Die Bekanntschaft auf der Reise

By Charlotte von Ahlefeld

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Charlotte von Ahlefeld

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Title: Die Bekanntschaft auf der Reise

Author: Charlotte von Ahlefeld

Release Date: September 4, 2014 [EBook #46767]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE BEKANNTSCHAFT AUF DER REISE ***




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                              Die

                 Bekanntschaft auf der Reise.


                    Eine wahre Geschichte.


                         Berlin, 1801.
                  Bei Johann Friedrich Unger.




                      Journal der Romane.


                        Drittes Stück.


                          _Inhalt_:

        1. Die Bekanntschaft auf der Reise. Eine wahre
           Geschichte.

        2. Autun und Manon. Eine Erzählung.

                  [Illustration: Dekoration]


                        Berlin, 1801.
                _Bei Johann Friedrich Unger._




                              Die

                 Bekanntschaft auf der Reise.

                  [Illustration: Dekoration]

                    Eine wahre Geschichte.


Es war ein schwüler Tag. -- Die Sonne verbarg sich hinter graues
Gewölk, das ein Gewitter verkündigte. -- Das feierliche Schweigen der
Natur verwandelte sich plötzlich in einen fürchterlichen Sturm, der
den Staub der einsamen Landstraße, auf der ich reiste, als ein Spiel
seiner Leidenschaft in finstern Wolken vor mir hertrieb. -- Immer
dunkler und dunkler wurde der Horizont, nur bisweilen schauerlich von
schnellen Blitzen erleuchtet, die ein dumpfer Donnerschlag begleitete.
Ich glaubte mich fern von jedem schützenden Obdach -- um so freudiger
begrüßte mein Blick ein kleines Dorf, das sich am Fuß einer waldigten
Anhöhe in den kühlen Schatten einiger Linden romantisch versteckte.
Ernster und lauter rollte der Donner über mir, und da, ehe wir das
Dorf noch erreichten, ein ganz ansehnliches Landhaus aus einem
Kranz schwankender Pappeln hervortrat, so entschloß ich mich, hier
abzusteigen, und einen heiterern Himmel zu erwarten, den mir vielleicht
die nächste Stunde schon geben konnte.

Ein Paar gesunder, blühender Kinder spielte an der offenen Thür,
lächelnd und sorglos, wie man die Unschuld mahlt. Mein Wagen hielt
in einiger Entfernung -- ich näherte mich ihnen, und frug nach ihren
Eltern. Die Kleinen blickten mich freundlich an, und zeigten auf die
Hausthür. Da sich kein Erwachsener sehen ließ, so ging ich hinein. --

Es war nur eine einfache, ländliche Wohnung, über deren Schwelle
ich schritt, aber sie machte einen angenehmern Eindruck auf mich,
als mancher stolze Pallast, den ich schon in meinem Leben betreten
hatte. Ordnung, wenn sie nicht pedantisch und übertrieben ist, wirkt
wohlthätig auf jedes unverwahrlosete Gemüth, und hier verbreitete sie,
mit der größten Reinlichkeit verbunden, ihren mildesten Zauber über
die einfache Einrichtung des kleinen Hauswesens, das ich übersah. Die
simple, aber rührende Melodie eines geistlichen Liedes, von einer
reinen weiblichen Stimme gesungen, tönte leise und gedämpft aus dem
stillen Wohnzimmer mir entgegen.

Ich klopfte an, und ein schönes Mädchen von höchstens vier und zwanzig
Jahren kam heraus, und erwiederte meinen Gruß mit unwiderstehlicher
Anmuth. Es giebt Physiognomien, die beim ersten Anblick einnehmen, weil
sie den Stempel der Güte und Unschuld tragen; -- mit einer solchen
hatte die Natur in einer ihrer liebevollsten Launen die Bewohnerin
dieses Hauses beschenkt, und ich betrachtete sie einige Momente mit
Wohlgefallen und Antheil, ehe ich sie anredete. Sie schien mir eine
holde Blume, an deren Innern aber ein Wurm nagt, der ihre Schönheit
früher zu entblättern droht, als die Hand der Zeit, die sie kaum
vollendete. Die Ruhe ihres Blicks war so innig mit jener rührenden
Schwermuth verschmolzen, die ein langer, tiefer Gram erzeugt, und über
alle ihre regelmäßigen Züge hatte ein so entschiedener Kummer seinen
Schleier ausgebreitet, daß ich keinen Augenblick anstehen konnte, in
ihrem Herzen eine noch ernstere Trauer zu vermuthen, als ihr Gesicht
verrieth. Ihr häuslicher Anzug bezeichnete jene goldne Mittelmäßigkeit
des Standes, die in ihren engen Gränzen oft das reinste Glück des
Lebens umschließt. Er war eben so weit von unsauberer Nachlässigkeit
als von allzuzierlicher Eitelkeit entfernt, und stellte leicht und
ungezwungen ihre schlanke reizende Gestalt in all' der Anmuth dar, die
sie schmückte.

Das herannahende Gewitter nöthigt mich, sagt' ich zu ihr, Zuflucht in
Ihrem Hause zu suchen. Darf ich wohl einige Stunden hier verweilen, bis
es vorüber gezogen ist? -- --

Recht gern, versetzte sie. Zwar ist meine Familie so groß, daß wir kaum
für uns selbst Raum haben -- aber es wäre unfreundlich, eine Reisende,
und überdieß eine Dame, bei diesem stürmischen Wetter abzuweisen.
Sie nöthigte mich nun, ins Zimmer zu treten, und ging hinaus, um
für meine Leute und Pferde ebenfalls Anstalten zum Unterkommen zu
treffen. Die Wohnstube, in der ich mich jetzt umsah, war nur klein,
aber durch die gleichsam mechanische Ordnung, nach welcher jede Sache
ihren angemessenen Platz hatte, schien sie mir geräumig genug, und
rechtfertigte die vortheilhafte Idee, die ich mir schon beim Eintritt
in das Haus von der Reinlichkeit der Besitzer desselben gemacht hatte.
Ich setzte mich in einen hölzernen Stuhl -- nach einer kleinen Weile
kam meine artige Wirthin wieder herein, und führte mit mütterlicher
Sorgfalt und Zärtlichkeit die beiden Kinder, die ich vorhin hatte
spielen sehn.

Die arglosen, lieben Geschöpfe! sagte sie, indem ihr Blick voll
Innigkeit auf ihnen ruhte -- sie lächeln dem Blitz eben so fröhlich
entgegen, wie der Sonne, unbekümmert, ob die nächste Minute sie tödtet,
weil ihre beneidenswerthe Unwissenheit selbst den Gefahren, die ihnen
drohen, eine lachende Farbe giebt. Ach das sind doch die glücklichsten
Jahre des menschlichen Lebens! --

Der Seufzer, der diese letzten Worte begleitete, fand sein Echo
in meinem Busen. -- Sind das _Ihre_ Kinder? frug ich, da ich den
schwermüthigen Gedanken nicht nachhängen wollte, die ihre Anmerkung
in mir erweckt hatte. -- Nein, antwortete sie, und eine feine Röthe
überzog ihr blasses Gesicht. Sie gehören meiner Schwester, die mit
ihrem Mann und ihren übrigen Kleinen heut in die benachbarte Stadt zum
Jahrmarkt gefahren ist. Ich bin unverheirathet. --

Dieß nahm mich Wunder. Wirklich, mein Kind, sagt' ich zu ihr, die
jungen Mannspersonen müssen hier einen sehr sonderbaren Geschmack
haben, wenn sie sich nicht bestreben, Sie zu besitzen. -- Als ich
sie bei diesen Worten ansah, bemerkt' ich einen Ausdruck in ihrer
Miene, der mich bereuen ließ, was ich gesprochen hatte. Ich fühlte
mit Beschämung, daß ihre Empfindung feiner war, als meine Bemerkung.
Unglückliche Umstände, versetzte sie ernst, haben mich bewogen, ledig
zu bleiben. Und meine Stimmung ist jetzt so, daß ich wenig dadurch zu
entbehren glaube. Ich theile die Mutterfreuden meiner Schwester, und
vielleicht ist mein Genuß reiner und ungetrübter als der ihrige, da
ihre Sorgen mir weniger nah am Herzen liegen. Oft, wenn ich von der
innigsten Theilnahme durchdrungen, sie am Krankenbett ihrer Lieblinge
zittern und weinen sah, dacht' ich: was würd' ich nicht erst leiden,
wenn es meine eignen Kinder wären -- Kinder eines Mannes, den ich
liebte! -- Sie schwieg -- ihr Auge feuchtete sich -- zuletzt floß es
über, und um mir die Thräne zu verbergen, die es trübte, senkte sie es
still zur Erde.

Es war nicht Neugierde allein, es war auch Antheil, der den Wunsch in
mir erregte, mit ihren Schicksalen näher bekannt zu werden. Nicht durch
gewöhnliche Ereignisse des Lebens war ihre Wange so bleich, ihr Ton so
traurig geworden -- nur ein gewaltsamer Sturm konnte die jugendliche
Heiterkeit eines Herzens vernichtet haben, das so voll hoher Unschuld
ihr aus den Augen blickte. Aber sie schien nicht zu einer vertraulichen
Mittheilung geneigt zu seyn -- bloß durch einen Zufall erfuhr ich, daß
man sie Justine nannte.

Das Gewitter lösete sich in einen fürchterlichen Regen auf, und da
mein leichter Reisewagen mich nicht ganz zu schützen im Stande gewesen
wäre, so gab ich willig Justinens Zureden nach, und entschloß mich,
noch länger zu verweilen, da es ohne dieß noch hoch am Tage war.
Ermüdet von der vorigen schlaflosen Nacht, die ich im Wagen zugebracht
hatte, that ich ihr den Vorschlag, eine halbe Stunde zu ruhen, und voll
reizender Gefälligkeit führte sie mich in ihre Kammer. Höchst angenehm
waren die Empfindungen, mit denen ich sie betrat. Die edle Einfalt,
die simple Eleganz, die hier alles athmete, that meinem Auge wohl, und
die Reinlichkeit und Ordnung, die überall herrschte, verrieth mir,
daß sie Justine mit unter die Bedürfnisse des Lebens zählte, da sie
diese liebenswürdigen Tugenden so schön und leicht zu üben verstand.
Zwischen den beiden Fenstern, von dunkeln Gardinen umschattet, hing
über einem zierlichen Arbeitstisch der Schattenriß eines Mannes, und
in die grüne Schleife, die ihn an die schlichte weiße Wand befestigte,
war eine verwelkte Rose gewunden. Seitwärts stand das Bett, mit dem
reinsten Leinenzeuge versehen. Nur ein einziger Stuhl befand sich im
Zimmer (es dünkte mich eine klösterliche Zelle zu seyn) -- dem stillen,
ungestörten Asyl, das hoffnungslose Trauer nur für sich allein sich
wählte.

Justine schien mein fragendes Auge zu übersehen. -- Sie verließ mich
mit dem Wunsche wohl zu ruhen, und ich blieb allein. Wirklich fand ich
in der halben Stunde, die ich, wiewohl ohne zu schlafen, auf dem Bette
lag, die nöthige Erholung. Als ich wieder aufstand, war der Himmel
heiterer -- mild und leise säuselte der Regen noch aus einer einzigen
grauen Wolke herab, die mitten in dem klaren Blau des Himmels schwebte,
und bald vorüberzog. Ich öffnete das Fenster -- die Luft war abgekühlt
und rein. In dem kleinen Garten, den ich vor mir hatte, erhoben die
Blumen neu belebt ihre schmachtenden Kelche wieder, und die Sonne,
noch halb versteckt, gab dem Ganzen eine reizende Beleuchtung. Lange
stand ich so da, verlohren in dem lieblichen Anblick, und in einem Meer
von Gedanken, als der Schattenriß zwischen den Fenstern mir von neuem
und bedeutender als das erstemahl in die Augen fiel. Ich trat näher
hinzu, ihn anzusehn, und fand ein so interessantes, ausdrucksvolles
Profil, daß ich es lange mit stillem Antheil betrachtete. Auch die
verblichene Rose erregte meine Aufmerksamkeit -- irgend ein geheimer
Sinn, dacht' ich, muß mit ihr verbunden seyn, weil sie Justine so
sorgsam aufbewahrt, wie ein Heiligthum der Liebe! -- Die Thür öffnete
sich, und Justine, die ein Geräusch vernommen hatte, kam herein, um
nach mir zu sehn. Einige Verlegenheit war sichtbar in ihren Zügen, als
sie mich so tief beschäftigt mit ihrem Schattenriß antraf. Doch verlohr
sie sich, als ich ihre Hand ergriff, und sie theilnehmend drückte.
Diese Blume, sagt' ich zu ihr, ist Ihnen gewiß sehr theuer, da sie noch
jetzt Ansprüche auf Ihre Sorgfalt hat, wo der Reichthum ihres Gartens
Ihnen Gelegenheit giebt, ihre Stelle schöner zu ersetzen. Schöner wohl,
erwiederte sie mit einem angenehmen Lächeln, nur sanft und zart mit
stiller Wehmuth vermischt -- schöner wohl, aber der ganze blühende
Frühling ist meinem Herzen nicht so viel werth, als diese einzige,
längst verwelkte Rose, die mich an die glücklichsten Tage meines
Lebens erinnert. Kein Thau, kein Regen giebt ihr ihre frische Schönheit
wieder -- und keine Zukunft _mir_ meine ehemalige Heiterkeit -- -- so
kommen mir unsre Schicksale verschwistert vor, und ich liebe sie auch
deshalb; -- doch ist das meinige bittrer, denn der kurze Lenz ihres
Daseyns ging ihr _bewußtlos_ vorüber -- aber in meiner Brust kann nur
der Tod das Andenken meiner Leiden verlöschen. --

Wenn das innigste Mitgefühl sie lindern kann, Justine! sagt' ich, und
wenn Sie die Erinnerung an Ihren Kummer nicht zu traurig macht, o so
entdecken Sie mir, welches Mißgeschick Sie so grausam um die Freuden
Ihrer Jugend betrog. Sie wissen zwar noch nicht, ob ich Ihr Vertrauen
verdiene, aber ich schwöre Ihnen, daß es mir heilig ist.

Meine Geschichte ist kein Geheimniß, antwortete Justine. Die ganze
Gegend kennt sie, und -- das Publikum, dem ich Jahrelang zum Inhalt
seiner Gespräche diente, ist eben so wohl von den kleinsten Umständen
unterrichtet, als ich. Als ich jede Möglichkeit verlohr, glücklich
zu seyn, da war es mir völlig gleichgültig, was die Welt von mir
dachte. Ich beschloß, die Ursach meines Elends tief in meine Brust
zu verschließen, damit zu dem Gram über den ich brütete, sich noch
der Haß und die Verachtung der Menschen gesellten, und so in nagender
Verbindung mit einander mich früher in das Grab führten, wohin ich
mich sehnte. Nur als ich einsah, daß meine Rechtfertigung ein kleiner
Trost für meine gekränkte, sterbende Mutter war -- nur da willigte ich
in ihre letzten Bitten, und stellte mein Schicksal meinen Freunden
einfach und ungeschmückt im Gewande der Wahrheit dar. Wenn die
Erzählung desselben Sie nicht ermüdet, so bin ich herzlich bereit, sie
Ihnen zu geben. Zwar ruft sie manche harte Stunde aus dem Dunkel der
Vergangenheit, aber sie führt mich auch in die schönsten Zeiten meinen
Lebens zurück, und das eine entschädigt mich für das andre.

Einige Meilen von hier liegt Mühlberg -- so heißt das kleine Dorf, wo
ich gebohren ward. -- Ihr Weg hat Sie hindurch geführt -- dicht am
Kirchhofe geht die Landstraße vorbey. Ein weißer Leichenstein blinkt
durch die dunkeln Fliederbäume, die ihn umgeben -- er bedeckt das Grab
meines Vaters. Neben ihm schlummert auch meine Mutter -- sie überlebte
ihn nur ein Jahr.

Mein Vater war Schulmeister in Mühlberg. Sein Dienst, verbunden mit
einer, für uns nicht unbeträchtlichen Einnahme, die ihm sein eignes
Vermögen gewährte, reichte vollkommen hin, uns bei wenig Bedürfnissen
und einer eingeschränkten ländlichen Haushaltung frohe Tage zu
verschaffen. Auch trug die Güte mit der wir von der Gutsherrschaft,
einer biedern adelichen Wittwe, behandelt wurden, viel dazu bei, unser
einsames Leben angenehm zu machen. Sie war meine Pathe -- täglich mußte
ich schon als Kind bei ihr seyn, und sie suchte mit mütterlicher Treue
mein Gefühl zu bilden, meinen Verstand aufzuklären, und vor allen
Dingen meinem Charakter und meinen Grundsätzen jene Festigkeit zu
geben, die uns allein, selbst im bittersten Schmerze, auf der Bahn der
Tugend erhält.

Meine Schwester, welche sechs Jahr älter ist als ich, diente ihr als
Kammerjungfer. Färber, ein junger Mensch, der die Ökonomie des Guts
besorgte, verliebte sich in sie. Ihr Herz war längst sein -- sie
entdeckten sich der gnädigen Frau, und diese, die so gern gute Menschen
glücklich sah, gab ihre Einwilligung zur Heirath und eine ansehnliche
Summe, mit welcher mein Schwager ohne Schwierigkeit diese vortheilhafte
Pachtung übernahm, und nun ganz in der Lage war, die er sich wünschte,
um meine Schwester heirathen zu können.

Ich war damahls sechszehn Jahr. Noch -- wie des gestrigen erinnere ich
mich des Tags, wo ich mit Thränen von meiner Schwester schied, die
ihrer Bestimmung folgte, und fröhlich mit dem Manne ihres Herzens in
die Ferne zog. Zwar nur ein Raum von wenig Meilen lag zwischen uns,
aber doch war er noch immer zu groß für die Liebe, mit der ich an ihr
hing. Du weinst um Philippinen, sagte die gnädige Frau, als sie meinen
Schmerz bemerkte. Auch ich empfinde ihren Verlust, doch der Gedanke,
daß sie glücklich ist, macht mich wieder heiter, und auch Dich, mein
Kind, wird er nach den ersten Tagen ihrer Abwesenheit freundlich über
ihre Entfernung trösten. -- Trennung ist nun einmahl das Loos des
menschlichen Lebens, und wenn uns nur kein Unglück von unsern Lieben
scheidet, so läßt sie sich mit leichtem Muthe ertragen. Ich sehe dem
Augenblick entgegen, wo auch Du von mir ziehen wirst, und doch -- so
ungern ich Dich auch entbehren würde, so würde ich doch -- und müßte
es schon morgen seyn -- Dir eben so wenig Hindernisse in den Weg
legen, wie Deiner Schwester, denn der Beruf eines Mädchens ist, eine
glückliche Gattin, eine gute Mutter zu seyn.

Tief prägten sich diese Worte in meine Seele, und wenn die Zukunft in
der schönsten Gestalt vor mir stand, die ihr meine Fantasie zu geben
vermochte, so waren immer die Vorstellungen: glückliche Gattin und
Mutter, mit in die süßen Bilder verschmolzen, die ich mir von meinen
kommenden Tagen entwarf.

Ich zog nun an Philippinens Stelle zu meiner Wohlthäterin, aber leider
nur, um ihr durch die zärtlichste Pflege drei traurige Wochen hindurch
so viel Dankbarkeit zu bezeugen, als in meinen Kräften stand. Eine
schmerzliche Krankheit überfiel die edle Frau, und ihr Leben verlohr
sich in eine dumpfe Bewußtlosigkeit, viel zu früh für alle die, die sie
umgaben.

Mein Kummer war so groß, wie mein Verlust. Ich kehrte in das Haus
meiner Eltern zurück, und obgleich der beständige Umgang mit der
gnädigen Frau, und die Sorgfalt, die sie auf meine Erziehung verwandt,
mir vielleicht einen höhern Grad von Bildung verliehen hatte, als
ich in dem Kreise der Meinigen fand, so wurde es mir doch leicht, die
Pflichten meines damaligen Standes zu erfüllen. Die herzliche Güte
meiner Eltern, die ich zärtlich liebte, diente mir immer mehr und
mehr zur Aufmunterung, ihnen ihr Alter leicht und bequem zu machen.
So gingen zwei Jahre ruhig hin -- ich lebte still und einsam, und war
zufrieden. -- --

Einst im Sommer, an einem heißen Nachmittage, saß ich unter dem
Nußbaum, der meines Vaters Wohnung beschattete, und -- sah bei
meiner Arbeit allmählig der Zurückkunft meiner Eltern entgegen, die
zu einem Hochzeitsschmause gegangen waren. Auf einmahl hörte ich
ein Geräusch von Pferden, das mir immer näher kam. Endlich bogen
zwei Reiter um den Gartenzaun, um den der Weg sich krümmte, und im
mäßigen Trab, doch scharf ihre Blicke auf mich geheftet, ritten sie
vor mir vorüber. Der erste trug eine glänzende Uniform von Scharlach,
goldene Tressen schmückten seinen Hut, und sein Pferdegeschirr, das
prächtig im Sonnenschein funkelte, verrieth -- wenn auch nicht einen
geschmackvollen, doch einen reichen Mann. Der andre, (hier wurde
die Erzählerin roth) der andre schien sein Jäger zu seyn. Einfach
war sein grüner Frack, aber er bedeckte die schönste Gestalt, die
ich je erblickte. Keine Tressen glänzten auf seinem Hute -- nur ein
hoher grüner Federbusch warf seinen schwankenden Schatten über das
ausdrucksvolle, herrliche Gesicht, und milderte den Glanz der schönen
schwarzen Augen, mit denen er fest auf den meinigen ruhte. Ich sah
ihnen lange nach -- plötzlich wandte der Erste sein Pferd, und spornte
es zurück nach mir. Dürft' ich Dich wohl um ein Glas Milch bitten,
mein schönes Kind! sagte er mit abgezogenem Hute. Der Tag ist schwül,
und Dein freundliches Gesicht läßt mich hoffen, daß Du gastfrey seyst.
Der Jäger hielt in einiger Entfernung. Er zog den Hut nicht ab, doch
lag in allen seinen Mienen ein gewisses Etwas, das mich grüßte, ein
Etwas, das mein Herz mit süßen Ahndungen bewegte, ob ich es gleich
nicht zu nennen wußte.

Ich stand bereitwillig auf, die Bitte des Fremden zu erfüllen. In eben
dem Moment war er vom Pferde, das er dem Jäger zu halten gab, und nun
folgte er mir in's Haus, wo ich ihm nicht ohne einige Verlegenheit die
Thür unseres Wohnzimmers öffnete. Rasch flog ich nun die Treppe in
den Keller hinunter, und als ich mit der Milch wieder herauf stieg,
begegnete mir fest und liebend Lorenzens Blick, (so hieß der Jäger,)
der sich, den Zügel des Pferdes in der Hand, an der offenen Hausthüre
lehnte.

Ach, fuhr Justine mit gerührter Stimme fort, lange Jahre, Jahre
voll herzzerreissenden Kummers liegen zwischen diesem Blick und der
Gegenwart, aber noch immer macht seine Erinnerung alle meine Nerven
erbeben, -- noch immer strahlt er mir entgegen mit dem vollen Ausdruck
des Antheils und der Liebe, die er mich leise errathen ließ, und nur,
wenn dies Herz einst in Staub zerfällt, wird es das Andenken jener
kostbaren Minute verlieren, das in allen guten und bösen Stunden meines
Schicksals beglückend mich umschwebte, -- -- oder wenigstens doch
mildernd.

Ich fing an zu zittern, -- in meiner Brust, die noch keinem Manne
entgegen geschlagen hatte, regten sich mit süßem Schauder die
Erstlingsgefühle der Liebe. Ich bot ihm das Glas, -- lächelnd schlug
er es aus, und sagte: es ist ja für meinen Herrn bestimmt. -- Nehm
Er es nur, -- ich hole Seinem Herren ein anderes, versetzt' ich, und
erröthend reicht' ich es ihm wieder. Ich wollte gehn, aber er ergriff
meine Hand, und mit einer Rührung, die ihm ach so gut stand, sagte er:
Liebes, liebes Mädchen, Du scheinst so brav zu seyn, -- bleib es immer,
und der Himmel wird Dir's lohnen. Ein Geräusch an der Thür unterbrach
ihn, und erinnerte mich an seinen Herrn. Eilig flog ich fort, um seine
Ungeduld nicht zu erregen, aber mein ganzes, besseres Ich blieb bei
Lorenz zurück.

Als ich mit der Milch ins Zimmer trat, kam mir der Herr im
Scharlachrock mit einer widrigen Freundlichkeit entgegen. Du hast
mich lange warten lassen, mein Kind, sagte er mit glänzenden Augen,
die einen unangenehmen Eindruck auf mich machten, weil sie mich an die
schöneren Augen erinnerten, die ich eben jetzt, wider meinen Willen,
verlassen hatte. Dafür sollst Du mir auch Gesellschaft leisten, und
mir erzählen, wer Du bist, was Deine Eltern treiben, und ob man nicht
mit Geld und gutem Willen Deine Lage verbessern kann. Mich dünkt, Du
bist viel zu hübsch und artig für die Dürftigkeit, in der ich Dich
finde, und wenn Du den Antheil eines zwar neu erworbenen, aber gewiß
herzlichen Freundes benutzen willst, so kannst Du über mich gebieten.

Ich war zwar nicht im Überfluß, aber doch in einem unserm Stande
angemessenen Wohlstand aufgewachsen, und dünkte mir nichts weniger, als
arm zu seyn. Lachend versicherte ich dieß dem Fremden, und setzte ihm
die Vermögensumstände meiner Eltern in dem hellen Licht auseinander,
in dem sie mir selbst erschienen. Er hörte mich verwunderungsvoll an.
Es ist wahr, sagte er ernst, Du bist reicher, als ich dachte, denn die
Zufriedenheit mit Deinem Schicksal ist ein Schatz, den kein Königreich
erkaufen oder bezahlen kann.

Nachdenkend ging er auf und nieder, nur dann und wann traf mich sein
forschender Seitenblick, und jagte eine schüchterne Röthe auf meine
Wange, denn das unlautere Feuer, die tückische Arglist, die in ihm
brannte, war nicht geschaffen, mir Vertrauen einzuflößen, ob ich
gleich in der glücklichen Unerfahrenheit meines Herzens sie noch nicht
für sichere Kennzeichen einer verworfenen Seele hielt. Es konnte
ihm unmöglich entgehen, daß mir seine Gegenwart peinlich war, aber
demungeachtet gab er mir beim Abschied die Versicherung, nächstens
wieder zu kommen, um die Bekanntschaft meiner Eltern zu machen. Ich
bin der Kammerherr Mehrfeld von Spillingen, sagte er zu mir, als er
schon zu Pferde saß, denke zuweilen an mich, mein Kind! Er begleitete
diese Worte mit einem glühenden Blick, und ritt dann vorüber. Lorenz
zögerte noch. Wenn ein günstiger Zufall meinen Namen in Dein Gedächtniß
zurückruft, fragte er, wirst Du Dich dann gern und freundlich meiner
erinnern? -- Der Ton seiner Stimme, der tiefes Gefühl verrieth, weckte
das meinige zu stiller Wehmuth, die ich mir selbst nicht enträthseln
konnte. Ich reichte ihm meine Hand und schwieg; -- mir war das Weinen
so nahe! -- Er drückte sie sanft, und schwang sich mit einem Seufzer
aufs Pferd. Dann gab er ihm die Spornen, und sprengte dahin. -- Mir
war, als müßt' ich ihn halten. -- Ich trat mitten auf die Landstraße,
und blickte ihm nach, so lange ich konnte. Durch eine neidische
Krümmung des Weges verlohr ich ihm bald aus den Augen, aber darum nicht
aus dem Sinn. Schwermüthig ging ich zurück, -- sein Bild schwebte immer
um mich mit dem ganzen, einfachen Zauber der Wahrheit und der Liebe.

Sehn Sie, sprach Justine, indem sie das Fenster öffnete, und mir durch
eine Lücke ihres Gartenzaun's einen waldigten Berg zeigte, der in dem
blauen Nebel der Entfernung gehüllt, in tiefer Perspective der Aussicht
Gränzen zog, sehn Sie den weißen Punkt da oben am Gipfel jener Anhöhe?
Das ist Schloß Spillingen, wo ich so glücklich, und ach! so unglücklich
war! Dort lebte der Kammerherr des Sommers, -- den Winter über fesselte
ihn sein Dienst und seine Neigung an die Residenz.

Selbst wenn die schwarzen Augen des schönen Jägers nicht so allgewaltig
in mein Herz gedrungen wären -- selbst dann hätte ich wohl oft an diese
kleine Begebenheit gedacht, die den stillen Gang meines gewöhnlichen
Lebens auffallend unterbrach. So bald meine Eltern nach Hause kamen,
erzählt' ich ihnen den Besuch des Kammerherrn; aber ich weiß selbst
nicht, warum es mir unmöglich war, auch Lorenzo's zu erwähnen. Ich
konnte mich nicht überwinden, von ihm zu sprechen, und doch war er
der Inbegriff aller meiner Gedanken, und die Hauptfigur auf der Tafel
meiner zärtlichsten Erinnerungen. Mangel an Vertrauen zu meinen Eltern
war es nicht, was mich zurückhielt, denn ich hing mit kindlicher
Offenheit und Liebe an ihnen -- aber dennoch, so sehr auch mein
beklommenes Herz Erleichterung bedurfte, dennoch versagt' ich sie mir
durch das tiefste, festeste Schweigen, das mir auf der einen Seite süß,
auf der andern aber drückend war.

Meines Vaters Lieblingsbeschäftigung war Blumengärtnerei. Ihr widmete
er alle seine Nebenstunden, und wenn sein beschwerliches Amt ihn
bisweilen ermüdet, oder verstimmt hatte, so fand er am sichersten bei
seinen Blumen gute Laune und Erholung wieder. Vorzüglich sorgfältig
wartete er eine Nelkenflor ab, die sein höchster Stolz und seine
höchste Freude war, und die für den Liebhaber, selbst für den Kenner
viel Werth hatte. Wenn dann und wann jemand bei uns einsprach, und es
war Sommer, so pflegte er seine Gäste gern sogleich in den Garten zu
führen, und mit frohen Blicken belauschte er die Bewunderung, die sie
seinen Zöglingen zollten. Unermüdbar war er dann, den Namen einer
jeden Nelke zu nennen, und die Erfahrungen mitzutheilen, die er sich
durch seinen genauen Umgang mit der Natur und durch seine aufmerksamen
Beobachtungen erworben hatte. Auch mocht' er gern von den Sorten
sprechen, die ihm noch fehlten, und dankbar nahm er jede Belehrung
und jede Bemerkung auf, die in sein Lieblingsfach paßte. Er war zwar
immer gegen mich voll Güte und väterlicher Liebe, aber nie nannte er
mich in einem zärtlichern Tone seine liebe Justine, als wenn ich mich
beschäftigte seine Blumen zu pflegen, wenn ich Wasser zum Begießen
herbei trug, oder sonst Antheil und Freude an ihnen bezeigte.

Wenig Tage nach jener, mir unvergeßlichen Bekanntschaft saß ich still
bei meiner Mutter und arbeitete. In die rosenfarbnen Träume, mit denen
die Liebe so gern spielt, mischten sich dunkle, melancholische Farben,
denn ich fing an zu zweifeln, daß Lorenz sich eben so warm für mich
interessirte, wie ich mich für ihn; -- was würde ihn sonst abhalten,
dacht' ich mißmüthig, auf den Flügeln der Sehnsucht zu mir zu eilen,
wenn sein Herz dem Wiedersehn eben so innig entgegen klopfte, wie das
meine. -- Daß diese Besorgniß, durch manche liebliche widersprechende
Ahndung versüßt, nicht geschaffen war, mich in eine gesprächige
Stimmung zu versetzen, ist wohl natürlich, und eben war meine Mutter im
Begriff, mich um die Ursach meines ungewöhnlichen Stummseyns zu fragen,
als mein Vater mit dem freundlichsten Gesicht von der Welt zu uns in's
Zimmer trat.

Denkt Euch nur, rief er frohlockend, ich werde noch die Freude haben,
daß meine Nelkenflor weit und breit berühmt wird. Der Kammerherr
Mehrfeld, der doch selbst, wie man sagt, auf seinem Gute Spillingen
die schönsten Garten-Anlagen, und eine vollkommene Blumensammlung hat,
ist neugierig geworden, die meinige zu sehn, da er sie allenthalben
loben hört. Binnen einer Stunde wird er nebst seiner Gemahlin hier
seyn -- dies meldete mir eben sein Jäger, ein feiner Mensch, den er
vorausgeschickt hat, zu fragen, ob ich zu Hause wäre.

Meine Mutter schob ernst das Spinnrad weg, und schüttelte den Kopf. Der
Kammerherr war ihr durch den Ruf längst als ein Mann von schlechten
Sitten bekannt. Daß er im Vorüberreiten sich von mir ein Glas Milch
geben ließ, da ich ihm gleichsam begegnete, hatte sie nicht auffallend
gefunden; aber daß er so lange bei mir verweilte -- daß er so gar sein
Geld und seinen guten Willen mir antrug, und schon damahls, wo er
noch kein Wort von unsern Nelken wußte, einen baldigen Besuch gegen
mich erwähnte, den er uns zu machen wünschte -- das hatte sie, als ich
es ihr gleich nachher erzählte, mit einem bedeutenden Kopfschütteln
beantwortet, das jetzt, als sie es wiederholte, noch stärkere
Schattirungen von Mißtrauen an sich trug, wie das erstemahl. Der
Zusatz: mit seiner Gemahlin, verscheuchte indessen wieder die Falten
aus ihrem Gesicht, und sie eilte so sehr als ich, um Anstalten zum
Empfang unsrer vornehmen Gäste zu machen.

Die frohste Empfindung meines Lebens durchdrang mein Innres mit
all' den Entzückungen, die Hoffnung und Gewißheit im freundlichen
Wechsel dem liebenden Herzen gewähren können, das alle seine Wünsche
in einen einzigen zusammendrängt, der seiner schönen Erfüllung sich
nähert. Ich werde ihn wiedersehn! -- dieser Gedanke verschlang jede
andre Vorstellung, und wiegte mich in himmlisch süße Fantasieen. Die
schwarzen herrlichen Augen, mit denen er so tief in meine Seele blickte
-- ich sah sie vor mir, wie er sie sanft und zärtlich unter den dunklen
Wimpern empor schlug -- ich übersetzte ihren rührenden Ausdruck in
Worte, und es war ein Bekenntniß der Liebe, dem mein ganzes Wesen mit
leiser Sehnsucht, mit glühender Leidenschaft entgegen wallte. Ich
werde ihn wiedersehn! -- diese liebliche Aussicht trieb mich in meine
Kammer, und mit eben so viel Eil als Sorgfalt legte ich mein bestes
Sonntagskleid an -- und als ich den Wagen heranrollen hörte, und durch
die zugezogne Gardine meines Fensters den geliebten Lorenz erblickte,
der ihn zu Pferde begleitete -- da warf ich noch einmahl einen Blick
der Unzufriedenheit, daß ich nicht hübscher war, in meinen kleinen
Spiegel, und dann trat ich hervor, und hieß den Kammerherrn und seine
Gemahlin willkommen.

Diese letztere war eine schöne Frau, die durch ihre Gestalt und ihre
Manieren beim ersten Anblick eine günstigere Meinung erregte, als
ihre Denkungsart bei näherer Bekanntschaft verdiente. Ihr Umgang mit
der großen Welt hatte der Herablassung, mit der sie geringere Leute
zu behandeln pflegte, etwas unendlich feines und anmuthiges gegeben.
Jede Verlegenheit, die aus ungleichen Verhältnissen entsteht, wußte
sie mit ihrer einnehmenden Freundlichkeit aus dem Kreise zu entfernen,
der sie umgab, und ob gleich ihr Verstand weder sehr gebildet noch
lebhaft war, so machte doch ihre geistreiche Miene, daß man selbst die
alltäglichsten Einfälle, die sie hatte, immer für witziger und feiner
hielt, als sie wirklich waren.

Kaum hatte mich der Kammerherr bemerkt, als er seiner Frau einen
leichten Wink nach mir hin gab, wobei er ihr einige Worte auf
französisch sagte. Sie sah mich lange mit ihren hellen, forschenden
Augen an, und theilte dann das schlaue Lächeln, das auf ihren Lippen
schwebte, unter ihn und mich. Beide führten noch einige Minuten ein
sehr lebhaftes Gespräch, und ob ich es gleich nicht verstand, so sagten
mir doch ihre Blicke und mein Gefühl, daß ich der Inhalt desselben war.
Es endigte sich mit einem Kuß, den der Kammerherr zärtlich auf ihre
Hand drückte -- hierauf folgten sie meinem Vater, der vor gutmüthiger
Ungeduld brannte, ihnen seine Schätze zu zeigen, und meine Mutter und
ich begleiteten sie in den Garten.

Der Kammerherr gab sich die Mine eines Kenners -- um so mehr
schmeichelte der laute entschiedene Beifall, mit dem er alles
überhäufte, was er sah, und die bewunderungsvollen frohen Ausrufungen
der gnädigen Frau vollendeten den Triumph meines Vaters, den die
Lobsprüche, die man ihm ertheilte, in die heiterste Stimmung
versetzten. So ungern er sonst seine Blumen einem andern Schicksal als
ihrem langsamen Verblühen, Preis gab, so machte er diesmahl doch eine
Ausnahme, und hieß mir, die schönsten derselben in einen Straus winden,
um ihn der Kammerherrin zu überreichen. Ich flog an's Nelkenbeet und
erfüllte sein Verlangen, nur _eine_ Nelke -- mein Liebling unter allen
-- einfach an Farbe, aber von herrlichem Geruch -- -- diese brach ich
für mich, und behielt sie zurück, weil ich eine schönere Bestimmung
für sie ahndete. Mir war, als stände Lorenz vor mir, und verlangte sie
mit flehendem Blicke, als ein Unterpfand meiner Gunst. Ich barg sie
tief in meinen Busen, den seelige Hoffnungen schwellten, -- Hoffnungen,
die in das Morgenroth der Liebe getaucht, kaum in der Erfüllung so
süß, wie in ihrem Entstehen sind, -- -- und mit eilenden, und dennoch
zögernden Schritten ging ich ins Haus, wo mich sein Anblick erwartete.

Den Ausdruck eines herzlichen, arglosen Vertrauens in seinen Zügen kam
er mir freundlich entgegen. Theure, liebe Justine! sagte er, denn er
hatte meinen Namen nennen hören, -- ich freue mich sehr, Dich wieder
zu sehn! -- Der Ton seiner Stimme bekräftigte dieß, und drang wie
eine schöne Melodie tief und lieblich in meine Seele. Ich mich auch,
versetzt' ich leise, und stand vor ihm mit gesenktem Auge, -- Wir
wechselten noch einige Worte, -- ich weiß nicht mehr, welche. Mein
Herz klopfte voll süßer Betäubung, -- auch Er schien innig bewegt.
Ohne zu wissen, wie? hielt ich die Nelke in der Hand, und als ich
aufsah, bemerkt' ich, daß er eine Rosenknospe von seinem Hute nahm. Wir
blickten uns lange schweigend an, -- sein Auge bat, -- ich reichte ihm
die Blume hin, die in meinen Händen zitterte, -- er gab mir dafür die
Rose, und ich preßte sie mit Innigkeit an meine Brust; -- es war, als
hätte sich der Tausch der Blumen auch über unsre Herzen erstreckt! --

Dieß ist jene Rose, fuhr Justine mit dem stillen Ernst der Wehmuth
fort, und wieß auf den Schattenriß, mit dem sie verbunden war. Heilig
hob ich sie auf, als ob mir damahls ahndete, daß mir nicht viel von den
schönen Tagen übrig bleiben würde, die sich an diese köstliche Stunde
knüpften, und die eben so schnell als unaufhaltsam vorüber flohn. Lange
Zeit, -- als ich noch nicht so ruhig war, als jetzt, -- konnte ich sie
nicht ohne Thränen sehen; endlich aber besänftigte sich mein Schmerz,
und seitdem hab' ich manchen angenehmen Augenblick in ihrem Anschauen
zugebracht. Wenn dann die Reihe meiner süßesten Erinnerungen sich
glänzend aus der trüben Vergangenheit erhob, o dann schlug ich mein
Auge, zwar feucht, doch ruhig gen Himmel, und dachte: Du hast mir viel
Freuden gegeben, -- darf ich murren, daß Du mir sie wieder genommen
hast, da es das Loos eines jeden Sterblichen ist, Glück und Unglück zu
tragen, wie Deine Vaterhand es austheilt. -- Dieser Gedanke goß Frieden
in meine Seele, wenn sie auch zuweilen noch stürmte, und immer rufe ich
ihn mir zurück, wenn eine Klage wider die Härte meines Schicksals in
mir laut werden will.

Die Minuten, von denen ich jetzt spreche, gehören mit unter die
glücklichsten meines Lebens. Lorenz war mir näher getreten, -- seine
Wangen glühten, -- seine Augen strahlten ein Feuer, das rein wie sein
Herz, glühend wie seine Liebe mein Inneres sympathetisch durchströmte.
Er faßte meine Hand, -- willig ließ ich sie ihm, und erwiederte leise
den Druck der seinigen. In einem süßem Vergessen meiner selbst verlohr
ich die ganze Welt, -- verlohr ich Vergangenheit und Zukunft aus den
Augen, -- nur die Gegenwart fühlte ich, die wie ein Engel der Freude
mir lächelte. Lorenz drückte mich an seine schlagende Brust, und der
erste Kuß, den ich noch je von einem Manne, außer meinem Vater empfing,
verschloß meine brennenden, schweigenden Lippen, die sich vergeblich zu
reden bemühten.

Mir war höchst sonderbar. Wir hatten so wenig zusammen gesprochen,
und dennoch war ohne Worte eine Vertraulichkeit unter uns entstanden,
in der ich zwar nichts strafbares fand, die mich aber doch erröthen
machte, da ich mir nicht erklären konnte, wie es zugegangen war. --
Ich werde Dich nun öfter sehn, Justine! sagte Lorenz, aber so sehr ich
auch dieß wünsche, so gefällt mir doch die Art und Weise nicht, wie es
geschehen soll. Weißt Du, daß Dich die gnädige Frau als Kammerjungfer
zu sich nehmen will?

Mich? rief ich voll Erstaunen. Sie hat mich ja heute zum erstenmahl
gesehen. --

Das thut nichts, antwortete Lorenz mit einem bittern Lächeln, dafür hat
Dich der Kammerherr zweimahl gesehen, und mich dünkt, schon einmahl ist
genug, um sich in Dich zu verlieben.

Und wenn dieß auch wäre, versetzt' ich verlegen, so würde dieß doch
gewiß kein Bewegungsgrund für die gnädige Frau seyn, mich in ihre
Dienste zu nehmen.

Du kennst die Welt noch nicht, gutes, unschuldiges Geschöpf! sagte
Lorenz, aber in unserem Hause wirst Du sie kennen lernen, und wenn
auch gleich von einer schlechten Seite, doch gewiß nicht zu Deinem
Nachtheil. Denn das unverdorbene Herz, das Dir aus den Augen blickt,
wird Dich die Künste der Verführung verachten lehren, und je mehr
Du dort Gelegenheit hast, das Laster zu beobachten, je fester wirst
Du Dich an die Tugend ketten. Selbst die schönen, entschuldigenden
Namen, die man sogar den abscheulichsten Verbrechen giebt, werden
Dich nicht blenden, und Beispiele, die andre unwiderstehlich mit sich
dahin reißen, werden für Dein edles Gemüth nur Bilder der Warnung
seyn. Es ist Sitte unter vielen vornehmen Leuten, die sich nicht aus
Liebe, sondern aus Ehrgeiz, oder um des Geldes willen, geheirathet
haben, sich gar nicht um einander bekümmern, und sich keineswegs zu
stören, oder Zwang anzuthun, sie mögen nun etwas gutes oder etwas böses
im Sinn haben. Auf einen solchen Fuß lebt der Kammerherr mit seiner
Gemahlin. Sie hat immer ihren erklärten Liebhaber. Kömmt dieser, so
ist der Herr so galant, ihm Platz zu machen; er verreiset -- oder
kommt ihm wenigstens nicht zur ungelegenen Zeit in den Weg. Dazu
gehört nun freilich viel Gefälligkeit, denn die gnädige Frau ist sehr
veränderlich, und wechselt fast mit jedem Mondenlicht ihre Anbeter.
Aber dafür ist sie auch dankbar, und thut wieder alles mögliche, was
sein Vergnügen vermehren kann. Mit ihrer Bewilligung hält er sich
immer eine, oder auch mehrere Maitressen, und nicht selten führt sie
selbst die armen Schlachtopfer seiner Wollust entgegen, die sein
gieriges Auge sich ersehen hat. Sie lobt oder tadelt seinen Geschmack
ganz unpartheiisch, und findet es höchst spaßhaft, daß sie meistens
alle drei Vierteljahr genöthigt ist, eine andre Kammerjungfer zu
nehmen. -- Warum ist sie denn dazu genöthigt? fragt' ich mit aller
der Unschuld meines damaligen Alters, die noch kein Blick in die
verdorbenen Sitten der großen Welt entweiht hatte. Lorenz wurde roth
-- er schlug die Augen nieder, und besann sich. O wie verschönert
Bescheidenheit den Mann wie das Weib! Diese Bemerkung macht' ich bald
darauf, als der Sinn seiner vorigen Rede sich klärer mir entwickelte.
Justine! sprach er verlegen -- ich kann Dir nicht deutlich sagen,
warum? Die Ausschweifungen des Kammerherrn -- -- denk Dir das übrige,
und wenn Deine reine Seele keine so schmutzigen Vorstellungen zu fassen
vermag, so begnüge Dich damit, mir zu glauben, daß der Kammerherr ein
sehr schlechter, und für die meisten Deines Geschlechts gefährlicher
Mann ist.

Meine Wangen waren mit den seinigen erröthet; -- ich suchte dem
Gespräch eine andre Wendung zu geben. Ist's aber auch Recht, sagt' ich
zu ihm, daß Er so freimüthig die Fehler Seines Herrn entschleiert? --

Wenn ich es thue, versetzte er sanft und ernst, so geschieht es, weil
die Wahrheit mir heilig ist, sie mag Tugenden oder Laster beleuchten,
und weil ich es nicht einer bittern Erfahrung überlassen will, Dir
den Abgrund zu zeigen, den Du _kennen_ mußt, um ihn zu vermeiden. O
Justine, fuhr er mit einem Seufzer fort, es ist hart -- sehr hart für
mich, einem Menschen dienen zu müssen, den ich verachte. Härter noch
ist's von dem Verhängniß, daß es alle Macht, mich zu beglücken eben
in _die_ Hände legte, aus denen ich so ungern Wohlthaten empfange.
Doch nein -- ich übereilte mich. Ich that dem Schicksal Unrecht.
-- Mehr Macht, als ihm, gab es _Dir_ im ersten Augenblick unserer
Bekanntschaft, über das Wohl oder Wehe meiner Zukunft zu entscheiden. O
laß mich hören, wie Du sie anwenden willst? --

Er stand vor mir mit liebetrunknen, gerührten, strahlenden Blicken,
und hielt meine bebenden Hände zwischen den seinen. Ich verstand seine
Frage, denn das liebende Herz, das in seinen Augen sich mahlte, war
für das meine kein Räthsel mehr -- aber Schaam und Schüchternheit
verschlossen meine Lippen, und so gingen einige Momente schweigend,
aber unvergeßlich glücklich vorüber. Nun, Justine! sagt' er leiser, da
ich nicht antwortete, willst Du mir kein Wort der Hoffnung sagen? -- Du
hast mich verstanden -- ich seh es an Deinem Erröthen. Darf ich hoffen,
wenn einst eine günstige Wendung meiner Lage mir ein ruhiges Plätzchen
giebt, was uns beide ernähren kann -- darf ich hoffen, daß Du es dann
mit mir theilen wirst? --

Die Offenheit seines Wesens, und die Zärtlichkeit, die in dem Tone
seiner schönen, kraftvollen Stimme lag, lockte süße Thränen in mein
Auge. Verstellung war mir fremd -- und hätte ich sie auch gekannt
-- diese Minute war zu heilig, um hinter ihrem neblichten Schleier
die mächtigen, großen Gefühle zu verbergen, die meine Seele auf den
Schwingen der Liebe zu ihm erhob. Unwillkührlich breiteten sich statt
einer Antwort meine Arme aus -- ich fühlte sie innig von den seinigen
umschlungen, und an seine Brust geschmiegt, meine heiße Wange bedeckt
von seinen Küssen, wand die Umarmung mit der ich ihn an mich schloß,
zum heiligen Schwure, der ihm Liebe und Treue gelobte.

Wir kehrten endlich aus den höhern Regionen, in denen wir schwärmten,
zur wirklichen Welt zurück -- aber wie verändert schien mir diese
seit dem seligen Augenblick, der unsre Herzen vereinigt hatte.
In ungetrübter Klarheit, wie in einem Lichtmeer schwammen alle
Gegenstände, die mich umgaben; Liebe und Hoffnung strahlten ihren
goldenen Schimmer auf die Zukunft, die mir sonst nur in nächtliches
Dunkel gehüllt, erschienen war.

Aber Lorenz, sagt' ich endlich, und ohne zu wissen wie es zuging,
verlohr sich das schüchterne Er, mit dem ich ihn zuerst angeredet
hatte, in das vertrauliche, süße Du der hingebenden Liebe, -- kannst Du
mir wohl dazu rathen, daß ich einwilligen soll, wenn die gnädige Frau
mir anträgt, ihr zu dienen? Nach der Schilderung, die Du mir von ihrem
häuslichen Leben entworfen hast, schaudert mir vor dem Gedanken, mit
hinein verwickelt zu werden. Ich bin zu einfach -- krumme Wege kann ich
nicht gehen, und wenn sie selbst zu Glanz und Reichthum führten. Auch
ist mir es unmöglich, von außen kalt zu seyn, wenn in meinem Innern
warme Empfindungen sich regen. Ich werde es verrathen, daß ich Dich
liebe -- ich werde den Kammerherrn mit Abscheu zurückweisen, wenn er es
wagt, mir unanständige Anträge zu thun -- -- ich werde seiner Gemahlin
nicht verhehlen können, daß ich ihre Gesinnungen und ihre Lebensart
verachte -- -- mit einem Wort, ich tauge nicht unter Menschen, die ich
nicht schätzen kann.

Entzückt drückte Lorenz seine warmen Lippen auf meine Hand. O Justine!
rief er aus, wenn Du wüßtest, wie sehr ich Dich liebte, Du müßtest
mir für das hohe Vertrauen danken, daß ich in Deine Tugend setze, und
mit dem ich Dich bitte, allen den Stürmen, die dir entgegen brausen
werden, zum Trotz, dennoch nach Spillingen zu ziehn. Es ist das
einzige Mittel, uns künftig sehen zu können, denn meine jetzige Lage
erlaubt mir noch nicht, öffentlich um Dich zu werben. Mein Dienst ist
streng, und verstattet mir nur höchst selten eine freie Stunde, und
auch diese nicht, ohne daß meine übrigen Verhältnisse meinen Willen
nicht auf's äußerste beschränkten. Wollte ich auch des Nachts zu Dir
eilen, so könnte dieß nur mit der größten Behutsamkeit von Deiner und
meiner Seite geschehen, und wenn irgend ein Lauscher es ahndete, so
wär' es mit dem Verlust Deines guten, unbescholtenen Rufs verbunden,
der mir noch theurer ist, als der meine. Der Kammerherr hat bisher
meistens nur mit gemeindenkenden leichtsinnigen Dirnen zu thun gehabt,
die seinen Wünschen auf halbem Wege entgegen kamen. Der Widerstand,
den ein _edles_ Mädchen dem Laster thut, ist ihm fremd, und wird ihn
wenigstens beschämen, wenn auch nicht bessern. Überdieß haben wir
dort Gelegenheit, uns täglich zu sehn, ohne den mindesten Verdacht zu
erregen, und bei der kleinsten Gefahr, die ich für Dich ahnde, werd'
ich Maßregeln treffen, Dich zu retten, kost' es mir auch was es wolle.
Selbst die vortheilhaften Aussichten und Hoffnungen, auf die ich jetzt
in Gedanken unser künftiges Glück baue -- selbst die werd' ich mit
frohem Muthe Dir opfern, wenn es Deine Sicherheit verlangt. -- Seine
Augen fingen an zu blitzen -- Kraft und Entschlossenheit erhoben seine
Stimme. -- Ja, fuhr er dann fort, indem er mich heftig mit beiden
Armen umschloß -- selbst wenn ich genöthigt wäre, jedes Verhältniß zu
zerreißen, das mir ehedem heilig war -- hier an diesem Herzen würde ich
dennoch, auch in der bittersten Armuth Ersatz finden, wenn es nehmlich
nie aufhört, mich zu lieben!

Der männliche, ernste Muth seines Ton's knüpfte mich mit den Banden
des innigsten Vertrauens an sein Wesen. Und wäre die Welt in diesem
Augenblick zu Grunde gegangen, -- heiter hätte ich _neben ihm_ auf
ihren Trümmern gestanden, und mit stolzer Zuversicht auf seine Kraft,
Werke der Allmacht von seinen Händen gefordert. -- --

Die Stimme meiner Mutter, die mich rief, endigte unsre Unterredung.
Ich hüpfte froh und sorgenlos in den Garten, denn mit der Gewißheit,
geliebt zu seyn, flammte alles um mich her im Sonnenglanz jener
trügerischen Hoffnung, welche in dem Frühling der Liebe und des
Lebens uns schmeichelt, daß seine Blüthen unverwelklich duften, und
daß kein Sturm sie zu entblättern vermag. Muthig glaubt' ich allen
Widerwärtigkeiten, -- selbst der dunkelsten Zukunft, -- trotzen zu
können, und dieß hohe überspannte Zutrauen in die Kräfte meines Herzens
und meiner Seele gab mir eine Heiterkeit, die mich zum beneiden
glücklich machte.

In einer Hollunderlaube des Gartens hatten sich die Herrschaften
niedergelassen. -- Der Kammerherr suchte die Freude über seinen schon
halb gelungenen Plan hinter einer gleichgültigen Miene zu verbergen,
die ihm aber nicht recht glücken wollte. Die Frau spielte mit ihrem
Arbeitsbeutel, und lächelte mir freundlich entgegen. Auch mein Vater
blickte mich mit Wohlgefallen und Zufriedenheit an, -- nur das ernste
Gesicht meiner ehrwürdigen Mutter verrieth mir Spuren der Bekümmerniß,
die ihr Herz meinetwegen empfand. Komm näher, liebes Mädchen, sagte die
Kammerherrin, komm näher und entscheide. Ich habe den bösen Vorsatz,
Dich zu entführen, weil ich glaube, daß Anlagen in Dir stecken, die
eine Entwickelung verdienen, und die Dich weiter bringen können, als
Dein verborgenes Leben hier unter den Deinigen. Ich will Dich mit mir
nehmen, und wenn Du Dich gut aufführst, werd' ich treulich für Dich
sorgen. Dein Vater ist mit meinem Plan zufrieden, -- nur Deine Mutter
hat noch Bedenklichkeiten, die Du aber leicht widerlegen kannst, wenn
Du nur Lust hast, zu mir zu ziehen.

Ich war verlegen. Der Gedanke an Lorenz mußte in diesem Augenblicke der
Thräne weichen, die über die Wange meiner guten Mutter floß, und alle
meine Gefühle in Bewegung brachte. Aber bald behauptete sein Bild in
mir die Herrschaft der wahren Liebe, die alles opfern kann, nur sich
selbst nicht, -- und selbst von der mütterlichen Wehmuth, neben die
ich es stellte, borgte es einen helleren, rührendern Glanz. Bittend
sah ich ihn vor mir stehn, und auf seinen Lippen schwebten noch die
Versicherungen, die er mir von seinem Schutz und seiner Zärtlichkeit
gab. Doch das Bewußtseyn meiner Pflichten umschleierte wenigstens den
Wunsch, den ich hatte, ohngeachtet aller Unannehmlichkeiten, die mir
drohten, nach Spillingen zu ziehn. Die Entscheidung, antwortete ich,
kommt nicht mir, sondern einzig und allein meinen Eltern zu. Ihre Güte,
ihre bessere Einsicht wird für mich wählen, was zu meinem Frieden dient.

Auf diese Art kommen wir aber niemahls aus einander, versetzte die
gnädige Frau, denn Deine Eltern sind unter sich nicht einig darüber.

Es ist das erstemahl, daß ich mit meinem Manne verschiedener Meinung
bin, sagte meine Mutter. Wir haben nur dieß einzige Kind noch um uns,
-- sie ist unsre Stütze und unsre Freude. Wenn ich Justinen auch in
der Wirthschaft entbehren könnte, wo sie mir manche Sorge abnimmt,
-- manche wenigstens mit mir theilt, -- so würde sie darum doch
nicht zu Ihnen passen, denn sie ist in allen den Geschicklichkeiten
ununterrichtet, die die Kammerjungfer einer vornehmen Dame wissen muß.

O das thut nichts, unterbrach sie die Kammerherrin lächelnd. Die
Physiognomie müßte sehr trügen, wenn die Kleine nicht Lernbegierde und
Fähigkeiten hätte. Die Mühe, sie in diesen Kenntnissen zu unterrichten,
nehm' ich gern auf mich, und ich hoffe sie soll nicht vergebens
angewendet seyn.

Ich werde Justinen eben so sehr vermissen, wie Du, sagte mein Vater zur
Mutter, indessen glaube ich, ist es unsere Pflicht, sie nicht von der
guten Versorgung abzuhalten, die sich ihr darbietet, und die vielleicht
die Grundlage ihres künftigen Glücks werden kann. Ich bin überzeugt,
wir können sie ohne Bedenklichkeit der gnädigen Frau anvertrauen. Sie
wird Nachsicht mit ihr haben, wenn sie fehlt, und im Anfang nicht zu
streng in ihren Forderungen seyn. Für Folgsamkeit und guten Willen
stehe ich.

Mancherlei Gefühle bestürmten meine Brust. -- Der Gedanke, die stille
Hütte zu verlassen, die die Wiege meiner Kindheit, der Schauplatz
meiner Jugendfreuden gewesen war, -- die Aussicht von meinen Eltern zu
scheiden, und sie künftig in einer Einsamkeit zu wissen, die sie um
so trauriger dünken mußte, je mehr meine kindliche Pflege sie ihnen
sonst erheitert hatte; -- alles dies mischte etwas schmerzliches in die
Vorstellung, daß mich die Liebe mit ihrer Zauberstimme nach Spillingen
rief. Unentschlossen stand ich da, aber ich blieb es nicht lange. O wie
wahr ist's, daß das Weib Vater und Mutter verlassen wird, um dem Manne
zu folgen, den es sich erkohren hat! Dankbarkeit und die zärtlichste
Ehrfurcht fesselte mich an meine Eltern. Ich hätte für sie mein Leben
lassen können, -- nur das, was diesem Leben erst Werth gab, die Würze
seiner Zukunft, das Bündniß, das mein Herz mit Lorenz geschlossen
hatte, -- nur das hätte ich ihnen nicht opfern können, ohne, wie ich
glaubte, vor Gram zu sterben.

Meine Mutter seufzte, und betrachtete mich mit unruhigen, ungewissen
Blicken. Nun dann, sagte sie, und wandte sich zu meinem Vater, wenn Du
wirklich glaubst, daß es für Justinen ein Glück ist, so will ich mich
nicht länger weigern. Gott weiß, daß nur die Besorgniß für ihr wahres
Wohl mich so bedenklich machte, denn ich bin der Meinung, daß ein
junges, unerfahrenes Mädchen nirgends mehr am Platze, und sicherer ist,
als in dem Hause und unter den Augen seiner liebenden Eltern. Aufgeben
kann ich diese Meinung so leicht nicht, aber ich will thun, was ich
kann, -- ich will sie der Deinigen unterordnen. So zieh denn in Gottes
Namen hin, Justine! fuhr sie mit Rührung fort. Es wird Dir auch in der
Fremde wohlgehn, denn Du warst immer ein gutes, dankbares Kind! --

Sie umarmte mich herzlich; -- ich fühlte ihre warmen Thränen auf meiner
Wange, und vermischte sie mit den meinigen.

Es war also nun entschieden, daß ich nach Spillingen zog. Die
Kammerherrin überhäufte mich mit Liebkosungen, und wollte mich gleich
mit sich nehmen, aber meine Eltern sowohl als ich, bestanden auf eine
Frist von vierzehn Tagen. Dieser kurze Aufschub, der uns nur ungern
bewilligt wurde, sollte das Bittre der Trennung mildern, indem er
uns nach und nach an die Nothwendigkeit des Scheidens gewöhnte, aber
statt dessen knüpfte jeder Augenblick uns durch den Gedanken fester
zusammen, daß er langsam, aber gewiß die Stunde des Abschieds heran
führte. Ich fühlte damahls durch meine eigene Erfahrung, daß es besser
und schonender für uns selbst, und für unsre Lieben ist, den Kelch des
Schmerzes, den uns die Trennung reicht, in _einem_ Zuge zu leeren, als
ihn wie ein Ziel, dem wir doch nicht entgehen können, und dem uns jede
Minute näher bringt, vor den Augen zu haben. Ein kurzes Lebewohl läßt
uns die Kraft, es mit Fassung zu sagen, -- dumpf, wie der Ton einer
Todtenglocke, wie das Grablied unserer Freuden tönt es _aus der Ferne_
herüber, und die Vorstellung, es dennoch aussprechen zu müssen, gießt
Wermuth in die Freuden des letzten Beysammenseyns, und lohnt unser
Zögern nicht mit Linderung, sondern mit Verdoppelung des Schmerzes, den
wir am sichersten überwinden, wenn wir ihm stark und muthig die Stirn
bieten.

Ehe unsre Gäste uns verlassen hatten, war mir noch eine ungestörte
halbe Stunde zu Theil geworden, die ich mit Lorenz verplauderte. Er
entdeckte mir nun seine nächsten und wichtigsten Verhältnisse. Sein
Vater war Verwalter in Spillingen, ein guter, biederer Mann, der
bloß die schwache Seite hatte, sich von seiner sehr ehrgeizigen,
herrschsüchtigen Frau regieren zu lassen. Um den lieben Hausfrieden
ununterbrochen zu erhalten, mischte er sich von jeher weder in das
Innere seiner eigenen Wirthschaft, noch in die Erziehung seines Sohnes,
den er jedoch zärtlich liebte. Lorenzens reines, stilles Gemüth war
nicht empfänglich für die Eindrücke des Stolzes, die seine Mutter
ihm geben wollte. Schweigend hörte er ihren Lehren und Ermahnungen
zu, in denen gewöhnlich jener falsche Ehrgeiz sich mahlte, der statt
innern Werth nur äusserlichen Glanz zum Ziel seines Strebens macht.
Er bedurfte ihn nicht, und verachtete sein Flittergold, denn seine
Seele war mit jenem _edlen_ Stolz bewaffnet, der den Menschen wie ein
guter Genius vor allem bewahrt, was seine wahre Würde entweihen kann.
Die Bildung seines Herzens war sein eignes Werk, -- das Werk seines
Schicksals, das ihm einsam unter Menschen stellte, denen er sich
nicht mittheilen mochte, da sie nicht fein genug fühlten, um ihn zu
verstehen. Still und verschlossen wuchs er empor, -- abgeschieden von
allen lebenden Geschöpfen, an denen seine Empfindung sich in voller
Kraft hätte erwärmen und erhöhen können. --

Der Kammerherr entdeckte in dem zum Jüngling heranreifenden Knaben
seltne Anlagen, die ihn aufmerksam auf ihn machten. Die strenge
Wahrheitsliebe, die, wo sie nicht reden durfte, doch wenigstens
_schwieg_, und _nie_ wider ihre Überzeugung sprach, die feste,
unbestechliche Redlichkeit, die schon in seiner Kindheit ein Hauptzug
seines Charakters war, und mit zunehmenden Jahren sich immer mehr auf
unerschütterliche Grundsätze stützte, -- alles dieß gefiel dem Mann,
der ohne eigene Tugenden zu haben, doch fremde schätzte, und sie gern
zu seinem Vortheil benutzte. -- Er fragte die Eltern um ihre Plane in
Rücksicht ihres Sohnes. Der Vater hatte keine, -- allenfalls nährte er
den stillen Wunsch, daß sein Sohn ein Landmann werden möchte, aber er
wagte es nicht, ihn zu äussern, da seine Frau, wie er wohl wußte, fast
niemahls übereinstimmend mit ihm dachte, und ihn doch nicht gebilligt
haben würde. Längst war es ihr Lieblingstraum gewesen, ihren Sohn in
fürstlichen Diensten zu sehn. -- Sie entdeckte dieses dem Kammerherrn,
und er versprach, ihr dazu behülflich zu seyn. Auch macht' er, ganz
wider seine sonstige Gewohnheit, Miene, Wort zu halten, ließ ihn auf
seine Kosten die Forstwissenschaft lehren, und behielt ihn dann als
Jäger und zugleich als Kammerdiener bei sich, bis, wie er sagte, sich
eine günstige Gelegenheit zeigen würde, wo er ihn dem Fürsten empfehlen
könne. Diese war noch immer ausgeblieben. -- Lorenz seufzte nach einer
unabhängigen Lage, denn ausserdem, daß sein freier Sinn sich nicht zum
Dienen geschaffen fühlte, hatte er mit hellem Blick längst die Flecken
entdeckt, die den Charakter seines Herrn entstellten, und es war ihm
drückend, einem Menschen Verbindlichkeit und Dank schuldig zu seyn, den
er weder lieben noch achten konnte. Indessen, da seine Mutter es ihm
zum Gesetz machte zu bleiben, und da es seine eigne Klugheit, wenn auch
nicht sein Gefühl, ihm rieth, so trug er seine Verachtung schweigend
mit sich herum, und bemühte sich, durch Thätigkeit, Ordnung und eine
immer wache Aufmerksamkeit auf seinen Dienst den Kammerherrn die
Wohlthaten abzuzahlen, die er mit einem Widerstreben empfangen hatte.
Daß er sich dadurch ihm unentbehrlich machte, und seine Verwendung
zu einer Versorgung immer mehr verzögerte, bedachte er nicht; aber
wäre es ihm auch eingefallen, er würde doch nicht anders gehandelt
haben, theils weil ihm jede Pflicht, die ihm das Schicksal auflegte,
heilig schien, theils weil er durchaus die Summe der Verbindlichkeiten
vermindern wollte, die seines Herrn Wohlwollen ihm auflegte. Und da
ihn überdieß der Kammerherr selbst zu sehr ehrte, um ihn bei seinen
Liebschaften als Geschäftsträger, oder Kuppler gebrauchen zu wollen, so
fand der Abscheu, den Lorenz vor jenen Lastern hatte, keine Gelegenheit
laut zu werden, und sowohl Herr als Diener beobachteten über Punkte,
die nicht gern über sich sprechen lassen, ein Schweigen, das am
geschicktesten war, ihr Verhältniß leidlich zu erhalten.

Zuweilen erinnerte wohl die Verwalterin, der der Titel: Kammerdiener
nicht vornehm genug war, den gnädigen Herrn an sein Versprechen, aber
dieser wiegte dann mit glänzenden Aussichten in die Zukunft, die er
ihr öffnete, ihren Ehrgeiz und ihre Ungeduld zur Ruhe, und da Lorenz
überhaupt von den andern Bedienten vortheilhaft ausgezeichnet wurde,
so ließ sie sich jedesmahl durch die Versicherung zufrieden stellen,
daß ihr Sohn einst ganz gewiß durch eine ehrenvolle Laufbahn ihr
Alter erfreuen werde. Ich hätte ihm schon längst einen kleinen Dienst
verschaffen können, pflegte er zu sagen, aber sein nothdürftiges
Auskommen hat er ja auch bei mir, und wenn ich _einmahl_ mein Ansehn
bei Hofe anwende, so will ich auch Ehre davon haben, das heißt: es
muß eine Stelle seyn, die Ihrem Sohn keinen Wunsch zur Verbesserung
seines Schicksals mehr übrig läßt, als allenfalls den Wunsch nach einem
hübschen Weibchen, und das wird sich dann schon finden.

Es hat sich schon gefunden, dachte die Alte dann gewöhnlich mit froher
Selbstzufriedenheit über ihre mütterliche Vorsorge, die Lorenzen
aber noch ein Geheimniß war, und für's erste auch noch eins bleiben
sollte, weil er viel zu sehr Sonderling war, um so, wie sie es
wünschte, in ihre Pläne einzustimmen. Ein reicher Pachter jenseits
der Residenz hatte die auf fremden Feldern geerndteten Früchte seines
Fleißes angewendet, sich ein artiges Landgut in der Nachbarschaft
von Spillingen, wo es eingepfarrt war, zu kaufen. Die Verwalterin,
die Wernern, -- so hieß der neue Gutsbesitzer, -- vor Zeiten noch in
dürftigen Umständen gekannt hatte, ergoß bei dieser Nachricht alle
ihre Galle in den bittersten Spott über seine so schnell verbesserte
Lage, und nahm sich vor, seine Frau in der Kirche nicht zu grüßen,
wenn sie ihr das erstemahl daselbst begegnen würde. Ihr Neid und
ihre Erbitterung stieg noch, als sie durch einige alte Weiber, die
sie durch kleine Wohlthaten verpflichtete, ihr alle Neuigkeiten der
Gegend zuzutragen, von dem Überfluß näher unterrichtet wurde, der
dort in allen möglichen Bedürfnissen des Lebens herrschte, und einen
sichern, festgegründeten Wohlstand verrieth. Sie hatten der Frau Werner
bei ihrer Ankunft in ihrer häuslichen Einrichtung geholfen, und ob
gleich ihre Erzählungen von den reichlich angefüllten Schränken und
Kisten, die sie da sahen und bewunderten, ein fressendes Gift für
die Verwalterin mit sich führten, die es ihres Gleichen am wenigsten
gönnte, reich zu seyn, da sie es selbst nicht war, so hörte sie
doch alles mit jener brennenden Begierde an, mit der die Mißgunst
jede Gelegenheit ergreift, sich zu quälen. Daß ihre Nachbarin ein
Landgut besaß, während ihr Mann nur ein fremdes verwaltete, das --
so empfindlich es auch war -- hätte sie ihr dennoch verziehen; aber
daß sie ihren Kaffee aus einer silbernen Kanne trank, -- selten in
die Küche ging, und auch dann nur, um zu befehlen -- daß sie sich
zum täglichen Gebrauch eines eben so feinen Leinenzeugs bediente, als
_sie_ nur für die Frau Kammerherrin weben ließ -- daß sie Nachmittags
auf einem bequemen und zierlichen Sopha in aller Ruhe ein paar Stunden
schlummerte -- -- mit einem Worte, daß sie nicht allein Vermögen
_hatte_, sondern es auch nach ihrem Gefallen _genoß_, -- das war ein
Wurm, der zerstörend an ihrer Ruhe nagte. Da sie Menschen, die sie noch
nicht kannte, nach ihrer eignen Denkungsart zu beurtheilen pflegte,
so traute sie der Frau Werner keineswegs den bescheidenen, gefälligen
Charakter zu, den sie wirklich hatte, vielmehr, da sie fühlte, wie
sehr jene Vorzüge des Glücks _ihren_ Hochmuth aufblähen würden, wenn
sie sich ihrer rühmen dürfte, so stellte sie sich die Unbekannte, die
unschuldiger weise ihrem Neide so viel Nahrung gab, in dem gehässigen
Lichte eines bäurischen Eigendünkels vor, der ihr um so drückender
schien, da er den ihrigen niederbeugte. -- Die Närrin, sagte sie zu
ihrem Manne -- sie denkt vielleicht weil sie die große Dame spielt, auf
dem Kanapee Mittagsruhe hält, und ihren Kaffee aus Silber trinkt, sie
ist mehr als ich. Aber ich will ihr schon zeigen, daß ich mir eben so
viel einbilde. Nicht ansehn will ich sie! --

So ganz gewissenhaft war es ihr aber doch nicht möglich, den nächsten
Sonntag Wort zu halten, als Frau Werner in die Kirche kam. Die
Neugierde, die sich bei ihr regte, beredte sie zu einem Blick, und
unwillkührlich verlängerte er sich, als ihm weder auffallender Glanz
noch beleidigender Stolz begegnete. Auf beides hatte sie gerechnet, als
aber eine wohlbeleibte weibliche Gestalt in einem sehr anspruchslosen
Anzug, begleitet von einem hübschen rosenwangigen Mädchen, freundlich
bei ihr vorüberging, und ihr durch einen höflichen Gruß, mit dem sie
ihr zuvorkam, gleichsam den Rang über sich einräumte, -- da verschwand
auf einmahl ein Theil der Falten von ihrer Stirn, und der Groll, den
sie in ihrem Herzen nährte, verlohr sich in eine lange Gedankenreihe,
die ihr während der Predigt, (auf die sie ohnedem nie zu achten
pflegte,) Stoff genug zur Unterhaltung gab. Die Frau ist doch so übel
nicht, dachte sie bei sich selbst. Wenigstens hat sie doch Lebensart,
und weiß sich zu betragen. Daß sie zu Hause die Bequemlichkeit liebt
lieber Gott! das thät ich auch, wenn ich's könnte. Die Leute haben ja
Geld genug, -- sie wären Narren, wenn sie es nicht benutzten. Und die
Tochter sieht gut aus -- das einzige Kind ist sie auch -- -- in der
That, das wäre eine Frau für meinen Lorenz, die mir anstände! --

Sie verfolgte diese Idee, und fand kein Hinderniß von Bedeutung, das
sie zu stören drohte. Obgleich Lorenz kein Vermögen, und nur sehr
ungewisse Aussichten in die Zukunft hatte, so zweifelte sie doch keinen
Augenblick, daß ihm der Plan gelingen könne, den sie so befriedigend
für ihren Eigennutz entwarf, und dem eine vortheilhafte Heirath mit
Mamsell Werner den Kranz der Vollendung aufsetzen sollte. Und wirklich,
wenn auch sonst alle ihre Gedanken und Empfindungen Kinder eines ewigen
Irrthums waren, der nur sein eignes, fehlerhaftes Ich zum Maßstabe
seiner Beurtheilungen nahm -- hier irrte sie nicht. -- Die hohe
Meinung, die sie von ihrem Sohn hatte, rechtfertigte jeder, der ihn
kannte, denn noch jetzt in einer Lage, die auch den kleinsten Schatten
von Partheilichkeit vertilgt, sag' ich mit fester Überzeugung: Lorenz
wäre mit Recht der Stolz der besten Mutter gewesen. Die Liebe, mit der
die Verwalterin an ihm hing, war das einzige, was ich jemahls an ihr
schätzen konnte.

Als die Kirche geendigt war, wartete Frau Werner mit Lorchen, so hieß
ihre Tochter, an der Thür, um die Bekanntschaft der Frau Verwalterin
zu machen, die sie um gute Nachbarschaft und um die Erlaubniß bat,
durch einen baldigen Besuch ihr zeigen zu dürfen, wie geneigt sie sei,
einen freundschaftlichen Umgang zu halten. Die Verwalterin erwiederte
ihre Komplimente in bester Form, und man trennte sich beiderseits mit
einander zufrieden.

Es dauerte nur wenig Tage, so erschien das Kleeblatt der Wernerschen
Familie ganz unvermuthet bei Lorenzens Eltern, um ihren ersten Besuch
abzustatten, und um durch die ungezwungene Art, mit der sie es thaten,
jenes zwanglose, heitere Verhältniß einzuleiten, das durchaus mit
ländlicher Nachbarschaft verbunden seyn muß, um sie angenehm zu machen.
Die Verwalterin wäre zwar dießmahl der Überraschung gern überhoben
gewesen, denn es lag ihr viel daran, mit sammt ihrem Hauswesen sich
vor Werners von der besten Seite zu zeigen, und dazu war eine kleine
Vorbereitung unentbehrlich, -- indessen das treuherzige gutmüthige
Benehmen ihrer Gäste zerstreute bald den Verdruß, den sie fühlte,
sich nicht so vortheilhaft und glänzend darstellen zu können, als sie
wohl wünschte, und am Ende schieden sie vertraulicher und vergnügter
auseinander, als es nach einer steifen Staatsvisite möglich gewesen
wäre.

Der in der Kirche gefaßte Vorsatz, aus Lorenz und Lorchen ein Paar zu
machen, erreichte schon an diesem Tage seine völlige Reife, und die
Höflichkeit, mit der Lorenz die Fremden behandelte, und das aufmerksame
Wohlwollen, mit dem sie ihm begegneten, rückte sie in Gedanken auf dem
Weg zum Traualtar der beiden jungen Leute um einige Schritte näher.

Wirklich war die ganze Wernersche Familie so beschaffen, daß, ohne
Rücksicht auf ihr beträchtliches Vermögen zu nehmen, eine zärtliche
Mutter dem Liebling ihres Herzens wohl wünschen konnte, mit ihr
verbunden zu seyn. Indessen bei der Verwalterin war das Geld die
Hauptsache. Jede liebenswürdige Eigenschaft, die Lorchen berechtigte
auf einen glücklichen Ehestand zu hoffen, jede häusliche Tugend, die
das Glück eines braven Mannes zu machen versprach, hätte die Alte
gegen klingende Münze willig vertauscht, um dadurch ihre Mitgift zu
vergrößern. Sie glich so vielen thörichten Müttern, die zufrieden sind,
wenn ihre Kinder nur glücklich _scheinen_. Daß die unverfälschte Natur
des Menschen mehr für eine ruhige Mittelmäßigkeit, als für Überfluß
geschaffen ist, dünkte sie nur ein süßer Traum zu seyn, mit dem die
Armuth sich über die Bitterkeit des Mangels und des Entbehrens täuscht.
Ach der Reichthum ist ein goldener Schild, der die Pfeile des Kummers
nicht von unserer Brust zurück zu halten vermag; -- der höchstens nur
durch seinen Glanz verhindert zu sehen, wie tief sie gedrungen sind! --
Das glaubte aber die Verwalterin nicht.

Der alte Werner vereinte mit strenger Redlichkeit eine frohe, heitre
Laune, der das Bewußtseyn immer Nahrung gab, kein Stiefsohn des Glücks
gewesen zu seyn, und dennoch die günstigen Blicke desselben, nicht,
wie so viele thun, auf Kosten seines guten Namens und seines Gewissens
erschlichen zu haben. Seine Frau, ein Weib voll Herzensgüte, ohne
alle Anmaßungen, hatte aus ihrer ehemaligen Armuth in ihren jetzigen
Wohlstand jene seltne Stimmung des Charakters übergetragen, die mit
Phlegma verschwistert ist, und mit der gewisse Menschen gute und böse
Tage gleich freundlich anzulächeln im Stande sind. Sie war vergnügt
und gutes Muthes gewesen, als ihre Umstände sie noch zwangen, durch
harte Arbeit ihr Brod zu erwerben -- vergnügt und gutes Muthes -- doch
nicht _mehr_ als vorher -- war sie auch jetzt, da Fleiß und Glück ihre
Lage verbessert, und ihre alle die Bequemlichkeiten selbst verschafft
hatten, die sie sonst nur bei Andern gekannt, -- aber darum nicht
beneidet hatte. Der einzige Gegenstand, wobei es sich verrieth, daß
ihr stiller Gleichmuth auch in Leidenschaft übergehn konnte, war ihre
Tochter, der Augapfel beider Eltern, aber doch vorzüglich von der
Mutter geliebt, die mit Freuden ihr Leben, und alles was es angenehm
machte, hätte opfern können, wenn es nothwendig zur Zufriedenheit ihres
Lorchens gewesen wäre.

Lorchen war ein gutes, einfach erzogenes, einfach gesinntes Mädchen.
Still und unbemerkt war sie im Schooße der Häuslichkeit und der
Familienliebe herangewachsen, und ihre bescheidenen Wünsche reichten
nicht über den Kreis hinaus, den ihr das Schicksal angewiesen hatte, um
ihre Kräfte nützlich zu üben. Fleiß, Sanftmuth, Gehorsam und Ordnung --
-- alle diese Tugenden waren ihr angebohren -- sie hatte keinen Kampf
mit ihrer Neigung nöthig, um sie erst zu erringen -- sie durfte nur
mechanisch ihrem Gefühle folgen, so war sie sicher, niemahls irre auf
dem Wege zu gehen, den ihre Pflicht ihr vorzeichnete. Weder Empfindung
noch Verstand waren bei ihr lebhaft, aber ihre reine, bescheidene
Gutmüthigkeit hätte darum doch den strengsten Forderungen genügt, weil
sie alles freundlich ersetzte, was ihr von andern Seiten noch zu fehlen
schien.

Der Umgang zwischen beiden Familien wurde nun fleißig fortgesetzt, und
die Verwalterin, die bald bemerkte, daß Lorenz Eindruck auf Lorchen
gemacht hatte, glaubte, daß es nun Zeit sey, mit ihrem Plan gegen die
beiden Alten herauszurücken. Sie fing mit leisen Anspielungen an, die
gehörigen Orts wohl aufgenommen, und günstig erwiedert wurden. Auch
Lorenz machte seiner Mutter durch sein Betragen die schönste Hoffnung,
er werde in ihre Wünsche einwilligen, und jeder Lobspruch, den er mit
freundschaftlicher Wärme Lorchens Tugenden zollte, galt bei ihr für
eine Äußerung der Liebe. So standen die Sachen -- es schien, da alle
Theile gleichsam schweigend in eine Verbindung der beiden jungen Leute
eingewilligt hatten, als fehle nur noch die letzte deutliche Erklärung,
um sie völlig zu schließen, und gerade zu dieser Zeit war's, als mein
Unstern den Kammerherrn zum erstenmahl nach Mühlberg führte.

Was darauf folgte, wissen Sie. -- Die Anstalten zu meiner Abreise waren
bald getroffen, und endlich erschien auch der Tag, der mich meiner
neuen Bestimmung entgegen führte. Eine dunkle Ahndung des Kummers, der
auf mich wartete, kämpfte mit den Freuden des Wiedersehns, die ich
schon in Gedanken genoß, und mischte doppelte Bitterkeit in den Becher
des Scheidens. Fest an die Brust meiner weinenden Mutter gedrückt,
versprach ich, ihren Lehren zu folgen, und den Grundsätzen treu zu
bleiben, die meine verewigte Wohlthäterin mir eingeprägt hatte, und die
bisher der Stolz und das Glück meines einfachen Lebens gewesen waren.
Der Ernst und die kindliche Zärtlichkeit mit der ich ihr gelobte, nie
ihre Warnungen zu vergessen, besänftigte den mütterlichen Schmerz, und
lieh der Trennung eine mildere Gestalt als vorher. Voll Vertrauen auf
den Schutz der Vorsicht, der sie mich übergab, und auf meine eigne
Festigkeit ließ sie mich aus ihren Armen -- ach! um mich unglücklich
wieder zu sehn. --

Wie in Gewittertagen die Sonne oft durch finstere Wolken strahlt --
oft sich wieder hinter sie verbirgt, so wechselten süße und traurige
Empfindungen in mir auf der kurzen Reise, die mich dem Nachdenken
einsam überließ. Der Abschied war überwunden -- in der Ferne winkte
mir tröstend das Bild meines Geliebten -- und dennoch flossen meine
Thränen. Ach die Ungewißheit, in deren Dunkel meine Zukunft schwamm,
war nicht gemacht, sie zu trocknen oder zu stillen. -- Bange Sorgen,
denen ich keinen Namen zu geben wußte, drückten mit Centnerlast
mein Herz, das sich bald den schwermüthigsten Zweifeln, bald den
fröhlichsten Hoffnungen hingab. Und in dieser Stimmung, die die
Vorbedeutung meines Schicksals war, langte ich in Spillingen an.

Lorenz half mir aus dem Wagen. Seine Freude, seine Liebkosungen
verbannten bald die zagende Unruh meiner Brust, und der erste
Augenblick, den ich ungestört in seinen Armen verlebte, söhnte mich aus
mit dem Schritt, den ich gethan hatte, um seinetwillen meine stille
sichere Heimath zu verlassen.

Ich trat meinen Dienst nun an. Die ersten Wochen ließen mir nichts zu
wünschen übrig, und spotteten der Furcht, mit der ich hergekommen war.
Der Kammerherr behandelte mich mit Güte und Herablassung, aber bei
aller seiner Freundlichkeit doch so offen, daß auch das besorgteste
Mißtrauen keine Ursach zum Argwohn gefunden hätte. Seine Gemahlin
betrug sich gegen mich nicht wie eine Gebieterin, sondern wie eine
gütige Freundin. Ihr ganzes Wesen war eine Mischung von Unbesonnenheit
und Leichtsinn, aber ihre angebohrne Liebenswürdigkeit lieh ihren
Fehlern eine so gefällige, einschmeichelnde Aussenseite, daß man sie
nur nach einer langen, genauern Bekanntschaft verachten konnte. Sie
hatte kein Herz, sie liebte nichts -- nur das Vergnügen war ihr Abgott.
Sie konnte weinen und in Ohnmacht fallen, wenn ein Falke vor ihren
Augen eine Taube zerriß, aber kalt und fühllos wandte sie sich von den
Leiden ihrer Nebengeschöpfe ab, und wenn sie half, so geschah es mit
Geld, nicht aus Mitgefühl, sondern weil der Anblick des Elends ihr
zuwider war. Jene feinern Wohlthaten, die Theilnahme, Trost und guter
Rath dem Unglücklichen sind, waren ihr fremd. Sie wußte nicht, daß sie
den Werth der kleinsten Gabe damit unendlich erhöhen könnte, oder, wenn
sie es auch wußte, so war ihr Charakter zu diesen Tugenden nicht fähig.
Und dennoch vermochte diese Frau Anfangs, ehe ich sie näher kennen
lernte, durch ihre reizende Freundlichkeit, die ich für Güte hielt,
mein argloses Herz an sich zu ziehen, denn es hing zu fest an den
süßen Glauben an allgemeinen Edelmuth, als daß ich ihn so leicht auf
eine bloße Warnung hätte aufgeben können -- und käme sie selbst aus dem
Munde meines Lorenz.

Lorenz that diesen Menschen Unrecht, sagt' ich oft zu mir selbst.
Auch die heftigste Tadelsucht kann an der Art, wie sie mit mir
umgehn, nichts strafbares entdecken. Seine Liebe machte ihn besorgt,
und gab seinen Schilderungen die schwarze Farbe der Gefahr, indeß
die Wirklichkeit mir nur den Glanz der Freude zeigt. -- Ich hatte
Gelegenheit, ihn täglich einigemahl zu sprechen. Süße, unvergeßliche
Stunden der vertraulichsten Liebe schwanden mir an seiner Seite dahin.
-- Einst sagt' ich ihm meine Meinung über seine ungegründete Furcht.
Gott gebe, daß es so bleibt, antwortete er mit frohem Blick. Wir werden
dann beide vielen Kummers überhoben seyn.

Drei Wochen war ich ohngefähr in Spillingen gewesen, als Lorenz eines
Tages zu mir kam. Ich habe eine Bitte an Dich, sprach er. Wirst Du
sie mir auch gewähren? -- Fordere, was Du willst, versetzt' ich,
ich thue Dir alles zu Gefallen. -- Nun denn, so mache meiner Mutter
einen Besuch. Ich wünschte, daß sie Dich kennen lernte, sie wird Dich
denn gewiß auch lieben, und wir kommen unserer Vereinigung dadurch
um manchen beschwerlichen Schritt näher. Freilich fühl' ich wohl mit
innerm Schmerz, daß sie Dir nicht behagen kann und wird, -- aber schone
ihre Schwächen, Justine! sieh sanft über ihre Fehler hin, und denke:
Sie trug Deinen Lorenz unter ihrem Herzen. Diese Vorstellung wird
Deinem Betragen doch wenigstens einen Schein von der Achtung geben, die
sie übrigens durch ihre Denkungsart Dir nicht einflößen kann.

Ich umarmte ihn. Ein süßer Aufruhr, vermengt mit zagender Angst, mit
bangen Erwartungen, entstand in meinem Innern bei dem Gedanken, die
Frau zu sehen, die meinem Geliebten das Leben gegeben. Ich hatte schon
längst ihren Anblick gewünscht und gefürchtet. -- O Lorenz, rief ich
aus, sie ist Deine Mutter, und die heiligen Rechte, die ihr die Natur
über Dich verlieh, sind Ursach genug für mich, sie zu lieben und zu
ehren. Sieh, ich habe noch um keines Menschen Neigung geworben, -- aber
alles was in meinen Kräften steht, will ich anwenden, um die ihrige zu
erlangen, und es wird mir gelingen. Das Bestreben, Liebe zu gewinnen,
kann nicht mißfallen, wenn es aus einem reinen, redlichen Herzen kömmt.

Gerührt sah Lorenz mich an, -- in sein ernstes, großes Auge traten
Thränen. Gutes Mädchen! sagte er mit inniger Empfindung, Deine
Unschuld und Deine anspruchslose, stille Güte muß jeden, der Dich
sieht, unwiderstehlich für Dich einnehmen. Laß mich die süße Hoffnung
nähren, daß auch meine Mutter gerecht gegen Dich seyn werde. Wäre sie
es nicht, -- er drückte heftig meine Hand an seine schlagende Brust;
seine Thränen verlohren sich, -- sein sonst so ruhiger Blick fing an zu
flammen; -- wäre sie es nicht, -- o Justine! ich würde die Seligkeit,
Dich zu besitzen, dann freilich nicht so ungetrübt und lauter genießen,
als wenn der Segen meiner Eltern auf unserm Bündniß ruhte, aber ich
würde sie dennoch mit allem erkaufen, was mir ehedem theuer war, denn
ich fühl' es, ich kann ohne Dich nicht glücklich seyn, und nicht wahr,
auch Du kannst es nicht ohne mich? -- Ich fühle mein Wesen so fest, so
unauflöslich an das Deinige gekettet, daß mich nichts mehr von Dir
scheiden kann. Nur, wenn ich mich in Deinem Herzen betrogen hätte, --
wenn die Erfahrung mir lehrte, daß Du meiner Achtung nicht werth wärst,
nur dann könnte ich von Dir lassen, -- nur dann würde ich meine Liebe
den Pflichten des Gehorsams aufopfern, die ich meinen Eltern schuldig
bin, aber um den Frieden meines Gemüths, um das Glück meines Lebens
wäre es auf immer geschehn. Doch das wird nie geschehen! -- Du siehst,
und ich schwör' es Dir von neuem, daß mich nichts von Dir zu trennen
vermag, als eine Unmöglichkeit, die ich nicht einmahl fürchte, und die
ich nur als Schatten neben dem Bilde voll Licht und Freude aufstelle,
das mir entgegen lacht, um durch den Contrast mein Glück desto
lebhafter zu empfinden.

Ich bin vielleicht zu weitläuftig, unterbrach Justine ihre Erzählung,
aber Sie müssen mir vergeben. Es ist so süß schöner Stunden zu
gedenken, auch wenn sie auf ewig verlohren sind, und mein nur allzu
treues Gedächtniß ruft sie mir mit den kleinsten Umständen zurück, daß
ich mich gern der Erinnerung überlasse, die mich in die Vergangenheit
zurückführt. Auch werde ich nun kürzer seyn. -- Den angenehmsten Theil
meines Lebens habe ich Ihnen bereits geschildert, -- -- nur mit Thränen
und Entsetzen kann ich bei den Auftritten verweilen, die ihm folgten,
darum werde ich so schnell als möglich über sie hineilen.

Mein Besuch bei der Verwalterin war der Anfang meiner Leiden. Ich
ging mit einem Herzen zu ihr, das so bereitwillig war, sie kindlich
zu verehren, daß es ihres ganzen Hochmuths, den sie mich fühlen ließ,
ihrer ganzen niedrigen Denkungsart, die sie mir verrieth, bedurfte,
um sich mit Widerwillen von ihr zu entfernen. Es hatte ihren Stolz
beleidigt, daß ich als ein neuer Ankömmling in Spillingen, erst in
der dritten Woche einen Besuch abstattete, der, wie sie dünkte, einer
Frau von ihrem Ansehn schon in den ersten Tagen gehörte. Alle die
Kammerjungfern, die vor mir hier gewesen waren, hatten ihr kein solches
Beispiel von Geringschätzung und Unhöflichkeit gegeben. Überdieß
war ihr auch die Herzlichkeit aufgefallen, mit der Lorenz meiner
gedacht hatte, und die sich sehr von den Lobsprüchen unterschied,
die er Lorchen gab. Der Argwohn schärfte ihren Blick, und um das
Einverständniß unserer Liebe zu errathen, brauchte ihr Auge nicht
einmahl so hell zu seyn, wie es wirklich war. Lorenz und ich haßten
die Verstellung, und sie mißlang uns selbst da, wo sie nöthig war.
Unserer unbefangenen Offenheit entschlüpfte mancher Ausdruck, der
unser Geheimniß enthüllte, statt es zu verbergen, und mich dünkt, eine
Liebe, die sich so zu verstecken weiß, daß man ihr Daseyn nicht einmahl
ahndet, kann unmöglich so wahr und so innig seyn, wie die unsrige war.

Lorenz bemerkte die verächtliche Kälte wohl, mit der seine Mutter
mich aufnahm. Ich sah ihn leiden, ich fühlte die Feinheit, mit der er
ihren gemeinen, beleidigenden Äusserungen eine andere Wendung zu geben
suchte, und das Herz blutete mir. Die Wehmuth, die ich empfand, mich so
abstoßend behandelt zu sehen, ließ mich meine gereizte Empfindlichkeit
beherrschen, und nach einer höchst abschreckenden, unfreundlichen
Begegnung von Seiten der Verwalterin trennte ich mich dennoch von ihr
mit Höflichkeit.

Lorenz wollte mit mir nach dem Schlosse zurückgehn, aber ich nahm
seine Begleitung nicht an, um die üble Laune seiner Mutter nicht noch
mehr zu erregen, da sie, wie ich mir nicht verhehlen konnte, auf unsere
Liebe mit einem sehr ungünstigen Auge sah. Als ich in meine Kammer
trat, warf ich mich aufs Bett, um recht herzlich zu weinen. Ach noch
vor zwei Stunden war ich um eine schöne Hoffnung reicher gewesen --
bitter hatte sie mich getäuscht. -- Jetzt lag nur eine kummervolle
Aussicht vor mir, die Aussicht mit der Abneigung seiner Mutter kämpfen
zu müssen, um glücklich zu seyn, und wie mißlich war dieser Kampf, da
mein eigenes Selbstgefühl mich abhielt, ihn zu wagen.

Es klopfte leise an meiner Thür. Ich glaubte, es sei Lorenz, und
trocknete schnell meine Thränen. Als ich die Thür öffnete, stand der
Kammerherr vor mir.

So allein, mein Kind? sagte er, indem er hereintrat, und wenn ich nicht
irre, so hast Du geweint? -- Was ist Dir, Justine? ich will doch nicht
hoffen, daß Dir jemand im Hause Anlaß zur Unzufriedenheit gegeben hat?

Ich war verlegen, daß mein Kummer einen andern Zeugen hatte, als den,
um den ich ihn litt, und wußte seiner Frage weder auszuweichen, noch
sie zu beantworten.

Rede freimüthig, fuhr er fort, Du sprichst mit einem Freunde, der
warmen Antheil an Dir nimmt, und dem Du ganz offen den Gram und die
Sorgen Deines Herzens entdecken kannst. Hat Dich jemand beleidigt? ist
Dir sonst etwas unangenehmes widerfahren? -- O reiß mich aus der Unruh,
in der ich Deinetwegen bin, und sei versichert, daß ich Dein Zutrauen
verdiene.

Dies alles sagte er mit einer sanften Stimme, wie ungeheuchelte
Theilnahme zu sprechen pflegt; -- selbst den widerlichen Ausdruck,
den seine Augen gewöhnlich hatten, wußte er zu beherrschen, ob er sie
gleich fest und forschend auf mich heftete. Durch sein untadelhaftes
Betragen gegen mich während meines Aufenthalts in Spillingen war
der Argwohn so ziemlich in mir verlöscht, den sein erster Anblick
unwillkührlich in mir erregte. Die Gewohnheit, ihn täglich zu sehn,
hatte seinen Zügen das Auffallende benommen, das mich bei unserer
ersten Bekanntschaft mit einem heimlichen Schauder von ihm zurückstieß,
und weit entfernt, mir die feindseelige Bedeutung, die in ihnen lag,
auf Kosten seines Charakters zu erklären, hielt ich sie bloß für ein
Spiel der Natur zum Nachtheil seiner Gestalt.

Indessen, so sehr auch meine Brust das dringende Bedürfniß fühlte,
ihren Kummer mitzutheilen, um sich zu erleichtern, so wagt' ich doch
nicht, mein schüchternes Schweigen zu brechen, weil ich nicht wußte,
ob Lorenz meine Offenherzigkeit billigen würde. Der Kammerherr blickte
mich unverwandt an, -- seine ernste Miene verlohr sich endlich in
ein gütiges Lächeln. So willst Du mir denn nichts gestehen, sagte
er, indem er meine Wange streichelte, über welche noch immer Thränen
herabflossen. Ich muß mich also wohl aufs Rathen legen. Glaube mir,
Justine, ich kenne das menschliche Herz und seine Regungen, -- und wenn
dieß auch nicht wäre, -- diese lieben Augen, die der Spiegel Deiner
Seele sind, verrathen Dein Geheimniß nur allzu deutlich, selbst wenn
Deine Lippen schweigen. Du liebst, ist es nicht wahr, Justine? -- Du
liebst meinen Jäger?

Ich antwortete nicht, aber ich weinte heftiger. Ach die Liebe möchte
ihren Kummer gern der ganzen Welt verbergen, und doch ist sie nur
allzubereit, ihn zu enthüllen, wenn ein ahndender Blick in ihr Inneres
dringt, und eine theilnehmende Frage, nach ihrem Zustande forscht. Der
Kammerherr führte mich freundlich zu einem Stuhl, und ließ mich setzen,
da ich von Betrübniß ganz erschöpft war.

Gutes Mädchen! fuhr er fort. Die Empfindungen Deines Herzens waren mir
längst klar, und jetzt muthmaße ich auch die Ursach Deiner Thränen.
Du kommst von der Verwalterin -- mütterlich, glaubtest Du, würde sie
Dich empfangen, und die stolze, thörichte Frau, die sich nur von einem
vollen Kasten das Glück ihres Sohns verspricht, ließ Dir ihre ganze
Albernheit fühlen. Ist es nicht so, meine Liebe? -- Ich bejahte es
durch Zeichen, denn ich war unvermögend, zu sprechen.

Beruhige Dich, nahm er das Wort auf's neue. Noch sind Deine Aussichten
so trübe nicht, wie Du vielleicht denkst, und _meine_ Verwendung bringt
Dich am schnellsten und sichersten zum Ziel Deiner Wünsche, wenn Du sie
annehmen willst.

Die Allgewalt der Freude ergriff mich. Mit der Hoffnung fand ich die
Sprache wieder. -- Ob ich will? rief ich aus, o gnädiger Herr, wie
kann ich jemahls Ihre Güte vergelten? Ich läugne es nicht, mein ganzes
Herz hängt an Lorenz, und die Unfreundlichkeit seiner Mutter hat es
zerrissen, weil sie die Wahrscheinlichkeit vernichtete, mit ihrer
Einwilligung dereinst die Seinige zu werden. Wenn Sie Sich unserer
annehmen -- ach Gott! _lohnen_ können wir es Ihnen nicht, aber als
unsern Schutzgeist werden wir Sie ewig verehren, und lebenslang will
ich für Ihr Glück und Ihre Wohlfahrt mit dem dankbarsten Herzen zum
Himmel beten! -- Ich fiel vor ihm nieder und umfaßte seine Kniee. Die
Erkenntlichkeit, die ich für ihn fühlte, umgab ihn mit der Glorie eines
Engels für mich. --

Hier hast Du meine Hand, versetzte der Kammerherr lächelnd, ehe ein
halbes Jahr vergeht, bist Du Lorenzens Frau; freilich nur unter einer
Bedingung -- aber diese ist zu billig, und Du bist viel zu klug, als
daß Du sie nicht gern erfüllen solltest.

Bestürzt sah ich ihn an. In seinen Ton mischte sich auf einmahl so
etwas schneidendes -- und in seinen Blicken brannte plötzlich ein so
düstres arglistiges Feuer, daß sich mein alter längst entschlummerter
Argwohn leise aber schrecklich wie ein Gespenst der Mitternacht wieder
hervor stahl. Und was ist das für eine Bedingung? fragt' ich bebend.
Ich denke, sie soll Dir nicht schwer fallen, sagt' er grinzend. Sie
besteht darin: daß Du mich liebst.

Diese Worte, der Ausdruck mit dem er sie sprach, und die Miene mit der
er sie begleitete, jagten einen Fieberfrost durch meine Glieder.

Mir ahndete nichts Gutes, doch sah ich wohl ein, daß meine Lage eher
schlimmer als besser werden könnte, wenn ich die Angst verriethe, die
mein Innres beklemmte, darum sucht' ich sie zu verbergen, und that, als
hätte ich ihn nicht verstanden, wiewohl sein verhaßtes, brennendes Auge
selbst meiner Unerfahrenheit keinen Zweifel mehr übrig ließ.

Ja, ich werde Sie lieben, antwortete ich zitternd, als meinen
Wohlthäter, als den Schöpfer meines Glücks. -- Mehr verlangen Sie
gewiß nicht von einem armen Mädchen, deren Wesen Sie genau genug
erforscht haben, um zu wissen, daß Lorenz ihr Eins und ihr Alles ist.

Kleine Närrin! erwiederte er, ich will auch Lorenzen keineswegs
Deinen Besitz streitig machen. Warum siehst Du mich so zaghaft
an? -- Verliehre nicht das Vertrauen zu mir. Ich verspreche Dir
feierlich, Du sollst Deinen Geliebten haben; aber da unsere
beiderseitige Glückseligkeit recht wohl neben einander bestehen kann
-- warum wolltest Du mir da wohl Grillen in den Weg legen, die unter
vernünftigen Leuten längst aus der Mode gekommen sind, und die nur
Dir selbst schaden, indem sie die Erfüllung Deines Lieblingswunsches
weiter hinausschieben, als nöthig ist? -- Ich schaffe Lorenzen einen
Dienst, der Euch beide anständig ernährt -- ich bewege die Mutter
zur Einwilligung -- Dir gebe ich eine artige Aussteuer -- -- kann ich
_mehr_ thun, Dir meine Neigung zu beweisen, und wolltest Du wirklich so
grausam seyn, sie mit nichts als Deinem Gebet zu belohnen? --

Länger konnte ich meinen Unwillen nicht verhehlen. Ich habe geglaubt,
sagt' ich bitter, daß Wohlthaten, die aus einem edlen Herzen kommen,
auf weiter nichts Ansprüche machen dürften, als auf Dank. Sonst
verliehren sie ja ihren höchsten Werth, den Werth der Uneigennützigkeit.

Du kennst den Lauf der Welt noch nicht, mein Kind, versetzte er
höhnisch lächelnd. Niemand thut etwas umsonst, wie kannst Du von
_mir_ verlangen, daß ich für meine Mühe leer ausgehen soll, da mir
Deine Liebenswürdigkeit eine so reiche Vergeltung anbietet? -- Du
besinnst Dich noch eines Bessern, ich gebe Dir Bedenkzeit. Ich habe
mir wohl eingebildet, daß ich Hindernisse bei Dir antreffen würde;
indessen denke ich sie zu bekämpfen. Schwierigkeiten erhöhen den Reiz
der Liebe, und die Früchte, die langsam reifen, sind am süßesten. Du
wirst schon einen Entschluß fassen, der Deiner Vernunft Ehre macht,
wenn Du überlegst, welch' einen Ausgang Deine Liebschaft nehmen könnte,
wenn Du mich zum Feinde bekämest -- und das wäre ja unvermeidlich,
wenn Du meiner heißen innigen Zärtlichkeit das Afterbild jener
lächerlichen Tugend vorziehen wolltest, die man Dir einprägte, wie man
Kinder mit dem Knecht Ruprecht zu fürchten macht, und die jetzt der
gebildetere Theil der Menschen nur für das, was sie ist, für einen
abergläubigen Wahn erklärt, den frömmelnde Matronen ergreifen, wenn
die Jugendfreuden an ihnen vorübergeeilt sind.

Mein Abscheu brach gewaltsam hervor -- kaum konnt' ich seine erste
Heftigkeit mäßigen. Ist Ihnen, sagt' ich verächtlich, der Gedanke nicht
Belohnung genug, zwei gute Menschen glücklich gemacht zu haben, so
kann ich Ihre Verwendung nicht annehmen. Lieber will ich unglücklich
seyn, als die Grundsätze verläugnen, die mir unverbrüchliche Treue zum
heiligsten Gesetz der Liebe machen.

Lorenz hat Dich wohl schon mit seinen Schwärmereien angesteckt,
unterbrach mich der Kammerherr. Bedenke alles recht genau -- nur in
Deiner eignen Hand steht das Glück oder Unglück Deines Lebens. In
einigen Tagen sprechen wir uns wieder. Eher will ich keine Maßregeln
treffen, und ich schmeichle mir, Dein Betragen wird mich niemahls
nöthigen, welche zu ergreifen, die Deinen Wünschen entgegen sind. Ich
befehle Dir Verschwiegenheit gegen Jedermann, selbst gegen Lorenz --
überhaupt, setzte er lachend hinzu, _soll_ und _muß_ für ihn alles ein
Geheimniß bleiben, was zwischen _uns_ vorfällt.

Mit diesen Worten ging er fort, und ließ mich in einer größern
Hoffnungslosigkeit zurück, als er mich angetroffen hatte. Ich überlegte
mein Schicksal -- ich betrachtete es von allen Seiten, aber ich konnte
keine finden, die nur einigermaßen freundlich war. Das stille Wohnhaus
meiner Eltern allein trat wie der einzige Ruhepunkt, der mir übrig
blieb, vor die Blicke meines Geistes, die sich übrigens in die Zukunft
wie in eine dunkle Nacht verlohren. Dort, rief ich mit stürmischer
Wehmuth, und richtete mein nasses Auge nach der Gegend, wo Mühlberg
lag, dort in meiner friedlichen Einsamkeit war ich glücklich! O warum
mußte ich sie verlassen! -- Doch nach und nach verlohr mein Schmerz
seine erste Heftigkeit, und mein Unmuth wurde milder. Leiden, sagt'
ich zu mir selbst, sind der Probierstein des menschlichen Herzens.
O Lorenz -- das Schicksal kann alle Freuden, alle Hoffnungen meines
Lebens vernichten, nur meine Liebe und meine Tugend nicht. Weg mit
aller Bangigkeit! -- Menschen können unsern Bund zwar erschweren, aber
doch nicht trennen; denn unsre Seelen haben ihn geschlossen, und wahre
Liebe trotzt der Ewigkeit. Ach ich wäre Deines Herzens nicht werth,
Geliebter! wenn die kummervollen Stunden, denen ich entgegen sehe,
meinen Muth und meine Festigkeit erschüttern könnten.

Wäre Lorenz in diesem Augenblick zu mir gekommen, hätte der Druck
seiner Hand mir gleiche Ausdauer, der Blick seines Auges gleiche
Liebe gelobt, so wären die Funken meiner stolzen Zuversicht, die in
mir glimmten, hell und kräftig zur Flamme emporgelodert. Aber sein
Wegbleiben in einer Stunde, wo seine Gegenwart und sein Trost mir so
nothwendig war, ließ sie nach und nach wieder verlöschen, und ich sank
in meinen vorigen Kleinmuth zurück. Es wurde Abend, und er kam noch
nicht; -- nun wagt' ich es, mit leisen Fragen nach ihm zu spähen,
und erfuhr, daß ihn der Kammerherr in dringenden Geschäften nach der
Residenz geschickt hatte.

Die Absicht des Bösewichts war mir klar. Er wollte Lorenzen entfernen,
um eine vertrauliche Unterredung zwischen uns zu verhüten, denn er
traute meiner Verschwiegenheit nicht, und wenn er auch kühn genug war,
der wehrlosen Unschuld gegenüber sich in seiner ganzen Nichtswürdigkeit
zu zeigen, so fürchtete er doch den festen, verachtenden, strafenden
Blick des ehrliebenden Mannes, der, wenn Lorenz ihn auf ihn heftete,
ihn immer mit einer Art Scheu antrieb, die Plane der Verführung zu
verbergen, mit denen sich sein Geist beschäftigte.

Als ich die gnädige Frau des Abends ausgekleidet hatte, hielt sie
mich mit einem spöttischen Lächeln vom Weggehn ab. Nun, Du kleiner
Tugendspiegel, sagte sie, Du bist wohl recht stolz auf den Sieg, den Du
Dir einbildest, erfochten zu haben? Wenn ich Dir aber freundschaftlich
rathen soll, so spanne die Saiten nicht höher. Mein Mann ist des
Widerstands ungewohnt, und kann ihn nicht vertragen. Du könntest Dich
leicht durch Deine Sprödigkeit zeitlebens unglücklich machen. Gieb
ihm nach, das ist das beste Mittel, ihn bald los zu werden. Ich stehe
Dir dafür, in einigen Wochen ist er Deiner so müde, daß er Dich keines
Blicks mehr würdigt, und dann kannst Du ja ganz ungestört für Deinen
Lorenz leben. Er giebt Dir eine anständige Aussteuer, und auch ich will
gern etwas dazu beitragen, nur mache, daß er beßrer Laune wird; denn
wer kann die verdrießlichen Gesichter aushalten, mit denen er seit
einen Paar Stunden im Hause herum tobt, und die die einzige Antwort
sind, die ich auf meine lustigsten Vorschläge erhalte.

Wie, gnädige Frau, versetzt' ich, Sie können im Ernst verlangen, daß
ich meine Ehre aufopfern soll, um den Verdruß zu verscheuchen, den
Ihr Gemahl _darüber_ empfindet, daß ich besser denke, als Er? -- O
Ihr Vornehmen, rief ich dann halb außer mir mit immer steigender
Hitze, ist Euch denn die Armuth so wenig heilig, daß Ihr mit kalter
Gleichgültigkeit das Einzige zu zertrümmern strebt, was sie so oft
vor Euch voraus hat, das stille Glück, das in dem Bewußtseyn _reiner_
Tugend liegt? -- --

Nun, nun, nur gemach, meine schöne Romanenheldin! unterbrach sie mich
mit zornigen Blicken. Wer nicht hören will, muß fühlen. -- Ich denke,
mein Mann hat noch ganz andre Mittel in den Händen, Dich zahm zu
machen, als meine Vorstellungen, die ich nicht bei Dir verschwenden
will.

Damit drehte sie sich von mir weg, und hieß mich gehen. -- Die
Einsamkeit meiner stillen Kammer umfing mich mit allen Schauern der
Dunkelheit, und begünstigte die Schwermuth meines Herzens. Ach,
Lorenz, Du hast doch Recht gehabt, seufzte ich, als Du mir diese
Menschen schildertest, und mein argloser Sinn Dich der Übertreibung
beschuldigte. -- Ich fühlte deutlich, daß mir nichts mehr übrig war,
als nach meiner Heimath zurück zu gehn, und ich beschloß, es so bald zu
thun, als möglich. Nur wollt' ich erst Lorenzens Wiederkunft abwarten,
um seine Meinung und seinen Rath zu hören. Bis dahin betete ich zu
Gott um Geduld und Muth, und endlich kehrte Ruhe, -- wenigstens ein
Schimmer, der ihr glich, in meine Seele zurück.

Die nächsten beiden Tage vergingen, ohne daß sich etwas zutrug,
was mich von neuem hätte ängstigen können. Wenn mir der Kammerherr
zufälligerweise begegnete, so waren seine Blicke so kalt und
gleichgültig, daß ich höchstens nur seinen Unwillen, nicht _eine_
Spur von Liebe in ihnen finden konnte, und ich freute mich darüber,
ob ich gleich dem Entschluß treu blieb, zu meinen Eltern zurück zu
gehn, und mir in dieser Rücksicht sein Zorn eben so ohnmächtig wie
seine Zärtlichkeit schien. Wie groß war daher mein Schrecken, als
ich den nächsten Abend, da ich schon im ruhigen Schlummer in meinem
verschlossenen Stübchen lag, durch das Geräusch eines Kommenden geweckt
wurde. Ich fuhr bestürzt auf, und suchte mich anzukleiden, als ich
eine Bewegung an der Thür vernahm, und einen Lichtstrahl, der durch
das Schlüsselloch fiel, über den finstern Boden zittern sah. Endlich
ging die Thür auf, -- eine männliche Gestalt in einen Mantel gehüllt,
trat mit einer Blendlaterne herein, und zog den Hauptschlüssel aus dem
Schloße. Ich erstarrte, denn es war der Kammerherr. --

Nun, Justine! ich komm Deinen Entschluß zu vernehmen, redete er mich
an.

In dieser Stunde? -- rief ich entrüstet. Sie ist der Liebe am
günstigsten, versetzte er. Keine Zierereien mehr! Du mußt mein seyn,
ich habe mir es zu geschworen. Er näherte sich mir, und wollte mich
in seine Arme schließen. -- Ein leichtes Zittern durchflog mich doch
nur für einige Momente, -- mit allen Kräften, die mir der Abscheu gab,
stieß ich ihn zurück. Elender, verworfener Mensch! rief ich, glaubst
Du, daß Deine Drohungen, die Schauder der Nacht und das Alleinseyn
mit Dir mich schrecken? -- Nein, Bösewicht, ich trotze Deiner Gewalt.
Er umfaßte mich aufs Neue, aber ich riß mich los, und stürzte zum
Fenster, um Hülfe zu rufen. Er hielt mir den Mund, -- ich fühlte seine
Hand beben, und der Gedanke, daß das Laster fast immer feigherzig ist,
erhöhte meinen Muth.

Er schleppte mich in die Mitte des Zimmers. Mädchen, sagte er, sei
keine Närrin, ich bitte Dich darum. Bei dem kleinsten Lärm, den Du
machst, bist Du verlohren. Giebst Du mir aber nach, so schwör ich Dir
bei allen Heiligen, ich will nicht eher ruhen, bis ich Dein Glück
vollendet, und Dich mit Lorenz verbunden habe. Beharrst Du aber bei
Deiner Thorheit, so betheure ich Dir, daß ich nicht mehr die Stimme
der Menschlichkeit, nur die der Rache hören werde. Dein ganzes übriges
Leben soll dann der Reue und der Thränen über das Schicksal geweiht
seyn, das ich Dir bereiten will. --

Seine Worte machten keinen Eindruck auf mich. Ich konnte nicht mehr
zittern vor dem Mann, den ich so tief verachtete, -- nur die leichten
Bebungen des Zorns, nicht der Angst, durchschauerten meinen Busen. Mein
Herz und meine Tugend erhoben mich so weit über ihn, daß ich seine
Drohungen verlachen konnte. Ungeheuer! antwortete ich, denkst Du, daß
ich selbst meine liebsten Wünsche um einen so niedrigen Preis erkaufen
möchte? Nein und wenn Lorenz nie der Meinige würde, -- -- ich lieb' ihn
über alles, -- ich würde höchst elend ohne ihn seyn, -- dennoch würd'
ich seinem Besitz freiwillig entsagen, wenn ihn mir nur das Laster
verschaffen könnte. -- Er biß die Zähne zusammen, und lachte gräßlich.
Nun denn, Unglückliche, sagte er, ich habe Dich gewarnt. So werde
denn das Opfer Deiner Dummheit und Deines Starrsinns. Es wird noch
manche Stunde in Deinem künftigen Leben kommen, wo Du bedauern wirst,
diesen Augenblick verlohren zu haben. Deine Verzweiflung soll mein
Triumph seyn! -- Er verließ mich mit dem fürchterlichen Schwur, mich zu
verderben.

Daß ich den Rest jener Nacht schlaflos und unruhig hinbrachte, ist
wohl natürlich. Zwar traute ich mir Entschlossenheit genug zu, im
entscheidendsten Falle lieber den Tod, als den Verlust meiner Tugend
zu wählen, -- zwar gaukelte die süße Hoffnung mir vor, daß _dieß_
vielleicht die letzte Prüfung des Schicksals gewesen sei, mit deren
Ende die Rosenzeit meiner Liebe ungetrübt und lachend von neuem
beginnen werde, -- zwar sicherte mich der Vorsatz, der durch diesen
nächtlichen Überfall in mir entstanden war, selbst ohne Lorenzens
Zurückkunft abzuwarten, in die Arme meiner Eltern zu fliehen, vor
den fernern Verfolgungen des Kammerherrn, aber dessen ungeachtet
verdrängten finstre Ahndungen schnell jeden Strahl des Trostes, der in
meine Seele fiel, und mit heißen Thränen begrüßte ich das anbrechende
Morgenroth. Sein milder Schimmer schien mir zur Flucht zu winken. --
Ich packte einen Theil meiner Wäsche und meiner Kleider in ein Tuch, um
es mit mir zu nehmen, weil ich befürchtete, der Kammerherr werde sehr
saumselig seyn, mir meine Sachen nachzuschicken, -- dann ging ich in
die Garderobe der gnädigen Frau, die ich unter meiner Aufsicht hatte,
und brachte alles sorgfältig in Ordnung. Es war noch sehr früh, -- ich
glaubte Jedermann in tiefem Schlaf begraben, und wollte die herrschende
Stille benutzen, um unbemerkt zu entkommen. Als ich die Thür der
Garderobe leise und vorsichtig verschloß, hört' ich jemand gehen; -- es
war Wolf, ein Bedienter, der aus den Zimmern des Kammerherrn kam. Ich
konnte es nicht vermeiden, ihm zu begegnen. Bestürzt, daß schon ausser
mir jemand wach war, ging ich ihm vorüber. In seinem Gesicht mahlte
sich Verwunderung, mich zu einer so ungewöhnlichen Stunde zu treffen.
Neugierig und kopfschüttelnd sah er mir nach bis Ende der Gallerie; --
ich glaubte, daß ich keine Zeit mehr zu verliehren hätte, flog in meine
Kammer, und eilte dann wie ein gejagtes Reh mit meinem Päckchen davon.

Als ich durch die Hinterthür des Hauses in den Garten, und von da in
einen Seitenweg trat, der mich in sanften Krümmungen die waldigte
Anhöhe hinab führte, da wurde meine Brust leichter, und mir war, als
sei ich nun allen Gefahren entschlüpft, die mir drohten. Mit weiten
frohen Athemzügen trank ich die kühle Morgenluft in mich, und mein
glühendes inniges Gebet stieg mit dem Gesang der Lerche, die sich von
einem Waizenfelde trillernd erhob, zum Geber alles Guten empor.

Schon hatte ich den Spillinger Wald so weit hinter mir, daß ich nur
leise und unterbrochen den Schlag einer späten Nachtigall noch
vernahm, die ihn bewohnte, -- meine Einbildungskraft trug mich
weiter, wie meine Augen, und zeigte mir Mühlberg, als das Ziel meiner
Wanderschaft lachend von Ferne mit all' dem stillen Frieden, den ich
mir von seinem Wiedersehn versprach. Ich wurde heiter, -- im Grase
blitzte noch der Thau, und die warmen belebenden Strahlen der Sonne
weckten all' die schlummernden Insekten und Würmchen zum Genuß des
neuen schönen Tags, der so freundlich über uns aufgegangen war. Ich
dachte an Lorenz. Liebend hätt' ich bei seinem Andenken die ganze
kleine summende und schwirrende Welt umfassen mögen, die zu meinen
Füßen im Sonnenschein sich freute, -- ich fühlte mich vertraut mit
dem regen Leben der Natur, daß so tausendfache kleine Gestalten in
froher Thätigkeit bewegte. Ach kalt und gefühllos geht das leere
Herz an allen Gegenständen vorüber, die es nicht mittelbar betreffen.
Nur die Liebe haucht mit süßem Zauber jenes reiche Wohlwollen in die
Brust, mit dem wir auch das gleichgültigste Geschöpf als ein fühlendes
Wesen betrachten: nur die Liebe knüpft uns mit den zarten Banden eines
allgemeinen Antheils an alles, was uns umgiebt, weil sie den Kreis
unserer Empfindungen erweitert und verfeinert.

Ich mochte ohngefähr eine Meile gegangen seyn, als mein Weg sich
theilte. Ich war der Straße nicht kundig, die nach meiner Heimath
führte, denn ich hatte Mühlberg zum erstenmahl in meinem Leben
verlassen, als ich nach Spillingen zog, und damahls beschäftigten
mich so viele ernste Gedanken an die Zukunft, daß ich achtlos mich
der Leitung des Kutschers überließ, der mich abholte. Ich konnte
zwar nicht irren, denn ich hatte den Himmelsstrich immer vor Augen,
unter dem das geliebte Ziel meiner Reise lag, aber dennoch wünschte
ich irgend einem Landmann zu begegnen, um zu erfahren, welcher von
den beiden Wegen am nähesten und sichersten sei. Indem ich so einen
Augenblick stehen blieb, und mich umsah, wurde ich in weiter Entfernung
eine große Staubwolke gewahr, die sich sehr lebhaft bewegte. Der
Gedanke, daß sie von Spillingen kam, machte mir einige Unruh, doch
glaubte ich nicht eher, daß man es der Mühe werth finden würde, mir
nachzusetzen, bis ich die Scharlachuniform des Kammerherrn deutlich von
seinen übrigen Begleitern unterscheiden konnte. Eine namenlose dunkle
Angst bemächtigte sich nun auf einmahl meiner. Das Zittern, das mich
überfiel, war beinahe convulsivisch. Ich wollte mich verbergen, --
umsonst! Da war kein schützendes Gesträuch, keine gefällige Anhöhe,
die mich den Blicken meiner Verfolger hätte entziehen können. Endlich
wurde ich einen kleinen trockenen Graben gewahr, der seitwärts die halb
aufgeschossenen Kornfelder theilte. Brombeerenranken und Nesseln warfen
ihren kurzen Schatten darüber, -- ich besann mich nicht lange, und warf
mein Bündel hinein. Eben wollte ich ihm folgen, als mich die donnernde
Stimme des Kammerherrn ereilte, der im Gallop herangesprengt kam.

Justine hielt hier einige Augenblicke inne. Ihre Nerven waren in
sichtlicher Spannung, ihre Lippen erblaßten und fingen an, zu zittern.
Endlich fuhr sie fort:

Seine erste Anrede, die sehr heftig war, ging für mich verlohren,
denn ich befand mich in einer Betäubung, die mir weder zu hören noch
zu sprechen vergönnte. Als ich ein wenig zu mir selbst kam, erfuhr
ich, daß man mich während meiner heimlichen Entweichung im Verdacht
eines Diebstahls habe. Wolf hatte mich in einer so frühen Stunde aus
der Garderobe der gnädigen Frau kommen sehn; -- meine Bestürzung
war ihm aufgefallen, er hatte mich belauscht. Kurz nachher sah er
mich mit einem Päckchen unter dem Arm leise und vorsichtig durch die
Gartenthür schlüpfen, -- nun war in seinen Augen nichts gewisser,
als daß ein Verbrechen mich jagte. Er ging wieder in die Zimmer des
Kammerherrn, in die ihn, als er mir begegnete, die Unruh über einen
begangenen Fehler in der Bedienung getrieben hatte, den er verbessern
wollte, ehe der Herr erwachte, weil er ihn streng zu ahnden pflegte.
Noch schlief er, und so scharf es auch verboten war, ihn im Schlaf
zu stören, so glaubte er doch, daß ein so verdächtiger Fall seine
Kühnheit entschuldigen werde. Er weckte ihn also, und theilte ihm
seine Muthmaßungen mit. Ich bin überzeugt, daß der Kammerherr in
seinem Herzen gleich im ersten Augenblick mich von dem Verdacht
eines Diebstahls frei sprach, indessen kam ihm Wolfs Vermuthung doch
erwünscht, da die Rache, die er mir gelobt hatte, vielleicht noch
planlos war, und hier am ersten Gelegenheit fand. Eilig ließ er
satteln, eilig traf er die Maaßregeln, die zu meinem Verderben nöthig
waren, und mit all' der Schadenfreude, die ihm sein Bubenstück schon
machte, ehe es gelungen war, sprengte er dahin. Er rechnete auf eine
Menge ihm günstiger Umstände, die seiner Beschuldigung wenigstens einen
Anstrich von Wahrscheinlichkeit gaben. Wolfs Aussage, mein Schrecken,
als ich mich eingeholt sah, die Angst, mit der ich mein Päckchen in
den Graben geworfen hatte, gleichsam als ob das böse Gewissen mir
rieth, es zu verstecken, -- alles dieß und das starre Schweigen, mit
dem ich mich des Diebstahls anklagen hörte, hätte vielleicht auch
einen unbefangenen Menschen wider mich eingenommen. Ach niemand konnte
ja in mein geängstetes Herz sehen, als Gott! und Gott thut keine
Wunder. Niemand hatte Mitleid mit der Dumpfheit meiner Sinne, in der
ich fühllos wie eine Bildsäule da stand, ohne mich zu vertheidigen.
Man zog meinen Reisebündel hervor, und brachte es dem Kammerherrn zur
Untersuchung. Ich sah es ruhig an, -- das Bewußtseyn meiner Unschuld
goß wieder einen Strahl von Lebenswärme in mich, und die Überzeugung
mich gerechtfertigt zu sehn, verscheuchte meine Betroffenheit. Als
aber der Kammerherr mit dem Ausruf: O die Betrügerin! sich zu den
Umstehenden wandte, die mich, indeß er suchte, sorgfältig gehütet
hatten, -- als er mit den flammenden Blicken der höchsten Wuth auf
mich zukam, und mir ein Armband von Juweelen unter die Augen hielt,
das seiner Gemahlin gehörte, und das er vorgab, unter meinen Sachen
gefunden zu haben, -- da ward es Nacht in meiner Seele, -- alle
Gegenstände schwankten um mich her, und eine tiefe Ohnmacht, in die
ich fiel, breitete wenigstens für eine halbe Stunde einen mildernden
Schleier über den endlosen Jammer, der mein Inneres zerriß.

O warum mußte ich wieder zu mir selbst kommen! -- Schrecklich, wie
mein Dahinsinken war auch mein Erwachen. Nicht einmahl der tröstende
Wahn, daß ein schwerer Traum mich nur geängstigt habe, verminderte die
Bitterkeit seines ersten Augenblicks, und mein Elend starrte mich in
all' seiner gräßlichen Wahrheit an. Ach weg! weg! rief sie weinend,
von dem Andenken jener fürchterlichen Stunde. Die Erinnerung an sie
verwundet mich aufs neue, ob sie gleich noch nicht die schwerste meines
Lebens ist.

Der Gerichtsdiener, der den Kammerherrn begleitete, erhielt den Befehl,
für mich zu haften. Man brachte einen Bauerwagen herbei, da ich mich
vor Mattigkeit nicht auf den Füßen erhalten konnte. -- Der Kammerherr
ritt mit seinem Gefolge voraus, und langsam folgte ihm mein Fuhrwerk,
das der Gerichtsdiener mit grimmigen Blicken bewachte.

So kamen wir wieder in Spillingen an. Mit dem Gefühl eines Vogels, der
dem Käficht entschlüpft ist, hatte ich es am Morgen verlassen, -- von
der Ungerechtigkeit meines Schicksals und von unverdienter Schande
beinahe vernichtet, sahe ich es wieder. Das Verbrechen, dessen man mich
beschuldigte, war schon vor meiner Ankunft von dem Kammerherrn und von
seinen Leuten auf dem Hofe verbreitet worden. Alles lief zusammen, um
die ertappte Diebin zu sehn. Ein ganzer Zug von Kindern und gemeinem
Volk aus dem Dorfe folgte mir, theils mit lauten Schmähreden, theils
mit kranken Spott bis vor das Schloß, und die Verwalterin lehnte sich
triumphirend weit zum Fenster ihrer Wohnung heraus, und schlug ein
schallendes Gelächter auf, als sie mich erblickte. Nur ein mitleidiges
Auge verbarg sich hinter die Gardinen ihres Zimmers, und weinte mir die
sanften Thränen des Mitleids, -- -- es war Lorchen.

Man warf mich in einen feuchten Thurm der zum Gefängniß diente, und der
selten von Missethätern und niemahls von Ungeziefer leer war. Als die
eiserne Thür hinter mir zuschlug, war mir, als hätte sie mich auf ewig
von jeder Lebensfreude geschieden. Ich fiel auf das nasse Stroh, das
den Boden bedeckte, rang die Hände und schrie voll Verzweifelung: Ach!
hätte man so mein Grab verschlossen! -- Ich verlohr mein Bewußtseyn
von neuem. Als ich mich erhohlte, sah ich den Gerichtsdiener neben mir
stehn. Eine düster brennende Lampe, die an einer Kette hing, brach die
schwarze Finsterniß meines Aufenthalts in eine schauerliche Dämmerung,
die nicht weniger furchtbar war. Neben mir stand Wasser und Brod zu
meiner Nahrung.

Ein Strom von Thränen stürzte aus meinen Augen. Ich streckte meine Arme
bittend nach dem Gerichtsdiener aus, denn es war ja ein Mensch, und
zwar ein Mensch, den ich nie beleidigt hatte. Aber durch sein Amt war
er schon längst an Auftritte dieser Art gewöhnt -- der immerwährende
Anblick verworfener oder leidender Geschöpfe hatte sein Herz nach und
nach mit einer eisernen Rinde überzogen. Mit kalter Unempfindlichkeit
lachte er mir in's Gesicht und sagte: Nicht wahr, das ist ein kühles
Nachtlager? Ja, wie man's treibt, so geht's! -- Hierauf nöthigte er
mich zu essen, und als mir dieß unmöglich war, löschte er brummend die
Lampe wieder aus, und ging.

O wie lebhaft empfand ich in jenen einsamen nächtlichen Stunden
trotz den mannichfaltigen Leiden meines Zustandes den Werth eines
vorwurfsfreien Gewissens, und einer unbefleckten Tugend. Zwar that
ich Verzicht auf jedes irdische Glück, das ich mir sonst von der
Zukunft versprochen und erbeten hatte, aber in meiner Seele erklang
wie eine reine Harmonie jene tröstende Stimme, die auch das Weh der
bittersten Gefühle zu lindern vermag, die Stimme des Glaubens, daß
wenigstens _über den Sternen_ Vergeltung und Gerechtigkeit wohnt, die
die verkannte Unschuld entschädigt. O wohl dem Unglücklichen, dem
ein reines Gewissen bleibt! wohl ihm, wenn auch das Schicksal seinen
herbsten Kelch ihm reicht. Der Kummer kann ihn niederbeugen, aber sein
Bewußtseyn hebt ihn wieder empor; und wenn sein Blick auch von Thränen
getrübt wird, so bleibt ihm doch die Aussicht in die Ewigkeit klar und
hell, die den Schuldigen mit Grausen erfüllt.

Die vorige schlaflose Nacht, die ich gehabt hatte, und die Ermüdung des
Körpers und des Geistes, die immer auf heftige Gemüthsbewegungen folgt,
wiegte mich bald in einen Schlaf, der sanfter war, als man ihn wohl
gewöhnlich in Gefängnissen zu schlummern pflegt.

Als ich erwachte, war der Morgen bereits angebrochen. Sein jugendlicher
Schimmer stahl sich durch eine Ritze meines Kerkers, und weckte mich
aus den Träumen einer bessern Welt zu dem schmerzlichen Gefühl der
Gegenwart. Ach, Lorenz! was wirst du sagen, wenn du wiederkehrst?
seufzte ich mit gerungenen Händen. -- Kann ich, darf ich noch daran
denken, dich jemahls zu besitzen? -- Ach nein! -- Die Unbescholtenheit
meines Nahmens war ja nächst einem Herzen voll treuer Liebe das
Wichtigste und Heiligste, was ich dir zubringen konnte. Ich bin
beschimpft, wenn auch nicht vor Gott, doch in den Augen der Menschen,
deren Meinung du ehren mußt. Nur dereinst in jenem Leben, wo das
Verbrechen entlarvt und deine Justine gerechtfertigt seyn wird, nur da
winkt mir Vereinigung mit dir! --

So sagt' ich, aber ich läugne nicht, daß sich allmählig und leise der
Gedanke unter mein Selbstgespräch mischte: Warum soll ich unglücklich
seyn, da ich tugendhaft war? -- Kann ich mich denn nicht vertheidigen?
-- Warum soll ich meine Rechtfertigung erst von der Zukunft jenseits
des Grabes hoffen, da sie auf Erden noch möglich ist, und da meine
tadellosen Handlungen mir die kräftigsten Ansprüche auf sie geben? --

Süßer Wahn! Du kamest freundlich wie die lächelnde Gestalt der Hoffnung
in die melancholische Abgeschiedenheit meines traurigen Behältnisses,
und ich hielt dich fest, weil dein holdes Lächeln Balsam in meine
blutenden Wunden goß. Ach ich wußte nicht, daß die Rache eines
Wollüstigen unversöhnlich ist, bis sie ihren Gegenstand geopfert und
zertreten hat -- ich wußte nicht, daß in diesem Falle die Armuth -- sei
auch die reinste Tugend ihr Schild -- in der Gewalt eines mächtigen
Bösewichts sich nur sträubt, wie ein wehrloses Lamm in den Klauen des
Wolfs, um zerrissen zu werden. Ich wußte es nicht, aber bald erfuhr
ich's.

Man foderte mich vor den Kammerherrn. Ich trat mit all' dem Muth und
Stolz, den mir mein Selbstgefühl gab, unter seine triumphirenden
arglistigen Augen. Neben ihm saß seine Gemahlin und tändelte mit ihrem
Schooßhunde. Das sämmtliche Hofgesinde schloß einen Kreis um ihn und
mich.

Es herrschte eine feierliche Stille. Ich vernahm die Schläge meines
pochenden Herzens -- -- der Gedanke, weswegen ich hier gleichsam
vor Gericht stand, färbte meine Wangen mit dem brennenden Roth der
unwilligen Beschämung, der gemißhandelten Ehrliebe.

Ei, ei! Du hast Deine Sachen dumm gemacht, redete mich die Kammerherrin
an. Wenn Du denn doch einmahl stehlen wolltest, warum gerade ein
Kleinod von so entschiedenem Werth, von einem Werth, den Du gar nicht
einmahl zu schätzen verstehst? Tausend andre Dinge, die man weniger
vermißt hätte, wären Dir nützlicher gewesen, und ihre Verantwortung
würde Dir jetzt leichter seyn.

Ich habe nicht gestohlen! rief ich mit überwallendem Zorn. Nur die
abscheulichste Bosheit, die schwärzeste Verläumdung kann mich eines
Verbrechens beschuldigen, an das ich nie gedacht habe.

Das geht zu weit, unterbrach mich der Kammerherr. Vor allen diesen
Zeugen -- er wies auf Wolf und mehrere -- hab' ich das Armband aus
Deinen Kleidern gezogen, in die Du es listig verborgen hattest, und
dessen ungeachtet bist Du so unverschämt, noch zu läugnen? Willst
Du uns alle blind machen? -- Schon Dein heimliches Entlaufen, Dein
Schrecken, als man Dich ergriff, und die Ängstlichkeit mit der Du
Dein Bündel über die Seite schafftest -- schon dieß allein würde Dich
verdammen, auch wenn ich den Beweis nicht in Händen hätte, der Dich vor
aller Welt zur Diebin brandmarkt. Elendes Geschöpf! in Hinsicht Deiner
Eltern will ich milder gegen Dich seyn, als die Gesetze des Landes,
die Dir wenigstens das Spinnhaus auf Lebenslang zuerkennen würden.
Jedermann zum Beispiel und zur Warnung sollst Du heute den ganzen Tag
am Schandpfahl stehn; den Abend soll Dich der Gerichtsdiener mit
Ruthen streichen, und über die Gränze von Spillingen bringen, die ich
Dir bei ähnlicher Strafe verbiete, jemahls wieder zu betreten.

Pfui, lassen Sie das Ruthenstreichen nur weg, sagte die gnädige Frau
mit einem Gesicht voll Abscheu, das aber nicht der kleinste Zug von
Mitleiden verschönerte. Es ist genug, wenn sie am Schandpfahl der
versammelten Menge beweißt, wieviel an der hochgepriesenen Tugend war,
mit der sie so prahlte.

Auf ihr Zureden milderte der Kammerherr sein Urtheil. Überhaupt will
ich zu ihrer Ehre glauben, daß sie nicht daran zweifelte, daß ich
schuldig war. Der Kammerherr hatte das Armband zu sich gesteckt, um
es unter meinen Sachen zu mischen, da meine unbesonnene Flucht den
Verdacht eines Diebstahls einmahl erregt hatte, und dieser noch immer
nicht hinlänglich war, mich ganz zu verderben, wenn der Beweis fehlte.
Es gelang ihm. -- Mit hämischem Triumph befriedigte er seine Rache,
aber die Art und Weise, deren er sich bedient hatte, um dahin zu
kommen, war doch zu schändlich, als daß er sie irgend einem Menschen
hätte anvertrauen können, wär es auch seine eigene Gemahlin gewesen,
vor der er übrigens eben nicht nöthig hatte, sich seiner Gesinnungen zu
schämen, da sie so ziemlich übereinstimmend mit ihm dachte.

Vergeblich betheuerte ich unter Schwüren und Thränen die Falschheit
seiner Anklage. Man überschrie, man mißhandelte mich, man schleppte
mich fort. In der Mitte des Hofraums stand der sogenannte Schandpfahl,
an dem Hausdiebe und ähnliche Verbrecher geschlossen wurden, um durch
die damit verbundene Beschimpfung dem Pöbel, dessen Muthwillen
sie Preis gegeben waren, ein warnendes Exempel zu seyn. In dumpfer
Betäubung ließ ich alles mit mir machen, -- es braußte vor meinen
Ohren, ein schwarzer Flor, in dem alle Farben des Regenbogens spielten,
schien vor meinen starren Augen zu schweben, -- meine Gedanken mischten
sich verworren unter einander, -- ich wußte nicht, was um mich vorging.

Ach! diese Fühllosigkeit, -- daß sie nimmer gewichen wäre! -- Aber
leider zerrann sie wie ein vergänglicher Nebel, gerade in dem
Augenblick, wo ich ihrer am meisten bedurfte, um meine Sinne wider
die härteste Minute meines Schicksals zu waffnen. Der donnernde Huf
eines Rosses drang dumpf durch das lärmende Geschrei der Menge zu mir
her. Eine schmerzliche Ahndung durchzuckte schneidend mein Inneres,
-- unwillkührlich schlug ich mein gesenktes Auge empor, -- ach da
erblickt' es Lorenzen, der so eben von seiner Reise zurückgekommen
war. Blaß wie der Tod, mit hingeworfenem Zügel hing er auf dem Pferde,
wie ein schauerliches Bild der Vernichtung. Erstarren, Wuth und
Verzweiflung, seine Geliebte am Pranger zu sehn, mahlte sich auf seinem
entstellten Gesicht. Krampfhaft zog sich meine Brust zusammen bei
diesem Anblick, und ein Schrei des Jammers erstarb auf meiner Lippe, --
-- weiter kann ich nichts mehr von jener zermalmenden Stunde sagen, --
immer dunkler wurde es vor meinen Blicken, -- ich fühlte nur noch, daß
ich niedersank. --

Das Rütteln eines Wagens, auf den man mich geworfen hatte, brachte mich
nach einer langen Bewußtlosigkeit wieder zu mir selbst. Es fing schon
an, Abend zu werden. -- Die Sonne neigte sich zum Untergange, und ihr
purpurrother Schimmer vergoldete Mühlbergs Thurm, der nur in einer
geringen Entfernung von mir in dem Kranz der freundlichen Gebüsche lag,
den ich nimmer hätte verlassen sollen. Mein zerrissenes Herz regte sich
in der Fülle seiner Schmerzen bei dem Andenken meiner vorigen einfachen
Glückseligkeit, und bei der Annäherung des erschütternden Wiedersehens,
das mir bevorstand.

Ich konnte dem Ausbruch der Thränen nicht wehren, die mir die
Verzweiflung erpreßte, und mein lautes Weinen, zog endlich die
Aufmerksamkeit meines unempfindlichen Führers auf sich. Es war ein
Bauer aus Spillingen. Der Gerichtsdiener hatte mich ihm ohnmächtig
überliefert, mit dem Befehl, mich meinen Eltern zu bringen. Höchst
unbekümmert um meinen Zustand war er ruhig mit mir fortgefahren, ohne
sich damit zu befassen, ihn zu erleichtern. Gleichgültig langte er
bey der Wohnung meiner Eltern an, und als ich kraftlos aus dem Wagen
stürzte, und weinend weder ihre Fragen zu beantworten, noch ihre Angst
zu stillen vermochte, warf er murrend, daß ihm niemand beistand, meine
Sachen herunter, die man mit aufgeladen hatte, und sagte: Ja, ja, wie
die Arbeit, so der Lohn. Da habt Ihr Euer sauberes Früchtchen. Dankt
Gott, daß sie noch so davon gekommen ist, und haltet sie künftig lieber
zum Gebet und Fleiß, als zum Stehlen an. -- Damit schwang er seine
Peitsche und fuhr fort. Ich sah nur noch meinen Vater schwanken, sein
graues Haupt entblößen, und seine gerungenen Hände mit dem gebrochenen
Blick des tiefsten Jammers zum Himmel erheben, -- ich hörte nur noch
die Frage meiner Mutter: Ach Gott! was hast Du angefangen? -- dann
entzog mir ein heftiges Fieber, das mich überfiel, meine Besinnung, und
diesen herzzerschneidenden Anblick.

Fünf Wochen lag ich ohne Hoffnung, ohne jemand zu kennen, -- ohne
meiner Vernunft mächtig zu seyn. Die wilden Fantasien, in denen ich
schwärmte, meine Ausrufungen und meine Klagen, in denen trotz der
Verwirrung meiner Sinne doch ein gewisser Zusammenhang war, der den
Stempel der Wahrheit trug, alles dieß verrieth den Meinigen mein
Schicksal und mein Elend. -- Ach ich war glücklicher als sie, so lang
die Raserei der Krankheit dauerte. -- Der erste Tropfen, der mir im
Becher der Genesung blinkte, war mit neuer Bitterkeit vermischt, die
mein ganzes Leben mit stillem, zehrendem Gram vergiftete.

Als ich wieder zum erstenmahl die Gegenstände und die Personen
unterscheiden konnte, die mich umgaben, erkannt' ich meine gute
Schwester, die an meinem Bette saß. Ich streckte meine Arme nach ihr
aus, und sie drückte mich zwar mit einem Freudengeschrei, aber zugleich
mit einer Fluth von Thränen an ihr Herz, die mich erschreckte, als ich
ihr bleiches, kummervolles Gesicht, die tiefe Trauer in ihrem Anzug und
in ihrem ganzen Wesen bemerkte. Ich konnte die ängstliche Furcht nicht
verscheuchen, die mir zuflüsterte, daß mir noch ein neues schweres
Leiden bevorstand. Eilig und sehnsuchtsvoll frug ich nach meinen
Eltern. Die Mutter ist krank, antwortete Philippine. Ihre Sorgfalt
für Deine Pflege, ihr Gram über Dein Unglück und über mancherlei
andere Dinge hat sie aufs Krankenbett gelegt. Doch verspricht der
Doktor sie bald wieder herzustellen, und die Freude, daß es sich mit
Deiner Gesundheit bessert, wird vortheilhafter auf sie wirken, als die
kräftigsten Arzeneien. --

Und mein Vater? -- Philippine schwieg einige Momente, dann sprach sie
mit zurückgehaltenen Thränen: Der Vater schläft -- ihm ist wohl!

O wenn das ist, so wecke ihn. Laß mich ihn sehn, daß ich ihm mein
Schicksal klage, und meine Unschuld betheuere. --

Philippine fing heftig an zu weinen. Ich soll ihn wecken? sagte sie.
Ach, wenn ich _das_ könnte! -- Das vermag nur Gott, der ihn zu sich
nahm.

Justinens Auge floß hier über -- sie nahm den Faden ihrer Erzählung
nur nach einer langen Pause wieder auf, in der sie mit ihrem Schmerze
zu kämpfen schien. O lassen Sie mich von den Gefühlen schweigen,
sagte sie dann, die bei dieser schrecklichen Nachricht meine Seele
erschütterten. Ich erfuhr, als ich erst wieder Kräfte hatte, mich näher
zu erkundigen, daß der Schrecken meinem Vater eine Art von Schlagfluß
zugezogen, und daß der Kummer und die Vorwürfe, die er meinetwegen
sich selbst gemacht hatte, ihn nach einem kurzen Krankenlager ins Grab
gestürzt hatten. Die festere Natur meiner Mutter erhielt sie mir noch
ein Jahr -- dann folgte sie ihm vor Gottes Richterstuhl, wo sie als
Anklägerin den Urheber meines Elends erwartet.

Und Lorenz? fragte ich mit inniger Bewegung. Konnte Lorenz ein Herz
verkennen, das so edel, und so ganz sein eigen war? --

Lorenz, versetzte Justine mit einem traurigen Lächeln, Lorenz war ein
Mensch. Ob er mich wirklich einer niedrigen Handlung fähig hielt, ob
die Umstände, die wider mich sprachen, auch ihn zu meinem Nachtheil
stimmten -- ob die Schande, die ich öffentlich erduldete, oder der
Wille seiner Mutter eine unübersehbare Kluft zwischen ihm und mich
warf -- das weiß ich nicht. Nur das weiß ich, daß ein halbes Jahr
verging, ehe mein Schmerz über den Verlust meines Vaters, und meine
Sorge für die wankende Gesundheit meiner Mutter mir erlaubte, nach
ihm zu forschen. Die erste Nachricht, die ich von ihm einzog, war die
Nachricht seiner Verbindung mit Lorchen.

Es überraschte mich -- ich läugne es nicht -- es fiel mir hart.
Aber ich war nun schon so in der Übung zu leiden, wenn ich mich so
ausdrücken darf, ich hatte der Hoffnung glücklich zu seyn nun schon
so ernst und freiwillig entsagt, daß ich bald im Stande war, mich
zu fassen. Kurz darauf hatte ich Gelegenheit, mich von den nähern
Umständen und dem Charakter des alten Werners und seiner Familie genau
zu unterrichten. Ich hörte so manchen Zug ihrer Rechtschaffenheit, so
manches ungekünstelte herzliche Lob, das vorzüglich Lorchen betraf, daß
ich nicht daran zweifeln konnte, Lorenz sei glücklich. Auch erfuhr ich,
daß seine Heirath der lange ernste Plan seiner Mutter gewesen war, und
ich tröstete mich durch die Überzeugung, daß sie nie in eine Verbindung
mit mir gewilligt, oder doch wenigstens durch ihre Abneigung und ihre
Denkungsart unser häusliches Glück getrübt haben würde.

Als ich die letzte, traurigste aller kindlichen Pflichten befolgt, und
meine Mutter zu ihrer Ruhestätte begleitet hatte, verließ ich Mühlberg,
und zog hieher zu meiner Schwester. Die freundliche Liebe, die mich
empfing, und die mich bald an ihr Haus, an ihren Mann und ihre Kleinen
fesselte, die Einigkeit in unserm engen, trauten Familienkreise, -- o
das erweckte die erste blühende Empfindung wieder, die mich aus dem
langen Winterschlaf meiner Seele riß. In Thätigkeit und Fleiß, und --
warum sollte ich die reinste Quelle meiner Beruhigung verhehlen? -- in
stiller Andacht und Gebet errang ich mir jene sanfte Ergebung, die sich
ruhig auch in harte Schicksale fügt. Ich dachte noch oft an Lorenz, und
trauerte um meine vergeblichen Träume. Wenn ich mir ihn als Lorchens
Gatten vorstellte, war es mir eine Art von Trost zu glauben, daß ihn
nur die Meinung meines Unwerths, und kein Wankelmuth von mir geschieden
hatte, denn, -- es dünkt Sie vielleicht bloß eine Schwärmerei, --
aber fest und innig ist der Glaube in meine geprüftesten Grundsätze
verwebt, daß eine Liebe, die _von selbst_ aufhören kann, keine Liebe
_war_, und diesen heiligen Namen nimmer verdiente. Und die Gewißheit,
daß mich Lorenz nicht so mit ganzer Seele geliebt hätte, als ich es
meinte, -- -- ach _die_ könnt' ich schwerer ertragen, als all' mein
gehabtes Unglück, stürmte es auch noch einmahl über mich zusammen,
denn sie ist der einzige Strahl, der meine stille Abgeschiedenheit
erheitert, wenn ich an die vorigen Zeiten denke.

Und suchten Sie nicht den Bösewicht zur Strafe zu ziehen, der Ihnen
diese trüben Tage bereitete, fragte ich. Drangen Sie nicht auf eine
öffentliche Genugthuung?

Nein, antwortete Justine. Bei dem Cirkel, in welchem ich lebe und bei
meinen Bekannten in Mühlberg bin ich längst gerechtfertigt. Sie kannten
mich zu gut, um nur Einen Augenblick an meiner Unschuld und an der
Wahrheit meiner Aussage zu zweifeln. Daß man auch in Spillingen weiß,
daß ich unverdient gelitten habe, kann mir nichts helfen, denn ich habe
keinen Sinn für Rache, und wenn es Lorenz erführe, so könnt' es den
Frieden seiner Ehe stören. Denn ach! -- müßten nicht Reue und Schaam
sein Inneres zerreißen, wenn er hörte, daß ich niemahls seiner Achtung
unwerth gewesen wäre, -- -- daß nur meine Treue und meine Tugend mich
in Schande und Elend gestoßen, und _Er_ mich ungehört verdammt, und
den Bund der Liebe zerrissen hätte, den ich durch keinen Fehltritt
entweiht? -- Nein, oft wünscht ich zwar in seinen Augen gerechtfertigt
zu seyn, aber nicht auf Kosten seiner Ruhe. Er lebt vielleicht
zufrieden und glücklich, -- könnte er es auch noch dann, wenn er wüßte,
wie ungerecht er dadurch gegen mich gewesen, daß der Schein einer
strafbaren Handlung ihm soviel als Gewißheit gegolten habe? Ich glaube
es nicht, und darum trage ich ohne Murren das kränkende Gefühl seiner
Verachtung.

Sie sagte diese Worte feierlich und langsam mit dem Ton der stillsten
Trauer. Ich umarmte sie dankbar für ihre Erzählung, und konnte ihr den
Zoll des Mitleids und der Bewunderung nicht versagen. Zu gleicher Zeit
aber erregte Lorenzens Betragen den ganzen Unwillen meines Herzens,
ob ich ihn gleich nicht zu äussern wagte, da Justinens reine Güte
ihn zu entschuldigen schien. Ach verdiente das treuste Herz keine
Nachforschung, ob es auch schuldig war? dacht' ich schmerzlich bei mir
selbst, als ich Justinens blasse Gestalt, so rührend mit dem Stempel
jener stillen Ergebung bezeichnet sah, die nur ein langwieriger Gram
hervorbringen konnte, -- jener Ergebung, die zwar geduldig die Bürde
des Schicksals trägt, aber todt für alle Freuden ist, die ihr die
Zukunft als Entschädigung bietet. In ihrem nassen Auge strahlte noch
der Liebe reinste Flamme in unvergänglicher Jugend bei der Erinnerung
des Geliebten, -- ach, und er konnte sie einem Verdachte opfern, den
nur leise zu fassen, schon Beleidigung für ihre fromme Seele war? Nicht
allein die Innigkeit seines Verhältnisses mit ihr; auch die Pflicht
des redlichen Mannes, dünkte mich, hätte ihn auffordern sollen, die
Entdeckung der Wahrheit zum Ziel seiner regesten Thätigkeit zu machen,
ihre Unschuld zu prüfen, sie der Welt zu beweisen, und das Unrecht zu
rächen, das sie drückte. --

Die kindischen Ausrufungen der Freude, die wir vernahmen, kündigten
Justinen die Zurückkunft ihrer Verwandten an. Wir traten heraus,
als eben das ländliche Fuhrwerk vor der Hausthür hielt. Die Kleinen
begrüßten mit frohem Geschrei ihre Geschwister und ihre Mutter, die,
als mich Justine ihr vorstellte, mich zwar freundlich, aber nur
flüchtig willkommen hieß, und mit ihrem wohlwollenden Auge, in das
sich Unruh mischte, aufmerksam und forschend auf dem stillen, ruhigen
Gesicht ihrer Schwester verweilte, die mit den Kindern, welche indessen
froh die bunten Geschenke des Jahrmarkts betrachtet hatten, sogleich
den Schwager vermißte.

Aber wo ist denn Dein Mann? frug sie Philippinen, und die Kleinen
hingen sich mit zärtlichem Ungestüm an ihre Mutter und riefen: Warum
hast Du uns denn den Vater nicht wieder mitgebracht? --

Er kommt zu Fuße nach, antwortete Philippine, und bringt einen
Fremden mit. Sie stiegen unten am Walde ab, um Dich nicht zu heftig zu
überraschen.

Verwundernd blickte sie Justine mit großen Augen an. Wer ist
denn dieser Fremde? sagte sie furchtsam, als ergriffen ahndende
Vorstellungen ihr Inneres. Philippine fiel ihr mit Thränen um den
Hals. Ein Unglücklicher, sagte sie, der an Deinem treuen Herzen Ersatz
für das verlohrene Glück der Vergangenheit sucht, um welches das
Schicksal ihn betrogen. Ach Justine, bist Du wohl stark genug, um ohne
gewaltsame Erschütterung einen alten Bekannten wieder zu sehn, der Dir
so theuer war, und der es noch ist, ob Du gleich seinen Verlust als
unwiederbringlich betrauertest?

Justine zitterte -- ihre Brust arbeitete unter heftigen Bewegungen,
ihre Lippen bebten, ohne zu sprechen. Eben kam Färber mit dem Fremden
aus dem waldigten Hintergrund. Ich sah eine hohe, schöne männliche
Gestalt mit edlen ausdrucksvollen Zügen, denen aber stiller Kummer
seine Furchen eingegraben hatte. Dunkles Haar umflog die bleichen
Wangen, von denen der Gram die Blüthe der ersten Jugend und der vollen
lachenden Gesundheit hinweg gebrochen hatte, ohne darum seinem Gesicht
die Anmuth zu rauben, die es mit unaussprechlichem Interesse beseelte.
Wäre auch die Ähnlichkeit zwischen ihm und dem Schattenriß in Justinens
Zimmer nicht so auffallend gewesen, wie sie wirklich war, so würde
schon sein großes schwarzes unbeschreiblich rührendes Auge, das ich aus
ihrer Erzählung kannte, mir ihn als Lorenz genannt haben.

Obgleich Justine durch ihre Schwester und durch ihre eignen Ahndungen
auf seinen Anblick vorbereitet war, da niemand als _Er_ eine so tiefe
innige Beziehung auf ihr Herz und ihr Geschick hatte, als daß sie
zweifeln konnte, _ihn_ zu sehn, so wirkte seine Annäherung doch
gewaltsam, beinah vernichtend auf ihr ganzes Wesen. Sie bedeckte
ihr Gesicht mit beiden Händen, und warf sich mit einem Laut des
durchdringendsten Schmerzes in meine Arme. Lorenz eilte, beinahe
eben so sehr von seinen Gefühlen ergriffen, wie sie, auf sie zu, und
zog eine ihrer Hände von ihren strömenden Augen zu seinem Munde. O
Justine, sagte er leise, denn seine Stimme wurde durch die Wehmuth
halb erstickt, die ihn beherrschte: könnten wir beide alle die Leiden
vergessen, die zwischen diesem Augenblick und der Stunde liegen, in der
wir uns zum letztenmahl sahen! -- Ich beweinte Dich als eine Todte,
ach! und als ich erfuhr, daß Du lebtest, hielten mich ernste Pflichten
von Dir entfernt, und ich durfte nichts, als um Dich trauern.

Du hieltest mich für todt? schluchzte Justine: ach, das war ich auch
für Dich -- ich mußte es ja seyn, um meiner Ruhe willen und wegen
Deines eignen Friedens, da Du mich so schnell, so grausam, so ungeprüft
vergessen konntest. -- Sie zog ihre Arme zurück, die sich gleichsam
mechanisch gehoben hatten, ihn zu umfassen. Der Gedanke: Er ist nicht
mehr mein! schien vor ihrer Fantasie zu schweben, und mahlte sich in
ihren starren, verzweiflungsvollen Augen.

Ich hätte Dich vergessen können? rief Lorenz. O Justine, Du thust mir
Unrecht. Dein Andenken war unzertrennlich von mir -- es begleitete
mich wie mein Schutzgeist. Ach, wenn es von mir gewichen wäre, wär'
ich vielleicht weniger unglücklich gewesen. Jetzt sind die Bande
zerrissen, die mich fesselten. Der heilige Wille meines sterbenden
Weibes giebt Dir diese Zeilen zum Vermächtniß -- und mich!

Seine Thränen flossen -- Justinens heftiger Schmerz ging in die
sanfteste Rührung über. Im heißen Mitgefühl dieser Scene hatte ich
bisher den schwarzen Flor übersehen, der um seinen Arm geknüpft war --
jetzt, als ich ihn bemerkte, als er den Sinn seiner Worte bedeutend
unterstützte, schöpfte mein Herz, zwar von Wehmuth bewegt, aber doch
heiter, eine frohe Hoffnung für Justinens künftige Tage.

Ihre bebende Hand ergriff den Brief, den er ihr reichte, aber sie
vermochte es nicht, sein Siegel zu öffnen, und ihn zu lesen. Bittend
gab sie ihn mir, und neigte ihr Gesicht an den Busen ihrer Schwester.
Ich verstand ihr flehendes Auge und ihren Wink -- es herrschte eine
allgemeine Stille, -- ich benutzte sie, erbrach ihn, und las:

»Wenn am Rande meines Grabes mir noch ein Gedanke Freude machen kann,
so ist es der, daß mein Daseyn nun nicht mehr zwei gleichgeschaffne
Herzen scheidet -- Herzen, die sich liebten, ehe noch das Schicksal und
meine Neigung zwischen sie trat. Justine! ich habe Ihnen wehe gethan,
können Sie mir vergeben? Ich habe Sie des Verbrechens fähig gehalten,
dessen man sie beschuldigte, weil ich unvermögend war zu glauben,
daß die menschliche Natur bis zu der Abscheulichkeit einer solchen
Verläumdung sinken könne. Ich habe einer unglücklichen Schwachheit
gefolgt, und in dem kühnen Wahn, als werde es mir gelingen, Ihr Bild in
Lorenzens Brust zu verlöschen, bin ich seine Frau geworden. Ach, es war
ein Wahn, auf den sich süße Träume gründeten, den aber die Wahrheit
nur allzu schnell vernichtete, daß treue Liebe ewig ist. -- Möchte mein
Tod Ihnen recht bald den Geliebten wiedergeben, den, wie ich fühle, man
niemahls vergessen kann. Möchte ein langes und glückliches Leben an
Ihrer Seite den besten Mann für den Edelmuth belohnen, mit dem er Jahre
lang seinen verschwiegenen Kummer trug, um meiner kranken Empfindung zu
schonen, die sich es nicht verhehlen konnte, daß er meine Zärtlichkeit
nur duldete, nicht erwiederte. Ich nehme die Hoffnung mit mir aus der
Welt, daß Sie die erste und letzte Bitte, mit der ich mich Ihnen nahe,
nicht unerfüllt lassen werden. Sie besteht darin, daß Sie den Triumph
Ihrer Unschuld, die Ihr Verfolger auf seinem Sterbebett bekannt hat,
in den Armen meines Lorenz genießen -- meines Lorenz, den ich nur als
den Ihrigen gern zurücklasse, und den ich Ihren ältern, von seiner
wärmsten Gegenliebe geheiligten, Ansprüchen wiedergebe. Suchen Sie ihn
die trüben Stunden vergessen zu machen, die er in einer Verbindung
vertrauerte, die nicht die Wahl seines Herzens schloß, und über die er
mich so großmüthig, wenn gleich vergeblich, zu täuschen suchte. Und
wenn die Zukunft, die ich für Sie im heitersten Lichte erblicke, Sie
mit der Vergangenheit wieder aussöhnt, o so verweilen Sie bei meinem
Andenken bisweilen einen Augenblick in freundlicher Erinnerung, und
wünschen Sie meiner Asche die Ruhe, nach der ich mich sehne.

»Und wenn Lorenz zuweilen mein stilles Grab besucht, und mit einer
Thräne auf den Hügel blickt, der meine schlummernden Gebeine bedeckt
-- o so halten Sie diese Thräne, die nur das Opfer seiner Freundschaft
ist, nicht für einen Hochverrath der Liebe, und zürnen Sie der Rührung
nicht, mit der er sich meiner treuen Anhänglichkeit erinnern wird. Ach
diese Anhänglichkeit war es ja, die mein Herz im frühen Todeskampfe
brach -- mein Herz das nur darum dem Sterben muthig entgegen schlug,
weil es fühlte, daß es selbst mit dem redlichsten Bemühen nicht die
Foderungen seiner Sehnsucht zu stillen vermochte. -- O Justine, reizend
lachte mich einst das Leben an, aber was ist das Leben ohne Liebe --
was ist Liebe ohne Erwiederung? -- Seyn Sie glücklich -- machen Sie
Lorenz glücklich! Das ganze Übermaß des Segens, womit der Himmel seine
Lieblinge überschüttet, wird mein Gebet dann auf Sie hernieder flehen,
und mein Geist, auch noch jenseits mit Bildern der Vergangenheit
beschäftigt, wird, wenn es ihm vergönnt ist, Sie unsichtbar umschweben
und mit wehmuthsvoller Freude Antheil an dem Glück Ihres Bundes nehmen.«

Wir weinten alle, und eine feierliche Stille umfing unsern Kreis, als
ich aufhörte zu lesen, gleichsam als fühlten wir Lorchens geheime
Gegenwart in einem linden Wehen, wie man das Nahen der Geister sich
denkt, und als suchten wir ihr Andenken durch Schweigen und Thränen zu
ehren.

Endlich ermannte sich Lorenz. Bescheiden hoffend trat er vor Justinen,
und hob seine schönen, nassen Augen bittend und mit der ganzen
Innigkeit der Liebe zu ihr empor. O Justine, rief er, und seinen
männlichen Ton brach sanft die Rührung, die noch aus seinen Blicken
leuchtete, stimmt Dein Herz nicht mehr in die Wünsche des meinigen
ein? Darf ich, wenn ich mein Betragen gegen Dich gerechtfertigt habe,
wenn ich Dir geklagt habe, wie tief und endlos mein Kummer um Dich
war, darf ich dann nicht hoffen, daß Dein Besitz mich für meine Leiden
entschädigen werde, und daß Du nicht bloß um das Verlangen der guten
hingeschiedenen Seele zu erfüllen, die sterbend unser Glück von Gott
erbat -- nein, daß Du aus eigner Neigung mir diese liebe Hand reichen
werdest, die so lange schon das Ziel meines heißesten Strebens war?

Justine trocknete ihr Auge, und lehnte matt ihr Gesicht an Philippinen,
die sie freundlich und liebevoll unterstützte. Ach Lorenz, sagte sie
sanft, schone meiner Schwäche. Schmerz und Freude Dich wieder zu sehn,
Überraschung und Wehmuth machen mich unfähig, Dir jetzt zu antworten.
Begnüge Dich mit dem Geständniß, daß Dein Bild noch eben so fest in
meiner Brust steht, als in jenem Augenblick, der es zuerst mit den
Flammenzügen der Liebe ihr eingrub. Erkläre mir erst, wie es möglich
war, daß Du mich meinem harten Schicksal so ganz überlassen konntest,
ohne es durch Deinen Beistand lindern zu wollen -- helle mir das Dunkel
auf, das feindseelig über dem Theil der Vergangenheit liegt, den ich
nie begreifen konnte, und dann -- sie verstummte. Lorenz deutete ihr
Schweigen, und drückte sie mit Wärme an sein Herz.

Daß auf meiner ganzen Reise, (hub er seine Erzählung an) die mir der
Kammerherr mit der dringendsten Eil anempfahl, _Du_ mein Hauptgedanke
bliebst -- daß _Du_ mitten in den Geschäften, die mich verwickelten,
der Gegenstand meiner innigsten Sehnsucht warst, das glaubst Du gewiß
meinen Betheuerungen, in die sich noch nie die kleinste Unwahrheit
mischte. Es war mir unmöglich gewesen, Dir Lebewohl zu sagen, denn
ich sah jeden meiner Schritte bewacht, und die Ängstlichkeit des
Kammerherrn, mit der er mich zur Abreise trieb, hätte sicher meinen
Argwohn erregt, wenn nicht der Unmuth über die unartige Behandlung
meiner Mutter stärker in mir gewesen wäre, als die Verwunderung über
seine sonderbare Eil. Gespornt -- nicht bloß von seinen Befehlen,
sondern von dem Verlangen bald wieder zu kommen, verfolgte ich meinen
Weg und suchte meine Aufträge mit der möglichsten Schnelligkeit zu
besorgen. Ach mit einem Herzen, das Dir so heftig entgegen schlug, das
so gern durch die ganze Fülle seiner Zärtlichkeit Dich für die trüben
Stunden entschädigt hätte, die die Unfreundlichkeit meiner Mutter
und meine schnelle Entfernung Dir schufen, kehrte ich nach Spillingen
zurück, und hoffte, Deiner verwundeten Seele Trost durch meinen
Anblick zu bringen. Der Auflauf von Menschen auf dem Hofraum erregte
nur flüchtig meine Neugierde. Unbekümmert, was es bedeuten mochte,
spähte mein Auge nach allen Fenstern des Schlosses, in der Erwartung,
Dich an einem derselben anzutreffen, aber vergebens. Alle bekannten
Gestalten, nur die geliebtere nicht, begegneten meinem Blicke, und so
richtete ich ihn dann mißmuthig auf den Punkt, um den sich lärmend
das Gedränge des Volks herzog. Großer Gott, wie wurde mir zu Muthe,
als ich Dich am Schandpfahl erblickte! -- Ich fühlte eine Lähmung in
allen meinen Gliedern, mein Blut erstarrte, meine Pulse stockten. Ich
weiß nicht, wie ich vom Pferde kam. Meine starke Natur trotzte zwar
einer gänzlichen Ohnmacht, aber eine dumpfe Betäubung, die ihr glich,
hielt meine Sinne wie mit dunkler Nacht umfangen, und ich war unfähig,
für mich selbst zu denken und zu handeln. Man hatte mich zu Bette
gebracht, da ich mehr einem Todten, als einem Lebenden glich. Nach
einigen Stunden, die ich wohl so zugebracht haben mochte, kehrte meine
Besinnung wieder. Es kam mir vor, als hätt' ich geträumt, und eben
wollt' ich mich aufrichten, um zu fragen, was mit mir vorgegangen war,
als eine heiße Thräne auf mein Gesicht fiel, und eine warme weibliche
Hand die meinige ergriff und leise drückte. Ich wendete mich um, und
sah Lorchen, die neben meinem Bette stand, und sich mit jenem sanften
Ausdruck des Mitleids über mich bog, der auch unbedeutende Züge
mit dem stillen, aber tief eindringenden Reiz der herzlichsten Güte
schmückt. Sie reichte mir einige stärkende Tropfen und ein Glas Wasser,
aber nur mit den Schreckensbildern beschäftigt, die vor meiner Fantasie
schwebten, wies ich jede Hülfsleistung zurück, und forschte nur nach
Dir!

Soll ich Ihnen eine so unangenehme Erzählung nicht auf eine ruhigere
Stunde aufsparen? sagte Lorchen mit bittenden Mienen, und suchte meine
Aufmerksamkeit von einem Gegenstand wegzulenken, der mir so traurig
und doch so wichtig war. In diesem Augenblick trat meine Mutter
herein. Ich las, -- ach Justine, warum muß ich es sagen, ich las in
ihrem höhnischem Lächeln, was mir Lorchens zarte Schonung verschweigen
wollte, -- ich las die Bestätigung der Scene, die wie ein dunkler
Traum vor meinem Geiste schwankte, und bald vernahm ich von ihren
Lippen wessen man Dich beschuldigte.

Wäre ich Deiner Liebe wohl jemahls werth gewesen, wenn ich nur _einen_
Moment die Reinheit Deiner Seele durch den Verdacht hätte entweihen
können, daß diese schändliche Behauptung gegründet war? Und doch --
ist der Stolz nicht verzeihlich, der sich bitter in mir regte, der
Stolz, dem es wohl thut, den Gegenstand seiner Leidenschaft vor der
ganzen Welt geachtet zu sehn, und der selbst in der festen Überzeugung,
daß Du unschuldig littest, mit grellen Farben und wüthendem Schmerz
nicht bloß den Anblick Deiner Leiden, sondern auch ihre Folgen mir
mahlte. Ich hätte weinen mögen, wie ein Kind, denn nicht allein die
Unbescholtenheit Deines Gemüths, auch Deines Namens, galt mir mehr,
wie der halbe Erdball, und ich hätte ihn willig hingegeben, wenn er
mein gewesen wäre, um den Flecken auszulöschen, den diese unglückliche
Beschuldigung Deiner Ehre anhing.

Alle Rücksichten, die ich sonst für nöthig hielt, fielen jetzt vor
mir weg, -- ich verhehlte weder meinen Kummer noch meine Liebe, und
beschwor Deine Unschuld mit aller Wärme meines gereizten Gefühls. --
Die Unschuld weiß sich zu vertheidigen, sagte meine Mutter. Sie läuft
nicht bei Nacht und Nebel davon, und führt auch keine brilliantene
Armbänder bei sich, die ihr nicht gehören. Frage nur alle die, die den
gnädigen Herren begleiteten, als er ihr nachsetzte, ob er sie nicht
in ihrem Beiseyn über den Beweis ihres Verbrechens ertappt hat. Was
die Liebschaft betrifft, die Du mit ihr hattest, so bist Du viel zu
vernünftig und ehrliebend, als daß Du nicht einsehen solltest, daß
daran nicht mehr zu denken ist. Welcher Mensch mit fünf gesunden Sinnen
und rechtlicher Denkungsart wird wohl ein Mädchen nehmen, das wegen
überwiesener Spitzbüberei öffentlich am Schandpfahl gestanden hat? --

Justine konnte ein leises Schluchzen nicht unterdrücken. Ich thue Dir
weh, sagte Lorenz, laß mich abbrechen. -- Nein, versetzte Justine,
fahre nur fort, und kehre Dich nicht daran, wenn Deine Erzählung
Gedanken und Erinnerungen in mir weckt, die mir Thränen kosten. Ach sie
kann ja doch nicht herber seyn, wie alles das, was ich litt.

Lorchens Auge, fing Lorenz wieder an, benetzte sich sanft. O wer hätte
hinter diesen holden, lieblichen Zügen eine so erniedrigende Handlung
vermuthen können, sagte sie. Es that mir unbeschreiblich weh, als man
sie zurückbrachte, und um ihr den Schimpf ihrer Strafe zu ersparen,
hätte ich gern alles, was in meinem Vermögen ist, hingeben mögen.
Aber gleichwohl kann ich sie unmöglich für unschuldig halten, so sehr
ich auch wünschte, daß sie es wäre, denn ihre Flucht, ihr Bemühen,
das Bündel zu verstecken, worin sich das Armband befand, und die
Betroffenheit, die sie zeigte, als sie sich entdeckt sah, alles dieß
spricht leider nur all zu sehr zu ihrem Nachtheil, und ich kann sie
wohl bedauern, aber nicht entschuldigen.

Jedes ihrer Worte war ein Dolchstich, der in mein Inneres drang. Ob
ich gleich nie bis zu einem Zweifel an Deiner Redlichkeit sank, so
konnte ich mir doch das Räthsel Deines Benehmens nicht lösen, und
die Ungewißheit in dem, was Dich dazu bewogen haben konnte, war mir
höchst schmerzlich, ob mich gleich alles zu überreden suchte, daß eine
Erklärung nicht anders, als noch schmerzlicher seyn könne.

Da ich dem Kammerherrn keine Nachricht von dem Erfolg meiner Aufträge
gab, kam er selbst, um sich darnach zu erkundigen. Er bedauerte
theilnehmend meine Unpäßlichkeit, die er dem bloßen Zufall zuschrieb,
und spielte, was mein Verhältniß zu Dir betraf, meisterhaft den
Unwissenden. Da er indessen den Vorgang nicht wohl mit Stillschweigen
übergehen konnte, so sprach er so unbefangen davon, wie nur ein gutes
Gewissen, oder die höchste Frechheit es im Stande ist. Wer hätte diesem
hübschen Mädchen ein solches Laster zutrauen sollen, sagte er. Gott
weiß, daß es mir recht nahe ging, hart, oder vielmehr gerecht gegen sie
zu seyn, aber vielleicht bessern sie die Folgen dieser verunglückten
Probe für ihr ganzes künftiges Leben, und das soll mir herzlich lieb
seyn.

Die Gewißheit, mit der er von Deinem vermeintlichen Vergehen sprach,
empörte mich zu sehr, als daß ich sogleich hätte antworten können. Er
schien zu bemerken, was in mir vorging, und entfernte sich schnell,
um den gewaltsamen Ausbruch meiner Gefühle zu vermeiden. Unter dem
Vorwand der Sorgfalt um meine Gesundheit gab er den Befehl, mich genau
zu bewachen, den meine Mutter nur gar zu gern befolgte. Man behandelte
mich völlig wie einen Kranken. Meine Klagen und Verwünschungen, die
immer Bezug auf Dich hatten, hielt man für Fieberfantasien, und suchte
durch starke Aderlässe und andere medicinische Ermattungsmittel
meinem kochenden Blut einen ruhigern Gang zu lehren. Aber mit dem
letzten Tropfen desselben wäre doch die geheimnißvolle Allmacht nicht
geschwächt worden, die mich mit tausend zarten unsichtbaren Banden an
Dein Wesen kettete. Acht Tage lang hielt ich den Zwang aus, der mich
fesselte, weil mir der Verlust meiner Kräfte zu fühlbar war, als daß
ich die Hindernisse hätte hinweg räumen können, die jeden Versuch nach
Dir zu forschen, vereitelten. Endlich aber raffte ich mich auf, und
erklärte fest und entschlossen meinen Vorsatz, Dich zu sehn, und Dich
aufzusuchen. Meine Mutter hörte meinen Entschluß unruhig an. Ihr Blick,
ihre Miene, ihr Ton war sanfter, wie gewöhnlich. O mein Sohn, sagte
sie, vergiß doch das Vergangene. Selbst wenn Justine unschuldig wäre,
selbst wenn ihre Schande sie nicht auf immer von Dir geschieden hätte,
würde sie jetzt für Dich verlohren seyn. -- Sie ist todt! -- Todt? rief
ich fürchterlich erschüttert, ach unmöglich, unmöglich!

Leider ist es wahr, sagte Lorchen, die seit dieser unglücklichen
Geschichte wie ein Glied unserer Familie bei uns geblieben war, und
mit aller Wärme der zärtlichsten Freundschaft meine Pflege mit meinen
Eltern getheilt hatte. Sichere Nachrichten haben uns verkündigt, daß
sie schon vor einigen Tagen gestorben ist. Ach was muß sie nicht
gelitten haben, da sie so plötzlich in der vollen Blüthe der Jugend und
Gesundheit ein Opfer des Todes wurde! Gewiß hat sie Schmerz, Schaam und
Reue zum frühen Grabe geführt. --

Tod! ich vermochte den Gedanken nicht zu fassen. -- Nein, sie lebt, sie
lebt! rief ich, aber die Vorstellung, wenn es nun doch so wäre? schnitt
mit Höllenquaalen in mein blutendes Herz. Ich sattelte mein Pferd. Was
willst Du machen? fragte meine Mutter.

Ich will hin nach Mühlberg, ich will mich selbst überzeugen, -- aber
wehe dem, der durch eine Lüge dieß gräßliche, vernichtende Bild vor mir
aufstellte. Ich würde die Pein, dir ich jetzt leide, fürchterlich an
ihm rächen. Doch nein, nein, setzte ich weicher hinzu; ich würde ihm
vergeben, -- ich würde ihm danken, daß es nur Lüge war.

Ich schwang mich aufs Pferd, und hatte eben den Hof verlassen, als ich
des Kammerherrn Stimme fast athemlos hinter mir hörte. Nur eine Minute
hielt ich den Zügel an, um zu vernehmen, was er wollte. Unbesonnener,
zurück! rief er, ich muß für Dein Bestes sorgen. Der Anblick, dem Du
entgegen eilst, taugt nicht für einen Halbgenesenen.

Nein, gnädiger Herr, ich gehe nicht zurück. Meine Liebe und meine
Pflicht ruft mich vorwärts, und wenn Sie die Rechte der Menschheit
ehren, so halten Sie mich nicht auf.

Zurück, ich befehl es Dir, sagte er drohend und gebieterisch.

In diesem Augenblick folg' ich nur dem heiligern Befehl meines Herzens.

Wie, Du willst Dich widersetzen, Unverschämter, rief er mit loderndem
Zorn, wende gleich um, oder geh aus meinen Diensten.

Das fällt mir nicht so schwer, als Ihnen zu gehorchen, war meine
Antwort, und ich sprengte dahin.

Eine tiefe, traurige Stille herrschte im Dorfe, als ich durch Mühlberg
ritt. Ach beinahe war es mir willkommen, daß mir niemand begegnete, den
ich hätte fragen können, denn selbst in meiner peinlichen Ungewißheit
lag noch eine Art von Trost, die wenigstens einen Schimmer von Hoffnung
zuließ.

Mit klopfendem Herzen, auf dem die ängstlichste Erwartung mit bleiernem
Gewicht lag, nahte ich mich Deinem Hause, aber ach, wie kann ich Dir
beschreiben, was ich empfand, als ich es von schwarz gekleideten Leuten
umringt sah, und in ihrer Mitte einen Sarg erblickte, den man eben im
Begriff war, fortzutragen. Niedergedonnert von allen Schrecknissen der
Fantasie und der Wahrheit gerieth ich ausser mir. Mein Pferd wurde
bei dem ungewohnten Anblick scheu, und sprang auf die Seite, -- indem
stimmte man einen geistlichen Gesang an, der meiner Meinung nach _Dich_
zur Ruhe begleiten sollte, und zu gleicher Zeit begann der Leichenzug.
Ich drückte den Hut tief in die Augen, gab dem bäumenden Roß die
Sporen, und jagte mit verhängtem Zügel, -- gleichviel wohin.

Der Zufall, der so oft über die Wege entscheidet, die wir auf der Bahn
des Lebens wählen, veranstaltete dießmahl, daß ich ohne es zu wissen,
den nach meiner Heimath einschlug. Gedankenlos ritt ich die bekannte
Straße, die mir vorkam, als führe sie durch lauter fremde, dämmernde
Gefilde, -- gedankenlos langte ich in Spillingen bei dem Hause meiner
Eltern an, und als ich mich von ihnen theilnehmend umringt sah, glaubte
ich in der Zerrüttung meines innern Sinnes unter feindseelig gesinnten,
unbekannten Menschen zu seyn.

Mein Zustand war ihnen fürchterlich. Er schien die Dumpfheit der
tiefsten Verzweiflung zu seyn, die nur eines geringen Anlasses
bedurfte, um in tobenden Wahnsinn überzugehn. Endlich als ich weinen
konnte, wurde es leichter in meiner Seele, aber es war nur Ermattung,
nicht Ruhe, die mit dem Sturm abwechselte, der in mir braußte.
Ich wurde gefährlich krank, doch behielt ich stets meine völlige
Besonnenheit, vielleicht um desto empfindlicher zu leiden. Lorchen
und ihre Eltern nahmen den innigsten Antheil an der Traurigkeit,
die an meinen besten Kräften zehrte, und da theils die Behandlung
meiner Mutter nicht delicat genug war, um nicht stündlich meinen
Schmerz zu erneuern, theils sich auch in Spillingen mir eine Menge
Erinnerungen aufdrangen, die ihn nährten, so schlug mir Werner vor,
meine Wiederherstellung in seinem Hause zu erwarten. Veränderung
der Gegenstände und der Luft war mir von dem Arzt empfohlen, und so
gleichgültig, so verdrießlich mir beinahe meine Genesung war, so
konnte ich doch der freundlichen Einladung nicht widerstehen, ohne die
reinste Gutmüthigkeit zu beleidigen. Ich zog also nach Langenfeld, und
hier fingen meine Wunden zwar nicht an zu heilen, aber man suchte
ihr Bluten durch den mildernden Balsam jener feinen Aufmerksamkeit
zu stillen, die sorgsam alles entfernt, was schwermüthige Ideen
hervorrufen könnte.

So waren drei Monate verstrichen, und je mehr ich wieder zu mir selbst
kam, je inniger fühlte ich mich durch Dankbarkeit und Freundschaft an
Werners liebevollen Familienkreis gefesselt. Man erwähnte Deinen Namen
nicht, und ich empfand wohl, daß es nicht aus Gleichgültigkeit geschah,
sondern um mein Herz zu schonen. --

Meine Eltern besuchten mich zuweilen, und klagten jedesmahl über die
Härte, mit der sich der Kammerherr jetzt gegen sie benahm. Auch mir
hatte er den Abschied in den ungerechtesten zornigsten Ausdrücken
geschickt, und vielleicht da er so sehr über mich erbittert war, bewog
ihn nur die allgemein anerkannte Redlichkeit meines Vaters und seine
eigene Unkenntnis der Wirthschaft ihm nicht ebenfalls den Dienst
aufzusagen. Ich sahe wohl ein, daß es nicht der rühmlichste Weg meines
Fortkommens war, bei Leuten, die ohngeachtet ihrer Güte mir doch nur
immer Fremde waren, im sorgenlosen Müßiggang meine Tage zuzubringen,
und beschloß, ihnen bei der ersten schicklichen Gelegenheit den
Vorsatz, mich in der Ferne um irgend einen Dienst zu bemühen, zu
entdecken. Sie fand sich bald, und ich erklärte ihnen meinen Entschluß
im Beysein meiner Eltern mit den lebhaftesten Gefühlen von Dank für die
unvergeßliche Nachsicht, mit der sie die Launen und Phantasien eines an
Leib und Seele Kranken bisher geduldet hatten.

Lorchen wurde blaß, als sie meinen Willen vernahm. Ihr Auge füllte sich
mit Thränen, und schweigend verbarg sie es an der Brust ihrer Mutter.
Der alte Werner schüttelte den Kopf, und ging nachdenkend im Zimmer auf
und ab. Mein Vater schwieg, -- meine Mutter sah bedeutend bald auf mich
bald auf Lorchen.

Hören Sie, lieber Lorenz! fing Werner auf einmahl an, ich kann nicht
läugnen, daß ich seit Ihrem Aufenthalt bei mir den Gedanken genährt
habe, er werde immer dauern.

Immer, Herr Werner? -- Schon zu lange, fürcht' ich, hab ich Ihre
Gastfreiheit gemißbraucht.

Lassen Sie die Komplimente weg, junger Mann, und reden Sie deutsch und
offen mit mir, wie ich mit Ihnen. Meine Tochter liebt Sie, -- warum
soll ich es verhehlen? Sie liebt Sie mehr als alles in der Welt. -- Ihr
Verhältniß zu Justinen ist zerrissen, aber die Art, wie es geschah,
macht es nothwendig, daß Sie ein neues Band knüpfen, das Ihnen Ihren
Verlust ersetzt. Zwar werden Sie mir den Einwurf machen, daß man nicht
so leicht sein Herz dem einen entziehen und dem andern zu wenden könne,
aber darauf bin ich gefaßt. Ich war auch kein leidenschaftlicher
Liebhaber, und wurde doch ein guter Ehemann. Nicht wahr, setzte er
mit einem frohen Blick auf seine Frau hinzu, die ihm mit Herzlichkeit
die Hand zur Bekräftigung seiner Behauptung reichte. -- Also prüfen
Sie Sich wohl, fuhr er fort. Ich will Ihnen meine Tochter keineswegs
aufdringen, nur weil Sie so innig geliebt werden, weil ich glaube, daß
Sie durch ihre häuslichen Tugenden glücklich seyn können, und weil
ich selbst Ihnen von Herzen gut bin, -- nur deswegen wünsche ich Ihre
Verbindung, und wenn Sie keine Abneigung dagegen haben, so umarme ich
Sie mit der Einwilligung Ihrer Eltern hiermit als den künftigen Gatten
meines Lorchens und als meinen Sohn.

Ich war betroffen, und zu gleicher Zeit gerührt. Lorchen schluchzte
laut, und vermochte es nicht, ihr thränenschweres Auge zu mir zu
erheben. Meine Mutter weinte auch, und rief: Stoß Dein Glück nicht
muthwillig von Dir. -- Den tiefsten Eindruck machte aber mein Vater
auf mich. Er nahte sich mir, und faßte bewegt meine Hand. Gönne meinem
Alter die Freude, Dich glücklich verheirathet zu sehn, sagte er, wo
möglich in einem noch sanftern väterlichem Tone als er gewöhnlich zu
mir sprach. Und wenn der Kammerherr mich aus dem Dienst stößt, in
dem ich grau geworden bin, o so laß mich dann bei Dir ein ruhiges
Plätzchen finden, wo ich sterben kann.

Die Möglichkeit eines solchen Falles trat lebhaft vor meine Seele,
und bestimmte mich zu dem Entschluß, mich der Zufriedenheit anderer
aufzuopfern, da mir eigenes Glück versagt war. So empfing ich Lorchens
Hand, und daß sie mir auch ihr ganzes Herz gab, lehrten mir tausend
Proben ihrer treuen, zärtlichen Liebe. Zwar vermochte ich es nimmer
über mich, sie zu erwiedern, aber ich that, was ich konnte, und
begegnete ihr stets mit allen Aufmerksamkeiten der Freundschaft, die
ich für sie empfand, und mit all der Achtung, die sie verdiente.
Für ihr sanftes Gemüth war die Liebe, was der Sonnenschein der
unentfalteten Blume ist. Jede holde Fähigkeit, jede anmuthige
Eigenschaft ihrer Seele entwickelte sich in ihrem wärmenden Strahle,
und jede hatte den Zweck mich zu beglücken. Ach es wäre möglich
gewesen, hätte ich nie Justinen gekannt! --

So schlichen mehrere Jahre vorüber, -- Jahre, die noch jetzt in der
Erinnerung mit Centnerschwere auf mir lasten, da ich mir vorwerfen muß,
im vergeblichen, unverhehlbaren Kampf mit meiner so tief eingewurzelten
Liebe zu Dir, Lorchens Herz oft, zwar wider meinen Willen, aber doch
bitter, gekränkt zu haben. Dein Aufenthalt war so tief verborgen, und
wir selbst sahen unsere Tage so einsam, so unbekümmert um alles, was in
der Gegend vorging, verstreichen, daß die Nachricht Deines Lebens erst
spät in unsere Abgeschiedenheit zu dringen vermochte.

Sie ergriff mich mit allen Schaudern der Wehmuth und der Freude. Kaum
konnt' ich ihr glauben, und doch war sie mir zu süß, als daß ich an
ihr hätte zweifeln mögen. Im ersten Rausch der Überraschung entwarf
ich eine Menge lachender Plane, Dich wieder zu sehn, und Dich an dieß
liebende Herz zu drücken, das noch immer so ganz Dein eigen war,
-- aber schnell zertrümmerte ein Blick auf meine Lage die goldenen
Luftschlösser, die sich die Hoffnung erbaute, und ich fühlte mich
wieder elend wie zuvor.

Lorchen hörte mit mir zu gleicher Zeit, daß das Gerücht Deines Todes
ungegründet war. Ein Bauer, der damahls gerade von Mühlberg kam,
hatte in dem Hause Deiner Eltern, wo Du so gefährlich krank lagst,
erfahren, daß man fürchtete, Du werdest den Abend nicht erleben, und
die Wahrscheinlichkeit galt ihm so viel, wie Gewißheit. Der Tod Deines
Vaters, den man eben begrub, als ich mich selbst überzeugen wollte,
wie es mit Dir stand, bestätigte mir fürchterlich die vernommene
Trauerpost, denn unfähig zu fragen oder zu untersuchen, _wem_ das
schauerliche Leichenbegängniß eigentlich galt, hielt ich es in der
schrecklichen Idee, mit der ich hergekommen war, für das Deinige, und
nahm so den Wahn mit mir hinweg, der uns auf so lange trennte, und der
giftig an dem Frieden meiner Seele nagte.

Die Bewegungen meines Innern entgingen Lorchen nicht, die bescheiden,
aber aufmerksam jede meiner Regungen mit dem scharfem Blick der Liebe
bewachte. Zwar sah sie, daß ich Meister meiner glühenden Wünsche
war, und daß ich keinen Versuch machte, irgend eine meiner Pflichten
durch Deinen theuern Anblick zu verletzen, aber sie bemerkte auch die
Anstrengung, die es mir kostete, und überließ sich dem geheimen Gram
gekränkter Zärtlichkeit, ohne daß eine Klage, oder nur ein Wort, das
einem Vorwurf glich, die Sanftmuth ihrer Lippen entweiht hätte.

So näherten wir uns allmählig dem Zeitpunkt, der für uns entscheidend
war. Der Kammerherr, dessen Unwillen gegen mich die Entfernung nicht
besänftiget hatte, ließ mich auf einmahl nebst Lorchen zu sich fodern.
Da wir saumseelig waren, seinen Befehl zu erfüllen, sandte er uns
seinen eigenen Wagen mit der Bitte, an sein Sterbebette zu kommen.
Ein fürchterlicher Traum hatte sein böses Gewissen geängstigt.
Um den düstern Eindruck zu schwächen, den die Rückerinnerung auf
seine Stimmung machte, beschloß er, sich durch einen Spazierritt zu
zerstreuen, und dieser wurde durch einen unvorsichtigen, unglücklichen
Sturz vom Pferde die Ursach seines Todes.

Als er die Annäherung desselben fühlte, regte sich das Andenken
seiner lasterhaften Handlungen schmerzlich in seiner Seele mit allen
den ängstlichen Vorstellungen der Zukunft jenseits des Grabes, die,
-- wenn auch die Welt ein langes Menschenleben hindurch partheiisch
richtete, mit einer strengen unbestechbaren Gerechtigkeit, vor der der
Bösewicht erschrickt, Gutes und Böses aus einander wiegt. Ach er hatte
es sich nie einfallen lassen, daß in der Sterbestunde die lachenden
Farben verbleichen, unter denen das Laster oft seine eigenthümliche
Häßlichkeit verbirgt, und was ihm sonst im Genuß der Gesundheit und der
rauschenden Freude als leichte, verzeihliche Galanterie erschienen war,
grinzte ihn jetzt fürchterlich in der Gestalt des Verbrechens an.

Nicht ohne die lebhaftesten Erinnerungen an Dich betrat ich das Haus
wieder, in dem Du so viel gelitten hattest, und an das Bild Deiner
Thränen, das sich mir vorstellte, knüpfte sich das holde Andenken
der Tage unsrer Liebe, und beides machte mein Herz weich, und mein
Auge naß, das sich vergeblich sehnte, eine Spur zu erblicken, die mir
Dein ehemahliges Daseyn verrieth. Man brachte mich mit Lorchen in das
Schlafzimmer des Kammerherrn. Er hatte dem Geistlichen erklärt, daß
er in meinem Beisein und vor mehreren Zeugen ein Dich betreffendes
Bekenntniß ablegen wolle. Meine Eltern waren ebenfalls herbei gerufen
worden, um gleichsam seine letzte Beichte mit anzuhören. Schweigend
bildeten wir einen Kreis um das Bette, wo er entstellt, und in
fürchterlichen Krämpfen lag. Die gnädige Frau spielte einstweilen in
ihrem Zimmer Piket mit einem jungen Offizier ihrer Bekanntschaft. --

Mühsam rang der Sterbende nach so viel Kräften, als eine kurze
Erzählung fordert, und in abgebrochenen Sätzen, doch klar und
bestimmt, und unter allen Zeichen der Angst und der Reue erklärte er
Deine engelreine Unschuld, und klagte sich selbst als den Urheber
Deines Unglücks an. Ob ich gleich nie daran gezweifelt hatte, daß
der Verdacht, der auf Dir ruhte, ungegründet wäre, so machte doch
dieß entsetzliche Geständniß einen Eindruck auf mich, den meine Brust
beinahe nicht weit genug war zu fassen. Selbst bei einer genauen
Kenntniß des Kammerherrn hatte ich ihn doch einer solchen überlegten
Abscheulichkeit nicht fähig gehalten, und sie stand mit allen ihren
traurigen Folgen, wie eine geöffnete Halle, vor meinem starrenden Blick.

Alle Anwesenden, und auch meine Mutter waren aufs heftigste
erschüttert, besonders Lorchen, die, als sie die entsetzliche
Nachricht vernahm, mit einem lauten und dennoch leisen Schrei, wie er
nur aus einem gebrochenen Herzen kommen kann, ohnmächtig zur Erde fiel.
Die Sorge um sie entfernte mich aus dem Krankenzimmer. Ich brachte sie
an die freie Luft, wo sich ihre Lebensgeister wieder sammelten. Nach
einer halben Stunde kam der Pfarrer heraus, und verkündigte mir, daß
der Kammerherr so eben unter convulsivischen Zuckungen verschieden sei.
Bitten um unsre Vergebung waren seine letzten Worte gewesen.

Ich machte Anstalten, Lorchen nach Hause zu bringen. Sie selbst bat
mit einer Hast darum, die mir verrieth, daß sie die Schwäche ihres
Zustandes fühlte. Stumm saß sie neben mir im Wagen, nur zuweilen hob
ein leises Schluchzen ihre beklommene Brust, die den verzehrenden
Krampf des tiefsten Schmerzes verbarg. Bald nahm sie die Liebkosungen
an, mit denen ich den Aufruhr ihres Innern zu stillen versuchte, bald
wieß sie sie zurück und verbarg ihre Thränen. Als wir in Langenfeld
ankamen, hatte schon ein Fieber mit zerstöhrender Gewalt ihren Körper
ergriffen, der viel zu zart war, um nicht dem schleichenden Gifte
eines langwierigen Grams und dem Sturm einer solchen Erschütterung
zu unterliegen. Wir schickten sogleich nach dem Arzt, aber Lorchen
mißbilligte es, als sie es erfuhr. Meine Stunde hat geschlagen, sagte
sie, und Gottlob! daß es so ist. Ich sehe freudig meiner Auflösung
entgegen.

Sie bat uns, sie allein zu lassen, und verlangte Schreibzeug. Ich
bewachte im Nebenzimmer ihre kleinsten Bewegungen, um ihr sogleich
beizustehn, wenn sie Hülfe bedurfte, aber sie war ganz ruhig, und
schrieb mit vieler Fassung den Brief an Dich, den sie bis zu ihrem
letzten Augenblick in ihrem Busen aufbewahrte. Als sie geendigt
hatte, verlangte sie nach mir. Mit einer rührenden Innigkeit schloß
sie mich in ihre Arme, und bat mich um Vergebung, daß sie, nächst dem
Kammerherrn, das Werkzeug meiner Trennung von Dir gewesen sei. Sie
entdeckte mir, daß sie längst eingesehen habe, daß sie nicht im Stande
sei, mich für Deinen Verlust zu entschädigen, und ersuchte mich mit
Wehmuth, wenigstens ihres guten Willens freundlich zu gedenken. Die
unschuldige Ursache Deines Kummers wird bald nicht mehr seyn, sagte sie
zu mir, -- o benutze dann Deine Freiheit, um so glücklich zu werden,
als ich Dich gern gemacht hätte! --

Endlich erschien der Arzt. In seinen bedenklichen Mienen lasen wir
die Gefahr der lieben Kranken, ob er uns gleich aufmunterte, noch
nicht alle Hoffnung sinken zu lassen. Verhehlen Sie mir es nicht,
Herr Doktor, sagte Lorchen, der er Muth einsprach, daß mein Ende
nicht mehr fern ist. Sie würden mich dadurch um unersetzlich kostbare
Stunden betrügen. Hat man doch bei jeder kleinen Reise den theuern
Zurückbleibenden so viel zu sagen, -- wie viel mehr bei einer so
ernsten Reise, als mir bevorsteht, -- bei einer Reise, von der man
niemahls wiederkehrt. --

O Justine! laß mich die bangen Stunden mit Stillschweigen übergehn,
in denen ich an ihrem Bette saß, und Zeuge der frömmsten, sanftesten
Ergebung war, mit der sie den Kelch des Todes hinnahm. So endigt sich
nur ein Leben, das so schuldlos war, wie das ihre, -- so stirbt nur die
Tugend, der eine fleckenlose Vergangenheit Ansprüche auf die reinste
Seeligkeit des Himmels giebt! -- -- --

Ehe sich ihr Auge auf ewig schloß, wandte sie es noch einmahl auf
mich und ihre trostlosen Eltern, die mit mir ihr Lager umringten. Sie
streckte uns zärtlich ihre Hände entgegen und sagte sanft: Weinet
nicht, meine Lieben! mir öffnet sich eine bessere Welt, -- mir winken
die Gefilde eines ewigen Friedens! Ich sterbe gern, mein Lorenz, denn
das Ende meines Lebens wird der Anfang Deines Glücks seyn. O genieße
es so rein und unverfälscht, als mein Herz mit seinen letzten Schlägen
Dir es wünscht, und gieb, wenn ich todt bin, der edlen, unschuldigen
Justine mit Deiner Hand und Deiner ihr längst gewidmeten Liebe die
Zeilen, die ich mit inniger Empfindung für sie geschrieben habe, und
die man bei mir finden wird.

Sie mußte abbrechen, um sich zu erholen, denn das Reden wurde ihr schon
schwer. Dann kehrte sie sich zu ihren Eltern, und sagte ihnen mit der
ganzen Wärme ihres dankbaren Gefühls das letzte, bittre Lebewohl. Ich
hoffe, fügte sie mit schon brechender Stimme hinzu, Sie werden nie
vergessen, daß Lorenz das Liebste ihres Lorchens war. Lassen Sie ihn
immer die Rechte eines Sohns genießen; -- er wird suchen, Sie durch
Sorgfalt und Pflege über den Verlust einer Tochter zu trösten, die Sie
doppelt gut und liebenswürdig in Justinen wieder erhalten werden.

Hierauf verstummten ihre sanften Lippen. -- Ihre Brust hob sich noch
einige mahl unter stärkern Athemzügen, wie gewöhnlich, -- und ihre
schöne Seele war entflohn.

Die Betrübniß, die ich empfand, erreichte beinahe den Schmerz der
biedern gebeugten Alten, und wurde ein Band, das uns noch fester an
einander knüpfte, als das Verhältniß der Verwandtschaft und der Liebe.
Wie die erste Heftigkeit unseres Kummers nachließ, drangen sie in mich,
den Forderungen meines Herzens zu folgen, die jetzt nur geschwiegen
hatten, da die Trauer der Freundschaft ihre heiligen Rechte behauptete.
Sie betrachten Dich als ein theures Vermächtniß ihres Lorchens, von
ihr selbst erkohren, die schmerzliche Lücke auszufüllen, die ihr
Tod in unserm Cirkel riß, und mit offenen Armen versprachen sie mir
freiwillig, Dich zu empfangen, und durch alle die Zärtlichkeit, die
sonst der lieben Verstorbenen gehörte, Dir Deine ehemahligen Leiden
vergessen, und unser vereintes Leben angenehm zu machen. Ich reißte
also ab, und ein Zufall verschaffte mir in dem benachbarten Städtchen,
durch welches ich kam, die Bekanntschaft Deines Schwagers, die ich
seegne, da sie mich um so eher zu dem Ziel meiner Reise führte.

Ach! und Deine Mutter? -- unterbrach ihn Justine, kämpfend mit Furcht
und Hoffnung, und gespannt auf seine Antwort.

Nur zu sehr, versetzte Lorenz, hat die Erfahrung ihr gelehrt, wie
unauslöschlich meine Liebe war, und wie elend es mich machte, sie
verbergen zu müssen. Sie selbst bittet Dich, in meine Wünsche
einzuwilligen, und läßt mich hoffen, daß wir, -- wenn auch in keinem
herzlichen, doch in einem anständigen Vernehmen mit ihr leben können.

Justinens Wangen überflog das reizendste Roth. Und die Kammerherrin?
fragte sie schnell, gleichsam in Verwirrung, die sie verbergen wollte.

Da sie, erwiederte Lorenz, wegen ihrer bisher geführten Lebensart
nicht mehr so recht in der Residenz in guten Gesellschaften geduldet
wird, so hat sie beschlossen, Spillingen zu verkaufen, und im Auslande
Gelegenheit zu neuen Abentheuern zu suchen, in denen sie wahrscheinlich
nicht ehrenvoller bestehen wird, als in ihrem Vaterlande. Der Tod ihres
Gemahls soll ihr nicht unangenehm gewesen seyn, weil sie erstlich
dadurch unumschränkter über ihr Vermögen gebieten kann, und zweitens,
weil sie für ihre Schönheit die Trauer vortheilhaft hält. Sie hat
ihre Reise bereits angetreten, und also auch von dieser Seite ist die
Luft jener Gegend rein, -- wiewohl uns eigentlich ihr Daseyn eben so
gleichgültig als ihre Abwesenheit seyn könnte, da eine sorgenfreie,
wohlhabende Lage unsere Zukunft von jedermann unabhängig macht,
ausgenommen von denen, denen ich sie danke. Werners, die mich, seit
Lorchen starb, wo möglich noch mehr wie vorher als ihren Sohn ansehn,
bestehen nämlich darauf, daß ich schon jetzt Langenfeld als mein
Eigenthum betrachten soll, aber mir ist die kindliche Einschränkung zu
lieb, in der ich bisher unter ihnen lebte, als daß ich nicht streben
sollte, sie beizubehalten, da ihre Güte meine lebhaftesten Wünsche
übertrifft.

Justinens Auge hing am Boden, und glänzte von Thränen, aber nicht von
Thränen, wie sie der Kummer erpreßt. Lorenz beugte sich zu ihr, und
umschlang sie innig. Laß mich nun das süße Wort vernehmen, sagte er,
das vor dem Altar unsre Hände vereinigt, wie unsere Herzen es schon
lange waren. Justine erröthete tiefer, -- sie erhob ihren gesenkten
Blick mit dem lieblichsten Ausdruck, der ihm ein sanft verschmolzenes
Gemisch von Freude, Rührung und Zutrauen gab, und lächelnd neigte sie
sich seiner Umarmung entgegen. Ja, Lorenz! sagte sie, ich war Dein, und
ich bin es noch. Ach meine unendliche Liebe zu Dir ist es einzig, die
mich werth macht, die Nachfolgerin eines so edeln Weibes zu seyn, wie
das, welches Du verlohren hast. --

Zu den Glückwünschen und Freudenbezeugungen ihrer Verwandten gesellten
sich auch die meinigen, die Justine nicht weniger herzlich aufnahm.
Gern hätte ich der allgemeinen Einladung nachgegeben, die mich
nöthigte, trotz dem sparsamen Raume des Hauses, die Nacht zu verweilen,
aber mein Schicksal rief mich vorwärts, und ich mußte mich beugen unter
dem eisernen Zepter der Nothwendigkeit. Unendlich interessant und
theuer war mir trotz unserer kurzen Bekanntschaft jedes einzelne Glied
dieser kleinen, lieben Familie geworden. An Färbers fand ich ein Paar
treuherzige, ebenfalls wie Justine über ihren Stand gebildete Menschen,
die aber den höhern Grad ihrer Kultur nur dazu anwendeten, wozu ihn
eigentlich der reine Zweck einer guten Erziehung bestimmt, nämlich:
zum feinern Genuß des Lebens, und zur wärmern Ausübung häuslicher und
geselliger Tugenden, die, wenn sie auch ihren Wohnplatz zuweilen in
einer rohen, ungebildeten Brust aufschlagen, doch nur unvollkommen
dort, wie die Früchte eines milden Klimas unter einen nördlichen
Himmelsstrich gedeihen.

Mit warmen Dank für ihre gastfreien Anerbietungen verließ ich das
glückliche Ehepaar, deren stiller, einfacher Wandel gewiß den beiden
Verlobten das schönste Beispiel eines unerschütterlichen, häuslichen
Friedens gab. Justinen versprach ich in der Umarmung des Abschieds mit
eben dem Antheil, den ich an ihrer traurigen Vergangenheit genommen
hatte, sie einst in Langenfeld zu überraschen, und mich mit ihr ihrer
schönern Zukunft zu freuen. Mir war, als fesselten mich tausend Banden
an diese kleine, trauliche Hütte, in der ich so viel Edelmuth und Güte
angetroffen hatte, -- endlich mußte ich doch von ihr scheiden, aber
das Bild ihrer liebenswürdigen Bewohner nahm ich in meinem Herzen mit
hinweg.




                           Autun und Manon.

                            Eine Erzählung.


Als ich eines Tages eine meiner Freundinnen besuchte, fiel es mir nicht
wenig auf, eine ältliche Frau, begleitet von einem jungen Frauenzimmer,
ins Zimmer treten zu sehen. Die Schönheit der jungen Dame übertraf
alles, was ich bisher noch gesehen hatte, sie war ungefähr fünfzehn
Jahre alt, und die Tochter des ältern Frauenzimmers, wie ich nachher
erfuhr. Sie war kaum aus dem Kloster gekommen, um ihren Vater zu sehen,
und sollte nach drei Monaten wieder dahin zurückkehren, weil ihre
Mutter nicht gern eine so große Tochter um sich sah, da sie selbst noch
Ansprüche auf Schönheit machte. Damahls sah ich zum erstenmahl eine
Person, die mein künftiges Schicksal bestimmte.

Herr _von Ribaupierre_ war Offizier, er hatte die Welt gesehen, und
große Reisen gemacht, durch die er zwar an Erfahrung reicher, aber an
Vermögen desto ärmer geworden war. Alle Pläne, die er zur Vergrößerung
seines Vermögens entworfen hatte, waren mislungen, und zuletzt hatte
er gelernt, dem Glück nicht mehr zu trauen. Bei der Belagerung von
_Charenton_ wurde er mit drei Stichen in den Leib tödtlich verwundet.
Man gab ihm die letzte Ölung, und nach einer allgemeinen Beichte,
erhielt er die Absolution nicht eher, bis er gelobt hatte, sich mit
seiner Frau, mit der er längst schon auf einen vertrauten Fuß gelebt
hatte, trauen zu lassen. Sie wurden auf seinem Bette getraut, und als
er sich wieder erholte, streute man aus, daß er schon seit einem
Jahre heimlich verheirathet gewesen sey. Nach sechs Wochen erfolgte
die Niederkunft des Fräuleins _von Ribaupierre_; ihr Gemahl wollte es
niemahls erlauben, daß man sie Frau nennen durfte. Sie gebahr ihm eine
Tochter. Nach der Geburt dieses Kindes lebte die Mutter sehr gut mit
ihrem Gemahl, aber da sie schön und jung, und Herr _von Ribaupierre_ in
seinem achtundfunfzigsten Jahre war, so bekam er bald die unheilbare
Krankheit der alten Männer. Er wurde mistrauisch, und lebte in keiner
großen Harmonie mit einer Frau, der man weiter keine Vorwürfe machen
konnte, als daß sie mehr Aufmerksamkeit zu erregen suchte, als einer
verheiratheten Frau erlaubt ist.

Als der Tod diese Ehe zerriß, war es gerade um die Karnevalszeit,
und Herr _von Ribaupierre_ besuchte einen Ball bei dem Marquis von
S., der sonst ein Freund des Fräuleins _Ribaupierre_ war. Er wußte
die Nachricht von ihrem Tode, und sie betrübte ihn nicht wenig. Doch
ehe man sichs versah, trat Herr _von Ribaupierre_ in einer eleganten
Maske in den Saal, wo er schöne Gesellschaft fand. Er präsentirte
dem Marquis einen Beutel voll Louisd'ors; der Marquis und mehrere
andere von der Gesellschaft ließen sich ins Spiel ein, und verlohren.
_Ribaupierre_ gewann ansehnlich und gestand nachher, daß dieß der
einzige glückliche Tag in seinem Leben gewesen sei, indem er zugleich
den Tod seiner Frau zu seinem Gewinn schlug. Da er sich im Spiel so
groß angekündigt hatte, nahm man ihn für einen reichen Mann und bat
ihn, sich zu erkennen zu geben. Anfangs weigerte er sich, aber als
er die Maske vom Gesichte zog, erkannte ihn der Marquis, und der
Schrecken preßte ihm einen lauten Schrei aus. »Wie!« sagte er, »ein
Mann, dessen Frau eben verschieden, kann sich in einem solchen Aufzug
sehen lassen? Unglücklicher Mann!« fuhr er fort, »sind dieses die
Thränen, die Sie um eine Gattin vergießen, die eine der schönsten und
tugendhaftesten Frauen der Welt war?« -- »Mildern Sie Ihre Ausdrücke,
mein Herr!« gab ihm jener zur Antwort, »der Verlust meiner Gemahlin
ist vielleicht größer für Sie, als für mich, _mir_ gehörte sie an,
aber _Sie_ besaßen sie, ein Vortheil wiegt vielleicht den andern auf.
Ich würde weinen, wenn ich mein Geld verlohren hätte, oder wäre doch
traurig geworden, und dadurch hätte ich vielleicht den Damen gefallen,
die meine Betrübniß auf die Rechnung meiner verstorbenen Gemahlin
geschoben hätten, aber jetzt habe ich das Recht, mich zu freuen. Ich
verliehre eine Frau, die mich immer betrübte, und gewinne sechshundert
Louisd'ors. Ich muß mich freuen, aber nicht Sie, Herr Marquis, Sie
verlohren Ihr Geld und eine Geliebte, und hiermit gute Nacht.« So
verließ er den Saal, ohne eine Antwort abzuwarten.

Der Marquis schalt ihn, als er fort war, einen Narren und rohen
Menschen; er bat seine Freunde, die Zeugen dieses Auftritts
gewesen waren, um Verschwiegenheit; auch seinen Bedienten gebot er
Stillschweigen, und erklärte feierlich, daß er in seiner künftigen Frau
so viel Klugheit möchte erwarten können, als er in der Gemahlin des
Herrn _von Ribaupierre_ gefunden. Der Wittwer, der Verstand hatte, und
erfuhr, daß sein Mißverhältniß mit seiner verstorbenen Gemahlin kein
Geheimniß mehr war, fürchtete, man möchte ihm Händel zuziehen, zumahl,
da schon hin und wieder ein Gerede von Vergiftung entstand. Er ließ
Ärzte und Wundärzte herbeirufen, und den Leichnam öffnen. Da man den
Tod seiner Gemahlin natürlich fand, so ließ er sie beerdigen. Übrigens
gab er selbst die erste Veranlassung, seine Gemahlin für untreu zu
halten, weil er behauptete, daß niemand ihre Aufführung kenne, als er
selbst. Und dieser Grundsatz ist so allgemein in der Welt angenommen,
daß, sobald ein Mann selbst über die Treue seiner Frau Zweifel
aufwerfen kann, es die andern zwiefach berechtigt, das Böse zu glauben.

Aber seine Tochter konnte man trotz der Äusserungen ihres Vaters
nicht verkennen, sie war ihm zu ähnlich, und je größer und schöner
sie wurde, desto mehr nahm diese Ähnlichkeit zu, ob er gleich selbst
einer der häßlichsten Menschen war. Der Tod ihrer Mutter brachte
keine Veränderung der Lage des Fräuleins _von Ribaupierre_ hervor,
denn der Vater wollte nicht die Last auf sich nehmen, über eine
Tochter von siebenzehn Jahren die Aufsicht zu führen. Allein da er
anfing, schwächlich zu werden, rief er sie zu sich. Sie erschien in
der Welt und trug Sorge für ein Vermögen, das sie einst zu erwarten
hatte. Um diese Zeit, in ihrem zwanzigsten Jahre sah ich sie zum
erstenmahl wieder, seitdem ich sie bei meiner Freundin gesehen hatte.
Schon damahls war ihre Schönheit bewundernswürdig, aber als ich sie
zum zweitenmahle sah, hatte sie noch unendlich gewonnen. Ihr Wuchs
war majestätisch, ihr jugendliches Aussehn war durch die Weiße der
Gesichtsfarbe noch erhöht; schöne schwarze Augen zugleich schmachtend
und lebhaft, die Nase schön geformt, ein kleiner rother Mund und alle
Gesichtszüge in schönster Harmonie, machten sie zum treusten Abbilde
der heiligen Jungfrau. Ihr Anstand war edel und fest, ihre Bewegungen
waren lebhaft, aber von einer natürlichen Sittsamkeit begleitet, die
mich entzückte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mein Herz verwahren
können, ich gab es hin; ich liebte _Manon_, oder vielmehr ich betete
sie vom ersten Augenblick an, als ich sie sah. Umsonst stellte ich mir
die Gerüchte vor, die bei dem Tode ihrer Mutter verbreitet worden, das
wenige Vermögen, was ihr zu Theil werden würde, und ich glaubte fast,
obwohl sie die schönste Person von der Welt war, die ich je gesehen,
sie doch mit Gleichgültigkeit anzusehn. Aber ich betrog mich, ich sah
sie den folgenden Tag in der Messe; ein einziger Blick, den sie auf
mich warf, der mich wähnen ließ, er fordre mein Herz, zerstörte alle
meine Entschließungen. Ich entschuldigte die Mutter, ihr Vater dünkte
mich nur ein Unmensch, ein Verräther, und ich urtheilte, eine Frau, die
nicht vollkommen tugendhaft gewesen wäre, hätte einer solchen Tochter
nicht das Leben geben können. Ich überließ mich meiner Leidenschaft,
und meine Aufmerksamkeit wurde nicht gleichgültig aufgenommen. Ich
sprach, sie hörte mich an, aber ohne mir eine entscheidende Antwort
zu geben. Lange schwebte ich in Ungewißheit, bis ein Vorfall mich die
Entdeckung machen ließ, daß _Manon_ mich liebte, und im Ernst daran
dachte, mir ihre Hand zu geben.

Eines Tages fand sich ein Geistlicher bei ihr ein, und nach manchen
gleichgültigen Gesprächen kamen wir auf die Ehe zu sprechen, und
was sie aufheben oder verhindern könnte. Der Geistliche sagte, daß
die Kirchengesetze ehemahls strenger als jetzt gewesen wären, und
erzählte einige Beyspiele zum Beweise, daß man sonst nicht einmahl
erlaubt habe, daß zwei Menschen, die zusammen ein Kind aus der Taufe
gehoben, sich hätten verheirathen dürfen, daß man aber jetzt keine
Gewissenssache daraus mache, obgleich diese geistige Verbindung eine
körperliche aufheben sollte. So sähe man, setzte er im heiligen
Eifer hinzu, täglich die Erfahrung bestätigt, daß die Kinder aus
einer solchen Ehe eben so gut, wie die, welche aus einer Ehe, wo die
Eltern zu nahe verwandt erzeugt wären, ihr ganzes Leben hindurch mit
widrigen Schicksalen zu kämpfen hätten, und auch in ihren Sitten der
verderbliche Einfluß bemerkt werden könnte. Gott zeige eben dadurch,
welchen Abscheu er vor solchen Verbindungen habe, weil er keinen Segen
dazu gäbe, so oft man auch Lossprechungen dafür zu erlangen suche.

Noch erzählte er uns, daß er bei einem rechtschaffenen Mann im Hause
wohne, dessen Frau ehestens niederkommen würde, und längst schon darauf
gedacht habe, mich und _Manon Ribaupierre_ zu Pathen ihres Kindes zu
wählen. Die Niederkunft erfolgte, der Vater trug mir die Pathenstelle
an, und ich so wie die Eltern des Kindes glaubten, auch _Manon_ würde
einwilligen. Aber die Rede des Geistlichen hatte tiefern Eindruck
auf sie gemacht, und da der Vater kam, um sie zur Erfüllung dieser
christlichen Pflicht zu bewegen, und ihr sagte, daß er auch von mir das
Versprechen habe, so antwortete sie lächelnd: »Ich habe mich nur im
Scherz dazu verstanden, aber um Ihres Kindes willen darf ich es nicht,
denn alle Kinder, bei denen ich Pathenstelle vertrat, und deren sind
schon mehr als zwanzig, sind gestorben.« Jede Überredung war fruchtlos,
sie wollte nie darin willigen, mit mir die Pathenstelle bei dem Kinde
anzunehmen. Ihr Betragen machte mich empfindlich, und ich machte ihr
Vorwürfe über ihre Hartnäckigkeit. Aber sie lachte der Vorwürfe, und
erinnerte mich unvermerkt an die Worte des Priesters. »Mein Gedächtniß
ist treu!« fuhr sie erröthend fort, und verließ mich. Diese unerwartete
Erklärung, so verfänglich sie auch für ein Mädchen war, war mit soviel
Schamhaftigkeit begleitet, daß ich nicht wußte, ob ich mehr erstaunen,
oder mehr entzückt darüber seyn sollte. Aber auf einmahl wurde das
Gespräch mit dem Geistlichen mir wieder gegenwärtig, ich ernannte eine
andere Pathe, und _Manon_ war nur bei dem Gastmahl gegenwärtig.

Ich dankte ihr für eine so ausserordentliche Erklärung, wir vereinigten
uns über unsere Hoffnungen und es wurde beschlossen, daß ich um sie
bei ihrem Vater werben lassen sollte. Ich war unabhängig und in
einem Alter, wo ich niemand mehr Rechenschaft ablegen durfte; ohne
Verwandte, die ich über meine Handlungen hätte um Rath fragen müssen.
_Ribaupierre_ hätte keinesweges Ursach gehabt, über einen Antrag
dieser Art beleidigt zu werden; meine Familie war der seinigen gleich,
mein Vermögen weit ansehnlicher, als das seine, und ich konnte in
der That noch Ansprüche auf eine weit vortheilhaftere Verbindung
machen. Alles dieß ließ uns hoffen, daß er uns nicht im Wege seyn, und
sogleich meinen Vorschlag annehmen würde. Aber wir betrogen uns. Er
antwortete meinem Fürsprecher, daß er mir sehr für die Ehre verbunden
wäre, die ich ihm erzeigen wolle, aber daß er sie nicht annehmen
könne weil es ihm unmöglich sei, sich von einem großen Theil seines
Vermögens zu entblößen, das nur zu seinem anständigen Lebensunterhalt
hinreiche. Solle er es mit seinem Schwiegersohn theilen; so werde er
sehr eingeschränkt leben müssen; ausserdem habe er auch das Wenige,
was er mit großer Mühe von den Trümmern seines Vermögens gerettet,
für sich selbst gerettet. Nur um ihn in seinem Alter zu pflegen, und
ihm das beschwerliche Leben zu erleichtern, habe er seine Tochter aus
dem Kloster gezogen, wo er sie andernfalls gelassen haben würde, und
nicht, um sie in die Arme eines Mannes zu führen, der sie vielleicht
gar noch abhalten könnte, für ihren Vater die schuldige Anhänglichkeit
und Achtung zu zeigen. Wenn sie nicht seinem Willen gemäß handeln
wolle, so wisse er zu gut, was er besäße, und daß sie nichts von ihm
verlangen könne, als ihr Mütterliches. Um sein Vermögen nach seinem
Tode zu erhalten, müsse sie es erst durch ihre Zuneigung gegen ihn zu
verdienen suchen, wo nicht, so wisse er, woran er sich zu halten habe.
Dieß sei sein letzter Entschluß, setzte er noch hinzu, und er bitte
sehr, daß man gegen ihn nie mehr davon sprechen solle, seine Tochter zu
verheirathen, wenn man sein Freund bleiben wolle.

Diese so bestimmte Antwort war ein entscheidendes Urtheil. Seine
Tochter weinte darüber, und ich war in Verzweiflung, aber es gab
kein Mittel dagegen. _Ribaupierre_ war zu bestimmt in seinem Willen,
und er hatte Zeit gebraucht, um diesen Entschluß reifen zu lassen.
Das letzte Mittel, das wir ergriffen, weit entfernt, uns weiter zu
bringen, wie wir es gehofft hatten, hätte uns bald unwiederruflich
zu Grunde gerichtet. Wir steckten uns hinter seinen Beichtvater, der
ihm vorstellte, daß seine Tochter nicht leicht eine vorteilhaftere
Heirath thun könnte, daß sie bald ein Alter erreichte, worauf man
Rücksicht zu nehmen nöthig hätte, und daß es hohe Zeit sei, sie zu
verheirathen; daß ich darin willigte, sie ohne Heirathsgut zu nehmen,
nur die Versicherung verlange ich, daß ich ihn nach seinem Tode allein
beerben solle. Indem er sich einen Schwiegersohn wähle, so hätte er,
statt einer einzigen Stütze, deren zwey. Selbst sein Gewissen nahm er
in Anspruch und stellte ihm vor, daß er dazu verpflichtet wäre, und
tausend bösen Vorfällen dadurch vorbeugen könnte; denn ein Mädchen, dem
man Zwang auflegte, und das von der Leidenschaft beherrscht würde, wäre
leicht auf Abwege zu bringen. Kurz, der Geistliche erschöpfte mit der
größten Beredsamkeit, die ihm die geistliche Liebe nur eingeben konnte,
alle Gründe für unsere Vereinigung, aber sie gelang ihm nicht. Er hatte
mit einem Manne zu thun, dessen Gemüth durch sein eigenes Unglück
erbittert war, den die Erfahrung belehrt hatte.

Er gäbe gern zu, sagte er, daß die Verbindung für seine Tochter dem
Anschein nach vortheilhaft wäre, da er aber niemanden Rechenschaft von
dem Zustand seines Vermögens gegeben hätte, so könnte es sich doch
vielleicht nach seinem Tode finden, daß sie eine so vortheilhafte
Parthie wäre, als ich. Ihr Alter wäre noch nicht so gefährlich, um die
Sache so eifrig zu betreiben. Drey oder vier Jahre mehr würden nicht
mehr Falten in ihr Gesicht bringen, und wenn sie spät heirathete, so
würde sie wenig Kinder bekommen, aber sie würden gesund seyn, und
von einer starken Constitution. Sie würde ihren Verstand vollkommen
ausgebildet haben, besser ihre Wirthschaft zu führen im Stande seyn und
nicht mehr Gefahr laufen in die Zerstreuungen der Jugend zu fallen. Was
mein Anerbieten betreffe, ihm den Genuß seines Vermögens zu überlassen,
so lang er lebe, so danke er gar sehr für die Gnade, ihn genießen zu
lassen, was sein Eigenthum sei. Beides, den Gebrauch des Geldes, so
wie das Recht daran, könne ihm niemand streitig machen, und er wolle
es sich auch bis an sein Ende bewahren, denn wenn er einmal sich des
Rechts entäussert hätte, nach Gefallen darüber zu gebieten, so würde
sein Sohn, wie seine Tochter glauben, daß dieser Genuß ein Raub wäre,
den er an ihnen begangen hätte. »So gut bin ich nicht,« sagte er, »um
zu sterben, weil es ihnen Freude macht, auch sollen sie nicht die Sünde
auf sich laden, Gott zu beleidigen und meinen Tod zu wünschen. Die Welt
giebt Beyspiele genug von Greisen, die einfältig gewesen sind, um sich
aus mißverstandener Güte für ihre Kinder unglücklich zu machen, diese
sollen mir nicht zum Muster dienen. Meine Tochter soll, so ist mein
Wille, immer von mir allein abhängen, ohne weder mich, noch sich selbst
der Großmuth eines Schwiegersohns zu überlassen.«

»Ich betheure bei Gott,« setzte er hinzu, »daß sie nie dieser Gefahr
ausgesetzt seyn soll. Ich bedarf auch der Unterstützung eines
Schwiegersohns nicht, meine Geschäfte bedürfen keines Gehülfen, noch
keiner rechtlichen Fürsprache, alles ist im Klaren und in Ordnung,
ich habe keine gerichtlichen Verfolgungen zu befürchten, weil ich
niemand einen Heller schuldig bin. Ich selbst brauche nur die Dienste
meiner Köchin und eines Bedienten, um mir den Stock zu reichen, wenn
ich aufstehen will. Was mein Gewissen betrifft, so bin ich kein
Casuist, aber ich finde nicht, daß ich dem gemeinen Menschenverstand
zuwider handle, und ich verstehe noch weniger, wie von einer Heirath
meiner Tochter mein Heil abhängen sollte. Fast scheint es, daß man
mich einige Abweichungen von ihrer Seite wolle befürchten lassen,
um mich bei einem höhern Gericht verantwortlich zu machen, wenn ich
sie nicht verheirathen wollte. Aber auf dieses habe ich nur ein Wort
zu erwiedern. Ich gebe gern zu, daß die Väter oder Mütter bei einer
üblen Aufführung ihrer Kinder nicht schuldlos sind, wenn sie ihre
Neigungen zwingen wollen, sei es durch eine Heirath oder durch das
Kloster. Aber keines von beiden hat sie von mir zu befürchten. Bin ich
tod, so ist sie frey, und kann nach ihrer Neigung eine Wahl treffen.
Noch weniger bin ich gesinnt, sie wieder ins Kloster zu schicken, ich
habe sie für mich und weil ich ihrer bedarf herausgenommen. Indeß
wenn es ihr Wille wäre, würde ich sie auch davon nicht zurückhalten,
doch fürchte ich dieses nicht, da es ihr so am Herzen liegt, sich zu
verheirathen. Was die Befriedigung der Bedürfnisse unserer Kinder
angeht, so finde ich die Ältern sehr strafbar, wenn sie ihre Kinder
in die Nothwendigkeit versetzen, zu der Börse anderer ihre Zuflucht
zu nehmen. Aber bei meiner Tochter ist dieß nie der Fall gewesen,
sie hat alles, was sie bedarf und noch zum Überfluß. Ich versagte
ihr nichts, und war immer der Erste ihren Beutel zu füllen, ohne
erst zu erwarten, daß sie mich darum bat, und sie brauchte mir nie
Rechenschaft darüber abzulegen. Darum würde es nicht Noth seyn, die sie
zu Ausschweifungen führte, sondern nur Sinnlichkeit, und dafür kenne
ich ein untrügliches Mittel, ich werde sie niemahls aus dem Gesichte
verlieren, auch ihrer Kammerjungfer, auf die ich mich verlassen kann,
befehlen, sie niemahls aus den Augen zu lassen. Ich werde sie jederzeit
in die Messe begleiten, und sie immer in meinem Zimmer beschäftigen,
ohne sie herausgehen zu lassen, wenn sie nicht von sichern Leuten
beobachtet wird. Jede Art von Andachtsübungen und Wallfahrten, die
ausser meinen Wänden geschehen könnten, werde ich zu hindern wissen.
Briefe erlaube ich herzlich gern zu schreiben, denn diese sind es
nicht, die das Geschlecht vermehren. Auch werde ich selbst Herrn
_d'Autun_ nicht verbieten, sie zu sehen, aber dieß muß immer unter
meinen Augen geschehen. Sollte ich aller Maaßregeln ungeachtet betrogen
werden, so würde _Manon_ schuldiger vor Gottes Augen seyn, als ich. Ich
werde nicht um fremder Sünde willen verdammt werden, und überlasse sie
ihrem eigenen Gewissen. Ich hoffe, sie ist klug und zu gut erzogen, um
Thorheiten zu begehen, aber würde sie sich welcher schuldig machen,
so muß sie allein dafür büßen, und sie würde in diesem Fall aller
Ansprüche auf mein Vermögen verlustig werden.« --

Seine lange Antwort war hier zu Ende, aber nicht sein Gespräch mit dem
Beichtvater. Er hörte ein Geräusch, und konnte nicht zweifeln, daß ich
mit seiner Tochter gehorcht hätte, wie auch der Fall war; wir waren
in der größten Verlegenheit, er brach in laute Schmähungen aus, und
beschämte seine Tochter so sehr, daß ihre Thränen flossen. Wir zogen
uns zurück, mußten aber zuvor noch eine trefliche Ermahnung hören, die
er an den Beichtvater richtete, ohne das Ansehen zu haben, als spräche
er mit seiner Tochter.

»Bin ich nicht recht unglücklich, mein Herr,« sagte er, »ich habe mich
erschöpft, und mein ganzes Leben alle Kräfte angewendet, mehr als man
mir glauben wird, und jeder Versuch schlug mir fehl. Schreckliche
Unglücksfälle haben mir den besten Theil meines Vermögens geraubt,
über diese klage ich nicht, Gott wollte es; ich habe vielleicht nur
wenige Zeit noch zu leben, von vielen Übeln gedrückt, fast ganz
gelähmt will man mich meines Vermögens berauben. Und wer ist es?
Meine einzige Tochter, die mir alles verdankt, und der allein meine
Güte einiges Recht auf mich nach meinem Tode giebt. Man will mich
überreden, mein Vermögen wegzugeben, das ich nicht entbehren kann,
und an einen Menschen, der mir vielleicht nie danken wird. Denn meine
Tochter wird nicht das Privilegium haben, einen Mann zu finden, der
von anderm Teig geformt ist, als wir alle, und nach uneigennützigen
Grundsätzen handeln wird. Ich beurtheile ihn nach mir, ich hatte ihrer
Mutter in den Tagen meiner Liebe geschworen, sie ewig zu lieben, sie
war unverständig genug, mir zu glauben, und erlaubte mir alles; drey
glückliche Tage dauerte diese Verblendung, nach dieser Zeit war es das
Herz nicht mehr, das mich zu ihr zurückführte, es war nur ein Bedürfniß
der Sinne. Auch ist es wahr, daß wenn sich nicht die Folgen dieser
Liebe gezeigt hätten und ich meine Krankheit nicht tödtlich geglaubt
hätte, ich sie nie, ohngeachtet meiner Schwüre und meines Versprechens
geheirathet haben würde. Ich heirathete sie nur um meines Kindes
willen, man machte es mir zur Gewissenssache und es war mir unmöglich,
dem Jesuiten zu widersprechen, dem ich meine Beichte ablegte. Ich
liebte sie nicht mehr, der Genuß hatte die Liebe getödtet. Noch ist
es mir unbegreiflich, wie ich dahin gebracht werden konnte, aber man
sagte mir in jedem Augenblicke, daß ich sterben müsse, und weil ich
es so oft hörte, so glaubte ich es am Ende selbst. Die Furcht des
Todes hatte mich meiner ruhigen Überlegung beraubt. Man sieht in einem
solchem Augenblicke die Dinge aus einem ganz andern Gesichtspunkt an,
als in gesunden Tagen. Meine Frau wäre tugendhaft, sagte man mir, und
ich glaubte es, man knüpfte meine ewige Seeligkeit an ihre Hand. Ich
nahm sie nicht aus Liebe zu ihr, sondern um das Paradies zu erwerben.
Ich erwarb es nicht, weil ich noch auf der Erde bin; aber doch war ich
nicht in der Hölle, sondern im Fegefeuer, wo ich dafür büßte, daß ich
am Leben blieb. Sie starb endlich, und ich gestehe es offenherzig, ihr
Tod machte mir Freude. Und es ist so wahr, daß ich keine Liebe für sie
mehr hatte, indem ich eine Stunde nach unserer Trauung ein Testament
machte, worin ich ihr sehr wenig bestimmte, und auch den Händen meiner
Frau nicht die Verwaltung des Vermögens anvertrauen wollte, das ich
für unsere Tochter ausgesetzt hatte. Da sie früher starb, so hebt
sich dieses Testament auf. Ich lebte ziemlich ruhig mit ihr, weil ich
es nicht ändern konnte, aber ohne den Gedanken an meine Tochter, die
ich immer liebte und noch liebe, hätte ihre Mutter sicher kein gutes
Leben bei mir gehabt. Ich verschloß meine Augen über ihr Betragen, aber
nichts entging mir, und ich wollte nur das Aufsehen vermeiden, was
ich nie liebte. Ich selbst wollte nicht Dinge enthüllen, die mir die
Ehre befahl, zu verbergen, und die mehr auf die Tochter, als auf die
Mutter nachtheilig hätten wirken müssen, zudem hat sie immer den Schein
beibehalten, der mich bei dem Betragen meiner Frau das Wesentlichste
dünkt, denn das Übrige ist unbedeutend.«

»Ich sage es Ihnen, ehrwürdiger Vater,« fuhr er fort, »und unter dem
Siegel der Beichte, daß ich immer unglücklich war; sey es in meiner
Jugend durch meine Anstrengung und durch meinen Verlust, oder in
spätern Jahren durch meine Heirath, indem meine Frau das Geheimniß
besaß, mich wüthend zu machen, und doch die Herrschaft in Händen zu
behalten; jetzt bin ich es durch meine Kränklichkeit und durch eine
Tochter, die mir so viele Verbindlichkeiten schuldig ist, und mich doch
verlassen, mich entblößt zurück lassen will, vielleicht mich gar als
ihren Verfolger ansieht. Aber weil es ihr so wenig kostet, sich von mir
loszureißen, so will ich auch versuchen, mich von ihr loszumachen, und
das erstemahl, daß mir wieder jemand, durch sie veranlaßt, von einer
Hochzeit spricht, oder die erste Thorheit, die sie begeht, wird mich
bestimmen, sie zu verlassen. Ich werde an einen Ort flüchten, dem ich
alles, was mir übrig geblieben ist, übergeben, und wo ich das Glück
finden werde, ruhig sterben zu können.« Ich weiß nicht, ob er mehr
sagte, denn seine Tochter zog sich zurück, sehr gebeugt durch ihre
Neugierde, und darüber, daß ich alles mit gehöret hatte, sie bewog mich
also, mich auch zurückzuziehen.

Wir hatten alle Ursache zu glauben, daß er die Bosheit haben würde
in uns wechselsweise Widerwillen gegen einander zu erregen. _Manon_
sollte durch sein Beispiel mir abgeneigt werden, und ich ihr durch
das Beispiel ihrer Mutter. Diese Gedanken brachten uns in eine solche
Verwirrung, daß wir es nicht wagten, uns anzusehen. Endlich kam der
Beichtvater heraus und theilte uns das Resultat seiner Unterhaltung
mit, so weit sie die Heirath betraf; von _Manons_ Mutter, so wie von
allem, was uns betrüben konnte, schwieg er. Er sagte uns nur, wir
sollten nicht mehr an eine Heirath denken, weil es verlohrene Zeit und
Mühe seyn würde. Er wollte selbst nicht rathen, noch mit Herrn _von
Ribaupierre_ darüber zu sprechen, er wäre zu fest und unerschütterlich
in seinem Entschluß; und würden wir darauf bestehen, ihn zu einer
Sinnesänderung zu bewegen, so würden wir uns selbst am meisten schaden.
Er würde niemahls mehr für uns mit Herrn _von Ribaupierre_ sprechen und
sollte er auch hundert Jahre leben. »Gott bewahre!« rief ich aus. Und
ich weiß selbst nicht, mit welcher Miene ich es muß gesagt haben, denn
der Beichtvater und das Fräulein schlugen ein lautes Gelächter auf.

Der Vater ließ seine Tochter bald nach dem Gespräche des Geistlichen
rufen. Sie bat mich noch den Abend wieder zu kommen, ich könnte, wenn
das Wetter zum Spaziergang nicht günstig wäre, an ihrer Thüre sie
aufsuchen, und so verließ ich sie.

»Glaubst Du,« sagte er zu seiner Tochter, als sie in sein Zimmer trat,
»daß die Welt ihrem Ende schon so nahe sey, daß ein Priester Deine
Sache ausfechten soll, wie ehemahls bei Deiner Mutter der Fall war.
Entsage diesem Wahn, denn man hat nicht alle Tage eine so andächtige
Krisis. Laß Dir's nicht einfallen, mich in meinen Handlungen zu leiten,
ich bin zu alt, um Lehren anzunehmen, ich selbst gebe Dir keine. Ich
lasse Dir Deinen Willen, Dich nach Deiner Phantasie zu betragen,
aber beobachte Dich wohl, damit ich nicht Ursache finden kann, mich
über Dich zu beklagen. Es war anfangs mein Entschluß, Dir den Umgang
mit Deinem Geliebten _d'Autun_ zu untersagen, aber es möchte bei den
Leuten zu viel Gerede machen, und ich habe meine Meinung geändert.
Deine Mutter gab viel Anlaß zum Geschwätze, und den will ich ersparen.
Willst Du daher, daß ich an Dich denken soll, so erinnere mich selbst
nicht daran. Betragt euch klug, Du sowohl, wie Dein Geliebter, und so,
daß die Welt so wie ich mit eurem Betragen zufrieden seyn kann. Du
kennst mich zu gut, und weißt, daß die Sprache eines Pädagogen meinem
Charakter nicht angemessen ist. Ich sagte Dir nie etwas über diesen
Punkt, ich glaube, daß Du immer weise gewesen bist, und hoffe, Du wirst
es auch ferner seyn. Ich werde niemahls wieder über diese Sache mit
Dir sprechen, aber gieb mir nie Gelegenheit zum Handeln, es brauchte
nur eines Augenblickes, Dich unglücklich zu machen, und Du würdest ihn
Dein ganzes Leben hindurch beweinen.« Nach dieser Anrede schwieg er,
und hielt Wort, denn seit dieser Zeit öffnete er den Mund über diese
Angelegenheit nicht mehr. Ich mußte mich dann entschließen, entweder
das Vaterland zu verlassen, oder als ein treuer Romanenheld mein Leben
im Gewebe der Liebe hinzuträumen, bis zu dem Tode des Herrn _von
Ribaupierre_.

Ich hatte alle Ursache zu glauben, daß ich geliebt würde. Jede Gunst,
die nicht strafbar war, wurde mir erlaubt, ich sahe _Manon_ täglich,
und wir machten sogar Spaziergänge mit einander. In _Ribaupierre's_
Hause war ich willkommen, er bezeigte mir seine Freundschaft durch
tausendfache Ausdrücke, ob er gleich wohl im Herzen überzeugt war, daß,
wenn es in meiner Macht gestanden hätte, ich ihn gern in eine andere
Welt gesandt haben würde.

       *       *       *       *       *

Familien-Geschäfte nöthigten mich nach A. zu reisen, und ich hoffte
in längstens sechs Wochen wieder in Paris zu seyn. Ich bat _Manon_
beim Abschiede mir ihr Bild zu geben, und gab ihr das meinige zuerst,
wie sie es gewünscht hatte. Es war in einer einfachen emaillirten
Dose, mit einem Spiegel in der Mitte, dem Bilde gegenüber. Das
ihrige erhielt ich erst am letzten Tage vor meiner Abreise. Es war
auf Emaille vortreflich gemahlt und sehr ähnlich. Eine Einfassung von
Perlen umgab es, und eine zweite auf der andern Seite den Spiegel. Die
Dose war auch emaillirt und stellte auf der einen Seite _Dido_ vor,
die den Scheiterhaufen besteigt, mit dem Dolch in der Hand; das Meer
mit Schiffen bedeckt war im Hintergrunde und deutete auf die Flucht
des Aeneas, um den Rand waren die Worte eingegraben: Ihrem Beispiele
würde ich folgen; die andere Seite auf dem Rücken des Spiegels stellte
einen Reiter vor, dessen Pferd in vollem Lauf war, vor ihm her flog
ein Amor und that, als wollte er den Zügel halten, und es von einer
Stadt entfernen, die im Hintergrunde war, und wo man mehrere weibliche
Figuren erblickte. Unten standen die Worte: Nichts hält einen
Liebhaber auf, den die Liebe leitet.

Das Geschenk war von großem Werth, der Gedanke sinnreich, der Reiter
legte mir ans Herz, bald zurückzukehren, und die Gelegenheit zu
vermeiden, wo ich ihr die Treue brechen könnte, _Dido_ versicherte mich
der ihrigen bis zum Tode. Ich reiste ab, und konnte nicht so schnell
zurückkehren, als ich hoffte; meine Reise verzögerte sich stets und
statt sechs Wochen blieb ich viele Monate abwesend. Aber ohngeachtet
dieser langen Abwesenheit kam ich doch mit mehr Leidenschaft zurück;
auch _Manon_, schien mir's, zeigte mehr Lebhaftigkeit in den Ausdrücken
ihrer Liebe, als vor meiner Abreise. Ich schrieb ihr mit jedem
Posttage, und erhielt auch jede Woche Briefe von ihr; auch fügte ich
von Zeit zu Zeit kleine Geschenke hinzu, die sie mehr an mich erinnern
sollten.

So bekannt mir ihr Verstand durch unsere Gespräche war, so übertrafen
doch ihre Briefe alle Vorstellung. Selten hatte wohl ein Frauenzimmer
einen leichtern, mittheilendern Verstand. Sie denkt nicht nach über
das, was sie sagen will, und doch ist alles, was sie sagen kann,
richtiger und schöner gesagt, als andere denken. Ihr Styl ist bestimmt,
natürlich und pathetisch, mit einem gewissen rührenden Ausdruck
begleitet, der tausendmahl mehr das Herz ergreift, als ihr belebtes
Gespräch, das der Ton ihrer Stimme und die schönsten Bewegungen
ihres Körpers begleiten. Ich war so erfreut, eine solche Geliebte
zu besitzen, daß ich, um mich bei einigen Damen in der Provinz zu
rechtfertigen, die es nicht artig fanden, daß ich bei ihnen so
gleichgültig wäre, _Manons_ Bild zeigte. Die reiche Aussenseite erregte
ihr Erstaunen, aber mehr noch wunderten sie sich über die Schönheit,
die sie verbarg, und sie sagten mir, daß die Devisen, die darauf
ständen, wohl nicht von ihr erfunden seyn könnten. Sie setzten hinzu,
es müsse eine vollkommene Person seyn, wenn sie so viel Geist als Reize
besäße. Ich erwiederte hierauf, daß gewiß alles von ihrer Erfindung
sey, und um sie zu überzeugen, so zeigte ich ihnen einen Brief, den ich
eben empfangen hatte. Manon schrieb mir:

»Wenn ich mir selbst glaubte, so schriebe ich Ihnen nicht, denn ich
bin in allem Ernst böse auf Sie. Nichts ist für mich so beleidigend,
als die Freiheit Ihres Geistes in Ihren Briefen, und diese vollkommene
Gesundheit, deren Sie sich rühmen. Tausendmahl sagten Sie mir, daß Sie
mich liebten, und ich glaubte es. Sie versprachen mir in einem Monat
zurückzukehren, und unter dieser Bedingung ließ ich Sie abreisen.
Schon sind vier Monate seit dieser Zeit verflossen, und nach einer
solchen Abwesenheit sind Sie doch noch vergnügt und wohl. Wie glücklich
sind Sie, ein Herz und einen Verstand zu haben, die bei einer solchen
Abwesenheit die Probe aushalten! Wie ungleich bin ich Ihnen in diesem
Punkt! Ich bin eifersüchtig bis zum Wahnsinn, ich wünsche selbst, daß
Sie von aller Welt gehaßt werden möchten, daß Sie von allen Seiten
zurückgestoßen, genöthigt würden, zu mir zurückzukehren. Aber diese
Gesinnung ist für Sie zu beleidigend, als daß ich ihr Dauer wünschen
könnte, und schon in diesem Moment sage ich mir, daß, jemehr Sie
geliebt werden, jemehr werde ich meine eigene Neigung rechtfertigen.
Ich möchte, daß alle Mädchen, um Sie zu sehen, meine Augen borgten,
aber ich möchte, daß Sie nur mich ansähen! Allen Ihren Geliebten
wünsche ich Verdienste, damit das Opfer, das sie Ihnen brächten, dem
meinigen eine Folie unterlegte. Aber glauben Sie nicht, was ich da
sage, meine Eigenliebe spricht aus mir, und ich verlange kein Opfer,
sondern nur Liebe. Könnten Sie es thun, so sagen Sie mir's nicht,
ich würde versuchen, mich selbst zu betrügen. Aber wo finde ich ein
Mittel Ihre Nachläßigkeit, Ihren Kaltsinn in Ihren Briefen, Ihre lange
Abwesenheit und die treffliche Gesundheit, zu entschuldigen? Beinahe
ist es mir zur Gewißheit geworden, daß Sie untreu sind; die Schönheiten
in der Provinz haben mich verdunkelt, der gegenwärtige Gegenstand ist
immer anziehender, als eine abwesende Geliebte. Sie haben nichts als
ein Bild, das nur eine Idee und Farbe ist; ich möchte verzweifeln, daß
ich es Ihnen geben konnte. Sie vergleichen es nun mit Ihren Schönen,
diese gefallen Ihnen, und ich nicht mehr! Wann werden Sie zurückkehren?
Soll ich Sie nicht mehr sehen? Werden Sie mich vergessen? -- Wenn Sie
mich so lieben, wie Sie sagten, wie Sie mir's überreden möchten, würden
Sie nicht die Liebe allem andern vorziehen? Können Sie mir kein Zeichen
geben, als die Schrift, die mich vielleicht betrügt? -- Leben Sie wohl,
ich bin so bewegt, daß meine Ungeduld auf dem Papier sichtbar wird. Ich
hatte beschlossen, mit Ihnen zu zanken, aber der Gedanke an Sie ist mir
lebhafter geworden und hat meinen Zorn verlöscht. Mlle. M. hat heute
ihr Gelübde abgelegt, nun ist sie endlich Nonne geworden! Wie glücklich
ist sie, wenn ihr Herz frei ist! Aber wie unglücklich ist sie, wenn sie
an B. denkt, nur mit einem Theil der Gefühle, die in meinem Herzen
erwachen, wenn ich an Sie denke!«

Dieser Brief vollendete bei den Damen die Schilderung des Fräuleins
_Ribaupierre_, sie waren davon entzückt, und ohne daß ich es selbst
wollte, gewannen sie mein Zutrauen. Ich suchte meine Geschäfte so viel
wie möglich zu beschleunigen, und doch mußte ich noch länger als zwei
Monate nach Empfang dieses Briefes dort bleiben, und unter der Zeit
machten die Briefe, die ich von _Manon_ erhielt, den größten Stoff
meiner Unterhaltungen aus. Man wünschte mir Glück über meine Wahl,
man munterte mich selbst auf gegen ein solches Mädchen, die es so
verdiente, nie die Treue zu verletzen.

Ich bekam in der letzten Zeit meiner Abwesenheit einen Nebenbuhler.
Herr _von Melville_ war es, der Sohn eines ~Officier de la maison
du Roi~. Er ließ sich einfallen, dem Fräulein seine Liebe zu zeigen,
aber es war ein Jüngling, der kaum aus der Klasse gekommen war, wo
er die Rechte studiert hatte, und dabei so albern, wie ein Pariser,
der niemals andere Aussichten gehabt hatte, als den Kirchthurm seines
Kirchspiels. _Manon_ machte sich über ihn lustig, und schrieb mir in
einem Ton von demselben, der selbst der Gravität eines Cato ein Lächeln
hätte abzwingen können.

Ich kam nach Paris zurück mit mehr Liebe im Herzen, als da ich
abreiste, und in der Absicht alles Mögliche zu versuchen, um unsere
Heirath zu Stande zu bringen. Der alte _Ribaupierre_ hatte einige
meiner Briefe über diesen Gegenstand gesehen und hatte seine guten
Vorkehrungen getroffen. Wer begreift nicht, mit welcher Freude wir uns
zum erstenmahl wieder umarmten! Wir vergossen heiße Thränen und ich
blieb beinahe unbeweglich zu den Füßen meiner Geliebten liegen. Ich
entschloß mich fest den letzten Versuch zu wagen, und unsere Heirath,
koste es auch, was es wolle, zu vollziehen. In der Absicht ging ich
am folgenden Morgen aus, Herrn _von Ribaupierre_ zu besuchen, während
seine Tochter in der Messe war, ich wählte mit Absicht diesen Zeitpunkt.

Ich warf mich ihm zu Füßen und bat ihn um die Hand seiner Tochter, ich
erbot mich, sie ohne Vermögen, ohne irgend eine Verbindlichkeit von
seiner Seite, und ohne alle Hoffnung auf seine Erbschaft zu heirathen.
Nur seine Einwilligung verlangte ich, er selbst solle die Ehepakten
aufsetzen, ohne daß ich je etwas von ihrem Vermögen hoffen wollte,
sollte er seiner Tochter alle mögliche Vortheile von meiner Seite
zusichern, auch wollte ich es selbst öffentlich bekennen, daß er ihr
eine Aussteuer gegeben habe, die er selbst bestimmen solle.

Wie konnte ich mehr thun? Er schien über meine Heftigkeit verlegen,
aber da er nicht unvorhergesehenes Spiel spielte, da er einige Briefe
von mir an seine Tochter gesehen hatte und darauf vorbereitet war,
so antwortete er mir, daß meine lange Abwesenheit ihn habe glauben
lassen, ich denke nicht mehr an seine Tochter, und daß sich die Dinge
seit meiner Abreise sehr geändert hätten. Ich habe mich, sagte er, in
eine Verbindung mit einem meiner ältesten Freunde eingelassen, dessen
Sohn meine Tochter gewiß eben so liebt, wie Sie, und der ihr, wie
ich glaube, auch nicht mißfällt. Ich habe sie ihm versprochen, und
alle Geister der Hölle könnten mich nicht dahin bringen, mein Wort
zurückzunehmen. Gleichwohl will ich meiner Tochter Neigung keine
Gewalt anthun, willigt sie nicht in die Verbindung, die ich für sie
einging, so darf man nicht mehr daran denken. »Fahren Sie fort,« rief
ich aus, und warf mich noch einmahl ihm zu Füßen, »und weil Sie endlich
Ihre Einwilligung geben, daß sie heirathen soll, so geben Sie sie mir,
wenn sie es will.«

Die Bewegung, in der ich war, ließ mich noch manche Gründe hinzufügen,
die mir entfallen sind, aber von denen er so lebhaft gerührt wurde,
daß er versprach, sie mir zu geben, wenn sie sich für mich erklärte;
erkläre sie sich aber für den andern, so solle ich eine andere
Verbindung suchen. »Ich will es gern,« sagte ich, »denn ich glaube
nicht, daß es schwer seyn wird, Ihre Tochter zur Erklärung zu bewegen,
und ich bin ihrer Einwilligung gewiß.« »Desto besser für Sie,« war
seine Antwort, »aber hüten Sie sich, sich selbst zu täuschen. Sie
kennen die Frauen nicht, sie sind feiner, als Sie wohl glauben, und
bewahren sich oft solche Ausflüchte auf, daß auch der feinste aller
Männer sie nicht voraussehen kann.« »Ich hoffe nicht,« war meine
Antwort, »daß das Fräulein welche finden könnte, die mich betrüben
würden.« »So ist es gut für Sie,« sagte er noch, und ich konnte nichts
weiter von ihm heraus bringen. Aber da er es der Wahl seiner Tochter
überließ, so hatte ich gewonnen Spiel. Er wollte meine Eifersucht
erwecken, ich fühlte sie in mir erwachen, aber sie wurde bald wieder
zerstreut.

Ich erwartete Manon in einem Zimmer des untern Stockwerks; sie war
verwundert, mich so früh bei sich zu sehen, denn ich ging nur des
Nachmittags gewöhnlich zu ihr. Aber noch mehr wuchs ihr Erstaunen,
als ich ihr sagte, was mich zu ihr führte. »Sie wollen uns verderben,«
sagte sie, »der Schritt, den Sie gethan haben, ohne mich zu fragen,
kann sonderbare Folgen haben, Sie hätten dahin nicht kommen sollen,
ohne mich vorher zu fragen, und ohne meine Einwilligung zu erwarten.«

Ihre Antwort brachte mich auf, und ich sagte ihr, daß ich die Folgen
nicht fürchtete; und wäre etwas zu befürchten, so wäre es nicht für
sie. »Der Ton, in dem Sie mit mir sprechen,« fuhr ich fort, »läßt
mich wohl glauben, daß Ihr Vater nicht unrecht hatte, wenn er Ihren
Ausspruch zu meinem Vortheil bezweifelte, und allem Anschein nach
bestimmen Sie sich dem neuen Liebhaber, von dem Ihr Vater mir sprach.«
Ich sprach in einem so hohen Tone, und war so lebhaft, daß ich nicht
weiß, ob ich nicht gar in Schmähungen ausgebrochen wäre, wenn _Manon_
mir Zeit gelassen hätte. »Mein Vater hat Ihnen dieses gesagt!« rief
sie aus, und hob die Hände zum Himmel; »sagte er Ihnen, daß ich einen
neuen Liebhaber hätte?« -- »Er sagte mir mehr, er sagte auch, daß Sie
ihn liebten.« »Hören Sie mich,« sagte sie ruhig, »dies läßt mich einen
neuen Kunstgriff seiner Art argwöhnen. Ich habe Ihnen niemals Anlaß
gegeben, Mißtrauen in meine Offenheit zu setzen. Hier könnten wir keine
Erklärung haben, ohne behorcht zu werden, finden Sie sich heute um
drey Uhr im Garten des Arsenals ein, wir können dort unter vier Augen
sprechen; ich werde mich mit Ihnen auf eine Weise erklären, die Sie
befriedigen wird.« Diese Worte waren mit solcher Unbefangenheit und
Aufrichtigkeit gesprochen, daß ich mich ergab und die Zusammenkunft
annahm. Unsere Unterredung dauerte lange, und ich erzählte ihr Wort für
Wort, was ich ihrem Vater gesagt hatte, und seine Antwort.

»Ich weiß nicht,« sagte sie, »was ich Ihnen darauf erwiedern soll, ich
bin in einer größern Verlegenheit als Sie. Die Ehrfurcht, die ich ihm
schuldig bin, verhindert mich, etwas gegen ihn zu sagen; aber so viel
ich davon urtheilen kann, so betrügt er uns; er weiß zu gut, daß ich
niemals in eine andere Heirath einwilligen würde, als mit Ihnen, und
unter der Bedingung will er mich nicht verheirathen, so lange er lebt.
Was den Liebhaber betrifft, den er mir giebt, so weiß ich nicht, auf
wen ich rathen soll; denn seit Ihrer Abreise sah ich niemanden, als den
jungen _Melville_. Sein Vater ist der Freund des meinigen, aber die
Art, mit welcher ich Ihnen von ihm schrieb, läßt mich hoffen, daß Sie
das Mährchen nicht glauben. Selbst mein Vater sieht ihn noch wie ein
Kind an. Hätte sein Vater mit dem meinigen gesprochen, wovon ich nichts
weiß, so giebt es dafür ein gutes Mittel. Da er Ihnen sagte, daß ich
die Ihrige werden sollte, wenn ich darein willigen würde, so wird die
Sache bald zu Ende seyn; denn ich bin bereit, ihm meine Gesinnungen zu
erklären, so bald es Ihnen gefällt; ob er sie gleich weiß; denn ich
habe mich mehr als einmal darüber erklärt, aber ich werde es vor ihm,
wie vor der ganzen Welt thun, wenn es nöthig seyn sollte, und heute
noch, wenn Sie wollen. Ich glaube nicht, daß man bestimmter sprechen
kann. Sagen Sie, was Sie wollen, das ich thun soll, ich werde es ohne
Anstand thun. Glauben Sie mir, eilen Sie, ihn zu einer bestimmten
Erklärung zu bringen, weil er sein Wort gab; setzen Sie ihn in die
Nothwendigkeit, es zu halten, und aus diesem Grunde geben Sie zu, daß
ich zu ihm und in seiner Gegenwart spreche.« Ich hielt sie beim Wort,
und bat, daß es in demselben Augenblick geschehen möchte.

Wir stiegen zusammen in die Kutsche, die sie hergeführt hatte, es
war ein Fiacre, sie hatte mit Fleiß weder den Wagen ihres Vaters,
noch den meinigen angenommen. Wir kamen in der Meinung an, ihn beide
zu sprechen, und plötzlich Ja oder Nein von ihm zu hören; aber wir
hatten mit einem Manne zu thun, der sich nicht, wie wir glaubten, zu
beherrschen wußte. Die Wärme, mit der ich zu ihm am Morgen sprach,
und die heftigen Äusserungen meiner Liebe, die aus meinen Worten
hervorleuchteten, hatten ihn überrascht und eine vorübergehende
Empfindung des Mitleidens bei ihm erregt, deren sich selbst die
bösen Geister nicht erwehren können. Er hatte mich angenommen und
bereute es in dem nächsten Augenblick schon wieder, denn er wollte
seine Tochter niemals verheirathen. Er suchte also Mittel auf, das
Versprechen aufzuheben, das er eingegangen war, sie mir zu geben,
wenn sie es wollte; aber doch wollte er auch nicht, daß ich seine
Tochter zuerst unsers Bruchs beschuldigen sollte; denn er sah mich
doch als ihren künftigen Gemahl an, ob er es gleich nicht bei seinem
Leben erlauben wollte. Sein Wille war nicht, mich wegzustoßen, sondern
nur wegzuschieben. Aus dieser Absicht war er wirklich während meiner
Abwesenheit in Traktaten mit _Melville_, dem Vater, getreten, ob er
gleich in der That seiner Tochter niemals einem Mann von so geringen
Verdiensten geben wollte, und der so wenig in guten Umständen war. Da
er nicht zweifelte, daß ich ihn bald nöthigen würde, zum Entschluß zu
kommen, da ich seine Tochter in seiner Gegenwart zu einer Erklärung
gegen mich treiben würde, so beschloß er, uns zuvor zu kommen.

Er wußte unsre Zusammenkunft, und kaum war seine Tochter aus dem Hause,
so schickte er zu dem alten _Melville_, einer dringenden Angelegenheit
wegen, ihn einzuladen. Der Sohn, der eben dem Fräulein einen Besuch
abstatten wollte, fand sich zu gleicher Zeit mit seinem Vater zufällig
an der Thür. Sobald _Ribaupierre_ sie ankommen sah, beschloß er, sie
eben so gut zum Besten zu haben, wie mich und seine Tochter. Nach den
ersten Höflichkeitsbezeugungen sagte er dem alten _Melville_, daß er
über das nachgedacht, was sie zusammen über die Heirath ihrer Kinder
ausgedacht hätten; da er sich alt und gebrechlich fühle, so hätte er
beschlossen, die Sache so bald als möglich zu beendigen. Der junge
_Melville_ konnte, wie wir nachher vernahmen, diese Rede nicht ohne
Kitzel hören, er ließ seinem Vater nicht einmal Zeit zur Antwort,
sondern sprach zuerst, und so wenig man seinen Verstand aus den Reden
erkennen konnte, so viel Liebe sah man doch darin für das Fräulein.
Er schlang sich um den Hals seines neuen Schwiegervaters, und sagte
ihm, daß es neues unerwartetes Glück für ihn sey, aber daß er es mit
dem besten Herzen annähme. Der Vater, der mäßiger in seinen Ausdrücken
war, dankte dem alten _Ribaupierre_ eben mit solchem Vertrauen, als
wenn er wirklich gute Absichten gehabt hätte, und da seine Anträge
ihm sehr vortheilhaft waren, so nahm er sie auf der Stelle an. Man
sprach schon von den Artikeln des Ehecontracts. _Melville_ beraubte
sich zur Gunst seines Sohnes seiner Bedienung und trat sie ihm ab.
Sie bewilligten alle Forderungen, die ihnen _Ribaupierre_ machte, und
die Sache wurde mit solchem Ernst betrieben, daß sie als geschehen
angesehen werden mußte, und wo auch _Ribaupierre_ selbst sich nicht
mehr hätte zurückziehen können, wenn seine Tochter eingewilligt hätte;
aber er wußte sehr wohl, daß sie dieses nicht thun würde, und alles
geschah nur in der Absicht, um ihr selbst einen solchen Streich zu
spielen, daß sie genöthigt werden sollte, sich dem zu widersetzen, was
er wünschte, da er ihr immer betheuert hatte, keine Gewalt zu brauchen.
Er bereitete sich also, ohne irgend Gefahr zu laufen, eine Komödie, die
unnachahmlich war, weil die Spieler so natürlich ihre Rollen spielen
mußten, und sie so wenig eingelernt hatten, als falschen Schmuck
kannten.

Wir kamen eben dazu, als sie noch bei der Aufsetzung der Artikel von
dieser vorgeblichen Heirath beschäftigt waren. _Melville's_ Anblick,
den ich nicht kannte, brachte mich für einen Augenblick zum Schweigen,
doch blieben sie mir beide nicht lange fremd; _Melville's_ Anrede
an das Fräulein unterrichtete mich bald von ihren Absichten. »Mein
Fräulein,« sagte er zu ihr, »wollen Sie mir erlauben, Ihnen meine
Freude über das Glück zu zeigen, dessen mich Ihr Vater versichert hat,
da er mir Ihre Hand giebt? Ich glaube Sie zu gehorsam, um von Ihnen
Widerspruch zu erwarten.« In einem solchen beleidigenden Ton hätte er
noch lange fortgeredet, wenn ich ihn nicht unterbrochen hätte. »Sie
sagen, Herr _von Ribaupierre_ giebt Ihnen sein Wort auf die Hand seiner
Tochter?« »Ja, mein Herr,« war seine Antwort. »Nun dann,« erwiederte
ich, »Herr _von Ribaupierre_ versprach mir es noch diesen Morgen, es
auf seiner Tochter Entscheidung ankommen zu lassen. Ich habe eben so
gut Ansprüche auf sie und eben so gegründete, und doch überlasse ich
es ihrer Wahl, und Sie, mein Herr, da Sie sie zu gehorsam glauben,
als daß Sie Widerspruch von ihr befürchten, sind gewiß zu klug und
edelgebohren, und selbst zu rechtschaffen, um ihr Zwang anzuthun, und
sich nicht dem zu unterwerfen, was ihre Meinung entscheiden wird.
Sprechen Sie nun selbst, mein Fräulein,« redete ich sie an, »diese
Gelegenheit ist zu schön und zu günstig.« Sie erröthete, aber sie blieb
keinen Augenblick unschlüssig. Sie fiel ihrem Vater zu Füßen, ohne
_Melvilles_ anzusehn, und ich hörte von ihr alles, was ein kluges,
frommes, rechtschaffenes und geistvolles Mädchen sagen kann; von dem
Ausdruck der heftigsten Leidenschaft begleitet, hatte sie ihren Worten
noch mehr Gewicht gegeben. Sie endigte damit, daß sie ihrem Vater die
Versicherung gab, daß sie niemals etwas thun würde, was der Tugend
zuwider und was sein Misfallen erwecken könnte; aber sie bat ihn sehr,
daß er sie nicht zwingen möchte, indem er ihre Hand ohne ihre Neigung
vergeben wollte.

Auch ich faßte meinen Entschluß, und ob ich gleich die Betrügerei
ahndete, so unterließ ich nicht, so gut zu meinem Vortheil zu sprechen,
daß selbst der alte _Melville_, der ein sehr rechtschaffener Mann war,
sich zu unserm Beschützer aufwarf. Er sagte dem alten _Ribaupierre_,
wenn ihm die Gesinnungen seiner Tochter und die meinigen bekannt
gewesen wären, so würde er niemahls an diese Verbindung gedacht haben.
Man könnte nichts besseres thun, als zwei Menschen zu verbinden, deren
Herzen schon so fest an einander gekettet wären; dies sei der Rath, den
er ihm als rechtschaffener Mann gäbe, und um dessen Befolgung er ihn
als Freund bäte.

_Ribaupierre_, der eine solche Bitte nicht erwartet hatte, war einen
Augenblick darüber verlegen. Aber da er schon längst seinen Entschluß
gefaßt hatte, so sagte er ohne Umschweife, daß seine Tochter ein
unverschämtes Mädchen wäre, in einem solchem Tone in Gegenwart so
vieler Menschen zu sprechen; sie verletzte die ihm schuldige Ehrfurcht,
und die Zurückhaltung, die sie sich selbst schuldig sey, so daß er
nichts besseres thun können, um sie zu bestrafen, als sie zu lassen,
wer sie wäre. Er würde ihr niemals Zwang auflegen, weil er es ihr
versprochen, aber er würde auch seine Einwilligung nicht geben, weil
sie es wünschte. »Aber Sie versprachen mir ja, sie mir zu geben, wenn
sie darein willigen würde, und nun fordere ich Sie selbst auf, mir Wort
zu halten,« sagte ich. »Das sind Kleinigkeiten,« war seine Antwort.
»Sie hielten mir damahls den Degen in die Seite, und ich vergaß es, daß
ich _Manon_ schon an Herrn _von Melville_ versagt hatte.« -- »Ich gebe
Ihnen Ihr Wort zurück,« sagte dieser, »das soll Sie nicht abhalten, mit
diesem Herrn in Verbindung zu treten.« »So wird es auch nichts,« sagte
_Ribaupierre_ erzürnt, und drehte sich nach der entgegengesetzten Seite
seines Bettes um, und machte es uns in der That unmöglich, noch eine
Antwort herauszubringen.

Der alte _Melville_ wußte nicht, was er davon denken sollte, der Sohn
wollte verzweifeln, seine Hoffnungen verschwinden zu sehn; das Fräulein
verließ uns mit Thränen in den Augen, aber ich konnte nicht länger
schweigen, da ich die ganze Betrügerei entdeckt hatte. »Sie wissen,
mein Herr,« sagte ich, »daß ich schon längst an Ihre Tochter gedacht
habe, Sie wissen auch, daß ich ihr nicht gleichgültig bin; Sie lassen
Herrn _von Melville_ zwischen uns treten und geben ihm den Vorzug. Ich
habe nicht die Ehre ihn zu kennen, aber meine Eigenliebe schmeichelt
mir genugsam, um zu meiner Gunst jeden Unterschied aufzusuchen, der
sich zwischen uns finden mag; ich glaube, daß dieser Herr mir sie nicht
streitig machen könnte, wenn ich ganz von ihm gekannt wäre; ich möchte
wenigstens mich um seinetwillen in nichts verändern, auf welche Art
es auch seyn möchte. Es wird mir schwer, mich auf eine solche Art zu
erklären, aber die Ungerechtigkeit, die Sie an mir begehen, zwingt mich
dazu. Wie es auch sey, mein Herr, was Sie bewegen kann, so zu handeln,
so werde ich dem Beispiel Ihrer Tochter folgen, ich werde schweigen,
weil ich fürchten muß, daß die Leidenschaft, die in mir erweckt ist,
mich die Grenzen der Ehrfurcht überschreiten lassen möchte, die ich dem
Vater eines Mädchens schuldig bin, das ich liebe, ja ich möchte sagen,
das ich bis zur Raserey liebe.« Ich verließ das Zimmer in der That und
suchte sie auf. Sie weinte, und ich bedurfte des Trostes, aber ihr
Schmerz rührte mich stärker, als der meinige. Wir sagten uns, was uns
in den Mund kam, aber wir beschlossen nichts, als uns ewig zu lieben,
was auch der harte Vater ersinnen möchte, uns zu trennen. Sie ließ mir
eine zärtliche Furcht in ihrem Herzen lesen, daß ich doch abgeschreckt
werden könnte, aber ich versicherte sie vom Gegentheil, und gelobte ihr
ewige Liebe und Treue.

Die beiden _Melvilles_ verließen das Haus. Ich fürchtete, einem Zwist
nicht ausweichen zu können, aber ich betrog mich. Der Vater war
rechtschaffen, er sagte mir, die Art, wie ich die Sache genommen,
habe ihn nicht beleidigt, auch nicht die Verachtung, mit der ich von
seinem Sohn in seiner Gegenwart gesprochen hätte; er schrieb alles auf
Rechnung meiner Leidenschaft, und sagte: es wäre unvernünftig, auf
Vernunft in der Verzweiflung der Liebe zu rechnen. Diese Äußerungen
mußten mich Entschuldigungen auffinden lassen, und das Fräulein that
noch einen nachdrücklichen Schritt; denn nachdem sie sich über die
Nothwendigkeit ihrer festen Erklärung entschuldigt hatte, so setzte
sie hinzu, indem sie ihr Gespräch an den Sohn richtete: »Sie wissen
sehr wohl, mein Herr, daß man nicht Herr seines Herzens ist; hätte ich
Sie früher als Herrn _von Autun_ gekannt, Ihre Verdienste würden mein
Herz gerührt haben; aber Sie erschienen mir, da mein Herz schon von
einem andern Gegenstand erfüllt war. Ich könnte Ihnen nichts geben, als
meine Achtung; Sie sind zu rechtschaffen, um es übel aufzunehmen, was
ich Ihnen sage, auch verzeihen Sie mir die Bitte, die ich im Beiseyn
Ihres Vaters an Sie thue, nie mehr einen Anlaß zu irgend einer Art von
Aufsehen zu geben.« »Ich verstehe Sie wohl,« sagte der Vater, »Sie
haben mein Ehrenwort, daß er Sie niemals wieder belästigen soll. Und
ich befehle ihm, in diesem Augenblick von Ihnen auf ewig Abschied zu
nehmen. Niemals,« fuhr er fort, und wendete sich zum Sohn, »muß ein
rechtschaffener Mann irgendwo überflüßig scheinen. Du spieltest hier
eine schlechte Rolle, setze dich niemals wieder dieser Gefahr aus, und
versprich es dem Fräulein in meinem Beiseyn, sie niemals wieder zu
besuchen. Da deine Liebe nicht gut aufgenommen wurde, so sey wenigstens
dein Gehorsam gegen sie in ihren Augen ein Verdienst.« Wir schieden
nach vielen wechselseitigen Höflichkeitsbezeigungen von einander.

So war ich von meinem Nebenbuhler befreit, ohne deswegen glücklicher
zu seyn! Jeder Versuch war uns abgeschnitten; und wir hofften nur von
der Zeit allein noch eine günstige Wendung. _Manons_ Vater sprach mit
seiner Tochter kein Wort mehr, weder von _Melville_, noch von mir;
es war, als hätten wir nie gelebt. Er machte weder ihr noch mir ein
finsteres Gesicht; ich ging beständig zu ihm. Er beobachtete aber so
ein tiefes Stillschweigen über alles, was uns anging, daß wir uns in
der größten Verlegenheit befanden. Wir hatten indeß nichts mehr von
ihm zu befürchten; er hatte uns ermüdet und zurückgestoßen, und mehr
verlangte er nicht.

Er hatte sein Versprechen erfüllt, er wollte unsere Verbindung
aufheben, ohne daß seine Tochter mir den kleinsten Anlaß zur
Unzufriedenheit geben sollte. Er sah mich als den Mann an, den er ihr
bestimmte, aber ich wußte nicht, daß er mich wirklich liebte; und doch
war es so; denn er bewieß es mir einige Monate nachher, auf eine sehr
großmüthige Weise.

Ich hatte längst eine Stelle zu kaufen gesucht, jetzt fand sich eine
erledigt; aber die Rede war nun von der Bezahlung. Ich hatte ohngefähr
zwey Drittheile von dem nöthigen Gelde; aber ich hatte mich verbindlich
gemacht die ganze Summe auf einen einzigen Termin zu bezahlen. Zu
meinem Unglück starb in dieser Zeit der Banquier, der mehr als zwanzig
tausend Thaler von mir hatte; und da die Sachen so standen, daß
man außer Stande war, mir sogleich die ganze Summe auszuzahlen, so
hielt ich mein Geld für verlohren, oder wenigstens sehr dem Zufall
überlassen. Ich suchte Geld aufzutreiben, wo ich nur konnte, aber mein
Credit war nicht groß genug, um eine so große Summe aufzubringen,
zumahl zu einer Zeit, wo die Banquerotte so häufig waren. Ich weiß
nicht, durch welchen Zufall _Ribaupierre_ es erfuhr; denn seine Tochter
wußte nichts von mir, und es wurde ihr erst bekannt, da sie ihr Vater
zu mir schickte. Er borgte Geld, wo er nur welches bekommen konnte,
selbst einen Theil seines Silberzeugs setzte er zum Pfande, und als ich
mir es am wenigsten vermuthen konnte, so sah ich _Manon_ in mein Zimmer
treten. Sie brachte mir zwölf tausend Thaler, und sagte, ihr Vater habe
erfahren, das ich Geld bedürfe, und hätte ihr aufgetragen, von mir zu
erfahren, wenn es nicht hinreiche, er bürge für mich, und würde alle
Kräfte aufbieten, mir das nöthige zu verschaffen. Es war mehr als ich
zu meinem Vorrath noch bedurfte. Sie sagte, sie hätte befürchtet, der
Vater würde ihr einen neuen Streich spielen, da sie gesehen, daß er auf
einmal alles Silber verkauft hätte. Aber jetzt wäre ihre Freude desto
größer, da sie seine Absichten entdecke.

Diese Großmuth von seiner Seite erweckte in meinem Herzen eine tiefe
Rührung, da ich zumal in einer Lage war, wo mir baares Geld so
unentbehrlich war. Er sandte mir die Summe am Morgen des nämlichen
Tages, an welchem ich die Zahlung leisten sollte. Meine erste Sorge
war, ihm zu danken. Ich zeigte ihm ganz, wie groß meine Dankbarkeit
sey, und sagte ihm offenherzig, aus welcher Verlegenheit er mich
gerissen habe. Er unterbrach mich in meinen Danksagungen, und ohne die
Art und Weise zu ändern, mit der er mich sonst behandelte, sagte er
mir ganz trocken: »ich solle nun gehen, meine Geschäfte zu beendigen.
Man lerne seine Freunde in der Noth vorzüglich kennen, und er wäre der
meinige mehr als ich dächte, ob er gleich überzeugt wäre, daß ich ihn
im Herzen oft verwünscht hätte. Kommen Sie zum Abendessen wieder,«
sagte er noch. Da ich sahe, daß er ohne Zwang mit mir umging, so
behandelte ich ihn auf eine ähnliche Weise. Ich ging meinen Geschäften
nach, und endigte sie nach Wunsche.

Ich brachte den Abend in _Ribaupierre's_ Hause zu, und wollte noch
immer in meinen Danksagungen fortfahren, aber er unterbrach mich. »Ey
zum Henker,« rief er, »weil Sie so oft wieder dasselbe Lied beginnen,
so muß ich auch reden. Ist's nicht wahr, daß wenn ich Ihnen meine
Tochter nebst meinem Vermögen gegeben hätte, so hätte ich Ihnen keinen
Dienst geleistet, weil ich es hernach nicht mehr hätte thun können,
oder Sie hätten es wohl nicht nöthig gehabt? Und hätten Sie meine
Tochter ohne Vermögen erhalten, wie Sie sie verlangten, so würden Sie
glauben, es sey Ihr eigenes Gut, was ich Ihnen gegeben, und nicht
das meinige? Und ist es nicht auch noch wahr, daß Sie mir jetzt mehr
Verbindlichkeit haben, als wenn Sie mein Schwiegersohn wären? Ist es
nicht so, daß Sie mehr Dankbarkeit empfinden, und mit einem Wort mehr
gerührt sind.« Ich gestand es ihm zu. »Nun das ist's eben, was ich
meine, lieber Freund,« erwiederte er, indem er mich treuherzig auf die
Schultern klopfte. »Sey immer Herr des Deinigen, und überlaß Deinen
Kindern, wenn Du welche hast, Dir den Hof zu machen, ohne sie und Dich
selbst je in den Fall zu setzen, daß Du _ihnen_ den Hof machst. Es ist
sehr angenehm, sein eigner Herr zu seyn, Du wirst auch einst Kinder
haben, handle auch mit ihnen, wie ich mit Dir handelte, so wirst Du
immer gefürchtet und geehrt seyn.«

So viel ich auch gegen seine Moral einzuwenden hatte, so mußte ich sie
doch sehr vernünftig finden, und wenn alle Eltern mit ihren Kindern
so handelten, so würden die Kinder mehr Achtung und Ehrerbietung vor
ihnen haben. Denn er sagte sehr wahr, daß die Kinder immer ihre Eltern
wiederfänden; aber die Väter und Mütter nicht immer ihre Kinder; und
dann sey es auch beschämend von denen abzuhängen, die uns das Leben
verdanken; aber im Gegentheil wäre es sehr natürlich und ein heiliges
Gesetz, daß wir von denen abhängen, die wir als die Urheber unsers
Daseyns verehren.

Ich mußte den Mann bewundern, der mir willig sein Vermögen anvertraute,
und mir doch seine Tochter versagte, weil er den festen Entschluß
hatte, sich nicht zu entblößen: denn im Grunde liebte er mich, und mit
einem solchen Zutrauen, daß nie davon die Rede war, daß ich ihm eine
schriftliche Sicherheit geben sollte. Denn als ich ihm einen Theil des
überflüssigen Geldes zurück gab, und für das übrige eine schriftliche
Versicherung brachte, so nahm er jenes zwar wieder; fragte mich aber
dabei, ob ich dächte früher als er zu sterben, und setzte hinzu, daß
Leute von Ehre einer solchen Vorsicht nicht bedürften, die ihren
Ursprung immer dem Mißtrauen zu danken habe.

Indem diese Gelegenheit mir bewieß, welchen Antheil er an meinem Glücke
nahm, erfolgte noch ein Vorfall, der mir seinen Antheil an meiner
Person zeigte.

In dem Hause, wo ich wohnte, fand sich ein schönes junges Mädchen, und
da ich keine eigene Haushaltung hatte, so aß ich bei der Dame meines
Hauses. Man sagte das Mädchen sei von einer guten Familie, auch hatte
sie wirklich sehr gute Sitten, und nicht gemeinen Anstand. Sie hatte
oft Verrichtungen in meinen Zimmern, und machte sich noch öfter darin
zu thun, als nöthig war. Ich war jung, die Leidenschaft für _Manon_
hatte meine Sinne aufgeregt, das Mädchen war leichtfertig, und froher
Laune, wir kamen weiter als es die Sittsamkeit erlaubte, und sie
spürte die Folgen unsers Verständnisses, das eine lange Zeit, ohne
Aufsehen zu machen, fortdauerte. Man hatte keinen Verdacht auf mich,
aber endlich wurde es doch entdeckt. _Ribaupierre_, der weitläuftige
Verbindung hatte, und überall Freunde, war auch davon unterrichtet,
als das Mädchen ihrer Niederkunft nahe war, und wußte, daß sie mir
einen Rechtshandel auf den Hals bringen würde, da sie mich schon bei
den Gerichten verklagt hatte. Wirklich war schon der Verhaftsbefehl
ausgefertigt. _Ribaupierre_ erzählte mir, daß ihm alles bekannt sei,
und stürzte mich durch dieses Geständniß in die größte Verlegenheit,
in die ich je in meinem Leben gekommen bin. Zwar wollte er mit mir
nicht in Gegenwart seiner Tochter darüber sprechen, aber sie behorchte
uns. »Es ist nur eine Kleinigkeit,« sagte er, nachdem er seine Rede
geendigt hatte, »aber sie könnte Ihnen doch durch ihre Folgen Kummer
machen, wenn Sie verhaftet würden, und es würde noch dazu schlimmen
Eindruck machen, da Sie im Begriff sind, eine Stelle zu erhalten,
zu der man einen Mann von makellosem Rufe verlangt. Bleiben Sie bey
mir, hier wird man Sie nicht suchen, und man wird Zeit gewinnen, die
Sachen auf einem guten Wege einzuleiten; doch ist's immer gut, zu
wissen, ob Sie nicht in Ihren Versprechungen zu weit gegangen sind,
da Sie das Mädchen zuerst zu einem solchen Umgang beredeten, oder ob
Sir ihr Geschenke gemacht haben?« »Ich versprach nichts,« war meine
Antwort, »aber dreißig Louisd'ors gab ich ihr.« Lachend sagte er:
»Hier ist eine Todsünde theuer genug bezahlt! Gaben Sie ihr seit der
Zeit nichts mehr?« »Nein, denn sie wollte nichts mehr annehmen, ob ich
es ihr gleich verschiedene male angeboten habe.« »So hatte sie ihre
Absichten,« war seine Antwort, »aber mag es seyn, daß beim erstenmal
das Interesse sie zu einem solchen Schritt brachte, das Vergnügen
leitete sie in der Folge, und zu Ihrem Nachtheil. Aber lassen Sie mich
machen, wir werden uns gut herauszuziehen suchen, bleiben Sie hier,
und erwarten mich.« Er ließ eine Sänfte holen, und ohngeachtet seine
Tochter und ich ihn baten nicht auszugehen, denn er hatte seit sechs
Monaten das Zimmer nicht verlassen, weil er die Erlaubniß hatte, in
seinem Hause Messe zu hören, so hörte er auf unsere Bitten nicht und
verließ das Haus.

Es ist mir noch jetzt unbegreiflich, daß er in einem Zeitraum von
zwey Stunden wieder zu Hause war, und zwar mit einem Dokument in
Händen. »Sehen Sie,« sagte er und zeigte mir's, ~emplastrum contra
contusionem~; »nun kann Ihre Schöne Sie nicht mehr festhalten, und
Sie können sie in ihrer Wohnung einziehen lassen. Aber ich hoffe, Sie
sind kein solcher Bösewicht, um das arme Geschöpf ins Gefängniß zu
schicken, die Furcht müssen Sie ihr indeß einflößen, da es in Ihrer
Gewalt ist. Alle Gerichtsdiener wissen, daß Sie einen Verhaftsbefehl
gegen sie in Händen haben, sie wird es bald selbst erfahren. Lassen
Sie sie kommen, sie wird mit sich reden lassen, und wir werden sie
bringen können, wozu wir nur Lust haben.« Er ließ in der That einen
Unteroffizier holen, von dem er wußte, daß er ein Freund des Mädchens
war. Er gab den Verhaftsbefehl in seine Hände, aber kein Geld, um nicht
das Ansehn zu haben, als wolle er ihn bestechen; er versprach ihm nur
nach Beendigung seines Geschäfts eine Belohnung. Der Sergeant that was
er erwartet hatte. Er gab dem Mädchen Nachricht, sie sah sich in großer
Verlegenheit, denn sie fühlte wohl, daß man ihr unangenehme Händel zu
ziehen könnte, wenn sie darauf bestehen wollte, mich ohne meinen Willen
zu heirathen, indem sie es zugleich gegen den Willen von Leuten thun
wollte, die unendlich reicher und mächtiger waren, als sie. Nun wurde
mit ihr von einem Vergleich gesprochen, und _Ribaupierre_ betrieb die
Sache mit einem solchen Feuer, daß alles innerhalb zwey Tage abgethan
war. Es ist wohl wahr, daß es mir einiges Geld kostete, und daß ich
versprechen mußte, mich des Kindes anzunehmen, aber das starb bald nach
der Geburt. _Ribaupierre_ und seine Tochter thaten noch mehr zu ihrer
eigenen Beruhigung; sie verheiratheten das Mädchen.

Diese Geschichte aber hatte doch zwischen _Manon_ und mir Zwist
erregt, sie behauptete, daß ich die Treue gegen sie verletzt habe, und
wurde nicht eher ganz beruhigt, bis das Mädchen mit ihrem Mann Paris
verlassen hatte. _Ribaupierre_ lachte darüber. Er war keinesweges
zum Vortheil des andern Geschlechts gestimmt; und pflegte sich bei
solchen Unterhaltungen eben nicht zu mäßigen, noch seine Worte in
seiner Tochter Gegenwart genau abzuwägen. »Es ist ein schrecklicher
Zustand,« sagte er, »wenn die Mädchen sich von der Sinnlichkeit
hinreißen lassen, zumal in ihrer Jugend. Aber die Beyspiele so vieler
Unglücklichen dienen ihnen nicht zu Warnung, ob sie sie gleich täglich
vor Augen haben, im Gegentheil, je mehr Unglückliche es giebt, die
sich ihren Begierden überlassen, desto mehr Nachahmerinnen finden sie.
Ich stelle mir vor,« setzte er hinzu, »sie sagen zu sich selbst, diese
und jene haben ihre gute Ehre verlohren, und ihren guten Ruf, aber
sie hatten nicht Verstand genug, ihr Geheimniß zu verwahren, wie so
manche andere, deren man gar nicht erwähnt. Auch selbst Weiber gaben
uns Beispiele, daß man nicht nöthig habe, den Männern die Treue zu
halten, und ungeachtet sie die größten Gefahren bei ihrer Niederkunft
ausstehen, so vergessen Sie leicht die vorhergegangenen Schmerzen, und
folgen den Trieben ihrer Sinnlichkeit. Die Neugierde ist der erste
Schritt zur Ausschweifung, das Nachdenken erweckt die Sinne; endlich
unterliegt man aus Schwachheit, und nun ist der erste Schritt gethan,
der unwiederbringlich weiter fortreißt.« _Ribaupierre_ sprach in diesem
Ton fort, der seiner Feinheit keine Ehre machte, aber doch seiner guten
Laune; es war unmöglich ihn über diese Gegenstände mit Ernsthaftigkeit
anzuhören. Selbst seine Stimme änderte sich, er hatte einen gewissen
schreienden Ton, der das Gespräch noch belustigender machte. Seine
Tochter verließ das Zimmer, so oft sie merkte, daß er in einen solchen
Ton fallen wollte, aber er besaß das Geheimniß, sie zum Bleiben zu
zwingen, denn er pflanzte sie an eine Ecke des Tisches, wo sie nicht
herauskonnte. Sie mußte sich endlich gewöhnen ihn anzuhören, erst
antwortete sie ihm sogar, und vertheidigte ihr Geschlecht, so gut sie
konnte, ohne ihn jedoch in seiner Meinung irre zu machen.

»Aber,« sagte sie einmal zu ihm, »wenn Sie von der Schwachheit meines
Geschlechts so überzeugt sind, warum erlauben Sie, daß ich auf Treu und
Glauben leben darf, wie ich lebe? Warum glauben Sie nicht, daß ich auch
Thorheiten begehen könne, wie jede andere? Glauben Sie, daß ich eine
Ausnahme von der Regel sey, und mich allein gut zu betragen wisse, Sie,
der allen Glauben an die gute Aufführung eines Mädchens verloren hat?
Würde mich jemand abgehalten haben, mich schlecht aufzuführen, wenn
ich die Neigung dazu hätte, da Sie mir alle Freiheit ließen? Selbst
der Umgang mit Herrn _d'Autun_ könnte weit führen, er würde mich nicht
auf den rechten Weg zurückbringen, oder ich müßte mich sehr betrügen.«
»Dieß würden Sie nicht,« sagte ich, »und ich möchte Ihnen offenherzig
in Ihres Vaters Gegenwart gestehen, daß Sie Unrecht haben, nicht auch
durch Ihr Beispiel die Meinung zu bestätigen, die er von Ihrem ganzen
Geschlecht hat.«

»Davon ist nicht die Rede,« sagte _Ribaupierre_, »jeder handelt
in der Welt nach seinen Einsichten. Ich bin weder Spanier, noch
Italiener, oder Türke, und baue auf die Enthaltsamkeit der Frauen nicht
sonderlich, wenn sie durch Schlösser verwahrt sind. Die gute Aufführung
eines Mädchens hat keinen Werth, wenn sie nicht ihrer eigenen Tugend
überlassen bleibt. Es ist eine Eigenthümlichkeit der Menschen,
besonders der Frauen, mit Wärme gerade nach demjenigen zu streben, was
verboten ist. Dieß ist gewiß der Grund, daß es in Spanien und Italien
mehr verdorbene Sitten giebt, als in Frankreich, und mehr Libertins,
als bei uns, wo die Frauen Freiheit haben, und wo sie sehr selten
die ersten Schritte thun. Die wahre Tugend der Frauen besteht in dem
Widerstande, den sie der Versuchung entgegen setzen; und eben deswegen
sind die Französinnen, die ihre Reinheit bewahren, viel mehr zu
preisen, als Frauen anderer Nationen, die ich vorher nannte; denn sie
sind durch ihre freiere Geselligkeit stets der Versuchung ausgesetzt,
da im Gegentheil die andern ihre Sittlichkeit nur den Mauern verdanken,
die sie einschließen.«

»Wenn ich,« sagte er zu uns beiden, »da ich euch nicht verheirathen
wollte, dir _Manon_ verboten hätte _d'Autun_ zu sehen, hättest du
mir gehorcht? gesteh es aufrichtig. Wenn ein Mädchen heimliche
Zusammenkünfte mit ihrem Geliebten hat, ohne den Willen ihrer Eltern,
so muß sie die Zeit dazu stehlen; aber sie verliert dann auch keinen
Augenblick. Der Geliebte bringt seine Angelegenheiten viel weiter in
einer Viertelstunde, als er es bringt, wenn er seine Geliebte täglich
sehen kann. Nur in solchen Fällen hätte ich fürchten müssen, daß du zu
sehr den Neigungen deines Herzens folgen möchtest; aber da ich dich
mit ihm leben ließ, und ganz nach deiner Phantasie, so bin ich gewiß,
daß er nun seine Zeit zu nichts schlimmern verwendet, als zu klagen,
oder mich zu verwünschen, und schwerlich hättet ihr eure Zusammenkünfte
unter andern Umständen eben so unschuldig gehalten.«

»Ich war auch jung wie ihr. Ich liebte ein Mädchen, mit der ich mich
ehelich verbinden wollte. Ich wurde von ihr geliebt, und so dreust und
kühn ich gegen die andern Frauen war, so war sie die Einzige, die
mir Achtung einflößte. Vielleicht hat mich die Liebe, mit der ich sie
liebte, auch verschämt gemacht, und nie hat mich meine Kühnheit zu weit
verleitet. Ich weiß also aus Erfahrung, daß man ein Mädchen, um dessen
Hand man sich bewirbt, mit ganz andern Augen ansieht, als eine andre.
Habe ich mich betrogen?« sagte er zu mir, »hätten Sie die Zeit außer
meinem Hause auch auf eine so unschuldige Art zugebracht?«

»Ich weiß nicht,« sagte ich, »aber das weiß ich, daß ich die Ehrfurcht
gegen das Fräulein nie würde verletzt haben, und daß sie sich immer
gleich anständig betragen haben würde!«

»Und ich glaube es nicht;« sagte er.

»Aber was für ein Vergnügen kann es Ihnen machen, uns der Gefahr
auszusetzen, einer Versuchung zu unterliegen? Warum willigen Sie nicht
in unsre Verbindung? da Sie sie nicht mißbilligen.«

So endigte sich immer unser Gespräch, und _Ribaupierre_ brach entweder
von der Materie ab, oder er sagte, daß wir nicht zu eilen hätten.

So verlebten wir die Zeit, jeden Augenblick konnte ich zu ihm gehen,
ich aß täglich bey ihm, und es fehlte nichts daß ich wirklich sein
Schwiegersohn war, als daß ich mit der Tochter in einer solchen
Entfernung lebte. Vergebens erschöpfte ich meine Beredsamkeit bey ihr,
und suchte durch alle Gründe die ich finden konnte, uns einander näher
zu bringen, aber sie blieb unbeweglich, und ließ sich zu nichts bereden.

Ich hatte eine Art zu leben, die mir selbst unbegreiflich war. Täglich
sah ich einen Mann, dessen langes Leben mir Kummer machte, und den
ich nicht hassen konnte. Alles abgerechnet was er für mich gethan
hatte, so empfing er mich immer wie seinen Sohn, und belustigte mich
durch seine gute Laune, und witzigen Einfälle. Täglich fand ich mich
in der Gesellschaft eines Mädchens, die ich bis zur Raserey liebte,
und von der ich mich geliebt glaubte, und doch fühlte ich keine
dieser stürmischen Empfindungen, die die Liebe in uns erweckt, wenn
die Leidenschaft sich des Herzens bemächtigte. Es ist als wenn nach
so vielen fruchtlosen Versuchen, das Herz und die Sinne sich der
Gewohnheit unterworfen hätten, sich von der Vernunft leiten zu lassen,
die über beide ihre Herrschaft ausübt.

Nachdem wir lange auf diese Weise fort gelebt hatten, überfiel den
alten _Ribaupierre_ unerwartet eine solche Schwäche, der die Natur in
wenig Augenblicken unterlag. Er hatte lange genug gelebt, um nicht vom
Tode überrascht zu werden, und er bereitete sich zu diesem Schritte als
ein Christ. Da er fühlte, daß er nicht wieder genesen könne, so wollte
er auch mit mir sich aussöhnen, und mich in seinem Herzen lesen lassen.
Nachdem er die letzte Oelung empfangen hatte, ließ er mich und seine
Tochter an sein Bette rufen.

In wenig Worten, und ohne sich zu schmeicheln, erzählte er mir sein
Leben. Ich sah darin eine stete Folge von erlittenen Verlusten
und Unglücksfällen; aber bey aller Schuld, die er durch eine
unordentliche Lebensart auf sich geladen hatte, bemerkte ich doch einen
unerschütterlichen Grund von Rechtschaffenheit; gewiß war er einer der
biedersten Menschen; wäre er es weniger gewesen, er würde unermeßliche
Reichthümer erworben haben, die er aber lieber verachtete, als daß
er gegen sein Gewissen gehandelt hätte. Er gestand mir, daß die
Überzeugung, daß er nicht zum Glück gebohren sey, ihn gezwungen hätte,
sich gegen alle Zufälle zu verwahren. Zwar hätte er nie im Ernst
gezweifelt, daß ich und seine Tochter ihn gut behandeln würden, wenn
er unsre Heirath bewilligte; aber er gestand mir doch, daß die Furcht
vor der Zukunft in seinem Herzen zu groß und unüberwindlich gewesen
sey. »Ich gebe Ihnen nichts, wenn ich Ihnen meine Tochter gebe, sie
gehört Ihnen schon an, aus vielen Gründen. Verzeiht mir beide, daß ich
mich so lange eurer Verbindung widersetzte, aber ich verdiene mehr
Entschuldigung als Verzeihung, ich konnte eine Schwachheit in mir nicht
unterdrücken, die die Annäherung des Todes allein bekämpft. Ich weiß,
Sie lieben _Manon_ aufrichtig, und ich kann sie in keinen bessern
Händen zurücklassen, als in den Ihrigen. Sie sey Ihnen auch um Ihrer
selbst willen empfohlen, auch um meinetwillen darf ich hinzusetzen,
es ist die Bitte eines Sterbenden, der Ihnen mit Wahrheit betheuert,
daß er Sie immer unendlich geliebt und geschätzt hat. Gebt Euch die
Hände, sagte er: ich hoffe, sie wird Ihnen nach der Heirath eben so
theuer seyn, als sie es bisher war, und niemals Anlaß geben, daß Sie
Ihre Wahl bereuen. Ich bitte Gott, daß er Euch seinen Segen gebe, den
meinigen gebe ich Euch, aber, indem er sich zu seiner Tochter wendete,
unter der Bedingung, daß du durch Tugend dich dessen würdig machst, und
durch eine wahre unverbrüchliche Anhänglichkeit an Herrn _d'Autun_.
Danke Gott, daß er dir einen solchen Mann bestimmte, hege alle die
Zärtlichkeit gegen ihn, die er verdient, und alle Dankbarkeit für
die Ehre die er dir erzeigt; denn er könnte natürlich auf eine höhere
Verbindung Ansprüche machen. Bewahre ihm alle Treue und Ergebenheit und
Ehrfurcht, die eine tugendhafte Frau ihrem Mann schuldig ist; dieß sind
die Bedingungen, unter denen ich dir meinen Segen gebe.«

»Gehen Sie nun,« sagte er zu mir, »wiederholen Sie meinem Beichtvater
was ich Ihnen sagte, und fragen ihn, ob es erlaubt ist, Sie in meinem
Zimmer zu trauen? Ich habe keine Forderung mehr an die Welt zu machen;
ich stürbe völlig beruhigt, wenn ich Euch noch verbunden sehen könnte,
und meine Tochter vor meinem Tode noch unter sicherm Schutz, und in
einer Verbindung, die vielleicht manchen Hindernissen ausgesetzt seyn
könnte, wenn ich nicht mehr bin. Eilen Sie, wenn Sie wollen, daß ich
noch diesen Wunsch erfüllt sehe. Ich fühle meine Kräfte, und habe nur
noch wenige Stunden zu leben.«

Es war, als wenn er voraus sähe, was nach seinem Tode geschehen
könnte. Gern hätte ich diese gute Stimmung benutzt, aber ich glaubte
nicht, daß es schon so weit mit ihm wäre; denn seine Sinne waren noch
ungeschwächt, sein Urtheil bestimmt, seine Gespräche reichhaltig,
und zu dem hatte er eine starke Stimme, und lebhafte feurige Augen.
Sein Zustand schmerzte mich aufrichtig, die Thränen seiner Tochter,
die aus einem wahrhaft gerührten Herzen flossen, durchdrangen mich.
Ich bewunderte die Ruhe, mit der ihr Vater ihr Trost einsprach; kein
Zeichen von Ungeduld gab er von sich, kein Wort verrieth einen Wunsch
in die Welt zurückkehren zu können. Ich sprach in seiner Gegenwart mit
dem Beichtvater, und er bestätigte alles was ich sagte. Der Geistliche
durfte uns aber ohne die Einwilligung des Erzbischoffs von Paris nicht
trauen; doch versicherte er, daß er gar nicht zweifle, sie unter diesen
Umständen zu erhalten. Wir baten ihn, sich selbst hin zu bemühen. Er
that es, nachdem er vorher unsern Namen und Stand aufgezeichnet hatte,
und ließ bei dem Kranken einen andern Geistlichen. Auch wir blieben
bei ihm, und ich sah in dem Sterbenden eine wahre Ergebung und eine
ungeheuchelte Entsagung aller irrdischen Dinge, mit einem Wort solche
Gesinnungen, wie sie sich jeder wünschen sollte.

Die Erlaubniß zu unserer Trauung kam zu spät, eben als er seine Augen
geschlossen hatte; sie wurde uns unnöthig, denn der Geistliche wollte
nun nicht davon Gebrauch machen. Er sagte, der Erzbischof habe nur
die Erlaubniß ertheilt, um das Gewissen eines Sterbenden zu beruhigen,
und um sein Herz von weltlichen Angelegenheiten loszumachen; aber der
letzte Seufzer desselben habe alle diese Ansichten verändert, wir wären
nicht mehr in der Lage uns den gewöhnlichen Ceremonien der Kirche
entziehen zu dürfen.

Ich erschöpfte vergebens meine Beredsamkeit, so wie auch die Tante des
Fräuleins; man bot dem Geistlichen eine ansehnliche Summe, um ihn dahin
zu bringen, uns den Segen zu geben; aber alles war umsonst.

Ich führte nun _Manon_ in mein Haus, und bat die Freundin, bei der ich
sie zum erstenmale sah, ihr Gesellschaft zu leisten, ich selbst ging zu
_Ribaupierre's_ Wohnung zurück, wo sich die Tante mit ihrem Sohn nebst
noch mehreren Verwandten des Verstorbenen befanden. Sie betrachteten
mich alle als Herrn des Hauses, und überließen meiner Einsicht alle
Einrichtungen. Ich ließ versiegeln, ordnete das Leichenbegängniß an
und die Seelenmessen, und nahm alle Kostbarkeiten in meine Verwahrung.
_Manon_ unterschrieb alles, was ich wollte, und verließ sich ganz auf
mich. Ihre Erbschaft machte wenig Umstände, sie war die einzige Tochter
und Erbin, also waren keine Einsprüche zu befürchten. Bald war sie
in alle ihre Rechte eingesetzt, und als ich sie wieder in ihr Haus
zurückführte, war sie so erschöpft, und bewegt, daß ich nicht wagen
durfte, mit ihr sobald von unserer Heirath zu sprechen.

Ihre Tante aber erklärte ihr in meiner Gegenwart, daß sie sich nicht
sobald nach dem Tode ihres Vaters verheirathen dürfe, weil diese
Eilfertigkeit zu vielen Gesprächen Anlaß geben könnte. Sie war die
erste, die darein willigte, und ich mußte nachgeben, so schwer es
mir auch fiel; zumal da dringende Geschäfte mich wieder nach A--
riefen. Da die Tante dafür hielt, daß es sich für ein unverheirathetes
Frauenzimmer nicht schicke, mit so vielen Bedienten allein zu
wohnen, so rieth ich ihr, die Zeit meiner Abwesenheit bei der Tante
zuzubringen, wo die lebhafte Gesellschaft zugleich ihren Kummer
zerstreuen würde.

Nach vierzehn Tagen ging ich zum letztenmal vor meiner Abreise zu ihr;
ich sah sie Briefe schreiben, und auf die Post geben. Dieß beunruhigte
mich nicht, da ich wußte, daß sie Herr über ihr Vermögen war, und,
weil ein Theil davon in einer entfernten Provinz stand, leicht
Veranlassungen zum Schreiben haben konnte. Aber ich entdeckte doch,
daß ein Brief darunter war, dessen Aufschrift sie mir verbergen wollte.
Will man einem Liebhaber etwas verheimlichen, so ist dieß gerade ein
Mittel, seine Neugierde zu erregen. Unser Verhältniß erlaubte mir
die Frage an sie zu thun, an wen dieser Brief gerichtet sei? aber
ich that sie nicht, und begnügte mich damit, daß ich einen Handschuh
fallen ließ, und den Kopf erhob, indem ich ihn aufnahm. Da die Adresse
umgekehrt lag, so konnte ich nur den Namen _Rosier_ lesen, ohne zu
sehen, nach welchem Ort er gerichtet war; ich hatte niemals einen
ähnlichen Namen gehört, und bekümmerte mich nicht weiter darum.

Ich trat meine Reise an, nach deren Beendigung unsere Heirath vollzogen
werden sollte; der Abschied war zärtlicher als das erstemahl. Dießmahl
war ich wie ein Mann, der vor Begierde brennt, sich des Besitzes zu
erfreuen. Ich sah in A-- nur Menschen, mit denen ich Geschäfte hatte,
selbst einen Theil meiner Ansprüche und Rechte opferte ich auf, um
meine Geschäfte nur schnell zu beendigen, und war vierzehn Tage früher
wieder in Paris, als man mich erwartete.

Ich ging sogleich zu _Manon_, noch eh ich in meine eigne Wohnung
trat. Sie war nicht zu Hause. Es kamen zwei Briefe an sie an. Da ich
ihre Geschäfte zu besorgen gewohnt war, so ließ mich die Kammerfrau
die Briefe in Empfang nehmen. Ich empfahl ihr meine Ankunft zu
verschweigen, weil mir's einfiel, einen Brief von meiner Hand in einen
von diesen einzuschieben, um sie in Verlegenheit zu setzen, und mich
über sie lustig zu machen. Die Kammerfrau versprach das Geheimniß zu
bewahren, und ich ging in meine Wohnung, um mich umzukleiden. Ich
war überzeugt, daß die Briefe nur von Geschäften handelten, die ihre
Erbschaft beträfen, und daß sie nicht darüber böse werden könnte,
wenn ich einen davon aufbräche. Ich zauderte also nicht lange. Der
Brief war mit dem Namen _Rosier_ unterschrieben. Dieß erinnerte mich
an die Sorgfalt, die sie angewandt hatte, mir einen Brief mit dieser
Aufschrift zu verbergen. Meine Gedanken verwirrten sich, und ich wußte
keinen Ausweg. Der Inhalt des Briefs machte mich schaudern. Man schrieb
ihr:

  »Mit der größten Freude, mein Fräulein, empfing ich Ihren Brief vom
  neunzehnten, und ich erfuhr, daß Sie nicht mehr unter der Tyrannei
  eines Vaters seufzen müßten. Tausendmal habe ich Ihre Gefälligkeit
  für ihn bewundert, und Ihre Tugend, mit der Sie seine üblen Launen
  ertrugen. Ich glaubte nicht, daß die kindliche Liebe so weit gehen
  könnte. Endlich sind Sie frey, ich danke Gott täglich dafür um meinet-
  und Ihrentwillen. Ich bleibe nur noch kurze Zeit hier, spätestens in
  vierzehn Tagen hoffe ich zu Ihnen zu kommen, und in Ihrer Nähe alle
  Freuden zu genießen, die eine glückliche Liebe verspricht; nach so
  vielen Durchkreuzungen des Schicksals und nach den Hindernissen, die
  ein glücklicherer Nebenbuhler, von einem Manne begünstigt, von dem Sie
  abhängig waren, uns in den Weg legte. Mag er seyn, wer er will, dieser
  Nebenbuhler, so schwöre ich es Ihnen zu, er ist verloren bei meiner
  Ankunft, oder meine Mutter wird mich von dem schrecklichen Anblick
  befreien, Sie in seinen Armen zu sehen. Sie wollen mein seyn, nichts
  wird mich von meinem Glück abhalten, und ich werde Ihnen Beweise
  geben, daß niemand zärtlicher und treuer geliebt hat, als Ihr

                                                       _Rosier_.«

Könnte der Schmerz tödten, so wäre ich in diesem Moment gestorben.
Eine ganze Stunde blieb ich fast ohne Bewußtseyn, so hatte mich dieser
unerwartete Schlag betäubt. Aber die Wuth folgte dem Schmerz bald nach.
Ich horchte nur auf die Stimme der Rache, und entschloß mich, diesem
Menschen zuvor zu kommen, der mir den Tod drohete, ehe er mich gesehen
hatte. Ich nahm die Feder, aber ich weiß nicht, was ich in der Bewegung
niederschrieb. Ich sandte _Manon_ die Briefe zu, auch den meinigen. Ich
stieg wieder aufs Pferd und nahm den Weg nach _Grenoble_; ich hatte
den Plan, jenen _Rosier_ selbst ausfindig zu machen, und zu sehen, ob
er eben so tapfer in der Nähe als in der Ferne wäre. Der Zorn gab mir
Flügel; in dreißig Stunden war ich dort. Ohne auszuruhen machte ich
Anstalt den Menschen aufzusuchen, wo ich nur hoffen konnte, Nachrichten
von ihm einzuziehen; aber ich konnte ihn nicht finden. Endlich von den
vielen mißlungenen Versuchen abgeschreckt, mehr noch als wüthend über
die Untreue meiner Braut durchreiste ich das Lioner Gebiet und den
Wald, und ging nach A-- zurück, wo ich entschlossen war zu bleiben, bis
die Zeit das Andenken an _Manon_ in meinem Herzen getilgt haben würde.
Vier Monate blieb ich dort, aber ich erreichte nicht meinen Zweck. Ich
wäre länger geblieben, hätte mich meine Stelle nicht gezwungen nach
Paris zurückzukehren.

_Manon_, die meine Ankunft sogleich erfuhr, kam gleich den andern Tag
zu mir in mein Haus, aber ich ließ mich verläugnen und verbot meinen
Bedienten, sie je zu mir zu führen, so oft sie auch kommen möchte. Sie
schrieb mir einigemal, aber ich schickte die Briefe unerbrochen zurück,
auch ihr Bild und alle Briefe, die ich von ihr hatte, schickte ich ihr
wieder. Ihre Verwandten machten viele fruchtlose Versuche zu unserer
Aussöhnung, aber diese Verrätherey war zu schwarz in meinen Augen, als
daß ich hätte leicht verzeihen können. Ich suchte aber ihren _Rosier_
nicht mehr auf, denn ich hielt es für die beste Rache, die ich nehmen
konnte, sie beide zu verachten.

So lebte ich eine geraume Zeit mit dem Anschein einer ruhigen Kälte,
aber doch merkten meine Freunde, daß mein Herz ein schwerer Kummer
drückte. Einer von ihnen, der mir am nächsten war, und mein Vertrauen
mehr besaß als die andern, nahm sich das Herz, in einem Gespräch meine
Verhältnisse mit _Manon_ zu berühren, da wir einmal mehr als gewöhnlich
auf eine vertrauliche Art zusammen sprachen.

Ist das Fräulein, sagte er, dir untreu, so billige ich dein Verfahren
sehr. Sie verdient alsdann nicht, daß ein rechtschaffener Mann an
sie denkt; aber ich, der ich nicht so befangen urtheile, wollte fast
schwören, daß ein Mißverständniß zum Grunde liegt. Wie hätte sich
in der That so ein Verhältniß entspinnen können, mit diesem Herrn
_Rosier_, den du niemals gesehen hast, da du doch täglich bey ihr
warst. Warum sollte sie zwey Menschen zugleich ihre Hand versprochen
haben? Warum dir ihr Versprechen nicht halten, nachdem sie so viele
Schritte zu deinem Vortheil gethan hatte? Warum hätte sie dich so oft
aufgesucht? was wäre aus _Rosier_ geworden? und warum sollte sie dir
noch schreiben? Warum, wenn sie dir untreu ist, eine Versöhnung mit dir
versuchen wollen? Dahinter steckt ein Geheimniß, und ich bin sicher,
daß zum wenigsten eine Übereilung von deiner Seite, und ein Spiel des
Zufalls von der ihrigen zum Grunde liegt, oder sie ist die größte
Betrügerin, die in der Welt ist.

Seine Gründe machten auf mein Herz einigen Eindruck. Ich dachte der
Sache tiefer nach, und bat ihn endlich, wenn er _Manon_ spräche, die
Unterredung auf mich zu leiten. Thue was du kannst, um die Wahrheit zu
entdecken. Als ich ihr neulich begegnete, machte mich ihr Blick, der
gerade auf mich gerichtet war, stutzen, und zerstreuete einen Theil
meines Zorns, darum möchte ich nicht gern mit ihr selbst sprechen,
weil ich meinem Herzen nicht traue; aber suche Du sie auf.

Ich werde heute Gelegenheit haben sie zu sehen, sagte mein Freund, da
ich ihren Verwandten besuchen muß, und erlaubst du es mir, so will ich
suchen _Manon_ zu sprechen und das Gespräch auf dich lenken.

Er ging, und ich erwartete mit Unruhe seine Zurückkunft. Kaum war er
wieder ins Zimmer getreten, so ging ich hastig auf ihn zu. Welche
Nachrichten bringst du mir? Hast du mir gute zu bringen? Nein, sagte
er lächelnd; aber ich soll dich schelten in _Manons_ Namen, die sehr
unschuldig an jenem Briefe ist, den du an sie gerichtet glaubst. Man
liebt dich immer und ist auch deiner Liebe gewiß. Man hält dich nur für
einen Thoren und unhöflichen Menschen, aber man läßt dir Gerechtigkeit
widerfahren, und ist bereit dir die Hand zu geben. Hier ist das
Bild der Braut wieder zurück, und auch der schöne Brief, den du ihr
schriebst. Du sollst den ganzen Irrthum erfahren, so bald du sie sehen
wirst.

Nun, nachdem ich das wußte, was meinem Herzen am nächsten lag, so
erzählte er mir den Inhalt und die Wendung seines Gesprächs.

Bei seinem Eintritt ins Zimmer war _Manon_ sehr erfreut ihn wieder zu
sehen, denn er war lange abwesend gewesen. Er sagte ihr, da er sich
als ein Fremdling wieder in seinem Vaterlande fände; so wäre er sehr
glücklich gewesen, Herrn _d'Autun_ zu begegnen, der ihn sehr gütig
aufgenommen habe, und ihm dadurch gezeigt hätte, daß er noch die alte
Freundschaft für ihn habe. Es ist, setzte er hinzu, ein rechtschaffener
Mann, dem ich gern dienen möchte. Sie können es, sagte _Manon_, wenn
Sie ihm seine Vernunft wiedergeben, die er seit acht Monaten verloren
hat. -- Mir schien er ganz vernünftig, erwiederte mein Freund. -- Und
doch ist er von Sinnen, sagte sie; Sie werden mir Recht geben, wenn
Sie hören, welcher Thorheiten er sich gegen mich schuldig machte. --
Ich weiß, sagte mein Freund, was zwischen Ihnen beiden vorgefallen
ist. -- Hat er Ihnen die schönen Träumereyen erzählt, die er sich in
den Kopf gesetzt hat? fragte _Manon_. Anfangs hatte ich Mitleid mit
ihm, fuhr sie fort. Ich that mein möglichstes ihm die Wahrheit zu
enthüllen, und ließ mich's nicht verdrießen, mehrere Mahl zu ihm zu
gehen, ob er gleich so unhöflich war, mich an seiner Thür abzuweisen.
Dieses Betragen hat der Welt ein großes Ärgerniß gegeben, man sprach
viel davon, aber es hat mich doch nicht abschrecken können. Ich
schrieb ihm einen Brief nach dem andern, aber auch diese schickte er
mir unerbrochen zurück. Ja, er treibt es noch weiter, er sucht mich
zu beleidigen, wo er mir begegnet, und ist weit entfernt nur die
gemeinste Höflichkeit zu zeigen, die sein Geschlecht dem meinigen
schuldig ist; und dieß alles um eines Briefes willen, dessen Inhalt ich
ihm hundertmahl habe erklären wollen, ohne daß er mich hören wollte.
Sagen Sie selbst, fügte sie noch hinzu, ist es nicht zum Erstaunen, daß
ein Mann, der thörigt genug ist, nach Dauphiné zu reisen, um sich mit
einem Nebenbuhler zu schlagen, es abschlagen kann nur einen Schritt
der Aussöhnung gegen ein Mädchen zu thun, das er liebt? Denn wie sehr
er sich auch überreden mag, daß er mich hasse, so betrügt sich doch
der arme Freund. Ich kenne ihn zu gut, um an eine Veränderung seiner
Gesinnung zu glauben. Ich für meinen Theil verberge meine Neigung
nicht, obgleich ich sehr große Ursache hätte, sie zu unterdrücken. Ich
wollte seine Eifersucht wecken, um eine Erklärung herbei zu führen,
aber ich verlohr meine Zeit fruchtlos. Nur von mir hing es ab mich zu
verheirathen, und auf eine vortheilhafte Art; aber ich kann nur an ihn
denken, und sterbe unverheirathet, wenn ich ihm meine Hand nicht geben
kann. Ich sehe ihn nicht allein als meinen Verlobten an, weil es meines
Vaters letzter Wille war, sondern weil ich ihn liebe. Lange habe ich
seine Veränderung beweint, oder vielmehr seine Halsstarrigkeit; ich
habe noch keinen Trost finden können! Aber es muß aufhören. Sie sind
sein Freund, haben Sie Mitleid mit unserm Zustand. Ich bin es müde,
mich unnützer Weise so zu quälen. Erzeigen Sie uns diese Gefälligkeit,
ihn nur zu fragen, wann er meine Rechtfertigung hören will; es wird
bald geschehen seyn; ich brauche nur zu wiederholen, was ich ihm schon
oft geschrieben habe. --

Aber wenn Sie sich nicht versöhnen, wie dann? fragte mein Freund. -- So
werde ich Ihnen danken, daß Sie in mir den Entschluß befestigt haben,
ins Kloster zu gehen, ehe noch diese Woche zu Ende ist. Aber ich hoffe
wir knüpfen wieder an, denn ich bin sicher, daß er mich liebt wie
ehemals; und Sie sollen sehen, in welchem hohen Grade ich ihn liebe, da
sogar dieser Brief nicht meine Liebe vermindern konnte.

Sie gab ihm den Brief, den ich damals in der Wuth schrieb, und dessen
Inhalt mir jetzt selbst fremd war, da ich ihn mit einer mehr ruhigen
Besinnung durchlas.

»Der Zufall,« schrieb ich: »entdeckt mir Ihre Treulosigkeit. Den Brief
Ihres theuren Liebhabers sende ich Ihnen zurück, dem ich selbst die
Antwort bringen werde über das was mich darin angeht. Sie haben ihm
ohne Zweifel gesagt, daß ich ein Feiger sei, weil er mein Verderben
beschließt, ohne mich zu kennen. Ich muß diesen neuen Mars sehen. Mein
Leben bringe ich ihm, oder nehme das seinige. Ich will Sie nicht von
ihm trennen, Sie verdienen es nicht; ich würde mich betrüben, einen
solchen Schritt um einer Treulosen willen gethan zu haben. Er soll
sehen, daß Sie nicht die Wahrheit sagten, wenn Sie ihm sagen konnten,
daß ich keinen Muth hätte. Ich habe doch so viel, um mich an Ihnen zu
rächen, und Sie zu verachten als ein unwürdiges Wesen. Sie verdienen
weder Mitleid noch Haß. Leben Sie wohl. Ihr Schicksal wird mich rächen.
Alles was ich von Ihnen erhielt, schicke ich zurück. Ihre Briefe habe
ich verbrannt. Ihre Gunstbezeugungen sind mir nicht mehr werth, als die
der leichtsinnigsten Ihres Geschlecht.«

Sie sehen daraus, sagte Manon zu meinem Freunde, nachdem er den Brief
gelesen hatte, daß Ihr Freund zu leicht Verdacht geschöpft hat, und
Sie sehen wohl auch, daß ich ihn billig nicht wieder aufsuchen sollte;
aber ich liebe ihn zu sehr, um nicht Mitleiden mit dem Kummer zu haben,
den er sich selbst bereitet. Ich vertraue Ihnen den Brief an, lassen
Sie ihn Ihren Freund noch einmahl lesen. Ich sah ihn längst als meinen
Gemahl an, und nur in dieser Rücksicht kann ich ihm seine üble Laune
vergeben. Aber wenn er noch einmahl meine Güte mißbrauchen könnte, so
versichern Sie ihm, daß es das letzte Mahl seyn wird.

Aber erlauben Sie mir zu bemerken, sagte mein Freund zum Fräulein
_Ribaupierre_, der Brief, den _d'Autun_ öffnete, war an Sie gerichtet,
er stimmte mit Ihren Begebenheiten zusammen; er war von einem
begünstigten Liebhaber, und ich sehe nicht ein, warum _Autun_ nicht
sollte Feuer gefangen haben. -- Es ist wahr, daß der Brief _an mich_
gerichtet war, aber es ist nicht wahr, daß er _für mich_ war. Ich werde
ihm, sobald er es verlangt, den Mann zeigen, der ihn schrieb, und
das Frauenzimmer, dem er galt. Sie sind jetzt verheirathet, und ich
bin nicht länger verpflichtet ihr Geheimniß auf Unkosten meiner Ruhe
zu bewahren; sie sind in Paris, und in ihrer Gegenwart will ich mich
erklären. Mein Freund wird ihm gern seine Handschrift zeigen, und er
wird zugleich erfahren, warum die Briefe an mich gerichtet wurden. Ich
hoffe, er wird kommen und meine Rechtfertigung hören, und wir werden
als Freunde auseinander gehen.

Aber was soll ich ihm sagen, wenn er nicht kommen will? fragte der
Freund lächelnd. -- Daß ein Platz im Irrenhaus seiner wartet, sagte
_Manon_ gleichfalls lächelnd; und um ihm zu bezeugen, daß Sie auf
meinen Befehl sprechen, so bringen Sie ihm seinen schönen Brief mit
meinem Bilde zum Pfande. Geben Sie es ihm zurück, und sagen ihm, daß er
ein Thor war, mir es zurück zu schicken. Ich bewahre das seinige stets,
und werde es behalten, so lange ich lebe.

Ich sehe wohl, sagte mein Freund, daß Ihre Aussöhnung leicht gemacht
seyn wird; wenn Sie ihn lieben, so schwöre ich Ihnen zu, daß er Sie
nicht weniger liebt, und daß nur ein verliebter Groll ihn zurück hält.

Gestehen Sie offenherzig, sagte _Manon_, daß er ein Schwärmer ist, und
sich jetzt bittere Vorwürfe macht, die Mittel verschmäht zu haben, die
ich ihm darbot, um seinen Irthum aufzuklären. Bringen Sie ihn zu mir,
sobald er will, wenn er meiner Versicherung Glauben beimißt.

Wie glücklich war ich über den Versuch meines Freundes, und über den
glücklichen Erfolg seiner Bemühungen. Ich eilte zu _Manon_, warf mich
ihr zu Füßen. Von Ihnen will ich meine Verzeihung hören, schönste
_Manon_, rief ich aus; in Ihren Blicken lese ich Ihre Unschuld, und
mein Irthum bringt mich zur Verzweiflung.

Es ist Ihnen alles vergeben, sagte sie, und umarmte mich mit Thränen.
Nicht an mir ist es, ungerechte Ansprüche zu machen, ich will alles
vergessen, und indem ich es Ihnen zusage, so bitte ich Sie, sich ins
künftige nicht so leicht durch den Schein täuschen zu lassen.

Ich habe ihr Wort gehalten. Wir sind glücklich, und ich sehe nicht mehr
in die Vergangenheit zurück, als um mein Schicksal zu preisen, das mir
selbst meine Irrthümer lieb macht, weil ich durch sie den Werth meines
jetzigen Glücks doppelt fühle.




Notizen des Bearbeiters:
------------------------

gesperrter Text markiert durch  _ ... _

antiqua  markiert durch  ~ ... ~

Titelseite im Projekt bisher nicht vorhanden; daher neu kreiert.
(Original-Buchdeckel von 1801 hat keine Schrift; nur Rücken beschriftet)
Titelseite als public domain freigegeben.

Satzfehler wurden - so weit erkannt - korrigiert.

Unterschiedliche Schreibweisen von Wörtern wurden - wie im Original -
überwiegend beibehalten

  Bsp.:
    damals / damahls ,
    dies / dieß ,
    foderte / forderte ,
    Fantasien / Phantasien ,
    reiste / reißte ,
    trefflich /  treflich ,
    usw.

Einige wenige Schreibweisen wurden korrigiert und vereinheitlicht:

  Bsp.:
    Karakters / Charakters ,
    Gemahlinn / Gemahlin





End of the Project Gutenberg EBook of Die Bekanntschaft auf der Reise, by 
Charlotte von Ahlefeld

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE BEKANNTSCHAFT AUF DER REISE ***

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effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
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damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
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limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
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remaining provisions.

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trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
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accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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