die die volle
Freiheit in all ihrem Beginnen, eine schöne Gegend, ein mildes Klima
liebten, konnten ihren Aufenthalt gar nicht besser wählen als in dem
Fürstentum, und so geschah es denn, daß unter andern auch verschiedene
vortreffliche Feen von der guten Art, denen Wärme und Freiheit
bekanntlich über alles geht, sich dort angesiedelt hatten. Ihnen
mocht' es zuzuschreiben sein, daß sich beinahe in jedem Dorfe,
vorzüglich aber in den Wäldern sehr oft die angenehmsten Wunder
begaben und daß jeder, von dem Entzücken, von der Wonne dieser Wunder
ganz umflossen, völlig an das Wunderbare glaubte und, ohne es selbst
zu wissen, eben deshalb ein froher, mithin guter Staatsbürger blieb.
Die guten Feen, die sich in freier Willkür ganz dschinnistanisch
eingerichtet, hätten dem vortrefflichen Demetrius gern ein ewiges
Leben bereitet. Das stand indessen nicht in ihrer Macht. Demetrius
starb, und ihm folgte der junge Paphnutius in der Regierung.
Paphnutius hatte schon zu Lebzeiten seines Herrn Vaters einen stillen
innerlichen Gram darüber genährt, daß Volk und Staat nach seiner
Meinung auf die heilloseste Weise vernachlässigt, verwahrlost wurde.
Er beschloß zu regieren und ernannte sofort seinen Kammerdiener
Andres, der ihm einmal, als er im Wirtshause hinter den Bergen seine
Börse liegen lassen, sechs Dukaten geborgt und dadurch aus großer Not
gerissen hatte, zum ersten Minister des Reichs. "Ich will regieren,
mein Guter!" rief ihm Paphnutius zu. Andres las in den Blicken
seines Herrn, was in ihm vorging, warf sich ihm zu Füßen und sprach
feierlich: "Sire! die große Stunde hat geschlagen! - durch Sie steigt
schimmernd ein Reich aus mächtigem Chaos empor! - Sire! hier fleht
der treueste Vasall, tausend Stimmen des armen unglücklichen Volks
in Brust und Kehle! - Sire! - führen Sie die Aufklärung ein!" -
Paphnutius fühlte sich durch und durch erschüttert von dem erhabenen
Gedanken seines Ministers. Er hob ihn auf, riß ihn stürmisch an seine
Brust und sprach schluchzend: "Minister - Andres - ich bin dir sechs
Dukaten schuldig - noch mehr - mein Glück - mein Reich! - o treuer,
gescheuter Diener!" -

Paphnutius wollte sofort ein Edikt mit großen Buchstaben drucken und
an allen Ecken anschlagen lassen, daß von Stund' an die Aufklärung
eingeführt sei und ein jeder sich darnach zu achten habe. "Bester
Sire!" rief indessen Andres, "bester Sire! so geht es nicht!" - "Wie
geht es denn, mein Guter?" sprach Paphnutius, nahm seinen Minister
beim Knopfloch und zog ihn hinein in das Kabinett, dessen Türe er
abschloß.

"Sehen Sie," begann Andres, als er seinem Fürsten gegenüber auf einem
kleinen Taburett Platz genommen, "sehen Sie, gnädigster Herr! - die
Wirkung Ihres fürstlichen Edikts wegen der Aufklärung würde vielleicht
verstört werden auf häßliche Weise, wenn wir nicht damit eine Maßregel
verbinden, die zwar hart scheint, die indessen die Klugheit gebietet.
- Ehe wir mit der Aufklärung vorschreiten, d. h. ehe wir die Wälder
umhauen, den Strom schiffbar machen, Kartoffeln anbauen, die
Dorfschulen verbessern, Akazien und Pappeln anpflanzen, die Jugend ihr
Morgen- und Abendlied zweistimmig absingen, Chausseen anlegen und die
Kuhpocken einimpfen lassen, ist es nötig, alle Leute von gefährlichen
Gesinnungen, die keiner Vernunft Gehör geben und das Volk durch lauter
Albernheiten verführen, aus dem Staate zu verbannen - Sie haben
Tausendundeine Nacht gelesen, bester Fürst, denn ich weiß, daß Ihr
durchlauchtig seliger Herr Papa, dem der Himmel eine sanfte Ruhe im
Grabe schenken möge, dergleichen fatale Bücher liebte und Ihnen, als
Sie sich noch der Steckenpferde bedienten und vergoldete Pfefferkuchen
verzehrten, in die Hände gab. Nun also! - Aus jenem völlig konfusen
Buche werden Sie, gnädigster Herr, wohl die sogenannten Feen kennen,
gewiß aber nicht ahnen, daß sich verschiedene von diesen gefährlichen
Personen in Ihrem eignen lieben Lande hier ganz in der Nähe Ihres
Palastes angesiedelt haben und allerlei Unfug treiben." "Wie? - was
sagt Er? - Andres! Minister! - Feen! - hier in meinem Lande?" - So
rief Fürst, indem er ganz erblaßt in die Stuhllehne zurücksank. -
"Ruhig, mein gnädigster Herr," fuhr Andres fort, "ruhig können wir
bleiben, sobald wir mit Klugheit gegen jene Feinde der Aufklärung zu
Felde ziehen. Ja! - Feinde der Aufklärung nenne ich sie, denn nur sie
sind, die Güte Ihres seligen Herrn Papas mißbrauchend, daran schuld,
daß der liebe Staat noch in gänzlicher Finsternis darniederliegt. Sie
treiben ein gefährliches Gewerbe mit dem Wunderbaren und scheuen sich
nicht, unter dem Namen Poesie ein heimliches Gift zu verbreiten, das
die Leute ganz unfähig macht zum Dienste in der Aufklärung. Dann haben
sie solche unleidliche polizeiwidrige Gewohnheiten, daß sie schon
deshalb in keinem kultivierten Staate geduldet werden dürften. So z.B.
entblöden sich die Frechen nicht, sowie es ihnen einfällt, in den
Lüften spazieren zu fahren mit vorgespannten Tauben, Schwänen, ja
sogar geflügelten Pferden. Nun frage ich aber, gnädigster Herr,
verlohnt es sich der Mühe, einen gescheuten Akzisetarif zu entwerfen
und einzuführen, wenn es Leute im Staate gibt, die imstande sind,
jedem leichtsinnigen Bürger unversteuerte Waren in den Schornstein
zu werfen, wie sie nur wollen? - Darum, gnädigster Herr, - sowie die
Aufklärung angekündigt wird, fort mit den Feen! - Ihre Paläste werden
umzingelt von der Polizei, man nimmt ihnen ihre gefährliche Habe und
schafft sie als Vagabonden fort nach ihrem Vaterlande, welches, wie
Sie, gnädigster Herr, aus Tausendundeiner Nacht wissen werden, das
Ländchen Dschinnistan ist." "Gehen Posten nach diesem Lande, Andres?"
so fragte der Fürst. "Zurzeit nicht," erwiderte Andres, "aber
vielleicht läßt sich nach eingeführter Aufklärung eine Journaliere
dorthin mit Nutzen einrichten." - "Aber Andres," fuhr der Fürst fort,
"wird man unser Verfahren gegen die Feen nicht hart finden? - Wird das
verwöhnte Volk nicht murren?" - "Auch dafür," sprach Andres, "auch
dafür weiß ich ein Mittel. Nicht alle Feen, gnädigster Herr, wollen
wir fortschicken nach Dschinnistan, sondern einige im Lande behalten,
sie aber nicht allein aller Mittel berauben, der Aufklärung schädlich
zu werden, sondern auch zweckdienliche Mittel anwenden, sie zu
nützlichen Mitgliedern des aufgeklärten Staats umzuschaffen. Wollen
sie sich nicht auf solide Heiraten einlassen, so mögen sie unter
strenger Aufsicht irgendein nützliches Geschäft treiben, Socken
stricken für die Armee, wenn es Krieg gibt, oder sonst. Geben Sie
acht, gnädigster Herr, die Leute werden sehr bald an die Feen, wenn
sie unter ihnen wandeln, gar nicht mehr glauben, und das ist das
beste. So gibt sich alles etwanige Murren von selbst. - Was übrigens
die Utensilien der Feen betrifft, so fallen sie der fürstlichen
Schatzkammer heim, die Tauben und Schwäne werden als köstliche Braten
in die fürstliche Küche geliefert, mit den geflügelten Pferden kann
man aber auch Versuche machen, sie zu kultivieren und zu bilden zu
nützlichen Bestien, indem man ihnen die Flügel abschneidet und sie
zur Stallfütterung gibt, die wir doch hoffentlich zugleich mit der
Aufklärung einführen werden." -

Paphnutius war mit allen Vorschlägen seines Ministers auf das höchste
zufrieden, und schon andern Tages wurde ausgeführt, was beschlossen
war.

An allen Ecken prangte das Edikt wegen der eingeführten Aufklärung,
und zu gleicher Zeit brach die Polizei in die Paläste der Feen, nahm
ihr ganzes Eigentum in Beschlag und führte sie gefangen fort.

Mag der Himmel wissen, wie es sich begab, daß die Fee Rosabelverde die
einzige von allen war, die wenige Stunden vorher, ehe die Aufklärung
hereinbrach, Wind davon bekam und die Zeit nutzte, ihre Schwäne
in Freiheit zu setzen, ihre magischen Rosenstöcke und andere
Kostbarkeiten beiseite zu schaffen. Sie wußte nämlich auch, daß sie
dazu erkoren war, im Lande zu bleiben, worin sie sich, wiewohl mit
großem Widerwillen, fügte.

Überhaupt konnten es weder Paphnutius noch Andres begreifen, warum
die Feen, die nach Dschinnistan transportiert wurden, eine solche
übertriebene Freude äußerten und ein Mal über das andere versicherten,
daß ihnen an aller Habe, die sie zurücklassen müssen, nicht das
mindeste gelegen. "Am Ende," sprach Paphnutius entrüstet, "am Ende ist
Dschinnistan ein viel hübscherer Staat wie der meinige, und sie lachen
mich aus mitsamt meinem Edikt und meiner Aufklärung, die jetzt erst
recht gedeihen soll!" -

Der Geograph sollte mit dem Historiker des Reichs über das Land
umständlich berichten.

Beide stimmten darin überein, daß Dschinnistan ein erbärmliches Land
sei, ohne Kultur, Aufklärung, Gelehrsamkeit, Akazien und Kuhpocken,
eigentlich auch gar nicht existiere. Schlimmeres könne aber einem
Menschen oder einem ganzen Lande wohl nicht begegnen, als gar nicht zu
existieren.

Paphnutius fühlte sich beruhigt.

Als der schöne blumige Hain, in dem der verlassene Palast der Fee
Rosabelverde lag, umgehauen wurde, und beispielshalber Paphnutius
selbst sämtlichen Bauerlümmeln im nächsten Dorfe die Kuhpocken
eingeimpft hatte, paßte die Fee dem Fürsten in dem Walde auf, durch
den er mit dem Minister Andres nach seinem Schloß zurückkehren wollte.
Da trieb sie ihn mit allerlei Redensarten, vorzüglich aber mit einigen
unheimlichen Kuntstückchen, die sie vor der Polizei geborgen, dermaßen
in die Enge, daß er sie um des Himmels willen bat, doch mit einer
Stelle des einzigen und daher besten Fräuleinstifts im ganzen Lande
vorliebzunehmen, wo sie, ohne sich an das Aufklärungsedikt zu kehren,
schalten und walten könne nach Belieben.

Die Fee Rosabelverde nahm den Vorschlag an und kam auf diese Weise in
das Fräuleinstift, wo sie sich, wie schon erzählt worden, das Fräulein
von Rosengrünschön, dann aber, auf dringendes Bitten des Baron
Prätextatus von Mondschein, das Fräulein von Rosenschön nannte.



Zweites Kapitel

Von der unbekannten Völkerschaft, die der Gelehrte Ptolomäus
Philadelphus auf seinen Reisen entdeckte. - Die Universität Kerepes. -
Wie dem Studenten Fabian ein Paar Reitstiefel um den Kopf flogen und
der Professor Mosch Terpin den Studenten Balthasar zum Tee einlud.

In den vertrauten Briefen, die der weltberühmte Gelehrte Ptolomäus
Philadelphus an seinen Freund Rufin schrieb, als er sich auf weiten
Reisen befand, ist folgende merkwürdige Stelle enthalten:

"Du weißt, mein lieber Rufin, daß ich nichts in der Welt so fürchte
und scheue, als die brennenden Sonnenstrahlen des Tages, welche
die Kräfte meines Körpers aufzehren und meinen Geist dermaßen
abspannen und ermatten, daß alle Gedanken in ein verworrenes Bild
zusammenfließen und ich vergebens darnach ringe, auch nur irgendeine
deutliche Gestaltung in meiner Seele zu erfassen. Ich pflege daher in
dieser heißen Jahreszeit des Tages zu ruhen, nachts aber meine Reise
fortzusetzen, und so befand ich mich dann auch in voriger Nacht auf
der Reise. Mein Fuhrmann hatte sich in der dicken Finsternis von dem
rechten, bequemen Wege verirrt und war unversehens auf die Chaussee
geraten. Ungeachtet ich aber durch die harten Stöße, die es hier gab,
in dem Wagen hin und her geschleudert wurde, so daß mein Kopf voller
Beulen einem mit Walnüssen gefüllten Sack nicht unähnlich war,
erwachte ich doch aus dem tiefen Schlafe, in den ich versunken, nicht
eher, bis ich mit einem entsetzlichen Ruck aus dem Wagen heraus auf
den harten Boden stürzte. Die Sonne schien mir hell ins Gesicht, und
durch den Schlagbaum, der dicht vor mir stand, gewahrte ich die hohen
Türme einer ansehnlichen Stadt. Der Fuhrmann lamentierte sehr, da
nicht allein die Deichsel, sondern auch ein Hinterrad des Wagens an
dem großen Stein, der mitten auf der Chaussee lag, gebrochen, und
schien sich wenig oder gar nicht um mich zu kümmern. Ich hielt, wie es
dem Weisen ziemt, meinen Zorn zurück und rief dem Kerl bloß sanftmütig
zu, er sei ein verfluchter Schlingel, er möge bedenken, daß Ptolomäus
Philadelphus, der berühmteste Gelehrte seiner Zeit, auf dem St- säße,
und Deichsel Deichsel und Rad Rad sein lassen. Du kennst, mein lieber
Rufin, die Gewalt, die ich über das menschliche Herz übe, und so
geschah es denn auch, daß der Fuhrmann augenblicklich aufhörte zu
lamentieren und mir mit Hülfe des Chausseeinnehmers, vor dessen
Häuslein sich der Unfall begeben, auf die Beine half. Ich hatte zum
Glück keinen sonderlichen Schaden gelitten und war imstande, langsam
auf der Straße fortzuwandeln, während der Fuhrmann den zerbrochenen
Wagen mühsam nachschleppte. Unfern des Tors der Stadt, die ich in
blauer Ferne gesehen, begegneten mir nun aber viele Leute von solch
wunderlichem Wesen und in solch seltsamer Kleidung, daß ich mir die
Augen rieb, um zu erforschen, ob ich wirklich wache oder ob nicht
vielleicht ein toller neckhafter Traum mich eben in ein fremdes
fabelhaftes Land versetze. - Diese Leute, die ich mit Recht für
Bewohner der Stadt, aus deren Tor ich sie kommen sah, halten durfte,
trugen lange, sehr weite Hosen, nach Art der Japaneser zugeschnitten,
von köstlichem Zeuge, Samt, Manchester, feinem Tuch oder auch wohl
bunt durchwirkter Leinwand, mit Tressen oder hübschen Bändern und
Schnüren reichlich besetzt, dazu kleine Kinderröcklein, kaum den
Unterleib bedeckend, meistens von sonnenheller Farbe, nur wenige
gingen schwarz. Die Haare hingen ungekämmt in natürlicher Wildheit auf
Schultern und Rücken herab, und auf dem Kopf saß ein kleines seltsames
Mützchen. Manche hatten den Hals ganz entblößt nach der Weise der
Türken und Neugriechen, andere dagegen trugen um Hals und Brust ein
Stückchen weiße Leinwand, beinahe einem Hemdekragen ähnlich, wie Du,
geliebter Rufin, sie auf den Bildern unserer Vorfahren gesehen haben
wirst. Ungeachtet diese Leute sämtlich sehr jung zu sein schienen, war
doch ihre Sprache tief und rauh, jede ihrer Bewegungen ungelenk, und
mancher hatte einen schmalen Schatten unter der Nase, als sitze dort
ein Stutzbärtchen. Aus den Hinterteilen der kleinen Röcke mancher
ragte ein langes Rohr hervor, an dem große seidene Quasten baumelten.
Andere hatten diese Röhre hervorgezogen und kleine - größere -
manchmal auch sehr große wunderlich geformte Köpfe unten daran
befestigt, aus denen sie, oben durch ein ganz spitz zulaufendes
Röhrchen hineinblasend, auf geschickte Weise künstliche Dampfwolken
aufsteigen zu lassen wußten. Andre trugen breite blitzende Schwerter
in den Händen, als wollten sie dem Feinde entgegenziehen; noch andere
hatten kleine Behältnisse von Leder oder Blech umgehängt oder über den
Rücken geschnallt. Du kannst denken, lieber Rufin, daß ich, der ich
durch sorgliches Betrachten jeder mir neuen Erscheinung mein Wissen
zu bereichern suche, stillstand und mein Auge fest auf die seltsamen
Leute heftete. Da versammelten sie sich um mich her, schrien ganz
gewaltig: 'Philister - Philister!' - und schlugen eine entsetzliche
Lache auf. - Das verdroß mich. Denn, geliebter Rufin, gibt es für
einen großen Gelehrten etwas Kränkenderes, als für einen von dem Volke
gehalten zu werden, das vor vielen tausend Jahren mittelst eines
Eselkinnbackens erschlagen wurde? - Ich nahm mich zusammen in der mir
angebornen Würde und sprach laut zu dem sonderbaren Volk um mich her,
daß ich hoffe, mich in einem zivilisierten Staat zu befinden, und
daß ich mich an Polizei und Gerichtshöfe wenden würde, um die mir
zugefügte Unbill zu rächen. Da brummten sie alle; auch die, die bisher
noch nicht gedampft, zogen die dazu bestimmten Maschinen aus der
Tasche, und alle bliesen mir die dicken Dampfwolken ins Gesicht,
welche, wie ich nun erst merkte, ganz unerträglich stanken und meine
Sinne betäubten. Dann spachen sie eine Art Fluch über mich aus, dessen
Worte ich ihrer Gräßlichkeit halber Dir, geliebter Rufin, gar nicht
wiederholen mag. Nur mit tiefem Grausen kann ich selbst daran denken.
Endlich verließen sie mich unter lautem Hohngelächter, und mir war's,
als wenn das Wort: Hetzpeitsche in den Lüften verhalle! - Mein
Fuhrmann, der alles mit angehört, mit angesehen, rang die Hände und
sprach: 'Ach mein lieber Herr! nun das geschehen ist, was geschah, so
gehen Sie beileibe nicht in jene Stadt hinein! Kein Hund, wie man zu
sagen pflegt, würde ein Stück Brot von Ihnen nehmen und stete Gefahr
Sie bedrohen, geprü-' Ich ließ den Wackern nicht ausreden, sondern
wandte meine Schritte so schnell, als es nur gehen mochte, nach dem
nächsten Dorfe. In dem einsamen Kämmerlein des einzigen Wirtshauses
dieses Dorfes sitze ich und schreibe Dir, mein geliebter Rufin, dieses
alles! - Soviel es möglich ist, werde ich Nachrichten einziehen von
dem fremden barbarischen Volke, das in jener Stadt hauset. Von ihren
Sitten - Gebräuchen - von ihrer Sprache u.s.w. habe ich mir schon
manches höchst Seltsame erzählen lassen und werde Dir getreulich alles
mitteilen etc. etc."

Du gewahrst, o mein geliebter Leser, daß man ein großer Gelehrter und
doch mit sehr gewöhnlichen Erscheinungen im Leben unbekannt sein, und
doch über Weltbekanntes in die wunderlichsten Träume geraten kann.
Ptolomäus Philadelphus hatte studiert und kannte nicht einmal
Studenten und wußte nicht einmal, daß er in dem Dorfe Hoch-Jakobsheim
saß, das bekanntlich dicht bei der berühmten Universität Kerepes
liegt, als er seinem Freunde von einer Begebenheit schrieb, die sich
in seinem Kopfe zum seltsamsten Abenteuer umgeformt hatte. Der gute
Ptolomäus erschrak, als er Studenten begegnete, die fröhlich und
guter Dinge über Land zogen zu ihrer Lust. Welche Angst hätte ihn
überfallen, wäre er eine Stunde früher in Kerepes angekommen, und
hätte ihn der Zufall vor das Haus des Professors der Naturkunde
Mosch Terpin geführt! - Hunderte von Studenten hätten, aus dem Hause
herausströmend, ihn umringt, lärmend disputierend etc., und noch
wunderliche Träume wären ihm in den Kopf gekommen über diesem Gewirr,
über diesem Getreibe.

Die Kollegia Mosch Terpins wurden nämlich in ganz Kerepes am
häufigsten besucht. Er war, wie gesagt, Professor der Naturkunde, er
erklärte, wie es regnet, donnert, blitzt, warum die Sonne scheint bei
Tage und der Mond des Nachts, wie und warum das Gras wächst etc., so
daß jedes Kind es begreifen mußte. Er hatte die ganze Natur in ein
kleines niedliches Kompendium zusammengefaßt, so daß er sie bequem
nach Gefallen handhaben und daraus für jede Frage die Antwort wie aus
einem Schubkasten herausziehen konnte. Seinen Ruf begründete er zuerst
dadurch, als er es nach vielen physikalischen Versuchen glücklich
herausgebracht hatte, daß die Finsternis hauptsächlich von Mangel an
Licht herrühre. Dies, sowie, daß er eben jene physikalischen Versuche
mit vieler Gewandtheit in nette Kunststückchen umzusetzen wußte und
gar ergötzlichen Hokuspokus trieb, verschaffte ihm den unglaublichen
Zulauf. - Erlaube, mein günstiger Leser, daß, da du da viel besser wie
der berühmte Gelehrte Ptolomäus Philadelphus Studenten kennst, da du
nichts von seiner träumerischen Furchtsamkeit weist, ich dich nun nach
Kerepes führe vor das Haus des Professors Mosch Terpin, als er eben
sein Kollegium beendet. Einer unter den herausströmenden Studenten
fesselt sogleich deine Aufmerksamkeit. Du gewahrst einen
wohlgestalteten Jüngling von drei- bis vierundzwanzig Jahren, aus
dessen dunkel leuchtenden Augen ein innerer reger, herrlicher Geist
mit beredten Worten spricht. Beinahe keck würde sein Blick zu nennen
sein, wenn nicht die schwärmerische Trauer, wie sie auf dem ganzen
blassen Antlitz liegt, einem Schleier gleich die brennenden Strahlen
verhüllte. Sein Rock von schwarzem feinen Tuch, mit gerissenem Samt
besetzt, ist beinahe nach altteutscher Art zugeschnitten, wozu der
zierliche blendendweiße Spitzenkragen, sowie das Samtbarett, das auf
den schönen kastanienbraunen Locken sitzt, ganz gut paßt. Gar hübsch
steht ihm diese Tracht deshalb, weil er seinem ganzen Wesen, seinem
Anstande in Gang und Stellung, seiner bedeutungsvollen Gesichtsbildung
nach wirklich einer schönen frommen Vorzeit anzugehören scheint
und man daher nicht eben an die Ziererei denken mag, wie sie
in kleinlichem Nachäffen mißverstandener Vorbilder in ebenso
mißverstandenen Ansprüchen der Gegenwart oft an der Tagesordnung ist.
Dieser junge Mann, der dir, geliebter Leser, auf den ersten Blick
so wohlgefällt, ist niemand anders als der Student Balthasar,
anständiger, vermögender Leute Kind, fromm - verständig - fleißig -
von dem ich dir, o mein Leser, in der merkwürdigen Geschichte, die ich
aufzuschreiben unternommen, gar vieles zu erzählen gedenke. -

Ernst, in Gedanken vertieft, wie es seine Art war, wandelte Balthasar
aus dem Kollegium des Professors Mosch Terpin dem Tore zu, um sich,
statt auf den Fechtboden, in das anmutige Wäldchen zu begeben, das
kaum ein paar hundert Schritte von Kerepes liegt. Sein Freund Fabian,
ein hübscher Bursche von muntrem Ansehen und ebensolcher Gesinnung,
rannte ihm nach und ereilte ihn dicht vor dem Tore.

"Balthasar!" - rief nun Fabian laut, "Balthasar, nun, willst du wieder
heraus in den Wald und wie ein melancholischer Philister einsam
umherirren, während tüchtige Burschen sich wacker üben in der edlen
Fechtkunst! - Ich bitte dich, Balthasar, laß doch endlich ab von
deinem närrischen, unheimlichen Treiben und sei wieder recht munter
und froh, wie du es sonst wohl warst. Komm! - wir wollen uns in ein
paar Gängen versuchen, und willst du denn noch heraus, so lauf' ich
wohl mit dir."

"Du meinst es gut," erwiderte Balthasar, "du meinst es gut, Fabian,
und deswegen will ich nicht mit dir grollen, daß du mir manchmal auf
Steg und Weg nachläufst wie ein Besessener und mich um manche Lust
bringst, von der du keinen Begriff hast. Du gehörst nun einmal zu den
seltsamen Leuten, die jeden, den sie einsam wandeln sehn, für einen
melancholischen Narren halten und ihn auf ihre Weise handhaben und
kurieren wollen, wie jener Hofschranz den würdigen Prinzen Hamlet, der
dem Männlein dann, als er versicherte, sich nicht auf das Flötenblasen
zu verstehen, eine tüchtige Lehre gab. Damit will ich dich, lieber
Fabian, nun zwar verschonen, übrigens dich aber recht herzlich bitten,
daß du dir zu deiner edlen Fechterei mit Rapier und Hieber einen
andern Kumpan suchen und mich ruhig meinen Weg fortwandeln lassen
mögest." "Nein, nein," rief Fabian lachend, "so entkommst du mir
nicht, mein teurer Freund! - Willst du mit mir nicht auf den
Fechtboden, so gehe ich mit dir heraus in das Wäldchen. Es ist die
Pflicht des treuen Freundes, dich in deinem Trübsinn aufzuheitern.
Komm nur, lieber Balthasar, komm nur, wenn du es denn nicht anders
haben willst."

Damit faßte er den Freund unter den Arm und schritt rüstig mit ihm
von dannen. Balthasar biß in stillem Ingrimm die Zähne zusammen und
beharrte in finsterm Schweigen, während Fabian in einem Zuge Lustiges
und Lustiges erzählte. Es lief viel Albernes mit unter, welches immer
zu geschehen pflegt beim lustigen Erzählen in einem Zuge.

Als sie nun endlich in die kühlen Schatten des duftenden Waldes
traten, als die Büsche wie in sehnsüchtigen Seufzern flüsterten,
als die wunderbaren Melodien der rauschenden Bäche, die Lieder des
Waldgeflügels fernhin tönten und den Widerhall weckten, der ihnen aus
den Bergen antwortete, da stand Balthasar plötzlich still und rief,
indem er die Arme weit ausbreitete, als woll' er Baum und Gebüsch
liebend umfangen: "O, nun ist mir wieder wohl! - unbeschreiblich
wohl!" - Fabian schaute den Freund etwas verblüfft an, wie einer, der
nicht klug werden kann aus des andern Rede, der gar nicht weiß, was
er damit anfangen soll. Da faßte Balthasar seine Hand und rief voll
Entzücken: "Nicht wahr, Bruder, nun geht dir auch das Herz auf, nun
begreifst du auch das selige Geheimnis der Waldeinsamkeit?" - "Ich
verstehe dich nicht ganz, lieber Bruder," erwiderte Fabian, "aber wenn
du meinst, daß dir ein Spaziergang hier im Walde wohl tut, so bin ich
völlig deiner Meinung. Gehe ich nicht auch gern spazieren, zumal in
guter Gesellschaft, in der man ein vernünftiges lehrreiches Gespräch
führen kann? - Z.B. ist es wohl eine wahre Lust, mit unserm Professor
Mosch Terpin über Land zu gehen. Der kennt jedes Pflänzchen, jedes
Gräschen und weiß, wie es heißt mit Namen und in welche Klasse es
gehört, und versteht sich auf Wind und Wetter -" "Halt ein," rief
Balthasar, "ich bitte dich, halt ein! - Du berührst etwas, das mich
toll machen könnte, gäb' es sonst keinen Trost dafür. Die Art, wie
der Professor über die Natur spricht, zerreißt mein Inneres. Oder
vielmehr, mich faßt dabei ein unheimliches Grauen, als säh' ich den
Wahnsinnigen, der in geckenhafter Narrheit König und Herrscher ein
selbst gedrehtes Strohpüppchen liebkost, wähnend, die königliche Braut
zu umhalsen! Seine sogenannten Experimente kommen mir vor wie eine
abscheuliche Verhöhnung des göttlichen Wesens, dessen Atem uns in der
Natur anweht und in unserm innersten Gemüt die tiefsten heiligsten
Ahnungen aufregt. Oft gerat' ich in Versuchung, ihm seine Gläser,
seine Phiolen, seinen ganzen Kram zu zerschmeißen, dächt' ich nicht
daran, daß der Affe ja nicht abläßt mit dem Feuer zu spielen, bis er
sich die Pfoten verbrennt. - Sieh, Fabian, diese Gefühle ängstigen
mich, pressen mir das Herz zusammen in Mosch Terpins Vorlesungen, und
wohl mag ich euch dann tiefsinniger und menschenscheuer vorkommen als
jemals. Mir ist dann zumute, als wollten die Häuser über meinem Kopf
zusammenstürzen, eine unbeschreibliche Angst treibt mich heraus aus
der Stadt. Aber hier, hier erfüllt bald mein Gemüt eine süße Ruhe.
Auf den blumigen Rasen gelagert, schaue ich herauf in das weite Blaue
des Himmels, und über mir, über den jubelnden Wald hinweg ziehen die
goldnen Wolken wie herrliche Träume aus einer fernen Welt voll seliger
Freuden! - O mein Fabian, dann erhebt sich aus meiner eignen Brust
ein wunderbarer Geist, und ich vernehm' es, wie er in geheimnisvollen
Worten spricht mit den Büschen - mit den Bäumen, mit den Wogen des
Waldbachs, und nicht vermag ich die Wonne zu nennen, die dann in süßem
wehmütigen Bangen mein ganzes Wesen durchströmt!" - "Ei," rief Fabian,
"ei, das ist nun wieder das alte ewige Lied von Wehmut und Wonne und
sprechenden Bäumen und Waldbächen. Alle deine Verse strotzen von
diesen artigen Dingen, die ganz passabel ins Ohr fallen und mit Nutzen
verbraucht werden, sobald man nichts weiter dahinter sucht. - Aber
sage mir, mein vortrefflichster Melancholikus, wenn dich Mosch Terpins
Vorlesungen in der Tat so entsetzlich kränken und ärgern, sage mir
nur, warum in aller Welt du in jede hineinläufst, warum du keine
einzige versäumst und dann freilich jedesmal stumm und starr mit
geschlossen Augen dasitzest wie ein Träumender?" - "Frage mich,"
erwiderte Balthasar, indem er die Augen niederschlug, "frage mich
darum nicht, lieber Freund! - Eine unbekannte Gewalt zieht mich jeden
Morgen hinein in Mosch Terpins Haus. Ich fühle im voraus meine Qualen,
und doch kann ich nicht widerstehen, ein dunkles Verhängnis reißt mich
fort!" - "Ha - ha," - lachte Fabian hell auf, "ha ha ha - wie fein
- wie poetisch, wie mystisch! Die unbekannte Gewalt, die dich
hineinzieht in Mosch Terpins Haus, liegt in den dunkelblauen Augen
der schönen Candida! - Daß du bis über die Ohren verliebt bist in des
Professors niedliches Töchterlein, das wissen wir alle längst, und
darum halten wir dir deine Fantasterei, dein närrisches Wesen zugute.
Mit Verliebten ist es nun nicht anders. Du befindest dich im ersten
Stadium der Liebeskrankheit und mußt in späten Jünglingsjahren dich zu
all den seltsamen Possen bequemen, die wir, ich und viele andere, dem
Himmel sei es gedankt! ohne ein großes zuschauendes Publikum auf der
Schule durchmachten. Aber glaube mir, mein süßes Herz -"

Fabian hatte indessen seinen Freund Balthasar wieder beim Arme gefaßt
und war mit ihm rasch weitergeschritten. Eben jetzt traten sie heraus
aus dem Dickicht auf den breiten Weg, der mitten durch den Wald
führte. Da gewahrte Fabian, wie aus der Ferne ein Pferd ohne Reiter,
in eine Staubwolke gehüllt, herantrabte. - "Hei, hei!" rief er, sich
in seiner Rede unterbrechend, "hei, hei, da ist eine verfluchte
Schindmähre durchgegangen und hat ihren Reiter abgesetzt - die müssen
wir fangen und nachher den Reiter suchen im Walde." Damit stellte er
sich mitten in den Weg.

Näher und näher kam das Pferd, da war es, als wenn von beiden Seiten
ein Paar Reitstiefel in der Luft auf und nieder baumelten und auf
dem Sattel etwas Schwarzes sich rege und bewege. Dicht vor Fabian
erschallte ein langes gellendes Prrr - Prrr - und in demselben
Augenblick flogen ihm auch ein Paar Reitstiefel um den Kopf, und
ein kleines seltsames, schwarzes Ding kugelte hin, ihm zwischen die
Beine. Mauerstill stand das große Pferd und beschnüffelte mit lang
vorgestrecktem Halse sein winziges Herrlein, das sich im Sande wälzte
und endlich mühsam auf die Beine richtete. Dem kleinen Knirps steckte
der Kopf tief zwischen den hohen Schultern, er war mit seinem Auswuchs
auf Brust und Rücken, mit seinem kurzen Leibe und seinen hohen
Spinnenbeinchen anzusehen wie ein auf eine Gabel gespießter Apfel, dem
man ein Fratzengesicht eingeschnitten. Als nun Fabian dies seltsame
kleine Ungetüm vor sich stehen sah, brach er in ein lautes Gelächter
aus. Aber der Kleine drückte sich das Barettlein, das er vom Boden
aufgerafft, trotzig in die Augen und fragte, indem er Fabian mit
wilden Blicken durchbohrte, in rauhem, tief heiserem Ton: "Ist dies
der rechte Weg nach Kerepes?" - "Ja, mein Herr!" antwortete Balthasar
mild und ernst und reichte dem Kleinen die Stiefel hin, die er
zusammengesucht hatte. Alles Mühen des Kleinen, die Stiefel
anzuziehen, blieb vergebens, er stülpte einmal übers andere um und
wälzte sich stöhnend im Sande. Balthasar stellte beide Stiefel
aufrecht zusammen, hob den Kleinen sanft in die Höhe und steckte,
ihn ebenso niederlassend, beide Füßchen in die zu schwere und weite
Futterale. Mit stolzem Wesen, die eine Hand in die Seite gestemmt, die
andere ans Barett gelegt, rief der Kleine: "Gratias, mein Herr!" und
schritt nach dem Pferde hin, dessen Zügel er faßte. Alle Versuche,
den Steigbügel zu erreichen oder hinaufzuklimmen auf das große Tier,
blieben indessen vergebens. Balthasar, immer ernst und mild, trat
hinzu und hob den Kleinen in den Steigbügel. Er mochte sich wohl einen
zu starken Schwung gegeben haben, denn in demselben Augenblick, als
er oben saß, lag er auf der andern Seite auch wieder unten. "Nicht so
hitzig, allerliebster Mosje!" rief Fabian, indem er aufs neue in ein
schallendes Gelächter ausbrach. "Der Teufel ist Ihr allerliebster
Mosje," schrie der Kleine ganz erbost, indem er sich den Sand von den
Kleidern klopfte, "ich bin Studiosus, und wenn Sie desgleichen sind,
so ist es Tusch, daß Sie mir wie ein Hasenfuß ins Gesicht lachen, und
Sie müssen sich morgen in Kerepes mit mir schlagen!" "Donner," rief
Fabian immerfort lachend, "Donner, das ist mal ein tüchtiger Bursche,
ein Allerweltskerl, was Courage betrifft und echten Komment". Und
damit hob er den Kleinen, alles Zappelns und Sträubens ungeachtet, in
die Höhe und setzte ihn aufs Pferd, das sofort mit seinem Herrlein
lustig wiehernd davontrabte. - Fabian hielt sich beide Seiten, er
wollte vor Lachen ersticken. - "Es ist grausam," sprach Balthasar,
"einen Menschen auszulachen, den die Natur auf solche entsetzliche
Weise verwahrlost hat, wie den kleinen Reiter dort. Ist er wirklich
Student, so mußt du dich mit ihm schlagen, und zwar, läuft's auch
sonst gegen alle akademische Sitte, auf Pistolen, da er weder Rapier
noch Hieber zu führen vermag." - "Wie ernst," sprach Fabian, "wie
ernst, wie trübselig du das alles wieder nimmst, mein lieber Freund
Balthasar. Nie ist's mir eingefallen, eine Mißgeburt auszulachen.
Aber sage mir, darf solch ein knorpliger Däumling sich auf ein Pferd
setzen, über dessen Hals er nicht wegzuschauen vermag? Darf er die
Füßlein in solch verrucht weite Stiefeln stecken? darf er eine knapp
anschließende Kurtka mit tausend Schnüren und Troddeln und Quasten,
darf er solch ein verwunderliches Samtbarett tragen? darf er solch ein
hochmütiges, trotziges Wesen annehmen? darf er sich solche barbarische
heisere Laute abzwingen? - Darf er das alles, frage ich, ohne mit
Recht als eingefleischter Hasenfuß ausgelacht zu werden? - Aber ich
muß hinein, ich muß den Rumor mit anschauen, den es geben wird, wenn
der ritterliche Studiosus einzieht auf seinem stolzen Rosse! Mit
dir ist doch heute einmal nichts anzufangen! - Gehab' dich wohl!" -
Spornstreichs rannte Fabian durch den Wald nach der Stadt zurück. -
Balthasar verließ den offenen Weg und verlor sich in das dichteste
Gebüsch, da sank er hin auf einen Moossitz, erfaßt, ja überwältigt von
den bittersten Gefühlen. Wohl mocht' es sein, daß er die holde Candida
wirklich liebte, aber er hatte diese Liebe wie ein tiefes, zartes
Geheimnis in dem Innersten seiner Seele vor allen Menschen, ja vor
sich selbst verschlossen. Als nun Fabian so ohne Hehl, so leichtsinnig
darüber sprach, war es ihm, als rissen rohe Hände in frechem Übermut
die Schleier von dem Heiligenbilde herab, die zu berühren er nicht
gewagt, als müsse nun die Heilige auf ihn selbst ewig zürnen. Ja,
Fabians Worte schienen ihm eine abscheuliche Verhöhnung seines ganzen
Wesens, seiner süßesten Träume.

"Also," rief er in Übermaß seines Unmuts aus, "also für einen
verliebten Gecken hältst du mich, Fabian! - für einen Narren, der in
Mosch Terpins Vorlesungen läuft, um wenigstens eine Stunde hindurch
mit der schönen Candida unter einem Dache zu sein, der in dem Walde
einsam umherstreift, um auf elende Verse zu sinnen an die Geliebte und
sie noch erbärmlicher aufzuschreiben, der die Bäume verdirbt, alberne
Namenszüge in ihre glatten Rinden einschneidend, der in Gegenwart des
Mädchens kein gescheutes Wort zu Markte bringt, sondern nur seufzt und
ächzt und weinerliche Gesichter schneidet, als litt' er an Krämpfen,
der verwelkte Blumen, die sie am Busen trug, oder gar den Handschuh,
den sie verlor, auf der bloßen Brust trägt - kurz, der tausend
kindische Torheiten begeht! - Und darum, Fabian, neckst du mich, und
darum lachen mich wohl alle Burschen aus, und darum bin ich samt
der innern Welt, die mir aufgegangen, vielleicht ein Gegenstand der
Verspottung. - Und die holde - liebliche herrliche Candida -"

Als er diesen Namen aussprach, fuhr es ihm durchs Herz wie ein
glühender Dolchstich! - Ach! - eine innere Stimme flüsterte ihm in dem
Augenblick sehr vernehmlich zu, daß er ja nur eben Candidas wegen in
Mosch Terpins Haus gehe, daß er Verse mache an die Geliebte, daß er
ihre Namen einschneide in das Laubholz, daß er in ihrer Gegenwart
verstumme, seufze, ächze, daß er verwelkte Blumen, die sie verlor, auf
der Brust trage, daß er mithin ja wirklich in alle Torheiten verfalle,
wie sie ihm Fabian nur vorrücken könne. - Erst jetzt fühlte er es
recht, wie unaussprechlich er die schöne Candida liebe, aber auch
zugleich, daß seltsam genug sich die reinste innigste Liebe im äußern
Leben etwas geckenhaft gestalte, welches wohl der tiefen Ironie
zuzurechnen, die die Natur in alles menschliche Treiben gelegt. Er
mochte recht haben, ganz unrecht war es indessen, daß er sich darüber
sehr zu ärgern begann. Träume, die ihn sonst umfingen, waren verloren,
die Stimmen des Waldes klangen ihm wie Hohn und Spott, er rannte
zurück nach Kerepes.

"Herr Balthasar - mon cher Balthasar" - rief es ihn an. Er schlug den
Blick auf und blieb festgezaubert stehen, denn ihm entgegen kam der
Professor Mosch Terpin, der seine Tochter Candida am Arme führte.
Candida begrüßte den zur Bildsäule Erstarrten mit der heitern
freundlichen Unbefangenheit, die ihr eigen. "Balthasar, mon cher
Balthasar," rief der Professor, "Sie sind in der Tat der fleißigste,
mir der liebste von meinen Zuhörern! - O mein Bester, ich merk' es
Ihnen an, Sie lieben die Natur mit all ihren Wundern, wie ich, der ich
einen wahren Narren daran gefressen! - Gewiß wieder botanisiert in
unserm Wäldchen! - Was Ersprießliches gefunden? - Nun! - lassen Sie
uns nähere Bekanntschaft machen. - Besuchen Sie mich - jederzeit
willkommen - Können zusammen experimentieren - Haben Sie schon meine
Luftpumpe gesehen? - Nun! - mon cher - morgen abend versammelt sich
ein freundschaftlicher Zirkel in meinem Hause, welcher Tee mit
Butterbrot konsumieren und sich in angenehmen Gesprächen erlustigen
wird, vermehren Sie ihn durch Ihre werte Person - Sie werden einen
sehr anziehenden jungen Mann kennen lernen, der mir ganz besonders
empfohlen - Bon soir, mon cher - Guten Abend, Vortrefflicher - a
revoir - Auf Wiedersehen! - Sie kommen doch morgen in die Vorlesung? -
Nun - mon cher, Adieu!" - Ohne Balthasars Antwort abzuwarten, schritt
der Professor Mosch Terpin mit seiner Tochter von dannen.

Balthasar hatte in seiner Bestürzung nicht gewagt, die Augen
aufzuschlagen, aber Candidas Blicke brannten hinein in seine Brust,
er fühlte den Hauch ihres Atems, und süße Schauer durchbebten sein
innerstes Wesen.

Entnommen war ihm aller Unmut, er schaute voll Entzücken der holden
Candida nach, bis sie in den Laubgängen verschwand. Dann kehrte er
langsam in den Wald zurück, um herrlicher zu träumen als jemals.



Drittes Kapitel

Wie Fabian nicht wußte, was er sagen sollte. - Candida und Jungfrauen,
die nicht Fische essen dürfen. - Mosch Terpins literarischer Tee. -
Der junge Prinz.

Fabian gedachte, als er den Richtsteig quer durch den Wald lief, dem
kleinen wunderlichen Knirps, der vor ihm davongetrabt, doch wohl
noch zuvorzukommen. Er hatte sich geirrt, denn aus dem Gebüsch
heraustretend, gewahrte er ganz in der Ferne, wie noch ein anderer
stattlicher Reiter sich zu dem Kleinen gesellte und wie nun beide
in das Tor von Kerepes hineinritten. - "Hm!" sprach Fabian zu sich
selbst, "ist der Nußknacker auf seinem großen Pferde auch schon vor
mir angelangt, so komme ich doch noch zeitig genug zu dem Spektakel,
den es geben wird bei seiner Ankunft. Ist das seltsame Ding wirklich
ein Studiosus, so weiset man nach dem 'Geflügelten Roß' und hält
er dort an mit seinem gellenden _Prr_ - _Prr!_ - und wirft die
Reitstiefel voran und sich selbst nach und tut, wenn die Bursche
lachen, wild und trotzig - nun! dann ist das tolle Possenspiel
fertig!" -

Als Fabian nun die Stadt erreicht, glaubte er in den Straßen, auf
dem Wege nach dem "Geflügelten Roß" lauter lachenden Gesichtern
zu begegnen. Dem war aber nicht so. Alle Leute gingen ruhig und
ernst vorüber. Ebenso ernsthaft spazierten auf dem Platz vor dem
"Geflügelten Roß" mehrere Akademiker, die sich dort versammelt,
miteinander sprechend, auf und nieder. Fabian war überzeugt, daß der
Kleine wenigstens hier nicht angekommen sein müsse, da gewahrte er,
einen Blick ins Tor des Gasthauses werfend, daß soeben das sehr
kennbare Pferd des Kleinen nach dem Stall geführt wurde. Auf den
ersten besten seiner Bekannten sprang er nun los und fragte, ob denn
nicht ein ganz seltsamer wunderlicher Knirps herangetrabt sei. - Der,
den Fabian fragte, wußte ebensowenig etwas davon als die übrigen,
denen Fabian nun erzählte, was sich mit ihm und dem Däumling, der
ein Student sein wollen, begeben. Alle lachten sehr, versicherten
indessen, daß ein solches Ding, wie das, was er beschreibe, keineswegs
angelangt. Wohl wären aber vor kaum zehn Minuten zwei sehr stattliche
Reiter auf schönen Pferden im Gasthause zum "Geflügelten Roß"
abgestiegen. "Saß der eine von ihnen auf dem Pferde, das eben nach dem
Stall geführt wurde?" so fragte Fabian. "Allerdings," erwiderte einer,
"allerdings. Der, der auf jenem Pferde saß, war von etwas kleiner
Statur, aber von zierlichem Körperbau, angenehmen Gesichtszügen und
hatte die schönsten Lockenhaare, die man sehen kann. Dabei zeigte er
sich als den vortrefflichsten Reiter, denn er schwang sich mit einer
Behendigkeit, mit einem Anstande vom Pferde herab, wie der erste
Stallmeister unseres Fürsten." - "Und," rief Fabian, "und verlor nicht
die Reitstiefel und kugelte euch nicht vor die Füße?" - "Gott behüte,"
erwiderten alle einstimmig, "Gott behüte! - was denkst du Bruder!
solch ein tüchtiger Reiter wie der Kleine!" - Fabian wußte gar nicht,
was er sagen sollte. Da kam Balthasar die Straße herab. Auf den
stürzte Fabian los, zog ihn heran und erzählte, wie der kleine Knirps,
der ihnen vor dem Tor begegnet und vom Pferde herabgefallen, hier eben
angekommen sei und von allen für einen schönen Mann von zierlichem
Gliederbau und für den vortrefflichsten Reiter gehalten werde. "Du
siehst," erwiderte Balthasar ernst und gelassen, "du siehst, lieber
Bruder Fabian, daß nicht alle so wie du über unglückliche, von der
Natur verwahrloste Menschen lieblos spottend herfallen." - "Aber du
mein Himmel," fiel ihm Fabian ins Wort, "hier ist ja gar nicht von
Spott und Lieblosigkeit die Rede, sondern nur davon, ob ein drei Fuß
hohes Kerlein, der einem Rettich gar nicht unähnlich, ein schöner
zierlicher Mann zu nennen?" - Balthasar mußte, was Wuchs und Ansehen
des kleinen Studenten betraf, Fabians Aussage bestätigen. Die andern
versicherten, daß der kleine Reiter ein hübscher zierlicher Mann sei,
wogegen Fabian und Balthasar fortwährend behaupteten, sie hätten nie
einen scheußlicheren Däumling erblickt. Dabei blieb es, und alle
gingen voll Verwunderung auseinander.

Der späte Abend brach ein, die beiden Freunde begaben sich zusammen
nach ihrer Wohnung. Da fuhr es dem Balthasar, selbst wußte er nicht
wie, heraus, daß er dem Professor Mosch Terpin begegnet, der ihn
auf den folgenden Abend zu sich geladen. "Ei, du glücklicher," rief
Fabian, "ei, du überglücklicher Mensch! - da wirst du dein Liebchen,
die hübsche Mamsell Candida, sehen, hören, sprechen!" - Balthasar,
aufs neue tief verletzt, riß sich los von Fabian und wollte fort. Doch
besann er sich, blieb stehen und sprach, seinen Verdruß mit Gewalt
niederkämpfend: "Du magst recht haben, lieber Bruder, daß du mich
für einen albernen verliebten Gecken hältst, ich bin es vielleicht
wirklich. Aber diese Albernheit ist eine tiefe schmerzhafte Wunde, die
meinem Gemüt geschlagen, und die, auf unvorsichtige Weise berührt,
im heftigeren Weh mich zu allerlei Tollheit aufreizen könnte. Darum,
Bruder, wenn du mich wirklich lieb hast, so nenne mir nicht mehr den
Namen Candida!" - "Du nimmst," erwiderte Fabian, "du nimmst, mein
lieber Freund Balthasar, die Sache wieder entsetzlich tragisch, und
anders läßt sich das auch in deinem Zustande nicht erwarten. Aber um
mit dir nicht in allerlei häßlichen Zwiespalt zu geraten, verspreche
ich, daß der Name Candida nicht eher über meine Lippen kommen soll,
bis du selbst mir Gelegenheit dazu gibst. Nur so viel erlaube mir
heute noch zu sagen, daß ich allerlei Verdruß vorausgehe, in den
dich dein Verliebtsein stürzen wird. Candida ist ein gar hübsches
herrliches Mägdlein, aber zu deiner melancholischen, schwärmerischen
Gemütsart paßt sie ganz und gar nicht. Wirst du näher mit ihr bekannt,
so wird ihr unbefangenes heitres Wesen dir Mangel an Poesie, die
du überall vermissest, scheinen. Du wirst in allerlei wunderliche
Träumereien geraten, und das Ganze wird mit entsetzlichem
eingebildeten Weh und genügender Verzweiflung tumultuarisch enden.
- Übrigens bin ich ebenso wie du auf morgen zu unserm Professor
eingeladen, der uns mit sehr schönen Experimenten unterhalten wird! -
Nun gute Nacht, fabelhafter Träumer! Schlafe, wenn du schlafen kannst
vor solch wichtigem Tage wie der morgende!"

Damit verließ Fabian den Freund, der in tiefes Nachdenken versunken.
- Fabian mochte nicht ohne Grund allerlei pathetische Unglücksmomente
voraussehen, die sich mit Candida und Balthasar wohl zutragen konnten;
denn beider Wesen und Gemütsart schien in der Tat Anlaß genug dazu zu
geben.

Candida war, jeder mußte das eingestehen, ein bildhübsches Mädchen,
mit recht ins Herz hinein strahlenden Augen und etwas aufgeworfenen
Rosenlippen. Ob ihre übrigens schönen Haare, die sie in wunderlichen
Flechten gar fantastisch aufzunesteln wußte, mehr blond oder mehr
braun zu nennen, habe ich vergessen, nur erinnere ich mich sehr gut
der seltsamen Eigenschaft, daß sie immer dunkler und dunkler wurden,
je länger man sie anschaute. Von schlankem hohen Wuchs, leichter
Bewegung, war das Mädchen, zumal in lebenslustiger Umgebung, die Huld,
die Anmut selbst, und man übersah es bei so vielem körperlichen Reiz
sehr gern, daß Hand und Fuß vielleicht kleiner und zierlicher hätten
gebaut sein können. Dabei hatte Candida Goethes "Wilhelm Meister",
Schillers Gedichte und Fouqués "Zauberring" gelesen und beinahe alles,
was darin enthalten, wieder vergessen; spielte ganz passabel das
Pianoforte, sang sogar zuweilen dazu; tanzte die neuesten Françaisen
und Gavotten und schrieb die Waschzettel mit einer feinen leserlichen
Hand. Wollte man durchaus an dem lieben Mädchen etwas aussetzen,
so war es vielleicht, daß sie etwas zu tief sprach, sich zu fest
einschnürte, sich zu lange über einen neuen Hut freute und zuviel
Kuchen zum Tee verzehrte. Überschwenglichen Dichtern war freilich noch
vieles andere an der hübschen Candida nicht recht, aber was verlangen
die auch alles. Fürs erste wollen sie, daß das Fräulein über alles,
was sie von sich verlauten lassen, in ein somnambüles Entzücken
gerate, tief seufze, die Augen verdrehe, gelegentlich auch wohl was
weniges ohnmächtle oder gar zurzeit erblinde als höchste Stufe der
weiblichsten Weiblichkeit. Dann muß besagtes Fräulein des Dichters
Lieder singen nach der Melodie, die ihm (dem Fräulein) selbst aus dem
Herzen geströmt, augenblicklich aber davon krank werden und selbst
auch wohl Verse machen, sich aber sehr schämen, wenn es herauskommt,
ungeachtet die Dame dem Dichter ihre Verse, auf sehr feinem
wohlriechenden Papier mit zarten Buchstaben geschrieben, selbst in
die Hände spielte, der dann auch seinerseits vor Entzücken darüber
erkrankt, welches ihm gar nicht zu verdenken ist. Es gibt poetische
Aszetiker, die noch weiter gehen und es aller weiblichen Zartheit
entgegen finden, daß ein Mädchen lachen, essen und trinken und sich
zierlich nach der Mode kleiden sollte. Sie gleichen beinahe dem
heiligen Hieronymus, der den Jungfrauen verbietet Ohrgehänge zu tragen
und Fische zu essen. Sie sollen, so gebietet der Heilige, nur etwas
zubereitetes Gras genießen, beständig hungrig sein, ohne es zu fühlen,
sich in grobe, schlecht genähte Kleider hüllen, die ihren Wuchs
verbergen, vorzüglich aber eine Person zur Gefährtin wählen, die
ernsthaft, bleich, traurig und etwas schmutzig ist! -

Candida war durch und durch ein heitres unbefangenes Wesen, deshalb
ging ihr nichts über ein Gespräch, das sich auf den leichten luftigen
Schwingen des unverfänglichsten Humors bewegte. Sie lachte recht
herzlich über alles Drollige; sie seufzte nie, als wenn Regenwetter
ihr den gehofften Spaziergang verdarb oder, aller Vorsicht ungeachtet,
der neue Shawl einen Fleck bekommen hatte. Dabei blickte, gab es
wirklichen Anlaß dazu, ein tiefes inniges Gefühl hindurch, das nie
in schale Empfindelei ausarten durfte, und so mochte mir und dir,
geliebter Leser, die wir nicht zu den Überschwenglichen gehören, das
Mädchen eben ganz recht sein. Sehr leicht konnte es mit Balthasar sich
anders verhalten! - Doch bald muß es sich ja wohl zeigen, inwiefern
der prosaische Fabian richtig prophezeit hatte oder nicht! -

Daß Balthasar vor lauter Unruhe, vor unbeschreiblichem süßen Bangen
die ganze Nacht hindurch nicht schlafen konnte: was war natürlicher
als das. Ganz erfüllt von dem Bilde der Geliebten, setzte er sich hin
an den Tisch und schrieb eine ziemliche Anzahl artiger wohlklingender
Verse nieder, die in einer mystischen Erzählung von der Liebe der
Nachtigall zur Purpurrose seinen Zustand schilderten. Die wollt' er
mitnehmen in Mosch Terpins literarischen Tee und damit losfahren auf
Candidas unbewahrtes Herz, wenn und wie es nur möglich.

Fabian lächelte ein wenig, als er, der Verabredung gemäß, zur
bestimmten Stunde kam, um seinen Freund Balthasar abzuholen, und ihn
zierlicher geputzt fand, als er ihn jemals gesehen. Er hatte einen
gezackten Kragen von den feinsten Brüßler Kanten umgetan, sein kurzes
Kleid mit geschlitzten Ärmeln war von gerissenem Samt. Und dazu trug
er französische Stiefeln mit hohen spitzen Absätzen und silbernen
Fransen, einen englischen Hut vom feinsten Kastor und dänische
Handschuhe. So war er ganz deutsch gekleidet, und der Anzug stand ihm
über alle Maßen gut, zumal er sein Haar schön kräuseln lassen und das
kleine Stutzbärtchen wohl aufgekämmt hatte.

Das Herz bebte dem Balthasar vor Entzücken, als in Mosch Terpins
Hause Candida ihm entgegentrat, ganz in der Tracht der altdeutschen
Jungfrau, freundlich, anmutig in Blick und Wort, im ganzen Wesen, wie
man sie immer zu sehen gewohnt. "Mein holdseligstes Fräulein!" seufzte
Balthasar aus dem Innersten auf, als Candida, die süße Candida selbst,
eine Tasse dampfenden Tee ihm darbot. Candida schaute ihn aber an mit
leuchtenden Augen und sprach: "Hier ist Rum und Maraschino, Zwieback
und Pumpernickel, lieber Herr Balthasar, greifen Sie doch nur
gefälligst zu nach Ihrem Belieben!" Statt aber auf Rum und Maraschino,
Zwieback oder Pumpernickel zu schauen oder gar zuzugreifen, konnte
der begeisterte Balthasar den Blick voll schmerzlicher Wehmut der
innigsten Liebe nicht abwenden von der holden Jungfrau und rang nach
Worten, die aus tiefster Seele aussprechen sollten, was er eben
empfand. Da faßte ihn aber der Professor der Ästhetik, ein großer
baumstarker Mann, mit gewaltiger Faust von hinten, drehte ihn herum,
daß er mehr Teewasser auf den Boden verschüttete, als eben schicklich,
und rief mit donnernder Stimme: "Bester Lukas Kranach, saufen Sie
nicht das schnöde Wasser, Sie verderben sich den deutschen Magen total
- dort im andern Zimmer hat unser tapfere Mosch eine Batterie der
schönsten Flaschen mit edlem Rheinwein aufgepflanzt, die wollen wir
sofort spielen lassen!" - Er schleppte den unglücklichen Jüngling
fort.

Doch aus dem Nebenzimmer trat ihnen der Professor Mosch Terpin
entgegen, ein kleines, sehr seltsames Männlein an der Hand führend und
laut rufend: "Hier, meine Damen und Herren, stelle ich Ihnen einen mit
den seltensten Eigenschaften hochbegabten Jüngling vor, dem es nicht
schwer fallen wird, sich Ihr Wohlwollen, Ihre Achtung zu erwerben. Es
ist der junge Herr Zinnober, der erst gestern auf unsere Universität
gekommen und die Rechte zu studieren gedenkt!" - Fabian und Balthasar
erkannten auf den ersten Blick den kleinen wunderlichen Knirps, der
vor dem Tore ihnen entgegengesprengt und vom Pferde gestürzt war.

"Soll ich," sprach Fabian leise zu Balthasar, "soll ich denn noch das
Alräunchen herausfordern auf Blasrohr oder Schusterpfriem? Anderer
Waffen kann ich mich doch nicht bedienen wider diesen furchtbaren
Gegner."

"Schäme dich," erwiderte Balthasar, "schäme dich, daß du den
verwahrlosten Mann verspottest, der, wie du hörst, die seltensten
Eigenschaften besitzt und _so_ durch geistigen Wert das ersetzt, was
die Natur ihm an körperlichen Vorzügen versagte." Dann wandte er sich
zum Kleinen und sprach: "Ich hoffe nicht, bester Herr Zinnober, daß
Ihr gestriger Fall vom Pferde etwa schlimme Folgen gehabt haben wird?"
Zinnober hob sich aber, indem er einen kleinen Stock, den er in der
Hand trug, hinten unterstemmte, auf den Fußspitzen in die Höhe, so daß
er dem Balthasar beinahe bis an den Gürtel reichte, warf den Kopf in
den Nacken, schaute mit wildfunkelnden Augen herauf und sprach in
seltsam schnurrendem Baßton: "Ich weiß nicht, was Sie wollen, wovon
Sie sprechen, mein Herr! Vom Pferde gefallen? - _ich_ vom Pferde
gefallen? - Sie wissen wahrscheinlich nicht, daß ich der beste Reiter
bin, den es geben kann, daß ich niemals vom Pferde falle, daß ich
als Freiwilliger unter den Kürassieren den Feldzug mitgemacht und
Offizieren und Gemeinen Unterricht gab im Reiten auf der Manège! - hm
hm - vom Pferde fallen - ich vom Pferde fallen!" - Damit wollte er
sich rasch umwenden, der Stock, auf den er sich gestützt, glitt aber
aus, und der Kleine torkelte um und um, dem Balthasar vor die Füße.
Balthasar griff herab nach dem Kleinen, ihm aufzuhelfen, und berührte
dabei unversehens sein Haupt. Da stieß der Kleine einen gellenden
Schrei aus, daß es im ganzen Saal widerhallte und die Gäste
erschrocken auffuhren von ihren Sitzen. Man umringte den Balthasar
und fragte durcheinander, warum er denn um des Himmels willen so
entsetzlich geschrieen. "Nehmen Sie es nicht übel, bester Herr
Balthasar," sprach der Professor Mosch Terpin, "aber das war ein etwas
wunderlicher Spaß. Denn wahrscheinlich wollten Sie uns doch glauben
machen, es trete hier jemand einer Katze auf den Schwanz!" "Katze
Katze - weg mit der Katze!" rief eine nervenschwache Dame und fiel
sofort in Ohnmacht, und mit dem Geschrei: "Katze - Katze" - rannten
ein paar alte Herren, die an derselben Idiosynkrasie litten, zur Türe
hinaus.

Candida, die ihr ganzes Riechfläschchen auf die ohnmächtige Dame
ausgegossen, sprach leise zu Balthasar: "Aber was richten Sie auch für
Unheil an mit Ihrem häßlichen gellenden Miau, lieber Herr Balthasar!"

Dieser wußte gar nicht, wie ihm geschah. Glutrot im ganzen Gesicht vor
Unwillen und Scham, vermochte er kein Wort herauszubringen, nicht zu
sagen, daß es ja der kleine Herr Zinnober und nicht _er_ gewesen, der
so entsetzlich gemauzt.

Der Professor Mosch Terpin sah des Jünglings schlimme Verlegenheit.
Er nahte sich ihm freundlich und sprach: "Nun, nun, lieber Herr
Balthasar, sein Sie doch nur ruhig. Ich habe wohl alles bemerkt.
Sich zur Erde bückend, auf allen Vieren hüpfend, ahmten Sie den
gemißhandelten grimmigen Kater herrlich nach. Ich liebe sonst sehr
dergleichen naturhistorische Spiele, doch hier im literarischen Tee"
- "Aber," platzte Balthasar heraus, "aber, vortrefflichster Herr
Professor, ich war es ja nicht." - "Schon gut - schon gut," fiel ihm
der Professor in die Rede. Candida trat zu ihnen. "Tröste mir," sprach
der Professor zu dieser, "tröste mir doch den guten Balthasar, der
ganz betreten ist über alles Unheil, was geschehen."

Der gutmütigen Candida tat der arme Balthasar, der ganz verwirrt mit
niedergesenktem Blick vor ihr stand, herzlich leid. Sie reichte ihm
die Hand und lispelte mit anmutigem Lächeln: "Es sind aber auch recht
komische Leute, die sich so entsetzlich vor Katzen fürchten."

Balthasar drückte Candidas Hand mit Inbrunst an die Lippen. Candida
ließ den seelenvollen Blick ihrer Himmelsaugen auf ihm ruhen. Er war
verzückt in den höchsten Himmel und dachte nicht mehr an Zinnober und
Katzengeschrei. - Der Tumult war vorüber, die Ruhe wieder hergestellt.
Am Teetisch saß die nervenschwache Dame und genoß mehreren Zwieback,
den sie in Rum tunkte, versichernd, an dergleichen erlabe sich das
von feindlicher Macht bedrohte Gemüt, und dem jähen Schreck folge
sehnsüchtig Hoffen! -

Auch die beiden alten Herren, denen draußen wirklich ein flüchtiger
Kater zwischen die Beine gelaufen, kehrten beruhigt zurück und
suchten, wie mehrere andere, den Spieltisch.

Balthasar, Fabian, der Professor der Ästhetik, mehrere junge Leute
setzten sich zu den Frauen. Herr Zinnober hatte sich indessen
eine Fußbank herangerückt und war mittelst derselben auf das Sofa
gestiegen, wo er nun in der Mitte zwischen zwei Frauen saß und stolze
funkelnde Blicke um sich warf.

Balthasar glaubte, daß der rechte Augenblick gekommen, mit seinem
Gedicht von der Liebe der Nachtigall zur Purpurrose hervorzurücken.
Er äußerte daher mit der gehörigen Verschämtheit, wie sie bei jungen
Dichtern im Brauch ist, daß er, dürfe er nicht fürchten, Überdruß und
Langeweile zu erregen, dürfe er auf gütige Nachsicht der geehrten
Versammlung hoffen, es wagen wolle, ein Gedicht, das jüngste Erzeugnis
seiner Muse, vorzulesen.

Da die Frauen schon hinlänglich über alles verhandelt, was sich
Neues in der Stadt zugetragen, die Mädchen den letzten Ball bei dem
Präsidenten gehörig durchgesprochen und sogar über die Normalform der
neuesten Hüte einig worden, da die Männer unter zwei Stunden nicht
auf weitere Speis- und Tränkung rechnen durften, so wurde Balthasar
einstimmig aufgefordert, der Gesellschaft ja den herrlichen Genuß
nicht vorzuenthalten.

Balthasar zog das sauber geschriebene Manuskript hervor und las.

Sein eignes Werk, das in der Tat aus wahrhaftem Dichtergemüt mit
voller Kraft, mit regem Leben hervorgeströmt, begeisterte ihn mehr und
mehr. Sein Vortrag, immer leidenschaftlicher steigend, verriet die
innere Glut des liebenden Herzens. Er bebte vor Entzücken, als leise
Seufzer - manches leise Ach - der Frauen, mancher Ausruf der Männer:
"Herrlich - vortrefflich - göttlich!" ihn überzeugten, daß sein
Gedicht alle hinriß.

Endlich hatte er geendet. Da riefen alle: "Welch ein Gedicht! - welche
Gedanken - welche Fantasie - was für schöne Verse - welcher Wohlklang
- Dank - Dank Ihnen, bester Herr Zinnober, für den göttlichen Genuß" -

"Was? wie?" rief Balthasar; aber niemand achtete auf ihn, sondern
stürzte auf Zinnober zu, der sich auf dem Sofa blähte wie ein kleiner
Puter und mit widriger Stimme schnarchte: "Bitte recht sehr - bitte
recht sehr - müssen so vorlieb nehmen! - ist eine Kleinigkeit, die ich
erst vorige Nacht aufschrieb in aller Eil'!" - Aber der Professor der
Ästhetik schrie: "Vortrefflicher - göttlicher Zinnober! Herzensfreund,
außer mir bist du der erste Dichter, den es jetzt gibt auf Erden! -
Komm an meine Brust, schöne Seele!" - Damit riß er den Kleinen vom
Sofa auf in die Höhe und herzte und küßte ihn. Zinnober betrug sich
dabei sehr ungebärdig. Er arbeitete mit den kleinen Beinchen auf des
Professors dickem Bauch herum und quäkte: "Laß mich los - laß mich los
- es tut mir weh - weh - weh ich kratz' dir die Augen aus - ich beiß'
dir die Nase entzwei!" - "Nein," rief der Professor, indem er den
Kleinen niedersetzte auf den Sofa, "nein, holder Freund, keine zu weit
getriebene Bescheidenheit!" - Mosch Terpin war nun auch vom Spieltisch
herangetreten, der nahm Zinnobers Händchen, drückte es und sprach sehr
ernst: "Vortrefflich, junger Mann! - nicht zuviel, nein, nicht genug
sprach man mir von dem hohen Genius, der Sie beseelt." "Wer ist's,"
rief nun wieder der Professor der Ästhetik in voller Begeisterung
aus, "wer ist's von euch Jungfrauen, der dem herrlichen Zinnober sein
Gedicht, das das innigste Gefühl der reinsten Liebe ausspricht, lohnt
durch einen Kuß?"

Da stand Candida auf, nahete sich, volle Glut auf den Wangen, dem
Kleinen, kniete nieder und küßte ihn auf den garstigen Mund mit blauen
Lippen. "Ja," schrie nun Balthasar, wie vom Wahnsinn plötzlich erfaßt,
"ja, Zinnober - göttlicher Zinnober, du hast das tiefsinnige Gedicht
gemacht von der Nachtigall und der Purpurrose, dir gebührt der
herrliche Lohn, den du erhalten!" -

Und damit riß er den Fabian ins Nebenzimmer hinein und sprach: "Tu mir
den Gefallen und schaue mich recht fest an und dann sage mir offen und
ehrlich, ob ich der Student Balthasar bin oder nicht, ob du wirklich
Fabian bist, ob wir in Mosch Terpins Hause sind, ob wir im Traume
liegen - ob wir närrisch sind - zupfe mich an der Nase oder rüttle
mich zusammen, damit ich nur erwache aus diesem verfluchten Spuk!" -

"Wie magst," erwiderte Fabian, "wie magst du dich denn nur so toll
gebärden aus purer heller Eifersucht, weil Candida den Kleinen küßte.
Gestehen mußt du doch selbst, daß das Gedicht, welches der Kleine
vorlas, in der Tat vortrefflich war." - "Fabian," rief Balthasar
mit dem Ausdruck des tiefsten Erstaunens, "was sprichst du denn?"
"Nun ja," fuhr Fabian fort, "nun ja, das Gedicht des Kleinen war
vortrefflich, und gegönnt hab' ich ihm Candidas Kuß. - Überhaupt
scheint hinter dem seltsamen Männlein allerlei zu stecken, das mehr
wert ist als eine schöne Gestalt. Aber was auch selbst seine Figur
betrifft, so kommt er mir jetzt nichts weniger als so abscheulich
vor wie anfangs. Beim Ablesen des Gedichts verschönerte die innere
Begeisterung seine Gesichtszüge, so daß er mir oft ein anmutiger
wohlgewachsener Jüngling zu sein schien, ungeachtet er doch kaum über
den Tisch hervorragte. Gib deine unnütze Eifersucht auf, befreunde
dich als Dichter mit dem Dichter!"

"Was," schrie Balthasar voll Zorn, "was? - noch befreunden mit dem
verfluchten Wechselbalge, den ich erwürgen möchte mit diesen Fäusten?"

"So," sprach Fabian, "so verschließest du dich denn aller Vernunft.
Doch laß uns in den Saal zurückkehren, wo sich etwas Neues begeben
muß, da ich laute Beifallsrufe vernehme."

Mechanisch folgte Balthasar dem Freunde in den Saal.

Als sie eintraten, stand der Professor Mosch Terpin allein in
der Mitte, die Instrumente noch in der Hand, womit er irgendein
physikalisches Experiment gemacht, starres Staunen im Gesicht. Die
ganze Gesellschaft hatte sich um den kleinen Zinnober gesammelt, der,
den Stock untergestemmt, auf den Fußspitzen dastand und mit stolzem
Blick den Beifall einnahm, der ihm von allen Seiten zuströmte. Man
wandte sich wieder zum Professor, der ein anderes sehr artiges
Kunststückchen machte. Kaum war es fertig, als wiederum alle, den
Kleinen umringend, riefen: "Herrlich - vortrefflich, lieber Herr
Zinnober!" -

Endlich sprang auch Mosch Terpin zu dem Kleinen hin und rief zehnmal
stärker als die übrigen: "Herrlich - vortrefflich, lieber Herr
Zinnober!"

Es befand sich in der Gesellschaft der junge Fürst Gregor, der auf
der Universität studierte. Der Fürst war von der anmutigsten Gestalt,
die man nur sehen konnte, und dabei war sein Betragen so edel und
ungezwungen, daß sich die hohe Abkunft, die Gewohnheit, sich in den
vornehmsten Kreisen zu bewegen, darin deutlich aussprach.

Fürst Gregor war es nun, der gar nicht von Zinnober wich und ihn als
den herrlichsten Dichter, den geschicktesten Physiker über alle Maßen
lobte.

Seltsam war die Gruppe, die beide, zusammenstehend, bildeten. Gegen
den herrlich gestalteten Gregor stach gar wunderlich das winzige
Männlein ab, das mit hoch emporgereckter Nase sich kaum auf den
dünnen Beinchen zu erhalten vermochte. Alle Blicke der Frauen waren
hingerichtet, aber nicht auf den Fürsten, sondern auf den Kleinen,
der, sich auf den Fußspitzen hebend, immer wieder herabsank und so
hinauf und hinunter wankte wie ein Cartesianisches Teufelchen.

Der Professor Mosch Terpin trat zu Balthasar und sprach: "Was sagen
Sie zu meinem Schützling, zu meinem lieben Zinnober? Viel steckt
hinter dem Mann, und nun ich ihn so recht anschaue, ahne ich wohl die
eigentliche Bewandtnis, die es mit ihm haben mag. Der Prediger, der
ihn erzogen und mir empfohlen hat, drückt sich über seine Abkunft sehr
geheimnisvoll aus. Betrachten Sie aber nur den edlen Anstand, sein
vornehmes, ungezwungenes Betragen. Er ist gewiß von fürstlichem
Geblüt, vielleicht gar ein Königssohn!" - In dem Augenblick wurde
gemeldet, das Mahl sei angerichtet. Zinnober torkelte ungeschickt
hin zur Candida, ergriff täppisch ihre Hand und führte sie nach dem
Speisesaal.

In voller Wut rannte der unglückliche Balthasar durch die finstre
Nacht, durch Sturmwind und Regen fort, nach Hause.



Viertes Kapitel

Wie der italienische Geiger Sbiocca den Herrn Zinnober in den
Kontrabaß zu werfen drohte, und der Referendarius Pulcher nicht zu
auswärtigen Angelegenheiten gelangen konnte. - Von Maut-Offizianten
und zurückbehaltenen Wundern fürs Haus. - Balthasars Bezauberung durch
einen Stockknopf.

Auf einem hervorragenden bemoosten Gestein im einsamsten Walde saß
Balthasar und schaute gedankenvoll hinab in die Tiefe, in der ein Bach
schäumend fortbrauste zwischen Felsstücken und dicht verwachsenem
Gestrüpp. Dunkle Wolken zogen daher und tauchten nieder hinter den
Bergen; das Rauschen der Bäume, der Gewässer ertönte wie ein dumpfes
Winseln, und dazwischen kreischten Raubvögel, die aus dem finstern
Dickicht aufstiegen in den weiten Himmelsraum und sich nachschwangen
dem fliehenden Gewölk. -

Dem Balthasar war, als vernehme er in den wunderbaren Stimmen des
Waldes die trostlose Klage der Natur, als müsse er selbst untergehen
in dieser Klage, als sei sein ganzes Sein nur das Gefühl des tiefsten
unverwindlichsten Schmerzes. Das Herz wollte ihm springen vor Wehmut,
und indem häufige Tränen aus seinen Augen tröpfelten, war es, als
blickten die Geister des Waldstroms zu ihm herauf und streckten
schneeweiße Arme empor aus den Wellen, ihn hinabzuziehen in den kühlen
Grund.

Da schwebte aus weiter Ferne durch die Lüfte daher heller fröhlicher
Hörnerklang und legte sich tröstend an seine Brust, und die Sehnsucht
erwachte in ihm und mit ihr süßes Hoffen. Er sah umher, und indem die
Hörner forttönten, dünkten ihm die grünen Schatten des Waldes nicht
mehr so traurig, nicht mehr so klagend das Rauschen des Windes, das
Flüstern der Gebüsche. Er kam zu Worten.

"Nein," rief er aus, indem er aufsprang von seinem Sitz und mit
leuchtendem Blick in die Ferne schaute, "nein, noch verschwand nicht
alle Hoffnung! - Nur zu gewiß ist es, daß irgendein düstres Geheimnis,
irgendein böser Zauber verstörend in mein Leben getreten ist, aber
ich breche diesen Zauber, und sollt' ich darüber untergehen! Als
ich endlich hingerissen, übermannt von dem Gefühl, das meine Brust
zersprengen wollte, der holden, süßen Candida meine Liebe gestand, las
ich denn nicht in ihren Blicken, fühlte ich nicht an dem Druck ihrer
Hand meine Seligkeit? - Aber sowie das verdammte kleine Ungetüm sich
sehen läßt, ist ihm alle Liebe zugewandt. An ihr, der vermaledeiten
Mißgeburt, hängen Candidas Augen, und sehnsüchtige Seufzer entfliehen
ihrer Brust, wenn der täppische Junge sich ihr nähert oder gar ihre
Hand berührt. - Es muß mit ihm irgendeine geheimnisvolle Bewandtnis
haben, und sollt' ich an alberne Ammenmärchen glauben, ich würde
behaupten, der Junge sei verhext und könne es, wie man zu sagen
pflegt, den Leuten antun. Ist es nicht toll, daß alle über das
mißgestaltete, durch und durch verwahrloste Männlein spotten und
lachen und dann wieder, tritt der Kleine dazwischen, ihn als den
verständigsten, gelehrtesten, ja wohlgestaltetsten Herrn Studiosum
ausschreien, der sich eben unter uns befindet? - Was sage ich! geht es
mir nicht beinahe selbst so, kommt es mir nicht auch oft vor, als sei
Zinnober gescheut und hübsch? - Nur in Candidas Gegenwart hat der
Zauber keine Macht über mich, da ist und bleibt Herr Zinnober ein
dummes, abscheuliches Alräunchen. - Doch! - ich stemme mich entgegen
der feindlichen Macht, eine dunkle Ahnung ruht tief in meinem Innern,
irgend etwas Unerwartetes werde mir die Waffe in die Hand geben wider
den bösen Unhold!" -

Balthasar suchte den Rückweg nach Kerepes. In einem Baumgange
fortwandernd, bemerkte er auf der Landstraße einen kleinen bepackten
Reisewagen, aus dem ihm jemand mit einem weißen Tuch freundlich
zuwinkte. Er trat heran und erkannte Herrn Vincenzo Sbiocca,
weltberühmten Virtuosen auf der Geige, den er wegen seines
vortrefflichen ausdrucksvollen Spiels über alle Maßen hochschätzte und
bei dem er schon seit zwei Jahren Unterricht genommen. "Gut," rief
Sbiocca, indem er aus dem Wagen sprang, "gut, mein lieber Herr
Balthasar, mein teurer Freund und Schüler, gut, daß ich Sie hier noch
treffe, um von Ihnen herzlichen Abschied nehmen zu können."

"Wie," sprach Balthasar, "wie Herr Sbiocca, Sie verlassen doch nicht
Kerepes, wo alles Sie ehrt und achtet, wo keiner Sie missen mag?"

"Ja," erwiderte Sbiocca, indem ihm alle Glut des innern Zorns ins
Gesicht trat, "ja, Herr Balthasar, ich verlasse einen Ort, in dem die
Leute sämtlich närrisch sind, der einem großen Irrenhause gleicht. -
Sie waren gestern nicht in meinem Konzert, da Sie über Land gegangen,
sonst hätten Sie mir beistehen können gegen das rasende Volk, dem ich
unterlegen."

"Was ist geschehen, um tausend Himmels willen, was ist geschehen?"
rief Balthasar.

"Ich spiele," fuhr Sbiocca fort, "das schwierigste Konzert von Viotti.
Es ist mein Stolz, meine Freude. Sie haben es von mir gehört, es hat
Sie nie unbegeistert gelassen. Gestern war ich, wohl mag ich es sagen,
ganz vorzüglich bei guter Laune - anima mein' ich, heitren Geistes
- spirito alato mein' ich. Kein Violinspieler auf der ganzen weiten
Erde, Viotti selbst hätte mir nicht nachgespielt. Als ich geendet,
bricht der Beifall mit aller Wut los - furore mein' ich, wie ich
erwartet. Geige unter dem Arm trete ich vor, mich höflichst zu
bedanken. - Aber! was muß ich sehen, was muß ich hören! - Alles, ohne
mich nur im mindesten zu beachten, drängt sich nach einer Ecke des
Saals und schreit: 'Bravo - bravissimo, göttlicher Zinnober! - welch
ein Spiel - welche Haltung, welcher Ausdruck, welche Fertigkeit!' -
Ich renne hin, dränge mich durch! - da steht ein drei Spannen hoher
verwachsener Kerl und schnarrt mit widriger Stimme: 'Bitte, bitte,
recht sehr, habe gespielt, wie es in meinen Kräften stand, bin
freilich nunmehr der stärkste Violinist in Europa und den übrigen
bekannten Weltteilen.' 'Tausend Teufel,' schrie ich, 'wer hat denn
gespielt, ich oder der Erdwurm da!' - Und als der Kleine immer
fortschnarcht: 'Bitte, bitte ergebenst,' will ich auf ihn los und ihn
fassen, in die ganze Applikatur greifend. Aber da stürzen sie auf mich
los und reden wahnsinniges Zeug von Neid, Eifersucht und Mißgunst.
Unterdessen ruft einer: 'Und welche Komposition!' und alle einstimmig
rufen hintendrein: 'Und welche Komposition - göttlicher Zinnober! -
sublimer Komponist!' Noch ärger als zuvor schrie ich: 'Ist denn alles
rasend - besessen? das Konzert war von Viotti, und ich - ich - der
weltberühmte Vincenzo Sbiocca hat es gespielt!' Aber nun packen sie
mich fest, sprechen von italienischer Tollheit - rabbia mein' ich,
von seltsamen Zufällen, bringen mich mit Gewalt in ein Nebenzimmer,
behandeln mich wie einen Kranken, wie einen Wahnsinnigen. Nicht lange
dauert es, so stürzt Signora Bragazzi hinein und fällt ohnmächtig
nieder. Ihr war es ergangen wie mir. Sowie sie ihre Arie geendet,
erdröhnte der Saal von dem: 'Brava - bravissima - Zinnober,' und alle
schrien, keine solche Sängerin gäb' es mehr auf Erden als Zinnober,
und der schnarchte wieder sein verfluchtes: 'Bitte - bitte!' -
Signora Bragazzi liegt im Fieber und wird baldigst verscheiden; ich
meinesteils rette mich durch die Flucht vor dem wahnsinnigen Volke.
Leben Sie wohl, bester Herr Balthasar! - Sehn Sie etwa den Signorino
Zinnober, so sagen Sie ihm gefälligst, er möge sich nicht irgendwo in
einem Konzert blicken lassen, in dem ich zugegen. Unfehlbar würd' ich
ihn sonst bei seinen Käferbeinchen packen und durchs F-Loch in den
Kontrabaß schmeißen, da könne er denn zeit seines Lebens Konzerte
spielen und Arien singen, wie er nur Lust hätte. Leben Sie wohl,
mein geliebter Balthasar, und legen Sie die Violine nicht beiseite!"
- Damit umarmte Herr Vincenzo Sbiocca den vor Staunen erstarrten
Balthasar und stieg in den Wagen, der schnell davonrollte.

"Hab' ich denn nicht recht," sprach Balthasar zu sich selbst, "hab'
ich denn nicht recht, das unheimliche Ding, der Zinnober, ist verhext
und tut es den Leuten an." - In dem Augenblick rannte ein junger
Mensch vorüber, bleich - verstört, Wahnsinn und Verzweiflung im
Antlitz. Dem Balthasar fiel es schwer aufs Herz. Er glaubte in dem
Jünglinge einen seiner Freunde erkannt zu haben und sprang ihm daher
schnell nach in den Wald.

Kaum zwanzig - dreißig Schritte gelaufen, wurde er den Referendarius
Pulcher gewahr, der unter einem großen Baume stehen geblieben und
mit himmelwärts gerichtetem Blick also sprach: "Nein! - nicht länger
dulden diese Schmach! - Alle Hoffnung des Lebens ist dahin! - jede
Aussicht nur ins Grab gerichtet - Fahre wohl - Leben - Welt - Hoffnung
- Geliebte." -

Und damit riß der verzweiflungsvolle Referendarius eine Pistole aus
dem Busen und drückte sie sich an die Stirne.

Balthasar stürzte mit Blitzesschnelle auf ihn zu, schleuderte ihm die
Pistole weit weg aus der Hand und rief: "Pulcher! um Gottes willen,
was ist dir, was tust du!"

Der Referendarius konnte einige Minuten hindurch nicht zu sich selbst
kommen. Er war halb ohnmächtig niedergesunken auf den Rasen; Balthasar
hatte sich zu ihm gesetzt und sprach tröstende Worte, wie er es nur
vermochte, ohne die Ursache von Pulchers Verzweiflung zu wissen.

Hundertmal hatte Balthasar gefragt, was dem Referendarius denn
Schreckliches geschehen, das den schwarzen Gedanken des Selbstmords
in ihm rege gemacht. Da seufzte Pulcher endlich tief auf und begann:
"Du kennst, lieber Freund Balthasar, meine bedrängte Lage, du weißt,
wie ich all meine Hoffnung auf die Stelle des geheimen Expedienten
gesetzt, die bei dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten offen;
du weißt, mit welchem Eifer, mit welchem Fleiß ich mich darauf
vorbereitet. Ich hatte meine Ausarbeitungen eingereicht, die, wie ich
zu meiner Freude erfuhr, den vollsten Beifall des Ministers erhalten.
Mit welcher Zuversicht stellte ich mich heute vormittag zur mündlichen
Prüfung! - Ich fand im Zimmer einen kleinen, mißgeschaffenen Kerl,
den du wohl unter dem Namen des Herrn Zinnober kennen wirst. Der
Legationsrat, dem die Prüfung übertragen, trat mir freundlich entgegen
und sagte mir, zu derselben Stelle, die ich zu erhalten wünsche, habe
sich auch Herr Zinnober gemeldet, er werde uns _beide_ daher prüfen.
Dann raunte er mir leise ins Ohr: 'Sie haben von Ihrem Mitbewerber
nichts zu befürchten, bester Referendarius, die Arbeiten, die der
kleine Zinnober eingereicht, sind erbärmlich!' Die Prüfung begann,
keine Frage des Rats ließ ich unbeantwortet. Zinnober wußte
nichts, gar nichts; statt zu antworten, schnarchte und quäkte er
unvernehmliches Zeug, das niemand verstand, fiel auch, indem er
ungebärdig mit den Beinchen strampelte, ein paarmal vom hohen Stuhl
herab, so daß ich ihn wieder hinaufheben mußte. Mir bebte das Herz vor
Vergnügen; die freundlichen Blicke, die der Rat dem Kleinen zuwarf,
hielt ich für die bitterste Ironie. - Die Prüfung war beendigt. Wer
schildert meinen Schreck, mir war es, als wenn ein jäher Blitz mich
klaftertief hineinschlüge in den Boden, als der Rat den Kleinen
umarmte, zu ihm sprach: 'Herrlicher Mensch! - welche Kenntnis -
welcher Verstand - welcher Scharfsinn!' - dann zu mir: 'Sie haben mich
sehr getäuscht, Herr Referendarius Pulcher - Sie wissen ja gar nichts!
Und - nehmen Sie es mir nicht übel, die Art, wie Sie sich zur Prüfung
ermutigt haben mögen, läuft gegen alle Sitte, gegen allen Anstand! -
Sie konnten sich ja gar nicht auf dem Stuhl erhalten, Sie fielen ja
herab, und Herr Zinnober mußte Sie aufrichten. Diplomatische Personen
müssen fein nüchtern sein und besonnen. - Adieu, Herr Referendarius!'
- Noch hielt ich alles für ein tolles Gaukelspiel. Ich wagte es,
ich ging hin zum Minister. Er ließ mir heraussagen, wie ich mich
unterstehen könne, ihn noch mit meinem Besuch zu behelligen, nach der
Art, wie ich mich in der Prüfung bewiesen - er wisse schon alles!
Der Posten, zu dem ich mich gedrängt, sei schon vergeben an Herrn
Zinnober! - So hat mir irgendeine höllische Macht alle Hoffnung
geraubt, und ich will ein Leben freiwillig opfern, das dem dunklen
Verhängnis anheimgefallen! Verlaß mich!" -

"Nimmermehr," rief Balthasar, "erst höre mich an!"

Er erzählte nun alles, was er von Zinnober wußte seit seiner ersten
Erscheinung vor dem Tor von Kerepes; wie es ihm mit dem Kleinen
ergangen im Mosch Terpins Hause; was er eben jetzt von Vincenzo
Sbiocca vernommen. "Es ist nur zu gewiß," sprach er dann, "daß allem
Beginnen der unseligen Mißgeburt irgend etwas Geheimnisvolles zum
Grunde liegt, und glaube mir, Freund Pulcher, - ist irgendein
höllischer Zauber im Spiele, so kommt es nur darauf an, ihm mit
festem Sinn entgegen zu treten, der Sieg ist gewiß, wenn nur der Mut
vorhanden. - Darum nicht verzagt, kein zu rascher Entschluß. Laß uns
vereint dem kleinen Hexenkerl zu Leibe gehen!" -

"Hexenkerl," rief der Referendarius mit Begeisterung, "ja Hexenkerl,
ein ganz verfluchter Hexenkerl ist der Kleine, das ist gewiß! - Doch
Bruder Balthasar, was ist uns denn, liegen wir im Traume? - Hexenwesen
- Zaubereien - ist es denn damit nicht vorbei seit langer Zeit? Hat
denn nicht vor vielen Jahren Fürst Paphnutius der Große die Aufklärung
eingeführt und alles tolle Unwesen, alles Unbegreifliche aus dem Lande
verbannt, und doch soll noch dergleichen verwünschte Contrebande sich
eingeschlichen haben? - Wetter! das müßte man ja gleich der Polizei
anzeigen und den Maut-Offizianten! - Aber nein, nein - nur der
Wahnsinn der Leute oder, wie ich beinahe fürchte, ungeheure Bestechung
ist schuld an unserm Unglück. - Der verwünschte Zinnober soll
unermeßlich reich sein. Er stand neulich vor der Münze, und da zeigten
die Leute mit Fingern nach ihm und riefen: 'Seht den kleinen hübschen
Papa! - dem gehört alles blanke Gold, was da drinnen geprägt wird!'"

"Still," erwiderte Balthasar, "still, Freund Referendarius, mit dem
Golde zwingt es der Unhold nicht, es ist etwas anderes dahinter!
- Wahr, daß Fürst Paphnutius die Aufklärung einführte zu Nutz
und Frommen seines Volks, seiner Nachkommenschaft, aber manches
Wunderbare, Unbegreifliche ist doch noch zurückgeblieben. Ich meine,
man hat noch so fürs Haus einige hübsche Wunder zurückbehalten.
Z.B. noch immer wachsen aus lumpichten Samenkörnern die höchsten,
herrlichsten Bäume, ja sogar die mannigfaltigsten Früchte und
Getreidearten, womit wir uns den Leib stopfen. Erlaubt man ja wohl
noch gar den bunten Blumen, den Insekten auf ihren Blättern und
Flügeln die glänzendsten Farben, selbst die allerverwunderlichsten
Schriftzüge zu tragen, von denen kein Mensch weiß, ob es Öl ist,
Guasche oder Aquarellmanier, und kein Teufel von Schreibmeister kann
die schmucke Kurrentschrift lesen, geschweige denn nachschreiben!
Hoho! Referendarius, ich sage dir, es geht in meinem Innern zuweilen
Absonderliches vor! - Ich lege die Pfeife weg und schreite im Zimmer
auf und ab, und eine seltsame Stimme flüstert, ich sei selbst ein
Wunder, der Zauberer Mikrokosmus hantiere in mir und treibe mich an zu
allerlei tollen Streichen! - Aber, Referendarius, dann laufe ich fort
und schaue hinein in die Natur und verstehe alles, was die Blumen, die
Gewässer zu mir sprechen, und mich umfängt selige Himmelslust!" -

"Du sprichst im Fieber," rief Pulcher; aber Balthasar, ohne auf ihn zu
achten, streckte die Arme aus, wie von inbrünstiger Sehnsucht erfaßt,
nach der Ferne. "Horche doch nur," rief Balthasar, "horche doch nur,
o Referendarius, welche himmlische Musik im Rauschen des Abendwindes
durch den Wald ertönt! - Hörst du wohl, wie die Quellen stärker
erheben ihren Gesang? wie die Büsche, die Blumen einfallen mit
lieblichen Stimmen?" -

Der Referendarius hielt das Ohr hin, um die Musik zu erhorchen, von
der Balthasar sprach. "In der Tat," fing er dann an, "in der Tat, es
wehen Töne durch den Wald, die die anmutigsten, herrlichsten sind,
welche ich in meinem Leben gehört und die mir tief in die Seele
dringen. Doch ist es nicht der Abendwind, nicht die Büsche, nicht die
Blumen sind es, die so singen, vielmehr deucht es mir, als wenn jemand
in der Ferne die tiefsten Glocken einer Harmonika anstriche."

Pulcher hatte recht. Wirklich glichen die vollen, immer stärker und
stärker anschwellenden Akkorde, die immer näher hallten, den Tönen
einer Harmonika, deren Größe und Stärke aber unerhört sein mußte. Als
nun die Freunde weiter vorschritten, bot sich ihnen ein Schauspiel
dar, so zauberhaft, daß sie vor Erstaunen erstarrt - fest gewurzelt -
stehen blieben. In geringer Entfernung fuhr ein Mann langsam durch den
Wald, beinahe chinesisch gekleidet, nur trug er ein weitbauschiges
Barett mit schönen Schwungfedern auf dem Haupte. Der Wagen glich
einer offenen Muschel von funkelndem Kristall, die beiden hohen Räder
schienen von gleicher Masse. Sowie sie sich drehten, erklangen die
herrlichen Harmonikatöne, die die Freunde schon aus der Ferne gehört.
Zwei schneeweiße Einhörner mit goldenem Geschirr zogen den Wagen, auf
dem statt des Fuhrmanns ein Silberfasan saß, die goldnen Leinen im
Schnabel haltend. Hintenauf saß ein großer Goldkäfer, der mit den
flimmernden Flügeln flatternd, dem wunderbaren Mann in der Muschel
Kühlung zuzuwehen schien. Sowie er bei den Freunden vorüberkam, nickte
er ihnen freundlich zu. In dem Augenblick fiel aus dem funkelnden
Knopf des langen Rohrs, das der Mann in der Hand trug, ein Strahl auf
Balthasar, so daß er einen brennenden Stich tief in der Brust fühlte
und mit einem dumpfen Ach! zusammenfuhr. -

Der Mann blickte ihn an und lächelte und winkte noch freundlicher als
zuvor. Sowie das zauberische Fuhrwerk im dichten Gebüsch verschwand,
noch im sanften Nachhallen der Harmonikatöne, fiel Balthasar, ganz
außer sich vor Wonne und Entzücken, dem Freunde um den Hals und rief:
"Referendarius, wir sind gerettet! - jener ist's, der Zinnobers
versuchten Zauber bricht!" -

"Ich weiß nicht," sprach Pulcher, "ich weiß nicht, wie mir in diesem
Augenblick zumute, ob ich wache, ob ich träume; aber so viel ist
gewiß, daß ein unbekanntes Wonnegefühl mich durchdringt und daß Trost
und Hoffnung in meine Seele wiederkehrt."



Fünftes Kapitel

Wie Fürst Barsanuph Leipziger Lerchen und Danziger Goldwasser
frühstückte, einen Butterfleck auf die Kasimirhose bekam und den
Geheimen Sekretär Zinnober zum Geheimen Spezialrat erhob. - Die
Bilderbücher des Doktors Prosper Alpanus. - Wie ein Portier den
Studenten Fabian in den Finger biß, dieser ein Schleppkleid trug und
deshalb verhöhnt wurde. - Balthasars Flucht.

Es ist nicht länger zu verhehlen, daß der Minister der auswärtigen
Angelegenheiten, bei dem Herr Zinnober als Geheimer Expedient
angenommen, ein Abkömmling jenes Barons Prätextatus von Mondschein
war, der den Stammbaum der Fee Rosabelverde in den Turnierbüchern und
Chroniken vergebens suchte. Er hieß wie sein Ahnherr Prätextatus von
Mondschein, war von der feinsten Bildung, den angenehmsten Sitten,
verwechselte niemals das Mich und Mir, das Ihnen und Sie, schrieb
seinen Namen mit französischen Lettern sowie überhaupt eine leserliche
Hand und arbeitete sogar zuweilen selbst, vorzüglich wenn das Wetter
schlecht war. Fürst Barsanuph, ein Nachfolger des großen Paphnutz,
liebte ihn zärtlich, denn er hatte auf jede Frage eine Antwort,
spielte in den Erholungsstunden mit dem Fürsten Kegel, verstand sich
herrlich aufs Geld-Negoz und suchte in der Gavotte seinesgleichen.

Es gab sich, daß der Baron Prätextatus von Mondschein den Fürsten
eingeladen hatte zum Frühstück auf Leipziger Lerchen und ein Gläschen
Danziger Goldwasser. Als er nun hinkam in Mondscheins Haus, fand er im
Vorsaal unter mehreren angenehmen diplomatischen Herren den kleinen
Zinnober, der, auf seinem Stock gestemmt, ihn mit seinen Äugelein
anfunkelte und, ohne sich weiter an ihn zu kehren, eine gebratene
Lerche ins Maul steckte, die er soeben vom Tische gemaust. Sowie der
Fürst den Kleinen erblickte, lächelte er ihn gnädig an und sprach zum
Minister: "Mondschein! was haben Sie da für einen kleinen, hübschen,
verständigen Mann in Ihrem Hause? - Es ist gewiß derselbe, der die
wohl stilisierten und schön geschriebenen Berichte verfertigt, die ich
seit einiger Zeit von Ihnen erhalte?" "Allerdings, gnädigster Herr,"
erwiderte Mondschein. "Mir hat das Geschick ihn zugeführt als den
geistreichsten, geschicktesten Arbeiter in meinem Bureau. Er nennt
sich Zinnober, und ich empfehle den jungen herrlichen Mann ganz
vorzüglich Ihrer Huld und Gnade, mein bester Fürst! - Erst seit
wenigen Tagen ist er bei mir." "Und ebendeshalb," sprach ein junger
hübscher Mann, der sich indessen genähert, "und ebendeshalb hat, wie
Ew. Exzellenz zu bemerken erlauben werden, mein kleiner Kollege noch
gar nichts expediert. Die Berichte, die das Glück hatten, von Ihnen,
mein durchlauchtigster Fürst, mit Wohlgefallen bemerkt zu werden, sind
von mir verfaßt." "Was wollen Sie!" fuhr der Fürst ihn zornig an. -
Zinnober hatte sich dicht an den Fürsten geschoben und schmatzte, die
Lerche verzehrend, vor Gier und Appetit. - Der junge Mensch war es
wirklich, der jene Berichte verfaßt, aber: "Was wollen Sie," rief der
Fürst, "Sie haben ja noch gar nicht die Feder angerührt? - Und daß Sie
dicht bei mir gebratene Lerchen verzehren, so daß, wie ich zu meinem
großen Ärger bemerken muß, meine neue Kasimirhose bereits einen
Butterfleck bekommen, daß Sie dabei so unbillig schmatzen, ja! -
alles das beweiset hinlänglich Ihre völlige Untauglichkeit zu jeder
diplomatischen Laufbahn! - Gehen Sie fein nach Hause und lassen Sie
sich nicht wieder vor mir sehen, es sei denn, Sie brächten mir eine
nützliche Fleckkugel für meine Kasimirhose. - Vielleicht wird mir dann
wieder gnädig zumute!" Dann zum Zinnober: "Solche Jünglinge, wie Sie,
werter Zinnober, sind eine Zierde des Staats und verdienen ehrenvoll
ausgezeichnet zu werden! - Sie sind Geheimer Spezialrat, mein Bester!"
- "Danke schönstens," schnarrte Zinnober, indem er den letzten Bissen
hinunterschluckte und sich das Maul wischte mit beiden Händchen,
"danke schönstens, ich werd' das Ding schon machen, wie es mir
zukommt."

"Wackres Selbstvertrauen," sprach der Fürst mit erhobener Stimme,
"wackres Selbstvertrauen zeugt von der innern Kraft, die dem würdigen
Staatsmann inwohnen muß!" - Und auf diesen Spruch nahm der Fürst ein
Schnäpschen Goldwasser, welches der Minister selbst ihm darreichte und
das ihm sehr wohl bekam. - Der neue Rat mußte Platz nehmen zwischen
dem Fürsten und Minister. Er verzehrte unglaublich viel Lerchen und
trank Malaga und Goldwasser durcheinander und schnarrte und brummte
zwischen den Zähnen und hantierte, da er kaum mit der spitzen Nase
über den Tisch reichen konnte, gewaltig mit den Händchen und Beinchen.

Als das Frühstück beendigt, riefen beide, der Fürst und der Minister:
"Er ist ein englischer Mensch, dieser Geheime Spezialrat!" - "Du
siehst," sprach Fabian zu seinem Freunde Balthasar, "du siehst so
fröhlich aus, deine Blicke leuchten in besonderen Feuer. - Du fühlst
dich glücklich? - Ach, Balthasar, du träumst vielleicht einen schönen
Traum, aber ich muß dich daraus erweckendes ist Freundes Pflicht!"

"Was hast du, was ist geschehen?" fragte Balthasar bestürzt.

"Ja," fuhr Fabian fort, "ja! - ich muß es dir sagen! Fasse dich
nur, mein Freund! - Bedenke, daß vielleicht kein Unfall in der Welt
schmerzlicher trifft und doch leichter zu verwinden ist, als eben
dieser! - Candida" -

"Um Gott," schrie Balthasar entsetzt, "Candida! - was ist mit Candida?
- ist sie hin - ist sie tot?"

"Ruhig," sprach Fabian weiter, "ruhig, mein Freund! - nicht tot
ist Candida, aber so gut als tot für dich! - Wisse, daß der kleine
Zinnober Geheimer Spezialrat geworden und so gut als versprochen ist
mit der schönen Candida, die, Gott weiß wie, in ihn ganz vernarrt sein
soll."

Fabian glaubte, daß Balthasar nun losbrechen werde in ungestüme,
verzweiflungsvolle Klagen und Verwünschungen. Statt dessen sprach er
mit ruhigem Lächeln: "Ist es nichts weiter als das, so gibt es keinen
Unfall, der mich betrüben könnte."

"Du liebst Candida nicht mehr?" fragte Fabian voll Erstaunen.

"Ich liebe," erwiderte Balthasar, "ich liebe das Himmelskind, das
herrliche Mädchen mit aller Inbrunst, mit aller Schwärmerei, die nur
in eines Jünglings Brust sich entzünden kann! Und ich weiß - ach ich
weiß es, daß Candida mich wieder liebt, daß nur ein verruchter Zauber
sie umstrickt hält, aber bald löse ich die Bande dieses Hexenwesens,
bald vernichte ich den Unhold, der die Arme betört." -

Balthasar erzählte nun dem Freunde ausführlich von dem wunderbaren
Mann, dem er in dem seltsamsten Fuhrwerk im Walde begegnet. Er
schloß damit, daß, sowie aus dem Stockknopf des zauberischen Wesens
ein Strahl in seine Brust gefunkelt, der feste Gedanken in ihm
aufgegangen, daß Zinnober nichts sei als ein Hexenmännlein, dessen
Macht jener Mann vernichten werde.

"Aber," rief Fabian, als der Freund geendet, "aber Balthasar, wie
kannst du nur auf solches tolles, wunderliches Zeug verfallen? - Der
Mann, den du für einen Zauberer hältst, ist niemand anders als der
Doktor Prosper Alpanus, der unfern der Stadt auf seinem Landhause
wohnt. Wahr ist es, daß die wunderlichsten Gerüchte von ihm verbreitet
werden, so daß man ihn beinahe für einen zweiten Cagliostro halten
möchte; aber daran ist er selbst schuld. Er liebt es, sich in
mystisches Dunkel zu hüllen, den Schein eines mit den tiefsten
Geheimnissen der Natur vertrauten Mannes anzunehmen, der unbekannten
Kräften gebietet, und dabei hat er die bizarrsten Einfälle. So ist
zum Beispiel sein Fuhrwerk so seltsam beschaffen, daß ein Mensch, der
von lebhafter feuriger Fantasie ist, wie du, mein Freund, wohl dahin
gebracht werden kann, alles für eine Erscheinung aus irgendeinem
tollen Märchen zu halten. Höre also! - Sein Kabriolett hat die Form
einer Muschel und ist über und über versilbert, zwischen den Rädern
ist eine Drehorgel angebracht, welche, sowie der Wagen fährt, von
selbst spielt. Das, was du für einen Silberfasan hieltest, war gewiß
sein kleiner weißgekleideter Jockey, so wie du gewiß die Blätter des
ausgespreiteten Sonnenschirms für die Flügeldecken eines Goldkäfers
hieltest. Seinen beiden weißen Pferdchen läßt er große Hörner
anschrauben, damit es nur recht fabelhaft aussehn soll. Übrigens ist
es richtig, daß der Doktor Alpanus ein schönes spanisches Rohr trägt
mit einem herrlich funkelnden Kristall, der oben darauf sitzt als
Knopf und von dessen wunderlicher Wirkung man viel Fabelhaftes erzählt
oder vielmehr lügt. Den Strahl dieses Kristalls soll nämlich kaum ein
Auge ertragen. Verhüllt ihn der Doktor mit einem dünnen Schleier und
richtet man nun den festen Blick darauf, so soll das Bild der Person,
das man in dem innersten Gedanken trägt, außerhalb wie in einem
Hohlspiegel erscheinen." "In der Tat," fiel Balthasar dem Freunde ins
Wort, "in der Tat? Erzählt man das? - Was spricht man denn wohl noch
weiter von dem Herrn Doktor Prosper Alpanus?"

"Ach," erwiderte Fabian, "verlange doch nur nicht, daß ich von den
tollen Fratzen und Possen viel reden soll. Du weißt ja, daß es noch
bis jetzt abenteuerliche Leute gibt, die der gesunden Vernunft
entgegen an alle sogenannte Wunder alberner Ammenmärchen glauben."

"Ich will dir gestehen," fuhr Balthasar fort, "daß ich genötigt bin,
mich selbst zu der Partie dieser abenteuerlichen Leute ohne gesunde
Vernunft zu schlagen. Versilbertes Holz ist kein glänzendes
durchsichtiges Kristall, eine Drehorgel tönt nicht wie eine Harmonika,
ein Silberfasan ist kein Jockey und ein Sonnenschirm kein Goldkäfer.
Entweder war der wunderbare Mann, dem ich begegnete, nicht der Doktor
Prosper Alpanus, von dem du sprichst, oder der Doktor herrscht
wirklich über die außerordentlichsten Geheimnisse."

"Um," sprach Fabian, "um dich ganz von deinen seltsamen Träumereien zu
heilen, ist es am besten, daß ich dich geradezu hinführe zu dem Doktor
Prosper Alpanus. Dann wirst du es selbst verspüren, daß der Herr
Doktor ein ganz gewöhnlicher Arzt ist und keineswegs spazieren fährt
mit Einhörnern, Silberfasanen und Goldkäfern."

"Du sprichst," erwiderte Balthasar, indem ihm die Augen hell
auffunkelten, "du sprichst, mein Freund, den innigsten Wunsch meiner
Seele aus. - Wir wollen uns nur gleich auf den Weg machen."

Bald standen sie vor dem verschlossenen Gattertor des Parks, in
dessen Mitte das Landhaus des Doktor Alpanus lag. "Wie kommen wir nur
hinein?" sprach Fabian. "Ich denke, wir klopfen," erwiderte Balthasar
und faßte den metallenen Klöpfel, der dicht beim Schlosse angebracht
war.

Sowie er den Klöpfel aufhob, begann ein unterirdisches Murmeln wie
ein ferner Donner und schien zu verhallen in der tiefsten Tiefe. Das
Gattertor drehte sich langsam auf, sie traten ein und wanderten fort
durch einen langen, breiten Baumgang, durch den sie das Landhaus
erblickten. "Spürst du," sprach Fabian, "hier etwas Außerordentliches,
Zauberisches?" "Ich dächte," erwiderte Balthasar, "die Art, wie sich
das Gattertor öffnete, wäre doch nicht so ganz gewöhnlich gewesen,
und dann weiß ich nicht, wie mich hier alles so wunderbar, so magisch
anspricht. - Gibt es denn wohl auf weit und breit solche herrliche
Bäume als eben hier in diesem Park? - Ja, mancher Baum, manches
Gebüsch scheint ja mit seinen glänzenden Stämmen und smaragdenen
Blättern einem fremden unbekannten Lande anzugehören." -

Fabian bemerkte zwei Frösche von ungewöhnlicher Größe, die schon von
dem Gattertor an zu beiden Seiten der Wandelnden mitgehüpft waren.
"Schöner Park," rief Fabian, "in dem es solch Ungeziefer gibt!" und
bückte sich nieder, um einen kleinen Stein aufzuheben, mit dem er nach
den lustigen Fröschen zu werfen gedachte. Beide sprangen ins Gebüsch
und guckten ihn mit glänzenden menschlichen Augen an. "Wartet,
wartet!" rief Fabian, zielte nach dem einen und warf. In dem
Augenblick quäkte aber ein kleines häßliches Weib, das am Wege saß:
"Grobian! schmeiß' Er nicht ehrliche Leute, die hier im Garten mit
saurer Arbeit ihr bißchen Brot verdienen müssen." - "Komm nur, komm,"
murmelte Balthasar entsetzt, denn er merkte wohl, daß der Frosch sich
gestaltet zum alten Weibe. Ein Blick ins Gebüsch überzeugte ihn, daß
der andere Frosch, jetzt ein kleines Männlein geworden, sich mit
Ausjäten des Unkrauts beschäftigte. -

Vor dem Landhause befand sich ein großer schöner Rasenplatz, auf dem
die beiden Einhörner weideten, während die herrlichsten Akkorde in den
Lüften erklangen.

"Siehst du wohl, hörst du wohl?" sprach Balthasar.

"Ich sehe nichts weiter," erwiderte Fabian, "als zwei kleine Schimmel,
die Gras fressen, und was so in den Lüften tönt, sind wahrscheinlich
aufgehängte Äolsharfen."

Die herrliche einfache Architektur des mäßig großen, einstöckigen
Landhauses entzückte den Balthasar. Er zog an der Klingelschnur,
sogleich ging die Türe auf, und ein großer straußartiger, ganz
goldgelb gleißender Vogel stand als Portier vor den Freunden.

"Nun seh'," sprach Fabian zu Balthasar, "nun seh' einmal einer die
tolle Livree! - Will man auch nachher dem Kerl ein Trinkgeld geben,
hat er wohl eine Hand, es in die Westentasche zu schieben?"

Und damit wandte er sich zu dem Strauß, packte ihn bei den glänzenden
Flaumfedern, die unter dem Schnabel an der Kehle wie ein reiches Jabot
sich aufplusterten, und sprach: "Meld' Er uns bei dem Herrn Doktor,
mein scharmanter Freund!" - Der Strauß sagte aber nichts als:
_"Quirrrr"_ - und biß den Fabian in den Finger. "Tausend Sapperment,"
schrie Fabian, "der Kerl ist doch wohl am Ende ein verfluchter Vogel!"

In demselben Augenblick ging eine innere Türe auf, und der Doktor
selbst trat den Freunden entgegen. - Ein kleiner dünner, blasser Mann!
- Er trug ein kleines samtnes Mützchen auf dem Haupte, unter dem
schönes Haar in langen Locken hervorströmte, ein langes erdgelbes
indisches Gewand und kleine rote Schnürstiefelchen, ob mit buntem
Pelz oder dem glänzenden Federbalg eines Vogels besetzt, war nicht
zu unterscheiden. Auf seinem Antlitz lag die Ruhe, die Gutmütigkeit
selbst, nur schien es seltsam, daß, wenn man ihn recht nahe, recht
scharf anblickte, es war, als schaue aus dem Gesicht noch ein
kleineres Gesichtchen wie aus einem gläsernen Gehäuse heraus.

"Ich erblickte," sprach nun leise und etwas gedehnt mit anmutigem
Lächeln Prosper Alpanus, "ich erblickte Sie, meine Herrn, aus dem
Fenster, ich wußte auch wohl schon früher, wenigstens was Sie
betrifft, lieber Herr Balthasar, daß Sie zu mir kommen würden. -
Folgen Sie mir gefälligst!" -

Prosper Alpanus führte sie in ein hohes rundes Zimmer, rings umher mit
himmelblauen Gardinen behängt. Das Licht fiel durch ein oben in der
Kuppel angebrachtes Fenster herab und warf seine Strahlen auf den
glänzend polierten, von einer Sphinx getragenen Marmortisch, der
mitten im Zimmer stand. Sonst war durchaus nichts Außerordentliches in
dem Gemach zu bemerken.

"Worin kann ich Ihnen dienen?" fragte Prosper Alpanus.

Da faßte sich Balthasar zusammen, erzählte, was sich mit dem kleinen
Zinnober begeben von seinem ersten Erscheinen in Kerepes an, und
schloß mit der Versicherung, wie in ihm der feste Gedanke aufgegangen,
daß er, Prosper Alpanus, der wohltätige Magus sei, der Zinnobers
verworfenem, abscheulichem Zauberwerk Einhalt tun werde.

Prosper Alpanus blieb schweigend in tiefen Gedanken stehen. Endlich,
nachdem wohl ein paar Minuten vergangen, begann er mit ernster
Miene und tiefem Ton: "Nach allem, was Sie mir erzählt, Balthasar,
unterliegt es gar keinem Zweifel, daß es mit dem kleinen Zinnober eine
besondere geheimnisvolle Bewandtnis hat. - Aber man muß fürs erste den
Feind kennen, den man bekämpfen, die Ursache wissen, deren Wirkung man
zerstören will. - Es steht zu vermuten, daß der kleine Zinnober nichts
anders ist, als ein Wurzelmännlein. Wir wollen doch gleich nachsehen."

Damit zog Prosper Alpanus an einer von den seidenen Schnüren, die rund
umher an der Decke des Zimmers herabhingen. Eine Gardine rauschte
auseinander, große Folianten in ganz vergoldeten Einbänden wurden
sichtbar, und eine zierliche, luftig leichte Treppe von Zedernholz
rollte hinab. Prosper Alpanus stieg diese Treppe heran und holte aus
der obersten Reihe einen Folianten, den er auf den Marmortisch legte,
nachdem er ihn mit einem großen Büschel blinkender Pfauenfedern
sorgfältig abgestaubt. "Dies Werk," sprach er dann, "handelt von den
Wurzelmännern, die sämtlich darin abgebildet; vielleicht finden Sie
Ihren feindlichen Zinnober darunter, und dann ist er in unsere Hände
geliefert."

Als Prosper Alpanus das Buch aufschlug, erblickten die
Freunde eine Menge sauber illuminierter Kupfertafeln, die die
allerverwunderlichsten mißgestaltetsten Männlein mit den tollsten
Fratzengesichtern darstellten, die man nur sehen konnte. Aber sowie
Prosper eins dieser Männlein auf dem Blatt berührte, wurd' es
lebendig, sprang heraus und gaukelte und hüpfte auf dem Marmortisch
gar possierlich umher und schnappte mit den Fingerchen und machte mit
den krummen Beinchen die allerschönsten Pirouetten und Entrechats
und sang dazu Quirr, Quapp, Pirr, Papp, bis es Prosper bei dem Kopfe
ergriff und wieder ins Buch legte, wo es sich alsbald ausglättete und
ausplättete zum bunten Bilde.

Auf dieselbe Weise wurden alle Bilder des Buchs durchgesehen, aber so
oft schon Balthasar rufen wollte: "Dies ist er, dies ist Zinnober!" so
mußte er doch, genauer hinblickend, zu seinem Leidwesen wahrnehmen,
daß das Männlein keinesweges Zinnober war.

"Das ist doch wunderlich genug," sprach Prosper Alpanus, als das Buch
zu Ende. - "Doch," fuhr er fort, "mag Zinnober vielleicht gar ein
Erdgeist sein. Sehen wir nach."

Damit hüpfte er mit seltener Behendigkeit abermals die Zederntreppe
herauf, holte einen andern Folianten, stäubte ihn säuberlich ab, legte
ihn auf den Marmortisch und schlug ihn auf, sprechend: "Dies Werk
handelt von den Erdgeistern, vielleicht haschen wir den Zinnober in
diesem Buche." Die Freunde erblickten wiederum eine Menge sauber
illuminierter Kupfertafeln, die abscheulich häßliche braungelbe
Unholde darstellten. Und wie sie Prosper Alpanus berührte, erhoben sie
weinerlich quäkende Klagen und krochen endlich schwerfällig heraus und
wälzten sich knurrend und ächzend auf dem Marmortische herum, bis der
Doktor sie wieder hineindrückte ins Buch.

Auch unter diesen hatte Balthasar den Zinnober nicht gefunden.

"Wunderlich, höchst wunderlich," sprach der Doktor und versank in
stummes Nachdenken.

"Der Käferkönig," fuhr er dann fort, "der Käferkönig kann es
nicht sein, denn der ist, wie ich gewiß weiß, eben jetzt anderswo
beschäftigt; Spinnenmarschall auch nicht, denn Spinnenmarschall ist
zwar häßlich, aber verständig und geschickt, lebt auch von seiner
Hände Arbeit, ohne sich andrer Taten anzumaßen. - Wunderlich - sehr
wunderlich." -

Er schwieg wieder einige Minuten, so daß man allerlei wunderbare
Stimmen, die bald in einzelnen Lauten, bald in vollen anschwellenden
Akkorden ringsumher ertönten, deutlich vernahm. "Sie haben überall
und immerfort recht artige Musik, lieber Herr Doktor," sprach Fabian.
Prosper Alpanus schien gar nicht auf Fabian zu achten, er faßte nur
den Balthasar ins Auge, indem er erst beide Arme nach ihm ausstreckte
und dann die Fingerspitzen gegen ihn hin bewegte, als besprenge er ihn
mit unsichtbaren Tropfen.

Endlich faßte der Doktor Balthasars beide Hände und sprach mit
freundlichem Ernst: "Nur die reinste Konsonanz des psychischen
Prinzips im Gesetz des Dualismus begünstigt die Operation, die ich
jetzt unternehmen werde. Folgen Sie mir!" -

Die Freunde folgten dem Doktor durch mehrere Zimmer, die außer einigen
seltsamen Tieren, die sich mit Lesen - Schreiben - Malen - Tanzen
beschäftigten, eben nichts Merkwürdiges enthielten, bis sich zwei
Flügeltüren öffneten, und die Freunde vor einen dichten Vorhang
traten, hinter den Prosper Alpanus verschwand und sie in dicker
Finsternis ließ. Der Vorhang rauschte auseinander, und die Freunde
befanden sich in einem, wie es schien, eirunden Saal, in dem ein
magisches Helldunkel verbreitet. Es war, betrachtete man die Wände,
als verlöre sich der Blick in unabsehbare grüne Haine und Blumenauen
mit plätschernden Quellen und Bächen. Der geheimnisvolle Duft eines
unbekannten Aroma wallte auf und nieder und schien die süßen Töne
der Harmonika hin und her zu tragen. Prosper Alpanus erschien ganz
weißgekleidet wie ein Brahmin und stellte in die Mitte des Saals einen
großen runden Kristallspiegel, über den er einen Flor warf.

"Treten Sie," sprach er dumpf und feierlich, "treten Sie vor diesen
Spiegel, Balthasar, richten Sie Ihre festen Gedanken auf Candida -
_wollen_ Sie mit ganzer Seele, daß sie sich Ihnen zeige in dem Moment,
der jetzt existiert in Raum und Zeit" -

Balthasar tat, wie ihm geheißen, indem Prosper Alpanus sich hinter ihn
stellte und mit beiden Händen Kreise um ihn beschrieb.

Wenige Sekunden hatte es gedauert, als ein bläulicher Duft aus
dem Spiegel wallte. Candida, die holde Candida erschien in ihrer
lieblichen Gestalt mit aller Fülle des Lebens! Aber neben ihr, dicht
neben ihr saß der abscheuliche Zinnober und drückte ihr die Hände,
küßte sie - Und Candida hielt den Unhold mit einem Arm umschlungen
und liebkoste ihn! - Balthasar wollte laut aufschreien, aber Prosper
Alpanus faßte ihn bei beiden Schultern hart an, und der Schrei
erstickte in der Brust. "Ruhig," sprach Prosper leise, "ruhig
Balthasar! - Nehmen Sie dies Rohr und führen Sie Streiche gegen den
Kleinen, doch ohne sich von der Stelle zu rühren." Balthasar tat es
und gewahrte zu seiner Lust, wie der Kleine sich krümmte, umstülpte,
sich auf der Erde wälzte! - In der Wut sprang er vorwärts, da zerrann
das Bild in Dunst und Nebel, und Prosper Alpanus riß den tollen
Balthasar mit Gewalt zurück, laut rufend: "Halten Sie ein! -
zerschlagen Sie den magischen Spiegel, so sind wir alle verloren!
- Wir wollen in das Helle zurück." - Die Freunde verließen auf des
Doktors Geheiß den Saal und traten in ein anstoßendes helles Zimmer.

"Dem Himmel," rief Fabian, tief Atem schöpfend, "dem Himmel sei
gedankt, daß wir aus dem verwünschten Saal heraus sind. Die schwüle
Luft hat mir beinahe das Herz abgedrückt, und dann die albernen
Taschenspielereien dazu, die mir in tiefer Seele zuwider sind." -

Balthasar wollte antworten, als Prosper Alpanus eintrat. "Es ist,"
sprach er, "es ist nunmehr gewiß, daß der mißgestaltete Zinnober weder
ein Wurzelmann noch ein Erdgeist ist, sondern ein gewöhnlicher Mensch.
Aber es ist eine geheime zauberische Macht im Spiele, die zu erkennen
mir bis jetzt noch nicht gelungen, und ebendeshalb kann ich auch noch
nicht helfen. - Besuchen Sie mich bald wieder, Balthasar, wir wollen
dann sehen, was weiter zu beginnen. Auf Wiedersehn!" -

"Also," sprach Fabian, dicht an den Doktor hinantretend, "also ein
Zauberer sind Sie, Herr Doktor, und können mit all Ihrer Zauberkunst
nicht einmal dem kleinen erbärmlichen Zinnober zu Leibe? - Wissen Sie
wohl, daß ich Sie mitsamt Ihren bunten Bildern, Püppchen, magischen
Spiegeln, mit all Ihrem fratzenhaften Kram für einen rechten
ausgemachten Charlatan halte? - Der Balthasar, der ist verliebt und
macht Verse, dem können Sie allerlei Zeug einreden, aber bei mir
kommen Sie schlecht an! - Ich bin ein aufgeklärter Mensch und
statuiere durchaus keine Wunder!"

"Halten Sie," erwiderte Prosper Alpanus, indem er stärker und
herzlicher lachte, als man es ihm nach seinem ganzen Wesen wohl
zutrauen konnte, "halten Sie das, wie Sie wollen. Aber - bin ich
gleich nicht eben ein Zauberer, so gebiete ich doch über hübsche
Kunststückchen." "Aus Wieglebs 'Magie' wohl oder sonst!" - rief
Fabian. "Nun da finden Sie an unserm Professor Mosch Terpin Ihren
Meister und dürfen sich mit ihm nicht vergleichen, denn der ehrliche
Mann zeigt uns immer, daß alles natürlich zugeht und umgibt sich gar
nicht mit solcher geheimnisvoller Wirtschaft, als Sie, mein Herr
Doktor. - Nun, ich empfehle mich Ihnen gehorsamst!"

"Ei," sprach der Doktor, "sie werden doch nicht so im Zorn von mir
scheiden?"

Und damit strich er dem Fabian an beiden Armen einige Mal leise herab
von der Schulter bis zum Handgelenk, daß diesem ganz besonders zumute
wurde und er beklommen rief: "Was machen Sie denn, Herr Doktor!" -
"Gehen Sie, meine Herrn," sprach der Doktor, "Sie, Herr Balthasar,
hoffe ich recht bald wiederzusehen. - Bald wird die Hülfe gefunden
sein!"

"Er bekommt doch kein Trinkgeld, mein Freund," rief Fabian im
Herausgehen dem goldgelben Portier zu und faßte ihm nach dem Jabot.
Der Portier sagte aber wieder nichts als _"Quirrr"_ und biß abermals
den Fabian in den Finger.

"Bestie!" rief Fabian und rannte von dannen.

Die beiden Frösche ermangelten nicht, die beiden Freunde höflich zu
geleiten bis ans Gattertor, das sich mit einem dumpfen Donner öffnete
und schloß. - "Ich weiß," sprach Balthasar, als er auf der Landstraße
hinter dem Fabian herwandelte, "ich weiß gar nicht, Bruder, was du
heute für einen seltsamen Rock angezogen hast mit solch entsetzlich
langen Schößen und solch kurzen Ärmeln."

Fabian gewahrte zu seinem Erstaunen, daß sein kurzes Röckchen
hinterwärts bis zur Erde herabgewachsen, daß dagegen die sonst über
die Gnüge langen Ärmel hinaufgeschrumpft waren bis an den Ellbogen.

"Tausend Donner, was ist das!" rief er und zog und zupfte an den
Ärmeln und rückte die Schultern. Das schien auch zu helfen, aber wie
sie nun durchs Stadttor gingen, so schrumpften die Ärmel herauf, so
wuchsen die Rockschöße, daß alles Ziehens und Zupfens und Rückens
ungeachtet die Ärmel bald hoch oben an der Schulter saßen, Fabians
nackte Arme preisgebend, daß bald sich ihm eine Schleppe nachwälzte,
länger und länger sich dehnend. Alle Leute standen still und lachten
aus vollem Halse, die Straßenbuben rannten dutzendweise jubelnd und
jauchzend über den langen Talar und rissen Fabian um, und wie er sich
wieder aufraffte, fehlte kein Stückchen von der Schleppe, nein! - sie
war noch länger geworden. Und immer toller und toller wurde Gelächter,
Jubel und Geschrei, bis sich endlich Fabian, halb wahnsinnig, in ein
offnes Haus stürzte. - Sogleich war auch die Schleppe verschwunden.

Balthasar hatte gar nicht Zeit, sich über Fabians seltsame
Verzauberung viel zu verwundern; denn der Referendarius Pulcher faßte
ihn, riß ihn fort in eine abgelegene Straße und sprach: "Wie ist es
möglich, daß du nicht schon fort bist, daß du dich hier noch sehen
lassen kannst, da der Pedell mit dem Verhaftsbefehl dich schon
verfolgt." - "Was ist das, wovon sprichst du?" fragte Balthasar voll
Erstaunen. "So weit," fuhr der Referendarius fort, "so weit riß dich
der Wahnsinn der Eifersucht hin, daß du das Hausrecht verletztest,
feindlich einbrechend in Mosch Terpins Haus, daß du den Zinnober
überfielst bei seiner Braut, daß du den mißgestalteten Däumling halb
tot prügeltest!" - "Ich bitte dich," schrie Balthasar, "den ganzen Tag
war ich ja nicht in Kerepes, schändliche Lügen." - "O still, still,"
fiel ihm Pulcher ins Wort, "Fabians toller unsinniger Einfall, ein
Schleppkleid anzuziehen, rettet dich. Niemand achtet jetzt deiner!
- Entziehe dich nur der schimpflichen Verhaftung, das übrige wollen
wir denn schon ausfechten. Du darfst nicht mehr in deine Wohnung!
- Gib mir die Schlüssel, ich schicke dir alles nach. - Fort nach
Hoch-Jakobsheim!"

Und damit riß der Referendarius den Balthasar fort durch entlegene
Gassen, durchs Tor hin nach dem Dorfe Hoch-Jakobsheim, wo der berühmte
Gelehrte Ptolomäus Philadelphus sein merkwürdiges Buch über die
unbekannte Völkerschaft der Studenten schrieb.



Sechstes Kapitel

Wie der Geheime Spezialrat Zinnober in seinem Garten frisiert wurde
und im Grase ein Taubad nahm. - Der Orden des grüngefleckten Tigers.
- Glücklicher Einfall eines Theaterschneiders. - Wie das Fräulein
von Rosenschön sich mit Kaffee begoß und Prosper Alpanus ihr seine
Freundschaft versicherte.

Der Professor Mosch Terpin schwamm in lauter Wonne. "Konnte," sprach
er zu sich selbst, "konnte mir denn etwas Glücklicheres begegnen,
als daß der vortreffliche Geheime Spezialrat in mein Haus kam als
Studiosus? - Er heiratet meine Tochter - er wird mein Schwiegersohn,
durch ihn erlange ich die Gunst des vortrefflichen Fürsten Barsanuph
und steige nach auf der Leiter, die mein herrliches Zinnoberchen
hinaufklimmt. - Wahr ist es, daß es mir oft selbst unbegreiflich
vorkommt, wie das Mädchen, die Candida, so ganz und gar vernarrt sein
kann in den Kleinen. Sonst sieht das Frauenzimmer wohl mehr auf ein
hübsches Äußere, als auf besondere Geistesgaben, und schaue ich denn
nun zuweilen das Spezialmännlein an, so ist es mir, als ob er nicht
ganz hübsch zu nennen - sogar - bossu - still - St - St - die Wände
haben Ohren - Er ist des Fürsten Liebling, wird immer höher steigen -
höher hinauf und ist mein Schwiegersohn!" -

Mosch Terpin hatte recht, Candida äußerte die entschiedenste Neigung
für den Kleinen und sprach, gab hie und da einer, den Zinnobers
seltsamer Spuk nicht berückt hatte, zu verstehen, daß der Geheime
Spezialrat doch eigentlich ein fatales mißgestaltetes Ding sei,
sogleich von den wunderschönen Haaren, womit ihn die Natur begabt.

Niemand lächelte aber, wenn Candida also sprach, hämischer als der
Referendarius Pulcher.

Dieser stellte dem Zinnober nach auf Schritten und Tritten, und hierin
stand ihm getreulich der Geheime Sekretär Adrian bei, ebenderselbe
junge Mensch, den Zinnobers Zauber beinahe aus dem Bureau des
Ministers verdrängt hätte, und der des Fürsten Gunst nur durch die
vortreffliche Fleckkugel wieder gewann, die er ihm überreichte.

Der Geheime Spezialrat Zinnober bewohnte ein schönes Haus mit einem
noch schöneren Garten, in dessen Mitte sich ein mit dichtem Gebüsch
umgebener Platz befand, auf dem die herrlichsten Rosen blühten. Man
hatte bemerkt, daß allemal den neunten Tag Zinnober bei Tagesanbruch
leise aufstand, sich, so sauer es ihm werden mochte, ohne alle
Hülfe des Bedienten ankleidete, in den Garten hinabstieg und in den
Gebüschen verschwand, die jenen Platz umgaben.

Pulcher und Adrian, irgendein Geheimnis ahnend, wagten es in einer
Nacht, als Zinnober, wie sie von seinem Kammerdiener erfahren, vor
neun Tagen jenen Platz besucht hatte, die Gartenmauer zu übersteigen
und sich in den Gebüschen zu verbergen.

Kaum war der Morgen angebrochen, als sie den Kleinen daherwandeln
sahen, schnupfend und prustend, weil ihm, da er mitten durch ein
Blumenbeet ging, die tauichten Halme und Stauden um die Nase schlugen.

Als er auf dem Rasenplatz bei den Rosen angekommen, ging ein
süßtönendes Wehen durch die Büsche, und durchdringender wurde der
Rosenduft. Eine schöne verschleierte Frau mit Flügeln an den Schultern
schwebte herab, setzte sich auf den zierlichen Stuhl, der mitten unter
den Rosenbüschen stand, nahm mit den leisen Worten: "Komm, mein liebes
Kind," den kleinen Zinnober und kämmte ihm mit einem goldenen Kamm
sein langes Haar, das den Rücken hinabwallte. Das schien dem Kleinen
sehr wohl zu tun, denn er blinzelte mit den Äugelein und streckte
die Beinchen lang aus und knurrte und murrte beinahe wie ein Kater.
Das hatte wohl fünf Minuten gedauert, da strich noch einmal die
zauberische Frau mit einem Finger dem Kleinen die Scheitel entlang,
und Pulcher und Adrian gewahrten einen schmalen, feuerfarb glänzenden
Streif auf dem Haupte Zinnobers. Nun sprach die Frau: "Lebe wohl,
mein süßes Kind! - Sei klug, sei klug, so wie du kannst!" Der Kleine
sprach: "Adieu, Mütterchen, klug bin ich genug, du brauchst mir das
gar nicht so oft zu wiederholen." -

Die Frau erhob sich langsam und verschwand in den Lüften.

Pulcher und Adrian waren starr vor Erstaunen. Als nun aber Zinnober
davonschreiten wollte, sprang der Referendarius hervor und rief laut:
"Guten Morgen, Herr Geheimer Spezialrat! ei, wie schön haben Sie
sich frisieren lassen!" Zinnober schaute sich um und wollte, als er
den Referendarius erblickte, schnell davonrennen. Ungeschickt und
schwächlich auf den Beinchen, wie er nun aber war, stolperte er und
fiel in das hohe Gras, das die Halme über ihn zusammenschlug, und
er lag im Taubade. Pulcher sprang hinzu und half ihm auf die Beine,
aber Zinnober schnarrte ihn an: "Herr, wie kommen Sie hier in meinen
Garten! scheren Sie sich zum Teufel!" Und damit hüpfte und rannte er,
so rasch er nur vermochte, hinein ins Haus.

Pulcher schrieb dem Balthasar diese wunderbare Begebenheit und
versprach seine Aufmerksamkeit auf das kleine zauberische Ungetüm zu
verdoppeln. Zinnober schien über das, was ihm widerfahren, trostlos.
Er ließ sich zu Bette bringen und stöhnte und ächzte so, daß die
Kunde, wie er plötzlich erkrankt, bald zum Minister Mondschein, zum
Fürsten Barsanuph gelangte.

Fürst Barsanuph schickte sogleich seinen Leibarzt zu dem kleinen
Liebling.

"Mein vortrefflichster Geheimer Spezialrat," sprach der Leibarzt, als
er den Puls befühlt, "Sie opfern sich auf für den Staat. Angestrengte
Arbeit hat Sie aufs Krankenbett geworfen, anhaltendes Denken Ihnen das
unsägliche Leiden verursacht, das Sie empfinden müssen. Sie sehen im
Antlitz sehr blaß und eingefallen aus, aber Ihr wertes Haupt glüht
schrecklich! - Ei, ei! - doch keine Gehirnentzündung? Sollte das Wohl
des Staats dergleichen hervorgebracht haben? Kaum möglich! - Erlauben
Sie doch!" Der Leibarzt mochte wohl denselben roten Streif auf
Zinnobers Haupte gewahren, den Pulcher und Adrian entdeckt hatten. Er
wollte, nachdem er einige magnetische Striche aus der Ferne versucht,
den Kranken auch verschiedentlich angehaucht, worüber dieser merklich
mauzte und quinkelierte, nun mit der Hand hinfahren über das Haupt und
berührte dasselbe unversehens. Da sprang Zinnober, schäumend vor Wut,
in die Höhe und gab mit seinem kleinen Knochenhändchen dem Leibarzt,
der sich gerade ganz über ihn hingebeugt, eine solche derbe Ohrfeige,
daß es im ganzen Zimmer widerhallte.

"Was wollen Sie," schrie Zinnober, "was wollen Sie von mir, was
krabbeln Sie mir herum auf meinem Kopfe! Ich bin gar nicht krank,
ich bin gesund, ganz gesund, werde gleich aufstehen und zum Minister
fahren in die Konferenz; scheren Sie sich fort!" -

Der Leibarzt eilte ganz erschrocken von dannen. Als er aber dem
Fürsten Barsanuph erzählte, wie es ihm ergangen, rief dieser entzückt
aus: "Was für ein Eifer für den Dienst des Staats! - welche Würde,
welche Hoheit im Betragen! - welch ein Mensch, dieser Zinnober!" -

"Mein bester Geheimer Spezialrat," sprach der Minister Prätextatus von
Mondschein zu dem kleinen Zinnober, "wie herrlich ist es, daß Sie,
Ihrer Krankheit nicht achtend, in die Konferenz kommen. Ich habe
in der wichtigen Angelegenheit mit dem Kakatukker Hofe ein Memoire
entworfen - _selbst_ entworfen und bitte, daß _Sie_ es dem Fürsten
vortragen, denn Ihr geistreicher Vortrag hebt das Ganze, für dessen
Verfasser mich dann der Fürst anerkennen soll." - Das Memoire, womit
Prätextatus glänzen wollte, hatte aber niemand anders verfaßt, als
Adrian.

Der Minister begab sich mit dem Kleinen zum Fürsten. Zinnober zog das
Memoire, das ihm der Minister gegeben, aus der Tasche und fing an zu
lesen. Da es damit aber nun gar nicht recht gehen wollte und er nur
lauter unverständliches Zeug murrte und schnurrte, nahm ihm der
Minister das Papier aus den Händen und las selbst.

Der Fürst schien ganz entzückt, er gab seinen Beifall zu erkennen,
ein Mal über das andere rufend: "Schön - gut gesagt - herrlich -
treffend!" -

Sowie der Minister geendet, schritt der Fürst geradezu los auf den
kleinen Zinnober, hob ihn in die Höhe, drückte ihn an seine Brust,
gerade dahin, wo ihm (dem Fürsten) der große Stern des grüngefleckten
Tigers saß, und stammelte und schluchzte, während ihm häufige Tränen
aus den Augen flossen: "Nein! - solch ein Mann - solch ein Talent!
- solcher Eifer - solche Liebe - es ist zu viel - zu viel!" Dann
gefaßter: "Zinnober! - ich erhebe Sie hiermit zu meinem Minister! -
Bleiben Sie dem Vaterlande hold und treu, bleiben Sie ein wackrer
Diener der Barsanuphe, von denen Sie geehrt - geliebt werden." Und
nun sich mit verdrüßlichem Blick zum Minister wendend: "Ich bemerke,
lieber Baron von Mondschein, daß seit einiger Zeit Ihre Kräfte
nachlassen. Ruhe auf Ihren Gütern wird Ihnen heilbringend sein! -
Leben Sie wohl!" -

Der Minister von Mondschein entfernte sich, unverständliche Worte
zwischen den Zähnen murmelnd und funkelnde Blicke werfend auf
Zinnober, der sich nach seiner Art sein Stöckchen in den Rücken
gestemmt, auf den Fußspitzen hoch in die Höhe hob und stolz und keck
umherblickte.

"Ich muß," sprach nun der Fürst, "ich muß Sie, mein lieber Zinnober,
gleich Ihrem hohen Verdienst gemäß auszeichnen; empfangen Sie daher
aus meinen Händen den Orden des grüngefleckten Tigers!"

Der Fürst wollte ihm nun das Ordensband, das er sich in der
Schnelligkeit von dem Kammerdiener reichen lassen, umhängen; aber
Zinnobers mißgestalteter Körperbau bewirkte, daß das Band durchaus
nicht normalmäßig sitzen wollte, indem es sich bald ungebührlich
heraufschob, bald ebenso hinabschlotterte.

Der Fürst war in dieser so wie in jeder andern solchen Sache, die
das eigentlichste Wohl des Staats betraf, sehr genau. Zwischen dem
Hüftknochen und dem Steißbein, in schräger Richtung drei Sechzehnteil
Zoll aufwärts vom letztern, mußte das am Bande befindliche
Ordenszeichen des grüngefleckten Tigers sitzen. Das war nicht
herauszubringen. Der Kammerdiener, drei Pagen, der Fürst legten Hand
an, alles Mühen blieb vergebens. Das verräterische Band rutschte hin
und her, und Zinnober begann unmutig zu quäken: "Was hantieren Sie
doch so schrecklich an meinem Leibe herum, lassen Sie doch das dumme
Ding hängen, wie es will, Minister bin ich doch nun einmal und bleib'
es!" -

"Wofür," sprach nun der Fürst zornig, "wofür habe ich denn Ordensräte,
wenn rücksichts der Bänder solche tolle Einrichtungen existieren, die
ganz meinem Willen entgegenlaufen? - Geduld, mein lieber Minister
Zinnober! bald soll das anders werden!"

Auf Befehl des Fürsten mußte sich nun der Ordensrat versammeln, dem
noch zwei Philosophen sowie ein Naturforscher, der eben, vom Nordpol
kommend, durchreiste, beigesellt wurden, die über die Frage, wie
auf die geschickteste Weise dem Minister Zinnober das Band des
grüngefleckten Tigers anzubringen, beratschlagen sollten. Um für
diese wichtige Beratung gehörige Kräfte zu sammeln, wurde sämtlichen
Mitgliedern aufgegeben, acht Tage vorher nicht zu denken; um dies
besser ausführen zu können und doch tätig zu bleiben im Dienste des
Staats, aber sich indessen mit dem Rechnungswesen zu beschäftigen.
Die Straßen vor dem Palast, wo die Ordensräte, Philosophen und
Naturforscher ihre Sitzung halten sollten, wurden mit dickem Stroh
belegt, damit das Gerassel der Wagen die weisen Männer nicht störe,
und ebendaher durfte auch nicht getrommelt, Musik gemacht, ja nicht
einmal laut gesprochen werden in der Nähe des Palastes. Im Palast
selbst tappte alles auf dicken Filzschuhen umher, und man verständigte
sich durch Zeichen.

Sieben Tage hindurch vom frühsten Morgen bis in den späten Abend
hatten die Sitzungen gedauert, und noch war an keinen Beschluß zu
denken.

Der Fürst, ganz ungeduldig, schickte ein Mal über das andere hin und
ließ ihnen sagen, es solle in des Teufels Namen ihnen doch endlich
etwas Gescheutes einfallen. Das half aber ganz und gar nichts.

Der Naturforscher hatte soviel möglich Zinnobers Natur erforscht,
Höhe und Breite seines Rückenauswuchses genommen und die genaueste
Berechnung darüber dem Ordensrat eingereicht. Er war es auch, der
endlich vorschlug, ob man nicht den Theaterschneider bei der Beratung
zuziehen wolle.

So seltsam dieser Vorschlag erscheinen mochte, wurde er doch in der
Angst und Not, in der sich alle befanden, einstimmig angenommen.

Der Theaterschneider Herr Kees war ein überaus gewandter, pfiffiger
Mann. Sowie ihm der schwierige Fall vorgetragen worden, sowie er
die Berechnungen des Naturforschers durchgesehen, war er mit dem
herrlichsten Mittel, wie das Ordensband zum normalmäßigen Sitzen
gebracht werden könne, bei der Hand.

An Brust und Rücken sollten nämlich eine gewisse Anzahl Knöpfe
angebracht und das Ordensband daran geknöpft werden. Der Versuch
gelang über die Maßen wohl.

Der Fürst war entzückt und billigte den Vorschlag des Ordensrates, den
Orden des grüngefleckten Tigers nunmehro in verschiedene Klassen zu
teilen, nach der Anzahl der Knöpfe, womit er gegeben wurde. Z.B. Orden
des grüngefleckten Tigers mit zwei Knöpfen - mit drei Knöpfen etc. Der
Minister Zinnober erhielt als ganz besondere Auszeichnung, die sonst
kein anderer verlangen könne, den Orden mit zwanzig brillantierten
Knöpfen, denn gerade zwanzig Knöpfe erforderte die wunderliche Form
seines Körpers.

Der Schneider Kees erhielt den Orden des grüngefleckten Tigers mit
zwei goldnen Knöpfen und wurde, da der Fürst ihn, seines glückliches
Einfalls ungeachtet, für einen schlechten Schneider hielt und sich
daher nicht von ihm kleiden lassen wollte, zum Wirklichen Geheimen
Groß-Kostümierer des Fürsten ernannt. -

Aus dem Fenster seines Landhauses sah der Doktor Prosper Alpanus
gedankenvoll herab in seinen Park. Er hatte die ganze Nacht hindurch
sich damit beschäftigt, Balthasars Horoskop zu stellen und manches
dabei herausgebracht, was sich auf den kleinen Zinnober bezog. Am
wichtigsten das, was sich mit dem Kleinen im Garten begeben, als er
von Adrian und Pulcher belauscht wurde. Eben wollte Prosper Alpanus
seinen Einhörnern zurufen, daß sie die Muschel herbeiführen möchten,
weil er fort wolle nach Hoch-Jakobsheim, als ein Wagen daherrasselte
und vor dem Gattertor des Parks still hielt. Es hieß, das
Stiftsfräulein von Rosenschön wünsche den Herrn Doktor zu sprechen.
"Sehr willkommen," sprach Prosper Alpanus, und die Dame trat hinein.
Sie trug ein langes schwarzes Kleid und war in Schleier gehüllt wie
eine Matrone. Prosper Alpanus, von einer seltsamen Ahnung ergriffen,
nahm sein Rohr und ließ die funkelnden Strahlen des Knopfs auf die
Dame fallen. Da war es, als zuckten rauschend Blitze um sie her,
und sie stand da im weißen durchsichtigen Gewande, glänzende
Libellenflügel an den Schultern, weiße und rote Rosen durch das Haar
geflochten. - "Ei, ei," lispelte Prosper, nahm das Rohr unter seinen
Schlafrock, und sogleich stand die Dame wieder im vorigen Kostüm da.

Prosper Alpanus lud sie freundlich ein, sich niederzulassen. Fräulein
von Rosenschön sagte nun, wie es längst ihre Absicht gewesen, den
Herrn Doktor in seinem Landhause aufzusuchen, um die Bekanntschaft
eines Mannes zu machen, den die ganze Gegend als einen hochbegabten,
wohltätigen Weisen rühme. Gewiß werde er ihre Bitte gewährend, sich
des nahe gelegenen Fräuleinstifts ärztlich anzunehmen, da die alten
Damen darin oft kränkelten und ohne Hülfe blieben. Prosper Alpanus
erwiderte höflich, daß er zwar schon längst die Praxis aufgegeben,
aber doch ausnahmsweise die Stiftsdamen besuchen wolle, wenn es not
täte, und fragte dann, ob sie selbst, das Fräulein von Rosenschön,
vielleicht an irgendeinem Übel leide. Das Fräulein versicherte, daß
sie nur dann und wann ein rheumatisches Zucken in den Gliedern fühle,
wenn sie sich an der Morgenluft erkältet, jetzt aber ganz gesund sei,
und begann irgendein gleichgültiges Gespräch. Prosper fragte, ob sie,
da es noch früher Morgen, vielleicht eine Tasse Kaffee nehmen wolle;
die Rosenschön meinte, daß Stiftsfräuleins dergleichen niemals
verschmähten. Der Kaffee wurde gebracht, aber so sehr sich auch
Prosper mühen mochte, einzuschenken, die Tassen blieben leer,
ungeachtet der Kaffee aus der Kanne strömte. "Ei, ei" lächelte Prosper
Alpanus, "das ist böser Kaffee! - Wollten Sie, mein bestes Fräulein,
doch nur lieber selbst den Kaffee eingießen."

"Mit Vergnügen," erwiderte das Fräulein und ergriff die Kanne. Aber
ungeachtet kein Tropfen aus der Kanne quoll, wurde doch die Tasse
voller und voller, und der Kaffee strömte über auf den Tisch, auf
das Kleid des Stiftsfräuleins. - Sie setzte schnell die Kanne hin,
sogleich war der Kaffee spurlos verschwunden. Beide, Prosper Alpanus
und das Stiftsfräulein, schauten sich nun eine Weile schweigend an mit
seltsamen Blicken.

"Sie waren," begann nun die Dame, "Sie waren, mein Herr Doktor, gewiß
mit einem sehr anziehenden Buche beschäftigt, als ich eintrat."

"In der Tat," erwiderte der Doktor, "enthält dieses Buch gar
merkwürdige Dinge."

Damit wollte er das kleine Buch in vergoldetem Einbande, das vor ihm
auf dem Tisch lag, aufschlagen. Doch das blieb ein ganz vergebliches
Mühen, denn mit einem lauten Klipp, Klapp schlug das Buch sich immer
wieder zusammen. "Ei, ei," sprach Prosper Alpanus, "versuchen _Sie_
sich doch mit dem eigensinnigen Dinge hier, mein wertes Fräulein!"

Er reichte der Dame das Buch hin, das, sowie sie es nur berührte, sich
von selbst aufschlug. Aber alle Blätter lösten sich los und dehnten
sich aus zum Riesenfolio und rauschten umher im Zimmer.

Erschrocken fuhr das Fräulein zurück. Nun schlug der Doktor das Buch
zu mit Gewalt, und alle Blätter verschwanden.

"Aber," sprach nun Prosper Alpanus mit sanftem Lächeln, indem er sich
von seinem Sitze erhob, "aber mein bestes gnädiges Fräulein, was
verderben wir die Zeit mit solchen schnöden Tafelkünsten; denn anders
als ordinäre Tafelkunststücke sind es doch nicht, die wir bis jetzt
getrieben, schreiten wir doch lieber zu höheren Dingen." "Ich will
fort!" rief das Fräulein und erhob sich vorn Sitze.

"Ei," sprach Prosper Alpanus, "das möchte doch wohl nicht recht gut
angehen ohne meinen Willen; denn, meine Gnädige, ich muß es Ihnen nur
sagen, Sie sind jetzt ganz und gar in meiner Gewalt."

"In Ihrer Gewalt," rief das Fräulein zornig, "in Ihrer Gewalt, Herr
Doktor? - Törichte Einbildung!"

Und damit breitete sich ihr seidnes Kleid aus, und sie schwebte als
der schönste Trauermantel auf zur Decke des Zimmers. Doch sogleich
sauste und brauste auch Prosper Alpanus ihr nach als tüchtiger
Hirschkäfer. Ganz ermattet flatterte der Trauermantel herab und rannte
als kleines Mäuschen auf dem Boden umher. Aber der Hirschkäfer sprang
miauend und prustend ihm nach als grauer Kater. Das Mäuschen erhob
sich wieder als glänzender Kolibri, da erhoben sich allerlei seltsame
Stimmen rings um das Landhaus, und allerlei wunderbare Insekten
sumseten herbei, mit ihnen seltsames Waldgeflügel, und ein goldnes
Netz spann sich um die Fenster. Da stand mit einemmal die Fee
Rosabelverde, in aller Pracht und Hoheit strahlend, im glänzenden
weißen Gewande, den funkelnden Diamantgürtel umgetan, weiße und rote
Rosen durch die dunklen Locken geflochten, mitten im Zimmer. Vor ihr
der Magus im goldgestickten Talar, eine glänzende Krone auf dem Haupt,
das Rohr mit dem feuerstrahlenden Knopf in der Hand.

Rosabelverde schritt zu auf den Magus, da entfiel ihrem Haar ein
goldner Kamm und zerbrach, als sei er von Glas, auf dem Marmorboden.

"Weh mir! - weh mir!" rief die Fee.

Plötzlich saß wieder das Stiftsfräulein von Rosenschön im schwarzen
langen Kleide am Kaffeetisch, und ihr gegenüber der Doktor Prosper
Alpanus.

"Ich dächte," sprach Prosper Alpanus sehr ruhig, indem er in die
chinesischen Tassen den herrlichsten dampfenden Kaffee von Mokka ohne
Hindernis einschenkte, "ich dächte, mein bestes gnädiges Fräulein, wir
wüßten beide nun hinlänglich, wie wir miteinander daran sind. - Sehr
leid tut es mir, daß Ihr schöner Haarkamm zerbrach auf meinem harten
Fußboden."

"Nur meine Ungeschicklichkeit," erwiderte das Fräulein, mit Behagen
den Kaffee einschlürfend, "ist schuld daran. Auf diesen Boden muß man
sich hüten, etwas fallen zu lassen, denn irr' ich nicht, so sind diese
Steine mit den wunderbarsten Hieroglyphen beschrieben, welche manchem
nur gewöhnliche Marmoradern bedünken möchten."

"Abgenutzte Talismane, meine Gnädige," sprach Prosper, "abgenutzte
Talismane sind diese Steine, nichts weiter."

"Aber bester Doktor," rief das Fräulein, "wie ist es möglich, daß wir
uns nicht kennen lernten seit der frühesten Zeit, daß wir nicht ein
einziges Mal zusammentrafen auf unseren Wegen?"

"Diverse Erziehung, beste Dame," erwiderte Prosper Alpanus,
"diverse Erziehung ist lediglich daran schuld! Während Sie als das
hoffnungsvollste Mädchen in Dschinnistan sich ganz Ihrer reichen
Natur, Ihrem glücklichen Genie überlassen konnten, war ich, ein
trübseliger Student, in den Pyramiden eingeschlossen und hörte
Kollegia bei dem Professor Zoroaster, einem alten Knasterbart, der
aber verdammt viel wußte. Unter der Regierung des würdigen Fürsten
Demetrius nahm ich meinen Wohnsitz in diesem kleinen anmutigen
Ländchen."

"Wie," sprach das Fräulein, "und wurden nicht verwiesen, als Fürst
Paphnutius die Aufklärung einführte?" "Keineswegs," antwortete
Prosper, "es gelang mir vielmehr, mein eignes Ich ganz zu verhüllen,
indem ich mich mühte, Aufklärungssachen betreffend, ganz besondere
Kenntnisse zu beweisen in allerlei Schriften, die ich verbreitete. Ich
bewies, daß ohne des Fürsten Willen es niemals donnern und blitzen
müsse, und daß wir schönes Wetter und eine gute Ernte einzig und
allein seinen und seiner Noblesse Bemühungen zu verdanken, die in den
innern Gemächern darüber sehr weise beratschlage, während das gemeine
Volk draußen auf dem Acker gepflügt und gesäet. Fürst Paphnutius erhob
mich damals zum Geheimen Oberaufklärungs-Präsidenten, eine Stelle,
die ich mit meiner Hülle wie eine lästige Bürde abwarf, als der Sturm
vorüber. - Insgeheim war ich nützlich, wie ich konnte. Das heißt, was
wir, ich und Sie, meine Gnädige, wahrhaft nützlich nennen. - Wissen
Sie wohl, bestes Fräulein, daß _ich_ es war, der Sie warnte vor dem
Einbrechen der Aufklärungspolizei? - daß _ich_ es bin, dem Sie noch
das Besitztum der artigen Sächelchen verdanken, die Sie mir vorhin
gezeigt? - O mein Gott! liebe Stiftsdame, schauen Sie doch nur aus
diesen Fenstern! - Erkennen Sie denn nicht mehr diesen Park, in dem
Sie so oft lustwandelten und mit den freundlichen Geistern sprachen,
die in den Büschen - Blumen - Quellen wohnen? - Diesen Park hab' ich
gerettet durch meine Wissenschaft. Er steht noch da wie zur Zeit des
alten Demetrius. Fürst Barsanuph bekümmert sich, dem Himmel sei es
gedankt, nicht viel um das Zauberwesen, er ist ein leutseliger Herr
und läßt jeden gewähren, jeden zaubern, so viel er Lust hat, sobald
er es sich nur nicht merken läßt und die Abgaben richtig zahlt. So
leb' ich hier, wie Sie, liebe Dame, in Ihrem Stift, glücklich und
sorgenfrei!" -

"Doktor," rief das Fräulein, indem ihr die Tränen aus den Augen
stürzten, "Doktor, was sagen Sie! - welche Aufklärungen! - ja, ich
erkenne diesen Hain, wo ich die seligsten Freuden genoß! - Doktor! -
edelster Mann, dem ich so viel zu verdanken! - Und Sie können meinen
kleinen Schützling so hart verfolgen?" -

"Sie haben," erwiderte der Doktor, "Sie haben, mein bestes Fräulein,
von Ihrer angebornen Gutmütigkeit hingerissen, Ihre Gaben an einen
Unwürdigen verschleudert. Zinnober ist und bleibt, Ihrer gütigen Hülfe
ungeachtet, ein kleiner mißgestalteter Schlingel, der nun, da der
goldne Kamm zerbrochen, ganz in meine Hand gegeben ist."

"Haben Sie Mitleiden, o Doktor!" flehte das Fräulein.

"Aber schauen Sie doch nur gefälligst her," sprach Prosper, indem er
dem Fräulein Balthasars Horoskop, das er gestellt hatte, vorhielt.

Das Fräulein blickte hinein und rief dann voll Schmerz: "Ja! - wenn es
so beschaffen ist, so muß ich wohl weichen der höheren Macht. - Armer
Zinnober!" -

"Gestehen Sie, bestes Fräulein," sprach der Doktor lächelnd, "gestehen
Sie, daß die Damen oft sich in dem Bizarrsten sehr wohl gefallen,
den Einfall, den der Augenblick gebar, rastlos und rücksichtslos
verfolgend und jedes schmerzliche Berühren anderer Verhältnisse nicht
achtend! - Zinnober muß sein Schicksal verbüßen, aber dann soll er
noch zu unverdienter Ehre gelangen. Damit huldige ich Ihrer Macht,
Ihrer Güte, Ihrer Tugend. mein sehr wertes gnädigstes Fräulein!"

"Herrlicher, vortrefflicher Mann," rief das Fräulein, "bleiben Sie
mein Freund!" -

"Immerdar," erwiderte der Doktor. "Meine Freundschaft, meine innige
Zuneigung zu Ihnen, holde Fee, wird nie aufhören. Wenden Sie sich
getrost an mich in allen bedenklichen Fällen des Lebens, und - o
trinken Sie Kaffee bei mir, sooft es Ihnen zu Sinne kommt."

"Leben Sie wohl, mein würdigster Magus, nie werd' ich Ihre Huld, nie
diesen Kaffee vergessen!" So sprach das Fräulein und erhob sich, von
innerer Rührung ergriffen, zum Scheiden.

Prosper Alpanus begleitete sie ans Gattertor, während alle wunderbare
Stimmen des Waldes auf die lieblichste Weise erklangen.

Vor dem Tor stand, statt des Fräuleins Wagen, die mit den Einhörnern
bespannte Kristallmuschel des Doktors, hinter der der Goldkäfer seine
glänzenden Flügel ausbreitete. Auf dem Bock saß der Silberfasan und
kuckte, die goldnen Zügel im Schnabel haltend, das Fräulein mit klugen
Augen an.

In die seligste Zeit ihres herrlichsten Feenlebens fühlte sich die
Stiftsdame versetzt, als der Wagen, herrlich tönend, durch den
duftenden Wald rauschte.



Siebentes Kapitel

Wie der Professor Mosch Terpin im fürstlichen Weinkeller die Natur
erforschte. - Mycetes Belzebub. - Verzweiflung des Studenten
Balthasar. - Vorteilhafter Einfluß eines wohleingerichteten Landhauses
auf das häusliche Glück. - Wie Prosper Alpanus dem Balthasar eine
schildkrötene Dose überreichte und davonritt.

Balthasar, der sich in dem Dorfe Hoch-Jakobsheim versteckt hielt,
bekam von dem Referendarius Pulcher aus Kerepes einen Brief des
Inhalts: "Unsere Angelegenheiten, bester Freund Balthasar, gehen immer
schlechter und schlechter. Unser Feind, der abscheuliche Zinnober, ist
Minister der auswärtigen Angelegenheiten geworden und hat den großen
Orden des grüngefleckten Tigers mit zwanzig Knöpfen erhalten. Er hat
sich aufgeschwungen zum Liebling des Fürsten und setzt alles durch,
was er will. Professor Mosch Terpin ist ganz außer sich, er bläht sich
auf im dummen Stolz. Durch seines künftigen Schwiegersohns Vermittlung
hat er die Stelle des Generaldirektors sämtlicher natürlicher
Angelegenheiten im Staate erhalten, eine Stelle, die ihm viel Geld und
eine Menge anderer Emolumente einbringt. Als benannter Generaldirektor
zensiert und revidiert er die Sonnen- und Mondfinsternisse sowie
die Wetterprophezeiungen in den im Staate erlaubten Kalendern und
erforscht insbesondere die Natur in der Residenz und deren Bereich.
Dieser Beschäftigung halber bekommt er aus den fürstlichen Waldungen
das seltenste Geflügel, die raresten Tiere, die er, um eben ihre Natur
zu erforschen, braten läßt und auffrißt. Ebenso schreibt er jetzt
(wenigstens gibt er es vor) eine Abhandlung darüber, warum der Wein
anders schmeckt als Wasser und auch andere Wirkungen äußert, die er
seinem Schwiegersohn zueignen will. Zinnober hat es bewirkt, daß
Mosch Terpin der Abhandlung wegen alle Tage im fürstlichen Weinkeller
studieren darf. Er hat schon einen halben Oxhoft alten Rheinwein sowie
mehrere Dutzend Flaschen Champagner verstudiert und ist jetzt an ein
Faß Alikante geraten. - Der Kellermeister ringt die Hände! - So ist
dem Professor, der, wie Du weißt, das größte Leckermaul auf Erden,
geholfen, und er würde das bequemste Leben von der Welt führen, müßte
er oft nicht, wenn ein Hagelschlag die Felder verwüstet hat, plötzlich
über Land, um den fürstlichen Pächtern zu erklären, warum es gehagelt
hat, damit die dummen Teufel ein bißchen Wissenschaft bekommen, sich
künftig vor dergleichen hüten können und nicht immer Erlaß der Pacht
verlangen dürfen, einer Sache halber, die niemand verschuldet, als sie
selbst.

"Der Minister kann die Tracht Schläge, die Du ihm erteilt, nicht
verwinden. Er hat Dir Rache geschworen. Du wirst Dich gar nicht mehr
in Kerepes sehen lassen dürfen. Auch mich verfolgt er sehr, weil ich
seine geheimnisvolle Art, sich von einer geflügelten Dame frisieren
zu lassen, erlauscht habe. - Solange Zinnober des Fürsten Liebling
bleibt, werde ich wohl auf keinen ordentlichen Posten Anspruch
machen können. Mein Unstern will es, daß ich immer mit der Mißgeburt
zusammengerate, wo ich es gar nicht ahne, und auf eine Weise, die mir
fatal werden muß. Neulich ist der Minister in vollem Staat, mit Degen,
Stern und Ordensband, im zoologischen Kabinett und hat sich nach
seiner gewöhnlichen Weise, den Stock untergestemmt, auf den Fußspitzen
schwebend, an den Glasschrank hingestellt, wo die seltensten
amerikanischen Affen stehen. Fremde, die das Kabinett besehen, treten
heran, und einer, den kleinen Wurzelmann erblickend, ruft laut aus:
'Ei! - was für ein allerliebster Affe! - welch niedliches Tier! - die
Zierde des ganzen Kabinetts! - Ei, wie heißt das hübsche Äfflein?
woher des Landes?'

"Da spricht der Aufseher des Kabinetts sehr ernsthaft, indem er
Zinnobers Schulter berührte: 'Ja, ein sehr schönes Exemplar, ein
vortrefflicher Brasilianer, der sogenannte Mycetes Belzebub - Simia
Belzebub Linnei - niger, barbatus, podiis caudaque apice brunneis -
Brüllaffe' -

"'Herr,' - prustet nun der Kleine den Aufseher an, 'Herr, ich glaube,
Sie sind wahnsinnig oder neunmal des Teufels, ich bin kein Belzebub
caudaque - kein Brüllaffe, ich bin Zinnober, der Minister Zinnober,
Ritter des grüngefleckten Tigers mit zwanzig Knöpfen!' - Nicht weit
davon stehe ich und breche - hätt' es das Leben gekostet auf der
Stelle, ich konnte mich nicht zurückhalten - aus in ein wieherndes
Gelächter.

"'Sind Sie auch da, Herr Referendarius?' schnarcht er mich an, indem
rote Glut aus seinen Hexenaugen funkelt.

"Gott weiß, wie es kam, daß die Fremden ihn immerfort für den schönsten
seltensten Affen hielten, den sie jemals gesehen, und ihn durchaus
mit Lampertsnüssen füttern wollten, die sie aus der Tasche gezogen.
Zinnober geriet nun so ganz außer sich, daß er vergebens nach
Atem schnappte und die Beinchen ihm den Dienst versagten. Der
herbeigerufene Kammerdiener mußte ihn auf den Arm nehmen und
hinabtragen in die Kutsche.

"Selbst kann ich mir aber nicht erklären, warum mir diese Geschichte
einen Schimmer von Hoffnung gibt. Es ist der erste Tort, der dem
kleinen verhexten Unding geschehen.

"So viel ist gewiß, daß Zinnober neulich am frühen Morgen sehr verstört
aus dem Garten gekommen ist. Die geflügelte Frau muß ausgeblieben
sein, denn vorbei ist es mit den schönen Locken. Das Haar soll ihm
struppig auf dem Rücken herabhängen und Fürst Barsanuph gesagt haben:
'Vernachlässigen Sie nicht so sehr Ihre Toilette, bester Minister,
ich werde Ihnen meinen Friseur schicken!' - worauf denn Zinnober
sehr höflich geäußert, er werde den Kerl zum Fenster herausschmeißen
lassen, wenn er käme. 'Große Seele! man kommt Ihnen nicht bei,' hat
dann der Fürst gesprochen und dabei sehr geweint!

"Lebe wohl, liebster Balthasar! gib nicht alle Hoffnung auf und
verstecke Dich gut, damit sie Dich nicht greifen!" -

Ganz in Verzweiflung darüber, was ihm der Freund geschrieben, rannte
Balthasar tief hinein in den Wald und brach aus in laute Klagen.

"Hoffen soll ich," rief er, "hoffen soll ich noch, da jede Hoffnung
verschwunden, da alle Sterne untergegangen und düstere - düstere Nacht
mich Trostlosen umfängt? Unseliges Verhängnis! - ich unterliege der
finstren Macht, die verderblich in mein Leben getreten! - Wahnsinn,
daß ich auf Rettung hoffte von Prosper Alpanus, von diesem Prosper
Alpanus, der mich selbst mit höllischen Künsten verlockte und mich
forttrieb von Kerepes, indem er die Prügel, die ich dem Spiegelbilde
erteilen mußte, auf Zinnobers wahrhaftigen Rücken regnen ließ!" "Ach
Candida! - Könnt' ich nur das Himmelskind vergessen! - Aber mächtiger,
stärker als jemals glüht der Liebesfunke in mir! - Überall sehe ich
die holde Gestalt der Geliebten, die mit süßem Lächeln sehnsüchtig die
Arme nach mir ausstreckt! - Ich weiß es ja! - du liebst mich, holde
süße Candida, und das ist eben mein hoffnungsloser tötender Schmerz,
daß ich dich nicht zu retten vermag aus der heillosen Verzauberung,
die dich befangen! - Verräterischer Prosper! was tat ich dir, daß du
mich so grausam äfftest!" -

Die tiefe Dämmerung war eingebrochen, alle Farben des Waldes schwanden
hin in dumpfes Grau. Da war es, als leuchte ein besonderer Glanz
wie aufflammender Abendschein durch Baum und Gebüsch, und tausend
Insektlein erhoben sich mit rauschendem Flügelschlage sumsend in die
Lüfte. Leuchtende Goldkäfer schwangen sich hin und her, und dazwischen
flatterten buntgeputzte Schmetterlinge und streuten duftenden
Blumenstaub um sich her. Das Wispern und Sumsen wurde zu sanfter,
süßflüsternder Musik, die sich tröstend legte an Balthasars zerrissene
Brust. Über ihm funkelte stärker strahlend der Glanz. Er schaute
hinauf und erblickte staunend Prosper Alpanus, der auf einem
wunderbaren Insekt, das einer in den herrlichsten Farben prunkenden
Libelle nicht unähnlich, daherschwebte.

Prosper Alpanus senkte sich herab zu dem Jüngling, an dessen Seite
er Platz nahm, während die Libelle aufflog in ein Gebüsch und in den
Gesang einstimmte, der durch den ganzen Wald tönte.

Er berührte des Jünglings Stirne mit den wundervoll glänzenden Blumen,
die er in der Hand trug, und sogleich entzündete sich in Balthasars
Innerm frischer Lebensmut.

"Du tust," sprach nun Prosper Alpanus mit sanfter Stimme, "du tust mir
großes Unrecht, lieber Balthasar, da du mich grausam und verräterisch
schiltst in dem Augenblick, als es mir gelungen ist, Herr zu werden
des Zaubers, der dein Leben verstört, als ich, um nur schneller dich
zu finden, dich zu trösten, mich auf mein buntes Lieblingsrößlein
schwinge und herbeireite, mit allem versehen, was zu deinem Heil
dienen kann. - Doch nichts ist bittrer als Liebesschmerz, nichts
gleicht der Ungeduld eines in Liebe und Sehnsucht verzweifelnden
Gemüts. - Ich verzeihe dir, denn mir ist es selbst nicht besser
gegangen, als ich vor ungefähr zweitausend Jahren eine indische
Prinzessin liebte, Balsamine geheißen, und dem Zauberer Lothos, der
mein bester Freund war, in der Verzweiflung den Bart ausriß, weshalb
ich, wie du siehst, selbst keinen trage, damit mir nicht Ähnliches
geschehe. - Doch dir dies alles weitläuftig zu erzählen, würde wohl
hier an sehr unrechtem Orte sein, da jeder Liebende nur von seiner
Liebe hören mag, die er allein der Rede wert hält, so wie jeder
Dichter nur seine Verse gern vernimmt. Also zur Sache! - Wisse, daß
Zinnober die verwahrloste Mißgeburt eines armen Bauerweibes ist und
eigentlich Klein Zaches heißt. Nur aus Eitelkeit hat er den stolzen
Namen Zinnober angenommen. Das Stiftsfräulein von Rosenschön oder
eigentlich die berühmte Fee Rosabelverde, denn niemand anders ist jene
Dame, fand das kleine Ungetüm am Wege. Sie glaubte, alles, was die
Natur dem Kleinen stiefmütterlich versagt, dadurch zu ersetzen, wenn
sie ihn mit der seltsamen geheimnisvollen Gabe beschenkte, vermöge der
alles, was in seiner Gegenwart irgendein anderer Vortreffliches denkt,
spricht oder tut, auf _seine_ Rechnung kommen, ja daß er in der
Gesellschaft wohlgebildeter, verständiger, geistreicher Personen
auch für wohlgebildet, verständig und geistreich geachtet werden und
überhaupt allemal für den vollkommensten der Gattung, mit der er im
Konflikt, gelten muß.

"Dieser sonderbare Zauber liegt in drei feuerfarbglänzenden Haaren,
die sich über den Scheitel des Kleinen ziehen. Jede Berührung dieser
Haare, sowie überhaupt des Hauptes, mußte dem Kleinen schmerzhaft,
ja verderblich sein. Deshalb ließ die Fee sein von Natur dünnes,
struppiges Haar in dicken anmutigen Locken hinabwallen, die, des
Kleinen Haupt schützend, zugleich jenen roten Streif versteckten und
den Zauber stärkten. Jeden neunten Tag frisierte die Fee selbst den
Kleinen mit einem goldnen magischen Kamm, und diese Frisur vernichtete
jedes auf Zerstörung des Zaubers gerichtete Unternehmen. Aber den Kamm
selbst hat ein kräftiger Talisman, den ich der guten Fee, als sie mich
besuchte, unterzuschieben wußte, vernichtet.

"Es kommt jetzt nur darauf an, ihm jene drei feuerfarbnen Haare
auszureißen, und er sinkt zurück in sein voriges Nichts! - Dir, mein
lieber Balthasar, ist diese Entzauberung vorbehalten. Du hast Mut,
Kraft und Geschicklichkeit, du wirst die Sache ausführen, wie es sich
gehört. Nimm dieses kleine geschliffene Glas, nähere dich dem kleinen
Zinnober, wo du ihn findest, richte deinen scharfen Blick durch dieses
Glas auf sein Haupt, frei und offen werden die drei roten Haare sich
über das Haupt des Kleinen ziehen. Packe ihn fest an, achte nicht auf
das gellende Katzengeschrei, das er ausstoßen wird, reiße ihm mit
einem Ruck die drei Haare aus und verbrenne sie auf der Stelle. Es ist
notwendig, daß die Haare mit _einem_ Ruck ausgerissen und _sogleich_
verbrannt werden, denn sonst könnten sie noch allerlei verderbliche
Wirkungen äußern. Richte daher dein vorzüglichstes Augenmerk darauf,
daß du die Haare geschickt und fest erfassest und den Kleinen
überfällst, wenn gerade ein Feuer oder ein Licht in der Nähe
befindlich." -

"O Prosper Alpanus," rief Balthasar, "wie schlecht habe ich diese
Güte, diesen Edelmut durch mein Mißtrauen verdient! - Wie fühle ich es
so in tiefer Brust, das nun mein Leiden endigt, daß alles Himmelsglück
mir die goldnen Tore erschließt!" -

"Ich liebe," fuhr Prosper Alpanus fort, "ich liebe Jünglinge, die so
wie du, mein Balthasar, Sehnsucht und Liebe im reinen Herzen tragen,
in deren Innerm noch jene herrlichen Akkorde widerhallen, die dem
fernen Lande voll göttlicher Wunder angehören, das meine Heimat ist.
Die glücklichen, mit dieser inneren Musik begabten Menschen sind
die einzigen, die man Dichter nennen kann, wiewohl viele auch so
gescholten werden, die den ersten besten Brummbaß zur Hand nehmen,
darauf herumstreichen und das verworrene Gerassel der unter ihrer
Faust stöhnenden Saiten für herrliche Musik halten, die aus ihrem
eignen Innern heraustönt. - Dir ist, ich weiß es, mein geliebter
Balthasar, dir ist es zuweilen so, als verstündest du die murmelnden
Quellen, die rauschenden Bäume, ja, als spräche das aufflammende
Abendrot zu dir mit verständlichen Worten! - Ja, mein Balthasar! -
in diesen Momenten verstehst du wirklich die wunderbaren Stimmen der
Natur, denn aus deinem eignen Innern erhebt sich der göttliche Ton,
den die wundervolle Harmonie des tiefsten Wesens der Natur entzündet.
- Da du Klavier spielst, o Dichter, so wirst du wissen, daß dem
angeschlagenen Ton die ihm verwandten Töne nachklingen. - Dieses
Naturgesetz dient zu mehr als zum schalen Gleichnis! - Ja, o Dichter,
du bist ein viel besserer, als es manche glauben, denen du deine
Versuche, die innere Musik mit Feder und Tinte zu Papier zu bringen,
vorgelesen. Mit diesen Versuchen ist es nicht weit her. Doch hast du
im historischen Stil einen guten Wurf getan, als du mit pragmatischer
Breite und Genauigkeit die Geschichte von der Liebe der Nachtigall zur
Purpurrose aufschriebst, welche sich unter meinen Augen begeben. - Das
ist eine ganz artige Arbeit" -

Prosper Alpanus hielt inne, Balthasar blickte ihn ganz verwundert an
mit großen Augen, er wußte gar nicht, was er dazu sagen sollte, daß
Prosper das Gedicht, welches er für das fantastischste hielt, das er
jemals aufgeschrieben, für einen historischen Versuch erklärte.

"Du magst," fuhr Prosper Alpanus fort, indem ein anmutiges Lächeln
sein Gesicht überstrahlte, "du magst dich wohl über meine Reden
verwundern, dir mag überhaupt manches seltsam an mir vorkommen.
Bedenke aber, daß ich nach dem Urteil aller vernünftigen Leute eine
Person bin, die nur im Märchen auftreten darf, und du weißt, geliebter
Balthasar, daß solche Personen sich wunderlich gebärden und tolles
Zeug schwatzen können, wie sie nur mögen, vorzüglich wenn hinter allem
doch etwas steckt, was gerade nicht zu verwerfen. - Nun aber weiter!
- Nahm sich die Fee Rosabelverde des mißgestalteten Zinnober so
eifrig an, so bist du, mein Balthasar, nun ganz und gar mein lieber
Schützling. Höre also, was ich für dich zu tun gesonnen! - Der
Zauberer Lothos besuchte mich gestern, er brachte mir tausend Grüße,
aber auch tausend Klagen von der Prinzessin Balsamine, die aus dem
Schlafe erwacht ist und in den süßen Tönen des Chartah Bhade, jenes
herrlichen Gedichts, das unsere erste Liebe war, sehnende Arme nach
mir ausstreckt. Auch mein alter Freund, der Minister Yuchi, winkt mir
freundlich zu vom Polarstern. - Ich muß fort nach dem fernsten Indien!
- Mein Landgut, das ich verlasse, wünsche ich in keines andern Besitz
zu sehen als in dem deinigen. Morgen gehe ich nach Kerepes und lasse
eine förmliche Schenkungsurkunde ausfertigen, in der ich als dein
Oheim auftrete. Ist nun Zinnobers Zauber gelöst, trittst du vor den
Professor Mosch Terpin hin als Besitzer eines vortrefflichen Landguts,
eines beträchtlichen Vermögens, und wirbst du um die Hand der schönen
Candida, so wird er in voller Freude dir alles gewähren. Aber noch
mehr! - Ziehst du mit deiner Candida ein in mein Landhaus, so ist das
Glück deiner Ehe gesichert. Hinter den schönen Bäumen wächst alles,
was das Haus bedarf; außer den herrlichsten Früchten der schönste Kohl
und tüchtiges schmackhaftes Gemüse überhaupt, wie man es weit und
breit nicht findet. Deine Frau wird immer den ersten Salat, die ersten
Spargel haben. Die Küche ist so eingerichtet, daß die Töpfe niemals
überlaufen und keine Schüssel verdirbt, solltest du auch einmal eine
ganze Stunde über die Essenszeit ausbleiben. Teppiche, Stuhl- und
Sofa-Bezüge sind von der Beschaffenheit, daß es bei der größten
Ungeschicklichkeit der Dienstboten unmöglich bleibt, einen Fleck
hineinzubringen, ebenso zerbricht kein Porzellan, kein Glas, sollte
sich auch die Dienerschaft deshalb die größte Mühe geben und es auf
den härtesten Boden werfen. Jedesmal endlich, wenn deine Frau waschen
läßt, ist auf dem großen Wiesenplan hinter dem Hause das allerschönste
heiterste Wetter, sollte es auch rings umher regnen, donnern und
blitzen. Kurz, mein Balthasar, es ist dafür gesorgt, daß du das
häusliche Glück an deiner holden Candida Seite ruhig und ungestört
genießest! -

"Doch nun ist es wohl an der Zeit, daß ich heimkehre und in
Gemeinschaft mit meinem Freunde Lothos die Anstalten zu meiner
baldigen Abreise beginne. Lebe wohl, mein Balthasar!" -

Damit pfiff Prosper ein- zweimal der Libelle, die alsbald sumsend
herbeiflog. Er zäumte sie auf und schwang sich in den Sattel. Aber
schon im Davonschweben hielt er plötzlich an und kehrte um zu
Balthasar. -

"Beinahe," sprach er, "hätte ich deinen Freund Fabian vergessen. In
einem Anfall schalkischer Laune habe ich ihn für seinen Vorwitz zu
hart gestraft. In dieser Dose ist das enthalten, was ihn tröstet!" -

Prosper reichte dem Balthasar ein kleines, blank poliertes
schildkrötenes Döschen hin, das er ebenso einsteckte, wie die kleine
Lorgnette, die er erst zur Entzauberung Zinnobers von Prosper
erhalten.

Prosper Alpanus rauschte nun fort durch das Gebüsch, indem die Stimmen
des Waldes stärker und anmutiger ertönten.

Balthasar kehrte zurück nach Hoch-Jakobsheim, alle Wonne, alles
Entzücken der süßesten Hoffnung im Herzen.



Achtes Kapitel

Wie Fabian seiner langen Rockschöße halber für einen Sektierer
und Tumultuanten gehalten wurde. - Wie Fürst Barsanuph hinter
den Kaminschirm trat und den Generaldirektor der natürlichen
Angelegenheiten kassierte. - Zinnobers Flucht aus Mosch Terpins Hause.
- Wie Mosch Terpin auf einem Sommervogel ausreiten und Kaiser werden
wollte, dann aber zu Bette ging.

In der frühesten Morgendämmerung, als Wege und Straßen noch einsam,
schlich sich Balthasar hinein nach Kerepes und lief augenblicklich
zu seinem Freunde Fabian. Als er an die Stubentüre pochte, rief eine
kranke matte Stimme: "Herein!" -

Bleich - entstellt, hoffnungslosen Schmerz im Antlitz, lag Fabian auf
dem Bette. "Um des Himmels willen," rief Balthasar, "um des Himmels
willen - Freund! sprich! - was ist dir widerfahren?"

"Ach Freund," sprach Fabian mit gebrochener Stimme, indem er sich
mühsam in die Höhe richtete, "mit mir ist es aus, rein aus. Der
verfluchte Hexenspuk, den, ich weiß es, der rachsüchtige Prosper
Alpanus über mich gebracht, stürzt mich ins Verderben!" -

"Wie ist das möglich?" fragte Balthasar; "Zauberei, Hexenspuk,
du glaubtest sonst an dergleichen nicht." "Ach," fuhr Fabian mit
weinerlicher Stimme fort, "ach, ich glaube jetzt an alles, an Zauberer
und Hexen und Erdgeister und Wassergeister, an den Rattenkönig und
die Alraunwurzel - an alles, was du willst. Wem das Ding so auf den
Hals tritt wie mir, der gibt sich wohl! - Du erinnerst dich an den
höllischen Skandal mit meinem Rocke, als wir von Prosper Alpanus
kamen! - Ja! wär' es nur dabei geblieben! - Sieh dich doch etwas um in
meinem Zimmer, lieber Balthasar!" -

Balthasar tat es und gewahrte an allen Wänden rings umher eine Unzahl
von Fracks, Überröcken, Kurtken von allem möglichen Zuschnitt, von
allen möglichen Farben. "Wie," rief er, "willst du einen Kleiderkram
anlegen, Fabian?"

"Spotte nicht," erwiderte Fabian, "spotte nicht, lieber Freund. Alle
diese Kleider ließ ich anfertigen von den berühmtesten Schneidern,
immer hoffend, endlich einmal der unseligen Verdammnis zu entgehen,
die auf meinen Röcken ruht, aber umsonst. Sowie ich den schönsten
Rock, der mir steht wie angegossen an den Leib, nur einige Minuten
trage, rutschen die Ärmel mir an die Schultern herauf, und die Schöße
schwänzeln mir nach sechs Ellen lang. In der Verzweiflung ließ ich mir
jenen Spenzer mit den eine Welt langen Pierrotsärmeln machen: 'Rutscht
nur, Ärmel,' dacht' ich, 'dehnt euch nur aus, Schöße, so kommt alles
ins Gleiche': aber! - ganz dasselbe wie mit allen andern Röcken war
es in wenigen Minuten! Alle Kunst und Kraft der mächtigsten Schneider
richtete nichts aus gegen den verwünschten Zauber! Daß ich verhöhnt,
verspottet wurde, wo ich mich nur blicken ließ, versteht sich von
selbst, aber bald veranlaßte meine unverschuldete Hartnäckigkeit,
immer wieder in einem solch verteufelten Rock zu erscheinen, ganz
andere Urteile. Das Geringste war noch, daß die Frauen mich grenzenlos
eitel und abgeschmackt schalten, da ich aller Sitte entgegen mich
durchaus mit nackten Armen, sie wahrscheinlich für sehr schön haltend,
sehen lassen wolle. Die Theologen aber schrien mich bald für einen
Sektierer aus, stritten sich nur, ob ich zur Sekte der Ärmelianer oder
Schößianer zu rechnen, waren aber darin einig, daß beide Sekten höchst
gefährlich zu nennen, da beide vollkommene Freiheit des Willens
statuierten und sich erfrechten zu denken, was sie wollten.
Diplomatiker hielten mich für einen schnöden Aufwiegler. Sie
behaupteten, ich wolle durch meine langen Rockschöße Unzufriedenheit
im Volke erregen und es aufsässig machen gegen die Regierung, gehöre
überhaupt zu einem geheimen Bunde, dessen Zeichen ein kurzer Ärmel
sei. Schon seit langer Zeit fänden sich hie und da Spuren der
Kurzärmler, die ebenso zu fürchten als die Jesuiten, ja noch mehr,
da sie sich bemühten, überall die jedem Staate schädliche Poesie
einzuführen, und an der Infallibilität der Fürsten zweifelten. Kurz! -
das Ding wurde ernster und ernster, bis mich der Rektor zitieren ließ.
Ich sah mein Unglück vorher, wenn ich einen Rock anzog, erschien also
in der Weste. Darüber wurde der Mann zornig, er glaubte, ich wolle ihn
verhöhnen, und fuhr auf mich los, ich solle binnen acht Tagen in einem
vernünftigen anständigen Rock vor ihm erscheinen, widrigenfalls er
ohne alle Gnade die Relegation über mich aussprechen würde. - Heute
geht der Termin zu Ende! - O ich Unglücklicher! - O verdammter Prosper
Alpanus!" -

"Halt ein," rief Balthasar, "halt ein, lieber Freund Fabian, schmäle
nicht auf meinen teuern lieben Oheim, der mir ein Landgut geschenkt
hat. Auch mit _dir_ meint er es gar nicht so böse, ungeachtet er,
ich muß es gestehen, den Vorwitz, womit du ihm begegnetest, zu hart
gestraft hat. - Doch ich bringe Hülfe! - er sendet dir dies Döschen,
welches alle deine Leiden enden soll."

Damit zog Balthasar das kleine schildkrötene Döschen, welches er
von Prosper Alpanus erhalten, aus der Tasche und überreichte es dem
trostlosen Fabian.

"Was soll," Sprach dieser, "was soll mir denn der dumme Quark helfen?
wie kann ein kleines schildkrötenes Döschen Einfluß haben auf die
Gestaltung meiner Röcke?" "Das weiß ich nicht," erwiderte Balthasar,
"aber mein lieber Oheim kann und wird mich nicht täuschen, ich habe
das vollste Zutrauen zu ihm; darum öffne nur die Dose, lieber Fabian,
wir wollen sehen, was darin enthalten."

Fabian tat es - und aus der Dose quoll ein herrlich gemachter
schwarzer Frack von dem feinsten Tuche hervor. Beide, Fabian und
Balthasar, konnten sich des lauten Ausrufs der höchsten Verwunderung
nicht erwehren.

"Ha, ich verstehe dich," rief Balthasar begeistert, "ha, ich verstehe
dich, mein Prosper, mein teurer Oheim! Dieser Rock wird passen, wird
allen Zauber lösen." -

Fabian zog den Rock ohne weiteres an, und was Balthasar geahnet, traf
wirklich ein. Das schöne Kleid saß dem Fabian, wie noch niemals ihm
eins gesessen, und an Rutschen der Ärmel, an Verlängerung der Schöße
war nicht zu denken.

Ganz außer sich vor Freude, beschloß Fabian nun sogleich in seinem
neuen wohlpassenden Rock zum Rektor hinzulaufen und alles ins Gleiche
zu bringen.

Balthasar erzählte nun seinem Freunde Fabian ausführlich, wie sich
alles begeben mit Prosper Alpanus, und wie dieser ihm die Mittel in
die Hand gegeben, dem heillosen Unwesen des mißgestalteten Däumlings
ein Ende zu machen. Fabian, der ein ganz anderer worden, da ihn alle
Zweifelsucht ganz verlassen, rühmte Prospers hohen Edelmut über alle
Maßen und erbot sich, bei Zinnobers Entzauberung hülfreiche Hand zu
leisten. In dem Augenblick gewahrte Balthasar aus dem Fenster seinen
Freund, den Referendarius Pulcher, der ganz trübsinnig um die Ecke
schleichen wollte. Fabian steckte auf Balthasars Geheiß den Kopf zum
Fenster heraus und winkte und rief dem Referendarius zu, er möge doch
nur gleich heraufkommen.

Sowie Pulcher eintrat, rief er gleich: "Was hast du denn für einen
herrlichen Rock an, lieber Fabian!" Dieser sagte aber, Balthasar werde
ihm alles erklären, und lief fort zum Rektor.

Als nun Balthasar dem Referendarius alles ausführlich erzählt, was
sich zugetragen, sprach dieser. "Gerade an der Zeit ist es nun, daß
der abscheuliche Unhold tot gemacht wird. Wisse, daß er heute seine
feierliche Verlobung mit Candida feiert, daß der eitle Mosch Terpin
ein großes Fest gibt, wozu er selbst den Fürsten geladen. Gerade bei
diesem Feste wollen wir eindringen in des Professors Haus und den
Kleinen überfallen. An Lichtern im Saal wird's nicht fehlen zum
augenblicklichen Verbrennen der feindseligen Haare."

Noch manches hatten die Freunde gesprochen und miteinander verabredet,
als Fabian eintrat mit vor Freude glänzendem Gesicht.

"Die Kraft," sprach er, "die Kraft des Rocks, der der schildkrötenen
Dose entquollen, hat sich herrlich bewährt. Sowie ich eintrat bei dem
Rektor, lächelte er zufrieden. 'Ha' redete er mich an, 'ha! - ich
gewahre, mein lieber Fabian, daß Sie zurückgekommen sind von Ihrer
seltsamen Verirrung! - Nun! Feuerköpfe wie Sie lassen sich leicht
hinreißen zu dem Extremen! - Für religiöse Schwärmerei habe ich Ihr
Beginnen niemals gehalten - mehr falsch verstandener Patriotismus
- Hang zum Außerordentlichen, gestützt auf das Beispiel der Heroen
des Altertums. - Ja, das lasse ich gelten, solch ein schöner,
wohlpassender Rock! - Heil dem Staate, Heil der Welt, wenn hochherzige
Jünglinge solche Röcke tragen, mit solchen passenden Ärmeln und
Schößen. Bleiben Sie treu, Fabian, bleiben Sie treu solcher Tugend,
solchem wackren Sinn, daraus entsproßt wahre Heldengröße!' - Der
Rektor umarmte mich, indem helle Tränen ihm in die Augen traten.
Selbst weiß ich nicht, wie ich dazu kam, die kleine schildkrötene
Dose, aus der der Rock entstanden und die ich nun in dessen Tasche
gesteckt, hervorzuziehen. 'Bitte!' sprach der Rektor, indem er Daum
und Zeigefinger zusammenspitzte. Ohne zu wissen, ob wohl Tabak
darin enthalten, klappte ich die Dose auf. Der Rektor griff hinein,
schnupfte, faßte meine Hand, drückte sie stark, Tränen liefen ihm über
die Wangen; er sprach tiefgerührt: 'Edler Jüngling! - eine schöne
Prise! - Alles ist vergeben und vergessen, speisen Sie bei mir heut
mittags!' - Ihr seht, Freunde, all mein Leiden hat ein Ende, und
gelingt uns heute, wie es anders gar nicht zu erwarten steht, die
Entzauberung Zinnobers, so seid auch ihr fortan glücklich!" -

In dem mit hundert Kerzen erleuchteten Saal stand der kleine
Zinnober im scharlachroten gestickten Kleide, den großen Orden des
grüngefleckten Tigers mit zwanzig Knöpfen umgetan, Degen an der Seite,
Federhut unterm Arm. Neben ihm die holde Candida bräutlich geschmückt,
in aller Anmut und Jugend strahlend. Zinnober hatte ihre Hand gefaßt,
die er zuweilen an den Mund drückte und dabei recht widrig grinste und
lächelte. Und jedesmal überflog dann ein höheres Rot Candidas Wangen,
und sie blickte den Kleinen an mit dem Ausdruck der innigsten Liebe.
Das war denn wohl recht graulich anzusehen, und nur die Verblendung,
in die Zinnobers Zauber alle versetzte, war schuld daran, daß man
nicht, ergrimmt über Candidas heillose Verstrickung, den kleinen
Hexenkerl packte und ins Kaminfeuer warf. Rings um das Paar im Kreise
in ehrerbietiger Entfernung hatte sich die Gesellschaft gesammelt. Nur
Fürst Barsanuph stand neben Candida und mühte sich, bedeutungsvolle
gnädige Blicke umherzuwerfen, auf die indessen niemand sonderlich
achtete. Alles hatte nur Auge für das Brautpaar und hing an Zinnobers
Lippen, der hin und wieder einige unverständliche Worte schnurrte,
denen jedesmal ein leises Ach! der höchsten Bewunderung, das die
Gesellschaft ausstieß, folgte.

Es war an dem, daß die Verlobungsringe gewechselt werden sollten.
Mosch Terpin trat in den Kreis mit einem Präsentierteller, auf dem
die Ringe funkelten. Er räusperte sich - Zinnober hob sich auf den
Fußspitzen so hoch als möglich, beinahe reichte er der Braut an den
Ellbogen. - Alles stand in der gespanntesten Erwartung - da lassen
sich plötzlich fremde Stimmen hören, die Türe des Saals springt auf,
Balthasar dringt ein, mit ihm Pulcher - Fabian! - Sie brechen durch
den Kreis - "Was ist das, was wollen die Fremden?" ruft alles
durcheinander. -

Fürst Barsanuph schreit entsetzt: "Aufruhr - Rebellion - Wache!" und
springt hinter den Kaminschirm. - Mosch Terpin erkennt den Balthasar,
der dicht bis zum Zinnober vorgedrungen, und ruft: "Herr Studiosus!
- Sind Sie rasend - sind Sie von Sinnen? - wie können Sie sich
unterstehen, hier einzudringen in die Verlobung! - Leute -
Gesellschaft - Bediente, werft den Grobian zur Türe hinaus!" -

Aber ohne sich nur im mindesten an irgend etwas zu kehren, hat
Balthasar schon Prospers Lorgnette hervorgezogen und richtet durch
dieselbe den festen Blick auf Zinnobers Haupt. Wie vom elektrischen
Strahl getroffen, stößt Zinnober ein gellendes Katzengeschrei aus, daß
der ganze Saal widerhallt. Candida fällt ohnmächtig auf einen Stuhl;
der eng geschlossene Kreis der Gesellschaft stäubt auseinander. -
Klar vor Balthasars Augen liegt der feuerfarbglänzende Haarstreif, er
spring zu auf Zinnober - faßt ihn, der strampelt mit den Beinchen und
sträubt sich und kratzt und beißt.

"Angepackt - angepackt!" ruft Balthasar; da fassen Fabian und Pulcher
den Kleinen, daß er sich nicht zu regen und zu bewegen vermag, und
Balthasar faßt sicher und behutsam die roten Haare, reißt sie mit
einem Ruck vom Haupte herab, springt an den Kamin, wirft sie ins
Feuer, sie prasseln auf, es geschieht ein betäubender Schlag, alle
erwachen wie aus dem Traum. - Da steht der kleine Zinnober, der sich
mühsam aufgerafft von der Erde, und schimpft und schmält und befiehlt,
man solle die frechen Ruhestörer, die sich an der geheiligten Person
des ersten Ministers im Staate vergriffen, sogleich packen und ins
tiefste Gefängnis werfen! Aber einer frägt den andern: "Wo kommt denn
mit einemmal der kleine purzelbäumige Kerl her? - was will das kleine
Ungetüm?" - Und wie der Däumling immerfort tobt und mit den Füßchen
den Boden stampft und immer dazwischen ruft: "Ich bin der Minister
Zinnober - ich bin der Minister Zinnober - der grüngefleckte Tiger mit
zwanzig Knöpfen!" da bricht alles in ein tolles Gelächter aus. Man
umringt den Kleinen, die Männer heben ihn auf und werfen sich ihn zu
wie einen Fangball; ein Ordensknopf nach dem andern springt ihm vom
Leibe - er verliert den Hut - den Degen, die Schuhe. - Fürst Barsanuph
kommt hinter dem Kaminschirm hervor und tritt hinein mitten in den
Tumult. Da kreischt der Kleine: "Fürst Barsanuph - Durchlaucht -
retten Sie Ihren Minister - Ihren Liebling! - Hülfe - Hülfe - der
Staat ist in Gefahr - der grüngefleckte Tiger - Weh - weh!" - Der
Fürst wirft einen grimmigen Blick auf den Kleinen und schreitet dann
rasch vorwärts nach der Türe. Mosch Terpin kommt ihm in den Weg, den
faßt er, zieht ihn in die Ecke und spricht mit zornfunkelnden Augen:
"Sie erdreisten sich, Ihrem Fürsten, Ihrem Landesvater hier eine dumme
Komödie vorspielen zu wollen? - Sie laden mich ein zur Verlobung
Ihrer Tochter mit meinem würdigen Minister Zinnober, und statt
meines Ministers finde ich hier eine abscheuliche Mißgeburt, die
Sie in glänzende Kleider gesteckt? - Herr, wissen Sie, daß das ein
landesverräterischer Spaß ist, den ich strenge ahnden würde, wenn
Sie nicht ein ganz alberner Mensch wären, der ins Tollhaus gehört.
- Ich entsetze Sie des Amts als Generaldirektor der natürlichen
Angelegenheiten und verbitte mir alles weitere Studieren in meinem
Keller! - Adieu!"

Dann stürmte er fort.

Aber Mosch Terpin stürzte zitternd vor Wut los auf den Kleinen, faßte
ihn bei den langen struppigen Haaren und rannte mit ihm hin nach dem
Fenster: "Hinunter mit dir," schrie er, "hinunter mit dir, schändliche
heillose Mißgeburt, die mich so schmachvoll hintergangen, mich um
alles Glück des Lebens gebracht hat!"

Er wollte den Kleinen hinabstürzen durch das geöffnete Fenster, doch
der Aufseher des zoologischen Kabinetts, der auch zugegen, sprang mit
Blitzesschnelle hinzu, faßte den Kleinen und entriß ihn Mosch Terpins
Fäusten. "Halten Sie ein," sprach der Aufseher, "halten Sie ein, Herr
Professor, vergreifen Sie sich nicht an fürstlichem Eigentum. Es ist
keine Mißgeburt, es ist der Mycetes Belzebub, Simia Belzebub, der dem
Museo entlaufen." "Simia Belzebub - Simia Belzebub!" ertönte es von
allen Seiten unter schallendem Gelächter. Doch kaum hatte der Aufseher
den Kleinen auf den Arm genommen und ihn recht angesehen, als er
unmutig ausrief: "Was sehe ich! - das ist ja nicht Simia Belzebub, das
ist ja ein schnöder häßlicher Wurzelmann! Pfui! - pfui" -

Und damit warf er den Kleinen in die Mitte des Saals. Unter dem lauten
Hohngelächter der Gesellschaft rannte der Kleine quiekend und knurrend
durch die Türe fort die Treppe herab - fort, fort nach seinem Hause,
ohne daß ihn ein einziger von seinen Dienern bemerkt.

Währenddessen, daß sich dies alles im Saale begab, hatte sich
Balthasar in das Kabinett entfernt, wo man, wie er wahrgenommen, die
ohnmächtige Candida hingebracht. Er warf sich ihr zu Füßen, drückte
ihre Hände an seine Lippen, nannte sie mit den süßesten Namen. Sie
erwachte endlich mit einem tiefen Seufzer, und als sie den Balthasar
erblickte, da rief sie voll Entzücken:

"Bist du endlich - endlich da, mein geliebter Balthasar! Ach, ich bin
ja beinahe vergangen vor Sehnsucht und Liebesschmerz! - und immer
erklangen mir die Töne der Nachtigall, von denen berührt, der
Purpurrose das Herzblut entquillt!" -

Nun erzählte sie, alles, alles um sich her vergessend, wie ein böser
abscheulicher Traum sie verstrickt, wie es ihr vorgekommen, als habe
sich ein häßlicher Unhold an ihr Herz gelegt, dem sie ihre Liebe
schenken müssen, weil sie nicht anders gekonnt. Der Unhold habe sich
zu verstellen gewußt, daß er ausgesehen wie Balthasar; und wenn sie
recht lebhaft an Balthasar gedacht, habe sie zwar gewußt, daß der
Unhold nicht Balthasar, aber dann sei es ihr wieder auf unbegreifliche
Weise gewesen, als müsse sie den Unhold lieben, eben um Balthasars
willen.

Balthasar klärte ihr so viel auf, als es geschehen konnte, ohne ihre
ohnehin aufgeregten Sinne ganz und gar zu verwirren. Dann folgten,
wie es unter Liebesleuten nicht anders zu geschehen pflegt, tausend
Versicherungen, tausend Schwüre ewiger Liebe und Treue. Und dabei
umfingen sie sich und drückten sich mit der Inbrunst der innigsten
Zärtlichkeit an die Brust und waren ganz und gar umflossen von aller
Wonne, von allem Entzücken des höchsten Himmels.

Mosch Terpin trat ein, händeringend und lamentierend, mit ihm kamen
Pulcher und Fabian, die immerfort, jedoch vergebens trösteten.

"Nein," rief Mosch Terpin, "nein, ich bin ein total geschlagener
Mann! - nicht mehr Generaldirektor der natürlichen Angelegenheiten im
Staate. - Kein Studium mehr im fürstlichen Keller - die Ungnade des
Fürsten - ich gedachte Ritter zu werden des grüngefleckten Tigers,
wenigstens mit fünf Knöpfen. - Alles aus! - Was wird nur Se. Exzellenz
der würdige Minister Zinnober dazu sagen, wenn er hört, daß ich eine
schnöde Mißgeburt, den Simia Belzebub cauda prehensili, oder was weiß
ich sonst, für ihn gehalten! - O Gott, auch sein Haß wird auf mich
lasten! - Alikante! - Alikante!" -

"Aber, bester Professor," trösteten die Freunde - "verehrter
Generaldirektor, bedenken Sie doch nur, daß es gar keinen Minister
Zinnober mehr gibt! - Sie haben sich ganz und gar nicht vergriffen,
der ungestaltete Knirps hat vermöge der Zaubergabe, die er von der Fee
Rosabelverde erhalten, Sie ebensogut getäuscht, wie uns alle!" -

Nun erzählte Balthasar, wie sich alles begeben von Anfang an. Der
Professor horchte und horchte, bis Balthasar geendet, da rief er:
"Wach' ich! - träum' ich - Hexen - Zauberer - Feen - magische Spiegel
- Sympathien - soll ich an den Unsinn glauben" -

"Ach liebster Herr Professor," fiel Fabian ein, "hätten Sie nur eine
Zeitlang einen Rock getragen mit kurzen Ärmeln und langer Schleppe, so
wie ich, Sie würden schon an alles glauben, daß es eine Lust wäre!" -

"Ja," rief Mosch Terpin, "ja, es ist alles so - ja! - ein verhextes
Untier hat mich getäuscht - ich stehe nicht mehr auf den Füßen -
ich schwebe auf zur Decke -Prosper Alpanus holt mich ab - ich reite
aus auf einem Sommervogel - ich laß mich frisieren von der Fee
Rosabelverde - von dem Stiftsfräulein Rosenschön, und werde Minister!
- König - Kaiser!" -

Und damit sprang er im Zimmer umher und schrie und juchzte, daß
alle für seinen Verstand fürchteten, bis er ganz erschöpft in einen
Lehnsessel sank. Da nahten sich ihm Candida und Balthasar. Sie
sprachen davon, wie sie sich so innig, so über alles liebten, wie sie
gar nicht ohne einander leben könnten, und das war recht wehmütig
anzuhören, weshalb Mosch Terpin auch wirklich etwas weinte. "Alles,"
sprach er schluchzend, "alles, was ihr wollt, Kinder! - heiratet
euch, liebt euch - hungert zusammen, denn ich gebe der Candida keinen
Groschen mit" -

Was das Hungern beträfe, sprach Balthasar lächelnd, so hoffe er morgen
den Herrn Professor zu überzeugen, daß davon wohl niemals die Rede
sein könne, da sein Oheim Prosper Alpanus hinlänglich für ihn gesorgt.

"Tue das," sprach der Professor matt, "tue das, mein lieber Sohn, wenn
du kannst, und zwar morgen; denn soll ich nicht in Wahnsinn verfallen,
soll mir der Kopf nicht zerspringen, so muß ich sofort zu Bette
gehen!" -

Er tat das wirklich auf der Stelle.



Neuntes Kapitel

Verlegenheit eines treuen Kammerdieners. - Wie die alte Liese eine
Rebellion anzettelte und der Minister Zinnober auf der Flucht
ausglitschte. - Auf welche merkwürdige Weise der Leibarzt des Fürsten
Zinnobers jähen Tod erklärte. - Wie Fürst Barsanuph sich betrübte,
Zwiebeln aß, und wie Zinnobers Verlust unersetzlich blieb.

Der Wagen des Ministers Zinnober hatte beinahe die ganze Nacht
vergeblich vor Mosch Terpins Hause gehalten. Ein Mal über das andere
versicherte man dem Jäger, Se. Exzellenz müßten schon lange die
Gesellschaft verlassen haben; der meinte aber dagegen, das sei ganz
unmöglich, da Se. Exzellenz doch wohl nicht im Regen und Sturm zu
Fuß nach Hause gerannt sein würde. Als nun endlich alle Lichter
ausgelöscht und die Türen verschlossen wurden, mußte der Jäger zwar
fortfahren mit dem leeren Wagen, im Hause des Ministers weckte er aber
sogleich den Kammerdiener und fragte, ob denn ums Himmels willen und
auf welche Art der Minister nach Hause gekommen. "Se. Exzellenz,"
erwiderte der Kammerdiener leise dem Jäger ins Ohr, "Se. Exzellenz
sind gestern eingetroffen in später Dämmerung, das ist ganz gewiß -
liegen im Bette und schlafen. - Aber! - o mein guter Jäger! - wie -
auf welche Weise! - ich will Ihnen alles erzählen - doch Siegel auf
den Mund - ich bin ein verlornen Mann, wenn Se. Exzellenz erfahren,
daß ich es war auf dem finstern Korridor! - ich komme um meinen
Dienst, denn Se. Exzellenz sind zwar von kleiner Statur, besitzen aber
außerordentlich viel Wildheit, alterieren sich leicht, kennen sich
selbst nicht im Zorn, haben noch gestern eine schnöde Maus, die
durch Sr. Exzellenz Schlafzimmer zu hüpfen sich unterfangen, mit dem
blank gezogenen Degen durch und durch gerannt. - Nun gut! - Also
in der Dämmerung nehme ich mein Mäntelchen um und will ganz sachte
hinüberschleichen ins Weinstübchen zu einer Partie Tric-Trac, da
schurrt und schlurrt mir etwas auf der Treppe entgegen und kommt mir
auf dem finstern Korridor zwischen die Beine und schlägt hin auf den
Boden und erhebt ein gellendes Katzengeschrei und grunzt dann wie - o
Gott - Jäger! - halten Sie das Maul, edler Mann, sonst bin ich hin!
- kommen Sie ein wenig näher - und grunzt dann, wie unsere gnädige
Exzellenz zu grunzen pflegt, wenn der Koch die Kälberkeule verbraten
oder ihm sonst im Staate was nicht recht ist."

Die letzten Worte hatte der Kammerdiener dem Jäger mit vorgehaltener
Hand ins Ohr gesprochen. Der Jäger fuhr zurück, schnitt ein
bedenkliches Gesicht und rief: "Ist es möglich!" -

"Ja," fuhr der Kammerdiener fort, "es war unbezweifelt unsere gnädige
Exzellenz, was mir auf dem Korridor durch die Beine fuhr. Ich vernahm
nun deutlich, wie der Gnädige in den Zimmern die Stühle heranrückte
und sich die Türe eines Zimmers nach dem andern öffnete, bis er in
sein Schlafkabinett angekommen. Ich wagt' es nicht nachzugehen,
aber ein paar Stündchen nachher schlich ich mich an die Türe des
Schlafkabinetts und horchte. Da schnarchten die liebe Exzellenz ganz
auf die Weise, wie es zu geschehen pflegt, wenn Großes im Werke.
- Jäger! 'es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als unsere
Weisheit sich träumt,' das hört' ich einmal auf dem Theater einen
melancholischen Prinzen sagen, der ganz schwarz ging und sich vor
einem ganz in grauen Pappendeckel gekleideten Mann sehr fürchtete. -
Jäger! - es ist gestern irgend etwas Erstaunliches geschehen, das die
Exzellenz nach Hause trieb. Der Fürst ist bei dem Professor gewesen,
vielleicht äußerte er das und das - irgendein hübsches Reformchen -
und da ist nun der Minister gleich drüber her, läuft aus der Verlobung
heraus und fängt an zu arbeiten für das Wohl der Regierung. - Ich
hört's gleich am Schnarchen; ja Großes, Entscheidendes wird geschehen!
- O Jäger - vielleicht lassen wir alle über kurz oder lang uns wieder
die Zöpfe wachsen! - Doch, teurer Freund, lassen Sie uns hinabgehen
und als treue Diener an der Türe des Schlafzimmers lauschen, ob Se.
Exzellenz auch noch ruhig im Bette liegen und die inneren Gedanken
ausarbeiten."

Beide, der Kammerdiener und der Jäger, schlichen sich hin an die Türe
und horchten. Zinnober schnurrte und orgelte und pfiff durch die
wundersamsten Tonarten. Beide Diener standen in stummer Ehrfurcht, und
der Kammerdiener sprach tiefgerührt: "Ein großer Mann ist doch unser
gnädige Herr Minister!" -

Schon am frühsten Morgen entstand unten im Hause des Ministers
ein gewaltiger Lärm. Ein altes, erbärmlich in längst verblichenen
Sonntagsstaat gekleidetes Bauerweib hatte sich ins Haus gedrängt und
dem Portier angelegen, sie sogleich zu ihrem Söhnlein, zu Klein Zaches
zu führen. Der Portier hatte sie bedeutet, daß Se. Exzellenz der Herr
Minister von Zinnober, Ritter des grüngefleckten Tigers mit zwanzig
Knöpfen, im Hause wohne, und niemand von der Dienerschaft Klein Zaches
hieße oder so genannt werde. Da hatte das Weib aber ganz tolljubelnd
geschrien, der Herr Minister Zinnober mit zwanzig Knöpfen, das sei
eben ihr liebes Söhnlein, der Klein Zaches. Auf das Geschrei des
Weibes, auf die donnernden Flüche des Portiers war alles aus dem
ganzen Hause zusammengelaufen, und das Getöse wurde ärger und ärger.
Als der Kammerdiener hinabkam, um die Leute auseinander zu jagen, die
Se. Exzellenz so unverschämt in der Morgenruhe störten, warf man eben
das Weib, die alle für wahnsinnig hielten, zum Hause heraus.

Auf die steinernen Stufen des gegenüberstehenden Hauses setzte sich
nun das Weib hin und schluchzte und lamentierte, daß das grobe Volk da
drinnen sie nicht zu ihrem Herzenssöhnlein, zu dem Klein Zaches, der
Minister geworden, lassen wolle. Viele Leute versammelten sich nach
und nach um sie her, denen sie immer und immer wiederholte, daß der
Minister Zinnober niemand anders sei, als ihr Sohn, den sie in der
Jugend Klein Zaches geheißen; so daß die Leute zuletzt nicht wußten,
ob sie die Frau für toll halten oder gar ahnen sollten, daß wirklich
was an der Sache.

Die Frau wandte nicht die Augen weg von Zinnobers Fenster. Da schlug
sie mit einemmal eine helle Lache auf, klopfte die Hände zusammen und
rief jubelnd überlaut: "Da ist er - da ist er, mein Herzensmännlein -
mein kleines Koboldchen - Guten Morgen, Klein Zaches! - Guten Morgen,
Klein Zaches!" - Alle Leute kuckten hin, und als sie den kleinen
Zinnober gewahrten, der in seinem gestickten Scharlachkleide, das
Ordensband des grüngefleckten Tigers umgehängt, vor dem Fenster stand,
das hinabging bis an den Fußboden, so daß seine ganze Figur durch die
großen Scheiben deutlich zu sehen, lachten sie ganz übermäßig und
lärmten und schrien: "Klein Zaches - Klein Zaches! Ha, seht doch den
kleinen geputzten Pavian - die tolle Mißgeburt - das Wurzelmännlein
- Klein Zaches! Klein Zaches!" - Der Portier, alle Diener Zinnobers
rannten heraus, um zu erschauen, worüber das Volk denn so unmäßig
lache und jubiliere. Aber kaum erblickten sie ihren Herren, als sie
noch ärger als das Volk im tollsten Gelächter schrien: "Klein Zaches -
Klein Zaches - Wurzelmann - Däumling - Alraun!" -

Der Minister schien erst jetzt zu gewahren, daß der tolle Spuk auf der
Straße niemand anderm gelte, als ihm selbst. Er riß das Fenster auf,
schaute mit zornfunkelnden Augen herab, schrie, raste, machte seltsame
Sprünge vor Wut - drohte mit Wache - Polizei - Stockhaus und Festung.

Aber je mehr die Exzellenz tobte im Zorn, desto ärger wurde Tumult und
Gelächter, man fing an mit Steinen - Obst - Gemüse oder was man eben
zur Hand bekam, nach dem unglücklichen Minister zu werfen - er mußte
hinein! -

"Gott im Himmel," rief der Kammerdiener entsetzt, "aus dem Fenster der
gnädigen Exzellenz kuckte ja das kleine abscheuliche Ungetüm heraus -
Was ist das? - wie ist der kleine Hexenkerl in die Zimmer gekommen?" -
Damit rannte er hinauf, aber so wie vorher fand er das Schlafkabinett
des Ministers fest verschlossen. Er wagte leise zu pochen! - Keine
Antwort! -

Indessen war, der Himmel weiß, auf welche Weise, ein dumpfes Gemurmel
im Volke entstanden, das kleine lächerliche Ungetüm dort oben sei
wirklich Klein Zaches, der den stolzen Namen Zinnober angenommen und
sich durch allerlei schändlichen Lug und Trug aufgeschwungen. Immer
lauter und lauter erhoben sich die Stimmen. "Hinunter mit der kleinen
Bestie - hinunter - klopft dem Klein Zaches die Ministerjacke aus -
sperrt ihn in den Käficht - laßt ihn für Geld sehen auf dem Jahrmarkt!
- Beklebt ihn mit Goldschaum und beschert ihn den Kindern zum
Spielzeug! - Hinauf - hinauf!" - Und damit stürmte das Volk an gegen
das Haus.

Der Kammerdiener rang verzweiflungsvoll die Hände. "Rebellion - Tumult
- Exzellenz - machen Sie auf - retten Sie sich!" - so schrie er; aber
keine Antwort, nur ein leises Stöhnen ließ sich vernehmen.

Die Haustüre wurde eingeschlagen, das Volk polterte unter wildem
Gelächter die Treppe herauf.

"Nun gilt's," sprach der Kammerdiener und rannte mit aller Macht an
gegen die Türe des Kabinetts, daß sie klirrend und rasselnd aus den
Angeln sprang. - Keine Exzellenz - kein Zinnober zu finden! -

"Exzellenz - gnädigste Exzellenz - vernehmen Sie denn nicht die
Rebellion? - Exzellenz - gnädigste Exzellenz, wo hat sie denn der -
Gott verzeih' mir die Sünde, wo geruhen Sie sich denn zu befinden!"

So schrie der Kammerdiener, in heller Verzweiflung durch die Zimmer
rennend. Aber keine Antwort, kein Laut, nur der spottende Widerhall
tönte von den Marmorwänden. Zinnober schien spurlos, tonlos
verschwunden. - Draußen war es ruhiger geworden, der Kammerdiener
vernahm die tiefe klangvolle Stimme eines Frauenzimmers, die zum Volke
sprach, und gewahrte, durchs Fenster blickend, wie die Menschen nach
und nach, leise miteinander murmelnd, das Haus verließen, bedenkliche
Blicke hinaufwerfend nach den Fenstern.

"Die Rebellion scheint vorüber," sprach der Kammerdiener, "nun wird
die gnädige Exzellenz wohl hervorkommen aus ihrem Schlupfwinkel."

Er ging nach dem Schlafkabinett zurück, vermutend, dort werde der
Minister sich doch wohl am Ende befinden.

Er warf spähende Blicke rings umher, da wurde er gewahr, wie aus einem
schönen silbernen Henkelgefäß, das immer dicht neben der Toilette
zu stehen pflegte, weil es der Minister als ein teures Geschenk des
Fürsten sehr wert hielt, ganz kleine dünne Beinchen hervorstarrten.

"Gott - Gott," schrie der Kammerdiener entsetzt, "Gott! - Gott! -
täuscht mich nicht alles, so gehören die Beinchen dort Sr. Exzellenz
dem Herrn Minister Zinnober, meinem gnädigen Herrn!" - Er trat
hinan, er rief, durchbebt von allen Schauern des Schrecks, indem er
herabschaute: "Exzellenz - Exzellenz - um Gott, was machen Sie - was
treiben Sie da unten in der Tiefe!"

Da aber Zinnober still blieb, sah der Kammerdiener wohl die Gefahr
ein, in der die Exzellenz schwebte, und daß es an der Zeit sei, allen
Respekt beiseite zu setzen. Er packte den Zinnober bei den Beinchen
- zog ihn heraus! - Ach tot - tot war die kleine Exzellenz! Der
Kammerdiener brach aus in lautes Jammern; der Jäger, die Dienerschaft
eilte herbei, man rannte nach dem Leibarzt des Fürsten. Indessen
trocknete der Kammerdiener seinen armen unglücklichen Herrn ab mit
saubern Handtüchern, legte ihn ins Bett, bedeckte ihn mit seidenen
Kissen, so daß nur das kleine verschrumpfte Gesichtchen sichtbar
blieb.

Hinein trat nun das Fräulein von Rosenschön. Sie hatte erst, der
Himmel weiß, auf welche Art, das Volk beruhigt. Nun schritt sie zu auf
den entseelten Zinnober, ihr folgte die alte Liese, des kleinen Zaches
leibliche Mutter. - Zinnober sah in der Tat hübscher aus im Tode, als
er jemals in seinem ganzen Leben ausgesehen. Die kleinen Äugelein
waren geschlossen, das Näschen sehr weiß, der Mund zum sanften Lächeln
ein wenig verzogen, aber vor allen Dingen wallte das dunkelbraune Haar
in den schönsten Locken herab. Über das Haupt hin strich das Fräulein
den Kleinen, und in dem Augenblick blitzte in mattem Schimmer ein
roter Streif hervor.

"Ha," rief das Fräulein, indem ihr die Augen vor Freude glänzten, "ha,
Prosper Alpanus! - hoher Meister, du hältst Wort! - Verbüßt ist sein
Verhängnis und mit ihm alle Schmach!"

"Ach," sprach die alte Liese, "ach du lieber Gott, das ist ja doch
wohl nicht mein kleiner Zaches, so hübsch hat der niemals ausgesehen.
Da bin ich doch nun ganz umsonst nach der Stadt gegangen, und Ihr habt
mir gar nicht gut geraten, mein gnädiges Fräulein!" -

"Murrt nur nicht, Alte," erwiderte das Fräulein, "hättet Ihr nur
meinen Rat ordentlich befolgt, und wäret Ihr nicht früher, als ich
hier war, in dies Haus gedrungen, alles stünde für Euch besser. - Ich
wiederhole es, der Kleine, der dort tot im Bette liegt, ist gewiß und
wahrhaftig Euer Sohn, Klein Zaches!"

"Nun," rief die Frau mit leuchtenden Augen, "nun wenn die kleine
Exzellenz dort wirklich mein Kind ist, so erb' ich ja wohl all die
schönen Sachen, die hier rings umherstehen, das ganze Haus mit allem,
was drinnen ist?"

"Nein," sprach das Fräulein, "das ist nun ganz und gar vorbei, Ihr
habt den rechten Augenblick verfehlt, Geld und Gut zu gewinnen. - Euch
ist, ich habe es gleich gesagt, Euch ist nun einmal Reichtum nicht
beschieden." -

"So darf ich," fuhr die Frau fort, indem ihr die Tränen in die Augen
traten, "so darf ich denn nicht wenigstens mein armes kleines Männlein
in die Schürze nehmen und nach Hause tragen? - Unser Herr Pfarrer hat
so viel hübsche ausgestopfte Vögelein und Eichkätzchen, der soll mir
meinen Klein Zaches ausstopfen lassen, und ich will ihn auf meinen
Schrank stellen, wie er da ist im roten Rock mit dem breiten Bande und
dem großen Stern auf der Brust, zum ewigen Andenken!" -

"Das ist," rief das Fräulein beinahe unwillig, "das ist ein ganz
einfältiger Gedanke, das geht ganz und gar nicht an!" -

Da fing das Weib an zu schluchzen, zu klagen, zu lamentieren. "Was
hab' ich," sprach sie, "nun davon, daß mein Klein Zaches zu hohen
Würden, zu großem Reichtum gelangt ist! - Wär' er nur bei mir
geblieben, hätt' ich ihn nur aufgezogen in meiner Armut, niemals wär'
er in jenes verdammte silberne Ding gefallen, er lebte noch, und ich
hätt' vielleicht Freude und Segen von ihm gehabt. Trug ich ihn so
herum in meinem Holzkorb, Mitleiden hätten die Leute gefühlt und mir
manches schöne Stücklein Geld zugeworfen, aber nun" -

Es ließen sich Tritte im Vorsaal vernehmen, das Fräulein trieb die
Alte hinaus, mit der Weisung, sie solle unten vor der Türe warten, im
Wegfahren wolle sie ihr ein untrügliches Mittel vertrauen, wie sie all
ihre Not, all ihr Elend mit einemmal enden könne.

Nun trat Rosabelverde noch einmal dicht an den Kleinen heran und
sprach mit der weichen bebenden Stimme des tiefen Mitleids:

"Armer Zaches! - Stiefkind der Natur! - ich hatt' es gut mit dir
gemeint! - Wohl mocht' es Torheit sein, daß ich glaubte, die äußere
schöne Gabe, womit ich dich beschenkt, würde hineinstrahlen in dein
Inneres und eine Stimme erwecken, die dir sagen müßte: 'Du bist
nicht der, für den man dich hält, aber strebe doch nur an, es dem
gleichzutun, auf dessen Fittichen du Lahmer, Unbefiederter dich
aufschwingst!' - Doch keine innere Stimme erwachte. Dein träger toter
Geist vermochte sich nicht emporzurichten, du ließest nicht nach in
deiner Dummheit, Grobheit, Ungebärdigkeit - Ach! - wärst du nur ein
geringes Etwas weniger, ein kleiner ungeschlachter Rüpel geblieben, du
entgingst dem schmachvollen Tode! - Prosper Alpanus hat dafür gesorgt,
daß man dich jetzt im Tode wieder dafür hält, was du im Leben durch
meine Macht zu sein schienst. Sollt' ich dich vielleicht gar noch
wiederschauen als kleiner Käfer - flinke Maus oder behende Eichkatze,
so soll es mich freuen! - Schlafe wohl, Klein Zaches!" -

Indem Rosabelverde das Zimmer verließ, trat der Leibarzt des Fürsten
mit dem Kammerdiener hinein.

"Um Gott," rief der Arzt, als er den toten Zinnober erblickte und
sich überzeugte, daß alle Mittel, ihn ins Leben zu rufen, vergeblich
bleiben würden, "um Gott, wie ist das zugegangen, Herr Kämmerer?"

"Ach," erwiderte dieser, "ach, lieber Herr Doktor, die Rebellion oder
die Revolution, es ist all eins, wie Sie es nennen wollen, tobte und
hantierte draußen auf dem Vorsaale ganz fürchterlich. Se. Exzellenz,
besorgt um ihr teures Leben, wollten gewiß in die Toilette
hineinflüchten, glitschten aus und" -

"So ist," sprach der Doktor feierlich und bewegt, "so ist er aus
Furcht zu sterben gar gestorben!"

Die Türe sprang auf, und hinein stürzte Fürst Barsanuph mit
verbleichtem Antlitz, hinter ihm her sieben noch bleichere
Kammerherrn.

"Ist es wahr, ist es wahr?" rief der Fürst; aber sowie er des Kleinen
Leichnam erblickte, prallte er zurück und sprach, die Augen gen Himmel
gerichtet, mit dem Ausdruck des tiefsten Schmerzes: "O Zinnober!" -
Und die sieben Kammerherrn riefen dem Fürsten nach: "O Zinnober!" und
holten, wie es der Fürst tat, die Schnupftücher aus der Tasche und
hielten sie sich vor die Augen.

"Welch ein Verlust," begann nach einer Weile des lautlosen Jammers der
Fürst, "welch ein unersetzlicher Verlust für den Staat! - Wo einen
Mann finden, der den Orden des grüngefleckten Tigers mit zwanzig
Knöpfen mit _der_ Würde trägt, als mein Zinnober! - Leibarzt, und Sie
konnten mir _den_ Mann sterben lassen! - Sagen Sie - wie ging das
zu, wie mochte das geschehen - was war die Ursache - woran starb der
Vortreffliche?" -

Der Leibarzt beschaute den Kleinen sehr sorgsam, befühlte manche
Stellen ehemaliger Pulse, strich das Haupt entlang, räusperte sich
und begann: "Mein gnädigster Herr! Sollte ich mich begnügen, auf der
Oberfläche zu schwimmen, ich könnte sagen, der Minister sei an dem
gänzlichen Ausbleiben des Atems gestorben, dies Ausbleiben des Atems
sei bewirkt durch die Unmöglichkeit Atem zu schöpfen, und diese
Unmöglichkeit wieder nur herbeigeführt durch das Element, durch den
Humor, in den der Minister stürzte. Ich könnte sagen, der Minister sei
auf diese Weise einen humoristischen Tod gestorben, aber fern von mir
sei diese Seichtigkeit, fern von mir die Sucht, alles aus schnöden
physischen Prinzipien erklären zu wollen, was nur im Gebiet des rein
Psychischen seinen natürlichen unumstößlichen Grund findet. - Mein
gnädigster Fürst, frei sei des Mannes Wort! - Den ersten Keim des
Todes fand der Minister im Orden des grüngefleckten Tigers mit zwanzig
Knöpfen!" -

"Wie," rief der Fürst, indem er den Leibarzt mit zornglühenden Augen
anfunkelte, "wie! - was sprechen Sie? - der Orden des grüngefleckten
Tigers mit zwanzig Knöpfen, den der Selige zum Wohl des Staats mit so
vieler Anmut, mit so vieler Würde trug? - _der_ Ursache seines Todes?
- Beweisen Sie mir das, oder - Kammerherrn, was sagt ihr dazu?"

"Er muß beweisen, er muß beweisen, oder" - riefen die sieben blassen
Kammerherrn, und der Leibarzt fuhr fort:

"Mein bester gnädigster Fürst, ich werd' es beweisen, also kein
_oder_! - Die Sache hängt folgendermaßen zusammen: Das schwere
Ordenszeichen am Bande, vorzüglich aber die Knöpfe auf dem Rücken
wirkten nachteilig auf die Ganglien des Rückgrats. Zu gleicher Zeit
verursachte der Ordensstern einen Druck auf jenes knotige fadichte
Ding zwischen dem Dreifuß und der obern Gekröspulsader, das wir das
Sonnengeflecht nennen, und das in dem labyrinthischen Gewebe der
Nervengeflechte prädominiert. Dies dominierende Organ steht in der
mannigfaltigsten Beziehung mit dem Zerebralsystem, und natürlich war
der Angriff auf die Ganglien auch diesem feindlich. Ist aber nicht die
freie Leitung des Zerebralsystems die Bedingung des Bewußtseins, der
Persönlichkeit, als Ausdruck der vollkommensten Vereinigung des Ganzen
in einem Brennpunkt? Ist nicht der Lebensprozeß die Tätigkeit in
beiden Sphären, in dem Ganglien- und Zerebralsystem? - Nun! genug,
jener Angriff störte die Funktionen des psychischen Organism. Erst
kamen finstre Ideen von unerkannten Aufopferungen für den Staat durch
das schmerzhafte Tragen jenes Ordens u.s.w., immer verfänglicher
wurde der Zustand, bis gänzliche Disharmonie des Ganglien- und
Zerebralsystems endlich gänzliches Aufhören des Bewußtseins,
gänzliches Aufgeben der Persönlichkeit herbeiführte. Diesen Zustand
bezeichnen wir aber mit dem Worte _Tod_! - Ja, gnädigster Herr! - der
Minister hatte bereits seine Persönlichkeit aufgegeben, war also schon
mausetot, als er hineinstürzte in jenes verhängnisvolle Gefäß. - So
hatte sein Tod keine physische, wohl aber eine unermeßlich tiefe
psychische Ursache." -

"Leibarzt," sprach der Fürst unmutig, "Leibarzt, Sie schwatzen nun
schon eine halbe Stunde, und ich will verdammt sein, wenn ich eine
Silbe davon verstehe. Was wollen Sie mit Ihrem Physischen und
Psychischen?"

"Das physische Prinzip," nahm der Arzt wieder das Wort, "ist die
Bedingung des rein vegetativen Lebens, das psychische bedingt dagegen
den menschlichen Organism, der nur in dem Geiste, in der Denkkraft das
Triebrad der Existenz findet."

"Noch immer," rief der Fürst im höchsten Unmut, "noch immer verstehe
ich Sie nicht, Unverständlicher!"

"Ich meine," sprach der Doktor, "ich meine, Durchlauchtiger, daß das
Physische sich bloß auf das rein vegetative Leben ohne Denkkraft, wie
es in Pflanzen stattfindet, das Psychische aber auf die Denkkraft
bezieht. Da diese nun im menschlichen Organism vorwaltet, so muß der
Arzt immer bei der Denkkraft, bei dem Geist anfangen und den Leib nur
als Vasallen des Geistes betrachten, der sich fügen muß, sobald der
Gebieter es will."

"Hoho!" rief der Fürst, "hoho, Leibarzt, lassen Sie das gut sein! -
Kurieren Sie meinen Leib, und lassen Sie meinen Geist ungeschoren,
von dem habe ich noch niemals Inkommoditäten verspürt. Überhaupt,
Leibarzt, Sie sind ein konfuser Mann, und stünde ich hier nicht an der
Leiche meines Ministers und wäre gerührt, ich wüßte, was ich täte! -
Nun Kammerherrn! vergießen wir noch einige Zähren hier am Katafalk des
Verewigten und gehen wir dann zur Tafel."

Der Fürst hielt das Schnupftuch vor die Augen und schluchzte, die
Kammerherrn taten desgleichen, dann schritten sie alle von dannen. Vor
der Türe stand die alte Liese, welche einige Reihen der allerschönsten
goldgelben Zwiebeln über den Arm gehängt hatte, die man nur sehen
konnte. Des Fürsten Blick fiel zufällig auf diese Früchte. Er blieb
stehen, der Schmerz verschwand aus seinem Antlitz, er lächelte mild
und gnädig, er sprach: "Hab' ich doch in meinem Leben keine solche
schöne Zwiebeln gesehen, die müssen von dem herrlichsten Geschmack
sein. Verkauft Sie die Ware, liebe Frau?"

"O ja," erwiderte Liese mit einem tiefen Knix, "o ja, gnädigste
Durchlaucht, von dem Verkauf der Zwiebeln nähre ich mich dürftig,
so gut es gehn will! - Sie sind süß wie purer Honig, belieben Sie,
gnädigster Herr?"

Damit reichte sie eine Reihe der stärksten glänzendsten Zwiebeln dem
Fürsten hin. Der nahm sie, lächelte, schmatzte ein wenig und rief
dann: "Kammerherrn! geb' mir einer einmal sein Taschenmesser her." Ein
Messer erhalten, schälte der Fürst nett und sauber eine Zwiebel ab und
kostete etwas von dem Mark.

"Welch ein Geschmack, welche Süße, welche Kraft, welches Feuer!" rief
er, indem ihm die Augen glänzten vor Entzücken, "und dabei ist es mir,
als säh' ich den verewigten Zinnober vor mir stehen, der mir zuwinkte
und zulispelte: 'Kaufen Sie - essen Sie diese Zwiebeln, mein Fürst
- das Wohl des Staats erfordert es!'" - Der Fürst drückte der alten
Liese ein paar Goldstücke in die Hand, und die Kammerherrn mußten
sämtliche Reihen Zwiebeln in die Taschen schieben. Noch mehr! -
er verordnete, daß niemand anders die Zwiebellieferung für die
fürstlichen Dejeuners haben sollte als Liese. So kam die Mutter des
Klein Zaches, ohne gerade reich zu werden, aus aller Not, aus allem
Elend, und gewiß war es wohl, daß ihr ein geheimer Zauber der guten
Fee Rosabelverde dazu verhalf.

Das Leichenbegängnis des Ministers Zinnober war eins der prächtigsten,
das man jemals in Kerepes gesehen; der Fürst, alle Ritter des
grüngefleckten Tigers folgten der Leiche in tiefer Trauer. Alle
Glocken wurden gezogen, ja sogar die beiden Böller, die der Fürst
behufs der Feuerwerke mit schweren Kosten angeschafft, mehrmals
gelöst. Bürger - Volk - alles weinte und lamentierte, daß der Staat
seine beste Stütze verloren und wohl niemals mehr ein Mann von
dem tiefen Verstande, von der Seelengröße, von der Milde, von dem
unermüdlichen Eifer für das allgemeine Wohl, wie Zinnober, an das
Ruder der Regierung kommen werde.

In der Tat blieb auch der Verlust unersetzlich; denn niemals fand
sich wieder ein Minister, dem der Orden des grüngefleckten Tigers mit
zwanzig Knöpfen so an den Leib gepaßt haben sollte, wie dem verewigten
unvergeßlichen Zinnober.



Letztes Kapitel

Wehmütige Bitten des Autors. - Wie der Professor Mosch Terpin sich
beruhigte und Candida niemals verdrießlich werden konnte. - Wie ein
Goldkäfer dem Doktor Prosper Alpanus etwas ins Ohr summte, dieser
Abschied nahm und Balthasar eine glückliche Ehe führte.

Es ist nun an dem, daß der, der für dich, geliebter Leser, diese
Blätter aufschreibt, von dir scheiden will, und dabei überfällt ihn
Wehmut und Bangen. - Noch vieles, vieles wüßte er von den merkwürdigen
Taten des kleinen Zinnober, und er hätte, wie er denn nun überhaupt zu
der Geschichte aus dem Innern heraus unwiderstehlich angeregt wurde,
wahre Lust daran gehabt, dir, o mein Leser, noch das alles zu
erzählen. Doch! - rückblickend auf alle Ereignisse, wie sie in den
neun Kapiteln vorgekommen, fühlt er wohl, daß darin schon so viel
Wunderliches, Tolles, der nüchternen Vernunft Widerstrebendes
enthalten, daß er, noch mehr dergleichen anhäufend, Gefahr laufen
müßte, es mit dir, geliebter Leser, deine Nachsicht mißbrauchend, ganz
und gar zu verderben. Er bittet dich in jener Wehmut, in jenem Bangen,
das plötzlich seine Brust beengte, als er die Worte: "Letztes Kapitel"
schrieb, du mögest mit recht heitrem, unbefangenem Gemüt es dir
gefallen lassen, die seltsamen Gestaltungen zu betrachten, ja sich
mit ihnen zu befreunden, die der Dichter der Eingebung des spukhaften
Geistes, Phantasus geheißen, verdankt, und dessen bizarrem, launischem
Wesen er sich vielleicht zu sehr überließ. - Schmolle deshalb nicht
mit beiden, mit dem Dichter und mit dem launischen Geiste! - Hast
du, geliebter Leser, hin und wieder über manches recht im Innern
gelächelt, so warst du in der Stimmung, wie sie der Schreiber dieser
Blätter wünschte, und dann, so glaubt er, wirst du ihm wohl vieles
zugute halten! -

Eigentlich hätte die Geschichte mit dem tragischen Tode des kleinen
Zinnober schließen können. Doch ist es nicht anmutiger, wenn statt
eines traurigen Leichenbegängnisses eine fröhliche Hochzeit am Ende
steht?

So werde denn noch kürzlich der holden Candida und des glücklichen
Balthasars gedacht. -

Der Professor Mosch Terpin war sonst ein aufgeklärter, welterfahrner
Mann, der dem weisen Spruch: Nil admirari gemäß sich seit vielen,
vielen Jahren über nichts in der Welt zu verwundern pflegte. Aber
jetzt geschah es, daß er, all seine Weisheit aufgebend, sich immer
fort und fort verwundern mußte, so daß er zuletzt klagte, wie er nicht
mehr wisse, ob er wirklich der Professor Mosch Terpin sei, der ehemals
die natürlichen Angelegenheiten im Staate dirigiert, und ob er noch
wirklich, Kopf in die Höhe, auf seinen lieben Füßen einherspaziere.

Zuerst verwunderte er sich, als Balthasar ihm den Doktor
Prosper Alpanus als seinen Oheim vorstellte und dieser ihm die
Schenkungsurkunde vorwies, vermöge der Balthasar Besitzer des eine
Stunde von Kerepes entfernten Landhauses nebst Waldung, Äcker und
Wiesen wurde; als er in dem Inventario, kaum seinen Augen trauend,
köstliche Gerätschaften, ja Gold- und Silberbarren erwähnt gewahrte,
deren Wert den Reichtum der fürstlichen Schatzkammer bei weitem
überstieg. Dann verwunderte er sich, als er den prächtigen Sarg, in
dem Zinnober lag, durch Balthasars Lorgnette anschaute, und es ihm
auf einmal war, als habe es nie einen Minister Zinnober, sondern nur
einen kleinen ungeschlachten, ungebärdigen Knirps gegeben, den man
fälschlicherweise für einen verständigen, weisen Minister Zinnober
gehalten.

Bis auf den höchsten Grad stieg aber Mosch Terpins Verwunderung, als
Prosper Alpanus ihn im Landhause umherführte, ihm seine Bibliothek und
andere sehr wunderbare Dinge zeigte, ja selbst einige sehr anmutige
Experimente machte mit seltsamen Pflanzen und Tieren.

Dem Professor ging der Gedanke auf, es sei wohl mit seinem
Naturforschen ganz und gar nichts, und er säße in einer herrlichen
bunten Zauberwelt wie in einem Ei eingeschlossen. Dieser Gedanke
beunruhigte ihn so sehr, daß er zuletzt klagte und weinte wie ein
Kind. Balthasar führte ihn sofort in den geräumigen Weinkeller, in dem
er glänzende Fässer und blinkende Flaschen erblickte. Besser als in
dem fürstlichen Weinkeller, meinte Balthasar, könne er hier studieren
und in dem schönen Park die Natur hinlänglich erforschen.

Hierauf beruhigte sich der Professor.

Balthasars Hochzeit wurde auf dem Landhause gefeiert. Er - die Freunde
Fabian - Pulcher - alle erstaunten über Candidas hohe Schönheit, über
den zauberischen Reiz, der in ihrem Anzuge, in ihrem ganzen Wesen
lag. - Es war auch wirklich ein Zauber, der sie umfloß, denn die
Fee Rosabelverde, die, allen Groll vergessend, der Hochzeit als
Stiftsfräulein von Rosenschön beiwohnte, hatte sie selbst gekleidet
und mit den schönsten, herrlichsten Rosen geschmückt. Nun weiß man
aber wohl, daß der Anzug gut stehen muß, wenn eine Fee dabei Hand
anlegt. Außerdem hatte Rosabelverde der holden Braut einen prächtig
funkelnden Halsschmuck verehrt, der eine magische Wirkung dahin
äußerte, daß sie, hatte sie ihn umgetan, niemals über Kleinigkeiten,
über ein schlecht genesteltes Band, über einen mißratenen Haarschmuck,
über einen Fleck in der Wäsche oder sonst verdrießlich werden konnte.
Diese Eigenschaft, die ihr der Halsschmuck gab, verbreitete eine
besondere Anmut und Heiterkeit auf ihrem ganzen Antlitz.

Das Brautpaar stand im höchsten Himmel der Wonne, und - so herrlich
wirkte der geheime weise Zauber Alpans - hatte doch noch Blick und
Wort für die Herzensfreunde, welche versammelt. Prosper Alpanus und
Rosabelverde, beide sorgten dafür, daß die schönsten Wunder den
Hochzeitstag verherrlichten. Überall tönten aus Büschen und Bäumen
süße Liebeslaute, während sich schimmernde Tafeln erhoben mit den
herrlichsten Speisen, mit Kristallflaschen belastet, aus denen der
edelste Wein strömte, welcher Lebensglut durch alle Adern der Gäste
goß.

Die Nacht war eingebrochen, da spannen sich feuerflammende Regenbogen
über den ganzen Park, und man sah schimmernde Vögel und Insekten,
die sich auf und ab schwangen, und wenn sie die Flügel schüttelten,
stäubten Millionen Funken hervor, die in ewigem Wechsel allerlei holde
Gestalten bildeten, welche in der Luft tanzten und gaukelten und im
Gebüsch verschwanden. Und dabei tönte stärker die Musik des Waldes,
und der Nachtwind strich daher, geheimnisvoll säuselnd und süße Düfte
aushauchend.

Balthasar, Candida, die Freunde erkannten den mächtigen Zauber Alpans,
aber Mosch Terpin, halb berauscht, lachte laut und meinte, hinter
allem stecke niemand anders, als der Teufelskerl, der Operndekorateur
und Feuerwerker des Fürsten.

Schneidende Glockentöne erhallten. Ein glänzender Goldkäfer schwang
sich herab, setzte sich auf Prosper Alpanus' Schulter und schien ihm
leise etwas ins Ohr zu sumsen.

Prosper Alpanus erhob sich von seinem Sitz und sprach ernst und
feierlich: "Geliebter Balthasar - holde Candida - meine Freunde! - Es
ist nun an der Zeit - Lothos ruft - ich muß scheiden." -

Darauf nahte er sich dem Brautpaar und sprach leise mit ihnen. Beide,
Balthasar und Candida, waren sehr gerührt, Prosper schien ihnen
allerlei gute Lehren zu geben, er umarmte beide mit Inbrunst.

Dann wandte er sich an das Fräulein von Rosenschön und sprach
ebenfalls leise mit ihr - wahrscheinlich gab sie ihm Aufträge in
Zauber- und Feen-Angelegenheiten, die er willig übernahm.

Indessen hatte sich ein kleiner kristallner Wagen, mit zwei
schimmernden Libellen bespannt, die der Silberfasan führte, aus den
Lüften hinabgesenkt.

"Lebt wohl - lebt wohl!" rief Prosper Alpanus, stieg in den Wagen
und schwebte empor über die flammenden Regenbogen hinweg, bis sein
Fuhrwerk zuletzt in den höchsten Lüften erschien wie ein kleiner
funkelnder Stern, der sich endlich hinter den Wolken verbarg.

"Schöne Mongolfiere," schnarchte Mosch Terpin und versank, von der
Kraft des Weines übermannt, in tiefen Schlaf.

- Balthasar, der Lehren des Prosper Alpanus eingedenk, den Besitz
des wunderbaren Landhauses wohl nutzend, wurde in der Tat ein guter
Dichter, und da die übrigen Eigenschaften, die Prosper rücksichts der
holden Candida an dem Besitztum gerühmt, sich ganz und gar bewährten,
Candida auch niemals den Halsschmuck, den ihr das Stiftsfräulein von
Rosenschön als Hochzeitsgabe beschert, ablegte, so konnt' es nicht
fehlen, daß Balthasar die glücklichste Ehe in aller Wonne und
Herrlichkeit führte, wie sie nur jemals ein Dichter mit einer hübschen
jungen Frau geführt haben mag -

So hat aber das Märchen von Klein Zaches genannt Zinnober nun wirklich
ganz und gar ein fröhliches

                            Ende.








End of the Project Gutenberg EBook of Klein Zaches, genannt Zinnober, by 
E. T. A. Hoffmann

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KLEIN ZACHES, GENANNT ZINNOBER ***

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are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The
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1.F.

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effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
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without further opportunities to fix the problem.

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LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

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warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
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limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

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including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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