Das Lagerkind : Geschichte aus dem deutschen Krieg

By Charlotte Niese

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Title: Das Lagerkind
        Geschichte aus dem deutschen Krieg

Author: Charlotte Niese

Illustrator: H. Schrödter

Release date: March 11, 2025 [eBook #75591]

Language: German

Original publication: Mainz: Verlag von Jos. Scholz, 1914

Credits: Hans Theyer and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS LAGERKIND ***



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                     [Illustration: Das Lagerkind

                                 Von

                           Charlotte Niese]




                     Die Buchausstattung ist von
                     Else Mehrle. Die Zeichnungen
                       zu diesem Bande sind von
                      Hans Schroedter. Druck von
                     Oscar Brandstetter, Leipzig.
                     +Copyright by Jos. Scholz+,
                             +Mainz 1914+
                      ~Alle Rechte vorbehalten.~




                            [Illustration:

                                 Das
                              Lagerkind

                  Geschichte aus dem deutschen Krieg]


                               Von
                           Charlotte Niese

                              Verlag von
                        Jos. Scholz in Mainz]




                         Kapitelverzeichnis.


                                          Seite

                       Erstes Kapitel         5

                       Zweites Kapitel       19

                       Drittes Kapitel       34

                       Viertes Kapitel       45

                       Fünftes Kapitel       65

                       Sechstes Kapitel      95

                       Siebentes Kapitel    113

                       Achtes Kapitel       124

                       Neuntes Kapitel      150

                       Zehntes Kapitel      167

                            [Illustration]




                    [Illustration: Erstes Kapitel]


Die meisten Bewohner des Deutschen Reiches werden wissen, daß sich
die Elbe in die Nordsee ergießt, und daß die erste Handelsstadt
Deutschlands, das freie Hamburg, an den Ufern dieses Flusses liegt. Wer
von Hamburg abwärts in die graue Nordsee fährt, der sieht zu seiner
Rechten Holstein liegen, und an seiner Linken Hannover. Gleich hinter
Hamburg erhebt sich die holsteinische Stadt Altona, und ihr folgen eine
Reihe von hübschen Landhäusern. Das Ufer ist steil: von oben winken
Kirchtürme und Ortschaften: endlich kommt Blankenese, das noch heute
von Fischern bewohnt wird, darum aber gewiß kein Fischerdorf, sondern
ein aufstrebender Ort, größer als manche Stadt, ist. Weiter geht die
Fahrt. Überall Häuser, Ortschaften, Städte, bis die Nordsee erreicht
ist. Ja, Holstein ist ein schönes Land: wer es kennt, der weiß davon
zu berichten: aber auch Hannover, das andre Ufer, kann sich wahrlich
sehen lassen. Mit seinen aufstrebenden Städten, seinen reizenden
Dörfern, seiner roten Heide.

Ein gesegnetes Land: so sagen wohl die Menschen, die alles zuerst
sehen. Manchmal wundern sie sich: denn die da aus dem schönen Süden
kommen, denken wohl, im Norden gäbe es nur Eisbären und Wölfe.

Die Zeiten sind vorüber. Obs Eisbären vor grauer Zeit in
Norddeutschland gegeben hat, kann ich nicht sagen. Aber Wölfe hausten
hier noch vor knapp dreihundert Jahren. Damals, als der große Krieg,
den man den Dreißigjährigen nennt, das Land verwüstete.

Das war eine böse Zeit. Dazumal war die Ortschaft Altona sehr klein,
und die Hamburger lachten über sie. »All to nah --« neckten sie die
Fischer und Bauern, die sich dort angebaut hatten. Denn die Hamburger
fanden es unnötig, daß die holsteinischen Landesherren dicht vor ihren
Mauern eine Ortschaft aufstreben ließen. Wiederum aber sahen sie ein,
daß man es den Fischern und Bauern nicht verargen konnte, wenn sie sich
hart an den Fluß bauten, der ihnen nicht allein reichliche Fische,
sondern auch die Möglichkeit gab, einige kleine Reisen zu machen. Das
ging am besten auf dem Wasser. Zwar gab es wohl Landstraßen, die das
Land durchzogen, aber sie waren nicht gut im Stand, und dann erhob sich
auch, gleich hinter dem Dorfe Ottensen, das westwärts an Altona stieß,
ein großer Wald, in dem es nicht geheuer war. Es lagen auch hier, von
Wald umfriedet, mehrere Bauernhöfe und einige Dörfer, in denen es sich
zu Friedenszeiten gut leben ließ: wie aber das Kriegselend kam, da
gehörte schon Mut dazu, sich allein aus dem Schutz der Städte zu wagen.

Zuerst hatte der böse Krieg den Holsteinern und Hannoveranern nicht
viel getan. Sie hörten wohl von großen Schlachten und vielem Herzeleid,
das sich in andern Gegenden abspielte, aber diese Geschichten drangen
mehr aus der Ferne zu ihnen, und sie dachten nicht viel darüber nach.
Bis es dem Dänenkönig, dem Holstein gehörte, einfiel, sich auch an
diesem mörderischen Kriege zu beteiligen. Es erging ihm schlecht.
Er hielt sich auf seiten der Schweden; da fielen die Kaiserlichen
in Holstein ein und hausten dort grausam, wie es ihre Art war. Die
Schweden, die sie vertreiben wollten, gingen gleichfalls nicht
säuberlich mit den armen Schleswig-Holsteinern um, und wo die Dänen
erschienen, benahmen sie sich oft eben so schlecht wie die Feinde.
Da war es denn nicht zu verwundern, daß das Land verwüstet und
menschenleer wurde. Wer konnte, der floh in die Städte; aber viele
arme Bauern wurden von den Soldaten erschlagen und vielleicht vorher
noch zu Tode gepeinigt. Und auch denen, die auf den Ritterburgen
des Landes saßen, erging es nicht besser. Konnten sie sich nicht
verteidigen, oder wohnten hier Frauen und Kinder ohne männlichen
Schutz, so wurden sie grade so elend ermordet wie die Bauern oder
vertrieben und in Gefangenschaft geführt. Dies geschah alles am Anfang
des Dreißigjährigen Krieges; gegen das Ende wandte sich Christian
der Vierte, so hieß der Dänenkönig, einmal zur Veränderung gegen
die Schweden, mit denen er ehemals gut Freund gewesen war, und nun
fielen diese als Feinde über Holstein her, und was die Kaiserlichen
unverwüstet gelassen hatten, das wurde jetzt von den Schweden zerstört.

Es war eine traurige Zeit. Viele Menschen wußten nicht anders, als
daß es nur Krieg und niemals Frieden geben konnte. Sie wurden im
Elend geboren und kamen im Elend um. Daß es friedliche Landarbeit,
einträglichen Handel, behagliches Leben geben konnte, ahnten sie
nicht. Hinter jedem Heer folgten Scharen von Menschen, die man den
Troß nannte. Mit ihm waren kleine und halb erwachsene Kinder, Frauen
und manchmal auch alte Leute. Sie hatten keine Heimat, weil die ihre
zerstört war. Sie liefen mit den Soldaten, und wo diese einen Besitz,
einen Bauernhof fanden, an dem noch etwas zu rauben war, da holte sich
der Troß nachher die letzten Reste. Manchmal ging so ein Troß von den
Kaiserlichen zu den Schweden über, oder auch umgekehrt. Sie machten
es so wie die Soldaten, die auch oft ihre Dienste wechselten. Denn
allmählich wußte der gewöhnliche Mann wirklich nicht mehr, weshalb
eigentlich dieser Krieg geführt wurde und die Machthaber, die in
Stockholm, in Wien und Paris saßen, dachten nur darüber nach, wie sie
den größten Vorteil aus allem herausschlagen konnten. Über diesem
Nachdenken verging die Zeit, und das Elend wurde immer größer.

Nur in Hamburg merkte man nicht allzuviel vom Krieg. Die Stadt hatte
sich schöne Wälle und Mauern mit Kanonen darauf bauen lassen und ließ
weder die Schweden noch die Kaiserlichen ein. Gelegentlich versuchte
irgend ein Häuflein, bei den Hamburgern anzuklopfen, aber es wurde
mit blutigen Köpfen heimgeschickt, und daher war es in dieser festen
Stadt ein recht angenehmes Leben. Die Kaufleute trieben ihren Handel
wie sonst, und wenn sie auch ein starkes Söldnerheer haben mußten,
das die Wagen mit ihren Waren über Land begleitete, und wenn ihre
Handelsschiffe natürlich Kanonen hatten und kriegsgewohnte Mannschaft,
so ging in der Hansestadt das Leben im allgemeinen seinen ruhigen Gang,
und wer hier einmal wohnte, der freute sich seines Daseins und hütete
sich wohl, die feste Stadt und ihren Schutz zu verlassen.

Als daher Herr Jobst Hanekamp in Hamburg durch einen Boten erfuhr,
daß sein Neffe, der Hofbesitzer Fritz Hanekamp in der holsteinischen
Marsch, Haus und Hof den räuberischen Soldaten hatte opfern müssen
und selbst bei der Verteidigung seines Eigentums umgekommen war, da
bedauerte er dieses Unglück zwar sehr, aber er schrieb doch an die
Witwe, daß er leider nicht imstande wäre, etwas für sie zu tun. Die
Zeiten wären schlecht: sein Geschäft ginge rückwärts, und er müßte für
sein Alter sorgen. Er hätte aber gehört, daß Frau Jutta eine tüchtige
Frau wäre, und zwei Söhne sollte sie auch haben. Wer arbeiten könnte,
dem ginge es immer gut.

Es war grade kein erfreulicher Brief, den Frau Jutta Hanekamp nach
ihrem großen Unglück und nachdem sie arm geworden, erhielt. Aber er
kam zum Glück so verspätet an, daß sie lange gelernt hatte, nicht auf
die Hilfe des Oheims zu warten. Ein treuer Knecht war ihr geblieben,
der von der Elbe war. Da sie ihre Heimat verlassen mußte, weil alles
verbrannt und verwüstet war, so ging sie mit ihren Söhnen an die Elbe,
etwa eine Stunde landeinwärts vom Dorfe Ottensen. Dort war, mitten
im Walde gelegen, ein Stück Land mit einem Häuschen darauf, billig
zu haben. Mit dem Rest ihres geretteten Geldes kaufte sie es und
bewirtschaftete dies Fleckchen Land mit ihren Söhnen, die allmählich
heranwuchsen. Denn der treue Knecht starb an den Folgen einer Wunde,
die er im Kampf mit Wölfen davontrug. Weil die Menschen hier im Lande
immer spärlicher wurden, und die Dörfer zerstört waren, so kamen die
Wölfe zur Winterszeit von Norden her und ließen sich schwer wieder
vertreiben.

Also mußte Frau Jutta mit ihren Söhnen allein hausen, und sie tat es
mit Ruhe und Umsicht. Sie war eine Frau, die das Arbeiten gelernt
hatte, und wußte, daß man nicht immer über seinen Kummer nachdenken
durfte. Ihr kleiner Besitz lag ziemlich verborgen, und bis jetzt hatten
die umherziehenden Soldaten ihn nicht gefunden. Manchmal schien es
auch, als ob sie überhaupt verschwunden wären. Bis wieder eine böse
Zeit kam, und jedermann angstvoll dem kommenden Morgen entgegensah.

Es war im Monat März. Der Winter war streng gewesen, und die Elbe war
lange mit Eis bedeckt. Die Schiffahrt lag still, wer sein Brot mit
Fischen verdiente, hatte Not, sein Leben zu fristen. Aber die Fischer
schlugen Löcher ins Eis, und wenn sie keine Fische fingen, dann kamen
doch die Taucherenten und andre Wasservögel, die sich in den unters
Wasser geschobenen Netzen verstrickten und dann mit der Hand gegriffen
werden konnten. Das gab gute Braten, denn die Tiere waren fett, und ihr
weißgrauer Pelz gab Mützen, die nicht allein warm hielten, sondern an
denen Schnee und Regen abliefen, daß sie eigentlich niemals grundnaß
wurden.

Auf der Elbinsel Finkenwärder gabs heute ein gutes Essen. Hunderte
dieser Tauchervögel waren von den geschickten Fischern gefangen worden:
nun wurden sie gebraten oder geräuchert, und auf der ganzen Insel
rochs gut. Wer von den Finkenwärder Fischern etwas wußte, der gönnte
ihnen eine kräftige Mahlzeit, denn nicht vor langer Zeit waren die
Schweden von Holstein übers Eis gekommen, hatten bei den Finkenwärdern
geplündert und viele von ihnen erschlagen. Zum Glück nicht alle: die
jüngere Mannschaft war grade nach der Nordsee gewesen, um dort zu
fischen oder Seehunde zu erlegen, aus denen in Hamburg Tran gekocht
wurde und deren Felle zu allen möglichen Dingen zu gebrauchen waren.

Dieser jüngeren Mannschaft konnten die Schweden nichts anhaben; als
sie heimkehrte, rückten die Soldaten grade ab. Im Dorfe brannte es;
alte Männer und Frauen lagen erschlagen, und die Rückkehrenden konnten
sich freuen, daß die meisten Kinder versteckt worden waren und noch
lebten. Schlimm genug war es, was die Finkenwärder erlebten und
wehrlos erleben mußten. Denn der unselige Krieg zog so hin und her,
daß die Ausgeplünderten niemals wußten, wohin sie sich um Hilfe und
Gerechtigkeit wenden sollten.

Seit der Zeit mußten die Finkenwärder noch anders arbeiten, wie bisher,
weil ihr Wohlstand dahin war und sie kaum das trockne Brot hatten, um
sich satt zu essen. Da kamen die Tauchervögel sehr gelegen, grade in
ihre traurige Zeit, und wer noch lebte und essen konnte, dem war es zu
gönnen, daß er wirklich einmal gründlich satt wurde.

Über die Dorfstraße mit ihren kleinen Häusern, von denen etliche
notdürftig wieder zusammengeflickt waren, kam ein Mädchen. Sie mochte
elf oder zwölf Jahre alt sein, hatte halblange Haare wie ein Knabe und
ein verhungertes, blasses Gesicht. Ihre Augen waren blau, und über der
Nase hatte sie eine scharfe Falte, als wäre sie schon alt. Diese Falte
kam daher, weil sie sich angewöhnt hatte, scharf und vorsichtig umher
zu spähen. An einem Bein trug sie einen langen gelben Reiterstiefel,
am andern einen Holzschuh. Dann schlotterte ein zerrissener roter
Rock um sie, eine Jacke aus zerschlissenem Marderfell bedeckte ihren
Oberkörper, und im Gürtel steckte ein Messer. Wie sie langsam ging und
sich umsah, stand eine der Fischerfrauen, die an ihrem Fenster saß und
auf die Straße blickte, auf und schlug die Haustür zu. Denn ihr kam es
vor, als sähe das Kind zu ihr hin. So war es auch. Das Mädchen klopfte
an ihre Tür.

»Ich bin so hungrig!« sagte sie.

»Geh nur weiter!« rief ihr die Frau aus dem Fenster zu. »Meinetwegen
kannst du verhungern! Du bist ein Lagerkind!«

Damit meinte sie, daß das Kind aus irgend einem Troß des Heeres
stammte.

»Wollt Ihr mir nicht ein Stück Brot geben?«

»Gewiß nicht! Frag die Schweden, daß sie dir was geben! Die haben uns
alles weggenommen!«

Die Frau schalt noch hinter dem Mädchen her, als es schon weiter ging.
Es bettelte an verschiedenen Türen; und erhielt nichts. Eine Frau nahm
sogar ein Entengerippe, das sie eben abgenagt hatte, und warf es der
Bettlerin an den Kopf. Die nahm es ruhig auf, sah sich um und hielt
es einem halb verhungerten Wolfshund hin, der langsam hinter ihr her
ging. Es war ein großes Tier, mit einem gewaltigen Gebiß und glühenden
Augen. Aber es schien keine rechte Kraft zu haben und ging langsam und
schwerfällig. Das Gerippe verschlang es ohne weiteres, aber es sah das
Mädchen an, als wollte es sagen: Mußt du noch immer hungern?

Burga war von jeder Tür gewiesen worden. Es war den Fischern nicht zu
verdenken. Der Elbarm, der die Insel vom Herzogtum Lüneburg trennte,
war gleichfalls zugefroren, und böses Gesindel schlich sich herum. Die
Leute vom Troß waren oft noch schlimmer, als die Soldaten selbst. Es
waren boshafte Kinder darunter, die Feuer ansteckten und unschuldige
Tiere quälten; die Gutes mit Bösem vergalten und kein Gefühl zu haben
schienen. Also schlossen sich jetzt die Türen auch vor den Kindern, und
Burga durfte den Bratengeruch in der Nase spüren und mußte doch hungrig
einherwandern. Sie war nicht sehr unglücklich; sie war wirklich ein
Lagerkind, bald hier, bald dort umhergeworfen, und sie wußte nachgrade
so viel vom Krieg, daß sie es den Leuten kaum verdenken konnte, wenn
sie sie hungern ließen. Aber der Hunger tat weh, und wie sie jetzt an
dem kleinen Hafen stand, in dem die eingefrornen Fischerboote lagen, da
zog sie den Gürtel fester um den Leib.

»Wolf, wir kriegen nichts!« sagte sie zu dem Hund, der neben ihr
stand und winselte. »Wir kriegen nichts, mein Jung. Müssen weiter
marschieren!«

Auf einem Boote saß ein Junge und stopfte sich den Mund voll von
gebratnem Fleisch. Vor ihm lagen noch drei gebratne Vögel, und man sah
ihm an, daß er pumpsatt war. Wie Burga nun plötzlich vor ihm stand,
atmete er erschrocken auf und faßte seine Vögel fester.

»Gib mir einen ab!« bat sie, und er schüttelte den Kopf.

»Das darf ich nicht!« entgegnete er weise. »Du bist eine Räuberin; bei
meiner Großmutter sind Lagerkinder gekommen und haben ihre Katze ins
Feuer werfen wollen!«

Burga sah sich um. Der Junge saß ganz allein auf dem Boot: niemand war
in der Nähe. Also griff sie ohne weiteres zu den gebratnen Vögeln,
steckte einen fast ganz in den Mund, und warf den andern dem Hunde
hin. Der Junge stieß einen gellenden Hilferuf aus, und in demselben
Augenblick kam ein langer Fischer von den Häusern her. Er trug ein
Ruder in der Hand, und wie er auf Burga zuschritt, hob er es drohend.

»Was will die Landstreicherin?« fragte er, und Burga duckte sich
unwillkürlich. Sie war gewohnt, geschlagen und gestoßen zu werden,
und auch der Hund, obgleich er seine spitzen Zähne wies, stand mit
hängendem Kopfe. Da aber rührte irgend etwas das Herz des kleinen Klas
Stolz. War es, weil er zu satt war, um böse zu sein, oder tat ihm das
blasse Mädchen leid. Er rief plötzlich: »Sie hat mir nichts getan,
Vater, die Vögel habe ich ihr geschenkt!«

Und der große Klas Stolz ließ sein Ruder sinken, brummte etwas
Unverständliches und ging wieder davon. An seinem Boot waren einige
Bretter gelöst, die mußte er flicken.

Burga aß schweigend ihren Vogel, und der Hund Wolf zerknirschte die
Knochen mit den Zähnen. Beide standen regungslos, und Klas betrachtete
sie halb schläfrig. Er war so satt, daß er sich nicht rühren mochte,
daher war er gutmütiger als sonst.

»Wo kommst du her?« fragte er die Dirn, und sie deutete nach dem Süden.

»Da bin ich zuletzt gewesen.«

»Wo willst du hin?«

Sie hob die spitzen Schultern.

»Vielleicht bleib ich erst mal hier!«

Er wurde ängstlich.

»Das darfst du nicht, wir nehmen keine Fremden auf! Geh nur nach
drüben, nach Holstein. Da ist es viel besser als hier. Da sind Wälder,
und Wölfe, und Füchse, und Schweine. Es ist sehr gut da!«

»Bist du da gewesen?«

Der kleine Klas Stolz zögerte. Dann sagte er die Wahrheit.

»Weit hinein ins Land bin ich nicht gewesen. Da drüben liegen Häuser,
kannst du sie sehen? Da wohnen auch Fischer, und es heißt Neumühlen.
Da wohnt ein Ohm von mir, und ich hab ihn wohl besucht. Weiter bin ich
aber nicht gekommen, weil ich nicht in den Wald durfte, und weiter hin
heißt es Teufelsbrücke. Dort kann man den Teufel sehen, wenn er grade
da ist. Eine Hexe hat früher dort gewohnt, aber sie ist verbrannt
worden. Nun reitet sie manchmal auf einem Besen in der Luft herum.«

»Die möchte ich sehen!« entgegnete Burga, und Klas sah sie erstaunt an.

»Hexen darf man nicht sehen wollen: die nehmen einen mit, und dann wird
man selbst ein Teufel!«

Der große Klas Stolz kam wieder hinter seinem Boot hervor.

»Redest du noch mit der Landstreicherin, Junge? Das darfst du nicht,
sie ist böse! Weg mit dir!« Und er drohte Burga mit dem Ruder.

»Wohin soll ich gehen?« erkundigte sie sich, und er wies auf das andre
Ufer.

»Geh du nur nach Holstein! Das Eis hält noch, und du kannst vielleicht
ein Unterkommen finden!«

Sie zögerte ein wenig. Grau und kalt lag die Eisfläche der Elbe vor
ihr. Sie war rauh und uneben: Steine und Schneeberge lagen auf ihr, und
hin und wieder ging es wie ein dumpfes Grollen durch den unter dem Eis
schlafenden Fluß. Der rauhe Wintertag ging zu Ende. Im Westen flirrte
ein kurzes, gelbes Licht über den grauen Himmel, dann erlosch es
wieder.

»Kann ich nicht die Nacht hier bleiben?« fragte Burga, aber der Fischer
faßte sie bei den Schultern und schob sie auf die Eisfläche.

»Wir nehmen keine Fremden; haben genug von ihnen gehabt!«

Burga ging also aufs Eis, und der magre Hund schlich hinter ihr her.
Der kleine Klas Stolz sah ihr nach. »Vater, wenn die man rüber kommt.
Das Eis hat schon geschrien.«

Sein Vater zuckte die Achseln.

»Was gehts uns an? Meinst du, daß ich die fremden Lagerkinder aufnehmen
will? Sie sind alle undankbar und setzen uns den roten Hahn aufs Dach,
wenn sie nur können!«

Da steckte sich der kleine Klas den letzten Rest seines gebratnen
Vogels in den Mund und vergaß die einsame Wanderin.

[Illustration]




[Illustration: Zweites Kapitel]


Der Wind kam scharf aus Norden, und Burga hatte Mühe, gegen ihn
anzukämpfen. Aber sie wickelte sich in ihr altes Marderfell und freute
sich, daß sie einen guten Stiefel hatte. Damit konnte man tief in den
aufgehäuften Schnee gehen, und der Fuß wurde doch nicht naß. Anders war
es mit dem andern Fuß. Der Holzschuh hielt zwar warm, aber in ihn lief
das Schneewasser hinein, und das war nicht angenehm. Es war schade,
daß der tote Reitersmann, dem sie den einen Stiefel ausgezogen hatte,
auch nur mit diesem bekleidet war. Vielleicht hatte der Feind, der ihn
erschoß, sich den andern Stiefel genommen, vielleicht hatte er nur
einen gehabt. Es war ein langer weicher Lederstiefel, und vielleicht
hatte er einem vornehmen Herrn gehört. Während Burga so dachte, strebte
sie langsam vorwärts und fiel plötzlich über etwas, das mit Schnee
bedeckt auf dem Eise lag. Es war ein Ledersack, den Burga von Eis und
Schnee befreite und dann neugierig öffnete. Es waren drei Würste darin,
ein Laib Brot und eine Lederflasche, in der es gluckerte. Ein Soldat
mußte diesen Beutel verloren haben.

»Das ist gut!« dachte Burga bei sich, und da sie noch lange nicht satt
war, hatte sie nicht übel Lust, in eine der Würste zu beißen. Da aber
kam der Wind und warf ihr eine Handvoll Hagelgraupel ins Gesicht, die
Elbe begann zu stöhnen und durchs Eis ging ein Zittern. Also warf sich
Burga den Sack über den Rücken und ging grade aus, dem dunklen steilen
Ufer zu. Auch der Hund begann zu winseln und drängte sich an sie. Wo
war das Fischerdorf Neumühlen, von dem der Junge gesprochen hatte, und
wo der Teufelsbach, wo die Hexe wohnte? Wieder hagelte es; die Elbe
stöhnte, und Burga sah nichts als eine graue Wolke, die sich vor sie
schob. Einen Augenblick stand sie ratlos, und eine große Angst kam über
sie, dann aber lief sie vorwärts, immer vorwärts. Zweimal fiel sie und
es war ihr, als plätscherte es dicht neben ihr. Aber sie wollte nichts
hören: vorwärts, vorwärts!

Die graue Wolke war vorüber gezogen; es wurde etwas heller, grade, wie
Burga den Fuß auf gefrornen Sand setzte. Vor ihr gings steil nach oben,
Gestrüpp und kahle Bäume bedeckten den Berg, und hier waren auch Spuren
im Sand, der mit Schnee vermischt war.

Der Hund winselte wieder, seine Haare sträubten sich, und Burga sah
auf diese Spuren. Unwillkürlich griff sie nach dem kurzen Messer in
ihrem Gürtel und faßte Wolf an sein altes Lederhalsband. Da versuchte
er den glatten Berg hinauf zu klimmen, sie hielt sich an ihm fest, und
so kamen sie vorwärts. Bis sie unter höheren Bäumen waren, die Elbe
unter ihnen lag und der Waldgrund gangbarer wurde. Aber beide, Herrin
und Hund, standen jetzt atem- und regungslos. Aus der Ferne klang ein
scharfes Geheul, und Wolf warf den Kopf in den Nacken und schien nicht
übel Lust zu haben, Antwort zu geben.

Burga hielt ihm die lange Schnauze zu. »Wolf, das darfst du nicht! Wenn
die uns kriegen, sind wir verloren!«

Es war, als verstände der Hund. Er stand schweigend und zitternd. Es
war nun dunkel geworden. Hier, unter den Bäumen, konnte der Wind seine
wilden Flügel nicht rühren: er murrte in den Kronen, und sie beugten
sich und rauschten. Langsam ging Burga vorwärts: ihre Augen funkelten
fast wie die ihres Hundes, und sie sah sich nach allen Seiten um. Immer
die Hand am Messer, immer im Begriff, einen der Bäume zu erklettern,
wenn das Geheul näher käme. Dann stieß sie einen kleinen Freudenruf
aus. Vor ihr erhob sich eine kleine Hütte. Sie war kunstlos, auf kurzen
Baumstämmen hingesetzt, aber sie hatte eine Tür, die mit zwei Knebeln
geschlossen war. Burga konnte sie leicht öffnen und hineinklettern. Der
Hund sprang ihr nach, und dann wußte sie, daß sie geborgen war. Sie
lachte, als sie bald unter sich Fauchen und Heulen hörte.

»Ja, lieben Wölfe, heult nur! Heute kriegt ihr mich noch nicht, und
vielleicht auch nicht morgen! Vielleicht übermorgen, aber das ist noch
lange hin!«

Sie legte sich auf das dichte Heu, mit dem die Hütte ausgepolstert war,
und zog ihren Hund zu sich.

»Merkst du deine Namensvettern? Laß sie wimmern: wir haben es gut!«

Sie zog den Sack auf, gab Wolf ein großes Stück Wurst und aß selbst mit
Behagen. Dabei flüsterte sie wieder mit ihrem Hund.

»Haben wir nicht Glück gehabt, Wolf? Ich hab das Wasser plätschern
hören, und ich glaube, morgen kann niemand mehr über diesen großen
Fluß! Wie heißt er nur noch? Pah, ich habs vergessen, schadet auch
nichts! Wer kann alle die Wasser behalten, über die man laufen muß!
Aber dies Land scheint mir doch Holstein zu sein, und ich meine, den
Namen einmal gehört zu haben! War das nicht der alte Magister, der was
von Holstein sagte? Du weißt Wolf, der, der den roten Michel aus dem
Kugelregen trug und dafür die Kugel selbst kriegte? Als der Magister
tot blieb, Wolf, hab' ich geweint: sonst tu ich's nicht mehr. Das hilft
ja doch nichts, nicht wahr mein Hund?«

So flüsterte Burga mit ihrem Hund, der eng an sie geschmiegt lag, die
Ohren spitzte, als hörte er zu, und der dann den Kopf hob und wieder
heulen wollte. Aber wieder wurde ihm das Maul zugehalten.

»Still, Still! Sie brauchen nicht zu wissen, daß wir hier sind!«

Aber sie wußten es schon lange. Zwei graue Wölfe saßen unter der Hütte,
und es war, als käme ihr heißer Atem durch die Ritzen. Sie scharrten
an den Stämmen, auf dem das leichte Gebäude ruhte, und sie heulten
und bellten. Ein dritter kam dazu: da gab es eine Beißerei. Dann
aber schienen sie sich wieder zu vertragen und saßen ganz still, als
warteten sie.

Der Hund in der Hütte schlief nicht; er lag regungslos und mußte
verstanden haben, daß er keinen Laut von sich geben durfte. Burga aber
schlief ganz fest. Lange hatte sie kein Dach über dem Kopf gehabt,
lange kein weiches Heu als Lager. Mochten die Wölfe heulen, sie kannte
ihre Stimmen und hoffte, daß sie gegen Morgen wieder verschwinden
würden. Und wenn sie's nicht taten, so mußte sie eben hier bleiben. Sie
hatte ja Fleisch und Brot.

Der Tag begann zu grauen, und langsam entfernten sich die Wölfe. Der
Hund, der immer die Ohren gespitzt hielt, hörte es und streckte sich
jetzt zum Schlafen aus, als er mit einem Satz in die Höhe sprang. Die
Tür der kleinen Hütte ging offen, und ein Knabe stand in der Öffnung.
Er trug ein grob gewebtes Wams und eine Mütze vom Balg der Wasservögel.

»Heda!« zornig sah er Burga an, die sich den Schlaf aus den Augen rieb,
während Wolf drohend neben ihr stand. »Was wollt ihr in unsrer Hütte?«

»Wir haben gut geschlafen!« entgegnete Burga, und er sah sie
mißbilligend an.

»Das darfst du nicht! Wir haben keinen Platz für Landstreicher!«

»Ich bin ein Lagerkind!« entgegnete Burga stolz.

»Was ist das?«

»Das weißt du nicht?«

»Nein, ist mir auch einerlei. Geh weg aus meiner Hütte und ruf den
Hund, daß er mich nicht beißt. Sonst steche ich ihn tot!«

Und er hob seinen Stock, an dem ein langes Messer befestigt war.

»Wenn du meinen Hund tötest, steche ich dich tot!«

Burga zog ihr Messer. Es war groß, und blank geschliffen, und der Junge
trat zurück.

»Ich will ihn ja nicht töten; er soll mich aber nicht beißen!«

»Er beißt nur die, die schlecht gegen ihn sind!«

In diesem Augenblick erschien noch ein zweiter Knabe. Er war gekleidet
wie der andere, aber größer und erwachsener.

»Gottfried!« der Kleinere wurde viel mutiger. »Sieh, welch Gefangene
ich gemacht habe! Sie sagt, sie ist ein Lagerkind; ist das nicht eine
Hexe?«

»Natürlich!« Gottfried, der eine verrostete Muskete trug, griff gleich
nach dem Fuße Burgas, an dem der schöne gelbe Stiefel war. »Zieh ihn
aus!« sagte er gebieterisch. »Wo ist der andere! Du mußt mir die
Wahrheit sagen, sonst schieße ich dich tot!«

»Womit willst du mich totschießen? Mit der alten schlechten Büchse?«

»Sie ist nicht schlecht.« Gottfried zeigte das alte Gewehr, und mit
raschem Griff riß Burga es an sich, spannte den Hahn und richtete den
Lauf auf den Knaben.

»Soll ich euch nun erschießen?«

Beide standen regungslos, dann begann Gottfried zu schelten.

»Gib mir das Gewehr wieder, sonst ergeht es dir schlecht!«

»Du bist überhaupt eine Gefangne und ein Lagerkind!« setzte Konrad, der
jüngere hinzu. Aber sie rührten sich doch nicht, und man konnte merken,
daß sie ängstlich waren. Burga war zu schnell für sie gewesen und hielt
noch immer das Gewehr im Anschlag.

Sie ließ es jetzt sinken. »Geht nur, ich tue euch nichts!«

»Weshalb sollen wir gehen? Die Hütte gehört uns, wir haben sie gebaut,
damit wir manchmal auf die Wölfe schießen können. Aber, es ist wahr,
die Kugeln treffen nicht immer.«

So sprach Konrad, während Gottfried wieder nach Burgas Stiefel griff
und enttäuscht den Kopf schüttelte, als er sah, daß sie nur einen trug.

Es waren keine üblen Jungen; Burga merkte es bald, und da sie einsam
war und einsah, daß es besser wäre, im fremden Lande gute Freunde zu
haben, so entschloß sie sich, mit den Knaben zu gehen. Zuerst sprachen
sie noch davon, daß sie nun ihre Gefangne wäre, aber dann vergaßen sie
dies Wort und fragten sie, ob sie nicht mit ihnen kommen wollte. Sie
wohnten hinter dem Wald, und ihre Mutter hieß Frau Jutta Hanekamp. Eine
Kuh hatten sie und zwei Schweine, viele Hühner und auch Gänse. Es war
nicht schlecht auf ihrem kleinen Hofe, Burga würde dort schon wohnen
mögen.

Der Himmel war noch grau, aber die Wolken verschwanden allmählich, und
auf dem verschneiten Erdboden zitterte hin und wieder ein Sonnenstrahl.
Ganz heiter wars im Walde, und daß weiter unten die Elbe ihre grauen
Wogen dort wälzte, wo Burga vor wenigen Stunden übers Eis gegangen war,
beachtete das Mädchen kaum. Sie faßte Wolf ans Halsband und ging neben
den Knaben her. Die Muskete hatte sie wieder an Gottfried gegeben,
und Konrad trug den Ledersack, in dem sich noch einige Lebensmittel
befanden.

Sie sprachen alle drei von den Wölfen. Ehemals sollten sie nicht hier
gewesen sein, aber jetzt waren eine Menge da. Einige Leute sagten, daß
sie von der andern Seite der Elbe kämen, andre wollten gesehen haben,
wie sie von Norden ins Land zogen. Eigentlich war es ja ganz nett, daß
sie da waren: ihr Fell war dicht, und man konnte es gut gebrauchen.
Aber sie holten das Vieh aus dem Stall und fielen Menschen an. Das war
nicht so angenehm.

So wanderten sie durch den Wald, Wolf schlich langsam hinter ihnen her,
und bald kam eine Lichtung, die in einer Schlucht endete, Gottfried
zeigte vor sich.

»Da liegt Hanekamps Hof. Hier wohnen wir, und Mutter sucht grade eine
Magd, die ihr bei der Wirtschaft helfen kann. Die letzte ist mit den
Soldaten gelaufen. Nun kannst du bei uns bleiben und für uns arbeiten!«

Burga machte große Augen. Aber sie erwiderte nichts.

»Freust du dich nicht?« fragte Konrad. »Wenn Mutter dich behalten will,
dann brauchst du kein Lagerkind mehr zu sein oder wie du es nennst.
Aber natürlich mußt du dich brav benehmen, sonst jagen wir dich wieder
weg, nicht wahr, Gottfried?«

Der Gefragte antwortete nicht gleich. Dann hob er die Schultern. »Wir
können nicht viel versprechen, die Mutter muß alles bestimmen!«

Bald standen die drei vor einem langen, niedrigen Hause, das sich
fest an einen Hügel legte und dessen Dach von Moos und Stroh war,
so daß man es schwer von dem Hügel unterscheiden konnte. Eine große
Frau mit ernstem Gesicht stand in der geöffneten Haustür und sah den
Ankömmlingen entgegen. Auch sie warf auf Burga den mißtrauischen Blick,
den diese schon kannte, und als ihre Knaben erklärten, daß sie eine
neue Magd mitgebracht hätten, schüttelte sie den Kopf.

»Lagerkinder sind schlechte Mägde!« entgegnete sie kurz, und Burga
atmete auf. Es war ihr vorgekommen, als sollte sie in Gefangenschaft
gehen, und nun hatte die Frau glücklicherweise keine Lust zu ihr.

»Gewiß bin ich eine schlechte Magd!« sagte sie eifrig. »Ich mag nur
umherlaufen, und arbeiten kann ich nicht. Aber, wenn ich ein paar Tage
hier bleiben könnte, würde ich mich freuen. Meine Füße sind wund, und
mein Hals tut mir weh. Natürlich will ich dafür arbeiten, so gut ich
kann, aber nachher will ich sicherlich wieder weggehen!«

Frau Jutta war mit dem fremden Kind auf die Hausdiele getreten.
Hier brannte auf dem Herd ein behagliches Feuer, und über ihm hing
ein Kessel mit Grütze. Sie duftete appetitlich, und auf dem dicken
Eichentisch stand ein Zinnkrug mit Milch. Zwei oder drei Stühle standen
in der Nähe des Herdes, und sie waren mit Wolfsfellen belegt. Traulich
war es hier und warm. Burga seufzte einen kurzen Augenblick und sah
vor sich hin. Dann setzte sie sich auf einen Wink der Frau, erhielt
einen Teller mit Grütze und Milch vorgesetzt und aß langsam, während
Wolf sich neben sie legte und leise winselte. Da wurde auch ihm ein
Holzschüsselchen mit Milch gereicht, und nachdem er getrunken hatte,
streckte er sich aus und schlief gleich ein. »Er ist müde, weil er in
der letzten Nacht nicht geschlafen hat,« sagte Burga. »Auch ist er
krank gewesen, daher ist er nicht so bissig wie sonst. Aber er wird
sich schon wieder erholen!«

»Und woher kommst du?« fragte Frau Jutta, die sich gleichfalls gesetzt
hatte und ihren Gast aufmerksam betrachtete.

»Ich bin viel umher gekommen!« entgegnete die Gefragte. »Wie alles
hieß, weiß ich nicht mehr. Es war mir auch einerlei. So lange der
Magister lebte, hat er mir manchmal die Namen der Städte gesagt,
nachher, als er tot war, mochte ich nicht mehr fragen.«

»Wer war der Magister?«

Burga erhob sich.

»Werte Frau,« sagte sie etwas steif und halb verlegen. »Ich möchte wohl
ein andres Gewand haben und auch um etwas Wasser bitten. Es ist sehr
lange her, daß ich mich gewaschen habe, und wenn ich die Gelegenheit
habe, tue ich's nicht ungern. Ich kanns auch bezahlen!« Sie legte einen
Silbergulden vor Frau Jutta, den diese erstaunt betrachtete.

»Du hast Geld und bist zerlumpt, wie der schlimmste Bettler?«

Burga lächelte ein wenig.

»Ich habe nur wenig Geld, und in den letzten Wochen konnte ich mir
nichts kaufen. Vielleicht gebt Ihr mir einen alten Rock, und die Jacke
kann ich flicken. Dann wird sie noch wieder gut.«

»Und dann?« mußte Frau Jutta wieder fragen, und das Lagerkind hob die
Schultern.

»Ich weiß nicht, was Ihr meint. Wenn mein Rock neu geworden ist und
meine Jacke geflickt, dann gehe ich weiter.«

Frau Jutta erwiderte nicht viel. Sie wußte, daß die Zeit hart war, und
daß viele Kinder nichts andres kannten, als umher zu streifen. Dies
große und starke Mädchen würde sie wohl ins Haus genommen haben, daß
sie ihr bei der Arbeit helfe, aber vielleicht war es böse, zündete ihr
das Dach über dem Kopfe an und lief dann weiter.

Also holte sie einen alten Rock von sich und eine große Schale mit
Wasser und wies Burga in ein Nebengelaß der Küche. Dort konnte sie sich
waschen und ordentlich machen. Als Burga allein war, nestelte sie einen
kleinen, gestickten Beutel los, der unter ihrer Jacke auf bloßer Haut
saß und in dem, sauber eingenäht, etliche Gold- und Silberstücke waren.
Nachdenklich betrachtete sie ihren Schatz, säuberte sich gründlich,
schlüpfte in Frau Juttas Rock und erschien bald wieder auf der Diele,
nachdem sie ihren Beutel von neuem an sich verborgen hatte. Sie hatte
jetzt ein andres Ansehen. Ihr Gesicht war viel frischer geworden, und
das schmutzige Blond der Haare war einer schönen Goldfarbe gewichen.
Frau Jutta sah sie nicht ohne Wohlgefallen an. Die Frau saß am Herde
und flickte eine Pelzjacke, und Burga setzte sich neben sie.

»Meine Jacke muß auch genäht werden!« sagte sie. »Wollt Ihr mir Faden
und Garn geben, so kann ich's selbst tun.«

»Willst du mir nicht deinen Namen sagen?« fragte Frau Jutta, und Burga
streifte den Ärmel ihrer Jacke hinauf und zeigte auf einige eingeritzte
Schriftzeichen.

»Es ist ein wenig auseinandergewachsen,« erklärte sie, als Frau Jutta
die Zeichen nicht lesen konnte. »Aber ich heiße Walburga Rantzau, und
ein Prädikant hat's mir eingeritzt. Weil ich damals noch so klein war,
meinte er, ich könnte meinen Namen vergessen.«

Frau Jutta sah Burga mißtrauisch an.

»Ich meine, die Rantzaus sind ein holsteinisches Geschlecht und sehr
vornehm. Wie willst du zu ihnen gehören?«

»Sie sind vornehm? Ich weiß es nicht. Ich bin ein Lagerkind, und der
Prädikant hat mir den Namen eingeritzt. Er ist lange tot. Er konnte
nicht reiten, fiel vom Pferd und brach den Arm. Da ist er nicht wieder
gesund geworden, und er mußte bald sterben. Ich habe sehr geweint, und
nachher ist der andre Magister gekommen, der gleichfalls gut war. Er
ist dann auch totgeschossen worden.«

Burga sprach gleichmütig. Man merkte, daß sie an Tod und Sterben
gewohnt war, und Frau Jutta empfand Mitleid.

»Du scheinst ein hartes Leben gehabt zu haben.«

»Ich bins nicht anders gewohnt!« Burga stand auf und sah sich um. »Wo
ist mein Hund?« Dann merkte sie, daß er ausgestreckt vorm Herdfeuer
lag, und war zufrieden.

»Ihr habt gewiß einen Hund, und ich bin bange, er könnte den meinen
beißen. Er ist noch schwach und kann sich nicht so wehren wie sonst.
Man hat ihm kürzlich etwas Giftiges zu fressen gegeben, und das ist
noch nicht aus seinem Körper. Aber er wird schon wieder gesund werden!«

Jetzt trat Gottfried ein und sah Burga überrascht an.

»Bist du unsre Gefangne? Du hast dich verändert!«

»Ich bin nicht deine Gefangne, aber ich habe mich gewaschen!« lautete
die Antwort, und Gottfried warf den Kopf in den Nacken.

»Du darfst mir nicht widersprechen. Natürlich bist du meine Gefangne!
Wir werden dich hier behalten, und du darfst für uns arbeiten! Willst
du nicht, wie wir wollen, dann mußt du weiter ziehen!«

»Das werde ich auch tun!« entgegnete Burga ruhig. »Meinst du, ich will
hier, auf diesem langweiligen Bauernhof, sitzen bleiben? Ich will mich
nur ein wenig ausruhen, und ich habe deiner Mutter schon Geld gegeben!«

»Geld?« Gottfried spitzte die Ohren. »Mutter, ist's wahr, daß sie dir
Geld gab? Einen Silbergulden? Laß ihn sehen!«

Frau Jutta schüttelte den Kopf.

»Ich zeige ihn nicht. Vielleicht gebe ich ihn dem Mädchen wieder, wenn
sie brav ist und mir ein wenig in der Wirtschaft helfen will. Denn
ich habe Hühner und Gänse, ein Schwein und eine Kuh; das will alles
gewartet sein!«

Burga machte große Augen. »So viele Tiere habt ihr, und es ist noch
niemand gekommen, der sie geschlachtet und mit sich genommen hat? Dort,
woher ich komme, sind alle Tiere tot, und die Häuser sind verbrannt!«

»Wollte Gott, daß unsre Tiere am Leben bleiben!« entgegnete Frau Jutta
schaudernd, und Gottfried deutete auf die alte Muskete, die an der Wand
der Diele hing.

»Wer uns etwas tun will, den schieße ich gleich tot!«

»Oder du wirst tot geschossen!« erwiderte Burga und lachte dabei.

Da warf er sich in die Brust:

»Laß die Feinde nur kommen, ich werde schon meinen Mann stehen!«

Frau Jutta gebot ihm Schweigen.

»Prahle nicht! Wir wollen dankbar sein, wenn wir verschont bleiben!«

»Das meine ich auch!« entgegnete das fremde Mädchen und pfiff ihrem
Hund.

»Nun kommt, Frau, und zeigt mir Eure Tiere! Wahrhaftig, sowas
Lebendiges macht Spaß, und vielleicht bleibe ich ein wenig hier! Aber
nur, wenn Ihr mich gut behandelt. Denn unfreundliche Worte und Schläge
machen mir kein Vergnügen!«

[Illustration]




[Illustration: Drittes Kapitel]


Nun war Burga schon eine Woche auf dem Hanekamphof und sprach nicht
mehr vom Fortgehen. Sie war müde vom Wandern und halb verhungert
gewesen; jetzt, da sie sich ausgeruht und gesättigt hatte, mochte sie
selbst einsehen, daß sie es gut hatte und daß die Landstraße ihr noch
immer blieb, wenn der Wandertrieb sie erfaßte.

Es war auch gemütlich auf dem Hof, jetzt, wo das Frühjahr kam, wo die
Vögel zu singen begannen, und die Wandervögel allmählich gen Norden
zogen, um andren Platz zu machen. Burga war nicht ungeschickt. Sie
konnte gut mit Vieh umgehen, fütterte das Schwein und melkte die Kuh.
Auch der Hühnerhof machte ihr Freude, und da ihr Hund sich gleichfalls
erholte, so war sie ganz zufrieden. Ganz geschützt lag der Hof --
vorbeistreifende Soldaten fanden nicht den Weg, und doch konnte man
bald auf die Landstraße kommen, die über die Elbdünen und durch den
Wald gen Westen ging. Dorthin, wo landeinwärts das Dorf Wedel lag und
am Elbufer das kleine Fischerdorf Blankenese. Aber es war ein weiter
Weg bis dahin, und an einigen Stellen stand der Wald so dicht, daß es
geratener war, niemals allein zu wandern. Geheuer sollte es auch nicht
immer im Walde sein. Dort wo die Teufelsbrücke hart an der Elbe lag,
wohnte allerdings keine Hexe mehr, aber im anstoßenden Walde trieben
sich die Wölfe umher und auch manchmal die Räuber.

Gottfried und Konrad berichteten einige schauerliche Geschichten, und
Burga hörte ihnen gleichmütig zu. Sie war's nicht anders gewohnt, als
daß die Welt voll Krieg und Raubens war -- natürlich mußte es böse
Menschen auf ihr geben; wer es konnte, der ging ihnen aus dem Wege, und
wers nicht konnte, der mußte sein Gut und sein Leben lassen.

»Du hast wohl schon viel gesehen!« sagte Gottfried zu ihr.

Die drei jungen Menschen standen auf einer Lichtung, die am Rande des
Waldes war, von der man auf die Elbe und auf die gegenüber liegenden
Ufer sehen konnte. Gottfried hatte grade eine Geschichte von der Hexe
in Teufelsbrück berichtet und war ärgerlich geworden, weil Burga sie
nicht glaubte.

»Selbst der Magister, der im Dorf Wedel wohnt, und der uns manchmal
besucht, selbst dieser alte Mann glaubt meine Geschichte, und daß die
Hexe sich in ein Schwein verwandelte und dann durch die Elbe schwamm.
Hast du denn soviel Besseres erlebt, daß du ein so ungläubig Gesicht
machst?«

Burga hob die Schultern. »Ein Mensch kann kein Schwein werden!
Wenigstens nicht äußerlich. Es gibt Menschen, die schlimmer sind als
ein wirkliches Schwein; aber verwandeln können sie sich nicht! Wir
haben im Lager auch eine Frau gehabt, die eine Hexe sein sollte. Die
Soldaten waren bange vor ihr, und einige kauften sich von ihr einen
Brief. Den trugen sie auf der Brust und glaubten, die Kugeln träfen sie
nicht. Aber dann sind sie ebenso gut totgeschossen worden wie andre. An
sowas muß man nicht glauben; das ist Unsinn!«

»Unsinn!« Gottfried sah Burga mißtrauisch an. »Hexen gibt es, und auch
Zauberer! Jedermann sagt es, und du bist töricht, wenn du es nicht
glaubst! Ich habe selbst eine schwarze Katze gesehen, die auf einen
Baum kletterte, und nachher stand da, wo die Katze eben gewesen war,
eine alte Frau mit grünen Augen!«

Burga lachte laut. »Die armen alten Frauen!«

»Lache nicht!« Gottfried wurde empfindlich. »Wenn du mich auslachst,
dann werde ich dich strafen!«

Sie achtete gar nicht auf seine Worte, sondern zeigte auf die Elbe.
Von Osten her glitt ein großes Schiff durch das Wasser. Es hatte
schneeweiße Segel, und vorne sah man zwei blanke Kanonen, die drohend
ihren Lauf über den Schiffsrand streckten.

»Was ist das?« fragte sie, und Gottfried lachte spöttisch.

»Das weißt du nicht? Das ist eine Hamburger Bark, die nach draußen
in die Nordsee fährt. Nach Engelland hin, oder auch weiter. Da sind
Soldaten an Bord, mit Musketen und Spießen, und viel Pulver und Blei.
Wenn die Feinde kommen, wird ihnen das Lebenslicht ausgeblasen!«

Immer näher kam das Schiff: es breitete seine Segel noch mehr aus, und
auf dem Verdeck standen Söldner in bunten Röcken, sowie Matrosen.

»Die gehen in die Nordsee hinaus, und wohin dann?«

»Ich sagte es doch: nach Engelland. Das ist eine große Insel, und die
Leute dort sind sehr reich. Sie kaufen alles, was ihnen die Hamburger
bringen, aber diese holen dann wieder Waren, die hier nicht wachsen!«

Gottfried kam sich wichtig vor, und er erzählte eine ganze Geschichte.
Von seinem Ohm, Herrn Jobst Hanekamp, der in Hamburg wohnte und
vielleicht auch einen Anteil an diesem Schiff hatte. Einmal war
Gottfried schon in Hamburg gewesen, als keine Feinde in der Nähe waren
und man durch das große Tor nach Hamburg hinein durfte. Die Wächter
paßten allerdings sehr auf, und wer hinein wollte, ohne seinen Namen zu
nennen, der wurde in den Festungsgraben geworfen. Gottfried aber sagte
nur, daß er Hanekamp hieß; da machte die Wache den Torflügel weit auf
und erwiderte, der Herr Jobst Hanekamp wäre ein guter Hamburger. Wer
so wie er hieße, der könnte in die Stadt kommen.

Gottfried flunkerte gern. So wie er es darstellte, war sein Einzug in
Hamburg nicht gewesen. Seine Mutter war mit ihm gegangen und hatte
einen Erlaubnisschein gehabt; aber es war Burga einerlei, ob er die
Wahrheit sagte oder nicht. Sie sah dem Schiff nach, das die Elbe
hinunterging und dem der Wind die Segel blähte. Also, dort weiterhin
gab es ein großes Meer, und noch Land -- ob dort auch immer Krieg war
und verbrannte Häuser, zerstampfte Felder?

»Ist in Engelland auch Krieg?« fragte sie, und Gottfried hob die
Schultern. »Davon kann ich nichts sagen, aber wenn der Magister aus
Wedel kommt, dann will ich ihn fragen. Er weiß vieles, und manchmal
geht er auch nach Hamburg und holt Neuigkeiten von dort. Er hat einen
Schein, daß er aus- und eingehen kann, wie es ihm beliebt.«

Die Kinder gingen jetzt wieder ihrem Hofe zu, und Burga trennte sich
zögernd von dem Platz, von dem man die Elbe so deutlich sah.

»Warum habt ihr nicht am Wasser gebaut?« fragte sie und zeigte auf
einige Fischerhütten am Strande. Die Knaben schüttelten den Kopf.
Im Walde war es besser; da konnten die Räuber, die Umhertreiber und
Zigeuner den Hof nicht so leicht finden. Hier war auch kein Land für
die Kuh, und dann würden die Fischer vielleicht unfreundlich gewesen
sein -- die hatten es nicht gern, wenn Fremde sich hier anbauten.

Burga war nachdenklich geworden. Sie ging schweigend neben den Knaben
her, die wieder von Hamburg sprachen, und dann von Altona. In diesem
kleinen Ort waren sie auch schon gewesen, aber es hatte ihnen nicht
besonders gefallen. Für ein Dorf war es reichlich groß und für eine
Stadt zu klein. Aber wenn man Eier zu verkaufen hatte oder eine Wurst,
dann erhielt man mehr Geld dafür als in Ottensen, wo die Bauern immer
sagten, sie hätten selbst Eier und Würste und brauchten nichts zu
kaufen.

Als die drei wieder nach dem Hanekamphof kamen, stand die Mutter schon
in der Tür und sah nach ihnen aus.

»Der Magister ist da!« sagte sie und gebot Burga, im Hühnerstall nach
frisch gelegten Eiern zu suchen und den Grütztopf ans Feuer zu stellen.

»Ihr aber wascht euch Gesicht und Hände und kämmt euch die Haare!«
wandte sie sich zu den Söhnen, die verdrießliche Gesichter machten,
aber doch taten, wie ihnen geboten wurde.

Burga fand einige Eier und ging auf die Diele, auf der ein magerer Mann
neben dem Herdfeuer saß. Er hatte ein vernarbtes Gesicht und nur eine
Hand, die er Burga entgegenstreckte.

»Guten Tag, Burga, bist du zufrieden, hier zu sein?«

Seine Stimme hatte einen blechernen Klang, aber seine Augen blickten
milde.

Burga legte ihre Hand in die seine, während sie ihn von oben bis unten
betrachtete.

»Seid Ihr ein Prädikant? Und mit welcher Truppe zieht Ihr?«

Er lächelte.

»Ich bin ehemals ein Prediger gewesen, Burga, aber die Kaiserlichen
brannten mir meine Kirche nieder, und auch das Dorf, das dazu gehörte.
Seit der Zeit habe ich noch keine Pfarre wieder gefunden!«

Er sprach wehmütig, während Burga den Grütztopf aus dem Heu holte, wo
er immer warm stand, und ihn ans Feuer schob, damit er noch heißer
würde. Dann zerquirlte sie die Eier in einer Pfanne, setzte sie auf
die Flammen und sprach erst wieder, als sie die fertigen Speisen dem
Magister hinstellte.

»Es ist übel mit dem Krieg!« sagte sie altklug. »Unsere Prädikanten
waren auch meistens von Haus und Hof gejagt und hatten keine Heimat
mehr; aber selbst die, die zuerst traurig waren, sind nachher doch ganz
lustig geworden. Ihr solltet auch in den Krieg gehen, Magister! Die
Soldaten mögens gern, wenn ihnen was vorgepredigt wird!«

Der Magister nahm seinen Holzlöffel aus der Tasche und aß langsam. »Du
hast viel vom Krieg gesehen!« sagte er nach einer Weile, und Burga
wollte antworten, als die Tür offen ging und Frau Jutta, gefolgt von
Wolf, eintrat. Der Hund schnupperte in der Luft und stürzte sich auf
Burga, der er winselnd die Hand leckte. In dieser Woche hatte er sich
schon erholt, sein Fell war glänzender geworden und seine kurzen Ohren
spitzer. Burga streichelte ihn, sagte ihm einige leise Worte, und da
legte er sich zu ihren Füßen hin.

»Du mußt ihn nicht hier lassen, wenn du ausgehst!« sagte Frau Jutta zu
Burga. »Er hat dich überall gesucht und mich böse angeknurrt, als ich
ihn streicheln und ein wenig trösten wollte.«

»Er kann noch nicht so weit gehen!« erwiderte Burga. »Darum ließ ich
ihn hier. Auch soll er Euch beschützen, wenn die Feinde kommen. Er weiß
auf den Mann zu gehen, und das ist eine gute Eigenschaft!«

»Aber er knurrte mich an!« wiederholte Frau Hanekamp, und Burga faßte
Wolf am Halsband und führte ihn zu der Hausherrin.

»Bitte um Verzeihung!« gebot sie. »Diese Frau mußt du lieb haben!«

Da legte sich der Hund demütig vor Frau Jutta, leckte ihre Hand und
wedelte mit dem buschigen Schwanz.

»Ein schönes Tier!« lobte der Magister, der sein Mahl beendet hatte und
nun aufmerksam dem kleinen Vorgang gefolgt war.

»Er ist von guter Art und hat einem hohen Offizier gehört,« berichtete
Burga. »Als ich ihn fand, lag er auf der Leiche und wollte nicht
weggehen. Aber dann ist er allmählich hinter mir her gekommen.«

»Du hast schon viel erlebt!« begann der Magister von neuem, und Burga
sah ihn ernsthaft an.

»Ich bin ein Lagerkind, Herr! Wie ich dorthin gekommen bin, kann ich
nicht sagen, es ist zu lange her.«

»Sie will eine Rantzau sein!« warf Frau Jutta ein. »Sind das nicht sehr
vornehme Adlige hier im Lande?«

»Ich will keine Rantzau sein, der Name steht aber auf meinen Arm
eingeritzt!« entgegnete Burga. »Ich kann nichts dafür; er hat mir
nichts genützt, aber irgend einen Namen muß ich doch in der heiligen
Taufe erhalten haben!«

Jetzt erschienen Gottfried und Konrad. Beide rein gewaschen und mit
gekämmten Haaren. Sie schienen aber nicht sehr froh zu sein und
begrüßten den Magister ziemlich widerwillig. Er zog nun ein Büchlein
aus der Tasche, fragte sie nach den zehn Geboten, wollte wissen, wie
es mit Schreiben und Lesen stünde, und Burga merkte, daß er den zwei
wilden Jungen eine Stunde geben wollte. Frau Jutta winkte ihr auch
schon und ging dann mit ihr ins Freie.

»Der Magister kommt einmal in der Woche und sieht nach den Söhnen,
damit sie ein wenig lesen und schreiben und dazu die Bibel kennen
lernen. Sie dürfen doch nicht zu dumm bleiben.«

»Kann ich nicht auch bei dem Magister sitzen bleiben?« fragte Burga,
und die Frau machte ein erstauntes Gesicht.

»Meinetwegen, obgleich es besser wäre, du sähest nach den Glucken,
die auf den Eiern sitzen. Denn Mädchen brauchen sich nicht mit
Gelehrsamkeit zu plagen, sie müssen kochen und backen lernen und
allerhand andres Nützliches, aber lesen und schreiben tut nicht von
nöten.«

Burga warf den Kopf in den Nacken.

»Ich meine nicht, daß ich hier eine Dienstmagd bin, sondern eine Freie,
die auch schon einen Taler bezahlt hat und gern noch einen dazu legt,
wenn es verlangt wird!«

Frau Jutta wurde betroffen, aber auch ein wenig beschämt. Denn sie
hatte das fremde Mädchen eigentlich nur als Magd betrachtet und ihr
alle Arbeit aufgebürdet, die sich grade fand. Nun dachte sie an den
Silbertaler, den sie erhalten hatte, und daß Burga eigentlich für ihre
Arbeit Lohn verdiente, anstatt selbst zu bezahlen.

»Geh nur zum Magister!« sagte sie hastig. »Meinetwegen magst du immer
bei ihm lernen, wenn du Freude daran findest. Geh nur nicht gleich
wieder weg; ich habe dich gern hier und will auch nicht mehr Arbeit
verlangen, als du leisten willst!«

Burga war zufrieden und ging sogleich wieder auf die Diele, wo die
Jungen mißmutig vor dem Magister saßen und durchaus keine Lust zur
Gelehrsamkeit zeigten.

Frau Jutta sah dem Mädchen einen Augenblick nach.

»Ob sie wohl wirklich eine Vornehme ist? Manchmal könnte ich es
glauben. Aber es gibt wohl viele vom Adel, die eben so wenig eine
Heimat haben, wie die Bürger und Bauern. Ich will mich nicht darum
sorgen!«

Und sie ging in den Hühnerstall zu den Glucken, während Burga vor dem
Magister saß, ihm alle zehn Gebote hersagte, auf der Schiefertafel
mit dem Griffel die Buchstaben des Alphabets malte und schon ganz
ordentlich in der großen Bibel lesen konnte. Das war sehr ärgerlich für
die Jungen, die sich garnicht denken konnten, daß ein Mädchen mehr von
der Gelehrsamkeit verstand als sie. Alle zwei kriegten heiße Köpfe und
gaben sich mehr Mühe als sonst, so daß der Magister ein sehr zufriednes
Gesicht machte und wohlgefällig auf seine neue Schülerin sah.

[Illustration]




[Illustration: Viertes Kapitel]


Der Magister kam vom Hanekamphof und ging wieder gen Wedel. Das war
schon damals ein ziemlich großes Kirchdorf, mehr landeinwärts gelegen,
wohin durch Wald und Heide eine schmale Fahrstraße führte. Hier hatte
der Magister Timotheus lange nach seiner schweren Krankheit eine
Unterkunft gefunden. Denn schwer krank war er gewesen und vom Leben
sehr hart geprüft. Hatten ihm doch die kaiserlichen Truppen nicht
allein Kirche und Pastorat verbrannt, sondern auch seine Frau und sein
kleines Kind erstochen. Er selbst verteidigte seine kleine Familie,
bis er besinnungslos und schwer verwundet niederstürzte. Die Soldaten
hielten ihn für tot und kümmerten sich nicht weiter um ihn, aber ein
alter Bauer, dessen Hof allein von dem ganzen Kirchdorf nicht verbrannt
und ausgeraubt wurde, weil er abseits lag, dieser Bauer schlich sich
nachher in das zerstörte Pastorat, fand den Magister und trug ihn
nach Hause. Es dauerte lange, ehe die gute Bäuerin, die etwas von der
Heilkunde verstand, den armen Magister wieder gesund pflegte. Die
Soldaten hatten ihm nicht allein die linke Hand abgeschlagen, sondern
ihm auch ein ekles Wasser, das man den Schwedentrunk nannte, in den
Hals gegossen. Als der schmählich Behandelte wieder zu sich kam, hatte
seine Stimme jeden Klang verloren, und sein linker Arm war ohne Hand.
Aber er lebte noch und wollte lieber nicht seinen traurigen Gedanken
nachhängen, sondern arbeiten, soviel er konnte. Also ging er an die
Westküste des Landes, um dort ein Unterkommen zu suchen. Bald, nachdem
er auf der Insel Nordstrand angelangt war, kam die große Flut, die
siebzehn Kirchen und viel reiche Dörfer mit sich gehen ließ. Die ganze
große und wohlhabende Insel wurde zerstört, Tausende von glücklichen
Einwohnern verloren ihr Leben, und wer dies rettete, der hatte alle
Habe verloren. Der Magister Timotheus hatte nichts zu verlieren: er
rettete und half, wo er konnte, aber eine neue Heimat war in dem
zerstörten Lande nicht zu finden. Also wanderte er bald hier, bald
dorthin, bis er sich einer alten Muhme erinnerte, die in der Elbgegend,
im Dorfe Wedel, wohnte. Sie bat er um ein Unterkommen, und sie gewährte
es ihm gern.

In Wedel war der Schulmeister von den Soldaten mitgenommen worden, und
einige Bauernsöhne sollten doch lesen und schreiben lernen. Also fand
Timotheus bald einige Schüler, und der Pastor Rist, der hier nicht
allein predigte, sondern auch ein berühmter Dichter war, half ihm
weiter, daß er sein Brot finden konnte. Mehr verlangte der Magister
nicht; er war nicht allein froh über die Arbeit, sondern auch darüber,
daß er andern noch nützlich sein konnte. Und wenn er an seine Frau
und an sein Kind dachte, dann sehnte er sich wohl manchmal sehr nach
ihnen; aber er wußte, daß es zu heutigen Tagen eigentlich besser war,
mit dem Leben fertig zu sein und nicht mehr nötig zu haben, sich vor
dem morgigen Tage zu fürchten. Denn der morgende Tag konnte neue
Schrecknisse bringen, niemand war sicher, daß er ihn zu Ende erlebte.

Und doch schien heute die Sonne warm, die Vögel jubilierten, und über
den Tannen kreiste der Wanderfalke, der in den höchsten Gipfeln sein
Nest baute. Er stieß ein scharfes Krächzen aus, und der Magister packte
seinen dicken Stock fester und sah sich um. Wenn der Falke so schrie,
dann gabs etwas, das ihm nicht gefiel.

Siehe da, es jagte ein Häslein über den Weg und verschwand im
Unterholz, während hinter ihm her ein Fuchs stürzte. Da nahm der
Magister seinen Stock und warf ihn Meister Reineke zwischen die Beine,
daß er einen langen Satz machte und ziemlich beschämt einen andern Weg
einschlug. Der Hase war gerettet, aber wie lange? Als der Magister
seinen Stock wieder holte, seufzte er, weil er an die armen schwachen
Tiere des Waldes denken mußte, die die Beute der Stärkeren wurden. Und
dann dachte er an den Fuchsbau, den er grade neulich mitten im Walde
gefunden hatte. Vor ihm saßen die kleinen Füchse, spielten miteinander
und warteten auf die Mutter, die ihnen etwas zu fressen bringen sollte.
Sie kam auch und hatte zwei Hühner im Maul, auf die sich die Kleinen
stürzten. Ach ja, die jungen Füchse wollten auch leben, und der Hase
wäre wohl ein guter Braten für sie gewesen. Eigentlich mußte man die
Tiere alle gewähren lassen. Sie hatten es wahrlich auch nicht leicht,
sich durchzubringen.

Nur die Wölfe waren schlimm. Jetzt aber waren sie gen Norden gewandert,
wenigstens liefen sie nicht mehr vor Wedel auf der Straße herum und
heulten vor den Häusern, wie sie es im strengen Winter getan hatten.

Timotheus ging in so tiefen Gedanken, daß er nicht das Pferdegetrappel
hinter sich hörte, bis er von einer scharfen Stimme angerufen wurde.

»He, Schwarzrock, kannst du nicht aus dem Wege gehen, wenn mein Pferd
kommt?«

Timotheus blieb stehen, sah sich um und blickte auf zwei dänische
Dragoner, die langsam hinter ihm her kamen. Er trat zur Seite und zog
den Hut. Holstein gehörte dem König von Dänemark, und diese Reiter
sollten also Freunde sein, aber in heutigen Zeiten waren die Soldaten
überall wild und ungebärdig: die des eigenen Landes benahmen sich oft
grade so schlecht, wie die Feinde.

Daher hoffte er, daß die Dragoner vorbei traben würden, aber, der ihn
angerufen hatte, blieb neben ihm halten und zwirbelte seinen langen
grauen Schnauzbart.

»Ich bin der königlich dänische Wachtmeister Balthasar und jeder, der
mir begegnet, muß mir gehorchen!« sagte er drohend, während Timotheus
seinen Hut wieder aufsetzte.

»Was wünscht Ihr denn?« erkundigte er sich, und Balthasar sah ihn
unzufrieden an.

»Weshalb setzest du deinen Hut wieder auf, wenn du von mir angeredet
wirst, das schickt sich nicht!«

»Weshalb nennt Ihr mich du, wo ich doch die Höflichkeit bewahre
und Euch nicht dutze?« erkundigte sich der Magister, worauf der
Wachtmeister rot im Gesicht wurde.

»Weil mir das so paßt, mein Freund! Wir Soldaten sind hier die Herren,
und kein Schwarzrock hat uns etwas zu sagen! Vorwärts, marsch,
Schwarzrock! Zeige uns die Häuser, in denen Jungen aufwachsen! Der
König braucht Soldaten! Wo die Bengel vierzehn Jahre alt sind, da
müssen sie in den bunten Rock, was bekanntlich eine Ehre ist! Nun,
vorwärts, marsch!«

Er wollte nach dem Magister greifen, der aber sprang behende über den
Graben, der Landstraße und Wald von einander trennte, und erwiderte:

»Ich kenne keine Häuser, in denen heranwachsende Knaben sind! Und
kennte ich sie, würde ich sie dir nicht verraten! Eins aber will ich
dir sagen, Freund! Auf derselben Landstraße, auf der du jetzt reitest,
sind vor wenig Stunden wohl ein Dutzend schwedische Reiter gezogen!
Wenn du denen in die Hände fällst, kann es dir schlecht ergehen!«

»Du lügst!«

Des Wachtmeisters grimmiges Gesicht ward noch grimmiger, und er winkte
dem hinter ihm reitenden Dragoner, der seinen Karabiner bereits auf den
Magister angelegt hatte.

»Schieß los, Jens! Dieser schwarze Kerl ist zu frech! Mich wagt er du
zu nennen? Das soll er büßen!«

Der Dragoner schoß wirklich, aber die Kugel schwirrte weit über des
Magisters Kopf in die Bäume, zwei Vögel flatterten auf, und ein
Eichkätzchen fuhr den Stamm hinab, mehr geschah nicht, und Timotheus
stand noch immer aufrecht.

»Ich habe dich gewarnt, Mann!« rief er noch einmal. »Wende dein Pferd
und reite auf Ottensen zurück oder gar gen Altona. Zwei dänische
Reiter, auch wenn sie tapfer sind, sind zu wenig gegen ein Dutzend
Schweden!«

Seine Warnung verhallte. Auch der Wachtmeister schoß jetzt hinter
ihm her, und noch einmal schüttelten die Zweige ihr Haupt, während
einige kleine kaum erschlossene Blätter zur Erde flatterten. Der Falke
krächzte, eine Weihe strich mit raschem Flug über den Magister dahin,
der jetzt mitten im Unterholz zwischen Dornen und Buchengestrüpp stand
und eilig weiterging. Dazu schüttelte er den Kopf. Er wußte, daß die
Dänen mit ihren schweren Pferden ihm nicht nachreiten konnten; und die
meisten Kugeln trafen bekanntlich auch nicht. Darum war er auch nicht
sehr ängstlich gewesen, er ärgerte sich nur, daß diese rohen Menschen
sich gerade so aufführten, als wären sie Feinde wie die Schweden und
die Kaiserlichen.

[Illustration]

Sie verlangten nicht allein Speis und Trank von den Bewohnern, sie
wollten auch noch ihre Söhne haben, um sie gegen den Feind zu führen.
Und dann konnte es geschehen, daß die jungen Leute ebenso hart und
heftig würden wie dieser Wachtmeister.

Timotheus hörte noch die Stimmen der Dragoner. Sie schalten hinter
ihm her und sandten einige Kugeln in den Wald, aber das war nur aufs
Geratewohl, und der Magister machte sich nichts daraus. Aber er war
traurig, sprach allerhand vor sich hin und wandte sich dann seitwärts
der Elbe zu, deren steiles Ufer er hinabkletterte, um ein kleines
Fischerhaus aufzusuchen, das hier zwischen Bäumen und Unterholz
verborgen lag. Hier wohnte der Fischer Hans Peter, dem ein großes Boot
gehörte, mit dem er auf den Fischfang ausging. Der Magister war schon
oft mit ihm zu Wasser ziemlich weit hinausgefahren, und auch heute
wollte er ihn bitten, ihn mitzunehmen. Dann brauchte er nicht den
langen Landweg nach Wedel zu machen, sondern konnte hinter Blankenese
ans Land gehen, um von da sein Dorf zu erreichen. Das Ufer war dort
mit Wald bedeckt und so zerklüftet, daß es einem Fremden schwer halten
mußte, sich zurecht zu finden. Weder dänische noch feindliche Soldaten
würden hierher den Weg auskundschaften, und nur die Strandbewohner
kannten die heimlichen Pfade und einige Höhlen in den Dünen.

Hans Peter stand in seinem Boot und schöpfte Wasser aus. Er war ein
großer, ungeschlachter Mann, der selten den Mund auftat und dann auch
nur, um ein Stück Tabak hinein zu stecken. Als der Magister zu ihm trat
und sein Anliegen vorbrachte, schien er kaum zuzuhören, schüttelte dann
aber nach einer Weile den Kopf.

Der Magister verstand ihn.

»Willst du nicht fahren?«

»Schweden!« erwiderte Hans Peter nach einer Pause. »Hast du sie auch
gesehen?«

Mit dem Daumen zeigte Hans Peter auf ein großes Boot, das in der Ferne
kreuzte.

»Lieber Gott,« der Magister seufzte. »Nun fahren sie schon in Booten
auf dem Wasser! Ist denn niemand, der ihnen Einhalt gebieten kann?«

Hans Peter zuckte die Achseln. »Ich nicht, aber --« er wies mit dem
Daumen auf eine schwarze Wolke, die vom Westen her kam.

»Boot kann leck springen!« sagte er mit kurzem Auflachen. Zog sein
Fahrzeug ans Land und zeigte auf sein Häuschen.

»Bier und Brot!« setzte er mit einer Miene hinzu, die freundlich sein
sollte.

Timotheus ging mit ihm. Dort oben im Wald wars wirklich nicht geheuer.
Dem Wachtmeister noch einmal zu begegnen, war ebensowenig angenehm, als
die Schweden wiederzusehen, die am Morgen mit Waffengeklirr über die
Landstraße geritten waren. Da konnte man es sich schon gefallen lassen,
bei Hans Peter Dünnbier zu trinken und dazu geräucherten Fisch und Brot
zu essen. Heimlich und still war es in der Hütte. Das Feuer brannte auf
dem Herd, und der Rauch zog durch ein Loch im Strohdach. Auf dem Herd
saß die Katze, die jetzt aufstand und Hans Peter entgegenging. Sie rieb
sich an seinen Beinen und ließ sich dann auch von Timotheus streicheln.
Sie war Hans Peters einzige Gesellschaft. Ehemals hatte er eine Frau
gehabt und auch zwei Söhne. Aber die Frau war schon lange tot, und die
zwei Jungen waren in die Weite gegangen. Das war lange her -- wenn
der Magister den Fischer fragte, wie viele Jahre er allein hause,
dann schüttelte dieser den Kopf, er wußte es nicht. Oft, sehr oft war
der Winter wiedergekommen und der Frühling, seitdem er allein wohnte.
Daher hatte er auch das Sprechen verlernt und konnte nicht begreifen,
daß andre Menschen sich immer etwas zu erzählen hatten. Aber wenn der
Magister zu ihm kam, dann freute er sich doch und horchte darauf, was
dieser ihm berichtete.

So saß er denn auch heute vorm Herde, nahm die Katze auf den Schoß und
ließ sich erzählen. Von den schwedischen Reitern, die heute morgen so
lustig durch den Wald geritten waren und so große Eile gehabt hatten,
daß sie den Magister, der sich hinter den Bäumen versteckt hielt, nicht
sahen. Wahrscheinlich ritten sie landeinwärts, einem der Edelhöfe zu,
die noch nicht ganz ausgeplündert waren. Hans Peter brummte. So wars
wohl, und die andern Schweden, die unten in Neumühlen ein altes Boot
weggenommen hatten und mit ihm davonfuhren, die gingen auch auf Raub
aus. Aber das Boot konnte leck springen, und wie Hans Peter langsam mit
vielen Zwischenräumen sprach, wie es allmählich Abend wurde, da pfiff
es plötzlich aus Südwest, und die großen Bäume über dem Fischerhaus
knarrten. -- -- -- -- -- -- --

       *       *       *       *       *

Die ganze Nacht hindurch heulte der Sturm, und Timotheus konnte sich
freuen, auf einem mit Seetang gefüllten Sack zu liegen und über sich
ein Schafsfell zu haben, das wundervoll warm hielt. Er schlief auch
einigermaßen, wenn er sich auch grämte, daß nun die Dänen alle Häuser
der Umgegend nach jungen Knaben durchsuchten, die Soldaten werden
mußten. Was würde Gottfried Hanekamp sagen, wenn er weggeführt wurde,
und was sollte Frau Jutta dann beginnen? Mit Konrad allein konnte sie
ihren Hof nicht bewirtschaften! Und in Blankenese und Wedel waren
auch halbwüchsige Knaben, die nicht entbehrt werden konnten von ihren
Eltern. Danach aber fragte der dänische König nicht, und wenn er auch
vielleicht ein guter Herr war und Mitleid gehabt hätte, wenn man ihm
die Sachen vorstellte, so kamen die Geringen doch nicht an ihn heran,
und die Vornehmen um ihn, die sein Ohr hatten, kümmerten sich nicht um
das Elend der Kleinen. Mit diesen Gedanken schlief der Magister ein,
mit ihnen wachte er auf. Plötzlich war es schon ziemlich hell, und
der Fischer hockte vorm Herd und kochte seine Grütze. Der Regen schlug
gegen die kleinen, in Blei gefaßten Fensterscheiben, und die Elbe
schien sehr aufgeregt. Man hörte ihre Wogen auf den Strand klatschen
und dazwischen das zornige Brausen des Windes.

»Keine Bootfahrt!« sagte der Hans Peter kurz, als der Magister sich vom
Lager erhob, und Timotheus mußte ihm schon glauben. Durch den Sturm war
das kleine Boot weit auf den Strand getrieben worden, und es konnte
noch Stunden dauern, bis die zornigen Wogen sich beruhigten.

Nachdem also der Magister die Morgengrütze gegessen und sich für das
Nachtquartier bedankt hatte, stieg er wieder die Düne hinauf und begab
sich zu Fuß auf den Heimweg. Der Weg war vom Regen durchnäßt, der Sturm
hatte große Zweige von den Bäumen gerissen, daß das Gehen mühselig war,
und im Walde stöhnten und knarrten die Bäume, als wollten sie sich
beklagen, daß sie so unsanft behandelt wurden. Dem Magister aber war
das Wetter schon recht. Dann lagen weder Schweden noch Dänen auf der
Landstraße, sondern verkrochen sich irgendwo, wo es warm und behaglich
war. Also konnte man ruhig seines Weges gehen und brauchte nichts
Unangenehmes zu fürchten. Denn wenn der Magister auch nicht furchtsam
war, so ging er doch lieber einer Gefahr aus dem Wege, als daß er sie
aufsuchte.

Es war einsam im Walde. Die Vögel saßen im Schutz ihrer Nester, und
wenn der rote Fuchs von gestern noch lebte, dann hockte er bei seinen
Jungen oder spürte vielleicht dem Hasen nach, den er gestern nicht
bekommen hatte.

Aber der Magister war doch weise geworden und ging lieber auf einem
schmalen Waldpfad, als daß er die Landstraße benutzte. Der Wind pfiff
noch immer, und dazwischen rauschten die Bäume, aber es wurde stiller,
und mit einemmal kam ein Sonnenstrahl. Timotheus blieb stehen und sah,
wie er durch die braunen Zweige und über die kleinen zarten Blätter
des Unterholzes glitt. Der böse Winter war zu Ende, wenn auch der
Sturm noch tobte. Und vielleicht ging auch einmal der Krieg zu Ende --
obgleich man es nicht anders kannte.

Unwillkürlich blieb der Magister stehen und dachte an die Zeit, da er
noch eine Frau und ein liebes Kind gehabt hatte. Der Krieg hatte ihm
beides genommen und auch seine Kirche, in der er so gern predigte.
Nichts war von dem Dorf übrig geblieben, als verbrannte Häuser. Er
selbst war lange ein schwerkranker Mann, und als er gesund wurde, hatte
er eigentlich keine Lust mehr zu leben. Und dennoch lebte er, und die
Sonne schien ihm ins Gesicht, während über ihm ein Rabe krächzte.

Timotheus hob den Kopf. Er ging fast jeden Tag in den Wald und kannte
seine Stimmen; wenn der Rabe so krächzte, dann spürte er Beute. Lief
dort vielleicht ein junger Hase, oder sah der schwarze Gesell ein
Vogelnest, wo der die Jungen fressen wollte? Vorsichtig ging der
Magister weiter und blieb dann wieder stehen. Es kam ein sonderbarer
Laut von den Bäumen her -- das war kein Tier, sondern ein Mensch!
Wieder krächzte der Rabe, und Timotheus ging dorthin, wo der große
Vogel schwebte und unverwandt nach unten äugte. Dann stieß er einen Ruf
des Mitleids aus und stürzte auf den dänischen Wachtmeister zu, der
gestern auf stolzem Roß gesessen hatte und nun an eine der alten Tannen
festgebunden war. In seinem Munde steckte ein dicker Knebel, so daß er
nicht schreien konnte, nur hin und wieder stieß er dies Stöhnen aus;
aber sein Kopf hing ihm schon tief auf die Brust. Schadenfroh koaxte
der Rabe -- nicht lange mehr brauchte er zu warten, dann konnte er sich
den Gefesselten ganz aus der Nähe betrachten.

Aber seine Freude kam zu früh. Der Magister zog dem Wachtmeister
den schmerzhaften Knebel aus dem Mund, zerschnitt seine Stricke und
stützte ihn, als dieser, fast gelähmt, beinahe hingefallen wäre.
Vorsichtig ließ der Retter ihn auf einen umgestürzten Baumstamm sitzen
und kühlte ihm mit einem in das nasse Gras getauchten Tuch das blau
gedunsene Gesicht. Der Wachtmeister war ein kräftiger Mann. Nachdem
er einige Minuten verschnauft hatte, griff er nach der Brotrinde, die
ihm Timotheus hinhielt, begann sie zu kauen, rieb seine schmerzenden
Glieder und fluchte.

»Diese Schweden! Hinterrücks überfallen sie mich, nehmen mir die Waffen
und das Pferd weg und binden mich an den Baum. Aber es sind Dummköpfe.
Totschlagen hätten sie mich müssen, dann würde ich mich nicht rächen
können, während jetzt -- --« drohend erhob er die Hand, die aber
kraftlos wieder niedersank.

»Denkt nicht gleich an die Rache!« ermahnte der Magister. »Freut Euch,
daß Ihr mit dem Leben davonkamet!«

Der Wachtmeister sah ihn verdrießlich an.

»Laß das Predigen, Schwarzrock! Gib mir Geld, daß ich mir wieder einen
Säbel und einen Karabiner kaufen kann! Diese Schweden sollen alle von
meiner Hand sterben!«

»Ich habe kein Geld!« Der Magister mußte über den Unverschämten lachen.
»Geh dorthin, woher du kamest. Die Dänen werden dir schon die Waffen
wiedergeben.«

Mit diesen Worten ging Timotheus weiter.

»Halt!« Der Wachtmeister schrie es hinter ihm her. »Halt! Verlaß mich
nicht! Siehst du denn nicht, daß ich noch nicht wieder gehen kann,
und du willst mich hier allein lassen? Wenn ich dies der Obrigkeit
berichte, wird sie dich strafen!«

»Meinst du? Vielleicht wird dir die Obrigkeit sagen, daß man den, der
einem das Leben rettet, höflicher behandeln muß, wie du es tust!«

»Wenn du mir das Leben rettetest, dann mußt du auch weiter für mich
sorgen!« rief der Wachtmeister und versuchte, sich aufzurichten, um den
Magister zu ergreifen. Aber die Glieder versagten ihm, und er verlegte
sich nun aufs Bitten.

»Herr Magister, wohledler Herr; helft mir doch! Ich bin doch ein
dänischer Soldat und ein sehr guter Wachtmeister! Fragt nur meinen
Obristen, den Herrn von Pechlin in Altona! Ich bin ein herzensguter
Mensch, Herr Magister, und an meiner rauhen Sprache müßt Ihr Euch nicht
stoßen! Das gehört nun einmal zum Kriegshandwerk und ist grade so, wie
Ihr beim geistlichen Stande Barmherzigkeit üben müßt. Ich hab auch
einmal Magister werden wollen, aber der Säbel paßte besser für mich!«

»Das glaube ich wohl!«

Der gutmütige Magister war wieder näher gekommen und half endlich dem
Wachtmeister, so daß dieser sich auf ihn stützen konnte.

»Langsam, langsam!« knurrte er. »Immer vorsichtig, sonst sollst du mal
sehen!« Und er versuchte, den kleineren Magister so fest zu halten, daß
dieser sich nicht zu rühren vermochte.

Aber Timotheus war gewandt, trotz seiner fehlenden Hand. Mit einer
schnellen Bewegung machte er sich frei und sagte ruhig: »Wenn du dich
nicht ordentlich benimmst, Wachtmeister, lasse ich dich hier sitzen!«

Dieser unterdrückte einen Fluch und wurde wieder höflich.

»Entschuldigt nur, Herr Magister! Die Galle ist bei mir durch die
Schweden in Unordnung geraten. Sie wird erst wieder besser, wenn ich
die Kerle alle in die Pfanne gehauen hab!«

Nun ließ er sich ganz ordentlich führen, stöhnte manchmal auf und
murmelte einen Fluch. Aber wenn er in das ernsthafte Gesicht des
Magisters sah, dann nahm er sich zusammen und hütete sich wohl, den
Unwillen seines Retters zu wecken. Es dauerte wohl einige Stunden,
aber, als die Mittagsstunde vom Kirchturm zu Wedel schlug, da brachte
der Magister den Wachtmeister zu seiner alten Muhme, die schon in der
Haustür stand und nach ihm aussah. Sie war wohl achtzig Jahre alt
und ein hageres Weib mit verrunzeltem Gesicht. Aber ihre Augen waren
klar und hell, und als sie den dänischen Reiter sah, der müde und in
zerrissener Uniform vor ihr stand, da machte sie weder ein großes
Geschrei, noch schlug sie die Hände über den Kopf zusammen. Sie setzte
den lahmen Mann ans Herdfeuer und brachte ihm gleich einen Becher mit
warmer Milch, den er gierig hinunterstürzte. Dann bereitete sie ihm ein
Lager und deckte ihn mit einem alten Federkissen zu.

»Er muß ausschlafen und sich erholen!« sagte sie zu dem Magister, der
ernsthaft nickte.

»Wir müssen ihn wohl aufnehmen, aber ich fürchte, er taugt nicht viel!«

»Darnach sieht er aus!« entgegnete die alte Frau. »Aber wir müssen ihm
doch Barmherzigkeit erweisen. Du würdest ihn auch nicht auf der Straße
liegen lassen!«

»Vielleicht wäre es das Beste gewesen!« erwiderte Timotheus, aber
Mutter Mumsen hörte ihn nicht, und das war auch eben so gut. Denn sie
würde ihn wohl ein wenig gescholten haben.

Eine Woche blieb der Wachtmeister bei Mutter Mumsen und bei dem
Magister. Er war ganz manierlich geworden und sprach sogar von
Dankbarkeit. Das kam wohl daher, daß er noch in allen Gliedern
Schmerzen spürte, und vielleicht auch davon, daß die Schweden die
ganze Gegend unsicher machten, bald hier, bald dort einfielen und
brandschatzten. Die Dänen waren nicht stark genug, sie zu vertreiben,
und mußten sich vor ihnen verstecken. Eines Tages aber hieß es, daß
die letzten Schweden weiter nordwärts gezogen wären, und da wurde der
Wachtmeister wieder vergnügt und herrisch. Er konnte jetzt wieder
gehen, versuchte, ein Pferd zu besteigen, das einem Bauern gehörte, und
ritt dann gleich nach Altona, um sich bei seinem Regiment zu melden. Er
hatte versprochen, das Pferd wieder zu bringen, aber er blieb weg, und
der Bauer schalt auf den Magister.

»Wenn der Kerl nicht bei euch gewohnt hätte, ich würde ihm meinen Fuchs
nicht geliehen haben!«

»Ich habs Euch nicht geraten!« erwiderte Timotheus, aber der andre
blieb doch verdrießlich. Es war ein Glück, daß plötzlich einige
herrenlose Pferde bei Blankenese aufgegriffen wurden. Sie mußten den
Schweden gehören, denn sie hatten Zaumzeug in den schwedischen Farben.
Wo aber waren ihre Reiter? Niemand wußte es zu sagen, und niemand
fragte danach. Der Bauer suchte sich das beste Tier aus, und auch die
andern Leute, die ein Pferd brauchen konnten, versorgten sich. Eins
aber nahm der Magister an sich und führte es zum Hanekamphof.

»Ich meine, Frau Jutta, ein Gaul wäre nicht übel für Euch!« meinte der
Magister, und die Frau bedankte sich.

»Es ist gut von Euch, an uns zu denken! Ich fürchte nur, das Tier wird
bei uns nicht satt. Wir haben nicht allzuviel Hafer!«

»Bald könnt Ihr es auf die Weide schicken,« tröstete Timotheus.
»Soldatenpferde dürfen nicht zu gut gefüttert werden, sonst werden sie
faul!«

Gottfried und Konrad waren froh über das Geschenk, und auch Burga
streichelte den Schimmel, der eine dichte Mähne hatte und einen langen
Schweif.

»Es ist ein feines Tier und eigentlich zu schön für die Feldarbeit,«
meinte sie, und Gottfried stieß sie unsanft zur Seite.

»Was weißt du von feinen Pferden? Du bist doch nur ein Lagerkind, und
wir haben dich aus Barmherzigkeit aufgenommen!«

Auf diese Worte antwortete Burga nicht, aber die Falte zwischen ihren
Augen, die fast schon verschwunden war, vertiefte sich wieder, und
Gottfried traf ein finsterer Blick.

Doch als Frau Jutta nachher nach ihr rief, kam sie gehorsam und
arbeitete, wie es ihr gesagt wurde.

[Illustration]




[Illustration: Fünftes Kapitel]


Nun kam allmählich der Sommer, und es wurde heiß. Die Bäume hatten ihr
frisches grünes Kleid angelegt, an den Zweigen der Tannen wuchsen die
hellgrünen Schößlinge, und die Vögel fütterten ihre junge Brut. Auf dem
Hanekamphof wanderten drei Glucken mit ihren Kindern umher, und die Kuh
stand im hohen Gras, fraß, bis sie nicht mehr konnte, und brummte ein
wenig mit ihrem Kalb herum, das erst wenige Wochen alt war und lieber
Milch trank, als daß es Grünfutter nahm. Es war eine schöne Zeit; von
den Schweden hörte man nichts mehr, und die dänischen Dragoner hatten
sich auch nicht wieder auf der Landstraße sehen lassen. Vielleicht
hatte ihr Obrist sie nach einer andern Gegend geschickt, und das war
gut. Es war die Zeit, da auch die Hamburger sich aus ihren Stadtmauern
wagten, die Zugbrücke über den Pepermolenbeck, den Grenzbach zwischen
Hamburger und Altonaer Gebiet, hinabließen, und sich die Ortschaft
Altona betrachteten. In Altona standen schon viele Häuser, einige
Straßen waren angelegt, und auf der Südseite erhob sich ein Galgen.
Denn, wenn eine Ortschaft auf sich hielt, dann errichtete sie natürlich
einen Galgen, grade, wie sie auch ein Gefängnis haben mußte. Auch das
war in Altona zu finden, und Herr Jobst Hanekamp, der an einem frühen
Maimorgen einige Geschäftsgänge in dem neuen Dorf zu machen hatte, sah
sich zufrieden um. Ihm war es ganz recht, daß hier, an der Elbe, eine
Ortschaft lag, in der einige Kaufleute wohnten, mit denen er handeln
konnte. Handelte er doch mit getrockneten Fischen, mit Seehundsfell,
mit Tran, mit allem, das aus dem Meere kam, und die Kaufleute hier
konnten ihm frische Ware besorgen, wie er sie für seinen Handel nach
dem Inlande brauchte.

Herr Jobst Hanekamp war ein kleiner Mann mit rotem Gesicht und
mit einer großen dunklen Perücke auf dem Kopfe, die ihm etwas
Majestätisches gab. Gewuchtig schritt er über die ungepflasterten
Straßen, und begab sich zu einem Geschäftsfreund, der in der Nähe des
Hafens wohnte, und von dem er einige Fässer mit Tran kaufen wollte.
Aber der Freund war nicht daheim; er war hinüber nach der Insel
Finkenwärder gefahren, wo er mit den Fischern handelte. Bedächtig
schritt Herr Jobst jetzt auch an das lustig plätschernde Wasser,
betrachtete die Kauffahrteischiffe, die hier vor Anker lagen, und
schüttelte den Kopf über einige dänische Dragoner, die auf den
Brückenbohlen in der Sonne lagen und fest schliefen.

»Soldaten sind doch faule Kerls!« dachte er bei sich und ließ
dann seine Blicke umherschweifen. Denn ihn war plötzlich die Lust
angekommen, eine kleine Wasserfahrt zu machen. Dort hinter Ottensen
und Neumühlen wohnte ja seine Nichte, die Frau Jutta mit ihren Söhnen,
und wenn er im Winter ihrer sicher nicht dachte, so meinte er, daß die
Landluft im Monat Mai für einen Großstädter nur gesund sein könnte. Die
Zeiten schienen wirklich ruhiger zu werden, da mußte man sich einmal
nach den andern Hanekamps umsehen.

Grade wollte Klas Stolz aus Finkenwärder mit seinem leeren Boot von der
Brücke abfahren, als Herr Jobst ihn anrief.

»He, guter Freund, willst du einige Schillinge verdienen, so nimm mich
mit!«

»Wohin?« Klas schob sein Boot wieder fest an die Brücke. Denn einige
Schillinge verdiente er gern.

»So herum nach Neumühlen oder Teufelsbrücke!« rief Herr Jobst. »Ich war
noch nie auf dem Hanekamphof, aber da herum muß er liegen!«

»Ich weiß, wo er ist!« sagte der Fischer, und der Kaufherr stieg
vorsichtig ein.

»Also fahre mich, wo ich am ehesten zu ihm gelangen kann, und wenn du
mir den Weg zeigst, will ich noch einen Schilling mehr bezahlen!« Klas
nickte nur, faßte die Riemen an und ließ sein schweres Boot mit der
Ebbe gehen. Denn das Wasser lief grade in die Nordsee, und das Rudern
war leicht.

Herr Jobst bekümmerte sich nicht viel um den Fischer, er ließ seine
Augen umherschweifen und wurde verdrießlich.

»Die Leute hier sind unordentlich!« tadelte er. »Ehemals standen hier
doch nette kleine Häuser, und nun haben sie kein Dach mehr, oder sie
sind abgebrannt.«

»Das kommt vom Krieg!« erwiderte der Fischer, und Jobst schüttelte den
Kopf.

»Der Krieg muß jetzt bald zu Ende sein; ich weiß, daß über den Frieden
beraten wird. Da müssen die Leute vernünftig werden und ihre Häuser
wieder in Ordnung bringen!«

Klas Stolz hob die Ruder aus dem Wasser, daß schimmernde Tropfen
von ihnen fielen. »Sicher ist es hier noch nicht!« meinte er. »Noch
gar nicht so lange ist es her, da sind wohl ein Dutzend Schweden
von Neumühlen die Elbe hinunter gefahren, weil sie einmal nachsehen
wollten, wo an der Küste noch was zu holen wäre. Ihre Pferde hatten sie
hinter Blankenese bestellt, und ein Knecht mußte dort auf sie warten.
Aber es kam die Nacht ein Sturm, und das Boot muß leck gesprungen sein.
Von den Schweden ist nichts mehr gefunden worden, und der Knecht, der
bei den Pferden wartete, ist totgeschlagen worden. Die Bauern in der
Gegend haben ganz feine Pferde zur Feldarbeit, und das ist ihnen zu
gönnen. Denn alle Pferde, die einst ihr Eigentum waren, sind ihnen
genommen!«

»Dummes Zeug!« Herr Hanekamp zog die Stirn kraus. »Solche Geschichten
mußt du nicht berichten, Freund! Da könnte ich ängstlich werden, bei
Teufelsbrück aus dem Boot zu steigen. Aber, du sagst ja selbst, daß die
Bauern jetzt gute Pferde haben -- also ist doch niemand gekommen, sie
ihnen wieder abzunehmen, und das Land ist ruhig. Du mußt nur mit mir
nach dem Hanekamphof gehen. Dann kannst du mich morgen wieder abholen.
Denn wenn ich einmal die weite Reise mache, will ich auch etwas von der
Fahrt haben!«

Klas nickte, und wie er nun in Teufelsbrück anlegte, trat er aus dem
Boot, half dem Herrn heraus und schickte sich gerade an, sein Fahrzeug
festzumachen, als es aus dem Baumgestrüpp knallte, und eine Stimme
rief:

»Ergebt euch, sonst schieße ich noch einmal!«

Herr Hanekamp sah sich nicht um. Er war dick, und man konnte denken,
daß er nicht gut laufen konnte. Aber er war mit Windeseile in den
angrenzenden Wald gelaufen, der sich hart an der Elbe und neben dem
Bache, der die Flottbeck genannt wurde, erhob. Hier kauerte er hinter
einem dicken Busch, rückte seine Perücke gerade und griff nach dem
Degen, den er an seiner Seite trug. Wenn es galt, dann wollte er sein
Leben verteidigen. Aber er hörte nur noch einmal schießen und einen
Schrei -- dann wurde alles still. Also kroch er aus seinem Busch
hervor und wollte sich grade umsehen, als eine derbe Faust ihn packte.

»Aha, hier haben wir den Heringsprinzen! Kerl, gib Geld, oder ich
schneide dir die Kehle ab!«

Ein großer rothaariger Mann, in Lumpen gehüllt, stand vor ihm. Er hatte
einen struppigen Bart und kleine, unheimlich blitzende Augen, mit denen
er Herrn Hanekamp von oben bis unten betrachtete. Ein großes Messer
hielt er in der Hand, aber er steckte es wieder in die Scheide.

»Mein Junge,« sagte er zu Herrn Hanekamp, »du siehst mir nicht aus, als
wolltest du dich wehren. Da will ich dir dein Leben schenken. Zieh nur
rasch deine Kleider aus! Sie scheinen mir sehr gut zu sein, und ich
kann sie gerade gebrauchen. Und was du an Geld besitzest, lege dazu.
So'n bißchen Mammon ist nicht vom Übel, und ich bin gewiß, daß du ihn
mir gern gibst.«

Herr Hanekamp war ein verständiger Mann. Er ärgerte sich nicht wenig
über den unverschämten Räuber, aber er sah ein, daß er sich fügen
mußte. Lieber wollte er seinen Rock und sein Geld hergeben, als sein
Leben. Also begann er sich langsam zu entkleiden, und der Räuber stand
dabei und lachte.

»Ich hab Glück! Ein so fetter Vogel wie du, ist mir lange nicht ins
Garn gesogen! Alle Wetter, du trägst sogar ein Hemd? Das habe ich seit
Jahren nicht auf dem Leibe gehabt! Herunter damit, mein Junge! Du
hast gewiß noch mehr von dem Kram zu Hause, und ich möchte wirklich
wissen, wie es tut, so feine Leinwand auf der Haut zu haben!«

[Illustration]

»Laß mir mein Hemd!« bat Herr Hanekamp; aber der Räuber wollte es ihm
grade vom Leibe reißen, als eine helle Stimme rief: »Faß ihn, Wolf!«

Ein großer Hund legte seine Tatzen auf die Schulter des Rothaarigen
und sah ihn an mit glühenden Augen. Dabei streckte er seine rote Zunge
lang aus und zeigte zwei Reihen spitzer Zähne. Der Rothaarige stand
regungslos. Wie gebannt starrte er auf den Hund, und seine Glieder
zitterten.

»Rühr dich nicht, mein Junge!« sagte dieselbe helle Stimme, und ein
junges Mädchen stellte sich hinter den Hund.

»Ich rühr mich schon nicht!« brummte der Rote. »Laß den Spaß sein,
Burga! Dies ist doch ein Heringsprinz, und ich gebe dir die Hälfte ab,
wenn du mich laufen lässest!«

Aber Burga trat nur zu ihm, um ihm sein Messer wegzunehmen, das der
Räuber versuchte aus der Scheide zu ziehen, und dann nahm sie ihm auch
den Karabiner, der über seiner Schulter hing.

»Guten Tag, Michel!« sagte sie ruhig. »Bist du einmal wieder beim
Rauben? Weißt du nicht mehr, was du dem Prädikanten versprochen hast?«

»Ach, die alten Versprechen!« Michel setzte einen Fluch hinzu. »Diese
Kerls, die wollen immer etwas Unmögliches, und man braucht es nicht zu
halten. Wenn's einem so hanebüchen schlecht geht wie mir, dann muß man
wirklich Räuber werden! Sonst kann man Hungers sterben!«

»Geh doch zum Bauern und arbeite!« rief Burga, aber Michel schüttelte
den Kopf.

»Dazu habe ich keine Lust mehr. Wer Soldat gewesen ist, der mag nicht
mehr auf einem Fleck sitzen und graben! Komm, Burga, ruf deinen Köter
weg, denn er hat wirklich ein unangenehmes Gesicht! Und dann laß mir
das Geld von dem Heringsprinzen! Ich hatte ihn mir grade eingefangen,
und da mußtest du kommen! Etwas muß ich doch für meine Mühe haben!«

Herr Hanekamp hatte sich eilig wieder angezogen und griff jetzt nach
seinem kleinen Lederbeutel. »Ich will dir wohl einen Gulden geben,
obwohl du ein unverschämter Gesell bist und den Galgen verdienst. Dann
aber mache, daß du wegkommst!«

Burga pfiff dem Hund, daß er von dem Räuber abließ, und dieser griff
hastig nach dem Geldstück, machte eine Art Kratzfuß und verschwand.

Herrn Hanekamps Perücke war ihm auf ein Ohr gerutscht, und er rückte
sie bedächtig wieder grade.

»Es war gut, daß du kamst!« sagte er zu Burga. »Wenn ich das gewußt
hätte, was einem in Holstein passieren kann, ich wäre nicht gekommen.
Das kommt davon, wenn man seine Verwandten besuchen will!«

»Wen wollt Ihr besuchen, Herr?«

»Den Hanekamphof. Bei dem schönen Wetter wollte ich die Landluft
genießen, aber dieser Schreck wird mir sicherlich übel bekommen!«

»Ich komme vom Hanekamphof, und ich geleite Euch gern hin! Er ist nicht
mehr weit!«

Herr Jobst betrachtete Burga mit einigem Wohlgefallen.

»Du scheinst mir eine ganz verständige Dirn zu sein, und wenn ich
eigentlich keine Hunde ausstehen kann, so muß ich sagen, daß dieses
Tier seine Sache nicht schlecht machte. Ich werde ihm dafür einmal
einen Schinkenknochen schicken! Nun aber führe mich zum Hof, denn diese
Sache hat mich doch recht angegriffen!«

Frau Jutta war nicht wenig überrascht, den Oheim, begleitet von Burga,
kommen zu sehen, und die Knaben kämmten und wuschen sich hastig, damit
sie vor dem strengen Blick des Hamburgers beständen. Burga mußte einige
Lieblingshühner fangen und rupfen, damit es einen guten Braten gäbe,
und Gottlieb holte aus dem Keller eine verstaubte Flasche mit Wein.

Herr Hanekamp ließ sich alle Umstände ruhig gefallen. Nach seiner
Ansicht war sein Besuch eine große Ehre für die Verwandten, und
er berichtete sehr umständlich von dem Räuber, der ihn so unsanft
behandelt hatte.

»Aber,« setzte er hinzu, »ich wußte ihn zu nehmen, und er ist seiner
Wege gegangen!«

»Ja, Burga kann sich auf ihren Wolf verlassen!« sagte Frau Jutta, aber
Herr Hanekamp machte eine abwehrende Handbewegung.

»Ich würde mir schon allein geholfen haben! Mit solchen Strauchdieben
werde ich immer fertig!«

Auf diese Worte erhielt er keine Antwort, denn Burga hatte natürlich
schon berichtet, wie alles gewesen war. Die Jungen stießen sich an, und
Burga lachte.

»Worüber lachst du?« fragte Herr Jobst streng, und sie antwortete: »Ich
mußte daran denken, wie lustig es aussah, als der Rote vor Euch stand,
und Ihr ihm beinahe auch Euer Hemd gegeben hättet!«

»So war es gar nicht!« rief Herr Hanekamp empört. »Wer bist du denn
überhaupt, daß du hier bei meinen Verwandten dich aufhältst? Du
scheinst mir auch eine Vagabondin zu sein, da du den Räuber kanntest,
und ihn sogar bei seinem Vornamen riefest! Ich muß mich sehr wundern!«

Burga errötete, aber sie sah dem Kaufherrn gerade ins Gesicht.

»Ich bin ein Lagerkind, Herr, und kenne den Roten schon lange. Und wenn
er Euch noch einmal anfällt, dann will ich Euch nicht befreien!«

Nun wurde Herr Hanekamp auch rot und murmelte allerlei Unverständliches
vor sich hin, während er sich noch einen Becher Wein einschenkte. Denn
diese Unterhaltung fand statt beim Mittagsmahle. Frau Jutta begann
jetzt von etwas andrem zu reden, aber Burga war still geworden und
stand bald auf. Die Knaben folgten ihr, und als Herr Hanekamp mit
seiner Nichte allein war, hob er warnend den Finger.

»Mir scheint, du hast einen sehr sonderbaren Gast, liebe Nichte! Man
muß nicht zu barmherzig sein!«

»Ich nahm sie nicht aus Barmherzigkeit, sie hilft mir in der
Wirtschaft, sie hat etwas Geld, und sie sagt, daß sie Rantzau heißt!«

»Rantzau!« Hanekamp schüttelte den Kopf. »Da siehst du doch, daß sie
lügt; eine Rantzau wird nicht in der Welt umherlaufen und Räuber
kennen! Ein solches Mädchen würde ich nicht im Hause behalten!«

Er war so eifrig, daß er nicht merkte, wie Konrad schon wieder auf
der Diele stand und seine Worte hörte. Eilfertig lief der Junge nach
draußen, wo Burga ihrem Wolf grade das Futter gab. Der Hund war
wieder ganz gesund und schien größer und stärker geworden. Er tauchte
seine spitze Schnauze eifrig in den Futternapf, und es schmeckte ihm
ausgezeichnet. Konrad war kein übler Junge, aber er klatschte gern.
Er stieß Burga in die Seite. »Weißt du, was der Oheim eben sagte?« Er
berichtete, was er gehört hatte. »Du bist natürlich keine Rantzau!«
setzte er hinzu. »Ich habs auch nie geglaubt! Das sind furchtbar
vornehme Ritter, und du gehörst sicher nicht zu ihnen!«

Der Hund hatte genug gefressen und steckte sein nasses Maul in Burgas
Hand. Sie merkte es nicht, sie stand in tiefen Gedanken. Wie jetzt die
Wärme gekommen war und das schöne Wetter, da hatte sie schon manchmal
Sehnsucht gehabt, wieder durch das Land zu wandern. Aber Frau Jutta
war gut gewesen, mit den Knaben vertrug sie sich; wenn der Magister
kam, dann sprach sie gern mit ihm, und die Arbeit auf dem Hofe machte
ihr Vergnügen. Aber sie war es nicht gewohnt, lange an einer Stelle zu
sein; von Land zu Land war sie mit dem Troß gezogen, und im Sommer war
es manchmal ganz schön gewesen. Jetzt, da sie satt war, vergaß sie, wie
der Hunger sie gequält hatte, vergaß sie, wie schmutzig und zerlumpt
sie gewesen war; sie dachte nur an die Freiheit, und daran, daß sie
sich nichts von einem verdrießlichen alten Mann gefallen lassen wollte.

Konrad und Gottfried gingen aufs Feld, um der Kuh einen andern
Weideplatz zu geben, und Burga pfiff ihrem Hund, steckte sich das
von dem Räuber genommene Messer in den Gürtel, fühlte, ob die kleine
Geldtasche sicher auf ihrer Brust ruhte, und ging davon. Wenn Herr
Hanekamp meinte, daß sie eine Lügnerin, eine Freundin des roten Michels
wäre, dann konnte sie ja gehen. Wie undankbar war der Hamburger! Wäre
sie nicht gewesen, er liefe nackt im Wald umher und hätte Geld und
Kleider verloren! Aber so waren die Leute, die hinter dicken Mauern
saßen und die schöne, freie Welt nicht kannten! Die taugten alle
nichts, und wenn der rote Michel noch einmal einen Bürger ausraubte,
dann würde Burga ihn nicht daran verhindern! Ganz gewiß nicht!

Immer eiliger lief das Lagerkind durch den Wald, dem Elbufer zu, von
dem sie gekommen war. Sie wollte wieder über den Fluß und das alte
Wanderleben beginnen.

Es war ein schöner, heller Maientag. Überall sangen die Vögel, hier und
dort schlüpfte ein Häslein durch den Busch, hart an der Flottbeck ging
gravitätisch ein Storch spazieren und fing Frösche; die Elbe spiegelte
den blauen Himmel wieder und lag so still, als könnte sie niemals hoch
steigen und ihre Wellen donnernd gegen die Dünen schlagen. Burga kannte
jetzt die Gegend. Sie kannte die Fischerhäuser am Strand, die einstmals
Dächer gehabt hatten und Fenster, und die jetzt zum Teil halb verbrannt
und unbewohnt waren. Das kam vom Krieg -- darüber mußte man sich nicht
wundern. Hinten in Blankenese sollte es besser sein, und im Dorfe Wedel
gabs noch die Kirche, das Pfarrhaus und eine Menge von Häusern. Der
Magister hatte es Burga erzählt und sie zugleich eingeladen, ihn zu
besuchen. Sie würde gern einmal gekommen sein, aber nun wars zu spät;
der Magister brauchte auch nicht zu wissen, wohin sie ging. Sie wußte
es ja selbst noch nicht! Burga wischte sich die Augen und stampfte dann
mit dem Fuß. Sie war doch kein Schreikind, das noch weinte! Sie wollte
in die Welt und lustig sein! Und sie legte ihre Hand auf Wolfs Kopf,
der sich zärtlich an sie schmiegte. Ja, die vom Hanekamphof mochten
sich wundern, daß Burga und der treue Wächter nicht wieder kamen, aber
es war ihre eigne Schuld! Warum hatten sie solch häßlichen Oheim!

Wolf steckte die Nase in die Luft und schnupperte.

»Nun, was ist?« fragte Burga, und Wolf knurrte leise. Burga griff nach
ihrem Messer. Wölfe gabs nicht mehr, die waren nach Norden gezogen,
und wenn hier ein Fuchs umherlief, so mußte er am Leben bleiben. Noch
einmal knurrte der Hund und lief dann ins Dickicht, wohin ihm Burga
folgte. Da lag ein Mann mit einer Schußwunde im Kopf, und neben ihm
hockte ein Junge und weinte leise.

»Ich kann ihn nicht hoch kriegen!« schluchzte er. »Die Räuber haben ihn
tot geschlagen!«

Burga beugte sich über den Verletzten.

»Er ist nicht tot. Hol Wasser aus dem Bach. Hast du nicht einen
Becher?«

Der Junge trug einen Sack um den Hals. Er nahm einen Zinnbecher heraus
und holte eilig Wasser. Burga wusch die Wunde, riß ein Stückchen von
dem Sack und verband sie dann.

»Ich hab ihn so gesucht!« wimmerte der Junge. »Heute morgen ist er nach
Altona gefahren, und ich wollte mit. Aber er sagte, ich sollte bei
Mutter bleiben. Sie liegt zu Bett, und wir haben auch das kleine Kind.
Aber heut nachmittag sagt einer von den Fischern, daß Vaters Boot bei
Teufelsbrück läge. Ich bin mit der Jolle herüber, und ich kann ihn
zuerst nicht finden. Das Boot liegt da --« Er zeigte auf den Strand.
»Nun möchte ich ihn wieder ins Boot bringen, aber allein kann ich's
nicht!«

Burga sah in sein trauriges Gesicht.

»Bist du nicht von da drüben?«

Er nickte.

»Von Finkenwärder! Vater ist Fischer und wir haben wenig zu essen!«

Burga erkannte den kleinen Klas Stolz. Sie sah ihn, wie er ihr den
gebratnen Vogel ließ, und nun wußte sie auch, daß der große bewußtlose
Mann vor ihr derselbe war, der sie mit ihrem Hunde aufs Eis geschoben
hatte. Der kleine Klas weinte noch immer.

»Wenn er tot bleibt, dann bleibt Mutter auch tot!«

»Was sollte er tot bleiben! Faß ihn bei den Beinen an, und ich trage
seinen Kopf; wir kriegen ihn schon ins Boot, und dann kannst du wohl
das Rudern besorgen, denn ich muß seinen Kopf halten, damit er sich
nicht stößt!«

Es ging langsam, aber es ging. Der Verwundete stöhnte, und der kleine
Klas begann zu weinen, aber Burga gebot ihm, still zu sein. Und wie
der Fischer erst in seinem eignen Boote lag, da schien es, als würde
er ruhiger, und der kleine Klas mühte sich redlich ab, das schwere
Fahrzeug über die Elbe zu bringen. Beinahe wärs nicht gegangen, aber
plötzlich kam ein kleines, flinkes Fahrzeug hinter ihnen her, ein
Fischer schwang sich ins große Boot und ruderte kräftig mit. Es war
ein alter Mann, der kein Wort sprach und der Burga die ganze Zeit
betrachtete, aber der kleine Klas flüsterte ihr zu, daß dies sein Ohm
Hans Peter wäre und daß der niemals viel sagte. Auch Wolf saß mit im
Boot, wußte aber auch, daß er sich nicht rühren durfte, und ließ nur
Burga nicht aus den Augen. Und dann lag Finkenwärder vor ihnen, und
Hans Peter griff mit an, den Verwundeten ans Land zu tragen. Um Burga
bekümmerte er sich nicht weiter, und auch der kleine Klas vergaß das
Danken. Er dachte nur an seine Mutter, und was sie zu dem verwundeten
Vater sagen würde. Also blieb Burga allein am Hafen zurück, setzte sich
ans Bollwerk und dachte darüber nach, ob sie sich ein Nachtquartier
suchen, oder im Freien schlafen wollte. Denn es war spät geworden.
Etwas abseits von den Fischerbooten lag ein Fahrzeug, das rote Kissen
hatte, und recht einladend aussah. Sogar ein Wolfsfell lag darin, und
wer sich da hinein wickelte, der hatte es gut. Burga betrachtete es,
halb in Gedanken. Dann begann sie hungrig zu werden und beschloß, sich
etwas Brot für sich und ihren Hund zu erbetteln. Sie hätte es auch
kaufen können, aber sie wußte, daß es immer klüger war, kein Geld zu
zeigen; sonst wurde es einem weggenommen. Langsam schlenderte sie
durchs Dorf. Mittlerweile war die Nacht gekommen; aber es war lau, und
die Sterne flimmerten freundlich und milde. In der Dorfstraße war
kein Mensch mehr zu sehen. Nur einige kleine Hunde kläfften, aber sie
rührten sich nicht aus dem Haus, in dem sie ein Loch in der Mauer zum
Ein- und Auslaufen hatten; wahrscheinlich ahnten sie, daß Wolf hinter
dem Mädchen herging, mit glühenden Augen, und gefletschten Zähnen.

Burga erhielt nichts zu essen, und nur in einem Hause war noch Licht.
Das war das Wirtshaus zum Seeteufel, wo die Fenster offen standen und
man ins Gastzimmer sehen konnte. Drei dänische Offiziere saßen hier
hinter großen Zinnkrügen, würfelten und sangen. Burga betrachtete sie
aufmerksam. Der eine von ihnen war jung, die andern zwei hatten graue
Schnauzbärte und verwitterte Gesichter. Auf der Fensterbank lag ein
großes, mit Butter bestrichnes Brot, und daneben stand ein Becher mit
Wein. Burga trank eilig den Wein aus und nahm das Brot mit sich. Der
Wein floß heiß durch ihre Glieder, da vergaß sie den Hunger und gab
Wolf das größte Stück vom Butterbrote. Müde wurde sie auch, und ihr
fiel das Boot mit den roten Decken und dem warmen Fell ein. Es mußte
sich gut darin ruhen lassen; sie wollte es versuchen. Es lag auch noch
an derselben Stelle; sie ging hinein, legte sich auf die eine Bank,
deckte sich zu und forderte Wolf auf, unter die Bank zu kriechen. Er
tats natürlich; wenn er bei seiner Herrin war, konnte er stundenlang
still liegen und sich nicht vom Fleck rühren.

Es war behaglich auf dem leise schaukelnden Boot. Die Elbe gluckste
leise, ein Nachtvogel strich unhörbar über sie dahin, und aus dem
Wasser schnellte ein Fisch, um wieder zurück zu fallen. Burga dachte
an den Hanekamphof, an Frau Jutta, an die Jungen. Was sie wohl sagen
würden, wenn sie nicht wiederkäme! Aber der Oheim war wirklich zu
häßlich gewesen. Mochten sie sehen, ohne sie fertig zu werden! Es war
dort sicher nicht übel gewesen, aber man konnte nicht immer an einem
Platz bleiben. Wozu war man denn ein Lagerkind und wanderte von Ort zu
Ort? Ein Lagerkind. Halb im Traum wiederholte Burga das Wort. Immer
war sies wohl nicht gewesen. Einmal hatte eine Mutter ihr die Hände
gefaltet und sie beten lassen:

  »Von Erd bin ich genommen,
  zur Erde werd ich kommen!
  Herr Christe tu mir weisen
  den Weg zum Paradeisen!«

Halblaut sprach Burga die Worte vor sich hin. Wie kam es, daß sie sich
ihr plötzlich auf die Lippen drängten? So lange, lange hatte sie sie
vergessen, nun kehrten sie zurück aus der Ferne. Ja, eine Mutter saß
einst an ihrem Bettchen und flüsterte ihr sanfte Worte zu; dann aber
kam Brand und Mord, Geschrei und Blut -- wo war die Mutter geblieben,
wo das Bettchen mit den dunklen Vorhängen, der rote Michel, der sie
herausriß und vor sich aufs Pferd nahm? Blutigrot flammte es hinter
ihr auf, und dann kam das Vergessen, das Umherwandern. Ein Prädikant
ritzte ihr den Namen in den Arm, und der rote Michel rieb die kleinen
Stiche mit Pulver ein, daher waren sie durch kein Wasser wegzubringen.
Aber der Prädikant war lange tot und Michel ein Räuber geworden.

Der Wein war heiß gewesen, und Burgas Augen schlossen sich fest. Das
Wasser gluckste stärker, und Wolf begann zu knurren, aber seine Herrin
rief ihm schlaftrunken zu, ruhig zu sein; da legte er sich wieder hin.

Dann kam ein kalter Wind, die Sonne schien dem Mädchen ins Gesicht,
sie fuhr auf und rieb sich die Augen. Auf dem Wasser lagen dichte
Nebelschleier, aber das Boot trieb langsam stromabwärts. Vorn im
Fahrzeug lag ein Offizier mit dem Kopf auf der Ruderbank. Er trug
keinen Hut, sein Gesicht war blutig und geschwollen, und dabei schien
er fest zu schlafen. Aber, wie Burga ihn verwundert betrachtete, fuhr
er in die Höhe, steckte die Hände ins Wasser und rieb sich damit das
Gesicht. Dies wiederholte er mehrmals und starrte endlich Burga aus
großen blauen Augen an.

»Ich möchte wohl wissen, wo ich bin!« sagte er langsam.

»Das möchte ich auch!« erwiderte Burga, und er nahm wieder ein paar
Hände voll Wasser und begoß seinen Kopf.

»Der Wein war stark!« murmelte er vor sich hin, dann griff er nach
seiner Stirn.

»Da hat mich jemand gehauen!«

»Aber ordentlich!« versicherte Burga. »Ihr werdet Streit beim Trinken
bekommen haben!«

»Meinst du?« Er dachte nach. »Ja, ich glaube, daß der Wirt kam und noch
ein paar Fischer. Die Kameraden wollten keine Zeche bezahlen, und die
Leute wurden böse.« Wieder wusch er sein Gesicht. Dann sah er sich um.
»Wo sind die zwei andern Herren?«

Burga wußte es nicht. Der Nebel hob sich, und sie sah, daß das Fahrzeug
den Strom hinunter trieb. Dorthin, wo viele Häuser standen und einige
Schiffe lagen. Es war noch früh am Tage, und auf dem Wasser war nicht
viel Leben. Nur ein Boot mit Soldaten kam ihnen entgegen, und aus ihm
wurde Burgas Gefährte angerufen.

»Junker Rantzau, seid Ihrs? Und wo sind die andern Herren?«

Ein großer Offizier bog sich aus dem Boot, griff nach dem treibenden
und schwang sich hinüber. Dann stieß er einen Schrei aus, denn Wolf war
unter der Bank hervorgeschossen und packte ihn am Bein.

»Zurück Wolf« rief Burga, und der Hund ließ den Mann los, stand aber
knurrend, mit geöffnetem Maul.

Der Offizier sah Burga zornig an.

»Was ist dies? Was willst du hier, im Boot, das Seiner Majestät dem
König gehört? Und Ihr Junker, wie seht Ihr aus? Habt Ihr Euch mit
Feinden geprügelt?«

Der Junker zuckte die Achseln.

»Ich kann mich nicht mehr auf die Geschichte besinnen, Herr
Rittmeister! Es wird schon Krawall gegeben haben, wenigstens sagt mir
dies mein Schädel!«

Der Rittmeister machte ein finsteres Gesicht.

»Es ist verboten, nach den Elbinseln zu fahren und dort Wein zu
trinken! Die Schweden sind nicht weit, und die Kaiserlichen treiben
sich gleichfalls umher, wo man sie nicht erwartet. Also habt Ihr Euch
in unnötige Gefahr begeben, und der Obrist wird Euch in Arrest stecken!
Besonders wenn Ihr nicht sagen könnt, wo die zwei andern Herren sind!«

Wieder rieb der Junker seinen Kopf.

»Es ist mir, als hätte ich sie auf der Erde liegen sehen. Und weil
die Fischer in der Übermacht waren, bin ich wohl eilig in unser Boot
gelaufen. Ganz genau kann ich's aber nicht sagen, Herr Rittmeister.
Im Seeteufel gab's einen guten hispanischen Wein, und wenn's an mir
gelegen hätte, würde ich ihn auch bezahlt haben.«

Der andre Offizier sagte nicht viel mehr. Er hatte das große Boot an
das seine befestigen lassen, und die Soldaten ruderten es von ihrem
Fahrzeug aus vorsichtig ans Land.

Neugierig sah Burga um sich. Dies war natürlich das Dorf Altona,
von dem sie schon gehört hatte. Steil und aufrecht standen mehrere
Speicher, dicht daneben lag ein großes, düsteres Haus, und in der Ferne
erhob sich der Galgen, ohne den es nun einmal keinen anständigen
Ort gab. Burga freute sich, wieder an Land gehen und bald nach dem
Hanekamphof zurückkehren zu können. Es tat ihr doch leid, daß sie so
davon gelaufen war. Frau Jutta und die Jungen hatten ihr nichts getan,
und der alte unangenehme Ohm würde sicher heute wieder abreisen.

Sie stand schon auf der Brücke und sah sich nach Wolf um, der mit
gesträubtem Haar vor einer Katze stand, als sich ihr eine schwere Hand
auf die Schulter legte.

»Komm mit, Dirn! Ich will dir dein Gefängnis anweisen!«

Erstaunt sah Burga in ein verwittertes Soldatengesicht, in dem ein
langer grauer Schnurrbart fast auf die Brust hing.

»Was soll ich im Gefängnis?« fragte sie, und der Wachtmeister lachte
dröhnend.

»Eine lustige Frage! Was tut man im Gefängnis? Da wartet man fein
säuberlich auf das Gericht und auf den Galgen!«

»Ich brauche beides nicht!«

»Du brauchst es nicht, Dirn? Wir aber brauchen dich! Zwei von unsern
Rittmeistern sind in dieser Nacht elend umgekommen. In diesem Boot
sind sie fröhlich ausgefahren, und nun sitzest du darin, mit einem
Höllenhund, der einen andern hohen Offizier gleich ins Bein beißt!«

»Er hat nicht fest zugefaßt, er wollte mich bewachen!«

»So sagst du natürlich; ich aber glaube, daß du eine Hexe bist und daß
dieser Hund der leibhaftige Teufel ist! Marsch!«

Noch einmal packte der Wachtmeister das Mädchen, um dann gleich einen
wilden Fluch auszustoßen. Denn der Höllenhund ließ die Katze laufen
und legte seine mächtigen Pranken dem Dragoner auf die Schultern, daß
dieser fast zusammenknickte. Aber er verlor nicht die Besinnung.

»Nimm das Tier weg!« sagte er halblaut. »Sonst renne ich ihm mein
Messer in den Leib!«

»Versucht es!«

Burga rief es trotzig, und wie der Wachtmeister eine Bewegung nach
seinem Gürtel machte, da hätten die spitzen Zähne des Hundes beinahe
zugebissen. Burga hinderte das Tier daran. Sie hielt ihm das Maul
zu und flüsterte einige beruhigende Worte. Da ließ Wolf von dem
Wachtmeister und stand zähnefletschend neben seiner Herrin. Der
Wachtmeister aber fluchte, daß alle Soldaten zusammenliefen: »Jungen,
nehmt eure Karabiner und schießt das Biest tot! Und wenn die Dirn eine
Kugel trifft, wirds auch nicht schaden!«

»Oho! Bist du der Herr über Leben und Tod?«

Ein großer Offizier mit stolzem Gesicht stand plötzlich neben dem
Wachtmeister, der die Hacken zusammenschlug und den Hut vom Kopf riß.

»Herr Obrist, diese Hexe hier und dieser Hund --«

»Schon gut, Balthasar!« Der Obrist machte eine lässige Handbewegung.
»Ein alter Grimmbart, wie du, sollte sich nicht vom Zorn meistern
lassen! Es wäre schade um den Hund, wenn er erschossen würde. Es
scheint ein gutes Tier zu sein! Ich will ihn in meinen Stall nehmen.
Die Dirn mag derweil ins Gefängnis gebracht werden. Ich werde
untersuchen, ob sie des Galgens schuldig ist!«

Er winkte einigen Soldaten, daß sie den Hund anfassen und ihn mitnehmen
sollten, aber sie standen und rührten sich nicht. Wolf sträubte seine
Haare und zeigte sein mächtiges Gebiß.

»Wird's bald?«

Der Obrist sah sich um.

Da faßte Burga das Tier am Halsband und brachte ihn dem Herrn.

»Behaltet ihn, Herr, wenn Ihr mir versprecht, ihn gut zu behandeln. Ich
will ihm sagen, daß er Euch gehorchen soll!«

Sie nahm die Hand des Obristen, streichelte sie und flüsterte ihrem
Hunde etwas ins Ohr. Da verlor sich seine wilde Miene, er wedelte ein
wenig und schloß das Maul mit den großen Zähnen.

»Seid gut zu ihm, Herr, dann werdet Ihr Freude an ihm haben!«

Der Obrist stand unschlüssig.

»Du schenkst mir den Hund, und ich schicke dich ins Gefängnis! Warum
aber hast du meine Offiziere verschwinden lassen?«

Burga sah ihn ehrlich an.

»Ich tat's wirklich nicht, Herr! Wenn der Junker, mit dem ich fuhr,
seinen Rausch verwunden hat, wird ihm vielleicht allerlei einfallen.
Aber wenn ich gehängt werden soll, dann macht es nur schnell. Einmal
kann man nur sterben; aber es ist langweilig, auf den Tod zu warten!«

»Herr Obrist, sie ist eine Hexe!« rief Balthasar. »Glaubt nicht ihrer
unschuldigen Miene!«

Aber da drängte sich der Junker Rantzau an den Obristen. Er trug jetzt
ein nasses Tuch um den Kopf, und sein Gang war straffer geworden.

»Herr Obrist, mit Verlaub zu melden, ich glaube nicht, daß die Dirn was
Böses tat. Ich hab wohl zu viel Wein getrunken, und daher kann ich mich
immer noch nicht ordentlich besinnen. Jemand hat mich auch mit einem
Ruder auf den Schädel geschlagen, und er brummt sehr stark. Aber ich
weiß jetzt, daß die Rittmeister den Wein nicht bezahlen wollten und daß
der Wirt böse wurde. Wer mich ins Boot getragen hat, weiß ich nicht,
und wie die Dirne hineingekommen ist, kann ich auch nicht sagen! Aber
morgen werde ich mich auf alles besinnen können!«

»Also werden wir einige Mann nach Finkenwärder schicken und uns nach
unsern Herren erkundigen!« sagte der Obrist nach einigem Nachdenken.
Dann hob er die Hand. »Ihr, Junker Rantzau, begebt Euch in Arrest,
denn es ist verboten, auf die Elbinseln zu gehen, und du, Dirn, magst
vorläufig ins Gefängnis wandern. Wenn du nichts Böses tatest, wirst du
schon wieder freigelassen werden!«

»Und weshalb soll sie ins Gefängnis!«

Eine heisere Stimme rief es, und der Magister Timotheus Lange drängte
sich durch die Soldaten.

»Ich kenne dies Kind!« fuhr er fort. »Sie ist eine gute Dirne und
arbeitet treu auf dem Hanekamphof! Weshalb sie nach Finkenwärder
gefahren ist, kann ich nicht sagen! Aber Böses wird sie dort nicht
getan haben!«

Der Obrist machte ein ärgerliches Gesicht. »Laßt das Reden, Magister!
Wir sind hier nicht in der Kirche, und Ihr habt hier nichts zu sagen!«

»Oho!« Der Magister hob den Arm, an dem keine Hand mehr war. »Ich rede,
wann ich will! Wer ein rechter Diener Gottes ist, der muß nicht allein
in der Kirche reden, sondern auch auf der Straße. Und er muß helfen, wo
Hilfe nötig ist! Fragt nur den Wachtmeister Balthasar, ob ich ihm nicht
half!«

Doch wie sich Timotheus nach diesem umsah, da war er nirgends zu
finden, sondern hatte sich eilig in ein Seitengäßchen begeben. Der
Rittmeister aber, der das Boot eingefangen hatte und der ärgerlich
neben dem Obristen stand, zog seinen Pallasch.

»Magister, haltet den Mund, Ihr seid unehrerbietig gegen des Königs
Soldaten!«

Doch der Obrist legte den Arm in den seinen und ging mit ihm davon.

»Kommt, Herr von Brockdorf! Wir wollen in unser Quartier gehen und uns
nicht weiter um die Sache bekümmern! Laßt die sonderbaren Leute laufen!
Mir hat's gleich nicht gefallen, daß ich ein Mädchen hängen lassen
sollte. Und wenn der Magister forsch redet, so habe ich daran auch
nichts auszusetzen. Zu Haus hatten wir auch so einen Prädikanten, der
das Reden verstand. Den haben die Kaiserlichen totgeschossen, als sie
mein Elternhaus anzündeten! Darüber betrübe ich mich noch immer, und
wir wollen diesen Mann in Frieden lassen.«

»Und der Hund?« Der Rittmeister fragte es, und der Obrist sah sich um.
Langsam folgte ihm Wolf. Er trug den Kopf gesenkt und machte einen sehr
traurigen Eindruck. Aber er ging hinter dem neuen Herrn her.

Der Rittmeister faßte nach einem Amulett, das er auf der Brust trug.
»Das Mädchen ist doch eine Hexe! Sie treibt Zauberei mit Tieren! Die
würde ich nicht frei laufen lassen!«

Der Obrist besann sich einen Augenblick.

»So geht zurück und befehlt, daß die Dirn das Dorf nicht verlasse, und
auch der Magister soll bleiben!«

So also geschah es, daß gerade, als der Magister mit Burga Altona
verlassen wollte, der Rittmeister erschien und sie beide mit Hilfe
einiger Soldaten in das neue Gefängnis brachte.

»Morgen werdet Ihr gerichtet werden!« versprach er zugleich, aber der
Magister zuckte die Achseln.

»Ihr seid ein ungerechter Mann, Herr Rittmeister! Ich habe Euch gar
nichts getan, und das Mädchen ist ein unschuldig Kind! Möget Ihr Eure
Ungerechtigkeit niemals bereuen!«

Aber Herr von Brockdorf faßte wieder nach seinem Amulett und ermahnte
den Beschließer, die zwei gefährlichen Menschen treu zu bewachen. Denn
dazumal glaubte man noch an Hexen und an Zauberer, und daher war dem
armen Rittmeister kaum zu verdenken, daß er sich wunderte, wie Burgas
Hund ihr gehorsam war. Aber der Magister war doch sehr ungehalten, als
ihn der Kerkermeister in ein kleines Loch im Keller des neuen Hauses
führte, und es war gut, daß Burga die Zelle neben der seinen hatte.
Denn die Wände waren nur von Brettern, und die zwei Gefangenen konnten
sich gut miteinander unterhalten. Burga berichtete nun von dem Ohm
Hanekamp und von dem Finkenwärder Fischer, und der Magister hörte ihr
nachdenklich zu.

»Du scheinst mir nichts Übles getan zu haben, Kind, und dir wird übel
gelohnt. Aber so ist es in der Welt; wer da meint, daß die Menschen
gut und dankbar sind, der irrt sich. Dem Balthasar habe ich das Leben
gerettet, aber er will mich nicht kennen. Dabei bin ich nur nach
Altona gekommen, weil mich der Pastor Rist mit einem Auftrag an den
Prädikanten in Ottensen schickte. Er aber sollte hier zu finden sein.
Nun sitze ich im Gefängnis und muß vielleicht Monate schmachten.«

»Es wird schon noch gut werden!« tröstete Burga von der andern Seite
der Bretterwand. »Mir schien der Obrist ein gutes Gesicht zu haben, und
der eine Junker war auch nicht übel. Man muß Geduld haben!«

Da setzte sich Magister Timotheus auf seinen Strohsack, faltete die
Hände und schalt sich selbst aus, weil er mißmutig war. Und dann sagte
er sich einige Sprüchlein und Bibelverse her, und Burga hörte ihm
andächtig zu. Bis sie fest einschlief und auch nicht aufwachte, als
der Kerkermeister eintrat und ihr einen Teller Wassersuppe und ein
Stück Brot hinstellte. Denn der vorige Tag hatte sie müde gemacht,
und der Schlaf auf dem Boote war nur kurz gewesen. Wie der Magister
ihre Atemzüge hörte, legte auch er sich zum Schlafen und vergaß die
dänischen Reiter und alles, was ihn ärgerte.

[Illustration]




[Illustration: Sechstes Kapitel]


Herr Jobst Hanekamp fand das Landleben auf dem Hof seiner Verwandten
nicht so angenehm, wie er es sich vorgestellt hatte. Denn so freundlich
Frau Jutta ihn auch aufnahm, als sie merkte, daß Burga verschwunden
war und nicht wiederkehrte, da wurde sie zerstreut und suchte sie in
allen Winkeln des Hauses. Aber sie war nirgends zu finden. Gottfried
und Konrad begannen den Wald zu durchstreifen und riefen nach dem
Mädchen. Sie hatte ihren Hund mitgenommen, das war auch ein Kummer;
denn niemals war der Hof so gut bewacht worden, wie seitdem Wolf ihn
des Nachts langsam umkreiste. Als es nun klar wurde, daß alles Suchen
vergeblich war, da saß Konrad in einer Ecke der Diele und weinte,
während Gottfried laut über alles schalt, das weiblich war. Solch
dummes Mädchen wie die Burga gab es nicht mehr; wenn sie ein Junge
gewesen wäre, würde sie sich anders benommen haben! Wenn sie wieder
käme, würde er sie vom Hof jagen! Darüber schalt Konrad, weil er sich
nur freuen würde, wenn Burga wieder erschiene, und bald wären die
Brüder tüchtig aneinander geraten. Frau Jutta ermahnte sie zum Frieden;
aber sie verhehlte nicht ihre Trauer, und Herr Jobst bemerkte, daß man
sich aus ihm, dem reichen Verwandten, nicht so viel machte, wie er es
erwartet hatte. Es schlug ihm auch das Gewissen, weil er Burgas Hülfe
nicht grade gut vergolten hatte, jedenfalls schlief er in dieser Nacht
sehr schlecht und wollte gleich am nächsten Morgen nach Hamburg zurück.
Das aber ging nicht so schnell. Erstens wollte Herr Jobst natürlich
eine gute Begleitung haben, damit kein Räuber ihn anfallen konnte, und
dann auch dachte er jetzt erst an den Fischer, den er sich zur Herreise
nahm und den er sofort, als er in Gefahr kam, vergessen hatte. Wo war
der Mann, und konnte man ihn am Elbstrand erreichen?

Herr Hanekamp ging natürlich nicht an die Elbe, aber er schickte seine
Großneffen, die bald unverrichteter Sache zurückkehrten. Es lag kein
Boot am Ufer, und von einem Finkenwärder Fischer war nichts zu sehen.
Der war natürlich wieder in sein Dorf gefahren. Herr Hanekamp schalt.
Auf niemand konnte man sich mehr verlassen, und nun wünschte er, daß
die Knaben nach Altona gingen, um ihm einige Soldaten zu holen, die ihn
wieder an die Hamburger Grenze, über den Pepermolenbeck geleiteten.
Er würde auch eine gute Belohnung dafür geben. Jetzt erhob Frau Jutta
Einspruch. Sie hatte ihre Söhne in der Wirtschaft nötig, und da Burga
nicht da war, konnte sie sie noch weniger entbehren. Vielleicht konnte
man eine Botschaft nach Ottensen oder an die Elbe schicken, wo die
Fischer sich übers Wasser allerhand Zeichen gaben und dadurch ein Boot
von der andern Seite herbeiwinkten. Aber Herr Hanekamp wollte nicht
aufs Wasser. Dort konnte es auch böse Menschen geben; er war für die
dänischen Dragoner, die ihn mit ihren Karabinern und großen Säbeln
schützen sollten.

An diesem Tage ließ sich also nichts machen, aber am andern Morgen, als
Gottfried auf dem Felde arbeitete, gewahrte er einige Reiter, die einen
zerlumpten Menschen zwischen sich führten. Meistens ging der Junge den
Soldaten aus dem Wege, aber heute lief er auf sie zu und fragte, ob sie
einen Hamburger Kaufherrn wieder in seine Stadt geleiten wollten. Die
Dragoner, drei an der Zahl, erklärten sich dazu bereit, wenn sie eine
gute Bezahlung dafür erhielten, und so ritten plötzlich die Dänen auf
den Hanekamphof, und zwischen ihnen hinkte jämmerlich derselbe Räuber,
mit dem Herr Jobst schon einmal Bekanntschaft gemacht hatte.

Der Kaufherr war so froh, wieder heimreisen zu können, daß er gleich
auf eins der Pferde steigen wollte. Aber der älteste von den Reitern,
ein Unteroffizier, rief lachend: »Gemach, werter Herr! Laßt uns erst
einmal diesen Hof betrachten! Wir haben ihn noch nicht gesehen, und
man könnte uns hier wohl eine gute Mahlzeit bereiten! Außerdem --« er
klopfte Gottfried, der breitbeinig neben ihm stand, auf den Rücken.
»Mir kommt vor, als könnte dieser Junge einen guten Dragoner abgeben!
Der König braucht Soldaten, es ist eine Ehre, seinen Rock zu tragen!
Und was ist dort?« Er zeigte auf das Schwedenpferd, das grade an
der Tränke stand. »Wißt Ihr nicht, daß laut königlichem Befehl alle
Pferde abzuliefern sind, damit der Feind sich ihrer nicht bemächtigt?
Ihr verdientet Strafe für Eure Unterlassung, aber ich will ein Auge
zudrücken und den Schimmel stillschweigend mitnehmen. Der alte
Hamburger darf sich darauf setzen, und der Junge kann nebenher laufen.«

Frau Jutta war schneeweiß geworden. »Nehmt das Pferd,« bat sie mit
gefalteten Händen, »aber laßt mir meinen Jungen! Er ist erst vierzehn
Jahre alt, viel zu jung fürs Kriegshandwerk!«

»Zu jung? Grade das rechte Alter! Wenn er sich Mühe gibt, kann er in
etlichen Jahren Offizier sein!«

Frau Jutta wollte antworten, aber der Unteroffizier fiel ihr ins Wort.

»Keine Widerrede, Frau! Wenn du dich weigerst, deinen Sohn herzugeben,
plündern wir den Hof aus!«

Er machte ein so finsteres Gesicht, daß man merkte, wie es ihm Ernst
war. Und nun mußte Frau Jutta das Beste kochen, was sie auf dem Hof
hatte. Fast alle ihre Hühner wurden geschlachtet, das Kälbchen wurde
getötet und zerlegt, und was an Eiern und anderen Vorräten auf dem Hof
war, wurde in Beutel gestopft und den Pferden auf den Sattel gelegt.

Es war ein trauriger Tag für den Hanekamphof; die Reiter zogen
gesättigt davon, während der rote Räuber und der junge Rekrut
neben ihnen her liefen. Herr Hanekamp saß auf dem breiten Rücken
des Schwedenpferdes und in dem bequemsten Sattel; aber es war ihm
nicht sehr gut zu Mute. Er sah ein, daß sein Besuch auf dem Hof der
Verwandten nur Unglück gebracht hatte. Es war auch kein Trost für ihn,
daß der rote Michel gefesselt neben seinem Pferde herlief; er dachte
an das blasse Gesicht Frau Juttas, wie sie von ihrem ältesten Sohn
Abschied nehmen mußte, und er hatte die Ahnung, daß die guten Tage des
Hanekamphofes gezählt waren. Bis dahin war er verborgen geblieben;
jetzt würden die dänischen Dragoner ihn allmählich ausplündern, und
Frau Jutta konnte ihn, allein mit einem Sohn, wohl auch kaum halten.

Der Unteroffizier ritt lustig durch den Sonnenschein und ließ seine
Reiter ein Lied nach dem andern singen. Wenn sie heiser waren, erzählte
er Gottfried von seinen Kriegsabenteuern. Er war viel im Lande umher
gewesen und hatte manche Schlacht mitgemacht. Gottfried sollte jetzt
gleich nach Kopenhagen geschickt werden; wenn er Glück hatte, konnte er
schon bald an die Schweden kommen.

Gottfried sagte nicht allzuviel; er hatte wohl Lust, ein Dragoner zu
werden, aber er mußte an seine Mutter, seinen Bruder denken. Er kniff
die Augen zusammen und ging trotzig weiter, während der rote Michel von
den Soldaten gehänselt wurde.

»Jetzt wirst du ganz gewiß gehängt, Roter!« neckten sie ihn. »Unser
Obrist kann keine Räuber leiden, und so einen Rotkopf wie dich, nun
ganz gewiß nicht! In Altona steht ein feiner Galgen, und an ihm ist
grade genügend Platz!«

Der Rote warf den Kopf in den Nacken und gab eine freche Antwort, und
Herr Hanekamp wunderte sich, daß ein dem Galgen Bestimmter noch so
antworten konnte. Plötzlich pfiff es gellend. Herrn Hanekamps Pferd
stieg steil in die Höhe und raste mit ihm davon. Einige Kugeln sausten
hinter ihm her, und der schwedische Schimmel schlug so aus, daß sein
Reiter mit einem gewaltigen Schwung auf der Erde landete. Im Graben
der Landstraße lag der arme Hanekamp und glaubte seine letzte Stunde
gekommen, aber nach einer Weile bückte sich Gottfried über ihn und zog
ihn aus dem morastigen Wasser.

»Herr Ohm, wir haben Glück gehabt! Die Dänen sind totgeschossen, und
die Helfershelfer des roten Räubers sind mit den Pferden und allen
Lebensmitteln weggeritten. Euer Pferd haben sie nicht gekriegt, und
sie sind auch nicht dahinter her gewesen; sie haben die andern Gäule
genommen und sind mit ihnen an die Elbe geritten. Ich glaube, sie
wollten ins Lüneburgische!«

[Illustration]

Herr Hanekamp stand naß und schmutzig da und rieb sich die schmerzenden
Gliedmaßen.

»Wenn ich noch einmal mein Hamburg verlasse, soll man mich gleich
hängen!« brummte er, während Gottfried sich scharf umsah.

»Wir sind wohl schon beim Dorf Ottensen, und weiter hinten liegt
Altona. Wenn Ihrs erlaubt, will ich Euch hinbringen. Vielleicht krieg
ich unser Pferd wieder; vorhin hab ich's noch laufen sehen!«

So also konnte Herr Hanekamp nach einer Weile einen nicht grade
großartigen Einzug ins Dorf Altona machen: Er war mit Schlamm bedeckt,
seine Perücke war im Graben liegen geblieben, und er hinkte stark.
Aber er hütete sich, zu schelten. Freute er sich doch, daß Gottfried
bei ihm war und ihn beschützte. Dabei berichtete der Junge von dem
Überfall, der so schnell kam, daß niemand genau sagen konnte, wie alles
eigentlich zugegangen war. Die Räuber waren mit einem Male dagewesen,
und ihre Schüsse trafen nur zu gut. Alle drei Dragoner waren vom Pferd
gefallen, und wer nicht tot war, dem wurde vom Roten noch mit einem
Messer der Garaus gemacht. Gottfried schauderte beim Erzählen, er
deutete auf das Elbufer weiter unten. Dorthin hatten die Räuber die
Pferde getrieben und die Toten geschleppt. Wahrscheinlich wollten sie
sie noch der Uniformen berauben.

Herr Hanekamp hörte schon gar nicht mehr zu, er wollte gleich an den
Pepermolenbeck, um auf Hamburger Gebiet zu kommen, aber eben vor Altona
trafen die zwei Wanderer auf eine dänische Schildwache, die sie anhielt
und sie auf den Markt führte. Hier stand der Obrist von Pechlin im
Kreise seiner Offiziere und hörte den Bericht von zwei Herren, die
verprügelt und verwundet zu sein schienen. Beide hatten verbundene
Köpfe und während dem einen die Uniform zerrissen war, lief der andere
auf bloßen Füßen.

Der Obrist machte ein böses Gesicht und seine Stimme schallte weit über
die Straße. Eben hatte er einen kurzen Befehl gerufen, worauf sich ein
Soldat in ein düsteres auf dem Markt stehendes Gebäude begab, als seine
Augen auf Herrn Hanekamp und auf Gottfried fielen, die die Schildwache
dicht an den Kreis brachte.

»Was sind dies nun wieder für Vögel?« erkundigte er sich, und Herr
Jobst richtete sich würdevoll auf, so weit ihm dies möglich war.

»Herr Obrist, ich bin der Hamburger Kaufmann Jobst Hanekamp, und dicht
vor Altona haben mir die Räuber übel mitgespielt.«

Er berichtete, wie alles gewesen war, und Gottfried stand daneben, und
wenn Jobst nicht weiter wußte, half er aus.

Der Obrist ließ die zerzausten Herren Offiziere stehen und hörte
aufmerksam zu, fragte hin und her und riß an seinem Schnurrbart. Herr
Hanekamp war immer ruhiger geworden und erzählte ohne Umschweife, wie
die dänischen Reiter auf dem Hofe gehaust hätten, wie sie nicht allein
fast alles Eßbare nahmen, sondern auch den ältesten Sohn. Und dabei
waren es die Soldaten, die das Land verteidigen sollten gegen die
Feinde.

Als er soweit gekommen war, zuckte der Obrist mißmutig die Achseln.

»Herr Hanekamp, Ihr müßt bedenken, daß wir im Kriege leben; da geht
mancherlei drunter und drüber!«

»Man sollte diese Ungerechtigkeit nicht dulden!« erwiderte der Kaufherr
ernsthaft. »Was soll aus dem Holstenlande werden, wenn die eignen
Soldaten es ausplündern? Ich muß gestehen, daß ich mich recht freute,
wie diese Dragoner das Leben lassen mußten, obgleich ich ein ehrlicher
Mann und nicht für Räuber bin.« Er wollte noch etwas hinzusetzen, als
sein Auge auf den Hund fiel, der neben dem Obristen stand. Er hielt mit
Sprechen inne, und seine Augen wurden groß vor Staunen.

»Was habt Ihr?« fragte der Obrist, und der Hamburger deutete auf den
Hund.

»Vor wenigen Tagen habe ich einen ähnlichen Hund mit einem Mädchen
gesehen. Beide retteten mir damals wenn nicht das Leben, so doch meine
ganze Habe, und ich möchte wohl wissen, ob besagtes Mädchen auch hier
ist. Denn ich möchte ihr eine Schuld abbitten!«

Herr von Pechlin zeigte auf Burga, die gerade von einem Soldaten
hergeführt wurde. »Hier ist das Mädchen! Was wollt Ihr von ihr?«

»Vielleicht darf sie mich nach Hamburg begleiten!« sagte Herr Hanekamp
feierlich. »Zum ersten wird es für sie gut sein, da sie doch ein
Lagerkind ist und nicht weiß, wie man sich in der Welt zu benehmen hat,
und zum zweiten, weil ich gegen sie nicht so dankbar gewesen bin, wie
sie wohl verlangen konnte. Aber ich bin ein langsamer Mann und muß mir
alles erst überlegen. Ich glaube ja auch, daß sie nicht die Wahrheit
spricht, wenn sie sich eine Rantzau nennt, aber ein junges Blut hat
leicht die Zunge vorweg, und man muß ihr die Worte nicht zu hoch
anrechnen. Ich werde ihr eine gute Erziehung geben lassen und dafür
sorgen, daß sie einen ehrsamen Mann erhalte!«

Er sprach ernsthaft, und der Obrist hörte höflich zu. Denn er wußte,
daß sein König große Stücke auf die Hamburger hielt, die ihm schon
manchen Dukaten fürs Kriegführen geliehen hatten. Doch Burga lachte
hell und trotzig auf.

»Vielen Dank, Herr Hanekamp, aber ich gehe nicht mit Euch! Ich bleibe
lieber auf dem Lande und habe meine Freiheit, als daß ich in eine Stadt
gehe, und wenn sie auch Hamburg hieße!«

»Du wirst nicht gefragt!« versetzte Herr Hanekamp.

»Ich will aber gefragt werden!« rief Burga. »Ihr seid kein guter Mann!
Ihr habt schlecht von mir gesprochen bei Frau Jutta, obgleich ich
Euch nur Gutes erwies, und Ihr habt Euch garnicht um den armen Fischer
gekümmert, der Euch nach draußen brachte und den ein Räuber beinahe tot
schlug! Ich hab ihn mit dem kleinen Klas nach Finkenwärder gebracht,
und Hans Peter von Neumühlen ist dabei gewesen und hat mir geholfen!«

Sie wollte weiter sprechen, aber der Obrist hob die Hand.

»Du hast ja ein schreckliches Mundwerk, und ich würde mich freuen, wenn
du in Hamburg bei dem ehrenwerten Herrn gute Manier und feines Benehmen
lerntest; aber über alle Dinge habe ich nicht zu sagen, und wenn du
ein Lagerkind bleiben willst, so will ich dich nicht daran hindern! Du
magst gehen, wohin es dir gefällt!« --

Burga wollte davonlaufen, da aber hielt Timotheus Lange sie zurück. Er
war gleichfalls aus dem Gefängnis geführt worden.

»Werter Herr Obrist!« sagte er. »Sind wir bei den Heiden oder bei den
Christen? Vorgestern habt Ihr Walburga einstecken lassen, weil Ihr sie
für eine Hexe und vielleicht für eine Mörderin hieltet. Die Herren
Offiziere sind aber heute wieder zurückgekehrt, und wenn sie Prügel von
den Fischern bekommen haben, so wird das ihre eigene Schuld gewesen
sein.«

»Das Mädchen ist frei!« unterbrach der Obrist den Magister.

»Ganz recht, Ihr gebt sie frei; ihren Hund aber habt Ihr genommen, und
sie selbst erhält keinen Ersatz für die ausgestandene Angst, ebenso,
wie ich ohne Schuld eingesperrt wurde und nun laufen kann, ohne daß man
sich bei mir entschuldigt!«

Timotheus Lange sprach laut, und der Rittmeister Brockdorf, der immer
ein wenig vorwitzig war, griff nach dem Degen. Denn wenn er sich
ärgerte, wollte er immer gleich losschlagen. Aber der Obrist erhob die
Hand.

»Rittmeister, ärgert Euch nicht; ich tu's auch nicht. So ein Prädikant
muß seine Zunge in Übung halten, und ich hab's im Grunde nicht ungern,
wenn ich auch einmal ausgescholten werde. Denn das erinnert einen an
die eigene Kindheit, wo man noch lustig war und keine Sorgen hatte.«

Er wandte sich an den Magister und zog zwei Goldgulden aus der Tasche.
»Nehmt hier ein kleines Schmerzensgeld, Prädikant, und auch den Hund
bekommt das Mädchen wieder. Das Tier ist mir wohl gefolgt, hat aber
doch Heimweh gehabt, und dafür bin ich mir doch zu gut -- meine Leute
und Tiere sollen sich bei mir wohl fühlen!«

»Ist's wahr?«

Burga lief zu Wolf, der halb ängstlich neben dem Obristen stand. Sie
legte ihm die Arme um den Hals, flüsterte mit ihm und führte ihn zu
Herrn von Pechlin.

»Sag ihm Lebwohl!« befahl sie, und der Hund legte eine seiner Tatzen
auf den Arm des Obristen. Dann stieß er ein Freudengeheul aus und
drängte sich an Burga.

»Sie ist doch eine Zauberin!« sagte der Rittmeister Brockdorf, aber der
Magister rief laut: »Wer die Seele der unvernünftigen Kreatur erkannt
hat, ist darum noch kein Zauberer!«

Herr Hanekamp hatte diesem allem schweigend zugesehen. Nun ging er auf
Burga zu.

»Ich würde an deiner Stelle doch mit nach Hamburg kommen. Wahrlich, du
sollst es bei mir nicht schlecht haben, und ich denke, daß ich Frau
Jutta und ihren Konrad auch zu mir nehmen werde. Im Holstenland ist es
wirklich gefährlich, und bei uns in Hamburg ist Friede.«

Er sprach ruhig, und Timotheus Lange redete Burga zu.

»Geh mit dem Herrn, es wird besser für dich sein; du kannst lernen und
eine ansehnliche Jungfrau werden!«

»Ich werde mich nach dem Fischer umsehen lassen!« versprach Herr
Hanekamp, und Burga legte die Hand an Wolfs Halsband. »Den aber muß ich
mit haben! Und du, Gottfried, kommst auch?«

Der Junge schüttelte den Kopf.

»Ich will ein Obrist werden wie dieser hier!« flüsterte er und sah
Herrn von Pechlin so bewundernd an, daß dieser ihn auf die Schulter
schlug. »Natürlich, Junge, du bleibst bei meinen Soldaten! Wirst sehen,
wie schön das Kriegshandwerk ist! Dem kommt nichts gleich!«

»Es ist auch gut, ein Lagerkind zu sein!« sagte Burga halblaut für
sich, denn es tat ihr schon leid, mit Herrn Hanekamp gehen zu sollen.
Aber Timotheus Lange sprach ernsthaft auf sie ein.

»Kind, verwirke nicht dein Glück! Siehst du nicht an mir, wie schlimm
es ist, in die Hände böser Menschen zu fallen, und wer weiß, auch dir
könnte beim Umherziehen Übles begegnen!«

Er wies auf seinen Armstumpf, und seine Stimme klang besonders rauh und
belegt.

Herr Hanekamp hörte ihm nachdenklich zu.

»Ihr scheint mir ein verständiger Mann zu sein, Magister, und man merkt
es, daß Euch arg mitgespielt ist. Ich weiß jetzt, wie es tut, in die
Hände der Bösen zu fallen, und auch Ihr solltet mit mir nach Hamburg
kommen! Wir haben immer Männer nötig, die eine scharfe Predigt halten
können und kein Blatt vor den Mund nehmen. In meinem Hause ist Platz
für Euch, und ich werde Euch schon eine Anstellung besorgen!«

Der Magister zögerte mit der Antwort, und der Kaufherr wandte sich ab.

»Besinnt Euch auf meinen Vorschlag und kommt zu mir, wann Ihr Lust
habt. Jetzt aber möchte ich an den Pepermolenbeck gehen und die
Schildwache anrufen, daß sie die Zugbrücke herunterläßt. Zuerst wird
mich in meiner Vaterstadt niemand kennen, da mich noch niemand in einem
so trübseligen Aufzug wie heute gesehen hat. Aber meine Mitbürger mögen
daraus sehen, wie verkehrt es ist, sich aus den Mauern unsrer guten
Stadt ins offne Land zu wagen!«

Er winkte Burga, die nur unwillig hinter ihm herging. Noch immer besann
sie sich, ob sie dem Kaufherrn folgen sollte, als der Junker Rantzau
sie ansprach.

Er trug noch immer ein Tuch um den Kopf, aber seine Augen blickten
hell, und die Geister des schweren Weines waren von ihm gewichen.

»He Dirne,« rief er mit seiner hellen Stimme. »Ich höre, du willst
eine Rantzau sein? Wie kommst du darauf? Bist du einstmals von einer
brennenden Burg geraubt?«

Aber Burga war übler Laune.

»Was geht's Euch an?« erwiderte sie.

»Was es mich angeht? Nun, unser Geschlecht ist ein altes und vornehmes,
und wer sich so nennt, ohne es zu dürfen, der kann ins Gefängnis
kommen!«

Burga warf den Kopf in den Nacken.

»Hierzulande scheint es mehr Strafen zu geben als andre Dinge!«

Der Junker Rantzau sah sie aufmerksam an.

»Du bist schlecht aufgelegt, und ich kann's dir nicht verdenken. Aber
wenn du dich ein Lagerkind nennst, dann weißt du auch, daß die Zeiten
hart sind und daß niemand mit Sammethandschuhen angefaßt wird. Sag,
weißt du vielleicht noch etwas von der Burg, von der man dich raubte?«

Burga schüttelte den Kopf.

»Was soll ich wissen? Ich bin ein Lagerkind und will nichts andres
sein!«

Der Junker wollte noch weiter fragen, aber Burga lief dem Magister
nach, der Herrn Jobst Hanekamp an den Pepermolenbeck brachte. Hier
standen die Hamburger Söldner und ließen die Zugbrücke nieder. Sie
hatten schon von Herrn Hanekamps Mißgeschick gehört und begrüßten
ihn feierlich. Und über dieselbe Zugbrücke wanderten hinter ihm der
Magister und Burga, die ihren Hund am Halsband gefaßt hielt. Ihr kam
es vor, als ginge sie in ein Gefängnis, und ihr Herz war schwer. Dem
Junker aber, der noch hinter ihr hersah, wollte sie nicht antworten. Er
war so hochmütig und würde ihr nicht glauben, wenn sie sagte, was sie
von ehemals wußte. Und eigentlich war es nur das kleine Verslein:

  »Von Erd bin ich genommen,
  zur Erde bin ich kommen!
  Herr Christe tu mir weisen
  den Weg zum Paradeisen!«

Über so ein Verslein würde der stolze Junker doch nur gelacht haben!
Also ging sie nach Hamburg und sah nicht, wie der Junker Rantzau
nachdenklich hinter ihr herblickte. Er dachte an seine Mutter, die
in der Stadt Schleswig wohnte und oft von ihrem Töchterlein sprach,
das sie bei der Zerstörung ihres Edelhofes verloren hatte. Sie suchte
es noch immer, denn irgend jemand hatte es bei dem Brande mit einem
Knecht davonreiten sehen; aber ihre Spur war lange, lange verloren, und
jedermann in der Familie sagte, es sei tot und begraben.

Der Junker hatte lange nicht an das Schwesterchen gedacht; jetzt war er
in Grübeln versunken. Dann schüttelte er den Kopf und strich sich über
die Stirn, als wollte er einige Gedanken wegwischen. Es war besser, der
Frau Mutter nichts zu sagen, und er selbst wollte auch nicht mehr an
das trotzige Mädchen denken, das ihn mit ganz bekannten Augen ansah.
Denn heutzutage war die Welt voll Lug und Trug; seine kleine Schwester
lebte sicherlich nicht mehr, und diese Dirn war eine dreiste Betrügerin.

Er ging wieder seines Weges und vergaß Burga.

[Illustration]




[Illustration: Siebentes Kapitel]


Nun war wirklich Friede, obgleich viele Leute sich noch nicht an diesen
Gedanken gewöhnen konnten. Denn die meisten von ihnen kannten nur
Plünderung, Mord und Totschlag. Daß man das Feld in Frieden bestellen
konnte, daß wieder Kühe auf der Weide gingen, die ihrem Eigentümer
Milch gaben und nicht jeden Augenblick geraubt werden konnten, war für
viele ein Wunder, an das sie sich erst allmählich gewöhnen konnten. Und
manchen Strauchritter gab es, der die Kriegs- und Mordzeiten lieber
gehabt hatte und sich nun langweilte, weil er das Arbeiten verlernt
hatte und nicht mehr stehlen und plündern durfte. Ihm aber gings jetzt
schlecht, denn die Fürsten der ausgeraubten Länder paßten scharf auf,
daß jedes Verbrechen bestraft wurde, und die Gefängnisse waren voll und
die Galgen selten ohne Gehängte.

In dem Dorf Altona hatte der Dänenkönig noch immer ein Fähnlein
Dragoner stehen, das in der Umgegend auf Ordnung halten mußte. Der alte
Wachtmeister Balthasar war nicht mehr unter ihnen. Er gehörte zu denen,
die das Rauben und Plündern nicht lassen konnten, und er hatte sich
eines Tages versehen, indem er auf Hamburger Gebiet einen Bauernhof
plünderte und einen Knecht, der ihm entgegentrat, erschoß. Dafür wurde
ihm in Hamburg der Prozeß gemacht, und der Magister Timotheus Lange,
der in der Stadt der Prädikant für die Gefangenen geworden war, mußte
seinen alten Bekannten auf den Tod am Galgen vorbereiten. Er tat es
nicht gern, denn er war mehr für die Gnade als für die Strafe; aber die
Hamburger Ratsherren waren nicht so mitleidig wie er, wozu sie auch
allen Grund hatten.

Denn die Obrigkeit ist dazu da, das Recht zu wahren und das Unrecht zu
strafen, und so wanderte eines Tages der Wachtmeister im Armsünderhemd
zum Galgen, und Timotheus Lange ging neben ihm und betete für ihn. Er
stand auch neben ihm, als ihm der Strick um den Hals gelegt wurde, und
sagte nachher zu Frau Jutta, daß das letzte Wort des armen Sünders
ein gutes und christliches gewesen wäre. Wozu Frau Hanekamp zufrieden
nickte. Denn sie hatte nichts mit den dänischen Dragonern im Sinn,
die ihr den Hof ausgeraubt und ihren Gottfried mitgenommen hatten.
Zwar war ihr Sohn wohl aus freien Stücken ein Kriegsmann geworden und
stand jetzt als Fahnenjunker in Kopenhagen; aber wer weiß, wie's
gegangen wäre, wenn damals die Dragoner nicht gekommen wären. Diesen
ersten waren nämlich täglich andre gefolgt, und es war ein Glück, daß
Ohm Hanekamp sein Haus in Hamburg als Zufluchtsstätte anbot. Auf dem
Hofe hätte die Frau mit ihrem zweiten Sohne nicht bleiben können,
ohne selbst in arge Gefahr zu geraten. Denn grade in den letzten
Kriegsjahren steckte das ganze Elbufer voll von räuberischen Soldaten,
die sich nach dem Friedensschluß nur langsam entfernten.

Mit schwerem Herzen war Frau Jutta damals nach Hamburg gezogen und fand
sich mühsam in das Leben einer engen Straße, grade wie ihr Konrad, der
zuerst nur weinte und wieder davonlaufen wollte. Bis er sich allmählich
daran gewöhnte, städtische Kleidung zu tragen; und jetzt war er ein
Kaufmannslehrling, der auf die Bauern draußen im Lande etwas spöttisch
herabsah. Ganz anders wie Burga, die äußerlich eine frische Jungfrau
geworden war, die nähen, spinnen, kochen konnte und beim Magister
Timotheus sogar Latein lernte. Wer sie eifrig im Hause hantieren oder
über die Straße, gefolgt von ihrem großen Hund, gehen sah, der würde
nicht auf den Gedanken gekommen sein, daß sie oft oben auf dem Boden
des hohen spitzen Hauses in der Domstraße stand und gen Westen blickte.
Dorthin, wo das weite Land lag, die Dörfer Altona und Ottensen, wo der
Tannenwald stand und wo einst die Wölfe hausten. Denn sie hatte noch
immer nicht vergessen, daß sie einst ein Lagerkind war, und sehnte
sich nach weiten Feldern und der Freiheit.

Aber dazumal ging man noch immer nicht weit von der sicheren Stadt, und
es war ein großes Ereignis, als der alte Ohm Hanekamp an einem schönen
Sommertage mit dem Leiterwagen des Fuhrmanns Heesch über Altona und
Ottensen nach dem Hanekamphof fuhr. Denn der Hof gehörte noch immer
Frau Jutta, und sie mußte sich einmal um ihn bekümmern.

Es war wunderlich, einmal wieder die Straße zu fahren, die niemand von
ihnen wieder gewandert war, seitdem die Dragoner mit Herrn Hanekamp
und Gottfried nach Altona reiten wollten und dabei ihr Leben lassen
mußten. Nun sah es hier anders aus. Das Dorf Altona, durch das die
Reisenden zuerst fuhren, machte schon einen städtischen Eindruck:
eine Kirche wurde gebaut, und Herr Hanekamp hatte gehört, daß der
dänische König dem Ort die Stadtgerechtigkeit verleihen wollte. Einige
stattliche Häuser waren in den letzten Jahren errichtet worden, und
auf dem Marktplatz stand ein großes Haus mit einer Schildwache davor.
Hier wohnte der Rittmeister von Rantzau, der die Schwadron Dragoner
kommandierte. Fuhrmann Heesch, der aus Altona war, berichtete es,
während er gemächlich durch die Gassen fuhr und vorsichtig allen
Düngerhaufen auswich, die vor den Häusern lagen und auf denen heute
lustig die Hühner scharrten.

Burga betrachtete aufmerksam das Gebäude, aber als Frau Jutta sie
ansah, wandte sie errötend den Kopf. Sie sprach niemals mehr von dem
Namen, der auf ihrem Arm eingeschrieben war. In Hamburg nannte man sie
Walburga Hanekamp, und mit diesem Namen gab sie sich zufrieden.

Fuhrmann Heesch mußte vorm Torhaus in Altona einige Zeit warten, da
er verschiedene Waren hinaus nach Wedel nehmen sollte, das heute sein
Endziel war. Da berichtete er denn noch einmal von dem Rittmeister
Rantzau. Bei ihm wohnte seine Mutter, die gestrenge Frau von Rantzau,
und der Fuhrmann war im vorigen Jahr nach der Stadt Schleswig gefahren,
um ihren Hausrat zu holen. Die Edelfrau hatte nicht viel Hab und Gut:
ihr Schloß war ehemals von den Kaiserlichen niedergebrannt worden, und
alle guten Sachen waren geraubt oder verbrannt. Aber die gestrenge Frau
sollte niemals geklagt, sondern sich in Gottes Ratschlag gefügt haben.
Nur, sie konnte nicht gut kleine Mädchen sehen, ohne zu weinen. Ihr
sollte nämlich ein Töchterlein geraubt sein, und sie wußte heute noch
nicht, ob es lebte oder lange im Grabe ruhte.

So schwatzte der Fuhrmann, dann wurde ihm ein Ballen mit Waren auf
den Wagen gelegt, und er fuhr weiter. Bei seinen Reden war Herr Jobst
eingeschlafen, wie er immer tat, wenn er fuhr, und Konrad flüsterte mit
seiner Mutter, weil er sich ein neues Samtwams wünschte. Nächstens gab
es ein großes Schützenfest, und er wollte einen eben so schönen Rock
haben wie seine Genossen.

So also hatte Burga wohl ganz allein dem Fuhrmann zugehört und saß
nachher lange schweigend, während die andern allmählich die Gegend
erkannten und sich lebhaft unterhielten. Herr Hanekamp, der aufgewacht
war, wollte den Hof am liebsten verkauft sehen, während Frau Jutta sich
nicht dazu entschließen konnte. Wie sie aber nun an einer Wegbiegung
ausstiegen und nach etlichen Schritten vor einigen verbrannten
Grundmauern standen, aus denen bei ihrer Annäherung ein Fuchs lief, da
standen sie schweigend. Der Hanekamphof mochte noch gutes Land haben,
aber seine Gebäude waren verschwunden. Dort, wo die Kuh ihren Stall
hatte, wuchs ein großer Dornbusch, und wo einst die Hühner glucksten
und Eier legten, hatten wilde Kaninchen ihre Gänge gegraben.

Frau Jutta wischte sich die Tränen aus den Augen, und sogar Konrad
vergaß sein neues Wams und seufzte. Dann redete Herr Hanekamp darüber,
wer wohl das Grundstück kaufen möchte, und Burga ging unterdessen durch
eine halbzerstörte Tannenschonung der Elbe zu.

Einen Augenblick blieb sie stehen und sah dem Fuhrmann zu, der hier
seine Pferde ruhen ließ, ehe er weiter nach Wedel fuhr, um dann gegen
Abend die Hamburger wieder abzuholen. Aus einer Quelle in der Nähe
holte er Wasser, das er den Tieren vorsetzte, und brockte grobes Brot
hinein. Behaglich stand er, biß in ein Stück Speck, das er sich
mitgebracht hatte, und setzte sich einen Augenblick auf den weichen
Waldboden um auszuruhen. Er sah Burga nicht, und sie hatte keine
Lust, mit ihm wieder ein Gespräch zu beginnen, als sie die Zweige des
Unterholzes sich biegen sah und ein alter Mann vorsichtig herankroch.
Er hatte wilde graue Haare und war mit schmutzigen Lumpen bedeckt.
Eben richtete er sich auf, um dann zum Wagen zu gehen und einen Ballen
Ware herabzulangen, als Burga eine unwillkürliche Bewegung machte. Der
Strauchdieb mußte gute Ohren haben: er sah sich um, bemerkte das junge
Mädchen und war gleich wieder im Busch verschwunden.

Burga weckte den Fuhrmann, der sich grade zum Schlafen legen wollte und
nun brummend aufstand, seine Waren zählte und einige Flüche ausstieß,
daß ein ordentlicher Mann nicht einmal jetzt, wo doch Friede war, im
Freien schlafen könnte. Er bedankte sich auch nicht und setzte sich auf
den Wagen, um weiter zu fahren.

Langsam rasselte der Wagen davon, und Burga ging weiter an die Elbe.
Es fiel ihr nicht ein, daß sie besser täte, wieder nach dem Hof zu
gehen, wo Frau Jutta den Korb mit den Lebensmitteln auspackte und man
sich zum Essen sammeln sollte: sie stand oben auf einer der Dünen und
blickte auf den großen Fluß, den sie jetzt so gut kannte. Breit und
majestätisch floß der Strom dahin, an dem gegenüberliegenden Ufer
schaukelten einige Fischerewer, und in der Mitte des Stromes ging ein
Hamburger Schiff hinaus. Es hatte glänzend weiße Segel, und einige
Kanonen blitzten in der Sonne. Draußen in der Nordsee gabs noch immer
Seeräuber, und manchmal kamen sie in die Elbe, um die Fischerdörfer
auszuplündern. Da war es gut, daß die Hamburger für Ordnung sorgten.

»Guten Tag, Burga!« sagte eine Stimme hinter ihr, und der Strauchdieb
von vorhin schob sich neben sie.

»Wer bist du?« fragte das junge Mädchen erstaunt, und der Alte schnitt
ein klägliches Gesicht.

»Wie, du kennst den roten Michel nicht mehr? Sind wir denn nicht
zusammen beim Troß gewesen, und hab ich nicht manchmal für dich
gesorgt? Weißt du noch, wie die Dänen mich gefangen nahmen und meine
Freunde kamen und sie tot schossen?«

»Ich war nicht dabei!« entgegnete Burga, die den Roten erkannte,
obgleich er nicht mehr rot, sondern grau war, und obgleich er schlimmer
aussah als jemals.

»Du warst nicht dabei?« Michel besann sich einen Augenblick. »Nun ja,
dann wirst du aber davon gehört haben. Die Dänen sind nachher höllisch
aufgeregt gewesen, und ein paar von meinen Freunden haben auch ins Gras
beißen müssen!«

»Das glaube ich wohl. Ihr seid schreckliche Menschen gewesen!«

»Schreckliche Menschen?«

Michel sah sie vorwurfsvoll an.

»Wir waren oft viel besser als die Soldaten und haben treu zu einander
gehalten, obgleich ich natürlich die andern lieber hängen sah als
mich! Ich merke schon, du bist eine vornehme Krämerstochter geworden,
was sich nicht für dich schickt. Und Haare hast du so lang bekommen,
wie es sich nicht für ein Lagerkind paßt, und eine Haut wie Milch und
Blut. Auch das ist ungesund, Burga, und daß du mich störst, wo ich dem
Fuhrmann ein paar Waren nehmen will, die ihm doch nicht gehören, ist
gradezu unrecht. Seitdem der dumme Friede da ist, hat man wirklich
keine Freude mehr vom Leben. In jeder Stadt stehen Galgen, und die
Soldaten tun, als dürfte man garnichts mehr nehmen. Es ist eine böse
Zeit, Burga, und wenn du noch einmal merkst, daß ich mir ein wenig
nehmen will, dann sieh weg und mache nicht so große Augen wie vorhin!«

»Du solltest ehrlich werden, Michel!« sagte Burga. Ihr Gesicht war
mitleidig geworden, und halbwegs freute sie sich, den alten Genossen
wieder zu sehen.

Michel mußte ihre Gedanken merken, denn er stöhnte tief.

»Ja, Burga, du hast gut reden. Wenn ich ehrlich werden will, dann soll
ich natürlich gleich arbeiten, und daran bin ich wirklich nicht mehr
gewöhnt, und ich kann es auch nicht vertragen. Ich muß meine Freiheit
haben und ein wenig Abwechslung. Hier einmal einbrechen, und dort ein
paar Hühner oder Gänse nehmen, ist viel lustiger, als immer ehrlich
sein!«

»Du siehst aber nicht sehr lustig aus!« meinte Burga, und Michel
betrachtete seine Lumpen, seine nackten, schmutzigen Füße und kratzte
seinen wilden grauen Kopf.

»Ich bin nicht für Feinheit wie die Krämer, und Wasser an den Körper
ist grade so ungesund, als wenn man es sich in den Leib gießt. Im
Augenblick sind die Zeiten grade sehr schlecht, und daher sehe ich
nicht ganz ordentlich aus. Aber wenn du mir sagen kannst, wo ich
vielleicht einen reichen Krämer treffe, dem ich seine Kleider nehmen
kann, dann will ich dir dankbar sein. Damals hast du mir mit deinem
wütenden Hund einen üblen Streich gespielt, und den mußt du nun wieder
gut machen!«

»Burga, Burga!« Konrads Stimme hallte durch den Wald, und der einstmals
rote Michel fuhr zusammen.

»Kann man denn nicht einmal ordentlich mit dir sprechen?« murrte er.
»Ich wollte dir noch etwas erzählen!« Aber als die Rufe näher kamen,
verschwand er im Unterholz, und als Konrad neben Burga trat, stand sie
allein und sah auf die Elbe. Der junge Mann schalt, daß er sie so lange
hätte suchen müssen und daß es hier doch wohl nicht ganz geheuer wäre.
Er dachte jedoch kaum mehr an die Wölfe, die einstmals hier gehaust
hatten; er sah den großen Schiffen nach und erklärte, daß auch er in
die weite Welt reisen wollte. Jetzt aber müßte Burga nach der alten
Hofstelle kommen und ihr Essen einnehmen.

So also saß Burga nachher bei den Hanekamps, versuchte zu essen und
konnte es nicht. Die andern beachteten sie nicht. Herr Hanekamp sprach
wieder davon, daß es wohl besser wäre, die Ländereien zu verkaufen, und
Konrad erklärte, daß ihm alles einerlei wäre, da er doch niemals wieder
hier draußen in der Wildnis wohnen würde. Nach einigen Stunden kam dann
der Fuhrmann wieder, und alle fuhren nach Hamburg. Der Wagen rasselte,
die Pferde schnoben, und jedermann hing seinen eignen Gedanken
nach. Herr Jobst dachte an sein Geschäft, Konrad sah sich schon auf
einem großen Schiffe, Frau Jutta gedachte der Zeit, da sie auf dem
Hanekamphof wohnen und ihre zwei Jungen haben durfte, und Burga hatte
die Augen geschlossen und sah wie im Traume eine brennende Burg, hörte
das Klappern der Hufe und wilde Schreie. Und dann wieder war alles
vorüber: eine weiche Hand strich ihr übers Haar, und eine milde Stimme
sprach: »Von Erd bin ich gekommen, zur Erde werd ich kommen. Herr
Christe tu mir weisen den Weg zum Paradeisen!« Und sie sehnte sich, und
wußte nicht, wonach.

[Illustration]




[Illustration: Achtes Kapitel]


Zum Träumen und Sehnen war dazumal nicht allzuviel Zeit, Burga vergaß
den alten Räuber vom Elbstrande und schaffte im Hausstand oder lernte
Latein beim Magister Lange. Dann wurde Frau Jutta krank und mußte
gepflegt sein, und aus Kopenhagen schrieb Gottfried, daß er Offizier
geworden wäre und vielleicht einmal nach Hamburg auf Urlaub käme. Das
war eine gute Nachricht, und seine Mutter zählte jetzt die Tage, da sie
ihren Sohn wieder sehen sollte. Dann aber kam die Botschaft, daß er
noch keinen Urlaub erhielte, und Frau Jutta wurde wieder kränker. Herr
Hanekamp war unzufrieden, denn er hatte kranke Leute nicht gern, und er
lobte Burga, die nie krank war und immer mehr häusliche Pflichten auf
sich nahm.

»Mit dir ist noch etwas anzufangen!« sagte er. »Du bist zwar nur ein
Lagerkind, aber du bist stark und kräftig. Ich werde nichts dagegen
haben, daß einer der Hanekamps dich heiratet. Zwar hast du kein Geld,
und das ist bedauerlich. Aber eine tüchtige Frau ist wie Bargeld, ich
werde dir wohl auch eine Aussteuer geben!«

Burga lachte über den alten Herrn. Ihr war noch garnicht nach Heiraten
zumute, aber, da der Kaufherr von Geld gesprochen hatte, so holte sie
aus ihrer Lade den kleinen Lederbeutel heraus, den sie als Lagerkind
immer um den Hals getragen hatte. Wie sie dann nach Hamburg kam, legte
sie ihn ab und vergaß ihn, bis sie sich seiner jetzt wieder entsann.
Es war ein kleiner gestickter Lederbeutel, in dem noch aus ihrer
Wanderzeit mehrere Gold- und Silbertaler steckten. Sie wußte kaum mehr,
wie sie zu dem Geld gekommen war; den Lederbeutel aber meinte sie eben
so lange getragen zu haben wie die Buchstaben auf dem Arm.

Allerlei Gedanken stiegen in ihr auf, wie sie das kleine Ding in der
Hand hielt; aber sie waren verworren, und sie wollte ihnen auch nicht
nachhängen. Gern hörte sie sich nicht mehr ein Lagerkind nennen, es war
doch besser, im Frieden des Hauses zu wohnen und nicht mehr heimatlos
umher zu ziehen.

Sie schloß den Beutel wieder weg und kam grade unten in die Diele, als
Konrad eilig eintrat und ganz heiß war vor Aufregung und Vergnügen.
Eben war es in der Stadt ausgerufen worden, daß ein Hamburger Schiff
draußen in der Elbe einen guten Fang gemacht hatte. Eine ganze
Gesellschaft von Seeräubern war den Hamburgern in die Hände gefallen,
und morgen schon wurden sie eingebracht, um dann feierlich gerichtet zu
werden.

»Die armen Kerls!« sagte Burga halb mitleidig, und Konrad sah sie
erstaunt an.

»Was sagst du da? Freust du dich nicht, wenn die Gegend wieder sicher
wird? Dicht bei Blankenese haben einige in den Dünen gewohnt; Fuhrmann
Heesch hat mir auch erzählt, daß sie oft hinter ihm her gewesen sind.
Man muß sich doch freuen, wenn sie alle gehängt werden!«

Am andern Tage zog wirklich ein langer Zug von gefangenen und mit
Ketten geschlossenen Räubern vom Hafen her durch die Straßen, die
Jungen liefen hinter ihnen her und bewarfen sie mit Steinen, während
die Erwachsenen grausend die finstern Gesichter und die zerlumpten
Kleider der Männer betrachteten, von denen mancher noch roh verbundene
Wunden aufwies. Eine böse Gesellschaft war es, die nun hinter Schloß
und Riegel gebracht wurde, und Konrad berichtete nachher, wie zornig
die Räuber gewesen waren und wie entsetzliche Flüche sie ausgestoßen
hatten. Denn er war natürlich mit den Neugierigen gelaufen, die sich
alles ansehen mußten, und forderte Burga dringend auf, am nächsten Tage
mit ihm zum Gefängnis zu gehen. Hier vor dem düstern Gebäude sollten
die Gefangenen öffentlich an den Pranger gestellt werden, damit sie
jedermann besehen und sich ein Beispiel an ihrem schrecklichen Ende
nehmen konnte. Aber Burga schüttelte den Kopf. Sie wollte Frau Jutta
nicht verlassen, die wieder krank war, und dann graute es ihr auch,
soviel menschliches Elend auf einem Haufen zu sehen. Also ging Konrad
allein und kehrte nach einer Weile zurück, um zu berichten, daß ein so
großer Andrang von Neugierigen vor dem Gefängnis war, daß er selbst gar
nichts von den am Pranger Stehenden gesehen hatte. Nicht allein die
Hamburger betrachteten sich die Gefangenen; aus Altona war viel Volk
gekommen, sogar einige vornehme Dragoneroffiziere, die sporenklirrend
durch die Straßen gingen, und von Finkenwärder einige Boote voll
Fischer, die sich's auch nicht nehmen ließen, die Räuber zu betrachten.
Denn sie hatten lange unter ihnen gelitten, und nun wollten sie sich
auch der Strafe freuen, die diese Missetäter erlitten.

So erzählte Konrad, lief aber gleich wieder weg, und Herr Jobst
Hanekamp, der gerade aus seinem Kontor kam, ließ sich Stock und Perücke
geben und ging gleichfalls zum Gefängnis. Er war zwar durchaus nicht
neugierig, wie er immer wieder versicherte, aber hier mußte er doch
dabei sein.

Auch die zwei Mägde und der Knecht liefen davon, und Burga stand allein
auf der halb dämmrigen Diele. Oben lag Frau Jutta im Bett und schlief;
durch die geöffnete Haustür fiel das Licht der untergehenden Sonne, und
von draußen her kam nur das Zwitschern der Spatzen. Die ganze Straße
war menschenleer, alle waren zum Gefängnisplatz gelaufen.

Es war ein klarer Tag im Vorsommer, noch kalt, aber sehr freundlich,
und wie Burga in die Sonnenstrahlen sah, die über die roten Dächer
der Domstraße huschten, mußte sie an das düstre Gefängnis denken, in
das jetzt die Räuber geworfen wurden. Einmal war auch sie im Kerker
gewesen, und daher wußte sie, wie es tat, hinter Mauern zu schmachten.
Und gerade dann, wenn der Sommer kam und die Welt freundlich wurde!

Ein Schritt kam die Straße entlang, und sie stellte sich in die
Haustür, um den Menschen zu betrachten, der jetzt nicht vor den Räubern
stand und sie verhöhnte. Es war ein junger Fischer, der schwerfällig
auf seinen Holzschuhen daher trabte, sich unschlüssig umsah und dann
vor Burga stehen blieb. Er hatte kurze blonde Haare und ein ehrliches
Gesicht, und er roch nach geräucherten Fischen.

»Ich such' 'ne Jungfer Hanekamp!« sagte er, als Burga ihn fragend
ansah, und sie erwiderte:

»Die bin ich!«

Denn alle Leute nannten sie so, und sie war es zufrieden.

Der junge Mann rieb sich den Kopf und zog langsam seine Mütze aus
Seehundsfell.

»Ich bin Klas Stolz!«

»Klas Stolz?« Burga wiederholte diesen Namen ohne Verständnis, und der
junge Fischer sah sie erstaunt an.

»Wenn du die Jungfer bist, die meinen Vater damals von Teufelsbrücke
nach Finkenwärder gebracht hat, dann solltest du doch wissen, wie ich
heiße!«

»Ich hab's vielleicht gewußt, aber hab's vergessen!« entgegnete Burga
lachend, und Klas schüttelte den Kopf.

»Man muß nichts vergessen!« sagte er ernsthaft. »Ich denk noch immer
daran, wie ich allein bei meinem Vater saß und wie du mir halfest!
Auch weiß ich, daß ich mich nicht bedankte und daß du dann beinah ins
Loch gekommen bist, weil du mit einem der unverschämten dänischen
Junker fuhrest. Wir haben die Geschichte nachher erst erfahren, und
es hat uns leid getan; auch meiner Mutter, die damals im Bett lag und
ein kleines Kind hatte. Aber Vater hat lange gelegen, ohne daß er die
Besinnung wieder kriegte. Herr Hanekamp hat ihm einmal Geld geschickt,
und nun sitzt er vor dem Hause und strickt Netze; aber aufs Wasser
gehen und Fische fangen kann er nicht mehr; der rote Michel hat ihm zu
arg mitgespielt! So ist es also gekommen, daß wir uns nie etwas von
Dankbarkeit merken ließen, und wir haben auch lange nicht gewußt, wer
das Mädchen war, die uns damals half -- aber wir haben's vom Magister
Lange erfahren, der neulich auf unsrer Insel war, um unsern Pastor zu
besuchen. Und daher will ich mich jetzt bedanken!«

Aus seinem Korb, den er in der Hand trug, zog Klas ein Paket hervor,
das er Burga in die Hand gab.

»Mach es nur offen!« sagte er stolz. »Die Bürgermeisterin von Hamburg
wird kein so schönes Seehundsfell haben, wie ich dir bringe!«

Er zog selbst die Leinwand von der langen, seidigen Pelzjacke, die er
Burga über den Arm legte.

»Es sind sieben Felle, und ein feiner Schneider in Amsterdam hat
die Jacke gearbeitet. Du kannst sie tragen, wenn du dich jetzt
verheiratest, und wenn du eine Großmutter geworden bist, wird die Jacke
noch gut sein!«

Burga stieß einen Laut des Entzückens aus über die leichte und doch
warme Jacke, die noch dazu mit Marderfell gefüttert war. Dann aber
schüttelte sie den Kopf.

»Was schenkst du mir solche Kostbarkeit? Ich weiß kaum mehr, daß
ich etwas für deinen Vater tat. Hast du mir auch nicht einmal etwas
gegeben, als ich hungrig war? Dafür habe ich dir noch gar nichts
geschenkt!«

Klas lachte. »Von der Geschichte weiß ich nichts mehr; jedenfalls
wollte ich dir dies Ding schenken, und mir ist es gar nicht teuer
gekommen. Ich hatte damals einen großen Seehundsfang gemacht, und diese
Jacke ist dabei abgefallen. Wir Finkenwärder lassen uns nicht lumpen,
kann ich dir sagen, und darum mußt du das Geschenk schon annehmen. Und
nun leb wohl, ich will mir mal den roten Michel besehen, der auch am
Pranger steht. Schade, daß ich ihn nicht hängen darf, das würde mir
Vergnügen machen!«

»Der rote Michel hat deinem Vater doch nichts getan!« rief Burga rasch.
»Ganz gewiß, er war es nicht, der deinen Vater verwundete, das wird
ein andrer Räuber gewesen sein. Jetzt fällt's mir wieder ein, der Rote
hat damals Herrn Hanekamp überfallen, und darüber kam ich dann zu.«

Klas machte ein mißvergnügtes Gesicht.

»Das ist ja schade. Ich hab grade einen verrotteten Winterapfel in
der Tasche, den wollte ich ihm ins Gesicht werfen, wenn er am Pranger
steht. Mehr darf ich nicht tun, die Hamburger sind immer so eigen mit
ihren Gefangenen und wollen sie nicht durchprügeln lassen!«

Burga hörte nicht auf ihn. Sie sah vor sich hin und wiederholte: »Der
rote Michel war es nicht, der deinen Vater fast tötete! Den habe ich
doch nachher von Herrn Hanekamp weggejagt!«

»Wer war es denn?« fragte Klas, aber darauf konnte Burga keine Antwort
geben. An diese Dinge hatte sie lange nicht gedacht; sie wußte nur, daß
dieses Mal der rote Michel schuldlos war.

Also ging Klas Stolz achselzuckend davon und meinte, den verrotteten
Winterapfel wollte er jedenfalls aufs Geratewohl zu den am Pranger
Stehenden werfen. Verdient hatten sie alle noch viel Schlimmeres.

Burga stand mit ihrem kostbaren Pelz über dem Arm und hatte das
Geschenk vergessen. Schon oft hatte sie mit einer großen Unruhe
gekämpft, sie aber zu unterdrücken gesucht; jetzt, wo der rote Michel
in Hamburg war und bald gehängt werden sollte, kam es über sie, als
müßte sie zu ihm.

Herr Hanekamp und Konrad kehrten von ihrem Gang ans Gefängnis zurück.
Ganz Hamburg hatte vor den Prangern gestanden, hatte auf die Räuber
gezeigt und sie gescholten und geschimpft wegen ihrer Missetaten. Und
die Räuber hatten frech geantwortet, die Zunge hinausgestreckt und
waren wenig bußfertig gewesen. So würden sie also nun ohne Reue ihre
irdische Strafe erleiden.

Still hörte Burga diesen Berichten zu, und wie sie dann nachher in
ihrem bequemen Bett lag, konnte sie nicht schlafen. Der rote Michel
-- war er es nicht gewesen, der sie als kleines Kind aus dem Feuer
getragen und aufs Pferd gehoben hatte? War er es nicht gewesen, der
nachher mit dem guten Prädikanten sprach, daß dieser ihr den Namen auf
den Arm ritzte? Der rote Michel war sicherlich ein Räuber; aber ganz
schlecht war er niemals gewesen, wenigstens nicht gegen sie! Er wußte,
daß sie den kleinen Lederbeutel mit dem Gelde um ihren Hals trug, und
er hatte ihn ihr nicht genommen, sondern gelegentlich, wenn er Geld
hatte, ihr einen Gulden gegeben, damit sie einen Notgroschen hatte.

Die Sonne ging schon auf, da hatte Burga noch keinen Schlaf gefunden.
Es nützte nichts, daß sie immer wieder ihr kleines Gebet sprach; sie
wurde erst ruhiger, als sie sich hastig ankleidete und unhörbar auf
die Straße schlich. Noch war alles still; nur ein Wächter schlief
fest auf einer Haustreppe, und Burga konnte, ohne gesehen zu werden,
bis ans Gefängnis gehen, das jetzt finster und schweigend dalag. Vor
dem Gebäude waren noch alle Halseisen, in denen die Räuber am Pranger
gestanden hatten, und ringsherum lagen kleine Steine, Fischköpfe und
Gemüsereste, mit denen das Volk sie beworfen hatte. Aber Burga achtete
nicht darauf. Sie klopfte an die niedrige Tür eines Häuschen, das sich
hart ans Gefängnis lehnte. Hier wohnte Timotheus Lange, den der Senat
als Gefängnisgeistlichen angestellt hatte und der in dieser Zeit sein
gerüttelt Maß zu tun hatte.

Er war aber ein Frühaufsteher, und als Burga nur leise den Klopfer hob,
stand der Magister schon vor ihr und wunderte sich gar nicht einmal des
frühen Besuchs.

»Ich hab dich wohl herbeigedacht, Kind!« sagte er nur mit seiner
heisern aber doch so gütigen Stimme, und dann führte er Burga in sein
kleines Arbeitsstübchen, in dem eine ältere, in Schwarz gekleidete Frau
saß, die große Augen auf das junge Mädchen richtete. »Dies, edle Frau,
ist Walburga, auf deren Arm der Name Rantzau neben dem der Walburga
steht!«

Er schob den leichten Stoff zurück, der Burgas Arm bedeckte, und zeigte
die schwarzen Zeichen.

Die Angeredete stand auf und faßte Walburgas Hand. »Sag, was du noch
weißt, von damals, aus der Zeit, als du vielleicht mein Kind warest!«

Walburga begann zu zittern, aber sprechen konnte sie nicht. Sie konnte
sich auf nichts besinnen, nur auf ihr kleines Gebet. Sie faltete die
Hände.

  »Von Erd bin ich genommen,
  zur Erde werd' ich kommen!
  Herr Christe tu mir weisen
  den Weg ins Paradeisen!«

Die Edelfrau brach in Tränen aus.

»Dies Verslein habe ich mein Kind gelehrt, als es noch kaum sprechen
konnte! Ach, Walburga, bist du wahrhaftig mein lang entbehrtes und oft
beweintes Töchterchen? Fast ist es zu gut, um es zu glauben!«

Auch Walburga weinte.

»Edle Frau, ich weiß nur, daß ich ein armes Lagerkind war und von Land
zu Land irrte. Gehungert hab ich und viel Durst gelitten, aber mein
Verslein und der Name auf dem Arm sind mit mir gegangen!«

Dann saßen sich beide Frauen, die ältere und die junge, gegenüber, und
wußten nicht, ob sie sich in die Arme fallen sollten oder nicht.

Lächelnd stand der Magister daneben.

»Ich kann mir denken, Frau von Rantzau, daß Ihr zweifelt; aber ich
meine, so klar, wie im irdischen Leben überhaupt etwas sein kann, so
klar ist es, daß Ihr die Mutter dieses Mädchens seid. Zum wenigsten ist
die Jungfrau Euch aus den Augen geschnitten. Aber nun wollen wir zu
dem gehen, der gestern von mir verlangte, Euch und Euren Sohn rufen zu
lassen, da er vor seinem Tode ein Geständnis zu machen habe.«

Er winkte, und beide Frauen gingen hinter ihm her, während sich aus
einer verborgenen Ecke ein junger Mann erhob, der Walburga zunickte.
Das war der Rittmeister von Rantzau, mit dem Burga vor etlichen Jahren
über die Elbe gefahren war; sie beachtete ihn heute aber nicht.

Ihre Gedanken waren von der Frau in Anspruch genommen, die langsam vor
ihr herschritt. Wie mußte es sein, eine wirkliche Mutter zu haben! Sie
merkte kaum, daß der Weg ins Gefängnis ging, und dann erst kam sie zu
sich, als sich eine düstre Zelle vor ihr auftat, in der ein alter Mann
an Ketten lag. Mühsam erhob er sich von seinem Strohlager.

»Burga,« sagte er kläglich, »rede du für mich! Bin ich nicht immer
ganz ordentlich gegen dich gewesen und habe dafür gesorgt, daß dir
nichts Böses geschah? Wenn ich einen Prädikanten traf, dann habe ich
dich gleich zu ihm gebracht, und du hast schreiben und lesen und die
zehn Gebote gelernt. Und wenn ich Geld hatte, hab ich dir auch etwas
abgegeben. Du hattest den kleinen Beutel um den Hals, als ich dich
aus der Burg trug, darin steckten ein paar Goldtaler; ich hab sie dir
gelassen.«

»Ja, ja,« Burga klopfte ihm den krummen Rücken und vergaß einen
Augenblick die andern. »Ich weiß, du bist nie ganz schlecht gewesen,
Michel, und ich habe manchmal an dich gedacht!«

»Seht Ihr?« Der Gefangene wandte sich an den Magister, »sie sagt
selbst, daß ich kein übler Kerl war. Ihren Namen habe ich ihr auch auf
den Arm schreiben lassen und dann mit Schießpulver verrieben.«

»Aber du brachtest die Feinde auf die Finkenburg!« rief der Rittmeister
von Rantzau, der sich immer im Hintergrund gehalten hatte und nun erst
vortrat. »Warum tatest du das? Unsre Burg wurde verbrannt, meine Eltern
und ich mußten fliehen, unsre kleine Walburga nahmest du von uns! Was
taten wir dir, daß du so böse gegen uns warest? Ist mein Vater nicht
immer ein guter Herr gewesen? Hat meine Mutter dich jemals hungern
lassen?«

Der Gefangene schwieg eine Weile, dann kratzte er sich den Kopf.

»Die Edelfrau ist nicht schlecht gewesen, aber der Herr hat uns mehr
geschlagen, als recht war. Und dann war es so langweilig auf der
Finkenburg. Immer Arbeit und niemals ein Vergnügen; unsereins will auch
mal einen Spaß haben. Und als ich vier Monate Wasser und Brot haben
sollte, nur weil ich nicht gern arbeiten mochte, da lief ich weg, grade
den Kaiserlichen entgegen. Sie fragten mich, wo etwas zu holen wäre,
und der General versprach mir eine Trompeterstelle in seiner Nähe und
ein feines neues Wams; da hab ich ihnen den Weg gezeigt.«

Er seufzte und rieb sich die Augen.

»Lieber Gott, viel Spaß ist ja nicht beim Kriegshandwerk, und der
General wollte mich nachher hängen lassen, weil er meinte, ich wäre
frech. Da bin ich schnell wieder weggelaufen und habe nur die kleine
Burga mit mir genommen. Wir stießen auf die Schweden, und da war es
nicht besser als bei den andern. So ist es allmählich weiter gegangen,
und von meinem Leben habe ich blitzwenig gehabt. Auf den Galgen
mag ich aber doch nicht gern; in Nordschleswig liegt ein kleiner
Gottesacker, auf dem sind meine Eltern begraben, und ich wollte dort
auch ausruhen. Hamburg ist keine freundliche Stadt. Die Bürger haben
uns sehr unverschämt angestarrt, als wir gestern am Pranger standen,
und einige dumme Jungen haben uns mit Steinen und mit Bücklingsköpfen
geworfen. So etwas habe ich nicht gern, und hier auf dem Schindanger zu
liegen, denke ich mir auch nicht angenehm. Darum, liebe Burga, mache,
daß ich hier sicher wegkomme. Der Magister wird dir helfen. Er hats
versprochen, wenn ich die Wahrheit sagte; und die Wahrheit ist, daß ich
dieses Mädchen von der Finkenburg mitgenommen und ihr gewissermaßen das
Leben gerettet habe. Denn ohne mich wäre sie in den Flammen umgekommen!«

Sie hatten alle still zugehört. Die Frau von Rantzau griff nach Burgas
Hand und drückte sie fest, während der Rittmeister den Kopf schüttelte.

»Lieber Michel, du wirst sicher wahr reden, und ich freue mich, daß du
zu guterletzt die Wahrheit sprich'st und meine Mutter sehr erfreust.
Denn sie hat alle diese Jahre große Angst und Trauer um ihre Tochter
ausgestanden, und auch ich bin froh, eine liebe Schwester zu haben.
Aber hängen wirst du doch, lieber Michel. Dieweil wir hier nichts in
Hamburg zu befehlen haben und die Hamburger dich nun einmal gefangen
nahmen. Also bereite dich auf dein Ende vor und freue dich, daß wir
alle deiner im Gebet gedenken werden. Ich will dem Henker sagen lassen,
daß er es kurz mache!«

Michel begann laut zu heulen; da faßte Burga ihn am Arm.

»Schäm dich, Michel, wer wird denn gleich weinen? Hast doch oft genug
dem Tod in die Augen geschaut und weißt, daß das Sterben einmal
kommen muß. Aber ich möchte auch gern, daß du am Leben bliebest, und
darum will ich meine liebe Frau Mutter bitten, mit mir zum Herrn
Bürgermeister zu gehen und ihn um Gnade für diesen Mann zu bitten. Er
wird sie schon gewähren, wenn eine Edelfrau ihn bittet.«

Mit flehenden Augen sah Burga ihrer Mutter ins Gesicht, aber ehe diese
antworten konnte, trat der Junker dazwischen.

»Ich wünsche nicht, daß der Mann lebe!« sagte er hart. »Er hat die Burg
meiner Väter zerstören helfen, und wir sind durch ihn arm geworden. Wer
solche Missetat auf sich ladet, der muß sterben!«

»Verdient hat er die Strafe, Herr!« entgegnete Burga. »Aber wollt Ihr
nicht bedenken, daß der Alte wohl kaum bedacht hat, was alles durch
seine Untat kommen würde! Und haben wir nicht alle Sünden auf dem
Gewissen und hoffen auf die Barmherzigkeit Gottes? Wenn niemand mit
mir zum Bürgermeister gehen will, so werde ich's allein tun. Und wenn
meine Frau Mutter und mein Herr Bruder mir darob zürnen, so will ich
mich ihnen als Tochter und Schwester nicht aufdrängen. So bleibe ich in
Hamburg, und Herr Hanekamp wird mir sein Haus nicht verschließen.«

Michel hatte bis jetzt leise vor sich hingewimmert. Aber, wie Burga
sprach, hörte er still zu wie alle andern und schlug sich jetzt aufs
Knie, daß seine Ketten klirrten.

»Burga, du gefällst mir!« rief er. »So wie du redet ein rechtes
Lagerkind! Das ist vor nichts bange, und ich will auch nicht mehr
bange sein! Hängt mich meinetwegen, ihr vornehmen Leute, die ihr nicht
wißt, wie einem armen Schelm zumute ist! Der liebe Herrgott wird mich
vielleicht einmal später aus der Hölle nehmen!«

Aber der Rittmeister Rantzau hatte schon ein rotes Gesicht bekommen,
als Burga redete. Nun hob er die Schultern und wandte sich an den
Magister, der von neuem lächelte.

»Ihr habt mir gesagt, daß Walburga Eure Schülerin war und noch ist.
Meiner Treue, sie hat das Reden gelernt, und sie spricht nicht ganz
übel. Daran erkenne ich auch, daß sie eine Rantzau ist; weil diese
Edelleute ihre Worte zu setzen vermögen. Meinetwegen also mag der
Michel laufen! Aber ich will nicht für ihn zum Bürgermeister gehen, das
mögen die Frauen besorgen!«

Dann ging er auf Burga zu, und gab ihr die Hand.

»Da du nun einmal ein Lagerkind gewesen bist, muß ich wohl mit deiner
Art Geduld haben, und ich hoffe, daß wir uns immer gut vertragen
werden! Aber ich hoffe, daß du auch dessen eingedenk bist, nun ein
Edelfräulein zu sein, und dich nicht allzuviel mit Spitzbuben und
ähnlichem Gelichter einlässest! Denn wir haben jetzt Frieden im Land,
und wer ruhig leben will, der muß gegen die Bosheit kämpfen!«

Er machte eine kurze Verbeugung und ging sporenklirrend davon, während
Frau Rantzau Burga an sich zog.

»Ich danke Gott, daß wir uns fanden!« sagte sie. »Und du hast recht,
daß es besser ist, barmherzig zu sein als allzu streng. Ich werde mit
dir zum Bürgermeister gehen und für das Leben Michels bitten!«

So geschah es denn auch, und daß am nächsten Tage der rote Michel
in den Reihen der Räuber fehlte, die zum Galgen geführt wurden,
merkte niemand von den Hamburgern, die eifrig das grausige Schauspiel
betrachteten, das meiste nicht sehen konnten und sich gegenseitig
drängten und schlugen, so daß wohl ein Dutzend Neugierige totgedrückt
wurden. Von diesen war nachher mehr die Rede, als von den Verbrechern,
und jeder, der nicht auf der Straße gewesen war, freute sich und sagte:
»Das kommt davon, wenn man so neugierig ist!«

So sprach auch Herr Hanekamp, der übrigens sehr übler Laune war und
heimlich mit Timotheus lange schalt.

»Magister, was wolltet Ihr die Rantzaus benachrichtigen und auf das
Gerede des verflixten roten Michels hören! Wäre es nicht gescheiter
gewesen, die Burga hier zu lassen? Sie hätte einen guten Mann gekriegt,
und ich würde ihr eine ordentliche Aussteuer gegeben haben. Jetzt zieht
sie mit ihrer Mutter, die nicht viel haben soll, und wer weiß, ob sie
glücklich wird? Und dann dieser Michel! Wenn ich der Bürgermeister
gewesen wäre, würde ich ihn nicht begnadigt und außerdem noch frei
gelassen haben, obgleich es wiederum nicht nötig ist, daß unsre gute
Stadt alle fremden Missetäter in Kost und Wohnung behält! Aber ich bin
unzufrieden mit Euch, Magister, und es tut mir leid, Euch den Platz als
Gefängnisprädikant besorgt zu haben!«

Timotheus lächelte ein wenig.

»Lieber Herr Hanekamp, glaubt ihr denn, daß es mir gleichfalls leicht
fällt, von Burga zu scheiden? Aber wir müssen doch ihrer Mutter
gedenken, die sich so lange nach der Tochter sehnte! Viele Jahre ist
sie ohne sie gegangen, nun gebührt ihr doch ein Teil der Liebe, die sie
so viele Jahre entbehren mußte!«

Aber auch für Burga war es keine Kleinigkeit, plötzlich von allem
Abschied nehmen müssen, das ihr wert und lieb geworden war. Frau Jutta
weinte bitterlich, als sie das Mädchen, das sie wie ihre Tochter
liebte, von sich geben sollte, und selbst Konrad, der sich etwas darauf
einbildete, ein forscher junger Mann geworden zu sein, selbst dieser
ärgerte sich über den holsteinischen Junker, der ihm seine Schwester
wegnahm. Er dachte sogar ernsthaft darüber nach, ob er Walburga nicht
heiraten sollte; damit sie immer bei den Hanekamps und in Hamburg
bliebe, aber Frau Jutta redete ihm diesen Gedanken aus. Zum Heiraten
war er noch zu jung, und die Rantzaus würden auch nicht gestatten, daß
eine ihres Namens einen Hamburger Kaufmann heirate.

So mußte denn Abschied genommen werden, und zwar auf lange Zeit. Denn
der Rittmeister Rantzau hatte Befehl erhalten, mit seinen Dragonern
nach dem nördlichen Schleswig zu reiten, und er freute sich nicht wenig
darüber. Lag doch sein Stammschloß, die Finkenburg, ganz im Norden des
Landes, mitten auf dem Heidrücken und umgeben von dichten Waldungen.
Nach dem Brande und der Zerstörung der Burg war er nur einmal wieder
dort gewesen, und damals hatte es sich nicht gelohnt, an einen Aufbau
und daran zu denken, die öde liegenden Felder wieder zu bestellen.
Denn der Feind war immer noch im Land und konnte mit leichter Mühe
alles zerstören, was mühsam geschaffen war. Nun aber war Friede, und es
konnte daran gedacht werden, wieder in die alte Heimat zu ziehen.

So also fuhr Walburga mit ihrer neuen Mutter und dem neuen Bruder
nordwärts. In einer schweren alten Kalesche, die von vier Pferden
gezogen wurde und doch nur mühsam durch die schlechten Wege weiter kam.
Eine Abteilung Dragoner ritt vor, eine andre hinter dem Wagen, denn
die Wege in Holstein waren noch immer unsicher, und man mußte sich
vorsehen, daß nicht irgendwo aus dem Hinterhalt Räuber hervorbrachen,
die alle Habe nahmen und das Leben dazu. Die Bauern, durch deren Dörfer
der Weg ging, wußten davon zu berichten, wie die Wegelagerer hausten,
und sie freuten sich auch nicht, wenn sie die dänischen Dragoner sahen;
versteckten Hühner und Schweine und meistens auch sich selbst, bis der
Rittmeister ihnen versicherte, daß seine Soldaten weder plündern, noch
sonst irgend etwas Böses tun wollten.

Der Rittmeister Rantzau war wohl ein wenig herrisch, aber doch ein
braver Mann, der gut gegen seine Mutter war und freundlich gegen seine
Schwester, obwohl er sie noch manchmal kopfschüttelnd betrachtete.

»Es ist ganz merkwürdig, mit einmal wieder eine Schwester zu haben!«
meinte er wohl. »Weiß garnicht, wie ich mich zu dir stellen soll,
Walburga!«

Seine Mutter aber legte ihm die Hand auf den Arm.

»Denk darüber nicht nach, Kord! Freu dich, daß sie wieder da ist!«
Liebevoll strich sie über das Haar ihrer Tochter, und diese küßte ihr
die Hand. Noch immer wars ihr wie ein Traum, nun endlich eine echte
Heimat gefunden zu haben, und diese Heimat lag fremd und unbekannt vor
ihr; manchmal kam es wie eine Furcht über das ehemalige Lagerkind, ob
sie auch glücklich werden würde in den neuen Verhältnissen. Aber dann
dachte sie an den Magister Timotheus, dem sie ihre Zweifel gesagt hatte.

»Burga,« hatte er gesagt, »es kommt nicht darauf an, ob man glücklich
wird; man muß aber versuchen, glücklich zu machen!«

Aber einer war ganz glücklich. Das war Wolf, der neben dem Wagen
herlief und wieder jung wurde. In dem behäbigen Hamburg war auch er
behäbig geworden. Das Umherstreifen in Feld und Flur hatte ihm gefehlt;
gesittet in den Straßen zu wandern, war nicht nach seinem Geschmack
gewesen: daher lag er lieber hinter dem Ofen, oder in der Sonne und
wurde fett. Nun aber lief er sich das Fett wieder von den Knochen,
jagte bellend hinter den Krähen her, die auf der Landstraße saßen,
oder machte einer wilden Katze den Garaus. Er war zahm geworden; hier
im Freien wurde er wieder wild, zeigte jedem, der ihm zu nahe treten
wollte, die Zähne und hörte nur auf Burga.

Der Rittmeister war damit zufrieden.

»Wenn ihr erst oben in Nordschleswig seid, dann müßt ihr solchen
Schutz haben!« sagte er. »Da kommen im Winter Wölfe und im Sommer die
Wegelagerer, also müßt ihr euch wehren können. Kannst du schießen,
Schwester?«

Sie lachte.

»Das hab ich verlernt, Herr Bruder. Dazumal, als ich noch ein Lagerkind
war, hab ich wohl mit dem Feuerrohr umgehen können, aber in Hamburg
hätte sich für eine ehrsame Jungfrau nicht geschickt, mit Waffen zu
hantieren. Herr Hanekamp würde wohl recht böse geworden sein!«

»So also werde ich dir zeigen, mit dem Pistol umzugehen!« erwiderte
der Rittmeister ernsthaft, und Walburga freute sich nicht wenig.
Denn ihr erging es wie ihrem Wolf. Wohl war der Wagen hart und stieß
mächtig auf den schlechten Wegen, aber die linde Luft, die sie umgab,
der Geruch der Felder, der Anblick der Wälder beglückten sie. Die enge
Stadt war nichts für sie gewesen; sie merkte es, je länger die Fahrt
dauerte. Schlecht waren die Quartiere in elenden Wirtshäusern, und
außer Milch und Eiern konnte man fast nichts genießen; aber herrlich
war es, morgens früh in die frische Natur zu fahren. Wenn die Sonne
eben aufgegangen war und die Felder vom Tau noch dampften. Wenn die
Pferde mutig ihre Reiter weiter trugen, während diese ein Soldatenlied
anstimmten und vom Krieg und Tod zu singen begannen, als wäre beides
das Beste auf der Welt. Dann summte Walburga das Lied leise mit, und
als ihr neuer Bruder ihr ein Pferd brachte, das an einen Damensattel
gewöhnt war, da schwang sie sich auf den Gaul, als habe sie im Leben
nichts andres getan, als mit den Dragonern zu reiten.

Aber sie vergaß nicht die zarte Frau, die ihrer Pflege und Liebe
bedurfte. Frau von Rantzau war seit dem Brande ihrer Burg und unter
den nachher ausgestandnen Leiden nie wieder recht gesund geworden. Sie
hielt sich zwar tapfer und klagte selten, aber sie konnte nicht mehr
viel vertragen und sah es als eine besonders gnädige Fügung an, daß
ihr die Tochter grade jetzt wieder gegeben wurde, wo sie ihrer so sehr
bedurfte. Aber sie verhehlte ihr auch nicht, daß sie keinem leichten
Leben entgegen ginge.

»So sanft wie in der reichen Stadt wird dich das Leben nicht anfassen,
Burga!« sagte sie oft. »Der Wind oben im Norden ist grade so rauh wie
die Luft und die Menschen. Wer weiß, ob du es ertragen kannst!«

Aber Burga lachte unbekümmert.

»Frau Mutter, ich bin ja ein Lagerkind! In Hamburg hatte ich's gerade
vergessen; da war es gut, daß Ihr kamet und ich wußte, wohin ich
eigentlich gehöre!«

Mühsam und lang war die Reise. Oft mußte unterwegs gerastet werden.
Dann hatte der Rittmeister in Kiel zu tun, und einige Tage wurde auch
in der Stadt Schleswig verweilt. In Kiel betrachtete Burga die Ostsee,
die grade ihr blauestes Kleid übergeworfen hatte und dazu lächelte, als
gäbe es für sie keinen Sturm und keine haushohen Wellen.

»Ist dies Wasser immer so brav?« fragte sie ihren Bruder, der zu lachen
begann.

»Komm einmal wieder, wenn der Ostwind heult, wenn er das wilde
Wasser weit bis in die Straßen jagt. Wenn die Wellen die Schiffe wie
Nußschalen umwerfen und ihre Mannschaften ertrinken lassen. Dann wirst
du nicht fragen, ob die Ostsee immer so brav ist!«

Nachdenklich betrachtete Burga das lächelnde Wasser, die grünen
Buchenwälder an seinem Ufer.

»Ich dachte nicht, daß die Welt so schön wäre!« sagte sie dann.

Ihr Bruder sah sie scharf an.

»Möchtest du hier bleiben? Ich könnte der Frau Mutter hier ein Häuschen
kaufen, und ihr könntet in Frieden wohnen.«

»Und die Finkenburg?«

Kord Rantzau hob die Schultern.

»Sie würde alsdann das bleiben, was sie ist, ein Haufen Trümmer und
viel ödes Land!«

Da schüttelte Burga den Kopf.

»Ich will Arbeit haben und nicht immer in der Stube hinter dem
Spinnrocken sitzen!«

Der Bruder sagte hierauf nicht viel, aber nachher, als er einmal mit
seiner Mutter allein war, erzählte er ihr diese Unterhaltung.

»Manchmal hab ich wohl gedacht, es wäre Teufelsspuk und Burga gehörte
nicht zu uns; aber nun weiß ich, daß sie unser Blut in den Adern hat!«

»Das habe ich lange gewußt!« erwiderte die Mutter.

In der Stadt Schleswig gabs allerlei für den Rittmeister und seine
Leute zu tun. Auch Frau von Rantzau besuchte einige Verwandte, und
Burga mußte sie begleiten, Ihr war etwas übel zumute, als sie vor
einige alte Damen geführt wurde, die sie aufmerksam betrachteten und
endlich erklärten, daß sie diesem oder jenem Vetter ähnlich sähe. Denn
die adligen Familien in Schleswig-Holstein waren alle miteinander
versippt und verschwägert, und so mußten sie auch einander ähnlich
sehen. Walburga antwortete freimütig auf alle Fragen, geduldig zeigte
sie immer wieder den eingeritzten Namen auf ihrem Arm, und obgleich
eine sehr alte Base kopfschüttelnd erklärte, an so etwas würde sie
nicht glauben, und es könnte wohl sein, daß diese Walburga Rantzau eine
Betrügerin wäre, so meinten die andern, sie wollten nicht zweifeln.
Denn hatte man nicht mehr als ein Beispiel, daß verschleppte Kinder
später nur an solchem Zeichen erkannt waren? Und, ach, wie viele andre
waren verschwunden und nie wiedergekommen! Es war noch immer eine böse
Zeit, und jedermann mußte sich mit Frau von Rantzau freuen, die viele
Jahre keine Tochter gehabt hatte und nun, wo sie alt wurde, sie wieder
geschenkt erhielt. Wie Frau von Rantzau dann erzählte, wie gern die
Hanekamps Walburga in Hamburg behalten hätten und wie sie es dort viel
besser gehabt, als sie es bei ihr haben würde, da wurden alle noch viel
freundlicher. Denn soviel wußten alle, daß es für den, der den Frieden
und das Wohlleben liebte, besser war, in Hamburg zu bleiben, als auf
die nordschleswigsche Heide zu reiten und nichts zu haben als Arbeit.

In diesen Tagen wurde Walburga das, was sie von Haus aus war, nämlich
ein Edelfräulein mit stolzer Haltung und mit vornehmer Art, den Kopf
in den Nacken zu werfen. Grade so, wie sie es an den Verwandten sah.
Und nicht deshalb, weil sie sich besser dünkte als ehemals, sondern,
weil es in ihr lag. Wenn sie aber allein war oder bei der Mutter saß,
dann nannte sie sich selbst ein Lagerkind und freute sich, es einstmals
gewesen zu sein.

[Illustration]




[Illustration: Neuntes Kapitel]


Der König von Dänemark war in der Stadt Flensburg und sandte Botschaft
an den Rittmeister Rantzau, ihm seine Dragoner vorzuführen. Kord
Rantzau war nicht sehr zufrieden. Denn er hatte gehofft, Mutter und
Schwester mit seinem Fähnlein erst nach der Finkenburg bringen zu
dürfen. Aber dem königlichen Gebot mußte gehorcht werden, und so bat er
seine Mutter, mit Walburga in Schleswig zu bleiben, bis er sie selbst
mit einigen Reitern geleiten konnte. Aber Frau von Rantzau sehnte sich
nach der alten Heimat.

»Immer habe ich gehofft, die Burg wieder zu sehen, und es sind
vielleicht noch einige Leute da, die mich kennen und mir gut dienen
werden. Laß mich hingehen; auch Walburga sehnt sich, und wir können mit
einigen Frachtwagen reisen, die nach Jütland fahren. Ich weiß, daß Herr
Josias Petersen in diesen Tagen gen Norden reisen läßt!«

So also besuchte der Rittmeister den Herrn Kaufmann Josias Petersen,
der von Schleswig aus einen großen Handel mit fremden Waren nach dem
dänischen Reiche betrieb. Er hatte wohl zehn mächtige Frachtwagen, die
immer auf der Landstraße unterwegs waren, viele Pferde und einen Troß
von Fuhrknechten. Als der Rittmeister in sein Kontor trat, begrüßte er
ihn freundlich.

»Gewiß, werter Herr!« entgegnete er auf des Junkers Frage, »meine
Leute kennen das Reisen und haben schon manche Fährlichkeit bestanden.
Sie werden es sich zur Ehre rechnen, Eure Frau Mutter und Jungfrau
Schwester zu geleiten. Wie in Abrahams Schoß werden sie sein, und
Geld will ich nicht dafür nehmen. Denn ich kenne doch die edle Frau
Rantzau und weiß, wie viel sie durchgemacht hat. Sie solls gut haben,
und mein Gesellschafter, der mit den Waren reist, wird sich bestreben,
die zwei Frauen samt ihrem Gepäck richtig dort abzuliefern, wo einst
die Finkenburg stand. Denn, edler Herr, ich glaube nicht, daß noch ein
Stein von ihr auf dem andern steht! Aber ich weiß, daß das Land um sie
her Euch noch gehört, und es ist verständig, die Hand wieder nach dem
Besitz auszustrecken, da es sonst von andern Liebhabern genommen werden
möchte!«

»Wen meint Ihr mit dieser Andeutung?« fragte Kord, und Herr Petersen
strich an seinem feinen Tuchrock.

»Die Troiburg ist nicht allzuweit von der Finkenburg!« erwiderte
er. »Dort sitzt ein Vetter von Euch. Ein braver Mann gewiß; aber
heutzutage greift jedermann nach fremdem Gut!«

Der Rittmeister erwiderte nicht viel, aber seine Miene wurde
sorgenvoll, worauf der Kaufherr ihn gutmütig betrachtete.

»Es mag so arg nicht sein, edler Herr!« sagte er tröstend. »Ich wollte
nur sagen, daß es gut ist, wenn ein Besitzer nach dem Seinen sieht,
auch wenn es den Anschein hat, wertlos zu sein!«

Noch einmal empfahl der Rittmeister Mutter und Schwester dem Kaufherrn,
dann ritt er am nächsten Morgen mit seinen Dragonern gen Flensburg.
Fröhlich klapperten die Hufe der Reiter durch die Straßen der Stadt,
und Burga stand am Fenster des kleinen Wirtshauses, um ihren Bruder
abreiten zu sehen. Er hatte ihr ganz besonders die Mutter ans Herz
gelegt, und sie erwiderte ihm, daß es dieser Ermahnung nicht bedürfe.
War seine Mutter nicht auch die ihre? Dann, wie die Reiter allmählich
verschwanden und sie sich allein mit der schwachen Frau wußte, wurde
ihr einsam und traurig ums Herz. Die Verwandten hier waren gewiß
freundlich gegen sie und wollten sie wohl als eine von den Ihren
anerkennen; aber keinen von ihnen hätte sie um ihre Hilfe bitten mögen.

Wie sie noch so in Gedanken stand, fühlte sie Wolfs kalte Schnauze an
ihrer Hand. Sie hatte ihn in ihr Zimmer genommen, weil er ungebärdig
war und sich mit keinem Tier, sei es Hund oder Katze, vertragen konnte.

»Wolf, Wolf!«

Walburga streichelte seinen struppigen Kopf.

»Weißt du, daß wir wieder allein sind und daß wir gut für die Frau
Mutter sorgen müssen?«

Wieder legte der Hund seinen Kopf an ihre Knie, begann zu winseln und
dann zu knurren. Es war jemand an der Tür, die vorsichtig offen gemacht
wurde.

»Burga, nimm den Hund ans Halsband, sonst komme ich nicht herein!«

»Michel!« Fest hielt die Jungfrau den Hund, der seine spitzen Zähne
zeigte. »Was willst du hier?«

»Was ich will?« Der rote Michel schob sich vorsichtig ins Zimmer. »Du
liebe Zeit, das ist, mit Verlaub, eine dumme Frage! Ich will doch auch
nach der Finkenburg!«

Er riß seine Kappe vom Kopf und machte einen ungeschickten Kratzfuß.
Sein struppiger Bart war gestutzt, er trug ein ordentliches Lederwams
und im Gürtel ein langes Messer.

»Die Jungfrau wird mich gut gebrauchen können!« fuhr er fort, während
Burga vor Staunen nicht sprechen konnte. »Ich bin doch dort aus der
Gegend und kenne manches, was die Jungfrau nicht kennt. Und mit alten
Leuten verstehe ich auch umzugehen, so daß ich die Frau Mutter bewachen
kann, wenn die Jungfrau keine Zeit dazu hat.«

»Du bist ja selbst alt!« rief Walburg, unwillkürlich lachend, worauf
Michel eine beleidigte Miene aufsetzte.

»Ganz genau weiß ich zwar nicht, wie lang ich schon auf dieser Erde
umherlaufe, aber viel mehr als fünfzig Jahre werdens nicht sein. Und
das ist für einen Kerl wie mich kein Alter, besonders, wenns gutes
Futter gibt. Die Jungfrau wird sehen, daß ich ihr in allen Stücken
helfen kann!«

»Aber du warst ein Räuber und bist nur durch die Gnade des Hamburger
Bürgermeisters vorm Tode bewahrt geblieben!«

»Redet doch nicht von alten Geschichten!« sagte Michel verdrießlich.
»Was gewesen ist, ist gewesen, daran braucht man nicht mehr zu denken!
Oder glaubt Ihr, daß vornehme Herren in diesen üblen Zeiten nicht auch
einmal ein wenig geräubert haben? Ich will wahrhaftig ein braver Mann
werden und habs dem Magister Timotheus in die Hand versprochen. Seht
doch, wie anständig ich aussehe! Den ganzen Anzug habe ich mir durch
meiner Hände Arbeit verdient, in Kiel und in Schleswig!«

»Du bist in Kiel gewesen?«

»Ganz sicher, edle Jungfrau! Bin Euren Spuren gefolgt und immer dort
gewesen, wo Ihr waret. Ich drängte mich nicht vor; erstmals wollte
ich einen ordentlichen Kittel haben, und dann bin ich auch ein wenig
bange vor dem Herrn Rittmeister. Der wollte ja durchaus, daß ich hängen
sollte, und da will ich ihm vorläufig aus dem Wege gehen. Fragt aber
nur die Frau Mutter; sie wird schon Erbarmen mit mir haben und mich
mitnehmen nach der Finkenburg!«

In diesem Augenblick trat Frau von Rantzau ein, und obgleich sie zuerst
sehr erstaunt über Michels Erscheinen war, so erklärte sie nach einigem
Nachdenken, daß sie nichts gegen seine Begleitung habe. Hierüber wurde
Michel so gerührt, daß er nach ihrer Hand griff, um sie zu küssen.

»Ich will ein treuer Diener werden, edle Frau!« rief er. »Wahrlich,
wenn der rote Michel etwas verspricht, dann hält er sein Wort! Ich
habe doch damals die Burga aus dem brennenden Schloß getragen und
dafür gesorgt, daß sie in gute Hände kam. Lesen und Schreiben hat sie
gelernt, und ich will sie jetzt auch mit Ehrerbietung behandeln, wie es
ihr zukommt!«

Michel ging jetzt, um sich dem Kaufherrn als Begleiter anzubieten,
die zwei Frauen freuten sich eigentlich, den roten Freund wieder zu
haben. Besonders Walburga, und ihre Mutter wußte auch, daß man es in
diesen Zeiten nicht allzu genau mit dem nehmen durfte, was die Männer
einstmals getan hatten. Wenn sie nur nachher treue Dienste leisteten,
mußte man zufrieden sein.

Zwei Tage später ging der Kaufmannszug aus den Toren der Stadt. Frau
von Rantzau und ihre Tochter saßen wieder in ihrer Kalesche, die ein
Knecht lenkte, und Wolf mußte sich gefallen lassen, an einem langen
Riemen von Michel geführt zu werden. Er knurrte und war verdrießlich,
aber Burga flüsterte mit ihm und versprach ihm die goldne Freiheit,
wenn er erst auf der Finkenburg wäre. Und wieder war es, als ob das
Tier ihre Worte verstünde. Er gab sich zufrieden und ließ sich geduldig
von Michel führen. Es war kein sicheres Land, durch das jetzt die Reise
ging. Hügelige Heide und Moorstrecken wechselten mit weiten Wäldern
ab; die Ortschaften lagen verstreut; die Landstraßen waren schlecht,
und zur Winterszeit kamen die Wölfe und überfielen die Wanderer. Jetzt
aber war Sommer, die Heide begann zu blühen, und auf dem Moor liefen
die Wasservögel mit ihrer jungen Brut. Manchmal rannte ein Hase über
den Weg und einmal sogar ein Hirsch. Da war es besser, den Hund nicht
frei laufen zu lassen, da er im Jagdeifer in den Wassertümpeln des
Moores hätte versinken können. Oder der Wolf tauchte aus dem Dickicht
auf und sprang ihm an die Kehle. Denn vor kurzem war trotz des Sommers
ein ausgewachsener Wolf von einigen Bauern im Netz eingefangen worden.
So berichtete der Gesellschafter des Herrn Petersen, der zu Pferde die
Reihe von Wagen begleitete, überall seine Augen hatte und gelegentlich
einige höfliche Worte an die zwei Frauen in ihrem Wagen richtete. Er
hieß Jens Nielsen und stammte aus Jütland. Aber er sprach das Deutsch
geläufig und wußte gut mit den Fuhrknechten und den Soldaten umzugehen.
Denn auch einige Soldaten hatte man mitgenommen. Langsam nur kam der
Zug vorwärts. Hin und wieder versank ein Wagenrad im Moor, oder der
Sand auf den Heidewegen war so hoch, daß die Pferde kaum vorwärts
kommen konnten. Burga, die gemeint hatte, in zwei oder drei Tagen auf
der Finkenburg zu sein, mußte Geduld lernen. Eine Woche konnte es
noch dauern, ehe der Zug nach dem Dorf Lügumkloster kam. Von dort war
es dann nur eine Tagesreise nach der Finkenburg. So berichtete ihr
Herr Nielsen, mit dem sie manchmal wanderte, wenn sie nicht mehr in
dem schaukelnden Wagen sitzen mochte. Es war herrlich, die Heideluft
einzuatmen, die Vögel fliegen zu sehen, sich einen Busch Heidekraut
zu pflücken oder die kleinen Moorenten zu beobachten, die auf den
Wassertümpeln schifften.

Dann tat es ihr nicht leid, so langsam zu reisen, und Michel tröstete
sie am Ende des dritten Reisetages.

»Wir kommen noch früh genug nach der Finkenburg!« versicherte er.
»Glaubt mir, Jungfrau, nun habt Ihr große Ungeduld, in die alte Heimat
zu kommen, wenn Ihr aber einmal dort seid, werdet Ihr Euch vielleicht
wünschen, bald wieder wegzureisen. Das aber wird nicht schnell gehen.
Noch manchmal werdet Ihr nach Hamburg zurück denken und vielleicht auch
an den Hanekamphof. An dem war ja eigentlich nicht allzuviel, aber
besser als die Finkenburg wird er schon gewesen sein!«

Es war ziemlich spät am Abend, als die Wagen vor einer kleinen Herberge
rasteten, die hart am Rande des Waldes lag. Am Tage wars heiß gewesen,
und auf dem sandigen Wege kein Schatten. Da waren die Pferde müde
geworden und hatten die schweren Wagen kaum noch ziehen können. Jetzt
stand ein Gewitter am Himmel, und Herr Nielsen freute sich, in dieser
kleinen Herberge ein Unterkommen gefunden zu haben. Schlecht genug war
es; die Wirte waren finstre Leute, die einmal übers andre erklärten,
weder Milch noch Bier für die Reisenden zu haben. Mürrisch schafften
sie endlich ein Faß saures Bier zur Stelle und brachten für Frau von
Rantzau einen Becher mit Milch. Aber sie versicherten, keinen Raum
zum Schlafen für die zwei Frauen zu haben, sie müßten in ihrem Wagen
bleiben. Wolf winselte und knurrte zugleich, als er mit Michel vor
dem düstern Hause stand, und sein Führer sah sich mit scharfen Augen
um. Dann drückte er Burga den Lederriemen des Hundes in die Hand und
ging, ohne ein Wort zu sagen, in den wilden Krautgarten, der hinter dem
Hause lag. Als er zurückkehrte, ging er auf Herrn Nielsen zu und sprach
eifrig auf ihn ein. Dieser aber lächelte nur und zuckte die Achseln.

Michel kehrte zu Walburga zurück.

»Der junge Herr will mir nicht glauben, aber ich spüre was
Verdächtiges, und Wolf ergeht es grade so.«

»Sind Räuber in der Nähe?« fragte Walburg, und Michel nickte.

»So wirds wohl sein, und wenn ich die Jungfrau wäre und eine Mutter
hätte, würde ich was andres tun, als die Nacht hindurch vor dem Haus
im Wagen zu bleiben!«

Walburga sah sich um. Die Soldaten saßen im Schenkzimmer um das Faß
Bier, und die Fuhrknechte hockten neben ihnen. Die Pferde waren
abgesträngt, und man hatte einige Eimer mit Wasser so gestellt, daß
die meisten trinken konnten. Auch die Pferde vor dem Wagen der zwei
Frauen standen mit hängenden Köpfen, und Michel schleppte ihnen einen
Eimer mit Wasser hin, den sie gierig austranken. Der Fuhrknecht, der
als Kutscher diente, war nirgends zu sehen. Erschöpft lehnte Frau von
Rantzau in den Kissen. Sie hatte ihre Milch getrunken und nun die Augen
geschlossen. Die Fahrt begann, für sie sehr mühselig zu werden. Michel
sagte nicht viel; aber, nachdem die Pferde getrunken hatten, strängte
er sie von neuem an, kletterte auf den Bock, machte Walburg ein Zeichen
einzusteigen und fuhr mit dem Wagen in ein Dickicht, das etwa eine
Viertelmeile von der unheimlichen Herberge lag. Hier war es feucht und
schattig, dichtes grünes Gras bedeckte den Boden. Michel sprang vom
Wagen, riß einige Büschel von dem Gras ab und gab sie den Pferden.

»Hier muß der Wagen bleiben!« sagte er leise zu Burga. »Nehmt Euer
Pistol in die Hand und den Wolf mit in den Wagen. Er darf keinen Lärm
machen, damit Ihr nicht gefunden werdet!«

»Meinst du, daß die Räuber kommen werden?«

Michel lachte über diese Frage, aber dann wurde er wieder ernst.

»Man sollte meinen, daß Ihr niemals ein Lagerkind gewesen wäret, Burga!
Hättet Ihr in der Herberge die Augen offen gehalten, dann würdet Ihr
mich nicht fragen. Doch verliert nur nicht den Mut; einmal nur kann man
sterben, Ihr habt es mir selbst gesagt!«

Er war gegangen, Burga faßte ihr Pistol und zog Wolf zu sich in den
Wagen. Der wollte zuerst nicht, spitzte die Ohren und murrte leise;
aber sie hielt ihm das Maul zu und flüsterte mit ihm. Da drückte er
den Kopf gegen ihre Brust und lag regungslos. Die Nacht kam früher
als sonst in diesem nordischen Lande mit den langen Sommerabenden.
Schwarze Wolken türmten sich zusammen, und der Donner grollte. Frau von
Rantzau fuhr aus unruhigem Schlummer auf, aber Walburg sagte einige
beruhigende Worte; da legte sie sich wieder zurück und begann von neuem
zu schlafen. Dann rauschte der Regen, dazwischen fiel Hagel, und die
Blitze zuckten. Wolf fuhr in die Höhe und wollte heulen: aber er durfte
nicht und mußte sich beruhigen.

Wie lang war die Nacht, und wie rauschte der Regen! War Walburg wieder
ein Lagerkind geworden, mußte im Freien nächtigen und hatte keine
Heimat? Halb im Traum sah sie sich in der Hütte, unter der in der
kalten Nacht die Wölfe heulten, sah sich im Boot auf der Elbe und dann
später in dem behaglichen Kaufmannshaus. Da brauchte man nicht im
Freien zu schlafen und ängstlich auf ein Geräusch zu warten, das von
Raub und Überfall sprach. -- --

Ein Schuß knallte in der Ferne, dann mehrere. Ein Geschrei erhob
sich, dazwischen Waffengeklirr, Fluchen und eine laute Stimme, die
alles übertönte. Es regnete nicht mehr, der Tag brach an, und ein
roter Sonnenstrahl glitt über die nassen Zweige. Burga saß aufrecht,
die Waffe in der Hand, eine tiefe Falte zwischen den Augen. Wenn es
ans Sterben ging, dann wollte sie ihr Leben teuer verkaufen. Da rief
Michels Stimme nach Wolf, und der Hund, der schon an allen Gliedern
gezittert hatte, riß sich los und sprang aus der nur angelehnten Tür.
Er bellte, ihm antwortete ein wilder Schrei, dann klirrten wieder die
Waffen, und viele Stimmen sprachen durcheinander.

Frau von Rantzau fuhr angstvoll in die Höhe, und Burga hielt es nicht
mehr in ihrem Versteck. Sie stand mitten im Dickicht und wäre am
liebsten ihrem Hunde nachgeeilt, aber sie sah ein, daß sie ihre Mutter
nicht verlassen durfte. Da erschien schon Michel. Sein Gesicht blutete,
aber er lachte zufrieden.

»Braucht Euer Pistol nicht mehr, Burga, wir haben den großen Räuber
gefangen, und Wolf bewacht ihn. Denn er soll nicht im ehrlichen Kampf
sterben, sondern durch den Strick! Und der Junker Buchwald von der
Troiburg ist auch dabei. Da lief hier gestern so ein kleiner Junge
umher, den die Räuber als Kundschafter gebrauchten. Aber sie hatten ihn
aus Tondern gestohlen und ihn immer geschlagen. Nun war er böse auf
sie, und wie er merkte, daß ich es gut mit ihm meinte, verriet er mir,
daß der Ritter von der Troiburg hinter den Räubern her wäre und daß er
ihn und seine Knechte wohl finden könnte. Also habe ich ihn geschickt,
und der Junker ist grade zur rechten Zeit gekommen!«

Während er noch sprach, trat ein großer Mann im einfachen Lederkoller
vor Walburga und lüftete seine Kappe.

»Edle Jungfrau, ich habe schon von Euch gehört, und Eure Frau Mutter
ist die Base meiner alten Mutter. So sind wir miteinander verwandt!«

Das war der Ritter Detlev Buchwald von der Troiburg, der nun auch die
Frau von Rantzau begrüßte und übers ganze Gesicht lachte. Denn er hatte
einen sehr guten Fang in dieser Nacht gemacht. Schon seit langer Zeit
kam eine Räuberbande von Jütland her nach Nordschleswig, plünderte
einsame Gehöfte und überfiel die Reisenden. In Moor und Wald konnte sie
sich gut verstecken, und es war fast unmöglich, ihr beizukommen. Ihr
Anführer Klas Lembeck war ein kluger Mann und sollte ehedem Offizier
bei den Wallensteinern gewesen sein. Nun lag er gefesselt auf der Erde,
und Wolf bewachte ihn. Michel zeigte ihn voll Stolz.

[Illustration]

»Allein konnte ich ihn nicht überwältigen, da rief ich nach dem Hund,
und er kam auf meinen Ruf. Wohl, weil er merkte, daß er was Gutes tun
sollte!«

Er streichelte den großen Kopf des Hundes; der aber rührte sich nicht,
sondern sah mit glühenden Augen auf den Gefangenen, der zornige Flüche
ausstieß.

Vier Räuber waren getötet, eben so viele gefangen, und die andern waren
entflohen. Es stellte sich heraus, daß wohl ein halbes Dutzend von
ihnen in der Herberge verborgen gewesen war, als der Kaufmannszug kam.
Schon seit einigen Tagen wurde der Zug von Klas Lembeck verfolgt, und
hier erschien der geeignete Ort, einen Überfall zu unternehmen. Der
Kampf war heftig gewesen; Herr Jens Nielsen hatte einen Schlag über
den Kopf erhalten und einen Stich in den Arm, daß er recht kläglich
einherging. Aber Michel, der etwas von allem verstand, verband ihn
kunstgerecht und ließ es dabei nicht an Bemerkungen fehlen, daß der,
der nicht hören wollte, nun fühlen müßte.

»Hab ich's Euch nicht schon gestern gesagt, werter Mann, daß es hier
nicht geheuer wäre, und daß Ihr gut tätet aufzupassen? Sagte ich nicht,
Ihr sollet einmal in den Garten gehen und Euch die vielen Fußspuren
betrachten? Sie liefen alle ins Haus und keine hinaus! Aber Ihr waret
so klug, daß Ihr mich auslachtet!«

»Wir hatten ja doch die Soldaten!« murmelte Herr Nielsen, worauf Michel
ihm das Tuch um den Kopf noch fester band.

»Werter Mann, in das saure Bier war doch Mohnsaft hineingeträufelt.
Ich schmeckte es gleich, als ich den Becher an die Lippen setzte, aber
die andern waren durstig und spürten nichts davon. Daher schliefen
sie nachher wie die Steine. Niemand hörte auf mich, weil ich nur ein
elender Knecht bin, aber auch einfache Knechte sind manchmal klüger als
feine Herren aus der Stadt!«

Michel spreizte sich recht mit seinen Verdiensten, aber niemand verwies
ihm seine Eitelkeit. Hatte er doch wirklich die reichen Güter vor den
Räubern gerettet und die Menschenleben dazu. Denn Klas Lembeck war als
ein grausamer Mann bekannt, der seine Gefangenen allemal tötete und
keine Gnade kannte. Auch Burga, trotz ihrer Waffe und ihres Hundes,
hätte sich schwerlich vor ihm schützen können.

Frau von Rantzau war die erste, die Michels Verdienst erkannte und ihm
die Hand reichte.

»Du hast uns das Leben durch deine Treue gerettet, Michel!« Er machte
einen Kratzfuß, und wischte sich das blutunterlaufne Gesicht.

»Die edle Frau braucht sich nicht zu bedanken, ich weiß, was ich ihr
schuldig bin. Aber ich meine selbst, daß es vom Herrn Bürgermeister von
Hamburg ein guter Gedanke war, mir das Leben zu schenken. Denn nun kann
ich doch versuchen, ein braver Kerl zu werden, bis ich auf natürliche
Art in die Grube fahre!«

»Du sollst immer bei uns bleiben und von deinen früheren Taten darf
nicht mehr geredet werden! Sie sind vergessen und vergeben!«

Michel begann ein wenig zu schluchzen, aber er nahm sich gleich wieder
zusammen.

»Ich danke Euch, edle Frau! Besser ist es ja, wenn die Leute hier sich
von dem alten Michel keine Geschichten erzählen können! Und wenn sie
nun von mir reden, so dürfen sie damit beginnen, daß ich geholfen habe,
den großen Räuber Klas Lembeck gefangen zu nehmen!«

[Illustration]




[Illustration: Zehntes Kapitel]


Der Herr von Buchwald war, wie schon erwähnt, sehr guter Laune. Zum
ersten lief der Räuberhauptmann mit vier Kumpanen gebunden hinter
seinen Reisigen her, dann war ihm eine große Belohnung sicher, weil
er die Frachtwagen gerettet hatte, und endlich brachte er Frau von
Rantzau mit ihrer Tochter nach seiner eignen Burg. Denn er hatte ihnen
vorgestellt, daß sie vorläufig doch nicht auf der Finkenburg wohnen
könnten. Die ganze Burg lag in Trümmern, das Vieh war vertrieben, und
die Leibeigenen, die zu dem Besitz gehörten, waren davongelaufen. Also
war dies alles nichts für einzelne Frauen. Die Troiburg dagegen lag in
einer Niederung des Flusses Brederau und war so von Wasser umspült, daß
sie so gut wie uneinnehmbar war. Wenigstens hatten sowohl die Schweden
wie die Wallensteiner versucht, sie zu erobern, und beide Truppen waren
mit leeren Händen abgezogen.

Hier also wohnte der Junker Buchwald mit seiner alten Mutter und suchte
die Felder, die außerhalb der Burg lagen und oft verwüstet gewesen
waren, von neuem zu bestellen. Außerdem hatte er eine Anzahl Berittne,
mit denen er hinter den Räubern her war, die das Land unsicher machten.
Der König von Dänemark hatte ihm eine Belohnung versprochen, wenn er
dazu half, Nordschleswig von ihnen zu befreien. Nun wollte er die
Gefangnen in der Stadt Tondern abliefern, wo sie dann gerichtet werden
sollten.

Eigentlich war er ein schweigsamer Mann; aber heute mußte er die zwei
Frauen unterhalten, ritt neben dem Wagen her und tat es mit vielem
Vergnügen.

»Wie wird sich meine Frau Mutter freuen, einen so lieben Besuch zu
erhalten!« sagte er mehr als einmal. »Sie hat's gar einsam auf unsrer
Burg, und doch mag sie nicht in eine Stadt ziehen. Wer's gewohnt ist,
in freier Luft zu sein, die Vögel im Walde singen und im Winter das
Geheul der Wölfe zu hören, den zieht es nicht hinter die dicken Mauern
der Städte!«

Da tat Walburg einen tiefen Atemzug und sah den Ritter freundlich an.
Er sprach ihr aus der Seele.

Die Troiburg war ein finsterer alter Bau mit mächtigen Mauern und fast
ganz von Wasser umgeben. Eine Zugbrücke führte über einen breiten
Graben in den Burghof, in dem zwei große Hunde an der Kette lagen und
ihren Herrn mit lautem Geheul begrüßten. Sie waren von Wolfs Art, und
er, den Michel wieder am Riemen führte, antwortete ihnen auf dieselbe
Weise. Grade, als freute er sich über die Verwandtschaft. Aber die zwei
andern zeigten ihre großen Zähne, und für heute wurde Wolf noch nicht
zu ihnen gelassen, sondern ging mit Frau von Rantzau und ihrer Tochter
in die große Halle, wo eine gebückte Frau ihnen entgegenkam. Herr von
Buchwald hatte einen Boten vorausgeschickt; da wußte seine Mutter,
welche Gäste sie erwarten durfte. Herzlich begrüßte sie die Verwandten,
und als Walburg am Abend in der Halle saß, in deren Riesenkamin, trotz
des Sommers, ein helles Feuer brannte, als sie die Wolfsfelle sah, die
auf der Erde lagen, und die Hirschgeweihe und Wildschweinsköpfe an den
Wänden, da kam es ihr vor, als ob das Lagerkind endlich einen Platz
gefunden hatte, von dem es nicht mehr vertrieben werden konnte.

Es war gut sein auf der Troiburg. Zwar war hier ein hartes Leben, und
der Junker hatte fast mehr Arbeit, als er bewältigen konnte, aber wenn
er auch den ganzen Tag zu Pferde saß, um nach seinen Feldern zu sehen
oder seine Hörigen anzutreiben, daß sie für ihn arbeiteten, so hatte er
doch die feste Troiburg, zu der er immer wieder zurückkehren konnte, wo
seine Mutter ihn erwartete und wo es Speis und Trank für ihn und seine
Leute gab. Anders war es mit der Finkenburg. Bald nach ihrer Ankunft
fuhren Frau von Rantzau und ihre Tochter, begleitet von Michel und von
einigen Knechten, hin. Sie fanden einen Steinhaufen. Die Bäume, die
einst im Burghof standen, waren gefällt; dichter Efeu wuchs in den
Mauerlöchern, und wo einst ein zierliches Gärtchen gewesen war, lagen
Berge von Mörtel und Kalk. Wer hier neu bauen wollte, der mußte viel
Geld daran wenden, und wer weiß? wenn alles wieder aufgebaut war, kam
ein neuer Krieg und zerstörte das eben Geschaffne.

Traurig fuhren beide Frauen wieder zur Troiburg, wo die Buchwalds sie
liebevoll erwarteten und ihnen Mut einsprachen. Vielleicht konnte doch
noch ein Haus dort gebaut werden, wo die alte Burg gestanden hatte; die
Felder waren noch da, und allmählich würde man sie bestellen. Aber Frau
von Rantzau schüttelte den Kopf. Sie fühlte sich nicht gesund genug, um
eine so große Arbeit zu übernehmen; das mußte ihr Sohn tun, der jung
war und kräftig.

»Und mir traut Ihr gar nichts zu?« fragte Walburga.

Ehe die Mutter antworten konnte, stand der Ritter Buchwald auf.

»Werte Jungfrau!« sagte er. »Ich meine, Ihr solltet Euch nicht mehr um
die Finkenburg bekümmern, da sie doch eigentlich nicht Euch, sondern
Eurem Bruder gehört. Mag der sehen, ob er sich mit dem Gemäuer noch
viel Mühe geben mag. Ihr aber solltet mit Eurer Frau Mutter auf der
Troiburg bleiben, da wir, meine Mutter und ich, eine Gesellschaft sehr
nötig haben. Und nicht allein Gesellschaft, sondern auch Hände, die da
arbeiten können. Denn wir haben viel zu tun; aber wenig Menschen, die
die Arbeit anfassen. Rauh ist das Leben hier und wenig Vergnügen. Dafür
aber sitzen wir auf unsrer eignen Burg, und niemand hat uns was zu
sagen. Und wenn Ihr große Sehnsucht habt, dann könnt Ihr ja im Winter
einmal nach Schleswig auf ein Fest fahren. Ich will schon dafür sorgen,
daß Euch keine Räuber belästigen!«

Er sprach ehrlich, und als seine Mutter die Bitte des Sohnes
wiederholte, da versprachen beide Frauen, vorläufig auf der Burg zu
bleiben, und Walburga ließ sich geloben, daß sie Arbeit zugewiesen
erhalten sollte. Diese blieb nicht aus. In Küche und Keller, in den
Flachskammern wie im Garten war übergenug zu arbeiten, und manchmal kam
es der Jungfrau vor, daß sie noch nie so müde auf ihr Lager gesunken
wäre, wie auf der Troiburg. Aber jeden Morgen erwachte sie frohen
Herzens und wußte, daß sie nicht allein für sich, sondern für andre
lebte.

So kam es fast von selbst, daß, als Herr von Buchwald fragte, ob sie
ihn heiraten wollte, sie ihre Hand in die seine legte.

»Ich bin zwar ein Lagerkind gewesen!« sagte sie zögernd, worauf er ihr
treuherzig in die Augen sah.

»Aus einem Lagerkind, wie du es warest, wird die beste Burgfrau!«

In der alten Kirche zu Lügumkloster wurde aus Walburga Rantzau die
edle Frau von Buchwald. Es war nur eine kleine Feier, aber der
Rittmeister Kord Rantzau war natürlich dazu gekommen und auch ein
junger Offizier, Gottfried Hanekamp. Die andern Hanekamps aber ließen
sich entschuldigen, denn es ging zum Herbst, und aus Hamburg hatte
niemand Lust, sich auf die nordschleswigsche Heide zu wagen. Die
schlimmsten Räuber waren zwar gehängt, aber, wer verständig war, der
wagte sich nicht aus schützenden Mauern. So sandten die Hanekamps nur
ein stattliches Silbergeschenk und dazu ein Faß mit gesalzenen Heringen
und eins mit indischen Gewürzen.

Auch der Kaufmann Josias Petersen sandte ein Geschenk, das aus einem
wertvollen Teppich bestand, und dazu schrieb er, daß er sich von Herzen
freue, die Jungfrau Walburga als Herrin der Troiburg zu wissen. Denn
dann würde es mit den Ländereien der Finkenburg wohl noch in Ordnung
kommen! Walburg verstand diesen Satz nicht; ihr jetziger Gemahl aber
wurde ein wenig verlegen.

»Ich habe mir wohl einige Felder genommen, die ohne Herrn waren und
die eigentlich zu eurer Burg gehörten!« gestand er. »Aber ich wußte
ja nicht viel von euch, und ob ihr jemals wieder heimkehrtet. Wenn du
willst, sollen sie dir gut geschrieben werden, Walburg, oder ich gebe
Geld dafür an deinen Bruder!«

So wurde das letztere beschlossen, und der Rittmeister nahm gern
einen Beutel mit Silbertalern, die er gut gebrauchen konnte. Zugleich
bedankte er sich bei seinem Schwager für seine Ehrlichkeit. Denn
dazumal nahm jedermann wohl, was er kriegen konnte, und im Grunde
war es gut gewesen, daß die Felder bestellt wurden, anstatt brach zu
liegen. Aber als er wieder einmal nach Schleswig kam, ging er doch zu
Herrn Josias, um diesem für seine Worte in dem Hochzeitsschreiben zu
danken.

»Ich tats für Eure Frau Mutter, werter Herr!« entgegnete der Kaufherr,
»und auch für Eure Schwester. Denn sie hat mir gut gefallen, nachdem
ich sie gesehen, und sie hat meinen Jens Nielsen und etliche der
Knechte damals, nach dem Überfall, so brav verbunden, daß sie ihr noch
alle dankbar sind. Und eigentlich hätte ich dem Hunde Wolf auch wohl
ein Geschenk senden mögen, wußte aber nicht, was es sein sollte. Da er
wohl jetzt alles hat, was sein Herz begehrt!«

So war es auch. Wolf bedurfte keiner besondern Gabe. Als Walburg mit
dem Ritter Buchwald in der Kirche getraut wurde, saß er mit Michel vor
der Tür und winselte. Denn er konnte es nicht haben, wenn er Walburg
nicht begleiten durfte. Nachher aber, bei dem Hochzeitsmahl, lag er
zu den Füßen der Braut und durfte an einem großen Knochen nagen. Er
hatte es besser als Michel, der draußen in der Gesindestube mit den
andern Knechten und Mägden feierte und nur aus der Ferne die Braut und
ihren Gemahl sehen durfte. Aber er war auch zufrieden. Alles Gesinde
behandelte ihn mit Achtung, weil er sich so tapfer bei den Räubern
benommen hatte, und daß er ehemals Schuld auf sich geladen hatte,
wußten nur die Rantzaus. Die aber redeten nicht darüber, und der
Rittmeister sagte ihm sogar beim Scheiden ein gütiges Wort. Merkte er
doch, daß Michel sich Mühe gab, ein treuer Diener zu werden, und von
diesen gabs nicht allzuviel im Lande. Der Knecht hatte in Wahrheit ein
andres Gewand angelegt. War es, weil er wieder in die Heimat kam und
der herbe Duft von Moor und Heide ihn umgab, oder daß er seine Sünden
einsah; niemals konnte die Herrschaft sich über ihn beklagen. Eifrig
arbeitete er, wo es zu arbeiten gab, und achtete auf die Knechte; und
als der erste kleine Junker geboren wurde, saß er neben der Wiege
wie eine echte Kindermuhme. Er war es, der den Kleinen zuerst laufen
lehrte, der ihm die ersten Bolzen schnitzte. Wenn der Ritter von
der Burg abwesend war, wußte er sie wohl bewacht, wenn Michel seine
scharfen Augen offen hatte, und gar oft sprachen Frau von Rantzau und
ihre Tochter darüber, wie doch alles so wunderbar gekommen wäre und wie
Gott es gefügt habe, daß der einstige Missetäter ihnen noch so nützlich
geworden wäre.

Fünf Jahre waren vergangen. Auf der Troiburg hatte sich nicht wenig
verändert: zwei Menschen waren gestorben, drei waren wieder geboren
worden. Die alte Frau von Buchwald und Frau von Rantzau hatten die
Augen zum ewigen Schlummer geschlossen, zwei kleine Buchwalds liefen
dafür munter im Burghof umher, spielten mit Holzpferden und Puppen und
setzten sich Wolf auf den Rücken, um auf ihm zu reiten. Der Hund lebte
immer noch; aber er war steif geworden, und seine Augen hatten ihre
Sehkraft verloren. Doch er konnte noch immer scharf hören, und seine
mächtigen Zähne waren ihm nicht ausgefallen. Für die andern Wolfshunde
war er eine Respektsperson; wo er in der Sonne oder am warmen Kamin
lag, da wagte sich kein andrer Hund hin. Noch immer liebte er Walburg
am meisten, aber sie hatte oft keine Zeit für ihn, und so lag er jetzt
neben der Wiege, in der das jüngste Kind schlief. Das war ein kleines
Mädchen, und sie hieß Walburg wie ihre Mutter. Die andern Leute sagten,
daß sie auch sonst ihrer Mutter gliche und wohl später so wie diese
werden würde. Wenn der alte Hund diese Worte hörte, hob er den Kopf und
stieß mit der spitzen Schnauze gegen die Wiege, als wollte er sagen,
daß auch er dies glaube. Und dann legte er sich wieder hin, drückte den
Kopf auf die Pfoten und träumte. Und vielleicht dachte er der Zeit, da
er jung war und mit dem Lagerkind über die Heide lief, oder mit ihr
über das Eis der Elbe ging und nachher auf das Heulen der Wölfe horchte.

Auch jetzt kamen sie im Winter über die nordschleswigsche Heide und
heulten um das Gemäuer der Troiburg. Dann war Wolf immer der erste,
der aus seinen Träumen auffuhr und so wild und zornig bellte, daß
alle andern Hunde in Aufregung gerieten. Sie lärmten so lange, bis
der Ritter Buchwald ihnen den Gefallen tat und mit ihnen aus dem Tor
und über die Zugbrücke ging. Mit wilden Sätzen jagten sie hinter den
Wölfen her und brachten sicherlich den einen oder den andern zur
Strecke. Aber es kam auch vor, daß einer von ihnen nicht wiederkehrte
und daß man am andern Morgen nur seine Knochen fand. Mehrmals
veranstaltete der Ritter eine Wolfsjagd, zu der er verschiedene
Nachbarn einlud und in denen die Isegrims ihr Leben lassen mußten.
Dann gabs für einige Zeit Ruhe; aber im strengen Winter kamen sie
immer wieder, und es schien, als ob sie nicht ab- sondern zunähmen. Es
gab viel zu tun, sich ihrer zu erwehren, und der alte Wolf hatte oft
Gelegenheit, sein durchdringendes Geheul auszustoßen und seine Zähne zu
fletschen. Er selbst sollte den Wolf nicht mehr jagen; Walburga hatte
es ein für allemal verboten, und er wußte, daß ers nicht durfte. So
blieb er denn, am ganzen Leibe zitternd, daheim, legte sich vor die
Wiege und winselte.

Es war an einem herrlichen Wintertage. Viele Tage vorher hatte es
geschneit, und der dicke Turm der Troiburg trug eine Mütze von Schnee.
Auf dem Wasser des Burggrabens lag Eis, und der breite Fluß hinter
der Zugbrücke war gleichfalls zugefroren. Aber die Sonne schien,
tausend kleine Kristalle flimmerten auf dem alten Burggemäuer, und
der Himmel war blau wie im Sommer. So warm war es auf dem Schnee
im Garten, daß die Kinder barhaupt hier spielten. Die zwei kleinen
Junker schneeballten sich, und die kleine Walburga hatte Michel wohl
eingepackt und dann in den warmen Sonnenschein gestellt. Denn er
behauptete, die frische Luft wäre gesunder für die Kinder, als den
ganzen Winter lang vor dem brennenden Kamin zu hocken. Auch Wolf kam
hinzu und legte sich unter die kleine Wiege. Ganz still war es im
Gärtlein; die kleinen Junker waren des Schneeballens müde geworden und
davongelaufen, weil sie von der Frau Mutter ein Musbrot holen wollten.
Auch Michel wurde hungrig zumute. In der Gesindekammer stand sein Brot
und seine Kanne mit Bier; er wollte sich stärken, weil die Winterluft
zehrte. Also ging er davon und ließ Wolf mit der Kleinen im geschützten
Garten. Das Kind schlief fest, und Wolf träumte wie meistens. Im blauen
Himmel stieg ein Falke in die Höhe und stieß einen rauhen Schrei aus.
Da hob Wolf den Kopf und lauschte. Wenn der Falke so schrie, dann
lauschte er immer. Über die Mauer des Gartens spähte ein dunkler Kopf;
eine zottige Gestalt folgte ihm; dann schlich ein großer Wolf auf die
Wiege zu, um gleich in ein wildes Geheul auszubrechen. Denn Wolf, der
Hund, war ihm an die Kehle gesprungen, und beide Tiere wälzten sich
im Schnee, bissen sich fest ineinander und fauchten und knurrten.
Von Hofe her heulten die andern Wolfshunde, und bald war Hilfe zur
Stelle. Die Knechte kamen mit Knüppeln, die Hunde stürzten sich auf
den Räuber; jagten dann über die Gartenmauer und übers Eis, das den
Eingang zur Burgmauer freigegeben hatte. Bei diesem wilden Kampfe war
die Wiege umgefallen, aber die kleine Walburg lag unverletzt in ihren
Kissen. Ein mächtiger Wolf lag totgebissen mitten im Garten, während
draußen noch mehrere verfolgt wurden. Aber auch der tapfere Hund lag
in seinem Blute. Frau Walburga kniete neben ihm und legte seinen Kopf
in ihren Schoß. Noch einmal leckte er ihr die Hand und winselte wie in
alten Tagen. Wie damals, als er mit dem Lagerkind nach dem Hanekamphof
ging. Dann streckte er sich und schloß die blinden Augen für immer.
Bitterlich weinte Frau Walburg über den Tod des alten Freundes; aber er
hatte ein tapferes Ende gehabt, und das gönnte sie ihm. Im Garten der
Troiburg fand er seine letzte Ruhestätte, und Michel stand manchmal vor
dem kleinen Hügel oder berichtete den Kindern von Wolf dem Tapfern und
von seinen Abenteuern. Jetzt lag ein junger Wolfshund neben der Wiege
und folgte der Herrschaft, wenn sie ihn rief; aber es war nicht der
alte Wolf, der so klug war, daß er jedes Wort verstand.

Wieder vergingen die Jahre. Frau Walburg wollte immer gen Süden reisen
und dann auch nach den Hanekamps in Hamburg sehen. Aber sie hatte keine
Zeit. In der Troiburg gabs kein Ende mit der Arbeit; die Kinder wollten
gewartet und erzogen sein, und ihr Gemahl mochte sie nicht entbehren.
Sie mußte oft die Burg behüten, wenn er abwesend war, und er hatte viel
draußen im Lande zu tun. Allmählich war's freilich sicherer auf der
Heide und im Moor geworden, aber immer noch gab es Wegelagerer, die
die Gegend beunruhigten, und mehr als einmal erhielt der Ritter den
Auftrag, hier und dort nach Recht und Ordnung zu sehen. Und gerade, wie
das Land einigermaßen ruhig war und die Felder bestellt werden konnten,
da begann wieder der Krieg. Der dänische König ward hart von den
Schweden bedrängt, die vom Süden her in Schleswig-Holstein einbrachen
und große Verwüstungen anrichteten. Bis die Brandenburger und
Österreicher den Dänen zu Hilfe kamen. Der Große Kurfürst ist damals
selbst bis nach Flensburg geritten und von dort übers Eis nach der
Insel Alsen gegangen. Er war ein guter Herr und wollte den Schleswigern
gewiß nicht mehr schaden, als es der Krieg mit sich brachte. Aber
leider hatte er auch Polen unter seiner Fahne, die wie die Wilden
in Städte und Dörfer einbrachen, dort mordeten und raubten, daß sie
überall Entsetzen verbreiteten. Der Polackenkrieg, wie er genannt ward,
brachte noch mehr Elend nach Schleswig als der Dreißigjährige Krieg,
und ganze Dörfer und Höfe verschwanden vom Erdboden, um niemals wieder
aufzustehen. Auch die Troiburg wurde damals von den polnischen Völkern
berannt, aber der Ritter Buchwald hatte eine kleine Schleuse gebaut,
durch die das Wasser der Brederau um die Burg steigen konnte. Also lag
sie ganz im Wasser, und von den dicken Mauern aus wurde weidlich auf
die Feinde geschossen, so daß sie abziehen mußten, ohne in die Burg
gedrungen zu sein. Aber sie verwüsteten alle Felder und Höfe in der
Umgegend, und Frau Burga freute sich, daß die Finkenburg nicht wieder
aufgebaut war. Sie würde vielleicht ein noch schlimmeres Schicksal
erlitten haben als ehemals. Mitten im Winter war es, daß die Polacken
anrückten, aber es war nicht mehr kalt, sondern naß, das Tauwetter kam
bald, und in den aufgetauten Mooren versanken manchmal Roß und Reiter.
Die Troiburg war voll von Flüchtigen, die sich aus ihren unbeschützten
Höfen und Dörfern hinter die dicken Mauern gerettet hatten. Auf dem
großen Burghof, in den Ställen und Kammern gab es ein buntes Leben,
und Michel, der schon manchmal seine Jahre spürte, wurde wieder jung
und vergnügt. Denn ihm machte der Kriegslärm, besonders aus der Ferne,
Freude, und den Jüngeren berichtete er gern, wie es ehedem gewesen war.
Damals im Krieg, der dreißig Jahre währte, und den er eigentlich ganz
mitgemacht hatte. Und wenn er von seinen Heldentaten berichtete, dann
wurde er so gerührt, daß er sie selbst glaubte.

Gegen das Frühjahr hin wurde die Gegend ruhiger. Man wagte sich
wieder aus der Burg, um die verwüsteten Äcker zu bestellen, und ein
königlicher Bote rief den Ritter von Buchwald nach Jütland. Dort war
der dänische König, und er wollte Bericht, wie es in Nordschleswig
aussähe. Herr von Buchwald ritt also mit etlichen Knechten davon,
nachdem er den Schutz der Burg einem jungen Vetter, einem Rumohr,
übergeben hatte. Michel war in seinem Gefolge. Zwar sollte er nicht mit
über die jütische Grenze reiten, sondern seinen Herrn nur eine Strecke
Wegs begleiten und dann Walburga Nachricht geben, wie das Land aussähe.
Aber die ganze Schar kam nur bis Lügumkloster. Dort saßen von neuem
die Polen und hatten sich im Dorfe befestigt, um nicht vertrieben zu
werden. Eine Burg von großen Wagen hatten sie auf die Feldmark gestellt
und schossen von dort aus auf die nahenden Reiter. Da gab es denn einen
lustigen Kampf, bei dem der Ritter Buchwald schwer verwundet wurde und
Michel einen Streifschuß erhielt, der ihn vom Pferde fallen ließ. Aber
er raffte sich gleich wieder auf, und da vom Dorfe selbst plötzlich auf
die Polacken geschossen wurde, so räumten diese eilig das Feld. Mehrere
Verwundete und Tote ließen sie zurück, aber auch die wohlbepackten
Wagen, die zu einem Kaufmannszug gehörten, der einmal wieder versucht
hatte, von Süden her nach Dänemark zu kommen. Die Knechte, die die
Güter begleitet hatten, lagen zum Teil gebunden unter den Wagen. Auch
ihr Führer, ein junger Hamburger Kaufmann, war gleichfalls gefesselt
gewesen, hatte sich aber befreit und war mit einigen Bauern auf die
Polen von hinten losgegangen. Ihn hatte ein Säbelhieb über den Kopf
getroffen, aber er wischte sich das Blut aus den Augen und befreite
seine Knechte von den Fesseln, während er zugleich eifrig auf Michel
einsprach, der bekümmert neben seinem Herrn stand.

»Ich kann eine Tragbahre für ihn machen, und wir bringen ihn in ein
Haus! Auch habe ich Medikamente und Leinen zum Verbinden!«

»Mein Herr gehört auf die Troiburg, zu seiner Frau Eheliebsten.«

»Auf die Troiburg!« Der Hamburger stutzte und sah Michel scharf an.
»Wohnt dort nicht das Lagerkind?«

Michel richtete sich steif auf, so gut es sein zerschossenes Bein
zuließ.

»Meine Herrin ist die edle Frau von Buchwald, aus dem Geschlecht der
Rantzau -- --«

»Und du bist der rote Michel!«

Konrad Hanekamp faßte nach der Hand des Alten.

»Schon zweimal bin ich mit Kaufmannsgütern durch Schleswig nach Jütland
gezogen, und immer wollte ich Einkehr halten auf der Troiburg. Weil wir
doch Walburga, unser Lagerkind, nicht vergessen haben und noch immer
von ihr reden. Aber es ist immer etwas dazwischen gekommen, und jetzt
ist es der Herr von Buchwald, der mir das Leben rettet und dazu vielen
Kaufleuten ihre Habe. Wir werden uns dankbar beweisen, Michel, und nun
vorerst deinen Herrn wieder in seine Burg bringen!«

Vorsichtig wurde der Ritter über die Heide in seine Burg getragen,
und traurig ritten seine Leute hinter ihm her, während ein Bote
vorangeschickt wurde, um Frau Walburg vorzubereiten. Einige der Knechte
blieben in Lügumkloster, um die Wagen mit Gütern zu bewachen, aber
Konrad Hanekamp verließ den Verwundeten nicht, sondern schritt neben
ihm her, kühlte seine tiefe Kopfwunde und sorgte dafür, daß er bequem
lag. Er war ein großer, starker Mann geworden, der sich scharf umsah
und gleich nach dem Pistol griff, wenn er etwas Verdächtiges bemerkte.
Aber unbehelligt erreichte der Zug die Burg, und Frau Walburg, die
schon unterrichtet war, hatte ein gutes Lager für ihren verwundeten
Gemahl besorgt. Er war meistens ohne Besinnung, und der alte Schäfer
von Lügumkloster, den man mitgenommen hatte, weil er am meisten von
Krankheit und Verwundung verstand, machte ein bedenkliches Gesicht.

»Auch die adligen Herren müssen sterben!« gab er auf alle Fragen
zur Antwort, und so war es kein frohes Wiedersehen, das Walburg mit
ihrem Jugendgefährten feiern konnte. Aber sie war gefaßt und mutig;
einmal, das wußte sie auch, ging es zu Ende mit allen Menschen, und
es war fast ein Wunder, daß den Herrn der Troiburg noch niemals eine
Verwundung betroffen hatte. Und weil sie verständig war und auch in
ihrer großen Sorge an andre dachte, so verband sie nicht allein Konrad,
dessen Wunde wie ein blutiger Streifen um den ganzen Kopf lief, sie
sorgte auch dafür, daß Michels Bein und die Schäden der andern Knechte
nachgesehen und verbunden wurden. Es kamen schwere Tage für die
Troiburg. Der Burgherr lag bewußtlos, und die Polacken rückten wieder
in hellen Haufen an. Aber nicht eher, bis die Wagen mit den Gütern
von Lügumkloster nach der Troiburg in Sicherheit gebracht waren. Dort
standen sie nun wohlgeborgen, und in dem Morast, der die Burg umgab,
versanken die anstürmenden Scharen, daß sie nach etlichen vergeblichen
Versuchen wieder abziehen mußten. Während der Ritter Buchwald noch
immer zwischen Tod und Leben lag, war seine Frau überall, und hinter
ihr her liefen ihre beiden Knaben. Beide seelenvergnügt und fröhlich,
daß es auf der stillen Burg soviel Abwechslung gab.

Konrad Hanekamp half, wo er nur konnte, und als es wieder still wurde
in der Gegend, machte er Erkundungsritte um zu sehen, wo es keine
Feinde mehr gab. Sie waren allmählich wieder weiter gezogen, hatten
aber das Land derartig verwüstet und die Bewohner getötet, daß man
viele Meilen weit reiten konnte, ehe man auf ein menschliches Wesen
traf. Und das war meistens so verängstigt, daß es in ein Dickicht oder
in ein Moor schlüpfte, wohin man ihm nicht folgen konnte. Traurig
kehrte Konrad von solchen Ritten heim und freute sich nur, daß es dem
Ritter allmählich besser ging und daß er einmal sogar verlangte, Konrad
möge ihm berichten, wie er mit seinen Wagen in die Hände der Polacken
gefallen wäre.

»Wie es kam?« Konrad setzte sich vor das Lager des Herrn von Buchwald
und strich über die rote Narbe an seiner Stirn.

»Ich kann's selbst nicht sagen, Herr. Uns war gesagt worden, die Dänen
führten Krieg mit den Schweden, und diesen sollten wir aus dem Wege
gehen. Was wir auch taten. Und dann hieß es, die Brandenburger wären
Freunde der Dänen. Also glaubten wir, diese würden, wenn wir ihnen
begegneten, wohl einen kleinen Wegzoll von uns nehmen, uns sonst aber
ruhig ziehen lassen. Wir wußten nicht, daß unter dem brandenburgischen
Adler die Polen waren, die keinen Unterschied machen zwischen Freund
und Feind. Als wir einer Schar von ihnen beim Dorfe Lügumkloster
begegneten, dachten wir, sie sollten uns geleiten, und ich bot dem
Offizier eine Summe Geldes, wenn er uns sicher über die Grenze brächte.
Er nahm das Geld; dann warfen seine Leute mich und meine Knechte vom
Pferde, und als Gefangne zogen wir ein in Lügumkloster. Ich verstehe
kein Polnisch, aber ich merkte, daß wir alle hingerichtet werden
sollten, sobald die Herren Zeit zu solchem Vergnügen hätten. Vorerst
war ihnen berichtet worden, daß vielleicht der Troiburger Ritter
mit etlichen Mannen durch das Dorf käme, und den wollten sie erst
erwischen. Denn die Troiburg ist den Herren etwas sehr Ärgerliches, da
sie nicht hinein und ihre Frauen und Kinder nicht totstechen können.
Das übrige wißt Ihr, edler Herr. Von unsern Wagen hatten sie eine
Art Verhau gebildet, aus dem sie Euch und Eure Begleiter erschießen
wollten. Nun, es ist, dank Eurer Tapferkeit, anders gekommen; viele
Polen, auch der freundliche Offizier, haben das Leben lassen müssen,
und meine Waren sind im Schutz der Troiburg. Wenn's aber weiter so
geht, dann weiß ich nicht, was aus dem armen Lande hier werden soll!«

»Es wird schon einmal wieder gut werden!« sagte Frau Walburg, die leise
eingetreten war, und Konrad sah sie bewundernd an.

»Du bist mehr für dies Leben geschaffen als ich, Walburg! Mir wird's
sehr recht sein, wenn ich erst wieder daheim sitze und der Mutter und
dem Oheim von meinen Erlebnissen berichten kann!«

»Du bist doch sehr tapfer gewesen!« rief Frau Walburg, und Konrad
lachte.

»Ganz gewiß, ich laufe nicht weg, wenn der Feind kommt; mein Pistol
kann ich abschießen und den Degen ziehen. Es ist aber nicht mein Beruf.
Lieber sorge ich dafür, daß die Leute Tran und Fische und Felle,
Kleider und Wein erhalten. Und wenn ich wieder daheim bin, dann baue
ich den Hanekamphof mir ein wenig zurecht, bringe eine junge Frau
dahin und freue mich des Friedens! Denn immer Mord und Totschlag und
Belagerung und was noch alles zum Elend des Krieges gehört, das nenne
ich kein Leben!«

Der Ritter Buchwald war noch schwach, aber er mußte lachen.

»Immer Frieden, das wäre nicht nach meinem Geschmack! Allerdings könnte
es jetzt bald ein wenig ruhiger werden. Vielleicht kommt auch noch
einmal die Zeit, wo ich in Frieden den Wolf jagen kann!«

»Den habe ich als Junge auch gejagt!« rief Konrad eifrig. »Weißt du
noch, Walburg?«

Und beide sprachen von den Tagen, da sie auf dem Hanekamphof lebten,
und auch von den Zeiten in Hamburg. Lange hatte Walburg nicht an alle
diese Dinge gedacht; nun wurde sie ganz lebhaft und bekam glänzende
Augen. Still hörte ihr Gemahl zu. Endlich sprach er:

»Du bist wohl ganz traurig, daß du kein Lagerkind geblieben bist!«

Sie lächelte.

»Das war etwas für die Kindheit; jetzt bin ich dankbar, bei dir auf der
Troiburg zu sein!«

Dabei streichelte sie den Kopf des Töchterchens, das schon lange auf
ihrem Schoß saß und andächtig auf das hörte, was ihre Mutter und der
Ohm Konrad sich zu erzählen hatten.

Nach etlichen Wochen konnte Konrad Hanekamp mit seinen Gütern die
Troiburg verlassen und sicher nach Jütland gelangen. Weil Frau Walburg
um ihn besorgt war, gab sie ihm Michel mit, der wieder ganz gesund war
und dem es Freude machte, einmal von der Burg zu kommen. Er kehrte
nach einiger Zeit zurück und berichtete, daß alles gut gegangen wäre.
Er brachte einige Waren mit, die Konrad ihm noch für die Troiburger
mitgegeben hatte, aber zugleich die Nachricht, daß der Obrist von
Rantzau, der Bruder von Walburg, im Kampfe gegen die Schweden einen
tapfern Soldatentod gefunden habe. Walburg war sehr traurig. Immer
hatte sie gehofft, der Bruder würde sie einmal besuchen und sehen, wie
glücklich sie geworden war. Aber er hatte niemals Zeit gehabt, an sich
zu denken, und war für seinen König gestorben. Auch Herr von Buchwald
wurde nie wieder ganz gesund, und auf Wölfe jagen durfte er ebenso
wenig wie wieder gegen den Feind kämpfen. Er konnte nur darauf hoffen,
daß seine Söhne dereinst ebenso tapfer würden, wie er es gewesen war.
Noch aber waren sie klein, und Walburg quälte sich damit ab, sie
lesen und schreiben zu lehren, was ihnen wenig Vergnügen machte. Aber
die Mutter war eine ernsthafte Lehrmeisterin, und wenn sie zu Michel
liefen, um ihm zu klagen, daß sie lieber umherstreifen möchten als
still sitzen, dann hob der alte Mann einen warnenden Finger.

»Ein wenig gelehrt müßt Ihr schon werden, Junker, sonst gehts Euch
hernach nicht gut. Am eignen Leib hab ich's erfahren; hätte ich in
meiner Kindheit was Ordentliches gelernt, dann wäre ich vielleicht ein
ganz andrer Mensch geworden!«

»Du bist doch sehr gut, wie du bist!« rief der älteste Buchwald, und
Michel rieb seinen schneeweißen Kopf.

»Gewiß, ich bin jetzt sehr gut und wills auch bleiben. Aber ich hätte
vielleicht doch noch viel besser sein können!«

Das verstanden die Knaben nun nicht und brauchten es auch nicht zu
verstehen; aber Walburg, die einmal diese Unterhaltung belauschte,
merkte an ihr, daß den alten Michel seine früheren Sünden kränkten. Sie
sprach nicht mit ihm darüber, aber wenn sie ihrem Gemahl aus der Bibel
vorlas, dann rief sie Michel ins Gemach. Er durfte in der Ecke sitzen
und die Lehre von der ewigen Barmherzigkeit Gottes hören. Das gab
ihm dann Frieden, und er seufzte nicht mehr so viel, wie er es sich,
nachdem er einmal eine schwere Krankheit überstanden, angewöhnt hatte.

Wie nun die Knaben heranwuchsen, merkte Frau Walburg, daß sie sie
nicht mehr allein unterweisen konnte. Da schrieb sie an den Magister
Timotheus in Hamburg, damit er ihr einen Rat gäbe, und nach geraumer
Zeit hielt sie eine Antwort von ihm in Händen. Sie freute sich sehr;
denn lange hatte sie nichts aus Hamburg gehört und dachte doch noch oft
dorthin. Der Magister schrieb mit zitternder Hand, man merkte, daß auch
ihn die Jahre drückten, aber Walburgs Brief hatte ihn sehr erfreut, und
er gab ihr in betreff ihrer Söhne allerlei gute Ratschläge, die sie
getreulich befolgte. Dann fuhr der Brief fort:

»Du fragst nach den Hanekamps, liebe Walburg! Da muß ich dir sagen,
daß wir den alten Herrn Jobst Hanekamp vorigen Sonntag auf dem
Katharinenkirchhof zur ewigen Ruhe bestattet haben. Bis in die letzte
Zeit war er gesund und hat noch oft von dir geredet. Auch gehofft,
du solltest noch einmal herkommen, da er dir sein neues Haus zeigen
wollte, das er sich erbaut. Aber gerade, als es fertig war, ist er
davongegangen. Daraus wir wieder lernen sollen, daß wir armen Menschen
uns hier auf der Erde nicht allzu fest setzen sollen. Nun wird Konrad
in das Haus ziehen, hat auch schon eine Frau, und spricht davon, den
Hanekamphof wieder aufzubauen. Dies werden Frau Jutta und ich wohl
kaum mehr erleben, da wir die Gebresten des Alters spüren und gern
hinter dem Ofen sitzen und uns von alten Zeiten erzählen. Als wir
kein so gutes Leben hatten wie jetzt, aber doch trotz allen Ungemachs
ein mutiges Herz in der Brust, das uns das Schwere leicht machte. So
aber ist das Leben. Wenn es Abend werden will, erscheint uns der Tag,
der dahinten liegt, voller Sonnenschein, und hat doch viel Wolken und
Unwetter gebracht. Von Gottfried wirst du gehört haben. Er ist in
Kopenhagen und ein vornehmer Offizier geworden. Manchmal schreibt er,
und dann freut Frau Jutta sich sehr.

Nun aber Gott befohlen, liebe Walburga! Mögen deine Kinder so brav
werden, wie die Frau, von der wir noch reden als von dem Lagerkind!«

Frau Walburg hat oft diesen Brief gelesen und dann zurückgedacht an die
Zeit ihrer Kindheit. Immer weiter glitt sie von ihr zurück, so daß es
ihr manchmal vorkam, als wäre alles, was sie erlebt hatte, ein Traum
gewesen. Und doch, als sie schon alt war, konnte sie manchmal aus dem
Schlaf fahren und sich wieder über die Elbe laufen sehen. Wo das Eis
murrte und das Wasser drohend gegen die dünne Decke schlug. Oder sie
hörte das Heulen der Wölfe und streifte mit den Hanekamps durch den
Wald. Dann aber klang dazwischen die Stimme des Magisters; sie ging in
Hamburg über die friedliche Straße und hörte die Glocken läuten.

Nach Jahren läuteten die Glocken von Lügumkloster auch für sie. Da
öffnete sich die Gruft der Buchwalds in der alten Klosterkirche, und
das ehemalige Lagerkind wurde zur letzten Ruhe gebracht. Es war Frieden
im Land, und ein großes Trauergefolge ging hinter dem Sarge her. Alle
waren sie traurig. Denn nur Gutes wußte man zu berichten von der
tapferen Edelfrau, die selbst manches Abenteuer bestanden hatte und
barmherzig und mild gegen alle gewesen war, die ihrer bedurften.

Jetzt ist ihre Gruft verfallen, und man vermag sie nicht mehr zu
finden. Aber bis vor sechzig Jahren hat die stolze Troiburg am Wasser
der Brederau bei Lügumkloster gestanden, und ihre Ruine schaut noch
heute ins Land. Noch lange erzählte man sich in den nordschleswigschen
Spinnstuben die Geschichte vom Lagerkinde. Wie es verschleppt wurde
von der Finkenburg und dann wiederkehrte, um vielen Menschen Gutes zu
tun. -- Einige Leute wollen sie noch in den Ruinen der Troiburg um
Mitternacht gesehen haben, dies aber ist nur ein Märchen. Das Lagerkind
ruht aus von seinem bunten und ernsthaften Leben.

[Illustration]




Im Verlag von Jos. Scholz in Mainz erschienen ferner:

Jungmädchenbücher

Werke namhafter zeitgenössischer Schriftsteller mit Bildern von ersten
Künstlern. Herausgegeben von Wilhelm Kotzde.


 Elisabeth von Oertzen: Der goldene Morgen. Mit Bildern von Emil
 Heinsdorff. Gebunden 3 Mark.

Elisabeth von Oertzen, die pommersche Edelfrau, ist die Enkelin
des alten, königstreuen Thadden, der zu den Freunden Bismarcks und
Roons schon in ihren jungen Tagen gehörte. Sie erzählt nun schlicht,
offenherzig und mit vielem Humor die Geschichte ihrer Jugend. Der ganze
Reiz und oft auch der Ernst des Landlebens entstehen vor dem Leser.
Krankheit, Brand und Krieg greifen bedenklich hinein in diese frohe
Jugend. Und doch wird alles golden überstrahlt von dem herrlichen
Morgen einer taufrischen Seele.


 Charlotte Niese: Erika. Mit Bildern von Reinhard Pfaehler von
 Othegraven. Gebunden 3 Mark.

Wie ein reiches, verwöhntes, mutterloses Mädchen von der Selbstsucht
sich durchringt zu ernstem Sinn, der sorgt und mitleidet mit anderen,
das ist hier ohne alle Aufdringlichkeit erzählt. Die Wandlung ergibt
sich so selbstverständlich aus den Erlebnissen, daß es auch für den
geschulten Leser ein Genuß ist, das alles zu lesen. Wir lernen das
Leben eines deutschen Kaufmannes in San Franzisko, das Treiben auf
einem großen Ozeandampfer, die Leiden von Schiffbrüchigen kennen. Das
Buch führt uns in die weite Welt hinaus und dabei in das tapfere, sich
selbst vergessende Schalten einer deutschen Frau.


 Gustav Falke: Herr Purtaller und seine Tochter. Mit Bildern von Franz
 Stassen. Gebunden 3 Mark.

Ein Buch, das viel Heiterkeit bringt. Herr Purtaller ist einer jener
Entgleisten, die bei allem guten Willen, der immer wieder durchbricht,
ihrer Schwäche doch nicht Herr werden. Neben ihm steht seine Tochter,
ein stilles, ernstes Mädchen, der Mutter nachgeartet, das ohne Reden,
unaufdringlich, allein durch sein Wesen Ordnung, Ruhe, Liebe um sich
verbreitet, eine jener weiblichen Gestalten, die nur durch ihr Dasein
schon eine Wohltat für die anderen sind. Daß eine Reihe köstlich
gesehener Gestalten die beiden umgeben, das braucht bei einem Werk von
Gustav Falke wohl nicht erst gesagt zu werden.


 Helene Raff: Regina Himmelschütz. Mit Bildern von Arpad Schmidhammer.
 Gebunden 3.50 Mark.

Eine Geschichte aus den bayerischen Bergen. Die Himmelschütze bringen
sich durch Trotz und Gewaltsamkeit ins Unglück. Sie verlieren ihren
schönen Hof, die beiden Söhne gehen elend zu Grunde, nur das schwache
Ginerl bleibt den Alten zurück. In dem Mädchen steckt wohl auch etwas
von dem Trotz der Familie, aber Regina wird vom Leben in eine harte
Schule genommen, es liegt ihr dazu die Tüchtigkeit der Mutter im Blut.
In langsamer Arbeit, unter der Erziehung einer ärztlichen Familie,
ringt sie sich empor. Sie kommt schließlich als Gattin auf einen
bäuerlichen Hof ihres Heimatdorfes und entfaltet hier trotz mancher
Widerstände und trotz des Verzagens, das manchmal über sie kommen will,
ihre weiblichen Tugenden. Eine spannende Erzählung, die keine Leserin
wieder loslassen wird. Dabei liegt über allem der frische Hauch der
Berge.


Weitere Bände in Vorbereitung.




Edle Unterhaltung, reiche Belehrung, warme vaterländische Anregung,
dazu einen wahren künstlerischen Genuß bieten vornehmlich jugendlichen
Lesern die

Mainzer Volks- und Jugendbücher

Werke namhafter zeitgenössischer Schriftsteller mit Bildern von ersten
Künstlern

Herausgegeben von Wilhelm Kotzde

Bisher liegen vor:

 1. Carl Ferdinands, Die Pfahlburg. 15. Tausend. Mit Bildern von Robert
 Engels. 155 Seiten. Eine spannend geschriebene Erzählung aus der
 Urzeit rheinischer Pfahlbauten.

 2.* Wilhelm Kotzde, Im Schillschen Zug. 15. Tausend. Mit Bildern von
 Willibald Weingärtner. 163 Seiten. Eine lebendige Darstellung von
 Kolbergs Verteidigung und Schills Heldenzug.

 3.* Max Geißler, Der Douglas. 11. Tausend. Mit Bildern von Franz
 Müller-Münster. 205 Seiten. Eine anziehende Geschichte aus Schottlands
 bewegter Vergangenheit.

 4. Eberhard König, Ums heilige Grab. 11. Tausend. Mit Bildern von
 Professor Ernst Liebermann. 201 Seiten. Erzählung aus der Zeit der
 Kreuzzüge und der Gründung des Deutschritterordens.

 5.* Gustav Falke, Drei gute Kameraden. 14. Tausend. Mit Bildern
 von Georg A. Stroedel. 167 Seiten. Kinderglück, Kinderleid, von
 behaglicher Kleinmalerei und Humor übersonnt, spinnen diese
 Geschichte. (Besonders für Mädchen.)

 6. Carl Ferdinands, Normannensturm. 11. Tausend. Mit Bildern von
 Robert Engels. 201 Seiten. Eine selten wuchtige und spannende
 Erzählung aus der Zeit der Nachfolger Karls des Großen.


 7.* Wilhelm Kotzde, Der Tag von Rathenow. 11. Tausend. Mit Bildern von
 Georg Barlösius. 213 Seiten. Eine kraftvolle, fesselnde Erzählung aus
 der Zeit des Großen Kurfürsten, ein überaus lebensvolles Bild aus der
 Geschichte Preußens.

 8. Charlotte Niese, Was Michel Schneidewind als Junge erlebte. 11.
 Tausend. Mit Bildern von Hans Schroedter. 201 Seiten. Aus der Zeit
 der großen französischen Revolution. Eine gewaltige Handlung, von der
 Dichterin mit Wärme und stillem Humor gemeistert.

 9. Wilhelm Lobsien, Pidder Lyng. 8. Tausend. Mit Bildern von O. R.
 Bossert. 222 Seiten. Der Freiheitskampf der Sylter Friesen gegen Dänen
 und Festlandsritter bildet den Gegenstand dieser Geschichte.

 10. Joseph Lauff, Der Tucher von Köln. 15. Tausend. Mit Bildern von
 O. R. Bossert. 208 Seiten. Eine wuchtige Schilderung der Kämpfe der
 Zünfte wider die Geschlechter, ein lebensvolles Bild der städtischen
 Verfassung Kölns um 1500.

 11. Wilhelm Kotzde, Stabstrompeter Kostmann. Nach seinen
 Aufzeichnungen dargestellt. 11. Tausend. Mit Bildern von Arthur
 Lehmann-Ajax. 185 Seiten. Was Stabstrompeter Kostmann bei den Blücher-
 und Zietenhusaren erlebte, erzählt uns das Buch.

 12.* Gustav Falke, Klaus Bärlappe. 8. Tausend. Mit Bildern von Otto
 Gebhard. 163 Seiten. Eine heitere und dabei nachdenkliche Geschichte
 aus dem Handwerkerleben der Gegenwart.

 13. Eberhard König, Der Dombaumeister von Prag. Mit Bildern von
 Professor Ernst Liebermann. 8. Tausend. 200 Seiten. Der Dombaumeister
 Peter Parler von Gmünd steht im Mittelpunkt der Geschichte. Ein Lied
 von der Hoheit deutschen Wesens.

 14. Robert Walter, Götterdämmerung. 8. Tausend. Eine Geschichte vom
 Untergang Wuotans. Mit Bildern von Franz Stassen. 192 Seiten. Der
 Kampf der Sachsen unter Führung Wittekinds um Glauben und Freiheit.

 15.* Trude Bruns, Die Doktorskinder. 8. Tausend. Mit Bildern von Arpad
 Schmidhammer. 190 Seiten. Eine lustige Geschichte von dem Leben und
 den Streichen zweier Arztkinder.

 16.* Charlotte Niese, Aus schweren Tagen. 8. Tausend. Mit Bildern von
 Hans Schroedter. Das ganze Elend, welches die Napoleonische Zeit über
 unser Vaterland brachte, spricht daraus.

 17.* Wilhelm Kotzde, Und deutsch sei die Erde! 9. Tausend. Mit Bildern
 von Franz Stassen. 240 Seiten. Eine Geschichte aus der Zeit deutscher
 Größe, als der Osten unseres Vaterlandes deutsch wurde.


 18. Johannes Höffner, Die Treue von Pommern. Mit Bildern von Franz
 Müller-Münster. 5. Tausend. 193 Seiten. Die Geschichte der Erziehung
 des jungen Herzog Bogislav durch den Bauern Hans Lange von Lanzig.

 19. Wilhelm Lobsien, Jodute! 5. Tausend. Mit Bildern von Professor
 O. R. Bossert. 190 Seiten. Eine lebhafte Schilderung der städtischen
 Verhältnisse Lübecks um 1400, des Stadtsoldaten- und Raubrittertums
 jener Zeit.

 20.* Kurt Geucke, Der Steiger vom David-Richtschacht. Mit Bildern von
 W. Weingärtner. 5. Tausend. 208 Seiten.

 21.* Kurt Geucke, Die Diamantinsel. 5. Tausend. Mit Bildern von W.
 Weingärtner. Die beiden Bände enthalten die Lebensgeschichte eines
 Bergmanns, der sich aus eigener Kraft zum Großkaufmann durcharbeitet.
 Packende Schilderungen des Bergwerks- und Hüttenbetriebs, der
 Hamburger Hafen- und Handelswelt, der Meereserlebnisse des Helden und
 der paradiesischen Inselwelt der Südsee.

 22. Wilhelm Lobsien, Unter Schwedens Reichsbanner. Mit Bildern von
 Franz Stassen. 5. Tausend. Die Geschichte von Gustav Wasa, der ja ein
 Liebling der deutschen Jugend ist.

 23. Robert Walter, Münchhausens Wiederkehr. Mit Bildern von
 Emil Heinsdorff. 5. Tausend. Die phantastische Geschichte des
 wiedergekehrten Münchhausen, voll der fesselndsten Erlebnisse.

Wie jedes rechte, gute Buch, das die Jugend liebt, auch von den
Erwachsenen gern gelesen wird, so sind die »Mainzer Volks- und
Jugendbücher« berufen, ~alt und jung~ in gleicher Weise Freude zu
machen, sie nennen sich also nicht umsonst auch ~Volksbücher~. Ein
bestimmtes Alter läßt sich daher für die Bücher nicht angeben, doch
dürften sie bei Knaben und Mädchen vom ~zwölften Jahr~ an schon
gutes Verständnis finden, aber ebenso gerne von der reiferen Jugend
gelesen werden. Die mit * bezeichneten Bücher werden auch besonders die
Mädchen fesseln.

Preis eines jeden Buches, mit Bildern stattlich gebunden, nur 3 M.


Einige Urteile:

»Ich kann mir für einen Jungen keine köstlichere Lektüre vorstellen
als diese kulturhistorischen abenteuerreichen Geschichten, deren
jede von einem kräftigen dichterischen Gedanken eine höhere Weihe
empfängt. Wuchtige Naturschilderungen, eine spannende Handlung, eine
Fülle prächtig geschauter, oft sehr fein psychologisch durchgeführter
Gestalten heben diese Sammlung, zu der sehr gute Erzähler beisteuerten,
weit über den Durchschnitt alltäglicher Jugendlektüre.«

  Gabriele Reuter im »Tag«, Berlin.

»Die Bücher aus dem Verlage von Jos. Scholz, Mainz, mögen bei Kleinen
und Großen anklopfen, sie sind immer wert, daß ihnen aufgemacht wird.
Dem Kinde vermitteln sie eine wahre Anschauung der Dinge, die es
umgeben. Dem Heranwachsenden weiten sie Kopf und Herz für Heimat und
heimische Geschichte. In den Volks- und Jugendbüchern aber fügen sie
noch jenen Idealismus hinzu, den wir mit Bangen in unserem Vaterlande
schwinden sehen, und der doch recht eigentlich deutsches Erbe ist.«

  Agnes Harder in der Zeitschrift »Deutscher Frauenbund«.

»... Jedesmal, wenn man eines dieser neuen Volksbücher in die Hand
nimmt, ist es wie Freiluft, die uns aus ihnen entgegenweht, voller
Kraft und Sonnenlicht. Wir wünschen der wackeren Bücherei, für die
unsere ersten Dichter und Schriftsteller sich verpflichtet haben,
stetig wachsenden Erfolg ...«

  Else Grüttel im »Hamburger Fremdenblatt«.





*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS LAGERKIND ***


    

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