Der Jesuit

By Carl Spindler

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Title: Der Jesuit
       Charakter-Gemälde aus dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts

Author: Carl Spindler

Release Date: October 14, 2014 [EBook #47112]

Language: German


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                              Der Jesuit.

                           Charakter-Gemälde
                                aus dem
              Ersten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts

                                  von

                              C. Spindler.


                   Amerikanische Stereotyp-Ausgabe.

                             Philadelphia.
                       Verlag von F. W. Thomas.
                                 1855.


                   Printed by T. K. & P. G. Collins




Der Jesuit.




Erster Theil.


Erster Abschnitt.

1720.

  Des Senators Familienleben. -- Sein Comptoir und dessen Diener. --
  James. -- Fortuna's Launen. -- Der Geschäftsfreund aus Holland. --
  Das Gespräch unter den Kastanienbäumen. -- Der verhängnißvolle Besuch.

Schön ist es, über eine Schwelle zu schreiten, jenseits welcher der
Fleiß und die geschäftige Betriebsamkeit ihren Thron erbaut haben,
sobald man sieht, daß all das ewige Treiben das Wohlsein des Lebens
begründen soll, und nicht blos einen glatten Gypsmarmor um die trockne,
dürre Säule von Holz. Der Hausvater ist ein ehrwürdiger, geliebter
Mann, wendet er seiner unermüdlichen Thätigkeit Zinsen dazu an, daß
die Seinen sich fröhlich daheim finden in dem traulichen Hause; -- daß
er selbst, -- der Schöpfer des Wohlstandes -- behaglich ruhe in seinem
Eigenthume. Die heitere Wohnung wird ein Paradies für den Besitzer,
ein Ort des Friedens den Freunden, den Bedrängten ein Asyl. Keucht
aber im Erdgeschosse die besoldete Mühe im eisernen Dienstjoche,
während im obern Stockwerke die Langeweile, die Verdrossenheit, auf
einsamen Polstern, hinter kaltem Stein und vornehmen Goldwänden
gähnt, -- dann, Wanderer, meide die stolze Pforte, wenn auch noch so
einladend das »Salve« von ihrer Schwelle spricht. In dem Steinhaufen
gebietet kein fühlendes Gemüth, und vor dem starren Reichthum floh
die Zufriedenheit! -- Wer im Jahre 1720 gelebt, und das Innere des
Hauses gesehen hätte, welches der Senator Müssinger in der deutschen
Reichs- und Handelsstadt, die der Aufzeichner dieser Begebenheiten
meint, aber nicht nennt, dazumal bewohnte, müßte dem einleitenden
Spruche Beifall geben. Das stattliche Gebäude war von Uranbeginn
zum Denkmale des Hochmuths bestimmt gewesen. Ein Spekulant, der in
den ersten Jahren des spanischen Erbfolgekriegs durch Lieferungen
für die alliirten Heere ungeheure Summen gewonnen hatte, legte das
Fundament zu dem pallastähnlichen Hause. Die Vollendung desselben
sollte er nicht sehen. Mancher Schurkereien überwiesen, sollte ihm,
kurze Zeit nach der Schlacht bei Hochstädt, der Prozeß gemacht werden:
er entging der Schande jedoch durch einen kühnen Pistolenschuß. Die
leere, unausgebaute Prachtwohnung des verunglückten Lieferanten kaufte
bald der vom Glücke begünstigte Senator Müssinger. Der unternehmende
Handelsherr, der mit Ost- und Westindien verkehrte, fand sich zu enge
in dem kleinen Vaterhause, zog über in das Neue, Große; und Fortuna,
die bereitwillig in dem bescheidenen Spezereikrame des Kaufmanns
Platz genommen hatte, siedelte mit in das neue, geräumige Comptoir.
Müssingers Firma war die Erste auf dem Markte, und florirte weit und
breit im Aus- wie im Inlande; trieb Jahr für Jahr die schönsten Blüthen
und Früchte. Die Mehrzahl seiner Mitbürger beneidete den glücklichen
Senator; sie bewies aber durch diesen Neid -- entweder ihre
Unbekanntschaft mit Müssingers anderweitigen Verhältnissen, -- oder
einen Gelddurst, der Alles schnöde übersieht, was das Herz berührt, und
nicht allein den Courszettel im Gehirn. Trieb des Kaufmanns Geschäft
auch Blüthen, -- der Hausvater sammelte keine aus seinem Familienleben.
Seine Frau, seit achtzehn Jahren mit ihm vermählt, hatte ihm viele
Geldsäcke, keine Neigung zugebracht, und die Zeit nichts gethan, die
vom Berechnungsgeist der Väter verbundenen Ehegatten im Gemüthe zu
vereinen. Unfriede herrschte gerade nicht; -- der Friede aber, der
versöhnt und duldet und vergibt, wahrlich auch nicht. Der Senator, ein
lebendiger Mann, an den Fünfzigen stehend, cholerischen Temperaments,
dem beim geringsten Anlaß zu heiß unter der Stirn, die Halsbinde zu
enge wurde, stellte das schneidendste Widerspiel seiner Ehefrau dar,
die mit beleidigendem Uebermuth, welcher seine Quelle in fehlerhafter
Erziehung gefunden, eine Kälte und Trägheit vereinigte, wie sie sonst
nur im höchsten Norden, oder im sengendsten Süden vorkommen mag. Frau
Jacobine, im Ueberflusse aufgehätschelt, kannte nicht Sorge, nicht
Mühe, nicht einmal das bequeme Streben einer vornehmen Hausfrau.
Kam der Tag, so verlebte sie ihn, und er mußte eben so prunkend
einhertreten, wie seine Vorgänger; Geld in Hülle und Fülle für jedes,
auch noch so eingebildete Bedürfniß spenden, reichen Schmaus für Lippe
und Gaumen, und eine lange Plaudersitzung im Kreise der geschwätzigsten
Muhmen.

Während dessen schaffte und plackte der Senator, bald wie der ärmste
Knecht, bald wie der härteste Frohn, im Bezirk seines Handelsgetriebes,
und gönnte sich kaum vor sprudelnder Thätigkeit und muthwillig gehäufter
Arbeits- und Spekulationslast, die nöthigen Ruhestunden. Doch feierte er
diese wenigen nicht im Schoße der Seinen. Weder beim Frühstück, wo man
den braunen westindischen Trank aus japanischen Gefäßen schlürfte, und
dabei so steif saß, wie die blassen Figuren auf diesen Tassen, -- noch
beim Mittagsmahl, wo die leckerste Kost entweder mit gieriger Hast, oder
mit vitellischer Trägheit verschlungen wurde, war ihm froh zu Sinne.
Bald verdrüßlich keifend mit dem verdrüßlich langweiligen Weibe, bald
seine überseeischen Hoffnungen und Handelsoperationen nicht loslassend
in stummer Grübelei, floh ihn die Heiterkeit innerhalb seiner Mauern;
und auswärts, -- auf einem Collegium, wo er wieder von nichts, als von
Geschäften reden hörte, eine Pfeife Tabak rauchte, um sich zu betäuben,
in der Karte spielte, um sich zu zerstreuen -- verträumte er seine
Abende. -- Nicht Er, nicht sein Weib, das mit schnödem Geschwätze, oder
abgeschmackter Frömmelei den verlangweilten Tag beschloß, ahnten die
Quelle von Genuß und Freudigkeit, die ihnen in der Tochter, dem einzigen
Sprößling dieser übelpassenden Ehe, aufgehen hätte können. Die Natur
hatte in diesem lieblichen Geschöpfe die glücklichste Verschmelzung
widerstrebender Gemüthsrichtung zu Stande gebracht. Des Vaters
Heftigkeit herrschte zwar vor, allein mäßigende Ruhe stellte bald das
Gleichgewicht wieder her. Das Mädchen hatte seinen eigenen Kopf und
Willen; es war ja das einzige Kind, und nicht beschränkt von den Eltern.
Allein, der Leidenschaftlichkeit, dem heftigen Zorn sogar, folgte
schnell die Besinnung, die Theilnahme, die zarte Reue, die gefühlvollste
Vergeltung. Der Liebreiz des so wunderlich herangebildeten Mädchens war
in diesen Versöhnungsmomenten so groß, daß Freundinnen und Gesinde gern
den Sturm auflodernder Hitze ertrugen, um doppelt in der Milde zu
schwelgen, die unmittelbar darauf das Engelherz der Zürnenden
bethätigte. Der Vater war nicht so; -- denn, that ihm die jache Härte
manchmal selber weh, so verschloß er, seinem Stolze nichts zu vergeben,
das Gefühl in sich. Die Mutter glich eben so wenig ihrem Kinde; sie
_liebte_ zwar Niemanden auf der weiten Erde, aber sie _haßte_ aus
Gewohnheit; sie verachtete mit jener stumpfen Stätigkeit, an der sich,
hat sie einmal ein Ziel des Widerwillens ersehen, vergebens Belehrung,
Erfahrung und Pflichtgebot verschwendet. Justine, ein siebzehnjähriges
Mädchen, früh entfaltet in Gestalt und Verstand, fühlte wohl dunkel und
unbehaglich, daß sie zwischen den getrennten Eltern ihren eigenen Weg
wandle. Die Jugend aber, jene herrliche Zeit, in welcher man nur sich
selbst, wenn gleich oft allzuviel, vertraut, ungeduldig in's Freie, in
die Zukunft blickt, sie setzt sich über das Peinliche in naher Umgebung
hinweg; schafft sich ihre eigne Welt, und flieht die Mürrischen, um sich
an Freundliche zu schließen. So kam es, daß Justine bald wie ein fremder
Gast im Vaterhause wohnte, und größtentheils nur in dem Zirkel ihrer
Jugendgefährtinnen lebte. Seit der Confirmation war es jedoch ein
bischen anders mit Justinen geworden. Nie hatte sie noch ihren Vater so
bewegt gesehen, als in dem Augenblicke, wo sie, von der heiligen
Handlung kommend, in seinem Schreibstübchen vor ihm auf die Kniee sank,
ihn bittend, seinen Segen mit dem des Himmels zu vereinen. Des Senators
Stimme hatte gewankt, als er den Segen aussprach; an's Herz hatte er die
Tochter gedrückt, und, wie mit einem leisen Vorwurf gegen sich selbst,
hinzugesetzt: Glaube nur um Gotteswillen, mein Kind, daß ich dich liebe,
herzlich, wie es einem christlichen Vater zusteht. Aber ich muß an mich
halten mit dieser Zuneigung, sonst bricht mir das Herz vollends, wenn du
aus dem Hause gehst, nimmer wiederkehrst, und ich dann in ganz Europa
keinen Menschen mehr weiß, der mir näher am Herzen liegt, als der kalte
Tressenrock. Du bist alt genug, Justine, um zu wissen, daß eine Heirath
die Bestimmung eines jeden Mädchens ist, folglich auch die deine. -- Du
bist bereits verlobt: zu New-York in Amerika wohnt dein Bräutigam, der
junge Kaufmann Birsher, und, wie mir sein Vater neulich schrieb, werden
wohl nicht anderthalb Jahre vorübergehen, so kommt der designirte
Schwiegersohn selbst, um dich abzuholen. Dein Bestreben gehe also jetzt
vornehmlich dahin, der englischen Sprache mächtig zu werden, zu welchem
Endzweck ich für eine Lehrerin sorgen will.

Justine verließ den Vater mit sichtlichem Behagen. Ausgezeichnet
vor all ihren Gespielinnen nach Amerika zu ziehen, in das junge
Land, das sich europäische Imagination damals nur als ein Paradies,
unerschöpflich in Genuß und Reichthum, vorstellte; ... als Frau, an
der Seite eines jungen Crösus, dahin zu ziehen, das schmeichelte
der jugendlichen Eitelkeit gar sehr. Des Vaters Erklärung hatte
vollendet, was die Confirmation begonnen; das Mädchen war rasch zur
Jungfrau, zur Braut geworden. Justine zog sich nun auch wähliger von
dem Haufen ihrer Freundinnen zurück, verkehrte nur mit den Wenigen,
die, gleich ihr, nicht fern vom Hochzeitfeste zu stehen vermeinten,
und beschäftigte sich mehr als sonst, in Einsamkeit und Stille, mit
Arbeit und wißbegierigem Forschen. Mit der englischen Sprache allein
wollte es bei dem fleißigen Mädchen nicht so fort. Die Zisch- und
Gaumenlaute waren der Schülerin zuwider, und eine Lehrerin nach der
andern wich dem Ungestüm Justinens, die auf Jener Nachlässigkeit
den eignen Fehler schob. Die Zahl der, mit dem englischen Idiom
vertrauten Frauen war in jener Stadt nicht groß; daher hatte Justine
bald die Reihe durchgemacht. Die männlichen Lehrer ließen keinen
bessern Erfolg hoffen. Der Eine derselben, ein grämlicher Alter, mit
wunderlichen Launen, hatte schon nach der zweiten Lehrstunde all seine
Autorität eingebüßt; den zweiten, einen allbekannten Wüstling, noch
in rüstigen Jahren, trug der Vater billig Bedenken, bei der Tochter
einzuführen. Der Zufall schlug sich in's Mittel. An einem Tage saurer
Geschäfte handthierte und ordnete der Senator in eigner Person an
dem Krahnenhause der Stadt. Beträchtliche Waarensendungen in Ballen
und Kisten waren für ihn angekommen; nicht minder beträchtliche
Ladungen wollte er dem dienstfertigen Flusse anvertrauen. Seine
rüstigsten Handelsdiener, zwei junge und gewandte Leute aus guter
Familie zur Seite, ging er am Ufer auf und nieder, befahl hier den
ausladenden Bootsknechten, dort den herbeischaffenden Kärrnern. Der
eine Diener, Berndt, revidirte, die Frachtbriefe und Geleitzettel in
Händen; der andere Diener, Nothhaft, machte Zeichen und Zahlen auf die
Frachtstücke; um und um bewegten sich rührige, geschäftige Leute, und
_ein_ Treiben beseelte die Vielen am Ufer, vom Centnerschleppenden
Lastträger bis zu dem kleinen Buben herab, der die Theerpfanne hielt.
Ein einziger lehnte unbeschäftigt, mit verschränkten Armen an dem
Krahnengebäude. Der Einzige mußte unter dem Getümmel dem Senator
auffallen, als dieser gerade ihm vorüberkam. Der eifrige Mann blieb
unwillkürlich vor dem jungen Menschen stehen, dessen Kleidung,
obgleich nicht allzuwohl erhalten, auf einen Lehrling oder Diener der
Kaufmannsgilde schließen ließ. -- He, junger Mensch! redete der Senator
ihn an: he! warum so müßig? Die Sonnenstrahlen machen nicht satt; wohl
aber eine Schüssel, die man im Schweiße seines Angesichts verdient
hat. Trägheit in der Jugend macht alte Spitalleute. Hat Er hier nichts
weiter zu schaffen, so geh' Er wieder hinter Sein Pult, statt Maulaffen
feil zu haben, und stehle Er Seinem Prinzipal nicht das Brod ab, das Er
ißt! --

Nicht die Flamme, die der gerechte Tadel auf dem Angesichte des
Gescholtenen entzündet, sondern die Röthe eines unschuldig gekränkten
Gefühls stieg auf die Stirne des Fremden, der in ausländisch betontem
Deutsch nicht mit der Antwort säumte. -- »Seht zuvor, mit wem Ihr
sprecht, Herr!« sagte er etwas bitter: »Niemand würde lieber arbeiten,
denn ich, wenn mir nur Jemand Arbeit gäbe.« -- Kann's hier daran
fehlen? fragte Müssinger verwundert. -- »Ich bin ein Fremder.« --
Woher? -- »Ein Engländer. Mein Name ist James White. Mein Vater
war Baronet und Tory. Sein Schicksal wollte, daß sein Wappen, die
blutige Hand von Ulster, sich an ihm erwahre. Für den Prätendenten
bewaffnete er seine Faust. Georgs Henker schlug sie ihm ab, und
hierauf das Haupt. Vor fünfthalb Jahren floh meine Mutter mit mir nach
Deutschland herüber. Seit einem Jahre hat sie hier ihr Grab gefunden.
Sie starb, bevor der Mangel zu uns trat. Ihr Hinscheiden raffte
aber alle Hülfsmittel weg. Die Armuth trieb mich in's Werbhaus; die
Barmherzigkeit eines alten Mannes, der mir wohl will, rettete mich
vom Soldatenstande. Aber noch lebe ich von seinen Wohlthaten, und ich
schäme mich dessen.« Das ist recht; Wohlthaten erzeigen, ist wacker,
aber edler, sie nicht zu mißbrauchen. Versteht Ihr etwas vom Handel,
junger Herr? -- »Nein; ich sollte Theologie studiren; verstehe Latein,
Rhetorik, Philosophie, ein bischen Spanisch, und aus dem Grunde meine
Muttersprache.« -- So? Verdorbner Theolog also? Doch Protestant, will
ich hoffen? --

Der junge Mann bückte sich schweigend.

»Könnt und wollt Ihr Unterricht im Englischen geben?« fragte Müssinger
weiter. -- »Ich kann's, und schäme mich dessen nicht.«

»Kommt mit. Versuchts mit meiner Tochter. Freie Station, wie meine
Comptoirdiener, die Wohnung ausgenommen, und ein billiges Salär nach
Euern Fähigkeiten verspreche ich Euch. Beliebt's?« -- »Gern; doch muß
ich's meinem Versorger melden.« -- Gut; wer ist der Mann? -- »Ein
Doctor der Rechte, heißt Leupold, ist von Herkunft ein Fremder, lebt
zu seinem Vergnügen seit anderthalb Jahren ungefähr in hiesiger
Stadt, und beschäftigt sich ausschließlich mit seinen Studien.« -- Ein
Bücherwurm und Rechtsverdreher also? murmelte der Senator zwischen den
Zähnen: Bin nicht neugierig auf die Bekanntschaft. Mögt indessen sein
Gutachten einholen, junger Herr. Er wird wohl nichts dagegen haben,
denn ich bin der Senator Müssinger! --

Der stolze Kaufmann ging von dem unglücklichen jungen Baronet weg, und
vergaß denselben im Gewühl seiner Geschäfte bald darauf. Der finstere
und einsilbige Buchhalter trat ihm in der großen Schreibstube mit einem
Paket Briefe entgegen, die er alsobald, wie gewohnt, erbrach und
durchlas. Er begleitete jedoch diese alltägliche Verrichtung mit so
vielen heftigen Bewegungen und schlecht unterdrückten Zornworten, daß
die Comptoirgehülfen aufmerksam wurden, und manchen neugierigen Blick
durch die Gitterrahmen in das Cabinet des Prinzipals sandten. Endlich,
nachdem der ganze Briefpack durchflogen, stürmte der Senator wie ein
Pfeil vom Sessel auf, warf Schubladen und Schlösser zu, und tobte durch
die Nebenthür in das Innere des Hauses. »Der himmlische Vater erbarme
sich!« seufzte Berndt mit andächtigem Blicke und Händefalten, denn er
gehörte zur philadelphischen Gesellschaft: »was wird es heute wieder in
dem Hause geben?« -- Der andere Diener, Nothhaft, ein ziemlich lockrer
Geselle, lachte indessen wie ein Schelm vor sich hin, und summte die
Worte eines damals beliebten Liedes:

      Nach dem Brunnen geht der Krug
        Oft genug;
      Und am End' bekömmt er doch
        Welch ein Loch!

St! zischte der Buchhalter, hinter dem Hauptbuche aufstehend, zu dem
Vorlauten hinüber, und Berndt stieß ihn mit dem Ellenbogen in die
Rippen. Der arge Mensch fuhr aber kichernd, wiewohl noch leiser, fort:

      Christ! sitz steif, denn der Protest
        Setzt Dich fest;
      Und dann heißt's mit Schand und Spott
        Bankerott!

Will Er wohl schweigen? schalt der Buchhalter auffahrend: Was
sollen diese Schelmenverse in einer ehrsamen Handelsstube? Pfui des
leichtfertigen Dieners, der seine eigne saubere Firma gern für eine
schmutzige ausgeben möchte. Noch einen solchen Ausdruck, und Er ist um
Dienst und Lohn, und für ein schlecht Testimonium will ich dann schon
sorgen. Ueberhaupt mag Er sichs gesagt sein lassen, daß ich hinfüro
Seinen Lebenswandel, von dem mir zu Ohren gekommen ist, nicht also
dulden werde. Alle Abende spielt und bankettirt Er, und am Sonntag
kömmt Er nicht aus der Kaffeeschenke, der Billardstecken nicht aus
Seiner Hand. Wo das beste Rostocker Bier zu finden ist, das weiß
Er auf ein Haar; aber man fragt Ihn vergebens, wie die spanischen
Dublonen stehen. Sein Nebengehülfe ist allzustill; Er ist allzutoll.
Ein Karthäuser wird ein schlechter Kaufmann; ein Bruder Lüderlich
aber noch ein schlechterer. Gott steh' Ihm im Commerz bei, wenn Er es
einmal zum eignen Herrn bringt. -- Das wird er auch; versetzte Nothhaft
trocken, ohne sich zu erzürnen: Der Kaufmann muß wagen und wetten, und
dazu bin ich gemacht, wie unser Herr, der sich aus der Saffranbude zum
ersten Kaufmann allhier verstiegen hat. Sorgen Sie nicht für mich, Herr
Buchhalter. Der Herr Senator kennt mich besser, als daß er mich um
eines zwecklosen Liedleins willen, oder weil ich den Sonntag Nachmittag
beim Billard zubringe, fortschicken sollte. --

Der Buchhalter schwieg verdrüßlich; theils weil ihn des Dieners
Verstockung empörte, theils, weil der Senator wieder in sein Cabinet
zurückkam, und ihn eilends zu sich hinein beschied. Hierauf wurde
die Thüre geschlossen, die Schieber vor die Gitter gestoßen, und
die beiden Comptoristen waren von den Vorgesetzten geschieden, wie
die Lehrlinge, die im Vorzimmer schafften und bosselten, von ihnen
selbst geschieden waren. -- Sie sitzen im geheimen Rath! flüsterte
Nothhaft seinem Nachbar zu: Der Perückennarr, der Buchhalter, mag aber
schwatzen und difteln, wie er will. Unsere Contanti stehen schlecht,
abscheulich schlecht. Ich habe schon neulich einmal einen Blick in des
Herrn Correspondenzlade geworfen, die zufällig offen stand...... -- O
pfui! Du neugieriger Saaldiener! fiel Berndt ein. Nothhaft sprach aber
wie oben weiter: »Du Hans! Was kann ich denn für mein scharfes Auge?
Genug; wir sollen zahlen und zahlen, und wollen und wollen nicht; weil
wir nicht können. Unsere Aktien in Indien stehen schlecht. Mit der
vermaledeiten Bodmerei haben wir, wie es scheint, unsinnig viel Geld
verschleudert und verloren. Assekuranten unserer eigenen Schiffe sind
bankerott geworden; viel Unglück auf einmal! und dann das Leben in
diesem Hause! ein wahres Heidideldum!« -- »Ja wohl,« bekräftigte Berndt
seufzend, »ein heidnisches Scandalum. Herz, was begehrst du? Keine
Wirthschaft, keine Gottesfurcht! Wir müssen nach dem Gemüse gleich vom
Tische aufstehen, und Braten, Gänselebern und indianische Vogelnester
kommen hinterdrein. Also, lieber Freund und Kollege! wir beginnen zu
wanken? Danke für gegebenes Aviso. Ich will gleich auf anderweitige
Versorgung denken.« -- »Unter der Hand, Bester,« setzte Nothhaft bei:
»nicht vor der Zeit gebrochen. Hübsch alles abgewartet; für einen
klugen Diener gibt's in Bankerottchen gute Ernten.« -- »Der Eintritt
des Unheils möge noch ferne bleiben, bis mir eine andere Schwelle
gesegnet ist!« betete Berndt mit zerknirschter Miene: »das Schlampampen
ohne Condition ist mir und dem lieben Gott zuwider, und kostet nur
Geld, statt einzubringen.« -- »Betbruder und Scharrer!« schalt
Nothhaft. »Jammre nicht. Der Geist Gottes wird ja nicht ermangeln, dir
Alles im Voraus zu entdecken. Ich bin zwar nur ein Weltkind, habe keine
Anwartschaft auf das tausendjährige Reich, aber im Herzen bin ich froh,
wenn die Umstände mich zwingen, ein Haus zu verlassen, in dem mich nur
der gute Lohn zurück hält. 'S ist eine Galeere, dies Comtoir.« -- »Bete
und arbeite! sagt die heilige Schrift,« sprach Berndt hierauf demüthig,
»ich weiß mich einer Zeit zu erinnern, in welcher dir gar wohl in
dieser Schreibstube war, und noch wohler an dem Tische des Prinzipals.
Du hattest damals noch große Dinge im Kopfe, und scheutest dich nicht,
deine sündhaften Augen auf die Jungfer zu werfen. Aber seit sie dir
den Spaß verdorben, ...« -- »Pfui, Berndt, mich daran zu erinnern,«
entgegnete Nothhaft: »die hochmüthige Person! wie sie sich spreizte in
ihrem Stolz! Und mein Vater ist doch eben so gut in seinem Städtchen
ein Rathsherr, als der Ihrige hier! und mein Vater hat vielleicht mehr
Geld, als ihr Vater besaß, da er noch die Rosinen Pfundweis, und das
Baumöl pr. Kännchen verkaufte. Ich hätte sie geheirathet. Parbleu! Das
hätte ich gethan; aber sie trug die Nase verzweifelt hoch! Stand ich
in der Kirche und stierte hinauf zum Betstübchen, so zog sie gewiß das
Fenster vor, oder versteckte sich hinter's Gesangbuch. Zweimal paßte
ich's ab, und präsentirte ihr, an Kirchendieners Statt, den Predigttext
und die Nummer des Lieds. Immer erhielt ich ein frostiges: »Inkommodir'
Er sich nicht, Mosje!« zum Dank. So schlag der Donner hinein!«

Berndt hielt bei der Verwünschung beide Ohren zu. Nothhaft fuhr indessen
schadenfroh fort: »Na, Gott gesegn' ihr die baldige Abkühlung! Hochmuth
kommt vor dem Fall. Prosit, Justinchen. Die Puppe hat dem Papa und der
Mama gesagt: mein Gesicht sei ihr fatal, und darum mußte ich am Tische
den Platz verändern, damit sie sich nicht an meinem vis à vis den
Appetit verderbe. Geliebt es Gott, wollen wir bald den Spieß umkehren.
Wo sie weint, will ich lachen!«

Berndt stieß ihn abermals in die Seite, denn Senator und Buchhalter
kamen aus dem Kabinet, mit entschlossenen Gesichtern, und ein Lehrling
wurde gleich hinweg gesandt, Eilpferde für den Geschäftsführer zu
bestellen; Eilpferde nach Amsterdam. Der Prinzipal händigte dem
dienstfertigen und erprobten Diener noch ein wohlverschlossenes
Portefeuille ein, nahm von ihm Abschied, und ging, da die Mittagsglocke
im Hause läutete, mit seinem Comptoristen zu Tische.

Die gewöhnlichen Bürgergerichte waren verzehrt, die Diener durch einen
Wink von der bisher schweigsamen Tafel entlassen und eine kostbare
Gallertschüssel aus welcher der Duft des Zimmts, und herrlichen
Bordeauxweins stieg, wurde, nebst den Platten des Nachtisches,
aufgesetzt. Die Frau Senatorin wendete sich leckerhaft vergnügt zu der
reizenden Speise; Justine schnitzte kichernd ein Eichhörnchen aus einem
Mandelkerne; der Hausherr sah trüb vor sich hin, klopfte mit dem Messer
an die silbernen Gefäße und brach endlich das Stillschweigen mit einer
Einleitung, auf die er lange studirt haben mochte.

»Was meint Ihr wohl,« begann er mit erzwungenem Scherze, -- »was meint
Ihr, wenn auf einmal all' dieses Silber und Porzellan zur Decke
hinausflöge, und eitel irdene Teller auf dem Tische zurückblieben mit
nothdürftiger Kost?«

Die Senatorin zuckte verächtlich die Achseln ob dem mißlungenen Spaße.
Justine rief lachend: »'s wäre ein hübscher Herrenstreich. Papa würde
alsdann tief in den Geldkasten greifen müssen, um dem Schaden
abzuhelfen.«

»Und wenn nun auch diese Geldkiste leer geworden wäre?« fragte Müssinger
weiter.

»Narrethei!« versetzte die Frau, ruhig essend: »was sollen diese
Fragen?«

»Euch vorbereiten auf eine unangenehme Möglichkeit;« brach Müssinger
los: »Es steht noch auf der Schwebe, ob wir reiche Leute bleiben, oder
Bettler werden sollen.«

»Ist denn heute der erste April,« fragte die Frau, »daß der Herr Senator
uns mit ähnlichen Kindereien behelligt?« -- Justine merkte aber, in des
Vaters Augen sehend, den Ernst, wie die Ungeduld, die in ihm arbeitete.

Er fuhr heftiger fort: »Deine Frage ist Kinderei, Jacobine. Ein Kaufmann
scherzt nicht dergestalt mit seiner Bilanz. Wahr ist's. Mir droht
Unglück. Eng mit mir verbundene Häuser sind gebrochen, Kaper haben meine
Schiffe genommen, der letzte Sturm, von dem die Berichte meldeten, hat
Kauffahrer vernichtet, auf welche ich bedeutende Kapitalien =à grosse
Aventure= herlieh. Der Ultimo bringt eine Fracht von schweren
holländischen Wechseln. Ich bin zu Grunde gerichtet, wenn es meinem
Buchhalter nicht gelingt, meinen Hauptcreditor in Amsterdam zu
besänftigen und zur Prolongation zu bewegen.«

»Armer Vater!« versetzte Justine mitleidig. Die Mutter zog jedoch die
Stirne in Falten. »Unbesonnener Vater!« predigte sie: »Räuber an Weib
und Kind! Mußt du dein Hab und Gut auf die Spitze stellen, und an ein
paar elende Schiffe hängen? Pfui, du bist ein Verschwender, den man in's
Irrenhaus stecken sollte, wenn nur damit gedient wäre. Doch ist dein
Vergehen gewiß nur ein schlechter Scherz, sonst wollte ich anders mit
dir reden. Sprächst du wahr, so müßte mein Vermögen heraus bei Heller
und Pfennig, samt Zinsen und Zubehör. Ich würde mich nicht hinsetzen,
dir zu Liebe, und Grütze speisen, wie eine Taglöhnersfrau. Ich bin ein
gutes Leben gewöhnt, und hätte hundert Männer haben können, die reicher
und schöner waren, als du. Darum fordere ich auch, daß du mich haltest,
wie bisher, oder das Eingebrachte herausgibst; sonst müßte ich klagen.«

Des Senators Gesicht überlief Leichenblässe, und er bückte sich
scheinbar nach der entfallenen Serviette, um seine Verlegenheit und
seinen Grimm zu verbergen. Dann sagte er gezwungen gleichgültig: »Recht,
Jacobine. Deine Liebe ist mir wieder recht klar geworden. Leider kann
sie sich nicht so triftig vor dem Gerichte ausweisen, indem wirklich
mein Vorgeben nur Scherz war, um deine Gesinnung auf den denkbaren Fall
hin, zu prüfen.«

»Schäme dich,« eiferte, nun erst zornroth werdend, die Senatorin: »Ich
dachte es gleich. Mir den Appetit in dem Grade zu verderben! Mir also
die Galle zu reizen! Ich bin ohnehin die unglücklichste Frau in der
ganzen Welt, wenn ich nicht meine Seelenruhe und Bequemlichkeit habe!
Gottvergessener, frevelhafter Mann! Justine, den Extract!«

Justine, bereits angewiesen, wie bei ähnlichen Gelegenheiten zu
verfahren, stand schon mit der stärkenden Essenz vor der Mutter. Der
Senator fuhr heftig vom Stuhle auf, summte das Marlborough-Lied durch
die Zähne, und zog die Halsbinde weiter. Mit einem Male erblickte er,
seitwärts unter der Thüre, den jungen Mann, den er am Morgen zum
Sprachlehrer angeworben. Der Eintretende war ein erwünschter Ableiter
und Besänftiger. Der Senator liebte es durchaus nicht, vor einem Andern,
als den Hausgenossen, seinen Jähzorn zu zeigen, und hielt plötzlich an
sich. »Sieh da, mein junger Freund!« redete er den Jüngling an, »Ihr
kommt gerade recht. Wie es scheint, hat Euer Pflegvater eingewilligt?«

»Er erlaubte mir, in dem ungewohnten Dienste mich zu versuchen;«
antwortete James bescheiden und ruhig. Die Senatorin hatte bei seinem
Eintritt die begonnene Ohnmacht vergessen. Nicht minder neugierig und
überrascht sah Justine nach dem jungen, fremden Manne, der in seiner
einfachen, fast dürftigen Kleidung, furchtloser vor ihrem Vater stand,
als sie es bisher an irgend einem Aermern und Jüngern wahrgenommen.

»Ein junger Engländer,« sagte Müssinger, ihn den Frauen vorstellend,
»der Justinen in seiner Sprache unterrichten soll. Ich empfehle der
Jungfer Fleiß, und dem Lehrer den besten Eifer. Geht hin, junger Herr,
und empfehlt Euch der Frau Senatorin und Eurer Schülerin. Dann mögt Ihr
gleich den Unterricht beginnen, und zeigen, was Ihr wißt und könnt.«

James ging frei und ungezwungen auf die Mutter zu, faßte, indem er sich
verneigte, ihre beiden Hände, und schüttelte sie, näherte sich dann
Justinen, that dasselbe, und wollte ihr zierlich die Wange küssen.
Erröthend und heftig bog sich das Mädchen zurück, und stieß ihn von
sich. Die Mutter rümpfte die Nase, der Vater lächelte. »Ei,« sprach er,
»junger Herr, wir sind hier zu Lande nicht in Eurer Heimath, wo solcher
Brauch üblich ist. Hier küßt man den Frauen die Hand und den Jungfrauen
die Fingerspitze.«

Mit einiger Verlegenheit sich entschuldigend, aber mit vielem Anstande,
that nun James, was ihm geheißen war, und versöhnte somit die Mutter;
Justine jedoch nur halb, die in dem ungewöhnten Wesen des neuen Lehrers
etwas fand, das ihr mißfiel, von dem sie sich indessen keine klare
Rechenschaft geben konnte. Mit übel verhehltem Widerwillen führte sie
den Jüngling an ihren Arbeitstisch, zeigte ihm die Bücher, die bisher
ihr Leitfaden gewesen waren, und berichtete von ihren bisherigen
schwachen Fortschritten. James meinte, nach flüchtiger Einsicht und
flüchtigem Hören, die Jungfer sei bei Weitem nicht so mehr im Wissen
zurück, als sie wohl meine; desto mehr hingegen im guten
Willen. -- Justinens Gesicht verfinsterte sich wieder merklich, und
schweigend setzte sie sich, als der Vater den Befehl wiederholt hatte,
den Unterricht alsobald anzufangen. Auf die Stuhllehne seiner Frau
gelehnt, folgte nun der Senator dem Beginnen des jungen Engländers, und
sah bald, daß derselbe seiner Sache vollkommen gewiß sei. Zugleich
gefiel ihm die zutrauliche, freundliche Weise, mit welcher er der
stummen Schülerin die Vorzüge der Sprache auseinander setzte; er hoffte
von dieser, aus dem Alltagsgeleise weichenden Art, den besten Erfolg,
und entfernte sich endlich unter aufmunterndem Lobe. Die Lehrstunde ging
fort unter der Aufsicht der Mutter, die aber bald, der Gewohnheit
nachgehend, dem Schlummer in die Arme sank.

Justine hatte, wenig auf die Reden ihres Lehrers horchend, mit
unverwandtem Auge die Mutter beobachtet, und wie es schien, den Moment
der Siesta erwartet, denn im Augenblicke, als Jacobinens Augen zufielen,
nahm sie dem in seinem Vortrag versunkenen James das Buch aus der Hand,
klappte es schnell zu, und sagte, kurz abfertigend: »Lassen wir's jetzt
gut sein, Monsieur. Ich habe keine Lust, und damit genug. Weil mein
Vater es will, und Euch vielleicht an einem Verdienste in unserem Hause
etwas gelegen sein möchte, will ich wohl mich anstellen, als sei mir die
Sache Ernst. Spart Euch jedoch alle ernstliche Mühe, denn ich kann Eure
Sprache nicht leiden, folglich nicht sprechen. Adieu bis Morgen,
Monsieur.«

James sah die gar offenherzige Schülerin überrascht an, biß sich
gekränkt in die Lippen, und erwiderte: »Wahrlich, Mademoiselle, aus
Ihrem Munde hätte ich ein lieblicheres Wort erwartet. Mein Vater war ein
Edelmann, und hat mir den Grundsatz eingeprägt, nirgends lästig zu sein,
wo ich nicht nützen kann. Ich werde gehen; erlauben Sie jedoch, daß ich
das Erwachen Ihrer Mutter abwarte, um mich in der Form von ihr zu
beurlauben. Bis dahin dulden Sie meine Gegenwart.«

»Ich wollte Euch nicht beleidigen, mein Herr,« antwortete hierauf
Justine etwas beschämt: »Vergebt, wenn ich die Worte vielleicht schlecht
gewählt. Ich bin oft vorlaut mit Reden, die mich nachher reuen. Eure
Person wäre mir nicht so unangenehm, aber Eure Sprache pfeift und zischt
so viel, sie ist so rauh, daß...«

»Wundern muß ich mich,« fiel James schnell versöhnt ein, »daß Ihr Herr
Vater, Ihnen und Ihrem Wunsche gegenüber, mit Gewalt auf dieser Sprache
besteht. Unlust lernt und fördert nicht, aber die Zeit ist verloren.«

»Hm!« lächelte Justine, die Augen auf das Schreibbuch geheftet: »ich
soll nach New-York verheirathet werden, und der Vater glaubt...«

»Nach New-York in Nordamerika?« fragte James staunend. Justine nickte
schweigend, und machte Buchstaben auf das vor ihr liegende Blatt.

»Nach New-York?« wiederholte James, und schlug mit verschränkten Armen
die Blicke zur Decke auf: »So weit vom Vaterhause? Da müssen Sie
freilich englisch lernen.«

»Nicht doch,« versetzte Justine lächelnd, aber bestimmt: »mein
zukünftiger Mann mag deutsch lernen, und die Freunde meinethalben
französisch, um sich mit mir zu unterhalten. Das Englisch für die
Domestiken lernt sich dort an Ort und Stelle.«

»Sie irren sich im ersten Punkte,« behauptete James: »man würde es zu
New-York für eine Schande halten, eine andere Sprache in Gesellschaft zu
reden, als die englische Colonisten-Muttersprache. Im Innern finden Sie
wohl noch das holländische Idiom, aber...«

»Sieh' doch,« unterbrach ihn Justine, durch den Widerspruch gereizt:
»Ihr redet ja so entschieden, als ob Ihr mit eigenen Ohren gehört
hättet, was Ihr behauptet.«

»Das hab' ich auch;« bekräftigte James mit aufgeheiterten Zügen: »den
größten Theil der Knabenzeit verlebte ich auf Amerika's Continente, zu
New York, mitunter auch weiter im Lande.«

»Wie?« fragte Justine, plötzlich zutraulicher und milder: »ach, erzählt
mir doch von dieser meiner zweiten Heimath. Man hat mir schon so viel
Schönes davon vorgesagt, daß ich begierig bin. Wir wollen fein zusammen
rücken, und recht leise sprechen, und recht leise horchen, daß die
Mutter nicht so früh erwache. Seht, ich bin ganz Ohr.«

Sie hatte sich bei diesen Worten mit beiden Armen auf den Rand des
Tisches gelehnt, und sah mit gespannter Aufmerksamkeit und so
vorwitzigen Augen dem Lehrer in's Gesicht, daß er seine Blicke auf die
Manschetten seiner Hände richten mußte, um nur den Faden des Gesprächs
festhalten zu können.

»Mein Vater,« hob er auf wiederholte Aufforderung an, »hatte zur Zeit
ein Commando in der Citadelle zu New-York; mein Onkel einen entlegenen
Wachtposten gegen das Gebiet der Indianerstämme zu. Gelegenheit gab es
für mich, den achtjährigen Knaben, genug, somit das Leben in der
amerikanischen Stadt wie auf dem Lande kennen zu lernen. Innerhalb der
erstern fand ich wenig Freude. Das Sein darinnen war steif und
einförmig, keine Heiterkeit, aber viel Frömmelei und militärischer
Druck. Am Werkeltage schafft die sich selbst übertreibende Mühe, denn
_reich_ zu werden ist das Ziel, wonach Alle streben. Dazwischen tönt die
Trommel und das Commandowort der Besatzung. Am Sonntage ist der Sabbath
strenger geheiligt, als in England selbst. Die Lust hüllt sich in Sack
und Asche, und einförmige Glockenschläge langweilen den Städter, bis er,
von der Last des Feiertags ermüdet, das Bette sucht.«

»O weh!« seufzte Justine, »das ist ein traurig Bild. Da lebt sich's ja
in unserer dunkeln Stadt noch besser und schöner. Doch macht das
Landleben vielleicht wieder Alles gut, und Herr Birsher wird mir wohl
den Gefallen erzeigen, es der Stadt vorzuziehen.«

»Wenn ich vom freien Lande Amerika's reden soll,« erwiderte James, »so
bemeistert sich meiner eine heilige Wehmuth, denn mir gefiel es sehr,
obgleich eine frohe Jungfrau, wie Sie, nicht leicht dieses Gefallen
theilen möchte. Um New-York, in billiger Nähe, finden Sie kein städtisch
Landhaus: kümmerliche, flache Gärten nur, ohne Schatten, ohne Obdach,
denn die Soldatenherrschaft duldet im Umkreise von Stadt und Citadelle
nicht Busch, nicht Haus. Setzt man jedoch über's Wasser, und dringt in's
Innere vor, so geht für ein muthig Herz und ein kühnes Auge die Wonne
an. Der angebauten Fluren sind nur wenige, von sklavisch pflügenden
Colonisten besorgt, allein ringsum dehnen sich Forste, in deren Saum
sich nur bis jetzt die Axt verirrte, Urwälder mit himmelhohen Bäumen und
zahlreichem Wilde. Welch' ein herrlich Schauspiel, auf solcher
Waldstraße hinzureiten, unterm dichten Laubdach, durch welches nie der
Sonne Strahlen dringen! Welch' ewiges Schweigen weit umher! so geeignet,
das Gemüth zu erheben! Stundenlang bin ich oft im Grase gelegen, und
habe auf das Hacken des Hehers, auf das Fuchsgebell gehorcht; lauschend
unter den tausendjährigen Säulen der Natur. Doch fördert man endlich
gern den Weg, weil die Dämmerung naht, das wilde Gethier in seinen
Lagern aufsteht, und vielleicht der Weg noch lange sich streckt, bis zu
dem einsamen Blockhause, in dem der müde Wanderer das Nachtlager finden
soll. Man erreicht des Waldes Ende, und sieh, ein neues Schauspiel
fesselt den entzückten Blick. Einer der Riesenströme, die Amerika
durchschneiden, hemmt den Weg. Das Auge trägt kaum bis an das jenseitige
Ufer, und stolz schaukeln sich die Wogen des gewaltigen Flusses dahin.
Da zeigt sich ein schwarzer Punkt in dem Geschäume der Wellen.

Die Reisenden verdoppeln den Ruf »Hü-o!« denn der schwarze Fleck ist die
Fähre, die wild und gebieterisch durch die Strömung dringt, und uns über
das rothe Gold, das die Abendsonne auf den Wasserrücken legt, zum
ersehnten Gestade schafft. Nun geht's über Haide und feuchten Grund
hinweg, dem Walde zu, der blau und ungewiß aus der Ferne sieht. Rechts
starren Felsen, und aus ihren Schluchten donnern die Gießbäche und
Wasserfälle der Wildniß meilenweit zu uns herüber. Links dehnt sich die
Fläche, schlecht bebaut, aber üppig wuchernd mit dem, was die Natur auf
sie gepflanzt, an mastigen Futterkräutern und prachtvollem Unkraut.
Schaaren von kreischenden Vögeln schwirren über die Ebene, den Felsen
zu, denn die sinkende Sonne scheucht ein Gewitter auf, das eilig
daherkömmt, eiliger, als jener nackte, rothhäutige Indianer, der, von
seinem Hunde begleitet, Flinte und Tasche auf der Schulter, gestreckten
Laufs von der Jagd zurückkehrt, und von den Gestirnen, wie von den
Felsenspitzen den Weg zu seines Stammes Wohnplatz erfragt. Mit der
Schnelligkeit des Rosses jagt der Sohn der Wildniß durch den weiten
Raum, einem Nebelbilde gleich das auf Sumpf und Moor zur Nachtzeit der
Luftzug hin und her treibt. Ihn kümmert keine Straße, kein Pfad, keine
Brücke, keine Fähre, denn die Welt ist sein Haus, der Himmel sein Zelt,
und frische Sinne stellt er als Wacht und Läufer aus. Gerade aus geht
er, wie das flüchtige Wild, das er verfolgt. Nicht um den Hügel herum,
über ihn hinweg eilt sein Fuß. Er ruft nicht den Kahn oder den Floß;
schnell wie ein Fisch schießt er durch Strom und Gewässer. Wir haben ihn
aus den Augen verloren, ehe fünf Minuten vergehen. Er sieht uns jedoch
durch Dämmerung und Gewitterduft noch auf eine halbe Stunde weit, und
lacht der unbehülflichen Eile, mit welcher wir dem Walde zulaufen, um
uns vor dem Regen zu schützen, der in großen Tropfen fällt; vor dem
Orkan, der mächtig daher braust. Nun ist der Forst nicht mehr
schweigend; nun redet er mit Millionen Zungen, und dieses Rauschen,
dieses Wehen, das Krachen und Fallen der Aeste und Kronen macht den
Menschen stumm. Bären und Wölfe fliehen über den Weg, ganze Strecken
lang neben dem Reisenden her, und an Zwietracht und Kampf denkt im
Sturme keiner von Beiden. Der Donner, der Blitzstrahl machen nun die
schönen Schrecknisse voll, die uns erschüttern und erheben, aber diese
Himmelslampen leuchten auch zur Hütte, die uns gastlich aufnimmt, und
auf deren Mooslager wir in behaglicher Ruhe das Hochgewitter
verschlummern.«

James endete hier, Athem schöpfend, die pittoreske Schilderung eines
Ganges durch Haide und Forst der neuen Welt, zu welcher ihn die
zauberische Macht wohlthuender Erinnerung wider Willen hingerissen
hatte, und erhob beinahe schüchtern den Blick zu Justinen, in deren
Antlitz er Unzufriedenheit mit seinem langen und abschweifenden
Berichte zu entdecken fürchtete. Wie freudig überrascht war er jedoch,
in Justinen's glänzenden Augen die aufmerksamste Theilnahme leuchten zu
sehen. -- Das Mädchen nickte ihm beifällig zu, legte zutraulich ihre
Hand auf die seinige, und sagte:

»Ei, wie gut erzählt Ihr doch, mein guter Herr! Ich habe just _gesehen_,
was Ihr beschrieben habt. Doch hab' ich auch an dem _Gemälde_ genug. Die
Herrlichkeiten, deren Schönheit ich wohl _ahne_, sind im Grunde doch
nicht für ein schwaches Weib, das im bequemen Stübchen oder auf dem
hübsch geordneten Landgut wohl dann und wann gern hören oder lesen mag,
wie es in der Wildniß aussieht, ohne darum die Lust zu verspüren, selbst
sie zu beschauen. Diese Wälder .... diese Haiden und Ströme .... und
vollends diese einsamen Blockhäuser, Tagereisen weit von jeder
Nachbarschaft entfernt....! mich schaudert!«

»Gerade in diesen Hütten ist patriarchalische Glückseligkeit zu Hause,«
erinnerte James mit Wärme, »noch entsinne ich mich der Einwohner von
einigen solchen Wohnungen. Glückliche Familien, zufrieden in ihrer
Abgeschiedenheit, im Kreise ihres stillen Eigenthums. Das innigste Band
verknüpft hier die Gatten, die Kinder, die Enkel: das Band der Liebe;
und Liebe fordert ja nur den kleinsten Raum; ein Winkelchen nur, in dem
die glücklichen Leute so viel Platz finden, sich in die Arme zu nehmen
und zu sagen: ich bin dir gut, auf ewig, bis zum Tode gut!« --

So sehr auch die vorige Rede des Lehrers Justine in Anspruch genommen
hatte, so wenig schien das Mädchen Geschmack an der folgenden zu finden.
Verwundert hatte sie den jungen Mann betrachtet, -- beängstigt fast die
Gelegenheit gesucht, seine Worte zu unterbrechen, und endlich ungeduldig
das schwere Wörterbuch vom Tisch gestoßen, daß ob dem Geräusche die Frau
Senatorin erschreckt aus dem Schlummer fuhr.

»Die Lehrstunde ist zu Ende, bester Monsieur;« sagte Justine mit steifer
Verbeugung zu James. »Vergeßt jedoch nicht, daß ich Euch morgen
Vormittag ganz bestimmt erwarte. Ich habe plötzlich viele Lust bekommen,
Eure Sprache zu erlernen, und hoffe, daß Euer Beistand mir von vielem
Nutzen sein werde.«

James, obgleich nicht wissend, ob er seinen Ohren, nach allem dem, was
vorgegangen war, zu trauen habe, versprach feierlichst, wiederzukehren,
küßte der Senatorin mit aller Förmlichkeit die fleischige Hand, bückte
sich still vor der gleichgültig nickenden Justine, und empfahl sich, wie
ein Mann von Bildung und Welt.

»Warum blieb er nicht zum Abendbrod?« war des Vaters erste Frage, als er
zu den Frauen heraufkam: »ich habe ihm freie Kost versprochen, damit er
sich häufig einfinde, und Justine durch die Conversation die
Fortschritte mache, die ihr Fleiß nicht erringt. Ich hätte gern heut mit
dem Menschen geplaudert, denn auf dem Collegio schwatzen sie auch nur
von Briefen, Procenten, Sicht und Manco, und mir brummt vor Arbeiten der
Kopf. Mit dem pietistischen Berndt ist nichts anzufangen, und Nothhaft
jubilirt gewiß wieder in der Schenke. Die Frau Senatorin erwartet ihre
Basen, Justinchen treibt Kindereien, oder liest in Arminius und
Thusnelda. Mit dem Engländer hätte ich ein vernünftig Wort reden
können.«

»O, ich bitte dich,« erwiderte die Frau, indem sie vornehm vom Stuhle
aufrauschte: »binde den fremden Menschen nicht so sehr an's Haus. Die
Unschicklichkeit von heute werde ich ihm nie vergessen. Es taugt nicht,
wenn man einen Adelichen in eine Bürgerfamilie verpflanzt. Solch
hungriges Geziefer ohne Geld und Mittel bewahrt doch immer sein
Vornehmthun und seinen Stolz, dem Alles zu schlecht ist, was ihn
umgibt.«

»Du vergissest, Frau,« antwortete der Senator, »daß du selbst in diesem
Augenblicke den unerträglichsten Hochmuth auskramst. Ich kann das an
einem Weibe vollends nicht leiden, weil nur der Mann ihm die Würde und
den Rang im Staate verleiht. Schweig darum!«

»Wenn's mir beliebt,« setzte die Senatorin phlegmatisch bei: »Deine
Matrosen- und Lastträger-Weisheit beleidigt mich nicht, und ich gebe
darum meinen Stolz nicht auf. Mir gehört er, einem hergelaufenen
Burschen gegenüber, der kein Verdienst hat, als daß sein Vater Baronet
war, und ein gehenkter, fürchte ich obendrein, weil du vom Prätendenten
ein Wort fallen ließest. Wer an meinem Tische ißt, und von meinem Gelde
lebt, ist _unter_ mir, und damit gut.«

Der Senator fühlte seine Geduld zu Ende gehen, und entfernte sich
schnell, die Thüre hinter sich zuwerfend. --

»Der Mann ereifert sich um des Kaisers Bart,« sagte die Mutter spöttisch
und eiskalt, indem sie die Seidenzupfkästchen, mit welchen sie sich in
der Abendgesellschaft zu beschäftigen pflegte, hervorholte: »es verlohnt
sich auch der Mühe, für einen Menschen Parthie zu nehmen, den ich morgen
aus dem Hause jage, wenn mir's beifällt.«

»Ich will nur von _ihm_ englisch lernen!« erwiderte kurz und herrisch
Justine, und drehte sich auf dem Absatze gegen das Fenster um.

»Oho, mein Püppchen!« sagte die Mama lächelnd, und wollte dem Mädchen
scherzend auf die Wangen klopfen. Die Tochter entzog sich ihr jedoch
ziemlich ungestüm, und entgegnete scharf und bestimmt: »ich will, daß
man meinen Lehrer mit Freundlichkeit behandle; sonst werde ich Gleiches
mit Gleichem vergelten.« -- Die Mutter wußte nun, woran sie war, und
gab, wie schon unzähligemale, um nicht einen guten Alliirten gegen den
kampflustigen Eheherrn zu verlieren, auch diesmal nach; ging, ohne die
eigensinnige Tochter zu schelten, in ihr Kränzchen, und ließ dem jungen
James in ihrem Hause freien Paß. Sie begnügte sich, ihm ihre Abneigung
dadurch zu beweisen, daß sie ihm kein Wort gönnte; nicht bei Tische,
nicht während der Lehrstunden, die sie sorgsam bewachte. Am Vormittage
lernte Justine fleißig, und schien die eifrigste Schülerin. In den
Nachmittagsstunden jedoch wurde der Schlummer der Mutter benützt.
Justine gab das Signal zum Schweigen, und alsdann das des Erzählens,
und Nordamerika war einige Tage hindurch die Axe, um die sich James
Berichte und Erklärungen drehen mußten. Endlich sagte einst Justine, da
der Engländer wieder von dem beliebten Thema anheben wollte: »Stille;
genug! ich kenne das dortige Leben, wie meinen Arbeitssack, und muß
gestehen, es gefällt mir nicht. Herr Birsher wird sich entschließen
müssen, sich mit mir in einem andern Lande anzusiedeln, wo es
lebendigere, fröhlichere Leute gibt, und einen mildern Himmelsstrich,
und viele Freude, und viel Gesang. Wenn ich aus Kälte, Reif und Nebel
im Winter nicht scheiden soll, bleibe ich lieber in der Heimath, und
zur traurigen Hausunke will ich mich in meiner Jugend nicht machen
lassen. Wißt Ihr, guter Herr, was ich will und verlange? Ein Dasein
voll Vergnügen. Ich bin ja reich, des Vaters und der Mutter einzige
Erbin, und Herr Birsher ist, wie es heißt, ein kleiner König an
Ueberfluß. Warum soll ich mich nicht der Welt freuen, weil ich Alles
dazu besitze? Ferner will ich einen ewig heitern Himmel über mir, blau
und sonnefunkelnd; Myrthen, Lorbeer und Rosen auf meinen Wegen....;
ach! wenn ich Euch beschreiben könnte, wie mir manchmal im Traum das
Land erscheint, in dem ich leben möchte...!«

»Die Myrthe winkt Ihnen schon,« antwortete James mit leichtem Seufzer:
»das Land, von dem Sie sprachen und träumten, _ist_ auch wirklich.
Ziehen Sie südwärts in dem schönen jungen Welttheil Amerika, so
finden Sie es. Die Mittagsländer bieten die üppigste Reichthumsfülle.
Der Schöpfer hat über sie das Horn des Ueberflusses ausgeschüttet.
Ueber ihren Triften und Höhen hängt der ewig leuchtende Himmel; in
ihren Fluren wächst die ungeheure Palme neben dem Heer von duftenden
Kräutern, die in der Luft auf Meilen in die Runde Wohlgeruch
verbreiten. Der Mensch _kämpft_ dort nicht dem Boden sein Leben
ab; spielend gewinnt er ein fröhliches Dasein. In jenen lustigen
Wäldern tummelt sich der bunten Vögel glänzendes Gefieder; stattliche
Heerden, und der kräftigen Wildrosse flüchtige Geschwader beleben die
Landschaft, die an jedem Morgen in neuem tausendfältigen Reiz aufgeht,
und in der dunkelsten Nacht nichts von ihrem Reiz verliert. Dort bewegt
sich ein leidenschaftlich lebendiges Volk. Die Cymbeln rufen zum Tanz;
die duftenden Büsche, vom Glühwurm erleuchtet, hallen den Jubel wieder,
und die Githarre murmelt wie eine liebe Geisterstimme unter dem Fenster
der angebeteten Dame.«

»Das klingt ja schön!« flüsterte Justine froh bewegt: »O sagt, gehört
das schöne Land auch Euerm Könige?«

»_Mein_ König,« versetzte schmerzhaft der Jüngling, »besitzt kein Land,
als seine himmlische Heimath, die ihm kein Usurpator rauben kann. Der
Krone England gehören jedoch jene Länder auch nicht. Dort herrscht
Spanien und der Pabst.«

»Gott steh' uns bei!« rief unwillkürlich Justine aus. Da sie jedoch
bemerkte, daß James sie fragend ansah, fühlte sie Beschämung, und
setzte bei: »Bin ich nicht ein närrisches Kind, und werdet Ihr mich
nicht auslachen, daß ich vor dem Pabst erschrecke?« --

»Ich weiß ja,« entgegnete James ruhig, »daß in England, so wie hie
und da auf deutschem Boden die Amme schon dem Säugling den Namen des
Pabstthums neben der Verdammniß nennt. Mich wundert das eingesogene
Vorurtheil nicht, ob es mich gleich schmerzt, es in einer Seele, so
schöner Anlagen und Keime voll, wie die Ihrige, zu entdecken. Lassen
Sie unserm Parlamente seine Barbarei gegen Irland, dem fanatischen
Calvin seine Scheiterhaufen: dem Weibe sei Duldung ein bekannter,
wohlaufgenommener Gast.«

Das Mädchen sah den Lehrer mit großen Augen an; äußerte jedoch alsdann:
»Wahr, mein Herr; sehr wahr. Ohnehin kann ich nur urtheilen, wie der
Blinde von der Farbe. Ich habe noch nie einen Katholiken gekannt, noch
nie den römischen Gottesdienst gesehen.«

»Dann sahen Sie das Schönste nicht, was jemals der menschliche Geist
ersann, seine Anbetung des Allerhöchsten glänzend und würdig an den Tag
zu legen,« rief James, wie begeistert: »das geheimnißvollste, und doch
zu den Sinnen ernst und schmeichelnd sprechende Schauspiel! O! wer
rühmte sich wohl, je gewußt zu haben, was Gebet ist, der nicht dem
römischen Cultus einmal beigewohnt? Diesem erhabenen Opfer, das ein so
heiliges Band um alle Gemüther webt! Das ist der Tempeldienst für
fühlende Menschen, für Seelen, die sich begeistert an die Flügel der
Gottheit hängen wollen; der Dienst, den der heitere Süden gebar, und das
Land, in dem der Herr sichtbar wandelte. In unserm traurigen Norden, wo
das Herz kalt und unfruchtbar ist, wie der harte Boden, wo der
Alltagsverstand grübelt, statt zu _glauben_, ist Alles anders, und in
der eisigen Form versteinert endlich auch der Geist.«

»Ich wundre mich, daß ein englischer Protestant der feindlichen Kirche
so glänzend Gerechtigkeit wiederfahren lassen mag,« versetzte Justine,
als James schwieg: »_Unsre_ Prediger schildern sie ganz anders. Indessen
ist etwas Wahres an Euern Empfindungen und Meinungen. Das fühle ich
wohl. Aufrichtig gesagt: die Perücke unsers Pfarrers hat mir nie besser,
nie schlechter gefallen als seine Predigt, und die schnarrenden und
schluchzenden Stimmen meiner Kirchennachbarinnen machen allezeit das
Lied zu einem possierlichen, nicht ehrwürdigen Ohrenschmaus. Wir haben
indessen schon allzulang von Babylon gesprochen, mein guter Monsieur,
und die Mutter nimmt sich eben vor, zu erwachen.«

Die Unterredung, die einen so wunderlichen Umschwung genommen hatte,
fand ihr Ende, aber in Justinens Ohren setzte sie sich leise fort, und
das Mädchen konnte sich nicht erwehren, dann und wann Betrachtungen
über den Gegenstand anzustellen. Wohl hatte sie hin und wieder von den
geweihten Flammen, den prächtigen Gewändern einer Messe gehört; von der
herrlichen Musik, den duftenden Weihrauchwolken, den Blumengefäßen und
heitern Panieren; ... allein, theils war immer in ihrem Kreise nur
mißbilligend und verdammend von diesen Dingen die Rede gewesen, theils
waren diese angedeuteten Bilder zu verworren, um sich in _einem_ Rahmen
vor der Seele zusammenfügen zu können. Durch James feurige Rede waren
die seltsamen Vorstellungen wieder erwacht. Hielt sie mit ihnen die
finstre Johanniskirche zusammen, mit dem schmucklosen Altar, der
einfachen gothischen Kanzel, und dem zufällig eintönigen näselnden
Vortrag des Predigers, so mußten Letztere verlieren. Ihr lebhaftes,
fröhliches Gemüth haschte nach dem fröhlichern Eindruck, und, sann sie
oberflächlich über den Kern der unfreundlichen Schaale nach, so waren
eben jene geschmacklosen Kanzelreden, und das geistlose Plappergebet,
das ihre Mutter alle Abende ableierte, nicht geeignet, sie in dem
unbedingten Vertrauen zu _ihrer_ Lehre zu stärken.

In dem Geschäftslokale des Hauses ging indessen alles einen gedrängten,
unheimlichen, leisen Gang. Von Mäcklern und Unterkäufern wurde es nicht
leer. Aufgebrachte, drohende Gläubiger und Bürgen gingen oft aus dem
Hause; lauernde Juden, Leute die sonst nimmer in des Senators
Schreibstube gesehen worden, gingen häufig hinein, und einer gab dem
Andern die Thüre in die Hand. Waarenvorräthe wurden schnell
losgeschlagen, um Spottpreise weggegeben; kleinere Schuldposten an des
Senators Firma mit Härte und Ungebühr von Nothhaft eingetrieben.
Dürftige Geldlasten kamen ein, schwerere Ladungen gingen hinaus. Der
Neid hatte auf den _glücklichen_ Müssinger ein offnes Auge gehabt. Der
Unglückliche wurde von tausend Augen belauert. Ein dumpfes Gerücht kam
auf der Börse aus: der Senator stehe schlecht, sein Haus würde fallen.
Viele Geschäftsfreunde zogen sich plötzlich aus allen Verhältnissen mit
ihm; Andere, die nicht so schnell sich losmachen konnten, führten
drohende Reden in der Blume; die wenigsten warnten den Senator; keiner
bot ihm die Freundeshand. Müssinger hatte Mühe und Plage, unter diesen
beunruhigenden Vorzeichen sein unbefangenes Gesicht zu bewahren, und das
vornehme Uebersehen, das er sich angewöhnt hatte. Indessen wünschte sein
Herz ungeduldig den Buchhalter herbei, und _viele_ Augen warteten auf
dessen Rückkehr. Es hieß, von Amsterdam aus werde die Entwicklung
kommen; ob nun der erfrischende Ostwind, oder der niederwerfende Sturm.

Endlich kam in der Nacht der Buchhalter wieder an; mit Eilpferden, wie
er verreis't war. Der Senator wurde geweckt, und stieg zu dem Harrenden
in das Cabinet hinunter. Bei stiller Lampe und fest verriegelter Thüre
wurde die Unterhandlung gepflogen, bis das Morgenroth zu den Oeffnungen
der Fensterladen hereinsah, und die Gassen belebt wurden. Da trat der
Senator allein aus seinem Hause, und schlug den Weg zum Kaufhause ein.
Sein Anzug war in einer Unordnung, wie er ihn noch nie auf der Straße
gezeigt hatte; unverändert so, wie er ihn um die Mitternachtsstunde
umgeworfen hatte; die Schuhe niedergetreten, die Strümpfe hängend, die
Halsbinde locker, und das Haar zerrüttet. Doch war sein Schritt so
hastig, daß er wie im Fluge an den Leuten vorbeischoß, die mit
Lebensmitteln zur Stadt kamen. Am Krahnenhause war Alles noch still und
einsam. Einzelne Schiffer lungerten am Gestade, oder wälzten sich auf
dem Verdeck ihrer Fahrzeuge. Der Senator hielt sich nicht bei den
Grüßenden auf, sondern lief immer stromabwärts, bis er die letzten
Gebäude und Schuppen der Quai's und der Stadt hinter sich hatte, und zu
der Kastanienallee gelangte, welche, auf eine Viertelmeile sich
erstreckend, neben dem Flusse hinlief, zum Spaziergange der Städter
dienend. Steinbänke waren zwischen den Bäumen angebracht, und eine mäßig
hohe Brustwehr von Eisengitter schloß den Platz gegen den Strom zu, der
reißend und tief unter der Balustrade vorüber tobte. Dieser Ort war,
der Kühlung wegen, im hohen Sommer stark besucht; jedoch meistens nur in
den Abendstunden; denn die Aurora verträumen die Müßigen gerne, und
ihren Genuß im Freien verschmähen die Arbeitsamen. So kam es denn, daß
auch am heutigen Tage nur ein einziger Mann auf der Promenade saß, halb
von einem mächtigen Stamme verdeckt, dessen Farbe von dem grauen
Oberrocke des Mannes wenig abstach. Eine Druckschrift lag auf den Knieen
des Einsamen, allein die Aufmerksamkeit, die er auf dieselbe verwendete,
hinderte ihn nicht, den Senator zu gewahren, der herbeieilte, ohne etwas
vor sich zu sehen, als das Ziel seiner Wünsche; der, einige Schritte von
dem Lesenden entfernt, schnell wie der Blitz den Stock wegwarf, mit
_einem_ Satze auf dem Geländer saß, und sich im folgenden Moment in den
Fluß gestürzt haben würde, hätte ihn nicht der herzugekommene kräftig
bei den Schultern gefaßt, und ihn zurückgezogen.

Der Versuch eines feigen Selbstmords duldet keine Zeugen. Der Mann der,
einem großen Zwecke zu genügen, das Leben wegwirft, wird in seiner
Begeisterung den Arm zurückstoßen, der ihn hindern will. Der Schwärmer,
der Wahnsinnige, der gegen sich den Dolch zuckt, wird auf kurze Zeit die
Raserei eines Thieres gegen Denjenigen wenden, der ihm die Waffe
entreißt; der Schwächling aber, oder der Mensch, der einem falschen
Ehrgefühl, seinem Hochmuth, sich zum Opfer schlachten will, verliert
alle Herzhaftigkeit, sieht er sich ertappt; denn er ging auf einen
Frevel aus. Ohnmächtig läßt er den Vorsatz fahren, und die bitterste
Beschämung vergilt den kurzen Rausch eines erzwungenen Heroismus.

Der Senator lag mit geschlossenen Augen und hochathmender Brust in den
Armen des unbekannten Helfers, und ließ sich von ihm, ohne das mindeste
Widerstreben zu äußern, nach der nächsten Bank geleiten. Hier hielt er
sich an den Baum, und schlug beide Hände vor's Gesicht. Nach einem
kurzen Stillschweigen sagte der Andre mit sanfter und wohlklingender
Stimme: »Sie wollten ein voreilig Werk thun, lieber Mann, aber Gott hat
Anderes mit Ihnen im Sinne. Beruhigen Sie sich daher; vergessen Sie, daß
der Teufel Sie in Versuchung führte, und gehen Sie wieder muthvoll an
die Geschäfte, die Ihnen obliegen.«

Der Senator zuckte zusammen, schlug die Augen wild auf, und erwiderte
dem Manne, in dessen ernstem Gesichte ein erfreuliches Mitgefühl zu
lesen war, mit gepreßter Stimme: »Warum haben Sie mich zurückgehalten,
Herr? Jetzt wäre Alles vorbei, und meine Ehre nicht doppelt verloren,
wie es geschehen wird, wenn man in der Stadt erfährt, was ich versucht
habe.«

»Bekümmert Sie das allein?« fragte der Nachbar tröstend: »Beruhigen Sie
sich, wiederhole ich Ihnen. Ich bin ein verschwiegener Mann,
verpflichtet zur Bewahrung der Geheimnisse, die man mir anvertraut, und
werde niemals Ihren Frieden oder den Ihrer Familie durch eine
Unbescheidenheit stören.«

Der Senator sah sich scheu um. »Wahr ist's;« sagte er hierauf: »Wir
sind die einzigen Anwesenden an diesem Orte. Wenn Sie daher schweigen
wollten... Kennen Sie mich?«

»Ich könnte es verneinen, um Sie zu täuschen;« erwiderte der Andere:
»allein ich hasse den unschuldigsten Winkelzug. Sie sind mir bekannt,
Herr Senator; aber wie gesagt, schon mein Stand schützt Sie vor einer
möglichen Indiskretion.«

»Darf ich fragen...?« sagte Müssinger, ihm gespannt in's Auge
blickend. --

»Ich nenne mich Leupold, bin Doctor beider Rechte, und habe seit manchen
Jahren als Sachwalter bei verschiedenen Gerichten fungirt. Ich verstehe
mich auf's Schweigen; um so mehr, als es hier den Ruf eines Mannes gilt,
dessen Haus mein guter Pflegesohn zu besuchen berufen worden ist.«

»Ich entsinne mich,« entgegnete der Senator, nicht unangenehm
überrascht, den neuen Bekannten durch ein gewisses Band des Vertrauens
an sich gefesselt zu sehen: »Wären andre Umstände vorhanden, ich würde
mich Ihrer Bekanntschaft freuen, Herr Doctor. Vergeben Sie mir daher,
wenn ich nicht bin, wie ich sein sollte.«

»Solche Revolutionen gehen nicht leicht ab. Gehen sie nach Hause, Herr
Senator. Ein niederschlagendes Pulver und Ruhe werden Ihre Besonnenheit
am Besten wieder herstellen.«

»Nach Hause? Wo denken Sie hin? Nach Hause, wo ich der Schande entgegen
sehe? Sie haben mich verhindert, im Flusse mein Ende zu suchen. Lassen
Sie mich wenigstens so weit fliehen, als mich meine Füße tragen. Ich bin
ein zu Grunde gerichteter Mann. Ich kann den Spott der Feinde und die
Vorwürfe der Meinen nicht ertragen. Ich will fort, über See!«

Er stand rasch auf, um in dem verstörten Zustande, worinnen er sich
befand, in die Welt zu laufen. Der Doctor hielt ihn zurück. -- »Bedenken
Sie, was sie thun!« sagte er: »Ich kenne nicht Ihr Leid, nicht Ihre
Verhältnisse. Aber die Lage Ihrer Angehörigen wird zehnfach schlimmer,
wenn Sie diesen Schritt thun, und Ihnen folgt die Schande zehnfach. Ich
habe viel erfahren in der Welt. Das Schicksal hat uns auf eine so seltne
Weise zusammengeführt, daß ich mir fast die Freiheit nehmen möchte, mir
ein Recht auf Ihr Vertrauen anzumaßen. Daher...«

»Ist es denn der Mühe werth, Ihnen ein Geheimniß aus dem zu machen, was
binnen drei Tagen die ganze Stadt wissen wird, wissen muß? Herr! mein
Geschäft bricht ein. Der Ultimo kommt heran, ich kann nicht zahlen. Ein
unbarmherziger Gläubiger, der jede Verlängerung ausschlug, kommt
übermorgen selbst hier an, um mich zu verderben. Kaum vermochte mein
Agent mir davon früher Kunde zu bringen. Ich kann ihn nicht befriedigen,
nicht den sechsten Theil seiner Wechselforderung schaffen. Alle Quellen
sind erschöpft; meine Bücher weisen eine geldleere Wüste auf. Der Senat
stößt den Bankerutier aus, und meine Familie in's Elend. Da, da wissen
sie Alles, was ein Kaufmann sonst nur im letzten Augenblick gesteht.
Ermessen Sie meine Lage, und posaunen Sie dieselbe aus, oder schweigen
Sie. Mir ist Alles gleichviel. Lassen Sie mich aber fort. --«

»Wollen Sie in's Verderben rennen, und auf Glück, auf Gott, und
Ihre eigne Männlichkeit nicht vertrauen -- gehen Sie hin!« sprach
mit abstoßendem Tone der Doctor, und wendete sich mißmuthig von dem
Verzagenden. -- Dieser kurze Bescheid brachte indessen den Senator
wieder zu sich. Wir sind häufig in mißlichen Lagen, wie die Kinder,
klagen und jammern immer mehr, je größre Mitklage wir erwecken, und
schweigen plötzlich gefaßt, wenn unser »Zeter« keinen Eindruck mehr
macht. Der Senator sah sich betroffen nach seinem neuen Freunde um.
Sein Fuß wurzelte. Er legte seine Hand auf des grauen Mannes Schulter,
und fragte nach geraumen Schweigen: »Was sagten Sie da? Wem soll ich
vertrauen? Gott? Guter Herr, ich bin kein Pietist, und nicht von
heute. Lassen wir das. Dem Glück? Ich habe mich lange dabei wohl
befunden, allein, wenn _eine_ Stütze bricht, halten auch die andern
nicht lange mehr. Meiner Männlichkeit? Wie meinen Sie das?«

»Der Wille des Menschen vermag viel,« antwortete der Doctor: »In ihm
liegt der Beistand des Höchsten; er regiert das Glück; glauben Sie mir
das. Das Leben ist nun einmal ein Kampf, diese Welt der Fechtplatz.
Wer sich am rüstigsten durchschlägt, gelangt sicher zum Ziel.
Uebelverstandenes Ehrgefühl, -- schlecht ausgelegte Moral sogar, kann
den besten Kämpfer entwaffnen, und zum Spott seiner Gegner machen. Man
behaupte die Bahn, in welche man geworfen ist, und träume sich nicht
in eine andere. Man zittre nicht vor der Gefahr, man trete ihr auf den
Nacken.«

»Ich verstehe Sie nicht,« äußerte der Senator, und ließ sich horchend
neben den Doctor nieder: »ich bin fünfzig Jahre alt geworden, und wenn
ich gleich schon Aehnliches, wie Sie mir da predigen, _gefühlt_ habe,
_gesagt_ hat mir es noch Niemand.«

»Sie haben nur die Handelswelt kennen gelernt,« versetzte achselzuckend
der Doctor: »Ein Beispiel wird Sie jedoch überzeugen. Sehen Sie hier
einen Traktat über die Seeschlacht bei la Hogue, wo Admiral Russel die
französische Flotte vernichtet hat. Diese Schlacht war eine der
außerordentlichsten Begebenheiten der Zeit, und herbeigeführt und
gewonnen unter den widerstrebendsten Conjunkturen. Nicht Wind, nicht
Wetter, nicht das eiserne Joch der Verantwortlichkeit achtend, wurde
geschlagen, wurde gesiegt. Aus dem gefürchteten Verderben trat glänzend
die Victorie hervor. So viel vermag der Wille und die dadurch aufgeregte
Kraft des Menschen. Und, -- merken Sie sich das genau: im bürgerlichen
Leben, wie im Schlachtandrang gilt der Satz: Hilf dir selbst, und Gott
ist mit dir. Stoße _den_ vom Brett, der dich hinunterstoßen will, oder
schweige und ergieb dich verzagt in das verdiente Geschick.« -- »Ich
staune über Ihre Reden, gelehrter Herr,« sagte der Senator, obschon
aufgerichteter als zuvor: »wie aber soll ich sie in =praxi= anwenden?
Dunkel bleiben mir Ihre Worte, oder machen mich zittern, sollte ich Sie
verstehen.« -- Der Doctor lächelte.

»Träumen Sie ja nicht von Gespenstern,« erwiderte er halb im Scherze:
»ich schreibe nur sanfte Mittel vor. Sie führen ja nicht das Bajonnet,
nicht den Commandostab. Nur so viel in Kurzem: Geben Sie nicht feig
Alles verloren. Von Stunde zu Stunde wechselt das Glück seine Häuser,
und schüttet vielleicht in der nächsten den goldenen Regen durch Ihren
Schornstein. Verlarven Sie nicht. Spricht das Unglück von Ihrer Stirne,
so finden Sie keinen Freund mehr, während der Schein der Zuversicht
Ihnen vielleicht in der letzten Minute den thätigsten wirbt. Waffnen Sie
sich wider den Gegner, der sich naht; nicht mit Messer und trotziger
Schmähung, sondern mit dem glatten, überredenden Worte, und der
vielversprechenden Stirne. Freundlichkeit bezwingt den festesten
Vorsatz. Jeder Mensch hat den verwundbaren Fleck. Jeder Mensch ist
eitel. Suchen Sie die Ferse des Achilles. Schmeicheln Sie seiner
Eitelkeit. Der günstige Augenblick einmal benützt, und die Wechsel
werden prolongirt, die Frist ist gewonnen, mit ihr die Hoffnung, und in
der Hoffnung liegen ja alle unsere Reiche. Was möglich ist, kann auch
wahr werden, und das Mißgeschick macht immer wieder der Fortuna Platz.
Hören Sie nie auf, auf sich zu zählen, und auf meine Verschwiegenheit.«

Mit einer anständigen Verbeugung verließ der Doctor den Handelsherrn,
und wandelte nach der Stadt zurück. Müssinger sah ihm verwundert nach,
und dann in sein eignes Innres. Mittel und Wege fand er freilich
darinnen nicht vor, aber ein besserer Muth belebte seinen Geist, und
sein Plan, sich aus der Welt zu schaffen, kam ihm bald wie ein Traum,
bald lächerlich vor. Der prachtvolle Morgen trug das Seinige dazu bei,
den aufgeregten zu beruhigen. Die erste Folge dieser eintretenden Ruhe
war die Sorgfalt, die der Senator darauf verwendete, seinen Anzug
wieder bildlicher und anständiger herzustellen. Alsdann stand er auf,
blickte zum Himmel auf, und murmelte: Wohlan! den Versuch ist ja wohl
die Lehre werth, und im schlimmsten Falle ändert ja der Strom binnen
drei Tagen nicht sein Bett! -- Somit drückte er den Hut in die Augen,
wanderte gravitätisch zur Stadt zurück, und seiner gleichgültigen
Miene hätte Niemand angesehen, wie es vor einer halben Stunde um ihn
gestanden.

»Mein Guter,« sprach er nach einiger Ueberlegung in seinem Cabinette zu
dem Buchhalter: »Es liegt mir daran, daß Ihr Euch von dem Amsterdamer
nicht in meinem Hause finden lasset. Es dient mir zu besserem Stand und
Hinterhalt, wenn ich sagen kann, daß Ihr, auf andern Geschäftstouren
begriffen, noch nicht zu mir heimkehrtet, mir seine Antwort noch nicht
hinterbrachtet. Ihr habt mir nur in einem Briefe gemeldet, daß _er_
selbst kommen würde, sich mit mir in Richtigkeit zu setzen; nichts
weiter, versteht Ihr mich? Ich gewinne durch diese Unwissenheit
Aufschub, und während dessen geht eine neue Quelle auf.« -- »Das gebe
Gott!« seufzte der treue Buchhalter: »wo befiehlt aber mein
hochzuverehrender Herr Prinzipal, daß ich mich hinbegebe?« -- »Ihr mögt
nach Steinstadt reisen,« erwiderte der Senator, »und bei Gericht den
Zwangprozeß gegen unsern saumseligen Schuldner, den Apotheker, eifrig
betreiben und anhängig machen. In einigen Tagen ist das Geschäft
beendigt, zu dem ich einen Diener abfertigen würde, wenn nicht die
Umstände wären, wie sie sind. Damit jedoch Eure Abfertigung ein gewisses
Aufsehen mache, mögt Ihr hier noch zu verbreiten suchen, daß Ihr in
meinem Namen auf die Steinkohlengruben bieten sollt, die der Graf zu
Steinstadt versteigern läßt.«

»In Gottes Namen!« ließ sich der Buchhalter vernehmen, und ging, sich
fertig zu machen. Der Senator stieg indessen hinauf zu seinen
Frauensleuten, und kündigte ihnen an, der Herr van den Höcken von
Amsterdam werde binnen wenigen Tagen eintreffen, und eingeladen werden,
in dem Hause seines Geschäftsfreundes sein Quartier zu nehmen. Deshalb
müsse das beste Gastzimmer in Stand gesetzt, und in Küche und Keller
alles auf den Fuß hergerichtet werden, einen so ehrenwerthen Besuch nach
Gebühr zu empfangen und zu vergnügen. Die Senatorin murrte und maulte
viel über die ungelegene Störung des Hauswesens, gab dann, da sie nichts
an dem Befehl zu ändern vermochte, in aller Gleichgültigkeit Justinen
die Schlüssel zu Haus und Hof und ließ die flinke, bereitwillige Tochter
für Alles sorgen. Sie selbst sah, nach wie vor, ganze Stunden lang
durch's Fenster, schlief, betete ihre Psalmen gedankenlos, und hatte am
Abend, in träger Ruhe unter den Freundinnen sitzend, viel von der Mühe
und Plackerei einer weitläufigen Wirthschaft und unbequemer Gäste zu
erzählen. Die Spiel- und Klatschschwestern säumten nicht, das Erfahrene
und Gehörte in der ganzen Stadt zu verbreiten. Durch Lehrlinge und
Diener und Mäkler ging von der andern Seite das Gerücht von jener
Steinkohlenspekulation um, und der Senator hatte die Freude, auf der
Börse wieder freundliche Gesichter zu sehen, und das Wiederaufkommen
seines Credits zu bemerken. »Van den Höcken wird bei ihm wohnen!«
flüsterten sich Händler und Sensale zu; »er erwartet ihn also mit gutem
Gewissen! Auf die Steinkohlengruben des Grafen läßt er bieten? Sie
müssen baar bezahlt werden, weil die Excellenz das Geld für Spa braucht.
Er florirt also wieder, der Herr Müssinger!« Und: »Ein wackrer Mann!
ein braver Mann!« scholl es nun wieder weit und breit, gerade aus dem
Munde derjenigen, die ihn schon am meisten geschmäht hatten. Die
ruhigern, solidern Kaufleute zuckten indessen die Achseln, schüttelten
die Köpfe, murmelten von Dunst und tauben Nüssen und erwarteten die
Zukunft. Aengstlicher und sehnsüchtiger als sie Alle, erwartete der
Senator die Tage der Entscheidung, und es wurde ihm schwül zu Sinne,
denn schon waren fast zweimal 24 Stunden seit der Unterredung mit dem
Doktor verflossen, und noch hatte sich, außer dem Dunst nichts geändert
in seinen Verhältnissen. Wo er ging und stand, dachte er an
unausbleiblichen Bankerott, und zugleich an die Worte des Doktors, die
wie Metallklänge an sein Ohr schlugen: »Hilf dir selbst, und Gott ist
mit dir. Stoße _den_ vom Brett, der dich hinabstoßen will!« »Kann ich
denn diese harten Reden nicht los werden?« fragte er sich oft, wild an
seine Stirne schlagend, und verschloß sich dann wieder auf
Viertelstunden in den stillsten Winkel seines Hauses.

Unterdessen machte Justine die fleißige Wirthin, und ordnete und putzte
in den Gastzimmern, daß es eine Freude war. James, der vergebens zur
Stunde kam, und den die Mutter schnöde abgefertigt hatte, sah im
Vorübergehen die Thüre der Gaststube zufällig offen, blickte hinein und
grüßte Justine, die auf einem Tische stand, und sich umsonst bemühte,
die schwere Stange des Vorhangs auf die Hacken über dem Fenster zu
bringen. Ihr Gesichtchen war feuerroth vor Zorn, und mit weinerlicher
Stimme rief sie dem Engländer zu: »So kommt doch herein, Monsieur! seit
zehn Minuten rufe ich mir die Kehle rauh, nach den einfältigen dummen
Mägden, die mich hier allein gelassen haben. Noch eine Minute, und ich
hätte die schwere Fahne da, wie sie ist, auf das Getäfel geworfen, und
wenn Spiegel und Marmortisch, und Alles dabei zu Grunde gegangen wäre.
Helft mir!«

»Mit Vergnügen!« betheuerte James, legte den Hut ab, und bereitete
sich, auf den Tisch zu steigen. Justine stampfte ungeduldig mit den
Füßchen. »Mein Gott, wie förmlich!« rief sie, »legt doch um Gottes
Willen Euer englisches Phlegma ab. Ein Anderer wäre mit _einem_
Sprunge schon bei mir gewesen!« -- »Ein wenig Geduld!« ermahnte James
das Mädchen, nahm den armen Vorhang aus dessen Hand und in einem
Augenblicke saß er, wo er sollte. »Besonnen kommt man nicht minder
schnell zum Ziele,« sprach James weiter, und reichte Justinen die
Hände, sie vom Tische zu heben. Sie bedachte sich eine Weile, wollte
ihr böses Gesicht beibehalten, das schelmische Lächeln drang aber durch
das Gewitter, und wie ein Zephyr flog sie an des Jünglings Armen zur
Erde. »Ihr seid ein possirlicher Mensch!« sagte sie, ihm neckend in
die Augen sehend: »so oft ich Euch die Wahrheit sage, spielt Ihr den
Gekränkten, und gebt eine Sentenz zum Besten. Gewöhnt Euch das ab,
Monsieur. Ihr seid ja kein Kandidat, der blöde thun muß, um's liebe
Brod. Was ein vorwitziges Mädchen sagt, muß den Vernünftigen nicht
kümmern.«

»Menschen, die mir gleichgültig sind, kümmern mich auch nicht,«
antwortete James, der noch nicht alle Bitterkeit besiegen konnte.
Justine blickte ihn rasch und gleich wie strafend an, verzog dann
fröhlich lächelnd den Mund, und drehte sich, schnell wie der Wind, im
Kreise um.

»Seht aber doch, wie schön ich Alles hier eingerichtet habe!« rief sie,
sich dreimal gegen den Spiegel verbeugend, und lustig in die Hände
klatschend: »Ich wette darauf, die Königin Ulricke hat keine schönere
Wohnung.« --

»Die Freude, die Sie an Ihrem eigenen Werke haben,« entgegnete James
scherzend, »brächte mich beinahe auf die Vermuthung, diese Zimmer seien
für Ihren Verlobten eingerichtet.«

»Ach Gott, nein!« versetzte Justine, indem Sie die Hände in spaßhafter
Klage zusammenschlug; »Herr Birsher wohnt leider nicht an der Ecke, um
so geschwinde seinen Besuch abstatten zu können. Vor der Hand wird nur
ein alter steifer Holländer, der Herr van den Höcken hier sein Quartier
nehmen. Der beste Freund meines Vaters: sie haben sich aber in ihrem
Leben noch nicht gesehen. Der liebenswürdigste Mann: wir wissen aber
noch nicht das Geringste davon. Seht Euch das Zimmer noch einmal recht
an, und lobt meinen Geschmack. In _diesem_ Zustande seht Ihr es nicht
mehr wieder!«

»Wie so?«

»Herr van den Höcken wird schon alle meine Bemühungen zu Schanden
machen. Diese weißen Vorhänge wird der Rauch seiner Pfeife schwärzen,
all' diese Ordnung seine plumpe Hand zerstören. Ach, die Männer sind ja
nur dazu vorhanden, der Weiber zierliche Schöpfung zu verunglimpfen.«

»Wie kommen _Sie_ jetzt zu der Sentenz?«

»Das Medaillon an jenem Vorhang, den Ihr, Monsieur befestigt habt,
bringt mich zu der Beschwerde. Es steht schief und baufällig. Schade
dennoch um das arme Bild.«

»Warum befehlen Sie nicht?« fragte James lebhaft, sprang abermals auf
den Tisch, und richtete das vergoldete Prunkstück nach der Regel auf.
Justine verneigte sich steif. »Monsieur!« sagte sie, »ich bin mit Euch
zufrieden. Wie kömmt's, daß Ihr jetzt lebendiger werdet?«

»Ich _strebe_ nach Ihrer Zufriedenheit, Mademoiselle,« entgegnete James
verbindlich. -- »Das gefällt mir,« sprach Justine ernsthaft wie eine
Königin. »Ihr möget aber wissen, daß ich nicht genügsam in meinen
Forderungen bin.«

»Und doch würde ich eine _jede_ erfüllen!« versicherte James nicht
minder ernsthaft. »Jede?« fragte Justine noch ernsthafter: »Besinnt
Euch, Monsieur. Ich lasse nicht mit mir scherzen.«

»Auch scherze ich nicht,« schloß James fest und bestimmt.

»So wolltet Ihr also auch, wenn ich es verlange, den einfältigen
Lauscher über die Treppe werfen, der schon seit einer Minute den Kopf in
die Thüre steckt, und nicht ahnt, daß ich im Spiegel seine Ohren sehe?«

James sah sich verwundert um, und gewahrte Nothhafts Kopf, ein albernes
ertapptes Fuchsgesicht, aus dessen Munde stammelnd die Worte kamen: »Mit
Permiß, hochgeehrte Jungfer! Ich suche nur Ihren Herrn Vater!«

»Mit Permiß,« antwortete Justine verächtlich: »Er ist ein erbärmlicher
Pinsel, dem mein Herr Vater für seine Horcherei den Kopf zurecht setzen
soll. Führ' Er sich ab, und such' Er anderswo.«

Nothhaft verschwand mit leisen Verwünschungen. Justine lachte herzlich,
theils über den Diener, theils über James, der, wie aus einem Himmel
gefallen, vor ihr stand.

»Sagen Sie, wunderliche Fee!« sprach er: »Wie soll ich Sie nennen? Sie
wechseln die Farbe wie ein Demant. Schon glaubte ich auserkohren zu
sein, Ihnen einen wichtigen Dienst leisten, Ihren Beifall erwerben zu
können, und plötzlich löst sich Alles in einen Scherz auf.«

»Gesteht es nur, Monsieur!« erwiderte hierauf Justine: »Ihr seid eitel.
Ich bin es aber nicht weniger. Ihr könntet ein Franzose sein. Mein Ernst
ist jedoch nicht _immer_ Scherz.«

Die Gutmüthigkeit, die sich in Justinens Rede kund gab, machte dem
Jüngling Muth, nach ihrer Deutung zu fragen, allein Müssinger's
Dazwischenkunft setzte seiner Neugier unübersteigliche Schranken.

Der Senator trat heftig ein, und rief mit auffallender Sorglichkeit:
»Ist alles fertig, Justine? Alles hergerichtet und geordnet?« Auf die
Bejahung fuhr er fort, ohne auf James zu achten: »Brav, schön, meine
Tochter. Zur besten Zeit, mein Kind. Er ist angekommen. Van den Höcken
ist da. Der Kellerbursche aus dem römischen Kaiser hat mir's so eben
gesteckt. Allein gekommen, ohne Bedienung. Man kann den Mann nicht im
Gasthause lassen. Ich gehe selbst zu ihm. Sage mir, bin ich angezogen,
wie sich's gebührt? Fällt die Perücke gut? Sitzen die Strümpfe und
Kniebänder? Hängt der Degen recht, wie er soll? Wie findest du den
Busenstreif?«

»Schön und wohlanständig wie alles Uebrige, lieber Vater,« antwortete
Justine, ein feines Lächeln kaum bemeisternd: »Sie sind jedoch in einer
Unruhe befangen, die mir auffällt. Sie haben ja nicht vor den Kaiser zu
treten, sondern vor einen Kaufmann, der nicht mehr, nicht weniger ist,
als Sie selbst, und obendrein Ihr Handelsfreund!«

»Ach ja!« versetzte der Senator mit ängstlichem Athemzuge: »ach ja! das
ist er, aber die Schicklichkeit, die Mores, ... und dann meine Pflicht,
... und worauf es ankömmt! Liebe Justine, erhebe deine Seele zum Gebet!
... Deine Mutter ist Eis, ... du aber mein Kind halte den Daumen für
mich! hörst du? bringe mir Glück! freilich darfst du nicht wissen, ...
aber ... wie gesagt ... Adieu!«

Schon war er jenseits der Schwelle. Die Herzensangst, die unverkennbar
aus ihm sprach, machte Justine sehr nachdenklich. Sie stützte sich auf
den Tisch, und blickte sinnend auf die Straße. Nach einigen Augenblicken
des Nachdenkens drehte sie sich kopfschüttelnd um, um zu gehen.

»Wie? Ihr seid noch da, Monsieur White?« fragte sie, wie erstaunt den
jungen Mann zu sehen, der sie mit verschränkten Armen und theilnehmend
betrachtete. »Könnt Ihr mir nicht sagen, was der Auftritt so eben
bedeutete?« setzte sie gezwungen lächelnd hinzu.

»Die Mächte, die uns leiten, warnen oft den Glücklichen, daß er sich auf
Unheil gefaßt mache,« entgegnete schonend und vorbereitend der Jüngling.
»So?« fragte Justine wieder mit durchdringendem Blicke: »Euch steht's
jedoch schlecht an, den Unglückspropheten allein hier spielen zu wollen.
Was berechtigt euch dazu? gewiß nur meine Nachsicht, die Euch zu solcher
mißbrauchten Vertraulichkeit den Muth giebt. -- Außer der Lehrstunde bin
ich nicht für Euch zu Hause.«

James Gefühl wallte über. »Nach Befehl,« entgegnete er kaum hörbar,
»hätte ich geahnt, daß Sie auf Ihre Frage nur ein stummes Achselzucken
wünschen, und nicht ein freundlich offen Wort, so hätte ich mir die
Beleidigung, Ihnen die Reue erspart.«

Er entfernte sich schnell. Schon war Justine im Begriff, bereits von dem
innern Vorwurfe gequält, ihn zurückzurufen; schon hob sich ihr Fuß, ihm
nachzueilen, aber Stimme und Bewegung bezwang sie im stolzen
Selbstgefühle. »Ein unerträglicher Mensch!« eiferte sie vor sich hin:
»Was er sich erlaubt! Ist das nicht der Ton, den ein Vater gegen seine
Tochter annimmt? Gelte ich ihm denn nicht für _voll_? Bin ich denn ein
Kind, das sich Alles gefallen lassen muß?« Ein schneller Blick in den
Spiegel belehrte sie zur Genüge, daß sie kein Kind mehr war, sondern
eine Jungfrau in der schönsten Blüthe des Alters. Wohlgefällig ordnete
sie die Spitzen, die ihren Busen zart und schwach verhüllten, die
Schärpe um das enge pralle Mieder, die Falte ihres seidenen Gewandes,
und ging einigemal vor dem Spiegel auf und ab. »Wahrlich!« sprach sie
alsdann mit verklärtem Angesichte: »Herr Birsher wird nicht die
häßlichste Braut aus Europa entführen. Wenn er nur auch recht hübsch
ist, und wohlgewachsen, und prächtig und sauber im Aeußern! Wie werden
sich die Jungfern ärgern und die Frauen, wenn ich in aller Herrlichkeit
mit ihm abziehe! Wie werde ich dagegen jubeln, wenn ich aus diesem Hause
scheide, wo mich die Mutter nicht liebt, nicht haßt und nur für ihre
Kammerjungfer ansieht, wo der Vater von Tag zu Tag wunderlicher wird.
Wahrhaftig, noch einmal ein Auftritt wie der vorige, und mir würde bange
um seinen Verstand!«

So eben ließen sich Stimmen in der Hausflur vernehmen, und gewichtige
Schritte kamen über die Treppe herauf. Erschreckt flog Justine aus dem
Zimmer, und bewillkommte sehr verlegen einen sehr dicken schweren Mann,
der an der Hand des Senators, in Reisekleider gehüllt, emporkeuchte. Ein
Lastträger folgte mit einem gewichtigen Koffer auf der Schulter. Das
ganze Comptoirpersonale lauschte unten mit vorgestreckten Hälsen.

»Der sehr achtbare Herr und Freund van den Höcken aus Amsterdam,« sprach
der Vater geschäftig zu Justine, und zupfte sie, einen sehr tiefen Knix
zu machen. Der Holländer versuchte seinerseits eine Verbeugung, sah
Justine starr aber freundlich an, blinzelte mit den kleinen Augen. »Ein
hübsches Kind, die Jungfer Tochter,« sagte er noch halb athemlos: »ein
recht hübsches Kind, eine lockende Eva! es ist charmant, Ew. Edeln, daß
ich dem römischen Kaiser Valet gesagt habe, um hier in die Arme einer
griechischen Helena zu sinken.«

»Ei, der Himmel bewahre mich in Gnaden!« platzte Justine heraus, und
floh vor den ausgestreckten Armen des Fremdlings nach der Mutter Zimmer.
Van den Höcken lachte ungemessen, und wehrte dem Senator ab, der
Justinen nacheilen wollte.

»Lassen Ew. Edeln das wilde Jüngferlein immerhin springen und laufen,«
sagte er fortlachend, »der Wein muß brausen, das Bier schäumen. Am Ende
gibt es noch den solidesten Trank. Ich bin der Jungfer schon recht
zugethan, und denke, _sie_ soll mir es auch werden. Alte Hagestolze wie
ich, haben das Geheimniß endlich weg, wie man das Frauenzimmer kirre
macht. Für's Erste jedoch,« setzte er hinzu, »weisen Sie mir mein Zimmer
an, und entschuldigen Sie mich bei Ihrer lieben Frau. Zum Thee komme ich
herüber. Meine müden Beine müssen bis dahin ausrasten.«

Der Senator stieß dienstfertig die Thüre auf, und van den Höcken
betrachtete mit Wohlgefallen sein Quartier. »Ew. Edeln haben mich wie
einen Cogreßambassadeur logirt,« schmunzelte er, »Item, unsere
persönliche Bekanntschaft hebt vollkommen gut an; wünsche nur, daß auch
in =saeteris= alles gut ablaufe, mein bester Herr.«

Der Senator wollte den Augenblick benutzen. Er stellte sich daher vor
den im Lehnstuhle ruhenden Gast, und begann zu erzählen von dem
Buchhalter, der nicht zugegen, von dessen oberflächlichem Brief, von der
Freude, die er empfinde, den Handelsfreund zu bewirthen, von den bösen
Zeiten und den Wagnissen eines Spekulanten, und besonders von der
Nothwendigkeit, sich als Christen gegenseitig zu unterstützen, und zu
schonen. Als er jedoch bis zu diesem Punkte gekommen war, faltete der
Gast seine Stirne mächtig, bewegte mißbilligend den Kopf, und entgegnete
ziemlich unfreundlich: »Geschätzter Herr Senator! Dergleichen
Betrachtungen schicken sich wenig in der ersten Bewillkommnungsstunde.
Was jedoch die Spekulanten betrifft, und die christliche Moral, so
sollen Erstere nicht weiter fliegen wollen, als die Federn reichen, und
Letztere nicht begehren, daß Einer, um dem Andern durch die Finger zu
sehen, sich selber ruinire. Sie werden mich begreifen, obgleich ich
nicht das beste Deutsch rede. Im Holländischen könnte ich mich freilich
besser ausdrücken. Uebrigens lassen wir dergleichen Erörterungen auf
morgen. Meine Maxime ist: zuerst ruhen, dann arbeiten. Morgen nach dem
Frühstück von Geschäften. Meine Wechsel sind in aller Ordnung. Halten
Sie nur das Ihrige in Bereitschaft.«

Der Senator war wie von kaltem Wasser übergossen. -- »Ew. Edeln
vergessen,« stotterte er, »daß meines Buchhalters Abwesenheit......«

»Doch keinen Aufschub macht?« unterbrach ihn van den Höcken, herzlich
lachend. »Warum nicht gar! Ein exakter Kaufmann, wie Sie, weiß die
Zahltermine auch ohne den Buchführer. Respekttage habe ich in Hülle und
Fülle gelassen, und aufhalten kann ich mich nicht länger als zwei Tage.
Also haben Ew. Edeln die Güte, sich nicht länger zu sträuben. Ich weiß
es; große Summen gehen schwer vom Herzen; mir selbst nicht minder;
allein was sein muß......, nun, Sie sind ja ein Ehrenmann, und somit
heute kein Wort mehr hievon.«

Müssinger empfahl sich mit verstecktem Mißvergnügen, und ging bis zur
Dämmerung heftig auf dem Altan des Hauses hin und her, um sich die
gehörige Fassung zuzuwenden, deren er, seinem Gaste gegenüber, bedurfte.
Plötzlich blieb er stehen, und sagte vor sich hin: »Bin ich denn nicht
ein blödsinniger Mensch, daß ich noch hoffe, und kann diese Hoffnung mit
nichts in der Welt rechtfertigen? Was soll mir eine leere gespenstige
Erwartung? Warum habe ich nicht auf der Stelle dem hartnäckigen Manne
gesagt, was er morgen dennoch erfahren muß? daß es weit ärger mit mir
steht, als selbst mein Buchhalter ihm gesagt, dessen vergebliche
Bemühungen er nur für die Flausen eines Mannes, der nicht zahlen _will_,
zu halten scheint. Ich muß mich demüthigen vor ihm, wie nicht vor einem
Kaiser, und nur von seiner Barmherzigkeit Rettung erwarten! Ein saurer
Schritt, -- der sauerste meines Lebens! ist er aber vergebens, auch mein
Letzter, so wahr mir Gott gnädig ist. Vor des Holländers Augen
zerschmettre ich mir den Kopf!«

Von diesem Gedanken erfüllt, stieg er hinab in sein Cabinet, lud mit
der Entschlossenheit der abgestumpften Verzweiflung seine großen
Reisepistolen, und legte sie, unfern von seinem Drehstuhle, in ein
verstecktes Fach des Schreibtisches. Hierauf schloß er sorgfältig zu,
gab den Comptoirbedienten für den _ganzen_ folgenden Tag -- einen
Sonntag -- freien Urlaub, und verfügte sich in die Wohnstube, wo
er seine Frau, ihre Freundinnen, Justine und van den Höcken schon
beisammen fand. Der Thee wurde nach holländischer Sitte herumgereicht.
Der Gast setzte sein größtes Vergnügen darein, sich von der Tochter
bedienen zu lassen, und durch mehrere Scherze, wie sie alte
Herren seines Schlags sich oft zu erlauben pflegen, die Röthe der
Jungfräulichkeit auf ihre Wangen zu jagen.

»Das wäre ein Mädchen,« sagte er unter Andern, »das wieder Leben in mein
verödetes Hauswesen bringen könnte, wenn ich einen Sohn hätte, oder wenn
die Jungfer mich selbst zum Manne nehmen wollte. Unsre steifen
Amsterdamer Puppen müßten sich verstecken vor der muntern Frau van den
Höcken. Wahrhaftig, Ew. Edeln: -- seh' ich die Jungfer an, so wird mir's
wohl begreiflich, wie sie _ihre_ Tochter sein kann; aber die bequeme
Madam dort im Kanape würde nicht jeder für _ihre_ Mutter halten.«

»Hm!« dehnte die Senatorin etwas empfindlich, »Ew. Edeln und meine
Wenigkeit stellten dafür ein passenderes Paar vor.«

»Wahrhaftig!« lachte van den Höcken ausgelassen. »Sie haben recht, meine
Werthgeschätzte, und ich würde auch des Schicksals Wink nicht unbeachtet
lassen, hätte es dem Himmel gefallen, sie in ledigem Stande vor meine
Augen und Gemüth zu führen. Wie die Sachen aber jetzo stehen, werde ich
mich schon an die Jungfer Tochter halten müssen.«

»Bitte sehr!« lächelte Justine schnippisch, und zog ihre Hand aus der
Rechten des Holländers. Die geneigte Mama setzte indessen phlegmatisch
bei: »Inkommodire sich der Herr nicht. Meine Tochter ist versprochen,
sie wird eine Birsher in New-York.«

»Oho!« entgegnete van den Höcken. »Mit dem Birsher nehm ich's auch noch
auf. Bin ich nicht so jung wie der Sohn, bin ich doch reicher als der
Vater, und der Weg nach Amsterdam ist um ein gutes Stück näher, als der
nach Amerika.«

»Danke gar sehr, lieber Herr!« spöttelte Justine. -- Die Mutter nickte
ihr den völligsten Beifall zu. Der Vater ließ sich vertraulich neben
dem Holländer nieder, und sagte, als die Frauen sich wieder alle um
die Theekanne und Butterschnitten drängten, so süß als möglich: »Ew.
Edeln haben eine unvergleichliche Gabe, zu scherzen. Ein Anderer hätte
glauben können, Sie hätten in der That ein Auge auf unser Kind.«

»Das habe ich auch,« bekräftigte van den Höcken. »Ich bin der
schnippischen Jungfer seelengut, und möchte sie für mein Leben gern in
_meinem_ Bauerchen haben.« --

»Ha!« versetzte der Senator, vor dessen Seele allerlei Hoffnungen und
Plane wieder aufdämmerten: »Wir waren ja bisher, ohne uns zu kennen, so
gute Freunde, achtbarer Herr...«

Er stockte, _ein_ Auge sah verlegen auf den zitternden Busenstreif, das
Andere auf den Holländer, der, seine Pfeife kaltblütig anbrennend,
langsam zu ihm sagte: »Nun? und weiter? Drücken Ew. Edeln ab! Nun?«

»Ich meinte nur,« fuhr der Senator, seine Schmiegsamkeit mit
ungeduldiger Ruhe behauptend, fort, -- »daß ich Ihnen nicht leicht ein
Ansuchen fehl gehen lassen möchte, wenn dessen Erfüllung in meiner Macht
stände.«

»Versteh ich Sie?« fragte van den Höcken heimlicher: »Vielleicht auch
nicht das Ansuchen um die Jungfer Tochter?« --

»Ihr Scharfsinn, werther Herr, ...« begann der Senator. --

»Bitte! keine Complimente!« fiel der Holländer ein. »Der Birsher steht
aber im Wege. Wie könnte man _den_ wegschaffen?«

»I nun,« flüsterte Müssinger, »man müßte sehen, wie sich etwa die
Gelegenheit darböte...«

»Ein ehrliches Mannswort zu brechen?« sagte van den Höcken ernst, und
mit Vorwurf: »ein kaufmännisches Versprechen ist heilig wie ein Eid. Es
muß gehalten werden, wenn auch eine Gelegenheit sich darböte ... lieber
Mann, und ein noch zehnmal reicherer Freier als van den Höcken von
Amsterdam, der Ihnen nur um der lieblichen Tochter willen den niedrigen
Charakterzug vergibt --«

»Mein werther Herr,« wollte der Senator auffahren. Der Gast hielt ihn
jedoch im Zaume, indem er ihm zuflüsterte: »Machen Sie doch Ihren
Schritt nicht vor Ihrer Familie und den Fremden offenbar. Schämen Sie
sich im Stillen vor mir allein, und wundern Sie sich nicht, wenn ein
ehrlicher Mann zögert, Ihnen Credit zu geben, da Ihre feierlichen
Zusagen Ihnen feil geworden sind.«

Den Rücken des Senators überlief es wie mit tausend Nadelspitzen.
Kurz und trotzig, um den Herrn von Amsterdam seine Beschämung nicht
sehen zu lassen, wendete er sich von ihm, und vergaß die Pflichten
des Hausherrn. Van den Höcken übersah ihm den Ingrimm, und mischte
sich in ein Gesellschaftsspiel, das die Frauen beliebt hatten. Hier
entfaltete er bald eine Fröhlichkeit, die man ihm nicht angesehen
hatte, eine Freigebigkeit, die den Spielerinnen nicht mißfiel, und
eine Gutmüthigkeit, die ihm Justinens Herz geneigter machte. Er zog es
auffallend vor, sich mit dem muntern Mädchen zu unterhalten, gab sich
viele Mühe, es an sich zu fesseln. Der Senator sah mit schwankenden
Hoffnungen und vieler Reue dieser feinen Bewerbung zu, bis die zehnte
Stunde schlug, und die Schicklichkeit gebot, den Gast nach seinem
Zimmer zu geleiten, und die Frauen allein zu lassen. Verbindlich und
gefällig wünschte van den Höcken allerseits gute Nacht, und begehrte
scherzend von Justinen den Verlobungskuß. Die Jungfer verweigerte sich
lachend. Van den Höcken hatte sich's vorgenommen, die süße Frucht nicht
unberührt zu lassen. -- »Will Sie mich nicht qua Bräutigam küssen,
spröde Jungfer,« sagte er lachend, »so erlaube Sie mir doch wenigstens,
Sie =qua= Papa zu küssen. Ich könnte es ja doch sein, denke ich; he? --«

»Gute Nacht, Herr Vater!« antwortete dem Scherze nachgebend und munter
das lustige Mädchen, und bot ihm Stirne und Wange zum Kuß. Van den
Höcken zauderte nicht, von der Erlaubniß Gebrauch zu machen, und
verließ, glänzend und strahlend von Vergnügen das Zimmer. Der Herr vom
Hause, von widrigen Gefühlen bewegt, ging, den vergoldeten Armleuchter
in der Hand, zum Gastzimmer hinaus. Beide Männer schwiegen ernsthaft.
Der Senator öffnete mit eignen Händen die grünen Damastvorhänge des
Alkovens, schloß die Fenster, zeigte stumm auf alle Bequemlichkeiten der
Wohnung, und wollte sich mit einem trocknen: »Schlafen Ew. Edeln wohl!«
abführen. Van den Höcken redete ihn darauf an.

»Wollen wir denn im Groll scheiden, werther Herr und Gastfreund?« sagte
er: »Lassen Sie uns Friede machen. Ich habe Ihnen meine Meinung gesagt,
und Sie haben bereut; somit gut. Wollen Sie bedenken, daß Feindseligkeit
nichts taugt. Sie haben mich selber in Ihr Haus geladen, und
vertrauensvoll hab ich's angenommen. Sein Sie auch freundlich in dem
gastfreundlichen Hause. Bei Gott, ich bin es auch wieder.«

Der Senator konnte zwar die dargebotene Rechte des Kaufmanns nicht
ausschlagen, aber gefangen geben mochte sich sein Stolz auch nicht.
Steif verbeugte er sich daher und erwiderte: »Ew. Edeln wollen scherzen.
Ich habe Alles vergessen, und bitte um dieselbe Vergünstigung. Wann
befehlen Sie morgen geweckt zu werden?«

»Ich incommodire nicht,« versetzte van den Höcken, ziemlich unbefriedigt
von des Senators Rede: »mein übergesegneter Körperumfang weckt mich
frühzeitig, duldet mich nicht im Bette. Um acht Uhr wünsche ich mit dem
Frühstück bedacht zu werden, damit wir um Neun an unser Geschäft gehen
können.«

»Sehr wohl,« entgegnete Müssinger eiskalt; »Alles soll geschehen, wie
Sie es anordnen. Gute Nacht!« --

Van den Höcken legte sich zu Bette: aber der Senator fand in seiner
Stube keine Ruhe. Einmal sogar verließ er dieselbe, das Licht in der
Hand, und schlich in leisen Pantoffeln bis zu der Schlafkammer seiner
Tochter. Schon hatte er den Finger gekrümmt, um anzuklopfen, aber scheu
trat er wieder zurück, suchte er wieder seine Stube. -- Warum das
Mädchen in das Geheimniß ziehen? sagte er mißbilligend zu sich selbst:
Wird nicht ihr Eigensinn oder ihre Angst mich verderben? Es ist nicht
gut, wenn der Vater die Rettung seiner Habe in schwache Kinderhände
legt. Im Alter folgt der Vorwurf hinterdrein, oder auf der Stelle
mißlingt der Plan. In welchem Lichte stünde ich vor dem holländischen
Herrn! Könnte er's dann nicht mit Händen greifen, daß ich ihn nur in's
Haus gelockt, um ihn zu kirren; daß ich auf gewisse Art der Kuppler
meiner Tochter...? Pfui, Müssinger. Diese Blöße wäre unverzeihlicher,
als die, welche deine Schwäche und deine fürchterliche Bedrängniß
gaben. Fasse Muth, unglücklicher Mann! Trinke den bittern Kelch aus,
wie du es dir vorgenommen. Ist der Holländer, seiner Pünktlichkeit und
Hartnäckigkeit zum Trotz, ein Mann von Gefühl, wie ich beinahe nach
seinen Reden vor dem Schlafengehen glauben möchte, so wird ihn die
treue Schilderung meiner Lage rühren; wo nicht ... in Gottes Namen!

Mit einem schweren Seufzer löschte der Senator sein Licht, und gab sich
einem wilden Traumgewirre hin, das den von Schlafstörungen und Grübeln
Erschöpften endlich gegen Morgen umfing. Van den Höcken hatte schon
einigemal nach ihm gefragt, als er erwachte. Wie ein, seiner Sinne nicht
klar bewußter Mann, ließ er sich von dem eintretenden Bedienten die
Haare ordnen, zog sich nicht allzu sorgfältig an, und begab sich unter
dem ersten Geläute der Kirchenglocken zu den Seinigen. Die Senatorin
stand schon, geschmückt und mit Putz trotz einer Markgräfin überladen,
in der Mitte des Zimmers. Justine trat mit Blumensträußen und
Gesangbüchern versehen, ebenfalls im Staate von =Cros de Tours=, herein.
Die Senatorin nannte mit ihrer gewohnten Schläfrigkeit in Ton und Wesen,
ihren Mann einen trägen Langschläfer, der sein Frühstück allein, oder
mit seinem galanten Freunde aus Holland verzehren könne. Justinens
Scharfblick errieth jedoch weit gelehriger, daß in dem Vater immer noch
das ungewöhnliche Treiben wühle, das sie schon in den verflossenen Tagen
bemerkt hatte. Von der Freundlichkeit ihres Grußes wohlthuend angeregt,
wurde der Senator milder, und sagte fast liebevoll zu seiner Ehefrau:
»Liebe Jacobine! Ich muß dich heute freilich allein in die Kirche gehen
lassen, weil mich ein Geschäft zu Hause hält. Aber gerade deshalb bete
_du_ für mich, und denke meiner einmal im Guten gegen den
Schöpfer.« -- »Faselt er nicht schon wieder?« fragte die Senatorin,
spöttisch zu Justine gewendet: »Bete ein Jeder für sich, und erhalte der
Herr jedem den Verstand. Wenn ich den Doctor in der Kirche sehen sollte,
will ich nicht versäumen, ihn zu dir zu schicken. Ein Aderlaß ist dir
wahrlich nöthig, denn richtig scheint mir's seit einiger Zeit
nicht mehr in deinem Kopfe zu sein.«

Der Senator hob, statt der Antwort, beide Arme heftig gen Himmel, und
wendete sich von dem Weibe. -- »Ich will mich nicht erzürnen,« sagte er
mit gewaltsam unterdrücktem Unmuth: »es möchte vielleicht gut sein, daß
wir gerade _jetzt_ nicht im Hader scheiden. Darum gehe recht geschwinde,
Jacobine, und leb' wohl!«

»Der Mann wird sich noch durch seine Galle umbringen!« versetzte die
Senatorin gleichgültig, füllte sich den Mund mit getrockneten Feigen,
und rauschte in ihrem weiten Stoffkleide vornehm zur Thüre hinaus.
Justine blieb hinter ihr zurück, kam auf den Vater zu, und sagte
mitleidig: »Sprechen Sie lieber Vater, ob ich bei Ihnen bleiben soll?
Sie scheinen mir in der That krank zu sein.« -- »Geh', mein Kind,«
entgegnete Müssinger: »du erzürnst deine Mutter.« -- »Ich fürchte ihren
Zorn nicht,« versicherte Justine gleichmüthig; allein da der Senator
darauf bestand, zu bleiben, um seinen Geschäften zu genügen, folgte sie,
wiewohl besorgt, der Mutter in die Kirche. Die Glocken schlugen ringsum
die neunte Stunde, und Müssinger klopfte an van den Höcken's Thüre. Der
Gast, erhitzt von der Pein einer fast schlaflosen Nacht, empfing ihn
nicht in der besten Laune, und schien geneigt zu sein, das unangenehme
Geschäft zu verschieben. Der Senator jedoch, dem es wie ein Fels auf der
Brust lag, der um jeden Preis der Qual fernerer Ungewißheit enthoben
sein wollte, drang, wiewohl bescheiden, dennoch so bestimmt auf der
Arbeit Beginnen, daß van den Höcken endlich mit den Worten: »Sieh, wie
sich das machte! Gestern so säumig, heute ohne Rast und Weile!« den Rock
überwarf, seine Brieftasche aus dem wohlverschlossenen Koffer nahm, und
dem Hausherrn nach der Schreibstube folgte.

»Der Tag ist recht günstig,« sagte er, da sie durch das leere Comptoir
nach dem Cabinette schritten: »die Diener sind vermuthlich alle im
Gottesdienste. Da läßt sich das Geschäft rund abmachen, und bei den
Zahlungen liebe ich sonderlich keine Zeugen.«

»Ich auch nicht,« entgegnete der Senator zähneklappernd; zog den Laden
des Hoffensters auf, und bot dem Fremden einen Stuhl. Van den Höcken
machte sich mit dem Schlosse des Portefeuille zu schaffen; Müssinger
blätterte mit zitternder Hand in dem Hauptbuche. Nachdem endlich
der Holländer eine ziemliche Partie von Wechseln geordnet, und die
Brieftasche wieder zugemacht hatte, sah er mit fragenden Blicken auf
den unruhigen Schuldner. Der Letztere bemerkte es, und sagte mit kaum
hörbarer Stimme: »Es wird Alles bald abgethan sein, werther Herr. Hier
-- sehen Sie im Buche, was ich Ihnen soll; und in meiner Cassa, was ich
habe!«

Er stieß mit dem Fuße den Deckel der Geldkiste auf; sie war beinahe
leer. -- Van den Höckens Gesicht verfinsterte sich ungemein. »Was soll
das, Herr?« fragte er scharf. -- »Ich bin jetzt schon ein vornehm
thuender Bettler,« versetzte Müssinger: »Gewährt mir Ihr Mitleid nicht
Jahresfrist, so stehe ich auch am Pranger.« -- »Sie haben es durch
Ihre unmäßige Spekulationswuth verschuldet,« fuhr van den Höcken mit
strengem Verweise fort: »Ihre Firma schien nur solid, und war eine
Seifenblase, um Andere sichere Creditoren zu täuschen.« --

»Herr!« sprach der Senator mit mühsamer Fassung und Unterwürfigkeit:
»Sein Sie nicht ungerecht; Ihre Menschlichkeit, ... mein Unglück...!«

»Pah!« eiferte der Gläubiger: »jeder Verschwender schützt Unglück vor,
und appellirt an weiche Herzen. Ein Kaufmann muß ein steinhartes Herz
besitzen, soll er nicht selbst zu Grunde gehen. Und wer steht mir denn
am Ende dafür, daß diese ganze Wehklage nicht eine bloße Komödie sei,
und in einen fraudulösen Bankerott ausgehen werde, weil sich gerade die
_Gelegenheit_ darbietet...«

»Herr! nehmen Sie den Schimpf zurück!« fuhr ihm der Senator wüthend in
die Rede.

»Was da!« brummte van den Höcken wild entgegen: »Dero gestrige
Proposition darf wohl auf den Gedanken führen; und kurz und gut:
die leere Geldkiste befriedigt mich nicht. Hier in meiner Hand sind
Ihre Wechsel. Sehen Sie dieselben an, und lernen Sie mich kennen!
Ich bin nicht umsonst den weiten Weg hierher gereist; ich will nicht
vergebens...«

»Wohlan,« unterbrach ihn der verzweifelnde Schuldner: »Da doch nichts
Ihr Menschengefühl erregen kann! Wohlan! Sie sollen Ihren Willen haben.
Diese Wechsel kenne ich, und Sie sollen nicht umsonst sich bemüht haben.
Sehen sollen Sie, wie ich meine Rechnung schließe!«

Mit der einen Hand stieß er die Wechselpapiere von sich, die ihm van den
Höcken vorhielt, mit der andern zog er eine von den Pistolen aus dem
Fache des Schreibtisches.

Bei dieser unverhofften drohenden Bewegung entsetzte sich van den Höcken
zum Tode. »Herr! Sie wollen doch nicht...« lallte er, vom Stuhle
auffahrend.

       *       *       *       *       *

Nothhaft, der Comptorist, hatte die Kirche umgangen, seine Zeit in einer
versteckten Spielstube zugebracht, und kehrte, nach manchem Verluste,
nach Hause zurück, um seine letzten Thaler zu sich zu stecken, und auf's
Neue sein Glück zu versuchen. Zweimal hatte er schon an der
verschlossenen Hausthüre geklingelt, niemand ihm aufgethan. Die
haushütende Magd hielt am Dachfenster des Hintergebäudes eine gewichtige
Unterredung mit der Dienerin im Nachbarhause. Der Knecht war auswärts zu
seinem Schätzchen geschlichen. Demnach brannte dem lockern Kaufdiener
die Ungeduld auf den Nägeln, und, als nehme er sich vor, Sturm zu
läuten, zog er kräftig und unausgesetzt an der volltönenden Schelle.
Sein Bemühen ermangelte nicht des gewünschten Erfolges. Schritte kamen,
das Schloß ging langsam und zögernd auf.

»Taubes, ungeschicktes Murmelthier!« grollte der Eintretende, erschrack
aber über die Maßen, als er nicht die Hausmagd, die er gemeint, sondern
den Prinzipal selbst vor sich sah, der das Amt eines Pförtners
verrichtet hatte. Seine Unbesonnenheit verwünschend, und den Jähzorn des
Senators aus Erfahrung fürchtend, bückte er sich verlegen, und stotterte
eine Entschuldigung her, die nicht schlechter hätte ausfallen können.

Wunderbarer Weise genügte sie gerade heute dem wenig duldsamen
Prinzipal. »Schon gut, mein lieber Nothhaft,« versetzte er mit leiser
Stimme: »Er meint es nicht böse. Darum,« -- hier schloß er die Thüre
wieder sorgfältig, -- »darum ist mir's auch lieb, daß _Er_ gerade
heimkömmt. Ist etwa die Kirche schon zu Ende?« fragte er hastig nach. --

Nothhaft war innerlich erschrocken ob der Todtenblässe, die auf des
Senators Antlitz lag, und nicht minder ob der raschen Unsicherheit in
seiner leisen Rede; er erwiderte daher kleinlaut: »Nein, hochgeehrter
Herr, ich konnte aber vor Uebelsein nicht in der Kirche ausdauern.
Deshalb ... so eben schlug es zehn Uhr.« -- »Zehn Uhr erst?« fragte der
Senator wieder mit schleppendem Tone: »wie die Zeit schleicht! ich
dachte, es müsse Mittag vorüber sein. Komm' Er mit in's Comptoir.«

»Soll ich nicht die Fensterladen öffnen?« sagte Nothhaft, als sie in der
finstren Stube standen. -- »Nicht doch,« erwiderte Müssinger hastig,
»drinnen ist es schon heller. Nicht wahr, Nothhaft, Er hat nicht Furcht,
noch Grauen?«

»Ich habe Beides nie gekannt,« betheuerte Nothhaft, sehr aufmerksam
werdend.

»Desto besser!« setzte der Senator bei: »so wird Er doch Rath wissen.
Mich hat es stark angegriffen.« -- »Was denn Herr Senator?« -- »Rede Er
nicht laut. Es hat sich vor einer halben Stunde, -- es kann vielleicht
auch eine Stunde sein, -- ein Unglück im Hause begeben.«

»Ein Unglück? hier im Hause?«

»Ja doch; nur leise gesprochen. Dort im Kabinett...« Der Senator
drückte, das Gesicht wegwendend, die Thüre auf.

»Im Kabinett?« fragte Nothhaft, dem es kalt über den Körper fuhr, ohne
sich zu regen. »Was ist dort?«

»Der Holländer ...« stammelte Müssinger, -- »es war plötzlich aus mit
ihm.«

»Mit dem Holländer?«

»Er ist in meinen Armen ... gestorben, glaube ich. Geh Er hinein, und
sehe Er nach, ob Er's auch so findet, oder ob vielleicht...«

Nothhaft war schon im Kabinette. Van den Höcken lag leblos an der Erde,
mit entstelltem Gesichte, und in Unordnung gebrachter Kleidung. Kein
Athem war an ihm zu erhorchen, kein Pulsschlag zu finden. Der Diener
fühlte des Körpers Eiseskälte, und hielt sich nicht lange bei demselben
auf. Einen Falkenblick warf er durch das Gemach, und kam eilends wieder
zu dem Herrn zurück. Dieser saß, die Hände zwischen den Knieen
gefaltet, und das Haupt gesenkt, im Winkel der dunklen Schreibstube.
»Nun?« war sein einziges Fragewort.

Nothhaft zuckte die Achseln. »Hin ist hin;« sagte er, »er hört den
Kuckuck nicht mehr schreien. Wie kam denn Alles so plötzlich, Herr
Senator?«

Müssinger zog einen tiefen Seufzer aus der Brust. »Wir rechneten
zusammen;« -- flüsterte er scheu: »wir hatten eben Alles geschlossen,
da überkam es ihn plötzlich, -- er sank -- auf meinen Knieen wurde es
mit ihm alle.« --

»So?« entgegnete Nothhaft mit seltsam gezogenem Tone: »Ein Glück nur,
daß es _nach_ dem Rechnungsabschluß traf.« -- »Was meint Er?« fuhr der
Senator schnell, wie aus einem Traume, in die Höhe: »was ist jetzt bei
der Sache zu thun?« -- »Der Herr Prinzipal scherzen wohl mit mir;«
versetzte der Diener: »die Gerichte müssen gerufen, des Verblichenen
Effekten versiegelt werden: das ist ja klar.« -- »Die Gerichte?« fragte
Müssinger, wie von Schauder überlaufen, und sehr zerstreut: »ach ja, ...
wahr ist's; das ist zu thun, ... und Siegel, meint Er, müssen auch?...«

»Herr Senator,« entgegnete Nothhaft spitzig: »Sie sind ja selbst beim
Rathe; müssen das besser verstehen, als ich einfältiger Schreiber.« --
»Er hat Recht, mein Sohn, sehr Recht;« sprach der Kaufherr alsdann,
wie sich besinnend: »Und wann wäre es wohl nöthig, ... glaubt Er?« ...
-- »So schnell als möglich:« fiel Nothhaft ein: »Verzögerung könnte
zu Unannehmlichkeiten Anlaß geben.« -- »Leider! leider!« stimmte der
Senator ein: »Darum laufe Er, guter Nothhaft, und sei Er diskret gegen
Jedermann, damit es sich so glatt und stille abmachen lasse, als nur
möglich.«

»Sehr wohl, Herr Senator;« antwortete Nothhaft, bereitwillig nach dem
Hute greifend: »wollten Sie indessen einen Rath nicht verschmähen?
Schaffen Sie die Pistole weg, die drinnen auf dem Boden liegt.«

Der Senator fuhr zusammen. »Eine Pistole?« stotterte er: »es muß ein
Zufall dieselbe ... laßt doch sehen!«

Sich an den Diener haltend ging er nach dem Cabinete, wendete aber
alsobald der Stelle, wo der Holländer lag, den Rücken, und stierte
auf die Waffe nieder, die Nothhaft dienstwillig und eifrig aufhob. --
»Wir wollen sie zu der andern legen,« sagte derselbe leise und hastig;
»sie könnte übeln Effekt machen, und wenn Sie's erlauben, bringe ich
auch die Halsbinde des armen Schelmen hier wieder in Ordnung. Es läßt
gerade, als ob sich drei Finger hinein verwickelt hätten, um sie
zusammenzuschnüren.«

Ohne Regung kehrte der Senator dem Diener, der ohne Scheu an van den
Höcken die besagte Aenderung vornahm, den Rücken fortwährend zu.

»Ich wollte ihm die Binde öffnen,« sagte er halblaut: »aber es ist
möglich, daß ich in der Alteration sie fester zuzog...«

»Ja, ja,« stimmte Nothhaft, sein Geschäft vollendend ein: »es geschieht
wohl öfters, daß die Hand ungeschickter ist, als der Kopf. So. Das wäre
gut, und ich will laufen, was ich kann. Haben Sie noch etwas hier
mitzunehmen, Herr Prinzipal, so nehmen Sie es jetzt. Es wird schicklich
sein, daß die Herren von Gericht das Cabinet verschlossen finden.«

Der Senator wurde wieder regsam, und begann, ohne eine Sylbe zu
sprechen, aber mit einer beunruhigenden Hast, auf seinem Schreibtische
Papiere und Bücher untereinander zu werfen, ohne in der beklagenswerthen
Zerstreuung, die ihn fesselte, dasjenige zu finden, was er zu suchen
schien. Nothhaft trat hinter ihn, und sein Auge fiel auf ein Packet von
Wechselbriefen, nach welchen des Senators linke Hand immer tappte,
während seine Rechte sie immer wieder verschob. Der Diener ergriff sie.
»Sie suchen wohl diese Papiere mit Ihrer Unterschrift?« fragte er
dringend. »Da! da! Herr -- sechs -- sieben -- neun Tratten auf sie
selbst, von van den Höcken in Cours gesetzt und endossirt.« --
»Endossirt?« fragte der Senator, heftig nach den Briefen haschend.
»Endossirt auf die Ordre des Georg Birsher zu New-York!« fuhr Nothhaft
fort, indem er sie überlieferte: »und -- wahrhaftig quittiert von
demselben.«

»Birsher?« fragte der Senator, betäubt auf die Blätter schauend.
Nothhaft lächelte betäubend: »Stecken Sie ein, Herr Prinzipal. Daß Sie
bezahlt haben, beweisen ja schon die Wechsel in Ihrer Hand,.... das
="Quitta"= hätte wegbleiben können. Die Dinte ist gar zu frisch. Lägen
vielleicht noch andere Dokumente in der Brieftasche, die ich bei dem
Holländer wahrnahm?«

»Was geht mich van den Höcken's Portefeuille an?« fuhr Müssinger
stutzig werdend auf. Nothhaft machte einen entschuldigenden
Katzenbuckel, und trieb zum Fortgehen an. Wie ein Kind folgte der
Senator seinen Worten, schloß das Kabinet, ohne sich _einmal_
umzusehen, und ging, an Nothhaft's Arme, zu seiner Stube, wo er sich,
an allen Gliedern zitternd, zu Bette legte. Wie ein guter Geist
erschien ihm die aus der Kirche zurückkehrende Justine, die, von des
Vaters Unpäßlichkeit hörend, mitleidig zu ihm eilte. Der Vater konnte
und wollte nicht reden, sondern versuchte nur in einzelnen Lauten
sein Kind zu beruhigen. Justine erschöpfte sich in Muthmaßungen über
des Rathsherrn Zustand, bis die Schelle des Hauses wieder sehr stark
geläutet, und vieles Geräusch hörbar wurde. Die Thüre des Zimmers
sprang auf, und Frau Müssinger, weiß wie die Wand, und schwerfällig,
wie noch nie, schwankte in's Zimmer. -- »Was ist das?« kreischte sie,
ohne des Kranken zu achten: »Das Haus wimmelt von Gerichtspersonen
und Schergen! Ach, das Unglück! Der Holländer soll sich erhängt
haben, höre ich! Ach, welch eine Schande! Gieb die Schlüssel her, du
gottvergessener Mann, der mir durch seine sauberen Freunde so viel
Schrecken verursacht!«

»Justine wird öffnen,« versetzte der Senator unter Fieberschauern, indem
er dem Mädchen die Schlüssel reichte: »Stecke diese Wechsel zu dir,«
flüsterte er demselben zu; »bewahre sie sorgfältig!« -- Justine schob,
nicht minder blaß vor Schrecken, die Papiere ein, und entfernte sich
eilends. Die Mutter dagegen blieb zurück, um den Mann ferner zu
quälen. -- »Welch ein abscheulicher Spektakel!« ächzte sie, in den
Lehnstuhl am Bette sinkend: »In diesem Hause halte ich's nicht mehr aus.
Der Holländer wird umgehen, in seinem weißen Mantel, ein schreckhaftes
Gespenst! O Herr, gehe nicht mit uns in's Gericht! Was ich erleben muß!
Pfui, abscheulich! Die Steuercommissärin hatte Recht, obgleich schon
_Sie_ mich in der Kirche zum Entsetzen gebracht hat. _Sie_ hat gestern
gesehen, was wir alle nicht sahen. Wir saßen Abends zu Dreizehn am
Tische, und Einer von den Dreizehn muß binnen Jahresfrist sterben! Wie
mich das schon alterirte! Man sieht aber: Wahr ist's! der Holländer hat
bereits die Welt gesegnet.«

»Und ich werde es noch heute,« seufzte der Senator, »wenn du nicht
nachlässest mit deinem abscheulichen Gekreische, Jacobine!«

»Und dennoch wirst du mich dulden müssen, bis Justine kömmt,« antwortete
sie phlegmatisch: »Ich gehe ohne Begleitung nicht über den Gang.«

Nothhaft trat ein, und ging rasch auf den Senator zu. »Alles besorgt,
Herr Prinzipal,« rief er wichtig und vertraulich: »Die Herren sind schon
unten, lassen ihre Condolenz vermelden, und soeben den Verstorbenen über
die Treppe nach seinem Zimmer bringen.«

»Gott stehe uns bei!« jammerte die Senatorin mit der ausgelassenen
Betrübniß stumpffühlender Leute, während Müssinger sein Gesicht in dem
Kissen verbarg: »Warum ließest du den Landläufer nicht im römischen
Kaiser, da es ihm ohnehin nicht beliebte, in seiner Heimath zu sterben?
Wie würde sich jetzt die hoffärtige Wirthsfrau gebärden, die sich trägt
wie unsereins, hochmüthig thut, wie der Großmogul, und sich erst heute
in einem ganz neuen Stoffkleide brüstete, daß es der ganzen Kirche zum
Aergerniß gereichte! Statt dessen haben _wir_ nun die Schande! Geh' Er,
Nothhaft, sorge Er wenigstens dafür, daß der Mensch nicht von den
Amtsknechten heraufgetragen werde. Ich bin des Todes, wenn der Scherge
in das Stockwerk kommt, das ich bewohne.«

»Sorgen Sie nicht, wertheste Frau Prinzipalin,« versetzte Nothhaft: »Der
Herr sind ja verblichen, wie schon viele tausend Christenmenschen, und
die Ehre schneidet der Tod nicht ab. Die Herren werden ein Inventarium
dressiren, und die Habseligkeiten des van den Höcken unter Siegel
verwahren, bis die Erben auszumitteln. Auch habe ich für nöthig
erachtet, Herr Senator, einen Postboten nach Steinstadt abzuordnen,
damit der Buchhalter hereinkomme, sintemalen Dero Leibesumstände
denselben nicht erlauben werden, an der Spitze der Geschäfte zu
bleiben.«

»Warum nicht?« fragte der Senator mühsam, aber aufbrausend: »Der
Unglücksfall hat mich sehr angegriffen, aber bis zur Krankheit ist noch
ein weiter Sprung. Ein Magnesia-Pülverchen bringt wieder alles in's
Geleis.«

»Mit Gottes Hülfe!« sagte Justine, die so eben, nicht wenig erschüttert,
hereinkam, und dem Senator die Comptoirschlüssel übergab. Sie holte das
Medikament aus der kleinen Hausapotheke, reichte es dem Vater, und fuhr
fort: »Ich will gleich nach dem Doctor Widerlein schicken, -- was bis
jetzt vergessen wurde, -- damit Sie wieder von dem Schrecken zu recht
kommen.«

»Ich bin nicht krank,« behauptete der Senator, sich ärgerlich
aufrichtend: »kein solch Geschwätze! Ich werde allen meinen Arbeiten
vorstehen, wie bisher! --«

»Der Briefträger brachte so eben diese beiden Schreiben,« unterbrach ihn
der süßliche Berndt, der mit den Briefen in der Hand hereinschlich.

»Geb' Er her,« befahl der Senator, und winkte alsdann den Dienern sich
zu entfernen. Sie gehorchten; gähnend und schmollend schloß sich Frau
Jacobine, die Langeweile des Krankendienstes fürchtend, an die
Subalternen an, um ohne Gefahr nach ihrem Zimmer zu gelangen. Der
Senator gab aber der Tochter die Briefe, und sagte leise zu ihr: »Nimm,
mein Kind; mir schwimmt und flirrt es vor den Augen. Es frommt jedoch
viel, sich vor dem Comptoirgesindel rüstiger zu stellen, als man ist.
Dir verberge ich mich nicht. Lies du mir daher vor, und unterstütze
meine Schwäche.«

Bereitwillig erbrach Justine das erste Schreiben. »Von Amsterdam!«
sagte sie, und der Senator zuckte hoch auf. »Hochedelgeborner Herr!«
fuhr sie lesend fort: »Ew. Edeln will ich nicht ermangeln, nach
abgethaner fataler Differenz mit denen Verschreibungen Ew. Edeln in
Wechselform, anzuzeigen, daß wieder bereit bin, auf Garantie des
werthen Freundes, der sich jetzo bei Denselben befindet, in Allewege
Credit obwalten zu lassen. -- Wir Kaufleute stehen ja in Gotteshand,
und können wanken. Wohl _dem_ jedoch, der einen Bürgen und Stützen
findet, wie den aller Orten geachteten Herrn Birsher von New-York.«

»Was soll das?« fuhr der Senator auf, da Justine verwundert inne hielt:
»Der Teufel verstehe, was der Schreiber will. Sieh nach der
Unterschrift.«

Justine that es, stutzte, wischte sich die Augen, und sagte endlich
leise: »Ich weiß nicht.... aber doch stehts da; -- van den Höcken heißt
die Unterschrift.«

»Van den Höcken!« schrie der Senator: »Sind wir beide toll?«

»Das Datum ist vier Tage alt,« versetzte Justine mit schwankender
zweifelhafter Stimme.

»O mein Kopf, mein Kopf!« jammerte Müssinger, die Stirne mit beiden
Händen haltend: »ich werde närrisch, rasend! Laß den Brief sehen! Gott
sei mir gnädig! es ist Höckens Schrift...! O du mein lieber starker
Gott und Herr!« -- Er weinte fast in der fürchterlichen Wallung seines
heftigen Gemüths. -- »Dieser Brief!« stöhnte er, -- »und jene Wechsel,
das Endossement, das Acquit, -- ich erinnere mich erst jetzt, -- von
Birsher's Hand...! o mein armes Gehirn!« --

»Mein Vater! was haben Sie, was ist?« fragte Justine schluchzend in der
höchsten Angst. Der Senator riß ihr statt der Antwort den andern Brief
aus der Hand. »Gib!« stammelte er außer sich: »Gib! vielleicht macht
mich dies Papier vollends wahnsinnig!« Er riß es, trotz Justinens
Widerstreben, auf, überflog es mit dem starrenden Blick,.... ein
krampfhaftes schreckliches Lachen erschütterte seine Brust, und mit den
trostlosen Worten: »Auch das noch! Einen Tag früher, und -- ich elender,
elender Mensch!« sank er ohnmächtig aufs Lager zurück.

Schaudernd raffte Justine das fallende Blatt auf. In wenig Zeilen meldet
darinnen ein Hamburger Correspondent ein großes Glück. Die Hamburger
Lotterie war gezogen worden, und das große Loos auf den Senator
gefallen.


Zweiter Abschnitt.

  Verdacht. -- Der Pastor der Johanniskirche. -- Sein Nachfolger
  bei dem Senator. -- Der Doctor in seinem Hause. -- Die
  Kupferstecher-Familie. -- Justinens geheimer Ausgang. -- Die Messe.
  -- Die Wittwe des bei Denain gebliebenen Offiziers. -- Die Beichte.
  -- Des Doctors Tagewerk. -- Geschichte eines Schauspielers. -- Der
  unerwartete Fremde. --

Es bestätigte sich durch den von Amsterdam eingelaufenen Brief, der den
Commissarien des Gerichts schuldigerweise vorgelegt wurde, daß der in
des Senators Hause verschiedene Fremde nicht van den Höcken gewesen; aus
dem Inventarium dagegen, welches über den an Creditbriefen,
Empfehlungsschreiben, kostbarem Leibgeräthe und beträchtlichen Pretiosen
reich ausgestatteten Nachlaß des Verstorbenen aufgerichtet wurde, schien
nicht undeutlich hervorzugehen, daß Herrn Birsher den Aeltern von
New-York selbst das Unglück betroffen. Vor Allem rechtfertigte diese
Muthmaßung ein reicher Frauenschmuck, der sich vorfand, in ein artiges
Etui gepackt, auf welchem mit Goldschrift die Worte standen: »Meiner
vielgeliebten künftigen Schwiegertochter und Freundin, Justine
Müssinger, zum Hochzeitsgeschenke.« --

Der Anblick dieses Schmucks, den ein galanter Commissarius der
Verlobten vorwies, regte in derselben erst deutlich die Beziehung
an, in welche sie zu dem Dahingegangenen hatte treten sollen. Seine
letzten Worte vergegenwärtigten sich ihr wieder aufs Neue, und ihr
Gemüth ergriff eine stille Wehmuth, wie sie noch nie empfunden. Sie
wäre selbst krank geworden, wenn die Umstände eine längere Pflege an
des Vaters Bette erheischt hätten. Der Senator genas indessen wie
durch ein Wunder, plötzlich am Tage der Bestattung seines Gastes.
Durch die tobenden Vorzeichen einer furchtbaren Nervenkrankheit hatte
sich seine starke Natur gearbeitet, aber der fliehende Feind rächte
sich demungeachtet. Die Paar Tage streiften die Schärfe und klare
Bestimmtheit seines cholerischen Temperaments von ihm. Haltung und
Gang, Gesichtsfarbe und Rede, -- Alles war anders geworden; aus dem
heftigen, gerade durchgehenden Manne ein scheuer schwermüthiger Mensch,
der seiner Arbeiten nicht mehr froh wurde, nicht mehr polterte und
lärmte, aber dafür gern innerhalb seiner vier Wände für sich allein
brütete und glossirte.

Dieses Benehmen, das schon am Begräbnißtage deutlich hervortrat,
ermangelte nicht die gebührende Aufmerksamkeit zu erregen. Die
plötzliche Schreckensbegebenheit hatte Aufsehen gemacht; die
vorangehenden Ereignisse, wie der Ort, die Stunde und alle
Einzelnheiten des Sterbefalls, waren geschickt, zu allerlei
Verarbeitung zu dienen. Ein entehrendes Gerücht hatte sich plötzlich
auf tausend Zungen verbreitet, und selbst im Senate seinen Sitz gefaßt.
Die Mehrzahl des Rathes jedoch, -- eifersüchtig auf dessen Vorrechte,
und die Bewahrung eines unbefleckten Rufs der Glieder desselben, --
bemühte sich, jede Ahnung, jede Vermuthung niederzuschlagen, die der
bürgerlichen Existenz des Collegen Müssinger hätte schädlich werden
können; und jede Angabe, und jede noch so leise Hindeutung auf obige
Begebenheit wurde mit Gewalt unterdrückt, während der Gegenstand
dieser Anklagen durch sein auffallend verändertes Betragen, dem
bloßen Verdacht einen Dolch nach dem Andern in die Hände gab. Die
wenigen Besucher mieden das Haus des Senators; er erschien am nächsten
Sonntage mit seiner Familie in der Kirche: nach seinem Betstübchen
starrte die gaffende Menge, aber aus seiner Nähe entfernten sich alle
diejenigen, die sonst während des Gottesdienstes gute Nachbarschaft
mit ihm gehalten hatten. Frau Jacobine merkte es nicht, Dank ihrer
Stumpfsinnigkeit; Justine nicht, denn ihre Unbefangenheit hatte keine
Ahnung von dem gräßlichen Verdacht; aber dem Senator, der dieses
wohl verstand, zehrte es, wie ein Wurm am Herzen. Er wurde immer
verschlossener. Zwischen ihm und der Mutter fielen die Worte immer
seltener; Justine litt unter den Folgen dieser übeln Verstimmung,
und ihr einziger Trost wurde jetzt, da sie -- ihr unbegreiflich --
keine ihrer Freundinnen mehr bei sich sah, oder zu Hause fand, die
englische Lehrstunde, zu der sich James wieder, nach den drei Tagen,
eingefunden hatte. Mit keiner Sylbe der vorangegangenen Mißhelligkeit
gedenkend, suchte Justine durch ein sittlich mildes Betragen ihre
Uebereilung gut zu machen, und James war nicht unversöhnlich. Es
stellte sich ein gewisses Vertrauen zwischen den beiden jungen Leuten
her. Justine benutzte den ersten Augenblick, in welchem sie ungestört
waren, es zu befestigen. Ernst und nachdenkend saß sie dem vortragenden
Lehrer gegenüber, und sagte, indem sie ihn bat, das Buch wegzulegen:
»Wir wollen plaudern, mein Herr, und uns gegenseitig wundern, wie
wir so plötzlich für einander passend geworden sind. Ich habe Eurer
Prophetenkunst schreiendes Unrecht angethan, und muß dieselbe leider
jetzo anerkennen. Der Abend jenes Samstags war der letzte glückliche
in unserm Hause. Heiterkeit und geräuschvolles Leben sind daraus
entschwunden, und es kommt mir beinahe vor, als wenn man von außen her
unser Unglück uns recht fühlbar zu machen suchte.«

»Dem Unglücklichen ist Mißgunst näher, als der Trost;« meinte James.
»Ich selbst habe, als Flüchtling, diese Erfahrung oft genug gemacht.
Indessen haben auch die Blumen der Freude ihre Zeit der Wiederkehr. Der
Sturm zernichtet nicht immer; er entwickelt auch Blüthen.«

»In unserm Hause?« fragte Justine ungläubig: »O nein, mein guter Herr.
Die Mutter, -- Ihr kennt sie. Der Vater ist heute noch einmal so finster
und verdrossen geworden. Uns wurde durch einen Amsterdamer Brief die
Gewißheit, daß Herr Birsher in unserm Hause verblichen.«

»Was ihn nur bewogen haben mag, die fremde Maske vorzunehmen?« --

»Er wollte uns kennen lernen, selber unerkannt. Ein Scherz, der, sich
unbewußt, den Trauermantel auf den Schultern trug.« --

»Der Mensch sei auf sein Ende gefaßt, jederzeit,« entgegnete James!
»Genug indessen von dem traurigen Gegenstande. Fröhlichkeit steht Ihnen
besser, als Betrübniß; und die Braut hat ja den Bräutigam nicht
verloren!«

»Ich verbitte mir die Anspielung,« sagte Justine lebhaft: »Herrn
Birsher's Sinn wird sich wohl anders wenden. Mir vergingen auch alle
Heirathsgedanken, stünde ich am Sarge meines Vaters. -- Mein guter
Vater!« setzte sie seufzend hinzu, in die stille Wehmuth versinkend,
die, in ihrem Schmerze selbst, uns wohl thut.

»Erheitern Sie sich!« erwähnte James, sich zu ihr beugend. »Hören Sie
mich. Der Schmerz bedarf nur eines Ableiters, um gemäßigt und ruhig
hinzufließen, wie ein geräuschloser Strom in seinem Bette. Was wäre wohl
zu diesem Zwecke geeigneter, als eine gute That? Im Ungemach ist ja
ohnehin das Herz weicher, geneigt zum Mitgefühl, weil der Kummer ihm
nicht mehr ein fremder ist. Ich nehme mir daher den Muth, Ihrem Tiefsinn
eine andere Richtung gebend, im Namen einer sehr bedrängten Frau Ihr
Mitleid, Ihre Freigebigkeit aufzufordern. Fürchten Sie keinen Mißbrauch
Ihrer Güte, hoffen Sie aber auf den Segen von Oben.«

»Nicht so viel Worte, Monsieur,« sprach das Mädchen, bereitwillig, der
neuen Wendung des Gesprächs zu folgen: »Man überredet mich selten, wenn
nicht schon mein Kopf und mein Gefühl gewonnen sind. Ich helfe gern, bin
auch nicht hart, wie oft die Leute sagen; ich bin auch nicht so
leichtsinnig, fremde Noth nicht zu bemerken und zu bedauern. Redet, wer
ist die Frau?«

»Eines französischen Offiziers Wittwe. Ihr Mann blieb in dem Treffen bei
Denain. Villars empfahl die unglückliche Frau der königlichen Gnade,
aber Ludwig vergaß der Armen. Der Regent mißhandelte sie sogar, als sie
es wagte, nach des Königs Tode bittend und flehend ihr Recht geltend zu
machen. Aus der Hauptstadt verwiesen, fristete sie in ihrer Heimath
durch Handarbeit kümmerlich ihr Leben. Endlich schien ihr das Glück
wieder zu leuchten. Eine sächsische Herrschaft, rückkehrend aus den
Bädern zu Aix schlug ihr vor, sie als Gouvernante der Kinder nach
Dresden zu nehmen. Von allen Hülfsmitteln entblößt schlug Madame de
Laynez willig ein, schied vom Vaterlande, um in Sachsen eine neue
Lebensbahn zu betreten, kam aber nur bis in diese Mauern. Von einer
heftigen Krankheit befallen, mußte sie hier zurückbleiben. Ihre Gebieter
hinterließen ihr eine dürftige Geldsumme, und sagten sich von ihr los.
Mehrere Monden hindurch schwebte die Verlassene zwischen Tod und Leben.
Das Mitleid gefühlvoller Menschen rettete sie endlich vom Grabe, aber
ihre völlige Genesung geht langsam von Statten. Mangel drückt sie, und
es bleibt ihr nichts übrig, als auf's Neue sich an die Theilnahme wahrer
Christen zu wenden.«

James hatte kaum geendet, und schon lag Justinens ansehnlich gefüllte
Börse in seiner Hand. -- »Kein Wort!« gebot sie, da er sprechen wollte:
»nichts davon. Gebt, helft, rettet! Es soll nicht dabei bleiben, wenn es
mir gelingt, den Vater in günstiger Stunde für die Bedrängte zu
gewinnen.« --

Eilig ging sie davon, damit James nicht die Bewegung sehen sollte, die
sich auf ihrem holden Antlitz kund gab. Aber der junge Mann hatte
scharfe Augen. Es war ihm nicht entgangen, daß die ganze Fülle der
herrlichen Seele aus Justinens Zügen gesprochen, und, selig überrascht
von einem Anblick, wie er ihn noch nie gehabt, sah er der Fliehenden
sehnsüchtig nach.

»Welch ein Mädchen!« seufzte er: »und ich -- täglich fühle ich mein
Unglück mehr, und darf nicht wanken und nicht weichen von der Stelle,
die mir so gefährlich wird.«

Justinens Gabe im Busen verbergend, schied er, um heim zu kehren. Unten
im Hause war viel Geräusch. Geldsäcke wurden gewogen, Thaler klangen;
die Diener gingen geschäftig hin und her; Nothhaft stieß im Vorbeigehen
mit dem Ellenbogen an James Arm, und machte ein sehr herrisches Gesicht,
als der Engländer sich befremdet nach ihm umsah. -- »_Der_ muß mir auch
aus dem Hause, und wenn's mich tausend Gulden kosten sollte!« murmelte
der Diener, dem Engländer nachsehend, zwischen den Zähnen. Berndt, der
eben in's Haus getreten war, hörte die Rede. »Warum so giftig, lieber
Bruder?« fragte er lächelnd: »giftig und freigebig obendrein? Du wirfst
mit Tausenden um dich? Glück zu!« -- »Ist's ein Wunder?« sagte Nothhaft
hierauf: »Baar Geld macht Muth. Wir schwimmen ja in Geld, siehst du. Laß
uns daher auch in Gottes Namen davon reden, und lüderliche
Schmeißfliegen damit todt schlagen.«

»Ich verstehe dich nicht, Herr Bruder,« versetzte Berndt achselzuckend,
»aber ich sehe, daß deine Prophezeihung nicht falscher hätte sein
können. Statt des Bankerotts strömt der Segen Gottes in das Haus.«

»Erbschaft! unverdientes Glück!« versicherte Nothhaft leise: »Wer
weiß, ob ich so Unrecht hatte;.... doch -- Stille! --« Er schlug sich
bedeutend auf den Mund. »Wer weiß auch« -- fügte er hinzu, wichtig und
geheim -- »wem's die Firma verdankt, daß sie noch mit Ehren steht?«

»Wichtigkeitskrämer!« lächelte Berndt ungläubig: »Du spreizest dich so
absonderlich, daß -- wer nicht wüßte, welch' ein Windbeutel du bist, --
glauben sollte, du errathest auf's Haar, was unser Herr denkt und
beschließt. Glück auf, zu dem Vertrauen, Herr Geheimhorcher! empfehle
mich zu Gnaden!«

»Ei, des breitmäuligen Augenverdrehers!« schalt Nothhaft verächtlich:
»wir wollen sehen, _wer_ am Ende hier im Sattel bleibt. Du bist ein
Esel, sonst hättest du schon gemerkt, daß meine Aktien um 200 Prozent
besser stehen, als ehedem.«

»Gott sei mir vor dem Prahler gnädig,« sagte Berndt, den Kopf
schüttelnd: »der Prinzipal redet mit dir so wenig, als mit mir, und die
Jungfer macht dir immer ein verdrüßlich Gesicht.«

»Soll bald ein freundlicheres machen,« versicherte Nothhaft hochmüthig.

»So?« fragte Berndt, dessen Neid allgemein rege wurde: »Du mein
Jesulein! darf man schon Glück wünschen, Herr Hochzeiter?«

»Narren sagen oft die Wahrheit;« erwiderte Nothhaft, noch patziger als
zuvor, und Berndt versetzte giftiger: »Gratulire also, Herr Associé und
Schwiegersohn. Wird bald heißen: Müssinger und Compagnie? Charmant. Nun
begreife ich erst, warum ich den Pastor Lammer zum Herrn habe bitten
müssen. Das Aufgebot wird gewiß bereits bestellt? Nun, viel Succeß und
geneigte Protektion, werthester Herr College! Vergessen Sie Dero
getreusten Diener nicht im Glücke!«

»O du miserabler, kothiger Adam!« spottete Nothhaft. Der Buchhalter
klopfte aber an's Comptoirfenster, und rief: »Soll ich euch Stühle
hinaussetzen zu bequemerer Conversation, ihr Lungerer? Herein, hier
giebt's zu thun, ihr, des lieben Herrgotts Müssiggänger!«

Berndt schwenzelte, der Amtspflicht getreu, schnell in die Schreibstube,
Nothhaft zögerte stätig. Indessen trat bereits der Pastor der
Johanniskirche im Amtsrock in das Haus. -- »Der Herr Senator oben?«
fragte er vornehm und schleppend. Nothhaft bejahte freundlichst, und
schlich mit einem bedeutenden: »Aha!« an sein Pult.

Der Senator empfing den Pastor an der Thüre seines Zimmers, und
bewillkommte ihn so freundlich, als ein im Gemüth Verletzter nur vermag.
Der Geistliche nahm dieses Entgegenkommen als eine ihm gebührende
Huldigung an, und antwortete darauf ohne sichtbare Herablassung.

»Ich bin wahrlich neugierig, Herr Senator,« sagte er, »zu erfahren, zu
welchem Endzweck ich hier bin. Unter allen den, meiner geistlichen
Pflege Empfohlenen, haben Sie mir noch am wenigsten zu schaffen gemacht.
Mein Amt legt mir indessen die Pflicht auf, einem Jeden Gehör zu
schenken; dem Sterbenden, dem Frommen und dem Sünder. Das Erste sind Sie
nicht; das Zweite?.. will ich nicht beschwören. Was befehlen Sie?«

»Sündig sind alle Menschen vor Gott und seiner Kirche;« entgegnete der
Senator melancholisch und achselzuckend: »Die Frömmigkeit ist dagegen
nur ein Gnadengeschenk. Ich habe Sie, würdiger Herr, für jetzt ersuchen
wollen, der Spender einer Gabe zu sein, die ich der Armuth bestimme.
Vertheilen Sie nach Ihrem Gutdünken diese Summen unter diejenigen
Bedürftigen, die Ihnen der Unterstützung am würdigsten scheinen.«

Der Pastor wog die ansehnliche Rolle in der Hand, und ein Schimmer von
Behagen flog über sein düstres Gesicht. Im nächsten Augenblicke war es
jedoch wieder Stein, wie zuvor. »In Gottes Namen,« sprach er, und ließ
das Geld in die weite Tasche seines Priesterrockes gleiten: »Der Armuth
sei dies Scherflein gesegnet. Ew. Hochedlen Freigebigkeit kömmt mir
unerwartet.«

»Der Himmel hat mich mit einer reichen Erbschaft bedacht,« antwortete
der Senator seufzend: »ich opfere einen kleinen Theil derselben auf den
Tisch der Dürftigen. Sie mögen für einen Unglücklichen beten.«

Der Prediger faßte den Handelsherrn scharf in's Auge. »Für einen
Sünder?« fragte er betonend, und da keine Antwort erfolgte, fuhr er
gemessen und drohend fort: »Der Unglückliche, von Gott gewichene,
betrüge sich nur nicht. Geld und Gut ist eine schöne Sache, insoferne
man damit Christum speist; aber eitel Schlacken vor dem großen Richter
der Welt, will man damit eine Missethat abkaufen. Die Buße ist
unfruchtbar, wenn nicht herzliche Reue die Brust des Verirrten erfüllt;
unfruchtbar, und wenn er Millionen in Klingelbeutel oder Armenbüchsen
wärfe.«

Der Senator sah den Pastor erstaunt und erbleichend an, bedachte sich
einen Augenblick, und erwiderte alsdann mit niedergeschlagenen Augen:
»Ich begreife Ew. Ehrwürden nicht. Man kann unglücklich sein, ohne
gesündigt zu haben. Der Sünder selbst jedoch kehrt sich freudig zur
Reue, wenn man ihm nur _glauben_ will; wenn er nur das Vertrauen haben
darf, daß ihm einst vergeben werde.«

»Einst? einst?« versetzte der Pastor mit überlegendem Blick gen Himmel:
»Ja, einst vielleicht; denn Gottes Barmherzigkeit ist ein tiefer
Brunnen. Das entscheidet sich indessen -- nach meiner Meinung -- erst am
letzten Tage des Zorns und der Strafe. Ich halte nämlich dafür, daß kein
Mensch auf Erden, selbst nicht ein ordinirter, sich anmaßen dürfe, die
Sünden eines Anderen hinwegzunehmen, -- sobald sie unter die Schweren
gehören. Nur der Herr prüft Herzen und Nieren. Das Gewand der wahren
Reue ist ein feines Kleid, aber es muß das Leben hindurch getragen, in's
Grab genommen, und dem Herrn am jüngsten Gerichte untadelhaft
vorgewiesen werden. Dann mag allerdings seine unendliche Milde
vergeben.«

»Sie entfalten eine traurige Zukunft vor meinen Augen,« erwiderte der
Senator schwerbekümmert, und ließ sich erschöpft auf einen Stuhl nieder:
»Ihre Kollegen --«

»Sprechen vielleicht anders,« fiel der Geistliche ein: »ich betheure
aber, daß sie im Irrthume tappen, und bin bereit, meine Meinung vor
jeder Synode durchzufechten. Meine Mitarbeiter im Weinberge sind zum
Theil junge Leute, denen der philosophische Kram unserer Zeit den Kopf
verwirrt hat. Der alte Lammer geht jedoch nicht ab von seinen
Grundsätzen, die er seit fünfzig Jahren gelehrt hat. Er läßt kein
Schäflein seiner Heerde davon abgehen, so lange er noch ein rüstiger
Hirt ist. Er ist Keiner von den Sanften und Süßen, die nur schmeicheln,
wo sie packen, -- nur einlullen, wo sie donnern sollten. Trost dem
Unglücklichen, denn er ist zu seinem Heil! Krieg dem Sünder, denn er ist
wieder zu seinem Heil. Unablässig, bis an seinen Tod, schneide ich ihm
das wilde Fleisch aus der Wunde, daß sie frisch blutend vor Gottes Thron
komme, und ich dann sagen darf: Sieh, Herr, dein unwürdiger Knecht hat
dir nicht in's Amt gegriffen. Er hat nicht gepfuscht, da, wo _Du_ nur
heilen kannst; aber er bringt dir den Kranken, dürstend nach der
Genesung, wie in der Stunde, da ihm zuerst sein Uebel unerträglich
wurde!«

Eine heftige Unruhe bemeisterte sich Müssingers, und sein von Schwermuth
in Fesseln geschlagener Jähzorn rüttelte gewaltsam an seinen Banden.
»Ich weiß nicht,« sagte der Senator, mit Mühe an sich haltend: »wie Sie
dazu kommen, Herr Pastor, mir Ihr System so schonungslos darzulegen. Ich
kann diejenigen blos bedauern, die, in einem Fehltritt befangen, von
Ihnen Trost und Erlassung begehren, und wünsche Ew. Ehrwürden recht wohl
und lange zu leben!« --

Der Pastor bückte sich, und versetzte spitzig: »Alles, wie Gott will,
Ew. Hochedeln. Der alte Lammer stirbt gern, wenn seine Uhr abgelaufen
ist. Der Herr schenke Allen einen sanften Tod. Meine Worte bereue ich
jedoch nicht, denn ich glaubte sie _hier_ vonnöthen. Uebrigens hat
unsere Unterredung sicherlich ein anderes Ende erreicht, als wir beide
hofften, Herr Senator, nicht wahr? _Ich_ bin nicht böse deshalb, und
wünsche kein Vertrauen, das ich nicht mit der sündlichen Willfährigkeit
vergelten könnte, die man von mir erwartet. Die offne Beichte in der
Kirche steht Ihnen frei. Werde mit seinem Gewissen fertig, wer da kann.
=Sapienti sat=, Herr Senator, und: Gott bess're Sie!«

»Was ist das? Was sagen Sie da?« fuhr der Senator auf. Lammer zog aber
bereits die Thüre hinter sich zu. Müssinger schritt im Zimmer auf und
nieder, und rang die Hände. Steht mir denn das Zeichen auf die Stirne
gebrannt? fragte er sich mit erstickter Stimme: Die blöden Augen
dieses Wolfs im Hirtenkleide selbst scheinen errathen zu haben, ... o
gewiß!... und der Mensch kann so unbarmherzig sein!... und der Mann
ist _Protestant_? O der herzlosen, steifen Eiferer! was sie berühren,
wird Eis oder Thräne. Hätte ich, wie ein altes Weib, auch in der
_Woche_ die Kirche besucht, keine Nachmittagspredigt, keine Bet- und
Vorbereitungsstunde versäumt, dem Klingelbeutel reichlicher gegeben,
und den Schwarzröcken Ueberfluß in Küche und Kasten geliefert, --
der harte Mensch würde nun nicht so widrig mit mir gesprochen haben,
da ihm sonst _Worte_ weit wohlfeiler sind, als der Heller, den der
Geizige, selten genug, einem Bettler spendet! Warum habe ich auch nur
einen Schritt versucht, mich der Kirche wieder zu nähern, die Alles
gethan zu haben glaubt, ist die trockene Predigt und das Geplärre des
Lieds vorüber! -- Warum? setzte er fragend und gemäßigter bei: Warum?
Ach! drückt nicht hier auf meiner Brust eine Last, unter welcher
ich erliege? Ist es nicht verzeihlich, daß ich in der Angst meiner
Seele Linderung suche und Trost? Aber nun fehlt mir der Muth, und ich
fürchte...

Ein bescheidenes Klopfen unterbrach seine Betrachtungen. Fast
erschreckt eilte er an die Thüre, öffnete, und sah, sehr überrascht,
den Doctor Leupold draußen stehen. Er konnte sich nicht Rechenschaft
geben, warum der Anblick des Mannes ihn freundlicher ansprach, als er
wohl zuweilen gehofft hatte, wenn er sich die Möglichkeit gedacht,
ihm wieder zu begegnen. Er bewillkommte ihn mit einiger Auszeichnung,
und führte ihn bei sich ein. Der Doctor entschuldigte sich tausendmal
um der Störung willen, die er vielleicht verursache, und ließ im
freundlichsten Tone das Wort fallen, daß sein Besuch wohl eben so gut
hätte unterbleiben können.

»Mein Herr Doctor,« sagte der Senator hierauf verbindlich: »die Besuche
werther Freunde, denen wir Dank schuldig sind, sollten _nie_
unterbleiben. Sie lehren mich ohnehin, was ich schon längst hätte thun
sollen. Sie verzeihen jedoch; eine Fluth von Begebenheiten raubte mir
die Muße, Ihre Wohnung aufzusuchen.«

»Unnöthig,« versicherte der Doctor: »ich dachte nicht daran, Sie an
einen sehr erläßlichen Besuch mahnen zu wollen. Mein Gang in Ihr Haus
hatte einen anderen Zweck; ... allein -- und ich darf sagen -- mit
Vergnügen sehe ich, daß er wohl vereitelt ist.«

»Ein Zweck?... vereitelt?...« fragte Müssinger. »Wie so? erklären Sie
sich.«

»Sie setzen mich durch Ihre Frage in Verlegenheit,« sagte Leupold
hierauf zögernd: »indessen darf der Mensch, wenn er sich seines Wollens
nicht zu schämen hat, wohl reden, ohne den Vorwurf der Ruhmredigkeit
auf sich zu laden. Ich habe hier einige Wechsel auf St. Sebastian
und Brasilien. Das Haus Minhaô ist solid, die Summen sind nicht
unbedeutend, bald fällig. Ich hatte den Auftrag, Ihnen dieselben auf
eine gewisse Zeit zum Genuß gegen äußerst billige Preise anzubieten.
Allein, -- wie ich beim Eintritt in Ihr Haus bemerkte, so hat der
Ueberfluß Ihnen auf's Neue die Hand gereicht, und durch ihn wird meine
wohlgemeinte Hülfe überflüssig.«

Der Senator erhob bewundernd seine Augen, ergriff beide Hände des
Doctors, schüttelte sie, und sprach: »Mein Herr, Sie bereiten mir
den frohsten Augenblick meines Lebens! Da ich gerade an allem Trost
verzweifle, richten Sie, ein Fremder, mich wieder auf. Gott sei Lob,
ich bedarf Ihres freundlichen Darlehens nicht; aber -- glauben Sie mir,
-- demungeachtet habe ich's _doppelt_ empfangen.«

»Und somit keine Sylbe mehr davon,« setzte der Doctor ruhig hinzu: »Sie
preisen mich unverdient. Eine Gesellschaft von Menschenfreunden wollte
Ihnen Ihre Theilname beweisen, und hatte keine Gefahr dabei, da sich
Ihre Geschäfte etablirt haben.«

Der Senator nickte seufzend mit dem Kopfe und entgegnete: »Ja, mein
Herr, so ist's. Nicht minder jedoch meinen wärmsten Dank der
Gesellschaft, von welcher Sie sprachen, und die ich wünschte kennen zu
lernen.«

»Das ist Ihnen -- _hier_ -- unmöglich,« sagte der Doctor: »lassen Sie
uns, da ich einmal Ihnen zur Last falle, von etwas Anderem reden. Wie
gesagt: Fortuna ist bei Ihnen eingekehrt, und ich freue mich, Ihnen
damals auf der Promenade ein gutes Prognostikon gestellt zu haben;
allein -- Sie selbst -- Herr Senator, -- scheinen sich nicht im
Geringsten zu freuen.«

»Einem Manne gegenüber,« entgegnete Müssinger, »der sich mir als
verschwiegener und hülfreicher Freund erwiesen hat, kann ich keine Lüge
sagen. Die ... Erbschaft, die mich wieder auf den Gipfel meines vorigen
Reichthums hebt, ist mir ganz gleichgültig. Ich bin ein armer, armer
Mann. Mein Gemüth ist krank, meine Seele sehnt sich vergebens nach
Genesung.«

»Und Religion, -- die sicherste Trösterin?« fragte der Doctor mitleidig.

»O, lassen Sie das!« erwiderte der Senator still ergrimmt: »Die
Religion ist entartet in ihren Dienern. Weiß Gott, -- Herr! wir haben
uns in einer sehr bedeutenden Stunde kennen gelernt, -- aber -- ob ich
nicht vielleicht Ursache hätte, jetzt dem Flußbette näher zu stehen,
als damals?«

»Ich würde Sie alsdann nicht mehr zurückhalten,« erwiderte der Doctor
kalt und ernsthaft: »Sie verdienen hier und jenseits das traurigste
Loos, wenn Sie zum zweitenmal wagen, wovon die Vorsehung Sie _einmal_
schon gerettet.«

»Sie wissen nicht...!« entschlüpfte dem leidenschaftlichen Senator: »Es
giebt noch drückendere Schmerzen, als _die_ des Mangels und der Schaam.
Die Stimme des Innern...«

»Sagen Sie nur frei heraus: das Gewissen,« unterbrach ihn der Doctor
sanft aber fest: »Um das Gewissen ist es eine kitzliche Sache;
freilich. -- So lange aber Gott die Quelle aller Liebe, die Kirche eine
freundliche Mutter ist, so lange darf selbst der trotzigste Sünder
unverrückt auf Gnade und Verzeihung rechnen. Im Zeitlichen wie in der
Ewigkeit. Soll denn der Mensch, der ein Verbrechen beging, das _er_
vielleicht in der nächsten Minute bereut, an diesem Unglück verkümmern,
rettungslos daran verzweifeln, während sein frisches Leben noch viel
des _Guten_ schaffen könnte? In der Strafe selbst liegt Vergebung,
und ein Augenblick der Reue des Sünders wiegt manches schuldlose
Menschenleben auf.«

»Sie sprechen von Gott, dem Quell aller Liebe?« fragte der Senator
scheu. -- »Er ist's!« bekräftigte der Doctor. -- »Von der Kirche, einer
freundlichen Mutter?« -- »Sie ist's.«

Der Senator seufzte tief beim Angedenken an Lammers Worte. Der Doctor
sagte aber nun mit gemessenem Tone: »Unsere Ansichten weichen ab, wie
ich sehe. Es befremdet mich nicht, da ich mich zu einer andern Kirche
bekenne, als Sie.« -- Dem Senator starb die weitere Frage im Munde,
da der Doctor ganz ruhig fortfuhr: »Ich bin Katholik. Von _meiner_
Kirche hab' ich gesprochen: und -- wahrlich -- sie erfüllt ihre
Mutterpflichten tüchtiger als Eine.« --

Müssinger bückte sich verlegen. Der Doctor sprach unbefangen weiter:
»Von unserer Kirche Schwelle geht kein Vertrauender ungetröstet, kein
Leidtragender unerquickt, kein Verirrter ungelöset. Alle ihre Gebräuche
deuten in ihrer mystischen Form auf die heiligsten Pflichten hin; auf
die der Versöhnung, der Menschenliebe. Doch, wem sage ich das, und zu
welchem Endzweck?« fügte er, sich besinnend bei: »Sie mein verehrter
Herr, haben nie die apostolische Lehre näher prüfen gelernt, da die
Gesetze Ihrer freien Stadt die Ausübung jenes Cultus und die Ausbreitung
unsers Lehrbegriffs auf ihrem Gebiete aufs strengste untersagen; gewiß
ist es Ihnen auch völlig gleichgültig, wie ein Katholik von seinem
Glauben denkt.«

»Ich habe zu Augsburg meine Lehrzeit verlebt,« versetzte nachdenkend der
Senator: »Ich habe mich oft hinter dem Rücken meiner Vorgesetzten in die
katholische Kirche geschlichen, mich an der feierlichen Pracht des
Gottesdienstes, an der herrlichen Musik ergötzt, ... ich kann nicht
läugnen, daß...«

Justinens Stimme störte die Herren. Das Mädchen trat ein, und berichtete
dem Vater, -- sich vor dem Fremden sittsam verbeugend -- über eine nicht
besonders bedeutende Angelegenheit der Wirthschaft. Der Doctor
betrachtete während dessen sowohl den Senator, als seine Tochter mit
der größten Aufmerksamkeit. Als Justine wieder hinausgegangen war, sagte
Leupold mit fast bewegter Stimme: »Wahrlich, Herr Senator! Wüßte ich
nicht durch meinen Pflegesohn, daß Ihre Tochter sich Justine nennt, ich
würde darauf schwören, sie müsse Clara heißen.«

Der Senator richtete schnell und fragend die Augen auf den Doctor.

»Clara?« fragte er: »Wie kommen Sie zu diesem Namen?«

»Clara war, wie _Justine_.«

»Welche Clara?«

»Clara Münzner.«

»Mein Gott! Sie wissen...?«

»Ja, mein Freund.«

»Woher? -- Herr, Sie reißen eine Vergangenheit vor mir auf, die jetzt
doppelt schmerzlich mein Gefühl verletzt.«

»Das soll sie nicht. Eines Engels Gedächtniß bringt Segen.«

»Ja, sie war ein Engel!... ein Engel, wie ihn diese Welt nicht
verdient.«

»Der Engel ist in seine Heimath gegangen.«

»Barmherziger! versteh ich Sie?«

»Clara ist todt.«

»Todt?... todt?... Und ich lebe noch; ... _wie_ lebe ich?...«

»Bis an ihr Ende hat sie in Ihnen gelebt, wenn gleich Länder und ein
Jahrzehend sie von Ihnen trennten. Jetzt wird sie, sollte es Noth thun,
für Sie beten bei dem unsterblichen Vater!« --

»Oh!« seufzte Müssinger, und lehnte sich mit vor das Gesicht gehaltenen
Händen zurück. Dann fragte er jedoch lebhaft: »Erklären Sie mir,
räthselhafter Mann! wie können _Sie_ von dem unterrichtet sein, was
außer mir...«

»Ich bin Clarens Bruder!« flüsterte der Doctor dem Senator in das Ohr...

»Xaver?«

»Derselbe, mein Freund. Ich höre, daß man uns wieder unterbricht. Ihr
Zimmer, dem Drang der Geschäfte Preis gegeben, ist nicht geeignet, daß
wir uns darinnen der wohlthätigen Erinnerung ungestört hingeben könnten.
Macht Ihnen die Vergangenheit Freude, so besuchen Sie mich. Ich wohne
eng, aber niedlich und einsam, in der Rahmgasse. Das Haus ist zum Apfel
geschildet. Fragen Sie im zweiten Stocke nach dem Doctor Leupold. Sie
werden mir willkommen sein.«

Indem der Buchhalter eintrat, verbeugte sich der Doctor gelassen und
fremdthuend gegen den unbeweglich hinstarrenden Senator, und ging.

Langsam und sinnend durchstrich er die Stadt, und machte geflissentlich
einen Umweg nach seiner Wohnung, um seinen Gedanken nachhängen zu
können. Hie und da nickten ihm aus Hütten oder wohlanständigen
Bürgerhäusern freundlich grüßende Gesichter zu. In einem armseligen
Gäßchen schlich eine bettelhaft gekleidete Frau, nachdem sie sich vorher
überall umgesehen, geheimnißvoll an ihn, und küßte seine Hand. Er
reichte ihr dagegen eine kleine Münze, und ermahnte sie für die Ruhe
eines Sünders zu beten. Hierauf schlug er sich rechts durch ein Paar
Durchgänge nach der Rahmgasse, und stieg im bezeichneten Hause in sein
Quartier hinauf. -- Eine sauber angekleidete Magd öffnete ihm
ehrfurchtsvoll die Gitterthüre an der Treppe. James, der in der
Wohnstube schreibend saß, richtete sich grüßend auf, und brachte
dienstfertig dem Pflegevater den Steifrock herbei, gegen den der Doctor
eilig den unbequemen Schlafrock vertauschte. Er nahm seinen Platz im
Lehnstuhle am Fenster, das, auf einen Garten aussehend, selbst einen
Garten vorstellte, geschmückt mit würzigen Blumenstöcken. In der Stube
sah es so reinlich, so friedlich und traulich aus; sie stellte ein
reizendes Stillleben dar. Der Boden, sauber wie ein Spiegel; die
Geräthschaften blank und rein. Ordnung überall; keine Falten in den
Teppichen der Tische, kein Stäubchen auf dem grünen Vorhange, der eine
kleine Büchersammlung barg; ein niedlicher Vogel im luftigen Bauer von
der weißen Decke schwebend; eine tickende Schwarzwälderuhr an der Wand;
viele summende Mücken auf dem Blumenflor am Fenster. Das Schweigen wurde
lange nur durch der Thierchen Geschwätz, den Perpendikelschlag, und die
knarrende Feder des jungen Engländers unterbrochen, der sich gleich
wieder an seine Arbeit gesetzt hatte. Der Doctor saß mit gefalteten
Händen, rückwärts gelehntem Kopf und geschlossenen Augen in seinem
Lehnstuhle. Seine Lippen trugen das Lächeln einer freundlichen
Gedankenwelt, die unter den zugezogenen Augendeckeln vorüber schwebte,
und er schwieg wie ein Träumender, bis er einen leisen Hauch an seiner
Wange fühlte, und forschend die Augen aufschlug. Schon dämmerte es.
James stand bei ihm, und hatte sich über sein Gesicht gebeugt.

»Ich wollte mich überzeugen, ob Sie schliefen, mein Vater,« sprach der
Jüngling. »Meine Arbeit ist vollendet; die Feierstunde da. Sie sind aber
heute nicht so munter und gesprächig, wie wohl sonst. Darf Ihr
Pflegesohn nach der Ursache fragen?«

»Die Ursache, mein Sohn, ist nur eine kleine Geschichte aus der
Zeit, da ich dein Alter hatte;« antwortete der Doctor, freundlich
ihm zunickend; »setze dich zu mir, und höre sie, wenn du willst. Ich
sage dir aber im Voraus, daß die Geschichte so kurz und einfach und
natürlich ist, wie nur eine in der Welt. Den Jüngling befriedigt
freilich nur ein Labyrinth von Abenteuern. Dem greisen Manne jedoch
schließt gerade die klarste Begebenheit einen Zaubertempel auf.
Versetze dich mit mir nach Augsburg, wo du zwar niemals warst, von
dem du aber manches gelesen. In jener alten, weit berühmten Stadt ist
eine abgelegene Gegend an der Stadtmauer, unfern von einem kleinen
Thore. Durch diesen leicht zu übersehenden Winkel soll, heißt die Sage,
der Teufel den Doctor Luther in's Freie geführt haben, da demselben
große Gefahr drohte, und alle anderen Ausgänge von Feinden besetzt
waren. Obgleich nun diese Geschichte durchaus Fabel und unhaltbar,
so führt doch noch zu heutiger Stunde der Platz den Namen: Dahinab!
-- In diesem Dahinab nun stand unter andern kleinen Häusern ein von
einem Gärtchen umgebenes; reputirlich anzuschauen, und die Wohnung
eines braven Mannes. Der Fleiß desselben hatte das Haus gebaut, und
die Heiligen, -- buchstäblich zu verstehen, -- hülfreich dazu gethan.
Der Fleißige war nämlich Kupferstecher, und hat -- durchaus dem Fach
sich hingebend, -- viele hundert Heiligenbilder gestochen und geätzt,
die zu damaliger Zeit in großen Ladungen über die Berge nach Italien
gingen. Der Künstler war fromm und still, wie seine Bilder, arbeitete
unverdrossen von früh bis spät, und seine einzige Erholung außer dem
Hause war am Sonnabend ein Ruhe-Stündchen auf der Schießstatt, bei
einem Krug Bier und freundlichem Geschwätze. Den Sonntag nahm die
Kirche und -- bei schönem Wetter -- ein Spaziergang mit dem Weibe nach
dem Ablaß oder nach Göggingen hinweg. Diese Lebensordnung machte auch,
daß es im Hause fein und ordentlich aussah, und der Friede doppelt
mit den Kindern einkehrte, die der Himmel dem einfachen Künstler
schenkte. Der Bube hieß Xaver, die Tochter Clara. Der Erste, zugleich
der Aeltere, sollte anfangs Kupferstecher werden, wie der Vater; die
Zweite ein braves Weib, wie die Mutter. Es ergab sich indessen bald,
daß Xaver, um schwacher Augen willen, der Kupferstecherkunst nicht
gewachsen war, und, noch in der Wahl verharrend, was einst aus dem
Jungen werden möchte, schickte ihn der Vater in die Schulen, damit er
etwas Tüchtiges lerne. Clara wuchs arbeitend und blühend auf, besuchte
kein anderes Haus, als das Haus Gottes, und ahnte nicht, daß an jener
Stätte ein sehnsüchtiger Jünglingsblick die verborgene Blume ausgespäht
hatte. Die Eltern ahnten's um so weniger. Der Bruder allein, der oft,
um zu studiren, im Gärtchen sich befand, merkte das Erste von der
Sache. Eine Bastion der Festungswerke, die gerade, -- senkrecht fast,
-- in die Höhe stieg, und die Ansicht über die Häuser des Dahinab frei
gab -- bildete die Schlußwand des Gartens. Auf dem Rand dieser Bastion
stand einmal um die Mittagszeit ein blutjunger Mann, und sah immer so
steif und unverrückt in den Garten hinab, daß dem studirenden Xaver,
-- als dieser, durch die Blätter der Laube schielend, zum zweiten oder
dritten Male das Unwesen wahrnahm, -- bang um den Verstand des jungen
Menschen wurde. Bald kam er jedoch dahinter, daß die Schildwache auf
der Bastion eigentlich der Schwester gelte. Denn so oft diese, blühend
und frisch wie eine Rose, um die Mittagsstunde aus dem Hause hüpfte,
den Bruder zu Tisch zu rufen, -- so oft zog _der_ auf der Schanze ein
Fernrohr aus der Tasche, und richtete es so scharf und fest auf das
Mädchen, als ein Constabler nur mit seinem Geschütz thun kann. Der
Bruder hütete sich wohl, der unbefangenen Schwester das Geringste von
seinen Beobachtungen, -- die er eine ganze Woche hindurch fortsetzte,
mitzutheilen. Endlich eines Vormittags, aus dem Collegium kommend,
wandelt ihn die Lust an, der Sache auf den Grund nachzuspüren. Er
steigt auf die Bastion, und findet den Bewußten bereits am Posten. Er
schlägt ihn auf die Schulter, und fragt ihn: Was hat Er dahinab zu
spioniren, mein Freund? -- Der Andere erröthet, antwortet aber vornehm:
Das geht _Ihn_ nichts an, mein Freund. -- Er ist ein Narr! sagt ihm
hierauf Xaver, und der Andere antwortet mit einem »unverschämten
Menschen.« Für einen Studenten von neunzehn Jahren ist das zu viel.
Er antwortet ebenfalls mit einer nachdrücklichen Beleidigung. Der
Andere greift nach seinem Degen. Xaver bedeutet ihm, er selbst dürfe
als angehender Theolog keine Waffe tragen; er werde aber nur hinunter
in's Haus gehen, sich einen Degen holen, und sicherlich binnen wenig
Minuten auf die Schanze zurückkehren, um die Sache auszumachen. »Was
hat Er in jenem Hause zu thun?« fragt der Andere verwundert. -- Es
ist das meiner Eltern; entgegnete Xaver. -- Und das Mädchen? -- Meine
Schwester. -- Nun lacht der Mensch ausgelassen, steckt die Klinge ein,
fällt dem Studenten um den Hals, und ruft: Wir müssen Kameradschaft
trinken. -- Wie so? -- Ich bin in deine Schwester verliebt, mein
Junge; fährt der Andere fort: ich sterbe, wenn ich nicht wenigstens
bald zu ihr sagen kann: Wie befinden Sie sich, Jungfer? Du mußt mich
bei deinen Eltern einführen, als einen Mitstudenten, als einen Freund
aus dem Gasthause, -- als was du willst. -- Nun erzählte der heftige
närrische Mensch weiter, und es kam heraus, daß er Kaufmannsdiener
sei, vor wenigen Wochen erst die Lehre verlassen habe, und in einer
der ersten Handlungen Augsburgs conditionirte. Ein Zufall hatte ihm
meine Schwester gezeigt. Dazumal wurden gerade Bittgänge gehalten
und Gottesdienst gefeiert, zum Besten und Frommen der unglücklichen
Rheinländer und Pfälzer, die unter dem Mordschwerdt des Königs
von Frankreich bluteten. Bei einer dieser Processionen war der
Kaufmannsdiener an Clara's Seite gekommen, und sie hatte ihm schnell
gefallen, obwohl sein Mund keine Sylbe mit ihr gesprochen. -- Xaver,
der in dem fremden jungen Mann einen Sohn wohlhabender Eltern aus
einer entfernten Stadt erkannte, dem derselbe gefiel, ließ sich endlich
bereden, gab den sonderbaren Gesellen für einen Bekannten aus, und
brachte ihn in der Eltern Wohnung. Ach, nun beginnt eine schöne Zeit;
sie umfaßt beinahe ein Jahr. Die Eltern gewannen den Fremdling lieb;
Clara theilte seine Gefühle. Xaver sah eine schöne Zukunft für die
Schwester leuchten. Die Mutter betete zu diesem Endzweck im Stillen.
Harmlos flossen die Tage, von Vertrauen, von Freundschaft und Liebe
getragen, dahin! In dem engen Häuschen, in dem kleinen Garten waren
alle glücklich. Aber -- der Friede, das Glück hat seine Grenzen, und
somit endigte auch dieses.«

Der Doctor sammelte sich hier, wehmüthig werdend, und sprach nach einer
langen Stille, gefaßt und trocken weiter: »Der junge Mensch hatte
nicht redlich an der Familie gehandelt. In dem Augenblick, als alle,
-- Clara selbst -- im Stillen auf eine baldige Erklärung und Werbung
hofften, verließ er Augsburg, heimlich, schnell, um in die Heimath
zurückzukehren. Ein Brief belehrte uns, daß er als Protestant, -- er
hatte sich für einen der Unsern ausgegeben -- nicht daran denken könne,
aus der Neigung seiner Jugend Ernst zu machen, und mit blutendem Herzen
sich von der Stelle losreißen müsse, die ihm theuer und lieb geworden,
wie das Vaterhaus. -- Wir weinten; Clara verzweifelte fast. Die Jahre
beruhigten zwar ihr Herz, aber -- an dem Entfernten treu und eigen
hängend, blieb sie Jungfrau, legte als fromme Wärterin die Eltern in's
Grab, und folgte ihnen dann, zehn Jahre, nachdem _er_ sie verlassen, --
mit seinem Namen auf den Lippen. Hiermit, mein Sohn, endigt sich die
Geschichte, deren erster Theil noch jetzt meine Seele mit angenehmen
Bildern füllt. Du hast meine Eltern, meine Schwester und mich kennen
gelernt. Vor achtzehn Jahren habe ich Claren verloren, und heute --
bewundere die Wege der Allmacht! heute finde ich _ihn_ wieder, der
sie verließ, der vielleicht ihr Leben abkürzte; finde ihn wieder,
unglücklich, darniedergedrückt von _schweren_, schweren Aengsten, wie
ich fürchte; ein armer, elender Mensch, im Schooße des Ueberflusses der
eiteln Welt!«

»Errathe ich?« fragte James ungestüm: »Der Senator?«

Der Doctor nickte mit dem Haupte. -- »Beinahe,« sagte er, »hätte mich
die Schwachheit überrascht, ein Wohlbehagen zu empfinden, als ich ihn
so erbarmenswürdig vor mir stehen sah, und jetzt erst bestimmt in's
Reine kam, daß _er_ jener Walter sei, den ich -- seltsam fürwahr --
beinahe vergessen hatte. Kein Zug der Jugend mehr in seinem Gesichte;
keine Zufriedenheit in seinem Hause; keine Ruhe in seiner Brust. Die
Vergeltung hat an dir gearbeitet! wollte ich sagen; doch Gott hielt
meine Zunge im Zaume. Clara hat mir ja auf dem letzten Lager ihre Liebe
zu ihm als Vermächtniß hinterlassen, und ich muß ihn oder die Seinen
glücklich machen, wenn ich's vermag; schon darum, weil ihn _Clara_
geliebt, weil ihn _Clara_ gesegnet hat! --«

»O ein heiliges Gefühl, ein heiliges Erbe ist die Liebe!« versetzte
James mit einer wehmüthigen Innigkeit. Der Doctor ergriff ihn fest bei
der Hand, und redete: »Mein Sohn, hüte dich vor Sophismen, wie sie nur
gar zu gerne die Leidenschaft gebiert, wenn sie sich in Fesseln spürt.
Denke deines Versprechens, der Zusage, die du mir gegeben. Du gehörst
nicht mehr dir selbst an, du gehörst nicht _mir_. Und wäre dies Alles
nicht, so sollte meine Erzählung dir bewiesen haben, daß Ungleichheit
des Glaubens Verderben bringt.« -- James schwieg mit bitterem
Gefühle. -- »Ich sehe, daß es Zeit ist, deine Besuche in des Senators
Hause abzukürzen,« fuhr der Doctor sorglich fort: »die letzte Aufgabe
vollende noch. Vielleicht begründest du dadurch das Heil einer Person,
die du _liebst_, wie ich fürchten muß.« -- »Und gelänge es mir,« fragte
James, Muth fassend: »dürfte ich alsdann hoffen, mein Vater?«

»Dein Schicksal hängt nicht von mir ab,« antwortete der Doctor: »wäre
dieses aber auch, -- Sohn! hätten wir uns in dir getäuscht...? Laß mich
das nicht ahnen!«

»O, welch' ein Schicksal ist mir bereitet worden?« seufzte der junge
Mann: »Zu welchem Gewerbe, -- mir widerstrebend, meinen Sinn empörend,
wurde ich bestimmt! und zum Dank dafür verbietet man mir grausam, zu
fühlen wie ein Mensch!«

»Dafür rasest du wie ein Thor,« unterbrach ihn der Doctor heftig: »zur
Strafe wirst du deine bisherigen Andachtsübungen verdoppeln, bis ich es
anders bestimme! --« Milder fuhr er, und plötzlich besonnen fort: »Was
wäre dein Schicksal unter den dänischen Dragonern gewesen, du
Verblendeter? Du schlägst die Hand, die dir wohl that. Dein Gewerbe
empört dich? Das heißt: Deine Pflicht gefällt dir nicht. Glaube mir: Oft
ist auch _mir_ die Meinige zuwider, aber ich erfülle sie dennoch ohne
Murren, weil ich überzeugt bin, daß zu einem vollkommenen Bau der
geringste Dienst vonnöthen ist, wie der edelste. Die Leute, die im
finstern Schacht den Keller wölben, haben durch ihre lichtscheue Arbeit
mehr gethan, als der Meister, der das leichte Prunkgetäfel anschlägt,
und den Blumenstrauß stecken auf den fertigen Bau kann vollends jeder
Lehrjunge. Bescheide dich also dankbar vor dem Höchsten, zu dessen
größerer Ehre wir handeln, und bemeistre flüchtige Aufwallungen der
Jugend, die immer nur eitel sind, und denen im vorliegenden Falle
ohnehin nicht _entgegengekommen_ wird.«

Dieses letzte Argument entschied. James fühlte wohl, was _er_ empfand,
aber die Empfindung der Geliebten war ihm mehr als zweifelhaft
geblieben. Er schwieg daher halb unterwürfig, halb gekränkt, und
waffnete sich mit starrer Kälte, als er am folgenden Tage des Senators
Haus betreten mußte. »Wo will Er hin?« schnauzte ihn mit unerträglicher
Grobheit der verdrießliche Nothhaft an, der ihm just entgegen kam.

»Zur Jungfer Justine.« -- »Die Jungfer hat Kopfschmerzen. Komm Er ein
Andermal.« -- James wollte, nachdem er mit leichtem Achselzucken den
Ungeschliffenen gemessen, still davon gehen, als sich Justinens Stimme
von oben vernehmen ließ: »Kommt nur herauf, werther Monsieur; für Euch
bin ich zu Hause, nur für den Neidhammel nicht, der Euch =sans façon=
belügt, wie ein Schelm!« -- James stutzte erfreut. Von Zorn brennend,
und mit einem: »Verdammter Naseweis!« lief Nothhaft in das Comptoir.

»Laßt Euch meine Sprache nicht befremden,« sagte Justine ohne Umstände
in Gegenwart der Mutter zu dem jungen Engländer: »Wir Deutsche haben --
wie wir denn in allem derb sind -- ein derbes Sprichwort, das man wohl
sonst nur in Pöbels Mund hört, das aber stets wohl angebracht ist, wenn
man _vom_ Pöbel redet: Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil!
-- Ich zweifle nicht, daß in Eurer Sprache sich ebenfalls ein ähnlicher
Spruch vorfinden werde. Der Bursche, der Euch belog, ist der Klotz,
der sich sogar einmal unterstanden hat, sich in mich zu verlieben. Ich
bitte Euch! damals noch ein Kind von fünfzehn Jahren, sollte ich an
dem blatternarbigten Ungeschickt eine Freude finden! Ich habe ihm das
Zärtlichthun abgewöhnt; nun verfolgt mich jedoch der holde Amadis mit
tausend Tücken und Nücken, die mir, -- wider seinen Willen, -- Spaß
machen, weil ich sie gewöhnlich vereitle. Seit der letzten Horcherei
hat er auch auf Euch seinen hohen Zorn geworfen. Fürchtet Euch aber
nicht, Monsieur: Ihr steht unter meinem Schutze.«

»Ich bin Ihnen sehr verpflichtet, Mademoiselle,« antwortete James
lächelnd: »Doch wüßte ich schon selbst mir den Ueberlästigen vom Halse
zu schaffen, wenn er mir ernstlich zur Last fallen wollte.«

»Das meine ich auch,« ließ sich die Senatorin breit und förmlich
vernehmen; »Er hat starke Knochen, Monsieur, und mag sich durchhelfen.
Für dich, Justine, schickt es sich indessen ganz und gar nicht, einem
jungen Mann solche Promessen zu geben. Die Chapeaus sind doch -- so Gott
will, -- dafür in der Welt, _uns_ zu beschützen, und es ziemen sich
folglich solche cavaliere Redensarten keineswegs für eine schon verlobte
Tochter. Ich werde also...«

»Uebergenug, beste Mama,« fiel Justine kurz abfertigend ein; »Sie
verstehen es, mich zum Schweigen zu bringen, und Ihr, Monsieur, beginnt
die Lehrstunde!« -- James gehorchte, doch Justinens Geist war keineswegs
bei der Grammatik. Ungeduldig zählte ihr Auge die Minuten auf der
Wanduhr, und sie machte Schicht, sobald die Glocke schlug. Ein Vorwand
wurde bald gefunden, den Lehrer zu begleiten, und schnell raunte sie ihm
zu: »Wie ist's, Herr? habt Ihr der armen Französin das Geschenk
gebracht? Lindert es ihr Elend? Was ist ferner zu thun?« -- James
erwiderte verlegen: »Ich bringe Ihnen der Unglücklichen heißen Dank,
Ihre reichliche Gabe hat sie in Ueberfluß versetzt, und zu ihrem Glücke
fehlt nur noch Eines: _Sie_, freundliche Geberin, von Angesicht zu
sehen; Ihnen mündlich danken zu können!« --

»Rathet der guten Frau ab,« versetzte Justine ängstlich; »sie soll ja
nicht hierher kommen. Der Vater, -- er ist ohnehin mürrisch -- würde es
nicht gerne sehen. Die Mutter gibt in ihrem Leben kein Almosen, und ich
hätte nur Verdruß, wenn es herauskäme, daß ich mein Taschengeld...«

Sie stockte, besann sich einen Augenblick und setzte dann hinzu: »Die
arme Frau soll sich deshalb nicht so grämen. Ich wünsche selbst, sie zu
sehen, mich nach ihren Bedürfnissen zu erkundigen, aber Ihr begreift, es
geht nicht an, daß sie komme. Ja, -- wenn ich ein Mittel wüßte, ... ich
würde mich gerne selbst einmal zu ihr schleichen ... ich helfe gar zu
gern; ... aber ... ich weiß nicht...«

»Das Mittel wäre leicht,« entgegnete James, etwas zögernd: »Vertrauen
Sie sich mir an; ich führe Sie; in einer Stunde sind wir hin- und
zurückgegangen.«

Justine blickte ihn neugierig und strenge forschend an: »Ich halte Euch
für einen Ehrenmann, Herr White. Ich würde mich nicht fürchten, mit Euch
zu gehen. Aber wann? Ich will nicht mit Euch gesehen werden, und am
Abend gehe ich nicht aus, mögt Ihr wissen.«

»So bleiben uns die frühen Morgenstunden,« meinte James, und der
Vorschlag gefiel Justinen. »Schön!« rief sie, »das paßt. Mutter schläft
fest bis um neun Uhr. Vater ist vor acht nicht sichtbar, und kümmert
sich nicht um mich. Um sechs Uhr also. Dann sind die Straßen noch
ziemlich leer von den Leuten, die mich nicht sehen sollen. Wartet meiner
morgen um diese Stunde am Neumarkte. Wollt Ihr das thun, so wird mir das
artige Abenteuer Freude machen.«

James versicherte seine Bereitwilligkeit, und ging, nicht mit leichtem
Herzen, aus dem Hause. Justine schwelgte dagegen in dem Genusse ihres
kleinen Geheimnisses. Der Umstand, die Wohlthäterin einer Bedrängten
geworden zu sein, schmeichelte ihrer Eitelkeit, und schien ihrem Leben
eine gewisse Bedeutung zu verleihen. Sie sah sich nicht mehr verdammt,
zwischen einer stumpfsinnigen Mutter und einem schwermüthigen Vater den
freudenlosen Pfad zu gehen; sie wirkte nach Außen hin, und diese Idee
erquickte ihren Geist, der ihr zu etwas Besserem geschaffen schien, als
zu der Einklammerung in alltägliche Hausverhältnisse. Justine war so gut
und liebevoll, als sie sich manchmal schroff und ungestüm geberdete. Sie
hätte gewünscht, die Pflegerin der Welt zu sein, alle Schätze der
Goldminen Amerikas zu besitzen, um sie an die Armuth zu vertheilen. Sie
konnte darum der Neugierde nicht widerstehen, das dankbare Geschöpf
ihrer Milde zu sehen, dessen Noth mit eigenen Ohren zu vernehmen, ihm
Trost zu geben durch Worte und durch die freigebige That. Mit Ungeduld
erhob sie sich, als der bezeichnete Tag angebrochen, von ihrem Lager.
Ein Blick durch's Fenster belehrte sie, daß das schönste Wetter ihre
heimliche Wanderung begünstige; schnell war sie in ein unscheinbares
Gewand gehüllt, ihr Haar, ihr Antlitz von einem dichten Schleier
bedeckt, und, bevor noch der Zeiger auf sechs Uhr wies, die Thüre ihrer
Schlafkammer leise, leise geöffnet. Ein Geräusch hielt sie auf der
Schwelle zurück. Am Ende des Ganges öffnete nämlich auch der Senator
behutsam die Thüre _seines_ Gemachs, und trat, wie auf den Zehen,
heraus; völlig angezogen. Langsam schritt er die Treppe hinab, und ging
aus dem Hause. Justine war betroffen. Sie hatte den Vater gestern am
ganzen Tage nicht gesehen. Eine Sitzung des Senats hatte ihn, seinem
Vorgeben nach, fern gehalten. Und heute, dieses leise, schleichende
Ausgehen ... es kam ihr seltsam vor. Allein, was war denn, seit jener
unglücklichen Begebenheit, nicht seltsam in dem Benehmen ihre Vaters?
Schnell gefaßt trat Justine ihren Weg an, um die Zeit nicht zu
versäumen, und ihren Begleiter nicht warten zu lassen.

James hatte sich schon seit geraumer Zeit auf dem Neumarkte
eingefunden. Auch an ihm war der Senator, tief in Gedanken,
vorbeigekommen. Mit klopfendem Herzen begrüßte er Justine, die eiligst
herbei hüpfte, den Schleier nur leicht lüftete, mit dem Kopfe nickte,
und zur Eile antrieb. Stumm ging James neben der Holden her, die ihre
Schritte immer munterer förderte. Der Weg war jedoch weit. James führte
seine Schülerin in ein entlegenes Quartier der Stadt, wohin sie noch
nie gekommen war. Stutzig sah sie sich auf einer Kreuzstraße um, und
sagte englisch zu dem Führer: »Hat hier nicht die Ehrlichkeit ein Ende,
Sir? und wie steht's mit der Euern? --« James lächelte etwas verlegen,
deutete jedoch auf eine Thüre, und antwortete: »Wir sind am Ziele!«

Justine betrachtete diese Pforte aufmerksam. Nur eine Mauer stellte sich
dar, über welche sparsame Epheugewinde herabhingen. Das Pförtchen, ohne
Seitenfenster oder Lücke, war enge, niedrig, und sehr fest, von
Eichenholz gezimmert. In der Umgegend, durch Gartenmauern und Gehäge von
dem Pförtchen abgesondert, standen nur einige halbverfallene, elende
Wallhäuschen, deren Bewohner, im Taglohne arbeitend, schon beim Grauen
des Morgenlichts ausgingen, und in später Nacht erst wieder heimkamen.
Alle Thüren und Fenster zu; nur hie und da schrie aus dem Innern ein
eingesperrtes Kind, oder bellte ein angeketteter Hund. -- Mit fragendem
Blicke deutete Justine auf die bezeichnete Thüre. James nickte, und
wollte an dieselbe pochen. Rasch hielt ihm das Mädchen die Hand, und
sagte mit gedämpfter Stimme: »Wo führt Er mich hin, Monsieur? Da hinein
gehe ich nicht.« James betrachtete einen Augenblick ihre Miene. Die
seinige verfinsterte sich nicht. »Nach Belieben!« entgegnete er schnell,
»so gehen wir zurück, weil Sie sich fürchten.«

Der Vorwurf der Furcht, so wenig er verwunden sollte, traf sein Ziel.
Justine maß von neuem mit dem Auge die verschlossene Thüre, den zum
Gehen gewendeten Jüngling, die menschenleere Nachbarschaft. »Glaubt Ihr,
daß ich ein Kind sei?« fragte sie alsdann mit Vorwurf. »Furcht kenne
ich nicht, Monsieur, aber ich muß darauf sehen, daß mein Vorwitz mich
nicht an einen Ort bringe, der vielleicht meinem Geschlecht und meiner
Familie gleich unangemessen wäre.«

»Wie, Mademoiselle?« fragte James mit flammenden Augen: »Glauben Sie,
daß _ich_ fähig sei, Sie an einen solchen Ort zu führen? O wenden Sie
schnell um, ich will Ihre Erniedrigung nicht.«

Justine machte ihm rasch ein Zeichen, zu schweigen, und faßte, an ihn
tretend, seinen Arm. Sie hatte eines Mannes Schritt gehört, und in der
That kam ein Herr um die Ecke der Mauer, den Hut tief in's Gesicht
gedrückt, und zum Ueberfluß einen Mantel um das Kinn geschlagen, daß
auch kein Zug von ihm zu erkennen war. Einen flüchtigen Blick warf
er auf die verhüllte Dame und ihren Begleiter, klopfte dann ziemlich
vertraut zweimal an die räthselhafte Thüre. Ein Mensch von gemeinem
Ansehen öffnete sie, und schob hinter dem Eintretenden die Riegel vor.
Justine hatte eben in dem Moment des Oeffnens die Aussicht auf einen
Hof mit Bäumen, und ein darin stehendes Gebäude erhascht. -- »Kennt
Ihr den Mann?« fragte Sie ihren Führer. Er verneinte. »Es sieht doch
da drinnen nicht wie in einer Mörderhöhle aus!« fuhr sie lächelnd
fort: »wäre es Euch noch gefällig, mich zu begleiten?« »Ihr wollt es?«
versetzte James: »in Gottes Namen denn!« -- Er klopfte zweimal wie der
Vorgänger. Derselbe Pförtner schloß auf, bückte sich wie ein Bekannter
vor dem Engländer, und begrüßte auch auf ein Zeichen desselben die
Dame. Der Hof war bald durchschritten, das Gebäude bald erreicht.
Tiefe Stille herrschte rund um das alterthümliche Haus, das ehedem ein
Kloster gewesen zu sein schien. Die in der Hausflur aufgeschichteten
Geräthe ließen vermuthen, daß hier früher ein Magazin gewesen. Die
halbdunkle, halbverfallene Treppe knisterte unter den Schritten der
Kommenden. Neue Besorgnisse stiegen in Junstinens Seele auf. Da pochte
James an eine recht unscheinbare Thüre. Sie ward geöffnet, und der
Engländer mit seiner Begleiterin trat rasch hinein. »Mein Gott!«
flüsterte nun James der Letzteren zu: »wir sind am unrechten Orte!«
Aber schon hatte der Oeffnende, ein Pförtner, wie jener am Hauptthore,
die Thüre zugemacht, und wies die Kommenden in einen hölzernen
Verschlag, der zur Seite stand. Eine Bank war in dem dämmerigen
Versteck zu sehen, und ein hölzernes Gitter gab die Aussicht auf das
Gemach, in welches die Senatorstochter gerathen war. Ein Spitzgewölbe,
dem Ansehen nach eine verwitterte Kapelle, mit Grabsteinen auf dem
Fußboden, und ausgebrochenem Ziegelpflaster. Die Fenster waren theils
zerfallen, theils von Spinneweben umflort. An den Mauern liefen zu
beiden Seiten Verschläge hin, dem ähnlich, in welchem sich Justine
befand; theils mit vergitterten, theils mit offenen Fensterlucken;
Betstübchen aus sehr lang verwichener Zeit. Durch die Oeffnungen
waren tief verhüllte Männer, Weiber in Schleierhauben, Kaputzmänteln
und anderer Vermummung zu sehen. -- »Wir sind in der ehemaligen
Kapitelstube der Johanniter!« sagte James leise und verlegen zu der
staunenden Freundin: »Verzeihen Sie mein Ungeschick. Schweigen Sie aber
zu Allem, was hier vorgehen möchte. Sie haben nichts zu befahren.«

Justine sah ihn starr an, und wendete sich, ohne eine Sylbe zu
erwidern, zu dem Gitter, um zu beobachten, was der Thürsteher beginnen
würde, der durch die Kapelle auf einen großen Kasten zuging, welcher
am obern Ende derselben stand. Er öffnete das Schloß, hob den Deckel,
schlug die vordere Wand herab, und siehe, es gestaltete sich unter
seinem Geschäfte ein Altar mit zwei hölzernen Stufen, und belegt mit
einem sauberen weißen Linnen. Zwei Leuchter mit Wachskerzen, die der
Diener anzündete, und einige Gefäße mit Blumen standen zu den Seiten
eines Kruzifixes. Schmucklos war im Uebrigen der Altar. Der Diener
nahm einige zinnerne Kännchen nebst Schlüssel und Serviette aus einer
Lade, setzte eine kleine Schelle auf die Stufen nieder, und entfernte
sich durch eine enge Thüre hinter dem schnell errichteten Opfertische.
Justine sah nun deutlich, wie von den Leuten um und um Gebetbücher
und Rosenkränze aus den Taschen genommen wurden, und sie ahnte, was
hier geschehen würde. Diese Ahnung wurde zur Gewißheit, als die enge
Thüre wieder aufging, der Diener heraustrat, mit einem großen Buche
in der Hand, aus welchem viele bunte Bänder herabhingen, und ihm ein
ansehnlicher, ehrwürdig aussehender Mann folgte, in einem funkelnden,
wunderlich geschnittenen Gewande, einen vergoldeten Kelch tragend,
und in ernstes Sinnen und Gebet versunken. Justine hatte einigemal
auf Bildern und in Kupferstichen römisch-katholische Priester in
solchen Kleidern gesehen, und zweifelte nun nicht, sich an einem Orte
zu befinden, wo man den römischen Gottesdienst unter'm Schleier des
Geheimnisses feierte. Welch ein Gefühl in ihrer Brust entstand, läßt
sich nicht beschreiben. Unwillig gegen die ihrem Glauben widerstrebende
Form, gegen den dienstfertigen Führer, gegen ihren eigenen Leichtsinn,
hätte sie den Ort verlassen, aber die verriegelte Thüre, die Furcht
vor dem Aufsehen, das entstehen würde, -- mehr noch als das -- ihre
_Neugierde_ hielt sie fest.

Das Meßopfer begann mit der größten Ruhe, und der Anstand des
Geistlichen versöhnte bald die Protestantin mit den Gebräuchen, die sie
nicht faßte. Sie sah den Priester demüthig vor den Stufen des Altars auf
die Kniee sinken; sie fühlte, daß er vor dem Einigen seine Schuld
bekenne, für sich und seine Gläubigen; und geheimnißvoll vorbereitend
drangen die halblaut gesprochenen lateinischen Worte zu ihrem Ohr.
Unwillkürlich machte sie die Geberden der übrigen Zuhörer nach. Sie
hörte stehend das Evangelium, beugte das Haupt bei der Wandlung. Sie
genoß im Geiste das Abendmahl des Priesters mit, und als derselbe dem
Volke verkündete, die Messe sei vorüber, als er wieder hinter der Thüre
entschwand, durch welche er gekommen, -- da bedauerte fast Justine, daß
das seltsame, nie gesehene Schauspiel vorüber gegangen. Um den Eindruck,
den dasselbe auf sie gemacht, noch aus dem baufälligen Hause mit sich in
die freie Luft zu retten, drängte sie rasch den Begleiter, der sie
zurückhalten wollte, nach der Thüre, und trat, -- beinahe die Erste der
Davongehenden, aus der Kapelle.

»Was thun Sie?« flüsterte ihr James besorglich zu: »Sie werden sich
verrathen, erkannt werden! Wir hätten die Letzten sein sollen!«

Von der triftigen Einrede erschüttert, stand Justine verlegen still, zog
den Schleier fester zu, und sah kaum nach den Vorübergehenden, die,
vermummt wie sie, mit flüchtigem Seitenblick von dannen zogen.

»Hier herein!« sagte mittlerweile der junge Engländer, und zog Justine
in eine andere, nur angelehnte Thüre: »Hier finden wir, was wir gesucht,
und indessen wird Haus und Hof von den neugierigen Gästen rein.«

Justine sah sich in dem Gemache um, und ward angenehm überrascht, ein
ziemlich junges und hübsches Frauenzimmer, in prunkloser, aber
sorgfältiger Kleidung, vor sich zu haben.

Dieses Letztere bewillkommte sie demüthig freundlich, mit einem
wohlgesetzten Gruße in ausländischem Deutsch.

»Darf ich fragen...?« äußerte Justine. --

»Mein Name ist Lainez;« versetzte die junge Frau: »wie glücklich machen
Sie mich, indem Sie mich eines Besuchs würdigen, und einer Gelegenheit,
Ihnen zu sagen, wie dankbar ich für die großmüthige Hülfe bin, die Sie
mir durch den uneigennützigsten Wohlthäter, durch Herrn White,
angedeihen ließen.«

»Die Offizierswittwe, von der ich Ihnen sagte;« schaltete James ein:
»Nur ein Zufall ließ uns die rechte Thüre verfehlen.«

»So?« erwiderte Justine trocken, indem sie einen mißfälligen und
mißtrauischen Blick auf den Engländer warf, sich aber dann schnell zu
der Französin wendete:

»Sie leben in einer geheimnißvollen Nachbarschaft, Madame.«

»Ich kenne meinen nächsten Nachbar nicht;« antwortete die Wittwe
unbefangen, und sah Justinen furchtlos in das Auge; »der Verwalter
dieses ehemaligen Magazinhauses hat viel von dem bedeutenden Gelasse, in
dem er befiehlt, an arme Miethsleute gegeben, und die Armuth verkriecht
sich gern. Die Hausgenossen sind mir fremd, bis auf eine alte, beinahe
taube Frau, die mich mit Wasser und Holz versieht.«

»Ich glaube Ihnen,« versicherte Justine, indem sie der Freundlichen die
Hand reichte: »Monsieur White wird um desto bekannter mit den Leuten
sein, die ich so eben verließ.« --

»Ein Zufall, wie gesagt, Mademoiselle, brachte uns in die Mitte einer
Versammlung, von der ich unter der Hand Einiges vernommen, zu welcher
ich mich jedoch nicht zähle.«

Justine betrachtete ihn ungläubig, und erwiderte rasch und drohend:
»Gleichviel, Monsieur, wie's Euch gefällt, mich zu belehren. Die Herrn
und Frauen mögen unterdessen sorgen, daß nicht auch der _Senat_ unter
der Hand Einiges von ihrem Thun vernehme. War mein Vater heute an
_meinem_ Platze, so war ein Unheil fertig. Wer bürgt übrigens dafür, daß
_ich_ nicht plaudre?«

»Ihr Herz,« versetzte James ruhig und zuversichtlich: »Sie sind ein
zartfühlendes Weib. Sie werden nicht vorsätzlich Unglück über Menschen
bringen, die es wagen, im Verborgenen eine Feier zu begehen, welche ihr
Gewissen zu seiner Beruhigung verlangt, obgleich ein hartes Staatsgesetz
sie verbietet.«

»Was ist denn hier im Werke? Was ist vorgefallen?« fragte Madame Lainez
verwundert und neugierig.

Justine sagte: »Das kümmert Sie nicht, liebe Frau. Noch ein Wort zu
Herrn White: Ich bin Euch für die gute Meinung verbunden, Monsieur. Ihr
fangt an, in meiner Seele zu lesen. Was wünscht diese wohl gerade
jetzt?«

»Die Heimkehr;« antwortete James gefällig: »darf ich Ihnen wieder meinen
Arm bieten?«

»Mit nichten, Monsieur. Ich werde ohne Euch den Weg nach dem Hause
meines Vaters finden. Ich fürchte weitere _Zufälle_ an Eurer Seite. Eure
völlige Entfernung ist mein Wunsch, und bis Ihr diesen erfüllt, werde
ich schon der Dame hier zur Last fallen müssen.«

»Welche Ehre!« betheuerte die Lainez: »Wie schmeichelhaft diese Güte!«

»Sie zürnen?« fragte James gekränkt und bestürzt.

»Die ganze Stadt spricht von Justinen's Launen;« erwiderte Müssingers
Tochter; »ich habe heute die Caprice vorsichtig zu sein; ich werde sie
auch Morgen und Uebermorgen haben, und bitte Euch daher, dieses heutige
Zusammensein als unser Letztes anzusehen.«

»Sie verstoßen mich?« rief James mit den Lauten des tiefsten Grams,
wollte heftig auf das Mädchen zugehen, -- faltete jedoch, sich
besinnend, die Hände, warf noch einen seelenvollen Blick auf Justine,
und empfahl sich dann rasch mit einer Verbeugung.

Justine hatte den schnellen Abschied nicht erwartet, und ihr aufgeregtes
Mißtrauen machte einem wärmern, mildern Gefühl Platz. »Ich habe dem
Monsieur vielleicht Unrecht gethan,« sagte sie langsam zu der
Offizierswittwe, die neugierig auf ihrer Stirne las; »allein was soll
ein Mädchen thun, dem ein Mann Ursache zu gerechtem Argwohn gab?
Aengstlich auf der Hut sein, denn die Männer sollen lieben, uns mit
Schlingen zu überziehen, und jenes Engländers Zufälle scheinen mir ein
Netz. Nun aber zu Ihnen, meine Gute. Ihr Gesicht gefällt mir, wie Ihr
Benehmen, das von keiner gewöhnlichen Herkunft zeugt. Lassen Sie mich
wissen, worin ich Ihnen noch gefällig sein könnte.«

»Meine junge Dame! ich habe schon so Vieles von Ihrer Güte genossen, daß
ich unbescheiden sein würde, wenn ich ein Mehreres verlangte. Ihre Hülfe
reichte hin, die Wohnung, in welcher Sie mich finden, wie ein
anständiges Wittwenzimmer auszuschmücken, und Sie würdiger aufzunehmen.
Darf ich noch begehren, daß Sie Ihrer Milde Etwas hinzufügen, so flehe
ich Sie nur an, dem guten Herrn White, der trostlos von Ihnen ging, zu
verzeihen, wenn ich gleich nicht weiß, wodurch er Ihren Unmuth
verschuldet hat.«

Justine bewegte ungeduldig das Haupt. »Warum reden Sie von ihm?« fragte
Sie: »Ich habe Krieg mit ihm, nicht Sie; Sie scheinen viel von ihm zu
halten.«

»Mademoiselle!« erwiderte die Lainez: »Ich lebe eigentlich nur in
meinen Wohlthätern. Von der übrigen Welt habe ich Abschied genommen,
seit ich meinen Mann verlor, der bei Denain den Tod eines braven
Soldaten starb. Gott sei gelobt, daß die Handlungen eines wackern
Mannes noch für dessen Wittwe und Nachkommen Früchte tragen.
Mademoiselle! mein Gatte, Victor Lainez, machte, -- wir waren kaum
einige Monate verbunden, -- an der Spitze seiner Grenadierkompagnie,
die Schlacht bei Malplaquet mit. Der Himmel wollte, daß er den
tapfern Boufflers aus der drohendsten Gefahr retten konnte, worein
ein scheu gewordenes Pferd den Marschall versetzt hatte; ferner, daß
er den kühnen Ritter St. George, der die Reiterei gegen die Feinde
führte, durch einen heldenmüthigen Angriff aus dem Gedränge riß. --
Villars belohnte freilich die seinem Nebenbuhler Boufflers geleistete
Hülfe nur mit Geiz und Verdruß, aber des Marschalls Familie verließ
mich doch nicht in meiner Noth. Und als ich, vom Mißgeschick dem
vaterländischen Boden entfremdet, hier in Krankheit verfiel, erwarb
mir des Ritters St. George Rettung einen Freund in dem guten James
White. Das Ungefähr machte ihn mit meiner Lage bekannt: kaum hörte er,
daß mein seliger Mann dem Stuart, den er mit vielen tausend Engländern
als König verehrt, einen Ehrendienst geleistet, als auch sein Beistand
sich verdoppelte. Er wußte, selbst mittellos, seinen Pflegevater, den
Doctor, in mein Interesse zu ziehen, -- mein Schicksal zu erleichtern,
und endlich in Ihnen nicht minder einen guten Engel für mich zu
gewinnen.«

»So?« versetzte Justine, beinahe mit einem Anstriche von Eifersucht: »Es
muß Ihnen peinlich sein, Madame, von einem jungen Mann abzuhängen.
Frauen sollten billig wieder nur Frauen die Erleichterung eines
unverdienten Mißgeschicks verdanken. Welches ist denn Ihr weiteres Ziel?
Ohne Zweifel sehnen Sie sich, in die Heimath zurückzukehren?«

Die Lainez schüttelte traurig den Kopf. »Ich finde nur Gräber dort,
die mir werth sind,« antwortete sie: »meine Lieben sind alle hinüber.
-- Weitläufige Verwandte, die die Aufhebung des Edikts von Nantes aus
ihrer Heimath verwiesen, leben zu Berlin. Ich kenne diese fremden
Vettern und Basen nicht, und fürchte, sie werden auch mich nicht kennen
wollen.«

»Ihre Furcht möchte gegründet sein,« begann Justine, nach einigem
Nachdenken. Die Lainez fuhr fort:

»Und ist es nicht grausam, daß ich diese Ueberzeugung hegen muß? Trage
ich denn die Schuld, daß mein Vater, seiner Familie Vortheil
berücksichtigend, den katholischen Glauben für sich und die Seinigen
annahm? Die Auswanderung hätte uns zu Grunde gerichtet, um Gut und Leben
gebracht. Im Grunde ist es ja doch gleichviel, unter welchen Gebräuchen
wir Gott verehren. Wir sind die Kinder _Eines_ Vaters, und, so gut von
ihm die zahllosen Sprachen verstanden werden, in welchen die Welt zum
Himmel betet, so gut versteht er auch des Herzens frommen Willen von der
Form zu sondern.«

Justine sah ihr bewegt, scheu und dennoch freundlich in's Auge. -- »Sie
sprechen gut, Madame!« sagte sie: »Sie erregen meine lebhafte Theilname.
Ich werde Sie wieder sehen; ganz gewiß, Madame. Ich will über Ihre
Zukunft mit Ihnen reden. Verlassen Sie sich auf mich. Ich bin ein junges
Mädchen, aber ich habe meinen eigenen Kopf. Ich dürfte Ihnen von
größerem Nutzen sein, als der Monsieur White. Es wäre mir lieb, wenn Sie
sich seinem Beistande entzögen, und mir erlaubten, Ihnen schicklichere
Dienste zu leisten. Ich muß überlegen, ... mein Gott! ich habe diesen
Morgen schon so Vieles gehört und gesehen;.... sagen Sie mir aufrichtig:
Sie wissen in der That nicht, was in Ihrem Hause -- Ihrem Zimmer
gegenüber, vorzugehen pflegt?«

»Wahrlich: Nein, Mademoiselle.«

»So bleibt mir nichts übrig, als die Delikatesse zu bewundern, womit
sich augenscheinlich eine Gesellschaft Ihrer annimmt, zu welcher Sie
eigentlich gehören, -- die es aber vermeidet, Sie in ihren Kreis zu
drehen, um Sie der Gefahr einer möglichen Entdeckung zu entziehen.
Oder.... will man erst Ihrer Verschwiegenheit gewisser werden.«

»Noch einmal, Mademoiselle, ich verstehe Sie nicht.«

Justine rieb sich ungeduldig die Stirne. -- »Ich werde ganz verwirrt,«
sagte sie: »Ihre Unwissenheit.... White's räthselhaftes Betragen.... ist
der Monsieur Protestant oder nicht?«

»So viel ich weiß: ja. --«

»Und Sie, Madame, sind, wie Sie sagten, Katholikin?«

»Aufrichtig zu sein, Mademoiselle, muß ich Ihnen bekennen, daß mein
Vater, ob er gleich zur Messe ging, dennoch Protestant geblieben. Wir
Kinder folgten, größer geworden, seinen Grundsätzen. Herr von Lainez
ließ mir freien Willen in Religionssachen. Meine Verwandten zu Berlin
werden freilich nie glauben, was ich Ihnen so eben gestand, aber es ist
nicht minder wahr, daß ich einem Rücktritt mich entgegen sehne.«

»Dann müssen Sie aus diesem Hause!« rief Justine lebhaft: »ja Madame.
Sie müssen, -- ehe Sie erfahren...«

»Was, Mademoiselle?«

»Ich werde überlegen, -- nachdenken, Sie dieser Lage entreißen. Glauben
Sie mir; ich will nur Ihr Heil, Ihres Lebens Wohl.«

»Erklären Sie sich....«

»Ein Andermal ... Morgen oder Uebermorgen! So eben schlägt die Stunde,
in der ich schon zu Hause sein sollte. Ich verlasse Sie jetzt, um Sie
bald gefaßter wieder zu sehen. Veranstalten Sie indessen, daß ich den
Engländer hier nicht finde. Leben Sie wohl, meine Beste. Keinen Dank
für die Kleinigkeit, die ich Ihnen reichen durfte; ich wünsche, ich
hoffe, ein Mehreres für Sie thun zu können. Adieu.«

Justine ging in der heftigsten Bewegung von dannen. Die Lainez folgte
ihr verlegen über den Hof; öffnete ihr die Pforte, und des Senators
Tochter eilte die Gasse hinauf. James, der an der Ecke ihrer wartete,
wie ein armer Sünder seines Richters, hätte zu keiner unpassenderen
Zeit in ihren Weg treten können.

»Was wollt Ihr?« fragte sie ernst und hastig, und streifte an ihm
vorüber.

»Mademoiselle!« entgegnete er verschüchtert: »hassen Sie mich nicht!
ich wollte meine Reue ... ich hatte nicht Ruhe; ... darf ich nicht ein
Wort...?«

»Incommodirt Euch nicht, Monsieur,« sagte Justine kurz: »Schleicht nicht
an meiner Seite hin. Bleibt zurück. Ihr wißt bereits wie ich denke.
Adieu.«

Der niedergedonnerte James blieb in der That, an der Geduld der Zornigen
verzweifelnd, zurück, und schlug den Weg in eine andere Straße ein. Er
rannte an einer bekannten Figur vorbei; an dem Kaufmannsdiener Berndt,
der ihn von der Seite mit einem Blicke, ohne ihn zu grüßen, maß, und
dann eiligst der Jungfer folgte, die er wahrscheinlich von ferne, mit
James redend, gesehen.

White hatte indessen nicht Zeit, nicht Besonnenheit genug, über diese
Begegnung nachzudenken. Die, wie er sich bewußt war, verschuldete
Mißbilligung und Verachtung eines geliebten Mädchens, auf dessen
Gedanken-Consequenz nicht gehörig gerechnet worden war, bekränkte ganz
allein sein Herz, erfüllte sein Gemüth. Er verwünschte im raschen Laufe
nach seiner Wohnung seine Bestimmung, sein Geschick, seine Liebe, und
den Zwang, dem er unterworfen. Mit thränendem Auge und hochschlagender
Brust erreichte er sein Stübchen, und warf sich, wie trostlos auf das
Lager. Er hatte nur wenige Minuten mit geschlossenen Augen seine Sinne
gesammelt, als er hinter der Bretterwand, die sein Gemach von dem
Schlafkabinete des Doctors trennte, das Geräusch einer aufgehenden und
zufallenden Thüre vernahm. Er horchte, und unterschied die Stimme des
Doctors, die Stimme des Senators Müssinger.

»Erholen Sie sich,« sagte der Erstere: »in allen Verhältnissen des
Lebens ist uns Fassung am nöthigsten. Der Mensch ist seiner Herr, sobald
er über seinem Schmerze, wie über seinem Glücke steht. Die Erinnerung an
das Jahr 1690 hat Sie übel angegriffen. Hier stört uns niemand; hier
lauscht niemand.«

»Arme Clara!« seufzte der Senator: »nach neun und zwanzig Jahren muß
sich Dein Andenken so grell in meinem Gehirne erneuern! In welcher bösen
Zeit, mein Freund! O, in welchen betrübten Stunden!«

»Clara ist im Himmel, Herr Senator. Sie sitzt zu den Füßen der
Gebenedeiten, und sieht gewiß segnend auf uns herab, denn dort oben
löscht jeder Groll aus, und Clara grollte Ihnen auch hienieden nicht.«

»Welche Reden, würdiger Herr! das sind Worte des Trostes, der
unendlichen Zuversicht auf unendliche Barmherzigkeit! Aber -- was hilft
es? Ein stummer Fluch verfolgt mich, -- und weil mein frevelhafter
Leichtsinn ein unschuldig Herz gebrochen, bricht die Schuld das
Meine. --«

»Der Schatz göttlicher Liebe ist groß, unermeßlich. Vertrauen Sie dem
Heiland. Ich darf seine Stelle auf Erden vertreten, wenn ein reuiges,
nach Versöhnung lechzendes Gemüth sich vor dem Kreuze in Staub wirft.
Sie erschraken beinahe, Herr Senator, als ich, Vertrauen mit Vertrauen
vergeltend, Ihnen bekannte, daß ich die Weihen meiner Kirche trage.
Wollte die heilige Mutter Gottes, daß Sie auch derselben angehörten! um
zu erproben, ob ich den Beruf und die göttliche Gnade zu meinem Stande
besitze.«

»O!« -- stieß der Senator nach einigen Augenblicken mit Gram und Kummer
heraus: »fast wünschte ich auch, einer der Ihrigen zu sein, daß ich auf
Milde und Vergebung rechnen dürfte. --«

»Die Sonne scheint dem Bösen, wie dem Guten;« antwortete der Doctor
mit Salbung: »Der Verirrte hat in seinem Irrthum selbst Anspruch
auf die Gnade seines Schöpfers: um wie viel mehr der Bereuende? der
Entfremdete, der einen Bild des Sehnens nach der traurenden Heimath
zurückwirft? Beruhigen Sie sich, bester Freund. Das Wort, das Sie so
eben gesprochen haben, macht Sie schon gleichsam zu den Unsrigen. Ich
trage daher, -- die Macht benützend, die unsere frommen Väter im Namen
des Statthalters Gottes auszuüben begannen, -- kein Bedenken, Ihnen
die Tröstungen unsrer Religion anzubieten, da Ihnen, wie ich bemerke,
diejenigen, welche Ihre bisherige Lehre Ihnen zu geben vermag, nicht
zulänglich scheinen. Sammeln Sie Ihr Gedächtniß, mein werther Sohn,
und erleichtern Sie Ihr Herz. Mein Ohr ist Ihnen offen, und meine Hand
bereit, jeden Kummer aus Ihrer Brust zu nehmen, und den Balsam der
Versöhnung dafür hinein zu legen.«

Der Doctor schwieg, und James hörte Stühle rücken, den Senator verlegen
husten, und endlich mit unsicherer Stimme erwidern:

»Ich danke Ihnen, würdiger Herr, für die Wohlthat, die Sie mir zu
erzeigen bereit sind. Allein, -- obgleich mein Herz sich nach der
himmlischen Speise sehnt, und ich nicht läugnen mag, daß es noch empört
ist von der starren Härte, mit welcher der Diener meiner Kirche meinem
kindlichen Vertrauen entgegen kam, -- so muß ich doch nicht minder
bekennen, daß die in der Jugend eingesogenen Grundsätze und Lehren mir
zu verbieten scheinen, von Ihrer barmherzigen Freundschaft Gebrauch zu
machen. Ich bin nie ein Kopfhänger gewesen, -- leide nur seit einiger
Zeit an den schweren Scrupeln meines Gewissens, -- ich darf nur von der
mildesten aller Religionen Milderung meines Zustandes erwarten, -- aber
-- das ist die Macht des Vorurtheils, wenn Sie es so nennen wollen, daß
ich in meiner Angst nicht weiß, ob ich in Ihren Vorschlag eingehen darf,
wenn ich gleich sonst an jeder Tröstung verzweifle.«

»Herr Senator!« lautete des Doctors ruhige und alsobald folgende
Antwort: »Sie gebrauchen das rechte, das wahre Wort. Vorurtheil! so
heißt die schwere Kette, die das Herz an die Erde bindet, während es
sich umsonst bestrebt, sich zu Gott zu erheben. In der heidnischen Fabel
von dem Vogel Phönix finden Sie den Zustand einer muthigen Seele
angegeben, die, über Zeit und irdische Hinfälligkeit hinaus verlangend,
sich durch ein heilig Feuer reinigt, um mit Gott vermählt zu werden. Die
Heiden verstanden selbst die Fabel nicht, die sie dichteten, aber dem
wahren Christen muß sie verständlich sein. Er verbrenne in der
Anschauung des Höchsten den vom alten Adam umsponnenen Körper, und mit
ihm alles Irdische, damit er in Gott verjüngt werde. Er lasse sich nicht
von weltliche und irrthümlichen Fesseln halten, um das Wahre zu finden.
Er verschmähe nicht die herrlichste Frucht, weil ihm etwa von Kindheit
auf aberwitzige Leute gesagt haben, sie sei ungesund.«

»Indessen,«, fuhr der Doctor fort, nachdem er einen Augenblick
inne gehalten: »indessen rottet man das Vorurtheil, für welches der
arme, irrende Mensch nicht kann, nicht mit Gewalt aus. Die zarten
Blumen verlangen von ihrem fürsichtigen Gärtner eine kluge, treue
und sanfte Pflege. Welche Milde entwickelt daher unsere Kirche, die,
allen Lästerungen zum Trotze, dennoch die weißeste, sanfteste -- und
freudigste Gärtnerin im Paradiese des Herrn ist? Sie spricht also zu
Ihnen, mein werther Freund und Beichtsohn: Es ist nicht zu läugnen,
daß gebieterische Umstände das Abweichen von der gewohnten und
vorgeschriebenen Regel entschuldigen. So gilt zu Zeiten das mündliche
Testament eines vom gerichtlichen Testiren abgehaltenen Sterbenden;
-- so gilt die Nothtaufe des Vaters, der Wehmutter, und im dringenden
Fall tauft Wein oder Sand wie das reinigende heilige Wasser. -- Soll
ich noch von den Begräbnißgebräuchen reden, die der Capitän eines
Schiffes, in Ermangelung eines Geistlichen an den verschiedenen
Matrosen verrichten darf? oder von der Absolution, die im Augenblicke
der Schlacht der Soldat seinem Nebenmanne ertheilen darf, als komme
sie aus Priesters Munde? Es wäre überflüssig, mich weiter darüber zu
verbreiten. Ihre Seele liegt in Extremis, Herr Senator, und ob ein
katholischer Priester oder ein Prädikant ihr beisteht, -- gleichviel!
wenn sie nur gesundet!«

»Wahr, ehrwürdiger Herr!« versetzte Müssinger: »jedoch...«

Der Doctor unterbrach ihn alsobald: »Mit wie viel größerem Rechte aber
bietet Ihnen _meine_ Kirche ihre tröstende Hand! Sie dringt sich Ihnen
nicht auf, sie bettelt auch nicht um ihre Genehmigung zu Ihrem Heil! Sie
will Sie nicht erst überreden, sich zu ihr zu wenden; sie macht alte
Rechte auf Sie geltend. Wahrlich, mein Herr Senator, was auch Ihre
Partei sagen mag: Die katholische Kirche ist Ihre Mutterkirche. _Sie_
haben ihren Schooß verlassen; aber die Mutter hat _Sie_ nicht
aufgegeben, Sie sind, indem Sie zu den Gebräuchen der katholischen, der
Allgemeinen Kirche zurückkehren, kein Proselyt für diese Letzte, kein
Abtrünniger von Ihrer Sekte; -- Sie sind ganz einfach nur dem verirrten
Kinde zu vergleichen, das wieder ins Vaterhaus zurückkommt, und sich an
die gewohnte Stelle am Tische setzt. Die römische Kirche ist Ihr Haus,
auf welches sich Ihre Ansprüche nicht verjähren, so wie sich hinwiederum
das Recht derselben auf Sie nicht verjährt; ob es anerkannt werde, oder
nicht. Darum begehen Sie nicht nur keine Sünde, sondern Sie üben eine
Tugend, wenn Sie dem Zuge Ihres Herzens ohne Zweifelmuth folgen, da es
Ihnen selbst sagt, daß ich wahr geredet habe.«

»Ihre Worte rühren und ergreifen mich,« erwiderte der Senator,
»verlangen Sie aber nicht, daß mein so befangener geängstigter Geist
sich davon überzeugen lasse. Ich bin keiner der Frommen in meiner
Kirche, aber wenn es darauf ankömmt, die dem Knaben eingepflanzte Lehre
zu vertauschen, so rasch, so unüberlegt...«

»Verlange ich denn dieses?« fragte der Doctor sehr sanft, »Hat denn der
Mensch seinen freien Willen umsonst? Ist denn die Kirche neidisch auf
den Pflegling, der einer irrthümlichen Idee nachjagt? Keineswegs. Dem
Vater ist es Freude genug, wenn der Sohn einmal wieder nach Hause kommt,
unbekümmert, ob ihn der nächste Augenblick wieder von dannen reiße. Weil
die Mutter nur um Seinetwillen das Kind liebt, füllt sie dem Scheidenden
die Reisetasche mit köstlicher Speise und mit Ruhe die Brust. Mag es
dann wieder fremdem Zuge folgen; sie liebt es nicht minder zärtlich.«

»Sie meinen also, daß der Seelentrost, den Sie mir verheißen, von mir
genossen werden kann, ohne daß ich aus der Glaubensbahn treten müßte,
die ich bisher beschritt?«

»Nichts faßlicher, als dieses. Soll ich von Ihnen einen Eid verlangen,
der Sie um nichts näher dem Vater bringt, dem Sie doch einmal angehören?
Werde ich von Ihnen erst ein Glaubensbekenntniß fordern, das von dem
Verlangen Ihrer Seele schon ausgesprochen wurde? Ohne es zu wissen,
waren Sie schon wieder der Unsrige geworden, -- und ist, mein werther
Beichtsohn, in Ihrem Sünden-Bekenntnisse und der daraus entspringenden
Vergebung, der erneuerte Bund mit der wahren Kirche erst aufgegangen, so
ist Alles geschehen, was Sie im Grunde bedürfen. Sie sind im Innern
wieder geworden, wozu Sie Gott erschuf, und das genügt uns. Von Ihrem
Gutdünken, und der Forderung Ihrer Seele allein wird es abhängen, ob Sie
nicht in der Befolgung aller Gebräuche unsrer Kirche eine größere
Beruhigung finden möchten. Die Weisheit Gottes und seines
Stellvertreters auf Erden ermächtigt uns, in den Fällen, deren Gewicht
unsre Nachsicht verlangt, den Rücktretenden, den heimkehrenden Söhnen
und Töchtern, jede öffentliche Aussprechung dieser Handlung zu erlassen,
damit die Vereinigung mit der allgeliebten Mutter, dem Vater und dem
Sohne, und dem Geiste, nicht durch weltliche Rücksichten und
Bedenklichkeiten aufgehalten oder gar verhindert werde. Doch dieses
berührt Sie vor der Hand nicht, mein werther Beichtsohn, den ich als
einen Gast freundlich zum Tische des Allbarmherzigen lade. Machen Sie
sich demnach keine weitere Gemüthsbewegung; sammeln Sie Ihre Gedanken,
und beginnen Sie, im Namen der heiligsten Dreifaltigkeit, die
ungeschmückte schlichte Schilderung des Kummers, der Sie bedrängt, und
der Sünden, von denen Wir Alle nicht rein sind, in meinen Schooß
niederzulegen.« --

James hörte, wie hierauf der Senator mehreremale heftig auf und ab
ging, wie er sich alsdann mit einem tief aus der Brust geholten:
»Ach! in Gottesnamen denn!« neben dem Doktor niederließ, -- wie er
mit gedämpfter Stimme begann, demselben sein Herz zu eröffnen. Ein
unbehagliches Gefühl, mit dem Gedanken verbunden, daß es edler und
gewissenhafter sein würde, nicht länger den Horcher abzugeben, --
die Scheu endlich, ein Beichtgeheimniß zu erlauschen, vermochte den
Jüngling, ohne Geräusch vom Lager zu entweichen, und sich an das
Fenster zurückzuziehen, das in den Garten eine friedlich reizende
Aussicht gewährte. Er verlor sich in den Träumen seines Verstandes,
in den Bewegungen seines Herzens, und sein wachendes Auge theilte
sich mit dem Letztern in das Geschäft: eine Täuschung zu geben, die
dem Hellsehen ähnlicher ist, als dem gewöhnlichen Spiele aufgeregter
Einbildungskraft. Die Bohnenlaube des Gartens gestaltete sich zu dem
Hause des Senators, und darinnen waltete ein liebliches, wohlbekanntes
Bild, das, einem Zauberwerke gleich, den Beschauer durch unendliche
Anmuth fesselte, durch unendliche Seltsamkeit abstieß. Dem jungen
Engländer kam es vor, als sei es ihm vergönnt, in das Innere Justinens
einen scharfen Blick zu werfen; als sei er auf dem Punkte, dieses
holde und quälende Räthsel zu entziffern. Justinens Blicke sprachen
Empfindung für den Freund, Liebe für den Liebenden aus, und vergebens
schien der trotzige Mund es zu leugnen, das fremde Wort es zu
verneinen. James sah sein Bild in ihrem Herzen leben, während ihre Hand
es muthwillig von sich warf. Warum wehrst du dich gegen das Gefühl, das
uns verbinden möchte? fragte seine Zunge stille vor sich hin: Siehst
du denn nicht, daß ich dennoch im Grunde deiner werth bin? daß mein
Herz nicht böse, meine Seele ohne Falsch ist? Betrübe dich doch nicht
um meiner Handlungen willen! Verachte mich doch nicht um ihretwillen!
Sie sind mir ja von einem harten Loose aufgegeben: noch bin ich zu
schwach, den Bann zu zerreißen, der mich zu einem Maskenspiele zwingt,
das ich Muth haben möchte, zu verabscheuen, und zu endigen! Ich kann
ja nur durch deine Liebe zum Manne werden, nur in dir meine Stütze
finden, so wie du in mir, denn verwaist stehen wir beide: Du, einsam
im Vaterhause zwischen den lebendigen Eltern, -- ich, in der Fremde,
zwischen dem Schaffot, das meinen Vater, und dem öden Grabe, das
meine Mutter verschlang! Wenn ich dich rufe, damit du mich zu kühner
That begeisterst, -- wirst du mich nicht hören? Wenn ich meine Arme
nach dir ausstrecke, um dich an mein Herz zu ziehen, -- wirst du dich
ewig sträuben? -- Das Bild der Geliebten entzog sich den Armen des
Jünglings nicht; es beugte sich aus den spiegelhellen Fenstern, --
heller, klarer als diese; seine Brust pochte vor Entzücken, seine Hand
zitterte vor Wonne, und doch blieben der Sehnende und die Gewährende
getrennt. Ein dunkles Feld schob sich zwischen Beide. Ein Thurm schoß
auf aus der Tiefe, und trug Justinens Gestalt bis zu den Wolken, daß
der Zurückbleibende bald ihre Züge nicht mehr unterscheiden konnte.
Statt ihres glänzenden Auges blinkte ein vergoldeter Thurmknopf
auf die Wasserwüste hernieder, die auf ihren unstäten Wellen den
Jüngling fortzureißen schien. Wie vorhin die Laube zum Hause, so
wurde nun die hochstrebende Tanne zum Maste, von welchem schwarze
Wimpel flatterten. Je frischer der Wind über des Gartens Blumenbeete
strich, und deren Häupter bewegte, je drohender schienen die Wasser
zu schwellen, und James ängstigte sich, von Heimweh und Sehnsucht
gemartert, auf der reißenden Fahrt. Wohl klärte sich der betäubende
Schwindel wieder in ein helles Bewußtsein auf; -- wohl warf an den
Ufern eines reizenden Landes die Hoffnung den Anker aus, und es rastete
der fluthenschneidende Kiel ... wohl winkte aus dem Myrthengebüsch
am Strande, aus den Palmenwipfeln der Höhen ein reizendes Weib,
verführerisch in ihrer Anmuth und in fremder Tracht und Sitte...,
James konnte nicht weilen im herrlichen Gebäude, durfte nicht rasten,
wie das verlassene Schiff. Justine schwebte ja über den blauen Bergen
des Horizonts; ihre versagende Geberde, ihr strenges Lebewohl, riß
ihn ja dahin wie mit Göttergewalt, -- bis unter den Blätterbehängen
eines lautlosen Waldes ihre Huldgestalt verschwand, ihr abmahnender
Ruf verhallte. James konnte ihr nicht mehr in das Innre jenes
geheimnißvollen Waldes folgen, denn seine Sinne endigten, erschöpft
von den übermenschlichen Hindernissen, die ihre eigene Laune gebar,
das trügerische, peinliche und dennoch angenehme Spiel. Es war mit
einem Schlage Alles um ihn her, wie zuvor; der Thurm zur kleinen Laube,
der schwarzgewimpelte Mast zur düster belaubten Tanne geworden. Das
wogende Meer hatte sich wieder in ein Blumenfeld, die myrthenbekränzte
Küste in des Nachbars wohlgeschmückte Orangerie verwandelt; der blaue
Gebirgsrücken in das hohe Schieferdach der Paulskirche; der schweigende
Wald in die Pappelspitzen des zu St. Paul gehörenden Friedhofs. Das
Schauspiel war vorüber, und den Gedanken des Jünglings wurde sogar
verwehrt, ihm einen grübelnden Epilog zu halten, denn die Herren im
Nebenzimmer, die wieder angefangen hatte, laut zu sprechen, erregten
des fast unwillkürlich Lauschenden Aufmerksamkeit.

»Sie können von der Sünde, die Sie sich zuzurechnen haben, nur in Ihres
Gewissens Buße und im Gebete Befreiung finden,« hob der Doctor ernst und
mit bewegter Stimme an: »Gott und die Barmherzigkeit sind Eins: ich darf
Ihnen im Namen des Allbarmherzigen Vergebung zusichern, und muß jetzo
doppelt beklagen, daß Ihre Eltern Sie den Gebräuchen der wahren Kirche
entfremdet haben; ein Irrthum, woran Sie unschuldig sind; der aber
nichts desto weniger störend auf Ihren Seelenzustand in vorliegendem
Falle einwirken muß.«

»Wie das, mein würdiger Vater?« fragte der Senator mit zerknirschter und
erschöpfter Stimme.

»Hätten Sie den Muth, den Willen, mein Sohn,« -- begann der Doctor
wieder, -- »mehr als ein Gast am Tische Ihres Vaters, in den Armen Ihrer
Mutter zu sein, -- würden Sie aufhören, die heiligen Glaubenslehren
wegzuweisen, die allein unsere Glückseligkeit ausmachen, -- in einem
Augenblicke würde Ihr Herz beruhigt, glücklich sein. Ich würde Sie _los_
sprechen; das Vergangene gänzlich ungeschehen machen. Vermittelst einer
kleinen Buße, die den Armen zu Gute käme, und einiger geistlichen
Betrachtungen könnte ich jedweden Fehler von Ihrem Haupte nehmen,
während ich jetzo nur als Freund Sie auf des Ewigen Liebe zu verweisen
habe. Ihre Prediger, mein Lieber, sind gut und böse, wie die Welt; aber
die Besten unter ihnen, die Gelehrtesten, wie die Spitzfindigsten, die
Tugendhaftesten, wie die Klügsten, ermangeln des Stempels, der ihrem
Thun die Weihe aufdrücken könnte. Gewandtheit in der Rede und in der
Dialektik ist nicht die Gelehrsamkeit vor Gott, dem das Opfer lieber
ist, als ein wohlgesetzter Sermon. Ihre Prediger, Herr Senator, sind
nicht Priester, und gleichwie ihr Gewand sich dem Weltlichen nähert, so
ist leider ihr Geschäft nur ein Weltliches. _Uns_ ist vom Heiland die
Macht vertraut, zu lösen. Darum sprechen wir mit voller Zuversicht die
zuversichtigen Glaubensbrüder los, während Ihre Geistlichkeit, indem sie
dem Gewissen des Pönitenten und einem oberflächlichen sorglosen
Vertrauen auf den Höchsten alles Sündenwesen anheimstellt, an jedem
Beichttage eine Sünde mehr auf das Haupt derjenigen ladet, die ihr
glauben.«

»Sie sprechen hart ab, würdiger Herr.«

»Nicht so hart, als man über uns das Verdammungsurtheil fällt. Gott
duldet aber diese Schmähungen seiner Kirche, damit ihr Sieg einst
glänzender werde. Seine Langmuth kennt nur die weitesten Grenzen. Hin
und wieder warnt sie scharf, aber der taube Irrende überhört den Ruf der
Warnung. Ein Beispiel, mein Lieber: Es sind kaum sechs Monden
verflossen, seit an einem Vorbereitungs- und Beichttage in der
Johanniskirche, plötzlich, wie aus heiterem Himmel kommend, ein
Blitzstrahl in die Emporkirche schlug, die Orgel beschädigte, das in
Marmor gehauene Evangelienbuch über dem Altare zertrümmerte, und durch
ein offenstehendes Fenster in's Freie fuhr. Sehen Sie hierin einen
Fingerzeig des Ewigen, der in seinem Gewitter warnte, und dennoch nicht
strafte, da kein Mensch beschädigt wurde, und der Organist mit einer
leichten Betäubung davon kam.

Der Tag, an welchem dieser merkwürdige Vorfall Statt hatte, das kecke
Sinnbild, das der Blitz zertrümmerte, Alles erregte die gerechten
Bedenklichkeiten der Menge, die immer mehr bereit ist, Gottes Willen zu
erkennen, als ihren Führern lieb ist. Ihre Geistlichen verkündigten
freilich von den Kanzeln, daß man den Schöpfer beleidigen würde, wollte
man in der reinen Zufälligkeit jener _Naturerscheinung_ den Ausdruck
seines Zorns erkennen. Was soll man jedoch von den gelehrten Männern
denken, die am folgenden Tage vielleicht mit aller Wärme den Satz
vertheidigen, daß kein Sperling von dem Dache, kein Haar von unserem
Haupte fällt, ohne den Willen des Allmächtigen? -- Den schlechten Vogel
auf dem Dache also, das dünne Haar auf unserem Scheitel vermag er zu
halten, aber nicht das Gewitter, auf dem er daherfährt? nicht den
Blitzstrahl, seinen fürchterlichen Macht- und Zornboten?«

»Ich sehe Sie in Gedanken vertieft,« fuhr er nach einer Pause fort,
während welcher sich der Senator ganz ruhig verhielt: »Lassen Sie uns
abbrechen. Die Gnade des Herrn arbeitet an Ihrer Wiedergeburt. Folgen
Sie Ihr. Jeder Mensch ist zur Gnade reif, wenn er nur will, und die Wege
zur Besserung einschlägt. Jeder Sünder oder Irrende, der das Heil
_sucht_, hat Theil an demselben, weil Christus es für Alle durch sein
Blut erworben hat, und man muß gerade nur Jansenist sein, um diesen
Trost läugnen zu wollen. Gehen Sie hin: ich bin überzeugt, daß Sie nach
den acht Tagen Bedenkzeit, die ich Ihnen hiermit erlaube, freudig zu mir
zurückkehren werden, um das Kleid der Unschuld völlig anzuziehen.«

Der Senator seufzte wieder schwer, und setzte zögernd hinzu: »Was
die Summen betrifft, würdiger Herr, welche den Betrag der Wechsel
ausmachten ... mich peinigt der Betrug des Augenblicks. Ich könnte
freilich, -- Dank sei es jenem blinden Glückszufall, -- dem Erben die
Summen abtragen, allein schon zirkuliren sie im Handel. Mein gesunkener
Credit bedurfte starken Aufschwungs, -- jetzt kann ich das Geld nicht
wohl ermangeln. In einigen Jahren allenfalls, ... der Himmel behüte
mich, es gänzlich abläugnen zu wollen ... aber ... wie gesagt..«

»Ich weiß bereits,« versetzte der Doctor: »ich glaube, daß Sie vor der
Hand die fraglichen Summen gar wohl behalten dürfen. Wären Sie unsers
Glaubens, ich würde unumwunden sagen: Behalten Sie das Geld, mein Sohn.
Ihr redlicher Wille, es einst wieder zurückzuzahlen, genügt der Moral
vollkommen, da -- Erstens -- Sie sich durch die einstweilige Verwendung
der Summen aus der bedenklichsten Lage retten, und Selbsterhaltung
die erste Pflicht ist; da -- Zweitens -- der jetzige Creditor in
seinem Reichthume des Geldes nicht bedarf. Bei Ihnen ist =periculum=;
die Gelder, einst mit Interessen zurückgegeben, werden ihm doppelt
erwünscht kommen. Sollte hingegen zu jener Frist er selbst nicht mehr
leben, und keine Familie hinterlassen, so befreien Sie, der Kirche
eine Stiftung von dem Gelde machend, Ihr Gewissen völlig. Wären etwa
Hinterbliebene vorhanden, so genügen Sie den Anforderungen der Moral,
wenn Sie unter diese und die Kirche den Betrag gleich vertheilen:
denn, da die Erben persönlich kein Unrecht erlitten, so entschädigt
sie hinlänglich die Hälfte, während die andere, zu milden Stiftungen
verwendet, am zweckmäßigsten die Rechnung mit dem Verstorbenen
ausgleicht.«

»Sie sind ein wackerer, kluger Mann,« versicherte der Senator mit
leichterem Herzen: »Ich fühle Vertrauen zu Ihnen, wie zu keinem Menschen
auf der Welt. Sie beruhigen meine Seele durch einige Worte mehr, als
alle unsere Geistliche durch ihre strengen Forderungen und schwülstigen
Reden. Ihre Sittenlehre paßt in die Welt, wie sie ist. Sie verstehen die
Bedürfnisse eines Hausvaters und Geschäftsmannes zu beachten. Wenn nur
die Gestalt des armen Birsher von mir weichen wollte!«

»Die Absolution ist der beste Exorcism gegen die Gespenster des
Gewissens. Nur die Lossprechung wälzt den Fels, den verschuldeten, von
Ihrer Brust. Sie wissen den Weg zur Gnade. Wählen Sie in Zeiten.«

»Wenn mich nur die Furcht vor Sünde nicht abhielte, meine Sündhaftigkeit
zu heilen!« sagte der Senator ängstlich: »Ich armer Mensch!«

»Wir halten häufig für Sünde und Verbrechen, was eine gleichgültige
Handlung ist. Menschensatzung ist immer voll von Fehlern, und das
Lutherthum ist eine solche. Der heilige Petrus konnte _uns_ wohl
Worte vom Himmel bringen, er vernahm sie aus dem Munde seines
himmlischen Meisters. Der Augustinermönch von Wittenberg konnte Ihnen
nur Weltliches lehren. _Wir_ öffneten ihm die Arme, _er_ stieß uns
verstockt zurück. Wer handelte hier im Geiste des versöhnlichen Gottes?
Ein Cardinalhut hätte den ehrgeizigen Mönch beschwichtigt und zahm
gemacht; die demüthige Kutte behagte ihm nicht mehr. Am römischen Hofe
nannte man es Verbrechen, den Widersacher durch heilige Würden kirren
zu wollen. Er nannte es zu Worms ein Verbrechen, der milden Mutter
reuig entgegen zu kommen. Was ist also Sünde, so lang die Welt es
mit Recht und Unrecht zugleich hält? Würde man zu Hamburg Ihnen ein
Verbrechen daraus machen, daß Sie in der Lotterie spielten, und das
große Loos gewannen? Gewißlich nicht, während man Sie hier, würde es
bekannt, aus dem Senate stoßen würde. -- Wird ein unbefangener Mensch
Sie eines Verbrechens beschuldigen, weil Sie nun wissen, daß ich ein
katholischer Geistlicher bin, und weil Sie nicht hingehen, um mich zu
denunciren, damit man mich aus der Stadt bringe? Sicher: nein. Und doch
würden Sie Ihrer Würde verlustig und in starke Geldbuße verfallen sein,
erführe es die Stadt. Thun Sie Recht, bereuen Sie das Vergangene, damit
Gott Ihnen vergebe. Werden Sie einer der Unsern, daß ich die Freude
haben kann, Ihr Gewissen gänzlich zufrieden zu stellen. Dahin gehe Ihr
Trachten. Besuchen Sie mich, wie Nikodemus den Herrn, im Stillen: Sie
sollen immer in mir den verschwiegensten, den treuesten Freund finden.«

»Der Engel Clara spricht für Ihre Tugend und Ihre Liebe!« rief der
Senator unter Thränen, die an des Doctors Brust zu fließen schienen.

»Um Clara's willen also, Herr Senator,« versetzte der Doctor
eindringlich: »Muth! heilsamer Entschluß! Vertrauen zu mir und meinen
Worten. Um Clara's willen, armer zweifelnder Mann!«

Nach einer kurzen Stille hörte der junge Engländer den Senator
fortgehen. Der Doctor rief nach seinem Frühstück, sang seinem
Lieblingsvogel eine Melodie vor, und als James die Tasse klirren hörte,
glaubte er, es sei an der Zeit, dem Pflegvater sich vorzustellen.

Der Doctor hatte die Gewohnheit, sich zur Zeit des Frühstücks in sein
Cabinet zurückzuziehen, um daselbst ungestört sein Brevier beten zu
können. James fand ihn damit beschäftigt. Leupold legte das Buch
indessen alsobald weg, und sagte heiter: »Guten Morgen, mein Sohn. Du
findest mich erfreut, denn Gott will erlauben, daß ich wieder eine Seele
zu dem Freudenreiche der alleinseligmachenden Mutter zurückführen darf.
Wie hat sich deine Bemühung belohnt, James? Ich glaube, dich in der
Kapelle gesehen zu haben.«

James berichtete mit Bedauern und Achselzucken. Der Doctor hörte
aufmerksam zu. »Recht gut!« sagte er alsdann. »Ich finde keinen Grund
zum Verdruß und zur Mißbilligung. Das Mädchen hat, wie du sagst, mit
gespannter Neugierde die Messe abgewartet? folglich hat die heilige
Handlung Eindruck auf dasselbe gemacht. Der Reiz des Mysteriösen
vollendet die gegebene Richtung. Plaudern wird Justine nicht. Sie
scheint fester und verschlossener zu sein, als Mädchen gemeinhin zu
sein pflegen. -- Die Lainez soll hier ihr Meisterwerk machen. Seitdem
sie hier ist, hat sie, den jungen Pahlens ausgenommen, keine Seele
gewonnen. Die Frau ist noch zu jung, zu hübsch, zu eitel, um mit
Vortheil wirken zu können. Sie wirft ihre Netze nach Männern aus,
während sie die Frauen erobern sollte. Die Kunst, die sie besitzt,
ihr Aeußeres zu formen, wie es die Nothwendigkeit erheischt, -- ihre
Geschicklichkeit, den Protestantismus auszuhängen, um eben durch diese
List für die gute Sache zu werben, -- diese lobenswerthen Eigenschaften
sind mir wohl bekannt; aber ich wünschte dennoch, der Pater Superior
hätte mir eine andere Mitarbeiterin, älter, gediegener, zuverlässiger,
an die Seite gestellt. Eine solche würde auch dich, mein Sohn, mehr
zu begeistern vermögen, als diese Lainez kann, von der du dich
augenscheinlich abwendest.«

»O, mein Vater;« entgegnete James mißmuthig: »die heuchlerische Lainez,
wie ich, wir spielen eine recht gehässige Parthie.«

»Wieder die alte Klage?« fragte der Doctor finster: »Du wirst mich
zwingen, dich vor Beendigung meiner Mission in's Noviziat abgehen zu
lassen. Schweige, wenn du nichts Verständigeres vorzubringen weißt. Dort
liegen Frachtbriefe, Rechnungen, und zu beantwortende Missiven. Schreibe
ab, trage in's Buch und auf mein eigenes Register. Vergiß nicht
nachzurechnen, mein Sohn. Der Ansatz der Medizinalkräuter und
Farbehölzer, den mir der Pater Thomas Cosedro von Assumption beigelegt
hat, scheint mir übertrieben. Sieh vorläufig nach, bis der Capitän
selbst angelangt sein wird. Ich erwarte ihn bald. Ich werde nun
ausgehen, und mein Brevier im Freien lesen, und bei Spaldinger Wechsel
für das Provinzialat negoziren, und dem Himmel danken, daß er unsers
Ordens Bemühungen in hiesiger Stadt mit außerordentlichem Gedeihen
segnet. Wir zählen bereits mehrere bedeutende Männer zu unserer kleinen
Gemeinde, und der Beitritt eines einflußreichen Rathsherrn soll unserer
Mission, mit Christi Hülfe, größere Sicherheit und ein erfreuliches
Bestehen erleichtern. Gott erleuchte dich, mein Sohn, und behüte dich,
bis zum Wiedersehen!«

Wie der Doctor, nachdem er sein Haus verlassen, seine Wechselgeschäfte
verrichtet, wie er sodann unter den Bäumen der sogenannten Brunnenhaide
seine Gebete mit geflügelter Zunge abgethan, -- im Voraus weglesend, was
noch zum Nachmittag aufbehalten hätte bleiben sollen, bedarf keiner
weitläufigeren Beschreibung. Zufrieden, von Niemand in seiner
Andachtsübung gestört worden zu sein, schob er das Buch in die Tasche,
und ging zur Stadt zurück, berichtigte an der Brücke auf's Pünktlichste
den Zollpfennig, grüßte freundlich und ergebenst alle Gutgekleideten,
die an ihm vorüber kamen, und nickte mit verstohlener Herablassung
einigen gemeinen Arbeitsleuten zu, die eben so verstohlen beim Läuten
der Mittagsglocke ihre Kappe zogen. Die Höflichkeit des klugen Mannes
erstreckte sich sogar auch auf leblose Gegenstände. Vor dem
Schilderhause an der Thüre des ersten Bürgermeisters, vor dem
Stadtwappen über dem Thore des Rathhauses, vor den Kanonen der
Hauptwache, zog er den Hut ab, und entblößte sein Haupt beinahe vor
jedem ansehnlichen Hause, wenn gleich aus dessen Fenstern Niemand sah.
Sobald er wieder in die engen Straßen seines Viertels kam, machte die
Demuth dem Selbstbewußtsein Platz, und in der That war eine in jener
Gegend vorfallende Begebenheit ganz dazu geeignet, seinen Ideen eine
andere Richtung zu verleihen. In einem engen Gäßchen standen alle
Bewohner vor den Thüren. Viele fremde Nachbarn aus den anliegenden
Straßen erfüllten den Eingang des Gäßchens, und all' die zerstreuten
Gruppen gafften nach einem Hause, das auf seinem Aeußern schon das
Gepräge der Armseligkeit trug, hätte man auch nicht an dessen Fenstern
die blassen, von Schmutz und Hunger entstellten Kindergesichter gesehen,
die daraus auf die schwatzenden Leute starrten. Schon hatte sich der
Doctor zu einem Trupp plaudernder Schustergesellen gewendet, um
Erkundigungen einzuziehen, als aus dem Hause, nach welchem alle Blicke
sahen, der Pastor der Johanniskirche trat; im Amtskleide zwar, aber mit
dem feindseligsten Gesichte. Dem heftig ausschreitenden und schnaubenden
Manne folgte der gutmüthige Arzt Häckel, den das Volk gemeinhin nur den
Armendoctor nannte, und verschwendete manches gutgemeinte Wort des
Zuredens. Mehr noch indessen, als des Arztes Fürsprache griff das
Gesicht und das Aeußere eines andern Mannes, der hinter dem Arzte
einherschlich, an jedes halbmenschliche Herz.

Der Prediger in seinem Unmuthe wurde jedoch nicht gerührt.

»Keine Begleitung, keine Nachrede!« sagte er heftig: »Verehrtester Herr
Doctor Häckel! kein Jota weiter! und Er, Monsieur, schweige Er vollends.
Ich mag kein Wort an Ihn verlieren. Er hat mich betrogen, mir und der
Bürgerschaft ein Scandalum gegeben. Hätte ich von Anfang gewußt, mit
welchem =nebulone=, mit welchem Gelichter ich's zu thun haben sollte,
... nicht einen Schritt weit wäre ich gegangen! nicht Seine _Schwelle_
hätt' ich betreten!«

»Aber, ehrwürdiger Herr Pastor! eine Sterbe...« stammelte der so
unsanft Zurechtgewiesene.

»Was kümmert das mich?« eiferte der Geistliche mit größerem Unwillen:
»Wie gelebt, so gestorben. Wem Ihr Leute im Leben angehörtet, dem bleibt
auch im Tode. Helf Euch der, dem Ihr Euch übergeben, Ihr Auswurf!«

Er ging mit allen Zeichen fortdauernden Zorns aus der Gasse, und die
Mehrzahl der Gaffenden zog hinter ihm drein. Der Doctor sah noch, wie
der gutmüthige Arzt Häckel dem in seiner Betrübniß verstummenden
Bewohner jenes Häuschens ein Stück Geld in die Hand drückte, wie er,
mitleidig, aber ohnmächtig die Achseln zuckte, und sich dann eiligst
entfernte.

»Dem hat's der Pfarrer recht gesagt!« lachten einige rohe Bursche im
Vorübergehen; und auf Leupolds Fragen erwiderte ihm ein alter Bürger,
der, traurig den Kopf schüttelnd, sich ebenfalls zum Gehen wendete:

»Lieber Herr, Sie glauben nicht, welch ein Jammer das ist! Der Pastor
mag wohl im Grunde Recht haben, aber hart ist's, wenn man bedenkt, daß
die Armen doch Menschen sind!«

»Erkläre Er sich genauer, mein Freund.«

»Sie müssen wissen, lieber Herr, daß der blasse Mensch, der eben wieder
wie ein Verzweifelter in's Haus geht, ein Komödiant ist. Er gehört zu
der Bande, welche mit Erlaubniß des preislichen Magistrats in der Bude
auf dem Schwanenmarkte spielt. Vor acht Tagen sind die Leute erst
angekommen, und jener Mann, der eine schwerkranke Frau und vier oder
fünf Kinder mit sich führt, hat bei dem Wagenmeister Ulrich eine Wohnung
gefunden. Die Menschen behelfen sich gar kümmerlich in der feuchten
Stube und schlafen, so zu sagen, auf der schwarzen Erde. Da ist die Frau
nun kränker geworden, und bis an's Sterben gekommen. Der Armendoctor,
der um Gotteswillen zu ihr kam, und die Arznei aus seiner Tasche
bezahlte, hat dem armen Mann vertraut, wie schlimm es mit dem Weibe
steht, und ihn aufgefordert, sich nach geistlichem Zuspruch umzusehen.
Der Pastor ist zwar wie der Blitz bei der Hand gewesen, aber kaum hat er
gehört, daß die Frau eines Komödianten Weib sei, und -- wie ich
meine, -- demselben nicht einmal angetraut, als er ihr das Abendmahl
versagte. Wie es alsdann mit dem Begräbnisse gehen wird, das weiß Gott.«

Der Doctor ging, an der entsetzlichen Lage der Armen Antheil nehmend,
auf das elende Häuschen zu, blickte durch's Fenster, und übersah eine
Scene des Jammers, die sich jedes fühlende Herz versinnlichen mag. Das
Weib lag, von Verzweiflung und Schwäche gleich erschöpft, auf dem
elendesten Strohlager, und lallte die Worte: »Ach, Joseph! Joseph! warum
sind wir nur geboren worden? Ach, wie verläßt uns Gott! Ach! was soll
aus den Kindern werden!«

Und die Kinder schrieen, und der Mann stand im Winkel, drückte beide
Hände vor die Augen, und das eiskalte, bleiche, abgezehrte Gesicht
sprach mehr, als Worte vermocht hätten. Des Doctors Herz wurde aber noch
einmal so schwer, als er in des Mannes Zügen, besonders dann, als er
wieder die Augen öffnete, und wild zum Himmel hob, die Züge eines
bekannten Gesichts erblickte. Er klopfte rasch an's Fenster. Langsam
öffnete es der Trauernde. Der Doctor reichte ein Scherflein hinein, und
fragte leise: »Wie ist Euer Name, mein Freund.«

»Ich heiße Wohlgemuth, mein Herr«

Der Doctor schüttelte den Kopf. »Das ist nicht Euer wahrer Name, Mann
Gottes. Sagt mir den rechten.«

Der Mensch sah ihn verwundert an, und rieb sich verlegen die Hände.

»Ich wundre mich, daß ich meinen ächten Namen nicht schon vergessen
habe,« sagte er schmerzlich: »aber weil Sie so bestimmt fragen, will ich
ihn doch wieder einmal aus dem Gedächtniß hervorholen. Ich hieß einmal
Joseph Litzach.«

»Weiß Gott! er ist's!« sagte der Doctor, wie vor sich hin. »Ich kenne
Euch,« setzte er bei: »ich wünsche mit Euch unter vier Augen zu
sprechen.«

Der Mann deutete kummervoll auf die dahinschmachtende Frau. »Bevor es
nicht hier vorüber ist ...« sagte er leise, »kann ich nicht ausgehen.
Der Doctor meint: um die dritte oder vierte Stunde Nachmittags ... der
Pfarrer wird's wohl noch um ein Stündchen beschleunigt haben...«

Dem Doctor traten die Thränen in die Augen. »Vertraut auf Gott!« sprach
er: »Ich will Morgen wieder vorbeikommen.«

»Bewahre!« entgegnete Litzach hastig: »Sagen Sie, mein Herr, wo ich Sie
antreffen kann. Ich kann heute noch zu Ihren Diensten sein, wenn nicht
Gott an meiner Alten ein Wunder thut. Um vier Uhr haben wir ohnehin
Komödie...«

»Wie? und Ihr agirt mit, an diesem Trauertage?«

»O, mein Herr, darnach fragt der Principal nicht. Ich käme um den
Wochenlohn, um's ganze Brod. Wir agiren heute eine Schnurre, und ich muß
darinnen den Hanswurst machen, lustig, recht lustig, damit das verehrte
Publikum lacht, wenn mir auch das Herz unter der bunten Jacke entzwei
ginge.«

Der Doctor fand keine Worte. Litzach fuhr aber bald wieder fort: »Um
sechs Uhr stehe ich zu Diensten, mein Herr. Wenn Sie allenfalls um diese
Zeit auf der Mailbahn am Schwanenmarkte lustwandeln wollten ... ich will
mir aus des Principals Kleiderkammer einen reputirlichen Rock borgen,
damit ich Ihnen keine Schande mache. Jetzt aber ... entschuldigen Sie.
Meine Alte ruft ihren Joseph. Vielleicht muß ich ihr jetzo schon
Lebewohl sagen...«

Leupold nickte stumm mit dem Kopfe, und ging betrübt weiter, während der
Schauspieler wieder sein Fenster zumachte.

Der Doctor benützte den Umstand, daß er an einigen Häusern heimlicher
Glaubensgenossen vorbeikam, um mit einem Worte Litzachs arme Familie
ihrem Mitleid zu empfehlen. Die Leute waren alsobald bereit, einiges
Essen und ein Paar Pfennige hinzuschicken. Der Dürftige ist am Ersten
geneigt, dem Dürftigen beizustehen.

Dem Doctor war es lieb, durch die Begegnung eines andern Bekannten aus
seinen trüben Gedanken gerissen zu werden. Aus seinem Hause trat ein
rüstiger Seemann in braunem Rocke und manchesternen Beinkleidern,
tüchtigen Schuhen mit großen silbernen Schnallen, das Halstuch
nachlässig in den Schifferknoten geschlungen, und ein derbes spanisches
Rohr in der Hand. Der bordirte Hut mit der auszeichnenden Schleife
verrieth den Capitän.

»Grüße Sie Gott, Ew. Hochw... Herr Doctor, wollt' ich sagen!« rief der
Capitän in tiefem Basse: »Ich wollte eben ein Paar Dutzend Tonnen Teufel
reklamiren, weil ich Sie nicht zu Hause gefunden. Sie müssen, Gott
bessre mich! mit mir zu Mittag speisen; später als gewöhnlich, aber gut
und herzhaft, wie's ein Seehund gerne hat. Um elf Uhr bin ich aus der
Kalesche gestiegen, und habe im goldnen Schwan mein Absteigquartier
genommen oder, besser gesagt, Anker geworfen.«

Somit nahm er den Doctor vertraulich, aber ergebenst unter dem Arm, und
steuerte mit ihm in anderer Richtung weiter.

»Sie haben mich wohl früher erwartet?« fuhr er fort: »Aber, -- Sturm und
Segel! ich mußte laviren, bald auf Osten, bald auf Westen halten, ehe
ich hier anlegen konnte. Mein Schiff ist frisch und gut im Havre
eingelaufen, und das würdige Collegium zu Paris hat bereits seine
Contanti empfangen. Der Handel blüht im Stillen, und er Vater
Lavalette, der, so jung er noch ist, bereits eine ungemeine
Spekulationsgabe entwickelt, hat mir schon von neuen Etablissementen und
neu auszurüstenden Fahrzeugen gesprochen. Ich habe Briefe von Paris und
Lissabon an den Pater Superior, und wünsche, daß Sie mir nach Vidimirung
der eingesandten Rechnungen und Bescheinigung des Geldes, das ich bei
Ihnen niederzulegen habe, einen Empfehlungsbrief an den wackern Herrn
mitgeben möchten.«

Der Doctor versicherte ihn seiner Bereitwilligkeit, und die Herren
setzten sich im Gastzimmer des Schwanen zum Speisen nieder. Leupold war
hier auf wohlbekanntem Felde. Die Gastwirthin, eine noch ziemlich junge
und rasche Frau, hatte, von andächtigen Freundinnen bestürmt, von dem
Doctor in's Geheimniß gezogen, ihren heimlichen Uebertritt zur
verborgenen Kirche nicht schwer gemacht. Der Wirth, ein schwerfälliger
Reichsstädter von wenig Scharfsinn, war leicht zu täuschen gewesen, und
ahnte nicht das Mindeste von der Religionsveränderung seines Weibes. Er
schätzte den Doctor, der häufig das Haus besuchte, als tüchtigen
Politiker hoch, und die Frau benutzte jede unbewachte Minute, um aus den
salbungsvollen Worten ihres geheimen Beichtigers Trost und Ruhe zu
schöpfen. Ihre unerfreuliche Ehe, wie die immer neu erwachsenden Zweifel
ihres Gewissens machten ihr Trost zum Bedürfniß. Nebenbei sprach die
Stadt auch Vieles von ihrem weichen gefühlvollen Herzen, und der
Nachbarn Zunge bezeichnete ziemlich genau diejenigen junge Männer, die
sich der Theilnahme der hübschen Frau zu schmeicheln gehabt.

Die Gesellschaft in dem Schwan war nicht zahlreich. Der Capitän und der
Doctor, tafelnd in der einen Ecke. In der andern die Wirthin, am
Schenktische und an dem Küchenfenster beschäftigt, durch welches die
Speisen hereingereicht wurden. In der Stube auf und niederwandelnd der
Herr des Hauses selbst, -- bald mit der Fliegenklatsche arbeitend, bald
von Belgrads Einnahme, vom Reichstag zu Saragossa, und den schlechten
Zeiten posaunend. Am Fenster zwei Kartenspieler: ein pausbäckiger
Sensal, und ein Offizier der Stadtmiliz: beide der Frau vom Hause
zärtlich zugethan; beide nicht von ihr erhört. Die Unterhaltung war, wie
gewöhnlich, wenn Einer allein spricht, wie hier der Wirth, -- nicht sehr
glänzend und erbaulich. Der Capitän aß stark und trank nicht wenig; der
Doctor beobachtete seine Umgebung, die Wirthin tranchirte, die Spieler
trieben ihre Belustigung fort. Eine Reisekalesche, die vor dem Hause
hielt, brachte alle Köpfe in Bewegung. Sie fuhren an's Fenster; nur die
erfahrnern Tafelgäste blieben ruhig. Der Reisende, ein junger Mann, trat
langsam in die Stube, während er befahl, Mantelsack und übriges Gepäck
nach dem besten Zimmer des Hauses zu liefern. Die von dem Anblick des
hübschen Mannes freundlich angesprochene Wirthin machte denselben zum
Nachbar des Doctors, und gebot, das verlangte Diner eiligst
herbeizuschaffen. Der Fremde grüßte Capitän und Doctor höflich, und
streckte sich dann bequem auf dem Stuhle aus. Der Wirth setzte sich
gegenüber, und stierte den Gast neugierig an. Die Spieler setzten das
Spiel fort. Der Capitän brach das Schweigen.

»Gute Reise gehabt, mein Herr?«

»Sehr gut.«

»Kommen weit her, ohne Zweifel?«

»Sehr weit.«

»Durchreisend?«

»Nein.«

»Geschäfte auf hiesigem Platze?«

»Ja.«

»Wären wir Landsleute? Ich bin ein Friese.«

»Ich nicht.«

»Darf man fragen, mein Herr...«

»O ja.«

»Woher die Reise...«

»Kellner! eine Flasche Wein!«

Hiermit brach der einsilbige Fremde ab. Der Capitän biß sich
versehentlich in die dicken Lippen. Der Doctor lächelte und betrachtete
den Lakonischen genauer. Er sah gar nicht aus wie ein Spaßvogel, sondern
wie ein ernsthafter, sehr besonnener Mann. Sein regelmäßiges Gesicht war
ruhig, die Augen groß, und blickten fest vor sich hin. Keine
Freudigkeit, aber eine eiserne Fassung sprach von der Stirne, und der
ganzen Gestalt. Das Trauerkleid, das der Fremde trug, entschuldigte
allerdings den Ernst, welcher der natürlichen Heiterkeit der Jugend
Abbruch that. Der Fremde aß mit vielem Anstande, was ihm vorgesetzt
wurde, und trank den Wein stark mit Wasser vermischt. Den Doctor, dem
seine früheren Verhältnisse Mäßigkeit zur ersten Pflicht gemacht hatten,
freute das regelmäßige, abgewogene Betragen des Fremden, und er richtete
auf die Gefahr hin, eben so zurecht gewiesen zu werden, wie vorhin der
Capitän, einige artige Worte an den Nachbar, die auch verbindlich und
kalt erwidert wurden. Indessen sprang der Offizier, der so eben seine
Partie gewonnen hatte, mit Getöse von dem Stuhle, und riß die
Fensterflügel auf.

»=Mort de ma vie!=« rief er: »Sensal! Wechselbote! schau er auf! ein
Kernmädel giebt's hier zu schauen!«

Der Sensal sah hin, und sagte ziemlich lau: »Die Jungfer Müssinger! Aha!
benebst Frau Mama!«

»Thu' Er nicht so kalt und vornehm!« zankte der Offizier; »=Parole
d'honneur!= das Mädel ist das Liebenswürdigste in der ganzen Stadt! Seh'
er nur, was sich die Flegel von Sänftenträgern einbilden, daß sie eine
so artige Last, wie diese, aufzunehmen gewürdigt sind.«

»Wohl bekomme ihnen die Mama von vier Zentnern!« sagte der Sensal
spöttisch, und nippte an seinem Glase. »Sie und ihr federleichtes
Töchterlein gönne ich Ihnen von Herzen.«

»Das spricht der Neid aus Ihm, Sensal.«

»Ei nu, Herr Lieutenant,« hob die Wirthin an, die es nicht leiden
konnte, daß andere Frauenzimmer hübsch gefunden wurden: »das
absonderliche Wunderwerk finde ich nun auch nicht an der Mamsell. Ein
putziges Dingelchen, recht keck, recht unverschämt, und geschminkt,
ich lasse mir's nicht nehmen. Geht sie nicht am Sonntage wie ein Pfau
auf ihren hohen Absätzen über die Gasse? Ist wohl ein Mensch, der sich
nicht über ihren Stolz ärgerte? Die Mama ist auch grob und hochmüthig,
das weiß Gott! aber dabei ist sie dumm wie eine Henne. Das Töchterchen
hingegen versteht Antworten zu geben, -- so spitzig und witzig, und
giftig und triftig, daß allen ehrlichen Leuten die Galle steigt.
Das leichte Töchterchen mag froh sein, daß sie schwere Geldsäcke
aufzuweisen vermag.«

Der Sensal schnippte mit den Fingern.

»Das spricht der Neid aus Ihnen, Frau Gasthalterin!« schaltete der
Lieutenant ein, spaßhaft und impertinent zugleich: »Der Himmel verdopple
mir die Gage, wenn ich nicht gleich zugriffe; -- die Jungfer dürfte nur
die Hälfte ihres Geldes haben. Meine Schulden zu bezahlen fände ich doch
genug: auf Ehre.«

»Ew. Gnaden sprechen in's Blaue hinein,« versicherte kaltblütig der
Sensal: »O! der Himmel hängt in diesem Hause voller Geigen, aber die
Baßgeige wird doch am Ende ein Loch bekommen. Sie hätte es jetzt schon,
wenn der dicke Holländer nicht so artig gewesen wäre, ... na! ich will
klüger thun, und schweigen.«

»Hm!« begann die Wirthin: »es wurde allerlei gemunkelt, das einem die
Haut schaudern machte, und das...«

»Das gefährlich ist, wiederzukauen!« fuhr der Wirth dazwischen: »ich
bitte mir's aus, Frau Schwanenwirthin, daß Sie kein Wort mehr darüber
verliert. Der hochpreißliche Senat hat's allen rechtschaffenen Bürgern
befohlen. Auf allen Zunftstuben wurde es verblämt, und den
Plaudermäulern angedeutet; und ich bin auch Zunftmeister, und muß auch
auf Ordnung halten.«

»Wohl geredet!« rief der Lieutenant beifällig: »Wie die Zunft, muß auch
die Frau pariren und Subordination muß sein. Bei alledem möchte ich
wissen, wohin die Damen sich begeben haben. Auf Ehre, ich möchte es
erfahren. Wäre ihres Spazierwegs Ziel der Kuchengarten oder die
Windmühle, ich ließe flugs meinen Polen satteln, um die reizende Jungfer
von Mund zu Mund zu begrüßen.«

Der Sensal zuckte bei den prahlerischen Aeußerungen des Windbeutels die
Achseln, sah aber beinebst durch's Fenster, und erwiderte: »Da kommt
Einer, der Ihnen, gnädiger Herr Lieutenant, ganz gewiß die beste
Auskunft zu geben vermag: der übergeschnappte Thürmer von St. Paul, der
zum Rasendwerden in des Senators Tochter verliebt ist, ohne daß er je
ein Wort mit ihr gesprochen hätte. Brüstet sich nicht der Geck in seinem
betrodelten Kleide wie ein Graf, und wer sollt es dem geputzten Affen
ansehen, daß er zu Posaune und Glockenstrang geboren und gebildet
wurde?«

Der Mann Quaestionis flatterte in das Zimmer, geschmückt wie der
albernste Zierbengel seiner Zeit.

»Sieh da, Monsieur Pahlens,« rief ihm der Offizier entgegen:
»Magnifiquester aller Thürmer! Woher, wohin, guter Freund? Ist Ihnen der
Stern unserer Stadt, die wonnevollste und freudenbringendste der Grazien
begegnet?«

»Ach, gnädiger Herr!« versetzte Pahlenz mit schwärmerischem Ausdruck:
»Des Lebens Licht hat mir gefunkelt auf meinem Seufzerpfad! Ich habe sie
gesehen, in deren Aug Cupido mit gespanntem Bogen sitzt; das Götterkind.
Zum Ritterhof begibt sich die Schöne, wie ich höre. Wäre ich doch der
Kaffee, den sie schlürft, der Kuchen, den sie genießt. Gleich dem
Zwieback, das ihre Hand zerbricht, zerbröselt sich mein Herz in eitler
Sehnsucht!« --

»Abgeschmackter Gimpel!« brummte der schwarze Fremde leise vor sich hin,
stand auf, und entfernte sich, langsam, wie er gekommen.

Niemand, den Doctor ausgenommen, bemerkte seinen Abgang, denn der
verliebte Thürmer ergoß sich in blumenreichen und geschraubten
Redensarten, schnitt Jedem das Wort von Munde, betäubte das Ohr eines
Jeden. Der Offizier unterbrach ihn endlich ziemlich brüsk, schnallte
sich den Degen um, setzte sich den Hut martialisch auf, fuhr in die
Handschuhe, und bereitete sich, den Damen zum Ritterhofe zu folgen.

»Geht Er mit, Sensal?« fragte er barsch.

»Ich habe auf der Niederlage zu thun. Auch besitze ich kein Pferd, das
mit Ihrem Polen gleichen Schritt halten könnte.«

»=Mort de ma vie!= ich besinne mich so eben, daß mein armer Polak sich
den Fuß zertrat, und den Stall hüten muß. Ich werde zu Fuß gehen müssen.
Begleiten Sie mich etwa, Monsieur Pahlens?«

»Das würde sich nicht schicken, Ew. Gnaden. Ohnehin schlägt um 4 Uhr
meine Stunde. Mein armer Teufel von Gesell ist ziemlich krank, und kann
die Abendluft nicht vertragen. Ich muß also selbst...«

»Die Posaune zur Hand nehmen, und tuten?« fiel der Offizier spottend
ein: »=Parole d'honneur!= Schade um den jungen galanten Mann! Das
ignoble Handwerk paßt wenig zu seinen feinen Gewohnheiten. Nicht wahr,
meine Herren? nicht wahr, Madam? =A revoir! Adieu!=«

Er empfahl sich unter lautem Gelächter. Nach einigen Anmerkungen über
den Offizier und dessen Schulden ging auch der Mäckler. Den Capitän
riefen seine Geschäfte, die Wirthin die Hauswirthschaft; der Gastwirth
schlief, der Doctor und Pahlens gingen zusammen auf die Straße.

»Wie habe ich mich gesehnt, einmal mit Ihnen allein zu sprechen,« begann
Pahlens vertraulich, aber ehrfurchtsvoll: »Seitdem Sie mein geistlicher
Vater wurden, kenne ich niemand auf der Erde, vor dem ich mein Herz
auszuschütten geneigter wäre.«

»Das gehört in den Beichtstuhl, mein Sohn;« erwiderte der Doctor leise.

»Nicht doch, Herr Doctor;« versetzte Pahlens: »Rathen Sie mir als
Freund. Meine Lage wird mir unerträglich. Ich bin zu etwas Besserem
geboren, als auf dem abscheulichen Thurme zu verblühen, und den
Lutheranern zu ihrem Gottesdienste hülfreiche Hand und Lunge zu leihen.
Was werden Sie denken, wenn ich Ihnen sage, daß mir in verwichener Nacht
die heilige Mutter im Traume erschien, und zu mir sprach: »Mein lieber
Sohn; allzulange schon verkümmerst Du im Ketzerdienste. Geh hinaus, und
suche Dir ein bessers Glück. Ich und alle heiligen Engel werden dir den
nöthigen Beistand leisten.« Sofort erwachte ich, und konnte nicht mehr
einschlafen. Wie sehr ich jedoch grübelte, ein Mittel zu finden, die
gnädigen Absichten des Himmels zu erfüllen, so stumpf blieb dennoch mein
Geist. Rathen Sie mir, was soll ich thun? Als Geiger oder Lautenschläger
in die Welt ziehen, oder etwa als Apostel der wahren Lehre? Das Letztere
wäre mein Wunsch, allein mich fesselt hier ein Sehnen und Wähnen, ein
Hangen, ein Verlangen, das vielleicht sündlich ist, weil es eine
Ketzerin zum Gegenstande hat.«

»Was soll ich Euch sagen, mein Sohn?« antwortete der Doctor: »Ich will
die Erscheinung, die Ihr gehabt, nicht bezweifeln. Wunder sind
allerdings möglich, und es wäre Frevel, sie zu läugnen. So wahr es ist,
daß der göttliche Mittler dem heiligen Franziskus, die göttliche Mutter
dem preiswürdigen Loyola in Person erschienen, so läßt sich's gar wohl
denken, daß die unbefleckte Mutter auch zu Euch im Traum gesprochen;
denn -- was Euch an der Heiligkeit jener Männer mangelt, das ersetzt Ihr
durch gläubige Zuversicht, und kindlichen Gehorsam. Jedoch, gerade, weil
ich an diese Erscheinung wahrhaft glaube, dächte ich, Ihr fordert durch
eifrige Gebeterweckung den Himmel auf, Euch einen nähern Fingerzeig zu
geben; bevor Ihr Euer jetziges Amt von Euch werft, um in die Welt ohne
Plan hinauszugehen. Ein besserer Redner als ich, würde Euch sagen, daß
Euer Loos kein böses ist; daß Ihr besser thätet, gerade auf Eurem
einsamen Thurme sitzen zu bleiben, und Euere Seele, gleich der eines
Einsiedlers, zum wahren Christenthum immer mehr zu erwecken und
anzufeuern, als daß Ihr jetzo wie ein Irrwisch im Weltgetümmel umher
fackelt. Er würde Euch sagen, daß Ihr jetzo, als ein, Gottlob zur
Mutterkirche Bekehrter, auf Eurem Thurme ein wahres Sinnbild der
siegenden Kirche vorstellt, wie sie, im Verborgenen triumphirend, oben
sitzt, während zu ihren Füßen die Baaldiener orgeln, schreien und ihre
Possen treiben. Ich sage Euch blos: Schweigt, betet, und erwartet mit
Geduld, wie es der Himmel mit Euch zum Guten lenken wird. Was ist's
aber mit der Neigung, von der Ihr spracht? Hat sie nicht die Tochter des
Senators Müssinger zum Gegenstand?«

»Ach! Sie lesen in den Falten meines Herzens!« entgegnete der Geck; »Ich
muß meine Schwachheit gestehen. Gehen Sie aber nicht strenge mit mir
in's Gericht. Mein Herz ist so weich und empfänglich, als mein Mund
blöde. Durch das Auge ist das Mädchen in meine Seele gedrungen. Geredet
habe ich noch nicht mit ihr, und werde es auch nie, wenn Sie mir's nicht
erlauben.«

»Das darf ich nicht,« entgegnete der Doctor; »Zu welchem Endzweck auch?
Ihr seid arm, die Jungfer ist reich. Ihr Vater ist Senator; Ihr seid
Thürmer. Das paßt nicht. Aber die Hauptsache ist, daß Ihr Katholik seid,
daß sie Lutheranerin ist. Zwar arbeitet die Gnade des Höchsten, wie ich
vernehme, an ihrer Wiedergeburt, wie denn überhaupt, Dank sei es der
Fürbitte unserer hohen Patronin, unsere Gemeinde täglich im Stillen
zunimmt, bis sie laut wird reden können. Aber man rechne nicht auf das,
was noch nicht ist. Ich weiß nun zwar, daß ein Jünglingsherz ein
weiblich Gemüthe sucht, an das es sich bindet, wie die Rebe an die Ulme.
Die reine Verschwisterung tugendhafter Seelen mag und darf ich nicht
hindern. Ihr dankt der würdigen und gottseligen Frau Lainez die
Erleuchtung in Eurem frühern Irrthum. Weiht ihr Euer dankbar Gemüth, und
vergeßt das Weib, das nicht für Euch auf der Welt ist.«

Pahlens verneigte sich, etwas unbefriedigt jedoch, und schied von dem
Doctor, der sich zur Mailbahn begab. Auf und niederschreitend überlegte
er sein heutiges Tagewerk, horchte verdrüßlich auf die Trommel, die von
Zeit zu Zeit von der Komödienbude herüber schallte, auf das Geschrei des
Lustigmachers, der vor der Thüre des Schauplatzes sein Publikum einlud;
auf das Gejauchze der Gassenjungen, die den Possenreißer umschwärmten.
Die Mailbahn, von Spazierengehenden angefüllt, wurde leer, weil die
Neugierigen nach der Bude rannten, und bald befand sich der Doctor
allein mit einem Frauenzimmer, das schon lange auf den Augenblick, mit
ihm unter vier Augen zu reden, gewartet zu haben schien. Die Frau, in
bürgerlichem Kleide, näherte sich ihm schüchtern, und sagte nach einem
tiefen Knix: »Ich bin des Schreiners Buttler Frau, Ew. Hochwürden: Ihr
eifriges Beichtkind.«

»Was will Sie? Ich kenne Sie. Nun?«

»Ich kann es mit meinem Mann nicht länger aushalten.«

»Wie so?«

»Er mißhandelt mich.«

»Warum?«

»Weil ich, eine Krankheit vorschützend, mich weigere zur Kirche zu
gehen, und die Predigt zu hören, wie er's verlangt. Und dennoch fürchte
ich mich vor der Sünde.«

»Ohne Noth. Ich spreche Sie los. Gehe Sie in die Kirche, damit der
Schein bewahrt werde. Singe Sie mit, hört Sie aufmerksam der Predigt zu;
aber bewahre Sie Ihr kaum genesenes Seelenheil mit geistlichen
Stärkungsmitteln. So wird Ihr Mann beruhigt, und die Gemeinde schöpft
nicht Verdacht.«

»Aber, Ew. Hochwürden: ich fürchte, das ist Heuchelei!«

»Um einen guten Zweck zu erfüllen, ist auch eine gewisse Heuchelei
erlaubt. Beruhige Sie sich, gute Frau. Wie steht's mir Ihren Kindern?
Spürt Sie in diesen keine Anlagen zum Heil?«

»Ach Gott, nein, Herr Doctor. Die Buben sind so roh, und die Tochter hat
kaum die Confirmation überstanden.«

»So lasse Sie ab von ihnen. Keine voreilige Vertraulichkeit, damit die
Kirche nicht in Gefahr komme. Sie muß wachsen, im Verborgenen, wie die
Saat des Feldes. Uebergebe Sie die Kinder ihrem Schicksale. Gott wird
die Seinigen schon herausfinden.«

»Aber mich jammert, daß sie verdammt sein sollen. Sie sind doch _meine_
Kinder, meine ehelichen Kinder.«

»Die Frage wäre erst noch aufzustellen. Ist Sie nicht katholisch? Ihr
Mann Protestant? Abgesehen, daß solche paritätische Verbindungen an und
für sich nichts taugen, so könnte man gerade _Ihre_ Ehe nicht gültig
erklären. Sie wurde von keinem katholischen Priester eingesegnet.«

»Herr Doctor...!« stotterte die arme bestürzte Frau.

»Gräme Sie sich nicht. Ich will es so genau nicht nehmen. Aber lasse Sie
die Kinder den eigenen Weg gehen, und erwarte Sie alles von der Zeit.«

Die Frau verneigte sich wieder demüthig, und entfernte sich. Der Doctor
setzte sich auf eine Bank, lehnte sich an die dahinter stehende Linde,
und schloß, wie er zu thun pflegte, nachdenkend die Augen. Der heutige
Tag war jedoch ganz dazu gemacht, ihm die Unterhaltung der
verschiedensten Art zu bereiten. Ein rasch daherkommender Mann nahm
geräuschvoll neben ihm Platz.

Der Doctor erkannte, aufblickend, in dem Nachbar des Senators
Comptoirdiener Nothhaft. Der Mensch, dem der Doctor als solcher
unbekannt war, befand sich heute in gar aufgeregter Stimmung, und eine
händelsüchtige, tückische Weinlaune sprach aus seinen Augen und seiner
Haltung. Um ein Gespräch anzuknüpfen, das er zu wünschen den Anschein
hatte, bot er dem Doctor eine Priese Tabak. Dieser versagte.

»Brauchen sich nicht zu geniren!« redete Nothhaft ziemlich barsch:
»s'ist nichts Giftiges, nichts Schlafmachendes darunter.«

Der Doctor, um den Grobian nicht zu beleidigen, nahm eine Priese, ohne
davon Gebrauch zu machen. Nothhaft besänftigte sich, und versetzte:

»Freue mich, Dero Bekanntschaft zu machen. Ew. Edeln sind ohne Zweifel
fremd auf hiesigem Platze?«

»Nicht doch, mein Herr; und dennoch mögen Sie Recht haben.«

Nothhaft stierte ihn verlegen an, lächelte dann, und fuhr fort:

»Recht gut gesagt, mein Herr. Justissime! Optime! Das ist all' mein
Latein! Wie finden Sie das? Wenn man indessen Geld hat, -- er klopfte
auf die klingende Tasche, -- so braucht man die Schulfüchserei nicht.
He?«

Der Doctor nickte.

»Um aber wieder auf den Tabak zu kommen, so ist eine prudente Vorsicht
wohl vonnöthen. Da kommt oft ein Mensch daher, bietet Ihnen Tabak; Sie
schnupfen, schlafen ein, und finden sich am andern Morgen entweder im
Werbhaus, oder auf einem holländischen Transportschiffe. Nicht so, mein
Herr?«

»Ich weiß das nicht.«

»Sie wissen das nicht? Parbleu! das ist zum Lachen. Nun, nun! Sie haben
freilich nichts mehr zu riskiren. _Junge_ Seelen sind die besten. Na!
wie gehen hier die Geschäfte?«

»Welche?«

»Sapperment! die Ihrigen. Wie läßt sich die Kaperei an? Ja, bei uns
gibt's einen tüchtigen Menschenschlag, wie gemacht zum Matrosen und
Soldaten. Wie viel Seelen haben Sie schon auf dem Korne? Na, Männchen!
machen Sie _mir_ doch aus Ihrem Handel kein Geheimniß. Parbleu! ich bin
auch schon in Amsterdam gewesen. Ich kenne die Vögel an den Federn. Thun
Sie nicht so unschuldig. Unser Magistrat kann einen Puff vertragen, ist
seelenfroh, wenn man _ihn_ ungeschoren läßt, drückt beide Augen zu.
Damit Sie aber sehen, wie redlich meine Absicht ist, so bin ich bereit,
Ihnen ein bedeutenderes Pfand meines Vertrauens zu geben.«

»Monsieur! Wofür halten Sie mich?«

»Ei, Liebster! wozu die Umstände? Für ein kluges Holländerchen, für ein
pfiffiges Seelenverkäuferchen. Machen Sie mir doch nichts weiß. Ich
hatte noch nicht die Ehre, Sie zu kennen, aber wie ich Sie heute mit dem
Capitän Tormerpick aus dem Schwanen treten sah, vertraulich, Arm in Arm,
von Geschäften redend, -- ich war im Kaffeehause gegenüber, -- da hatte
ich's auf der Stelle weg. Der Capitän hat den Ruf, mit Seelen zu
handeln, und nach dem Sprüchlein: »Gleich und gleich...««

»Sie erzeigen mir viel Ehre, mein Herr!«

»Noch mehr, mein werthester Geschäftsfreund. Ich will Ihnen Credit
geben: ein Capital; solid und unverzinslich; im Gegentheil: ich will die
Deposit-Interessen tragen.«

»Ich begreife Sie nicht.«

»Werden's alsobald. Sub dato Morgen oder Uebermorgen liefre ich Ihnen
eine Seele: kerngesund, jung, von denselben Schultern und Fäusten; etwas
naseweis zwar und ungezogen, allein in den Colonieen hat man
vortreffliche Schulen aufgerichtet. Soll mich der Teufel holen, wenn die
gute Seele nicht ihre 2000 spanische Taler werth ist, wie einen Albus.
Nun, acceptiren Sie? Die Emballirkosten trage ich noch obenein aus
meinem Beutel...«

»Erklären Sie sich deutlicher.«

»Parbleu! ich habe schon Alles gesagt. Als ich Sie da so allein und
brütend sitzen sah, fuhr mir's gerade durch den Kopf. Mit einem Worte:
ich weiß einen Burschen, den diverse Leute gern vom Halse haben möchten.
Er hat Bärenkraft, und der Stock wird seinen harten Kopf schon zurechte
bringen. Meinen Namen sollen Sie indessen gut behalten, aber ich
garantire Ihnen meine Solvabilität. Ich bezahle die Fang- und
Transportkosten bis an das Schiff. Schlagen Sie ein, und sagen Sie mir,
wann die Promesse liquidirt werden soll.«

»Das ist noch sehr zu überlegen, mein Herr,« versetzte der Doctor
lächelnd: »wenn Ihnen morgen noch eine Unterredung beliebt, so finden
Sie sich um dieselbe Stunde hier ein. Für heute muß ich meiner
Unterhaltung ein Ende machen, da, wie ich sehe, ein Freund, den ich
hierher beschied, uns zu stören kommt.«

»Meinetwegen!« sagte Nothhaft, des Doctors Hand schüttelnd: »Auf Morgen
also. Ew. Edeln, fehlen Sie nicht, ich werde auf dem Platze sein.«

Er ging, und Litzach, der schon vor einigen Minuten auf der Mailbahn
erschienen war, kam. Der Doctor hatte Mühe, den Mann unter der
übertrieben großen Perücke, dem pfirsichblüthfarbigen Sammetkleide mit
Seidenstickerei verbrämt, zu erkennen. Das hagere, kummervolle Gesicht
des Schauspielers paßte so wenig zu dem Staatsrocke, als die
unscheinbaren Strümpfe, der zerknitterte Hut und die unmäßige
Bandschleife, die vom kurzen Degen in verblichenen Farben herniederhing.

»Setzt Euch, mein Herr!« sagte der Doctor voll mitleidiger Höflichkeit:
»Für's Erste: erzählt mir, wie es in Eurem Hause steht!«

»Meine Alte lebt noch,« antwortete Litzach: »der Doctor meint jetzo, sie
werde am Leben bleiben, und Gott sei gepriesen dafür. Mitleidige
Menschen haben meine Hütte mit ihren Wohlthaten erfüllt, und der
Principal machte mir so eben das schmeichelhafte Compliment: ich hätte
meine Lazzi noch nie so gut gemacht, als heute. Die Leute haben viel
gelacht, und der extemporirte Spaß floß mir nur so vom Munde. Gottlob!
ich darf hoffen, daß mich der Impresar behält.«

»Das Alles macht mir Freude,« versetzte der Doctor: »Ihr möget wissen,
Monsieur, daß ich Euch schon lange kenne, wenn Ihr der Litzach seid, der
auf der Jesuitenschule zu Augsburg studirte.«

»Der bin ich,« sagte Litzach seufzend: »und Sie, mein Herr?«

»Ich bin Münzner,« erwiderte der Doctor.

»Münzner?« wiederholte Litzach, wie sich besinnend, ergriff dann des
Doctors Hände, sah ihm lange ins Gesicht, drückte dann einige
Augenblicke, wie von Erinnerung verklärt, die Augen zu, öffnete sie
wieder weit, und rief mit einem tiefen Athemzuge: »Weiß es Gott: das ist
Xavers redliches, ehrbares Antlitz! Ach! habe ich denn das fröhliche
Angedenken an Schul- und Jugendfreundschaft verdient? Wir haben uns »Du«
genannt, mein lieber, alter Xaver! fürchte jedoch nicht, daß ich noch
jetzt, wenn fremde Leute zugegen sind, das »Du« gebrauchen werde! du
bist gewiß ein gelehrter und reicher Mann geworden, ich hingegen nur ein
armer, verachteter Comödiant. Aber, erlaube mir, dich wenigstens in der
ersten Stunde des Wiedersehens mit dem vertraulichen Namen zu begrüßen.
Erlaube, daß ich dich nur jetzo Bruder nennen darf; das wird mich
erheben auf lange Zeit.«

»Rede, mein armer Litzach! Erzähle mir, was dir seit unserer Trennung
begegnete.«

»Ich könnte hierauf antworten: Unglück, Unglück, Unglück! und Alles wäre
gesagt; aber du willst, ich soll weitläufiger sein, und so will ich dir
folgen, obschon ich dennoch nicht viel Worte machen werde. Ich hatte
meine Schulen perfekt durchgemacht, viel im Kopfe, und auch, Dank meiner
sparsamen Eltern, viel im Beutel. Das war ein Unglück. Ich hing die
Wissenschaften an den Nagel, lebte in Hülle und Fülle, versuchte es im
Kriege bei einer Freipartie, und kam endlich ganz herunter. Der Kasten
war leer, der Kopf wüst geworden, und in meinen besten Jahren stand ich
da, und fragte mich, wie ich mich als zehnjähriger Bube gefragt hatte:
»Was willst du werden? Was anfangen? Was unternehmen?« Zu jener Zeit kam
die Merseburgische Comödiantenbande nach dem Orte, der meinen letzten
Heller verschlungen hatte, und ich erinnerte mich plötzlich, daß man uns
im Collegium auch hin und wieder hatte Comödie spielen lassen. Wenn du
dich erinnerst, so wirst du wissen, daß man mich um meines glatten
Gesichts und meiner schwächlichen Gliedmaßen willen, vorzugsweise
erwählt hatte, die Weibsbilder zu agiren. Ich habe die Judith gespielt
und die Herodia, und sogar einmal die Lalage in dem Schäferspiele: »Der
treue Hirt,« womit der junge Professor der Rhetorik einst zu Augsburg so
viel Aergerniß anrichtete. -- Ei! dachte ich bei mir; wenn die Väter der
Gesellschaft Jesu das Comödienspiel bei ihren jungen Leuten einführten,
warum soll ich nicht mein Brod verdienen, wie andere verdorbene
Studenten und reducirte Soldaten? Gedacht, gethan. Der Principal Richter
nahm mich an, und eine recht fröhliche Wanderzeit begann für mich.
Damals, lieber Münzner, machte ich nicht den Hanswurst, sondern die
Amanten. Ich stellte vornehme Leute auf der Bühne vor, und trug mich
auch nobel außer derselben, in Tressenröcken und sorgfältiger Wäsche.
Hätte ich mich nur nicht verliebt!«

        »Bis hieher war ich frei, und hatte nichts geliebet;
        Doch, daß mir diese Pein die Sinnen nie betrübet,
        Kam nicht von Tugend her. Weil mich der Wahn verkehrt
        Schätz' ich aus Uebermuth nicht _eine_ meiner werth,
        Bis ich das Wunderbild beschauet,
        Das mich vor dem ergötzt, ob dem mir jetzund grauet.«

»Ich rede von meiner Frau, eines herrschaftlichen Beamten Tochter zu
Halberstadt. Wie sehr empfand ich den Dichter, als ich sie sah:«

        »Die als ein Wirbelwind mich hin und her gerückt,
        Und mein zerscheitert Schiff in langem Sturm zerstückt!
        Ich sah sie, und entbrannt'! sie fühlte neue Flammen!
        Kurz: ihr und mein Gemüth, die stimmten wohl zusammen!«

»Ich entführte die Liebste. Der Fluch ihres Vaters folgte uns nach,
und, sobald meines Weibes Eltern in die Grube gesunken, fiel das
Elend über uns her. Der lustige Name, den ich mir beigelegt, war ein
schneidender Spott auf unsere traurige Lage. Katharine hatte nicht
ein bischen Geschick zu der Comödie. Man _lachte_ sie aus, sobald sie
sich nur zeigte: der Principal zankte, und ich antwortete gallebitter,
und wir wurden von der Gesellschaft weggeschickt. Eine schwere
Brustkrankheit warf mich nieder, und verschlang Alles, was wir hatten!
Am Stabe schleichend, von Katharinen geführt, die unser erstes Kind
auf dem Rücken trug, bettelte ich mich weiter, von Kloster zu Kloster,
von Spital zu Spital, von Bande zu Bande. Endlich fanden wir einen
gutmüthigen Principal, der uns einen Wochenlohn anbot. Mein Weib sollte
für die Truppe waschen, _ich_ sollte agiren. Aber mit dem Amoroso war's
vorbei! Ich hatte keine Stimme mehr, und keine Kraft. Der Principal
richtete mich zum Rüpel ab. Ach, Münzner! wie war mir zu Muthe, als
ich zum ersten Male als Narr auf die Bretter trat! Daheim lag mein
Jüngstes im Sarge, meine Katharine, der Niederkunft gewärtig, auf dem
Strohlager, und sie war allein, und nur Hunger und Mangel saßen an
ihrer Seite, und ich mußte Possen reißen, und die bittern Thränen der
Verzweiflung flossen aus meinen Augen über die geschminkte Narrenlarve
in den Kienrußbart!«

Litzach wischte sich eine Zähre von der Wange, und fuhr gepreßten
Herzens fort: »Ich machte den Lustigmacher schlecht. Die Zuschauer
meinten, ich sei ein betrübter weinerlicher Narr; sie warfen mich mit
verdorbenen Aepfeln, und der Principal zog mir die Jacke aus, und
schickte mich fort. Als ich heimkam, brachte mir die Wehmutter einen
Buben entgegen, den sie um Gotteswillen empfangen hatte, und _ich_
brachte der Mutter meine Kindes sechszehn Groschen -- und -- den
Abschied.«

»Herr Gott!« seufzte der Doctor. Litzach fuhr fort: »Ja, mein lieber,
alter Freund: wer nur als Zuschauer vor dem gemalten Vorhange der
Comödie steht, weiß nicht, wie viel gebrochene Herzen unter dem Tand der
Flimmer-Kleidung schlagen. Ist es gerade nicht Kummer, der die Brust der
Maskenspieler zerreißt, so ist es der giftige Neid, so ist es die
brütende Unzufriedenheit, die hinter dem bunten Spiele eine fröhliche
Welt suchte, und nur kümmerliche Lappen und eine trostlose Zukunft fand.
Der Leichtsinn nur, dem Alles gleichgültig geworden, mag ruhig in diesem
Getobe niedriger Leidenschaften schlafen; auf diesem wankenden Boden,
den Prahlerei und Jammer beherrschen. Was uns Geschicklichkeit erwirbt,
raubt uns auf der anderen Seite die Ungewißheit unserer Lage, und die
Verachtung, die auf uns lastet. -- Ich überspringe nun manches Jahr des
Unheils, und bemerke blos, daß ich in der Zeit einen Theil jenes
Leichtsinns mir errang. Ich wurde stumpf, fühllos; ich lernte seltsame
und lächerliche Grimassen machen und Capriolen schneiden, ob mir schon
der Tod an der Kehle säße. Ich errang den Ruf eine guten Comödianten,
eines possierlichen Burschen, ich fand ein besseres Brod. Ich hatte
gespart: ich hatte meinen Kindern ganze Kleidungsstücke angeschafft,
meine Katharine mit dem Nöthigsten versehen; ich hatte ein Bett gekauft,
und beinahe schon die Summe zu einem Plüschrocke beisammen, der mich in
den Stand gesetzt hätte, reputirlich unter die Leute zu geben, als
Katharine in die langwierige Krankheit verfiel. Unser Wohlstand verging
wie eine Seifenblase, und ein Dienst, den ich bei der Gesellschaft des
sel. Velten antreten sollte, mußte ebenfalls aufgegeben werden. So kam
ich hierher, so fandest du mich. Nach langen Jahren erregt dein Anblick,
Münzner, wieder das erste lebhaft frohe Gefühl in meinem Herzen. Die
Hoffnung, daß meine Katharine leben wird, und dein Wiederfinden, macht
mich glücklich. Ach, wie wahr redet der unvergleichliche Lohenstein in
einem seiner Trauerstücke:

        Je finsterer die Nacht, je heller ist das Licht:
        Je öfter man die Hand an spitz'ge Dörner sticht,
        Je mehr bekränzt man sich mit blutbemilchten Rosen:
        Je mehr die Mittagshitz uns sticht, je süßer tosen
        Die feuchten Abendlüft'; ist Wetter, Sturm und Well'
        Und Wolke trüb und schwarz, so dünkt uns noch so hell
        Und lustig Sonn' und Port. Die steinern harten Ketten,
        Die Felsenlast, die uns zu Boden schier getreten,
        Des Lebens steter Tod, der jeden Blick uns schreckt,
        Das dunkel-grause Loch, in das wir eingesteckt,
        Der Trauerrauch hat sich verkehrt in sanfte Wonne,
        Die Nacht hat sich verstellt in eine lichte Sonne!«

Nach diesen pathetisch hergesagten Worten schüttelte der Schauspieler
des Doctors Hand noch einmal herzlich, und ein warmer Tropfen fiel auf
diese Hand.

»Du bist mit dem Weibe, das du _deines_ nennst, nicht copulirt?« fragte
der Doctor.

»Die Ehen in unsrer Gilde,« erwiderte Litzach beschämt, »sind meistens
wild, und leider ist's auch die meinige. Jedoch thut es mir und
Katharinen sehr wehe, daß, unsern unablässigen Versuchen zum Trotz, sich
noch kein Geistlicher unterstanden, unsern Bund zu segnen.«

»Ich will es thun;« erwiderte der Doctor: »aber, die Hand auf den Mund,
mein Freund, und eine Bedingung zugesichert.«

»Ach, Ew. Hochwürden...« stammelte Litzach entzückt: »Ich will
schweigen, wie das Grab, ... ich verstehe Sie wohl ... aber -- welche
Bedingung?«

»Eure Kinder müssen katholisch sein. Vermuthlich sind sie lutherisch
getauft, da Euer Weib es ist, wie ich glaube.«

»Ew. Hochwürden,« stammelte Litzach verlegen, »die armen Würmer sind
noch gar nicht getauft. Die Kosten -- und dann die Scheu der meisten
Geistlichen, ... wie gerne will ich...«

»Gut;« versetzte der Doctor: »ihnen soll geholfen werden. Ich will Euch
zu mir berufen lassen, Freund; die Seelen müssen gerettet sein, und Eure
Noth gemildert. Ich will mehr für Euch thun, wenn Ihr verschwiegen seid
und bereitwillig, das zu erfüllen, was ich im vorkommenden Falle von
Euch verlangen werde. Entsagt indessen der Hanswurstjacke: ich will Euch
eine Empfehlung auf das nächste Dorf, Breitenbach, mitgeben. Kost,
Lagerstätte und Geborgenheit werden Euch dort nicht entstehen. Dann will
ich weiter sehen, was zu Eurem Besten gereichen möchte.«

»Ach, Engel Gottes!« rief Litzach: »wie soll ich danken...? Aber -- ich
soll acht Tage vorher dem Principal aufkündigen, -- und dann ... bin ich
in seiner Schuld. Mein Wochenlohn beträgt zwei Thaler und acht Groschen
extra, was man gewöhnlich in der Kunstsprache Rekreation oder Biergeld
zu nennen pflegt. Ich habe indessen einen Vorschuß von drei Thalern
etlichen Groschen abzuzahlen, und...«

»Mein Jesus! welch' betrübte Rechnung!« seufzte der Doctor voll
Mitgefühl, und reichte dem Schauspieler eine Hand voll Geldes: »Sagt
dem filzigen Direktor auf: im Augenblicke, und zahlt ihm den Bettel von
drei Thalern. So soll nicht gesagt sein, daß ein Zögling der Väter von
der Gesellschaft Jesu länger in solcher Dienstbarkeit bestehe. Geht,
mein Freund. Ich werde Euch rufen lassen. Erquickt Eure Kranken und
Hungrigen, und danket dem Herrn!«

Litzach jauchzte: »Ja, mein Wohlthäter! Den Herrn und Sie werde ich
preisen, -- dem Principal sein Geld und seine Kleider vor die Füße
werfen, und voll Hoffnung erwarten, was Sie über mich beschließen. Von
diesem Gelde kann ich mit den Meinen einen Monat lang durchkommen, und
mein Glück ist gemacht!

        Wir Menschen irren stets. Wo wir uns sicher trauen,
        Sinkt unser Schiff in Grund. Wenn man's verloren hält,
        Hat das Verhängniß oft das beste Glück bestellt!«

So rief er noch mit allem Aufwande seiner rhetorischen Kunst, und eilte
mit geflügelten Schritten der Bude zu, aus welcher die befriedigten
Zuschauer gerade nach Hause strömen. Der Doctor fand sich, da die größte
Menge über die Mailbahn zog, in seinen Betrachtungen gestört, und
wanderte, mit seinem Tagewerke wohl zufrieden, gegen seine Wohnung.
James berichtete ihm: Der Senator Müssinger sei vor wenigen Minuten
plötzlich bei dem Doctor eingetreten, habe sich eilig und zerstreut nach
demselben erkundigt, und darauf mit zitternden Händen ein Billet
geschrieben, das der junge Mann dem Doctor wohl unversiegelt zustellte.

Der Senator sagte darin mit bebend gezeichneten Schriftzügen: »Mein
einziger mitfühlender Jugendfreund! Ich verzweifle, Ew. Edeln nicht in
=loco= zu finden. Kommen Sie eiligst, sobald Sie können, in meine
Schreibstube. Wir werden ganz allein sein. Ich stehe am Rande einer
Seelen-Crida; _Sie_ nur vermögen mir zu rathen. So eben erhalte ich den
Aviso: der junge Birsher von New-York ist in Person hier angekommen!«




Zweiter Theil.


Erster Abschnitt.

  Der Freier. -- Jacobinens Geheimniß. -- Das Senators Tröster. --
  Georg Birsher. -- Tischgespräche. -- Häuslicher Sturm. -- Justinens
  Opfer. -- Abendunterhaltungen. -- St. Sebastian und die heilige
  Pulcheria. -- Das Gespenst. -- Der Superior. -- Seine Philosophie. --
  Wuth der Leidenschaft. -- Qual der Schuld. -- Neues Ungewitter. --
  Der Heilige unter den Myrthen. -- Die Geisterbannerin. -- Verlobung.
  -- Vorträge auf der Mailbahn. -- Plaudern zur Unzeit.

Nothhaft war schon seit den ersten Frühstunden im Hause des Senators
herumgegangen, -- glänzend, strahlend, hoffärtig wie ein Pfau.
Feiertäglich geputzt, vom Tressenhute bis zur schweren Silberschnalle am
Korduanschuh mit dem leuchteten Absatze, hatte er mehrere Male an die
Thüre des Principals geklopft, und murrend von der Verschlossenen
Abschied genommen. So hielt er Schildwachtposten und Schildwachtgang
durch's ganze Haus, getraute sich aus Respekt nicht den Fuß in der
Senatorin Zimmer zu setzen, und hielt es unter seiner Würde, in die
Schreibstube zu treten, durch deren Fensterchen Berndt den geputzten
Wandler mit neugierig neidischen Augen betrachtete. Endlich, -- von
mancher Priese Tabak gestärkt, und an dem Glauben haltend, daß Geduld
Alles überwinde, besiegte der Commis, der nichts Geringes im Schilde
führte, die schleichende Zeit und seinen Unmuth. Die Hausthüre ging
auf; der Senator kam heim. Mit einer vertraulich patzigen Verbeugung
empfing ihn Nothhaft an der obern Treppenstufe, und sein Herz lachte im
Stillen, denn sein Benehmen schien zu wirken. Der hochfahrende Senator
hatte völlig die Miene eines betretenen Kindes angenommen. Seine Stirne
lag zwar glatt und freundlich, aber in den Augen saß eine gewisse
unerklärliche Demuth, und seine Stimme war lammfromm und gemäßigt.

»Was verlangt Er, mein Sohn?« fragte der Senator, nachdem er den Commis
in seine Stube gewinkt; und stolzer hielt Nothhaft sein Haupt, und
nachlässiger spielte er mit dem Uhrbande.

»So geputzt?« fuhr Müssinger fort, mit niedergeschlagenen Augen den
umherschweifenden des Dieners ausweichend: »Ich wette darauf, der junge
Herr will mich besänftigen, daß ich nicht zürne, weil Er bereits zween
Tage lang gefaullenzt hat? Danke Er Gott, Monsieur, daß ich nicht so
strenge wie der Buchhalter bin, und mich überhaupt heute in einer Laune
befinde, die mich nicht zum Zanken kommen läßt. Es sei Ihm Alles
vergeben, aber continuire Er dafür in Seinem vorigen Fleiße.«

»Es hat sich hier Nichts zu vergeben, Herr Senator und geschätztester
Principal,« antwortete Nothhaft ziemlich dreist und nachdrücklich; »die
Ursache meiner Abwesenheit von Dero Comptoir wird mich, -- so hoffe ich,
-- sehr genügend entschuldigen. Ich bin hier, um dieselbe gebührend
vorzutragen, da Ew. Edeln Geschäfte gestern und vorgestern mir Solches
unmöglich gemacht. Freilich sollte ich gebührenderweise schwarz wie ein
Tintenfaß vor Ihnen stehen; allein, erstens hat der saumselige Schneider
mich noch nicht mit Kleidern versorgt, -- und -- zweitens -- will sich's
wohl ziemen, -- da eine fröhliche Botschaft an der traurigen hängt, daß
ich ihrer im fröhlichen Kleide gedenke. Wissen Sie demnach,
Hochzuverehrender, daß mein Herr Vater, -- bis dato Kaufmann und
Rathsherr in meiner Geburtsstadt, am verwichenen Freitage im 70sten
Jahre seines Alters das Zeitliche mit dem Ewigen vertauscht hat. Ich bin
sein einziger Erbe in Haus und Gewölbe geworden, und -- wie mir
schmeichelhafte Verwandte versichern, -- würde der Magistrat sich nicht
lange sperren, mir auch den Rathsstuhl des Verewigten als vollgültiges
wohlerworbenes Erbe zu überlassen.«

Der Senator war unwillkürlich vom Stuhle aufgestanden, hatte einen
nebenstehenden Sessel herbeigezogen, und winkte lächelnd und verbindlich
dem Commis, Platz darauf zu nehmen. Nothhaft ließ sich nicht lange
bitten, und indessen sprach Müssinger sehr freundschaftlich: »Sehen Sie,
bester Herr Nothhaft; der Tod ist so eigentlich kein Unglück, sondern
ein _Soll_, das früher oder später jeder Lebensnegoziant zu saldiren
hat. Trösten Sie sich demnach über den herben Verlust, und genehmigen
Sie den wärmsten Ausdruck meiner Theilnahme an Ihrem fernern
Wohlergehen. Dieses wird nun freilich lediglich von Ihnen abhängen, denn
Sie haben in meinem Geschäfte von der edeln Handels-Wissenschaft ohne
Zweifel so Vieles profitirt, daß Sie ganz gut auf Dero eigenen Füßen
werden stehen können. Behalte mir demnach nur die Fortdauer Ihrer
freundschaftlichen Anhänglichkeit vor, und bitte mir zu nächstem Sonntag
die Ehre aus, Ihnen mit einem Löffel Suppe aufwarten zu dürfen, wie ein
Handelsfreund dem Andern.«

Müssinger hätte hier gerne, nachdem er der Förmlichkeit ihr Recht
gegeben, das Gespräch beendet, aber Nothhaft saß immer noch breit und
lästig im Stuhle, nickte vornehm dankend mit dem Kopfe, und hob an, den
Zweisprach weiter fortzuspinnen.

»Eben darum, geehrter Herr Senator,« -- sagte er -- »weil ich weiß, wie
förderlich mir Ihre Freundschaft ist, und gewesen, so wie auch die
Meinige =vice versa=, so unterstehe ich mich, an obige Trauer-Nachricht
ein artiges Vergnügen zu knüpfen, indem ich auf ein Band hinweise, das
unsre bisherige Freundschaft-Societät zu befestigen geschickt sein
möchte. Mein seliger Herr Vater hat jeden Albus sechsmal umgewendet, ehe
er ihn ausgab, und vermittelst dieses Grundsatzes einen ansehnlichen
Kasten voll harter Thaler zusammengespart: ein Tuchgeschäft in vollem
Gange, eine Wein-Fabrik, ein wohleingerichtetes Haus, Gartenland und
Ackerfeld, Brunnen und Stall, Geschirr von Silber und Ringe von Gold.
Alles dieses ist mein, und mir geht nichts ab, als ein Weib. Ich halte
demnach, geziemend und gebührend, um Ew. Edeln Tochter an. Jungfer
Justine ist zwar ein schwieriges, schnippiges Ding; aber ich mag sie
doch wohl leiden, und hat man erst ein Dutzend Wochen im Ehestande
zugebracht, so findet sich Alles hinterdrein.« --

Der Senator saß verstummt da, und lächelte vor sich hin; ob aus Spott
oder aus Ueberraschung? Dann erwiderte er ziemlich treuherzig: »Lieber
Herr Nothhaft! Sie thun mir unläugbar eine Ehre an, so wie Justinen.
Aber, Bester! -- sollte es Ihnen denn unbekannt sein, daß meine Tochter
noch immer versprochen ist? Bevor Herr Birsher junior nicht sein Wort
und das meinige aufgegeben...«

»Täuschen Sie sich noch beständig mit dem Bräutigam aus New-York?«
fragte Nothhaft achselzuckend; »geben Sie um Gotteswillen die
Anwartschaft auf. Der junge Herr wird an Deutschland gedenken, und über
kurz oder lang wohl die _Brautgeschenke_ wieder einfordern lassen, die
sein armer Papa hieher bringen mußte; aber sicher nicht die _Braut_.«

»So?« -- fragte Müssinger etwas gereizt. »Woher wissen Sie das? Sind
Ihre Briefe sicher?«

»Hm!« antwortete Nothhaft ruhig und bedeutend; »ich meine nur...; wenn
ich der Sohn wäre -- ich könnte nimmer in das Haus heirathen, worinnen
man meinen Vater ... begraben hätte.«

Des Senators Mundwinkel zuckten krampfig. »Man muß es darauf ankommen
lassen,« sagte er trotzig.

»Lassen Sie's nicht ankommen,« fuhr Nothhaft fort: »verkennen Sie Ihren
Vortheil nicht. Eine Verbindung mit mir ist Ihnen heilsamer, als eine
Verwandtschaft mit dem Amerikaner. Ich habe zwar keine Million in Cassa;
aber einen Mund, der schweigen kann, und einen milden Verstand, der mit
dem Mantel der Liebe allzeit fertig und bereit steht, wenn gewisse
Menschen-Irrthümer zur Sprache kommen wollen.«

»Wie so? Wie begreife ich, was Sie mir sagen?«

»Denken Sie an des alten Gastfreundes Sterbetag. Gedenken Sie des
seltsamen Sterbefalls...«

»Und nun, Monsieur? Was will Er ... was wollen Sie damit sagen?«

»Der Pistolen auf der Diele, der verzettelten, gerade noch vor
Thorschluß, möchte man sagen, quittirten Wechsel ... oder
Verschreibungen...«

Der Senator wurde weiß wie die Wand, stand auf, schöpfte tief Athem, und
sagte mit gepreßter Stimme: »Sie sind ein schauerlicher Patron, und
verstehen's, solche unangenehme Todes-Auftritte recht täuschend zu
schildern, daß man sich unwillkürlich fürchten möchte.«

»Herrlich!« rief Nothhaft, »um so schneller werden Sie mit der Heirath
in Ordnung kommen. Schlagen Sie ein: Allianz! Respect dann vor Ihrer
Firma!«

»Ei! den müssen Sie auch haben, junger Mensch!« fuhr der Senator auf:
»haben ohne Allianz! Sie thun absonderlich vertraut mit mir; mehr als
sich's schicken dürfte! Werden wohl berathen sein, wenn Sie dieses
unterwegs lassen!«

Nothhaft sah den Aufblitzenden stutzig und verblüfft an. Die auflodernde
Hitze reute indessen den Senator im Augenblicke. Er beruhigte sich
gewaltsam, murrte ein finsteres: »Pfui!« gegen sich selbst gerichtet, in
den Bart, und fuhr fort: »Verzeihen Sie mir den Ausfall. Ich habe mir
vorgenommen, mich nicht zu erzürnen; aber die Zunge läuft manchmal wie
ein toller Deserteur davon. Mit Permiß! so wir uns alterirten, wollen
wir wieder Freunde sein. Das Schätzbare Ihrer Werbung ist mir nicht
entgangen; aber sagen Sie selbst: ist es möglich, Ihnen etwas, das
geringste aufmunternd zuzusagen, da der junge Birsher selber hier
eingetroffen ist?«

Nothhaft sprang überrascht vom Sessel. Er studirte lange an dem Ernste
in des Senators Augen; dann sprach er hitzig, wie ein Pfeil schwirrt:
»Wenn's in der That also ist, Herr Senator, so heißt's: Kurz resolvirt.
Ueberlegen sie genau, wie's anzufangen sein möchte, damit der Herr von
New-York nicht an's Ueberlegen komme. Parbleu! Ihr Jawort ist so gut als
schon in meiner Tasche. Justinens wird sich dann schon finden. Apropos
indessen, Ew. Edeln: dem ehrlichen Freiersmann kann es nicht angenehm
vorkommen, wenn sich die Braut an ein fremdes, leider malhonnettes Volk
hängen will. Jungfer Justine ist in der Education sehr vernachlässigt.«

»Monsieur Nothhaft!« sagte Müssinger erstaunt, und wieder böse
werdend. --

»Na! ruhig im Gemüthe, Herr Senator! Ich hab's aus guter Quelle. Der
englische melancholische Junker, der hier im Hause den Sprachmeister
abgiebt -- der verdient's, daß Sie ihm böse, gram und giftig werden. Er
hat Justine gekirrt; Parbleu! ich weiß es sehr genau. Morgen-Promenaden
-- im Frühroth -- Berndt hat's mit angesehen, wie sie plauderten,
wie sie Abschied nahmen. Solche Lustwandeleien im Morgenthau mögen
vielleicht unter den grobhäutigen Engländern gäng und gäbe sein, aber
der gute Ruf unsrer deutschen Töchter und Schwestern bekömmt leicht
davon den Schnupfen.«

»Ich werde die Sache untersuchen,« erwiderte der Senator strenge;
wendete sich aber von dem Freiwerber ab, damit er nicht die Röthe der
Schaam auf seiner Stirne bemerke: »Verlassen Sie sich darauf: ist's
wahr, -- soll's gewiß nicht mehr geschehen!«

»Dann bin ich um meiner Jungfer Braut willen bereits content!« äußerte
Nothhaft, den Weg zum Abschiede suchend. Der Senator ermangelte nicht,
dem Zuversichtlichen zu bemerken, daß seinem Ansuchen bei weitem noch
kein _Amen_ gesprochen worden, aber unwillkürlich nahm seine Rede einen
trügerischen Schein an, und Nothhaft -- wäre er auch nicht der alte
dumm-dreiste und hochmüthige Geck gewesen, wie sonst, -- hatte Ursache,
mit mancher Hoffnung von dannen zu gehen.

»Verzeihe mir der Himmel die Sünde, wie er mir heute bereits die
schwereren vergab!« sagte der Senator leise vor sich hin, wie im
Gebet; »ich konnte mir in der Verlegenheit des Augenblicks nicht
anders helfen. Der freche Tölpel, der ein Endchen meiner Geheimnisse
kennt, muß berücksichtigt werden, -- wenigstens, bis er die Stadt im
Rücken, den Weg nach seiner Heimath unter der Sohle hat.« Er ging hin
und her in der Stube, musterte seinen Schreibtisch, seine Bücher, --
zuckte auf wie vor dem Anblick einer Schlange, als er die bestaubte
Hauspostille darunter gewahr wurde, schob sie mit unmuthiger Hand in
einen klaffenden Wandschrank, und reinigte dann die Finger vom Staube.
-- »Wie dieser Anblick mich plötzlich an die Jugend erinnert hat!«
sagte er mit wehmüthigem Vorwurfe zu sich selbst; »dieses Buch, woraus
ich meinen Eltern den Abendsegen lesen mußte, dessen Haupt-Predigt- und
Erbauungsstellen ich auswendig gelernt hatte, trotz dem Vater-Unser...
Dieses Buch, worein der Vater alle Begebenheiten unsers Hauses
verzeichnete, wie eine Geschlechterchronik, -- dieses Buch soll mir von
nun an ein Gräuel sein!« Er seufzte, drückte jedoch den Wandschrank
entschlossen zu, und zog ein kleines Büchlein aus dem Busen, das er
mit einer seltsamen Mischung von Neugierde, Zuversicht und Zweifel
betrachtete. »Du sollst in Zukunft mein Hort sein?« fragte er flüsternd
und setzte, darin blätternd, hinzu: »Ihr Heiligen Alle, deren Häupter
aus diesen Bildern, mit Dornen und Blut bekränzt, schauen! nehmt Euch
meiner an, daß ich nicht vergehe in muthlosem Schwanken! wahrt mir doch
den Frieden, den ich kaum durch einen beispiellos raschen Entschluß
gewonnen!« Sein Blick fiel auf den Rand eines Kupferstichs, und in dem
Blicke ging es auf wie ein Freudenfeuer. »Münzner! Münzner! ist das
nichts Claras Weltname? Und ist sie nicht der Engel, der heute mein
Pathe gewesen? Und ich sollte friedlos bleiben, da sie für mich zu
den Füßen des Heilands betet? Muth, mein Herz!« Die Glocke, die zum
Frühstück rief, ertönte.

Der Senator versteckte das Gebetbuch, zog sein Gesicht in die
gebieterischen Alltags-Falten, und begab sich zur Wohnstube. Der Kaffee
dampfte von dem blaudamastenen Tafeltuche, das glänzende goldgeringelte
Porzellan, berührt von dem schweren silbernen Geräthe, erklang hell; im
Uebrigen blieb es stumm in dem kleinen Kreise. Die Senatorin, die kaum
den Morgengruß des Mannes erwidert hatte, saß, zwar ihm zur Seite, aber
dennoch halb von ihm gewendet, und genoß, die Tasse in der bequem
ruhenden Hand haltend, das Frühstück und den Morgenstrahl, der durch's
Fenster schlug, zugleich. Justine hütete mit besorgten Blicken bald den
stillen Vater, bald die feindselige Mutter, und bestellte die
Frühstücks-Angelegenheit; schenkte ein, bediente, nöthigte wie es der
Brauch war. Berndt saß unfern, wie ein Lämmchen, unfähig, ein Wässerchen
zu trüben, unterrichtete bald den Principal von den Arbeiten, die er
heute schon gethan, bald schoß er lauernde Blicke nach dem Mädchen. Der
ernste Buchhalter, gegen jede Kaffebedienung deprecirend, zum
zwanzigsten Male behauptend, daß er bereits in aller Frühe seine Portion
genossen, stand hinter dem Herrn, und producirte eine eingelaufene
Missive nach der Andern, eine Reihe abzusendender, und eine Menge der
Unterschrift bedürftiger Papiere.

Müssinger las und unterschrieb schweigend, sandte den Buchhalter
hinunter, beschied Berndt in einer Stunde auf seine Stube, und fragte,
nachdem auch dieser feuerroth hinweggegangen, mit ungewöhnlich sanftem
Tone: »Wie nun, Jacobine, und du, mein Justinchen? Ist denn schon
die Tafel für den zu erwartenden Gast geordnet?« -- Justine wollte
die Mama antworten lassen, aber die Senatorin hatte dazu keine Lust.
Mit einem tiefen Seufzer setzte sie die Tasse geräuschvoll hin,
kehrte dem Senator völlig den Rücken, und starrte in's Blaue. -- »Ei,
Jacobine...!« -- sagte Müssinger hierauf staunend und gereizt, --
näherte sich der Schmollenden, und wollte die Hand auf die Lehne des
Stuhles legen, um sich vertraulich zu ihr herabzubücken; aber wie vor
einem Scorpion fuhr die Senatorin empor, wischte schnell mit ihrem
Schnupftuche die Stelle ihres Kleides ab, woran zufällig sein Finger
gestreift hatte, und schritt trotzig und stumm in's Seitenzimmer. Die
Thüre ging krachend hinter ihr zu. -- »Was bedeutet das?« -- fragte
Müssinger, seine Jast kaum bezwingend. Justine erzählte schüchtern und
verlegen, daß sich der Mutter Betragen seit ihrem Spaziergange von
gestern nach dem Ritterhofe geändert habe; daß sie nichts über die
Veranlassung zu diesem stummen Groll geäußert, und daß sie, Justine,
von der Sache nicht das Geringste begreife. -- »Mit wem hat deine
Mutter draußen gesprochen?« -- fragte der Vater mit krauser Stirne.
Justine gestand, daß sie, in Scherz und Gelächter mit andern Personen
ihres Alters und ihrer Bekanntschaft vertieft, es nicht bemerkt habe.

»Welche unselige Grille beherrscht das Weib nun wieder!« -- sagte der
Senator empört, aber wie mitleidig die Achseln ziehend. -- »Ist denn
wohl ein Hausvater in dieser Stadt, der unglücklicher wäre, als ich?
Diese stumpfsinnige Xantippe, die mein Leben verbittert...«

Justine flog mit thränendem Auge an seinen Hals, und fragte: »Lieber
Vater! Sind Sie denn auch mit _mir_ böse? Verdiene auch ich Ihren
Unwillen?« --

Der Senator sah sie gerührt an, schob sie dann, plötzlich verfinstert,
von sich, und antwortete: »Unter deinen Fehlern vermißte ich wenigstens
bis heute die Heuchelei. _Nun_ tritt auch diese hervor. Ungerathene mit
dem Unschuldsblick! Wohin hast du dich verirrt? Mit einem jungen Manne,
der mein Vertrauen verräth, bist du am frühen Morgen auf den Gassen der
Stadt gesehen worden. -- Bekenne! wohin führen diese Gänge? und seit
wann?« --

Justine erbleichte ein wenig; allein sie war bald wieder gefaßt. »Berndt
hat mich verläumdet,« -- sagte sie ruhig; -- »der Schleicher trat auf
meinen Fersen in das Haus. Glauben Sie dem Menschen nicht. Verlangen Sie
jedoch nicht, daß ich Ihnen mehr von dem Morgengange sage, als daß er
nur ein einzig Mal -- Gestern -- statt gefunden, und daß ich die Hütte
einer Armen aufgesucht. Um Alles Uebrige befragen Sie, wenn es Ihnen
gefällt, den Monsieur White selbst.«

»Welch ein kühnes Vertrauen!« -- rief Müssinger. -- »Ich will glauben,
daß noch die Sünde nicht mit Euch ging. Was soll aber daraus in Zukunft
werden? Du wirst, hoffe ich, nicht den thörichten Gedanken hegen, den
bettelarmen Baronet, -- obendrein zu einer Zeit, wo dich noch andere
Bande fesseln, die vielleicht fester zu knüpfen, dein Verlobter kam...«

»Vollenden Sie nicht, Herr Vater,« versetzte Justine; »lernen Sie mich
besser kennen. Ihre Besorgnisse sind grundlos. Da Herr Birsher hier
angekommen, schickt sich's ohnehin nicht, daß ich den Besuch eines
Mannes ferner annehme. Sie werden mich verbinden, wenn Sie Herrn White
heute schon entlassen. In Frieden, denke ich, wenn Sie meinen Ruf
schonen wollen. Was Berndt betrifft....«

»Das ist meine Sorge!« ergänzte der Senator, und eilte auf seine Stube,
wo sich Berndt demüthig und bald einfand.

»Er hat sich erlaubt,« fuhr ihn der Principal mit Strenge an, »meine
Tochter durch böse Nachrede zu verunglimpfen, und ihr einen Spaziergang
zum Verbrechen zu machen, von dem ich unterrichtet war, und der einer
Armen galt. Verläumder und Züngler dulde ich nicht in meinem Hause. Er
hat sich um einen andern Dienst umzusehen, und mit Ablauf des Quartals
von meiner Schreibstube abzuziehen. =Bon Dies.=«

Stumm und niedergeschlagen entfernte sich Berndt, und murmelte zwischen
den Zähnen: »Das kommt von Nothhaft, dem neidischen Bengel! Das gedenk'
ich ihm!«

Der Geist der Verdrossenheit hatte sich auf Müssingers Dach gelagert.
Ein dumpfes Mißbehagen bedrängte Alle, die darunter wohnten, Justine
ausgenommen, die mit unbefangenem Herzen, mit klaren Augen die Zukunft
musterte. Freilich mischte sich auch in diese unbefangene Klarheit dann
und wann ein wenig Unruh, wenn sie an den Verlobten dachte, der so
plötzlich erschienen war; von dessen Wollen und Wünschen noch nichts
verlautet hatte. »Wie wird er die Sache entscheiden?« fragte sie sich,
»und will er mich noch heimführen, oder hat der Tod seines Vaters
seinen vielleicht erzwungenen Vorsatz geändert? Aber: wie sieht wohl
der junge Mann aus?« fragte sie sich noch weit öfter, und erbebte ein
Bischen, dachte sie sich des alten Birshers Corpulenz, seine Perücke,
seine Manieren, die sich vielleicht alle, wenn auch nach verjüngtem
Maßstabe, in dem Sohne wiedergaben, wie im Spiegel. Werde ich ihn
heirathen? -- war natürlich die letzte, die bedeutendste Frage, die
Justine an ihren Verstand, an ihr Herz richtete. Der Verstand, der den
Reichthum und das daraus entspringende heitere Leben zu schätzen wußte,
sagte allerdings: Ja! aber das Herz? In diesem verborgensten Winkel
tauchte von Zeit zu Zeit, einem spielenden Geist zu vergleichen, ein
Bild auf, -- angenehm in seinen Zügen, unangenehm jedoch in seiner
Bedeutung: James. -- Justine wurde nun sehr ernsthaft, sehr unruhig,
und dankte dann dem Himmel von ganzer Seele, als dieses Bild nach
kräftigem Bedenken mit einem Male verschwand, und nimmer wieder kam.
-- So halte ich dem besorgten Vater Wort, und meiner eigenen Würde! --
sagte sie gleich einer Siegerin, und ging, eines hellen Entschlusses
voll, die Schlüssel des Hauses einzufordern, um das Gastmahl zu rüsten.

Frau Jacobine machte gar keine Schwierigkeit, auch heute die Wirthschaft
dem Mädchen anzuvertrauen. »Du wälzest einen Stein von meinem Herzen!«
-- sprach sie, die Schlüssel hinreichend, und wieder in die Kissen des
Kanape's versinkend, in denen sie sich ausnahm, wie eine im Nachdenken
Verlorne.

»Darf ich nicht wissen, was Sie beängstigt oder ärgert, liebste Mutter?«
-- fragte Justine mit sanfter Theilnahme. Die Mutter schlug die Hände
zusammen, und schüttelte den Kopf mit Heftigkeit. »Frage mich nicht,
Justine!« -- sagte sie alsdann mit phlegmatischem Pathos: »Es wird die
Zeit kommen, da sich Alles enthüllen wird. Armes Kind! und ich ... eine
arme Mutter! Mir bleibt nichts übrig, als zu überlegen, wie wir beide
einer großen Seelengefahr zu entrinnen haben. Gott wird ja einen Engel
schicken! Behalte indessen die Schlüssel dieses unseligen Hauses! In
meinem Leben rühre ich sie nicht mehr an!«

Sie schwieg verstockt, und Justine fürchtete für den Verstand der
Mutter.

»So werden Sie mir doch erlauben,« -- sprach sie, -- »eine Gehülfin zu
erwählen; denn in der Zeit, als Herr Birsher hier aus- und eingehen
wird, dürfte es viel zu thun geben, dem ich allein nicht gewachsen
wäre.«

»Wie du willst. Gott segne den Herrn Birsher! Er hätte aber besser
gethan, zu New York zu bleiben. Wen willst du jedoch dir zur Seite
setzen?«

»Eine Freundin: Madame Laynez, eine Französin.« -- »Wer ist die Person?
Ich kenne sie nicht.« -- »Die Frau Syndikus empfahl sie mir,« --
versetzte, um eine Antwort etwas verlegen, Justine. -- »So?« --
erwiderte Jacobine mit großen Augen; -- »meinethalben dann. Die
Syndikussin empfiehlt sicher kein Gesindel; sonst möchte ich wohl
gerathen haben, auf der Hut zu sein. Die Franzosen machen gerne lange
Finger, und bei Gelegenheiten, wie die heutige...« -- »Lassen Sie mich
walten, Mutter; und erheitern Sie sich. Dieser unbegreifliche Mißmuth
würde den Gast verschüchtern und den Vater erzürnen.« »Den Vater?« --
rief die Mutter zusammenfahrend aus; -- »schweige von ihm. Ich will
nichts von ihm wissen, nichts von ihm hören! Ich wollte, ich hätte ihn
nie gesehen. Du wärest nie geboren worden!« -- »Mutter!« -- »Ich
wollte, meine Augen müßten den fremden Gast nicht sehen. Aber -- nicht
wahr, es wäre unschicklich, wenn ich bei Tische fehlte?« -- »Gewiß,
liebe Mutter! Bedenken Sie selbst, -- die Frau vom Hause...«

»Mein Heiland, ja! Was muß man nicht thun, um der Schicklichkeit willen?
Was muß man nicht verschweigen und verbeißen um der Schande willen! Ach,
liebste Tochter, ich werde viel leiden an dieser Tafel! Jeder Bissen
wird mir im Munde quellen. Ach Gott! verzeihe mir meine Sünden; womit
hab' ich aber all' diese Noth verdient?«

»Ich fürchte mich bei Ihnen, Mutter!«

»Bei mir?« ächzte das Weib, das sich mit Gewalt in eine Aufregung
versetzte, die sich lächerlich und peinlich zugleich ausnahm; »bei mir,
du gottloses Kind? Und ich bin doch ein Lamm, wie Schnee so rein; und
ich habe dich zur Welt geboren, und ich sinne und sinne seit gestern,
daß mir der Kopf schwindelt, wie ich dich, meinen Herzensschatz, mit mir
zugleich erretten kann. An _mir_ sollst du dich halten, und nur Gott
fürchten in Demuth, und ... deinen Vater in Angst! Fürchte dich vor dem
Vater, wie das unschuldige Lamm vor dem Wolf! Thue von heute an nie
mehr, was er begehrt, denn er begehrt nur unser Verderben.«

Justine sah die Frau, die sich wie eine in Wahnsinn fallende
zerängstigte, mit großen Augen, dann mit Mitleid, dann mit
Geringschätzung an, drehte sich endlich kurz und gut um, und sah nach
ihren Pflichten.

»Was ich versprochen, kann ich heute schon mit dem Segen Gottes
beginnen,« -- schrieb sie in Eile an die Laynez: »Kommen Sie, gute Frau.
Versuchen Sie es für's Erste auf ein Paar Tage, wie es Ihnen gefallen
möchte bei Ihrer herzlichen Freundin Justine.«

Sie sendete diesen Zettel durch den dümmsten Packknecht ihres Vaters in
den Johanniterhof an die Adresse, und verlor im Drang ihrer überhäuften
Geschäfte bald die seltsamen Launen ihrer Mutter, -- sogar den
eingeladenen merkwürdigen Gast aus den Gedanken.

Indessen hatte sich bereits ein anderer Geladener in des Senators Stube
eingestellt. Müssinger erkannte selbst beinahe den Eintretenden nicht,
so sehr veränderte diesen der schwerbetreßte Rock, die ansehnlich
bauschende Halsbinde und die große weiß erglänzende Perücke.

»Im Namen des Herrn und Heilands!« sagte der Kommende -- Doctor
Leupold -- mit leiser Stimme.

»Amen, und willkommen, hochwürdiger Herr!« antwortete der Senator
ebenso, und ging dem Doctor entgegen, ihm die Hand zu küssen, eine
Ehrenbezeugung, deren sich Leupold weigerte.

»Lassen Sie diese Förmlichkeit der Jugend und dem Volke, die in Respect
gehalten werden müssen, mein werther Beicht- und Taufsohn,« sprach der
Doctor. »Unser Verhältniß sei das eines Freundes zum Freunde. Ich finde
Sie mit den Büchern beschäftigt, deren Studium ich Ihnen empfahl, und
frage nicht, ob die heutige bedeutungsvolle Frühstunde Frucht getragen,
oder nicht. Im Herzen des Frommen gedeiht stets die himmlische Speise,
und der schnellste Entschluß belohnt sich am schnellsten. So wären wir
denn nun _eins_ in Gott und seiner Kirche, bester Herr, und Sie haben
ohne Zweifel die Gnade recht empfunden, die unser Heiland und Erlöser in
Ihnen erweckte? Die Huld unsrer barmherzigen liebreichen Mutter-Kirche,
die Ihnen erlaubt hat, alle Vorübungen, Prüfungen und Bräuchlichkeiten
zu überspringen, um sich so schnell als möglich in ihre Arme zu werfen?
Das Glück, das ich genoß, ich, eines der geringsten Rüstzeuge, die im
Felde des Herrn zu seiner größern Ehre streiten, -- Ihr Führer zur
Himmelsleiter sein zu dürfen, erfüllt mein Herz mit seligem Behagen.
Und auch in Ihrem Herzen, mein Sohn, ist nunmehr Friede; nicht wahr?«

»Wenn Glaube an unbedingte Erlassung Friede ist, so genieße ich des
Friedens,« antwortete Müssinger.

»Glaube ist allerdings der schützende Schild, und seine Wohlthat zögert
nicht. Ich wette darauf, Herr Senator, Sie erwarten nun mit sicherem
Fuße den Gast, vor dem Ihnen gestern noch gegraut.«

»Ihres Beistands versichert, ohne Zweifel.«

»Des Beistands des Herrn und seiner Schaaren, deren Engelfittich auch
den _Gedanken_ der Sünde von Ihrem Bewußtsein scheuchte. Halten Sie sich
an dem Bewußtsein Ihrer nunmehrigen Reinheit fest, und Sie werden nicht
straucheln. Der Versucher naht wohl zuweilen dem Menschen; am häufigsten
dem Gottgefälligen. Ich habe Ihnen den Lebenslauf unsers heiligen
Ordensstifters und des herrlichen Heidenapostels Xaver in die Hände
gegeben. Sie werden meinen Reden als Belege dienen. Aber -- je
gefährlicher die Versuchung, je herrlicher der Sieg der Beständigkeit.
Und auch das ist Versuchung, wenn dem Neubekehrten der Teufel
ketzerischen Zweifelmuths ins Ohr raunt: bist du denn nun auf dem
rechten Wege? Und auch das ist herrlicher Sieg, wenn der gottselige
Jünger ihm antwortet: Ja, Satan! Trotz dir und deinen Schrecken! -- Sie
verstehen mich. Ihre früheren Sünden _sind_ nicht mehr, denn das Blut
unsers Herrn hat sie getilgt, und mein Priesterwort ist Ihnen dafür
Bürge. Muth also, und ein klares Auge! Sie haben Gottes Gnade
gewonnen; -- gewinnen Sie auch jetzo das Vertrauen des Ordens, der Ihnen
Genesung brachte. Ein Thron ist schön, aber ein Coadjutor unser
Gesellschaft selbst in weltlichen Dingen zu sein, ist ein weit schönerer
Beruf.«

»Verlassen Sie sich auf mich, sobald Sie mir über die gefährlichste
Brücke geholfen haben, in allen Dingen, die nicht mit meiner Bürger- und
Vaterpflicht in Widerspruche stehen.«

»Verfängliche, aber unnöthige Klauseln!« lächelte der Doctor;
»Vaterpflicht? Die Kirche ist ja selbst die liebendste Mutter.
Bürgerpflicht? Ein relativer Begriff. Halbheit, mein Bester, führt nur
zu Trostlosigkeit. Man muß, was man sein will, _ganz_ sein, und auf dem
Wege der Religion kommen unsere Pflichten nie ins Gedränge, wenn man
ohne des Vorurtheils Brille um sich schaut. Die Wahrheit ist immer nur
_Eine_: das Recht ist stets nur _Eines_. Menschliche Satzungen fehlen;
die göttliche Wahrheit nimmer. Sind Sie überzeugt, Ihrer Mitbürger
Bestes zu wollen, so gehen Sie muthig zum Ziel. Wüthende Parteien und
schielende Gesetze schelten gar zu oft Hochverrath, was man mit allen
Bürgerkronen nicht aufwiegt, -- die Rettung des Vaterlandes. Ich behalte
mir vor, Ihnen diese unerschütterlichen Grundsätze deutlicher
auszuprägen, wenn sie zur Anwendung reifen sollten.«

»Zur Anwendung?« fragte der Senator gedehnt, denn sein Kopf ging im
wirbelnden Kreise.

»So ists, mein Sohn,« erwiderte der Doctor ruhig; »die Gestirne wandeln
ihre Bahn; folglich auch die Schicksale der Welten, der Völker, der
Gemeinden, der einzelnen Menschen. Lassen Sie uns den Fall setzen, es
wäre dem Himmel gefällig, in dieser Stadt die Anarchie des Lutherthums
zu beendigen, die von dem unerforschlichen Rathschluß nur aus dem Grunde
zugelassen worden ist, damit der erschlaffende Christussinn sich an dem
Widerstande wetze und siegend wieder auflebe. Noch mehr: der Allmächtige
hätte _Sie_ ausersehen, das Panier des wahren Glaubens, dem Sie
freiwillig sich unterworfen, kühn und frei zu erheben. Würden Sie sich
dessen weigern? Gott durch eine schimpfliche Feigheit beleidigen? Oder
gestehen, daß Sie sich selbst belogen, als Sie sich dem Meßopfer
zugewendet?«

»Wahrlich, ich erstaune ob Ihrer Rede,« sagte der Senator mit
Angstschweiß auf der Stirne: »welch einen Kampfplatz thun Sie mir in
diesen Worten auf?«

»Keinen gefährlichen; denn Gott würde mit dem Beharrlichen sein,
und sein Engel den Satan stürzen. Beruhigen Sie sich indessen. Das
Heldenbild eines solchen Kampfes lebt nur in der Einbildungskraft,
nicht in der Zeit, die eine gemessene, mathematisch schleichende
ist. Wir bekehren nicht mehr mit Feuer und Schwert, sondern mit dem
kraftvollen Honig der überzeugenden Rede. Wir dringen uns nicht mehr
den Völkern auf. Die Völker werden aber, vom geheimen Zuge ergriffen,
alle zu unserm Tische treten. Die Wunder der grauen Judenzeit geschehen
nicht mehr, sondern langsam, still webend, wie der Trieb der Natur,
bereitet der Schöpfer seine Ereignisse vor; Mirakel, nicht kleiner
als die der heiligen Bücher, aber mystischer als sie. Durch göttliche
Schickung rüttelte sich der Wolf der Ketzerei los; aber mit dem Gifte
erstand zugleich das Gegengift. Der Ursprung unserer Gesellschaft,
ist er nicht ein Wunder? erzeugt im Staube, und herrlich fortblühend
an der Brust der Könige? Zeigen Sie mir ein ähnliches Beispiel in der
Geschichte aller Völker, und bezweifeln Sie den Fingerzeig des Herrn,
der uns, seine Streiter erweckte; nicht zum blutdürstigen Morde, wie
jene Dominikaner, die ihren Beruf, die Unseligen, verkannten; nicht
zum faulen Bettel, wie jene schmutzigen Mönche des Franziskus von
Assisi, welche ihre Sendung mit Füßen treten; sondern zu der schweren
Arbeit, wie sie die Noth der Zeit erfordert. Warum wüthet man gegen
uns? Weil man uns ungemessen fürchtet. Warum verläumdet man uns?
Weil wir heller sehen, als alle Welt. Wie kömmt es aber, daß wir das
können? Weil die hunderttausend Augen meiner Brüder nur ein Einziges
sind, und ein scharfes; ihre hunderttausend Arme nur ein Einziger,
und ein thätiger; beseelt von _einem_ Willen, von _einer_ Kraft. Ein
Ziel ermißt unser Blick, nach dem _Einen_ greifen unsere Hände; nach
dem _Einen_ schreitet unser Fuß: Ehre dem Herrn in der Höhe! Nachfolge
dem Menschgewordenen Sohne und seinem Kreuze! Belehrung der Gläubigen,
Zurechtweisung der Verirrten und der noch nicht im Geiste Gebornen!
Aufrechthaltung der allein seligmachenden Kirche! Krieg auf Tod und
Leben dem Satan der Zeit, welcher da ist _der_ der Unvernunft, _der_
der Hartnäckigkeit _der_ des Lasters! -- Hier nannte ich Ihnen in Kürze
die Grundlagen unserer Bestimmung, die Zwecke unsers Daseins. Giebt es
vortrefflichere auf Erden? Verdienen Sie nicht die größte Theilnahme,
und den göttlichen Schutz, der ihnen so offenbar zu Theil geworden?
Ueberall verbreitet, in jedem Welttheile angesiedelt, predigen wir die
wahre, reine Religion. Wir haben ganze Völker dem Heile zugewendet;
wir haben Halbthiere zu Menschen gemacht. Wir leiten das Gewissen
der Fürsten; wir bewachen den Stuhl des Statthalters Jesu Christi.
Unsere Schulen -- wer lobte sie nicht als die Vollkommensten! Unsere
Zöglinge -- wer rühmte sie nicht als die Gelehrtesten? Meine Brüder
-- wer hätte sich nicht an ihrer heitern Freundlichkeit, an ihrem
milden Ernste, an ihrer Weisheit erquickt? Um jedoch ausgezeichnet
und allumfassend wirken zu können, mußten wir umfassende Hilfsmittel
wählen und schaffen: ein Band der Religion, der Wissenschaften, der
Künste, der Gewerbe, des Handels um die Erde und die fernsten Meere
legen. Für alle Bedürfnisse des Menschenwohls Sorge zu tragen, haben
wir uns verbindlich gemacht; wir besitzen in unserm Ordensschooße alle
Elemente dazu; die Mittel muß die Außenwelt geben, die uns freilich
gern und oft zurückstoßen möchte, während sie uns danken sollte. Die
kanonische Armuth der Kirche, die Kargheit der meisten Fürsten, versagt
uns bedeutende Unterstützungen, und unsere Spekulation muß aushelfen;
daher -- im Vertrauen -- unsere Colonien in fernen Welttheilen; daher
Schiffe mit unserer Fracht auf dem Meere; daher das Bedürfniß, Stapel-,
Lager- und Ausladungsplätze in allen Gegenden der Windrose zu besitzen.
Ich komme jetzt ganz natürlich auf unser hiesiges Etablissement, das
im Anbeginn einen solchen Lagerplatz ganz allein bezwecken sollte.
Einige Vertraute waren nöthig; mein Vorgänger entdeckte jedoch viel
Glauben, viel fromme Sehnsucht, und pflanzte die Reben des Herrn mit
gutem Gedeihen an, so daß ich, sein unwürdiger Nachfolger, schon eine
ansehnliche Zahl von Sprößlingen vorgefunden. Auch mit _mir_ war der
Segen des Herrn und das Glück, das mich berief, _Ihnen_ zu dienen; dem
alten bereuenden Freunde, dem nievergessenden Freunde Clara's. Ihr
Einfluß, mein Sohn, wird, hoffe ich, viel Gefahr von unserer stillen
Gemeinde abwenden, und ein guter Wächter für den Handelsvertrieb der
Gesellschaft sein, die hingegen stets bereit sein will, ihre müßigen
auf hiesigem Platze liegenden Capitalien in Ihre vertrauten Hände
zu legen, und gegen billigen Zins zu lassen; so wie sie Ihnen auch
bereits, -- gänzlich uneigennützig, und mit Ihren frommen Gesinnungen
nicht bekannt -- die bewußten Wechsel auf Brasilien angeboten: so wie
ein Freund dem andern zu dienen verpflichtet sein sollte.«

»Ihrem Orden meinen Dank;« sagte der Senator erheitert: »ich will zu
vergelten suchen, wie ich kann. Treue Freunde thun heut zu Tage Noth.
Sie haben mein Ohr bezaubert durch Ihren kurzen Bericht und Ueberblick
Ihrer Wirkungskreise. Wahrlich! ein solcher Verein ist ein Wunder, ein
noch nie gesehenes, nie erhörtes; und Sie, hochwürdiger Herr, müssen
sich im Paradiese wähnen, wenn Sie stündlich sich erinnern, auch ein
Glied an dieser großen edeln Brüderkette zu sein!«

Der Doctor sah bei dieser Wendung ernst und wehmüthig auf die stumpfen
Spitzen seiner Schuhe, lehnte das Kinn auf den Rohrstock, und entgegnete
nach einem verhaltenen Seufzer: »Je nun, Herr Senator! Jeder Beruf hat
seine Last! und ich gehöre zu den Lastthieren unseres Ordensberufs. Herr
Senator! um ein gläubig Gewissen, um ein ungeschwächtes Vertrauen auf
die Unfehlbarkeit eines vorgesetzten Endzwecks ist's eine schöne Sache.
Dieses Vertrauen auf Gott, meine Obern und meiner Pflicht wohlthätige
Früchte ist mein Reichthum, mein Paradies. Die Pflichten selbst sind gar
oft schwer, widern oft an; allein man tröstet sich mit der Fürsicht, die
das Alles befiehlt und ordnet, und wissen muß, zu welchem guten Zweck
Alles so befohlen und geordnet werden soll. Lichtpunkte in meinem Berufe
und Treiben sind Vereinigungen, so erwünscht, so freundlich, wie die mit
Ihnen im Namen der sanftesten Religion eingegangene. Clara betete für
Ihr Glück! Clara's Freund feindlich mir gegenüber zu sehen, der
Verdammniß verfallen, der Hoffnung bar, einst mit Claren, mit mir
vereinigt zu werden!... Der Gedanke schmerzte mich tief, und indem ich
Sie für unsere Lehre gewinnen durfte, gewann ich selbst einen Schatz
tröstenden Bewußtseins!«

Der Senator war bewegt, da er in die bewegten Augen des Doctors sah, und
auch die seinigen gaben Thränen, und in einer herzlichen Umarmung
erkannten sich Priester und Neophyt als höhere Würdenträger der
Menschheit; als verwandte Gemüther, als Freunde.

Der Senator sagte hierauf, indem er sich die Augen trocknete, und des
Doctors Hand ergriff: »Was mir einfällt, mein würdiger Freund! Ihr
Pflegesohn scheint Lust zu haben, ein Proselyt meiner Tochter zu
werden, denn umgekehrt läßt sich bei des Mädchens Starrköpfigkeit die
Sache nicht denken. Allein ... Sie begreifen ... und ersparen mir wohl
fernere Erläuterung.«

»Allem ist schon vorgebaut;« unterbrach ihn der Doctor: »mir ist's nicht
entgangen, und dem jungen Menschen ist bereits Ihr Haus untersagt. Ihn
binden frühere Pflichten, und Zeit ist's, daß sein Schwärmen endige.«

»Welch ein Mann sind Sie!« rühmte der Senator, freudig des Doctors
Hand schüttelnd: »solch' ein Scharfsinn -- solch' feine verhütende
Moral lernt sich wahrlich nur in Ihren Collegien. Was sind dagegen
unsere trockenen, dürren Gymnasien, wo man nur Buchstaben lernt, und
nicht Menschenkenntniß? -- Was unsere Schreibstuben, in denen man den
Charakter unserer Geschäftsfreunde, wie der Welt, nur nach den Zahlen
taxirt, die sie in Gold oder Papieren aufzustapeln vermögen! Was Ihnen
der klare Forscherblick schon verrathen, das mußte mir der Mund eines
schleicherischen Handlungdieners...«

Die Schelle am Hause wurde gezogen: einmal, zweimal, dreimal,
bescheiden, aber steigend, wie sich dazumal geladene Fremde anzumelden
pflegten, während Hausfreunde nur zweimal läuteten und Hausgenossen das
ganze mit _einem_ derben Riß an der Schelle abzuthun gewohnt waren. Der
Senator erblaßte; das Wort erstarrte in seinem Munde, ein heftiges
Zittern überkam ihn.

»Herr ... Birsher...!« stammelte er. Der Doctor rüttelte ihn zurecht,
und sagte ihm tröstend und ermahnend: »Sie sind entsündigt. Im Namen der
Dreieinigkeit! gehen Sie hin; trauen Sie auf meinen Beistand, und geben
Sie nicht Anlaß zum Argwohn, noch Aergerniß!«

Ein nachfolgender Zug an der Comptoirschelle benachrichtigte den
Hausherrn, daß der Fremde hereingelassen worden, -- daß der Besuch nicht
dem _Kaufmann_ allein gelte. Seine Pflicht zu erfüllen, nahm sich
Müssinger zusammen, und ging dem die Treppe Ersteigenden höflich
entgegen. Der große junge in Schwarz gekleidete Mann mit dem wenig
gefärbten ernsten Gesichte und den hellen geradausschauenden Augen hätte
den Senator beinahe wieder aus der Fassung gebracht; was indessen der
erste Anblick verderben zu wollen schien, brachten die ersten Worte des
Fremden wieder ins Geleis. Der junge Mann streckte, ohne den Hut zu
rücken, aber mit offenem Gesichte dem Wirthe die Hände entgegen, und
sagte: »Ei, herzlich willkommen, Herr Senator. Freue mich, Sie endlich
zu sehen. Vor Allem Entschuldigung, daß ich mich gestern, von der Reise
ermüdet, durch den Kellner anmelden ließ. Hierauf verbindlichen Dank für
die Einladung, und -- das Beste kömmt zuletzt -- meine herzlichste
Erkenntlichkeit für die Bewirthung meines armen Vaters.«

Der Senator bückte sich äußerst verlegen, und öffnete die Thüre des
Tafelzimmers. Ohne sich jedoch unterbrechen zu lassen, fuhr der junge
Mann ruhig und behaglich fort: »Das Grab meines guten Vaters war das
Erste, was ich hier besuchte. Meine Thräne ist darauf zurückgeblieben,
und mein Segen nicht minder. Wir wollen uns jedoch, nach diesem
Berichte, die Hände darauf geben, daß wir kein Wort mehr über sein
Schicksal verlieren wollen. Sie übersehen gütigst die Farbe meiner
Kleider, so wie ich selbst den eigenen Kummer übersehen will, um
Ihnen nicht ein unerträglicher, unwillkommener Gast zu sein.« Der
Senator sah den Doctor verwundert, aber mit erleichtertem Herzen
an. Leupold studirte in dem Gesichte Birshers. Er erkannte seinen
gestrigen Tischnachbar im Schwan. Dieselbe ruhige Unbefangenheit, die
ihn im Gasthause ausgezeichnet hatte, verließ ihn auch heute nicht.
Der ungewöhnliche Prunk, von welchem die Tafel strotzte, nöthigte ihm
keinen Blick der Verwunderung ab, und, als sei er schon seit geraumer
Frist ein Genosse dieser Tafelrunde, begrüßte er ohne förmliche
Umschweife die geputzte Senatorin, die sich endlich einfand, und
Justine, die im Kleide der Hausfrau erschien, um, der Küche entsagend,
bei Tische das Ehrenamt zu verrichten. Nachdem Doctor Leupold von
dem Senator den Seinigen und dem Fremden vorgestellt worden, begann
das Mahl, dem heute im Uebrigen kein anderer Gast als der ernsthafte
Buchhalter beiwohnte. Die Unterhaltung war anfänglich geschraubt. Der
Senator bewachte mit ängstlichem Auge Herrn Birsher, die Senatorin
saß mit stummem verzogenem Munde und niedergeschlagenen Augen, der
Buchhalter schwieg nicht minder devot, und der Doctor allein führte mit
dem New-Yorker ein unbedeutendes Gespräch. Justine beobachtete, und
ihre Aufmerksamkeit, -- sobald es ihre Geschäfte erlaubten -- theilte
sich zwischen Herrn Birsher und dem Doctor. Die Züge des Letztern
hatten für sie etwas Bekanntes, mancher Anklang seiner Stimme war ihr
ebenfalls nicht fremd, und dennoch hatte sie ihn im Cabinete des Vaters
nur ein einzigmal -- beinahe _nicht_ gesehen, keine Sylbe aus seinem
Munde gehört. Sie grübelte in der Erinnerung, gelangte jedoch zu keinem
Ergebniß, weil ihr des Doctors Nachbar interessanter erschien. Wider
Willen kehrte ihr Auge immer häufiger auf den jungen Amerikaner zurück,
und sie mußte sich gestehen, daß ihre Phantasie an dem Manne eine Sünde
begangen. Nicht die müde Behaglichkeit des Vaters, -- die entschlossene
Ruhe eines mit sich selbst auf's Reine gekommenen Menschen, redete
von dieser Stirne, aus diesen Blicken, die manchmal hell und fest den
ihrigen begegneten, -- die ihr eine freundliche Bewunderung, verbunden
mit einer beinahe ehrfurchtsvollen Scheu, einflößten. Sie horchte
neugierig auf jedes seiner Worte; sie lächelte unwillkürlich und
beifällig, als der Zurückhaltende endlich gesprächig wurde. -- Nach der
dritten Speise schob Birsher mit einer leichten Verbeugung den Teller
etwas zurück, und sagte: »der Hunger ist gestillt, und zum Vergnügen
esse ich nicht. Ich erbitte mir daher die Vergünstigung, unangefochten
und nachsichtsvoll beurtheilt, ein unthätiger Zeuge der fernern
Mahlzeit sein zu dürfen.«

Die Senatorin, viel auf Tafelgenüsse haltend, und dieselben sogar in
ihrem jetzigen gereizten Zustande nicht vernachlässigend, warf dem
Redner einen mißbilligenden, verwunderten Blick zu. Birsher bemerkte
denselben, fuhr aber, ruhig und verbindlich zu der Frau vom Hause
gewendet, fort: »Ein Paar Worte, hochzuverehrende Gastfreundin, werden
hinreichen, den Verdacht einer Unschicklichkeit von mir zu entfernen.
Ich habe es wohl erfahren, daß man in Deutschland die freundschaftlichen
Mahlzeiten hochschätzt und sie verlängert; daß man den Grundsatz hegt,
dem willkommenen Gast könne nie zu viel angeboten werden, und er könne
hinwieder nie zu viel genießen. Bei uns in Amerika ist die Lebensart
viel einfacher, so wie unsere Wohnungen, unser Tafelgeräthe und unsere
Kleidungen einfacher sind. Drei Gerichte, eine Flasche Bier oder Wein,
ein herzliches Tischgespräch von einer halben Stunde, ein aufrichtiges
Gebet zum Beschluß -- das sind die Bestandtheile unserer Sonntags- und
Feier-Tafeln. Lassen Sie mich bei dieser Gewohnheit, die meine
Landessitte mir einprägte, die mir immer wohl bekam. Ich will, da ich
meinen Theil _von_ diesem überprächtigen Gastmahle nicht gehörig
annehmen darf, meinen Antheil zu der Unterhaltung geben, und fange damit
an, Ihnen unumwunden zu bekennen, weßwegen ich im Grunde hierher
gekommen bin.«

Alle Anwesende neigten höflich das Haupt, und der Senator, um eine
Erwiderung verlegen, sagte mit zweifelhaft schwankendem Tone: »Ew. Edeln
kommen unsern Wünschen zuvor. Ich darf gestehen, ... daß ... so höchst
angenehm mir auch Dero Ankunft erschienen, ich nicht begreife, wie es
möglich wurde, Sie schon jetzt hier zu begrüßen. Meiner erprobten
Berechnung gemäß könnte das schnellst segelnde Schiff kaum die Nachricht
nach New-York gebracht haben, daß...«

»Ihre Berechnung täuscht nicht, Herr Senator,« antwortete Birsher:
»das dänische Kauffahrteischiff Kiöbenhaven, das vom Texel abging, mit
der Depesche des Herrn van den Höcken befrachtet, kann erst seit drei
Wochen, fiel die Fahrt vollkommen günstig aus, zu New-York angekommen
sein. Doch hatte ich nicht auf eine Nachricht aus Europa gewartet.
Eine Ahnung -- man möchte sagen, wie mein schottischer Faktor zu sagen
pflegt: ein zweites Gesicht hat mich über's Meer getrieben!«

»So?« fragte Doctor und Buchhalter. Des Senators Gesicht verlängerte
sich. Die Frauen hingen mit ihren Blicken an dem Munde des Erzählers.
Dieser bemerkte die gespannte Neugier, und sprach lächelnd weiter:
»Erwarten Sie keine Gespenstergeschichte. Nichts Ungewöhnliches. Ein
einfacher Traum ist's nur, der sich leicht erklärt, wenn man erfährt,
daß Vater und ich uns unaussprechlich lieb gehabt. Um ein Capital
zu retten, das in Ostfriesland unsicher stand, und um mir -- wovon
nachher -- einen Schatz mitzubringen, unternahm der alte Herr die
mühevolle Reise. Eine Art von Heimweh gesellte sich zu den obigen
Motiven. Er hatte früher in Holland und Deutschland gelebt. Es war
ihm in diesen Ländern wohl ergangen. Er wollte das Paradies seiner
Jugend noch einmal sehen vor seinem Ende. Er hoffte, seine lästige
Corpulenz auf der Seefahrt zu vermindern. Er bestand -- eigensinnig von
jeher -- auf seinem Vorhaben, und segelte ab. Das Schiff hatte einen
bedeutungsvollen Namen: Fare well! Mein Glück- und Segensruf hing sich
an des Schiffes Wimpel, und -- setzte ich mich gleich stracks wieder
vor die Bücher und die Correspondenz, so schaukelte sich doch meine
Seele neben dem Vater auf dem fern hingleitenden Fare well! Diese
Einbildung verwuchs, so zu sagen, mit mir, und gab sicherlich Anlaß
zu dem Traume, der mir einst, geraume Zeit nach des Vaters Abfahrt,
vorkam. Ich saß im Comptoir und schrieb. An die Thüre klopfte es.
»Herein!« rief ich. Alles still. Nun stand ich auf und sah selbst
nach. Vor der Thüre stand mein Vater: gekleidet, wie wohl sonst, aber
blaß. Willkomm! sagte ich, und streckte die Hand aus. Er aber sprach:
Beileibe, Freund Georg; ich bin ja gestorben, und muß in Europa
bleiben. -- Ich fuhr auf, und das nächste Schiff nahm mich mit nach
Holland. Van den Höcken sagte mir bei der Ankunft in Amsterdam nichts
Neues. Ich war von der Wahrheit meiner Ahnung innig überzeugt.«

»Das ist eine entsetzliche Geschichte!« sagte die Senatorin, und erhob
sich, von Gespensterfurcht ergriffen, vom Stuhle, um mit starren Augen
und bebendem Kinn von hinnen zu wanken. Der Senator, der auf glühenden
Kohlen gesessen, beeilte sich, der Frau seinen Arm zum Weggehen
anzubieten. Mit einer Geberde schaudernden Abscheu's stieß ihn jedoch
Frau Jacobine zurück, griff mit heftiger Gewalt nach Justinens Hand, und
verließ, auf dieselbe gestützt, das Eßzimmer.

»Die Frau Senatorin scheint reizbarer zu sein, als ihre Constitution
errathen läßt,« versetzte Birsher, etwas aus der Fassung gewichen; »ich
habe dennoch nur Alltägliches erzählt, um einen Beitrag zur Seelenkunde
zu geben.«

»Ein merkwürdiger Beitrag allerdings,« hob der Doctor an, um des
Senators betretene Beschämung zu bemänteln; »die Geschichte zeugt von
Ihrer außerordentlichen Liebe zu dem Vater, dessen Tugend ein späteres
Lebensziel verdient hätte.«

»Ich habe beschlossen, daß er in seinen Vorsätzen, in seinen Wünschen
fortlebe,« entgegnete Birsher: »sein Wille ist mir ein schätzbareres
Vermächtniß als seine beträchtlichen Güter. Ich bin weniger gekommen, um
hier das mir zustehende Erbtheil zu holen, als um den hochachtbaren
Herrn Senator zu fragen, ob er die Freundschaft, die er für meinen Vater
hegte, auf mich fortpflanzen, und mich, wie der Selige gewünscht, zu
seinem Schwiegersohne an- und aufnehmen will.«

»Herr Birsher,« stammelte der Senator, höchlich überrascht: »Ihr
wackerer Sinn spricht sich so unerwartet aus, da...«

»Was der Vater beschloß, will ich gehorsam ausführen! -- Von seinen
Händen hätte ich blindlings die nie gesehene, ungeliebte Braut
empfangen. Was soll ich nun thun, da ich die liebliche Jungfer gesehen,
da ich aus jedem Munde nur ihr Lob vernommen? Ich bin kein Freund von
vielem Reden. Ja oder Nein, Herr Senator? obschon unter Männern von
Wort ein »Nein« nicht wohl denkbar ist. Ueberlegen Sie nicht, grübeln
Sie nicht. Der Brautschmuck ist in Ihrem Hause. Das Capital, das mein
Vater, es schon verloren gebend, zu Emdes rettete, hat er verwendet,
gewisse Verbindlichkeiten, die Ew. Edlen gegen van den Höcken hatten,
aufzulösen; die quittirten Verschreibungen zu der Jungfer Nadelgeld
bestimmt. Mein Vater hat Alles im Voraus geleistet und besorgt ....
werden Sie nun nicht auch das Ihrige gegen mich thun?«

»Ich wills, ich werde es!« rief der Senator ausbrechend, weil ihm ein
Felsenberg von der Brust fiel: »ich heiße Sie doppelt willkommen, als
meinen lieben Sohn und Handelsfreund.«

Er und Birsher schüttelten sich treuherzig die Hände. Der Buchhalter,
mit dem Glase an das des Doctors klingend, rief eine jubelndes
»Gratulor, gratulor von Herzen!« Der Doctor stieß wohl an, neigte sich
wohl glückwünschend, aber auf seiner Stirne saß nicht das zufriedene
Einverständniß. Wie hätte sich jedoch die Falte auf des welterfahrenen
Mannes Antlitz lange halten können?

Nun wurde der Senator lebendig. Die Spannung seines Gemüths schien
wiedergekehrt zu sein, eine heftige Freude ihn zu beleben. Die silberne
Schelle ertönte in seiner Hand. »Alicante!« rief er dem eintretenden
Burschen zu: »vier Flaschen! Das Siegel mit den vier Thürmen! Frisch!
Schnell! nicht gezaudert! die spanischen Kelchgläser mit den Lilien
dazu! den Nachtisch herein! Justine soll kommen; sie soll kredenzen!«

Und so ging es fort in Feuer und Leben. Der Niersteiner, der gerade auf
dem Tische kreiste, floß in ungeduldigen Bächen in die traulichen Römer.
Gesundheit auf Gesundheit wurde getrunken. Unter den fröhlichen
Bewegungen der Gäste erzitterten beständig die silbernen Glöckchen an
dem prächtigen spiegelverzierten Aufsatze, der, einen chinesischen
Tempel vorstellend, mitten auf der Tafel stand; aber das Funkeln dieser
schillernden Spiegel und bewegten Perlen war todte Asche gegen
Müssingers strahlendes Auge; das Schellengetön verklang unter der
tönenden Sprache seiner erweiterten Brust.

Die Thüre ging auf. Einen silbernen Präsentirteller in der Hand,
auf welchem sechs Kelche voll des köstlichen Alicante schimmerten,
neben der geöffneten Flasche, die nun mit einer prachtvollen Blume
verschlossen war; -- gefolgt von dem dienenden Burschen, der im Korbe
die drei übrigen Flaschen nach sich schleppte, -- trat eine schöne
Frau herein, in einfachem aber angenehmem Kleide, mit Wirthlichkeit
kündender Florschürze angethan, und die zierlichen Hände von saubern
Handschuhen bedeckt. Die Herren fuhren überrascht und grüßend auf. Der
Senator blickte überraschter als die Uebrigen auf die ihm Unbekannte.

»Mademoiselle Justine ist nicht zu finden,« sagte die angenehme Wirthin,
den Wein mit einem Anstande umherreichend, als bediene sie eines Königs
Tisch. »Um die verehrten Herren nicht allzu lange warten zu lassen,
mußte ich also selbst ... entschuldigen Sie gütigst.«

So eben trat Justine aus der Seitenthüre. Mit einem Blicke begriff sie
die Verlegenheit der Helferin, die Ueberraschung des Senators, und sagte
mit der freundlichsten Betonung, zu der ganzen Gesellschaft gewendet:
»Madame de Lainez, die Wittwe eines im Felde gebliebenen königlich
französischen Hauptmanns, meine sehr liebe Freundin, die sich heute
erbitten ließ, meine häusliche Pflicht zu theilen und mir zu
erleichtern.«

»Freut mich unendlich,« versetzte der Senator mit einem Bückling, und
wies der Erröthenden den ledigen Stuhl Jacobinens an. Die Lainez wollte
sich, stumm versagend, empfehlen. Justine hielt sie aber zurück, sagte
ihr viele schmeichelhafte Worte und behauptete: durch eine plötzliche
Unpäßlichkeit der Mutter würde sich die Tafel verwaist sehen, wenn nicht
eine liebenswürdige Frau den Platz einnehme. -- Leise flüsterte sie
indessen der Lainez zu: »Bleiben Sie um Gotteswillen, meine Beste, und
unterhalten Sie die Herren. Ich finde noch kein Wort, das nicht meiner
Seele wehe thäte.«

So fügte sich Madam Lainez endlich. »Bei Denain fiel Ihr Gemahl?« fragte
nach einigen vorläufigen Erkundigungen der Senator: »er ist in einem
rühmlichen Kampfe gefallen gegen ehrenhafte Feinde. Man muß gestehen,
daß des Kaisers Truppen in den Niederlanden einen Schauplatz vielen
Ruhms, und nur weniger Niederlagen gefunden haben. Meine Herren! der
Prinz Eugen soll leben!«

»Ich bitte, unsern Marlborough nicht zu vergessen,« sprach Birsher in
den Gläserklang: »das Heldenpaar hat sich zu Malplaquet unsterblich
gemacht. Ich habe mich oft gesehnt, Flandern zu besuchen, wo so viele
Tapfere gefochten. Ich will es thun, und bei dieser Gelegenheit nicht
versäumen, das ehrenvolle Bette Ihres Gemahls zu betreten, Madame.
Wissen Sie aber, daß Ihr Name weniger militärische Erinnerungen als
vielmehr geistliche erweckt? Wenn ich nicht irre, so nannte sich der
zweite Ordensgeneral der Jesuiten Lainez. Er war ein ausgezeichneter
Mann; seine Feinde selbst müssen es eingestehen, denn seiner rastlosen
Bemühung verdankt diese furchtbare Gesellschaft ihren raschen
Aufschwung.«

Die Lainez schlug die Augen nieder und erwiderte: »mir ist von jenem
Manne nichts bekannt. Auch hörte ich nie von meinem Manne, daß einst in
seiner Familie...«

»Wünschen Sie sich Glück, Madame,« unterbrach sie der junge Birsher mit
freundlicher Bestimmtheit: »so floß in seinen Adern auch kein Tropfen
jenes herrschsüchtigen Alles verachtenden Uebermuths, der in den Jüngern
des Loyola und des Lainez sich hervorthut.«

»Ja wohl! ja wohl!« äußerte der Buchhalter, besorgt den Kopf schüttelnd:
»die Jesuiten! die Jesuiten! Wer diese Firma zuerst auf den Markt
brachte...«

»Man macht, denke ich, die Leute gefährlicher als sie sind,« sagte der
Doctor gutmüthig lächelnd: »was meinen Sie, Herr Senator? Unser
hochgeehrter Tischgenosse hat sich, wie ich glaube, mehr mit der
verrufenen Gesellschaft Jesu abgegeben, als bei einem Kaufmann
bräuchlich ist...«

»Freilich,« sagte Birsher aufrichtig: »es ist ganz natürlich. Wir Leute
zu New-York hören an jedem Sonntage den Prediger über den Papst und
sein Reich den Bann aussprechen, und der Jesuiten, dieser Trabanten des
Stuhls Petri, wird allerdings dabei auch nicht geschont. Ferner lesen
wir historische Schriften. Und spräche nicht die Weltgeschichte zu
uns, -- würde auch unser Prediger der Schildhalter des Papstthums nicht
erwähnen, -- die Zeit würde es von selbst thun. Dieser gefährliche Orden
ist unsers Standes Nebenbuhler, Herr Senator. In den katholischen
Staaten sitzen Jesuiten am Ruder, und lenken die Zügel des Handels und
der Gewerbe. In Westindien, in Südamerika vorzüglich haben sie ihre
Commanditen. Ihre Habsucht trachtet alle Monopole, von welchen die
Handelswelt niedergedrückt ist, in ein Einziges zusammen zu ziehen, und
dieses Einzige selbst auszubeuten.«

»Ei, ei, Ew. Edeln gehen verzweifelt weit,« ermahnte der Senator
lächelnd, und ungeduldig wegen des Doctors, der unruhiger wurde.

»Keineswegs,« fuhr jedoch ohne Bitterkeit und Animosität der Amerikaner
fort: »ich gestehe ein, daß ich die Katholiken nicht liebe. Unser
Mutterland hat viel durch sie gelitten. Ich liebe eben so wenig den
Orden, den wir berührten. Allein Parteilichkeit leitet mich auch nicht,
indem ich ihn verdamme. Die ledige Erfahrung spricht für mich. Was haben
wir, was hat die ganze Welt von einer Stiftung zu erwarten, die den
Fürstenmord begünstigt? von einem Orden, dessen Glieder, als Beichtväter
der Könige, Zwietracht säen zwischen den Herrschern und ihren Völkern?
Man weiß, wer in den letzten Zeiten die abscheuliche Mörderei in den
Cevennen, wer den Widerruf des Toleranzedikts von Nantes verschuldet
hat, der Tausende der besten Bürger mit ihren Familien der Heimath
entfremdete. Wer dem Vaterlande in seinen Söhnen das Mark aussaugt, wer
es in seinen Söhnen ermordet, begeht Hochverrath an der ganzen Natur und
an ihrem Schöpfer. Vielleicht sind Sie nicht meiner Meinung, Madame,
aber ich denke nicht anders.«

»Die Aufhebung des Edikts von Nantes machte mich mit meinen Eltern
unglücklich,« erwiderte die Lainez mit feinem Doppelsinn.

»Eine Vertriebene also? eine Gemißhandelte?« fragte Birsher mit warmer
Theilnahme; »nun wahrlich, so freut es mich, hier unter ehrlichen
Protestanten zu sitzen, vor denen mein Herz reden kann, wie ihm zu Sinne
ist. Ich hasse die Heuchelei, und diese Aufrichtigkeit ist nicht _meine_
Tugend, sondern Sitte in Amerika.«

»Eine schöne Sitte!« meinte der Buchhalter: »in Deutschland selbst
verschwindet nach und nach die deutsche Treue und Offenheit. Wohl unsern
Nachkommen, wenn sie wenigstens solche Qualitäten dann in Amerika wieder
finden mögen!«

»Es ist Schade,« begann der Doctor mit einem spitzigen Lächeln: »daß
Sie, hochzuverehrender Herr Birsher, nicht den Beruf in sich empfunden,
ein Weltumsegler zu werden. Vor Ihren Ansichten und Ihrer seltenen
Aufrichtigkeit hätten alle fremde Götzen weichen, alle anders Glaubende
sich bekehren müssen.«

»Meine Reden sind zu harmlos, als daß sie vielleicht die feine
Zurechtweisung verdienen,« erwiderte Birsher freundlich, aber ernst:
»indessen muß ich mich rechtfertigen. Ich bin nicht unduldsam; ich
verabscheue jeden Glaubenszwang. Wir Amerikaner denken in diesem Punkte
freier, als man es in England darf. Mit Freuden würde ich's sehen und
erleben, was mein Vater einst in einer halb prophetischen Stunde
voraussagte: daß einstens allenthalben in Amerika jeder Glaube neben dem
andern wohnen werde, friedlich, ungestört, wie in dem Schooße von
Brüdern: wie Penn's Bruderstadt das Beispiel schon gegeben: wie bereits
des Königs Duldungsakte dieses Beispiel unterstützt.«

»Diese Aeußerung wirft Ihre frühere um!« sagte der Doctor triumphirend.
»Oder lieben Sie Ihre Mitmenschen alle, den katholischen Bruder
ausgenommen?«

»Weil _ich_ sagte, daß ich den Katholiken nicht liebe, sagte ich damit,
daß ich ihn hasse und verwerfe?« entgegnete Birsher, warm werdend: »ich
werde ihn vielleicht nicht rufen, daß er neben mir sein Haus baue: das
thut man nur lieben Freunden. Aber, wenn er aus eigenem Antrieb seine
Hütte an die meinige lehnt, und zu mir spricht: Bruder, wir wollen
versuchen, wie wir gute Nachbarn sein mögen! so werde ich ihm antworten:
gern, Bruder, laß es uns versuchen. Und fügten wir uns Beide in Güte und
nachbarlicher Geduld, so würde ich ihn am Ende wohl noch lieben,
herzlich lieben lernen, und ihn nicht aus seinem Eigenthum jagen, und
nicht von ihm begehren, daß er zu Gott bete wie ich. Allem Begehren,
allem Uebertritte bin ich Feind. Bleibe Jeder auf der Seite, wohin ihn
der Zufall, der ja auch unsere Geburt leitet, gestellt hat. Glaube
Jeder, was er kann, und folge er den Gebräuchen seiner Lehre, damit die
Schwachen kein Aergerniß nehmen, und die Schadenfrohen jenseits nicht
triumphiren. Ich könnte dem Menschen nimmer trauen, der seine Religion
verändert hat. Er hat den Rock seines Herrn weggeworfen, um keinen Herrn
zu haben, und verdient kein Zutrauen, weil er sein Heiligstes verrieth.«

»Und nun genug, mein Herr, von solch abnormem Gespräche,« sagte
der Doctor verbindlich: in der That aber erschreckt von dem
bleichgewordenen, nachdenkenden Gesichte des Senators: »Ihre Grundsätze
sind redlich gedacht; wohl leichter anzugreifen, als Sie glauben;
aber wir befinden uns hier nicht vor einer Synode, sind Beide, --
ein Kaufmann, ein Jurist -- nicht berufen, solche Streitigkeiten
durchzufechten. Die Damen zumal finden an unsern Reden nur Langeweile.«

»Nicht doch; wir hören gerne zu,« nahm Justine für sich und die Lainez,
welche schwieg, das Wort: »eine Duldungspredigt aus Ihrem Munde,
hochgeehrter Herr Birsher, müßte sich gut ausnehmen. Ich wünsche Ihnen
den Sieg gegen den Herrn Doctor, obgleich derselbe schwere, uns
unbekannte Waffen in den Streit führen möchte.«

»Wünschen Sie mir wirklich den Sieg, schöne Jungfrau?« fragte Birsher
verbindlich, und Justinens Wangen wurden Gluthrosen vor seinem Blick: »o
dann habe ich meine Sache schon gewonnen, und dem Herrn Senator bleibt
nichts übrig, als seinen und meinen Wunsch Ihrer Entscheidung
vorzulegen.«

Die Männer standen alle auf, und ergriffen die Gläser. Der Senator
räusperte sich, um auf eine zierliche Weise seinen Spruch anzuheben, der
der Tochter galt. Justine stand wie auf Nadeln, und wünschte eine
Gelegenheit herbei, die Rede, deren Inhalt ihr Scharfsinn und ihre
Eitelkeit ahnten, zu verhindern, zu unterbrechen. Siehe, da erhob sich
auf dem Gange ein Getöse. Eine ferne Thüre flog auf, man hörte gellendes
Geschrei.

»Um Gotteswillen! der Mutter Stimme!« rief Justine erschrocken und
erfreut zugleich, aus der Angst zu kommen. Sie enteilte schnell durch
die Thüre. Die Lainez folgte. Staunend blieben die Herren zurück. Der
Senator, von Groll gegen das Betragen seiner Frau erfüllt, verweigerte
es kalt, zum Beistand der Hülferufenden zu gehen. Bald brachte die
Lainez die Nachricht, daß ein lebhafter Traum Frau Jacobine ihrer Sieste
entrissen, und ihre Unruhe erregt. Man habe die wieder zur Besinnung
Gekommene zu Bette gebracht, und Justine wollte sie nicht verlassen.
Sein Beileid bezeugend, wie seine Erzählung verwünschend, die vielleicht
Anlaß zu der Senatorin Zustand gegeben haben durfte, beurlaubte sich
Georg Birsher, mit dem Versprechen, Morgen bei Eröffnung der
versiegelten Habe seines Vaters gegenwärtig sein zu wollen. Dem
Ceremoniell schicklicher Sitte zu Folge begleiteten ihn Buchhalter und
Doctor nach seinem Gasthause, und ließen den Senator nachdenkend allein.

Der Drang, den Beweggrund so mancher unbegreiflichen Erscheinung in dem
Benehmen seines Weibes zu erforschen, vermochte ihn, sich nach dem
Schlafzimmer desselben zu begeben. Er trat leise in die dunkle Stube.
Jacobine schien zu schlummern. Am Fuße ihres Bettes, den Kopf in beide
Hände gestützt, saß Justine. Der Senator näherte sich der Kranken, ohne
von Jemand bemerkt zu werden; er bückte sich lauschend über das Bette.
Jacobine schlug die Augen auf, und fuhr mit dem Geschrei: »Alle gute
Geister loben Gott den Herrn!« empor. Justine erwachte aus ihrem
Nachdenken. »Der Vater, liebe Mutter!« -- sagte sie sanft zu derselben.

»Weg, weg aus meinen Augen!« lautete die gellende Antwort: -- »Weg! weg!
willst du mich umbringen? weg, entsetzlicher Mann!«

Sie drehte den Kopf nach der Wandseite, und schwieg hochathmend.
»Jacobine!« stammelte der von heftigem Zorn ergriffene Gatte, und faßte
ihre Schulter: »Weib! was hast du vor? Was soll dies Alles?«

Er mochte aber der Worte, so viele es ihm beliebte, verschwenden;
umsonst.

Die Senatorin beharrte wieder in dem dumpfen Unheilkündenden Schweigen.

»Nun so strafe dich Gott, lästerndes, nichtswürdiges Weib, daß du also
mit mir verfährst!« brach er in jäher Wuth aus, und hob die Hand zu
einer Mißhandlung. Justine verhinderte diese ängstlich, und bat mit
Lippe und Auge den Vater, hinwegzugehen.

»Nun, so folge du mir; scheide von dieser Rabenmutter, die mein Leben
zwecklos vergiftet!« sagte der Senator, zu sich selbst kommend, und
ergriff ihre Hand. Justine zögerte. Die Senatorin erhob sich, bleich
vor Aerger und Ungeduld. Sie drohte der Tochter mit dem Finger. Justine
zog unschlüssig die Hand aus der des Vaters. Mit dem bittersten Gefühle
der innern Empörung sagte dieser: »wie? auch du mein Kind, bist in
dieses gräuliche unbegreifliche Complott gegen mein Herz verwickelt?
Ich befehle dir, mir zu folgen; -- soll ich fremde Autorität anrufen,
daß mir mein einziges Kind gehorsam bleibe?«

Mit erneuter Gewalt ergriff er Justinens Hand und zog sie nach der
Thüre. Die Senatorin winkte der Gehenden, legte den Finger auf den Mund,
und rief ihr dann nach: »Du bist die elendeste Creatur, Justine, wenn du
meine Befehle vergissest!« Justine ging nun mit dem Vater auf dessen
Zimmer. Wie eine arme Sünderin stand sie vor ihm; er ruhte auf einem
Lehnstuhl von den Bewegungen seines Gemüths aus, und sammelte seine
Gedanken; sah die Tochter unverwandt an, seufzte, schüttelte öfters
mißmuthig das Haupt, und sagte endlich mit angegriffener Stimme:

»Gott weiß, Justine, daß ich mich immer bemüht habe, ein guter
Hausvater zu sein; daß ich oft mit der äußersten Anstrengung meinen
Jähzorn im Zaume gehalten habe, um Weib und Kind nicht weh zu thun,
hatten sie gleich meinen Zorn verdient. Aber solch Betragen, wie es
seit gestern Abend sich entwickelt, muß endlich ein Lamm in einen Wolf
verkehren. Sieh, Justine, vor einer Stunde war ich noch so fröhlich!
Es war mir Diverses wider Erwarten dergestalt nach Wunsch gegangen, --
es hatte sich so Manches, das ich befürchtete, anders und befriedigend
gestaltet und gedreht, daß ich die Welt hätte umarmen mögen, und meinen
liederlichsten Schuldner die Quittung geschrieben hätte. Da erhebt
sich wieder auf's Neue dieser häusliche Sturm, dessen Ursprung mir ein
Räthsel ist. Auch du, Justine, bist mir Eines. Am heutigen Morgen --
zu Anfang der Mittagstafel noch -- das fröhliche starke Mädchen, wie
sonst, bist du plötzlich ein betrübtes, finsteres geworden. Läugne
nicht; ich habe helle Augen, welche sahen, daß die deinigen verweint
waren, als du beim Nachtisch wieder zu uns kamst, nachdem deine
blödsinnige Mutter sich vor den Gästen zum bedauerlichen Spektakel
gegeben hatte. Gezwungen, unbeholfen war deine Rede, und du zwangst
dich, meinen Blicken zu entgehen. Jetzt bemerke ich wieder Thränen
in deinen Wimpern. Sprich, Justine, woher diese Veränderung? Sei
aufrichtig, mein Kind!«

Justine öffnete den Mund, aber dennoch schwieg sie kopfschüttelnd und
mit gesenktem Blicke. Der Senator sprang ungeduldig auf, spielte mit
seiner Tabaksdose, pfiff einige Töne des Marlborough-Lieds, und stellte
sich mit hochgerötheter Stirne vor die Tochter. »Undankbares Geschöpf!«
sagte er mit unterdrücktem Grimme: »Wirst du reden? Soll ich wie ein
Bube um die Gnade eines Worts von dir betteln? Heraus mit der Wahrheit,
verlarvte Person! Du weißt, was deine stätige Mutter im Schilde führt.
Du hast auf den Grund ihres Steinherzens gesehen; du hast erfahren, was
in ihrem vertrockneten Gehirne spukt; heraus damit, oder ... Gott strafe
mich!...«

Er warf im Ausbruche der Wuth die porzellanene Tabatiere so stark zu
Boden, daß sie in tausend Stücke zersprang. Justine fuhr zusammen, faßte
des Vaters rechte Hand so kräftig, als sie konnte, und sagte zu ihm,
zwischen Thränen der Angst und einem plötzlichen Entschlusse schwankend:
»Um's Himmelswillen! keinen Schlag, mein Vater! ich bin solcher
Begegnung nicht gewohnt; Sie würden mich durch diese Entwürdigung
umbringen. Ich kann die Zwischenträgerin nicht machen. Ein schimpflicher
Zwang würde mich vollends nicht bewegen! Hüten Sie sich, Vater! daß Sie
nicht noch mehr des Fluchs auf Ihr Haus laden!«

»Mehr des Fluchs!« versetzte der Senator, und ließ ohnmächtig die Hände
sinken; »wahr gesprochen, meine Tochter; es lastet auf mir schon genug
des Unsegens. Geh' hin!«

Vor dem Bekümmerten ließ sich das gerührte Mädchen auf die Knie nieder,
und redete mit gefaßten und bewegten Worten zu ihm: »Ach, wenn Sie gut
und ruhig sind, mein Vater, will ich Alles thun; nur nicht ausplaudern,
was die Mutter mir errathen ließ; was meine Zunge aus Ehrfurcht und
Angst nicht aussprechen will. Sie sollen aber wissen, was die Mutter
zuletzt so gewaltig aufregte. Ob es eine Täuschung ihrer gereizten Sinne
gewesen -- ob Wirklichkeit -- ich weiß es nicht. Doch sie behauptet, es
habe sich langsam die Thüre ihrer Kammer geöffnet, und die Erscheinung
des in unserm Hause verstorbenen Birsher auf der Schwelle stehend sich
gezeigt, mit trüb wankendem Haupte und drohender Geberde. Die Gestalt
sei einige Augenblicke sichtbar geblieben, bis sie unter der Mutter
Schreckgeschrei verschwunden.«

»O des fratzenhaften Unsinns!« versetzte der Senator, obgleich sein
eigen Gesicht länger und schmäler wurde: »Gaukelspiel eines verwirrten
Weiberkopfes! Und daher die Mißhandlung, die mir von der
Unverbesserlichen angethan wurde!«

»Was im Uebrigen die Mutter verbittert,« fuhr Justine seufzend fort,
»ich will es nicht ergründen; ich will daran nicht glauben! ich müßte
ja an der Tugend des Mannes verzweifeln, den ich als Vater bis hieher
geehrt habe, und noch ferner von Herzen ehren will. Ich überlasse es
Ihnen, den Zwist mit Sanftmuth zu beenden und die Eintracht wieder
herbeizuführen, denn es ist nicht gut, wenn sich das Kind als Mittler
zwischen die Eltern stellen muß.«

Der Senator trocknete sich kalten Schweiß von der Stirne. »So geh'
hin,« sagte er ermattet. »Geh' hin, ich will nicht in dich dringen. Die
Zeit mag lösen, was mir weibischer Eigensinn noch verhehlt.«

Justine wollte bekümmert weggehen.

Der Senator rief sie zurück. »Du bist meine Feindin geworden,« sagte
er bitter und gekränkt; »ich verzweifle daran, deinen Starrkopf für
ein Projekt zu gewinnen, in dem ich alberner Thor dein und mein Glück
zu sehen vermeine. Ich hätte gewünscht, ich hatte es schon besprochen,
meinem alten Vorhaben Kraft und Vollendung zu geben; -- dich mit
Herrn Georg Birsher zu verheirathen, wie es schon beschlossen war.
Aber ... nun wird wohl nichts daraus werden. Die abergläubische Mama
wird dir's verbieten, wäre es auch nur aus dem Grunde, weil ich eine
_Hoffnung_ darauf gesetzt. Du wirst dich weigern, weil du dein Loos an
Jacobine bindest. O, bewege nicht die Lippen, mir ein versagendes Nein
zuzurufen. Ich lese es schon in deinem scheuen Auge. So sei es darum.
Ich werde tragen, und du -- gehe hin!«

»Sie täuschen sich, bester Vater,« erwiderte Justine fest und
bescheiden: »Ihr Wille ist _hier_ mein Gesetz; ich bin bereit, den
Herrn zu heirathen, wenn Sie es befehlen.«

Der Senator betrachtete sie mit großen Augen, und ein lächelnder Schein
spielte um den bitter geklemmten Mund. Er streichelte Justinens Gesicht
mit wiederkehrender Zärtlichkeit. »Belügst du mich nicht, Mädchen? Oder
hältst du mich nicht etwa hin, um im Augenblick, wo es darauf ankömmt,
wahr zu sein, dein Wort zurückzunehmen?«

»Ich lüge nicht, lieber Herr Vater,« bekräftigte Justine mit offener
Stirne; »ich will des Herrn Birsher Frau werden, wann Sie es haben
wollen.«

»Und deiner Mutter unvermeidliche Einsprache?«

»Die Mutter ist damit einverstanden, lieber Vater.«

»Einverstanden?«

»Die hat mich sogar mit Thränen gebeten, den Antrag nicht
zurückzuweisen, wenn er mir gemacht werden sollte; und ich darf Sie
ersuchen, Herr Vater, daß Sie mit der Hochzeit eilen, wie es nur die
Schicklichkeit verstattet.«

»Unverständliche Sybille! ich fasse dich nicht.«

»Mir ahnt, Herr Vater, als ob in diesem Bunde viel Besorgniß ihr Grab
finden müßte,« erwiderte Justine mit Bedeutung: »wann Sie wollen,
demnach, mein Vater.«

»Wie ist es dem ruhig verständigen Mann gelungen, in so kurzer Zeit
dein gepanzertes Herz zu erobern? Er hat nicht einmal deiner Eitelkeit
geschmeichelt.«

»Sie halten mich noch für ein Kind. Herr Birsher mißfällt mir nicht.
Ich liebe ihn indessen eben so wenig. Ob sich die herzliche Zuneigung
finden wird? -- ich weiß es nicht. Aber ich opfre mich gerne einer
zweifelhaften Zukunft, um Sie und Ihr Haus zu beruhigen.«

»Beruhigen? Du beglückst mich, Gold-Justine. Ich fange an, vor dir
Respekt zu haben. Verlange für die Freude, die du mir so unvermuthet
machst, was du willst.«

Justine besann sich eine Weile, ernst und in sich versunken. »Wenn ich
nun zweierlei verlangte?« fragte sie mit klarerem Auge.

»Begehre.«

»Daß Sie für's Erste die Mutter ganz ihren Gedanken überlassen, Friede
mit ihr halten, und meine Heirath beschleunigen wollen?«

»Zugestanden. Böses Mädchen! Du eilst, mein Haus zu verlassen und
deinen verwaisten Vater!«

»Sie ahnen nicht, wie schmerzlich dieses Scheiden mir sein wird; aber
Mama wünscht Herrn Birsher so schnell als möglich aus der Stadt zu
entfernen.«

»Wie so? Weshalb denn, zum Donner?«

Justine überging diese Frage mit Schweigen. »Für's Zweite,« fuhr sie
fort: »geben Sie mir die Erlaubniß, Sie zu warnen. Monsieur White hat
sich falsch gegen mich bewiesen; und ich fürchte, sein Pflegevater
meint es auch nicht ehrlich mit Ihnen.«

»Der Doctor?« Dem Senator schlug das Gewissen.

»Wenn ich meinen Augen -- einer gewissen Erinnerung trauen darf, so ist
der Doctor nicht, was er zu scheinen vielleicht Ursache hat.«

»Unglückliche!« -- fuhr Müssinger auf. Justine unterbrach ihn:

»Ich will meinen Scharfblick nicht über den Ihrigen stellen. Ich
überlasse es Ihnen, auf der Hut zu sein. Es ist nicht unmöglich, daß
ich mich getäuscht. Die Wahrheit muß sich jedoch bald auf diese oder
die andere Weise enthüllen.«

»Du treibst Gauklerkünste,« sagte der Senator verlegen lächelnd: »Und
auf's Wort und deine vielleicht grundlose Ahnung hin, soll ich dir in
einer Sache folgen, deren Bewandtniß mir völlig unbekannt ist?«

»Der Tag, an dem ich mit Herrn Birsher abreise, wird Ihnen meine
Vermuthung enthüllen. Ich fühle mich jetzt nicht aufgelegt, durch eine
Unbesonnenheit einem Andern, oder Ihnen selbst Unrecht zu thun. Ich
habe Ihre Klugheit gewarnt. Angeberin kann und will ich nicht sein.«

Sie verließ heiterer, erleichterter den Vater. Die Dämmerung war schon
eingebrochen. Die Thüre ihrer Mutter war verriegelt. Das Dienstmädchen
berichtete, die Frau Senatorin hätte Thee begehrt, und hierauf das
Zimmer verschlossen, um ruhig zu schlafen. Die alte Marthe wache an
ihrem Lager.

»O welch' eine Zerstörung alles häuslichen Friedens!« seufzte Justine,
da sie an dem offenen Eßzimmer vorüber ging, das, verödet, vom blassen
Mondlicht erhellt, die gemüthlichen Abendgäste nicht aufwies, die
sich vor Zeiten wohl öfters darinnen einfanden. Justinens Schritte
wurden schneller, als sie an der verschlossenen Thüre des Zimmers
hinschlüpfte, welches der verstorbene Birsher eine Nacht hindurch
bewohnt hatte. Mit beengtem Athem betrat sie ihr eignes Zimmer. Die
Lainez saß darinnen, lesend, und erhob sich bei Justinens Ankunft.

»Sie blieben recht lange, meine Verehrte,« sagte die Französin mit
einem freundlichen Vorwurfe im blühenden Gesichte. »Die Pflicht allein,
mein Amt in Ihre Hände niederzulegen, stärkte mich mit Geduld. Hier,
meine Beste, ist all das kostbare Silberwerk, das man in der Verwirrung
auf der Tafel gelassen -- eine Beute für jeden kecken Dieb. Zählen
Sie die Stücke, Mademoiselle. Ferner empfangen Sie die Schlüssel zu
Speisekammer und Keller, die Sie mir anvertrauten, und entbinden Sie
mich meiner Verantwortlichkeit.«

Justine küßte die Hülfreiche dankbar auf die Wange, erstaunte aber,
als diese nach dem Mäntelchen und den Handschuhen griff. »Wollen Sie
nicht bei mir bleiben?« fragte Justine verwundert: »ich bat Sie ja, mit
unserm Hause verlieb zu nehmen.«

»Ach, diese Güte! meine beste Jungfer, darf ich sie annehmen? Besinnen
Sie sich wohl. Welche Figur würde ich in Ihrem Hause darstellen,
worein ich so unvermuthet, unvorhergesehen kam? Das Staunen Ihres
Vaters, der gar nicht ermuthigende kalte Empfang Ihrer Mutter, das
Glotzen der Domestiken ... Ach der Spott dieser Letzteren, bei Allem,
was ich anordnete, -- und ich verstehe doch, ein anständiges Haus zu
verwalten, -- er schnitt mir in's Herz. Seht doch die Französin! hieß
es rings um mich, und ich hatte Mühe, meinen Verdruß zu verbeißen; ein
Unglücklicher ist ja doppelt reizbar! Erlauben Sie daher, daß ich Ihr
freundliches Anerbieten ausschlagen darf.«

»Ei mit nichten,« versetzte Justine sehr erbittert: »Sie erzählen mir
da von Schändlichkeiten, denen ich ein schnelles Ende machen werde.
Verzeihen Sie, liebe Frau, unserm dummen Mägdevolk vom Lande, dem Alles
lächerlich vorkommt, das nur ein wenig aus dem Geleise schreitet,
welches diese Gänse Tag für Tag auszutreten gewohnt sind. Morgen
sollen Sie schon ernsthafter sein -- ich stehe ihnen dafür. Sie kennen
mich, und wissen, wie man mit mir verfährt, wenn ich ungnädig bin. Ich
verstehe die Mittel, solch' unbescheidenes Gesindel zur Ordnung zu
bringen. -- Nein, Madame, Sie müssen bleiben; meine Ehre steht auf dem
Spiele: denn, was ich mir einmal vorgenommen, muß ich durchsetzen, ...
und wenn...! lächeln Sie nicht; man nennt mich allgemein die tolle
Justine, und manchmal hat man Recht.«

»Welche kindliche Naivität!« rief die Lainez, und streichelte Justinens
Hände: »eine Königin, so schön, so liebenswürdig, so lebhaft wie Sie
auf Frankreichs Throne, und meine Landsleute würden Sie vergöttern!«

Justine sah plötzlich mit großen und sehr unmuthigen Augen in die Höhe.
»Warum nicht gar?« sagte sie kurz abbrechend: »welche Schmeichelei. Sie
können Ihr Vaterland nicht verläugnen, Madame Lainez!«

Die Französin war betreten, dann erwiderte sie mit dem schmachtenden
Augen-Aufschlag, den sie vollkommen in der Gewalt hatte: »Verzeihen Sie
Mademoiselle. Entschuldigen Sie die fade Uebertreibung, womit sich mein
Mund versündigte, mit der herzlichen Anhänglichkeit, die ich für Sie
hege, und die etwas Besseres sagen wollte.«

Justine bereute schon das harte Wort, und glaubte um so leichter dem
Bittworte. »Das lasse ich mir gefallen,« sagte sie, der Lainez versöhnt
die Hand reichend: »lernen sie immerhin in Deutschland, das Ihr zweites
Vaterland werden soll, sich deutscher aussprechen.«

Sie zog die Wittwe vertraulich neben sich auf einen Stuhl, und
fuhr fort: »Hören Sie, wie ich mir Alles, was Sie betrifft, klar
und baar ausgesponnen habe. Sie bleiben vor der Hand bei mir, --
unter dem Schutze Ihrer Königin,« setzte sie lächelnd bei. »Aber
leider kann dieser unmittelbare Schutz nicht lange dauern, da mein
eigenes Schicksal eine rasche Wendung nehmen, -- mich für immer von
hier entfernen wird. Daher -- nebenbei gesagt, darf Ihnen vor Vater
und Mutter nicht bange sein; ich heiße Justine und stehe für Alles,
-- daher lasse ich an einem der nächsten Sonntage unsre Karosse
einspannen, und bringe Sie, meine gute Frau, nach einem Städtchen in
der Nachbarschaft, wo eine alte Base meines Vaters lebt; -- etwas
taub, etwas stumpf, aber wohlhabend, gottesfürchtig, und mir mit
uneigennütziger Liebe ergeben, ob sie gleich eine veraltete Jungfer
ist. In ihrem Hause erhalten Sie Kost und Wohnung, und besuchen fleißig
den Pfarrer der wallonischen Gemeinde in jener Stadt, wenden sich
von der aufgedrungenen Religion zu der Angebornen, und treten, da
hoffentlich Ihr Wille ernstlich ist, öffentlich in den Schoos Ihrer
Gemeinde zurück. Sind Sie so weit gekommen, so bedürfen Sie meiner
Unterstützung nicht mehr. Ihre Verwandten zu Berlin werden Sie alsdann
mit offenen Armen aufnehmen; -- mir bleibt das Bewußtsein einer
rechtschaffenen Bemühung, und Ihnen -- so Gott will -- ein freundliches
Andenken an ein unbedeutendes Mädchen, das man böse nennt, das sich
aber schmeichelt, von Herzen gut zu sein.«

Die Lainez umarmte das zauberische Geschöpf mit Thränen in den Augen.
»Ich bin Ihrer Wohlthaten nicht würdig,« -- sagte sie, das Gesicht an
Justinens Busen verbergend: -- »wo werde ich jemals ein Gemüth wie das
Ihrige wiederfinden?«

Justine hielt ihr den Mund zu. »Wo werde ich jemals -- --?« --
parodirte sie, aber aus dem Scherze wurde Ernst. Sie ließ den Kopf
sinken, und wiederholte langsam: »Wo werde _ich_ jemals finden, was mir
Glück bringt? Ach meine Liebe, ich habe heute ein recht traurig Gemüth,
und meine Seele ist müde, wie mein Körper. Ich will gehen, und den
Vater fragen, ob er noch etwas wünscht. Dann wollen wir zu Bette. In
jenem Cabinete habe ich Ihr Lager aufzuschlagen befohlen.«

»Heute noch nicht,« -- bat die Lainez: »ich habe zu Hause noch Einiges
zusammen zu räumen und zu packen. Morgen, wenn Sie's erlauben, will ich
Ihrem Anerbieten nachkommen.«

»Ich werde Ihnen keinen Zwang auferlegen,« -- sagte Justine, wie wohl
etwas verdrüßlich: -- »morgen also. Aber es ist schon nahe an neun Uhr.
So spät wollen Sie durch die Straßen gehen?«

»Die Wittwe eines tapfern Soldaten fürchtet sich nicht.«

»Ei, wenn auch. Christine soll mit der Laterne vorausgehen. Aber --
Morgen, nicht wahr? so bald als möglich? Ich sehne mich nach Ihrer
Gesellschaft. Ich bedarf jetzt der Aufheiterung. Sie werden nicht
zaudern, oder gar Ihr Wort zurücknehmen. Die Franzosen, sagt man,
halten die Parole nicht zum Allerbesten. Geben Sie mir ein Pfand, daß
Sie gewiß kommen.«

»Ein Pfand, sonderbares, eigensinniges Mädchen? Ich würde Ihnen mein
Herz schenken, wenn es möglich wäre. Nehmen Sie jedoch, was meinem
Herzen zunächst ruht.«

Die Lainez zog ein Medaillon, das an einem schwarzen Sammetbande um
ihren Hals hing, hervor, nahm es ab, und überlieferte es lächelnd der
mißtrauischen Gläubigerin.

»Sieh doch!« rief Justine, als sie das Medaillon empfing, und es von
allen Seiten betrachtete; »welche schön gearbeitete Bilder! Erklären
Sie mir, liebe Frau! Wer ist dieses herrliche Weib im Purpurmantel, mit
der blitzenden Krone auf dem Haupte, und dem noch strahlenderen Scheine
um dasselbe?«

»Es ist die fromme und selige Kaiserin Pulcheria, meine Patronin,«
versetzte die Lainez: -- »ihre Schönheit war das Wunder ihrer Zeit; und
ihre Tugend war ihren Reizen gleich, und die dankbare Erinnerung der
Nachwelt versetzte sie unter die Heiligen!«

»Welche Anmuth! welche Lieblichkeit!« fuhr Justine fort: »ja, wer so
schön wäre! Diese Strahlen...«

»Sind der Heiligschein, mit welchem die römische Kirche das Haupt
der Gepriesenen umgibt. Die Bilder dieser Heiligen schmücken heiter
und lebendig die Gotteshäuser, und es läßt recht angenehm, wenn
Weihrauchwolken sie umnebeln, Kerzen davor flammen, Blumenbüsche um sie
blühen und das Volk sich vor den Geehrten fromm verneigt.«

»Mit andern Worten: die Götzen anbetet. Ich weiß, unser Pastor hat
schon oft dieses Thun in seinen Streitpredigten berührt, und einen
heidnischen Gräuel genannt.«

»Vielleicht ging er darinnen zu weit. Die Katholiken haben in diesen
Bildern nur das _Andenken_ frommer Tugendfürsten zu verehren: nicht das
Holz, nicht den Stein.«

»So? Dann lasse ich mir's gefallen. Ich finde die Sitte sogar hübsch.
Man stellt ja auch Bildsäulen berühmter Männer in Städten auf. Wir
haben z. B. hier auf dem Rathhause das Reiterbild eines Bürgermeisters
aus der alten Zeit, der einst mit Opferung seines Lebens die Vaterstadt
von Schimpf und Untergang gerettet hat. Das Bild steht wohl schön
anzuschauen an der großen Treppe, aber die Leute gehen kalt vorüber,
und beachten's nicht. Stünde es in einer Kirche, würde es besser
geehrt.«

Sie wendete das Medaillon um, stutzte etwas, und fragte kleinlaut: »Das
ist ein Mann? nicht wahr? Der Maler hätte ihm allenfalls einen Mantel
um die Schultern werfen können.«

»Der Zweck wäre gefehlt gewesen; die Pfeile seines Märthyrthums müssen
dem Gläubigen sichtbar sein. Man nennt den schönen Jüngling den
heiligen Sebastian.«

Justine sah das Bild noch einmal flüchtig erröthend an, legte es
dann still auf den Tisch, warf ein Tuch darüber, und wünschte der
scheidenden Lainez eine ziemlich einsylbige Gute Nacht!

Indem die Wittwe aus Justinens Thüre trat, vernahm man in dem schräg
gegenüber liegenden Zimmer des Senators ein starkes Geräusch, und
Müssingers halberstickte Stimme, welche nach Leuten rief. »Mein
Gott! was ist da wieder vorgefallen?« sagte Justine, auf das Gemach
zueilend, und winkte der Lainez und der Magd, die derselben mit der
Laterne vorausgehen sollte, sich zu entfernen, ohne weiter dem Geräusch
nachzuforschen. Die Französin, der es in dem Hause unheimlich vorkam,
trieb selbst die gaffende Magd zur Eile an. Sie erreichten Beide, ohne
sich umzusehen, die Treppe, und stiegen schnell hinab. Doch unten am
Geländer stand unbeweglich und lautlos eine breite weiße Gestalt,
welche drohend den Arm gegen die Kommenden erhob, und alsdann im Dunkel
niederzutauchen schien. Die erschrockene Lainez und die erschrockenere
Magd stießen einen Schrei des Entsetzens aus. Die Letztere ließ die
Laterne fallen, welche zusammenklirrte und erlosch. Das Dienstmädchen
rannte schreiend über die Treppe zurück; die Lainez aber, welche im
Mondstrahl, der durch ein vergittertes Fenster fiel, die Hausthüre
wahrnahm, eilte schaudernd auf dieselbe zu, fand sie zu ihrer größten
Freude nur angelehnt, riß sie auf und entfloh. Scheu zurückblickend,
glaubte sie die grausende Erscheinung wieder auf der Schwelle des
Hauses zu erblicken, auftauchend wie ein weißer Blitz, verschwindend
wie dieser, und von Gespensterfurcht bedrängt, flüchtete sie auf's
Gerathewohl in die Gassen. Allenthalben waren diese leer; von ferne her
hörte man die Schnarre eines Nachtwächters, -- endlich den geschwinden
Schritt eines Kommenden; ... eine Handlaterne näherte sich, -- ihr
blendender Schein führte die Flüchtige gerade auf den Mann los, der
sie trug... Der Doctor war's. »Ei, Madame! woher um diese Stunde? auf
welchem Wege finde ich Euch?« Die zitternde Lainez bat um seine Hülfe,
indem sie mit ein Paar Worten ihre Angst schilderte.

Der Doctor, lächelnd bald, bald ernst und zweifelnd den Kopf
schüttelnd, erbot sich, sie nach Hause zu führen. »Um Gotteswillen,
nein!« bat die Lainez dringend; »in dem alten Gebäude allein ... von
aller Welt geschieden ... würde mich heut nach diesem Auftritte die
Angst umbringen. Ich schwöre darauf, daß mir mein Mann erschienen ist.
Seine weiße Uniform ... sein drohendes Gesicht ... meine Sünden ...
Hochwürdiger! nur unter Ihrem Schutze kann ich meine Seele beruhigen.«

»Bedenkt meinen Stand, liebe Frau,« versetzte Leupold beschwichtigend;
»Eure Phantasie ist erhitzt; Ihr bedürft der Sorgfalt; ... was kann ich
jedoch für Euch thun? Doch, wenn Ihr's wünscht, will ich meine Wirthin
bewegen, Euch diese Nacht zu beherbergen.«

»Gleichviel!« rief die Lainez; »nur bringen Sie mich unter Menschen,
oder ich sterbe an dem Schreck!«

Der Doctor winkte ihr, nebenher zu gehen, und förderte, dann und wann
sie unterstützend, seinen Weg. »Ich kehre soeben von einem Kranken
zurück,« sagte er, »den ich seit Abends Einbruch mit geistlichem
Troste und endlich mit dem Leibe des Herrn erquickte.« Er zeigte auf
die Saffiantasche, die er, unter seinem Oberrocke verborgen, auf der
Brust trug, und in welcher er die Hostie insgeheim zu überbringen
pflegte. »Ein Glück, daß Ihr gerade _mir_ begegnen mußtet. Meine fromme
Hausmeisterin wird ein Uebriges thun, und morgen sollt Ihr mir mit
gesammelten Kräften den Hergang der ganz absonderlichen Erscheinung
mittheilen.«

Die Eigenthümerin des Quartiers, welches der Doctor bewohnte, eine
eifrige Anhängerin der im Verborgenen waltenden Kirche, welche wußte,
daß sie in der Lainez eine Verbreiterin dieser Kirche vor sich hatte,
machte nicht die mindesten Umstände, in des Doctors Begehren zu
willigen, und dieser Letztere, Mitleid mit der Niedergeschlagenheit der
Französin fühlend, lud sie ein, auf seinem Zimmer, -- bis die Wirthin
ihr Lager bereitet haben würde, -- eine Tasse Kräuterthee zu genießen,
den er selbst auf's Beste zu bereiten versprach. Die Lainez nahm mit
Dank den Antrag des Mannes an, der, aus Theilnahme für sie, die strenge
Grenze, die sein Anstands- und Schicklichkeits-Gefühl zwischen ihm und
der Mitarbeiterin gezogen hatte, in etwas erweitern wollte. Als sie
jedoch an des Doctors Hand dessen Wohnzimmer betrat, wurde ihr Auge von
einem Besucher überrascht, der in dem Großvaterstuhl am Fenster saß,
und kaum merklich mit dem Kopfe nickte, als James den Doctor mit seiner
Begleiterin einließ.

»Gelobt sei Jesus Christus!« sprach der Fremde, und der Doctor, im
höchsten Grade überrascht, erwiderte mit kaum hörbarer Stimme, sich
tief verneigend: »In Ewigkeit. Der Herr segne Ihren Eingang, Pater
Superior. Ihr Besuch ist eine unerwartete Freude.«

Der Superior, ein hagrer Mann mit ganz blassem Gesichte, aus welchem
ein Paar dunkle Augen sprühten, lüftete ein wenig das Käppchen,
das seinen Scheitel bedeckte. »Ich bin vor gar nicht langer Zeit
angekommen,« sagte er, -- »bin herzlich müde, und habe mir die
Freiheit genommen, bei Ihnen, mein Vater, meine Schlafstelle zu
suchen, indem ich hier unbemerkt und sichrer zu sein glaube, als in
dem verstecktesten Gasthofe. Es thut mir indessen leid, wenn ich hier
stören sollte.«

Er warf einen zweideutigen Blick auf die Lainez. Der Doctor errieth
dessen Sinn, und sagte empfindlich: »Ich hoffe, Ew. Hochwürden bewiesen
zu haben, daß mein sittliches Betragen kein Mißtrauen verdient. Der
Zufall nur...«

Mehr als seine Worte beruhigte die Französin selbst den argwöhnischen
Geistlichen. Sie ging demüthig auf ihn zu, küßte seine Hand, bat um
seinen Segen, und erbot sich, alsbald das Zimmer zu verlassen. Der
Superior schenkte ihr einen günstigen Blick, klopfte ihre Wange. »Lasse
Sie's nur gut sein,« sprach er mit dem empfindlichen Uebergewicht,
welches häufig von Priestern, den ihnen ganz ergebenen Weibern
gegenüber, fühlbar gemacht wird: »ich kenne Sie ja, und hoffe in Ihr
kein unwürdiges Rüstzeug vorgeschlagen zu haben. Vater Münzner wird mir
Alles genügend erklären. Sie kann sich indessen wegbegeben, denn wir
haben hier noch allerlei zu bereden, das nicht für Sie ist.«

Noch ein gnädiger Schlag auf die Wange, und die Lainez, feuerroth und
betreten, war entlassen. James sperrte das äußere Gitter, und wollte
den Herren eine gute Nacht wünschen. Der Superior verhinderte dieses;
sprechend: »Verbleibe Er immer noch ein Weilchen, junger Mensch. =Ab
initio= wird von Ihm die Rede sein.«

James bückte sich, und stumm stand er neben seinem Pflegevater vor dem
Superior, der gemächlich seinen Platz fort und fort behauptete.

»Ich habe den =Juvenem= allhier examiniert,« hob der Bequeme an, zu
dem Doctor gewendet: »habe denselben doch noch nicht weit vorgerückt
gefunden. Er scheint seine Studia oberflächlich betrieben zu haben,
und -- was am übelsten -- das ernste und äußerst wichtige Ziel seiner
künftigen Bestimmung nicht genug in's Auge zu fassen. Die Petulanz,
so ich in seinem Wesen und seinen =expressionibus= wahrnehme, wird
in seinen gegenwärtigen Beschäftigungen nur wachsen können. Es
ist daher unumgänglich nothwendig, daß er unter die Disciplin des
Novizialmeisters genommen werde.«

James erröthete erbebend; der Doctor verneigte sich stumm. »Ich
werde ihm vorläufig die =exercitia Spiritualia= unsers heiligen
Ordensstifters und Regulators in die Hände geben,« fuhr der Superior
fort, »und Er mag sich bereit halten, mir in das für Ihn bestimmte
Collegium zu folgen, sobald meine Geschäfte in hiesiger Gegend
beendigt sein werden. Ich habe mit dem Pater Rector schon die nöthige
Rücksprache genommen, wie es Ihr letzter Brief, Pater Münzner, verlangt
hat. =Quod erat demonstrandum.=«

James küßte des Superiors Hand, und ging niedergeschlagen nach
seiner Kammer. Der Doctor blickte ihm mitleidig nach, und sagte
nach einer Pause leise und demüthig zu dem Superior: »Es kömmt mir
beinahe vor, ehrwürdiger Herr, als ob ich mich in den Anlagen des
jungen Mannes getäuscht hätte. Seine Geisteskräfte sind wohl scharf,
allein noch schärfer ist der Trieb seines Herzens. Er begehrt, er
verlangt wie ein kräftiger sinnlicher Jüngling. Er zeigt dann und wann
Widerspruchsgeist, Grübelei ... es wird schwer halten, seine Vernunft
in die wohlthätigen -- Ketten des Glaubens zu legen, und ich würde
mir's zum ewigen Vorwurf machen, -- gestaltete sich aus diesem -- in
die Welt berufenen Jüngling ein schlechter Priester.«

Der Superior sah den Doctor hoch und mißbilligend an: »Sie reden jetzt
ganz anders, mein Vater, als Sie vor kurzer Zeit geschrieben. Welche
unzeitige kränkelnde Philanthropie! Wären auch Sie von der Lüstelei,
von dem empfindelnden Wahnsinn des Jahrhunderts ergriffen worden? Haben
nicht auch _wir_ begehrt und verlangt, und sind _wir_ deshalb schlechte
Priester geworden? Die Disciplin bändigt den Widerspruch; die rastlose
Thätigkeit der Novizen steuert der Grübelsucht. Vernunft? -- Glauben?
-- Sie sind nicht klar über die Grundsätze unsrer Institutionen, ob Sie
gleich Prozeß und Gelübde gethan haben. Fähige Geister gewinnen, --
dieselben nach ihrer Richtung beschäftigen, -- das ist unsere Aufgabe,
und deren Erfüllung sichert das Gedeihen unserer Gesellschaft. --
Der nützliche Schwärmer, der ein begeisterter Apostel werden will,
glaube. Der rein Vernünftige, geeignet, die politischen Zwecke unsers
Daseins zu erreichen, gehorche, wo er nicht _glauben_ kann. Und
dieses Gehorsams Triebfeder ist sein Vortheil, -- das Interesse, das
man ihm an seinem auferlegten Streben beizubringen hat. Und nach den
geschickten Combinationen unsers herrlichen Staats ist der Vortheil
des Einzelnen der Vortheil des Ganzen. Darum _herrschen_ wir, darum
_siegen_ wir; darum beneidet man uns. Glauben Sie mir: Ihr Pflegling
wird noch gut werden, und reichliche Zinsen tragen, für das Geld,
das wir an seine Bildung verschwendet haben, und noch verschwenden
werden. Nun zur wichtigern Sache, Pater Missionär. Ich habe Ihre
Bücher durchblättert. Unser Commerz über hiesigen Platz rentirt sich
nicht besonders. Ob die Pariser uns Schaden bringen? oder ob die
Schiffscapitäne, die unsere Frachten besorgen, Betrüger sind? Ist das
Erstere, so müssen wir die Augen zudrücken. Das Zweite kann nur an Ort
und Stelle erforscht werden. Ich erwarte darüber Befehle von dem Pater
Provinzial. Ein geschickter Ordensmann hat zugleich mit meiner Eingabe
ein Projekt eingesendet, das, wird es angenommen, dem Handelsfond
unserer Gesellschaft unbegränzten Vortheil bringen wird. Es wird
darinnen vorgeschlagen, den Sklavenhandel für Brasilien unter billigern
Bedingungen zu übernehmen, als ihn bisher unsere unverschämten
Schiffsmeister nebenbei getrieben haben.«

»Den Sklavenhandel?« fragte der Doctor erschrocken.

»Ja,« versetzte der Superior gleichgültig: »der Trafik mit denen
schwarzen Negern bringt immense Dividenten.«

»Aber die Menschlichkeit, Pater Superior?« fragte der Doctor schaudernd
weiter.

Der Jesuit lächelte vornehm. »Floskeln, lieber Pater Münzner. Diese
Schwarzen sind eine untergeordnete Race; an schmutzigen Heiden, wie sie
sind, ist nichts verloren. Ueberdies ist ihr Sklavenleben reicher an
Genüssen, als ihre Freiheit.«

»Das Naturrecht, Pater Superior...«

»Sie sind Doctor =juris utriusque=;« sagte dieser gähnend: »man hört es
Ihnen an. =Satis= über diesen Punkt. Der Verfasser jenes Projekts wird
belobt werden, und es noch weit bringen. Wie weit ist's aber mit der
heiligen Christenverbesserung gediehen?«

Der Doctor berichtete in Kürze; legte die Liste der kleinen Gemeinde
vor; ihre Beiträge zum Kirchendienst; die Berechnung des Ueberschusses.
Der Superior durchging die Liste schmunzelnd und zählend. »Viele
Leute,« sagte er hierauf: »aber nichts Besonders. Die meisten =ex
infima plebe=.«

»Unser Herr Jesus Christus fand unter dieser Classe seine ersten
Jünger.«

»Hm! ja. Sehr viele Weibspersonen finde ich hier aufgezeichnet; zum
Theil wohl aus den bessern Ständen. Nun ja; das sind die Lämmlein, die
zum Paradiese locken. Aber ... aber ... ich vermisse denn doch die
Männer von Gewicht. Ein paar Kaufleute, ... ein Recheneiverwalter ...
ein quiescirter Fünfzehner, ... heilige Maria! was will das im Ganzen
heißen? Den Beschluß der Reihe macht doch endlich ein Senator. Wer ist
der Mann? Derselbe, von dem Sie schon ein Wörtlein fallen ließen?«

»Derselbe, Pater Superior.«

»Hat seine Bekehrung sich so schnell gemacht? Gelobt sei der Herr.
Dürfen wir von ihm hoffen?«

»Vieles. Er ist durch ein besonderes Verhängniß ganz der Unsrige
geworden.«

»=Favente Deo.= Recht. Wie hat sich die Lainez gemacht?«

»Sie hat Einiges gethan; doch Unwichtiges. Das Weib ist zu eitel,
leichtsinnig und verliebt.«

»=Bene dixisti=, Pater Münzner. Eitel und verliebt. Die Französin
sieht überall hervor, und ihr Mann hat nicht so viel an ihr verloren.
Es hat ihr indessen eine Zeitlang mit Proselyten recht geglückt. Sie
ist sehr fromm und möchte die ganze Welt in's Paradies bringen. Eine
lustige, schnackische Frauensperson im Uebrigen; nimmt nichts übel, und
hat dem Pater Provinzial, der sie mir empfohlen, viele trübe Grillen
verscherzt. Sie weiß allerlei von Sr. Hochwürden zu erzählen, und hält
sich damit oben, so daß ihr =Sub manu= eine ewige Versorgung aus der zu
ähnlichen Zwecken bestimmten Kasse versprochen wurde. Hierin wurde aber
eine kluge =Reservatio mentalis= beliebt. Ködert sie nicht mehr, so
steckt man sie in ein Kloster, und damit gut. Die Schwestern mögen sie
dann füttern. Also _hier_ hat sie wenig genützt?«

»Das Wichtigere hat sie vor kurzer Zeit übernommen: die Bekehrung der
Tochter jenes Senators. Aber ein unseliger Zufall reißt hier alle
Hoffnung ab.«

»Wie so?«

Der Doctor erzählte von der Ankunft des Verlobten, der seinen
Heirathsantrag erneuernd, im Begriff stehe, das Mädchen unwiderruflich
in ein protestantisches Land zu führen.

»=Pessime!=« rief der Superior: »das darf nicht geschehen. Das Mädchen,
als einzige Erbin eines sehr beträchtlichen Vermögens muß der Kirche
zugewendet, und von dem Anglikanen abgezogen werden. Wir hätten =pro
Studio et labore= nichts als das leere Nachsehen? Nein, lieber Pater
Münzner! lassen Sie uns in die Fußstapfen unserer würdigen Vorgänger
treten, die auch nicht vom Heller des Armen ihre Collegia und
Prozeßhäuser erbaut haben.«

»Wie wollen Sie aber vorbauen, Pater Superior? Ich mißbillige die
Sache, weil es mich schmerzt, ein unschuldiges Schäflein auf ewig
von der Heerde, der es sich näherte, getrennt zu sehen, -- aber ich
begreife nicht, wie....«

»Sie begreifen nicht? Sind Sie nicht der Beichtvater des Senators?
Pressen Sie sein Gewissen in die Schrauben ihrer gerühmten Dialektik.
Einem gewandten Beichtvater ist nichts unmöglich. =Experienta docet=.
Während Sie sein Herz mit den Sturmblöcken einer zerschmetternden
Rhetorik belagern, ihm sein Kind im Feuer der Verdammniß zeigen, --
mag die Lainez von der andern Seite dem Mädchen kräftig, schlagend
zusetzen. Ich habe schon Meisterstücke in dergleichen Angelegenheiten,
-- =Caeteris paribus=, -- verrichten gesehen, selbst verrichtet.«

»Der Glaube ist in dem Senator nicht sonderlich stark genug, um...«

»=Res indifferens!= So greifen Sie seine schwachen Seiten an. =Cum
auxilio divino= muß Alles gehen. Die Lainez soll nicht saumselig sein!
=periculum in mora=! Das Mädchen wird allerdings auch seine schwachen
Seiten haben. Die Weiber sind gebrechlich. Ist unsere liebe Tochter in
Hoffnung nicht etwa verliebt? Da könnte Ihr Pflegesohn benützt werden.«

»O weh! Steh uns der Himmel bei. _Er_ ist in das Mädchen verliebt.
Justine zeigt aber keine Spur von Empfänglichkeit. --«

»Ein kalter Frosch? Desto besser. Sie muß in's Kloster; unserer
Gesellschaft alles zuwenden, bis auf ein Pflichttheil für die
Schwestern. Sie sagen, man schätze den Senator auf dreimal
hunderttausend Thaler? Und diese Summe sollte uns entgehen? =Minime=,
Pater Münzner. Alles zur größern Ehre Gottes!«

»Sie legen mir da ein hartes Probestück auf,« versetzte der Doctor
seufzend: »um des Eigennutzes willen....! ja, wenn es einzig die
Sorgfalt für des Mädchens Seelenheil gälte! --«

»Bilden Sie sich das ein, Pater Münzner. Ich erlaube es Ihnen. --
Aber, lassen Sie ja den goldgefiederten Vogel nicht aus. Und, --
beharrt das Mädchen auf Widerspenstigkeit, so muß es möglich gemacht
werden, daß sie der Vater enterbt. Es _muß_ möglich gemacht werden,
Pater Münzner! Verstehen Sie mich wohl?«

»Ich verstehe;« antwortete der Doctor niedergebeugt.

»Nie sind die Zeiten schwieriger gewesen, als jetzt;« fuhr der Superior
ruhig fort: »die langen Kriegsjahre haben das flammende Verlangen
der Gläubigen, der Kirche wohl zu thun, gedämpft. Der Handel hat
durch Kapereien gelitten. Viele fähige Studenten werden auf Kosten
der Gesellschaft erhalten, gebildet, versendet. Man muß zu allen
Hülfsmitteln greifen, um die überschwenglichen Kosten unserer Arbeiten
zu decken. Die dreimal hunderttausend Thaler dürfen nicht nach Amerika!
Der Wiklefit soll abziehen, oder -- wenn Alles nichts hilft ... nun,
wir werden sehen. Ich verpflichte Sie, Pater Missionär, Morgen alsobald
Ihre Bemühungen, mir zu gehorsamen, anzutreten. Thun Sie die ersten
Schläge, während ich mit dem verschmitzten Tormerpick Abrechnung halte.
Wenn Ihrem Scharfsinn, was ich Ihnen andeutete, gelingt, -- und es
_muß_ gelingen, -- so sein Sie der vortrefflichsten Note in meinem
vierteljährigen Censurbericht an den General vergewissert.«

Der Doctor, wenn schon im Herzen tief verwundet, verbeugte sich, wie
es der Gehorsam erforderte, und brachte eine qualvolle Nacht unter dem
Kampfe seines Gewissens, und der Pflicht, die er beschworen, zu. --
James, der ihm am nächsten Morgen mit rothgeweinten Augen entgegentrat,
zerriß seine Seele noch mehr.

»Mein Vater!« sagte ihm der junge Mann, auf dessen Zügen der Schmerz
saß: »ich kann nicht in das Noviziat treten. Ich kann nicht, und sollte
es mein Unglück sein!«

»Du mußt!« erwiderte ihm der Doctor streng, und drehte sich von ihm,
daß er das Mitgefühl nicht in den Zügen des Pflegers lese.

»Ich muß nicht, mein Vater!« fuhr James mit kalter Entschlossenheit
fort: »ich bin kein Leibeigener. Ich will Ihnen im Orden keine Schande
machen. Ich tauge nicht dazu; ich verabscheue mich selbst, um der
Winkelzüge, zu welchen ich mich brauchen ließ. Haben Sie Mitleid mit
mir, Sie, mein zweiter Vater!«

»Der Pater Superior nimmt mir meine Pflichten gegen dich, sammt meinen
Rechten auf deine Person ab;« erwiderte der Doctor, wie oben: »fasse
und füge dich.« --

»Ich mich fassen? ich mich fügen?« rief James, wie außer sich: »Ich
soll mich in Klosterfesseln schmieden...? ich, der die Fesseln dieses
_Lebens_ nur mit Mühe trägt?«

»Mensch!« sagte der Doctor hierauf erschrocken, und sah dem Jüngling
aufmerksam ins Auge: »Was sollen diese Worte bedeuten?«

»Meinen Ueberdruß an der Welt, Vater; meinen Ekel am Dasein. Ich
bin zum Unglück geboren, wie die Meinigen zum elendesten Tode. Hier
lächelte mir, dem Spion, dem elenden Hehler und Helfershelfer ein Stern
der Wonne; ... ich fühlte Seligkeit!«

»Die Seligkeit eines Thoren! Die Verzuckung des heidnischen Bildhauers
vor einem Marmorbilde!«

»Nein, mein Vater! ich war kein Thor; ich bin es nicht! Noch jetzt
erhält mich der Gedanke, daß Galathee im Innern der kalten Brust Leben
für mich empfindet! Aber -- wenn das Geschick befiehlt, -- wenn sich
erwahrt, was die Lainez mir so eben vertraute, -- wenn Justine einem
Andern angehören soll, -- dann höre ich auf, zu leben; bei Gott! ich
höre auf, zu sein!«

»Wohlan!« entgegnete der Doctor bitter und verletzt: »so höre auf,
wie tausend Narren deines Nebellandes, deren leeres Gehirn sich an
der Leere ihres Lebens langweilt; höre auf, wie ein insolventer
betrügerischer Schuldner, und überlasse mir, dem Getäuschten, die Last,
deine Schulden an deine Ernährer zu bezahlen!«

»Mein Vater!« stammelte James, von Scham ergriffen: »Was sagen Sie?
O, Sie haben Recht! Ich gehöre ja nicht mehr mein. Ich bin Ihnen und
den Obern verschuldet! ich bin Ihr Sklave! O, so machen Sie mich zu
Gelde! Verkaufen Sie mich, damit ich mein Leben hindurch unter Blut und
Thränen arbeiten muß, um das Jahr zu bezahlen, das mir Ihre Wohlthaten
fristeten!«

»Undankbarer, roher Mensch!« sagte der Doctor unwillig: »So gehe hin
und suche den Tod in eitlem Wahne. Du sollst mir nicht noch einmal
vorwerfen, wie wenig ich für dich gethan.«

Der erschütterte Ton des Doctors machte den besten Eindruck. James
stürzte reuevoll vor ihm nieder, weinte auf seine Hände. »Ich soll
leben? ich _will_ leben!« schluchzte er; »aber wie wird es möglich
sein, wenn Justine des Amerikaners Weib wird?«

Den Doctor traf's durch's Herz. Er blickte nach dem Gemache, in welchem
der Despot seiner Handlungen noch schlief, erinnerte sich seines
qualvollen Geschäfts, neigte sich zu James und -- um wenigstens _eine_
gute Frucht aus der hinterlistigen That zu gewinnen, die er vollbringen
sollte: die Beruhigung einer verzweifelnden Seele -- sagte er ihm:
»Justine wird nicht des Amerikaners Weib!«

Somit ging er von dem Staunenden, um den Senator zu besuchen.
Ein finsterer, wolkenumzogener Tag paßte vortrefflich zu seiner
Gemüthsstimmung. Während des Gehens wollte er beten, -- aber dunkle
Gedanken durchbrachen in Massen sein Gebet. In sich gekehrt, betrat
er Müssingers Haus. -- »Sind der Herr Senator oben?« fragte er mit
gesenktem Auge einen Menschen, der ihm entgegenkam. -- »Ja, Monsieur;«
antwortete man ihm kurz und unhöflich. Der Doctor sah auf. Nothhaft war
der grobe Bescheidgeber, und nicht wenig erstaunt, den Mann vor sich zu
schauen, mit dem er vorgestern einen Handel hatte abschließen wollen.
Auch der Doctor erinnerte sich seiner. »Sieh da, Monsieur!« sagte er:
»finden wir uns hier? Sie blieben aus, Verehrter?« -- »Ich weiß nicht,
was Sie wollen!« schnauzte ihn der Andere überrascht, verlegen, und
unerkannt zu sein wünschend, an: »Ich kenne Sie nicht, Monsieur!«

_Er_ zum Hause hinaus; der Doctor die Treppe hinan. Des Senators
Gesicht trug alle Spuren einer mühselig durchwachten Nacht, und kaum
verzog sich seine Lippe zu einem matten Willkommslächeln, als der
Beichtiger eintrat.

»Sie finden mich schwach und krank,« sagte Müssinger, wieder in die
Kissen seines Ruhebetts zurücksinkend; »doch ist mir Ihre Gegenwart von
hohem Werthe. Ein stürmisch rollendes Geschick hat mich, so zu sagen,
an Sie gebunden, während alle Wesen, welche die Natur mit mir verband,
von mir abfallen zu wollen scheinen, und selbst übernatürliche sich in
mein Verhängniß mischen. Eine Frage, hochwürdiger Herr: glauben Sie,
daß zwischen Sterblichen und abgeschiedenen Geistern von Sterblichen
ein Rapport eintreten kann?«

Der Doctor stutzte. »Die Philosophie unserer Religion, und häufige, von
Zweiflern vergebens bestrittene Erfahrungen weisen mich an, Ihre Frage
zu bejahen.«

Der Senator seufzte tief, und stützte das wankende Haupt in die
kraftlose Hand. »Hören Sie an,« erwiderte er alsdann: »was mir in den
Spätabendstunden des gestrigen Tages begegnet ist. Von den mancherlei
Gemüthsbewegungen, die mich erschüttert hatten, wie von quälenden
Mißverständnissen in meiner Häuslichkeit ermüdet, war ich in meine
Stube gegangen, um zu ruhen und einen erquickenden Schlaf zu thun.
Ich las in dem Gebetbuche, das ich Ihrer Fürsorge verdanke, die Lampe
brannte dunkel; aus meinen Betrachtungen erwachend, erhebe ich mich,
den flackernden Docht zu putzen, -- da schaue ich zufällig nach der
Thüre, und diese steht halb offen, -- und zeigt mir eine Gestalt, die
mich erbeben macht, die leichenhafte Gestalt des seligen Birsher in
seinem weiten weißen Ueberrocke, den er zuletzt trug, -- mit hohlen,
starrenden Augen. Ich will rufen, -- die Kehle ist mir zugeschnürt. Die
Erscheinung öffnet dagegen den schaurigen Mund, und ich vernehme die
dumpfen Worte: Du hast mich umgebracht, und willst auch die Tochter
tödten? -- Nicht nach Amerika! Wehe sonst! -- Wie Todtenglocken sausten
die Töne in mein Ohr, und im Nu verflimmerte das Gespenst vor meinen
angstvollen Blicken. Sein Abschied löste die Bande meiner Zunge. Außer
mir stürzte ich in einem Sessel um, rief nach Hülfe; Justine kam, Leute
kamen. Die Erscheinung ist von einigen gesehen worden, und spurlos
verschwunden. Ich befinde mich im gräßlichsten Seelensturm. Rathen
_Sie_, reichen Sie mir den Anker des Heils!«

Der Doctor combinirte, still vor sich hinschauend, des Senators Aussage
mit dem Behaupten der Lainez, und betrachtete diesen Zwischenfall als
einen Fingerzeig aus hohen Wolken zur Erreichung des ihm aufgegebenen
Zwecks.

»Eine seltsame Begebenheit!« sagte er bedächtig und ernst: »der
innigsten Prüfung werth. Es scheint, als ob in der Zukunft Unheil
brüte, ... als ob der Geist des Abgeschiedenen, der Ihre Tochter lieb
gewonnen hatte, dieselbe zu retten, seinen Wohnort verlassen, ein
nothwendiger, warnender Helfer!«

Der Senator nickte stumm mit dem Kopfe. »Was würden Sie an meiner Statt
thun, ehrwürdiger Mann?« fragte er.

Der Doctor zuckte die Achseln. »Fragen Sie lieber,« sprach er, »was
ich _vor_ jener bedeutungsvollen Erscheinung gethan haben würde. Ich
hätte meine Tochter nicht mit dem Amerikaner verlobt. Diese Leute
sind Ihnen verderblich. Mit dem Vater zog ein bedauerliches Unheil in
Ihre Wohnung. Der Sohn wird nicht viel Besseres bringen. Nennen Sie
dieses Vorurtheil. So wie es in der Natur Elemente gibt, die sich ewig
Widerpart halten, so verflicht das Schicksal öfters gewisse Menschen in
gegenseitige Feindseligkeit, ohne daß sie es ahnen. Wenn wir annehmen,
daß mancher Tag, manche Stunde wichtiger ist, als die übrigen,-warum
nicht auch ein Menschenloos vor dem andern? Ich hätte Justinen dem
jungen Manne nicht versprochen, nicht dieses Einschreiten einer
unbekannten Macht herbeigerufen!«

»Ich war so heiter geworden,« versetzte der Senator, »ich sah eine
furchtbare Wildniß, die mich entsetzt hatte, plötzlich geebnet. Sie
wissen es: wir hatten uns zu offenem und heimlichem Krieg gegen den
gefürchteten Gast gerüstet. Statt des Zürnenden, Argwöhnischen erschien
jedoch ein Friedensengel, ein Johannes an milder Güte und Vertrauen.
Ich konnte ihm die Tochter nicht weigern ... ich mochte es nicht,«
setzte Müssinger stockend bei, »um oben den Schatten des Vaters zu
versöhnen.«

»Unglücklicher!« sagte der Doctor mißbilligend: »Kaum in den Schooß
der wahren Kirche aufgenommen, verkennen Sie deren Wohlthaten? War
nicht schon jede Sünde von Ihnen gewichen durch meine Absolution?
Bedurften Sie noch eines Sühngedankens, der an heidnischen Irrthum
gränzt? Mehr noch, Herr Senator: dieser Vorsatz ist ein Verbrechen
gegen die liebende Allmutter unserer gottseligen Herde. Sie werfen
durch die Verbindung mit dem Protestanten Ihre Tochter in den Pfuhl der
Verdammniß, statt sich Ihrer väterlichen Gewalt zu bedienen, sanft und
ernst die Unbekehrte auf den Pfad des Heils zu bringen!«

»Mein Vater! das kann ich nicht,« entgegnete Müssinger entschlossen:
»ich bin zum Bekehrer verdorben. Mein Kind wandle seinen Weg unter der
Obhut des allbarmherzigen Vaters. Ist es dessen Wille, so wird meine
Tochter selig werden -- so wird sie zum wahren Hirten gelangen; so
Gott will, ohne, wie ich, von einem grausamen Zusammentreffen aller
Schrecknisse zu einem Uebertritt gezwungen zu werden, den ich...«

Er schwieg plötzlich. Der Doctor ergänzte mit strafendem Blicke, »den
ich jetzt schon von Herzen bereue. Sprechen Sie es nur aus. Ihre
Verhältnisse haben sich ja so gestaltet, daß, was Sie gethan, ganz
unnöthig war. Sie bedurften der Lossprechung nicht, weil der Sohn des
Todten Ihnen freundlich entgegentrat; Sie bedurften meines Rathes
nicht, weil er Ihnen sogar die Gelder schenkte, vor deren Rückzahlung
Ihre Oekonomie, vor deren Bewahrung Ihr zartes Gewissen schauderte. Sie
bedurften meiner Hülfe gegen den Feind nicht, weil sich dieser selbst
in Ihre Hände lieferte. Ihr Uebertritt war zwecklos. Sie wünschten ihn
ungeschehen zu machen; beinahe wünschte ich es auch, weil Sie meine
Theilnahme und mein Vertrauen auf eine unwürdige Weise mißbraucht
haben.«

»Hochwürdiger Herr...«

»Ich gehe von Ihnen; wohl! Bedenken Sie jedoch, daß, indem ich auf
immer von Ihnen scheide, mein Segens- und Lösespruch zu nichte wird. --
Sie werden in Ihre Irrthümer, in Ihre Zweifel, in Ihre Gewissensqualen
zurückfallen; eine Beute der mahnenden Geisterwelt werden, Ihre Tochter
mit Ihnen in's Verderben reißen, und, statt einst mit Clara vereint,
himmlische Wonne zu genießen, in Ohnmacht und Pein vergehen, weil Ihr
Ohr taub geblieben, -- weil Sie die irdischen Stimmen und die Stimmen
von Jenseits nicht gehört!«

»Ach! welch' ein Abgrund von Trostlosigkeit und Furcht!« klagte
der Senator, den Doctor, der zu gehen Miene machte, zurückhaltend:
»Verlassen Sie mich nicht! rathen Sie mir; helfen Sie mir! Mich verläßt
der Verstand und Gott, wenn Sie von mir scheiden!«

»Wo bleibt Ihre Entschlossenheit, Herr Senator? Ihr unbiegsamer
Charakter?«

»Ich bin nicht mehr Müssinger,« versetzte der Senator tiefgebeugt; »ich
kenne mich selbst nicht mehr. Wenn Sie verlangen, will ich, wo möglich,
alles zurücknehmen; aber ... der Betrag jener Wechsel, ... wird Georg
denselben nicht fordern, wenn aus der Hochzeit nichts wird?«

»Sind denn die Wechsel nicht in Ihren Händen? Ich bevollmächtige Sie,
zu beschwören, daß Sie an Birsher, den Vater, das Geld gezahlt. -- Sie
leisten den Eid mit dem stillschweigenden Sinnesvorbehalt, daß Sie die
Nothausflucht auf dem Wege wieder ausgleichen wollen, den ich Ihnen
bereits angegeben, und Alles ist in völliger Richtigkeit; Ihr Heil
bewahrt.«

Der Senator stand entschlossen aber unzufrieden auf, und entließ mit
den Zeichen einer völligen Sinnesänderung den Doctor, an welchem
Justine hastig und kalt grüßend vorüber zum Vater ging.

»Verhüten Sie doch Unheil, bester Vater,« sagte sie schnell und
mit Thränen des Unmuths in den Augen: »Erklären Sie sich gegen die
Mutter. Sie räumt ihre kostbarsten Sachen zusammen, -- sie verschließt
ihre Schränke, -- sie will heute Abend das Haus verlassen. Welch'
eine Schande für uns, wenn das geschieht! Reden Sie mit ihr, und ein
grausames Mißverständniß wird sich heben!«

Des Senators bleiches Gesicht verwandelte sich in ein zornrothes.
Erschrocken und verletzt zugleich eilte er, dem Justine zuredend und
ermahnend folgte, dem Gemach seines Weibes zu. Jacobine war gerade
beschäftigt, aus Schubfächern und Commoden ihre Kleider, ihre Wäsche zu
nehmen, und die ungeheuern Schränke damit anzufüllen, die sie, voll von
ihrer Aussteuer einst in's Haus gebracht. Sie zuckte etwas zusammen,
als sie den Senator wahrnahm, ließ sich jedoch nicht stören, drehte ihm
den Rücken, und kramte, ohne ein Wort zu reden, weiter fort.

Auf die dreimal und immer heftiger wiederholte Frage des Gatten:
»Jacobine! Was machst Du da?« antwortete sie endlich, der Anrede
überdrüssig, kurz und verächtlich:

»Du siehst's.«

»Du packst ein?«

»Ja.«

»Warum?«

»Ich gehe fort; heute noch.«

»Jacobine! von deinem Ehemanne? aus deinem Hause? von deinem Kinde?«

»Ist Justine ein brav Mädchen, so geht sie mit. Wo nicht, desto
schlimmer für sie.«

»Lieblose! Blödsinnige!« donnerte Müssinger, kaum seiner mächtig:
»Wiegelst du wieder mein Kind gegen mich auf? Was that ich dir,
Besessene? Rede endlich!«

Die Senatorin schwieg in galligem Stumpfsinn. Justine, den bebenden
Vater betrachtend, und Alles fürchtend, lief auf die Mutter zu, fasste
deren Hände, und bat weich und flehend: »So reden Sie doch, Mutter.
Beendigen Sie doch diesen gräulichen Zwist. Justine bittet Sie herzlich
darum!«

Die Senatorin schob sie heftig von sich, und trieb ihre Geschäfte
weiter. Justine folgte ihr ins andere Zimmer, versuchte noch ein
Bittwort, und da auch dieses nicht fruchtete, stellte sie sich der
ausweichenden Mutter in den Weg, und sagte mit geschärftem Nachdruck:
»Sie werden jetzo dem Aergerniß im Hause auf eine oder die andere Weise
ein Ende machen, Mutter. Sie werden es, so wahr ich Justine heiße.
Sollen die Dienstleute noch mehr des schändlichen Geredes unter die
Leute bringen? Soll mein -- der Unschuldigen Wohl unter Ihrer übeln
Laune leiden? Geben Sie jetzt noch nicht dem billigen Verlangen meines
Herrn Vaters nach, so nenne ich Sie nie mehr meine Mutter!«

»Unglückskind!« zürnte Jacobine: »hätte ich dich nicht geboren!«

»O du Rabenmutter!« rief der Senator, der ihnen gefolgt war, und nun
voll Wuth auf Jacobine zuging: »Bist du denn werth, daß dich die Sonne
bescheint?« Seine Hand suchte und fand das spanische Rohr am Kamin.
Justine hielt ihn mit aller Kraft zurück. Die Senatorin jedoch, ohne
die drohende Bewegung zu fürchten, stellte sich ihm trotzig entgegen,
und rief herausfordernd: »Nun, so komm' an! Schlage mich todt, wie den
alten Birsher, dessen Gespenst schauderlich im Hause herumgeht, und
mit dir, dem Schuldigen, alle Unschuldigen quält, daß sie unmöglich
ausdauern können!«

Wie Bildsäulen standen der Senator vor dem Donnerworte seines Weibes,
-- Justine vor dem Erschrecken des Vaters. Er hatte die entsetzliche
Entwicklung nicht geahnt. Justine _hatte_ sie geahnt, -- aber nicht das
Verstummen des Beschuldigten, den ihr Gemüth bisher frei gesprochen.
Mit Mühe gewann Müssinger seine Sinne wieder und die Sprache.
»Lasse mich mit diesem Weibe, deiner Mutter, allein!« sagte er mit
erlöschender Stimme, blaß wie der Tod und winkte dem Mädchen zu gehen.

»O du mein Herrgott!« kreischte das Weib: »Er will mich mißhandeln!«

»Bleibe, tolles Weib!« entgegnete der Senator, und zog sie mit solcher
Gewalt in einen Sessel nieder, daß sie plötzlich verstummte, sich nicht
mehr regte.

Justine wich nun auf ein zweites Zeichen ihres Vaters der traurigen
Scene aus, die sich unter ihren Augen entsponnen hatte. In der
Wohnstube kam ihr Georg Birsher entgegen: freundlich, offen, ruhig wie
gestern.

»Ich sehe Sie gerne, liebe und gute Miß,« sagte er: »Ihr Anblick ist
mir ein Trost vor dem traurigen Geschäfte, das mich erwartet. Die
Commissarien des Gerichts werden erscheinen, und mir den Nachlaß
des Vaters übergeben. Schenken Sie mir zuvor das Köstlichere: Ihre
Gewogenheit.«

»Ich habe nichts gegen Sie, Monsieur,« versetzte Justine, verlegen an
der Schürze zupfend: »Was wird aber Ihnen an der Gewogenheit einer
Jungfer, wie ich bin, liegen?«

»Viel; weil aus der der Gewogenheit herzlichere Freundschaft werden
kann. Sehen Sie, Miß: Als mein Vater sagte: Georg! du wirst heirathen,
und das Mädchen nehmen, das ich dir bestimme: ein deutsches wirthliches
Mädchen, das mein Correspondent sehr lobt an Eigenschaften und
Vermögen! -- Da dachte ich bei mir selbst: In Gottesnamen! Der Vater
wills; aber ich kann's schon erwarten. -- Als ich Europa betrat, und
hörte, daß mein Vater gestorben, dachte ich: Sein Verlobungswort lebt
zwar noch. Wird es mir jedoch zurückgegeben, ist mirs gleichviel. --
Als ich aber hier ankam, in Ihr leuchtendes Auge sah, und tief in Ihr
Herz; -- da wurde es anders. Seitdem denke ich: es würde ein Unglück
für mich sein, wenn ein solches Capital mir entginge. Ohne Umschweife
denn, meine werthe Jungfer! Ihr Herr Vater wird mit Ihnen geredet
haben. Ich bin ein ehrlicher Mann, suche eine ehrliche Frau, und
wünsche Sie an dieser Stelle. Was antworten Sie hierauf?«

Justine sah auf die Spitzen ihres Aermels, dann fest und sicher in
Georgs festes und sicheres Auge, und sprach ohne Umstände: »Was mein
Herr Vater will, ist mir, einer gehorsamen Tochter recht. Ich kann Sie,
glaube ich, wohl leiden, mein Herr. Ich will mit Ihnen gehen, wenn sie
es wünschen; als Ihr Weib und Ihre treueste Freundin.«

Birsher verbeugte sich sehr erfreut, und versetzte: »Wollten Sie mir
nicht erlauben, holdselige Braut, einen Kuß auf Ihre Wange drücken, und
Ihnen ein Pfand dieser Stunde verehren zu dürfen?«

Justine nickte freundlich, und duldete den verschämten Kuß. Georg zog
hierauf einen schlichten goldenen Reif vom Finger, steckte ihn an ihre
Hand, und sprach:

»Amerikanisches Gold, ächt und klar wie amerikanische Treue! Der
Brautschmuck von brasilianischen Steinen, den mein Vater Ihnen
zugedacht, und den ich Ihnen bald überreichen werde dürfen, ist zwar
zehnmal schöner als dieser Ring. Ich bilde mir jedoch ein, daß der Ring
mehr Werth für Sie haben werde, weil er von _mir_ kömmt, und nicht vom
freiwerbendem Vater eines willenlosen Sohnes.«

»Sie charmiren mich durch das artige Präsent!« versicherte Justine
lächelnd, und entfernte sich mit dreimaliger Verbeugung, weil die
Commisarien sich hören ließen. Im Begriff, dem Vater diese Nachricht
zu bringen, begegnete sie ihm, der aus der Mutter Zimmer trat. Er
schien gefaßt. Die Senatorin saß, wie die klaffende Thüre sehen ließ,
mit gefalteten Händen, stumpf brütend und niedergeschlagen auf einem
Stuhle. Justine wünschte dem Vater schüchtern Glück, zur Beruhigung der
Mutter.

Die Albernheit hält in ihrem Kopfe offne Bank; sagte der Senator
eiskalt und verächtlich: Man muß sie verblüffen, da mit Raison nicht
anzukommen ist. Ich habe ihr geschworen, daß ich sie als verrückt
ins Irrenhaus bringen lasse, wenn sie noch _einen_ Schwank macht,
wie gestern an dem tollen Teufelstage. Du stehst mir dafür, daß sie
mittlerweile nicht aus dem Hause geht. Die Verläumder, die ihr solche
Schandmücken in das Ohr gesetzt, will ich schon finden, schon züchtigen.

Justine freute sich der Ruhe ihres Vaters. Sie schien ihr ein Bürge
seiner Schuldlosigkeit. Sie wollte seine Zufriedenheit erhöhen, und
sagte: »Sie werden mich loben, Herr Vater. Justine ist gehorsam und
eilig, Ihren Wünschen zu entsprechen. Monsieur Birsher kam vor einer
Viertelstunde; er hat mit mir geredet; ich trage seinen Verlobungsring.
Hier ist er, lieber Vater!«

Des Senators Gesicht verzog sich düster und unwillig. »Warum diese
Eile?« brauste er auf: »Alles zur Unzeit! Das Donnerwetter soll ...
Welche Plage mit unbesonnenen Weibern!«

»Mein Vater...« fragte Justine scheu: »welche Aenderung? sagten Sie
nicht gestern?...«

»_Heute_ ist nicht gestern, und gestern _war_ nicht heute!« versetzte
Müssinger: »Der Ring muß zurück! Ich wills; ich befehle es dir!«

»Sie befehlen mir Ungerechtigkeiten!« -- sagte Justine von kränkender
Beschämung gepeinigt: »was müßte Herr Birsher glauben? Ich will nicht
als wahnsinnig ausgeschrieen werden! besinnen Sie sich doch, mein
Vater!«

»Ihr _seid_ wahnsinnig; du und deine Mutter!« antwortete ihr in der
höchsten Aufregung der Senator, und rannte dahin, wo die Commissarien
seiner warteten.

Justine schlug staunend die Hände zusammen, fühlte sich an die Stirne,
um sich zu überzeugen, daß sie in der That wache und alles Vorige
gehört habe. --

»Ich soll nicht fort?« fragte sie sich schmerzhaft! »O nicht doch! fort
nach Amerika, wenn das Leben daselbst hundertmal einförmiger wäre,
denn hier! Fort! hinaus in die Ferne! hinaus nur aus diesem Hause, in
dem sich alles Unheil vereint, um uns sammt und sonders nach und nach
um den Verstand zu bringen, wie es uns schon um Herz und Gemüth und
Sorglosigkeit und Frieden brachte. Ich wollte ja lieber unter Fremden
mein tägliches Brod _verdienen_, als es unter solcher Seelenangst
verzehren zu müssen; ich wollte lieber ... gleich einer Flüchtigen...«

Sie hielt inne. »Ei, die Lainez!« fuhr sie fort; »wo bleibt die gute
Frau, deren Umgang allein jetzo meinen Geist erheitern könnte? Sollte
sie, ihrem Pfande zum Trotz, wortbrüchig werden?...«

Sie zog langsam, zögernd und erröthend, das Medaillon der Lainez aus
der Tasche, und trat, von jungfräulicher Scheu und Neugierde zugleich
befallen, aus dem Vorsälchen der Mutter in einen kleinen Versteck, kaum
einen Kreuzstock breit -- ein Altänchen nach dem Hofe bildend, auf
welchem eine Anzahl von Blumenstöcken an Geländer und Wand hingereiht
war; von freierer Luft heimgesucht, und durch ein schirmendes Dach
vor Sonnenhitze und Regen beschützt. Dieser Blumenwinkel am äußersten
Ende des Hauses, stand mit dem, ebenfalls von Küche, Wohnstube und
Gesindzimmer entlegenen Vorsaale der Senatorin vermittelst einer Thüre
in Verbindung, in der eine drathvergitterte Glasscheibe angebracht,
vor welcher ein Vorhang befestigt war. In der Mitte der Blumentöpfe,
auf einem leeren Fleck des Gestells derselben, kauerte sich Justine
nieder, und betrachtete, sich zu zerstreuen, und ihrem Vorwitze zu
genügen, die Heiligenbilder der Lainez. Der heiligen Pulcheria wurde
indessen kaum ein Blick geschenkt; der schöne Sebastian fesselte ihre
Aufmerksamkeit. Der Maler hatte in dem kleinen Bilde ein großes Stück
geliefert, und der Beschauer wußte nicht, was er vorzüglich daran
preisen sollte: die männliche Formenschönheit des Märtyrers, die zu den
Sinnen sprach; oder die himmlische Verklärung, die sowohl in seinem
Gesichte, als auf seinen Gliedern lag, und jeder Sinnlichkeit wehrte,
... oder den magischen geheimnißvollen Farbenzauber, der aus den Blumen
hervorging, die aus den stürzenden Blutstropfen des Heiligen sproßten;
oder endlich das herrliche Schauspiel des aufgeschlossenen Himmels, der
seine Goldstrahlen um das jugendlich schöne Haupt des Sterbenden legte,
-- aus dessen Wolkenkranze die heilige Mutter sah, und der Heiland und
ihre dienenden Engel!

Justine konnte sich nicht satt sehen an dem lieblichen Meisterwerke,
und so oft eine seltsame innere Beklemmung sie zwang, den Blick
wegzuwenden, flugs kehrte er zu dem Bilde wieder zurück. Sie stellte
es endlich, verschämt und dennoch zu kleinem Frevel versucht, in
die Zweige einer jungen, grün und glänzend aufsprossenden Myrthe.
Sie dachte sich den Altar hinzu, -- nicht den violettbehangenen
der Johanniskirche, sondern den roth und weiß geschmückten aus der
Johanniterkapelle; die Kerzen und den Weihrauch, von denen die Lainez
gesprochen. Das Bild jener heimlichen Messe gesellte sich zu dem
ganzen Begriff, und -- siehe da! in blühende schmeichelnde Formen
gestaltete sich vor dem Mädchen der römische verpönte Gottesdienst,
und es dachte bei sich: die Mittagsländer mit ihren heitern Tempeln
müßten doch schön sein, wie ihr Kirchendienst fröhlich; glänzend und
begeisternd, wie ihre Heiligenbilder zart, rührend und ideal. Da wurde
der schweigend überlegenden und prüfenden Jungfrau plötzlich zu Muthe,
als sei Herr Georg Birsher an ihre Seite getreten, und frage sie mit
seiner ruhigen und männlichen Stimme: »Wozu das alles, liebe Miß? Ich
fürchte: was Sie da treiben, sieht einer kleinen Sünde ähnlich auf ein
Haar. Lassen Sie den raschbewegten Mittagskindern ihren bunten lustigen
Schauspieldienst, und das Heer ihrer Heiligen und Seligen, zu denen
man betet. Ihr wandelbarer Geist verlangt einen Blumenflor, auf dem
er flattere und wühle, und schaue und genieße wie die Biene; denn der
Süden zeugt rasches Blut und glühende Sinne. Bleiben Sie jedoch, gute
Miß, in der Bahn des Nordens, des gemüthreichen, lang und beständig
Empfindenden, zufrieden mit _einem_ Gotte, mit _einem_ treuen Herzen.
Und dieses Herz -- bin ich gleich nicht schön wie der pfeildurchbohrte
Sebastian, -- nicht Theilnahme erregend, wie ein Anderer, der mir
gefährlicher wäre, als der todte Heilige -- dieses _treue_ Herz finden
Sie in mir!«

Justinens Phantasie hatte ihr eine eben so artige Täuschung
vorgemacht, daß sie jetzt selbst verwundert aufsah, ob Birsher wirklich
zugegen. Nein! er war nicht da. Ihr Auge sank zu Boden, aber ihr Ohr
wurde von einem kreischenden Schrei erreicht, von der Stimme. »Das
Gespenst!« flüsterte sie erschreckend, und hob mechanisch obgleich
schaudernd den Vorhang von dem Thürfensterchen. Der Mutter Zimmer war
offen; auf dem Sofa lag Jacobine, wie von Convulsionen durchschauert;
über den Vorsaal nach der Ausgangsthüre schlurfte langsam eine weiße
Gestalt. Vom Schrecken zu einer heldenmüthigen Entschlossenheit
übergehend, sprang Justine aus ihrem Versteck, eilte der schnell sich
fortbewegenden Gestalt, die diese Dazwischenkunft nicht vermuthet
hatte, um so hastiger nach, faßte auf der Schwelle das fliegende weiße
Gewand, und rief ihr wacker zu: »Halt! ergieb dich! du allzeit fertiges
Gespenst!«

Dieses Letztere hielt nicht, sondern ließ den Oberrock in den Händen
der tapfern Angreiferin; ein Mann entsprang dieser Hülle, ließ Perücke
und andern Ballast, der ihm zu beliebiger Ausstopfung gedient hatte,
feig im Stich, und floh, da von der großen Treppe sowohl der Senator,
als mehrere Domestiken auf Jacobinens Geschrei herbeikamen, eine
schmale Wendelstiege hinab, die zum Magazin und Brunnen des Hauses
führte. Der Geist rannte hier dem zufällig herankommenden Berndt in die
Hände.

»Halt! wer bist du, Deserteur?«

»Laß mich! Bruder Berndt! um Gottes willen!«

»Was? Dort oben schreit man nach Hülfe? und was gilt's? ich habe hier
den Dieb! Halte still, und komm' mit.«

»Kennst du mich denn nicht? Parbleu ... sei kein Kind!«

»Eben deshalb, guter Freund! Weil ich kein Kind bin, und weil ich
dich kenne, komm' mit. Deine Zwischenträgerei hat mich um den Dienst
gebracht; meine Unerbittlichkeit soll dich zu Schanden machen, du
Baalssohn!«

So sanftmüthig auch Berndt diese Rede sagte, so derb packten seine
Fäuste den Gegner, und trugen ihn beinahe in die Höhe. Justine, Senator
und Gesinde empfingen den Ertappten, und führten ihn vor die Senatorin.
Nachdem der Senator hierauf die Domestiken entfernt hatte, um ihnen
nicht die Vapeurs seiner Frau und die Scham des entlarvten Geistes
länger zum Schauspiel zu geben, sagte er zu Jacobine: »Sieh hier das
übernatürliche Wesen, das seit gestern unser Haus umzuwälzen sich
bemühte, das aus dem Grabe wiederkehrte, um Einspruch in eine Hochzeit
zu thun, die ihm mißfiel, und denke daran, daß deine Ungerechtigkeit
gegen mich aus eben so nichtiger Quelle fließt.«

»Nothhaft!« rief die Senatorin, plötzlich ihre Krämpfe vergessend,
und zornig aufspringend: »Nothhaft! Er niederträchtiger Bursche! Was
bedeutet die schändliche Maskerade? Man hätte den Tod davon haben
können! Am hellen Tage zu spuken! Den Amerikaner wieder aufleben zu
lassen! Meinen armen Kopf zu verwirren! Ich hoffe, daß Herr Senator
Müssinger Ihn exemplarisch zur Rechenschaft wird ziehen lassen! Auf dem
Rathhause, vor allen Richtern und Volk!«

»Ich hoffe, daß der Herr Senator das unterlassen werden,« entgegnete
Nothhaft mit einem giftigen Drohblicke auf denselben. »Was in diesem
Hause nur als ein unschuldiger Jokus passirte, könnte am geeigneten
Orte zum Ernste werden! und Ihre Beleidigungen, Frau Senatorin, muß ich
mir eben so ernstlich verbitten. Ich bin nicht mehr der Commis in Ihrem
Hause; ich bin mein eigner Herr, und alle Tage fähig, einen Rathsherrn
abzugeben, wie Ihr Herr Liebster.«

»Ach Gott! das Lästermaul!« seufzte die Senatorin weinerlich und
aufhetzend: »Ich zittere noch vor Schreck an allen Gliedern, und Er
thut, als ob Er Fug und Recht gehabt hätte. Müssinger! wenn du das
leidest....«

»Ein Wort, Herr Ex-Principal!« sagte Nothhaft unverschämt, und zog den
Senator bei Seite: »wir wollen uns nicht über die Gründe verbreiten,
die mich zu der Vermummung bestimmt haben. Ich thue Ihnen damit
einen Gefallen, so wie ich den ganzen Plan zu _Ihrem_ Besten allein
angelegt habe. Vor der Hand lasse ich Ihnen noch die Wahl, mich als
Schwiegersohn anzunehmen, und den Amerikaner aus dem Hause zu weisen,
oder versichert zu sein, daß meine schonende Freundschaft für Sie ein
Ende erreichen wird.«

»Er ist ein schlechter Mensch!« polterte der Senator hitzig: »was
werde ich auf seine elenden Drohungen geben? Packe Er sich aus meinem
Hause! Ich habe Nichts mit Ihm gemein. Setze Er sich in seine Heimath
hin, und rathe und verkaufe und spucke Er fort so viel als Er will. Ich
warne Ihn, sich ferner hier betreten zu lassen. Ich würde sonst meine
Anklage bei dem Polizeiaufsichter anbringen müssen, während ich jetzt
noch den Scandal, den Er verursachte, mit Schweigen übergehen will.«

Nothhaft schnitt ein grimmig saures Gesicht. »Na!« sagte er trotzig:
»ich gehe, Herr Senator. Schreiben Sie das heutige Datum in's Kamin,
Wünsche allerseits wohl zu leben. Und Sie, meine beste Jungfer! bittet
Sie nicht ein wenig um Pardon für mich, da Sie mich doch eigentlich in
die saubere Patsche versetzt hat?«

»Ich freue mich, Monsieur, Ihn ertappt zu haben, während sich Männer
vor dem Popanz fürchteten,« versetzte Justine spöttisch: »ich bin nicht
vergnügt, daß nun auch die ganze Stadt von Ihm glauben wird, was ich
schon längst von Ihm behauptete: daß Er eine bösartige Kröte ist, und
damit Punktum.«

»Damit noch nicht Punktum!« erwiderte Nothhaft frech und ergrimmt: »ich
werde die Ehre haben, so Gott will, ein Weiteres von mir vernehmen zu
lassen. Er aber, Mosje Berndt! Er wahre seine Ohren! Gott befohlen!«

»Du ruchloses Höllenkind!« rief Berndt dem Davoneilenden nach: »der
leidige Gott sei bei uns muß wenigstens dein Großvater gewesen sein!«

Der Senator hatte indessen seine Partie genommen. Die alte Energie
schien in den Mann zurückgekehrt zu sein. »Keine unnöthige
Bethbruderei!« sagte er scharf, aber freundlich zu dem Augenverdreher:
»wir müssen vor der Natter auf der Hut sein. Seh' Er nach, daß der
Bengel seine Effekten noch in dieser Stunde aus dem Hause schaffe. Dann
laufe Er, und zeige Er auf der Börse an, daß Nothhaft nicht mehr in
meinen Diensten steht. Lasse Er merken, daß er mit Schimpf und Schande
aus dem Hause kömmt. Aber von der Gespenstergeschichte kein Wort. Sonst
bleibt's beim Quartalabschied. Unterdessen bedanke ich mich bei Ihm
schönstens.«

Berndt eilte, vergnügt über seine gesicherte Existenz, den Befehlen
des Principals zu genügen. Der Senator wendete sich zu Justine: »Dir,
mein Mädchen, danke ich in's Besondere. Dein Muth hat uns die Augen
geöffnet. Der Bursche wußte, mit wem er's zu thun hatte. Zu mir kam er
in der melancholischen Nacht, -- meiner leichtgläubigen, schreckbaren
Frau erschien er am Mittage, -- wahrscheinlich, weil das Gespenst
am Abend nicht durch die verschlossene Thüre dringen konnte. Auf
den Aberglauben der Dienstleute konnte er's bei Tage wie bei Nacht
wagen. Allein zu Justine kam er nicht. Er hat das Mädchen mit Recht
gefürchtet. Mir bleibt jetzo noch Einiges zu thun. Meine Gegenwart ist
im Hause entbehrlich. Ich war bei Eröffnung der Schränke. Man hat sich
überzeugt, daß alle Siegel unverletzt geblieben. Ich will ausgehen,
Justine! meinen Hut, meinen braunen Rock mit der schmalen Stickerei.
Den Mantel, den Degen! Ich muß zum zweiten Bürgermeister gehen. Der
Kerl von Nothhaft muß aus der Stadt, ehe die Sonne untergeht, ehe er
mir Stänkereien macht: ich fürchte, der Bursche hat tausend Kniffe im
Kopfe. -- Ich werde auch dem Steuercommissär meinen Besuch machen.
Ich werde ihn ernstlich wegen des Geschwätzes seiner Frau bedrohen.
Beruhige dich, Jacobine! du sahst, daß der Geist des Verstorbenen ein
Posse war. Du wirst einsehen, daß die Commissärin in dem, was sie dir
auf dem Ritterhofe vertraute, eine Lüge gesagt hat.«

»Das gebe Gott!« entgegnete die Senatorin phlegmatisch und die Hände
in dem Schooß faltend: »ich reiße mich nicht gerne aus meiner Ruhe, und
verlasse nicht mit Plaisir dieses Haus. Aber, wenn du in der That ein
so schlechter Mensch wärst, wie die Leute sagen....«

»Schweig!« unterbrach sie der Senator finster, denn Justine kam
mit Rock, Mantel, Hut und Degen. Während Müssinger sich in den
Interimsstaat der Rathsherren warf, kam auch Georg Birsher hinzu. »Ich
komme, Ihnen für die Bewahrung meines Eigenthums zu danken,« sagte
er zu dem Senator: »welche Gerüchte haben sich jedoch zu meinem Ohr
gefunden? Meines Vaters Geist soll sich gezeigt, und sich endlich, von
einer muthigen Amazone ergriffen, in einen Ladenschwengel verwandelt
haben?«

»Dummes Zeug!« erwiderte der Senator verdrießlich: »das Domestikenvolk
hat doch tausend Zungen. Beruhigen sich Ew. Edeln. Es war ein
einfältiger Nebenbuhlerstreich.«

»So?« versetzte Birsher lächelnd: »die Bosheit scheiterte sicherlich
an Ihrem Ringe, beste Jungfer Braut. Die Wilden meines Vaterlandes
beschenken sich mit solchen Talismanen, und vielleicht ist dieser
Ring ein solcher. Erlauben Sie, Verehrteste, daß ich Ihren Heldenmuth
und Ihre Treue mit diesem Diamantschmucke belohne, der freilich
schon Ihr Eigenthum ist. Die Rose von Edelsteinen, die ich ebenfalls
in dieses Kästchen gelegt habe, bitte ich, Ihrer Frau Mama, meiner
allerwerthesten Schwiegermutter, als ein dürftiges Pfand meiner
Ergebenheit zuzustellen.«

Er hielt dem Mädchen freundlich das geöffnete Etui hin, aus welchem
ein Meer von Demantenglanz strahlte. Die Senatorin zwinkerte lüstern
mit den Augen; Justine, ein weigerndes Compliment machend, las in dem
Gesichte des Vaters, dessen Sinnesänderung sie beunruhigte. Der Senator
bemerkte ihre Verlegenheit, und fuhr rasch und lebendig dazwischen:
»angenommen meine Tochter!« sagte er freundlich und dringend: »alles
geht wieder im rechten Gleise! Die Stimmen aus der Unterwelt haben
gelogen, und im Uebrigen.... will ich schon fertig werden. Ew. Edeln
werden also mein Schwiegersohn!«

Die Senatorin hatte sich der Diamanten bemächtigt, und bekräftigte des
Mannes Wort mit einem tiefen verbindlichen Knix. Der Amerikaner umarmte
den Senator, küßte der Senatorin beide Hände, der beruhigten Justine
beide Wangen und die Stirne.

»Eine Bedingung indessen!« fuhr der Senator zwischen beide Verliebte
tretend fort: »ich trage an Sie, bester Sohn und Handelsfreund, eine
heilige Schuld ab, indem ich Ihnen meine Liebste gebe. Ich habe jedoch
meine Gründe, warum ich die Heirath für's Erste ganz geheim gehalten,
und endlich in Bälde und Stille gefeiert wissen will, damit nicht
ferner eine Albernheit dazwischen komme. Mein Buchhalter und --« hier
seufzte er -- »Doctor Leupold schweigen wie beeidigte Männer. Knall und
Fall! heute über acht Tage die Copulation in Liebkirchen; und dann,
mein Brautpaar, zu Schiffe, und fort, in Gottes Namen! Jetzo aber Gott
befohlen!«

»Wenn Justine mein wird,« sagte Georg, »so bedarf ich keines Gepränges,
und so wenig ich mir's nehmen lassen werde, zu New-York mit einer
hübschen Frau groß zu thun, so wenig dringe ich hier -- in der fremden
Stadt -- auf diese Befriedigung meiner Eitelkeit. In vierzehn Tagen
ungefähr geht ein holländisches Schiff, das auf dem Texel liegt, nach
Amerika unter Segel. Ich werde an van den Höcken schreiben, daß er
dessen Cajüte für uns miethe. Bis dahin sind wir zu Amsterdam und
reisefertig. Nicht wahr, Justine?«

Justine nickte stumm aber bewegt mit dem Kopfe. In der Senatorin
Gesicht zeigte sich sogar ein flüchtiger Wehmuthsschatten des Gedankens
an Justinens Scheiden. Dem Senator gingen die Augen über. Er drückte
Allen hastig die Hände, und entfernte sich rasch, seinen Geschäften
nachzugehen.

Das Herz wurde ihm leichter: er sah Nothhafts Koffer von den
Packknechten nach dem Gasthause schaffen. Sein Herz wurde ihm schwerer:
der Doctor begegnete ihm bald hierauf.

»Nun, mein verehrter Herr?« fragte der Jesuit zutraulich und forschend:
»Ihr Gesicht trägt das Gepräge eines reuigern Sinns? Gewiß haben
Sie Ihren Entschluß gefaßt, und sind mit Ihrem Gewissen auf's Reine
gekommen.«

»Das bin ich, hochwürdiger Herr,« sagte der Senator hierauf muthig, und
zu der Waffe des Doppelsinnes greifend: »ich werde in Bezug auf meine
Tochter thun, was Recht ist.«

»Dafür segne Sie Gott und der Dank Ihres Kindes!« erwiderte der Doctor
mit Salbung, und verließ den ungeduldig Fortschreitenden. Während
dieser zum Bürgermeister wanderte, um bei demselben gegen Nothhaft zu
procediren, und hierauf den Steuercommissär aufsuchte, ihm zu sagen,
daß dessen Weib sich unterstanden, gegen seine Ehefrau schändliche
Injurien und Calumnien über ihn an den Tag zu legen, -- und dem
Commissär zu drohen, im Wiederholungsfalle seine geschärfte Klage vor
den Gerichten anzubringen, -- während dessen traf der Doctor Leupold
sehr zufrieden mit Superior und dem Schiffscapitän auf der Mailbahn
am Schwanenmarkte zusammen. Der Capitän war in seiner Uniform, der
Superior als Quäcker gekleidet. Die Anhänger dieser Secte waren
dazumal selten zu schauen, und von dem Volke sehr geehrt, weil die
sonderbare Einfachheit des Aeußeren Vieles von dem Innern hoffen ließ.
Der Lakonismus dieser Leute, die Gewohnheit derselben, den Hut auf dem
Kopfe zu behalten, ihre schmucklose Kleidung und ihr schulmeisterlicher
Gang sagten dem Superior als Larve vorzüglich zu, um darunter Tonsur
und Priesterschaft zu verbergen. So zufrieden der Doctor zu den Herren
trat, so unzufrieden waren diese gegenseitig, wie Leupold bemerkte.
Der Superior blickte sehr vornehm und niederschmetternd vor sich hin.
Der Capitän sah verdrüßlich aus, und ungeduldig mit dem Stocke in dem
Sand stochernd, rief er den nahenden Doctor an, sagend: »Sehr recht,
mein würdiger Herr, daß Sie kommen. Der sehr geehrte Herr und Freund
zu meiner Seite hat mich auf's Korn genommen, und will mir den Spiegel
sammt Mast und Korb und Raaen mit _einer_ Ladung zerschmettern. Helfen
Sie mir auf. Bezeugen Sie, daß ich der ehrlichste niederländische
Schiffscapitän bin, der jemals die See befuhr. Ist es wahr, daß ich
schmutzige Procente von meiner Fracht nehme? Ist es wahr, daß ich
Seelen-Verkäuferei und Negerspedition nebenbei betreibe, und somit
meine Fracht an Qualität und Quantität in Gefahr setze und schmälere?«

»Ich habe keine Beweise dafür,« versetzte der Doctor: »die
Correspondenten melden bisweilen dergleichen, mein guter Herr
Tormerpick, und wenn der sehr ehrwürdige Herr an Eurer Seite dasselbe
behauptet, so muß er wohl genauer unterrichtet sein!«

»Den Donner auch!« sagte Tormerpick mit galligem Ausdruck: »Es sollen
mich hunderttausend Tonnen voll Teufel regieren, wenn es wahr ist;
so wahr ich Jahn Tormerpick heiße und mein Vater, der wackerste
Steuermann, von einem Hai gefressen wurde; Gott habe ihn selig. Wahr
ist's, daß die Verläumdung am besten Rufe am eifrigsten nagt, und ich
will gar nicht läugnen, daß darauf hin meiner Redlichkeit mancher
unpassende Antrag gemacht wurde. Wie ich ihn aber stets zurückgewiesen
habe? Bei allen Signalen: dort läuft just einer, der mir gestern Abends
in der Schenke eine dito Eröffnung machte!«

Der Kapitän deutete auf Nothhaft, der in der Ferne quer über die
Straße ging. Der Doctor lächelte, an seine Unterredung mit dem Menschen
gedenkend. Der Capitän nahm's für ein ungläubiges Lächeln, und
betheuerte seine Aussage mit einem seemännischen Kraftworte.

»Es waren ihrer zwei beisammen,« sagte er ausführlicher: »der Mensch
dort -- wie er mir sagte: ein Ladenschwengel aus einem vornehmen Hause
allhier; und ein Anderer, ein Hamburger Ellenreiter, der von seinem
Principal weggejagt worden sein mußte, so abgerissen und liederlich
sah er aus. Die Burschen tranken Bier und schwatzten von Hamburg, von
dem Lotto, ... weiß Gott! wovon? Endlich schlief der Hamburger, der
am Meisten geschrieen hatte, ein, und der Andere kam auf mich zu, und
erzählte mir von einem jungen englischen Rindfleischesser, dessen
er gern gerathen möchte, wenn ich demselben eine Kommißbrodpfarrei
zu Batavia verschaffen wollte. Nun wissen Sie wohl, meine geehrten
Herren, daß man für einen achtzehnjährigen englischen Burschen,
der noch obendrein von guter Familie sein soll, einen ordentlichen
Batzen Handgeld bekömmt, und daß mancher Capitän im Dienste unserer
hochmögenden Herren eingeschlagen haben würde, -- wäre es nur aus
Tück und Tort gegen die Hallunken von England, und weil sogar die
Transportkosten bezahlt werden sollten; -- aber Capitän Tormerpick hat
den Werber derb heimgeschickt, daß er nicht mehr anfragen soll!«

»Armer James!« dachte der Doctor bei sich, der nun den Zusammenhang
begriff; dann setzte er laut bei: »ich möchte Euch wahrhaftig nicht
rathen, Capitän, in den Handel einzugehen. Ich kenne den bezeichneten
Jüngling und prophezeie Euch schlechte Folgen, wenn Ihr Euch an
demselben vergreifen solltet.«

Der Capitän machte ein sehr langes und albernes Gesicht; der Superior
setzte mit einem sehr finstern hinzu: »Ueberhaupt, Capitän, gebe ich
Euch noch die Weisung in den Kauf, in Zukunft Eure Taxe, Zoll-Listen
und Spesen billig einzurichten. Die Gesellschaft möchte ansonst
leicht dazu bewogen werden, unter den holländischen Capitänen einen
Stellvertreter für Euch zu erwählen. =Quod notandum!=«

Tormerpick führte sich mit verschiedenen Gemeinplätzen und
oberflächlichen Bereitswilligkeits-Versicherungen ab. Der Superior
sandte ihm noch einige Anmerkungen nach, und sagte alsdann zu dem
Doctor: »Pater Münzner! ich bin nicht sehr mit Ihnen zufrieden. Sie
sehen dem Schiffs- und Speditoren-Volk nicht genugsam auf die Finger.
Sie schaden dadurch den Benefizdividenden unserer Gesellschaft; sind
auch zu nachsichtig gegen mangelhafte Zahler, sind auch zu freigebig
gegen Arme. Ihr Almosenbuch, das ich heute durchblätterte, strotzt von
Ausgaben aus Ihrer Cassa. Das geht nicht. Almosengeben mit billigem
Maaß und Ziel ist nützlich; es empfiehlt; es bindet. Die diesem Zwecke
entsprechende Quelle muß jedoch aus den Taschen christlicher Wohlthäter
in den Sack der Armuth geleitet werden; nicht aus dem Vorrathe der
Gesellschaft, die nur verstattet, größere Summen herzuleihen, welche
doppelten und dreifachen Zins zu tragen versprechen. Ich glaube, wir
thun ohnehin schon genug an der Menschheit. Nebenbei, mein lieber
Pater, verschwenden Sie Ihre Freigebigkeit an Unwürdige. Was soll zum
Beispiel die namhafte Unterstützung bedeuten, die Sie einem Comödianten
zugewendet haben? In der That, -- wäre mir Ihr reiner Sittenwandel
nicht bekannt, ich würde vermuthen, der Comödiant sei im Besitze eines
hübschen Weibes.«

Der Doctor, seinen Verdruß bezwingend, erzählte sein Zusammentreffen
mit Litzach. Der Superior beruhigte sich. »Ein Zögling der
Gesellschaft?« sagte er alsdann: »das ist etwas Anderes. Das war ein
Ehrenpunkt. Was soll aber mit dem liederlichen Subjecte werden? Es
darf nicht faullenzen. Man muß ihm Beschäftigung geben. War er ein
guter Akteur, so muß er in zwanzig Kleider passen. Ich werde darauf
denken. Nun aber ein Weiteres, mein Bruder und Freund im Herrn. Sie
sind einer großer Lauheit im Bekehrungsgeschäfte angeklagt worden. Sie
wollen nur diejenigen, wie ich höre, in den Bund der Kirche aufnehmen,
an welchen Ihr Gemüth einigen Antheil nimmt. Sie haben verschiedene
Bekehrungen der Lainez getadelt, stehen sich überhaupt mit der artigen
Wittib nicht zum Besten. Nehmen Sie sich in Acht. Die Lainez hat sich
bitter beschwert. Sie wissen, was die Person bei dem Provinzial gilt;
Sie stellen sich einer empfindlichen Demüthigung blos. Der Lainez
darf Nichts geschehen; weder von Ihnen, noch von dem jungen White,
der sie quasi verächtlich behandelt. Es ist freilich, in Betreff des
Provinzials, gut, daß der junge Mensch sie nicht _liebt_, allein
_hassen_ soll er sie eben so wenig. -- Kein Wort der Erwiderung, Pater
Münzner. Wir sind völlig über obige Punkte aufgeklärt worden, und es
sollte uns leid thun, Ihrer in unserem Berichte nach Rom ungünstig
erwähnen zu müssen. Den Provinzial ... =hunc tu amice caveto!= wie der
Heide sagt. =Satis= von obigem Gegenstande. Ein Weiteres. Wie steht es
mit dem Senator?«

»Wohl;« versicherte der Doctor mit freierer Brust: »Die projektirte
Heirath wird in sich selbst zerfallen. Ein seltsamer Gespensterglaube
hat sich in's Mittel geschlagen, um --«

»Gleichviel;« schaltete der Superior ein: »jedes Mittel taugt. Für's
Erste, natürlicher Weise, lehrt die Klugheit, alle Umstände so zufällig
als möglich zu combiniren; hilft aber der Alltagsgang zu nichts, dann
mögen spanische Fliegen angewendet werden. Ich habe der Lainez die
Instruction gegeben, in dem Hause des Senators alle Minen anzuzünden,
um das sonderbare Gänschen von Tochter zu stimmen. Ich habe, im Namen
der Gesellschaft, eine wahre Passion auf ihr Vermögen.«

»Zu Ihrem Troste darf ich Ihnen also sagen,« -- versetzte der Doctor,
über des Vorgesetzten heißhungrigen Geiz seufzend, »daß Justinens Vater
mir sein Wort gegeben, daß der Amerikaner _nicht_ sein Schwiegersohn
werden soll.«

»=Quod sufficit.= Indessen geht die Zeit hin, und die Lainez wird schon
das Uebrige thun.«

Während Beide nun hingingen, völlig überzeugt, der Senator folge ihren
Eingebungen unbedingt, fertigte dieser einen Brief nach Liebkirchen
an den Prediger ab, um die Hochzeit geheimnißvoll vorzubereiten.
Nothhaft schien von der Erde verschwunden, und das Schweigen über
die Heirathssache wurde vortrefflich bewahrt. Die Senatorin, welche
befürchtete, um der Geistergeschichte willen ausgelacht zu werden,
sah ihre Muhmen nicht bei sich. Die Männer beobachteten das Geheimniß
unverbrüchlich. Justinens Zunge, -- sie konnte wohl sonst verschweigen
-- brach zuerst das Siegel. Mit der Lainez, die in dem Hause eingezogen
war, auf ihrem Zimmer arbeitend, und über die Geisterhistorie lachend,
sagte sie im Uebermuthe ihrer neu erwachenden Zufriedenheit: »Mit der
Entlarvung des Spucks kam Alles wieder in's Geleise, und diese Wäsche,
an welcher wir arbeiten, meine Beste, ist mein Brautzeug. Ich werde
Herrn Birshers Frau. --«

Die Lainez erschrak; faßte sich, und erfuhr nach ein Paar
gleichgültigen Fragen auch das Nähere aus dem Munde der Braut.


Zweiter Abschnitt.

  Die Unglücksprophetin. -- Das Bild in der Kapsel. -- Gewitter
  im Brautstande. -- Der Magister. -- Morgenbesuch bei der Braut.
  -- Trauliche und böse Stunde. -- Angst des Senators. -- Er und
  seine bösen Engel. -- Das schreckliche Billet. -- Todesschrecken;
  übereiltes Versprechen; listige Hülfe. -- Seelenverkauf. -- Birsher
  und Nothhaft. -- Hiobsposten. -- Die Predigt mit Donner und Blitz.
  -- Schande und Arrest. -- Wundergleiche Rettung. -- Die Lainez
  erscheint. -- Der Thurm von St. Paul. -- Hoffnung durch den Freund.
  -- Der Balsamhändler. -- Zehn Uhr.

Das Leben im Hause des Senators hatte sich anders und besser gestaltet.
In den Familienvater war die Spannung und Kraft zurückgekehrt, die auf
_einen_ bestimmten Zweck hin arbeitete: auf das Glück seines Kindes,
auf seine eigene Beruhigung zugleich. -- Die Senatorin schien in die
ehemalige Lebensweise zurückgetreten; apathisch wie vordem, allein der
begonnenen Feindseligkeit gegen den Ehegatten entrathend. Justine war
zufrieden. Sie begriff, daß Georg Birsher, wenn sie ihn auch nicht
mit jener Leidenschaft liebte, welche das Ziel jugendlichen Sehnens
ist, nicht ermangeln würde, ihre billigen Ansprüche auf eheliches
Glück zu erfüllen, und daß er geeignet sei, mit seinem besonnenen,
ruhigen und klaren Wesen Hand in Hand mit ihr, der starken, nicht an
Schwärmerei noch Idealen hängenden Jungfrau zu gehen. Ein Gedanke trug
noch Vieles zu ihrer Beruhigung und Zufriedenheit bei. Sie fühlte in
ihrem Innern, daß sie sich als Opfer für irgend eine Ungerechtigkeit,
die ihr Vater an dem alten Birsher begangen, hinzugeben habe; sie
fühlte, daß der Senator mit Verlangen ihrer Verbindung entgegensah; er
hatte von einer heiligen Schuld gesprochen, und sie war stolz darauf,
die Zahlerin derselben zu sein. Die Besuche, die ihr Herr Georg Tag
für Tag zweimal abstattete, machten sie immer mehr und mehr mit den
edeln Eigenschaften bekannt, deren sich sein Herz rühmen konnte, und
wenn gleich Schüchternheit und Convenienz ihr verboten, dem Verlobten
die volle Achtung zu zeigen, die sein Benehmen ihr abzwang, so
entschädigte sie sich dafür in ihren Gesprächen mit der Lainez, die
gutmüthig und freundlich dem Lobe zuhörte, das die Braut dem Bräutigam
spendete, und ihr eine Theilnahme zeigte, welche die Mutter nicht
äußerte, weil sie dieselbe nicht empfand. Unbemerkt nahmen indessen die
Unterredungen eine andere Wendung. Die Lainez, obgleich die Verbindung
mit dem Amerikaner höchlich billigend, stimmte allgemach das Lob des
ungebundenen fessellosen Lebens an.

»Glauben Sie nicht,« sagte sie einst, da Justine sich mißbilligend
dagegen ausgesprochen hatte, »daß ich den mindesten Zweifel wider den
Beruf hege, den der gute Herr Birsher verspürt, Ihr Mann zu werden.
Ich halte ihn für einen rechtschaffenen Mann; für denjenigen, der das
Glück zu schätzen weiß, das ihm in Ihnen zu Theil wird. Aber, -- beste
Mademoiselle, -- erlauben Sie, daß meine Erfahrung Sie nicht ungewarnt
lasse. Ich lebte in einer glücklichen Ehe, geliebt von einem jungen,
schönen, mit Rang und Ehre begabten Manne; ich wurde von ihm auf den
Händen getragen; aber dennoch fühlte ich oft recht schmerzlich den
Verlust meiner Freiheit. Die Gattin, der Gewalt des Mannes unterworfen,
darf keinen Schritt mehr nach ihrem Kopfe thun; denn die Männer haben
die Gesetze gemacht. Die Frau bleibt vor den Augen der Welt nichts
mehr und nichts weniger als eine ledige Zugabe des Gatten, der sie mit
seiner Ehre bekleidet; eine trügende Sonne, die ihre Strahlen von dem
Gestirne, woran sie geknüpft ist, entlehnt, und untergehen muß, sobald
der Herrscherstern verlischt, oder ... was nicht selten geschieht,
-- eine abweichende Bahn zu beschreiben für gut findet. Unvermählt,
gibt Jugend und Schönheit uns einen Rang, auf welchen oft Fürstinnen
neidisch herniedersehen; verheirathet, legen wir den Scepter der Reize
nieder, um die Sklavin eines -- wenn auch geliebten -- Herrn, unsrer
Wirthschaft, unserer Kinder, unsers Rufs zu werden, und in Dunkelheit
ein Leben zu enden, das oft so reizend, so vielversprechend begann.«

»Ei, gute Frau, welche Reden?« sagte Justine verwundert und
empfindlich: »Ihre Gedanken fliegen hoch. Ihre Prophezeihung soll aber
an mir zu Schanden werden. Halten Sie mich für das schwache Geschöpf,
das sich unterjochen lassen, oder Herrn Birsher für den Mann, der
solche Erniedrigung begehren würde? Wenn, -- verzeihen Sie mir, --
der Capitän Lainez, gewohnt, anderthalbhundert Menschen mit Sack und
Pack nach seinem Wort zu leiten, diese militärische Tyrannei in sein
Hauswesen übertrug, -- so machen's die Herren vom Degen nicht anders.
_Ich_ soll jedoch die Associée eines friedlichen Kaufmanns werden, die
Gefährtin seines Glücks, nicht die Magd seiner Bequemlichkeit, und,
wenn die Wagschale einer gewissen Herrschaft auf _eine_ Seite schwanken
sollte, so müßte es die _meinige_ sein; darauf gebe ich Ihnen mein
Wort.«

Die Lainez lächelte, zuckte die Achseln. »Wir werden ja sehen!« sagte
sie einsylbig. -- Justinen genügte dieses nicht.

»Sie sollen die Sache nicht unentschieden lassen,« sagte sie lebhaft:
-- »Sie müssen sich _mir_ gefangen geben, oder mich gefangen nehmen.
Mein Charakter ist leicht zu erkennen, zu ergründen. Glauben Sie etwa,
er passe, trotz seiner Gewohnheit, Alles durchzusetzen, unter das Joch,
dessen Sie erwähnten?« --

»Fürchten Sie sich vor einem härtern, unerträglichern,« entgegnete
Lainez hastig: »Sie gehen mit der Unbefangenheit, -- ich möchte
sagen, -- Unbesonnenheit einer zuversichtlichen Jugend einem Bunde
entgegen, zu welchem, wie Sie es auch läugnen wollen, das Herz,
die Neigung, Sie nicht zieht. Sie werden blindlings die Frau eines
Mannes, der Ihnen nicht mißfällt, den Sie aber auch nicht lieben.
Diese Leidenschaft bleibt jedoch nicht aus. Wehe Ihnen, wenn in Ihr
beschränktes, einförmiges Leben einst der Mann tritt, der Ihre Gefühle
mit Siegergewalt an sich reißt; der es versteht, Sie, die Unbewachte,
zu bezwingen. Hätten Sie auch die Obergewalt in Ihrem Hause errungen --
vor dem Fremdling müßten Sie dieselbe niederlegen!«

Justine sah, bis unter die Haare erröthend, die Lainez starr und
verwundert an: verzog dann spöttisch den Mund, und erwiderte: »Sie
sprechen Dinge aus, woran meine Seele bis jetzt noch nicht gedacht.
Sollten auch diese zu Ihren Erfahrungen gehören? Sorgen Sie nicht für
mich: die _Ehre_ ist der Harnisch, der mich gegen den Versucher wappnen
soll.« --

Die Wittwe verstand sehr wohl die rauhe Antwort; sie erhob sich schnell
und gekränkt von ihrem Stuhle, schob die Arbeit von sich, und trat an's
Fenster, Justinen stumm und beleidigt den Rücken kehrend.

Das Mädchen bemerkte, schnell bereuend, den Eindruck, den seine Worte
gemacht. Es näherte sich -- den Vorwurf fühlend, einen unglücklichen
Gast gekränkt zu haben, -- der Französin. Zaudernd überlegte Justine,
wie sie wohl die Verletzte anzureden habe; -- da gewahrte sie, an dem
Stuhle der Lainez niederblickend, ein Papier, das der Aufstehenden
entfallen war. Sie hob es auf, trat zu der Wittwe, und sagte ihr
freundlichernst: »Hegen Sie keinen Groll gegen mich. Ich bedenke nicht
lange, was ich sagen will. Es that mir aber leid, Ihnen so unsanft
geantwortet zu haben. Vergeben Sie, und nehmen Sie ihren Platz wieder,
wie dieses Papier, das Sie verloren.«

»Sie sind ein heftiges, liebes Kind,« entgegnete die Lainez, und
wendete die Augen voll Thränen der Reuigen zu: »Wer wollte Ihnen
nicht vergeben?« Sie umarmte dabei Justine, und drückte, zum ersten
Male, Küsse auf die Stirne, die Augen und den Mund des Mädchens, die
wie Flammen brannten, und Flammen auf Justinens Antlitz riefen. Dann
fuhr die Französin, ruhig werdend, zu der Errötheten fort: »es ist
möglich, meine liebliche Freundin, daß ich mich, von Besorgniß für
Ihr Wohl ergriffen, mancher Ausdrücke bedient habe, die Sie auf den
Argwohn führen konnten: es sei mir darum zu thun, Ihren Geist, Ihr
Herz in Unruhe zu versetzen, und gewissermaßen den Versucher selbst zu
spielen. Verbannen Sie dieses Mißtrauen! Glauben Sie an meine harmlose
Zuneigung. Dieses Papier, das Sie mir reichen, das mir entfiel, führt
den Beweis für mich. Es ruht seit vorgestern in meiner Tasche, und
ich zeigte es Ihnen nicht, um Ihre Ruhe zu erschüttern. Jetzt aber,
da der Zufall es in Ihre Hände gegeben, da ich nun weiß, wie fest
Ihre Entschlüsse stehen, mögen Sie es eröffnen, und sich von meiner
Diskretion überzeugen.«

Justine that neugierig und gespannt, wie ihr die Lainez hieß. Bekannte
Schriftzüge. Sie las dieselben. Ihre Hand zitterte, aber ihr Auge,
verrätherischer vielleicht, als ihre Hand, wich nicht von der Schrift,
bis sie zu Ende war. James, der aus Justinens Nähe verwiesene James
schrieb:

»Wie auch immer Ihre Gesinnung, Madame, sich gegen mich entschieden,
-- ich sende Ihnen diese Zeilen: Saatkörner, die auf ein wirthliches
Feld fallen mögen, wenn Gott es will. Sie leben, wie ich höre, bei
_Ihr_! Sie wohnen in dem Paradiese, aus dem mich leichte Schuld und
eine allzustrenge Tugend verbannt hat! Sie athmen die Himmelsluft, und
ich erstickenden Nebel, der mein Glück mit dem Trauerflor eines ewigen
Scheidens bedeckt. Wollen Sie, die Reiche im Schooß der Seligkeit, dem
Armen in dem Gefühle der Verzweiflung einen kühlenden Tropfen versagen,
daß seine brennende Lippe sich labe? eine einzige Wohlthat, die Ihnen
nur ein Wort der Fürsprache vor dem Throne der Gnade kostet? Madame,
Sie retten mich vom zeitlichen, wie vom ewigen Tode, wenn Sie mir mit
einer Sylbe sagen, daß _Sie_ mir vergiebt!«

Justine legte das Blatt auf den Tisch, zog ihr Schnupftuch hervor,
und ging schnell in das Cabinet. Nach einigen Augenblicken kehrte sie
wieder; sie hatte geweint, aber die Thräne getrocknet; ihre Wange
war blaß, aber ihr Gang sicher. Sie sagte zu der Lainez: »Nehmen Sie
diesen Brief wieder zu sich; und erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken,
daß Sie hart und grausam handelten, indem Sie mir den Brief nicht
mittheilten. Was besorgten Sie für mich? Meine Brust ist ruhig, völlig
ruhig; ich versichere es Ihnen. Aber das Gehirn des jungen Schwärmers,
der von seiner trügerischen Gelassenheit völlig Abschied genommen zu
haben scheint, ... welche Marter hat er vielleicht in den Paar Tagen
ausgestanden -- eine Antwort ersehnend, und keine erhaltend? Schreiben
Sie ihm, gewissenhafte Frau. Sagen Sie ihm, daß ich versöhnlich bin:
unter der Bedingung, daß er vernünftig sei, und ferner rechtschaffen
handle. --«

»Sie sind ein Engel!« erwiderte die Lainez mit vielem Aufwand von
Affekt: »ich wagte nicht, hier Fürsprecherin zu sein, und nun ... ja
wahrlich: mein Brief wird Balsam für den Armen sein. Gut indessen, daß
er, -- wie die Sachen abgeredet sind, -- nicht erfahren kann, daß, und
wie bald schon Sie sich vermählen. Welch ein Sturm auf seine heftigen
Gefühle! Vernimmt er die Nachricht, nachdem sich bereits Alles begeben,
wird er sie leichter tragen. Denn was einmal geschehen...«

»Ich verstehe Sie nicht,« unterbrach sie Justine, die Augen starr auf
die Arbeit geheftet: »Sie reden wieder in Räthseln.«

»Ei, Mademoiselle,« versicherte die Lainez lustig: »Ihr Scharfsinn
und Ihre Weiblichkeit wären mir ein Räthsel, wenn Sie nicht errathen
hätten, daß der junge Mann sterblich in Sie verliebt ist.«

»Madame Lainez!«

»Mademoiselle Müssinger! Sie werden abermals heftig und ungerecht. Ich
will lieber schweigen.«

»Was halten Sie von Monsieur White?« fragte Justine, nach einer langen
Pause; »Sie kennen ihn, glaube ich, genauer.«

»Wie Elias seine Versorger in der Wüste. Er war mein Wohlthäter; kam
und ging, je nachdem sein Pflegevater meiner Armuth gedachte.«

»Diesen Pflegevater,« nahm Justine schnell das Wort auf: »diesen
Pflegevater -- Sie kennen ihn?«

»Ich habe ihn nie gesehen.«

»Er war neulich ein Gast meines Vaters; der Doctor mit der großen
Perücke war's.«

»So? hätte ich das gewußt! Und der edle Mann, der doch meinen Namen
hörte, verrieth sich gegen mich mit keine Sylbe....!«

»Das war sehr männlich und gut. Ich gäbe jedoch etwas darum, könnte ich
von dem Doctor etwas Näheres erfahren.«

»Welche Theilnahme! Wenn Sie es wünschen, so soll Herr White uns morgen
schon die nächste Auskunft geben.«

»Welch' ein Gedanke! Monsieur White wäre der Letzte, den ich zu diesem
Zwecke auffordern würde.«

»Ihre Gründe?«

»Mein Geheimniß.«

»Ich bescheide mich. Wenn Sie jedoch an der Bereitwilligkeit des jungen
Herrn zweifeln sollten, so bürge ich Ihnen, diesem Brief zufolge,
dafür. Aus diesen Zeilen spricht viel Hingebung. Ich bin überzeugt --
Ihnen zu Gefallen -- würde er sich den Pfeilen einer amerikanischen
Horde mit so vielem Muthe aussetzen, als der heilige Sebastian es that,
um den Himmel zu gewinnen.«

»Welch' ein Gleichniß! Madame: Ihre Scherze sind stumpfe Pfeile.«

»Eine Braut findet Alles langweilig. Uebrigens, meine gute Dame,
werde ich wohl meinen armen Sebastian und die wunderschöne verlassene
Pulcheria nimmer zu sehen bekommen? Finden Sie Geschmack daran, meine
Bilder zu behalten?«

»Warum nicht gar?« versetzte Justine ein bischen verlegen: »ich muß
gestehen, daß ich das Medaillon gänzlich vergessen habe.«

»Geben Sie es mir zurück.«

Justine suchte verlegen in den Taschen. »Ich habe den Schlüssel zu
meinem Schranke verlegt. Ich werde ihn holen.«

Die Lainez lächelte. »Recht, meine Liebe,« sagte sie: »bringen Sie
nur zugleich das Bild mit. Ich will Ihnen sagen, wo es sich befindet.
Sie haben es zwischen Myrthen aufgestellt, und ihm ein liebliches
Tempelchen hergerichtet; traulich, ungestört, denn Mama und Papa lieben
die Blumen nicht sonderlich, und der Wärterin dieser Sommertöchter ist
es unverwehrt, dort im sichern Versteck ihren stillen Gottesdienst zu
halten.«

»Abscheulich!« rief Justine: »bin ich eine Götzendienerin? Auf der
Stelle sollen Sie das Bild haben, das ich in der That an jenem
Platze vergessen habe.« -- Sie eilte rasch davon, und brachte, etwas
verdrießlich und gereizt das Medaillon.

»Hier, Madame, haben Sie Ihr Pfand zurück.«

Die Lainez nahm es gleichmüthig, und ging damit zu einem Kästchen,
das ihre Papiere, und einige aus dem Sturme ihrer Verhältnisse
gerettete Angedenken einer bessern Zeit enthielt, und öffnete es.
Während sie ein Futteral hervorholte, in welches sie das Medaillon
verschloß, und dasselbe in die Chatouille niederlegte, sagte sie
scherzend: »Es ist gleichwohl besser gewesen, daß dieses Bild unter
jenen Myrthensträuchern und nicht an Ihrem Busen vergessen wurde,
Mademoiselle.«

»Wie so?«

»Hm! es soll eine Eigenschaft besitzen, die...«

»Und welche?«

»Die alle diejenigen, welche das Bild tragen, zwingt, katholisch zu
werden, oder es zu bleiben.«

»Welche Posse!«

»In der Kapsel liegt eine Reliquie des heiligen Kreuzes. Diese mag das
Wunder wohl bewerkstelligen. Aber die Wirkung soll unläugbar sein.
Darum wird es,« setzte die Lainez ernsthafter hinzu, »besser sein,
wenn ich das Zauberbild nicht mehr am Halse trage. Es möchte sonst aus
meiner Bekehrung zu Liebkirchen nichts werden.«

»Sie sprechen etwas leichtfertig von der Wohlthat, wozu ich Ihnen
verhelfen will, meine Schutzbefohlene. Um Sie von dem Aberglauben,
wovon Sie sprachen, zu heilen, wollte ich wohl dieses Bild auf meiner
Brust tragen, so lange Sie es begehren, ohne von dem thörichten
Schwindel ergriffen zu werden, dessen Sie erwähnten.«

»Es käme auf die Probe an,« sagte die Lainez leichtsinnig: »hier ist
das Bild;« sie nahm es aus dem Kästchen: sammt der geweihten Kapsel.
»Getrauen Sie sich, das übermüthige Wort zu bewähren?«

»Geben Sie her!« erwiderte Justine eben so leichtsinnig und trotzig:
»ich verspreche Ihnen sogar, nicht einmal die Kapsel zu öffnen, und
die Wunderkraft der Reliquie, wie die Neugierde zumal zu besiegen: ein
doppelter Triumph, der Sie von meiner Ausdauer überzeugen soll!«

»Recht so, meine kleine Heldin!« rief die Lainez, und hing dem Mädchen
das Bild um den Hals. »So reizend sich nun wohl dieses rabenschwarze
Sammetband auf dem prachtvollen Nacken ausnimmt,« setzte die
Schmeichlerin scherzend hinzu, »so wollen wir das Medaillon sammt Band
doch sorgfältig unter dem Schleiertuche des Mieders verstecken. Mama
könnte neugierig und ungehalten werden -- erführe Sie den Scherz!«

Justine gab ihr Recht und ließ die Wittwe gewähren. Der bald darauf
eintretende Bräutigam unterbrach das fernere Gespräch über obigen
Gegenstand.

Die Lainez, um die Unterhaltung der Brautleute nicht zu stören, ging
aus, und nach und nach versammelten sich der Senator und seine Frau in
Justinens Stube. Die Mama belobte die feine Arbeit der Französin, die
Geschicklichkeit, mit welcher dieselbe die Spitzengarnitur angebracht;
der Vater pries die stille Anspruchslosigkeit der neuen Hausgenossin;
Georg schüttelte jedoch den Kopf und sagte: »Die Unglückliche,
Heimatlose verdient mein Mitleid und meine Achtung. Mir ist es jedoch
angenehmer, daß sie nach Berlin zieht, während ich und Justine nach
Amerika ziehn. Französische Nachbarschaft thut weder der Deutschen noch
dem Engländer in die Länge gut. Mich freut es indessen, bei dieser
Gelegenheit die Herzensgüte meiner tugendsamen Braut kennen gelernt
zu haben. Wer sich so freundlich einer Fremden, Hülfsbedürftigen
anzuschließen versteht, wird den Verwandten nimmer fremd werden, den
Gatten stets lieben, die Kinder stets sorglich pflegen. Ich billige es
auch sehr, daß Sie, Herr und Frau Senatorin, diesem Hang zum Wohlthun
keinen Zwang entgegensetzten.«

»Sie ist das einz'ge Kind;« sagte der Senator lächelnd.

»Sie thut immer, was sie will;« fügte Jacobine langweilig hinzu: »wir
sind es schon an ihr gewöhnt, und es wäre nicht mit ihr auszukommen
gewesen, hätten wir nicht die Landstreicherin, von der Niemand das
Geringste weiß, im Hause geduldet. Freilich hat die Syndikussin sie
empfohlen, wie das Töchterchen sagt; aber ihr Köpfchen hatte der
Empfehlung nicht bedurft.«

Die Senatorin schwieg, von der langen Rede erschöpft, und alle
schwiegen mit ihr. Justine grollte über die ihr zugefügte Beschämung;
der Senator über die geringe Lebensart seiner Frau; Georg überlegte,
und sinnend ruhte sein Auge auf Justinen.

»Sind Sie so herrschsüchtig?« fragte er plötzlich, und legte seine Hand
auf Justinens arbeitende Rechte: »spricht Ihre Mutter wahr?«

»Monsieur....« stammelte Justine, nach einer Antwort suchend.

»O gewiß,« fuhr Georg offenherzig fort: »gewiß scherzte Ihre Mutter
nur. In diesen Augen, in diesem Gesicht, das nur Ruhe und Festigkeit
ausdrückt, suche ich vergebens nach Trotz und Eigensinn. Nachgiebigkeit
und Sanftmuth schmücken ja die Frau. Durch diese Eigenschaften regiert
sie den Mann, und erhält ihre Reize.«

»Sie predigen frühzeitig, mein Herr!« versetzte Justine, ihn scharf von
der Seite anblickend.

»Man verständigt sich nie früh genug;« sagte er hierauf ohne
Heftigkeit: »es ist besser, sich zuvor zu kennen. Unser Brautstand ist
kurz: wir können _ihm_ nicht vertrauen. Wir sind riskirende Kaufleute,
schließen einen Handel auf Treu und Glauben, ohne Assekuranz. Sein Sie
daher offenherzig, wie ich, meine Liebe. Despotismus in der Ehe werde
ich nicht tragen, der Launen Knecht nicht sein. Ich biete _Ihnen_ keine
Eisenketten. Wollen Sie _mich_ damit binden? Sagen Sie mir's, damit wir
Beide unser Glück und unsere Freiheit retten.«

»Sie führen seltsame Discurse, worauf ich nicht antworten kann;«
antwortete Justine sehr spitzig, erhob sich und verließ mit ihrer
Arbeit das Zimmer.

Georg sah die Zurückbleibenden verdüstert und fragend an. Die Eltern
schlugen beschämt die Augen nieder. »Sehen Sie, mein Werthester,«
begann der Senator sich räuspernd: »das Frauenzimmer ist hier zu Lande
der Galanterien, die von den Wälschen kommen, mehr gewöhnt, als der
amerikanischen Freimüthigkeit. Ich möchte Ew. Edeln nicht das Consilium
geben, auf dem durchgreifenden Tone zu beharren, sintemalen das Kind
noch in der Welt so fremd und unerfahren...«

»Ich merke wohl, wo es hier fehlt;« sagte Birsher lächelnd: »es thut
jedoch nichts, wenn nur das Herz gesund und gutgeartet ist. Sie
wird sich an meiner Fassung, an meiner Aufrichtigkeit ein Beispiel
nehmen, und alsdann die Härten mildern, die ihr noch aus der früheren
Jugend ankleben. Könnte ich das Gegentheil voraussehen, so würde ich
es, so weh mir es thäte, vorziehen, Ihnen, Herr Senator, Ihr Wort
zurückzugeben.«

Der Senator erschrak: »Ew. Edeln scherzen wohl;« sagte er, von dem
Gewissen angeregt.

»J nu;« entgegnete Georg lächelnd: »wer weiß, ob Justine mir das
Meinige nicht zurückzugeben gedenkt. Das arme Kind ging sehr böse von
hier, und scheint eine hartnäckige Feindin zu sein, wenn sie den Krieg
erklärte.«

Der Senator war verlegen. Die Senatorin versetzte jedoch sehr ruhig
und treffend: »Sorgen Sie nicht, geehrter Herr Schwiegersohn. Justine
ging nicht, ohne das Brautmieder, woran sie arbeitet, mit sich zu
nehmen. Mit diesem beschäftigt, ist's den Mädchen mit dem Groll nicht
Ernst.«

»Sie beruhigen mich, geehrteste Frau,« entgegnete Birsher: »ich hoffe
wieder, will aber, da ich das Scharwenzeln um die Jungfern nicht leiden
kann, auf morgen die Versöhnung verschieben.«

Ein Weibel des Raths erschien, und überbrachte dem Senator die Weisung,
am folgenden Tage Punkt neun Uhr auf dem Rathhause zu erscheinen.

»Ist denn morgen eine außerordentliche Sitzung?« fragte Müssinger
verwundert; »warum eine Stunde früher, als sonst?«

»Der wohlehrsame und weise Herr Senator sollen zuvor vor Sr.
Magnificenz dem amtirenden Herr Bürgermeister privatim vernommen
werden,« lautete die Antwort des abgehenden Rathsboten. Der Senator
schwieg sinnend und staunend; die Senatorin wurde bald bleich, bald
roth, und sah ihren Mann scheu von der Seite an. Georg sah sich hier
überflüssig, und empfahl sich, nicht minder gedankenvoll.

Er begab sich nach seinem Gasthofe zurück. Die Reden der Senatorin,
das Betragen der Braut hatten auf den geraden Mann einen gefährlichen
Eindruck gemacht. Das Ideal häuslicher Glückseligkeit, das er sich
in einsamen Stunden entworfen, das er an Justinens Seite zu finden
gehofft, schien ihm plötzlich eben nur Ideal zu sein und zu bleiben.
So manche schielende Bemerkung, die er aus dem Munde der Gastwirthin
über Justine sowohl, als das Hauswesen des Senators überhaupt vernommen
und bis jetzt überhört, gewann mit einem Male Gewicht und Bedeutung.
Ein schmeichelnder Traum, der seine Sinne und sein Urtheil umzogen,
fiel stückweis vor ihm, der zu erwachen vermeinte, zusammen. In großen
Mißmuth versunken, betrat er sein Zimmer, und suchte an seinem Fenster,
das die Aussicht auf die vom Abendstrahl beleuchtete unferne Mailbahn
mit ihren Spaziergängern gewährte, Unterhaltung, Zerstreuung. Ein
leises Klopfen an der Thüre erregte seine Aufmerksamkeit, zog sie von
der Aussicht ab. Auf sein »Herein!« kam demüthig grüßend und gebückt,
ein ältlicher Mann mit kummervollen Zügen, in schwarzen Kleidern, mit
einem schüchternen: »Guten Abend, mein Herr!« in das Zimmer.

Georg hatte nicht so bald den unbekannten Besuch mit dem Blicke
gemessen, als er auch in ihm einen jener reducirten Schullehrer oder
grau gewordenen vacirenden Candidaten zu sehen glaubte, die dazumal
häufig von Stadt zu Stadt wanderten, ein ärmlich Stück Brod suchten,
und sowohl auf den Kanzleien, bei Pfarrern und Gutsbesitzern, als auch
in Gasthäusern bei wohlhabenden Fremden ein Viaticum zu erbetteln
pflegten. Der Amerikaner, dem ähnliche Figuren bereits in Deutschland
vorgekommen waren, griff mitleidig in die Westentasche. Der Fremde
verstand diese Geberde, und eine versagende Bewegung seines Kopfes
und seiner Hand verrieth dem Freigebigen, daß es hier auf seine
Geldwohlthat nicht abgesehen sei. Er ließ daher die milde Hand sinken,
und fragte artig und zuvorkommend, was denn wohl zu den Diensten des
Schwarzgekleideten stehe. Der Mann richtete sich besser empor, trat
näher, und fragte mit einer sehr weichen Stimme entgegen, ob er die
Ehre habe, mit Herrn Georg Birsher von New-York zu sprechen.

»Ich bin's, Herr. Ihr Anliegen?...«

»Ist lediglich ein Anliegen, das sich an Ihre Großmuth richtet. Ich
frage nicht nach Ihrem Gelde, mein Herr; ich erkundige mich nur nach
Ihrem Herzen.«

Birsher staunte, und wies dem Fremden einen Sessel. Der Mann setzte
sich und fuhr fort: »Man hat Sie als einen wackern, streng rechtlichen
Herrn geschildert, der wenig Worte zu machen, aber desto mehr zu
handeln pflegt. Da habe ich den Muth gefaßt, Sie auf die Probe zu
stellen.«

»Sonderbar! wie so?«

»Ich befand mich gestern zu Liebkirchen; wohne eigentlich zu Faldern,
und habe den Herrn Pfarrer und Inspektor in ersterem Orte besucht. Se.
Ehrwürden, die gerne lustig und guter Dinge sind, und einen frohen
Schmaus so sehr liebend, als es sich mit Ihrer Würde verträgt, sagten
zu mir: Magister, wenn Sie sich =bene= thun wollen, -- so kommen Sie
nächsten Dienstag. Es giebt hier eine Copulation, die sich fideliter
endigen wird. Der Bräutigam ist reich, der Brautvater nicht minder, und
lustig obendrein. Ein splendides Carmen von Ihrer Hand würde seinen
Zweck nicht verfehlen, und Ihnen silberne Früchte und Wein und Kuchen
nach Herzenslust eintragen. -- Sie wissen vielleicht, mein Herr, daß
wir stellenlose Magister unser Zeitliches sauer und schmal zu verdienen
haben, und daher Hochzeiter und Kindtaufen nachziehen, wo sich solche
auch begeben. Ich freute mich daher und fragte nach den Namen des
verehrtesten Brautpaars, damit ich solche in dem Epithalam gebührender
Weise einfließen lassen möchte. Da nannte mir der ehrwürdige Herr
Inspektor die Namen: Herr Georg Birsher, Kauf-und Handelsmann aus
New-York, und die tugendbelobte Jungfer Justine Müssingerin, des
Kaufherrn und Senators eheliche Tochter allhier. Ich stutzte zwar,
verbarg jedoch dem Herrn Pfarrer mein Erstaunen, habe mich indessen
eiligst auf den Weg gemacht, um, Verehrtester, aus Ihrem Munde zu
hören, ob sich wirklich die Sache also verhalte.« --

»Der Herr Pfarrer, auch Inspektor, ist ein Schwätzer; Herr Magister.
Er sollte nicht plaudern. Da Sie jedoch einmal unterrichtet sind, so
mag ich's nicht läugnen, unter der Bedingung, daß Sie verschwiegener
sind, und ein recht fröhliches Hochzeitlied liefern. Sie sollen dann
zufrieden sein.«

»Zufrieden?« sagte der Magister, indem er seufzend und mit gefurchter
Stirne aufstand: »wie kann ich lächeln, da ich traurig bin? heißt es in
irgend einem Psalm. Zu _dieser_ Copulation kann ich kein Hochzeitcarmen
fertigen.« --

»So? Und warum nicht, wenn's beliebt?«

»Ich will lieber ein Leichengedicht machen, und einen Sarg bestellen.
--«

»Herr! Sie sind ohne Zweifel im Kopfe nicht gesund.«

»Doch; doch, Verehrtester. Allein ein Mensch, der mir nahe angehört,
steht am Rande des Wahnsinns, am Rande des Grabes; und er taumelt
hinein, sobald der Inspektor zu Ihrer Trauung läuten läßt. --«

Dem Bräutigam wurde immer unheimlicher zu Muthe. Er starrte den
seltsamen Magister an, rieb sich die Hände, -- faßte sich nun
gewaltsam, und versetzte: »erklären Sie sich, Herr. Ich bin kein Kind,
sondern ein Mann, mit dem sich das ernsteste Wort deutlich und ohne
Umschweif reden läßt. Von welchem Menschen sprechen Sie, und welchen
Bezug hat meine Ehe auf denselben?«

»So hören Sie. Mein ehemaliger Zögling, der junge hoffnungsvolle Mann,
ein Engländer von Geburt, -- ein Baronet -- unglücklich, aber brav --
liebt -- liebt Dero Jungfer Braut.«

»So? das thut mir leid um meines Landsmanns willen. Er lasse sich
indessen die Thorheit vergehen. Wo nicht Ansprüche sind, gilt die
einseitige Leidenschaft nichts.«

»Keine Ansprüche? Ach, er hat die gültigsten; denn Jungfer Justine hat
ihm ihr Herz geschenkt. --«

»Herr!« fuhr Georg auf.

»Er war ihr Lehrer; Amor mischte sich in's Spiel. Ein Verständniß
erwuchs. Der Vater schlug es nieder. Daher ohne Zweifel das Geheimniß,
worein er diese Hochzeit verschleiern will. --«

»Wahrlich; ich besinne mich, von einem jungen Engländer gehört zu
haben -- aber -- Justinens Unbefangenheit....«

»Ihre Neigung unterwarf sich dem strengen Willen des Herrn Senators. Es
ist aber nur Asche über die Glut gedeckt. In der letzten Zusammenkunft
der jungen Leute...«

»Zusammenkünfte? Schöne Entdeckungen!«

»Sollte Abschied genommen werden; aber Jungfer Justine wollte nichts
davon wissen. Sie ermuthigte meinen James, ihr binnen einer gewissen
Zeit nach Amerika zu folgen.«

»Wahrhaftig?«

»Dieser Vorschlag war der eines heftigen unbesonnenen Mädchens. Mein
Zögling verwarf ihn. Glaubst du, sagte er, daß ich einen Landsmann,
einen wackern Herrn, wie Herr Birsher ist, hintergehen möchte? --
Lieber sterbe ich, hier zurückbleibend, vor Gram.« --

»Sieh doch! Der Landsmann hat mehr Ehrgefühl, als die Jungfer Braut.«

»Die Jungfer bereute auch alsbald, und weinte, und letzte sich mit
dem Freunde. Ich wußte von Allem nichts. Der Jüngling hatte mir Alles
verschwiegen. Seine Liebe hatte ich jedoch gemerkt. Darum kam ich zur
Stadt, zu erfahren, ob er wohl wisse, was sich zu Liebkirchen begeben
sollte. Da gestand er mir Alles, und weinte und verzweifelte, und ich
fürchte: er thut sich ein Leides.« --

»Nein, nein! das soll der Landsmann nicht. Was wollten Sie aber
eigentlich bei mir?«

»Ich komme ohne Vorwissen meines James. Ich wollte Ihnen Alles
entdecken, und Ihre Großmuth fragen, ob sie es über sich gewinnen kann,
zwei Menschen unglücklich zu machen, die sich lieben? ein kaltes Herz
an sich zu binden?«

»Wahrlich! das will und werde ich nicht. Eine heuchelnde Gattin, die
sich nach einem fernen Freunde sehnt? Nimmermehr. Einen Nebenbuhler der
sich eine Kugel vor den Kopf schießt, und meine Frau zur Grube welken
macht? Gott behüte mich vor solchem Verdruß und Jammer!« --

»Gott lohne Ihnen diesen Entschluß!« -- rief der Magister gefühlvoll,
und führte ihn an das Fenster: »sehen Sie auf jener Bank den blassen
jungen Mann, der tiefsinnig vor sich nieder sieht? Er ahnt nicht,
daß hier von ihm geredet wird, aber das tiefe Weh, das seine Brust
empfindet, läßt ihn auch Alles um ihn her vergessen. Das ist James.
Ueber sein Leben haben Sie nun zu entscheiden.« --

»Ein ansprechendes Gesicht!« versetzte Georg, mitleidig
herniederblickend: »wenn ich nun aber Ihrer Zuversicht auf meine
Rechtlichkeit entspreche, und dem Glück, das ich geträumt, entsage?
was wird es dem jungen Unbemittelten nützen? der Senator wird nicht zu
bewegen sein.«

»Was wäre der ausdauernden Liebe unmöglich?« fragte der Magister: »sie
bändigt Löwenbrut; warum nicht ein zur glücklichen Stunde überraschtes
Vaterherz?«

»Ei, Herr Magister! Sie scheinen die Liebe studirt zu haben!« sagte
Georg Birsher gedankenvoll lächelnd: »Ihre Beredsamkeit überzeugt
jedoch den soliden Geschäftsmann nicht. Wo ist die Caution für Ihre
Aussage? Sie sind der Magister..«

»Liebhold aus Faldern.«

»Ganz recht. Ihr Zögling ist in meine Braut verliebt. Woher der
Beweis, daß ihn meine Braut wieder liebt? Frage ich gerade und offen
wie ein Mann, so erröthet sie wohl, und läugnet nachher, des Vaters
Zorn fürchtend, in den sie sich gehorsam gefügt. Der Vater wird mir,
rede ich mit ihm, die Sache als eine jugendliche Thorheit schildern,
und ich führe mißtrauisch, aber dennoch beim Wort gehalten, einen
trügerischen Handel aus. Von der andern Seite _kann_ aber Alles nur
Trug sein. Man hat schon eine gewisse Comödie auf meine und eines
Verstorbenen Rechnung versucht. Wer weiß, ob Sie, Herr Magister, nicht
ein Fuchs sind, der mich irre leiten soll? der Urheber eines neuen
Possenspiels, mir Lust und Neigung zur Ehre zu rauben?«

Der Magister bückte sich ergebenst. -- »Ich habe wie ein Mensch zum
Menschen gesprochen,« sagte er mit dem Ausdruck tiefer Resignation: --
»mein Stand erlaubt mir nicht, öffentlich als Ehestörer aufzutreten.
Ich hätte die Rache des Senators zu fürchten, und bin ein alter Mann,
der den Rest seiner Jahre in Frieden zuzubringen wünscht. Meine Worte
sind Ihnen vielleicht verdächtig. Ein gültigerer Zeuge ist wohl das
Bildniß des Geliebten, das Jungfer Justine behielt, das sie, wie mir
James vertraut, noch auf ihrer Brust trägt, das sie geschworen hat,
auch ferner zu tragen, so oft...«

Es wurde dem Amerikaner heiß vor der Stirne. Er sprang auf, unterbrach
den Redner heftig. »Sein Bildniß!« rief er: »Gott verzeihe mir die
Sünde! bald wäre mir ein unbescheidenes Wort entschlüpft! O ja, Herr
Magister! das ist ein unverwerflicher Zeuge; ich werde ihn an's Licht
ziehen! ich werde sehen ... und ... finde ich's so, wie ich jetzo
beinahe fürchte ... Sie sollen von mir hören. Gehen Sie aber jetzo,
mein Herr, denn ich bin etwas aus dem Gleichmuth getreten, der zu einer
comfortablen Conversation gehört. Auf Wiedersehen ... wann und wo Sie
wollen!«

Er schob, ohne viele Umstände zu machen, den komplimentirenden Magister
zur Thüre hinaus, und verriegelte diese hinter ihm. Ein stummer, aber
heftig grollender Sturm bewegte seine sonst so ruhige Brust, und er
mußte, zum Erstenmale in seinem Leben, sich bittere Gewalt anthun, um
den Sturm zu beschwören. Er sah an diesem Abende keinen Menschen mehr,
und suchte vergebens den wohlthätigen Schlaf. Der Morgen fand ihn
jedoch wieder gelassener. Er machte sich Vorwürfe, seine Ruhe vergessen
zu haben. Eine stille ahnungsvolle Wehmuth stellte sich bei ihm ein,
während sein der Ungewißheit und dem Zögern feindlicher Charakter ihn
ermahnte, den quälenden Verdacht, den marternden Zweifel, gegen baare
unverfälschte Münze umzusetzen. Er warf sich in die Kleider, er verließ
das Haus, er suchte des Senators Wohnung auf, zu einer Zeit, die für
einen Besuch nicht die gewöhnlichste war, denn die Glocke auf dem
Rathhause hatte kaum halb zehn Uhr geviertelt.

Er fand Justine allein, in einem reizenden Hausgewande. Die Braut,
erröthend vor der unerwarteten Ueberraschung, hatte kaum die Zeit,
einen Blick in den Spiegel und ein seidenes Flortuch um den Busen
zu werfen, der noch von keiner Schnürbrust beengt war. Ihre Locken
fielen natürlich, unfrisirt um das Haupt. Das anliegende Gewand,
günstiger als die steife Visitenrobe, zeigte die schönsten Formen.
Die Flor-Enveloppe verhüllte nur schwach die schönen Arme, und schöner
als je malte die Wange der Verlobten die Zufriedenheit, sich ohne
künstlichen Schmuck, dem schmeichelarmen Spiegel gegenüber, schön zu
wissen. Birshers Herz klopfte unruhig und sehnsuchtsvoll bei ihrem
Anblicke; er hatte seine Vorsätze durcheinander geworfen. Streng wollte
er sein und kalt, und wurde milder und wärmer als je. Justinens Gesicht
sprach Sieg, aber auch zugleich die zarte Hoffnung, die Sanftmuth
einer milden Siegerin. Justine hätte dem frühen waglichen Besucher
gezürnt, wäre sie sich nicht des gestrigen Unrechts bewußt gewesen.
Sein wehmuthsvolles Antlitz, nur leicht von Rosenschimmer überstrahlt,
schien ihr die Leiden zu bekennen, die ihre Härte in ihm erzeugt. Sein
frühes hastiges Erscheinen schmeichelte ihrem eiteln Stolze. So empfing
sie ihn doppelt zauberisch; triumphirend und beschämt; vergebend
und reuig; hoffärtig, also geliebt zu sein, und geneigt, liebend zu
umfangen. Verlegen antwortete ihr Mund den verlegenen Entschuldigungen
des Bräutigams. Sie schien seinen Muth tadeln zu wollen, und bekannte
fast, daß er ein Recht dazu habe. Noch nie hatte sie den Gedanken an
das innigere Verhältniß von Verlobten so lebhaft aufgefaßt. Noch nie
war ihr dieser Vorhimmel das glückliche Mittelding zwischen Fremd- und
zu Bekanntsein, klar geworden; und indem ihre Lippe lächelnd zürnte,
verlobte sich erst und wurde erst bräutlich ihr Herz. Birsher hing,
wohlthuend erregt, an ihren Augen, die lebendiger glänzten als die
Diamanten des Brautschmucks, der vor ihr auf dem Tische stand; in
dessen Beschauung der Bräutigam die Braut gestört hatte.

»Ich hatte nicht gehofft, Sie mit diesem Gegenstande beschäftigt zu
finden,« sagte der junge Mann leichter athmend: »Sie äußerten gestern
unverdienten Groll gegen mich.«

»Sind Sie überzeugt, daß er unverdient gewesen,« -- erwiderte Justine
gefällig, und näherer Erläuterung feind, -- »so war er von meiner Seite
ungerecht. Trauen Sie _mir_ zu, daß ich es eingesehen, und sind Sie nun
zufriedener?«

Birsher küßte entzückt ihre Fingerspitzen, und in den Hintergrund
seiner Erinnerung waren Argwohn und Vorsatz zurückgetreten. »Dieser
Empfang bürgt mir für mein künftig Glück,« sagte er freudig: »so zarte
Versöhnung macht lüstern nach der veranlassenden Zwietracht. Hoffen
auch Sie, beste Jungfer, mit mir glücklich zu werden?«

»Ich hoffe es,« antwortete Justine freundlich, und reichte ihm
ungeziert die weiche Hand: »nun aber keine Zweifelsfrage mehr. Ich
glaube, daß vernünftige Leute sich in den Vortagen ihrer Ehe anders
zu benehmen haben, als die Amanten in den Romanen gewöhnlich zu thun
pflegen. Das Schäferleben und das Seufzen der Doris, und Corydons
Klagen sind mir nicht angenehm, und Ihnen ebenfalls nicht sehr, mein
werther Monsieur. Wir wollen uns demnach fein gescheit benehmen,
und den Anstand wahren. Erlauben Sie daher, daß ich Sie ersuche,
einstweilen die Bilder an den Wänden zu betrachten, bis ich Ihnen in
geschickterer Kleidung aufzuwarten die Ehre haben werde. --«

Die Listige wollte wie ein glatter Aal entschlüpfen. Birsher hielt sie
sanft auf. »Neidische Braut!« sagte er: »Sie wollen mir den schönsten
Anblick rauben, dessen sich meine Augen jemals rühmen konnten? Thun
Sie es nicht. Ich bin kein langweilig girrender Corydon und suchte
nicht eine seufzende Doris, aber ich liebe das Ungezwungene trotz
den Schäfern Arkadiens. Der steife Haarputz, die umfangreichen
Damastkleider, die martervollen Corsetts, welche Ihnen die Mode
aufzwingt, sind eben so viele Beleidigungen der Natur, die Ihnen ihre
schönsten und seltensten Gaben nicht verweigert hat. Gewähren Sie daher
Ihrem treuesten Freunde ein ferneres trauliches Beisammensein mit
Ihnen, der Ungeschmückten, aber desto Reizendern!«

»Das schickt sich nicht!« hieß die Antwort der Widerstrebenden. Birsher
ließ ihre Hand nicht los, und bat: »So lassen Sie mich wenigstens die
erste Hand an Ihren Schmuck legen. Vergönnen Sie, daß ich Sie ersuche,
heute mir zu Liebe diese Halskette, gleichsam zur Probe zu tragen.
Erlauben Sie, daß ich selbst diesen schönen Nacken damit schmücken
darf?«

»Ei, welche Zumuthung!« versetzte Justine, und wickelte sich schamhaft
in die Enveloppe. Birsher drang noch mehr auf die Erfüllung seiner
Bitte, und der gesetzte Mann bat diesmal so sanft, so dringend, so
freundlich, daß es dem Mädchen vorkam, als müsse es dem liebenden
Freunde nachgeben. Sittsam die Enveloppe um einen Zoll vom Kinn sinken
lassend, neigte sie das Köpfchen, schloß erröthend die Augen, und
lispelte: »Sie sind ein arger Schalk, werther Herr! indessen, damit Sie
mir nicht böse werden.... meinetwegen!« --

Georg ergriff freudig die blitzende Kette. Die blinzelnde Justine sah
mit Entzücken, wie seine Hand zitterte, da sie das Schloß öffnete:
schon berührte das kalte Gold, der eisige Diamant ihren zarten Hals.
Das Flortuch sank tiefer, und ein staunendes »Ha!« entfuhr Birshers
Lippen.

»Was ist? Was haben Sie?«

»Sie tragen bereits einen Schmuck, dessen Stelle ich beneide!«

»Wie so?«

Birsher zeigte auf das schwarze Sammetband, das sich aus dem
verhüllenden Tuche gestohlen. Justinens Wange wurde Purpur.

»Lassen Sie den Schatz sehen, der sich solchen Vorzugs freuen darf...«

»Mein Gott! nein!«

»Warum denn nicht?«

»Ich ... ich darf nicht...«

Birsher heftete einen starren verdüsterten Blick auf Justine.
Sie gewahrte es; aber -- wie ein Blitz fuhr's durch ihr Herz:
dem strengen Protestanten durfte sie, selbst im Scherze, das
katholische Heiligenbild auf ihrer Brust nicht zeigen. Sie sträubte
sich entschieden gegen sein Verlangen, es zu sehen. Er begehrte
es freundlich, dann ernstlicher, dann mit kalter Bestimmtheit.
»Nimmermehr!« rief sie: »Monsieur trauen mir zu, daß sich nichts Böses
in diesem Medaillon befindet; aber ich bestehe nun einmal auf meinem
Geheimniß!«

Mit diesen Worten reißt sie das Band von ihrem Halse, um es in ihrer
Tasche zu verbergen. Das Medaillon fällt von dem Bande, stürzt zu
Boden. Die Kapsel springt. Justinens unsichere Hand erfaßt diese.
Georg rafft das Bild auf, betrachtet es, ehe Justine es verhindern
kann, mit bitterm Lachen und giebt es dann der Trägerin zurück. »Ich
gratulire zu dem geliebtern Freunde!« sagte er, und Justine glaubt vor
Scham und Bestürzung in die Erde zu sinken: das Bild ist James in der
vollen Blüthe seiner Jugend: sprechend ähnlich; herrlich gemalt. Sie
verstummt, das ungeheure Mißgeschick nicht begreifend. Der Amerikaner
sagt aber mit zitterndem Tone zu ihr: »So ist es denn wahr, Jungfer
Justine? ich war der Betrogene? sollte der Betrogene bleiben? Armes
Geschöpf! ich bemitleide Sie!«

Ohne noch ein Wort hinzuzufügen, verließ er Justine, die -- ebenfalls
ohne ein Wort der Entschuldigung beizusetzen, ihm sprachlos und
beklommen nachstarrte. Indem er eilig und außer sich dahin schoß,
begegnete ihm -- zu seinem Entsetzen -- der Mensch, den er gestern
gesehen, den das Bild vorstellte.

»Sind Sie ein Engländer?« fragte er hastig, den Jüngling bei der Brust
fassend.

»Ja, Herr.«

»Heißen James?«

»James White.«

»Sie lieben meine Braut, Justine Müssinger?«

»Mein Gott! was soll das heißen? woher wissen Sie?«

»Ihr Pflegvater hat mir Alles entdeckt.«

»Wie? Doctor Leupold?«

»Derselbe. Sie werden geliebt!«

»Mein Herr!«

»Sie trägt Ihr Bild auf der Brust...«

»Ach, mein Herr! Sie sind ein Engel, wenn Sie...«

»Stille. Warum ließen Sie mich im Dunkeln tappen? damit ich
schmerzlicher erwachen mußte? das war Unrecht von Ihnen. Brav jedoch,
daß Sie nicht nach Amerika folgen wollten. Darum renne ich Ihnen auch
nicht den Degen durch den Leib. Sein Sie glücklich! Ich sage mich von
ihr los!«

Er ließ den Staunenden, Bebenden stehen, und eilte, seine aufwallende
Wehmuth zu unterdrücken, weiter. Unfern vom Rathhause stieß er auf
den Senator, der, schwankend und blaß wie ein Geist, einherkam. Kaum
rückte er vor demselben den Hut, und stürzte davon, sich in sein
Zimmer zu verschließen. Der Senator sah ihm verwundert, aufgebracht,
niedergeschlagen nach; setzte dann seinen Weg nach Hause fort, und kam
sehr verdrüßlich daselbst an. Frau und Tochter saßen still beisammen.
Jacobine kämmte ihr Hündchen; Justine saß an seiner Arbeit, und that
dennoch nichts. Der Senator warf sich seufzend in einen Stuhl.

»Der Satan ist los!« sagte er: »Wenn ich mich aus dem Unglück losreiße,
das mich jetzo niederschlägt, so will's etwas heißen. Mein Ruf, mein
Amt, meine Würde stehen auf dem Spiele!«

»Mein Gott!« sagten die Weiber; die Senatorin rückte weit ab von dem
Senator; Justine rückte ihm dagegen näher.

»Ihr wißt,« fuhr der Senator mit gedämpfter Stimme fort, »daß ich
auf's Rathhaus beschieden wurde. Der Bürgermeister hat mich förmlich
verhört. Ich denke, mein Kopf macht Bankerott, als er vom Lotto anhebt,
und behauptet, ich hätte neulich das große Loos in dem Hamburger
Glücksspiele gewonnen. Auf die Verschwiegenheit meines Correspondenten
bauend, leugne ich Stein und Bein. Da wird er ernsthaft, nennt mir,
als wäre er ein Hexenmeister, den Tag der Ziehung, die Nummer, die
ich gespielt, den Gewinnstbetrag und die Prämie, den Kaufmann, der
meine Angelegenheit besorgt, und endigt damit, mir frei zu erklären,
ein Comptoirdiener jenes Mannes, der in Unfrieden von ihm gegangen,
habe eine Collekturliste hieher gebracht, und dieselbe hin und wieder
indiskret zur Schau gelegt. Mein Name sei von ihm genannt, der Senat
stutzig geworden. Ich sei mit dem bestehenden Verbote bekannt, müsse
mich diskulpiren, oder gewärtig sein, daß man Rechtens gegen mich
verfahre. Der Angeber sei schon abgereist, die vidimirte Collekturliste
liege aber vor; ich müsse erklären, woher mir damals das viele Geld
gekommen, und die Erbschaft nachweisen, die ich dazumal vorgeschützt.
Er, der Bürgermeister, könne mir nicht helfen, und müsse mir noch
überdies bemerken, daß diverse Gerüchte über mich und mein Haus
neuerdings in Schwung gekommen, die dem ganzen =Corpori Senatus=
nachtheilig werden könnten. Vor Allem wolle er mich aufmerksam machen,
daß der Pastor Lammer öffentlich über meine Saumseligkeit, die Kirche
zu besuchen, lästere, und daß es von der äußersten Nothwendigkeit sei,
hierüber den Menschen den Mund zu stopfen, worauf man allerdings im
Uebrigen gelinder und gnädiger untersuchen wolle, um keinen Anstoß
zu geben. Hierauf entläßt mich Se. Magnificenz sehr kalt und sehr
unwillig, indem sie mir noch aufgiebt, binnen vier Wochen die Beweise
beizubringen, wie es sich mit jenem Gelde verhalte. Da habt ihr mein
Elend, ihr Weiber! mir ist's ein Trost gewesen, es in eurem Busen
niederzulegen, aber ich wünsche, daß es darinnen, und ein Geheimniß
bleibe.«

»Das versteht sich,« sagte die Senatorin, die wieder zutraulicher
geworden war; »die Bürgermeisterei hat sich im Geringsten nicht um
die Art und Weise zu bekümmern, wie man zu Gelde kommt. Der saubere
Bürgermeister sollte selber gar nicht den Großen spielen. Man weiß sich
noch sehr wohl zu erinnern, wie er -- ein armer Schlucker -- zu den
Schweden ging, um zu marketendern. Dann kam er an die Heulieferung,
dann an die Spitalverwaltung, und endlich als reicher Mann hieher
zurück. Wenn man seinem Reichthum nachfragen wollte ... pfui!«

»O des unnöthigen, vergeblichen Geschwätzes!« versetzte der Senator
ungeduldig. »Bei dem Allen,« fügte er bei, »ist es nothwendig, daß ich
auf Mittel denke, das Gewitter abzuwenden. Ich bedarf des Raths.... und
wer _soll_ mir rathen?...«

»Du nimmst von mir den besten Rath nicht an,« sagte die Senatorin
gähnend; »darum gehe ich. Weißt du dich jedoch nicht aus der Fatalität
zu wickeln, und sie wollen dich nicht mehr im Rathe haben, so lasse ich
mich scheiden. Ich muß Frau Senatorin heißen bis ans Ende. Der Titel
ist ohnehin der einzige Gewinn, den ich aus der Ehe mit dir gezogen
habe.«

»Abscheuliches Weib!« murmelte der Senator der Abgehenden zwischen den
Zähnen nach: »Rathe du mir, Justine. Mit wem soll ich mich bereden?
wen beschicken? der Augenblick drängt. Ich will mich dem Buchhalter
nicht anvertrauen: der Mann ist zu streng und ... nun heraus damit! zu
_ehrlich_ mit einem Worte. Berndt ist eine philadelphische Schlafmütze.
Wünschte ich mir doch fast wieder den vermaledeiten Nothhaft herbei!
Er war ein geriebener Kniffespinner. -- Aber wie wäre es, wenn dein
Bräutigam...? er ist die gute Stunde selbst, und gäbe vielleicht in
aller Unschuld einen Ausweg an die Hand? was fehlt dir denn, Mädchen?
du bist ja weiß wie eine Sternblume? hast nasse Augen? was hat's
gegeben?«

Justine läugnete. Der Senator besann sich nun, Birsher gesehen und sich
über dessen Unhöflichkeit geärgert zu haben. »Ich verstehe,« rief er:
»ein verliebter Zwist! Deine Hartnäckigkeit wird dir noch böses Spiel
machen, Justine! was den _Bräutigam_ betrifft: der ist gut zu lenken,
-- aber ... der Ehemann ist ein ganz anderer Herr. Zu viel Sonnenschein
in dem Brautstand: finstre Wolken in der Ehe. Versöhnt Euch. Herr
Birsher wird jedoch nicht geeignet sein, den besten Rath zu ertheilen;
-- darum -- sende nach dem Doctor Leupold, mein Kind ... ich ließe mir
die Ehre ausbitten...«

»Das thue ich nicht gerne, Herr Vater!« antwortete Justine.

»Warum nicht? -- Ach! ich besinne mich: du hast einen Widerwillen gegen
den Mann. Mische dich doch nicht in unsere Angelegenheiten, Justine.«

»Lassen Sie den Doctor nicht zu tief in die Ihrigen blicken,« ermahnte
Justine: »ohne mich Ihnen ganz deutlich machen zu können, warne ich Sie
noch einmal vor ihm.«

Der Senator seufzte tief, und wendete sein Auge ab.

»Er ist gewiß ein doppellarviger Mensch!« fuhr Justine fort:
»überhaupt, mein Vater, kömmt es meiner Ahnung vor, als hätte uns ein
immer enger werdendes Netz umfangen und umspannt; -- als sollten wir
die Beute eines böslich bereiteten Verderbens werden.«

Der Senator sah die Tochter betroffen und starr an.

»Der Doctor,« sprach diese weiter, -- von der Unruhe ihres Herzens
wie von dem vortheilhaften Augenblicke begeistert, -- »erscheint wie
eine Hauptgestalt, bemüht, dieses Netz, das ich nicht kenne, nicht
durchschaue, wohl aber fühle, zu bereiten. Mit jedem Tage wird mir
klarer, was mir einst der Zufall enthüllte. Der Doctor ist nicht der
einfache Jurist, der simple Privatmann, mein Vater; er ist ... wie ich
beschwören möchte, ... er ist...«

»Halt!« donnerte ihr der Senator, von Angst und Unruhe geschüttelt, zu:
»ich will nichts hören! ich darf nichts aus deinem Munde erfahren! du
machst mich unglücklich, Justine, und wirst es selbst, wenn eine Sylbe
deiner ungereimten Vermuthungen unter die Leute kommt! Justine ... wir
wären ja alle zu Grunde gerichtet!«

Justinens Begeisterung schauderte vor dem außerordentlichen Schrecken
des Vaters zurück. »Wie Sie befehlen!« stammelte sie verschüchtert:
»beruhigen Sie sich nur. Ich habe mit der Mutter nicht geredet,
und Gott wird wohl Alles gut machen. Ich aber will nach dem Doctor
schicken.«

Es wurde ihr erspart. Die Schelle des Comptoirs erklang, und der
Doctor, wie von einer Ahnung gerufen, kam mit einem Fremden, den
Senator zu besuchen.

Dieser Fremde gab sich in einer salbungsvollen Begrüßung dem Senator
als Superior eines Profeßhauses der Gesellschaft Jesu zu erkennen,
und freute sich, in ihm ein bereitwilliges Werkzeug der göttlichen
Gnade zu finden. Der Senator erwiderte das Compliment etwas lau, und
sagte, die niedergeschlagene Verlegenheit des Doctors bemerkend, ohne
besondere Umschweife, daß es ihm fast leid thue, sich durch seine
sonderbaren Verhältnisse in Verbindungen verwickelt zu sehen, die
seiner bürgerlichen Existenz nachtheilig werden könnten. »Ich hätte
wenigstens gehofft,« sprach er, »nicht compromittirt zu werden, aber
ich habe mich getäuscht. Indem ich heute vom Rathhause komme, nähert
sich mir ein Mann; der Krämer Ernst, übel berüchtigt in der Stadt durch
seine lockre Lebensweise und die Vergehen seines Bruders, wegen welcher
derselbe im Gefängniß sitzt. Der Mensch redet mich an, und fordert mich
ziemlich unverschämt auf, bei der Kriminalkammer dahin zu arbeiten, daß
sein Bruder auf freien Fuß gestellt werde. Da ich es ihm nun natürlich
abschlage, und mich wunderte, daß er sich gerade an mich gewendet, den
er kaum kennt, so sagt mir der Mann im Vertrauen: ich kenne Niemand,
der geeigneter und verbundener wäre, mir in dieser Sache beizustehen.
Ich weiß ja, daß Sie eben so gut Katholik geworden sind, wie ich; und
man hat mir den Anschlag gegeben, Sie zum Beistand aufzufordern. Ich
war wie vom Donner gerührt, und hatte kaum Fassung genug, den Menschen
mit einigen Drohungen der Lüge zu zeihen, und ihn von mir zu weisen;
worauf er sich ärgerlich und stumm entfernte. Was soll ich nun denken?
Kaum habe ich seit wenigen Tagen -- wie in einen Strudel hinabgezogen
-- mich zum Uebertritt anregen lassen, und schon stehe ich blosgegeben
da! verrathen an Menschen, für deren Verschwiegenheit kein Dreier zu
verbürgen ist!«

Der Doctor sah verwundert den Superior an; dann betheuerte der dem
Senator, dessen Aufnahme geheim gehalten zu haben -- vor der ganzen
Gemeinde. Der Superior versetzte dagegen hochmüthig und zuversichtlich:
»Beruhigen Sie sich, Herr Senator. _Ich_ war's, der den armen Teufel
auf Sie aufmerksam machte. Er suchte bei mir den Beistand eines
geistlichen Vaters, und ich verwies ihn an Ihren weltlichen Schutz.
Ein gutes Wort aus Ihrem Munde kann Vieles fruchten, und setzt Sie
keinem Verrath aus; der Krämer ist mir als ein eifriges Glied der
wachsenden Kirche geschildert worden, und ich habe durchaus keine
Ursache gefunden, dieser Angabe zu mißtrauen. Sehen Sie, lieber
Sohn: Eintracht, gemeinsames Wirken führt stets zum ersehnten Ziele.
=Concordia parvae res crescunt!= Wie nun eine Gemeinde, die sich im
Schooße der Verborgenheit bildet, einem Bruderverein im schönsten Sinne
zu vergleichen ist, so ist auch jeder der Brüder dem andern Schutz und
Hülfe schuldig. Leisten Sie daher dem Supplikanten nur einen leichten
Beistand, wie er gerade in Ihren Kräften steht, und zählen Sie dagegen
auf jeden Beistand des Ganzen.«

»O, daß ich mich in diese mißliche Speculation eingelassen habe!« sagte
der Senator mißmuthig, und achtete nicht der zornig aufsteigenden Wolke
auf des Superiors Stirne, noch des bekümmerten Angesichts des Doctors.
»Wenn Sie es vermögen, meine Brüder, beweisen Sie mir den Ernst Ihrer
Worte. Rathen Sie mir in meinem äußerst kritischen Verhältnisse.« -- Er
erzählte von dem Verhöre des Morgens.

Der Doctor schüttelte mitleidig und besorgt den Kopf. Der Superior
lächelte aber gleichmüthig und erwiderte, fast spöttisch: »das versetzt
Sie in Unruhe? Gilt das Zeugniß eines verlaufenen Ladenburschen
gegen Ihr Rathsherrnwort? Und hat man nicht Mittel, den Nothbehelf
der Erbschaft klar darzuthun, als wäre er wahr wie die Sonne? Ich
verpflichte mich, Ihnen Zeugen zu schaffen, und der Pater Münzner, der
zugleich Doctor beider Rechte ist, wird Ihnen mit einem in allen Formen
ausgestellten Testamente auszuhelfen nicht ermangeln.«

»Pater Superior!« versetzte der Doctor stutzig: »bedenken Sie! ein
fingirtes Testament! ein =falsum=!«

»Nun?« fragte der Superior kalt: »was weiter? Es gilt hier, einen
christlichen Bruder aus der Verlegenheit zu ziehen. Ich behaupte sogar,
daß ein Testament, dessen Aussteller eine =persona fictitia= ist, gar
kein =falsum= darbietet. Es sei übrigens Ihre Ansicht, welche sie
wolle, so wird hoffentlich der Befehl Ihrer Obern hinreichend sein,
alle Bedenklichkeiten zu heben.«

Der Doctor bückte sich mit unterdrücktem Widerwillen. Der Senator
schauderte ein wenig vor der Leichtigkeit, womit der Superior eine
so trügliche Maßregel durchgehen ließ; aber da sein System, sollte
es ihn vor Schande retten, auf Lügen beruhen mußte, ließ er sich's
gefallen, daß es der kühne Pater übernahm, eine Zusammenstellung von
Begebenheiten und Dokumenten -- beide in der Ferne geschehen und
aus der Ferne gesendet -- zu erdichten, die dem Unbefangenen jeden
Zweifel an des Senators Aufrichtigkeit rauben mußte, da man der
Verschwiegenheit des Correspondenten in Hamburg versichert sein konnte.

»Sie unterscheiden jetzt, bester Sohn,« sagte der Superior, »wie
redlich wir es mit Ihnen meinen, und werden uns eine kleine Bitte
Ihrerseits nicht abschlagen. Nach reiflicher Ueberlegung habe ich
gefunden, daß unsre Handelsbücher und Register über kirchliche
Angelegenheiten im Hause des ehrwürdigen Paters Münzner zu exponirt
erscheinen. Ich ersuche Sie deshalb, diese =acta= in Ihren Verschluß zu
nehmen, und zu erlauben, daß der Pater sich täglich etwa eine Stunde
in irgend einem abgelegenen Winkelchen Ihres Hauses damit beschäftige,
wenn es einzutragen oder abzuschließen gibt. In einem Lokale, wie das
Ihrige sich darstellt, wird solches Ab- und Zugehen unbemerkt bleiben;
Sie sind außer Gefahr, und wir können völlig ruhig sein.«

Der Senator antwortete: »Da ich mich bereits so offen in Ihre Hände
gegeben habe, meine Väter, so mag es darum sein. Ich will Ihnen auch
im gegebenen Falle meine Bereitwilligkeit nicht entziehen. Ich will in
aller Stille ein Cabinet, an den Hof stoßend, zum Gebrauch des Herrn
Doctors einrichten lassen, und die nöthige Sorge tragen, daß er nicht
gestört werde.«

»So werde ich noch heute Abend die Bücher herbringen lassen,« setzte
der Doctor bei: »da der ehrwürdige Pater Superior sie bei mir nicht
sicher glaubt.«

»=Quidquid agas, respice finem!=« bemerkte der Superior mit dem
schlauesten Gesichte: »ich danke Ihnen für die schöne Bereitwilligkeit,
womit Sie unserem Antrage entgegengekommen. Ich gestehe, daß derselbe
mich mit dem Mangel an Aufrichtigkeit versöhnt, den Sie meinem würdigen
Freunde, dem Pater Münzner beweisen.«

»Wie so?« fragte der Senator, und fixirte den Doctor, der wie beschämt
die Augen niederschlug. Der Superior fuhr, wie scherzend, fort: »Der
würdige Herr hat Ihnen Gründe der Freundschaft, der Moral und der
Pflicht angegeben, die eine Heirath zwischen Ihrer einzigen Tochter
und dem protestantischen Amerikaner dringend verbieten. Er hat, wie
er behauptet, Ihr Herz gerührt, indem Sie versprachen, seinen Gründen
nachzugeben. Aber leider ist solche Rührung nur ein Phantasma gewesen,
das eben so schnell zerstiebte, wie mancher gute Vorsatz. O, mein Sohn!
in Ihrem Gemüthe liegt noch viel des ketzerischen Sauerteigs verborgen,
von welchem Sie nur eine reine und reife Andacht zu dem geheiligten
Herzen Jesu befreien kann! Wie könnten Sie es ansonst über sich
genommen haben, Ihr Versprechen zu widerrufen, und, mit Fleiß ihre Wege
vor _uns_ versteckend, auf dem alten erwiesenen Unrecht zu beharren?«

Da der Senator, seiner Verstellung überführt, kein Wort redete, so hob
der Doctor sanft und eindringlich zu ihm an: »Ja, bester Herr Senator!
wir wissen, -- da uns nichts in die Länge verborgen bleibt, -- daß
Sie dennoch Ihre Tochter mit Herrn Birsher zu vermählen gedenken,
... wann und wo Sie es thun wollen; und ich frage Sie noch einmal
freundschaftlichst: haben Sie auch Alles erwogen und überlegt?«

»Ich bin meinem Gewissen und meinem Worte Erfüllung schuldig;«
antwortete der Senator auf's Aeußerste gebracht: »ich hasse jede
Einmischung Unberufener in mein Hauswesen. Ich habe mir nur die
Schwäche vorzuwerfen, daß ich vor Ihnen verhehlte, wie es mir darum
zu thun sei, _recht_ zu handeln. Können Sie das nicht vergeben, meine
Väter, so dispensiren Sie mich von jeder weitern Gemeinschaft mit Ihren
Kirchen und Gesellschaftsverhältnissen!«

»O welche bedauerliche Hitze!« sagte der Superior, die Augen wehmüthig
gen Himmel richtend: »=Saule! Saule! cur me persequeris?= Verblendeter,
heftiger, geliebter Sohn! Glauben Sie denn, daß das heilige Herz
unsers Heilands sich so schnell von Ihnen reißen werde, als Ihr Unmuth
sich von ihm zu trennen begehrt? Mit nichten, mein Sohn! Der Heiland
wird Sie nicht verlassen, da Sie sich ihm einmal ergeben! Wir, seine
unwürdigen Diener, Ihre innigen Freunde, werden es auch nicht thun, und
sollten wir immer vergebens warnen, und immer vergebens ausrufen: Durch
diese Verbindung machen Sie Ihr Kind des Himmelreichs verlustig! durch
diese Verbindung bringt der Protestant Unglück in Ihr Haus, das erst
kürzlich in Ihnen der Herr gesegnet hat mit Gnade, mit Erweckung, mit
dem zukünftigen Paradiese!«

Die Herren schwiegen allesammt, da sich vor der Thüre Schritte
vernehmen ließen. Berndt schaute demüthig herein, und langte dem
Principal ein Billet hin. Der Kellerbursche aus dem Schwan hat's
gebracht, sagte er, grüßte höflich, und verschwand. Der Senator sah in
der Ueberschrift Georg Birshers Hand. Seine Seele war so schreckhaft
und argwöhnisch geworden, daß er unter jedem Siegel eine giftige
Schlange fürchtete. Darum löste er auch dieses mit Herzklopfen, und
-- wie sehr seine Ahnung die Wahrheit gesprochen, -- wie giftig die
Schlange sei, die sich aus dem kleinen Briefe in seine Augen und
sein Herz bohrte, -- das bezeugte das Erbleichen seiner Wangen, das
Erstarren seines Blicks, die physische Vernichtung, die aus den
schlaffen Zügen trat. Mit einer Bewegung der Verzweiflung aufspringend,
reichte er mit zitternder Rechte das Briefchen an den Doctor, und
sank mit dem Ausrufe: Nun bin ich ohne Rettung verloren! in den
Stuhl zurück. Der Doctor las, während der Superior dem mit Ohnmacht
Kämpfenden beisprang, für sich, was folgt:

  »Unglücklicher Müssinger! -- Meine Hand bebt, aber mein Herz
  erbebte noch heftiger, da ich erfuhr, was mich und Sie elend macht.
  Elender! Sie haben meinen armen Vater gemordet! der mir's entdeckt
  hat, ist fast Zeuge der schändlichen That gewesen! um mich vor dem
  schauerlichen Bunde mit Ihnen zu warnen, hat er's mir gestanden!
  aber ich weiß, wozu die Rache den Sohn auffordert. Die Gerechtigkeit
  anzurufen, ist meine Pflicht! um drei Uhr fahre ich bei dem
  Bürgermeister vor. Ich will nichts von dem wissen, was Sie bis dahin
  unternehmen!

                                                           _Birsher_.«

Der Senator schlug die verwirrten Augen wieder auf, sandte einen
trostlosen Blick nach dem Doctor, der schnell das Briefchen wieder
zusammenfaltete, dem Senator zurückgab, und sagte: »Fassen Sie sich,
Sie sind nicht verloren. Nothhafts Beschuldigung -- gewiß durch die
transpirirende Neuigkeit von Justinens Vermählung veranlaßt -- richtet
Sie nicht zu Grunde. Ihre Seelenangst ist Ihr mächtigster Gegner: darum
-- obschon Sie gegründete Hoffnung haben dürften, von den Gerichten
erledigt zu werden -- ist es gerathener, das Unheil in der Geburt zu
ersticken. Birsher scheint großmüthig handeln zu wollen. Er will Ihre
Flucht begünstigen. Hüten Sie sich jedoch. Weichen Sie keinen Fuß
breit. Halten Sie sich ruhig! überlassen Sie uns, für Sie zu handeln.
Bevor es drei Uhr wird, denke ich, müßten Sie aller Gefahr enthoben
sein!«

»Wenn Sie das könnten!« rief der Senator, und warf sich dem Pater in
die Arme: »mein Vater! Bruder meiner Clara! thun Sie das Möglichste!
der Verdacht! mein Ruf! die Schande! Gott stehe mir bei, wenn Sie mich
verlassen!«

»Hier muß dieser Mann helfen!« versetzte der Doctor, auf den Superior
zeigend, der aufmerksam und erwartend da stand. »Pater Superior! als
Beichtvater dieses unglücklichen Mannes fordere ich Sie, einen der
Vorsteher unsrer heiligen Gesellschaft, in Ihnen den ganzen Orden auf,
ihn vor einer dringenden Gefahr zu retten, mit der ihn Birsher bedroht.
Der Grund derselben ist ein Beichtgeheimniß, aber ich beschwöre Sie bei
Ihrer priesterlichen Würde, den Folgen vorzubeugen.«

»Ich werde mich mit Ihnen bereden,« antwortete der Superior
gleichgültig; »ich werde Ihre Meinung hören, und thun, was ich
mit Gottes Hülfe vermag. Verspräche aber wohl der Herr Senator,
jeden fernern Gedanken an eine Verbindung seiner Tochter mit einem
Protestanten aufzugeben? das unschuldige Kind unsrer alleinselig- und
glücklichmachenden Mutterkirche zuzuwenden? es für ein erbauliches
Jungfrauenleben zu bestimmen, damit es im Verein mit andern gottseligen
Chorschwestern die Sünden des Vaters abkaufe mit Gebet und Ergebung?
sein Vermögen nach seinem Hinscheiden der Kirche zu vermachen, der
liebenden und helfenden Gesellschaft Jesu ins Besondere? =Respondeas,
mi fili!= und dir soll geholfen sein!«

Der Senator nickte sprachlos mit dem Kopfe, winkte mit der Hand, und
der Superior ergriff dieselbe, ihn beim Worte nehmend. »Sie sind Zeuge,
Pater,« sagte er feierlich, »und nun kommen Sie, damit wir das widrige
Geschäft in Ordnung bringen. Ich bin sanfter Natur, wähle gewöhnlich
leichte Mittel; hier aber, fürchte ich, wird es auf dasjenige ankommen,
was ich schon einmal vorgeschlagen, und das Sie als zu hart verworfen
haben.«

Der Doctor winkte dem Pater, zu schweigen, indem er auf den Senator
deutete, welcher aus seiner Betäubung erwachte. Die Jesuiten gingen
bedächtig und stille von dannen. »O, der sauern Pflichten!« seufzte
der Doctor, aber sein Mund sprach keine Sylbe, die seinem Vorgesetzten
hätte mißfallen können.

Die Herren fanden in ihrem geheimen Convente die Lainez und den
ehemaligen Schauspieler Litzach. »Unser Plan scheitert!« sagte die
Erstere, indem sie dem Doctor das gefährliche Medaillon zurückgab;
»behalten Sie das Bild Ihres Zöglings, mein Vater; es hat Aufsehen
genug gemacht, aber die Liebesleute vertragen sich nach dem heftigsten
Zanke. Vor der Hand hat mich Jungfer Justine der Mühe, ihr Gesellschaft
zu leisten, enthoben, und alle meine Entschuldigungen gingen in den
Wind.«

»Unser Plan glückt im Gegentheile, kurzsichtige Frau!« sagte der
Superior stolz lächelnd. »Sie hat Ihre Commission ganz gut verrichtet,
und es kommt nur darauf an, ob Er, Litzach, dasselbe thut.«

Er führte den Unterthänigen in das Nebengemach. Indessen hatte der
Doctor James Porträt in seinen Schrank verschlossen, und die Thränen
waren ihm in die Augen gestiegen, und er lehnte sich über die in
schwüler Hitze welkenden Blumen seines Fensters hinaus, in's Freie, und
betete: »Du heilige Mutter! vergieb mir, daß ich ein Bild, welches von
einem treuen Mutterbusen getragen wurde, bis das Herz darunter stille
stand, daß ich es -- das heilige Geschenk jugendlicher Dankbarkeit --
mißbrauchen ließ, zu einer Betrügerei. Der Obere befahl es jedoch, und
um der Pflicht willen wirst du die Sünde vergeben, gebenedeite Mutter!«

Die Augen trocknend, fragte er die Lainez, ob sie den jungen James
nicht gesprochen habe. Die Lainez wußte nichts von ihm, als daß er ihr
mit dem fröhlichen Gesichte, das sie noch je an ihm gesehen, begegnet
war, im Begriff, gegen das Thor zu eilen. Capitän Tormerpick, der
hinzu kam, hatte den jungen Menschen ebenfalls auf dem alten Glacis
angetroffen. James hatte ihn umarmt, hatte ausgerufen: »Capitän! sehe
ich denn aus, wie der glücklichste Mensch in der Stadt?« und hatte
sich dann entfernt -- wie sich der Capitän ausdrückte -- tanzend, wie
ein Matrose, der nach sechs Monden wieder zum ersten Male festes Land
betritt. Der Doctor schüttelte ernsthaft und betrübt den Kopf, und
verfügte sich in das Seitenzimmer, aus welchem bald nachher Litzach
schlüpfte, und dem Capitän bemerkte: die Herren erwarteten nun _ihn_.
Während Litzach davon eilte, sprach Tormerpick mit den Vätern. »Ich
nehme Abschied von Ihnen,« sagte er: »Schlag zwei Uhr fahre ich ab. Ein
dringender Brief ruft mich nach dem Hafen. Das Schiff wird geladen. Ich
bitte mir weitern Bericht oder anderwärtige Aufträge aus.«

Der Superior gab ihm ein Paket, mit dem Bedeuten, daß sich darinnen
alles befinde, was auf Handelsangelegenheiten Bezug hätte. »Wir hätten
Euch noch Jemand mitzugeben,« schloß der Pater, listig lächelnd: »einen
Engländer, wohl gewachsen, stark, robust; ein gutes Capital, in Batavia
anzulegen.«

Der Capitän runzelte die Stirne. »Wollen Sie mich foppen, meine frommen
Väter?«

»Nicht doch, Capitän. Versteht uns wohl! wir hassen die
Seelenverkäuferei, wenn unsere Waarentransporte dadurch Noth leiden. Wo
es aber auf eigene Rechnung geht...«

»Ich verstehe,« erwiderte der Capitän grinsend: »Sie sollen Ihren
Willen haben. Wann? wie? wo? Ich habe zwei Matrosen bei mir, die auf
einem Kaperschiffe gedient haben. Den Burschen bangt vor dem Teufel
nicht.«

»Haltet um zwei Uhr auf dem Damme« instruirte der Superior: »dort
ist's abgelegen und einsam. Der Mensch, welcher vorhin wegging, wird
den Bewußten zum Damme bringen; einen großen tüchtigen Mann; nicht
wahr, Pater Münzner?«

»Unsern Tischnachbar im Schwan,« entgegnete der Doctor. Der Capitän
lachte hell auf. »Den stummen Oelgötzen?« fragte er: »der mich so
unverschämt anlaufen ließ? Hoho, den kenne ich, und werde ihn wohl
von dem dürren Magister unterscheiden. Brav! ich habe dem naseweisen
Flegel eine volle Lage zu geben! ich hab's ihm geschworen. Gut so! ein
Pechpflaster auf den Mund, Strick um Arm und Beine! wie der Teufel nach
dem Kanal gefahren; die Nacht durch gerudert, mit Tagesanbruch an der
Küste.... binnen zwei Tagen im Schiffe! herrlich! die Moorländer sind
wenig und nur von lockerem Gesindel bevölkert! ich bringe den Passagier
glücklich durch, oder fülle ihm den Kopf mit Blei, wenn er mich durch
ein unanständiges Spektakel in Gefahr setzen wollte. Gott behüte Ew.
Ehrwürden! sollen von mir hören!«

Der ungeschlachte Mensch ging wiehernd weg, aß im Schwan noch so
tüchtig, als ob er sich auf ein Heldenwerk vorzubereiten hätte, ließ
unter seine Matrosen viel Branntwein austheilen, und bestieg mit ihnen
jubelnd den verdeckten Korbwagen, der ihn zum Damme, von da zum Kanal
bringen sollte. Dem Kutscher wurde noch tüchtig mit Rum zugetrunken
und bei'm Abfahren schwenkte der Capitän in frechem Uebermuthe den Hut
gegen den Amerikaner, der oben aus dem Fenster sah, und brüllte ein:
»Auf Wiedersehen!« Georg zog sich, ergrimmt über den widrigen Seemann,
vom Fenster zurück, warf sich auf das Kanapee, stützte den Kopf eine
Weile in die Hand, sprang dann wieder auf, legte mit erhabener Würde
die Hände auf seine Brust, und sagte, mit einem freien Athemzuge, zu
sich selbst: »Bist doch eine wackere Seele, Georg, und hast einen
schweren aber um so rühmlicheren Sieg erfochten! Ach du mein lieber,
lieber Vater! Siehst du nicht aus den Wolken, und freust dich meines
Entschlusses? Ist gleich mein Auge zu schwach, dich zu erschauen, so
ist doch gewiß der himmlische Friede, der in mein Herz einzieht, dein
Werk! Ja! Vergebung ist eine süßere Rache für dich, als das Blut des
Elenden, der denn doch sein Leben ferner nur wie eine Pestbeule mit
sich umherschleppen kann!«

Er warf einen Blick auf die Speisen, die unangerührt auf dem Tische
standen, auf die Seitenthür. Er ging hastig auf dieselbe los, öffnete
sie mit dem Schlüssel, und sagte ernst: »Komm' Er heraus, Monsieur!«

Eine blasse, ängstliche Figur kam gebückt hervor: Nothhaft, wie ein
armer Sünder.

»Setze Er sich, und esse Er!« fuhr der Amerikaner fort: »vergesse
Er seine Schrecken. Ich habe mich besonnen, und halte dafür, es sei
besser, die ganze Anklage zu unterlassen.«

»Ach, wenn Sie das im Ernste wollten,« -- stammelte Nothhaft -- »ich
würde neu aufleben.«

»Lerne Er, Mensch« sprach Birsher weiter, »daß es nichts Gemeines
mit solchen Anschuldigungen auf sich hat. Er hat mir auf die Bibel
zugeschworen, daß Alles, was Er mir heute entdeckt, reine Wahrheit sei;
ich will es glauben; nicht um Seinetwillen, denn der erbärmliche Spuck
in des Senators Hause verdächtigt ihn, aber um des seltsamen Benehmens
des Senators willen; um der Voraussetzung willen, daß ein Mensch, der
nur _einen_ redlichen Blutstropfen in sich verspürt, nicht auf eine
Lüge hin seinen Nächsten in's Grab und in Schande stürzen werde. Er
hatte nicht darauf gerechnet, daß mir es einfallen könnte, die Anklage
öffentlich zu machen; Er hat mich beschworen, es zu unterlassen: das
ist ein guter Zug von Ihm; Er hat mir gestanden, daß Er nur, um mich
von der Ehe mit Justine abzuhalten, mir die Eröffnung gemacht, die aber
demungeachtet eine völlig wahre sei. Er hat sich endlich gutwillig in
jenes Zimmer verfügt, wo ich Ihn inne zu halten für gut befand, damit
es mir bei der Klage nicht an dem Gewährsmanne fehlen möchte. Bedenke
Er aber selbst, wohin meine Klage führen würde: zu Seiner eigenen
Haft, zu Seiner eigenen Schmach, als Hehler der begangenen Blutthat.
Der Senator würde eines schimpflichen Todes sterben, seine Familie
würde zu Grunde gehen, mein Schmerz wieder tausendfach erneut, meines
Vaters Gebeine in ihrem Grabe gestört werden; und zu welchem Endzweck?
Würde diese Genugthuung mein Herz befriedigen, den geliebten Todten
wieder in's Leben rufen? Und die Unglücklichen, die -- ihren schuldigen
Gatten und Vater beweinend -- mir, dem unglücklichen Verfolger fluchen
würden!... ach, welch' eine Zukunft! Darum will ich lieber schweigen,
wie das Grab über dem Todten, und verlange dasselbe von Ihm: schwöre
er mir's abermals auf die Bibel, und dann gehe Er hin, von wannen er
gekommen, so wie ich nach der Heimath zurückkehren will: vergessend --
und rein von Fluch!«

Nothhaft vernahm mit innigem Wohlgefallen Birshers Worte. Er hätte
tausend Eide geschworen, nur um den Folgen eines Schritts zu entgehen,
den er weniger aus unverbesserlicher Bosheit, als, von frechem Trotze
und Eifersucht bewegt, gethan hatte. Er entlief mit Riesenschritten
dem Gasthause und suchte den Weg nach seinem Städtchen. Birsher war
mit seinen Entschlüssen zufrieden, und überlegte gerade, wie er dem
Senator, wenn derselbe sich nicht bereits auf der Flucht befände,
seinen edelmüthigen Vorsatz kund zu geben hätte -- wie er von Justine
Abschied nehmen sollte, als der Magister aus Faldern zu ihm trat.

»Was wollen Sie, Magister?« fragte Georg hastig und verdrüßlich,
gestört zu werden.

»Der Ueberbringer des Dankes sein, welchen Ihnen zwei redliche
getröstete Herzen zollen,« antwortete der Magister freundlich und
zutraulich.

»_Zwei_ getröstete Herzen? -- Schon gut!«

»Und der Bitte zugleich, diesen Dank aus dem Munde der Getrösteten
selbst hören zu wollen.«

»Ihr Zögling soll zu mir kommen. Ich will ihn kennen lernen.«

»Und Justine, die sich sehnt, Ihnen ein dankbares Wort zu sagen.«

»Welche Zumuthung? Will sie sehen, wie mich die Entsagung kleidet?«

»Und Justine, die sich vor Ihnen rechtfertigen möchte?«

»Falschheit, sich rechtfertigen? Ich mag sie nicht beschämen!«

»Und Justine, die Ihnen etwas Wichtiges anzuvertrauen hat, das nur
Ihrem theilnehmenden Herzen vertraut werden kann; das auf das Glück
Ihres Lebens den größten Einfluß haben wird?«

»Magister! Sie schlagen die rechte Saite an. Justine soll einen Mann
in mir finden, den Liebeskummer nicht niederbeugt; einen Mann, der das
Gute nicht halb thut. Ich bedarf dieser Prüfung, um mich zu einer edeln
That würdig zu stärken. Ich folge Ihnen; ich will dem Mädchen ebenfalls
eine Nachricht bringen, die wohl manches Herz beruhigen dürfte. Wo,
wann harrt meiner das Paar, das ich durch meinen Rücktritt so sehr
beglückte?«

»Wenn Sie mir folgen wollten?... ich führe Sie.«

»Recht; geschwinde mein Freund! Sie noch einmal zu sehen -- sie
zu beruhigen, und dann schnell wiederzukehren, um meine Abreise
anzuordnen. --«

Georg ging mit dem Magister weg, ohne wiederzukehren. Die Stunden
gingen vorüber, der Abend war da. Der Gast im Schwan blieb aus. Die
Wirthin, die den jungen, stillen Mann wohlwollend in's Auge gefaßt
hatte, wurde unruhig. Mit einbrechender Nacht sendete sie in des
Senators Haus, um nach dem Amerikaner fragen zu lassen. Er war dort
nicht gesehen worden. Der Senator schickte den Kellner mit dem kühlen
Bescheide zurück; ging dann auf seine Stube, heimlich seinem Gott zu
danken, und den Zettel wieder durchzulesen, den ihm um die zweite
Stunde des Nachmittags der Doctor geschickt hatte, mit den lakonischen
Worten: »Fassen Sie Muth, Gebeugter! Wir verlassen Sie nicht. So eben
ist _er_ fort, um nicht wieder zu kommen. Er wird Sie ewig in Ruhe
lassen!«

Der Senator küßte, seiner Angst entledigt, den kurzen Brief; trat
dann zu seiner Familie und sagte: »Mein armes Bräutchen Justine! Dein
Verlobter scheint auf Abwege gekommen zu sein. Wir wollen morgen, am
Tage des Herrn sammt und sonders zur Johanniskirche wandeln, um den
Segen Gottes anzuflehen, daß er den Handelsfreund wieder gesund zu uns
zurückbringe!«

»Endlich wieder ein frommer Vorsatz,« erwiderte die Senatorin: »nur
Schade, daß der _Bürgermeister_ dich heute zur Gottesfurcht bekehren
mußte. Bei alle dem finde ich's ungezogen, daß Herr Birsher heute
gänzlich ausbleibt. Wenn nur die leichtfertige Französin, die sich auch
seit dem Morgen nicht sehen ließ, den zu täppigen =Sans façon= nicht
berückte!«

Justine schwieg; aber in ihre Augen traten unwillkürlich Thränen:
unwillkürlich seufzte der Mund. »Ja, Vater,« sagte sie, als dieser am
Abend freundlicher und ruhiger als seither Abschied von den Seinen
nahm: »wir wollen morgen aus dem Grunde des Herzens beten, damit
Eintracht und Friede nicht von uns weiche!«

Am nächsten Morgen stand Pater Münzner sehr frühe auf, um sich zu
dem Gottesdienste vorzubereiten. In dem Garten kam ihm bereits sein
Pflegesohn entgegen. Leidenschaftlich faßte ihn dieser bei der Hand,
und rief: »Wohl mir, daß ich Sie endlich allein finde, mein Vater! Des
Superiors Gegenwart hat meine Zunge gebunden, sonst hätte ich Ihnen
gestern schon gestanden, wie sehr ich's bereue, daß ich Sie verkannte!
Ja, mein würdiger Pfleger! Sie wollen mein Glück; Sie wollen es, wenn
Sie mir es auch verhehlen; meinen ewigen Dank dafür!«

»Verstehe ich dich, Unbegreiflicher?« fragte Münzner staunend.

»Ihre Güte war mir unbegreiflich,« fuhr James heftig und entzückt fort:
»aber die Wege der Vorsehung sind es ja auch, und dennoch gut und
dennoch beglückend! Mögen Sie es doch wissen, daß ich Alles erfuhr, aus
Birshers edelmüthigem Munde erfuhr!...«

»Birsher? um's Himmels willen! was weißt du?«

»Daß Sie mit ihm geredet, daß Sie sein Herz gerührt!.... daß Justine --
das herrlichste Glück! daß Justine mir gut ist, daß sie, die so schlau
ihre Liebe zu verbergen wußte, mein Bild, -- vielleicht hat ihre liebe
Hand es selbst entworfen -- mein Bild auf ihrer Brust trägt, -- daß der
gefürchtete Bräutigam zurücktritt!...«

»Mensch! du fabelst!«

»Läugnen Sie nicht, mein Vater! Ist es denn ein Verbrechen, einen
liebenden Jüngling zu beglücken? Ich bin verschwiegen! Ich sehe ein,
daß Sie Gründe haben können, vor dem Superior, der mich in's Noviziat
schleppen will, Ihr menschenfreundliches Bestreben zu verbergen, daß
Sie nur Zeit gewinnen wollen!... Legen Sie jedoch uns gegenüber das
Geheimniß ab, und hören Sie meinen Plan. Ich werde nicht Priester! Der
Soldatenstand allein kann und wird mich Justinen näher bringen. Ich
habe gestern des letzten Schwedenkönigs Leben gelesen -- es hat mich
begeistert! Noch bin ich jung; noch wetterleuchtet es am Horizonte
Europa's! Ich liebe, ich hoffe! das Glück muß mir zur Seite stehen!«

»Jesus Christus!« versetzte der Doctor blaß und betrübt: »Du lässest
mich nicht zu Worte kommen, und dennoch muß ich dir mit blutendem
Herzen betheuern...«

Rasche Schritte von Annähernden unterbrachen ihn. Der Superior mit
allen Zeichen des Schreckens -- die Lainez, wie ein Schatten folgend --
eilten herbei.

»=Hannibal ante portas!=« rief der Erstere, der einen dicken Brief
in der Hand trug: »Hochwürdiger Herr! Jetzt gilt's, zum Streit sich
rüsten!«

»Wie so? wie das?« fragten der Doctor und James.

»Erzählen _Sie_, während ich dies Schreiben durchlaufe;« versetzte der
Superior zitternd und bebend. Die Lainez sprach mit erlöschender Stimme:

»Wir sind verrathen; Alles kömmt an den Tag. Des Schreiner Ulrichs
Frau ist in der Nacht krank geworden; der Mann hat unser Gebetbuch
unter ihrem Kissen gefunden. Die Drohungen des Mannes, wie der Schmerz
ihres Körpers haben Sie zugleich bedrängt; sie hat gebeichtet, daß sie
katholisch geworden, -- daß eine stille Gemeinde bestehe, -- daß in dem
Johanniterhofe...«

»Gott stehe uns bei!« riefen die Zuhörer.

»Vor einer halben Stunde...« fuhr die Lainez erschöpft fort, --
»läßt der Rottmeister, bei dem der Schreiner Alles angezeigt, den Hof
umringen, -- das Thor aufsprengen, den Verwalter fest nehmen, Alles
durchsuchen. An meiner Thüre vorüber dringen die Schergen in die
Kapelle. Unsre heiligen Zierden fallen in ihre Hände. Man bemerkt mich
nicht im Tumulte: ich entspringe, um hier das Unglück anzusagen!«

Litzach stürzte in den Garten. »O meine Herren! meine heiligen Väter!
was wird daraus werden?« rief er: »ich erfahre so eben, von dem Dorfe
kommend ... der Verwalter ist verhaftet, läugnet indessen noch fest;
hat nichts gestanden; der Johanniterhof wird verschlossen gehalten,
damit nichts vor der Zeit verlaute: vor dem Polizei-Aufsichter soll
um neun Uhr erst Alles klar werden! Der Sigrist, der entsprang, sagte
mirs, es Ihnen mitzutheilen!«

»Das Interdikt über die Bübin, die den Herrn verrieth!« zürnte der
Superior: »das Etablissement, die Mission ... Alles geht zu Grunde!
Schande kommt über uns! Lassen Sie uns Hand an die Rettung legen, Pater
Münzner! Wir müssen fort, ehe der Lärm um sich greift.«

»Unsere Bücher liegen bei'm Senator;« tröstete der Doctor: »kein Mensch
sucht sie dort. Die Translation war zweckmäßig.«

»Zweckmäßiger als Ihre Verwaltung, Pater Münzner!« entgegnete der
Superior zornig: »solche Leute, wie die Schreinersfrau, an- und
aufzunehmen...! plaudernde Gänse...!«

»Mein Vorgänger hat schon...« wollte sich Münzner entschuldigen. --

»Schweigen Sie!« befahl der Superior heftig: »Marsch, auf die Beine!
ihr Uebrigen! Er, Litzach, tummle sich schnell um einen Wagen um. Vor
dem Friederthore will ich einsteigen. Er, James, wird auf der Stelle
alle Habseligkeiten des Paters compendiös zusammen packen. =Cito!
citissime!=«

James eilte hinweg. Litzach rang die Hände; »ich bin der
Unglücklichste!« seufzte er: »was wird aus mir, -- was aus meinen
Kindern, und was aus meiner kranken Frau werden?«

»Was Gott will!« antwortete der Superior hart und rauh: »packe Er sich
fort, und besorge Er den Wagen!« -- Litzach gehorchte, fast weinend. --

»Laufe Sie, Lainez!« sagte der Superior dringend zu dieser: »ein
Weibsbild mengt sich ohne Gefahr unter Gaffer und Pöbel! Horche, laufe
Sie. Wenn etwas Ungerades sich verspüren läßt, ... schnelle Post
hieher!« --

Die Lainez eilte weg. »Pater Münzner!« fuhr der Superior fort:
»unsers Bleibens ist in diesem Hause nicht. Der Doctor Leupold wird
bald aufgesucht werden! Schändlicher Baalstreich! Wir flüchten uns
einstweilen in des Senators Haus, wo man uns sicherlich nicht sucht.«

»Ich Unglücklicher!« rief Münzner, wie in Verzweiflung; »daß dieses
Unglück unter meiner Verwaltung geschehen mußte! Welch ein Empfang
wartet meiner in unserm Hause und beim Provinzial!«

»Erkennen Sie, ob ich Ihr Freund bin!« erwiderte der Superior, indem
er ihm den Brief reichte, den er vorhin gelesen; »ich will Sie der
Traufe entziehen, weil Sie mir ein wohlgefälliger Mitbruder gewesen.
Der Provinzial trägt mir auf, ein tüchtiges Mitglied nach Assumption im
Paraguay zu schicken, um den Handelsangelegenheiten vorzustehen. Ihre
Mission allhier ist leider nun erledigt; verbergen Sie Ihre Scham in
Amerika, bis der General Sie zur Rechenschaft rufen läßt. Es verfließen
indessen Jahre, die Sache schlummert ein, und ein simpler Verweis tritt
an die Stelle der harten Pönitenz.«

Der Doctor nahm mechanisch die Commission, ohne ein Wort zu erwidern.
Der Superior sowohl, als die Hauswirthin, die ängstlich herbeikam,
drangen in ihn, sich in Sicherheit zu setzen. Kaum, daß ihm die Zeit
verblieb, seinen James zu umarmen. »Ich gehe nach Paraguay!« sagte er
weinend zu ihm; »das Schicksal macht hier ein schnelles Ende mit uns.
Wir sehen uns vielleicht nie wieder. Folge darum dem ehrwürdigen Pater
Superior, der dein Glück will! Vergiß, armer Getäuschter, und zürne mir
nicht!« --

Der Jüngling war von dem Augenblicke zu sehr erschüttert, um auf
die Rede seines Pflegevaters merken zu können. Der Superior riß den
Doctor unwillig mit sich fort, und ermahnte den jungen Engländer im
Novizenmeisterton, seine Packarbeit zu fördern, die Effekten vor das
Friederthor zu schaffen, und bei dem Wagen seiner zu warten, um mit
ihm sich zu entfernen. Hierauf schlugen die geistlichen Herren, die
Hüte tief in die Stirne gedrückt und herabgekrempt, den Weg nach
Müssingers Wohnung ein. Ein heftig niederstürzender Regen begünstigte
ihre schnelle Wanderung. Die Kirchenglocken riefen von allen Seiten die
Gläubigen zum Gottesdienste, und leerten die Straßen. Ohne Aufenthalt
waren die Väter an des Senators Thüre gekommen. Sie war verschlossen.

»Der Senator ist in der Kirche!« sagte der Superior, sich besinnend.
»Wir erlaubten ihm ja gestern, als wir die Register brachten, das
Possenspiel mitzumachen, um seinen Leumund wieder zu heben.«

»Ich habe glücklicher Weise den Schlüssel zu der Hinterthüre in der
Tasche,« versetzte der Doctor; »er gab mir ihn, um unbemerkt zu kommen,
wann ich wollte; es ist sonderbar, daß es heute zum ersten und letzten
Male sein muß.«

Sie traten in das Gäßchen; der Schlüssel paßte, und die Herren stellten
sich unter das Gewölbe des Hauses, um zu berathschlagen, ob der Senator
zu erwarten, oder vielmehr rathsam sei, daß der Superior oder der
Doctor zuerst sich auf die Flucht mache. --

Während dieses in seinem Hause vorging, saß der Senator, noch
von Allem ununterrichtet, mit den Seinigen im Betstübchen der
Johanniskirche. Das Gebäude war gedrängt voll. Das schlechte Wetter
hatte es ungewöhnlich angefüllt. Die Orgel schmetterte die Melodie des
Liedes, und nachdem einige Verse desselben verklungen, betrat Pastor
Lammer die Kanzel. Sein Gesicht war feurig, seine Augen sprühten und
rollten in der Runde umher. Auf dem Oratorium des Senators haftete ein
drohender staunender Blick, dem alle Augen der Anwesenden folgten.
Heftig zerrte des Predigers Hand an der faltenreichen Krause; er
hustete; er öffnete den Mund, ... da fiel ein Donnerschlag ein, dessen
Vorgänger unter dem geräuschvollen Orgelspiel nicht gehört worden
waren, und ein Blitz leuchtete durch die grauen Fensterscheiben, die
der Stromregen peitschte. Lammer sah, während ein Laut des Schreckens
durch die Kirche ging, furchtlos nach der Seite, wo der Blitz
erschienen, ... seine Mienen nahmen eine gewisse Begeisterung an, --
verächtlich schob er das Concept seiner Predigt, das vor ihm auf dem
Kanzelrande lag, hinunter, und begann plötzlich aus dem Stegreife mit
aller Kraft seiner Stimme:

»Du donnerst, Herr der Welten? Du starker zorniger Gott? ja,
Barmherziger, entziehe mich heute der schweren Pflicht, deine
Gebote zu erklären! Nimm selbst das Wort, damit gerade am heutigen
verhängnißvollen Tage die Sünder zittern und ächzen, wenn du in
deinem Zorne sagst: »Ich bin der alleinige starke Gott, und du sollst
keine Götter haben neben mir!« Laß deine Gewitter rollen und den
grauen Schleier vom Himmel nieder fallen, damit die Natur in Sack
und Asche traure; schreibe einen außerordentlichen Bußtag aus für
außerordentliche Sünden! denn sie haben dein erstes Gebot mit Füßen
getreten! denn sie haben andere Götzen neben dir! denn sie haben
dich geschändet, als wärst du nicht der starke eifrige Gott, sondern
das elende Heidenbild Dagon, ein zerbrechliches Stück Koth! aber sie
täuschen sich, denn _sie_ knieen vor den faulen Götzen! sie betrügen
sich, denn _sie_ haben keine Bundeslade, vor welcher du den Staub
küssen müßtest! sie haben sich belogen, denn ihnen ist die Hölle
worden; meine Brüder! vernehmt, daß das Weib aus Babylon auferstanden
war, daß es sich gelagert hatte an den Thoren dieser Stadt, und daß es
gesprochen: kommt her, die ihr mich heimlich lieben wollt, und sündigt
mit mir! -- O der Schande! o des Gräuels! o der verfluchten Ueppigkeit!
sie sind nicht vorübergegangen an dem frechen Weibe! sie haben ihr Ohr
nicht vor der Schlange verstopft! sie haben mit ihr gebuhlt! ja, meine
Freunde! ja, meine Brüder! das römische Pabstthum hat eine Winkelstube
in unserer Stadt errichtet; es hat vielen Eurer Mitbürger das ewige
Seelenheil gegen falschen Tand abgetauscht. Doch nicht alle Sündige
waren verstockt; ihrer waren etliche, die Reue fühlten. Sie haben
bekannt. Die Kapelle ist entdeckt, die Hülle ist von der abscheulichen
Verschwörung der Finsterniß gefallen! sie sind entlarvt, und harren
angstvoll der verwirkten Strafe!«

Eine Bewegung der Unruhe, des Abscheus, der Bestürzung, durchlief die
Versammlung, und jedes Ohr horchte neugierig auf die Fortsetzung der
Predigt. Der Senator konnte sich kaum vor Schrecken an der Brüstung des
Betstübchens erhalten; die Senatorin starrte dumm und nicht begreifend
auf den Prediger; Justine, ahnungsvoll und beklommen, behielt den Vater
ängstlich im Auge. -- Der Prediger fuhr mit erhöhtem Kraftaufwande fort:

»O, wie zittern jetzo die Herzen der Sündigen! wie werden sie
wünschen, gar nicht geboren zu sein! und dennoch selig noch diejenigen,
die Schaam und Reue empfinden! seliger noch diejenigen, die ihre
schweren Verbrechen durch ein aufrichtiges Geständniß versöhnten! aber
dreimal verworfen diejenigen, so in ihrem Irrthume, in dem Laster
beharren! dreimal verworfen die gottlosen Priester aus Babel, die das
Volk des Herrn verführt haben, und Unkraut gestreut unter den Waizen!
-- Wie soll ich euch aber nennen, Gottesläugner! was soll ich euch
prophezeihen, ihr Verstockte! die mit der Abtrünnigkeit noch Heuchelei
verbinden? die mit glatter Stirne den Tempel des wahren Christenthums
besuchen, und das falsche im Busen tragen? besser wäre es, ihr bliebet
aus dem Hause Gottes, das ihr durch eure betrügerische Gegenwart
verunreinigt! -- wie soll ich aber denjenigen nennen, der -- selbst ein
Richter im Volke.... der -- selbst ein Erhalter der Gesetze -- das Volk
verräth, indem er dessen Verführung begünstigt?... das Gesetz schändet,
indem er thut, was es in seiner Weisheit verbietet...? den ehrwürdigen
Senat, dem er angehört, brandmarkt durch seine entsetzlichen Frevel?
ihn, der schamlos genug ist, sich allen Augen im Tempel des wahren
Gottes Preis zu geben, sich heuchlerisch darinnen zu brüsten, nachdem
er, geschweige anderer Unthaten, die erst an's Licht kommen werden und
müssen, in dem teuflischen verbotenen Lotto sein Hab und Gut gewagt,
und satanisches Handgeld damit gewonnen?... nachdem er ... ich spreche
es mit Schaudern aus, meine Brüder, -- nachdem er katholisch geworden?«

Der von dem Feuer der tadelnswerthesten Heftigkeit ergriffene
Geistliche deutete mit Blick und Finger auf den Senator unverholen hin,
der, von Beschämung und Wuth gepeinigt, in den Schatten seiner Betloge
zurücksank, nach welcher murmelnd und blasphemirend die Menge gaffte,
auf die der wüthende Prediger noch einen Hagel von Verwünschungen
niederrauschen ließ. Der Auftritt sollte noch gräulicher werden. Der
Senator, an seinem Stuhle nierdergleitend, hatte unbewußt den Arm
seiner Frau ergriffen. Diese, die endlich mit abergläubischem Entsetzen
begriff, wo hinaus der Prediger wollte, fühlte kaum die Hand ihres
Mannes, als sie dieselbe lautschreiend zurückstieß, aufsprang, mit dem
Gesangbuche nach dem Ohnmächtigen warf und kreischte: »Weg von mir,
elendiger Mann! das fehlte noch, katholisch zu werden! Gott erbarme
sich unser! Ich bleibe keinen Augenblick mehr an deiner Seite!« --

Vergebens warf sich Justine ihr bittend in den Weg. Schluchzend,
wüthend, wie eine dem Teufel Entlaufende, drängte die Senatorin ihre
Tochter von der Thüre. »Weg, Satanskind!« rief sie aus vollem Halse:
»helft mir, ihr guten Christen! Ich gehe nicht mit einem Schritte mehr
in das Haus der Abtrünnigen!«

Auf der Treppe von einem Schwarme von Betschwestern umringt, die
fragten und schimpften, und bedauerten, ging das Kreischen des
unvernünftigen Weibes in ein widerliches Heulen über, das der Menge
Gemurre und des Predigers Stentorstimme gewältigte. »Ich unglückliches
Weib!« schluchzte sie: »wer führt mich zu meinen Verwandten, damit
ich sicher sei vor dem Teufel, an den man mich verheirathet hat? Ich
habe zu Allem geschwiegen, aber nun kann ich's nicht mehr. Der elende
hat im Lotto gespielt, hat den Holländer umgebracht, und nun erst ...
katholisch zu werden...! ich armseliges Geschöpf!«

Endlich wurde sie fortgebracht, und mit ihr ging die Steuercommissärin
und viele Freundinnen. »Da haben wir's ja!« sagte die Erste
triumphirend. »Da hören Sie's selbst, meine Lieben! den Holländer
umgebracht, ... wahrscheinlich nicht minder dessen Sohn, der seit
gestern verschwunden ist...! Lotterie gespielt ... katholisch
geworden! und mit alle dem that der schlechte Mann als wie ein
Tugendspiegel! Aber mein Mann soll auf der Stelle zum Bürgermeister,
und dann wollen wir sehen, ob noch Recht im Lande ist!«

Während dessen schritt, von einem angsterregenden Menschengedränge
umgeben, von Justine unterstützt, der todtenähnliche Müssinger durch
die Kirche und über die Gassen. Es regnete entsetzlich. »Warum gehst du
nicht zu der Mutter?« fragte er die Tochter leise und ohne die Augen zu
ihr aufzuheben. »Ich bleibe bei Ihnen,« erwiderte sie sanft: »ich kenne
die Mutter nicht mehr. Ich habe im Stillen geahnt, was Ihre Vernichtung
mir bestätigt! Ach, ich habe nicht falsch gesehen,.. der Doctor!..
Aber ich liebe Sie jetzt _mehr_, um Ihres Unglücks willen, und begehre
nicht, von Ihnen mich zu trennen.« -- »O mein armes, einziges, liebes
Kind!« sprach der Senator unter Wehmuthswellen, und schauderte sichtbar
zusammen, weil eine Menge Volks vor seinem Hause sichtbar wurde,
und die Hellebarden und rothen Röcke der Rathshatschiere von der
Thüre daher blinkten. -- »Ich werde in Arrest gebracht!« seufzte der
Beängstigte. Justine erschrack; ihre Thränen fielen auf seine Hand.
Der Senator erhielt im Gedränge einen Stoß auf die Brust; er sah zur
Seite und erblickte sein schweres Portefeuille, das ihm eine hülfreiche
Hand in den Busen schob. »Einen Gruß von den Herren!« sagte der blasse
Litzach zu ihm, der sich wieder niederduckte: »Sie sollen das bewahren
und fliehen. Die Bücher sind verbrannt und zerrissen. Ernst hat Sie
verrathen, fliehen Sie nach Amsterdam, der Doctor erwartet Sie.«

Die Worte waren wie im Fluge gesprochen worden, und der dem Senator
unbekannte Bote verschwand. Der Senator verbarg mechanisch das
Taschenbuch, das seine Wechsel und Obligationen enthielt, ohne
darüber nachzudenken, wie es wohl aus dem verschlossenen Hause in
die Hände jenes Menschen gekommen. Zwei Senatoren, Commissarien des
Bürgermeisteramts, die in ihren schwarzen Kleidern und weißen Perücken
ungeduldig im Regen warteten, riefen dem verdächtigen Collegen zu,
die Thüre schnell aufzumachen. Müssinger gehorchte; Commissarien,
Hatschiere, Volk drangen in das Haus. Justine wurde von des Vaters
Arm gerissen, und flüchtete in das obere Stockwerk, dessen Treppe von
den Hatschieren besetzt wurde. »Ihre Papiere!« hieß es unterdessen zu
dem Senator. -- Er bückte sich, die Thüre seines Cabinets zu öffnen.
Sie war schon offen. Man trat ein. Der Pult war gewaltsam geöffnet
... von den Büchern der Jesuiten, die darinnen verwahrt gewesen, sah
der Senator, selber staunend, keine Spur. Unglücklicherweise jedoch
fand ein Spürhund in einem Winkel die Legenden der Heiligen Ignaz und
Xaver. Als ein Beweis des Gesuchten wurde das Buch mit Jubel empfangen.
»Unwürdiger Mann!« sagte ein Senator zu dem verstummenden Müssinger;
»die Schlüssel zu der Kasse, damit sie für's Erste in Beschlag genommen
werde!« »Oeffnen Sie die geheimsten Fächer des Bureau's!« sagte der
Zweite; »man hat Sie mit Seelenverkäufern umgehen gesehen; nach der
Aussage Ihrer eigenen Comptoirbedienten Nothhaft und Berndt. Wo ist die
Correspondenz über diesen schändlichen Trafik?« --

Müssinger läugnete und verwies auf seine Handelsscripturen.

»Wer seinen Gott verläugnen kann, lügt auch vor Menschen!« sagte Einer
der Commissarien: »wie kömmt es aber, daß Ihr Pult bereits geöffnet,
gewaltsam geöffnet ist?« --

Müssinger bezeigte seine Unwissenheit.

Indessen kamen zwei Personen herbei, die viel Verwirrung in den
Auftritt brachten. Der Erste, ein Schwager der Senatorin, zu dem
die bösartige Frau sich geflüchtet und welcher erschien, um deren
Eingebrachtes zu reklamieren; der Zweite, der Comptoirdiener Berndt,
den Neugierde und Schrecken zu kommen vermocht hatten. Der Schwager
der Senatorin mischte sich mit vielem Lärm und aufgeblasenem Benehmen
in die Geschäfte der Commissarien, und diese hielten es für gut,
den Diener Berndt verhaften zu lassen, weil gegen ihn der Verdacht
obwalte, auf vorläufigen Befehl seines Principals aus der Kirche
entwichen zu sein, und das Pult gesprengt zu haben, um die schwersten
Indicien, sowohl des Katholicismus, als des Lottospiels, als der
Seelenverkäuferei, aus dem Wege zu räumen. Während nun der unschuldige
Comptorist deprecirte, und die Hatschiere Gewalt brauchen mußten, den
jungen Mann, der seiner philadelphischen Sanftmuth gänzlich vergaß,
festzuhalten, -- während der Senatorin Verwandter seinerseits schrie
und die Commissarien übertäubte, die Zuschauer sich um diese Scene
drängten, stießen, und kleine Debatten unter sich selbst hielten,
erwischte Jemand den Senator Müssinger beim Kleide, und zog ihn mit
kecker Faust in das Gedränge, durch das Gedränge, und Niemand bemerkte
es im Tumult. James war der Kühne. »Kommen Sie!« flüsterte er dem
Staunenden dringend zu, riß ihn durch den Ausgang, unfern von der
bewachten Treppe vorbei in den Hof, nach der Hinterthüre, klinkte sie
auf, und nun stracks mit dem Geretteten fort durch das öde Gäßchen.

»Wohin, wohin, mein Freund?« fragte Müssinger athemlos.

»Still! kein Wort!« versetzte der Jüngling, und lief, so schnell
der Senator selbst konnte, nach einer Querstraße, wo er in ein Haus
schlüpfte, das ein Werbschild über der Thüre trug. Er hieß den
Begleiter folgen, und trat mit ihm rasch in die niedrige Stube, wo
einige Reiter, in bunten Uniformen, saßen und tranken.

»Kameraden!« rief James, als wie begeistert: »Ihr seid Katholiken!
Es gilt hier, einen Katholischen zu retten! Einen Helm, einen
Reitermantel, ein Pferd für den Verfolgten! Zwei von Euch zur
Bedeckung, die ihn geleitet, bis zum Weichbilde geleitet, und nehmt
dafür mich hin, mit Leib und Seele! Ich begehre kein Handgeld als den
Liebesdienst!«

»Was thut Ihr, mein Freund?« fragte Müssinger verweisend, sank
aber erschöpft auf eine Bank. Ein Reiter bot ihm Wein. Die Andern
überlegten; endlich, einig geworden, daß ein hübscher Bursche hier
zu werben stehe, und wohlfeil, so wie nie, sagte der Wachtmeister:
»Meinetwegen, Monsieur. Geb Er mir die Hand, und trink' Er aufs
Wohlsein unsers Herrn!« -- James stieß eiligst an. -- »Pressirt's mit
dem armen Mann?« fragte der Unteroffizier weiter. James bestätigte es
dringend, erzählte, er habe gehört, man wolle die Thore schließen,
um sich der heimlichen Gemeinde desto gewisser zu versichern. Der
Unteroffizier lachte der ungeschickten Maßregel. »Unsrer Uniform
stehen, so Gott will, alle Thore offen!« sagte er, trotzig den Bart
streichend: »schafft nur für den Herrn Stiefel, Mantel und Helm herbei,
ihr Bursche. Mit ihm auf's Pferd dann, in Gottes Namen! scharfen Trab!
ich bleibe indessen bei dem jungen Rekruten da!«

Während Einer ging, die Monturstücke herbeizuschaffen, und der Andere,
die Gäule aufzuzäumen, umarmte Müssinger kraftlos schwankend den
Jüngling. »Nehmt die Hälfte meines Geldes!« sagte er, die Brieftasche
hinreichend. James stieß sie mit glänzendem Auge von sich. »Ich
will schon meinen Lohn fordern, wann es Zeit sein wird!« antwortete
er, half dann dem willenlosen Senator seine Verwandlung vollenden,
drückte ihm an Statt der Perücke den Helm auf den Kopf, und empfahl
ihm, das bartlose Kinn tief in den Radmantel zu stecken. Indem er ihn
unterstützte, um ihn zum Pferd zu geleiten, rief Müssinger, wie aus
einem Traume auffahrend: »Justine! Meine Tochter! Sie bleibt zurück;
und hat doch geschworen, sich nie von mir zu trennen! Edelmüthiger
Mensch! wollt Ihr die Krone auf Eure That setzen, und die Angst meiner
Tochter endigen? Mein Buchhalter soll sich ihrer annehmen,..... er soll
sie mir nachführen..... nach Amsterdam, zu van den Höcken, wo ich ihrer
sehnsuchtsvoll warte!«

»Es soll geschehen, Ew. Edeln,« versicherte James: »ich werde sie
aufsuchen; -- will's Gott! auch sie retten, Ihnen nachsenden. Gott
geleite Sie....«

»Armer Mensch!« klagte Müssinger: »wie lasse ich dich zurück? Du hast
deine Freiheit, dein Leben um meinetwillen verkauft. Schreibe, melde
mir, ob Geld dich wieder befreien kann, und ich....«

»Possen!« rief der Wachtmeister ärgerlich dazwischen: »war er ein Paar
Wochen zu Pferde, so begehrt er's nicht mehr anders. Aber zu Pferde,
Herr, zu Pferde, müssen auch Sie, damit meine Bursche um Mittag zurück
sein können. Der Trompeter bläst. Steigen Sie auf, und machen Sie
meinem Gaul keine Schande. Er geht auf's Wort.«

Indessen hatte James dem Senator zugeflüstert: »Ich brauche kein Geld,
lieber Herr, und indem Sie mir das trauliche »Du« gaben, haben Sie die
Hälfte Ihrer Schuld abgetragen. Leben Sie wohl! Gott mit Ihnen!«

Der Senator wurde auf's Pferd gehoben, und trabte majestätisch zwischen
den Reitern durch Stadt und Thor, welches die Stadtsoldaten gefällig
und gehorsam vor dem gefürchteten Feldzeichen aufrissen.

Justine wußte von all' diesen Begebenheiten nicht das Geringste. Einer
schüchternen Unentschlossenheit hingegeben, hatte sie in ihrem Zimmer
sich verborgen, um sich zu fassen. Der scandalöse Auftritt in der
Kirche, die Verhaftung ihres Vaters, die Ungewißheit ihrer zukünftigen
Lage, bestürmten zugleich ihre Sinne, daß sie auf einen Augenblick die
Selbstständigkeit ihres Charakters vergaß. Die Stimme ihres Vetters,
der endlich sich vernehmen ließ, -- der die Treppen heranstieg, um die
Effekten seiner Schwägerin in Beschlag zu nehmen, der von Verschließung
aller Gemächer redete, der rauh und ungeschliffen sich bei allen
Domestiken nach seiner Verwandten Justine erkundigte, um sie in sein
Haus, zu ihrer Mutter zu führen, -- diese Stimme raffte Justinens Muth
zusammen. Dem eigenwilligen Mädchen erschien plötzlich nichts auf Erden
schrecklicher, als unter die Vormundschaft dieses Menschen treten zu
sollen, den es längst gehaßt hatte; unter die Leitung einer Mutter, die
es von ganzem Herzen mißachten mußte. Justine zauderte nun nicht mehr;
sie hoffte nicht ferner auf eine Eingebung von Oben: ihr Entschluß war
plötzlich gefaßt. Ihr Vater im Kerker? Welcher andere Ort wäre wohl
ihre Stelle gewesen? Ihr Vater verbannt? Welche Pflicht erschien ihr
theurer, als die, den Urheber ihrer Tage zu begleiten? Sie ließ, in
ihre Stube eingeriegelt, den im Hause herumstöbernden Schwager ihrer
Mutter seinem überlästigen Geschäfte obliegen. Sie packte während
dessen ihr erspartes Geld, ihre Kleinodien zusammen; sie erwartete
mit Herzklopfen den Augenblick, in welchem die Wege zur Flucht rein
sein würden; er kam. Sie entschlüpfte; sie eilte die Treppe hinunter.
Nirgends mehr eine Wache; das Comptoir verschlossen, und den Vater auf
dem Bürgergewahrsam aufzusuchen ihre Aufgabe.

Das Gewitter des Morgens sendete noch immer fürchterliche Regengüsse,
Ihrer nicht achtend, trat Justine aus dem Hause. Eine Frau stürzt
ihr entgegen; die Lainez. »Wohl mir, daß ich Sie finde!« sagt diese
athemlos: »Sie glauben mich im Unrecht. Aber Sie sollen sich vom
Gegentheil überführen. Ich habe den Moment erspäht, Sie zu retten.
Kommen Sie mit mir, wenn Sie nicht nach Ihrer Mutter verlangen!«

»Ich verlange auch nicht nach Ihnen!« antwortet Justine, und will
sich von der Französin losmachen: »lassen Sie mich! mein Vater ist im
Gefängniß! ich will -- ich muß zu ihm!«

»Zu ihm? Sie wissen aber nicht?...«

»Was, Madame?«

»Ihr Vater ist entwischt; Niemand weiß, wohin!«

»Entflohen? Gott sei gelobt! Adieu, Madame, ich folge ihm!«

»Wie? ohne Spur? ohne Nachricht?«

»Der Herr wird mich erhören. Meine Angst wird ihn finden! Lassen Sie
mich!«

»Sie machen sich unglücklich! Der Senator hat ohne Zweifel die Stadt
verlassen!«

»Gleichviel! Ich suche ihn auch nicht in dieser Stadt!«

»Sie sind aber hier eingesperrt. Alle Thore sind geschlossen; Niemand
wird ohne die strengste Untersuchung hinaus gelassen. Man kennt Sie!
man wacht sorgfältig über die Angehörigen des Senators. Man wird Sie zu
Ihrer Mutter bringen!«

Diese Nachricht lähmte Justinens Kräfte. Mit einem tiefen »Ach!« griff
die Wankende nach der Hand der Französin, die mit ihr indessen an die
Ecke der Straße gekommen war, und dringend weiter redete: »Aufschub
ist's, den Sie gewinnen müssen! Lassen Sie die ersten Tage der Unruhe
vorübergehen! Sie werden ohne Zweifel Nachricht von dem Vater erhalten!
Rauben Sie sich jedoch nicht die nöthige Freiheit, ihm alsdann folgen
zu können. Vertrauen Sie sich mir. Auch ich bin verfolgt, fürchte ich;
auch _mich_ verdächtigt mein Aufenthalt im Johanniterhofe, obgleich
meine Seele rein an jenen Umtrieben ist, rein wie ein Sonnenstrahl.
Ich weiß einen Ort, der uns Beide verbirgt, der uns für's Erste den
nöthigen Schutz verleiht. Folgen Sie mir. Sie werden daselbst sichrer
sein, als unter den Augen Ihrer Mutter, die vielleicht Schuld an dem
ganzen Unheile trägt, das Ihren Vater betroffen hat.«

»Lieber in den Tod als zu dem despotischen Onkel, -- als zu der Mutter,
deren Vorwürfe mich umbringen würden!« rief Justine; »ich will noch
einmal an Ihre Aufrichtigkeit glauben. Bringen Sie mich von hier!«

»So eilen Sie!« ermahnte die Lainez, und führte Justine schnell mit
sich von dannen; weit vom Vaterhause, auf dem Paulsplatz, wo sie
sehr durchnäßt ankamen, allein doch unbeachtet. Rasch schritten die
Frauen auf die Kirche los; heftig zog die Lainez die Glocke an dem
Pförtchen des Thurms. Die wenigen Minuten, deren der Thürmer bedurfte,
um herabzukommen und aufzuthun, wurden den Harrenden zu Ewigkeiten.
Endlich ... Schlüsselklang ... das Pförtchen geht auf. Pahlens empfängt
verwundert, freudig erschreckt, die Einstürmenden. »Gott grüße Sie,
Herr Pahlens!« ruft die Lainez in Eile; »oben ein Näheres!« und mit
flüchtigem Fuße eilen die Frauen über die hölzernen Stiegen; an
Glocken und Uhr vorüber, über die finstern Wendeltreppen, durch die
finstern Gangschluchten, und an den hohen Luken vorbei, die eine
schwindelerregende Gruft vor dem Aufsteigenden eröffnen; und nimmer
ruhen und nimmer rasten sie, bis der letzte Treppenabsatz erklimmt,
und die Plate-Forme des Thurms erreicht ist, wo der heftig ziehende
Luftstrom sie zwingt, in des Thürmers Stübchen einzutreten, Platz zu
nehmen, Odem zu schöpfen, und endlich dem nachgefolgten Pahlens die
Absicht ihres Kommens zu erklären. Die Französin faßt sich hierin, so
wie in Allem kurz.

»Sie wissen, Monsieur, was in der Stadt vorging,« sagt sie mit
vertraulichem Tone zu dem Thürmer; »wir sind ebenfalls das Opfer
jener traurigen Ereignisse. Wir fordern von Ihnen Schutz und sichern
Aufenthalt für wenige Tage, und erwarten von Ihrer Galanterie die
Erfüllung unsers Begehrens!«

Ein Strahl von Freude und Behagen fuhr über Pahlens Gesicht; vergnügt
rieb er sich die Hände, und versetzte: »Sie kommen zur besten Stunde,
meine Damen. Mein Gehülfe wurde gestern in das Landkrankenhaus
gebracht, und ich bin allein. Mehrere Tage hindurch kann ich mich wohl
allein behelfen, und der Magistrat wird mir die Schonung seiner Kassa
danken. Ueber diesem Zimmer, in der Kuppel des Thurms, befindet sich
das schönste Belvedere; ein Plätzchen, wie geeignet, die Göttin Venus
mit ihren Grazien und Amoretten zu beherbergen. Sie werden daselbst
wohnen, ungestört sein, und nur die Vorsicht beobachten müssen, sich
nicht sehen zu lassen, wenn sich Neugierige oder Leute, die hier oben
Geschäfte haben, auf dem Thurme einfinden.«

Justine, von dem albern galanten Wesen des Thürmers unangenehm
berührt, drang darauf, das gerühmte Kuppel-Zimmer auf der Stelle zu
beziehen. Ihrem Wunsche wurde also willfahrt, das Frauenpaar in sein
Asyl eingeführt, das in der That eine gewisse Eleganz darbot, und
eine vielversprechende Fernsicht; heute freilich von Regenschleiern
verhüllt. Pahlens, nachdem er sich in seinen besten Putz geworfen, trug
seinen Schutzbefohlenen Alles auf, was die beschränkte Speisekammer
des Junggesellen vermochte, und lud seine Gäste ein, seine Gaben nicht
zu verschmähen. Die Lainez ließ sich nicht nöthigen. Justine versagte,
setzte sich an's Fenster, sah hinaus in die grauen Wolkenmassen, und
weinte und seufzte, und machte Pläne.

Pahlens, nachdem er vergeblich versucht, der Jungfer, die sein Herz
erobert, ein Wörtchen abzugewinnen, ging verdrüßlich davon, die Stunde
zu schlagen; ließ die Frauen allein.

»Wohin sind wir gerathen?« fragte Justine heftig: »wie sind Sie _hier_
bekannt geworden, Madame? Von der Discretion eines geckenhaften
Menschen abzuhängen, der mich durch seine Zudringlichkeiten ärgern
könnte, machte ihn nicht seine Albernheit lächerlich! Warum habe ich
mich von Ihnen beschwatzen lassen?«

»Wissen Sie einen Ort, an dem man uns weniger vermuthet? an dem wir
unbemerkter sind?« fragte die Lainez einsilbig dagegen, und setzte bei:
»ich kenne den Herrn dieses lustigen Hauses zwar nur oberflächlich,
aber getraue mir, für die redliche Reinheit seiner Gesinnung zu bürgen.
Fürchten Sie keine Beleidigung Ihrer Würde, keine Verletzung des
Anstands. Was Sie auch von mir halten mögen ... ich bin eine Freundin
und Bewahrerin strenger Sitte, und Niemand wird mehr als ich von
einer Unbescheidenheit verletzt. Schlafen Sie deshalb ruhig. Morgen
leuchtet uns vielleicht ein günstigerer Himmel. Vielleicht sind wir so
glücklich, etwas Näheres von Ihrem Vater zu erfahren, und Ihr Zweck ist
dann erreicht.«

Dieser Zuversicht sich überlassend, fügte sich Justine in die seltsame
ungewohnte Lage. Der Abend kam, und verging bei einsamer Kerze, und
bei'm Lautenspiel des Thürmers, der sich's nicht nehmen ließ, die
Frauenzimmer zu unterhalten, bis die Zehner-Glocke geläutet werden
mußte. Pahlens Fürsorge hatte den Damen auf den Ruhebettchen des
Belvedere ein erträgliches Lager bereitet. Er wünschte ihnen gute
Nacht, und empfahl ihnen das Licht zu löschen, damit der Wächter, der
nach zehn Uhr auf dem Thurme einzutreffen habe, nicht Unrath merke.

Justine verriegelte die Thüre. Die Lainez löschte die Kerze. Die
beiden schönen Flüchtlinge versuchten, ohne ein Wort ferner zu
wechseln, zu entschlummern. Justinens Augen floh jedoch der Schlaf;
ihrer Begleiterin ging's nicht besser, denn Justine, ganz stille
ruhend, hörte plötzlich, wie sich die Lainez leise aufrichtete, und
in französischer Sprache, -- in der Meinung, ihre Gefährtin schlafe,
-- zu beten anfing. Das Gebet war an die Himmelskönigin, an die
heilige Jungfrau gerichtet, und die Flehende forderte die göttliche
Mutter auf, durch ihre Gnade den traurigen Zustand zu endigen, in dem
sich gegenwärtig die Bittende befinde; ihr es möglich zu machen, den
lauernden Feinden zu entgehen, und unter den Schutz der Gläubigen
zurückzukehren. Sie fügte hinzu, die Jungfrau möchte diese Gnade auch
auf ihre Gefährtin ausdehnen, die um ihrer Eigenschaften willen, zu
dem besten Glücke würdig und berufen sei. Sie möchte ein Wunder ihrer
Huld thun, um das Seelenheil der Protestantin zu retten, sie auf die
Bahn, die ihr Vater betreten, zu führen, ihr alle Sünden zu erlassen,
sie frei und glücklich zu machen! Wenn die göttliche Fürsprecherin
alles dieses Verlangte thue, so verspreche ihr die Beterin eine
neuntägige Bußübung, ein vierzehntägiges Fasten und eine Votivtafel
dem wunderthätigen Bilde zu Montserrat. Hierauf begab sich die Lainez
wieder zur Ruhe, und entschlief bald in vollkommener Friedseligkeit.

Justine, welche aufmerksam gelauscht hatte, machte ihre besondern
Betrachtungen. In dem Grade, als ihr Mißtrauen gegen die Französin
zunehmen mußte, in der sie nun eine eifrige Katholikin, und --
wie sie im Verlauf des letzten Tages geahnt hatte -- ein Werkzeug
ihrer beabsichtigten Bekehrung empfand, nahm auf der andern Seite
wieder ihr Vertrauen zu der Person zu. Die Lainez hatte ja in ihrem
Gebet die Protestantin mehr noch den himmlischen Mächten empfohlen,
als sich selbst; sie hatte für Justinens Erleuchtung und Rettung
gebetet, sie hatte dafür ein Gelübde geleistet! Justine dankte ihr
im innersten Herzen für die Beweise einer liebevollen Theilnahme,
und vergab ihr allen Unglimpf. Justine beneidete sogar die Französin
um ihr Vertrauen, um ihr gläubiges Gebet, das den ruhigen Schlaf auf
die Augen der Beterin goß, erzeugt von der Zuversicht, daß das Gebet
erhört, das Gelübde vergolten werden müsse. Justinens Auge blieb wach
und munter ihr Ohr. Sie sah die Streiflichter der Wächterlaterne, die
um das Thurmzimmergebäude die Runde machte; sie hörte Pahlens und
des ablösenden Wächters Stimme, das heisere Gebelle des Wachthundes,
die von Stunde zu Stunde gegebenen Posaunenstöße in die weithallende
Luft, das erschütternde Ausheben der großen Uhr, die Donnerschläge der
allzunahen Stundenglocken. Unwillkürlich dachte sie an die Mährchen
ihrer Amme, an das Traumgesicht, das Georg Birsher erzählt hatte.
Sie blickte sorglich nach der Gegend der Thüre, ob nicht etwa des
alten Amerikaners wahrhaftiger Geist hereinschreiten werde. Aber
quälender wurde ihre Angst, marternder ihre Schlaflosigkeit erinnerte
sie sich der verflossenen Tage, des Glücksruins ihres Vaters, seiner
Verblendung, seiner Flucht, des Verschwindens ihres Verlobten. Eine
traurige Zukunft rollte sich vor ihrer Einbildungskraft auf, und sie
hätte sich aus den Fenstern des Thurms in das Wolkenmeer geworfen,
wenn es möglich gewesen wäre, auf demselben überzuschiffen nach der
Weltgegend, in welcher sich ihr Vater befand. Dem Andenken des,
gewiß auf immer von ihr getrennten Verlobten weihte ihr Herz nur
eine vorübergehende Klage: des Vaters Bild erfüllte es ganz. Seine
Führerin, seine Begleiterin in dem Labyrinthe seines Unglücks zu
werden, schien ihr Beruf zu sein, und sie sehnte den Tag herbei,
der ihr vielleicht Kunde zu geben bestimmt war. Der Tag kam herauf,
herrlich und prächtig, wie sein Vorgänger häßlich und stürmisch
gewesen war. Justine badete ihre glühende Wange in dem kühl strömenden
Glanzmeere, das um des Thurmes Spitzen lag. Die Nebel des Himmels
hatten sich zerstreut, waren am Horizonte niedergesunken. Durch die
durchbrochenen gothischen Geländer der Plate-Forme schimmerte das
tiefe Blau des Himmels, und über dem frei ragenden Gipfel strahlte
ein feines durchsichtiges Dach von Azur. Schaaren von munterem
Gefieder strichen neckend oder majestätisch vorüber. Der Storch
klapperte fröhlich in seinem Neste; mit ihm um die Wette gurrten die
Ringeltauben des Thürmers. Eine köstliche Aussicht hatte sich durch
die Nacht zum Licht emporgearbeitet. Die weite Fläche um die Stadt,
nur in der weitesten Ferne von Gebirgsumrissen begränzt, prangte in
der vielfarbigen Fülle des nahenden Herbstes. Städtchen mit glänzenden
Thurmknöpfen, Kirchdörfer mit luftigen Ziegeldächern, zwischendurch
belebte Landstraßen, oder weite Baumgelände, oder grüne Fluren, oder
silberne Ströme, oder abgelesene Felder und frisch umgewühlte Aecker,
über deren Furchen wunderliche Herbstseidenfäden ihren weichen,
eisgleichen Spiegel gezogen hatten -- entzückten das Auge. Die
ansehnliche Stadt, von grünen Bastionen, alterthümlichen Warten und dem
Strome umzogen, bildete gleichsam den Korb, aus welchem man in's Weite
sah. Justine hatte diesen Anblick noch nie gehabt. Sie hatte noch nie
hernieder gesehen in die dunkeln Straßen, auf die volkreichen Märkte,
auf die Giebel der Häuser, auf die niederer liegenden Kirchen. Sie
suchte, sie fand ihr Vaterhaus, die Wiege ihrer Freuden; sie suchte
und fand den altergrauen Johanniterhof, die Wiege ihres Leidens und
des Unglücks ihres Vaters; sie suchte nicht das Gasthaus, das ihren
Bräutigam beherbergt hatte, damit ihr Schmerz nicht erwache; sie suchte
aber die Straßen, die von den Thoren in alle Weltgegenden ausgingen;
sie versuchte zu errathen, welche ihr Vater wohl eingeschlagen haben
mochte, oder ob er vielleicht noch in der dumpfigen Häusermasse athme,
deren Bewohner sich gegen ihn und seine Schwachheit verschworen hatten.
Sie lief, ohne sich des »Warum?« bewußt zu sein, nach der Thüre,
sie öffnete dieselbe unschlüssig, und hörte plötzlich vom Fuße der
schmalen Treppe, die in's untere Gemach führte, leise Flüsterworte,
eine Unterredung, die sie nahe mit anging. Pahlens und die Lainez, die
schon seit einiger Zeit das Gemach verlassen hatte, sprachen zusammen,
heimlich und vertraulich -- von Justinen.

»Sie können sich leicht denken,« sagte der Thürmer: »wie mich's
allarmirt hat, als ich's vernahm. Es ist doch Schade um die magnifique
Jungfer. =Parole d'honneur!= die Mama und der Vormund wollen sie,
sobald sie ausfindig gemacht worden, in die Kostschule sperren lassen,
weil sie dergestalt an ihrem Vater hängt. Es wird behauptet, sie sei,
wie _er_ katholisch geworden, und dieser Schmutz müsse abgekratzt
werden.«

»Nichts weniger als das,« versetzte die Lainez: »indessen müssen Sie,
Monsieur, uns weiter helfen. Der Superior hat mir das Mädchen auf die
Seele gebunden. Ich muß Wort halten, damit auch mir einst Wort gehalten
werde.«

»Ich will wohl behülflich sein,« sprach Pahlens wichtig: »aber um
den Lohn begehre ich auch nicht zu kommen. Sie wissen, meine Beste,
wie mich der blinde Cupido selbst =aveugle= gemacht hat. Ich bin
=amoroso= dergestalt, daß ich mit Thränen meine Speisen salze, und
täglich und nächtlicherweise von =Morpheo= verlassen werde. Wenn mir
die ehrwürdigen =Patres= die Holdselige zur ehelichen Hausfrau geloben
wollten, ... auf das Vermögen thäte ich Verzicht, und baute irgendwo
mein stilles =Arcadia= an. Könnte ich alsdann in irgend einem Dome
Organist werden, so sollten die dankbarsten Liebesgötter meine Register
handhaben.«

»Sie sind eigennützig, Monsieur Pahlens,« entgegnete die Lainez
empfindlich.

»Ich opfere auch Alles auf, bis auf die Braut, die ich =adorire=,«
sagte der Geck: »wenn es herauskömmt, daß auch ich den Staub des
Lutherwesens abgeschüttelt, so würde ich's nicht läugnen, und folglich
meinen Bündel schnüren müssen, und von denen =Musis= erwarten, wo
ich wieder meinen Unterhalt fände. Nicht wahr? Wäre hingegen Jungfer
Justine meine Verlobte.... =vraiment!= noch heute sagte ich auf, zöge
morgen ab, und erhielte alsbald meinen Abschied, weil sich Zehne für
Einen um meinen Dienst bewerben.«

»Das Mädchen will seinen freien Willen haben, Monsieur Pahlens.«

»Recht, beste Madame. Sie soll meine Devotion erkennen lernen, und
wenn sie meine liebeslustigen Sentiments erfährt, wird sie nicht
unempfindlich bleiben. Die Zeiten sind anders. Der Papa davon gelaufen
... die Mama, die sie einsperren will; auf der andern Seite dagegen der
niedliche Pahlens, ein Virtuose auf vielen musikalischen Instrumenten
und heftig verliebt;.... ich bin gar nicht bange zu reussiren, wenn
Sie mir Ihren Beistand nicht versagen, und ein acht Tage hier oben
verweilen.«

»Warum nicht gar? Sie müssen uns so schnell als möglich wegbringen. Man
gibt vor, ihr Vater habe sie beschieden ... wohin? das ist gleichviel.
Sie geht in die Falle. Wir bringen sie in den Bereich des Superiors,
und das Zureden desselben, wie Ihre galante Bewerbungen werden das
Uebrige thun. Wir Weiber sind schwach, Monsieur, und weichen gerne der
Schmeichelei, wenn uns die Stütze eines Vaters fehlt.«

»Wenn Sie meinen.....« fügte Pahlens hinzu, und das Gespräch verstummte.

Justine zog sich, empört und erschreckt von dem, was sie vernommen,
zurück. Sie mochte überlegen, wie sie wollte, sie war gefangen und
gebunden. Dort, wenn ihre Hartnäckigkeit einen freien Abzug von dem
Thurme erzwang, die schimpfliche Einsperrung in die Kostschule,
worinnen ungehorsame Töchter oder leichtsinnige Weiber oft Jahrelang
ihrer Lossprechung entgegenharrten; und dann die Autorität eines
steifen unfreundlichen Familienraths, endlich der Spott, die
ehrenrührigen Gerüchte der müßigen Stadtschwätzer. -- Hier eine
begünstigte Flucht, die Hoffnung, den Ketten zu entrinnen, aber der
Zwang einer lügenhaften Verstellung, die Gewalt eines intriganten
Weibes, eines affenhaften Liebhabers, und irgend eines Superiors, den
sie nicht kannte, nicht begriff, und der entscheiden sollte, ob sie
den Thürmer zu heirathen hätte, oder nicht! sie sah sich schon im Netz
heimtückischer Katholiken, und wenn hin und wieder ihr die Vernunft
schmeichelnd zuflüsterte: sie möchte sich der Verstellung unterziehen,
zu glauben vorgeben, was man ihr von Vaters Befehl vorspiegeln werde,
und auf der Reise eine Gelegenheit suchen, von ihren falschen Freunden
loszukommen, -- so sträubte sich doch dagegen sowohl ihr gerader
Charakter, als auch die so natürliche mädchenhafte Schüchternheit. Wer
wußte, ob sich jene Gelegenheit fände? ob man sie nicht bereits in
einen katholischen Zwinger gebracht, ehe sie an ein Entrinnen denken
konnte? wer gab ihr auch zunächst die Versicherung, daß sie den Vater
finden würde, sie, ein hülfloses unerfahrenes Mädchen ohne Schutz? ja,
wenn Georg an ihrer Seite gewesen wäre! auf ihn, den besonnenen und
entschlossenen Mann hätte sie jede Hoffnung gesetzt! aber ... allein?

Sie verlor sich in trostlosen Betrachtungen. Die Lainez verließ sie
darinnen, um, wie sie vorgab, einen schnellen Gang durch die Stadt zu
machen, um zu erfahren, was sich Neues zugetragen. Justine würdigte sie
kaum eines Abschiedgrußes, und verschloß vor dem Thürmer, der gern den
Anfang seiner Bewerbungen gemacht hätte, die Thüre.

Wie sie nun da saß, und überlegte, und zu keinem klaren Willen gelangen
konnte, hörte sie auf der Gallerie schwere klingende Tritte nahen. Ein
Blick der Neugierde flog durch die ringsum freien Fenster des Belvedere.

Zwei Männer in Uniform erstiegen die Plate-Forme, und der
Voranschreitende, mit leuchtenden Achselbändern und einer vielfarbigen
Schärpe geziert, von dessen Kasket eine breite Feder wehte, belobte
alsobald die wunderschöne Rundsicht, deren man von dem hohen
Standpunkte genoß. Pahlens, die Mütze in der Hand, trat zu ihm, und
beeilte sich, dem Besuchenden dienstfertig die verschiedenen Theile
des großen Rundbildes zu erklären, nannte ihm die Hauptgebäude der
Stadt, die umliegenden Dörfer, und ließ sich eines Breitern in die
Erläuterung der bestehenden Wächter- und Feuerordnung ein. Der Offizier
hörte freundlich zu, sendete Fragen auf Fragen, und schien mit seiner
Expedition auf den Paulsthurm sehr zufrieden. Sein Begleiter indessen,
in derselben Uniform, doch ohne Silber und Schärpe und Feder und
Achselquaste, ein gemeiner Reiter und dienender Gefährte des Offiziers,
nahm keinen Antheil an dem Gespräche, und wanderte einsam um die
Gallerie, bis er auf die, dem Offizier entgegengesetzte Seite zu stehen
kam. Da legte er beide Ellenbogen auf das Geländer, stützte sich auf
diese, und bückte sich nachdenkend hinunter. Justine war dem Menschen
gefolgt. Er hatte -- so fremd seine Kleidung war, -- so viel Bekanntes
in seiner Haltung; ... neugierig lauschte sie, verwendete kein Auge
von ihm, und ... als er einmal das Kasket abnahm, um sich den Schweiß
abzutrocknen, als ein jugendlich melancholisches Gesicht darunter zum
Vorschein kam -- da bewegte sich Justinens Herz in unentschlossener
Freude. Der Soldat war James, seine absichtslose Unbefangenheit ein
Bürge, daß er hier nicht auf hinterlistigen Wegen wandle; daß er nicht,
mit der Lainez einverstanden, gekommen war, um Justine mit eigner Hand
noch tiefer in das Netz zu verwickeln, das sie bereits umgab. Vergessen
waren alle Beweggründe, die einst Justinens Unmuth gegen ihn gereizt
hatten; sein soldatisches Kleid, für Weiberherzen stets ein Vertrauen
erregendes, zeugte von einer gänzlichen Veränderung seiner Lage, sein
Gesicht von bekümmertem Ernste. Justine fühlte sich hingezogen zu
dem Jüngling, der ihr ein Bekannter, ein ehemals geschätzter Freund
gewesen. Da der Vater geflohen, da Georg verschwunden -- wo hätte sie
eine Seele finden können, ihr verwandter, angehörender als dieser junge
Mann? er oder Keiner war dazu gemacht, sie den treulosen Händen, worin
sie sich befand, zu entreißen, und ein innerer Zug bestimmte sie zur
Zuversicht auf ihn.

Ohne sich ihrer klar bewußt zu sein, hatten diese Gedanken den Sieg
in ihrem Verstande, in ihrem Herzen errungen. Leise, aber dennoch
nicht ohne Geräusch, hatte sie das Fenster aufgezogen. James sah sich
um: Ueberraschung, Freude, Entzücken zogen auf seinem Gesichte die
fröhlichen Wimpel auf. Justine, ihm verbindlich zunickend, winkte ihm,
behutsam zu sein. Er legte beide Hände auf die Brust, sah sie voll
Liebe an, und erwartete ihr Begehren.

»Ich bin gefangen,« lispelte Justine englisch, »wenn Ihr, Herr, kein
Verschworner der Lainez seid, befreit mich; doch behutsam.«

James, der bei dem Namen der Französin eine Bewegung des Abscheus nicht
hatte unterdrücken können, antwortete rasch und ohne zu überlegen: »Mit
Gottes Hülfe, Miß.«

»Mein Vater?« fuhr zaudernd und ahnend Justine fort, »meine Zukunft?
erfuhrt Ihr Nichts? darf ich Euch vollends vertrauen?«

Die Sporen des Offiziers erklangen, des Thürmers gellende Stimme
erscholl; James winkte der holden Bittenden, sich zurückzuziehen.
Sie stellte sich hinter den offenen Fensterflügel, den Engländer
im Auge behaltend, der sich wieder an das Geländer lehnte, den
Blick gleichgültig gegen Pahlens Taubenschlag kehrte, und nach
selbsterfundener Melodie ein Liedchen sang, das -- nicht künstlich in
Strophen und Reim geschnitten -- in seiner Nationalsprache dem Mädchen
zu wissen that, was ihm noth war: daß der Senator gerettet, daß er sie
nach Amsterdam beschieden, daß James, ihre Spur verlierend, beinahe in
Verzweiflung gerathen; daß er die Lainez hasse, Justinens Schicksal
bedaure, und Alles zu ihrer Befreiung und zu ihrer Rückkehr zum Vater
aufbieten werde. Die Thore der Stadt seien wieder offen, und Justine
würde noch am Nachmittage Nachricht erhalten.

Justinens Busen erzitterte von Wonne. Der Offizier machte jedoch dem
improvisirten Liede ein Ende. »Brav,« sagte er in ziemlich schlechtem
Deutsch; »ich sehe doch, daß Seine Melancholie ein Ziel hat. Wenn der
Gesang auf die Zunge hüpft, wird auch das Herz ruhig. Er wird mich
vollends zu Seinem Freunde machen, wenn Er aufgeweckt und munter ist.«
James bückte sich, und wußte, auf geschickte Weise das Kasket in Stirn
und Auge drückend, dem umherfaselnden Pahlens sein Gesicht auf's Beste
zu verbergen. Nach einigen Worten empfahl sich der Offizier, und James
folgte ihm dienstpflichtig. Der Schlüssel tragende Thürmer geleitete
sie hinab.

Wie schnell hüpfte nun Justine aus ihrem engen Zimmer! wie freudig
tanzte sie auf der Gallerie umher! wie verächtlich sah sie auf die
düstere Stadt, wie wonnetrunken auf die fern hinziehenden Heerwege nach
Westen, wohin der väterliche Ruf sie beschied. Sie fürchtete keine
Tücke von James! sie rechnete auf das Uebergewicht, das sie über die
Handlungen des Jünglings stets behauptet ... und nur nach Freiheit,
nach Vereinigung mit dem geliebten -- unglücklichen Vater, lechzte,
alle Bedenklichkeit vergessend, ihre Brust.

Und als Pahlens zurückkam, mit abgeschmackter Schmeichelei ihr näher
trat, und den erbärmlichsten Witz, die traurigste Galanterie an sie
verschwendete, -- als später auch die Lainez erschien, und ihr in einer
wohl gesetzten Lüge erzählte: ihr Vater warte ihrer zu Steinstadt mit
dem größten Verlangen, und Pahlens werde sich ein Vergnügen daraus
machen, sie hinzubringen, -- da lächelte sie kindlich unbefangen; die
List sprach nicht aus ihren Augen, die krause Stirn verrieth keinen
Ernst, keine prüfende Ueberlegung. Sie schien die Vertrauende zu sein,
die Einwilligende, die Zufriedene. Die Verbündeten glaubten ihr Spiel
gewonnen, und nie war es so trostlos verloren.

Am Nachmittage führte der von Justinens Nachgiebigkeit bezauberte
Pahlens selbst einen Balsamhändler auf den Thurm, dessen verschmitzte
Augen wie Blitze aus dem bleichen Gesichte strahlten.

»Der Kerl ist ein Fremder; es hat keine Gefahr!« sagte Pahlens zu den
Frauen, die sich sträubten, auf der Gallerie zu erscheinen, um die
Galanterien auszuwählen, die ihnen der verliebte Thürmer zu kaufen
willens war. --

»Mein Gott! ist das nicht Monsieur Litzach?« fragte die Lainez nach
einem Blicke auf den Händler. Dieser bejahte achselzuckend, und freute
sich, die Madame hier zu finden.

»Einer der Unsrigen!« flüsterte die Französin dem erstaunten Pahlens
zu; »was macht Ihr aber mit diesem Kram?« fragte sie weiter.

»Ei nun, Madame,« antwortete der Schauspieler lächelnd; »da es mit der
Komödie nicht fort wollte, und meiner Wohlthäter Waizen auch nicht
ferner blühte, gab ich mich einem Parfümeur als Hausirer hin; will
sehen, ob das Geschäft Weib und Kind ernährt! -- Die _Herren_ werden
mich ja für die Zukunft nicht im Stiche lassen,« setzte er bedeutend
hinzu.

»Seid meiner Fürsorge gewiß, wenn Ihr diskret seid!« sagte die Lainez
mit Beziehung und warnend.

»Ich weiß, was ich meinen Glaubensfreunden schuldig bin,« entgegnete
der Hausirer, der die Lainez verstand; und in dem Augenblicke, als die
Letztere sich zu Pahlens wendete, um ihm zu betheuern, er könne diesem
Menschen vertrauen, hatte auch schon Justine ein Blättchen Papier in
der zitternden Hand. Sie dankte dem listigen Ueberbringer mit einem
Blicke, und trat bald hinter einen Vorsprung des Thurms, um die Post zu
lesen. James schrieb:

»Sein Sie um 10 Uhr Abends an der Pforte des Thurms. Ich mußte meinen
Capitän in's Geheimniß ziehen. Er läßt Sie in seinem Wagen fortbringen,
weil er ein braver, ritterlicher Mann ist. Es quält mich, daß meine
Pflicht mich hier zurückhält. Sie sollen indessen -- so Gott will --
ein Mehreres von mir erfahren.«

Das Billet flog zerrissen über das Geländer. Nachdem Pahlens seine
Geschenke gemacht, -- nachdem Litzach hinweggegangen, setzte sich
Justine in ein Winkelchen, ging mit sich zu Rathe. »Was in aller
Welt hat Herrn White zum Soldaten gemacht?« fragte sie sich; »und
darf ich mich wohl der Diskretion des Capitäns anvertrauen?« -- Ihre
Herzhaftigkeit überwand den Zweifel; sie fühlte sich über Furcht
erhaben, und suchte nur nach Mitteln, dem verschlossenen Thurme, den
Pahlens stets selber öffnete, um die bestimmte Zeit zu entkommen.

Endlich gelangte sie mit dem Plane auf's Reine. Sie wollte gegen die
zehnte Stunde, mit welcher der ablösende Wächter im Thurme einzutreffen
pflegte, ihr Lager verlassen, die Treppen hinabschlüpfen, und hinter
einer Säule am Eingange den Thürmer erwarten, wenn er kommen werde,
dem Wächter zu öffnen. Sie wollte alsdann herzhaft den schmächtigen
Pahlens zurückstoßen, und an dem Wächter vorbei durch die offene Thüre
entspringen. Pahlens Vortheil, dachte sie, würde ihn bewegen, keinen
Lärm zu machen, und der Retter nicht weit vom Thurme ihrer warten. --

Von ihren Hoffnungen ermuthigt, hörte sie mit vieler Geduld die
Schmeicheleien der Lainez, die Albernheiten des Thürmers an, womit
diese, ihr zu gefallen, den Abend tödteten, und suchte frühzeitig das
Lager auf. Die Lainez löschte die Lampe aus, und entschlief bald an
Justinens Seite. Diese Letztere versäumte keinen Augenblick. Sie war
angekleidet geblieben; sie hatte das Päckchen, das ihren Schmuck und
ihre Sparpfennige enthielt, unter ihr Kissen verborgen; dieses und die
Schuhe in der Hand, entriegelte sie so leise als möglich die Thüre,
fühlte sich das steile Treppchen hinab. -- Die Stiege knarrte; Justine
erschrak: zum Glücke jedoch klimperte Pahlens, in dem Lehnstuhl seines
Zimmerchens hingestreckt, auf der Laute, und kämpfte mit dem Schlafe.
Justine bemerkte dies, durch das Thürfensterchen schauend, und dankte
dem Strahle des durchschimmernden Lichts, der ihr die ersten Stufen
der Wendeltreppe zeigte. Muthig betrat sie den dunkeln Weg, vorsichtig
den Strick anfassend, der als Geländer diente. Endlich kam sie in den
Bereich der Glockenstube, wo die Wendelsteige aufhörte, und die breiten
hölzernen Treppen begannen. Eine falbe Sternenhelle schlug durch die
riesengroßen Fenster. Das Uhrwerk webte und regte sich mit wunderlichem
Geräusch neben der Fliehenden. Sie enteilte der schauerlichen, in
abgemessenem Takte pickenden und schnarrenden Nachbarschaft. Ein
schützender Geist führte sie die geländerlosen Stiegen, dicht am Rande
einer rabendunkeln Tiefe hinab. Ungeziefer raschelte über ihren Pfad,
hüpfte und kletterte auf und ab neben ihr; begleitete sie bis in die
unterste Halle, wo sie hochathmend stille stand, hinter die Säule, die
sie erfaßte, schlüpfte, und mit hoffender Seele wartete; -- denn schon
glaubte sie, den herannahenden Wächter zu hören, -- doch -- das war
nicht der Schritt eines Einzelnen; mehrere -- immer näher kommend....;
»sind's die Retter?« fragte sie sich mit gespannter Aufmerksamkeit....

Und plötzlich wurde es sehr laut vor der Thüre: viele Stimmen;
Flinten-Gerassel; rohe Reden; Spott, Gelächter, starker Schellenlärm;
der vielstimmige Ruf nach der Höhe endlich: »im Namen des Magistrats!«
Laternenglanz fiel durch das Schlüsselloch. Justine schreckte auf.
»Das sind Verfolger!« klagte ihre ahnende Seele: ... »sie kommen, dich
zu fangen! deine Freiheit soll verloren gehen! Oeffnet die Thüre, so
geräthst du mitten in die Feinde!«

Sie wendet sich entsetzt zum Rückwege. Sie eilt die Treppe hinan.
-- Neue auflodernde Angst. Von oben naht sich Schlüsselgerassel,
Lampenschein ... Pahlens unzufriedenes Schelten! -- Dem verhaßten
Menschen, den Verfolgern zu entgehen ... Wo das Mittel? Ihre Hand
tappt nach der Seite der Uhrstube, neben welcher sie wieder ist.
Sie findet eine angelehnte Thüre; drückt sie auf; stürzt hinein ...
klammert sich bebend an zwei dicke Pfosten fest, neben welchen durch
man zum Uhrwerk geht. -- Sie läßt Pahlens vorüber gehen, hört ihn die
Thüre öffnen, hört, wie man ihn gewaltsam ergreift, festnimmt, zwingt,
den bewaffneten Troß hinauf zu führen, während unten sorgfältig die
Thüre wieder verschlossen wird. Wenige Minuten, und der Schwarm kömmt
zurück. In seiner Mitte jammert der arretirte Pahlens. -- »Verdammter
heimlicher Katholik!« ruft eine Stimme: »du sollst schon reden lernen!«
und fort tobt die Schaar, und verläßt den Thurm.

Die Pforte fällt zu; Schlüssel drehen sich im Schloß; schwere Tritte
kommen die Treppen herauf. Der neue Wächter gewinnt die Höhe. Seine
Tritte verhallen, seiner Lampe Schimmer vergeht; Alles wird still
-- todtenstill, und trostlos erräth Justine, daß sie ganz verlassen
geblieben. Keine Hoffnung zu entkommen...; kein rettender Zuruf von
Außen. Unter der Last ihrer Angst wanken ihre Kniee, schwindelt ihr das
Haupt. Da fängt das Uhrwerk an zu rasseln wie Gewitterlärm, Walzen und
Räder knarren, pfeifen und rauschen, und die furchtbar große Glocke
schlägt an, als ob jeder Streich Justinens Leben zu vernichten hätte.
Die Erschütterte sinkt unter den donnernden Schlägen, die nicht endigen
wollen, zusammen. Ihr Bewußtsein schwindet. --




Dritter Theil.


Erster Abschnitt.

1721.

  Der Abend in Santa Dominica. -- Luis und Ines. -- Der Fremde.
  -- Seine Erzählung. -- Seine Erinnerungen. -- Des indianischen
  Kindes erstes Abenteuer. -- Der Morgen in der Colonie. -- Die
  fremden Schiffe. -- Wiedersehen. -- Die Jäger aus den Savannen. --
  Consultador und Rector. -- Justinens Loos. -- Der Vorschlag des
  Pfarrers. -- Die Nacht. -- Der Ueberfall. -- Die Savannen. -- Das
  Lager der Abiponer. -- Capitän und Capitana. -- Das Opfer. -- Fest
  des Siebengestirns. -- Hülfe aus der Ferne. --

Der Abend flammte purpurroth am Horizonte, den ein Kranz von schwarz
aufsteigenden Wetterwolken einfaßte. Die Ebene lag von schwüler Hitze
überbrütet. In dem Missionsorte Santa Dominica läutete die Glocke, und
auf dem Platze vor der Kirche versammelten sich, von der Arbeit im Feld
und Haus gehend, die Bewohner der Mission; Männer, Weiber und Kinder in
buntem Gedränge, aber mit anständigem Schweigen. Ein großer Kreis wurde
geschlossen, und andächtig falteten sich alle Hände, als das Thor des
Missionshofes aufging, und der Pfarrer hervortrat, begleitet von einigen
Negern, die schwere Karren, mit zerlegtem Fleische gefüllt, heranzogen,
und von stämmigen indianischen Mägden, die in langen schwankenden Körben
an Lianenstauden große Vorräthe von Mais und Thee herbeitrugen. Der
Pfarrer, eine gesunde, obgleich siebzigjährige Gestalt, begab sich
würdevoll in die Mitte seiner Pfarrkinder und sagte: »So ist denn wieder
mit Gottes, des Ewigen, Hülfe ein mühevoller Tag der Arbeit und des
Fleißes zurückgelegt. Der wackere Mann, Euer Corregidor, meine Kinder,
hat mir den erfreulichsten Bericht über Euer Streben abgestattet; und
neben dir, du guter Juan Bosco,« -- der genannte Indianer bückte sich
geschmeichelt und demüthig -- »der unsere große Caamiripflanzung so
vortrefflich zu bewässern unternommen hat, habe ich alle Uebrigen zu
loben, mit Ausnahme eines Einzigen, dessen ich leider mit verdientem
Tadel gedenken muß.«

Die Leute sahen sich ernsthaft und verwundert an; aber ohne den Aufruf
abzuwarten, trat Einer aus dem Volke, ein rüstiger junger Mann hervor,
und kniete mit betrübter Miene nieder, indem er ausrief: »Ach, Vater
Luis! vergebt doch ja, und auch der gute Vater über dem Himmel vergebe
mir! Ich habe gesündigt; ich habe im Zorne meine Nachbarin, die gute
Cordula, verwünscht, und Unkraut in ihren Acker geflucht. Ich bekenne
meinen Fehltritt und will ihn nie wieder thun!«

»Recht, Francisco,« versetzte der Pfarrer; »du hast die Liebe des
Nächsten und Gottes Langmuth und Fürsicht beleidigt, ein schweres
Vergehen. Laß sehen, ob Cordula die Pflichten einer wahren Christin
besser versteht. Tritt hervor, du beleidigte Nachbarin des reuigen
Francisco, und sage, was, nach deinem Wunsche, dem Beleidiger geschehen
soll?«

Cordula hatte Thränen im Auge und antwortete, ohne sich zu besinnen:
»Thut ihm nichts zu Leide, lieber Vater. Ich vergebe ihm von Herzen!«

Der Pfarrer sah sich vergnügt im Kreise um, nickte der Rednerin Beifall,
berührte dann das Haupt des Reuigen und sagte sehr sanft: »Hast du's
gehört, Francisco? So geh denn um Ihretwillen straflos hin in deine
Hütte, faste heute, und schäme dich, damit du morgen ein anderer Mensch
seist!« Der Getadelte küßte inbrünstig des Pfarrers Hand, und entfernte
sich mit gebeugtem Haupte und zufriedenem Herzen.

»Seht Ihr?« fuhr der Geistliche freudig zu dem lauschenden Volke fort:
»seht Ihr, wie viel es werth ist, daß Ihr den wahren Gott und Heiland
erkennen lerntet? Was ehedem unter Euch nur die Schleuder oder der
rachsüchtige Pfeil entschied, schlichtet nun ein Wort des Friedens. So
kommt denn heran, Ihr Fleißigen, Ihr Milden, Ihr Müden! Esset von dem
Brode, das der Herr unter Euern Händen wachsen läßt; von dem nährenden
Fleische, und trinket den Trank der Gesundheit, damit Ihr den Herrn noch
lange preiset und lobet!«

Nun setzte sich die Menge in Bewegung, schritt in Doppelpaaren an dem
Pfarrer vorüber, empfing aus der Wage seiner Begleiter, Familie für
Familie, Fleisch, Mais und die ersehnte Unze Thee; dann sprach der
Geistliche den Segen; das Volk antwortete mit einem melodischen
Kirchenliede, und zerstreute sich in seine stillen Hütten, um das Mahl
zu bereiten, und auf der bequemen Ochsenhaut die Mühen des Tages und das
herannahende Gewitter zu vergessen.

Der Pfarrer beschäftigte sich noch eine Weile damit, dem Regidor und dem
Alkalden der Mission die Arbeiten und Verhaltungsregeln für den nächsten
Tag aufzugeben, und zog sich sodann in den Hof seines Hauses zurück. Das
mannigfaltige Federvieh, das diesen Hof belebte, hatte sich vor dem in
der Ferne brausenden Gewitter in die Ställe geflüchtet. Der zahme
Straußvogel des Pfarrhauses allein ging stolz und aufgerichteten Hauptes
mit gewöhnlicher Gravität auf dem zierlich gestampften Platze umher, und
lüftete die Flügel dem streichenden Luftzuge entgegen. Der Pater
streichelte seine wehenden Federn, und sagte lachend zu ihm: »Du mein
guter Freund und Haustrabant! kannst du mir nicht verrathen, wo dein
Spielgefährte ist, der heute so undankbar mein Haus verließ?«

Der Vogel schien altklug die langen Augenbraunen in die Höhe zu ziehen;
da erklang von Ferne ein silberner Glöckchenton. Ein leichter Trab, dem
ein schwererer folgte, kam jenseits der Rohrwand, die den Hof umgab,
heran. Ein schlanker Rehkopf sah über die Wand: die Thüre in derselben
sprang unter der Pfote des Thieres auf; es trabte freudig hindurch,
mit schellenden Halsbandglocken, und kauerte sich zu des Pfarrers
Füßen, als ob es seines Ungehorsams wegen Vergebung betteln wollte. Der
Pater, angenehm überrascht, bückte sich, den schmalen, graurothen Hals
zu streicheln, als auch ein Pferd mit einer hübschen Reiterin durch's
Thor stürmte. »Ines! Ines!« rief der Pfarrer, gutmüthig verweisend und
mit dem Finger drohend. Ines sprang jedoch, leicht wie eine Feder, von
dem Pferde, und jagte es mit einem Schlage ihrer Gerte wieder in's
Freie zurück. Lauf, du wilder Negro! -- rief sie, ein wenig athemlos,
indem sie die Thüre zuwarf, und mit dem hölzernen Riegel verschloß:
»du hast deine Schuldigkeit gethan. Suche den Weg nach deiner Weide,
ehe der Blitz kömmt!« Dann näherte sie sich etwas schüchtern dem
Geistlichen, senkte den Kopf und fragte freundlich: »Habe ich dir Angst
gemacht, lieber Vater? Ich mußte dir ja den Liebling wieder bringen.
Das leichtsinnige Thier, verspielt und possenhaft wie es ist, hatte
sich gewiß schäckernd von der Rinderheerde entfernt und in den Wald
verlaufen. Es dauerte lange, bis das faule Reh, im Schatten rastend,
meinen Ruf und ich seine Schellen vernahm. Ich meinte fast, ein Tiger
hätte sich seiner bemächtigt. Doch endlich, die Jungfrau sei gelobt,
kann ich dir's wiederbringen, Vater Luis!«

»Und gehst von Hause, ohne zu sagen wohin?« versetzte der Pfarrer
gekränkt: »und setzest dich selbst, in Waldschluchten dringend, dem
Tiger, durch stille Wasser reitend, dem Krokodil aus, du böses,
unbesonnenes Kind? Glaubst du vielleicht, ich sei dem Rehe in höherem
Grade gut, als dir? Habe ich dich nicht von zarten Kindesbeinen an
gepflegt und gewartet? habe ich dich nicht getauft, und somit zum
zweiten Male und edler geboren, als deine Mutter es gethan?«

Ines ergriff schmeichelnd des Pfarrers Hand und küßte sie. Er dankte
ihr nun für den Liebesdienst und fügte bei: »Ich habe verziehen! Sieh'
zu, wie du mit dem grämlichen Strutto, dem Dragonervogel fertig wirst,
der heute die neckende Spielgefährtin sehr verdrüßlich vermißte.«

Ines klopfte schäckernd die Brust des großen Vogels und sagte hierauf:
»Ich will's einbringen, guter Bursche. Schlüpfe indessen nur in die
Scheuer. Die Wolken kommen wild und schwarz über die Parana her, und
die fernen Berge hängen voll Nebel. Fort, Gejenk!«[1]

Der Strauß trabte ruhig nach der Scheune, die hinter ihm verriegelt
wurde. Das Reh folgte dem Herrn in die Hausflur. Ines zog die Laden
an den Fenstern zu, und sagte indessen, bedächtig innehaltend: »Wenn
nur der Fremde noch ankömmt, bevor das Wetter losbricht. Es wird einen
fürchterlichen Sturm geben.«

»Welcher Fremde, Ines?«

Das Mädchen lächelte verlegen. »Es scheint mir kaum ein Spanier zu
sein,« sagte es alsdann, und seine bräunliche Wange röthete sich
merklich; »er spricht nicht so gut spanisch wie wir. Ich begegnete ihm
draußen an den Tabaksfeldern; ich holte ihn nämlich ein, im Heimkehren
begriffen. Der arme junge Mann saß traurig bei seinem Pferde, das im
Niederstürzen sich den Fuß verstaucht hatte. Freilich war der Herr
unklug genug, daß er nicht, wie unsere Leute, einige Pferde auffing
oder mit sich nahm; indessen hatte ich doch Mitleid, und wahrlich --
hätte ich nicht dem schnellen Reh zu folgen gehabt, mein eigen Pferd
hätte ich dem jungen hübschen Herrn abgetreten. Er fragte, ob er nach
Santa Dominica komme, wenn er weiter ginge, und ich bejahte es, und
wies ihn an die Ochsenfänger, die sich in weiter Ferne und im Staube
sehen ließen. Sie werden ihn wohl auf ein Pferd genommen haben, und mit
ihm auf dem Wege sein. Eilen sie jedoch nicht, so ist der Sturm viel
schneller als sie.«

Ein dunkelrother Strahl, der aus den Wolken fuhr, und von einem grellen
Wetterschlage begleitet wurde, bekräftigte die Furcht der Indianerin.
Aber zu gleicher Zeit ließ sich aus der Ferne, vom Eingang der Mission
kommend, das Geschrei und Getümmel der heimkehrenden Horde vernehmen,
die in den Savannen gewesen war, um Ochsen zu fangen, zu schlachten, zu
häuten.

»Sie kommen!« rief Ines, zufrieden gestellt, und ging nach der
Hausthüre, durch die Ritze zu lauschen.

»Hätte ich doch beinahe meines Gastes vergessen!« sagte inzwischen
der Pfarrer zu sich selbst, mit einem ungeheuchelten Vorwurfe: »wie
zerstreut doch das Alter macht! absonderlich, wenn man sich eines
wiedergefundenen Kindes, und dessen Geschwätzes erfreut!« Er trat an
die kleine Stiege und rief hinan: »Pater Xaver! Pater Xaver! nicht zu
Hause?«

Keine Antwort. Der Pfarrer warf geschäftig seinen Regenmantel über,
stülpte den Rohrhut mit den beiden wasserdichten Krempen auf, und
schritt, so schnell es anging, nach dem kleinen Gärtchen vor, das
zwischen Hof und Ackerfeld gelegen, den Hintertheil des Gebäudes
begränzte. Unter dem Stamme einer mächtigen Algarova[2] ruhte der
Gesuchte; vor sich hinstarrend in die Sturm brauende Luft; horchend
auf das Wellenschlagen der unfern strömenden Parana, versunken in
den Anblick der zum Schrecken sich rüstenden Natur, ohne vor ihr zu
zittern; fühllosen Körpers, unbewußten Geistes. -- Die Stimme des
Pfarrers rief ihn zum klaren Bewußtsein zurück. Er sah sich um und
fragte: »Was wollen Sie, mein Freund?«

»Was wollen denn Sie beginnen? frage ich;« versetzte Luis. »Der Wind
beugt schon um und um die Palmen nieder, und Sie wollen ihm trotzen?
Kommen Sie in's Haus. Beunruhigen Sie mich nicht.«

Der Gedankenvolle stand mechanisch auf. »Ich gehorche,« sagte er, »ob
es mir gleich lieber wäre, von dem Wetterwinde in die Haide, wo der
Tiger streift, oder in die Wellen des Stroms getragen zu werden.«

»Welche Reden für einen Christen und einen Geistlichen!« verwies ihm
Pater Luis sanft und ernst: »lassen Sie Ihren Beichtvater dergleichen
nicht zum zweitenmale hören!«

»Ich redete ehedem, wie Sie, mein Vater!« antwortete der Gast, »aber
seit acht Tagen hat sich so Vieles anders gemacht...«

»Gottes Schickung!« tröstete der Pfarrer; »halten Sie darauf, Pater
Xaver, und kommen Sie herein. Ihre Miethreiter kommen zurück, und nach
ihrem Geschrei zu urtheilen, muß der Fang beträchtlich gewesen sein:
wir wollen die Häute im Magazine unterbringen.«

Die Aussicht auf das Geschäft war dem trüben Gaste willkommen.
Die Pforten des Lagerhauses, dieser Vorrathskammer für die ganze
Niederlassung, wurden aufgeriegelt. Die heimkommenden Indianer
sprengten in bunter Reihe heran, warfen ihre Ladung von Fellen zum
Boden nieder, und rannten von dannen, dem Gewitter zu entkommen. Auf
so unordentliche Weise war die Beute bald niedergelegt, und Pater
Xaver stand berechnend zusammen mit dem Anführer der Expedition in die
Savannen, als noch ein Nachzüglertrupp von Reitern kam, deren Pferde
schwer bepackt waren, und von welchen einer zweimännisch auf dem Gaule
saß. Die wilden Jäger warfen sich erst unter Dach und Fach von den
Thieren, denn draußen fiel der Regen dicht; und der Hintermann des
Doppelreiters stürzte mit Jubelgeschrei an Xavers Brust. Dieser konnte
sich des Andrangs nicht erwehren; doch eben so wenig den in einen
verstellenden Indiermantel von Palmblätterzeug Gewickelten alsobald
erkennen; bis dieser den Mantel fallen ließ, die Haare aus dem Gesichte
strich, und dem Ueberraschten den Ausruf entpreßte: »James! James!
wie kömmst _du_ hieher? Welch' ein Gottesengel führt dich in meine
Verbannung?«

James weinte einen Strom von Thränen an des Pflegevaters Halse, und
konnte nicht sprechen, nur schluchzen, nur seufzen, nur hellauf
weinen, bis Pater Luis beide bei den Händen ergriff, und nach dem
Innern des Hauses führte. -- »Euer Gefühl ist für die Neugierde der
Stierschlächter zu gut!« sprach er; »weint und sprecht Euch _hier_ aus,
meine Freunde, denn die Einsamkeit ist sowohl für die, die da klagen,
als für die, die sich im Herzen freuen!«

Er verließ, bescheiden und schweigend, die eng Umarmten. Sie vergaßen
des brüllenden Donners, des tobenden Regens, des bebenden Hauses, das
unter Sturmesgewalt zu weichen drohte. Münzner konnte sich am Gesichte
seines Pflegesohns nicht satt sehen, und tausendmal wiederholte er die
einfachen Worte: »Du hier, mein Sohn! Du hier, guter James!« ehe es ihm
einmal einfiel, nach der Art und Weise, wie Alles sich zugetragen, zu
fragen. Endlich geschah es doch. --

James erwiderte: »Da Sie geschieden waren, konnte ich dem Superior
nicht folgen. Ich _konnte_ es nicht. Ich rettete jedoch den Senator.«

»Ich weiß, mein Sohn. Die That war brav und würdig. Aber, was du ihr
geopfert, ... das zerriß mein Herz, da ich's erfuhr!«

»Gott führt uns auf allen Wegen,« versetzte James; »nur auf diese Weise
konnte mir's gelingen, Justine aus Angst und Gefahr zu erretten.«

»Du hast's gethan?« fragte Münzner überrascht; »das ist mehr, als ich
gehofft. Ich glaubte sie unter Protestanten auf ewig und auf immer
verloren!«

»Nicht doch, mein Vater!« fuhr James fort, und erzählte von Justinens
Abenteuern auf dem Thurme, von ihrem zufälligen Wiederfinden, von dem
Entschlusse, sie von der Gefahr, die ihr die Lainez und der Thürmer
bereiteten, zu befreien. »Ich liebte das Mädchen,« sagte er mit
schwärmerischem und wehmüthigem Feuer; »ich glaubte damals, von Justine
geliebt zu sein. Mit welchem Auge konnte ich ihre Lage ansehen? sie
in des Superiors Händen? sie in einem Kloster? während ich in meiner
Unbesonnenheit den Augenblick schon nahe träumte, wo ich als geachteter
Offizier um ihre Hand würde werben können? ich trug erst seit zwei
Tagen die Uniform des Gemeinen; meine Einbildungskraft war Jahrzehende
vorausgeeilt, und ich wollte lieber die _freie_ Justine fern von mir,
in einem andern Welttheile wissen, als auf ewig gefesselt in meiner
Nähe. Ich ging an's Werk. Ich sann. Aber, die Möglichkeit? ich hatte
nicht Freunde, nicht Bekannte. Die Uniform schützte mich nur, daß
man nicht in mir die rechte Hand des Doctors Leupold entdeckte, über
dessen wahren Beruf man auf's Reine gekommen war. Ich durfte mich
nirgends bloß geben. Ich hatte kein Geld, den Hebel aller Dinge. Je
zuversichtlicher ich an meinen Plan gegangen war, je niedergeschlagener
wurde ich, da endlich die Unzulänglichkeit meiner Kräfte sich mir
nicht verhehlen konnte. Indessen hatte ich mein Wort gegeben, und
mehr als das Wort fesselte mich die Leidenschaft. Ich gerieth auf
den abenteuerlichsten Gedanken. Der Werbcapitän war am vorigen Tage
angekommen; ein Franzose, leicht und gefällig im Benehmen; ein feiner
Mann, der unter den Neuangeworbenen gerade _mich_ zu seinem Bedienten
wählte, weil er in mir eine bessere Bildung entdeckte, -- weil ich
ihm gefiel. Ich weiß nicht, wie es kam, -- aber ... ich glaubte in
dem Betragen des Mannes eine gewisse Ritterlichkeit zu verspüren; ich
faßte mir ein Herz; ich sprach mit ihm ungefähr so, wie in Balladen und
Romanen der dienstfertige Zwerg zum Paladin redet, den er zur Rettung
einer im Thurme des Riesen gefangenen Dame aufzufordern gedenkt. Zum
Glück fand auch der Capitän die Sache artig und seltsam genug. Ein
niedliches Mädchen befreien, dessen Rettung ich ganz _seiner_ Macht
und Großmuth anheimstellte, -- das reizte ihn. Er ahnte nicht den
Zusammenhang, den mein Herz mit der Geschichte hatte. Er sah vielleicht
ein galantes Abenteuer in der Ferne. Mir alles gleichviel, weil er nur
zusagte. Litzach brachte die Botschaft auf den Thurm. Wir warteten um
die zehnte Stunde der Nacht unfern des Thurms, mit Wagen und Pferd.
Ein ärgerliches Zwischenspiel hätte uns beinahe alles verdorben. Das
Unglück will, daß in derselben Nacht ein Ohrenbläser dem Bürgermeister
die Anzeige macht, daß auch Pahlens zu der entlarvten Sekte gehört.
Es wird Wache abgeschickt, den Thürmer einzuziehen und nachzusuchen,
ob er nicht Freunde auf dem Thurme verborgen. Das Unglück will, daß
Justine, ihrer List und dem günstigen Augenblicke vertrauend, vom
Thurme herniedersteigend, beinahe in die Hände der Wächter fällt.
Ihr guter Geist bedeckt sie indessen schützend mit seinen Flügeln,
wie auch die Lainez, die noch Zeit findet, sich oben zu verbergen,
und der oberflächlichen Nachsuchung der Soldaten zu entgehen. --
Pahlens wird fortgeschleppt; der sogenannte Zehnerwächter bleibt an
seiner Statt im Thurme; verschließt alles sorgfältig, steigt in die
Höhe, und indem sein Laternchen immer schwächer durch die Fenster des
Thurmes strahlt, verglimmt in uns Harrenden auch jede Hoffnung, unsere
schöne Schutzbefohlene zu retten. Es war indessen anders beschlossen.
Die Lainez, in ihrem Versteck beinahe verzweifelnd, sich allein und
verlassen sehend, von der Morgenröthe ihr Verderben fürchtend, faßt
einen kecken Entschluß, der Französin würdig. Behutsam wagte sie sich
in der dunkeln Nacht an das Zimmer des Thürmers. Der Wächter, das
Branntweinglas vor sich, wendet halb trunken und nickend der Thüre
seinen Rücken, und spielt mit dem Hunde. Der Schlüssel des Thurmes
liegt auf dem Tische. Auf dem Trompetergänglein an der Plateforme steht
das Laternchen brennend, zum Elfergang gerichtet. Wie ein Schatten
schwebt die Lainez durch die halb offene Zimmerthüre. Der Hund knurrt;
sein Herr giebt ihm Schläge, denkt aber nicht daran, sich umzusehen.
In einem Augenblicke nimmt die muthige Frau den Schlüssel leise weg,
entflieht so stille, als sie kann, ergreift die Laterne, und eilt wie
ein Wirbelwind über die Treppen. Auf der Hälfte des Weges schreckt sie
ein Geräusch. Unterdrückte Seufzer -- leise Klagen dringen aus dem
Gange zur Glockenstube an ihr Ohr. -- Entschlossen stößt sie die Thüre
auf. Justine richtet sich eben hinter derselben aus einer Ohnmacht
auf. Lainez fühlt das heftigste Mitleid für die Geisterbleiche. Ohne
Rath, ohne Hülfe, ohne Aufsicht, nur dem Augenblicke und dem Triebe
nach Freiheit gehorchend, unterstützt sie die Ermattete, führt sie
schnell hinab ... die Thüre klingt ... öffnet sich ... Justine stürzt
ins Freie, die Lainez folgt, sperrt wieder vorsichtig die Pforte, und
der Wagen rollt, da wir weiße Gewänder durch die Finsterniß sahen,
geschwinde herbei. -- »Das sind _zwei_ Damen?« flüstert mir der Capitän
zu; ich hatte aber nur Augen für Justine, die sich, wie ein Kind,
vertraulich auf meine Schulter stützte, als ich sie in den Wagen hob.
Die Lainez, unwissend und über diese Vorbereitungen verwundert, folgte
nicht minder. Der Capitän bedeckte die schönen Flüchtigen mit seinem
weichen Mantel, befahl dem Reiter auf dem Bocke, scharf zu fahren, und
behielt mich neben sich auf dem Rücksitze. -- »Du begleitest mich zur
ersten Station,« sagte er: »von dort kehrst du mit dem Wagen zurück,
und ich bringe die Damen noch eine Strecke weiter, erwarte dich mit
meinem Pferde. Ich werde dir Nachricht hinterlassen.« -- Nun fühlte
ich erst die Schwere der Subordination. Es galt aber Justine, und ich
schwieg geduldig. Ohne Aufenthalt gelangten wir unterm Schutze des
Capitäns durch das Thor, und fuhren stracklich weg. Die Damen schliefen
oder stellten sich schlafend. Wir sprachen nur abgerissene Worte. Noch
war der Tag nicht angebrochen, als wir hielten. Ein elendes Wirthshaus
nahm uns auf. Hier sollte gefrühstückt werden. Hier löste sich Alles.
Die Lampe des Wirths beleuchtete unsere Züge. -- »Alle Donner!« rief
der Capitän: »ist das nicht Madame Lainez? wie kommen Sie hierher,
meine Schöne?« -- die Lainez glaubte, in die Erde sinken zu müssen.
-- »Das Abenteuer nimmt eine üble Wendung,« sagte der Capitän hierauf
halb lachend, halb bitter zu mir: »die Eine (Justine), die mir gefällt,
wird von dir mit verliebten und argwöhnischen Blicken gehütet, und die
Andere ... bei'm heiligen Georg! 's ist meine Frau!«

Die Lainez weinte heiße Thränen. Justine staunte; ich nicht minder.

»Ei, Madame!« fuhr der Capitän fort; »wie erging es Ihnen, seit wir
uns trennten? und erinnerten Sie sich nicht, daß wir uns heilig
zusagten, uns nie wieder zu sehen? Ich gestehe, daß nur der Zufall
diese Rencontre herbeigeführt, aber es ist doch ein verdrüßlicher
Zufall. Mußte mich ein Duell aus Frankreich verjagen, und unter meinem
Cadetnamen in fremden Diensten nach Deutschland führen, damit ich Sie,
meine Charmante, wiederfände? Genug, keinen Augenblick mehr mit Ihnen!«
-- Er sprang empor, -- ich hielt ihn auf. Was soll aus den Frauen
werden? fragte ich für Justine besorgt. -- Sollen wir sie ohne Schutz,
ohne Führer hier auf der Straße nach Amsterdam lassen? Vollenden Sie
Ihr Werk, Herr Capitän, wie ein ächter Edelmann. -- Eben deshalb!
antwortete er frivol. Ich habe mein heiligstes Wort verpfändet, nie
mehr mit dieser Dame, die einst die Meinige war, zusammen zu weilen;
nicht eine Stunde, nicht eine Viertelstunde, und ein Edelmann hält sein
Wort. Darum, -- wenn Mademoiselle sich mir nicht allein anvertrauen,
und das intriguante Weib hier ihrem guten Glücke überlassen will, so
lasse ich die Parthie unbeendigt. -- Justine weigerte sich nun auf's
Heftigste, die Lainez zu verlassen, die _sie_ in ihrer Ohnmacht nicht
verlassen hatte; weigerte sich, mit dem Capitän die Reise fortzusetzen.
--

Pardieu! sagte endlich der leichtsinnige Franzose, dem es in
seiner Gattin Nähe sehr bange und unfriedlich zu werden schien: so
weiß ich kein Mittel, als Ihnen, meine Schöne, einen geliebtern
Stellvertreter beizugesellen. Monsieur Leblanc« -- wendete sich mit
scherzender Liebenswürdigkeit zu mir -- »Sie sind ein Galant homme,
der in den groben Rock nicht paßt. Kraft der Gewalt, die ich in
meinem Depot ausübe, schenke ich Ihnen die Freiheit, und werde Ihre
Ranzion gegen meinen Fürsten bestreiten. Vollenden Sie dafür meine
Ritterpflicht gegen Mademoiselle. Ihre Herzen stimmen überein, und
mein Auge hatte mich nicht getäuscht. Führen Sie jedoch nicht minder
Madame Lainez recht weit, in Regionen hinweg, wo sie recht glücklich
sei; so unaussprechlich glücklich, daß es ihr nie wieder einfalle,
heimzukehren, und ihren Gatten so empfindlich zu erschrecken. -- Meinen
Dank, so wie dem Jammer, den die Lainez anhob, zu entweichen, warf er
sich in den Wagen, und ließ mir eine Börse zur Fortsetzung der Reise
zurück, die ich nur annahm, weil ich Justine von jedem Hülfsmittel
entblößt, und den Senator zu Amsterdam glaubte. Dieser würde unfehlbar
die Ehrenschuld sogleich getilgt haben! -- Aber ... nun weiter. -- Was
übrig bleibt, ist wenig. -- Wir setzten die Reise mit Eilpferden fort.
Justine verklärte sich in der Hoffnung, den geliebten Vater wieder zu
umarmen. Die Lainez weinte in einer Stunde eine Sündfluth, trocknete
sie in der andern; verwünschte in der dritten ihren Mann und seine
Unverträglichkeit, lachte in der vierten herzlich über die unvermuthete
Ueberraschung, und schwor endlich, leichtsinnig und vogelfrei gegeben,
Justine nicht zu verlassen, bis der Senator gefunden sei. Justine
hegte ein stilles Mißtrauen gegen mich, das mich bekränkte, denn nie
war ich redlicher ergeben, als gerade jetzt. -- Wir gelangten nach
Amsterdam. Nicht Sie, nicht der Senator waren mehr zugegen. Das Schiff
des Tormerpick hatte Sie schon hinweggetragen. Van den Höcken gab mir
den lakonischen Brief des Senators, in dem es nur hieß: zu Assumcion in
Paraguay erwartet der Vater seine Tochter! Diese neun Worte belebten
Justine mit dem erstaunlichen Muth, der sowohl die Lainez als mich dem
Mädchen dienstbar und unbedingt gehorsam machte. Wir betrieben unsere
Abreise. Wir bestiegen das Schiff, wir befuhren die Meere. Aber je
klarer die See _unter_ uns, je heiterer über uns der Himmel wurde, je
trüber wurde meine Seele. Der Amerikaner hat mich getäuscht; meine
Leidenschaft hat mich getäuscht; alle Hoffnungen der Sehnsucht haben
mich betrogen. Justine ... _liebt_ mich nicht. Sie trägt mein Bild
nicht in ihrem Herzen, nicht an ihrem Halse. Mein Leben ist verloren.
Ich habe mich dem edeln Geschöpfe unwürdig, falsch gezeigt; ich fühle
es: sie kann mir nicht vergeben, kann mich nur dulden, nicht achten,
nicht lieben. Nichts mehr davon: das sei todt und ab. Ich habe mich
ausgeweint, stand ich in verschleierter Nacht auf dem Verdeck des
Schiffs, wo mich die Wache duldete. Ich habe den flammenden Sternen
mein Leid geklagt! ich habe es den ziehenden Wolken mitgegeben, und in
mancher Nacht, wann der gespenstige Holländer auf seinem Nebelschiff
durch die graupige Luft sauste, daß den abergläubischen Matrosen
das Haar zu Berge stand, einen härtern Kampf gekämpft, als jenes
Luftgespenst mit seinen weißen Wolken.

'S ist nun vorüber, und ich will Ihnen nur kurz erzählen, daß wir
auf der Rhede zu Buenos-Ayres Anker warfen, daß wir den mächtigen
Silber- und Paraguayfluß heraufschifften, und unfern von Dios Padre
mit einigen Geistlichen und ihrem Gefolge zusammentrafen, die sich
ebenfalls den Fluß herauf begaben. Der Eine von ihnen ist ein vornehmer
Geistlicher Ihres Ordens aus Cordova; der Andere Rector des Collegiums
zu Assumcion. Sie gesellten sich zu uns; ihre Ruderer sind zahlreicher
als die unserigen, geschickter und gehorsamer. Sie erfuhren unsere
Namen bald, und der Rector erzählte hierauf von Ihnen und dem Senator,
daß Sie beide nach der Doctrina Santa Dominica abgegangen; Sie, um eine
Handelslieferung zu bewerkstelligen; der Senator, um seine angegriffene
Gesundheit wieder herzustellen. Diese Nachricht beunruhigte Justine,
und verdoppelte ihre Begierde, schneller fortzukommen, den Vater eher
zu sehen. Der Zufall will, daß die Väter Jesuiten ebenfalls hierher
ihre Reise richten. Wir blieben daher auf der Parana auch beisammen,
und ich flog auf einem raschen Pferde voraus, unsere Ankunft anzusagen,
und den Senator vorzubereiten, damit die unvermuthete Freude seiner
geschwächten Gesundheit nicht schade. Morgen, spätestens zu Mittage
kommen die Freunde nach, um die Gastfreundschaft von Santa Dominica
anzusprechen.« --

»Ich heiße sie im Voraus, und im Namen meines freundlichen Wirths,
willkommen,« sagte Münzner mit niedergeschlagenen Augen und zögerndem
Tone: »Nur Schade, daß gerade in diesem, so fröhlichen Augenblicke, der
gute Senator nicht zugegen sein kann.«

»Nicht, mein Vater? Wo ist er?«

»Er hat einen Streifgang in das Land gemacht,« fuhr der Jesuit wie oben
fort: »wir erwarten ihn bald zurück, und dann...«

»Einen Gang in das Land, mein Vater? ein kranker Mann? wie konnte er's
wagen?...«

»Tief im Lande träufelt aus einem Baume, den sie Anguay nennen, ein
köstlicher Balsam, der an der schwächsten Brust Wunder thun soll.
Dieser Balsam muß zur jetzigen Jahreszeit gewonnen, und sogleich an Ort
und Stelle gereinigt und gebraucht werden. Dies Heilmittel aufzusuchen,
entfernte sich der Senator.«

»Und Sie begleiteten ihn nicht, mein Vater?.... Verhehlen Sie mir auch
nichts? --«

»Ich belüge dich nicht,« erwiderte Münzner scharf und ungeduldig, sich
von ihm wendend; dann trat er besänftigter zu dem Jüngling, reichte
ihm die Hand, und sagte: »laß uns von etwas Anderem reden, von etwas
Erfreulicherm; von deiner Ankunft, und immer wieder von deiner Ankunft.
Sieh, hier zu Lande fließt das Blut selbst in den Adern alter Leute
rascher, als drüben. Man braust leicht auf: man liebt aber wärmer, man
freut sich lebendiger. Wirst du denn meine Freude vervollständigen?
Wirst du _hier_ das Gelübde erfüllen, das dich in Europa anwiderte? Thu
es hier! hier hast du die schönsten Werke der Gesellschaft vor Augen.«

»Muß denn diese Frage in der ersten Stunde meines Empfangs aus Ihrem
Munde gehen?« fragte James sanft aber gekränkt.

»Ich schweige!« versetzte Münzner mit einem Seufzer: »Wohl dir jedoch,
mein Sohn, wenn nur _mein_ Mund ferner diese Frage an dich richtet.
Doch, sieh!« fügte er hinzu: »Die Luft ist wieder hell geworden. In
diesen gelobten Ländern reinigt das wohlthätige Gewitter in kurzer Zeit
den Luftkreis. Der Abend ist wieder still und herrlich, und gewürzig
duften alle Blumen und Büsche um uns her. Werde auch du ruhig, mein
Sohn. Ich gehe, unsern ehrwürdigen Wirth auf den Besuch vorzubereiten,
der ihm werden soll. Wir erwarten dich in dem kühlen Vorplatze.«

Münzner entfernte sich. James lehnte sich an eine Fensterlucke, sah
in den Hof. Der Empfang im Pfarrhause schien ihm räthselhaft; sein
Wohlthäter um vieles verändert. Nicht die Züge allein, -- die in zehn
Monden um so viel Jahre älter geworden waren -- was eine Folge der
Himmelstrichsveränderung sein konnte,.... sein _Wesen_ war anders
geworden. Nicht mehr jene ruhige Bestimmtheit, jenes klare Streben,
jener einfache Gleichmuth, -- Eigenschaften, die ihn vor vielen
ausgezeichnet hatten ... eine trübe Strenge, ein tiefsinniges Brüten
lag auf Stirne und Schulter des Mannes, daß die Erstere sich faltete,
wie im Kummer, -- daß die Letztere sich beugte, wie im Joch. James
sah auf zu dem Himmel, der ein anderer und dennoch derselbe war, wie
der, unter dem er geboren; er sah auf Häuser und Felder, die so ganz
verschieden von den europäischen waren, und doch eben nicht anders als
diese; und mitten unter diesen fremdartigen und doch bekannten Dingen
und Gegenständen kam er sich so einsam, so fremd, so unbekannt vor; ...
so verlassen! -- Schon flirrte die Dämmerung, früh einbrechend, um ihn.
Ein schlankes Mädchen in der einfachen reizvollen Tracht jenes Landes
schritt durch den Hof, nach dem Lusthäuschen im Garten, das, sich an
den Johannisbrodbaum und die nachbarlichen Wachspalmen lehnend, aus
engen, gegen Fliegenbesuch schützenden Gittern von Rohr erbaut, ein
erquickendes Plätzchen in der Kühle gewährte. Der Tisch wurde darinnen
zum Thee bereitet, und James, der lieblichen Gestalt folgend, die mit
einer wohlverwahrten Glaslampe zuletzt nach der Laube ging, überraschte
sie bei der Vollendung ihres Geschäfts.

»Ach, sieh doch!« sagte er, »meine schöne Helferin! Kennst du mich
noch, mein Kind? Dein Wort gab mir Trost, als ich rathlos am Wege
saß!...«

»Gott hilft immer!« versetzte das Mädchen, ihn mit kindlicher Ruhe
betrachtend.

»Durch seine Engel!« fügte James seufzend hinzu, und setzte bei: »die
herrliche Blüthe, die deine Brust schmückt, wie nennt man sie?«

»Die goldne Mondblüthe!« antwortete das Mädchen, und reichte sie ihm
unbefangen hin: »wollt Ihr sie, Herr?«

James nahm die Blüthe zögernd. »Du giebst einen schönen Schmuck
weg, mein Kind, der dich besser ziert, als selbst das glänzendgelbe
Glaskorallenband um deinen Hals.«

»Das ist nicht Glas, Herr!« versetzte das Mädchen ernsthaft und
unterrichtend: »das ist der Balsam, der aus einem Baume fließt, weit,
weit von hier, den ich aber nicht zu nennen weiß.«

»Wolltest du mir wohl _deinen_ Namen sagen?« fragte James weiter.

»Warum nicht, Herr? Ich heiße Ines. So bin ich getauft, und Vater Luis
hat mich selbst getauft, damit ich zum lieben Herrn im Himmel komme.«

»Du Unschuldige! Wie alt bist du, gute Ines?«

»Seit ich hier bin, hat die Algarova zwölf Mal geblüht, und im Walde
erinnere ich mich, sie drei Mal in der Blume gesehen zu haben.«

»Im Walde, Kind?«

»Ich bin darin geboren, Herr, ein wildes Kind, von Wilden.«

»Ja, wild bist du, meine Ines. Wie du auf dem schnaubenden Pferde
dahersprengtest, und an mir vorüberjagtest; ... mir bangte für dich.«

Ines lachte. »Seid ruhig,« sagte sie, »ich halte mich fest, und das
Pferd, das eine Mähne trägt, wirft mich nicht ab. Meine Landsleute sind
für's Pferd geboren.«

»Deine Landsleute?«

»Ja; die Abiponer, Herr! Der Vater setzte mich stets vorn auf seines
Thieres Hals, und auch die Mutter saß zu Pferde. Ich entsinne mich
dessen noch gar wohl. Wie ich von meinem Volke kam, ist mir viel
dunkler geblieben. Ich schlief, Herr. Neben der Mutter schlief ich auf
der Matte, und es war alles Nacht und dunkel um uns her, als wir uns
niederlegten. Es waren viele Leute und viele Pferde, die um uns her im
Kreise standen, und die Feuer ließ man ausgehen, weil die Sterne so
herrlich am Himmel glitzerten. Das weiß ich noch gar gut; denn nimmer
habe ich seither einen so großen, weitgespannten Himmel gesehen, wie
dazumal. Wir schliefen also, und mit einem Male donnerte es, daß ich
hell aufwachte. Ich sah recht Vieles um mich her: Feuer und Dampf;
Blitze und Reiter. Die Mutter war auch zu Pferde, und ich hing an
einem Sacke von Fellen an ihrem Sattel hernieder. Das Pferd rannte
fort, und plötzlich ... wachte ich wieder auf, und sah nicht mehr das
Pferd, und nicht mehr die Mutter, sondern ich lag in einem kleinen
grünen Walde, wie in einem Korbe, und die feinen Spitzen des Waldes
gingen hoch über mir, wie ein lichtes Dach, zusammen. Die Sonne schien
sanft und gelb hindurch, und ein leichter Wind bewegte das Dach, daß
es sich abwechselnd aufschloß, um mir in aller Höhe den blauen Himmel
zu zeigen, bald sich wieder zuthat, mich in die grüne Einsamkeit zu
versenken. Ich schrie, trotz meinem Behagen, denn die Mutter fehlte
mir. Da raschelte es seitwärts neben mir, und durch die Halmen des
Waldes streckte sich ein neugieriger beweglicher Kopf von einem
wunderschönen Thiere, gefleckt, gestreift, in allen Farben glänzend,
und ich wußte damals nicht, daß eine böse Schlange mich ansah, und
streckte ihr spielend die Hände entgegen. Der Kopf zitterte, als ob
er zaudernd witterte, immer näher, erreichte mich fast, und fuhr dann
plötzlich zurück, mit einem pfeifenden Schrei. Ein großer Schlangenleib
warf durch diese Bewegung eine seiner Windungen auf meinen Leib, riß
sich indessen schnell und kräftig ins Grüne und verschwand wie ein
Pfeil. Dafür kamen andere Gäste lärmend und brüllend einhergejagt, wie
ein Sturm, und mit einem Male sah ich über die Spitzen des Waldes ein
breites gehörntes Haupt herniederschauen. Ich glaubte die Heerde des
Vaters in der Nähe, und schrie so laut, als der Stier brüllte, und --
nicht lange, -- so stand ein dichter Kreis von solchen Thieren um mich
herum, und glotzte mich hülfloses Kind an, das sich an einer Staude
emporrichtete, und furchtsam die unbeweglichen Thiere betrachtete. Da
fand mich der Ochsenhirte von Rosario, hob mich auf, und brachte mich
dem guten Pater Luis, der mein Vater wurde, weil Gott mir die Eltern
genommen, damit ich sein _eigen_ Kind werden sollte. Die arme Mutter
muß mich, vielleicht im Schlafe, vom Schooße verloren haben, denn
der grüne Wald, von dem ich redete, war nur das hohe Gras der weiten
Savanna, und ich wäre dahin gewesen, ohne Gottes Schutz!«

»Armes Mädchen! Mutterlose, arme Waise!«

»Ich bin nicht arm und nicht unglücklich, Herr! Ich habe ja in Don
Luis einen Vater gefunden, und in der Kirche steht das Bild meiner
_himmlischen_ Mutter, mit Gold und Seide geputzt. Ich bete zu ihm,
ich rede mit ihm, und sie redet auch mit mir in meinen Träumen, oder
wenn ich das Gesicht auf den Boden lege, und mir die Gedanken ausgehen
lasse. Und die _heilige_ Mutter ist so gnädig, so liebevoll! Sie hat
die arme dumme Ines verständig gemacht, ihr Heil zu begreifen; sie hat
mich gekleidet, sie gibt mir Speise! Ach, Herr, ich bin nicht arm! Aber
meine Mutter im Walde mag's sein, denn sie hat ihre Tochter nicht mehr,
und auch keine im Himmel, mit der sie reden kann!«

James schwieg ergriffen, und die fromme Ines ging weg. Ihre
Reden klangen in des Jünglings Ohren nach. Unwillkürlich verglich
er die Indianerin mit Justine. Beide schön, beide entschlossen
und thatkräftig; beide die Unschuld selbst, und dennoch so ganz
verschieden! -- Der feine Thee schmeckte ihm nicht. Das Gespräch der
Jesuiten, das in lateinischer Sprache vor sich ging, behagte ihm nicht.
Frühzeitig suchte er seine Matte, frühzeitig verließ er sie wieder.
Die zahlreichen Heerden brüllten an der Gasse vorüber. Leute mit
Ackergeräthschaften drängten sich auf dem Platze. Ein Zeichen mit der
Glocke der Kirche, und die Schreitenden hielten an deren Pforte. Sie
wurde aufgethan; Lichter brannten, Weihrauch dampfte; der silberhaarige
Luis begann die Messe. Anstand und Würde von seiner, Andacht von der
Zuhörer Seite vereinigten sich, den gewünschten Zweck hervorzubringen.
Die Indianer gingen still befriedigt an die Arbeiten des Feldes, um
unverdrossen die Stunde zu erwarten, in welcher Gott selbst durch die
Hand ihres Vaters ihnen Nahrung spenden würde. --

James wünschte dem aus der Kirche tretenden Pfarrer Glück zu der Ruhe
und fleißigen Eintracht in seiner Colonie. Luis lächelte und sagte:
»Das findest du in allen unsern Doctrinen, mein Sohn. Friede ist erste
Bedingung des Glücks, und Friede halten wir.«

»Diese Leute besitzen jedoch nichts,« wendete der junge Mann ein: »Sie
sind in jedem Stücke abhängig.«

»Zu ihrem Besten, Freund,« sagte Luis lebhaft: »eigenes Besitzthum
war die Quelle der Habsucht, des Neides, des Diebstahls, des Mordes.
Wir kennen diese Dinge kaum von Namen; niemals hat seit meiner
Amtführung einer von hier angesiedelten Quaraniern etwas entwendet;
niemals endigte sich ein Streit mit Blut. Diese wilden Stämme, durch
Ueberredung und Scharfsinn dem Walde, den Bergen und der Flußräuberei
entfremdet, müssen wie unmündige Kinder gehalten werden. Freilich wird
einst die Zeit kommen, die auch hier die Mündigkeit befiehlt; ich
erlebe sie aber nicht mehr.«

»Ihre Gesundheit, mein Vater, wird noch lange der Zeit trotzen.«

»Die Zeit, mein Sohn, ist der Tropfen, der den _Stein_ höhlt. Gott
sei Lob indessen für die Kraft und den Frohsinn, die mich in meine
Silberzeit begleitet haben. Weißt du jedoch, woher das kömmt? ich
bin im Gemüthe ruhig gewesen mein Lebelang. Ich habe nie hoch hinaus
gewollt, nie von Ehrgeiz und Würden geträumt. Ich wundere mich selbst,
daß ich Pfarrer geworden bin; ich meinte, höchstens zum Vikar tauglich
zu sein. Aber der Pater Provinzial zu Cordova meinte es anders, und
Gott hat mir mit dem Amte auch leidlichen Verstand dazu gegeben.
So lebe ich denn ruhig und zufrieden hin, ohne Sorge, ohne Plage.
Mich kümmert's nicht, was die Herren zu Cordova treiben; ich bin
seit vierzig Jahren Bauer geworden, und die Bauern um mich her haben
gelernt, mich nicht nur Vater zu _nennen_. In dieser rohen aber guten
Kinder Mitte will ich sterben, arm und geliebt: das ist Alles, was
ich wünsche. Daher bin ich auch gesund und frisch; frischer als Euer
Pflegevater, der um zwanzig Jahre Lebens jünger ist, denn ich. Er trägt
Gram auf dem Herzen; ich kenne den Kummer nicht; er hat sein Haus noch
nicht bestellt ... ich habe seit vierzig Jahren meine Lampe angezündet.
Er ist ein armer Mann, weil er zu Viel weiß, weil er zu Viel zu thun
gezwungen,.... weil.... doch ich vergesse, daß ich zu seinem besten
Freunde rede, der Alles dieses besser wissen muß, als ein beschränkter
Landgeistlicher aus dem Missionlande. Beiläufig nur so viel: deine
Weigerung, endlich das Kleid zu nehmen, mein guter fremder Sohn, trägt
viel zu Pater Xaver's Betrübniß bei.«

»Mein Vater...!«

»Stelle dich nicht verwundert,« unterbrach ihn der Pfarrer gutmüthig
aber eindringlich: »höre mich an: du hast dich verpfändet; du
mußt dich lösen; das ist Eins. Du mußt denjenigen lösen, der aus
Menschenfreundlichkeit dein Bürge geworden ist; das ist das Zweite.
Du mußt endlich der Welt und dem Herrn dienen; das ist das Dritte,
Nothwendigste. Wären wir in Europa, mitten im Gewebe der großen
Spinne, um Mückenjäger in ihrem Solde zu werden, -- so würde ich die
Achseln zucken, meinen Weg gehen, und mich nicht nach dem umsehen,
was du beginnst. Aber -- hier -- in dieser jungen, frischen Welt, wo
die äußersten Enden des Gewebes eingreifen, wo sie leichter, feiner
sind, hier ist's etwas Anderes. Hier, auf dem Lande, hier können
wir nützen. Hier kann die Mannskraft handeln, ein volles frommes
Herz glücklich sein. Laßt den Herren zu Assumcion und Cordova ihre
Ränke und Regierungssorgen! Wendet Eure Bemühungen auf diese armen
Indianer, und handelt nach dem Willen des ewigen Vaters! O, mein
guter Jüngling! wenn ich dich hier umherführe, und dir die reinlichen
Haushaltungen zeige, in denen man christlich lebt und fleißig ist;
die zufriedenen Familien, die weder das nomadische Leben, noch das
betäubende Chicagetränk mehr verwüstet; die Väter, die, statt auf dem
Pfühl der Trägheit zu ruhen, und dem Weibe Alles aufzubürden, jetzt die
Versorger der Ihrigen sein würden, wenn die Gesellschaft nicht für Alle
sorgte; die Mütter, die nicht mehr ihre unschuldigen Kinder würgen,
um wieder der Leidenschaft zu huldigen, oder sich eine Plage mehr vom
Halse zu schaffen; die Kinder selbst endlich, die in Gottesfurcht und
Elternliebe emporwachsen, ein sanftes, friedliches, lernbegieriges
Geschlecht; -- du wirst unser Loos glücklich preisen, und dich schnell
demselben Berufe weihen, und schnell das Kleid anlegen, in welchem
meine Quaranier mich als ihren Vater verehren; in dem ich mich dann
und wann, von der Herrlichkeit meiner Bestimmung übermannt, für einen
Strahl der Gottheit halten möchte, wenn es die einem armen Pfarrer
anständige Demuth nur zuließe. Sieh um dich! diese Kirche habe ich
errichtet, alle diese Hütten habe ich erbaut. Es ist keiner unter
vierzig Jahren im Dorfe, den ich nicht getauft, -- es liegt keiner in
unserer Kirchhoferde, den ich nicht begraben hätte. Wie die Palmen,
wie die Tamarinden meines Hofes habe ich sie Alle, die da leben, jung
gesehen! Alles ist hier mit mir alt geworden, und für das Generalat in
Rom tauschte ich nicht meine geringe Pfarrei, in der ich Melchisedechs
Würde trage, und nicht umsonst trage, weil mir das Bewußtsein sagt:
dein Leben war nicht faul, nicht vergebens!«

James sah noch horchend und lächelnd in des Greises hell leuchtende
Augen, als vom Eingange der Mission sich viel Geräusch hören ließ,
und der Alcade mit langen Schritten herbeikam. -- »Mein Vater!« sagte
er zum Pfarrer: »Der Feldhüter bemerkt auf dem Strome schwere Kähne
aufwärts kommen, mit vielen Leuten bemannt. Befehlt, was geschehen
soll. Die Leute könnten räuberische Payaqua's oder spanische Abenteurer
sein. Soll ich die Glocken läuten, Waffen austheilen? der Regidor ist
auf den Aeckern, und ich habe nach ihm geschickt.«

»Das sind unsere Freunde!« rief James, und eilte ohne Aufenthalt dem
Strome zu. Die müßigen haushütenden Frauen und Greise und Kinder,
die längs dem Ufer hin wohnten, oder Wäsche hielten, oder in der
Sonne lagen, versammelten sich am Landungsplatze. Starke Reihen von
zahmen Stieren und Pferden zogen die ankommenden Schiffe an tüchtigen
Fellriemen und Leinenstricken gegen die Fluthen, und vierzig Ruder
peitschten im schnellsten Takt, den Lauf zu verdoppeln den herrlichen
Strom. Mehrere riesenhafte Payaquas, bis zum Gürtel im Wasser stehend,
mit brennend roth gefärbten Haaren und breiten Schultern, leiteten
die aus dem violetten Holze der Algarova gefertigten langen Kähne
sorglich an Felsstücken und Sandhügeln vorbei, dem Landungsplatze zu.
Der Anblick dieser wilden Leute beunruhigte die am Ufer stehenden
Quaranier, doch ein Blick nach den Kähnen selbst beschwichtigte
ihre Furcht. Zwei angenehme weiße Frauengesichter sahen zwischen
krausen Negerköpfen wie Lilien aus der Nacht hervor, und neben ihnen
flatterten schwarze Mäntel der Gesellschaft Jesu; _hier_ willkommene
Boten der Friedlichkeit. -- Längs dem Strande zur Mission kehrende
guaranische Jägersleute, die den Tapir in den Sumpfwäldern verfolgt
hatten, feuerten mit gellendem Geschrei, die Väter des Ordens zu
empfangen, ihre Gewehre in die Luft ab. Lebhafte Neger antworteten
mit den Pistolen und Vogelflinten, die sie an Bord hatten. Die Glocke
in der Mission läutete. Von Feldern und Wiesen strömten alle Bewohner
zusammen. Pater Luis, sammt Regidor und Alcalde und den ältesten
Indianern, erwartete am Ufervorsprung die Ausschiffung der Fremden.
Auf den starken Schultern der Payaquas schwebten die Damen über die
Fluthen; nach ihnen wurden die geistlichen Herren herübergeschafft. Mit
ruhiger Demuth empfing der Pfarrer die Vorgesetzten; mit fröhlichem
Jubel James seine Begleiterinnen. Justine sah sich mit glänzenden Augen
rund um, und rief: »Ein herrlicher Ort, Monsieur White! wo aber ist
mein Vater? ist er so krank, daß ihn die Nachricht von der Ankunft
seines Kindes nicht an den Strand zu führen vermag? zu ihm! zu ihm,
mein Herr! ich kann nicht eine Viertelstunde länger leben, ohne ihn zu
sehen!«

James führte sie, und versuchte, sie auf die Nachricht von der
Abwesenheit des Senators vorzubereiten. Die lebhafte Jungfrau hörte
indessen nicht auf seine Worte. Vergnügt, und mit strahlendem, Alles
umfassendem Blick wendete sie sich im Gehen nach allen Seiten. Das
mannigfache Grün der Cedern, der Palmen und Tamarinden, in welchem
die gelben Dächer der Colonie lagen, ... bildete eine erquickende
Aussicht. Der zarte Rasen des Ufers war ein sanfter Teppich, die
Blüthen und Früchte an Hecken und Gelanden schmückten den Weg, und
neugierig folgten die Weiber und Kinder, die noch nie an ihrem Wohnorte
eine Europäerin gesehen, der lieblichen Gestalt. Justine war größer
und voller geworden, ausgeprägter ihr Gesicht, schöner und feuriger
ihr Auge, entschlossener ihre Haltung, ausdrucksvoller ihre Geberde;
frei und zierlich ihr Gang, wie der der Lainez. Neugierig aber
freundlich betrachtete sie das mitziehende Volk, grüßte, lachte mit
den Kindern, sprach mit ihnen, erhielt aber von den Nichtverstehenden
unverständliche Worte in den Kauf. Endlich war das Pfarrhaus erreicht,
endlich stand Justine unter der Thüre desselben. Ihr Herz schlug
ängstlich; ihr Mund öffnete sich, den Vater zu rufen. Pater Münzner
erschien. Justinens Züge verdunkelten sich! -- »Sein Sie willkommen,
geehrteste Tochter meines Freundes!« sagte Münzner, der diesen Eindruck
wohl bemerkte, »ich wünschte Ihnen im ersten Augenblicke angenehmer zu
sein.«

»Das ist nicht möglich, und auch nicht nöthig,« entgegnete Justine
ernsthaft und entschieden: »Ihr Anblick, mein Herr! erinnert mich an
zu Viel. Erlauben Sie, daß ich Ihnen hier eine Freundin übergebe, die
manches um Ihretwillen gelitten hat, und die ich den Verfolgern entriß,
obgleich sie, wie Andere auch, ein falsches Spiel mit mir getrieben.
Vergelten Sie mir den Dienst mit der einfachen Anweisung, wo ich meinen
Vater zu suchen und zu finden habe.«

Münzner schwieg bedeutungsvoll, und James, die ängstlich werdende
Tochter zu beruhigen, wollte statt des Pflegevaters das Wort nehmen.
Der geräuschvolle Eintritt des Pfarrers mit seinen geistlichen Obern,
des Volks, das neugierig ihnen nachdrängte, unterbrach ihn. Zwei
Indianer von den Schützen, die so eben wieder heimgekommen waren,
machten sich heftig Platz durch die Menge und näherten sich eilfertig
dem Pfarrer. »Da! guter Vater Luis!« sagten sie mit getrübter Geberde:
»da ist Alles, was wir von deinem Gastfreunde gefunden haben! In dem
Lager eines wilden Jagurate[3], den wir erlegten, fanden wir die
traurige Beute.« --

Pater Luis starrte die Boten staunend an. Münzner erbleichte heftig,
wie auch James. Justine stieß einen gellenden Schrei aus, denn -- war
ihr gleich die Sprache der Jäger fremd und unbekannt, -- sie kannte
das Kleid ihres Vaters, das sie blutig und zerfetzt, zu den Füßen des
Pfarrers niederlegten. -- Mit rollenden Augen schlug das Mädchen die
Hände zusammen, und rief mit dem Tone der entsetzlichsten Furcht: »Was
ist hier geschehen? was mit meinem armen Vater vorgefallen? Wer Mitleid
mit mir hat, verhehle mir nichts. Wer Gefühl in der Brust trägt,
verheimliche einer bangenden Tochter nicht das Aergste!«

Todtenstille im Kreise. Endlich faßte sich der Pfarrer, und sagte zu
ihr in gebrochenem Deutsch: »Es ist besser, meine Tochter, daß der
starke Christ die Zweifelschlange zertrete, denn die Wahrheit ist dem
Himmel lieb und der Erde angenehm. Ihr Vater ist seit länger denn einer
Woche abwesend. Er entfernte sich ohne unser Vorwissen, um in den
unfernen Wäldern den Balsam zu suchen, der seine kranke Brust heilen
sollte. Ein Indianer hat ihn begleitet. Keine Nachricht seitdem, bis
auf diesen schrecklichen Fund, der uns nur zu deutlich macht, daß der
Unglückliche eines wilden Thieres Beute geworden ist. Fassen Sie sich.
Gottes Rath ist unerforschlich, aber weise.«

Justine sank kraftlos in die Arme der Lainez, deren Augen selbst
heiße Thränen entfielen. Eine erschütternde Scene folgte. Luis
unterhielt seine Ordensbrüder von der traurigen Geschichte; James
stand seinem Pflegevater bei, der in trüber Wehmuth verging, und auf
das Ergreifendste immer wiederholte: »Meine Schuld! meine Schuld! meine
größeste Schuld!« Justinens Schmerz wurde brennend wie die Wunde an
ihrem sehnenden, zerrissenen Herzen. Sie stieß die Lainez von sich,
den tröstenden James, den Doctor, der seine Leiden mit den ihrigen
vereinigen wollte. -- »Weg!« rief sie außer sich: »Ihr Alle weicht
von mir! denn Ihr habt unser Aller Elend verschuldet! Ihr habt meines
Vaters Glück, seine Ehre, sein Leben gemordet! Was soll mir Eure
Theilnahme! -- Weg auch du!« fuhr sie zürnend und weinend fort, indem
sie den ehrwürdigen Luis, der sich ihr näherte, zurückwies: »Du trägst
das Kleid dieser Mörder, dieser Diebe an Gut, Leben und Ehre! Weg!
Deine weißen Haare lügen, wie deine fromme Stirne! Gebt mir meinen
Vater zurück! Ich habe tausend Meilen gemacht, um Verbannung und
Unglück mit ihm zu theilen, und finde ihn im Rachen eines Ungeheuers
wieder! Und dieses Ungeheuer ist gnädiger als Ihr, denn es hat ihn
schnell hinweggerafft, während Ihr ihn langsam hingerichtet habt! Kann
ich denn meinen Erinnerungen so wenig entfliehen, als dieser qualvollen
Gegenwart?« --

Sie drängte mit erneuter Kraft die Lainez von sich; ihr Auge fiel
auf Ines, die ängstlich, aber freundlich zu der Fremden flehend, vor
ihr auf den Knieen lag, ihre Hände drückte, ihr tausend schöne Worte
sagte, und die kühlende beruhigende Frucht der Quembe bot; dem Gaumen
der Erhitzten ein willkommenes Labsal. Die kindlichen reinen Züge der
Indianerin stimmten Justinens Bewegung in sanftere Wehmuth um; die
Leidende gestattete es, daß einige Tropfen des kühlenden Saftes ihre
Lippen benetzten, sie litt die Liebkosungen der Indianerin; sie drückte
dieselbe an ihre Brust. »Ja!« rief sie schmerzlich: »Du, fremdes
Geschöpf, du bist hier meine einzige Verwandte! Jene, die meines
Welttheils Farbe und Sitten haben, sind meine geschworensten Feinde!
Sie haben meinen Vater in den Staub getreten, sie werden mich nicht
verschonen! Sie haben ihn getödtet, sie werden auch mich vergiften.
Nur von deinen Händen will ich meine Speise nehmen! Nur du, mein Kind,
meine Schwester, nur du sollst bei mir sein, bis mich mein Gott wieder
aus diesem Mörderlande führt!« --

»Beruhigen Sie sich!« sagte der Rector von Assumcion, ein Franzose von
Geburt, schmeichelnd und süß wie Honig: »die arme Wilde hier versteht
nicht, was Sie ihr sagen. Ihr Widerwille gegen unsern Trost ist
dagegen unbegreiflich. Verwünschen Sie nicht uns, nicht dieses Land,
das Canaan für Sie genannt werden mag. Gott hat Ihnen viel genommen,
allein, wie er es gegeben, kann er es auch wieder entziehen. Ihr Vater
ist in seinem Schooße, denn er ist in seiner wahren Kirche Grundsätzen
gestorben. Sie haben noch den Schritt in diese Kirche zu thun, und je
schneller Sie ihn machen, je schneller wird der göttliche Trost bei
Ihnen einkehren.«

»Monsieur!« rief Justine empört, und maß ihn mit zornigen Blicken. Der
Rector ließ sich von dem Tone der Höflichkeit dadurch nicht abbringen.
»Wie gut wäre es gewesen,« sagte er, »wenn Ihr würdiger Vater im Stande
gewesen wäre, selbst, in eigener Person, seine Tochter dem Gotte
darzubringen, dessen Gnade die letzten Jahre seines Lebens verherrlicht
hat. Aber -- in seiner Ermangelung -- liegt mir, dem Vollstrecker des
Testaments, das er vor seiner Abreise von Assumcion in meine Hände
legte, ob, seine Pflichten gegen Sie und die Kirche zu erfüllen.
Ein günstiges Zusammentreffen wird Sie schneller an's Ziel bringen.
Pater Jose Aculcho, einer der würdigen Consultadoren des hochwürdigen
Provincials zu Cordova, der hier steht, wird Sie unter seinem Schutze
nach Cordova bringen, sobald unsere Umreise durch die ihm zugetheilten
Doctrinen beendigt wurde. Im Kloster der Carmeliterinnen werden Sie
Unterricht, theilnehmende Herzen und eine ewige sorgenlose Existenz
finden, übereinstimmend mit den Bedürfnissen Ihrer Lage, und dem
letzten Willen Ihres seligen Vaters!«

»Mein Gott!« rief Justine, die nun erst begriff, wo Alles hinaus
wollte; »was sagen Sie? Sie getrauten sich, mich, ein freies Mädchen,
das Ihnen nicht in Lehre, nicht in Pflichten unterworfen ist, mit Zwang
zu einem Dasein zu führen, das ich verabscheue?«

»Ihr Vermögen, Ihres Vaters Erbe, liegt in unsern Händen, unbeschadet
der Ansprüche, die wir noch dereinst auf Ihr europäisches Gut zu machen
haben dürften,« lautete die trockene Antwort des Rectors.

Justine blickte fragend und durchbohrend den Doctor Münzner an. Dieser
nickte mit dem Haupte und sagte niedergeschlagen: »So ist's, beste
Jungfer. Ihr Vater verlobte der heiligen Gesellschaft schriftlich
sein Vermögen, _Sie_ der katholischen Kirche und einem beschauenden
Klosterleben!«

»O der Tücke, die ihn dazu gebracht!« versetzte Justine äußerst
heftig; »Geldhunger war die Triebfeder Eurer Handlungen? So nehmt es
denn hin, das elende Geld! Wo meines Vaters Leiche blieb, bleibe auch
seine vergängliche Habe! Lassen Sie mich nur wieder von dannen ziehen
um diesen Preis! Ich will nicht klagen, will nicht murren, will mein
Brod vor den Thüren betteln! Nur hinaus aus diesem Lande, worinnen
mich nicht einmal das Grab meines Vaters zurückhält! Hier sind noch
einige Diamanten! Sie sollen von Werth sein! Nehmen Sie diese letzten
Ueberreste einer Wohlhabenheit hin, die Ihre Brüder vernichteten.
Lassen Sie mich jedoch zur Stunde fort! Hier lebt nicht mein Vater!
nicht mein Glauben! Ich sterbe unter diesen Menschen!«

»Arme!« sprach Münzner trübe vor sich hin; »_aus_ des Löwen Höhle
führen keine Fußtapfen.«

Der Rector lächelte über die Aufregung Justinens, und sprach mit dem
Consultador spanisch. Dieser winkte mit der Gravität des Vorgesetzten
dem Pfarrer, und sagte ihm: »Sie stehen mir dafür, daß die Person sich
kein Leid anthut, und daß ich sie bei meiner Rückkehr wieder finde.«

Justine, von Thränen übermannt, und das Gesicht in ihre Hände
verbergend, beachtete nichts um sich her. Die Lainez und die Indianerin
sprachen zu ihr, wie zu einer Bildsäule. Münzner ging händeringend im
Hintergrunde des Gemachs auf und nieder. James starrte düster vor sich
hin, und der Pfarrer entfernte das Volk, bis auf die Obern der Colonie.
Dann sagte er bescheiden aber fest zu dem Consultador:

»Mein Vater! ich erinnere Sie, daß mein Pfarrhaus kein Gefängniß ist.
Noch viel weniger scheint mir die Jungfrau eine Verbrecherin.«

»Sie gehorchen!« war die kurze drohende Antwort; »ich nehme Alles bei
dem Provinzial auf mich.«

»Bedenken Sie!« sagte Luis; »wenn der Generalcapitän erfährt...«

»Was da?« brausten Consultador und Rector auf. »Hier ist der heilige
Ignacio Generalcapitän. Wo wären wir der Excellenz zu Buenos-Ayres
unterworfen? Haben wir nicht unsere Verträge, unsere Rechte? Wo
die Gesellschaft befiehlt und den Tribut bezahlt, muß Monarch und
Statthalter schweigen.«

»Das nimmt kein gutes Ende!« sagte Luis: »ich protestire.«

»Mademoiselle Müssinger ist eine Fremde!« sprach James, der nur mühsam
bisher an sich gehalten: »wie wollen Sie, meine Väter, verantworten,
was Sie thun?«

»Wer spricht hier?« fragte der Rector drohend entgegen: »Mademoiselle
ist durch den Tod ihres Vaters meine Mündel.«

»Sie wollen die erschlichene Gewalt mißbrauchen!« rief James erhitzt.

»Mein Sohn, bedenke, wo du bist!« mischte sich Münzner besorgt ein:
»und Sie, meine Väter und Obern, vergeben Sie dem unbesonnenen jungen
Manne, der ein schnelles Urtheil spricht.«

»Das soll ihm übel bekommen!« sagte der Rector aufgebracht: »Des
Provincials Nachrichten aus Deutschland reden von dem widerspenstigen
Engländer, der seine Pflicht umgehen möchte. Das Provinzialat wird _ihm
hier_ sein Urtheil sprechen.«

»Unglücklicher!« seufzte Münzner, James Hand fassend: »siehst du? meine
Ahnung!«

»Mein Urtheil!« fuhr James auf: »Was habe ich Ihnen, was dem Orden
gethan?«

»Du hast viel gekostet, und unsere Erwartungen betrügen wollen,«
antwortete der Consultador mit harter Stimme: »du hast schwere Buße
verwirkt, und nur Nachgiebigkeit kann dir einen würdigern Platz in
unsern Häusern erwerben.«

»Nimmermehr!« entgegnete James: »Dieses unschuldige Lamm soll geopfert
werden, und ich nicht minder? Machen Sie mich zu Ihrem Sklaven, aber
nicht zu ihrem Bruder!«

»Welche freche Sprache?« polterte der Rector.

»Sie soll ihm vergehen,« sagte der Consultador: »die Bußkammer zu
Cordova soll ihn zahmer machen. Für's Erste, Bursche, verlässest du
diese Doctrina nicht. Wie für die Sennora, haften mir Pfarrer und
Regidor für dich.« James knirschte. Münzner trat besänftigend vor ihn,
und sagte zu dem unwilligen Herrn von Cordova: »Schonen Sie ihn um
seines Jähzorns willen! Es wird sich Alles legen. _Ich_ bürge, daß Sie
ihn ruhiger hier wieder finden.«

»Wer bürgt uns denn für Sie, Pater Xaver?« fragte der Consultador
höhnisch: »Ihr Schicksal habe ich in der Tasche. Ihr Provincial
reklamirt Sie. Sie werden ungesäumt nach Europa zurückkehren, um sich
vor ihm über den Ausschlag Ihrer Mission daselbst zu verantworten. Sie
sind wichtiger Punkte angeklagt.«

Münzner stand wie niedergedonnert; dann hob er die Augen gen Himmel
und sagte: »Wie du willst, Herr! -- Aber dich zurücklassen, _hier_
zurücklassen, mein James?« setzte er bei.

»Desto besser!« sprach der Rector bitter: »Euer Beispiel, Ihr Deutsche,
verdirbt jeden guten Keim. Ihr bildet Raisonneurs, Grübler, und
Grübelei führt zur Blasphemie.«

James wollte sich voll Wuth von dem Doctor losreißen, der ihn
begütigend fest hielt. -- »Sie werden dich noch binden lassen!« sagte
er auf Deutsch zu dem Jüngling, und im selben Augenblick befahl der
Consultador dem Alcalden, Negerketten herbeizubringen, und sie dem
Jüngling anzulegen. Pater Luis trat schnell vor, und entgegnete mit
edlem Feuer: »Meine Obern vergeben! Diese Dinge sind aber unbekannt in
meiner Mission. Wir haben nicht Ketten, nicht Peitschen; nicht einen
Strick, um einen Menschen damit zu binden. Diese armen jungen Leute
sind meine Gäste. Die Gastfreundschaft duldet keine Mißhandlung.«

»Gehorsam!« rief der Consultador.

»Euer Hochwürden vergeben,« sagte der edle Greis wie oben: »ich
bin siebzig Jahre alt geworden, ohne etwas Schlechtes zu thun. Ich
will nicht erst jetzt anfangen, selbst wenn Don Philipp, unser
allergnädigster Herr, es so zu haben begehrte. Wir sind hier auf
dem Lande, unter harmlosen Menschen. Hier ist's uns auch in der
Ordenskleidung vergönnt, ein Mensch zu sein. Ich bin der Vater meiner
Untergebenen; der Freund der Fremden; nicht ihr Stockmeister. Verlangen
Sie das nicht, meine Obern.«

»Schwachkopf!« -- sagte der Rector verächtlich vor sich hin.

Der Consultador drohte dem Pfarrer ernsthaft mit dem Finger: »Sie
machen sich eine böse Note, lieber Mann,« sprach er: »Ohnehin hat Ihr
Vikar, der nach Cordova zurückkam, Ihrer nicht zum Besten gedacht.«

»Weil ich ihn fortschickte,« war Luis Antwort: »weil er in Kirche und
Haus, bei Männern und Frauen Alles das that, was unser Heiland nicht
gethan hat. Der ehrwürdige Pater Provincial wird aber auch mich hören,
und nicht allein den tückischen Andalusier. So alt ich bin, scheue ich
noch nicht, dem Recht zu Liebe, den weiten Weg nach Cordova.«

»Ihr werdet ruhig hier verbleiben!« erwiderte ihm mit imponirendem Tone
der Consultador: »Die Disciplinargesetze unserer Gesellschaft sind Euch
seit einem halben Jahrhunderte bekannt, und somit kein Wort weiter.« --

»Ich bin kein Rebell,« antwortete der verblüffte Pfarrer: »aber was Sie
verlangen, ist nicht meines Amts.«

»Sie kommandiren Ihre Milizen als Oberst,« lachte der Consultador; »Sie
verstehen es aber nicht, einen Menschen zur Haft bringen zu lassen!
Sennor Corregidor! Sorgt Ihr, daß dieses Mädchen sowohl, als der junge
Mensch getrennt in ein sicher verwahrtes Haus gebracht werden, bis zu
meiner Rückkehr.«

»Ruhig! du machst dich unglücklich, und mich noch elender, als ich
bin!« sprach Münzner begütigend zu dem auflodernden James, der mit
den Worten: »auch Sie mein Vater?« die Hände sinken, Alles mit sich
beginnen ließ.

Regidor und Alcade versuchten, den Befehlen des strengen Aculcho
einige Milderung abzugewinnen, aber er faßte ihre schwächste Seite,
indem er sagte: »Ihr seid excommunicirt, wenn Ihr länger widerstrebt!
Der junge Mann ist ein unserm Hause Entsprungener, das Mädchen eine
Ketzerin. Beide gehören vor unser Gericht, und der Generalcapitän
zu Buenos-Ayres mit all' seinen Schergen hat ihr Schicksal nicht zu
schlichten.«

Das Wort »Ketzerin« machte die guten Leute, die um Justine beschäftigt
waren, zurücktreten. Auch Ines entfernte sich, schüchtern ein Kreuz
schlagend. James lachte bitter, und folgte finster schweigend dem
Alcaden, der ihn fortführte.

Der Regidor bedeutete Justinen, ihm ohne Widerrede zu folgen. Durch
den Schleier ihrer Thränen emporsehend, fragte sie erschöpft: »wohin
führt Ihr mich?« -- Da aber der Regidor ihr nicht antworten konnte,
und keiner derjenigen, die ihre Frage verstanden, antworten wollte,
so folgte sie ihrem Führer wie ein Lamm mit den Worten: »gleichviel,
wohin es geht. Nur aus dem Bereiche dieser Menschen, deren Blicke mich
vergiften!« --

»Sie, Pater Xaver,« sprach der Consultador, »geben mir Ihr
Priesterwort, sich nur, um nach Cordova und von dannen nach Europa zu
gehen, aus der Doctrine zu entfernen, und Ihrem Zögling auf keinerlei
Weise zum Entweichen behülflich sein zu wollen!« --

Nach einigem Bedenken gab Münzner das Wort. »Das Erste mit Freuden,«
sagte er: »ich hoffe, in einigen Tagen bereit zu sein, mit dem
ersten Waarenkahn abzureisen. Das Zweite verspreche ich mit Leid;
aber überzeugt, daß meine Hülfe meinen guten Sohn nur in größeres
Unheil stürzen würde. Wenn übrigens die Bitte eines Mitbruders für
Sie von einigem Gewicht wäre, so ersuchte ich Sie, die Tochter des
verunglückten Müssinger gnädig und milde zu behandeln. Wir haben viel
an ihrem Vater und Ihr verschuldet, meine Väter, was erst in der
Folge klar werden dürfte. Mich, der ich das arme Werkzeug sein mußte,
bald mit wohlwollendem, bald mit blutendem Herzen, ... mich ereilt
jetzt das Schicksal; denn mein Loos in Europa wird ein hartes sein.
Erschweren Sie es nicht, meine Freunde in Christo, durch die Leiden der
unglücklichen Justine!«

Die fremden Jesuiten sprachen hierauf kein Wort, und nannten den
Fortgehenden verächtlich einen Träumer, dessen Zukunft hart, aber nicht
ungerecht sein könne. Zugleich wurde die Lainez, von deren bisherigem
Wirken man, durch die, fast gleichzeitig mit ihr angekommenen Berichte,
genau unterrichtet schien, aufgefordert, bei Justine ihr Heil zu
versuchen, und nichts zu versäumen, um diese auf den Weg des Heils zu
führen. --

»Zu lange, wie wir vernehmen, arbeitet Ihr schon an diesem Geschäft,«
sagte der Rector geringschätzend: »ich möchte Euch rathen, das Brod
der Gesellschaft nicht als eine unnütze Arbeiterin zu verzehren. Im
Gegentheile, wenn's Euch gelingt, die Widerspenstige, ehe der Pater
Consultador wieder kommt, zu bekehren, sollt Ihr nach Verdienst belohnt
werden. Die gottesfürchtige Frau von Guébriant, die sich vor den
Gräueln der Regentschaft nach St. Fé flüchtete, bedarf einer Kammerfrau
und Vorleserin, und dieser einträgliche Posten soll Euch durch mein
Fürwort nicht entgehen.«

Die Lainez, in ihrer Eitelkeit beleidigt, rümpfte, ebenfalls
geringschätzend, die Nase, und antwortete: »ich danke Ihnen für den
guten Willen, meine Väter; bin aber zu schwach, ihn zu verdienen.
An dem Mädchen ist nicht das Mindeste zu ändern. Sie ist von einem
Eigensinn, der Ihnen zu schaffen machen wird, und, da es nun einmal so
ist, möchte ich rathen, sie lieber zu lassen, wie sie bisher war. Mein
Streben ist, was sie betrifft, geendigt, und ich will die Freundschaft,
die sie mir erzeigt, mit der sie mich gefesselt hat, nicht mit Leiden
vergelten. Madame Guébriant wird eine andere Kammerfrau finden, und
mich in Frieden nach Frankreich zurückkehren lassen, wo die Hitze
nicht so unausstehlich, die Sprache angenehmer, und die Tracht weit
anständiger ist.« --

»Das müßtet Ihr allerdings,« versetzte der Rector hochmüthig. »Wir
gedenken nicht, unnütze Leute von zweifelhaftem Charakter in den
Colonien zu füttern. Ihr werdet mit dem Deutschen Xaver abreisen, ein
würdiges Paar träger Diener. Hebt Euch jetzo weg! Für eine gute Note
wollen wir Sorge tragen!«

Die Lainez ging mit diesem Bescheid. »Hätte ich Vermögen,« sagte sie
mit Bitterkeit zu dem Pater Münzner, dem sie Alles erzählte, »so würden
mich die gescheuten Finanziers schon freundlich gebeten haben, da zu
bleiben. Pfui der Schande! ich eine Magd der alten unerträglichen
Frau v. Guébriant? Um solchen Preis sollte ich meine schönsten Jahre
einem Bemühen hingegeben haben, das täglich meinen Charakter und
meine Existenz gefährdete? Aber nur Geduld, mein würdiger Vater! Man
mißhandelt auch Sie. Lassen Sie unsere Kräfte vereint wirken. Mein
Provincial wird unsere Berichte getreulich nach Rom befördern. Die
Menschen hier am Ende der Welt sollen erfahren, was es heißt, einer
Frau von Stande unwürdig zu begegnen.«

»Madame Lainez,« antwortete der Doctor ruhig: »Laßt uns nicht Steine
auf Andere werfen. Wir haben genug mit uns selbst zu thun. Wenn doch
Ihr Geist ebenfalls die Erschütterung empfände, die der Meinige seit
meiner Anwesenheit in diesem Lande empfindet! ich gehe nach Europa
zurück, um elend zu werden, -- aber ich habe es nur zu sehr verdient.«
--

Die Lainez entfernte sich achselzuckend, weil der Pfarrer eintrat.

»Nach Europa zurück?« sagte dieser vertraulich, nachdem er an Thüre und
Fenstern gehorcht hatte; »das wird Ihr Ernst nicht sein, Pater Xaver.
Sie rennen in Ihr Unglück. Unsere Brüder in der alten Welt sind Leute,
wie die in der neuen: arglistig, neugierig, unversöhnlich. Sie haben --
vielleicht unverschuldet -- das Ansehen der Gesellschaft Preis gegeben,
weil unter Ihrer Amtsführung jene Gemeinde, der Sie vorstanden,
verrathen wurde; das vergiebt man Ihnen nicht. Der Superior hat Ihre
Abwesenheit benützt, sich rein zu brennen. Das Ungewitter bricht nun
gegen Sie allein, später, aber schrecklicher, los. Opfern Sie sich
nicht ohne Noth einem wilden Parteihasse, der vielleicht Ihr rüstiges
Leben zwischen vier Mauern begräbt.«

»Eine Strafe meiner Sünden,« erwiderte Münzner schwermüthig: »dann --
meine Pflicht. Gehorsam hieß mein Gelübde. Die Obern rufen, ich folge.«
Luis schob sein Käppchen ungeduldig hin und her. -- »Die Gesellschaft,«
sagte er schnell, -- »ist im Begriff, von einigen Gliedern derselben
durch eine Ungerechtigkeit geschändet zu werden. Ich erfülle meine
Pflicht gegen ihr Wohl auf bessere Art, wenn ich dieser Schande
vorbaue. Ich bin ein alter, verbauerter Pfarrer, mein Bruder, aber
eben weil ich alt bin, kann auch der liebe Gott rufen, wann er will,
und ich will rein vor ihn treten. Ihr armer Pflegesohn, Ihres Freundes
ärmere Tochter, sollen dem schmutzigen Eigennutze des Quinquevirats
zu Cordova nicht geopfert werden. _Sie_ nicht den Mißgriffen Ihres
Superiors. Lassen Sie die Väter abreisen. Meine Worte haben bei dem
Regidor und dem Alcade, die ich erzogen, die _ich_ aus der Gemeinde
gewählt habe, Gewicht und Einfluß. Ein Wink von mir, und sie lassen die
widerrechtlich Verhafteten frei. Ich befördere dann ihre Flucht.«

»Sie, edler Mann, wollten sich der Rache der Oberen blosstellen?«

»In meiner entlegenen Doctrine, an den Gränzen des Gebiets barbarischer
Völkerschaften, achte ich ihrer Drohungen für meine Person nicht. Sie
sollen mich nicht wegführen aus dem Lande, wo ich wirkte, wo ich den
Tag der Auferstehung erwarten will.«

»Gesetzt, Sie retten meinen Zögling und das arme Mädchen, dessen
Schicksal auf meiner Seele brennt ... was soll aus ihnen werden? werden
sie nicht, mitten in einem unermeßlichen Lande, aller Hülfsmittel
beraubt, dennoch wieder in die Hände der Feinde fallen, oder elend zu
Grunde gehen?«

»Hören Sie mich an. Die Berge, die wir von hier aus sehen, verketten
sich mit den Alpgebirgen Brasiliens. Diese Höhen, dem Namen nach
dem Scepter Portugals unterworfen, sind ihrem Beherrscher beinahe
völlig unbekannt geblieben. Einzelne Wachtposten, die man so weit
herausrückte, sind kaum vemögend, gegen die Schaaren unabhängiger
Eingeborner ihre Existenz zu behaupten. Thäler und Berge von
erstaunlichem Umfange haben noch nie einen Portugiesen gesehen. In
einem dieser Thäler, umringt von Urwaldungen und von gähen Abstürzen,
versteckt wie das Paradies, das noch kein Weltumsegler wieder
aufgefunden, lebt, jung und kräftig, ein kleiner Staat, der unsern
Flüchtlingen und Ihnen vor der Hand völlige Sicherheit gewähren würde.
Unsre Obern, wie die Regierungen von Spanien und Portugal, halten,
trotz ihrem Scharfsinn und ihren Nachforschungen, das Dasein dieses
kleinen Staates für eine Fabel, für eine müßige Volkssage. Dennoch
existirt diese Pflanzschule eines reinen Christenthums, und die
Republik: »der gute Jesus in den Wildnissen« ist kein Mährchen einer
träumerischen Amme. Ein Vetter meines Hauses, der in dem Regimente
Arragon Capitän gewesen, der in der Folge, über Zurücksetzungen
verdrießlich geworden, zu Cordova das Kleid des heiligen Franziskus
genommen, mußte, um eines schweren Handels willen, den er mit unsrer
Gesellschaft hatte, flüchtig werden, und zog sich in jene Wildnisse
zurück, wo er eine aufblühende Gemeinde fand, an deren Spitze er jetzo
als Vater, als Priester, als Feldherr und König steht. Es ist beinahe
ein Jahrzehend verflossen, seit ich die letzte Kunde von ihm empfing,
aber der riesenhafte Körperbau des Mannes verbürgt mir die Dauer seines
Lebens. Ich sende Euch, meine Freunde, an ihn. Er hat mich einst wie
seinen Vater geliebt, und wird mir ein freundliches Andenken bewahrt
haben. Dem Genügsamen wird eine Wildniß bequem, und die Gelegenheit
nicht fehlen, Euch in den Norden unseres Continents zu schaffen, wo
Englands Scepter schützt, und Penn's Colonie jeden Glaubens-Bruder
willig aufnimmt. Oder in Portugals Cabinet reifen günstigere Ansichten
für die Freiheit der Confessionen, zugleich mit gehässigern gegen
unsere Gesellschaft, deren wachsende Macht bald den Neid der bis jetzo
glücklich geblendeten Regenten beunruhigen dürfte. Auf jeden Fall: weit
von Jupiter sein, schützt vor dem Blitze! Beherzigen Sie das, mein
Freund. Der Indianer, der vor zehn Jahren, nach dem guten Jesus in den
Wildnissen verschlagen, mir davon Meldung zurückgebracht, lebt noch,
und sein Gedächtniß wie seine Sinne sind rüstig und frisch. Geprüfte
Leute in nicht geringer Anzahl sollen Euch geleiten, und Euch zum
Frieden führen, den man in dieser sturmbewegten Welt und Zeit nur in
der Einsamkeit der Troglodyten finden mag.«

»Mann! ich staune vor den kühnen Schöpfungen Ihres jugendlichen
Geistes! was Sie sagen, gleicht einem poetischen Traume!«

»Sind denn diese Landschaften nicht Gebilde der kräftigsten Poesie?
noch sträubt sich ihre Ueppigkeit gegen die Ketten unsers Verstandes;
noch ist dieser Boden frisch. Europa ist ein ausgebrannter Vulkan; hier
sprudelt noch Urkraft, und auf dem ungewöhnlichen Schauplatze kann
noch Ungewöhnliches gedacht und gethan werden. Gedenken Sie meines
Vorschlags. Ich will jetzt an meine Kinder die Lebensmittel austheilen,
die sie heute verdient haben, und die Kähne unsrer Herren mit Vorräthen
versorgen, daß sie morgen ungehindert nach der nächsten Doctrine
abreisen können.«

Münzner überlegte lange und schwer. Er seufzte ängstlich auf: »warum
kam mir die Erkenntniß nicht früher? warum erst jetzt plötzlich nach
dem Verschwinden, nach dem Tode des Senators? welche Zukunft von
Leiden? und dennoch, wie so heiter gegen die Vergangenheit! fünfzig
Jahre, die ich in stolz ruhigem Scheinbewußtsein verlebte, weisen mir
nur ihr nacktes trauriges Gerippe. Keine Blüthe in irgend einer Furche,
worein ich ein gutes Saatkorn zu legen glaubte! elend war meine Saat!
O, so vollende sie sich denn an mir, dem Schöpfer so vielen Unglücks!
O, so geißle mich die Pflicht, in deren Dienste ich Herrliches zu
vollbringen glaubte, indem ich nur Böses schuf. Losgerissen von der
Welt, will ich mich _hier_ zur Sühne geben, damit jenseits mein Loos
milder werde! die Gesetze meines Standes haben mir die Ruhe genommen,
so mögen sie auch meine Tage hinnehmen. James, der junge in's Leben
tretende Mann, gehe hin in Gottes Namen. Vielleicht bringt ihm die
Wüste Gewinn; vielleicht segnet in der Wüste der Himmel seine Liebe!
ich will keinen Theil an seinem Schicksal haben, damit ihm nicht einst
geschehe, wie mir. Ich gehe aber, wohin mich Beruf und Gehorsam ruft:
zur ungerechten -- ach! zur gerechtesten Buße!«

Ines trat zu dem Bekümmerten, zu dem Entschlossenen. Sie brachte
Erfrischungen, und sah traurig aus.

Münzner fragte nach der Ursache ihrer Niedergeschlagenheit.

»Euer Sohn dauert mich,« sagte das Mädchen unbefangen, »und mit der
jungen Sennora habe ich viel Mitleid. Warum sperrt man sie ein? Euer
Sohn brütet stille vor sich hin. Die Sennora weint, zürnt, und denkt
mit finstern Augen nach. Mit Euerm Sohne könnte ich reden, aber das
geht nicht wohl an. Die Sennora verstehe ich nicht. Wenn ich jedoch zu
ihren Füßen sitze und sie wehmütig anschaue, so ist's als ob sie wüßte,
was in mir vorgeht, denn sie umarmt mich dann und herzt mich, als ob
sie meine Schwester wäre. Sie ist so gut, und muß, wenn sie auch eine
Ketzerin ist, in den Himmel zum Vater kommen; nicht wahr, Don Xaver?
Pater Luis hat mir versprochen, daß ich auch meine Mutter im Himmel
finden sollte, ob sie gleich nicht getauft sei. Die Sennora wird ja
auch darinnen nicht fehlen.«

Das plaudernde Kind wartete vergebens auf eine Antwort. Münzner sah
düster mit übergeschlagenen Armen vor sich hin. Ines blickte verlegen
nach dem Fenster.

»Soll ich das Gitter schließen, Vater Xaver?« fragte sie schüchtern;
»der Abend kommt, die Fliegen finden sich ein, und -- seht doch, wie es
plötzlich dunkelt ... wie es Nacht wird...!«

Sie lief zum Fenster, sah zum Himmel, und schlug mit einem Schrei
die Flügel zu. »Ach! bei unsrer lieben Frau vom Rosenkranze,« rief
sie erschrocken; »seht doch, mein Vater, welche ungeheure Menge von
Aorkani[4] durch die Luft zieht und sie verfinstert! der Zug macht ein
schwarzes Dach über die ganze Mission! Ach, wie das schauerlich durch
die Wolken fliegt! das bedeutet ein Unglück, ein schweres Unglück, mein
Vater!«

»Aberglaube!« sagte Münzner verdrüßlich.

»Mit Eurer Erlaubniß,« versetzte Ines; »es hat seine Richtigkeit,
was ich sage, nur glauben es unsere Leute hier nicht, weil sie vom
quaranischen Volke sind, und ich ein Abiponerkind bin. Sie lachen der
Heuschrecken, wir fürchten sie aber, und immer ist etwas Schweres
geschehen, wo diese Unholde vorüberzogen. Wenn nur _uns_ die heilige
Jungfrau gnädig bewahrt. Ich bringe ihr alle Sonntage einen frischen
Strauß im Namen der Gemeinde. Die fremden, schwarzen Herren mögen
sehen, wie _sie_ fertig werden.«

»Ei!« sagte Münzner verweisend; »Ines, ist das Christenliebe?«

Ines schämte sich. Sie entgegnete schüchtern: »Ihr habt Recht, Vater
Xaver. Ich habe gefehlt. Sagt es dem Vater Luis nicht. Er wird es schon
in der Beichte hören. Aber mir kömmt immer vor, die beiden Herren von
Cordova seien nur in Euer ehrwürdiges Kleid verkleidet. Vater Luis und
Ihr, -- Ihr seid ganz anders, und ich möchte lieber Zeit Lebens bei
Euch allein bleiben, als nur eine Stunde lang bei dem hagern Herrn von
Assumcion, der mich immer so seltsam ansieht, wie der ehemalige Vikar,
oder besser: wie die Schlange in der Savanne.«

Die Glocke der Kirche läutete. Ines mußte zur Theevertheilung. Dieses
Geschäft wurde, wie alltäglich, abgethan. Während Consultador und
Rector mit Pater Luis und Xaver das frugale Abendmahl einnahmen,
trug Ines auch den armen Gefangenen ihre Speisevorräthe zu. James
und Justine bewohnten zwei getrennte Räume im Lagerhause. Des Alkade
Sohn, der Wächter des jungen Engländers, brachte die Speisen in seines
Gefangenen Gemach. Justinens Wächter ließ die freundliche Ines gern
zu der trauernden Sennora. Justine saß an dem Gitter der Fensterluke,
und sah dem Glanzspiele einiger Leuchtkäfer zu, die auf den schlanken
Stauden hingen. Sie erschrak ein wenig, als Ines Finger ihre Schulter
berührten; aber der Ausdruck der Freude folgte dem Schrecken. Hastig
zog sie das liebe Mädchen an sich, weigerte sich, von den Speisen und
dem würzigen Tranke zu genießen, und gab der Indianerin durch Geberden
zu erkennen, daß sie eine Bitte an dieselbe richten wolle. Sie zeigte
alsdann auf die Matte in der Ecke, auf den großen leeren Raum um
sich her, und versuchte der Ines begreiflich zu machen, daß sie sich
allein zu bleiben nicht getraue, und es gerne sehen würde, wenn das
dienstfertige Mädchen die Nacht bei ihr zubringen wolle. Ines verstand
Justine alsobald, und zeigte sich eben so schnell bereit, ihrem Wunsche
zu entsprechen. Der Wächter mit der Lampe wurde hinweggesendet, die
Thüre wieder mit den hölzernen Riegeln von außen verschlossen; tiefe
Ruhe und tiefes Dunkel kehrten in dem Gebäude ein. Auch von außen
wurde Alles ganz still. Drei Zeichen mit der Glocke gaben den Befehl
allenthalben die Lichter auszulöschen, und die Straße im Dorfe wurde
nur noch in dem Augenblicke belebt, als der Pfarrer nebst mehreren, mit
Harzfackeln versehenen indianischen Knechten seine Gäste von Cordova
und Assumcion nach ihren Schiffen führte, wo sie die Nacht zuzubringen
begehrten. Pater Luis kehrte mit seinen Begleitern nach Hause zurück,
und schloß sein Hofthor. Die Herren auf den Schiffen streckten sich
unter dem leichten Zeltverdeck derselben auf ihre Matten. Die Schiffer,
ein jeder an seinem Ruderplatze, duckten sich nieder, hüllten die
Köpfe in ihre Mäntel und schliefen ein. Unter Akazien am Ankerplatze
schnarchten die müden Payquas. Ein Neger hielt auf dem Vordertheile
eines Kahns, bei glimmender Laterne, Wache, mit seiner Vogelflinte
spielend. Noch mehr beschäftigte ihn jedoch die Chicaflasche und er
entschlief gleich den Uebrigen. Grabesruhe auf dem dumpfmurmelnden
Flusse, an seinem Strande, in dem Missionsorte. Der umgehende Wächter
in demselben hatte sich vor einem unbedeutenden Regenschauer in seine
Hütte zurückgezogen. Auf der Gasse athmete keine Menschenseele.

Da kam von Süden her ein fernes, leises Getrappel. Es schwieg in
kleiner Entfernung vom Dorfe. Einige Hunde knurrten, schwiegen jedoch
ebenfalls plötzlich, und mehrere leicht gleitende Schatten kamen über
Zaun, Graben und Gehäge in den Ort herein; mit Blitzesschnelle hin und
wiederfahrend, schauend, horchend, verschwindend, wie sie gekommen
waren. Geräusch von leise webenden Sägen, Knarren von aufgehenden
Gatterthüren, und über den breiten Fahrweg, weit sich aber alsdann über
den frischen Rasen zu beiden Seiten desselben verbreitend, zog still
und geräuschlos eine Schaar von Reitern in das Dorf. Stumme schnaubende
Hunde ihnen zur Seite, lange Speere in ihren Händen; versteckte
Fackeln mitten im Zuge. Halt auf dem Platze, kurzes unverständliches
Gemurmel unter den Nachtgästen, plötzlich hochblinkende Feuerbrände,
entsetzliches Geheul und kriegerischer Ruf.

Dieser Schrei, die Losung des Entsetzens, dringt wie der Donner
des Himmels in die friedlichen Hütten der Quaranier. Schlaftrunken
springen die Männer an die Thüren und Fenster. Zum zweitenmale tönt der
gräßliche Schrei, und, mit dem Tone zugleich, fliegen brennende Pfeile
in die Stroh- und Binsendächer der Cabanen.

»Die Abiponer! 's ist ihr Kriegsruf!« antwortete der Weiber Wehlaut,
und wüthend greifen die Männer nach der Axt. Die Glocke klingt gellend
vom Thurme. Der nachlässige Wächter erinnerte sich zu spät seiner
versäumten Pflicht. Indessen weht aber schon der Brand in der Luft,
würgt schon der Feind am Boden. Ein wehmüthig Schauspiel! wilde Reiter,
nackt auf den Pferden hängend, von abenteuerlichem Kopfputz gräßlicher
gestaltet, bestrichen mit grellen, Blut und Tod kündenden Farben rasen
hin und her durch die Gassen, schmettern mit ihrer fürchterlichen
Schleuder alles zu Boden, was an ihnen vorüberrennt, werfen ihre langen
Speere nach der keuchenden Menschenbrust, und Brände in die Gluth,
damit die Flammen noch höher aufflackern, die betrübende Scene würdig
zu beleuchten!

Eine Horde wilder Räuber hatte das Lagerhaus erstürmt, sich der Waffen
und Mundvorräthe bemächtigt. Die Quaranier konnten ihnen nirgends die
Spitze bieten, nirgends ihrer Raublust ein Ziel setzen; kaum dem Morde
entgehen. Denn in engem Kreise hielt um den Missionsort eine furchtbare
Linie von Reitern mit drohendem Speere, und nur die Verzweiflung selbst
schlug sich durch. Mit den Bolas bewaffnet, die jeder Bauer an sein
Pferd hängt, wenn er über Land reitet, warfen die Entschlossensten der
Quaranier einen Trupp von Pferden darnieder, öffneten ihren Freunden
und Verwandten einen Paß. Die dem Strande zunächst wohnenden Leute
flüchteten sich nach den vor Anker liegenden Schiffen. Die Herren
derselben, von dem Mordgetöse aufgeschreckt, befahlen, die Seile zu
kappen. In die Strandfluth des Flusses stürzte sich die hülfsbedürftige
Menge; Kinder und Greise auf den Schultern der Eltern, der Söhne; sie
jammerten nach Hülfe, nach Aufnahme, kaum die Köpfe aus den Fluthen
hebend. Umsonst; die Väter auf den Kähnen, nur ihre eigene Rettung vor
Augen, fürchteten der Schiffe Ueberfüllung, wiesen die Flüchtlinge
mit harten Worten zurück, ließen die Fahrzeuge stromabwärts treiben.
Aber Noth kennt kein Gebot; aber die Abiponer waren im Rücken der
Flüchtlinge. Die riesenhaften Payaquas, die das Ruder in Händen,
-- obwohl blinde Heiden, gewissenhafter den Rückzug ihrer Herren
vertheidigten, als diese das Wohl ihrer christlichen Mitbrüder sich
zu Herzen nahmen, -- fielen todt hin unter der Uebermacht. Schon
netzen die Wellen der Parana die Füße der Abiponerpferde; schon
stürzen sich diese wilden Krieger blutbegierig bis zum Kinn in den
Strom... Gewaltsam halten die Flüchtlinge von Dominica die Schiffe auf,
schwingen sich gewaltsam hinein, und die Väter müssen geschehen lassen,
daß wider ihren Willen das treue Holz der Algarova auch die schlechten
Indianer dem Mordstahle entführt.

Welch ein Graus, wendet man den Blick von jenen Geretteten nach dem
brennenden Pfarrhause. Vergebens stürmt die Glocke der Kirche. Sie
vermag nicht dem lang gedehnten Brande in den hölzernen Gebäuden und
Rohrwänden zu wehren. Sie vermag nicht, die treuen Diener zu erwecken,
die für ihren Vater auf der Schwelle seines Hauses das Leben hingegeben
haben. Sie haben sich umsonst geopfert. Der Raub drang dennoch hinein.
In dem sonst lebendigen Hofe regt sich nur noch der von Flammenangst
und Todeskampf gepeinigte Strauß, der von zwei Pfeilen durchbohrt, mit
den ungelenken Flügeln flatternd, einen Ausweg sucht, und -- blind vor
Schreck -- nicht findet. Ferne tönen die Silberglocken des Rehs; es
sucht seinen Herrn; doch dieser fällt so eben, -- mit dem Alcade dem
Lagerhause zueilend -- in die Hände des barbarischen Feindes, während
auf den Stufen der Kirche Pater Xaver von einigen Abiponern gebunden
wird, die in ihm den Padre des Orts zu fangen glauben. -- Aus den
Fensteröffnungen des Lagerhauses, das ebenfalls schon brennt, dringt
nebst dichten Rauchwolken der Wehruf ängstlicher Weiber. Zwei Krieger,
furchtbar anzuschauen in den ungeheuern Federkronen, die ihre Eitelkeit
dem Straußvogel der Savannen sammt der Haut abstreifte, stürmen
hinein, dem Rufen entgegen. Krachende Thüren stürzen von oben auf
sie hernieder. Ein Mann mit zwei Weibern, außer sich, mit versengten
Haaren, stößt auf die Wilden, die ihn mit Löwenkraft aufhalten, packen
und sammt seinen Begleiterinnen in's Freie schleppen.

Hier lodern Fackeln und Brandglut. Hier halten die Caziken auf ihren
dampfenden Gäulen, und unter ihren rothen goldverzierten Kopfbinden
hervor rinnt der Schweiß der Ermattung auf die Brust der Starken. Der
Anblick schöner Frauen reizt der rauhen Obern Lust. Ein Streit droht
zwischen Rettern und Befehlshabern zu entspringen, da wirft sich das
jüngste der Weibern zu Füßen des Obersten, und ruft ihm zu: »Siehst du
denn nicht, daß ich deines Volkes bin? Gnade deshalb und Schutz für
mich und dieses Weib, das meine Schwester geworden ist!«

Verwunderung spricht aus den Blicken der Zuhörer; jedoch überwältigt
von dem süßen Klang der vaterländischen Zunge, klatschen sie lebhaft in
die Hände, und rufen: »wahrlich! sie ist ein Kind unsers Großvaters,
und sie mit ihrer Schwester soll heilig sein und frei!«

Justine und Ines wurden auf weiße Pferde gehoben, und folgten dem Zuge
der Führer, die sich den Jammer besahen, den sie angerichtet.

James wurde in der Kirche mit einigen andern lebendig Gefangenen,
unter welchen sich sein Pflegevater befand, zusammengebunden. Nicht
die Schmerzen der Brandwunden, die er, im Begriff, Justine zu retten,
davongetragen, nicht die Ungewißheit seiner traurigen Lage zerriß
ihm Herz und Gehirn. Seines zweiten Vaters, Justinens Verhängniß
war seine Plage, war sein Kummer. -- Er weinte Thränen des Mitleids
und ohnmächtiger Wuth auf die Hände, die gebundenen Hände seines
ehemaligen Versorgers. Dieser stand vor ihm, -- aufgerichteter als
je -- in seinen Leiden, wie ein verklärtes Menschenbild. »Wenn eine
Folter meine Seele preßt, so ist es die Angst um dich, um Justine,«
-- sagte der Muthiggewordene. »Mein Schicksal beunruhige dich nicht.
Glaube mir, in diesem Drange des Unglücks wird mein vom Zweifel und von
der Sünde gespaltenes Herz wieder _eins_. Es klammert sich wieder an
_eine_ Hoffnung an: an die auf unsern Heiland. Nun ist der Augenblick
gekommen, in welchem ein verlornes halbes Jahrhundert vielleicht
durch die Märtyrkrone, die so vielen meiner Brüder zu Theil geworden,
Bedeutung gewinnt. Diese Krone ist die schönste, denn sie ist eine
versöhnende!«

James schwieg niedergeschlagen, theils von der Würde des Redners
ergriffen, der in seinen Banden so frei war, theils von der Nichtigkeit
aller Trostgründe überzeugt, in einer Stunde, deren nächste Minute
allen Ueberwundenen den Tod bringen konnte; -- gewisser, als der
nächste Mond ihre Freiheit. Münzner blieb aber ruhig, und betete still
für sich aus vollem Herzen.

Inzwischen war die Nacht aus geworden, und der Morgen trat aus der
Dämmerung. Wie die Sterne erbleichten, so erbleichte auch der Brand
von Santa Dominica. Die von dem Sonnenauge beschämten Flammen krochen
gebändigter in das stürzende und verkohlte Sparrenwerk zurück, aber die
schwarzen rauchenden Stätten zeugten von ihrer Wuth, und der Anblick
der Leichen in den Gassen und Räumen der Mission von der bösen, bösen
Nacht. Die Hüter der Gefangenen bedeuteten diese, sich auf den Weg zu
machen. Auf dem Platze klang die Pfeife und die dumpfe kleine Trommel,
zum Aufbruche mahnend. Die Gefangenen wurden mit Lianen auf Maulthiere
gebunden, und deren Zügel von Reitern geleitet. Der Abzug der Abiponer
Horde war siegreich und lärmend.

Jeder Krieger, beritten, und noch einige Pferde zum Wechseln neben
sich führend, hatte sich mit Beute aller Art beladen. Die leichtesten
Schwärme hüteten die Seiten des Zugs, in dessen Mitte die blöckenden
Schafheerden, die gleichmüthigen, aber vor Hunger brüllenden Ochsen in
unübersehbarer Zahl gingen. Schaaren von Hunden hielten diese lebendige
Beute zusammen; und ihr Geheul und Gebell bildete, vermischt mit dem
Getöse der plaudernden, lachenden und singenden Wilden, einen seltsamen
Einklang. Ueber erstochene Pferde und Menschen ging der Zug hinweg, wie
über den weichen Rasen, an den Häusertrümmern vorüber, und südwärts
durch niedergetretene Tabaks- und Cacao-Pflanzungen. Die Gegend, die
gestern noch in allem Reize des Wohlstands und der Herrlichkeit geblüht
hatte, lag nun zerstört vor den Augen der Fortziehenden. Der rückwärts
Blickende sah mit Wehmuth die Rauchsäulen aus den Trümmern Dominica's
emporsteigen, und die hohen Palmen ihre Blätter über dem höllischen
Schauspiele senken. So weit das Auge auf der Parana reichte, war kein
Schiff mehr zu sehen.

Die gewandten Abiponer stellten sich hin und wieder aufrecht auf die
trabenden Rosse, und wendeten ihr Falkenauge im Rennen nach allen
Seiten hin. Auf dem Flusse konnte nichts mehr wahrgenommen werden, und
so lenkte denn der Trupp der Anführer, der weit vor dem ganzen Zuge
hinritt, landeinwärts. Noch einige Zeit ging es vortrefflich durch
Baumwälder und schattige, frisch grünende Sumpfebenen. Bald änderte
sich jedoch die Landschaft. Immer mehr und mehr wichen plötzlich die
Wälder zurück. Der hohe Baum schrumpfte zum niedern Busch, der Busch
zum dürftigen Gestrüpp ein, und endlich verkroch sich auch dieses in
einen nackten einförmigen Boden, der kaum hin und wieder Sandstriche
bot, aber nirgends einen Stein. Auf dieser Fläche angelangt, die in der
Spätmorgenhitze den Gefangenen unerträglich schien, fing der Abiponer
erst an aufzuleben. Die unbeschlagnen, leicht gezäumten Pferde flogen
nur dahin. Lebhaft schwangen die Reiter ihre hölzernen Speere, und
die kleine Jagd begann. Nach allen Seiten streiften die Hunde aus, um
Kaninchen aufzustöbern. Der Abiponer, ohne seinen Weg zu unterbrechen,
stellt sich auf sein Roß, spannt den Bogen, zielt und fehlt fast nie
das von den Hunden herbeigetriebene Ziel.

Aber mitten in dieser Beschäftigung wird von den Vorderreitern ein
langer grüner Saum gesehen, der längs dem Boden hinzieht, und das Meer
zu sein scheint, oder ein viele, viele Meilen lang gedehnter Strom.
Sie werfen ihre Federbüsche in die Luft, und ihr jubelndes Geschrei,
das sich den andern schnell mittheilt, verkündigt die Nähe einer ihnen
angenehmen Gegend. Die Pferde werden heftiger angetrieben. Gleichviel,
ob einer der Reiter stürzt. Er verläßt das zu Grund gerichtete Thier,
um sich auf ein anderes zu schwingen. Immer näher kömmt der grüne Saum;
höher bald, bald niederer scheinend.

»Die Savanne!« ruft Abiponer und Quaranier aus; jener freudig, dieser
niedergeschlagen, weil sich dort sein Schicksal entscheiden soll.

Man betritt endlich den Rand dieser ungeheuren Grasebene, auf welcher
kein Baum steht, und kein Fels und kein wirthliches Dorf: nur etwa die
leichte Hütte des wilden wandernden Jägers. Ein riesiger Strauß steht,
wie der Wächter der grünen Wüste an ihrem Saume, und gafft neugierig
nach den Kommenden. Ein gewandter Schütze sprengt auf ihn an. Zu spät
denkt das verfolgte Wild an die Flucht. Schon wendet es sich, spreitet
die Flügel aus, um mit ihrer Hülfe, schneller als das Pferd, das Weite
zu suchen, -- da zerschmettert ein Pfeilschuß ihm das Beingelenk!...
er stürzt, wird eine Beute des Siegers, der ihm die Federn entreißt,
mit denselben den Sattel seines Pferdes schmückt, und lachend mit den
Freunden in die Ebene einsprengt.

Welch' ein reges Leben in diesen Flächen, von unglaublich hohem Grase
bewachsen! Flüchtige Hirsche durchstreifen, wie ungewisse Schatten,
kaum durch ihre Geweihe kenntlich, die Ferne. Tausende von wiehernden
Pferden fliegen rechts durch die Halmen. Nicht geringere Geschwader von
Stieren setzen links durch das Grasmeer und lagern sich brüllend in
demselben, das ihnen Schatten vor dem glühenden Sonnenbrand gewährt.
Und der wilde Abiponer, dessen Pferd bis zum Sattel in den Halmen
schwimmt, ereilt das flüchtige Roß, und zähmt es durch die einfache
Schlinge; er fällt den wildern Stier an, zerrt ihn mit der Schleife zu
Boden, tödtet ihn mit einem Streich, und nicht Nothwehr, nicht Hunger
rechtfertigt die tollkühne That: nur der leichtsinnige Muthwille, der,
überlegener Kraft bewußt, und ihr vertrauend, spielend die Gefahr
reizt, hat sie ersonnen, und begonnen und vollendet.

Wenn nun die armen Gefangenen im Rücken des Zuges jene Aeußerungen
ungebeugter Kraft wenig beachteten, so waren sie doch den Freiern, mit
solchen Scenen Unbekannten, oder derselben Entwöhnten, ein besseres
Schauspiel.

Justine, deren Pferd von einem höflichen Abiponer geleitet wurde,
vergaß Leiden und Gefahr in dem neuen Anblick. Ines sah mit Herzklopfen
die Gebräuche ihres Volkes wieder, und die Erinnerung einer recht
frühen Zeit wurden völlig in ihr lebendig, und mit der Erinnerung kamen
auch die schweren Worte der Abiponer häufiger in ihren Kopf, geläufiger
auf ihre Zunge. Ein Abiponer-Sklave, der einige Jahre zu Santa Dominica
gearbeitet und gelitten, hatte damals die Landsmännin gekannt, und mit
ihr die heimathliche Sprache geredet, und dem nun längst verstorbenen
Manne verdankte Ines nun die bedeutende Hülfe, sich gegen ihre
Landsleute verständlich zu machen, und ihrer Freundin Justine, die
nicht einmal spanisch redete, nützlich werden zu können. Wie gerne
hätte sie dann und wann die Spitze des Trosses verlassen, um nach den
lieben Gefangenen zu sehen, nach dem Vater Luis, dessen Leben sie
auch erbeten, nach dem jungen Manne, an dem sie so innig Theil nahm,
nach dem fremden Geistlichen, ihr ehrwürdig, weil er des Jünglings
Pflegevater gewesen. Auch Justine, -- obschon das Herz in dauerndem
Groll von Münzner und James gewendet, -- sah -- unfähig ein schönes
Mitgefühl zu unterdrücken, -- häufig nach der Gegend hin, wo die
letzten Staubwolken aufflogen. Die Leute, die ihren Groll verdienten,
waren seit der Schreckensnacht gewissermaßen ihre versöhnten Freunde
geworden. Nur von _ihren_ Lippen, mitten unter Hunderten von tobenden
Barbaren, konnte sie ja die Töne hören, die ihr Ohr verstand; die
Töne der Muttersprache, die unter solchen Umständen den Gemeinsten
im Glauben des Vornehmsten adeln. Aber -- es war nicht möglich, von
den Obern der Schaar sich zu trennen. Der Führer, ein alter Cazik von
einnehmenden Zügen und kühnem Blicke, ritt zwischen den Mädchen, und
ließ sie nicht aus den Augen. Neugierig und verwundert betrachtete er
von Zeit zu Zeit Justine, und ihr edles, bleiches Gesicht flößte ihm,
wie seinen Leuten, sichtlich Ehrfurcht ein. Nachdenkender betrachtete
er Ines, und, wie selten auch seine Geberden zu Justine sprachen, -- so
häufig redete sein Mund zu Ines.

»Du armes Kind ohne Vater!« sagt er mitleidig zu dem Mädchen; »dort
dämmern die Spitzen unserer Dächer. Vergiß alles Leid. Du wirst viele
Mütter und Schwestern finden, und ein Jeder von uns ist dein und der
Fremden Freund, weil du sie liebst.«

»Ihr werdet doch den Uebrigen kein Leid zufügen?« fragte Ines forschend
dagegen.

»Der Capitän, mein Bruder, hat darüber zu entscheiden, und die weise
Pilagoterigenat!« erwiderte der Cazik achselzuckend; »je mehr ich
aber dich ansehe, Kind, je bewegter wird mein Herz. Ich habe nie eine
Tochter gehabt, sonst müßtest du die Meinige sein.«

Das Lager des Stamms wurde sichtbar und deutlicher. Leichte Rohrdächer
auf schlanken Pfählen ragten in die Luft. Einige zerfetzte, irgendwo
den Spaniern abgenommene Zelte brüsteten sich, von fliegenden Wimpeln
umgeben, in der Mitte der regellos zerstreuten Hütten. Ein Graben
schloß das Lager ein, aber diesseits des Grabens weideten die Pferde
des Volks, und der erste Laut, den die Ankömmlinge vernahmen, war die
Glocke der Madrina[5]. Einige Augenblicke später ertönte ein gellender
Ruf aus vielen Weiberkehlen. Aus dem hohen Grase stiegen Pferde auf.
Auf ihrem Rücken hingen die abiponischen Weiber: Mädchen und Frauen.
Die Ersteren trugen den aus der Ferne gesehenen Männern Schläuche mit
Chika, die Zweiten die Säuglinge an der Brust entgegen. Ihr Jubel war
grenzenlos, und scheuchte die Hundebanden in's Weite, die außerhalb
des Lagers an den Ueberbleibseln der geschlachteten Ochsen und Schafe
nagten. Gestreckten Laufs kamen die Weiber heran, -- schöne Gestalten,
den wohlgebauten Männern nicht nachstehend, freundlichen Angesichts,
mit rabenschwarzen Haaren. Das Wiedersehen hatte alles Feuer des Süden.
Ein lustiges Getümmel mischte sich in den kriegerischen Zug. Die Lanzen
und Bogen wurden den Männern abgenommen, der Meth ihnen kredenzt,
und nach dem ersten Sturme des Willkommens reihte sich die Schaar
der Weiber um Ines und Justine. Die blendende Farbe der Letztern,
ihr fremdartiger Anzug; die Entschlossenheit, mit der sie zu Pferde
saß; ihre Freundlichkeit, trotz der Lage einer Gefangenen, erregte
Theilnahme. Die Weiber berührten ihre Hände, ihr Gesicht; zogen ihre
seidenen Haare durch die Finger; erstaunten über ihre Augenbraunen und
Wimpern, welche von den Abiponern vertilgt werden; verwunderten sich,
daß sie kein eingeätztes Kreuz auf der Stirne trug, noch eingegrabene
Figuren auf den Armen und Füßen, wie die Abiponerinnen, sagten ihr
tausend Schmeichelworte, von welchen die arme Deutsche nichts begriff,
und führten sie, sammt der lebhaft begrüßten Ines, die nicht genug
erklären konnte, nach dem Zelte der Capitana, während der ganze
Kriegertroß sich's in der wandernden Heimath bequem machte, die Weiber
mit Geschenken vergnügte, das Gepäck ablud, und die Pferde in die Weide
jagte. Die Capitana saß unter dem Eingange des Zeltes, und auf ihrem
Schooße ruhte ein vor wenigen Tagen geborner Sohn. Die Mädchen klopften
mit Zweigen an die Wand des Zelts, und riefen: »Heil bringe dem Sohne
die Fremde, die wir ihm zuführen!« -- Die Frau des vornehmsten Caziken,
dieselbe, die unter dem Eingange saß, ein nicht mehr junges, aber
rüstiges Weib, stand auf, ging Justinen entgegen, und hielt eine lange
Anrede. Ines antwortete der Begrüßung. Nun schlugen plötzlich alle
Umgebenden verwundert in die Hände, und riefen: »Bei unsern Vorfahren!
ist diese nicht die Tochter unserer Mutter? Der Gejenk der Savannen
hat noch nie zwei Eier gelegt, die sich ähnlicher gewesen wären!« --
Die Capitana schrie auf, und fiel in Ines Arme. -- »Ach!« sagte sie
weinend: »bist du's denn, arme, verlorne Misinga? die ich, auf der
Flucht vor den bösen Waldreitern, entschlafen auf dem Pferde, aus den
Armen verlor? Hat dich das Raubthier nicht verzehrt? Hat dich der
Spanier nicht mißhandelt? Bist du's denn gewiß und keine Zauberin, die
eine Mutter täuscht?«

Ines erkannte der Mutter Stimme wieder. Sie durfte, sie wollte nicht
mehr zweifeln. Die Weiber schlugen jauchzend die Trommeln, und die
Capitana riß mit dem Rufe: »komme zum Vater!« die Tochter und Justine
ihr nach in's Zelt. Hier lag der Capitan, der Sitte des Volks gemäß,
auf einer Matte, in Decken eingewickelt, und hielt in strengem Fasten
die Wochentage seiner Frau. Allenthalben, wie eine Wöchnerin, vor Zug
und Sonnenstrahl geschützt, und mit Bedeckung überflüssig versehen,
horchte er gerade in seiner trübseligen Lage, während Freunde um
sein Lager saßen und schmausten, auf das Mährchen, das ihm ein
häßliches Weib erzählte, welches, abenteuerlich mit Federn und Zweigen
geschmückt, neben seiner Matte auf der Erde saß. Kaum vermochte die
Nachricht von dem glücklich errungenen Siege, und dem Wiederfinden
seiner Tochter ihn zu bewegen, die Stellung, worin er sich befand,
einigermaßen zu verlassen. Er streckte der weinenden Ines die Hände
entgegen, und rief ihr Willkomm zu. Einige junge Leute, die mit
im Streifzuge gewesen waren, begrüßten und umarmten Ines als ihre
Schwester. Die Capitana war außer sich vor Freuden, und endlich priesen
alle vereint sowohl das Schicksal, das ihnen dieses Vergnügen gemacht,
als die mildthätigen Menschen, die für Misinga Sorge getragen. -- Ines
benutzte diesen Zeitpunkt, und sagte: »Vater! Mutter! Brüder! diese
Menschen sind von Euch gefangen. Löst ihre Bande, und erfüllt für mich
die Pflicht der Dankbarkeit!«

»Sie sollen meine Gäste sein, wenn Pilagoterigenat es erlaubt,« sagte
der Cazike, nach dem häßlichen Weibe sehend.

Dieses, die Zauberin und Wahrsagerin der Horde, verdrehte überlegend
die Augen, klopfte mit seltsamen Geberden auf die Trommel von
Otternhaut, die ihr zur Seite stand, und antwortete mit singendem Tone:
»Balichu[6] will mehr als geschlachtete Pferde! er will Hirnhäute der
Feinde, sonst wird nimmer der Großvater genesen.«

Mit diesen Worten kam plötzlich allgemeine Betrübniß über die Weiber:
sie warfen sich zur Erde, zerschlugen sich die Brust, zerrauften das
Haar.

»Der Großvater[7] ist krank, und läßt sich nicht am Himmel sehen,«
erläuterte der Cazike seiner Tochter sehr niedergeschlagen; »Balichu
will ihn umbringen. Noch nie ist er so lange ausgeblieben. Es muß
geschehen, was Pilagoterigenat befiehlt.«

»Misinga's Wohlthäter müssen am Leben bleiben!« rief ein Bruder des
Mädchens: »wir haben Quaranier gefangen. _Sie_ mögen fallen!«

»Mordet doch keine Menschen!« bat Ines mit ängstlicher Rührung: »das
bringt Euch nimmer Segen!«

Die Gefangenen wurden in das Zelt gebracht. Die Zauberin sah nach
dem dämmernden Himmel und sagte: »Steh' auf, Capitan, deine Zeit ist
vorüber. Dein Kind hat nichts mehr zu befahren. Iß und trink, und wähle
mit deinen Freunden Balichu's Opfer!«

Eilfertig folgte der Cazike dem Befehl, ließ Speise und Trank
herbeischaffen, und setzte sich mit seinen Freunden, den Anführern,
unter den Eingang des Zeltes zum Schmause und Gericht. Der ehrwürdige
Luis eröffnete den Trupp der Gefangenen, erschöpft aber muthig.
Münzner folgte ihm, standhaft, emporgerichtet: auf Alles gefaßt.
James, der Dritte, warf einen Blick in Justinens Auge, das Versöhnung
und Angst ausdrückte, und dieses Auge gab ihm Muth. Einige Indianer,
gebunden und niedergebeugt, machten den Beschluß. Ines flog an Luis
Hals, streckte ihre Arme über James und seinen Pfleger aus, und rief:
»Diese sind mein! diese dürfen nicht sterben, sondern beim Vater
bitten für uns!« Pilagoterigenat, von dem Ehrfurcht gebietenden
Aussehen der Priester gerührt, nickte mit dem Kopfe, und die Bande der
Geschützten wurden gelöst; sie setzten sich zum Mahle des Capitans
nieder, der ihre Stirne berührte, ihnen zu essen reichte, und somit
ihre Freiheit heiligte. Ines führte Justine mit schmeichelnder
Geberde in den Kreis der Mädchen, die, wie die Frauen, abgesondert
standen. Alle Blicke richteten sich nach den, zum Opfer bezeichneten
Quaraniern, und des edeln Luis Mund bewegte sich, um eine Fürbitte
für die Armen einzulegen. Der Abiponersprache mächtig, so wie diese
Wilden mit dem Spanischen etwas vertraut, durfte er hoffen, angehört
zu werden. Die Quaranier hingegen, die geschmeidigen Leute, ihr
Schicksal voraussehend, versuchten das letzte Mittel, eilten auf
die blutdürstige Zauberin zu, warfen sich ihr zu Füßen, gaben ihr
hundert Schmeichelnamen, -- nannten sie den blühenden Vollmond, und
bettelten bei ihr um das Leben. Die Eitelkeit der alten Frau wurde
rege. Die Flehenden waren hübsche, junge Leute, die sich ihrer Fürbitte
anvertrauten. Sie nickte bald, bald schüttelte sie nachdenklich das
Haupt, und an ihren Bewegungen hing der Caziken Auge. Nun rührte das
Weib abermals die Trommel, starrte vor sich hin, renkte und krümmte
sich, murmelte viele unverständliche Worte, und sang dann wie in
Verzückung: »Hört, Capitane! Hört, Abiponer! ihr schnellen Reiter in
den Haiden! Ihr schnellen Feinde der Straußenbrüder![8] Hört, was
Pilagoterigenat Euch verkündet! Ihr seid menschlich und liebevoll im
Streite; Ihr macht Eure Gefangenen zu Euren Brüdern![9] Ihr fraßet sie
nie, wie die bluttriefenden Chiriguaner! Ihr werdet auch _diese_ hier,
ob sie gleich schlechte, weichliche Quaranier sind, nicht schinden,
aber Balichu hat Hunger, der gestillt werden muß, damit er den
Großvater wieder loslasse. Ihr seid glücklich im Siege, der Meth ist
gerathen, die Pferde sind gesund, und Ihr lebet lange, weil Ihr gerecht
seid! Eure Sünde hält den Großvater nicht in Schweiß und Mattigkeit
gefesselt. Eine fremde Sünde muß es also thun; und diese Sünde liegt in
dem Fremden, den Bitalighuru vor wenigen Sonnen in's Lager brachte. Ihr
erquickt, ihr Menschlichen, in ihm des Großvaters Tod. Ich koche ihm
keinen Trank mehr. Ich röste ihm nicht mehr die Algarova. Betrachtet
sein Stöhnen, sein Seufzen, seinen Schreck vor dem Schatten der Wolken!
wie er zitterte, als neulich das Gewitter daher fuhr! wie er bebte
und die Hände rang! Er ist ein Verbrecher, und sein Tod -- das ist
Pilagoterigenats letztes Wort -- besänftigt allein unsern Feind.«

Mit lautem Geschrei wurde der Hexenmeisterin Vortrag aufgenommen,
und viele junge Leute stürmten fort nach der abgelegenen Hütte, die
den Unglücklichen, so kaltblütig zum Tode Verurtheilten beherbergte.
»Jesus, was wird das geben!« sagte der Pfarrer von Dominica zu dem
Pater Xaver: »Hat mein Auge nicht schon der Gräuel genug gesehen?«

Münzner seufzte still vor sich hin. James forschte nach Erläuterung der
seltsamen Bewegung um ihn her. Justine blickte neugierig und beunruhigt
nach der Ferne, woher der Lärm der Rückkehrenden sich vernehmen ließ.
Ein armer, leidender Mensch wurde auf einer Stierhaut herbeigetragen.
Zwei Jünglinge mit Skalpirmessern tanzten vor ihm her. Neugierig erhob
sich Alles, den zum Tode Bestimmten zu sehen, der vor dem Capitan
niedergelegt wurde. Die Schwarzkünstlerin, begierig, endlich ihren
Willen erfüllt, Blut fließen zu sehen, geberdete sich rasend, auf den
Verdammten zeigend, und schreiend: »_Der_ ist's! _der_ ist's! herunter
mit seinen Haaren! Aus dem Leibe sein Herz!«

Die Weiber heulten laut auf. Die Männer sangen ein Todtenlied.
Die Opferer näherten sich mit seltsamen pathetischen Geberden dem
Schlachtopfer: Luis und Xaver knieten, zugedrückten Auges, betend
hinter dem stehenden Volke. Ines umklammerte zitternd Justine. Diese
jedoch stürzte mit einem hellauf jammernden Schrei auf den Gegenstand
des Bedauerns und der Wuth hin, umfaßte ihn krampfhaft, und kreischte,
daß die weite Ebene hallte: »Um Gottes Barmherzigkeit und Gnade willen!
Menschen! haltet ein! das ist mein Vater!«

Eine allgemeine Verwirrung entsteht nun. Das Beginnen der stummen
Fremden erregt Staunen. Die Priester blicken auf, erkennen den
Senator, der, abgehärmt wie der Tod, kümmerlich in eine Decke gehüllt,
ohnmächtig an dem Busen der verzweifelten Tochter hängt; James sieht
die Mordmesser über Justinen's Haupte schweben. Des geliebten Mädchens
Gefahr reißt ihn über die Schranken jeder Bedenklichkeit: »Justine!«
ruft er, und setzt in den Kreis, stößt die Mordlustigen von dem Mädchen
zurück, trotzt jeder Mißhandlung. Die aufhetzende Zauberin wüthet ihm
gegenüber, Schaum vor dem Munde, und Zittern in allen Gelenken. »Fort
mit der tollen Fremden!« brüllte sie: »das Böse sitzt in ihr. Fort mit
ihr, wenn Euer Leben und der Großvater Euch lieb sind!«

Es giebt unter der Menge Gemüther, die dem Aberglauben unbedingt
gehorchen. Diese werfen James zu Boden, und schleppen ihn zur Seite.
Ines, ihre geliebte Senora zu retten, umfaßt Justine mit voller
Gewalt, und die übrigen Weiber, ohne auf ihr Zettergeschrei zu hören,
zerren sie von dem Vater hinweg. Der Aermste ist aber noch nicht dem
Feinde Preis gegeben, denn, stark wie ein Löwe, und stolz wie dieser,
umschlingt den Betäubten der Pater Xaver. Ein Sieg verdienender
Heldenmuth blitzt aus seinem Auge, zwanzig Jahre scheinen von seinem
Scheitel entflohen zu sein. »Müssinger!« ruft er dem sich Ermannenden
in's Ohr: »Du lebst noch! _noch_ sehe ich, der Reuige, dich wieder!
Vergieb, wie ich bereue. Mein Blut für dich, oder _mit_ dem deinen!«

Lächelnd sieht er gen Himmel: aus dem dämmernden Azur scheint die
Marterkrone auf sein Haupt hernieder zu schweben. »Clara!« sagt er mit
leiser himmlischer Sehnsucht: »Ich bringe ihn dir! wir kommen zusammen!
hilf uns empor!«

Während James wüthet, Justine laut jammert, die Zauberin rast, und die
Haufen, um das fest umschlungene Paar versammelt, unschlüssig auf das
Schauspiel sehen, redet Pater Luis mit Donnerkraft zu den Caziken,
und schildert ihnen die Schändlichkeit des Mords, die Unzulässigkeit
ihres Wahns, die Lügen ihrer Prophetin. Sie horchen aufmerksam zu, aber
betrübt klingen stets die Worte wieder: »der Großvater stirbt: Vater!
sollen wir ihn sterben lassen!«

»Gott ist Euer Vater!« predigt mit jugendlichem Feuer der Greis: »jene
Sterne sind nicht Eure Ahnen, sondern ein Werk seiner mächtigen Hand!
Seinen Gesetzen folgen sie, und treten aus den Wolken, wann Er, unser
einziger, heiliger Gott, es will; _nicht_, wann Ihr einen Menschen
schlachtet. Noch mehr, meine Freunde! _ein_ Gedanke fliegt aus meiner
Seele zum Himmel auf, ein _Einziger_, -- _eine_ Bitte, und dort
leuchtet schon das Siebengestirn!«

Den Zeitpunkt der Wiederkehr des Sternbilds geschickt benützend, deutet
der Jesuit gen Himmel, wo es in seiner Pracht hervorgetreten war. Aller
Augen folgten dem Fingerzeig; alle Mienen belebten sich mit Freude
und Lust. Ein helles Gejauchze erschüttert den Plan. »Großvater!«
rufen Männer, Weiber und Kinder, springend, tanzend und in die Hände
klatschend: »Bist du endlich wieder zu uns Verlassenen zurückgekehrt?
Bist du nicht mehr böse auf uns? wie danken wir dir, lieber Vorfahr!
sei gegrüßt!«

Und Feinde umarmen sich, und für die Gefangenen fließt Meth und Chika
in vollen Strömen, und an Mord wird nicht mehr gedacht, noch an die
Zauberin, die sich beschämt entfernte; Justine liegt ungehindert in
des Vaters Armen, James in denen des Pflegers, die Caziken zu den
Füßen des Priesters, dessen Wort und Gottesverheißung so schnell in
Erfüllung gegangen. Im Nu ist ein anderer Geist lebendig geworden, die
Trauer ist gewichen, und das Siegesmahl und das Fest des Siebengestirns
verschmelzen in _eine_ Feier. Jeder liefert seinen Beitrag hiezu. Der
Platz vor des Capitans Zelte wimmelt von frohen Menschen. Lebensmittel
und Getränke kommen im Ueberflusse herbei. Trommeln und Pfeifen
blasen zum Tanz, und rufen die Mädchen, die ihren Reihen bilden.
Nach der seltsamen Musik einer mit Steinen gefüllten Kürbisflasche,
tanzt in wüsten Stellungen die Schwarzkünstlerin, die sich wieder
eingefunden. Gruppen von jungen Leuten ringen und springen; andere
singen Kampfgesänge; die Weiber, auf ihren Matten abgesondert, stimmen
mit ein, und auf den Häuten des Yagurate, oder des Stiers, gelagert,
trinken die Männer aus Hirnschädeln erschlagener Feinde oder getreuer
Hunde, oder aus großen Stierhörnern den berauschenden Meth, die
gährende Chika; hören dem Pfarrer von Dominika zu, preisen den Gott der
Spanier, und beschließen im Rausche, zum Dank Christen zu werden. »Wir
haben deine Kinder getödtet,« sagen sie dem Pater treuherzig, »weil wir
Euch für unsre Feinde hielten, und nach Beute lüstern waren; aber --
_wir_ selbst wollen von nun an dich Vater nennen, und deinen Caziken
gehorchen, und dem, den du Gott nennst, denn er ist ein starker Geist,
und, wahrlich, des Fremden Blut hätte es nicht allein gethan!«

James und Münzner hatten sich indessen, Arm in Arm verschlungen, aus
dem Gewühle entfernt, und gingen, erzählend und dankend und zufrieden,
längs dem Graben hin. Sie kamen an ein schmales Rohrzelt, wohin Ines
den Senator mit Justine hatte bringen lassen, damit sie ungestört
seien. Auf dem Tummelplatze des freudigen Schmauses brannten hundert
Fackeln, hier leuchtete nur der milde Sternenschimmer. Der kranke
Vater schlief. Justine saß zu seinen Füßen, und ihr Herz war leidend
und selig froh zugleich. Ines hatte sich herbeigeschlichen, und die
Mädchen kauerten einander gegenüber, und drückten sich nur die Hände,
und streichelten sich nur die Wange, und bedurften der Sprache nicht
im Geringsten. Das Abendlicht war so helle, daß Justine ohne Mühe
den Doctor und seinen Begleiter erkennen mochte, als sie in das Zelt
traten. Sie stand schnell auf, streckte ihnen die Hände entgegen,
und sagte, voll von dem ruhigen Schmerze, gegen den die Bosheit
selbst keine Waffen hat: »was wollt Ihr hier, Herr Doctor? was Ihr,
Monsieur White? O, kehret um, ich bitte Euch. Dort liegt mein Vater --
vielleicht in seinem letzten Schlummer! laßt ihn, wenigstens im Tode,
seiner Tochter. Ihr habt den Wein seines Lebens vergeudet, laßt mir die
Neige.«

Sie setzte sich stumm zu des Kranken Seite nieder, und die Männer
flohen vor ihrer Rede. Sie gingen weiter. James mit Thränen im Blicke,
Münzner mit Feuerqual in der Brust. -- »Kaum wieder neu belebt durch
das Leben meines Freundes,« sagte der Doctor schwermüthig, »so verstößt
mich auch schon wieder der Tochter allzugerechter Vorwurf aus dem
wiedergewonnenen Paradiese. Wie sehr bin ich der Vergebung bedürftig!
auch der deinen, mein Sohn! Ich habe falsch geglaubt, falsch gehofft,
falsch gehandelt! Gutes wollen, und Uebel thun, -- welch' verlornes
Leben!«

»Wir wollen zusammen gehen!« erwiderte James. »Zusammen und vereint
dulden, wenn diese wilden Räuber uns nicht vereint noch tödten! hören
Sie, wie ihre Stimmen jubeln? vernehmen Sie den trunknen Gesang? welche
Schrecken, welche nie erhörte Lage umgiebt uns? ist es nicht ein Traum,
daß ich auf der Parana schiffte, in Dominica sie wiederfand? daß wir
nur durch ein Wunder dem Brande, dem Tode entgingen, daß wir hier
in den Savannen athmen, und unter diesem Himmelsstriche den Senator
wiedergefunden haben? Rütteln Sie mich, mein Vater, daß ich erwache;
denn sicher wohnen wir noch in der Rahmgasse, und Alles ist nur
Täuschung, eines schweren Schlummers Werk.«

»Wäre es doch also!« versetzte Münzner. »Leider leben wir in der
rauhsten Wirklichkeit. Dieser Himmel ist der Südamerika's, dort ragen
die Zelte und Rohrdächer der Abiponer; in der Ferne heult der Tiger,
und der Kaiman weint nach einem Raube. Alles ist wirklich um uns her,
und Gottes Allmacht ist auch hier mit uns, so wahr als dort ganz in der
Ferne von den Höhen ein Feuermeer zu wallen scheint.«

»Wahrlich!« sagte James, hinsehend; »welch neue Erscheinung! ist nicht
alles wunderbar in diesem zauberischen Lande? brennt dort ein vom Winde
bewegter Wald? Oder fließt ein glühender Lavastrom um den Saum der
Savanne?«

Mit raschen Schritten eilten sie dem Feste zu. Die Indianer hatten die
Erscheinung ebenfalls bemerkt, und standen, sie still betrachtend. Das
Feuer, wandelnd, abwärts steigend, verschwand bald, bald kam es wieder
hervor; endlich wogte es tief unter, daß nur der Schein am Firmamente
es bemerkbar machte.

»Das ist nicht Wald, nicht Erdfeuer!« sagte ein Abiponer, dessen Augen,
im Dunkel sogar, Falkenschärfe hatten; »das sind wandelnde Holzbrände!
ein Feind, der uns das Gras abbrennen will, ist, der dort kömmt.«

Die Abiponer geriethen in stürmische Bewegung. Die Männer pfiffen
den Pferden, die Weiber den Hunden, Kinder und Heerden, Alte und
Kranke, Waffen und Vorräthe wurden auf einen Haufen geschleppt, alle
Fackeln ausgelöscht; tiefe Stille geboten, und lauschend drückten
die vordersten Wachen des Volks das Ohr an die Erde. -- Diese Kinder
der Natur, mit den geschärftesten Sinnen, hören aus weiter Ferne das
Schnauben von Thieren, die aus dem stillen Lager im Grase gejagt
schienen, Gemurmel und Getöse von Menschen.

»Beruhigt euch,« sagte Pater Luis zu seinen beiden Gastfreunden, dem
Doctor und James, »ich weiß, was sich uns naht. Ich hoffe darauf mit
Zuversicht. Jene Berge sind Brasiliens Vormauern. Der Indianer, von
welchem ich Ihnen sprach, mein Vater, war unter den Gefangenen der
verwichenen Nacht, war mit mir auf's selbe Pferd gebunden, wußte seine
Bande zu lösen. Gott schütze dich, Vater, sagte er, leise vom Pferde
unter den Troß des Viehs gleitend, ich bringe dir Hülfe. Dort hinter
den Bergen liegt der gute Jesus in den Wildnissen, und ich bin dort wie
ein Pfeil, wenn mich kein Abiponer erschießt. -- Im Grase kriechend
verlor er sich aus den Augen, und gewiß -- ganz gewiß ist jenes
Lichtmeer ein Bote seiner Hülfe. Unsere Fackeln zeigten den von den
Bergen Steigenden die Richtung nach unserm Aufenthalt, und sie kommen
jetzt sicher, um uns zu befreien.«

Die Abiponer rührten sich nicht, im Anschauen der seltsamen Erscheinung
verloren, und vertrauten auf des Pfarrers Wort, der ihnen versicherte,
es würde nicht ihnen, nicht den Ihrigen ein Leides geschehen, so
lange er auf ihrer Seite stände. Der Tag war bereits angebrochen,
als sich im Strahle des Morgenlichts die Scene entwickelte. Durch
die grasige Ebene näherte sich ein großer Haufe. Gewehre blitzten in
langer Reihe. Dieser Anblick entmuthigte die Abiponer, und sie wollten,
dem Pulverblitze feind, die Flucht ergreifen. Pater Luis hielt sie
mit seiner Beredsamkeit im Zaume. Die fremden Krieger machten auf
Flintenschußweite Halt. Sie hatten sich beinahe sämmtlich mit Pferden
der Savanne beritten gemacht. Eine schimmernde Fahne flatterte in ihrer
Mitte. Die Abiponer staunten das Panier mit dem goldenen Kreuze an,
und blickten auf Don Luis, der die Obersten aus ihnen wählte, und von
ihnen, Pater Xaver, James und der dienstfertigen Ines begleitet, wie in
einer feierlichen Procession, mit weißen Federn wehend, auf die Fremden
losging. Weiße, schwarze und rothbraune Männer saßen regungslos, den
Karabiner oder die lange Flinte in der Faust, auf den Pferden; dürftig
gekleidet, aber voll von Kraft und Muth. Bei dem Paniere hielt, von
einigen besser gekleideten Anführern umgeben, der Hauptmann des
ansehnlichen Trupps: eine herrliche Mannsgestalt mit schwarzem Bart
und frisch gerötheten Wangen, in eine leichte braune Kutte gehüllt,
Stiefel und Sporen an den Füßen, einen Strohhut mit einer bunten Feder
auf dem Kopfe. Ein breiter Ledergürtel hielt ein Paar Pistolen und
einen gewichtigen Säbel. Eine Doppelflinte hing über seinen Rücken. --
Kaum hatte er von ferne den Pater Luis wahrgenommen, als er vom Pferde
sprang, und stürmisch auf ihn zulief. »Beim heiligen Jakob!« rief er
ihm auf spanisch zu: »Onkel! kennen Sie den Vetter Vereira noch? finden
wir uns hier, und bin ich nicht gekommen wie der Blitz? Ihr Name, den
mir der Bote nannte, war genug; mein Korps stieß zusammen, und hier
sind wir; fast unzufrieden, Euch nicht mehr in Ketten zu finden, um
Euch zu beweisen, wie Ernst mir's war.«

»Ich bringe Euch hier ein Volk von Gefangenen,« sagte Luis hierauf;
»Gefangene im Glauben. Statt ihr Feind zu sein, werdet Ihr Taufpathe!«


Zweiter Abschnitt.

  Die Taufe. -- Trennung. -- Unschuldige Liebe. -- Zug in die Berge.
  -- Der gute Jesus in den Wildnissen. -- Fernandez. -- Der Flüchtige.
  -- Der Fürst der Wildnisse. -- Das Bild des Erlösers. -- Reue,
  Bekenntniß und Versöhnung. -- Sehnsucht nach außen. -- Der Doctor
  in den Wäldern. -- Der Vorposten. -- Hauptquartier zu la Guasta. --
  Brigadier und Assistent. -- Gezwungener Verrath. -- Kriegssturm.
  -- Das Asyl in den Felsen. -- Die verdächtigen Fremden. -- White's
  Edelmuth. -- Die Flucht aus den Felsen. -- Strand, Schiff und
  Heimath. -- Der Maierhof zu St. Dominica. -- Xaver's Brief. --
  Schluß. --

Die Abiponer, eifersüchtig, ihr Wort zu halten, wenn sie es gleich im
Rausche gegeben, -- von Dankbarkeit für den Pater Luis durchdrungen,
weigerten sich der Taufe nicht, die mit so vielen Feierlichkeiten statt
fand, als in der Savanne nur anzuwenden waren.

Nach dem Hauptmanne Vereira, einem Neffen des Priesterfürsten vom
guten Jesus in den Wildnissen, wurden alle Männer des Stammes
Fernandez, -- nach der liebenswürdigen Cazikentochter Misinga, alle
Frauen und Mädchen Ines genannt. -- Als die Ceremonie vorüber war,
kamen alle Führer der Abiponer auf Luis zu, drückten ihm die Hände,
küßten sein Kleid und sagten: »Wahrlich, du bist ein guter Mann, was
auch Pilagoterigenat sage, die wir in's Freie gejagt haben, daß sie
nicht wiederkomme. Du hast uns den Großvater und des Capitans Tochter
wiedergegeben, und deinen Gott mit uns getheilt. Wenn du uns ernähren
und nicht strafen willst, so begehren wir, mit dir nach deiner Heimath
zu ziehen. Wir haben deine Hütte verbrannt: wir wollen sie wieder
aufbauen; wir wollen dein Volk werden, und nicht in das Gebirge mit dem
fremden Manne gehen, weil wir dort unsere Pferde schlachten müßten.
In deinem Lande hingegen ist's _eben_, und Wild und Gras und Wasser
fehlt nicht, und, weil du Misinga erhalten, wirst du uns _auch_ nicht
verlassen, und darum lieben wir dich.«

Die Antwort des Pfarrers war bejahend, und des redlichen Alten Brust
hob sich freudiger bei dem Gedanken, in seinen entvölkerten Pflanzort
wieder neue Kinder des Segens einzuführen. Alle Bedenklichkeiten des
jungen Vereira widerlegend, beschloß er die Heimkehr an der Spitze
der Abiponer, und bat seinen Vetter nur, die Fremden nicht verlassen
zu wollen, die nicht nach St. Dominica zurückkehren durften. Vereira
versprach's mit aufrichtiger Herzlichkeit, und Jedes ging seinerseits
dahin, die Vorbereitungen zur nahen Trennung zu treffen. In dem
Getümmel, das dadurch entstand, begegnete dem Doctor Münzner Justine,
die ihn unter der Menge ausgespäht hatte. Schnell zusammengetroffen,
standen Beide einander gegenüber. -- Justines Antlitz drückte
Verlegenheit, Münzners staunende Ueberraschung aus.

»Ein Wort, mein Herr,« sprach Erstere schüchtern: »ein Wort der Bitte,
mein Herr, wenn Sie es anhören wollen. Sie haben gestern großmüthig
und edel meines Vaters Leben beschützt, -- mit Ihrem eigenen Leben;
-- ich erfuhr es heute erst durch den Vater; ich war gestern blind
vor Schmerz; ich danke Ihnen aus voller Seele; ich bitte um Vergebung
meiner Härte. Ich bitte Sie, zu meinem Vater zu kommen, der nach Ihnen
verlangt. -- Schlagen Sie ihm die Wohlthat, -- mir die Gelegenheit
nicht ab, Ihnen auf's Neue dankbar verpflichtet zu werden.«

Sie schwieg erwartend, sie hatte viel über sich und ihren Groll
gewonnen.

Münzner stand beschämt vor der Tugend eines Kindes, das seinen Vater
über alles liebt. »Meine beste Jungfer...« erwiderte er, »... wenn Sie
wüßten, wie Ihre Worte mein Herz berühren...« Er vollendete nicht;
Thränen, die seine Augen nur mit Gewalt zurückdrängten, verhinderten
ihn daran. Aber, als er seinen Freund wieder sah, -- dahin siechend auf
armseliger Matte, -- aller Arznei, aller Bequemlichkeit entbehrend,
und dabei ruhig und geduldig, wie ein schon Abgeschiedener, da kamen
dennoch die Thränen auf's Neue über ihn, und er wurde ihrer nimmer
Meister. Ueber den Senator bückte er sich, legte seine Stirne an die
fieberhaft brennende des Kranken, und sagte nur die Worte: »So uns
wiedersehen, mein Freund?«

»Ach! schon genug, daß _Wir_ uns noch wiedersahen!« erwiderte der
Senator: »ich war des Lebens überdrüssig geworden. Meine Krankheit
nahm zu. Meine Tochter wieder zu sehen hoffte ich nicht mehr. Die
Zeit schlich mir träge dahin. Endlich dachte ich: es sei das Beste,
den Anguaybaum aufzusuchen, von dem mir die Quaranier so viel sagten.
Sein Balsam sollte mich heilen, oder die Mühseligkeit des Wegs mich
umbringen. Euch nicht im Voraus zu beunruhigen, hielt ich den Vorsatz
geheim, führte ihn ohne Euer Mitwissen aus. Der zweite Morgen unserer
Reise war auch schon der Letzte meines armen Führers. Mit unserer
Reisetasche und meinen Kleidern beladen, ging er vor mir her. Ein
Tiger, der mit schon blutigem und dampfendem Maule aus dem Dickicht
mit entsetzlichem Sprunge setzte, riß ihn zu Boden, schleppte ihn
unbarmherzig in das Gestrüpp. Ich floh -- beinahe unbekleidet, ohne
Speise, und ohne den Weg zu wissen. Ein Abiponer fand mich am Abend,
beinahe verschmachtend am Boden liegend, und brachte mich in das Lager
seiner Horde. Die Wilden verpflegten mich menschlich, aber vielleicht
ist der Name St. Dominica, den ich stammelte, mit eine Veranlassung zu
Euerm Unglück gewesen. -- Zu _meinem_ Glücke. Ich habe _Sie_ wieder
gesehen, mein Freund. Ich darf hoffen, in Ihren und der Tochter Armen
zu sterben.«

»Ich gehe nach Dominica zurück,« antwortete Münzner verlegen und trübe:
»meines Standes Pflicht ruft mich nach Europa.«

»So ist es wahr?« seufzte der Senator, wehmüthig die Hände faltend:
»Sie wollen mich verlassen, während ich mich an Sie gewöhnte, wie das
Kind an die Mutter! _Sie_ mich verlassen, und ich hänge an Ihnen!«

Münzner zeigte bedeutend auf Justine, die bleich und schweigend
gegenüber saß.

»Sie haben eine vortreffliche Tochter,« sagte der Doctor.

»Ja, Dank sei dem Vater im Himmel!« versetzte Müssinger, Justinens
Hand drückend: »Sie ist gut, aber ihre zärtliche Liebe genügt dem
Sterbenden, dem Schwerbeladenen nicht. Ihre heiligste Pflicht hält Sie
hier zurück.«

Münzner schwieg, sinnend, widerstrebend, vergleichend, in schwerem
Kampfe. Justine erhob sich, trat vor ihn, und sprach mit einfacher
rührender Milde zu ihm: »ja, mein Herr! Ihre _heiligste_ Pflicht. Mein
guter Vater würde, fürchte ich, in Verzweiflung gerathen, wenn Sie von
uns scheiden. Sie haben verstanden, sich mit ehernen Banden an sein
Herz zu ketten; zerreißen Sie es nicht mit der Fessel! --«

»Wie, Mademoiselle?« fragte Münzner schwankend; »_Sie_, Sie halten mich
auch zurück? Sie, die mich haßt, -- die mich verachtet?«

»Ich bin nicht unversöhnlich,« sagte Justine mit vieler Klarheit:
»ich habe Sie nie verachtet ... Gott! nein! gefürchtet hab' ich Sie
und verabscheue noch Ihr Kleid! Aber -- könnten Sie zweifeln, daß
ich Ihnen das Verderben meines Hauses aus voller Seele vergebe, wenn
Ihre Gegenwart auch nur um eine Stunde meines geliebten Vaters Leben
verlängert? Bleiben Sie daher; ich beschwöre Sie jetzt so aufrichtig,
als ich Sie gestern aus diesem Zelte wies. Theilen Sie mit mir die
Sorgfalt für meinen Vater.«

Münzner konnte nicht widerstehen: nicht dem Bitten des Senators, nicht
der einfachen Rede der Tochter. »Sie sammeln glühende Kohlen auf mein
Haupt,« sagte er: »ich bleibe bei Ihnen, meine armen Freunde. Kömmt die
Zeit, die unumgänglich die Erfüllung meiner Ordenspflicht begehrt, so
finde ich auch über St. Sebastian meiner Reise Ziel.«

»Recht, mein Freund,« sagte Pater Luis, der -- die letzten Worte
hörend, -- mit Vereira und James in das Zelt trat. »Vergessen Sie den
guten Jüngling nicht, der nicht nach Dominica zurückkehren kann, ohne
das Kleid zu nehmen, das er nicht liebt, und der durch den Antheil, den
er an Ihrem Schicksale nimmt, wohl auch Ihre Theilnahme verdient.«

»Darf ich?« fragte James schüchtern, ohne kaum die Augen gegen Justine
aufzuschlagen.

»Mein Retter!« rief der Senator freudig, drückte ihn an seine Brust
und weinte: »womit kann ich dich belohnen, was du für mich gethan? Ich
bin ein Bettler geworden, mein guter James. Ich habe nichts, als mein
schwaches, kaum noch schlagendes Herz! Ich muß verhungern, wenn nicht
Wilde mich speisen, oder mitleidige Christen mich unterstützen.«

»Ihr Unterhalt ist die Sorge dieses Mannes,« antwortete Luis, auf
Vereira zeigend: »Ihre Heilung dürfen Sie getrost von seinem Oheim
erwarten. Im Uebrigen sind Sie kein Bettler. Ihr Testament muß Ihnen
zurückgestellt werden. Ich werde an den Provinzial berichten.«

»Hoffen Sie nicht darauf,« sagte ihm bekümmert und leise Münzner in's
Ohr: »der Empfangschein des Documents wurde mit dem Pfarrhause ein Raub
der Flammen.«

Ines, von ihren Eltern begleitet, trat herein, lief auf Justine zu,
umarmte sie unter heftigem Schluchzen, nahm unter den lebhaftesten
Geberden von ihr Abschied, und sagte alsdann zu Luis gewendet: »Alles
ist bereit, mein Vater! führe uns Alle, die der Jungfrau Gnade
erweckte, in unsre zweite Heimath. Wir folgen Dir!«

Luis blickte auf die Freunde, die er verließ, -- sein Auge wurde
feucht. Seinen besten Segen legte er auf Müssingers Haupt, und verließ,
ohne ein Wort zu reden, das Zelt. Alle, bis auf Justine, die beim Vater
blieb, folgten ihm.

»Um Gotteswillen!« sprach er zu den Männern, die seine Hände
schüttelten: »macht mich armen alten Sämann nicht weich und kindisch.
Keinen zärtlichen Abschied. Ich brauche alle meine Kraft, um in meinem
ein und siebzigsten Jahre wieder da anzufangen, wo ich vor vierzig
Jahren anfing. Wohl werden neue Hütten zu Dominica entstehen; wohl
werden viele meiner Kinder wieder dahin zurückkehren, und Gott mir
beistehen, daß ich die bekehrten Widersacher zum Frieden leite. Für
einen erschöpften Greis ist aber das Werk dennoch groß und zweifelhaft.
Laßt mich daher ohne Kummer und Schwäche scheiden. Ueber den Himmeln
sehen wir uns wieder, und ich will der Erste sein, der auf dem Platze
ist. Gott, Glück, Heil und Segen -- kurz -- Gott mich Euch!«

Er wendete sich rasch um, nach der Gegend zu, wo die Abiponer zu Gaule
saßen, Vereira folgte, eine Thräne zerdrückend, seinem Beispiele, und
ging zu seinen Leuten. »Lebt wohl, Vater Luis!« rief James; »eine
Seelenmesse für die arme Lainez!« rief ihm Münzner nach. Ines kam
hastig auf James zu, ängstliche Unruhe in den Blicken. --

»Wie, mein Herr und Freund?« sagte sie: »dort steht ein Pferd für Euch
gezäumt. Zögert Ihr? Kommt!«

»Nein, mein gutes Kind!« antwortete James: »ich kann, ich darf nicht
mit dir gehen.«

Alle Röthe trat von den Wangen des Mädchens zurück. »Nicht?« stammelte
sie; »nicht? Jago! nicht mit mir?«

»Es würde mein Unglück sein, Ines! ich müßte darinnen vergehen!«

»Unglücklich sollt Ihr nicht sein, Herr, wo Ines glücklich ist. Nicht
sterben, wo Ines lebt. Aber Ines wird arm sein, wird sterben, wo Ihr
nicht seid.«

James schwieg erschüttert. Mit dem Weinen kämpfend, fuhr Ines fort:
»sagt mir wenigstens, wo Ihr hinzieht. In jene blauen Berge? in die
Gegend, wo das große Wasser sein soll?« James nickte. »Ich ziehe mit
Euch, Jago!«

James erschrack. »Was willst du thun, Ines?« fragte er. »Welch ein
Gedanke?«

»Höret, Jago. Mein Vater, der Capitan, ist aus dem Stamme der Ruhaker
entsprungen, und hat sich die Mutter aus dem Stamme der Yaaukaniga
geholt, und sie folgte ihm, Alles dahinten lassend.«

Das Erstaunen des Jünglings stieg. »Ines, welche Rede?«

»Ich will Euer Weib sein, Jago, wenn Ihr mich leiden könnt! --«

»Ines! wo denkst du hin? Deine Eltern....«

»Eltern und Brüder willigen ein. Es ist eine Ehre für sie. Kommt mit
uns, oder lasset mich mit Euch gehen.«

»Keines von Beiden, Ines! vergiß mich, und folge einem andern wackern
Manne. Ich darf nicht annehmen, was mir deine Unschuld bietet.«

Ines weinte heftig. »Gesteht es nur!« sagte sie schluchzend, »die
Sennora ist schöner, als ich. Bedenkt aber, Jago, daß sie eine Ketzerin
ist.«

James lächelte wider Willen. Dieses Lächeln zerschnitt das Herz der
Indianerin. Empört wollte sie fliehen; er hielt sie, gut machend, sanft
zurück, sah ihr ehrlich in's Auge, und sprach: »Behalte mich lieb. Die
Sennora wird nicht mein Weib. Ich muß ohne Gattin bleiben, wie Pater
Luis und Xaver.«

Ines lächelte etwas zufriedener. »Nehmt mich auf Eure Pfarre, Vater
Jago,« begann sie nun, »ich will fromm sein, und Euch bedienen, wie den
guten ehrwürdigen Vater Luis; unverdrossen und freudig, wie man der
heiligen Mutter dient.«

»Und du wolltest den ehrwürdigen Vater verlassen?« fragte James mit
gelindem Vorwurf: »gerade jetzo, wo er deiner Hülfe am meisten bedarf?
und die Eltern verlassen, die du kaum wieder gefunden? mir in die
rauhen Berge folgen, wo vielleicht der Mangel meiner harrt? Besinne
dich.«

Ines schlug die Augen nieder, wischte sich die blinkenden Tropfen von
der Wange, verbiß den neu aufquellenden Schmerz, und antwortete: »ich
danke Euch, Vater Jago. Ihr habt mich erinnert, daß ich meine Eltern
und den Vater Luis zu pflegen habe. Ich will Euch gehorchen; ohne
Murren. Die Mutter im Himmel wird mich ja beruhigen. Denkt meiner,
betet für mich.«

Sie reichte ihm zögernd und dennoch sehnend die Hand, und wendete sich
halb von ihm. Er drückte die Rechte der Jungfrau. Schnell zog sie die
Finger aus den Seinen, rief mit ausbrechender Klage: »Ach! und dennoch
werdet Ihr sehen, Jago, daß Niemand in der Welt Euch liebt, wie ich
es thue!« riß sich kräftig von ihm los, und eilte wie ein fliegender
Vogel den Landsleuten zu. Wie betäubt sah ihr James nach, und als ob
mit der unschuldvollen liebenden Indianerin ein Theil seines Herzens
sich losgerissen hätte. Augenblicklich setzte sich die Abiponer-Horde
in Bewegung. Ines saß weinend, ohne zurückzuschauen, auf ihrem Pferde.
Neben ihr ritten die tröstenden Eltern, und Luis, der noch einige Male
zurückblickte, mit seinem Tuch winkte, und endlich unter dem Schwarme
der Neubekehrten verschwand. Der Zug wurde dem Auge undeutlicher. Die
fernen Grasspitzen wuchsen immer höher an die Pferde der Fortziehenden
hinan. Endlich ragten nur noch die schwankenden Speere am Horizonte
hervor, und James stand noch immer mit untergeschlagenen Armen da,
den zerrinnenden Schattenbildern nachstarrend. Das Horn der Krieger
des guten Jesus rief ihn wieder zum Leben empor. Der Senator wurde so
eben, auf einer bequemen, von Stauden geflochtenen Tragbahre vorüber
geschafft, um von dem sanftesten Thiere getragen zu werden.

Stumm schloß sich James Justinen an, die sorglich ordnend, und
ängstlich beobachtend dem Vater folgte. Der junge Mann gewahrte Thränen
in Justinens Augen, und fragte bescheiden nach deren Ursache.

»Ich weine der guten Ines nach,« antwortete Müssingers Tochter; »dem
Mädchen, das mich, ohne mit mir reden zu können, inniger liebte, als
irgend eine Seele auf der Welt. Ich möchte fast bedauern, daß sie ihre
Eltern fand, und ihnen folgte. Sie hätte sich nicht von mir getrennt.
Jetzt bin ich allein, denn auch die arme Lainez fraß des Feindes
Schwert, oder das Feuer!«

»Allein, beste Jungfer?« fragte James mit schonendem Vorwurf: »sind wir
Ihnen nicht geblieben? werden Sie unsere freundliche Hand zurückstoßen?
haben Sie noch nicht gelernt, mir zu vertrauen?«

»Ach, mein guter Monsieur!« sagte Justine entgegen, -- »Eurem Herzen,
-- ja selbst dem des Doctors -- vertraue ich gern mich selbst und
den Vater an. Euerm Kopfe jedoch nur ungern. Die Wüste schmiedet uns
zusammen. Verargt mir's jedoch nicht, wenn ich befürchte, daß ein
leichteres Verhältniß uns wieder scheide in Groll, in Meinung, in
Erinnerung. Ich kann mich nicht deutlich aussprechen. Denkt jedoch an
die Kette eines Sklaven, die ihn mit einem Andern verbindet, obschon
sein Geist von Kette und Gefährten sich frei zu machen wünscht.«

»Das ist mir genug,« entgegnete James sehr gekränkt, und blieb weit
hinter Justine zurück. Der Zug setzte sich in Bewegung, und ging
langsam der Abendkühle entgegen. Im tiefsten Dunkel gelangten die
Reisenden an den Fuß der Berge. Hier wurde der Kranke auf die Schultern
rüstiger Träger genommen, und von vielen Harzfackeln umgeben, ging's
bergan. Die Pferde flohen in die Savannen zurück. Blos die Maulthiere
für Vereira, Justine und den Pater blieben bei der kletternden Schaar.
Die Morgenröthe fand sie auf der Berghöhe, in romantischen Waldpfaden,
die immer noch bergan führten, bis sie in eine trockne, steinigte
Fläche ausgingen, ringsum von niedersteigendem Wald begrenzt, eine
Schlucht ausgenommen, durch welche sich eine herrliche Fernsicht zeigte.

»=He acqui el nuestro paraiso del buen Jesu en los bosques!=« rief
Vereira mit Löwenstimme, nach der Ferne deutend, und warf sich
unter dem Schatten der letzten Bäume nieder. Die Seinigen folgten
jubelnd seinem Beispiele, und der Zug rastete, damit die Sonnenhitze
vorübergehen, und jedes Auge sich an dem schönen Anblick ergötzen möge.

»Das gelobte Land!« sagte Münzner zu seinem Zögling, auf das Thal
deutend, das sich unter ihren Füßen ausbreitete. Es schien zur Ruhe
geschaffen; ein versteckter, stiller, reizender Erdwinkel. Die Abhänge
von schwellendem grünen Rasen belegt, hin und wieder nur von Felswänden
unterbrochen; aber auch diese lebten, denn silberne Sturzquellen
entsprudelten ihnen, umnickt und umwinkt von steinsprengenden blühenden
Bäumen. Lang, schmal und halbmondförmig zog sich das Thal in die
Tiefe entlang, bewässert von murmelnder Fluth, bepflanzt mit üppigen
Bäumen, durchschnitten von ruhigen und in Fülle liegenden Feldern,
von heitern gelben Fußpfaden, geschmückt mit zierlichen Cabanen, mit
Hütten von Rasen oder Rohr erbaut. Da, wo das Thal sich krümmt, lag
eine ansehnliche Gruppe von Häusern, leicht und schlank gebaut, mit
schmucklosen Dächern, im Schatten von kleinen dichten Hainen hinan
gehend bis zum Saume der ringsum schützenden Wälder. Eine freundliche
Sonntagsruhe schien über das Thal gebreitet, die Felder unbevölkert,
keine Heerde auf den Triften, kein Mensch in Feld und Flur und auf den
Wegen.

»Es ist heute Feiertag,« erläuterte Vereira, »und alle unsre Greise
und Weiber sammt ihren Kindern in der Kirche. Die rüstigen Männer sind
alle hier unter den Waffen bei mir, und nur der Oheim mit den Schwachen
hütet das Haus. Wartet nicht auf Glockenklang und Chorgesang. Beides
ist nicht Sitte bei uns, damit der fern hindringende Schall nicht
unser Dasein dem Feinde verrathe; denn Feind ist uns jeder Portugiese,
jeder Spanier, der im Dienste seines Herrn und bewaffnet kömmt.
Die Portugiesen thun in neuester Zeit dergleichen, als wollten sie
wirklich das Innere ihres Landes sich eigen machen, und ihr äußerster
Wachtposten la Guasta ist kaum sechs Wegstunden vom guten Jesus
entfernt. Allein die schroffe, steinige Wüste, die uns gegen jene Seite
hin umgibt und versteckt, wird die Weichlichen schon abhalten, ihre
Entdeckungslust weit zu treiben. Wäre es auch.... wehe ihnen! Lebendig
käme das Detachement nicht aus unserm Thale.«

»Aber, Herr,« fragte James verwundert; »man rühmt ja Eures Oheims
Milde und die patriarchalische Gutmüthigkeit, die die Grundlage seiner
Regierung ausmachen soll. Wie vereint sich das mit Eurem kriegerischen
Thun und Eurem Stand?«

»Ich bin nicht geistlich,« antwortete Vereira lächelnd, »und wenn ich
in einer Kutte gehe, die dem Kleide des heil. Franziskus ähnlich sieht,
so geschieht das blos, um meines Oheims Uniform zu tragen; eigentlich,
um mich vor dem Volke als den sogenannten Kronprinzen vom guten Jesus
in den Wildnissen zu legitimiren. Mein Onkel, der ein tapferer Soldat
in den Carabiniers von Arragon gewesen, denkt übrigens wie ich, daß der
Friede nöthigenfalls nur durch den Krieg erhalten werden könne. Die
Jünger Loyola's und die Statthalter des Königs Johann sind uns gleich
verdächtig. Wahrlich, mein Vater, wäret Ihr nicht ein kaltblütiger
Deutscher, der mehr Ehre im Leibe hat, als ein Portugiese oder ein
Franzose, bequemer schweigt, und die Gastfreundschaft des guten Pater
Luis, -- welcher leider auch Euer Kleid trägt, -- genug zu schätzen
weiß, um ihn, der Euch empfahl und Uns, seine Verwandten, nicht zu
verrathen, -- ich würde Euch nicht mitgenommen haben. -- Mit einem
Portugiesen macht man übrigens nicht so viel Federlesens. Man schießt
ihn vor den Kopf, und er mache dann was ihm beliebt.«

»Sie sollten eine Armee kommandiren,« -- antwortete Münzner lächelnd. --

»Beim heiligen Jakob!« fuhr der kampflustige Fernandez fort: »das
wäre eben meine Freude. Ein Commando gegen die Portugiesen! Ihr werdet
Euch freilich wundern, wenn ich Euch sage, daß unser Haus selbst aus
Portugal stammt; daß einer unsrer Vorfahren selbst vor achzig Jahren
den Holländern -- Gott verdamme die Krämer, -- das Land längs den
Küsten abnahm; das brasilische, meine ich. Aber der Undank, womit
man ihn belohnte, bewog unsre Branche, die schon früher nach Spanien
verpflanzte, in spanischem Dienste zu bleiben, bis denn endlich auch
hier der Dienst so schlecht wurde, daß sich mein Onkel geistlich
machte, und später auch mich vermochte, meinen Freibrief zu nehmen. Ich
war Lieutenant unter den Pikenierern des Regiments der Milizen zu Lima;
hing aber gerne Schärpe und Federbusch bei Seite, da mich der Onkel
beschied. Seitdem suchen wir uns nun in dem Lande, wo unser glorreicher
Verwandter Wunder der Tapferkeit gethan, zu behaupten; dem König Johann
und allen Jesuiten des Königreichs zum Trotz. Unter Anderm, Pater
Xaver, thut mir die Liebe, und legt Euer Kleid ab.«

»Wie?« fragte Münzner überrascht: »Verstehe ich Sie, Sennor Vereira?«

»Nichts Leichteres,« fuhr der junge Mann leicht und lebhaft fort;
»Ihr werdet mich verbinden, und Euch einen bessern Empfang bei meinem
Oheim bereiten, der schon vor dem schwarzen Rocke allein einen
unüberwindlichen Abscheu hegt.«

»Das thut mir leid,« entgegnete der Doctor, kälter werdend: »ich lege
aber den Rock nicht ab.«

»Wie? diese Gefälligkeit versagt Ihr mir?« fragte Vereira: »Stellt
Euch nicht gewissenhaft, wo es unnöthig ist. Pater Luis hat einige
Worte fallen lassen, die mir bewiesen, daß Ihr selbst Euern Stand nicht
besonders liebet. Was soll denn das Sträuben?«

»Wenn ich auch den Fall setzen möchte, daß ich meinen Orden nicht
liebe,« entgegnete Münzner, »so ehre ich ihn doch, und verläugne seine
Insignien nicht. Ohne den Befehl oder die Erlaubniß meiner Obern lege
ich das Kleid nicht ab.«

»Ihr machet mich lachen,« sprach Vereira etwas bitter: »Ihr sprecht von
Euern Obern, in einer Wüste, fünfzig Meilen von jeder Mission, noch
weiter von einem Ordenshause entfernt. Machet es, wie Ihr Herren es mit
den Fasten macht: dispensirt Euch selbst.«

»Wenn es den Umgang mit Protestanten gälte, so könnte ich's auf mich
nehmen,« versicherte Münzner mit unerschütterlichem Ernst; »Gegen
Religionsbrüder lüge ich nicht. Der Pabst hat unser Gewand geheiligt
und bestätigt. Ich darf es mit Stolz überall zeigen, wo man zur Messe
geht.«

»In unserm Gebiete nicht!« fuhr der junge Fernandez auf: »ich verbiete
es Euch!«

»So werde ich umkehren müssen!« entgegnete Münzner entschlossen, und
stand auf.

Vereira hielt ihn zurück.

»Wenn ich Euch nun gehen ließe?« sagte er mit scharfem Blicke. --
»Versuchen Sie es. -- Ohne Lebensmittel, ohne Begleitung, ohne Obdach?
in Gottesnamen! wollt Ihr um Eures Orden Ehre willen in der Savanne
verschmachten? in Gottesnamen! Euern Zögling halte ich zurück, wie
Euern _Freund_. Ich stoße Euch allein, ganz allein, hinaus. Es sei:
lebt wohl!«

James, der mit gespannten Blicken Vereira's Gesicht gehütet hatte,
hielt den Pater auf, den Fernandez plötzlich freundlich umarmte.

»Ihr seid ein Mann!« sagte er: »Eure Gesellschaft ist zu beneiden, daß
sie solche standhafte Glieder zählt. Kommt getrost mit mir; ich will
meinen Oheim schon stimmen, daß er über dem Mann den Rock vergesse.
Wäre ich ein legitimer, nicht ein wilder Prinz, ich würde Euch, allem
Vorurtheil zum Trotz, zu meinem Beichtvater und Hofkaplan erheben. Ich
liebe die entschlossenen Menschen sehr, und Eure erste Handlung müßte
sein, mich mit jener wunderhübschen Deutschen zu trauen; denn wahrlich:
sie gefällt mir wohl, und verdiente Besseres, als nur die Königin
dieser Wildnisse zu sein.«

Der eifersüchtige Blick James folgte dem glühenden, den Fernandez nach
Justine sandte, die, ein lebendes Bild der Pietät, unfern saß, den
Vater pflegend, wartend, erheiternd. Eine trübe Ahnung schlich durch
des jungen Engländers Gehirn, und es sank ihm ein Centnerstein von
der Brust, als Fernandez sich erhob, und sein Maulthier bestieg, um
vorauszureiten. -- Er empfahl den Uebrigen, sich zu ordnen, und bald
nachzukommen. Darauf verlor er sich, nur von seinen Hunden und einigen
Schützen, die seitwärts durch die Büsche strichen, begleitet, in den
Wald, der nach dem Thale hinunterführte.

Er war, in Gedanken vertieft, nicht allzuweit bergab geritten, als in
dem Gebüsche seine Hunde anschlugen, und ein Jäger seinen Gefährten
pfiff. Zugleich raschelte es in dem Gestrüpp des Abhangs, wie das
Geräusch eines Laufenden, und in der That riß sich auch ein Mann mit
der größten Gewalt durch Busch und Hecken; kraftlos an einem Steine
niedersinkend, als er den Reiter vor sich erblickte. Fernandez stutzte
nicht wenig ob der fremden Erscheinung, und sprang vom Sattel, den
Säbel in der Faust, denn der Niedergesunkene trug Portugiesische
Uniform.

»Ha! Elender! was machst du hier?« -- rief er ihm rauh entgegen, und
schwang die Klinge.

Der Entkräftete warf einen muthigen Blick auf den Bewaffneten, schloß
dann die Augen, und erwartete den Streich.

Dieses Benehmen machte die Hand Vereiras sinken. -- »Wer bist du? wie
kömmst du hieher?« -- fragte er milder, und winkte den Schützen, die
nachdrangen, ferne zu bleiben.

Der Fremde antwortete in schlechtem Portugiesischem: »Ich bin Soldat
..... will's nicht mehr sein, ... lieber sterben!« --

»So? was hat man dir gethan? woher kömmst du?«

»Von =la Guasta=. Heute war unser Detachement abgelöst, und auf dem
Rückmarsche, noch unfern von dem Wachthause, mißhandelte mich der
Knabe, der Fähndrich. Ich warf ihn zu Boden -- entfloh, -- hier bin
ich. Tödtet mich, liefert mich aber nicht aus.«

»Du sprichst wie ein Mann; du bist auch einer und doch kein Portugiese,
wie ich vernehme.«

»Ich bin ein Fremder. Ein elender Seelenverkäufer hat mich in diese
Gegend gebracht. Ein portugiesischer Kaper bemächtigte sich unsers
Schiffs und verhandelte mich an die Soldateska auf der Küste von
Fernambuk; diese sendete mich weiter in das Land. Nie fand ich
Gelegenheit zu entkommen, als heute auf's Aeußerste getrieben.«

»Wohin wolltest du?«

»Ich weiß nicht Weg noch Steg. Lieber in den Tod, als zurück.«

»Recht. Du weißt nicht, wer ich bin, wer jene Leute sind, die mir
folgen?«

Der Soldat sah nach der Höhe, wo zwischen grünen dämmernden Blättern
die Spitze des Zugs erschien, und sagte gleichgültig: »Ich kenne, auf
Ehre, nicht Euch, nicht Eure Leute, und will nichts von Euch, als
entweder den Tod auf der Stelle, oder Freiheit und ein Stück Brod; ich
bin den ganzen Tag gegangen und gelaufen, und sinke um vor Hunger und
Müdigkeit.«

Ein Schütze reichte ihm eine erquickende Frucht, und Fernandez fuhr
fort: »Es soll dir nichts mangeln, als die Freiheit, die ich dir auf
ein Paar Tage nehmen muß, damit man sehe, welch ein Vogel du bist; ob
ehrlich, oder Spion!«

»Spion? Herr! ich bin ein Engländer!...«

»So? ich hätte das an deiner Mundart merken sollen. Dein Name?«

Dem Fremden wurde die Antwort erspart. Ein Schrei der Ueberraschung
ließ sich aus der Mitte des Zugs vernehmen.

»Vater,« -- rief Justinens Stimme: -- »Um Gotteswillen! sehen Sie auf.
Es geschehen Wunder! Herr Birsher! Georg Birsher!«

»Wer ruft mich?« -- fragte um sich blickend der Soldat, und stand wie
versteinert, die Braut, ihren kranken Vater, James, den Doctor vor sich
sehend. Er rieb sich die Augen, die Stirne, wollte auf Justine zugehen,
und fuhr schnell und erschreckt vor dem Senator zurück. Müssinger,
der Ueberraschung unterliegend, vermochte kein Wort zu stammeln. Ein
heftiger Krampf packte seine kranke Brust, er sank, wie mit dem Tode
kämpfend, zurück. Jammernd warf sich die Tochter über ihn. Vereira gab
Befehl, den räthselhaften Fremden festzuhalten. Es geschah.

»O ja, ihr Freunde!« -- rief Georg außer sich seinen Schergen zu; --
»Reißt mich hinweg von diesem Anblicke, der mein Herz zerschmettert.
Ich bin nicht kalt, bin nicht ruhig in diesem Augenblicke. Ich kann den
Mörder nicht in's Augen fassen!«

Auf einen Wink des Fernandez wurde Georg schnell fortgeführt; und
schnell folgte ihm der Zug, damit der dem Tode nahe Kranke sobald als
möglich unter Dach und die Obhut des heilerfahrnen Priesterfürsten
komme. Einen wohlthuenden Gegensatz zu der Bestürzung, die über die
Europäer gekommen war, machte das Betragen des Doctors. Von Freude
leuchtend, ging er dem Troß zur Seite, betete still, betete laut,
streckte die Arme gen Himmel, und sagte: »Wie kann ich dir danken,
du gnädiger Herr dort oben, daß du mich diesen Tag sehen ließest?
Wahrlich, James,« -- sagte er zu dem neben ihm tiefsinnig und
betrübt einher Schleichenden, -- »Was ich nicht zu hoffen wagte, ist
eingetroffen. Ich sehe den Armen wieder, den ich unglücklich machen
half; ich sehe ihn frei unter Freien. O Herr! hast du über meinen armen
Freund beschlossen, so erhalte seine Sinne nur eine Stunde noch bei
voller Kraft, daß sich von ihm löse, was ihn quält; denn dazu ist jetzt
der Augenblick, -- dazu der Ort, -- und ich will dich loben ewiglich!«

»Nur einen Abglanz Ihrer Stärke!« bat James, blaß wie ein Sterbender,
mit inniger Klage; -- »nun ist jede Hoffnung auf mein irdisch Glück
dahin! Selbst die Wüste vereint mich nun nicht mehr, mit der, die ich
liebe; die Unschuld, die an mir mit voller Seele hing, wies ich schnöde
von mir. Ich muß allein stehen, belohnt für mein hinterlistig Streben,
bestraft für den Trug, zu dem meine Jugend verleitet wurde. Vater
Münzner! kehren Sie mit mir nach Dominica, nach Assumcion zurück! Euer
bin ich nun, ihr schlauen und geschäftigen Ordensleute! Ich will mich
an Eure Selbstsucht, an den Schein Eurer Tugend ketten, da mich die
Wahrheit verläßt und die Liebe!«

»Du betrübst mich, mein Sohn!« -- entgegnete Münzner kräftig: »Wo ist
die Stärke, womit du prahltest? Wo das Wohlwollen gegen die Menschheit,
das dich auszeichnete? Du willst jetzo diesen Rock nehmen, indem du
ihn verachtest? Weiche zurück von der Sünde! _Denke_ sie nicht. Dem
schwachen Erdensohne ist's erlaubt, -- es ist sein Loos, getäuscht
zu werden, harmlos die Schlange zu nehmen, die ihn alsdann tödtet.
Wer aber mit der Erkenntniß das Böse thut, ist verächtlich. -- Mich,
den Schwergetäuschten, laß immerhin an dem Platze fallen, der mir zum
Kampfe angewiesen wurde. Treu meinem Schwure, weiche ich nimmer aus dem
Streite, der mich verdirbt. _Dir_ verbiete ich aber jetzo, ferner an
den Orden zu denken. Du würdest darinnen ein Ungeheuer, während ich nur
schwach war. Laß ab! Deinen Wortbruch nehme ich auf mich, weil ich ihn
verschuldete.«

James warf sich weinend an des Pflegers Brust. Beide zu sich gekommen
sahen sich um. Sie standen im Thale, an der Pforte eines luftigen
Hauses. Eine Doppelreihe von Jungfrauen und Kindern bewegte sich heran,
bunt und festlich gekleidet, Früchte in den Händen, und boten sie mit
stiller Gastfreundlichkeit den Ankommenden. Unter dem leichten Vordache
des Hauses, über welches sich zwei Palmen lehnten, stand der Fürst des
guten Jesus, in der einfachen, groben Tracht des heiligen Franziskus,
mit nackten, sandalentragenden Füßen, vom dürftigen Strick umgürtet.
Der einzige Schmuck des hochbejahrten Mannes war sein weißes Haupthaar,
der wie aus Schneefäden gesponnene Bart, der zum Gürtel hernieder
floß, und die heitern, wohlwollenden Augen in dem braunen, ehrwürdigen
Gesichte. Er sprach mit einfachen Worten den Segen über Alle, und
richtete milde Trostworte an Justine, wie an den Senator, der sich
mühsam von seiner Ohnmacht erholte.

»Dies euer Haus, meine Gastfreunde!« sagte er. »Heil den Fremden, die
es wohl meinen, wie wir es mit ihnen machen wollen! Heil dem Kranken,
denn Gott will, daß er genese! Heil den Abwesenden, und vorzüglich dem
guten Vater Luis, denn er gab uns Gelegenheit, barmherzig zu sein, und
Freude bringe ihm dieser Abend!«

Der Senator wurde in das Haus gebracht, und wie mit Zauberschnelligkeit
war ein Trank bereitet, von welchem der Vater Franzisco viel versprach
und erwartete. Alles Volk hatte sich ohne Geräusch nach seinen Häusern
begeben; die stille Sabbathsruhe war wieder allenthalben eingetreten,
Alles verödet; nur auf Felsspitzen rings um das Thal gewahrte das Auge
bewaffnete Schildwachen, die das Thal in die Ferne mit Späherblicken
hüteten. Franzisco, der Fürst dieser Wildnisse, saß neben dem Kranken,
der in eine heftige Crisis fiel. Des Priesters Hand verließ den Puls
nicht, wie die Augen der knieenden Justine die Züge des Vaters nicht
verließen. Fernandez lehnte in der Ecke, und beschaute das Mädchen, das
ihn sehr anzog; James kämpfte, unfern sitzend, mit seinem Herzen; mit
gefalteten Händen stand Pater Xaver an der sehr großen Fensteröffnung,
die beinahe eine ganze Seite der Stube einnahm, mit einer Balustrade
versehen war, und die Aussicht auf einen großen Platz gewährte, mit
Rasen bewachsen und frei; von Platanenreihen im Halbkreise umringt. Ein
einfacher Altar erhob sich in seiner Mitte, und, beinahe die Baumreihe
überragend, stand hinter dem Altar ein riesengroßes Bild des Heilands,
sitzend und sprechend: Laßt die Kindlein zu mir kommen! Der Kopf der
Bildsäule, ein Meisterwerk von Schnitzarbeit, sah ernst und sanft in
das Zimmer, und nach ihm gewendet lag der Kranke, zu ihm gewendet
betete Xaver.

Des Senators Zustand besserte sich indessen, aber eine große Schwäche
befiel ihn. Die Thüre öffnete sich, und ein Mann, zurückgehalten von
einigen Wächtern, wollte herein. Franzisco winkte ihm, leise näher zu
kommen. »Der Kranke hat nach Euch verlangt,« sagte er, »schont seinen
Zustand!«

Georg trat, um vieles gefaßter, mit ruhiger Stimme auf den Senator zu,
der ihm schwach die Hände entgegen reichte. »Ich ahne,« sagte Georg,
»was Sie bewogen haben mag, meine Nähe zu fordern. Sie glauben an der
Pforte des Todes zu stehen, und wollen ein qualvolles Bekenntniß in
meinen Schooß wälzen. Lassen Sie die traurige Pflicht. Versöhnen Sie
sich mit dem Himmel; ich habe Ihnen vergeben, und auch mein armer
Vater, der uns jetzo sieht, wird die Grausamkeit, die Sie an ihm
begingen, nicht rügen. Er wird bei dem Ewigen um des Mordes willen, den
Sie an ihm verschuldet, um Gnade bitten.«

Des Senators Körper zitterte. Justinens Busen hob sich heftiger.
Münzner trat langsam näher. »O wie ist es möglich,« seufzte Georg, sich
selbst vergessend, und in den Anblick des Kranken verlierend, »daß
dieser Mann, in dessen Gesicht jetzt die engelgleiche Sanftmuth liegt,
daß dieser gerade gegen den Gastfreund seine Wuth kehren, daß er ihn
erwürgen konnte! Was ist der Mensch?«

»Ein Irrender, Herr Birsher,« antwortete Münzner; »und auch Sie sind im
Irrthum, versöhnlicher, verzeihender Sohn. -- Hier ist Ihr grausames
Gericht, -- hier ist die Folter nicht zu fürchten, -- hier ist keine
Rücksicht auf öffentliche und geheime Lebensverhältnisse zu beachten,
Herr Senator. Reden Sie mit dem jungen Ehrenmanne, daß der grimmigste
Verdacht weiche, daß der Eine bezeichnet werde, der die meiste Schuld
an Ihrem Unglück trägt.«

Der Senator erholte sich ein wenig, und redete dann zu dem jungen
Birsher. »Sie sind ein klarer Engel, Herr, Sie vergeben mir unbedingt,
ob Sie gleich scheinen, das Schrecklichste von mir zu glauben. Und
dennoch, -- wahrlich, Herr, -- so viele Schuld ich an Ihres Vaters
Hinscheiden habe,.... verflucht sei meine Hand, wenn sie je sich an dem
edeln Manne vergriffen.«

»Wie?« fragte Birsher. Justine athmete freudig auf.

»Ich bin zu Grunde gerichtet, sagte ich zu dem Mahnenden, dessen Güte
ich nicht ahnte, eben so wenig, als seinen Namen,« fuhr der Senator
fort; »ich muß sterben eher, als mich bankerott bekennen; ich riß die
für mich geladene Pistole aus der Schublade. Herrgott! wollen Sie mich
morden? fragte Ihr Vater auffahrend, und in selbem Augenblick sank er,
der von der Reise bereits Ermüdete, von schlafloser Nacht Erhitzte, von
dem unangenehmen Geschäfte und dem plötzlichen Schrecken aufgeregt,
vom Schlage getroffen zu Boden. Mein Entsetzen ... wer beschreibt es?
Ich wollte dem Röchelnden die fest zugezogene Halsbinde lüften.... ich
war ungeschickt: um so schneller starb er unter meinen Händen; und der
entsetzliche Gedanke, den nächsten Anlaß zu seinem Verscheiden gegeben
zu haben, warf mich selbst zu Boden.«

Georg sann nach, als der erschöpfte Erzähler geschwiegen, und fragte
dann: »Wenn ich den Worten eines Sterbenden auch glaube, -- und
die Lüge sitzt nicht auf Ihrer Stirne -- woher Ihre Befangenheit,
Ihre Angst .... woher das räthselhafte Schweigen gegen mich, da ein
freimüthiges Erklären Alles beigelegt haben würde?«

Der Senator konnte nicht mehr reden, Münzner nahm für ihn mit
erschütternder Wahrheit das Wort: »Ich gebe Ihnen mein heiligstes
Priesterwort, im Angesichte des Heilands, der dort so hehr und rein
sein göttliches Haupt in den Himmel hebt: der Senator spricht die
Wahrheit. Dazumal war jedoch die Schlange seines Bewußtseins ihm so
schreckend, daß ihm selbst die nackte Wahrheit ein Gräuel wurde. Seines
vielseitigen Unrechts gegen die Gesetze seines Standes und seiner
Vaterstadt bewußt, fürchtete er von deren harten und parteiischen
Gerichten das Beginnen eines Prozesses, der ihn zu Boden gerissen,
mehrere Jahre im Gefängnisse gehalten haben, ihn _vielleicht_, dem
Schein zu Liebe, seinem Läugnen zum Trotz, auf das Schaffot, --
unschuldig unter das Schwert gebracht haben würde. So viel von seinem
unerklärlichen Schweigen gegen den erregten Verdacht. Die Qualen
seines _Bewußtseins_ habe ich zu tragen, und dieses Bekenntniß ist nur
eine geringe Vorbuße für das, was ich gegen Sie alle, meine Lieben,
verschuldet habe. Clara, -- mein Freund, -- empfahl Sie meiner Liebe!
Mit aufrichtiger Theilnahme an Ihnen hängend, wußte ich Ihnen keine
bessere Wohlthat zu bereiten, als den Eintritt in meine Kirche, -- die
Wiedervereinigung mit Claren, jenseits des Fegfeuers. Ich bedurfte
eines Bandes, Sie festzuhalten. Ich benützte den finstern Wahn, in dem
Sie lagen, als ob Sie eigentlich durch ihre Drohung den ehrenwerthen
Vater dieses Mannes getödtet; ich brauchte ihn als Schreckniß; ich
zeigte Ihnen die Vergebung der entsetzlichen Sünde nur in dem Schooße
des katholischen Glaubens. Endlich war mir das Werk gelungen, Sie
waren unser; ich bemühte mich nun, Ihre Furcht vor dem eingebildeten
Verbrechen durch die Lossprechung zu tilgen. -- Umsonst! der Wurm
blieb, wurde schrecklicher, denn zuvor; Folge knüpfte sich an Folge,
eine verderblicher, als die andere. Ihre Bekehrung wurde Sache des
Ordens, -- ich sah Sie aus meinen Händen gerissen, völlig zum Abgrund
geschleudert; ich sah die unseligen Wirkungen meines Beginnens, das in
aufrichtiger Liebe entsprungen; ich schauderte selbst vor meinem Werke
zurück, und _mußte_ nun Stein zu Stein tragen, Trug auf Trug bauen,
um.... o, lassen Sie mich schweigen! Sie aber, edler Georg, vergeben
Sie mir, daß auch Sie endlich unserer Sicherheit Opfer werden mußten.
Wenn Sie gewußt hätten...! Wir fuhren auf demselben Schiffe: Sie,
in den Fesseln des Raums, wurden von dem Senator nicht gesehen. Zu
Buenos-Ayres angelangt, mußte ich Sie, unserer Selbsterhaltung willen,
Ihrem traurigen Schicksale überlassen...! Welche Fügung des Herrn, daß
Sie, statt nach Batavia geliefert zu werden, hieher kommen mußten! Hier
sind alle Schleier gefallen! hier sehen Sie das Ungeheuer vor sich,
das Ihre harmlose Menschenliebe, Ihre Hoffnungen, Ihren Brautstand,
vielleicht Ihr ganzes irdisches Glück, und die Glückseligkeit dieser
Beiden, und den Frieden jenes jungen Mannes unbarmherzig zernichten
mußte! Gott sei Dank; endlich habe ich meine Gefühle reden lassen
dürfen, und nun beginnen Sie mit mir nach Gutdünken.«

Georg und James wendeten sich entsetzt ab; Justine betrachtete den
furchtlosen Mann des Jammers ohne Verachtung nur mit Bangigkeit und
innerer Freude über seiner, zur Wahrheit gehobenen, Seele Kraft: denn
er hatte ja den Vater von der gefürchteten Blutschuld freigesprochen,
und Birsher durfte ihnen nicht gerecht zürnen, und James war auch
gerechtfertigter, als das Mädchen jemals vermeint hatte; und, wenn es
Bedauern erregt, einen Gutdenkenden in Sünde versinken zu sehen, so
erquickt den Kräftigen doppelt der Wiederaufschwung des neu erstarkten
gefallenen Herzens!

Der Senator winkte dem Pater Xaver zu, und lispelte: »Sie wollten mich
um Clara's Willen dem Paradiese weihen, mein Freund. Ich spreche Sie
frei, und danke Ihnen für diesen Augenblick. _Ich_ hasse Sie nicht.«

»Nicht ich,« rief James weinend, und an den Hals des Lehrers fliegend.

»Nicht ich,« setzte Georg edel entschlossen bei, und drückte ihm die
Hand, »alles, was wir um uns sehen, ist Gottes Werk, und so auch die
Handlungen der Menschen, und so auch Ihr gutes, aber zum Unsegen
bestimmt gewesenes Herz! Gott hat uns schwer geprüft; aber ist es nicht
auch seine Schickung und sein Friede, daß wir uns hier zusammenfinden?
Ich verzeihe, ich vergesse, ich hasse nicht _Sie_; was jedoch den Orden
betrifft, der...«

»O, mein Herr!« bat Pater Münzner weich; »Auf mich allein die Schale
Ihres Zorns! Ich habe Niemand angeklagt, als mich allein. Ich habe zu
büßen. Die Fremden, die Unschuldigen verschone Ihr Unwille. Ich dächte:
der Geist der Duldung stände dem Protestanten wohl an. Verdammen Sie
nur den, der das Ueble mit seiner Hand gethan.«

Georg nickte ihm zu, ging zu dem Senator, und gab ihm seine Hand.
Schüchtern reichte er die Linke an Justine, die erröthend, aber gerne
sie annahm.

»Ich schwöre es,« rief er, »Euch nie zu verlassen, meine Lieben, so
lange das Geschick uns in der Irre, auf wüstem Meer des Lebens treibt.
Laßt uns Alle enge zusammentreten, vereint durch Noth, durch Friede,
durch Versöhnung. Liegt nicht das Elend hinter uns in der alten Welt,
und kann nicht das Glück auf's Neue _hier_ uns aufblühen?«

Sein Blick traf auf Justine. Er las in ihren Augen Freude und
Vertrauen. »Gieb mir deine Tochter, wenn du heimgehst, Vater!« sagte
er zu dem Senator, und dieser legte die Hände des Brautpaares weinend
in einander. James hatte den Muth, seinen Landsmann glückwünschend zu
umarmen, und Münzner theilte die hier statt gefundene Versöhnung und
ihre Folgen dem Priester Franzisko und seinem Neffen mit.

»In diesem Thale,« sagte er, »wäre für die Leute ein stilles Glück zu
hoffen, bis die Außenwelt wieder für sie zugänglich wird. Dürfen sie
aber auf Ihren Schutz rechnen, mein Vater?«

»Jesus ist die Liebe und der gute Hirt,« antwortete Franzisko: »wer
tugendhaft ist, wohnt gut in diesem Thale, und -- wenn der den
Portugiesen entflohene Mann nur unsere Felsengränzen nicht verläßt, so
ist er sicher immerdar.«

»Beim heiligen Jacob!« versetzte Fernandez, an seinen Säbel
schlagend: »Ich beschütze ihn selbst, weil er brav sein muß, da die
schöne Deutsche ihn liebt, für welche ich gerne meine altspanische
Ritterlichkeit bewähren möchte!« So geschah es also, daß sie in dem
kleinen Staat des guten Jesus in den Wildnissen eingebürgert wurden.
Die Einwohner, ein harmloses Volk, aus allen Farben zusammengewürfelt,
theils vom Unglück hieher verschlagen, theils im stillen Thal
erwachsen, schlossen sich bald an die fremden Brüder an. Ein Haus
von schlankem Rohre wurde denselben gebaut. Die Nahrung gab ihnen
Vater Franziska aus dem Vorrathhause der Gemeinde, bis ihre Felder,
ihre Bäume Früchte tragen würden; er gab durch seine Bemühung dem
Senator das Köstlichste: die Gesundheit, wieder. Die Seelenruhe
des Mannes beförderte seine Heilung, und ehe achtundzwanzig Tage
vergingen, so strich er schon mit seiner Tochter und mit Georg durch
die freundlichen Fluren um die Colonie. Die Liebe des Paares verjüngte
seinen Geist, und, ungeduldig aufbrausend, wiewohl gutmüthiger, als
in der verwichenen Zeit, sagte er zu seinen Kindern: »Ihr liebt Euch;
Ihr wollt es nicht verhehlen! Warum wird mir nicht das Glück, Euch
verbunden zu sehen? Warum hat Franzisko noch nicht den Segen über Euern
Bund ausgesprochen? Ein Patriarch könnte es nicht besser, als dieser
edle Mann.«

Justine und Georg sahen sich an, ernst, einverstanden, drückten des
Vaters Hand, und die Tochter sprach: »Nicht hier, mein lieber Vater!
Hier herrscht nicht unser Glaube, und den Lockungen der andern Kirche
seit langem widerstrebend, soll auch nicht die Einsamkeit den Sieg über
mich erringen.«

»Nicht ewig,« redete Georg, »wird uns das Geschick an diesen Boden
fesseln, ich ahne es, wir werden meine Heimath sehen, und dann, Vater,
dann knüpfen wir dort das Band vor dem _unsichtbaren_ Gotte.«

Der Senator schlug beschämt die Augen nieder, und Justine, um seine
Verlegenheit zu endigen, setzte schonend bei: »Wie wollen Sie auch, daß
ich glücklich sei, so lange noch ein Mann in unserer Nähe lebt, den die
Leidenschaft beim Anblick dieses Bundes elend machen würde?«

Sie zeigte auf James, der unfern vorüberging, sinnend, brütend,
gesenkten Hauptes, ohne sich umzusehen.

»Sie waren ihm hold, beste Jungfer!« sagte Georg, ihm nachblickend.
»Der Unglückliche, daß er diesen Lichtblick seines Lebens nicht für
sich gewann!«

»Zu meinem Frieden!« antwortete Justine. »Angezogen und zugleich
abgestoßen von ihm, danke ich den Ränken, zu welchen ihn seine Erzieher
verleiteten, meine Ruhe. Ich hasse die Falschheit -- und nur redliche
klare Besonnenheit kann mein Herz gewinnen. Darum rechnen Sie, mein
bester Herr, auf dieses, wenn es Ihnen angenehm ist, und vor Allem --
lassen Sie uns sammt und sonders auf baldige Erlösung nach der Heimath
hoffen. Denn, nicht zu läugnen, daß hier in diesem Frieden, dieser
Stille, nur ein geschmückter Kerker zu schauen ist.«

Justine sprach wahr. Franzisko übte, seinen Verhältnissen gemäß, die
strengste Despotie; mit Wachen war das Thal umstellt: Niemand sollte
das Thal verlassen; auf die Fremden wurde das wachsamste Auge gehalten;
besonders auf den Jesuiten, dessen Gewand, das er hartnäckig behielt,
einen größeren Verdacht erregte, als die portugiesische Uniform, die
Georg abgelegt hatte, um kein Aergerniß zu geben. Und gerade Münzner
mußte es sein, der plötzlich aus dem wohlgehüteten Gefängnisse entwich,
ohne es selbst zu ahnen.

Bei all dem herzlichen Vergessen, das die Freunde ihm bewiesen, war
der Stachel in seiner Brust zurückgeblieben. Er konnte sich nicht
heimisch unter diesen Menschen fühlen. Seine Gewissenhaftigkeit
trieb ihn, da der Senator genesen war, wieder nach dem heimathlichen
Boden, vor die Schranken seines Provinzials. Der stille Kummer, worin
sich James verzehrte, machte sein Herz bluten. Es quälte ihn, diesen
Unfrieden eines geliebten Jünglings mit ansehen zu müssen. Botanik,
eine Lieblingswissenschaft seiner jüngern Jahre, bot ihm Zerstreuung
und Genuß. Er entfernte sich von den Landsleuten; er kletterte Tage
lang an dem Gestein der Höhen, durchkroch die Furchen des Thalbodens.
Die Wächter waren seiner Wanderungen gewöhnt worden. Dem schlichten
einfachen Manne mißtraute keiner mehr; sie ließen von ihrer Achtsamkeit
nach, und so kam es, daß der Pater sich eines Nachmittags, von seiner
Forschbegierde verleitet, weiter verstieg als sonst, und sich mit
einem Male hoch über den Wachtposten erblickte. Die herrliche Flora,
die um ihn erblühte, führte ihn weiter. Die Waldpflanzen boten ihm
einen blumigen Pfad, der ihn mehr und mehr verlockte, und, wie das
Kind der Lockung süßer Früchte folgt, so folgte hier der Mann, dessen
Herz sich seit Langem wieder einer ruhigen Freude hingab, dem Streben
seiner Wißbegierde. Aber immer weiter war er gegangen. Der Wald hatte
sich hinter ihm mit tausendstämmiger Wehrmauer zugeschlossen. Nur der
Laut der Vögel sprach zu dem Wandernden; nur die Furche, die von der
mächtigen einsamen Schlange durch das Gras gezogen wird, war sein Pfad,
und endlich dämmerte es schon unter den hohen Bäumen, als er Halt
machte und auf den Rückweg bedacht wurde. Wo jedoch diesen finden?
Kein Sonnenstrahl mehr; noch kein Stern; grüne duftige Waldnacht
allein. Münzner versuchte sein Heil, indem er auf's Gerathewohl einen
Seitenpfad einschlug, wo von Ferne eine schwache Helle aufzudämmern
schien. Je weiter er ging, je tiefer die Dämmerung wurde, je deutlicher
wurde der helle Punkt; er blitzte auf: eine Feuerflamme redete zum
Auge des Wanderers. Er förderte seine Schritte. Auf feuchtem Grunde,
an hochwachsenden, üppiggeblätterten Sumpfstauden vorüber -- immer
auf das Ziel zu, das die Gegenwart von Menschen verrieth. Mochte das
Raubgethier um und um in der Ferne heulen und krächzen; er verfolgte
die Spur. Schon erkannte er einen flammenden Holzstoß, Menschen um
denselben gelagert. Seine Annäherung, von dem rauschenden Gestrüpp
verrathen, erregte die Aufmerksamkeit der Lagernden. »Wer da!« rief
eine portugiesische Zunge, und der Pater sah die Mündung einer Flinte
gegen ihn gerichtet. »Ein Verirrter!...« antwortete er, und im Nu umgab
ihn die Schaar der Aufspringenden: ein Dutzend von Männern in braune,
grobe Mäntel gehüllt, mit herunterhängenden Hüten auf dem Kopfe, Säbeln
an der Seite und Musketen in der Faust. Einer von ihnen, der unter
dem Mantel eine Uniform sehen ließ, mit den Galonen eines Offiziers,
fragte gravitätisch, daß die Cigarre zwischen seinen Zähnen nicht
erlösche, woher der ehrwürdige Vater komme und wohin er wolle. Auf die
unbestimmte Antwort Münzners, daß er sich verirrt habe, schüttelte der
Offizier ungläubig den Kopf, küßte indessen dem Pater die Hand und
erwiderte: »Ihre Aussage ist dunkel, Ew. Hochwürden. Ich muß sie in's
Hauptquartier schaffen lassen, da Sie mir nicht angeben wollen, wo Ihr
Wohnort ist.«

»In's Hauptquartier?« »Nach la Guasta; einige Stunden von hier
entfernt. Sie werden gefällige Leute daselbst finden, mein Vater.«
»Aber mit welchem Rechte?« »Ich bin Soldat, hochwürdiger Herr. Das
entschuldige mich. Miguel und du, Olao! nehmt eine Fackel mit Euch, und
führt den ehrwürdigen Herrn zu Sr. Excellenz, dem Brigadier.«

»Welche Behandlung, da ich hier nur Schutz für diese Nacht suchte!«

»Befehl, hochwürdiger Herr! Geben Sie uns Ihren priesterlichen Segen,
wenn es Ihnen gefällig wäre!«

Die ganze Truppe senkte sich auf die Knie. Münzner that das Verlangte,
und nachdem ihm noch von Allen auf's Inbrünstigste Hand und Kleid
geküßt worden war, mußte er sich auf den Weg machen. Der Offizier bot
ihm Cigarren und einen Tropfen Wein zur Erfrischung. Niedergeschlagen
und geärgert verweigerte Münzner Beides, und folgte den Soldaten,
die alle ersinnliche Ehrfurcht und Frömmigkeit gegen ihn bewiesen,
ihn jedoch nicht aus den Augen ließen, die gespannte Flinte im Arme
haltend. So verging die Nacht auf gefährlichem, halsbrecherischem
Wege. Das Morgenlicht fand den Verhafteten auf der steifen und öden
Bergplatte la Guasta. Abgründe ringsum; in der Tiefe Wälder; ein
dürftiges Wachthaus bot ein Obdach; aber der sonst öde Ort wimmelte
von gelagerten Soldaten einiger Milizen-Compagnien, Strauchdieben
ähnlicher, als geregelten Kriegern; in abgetragenen Röcken und
zerrissenen Schuhen. Die durchlöcherten Hüte, niedergekrempt, saßen
verwegen auf den ölglatten, schwarzen, hängenden Haaren, und das
olivengelbe Gesicht wurde furchtbar und drohend durch die großen,
schwarzen Feueraugen, und den unordentlich gehaltenen Schnauzbart.
Spielend, schlummernd, plaudernd lagen sie am Boden um Trommel und
Fahne, die Waffen, in Pyramiden zusammen gestellt; so wie sie des
nahenden Geistlichen ansichtig wurden, flogen die Hüte herunter; die
Mannschaft lag auf den Knieen, und die Benediction war das Erste,
was sie verlangten. In dem Augenblicke traten zwei Männer unter den
Eingang des Wachthauses. Ein hoher Offizier, wie das Kleid verrieth,
und der Ungestüm, mit welchem das Militär aufsprang, ihm die Honneurs
zu machen; dann ein Vater der Gesellschaft Jesu, der sehr verwundert
schien, einen Bruder vor sich zu sehen. -- Münzner war erstaunt
über dieses Zusammentreffen, das, in Mitte so vieler Waffen, einen
bedeutenden Zweck zu haben schien. Der Sergeant Miguel berichtete. Der
Brigadier näherte sich dem Pater Münzner bescheiden, und fragte ihn:
»Wollen Sie nicht aufrichtiger gegen uns sein, als gegen den Lieutenant
des Vorpostens, mein Vater? Sie sind, wie aus Allem zu schließen,
unbekannt in diesen unwegsamen Gegenden, und jede Ausflucht, die Sie
ersinnen möchten, uns über diesen Punkt zu täuschen, würde vergebens
sein. Wären Sie etwa bekannter in der Region, nach welcher wir unsern
Marsch gerichtet haben? in dem Thale des guten Jesus in den Wildnissen?«

Münzner erschrak. Die Ahnung vom Verderben seiner Freunde schoß durch
seinen Kopf. Entschlossen, nichts zu verrathen, läugnete er, ohne
jedoch einen Vorwand zu finden, der seine Existenz in diesen Landen
beschönigen konnte.

»Ich wiederhole Ihnen, mein Vater,« fuhr der Brigadier gemessen, ernst,
aber immer höflich fort, »daß Sie Ihre Lage verschlimmern. Wir lassen
uns nicht täuschen. Sie möchten sich die Folgen selbst zuzuschreiben
haben. Woher kommen Sie? die nächste Mission liegt noch ferne von
hier, und Ihr Gesicht scheint dem hochwürdigen Vater Assistenten der
Missionobern zu St. Sebastian gänzlich unbekannt? Gestehen Sie, daß
Sie ein Einwohner der wider des Königs Willen und Gottes Erlaubniß
errichteten Colonie in den Wildnissen sind.«

Münzner wollte sich in sein Leugnen beschränken. Der Pater Assistent
durchbohrte ihn mit den Augen, ohne ein Wort zu reden. Der Brigadier
fuhr stolz und schneidend fort: »Es ist wahrscheinlich, daß die
spanische Krone die aufrührerische Niederlassung auf Don Juans
Eigenthum begünstigt, und Väter der Gesellschaft Jesu aus ihrem
Paraguay herüber sandte, dieselbe zu regieren, möglich indessen
auch, daß Sie das Kleid und die Tonsur blos als Maske tragen, um
verbrecherische Späherränke darunter zu verbergen. Mindestens sollten
Sie Ihre Lection besser gelernt haben. Wenn Sie, wie Sie vorgeben
wollen, zu Santa Catalina als Vicar stehen, wie kömmt es, daß Sie hier
aufgehalten werden konnten? Man pflegt keine botanische Wanderung auf
fünfzig Leguas in der Runde anzustellen. Diese Gründe werden mich
bewegen, Sie nach St. Sebastian abführen zu lassen, woselbst Alles klar
werden soll.«

Münzner bückte sich schweigend, sich in sein Schicksal ergebend. Der
Pater Assistent winkte indessen dem Brigadier verstohlen zu, nahm den
Doctor bei der Hand, führte ihn in ein einsames Gemach des Wachthauses,
und sagte hier zu ihm: »Mein verehrter Mitbruder im Herzen Jesu! Ich
habe Sie durchschaut, und bescheide mich, die Gründe Ihres Betragens
zu tadeln, weil ich dieselben gefunden zu haben glaube. Ihr Name, Ihre
Verrichtung?«

Münzner nannte sich, seine Heimath, sein Profeßhaus, seine Sendung
nach Amerika. Der Assistent lächelte zufrieden und sagte: »Ihr Name
ist mir bekannt, das Haus Minhao zu St. Sebastian führt ihn in seinen
Registern und Correspondenzen. Ich fasse Vertrauen zu Ihnen, wie unsere
Pflichten es wollen. Sie drücken sich aber nicht klar aus. Seit Ihrer
Entfernung aus der Savanna unfern Dominica bleibt eine Lücke, die
Sie nicht ausfüllen wollen. Wenn Sie dem Soldaten allein nicht Rede
stehen wollten, kann ich's nicht schelten. Das Volk mit dem Degen nimmt
häufig das Prae vor unserm Stande und Beruf. Mir gegenüber ist es ein
Anderes. Sie sollen wissen, daß ich auf Befehl des hochwürdigen Paters
General zu Rom mich hieher verfügt habe. Längst haben wir Kunde von dem
»guten Jesus in den Wildnissen,« und den dort herrschenden Usurpatoren.
Theils aber, um die spanische Krone in ihrer Unwissenheit zu lassen,
-- theils aus Mangel an energischer Unterstützung unsers Statthalters,
ließen wir die Einverleibung jener Gemeinden in den Schooß derer
Missionen, die _Uns_ mit Fug und Recht gehören, dahin stehen. Endlich
ist der Augenblick gekommen. Hinreichende Mannschaft unter dem Commando
eines Brigadiers begleitet mich. Wir stehen an den Pforten jenes
lichtscheuen Staats, um ihn für den König und den Orden zu behaupten.
Zwei Kundschafter des elenden Franciskaners, der dort regiert, sind in
unsere Hände gefallen. Das Geheimniß unsers Anrückens ist unverletzt.
Wir sind im Besitz aller nöthigen Weisungen. Aus Ihrem Munde, dem
eines Gebildeten, Vertrauten, wünsche ich nun den obigen Aufschluß zu
erhalten. -- Weigern Sie sich noch, und stempeln sich dadurch als einen
Theilnehmer jener Usurpation? als einen Verräther an den Interessen
unserer Gesellschaft?«

»Mein Vater!« unterbrach ihn Münzner mit lebhaftem Unwillen bei der
letzten Frage. »Das Wohl unsrer heiligen Gesellschaft geht mir über
Alles, bin ich gleich das unwürdigste ihrer Glieder.«

»Sie sind zu bescheiden,« versetzte der Andere mit schmeichelnder
Ueberredung; »es hängt nur von Ihnen ab, auf der Stelle ein sehr
würdiges zu werden, indem Sie in meinem Wunsche den des gesammten
Ordens befriedigen.«

»O, mein Vater!« rief Münzner bewegt; »erlassen Sie mir diese
Nothwendigkeit. Ich müßte Dankbarkeit und Freundschaft mit Füßen
treten. Ich bin ein einzelner schwacher Mensch; ich kann Ihres
Unternehmens Fortgang nicht aufhalten; aber Sie bedürfen meiner eben so
wenig, um es zu beschleunigen.«

»Sind Sie ein Bruder der heldenmüthigen Congregation, aus der der
kühne und kluge Jacob Lainez, der glaubensstarke Xaver hervorging?«
fragte der Pater Assistent mit dem Tone des Vorwurfs. »Wollen Sie eitle
Privatverhältnisse vorschützen, wo die Gesellschaft von Ihnen ein so
geringes Opfer, ein Paar Worte, fordert? Sind Sie der Sprache der
Vernunft und der Bruderliebe unzugänglich, so folgen Sie der Stimme des
Gehorsams. Bei ihrem Gelübde, Pater Xaver. Ich stehe hier an der Statt
unsers würdigsten Generals, und befehle Ihnen, mir ohne Umschweife
Alles mitzutheilen, was Sie wissen.«

Der Befehl erschütterte den Pater Xaver auf's Aeußerste. Eine grimmige
Verachtung gegen den hartherzigen Gebieter war sein erstes Gefühl;
Ehre, Furcht vor den beschworenen Statuten seines Ordens, das darauf
folgende. Einen bittern Kampf aushaltend zwischen dem Vortheil der
Freunde und dem gelobten Gehorsam, erblaßte er bei dem Siege des
Letztern. Was ihn aufrecht erhielt, war die Betrachtung, daß ja ohnehin
die Colonie bereits in den Händen der Bedränger sei, und daß seine
Aussagen nur versöhnend, nicht verschlimmernd wirken konnten.

»Die Kundschafter, von denen Sie sprachen, mein Vater, haben Ihnen
bereits entdeckt?«

Der Pater Assistent nickte gespannten Blicks mit dem Haupte.

»So bin ich bereit, Ihnen der pflichtschuldigen Gehorsam und Demuth
zufolge, nicht länger das Wenige zu verhalten, was ich weiß.«

Der Verhörende begann seine Fragen: »Sie begriffen so gut als Alles:
die Lage, die Einwohnerzahl, die Regierungs- und Religionsform, die
militärische Stärke, die Produkte der Colonie zum guten Jesus.« Münzner
wurde von einer Frage zur Andern gezogen, mit dem subtilen Scharfsinn,
der schon zum Voraus aus den funkelnden Augen des Assistenten sprach.
Der Jesuit notirte sich Namen und Zahlen in dem Taschenbuche, und drang
darauf, den Weg nach der versteckten Gemeinde deutlich angegeben zu
wissen. Als nun Münzner mit der Behauptung der eigenen Unwissenheit
hervortrat, und der Assistent immer dringender, immer härter wurde,
so entschlüpfte dem staunenden Pater, nachdem er ungefähr die
Himmelsgegend angegeben, nach welcher der »gute Jesus« lag, die Frage:
»Aber wie ist es möglich, mein Vater, daß die gefangenen Emissarien
Franzisco's, -- als Eingeborene des Thals -- Ihnen nicht die genaueste
Auskunft gegeben haben sollen?«

Der Pater Assistent antwortete nicht, aber wohl stürmte der Brigadier
zornroth in das Gemach. -- »Sehen Sie die Folgen Ihrer Langmuth,
mein Vater?« rief er wie wüthend: »Hätten Sie doch zugegeben, daß
meine Soldaten die Hunde von Topinambou's, von elenden Indianern, mit
brennenden Lunten zum Geständniß peinigten! _Nun_ erfahren wir von den
verdammten Spionen Franzisco's keine Silbe mehr. Sie haben sich in
ihrem Loche mit der Zunge erstickt, und spotten unsrer, kalt und steif,
wie sie sind!«

»Richtig, Ihro Excellenz,« versetzte der Assistent lächelnd und
kaltblütig; »die Bursche haben ihren Lohn dafür, und, wenn sie selbst
schweigen, so redete doch der gute Pater hier um so mehr!«

Triumphirend wies er dem Brigadier die Schreibtafel hin. Dieser riß
die Thüre auf, und rief hinaus: »In Ordnung, Soldaten! Die Sache hat
sich gewendet! Wir ziehen nicht ab!« -- Münzner, die Bosheit seiner
Handlungsweise durchschauend, sank auf die Bank, und verhüllte sein
Gesicht. »Sie haben mich bitter getäuscht!« sagte er: »Ich bin nun der
einzige Verräther. Jene Wilden, die für ihren und ihrer Freunde Heerd
starben, sind Heilige geworden!«

»Ihr blasphemirt!« rief ihm der Pater Assistent zu: »Eurer
schwachherzigen Tücke setzte ich erlaubte List entgegen. Simson
gebrauchte sie auch gegen die boshaften Philister. Ihr habt die
Gesellschaft und den Heiland durch Euer Benehmen beleidigt. Ihr lebtet
im Einverständniß mit dem Rebellen im Thale, mit den Unterthanen des
Franziskaners! Ich wittre eine schwere Schuld in Euerm Leben. Ich werde
dafür sorgen, daß Ihr plötzlich nach St. Sebastian gebracht werdet, um
in unserm Hause abzuwarten, was über Euch beschlossen werden dürfte.
Mindestens ist's unsre Pflicht, solch heuchelnd Unkraut wieder nach
Europa zurückzuwerfen, woher es uns gekommen.« --

Er verließ den Pater Münzner in der trostlosesten Lage, und ließ
wirklich ein kleines Commando beordern, das ihn auf der Stelle nach
St. Sebastian führen sollte. Münzner wollte nun noch das Letzte thun:
um Schonung seiner Freunde, um gütige Behandlung seines Pflegesohns
bitten. Der Assistent verschloß seine Ohren vor ihm. Er wurde einsam
bewacht. Erst nach mehreren Stunden, nachdem Botschaft von der Vorhut,
die sich nach der, von Münzner bezeichneten Richtung, vorwärts begeben
hatte, angekommen war, daß man von einem wohlverborgenen, noch nie
entdeckten Klippenhügel das Thal überschaue und Häuser darinnen
unterscheide, machten die Truppen, die heute unverrichteter Sache den
Rückmarsch hatten antreten sollen, da ihnen Lebensmittel ausgegangen,
Aufbruch. Im selben Augenblicke wurde Münzner auf das ledige
Maulthier eines Marketenders gesetzt, und auf den, dem »guten Jesus«
entgegengesetzten Pfaden, fortgebracht. Mit welchen Gefühlen er die
lange Reise antrat?

Muthiger, mit hochschlagender Brust, mit Durst nach eingebildeten
Schätzen, ging die Mannschaft des Brigadiers weiter, aber stille,
behutsam, vorsichtig. Der Abend senkte sich nieder, als die Soldaten
nach unsäglichen Mühen an den Rand des Thalkessels gelangten und
von den Höhen auf die stille Colonie niederblickten. Die jenseits
postirten Wachen gewahrten die furchtbaren Fremdlinge, und Alarmschüsse
durchzitterten die Luft. Rings um die Wachtpostenkette ging der
Feuerlärm. Bald wimmelte es im Thale. Die rüstigen Leute liefen aus
Höfen und Häusern zusammen. Waffen glänzten überall. Noch standen die
Portugiesen unschlüssig, keines dienlichen Pfades ansichtig, der sie
in Masse herunterführen möchte. Da wollte das Unglück, daß Montehol,
der kühnste Kletterer aus Trazos-Montes, ein aufspringendes Wild
verfolgend, sich längs den Felsen hinabwarf, und in den vorsichtig
verborgenen, von einem Wachthause verschlossenen Hohlweg gerieth,
der in die Thalschluchten führt. Der unerschrockene Bursche schrie
laut seinen Kameraden zu. Einige Schüsse aus den Schießscharten des
Wachthauses streckten ihn nieder, aber -- in seinem Blute schwimmend,
von den Kugeln der Feinde zerfleischt, -- rief er, bis sein Leben
verlosch: »Hieher! Milizen! hieher! Es lebe der König und Portugal!«

Der willkommene Ruf hatte Erfolg. Die Menge stürzte sich in den
Hohlweg, nicht aufgehalten von den mörderischen Schüssen, die geübte
Hände hinter der Wehrmauer nach ihnen richteten. »Im Namen der Jungfrau
Maria und aller Heiligen!« schrieen die Soldaten und der vorarbeitende
Trupp der Schanzgräber mit den Beilen in der einen und der Picke in der
andern Faust, stürzten wie die Löwen auf das Thor des Verhau's, während
ihre Hintermänner mit Granaden das Dach des Hauses in Brand steckten.
Der Hohlweg war gedrängt voll von Stürmern; und diesem Andrang, wie
dem Brande und den Axthieben der Pioniers mußten endlich Gatter, Angel
und Riegel weichen. Der Wachtposten Franzisco's war in zögerndem
Rückzuge begriffen, und vom Thale herauf kam ein ansehnlich bewaffneter
Haufe, und aus großen Standröhren schossen die gegenüberstehenden
Wachen und trafen nicht selten. Aber so günstig das Feuergewehr den
Angegriffenen diente, so muthig sie unter der Anführung des tapfern
Fernandez stritten, und die Angreifer aufhielten: sie mußten ihrem
Ungemach erliegen. Der Brigadier kommandirte donnernd, während seine
ersten Reihen feuerten, den Uebrigen, die Bajonnette auf die Musketen
zu setzen. Es geschah; im Nu theilten sich die Schützen; die Rotten
der mit dem fürchterlichen Flintendolch Bewaffneten warfen sich auf
die Feinde: die neue, in diesen Thälern noch nicht gekannte Waffe that
in ihrer unwiderstehlichen Gewalt Wunder des Schreckens. Zerstreut
und von panischer Furcht befallen, kehrten sich Franzisco's Leute zur
Flucht. Die Fahne mit dem Kreuze, in der Faust ihres hingestreckten
Trägers, blieb in den Händen der Sieger, die, über Waffen und
Leichen wegschreitend, im Sturmmarsch das Thal betraten und sich den
Häusern näherten. Vor den drohenden Bajonnetten, vor den streifenden
Seitenbanden der Schützen, rettete sich, wer konnte. Flammen gingen im
Thale auf. Keiner der Krieger Franzisco's hielt mehr das Feld. Weiber
und Kinder, entwaffnete Flüchtlinge, warfen sich in den Staub, küßten
des Brigadiers, des Jesuiten Füße, bettelten um Gnade.

Während diese Scene des Schreckens vorging, hatte sich Franzisco
mit vielen Weibern und Greisen und einigen treuen Anhängern in
eine Schlucht gerettet, die, in mannichfachen Windungen das Gebiet
durchschneidend, und endlich, Waldströme und Sümpfe dem Forscher
entgegensendend, nach den spanischen Besitzungen führt. Unter den
mit dem Priester Fliehenden befand sich Müssinger, seine Tochter und
James, den Georg gebeten hatte, nicht von der Seite seiner Freundin
zu weichen. Er selbst wollte, ob streitend, ob beobachtend, sehen,
wie sich Alles gestalten würde. Unter schützenden Felsen, auf ihren
dürftigen Habseligkeiten ruhend, erwarteten die Flüchtlinge Nachricht
von dem Schauplatze des Gefechts, dessen Schüsse, vom Echo verdoppelt,
zu ihren Ohren drangen, früher als ein belebendes oder entmuthigendes
Wort. -- Endlich erschien Georg, von dem Fernschusse eines Portugiesen
an der Achsel gestreift, und brachte keinen Trost. Endlich erschien
Fernandez, schwerer verwundet, mit dem Rest seiner Leute, und brachte
die baare Nachricht des Unglücks. -- »'sist aus mit uns!« rief er dem
Oheim zu: »Rettet Euch, Don Franzisco! Die schurkischen Portugiesen
haben den Sieg durch ihre niederträchtigen Musketenspeere errungen.
Hieher sollen sie jedoch nicht dringen. Diesen Paß vertheidigen wir
bis zu unserm Tode. Was mir aber das gallige Blut zum Herzen drängt,
daß es bersten möchte vor ohnmächtiger Wuth, ist, daß der Jesuit, der
schändliche Deutsche, uns verrathen hat. Er wurde seit gestern vermißt,
und die scharfen Augen meiner Jäger haben ihn im Hintertreffen der
Portugiesen neben dem Brigadier gesehen!«

»Münzner?« riefen alle seine Landsleute: »wäre es möglich?« Georg
nickte schweigend. James sprang aber, von edler Ungeduld ergriffen,
auf, und sprach: »Welche Verläumdung! Mein Pflegevater ein Verräther?
Nein! er lügt, wer das behauptet!«

»Junger Mensch!« zürnte ihm Fernandez drohend zu: »Ihr vergeßt, daß ich
einen Säbel trage, der --«

»Der dem Dienste des Ganzen jetzo geweiht sein muß!« -- fiel Franzisco
ein, herbeitretend: »in einem unnützen Kampfe um eines Wortes willen,
soll sich Euer Blut nicht verspritzen, meine Freunde!«

Die Streitenden schwiegen beschämt vor der mahnenden Stimme des
ehrwürdigen Alten. Zugleich ließ sich ein bedeutender Lärm in dem Lager
der Flüchtlinge hören.

»Die Feinde?« -- fragte Franzisco, und das alte Soldatenfeuer blitzte
aus seinen Augen, während seine Hand nach einem Säbel griff.

»Nicht doch, Oheim,« -- versetzte Fernandez. -- »Der tapfre Neger Pablo
hält mit seinen Schwarzen Wache am Eingange dieser Thalschlucht. Die
gegen ihre ehemaligen Zwingherren Erbitterten haben geschworen, eher
zu sterben, als sich überwältigen zu lassen. Ich weiß im Uebrigen
von einem Entsprungnen, daß die Portugiesen das Eindringen in diesen
unbekannten engen Paß vermeiden werden, bis ihr Nachtrab angelangt sein
wird.«

Ein Bewaffneter brachte die Nachricht: die ausgestellten Wachen hätten
auf den Höhen gegen Osten einige Fremde in europäischer Kleidung
ergriffen, und sie herbeigeführt.

»Hätten uns die Elenden umzingelt?« -- fuhr Fernandez auf, und ließ
die Fremdlinge heranbringen. -- Vier sonnverbrannte Gesichter, in
unscheinbarer Kleidung steckend, mit metallnen heiligen Bildern auf den
Hüten und Rosenkränzen um den Hals; ohne Waffen, wie sie der Soldat
trägt; blos mit Messern, eisenbeschlagenen Stöcken und Feuerzeugen
versehen. Aber nicht die Gestalten, nicht die Gesichter verriethen
Spanier oder Portugiesen; ihre Sprache, -- ein unbeholfenes Kastilisch,
zeigte vollends die in der europäischen Halbinsel völlig Fremden
an. Sie brachten einen Paß, von dem Statthalter des Königs, zu St.
Sebastian, vor, in dem sie als irländische Bergwerksleute angegeben
waren, die auf Befehl der Regierung von Brasilien das Innere dieses
Landes zu durchstreifen hätten, um nach edeln Erzen zu forschen, oder
nach Demantgruben.

Mündlich berichteten sie, über einen Gebirgsstock gewandert zu sein,
und sich in den unermeßlichen Geländen verloren und verirrt zu haben,
bis der Zufall und das Schießen, das sie vernommen, sie hiehergeführt.

Franzisco, ihren Aussagen nicht mißtrauend, begnügte sich, sie zu
fragen, ob sie portugiesische Truppen gesehen, und -- auf ihre
desfallsige Verneinung -- sie unter einige Aufsicht zu stellen. Von dem
unglücklichen Fürsten der Wildniß weggehend, begegneten die Fremden dem
Master Georg. Befremdet blieb dieser, den Ersten ansichtig werdend,
stehen. Auch Jenem fiel des Amerikaners Antlitz auf. »Georg Birsher!«
rief er plötzlich. -- »Harry! Harry Haverly,« entgegnete der Andere
nicht minder freudig, und sie schüttelten sich treuherzig die Hände.

»Du _hier_?« fragte Harry englisch und mit beflügelten Worten; »wir
glaubten dich vom Hay verschlungen!«

»Ach, Bruder!« entgegnete Georg, »wie steht's zu New-York?«

»In Hülle und Fülle. Ich verließ es erst vor einigen Monden. Dein
Compagnon führt, unerschütterlich deiner Rückkehr vertrauend, die
Geschäfte fort, und das Glück hat seine Bemühungen tausendfach belohnt.«

»Aber du, mein Freund?«

»Verrathe mich nicht an diese Menschen. Gieb vor, daß du mich in Irland
kennen lerntest. Klugheit! reinen Mund! ein andermal mehr.«

Die Wächter der vorgeblichen Irländer nöthigten sie, weiter zu gehen,
und führten sie an einen abgelegenen, von den übrigen getrennten Platz.

Fernandez hatte von Ferne ihr Zusammentreffen mit Georg angesehen, und
sprach zu seinem Oheim: »die fremden Leute haben unserer Colonie Unheil
gebracht. Alle sind mir als Portugals oder Spaniens Spione verdächtig.
Wollen wir abwarten, daß sie uns, -- den Feinden so nahe -- vollends
verderben? Standrecht über sie. Wir wollen nicht ungerächt mindestens
untergehen.«

»Junger Mann! wohin verleitet dich dein Zorn?« fragte der Alte
verweisend. »Soll ich den letzten Schimmer meiner Patriarchen-Gewalt
mit einem Verbrechen besudeln? Laß uns lieber die Nachtzeit benutzen,
um auf spanisches Gebiet zu flüchten. Santa Dominica nimmt uns unter
verändertem Namen auf, und wir dürfen daselbst auf Ruhe hoffen.«

»O unglücklicher Ausgang schöner Plane!« seufzte Fernandez. -- »Das
Unglück soll uns jedoch in jenen fremden Gästen nicht weiter begleiten.
Wir lassen sie zurück. Schuldig, werden sie bei unsern Feinden Schutz
und Hülfe, -- unschuldig, Gottes bessern Beistand finden.«

Der Greis, von Fernandez Argwohn ergriffen, willigte in dessen Wunsch,
und ließ die Anstalten zum nächtlichen Aufbruch in geheimster Stille
vornehmen. Georg kehrte indessen nach der Höhle zurück, woinnen
Müssinger und seine Tochter seiner mit peinlicher Ungeduld warteten.
James stieß auf ihn. In der Dämmerung bemerkte Georg, daß der Jüngling
seine portugiesische Uniform angelegt hatte.

»Wohin in diesem Aufzuge?« fragte Birsher staunend; »wollt Ihr Euch von
den Unsern erschießen machen?«

»Verzeiht, Herr, daß ich Euer Kleid nahm,« entgegnete James ein wenig
heftig, -- »aber mir brennts auf der Seele, daß Doctor Münzner ein
Verräther sein soll. Ich will trotz Tod und Teufel hinüber, um zu
erfahren, ob Fernandez wahr sprach, -- ob er log.«

»Wie, Sir White? unter die Feinde?«

»Dies Kleid schützt mich, und die Nacht. Und gälte es mein Leben, ich
muß mich überzeugen, ob mein Pflegevater der Bösewicht ist, wofür man
ihn ausgeben möchte. Lebt wohl, Mr. George. Ich bringe gute Botschaft,
oder keine mehr in diesem Leben. Grüßt dann Justine von mir ... sagt
ihr.... doch nein! sagt ihr nichts,.... und seid glücklich!«

»James! reißt Euch das Feuer der Leidenschaft von hier? was habt Ihr
vor?«

Georg hatte gut ihm nachrufen; schon war er im steigenden Dunkel
verschwunden. Auf geheimen, Thymian duftenden Pfaden kletterte
James zum Ausgang der Schlucht hinab, und kroch, leise wie eine
Schlange, an dem Hinterhalt der Negerpartei vorüber. Unfern an einem
niederrauschenden Bache stand der Vorposten der Feinde, die es nicht
wagen mochten, ohne Verstärkung in die Schlucht einzudringen. Rings an
den Höhen brannten ihre Wachtfeuer. Mitten im Thale loderte ein Haus in
vollen Flammen: Franzisco's bescheidene Wohnung. Die meisten Soldaten
des Pikets waren dem Brande zugekehrt, und James glitt durch Stauden
und hohes Gras an dem Zelte vorbei, ohne bemerkt zu werden. Neben
dem Bache sich haltend, und in tiefes Dunkel verschleiert, näherte
er sich den Hütten. Vor ihren Thüren standen die zurückgebliebenen
Einwohner, mit Schmerz und Händeringen auf die Trümmer ihres bisherigen
bescheidenen Glückes sehend. Um den Betplatz war die größte Menge
versammelt, und viele Soldaten standen, theils bewaffnet, theils
in bequemer Ruhe, umher. Der Pater Assistent, begleitet von dem
Brigadier und den Pionniers, führte hier ein merkwürdig Schauspiel
auf. »Nieder mit dem Bilde, das hier die Heiden unserm Heiland zu
Hohn und Spott errichtet haben!« rief er mit wilder Begeisterung, in
seiner Hand selbst ein Beil schwingend; »nieder mit dem Götzenbilde
eines wahnsinnigen Opferdienstes! der elende Franziskaner hat euch, ihr
Verblendeten, nur vorgespiegelt, daß diese Riesengestalt euern Erlöser
vorstelle; er hat aber den Teufel hinein gebannt, wie die heidnischen
Mexikaner in den gräßlichen Huitulopochtuli! -- Vergebung der Sünden
dem, der mit thätiger Hand hier angreift, wie ich! Nieder mit dem
Zauberblendwerk des verruchten Bettelmönchs!«

Er führte den ersten Streich nach dem Bilde des Erhabenen, dessen
Jünger er sich doch prahlend selbst nannte, und zwanzig Fäuste wütheten
wie der Blitz gegen die ehrwürdige Gestalt. Sie sank zerstückt in den
Rasen. Ihre Trümmer flogen in das wilde Feuer des angezündeten Hauses,
das der schadenfrohe Soldat mit allem erdenklichen Muthwillen, sammt
dem Garten, verwüstete, weil seine Hoffnung, Schätze darinnen zu
finden, vereitelt worden war. An stillen Tugenden war das Thal reich
gewesen, an Gold und Edelsteinen ärmer als das Grab. -- James, obgleich
von dem empörenden Auftritte, den er mit angesehen, unwillig erregt,
wie von dem rohen Geheul, womit die Soldaten, um das Feuer tanzend,
das unsinnige Fest beschlossen, fühlte eine wohlthuende Empfindung in
seiner, von der Unschuld seines Pflegers überzeugten Brust. »Ich wußte
es ja wohl!« sagte er zu sich selbst. »Irren mochte er in seinem Leben,
ein Schurke war er nie; und in der Tugend Frieden schied seine Seele,
wenn ihn auch ein Raubthier, ferne von unsrer Hülfe, zerfleischte!«

Mit zufriedenem Herzen machte er sich auf den Rückweg, unfähig, dem
Soldatentumulte länger zuzusehen. Seine Eile erregte indessen Verdacht.

»Warum läuft der Kamerad?« fragten sich zwei vorüberstreifende
Portugiesen, und: »Halt!« rief eine Patrouille dem Eiligen zu. Der
Corporal hielt ihm die Pike vor. »Wo ist dein Quartier? dein Posten?«

»Dort beim Piket, ihr Leute!«

»Bist unbewaffnet, Patron, und ein Ausländer?« -- »Welche Fragen!«
-- »Halt da! das Feldgeschrei!« -- »Die Jungfrau und alle Heiligen,«
antwortete James auf gut Glück. -- »Gefehlt! halt! Du bist ein
maskirter Bursche, ein Spion! halt ein!«

Man ergriff den Entdeckten. In seiner Bestürzung kam eine englische
Verwünschung über seine Lippen. »Heda!« rief ein alter Soldat, der
einst auf einem englischen Schiffe gefangen gelegen, »das ist englisch,
meine Freunde, die Ketzersprache! Bindet den unchristlichen Jungen!«
-- »Aber, meine Brüder...!« -- »Der Satanas ist dein Bruder!« fuhr
ihn der Corporal an, »ich bin aber entweder verrückt, oder du bist der
Deserteur, dessen Steckbrief uns auf dem Marsche hieher mitgetheilt
wurde.«

»Sennor Corporal!«

»Aha, nun wird er höflich. Beim heiligen Täufer! Seht selbst,
Kameraden! Groß, schlank; dunkle Haare, ernsthafter und kecker Blick,
ohne Schnauzbart, ein Engländer! Er ist's, wir haben die achttausend
Rees verdient, die auf seinen Fang gesetzt sind!«

»Wie?« fragte James, über Georgs drohende Zukunft erschrocken, nachdem
der Jubel der geldhungrigen Soldaten sich gelegt hatte. »Ihr sucht den
Engländer? Ein Preis ist auf seinen Kopf gesetzt?«

»Ja, beim heiligen Jakob!« hieß die Antwort. »Wir hätten nicht
nachgelassen, dich zu suchen, Ausreißer, damit ein Beispiel gegeben
werde.«

»Mein Gott!« seufzte James für sich, »Georg in dieser Nähe, in solcher
Gefahr? und Justinens Verzweiflung!... Freunde!« setzte er schnell und
entschlossen hinzu, »das Schicksal und die Reue überliefert mich euren
Händen. Was wird mit mir geschehen?« »Ei, die Excellenz wird dich zu
deinem Regiment schicken. Bereite dich indessen zum Letzten. Hättest du
blos der Fahne und dem König den Eid gebrochen, kämst du mit Prügeln
davon, aber du hast deinen Fähndrich geschlagen, und das kostet dir das
Leben!« James schauderte. »So macht es denn kurz,« sagte er kalt und
resignirt, »führt mich zu eurem Commandeur! ich bin derjenige, den ihr
sucht!«

Vergnügt und lärmend brachten ihn die Soldaten nach dem Quartiere
des Brigadiers. Mitten in der Nacht brachte ein aus den Banden
entsprungener Neger die Nachricht von des Jünglings Geschick, und
wie er sich darein ergeben, in Franzisco's Lager. »Wohl bekomm's dem
Ueberläufer!« sagte Fernandez trocken, und kümmerte sich weiter nicht
darum, mit wichtigeren Angelegenheiten beschäftigt. Einen bei weitem
tiefern Eindruck machte die Kunde der Begebenheit auf Georg, auf den
Senator; einen unbeschreiblich bittern auf Justine. »James!« rief
sie, mit dem ihr eigenthümlichen Scharfsinn errathend, _wie_ alles so
gekommen, »wißt ihr denn, meine Lieben, daß er sich für unser Wohl
hingegeben? O wie diese That ihn so glänzend aus dem zweideutigen Nebel
seiner Vergangenheit hervorhebt! Wie wohlthuend diese Kunde in ihrer
Bangigkeit zu meinem Herzen spricht!« »Wäre es möglich?« sagte der
Senator, während Georg nachsinnend und betrübt vor sich hinstarrte,
»wäre er dazu berufen, sich immer für die zu opfern, die seinem Herzen
weh thaten? die seinen liebsten Hoffnungen ein Hinderniß waren? _er_
dazu bestimmt, Georg von einer drohenden Gefahr zu retten?«

»Gewiß! gewiß!« versetzte Justine mit leuchtendem Auge, »zweifeln Sie
nicht, mein Vater, sonst läugnen Sie den Edelmuth in der Menschenbrust!
Die wildeste Gefahr droht uns. Wenn morgen der Feind dieses Thal
erstürmt, wenn sie Georg gefangen hätten, auf welchen ihre Blicke
gerichtet waren? Jetzt glauben sie ihr Opfer zu halten. Jetzt ist ihre
Aufmerksamkeit beruhigt. Jetzt können wir hoffen, während der muthige
James hingeht, um für den dankbarsten Freund in das Gefängniß zu
treten.«

»Sagen Sie: den Todesplatz!« rief Georg mit heftiger Bewegung in
ihre Rede, »Gefängniß büßt nicht das Vergehen gegen den knechtischen
Gehorsam, das ich verübte. Darauf steht der Tod!«

Justine wurde fast ohnmächtig. Krampfhaft packte sie Georgs, des
Vaters Hände. »Der Tod?« stammelte sie: »Entsetzlich! Gräßlicher als
ich je gefürchtet! Den Tod? Herr Georg! Für Uns soll er sterben? Nein!
das dürfen wir nicht zugeben! Vom Arrest hätte ihn Fürsprache, einst
vielleicht unser Geld, endlich gewiß die Zeit befreit.... aber den Tod
leiden? Nein! nein! guter James! es müßte kein Tropfen warmen Bluts in
unsern Adern rinnen, wenn wir hier noch zögern könnten! Kommen Sie,
Vater! kommen Sie, Herr Birsher!«

»Wie? wohin?« fragten Beide staunend. Das muthige Mädchen fuhr
aufgeregter fort: »Hinüber in's portugiesische Lager, zu den Füßen
des Commandanten! ihm alles zu entdecken, bei ihm um des armen Mannes
Freiheit zu betteln! Doch nein,« setzte sie bei, »ihr Männer versteht
die Sprache der Bitte nicht; ihr seid nicht thätig, nicht stark in
eurer trägen Betrübniß. Das Unglück rührt euch nicht, wie es das
Weib ergreift! -- Bleibt! _ich_ will gehen! allein! unbeschützt,
unbewacht! Es müßte kein Gott über uns leben, wenn ich nicht zum
Befehlshaber dränge! Ich kann freilich nicht wimmern, nicht weinen,
nicht schmeicheln; ich habe es nie gelernt; aber der Wahrheit wird
der Commandant nicht widerstehen, und der Portugiese wird die
Ritterlichkeit gegen Damen nicht verlernt haben!«

»Tochter!« rief Müssinger, sie zurückhaltend. »Was wollen Sie
beginnen?« ermahnte Georg. »In tiefer Nacht? des Wegs unkundig? Durch
unsre und des Feindes argwöhnische Posten? Der Tod lauert auf Sie. Sie
betrüben uns durch diesen Entschluß zum Sterben!« Justine warf einen
sehr ernsten Blick auf ihn, und entgegnete: »Monsieur, ich verstehe
Sie nicht, ich werde an Ihrem Herzen irre. Wissen Sie nicht mehr, daß
James meinen Vater gerettet? daß er mich über Land und Meer geführt
hat? mich, Ihre Braut? _er_, der mich liebte? auf dessen Liebe ich
jetzt erst stolz werde? Zu diesem Allen mögen Sie wissen, daß ich ihm
herzlich gut war, daß ich ihn jetzt doppelt ehre, nachdem so Vieles
ausgeglichen, nachdem er diese Heldenthat begonnen! Und Sie, der
starke, besonnene Mann, Sie, den ich vorzog aus Ueberzeugung, Sie
können mir verwehren....?«

»_Weil_ ich besonnen bin,« fiel Georg gekränkt und heftig ein, »wenn
Sie gleich an meinem ehrlichen Herzen zweifeln sollten!«

»Justine!« bat der Senator mit all' der Lebendigkeit, die ihm sonst
zu Gebote gestanden, »wenn du die Worte des Freundes nicht hörst, so
vernimm die des Vaters. Was Georg Birsher nicht sagt, muß _ich_ sagen.
Deine heftige Begeisterung führt dich und uns in's Verderben! Geh hin!
verrathe durch deine vergebliche und unbesonnene Fürbitte deinen besten
Freund, deinen Bräutigam. Weihe _ihn_ dem Tode, weil er an dir hing,
und nicht weiter vor seinen Widersachern floh. James Unschuld muß an
den Tag kommen. Sein Regiment wird ihn nicht erkennen, seine Täuschung
entdecken: die Menschlichkeit des Statthalters ihn mit leichter Strafe
belegen. Alles wird dann gut, und des Jünglings Bewußtsein versüßt ihm
tausendfach die Haft. Du willst das gefährliche Spiel umkehren. Um
den wenig bedrohten Freund zu retten, schleppst du den biedern Georg
in's Grab; Georg, den du achtest und ehrst, -- Georg -- dessen Weib du
werden sollst, -- Georg, den du liebst, innig liebst, -- wenn sich auch
dein Gefühl hinter die Maske der gleichgültigen Förmlichkeit flüchtet.«

Justine stand wie eine Bildsäule, mit niedergeschlagenen Augen. »Nicht
so hart!« bat Georg den Vater. Müssinger fuhr jedoch, wie oben, fort:
»Ich weiß, daß ich dein Herz verwunde; aber es ist von Erz, und muß
stark berührt werden, soll die Glocke wohlthätigen Klang geben. Sieh,
Justine, welchen Jammer du mir bereitest. Ich habe Alles verloren:
Habe, bürgerliche Ehre, mein eigenes Bewußtsein. Alles gut zu machen,
habe ich nur _Dich_. Von der Heimath, dem lieblosen Weibe und meinen
Gütern geschieden, ist mein einzig Glück noch in der Hoffnung auf
deinen Ehebund gegründet. Willst du durch den raschen, unüberlegten
Schritt uns Alle verderben? dich zur Beute des Soldaten, -- _ihn_« auf
Georg deutend, -- »zum Schlachtopfer, und mich zum verwaisten Greis
machen?«

Die heftige Rede erschütterte die Tiefen in Justinens Brust. Eine
Fluth von Thränen schoß aus ihrem Auge, sie warf sich an des Senators
Brust, und schluchzte: »Vergeben Sie, grausamer Vater, ich hatte das
nicht bedacht! ich bin ja nicht böse; um Gotteswillen; wie möchte
ich, ohne zu schaudern, daran denken, den Herrn hier zu opfern, der
mir so -- werth, so achtbar ist? Glauben Sie das von mir?« setzte sie
fragend, und zu Birsher gewendet, bei, und mitten durch den Schmerz
ihres Antlitzes zuckte ein anmuthiges Lächeln, das Georgs trüben Ernst
besiegte, daß er ihre Hand ergriff, und sagte: »Bewahre mich der
Allmächtige, daß ich solches von meiner Braut glauben könnte. Diese
Stunde hat von der Vortrefflichkeit Ihres Herzens ein neues Zeugniß
gegeben, und für James bin ich unbesorgt, denn aus den Wolken hat der
Herr Ihren -- den heiligsten -- Schmerz gesehen. Des jungen White
Angedenken folge Ihnen unverkümmert in meine Heimath! Fern sei es von
mir, es zu verwischen, meines Retters Gedächtniß, und wenn wir zur
Heimath gelangen, und wenn Gold seine Fesseln brechen kann: mein ganzes
Vermögen sei nicht zu viel, die Riegel seines Kerkers aufzuschließen:
mein Haus nicht zu klein, den Vertriebenen auf ewig aufzunehmen!«

»Nicht also, Herr Birsher,« sagte Justine gemäßigt; »es sei uns eine
Freude, in der Ferne sein Glück zu begründen; doch in unserer Familie
weile er nicht. Ich würde Sie und mein eigen Gefühl beleidigen, wollte
ich, indem ich dieses sage, einer eingebildeten, unmöglichen Schwäche
mißtrauen. Ich bin eisern fest und eisern treu, mein Herr! aber James
würde unglücklich, und -- Sie werden sehen, -- ich müßte seinen
Charakter nie gekannt haben, -- oder er schlägt unsern Antrag rund aus
dem Felde, ginge es ihm noch so schlimm.«

»Es ist beinahe sonderbar,« versetzte Müssinger mit leichtem Lächeln,
»daß wir hier so ernsthaft bereden, wie wir das Glück eines Menschen
machen wollen; und uns selbst umschließt ja noch die Wüste, uns selbst
blüht nicht die Hoffnung, jemals in den sichern Port von New-York
zu gelangen, .... wir selbst sind eher dem Schicksale unterworfen,
unter der Portugiesen Säbel zu fallen, als jemals frei zu werden! Der
gute, arme Münzner ist uns wahrscheinlich auf dem Wege zum Himmel
vorangegangen, und uns fehlt noch die Heimath!«

»Ach, das süße Vaterland!« seufzte Georg in seinem vaterländischen
Idiome.

»Gesegnet sei es!« antwortete ihm eine Mannsstimme in denselben Lauten.
Georg erkannte beim Schimmer der Laterne den Landsmann und Schulfreund,
Harry Haverly. Dessen Gefährten traten vorsichtig und leise auch herbei.

»Gott sei gedankt, daß ich Euch hier finde,« fuhr Harry fort, »das
weissagt uns ein gutes Glück, das wir nicht gehofft.«

»Was soll die räthselhafte Rede?« fragte Georg entgegen. »So wißt Ihr
denn nicht,« sagte Harry, »daß seit länger als einer halben Stunde der
alte Bettelmönch mit seiner ganzen Schaar in aller Stille abgezogen?
Vor einigen Minuten kam, nachdem sich unsere Wache verloren, ein
Neger, der uns die Kunde brachte, unsere Bande löste, und sich eiligst
davon machte. Wir gingen auf's Gerathewohl umher, berathend, was wohl
anzufangen sei, als ich das englische Wort hörte, das mein Herz erbeben
machte. Wie kommt es jedoch, daß Ihr nicht zu den Abgezogenen gehört?«

»Man hat uns mit Vorbedacht zurückgelassen!« entgegnete Georg nach
einigem Ueberlegen: »in's Himmels Namen denn! Wer bis hierher half,
wird auch weiter helfen.«

»So ist denn das Unglück noch nicht müde, uns zu verfolgen!« brach
der Senator mit Unwillen aus. Justine beruhigte ihn durch ihren Muth.
»Mein lieber Vater!« sagte sie: »folgten wir denn bisher dem Glücke?
Welches war unser Loos im Gefolge jenes alten Priesters? Flucht und
Verfolgung; wie _vor_ dem Einfall der Portugiesen ein Zwang, der dem
freien Herzen widersteht. Wir sind uns jetzt selbst überlassen. Bessern
konnten wir nicht anvertraut werden; mit uns wird der Herr sein! Vater!
Herr Birsher! fassen Sie einen Entschluß, wie er sich auch gestalte;
vergessen Sie in mir das zärtere Weib. Ich werde Alles unternehmen,
weil es gilt, meinen schwachen Vater zu unterstützen.«

»Der Entschluß sollte nicht schwer fallen,« meinte Harry Haverly: »wir
vier bieten unsre Hände zur schnellsten Flucht, wenn Sie es nicht
vorzögen, nach dem portugiesischen Lager zu gehen, oder den Einmarsch
der Soldaten in dieses Thal zu erwarten, der sich nach Tagesanbruch
nicht verzögern dürfte. Es steigen Raketen aus dem benachbarten Thale
auf, ohne Zweifel ein Zeichen für nachrückende Truppen.« »Nein! nicht
zu den Portugiesen!« riefen Justine und der Senator mit besorgten
Blicken auf den gefährdeten Georg.

»So folgen Sie uns,« entgegnete Harry Haverly: »Wir haben triftige
Gründe, die Bekanntschaft jener Herren zu fürchten. Unsere Papiere
und unsere Sendung sind nicht die richtigsten. Wir sind die Agenten
einer Handels-Compagnie, die sich gebildet, um die spanischen und
portugiesischen Besitzungen, die so sorgfältig vor uns geheim gehalten
werden, zu erforschen, und zu erwahren, wie hoch sich im Besonderen
der Reichthum an Metallen und edeln Steinen belaufen möge. Wir sind
Alle von New-York, und kehren dahin zurück, weil wir hier die Grenzen
_unserer_ Mission berührten. Ist es Ihnen gefällig, meine Freunde,
unserem Trupp sich anzuschließen, so verbürge ich eine gute, fast
bequeme Reise an den Strand. Die größere Zahl macht größern Muth, und
einem Landsmann sammt seinen Freunden zu helfen, ist unsere Pflicht.«

»Ihr seid falsche und unrichtige Gesellen,« sagte hierauf Birsher
mit gerunzelter Stirne: »mit Spähern und Paß-Fabrikanten, und in
Katholiken vermummten Protestanten habe ich nicht gerne zu thun: ich
mag's Euch nicht verhehlen. Da jedoch Gottes Hand uns so sichtlich hier
zusammenfügte, mag's geschehen, wie du meinst.«

»Eine große Ehre, wackerer Georg!« erwiderte Harry Haverly lachend.
»Du warst von jeher ein steif und altklug gehender Bursche. Du siehst
jedoch, daß dein gerader Gang dich nicht um ein Haar breit weiter
brachte, als uns die Schlangenlinie. Wir sind dem Sittenprediger nicht
böse, und denken, er werde zu besserer Einsicht kommen.«

»Wollen wir uns auf den Weg machen, so denke ich, wir thun es
alsobald!« rief Müssinger ungeduldig: »Auf, meine jüngern Freunde! wenn
mein altes Herz nach Freiheit dürstet, -- wo bleibt Eure Sehnsucht?«

Alle erklärten sich bereit. »Werden Sie nicht zu schwach sein, allein
zu gehen, mein Vater?« fragte Justine. »Stützen Sie sich auf meinen
Arm, Ich ermüde nicht unter dieser Last.«

»Lasse mich!« antwortete Müssinger. »Ich fühle mich stark; Glieder,
Herz und Gewissen frei und leicht. Sollte ich dennoch ermatten, -- ein
Blick auf meine beherzte Tochter würde mich schnell erkräftigen.«

Von den Streiflichtern des nahenden Morgens geführt, betraten die
Wanderer die Pfade, auf welchen die New-Yorker Diamantenspione
hergekommen waren. Haverly wußte mit ziemlicher Bestimmtheit den Weg
zurück zu finden: Die Schwierigkeiten häuften sich nach und nach. Mühen
und Bedürfnisse wurden fühlbar. Alles jedoch überwand der menschliche
Muth im Verein mit der gütigen Natur. Hatte ein steiniger Absturz die
Füße der Wanderer gelähmt, und ihre Geduld erschöpft -- flugs breitete
sich ein herrlicher Wiesenteppich aus, sie zu versöhnen. Hatte glühende
Sonne ihren Scheitel versengt, schnell erstanden vor ihnen duftende,
hallende Schatten des Waldes. Quälte sie Hunger, die nächsten Büsche
gaben wohlschmeckende Früchte; peinigte sie der Durst, -- der nächste
Fels gab einen Waldstrom, einen silbernen Quell. Sie flohen die Nähe
wilder Menschenhorden, -- das wilde Thier ging ihnen aus dem Wege, und
von Tag zu Tag wuchs ihr Vertrauen, und ihre -- selbst des verwundeten,
von Justinen's Hand gepflegten Georgs -- Kraft. Da stiegen sie endlich
hernieder aus den Gebirgen in die Thäler, in das trauliche Dorf, in
die stille Pflanzerwohnung, wo neben dem Fleiß, der Genügsamkeit und
der Frömmigkeit, auch die Gastfreundschaft zu Tische sitzt, und als
sie an die erste Kirche kamen, wurden ihre Gefühle noch milder und
erhebender. Die Protestanten standen entblößten Haupts, mit andächtigen
Mienen, vor dem Tempel der feindlichen Religionspartei, die Gegenwart
des Allmächtigen, dem sie zu danken hatten, in diesen Räumen, wie in
ihren eigenen Kirchen, ahnend. Der Senator betrat allein das kleine
Gotteshaus, warf sich nieder vor dem schlechten Bilde des Altars: er
war, wie das Kirchlein, der heiligen Clara geweiht. Hier betete er zu
dem Ewigen mit Worten, hier in Gedanken und Gefühlen zu der Clara, die
er auf Erden gekannt, die er in dem Himmel verehrte. Hier gewann er
neues Vertrauen auf eine leitende Vorsehung; _hier_ nahm er Abschied
von dem Cultus, dem er nur kurze Zeit, im Verborgenen, angehört. Denn
ihm bedünkte, als ob Clara's Stimme aus den Wolken riefe: »Dein Unglück
begann, seit du falsch gegen mich gewesen. Du hast gebüßt, und der
Glaube, den du damals leichtsinnig gelogen, hat dir die Buße recht
schwer gemacht. Ermuthige dich jedoch, tritt aus dem Kreise, der dich
nur wie ein Zauber umschließen konnte. In meiner seligen Wohnung ist
nur _eine_ Wahrheit. Getrost! wir werden uns wiederfinden.«

Aus der Kirche getreten, warf sich Müssinger an der Tochter, des
Eidams Brust, und sagte heftig, aber gerührt: »Nehmt mich jetzt hin,
meine Kinder. Ich bin jetzo wieder ganz der Eurige geworden. Nehmt den
Bettler hin, und macht mich wieder reich im Abglanz Eurer Liebe!«

Nun ging es im Fluge vorwärts, denn in einem von bevölkerten
Ortschaften entlegenen Meierhofe fanden die Herren Haverly und
Compagnie ihre Wagen, mit rüstigen Pferden bespannt. Immer mehr dem
Uferlande sich nähernd, jauchzten die Reisenden ihrem Ziele entgegen.
Kein gefürchteter Alkade, -- sie bückten sich alle vor dem Namenszuge
des königlichen Statthalters auf dem zweifelhaften Passe, -- hinderte
die Fahrt. Nirgends ein Soldat von dem Milizenregimente, in welchem
Georg hatte dienen, die Messe besuchen und leiden müssen. Unverrückt
ging eben und gerade der ersehnte Weg. Dort lag endlich der Hafenort,
umspült von schäumender Meeresbrandung. Dort flatterten die Wimpel des
vertrauten Amerikanerschiffs. Keine Zeit wurde verloren. Die Agenten
schlossen ihre Berichte, die Schiffer ihre Fässer und Kisten. Birsher
führte triumphirend Braut und Vater auf das erwünschte Fahrzeug. --
»Hier ist schon Heimathboden!« rief er fröhlich, und Alle dankten dem
Lenker über den Sternen, als der letzte Ballen, der letzte Passagier,
an Bord gekommen. Die Anker wurden gelichtet, die Flaggen aufgezogen,
und hinaus in das ruhige Meer trieb der von siegreichen Hoffnungen
befrachtete Kiel. Die See war gnädig, wie der Himmel es bisher gewesen.
Die Fahrt war mit Segen bekränzt. In kurzer Zeit wurde die Strecke
zum Asyle zurückgelegt. Endlich -- an einem lieblichen Morgen, --
kaum hatte die Sonne die Nebel überwunden, -- riß sich die Ansicht
einer freundlichen Stadt vor den entzückten Reisenden auf. Hier die
Rhede, dort der Flaggenthurm; hier die Festung mit ihren Fahnen und
blinkenden Waffen, dort die lebendigen Landungsplätze: Gewimmel von
Schiffen um sie her, -- wehende Wimpel, blendende Segel! die Kanonen
donnern von Schiff und Kastell. »Hurrah!« rufen die ungeduldigen
Matrosen. »New-York!« ruft Georg Birsher, und drückt frohlockend, und
allen förmlichen Zwang vergessend, die geliebte und liebende Justine
an die Brust. Stadt, Festung, Hafen und das darinnen webende Volk,
ankerhaftende Schiffe und bewegliche Meereswellen nimmt der Edle zu
Zeugen des Eides, den er ablegt, seine Liebe glücklich zu machen, --
und Georg Birsher hat nie sein Wort gebrochen.

       *       *       *       *       *

Es waren mehrere Jahre verflossen, als sich eines Abends, bei noch
funkelndem Sonnenglanze, mehrere Reiter dem Dorfe Santa Dominica
näherten. Drei derselben, bewaffnete Diener, wie es schien, blieben
ehrfurchtsvoll hinter dem Vorausreitenden, der, ein junger Mann, mit
vernarbtem, kriegerischem Gesichte, eine goldverzierte Uniform unter dem
schlichten Mantel bergend, bald schnell ritt, die Gegend wie mit
begeisterten Augen überschauend, bald langsam, den trüben Blick zu Boden
schlagend. Die Diener schwiegen, wie die von Arbeitern leeren Felder,
und der Herr sprach leise mit sich selbst. »Dort liegen die neuen,
muntern Hütten!« sagte er, »der Ort, den ich, auf la Guasta, in dem
Thale des guten Jesus stehend, mit klopfendem Herzen herbeiwünschte, er
ist da. Werde ich ihn wieder froh verlassen, den ich froh und ahnend
betrete? Da sind die bekannten Wege; dort steht die Kirche, dort liegt
des Pfarrers Hof! Ehrwürdiger Luis! Wo bist du, du mein Tröster?«

Der edle Mann war heimgegangen. Frische Tamarinden, die er so sehr
geliebt, beschatteten sein Grab mit leichtem Blättergewebe. Unter dem
Thore seiner ehemaligen Wohnung stand ein Anderer: ein Geistlicher,
mit vornehmem, flachem Gesichte; rauchte seine Cigarre, grüßte den
Reiter herablassend, und sendete ihm, da dieser betrübt vorüberzog,
eine Dienerin nach, ihn zur Herberge einzuladen. Die Magd trug
abiponische Züge. Der Offizier redete mit ihr. »Wo ist Euer Pfarrer
Luis?« -- »Dort!« antwortete das Weib und deutete gen Himmel und nach
dem Kirchhof. -- Des Reiters Auge wurde naß. »Ich habe nichts mit Eurem
jetzigen Pfarrer zu schaffen,« sagte er, wiewohl milde. »Danke ihm,
mein Kind, in meinem Namen, und sage du mir, wo ich die schöne Ines
finden mag. Sie ist aus deinem Stamme, wie mir bedünkt.« -- »Ines,
Herr? Wir heißen Alle Ines.« -- »Die Tochter Euers Kaziken, die einst
verlorne Misinga?«

Das Weib zeigte nach einem seitwärts liegenden hübschen Meierhofe,
von Palmen umweht. »Fragt dort nach Misinga, Herr!« sagte die Magd
und ging gleichmüthig davon. Der Reiter trieb das Pferd; in einer
Minute stand er am Gatter des Hofs; ein Mann kam freundlich entgegen,
lüftete den Strohhut. »Fernandez Vereira!« rief der Ankömmling, vom
Pferde springend. -- »Sennor White!« antwortete der Andere, und bot
ihm freundlich die Hand. »Ihr hier? Ihr da?« wiederholten Beide einige
Male, und in den schattigen Vorsprung des Gebäudes, zu herrlichem
Weine, zog den Offizier der Meier. »Die Flucht aus Egypten bekam
mir wohl,« sagte er zu dem Besucher; »wir verbargen uns hier, unter
den Flügeln des wackern Luis. Mein Vater erhielt in der Folge seine
Begnadigung, und löschte dann seine Lampe. Ich bin hier geblieben, --
ein schlichter Bauer, -- und mir würde zu dem Glücke meines Lebens
nichts fehlen, hätte ich den lieben Vater, hätte ich den Pfarrer Luis
noch, die beide fast an einem Tage in's ewige Vaterland gingen.«

»Beneidenswerthester!« entgegnete James, schwermüthig seine Hand
drückend. »Mich Armen flieht das Glück, wenn's mich auch noch mit
mehreren Goldgalonen bekleidete. Ich hatte mich für Freund Georg
hingegeben. In San Sebastian wurde meine List entdeckt. Der Kommandeur,
gerührt und menschlich, gab mir schnell die Freiheit, und der
Statthalter, eine That bewundernd, die doch so natürlich war, verlieh
mir den Rang eines Sergeanten. Meines Pflegers, meiner Hoffnungen in
der alten wie in der neuen Welt beraubt, schlug ich ein, und trug die
Hellebarde heldenmüthig für den König, den ich nicht kenne, für das
Land, das ich nicht liebe. Es war aber von jeher mein Loos gewesen,
das thun zu müssen, dem mein Herz widerstrebte, und die Erlösung von
des Lebens Fesseln suchte ich in dem kriegerischen Stand. Auch diese
Hoffnung trog. In den Gefechten mit den widerspenstigen Eingebornen
suchte ich den Tod, und fand Rang und Ehre. Ich bin Capitän geworden,
könnte alle Freuden des Lebens genießen, -- verschmähe sie, und suche
sie hier -- hunderte von Meilen von St. Sebastian entfernt -- in der
Erinnerung an eine schmerzlich-süße Zeit. Ich finde jedoch nur Gräber!«

»Auf ihnen wächst das Gras, wie einst auf den Unsrigen,« bemerkte
Fernandez: »Laßt indessen auch Gras über den Argwohn und Verdacht
wachsen, den ich vor Zeiten gegen Euch und Eure Freunde hegte. Ich habe
Eure Handlungen würdigen und weiser sein gelernt... Was ist aus diesen
Freunden geworden, mein biedrer Herr?«

»Mein Pflegvater ist nach Deutschland zurückgekehrt,« versetzte James
seufzend: »zu spät, als schon Soldatenpflicht mich band, erfuhr ich
es. Ich hätte ihn nie verlassen. Der Senator lebt bei seinen Kindern
in New-York, wie ich vernahm; und glücklich, wie es heißt, hat sich
Aller Loos gestaltet. Ach, wie wünsche ich es ihnen! Mag mir der Himmel
zürnen, wenn er nur Justinen lacht. In ihrer und ihres Gatten Tugend
liegt der Segen, -- nicht in Birshers Reichthum, nicht in Müssingers
Banknoten, die --«

»Die er verlor,« fiel Fernandez ein: »Luis Verwendung nützte nicht. Die
Väter des Collegiums zu Assumcion läugneten das Leben des Senators,
prunkten mit dem Testamente, und haben, es zu vollstrecken, die Sennora
Müssinger zu Cordova bei den Carmeliterinnen einkleiden lassen.«

»Justine?« fragte James bestürzt: »ich falle aus den Wolken! Ist's ein
Scherz oder ein unbegreifliches Räthsel?«

»Eine begreifliche Bosheit,« antwortete Fernandez mit verächtlichem
Achselzucken, »wenn es wahr ist, was Vater Luis behauptete: daß das
Provincialat zu Cordova eine Französin, die Euch hierher begleitet, und
sich in der Mordnacht auf dem Schiffe der Jesuiten gerettet, gezwungen
habe, unter dem falschen Namen der Sennora Müssinger in jenes Kloster
zu treten.«

»Abscheulich!«

»Und nicht zu bezweifeln. Luis verläumdete nicht, und war selbst nach
Cordova gereist. Die Ueberzeugung, daß weder Müssinger noch seine
Tochter jemals wiederkehren würden, ihre Ansprüche zu behaupten,
die Begierde nach den bedeutenden Summen des Testaments waren die
Triebfedern, und die schwere Ordensregel hindert das arme Schlachtopfer
der trügerischen Willkür auf ewige Zeiten, ihre Beschwerden öffentlich
zu machen!«

»O! So hat auch diese, in den Netzen, die sie weben half, befangen,
ihre Strafe gefunden!« sagte James, nachdenkend vor sich hinstarrend:
»der Fluch, der diese Werkzeuge verfolgt, läßt in mir fast nicht die
Hoffnung aufkommen; raubt mir fast den Muth, Euch, mein verständiger
Fernandez, nach der schönen Ines, der Tochter des abiponischen
Oberhauptes zu befragen.«

»Ines? Des Kaziken Tochter? Was führt Euch zu dieser Frage?«

»Ich bin des Einsiedlerlebens zu St. Sebastian müde geworden. Dort
habe ich kein Herz gefunden, mit dem ich, was das Schicksal mir gab,
theilen möchte. In Paraguay hat mir einst von Glück geträumt, -- von
einem Glücke, das ich schnöde abgewiesen, um eines Schattens willen,
der zerfloß; um einer Hoffnung willen, die entschwand. Freund! ich will
offen gegen Sie sein, mich redlich aussprechen. Misinga-Ines hat mich
einst geliebt, mir's gestanden. Das Andenken ihrer Unschuld, ihrer
liebenswürdigen Neigung, ist lebendig vor mich hingetreten. Wie mich
einst, durch räthselhaften Traum verkündet, das Bild der Versagenden
in die Gebirge lockte, weit von der Gewährenden weg, so zog mich
jetzo das Bild dieses holden Indianerkindes über Berg und Thal, Strom
und Savanne. Hier soll ich es finden. In Eurem Hause soll ich seinen
Aufenthalt erfahren. O sagt ihn mir. Bei Ines allein kann mein Herz
gesunden; das wunde an einem liebenden. Zu ihren Füßen will ich die
Güter des Lebens niederlegen, sie beschwören, mein eitles Glück mit mir
zu genießen; ihr Gatte sein, von ihr beweint hinübergehen!«

Er hatte im Feuer der Rede Fernandez Hand ergriffen, dessen Stirne sich
verdüsterte, während sein offenes Auge eine bekümmerte Freundlichkeit
aussprach. Langsam entzog der Spanier dem Bittenden die Hand, stand
auf, schlug sinnend die Augen gegen die Decke, überlegte einen Moment,
während James Blicke bittend an den Seinigen hingen, und sagte hierauf
mit ernstem aber bewegtem Tone: »Kommen Sie mit mir, Sennor, ehe ich
Ihnen antworte.« --

James erschrak vor diesem Tone. »Sie sprechen wie ein schauerliches
Orakel!« sagte er bange: »soll ich Ihnen zu einem Grabe folgen? zu den
Wohnungen Ihrer Väter? Ach! der Muth des Soldaten besteht nicht vor
solchem Anblicke!«

Statt einer Antwort winkte ihm Fernandez noch einmal, schweigend,
zu folgen. Mit Anstrengung, mit ahnendem Widerwillen that es der
Capitän. Sie gingen durch das Haus, nach einem reizenden Gebüsch, das
den Hofraum begränzte. An blühenden Algaroven und Mondblumen vorüber,
traten sie vor eine stille dunkle Laube. Auf dem Rasensitz darinnen
ruhte ein schöner als alle Blumen blühendes Weib. Es schlummerte, und
an ihrer Brust hing mit geschlossenen Augen ein lächelnder Säugling.

»Ines!« seufzte leise -- denn seine Brust vermochte, zusammengeschnürt,
keinen lauten Ton zu geben, -- der Capitän, und fuhr erbittert gegen
sein Geschick, beschämt vor dem Glücklichen, zurück. -- »Mein Weib!«
sagte Fernandez leise und schonend. Er wollte hingehen und die
Schlummernde wecken. Mit Riesenkraft, sich ermannend, riß ihn James von
der Stelle weg. »Um aller Heiligen Willen!« bat er außer sich: »haltet
ein, Fernandez. Stört nicht ihren Frieden, mehrt nicht meinen Schmerz.
Den offenen Augen dieses verscherzten Engels müßte ich unterliegen.
Nennt ihr meinen Namen nicht, damit sie glücklich sei. Ich bin fertig
mit den Freuden der Erde. Lebt wohl! Hinaus in die Savannen, in die
Felsgebirge, mit der Handvoll Staub, die zertreten werden mußte, um die
Blumen fremden Doppelglücks zu treiben!« --

Er schwang sich wie rasend, ohne auf Fernandez Zureden zu hören, auf
sein Roß, und die Diener hatten Mühe, dem Zurückeilenden zu folgen, so
spornte er das Thier, so trug ihn der Wind. Die vor die Hütte tretenden
Abiponer, -- der Tage ihrer wilden Kraft sich wohlgefällig erinnernd,
priesen den unerschrockenen Reiter; er hörte aber nicht ihr Lob, er sah
nicht mehr die Gräber der Freunde, nicht mehr die Pracht der Felder,
und wilder als die Thiere der Haide die vor ihm flohen, ritt er mit dem
Staubwirbel, mit den Wolken der Nacht um die Wette; aber, allenthalben
auf seinem Rosse hinter ihm, saß der dunkle brennende Schmerz.

       *       *       *       *       *

  Der Pater Xaver Münzner an den Hochwohlgebornen Herrn Baronet James
  White, Major unter dem 2ten Milizregiment zu St. Sebastian.

                                    Aus dem Profeßhause, im Jahre 1733.

  »Auf die Adresse gehört der Titel; in der Rede gebrauche ich ihn
  nicht bei dir, mein geliebter Sohn. Konnte doch der Majorrang dich
  meinem Herzen nicht näher bringen. Könnte ich dir doch mit dem
  demüthigsten _»Sie«_ nicht die Hälfte der Freude ausdrücken, die dein
  Brief in meine Einsamkeit brachte; oder den Dank dafür. Schreibe es
  daher meiner Nachlässigkeit, meiner Gleichgültigkeit nicht zu, daß
  diese Antwort erst nach mehreren Jahren erfolgt. Bis heute haben Zeit
  und Raum mich verhindert, mit dir zu reden; wovon in der Folge ein
  Mehreres. Zuerst von dir, mein Sohn! Ich habe Freude an dir, denn du
  dienst einem frommen Könige, der das Irdische geringer schätzt, als
  das Ewige, und, um vollkommener Salomo zu sein, nur mit dem heiligen
  Vater zu Rom mehr Frieden halten sollte. -- Du bist vom niedern
  Stande zu einem glänzenden heraufgestiegen, und die Würdigkeit ist
  in dir belohnt worden: freue dich dessen, denn in der Welt muß Macht
  und Ansehen sein, und dem Diener des Königs, wie dem Könige selbst,
  gebührt Ehrfurcht, so lange Beide vor Gott wandeln, und nicht aus den
  Gränzen ihres Rechts treten; widrigenfalls sie natürlich und leider
  den ursprünglichen Rechten ihrer Untergebenen verfallen müssen. --
  Das ist nicht von dir zu fürchten. Du bist gottgefällig, ein milder
  Herr. Woher also der Unfriede, der dich quält? Das Gefühl, so man
  Liebe zum Weibe nennt, ist freilich ein blindes, wie es auch bereits
  die Poeten und Bildner des Alterthums in Figuren und Gedichten
  dargestellt haben; aber dein Alter, guter James, sollte schon ein
  hellsehendes sein. Wohl gethan ist's zu freien, sagt ein heiliger
  Mann, aber besser, es zu lassen. _Zwecklose_ Liebe ist jedesmal sogar
  verwerflich.

  Danke dem Himmel, daß er dich von der Protestantin riß: sie
  hätte deine Seele verderbt; danke ihm, daß er die Indianerin
  dir nahm, denn sie verehrt den Heiland und die Mutter wie eine
  Götzendienerin, und kennet den ewigen Vater nicht. Ich kann auch
  nicht glauben, daß in der That dein Herz noch bluten sollte, ob
  dieser eingebildeten Wunden. Du bist zu vernünftig dazu, und es
  möchte nur ein Selbstbetrug sein, der dich mit Kummer beschwert.
  Ich halte dafür, daß diese Bekümmerniß eine Buße sei, die dir der
  gnädige Vater auferlegte, weil du nicht gethan nach seinem Befehl
  und deinem Versprechen. Du fühltest dich freilich nicht geschickt,
  in unsere Gesellschaft zu treten; ich selbst -- bereuend gestehe
  ich's -- redete dir zu einer Zeit das Wort, da ich in deinen Glauben
  mich verwickelt hatte, und vor deinem Widerwillen schauderte. Ich
  armer einfältiger Mensch! Dem gereizten Herzen eines Jünglings ohne
  Ziel vertraute ich, -- nichttrauend der Macht und der Gnade unsers
  Erlösers, der auch das widerspenstigste -- ja, das unwürdigste der
  Gefäße zu heiligen vermag. Gedenke Sauls, der ein Held des Glaubens
  wurde, nachdem er dessen Feind gewesen. Darum hat der Herr Plage
  über dich gesendet, die nur eine aufrichtige Reue haben kann, und
  die Lossprechung vom Gelübde, die dir, um der Buße willen, nicht
  der General unsers Ordens, nicht der heilige Vater zu Rom versagen
  werden. Gehe darüber mit dir zu Rathe, und meide den Stand der Ehe,
  damit du wenigstens in diesem Punkte dem Herrn geweiht bleibest.
  Du wirst dann den Frieden gewinnen. -- Deine Leiden führen mich
  von selbst auf das bewundernswerthe Schicksal, das Uns Alle
  betroffen hat; auf die unerforschlichen Wege der Vorsehung. Auch
  der Leichtsinn der Lainez hat seinen Lohn gefunden, aber -- wie aus
  allen Züchtigungen des Himmels das Heil erwächst, so wird auch _sie_
  in ihrer gottseligen Schwesterschaft daran nicht immer verzweifeln
  dürfen. -- _Meine_ Seele endlich hat ausgelitten durch die Gnade
  des Höchsten und die Bemühungen eines würdigen Mitbruders, der mein
  Beichtvater geworden ist. Irrthum und Zweifel waren meine Verbrechen,
  und die Ursachen meiner Schmerzen. -- Sieh, lieber James! Ich war
  ein lenksamer, gehorchender Mann bis zu der Stunde, da mich Gott
  und meiner würdigen Obern Wille zu einer Sendung berief, der meine
  Kräfte nicht gewachsen sein konnten, da ich vom Pfade abirrte. Ich
  bin nie gehässig gewesen: ich habe nie den Neid empfunden, nie eine
  Verfolgung angestiftet. Ein reines Wohlwollen für alle Menschen
  beseelte mich. Ich war -- ein Fünfziger -- noch ein gutmüthiges Kind,
  aber ein schwaches. Der Schwester letzte Bitte zu erfüllen, nahm
  ich's über mich, den Senator und seine Tochter selig zu machen. Sie
  verdienten's, diese Menschen: aber mein Uebermuth hat sie und mich
  verdorben. Was ich an ihnen zu thun begann, wagte ich für mich, zu
  meiner eigenen Zufriedenheit zu thun, und dieses war mein Vergehen
  gegen die Pflicht, nur für den Zweck des Allgemeinen zu arbeiten,
  nur im Sinne und zum Vortheil des Ganzen, der heil. Gesellschaft,
  der ich angehöre, zu wirken. Daher alle folgende Uebel, mit denen
  uns der Herr heimsuchte, zu dessen größerer Ehre allein wir handeln
  sollen, -- den ich aber vergaß, um eigener Schöpfung Behagen zu
  finden. So wie ich thätig für mich selbst wurde, trat ich aus des
  Ordens Schranken, und mußte dann, wie ein aus seiner Bahn geworfener
  Stern, meinem Schicksale folgen. -- Das ist mir erst seit einigen
  Jahren klar geworden, da mein Irrthum geschwunden war, der in Europa
  schon begonnen, der sich in der neuen Welt ausgewachsen. Ach,
  jene neue Welt war auf dem Punkte, mich gänzlich von der Mutter
  loszureißen. Jenem gefährlichen Boden entkeimt auch Gefahr für eine
  schwache Seele! Man glaubt, dort mit hellen Augen zu sehen, wie Gott
  die herrlichsten Gaben der Natur an Christen und Heiden spendet,
  gleichsam ohne Unterschied; wie der blindeste Götzendiener ruhig
  stirbt, wie nur der frömmste Diener des Herrn. Man geräth leicht
  in Versuchung, zu glauben, diese Unchristen möchten selig werden,
  wie wir: man möchte zweifeln an dem, was die Satzungen der Kirche
  sagen. Aber, -- indem man zweifelt, reißt uns schon der Strudel
  der Verderbniß mit fort, und, hätte mich nicht das Pflichtgefühl
  erhalten, auch ich wäre untergegangen.

  Von dem Senator fürchte ich dieses, und wünsche, du könntest mir
  das Gegentheil berichten. Denke dir, wie schmerzlich es für mich
  sein müßte, den Mann, um dessen Seligkeit ich fast die meinige
  geopfert hätte, wieder versinken zu sehen! Und dennoch kann ich
  nichts Anderes hoffen! Ich, das Werkzeug, wollte sein selbstständiger
  Retter sein, und nur zu wahrscheinlich ist's, daß eben darum mein
  wichtiges Werk in Staub zerfallen muß. Justine -- das vielleicht
  berufene und erwählt gewesene Mädchen -- scheint verloren. -- Ihr
  Starrsinn hätte sich vielleicht unter die Gesetze der mildesten
  Kirche gebeugt; aber -- verbunden mit dem Amerikaner Birsher, der
  -- ein klares, aber kaltes Gestirn, -- seine Bahn zieht, giebt sie
  keine Hoffnung mehr! -- Wer weiß indessen, was die Zukunft verbirgt?
  Der Herr hat Justine, den Senator und Herrn Birsher großen Prüfungen
  unterworfen. Sie haben in Wildnissen die Entbehrung und Genügsamkeit
  kennen gelernt; -- sie haben unter wüthenden Heiden die Nichtigkeit
  des Lebens eingesehen; -- sie haben Fassung und Geduld geübt; sie
  konnten bemerken, welchen Segen in barbarischen Regionen unsere
  ehrwürdige Kirche durch ihre ehrwürdigste Gesellschaft verbreitet.
  Ihrer heiligen Schutzengel Schuld ist's nicht, wenn dieser gute
  Saame nicht in der Folge gute Früchte trägt. Manchmal, lieber James,
  ist mir zu Muthe, als müßte ich über's Meer hinfliegen, wo sie, die
  Leute, die ich immer noch liebe, wohnen; als müßte ich, von der
  feurigen Apostelzunge entflammt, zu ihnen reden, sie überzeugen...!
  aber -- Gott will es nicht, meinem früherem Uebermuthe zur gerechten
  Strafe. Ich beuge mich daher seinem Willen, und würde, wäre ich
  selbst ein kleiner Vogel, nicht durch die Stäbe meiner Fenster
  entfliehen! -- Ach, James, ich sehe jetzt erst, daß ich schrieb, was
  ich dir verheimlichen wollte, und was ich -- vielleicht um in deinem
  Mitleiden zu schwelgen -- nicht mehr ausstreichen mag. So wisse es
  denn: Sie haben mich gefangen gesetzt, und werden mich freilassen,
  wenn einmal der Provinzial es gut heißt. Sie haben mir bewiesen, daß
  _ich_ die geheime Gemeinde und den Orden bloß gegeben; daß _ich_
  jenes Unternehmen zerstört, daß _ich_ dich der Gesellschaft abwendig
  gemacht, daß ich pflichtwidrigen Gedanken und Worten Raum gegeben,
  daß ich dieselben verbreitet. -- Ich mußte endlich Alles zugeben,
  und danke von Herzen meinen Vätern und Brüdern die milde christliche
  Strafe; sie konnten dem alten Sünder das Kleid nehmen, und haben's
  nicht gethan, sie konnten mich verstoßen, oder in einen feuchten
  Kerker, dunkel und schaurig, sperren, und sie haben mich behalten;
  ich sitze in einer warmen Zelle; leibliche Speise bringt mir der gute
  Litzach, der -- Wittwer und kinderlos geworden -- unser Pförtner
  ist. -- Geistlichen Trost bereitet mir mein ehrwürdiger Beichtvater.
  Ich sehe freilich sonst keinen Menschen, aber dafür meinen innern;
  ich höre kaum etwas von der Welt, -- aber -- ist's denn auch der
  Mühe werth? Während im Reiche Polen und Sachsen und Frankreich Krieg
  brennt, wohne ich im stillsten Frieden, lese die Bücher geistlicher
  Autoren, die Lebensbeschreibungen der heiligen Märtyrer und unsrer
  Ordenslichter, -- und denke zuweilen über die Seele hinaus -- an dich
  und an Müssinger -- dann an meine guten Eltern und die arme Clara
  über den Sternen, -- und endlich an die Zeit, da ich sie Alle dort
  oben wiederfinden werde. Wenn ich meinen Beinen glaube, die -- der
  gewohnten Bewegung ermangelnd -- mir dann und wann den nöthigsten
  Dienst versagen, so dürfte bald die Hülle fallen; _noch_ schlägt
  jedoch das Herz gesund, und der Geist brennt hell genug, dein Bild
  vor meine trübern Augen zu bringen. Der Brief, den du mir durch den
  Kaufmann gesendet, hat, vermittelst des guten Litzachs, den Weg in
  meine Klausur gefunden; in's Geheim; denn dazumal lebte der alte
  Superior noch, der mich zu meinem Heil unter der strengsten Aufsicht
  hielt. Dieser Brief war mein Labsal, meine tägliche Erquickung am
  Morgen und am Abend. Du bist ja der einzige Mensch, der mich liebend
  mit der Außenwelt, -- ach -- mit der fernsten -- zusammenhält!
  Empfange daher auch liebend diese Zeilen, die mir, zu schreiben, der
  neue Superior, -- ein stiller Mann von vielem Kummer und Leiden, --
  erlaubt, und zu befördern versprochen hat. Vielleicht ist dieser
  Brief, an dem meine zitternde Hand schon eine Woche schreibt, --
  mein letzter Pulsschlag an dich; verzeihe also dem alten Vater die
  weitschweifige Länge. Wenn ich jedoch noch tausend Worte hinzusetzen
  wollte -- sie würden alle heißen: Sei glücklich! ich liebe dich! ich
  bete für dich!«

                                                          _»Xaver.«_

       *       *       *       *       *

Dieses Schreiben eines nicht minder geliebten, einem grausamen Loos
verfallenen Mannes, der mit kindlicher Unbefangenheit und Hingebung
dieses Loos duldete, es sogar, in blinder Pflicht versinkend, gerecht
nannte, erschütterte im tiefsten Gefühle den Empfänger. Sich den
Fesseln des Dienstes entreißend und den reinsten Sohnespflichten
Gehör gebend, verließ James Brasilien, kam nach Lissabon, ging mit
Empfehlungen des Patriarchen versehen, nach Rom, erbettelte vom
Jesuitengeneral und vom Pabste des Pflegevaters Freisprechung, --
brachte sie nach dem Profeßhause, wo der Unglückliche schmachtete. Er
hatte schon ausgelitten: Er hatte sich, müde, und getröstet im Glauben,
-- in die Erde gelegt. James fand ein Vermächtniß vor, das ihm gehörte:
das in den letzten Jahren viel durchlesene Brevier des Verstorbenen.
Für den Senator hatte Xaver das wohlgetroffene Bild der verewigten
Clara, das bisher an seinem Bette gehangen, bestimmt.

Dieses Bild gelangte -- eine Aussaat von vielen Thränen -- in die
rechten Hände. -- Den Namen des Baronets und Obristlieutenants James
White fand man später auf der Liste der in der Schlacht bei Culloden
für den Prätendenten gefallenen Offiziere.

                              _(Ende.)_




Fußnoten.

[1] Des Straußvogels Name in abiponischer Mundart.

[2] Johannisbrodbaum in Paraguay.

[3] Tiger.

[4] Heuschrecken. (Abiponische Mundart.)

[5] Eine zahme Leitstute, die eine Schelle am Halse trägt. Die Pferde
folgen diesem Klang.

[6] Balichu: der Teufel, das böse Prinzip.

[7] Darunter wird das Siebengestirn verstanden, das eine Zeit hindurch
nicht am Himmel Südamerikas gesehen wird. Die Abiponer nennen die
Sterne ihre Vorfahren.

[8] Spottname der Spanier, oder im Allgemeinen der Europäer, um ihrer
Augenbraunen willen erfunden.

[9] Die Abiponer behandeln in der Regel ihre Gefangenen menschlich.




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    | Anmerkungen zur Transkription:                               |
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    | Cabinett, gibt - giebt, Plane - Pläne, Alcade - Alcalde)     |
    | wurden beibehalten, sofern sie beide um 1855 gebräuchlich    |
    | waren.                                                       |
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    | S. 4, "eintr" durch "einer" ersetzt                          |
    | S. 9-11, "Jakobine" durch "Jacobine" ersetzt                 |
    | S. 15, "ihnen" durch "Ihnen" ersetzt                         |
    | S. 17, "lungernten" durch "lungerten" ersetzt                |
    | S. 18, "Ballustrade" durch "Balustrade" ersetzt              |
    | S. 18, "Dir Senator" durch "Der Senator" ersetzt             |
    | S. 18, "Wer sind die" durch "Wir sind die" ersetzt           |
    | S. 20, "her Gefahr" durch "der Gefahr" ersetzt               |
    | S. 20, "ihrer" durch "Ihrer" ersetzt                         |
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    | S. 26, "Wagen" durch "Wangen" ersetzt                        |
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    | S. 44, "pickende" durch "tickende" ersetzt                   |
    | S. 46, "Hiemit" durch "Hiermit" ersetzt                      |
    | S. 52, "ein" durch "eine" ersetzt                            |
    | S. 55, doppeltes "und" entfernt                              |
    | S. 69, "glaubige" durch "gläubige" ersetzt                   |
    | S. 73, "Widersehens" durch "Wiedersehens" ersetzt            |
    | S. 74, "floßen" durch "flossen" ersetzt                      |
    | S. 75, "Wiede finden" durch "Wiederfinden" ersetzt           |
    | S. 76, "Jakobinens" durch "Jacobinens" ersetzt               |
    | S. 77, "peofitirt" durch "profitirt" ersetzt                 |
    | S. 86, "Stappel" durch "Stapel" ersetzt                      |
    | S. 90, "an- aufnehmen" durch "an- und aufnehmen" ersetzt     |
    |         (wie in anderen Ausgaben des Buches)                 |
    | S. 94, "begleitete" durch "begleiteten" ersetzt              |
    | S. 95, "Uns" durch "uns" ersetzt                             |
    | S. 115, 116, 121 "erwiederte" durch "erwiderte" ersetzt      |
    | S. 122, "ihr" durch "Ihr" ersetzt                            |
    | S. 128, "Visittenrobe" durch "Visitenrobe" ersetzt           |
    | S. 133, "Rathause" durch "Rathhause" ersetzt                 |
    | S. 134, "das" durch "daß" ersetzt                            |
    | S. 142, "laure" durch "laufe" ersetzt                        |
    | S. 144, "niederauschen" durch "niederrauschen" ersetzt       |
    | S. 144, "Sentorstimme" durch "Stentorstimme" ersetzt         |
    | S. 159, "verwies ihm" durch "verwies ihn" ersetzt            |
    | S. 168, "Trapir" durch "Tapir" ersetzt                       |
    | S. 174, "Widerspendige" durch "Widerspenstige" ersetzt       |
    | S. 178, "Asumcion" durch "Assumcion" ersetzt                 |
    | S. 179, "Mitbruder" durch "Mitbrüder" ersetzt                |
    | S. 179, "sturzen" durch "stürzen" ersetzt                    |
    | S. 180, "Förne" durch "Ferne" ersetzt                        |
    | S. 180, "versenkten" durch "versengten" ersetzt              |
    | S. 185, "viel" durch "viele" ersetzt                         |
    | S. 185, "gefesset" durch "gefesselt" ersetzt                 |
    | S. 191, "Ihnen" durch "Ihren" ersetzt                        |
    | S. 192, "Worten" durch "Worte" ersetzt                       |
    | S. 199, "Wächten" durch "Wächtern" ersetzt                   |
    | S. 200, "Umd" durch "Und" ersetzt                            |
    | S. 202, "Franziska" durch "Franzisko" ersetzt                |
    | S. 203, "des Höhen" durch "der Höhen" ersetzt                |
    | S. 203, "des Wanderes" durch "des Wanderers" ersetzt         |
    | S. 207, "rieß" durch "riß" ersetzt                           |
    | S. 208, "den Häuser" durch "den Häusern" ersetzt             |
    | S. 215, "grüßern" durch "größern" ersetzt                    |
    | S. 220, "Herzens" durch "Herzen" ersetzt                     |
    |                                                              |
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1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
posted with the permission of the copyright holder found at the
beginning of this work.

1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
any word processing or hypertext form. However, if you provide access
to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works
provided that

* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
  the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
  you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
  to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
  agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
  within 60 days following each date on which you prepare (or are
  legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
  payments should be clearly marked as such and sent to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
  Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
  Literary Archive Foundation."

* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
  you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
  does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
  License. You must require such a user to return or destroy all
  copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
  all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
  works.

* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
  any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
  electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
  receipt of the work.

* You comply with all other terms of this agreement for free
  distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than
are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The
Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm
trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
electronic works, and the medium on which they may be stored, may
contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
cannot be read by your equipment.

1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from. If you
received the work on a physical medium, you must return the medium
with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.


Updated editions will replace the previous one--the old editions
will be renamed.

Creating the works from public domain print editions means that no
one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
(and you!) can copy and distribute it in the United States without
permission and without paying copyright royalties.  Special rules,
set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark.  Project
Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
charge for the eBooks, unless you receive specific permission.  If you
do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
rules is very easy.  You may use this eBook for nearly any purpose
such as creation of derivative works, reports, performances and
research.  They may be modified and printed and given away--you may do
practically ANYTHING with public domain eBooks.  Redistribution is
subject to the trademark license, especially commercial
redistribution.



*** START: FULL LICENSE ***

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
Gutenberg-tm License (available with this file or online at
http://gutenberg.org/license).


Section 1.  General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
electronic works

1.A.  By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement.  If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B.  "Project Gutenberg" is a registered trademark.  It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement.  There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement.  See
paragraph 1.C below.  There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
works.  See paragraph 1.E below.

1.C.  The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
Gutenberg-tm electronic works.  Nearly all the individual works in the
collection are in the public domain in the United States.  If an
individual work is in the public domain in the United States and you are
located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
are removed.  Of course, we hope that you will support the Project
Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
the work.  You can easily comply with the terms of this agreement by
keeping this work in the same format with its attached full Project
Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.

1.D.  The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work.  Copyright laws in most countries are in
a constant state of change.  If you are outside the United States, check
the laws of your country in addition to the terms of this agreement
before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
creating derivative works based on this work or any other Project
Gutenberg-tm work.  The Foundation makes no representations concerning
the copyright status of any work in any country outside the United
States.

1.E.  Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1.  The following sentence, with active links to, or other immediate
access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org/license

1.E.2.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
and distributed to anyone in the United States without paying any fees
or charges.  If you are redistributing or providing access to a work
with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
1.E.9.

1.E.3.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
terms imposed by the copyright holder.  Additional terms will be linked
to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
permission of the copyright holder found at the beginning of this work.

1.E.4.  Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5.  Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6.  You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
word processing or hypertext form.  However, if you provide access to or
distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
form.  Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7.  Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8.  You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
     the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
     address specified in Section 4, "Information about donations to
     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
your equipment.

1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit: http://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


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including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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