Meta: Eine Erzählung

By Carl Sternheim

The Project Gutenberg EBook of Meta, by Carl Sternheim

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Title: Meta
       Eine Erzählung

Author: Carl Sternheim

Release Date: December 28, 2012 [EBook #41724]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK META ***




Produced by Jens Sadowski








META


EINE ERZÄHLUNG
VON
CARL STERNHEIM


ERSTES ZEHNTAUSEND


LEIPZIG
KURT WOLFF VERLAG
1916


Sechsundzwanzigster Band der Bücherei
»Der jüngste Tag«.

COPYRIGHT 1916 By KURT WOLFF VERLAG · LEIPZIG
GEDRUCKT BEI E. HABERLAND IN LEIPZIG-R.

META war ein dienender Geist, geboren im gleichen Städtchen, in dem sie bei
bürgerlicher Herrschaft Stellung hatte. Siebenzehn Jahr alt, schien sie
klein, fest und hatte zu mittleren Formen den vollen Busen der Frau, auf
den sie stolz war, den sie herausstrich und mit Brosche und Blume
garnierte. Ihr Haar, das aufgelöst mit blonder Welle ins Knie hing, wusch
sie mit Branntwein und Kamille. Der dünne Sopran sang Volks- und
Kirchenlied; warm wie ein Öfchen war die ganze Person.

Sprang sie morgens aus den Kissen in die Kammer, verschlug ihres Körpers
Hitze gleich des Nordzimmers Kühle angenehm. Bei jeder Bewegung, warf sie
die Arme ins Waschbecken, fuhr mit dem Bein in Hose und Rock, hob es zum
Schuhknöpfen auf den Stuhl, ging ein molliger Hauch in die Atmosphäre, und
alle Umgebung war immer behaglich für sie angewärmt.

So fand sie, von Frost und Schauern nie zur Eile getrieben, Zeit, sich beim
Anziehen im Spiegel reichlich zu sehen, unter das Haar, in den Rachen zu
spähen und die Zähne tüchtig zu bürsten. Mit billigen Pasten salbte sie die
Haut.

Da sie aber ihrer Arbeit gewissenhaft hingegeben war, blieben die Hände,
die in Soda und Lauge tagsüber schwollen, Risse und Borken bekamen, ihre
ständige Sorge. Unter dem Zeug war sie blank wie Porzellan, aus den Ärmeln
aber schauten breit und blau die Flossen.

Kleider von glattem Tuch standen ihr zum Entzücken, beim Schaffen schien
die Schürze darüber angegossen. Stand sie hoch und auf Leitern, sah man die
Säume der Wäsche weiß, und aus fester Wolle schwarze Strümpfe. In der
Bewegung spielten die Glieder rund und im Rhythmus.

Der Herr, erwischte er sie in einer Ecke, patschte ihr leutselig aufs
Hinterteil. Sie lächelte und nahm's als Herzensbeifall. Schon hundertmal
hatte er sie getätschelt, und es sprang aus ihr kein Flämmchen. Noch war
sie niedlich nur für sich selbst, und Blicke der Männer machten sie nur in
der Selbstschätzung sicher. Im Sommer schwitzte sie, im Winter wünschte
sie's zu tun. Der Frühling sagte ihr Besonderes. Da wurde ihr Tun gemessen.
Sie verhielt sich, den Kräften, die sie spannten, begegnend. Sie flog ein
wenig von innen heraus, und ihre wie zum Gebet gefalteten Hände drückten
die bewegte Brust, das drängende Leibchen nieder.

Im Spiegel sah sie sich ins Auge und fand alles weit und blau. Ein großer
Reiz stellte ihr das Gefieder der Haut auf; sie schnurrte. Oft fiel sie
verloren in den Sitz und staunte. Befühlte Gegenstände und sich selbst und
mußte, Tränen im Blick, den zierlichen Kopf schütteln. Abends aber im Bett,
dem geöffneten Fenster entgegen, lächelte sie verschmitzt ins Himmelslicht
und dachte ihr Teil.

Plättete sie Wäsche der hübschen Hausfrau, hatte sie gerührte
Vorstellungen. Zärtlich strichen die Hände Spitzen und Rüsche. Armes,
dachte sie von ihr, -- glückseliges Weib dann wieder, und aus ihr hüpfte
Mitgefühl. Hemd, Kragen und Beinkleid des Mannes weckten ihr gutmütigen
Spott. Die Männer, Himmel, das war eine Sache für sich; doch immer zum
Kichern.

Sie lächelte jeden an, dem sie Rede stand, und spürte, es ist nicht ernst
mit ihm. Nur ein wenig Blitz brauchst du in den Blick zu stellen, das
Mäulchen zu schürzen, und mit seiner Gewalt, dem festen Auftritt ist's
vorbei. Den Beamten, die behördliche Mahnung brachten, entgegnete sie auf
ihr »endlich!« und »unwiderruflich!« mit stiller Heiterkeit, daß die das
Auge schlugen und gleich fröhlich von der Sache wegzureden begannen. Einem
Polizisten hatte sie sogar den Arm gestreichelt. Waren die Männer schon in
die Treppe zurückgetreten, schmetterte sie ihnen helle Triller nach, daß
die draußen lachten und dachten: welch' niedlicher Vogel, welch' frecher!
Und ihnen noch einmal wohl wurde. An allen Straßenecken grüßte sie die
Obrigkeit. Die Wagenführer waren ihr gewogen. Milchmann und
Schornsteinfeger grinsten bei ihrer Begegnung, und zum Dank hatte sie für
alle einen Blick, irgendwie Duft ihrer Frische. Regnete es, hob sie die
Röcke an die Wade, und trippelnd fing sie aus Blinzeln und Geschmunzel
bärtiger Gesichter sich eigenen Sonnenschein. Hochgestimmt war sie an
Sonntagen, an hohen Festen überirdisch bewegt.

Zu Weihnachten bekam sie von der Herrschaft ein leeres Heft, auf dem in
goldenen Lettern »Tagebuch« stand. Dazu ein gedrucktes Buch, einen Roman
des Titels »Der Zug des Herzens«. Mit der Spende des Tagebuches war von den
Gebern nicht beabsichtigt, ihre Magd zur Selbsteinkehr zu führen.
Irgendwann hatte es die Frau geschenkt bekommen und gab es weiter, andere
Gabe zu sparen. Der Roman aber war in einer Buchhandlung eigens für Meta
gekauft.

Es war die erste Liebesgeschichte, die das Kind erfuhr, und sie vermittelte
ihm stürmischen Eindruck. Held und Heldin des Buches liebten sich auf
vorbildliche Art; das Mädchen schien leiblich und seelisch wie aus dem Ei
gepellt und machte dazu mit Rede und Geste heldische Anstrengung, stand sie
bei dem Geliebten. Ihre braunen Flechten waren gelöst, es blitzten die
Augen, die Brust hob sich regelmäßig stürmisch. Auf ihrem Antlitz lag Güte,
sie lispelte hold, und abwechselnd ließ sie das Haupt dem Mann an die
Schulter und in den eigenen Nacken sinken. Der Liebende aber war ein
Standbild aus Bronze. Er sprach Gold und schwieg Erhabenheit. Es ließen
sich die Situationen himmlisch an trotz einiger böser Menschen, die zum
Schluß ihr Unrecht bekannten. Küsse knallten auf jeder Seite, und einmal
war sogar von etwas die Rede, das Metas Blut zum Wallen brachte.

Sie war hinterher mit Dichtung gefüllt, schickte mit jedem Gedanken
Übersinnliches in die Welt, verband aller Handlung fortan dunklen Zweck.
Zittern befiel sie jetzt beim Bügeln der Wäsche, und es schwindelte sie,
räumte sie des Ehepaars Schlafzimmer nach; ein Geheimnis wuchs in der
Brust, und sie neigte ein wenig zur Angst. Auch legte sie wohl den
geschwungenen Arm an einen Türpfosten und seufzte verzaubert. Schwäche saß
in den Schenkeln; von der Küche sah sie zum Hof auf die Tiere, die sich
berochen.

Erst wälzte sie heftig Gedanken, dann saß sie eines Abends bei Papier und
Feder und stach entschlossen ins Faß. Doch flossen Tränen vor der Tinte auf
die Seiten, und ihr entfuhr ein »Jesus!« nach dem andern.

Fedor, der Held des Romanes, wuchs stracks in ihr Leben. Aus den Armen
Leonores, der sie auf manche Schliche kam, riß sie ihn und zog ihn zu sich
hinüber. Eine Vollkommenheit ihrer Seele nach der andern entschleierte sie
dem Entzückten, der mit »geliebtes, himmlisches Weib« respondierte und
segnende Gebärden auf sie schwenkte. Dazu murmelte Meta innerlich ein
erlöstes: ach! Einmal, als sie ihm eine Tugend, die ihr eignete, zuraunte,
wollte der Hingerissene flink ihre Lippen. Da aber richteten sich Trotz und
Person des Mädchens noch einmal hoch, bis sie durch Glut der Blicke
versengt, schmelzend in den Wirbel seiner Küsse einging.

Nun hockte sie, von der Arbeit fort, oft in den Winkel und ließ sich von
ihm umschließen. Die Lippen schmiegte sie zwischen die eigenen Finger, die
sie geschlossenen Augs besog. Fedors Atem blies sie aus ihnen an, sein
Wunsch und Wille mit ihr lag wie Faust auf ihrem Haupt. Er wuchs sich aus,
ward bald ein Schlimmer. Dem Schluß ihrer Arbeit lauerte er auf, trieb sie,
die Hände wie Hämmer über sie gehoben, flugs in die Kammer hinauf. Dort
preßte er den Rücken gegen die Tür, breitete Arme und Beine und sperrte
gänzlich den Weg. Dann stellte er die schreckliche Forderung: ihr Kleid
solle sie abwerfen, Wäsche zeigen. Sie aber schlug ihr purpurnes Antlitz in
die Hände, und während Fieber sie quirlten, stieß ihr Stimmchen das noch
gerade hörbare Nein als Hilfeschrei heraus, der ihn verjagte.

Das ging nun Abend für Abend. Schon beim Einbruch der Dunkelheit sprang
seine Tatze aus der Wand und trieb sie. Wo sie stand, hatte sie das Gefühl,
der Zugriff blieb hinter ihr. Sie lief mit vorgestoßenem Schoß und legte
die Hände schützend unter das Gesäß. Das war ihres jungen Lebens Zustand,
bis Franz erschien.

                   *       *       *       *       *

Er brachte eines Morgens ein Telegramm, und als er's gab, sah er in die
Luft. Da er auf Antwort wartete, blieb er in der Küche. Meta suchte, seinen
Blick aus dem Nichts zu fangen, doch wich er aus. Endlich gelang ihr's,
sich ihm in den Sehwinkel zu haken, und nun zog sie des Jungen Haupt gegen
ihr Antlitz, ließ es Kreise beschreiben, und als er es recht geradeaus
hielt und die Augen gleich zwei Tassen aufriß, blies ihm das Mädchen mit
Stichflamme ihren Glanz bis zur Herzgrube. Sofort war er mit Licht innen
tapeziert. In Magen und Eingeweide, an des Leibes Wänden, -- überall
verzehrten ihn ihre Feuer. Er stand gelähmt, und erst, als sie ihn
anredete, schlenkerte er weg. Doch wurden die Depeschen im Städtchen
hinfort nicht schnell bestellt, denn er verweilte auf Brücken, in
öffentlichen Gärten. Bog die Zweige der Büsche nieder, ließ sie schnellen,
und ihm war's süßer Schreck. Im Tritt mied er Ritzen der Trottoirplatten
und alle Schatten; ließ den Finger an Gittern spielen. Sonntags sackte er
in eine Bank im Park und trank Erinnerung des unvergeßlichen Morgens.

Meta aber putzte die Scheiben zur Straße, nach ihm zu spähen. Erschien er,
hing sie den Rumpf, die halbe Brust ins Freie und flatterte, Tuch in
Händen, wie eine Fahne am Fenster. Den Kopf in die fortstehende Sohle, das
offene Loch ihres Rockes gereckt, marschierte Franz unten vorbei. Einmal
doch wurde er flach hingenagelt, als sie ihn anrief. Er sperrte Mund und
Auge wie ein Karpfen, und ohne daß er sie verstanden hätte war er
verhimmelt. Nun begann, was Regeldetri ist: eine einfache, dumme Liebe in
dem Jungen, der träumte, was das Zeug hielt, mit keuschen Symbolen. Engel
war für die Angeschwärmte das mindeste Gleichnis. Er gab ihr Krone, Kelch
und Dorn und alle Vollkommenheit im Voraus. Sie empfand's auch, als sie das
erstemal mit ihm in die Felder ging. Ganz anders als in ihrem einstigen
Verhältnis zu Fedor mußte sie sich nicht brüsten. Wort aus ihrem Mund war
ihm Allegorie, Silbe schon Botschaft. An ihrer Seite ging er, Andacht und
Glaube. Sie schwatzte Blasen ins Blaue und spürte gleichviel, wie Basalt
fiel ihre Rede auf sein lauschendes Herz. Die blasseste Geste von ihr blieb
ihm denkmalhaft in der Vorstellung; schloß er die Lider, rauschte sie
großflügelig daher mit Schwung und Faltenwurf des Gewandes. Auch Natur, die
sie einmal bezeichnet, verharrte für ihn endgiltig. Als sie bei einer
Promenade den sinkenden Sonnenball zeigte, stand der fortan Tag und Nacht
seinem Auge an der gleichen Stelle. Silhouette der Berge, an einem
regnichten Morgen von ihr mit dem Finger an den Himmel gerändert, blieb
dort, fest in die Wolken gemeißelt. Überglücklich fand sich Meta und diese
Anbetung wie ein Wunder, das den Sinn ihres Lebens erhellte. Was galt
Arbeit und Abhängigkeit, stand am Haustor abends der Trabant mit dem
Tronhimmel seiner Liebe, unter dem sie als Kaiserin schritt? Maskerade war
ihr Dienst; Wirklichkeit begann an der Seite des Verliebten.

Das Mädchen sah der Gottesmutter Bildnis oft und dringend an und nahm aus
Haltung und Gebärde viel für sich wahr. Denn sie meinte, des Jünglings Sinn
allmählich mit Wirklichkeit stützen zu müssen; doch erfuhr sie nicht, daß
der Eindruck ausblieb, weil die männliche Seele sie ewig strahlender sah,
als sie es darstellen konnte. Ihm war sie nicht nur Maria aber Meta dazu.
Und die war ihm ursprünglich herrlicher.

Flitzte auf gelbem Rad er vorüber -- stand sie im Fenster --, riß er die
Mütze in die Wagerechte und schickte mit gedoppeltem Blick ihr ewige Treue.
Lob für sein forsches Fahren spendete sie ihm und bat, sie's auch zu
lehren. Doch als er bei Dunkelheit kam und sie in den Sattel hob, saß sie
schlecht und bewegte sich unkundig. Fürchtend aber, seine Erwartung sei,
schnell müsse sie die Lenkstange greifen und, die Maschine beherrschend,
sie mit Schwung aus sich selbst in Gang setzen und lächelnd entschweben,
stieg sie gleich zur Erde nieder, behauptend, dies zieme ihr durchaus
nicht.

Überall und immer, weil sie infolge seiner grenzenlosen Anbetung eine
Formel der Vollkommenheit erfüllen wollte, bemühte sie sich jetzt, die
Schöpfung abhängig von ihr zu zeigen. Hatten sie auf Märschen den Gipfel
des Berges bei schlimmer Hitze erstiegen und starrten, Atem ausbrausend,
den Rausch der Freiheit oben an, wollte sie Wasser, sonst nichts, wohl
wissend, anderes möchte am Ende nicht zu finden sein; Göttern aber versage
sich nichts. Oder sie sprach, wenn schon die Tropfen fielen: daß es doch
regnen möchte! Und stellte den Sturm der Elemente mit dem Hinweis auf die
Pracht des Regenbogens ab, doch so ein wenig, als hätte der auf ihren Ruf
erst sich illuminiert.

Sie war sich nun bewußt, unvergleichliches Leben mit Franz zu machen. Keine
Nebenbuhlerin könne gefährlich werden, denn an goldenen Fäden lenkte sie
für ihn die Welt und zog mit sphärischer Landschaft, englischen Freuden,
mit sich selbst immer das Paradies auf die Szene.

Ihr Lohn war sein staunender Beifall. Ausgleich für Gefühle, die sie
irgendwie schon heimsuchten. Einen Frühling hindurch liefen sie in
Freistunden durch umhuschte Wege Höhen hinan. Saßen oben im Moos, das Bild
der Heimat vor sich ausgebreitet, in dem Meta die gestellte Sonne blieb.

Sie lebte Dogma. In seinen Glauben geschient, war ihr Wille seiner Demut
unterworfen. Seine herrische Andachtsforderung ließ ihr im einzelnen
Spielraum, zwang aber unbedingt die Richtung ihres Lebens. Herzlich liebte
sie ihn, bewunderte die entfesselte Hingabe, und mählich, mehr und mehr,
begann sie, ihm diese zu neiden.

Baute er sie steil vor sich auf und machte Kniefall, sie aber mußte
irgendwie mit seelischer Verzierung stehen, hätte sie neben ihn hinsinken
und auch anschmachten, anbeten wollen. Ihre gezwungene Stärke trieb ihr
schließlich Tränen ins Auge. Das gefügte Erz der Gesten begann zu reißen,
ihrer Stimme Metall zerbrach. Brüchig ward das eherne Standbild, und
Fleisch begann, allenthalben in die Furchen zu wuchern. Stand er jung,
stark und gerade als Mann gewachsen vor ihr, senkte das Haupt an ihre
Brust, auf das sie dem Ritus zufolge die gekreuzten Handflächen legen
mußte, konnte sie Aufwallung nicht mehr unterdrücken. Oft schüttelte sie an
seiner Seite der Reiz so mächtig, daß die Zähne schlugen und Gebein
klappte. Er aber, knabenhaft frei, sang das Marschlied in die Luft.

Sie betete zu allen Heiligen, den Sinn ihm von Grund auf zu ändern; seiner
Kraft und Gewalt möchte er sich bewußt werden. Sie wünschte die ins Fenster
geschmetterte Faust, daß Scherbe vom Kitt klirre. Vorm Schlafengehen brach
sie ins Knie und senkte der Seele unbezähmbare Sehnsucht nach Hingabe in
selbstvergessenes Gebet. Wollte sie aber sanft und mit gütiger Schonung
Anfall ihrer weiblichen Schwäche von weitem ankünden, schob er
unwiderstehlich doppelte Riegel vor. Er wollte seine Andacht bis an die
Sterne spreizen, doch müsse sie das unzerreißbare, sich immer weitende
Gefäß für sie bleiben. Dazu flatterten seine Worte ekstatisch, und die Arme
ruderten wie mystische Mühlen. So blieb sie Heilige weiter, aber der Wurm
fraß in ihrem Blut. Sie duldete seinen Kult und spürte nur immer mit allen
Sinnen, durch welche Mittel sie ihn zerschlagen, wie sie Franz vergotten
und in der Rolle der demütigsten Magd sich selbst mit natürlichem Glück bis
an den Rand füllen könnte.

Eines Abends, als sie zum Bad in flacher Schale Wasser stand und das
Gesicht über die Schulter in den Spiegel legte, sah sie sich rückwärts so:
von mittlerer Größe, schien die Gestalt in der Hüfte edel geteilt. War auch
das Postament der Beine höher, saß der Rumpf mit gutem Verhältnis darauf.
Leuchtendes Weiß des Fleisches war durch der Flechten Blond getönt, die von
der Hand im Nacken zusammengepackt, von dort in zwei Flüssen mit spitzer
Mündung zu jenem Taillenschwung liefen, der Meta das geheimnisvolle Mittel
ihres Körpers schien. Sie bleibt von Reiz gefangen, als sie die geschnürte
Betonung der Hüfte in Linien, die das Kissen des Gesäßes vom Schenkel, das
Knie von der Wade trennen, sich wiederholen sieht. Ihr heller gewordenes
Auge stellt schließlich den vierten Ton dazu fest: die Schulterlinie, die
durch den hochgenommenen Arm noch deutlicher wird. Mit dieser Vierteilung
Hilfe geht ihres Leibes Sinn ihr völlig auf: Zum Denken der Kopf, die Beine
zum Schreiten. Zwischen Hals und Hüfte ist der Rumpf, Sitz der Organe, die
uns das Himmlische vermitteln: durch Lungen und Herz den Odem Gottes, aus
dem wir leben.

Aber dahin, wo wie ein geschwellter Kessel der Leib zwischen Schenkel und
Hüfte eingelassen ist, hat ihr kindischer Sinn, hat Franz nie gedacht.
Dort, während Blutsturm sie purpert, die Arme zur Höhe fliegen, fühlt sie
plötzlich die entscheidenden Gewalten sitzen.

Die Folgen ihrer Erkenntnis waren beim nächsten Beisammensein deutlich.
Kopf und Oberteil hatten die Schwere verloren; aber die Schritte setzte sie
gewichtig, als liefen die Beine in Scharnieren, und sie müsse, Reibung und
Kreischen der Teile in den Gelenken zu vermeiden, die Hüftknochen emsig
drehen und das Rückgrat unten pendeln lassen. So kam es, daß beim Gehen ihr
Rock des Mannes Schenkel schlug, während Metas Blick auf seltsame Art sich
verglaste. Aber schnell merkte sie von seinen Gliedern Widerstand, der ihr
die Knochen bog und sie in das lustige Trippeln zurückzwang, mit dem sie
bisher neben ihm gegangen war. Auch im Gespräch duldete er die Einführung
solcher Vokabeln nicht, die irgendwie ein Fallenlassen der strengen
zwischen ihnen geltenden Regeln andeuten wollten.

So griff sie zu Listen, ihr Gleiten aus Franzens Himmel zur Erde zu
ermöglichen. Den Hut ließ sie fort, ihr Haar vor ihm in Verwirrung spielen.
Sie ging leicht gekleidet, daß Wind die Musseline blähte und Sonne sie
durchsichtig mache und zeigte an Hals und Armen Streifen rosiger, gepelzter
Haut. Auch hob sie sitzend das Bein übers Knie, gelöstes Schuhband zu
knüpfen und war seinen Blicken nirgends geizig. Die aber schienen in
solchen Augenblicken mit milchigem Horn gepanzert und schossen hinterher
Drohungen auf, die das Mädchen rührten und endlich, als sie einmal gewagt,
den gesunkenen Strumpf in seiner Gegenwart aufzunehmen, durch ihre lodernde
Gewalt vollends erschütterten.

So riß sie die Kräfte zusammen und gelobte mit zusammengebissenen Zähnen,
ein für allemal auf ein anderes Glück zu verzichten und ihm weiterhin
entschieden die himmlische Liebe zu sein. Für ihren Verzicht aber wollte
sie ihn auch wirklich an den Grenzen der Hingabe sehen, damit, könne schon
sie selbst sie nicht betätigen, sie in seiner Seele das süßeste Bild
demütiger Liebe entzündet finde. Er müsse in ihrem Dienst seine gesamte
Leiblichkeit ändern, verlangte sie, die Lebenswärme für sie beleben,
Geschmeidigkeit und Beweglichkeit ausbilden. Das Zerrissene möge er in sich
binden, das Gebundene in sie auflösen. Höher solle er jubilieren, und die
Gabe der Träne müsse ihm immer eignen. Sie fordere den Gesamtsinn
verfeinert, Einbildungskraft gesteigert; Poesie wollte sie in ihn
eingegossen, kurz überall stürmische Bewegung der Willenskräfte. Sie sei
nicht eine vollkommene Heilige, ohne daß ein im stärkeren Maß ergriffener
Gläubiger zu sein, er sich inständig bemühe.

Durch solche Worte über den statischen Zustand seiner Jugend in eine seiner
Natur genehme Entwicklung geführt, brach Franz in die Ekstasen der Liebe
unverzüglich auf. In seinen tiefen, mittleren und obersten Gebieten
wandelte er Leiblichkeit in reinen Geist und war alsbald zu jeder von ihr
gewollten Vision bereit. Während Meta tagsüber Arbeit als simples
Stubenmädchen verrichtete, erblickte Franz sie, wo sie vor ihm erschien, in
höhere Erscheinung transformiert. Sah erst ihr Antlitz, dann die Hände,
Haare, Atem leuchtend werden. Und erlebte sie schließlich aus leerer Luft
strahlend und figürlich.

Ihr blieb auf diesem Gebiet von ihm nichts mehr zu hoffen übrig.

                   *       *       *       *       *

Da wurde die Nation in einen Krieg gestürzt. Die Männer verließen die
Familie, das Vaterland zu verteidigen, wie sie, in Schritt und Tritt
marschierend, durch die Gassen sangen. Franz, der das zwanzigste Jahr nicht
erreicht hatte, blieb daheim. Doch lag auch auf den Bleibenden der Druck,
und es schien unmöglich, ihr Schicksal von denen, die im Feld standen, zu
trennen. Jeder war von sich fort zu fremdem Los gerissen. Als im
Fortschreiten des Feldzuges immer neue Scharen hinauszogen, war es den
beiden offenbar, auch ihre Trennung stünde bevor. Wehmut legte sich auf
alles Erleben, und die Welt schien die gewohnte Weite verloren, die Brücken
zum Himmel zerstört zu haben. Jede Frage wurde praktisch, Antwort lautete
aus irdischen Begriffen. Maßnahmen des Feindes zwangen, an Notdurft,
Beschaffung von Essen und Trinken zu denken. Die ersten
zusammengeschossenen Krüppel traten auf, und es galt, ihre künftige
Versorgung vorzubereiten. Überall stand plötzlich das Allgemeinmenschliche
für das menschlich Besondere. Auch Franz und Meta sprachen von geschlagener
Schlacht, Gefahr und Verwundung der Freunde und Verwandten. Sie lernten
Artillerie und Infanterie, spickten ihre Sätze mit kriegerischem Begriff
und unterlagen dem Eindruck von Sieg und Niederlage. Die Zeitungen
bestätigten die märchenhafte Niedertracht der Gegner, bravuröse Tapferkeit
der eigenen Truppen immer von neuem. Bei jeder Begegnung rief nun einer dem
andern schon von weitem zu: »Hast du gehört« und »weißt du auch«. Vom
eigenen Schicksal war täglich weniger die Rede.

Als aber erst kräftiger neue Welt sich in Franzens Vorstellung schob, aus
den Kampfberichten eine herrliche Erscheinung um die andere vor ihn trat,
ward Meta aus dem Zenith seines Denkens gedrängt und führte in ihm fortan
ein wenn auch verehrtes doch peripherisches Dasein. Das Übermenschliche
hatte für ihn den Sinn geändert. Die passive Entrücktheit des Weibes nicht
mehr war anzubeten, aber des Mannes heldischer Griff.

So hob sich der Jüngling aus dem Gewinde geübter Riten und gruppierte nach
veränderten Trieben innere Natur um. Religion war das Vaterland, Vorbild
der tapfere Soldat. Ein anderer Gott, kriegerisch geschient, erschien in
einem Himmel geschwungener Fahnen und Lanzen.

Meta, mit den vergilbten Emblemen friedlicher Güte, war als Ideal in
gründlich geänderten Verhältnissen unbrauchbar. Handgreifliches Verlangen
konnte sich an sie nicht klirrend klammern. Zwar gab sie ihrem Umriß
herbere Kontur, der Erscheinung Strenge, den Worten Kommandoton, aber vor
Prall und Knall der Armeerlasse, dem Alarm der Katastrophen und
Verlustlisten konnte sie nicht bestehen. In Haltung und Ausdruck ließ Franz
Respekt nicht im mindesten missen. Innerlich aber schaltete er mit ihr nach
neuen Begriffen und Gutdünken. Er fand sie, in Waffenglanz nicht denkbar,
vor dem schwächsten Manne schwach. Sah ihren zärteren Aufbau, ihrer Stimme
dünne Resonanz ein, und daß sie oft zu schonen war. Er stellte sie der mit
Standarte stürmenden Angriffslust des männlichen Prinzips, das plötzlich
aus allen Kulissen der Welt wetterleuchtete, richtig als ein anderes
gegenüber, das ruhend ergriffen sein wollte.

Als ihm die Einsicht das erstemal sprang, bäumte mit Lust herrischer Wille
nach ihr auf, und er reckte sich in alle Winde. Den Gestellungsbefehl trug
er in der Tasche -- da war das Knabenalter hin, und sein Blick lenkte keck
zu des Mädchens Brust, die unter Kattun doppelt gerundet stand.

Meta aber, als sie Franz' geänderte Absicht sah, stürzte in harten Kampf,
die gräßlichsten Zweifel. Aus unaussprechlichen Ahnungen spürte sie die
augenblicklichen Verhältnisse nicht beständig und daß alles, was in ihnen
sich ereigne, dem Wechsel und vielleicht späterer Verdammung unterliege.
Aus allen Lüften sah sie Gebraus, Geschmetter der Kraft in des Geliebten
eindrucksvolle Seele geblasen und glaubte dennoch nicht, es fände dort
ursprünglicher Gefühle Begegnung. Sie zitterte, vom süßen Moment
hingerissen, möchte sie, fallend, ihm seine ewige Neigung trüben, und sich
selbst ihm gründlich zerstören.

Da sich in Wirklichkeit erfüllte, was einst sie geträumt: Jung, stark und
gerade als Mann gewachsen, hat sie ihn vor sich, er senkt das Haupt an ihre
Brust, stößt in die Falten der Taille die Spitzen des Gesichts und schlürft
ihre Wärme, bis Blut sich entzündet und im Kessel des geschwollenen Leibes
Überschwang an den Ventilen siedet -- zwingen sie Rufe der Not und
mörderische Furcht, der ersehnten, vorzeitigen Hingabe mit schleunigem
Aufbruch und schmerzlichem Aufschwung der Seele zu entfliehen.

Es weiß der Mann aus seines Leibes Verlangen immer unsinnigere
Schmeichelei, Natur und alle Kreatur zaubert er vor ihre begeisterten Augen
in taumelnden Aufruhr, und kaum weicht das Weib, von eigenem Verlangen
gefesselt, noch aus. Schon wird über dem blanken Boden in einer Mondnacht
des Mädchens Kehle und Schulter nackt, da ruft am anderen Morgen Befehl
Franz zu seinem Truppenteil, und in der Hast der notwendigen Besorgungen
gibt es kaum einen Abschied.

Erst aus der Garnison, dann vom Lager her, versichert er sie einer
Leidenschaft, die hinter schneller Heirat fröhliche Wollust in völliger
Vereinigung will. Zart fängt er zu bitten an, doch zum Schluß des
Geschriebenen blitzt Mannesmut, und trumpft jedesmal die geballte Faust
auf. Ihr aber beginnt, nach häufiger Wendung des Geschicks, aus seinen
Worten die Ahndung eines vollkommen natürlichen Glücks, von Gott und den
Menschen gesegnet, zu dämmern, und mit gefaßtem Wandel bereitet sie einfach
und fromm in sich das Wesen seines Weibes vor.

Nun herrscht der Allmächtige und »Urlaub« in ihr. Mit häufigem
Kirchengehen, inbrünstigem Gebet bekräftigt sie die innere Sammlung. Aufs
Wiedersehen ist sie ganz gestellt, und nur manch Weibliches leuchtet ihr
daneben ein. Es kam um diese Zeit die hübsche Hausfrau mit einem Knaben
nieder, und Meta ist für alle Vorgänge bei der Geburt Feuer und Flamme. Als
aber das Kind aus zitterndem Schoß entbunden war, und den von Qual erlösten
Leib der Wöchnerin in frischen Kissen Jubel des Mutterglücks rührten, lag
Meta an der Bettkante in den Knien und küßte die hängenden Hände der
glückselig Erschöpften. Sie reicht ihr durch des Zimmers Sonne auch das
Bündel Windeln, aus dem es quäkt und winselt, an die Brust und staunt auf
all das Saugende und Gesaugte, die Spitzen Rot an den getürmten Brüsten und
das in Milch verwandelte Blut. Sie fühlt sich königlich erhöht im Hinblick
auf die eigene mütterliche Zukunft und hegt für das aus ihr noch nicht
Geborene schon die zärtlichsten Gefühle. An Franz schreibt sie: mach
schnell, komm bald. Es ist für dich alles bereit. In ihrer Seele steht das
Häuschen, das mit dem kaiserlichen Briefträger sie bis ans Ende ihrer Tage
bewohnen will, fix und fertig: zwei Räume und die Küche in einem Garten mit
tüchtig Gemüse. In den Stuben rumoren die Kinder; im Stall ein Schwein. Am
ersehnten Tag kommt statt seiner die Nachricht, der Urlaub sei verweigert;
er selbst, näher den Ereignissen, ins Quartier eines hohen Stabes geholt.
Ist Metas Enttäuschung schon groß, verbirgt sie sich nicht, ihr sei auf dem
neuen Posten das Leben des Geliebten sichergestellt, und Ordensschmuck
unter den Augen der oberen Gewalten für ihn wahrscheinlicher als in der
trüben Masse an der Front. Was bedeute die Trennung, könne sie seiner
endlichen, ruhmvollen Heimkehr gewiß sein? Wie er auch schilt, man habe ihm
den Auszug ins Feld verwehrt, ihn vor allen Kameraden benachteiligt, lacht
sie bei sich und sitzt den Winter über geschnittener Leinwand, aus der sie
das Notwendige schafft zu baldigem Gebrauch. Brennt in der Kammer die
Lampe, schnurrt eifrig der Ofen mit dem Kätzchen um die Wette, setzt sie
Stich zu Stich mit lustigen Gedanken, und ist mit der Gewißheit, in ihrer
Liebe hat sie manches gelitten, oft geschwankt, doch schließlich sich
bezwungen, und nun steht ihr in einem braven Mann richtiges Frauenschicksal
bevor, das beglückteste Mädchen.

                   *       *       *       *       *

Franz, der im Haushalt des Stabsquartiers die gleichen Obliegenheiten
erfüllt wie Meta für ihre Herrschaft -- er ist dort das Mädchen für alles,
putzt, wäscht und wichst zu täglichem Gebrauch, was irgend vor seine Griffe
kommt -- fällt nach einigen Monaten treuer Pflichterfüllung in ein hastiges
Leiden, das ihm die Därme immer von neuem kehrt und entleert, bis seine
gemarterte Seele kläglich durch diesen Weg aus dem kaum angebrochenen Leben
entweicht. Mit rühmlicher Gefallenen verschwindet ohne Sang und Klang sein
Kadaver schnell in fremde Erde.

Frei durch den Himmel ihrer Zukunft schweifend, erhält Meta die Nachricht
am Abend; fällt in Ohnmacht des Begreifens und bleibt zeitlich lange genug
ohne Bewußtsein, um vor selbstmörderischer Torheit bewahrt zu sein. Doch
scheint Starre des eingebrochenen Winters sie miterfaßt zu haben, und
geraume Weile wandelt sie, vor Besinnung gefeit, in Stummheit und Taubheit
eingeschneit, huscht wie ein wundes Tier vom Bett durch die Stuben zu Bett;
nicht einen Seufzer hört man von ihr. Manchmal steht groß ein
Schweißtropfen an ihrer Stirn, wie aus dem Knochen herausgefroren.

Eines Tages sprach sie der Hausherr freundlich und mit väterlichem
Tätscheln an. Sie solle zu sich selbst erwachen. Jung sei sie, mannigfach
liege Leben vor ihr, und der Männer gäbe es viele. Auch litte mit ihrer
Zerrissenheit die Qualität der Arbeit. Gott sei gnädig, die Sache des
Vaterlandes stünde dank siegreicher Schlachten gut, und im Grund sei mehr
gewonnen als verloren.

Oben aber sah Meta plötzlich die genähten Hemden und Herrlichkeiten, daß es
sie an den Elementen packte und über den weiblichen Kram in einen Jammer
warf, der Tage hindurch sie selbst und Zeug und Wäsche näßte. Auf Bett und
Stuhl, wohin sie blickte, saß Franz; an Tor und Tür erschien er wieder,
lachend und vertraut zu ihr aufschauend. Dann hurtig enteilend, Mütze
schwingend, aufs Rad flatternd. Oder es sahen seine Augen vorwurfsvoll aus
dem Dunkel; doch bei ihrem zartesten Laut strahlte sein Glaube. Und er läge
ihr gestorben? Wo wäre da Sinn? War im Plan ihres gemeinsamen Lebens ein
Fehler, das geringste Unreine im Zusammenklang der Seelen, und stimmt Gott
der Harmonie nicht bis in die verborgenen Winkel der Schöpfung zu? Halb
entkleidet steht sie zur Nacht im Loch des Fensters in feuchtem Aufruhr und
sucht dem Himmel, des Busens Hügel aufnehmend, den Weg zum Herzen frei zu
machen, daß er es ganz einfältig mit Franz erfüllt schaue. Wär wirklich das
Unfaßbare wahr, wo in der Verkettung der Umstände sei der gräßliche Irrtum
des Geschehens als Schuld anzurechnen, auf ihrer demütig irdischen oder der
allmächtig himmlischen Seite? Aber die Sterne erblassen nicht vor der
geheulten Anklage. Kraß und klar leuchten sie die täglichen Bilder.

Noch wartet Meta und schiebt den Tag der Abrechnung mit Gott fort, und
während das Ohr auf Nachricht aus dem Feld gespannt bleibt -- sie ist
gewiß, auf einmal kommt Alarm seines Lebens, und bebändert und besternt
steht er vor ihr und wirft verhaltenen Lebenssturm wie Gewitter und Blitz
in sie -- prüft sie innerlich von neuem ihre bisherige Führung nach den
strengen Vorschriften der Religion, um nicht im geringsten über berechtigte
Enttäuschung des Gläubigen hinaus sich anklagend zu empören. Sie bekommt
auch günstige Zeichen. Ein Sergeant beim gleichen Stab, den der unverhüllte
Jammer ihrer Briefe rühren mochte, antwortet in geschraubten Reden so
Unterschiedliches, daß höhere Hoffnung allerhand in ihnen finden kann. Aus
hundert Zeitungen erhält sie Bestätigung, daß Totgeglaubte, Totgewußte in
die Arme der Liebenden zurückkehrten. Franz aber, von Fibern jugendlichen
Willens hingerissen, sei ganz gewiß aus eintönigem Tagdienst in die Hitze
der Gefechte geeilt und werde sich in den Berichten schließlich als ein
Held und lebend wiederfinden.

Bis sie ein Bündel mit der Post erhält, das der gleiche Kamerad, ihrer
Beschwörungen überdrüssig, an sie sandte: Lumpen von seinem entseelten
Körper geschält, in beschämendem, kläglichem Zustand.

Ihr entgeht nicht die hämische Geste des Schicksals, die obendrein das
Andenken des Verblichenen schänden will. Doch ist ihr der endliche Fall je
tiefer umso lieber, da sie schon merkt, wie viel herrlicher sie sich von
ihm erheben wird. Inmitten verwüsteter Hoffnungen, der jämmerlichen
Trophäen seines Erdenwandels bleibt sie trauernd liegen und saugt aus
tausend Erinnerungen Haß, allmählich rasenden Zorn gegen ein sinnloses
Geschick und seinen oberen Lenker. Als sie endlich jeden Ort des Leibes mit
gleicher Überzeugung angefüllt fühlt, erhebt sich ein neuer Mensch zu
gewandeltem Leben. Mit Gott macht sie nicht mehr viel Worte. Sie sieht ihm
frei ins Gesicht und zeigt ihre Meinung: Seine Entscheidung in ihren Sachen
hat sie verurteilt und hängt nicht länger von ihm ab. Zum zweitenmal nimmt
sie vom Dasein Besitz, belebt jetzt von sich selbst her ihre Welt. Aus
deren Mitte sie alles bisher Verehrte hebt, es durch einen Götzen zu
ersetzen: Franz, den sie mit jeglichem Tand der Phantasie schmückt. Je
weiter sein irdisches Leben zurücksinkt, um so frischer macht sie ihn sich
lebendig. Alle Kräfte müssen fortan für den einzigen Zweck sich regen, den
toten Freund ihr fortwährend seiend zu erschaffen. Sie hat unaufhörliche
Gesichte, Begegnungen und vertraute Zwiesprache mit ihm und riecht und
schmeckt den ganzen angebeteten Mann. Ist sie aber mit ihm im innigen
Verein der Gemüter, fliegt ihr Blick durch die Scheiben höhnisch zum
Firmament, und Trotz spottet hell auf.

Sie wird wie eine Nonne schlicht und eindeutig. Dem einmal gewählten
Bräutigam treu, geht sie wie mit Zäunen umstellt dahin. In ihre Bestimmung
mit sich selbst ist von außen her kein Pfeil, kein anderes Verlangen zu
senken. Sie weiß zu gut, wie der Geliebte sie wollte; nicht kleinmütig und
verzagt, aber hoch über dem Los der Sterblichen. Die selbstherrlichen,
keuschen Gebärden muß sie bewahren, daß beim endlichen Wiederfinden seine
Erwartung von ihr sich vollauf bestätigt. So wandelt sie in Stahl
gepanzert. Schicken ihr die Frühlinge Begierden, blühend erwachte Natur
Versuchung, zwingt sie das Fleisch in kühle Richtlinien und lacht zum
Schluß über der Geister Blendwerk. Männer, die ihr nahen, wollüstig und
aufgeschwänzt, erledigt sie mit dem Blick eines für sie zu gewaltigen
Maßes, in das sie wie Erbsen in riesigen Topf fallen. Je mehr das Leben sie
versuchen will, um so freudiger wirft sich Meta ihm furchtlos entgegen,
gewiß, mit ihrem Liebesbegriff jeder Wirklichkeit überlegen zu sein, und
daß der verschmitzten Himmel lockere Absichten an ihrem Willen schließlich
zerbrechen müssen.

                   *       *       *       *       *

Der Friede, den das Land erlangt, schwemmt die Menge der Männer in die Arme
der Jungfrauen, Bräute und jungen Frauen zurück. Es hebt eine allgemeine,
gewaltige Hochzeit an, und die Demut des Weibes ist an sich schon groß vor
dem heimgekehrten Helden. Als aber sein Arm in der verwahrlosten Heimat
richtend und regelnd überall fühlbar wird, die Jugend den zu Haus
gebliebenen Greisen und irgendwie Verschnittenen die willkürliche Leitung
der Ämter und Geschäfte scheltend entreißt, bricht befreiter Dank aus allen
Herzen so stürmisch hervor, daß Verehrung männlicher Kraft und Vernunft
allenthalben oberstes Gesetz ist. Auch Meta, der es einfällt, wie in
letzter Spanne ihres Beisammenseins Franz sich zu eigenem Willen gereckt,
Herrschaft und Gewalt über sie gefordert hat, formt den Geliebten dem
allgemeinen Ideal nicht nur, sondern eigenem, ursprünglichem Wunsch nun
unbedenklich nach. Macht ihn zum unbeschränkten Gebieter ihres Gewissens
und ihrer Glieder; endlich stürzen die inneren Gewalten in das Bett einer
einzigen Leidenschaft: schrankenloser Hingabe des Leibes und der Seele an
den Vergötterten. Alle Organe werden, von Besessenheit ergriffen,
Eingangspforten für den Atem seines Wesens. Der männliche Geist fährt wie
Schwert in das Weib und reitet es mit Windsbraut in alle Abgründe des
Empfindens, peitscht es durch Hohlwege und Schluchten sinnlicher Wünsche.
Man hört sie aufschreien unter seiner würgenden Faust, sieht sie bäumen,
stürzen, wieder stehend, halb sich heben und zum andernmal mit Wucht in die
Furche der Bettstatt schlagen. Sie fühlt sich von ihm in die Wälder an alle
jene Örter entführt, an denen sie einst gemeinsam scheues Gespräch
geflüstert. Dort packt er sie, und während keusches Andenken sie rührt,
bricht und knickt er sie in ein Bündel keuchender Wollust nach seinem
Willen.

Tagsüber, mit geschundenen Gliedern, erfüllt sie dennoch die Pflichten
dienender Stellung. Aus der Stärke der sie schüttelnden Empfindungen fühlt
sie sich stolz von eigenen Gnaden Überwinderin des von Gott ursprünglich
mit ihr gewollten Schicksals, Urschöpferin ihrer Lust und nimmt aus diesem
Bewußtsein düstere Kraft. Doch immer ist es ihr Beweises eigener Person
nicht genug. Rings horcht sie die Frauen nach dem Maß des natürlichen
Glücks mit ihren Männern aus und jubelt, hört sie laue Anerkennung,
meistens Enttäuschung. Im Verein mit ihrem süßen Mann hat Sturm und
Schwelgerei kein Ende, sie unterliegt seinen Launen, Bedenken, Schwächen
nicht. Jahre hindurch steigert sich noch das Maß des Entzückens, das von
ihm kommt. In alle Blut- und Nervenbahnen ist sie von ihm schon besessen;
aber immer noch findet Begierde neuen Genuß und blendende Überraschung.

Bald sieht Meta Folgen ihres unbändigen Glücks mit dem Mann. Der Leib, aus
einem Teil einst, regelmäßig praller Formen, brach die Bünde gehügelter
Üppigkeit und hat strengen Rhythmus schon gesprengt. Entzückt sieht sie
ihre Schönheit für ihn, wie bei Weibern mit lebendigen Gatten, zerfließen.
Nicht weniger scheint sie gestülpt, brüchig und gerupft. Mit Triumpf hängt
sie in den gleichen Spiegel, der einst ihrer Jugend Knappheit faßte, die
zerfallenen Kuchen der Brüste, des Bauches schleppende Fettguirlande. Sie
meckert sich Beifall, schlägt die entstellten Lenden, um sie mit Inbrunst
neuen Visionen auszuliefern. Aber zu allen Freuden ekstatischer Liebe
leidet sie alsbald Schmerzen und täglich andere. Erst ist es Freßgier, die
sie befällt und unzähmbar quält. Mit tierischem Hunger schlingt sie alles
Erreichbare wahllos in den offenen Schlund, bis Ekel vor sich selbst sie
packt, der aufgetriebene Magen sich brüsk erleichtert. Dann quillt Speichel
in Wellen aus den Häuten des Mundes und der Nase, schäumt auf den Lippen
und wechselt dort in vielen Farben. Oder es preßt eine Hand den Hals
zusammen, daß sie zu ersticken meint; eine gespenstische Kugel steigt aus
der Gurgel in die Eingeweide nieder, wobei kalter Wind den Leib durchweht.
Tiefer, traumloser Schlaf wechselt mit anhaltender Schlaflosigkeit, die sie
völlig erschöpft, und wüster Halluzination. Doch immer gelingt es noch
trotziger Energie, Franz, zur Umarmung bereit, vor sich aufzuzaubern. Als
aber Materie fast vom Knochen geschabt ist, das Fett verlebt, die Säfte,
nicht ergänzt, träg geworden, kann sie die erlangten Ohnmachten und
Zerschmetterungen mit neuem Aufschwung nicht mehr regelmäßig ausgleichen.
Nur hier und da erfaßt sie noch des Mannes feste Gestalt. Meist muß sie
sich mit einem Schatten begnügen. Und wie sie auch die Augen aus den Höhlen
dreht, die mageren Hände sehnend reckt, -- bei sich fühlt sie nur mehr
etwas unwirklich Zerschlissenes. Dann stöhnt sie große Seufzer und fällt
durstend in die Kissengrube; aber der ausgemergelte Körper stürmt in
Schlaf, und die Sehnsucht der Halbentseelten flieht vom Gift des
Sichzerfleischens häufiger zu Bildern guter Ruh.

Das angetrümmerte Gebein, dicht vor seiner Vernichtung, schreit nach
Befreiung. Mit dem Mut der Verzweiflung wehrt es sich, bereit, alle anderen
Möglichkeiten des Seins gutzuheißen, ihnen zu dienen, nimmt man von ihm die
Zentnerlast der durch Jahre getragenen Qualen.

Alsbald tritt in das erfrischte Gehirn Bild der Umwelt zögernd wieder ein.
Sie nimmt des Stübchens Einrichtung deutlich wahr: den Teppich vorm Bett,
dessen Mitte vertreten ist; bunte Gardinen gegen das Licht. Erstaunt sieht
sie ihren Fenstern das Dach eines Hauses gegenüber, das die frühere
Aussicht ins Grüne und die angrenzenden Gärten sperrt. In der Küche glänzt
Kupfer mit Zinn, und bemerkenswert scheint ihr der Ausdruck in
Menschenaugen. Da kommt morgens ein Mann ins Haus, der Zeitungen trägt.
Blond, greller Rede, drängt er sich kräftig in Metas Wirklichkeit, stellt
sich quer vor das blasse Bild ihres Schattenmännchens. Gaukelt sie das noch
manchmal her und bringt seine Züge nicht bündig zusammen, ist quick der
Stellvertreter vollkommen da, zu allem Möglichen bereit. Sie dreht sich
also, nur vager Absicht, in seine Bahn und hat ihn plötzlich unmittelbar,
Aug in Auge vor sich. Gespannt sieht sie sein vorbereitendes Gebahren,
schluckt seine bis zu den Haaren steigende Röte, die Wasserperlen auf der
Stirn, zitternde Hände. Auch leises Knirschen der Kaumuskeln belustigt sie
sehr. Als er aber, männlich perfekt, in die Horizontale schwenkt, macht sie
der Schwitzende lachen, und sie springt von ihm fort. Zu albern wirkte sein
strikter Angriff, es mangelt gewohnter, phantastischer Hinschwung; sie hat
die Fanfare nicht gehört, unwiderstehliches Muß völlig vermißt.

Aus halber Anschauung und vollendeter Ahnung sah sie der hingegangenen
Liebe unvergleichliche Höhe ein. Und wie vorher Natur, sind Trotz und
Eitelkeit in ihr befriedigt. Reste von Zärtlichkeit und Schwärmerei
schwinden schnell aus dem Herzen, und dreißigjährig stellt sich Meta, immer
noch Dienstmagd in des Färbereibesitzers Familie, mit gänzlich veränderten
Begriffen zu weiterem Dasein kräftig gewillt fest.

                   *       *       *       *       *

Bedient sie jetzt Gäste bei Tisch, die regelmäßig einmal in der Woche
kommen, reicht ihnen Teller und Schüsseln, sieht sie die Speisenden
eindringlich an. Sie merkt ihre Gespräche und kennt nach kurzer Zeit die
Verhältnisse der Geladenen. Doch, was sie erzählen oder mit Zwinkern und
Blinzeln von ihren Gefühlen ausdrücken, ihr menschlicher Inhalt scheint
Meta armselig und flach. Sie, die gemeiner Herkunft wegen vor diesen
Bürgern alle Schauer des Respekts gefühlt, merkt aus der Überlegenheit
selbstgewollten und überwundenen großen Schicksals, Hochmut in sich
wachsen. Die da sitzen, scheinen geschlagene Leute, denen das Menschliche
zu karg gemessen ist. Ihre Begierden bleiben weit hinter Metas Sehnsucht
zurück. Um kleine Vorteile treibt ihr Ehrgeiz, aus der Größe des Vermögens
sind sie sich wichtig. Dem Unbemittelten dienen Fabeln seiner
geschäftlichen Verschlagenheit, sich zur Geltung zu bringen. Da ist ein
Herr mittlerer Jahre in kaffeebraunem Rock, der von seinen Spekulationen
Wesens macht. Zum Schluß seiner Vorträge, die er mit trüben Witzworten
krönt, pflanzt er, beifallheischend, der Hausfrau jüngerer Schwester, die
seit kurzem zu Besuch da ist, einen runden Blick mitten ins Gesicht. Meta
kennt die Stelle, wo auf des Mädchens Backe antwortend jedesmal der rote
Fleck aufbrennt, sieht aber geschwind zum Erzähler zurück, um noch
wahrzunehmen, wie der mit dem Mundtuch herausfordernd sich die
Schnurrbartspitzen wichst. Sie findet diese Spießbürger Würmer, die man
bodenlos gering zu achten und nach dem Maß der Verachtung zu behandeln das
Recht hat. Mit dieser Feststellung begnügt sie sich nicht, sondern beginnt,
sich in die Schicksale der Lendenlahmen sofort zu mischen und sie zu
treiben. Erst springt sie das Mädchen an, das nach unabänderlich trägen
Gesetzen die Tage verschleißt, indem sie Gedrucktes aus des Hausherrn
Bücherei ihm in den Weg legt, das durch gewagten Inhalt es erregen soll.
Durchs Schlüsselloch sieht sie der sich Entkleidenden zu und wartet auf den
Effekt. Aber die klassisch Nackte, deren ebenmäßige Schönheit Meta gehässig
bewegt, hält lesend das Buch mit der gemarkten Stelle, und kein Hauch rührt
ihr Gesicht. Sie gähnt nur ein wenig, nestelt, kämmt, dreht die Lampe und
schläft.

Und doch steckt sie seit Wochen, glaubt sie sich unbemerkt, dem
kaffeebraunen Herrn die Finger schnell in die seinen. Sieht ihn
geschwungener Braue an, senkt den Kopf und entschwebt. Als eines Abends die
Herrschaft ins Städtchen fort ist, die Jungfrau vorm Spiegel mit gelöstem
Haar und blanken Beinen zur Nacht sich schickt, schiebt Meta den scheuen
Verehrer, der vorbeigehend nach der Anwesenheit der Freunde obenhin gefragt
hatte, ohne weiteres der Überraschten in die Kammer und wartet verhaltenen
Atems vor der Tür. Da es innen still bleibt, bringt sie den Blick an die
Öffnung und sieht Mädchen und Mann beieinander, Hand in Hand und Aug in
Auge. Dazu atmen beide kräftig aus geblähten Nüstern. Ein Weilchen, während
das Herz vor Erwartung steht, sieht Meta ihnen zu; als aber die Haltung der
Aufrechten sich nicht verändert, öffnet sie erbost die Tür und zwingt das
monumentale Paar zum Aufbruch.

Doch gibt sie sich nicht zufrieden. Nach ihren höheren Absichten sollen
sich dennoch die Geschicke der Armseligen erfüllen. In stärkerem Feuer will
sie die Seelen glühen sehen, gewiß, noch immer wird sich dort ihr eigener
Wert über dem der anderen erhärten, und sie kann an ihrer salamanderhaften
Unbrennbarkeit von neuem vergleichend sich berauschen. Engeren Anschluß
sucht sie an die Ahnungslose, ist beim Anzug behilflich, streift ihr die
Strümpfe schmeichelnd an die Beine, das Hemd über die zarte Haut. In Kürze
vollendet sie mit sympathischen Strichen jeder Nerve zärtliches
Verständnis, und als sie ihr Opfer zu eigener Regung flügge glaubt, weiß
sie es bald wieder einzurichten, daß der lau Temperierte das junge Weib
allein im Aufruhr der Gefühle findet.

Von der völlig Entzündeten fängt der schwer zu Entflammende Feuer. Nun
girren hinter der Tür die Stimmen, es fordert Verlangen und seufzt die
Schwäche. Das Mal des Sieges leuchtet auf Metas Stirn.

Allem, was folgt, widmet sie sich inständig; vermittelt den Liebenden
Bequemlichkeit. Je dringlicher er Halt will, um so stürmischer wird der
Mann geliebt, und das schleunige Ergebnis ist des Mädchens vollendete
Schwangerschaft. Da aber ist die Mittlerin erst vollends selig. Für des
Hauses Ruh, die nur durch banalen Anlaß bislang gestört wurde, hofft sie
gründlichen Sturm und Raserei. Sie reibt sich die Hände und schneidet dem
Himmel Grimassen. Und als sich das Unglück den Verwandten nicht länger
verheimlichen läßt, mit einemmal im grünen Salon Aufschrei und Verwünschung
schallt, als zweier Frauen Ohnmachten zu enden sind, und Nasenbluten des
erschütterten Färbereibesitzers ihre Pflege und Essig fordert, schwebt
Meta, überlegene Zuschauerin der Blamage und Verlegenheit, in sieben
Himmeln.

Jede Stunde ist ihr nun höchster Erwartung voll. Sie glaubt an zerschelltes
Geschirr, eingetretene Türfüllungen, den aus dem Fenster in den Hof
zerschmetterten Leib. Auf den Pistolenschuß wartet sie, der plötzlich die
Nachbarschaft alarmieren soll, hört Feuerwehr und Polizei schon die Treppe
stürmen. Doch steigt das allgemeine Elend nicht über ein finsteres
Schweigen und Tränen in Strömen. Eines Morgens aber erscheint der Verführer
im schwarzen Rock mit hohem Hut; Verbeugungen, Komplimente, dann heftige
Umarmungen werden getauscht, und bald kleidet Meta die Braut in Batist,
Schleier und steifen Atlas. Während das erlöste, ausgelassene Mädchen
lockende Kapriolen in den Spiegel stellt, fühlt sich die Bedienende von den
himmlischen Gewalten aufs neue geneckt und um jeden Erfolg gebracht.

Aber sie will, nachdem ihr der Weg zu eigener, bedeutender Fühlung einmal
gesperrt ist, aus von ihr aufgeregtem, fremden Schicksal unbedingt die
fortdauernde Bestätigung nicht gewöhnlicher Natur. In Gestalt eines
alternden Mädchens, durchschnittlicher Dienstmagd zum Kehricht geworfen zu
werden, diesen Ausgang ihres Lebens ertrüge sie nicht. Sie weiß nicht, wie
der Dämon in sie kam, aber daß sie vor jedem Atemzug gelten, vor sich
selbst bestehen muß, und daß, diese Voraussetzung ihres Lebens zu schaffen,
ihr jedes Mittel gilt.

Als mit dem in gesetzlicher Ehe geborenen Sprößling die jung Verheiratete
alsbald aus ihrer Macht und ihrem Gesichtskreis entschwunden ist, spürt sie
der Hausfrau Launen auf und wo bei ihr der Eingriff ins Leben zu wagen sei.
Sie sieht die noch Begehrenswerte in simplem Haushaltskram befangen, und
lange Zeit weiß sie nicht, wie ihr beizukommen wäre. Da springt ihr Zufall
zu Hilfe, als sie den Erzieher des nun zwölfjährigen Knaben im Unterricht
über ein samtenes Band der Prinzipalin träumend findet. Der Brennpunkt ist
entdeckt, und mit unwiderstehlichem Drang facht sie Feuer unter den
Primitiven, kocht sie durch Monate in ununterbrochener Hitze gar, bis der
Boden des Topfes, in dem sie schmoren, wie Papier mürbe ist, und die Minute
sich ankündigt, wo die Siedenden und Gesottenen ins offene Feuer fliegen.

Dicht vor der Katastrophe aber kommt ihr ein närrischer Einfall und macht
sie vor Freude toll. Nicht halbe Arbeit will sie mehr leisten; diesmal soll
das ganze Haus, der Familie rundes Ensemble, in sie untertauchen, und
Herrschaft auf alle soll Lohn für fünfzehnjährige Sklaverei sein. Als der
Herr wie stets in einer Ecke sie tätschelt, sprengt sie durch den ihm
zugeschleuderten Blick seine gedämpfte Existenz und überläßt am gleichen
Tag, da auch der junge Lehrer das ersehnte Glück findet, sich dem
täppischen Alten.

Der hat durch seine Lebensstellung gefällige Umgangsformen mit der Frau.
Meta nahm ohne Eifer mit Befriedigung, was er bieten konnte. Aus immer
lebendiger Phantasie machte sie ihn abhängig; unterjochte ihn ganz. Sie
probte und spannte ihn wie einen Handschuh, so weit er sich streckt; ersah
an seinem Beispiel, wie weit der Mann dem Weibe wirklich folgt und stellt
nach ihm das Bild von Franzens Männlichkeit richtig. Der Rest Bedauern, den
sie über dessen Tod noch immer fühlte, minderte sich füglich. Als sie den
Alten am Schnürchen hatte, er erst wie ein Pudel in ihrem Dunstkreis
hüpfte, zwang sie auch die Hausfrau aus der Mitwisserschaft um ihr
Verbrechen in dramatisch geführten Szenen zur Unterwerfung, allmählich zu
striktem Gehorsam. Jetzt gab sie im Haus die Kommandos, nicht so sehr mit
Worten als mit Blick, einer verlorenen Geste; spielte Richter und oberes
Gesetz. Nie wollte sie, was jene wünschten, verbot, was ihnen erfreuliche
Aussicht war und konnte nicht schlafen, gab ihr der Überblick des
hingegangenen Tages nicht Gewißheit ihrer bewiesenen Macht. Drohten anfangs
die Geprügelten, sich zu empören, das noch ungewohnte Joch abzuwerfen,
dämpfte sie durch anonyme Briefe, die das Infame mit gemeinen Worten an die
Wand malten, die Lust zum Aufstand; durch auferlegte Strafen den Wunsch,
Widerstand zu wiederholen.

Sie zog in ein geräumiges Zimmer am Hauptflur, das sie mit hübschen Dingen
schmückte, die ihr anderswo entbehrlich schienen. Setzte den Papagei im
Bauer und einen Ledersessel ans Fenster, in dem sie regelmäßig als erste
die Zeitung las und rückte schließlich das Grammophon im
Mahagonischränkchen aus dem Eßzimmer zu sich herüber. Ein buschiger Kater
hockte auf ihrem Schoß.

Für die Arbeit hat sie längst eine Magd genommen. Samt den übrigen
Hausinsassen dient ihr die tagtäglich irgendwie zur Befriedigung dunkler
Instinkte. Durch immer neue Nadelstiche, tausend gesiebte Bosheiten und
Intriguen, gegen die sie wehrlos ist, im Mark des Lebens gelähmt, sinkt die
ganze Sippe allmählich in so bodenlose Abhängigkeit, daß jede Reibung
schwindet. Für den Besucher bildet die Gemeinschaft das Bild idealen
Friedens; wie zärtliche Verwandtschaft liebenden Eifers bemüht ist, das
Leben der verehrten Tante zu erhalten, vor Schreck und Trubel zu bewahren.
Man buhlt mit den niedrigsten Mitteln um ihre Gunst; der Gatte verleumdet
die Gattin, das Kind die Eltern, alle aber die Magd, die sich auf gleiche
Weise rächt. Wo Meta auftrumpfen will, liegen die Stiche schon auf dem
Tisch. Ihr zum Schlag gehobener Arm fällt auf Samt, zutretender Fuß taucht
in Watte. Um sie ist schließlich Atmosphäre von Thymian und Lavendel, und
wie sie auch immer im Einzelfall streng entscheidet, sieht sie doch nur
verklärte Gesichter. Man ist unter allen Umständen entschlossen mit ihr,
unbedingt für ihren Willen. Ihrer längst nicht erloschenen,
leidenschaftlichen Lust am Aufruhr stellt sich in ihrer Umgebung einfach
kein Gegner.

Sie muß ihren Groll künstlich päppeln, sich aufsagen, wie sie von Gott und
den Menschen tödlich beleidigt ist um etwas, das ihr lange sehr deutlich
war. Während sie im Genuß ertrinkt, betet sie sich vor, sie sei gemartert
und grausam gehöhnt; aber die Sühne des Himmels stehe noch aus. Sie fühlt,
verliert sie Aufstand und Empörung erst völlig aus dem Blut, muß in ihr ein
Vakuum entstehen, das sie in Abgründe schleudert. Aber die vier Menschen um
sie, die den Schlüssel ihrer Natur gefunden, singen ihr Hymnen, überstürzen
die geringste Forderung an sie von sich her und entkräften immer mehr Metas
einst lodernden Haß.

Schon, wenn am Jahresersten die Familie mit dem Frühesten an ihr Bett tritt
-- sie aber liegt in schleifenverzierter Haube, kostbarem Hemd mit
gefalteten Händen unbeweglich auf dem Rücken wie ein sehr kostbarer
Gegenstand -- und das erdenklich Gute wünscht, oder an ihrem Namenstag das
Haus mit brennenden Lichtern und Kränzen ein Tempel der Freude ist, Likör
und edler Wein in Römern herschwebt, der die Geister verzaubert, schwindet
ihr Erinnerung alles Gewesenen. Aber an ihrem vierzigsten Geburtstag, da
Segenswunsch und Musik, als Enthusiasmus mit frohen Toasten prasselt, und
in allen Blicken die Träne der Rührung hängt, fühlt sie aus sich das
Heftige gerissen; sitzt im Kreis der Feiernden betäubt und gestäupt als
leere Attrappe.

Alle Arbeit ist ihr aus dem Weg geräumt, den Finger darf sie schließlich
nicht mehr rühren, und die geringste Handreichung wird mit stürmischer
Abwehr nicht geduldet. Aber Überraschung bringt man ihr von draußen,
freundliche Grüße der Bekannten, nur gute Nachrichten. Jeder Eintretende
stellt strahlenden Augs mit lachendem Mund vor ihr ein lebendes Bild. Alle
haben die zierlichsten Bewegungen, holde Sprache, Händedruck und
Herzbeteuerung. So ist ihr jeder Anlaß zu Scheltworten genommen. Wie sie
auch Argwohn und zänkische Erwartung spannt, immer endet jeder Vorgang über
Erwarten glücklich in Sonnenschein. Man schmeichelt dem Vogel im Bauer,
bringt ihm Biskuits und fragt mit schmelzender Besorgnis: »wen liebst du am
meisten auf der Welt?«, und kreischt der bunte Bursche: »Meta! Meta!«,
scheint man gerührt, entzückt, sogar erschüttert. Vom ewigen Sitzen und
Gefüttertwerden wird die Verwöhnte von neuem unförmig fett. Ihre gefräßige
Natur widersteht den Leckerbissen nicht, die man ihr reicht, und aller Welt
macht es gehässigen Spaß, die Anschwellende nach Kräften zu mästen.

Ißt sie reichlich zu Tisch, schlürft viele Tassen Kaffee und mummelt
Kuchen, dösen die Augen träg ins Leere. Nicht Feuer mit Blitz steht in
ihnen, kaum mehr Strahl des Lebens. Bei Zeitungstratsch und
Phonographengeplärr läppert sie Tage. Ihrer Umgebung achtet sie nicht mehr,
läßt die beherrschte Welt immer weiter aus den Zügeln und kümmert sich
ängstlich nur um die Gemäßheit der Verdauung.

Doch die vom Leitseil Entspannten schweifen in ein freies, früheres, durch
sie nur unterbrochenes Sein fort. Mit vorgeschrittenem Alter hat man eine
gewisse Höhe des Lebens erreicht. Vom Hügel herab sieht man Jugend, Torheit
und Tollheit, und sicher vor ihnen, betrachtet man sie kritisch und
belächelt sie. Ohne treibende, innere Flamme sind die Gatten aus der
Häuslichkeit nicht mehr fortgerissen, sondern, der schwachen eigenen
Kräfte, der Kämpfe im Dasein bewußt, aufeinander zu schmalem, letztem
Lebensgenuß angewiesen. Und was man nie vermocht hat: da man das Gleiche
will, traut man einander, nähert sich und lernt sich wirklich kennen. Der
silbernen Hochzeit steuert man zu, geht das Vergangene im Geist durch,
macht entschuldigende und begreifende Anmerkungen und ist mit Hin- und
Widerrede eines Tages so weit, daß man spürt, wäre es nötig, könnte man
auch einen Fehltritt, der weit zurückliegt, dem andern ohne Gefahr getrost
gestehen.

Als aber diese Wahrheit erkannt und eingesehen war, begann man, die
Gehätschelte im Lehnstuhl mit neuen Augen zu sehen. Noch ließ man es an der
Anrichtung der Speisen nicht merken, wie sich die Lage schlimm für sie
geändert hatte, doch sparte man mit Besuch und machte für sie keinerlei
Anstrengung mehr. Meta nahm die mangelnde Teilnahme entweder garnicht wahr
oder empfand sie als erhöhte Rücksicht, die ihrer Bequemlichkeit erwiesen
wurde. Immer mehr dämmerte sie in den Zustand zufriedener Gleichgültigkeit
hinüber.

Doch wollte sie eines Morgens Dienstleistung und hatte dreimal den
Klingelknopf gedrückt. Als niemand kam und ohne Erregung sie mechanisch
weiterschellte, öffnete endlich die Hausfrau die Tür und fragte
schnippisch, was ihr denn einfiele. Ganz verdutzt, blieb Meta glotzenden
Blicks die Antwort schuldig. Da erhob die Scheltende schreiend die Stimme,
sie verbitte sich Art und Weise. Was denn im Werk sei, und ob sie sich, was
sie brauche, nicht gütigst selbst holen wolle und ob überhaupt . . . und da
höre alles auf! Und je weniger die Gescholtene zu entgegnen vermochte, um
so mehr tobte der Frau entfesselte Wut. Zischend spie sie Wortschlangen auf
die Vertatterte, berauschte sich an deren demütiger Stille so unmäßig, daß
sie Stühle vom Platz, Gegenstände durchs Zimmer schleuderte. Mehr von der
Dynamik der Stürmenden als vom eigenen Trieb bewegt, richtete sich Meta
schließlich auf, nach bewährtem Rezept zum Angriff überzugehen. Sah aber
beim ersten Blick dem Gegner ins Auge; der hatte alle Angst vor ihr
verloren, und ihr Spiel sei unwiederbringlich und gründlich verspielt.
Trotzdem machte sie eine fürchterliche Bewegung, zeigte plötzlich das alte,
von tödlichem Haß entstellte Gesicht so drohend, daß die von neuem
Geängstigte gellend den Gatten zu Hilfe rief. Der übersieht, im Schlafrock
herbeieilend, mit einem Blick nach rückwärts und vorwärts die Lage und nie
wiederkehrende Gelegenheit, fuchtelt die Arme wuchtig aufwärts, dröhnt mit
riesiger Stimme Löwentöne, daß alles zusammenläuft, und die Nachbarn an die
offenen Fenster eilen. Da er fühlt, ihn verlassen die Kräfte, es müsse aber
zum Schluß noch die entscheidende Granate einschlagen, kreischt er mit
schneidendem Schrei, sie solle nicht vergessen, daß sie Dienstbote und
gelitten sei. Der Satz tat dämonische Wirkung. In die Brust flog die
Familie. Wie vom Blitz zerschmettert aber knickte Meta in den Wirbeln und
fiel wie Plunder ins Dunkle. Dann flog Bann und Fluch auf sie, und eh' ihr
noch ein Gedanke keimte, war ihr für vierzehn Tage später gekündigt und
zugleich anbefohlen, noch am gleichen Tag das Haus zu verlassen. Lohn und
Kostgeld würde nach dem Gesetz bezahlt.

So endgültig, spürte sie, war ihre Niederlage, daß sie keinen Versuch
machte, den Gang der Ereignisse aufzuhalten. Aus allen Winkeln räumte sie
ihre Habseligkeiten und Siebensachen. Beim Umkehren der Schübe fiel auch
ein Bündel beschmutzter Lumpen vor ihre Füße. Erst begriff sie deren Sinn
und Herkunft nicht. Dann, während Ekel sie schnürt, erkennt sie Franzens
irdische Hinterlassenschaft. Sie kneift die Mundwinkel und stößt den Packen
zum Kehricht.

Wenige Stunden später sitzt sie im Gasthof allein, aus dem sie nach ein
paar Tagen, noch halb im Traum, zu einer Verwandten aufs Land übersiedelt.

                   *       *       *       *       *

Von dort wollte sie anfangs, das letzte Wort im Streit zu behalten, einen
Brief der ehemaligen Herrschaft schicken, in dem Verachtung und
Überlegenheit maßlosen Ausdruck hätten. Da sie das Schreiben aber trotz
Mahnung des Verstandes von Tag zu Tag aufschob, merkte sie endlich, wie
gleichgültig im Grund die Katastrophe sei, und wie sie eher mit diesen
Leuten als die mit ihr fertig gewesen. Sie findet jetzt, die letzten Monate
seien durch innere Teilnahmslosigkeit als einzige ihrem Leben verloren. Aus
eigenem Antrieb hätte sie eher aus einem Haus aufbrechen müssen, das längst
von ihr mit Stumpf und Stiel gefressen sei. Aus welchen Quellen hätte sie
dort ihr Lebensgefühl speisen sollen? Welche Gewißheit der Gegenwart und
Aussicht für die Zukunft konnte sie da noch beschwingen? Ein grämlich
bequemes Alter sei ihr gewiß gewesen. Halber Tod im Leben. Hier aber war
vor allem die Landschaft, zu der sie aus Vergangenheit keine Beziehung
hatte, ihr Phänomen, und sie hoffte, befeuernd werde die auf sie einwirken.
Mit der menschlichen Umgebung, die sie ihrer Erfahrung gemäß fand, trat sie
am neuen Ort nicht mehr in Wettkampf. Wo Wucht des Fühlens und der
Instinkte entschied, wußte sie sich ein für allemal auserwählt und der
Menge gründlich überlegen. Auf dem Gebiet geistiger Kräfte aber suchte sie
keinen Anschluß, der ihr aus Begabung und Erziehung verwehrt war. Hochmut,
Neid, Zorn fielen als überflüssig fort, als sie merkte, das simple
Bauernvolk stand an Geltungswillen noch hinter den besiegten Städtern
zurück. Unter Unbewaffneten aber im Harnisch zu gehen, erschien ihr
sinnlos. Hübsche Ersparnisse gaben ihr zudem in diesen bescheidenen
Verhältnissen auch die äußere Sicherheit, die ihre kurzen Gesten, knappen
Anmerkungen von innenher bezeugten.

Da sie aber spürte, noch immer wende sie zuviel Kraft an den täglichen
Umgang mit belanglosen Menschen, nutzte sie vor allem weiteren ihr Geld
dazu, einen Mann zu fesseln, der Mittler zwischen ihr und den anderen sein,
die Unkosten des von der Welt geforderten Entgegenkommens tragen sollte.
Jakob war Kriegsinvalide, ein rüstiger Fünfziger mit Stelzfuß. Medaillen
und Schnallen auf der Brust bezeugten seinen Sinn für Gemeinschaftsideale,
den Willen, sich in bürgerlichem Verein bemerkbar zu machen und die
Fähigkeit dazu. Sie heiratete ihn und setzte ihn vor ihre eigene Person als
Damm gegen die kleinliche Zudringlichkeit der Nachbarn. Es wirkte nicht
störend, ein brillanter Hans in allen Gassen hatte eine schweigsame,
zugeknöpfte Frau. Es ließ sich im Gegenteil versöhnend an. Jede Satzrakete
ihres Gatten, seine Schwärmer und Leuchtkugeln, die verständnisvolle
Bewunderer fanden, sicherten ihr Stille und innere Abgeschiedenheit auch
dann, saß sie mitten im aufgeräumten Kreis, der bei der Erzählung von
Jakobs Kriegsanekdoten lärmend vaterländisch begeistert war. Sie stützte
seine einfache, seelische Mechanik, ölte die Maschine, drehte die Kurbeln
und stellte sie auf Jahrestage beliebter Schlachten, auf Kaisers Geburtstag
oder sonst ein Jubiläum, um ihn, rasender Brisanz mit Lampions und
Feuerwerk, auf die Zeitgenossen loszulassen.

Sie selbst aber ging heimliche Wege in die Landschaft. Am überraschenden
Wirken sprühender Natur wollte sie das eigene, kräftige Leben messen.
Morgenröte, Sonne im Zenith und die Sternbilder am Firmament, Wind, Regen,
Hagel und Schnee stellte sie als wechselnde Erscheinungsformen fest, von
denen sie den jedesmal gewollten Effekt zu erkennen suchte. Sie mochte
nicht einsehen, Regelmäßigkeit sei das Prinzip, aus dem Natur sich rege und
sträubte sich, zu glauben, Sonne gehe ohne besonderen, heutigen Zweck auf,
um zu sterben und morgen wieder pünktlich am Platz zu sein. Am
Wiederkehrenden wollte sie durchaus das einmalig Notwendige erkennen, das
es erst legitimiere.

Doch je tiefer sie in den Plan der Schöpfung eindrang, sah sie
Gleichförmigkeit und Gegebenheit als letztes Gesetz ein. In noch höherem
Maß als der Mensch waren Pflanze und Tier artmäßig übereinstimmend; es ging
im weiten Umkreis der Natur gattungsgemäß nach ewigen Formeln von der
Geburt zum Tod ohne den Aufschwung, den für sich selbst der niedrigste
Mensch einmal im Dasein beweist. Was aber mit Gewißheit vorauszubestimmen
war, langweilte sie nicht nur am Menschen; und so langweilte sie bald erst
recht Natur. Was man den Reihen des aus gleichem Stoff Gewesenen in
gleicher Absicht nachtat, könne als eigentliches Sein nicht rechnen, dachte
Meta. Denn es entkleide des Selbstgefühls und noch Erhabeneren, das sie
nicht zu nennen wußte, aber mit allen Fasern ihrer Seele immer anstrebte.
Sie mochte nicht aus fremden Zungen reden, nicht aus fremder Gewißheit
handeln. Von sich selbst mußte sie fortwährend zeugen, und im Haus und
draußen wollte sie nur mit Organismen umgehen, die, die Form sprengend,
eine andere eigentümliche Form bildend, sich bewiesen.

In des Hauses entlegene Stube zog sie und saß im Halbdunkel. Da die
Gegenwart ihrem Erlebnisdrang nicht günstig ist, lebt sie von Erinnerung,
während sie wie eine Spinne im Netz auf Anlaß lauert, sich zur Höhe ihres
Gefühls von neuem aufzurichten. Sie zaubert den Abglanz aller Stationen
ihres weiblichen Blühens und Welkens her. Franz tritt mit vollkommener
Sensation zu ihr, und erst jetzt kennt sie ihn in seinem ganzen Verein: Er
war absonderlich jung und so wenig eigene Person, daß sie ihren ganzen
Traum vom Mann mit ihm hat austräumen können. Je eindringlicher sie ihn
gliedert, eine Zukunft bildet, die er gelebt hätte, wäre er vom Krieg
heimgekehrt, um so deutlicher wird er das Ebenbild Jakobs. Derselben
Begabung, des gleichen seelischen Gewichts, hätten Sprüche in seinem eitlen
Maul den Mangel an Tatkraft stets ersetzen müssen. Wie Jakob hätten auch
ihn Schnallen und Medaillen auf der Brust in seiner Welt beglaubigt;
hinreichende Betätigung seiner selbst hätte auch er in Prost und Toast
gefunden.

Zehn Jahre früher würde sie ihn damit aus dem Herzen verloren haben, und
die Zeit ihres höchsten Aufschwungs mit ihm wäre nie gewesen.

Mild stimmte sie die Erkenntnis mit Gott, und aufmerksam sah sie ins
treibende Gewölk, als läge hinter ihm vielleicht noch Überraschung und
neuer Aufruf zu tätigem Leben. Ihre inneren Bestände von jeher musterte sie
und stellte fest: nie habe gegen den Höchsten sie sich vergangen, hätte
sie, ein menschliches Weib und nach den Worten der Schrift sein Abbild, vom
ersten Lebenstag das Recht auf eigene Person und volle Verantwortung für
sich gefordert. Denn nie, wohin immer die Sucht persönlichen Erlebnisses
sie geführt, sei sie noch so schrecklichen Folgen ausgewichen. Sie hielt es
sogar des Menschen als des göttlichen Gleichnisses für unwürdig, lebte er
im Hinblick auf die Allgegenwart und Allkraft Gottes träge im Bett der
Gewohnheiten, ohne mit seinem Blut die überkommenen Begriffe zu füllen und
für sich selbst lebendig zu machen. Ihr ganzes Leben hindurch hatte sie nur
gegen Sattheit, Ruhe und Stillstand in sich und anderen gemeutert, sich
empört gegen den Tod in jederlei Gestalt, als gegen den grimmigsten Gegner
des allebendigen Gottes. In Menschen, die ein nutzloses Sein nach Schema
und Klischee hinbrachten, war sie wie Flamme gefahren und hatte sie zu
eigener Äußerung endlich gebracht.

Wo sie weilte, hatte Gefühl in Marsch und Aufruhr gestanden. Niemand habe
mit ihrer Bewilligung einfach geschlafen, gegessen oder von beiden
ausgeruht.

Als mit dieser Einsicht alle Bedenken über Vergangenheit in ihr
ausgeglichen waren, regte sie sich, nach dem Tod des Gatten Jakob, wieder
rüstiger und richtete von sich fort den Sinn unmittelbarer auf die Mitwelt.
Es reizte sie mächtig, nicht mehr aus dunklem Drang, sondern mit
vollkommener Erkenntnis manchen schwächeren Weltkinds Bürde auf ihre
Schultern zu nehmen, seine Bedenklichkeit, sich zu sich selbst zu bekennen,
in alle Winde zu zerstreuen. Eine alte Eva war sie, gebraucht und in den
Kesseln des Geschlechts gesotten. Aber unter weißem Haar stand das
Menschliche ihr frisch und unversehrt. Nicht weniger als die Jungfrau
einst, im Fenster auf Ausschau hängend, war sie für sich und andere keck
und zukunftssicher.

Ihre Kraft in abgestecktem Raum aufs beste noch zu nützen, trat sie in das
Altfrauenhaus ihrer ländlichen Gemeinde ein. Zwanzig in durchschnittlichem
Leben abgeblaßte Seelen traf sie dort, erloschene Flämmchen, die sich
schämten, noch zu schwelen. In verschlissenen Kleidern, das weibliche
Aussehen arg vernachlässigt, schlichen diese menschlichen Trümmer unsicher
im Dämmerlicht.

Meta wie Jugend, Sturm und himmlische Überredung fuhr in sie. Rollte ihnen
den Film des Lebens zurück, wies die häufigen Höhen und zeigte einer jeden
an der entsprechenden Stelle ihre ganz unvergleichliche, irdische
Wirksamkeit. In welken Brüsten entzündete sie eine späte aber vollkommene
Überzeugung von der einzigen Bedeutung dessen, wofür sie geblüht hatten.

Und jede dieser Kreaturen setzte einige schüchterne Schößlinge an. Das
kahle Holz begann zu treiben in der Gewißheit, solange es lebte, am neuen
Morgen noch immer den ersten Tag zu haben. Es wurde das Licht der Augen
wieder hell; die Hauben gebügelt und gewaschen, bekamen Rüschen; Spitzen
und gefälteltes Weiß sahen aus den Ärmeln. Finger, Ohren und das gepflegte
Tuch der dunklen Kleider waren plötzlich goldgeschmückt.

Nach vollbrachtem Tagwerk findet man die Runde der Weiber allabendlich um
die gewaltige Tafel: aus den Hälsen die Häupter steif gehoben, die Hände
wie bewiesene und bedeutende Einheiten breit auf die Platte des Tisches
gestreckt, lauschen sie andächtig Metas Rede. In allen Antlitzen aber
brennen zinnoberrot hektische Flecken, und manchmal klopft zu dem
Gesprochenen ein Fuß mit hohem Bewußtsein den Boden.

Als vom benachbarten Kloster die Nonne Äbtissin, die von Metas
Hochgemutsein in der strengen Abgeschiedenheit gehört hatte, sie aufsuchte
und, mit ihr plaudernd, meinte, vielleicht sei das Kloster auch für den
Rest _ihrer_ Tage der rechte Ort, gab die alte Magd bescheiden doch gewiß
dies zurück:

Ihr seid nicht stolz genug auf euch, ihr klösterlichen Weiber. Mir gefällt
nicht die Demut, das Bedauern eigener Unzulänglichkeit und nicht
Unterwerfung unter hohe, unumstößliche Vorschrift. Schönste, irdische
Wirklichkeit bin ich mir selbst, und auch vor meinen Herrn will ich einst
so treten, daß er mich als das Höchstpersönliche erkennt, welches er, von
aller Menschheit streng unterschieden, einst schuf, und das er »Meta«
nannte.

ENDE

CARL STERNHEIM

Insel-Verlag zu Leipzig

_Don Juan_, Eine Tragödie · Geh. 5 M., Halbleder 8 M.

_Ulrich und Brigitte_, Ein dramatisches Gedicht · Geh. 3 M., Leinen 4 M.

Aus dem bürgerlichen Heldenleben 1. _Die Hose_ · Lustspiel 2. _Die
Kassette_ · Komödie 3. _Bürger Schippel_ · Komödie 4. _Der Snob_ · Komödie

Jeder Band geheftet 3 M., in Leinen 4 M.

Kurt Wolff Verlag zu Leipzig

5. _Der Kandidat_ · Politische Komödie 6. _1913_ · Schauspiel 7. _Tabula
rasa_ · Schauspiel (Auf Subskript.)

_Das leidende Weib_ Drama nach F. M. Klinger

_Die drei Erzählungen_ Reich illustriert mit Original-Lithographien von
_Ottomar Starke_

Kurt Wolff Verlag zu Leipzig

Neue Dichtungen

In einheitlicher Ausstattung fest brosch. M. 2.50; in Halbleder geb. M.
4.50; in Pappband geb. M. 3.50

_Franz Kafka_ · Betrachtung. 2. Auflage

_Oskar Kokoschka_. Dramen und Bilder. Mit einer Einleitung von Paul Stefan

_Rabindranath Tagore_ · Chitra. Ein Drama. -- Der zunehmende Mond. (Mutter
und Kind) -- Gitanjali. (Sangesopfer.) -- Der Gärtner. (Liebeslieder)

_Franz Werfel_ · Einander. Oden -- Lieder -- Gestalten -- Die Troerinnen
des Euripides. In deutscher Bearbeitung. Wir sind. Neue Gedichte. 3.
Auflage.

In meinen Verlag ging über und erschien in neuer Ausgabe:

_Franz Werfel_ · Der Weltfreund. Gedichte.

Kurt Wolff Verlag zu Leipzig

Der neue Roman

Sammlung zeitgenössischer Erzähler

Jeder Band geh. M. 3.50. geb. M. 4.50. kart. M. 4.--

Der große Erfolg, den die mitreißende Gewalt neuer Erzähler in den
weitesten Kreisen der Lesewelt gefunden hat, und die begeisterte Aufnahme,
die beispielsweise Sternheims »Napoleon« bereitet ward, läßt klar erkennen,
daß das Publikum endlich den seichten Unterhaltungsroman der vielen
Gartenlauben satt hat. Es sehnt sich nach einer literarisch gehaltvolleren
Kost mit Durchdringung von hoher Geistigkeit und innigstem Gefühl wie in
Max Brods Roman »Tycho Brahes Weg zu Gott«. Vom Jahrhundert des Aeroplans
und der Untergrundbahn verlangen wir auch eine kongenialere Kunst, furios
im Tempo und im Monumentalstil wie Flaubert und Heinrich Mann, atemraubend
wie Meyrinks »Golem«. Einem solchen Verlangen soll diese neue Sammlung
zeitgenössischer Erzähler versuchen gerecht zu werden, deren vornehmstes
Ziel sein wird: den neuen Dichtern Raum zu schaffen, die -- wenn sie auch
noch so verschieden an Kraft und Wesensart sein mögen -- uns den starken
Atem unserer Tage spüren lassen.

Als erste Bände erschienen:

_Gustav Meyrink_, Der Golem _Max Brod_, Tycho Brahes Weg zu Gott _Heinrich
Mann_, Schlaraffenland

In Vorbereitung befinden sich neue Bücher von Kasimir Edschmid -- Arnold
Zweig -- Flaubert -- Anatole France -- Heinrich Mann u. A.




Anmerkungen zur Transkription


Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.






End of the Project Gutenberg EBook of Meta, by Carl Sternheim

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK META ***

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