Die Heiligen der Merowinger

By Carl Albrecht Bernoulli

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Title: Die Heiligen der Merowinger

Author: Carl Albrecht Bernoulli

Release date: April 27, 2025 [eBook #75971]

Language: German

Original publication: Tübingen: J.C.B. Mohr, 1900

Credits: Peter Becker, Alpo Tiilikka and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive)


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE HEILIGEN DER MEROWINGER ***





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Die Heiligen der Merowinger.




Die

Heiligen der Merowinger

von

Carl Albrecht Bernoulli.

[Illustration]


~Tübingen~

=Freiburg i. B.= und =Leipzig=

Verlag von J. C. B. ~Mohr~ (Paul Siebeck)

1900.




Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen behält sich die
Verlagsbuchhandlung vor.


Druck von H. ~Laupp~ jr in Tübingen.




Bernhard Duhm.




Vorrede.


Man mag in diesem Buche einen Versuch erblicken, das Tagesproblem
der Geschichtswissenschaft für die Kirchengeschichte wenigstens
zu formulieren. Wenn wirklich auch hier nicht die großen Männer,
sondern Hunger und Durst der Armen, nicht die geläuterte Erkenntnis
von Führern, sondern das gährende Bedürfnis der Massen den Verlauf
der Ereignisse bestimmt hätte, was immerhin einmal angenommen
werden kann, so wäre die dogmengeschichtliche Methode, unter deren
Zeichen die kirchenhistorische Forschung noch immer steht, in ihrer
wissenschaftlichen Berechtigung grundsätzlich in Frage gestellt. Auf
alle Fälle kann also ein Studium des Volksglaubens innerhalb des
Kirchenglaubens kein müßiges Unternehmen sein, und wenn der Arbeit
die gewünschte prinzipielle Bedeutung nicht abhanden kommen sollte,
so galt es, an einem Punkte einzusetzen, wo die Religion der Masse
sozusagen als Reinkultur vorlag und von einer eigentlichen Theologie
nicht überschattet wird. Damit war aber auch das Arbeitsfeld gegeben,
denn die fränkische Kirche im Zeitalter der Merowinger ist der
einzige rein undogmatische Bestandteil der gesamten abendländischen
Kirche seit ihrer Entstehung bis auf den heutigen Tag. Die Lehrbücher
der Dogmengeschichte lassen sie bei Seite, mit Recht, weil von
Dogmenbildung in ihr keine Spur vorhanden ist. Und doch mit Unrecht,
weil bei dem Anspruch, das gesamte Geistesleben der Kirche in den
Bereich dogmengeschichtlicher Betrachtung zu ziehen, doch auch des
christlicherseits bereits zubereiteten Bodens gedacht werden sollte,
auf dem dann seit dem karolingischen Zeitalter griechische und
römische Kirchenphilosophie und im Hochmittelalter sogar arabische
Kultureinflüsse ihre Früchte gezeitigt haben.

Von Anbeginn an machten sich im Christentum die Heiligen als
abgeschlossener Stand geltend. Es handelt sich darum, der Stellung
und dem Einfluß dieses Standes Aufmerksamkeit zu schenken. Und
dieses Studium ließe sich an gar keinem Gegenstande günstiger
betreiben, als an dem unsern, insofern die gigantische Gestalt
eines Nationalheiligen alle Hauptmomente der Entwickelung zu einem
monumentalen Typus in sich begreift, zugleich aber die Befangenheit
eines solchen einzigen Beispiels durch die Mitwirkung von zahlreichen
kleineren Heiligenoriginalen ausgeglichen wird, und dies nun über
einem universalgeschichtlichen Hintergrunde, der die verschiedensten
völkerpsychologischen Verknüpfungen und Kreuzungen liefert. Der
Bildungsprozeß des Heiligenglaubens durchläuft dann folgende Stadien:
ein bedeutender Volksheiliger wirkt zunächst auf einen kleinen Kreis
von ihm begeisterter Anhänger. Unter diesen findet sich auch ein
Schriftsteller, dem es gelingt, ein parteiisches aber lebensvolles
Bild des Meisters für die Nachwelt zu entwerfen. Nach Jahr und Tag,
aber auch dann nur in einem selten günstigen Falle, können durch
nachträgliche Forschung die Einseitigkeiten zum Teil noch gemildert
werden. Rasch genug geht das geschichtliche Andenken in Legende über,
und diese kann dann sogar sich mit Gebilden des höheren Mythus,
des Naturmythus, verbinden. Doch geschieht dies alles nur einigen
Auserwählten. Fast allen Heiligen gemeinsam ist jedoch das Andenken,
das nicht an ihre Erdentage, sondern an den Kultus auf ihrem Grabe
anknüpft. Das über dem Heiligengrab errichtete Gotteshaus führt den
Namen des Heiligen, und nicht nur dieses, sondern auch noch manches
andere nah und fern, je nach Verbreitung und Nachfrage. Die dem
Heiligennamen eigene Kraft beruht jedoch auf dem handgreiflichen
Unterpfand, dem Heiligenleib, und ist im Stande, von ihm aus nicht
nur das Grab und den Kirchenraum zu wunderthätigen Orten umzuwandeln,
sondern sich unvermindert auf jeden profanen Gegenstand zu übertragen
und, auf diese Weise sich ausbreitend, das ganze Volkswesen zu
durchwalten. Wo sich der Mensch mit seiner Kunst zu Ende sieht, ist
der Heilige anwesend und bekämpft nicht nur alle die widrigen kleinen
Alltagsteufel des niederen Mythus, des Traummythus, sondern ist auch
für die Kranken der beste Arzt. Nur durch ganz lose Zusammenhänge im
orthodoxen Kirchenglauben eingenistet, bewährte sich der fränkische
Heiligenglaube als Volksreligion hauptsächlich darum, weil er
durch den im römischen Geiste weiter lebenden gallischen Klerus in
bewundernswürdiger Weise organisiert, den frommen Bedürfnissen der
Bürger und Bauern besser Rechnung trug, als das germanische oder
keltisch-römische Heidentum. Auf diese Hauptlinien der Entwicklung
zurückgeführt, wird die Figur des Heiligen, die für das Verständnis
der merowingischen Kultur sehr ins Gewicht fällt, in den Bereich
geschichtlicher Messung gezogen. Wenigstens geht das Buch darauf aus,
dieser Aufgabe gerecht zu werden, und die äußere Verteilung des Stoffes
entspricht ungefähr dem soeben in Kürze entworfenen Geschichtsbilde
(vgl. S. _XIII–XVI_).

Nun hat sich aber leider in der realen Zubereitung des Stoffes das
Ebenmaß des idealen Planes nur ungenügend verwirklichen lassen. Sofern
diese Mängel in der Sache selbst begründet liegen, müssen sie hier
näher erörtert werden. Nach der verschiedenen Art der Bearbeitung, die
er erforderte, zerfiel der Stoff in drei Massen.

1. Kap. 1–5 (S. 1–121) sind ein monographischer Beitrag zur
spätrömischen Litteraturgeschichte; sie schildern die Entstehung
eines spezifisch christlichen Produkts des lateinischen Schrifttums
und dessen Uebergang in die Anfänge der Memorienlitteratur auf
altfranzösischem Boden. Die scharfe Begriffsbildung drohte hier an
dem Eigensinn unserer Sprache zu scheitern; denn es wollte sich kein
Ausdruck finden, der den litterarischen Niederschlag eines starken
persönlichen Andenkens in der Einzahl wiedergab; das Pluraletantum
»Memoiren« unterschied nicht zwischen dem einzelnen Heiligenleben und
einer Sammlung von solchen, und die deutsche Form von _Le Mémoire_
»das Memoir« heißt eben »Denkschrift«, wäre also ganz abgesehen von
dem fremden Klang auch inhaltlich eine nur unzureichende Wiedergabe
gewesen. Das führte schließlich auf »Memorie«. Das Wort war wie
Historie und ähnliche zu Luthers Zeit deutsches Sprachgut, verschwand
dann aber und hat überdies nie den übertragenen Sinn von litterarischem
Gedächtnis besessen. Wenn es hier nun in dieser Bedeutung auflebt, so
heißt das allerdings aus der Not eine Tugend machen; aber es gilt die
Wahl zwischen einer erheblichen Einbuße an klarer Gedankenbildung und
einer geringfügigen Verschiebung unseres sprachlichen Empfindens. Diese
neue Prägung wird übrigens bei Bedarf auch des näheren zu unterscheiden
erlauben zwischen »Memoiren« im üblichen Sinne zwangloser Erinnerungen
und »Memorien« als einer Mehrzahl kleiner Lebensbilder von liebender
Hand, die gerade durch die ihnen eigene Pietät den rudimentären
Charakter von »Noch-nicht-Biographien« aufgedrückt erhalten.

2. Kap. 6–9 (S. 121–209) betreffen Gebiete, wo die kritische Sichtung
des Quellenmaterials noch keineswegs abgeschlossen ist. Hier galt es
aus der Unmasse des Rohstoffs das typische Wertvolle auszuwählen,
und dabei mußte natürlich das eigene Urteil hinter dem Vertrauen zu
sachkundigen Führern zurücktreten, sodaß es sich in diesem Abschnitt
meistens um eine Zusammenstellung von Auszügen aus alleinstehenden
Monographien handelt. Nur um das Detail den allgemeinen Gesichtspunkten
einzugliedern, habe ich mich hier selber vernehmen lassen; im übrigen
glaubte ich es sogar der Sache schuldig zu sein, da wo die Bearbeitung
des Stoffes bereits auf den besten Ausdruck gebracht war, die wörtliche
Wiedergabe der Vorarbeit nicht zu scheuen.

3. Kap. 10–18 (S. 210–336) sind der Hauptsache nach eine systematische
Analyse des religionsgeschichtlichen Materials, das in den kleinen
Schriften des fränkischen Geschichtsschreibers Gregor von Tours
angesammelt liegt. Eine gute Fügung hat diesen Ersten in der langen
Reihe der französischen Memoirenschriftsteller zum Hüter des
merowingischen Reichsheiligtums und teilnehmenden Augenzeugen der
fränkischen Religionsübung eingesetzt. Ohne die enge Verbindung mit dem
frischen Treiben eines jungen Volkes wäre eine eingehende Behandlung
so spröder und uns heute so fern liegender und gleichgültiger, ja
geradezu anstößiger Vorstellungen schlechthin ungenießbar. Indem ich
zur Schilderung eine Anekdote an die andere reihte, war ich daher vor
allem darauf bedacht, dem naiven Detail von Gregors Berichten sowenig
als möglich Eintrag zu thun.

Diesen Schwierigkeiten, die der Stoff selber mit sich brachte und die
daher entschuldbar sind, könnte ich nun besser, als jeder Kritiker,
eine ganze Liste von Fehlern und Mängeln beifügen, die ausschließlich
nur dem Verfasser zur Last fallen. Ich mußte den mir noch vor zwei
Jahren völlig fremden Stoff, an den ich eben aus den zu Anfang
dargelegten prinzipiellen Beweggründen herantrat, Umstände halber in
möglichst kurzer Frist zur Darstellung bringen, und auch sonst fehlte
es nicht an allerlei Zwischenfällen, unter denen der Verlust eines
Notizbuches besonders empfindlich war. Ich selber kann in dem Buche nur
einen Entwurf sehen. Sollte jedoch der Arbeit trotzdem ein namhaftes
Interesse entgegengebracht werden, das veranlassen könnte, diese
Studien weiter zu führen, so wäre ich durchaus gesonnen, das mir lieb
gewordene Feld ein zweites Mal durchzuackern und den Ertrag dann nach
empfangener Belehrung gesichtet und geebnet, sowie mit Verweisen und
Registern versehen vorzulegen.

Ein rundes Kirchenbild von der merowingischen Epoche wird niemand
in diesen Blättern finden wollen, der ~Albert Hauck~’s Schilderung
der fränkischen Landeskirche kennt. Dennoch wird das Recht eines
religionspsychologischen Nachtrags dazu im Prinzip kaum anzufechten
sein. Dann handelt es sich allerdings um nichts geringeres, als die in
England erwachte und seitdem auf das semitische wie auf das griechische
Altertum in bahnbrechender Weise angewandte Forschungsmethode der
allgemeinen Religionsgeschichte nun auch auf das beginnende Mittelalter
und damit auf die Kirchengeschichte zu übertragen. In der Hauptsache
ist das gleichbedeutend mit einer Analyse des volkstümlichen
Wunderglaubens vom historischen Standpunkte aus.

Nicht gewillt den Kosmos des Mirakels mit dem Tatzenschlag
einer modernen Anschauung kurzer Hand zu zertrümmern, wird der
Geschichtsfreund sich gerne ein wenig bücken und winden und
gelegentlich den Kopf anschlagen, wie über dem Besuch einer
unterirdischen Höhle bei Fackelschein, wenn er dann nur der fabelhaften
Gebilde ansichtig wird und die mythischen Wasser in den kristallenen
Grotten rauschen hört. Allerdings ist durch neueste Forschungen auf
dem Gebiete des Seelenlebens nun auch schon wieder manches meßbar
geworden, mit dem die Wissenschaft früher nichts anzufangen wußte.
(Vergl. S. 3–6.) Aber die behäbige Wundererklärung von annodazumal
unter dem allerhöchsten Protektorat des gesunden Menschenverstandes,
wird sich hoffentlich im Bereiche geschichtlicher Forschung immer
weniger zu Hause fühlen. Mag sich dagegen aus dem Bewußtsein unserer
stets wachsenden Aufklärung das Vorrecht mehr und mehr herausheben,
selbst nutzlos gewordenes Geistesgut unserer Altvordern doch noch zu
verstehen und in Ehren zu halten, auch ein Zeichen dafür, daß wir nun
eben um hundert Jahre weiter sind.




  Inhaltsverzeichnis.

                                                                  Seite
  Heiligenleben und Heiligengrab                                     1

  Erstes Buch: Das Heiligenleben.

  Die Unmöglichkeit einer Biographie. Die Schwierigkeiten
  psychologischer Beobachtung                                      2–6

  Erster Abschnitt: Die Memorie.

  Erstes Kapitel: Die Martinsschriften des Sulpizius Severus.

  1. Das Martinsleben des Sulpizius Severus.
  2. Der Erfolg des Martinslebens.
     Die drei Briefe. Allgemeiner Charakter der Dialogen.
  3. Inhalt der Dialogen.
  4. Die Martinsschriften des Sulpizius Severus in ihren Schwächen.
  5. Zur Charakteristik des heiligen Martin.
     Sankt Martin der Standardheilige der Merowinger               6–35

  Zweites Kapitel: Die Panegyriker.

  1. Gallische Ehrenpredigten.
  2. Ennodius von Pavia. Das Epiphaniusleben des Ennodius        35–46

  Drittes Kapitel: Severinus von Noricum. Fulgentius von Ruspe.
  Cäsarius von Arles.

  1. Das Severinsleben des Eugipius. Zur Charakteristik Severins.
     Eugipius als Schriftsteller. Das litterarische Milieu des
     Eugipius in Rom.
  2. Das Leben des Fulgentius von Ruspe.
  3. Das Leben des   Cäsarius von Arles.
    — Die römische Hagiographie. Rufin. Gregor der Große         46–73

  Zweiter Abschnitt: Die Forschung.

  Alte merowingische Viten und Passionen                         73–75

  Viertes Kapitel: Die panegyrische Heiligenforschung
  des Venantius Fortunatus.

  1. Martinsepen des Paulin von Périgueux und des Fortunat.
     Die sechs Heiligenleben des Fortunat.
  2. Das Radegundenleben des Fortunat.
     Die heilige Radegunde. Das Radegundenleben der Baudonivia   75–87

  Fünftes Kapitel: Die Heiligengelehrsamkeit des Gregor von Tours.

  1. Martins-Chronologie Gregors. Gregors Schriften und ihr
     Heiligencharakter. Das sepulkrale und das memoriale Interesse.
  2. Gregors Heiligenleben. Venantius. Lupizinus und Romanus. Abraham.
     Lupizin II. Portian. Martius. Patroklus. Urs und Leubas.
     Monegunde. Caluppan. Emilian und Bärchen. Senoch. Leobard.
     Illidius. Quintian. Gallus. Nicetius von Trier. Nicetius von Lyon.
     Gregor von Langres.
  3. Gregors Charakteristik der älteren Herrscher. Childebert und
     Chlothar. Chlothars Söhne. Chilperich. Sankt Gunthram      88–121

  Sechstes Kapitel: Heiligenleben des siebenten Jahrhunderts.

  Die Hagiographie nach Gregor.

  1. Der Desiderius des Königs Sisebut. Gaugerich von Cambrai.
  2. Columban.
  3. Jonas von Susa. Das   Johannesleben des Jonas. Johannes von
     Reomaus. Das Leben des Vedastes von Arras. Die Hagiographenschule
     von Luxeuil.
  4. Die Heiligenschreiber im Zeitalter der Königin Balthilde.
     Leodegar von Autun. Eligius von Noyon. Audoen von Rouen. Amand.
     Der harmlose Charakter der merowingischen
     Heiligenlitteratur                                        121–149

  Dritter Abschnitt: Die Legende.

  Siebentes Kapitel: Wanderheilige.

  Das Wanderelement im Mythus und in der Heiligenwelt.

  1. Sankt Christoph. Sankt Georg. Georg und Mithra. Georgs Stellung
     in der Religion des Orients. Georg im alten Frankenreiche.
  2. Die Sieben Schläfer. Die Sage vom langen Schlaf. Die Siebenzahl
     und die   Kabiren. Die Siebenschläfer von Marmoutiers.
  3. Sankt Kümmernis und ihre Bilder. Die heidnische Grundlage des
     Kümmernisdienstes                                         151–174

  Achtes Kapitel: Ortsheilige.

  1. Die Gründungssagen fränkischer Bistümer. Dionysius von Paris.
     Fränkische Apostelbischöfe.
  2. Die beiden Moritze. Die Walliser Sage und Theodor von Sitten.
     Der fränkische Moritz.
  3. Zuwachs der thebäischen Legion, Verena. Verena als Gauheilige.
     Die Alamannengöttin Verena                                175–190

  Neuntes Kapitel: Geschichtsheilige.

  1. Das Leben der Genovefa. Genovefa von Paris Fluß- und Kornheilige.
     Genovefa von Brabant. Die heilige Gertrud. Die Walküre   Keretrud
     als deutsche Isis.
  2. Sankt Oswald. Oswald englischer König und tiroler Wetterherr.
     Sankt Oswald ein christlicher Wodan.
  3. Die Stellung der Franken zum Mythus. Der epische Martin der
     Franzosen. Der mythische Martin der Deutschen             191–209

  Zweites Buch: Das Heiligengrab.

  Der fränkische Gräberkultus                                  210–211

  Vierter Abschnitt: Der Name.

  Zehntes Kapitel: Die Grundheiligen.

  Stammgräber elf kirchlicher Provinzen: Der Ersten bis Vierten Lyoner,
  der Ersten und Zweiten Belgischen, der Viennischen, Arelatischen,
  Ersten und Zweiten Aquitanischen und der Narbonensis         212–222

  Elftes Kapitel: Das Reichsheiligtum.

  Das Martinsgrab. Die Martinskirche von Tours. Sankt Julian von
  Brioude. Saint Denis                                         222–227

  Zwölftes Kapitel: Missionen und Translationen.

  1. Die gallischen Martinskirchen.
  2. Die fränkische Martinsmission unter den heidnischen Germanen.
  3. Tauschverkehr einheimischer Heiliger.
  4. Einfuhr fremder Heiliger.
  5. Die fränkische Verehrung der Urheiligen                   227–237

  Fünfter Abschnitt: Die Kraft.

  Dreizehntes Kapitel: Die Reliquie.

  1. Ausländische Reliquien, Memorialreliquien.
  2. Die Reliquie als Kraftbehälter. Die Empfindlichkeit der Reliquie.
  3. Die Reliquie als Persönlichkeit                           237–248

  Vierzehntes Kapitel: Der heilige Ort.

  Heiligkeit ein kultischer Begriff.

  1. Sankt Julian und die Kirchendiebe. Bestrafte Kirchendiebstähle.
  2. Armenpflege und Gefangenenpatronage. Sankt Martin Patron der
     Gefangenen.
  3. Der kirchliche Schutz des Geächteten. Das Asylrecht zu Sankt
     Martin in Tours                                           249–261

  Fünfzehntes Kapitel: Amulet und Fluidum.

  1. Die Reliquie in Laienbesitz. Kraftträger zweiter Ordnung.
  2. Versinnlichung und Verstofflichung der Geisteswelt.
     Profanation der Reliquienverehrung. Moralischer Defekt und
     harmlose Naivität im Reliquienglauben                     261–272

  Sechster Abschnitt: Das Wunder.

  Sechzehntes Kapitel: Die Erscheinung.

  Der niedere Mythus Hauptschauplatz der Heiligenerscheinung.

  1. Julian und Martin zweierlei Wetterheilige. Der Kampf gegen Wind-
     und Wasserwichte. Heilige Quellen.
  2. Das Floramirakel der Baum- und Feldheiligen. Heilige Pflanzen.
  3. Heilige Thiere. Die Stadien der persönlichen Erscheinung des
     Heiligen.
  4. Anwendung physischer Reizung im Kultus: Krystallvision.
     Offizielle und private Glasschauung                       272–287

  Siebenzehntes Kapitel: Die Heilung.

  1. Diagnostische und abergläubische Beobachtung.
  2. Gliederkranke. Blinde. Das mantische Wesen der Geisteskranken.
  3. Das Heilverfahren. Tempelschlaf. Die therapeutische Vision.
  4. Der Glaube als wesentlichste Vorbedingung tatsächlicher Heilung.
     Der kirchliche Nutzen der Kurerfolge                      287–304

  Achtzehntes Kapitel: Der Glaube.

  1. Die sieben Weltwunder und die sieben Himmelswunder. Die
     Wundermacht des orthodoxen Bekenntnisses. Die Wundermacht des
     Christentums gegenüber dem Judentum. Christus als
     Oberwunderthäter.
  2. Beziehungen zum Orient. Abhängigkeit vom römischen Christentum.
     Der römische Geist der Heiligenorganisation. Die Deutung des
     Zufalls und die Traumphantasie. Die Macht und Umsicht in der
     Verwaltung des Wunderglaubens.
  3. Heiligenglaube und Heidentum.
     Der Germanenbekehrer Martin von Bracara. Das Weiterleben der
     gestürzten Götter als Dämonen. Die Einbürgerung des Wunders
     im täglichen Leben. Das typische Wunder als kirchliches Zucht-
     und Beweismittel. Begründete Begeisterung der Franken für das
     Christentum                                               304–334

  Geschichtliche Würdigung des merowingischen Christentums.
  Das Kulturfundament des Mittelalters                         334–336




Die zwei Jahrhunderte merowingischer Geschichte, das sechste und das
siebente, sind, vor andern, dunkel, wild und grausam gewesen. Und
doch hat eben diese Zeit, mehr als sonst eine von diesem Umfange,
den Kalender um Hunderte von Heiligen bereichert. Wohl mochte die
Hegemonie des Lasters eine Steigerung der noch vorhandenen Tugend
hervorrufen, aber eher auf dem finsteren Untergrunde jeder als Heiliger
sich abheben, der nur einigermaßen einen rechten Wandel führte. Obwohl
für damalige Begriffe zum Heiligen mehr gehörte und in den höheren
Rang erst der hinaufrückte, der als Geistlicher zur Welt in Gegensatz
trat, stellen für jene Zeit die Heiligen doch etwa das dar, was man
heutzutage gute Gesellschaft heißt. Viele unter ihnen waren adelig,
einzelne sogar Prinzen. Auch die Merowingischen Könige, so unheilig
sie selbst waren, mit den Heiligen stellten sie sich, wo es nur immer
anging, gut; in ihren Augen waren es Gewaltsmenschen, die nützen und
schaden konnten. Auf alle Fälle waren im jungen Frankenreiche die
Heiligen eine Macht.

An Heilige giebt es jedoch zweierlei Gedächtnis: das Andenken an
den lebenden und das Andenken an den toten. Was sich an Erinnerung
aufsammelte, was sich an Sage damit verband, wurde zum ›Leben‹, zum
›Leiden‹: _Vita_, _Passio_. War der Heilige gestorben, barg die Gebeine
der geweihte Grabhügel, erhob sich über dem Hügel die Votivkirche,
stand überdies der Todestag im Kalender und wurde zum Wallfahrtsfeste,
so wurden die Gelübde, deren Empfänger, die Wunder, deren Urheber der
Heilige dann war, auch litterarisch ›Wunder‹ und ›Kräfte‹: _Miracula_,
_Virtutes_. Klause und Sarkophag sind Brennpunkte, um die sich
Heiligengeschichte elliptisch abspielt. Einsiedler oder Reliquie, vor
beiden sanken Fürst und Volk ins Knie. Der Glaube des Heiligen an Gott
und der Glaube des Laien an den Heiligen verschwisterten sich und
wirkten verbündet.

Die Ueberlieferung von den Heiligen ist fragwürdig. Desto mächtiger
fordert sie untersucht zu werden. Es gilt zunächst die Vorstellungen
der Nachwelt vom Heiligenleben zu betrachten und dann die gläubigen
Handlungen, die dem Heiligengrabe gewidmet waren.




Erstes Buch.

Das Heiligenleben.


Zu einer Heiligenlitteratur kam es im Christentum, als starke Naturen
zur landläufigen Frömmigkeit in einen vorbildlichen Gegensatz traten
und ihre Wirkung das Bedürfnis hervorrief, das Beispiel für künftige
Geschlechter festzuhalten. Den alten Christengemeinden haben die
Märtyrer die meiste Verehrung abgenötigt. Wer nun Christus treu
geblieben war bis zum Tod, wurde nicht nur von den Engeln ins Buch des
Lebens eingezeichnet, er wurde auch der Unsterblichkeit teilhaftig, die
eine schriftliche Fortpflanzung des Andenkens auf Erden verleiht. Die
echten unübermalten Märtyrerakten des zweiten und dritten Jahrhunderts,
mögen es nun übernommene amtliche Prozeßprotokolle der kaiserlichen
Gerichtshöfe oder briefliche Gedenkblätter christlicher Gemeinden sein,
fußen so unmittelbar auf erlebter Wirklichkeit, wie nur irgendwelche
Berichte des Altertums. Mit den Märtyrerakten bilden die apokryphen
Apostelgeschichten zusammen das erste Stadium der Heiligenschreibung.
Die Märtyrer oder die seligen Apostel und ihre Gefährten waren
die Heiligen des Christentums in der ersten Zeit. Mit dem vierten
Jahrhundert verschob sich das. Vom Orient war das Mönchtum eingedrungen
und erweckte ein den Märtyrern ebenbürtiges Interesse. Indessen schrieb
Hieronymus seine Mönchsleben nicht aus eigener Anschauung; in lebhafter
Erfindung verdichtete er, was er aus Aegypten so von ungefähr hatte
läuten hören. Aber auch wer damals auf Grund wirklicher Kenntnisse
heilige Einsiedler schilderte, darf noch lange nicht ihr Biograph
heißen. Die beiden Elemente einer Biographie, psychologische und
chronologische Auffassung des Gegenstandes, sind damals selten zusammen
und immer nur primitiv vorhanden. Naiv empfand der zeitgenössische
Schriftsteller, wenn er sah, und der nachgeborene, wenn er hörte. Sie
erzählen in guten Treuen was sie zu wissen glauben. Der günstigen oder
übeln Fügung blieb es überlassen, ob ihre Berichte glaubwürdig oder
getrübt sind.

Weitaus die ernsteste Ursache der verworrenen Ueberlieferung liegt
jedoch in den Heiligen selbst. Sie waren nicht wie andere Leute,
vielmehr waren es wunderliche, sonderbare, anormale Menschen. Da
reichte schließlich auch die eingehendste Kenntnis ihrer Lebensumstände
bis in alle Einzelheiten zu ihrem Verständnis nicht aus: mochte man
noch so viel von ihnen wissen, sie zu kennen war man auch dann immer
noch weit entfernt. Sie unterschieden sich von den Durchschnittlichen
durch ihr seltsames Seelenleben und durch die Kraft, Wunder zu
thun. Wenigstens zweifelte damals an der Möglichkeit übernatürlichen
Geschehens kein Mensch. Gleichgiltig im Sinne des modernen Unglaubens
verhielt sich Niemand, weil man sich die Welt nicht durch die ihr
innewohnende Mechanik, sondern durch außermenschliche Geister bewegt
dachte. Galten somit die Heiligen Jedermann als die Medien eines
Himmels guter Geister, so konnte man sie wohl hassen und fürchten,
aber über sie blasiert sein kaum. Anders heute, wo der Stand der
Erkenntnis uns nötigt, den Sitz der magischen Kräfte im Menschen
selbst zu suchen[003-1]. Möchten wir nun von den alten Heiligen
möglichst genaue Aufschlüsse haben, Nachrichten, die unser Wissen mit
Sicherheit bereichern, so steht diesem Begehren schon ganz allgemein
die Thatsache entgegen, daß jene überhaupt fast ausschließlich auf
das Gemüt der Zeitgenossen wirkten und die Wißbegier sich höchstens
hinterdrein verstohlen melden durfte. Davon abgesehen sind die
Schwierigkeiten der Beobachtung mystischer Personen und Ereignisse
doch ja nicht zu unterschätzen: sobald es sich nicht um Begebenheiten
des täglichen Lebens handelt, sondern um seltene Phänomene, über die
man nicht Herr ist, um unberechenbare Erscheinungen, die plötzlich,
unerwartet und meistens im Dunkeln auftreten, wird der Forscher
im Laboratorium unsicher, geschweige denn ein unvorbereiteter und
gänzlich ahnungsloser Augenzeuge, dessen Wege zufällig das Wunder
kreuzt; unter dem Einfluß irgend einer Gemütsbewegung ist kein Verlaß
mehr auf unser Wahrnehmungsvermögen. Zu den Beobachtungsfehlern,
die dann entstehen, gesellen sich alsbald die Gedächtnisfehler;
vergeht vor der Niederschrift des Beobachteten gar Jahr und Tag, so
schleichen sich wieder neue Ungenauigkeiten ein: nebensächliches
wird behalten, wichtiges vergessen, der Verlauf der Begebenheit
umgestellt. Planmäßige, methodisch durchgeführte Beobachtung kann nun
allerdings diese Fehler auf ein Minimum einschränken; unterbleibt sie
jedoch, so nehmen sie unablässig überhand. Hiezu kommt, daß ›eine
Beobachtung machen‹ keineswegs auf einem einzelnen, sondern einem aus
verschiedenen seelischen Tätigkeiten zusammengesetzten Vermögen beruht:
verschiedene Reize dringen zu gleicher Zeit auf uns ein, wir richten
unsere Aufmerksamkeit auf einen darunter; er weckt eine Empfindung;
diese ruft ältere Empfindungen ins Bewußtsein zurück; sie verbinden
sich und so entsteht, endlich, die Vorstellung von einem bestimmten
Ding in der Außenwelt. Und doch handelt es sich bei alledem nur erst
um die normalen Erschwerungen unserer Beobachtung. Wie aber, wenn
sich unser Bewußtseinsleben in ganz anderen Formen fortsetzt. Noch
die gewöhnlichste ist während des Schlafens der Traum. Im Schlaf
sind sowohl das Wahrnehmungsvermögen als die Aufmerksamkeit und
dadurch die Kontrolle des Geschauten mit der Umgebung aufgehoben;
infolge dessen erscheinen die Traumbilder, die nach eigenen Gesetzen
kommen und gehen, dem Träumenden als Wirklichkeit, stehen ihm als
wahre Erlebnisse vor Augen, unter Umständen auch nach dem Erwachen
mehr oder weniger lang. Einen Schritt weiter, und wir sind bei dem
merkwürdigen Zwischenzustande zwischen Schlafen und Wachen angelangt,
dessen mannigfache Erscheinungsformen man unter dem Namen der Hypnose
zusammenfaßt. Dieser Zustand wird auf die verschiedenste Weise
herbeigeführt, entweder durch einen eigenen Willensakt: Autohypnose,
oder durch den Genuß gewisser Gifte: Narkose, und endlich durch mehr
oder weniger krankhafte Eigentümlichkeiten wie Nachtwandeln und kleine
Hysterie. Bei all diesen Phänomenen ist jedoch noch das Bewußtsein
obenauf; wirkt das Unbewußte ins Bewußtsein hinüber, so entsteht eine
Reihe neuer Seelenvermögen, deren gemeinsame Eigenschaft darin besteht,
daß sie in der Regel von selbst an den Menschen herantreten, ohne
dessen Zuthun. Doch können Gesichts- und Gehörbilder bei einzelnen
Menschen auch auf künstlichem Wege hervorgerufen werden, entweder
durch langes Anstarren blanker Gegenstände: Kristallvision, oder durch
Horchen auf das ›Kochen‹ im Innern der Muschel: Konchylienaudition. Die
harmloseste Aeußerung des Unbewußten ist die Ahnung: eine Vorstellung,
die ohne nachweisbaren Anlaß den Zusammenhang der übrigen Vorstellungen
durchbrechend in uns auftaucht; sie erhält ihre eigentliche Bedeutung,
sobald sie weissagenden Inhalts ist und später durch ein wirklich
eintreffendes Ereignis bestätigt wird. Bei manchen Menschen, namentlich
Frauen, sind Ahnungen durchaus nichts seltenes; auch nehmen sie
eigentümliche Formen an, so zum Beispiel das ›Gefühl der Nähe‹, das
sich besonders zwischen Verliebten äußert. An sich ist Ahnung nur
Vorstellung oder Gefühl: doch kann eine Steigerung zur sinnlichen
Wahrnehmung unschwer stattfinden, einstweilen jedoch nur so, daß das
Beobachtete nicht die volle Intensität der Wirklichkeit hat und auch
nicht als etwas Reales im Raume aufgefaßt wird, sondern nur als ein
außerordentlich deutliches Erinnerungsbild. Wird dagegen diese Grenze
überschritten und das Geschaute oder Gehörte im Augenblicke selbst als
volle Wirklichkeit empfunden, so ist das Reich der Ahnungen abgelöst
durch das der Trugwahrnehmungen oder Hallucinationen. Sie können
durchaus normal und spontan auftreten, am besten im Dunkeln; plötzlich
nimmt dann das Auge oder das Ohr ein Bild oder einen Schall wahr, der
sowohl von dem augenblicklichen Bewußtseinsinhalt unabhängig, als
auch nicht unmittelbar durch einen Sinnenreiz hervorgerufen ist. Wäre
nicht ein unbewußter seelischer Vorgang im Spiel, so unterschiede
sich die trügerische Wahrnehmung nicht von einer einfachen Täuschung:
Illusion; vielmehr sind Hallucinationen plötzliche Träume, die sich
in das vollständig wache Bewußtsein einschieben, wie anderseits
außer des Bewußtseins automatische Bewegungen eine Art Nachtwandel
im wachen Zustande hervorbringen können. Damit ist nun zwar eine
beträchtliche Zahl scheinbar wunderbarer seelischer Vorfälle dem
Bezirk des Unbewußten überwiesen und somit natürlich erklärt; immerhin
bleibt ein kleiner zur Zeit noch unerklärbarer Rest übrig, wo
vielleicht wenn auch nicht geradezu unnatürliche, so doch jedenfalls
einstweilen noch vollkommen unbekannte Kräfte im Spiele sind, eine
Reihe von Fällen, da es selbst bei der sorgfältigsten Untersuchung
nicht möglich war festzustellen, wie der Hellseher zu seinem durch
die späteren Ereignisse bestätigten Wissen gekommen ist, während die
Ueberwindung der räumlichen und zeitlichen Schranke durch telepathische
Mitteilung, namentlich beim Sterbefall eines entfernten Freundes,
keineswegs vereinzelt feststeht, die statistische Richtigkeit dieser
weissagenden Hallucinationen immerhin vorausgesetzt. Selbst mit
diesen merkwürdigsten Erscheinungen ist nun aber das reiche Gebiet
des Seelenlebens noch nicht erschöpft; eine Fülle neuer Verbindungen
erscheint, sobald der äußere Sinnenreiz nicht unwillkürlicher Natur
ist, sondern von einem anderen bewußten Wesen mit Willen auf uns
ausgeübt wird: dann entsteht Eingebung oder Suggestion. An sich ist
die Suggestibilität, das heißt die Fähigkeit, sich von äußeren Reizen
fesseln zu lassen, ein durchaus normaler Zustand; jeder Mensch ist mehr
oder weniger suggestibel, im höchsten Grade allerdings das Kind und
der Wilde, am wenigsten dagegen ein zur selbständigen Persönlichkeit
ausgebildeter Mann. Suggestive Wirkung der Naturphänomene ist
keineswegs ausgeschlossen: wir gewahren am heißen Sommertag eine klare
Quelle und bekommen Durst; wir blicken vom hohen Gerüst ohne Geländer
in die Tiefe und werden vom Schwindel befallen; der Anblick imposanter
Wasserfälle oder das romantische Rauschen eines Bergstroms macht immer
wieder einzelne gemütvolle Menschen schwermütig bis zum Selbstmord. Im
allgemeinen geht aber der angreifende Reiz gewöhnlich von Menschen aus.
Entweder steckt das Beispiel an oder die Sprache erweckt Suggestionen.
Am meisten wirken die Leute suggestiv, die unsere Gefühle erregen.
Liebe, Zutrauen, Respekt und Furcht steigern die Empfänglichkeit;
Abneigung, Mißtrauen, Haß, Gleichgiltigkeit setzen sie herab. Ebenso
wirkt der Glaube an die Richtigkeit einer bestimmten Anschauung,
einerlei ob religiösen, philosophischen, politischen oder sonst welchen
Inhaltes, an und für sich gebieterisch. Nur in den höchst gearteten
und geistig entwickeltsten Persönlichkeiten ist die Ueberzeugung das
Ergebnis ruhiger Einsicht und klarer Erkenntnis; je tiefer der Mensch
steht, desto weniger kümmern ihn Beweise, desto mehr beruht seine
innere Verfassung auf Gefühlen der Lust und der Unlust. Die Suggestion
kann vom Menschen auf sich selbst ausgeübt werden, falls er, am ehesten
durch irgend einen Glauben, seine Empfänglichkeit zu steigern versteht:
Autosuggestion; meistens aber wird sie von andern hervorgerufen:
Fremdsuggestion. Zweierlei ist dazu angethan, die Suggestibilität ins
Außerordentliche zu steigern: das Vertrauen, das man in einen Menschen
setzt, und das Zusammensein mit andern Menschen. Die Massen sind immer
mehr suggestibel als der einzelne Mensch für sich allein. Da nun ein
überlegener Geist seinem ihm unterworfenen Medium mühelos nicht nur
Anschauungen und Erinnerungen, Bewegungen und Handlungen, sondern auch
Hallucinationen, ja sogar die Empfindung organischer Veränderungen am
eigenen Leibe aus suggestivem Wege beibringen kann und Anblick oder
Erzählung des Vorfalls die Wirkung stromartig weiterleiten, so kann man
den abnormen Einfluß eines bedeutenden Menschen, der in naiven Zeiten
populär war, kaum überschätzen.

Weit entfernt also, an der Wunderbarkeit der Heiligen von vornherein
zu zweifeln, da sich ihre eigentliche Wirksamkeit ja doch meistens
in diesen noch wenig aufgehellten Sphären bewegt, wird indessen die
Forschung sich nicht einbilden, anders als nur sehr ungefähr dahinter
zu kommen. Einigermaßen zuverlässige Quellen sind selten; und da diese
von gläubigen Händen angefertigt sind, beruhen gerade sie meistens auf
ungenauer Beobachtung. Uns kann das nicht anfechten; wir wissen uns zu
bescheiden und versuchen, von unseren Heiligen so viel zu begreifen,
als eben heute noch zu begreifen ist.




Erster Abschnitt.

Die Memorie.




Erstes Kapitel.

Die Martinsschriften des Sulpizius Severus.


Ums Jahr 400 schrieb Sulpizius Severus das Leben des Martin von
Tours. Ein bedeutender Schriftsteller und ein bedeutender Gegenstand!
Aquitanien war damals die letzte Zufluchtsstätte der Bildung. Dort
allein kam noch über dem Studium der Grammatik die litterarische
Produktion nicht zu kurz, und gerne ließ man im lateinischen Abendland
gallische Rhetoren die Kosten der Beredsamkeit bestreiten. Diese Heimat
in dieser Zeit, die eigenen Ausweise litterarischer Tüchtigkeit,
seine Stellung in der Gesellschaft, der Ernst seiner Gesinnung, der
sich im Umtausch eines glänzenden Berufslebens an mönchische Armut
und Einsamkeit ausspricht, das ist es, was den Severus aus seiner
Umgebung heraushebt. Im Gegensatz zu seiner Chronik, an der man die
guten Quellen, den geschichtlichen Sinn und die klassische Darstellung
lobend bedenkt, gilt nun aber das Martinsleben als frommer Roman und
ein Seitenstück zu den Erzählungen von den ägyptischen Mönchen. Mit so
allgemeinen Urteilen wird man Severus nicht gerecht. Der in der Chronik
sich beweisende wirklich historische Blick, damals eine rühmliche
Ausnahme, ferner daß der Charakter nicht zu den Bedenken Anlaß gibt,
die etwa Hieronymus gegenüber geboten sind, endlich die mehrfache
Beteuerung, über Martin nur die Wahrheit zu sagen, weil es schon damals
an Zweiflern nicht fehlte, verlangen eine eingehendere Würdigung des
Schriftstellers in dieser ihm eigentümlichen kleinen Schrift. Ihrer
Anlage liegt entschieden Kunst zu Grunde. Der überreiche Stoff ist so
disponiert, daß die gewaltige Persönlichkeit, die geschildert werden
soll, gleichmäßig in allen ihren Eigenschaften beleuchtet wird:

  Einleitung: _c._ 2–4 Martin als römischer Soldat.

  Thema: Martin als christlicher Heiliger.
     1) _c._ 5–8   Martin als Mönch.
     2) _c._ 9–11  Martin als Bischof.
     3) _c._ 12–15 Martin als Missionar.
     4) _c._ 16–19 Martin als Wunderthäter.
     5) _c._  20   Martin vor dem Kaiser.
     6) _c._ 21–24 Martin gegen den Teufel und die bösen Geister.

  Schluß: _c._ 25–27 Martin nach dem persönlichen Eindruck auf den
  Verfasser.

Und so möge zunächst das Thatsächliche dieses Lebensbildes in der
Sprache unserer Zeit nacherzählt und so das echte und warme Leben
entbunden werden, das Severus eben doch einzufangen wußte.


1.

Martin wurde zu Sabaria in Ungarn geboren, verlebte indessen seine
Jugend in Pavia[007-a]. Sein Vater war Offizier, die Familie heidnisch.
Aber schon der Knabe trug Gott im Herzen. Mit zehn Jahren wollte er
gegen den Willen seiner Eltern Katechumene werden, mit zwölfen machte
er aus seinen mönchischen Gelübden und Neigungen ernst, wurde aber mit
fünfzehn gewaltsam dem Heere einverleibt, dem er als Offizierssohn von
Gesetzes wegen beitreten mußte. Er begnügte sich jedoch mit nur einem
Burschen, bediente ihn, obwohl sein Herr, zog ihm die Stiefel aus, um
sie zu putzen, und teilte sein Mahl fast eher in der Stellung eines
Aufwärters. Ohne noch getauft zu sein, hielt er sich während seiner
drei Dienstjahre von den üblichen Lastern des Standes fern und trieb
überhaupt gegenüber den Kameraden die Gutmütigkeit auf die Spitze. Er
lebte auch unter der Waffe in opferfreudiger Nächstenliebe[008-a]:
in einem ungewöhnlich strengen Winter hatte er bis auf Waffen und
Uniform bereits alles verschenkt, da schnitt er für einen Bettler am
Stadtthor von Amiens noch die Hälfte des eigenen Mantels vom Leibe
und ließ sich unbeirrt auslachen, als er darauf in verstümmelter
Uniform weiterritt. Bald daraus erfolgte seine Taufe. Doch blieb
er noch zwei Jahre beim Heere, in der Hoffnung, dann auch zugleich
seinen Tribunen zum Abschied zu bewegen, da dieser ebenfalls Neigung
bekundet hatte, der Welt abzusagen. Jedenfalls hielt er es mit seinem
Christenstande nicht mehr vereinbar zu töten, und so war sein Austritt
aus dem Heere unvermeidlich, sobald das Regiment bei dem er stand,
im Ernstfall ausrücken mußte[008-b]. Am Vorabend einer Begegnung mit
den Germanen vor Worms teilte Kronprinz Julian ein Donativ aus. Die
Einzelnen wurden aufgerufen und mußten vortreten. Als die Reihe an
Martin war, hielt er den Augenblick für gegeben, um seinen Abschied
einzukommen: ein Streiter Christi dürfe nicht kämpfen. Der Kriegsherr
schob die sonderbare Ausrede auf Angst; aber Martin verwahrte sich,
er sei kein Feigling, er wolle sich ohne Waffen durch den Feind
helfen, nur allein mit dem Zeichen des Kreuzes. Man wollte ihm seinen
wunderlichen Willen lassen und ihn dadurch am sichersten strafen;
aber aus der Schlacht wurde nichts, da sich die Feinde am andern
Morgen ohne Schwertstreich unterwarfen. War da nicht Gottes Hand
im Spiel?[008-c] Hierauf begab sich Martin zu Bischof Hilarius von
Poitiers. Dieser wollte ihn für seinen Klerus gewinnen, doch lehnte
Martin die Weihe zum Diakonen ab und fand sich nur eben zum niederen
Dienste eines Geisterbeschwörers tauglich. Es trieb ihn dann nach der
Heimat, für die Bekehrung seiner Familie zu wirken. Nur unter dem
Versprechen wiederzukehren ließ man ihn in Gallien ziehn. Auf dem
Uebergang über die Alpen fiel er unter die Räuber, entwaffnete aber
den, dessen Obhut er anvertraut wurde durch seine Sanftmut[008-d]. In
der Nähe von Mailand suchte ihn ein Reisegefährte in seinem Vorhaben
irre zu machen, überzeugte jedoch Martin nur, daß dieser Versucher der
leibhaftige Teufel in Menschengestalt sei. Zu Hause brachte der Sohn
die Mutter auf seine Seite. Der Vater blieb Heide. Dagegen folgten
andere Martins Beispiel, dem überdies das arianische Christentum
Gelegenheit gab, für den rechten Glauben zu leiden: er ließ sich für
die Gottheit Christi öffentlich mit Ruten streichen. Seinen Meister
an der Loire hatte indessen das Schicksal der Verbannung ereilt, und
Martin, der seinerseits sich in Mailand klösterlich niederließ, wurde
von Bischof Auxentius, einem Oberhaupt der Arianer im Westen, Landes
verwiesen. In Begleitung eines gesinnungstüchtigen Priesters suchte
er die sogenannte Hühnerinsel an der toskanischen Küste zu besiedeln.
Dort betete er sich vom Genuß einer giftigen Nießwurz gesund. Als dann
auf die kaiserliche Verfügung hin Hilarius aus dem Orient heimkehren
durfte, wollte ihn Martin in Rom treffen. Sie verfehlten sich, Hilarius
war schon weiter[009-a]. Martin reiste nach und gründete nun in der
Nähe von Poitiers das von ihm geplante Kloster. Seine hingebende
Wirksamkeit brachte ihn beim Volke in den Ruf eines heiligen und
wunderthätigen Mannes. Sie gipfelte in der Erweckung zweier Toter.
Ein Katechumene unterlag der strengen Disziplin des Klosterlebens,
plötzlich, ohne noch getauft zu sein; von einer dreitägigen Reise
heimkehrend fand ihn Martin tot. Er hieß alle Anwesenden die Zelle
verlassen, schloß die Thüren ab und suchte den leblos Daliegenden zu
sich zu bringen, indem er sich über ihn ausstreckte, dazu laut betete,
dann aufstand und das entseelte Gesicht fixierte. Nach zweistündiger
Behandlung begann der Totgeglaubte sich wieder zu rühren und, da
das Augenlicht noch versagte, tastete er sich zurecht und schrie
vor Freude. Er versicherte in der Zwischenzeit vor dem Thron des
Weltenrichters gestanden zu sein: erst habe er sich an finsterem
Orte in gemeiner Gesellschaft befunden, bis ihn zwei Engel vor den
höchsten Richter geschleppt und als den vorgestellt hätten, für den
der heilige Martin bete. Kurz darauf trug sich ein zweites Wunder
derselben Art zu[009-b]. Aus dem Rittergute des Lupizinus war eben
großer Jammer, als Martin vorüberging: ein Knecht hatte sich erhängt.
Wieder befolgte der Heilige dieselben Manipulationen wie das erste
Mal, ohne jeden Beistand, und wieder mit Erfolg. Auf die Augenzeugen
des erst hingestreckten und dann wieder ermunterten Körpers wirkte der
außerordentliche Vorfall beide Mal als volles Wunder; schon die erste
Erweckung reichte hin, um Martin den Ruf einer geradezu apostolischen
Heilkraft einzutragen. Um diese Zeit wurde der Stuhl des Bistums Tours
ledig. Die Bürgerschaft wollte Martin[009-c]. Er fühlte sich jedoch
nicht zum Kirchenmann, sondern zum Mönch bestimmt und lehnte ab. Nur
mit förmlicher List setzte sich der öffentliche Wille durch. Rusticius,
ein Bürger von Tours schützte Krankheit seiner Frau vor. Als Martin
auf die kniefälligen Bitten des Mannes hin zum Besuche sich entschloß,
fand er auf dem Wege erst vereinzelte Volksgruppen, dann gegen die
Stadt hin immer dichtere Menschenmassen vor. Nicht nur aus Tours, auch
aus den umliegenden Städten waren sie zur Abstimmung zusammengeströmt.
Angesichts dieser mächtigen Kundgebung sagte Martin zu; die Laien
wollten einen von ihnen, einen Volksmann, in dem hierarchischen Klerus
haben. Die Bischöfe hatten Martins Erhebung mit allen Mitteln zu
hintertreiben gesucht. Sie stießen sich an dem gemeinen ungepflegten
Aeußern des Einsiedlers: zum Bischof bedürfe es eines vornehmen
Auftretens, eines ordentlichen Anzuges, einer anständigen Frisur,
während Martin mit Willen äußerlich nachlässig, schmutzig und ungekämmt
einherging. Schließlich brach den Widerstand ein Zufall. Die erregte
Menge versperrte dem zum Lektor der Synode bestimmten Geistlichen
den Eintritt. Sein in der Verwirrung rasch erkorener Stellvertreter
schlug die Bibel auf Geratewohl auf, und geriet dabei an die Stelle
im achten Psalm: »Auf daß du Feind und Verfechter vernichtest:
_defensorem_.« Da nun das Haupt der Kleriker, der Bischof von Angers,
Defensor hieß, lautete das Wort heiliger Schrift anzüglich genug, um
durch den Jubel der anwesenden Laien, die damals noch lateinisch und
deshalb die Anspielung verstanden, die Prälaten zu entwaffnen. Obwohl
nun Bischof änderte sich Martin doch in keiner Weise: dieselbe Demut,
dasselbe unscheinbare Auftreten[010-a]! Eine an das Münster angebaute
Zelle diente ihm zur Wohnung, da er sich dort zahlreichen Besuchen
nicht entziehen konnte, errichtete er sich zwei Meilen von Tours ein
Kloster. Versteckt und abgelegen, ersetzte der Ort die unwirtliche
Einöde: Felswände und Loire schlossen ihn ab, ein schmaler Saumpfad war
einziger Zugang. Martin und einzelne Brüder bauten sich Holzhütten,
andere hausten an der schützenden Berglehne in Höhlen. Die Schüler,
die zum Unterricht kamen inbegriffen, belief sich die Zahl auf etwa
achtzig. Das gemeinsame Leben beruhte auf den strengsten Grundsätzen:
es gab kein Eigentum, aller Besitz war Gemeingut. Niemand durfte kaufen
oder verkaufen. Außer Schreiben wurde keine Kunst betrieben, und auch
diese blieb den Jüngeren überlassen; die Aelteren lagen nur noch dem
Gebet ob. Nur mit dem gemeinsamen Gottesdienst wurde die Einsamkeit
der Zelle vertauscht und höchstens die Mahlzeit gemeinsam eingenommen,
wenn das Morgenfasten vorbei war. Niemand bekam Wein, außer der Kranke.
Die Kleidung der Meisten bestand in Fellen; ein weniger hartes Gewand
galt für unerlaubt. Auch die vielen jungen Adeligen der Gesellschaft,
der eine und der andere ein künftiger Bischof, teilten dieses Leben.
Seine kirchliche Macht benützte Martin zur Aufklärung des Landvolks vom
Aberglauben[010-b]. In der Nähe von Tours wurde ein Altar unterhalten,
ohne daß man wußte, wessen Grab es eigentlich sei. Unsicher, ob er in
diesem Fall zu bekämpfen oder zu unterstützen habe, beschwor Martin
den hier verehrten Toten: richtig erhob sich zur Linken finster und
trotzig ein Schatten und teilte auf Befragen mit, er sei ein gehenkter
Straßenräuber und nur aus Versehen zum Märtyrer geworden. Während
der Verhandlung hörten Martins Begleiter allerdings reden, aber der
Aufschluß selbst ging auf eine Vision des Bischofs zurück. War das
Grab eines Schelmen Grab, so konnte es mit gutem Gewissen zerstört
werden. Die heidnische Bevölkerung fürchtete den strengen Mann, und es
ist nicht zu verwundern, daß ein heidnischer Leichenzug, als Martin
des Weges kam, jählings halt machte[011-a]. Martin unterschied nicht
gleich, was ihm entgegenkomme, noch betrug die Entfernung eine halbe
Meile; doch war ihm, es seien Bauern, und als nun das weiße Laken etwas
aufflog, das den Leichnam zudeckte, schloß er auf einen heidnischen
Kultusakt, da er um die ländliche Sitte wußte, weiß-verschleierte
Götzenbilder durch die Saatfelder zutragen. Er schlug das Zeichen des
Kreuzes und donnerte sie schon von weitem an, die Bahre abzustellen.
Die armen Leute suchten zu entkommen, drehten sich aber in der
Bestürzung im Kreise herum und ließen schließlich Martin heran, ihres
Schicksals gewärtig. Nun jedoch überzeugte sich der Heilige, es handle
sich ja gar nicht um Götzendienst, sondern nur um ein harmloses
Begräbnis. Er winkte ihnen sofort beschwichtigend zu, sie möchten ruhig
ihres Weges ziehen[011-b]. Aber als Martin sich anschickte, in einem
Marktflecken an einer uralten Fichte bei einem heidnischen Heiligtum
Hand anzulegen, wurde der Widerstand ernsthaft. Der Oberpriester legte
sich ins Mittel; seine Leute standen zu ihm. Konnten sie den Tempel
nicht halten, unter keinen Umständen gaben sie die Fichte preis. Martin
legte ihnen dar, in einem Baumwipfel niste höchstens ein Teufel, aber
doch niemals Gott. Schlau meinte nun ein Heide, wenn Martin an seinem
Gott wirklich etwas habe, so solle er sich doch gegenüber aufstellen,
sie wollten die Tanne dann schon fällen; der Sturz des Heiligtums, der
nicht aufzuhalten war, hätte dann doch zugleich den Feind der Götter
vernichtet. Ohne Zögern ging Martin darauf ein und ließ sich an der
gefährlichsten Stelle festbinden. Mit dem Rächerdrang der Verzweiflung
hieben die Heiden auf die heilige Fichte, Martins Freunde wußten nicht
was thun. Er selber blieb zuversichtlich und bekreuzte sich, als der
Stamm zu wanken begann. Wider Erwarten stürzte der Baum rückwärts und
hätte beinahe seine Verehrer erschlagen. Alsobald errichtete Martin
eine Kapelle, wie gewöhnlich auf zerstörten heidnischen Opferstätten.
Mit einem Aufwand von Eifer, der ihn bis zur Erschöpfung in Anspruch
nahm und in kritischen Augenblicken in krampfhafte Ekstasen versetzte,
legte er auch die übrigen Schlupfwinkel des Sprengels in Asche, verlor
aber mitten in der Erregung niemals seinen Gerechtigkeitssinn und die
Herrschaft über sich selbst[011-c]. Als ein brennender Heidentempel
ein angebautes Privathaus anzustecken drohte, setzte Martin mit den
Löschanstalten sein Leben aufs Spiel, nur um die unverdient gefährdete
Liegenschaft zu retten. Einen Hauptherd, den reichen Tempel von
Levroux, konnte er nur mit der größten Anstrengung erobern. Erst als
er in Sack und Asche Buße that und so inbrünstig betete, bis er zwei
geharnischte Engel ihm zu Hilfe eilen sah, gelang der zuvor mißglückte
Ansturm auf die von den Bauern verteidigten Altäre. Desgleichen in
Autun[012-a]. Dort drang der wildeste der Gegner mit gezücktem Schwert
auf ihn ein. Martin knöpfte sein Gewand auf und hielt den Hals dar. Der
Heide verlor die Fassung. Ein anderer ließ in derselben Lage das Messer
fallen. Und so oft ein Bollwerk genommen war, beschwichtigte und gewann
Martins mächtige Predigt die Herzen der Heiden. Hand in Hand mit diesen
Erfolgen als Missionar gingen seine Erfolge als Arzt[012-b]. Zu Trier
lag ein Mädchen in den letzten Zügen, als Martin in die Gegend kam.
Der Vater hielt den Heiligen mitten auf der Straße an. Diesem war es
offenbar unangenehm, zumal bei Anwesenheit vielen Volkes und mehrerer
Bischöfe in eine den Evangelien parallele Lage geraten zu sein. Er
lehnte bestürzt ab: das übersteige seine Kraft, der Mann überschätze
ihn, so etwas habe der Heiland gekonnt, wie sollte er ihm es gleich
thun. Als aber alles in ihn drang, entschloß er sich zu dem Besuche und
erzielte durch Anwendung geweihten Oeles einen vollen Erfolg. Einen
tobsüchtigen Sklaven des Prokonsularen Tätradius beruhigte er und übte
auch über andere Verrückte Gewalt aus[012-c]. Am Stadtthor von Paris
umarmte und küßte er einen aussätzigen Bettler[012-d]. Stücke seiner
Kleidung, deren man habhaft werden konnte, wurden vom Volk als Amulete
benützt. Von seiner Kutte wurden Fransen abgezupft und den Kranken
an den Finger oder an den Hals gebunden. Arborius, ein Beamter, der
Christ war, schnitt das Viertagsfieber seiner Tochter dadurch ab, daß
er dem Kind bei jedem Anfall einen Brief Martins, den er zufällig
besaß, wie ein Pflaster auf die Brust legte[012-e]. Hauptsächlich
aber scheinen Martin Augenkuren geglückt zu sein. Paulinus, der dann
um Martins willen aus einem Millionär ein Mönch wurde, heilte er
von einer beginnenden schmerzhaften Erblindung durch Pinselungen;
bereits zog sich die benebelnde Haut über die Pupille, als Martin die
Operation vornahm. Dem heiligen Arzte selbst brachte ein Fehltritt beim
Treppensteigen beinahe den Tod; aber eine Salbe und eine Engelsvision
erwirkten seine Herstellung schon auf den folgenden Tag. Was für ein
unbeugsamer Charakter er war, zeigte Martin gegenüber dem Hofe. Kaiser
Maximus, der in Trier residierte, empfing die gallischen Bischöfe,
die von ihm für die schwer heimgesuchten Provinzen Unterstützung,
Milderung und Amnestie zu erbitten kamen[013-a]. Aber während die
Andern sich vergaben und zu unterwürfigen Höflingen herabwürdigten,
bewahrte Martin die Ehre und das Ansehen der geistlichen Gewalt vor
der weltlichen. Er trug sein Gesuch um Begnadigung einiger Personen
auf eine so vornehme Weise vor, daß es auf den Kaiser nicht wie eine
Bitte, sondern wie ein Befehl wirkte. Der Kaiser wollte ihn an seine
Tafel ziehen. Aber Martin erklärte offenheraus, mit einem Menschen,
der den einen Kaiser verjagt und einen zweiten ermordet habe, sitze
er nicht an den gleichen Tisch. Maximus suchte jedoch den Aufstand zu
rechtfertigen, die Schuld an Gratians Tod von sich abzuwälzen, und so
nahm Martin schließlich an. Entzückt über die Zusage verlieh Maximus
dem Fest außerordentlichen Glanz, indem er den Statthalter Evodius
sowie zwei Mitglieder des kaiserlichen Hauses, seinen Bruder und seinen
Onkel, heranzog. Martin saß zur Rechten des Kaisers, der Priester, der
ihn begleitete, zwischen den Prinzen. Als der Mundschenk dem Kaiser den
Trunk kredenzen wollte, ließ der Fürst den Becher dem Bischof reichen:
aus seiner heiligen Hand, nach der Berührung so heiliger Lippen wollte
er den Pokal empfangen. Der Heilige trank aus dem Kelch, reichte
ihn dann aber nicht dem Fürsten, der darauf wartete, sondern seinem
Priester, weil der geistliche Stand auch einem niederen Inhaber den
Vortritt vor den höchsten weltlichen Würdenträgern verleihe. Dieser
Verstoß fand jedoch nur gesteigerte Bewunderung. Die kundgegebene
Verachtung wirkte als Hoheit. Es ging von Mund zu Munde, Martin habe an
der kaiserlichen Frühstückstafel sich herausgenommen, was sonst kein
Bischof gegenüber einem einfachen Staatsbeamten hätte wagen dürfen.
Sein Scharfblick ließ ihn auch voraussagen, Maximus werde in Italien
auf Valentinian stoßen und ihn zwar besiegen, aber bald darauf selber
untergehen. Was denn auch, bei Aquileja, in der That in Erfüllung
ging. In seinen letzten Lebensjahren hatte Martin viel mit dem Teufel
zu schaffen[013-b]: Er hatte den Bösen so sichtbar und gegenständlich
vor Augen, daß er ihn bald in seiner leibhaftigen Gestalt, bald in
mannigfachen figürlichen Verkleidungen zu Gesicht bekam. So drang der
Teufel einmal polternd in Martins Zelle, ein blutiges Horn in der
Hand. Dieser ließ nachsehen; es stellte sich heraus, daß zwar keiner
der Mönche, wohl aber ein Taglöhner aus dem Gesinde vermißt werde. Man
fand ihn halbtot im Walde liegen. Er konnte eben noch berichten, als
er den Jochriemen straffer habe anziehen wollen, habe der eine Stier
gestoßen und ihm das Horn in den Leib gerannt[013-c]. Ja zu förmlichen
Auseinandersetzungen mit dem Teufel kam es bei Martin. Bald erschien
dieser ihm als Juppiter, bald als Merkur, bald auch als Venus und als
Minerva. Martin war unablässig bemüht, den Herrn der Finsternis zu
bekehren, er versprach ihm bei Gott Barmherzigkeit zu erwirken, wenn er
endlich einmal Buße thun und aufhören wolle, die Menschen zu verführen.
Bis in sein hohes Alter bewahrte Martin den guten Blick für das Echte
und entlarvte die schwindelhaften Absichten eines angeblichen Mönches
namens Anatolius aus dem Kloster seines jungen und hochgeborenen
Freundes Clarus[014-a]. Auch andere geistliche Abenteurer nah und fern,
die sich, sei es für Elias oder Johannes den Täufer oder Christus
selbst ausgaben, hat er durchschaut[014-b]. An zwei Schülern jedoch
erlebte er aufrichtige Freude, weil sie seinetwegen eine glänzende
weltliche Laufbahn verlassen und ihm in aufrichtiger Treue anhingen:
Paulinus von Nola und Sulpizius Severus[014-c]. Er freute sich, daß sie
in der Lage des reichen Jünglings entschlossener gehandelt hatten als
jener im Evangelium, und nahm sie beschämend freundlich auf, ja bestand
sogar darauf, ihnen eigenhändig die Fußwaschung zu verabreichen. Und
als Severus aus seinen schriftstellerischen Absichten keinen Hehl
machte, zog ihn der Heilige in sein Vertrauen und ließ ihn Blicke in
sein inneres Leben thun. Wenn Martin nicht arbeitete, so betete er,
nach der Sitte der Schmiede, die, wenn sie das Eisen hämmern, stets
einige Zwischenschläge auf den Ambos thun[014-d]. Kein Falsch war
in dem heiligen Manne. Nie daß er über jemand richtete oder lieblos
urteilte oder Böses mit Bösem vergalt. Von einer unerschütterlichen
Langmut ließ er, der Bischof, gelegentlich sogar untergebene Kleriker
ihm ungehörig begegnen. In seinem Wesen immer gleichmäßig nahm er
an allen Empfindungen des Menschenherzens teil, ohne an eine sich
hinzugeben: die höhere Natur schien überall den Grund seines Benehmens
zu bilden[014-e]. Er wurde nie zornig und nie bestürzt. Er klagte nie
und lachte nie. Ein himmlischer Glanz lag, war es wann es war, still
und selig über seinem Angesicht.

Den wesentlichen Zügen nach ist das der Inhalt von Severs Martinsleben.
Martin steht lebendig vor dem Leser als der prächtige, tapfere
Christuskrieger, der an Theologie nicht schwer trug und rascher zum
Ziel zu kommen meinte, wenn er persönlich auf den Vater der Sünde
losging. Auch wo Severus Bericht unglaublich klingt, hat man den
Eindruck, es sei keine Erfindung im Spiel. Vielmehr schimmerte für ihn
auf Schritt und Tritt die gewaltige Gestalt, die er zeichnen wollte, in
die Sphäre des Uebermenschlichen, Geisterhaften hinüber. Severus deutet
mehrfach an, er habe sich alle erdenkliche Mühe gegeben, den Stoff
zu bewältigen und deshalb nur das Wesentlichste für die Darstellung
aufbehalten, vieles jedoch ausgeschieden[014-f]: »Ich muß schließen,
nicht weil ich nichts mehr zu sagen hätte, sondern weil mich am Ende
meines Unternehmens die Wucht meines Gegenstandes niederdrückt. Denn
ich fühle mich vollkommen unfähig, selbst für den Fall, daß alles
äußere genau berichtet wäre, das innere Leben Martins in seinem
täglichen Wandel vor Gott und seinem stets nach dem Himmel gerichteten
Gemüte genügend darzustellen. Ja käme selbst, wie man zu sagen pflegt,
Homer von der Unterwelt, er würde nichts vermögen. Denn an Martin ist
alles zu groß, als daß es in Worte gebracht werden könnte.« Severus
hat die richtige Einsicht, für die Lösung seiner Aufgabe sei weniger
seine Kunst zu gering, als die Vorlage zu mächtig. Er fühlt lebendig
die Notwendigkeit, seinem Helden als Psychologe gegenüber zu treten. Da
aber die psychologische Analyse als litterarisches Kunstwerk ein Kind
moderner Kritik ist, so konnte er für seine Zwecke nur das naive Mittel
benutzen, das ihm dafür zu Gebote stand: die Anekdote.

Als die Schrift fertig vor ihm lag, betrachtete sie der Verfasser mit
gemischten Gefühlen. Er hatte sein Bestes aus sich heraus gesetzt und
wußte, wenn er es bekannt gab, so brach ein Sturm los für und wider.
Lieber hätte er es also für sich behalten. Aber dann drängte doch alles
wieder auf eine Veröffentlichung hin: die Spannung des Erstlingswerkes,
die Verantwortung des Verschweigens, der brennende Wunsch, vor aller
Welt etwas für Martin zu thun. So entließ er die Arbeit und schrieb
dazu einem wirklichen oder fingierten Freunde was folgt[015-a]:

»Mein lieber Desiderius! Es war meine entschiedenste Absicht, das
von mir verfaßte kleine Buch über Martin aus meinen vier Wänden
nicht herauszulassen. Schwung und geschmackvolle Darstellung sind
mir von Natur versagt; Grund genug, das öffentliche Urteil nicht
herauszufordern. Und nun hab ich mich noch gar an einen Gegenstand
gemacht, der Schriftstellern ersten Ranges vorbehalten bleiben sollte.
Zeig also mein Machwerk lieber Niemanden; wenn aber doch, so bitte das
Publikum, um des Inhalts willen mit der Form Nachsicht zu haben. Ist
doch von Fischern und nicht von Rednern der Welt das Heil verkündigt
worden, obwohl unser Herrgott, wäre es gut gewesen, es auch umgekehrt
hätte fügen können. Was ich mir sagte, war: ein Mann wie Martin
darf nicht unbekannt bleiben, mögen dann auch Unbeholfenheiten mit
unterlaufen; ein Virtuose war ich nun einmal nie und zudem ist es schon
eine Weile her, daß ich derlei als Student getrieben habe. Laß daher
das Büchlein, wenn du es zu veröffentlichen denkst, anonym ausgehen.
Tilge den Namen auf dem Titelblatt. Die Ueberschrift allein ohne Angabe
des Verfassers genügt«.


2.

So wurde das Martinsleben veröffentlicht. Sein berufenster
zeitgenössischer Beurteiler, Paulin von Nola, eben Severs Mitschüler
bei Martin, hatte nichts auszusetzen. Er schreibt dem Verfasser[016-a]:
»Es wäre dir nicht geschenkt gewesen, Martins Leben aufzuzeichnen, wenn
nicht eine reine Empfindung deine Arbeit beseelte. Wie glücklich bist
du nun, die Geschichte des Gottesmannes und Bekenners würdig und mit
gerechtfertigter Begeisterung verfaßt zu haben. Aber auch der Heilige
selbst ist selig zu preisen, daß er neben seinem Ruhm vor Gott nun
auch durch Deine Kunst bei der Nachwelt berühmt geworden ist«. In der
That fand der Traktat sofort ungewöhnliche Verbreitung. Es war ein
litterarischer Erfolg ersten Ranges. In Rom riß man sich darum. Die
Buchhändler rieben sich die Hände. Das Büchlein war ihr begehrtester
Artikel geworden und fand den sichersten Absatz. Ein Bekannter, der auf
einer Orientreise den wachsenden Leserkreis verfolgen konnte, berichtet
Severus[016-b]: »Wo dein Buch überall hingedrungen ist? Kaum ein Fleck
Erde, wo es sich noch nicht vorfände. In Rom hatte dein Freund Paulinus
für seinen Vertrieb gesorgt. Die Buchhändler sah ich in einem Glück,
weil trotz den hohen Angeboten die Nachfrage so groß sei. Zu Schiff war
mir dein Buch bereits vorausgeeilt. Als ich nach Afrika kam, verschlang
es bereits ganz Carthago. Nur ein Priester in der Cyrenaica hatte
es noch nicht; ich verhalf ihm dazu. Und erst in Alexandrien! Dort
kennen sie das Buch besser, als du selbst es kennen kannst. Aegypten,
die nitrische Wüste, die Gegenden von Theben und Memphis hat es
durchwandert, und sogar in der Wüste traf ich einen alten Mann, der es
las«. Auch in Illyrien war das Buch verbreitet[016-c].

Aber Severus bekam denn doch nicht nur Angenehmes zu hören. Mit dem
Gedächtnis lebte auch der Haß wieder auf. Die gebildete geistliche und
weltliche Gesellschaft Galliens hatte sich im Ganzen nie in Martins
eigentümliches Wesen finden können. Die Ueberläufer vom Schlage Paulins
und Severs blieben weit in der Minderzahl. In jenen Kreisen erregte
das Buch peinliches Aufsehen. Die allzu offene Absicht, den kaum erst
Toten zu verherrlichen, verletzte. Auch der Gläubigkeit der Gegner war
viel zugemutet. Während Volk und Mönche das Büchlein in alle Himmel
erhoben, lehnte es die Geistlichkeit ebenso leidenschaftlich ab, und
Severus mußte sich erzählen lassen[016-d]: »Nur die Kleriker, nur die
Priester unseres eigenen Landes sind neidisch genug und wollen nichts
von deinem Martin wissen. Begreiflicherweise; denn seine Tugenden
spiegeln ihre Fehler. Ich darf kaum sagen was mir jüngst zu Ohren
kam: du habest in deinem Buche allerlei frischweg erfunden. Und doch
hat Christus selbst gesagt, solche wunderbare Thaten, wie sie Martin
gethan, könne jeder thun, der Glauben habe. Wer also nicht glaubt, daß
Martin solches that, bezweifelt im Grunde die Verheißung Christi. Diese
Unglückseligen, Entarteten und Schlaftrunkenen erröten eben vor Thaten,
deren sie selbst nicht fähig sind und wollen lieber Martins Wunderkraft
leugnen als ihr Unvermögen eingestehen.«

Beides, Erfolg und Mißerfolg, mußte Severus ein Sporn sein, den Rest
seiner Kenntnisse über Martin nicht zu verschweigen. Da handelte es
sich vor allem darum, in welcher Form er diese Ergänzungen geben
wollte. Er bewies eine geschickte Hand und wählte den Brief und den
Dialog. Durch Hieronymus war der Kunstbrief, bei dem der Adressat nur
der Empfänger der Widmung ist, als Leser jedoch wie beim Buche ein
Publikum vorausgesetzt ist, für geistliche Stoffe im lateinischen
Westen eben klassisch geworden, und mit dem Dialog griff Severus
vollends auf eine ciceronianische Ausdrucksweise zurück, die früh in
die christliche Litteratur eindrang und sich dauernd in ihr erhalten
hat. Inhaltlich bedeuten die drei Briefe diejenige Ergänzung zum
Martinsleben, die nötig war, um das noch bei Lebzeiten des Heiligen
verfaßte Bild mit einer Schilderung seines Todes abzurunden. Im ersten
Briefe[017-a] jedoch kommt er zunächst noch auf einen Vorfall zurück,
über den pietätlose Bemerkungen ihm zu Ohren gedrungen waren: es
sollte für Martin ein Vorwurf sein, daß er, der so viele Heilungen
vollbrachte, selbst einmal die schwersten Brandwunden davongetragen
habe; sollte nun Martin deswegen weder gewaltig noch heilig sein? Die
Sache war einfach die: Martin hatte aus einer Visitationsreise mitten
im Winter die für ihn bereit gehaltene Lagerstätte viel zu weichlich
gefunden und den Strohsack weggeschoben, aus Versehen aber zu nah an
den Ofen, sodaß Feuer ausbrach. Er selbst war in seiner Müdigkeit auf
dem bloßen Boden sofort eingeschlafen und erwachte nun mitten in den
Flammen; er wäre, da er den Holznagel an der Thüre nicht losmachen
konnte, umgekommen, hätten nicht von außen her die Mönche den Riegel
erbrochen. Während dann der zweite Brief sich nur in allgemeinen
Betrachtungen über den schweren Verlust ergeht, enthält der dritte an
Severs Mutter Bassula gerichtete in ähnlichen Klagen und nach einer
Anekdote über Martin als Tierfreund Mitteilungen über Martins letzte
Stunden[017-b]. Martin hatte den Zerfall seiner Kräfte vorausgespürt.
Dennoch begab er sich in den äußersten Teil seiner Provinz, um einen
dort ausgebrochenen Kirchenstreit zu schlichten: die schönste
Gelegenheit, meinte er, den letzten Rest seines Lebens aufzuzehren. In
der That brach er dort zusammen. Er sagte zu den Seinen, es sei das
Ende. Sie mußten weinen, und auch er hielt die Thränen nicht zurück:
wie gerne wollte er weiter wirken, wenn es Gottes Wille wäre. Es that
ihm beides weh, zu scheiden und von Christus länger getrennt zu sein.
Er betete: »Das Leben ist ein harter Krieg und ich habe lange genug
gekämpft. Aber soll ich mich noch ferner in die Schanze schlagen,
für dich, Herr Gott, will ich’s thun«. Er lag einige Tage im Fieber
da, auf Streu und Asche und wollte sich nicht auf die Seite legen,
damit sein Auge gen Himmel gerichtet bleibe. Im Todeskampf bewies
er große Festigkeit. Natürlich stellte sich der Teufel ein. »Was
willst du, blutiges Untier«, rief er ihn an, »weg mit dir! Ich bin in
Abrahams Schooß«. So starb er. Seine Züge wurden friedevoll und nahmen
einen glänzenden Ausdruck an. Seine Bestattung war ein Triumphzug.
Zweitausend Leute wohnten ihr bei. Ganz Tours kam ihm entgegegen. Von
den Dörfern und Höfen der Umgegend, ja aus entfernten Städten strömten
Teilnehmer herzu.

Auch die Dialoge wollen ein Nachtrag sein[018-a]. Aber nicht ein bloßer
Anhang wie die Briefe; sie bilden eine selbständige Ergänzung. Statt
einer planmäßigen Gliederung des Stoffes, wie sie im Martinsleben
vorliegt, wird der Leser ohne logische Vermittlung von Situation
zu Situation, von Gedanken zu Gedanken geführt, ohne daß freilich
die zwischen Epos und Drama rudimentär stecken gebliebene Form des
Kunstdialogs eine Nachbildung des wirklichen Lebens bis zur Illusion
zu Stande brächte. Severus war darum zu thun, durch Abwechslung auch
in der Form anzuziehen, er verwahrt sich aber, unter der kurzweiligen
Darstellung die Treue seiner Nachrichten etwa haben leiden zu
lassen[018-b]. Die an sich primitiven Mittel hat er nun geschickt zur
Zeichnung und Färbung seines Gegenstandes verwendet; er bringt in
seiner Charakteristik des heiligen Martin beinahe künstlerische Nuancen
zu stande. Drei Personen spielen die Hauptrolle. Zunächst Severus
selbst. Er tritt ansprechend auf und maßt sich als Martins Vertrauter
keine Allüren an. Er erzählt einfach von einem Gespräche, das er mit
einem keltischen Mönche, einem langjährigen Anhänger Martins gehabt
habe, als plötzlich ein alter Bekannter, Postumianus, zu ihnen gestoßen
sei. Eben war dieser von einem dreijährigen Aufenthalt aus dem Orient
zurückgekehrt. Sie hätten sich umarmt, geküßt, hätten Freudenthränen
vergossen und sich schließlich in der Zelle auf ein Ziegenfell gesetzt,
sich auszutauschen. Severus nimmt am Gespräche mehr als Empfangender
teil; er greift meistens nur ein, um es aufs neue anzuregen. In
Postumianus lernen wir einen jener gebildeten abendländischen
Geistlichen in der Art des Hieronymus und Rufinus kennen, die aus
Wissenstrieb und Sehnsucht nach dem heiligen Lande sich mehrere Jahre
im Orient aufgehalten und dasselbst namentlich das Mönchtum der
ägyptischen und der syrischen Wüste studiert haben. Die Gestalt ist
dem Leben entnommen. Die Reiseerlebnisse selbst dürfen uns hier nicht
beschäftigen, aber ebensowenig darf übersehen werden, wie glücklich
das Motiv für den Zweck verwendet ist, den Severus im Auge hatte. Es
erscheint als Abschweifung, nur ganz am Schluß der Episode spielt
Martin hinein. Aber gerade dadurch wird Martin charakteristisch ins
Licht gesetzt: von den Mönchen des Morgenlandes mit ihrer beschaulichen
Versenkung in Gott oder ihrem polternden Vortritt bei Volksagitationen
hebt er sich ab als der Beter und Arbeiter, als der stillthätige
Menschen- und Gottesfreund[019-a]. Ihren eigentlichen Erdgeruch erhält
aber Martins Persönlichkeit durch die Einführung von Severs anderem
Genossen, einem Kelten[019-b], dem Bauern gegenüber den Stadtleuten,
der sich geniert, unter Aquitaniern lateinisch zu reden; er sei ein
Sancerrer Kind und fürchte mit seiner bäurischen Aussprache verwöhnte
Ohren zu beleidigen. »Sprich wie es dir ums Herz ist«, versetzt
Postumianus, »sprich keltisch, sprich gallisch; nur sprich von Martin.«
In dieser Figur scheint Severus den Bauernstand in seinem Verhältnis
zum Heiligen haben schildern zu wollen. Er nennt den Mönch auch mit
dem Sammelnamen Gallus. Das schließt nicht aus, daß ein ausgeprägter
Vertreter des Typus wirklich Modell gestanden habe. Jedenfalls war es,
schriftstellerisch gewertet, ein feines Mittel, allerlei Geschichten,
die über den Heiligen im Lande herumgingen und für ihn charakteristisch
waren, die aber ein gebildeter Mensch schon damals nicht leicht für
bare Münze hinnehmen durfte, dem Publikum nicht vorzuenthalten,
ohne damit selbst irgendwelche Verantwortung zu übernehmen. Auch
darin verrät sich ein künstlerischer Zug und der Widerschein klug
beobachteten Lebens, daß die schlichte Situation in der Klosterzelle
ab und zu durch ein humoristisches Intermezzo unterbrochen wird. Als
Postumianus von einem wohlgemeinten Frühstück berichtete[019-c], das
ein Greis aus Freude, daß sie Christen seien, ihnen vorsetzte, an dem
jedoch ein halbes Gerstenbrot und Gummiblätter das beste waren, deutete
Severus im Spaß zu Gallus hinüber: »Ach, jammerschade, mein lieber
Gallus, daß du da nicht dabei warst. Was meinst du, ein paar Blätter
und ein halbes Brot zum Frühstück für fünf Leute?« Gallus wurde rot und
sagte: »Aber, Sulpizius, du lässest auch wirklich keine Gelegenheit
vorbeigehen, ohne mich an meinen guten Appetit zu erinnern. Sei doch
kein Unmensch! Sollen wirklich wir Gallier in unserem rauhen Klima wie
morgenländische Eremiten oder gar wie Engel leben. Und ein halbes
Gerstenbrot auf fünf Mann ist schon mehr ein Frühstück für Engel.«
Ja bei der nächsten Gelegenheit stellte der gute Gallus geradezu den
Grundsatz auf: »In Griechenland mag Gefräßigkeit Schlemmerei sein, bei
uns in Gallien ist sie Natur[020-a]«.

Der erste Dialog zerfällt in zwei Hälften, die später selbständig als
getrennte Bücher eingeteilt wurden: in der ersten erzählt Postumianus
seine Reise, in der zweiten Gallus von Martin. Einige Zeit nach
dem ersten entstand ein zweiter Dialog. Er setzt das Gespräch des
ersten am folgenden Tage fort vor erweiterter Zuhörerschaft, nämlich
einigen Geistlichen, aber nur zwei hochstehenden Beamten, da die
übrigen Laien, die sich hinzudrängten, abgewiesen wurden. Gallus
kommt zwischen den Statthalter und den Konsularen zu sitzen. Es geht
lange, bis er die Fassung erlangt, in solcher Gesellschaft ohne Scheu
zu reden. Die Anwesenden unterstützen ihn durch eingestreute eigene
Beiträge über Martin. Die so erhaltenen neuen Nachrichten verteilen
sich gleichmäßig auf die sechs Gesichtspunkte, unter denen Severs
Martinsleben steht. Greifen wir diese auf und illustrieren sie durch
die in den Dialogen gelieferten Beispiele. Der eigentliche Schwerpunkt
von Martins Persönlichkeit liegt in seinem Mönchsstande, insofern seine
Eigenschaften eines Volksheiligen dort wurzeln.


3.

Martin hatte in der Stadt eine Zelle für sich, die er nur verließ, wenn
er ausging[020-b]. In der Kirche hielt er sich für gottesdienstliche
Verrichtungen auf, sonst nicht und lehnte es ab, sich daselbst zu
setzen. Auch in seiner Zelle saß er nicht in einen seiner Würde
entsprechenden Lehnsessel, sondern auf ein dreibeiniges Stühlchen,
wie sich dessen sonst das Gesinde bedient. Auf dem Gang zur Kirche
traf er einst im Winter einen halbnackten Bettler, der Armenpfleger
des städtischen Klerus zog die Sache hin, sodaß Martin dem Armen,
der sich persönlich bei ihm beklagte, in aller Stille sein eigenes
Hemd vom Leibe gab und ihn wegschickte. Der Obersthelfer, eben jener
Armenpfleger, kam, Martin zum Kirchgang aufzufordern: das Volk warte.
Der Bischof antwortete, er könne nicht kommen, bevor der Arme sein Hemd
habe, meinte nun aber damit sich, da er unter der Kutte nichts weiter
mehr anhatte. Aber es sei ja gar kein Armer mehr da, versetzte jener
gereizt, mußte jedoch seinem Vorgesetzten gehorchen. Er erstand für
fünf Groschen ein grobes Hemd geringster Güte. »Und der Arme?« fügte er
bei. Martin bat ihn, draußen zu warten, zog rasch das Hemd an und begab
sich, ohne mehr ein Wort zu sagen, auf seinen Posten in die Kirche.
Als er dann die Messe celebrierte, umstrahlte ihn ein Heiligenschein.
Das Volk sah es. Dagegen wollten nur eine Nonne, ein Presbyter und
drei Mönche das Wunder bemerkt haben. Warum wohl vom geistlichen
Stande nur so wenige[021-a]? Arborius, ein Angestellter der Präfektur
versicherte steif, so oft Martin die Hostie segne, strahle seine Hand
Licht aus und sei mit Perlen bedeckt[021-b]. Auf einer Visitationsreise
scheuchte Martins schwarze Kutte die Zugtiere einer militärischen
Ambulanz. Die Soldaten kannten ihn nicht und maltraitierten ihn und
die Tiere[021-c]. Er hatte die Gewohnheit, seinem Gefolge ein gutes
Stück vorauszugehen. Seine Mönche fanden ihn daher halbtot mit von
Geißelhieben zerrissenem Rücken am Wege liegen. Sie konnten ihn noch
eben auf seinen Esel setzen, den sie für ihn nachführten. Seine
große Liebe für Tiere trug wesentlich zu seiner Popularität bei. Er
besänftigte eine bei einem Brand wütend gewordene Kuh, befreite ein
gehetztes Häslein von seinen Jägern und ihren Hunden[021-d]. Eine
Giftschlange verschwand auf seine Beschwörung in der Loire und befreite
so die am Ufer gelagerte Gesellschaft von ihrer gefährlichen Gegenwart.
»Die Schlangen gehorchen mir«, seufzte er, »die Menschen nicht«[021-e].
Es ging so weit, daß ein Mönch im Namen des Meisters einen bissigen
Hund zur Ruhe brachte[021-f]. Im Umgang mit dem Volk traf er den
rechten Ton[021-g]. Angesichts eines geschorenen Schafes rief er aus:
»Recht so. Wer zwei Röcke hat, gebe einen dem, der keinen hat«. Zu
einem armen Hirten meinte er: »Auch Adam hat im Fell die Schweine
gehütet. Das darf dich aber nicht abhalten, den neuen Adam anzuziehen«.
Vor einer Wiese, deren einer Teil vom Rindvieh abgeweidet und deren
anderer von Säuen aufgewühlt war, während in der unversehrten Mitte
Blumen blühten, predigte er: »Seht, liebe Leute, gerade so ist es mit
dem Heiraten. Wer ohne Ehe oder außer der Ehe sich versündigt, da ist
nur noch Dreck. Wer eine anständige Ehe führt, da ist saftiges Gras,
aber ohne Blumen. Bleibt jungfräulich, dann steht der Garten in Blüte«.
Ein alter Soldat wollte ein beschauliches Leben führen, wünschte aber
in seine Einsiedelei die Frau mitzunehmen. »Hast du in den Schlachten
das Weib auch mitgehabt?« fragte ihn Martin[021-h]. Als umgekehrt
eine Klausnerin in übertriebener Männerscheu es sogar ablehnte,
den Besuch ihres Bischofs zu empfangen und sich durch eine ihrer
Mitschwestern bei ihm entschuldigen ließ, zog Martin höchst erfreut
von ihrem Aeckerchen wieder ab, und als nun dieselbe ihm zum Entgelt
ein Geschenk nachsandte, schlug er, der sonst nichts annahm, die Gabe
nicht aus[021-i]. Bei dieser Leutseligkeit verbreitete sich denn auch
sein Ruhm sehr rasch und über die Landesgrenzen hinaus: in einem
Seesturm an der italienischen Küste rief ein Handelsmann aus Aegypten,
der noch nicht einmal Christ war: »Martins Gott, rett uns«[022-a].
Auch als Vorgesetzter bewies Martin seine Ueberlegenheit[022-b]. Auf
seine Weisung fing der Klosterverwalter Cato den zum Ostermahl nötigen
Fisch, den weder dieser, doch ein geübter Angler, noch die Fischer
von Beruf am Tage vorher hatten fangen können. Der Erzähler erinnert
bei diesem Vorfall in demselben Atemzug an den wunderbaren Fischzug
im Evangelium und an den profanen Vers: »Brachte den staunenden
Argern zurück den gefangenen Saufisch«. Wo die gute Sitte auf dem
Spiele stand, kannte Martin keinen Spaß[022-c]. So schlich sich
einmal ein Klosterbruder in Martins Abwesenheit in dessen Zelle und
machte sichs, als er auf dem Kohlenbecken noch Gluten fand, bequem,
indem er die untere Partie seines Gewandes aufknöpfte und sich mit
entblößtem Unterleib und gespreizten Beinen ans Feuer setzte. Er wurde
ertappt und furchtbar abgekanzelt. Martins Wohnung im Kloster hatte
ein Hinterpförtchen, durch das die Besessenen insgeheim zur Heilung
eingeführt wurden[022-d]. Sie war von einem Höfchen umgeben[022-e].

Gegen Martin, der das Mönchtum in Gallien so kraftvoll einzurichten und
gegen den Willen der Kleriker wirksam durchzusetzen wußte, befolgte
die Geistlichkeit die Taktik, ihn so viel immer möglich zu ignorieren.
Dennoch gelang es Martin in seiner Stellung als Bischof seinem Kloster
die kirchliche Unterstützung zu sichern[022-f]; es sollte nicht von den
eigenen Einkünften leben müssen, sondern von der Kirche vollständig
unterhalten werden. Von dieser Ansicht ging er nicht ab. Ein Geschenk
von hundert Pfund Silber bestimmte er zum Loskauf von Gefangenen, und
als ihm die Mönche nahelegten, er möchte doch einen Teil davon dem
Kloster zu halten in Rücksicht auf die schmale Kost und die Vielen
mangelnde Kleidung, war seine Antwort: »Uns soll die Kirche weiden und
kleiden und wäre es auch nur um den Schein zu umgehen, daß wir auf
das unsere ausseien«[022-g]. Sein beständiger Kampf mit den Bischöfen
erreichte seine Höhe auf der Synode von Trier, durch Martins Verhalten
im Priscillianistenstreit. Kaiser Maximus, sonst ein guter Mensch,
hatte sich durch die Priester verleiten lassen, nach Priscillians Tode
den Bischof Phacius, der das Urteil durchgesetzt hatte, sowie dessen
Anhang für unanfechtbar zu erklären[022-h]. Amtsgeschäfte anderer Art
riefen Martin um eben diese Zeit an den Hof. Es war nicht zu vermeiden;
er mußte zu der heiklen Angelegenheit Stellung nehmen. Die anwesenden
Bischöfe, alles Parteigänger des Ithacius, gerieten über Martins
unvermutete Ankunft in Bestürzung. Tags vorher hatte der Kaiser den
Synodalbeschluß bestätigt, wonach bevollmächtigte Geschäftsträger mit
bewaffneter Macht nach Spanien reisen, die Güter der Priscillianisten
einziehen und hochnotpeinlich Gericht halten sollten. Da Martins
Widerspruch außer Zweifel stand, wollten sie erst den Kaiser bewegen,
ihm durch entgegenreitende Boten den Eintritt nach Trier zu verwehren,
falls er nicht von vornherein den Beschluß gutheiße. Martin versprach,
er werde den Frieden der Versammlung nicht stören. Während der Nacht
ging er in die Kirche zum Gebet und begab sich dann zur Audienz in
den kaiserlichen Palast. Sein Anliegen war die Vertretung des Grafen
Narses und des Gouverneurs Leukadius, die beide als Anhänger Gratians
verschiedener Anschläge wegen in kaiserlicher Ungnade waren. Dann
aber verwahrte er sich auch dagegen, daß die Gesandten zu einem
Gericht über Leben und Tod nach Spanien reisen sollten. Ja er wollte
die Ketzer geradezu freigesprochen wissen. Um Martin nicht vor den
Kopf zu stoßen, um aber auch nicht sei es die Bischöfe aufzubringen,
sei es, was wahrscheinlicher ist, auf die eingezogenen Güter zu
verzichten, da er bei dem unabsehbaren Bürgerkriege Geld brauchte und
der Staatsschatz erschöpft war, ließ Maximus die Sache zwei Tage in
der Schwebe. Während dieser Zeit vermied Martin jede Gemeinschaft mit
den Bischöfen. Nur ein einziger von ihnen hatte öffentlich gegen den
Beschluß Verwahrung eingelegt, und wenn nun Martins Ansehen Theognit
unterstützte, so konnte alles umsonst sein. Sie machten dem Kaiser
Vorstellungen, Martin werfe sich geradezu zum Bluträcher Priscillians
auf, was nütze dann die Hinrichtung. Sie brachten den Fürsten herum:
Ithacius erhielt ein Vertrauensvotum von der Synode, und als Martin das
nicht zu kümmern schien, lehnte der Kaiser ab, ihn weiter zu hören.
Und da entschloß sich nun Martin, nicht aus Mangel an persönlichem
Mut, sondern aus Furcht vor den Folgen zu dem Zugeständnis, er werde
die Gemeinschaft mit den Bischöfen aufnehmen, falls die Abordnung
nach Spanien zurückgezogen würde. Noch in derselben Nacht erlangte
er vom Kaiser diesen Vergleich ohne Aufschub und erschien am andern
Morgen bei der Weihe des Felix von Trier in den Reihen der Synodalen.
Nur gab er seine Zustimmung auch jetzt nicht schriftlich und reiste
am folgenden Tage ab. Das Bewußtsein durch seine Nachgiebigkeit den
spanischen Sektierern das Leben gerettet zu haben, vermochte ihn nicht
über seine Gewissensbisse hinwegzutrösten, daß er schwach gewesen und
seiner Ueberzeugung entgegengehandelt habe. Auch zu Hause verbitterte
ihm die klerikale Partei das Leben[023-a]. Sein empfindlichster Gegner
war Briccius. Bei Severus erscheint er als ein bis zum Wahnsinn
zanksüchtiger und nichts als Ränke spinnender Mensch. Martin habe
keinen anderen Trost gehabt als: »Wenn Christus sich Judas gefallen
ließ, so kann ich mir auch Briktion gefallen lassen«.

Für seinen eigentlichen Beruf hielt Martin indessen nach wie vor die
Bekehrung des Landvolkes vom Heidentum[024-a]. Obschon Severus gerade
in diesem Stück schon in der ersten Schrift sehr ausführlich gewesen
war, erzählt er nun noch die Zerstörung des Heidentempels in Amboise,
zu der Martin durch sein unablässiges Zureden endlich den handfesten
Pfarrer von Ambiakum bewegen konnte, nachdem dessen Meinung erst dahin
gelautet hatte, kaum mit einem Zug Soldaten und auf dem Wege einer
massenhaften Anstrengung könnte ein solches Nest ausgehoben werden,
geschweige denn durch Dummköpfe von Klerikern oder Schwächlinge von
Mönchen. Daran schließt sich der Bericht an eine andere ähnliche That,
aber ohne lokale Präzisierung und auch als Vorgang ganz ins Fabelhafte
aufgelöst[024-b]. Auf dem Wege nach Chartres bekehrte Martin sodann ein
ganzes heidnisches Dorf, das noch keinen einzigen christlichen Bewohner
zählte, auf einen Schlag und machte alle Anwesenden auf offenem Felde
durch Handauflegung zu Katechumenen[024-c]. Das Wunder, wodurch er
dies zu stande brachte, war eine Totenerweckung, eine dritte zu den
beiden früher berichteten: Beweis, daß er auch als Bischof noch zu den
höchsten mirakulösen Kraftleistungen fähig gewesen sei. Es war ein
Knabe, dem er nun vom Tode half; doch ist die Behandlung des leblosen
Körpers diesmal nicht näher beschrieben. Von Krankenheilungen[024-d]
stehen die Genesung des Evanthius, Severs Onkel, und die Errettung
eines vom Schlangenbiß gefährdeten Knaben im Vordergrunde. In Chartres
heilte er ein zwölfjähriges Mädchen[024-e], das nicht sprechen konnte,
in Gegenwart zweier Bischöfe und des Vaters, durch geweihtes Oel,
indem er den Anfang des Exorcismus darüber sprach und darauf die Zunge
mit dem Erfolg bestrich, daß das Mädchen auf die Frage, wie es heiße,
nun seinen Namen sagen konnte. Von Martin geweihtes Oel besitzt dann
aber auch fern von ihm wunderbare Eigenschaften, deren volkstümlichste
darin besteht, daß es selber unerschöpflich und das enthaltende Gefäß
unzerbrechlich ist[024-f]. Die frommen Schwestern von Clion zwischen
Tours und Bourges plündern den Strohsack in der Sakristei, als der
Heilige auf der Durchreise eine Nacht daselbst zugebracht hatte, und
benützen die Halme als Amulete, um sie namentlich Besessenen auf
den Nacken zu binden[024-g]. Die Berührung seines Gewandes heilte
— »nach dem Beispiel jenes Weibes im Evangelium« — eine Frau vom
Blutfluß[024-h]. Im Namen Martins thaten Andere Wunder[024-i]. Auch
einige Andeutungen über Martins persönliche Verfassung beim Wunderthun
werden uns nicht vorenthalten: es gab Fälle, wo der Heilige spürte, er
sei den an ihn gestellten Anforderungen nicht gewachsen[025-a]. Nach
seinem nachgiebigen Verhalten in Trier ließ er es sich nicht nehmen,
obschon der Erfolg ihm später unrecht gab, seine Wunderkraft habe sich
stark verringert. Als er auf jener Rückreise in Sandweiler Station
machte, drückte ihn dieses Gefühl der Ohnmacht im Wunderthun stark
nieder. Und als die ganze Familie des Lycontius an den Blattern krank
lag, brauchte er sieben Tage und sieben Nächte, bis er sie freigebetet
hatte[025-b].

Ueber Martins Beziehungen zu den hohen weltlichen Würdenträgern
sind die Dialogen ausführlicher als ihr Vorläufer, und wissen von
allerlei Verkehr. Der Gouverneur Vincentius wollte auf der Durchreise
durch Tours von Martin im Kloster empfangen sein und wiederholte
dieses Gesuch mehrere Male, zumal ja auch Ambrosius von Mailand hohe
Beamte gelegentlich bei sich zu Gast lud. Martin fühlte sich dazu
nicht verpflichtet[025-c]. Dagegen hatte er es darauf abgesehen, den
berüchtigten Raubgrafen Avitanus zu zähmen[025-d]: es stellte sich
ein förmlicher Wettkampf zwischen den beiden Gewaltmenschen, dem
heiligen und dem sündhaften ein, der auch in Offizierskreisen mit hohem
Interesse verfolgt wurde. Martin suchte den wilden Gesellen, sobald er
sich vor Tours blicken ließ, mehrmals, sogar mitten in der Nacht in
seinem Lager auf und hatte denn auch bald heraus, daß das wüste Wesen
von einem häßlichen schwarzen Teufel herrührte, der dem Avitanus im
Nacken saß und ihn auftrieb. Martin beschwor ihn: von Stund an war
Avitanus etwas milder gestimmt. Ueberhaupt betrug er sich in Martins
Nähe stets manierlicher; während er sonst das reine Tier war und ganz
entsetzlich zu hausen pflegte, hatte Tours nicht von ihm zu leiden.
Allerdings stand seine Gattin mit Martin im Einvernehmen. Anderer Art
war Martins Beziehung zu Ausspizius, dem Präfekten der Gegend von
Sens[025-e]. Diese wurde Jahr für Jahr von Hagelschlag heimgesucht, der
die ganze Ernte zu nichte machte; nicht nur die Bauern, auch Ausspizius
selbst, der Ländereien besaß und daher die Einbuße schwer empfand,
sandten an Martin. Wie sehr der durch ihn veranstaltete Bittgang
wirkte, zeigt die Thatsache, daß während der zwanzig Jahre, die Martin
noch lebte, kein Hagelwetter mehr niederging, sobald er jedoch nicht
mehr da war, das Jahr nach seinem Tode, die Landplage wieder begann.
Während ferner im Martinsleben nur vom Verhältnis zu Kaiser Maximus
die Rede ist, berichten die Dialogen auch von einem solchen zu Kaiser
Valentinian[025-f], insofern lange Zeit einem vergeblichen, als Martin
in Trier erst gar nicht die nachgesuchte Audienz erlangen konnte;
das Geschichtchen, daß er schließlich unter fabelhaften Umständen
doch sich Einlaß verschafft habe, klingt allerdings unglaublich;
möglich ist seine Zulassung immerhin, und daß sich Valentinian dann
über Erwarten freundlich gezeigt hat. Der jedenfalls nicht geringe
Widerstand lag in dem arianischen Bekenntnis des Kaisers und der hierin
noch entschlosseneren Kaiserin. Genau der umgekehrte Fall lag aber
vor gegenüber Maximus, der sich in die Freundschaft zu dem Heiligen
mit seiner Frau zu teilen hatte[026-a]. Diese wurde den heiligen und
rechtgläubigen Mann nicht müde und überbot sich in seiner Verehrung.
Sie wollte Tag und Nacht um ihn sein; ohne alle Rücksicht auf ihren
kaiserlichen Stand war sie nicht vom Boden wegzubringen; immer aufs
neue umschlang sie Martins Füße. Aber die Rolle der Maria genügte ihr
nicht; sie wollte auch Martha sein und ließ dem Bischof keine Ruhe,
ehe er ihr erlaubte, ihn zu bewirten. Eigenhändig bereitete sie das
Mahl, richtete das Ruhebett, deckte den Tisch, brachte das Waschbecken,
bediente ihn mit Speisen, die sie selber gekocht hatte und so lang er
am Tisch saß, hielt sie sich bescheiden hinten im Zimmer, genau wie
eine Magd. Sie schenkte ein und kredenzte den Trank. Nach beendeter
Mahlzeit fand sie ihren Lohn in den Brosamen, die sie den Leckerbissen
der kaiserlichen Tafel vorzog. Das alles ließ Martin, der nie ein
Weib in seiner Nähe duldete, nur ungern mit sich geschehen; er ist
wahrscheinlich von seiner Strenge nur darum abgewichen, weil er dadurch
weitgehende Begnadigungen für Verurteilte erwirken konnte.

Schließlich bringen die Dialogen auch neue Belege zu Martins Verkehr
mit der Geisterwelt. Es war dies sein persönlichster Besitz, sein
innerstes Geheimnis. Er gestand diese Dinge seinem Lieblingsschüler
auf Befragen, denn es gab nichts, was Severus ihm nicht entlocken
konnte[026-b]. Als dieser darüber zu berichten beginnt, meint er,
allerdings müsse er nun der Gläubigkeit viel zumuten. Aber, bei
Christo, er lüge nicht, und wer denn so frivol sei, Martin Lügen zu
zeihen. Als einmal in der Zelle des Heiligen ein Getöse losging und
Severus sich nach der Ursache erkundigte, erzählte Martin, soeben seien
die heilige Agnes, die heilige Thekla und die Mutter Gottes bei ihm
zu Besuch gewesen. Er konnte jede beschreiben wie sie aussah, wie sie
angezogen war. Er erklärte, solche Gäste öfters zu haben, auch Sankt
Peter und Sankt Paul kämen wohl zu ihm. Die Engel waren seine Freunde.
Als er zu seinem Bedauern einer Synode von Nimes nicht beiwohnen
konnte, hat ihn ein Engel über die Verhandlungen unterrichtet, sodaß
er alles schon wußte, als es ihm seine heimkehrenden Freunde erzählen
wollten. Unter den bösen Geistern kannte er sich ebenfalls aus. Er
unterschied sie einzeln. Für den verderblichsten hielt er den Merkur,
Juppiter hieß er dumm und stumpfen Sinnes. Der alte, harte, trockene
Kriegsmann war also ein fertiger Visionär und in seiner ekstatischen
Welt so zu Hause, wie auf der harten Erde. So konnte er sich auch mit
einer altväterischen Theologie begnügen[027-a]. Als gelegentlich die
Rede auf die letzten Dinge kam, frischte er den verjährten Gedanken
wieder auf, erst müßten Nero und der Antichrist erscheinen, Nero
werde im Westen zehn Königreiche erobern, während der Antichrist vom
Morgenland Besitz ergreife mit Residenz in Jerusalem, wo er Stadt und
Tempel herstellen werde. Von ihm gehe dann die Verfolgung aus nebst dem
Zwang, die Gottheit Christi zu leugnen, vielmehr ihn den Antichristen
als Christus anzuerkennen und sich insgemein beschneiden zu lassen.
Zuletzt werde Nero vom Antichristen vertilgt werden und unter seiner
Herrschaft die ganze Welt noch einmal vereinigt sein, bis durch die
Wiederkunft Christi alsdann der Gottlose überwältigt werde. Auch stehe
es außer Zweifel, daß der Antichrist vom bösen Geist empfangen und
geboren sei und sich bereits in den Knabenjahren befinde, um dann bei
eingetretenem Mannesalter die Herrschaft anzutreten. Das war Martins
Ansicht kurz vor seinem Ende. Mochte sie auch aus der Mode sein, sie
war ihm doch eine Unterlage zu klarem, kraftvollem Handeln in diesen
Dingen. Schon als jungem Christen hatte ihm vor allen priesterlichen
Funktionen das Exorcieren am meisten zugesagt, und noch als Greis
verstand er sich am besten auf die Befreiung der Besessenen von den
Dämonen. Von seinem Umgang mit den Verrückten erhalten wir aus den
Dialogen einen ergreifenden, großartigen Eindruck[027-b]. Er trainierte
sich auf den Feind. Niemand durfte ihn dann anrühren, Niemand ihn dann
sprechen. Wie ein Tierbändiger den Käfig seiner Bestien betritt, um
sie zu zähmen, betrat er, in ein Fell gekleidet, Asche auf dem Haupt,
die Kirche, in der die Irren zusammengesperrt tobten und brüllten. Er
streckte sich mitten unter ihnen zum Gebet auf den Boden aus. Die einen
suchten ihn durch unzüchtige Haltung von sich abzuschrecken, die andern
stürzten um so unterwürfiger auf ihn zu und stellten sich ihm ungefragt
als Juppiter oder Merkur vor. Und mitten in diesem entsetzlichen Jammer
bethätigte er seine Heilkunst Leibes und der Seele. Severus durfte
sagen, Martin habe jenes Wort des Neuen Testamentes wahrgemacht, das
den Heiligen Herrschaft über die Geister verheiße[027-c].


4.

Dies sind die Mitteilungen des Sulpizius Severus über Martin von
Tours. Als maßgebend für die Beurteilung seiner Leistung liegt die
Erkenntnis vor uns da: Severus hat nicht ~ein~ Lebensbild von Martin
hinterlassen, sondern zwei, jedes in seiner Art selbständig abgerundet,
obgleich das zweite ein erstes voraussetzt. Schriftstellerisch
gemessen ist das eine Unvollkommenheit, kein Vorzug. Gerade weil
Severus maßhalten wollte und damit bewies, daß ihm an Oekonomie liege,
war es ihm unmöglich, des Stoffes in einem einzigen Wurfe Herr zu
werden. Er sammelte die Brosamen, die von der allzu reichbesetzten
Tafel fielen, und siehe, sie reichten aus zu einer zweiten Mahlzeit.
Wer weiß, wie viel schwerer es ist, einen Gegenstand, an dem das
Herz hängt, nachbildend zu gestalten, als einen persönlich fremden
und gleichgiltigen, wird die litterarhistorische Merkwürdigkeit des
Doppelportraits hinreichend erklärt finden aus dem überwältigenden
Eindruck, den Martin seinen Anhängern hinterlassen hatte. Damit hängt
zusammen, was über die Geschichtlichkeit von Severus’ Angaben zu sagen
ist. Von der Glaubwürdigkeit der erzählten Wunder ist abzusehen. Das
nackte Ja oder Nein der Möglichkeit oder Unmöglichkeit verkürzt das
Verständnis der großen Wichtigkeit, die das vom Heiligen berichtete
Wunder, ob geschehen, ob nicht geschehen, ob anders geschehen in
jedem Fall für die Heiligenforschung hat. Lassen wir auch diese
Frage hier auf sich beruhen, die Geschichtlichkeit der Berichte
Severs über Martin hat immer noch ihre Schranke. Einmal kommt Severs
Parteilichkeit gegenüber der damals in Gallien vorhandenen starken
Spannung zwischen Klerus und Mönchtum, besonders in den Dialogen, zu
unverhohlenem Ausdruck. Heilige Tendenz ist die Seele seines ganzen
Unternehmens: Galliens größter Gottesmann soll auch litterarisch in den
Himmel erhoben werden. Oefters wird Martin neben Christus gehalten,
und nicht weniger oft der gallische Weltklerus mit den Pharisäern
auf gleiche Linie gestellt[028-a]. Die Schriften Severs über Martin
waren Streitschriften; sie sollten mit für das Mönchtum in Gallien
Bahn brechen. Gewissermaßen eine Folge davon ist auch die einseitige
Darstellung des Priscillianistenstreites bei Sever, obwohl er sich
hier nicht zu maßlosen Ausfällen hinreißen läßt. Diese Befangenheit
zu Gunsten der Mönche und Sektierer ist indes begreiflicher, als ein
anderer empfindlicher Mangel in Severs Martinsschriften, zumal er nun
nicht dem Menschen, sondern ausschließlich dem Schriftsteller aufs
Konto zu setzen ist: die chronologische Nachlässigkeit, die er sich in
der Vita zu schulden kommen ließ und in den Dialogen nicht gut gemacht
hat. Man muß sich füglich wundern, daß der Verfasser einer Weltchronik
über dem charakteristischen Detail es so völlig vergaß, die Gestalt
seines Helden in den zeitgeschichtlichen Rahmen hineinzustellen. Kein
einziges Datum als solches findet sich vor. Bekannte zeitgenössische
Namen und Ereignisse, an denen man sich zur Not orientieren kann,
sind so sorglos gelegentlich mit einbezogen, daß sie teilweise nur
noch Verwirrung stiften, statt unsere Unsicherheit zu heben[029-1].
Die wenigen eigentlichen Zeitbestimmungen sind entweder persönlicher
oder innerbiographischer Natur[029-a]: es sei ein Jahr her, daß
Martin ihnen das erzählt habe; oder noch sechszehn Jahre nach der
Anwesenheit in Trier und dem Zwischenfall mit Maximus habe Martin
gelebt; eine wenn auch nur indirekte annalistische Festsetzung des
Datums findet sich nirgends. Auf diesen bei einem so trefflichen
Chronisten wie Severus doppelt befremdlichen Umstand wirft nun aber
die Thatsache ein unmißverständliches Licht, daß Martin in Severus
Chronik nirgends vorkommt. Am Schluß des zweiten Buches wäre doch
Gelegenheit genug gewesen, Martin in die zeitgenössischen Ereignisse
hineinzustellen, sogut als Hilarius von Poitiers, der auf diese Weise
seine chronologische Unterlage erhielt[029-b]. Aber das war es ja
eben: Martin stand nun einmal für Severus außerhalb der Zeit in einer
höheren Welt einsam da. Der Meister wirkte zu gewaltig, als daß er
geschichtlich assimilierbar gewesen wäre. Eine organische Verbindung
wollte sich nicht einstellen. Der bewundernde Zeitgenosse stand zu
dicht vor der Riesengestalt und sah, sobald er nur den Blick auf
Martin richtete, eben dann auch weiter nichts mehr als Martin. Seine
Befangenheit erklärt sich aus seinem Enthusiasmus[029-c]: »Ich hörte
seiner Zeit vom Glauben, vom Leben, von den Tugenden Martins; ich hörte
alles, da brannte mein Herz; es trieb mich hin zu ihm. So unternahm ich
die Reise, ich kann sagen die Lustreise, bis ich ihn sah. Und weil ich
mich schon damals getrieben fühlte, sein Leben zu schreiben, forschte
ich bei ihm selbst, soweit mir da eine Frage freistand. Er erschöpfte
sich in freundlichen und freudigen Ausdrücken und in Versicherungen,
wie er Gott danke, daß man so große Stücke von ihm halte und um
seinetwillen so weit hergereist komme. Hat er nicht, kaum wag ichs zu
gestehen, mich, lieber Gott mich, an seine heilige Tafel gezogen, ja
mir selber abends die Füße gewaschen. Ich brachte es nicht übers Herz,
mich zu sträuben oder auch nur im geringsten zu widerstreben. Seine
Erscheinung hatte etwas so überwältigendes für mich; ein Verbrechen
wäre es gewesen, nicht still zu halten«. Diese große Persönlichkeit
schriftstellerisch festzuhalten, daran lag Severus alles. Aber ebenso
sicher wollte er lieber schweigen, als auch nur eine einzige Unwahrheit
sagen, eigene Anschauung und sichere Information seien die Grundlage
für ihn gewesen[029-d]: »Ich habe natürlich nicht alles in Erfahrung
bringen können. Ueberall da, wo nur er der Wissende war, giebt es
keine Mitwissenden. Da es ihm nie um das Lob der Menschen zu thun
war, liebte er es, von seinen Thaten möglichst wenig zu verlauten«.
»Ich kann bei meinem gewissen versichern, nur die volle reine Wahrheit
gesprochen zu haben. Den von Gott bestimmten und erhofften Preis wird
empfangen nicht wer da liest, sondern wer da glaubt«. Innerhalb seiner
begreiflichen Befangenheit war Severus somit gewissenhaft und, alles
in allem erwogen, vielleicht der beste Schilderer Martins, der damals
möglich war. Jedenfalls ist es ihm gelungen, Martins Andenken wirksam
aus die Nachwelt weiterzuleiten.


5.

Freilich giebt auch der Heilige selbst, so imposant er ist, Anlaß
zu Vorbehalten. Es war ein großer, aber ein durchaus einseitiger
Mensch. Neben seiner Milde und seinem weichen Herzen blieb für Enge
und Starrheit immer noch Raum. Gewiß, es bedurfte ihrer, um in
Gallien das durchzusetzen, was er im Auge hatte. Aber neben seinen
Freunden Ambrosius und Hilarius, denen es doch an Festigkeit des
Charakters auch nicht gebrach, fällt er durch seine ausschließlich
praktische Bethätigung der Religion doch auf. Schriftliches hat er
nicht hinterlassen; der von ihm erwähnte Brief[030-a] mag eine Rarität
gewesen sein. Auch als Bischof fühlte er sich nicht berufen, an der
theologischen Gedankenarbeit seiner Zeit teilzunehmen. Es war ihm
durchaus wohl bei den dunkelmännischen Ansichten über das Weltende,
die in den Zeiten der Märtyrerkirche lebendig gewesen waren, die
dann zu Anfang des vierten Jahrhunderts Viktorinus von Pettau zum
letzten Mal vertrat, die aber zu Martins Zeiten nach dem einstimmigen
Urteil von Autoritäten wie Hieronymus und Augustin als falsch kurzer
Hand beseitigt wurden[030-1]. Auch sein Hirtenamt hat er vorwiegend
mönchischen Idealen unterstellt und ist damit zweifelsohne manchem
Bedürfnis seiner Gemeinde nicht gerecht geworden. Die Hoheit seiner
Demut steigerte sich bis an die Grenze des Gegenteils: er war ein
Aristokrat der Bettler und Asketen. Und gar, daß in der Nähe des
Weibes auch der Teufel nie weit sei, war für ihn ein Grundsatz, von
dem er nicht abging. Für die rührende Gattenliebe, die es jenem alten
Soldaten unmöglich machte, ohne seine Frau Gott zu dienen, hatte er
vielleicht Verständnis, aber keine Duldung. Wer dagegen unbedenklich
Familie und Welt dahinten ließ, war unter allen Umständen sein Mann.
Wahrscheinlich bildeten seine Anhänger unter den Christen Galliens die
Minderheit. Vielen blieb er sonderbar und unverständlich; andern war
er eine komische Figur. Zwar sagt Severus[030-b]: »Seiner Widersacher
waren glücklicherweise nur wenige; aber leider durchgehend Bischöfe,
sonst Niemand. Es braucht kein Name genannt zu werden. Was hilfts aber,
da Andere um uns her es ausschreien, daß die Ohren gällen«. Aber die
Wahl seines Nachfolgers enthält doch einen bedeutsamen Fingerzeig; die
Gemeinde von Tours berief seinen erklärten Feind Briccius zu ihrem
Bischof. Man wollte bei aller Verehrung für Martin nicht schon wieder
einen ›Heiligen‹ an der Spitze der kirchlichen Angelegenheiten.

Nichts desto weniger stand alt Frankreichs Kirche in Martins mächtigem
Bann und Schatten jahrhundertelang. Nur eine schon bei Lebzeiten
riesenstarke Natur konnte mit einem solchen Einfluß durchhalten. Das
Geheimnis dieser persönlichen Kraft beruht in der eigentümlichen
Wechselwirkung zweier sich entgegenstehender Pole, sozusagen einem
Tagpol und einem Nachtpol. Der eine Herd seiner Erfolge war sein
kräftiger, volkstümlich gesunder Erdinstinkt, ein frischer, energischer
Trieb, Hand anzulegen und Greifbares zu schaffen. Was er als
Mönchsvater, als Heidenmissionar und als Arzt ausgerichtet hat, quillt
alles aus diesem freudigen Verlangen nach Arbeit und Wirksamkeit.
Die Einrichtung und Leitung von Marmoutiers bei einer Zahl von gegen
hundert Mitgliedern läßt auf ein hervorragendes organisatorisches
Talent schließen, zumal es in so früher Zeit in Gallien erst nur sehr
wenige Klöster gab, die man zum Muster nehmen konnte und wohl kaum
eines, das solche Dimensionen aufwies. Ueber gehandhabte Zucht und
erforderlichen Wandel verlautet allerlei, das die lockere Anlage eines
Asketenvereins überbietend schon auf die ganze Strenge einer späteren
Klosterregel hindeutet. Gründung und Einrichtung des einen Klosters
war ja aber das geringste. Vor Martin, schreibt Severus[031-a], hatte
nur eine kleine Anzahl oder im Grunde fast Niemand hier den Namen
Christi angenommen. Einzig seiner Wirksamkeit, seinem Beispiel ist es
zu danken, daß bald kein Ort mehr war, wo sich nicht in Hülle und Fülle
Kirchen und Klöster erhoben. Deutlich zeigt sich Martins gewaltiger
Wille in seiner Bekämpfung heidnischen Götzendienstes. Da setzte er
immer aufs neue sein Leben ein. Er trat als Aufklärer auf, der Licht
brachte und der überall durch die Ueberlegenheit seines Auftretens
durchschlug. Staunenswert war aber seine Suggestionskraft gar gegenüber
Kranken, die bei ihm Heilung suchten: zwei der frappantesten Fälle
mögen hier mit Severus eigenen Worten unverändert folgen; zunächst das
stumme und gelähmte Mädchen in Trier[031-b]: »Martin sah die Kranke
und griff alsbald zu den ihm vertrauten Waffen gegen das Uebel; er
warf sich zur Erde auf sein Angesicht und betete. Dann betrachtete
er die Kranke und verlangte Oel. Nun segnete er das ihm dargereichte
Oel und träufelte von der geheiligten Flüssigkeit in den Mund des
Mädchens. Augenblicklich kehrte der Gebrauch der Zunge, die Sprache
wieder. Und so belebte er durch seine Berührung der Reihe nach die
einzelnen Glieder, bis die Genesene festen Fußes sich erhob und vor den
Augen der staunenden Volksmenge erschien«. Einen Besessenen, der alle
ihm Begegnenden anfiel und biß, heilte er in folgender Weise[032-a]:
»er trat vor den Wütenden und befahl ihm ruhig zu sein. Der Besessene
fletschte die Zähne, und sein geöffneter Mund schien beißen zu wollen.
Als aber Martin ihm seine Finger in den Mund steckte und dazu sprach:
Wenn du Macht hast, so verschlinge sie — da floh der Besessene davor
zurück wie vor einem glühenden Eisen, um nicht in Berührung mit ihnen
zu kommen. So wurde der böse Geist ohne Aufschub gezwungen, den Körper,
dessen er sich bemächtigt hatte, zu verlassen, da ihm seine Qualen
zu bleiben nicht gestatteten. Es floh der Satan zwar nicht durch den
Mund, in dem ja die Finger des Heiligen staken, sondern durch einen
andern, des unreinen Geistes vollkommen würdigen Ausgang aus dem
Leibe des Besessenen, nicht ohne ekelhafte Spuren seines Entweichens
zurückzulassen«. Aber Suggestion war nicht die einzige Form, in der
Martin in seiner Wirksamkeit als Volksarzt den Krankheiten zu steuern
suchte; vielmehr griff er gelegentlich auch chirurgisch ein[032-b]:
»Paulinus wurde von einer Augenkrankheit befallen. In einem Auge
hatte schon eine dichte Wolke die Pupille bedeckt; da kam er zu
Martin. Dieser berührte ihm den Augapfel mit dem Wattebausch: der
Schmerz ließ nach; die Sehkraft kehrte wieder«. Es kann somit kein
Zweifel bestehen, das Geheimnis von Martins Erfolgen beruht auf seiner
eminent praktischen Natur, auf seinem rastlosen und unermüdlichen
Zugreifen, auf seiner Hilfsbereitschaft gegenüber den hundert Anliegen
und Bedürfnissen der Stunde. Innerhalb seiner durch sein Mönchtum
ihm gesteckten, allerdings nicht unbeträchtlichen Schranken war er
grenzenlos vielseitig und versagte vor sogut wie keiner Anforderung.

Mit Leib und Seele Mönch hatte er nun aber seinem eigentlichen Wesen
nach nicht im Diesseits Posto gefaßt. Seine Heimat war das Jenseits;
dort holte er seine Kräfte. Auch ist Martin ein so einheitlich
geschlossener und runder Charakter, daß seine transcendentalen
Gewohnheiten nicht unvermittelte Seitensprünge, sondern natürliche
Ergänzungen zu seinem Tagewerk bilden müssen. Schon seine Zeitgenossen
merkten den Unterschied seines ›Bete und Arbeite‹ von der apathischen
Kontemplation der orientalischen Mönche. Er entfaltete keine Schwingen,
um sich in ein seliges Wolkenheim zu erheben; solche Flüge pflegen
Enttäuschung und Abspannung gegenüber der Erde zur Folge zu haben,
und diese Erschlaffung kannte Martin nicht. Vielmehr senkte sich
die höhere Weltschicht für ihn zur harten Wirklichkeit nieder,
vermengte sich mit ihr, ging in sie über, weshalb Martin, ohne seine
seelische Verfassung anders einzustellen, nur allein im Zufall des
täglichen Wandels bald auf der Erde der Menschen und bald sozusagen
auf einer Erde der Geister sich befand. Die beiden Hemisphären dieser
seiner Doppelwelt lösten sich für ihn unversehens aneinander aus;
jetzt sprach er mit wem es war und im Handumdrehen mit Engel oder
Teufel. Selten sind Vorstellungen, die wir als illusorisch ansehen,
in solcher Verdichtung gesehen und geglaubt worden, wie von ihm. Der
Rarität halber mögen die wichtigsten Stellen hier in Severs Wortlaut
folgen[033-a]: »Es ist ausgemacht, daß ihm Engel öfters erschienen
und er selbst selige Gespräche mit ihnen führte.« Was den bösen
Geist betrifft, so war er für Martin sichtbar und er erkannte ihn
in seiner natürlichen Gestalt oder in seinen tausend Verkleidungen,
unter denen die Geister der Finsternis sich zu verhüllen pflegen. Er
erkannte ihn unter jeglichem Bilde. Aus Verdruß darüber, den Blicken
des Heiligen nicht entgehen zu können, noch ihn in seine Schlinge
zu bekommen, rächte sich oft der Teufel, indem er ihm einen Streich
nach dem andern spielte. Eines Tages, als der Heilige in seiner
Zelle betete, erschien ihm der Böse, um und um in hellstrahlendes
Purpurlicht gehüllt, um durch den Glanz die Täuschung zu vollenden,
am Leibe ein Königsgewand, ein Diadem von Gold und Edelsteinen auf
dem Haupte und an den Füßen golddurchwirkte Schuhe. Sein Antlitz
war gewinnend, die Züge lauter Liebe, die Lippen lauter Lob; nichts
verriet den Satan. Martin war auf den ersten Anblick ganz betroffen.
Kein Wort, tiefes Stillschweigen auf beiden Seiten. »Martin, kennst
du den, der vor deinen Augen ist?« redete endlich der Satan ihn an.
»Ich bin Christus; ich wollte, bevor ich auf die Welt niederstieg,
mich dir zeigen«. Martin antwortete nichts. Der Teufel verstieg sich
ein anderes Mal zu seiner unverschämten Behauptung: »Martin! Wie! Du
schwankst zu glauben, was du siehst? Ich bin Christus«. In diesem
Augenblick offenbarte aber der heilige Geist die Wahrheit und ließ
Martin erkennen, daß unter dieser Hülle der böse Geist sich verberge.
»Der Herr Jesus«, sagte er, »hat nicht gesagt, daß er in Purpur mit
einer glänzenden Krone wieder erscheinen werde; wenn ich Christus
nicht in der Gestalt und dem Aeußern, in dem er gelitten hat, sehe,
wenn ich seine Wundmale nicht schaue, so glaube ich nicht, daß er
es ist«. Auf diese Worte hin verschwand das Gespenst, und ein Rauch
erfüllte plötzlich die Zelle mit einer Pestluft, die deutlich genug
den bösen Geist erkennen ließ. Diese Begebenheit, die wir soeben
erzählten, hörte der Schreiber dieser Zeilen aus des Heiligen eigenem
Munde; nehme sich daher Niemand heraus sie für eine Fabel anzusehen.
Nichts gewährt besser einen Einblick in den grobkörnigen Realismus von
Martins Glaubenswelt, als dieser sein Umgang mit dem Teufel: da zeigt
sie sich in ihrer ihm eigentümlichen Beschränkung. Das begriffliche
Element ist ziemlich vollständig eliminiert zugunsten des visionären;
alle theologischen Werte sind gewissermaßen umgebogen in theooptische.
Das große augustinische Problem von Sünde und Gnade findet bei Martin
eine Analogie, die beinahe humoristisch anmutet: der Syllogismus vom
_Posse non peccare_ zum _Non posse peccare_ entspricht bei Martin einer
ganz anderen Gleichung; ebenso unphilosophisch als gemeinverständlich
hieß es für ihn: die Welt ist des Teufels, daher die Sünde in ihr;
man bekehre den Teufel, so hört die Ursache der Sünde auf, die Welt
wird Gottes. Das ist freilich eine Logik sehr auf eigene Faust, nicht
eben stichhaltig gegenüber Gründen, aber umso handfester, um im Leben
etwas auszurichten. Daß ein solcher Glaube Martins innerstem Wesen
zu Grunde lag, zeigen wieder Severs eigene Worte am unmittelbarsten:
»Man hörte oft Anklagen und Vorwürfe, die die Schaar der bösen
Geister dem Heiligen in den verschiedensten Tönen machte; aber der
Heilige wußte, daß sie logen, und ließ sich durch diese Vorwürfe
in keiner Weise rühren. Mehrere seiner Schüler versicherten, der
Teufel habe ihm eines Tages die bittersten Vorstellungen gemacht:
das Kloster gewähre einigen Menschen Unterkunft, die durch jede Art
von Verirrung die Taufgnade verloren und noch nach ihrer Bekehrung
Aufnahme gefunden hätten; zu gleicher Zeit enthüllte er die Fehler
eines jeden einzeln. Martin widerlegte diese Beschuldigungen: die
alten Sünden seien durch die Werke eines besseren Lebens ausgewischt
und durch die Barmherzigkeit Christi seien die Sünden denen verziehen,
die fortan nicht mehr sündigten. Der Teufel wollte widersprechen und
behauptete, die Schuldigen hätten keinen Anspruch auf Erbarmen. Da
aber, so erzählt man sich, rief Martin aus: ›Wenn du, Elender, einmal
aufhören wolltest, die Menschen zu versuchen und in dieser Stunde, da
der Tag des Gerichtes vor der Thüre steht, anfingest, deine Verbrechen
zu bereuen, so hätte ich Gottvertrauen genug, um durch meine Fürbitte
dir Christi Barmherzigkeit zu erlangen.‹ O du gütiger Himmel, was für
ein unerhörtes Vertrauen, so etwas zu versprechen, was nicht einmal
Christus selbst jemals versprochen hat!« Die ekstatischen Fähigkeiten
Martins äußern sich meistenteils als persönliche Auseinandersetzungen,
als eigene innere Seelenkämpfe. Doch fehlt die reine Sehergabe nicht
ganz[034-a]: er sagt dem Kaiser Maximus den Sieg über Valentinian, aber
auch dessen nach Jahresfrist erfolgenden Tod voraus. Sonst vermischen
sich seine telepathischen Eigenschaften gleich mit Visionen: das Wissen
um den Unfall eines Knechtes spielt sich drastisch als Teufelsvision
ab, während die Kenntnis der Verhandlungen auf dem Konzil von Nimes in
derselben Stunde ihm ebenfalls visionär vermittelt wird. Das bildlose
Aufblitzen einer Eingebung entsprach seiner Natur nicht.

Martin war Romane. Aber wie er sein ganzes Leben an der Nordgrenze
des Reiches verbrachte, so hielt er sich auch gegenüber dem geistigen
Besitz der versinkenden Antike am äußersten Rande. Seine Rusticität in
Dingen der Bildung, auch der theologischen, erlaubte ihm fast wieder
den Enthusiasmus des Urchristentums: bald ging die Welt unter, also
galt es für Christus noch zu wirken, was möglich war. So ist es ihm
gelungen, die christliche Religion, die bis dahin nur in den großen
gallischen Städten Gastrecht genoß, im Lande dauernd einzubürgern, und
das nur durch die riesige Energie, die ihn befähigte, der asketischen
Lebensweise in einem so rauhen Klima die Existenz zu sichern. Ohne
Mönche läßt sich die Christianisierung Galliens nur schwer vorstellen;
das Werk, so hart angefochten es war, bewies gerade den Feinden
gegenüber seine Ueberlegenheit; denn im fünften Jahrhundert verdankte
der gallische Klerus seine innere Vertiefung und äußere Geschlossenheit
doch zum guten Teil den Anregungen, die von mönchischen Metropoliten
auf ihn ausgingen. Und als dann die Franken kamen, war es nicht
am wenigsten der großartige Eindruck der als Klerus und Mönchtum
organisierten Kirche, der den Uebertritt Chlodowechs veranlaßte.
Martins Erdenleben hat im Verlauf der Jahrhunderte eine merkwürdige
Bestätigung erfahren, indem nichts so sehr als eben seine Wirksamkeit
das eigentümlich rohreligiöse, paganistische Wesen des merowingischen
Christentums vorgebildet, ja geradezu begründet und ermöglicht hat.
Martin ist der Standardheilige der Merowinger. Mit seinem kräftigen
Reduktionsinstinkt gegenüber den Geistesfinessen der alternden
Antike erscheint er als erste, unerläßliche Voraussetzung einer der
wichtigsten und schwierigsten geschichtlichen Entwickelungen aller
Zeiten: der Bekehrung der germanischen Welt zum römischen Christentum.




Zweites Kapitel.

Die Panegyriker.


Aus dem fünften Jahrhundert wissen wir vom litterarischen Betrieb in
der gallischen Kirche noch eben genug, um die Spuren von Heiligenleben
sicher festzustellen, wenn auch die Ueberlieferung, selbst im
günstigeren Falle, uns nicht mehr rein erhalten ist. Gegen das
Martinsleben des Severus gehalten, handelt es sich nun zwar nicht um
eine Nachahmung, wie es bei einer zeitlich unmittelbaren Fortsetzung
der Gattung anzunehmen wäre. Vielmehr begegnen wir hier einer neuen
Gattung von Heiligenleben, wo das keineswegs fehlende Moment der
Memorie indessen durch hinzutretende rhetorische Einflüsse eine gewisse
Veränderung erleidet.


1.

Severs Freund Paulin von Nola gedenkt in zweien seiner Briefe[036-a]
des gallischen Bischofs Viktricius von Rouen, der 417 gestorben
ist. Diese Briefe sind an jenen Bischof selbst gerichtet und bieten
im Gewande einer ihm dargebrachten Huldigung die Elemente zu einer
Beschreibung seines Lebens dar. In der That ist das so gespendete
Material, allerdings nach Jahrhunderten, noch zu einem Heiligenleben
verarbeitet worden[036-b]. Dies mag hier einleitungsweise erwähnt sein,
um zu zeigen, daß es mit biographischen Notizen nicht gethan, daß
vielmehr eine Form zum Begriff des Heiligenlebens unerläßlich ist.

In den gallischen Heiligenleben aus dem fünften Jahrhundert ist diese
Form nun nicht wie bei Sever, litterarischer, sondern rhetorischer
Natur. Es sind Reden, Lobreden, und da es sich um ein kirchliches
Gedächtnis handelt, Predigten. Solche liturgisch eingegliederte
Eulogien finden wir in einigen bedeutenderen gallischen Bischofsstädten
dann, wenn es einen verstorbenen städtischen Bischof kultisch zu
ehren gilt. Der Anlaß ist die erste Wiederkehr des Todestages, an
der sich dann der Nachfolger seiner Aufgabe entledigt. So hielt
Hilarius von Arles am ersten Jahrestage seines Vorgängers Honoratus
die Gedenkrede, indem er vor der Gemeinde ein Lebensbild des Heiligen
entwarf. Dieses Honoratusleben ist nun eine gehaltene Predigt und
hat durchaus oratorischen Charakter; doch sagt der Vortragende,
er werde sich kurz fassen, weil ja seinen Zuhörern der Mann, der
der Gemeinde so lange vorstand, noch lebendig im Gedächtnis sein
werde[036-c]: »Indessen, geliebte Brüder, kann ich das einzelne mehr
nur berühren, als erzählen, auch das, was anderen vielleicht bekannter
ist als euch. Und nun gar von der Zeit, seit er der eure war, muß
ich nur die Summe ziehen«. Dennoch versteht es Hilarius sich seiner
Aufgabe mit Wärme zu entledigen; es kommt ihm vom Herzen, weil seine
Verehrung für den Heimgegangenen aufrichtig ist, verdankt er ihm doch
seine Bekehrung[036-d]: »Ja, ja, die Fürbitte des Heiligen führt
die Abtrünnigen zurück, unterwirft die Hartnäckigen, gewinnt die
Aufständischen«. Bei allem Schwung des Ausdrucks ist doch unnatürlicher
Schwulst vermieden, und die Sprache bewegt sich noch im guten Latein.
Diese Vorzüge vermögen indes das sachliche Interesse nicht sehr
zu steigern, obschon der Gegenstand dessen doch auch nicht ganz
entbehrt[037-a]; denn Honoratus ist der Gründer des Klosters Lerinum.
Er wurde geboren in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts, als
Mitglied einer hochstehenden gallischen Adelsfamilie. Sein Vater war
Heide und wollte seinen Sohn zum Weltmann erziehen. Dieser aber ließ
sich taufen und neigte dem asketischen Leben zu. Diesen Hang bestärkte
eine Reise, die er in Begleitung seines Bruders Venantius nach dem
heiligen Lande unternahm. Unterwegs starb sein Bruder. Nach Italien
zurückgekehrt, hielt sich Honorat vorzugsweise in der Gesellschaft von
Bischöfen auf. Namentlich fesselte ihn Bischof Leontius von Frejus;
in seinen mönchischen Absichten konnte ihn freilich dieser Umgang
nicht irre machen, und so gründete er auf der Insel Lerinum einen
Asketenverein; an starkem Zuzug sollte es nicht fehlen. Honorat regelte
die Einrichtung des Klosters selber und ging mit dem guten Beispiel
voran. Er stand, trefflicher Briefsteller der er war, besonders mit
Bischof Eucherius in Korrespondenz. Unter denen, die er bekehrte, war
auch ein Verwandter, eben sein späterer Nachfolger Hilarius. Wider
Willen folgt Honorat einem Rufe als Bischof nach Arles. Sein Lebensende
war seiner würdig. Die Rede schließt mit einer Anrufung des Heiligen.

Ein schönes Beispiel eines solchen homiletischen Lebensbildes läge
uns vielleicht in dem Germanusleben des Constantin von Lyon vor.
Aber die Ueberlieferung ist unsicher. Doch lassen sich an eine auch
uns zugängliche ältere Fassung einige Beobachtungen anknüpfen. Der
Charakter einer Rede läßt sich nicht strikt nachweisen, wohl aber
die gottesdienstliche Bestimmung der Schrift, die nicht nur mit
einer Doxologie schließt, sondern auch nachweislich am Ende des
fünften Jahrhunderts in die gallikanische Liturgie als Einlage des
Germanusfestes Aufnahme fand. Sie ist im Lapidarstil des Tacitus
und Sallust gehalten und gibt Aufschlüsse zur Zeitgeschichte. Wir
sind im Stande, diese Mitteilungen einigermaßen zu kontrollieren.
Ueber die Mission des Germanus von Auxerre in Britannien haben
wir das gleichzeitige und vollständig glaubwürdige Zeugnis des
Prosper[037-b]. Dieser kennt jedoch weder den Bischof Lupus von Troyes
als Reisegefährten, noch eine zweite Reise des Germanus. Von beiden
Umständen weiß auch der ältere Text des Germanuslebens nichts[037-1].
Wieder eine andere Frage ist, ob ein ursprüngliches Germanusleben
wirklich den Priester Constantin von Lyon zum Verfasser hatte. Wenn
ja, so ist der Verlust des Originals um so mehr zu bedauern, als wir
hier ein neues Mal einen bedeutenden Menschen, wie Germanus, von einem
nicht unbegabten Schriftsteller beschrieben hätten. Der in der Auswahl
seiner Gesellschaft sehr wählerische Apollinaris Sidonius hielt auf
Constantin große Stücke und schreibt gelegentlich[038-a]: »Ich habe
acht Bücher Briefe für Constantin geschrieben, einen Mann von nicht
gewöhnlichen Anlagen und gesundem Urteil, der, ohne daß ich damit den
andern Schriftstellern unserer Tage zu nahe treten will, sie doch durch
die Fertigkeit treffenderen Ausdrucks in jeder Hinsicht aus dem Felde
schlägt.«

Auch jener Hilarius von Arles, der das Leben des Vorgängers schrieb,
hat selber einen alten Darsteller gefunden[038-b], immerhin nicht
seinen Nachfolger Ravennus und auch nicht Honoratus von Marseille,
sondern einen Unbekannten am Ende des fünften Jahrhunderts. Dieser
schildert vielleicht den Heiligen auf Grund eigener Bekanntschaft;
daß jedoch schriftliche Hinterlassenschaft, nämlich der Briefwechsel
zwischen Hilarius und Eucherius zur Kenntnis systematisch ausgebeutet
wird, rückt die Schrift bereits an die Grenze memorienhafter
Aufzeichnung und spielt in das Gebiet der Nachforschung hinüber.
Hilarius, der ein Mann war und energisch, wenn auch erfolglos die
Unabhängigkeit der gallischen Kirche von Rom verfocht, hätte einen
wirklichen Schüler von ihm auch soweit in seinem Bann gehabt, daß in
dem Lebensbilde die Parteigängerschaft zu Tage träte, während nun sein
Streit gegen Leo mit dem Gleichmut eines schon Fernerstehenden erzählt
ist und in der Mitteilung eines urkundlichen Beleges gipfelt. Auch
dieses Lebensbild schließt mit einem Lobe des Heiligen. Die Sprache
überwuchert von Pathos; Hilarius selbst war hierin feiner gewesen.
Ebenso schieben Ansätze zu eingeflochtenen Kunstreden, die Schrift
in die Nähe des Ennodius. So geringe Ausbeute auch unsere Umschau
nach Heiligenleben in Gallien und im fünften Jahrhundert ergeben hat,
sie läßt uns doch auf einen umfangreicheren Betrieb der geistlichen
Gedächtnisrede schließen, die indessen dann auf italienischem Boden
neue kräftigere Wurzeln schlug. Doch entkeimte auch sie der gallischen
Saat. Denn gestammt hat Ennodius aus Arles; er war seiner Heimat nach
Gallier.


2.

Ennodius war einer Tante zu lieb nach Pavia gezogen, hatte dann reich
geheiratet und sich schließlich mit der Uebernahme des Bistums Pavia
in Italien vollends naturalisiert. Im Jahre 502 bis 503 schrieb er das
Leben seines Vorgängers Epiphanius[038-1]. Es war eine Vorlage, die
reicher geschichtlicher Beziehungen nicht entbehrte.

Epiphanius war von Pavia[038-c]. Seine Eltern Maurus und Focaria
gehörten guten Familien an. Unter Bischof Crispinus trat er in den
Dienst der Kirche und erhielt, acht Jahre alt, das Amt eines Lektors.
Bald darauf erlernte er die Kurzschrift und wurde als Schreiber
verwendet; er hätte aber statt nachzuschreiben, damals ebensogut schon
selber diktieren können. Mit sechszehn Jahren war er reif, in allen
Dingen ein wahres Muster und überdies ein schöner Mensch. Seine Wangen
lachten, selbst wenn er traurig war; sein wohlgestalteter Mund empfahl
sein eindringliches Wort und wohin er sein Auge richtete, kündete sein
Blick die Heiterkeit seiner Seele. Eine Stirne wie aus Wachs und von
ätherischer Weiße. Eine Nase so wohlgebaut, daß kein Maler sie schöner
hätte erfinden können. Die Arme rund und voll, die Finger lang; es
machte auch dem Fremden Freude, aus dieser Hand etwas in Empfang zu
nehmen. Der hohe Wuchs deutete auf den künftigen Bischof. Sein Benehmen
war natürlich und ungekünstelt; seine Art zu reden, wo er vorzutragen
hatte, ansprechend, wo zu schmeicheln, gewählt, wo zu vermitteln,
schon damals fein berechnet, wo zurechtzuweisen, voll Nachdruck, wo
zu ermuntern, eindringlich, ohne sich jedoch etwas an seiner Feinheit
zu vergeben; die Stimme klang voll, männlich elegant, nicht bäurisch
derb, doch auch nicht schwach und gebrochen. Im achtzehnten Lebensjahre
wurde er im zweiten Range vor den Leviten dem Chor der Alten
zugeteilt[039-a]. Viele, doch nur Fremde, fragten erstaunt, welche
Vorzüge ihn dem reiferen Alter zuwiesen. Die ihn kannten, meinten,
diese Würde sei ihm zu spät verliehen worden. Nur zwei Jahre war er
Subdiakon. Er wurde Levite ohne sich je einen Wunsch darnach erlaubt zu
haben. Eine That von ihm aus jener Zeit mag hier erwähnt werden. Das
summische Feld heißt ein Distrikt am Po, wo der sich schlängelnde Strom
dem einen Anwohner schenkt, was er dem andern stiehlt, und der Gewinn
des einen der Schaden des andern Nachbarn ist. Ueber dieses Grundstück
führte ein gewisser Burko einen alten Prozeß mit der Geistlichkeit. Den
Hader zu schlichten, wurde der junge Mann hingeschickt. Im Verlauf der
Verhandlungen verlor Burko die Fassung und schlug den Heiligen blutig.
Da stürzte sich die Mutter des Thäters dazwischen. Aber Epiphanius
hatte sich auch ohnedies vollkommen in der Gewalt, suchte nach wie
vor zu begütigen und auch später, als alle Christen in Pavia Burkos
Tod verlangten und der Bischof weinte, war er der einzige, der ruhig
blieb. Und dabei war er so schüchtern, daß er Diakon geworden die erste
Zeit verlegen dem Blick der Leute auswich. Der Bischof vertraute ihm
das ganze Armenvermögen an, da er sehen wollte, wie er sich einmal als
sein Nachfolger anließe. Auch führte Epiphanius einen reinen Wandel;
daß er Mann sei, merkte er nur an seiner Arbeitskraft, daß er Fleisch
habe, nur bei dem Gedanken an seine einstige Auflösung. Und spielte
sinnliche Lust in seine Traumgebilde — »ich weiß das von ihm selbst« —
so sprang er sofort auf, wachte, fastete, und verbrachte lange Zeit in
aufrechter Stellung. Lesen bildete seine Erholung, die heilige Schrift
unterhielt ihn. Was er einmal durchgesehen, konnte er auswendig,
und so lebendig ging es ihm in Fleisch und Blut über, daß man unter
Umständen aus seiner Handlungsweise auf die Bibelstelle schließen
konnte, mit der er sich zuletzt beschäftigt hatte. Den Haushalt der
Kirche verwaltete er weder verschwenderisch noch knickerig. Er übte
sich schon damals auf das Amt eines Vermittlers ein. Denn wohin er
immer für eine Beisteuer an die Armen von seinem Bischof geschickt
wurde, verstand er sich vortrefflich aufs Bitten; mehr als einer meinte
nach einem solchen Besuch, es sei ihm ein Vorteil erwachsen, daß der
Bischof nicht in Person gekommen sei. Er wurde täglich beliebter,
und zwar gründete sich diese Liebe auf Urteil. Ohne daß man den
Bischof in den Himmel wünschte, konnte man doch seinen Nachfolger
kaum erwarten. Jener selbst fand bei der zunehmenden Altersschwäche
in Epiphanius seine einzige Stütze. Er war ihm Fuß, Hand und Auge.
Im Ganzen blieb Epiphanius acht Jahre Diakon. Auch hatte er in dem
damals sehr tüchtigen Clerus von Pavia Collegen, auf die er stolz sein
durfte: der Archidiakon Sylvester, ein Mann der alten Schule, und der
dem gallischen Adel entstammende Priester Bonosus. Vor seinem Ende
begab sich Bischof Crispinus noch einmal nach Mailand und legte dort
an maßgebendem Orte seine Empfehlung für den Nachfolger nieder, dann
kehrte er nach Pavia wie zu seinem Grabe zurück und starb in der That
bald darauf an der Gelbsucht. Sofort war man einig(040–b). Epiphanius
fühlte sich noch zu jung und wurde wider seinen Willen zur Weihe nach
Mailand geführt. Als er in der Bischofsmütze erschien, jubelten ihm
auch Auswärtige zu. Man beneidete das kleine Pavia um seinen Hirten,
während anderswo die Bischöfe sich im bloßen ~Namen~ »Metropoliten«
gefielen. Er begann seine Regierung damit, sein eigenes Leben aufs
strengste enthaltsam einzurichten. Er gewöhnte sich das Baden ab und
nahm unter dem Verzicht erst auf das Frühstück und dann auch auf das
Mittagessen täglich nur eine Mahlzeit zu sich, des Abends. Er drang
darauf, Hausmannskost zu haben, ohne ungewöhnlichen Gaumenreiz, zumal
er nur Kohl und Hülsenfrüchte aß. Wein trank er wenig und eigentlich
nur, nach dem Rezept des Apostels, gegen Magenschwäche. Er ging bei
jedem Wetter aus und war alle Zeit der Erste am Platze. Er der Bischof
ging den Lektoren voran und bestimmte den Gang der Vigilien. Vor dem
Altare stehend wohnte er jedem Gottesdienste bei, sodaß er mit dem
Dunst seiner Füße den Platz befeuchtete und schon von weitem kennbar
machte. In der Mußezeit beschäftigte er sich immer auch, um nachher auf
die wirkliche Arbeit besser gerüstet zu sein. Dabei wurde Epiphanius
zu hohen politischen Sendungen berufen. Der in Mailand residierende
Patricius Ricimer läßt sich von dem ligurischen Adel bestimmen,
den Epiphanius mit der Aussöhnung zwischen ihm und dem Kaiser zu
betrauen. Der Bischof begab sich zu diesem Zwecke nach Rom mit vollem
Erfolge[041-a]. Seine jüngere Schwester Honorata widmete sich ebenfalls
dem geistlichen Stande und wurde vom Bruder an eine besonders fromme
Nonne Luminosa gewiesen[041-b]. Nach Ricimers und Anthemius Tode folgte
Olybrius, auf ihn Glycerius und auf diesen Nepos. Zwischen ihm und
den Westgoten, die Eurich mit eiserner Faust beherrschte, brach Zwist
aus. Im achten Jahre seines Episkopats[041-c] wurde Epiphanius von
Nepos angegangen, einen Ausgleich zu Stande zu bringen. Die an sich
schon beträchtlichen Beschwerden der Reise nach Tolosa verdoppele er,
indem er bei jeder Station stehend die Psalmen und andere geistliche
Lesung vornahm und dann an einem schattigen Platze auf grünem Rasen
sich dem Gebete hingab. Auch diese Mission glückte, da er sowohl König
Eurich als dessen Minister Leo vollständig einzunehmen verstand.
Als er Tolosa wieder verließ, gab ihm die ganze Stadt das Geleite.
Auf dem Rückweg besuchte er die heiligen Stätten, die Medianen, die
Stöchaden und Lerinum, die flache Mutter der höchsten Berge. In Pavia
brach dann die Revolution aus, weil Odoaker die Hand nach der Krone
ausstreckte[041-d]. Orestes hatte sich im Vertrauen auf ihre Festigkeit
in diese Stadt zurückgezogen. Beide Kirchen gehen in Flammen auf,
die ganze Stadt brennt. Der Bischof konnte seiner Schwester, die
gefangen wurde, das Leben retten und verwandte sich ebenso für viele
andere, namentlich für Hausfrauen. Unter seiner Autorität erhob sich
die Stadt wieder, und als Orestes bei Piacenza gefallen war, stand
Odoaker nicht an, dem Bischof besondere Ehren zu erweisen. Rüstig
ging dieser ans Werk, die Gotteshäuser wieder aufzubauen; auch ohne
Geld: es sei doch schwer denkbar, daß einem Menschen Ueberfluß zu Teil
werde, der ein Bettler von Gemüt sei. So brachte er die Summe zusammen.
Nun stürzte aber beim Bau die Säulenwand der einen Kirche ein; um so
entschlossener ging Epiphanius wieder ans Werk. Seinem Gebete ist es
auch beizumessen, daß der Einsturz der Kuppel mit samt dem Gerüst
keinem der Bauleute auch nur einen Beinbruch zuzog. So wurden unter
seiner Leitung erst die kleinere und dann die größere Kirche wieder
aufgebaut. Auch für die politische Wohlfahrt war er besorgt und
bewirkte bei Odoaker für die Städte einen Nachlaß der Steuern auf fünf
Jahre. Ebenso erhob er Einsprache beim König, als der Präfekt Pelagius
durch maßlose Getreideankäufe Ligurien bedrückte. Wieder wechselte
das Regiment[041-e]. Theodorich erschien und erkannte mit seinem
Scharfblick den Bischof in dessen ganzem Werte. Als die Partei Odoakers
unter Tuffa noch einen letzten Versuch machte, konzentrierte König
Theodorich sein Heer in Pavia. Die Stadt wurde dadurch übervölkert.
Da konnte Epiphanius Segen stiften. Als Freund sowohl Odoakers als
Theodorichs genoß er bei beiden Parteien Ansehen. Seinen Frieden störte
auch der Krieg nicht. Täglich bewirtete er liebevoll die Räuber und
verabreichte innerhalb der Stadtmauer das Nötige denen, die draußen
seine Landgüter verwüstet hatten. Die Auslösung der gefangenen Weiber
und Kinder ging durch seine Hand. Dem Könige war er der rechte Mann und
galt ihm für verehrungswürdig vor allen Heiligen. Alle Römer, die seine
Gothen abfingen, stellte der Fürst ihm zurück. Wie vielen Unterthanen
verschaffte er Grund und Boden wieder, wie viele schützte er vor
Bedrückungen! Und was mußte er sich feindlicherseits an Grobheiten
und Beleidigungen gefallen lassen! Drei Jahre stand er unter diesem
Kreuz. Nach dem Abzug der Gothen wurde die Stadt den Rugiern übergeben.
Es war ein wildes Volk, dem ein Tag ohne Gewaltthat für verloren
galt[042-a]. Doch auch sie gewann Epiphanius, ihn, den Katholiken und
Römer, hochzuschätzen. Zwei Jahre verlebte er mit ihnen im besten
Einvernehmen, bis sie wieder abzogen. Als endlich Theodorich nach allen
Seiten gesiegt hatte, benützte Epiphanius die wiederkehrende Ruhe zur
inneren Befestigung seiner Gemeinde[042-b]. Unterdessen gefiel es
Theodorich, nur jenen Römern ihre Rechte nicht zu beschränken, die ihre
frühere Anhänglichkeit an ihn beweisen konnten; wen dagegen irgend ein
Grund fern gehalten hatte, der sollte des Rechtes zu testieren und
aller Freiheit in der Willenserklärung verlustig gehen. Da durch ein
solches Gesetz bei dem größten Teile alle Rechte vernichtet wurden,
erlag Italien einem beklagenswerten Rechtszustande. Epiphanius, und,
da er sich diesmal allein zu schwach fühlte, auf seine Bitte hin auch
Laurentius von Mailand begaben sich nach Ravenna und wurden mit Achtung
aufgenommen. In einer ersten Audienz erwirkte Epiphanius zunächst den
Erlaß einer allgemeinen Amnestie durch den Quästor Urbicus, in einer
zweiten geheimeren Unterredung beauftragte der König den Bischof,
die Leitung zur Zivilisierung des verwüsteten ligurischen Landes zu
übernehmen. Er wies ihm auch mit das nötige Geld an, um bei König
Gundobald von Burgund die italienischen Gefangenen auszulösen. Kaum
nach Pavia zurückgekehrt, unternahm Epiphanius sofort die Reise über
die Alpen, obgleich es noch Winter war, der März die Flüsse noch in
des Eises Banden geschlagen hielt und die grauen Schneehäupter der
Alpen den Reisenden Verderben drohten; aber seine Glaubenswärme ist
mächtiger als die tödliche Kälte und das Eis. Er reiste ab, sobald er
für die Wegzehrung Anstalten getroffen, in Begleitung Bischof Viktors
von Turin. In Gallien wurden sie mit offenen Armen empfangen. Ueberall
die reichste Aufwartung. In Lyon kam ihm Bischof Rustikus über die
Rhone entgegen und öffnete ihm die Augen über die Verschlagenheit
des Königs. Damit ihn dessen verschmitzte Einwürfe und Entgegnungen
nicht unvorbereitet fänden, übt sich Epiphanius im Stillen darauf ein.
Gundobald war indessen sehr gnädig; er ließ nach der Audienz durch
seinen Minister Laconius den Gnadenerlaß ausfertigen und dem Epiphanius
überreichen. Ennodius war es, der die Zettel an die Kastelle schrieb.
Blos aus der Gemeinde Lugdunum wurden an einem Tage vierhundert
Menschen in die Heimat nach Italien entlassen. So war es in allen
Städten Sapaudias und anderer Provinzen. Deren, die nur allein die
Bitte des Bischofs befreite, waren mehr als sechstausend Seelen; die
Zahl die man mit Gold loskaufte, ließ sich nicht so genau feststellen,
da viele darunter ihren Herrn ohne Lösegeld entliefen. Zur Bestreitung
der Auslösungskosten trug namentlich eine edle Frau, Syagria, und
Bischof Avitus von Vienne bei. Ihnen dankt man das Zustandekommen des
Liebeswerkes zum guten Teil. Epiphanius aber sah überall persönlich
nach. So auch in Genf, der Residenz des Königsbruders Godegisel.
Bald wimmelten Weg und Stege von den Schaaren der Heimkehrenden. Das
hatte Epiphanius innerhalb eines Vierteljahres zu Stande gebracht.
Er vollendete seinen Liebesdienst, indem er durch Bittschriften an
Theodorich den Befreiten den vollen Genuß ihres Vermögens erwirkte. Und
als zwei Jahre später dem erschöpften Ligurien eine unerschwingliche
Abgabenlast aufgebürdet wurde, übernahm er abermals die Sache der
Bedrängten[043-a]. Er eilt nach Ravenna. Der König ängstigte sich um
des Bischofs Gesundheit und gewährte an der erhobenen Steuer einen
Abstrich von nicht weniger als zwei Dritteilen. An einem schneeigen
Tage, an dem man sich ans Kamin flüchtete, verließ Epiphanius Ravenna
und schnell ging es durch alle Gemeinden an der ämilischen Straße, als
eile er zu seiner letzten Herberge. Gegen alle Priester an der Straße
war er herablassend und freundlich. Als er aber nach Parma an derselben
Straße gekommen war, befiel ihn ein Katarrh und warf sich bald auf
die unteren Teile. Noch erreichte er Pavia scheinbar gesund. Aber am
Tage des Einzugs selbst fühlte er sich unwohl, mußte sich legen, und
nun ging es jeden Tag schlechter. Die Krankheit wurde gefördert durch
die Unwissenheit der Aerzte. Am siebenten Tage trat die Krisis ein. Er
starb, Psalmverse auf den Lippen, im achtundfünfzigsten Jahre seines
Lebens, dem achtunddreißigsten seines Priesterstandes. Seine heiligen
Reste sah man bis auf den dritten Tag, da sie beigesetzt wurden, mit
solchem Licht und Schmuck bekleidet, daß das Antlitz des Heimgegangenen
den Glanz seines Lebens bezeichnete[043-b]. In der großen Menge an
seinem Grabe war Niemand, der ihm nicht etwas zu danken hatte.

In diesem Auszug aus dem Epiphaniusleben des Ennodius[044-1] sind die
vielen Reden, die bei jeder Gelegenheit gewechselt werden, übergangen
worden. Sie sind in ihren immer wiederkehrenden schönrednerischen
Schablonen das eigentliche Merkmal, daß in diesem Heiligenleben
klassische Muster befolgt wurden; ist es doch eine Gewohnheit der
alten Historiker in die Erzählung längere Reden einzuflechten, die
sie der Situation gemäß passend erfinden zu müssen glaubten, und so
erscheinen die Reden auch hier durchaus als rhetorische Kunstprodukte
des Autors. Schon die ganze Person des Verfassers weist aber auf den
Zusammenhang mit der heidnischen profanen römischen Litteratur hin.
Denn wenn ein Sulpizius Severus nur durch einen Bruch mit seiner
Bildung christlicher Schriftsteller hat werden können, so wohnen bei
geistlichen Grandseigneurs wie Sidonius Apollinaris und auch Ennodius
weltliche und heilige Empfindung in oft erstaunlicher Eintracht
bei einander. Eine weltliche Lobrede besitzen wir von Ennodius auf
Theodorich den Großen. Das Epiphaniusleben gibt sich durchaus als
dessen geistliches Seitenstück. Obschon es nicht eine Ansprache an
den zu Lobenden, sondern an dessen Verehrer ist, also von dem Helden
in dritter Person erzählt, obschon ferner nicht bewiesen werden kann,
daß die Schrift mündlich vorgetragen wurde, wird doch ohne Zweifel
ihr Charakter am richtigsten getroffen, wenn man in ihr schlechthin
einen vom profanen ins kirchliche Leben verpflanzten Brauch sieht
und sie als christlichen Panegyrikus auffaßt[044-2]. Dann ist die
Schrift aber zugleich ein rühmliches Beispiel, wie innerhalb des
Panegyrikus und der bei ihm obligaten blumigen Verschnörkelungen doch
auch wahrheitsgetreue Beobachtung zu ihrem Rechte kommen kann: denn
alles in allem ist das Lebensbild reich an zuverläßigem historischem
Stoff. Aber das freilich zeigt ein Vergleich mit der Arbeitsweise
der mönchischen Memorienschreiber deutlich: so sauer wie ihnen ist
Ennodius seine Pflicht bei allem Fleiß, den er sich kosten ließ, nicht
geworden. Er hat nicht Blut geschwitzt, wie Sulpizius Severus und
nicht vor Mangel an Selbstvertrauen gezittert wie Eugipius. Und er
brauchte es auch nicht. Denn sein Gegenstand war gar nicht geartet, den
Verfasser innerlich so mitzunehmen. Es handelte sich um einen frommen,
tugendhaften, vorbildlichen, aber nicht um einen ungewöhnlichen,
genialen, wunderbaren Menschen. Nicht geringes Vertrauen zu der
Berichterstattung des Ennodius über seinen Vorgänger im Amt muß der
Umstand einflößen, daß er von seinem Heiligen nur ein Wunder zu
berichten weiß, übrigens nur ein halbes Wunder: eine schwermütige Frau
soll sich nach Empfang seines Segens leichter gefühlt haben[045-a].
Aber gegen große Volksheiligen gehalten, steht der wackere Epiphanius
armselig da. Man kann nicht in die Nähe jener merkwürdigen Gestalten,
wie Martin oder Severin treten, daß es vor unsern Augen nicht von
Zeichen und Wundern zuckt. Der Saum von Martins Kutte knistert
förmlich, weil er mit Kräften gesättigt ist. Nichtsdestoweniger gehören
bei aller Verschiedenheit ihrer Helden Panegyrikus und die mönchischen
Schriften zusammen, weil eben auch jener seinem Inhalt nach Memorie ist
und auf persönliche Erinnerung zurückgeht. Er teilt auch den Mangel
der Memorie; er entbehrt des chronologischen Rahmens. Aus den vielen
Anspielungen an die zeitgenössische Geschichte kann man es ja zur Not
berechnen, aber ausdrücklich zu sagen versäumt Ennodius, was er doch
sicher wußte, daß Epiphanius 439 geboren, 467 Bischof wurde und 497
gestorben ist.

Im Jahre 508 verfaßte Ennodius ein zweites Heiligenleben. Seinem Inhalt
nach gehört es gewissermaßen bereits in den Kreis des eugipischen
Severinus; denn der Mönch Antonius war ein Mündel des Severinus von
Noricum[045-b]: »Gepriesen sei der ungeteilt dreieinige Gott, der
seinen Knecht Antonius, so vieler Tugenden Träger, an den Ufern der
Donau im Staate Valeria als Sohn des Sekundinus die Schwelle der Welt
überschreiten hieß. Schon an der Mutterbrust fühlte dieser durch
Gottes Gnade seine künftige Bestimmung und, damit sein Entschluß nicht
durch die Schmeichelkünste der Eltern durchkreuzt würde, ging er etwa
im Alter von acht Jahren der väterlichen Obhut verlustig (was heißen
will, sein Vater sei gestorben!). Bald darauf schwang sich seine
ungeschminkte Jugend zu dem hoch berühmten Severinus, der ihn mit
Küssen liebkoste und die künftigen Fähigkeiten des Knaben zum voraus
überschlug, als wären sie schon entwickelt«. In diesem verblümten
Stil geht es fort. Das Antoniusleben steht allerdings selbständig
da, aber mit Eigenschaften, die nicht gerade ein Vorzug sind. Die
Wundergeschichten fehlen ja nicht etwa aus Kritik des Verfassers,
sondern weil mit dem besten Willen keine zu erzählen waren. Nicht
schriftstellerische Oekonomie, sondern ein allzu ärmlicher Inhalt
erklären den geringen Umfang. Immerhin füllt sie im Druck vier
Quartseiten: und doch ließ sich das Sachliche an ihr in einem Satze
sagen: Antonius, aus angesehener Familie in Pannonien gebürtig, aber
früh Waise und daher erst von Severin und dann von seinem Onkel,
dem Bischof Constantius, zum Geistlichen erzogen, flieht vor der
Völkerwanderung nach Italien, ist erst eine Zeit lang im Veltlin auf
unzugänglicher Bergeshöhe Einsiedler und birgt sich dann vor den
ihm lästigen Besuchen frommer Pilger im Kloster Lerinum, wo er auch
sein Leben beschließt. Auch hier handelt es sich um ein Gedächtnis,
aber nicht um schriftstellerische Erlösung von einem übermächtigen
persönlichen Eindruck, sondern eben nur um einen wohlgemeinten Nekrolog
eines unbedeutenden Menschen, wie eine Mumie noch mit einigem Balsam
vor allzuschnellem Verfall bewahrt werden soll.

So hat denn von Gallien ausgehend und in Ennodius gipfelnd die
Manieriertheit des römischen Rhetorentums mit allen Unarten
und Verkünstelungen ebenfalls in die beginnende litterarische
Heiligenindustrie ihren Einzug gehalten. Sobald die bescheidene
Befangenheit verschwand, sobald mit ihr die Scheu vor dem Gegenstande
und der damit verbundene Glaube an das eigene Unvermögen verloren
gingen, quoll auch das tönende Pathos und der wattige Schwulst der
Wohlredenheit unaufhaltsam zu Tage. Fast notwendig trat dieser Fall
ein, wenn das Heiligenleben nicht mehr einer persönlichen inneren
Notwendigkeit, sondern einem äußeren kirchlichen Bedürfnis seine
Entstehung verdankte. Begleitet wird dieser Wechsel auch äußerlich
durch die Verschiebung im Stande des Schriftstellers. Nicht mehr ein
Mönch greift nun zaghaft, unter beständigen Entschuldigungen zur Feder,
sondern irgend ein hochwürdiger Bischof erhebt, selbst durch den Mangel
an Thatsachen nicht abgehalten, seinen Schützling in den Himmel.




Drittes Kapitel.

Severinus von Noricum, Fulgentius von Ruspe, Cäsarius von Arles.


Immerfort unter dem Einfluß unseres Hauptgedankens, daß das
unmittelbare persönliche Andenken an den Heiligen den echten
lebenspendenden Kern aller Heiligenschreibung bildet, greifen wir
nun noch drei Lebensbilder aus der ersten Hälfte des sechsten
Jahrhunderts auf, an denen das deutlich zu Tage tritt. Zwar waren
auch jene oberflächlicheren Lobredner unzweifelhaft noch authentische
Berichterstatter. Aber überwältigend und unmittelbar zur Aufzeichnung
drängte das Andenken immer erst dann, wenn nicht geistlicher
Amtstrieb oder sonst eine Veranlassung zweiter Hand, sondern das
unwiderstehliche, eigene Bedürfnis zur Niederschrift führten. Die drei
namhaften Heiligenleben, bei denen das der Fall war, fallen in die
Jahre 511, 530 und 548. Das erste ist unüberarbeiteter Originalentwurf
eines einzigen Verfassers, das zweite anonym und das dritte, in zwei
Teile zerfallend, das Werk mehrerer Hände und Herzen.


1.

Mehr als ein Jahrhundert nach Severus, im Jahre 511, schrieb der Abt
Eugipius in Lucullanum bei Neapel das Leben Sankt Severins von Norikum.
Der Heilige, der 482 gestorben ist, ist Martin ebenbürtig.

Attila war tot[047-a]. Seine Söhne befehdeten sich im Donaugebiet.
Da trat der Gottesmann Severinus auf. Er kam aus dem Morgenland und
war katholischen Glaubens. Später wenn ihn seine vornehmen Besuche
nach seiner Heimat fragten, wich er aus[047-b]. Nur an seiner
Aussprache ließ sich der Afrikaner lateinischer Abkunft erraten.
Gelegentlich deutete er an, er habe sich in eine Wüste des Morgenlandes
zurückgezogen und schon sehr viel durchgemacht. Nun wolle er in den
Städten von Ufernorikum an der Grenze von Oberpannonien dem Einbruch
der Barbaren entgegenwirken. Er zog von einer Stadt zur andern und
weissagte den nahen Untergang, wenn man nicht bete und faste[047-c].
Astura blieb halsstarrig und wurde zerstört. Nur in Commagena hörte man
auf ihn. Da vermochten die Barbaren nichts gegen die Römerstadt[047-d].
Es erfolgte ein Erdbeben. Die germanische Garnison und Thorwache floh.
In Favianä sollte er der Hungersnot steuern. Er forderte einer reichen
geizigen Dame ihr aufgespeichertes Getreide ab[047-e]. Zu gleicher Zeit
kamen nun die Kornschiffe aus Rätien wieder die Donau hinunter, nachdem
der starke Eisgang des Inn ihre Fahrt aufgehalten hatte[047-f]. Mit
Erfolg ermunterte Severin den Tribunen Mamertinus trotz der schwachen
Besatzungen gegen gefährliche Räuberzüge auszufallen. Nun richtete
sich der Heilige in einer schlichten Zelle zwischen den Rebbergen
ein, wechselte gelegentlich seine Siedelei, ging aber auch im Winter
barfuß, und das in einem Klima, wo Lastwagen über die gefrorene Donau
fahren konnten. Der Rugierkönig Flacciteus beriet sich in seiner
Bedrängnis vor den Gothen mit Severinus[047-g]. Dieser bedauerte, daß
er mit einem Arianer sich nicht über das künftige Leben unterhalten
könne. Was aber das Erdbeben betreffe, so habe der König gegenüber
den Gothen das und das zu thun. Seine Weisungen wurden befolgt und
erwiesen sich überall glücklich[047-h]. Eine Witwe rugischen Stammes
kam mit ihrem Sohn vor das Kloster gefahren: er habe seit zwölf Jahren
die Gicht, der Heilige solle ihn gesund machen. Der Kranke genas. Auch
aus anderen Volksstämmen erhielt Severin Besuche. Ja einmal erschien
der junge Odoaker bei ihm, damals als er noch nichts war[047-i]. Aber
mit seinem Haupt hatte der Riese an das Dach der Zelle gestoßen.
Beim Abschied sagte der Heilige bedeutungsvoll zu dem künftigen
König: »Ja, geh nur nach Italien, geh nur!«[048-a] Später kam auch
Flacciteus’ Sohn, König Feleteus oder Feva, öfters. Sein Weib Giso
fügte den Katholischen Leid zu, wo sie konnte. Severins Einsprache
erhöhte noch ihre Wut. Erst als es ihrem Kind ans Leben ging, erschrack
sie und gab nach. Einmal ließ Severinus auf dem Markte nach einem
Unbekannten suchen, den er im Geist geschaut hatte; ohne ihn sonst je
gesehen zu haben, beschrieb er ihn so genau, daß der Bote den Mann
auf den ersten Blick erkannte[048-b]. Dieser trug die Reliquien der
heiligen Märtyrer Gervasius und Protasius und suchte schon lange die
kostbare Last, die ihm auch auf die Seele drückte, an einem ihrer
würdigen Orte zu bergen. Glückselig ließ er sich zu Severinus führen
und dieser beauftragte Priester, die Bürde feierlich in der Basilika
seines Klosters beizusetzen, wo sie die Gesellschaft anderer Reliquien
vorfand. Ein ihm angetragenes Bistum lehnte Severinus ab und verwandte
sein ganzes Organisationstalent darauf, das Leben seiner Mönche
einzurichten. Der Pförtner des Klosters ging an einem Tage, da ihn der
Heilige ausdrücklich vor dem Ausgehen gewarnt hatte, mit einem Bauern
zwei Meilen weit Obst zu pflücken und wurde richtig von den Briganten
weggefangen. Severin las eben zu Hause; plötzlich schlug er das Buch zu
und rief: »Wo ist Maurus?« Er ließ sich selber über die Donau setzen
und befreite den Vermißten durch sein persönliches Eintreten aus den
Händen der Skamaren[048-d]. Nachgerade wetteiferten die oberen Städte
von Ufernoricum, welche von ihnen den Heiligen beherbergen dürfe, weil
sie sich dann gefeit glaubten. So sicher hatte er bis jetzt immer
geweissagt[048-e]. In Kuchel benutzte Severin diese Popularität, um
dem Heidentum den Garaus zu machen. Er predigte mehrmals eindringlich
dem Volk ins Gewissen, ließ es durch die Priester zu einem dreitägigen
Fasten auffordern, hieß dann aus jedem Hause Wachskerzen mitbringen,
die jeder eigenhändig an der Kirchenmauer aufzustecken hatte. Auf dem
Höhepunkt des Gottesdienstes entzündeten sich auf sein Gebet hin von
selbst fast alle Lichter. Nur die der anwesenden Heiden hatten nicht
Feuer gefangen: O du mächtige Güte des Schöpfers, der Kerzen und
Herzen in Flammen setzt! Eine Heuschreckenplage wurde durch Severin
abgewendet; nur ein einziger Mann verlor seine Ernte, weil er statt in
der Kirche mit den Andern zu bitten, aufs Feld gegangen war und den
ganzen Tag sich bemüht, das Ungeziefer zu verjagen[048-f]. In Salzburg
wollte im Sommer bei einem Abendgottesdienst der Feuerstein nicht
Funken schlagen. Severin betete so inbrünstig, daß sich alsobald die
Kerze, die er in der Hand hielt, von selbst entzündete(048–g). Ein
sterbendes Weib konnte auf die Fürbitte des Heiligen schon drei Tage
später wieder Feldarbeit verrichten[049-a]. Häufige Ueberschwemmungen
gefährdeten die Kirche von Guintana im zweiten Rhätien. Es war keine
steinerne Basilika, sondern ein Rohbau aus Holz; er lag außerhalb der
Stadt. Da der Bretterboden immer aufs neue weggespült wurde, unterließ
man schließlich ihn zu ersetzen. Der heilige Severin sorgte indes
dafür, daß das Zimmerwerk nun dauerte. Er nahm ein Beil, stieg in
das Schiff hinunter, betete, schlug an die Pfosten und aichte unter
Segenssprüchen den Boden mit dem Zeichen des Kreuzes. Nie hat der
Fluß den Boden wieder weggeschwemmt[049-b]. Ein alter Priester namens
Silvinus war gestorben[049-c]. Severin wollte die Totenwache in der
Kirche übernehmen und schickte die anwesenden Kleriker schlafen. Der
Pförtner Maternus meldete, die Kirche sei leer. Severin witterte noch
immer einen Menschen. Richtig hatte sich eine neugierige Nonne in einem
Kirchenstuhl verkrochen. Sie wollte der Totenerweckung beiwohnen. Sie
mußte gehen. Severin umgab sich indessen mit einem Priester, einem
Diakon und zwei Pförtnern, und als sie den Leichnam so weit hatten,
daß das Leben in ihn zurückkehrte und der Tote die Augen aufschlug,
fragte ihn Severin vorsichtshalber, ob er denn überhaupt wieder
lebendig zu werden wünsche. Der Tote sagte: mit nichten; nun wolle
er seine Ruhe haben, warum man ihn denn störe. Mit diesen Worten
entschlief er endgiltig. Severin ließ die Augenzeugen eidlich Schweigen
geloben. Erst nach des Heiligen Tode haben der Subdiakon Marcus und
der Pförtner Maternus den Vorfall dem Eugipius unter dem Siegel der
Verschwiegenheit anvertraut. Als Freund der Armen erwirkte Severin,
obwohl er selbst wochenlang fasten konnte, den Zehnten, weil er nicht
vermochte die Elenden hungern zu sehen. Es war dies keine kirchliche
Steuer, sondern private Liebesthätigkeit. Auch Kleidungsstücke wurden
ihm zur Verteilung übersandt. »Sind die milden Gaben von Tigurnia
dabei?« fragte er. »Nein«, hieß es, »es wird noch kommen.« Severinus
aber bezweifelte das, vielmehr werde der verzögerte Beitrag nun den
Goten in die Hände fallen. Und so geschah es wirklich[049-d]. Auch
Lorch entrichtete seine Zehnten nachlässig. Da wurde das reifende
Getreide vom Mehlthau angefressen. Ein von Severin erbetener lauer
Regen dagegen wendete die Gefahr ab[049-e]. In Batava zwischen Inn und
Donau hatte Severin ein Klösterchen gegründet, an der Grenzmark der
Alamannen, deren König Gibold ihm Verehrung bezeugt hatte. Der Fürst
bat um eine Zusammenkunft. Der Heilige ging ihm entgegen und redete
ihm so eindringlich zu, von den Einfällen ins römische Gebiet nun
abzulassen, daß der Kriegsgewaltige wie ein kleines Kind zu zittern
begann und die Gefangenen ohne Lösegeld freizugeben versprach.
Indes wurde Severins Sendbote, der Diakon Amantius dann doch nicht
vorgelassen. Er kehrte nach dreißig Tagen mißmutig um, faßte sich
aber wieder, drang vor die Thür des Königs, gab seine Briefe ab,
erhielt Gegenbriefe und konnte mit siebzig Gefangenen heimkehren.
Später holte der Priester Lucillus den Rest der Gefangenen ab[050-a].
Als die Besoldung der römischen Grenzgarnisonen nicht mehr richtig
einlief, geriet die Landesverteidigung in Verfall. Schließlich
blieben nur noch einzelne schwache Mannschaften übrig. Einige Züge
gingen nach Italien, um den Sold heraus zu verlangen, wurden aber
von den übermächtigen Barbarenheeren in aller Stille aufgerieben.
Sie verschollen. Da wurde Severinus einmal, wieder über dem Lesen
eines Buches durch die Divination unterbrochen, in dieser Stunde
sei Menschenblut vergossen worden. In der That schwemmte[050-b] der
Fluß Soldatenleichname ans Ufer. Eine Vorahnung ließ ihn seinem bei
ihm anwesenden Freunde, dem Priester Paulinus dessen bevorstehende
Wahl zum Bischof von Tiburnia ankündigen[050-c]. Für eine andere
seiner Stiftungen, das Klösterchen zu Boitro suchten die Mönche
Reliquien[050-d]. Severin aber meinte, die Zerstörung des Ortes stehe
nahe bevor, sie sollten sich die Mühe doch sparen, der Johannissegen,
nämlich die Fürbitte des Heiligen, werde ihnen deshalb nicht verloren
gehen. Auch den Bürgern von Boitro, die sich seiner bedienen wollten,
um bei dem Rugierkönig Febanus Handelsfreiheit zu erwirken, gab er
denselben Bescheid, die Tage der Stadt seien gezählt; bald werde kein
Kaufmann mehr nach Boitro kommen. Da sagte ihm in der Taufkirche ein
leichtfertiger Priester ins Gesicht: »So reise doch wenigstens Du ab,
Heiliger Gottes, daß wir uns von Deiner strengen Diät etwas erholen
können.« Der faule Spaß schnitt Severin so ins Herz, daß er vor allen
Leuten in Thränen ausbrach. Ueberzeugt, daß demnächst selbst die
heiligen Stätten hiezuland in Trümmer lägen, fuhr er auf der Donau
nach Favianä hinunter. Und alsobald erreichte die von ihm verlassene
Gegend aus der Hand Hunnimunds und seiner Barbaren ihr Schicksal.
Die bürgerliche Stadtwache, vierzig Mann stark, wurde niedergemacht
und auch jenen Priester, der den Heiligen gelästert hatte, ereilte
die Strafe und gar noch in der Taufkirche, in die er zu flüchten
versuchte. Severinus indessen hatte über dem Studium des Evangeliums
im Kloster zu Favianä wieder ein Hellgesicht, das ihm die Nähe der
Johannisreliquien verriet. Der Mann, der sich am andern Donauufer
wirklich vorfand, war glücklich, dem Heiligen diese Schätze abliefern
zu dürfen[050-e]. Die Zerstörung von Joviacum durch die Heruler sah
Severin ebenfalls voraus. Er ließ einen ihm besonders lieben Priester
namens Maximinianus noch durch einen Eilboten warnen, alles dahinten
zu lassen. Vergebens; der Einfall erfolgte in der gleichen Nacht; der
Priester wurde gehenkt[051-a]. Den Bischof Paulinus von Norikum setzte
Severin von der nahen Verwüstung seines Sprengels durch die Alamannen
brieflich in Kenntnis. Dieser ordnete in allen Kastellen der Diözese
ein dreitägiges Fasten an. Das offene Land wurde schlimm mitgenommen;
die Kastelle konnten sich halten[051-b]. Bald darauf suchte ein
Schwerkranker aus Mailand das Kloster auf. Er hatte Elephantiasis.
Severin ließ das ganze Kloster fasten. Der Kranke fühlte sich besser.
Er wollte nicht in die Heimat zurück, er wollte bleiben. Nach zwei
Monaten erlöste ihn der Tod[051-c]. Nun wanderten auch die Bürger von
Gulutiana, durch die unaufhörlichen Einfälle der Alamannen erschöpft,
nach Batava aus. Auch hieher folgten die Feinde. Nun aber sprach
Severin den Römern zu, und so schlugen diese die Alamannen. Die Sieger
bewog er nach Lorch auszuwandern. Einige blieben zurück und fielen kurz
darauf den Thüringern in die Hände[051-d]. Die Länder an der obern
Donau waren nun verloren. Lorch blieb der äußerste Grenzpunkt der
Römer. Die Seele der Besatzung war Severin. Da Oel als Nahrungsmittel
immer schwerer zu erlangen war, vermehrte er das heilige Oel in einer
Basilika auf wunderbare Weise[051-e]. Da stieß Maximus aus Norikum
mit einigen Gefährten zu Severin, um ihm auf ihrem Rücken Kleider für
die Armen und Gefangenen zu überbringen. Mit kühnem Mut überschritten
sie mitten im Winter die Schneeberge. Im Nachtquartier zuoberst auf
dem Alpenpaß überraschte sie ein Schneegestöber. Sie wären verloren
gewesen, hätten sie nicht einen Bären getroffen, der gutmütig vor
ihnen her ins Thal hinuntertrollte[051-f]. Die Bürgerschaft von
Lorch, vermehrt durch die zahlreichen Flüchtlinge aus den oberen
Donaufestungen, wollten sich auf den Dienst ihrer ausgesandten
Kundschafter verlassen. Ungeachtet der scheinbaren Sicherheit sprach
sich Severin für verschärfte Bewachung der Stadtmauern aus und trat
auch bei Bischof Constantius dafür ein. Man möge ihn steinigen, wenn
er die Unwahrheit gesagt habe. Man gehorchte, die Milizwache trat
ins Gewehr, als die Psalmen gesungen waren, bei Anbruch der Nacht.
Von ungefähr entzündete sich ein großer Heustock an der Fackel eines
Lastträgers. Ohne daß eine Feuersbrunst entstand, erhellte doch ein
mächtiger Glutschein das ganze Weichbild der Stadt. Dazu ein weithin
vernehmbarer Lärm. Verbündete Alamannen und Thüringer, die in den nahen
Wäldern im Hinterhalt lagen, glaubten sich verraten und wagten den
nächtlichen Sturm nicht. Am andern Morgen fanden sie keine Lebensmittel
vor, da der Heilige die gesamte Fahrhabe hatte in die Stadt bringen
lassen, um den Feinden den Unterhalt zu entziehen. Die Herde eines
Mannes, der sich um Severins Rat nicht gekümmert hatte, wurde
weggefangen[052-a]. Nun kam der Rugierkönig Feva seinerseits vor Lorch
gezogen. Severin wurde abgesandt, um ihn umzustimmen. Er reiste die
ganze Nacht. Am Morgen traf er den König beim zwanzigsten Meilensteine.
Dieser bekannte seine Absicht, die in Lorch aufgesammelte zugezogene
und deshalb überzählige Bevölkerung in die ihm tributären Städte zu
deportieren. Severin aber setzte es durch, daß die Verpflanzung nicht
gewaltsam, sondern durch ein friedliches Uebereinkommen vor sich gehen
möge. Unter seinem Schutz siedelten sich nun also die Römer von Lorch
aus in bestem Einvernehmen mit der einheimischen Bevölkerung in den
rugischen Städten an. Zu diesen tributpflichtigen Städten gehörte
auch Favianä, und Severin lebte von nun an wieder daselbst in seinem
Kloster[052-b]. Um diese Zeit erhielt Severin einen Brief von König
Odoaker, der es dem Heiligen nicht vergaß, daß er ihm einst in der
Niedrigkeit seine künftige Größe verheißen hatte. Er stellte ihm eine
Gnade frei, und Severin bat einen Verbannten los namens Ambrosius.
Als jedoch einmal in Gesellschaft des Königs Lob gesungen wurde,
warf Severin die Frage dazwischen: »Welcher König?« »Nun Odoaker.«
»Meinetwegen«, sagte Severin, »aber er wird eben doch nur dreizehn
oder vierzehn Jahre regieren«[052-c]. Bei einem Besuch in Comagena war
der Knabe eines rugischen Hofbeamten so schwer krank, daß man bereits
sein Begräbnis vorbereitete[052-d]. Severin heilte ihn. Auch ein im
schlimmsten Grade Aussätziger namens Jelo, der von fernher gekommen
war, wurde gesund[052-e]. Bonosus, ein eingeborener Mönch, litt an
den Augen. Er empfand es, daß Severin Fremden helfe und dem eigenen
Klosterbruder nicht. Da sagte ihm Severin: »Das klarsichtige Auge
ersetzt die Klarheit der Seele nicht. Ringe nach dieser.« Auf dieses
Wort hin fand sich der Blinde in sein Leiden und trug es mit heiterem
Sinn fast vierzig Jahre[052-f]. Drei ungezogenen Mönchen von Boitro
brachte Severin schließlich Manieren bei, indem er ihnen vierzig Tage
scharfen Arrest gab: nicht das geringste Wunder, das ihm gelungen
ist[052-g]. Einst sandte Severin zwei Brüder ins Norische, den Priester
Marcianus, später Abt von Lucullanum, und den Mönch Renatus. In der
Stunde, da ihnen auf der Reise Gefahr drohte, spürte Severin das und
ließ alle Brüder für sie beten. Als sie nach einigen Monaten heim
kamen, stimmte es genau[052-h]. Ebenso befahl Severin dem Mitbruder
Ursus, er solle durch eine vierzigtägige harte Bußübung einem schweren
Uebel zuvorkommen. Als am Ende dieser Zeit das böse Geschwür ausbrach,
konnte es entfernt werden. Das ist nur ein Beispiel von vielen für den
ungewöhnlichen Scharfblick des Heiligen[053-a]. Seine Hütte stand etwas
abseits von den andern. Er sang Matutin und Vesper mit. Sonst lag er
in seiner Zelle auf den Knien und hatte seine Gesichte. Er schlief auf
einer härenen Decke am Boden und trug Tag und Nacht dasselbe Gewand.
Wenn es nicht gerade ein besonderes Fest war, fastete er täglich vom
Morgen bis nach Sonnenuntergang. In den großen Fasten aß er nur einmal
die Woche. Immer lag dasselbe heitere Glück auf seinen Zügen. Fremde
Sünde beweinte er, als hätte er sie selber begangen und suchte ihr zu
steuern, so sehr er nur konnte[053-b]. Als er sein Ende herankommen
fühlte, lud er den König Feva und die böse Giso zu sich, um sich zu
verabschieden. Den König ermahnte er, doch ja nie zu vergessen, daß er
einst über den Gebrauch seiner Herrschergewalt Gott werde Rechenschaft
ablegen müssen. Dann streckte er die Hand aus, wies auf den König und
sprach zu Giso: »Liebst Du diese Seele mehr als Gold und Silber.«
Die Fürstin warf sich in die Brust, sie liebe den Gatten über alles.
»Dann wäre es an der Zeit«, sagte Severin, »die milde Gesinnung des
Königs nicht immer wieder durch Bedrückungen lahm zu legen.« Den
Klosterbrüdern brachte er seinen bevorstehenden Heimgang schonend
bei. Er wußte die Völkerwanderung vor der Thüre und traf daher die
Verordnung, seinen Leichnam in Sicherheit zu bringen: »Seid eingedenk
der Vorschrift des heiligen Patriarchen Joseph, mit dessen Worten
ich unwürdiger und schwacher Mensch euch beschwöre: Gott wird euch
heimsuchen und dann nehmt mein Gebein mit euch fort, nicht zu meinem,
sondern zu eurem Nutzen, denn diese jetzt noch stark bevölkerten Orte
werden zur Einöde werden. Die Gräber wird man aufwühlen, um Gold zu
finden.« Seine Ueberreste, so hoffte er, würden wenigstens ein Band
der Pietät bilden, die von ihm ins Leben gerufene Gemeinde der Brüder
beisammen zu halten[053-c]. Immerhin blieb er noch zwei Jahre am Leben
seit der ersten Weissagung seines Todes. An Epiphanien hatte ihm der
Priester Lucillus angezeigt, er werde am nächsten Morgen den Todestag
seines Abtes Valentin feiern. Da sagte Severin zu ihm: »Wenn Dich
Sankt Valentin mit dieser Feier beauftragt hat, so überlasse auch ich
Dir die Sorge, für meine Seele Vigilia zu halten auf denselben Tag.«
Lucillus war älter als Severin und meinte erschrocken, es sei doch
viel eher an ihm, sich der Fürbitte Severins empfohlen zu halten.
Dieser aber bestand darauf[053-d]. Auch dem Bruder des Rugierkönigs
Feva, Feoderuch, der Territorialherr von Favianä war, betonte er um
jene Zeit seinen Heimgang schärfer und ließ sich von diesem Großen
die Rücksicht auf die Armen und Gefangenen versprechen[054-a]. Am
fünften Januar begann ein leichter Schmerz an der Seite sich fühlbar
zu machen. Da das aber drei Tage andauerte, ließ er nachts die Brüder
versammeln und sagte, er fühle sich schwach; zum Abschied wies er sie
auf das Beispiel Abrahams, der auszog, ohne zu wissen wohin, aber
in ein Land, das sein Eigentum werden sollte: »Ahmet den heiligen
Patriarchen nach. Sucht stets das himmlische Vaterland.« Dann küßte er
jeden einzeln, empfing das Altarsakrament und bat um Psalmengesang.
Als sie vor Schmerz nicht singen konnten, hub er selber an: »Lobet den
Herrn in seinen Heiligen; jeder Geist lobe den Herrn.« Und während nun
die Mönche darauf respondierten, entschlief er. Es war am 8. Januar.
Nach der Leichenfeier meinten die älteren Brüder, man solle das, was
er vom großen Wandern vorausgesagt habe, nicht unbeachtet lassen. Sie
ließen daher einen Sarg aus Holz anfertigen[054-b]. Jener Gaugraf
Feoderuch hatte kaum vom Tode Severins gehört, so kam er in seiner
Geldnot herbeigezogen und plünderte das Kloster. Nicht nur stahl er
die für die Armen bestimmten Kleider, sondern versündigte sich sogar
an dem Kirchenschatz. Ein Soldat namens Avicianus sollte den silbernen
Kelch vom Altare heben. Er brachte es aber nicht über sich und wurde
auf der Stelle Mönch. Feoderuch ließ nun das Kloster bis auf den
letzten Nagel ausheben. Nur die Mauern mußte er stehen lassen, die
konnte er nicht über die Donau mitnehmen. Ehe ein Monat verfloß, wurde
er indes von seinem Neffen Feodoruch, dem Königssohn, erschlagen.
König Odoaker zog wider die Rugier ins Feld. Feodoruch mußte flüchten.
König Feva und die böse Giso wurden gefangen nach Italien abgeführt.
Kaum waren sie weg, so kehrte Feoderuch zurück. Odoaker sandte seinen
Bruder Onowulf mit einem großen Heere ihm entgegen. Feodoruch flüchtete
abermals und verbündete sich mit Theodorich, der damals sich zu Novä
in Mösien aufhielt. Onowulf führte auf Befehl des königlichen Bruders
alle in der Donaugegend noch übrigen Römer nach Italien. Der Priester
Lucillus ließ nun, da der Comes Pierius zur Eile antrieb, sofort das
Severinsgrab öffnen und den noch unversehrten Leichnam in einem anderen
Linnen in den bereitgehaltenen Sarg umbetten. Er wurde auf einem
Wagen von Pferden fortgeführt und schloß sich dem römischen Abzuge
an; die Bewohner der Donaustädte erhielten in verschiedenen Gegenden
Italiens neue Wohnsitze angewiesen. Die Severinsleiche dagegen wurde
in die Festung Montefeltre gebracht[054-c]. Dort geschahen jetzt viele
Wunder. Eine edle Frau, Barbaria, die, wie auch ihr Gatte, den heiligen
Severin teils vom Hörensagen, teils aus seinen Briefen kannte, lud
den Marcianus ein, mit dem Leichnam und der Genossenschaft in ihr
Besitztum, die ehemaligen Lukullusgärten bei Neapel überzusiedeln.
Papst Gelasius gab seinen Segen und Bischof Viktor von Neapel weihte
den Sarkophag, in dem die Stifterin den Heiligen endgiltig beisetzen
ließ. Als bei dieser Totenfeier ein blinder Mann Laudicius den Gesang
des Volkes hörte und den Bescheid erhielt, es werde eben der Leib eines
Heiligen vorübergetragen, wurde er tief bewegt und bat, man möge ihn
ans Fenster führen, von wo aus er besser hören könne. Dort lehnte er
in tiefer Andacht und betete inbrünstig, worauf er plötzlich wieder
zu sehen anfing. Auch der Vorsänger Marinus hielt vertrauensvoll sein
Haupt an den Sarg und wurde so seine Kopfschmerzen los[055-a].

Weil Severins Wirksamkeit so tief im öffentlichen Leben wurzelte, ist
die Lebensbeschreibung für die politische Geschichte der Donauländer
unmittelbar vor der Völkerwanderung von unschätzbarem Werte. Sie ist
unser einziges Licht für jene Gegend in jener Zeit. Wir sehen die
ausgedehnten kirchlichen Einrichtungen einer römischen Provinz scharf
umrissen vor uns[055-1]. Obwohl Severin ein orientalischer Fremdling
war und Niemand wußte, woher er kam, obwohl er dann auch mit den
germanischen Fürsten gut stand, ist er im Grunde seiner Seele Romane
und sucht vor allem, die schwer bedrängten römischen Provinzialen
moralisch zu heben und ökonomisch zu unterstützen. So lange er lebte,
vermochte sich das Römertum an der Donau zu halten; dann fiel es. Der
Abzug der römischen Bevölkerung traf mit dem Transport seiner Leiche
zusammen. Sein Lebenswerk war es gewesen, den geordneten Rückzug
der römischen Kultur von Kunzen, Passau und Lorch nach Favianä im
Rugenlande herzustellen. Seine heilige Wirksamkeit giebt dem Untergang
des Römerwesens in Norikum die Weihe[055-2].

Martin und Severin sind die beiden größten Liebesthäter gewesen, die
die sinkende antike Welt gekannt hat: nichts für sich, alles nur
für die andern und für Gott. Gegen Martin von Tours gehalten ist
Severin die harmonischere Natur. Seine Existenz wurde nicht wie bei
jenem vorwiegend durch einen Gegensatz, sie wurde durch eine Aufgabe
bestimmt. Martin war Parteimann und mußte es sein, um eben das,
was ihm als Lebenswerk vorschwebte, in Gallien durchzusetzen; das
Große an ihm besteht darin, daß er bei aller Strenge des Mönches so
gewaltig, so kräftig und so wohlthuend ins weltliche Leben eingriff.
Severin dagegen machte für das Mönchtum keine Propaganda; es diente
ihm gewissermaßen zur Folie für sein geheimnisvolles unerklärliches
Wesen. Martin kennen wir seit seiner Jugend; von Severin wußte
Niemand, wer er war und woher er kam, und daß auch da, wo er wirkte,
wie er selbst am besten wußte, seines Bleibens nicht war. Auch
seine visionäre Begabung äußert sich feiner, still zwingend, nicht
grobschrötig tapfer: weniger Teufelsfeindschaft und Dämonenschlachten,
als die wunderbare Seherkunst, das Künftige zu spüren. Seit den
altisraelitischen Propheten und dem Urchristentum besaß Severin die
größte telepathische Begabung, von der wir Kunde haben, und zwar im
ganzen Umfang dieses Talentes von der einfachsten Nähewitterung bis zum
schwindelerregenden Seherspruch: er weissagte oft und, wie es scheint,
untrüglich. Das Aufklappen des Bewußtseins aus der Befangenheit von
Raum und Zeit zu einer Art momentaner Allwissenheit funktionierte
bei ihm unter den verschiedensten Umständen ohne fehlzugreifen. Das
war denn auch allerdings sein besonderes Gut. Heilungen, wie sie bei
Martin im Vordergrund standen, kommen bei ihm nur in zweiter Linie
in Betracht; vollends eine Totenerweckung, die er unternahm, mißriet
direkt: nachher erzählte man mildernd, der zu Erweckende habe sich
eben das Lebendigwerden verbeten. Und während Martins Lebenswerk unter
den soldatischen Gesichtspunkt der Eroberung fällt, bescheidet Severin
sich von vornherein mit der Entsagung des Rückzuges, unter Verzicht
auf jeden Sieg. Er hat daher wohl ein unvergleichliches Andenken
hinterlassen, aber nicht wie Martin eine unvergleichliche Wirkung
ausgeübt. Der pannonische Heilige schimmert von einer Aureola, er
erhellt. Der gallische dagegen sprüht Funken, er zündet an. Martin war
der stärkere Mensch, Severin der höhere.

Wie sich der Schrift abfühlen läßt, verdanken wir die Kunde von
Severin einem schlichten und bescheidenen Manne. Eugipius stammt aus
einer römischen Familie, wahrscheinlich einer von denen, die jene von
Severin geleitete Verpflanzung ins Rugenland mitgemacht haben. Er
spricht von Ufernorikum mit einer bis auf den einzelnen Meilenstein
sich erstreckenden Lokalkenntnis, sodaß es wohl seine Heimat war.
Favianä und die Innmündung sind ihm besonders gegenwärtig[056-a].
Ueber Guintana in Rhätien sowie über die östlichen Städtchen Astura
und Comagena äußert er sich unbestimmter. Da er sich von Haus aus arm
nennt, begann er seine Laufbahn wohl als einfacher Mönch in Severins
Hauptkloster, heute bei Mauer unweit Oeling[056-b]. Daß er Severins
Schüler war, bezeugt Paschasius; aber wahrscheinlich gehörte er einer
der kleineren Missionsstationen an, die der Meister zu Cellula in
Batava und in Boiodurum hielt[056-c]. Denn er scheint keineswegs
immer um ihn gewesen zu sein[056-d] und beruft sich öfter auf
Gewährsmänner, als daß er selber dabei gewesen zu sein angiebt[056-d].
Er mag als junger Mann in Severins letzter Zeit mit den übrigen in
Lorch gesammelten Römern der oberen Donaustädte bleibend in des Abtes
Umgebung gekommen sein. Seine Geburt wird demnach etwa hinter das
Jahr 455 fallen[057-1]. Aus seiner mangelhaften Ausbildung macht er
keinen Hehl; die grammatische Schulung gehe ihm ab, seine Einsicht und
seine Kenntnis seien gering, auch könne er eines Stoffes nicht Herr
werden[057-a]. Cassiodor bestätigt[057-b], es fehle Eugipius an der
humanistischen Bildung; seine Belesenheit sei einseitig theologisch.
Severin hatte die Genossenschaft seiner Mönche nicht unter schriftliche
Ordensstatuten gestellt; sein letzter Wunsch hatte dahin gezielt, seine
Freunde möchten, um seinen Leichnam geschart, immer zusammenhalten.
Die Leitung erfolgte unter den beiden ersten Aebten Lucillus und
Marcianus noch ausschließlich unter der pietätvollen Beobachtung von
Severins Gedächtnis. Die Ansiedlung der Bruderschaft in Lucullanum
erfolgte unter dem Pontifikat Gelasius _I._ zwischen 492 und 496.
Lucullanum war nicht nur ein Kastell im militärischen Sinn, es war eine
eigentliche Stadt. Dort stiftete nun also eine adelige Dame namens
Barbaria dem Heiligen, den sie schon bei Lebzeiten aus der Ferne
verehrt hatte, ein Mausoleum und seiner Kongregation ein Asyl. Hierauf
hat dann aber Eugipius eine Zeitlang einem andern Kloster angehört,
da er sich als Untergebenen eines Abtes Marinus bekennt. Vielleicht
hat er sich dieser Versetzung unterzogen, um sein schriftstellerisches
Hauptwerk anfertigen zu können. Bezeichnenderweise ist es nicht eine
originale Schöpfung, sondern ein Auszug aus den Schriften Augustins.
Ein ganzes Exemplar von Augustins Werken war damals offenbar fast nicht
aufzutreiben, selbst wo Geld und Lust, eines zu kaufen, vorhanden
gewesen wären. Sogar einer nur halbwegs vollständigen Sammlung hat man
also nachzureisen Grund gehabt. Eugipius mag sich somit in oder bei
Rom angesiedelt haben, um die Bibliothek einer hochgestellten Frau vom
Range jener neapolitanischen Gönnerin Severins benützen zu können. Sie
hieß Proba und gehörte dem geistlichen Stande an. Cassiodor war ihr
Verwandter; vielleicht lernte er den Eugipius bei ihr kennen. Auch
Bischof Fulgentius von Ruspe war dort Hausfreund. Ihrer Schwester
Galla schildert er[057-c] Proba als in königlichen Verhältnissen
aufgewachsen und betont die vornehme Abkunft der Geschwister, die in
der That dem Ancischen Geschlechte, vermutlich dem des Patronius Probus
entstammen. Fulgentius stand auch mit Eugipius in Briefwechsel. Wie wir
daraus ersehen, verfügte nun Eugipius selbst über eine ansehnliche
Bibliothek und Schreibsklaven[058-a]. Immerhin zeigt des Fulgentius
vollständige Unbekanntschaft mit Eugipius mühsamen Excerptunternehmen,
daß dessen Arbeit die verdiente und vom Autor erwartete Anerkennung
nur langsam gefunden hat. Die Abfassung des Auszuges fällt zwischen
die Jahre 492 und 511. In dem durch Proba ihm eröffneten altrömischen
Adelskreise machte nun Eugipius aber auch die Bekanntschaft des
Paschasius; dieser war der erbittertste Gegner des von 498 bis 514
regierenden Papstes Symmachus. Eine aristokratische Minorität unter
Führung des Patricius Festus hatte bekanntlich Laurentius gewählt,
namentlich zu dem Zweck, eine Versöhnung der römischen Kirche mit dem
griechischen Kaiser Anastasios herbeizuführen. Der Streit dauerte
bis ins Jahr 505, und es gelang Laurentius einmal, das Osterfest im
Lateran zuzubringen sowie sein Bild in einem Medaillon anfertigen
zu lassen. Dank dem weisen Verhalten König Theodorichs mußte sich
Laurentius auf ein Landgut seines Gönners Festus begeben, wo er noch
vor Symmachus starb. Noch vor ihm, also etwa 512 oder 513, erfolgte
auch der Tod des von ihm eingesetzten ›Diakons der römischen Kirche‹,
des Paschasius. Diesem hohen, durch Stand, Stellung und Lebenswandel
hervorragenden Geistlichen schreibt nun Eugipius[058-b]: »So lange
Du am Leben bist, darf kein Nichtpriester das Leben des Severinus
schreiben.« Er übersendet ihm daher seine Aufzeichnungen nur als
Notizen und hofft, Paschasius werde ein Severins würdiges Werk daraus
schaffen. Diese als bloße Vorarbeit bestimmte Skizze seiner Hand ist
nun eben das uns erhaltene Severinsleben. Wie es zustande kam, erzählt
Eugipius im Vorwort[058-c]: es seien zwei Jahre her, daß ihm der an
einen Priester adressierte Brief eines edeln Laien zu Gesichte kam,
das Leben des Basilicus, eines Mönches am Berge Tita bei Rimini. Als
Eugipius überdies vernahm, dieser Brief sei vervielfältigt worden,
da erwachte in ihm der Wunsch, die vom heiligen Severin gewirkten
großen Wunder nicht der Vergessenheit anheimfallen zu lassen. Jener
Verfasser der Basilicusvita, der diese Schriftstellerei vielleicht
als Geschäft betrieb, bat nun Eugipius, dessen Wunsch ihm zu Ohren
kam, ihm gütigst Mitteilungen über Severinus zu überlassen, damit er
sie ebenfalls bearbeiten könne. Und da nun wollte sich Eugipius nicht
dazu verstehen, seinen Schatz in andere Hände zu legen, so lange in
denen des Paschasius noch Leben sei. Sein Handlanger gewesen zu sein
war alles, was er sich wünschte. Aber der feine römische Priester
hatte einen zu guten Geschmack. Er schreibt dem Verfasser[058-d]:
»Indem Du unsereinen nach dem Maße Deiner Erfahrung, Beredsamkeit und
glücklichen Muße beurteilst, bedenkst Du die vielfachen Geschäfte,
Verdrießlichkeiten und Anfeindungen nicht, denen ich auf meinem
Posten ausgesetzt bin. Du willst Dich aus Liebe zu mir um die eigenen
wohlverdienten Lorbeeren bringen. Deine Zusendung ist ja eine Sammlung
von Thatsachen; in seiner gedrungenen Darstellung eignet sich Dein Werk
recht wohl zur Vorlesung im Kultus. Die Thaten der Heiligen vergehen
nicht und nun gar wenn ihre Gestalt so deutlich dem Leser vor die Augen
tritt, wie Dein Severin. Man meint in seiner Gesellschaft zu sein.
Deine klare und einfache Darstellung da noch auszuarbeiten, wäre doch
überflüssige Mühe. Auch wäre es nicht mehr dasselbe, wenn ich Gehörtes,
von Andern Erlebtes aus zweiter Hand berichten wollte.« So ging also
das Severinsleben des Eugipius unversehrt in die Welt. Er selbst, nun
Vorsteher des Severinklosters, erfreute sich der aufrichtigen Achtung
bedeutender Kirchenmänner; der Abt Dionysius der Kleine widmete ihm die
Uebersetzung einer Schrift des Gregor von Nyssa. Ferrandus von Karthago
unterhielt mit ihm einen Briefwechsel und übersandte ihm eine Glocke.
Kurz vor dem Jahre 543 oder 544 ist Eugipius gestorben. Als Vermächtnis
für sein Kloster hinterließ er ein schriftliches Ordensstatut und
verdichtete so die bis jetzt nur mündliche Tradition von Severins
mönchischen Anschauungen zu einer eigentlichen Mönchsregel[059-1].

Eugipius kennt die Martinsschriften des Sulpizius Severus[059-a].
Er spricht von ihnen, aber nicht als seinem litterarischen Vorbild.
Er fühlt sich überhaupt nicht als Schriftsteller, sondern nur als
Handlanger für einen eigentlichen Biographen des Severin. In der
That mangelt auch ihm der chronologische Ansatz; auch er giebt keine
Jahreszahl; und wenn seine Angaben datierbarer sind als die des Sever,
so ist das hauptsächlich eine Tugend seines Helden, der ungeachtet
seiner mönchischen Grundsätze so ganz in der Politik seiner Zeit
drin stand und mehr als Martin in den äußeren Ereignissen aufging.
Eugipius konnte unbeschadet der Kunst entbehren, über die ein Severus
verfügte; sobald sein Gegenstand so unerschöpflich reich war an
persönlichem Leben und sobald er, der ihn beschrieb, so herzlich in
ihm lebte, machte dieser Mangel an Technik seine Darstellung nicht
armselig, sondern einfach und schlicht. Trotzdem wir bei ihm nach
einer planmäßigen Stoffverteilung vergeblich suchen, haben wir an
seinem Severinsleben doch fast noch mehr als an den in ihrer Art
kunstreichen Martinsschriften des Severus. Eugipius nennt übrigens
selbst sein Werk mit dem rechten Namen ein Commemoratorium[059-b], das
heißt ein Erinnerungsblatt oder wie wir heute sagen Memoiren. Das in
dieser litterarischen Gattung enthaltene Element des selbsterlebten
persönlichen Andenkens bildet denn auch das Herzstück der
Heiligenbeschreibung, und insofern hat der bescheidene Eugipius dank
seiner schlichten Art und seiner warmen Empfindung fast das Höchste
erreicht, was man in jener Zeit von einem derartigen litterarischen
Unterfangen erwarten darf.


2.

Ist der Verfasser eines Heiligenlebens eine uns auch an sich bekannte
geschichtliche Persönlichkeit, so bürgen seine Lebensumstände
wenigstens für die Möglichkeit quellenmäßiger Mitteilung. Anders,
wenn die Schrift anonym blieb und nicht die geringste Kunde über den
Verfasser auf uns kam. Dann ist die Art des Berichtes unsere einzige
Gewähr für seine Zuverlässigkeit. Eine schwache Handhabe, aber gewiß
eine nicht zu verachtende. Der anonyme Schreiber des Fulgentiuslebens
sagte in der Vorrede an den Bischof Felicianus, dem er das Werk widmet:
»Wie immer dieses mein Werk ausfallen mag, es kann die Verdienste
des großen Mannes weder erhöhen noch vermindern, es sei nur ein
Beweis meiner Liebe, mit dem ich an ihm hing, an ihm, der mich zum
Mönchsstande bekehrte und als Verbannter in seinem kleinen Kloster auf
der Insel Sardinien Tag und Nacht mich um sich hatte. Dort wohntest
auch Du als Priester. Nun habe ich diese Arbeit unternommen, um
alles was er uns mündlich mitteilte, und außerdem auch was wir als
Augenzeugen miterlebten, kurz auseinanderzusetzen, ohne Furcht, der
Fälschung bezichtigt zu werden; denn nötigen Falls kannst Du meine
Zusammenstellung mit Deinem Zeugnis bekräftigen.« Unzweifelhaft haben
wir es hier mit einem Schüler des beschriebenen Heiligen zu thun.
Auch giebt sich die Schrift ihrer Form nach als reine Memorie, da
sie ohne Einleitung gleich auf den Stoff eingeht und auch am Schluß
eine Invokation nicht hat, sondern als Erzählung ausläuft. Fulgentius
entstammte einer Senatorenfamilie aus Karthago[060-a]. Sein Großvater
Gordianus hatte wie die meisten Senatoren unter Preisgabe seiner
Güter nach Italien flüchten müssen, als die Vandalen unter Geiserich
einbrachen. Nach seinem Tode kehrten zwei von seinen Söhnen, in der
Hoffnung, das Erbe wieder zu erlangen, nach Afrika zurück, konnten
aber in Karthago nicht verbleiben, weil ihr Haus an die arianischen
Priester verschenkt worden war. Ihre Landbesitzungen erhielten sie
jedoch durch königlichen Machtspruch zum größeren Teil wieder zurück
und zogen in die Provinz Bizacena. Hier in der Stadt Jellapte bekam
einer von ihnen, Klaudius, von seiner Gattin Mariana den zum Sohne,
der den ihm verliehenen Namen Fulgentius, das heißt ›der Glänzende‹
mit so viel Recht führen sollte. Die Mutter ließ ihn, da der Vater
früh starb, zuerst in den griechischen Wissenschaften unterrichten und
solange er nicht den ganzen Homer auswendig konnte und auch vieles von
Menander durchmachte, erlaubte sie nicht, ihn mit der lateinischen
Litteratur bekannt zu machen, weil sie ihm in den Kinderjahren die
Kenntnis der fremden Sprache beibringen lassen wollte, damit er einst,
unter den Afrikanern lebend, das Griechische los habe. So kam es, daß
er später ohne Accent Griechisch sprach. Dann machte er die höhere
Stufe der Lateinschule durch, mußte aber zugleich in seinen jungen
Jahren bereits die Verwaltung des väterlichen Hauses übernehmen. Bald
darauf wurde er städtischer Steuereinnehmer. Ihn selbst beschlich die
Sehnsucht, die Welt zu lassen und Mönch zu werden. Da sich dieser sein
Lieblingswunsch jedoch nicht erfüllen wollte, richtete er wenigstens
sein äußeres Leben so ruhig wie möglich ein, mied die Gesellschaft, saß
auf seinem Landhause, verminderte die Zahl großer Gastmähler und ging
nicht mehr ins Bad. Dafür fastete, las und betete er im Laienstande
wie ein Mönch, bis ihn eine Predigt des heiligen Augustin über den
36. Psalm bewog, mit seinem Entschluß nicht länger hintanzuhalten.
Er vollzog seinen Eintritt ins mönchische Leben bei Faustus, der
von Hunerich seines Bistums entsetzt nicht weit davon einem Kloster
vorstand. Die Aufregung in der Familie war groß. Fulgentius blieb
standhaft; er überthat sich in Kasteiungen, enthielt sich des Weines,
aß ohne Fett und so wenig und schlecht, daß seine Haut Sprünge bekam,
eiterte und bald ein Ausschlag seinen Leib entstellte. Sein ganzes
Vermögen vermachte er seiner Mutter, die es dann seinem jüngeren Bruder
Klaudius verschreiben solle, falls er sich gut halte. Die höchst
unruhigen Zeiten ließen ihn nicht ruhig seinem Ideale leben[061-a].
Die beständigen Verfolgungen der Arianer vertrieben ihn und er suchte
Zuflucht bei einem Abte Felix, der ihn bald zum Mitabt erhob. Ein
Maureneinfall vertrieb sie aufs neue; sie suchen in der Gegend von
Sicca sich festzusetzen. Dort aber hetzte ein fanatischer arianischer
Priester, Felix von Gabardilla, ein roher, aber reicher Mensch; es kam
zu Thätlichkeiten. Der Abt Felix wird ausgepeitscht und Fulgentius
ebenfalls gestäupt. Nun will Fulgentius nach Aegypten reisen, ändert
aber seinen Entschluß; die mit andern Pilgern bei Bischof Eulalius von
Syrakus genossene Gastfreundschaft und die Nachricht, daß die Thebais
gegenwärtig von einer Irrlehre beherrscht sei, halten ihn im Abendlande
fest. Er besucht einen in Sizilien als Einsiedler lebenden verbannten
afrikanischen Bischof Rufinianus, reist nach Rom und wohnt dort dem
Einzug König Theodorichs bei. Auf dem Platz, der ›die goldene Palme‹
hieß, hörte er den König eine Rede halten, sieht den Adel prächtig in
all den Abstufungen seiner Stände und vernimmt das Freudengeschrei
des freien Volkes, aber mit keuschen Ohren; er kannte den eiteln Pomp
dieser Welt und sagte lächelnd zu einem Mitgeistlichen: »Wie schön muß
erst das himmlische Jerusalem sein, wenn schon das irdische Rom also
glänzt«. Er kehrte nach Afrika zurück und richtete auf dem Grundstück,
das ein hochgestellter Mann und guter Christ namens Sylvester zur
Verfügung stellte, in Bizacena ein eigenes Kloster ein: guter, fetter
Boden, um vom Ertrag der eigenen Gärten leben zu können und abgelegen,
fern vom Kriegsgetümmel. Aber die Anlage und Leitung des Klosters
nahm ihn zu sehr in Anspruch; er sehnte sich nach dem Zustande eines
einfachen Ordensbruders. Bei der ersten Gelegenheit giebt er denn
auch seine Abtswürde ab und tritt in ein anderes Kloster auf einer
Strandinsel an der kleinen Syrte, wo der schmale Streifen des winzig
kleinen Felsens nicht erlaubt, Gärten anzulegen, wo weder Holz noch
Trinkwasser sich vorfindet und wo daher das Notwendigste von diesen
beiden Dingen auf sehr kleinen Kähnen hinübergeschafft wird. In diesem
Kloster, dem ebenfalls zwei Aebte vorstanden und das durch seine
strenge Zucht bekannt war, lebte er als einfacher Bruder. In seiner
Mußezeit trieb er Handarbeiten; er schrieb geschickt und verfertigte
Fächer aus Palmblättern. Aber dieser ihm erwünschte Wechsel vom Oberen
zum Untergebenen dauert nicht lange: sein Kloster reklamiert ihn; es
kommt vor den Bischof; die Inselmönche müssen nachgeben. Nicht nur
muß er wieder Abt sein; er erhält nun auch die Priesterweihe. Bald
ist er der allgemein anerkannte Kandidat für den nächsten ledigen
Bischofssitz. Allerdings war es damals vom König Thrasamund verboten,
Bischöfe zu weihen und den verwaisten Kirchen Hirten zu geben. Da es
daher weder erlaubt war, eine solche Ehrenstelle auszuteilen noch sie
anzunehmen, hielt es Fulgentius für unnötig, sich seinerseits vor
dem bevorstehenden Los zu wappnen. Aber die noch übrigen Bischöfe
thaten dessenungeachtet alles, um die erledigten Stühle zu besetzen.
Nun hatte sich indessen Fulgentius in der That durch Flucht der
Wahl entzogen, die mehrmals auf ihn, sei es als ersten, sei es als
einzigen entfiel. Zugleich wurde der Primas der Provinz Bischof Viktor
verhaftet und nach Karthago geschleppt. Die Lage der katholischen
Geistlichkeit war aufs neue verzweifelt. Da nahm denn Fulgentius die
Wahl zum Bischof von Ruspe an, obwohl ein Diakon namens Felix, der
Bruder eines einflußreichen Beamten, ihm den Platz streitig machte.
Da der Weihbischof in Haft saß, wurde Fulgentius von den benachbarten
Bischöfen konsekriert. Es kostet ihn einen wahren Kampf, zumal er
böse Augen hatte. Aber man reißt ihn förmlich aus der Zelle, zwingt
ihn Bischof zu sein. Kaum im Amte[062-a], weihte Fulgentius seinen
Gegner, den Diakon Felix zum Priester. Er kehrte in seinem Auftreten
den Mönch heraus, trug nie die Stola, sondern immer nur Kukulle und
Ledergürtel, ja zelebrierte so die Messe: »Beim heiligen Meßopfer«,
pflegte er zu sagen, »müssen die Herzen geändert werden, nicht die
Kleider.« Unter der Kukulle trug er einen dunkeln oder einen weißen
Mantel. Wenn es die Witterung erlaubte, hatte er innerhalb des Klosters
nur den Mantel an. Aber mit entblößten Schultern ward er nie gesehen,
ja er begab sich zur Ruhe, ohne auch nur den Ledergürtel abgelegt
zu haben. Nie aß er Fleisch, nur Gemüse, Graupen und Eier, so lang
er jung war, ohne Oel; in seinem Alter aber mischte er Oel bei, in
der Meinung, das Oel verhindere seine zunehmende Augenschwäche, die
ihm das Lesen unmöglich mache. Wenn er unwohl war und Wein trinken
mußte, goß er in die vollen Wasserbecher etwas Wein, denn er wollte
den angenehmen Geschmack und Geruch durchaus vermeiden. Bevor noch
das Zeichen zur Mette gegeben wurde, war er längst wach und betete
entweder, oder er las oder diktierte. Da er nicht ohne Mönche sein
konnte, traf er in Ruspe Anstalten zur Einrichtung eines Klosters.
Zu seiner Freude bot ihm ein Bürger ein mit hohen Föhren bewachsenes
Grundstück an; das Bauholz war hier also gleich dabei. Die Bruderschaft
seines ehemaligen Klosters zog nun zum größeren Teil mit ihrem Abte
Felix dahin um; an die Spitze der Zurückgebliebenen trat einer aus den
Brüdern, namens Vitalis. Da erfolgte die Verbannung aller Bischöfe,
auch des Fulgentius nach Sardinien. Er, der jüngste unter ihnen, deren
etwa sechzig waren, verfertigte die gemeinsamen Erlasse und besorgte
auch manche Privatkorrespondenz. Auch richtete er sich mit einigen
zusammen ein, sie hatten gemeinsamen Tisch, gemeinsamen Keller und
beteten und studierten gemeinsam. Ihr Haus galt für das Orakel der
Stadt Kalaris. Dann wird Fulgentius abgeordnet, um die Verhandlungen
mit König Thrasamund einzuleiten. Er verficht die katholische Sache
mit größter Entschlossenheit gegen König Thrasamund und den diesen
vertretenden Bischof Pinta. Die meisten seiner Schriften sind in
dieser Angelegenheit entstanden. Oft fuhr er bei ruhiger See zwischen
Sardinien und Afrika hin und her. Ja es folgten ihm immer mehr Mönche,
so daß er schließlich mit Erlaubnis des Bischofs Brumasius von
Kalaris neben der Saturninskirche auf einem ruhigen Platz aus eigenen
Mitteln wieder ein Kloster bauen konnte. Auch hier wurde eine strenge
Regel beobachtet. Die Brüder mußten sich je nach der Begabung mit
wissenschaftlichen Studien oder mit Handarbeit beschäftigen. Mit dem
Tode Thrasamunds erreichte die Verfolgung ihr Ende; Hilderich ließ
die verbannten Bischöfe zurückkehren. Bei der Landung in der Heimat
empfing die Menge die andern Bischöfe schweigend; als aber Fulgentius
ausstieg, brach der Jubel los. Man geleitete ihn zur Agileuskirche.
Die Kundgebungen steigerten sich auf der Heimreise von Karthago nach
Ruspe. Als Bischof schlug er nun aber seine Wohnung im Kloster auf,
nachdem er alle Maßregeln getroffen, daß dadurch die Befugnisse des
Abtes Felix in keiner Weise geschmälert würden. Vielmehr war dieser
in allen Angelegenheiten der Provinz Bizacena des Bischofs erster
Ratgeber. Die Geistlichkeit durfte unter Fulgentius kein zu großes
Gewicht auf das Aeußere legen oder längere Zeit in bürgerlicher
Kleidung gehen. Alle sollten sie nicht weit von der Kirche wohnen,
mit eigenen Händen ihren Garten pflegen und alle Sorgfalt darauf
verwenden, die Psalmen schön zu singen und vorzutragen. Er bestimmte,
daß in jeder Woche alle Geistlichen und Witwen und frommen Laien am
Mittwoch und Freitag zu fasten hätten; der Besuch der Vigilien, der
Morgen- und Abendgebete war für die ganze Gemeinde obligatorisch.
Wo Worte nichts ausrichteten, ließ er die Prügelstrafe in Anwendung
bringen. Sonst war er die Demut selbst. Er trat seinen berechtigten
Vorrang auf der Synode von sich aus an den Bischof ab, den er deshalb
verstimmt zu finden meinte. Etwa ein Jahr vor seinem Tode ergriff ihn
gelinde Schwermut. Er ließ alles liegen und zog sich auf die Insel
Cercina gegenüber Ruspe zurück, wo er auf der Klippe Chilmi bereits
ein Kloster hatte bauen lassen. Aber die Amtspflicht rief ihn doch
wieder zurück. Da verfiel er in eine siebzigtägige Krankheit, in der
er nur immer das eine wiederholte: »Herr, verleihe mir hier jetzt
Geduld, hernach Verzeihung.« Er blieb bis zum letzten Augenblick
beim Bewußtsein. Gestorben ist er am ersten Januar nach der Vesper,
in seinem fünfundzwanzigsten Amtsjahre, fünfundsechzig Jahre alt. Am
Todestage selbst konnte er nicht mehr beerdigt werden, er wurde in das
Oratorium des Klosters gebracht, wo jene Nacht die Mönche im Verein
mit den Geistlichen beim Gesange von Psalmen, Hymnen und geistlichen
Liedern durch wachten. Am andern Morgen wurde er in Gegenwart einer
ungeheuern Menge von Priestern nach der Sekundakirche getragen; dort
hatte er selbst Apostelreliquien bergen lassen und wurde nun daselbst
nach dem allgemeinen Willen als Erster beigesetzt; denn nach alter
Gewohnheit war dort nie begraben worden. Auch erhielt er ein Grabmal.
So, hoffte man, werde der Heilige den Betenden auch fernerhin örtlich
nahe sein. Dies sind die charakteristischen Züge dieses etwa um
530 verfaßten sympathischen Lebensbildes[064-1], wo gewissenhafte
Erkundigung und eine unbegrenzte Verehrung gemeinsam ein wertvolles
Ganzes hervorzubringen vermochten.


3.

Das Fulgentiusleben wird indessen in seinen erfreulichen Eigenschaften
einer reinen Memorie noch übertroffen durch die Lebensbeschreibung des
Metropoliten Cäsarius von Arles. Sie besteht aus zwei Büchern und ist
das Werk Mehrerer. Wenige Jahre nach dem Tode des Prälaten regten seine
Schwester Cäsaria und alle Nonnen ihres Klosters dieses schriftliche
Denkmal an und betrauten mit der Ausführung diejenigen von Cäsarius’
Jüngern, die ihm im Leben am nächsten gestanden hatten. Das erste Buch
schrieben seine Schüler, die Bischöfe Cyprian von Toulon, Firminus und
Viventius, das zweite der Presbyter Messianus und der Diakon Stephanus,
zwei seiner Diener, die von jung auf um ihn gewesen waren und aus
dem beständigen Umgang mit ihm ihre Kenntnisse schöpfen konnten. Das
erste Buch umfaßt das ganze Leben des Heiligen mit Ausschluß seines
Sterbens und erhält seinen Wert überdies in seiner anschaulichen
Schilderung der Belagerung von Arles durch die Franken. Das zweite Buch
wendet sich mehr den Wunderthaten des Lebenden wie des Toten zu und
schließt mit einer Darstellung von Tod und Begräbnis. Abgefaßt ist die
Schrift in den Jahren 541–549, während der Regierung des Childebert.
Den Hauptanteil am gesamten Unternehmen trägt Cyprian von Toulon.
Er war am ehesten befähigt, die kirchenpolitischen Begebenheiten im
Rahmen des Lebensbildes mit Verständnis aufzufassen; er nahm auch
an der Delegation teil, durch die sich Cäsarius auf dem Konzil von
Valence vertreten ließ. Seine beiden bischöflichen Genossen in der
Verfasserschaft, der eine Inhaber eines bekannten Sitzes, während das
Bistum des andern nicht zu ermitteln ist, hatten zweifelsohne früher
ebenfalls dem Klerus von Arles angehört, sprachen also aus eigener
Anschauung der geschilderten Verhältnisse, wenn sie auch zur Zeit, da
sie schrieben, sich auswärts befanden. Für das intime Detail waren
jedoch jene beiden andern, die Verfasser des zweiten Buches, die
gegebenen Berichterstatter, da sie in dienender Stellung den Bischof
in seinen alltäglichen Beschäftigungen immer umgaben. Messianus versah
im Gefolge des Cäsarius die Stelle eines Kanzlisten; er hatte seinen
Herrn auch auf seiner Reise nach Italien im Jahre 513 begleitet und
im Jahre darauf dem Papste Symmachus zusammen mit dem Abt Egydius
das Gesuch um die Vorrechte der Kirche von Arles überreicht. Da er
in seiner Stellung als Notarius bei Kirchenvisitationen dem Bischof
den Stab voranzutragen hatte, konnte er den wundertätigen Einfluß von
Cäsarius Persönlichkeit auf das Volk immer wieder aufs neue ermessen;
in den vier Wänden seiner Zelle dagegen beobachtete ihn der Diakon
Stephanus, der eben dort den Dienst versah. Für Episoden, die sich
fern von einem der Gewährsmänner abgespielt hatten, wußten sie einen
zuverläßigen Berichterstatter aufzutreiben: für die Flucht nach Lerinum
zum Beispiel den Diener, der ihn damals begleitet hatte. Außerdem haben
sie die Predigten des Cäsarius ausgiebig benützt und verwendet, sowie
die uns ebenfalls noch erhaltene Nonnenregel des Bischofs. Endlich
haben die fünf Verfasser nach dem Vorbild ihres Meisters einfach und
natürlich geschrieben, und so haben wir es mit einem Werke zu thun,
das als ganzes genommen alle seine gleichnamigen Genossen überholt;
denn die Einseitigkeit der andern Heiligenmemorien ist hier zu einem
guten Teil ausgeglichen durch die Mehrzahl selbständiger Verfasser, von
denen jeder wieder verschiedene Seiten am Gegenstande sah. So konnte
ein rundes und allgemeines Lebensbild erzielt werden, wie es sonst
bei der Befangenheit jeder zeitgenössischen Darstellung von ~einer~
solchen nicht zu erhoffen war. In so früher Zeit dürfte überhaupt eine
Gestalt der Geschichte selten sein, an der sich aus lauter Quellen
ersten Ranges ein genügender Einblick in den Verlauf eines bedeutenden
Menschenlebens gewinnen läßt; bei Cäsarius von Arles aber ist es
entschieden der Fall und soll in der biographischen Lebensskizze in
Kürze geschehen[066-1].

Cäsarius wurde im Jahre 469/470 im burgundischen Reiche geboren.
Seine Eltern waren vom Adel. Auf ihrem Landsitz wuchs er heran und
suchte schon im Alter von sieben Jahren die armen Leute auf. Als
junger Mensch führte er eine Zeit lang ein standesgemäßes Leben
und versagte sich nichts. Dann erfaßte ihn plötzlich Eckel; ohne
seinen Eltern etwas zu sagen, begab er sich zu Bischof Sylvester von
Chalons und ließ sich von ihm scheeren und zum Diakon weihen. Dort
blieb er zwei Jahre bis er zwanzig war, wünschte dann aber sich im
geistlichen Leben noch auszubilden. Glücklich erreichte er mit einem
treuen Diener das Kloster Lerinum, obschon seine besorgte Mutter durch
besondere Sendlinge das möglichste gethan hatte, um seine Flucht zu
hintertreiben. Jene kleine und ebene Insel stand damals in der ganzen
Welt im Rufe strengen klösterlichen Lebens, und stets gingen künftige
Bischöfe aus den Reihen der Mönche hervor. Cäsarius nahm seine Gelübde
sehr ernst, so ernst, daß er oft an der Möglichkeit verzweifelte,
seine Fehler überhaupt noch abzulegen. Abt Porcarius jedoch wußte ihn
zu schätzen, und als er selbst sich zu alt fühlte, ließ er jenen vor
den Mönchen predigen; er bestallte ihn überdies zum Speisemeister.
In seinem frommen Eifer gab sich Cäsarius zuerst Illusionen über die
Vortrefflichkeit seiner Mitbrüder hin, allmählich aber gingen ihm die
Augen auf, daß es eben Menschen waren. Putzsucht, Schlemmerei und
andere eines Heiligen unwürdige Gelüste kamen ihm täglich vor, da er
in seiner Stellung als Verwalter derlei befriedigen sollte. Als er
nicht nachgab und allen diesen Zumutungen stand hielt, wurde seine
Lage unhaltbar. Man intriguierte gegen ihn; der greise Abt erlag
schließlich den Einflüsterungen der Gegner und desavouierte ihn. Mit
seiner Entsetzung vom Amte erkrankte Cäsarius auch noch fieberhaft;
sein Körper war durch übertriebene Bußübungen zu hart mitgenommen. Der
Abt, bange, der Bruder werde es nicht überstehen, wünschte ihn der
strengen Klosterzucht enthoben zu sehen und verfügte die Uebersiedelung
nach Arles in die Hände berühmter Aerzte. In Arles nahmen sich ein
hochgestellter Mann, Firminus, und dessen Gemahlin Gregoria des Kranken
an und sorgten auch später für die weitere Ausbildung durch einen
Rhetor Pomerius; denn in Dingen der Bildung ließ der Mönch noch zu
wünschen übrig. Aber diese Bemühungen verfingen nicht allzu sehr bei
Cäsarius: es war ihm an weltlicher Weisheit nicht eben viel gelegen,
wie er denn nicht, was man heißt, begabt war. Er verstand sich daher
auch nicht auf die blühende Redeweise der gallischen Rhetoren, sondern
drückte sich einfach und bescheiden aus. Der Bischof von Arles, bei
dem er durch seine Gönner eingeführt, und als aus Chalons gebürtig
vorgestellt wurde, freute sich, einen Landsmann zu treffen; er hatte
die Eltern wohl gekannt und bei näherer Bekanntschaft stellte sich
heraus, daß sie überhaupt noch entfernt verwandt waren. Auf Ansuchen
des Abtes von Lerinum nahm er die Priesterweihe an Cäsarius vor. Obwohl
dieser damit in den geistlichen Verband der Kirche von Arles überging,
befolgte er doch nach wie vor den Psalmenkanon und alle Regeln seines
Klosters. Als dann im Jahre 499 auf der Arles unterstellten Insel
die Klosterzucht nachließ und der Abt gestorben war, beauftragte der
Bischof seinen Verwandten mit der Reform. Cäsarius unterzog sich der
Aufgabe und wurde den kühnsten Erwartungen gerecht. Zu jener Zeit nun
begann Bischof Aeonius alt zu werden und hatte nur noch einen Gedanken,
nämlich bei Klerus, Bürgerschaft und beim Könige die Wahl seines
Vetters sicher zu stellen. So kam es, daß Cäsarius, der erst dreißig
Jahre alt, schon Abt geworden war, nun gar noch, kaum dreiunddreißig,
Primas von Gallien wurde. Diese außerordentliche Ehre war durchaus
nicht nach seinem Sinne; er suchte sich ihr gewaltsam zu entziehen,
indem er sich auf dem Kirchhof hinter den Grabsteinen verbarg. Alarich,
der König der Westgothen, dem Arles damals botmäßig war, hatte diese
Wahl bestätigt, obwohl der Gewählte ein Ausländer sei. Immerhin
wußte ihn einer der bischöflichen Kanzlisten namens Licinianus durch
Zwischenträger beim Könige zu verleumden; die Folge war Cäsarius’
Verbannung nach Bordeaux im Jahre 505. Dort verbrachte er einen Winter
mit Ruricius, seinem bischöflichen Kollegen von Limoges, und errang
sich durch seine furchtlose Hilfeleistung bei einer Feuersbrunst die
rückhaltlose Verehrung der dortigen Bevölkerung. Unterdessen war zu
Hause seine Unschuld an den Tag gekommen; er durfte frei in seine
Stadt zurückkehren, und nur seiner Fürbitte hatte es der Verleumder
zu danken, daß er nicht um seinen Kopf kam. Am 11. Sept. 506 trat in
Agde das Konzil der katholischen Bischöfe des westgothischen Reiches
zusammen, 507 ein gleiches in Toulouse. Da Cäsarius als Metropolit die
Beschickung des Landeskonzils für jeden Bischof verbindlich erklärte,
ansonst die brüderliche Gemeinschaft suspendiert werden müßte, überwarf
er sich mit Rusticius von Limoges, der ihm grob erklärte, es sei ihm
doch noch lieber, wenn die Stadt des Bischofs wegen, und nicht der
Bischof der Stadt wegen bekannt sei. Kurz darauf mußte dann aber
der innerkirchliche Zwist vor den weltgeschichtlichen Ereignissen
verstummen, die nun eintrafen. Alarich war bei Veuillé von Chlodowech
geschlagen worden und gefallen. Die siegreichen Franken drangen bis in
die Provence vor und belagerten mit den verbündeten Burgundern Arles.
Wohl versammelte der ostgothische König Theodorich auf den 24. Juni
desselben Jahres 508 das Heer, das dann in der That die schwerbedrohte
Stadt entsetzen sollte. In der Zwischenzeit aber litt sie und nichts
kann uns mit größerer Verehrung vor ihrem jungen Erzbischof erfüllen,
als die Unerschrockenheit und die selbstlose Hingabe, mit denen er in
diesen Tagen höchster Not und Gefahr seine Pflicht that. Er hatte eben
im Südosten der Stadt ein Nonnenkloster bauen und es sich nicht nehmen
lassen, selbst mit Hand anzulegen. Nun mußte er es von der Stadt aus
mit eigenen Augen ansehen, wie die Franken und Burgunder, übrigens
entgegen dem Tagesbefehle Chlodowechs und trotz starker Sympathien
im burgundischen Heere, den Bau größtenteils wieder niederrissen und
Steine und Holz für ihre Sturmwälle benutzten. In Arles selbst wurde
er schwer verleumdet. Vor wenigen Jahren hatte er seiner burgundischen
Freundschaft wegen in die Verbannung gehen müssen, und nun waren in
mehr als einer Stadt die katholischen Bischöfe offen zu Verrätern
des westgothischen Vaterlandes geworden. Zum Unglück war auch ein
Chorherr des bischöflichen Kapitels, zudem ein Verwandter des Cäsarius,
aus Furcht vor der drohenden und in jenen Zeiten kaum erträglichen
Gefangenschaft nachts an einer Strickleiter über die Mauer hinunter zu
den Feinden übergelaufen. Es schien, als sei es um Cäsarius geschehen.
Das Volk wollte ihn in die Rhone werfen. Er wurde aufs strengste im
Palatium bewacht, sein Haus von Arianern bezogen. Am meisten hatten
die Juden gegen ihn gehetzt, weil er auf dem Konzil von Agde im Jahre
506 ein altes Verbot mit den Juden zu speisen von den Klerikern auf
alle Katholiken hatte ausdehnen lassen. Da wurde aber bei einem Ausfall
der Belagerten ein an einem Stein befestigter Brief gefunden, den
ein Areletenser Jude, als er den Wachtdienst versah, zu den Feinden
hinübergeschleudert hatte: er verriet die Mittel zur Einnahme der Stadt
mit der Erwartung, daß dann Freiheit und Besitz aller Juden in Arles
unangetastet bleibe. Die gothischen Machthaber ließen nun Cäsarius
frei und verhafteten die Juden. Auch rückte jetzt das ostgothische
Ersatzheer heran, und es siegte. Arles wurde dadurch mit Gefangenen
angefüllt, und Cäsarius übernahm die Fürsorge für diese Unglücklichen.
Dabei nahm er auf die heidnischen Franken und die arianischen Burgunder
genau die gleiche Rücksicht wie auf die gefangenen Katholiken. Aus
dem reichen Kirchenschatz schaffte er Nahrung und Kleider. Als dieses
Hilfsmittel erschöpft war, ließ er mit Axthieben die reichen silbernen
Verzierungen im Innern der Hauptkirche von den Säulenuntersätzen und
den Schranken abtrennen; ja schließlich schmolz er die heiligen Gefäße
ein, man denke sich unter welchem Widerspruch der Kleriker. Er hatte
darauf die schöne Antwort: »Möchten doch gewisse Herren Bischöfe und
sonstige Geistliche mir Rede stehen, die aus ich weiß nicht was für
einer Liebe zu überflüssigen Dingen nicht wollen, daß man fühlloses
Silber und Gold aus den Schatzkammern Christi für Knechte Christi
verwende, wenn sie selbst zufällig von einem solchen Unglück betroffen
wären, ob sie es dann auch für Tempelschändung erklären würden, wenn
ihnen jemand mit den gottgeweihten Gaben zu Hilfe käme? Ich glaube
nicht, daß es Gott mißfällt, Dinge, die zu seinem Dienst bestimmt
sind, zum Lösegeld zu verwenden, da er sich selbst für die Menschen
zum Lösegeld dahingab.« Im festen Gottvertrauen setzte der Bischof
sich und seine nächsten Angehörigen dem Mangel aus, um den Gefangenen
zu helfen. Sein Verwalter erklärte, wenn die Gefangenen auch nur
einen Tag weiter unterstützt würden wie bisher, könne er morgen kein
Brot beschaffen für den Tisch des Bischofs; warum man denn nicht die
Gefangenen einfach in den Gassen betteln lasse. Der Bischof zog sich in
seine Zelle zurück und kehrte dann mit wunderbarer Zuversicht wieder.
Er lachte den Verwalter wegen seines Unglaubens aus und sagte zu seinem
Sekretär Messianus: »Wir wollen heute alles verbacken und morgen wenn
es sein muß fasten. Das steht uns immer noch besser an, als Leute aus
guter Familie zum Betteln zu zwingen.« Einem Anwesenden aber flüsterte
er ins Ohr: »Morgen wird Gott geben, wer den Armen giebt, leidet nicht
Mangel.« Der nächste Tag graute: da kamen drei große Getreideschiffe
die Rhone herunter; König und Kronprinz von Burgund sandten sie, um
Cäsarius in seiner Liebesthätigkeit zu unterstützen, um so mehr als
sie wußten, wie viel davon ihren gefangenen Unterthanen zu Gute kam.
Auch als Prediger stellte Cäsarius in diesen Schreckenstagen seinen
ganzen Mann: »Ja, einen bitteren Rauschtrank kredenzt die Welt ihren
Liebhabern. Zu euch spricht jetzt die rauhe Wirklichkeit, ihr Liebhaber
der Welt: ›Wo ist das was ihr so hoch hieltet und nicht fahren lassen
wolltet?‹«[069-1].

Dem Kriege folgte eine so große Sterblichkeit, daß die noch Lebendigen
kaum ausreichten, die Toten zu begraben. Die Umgegend war verwüstet,
ganze Provinzen deportiert, besonders schrecklich war das Los der
Frauen: vornehme Damen waren zu Mägden geworden. Um so mehr mußte
für Cäsarius darin eine Aufforderung liegen, seine Gründung eines
Nonnenklosters wieder aufzunehmen. Seine Schwester Cäsaria hatte er
nach Marseille in das Frauenstift des Cassianus gesandt, damit sie
dort das Leben nach der Regel erlerne. Darauf war sie einem neuen
Hause neben der Kirche von Sankt Stephan vorgesetzt gewesen, während
zwei oder drei Gefährtinnen bereits Einzelzellen bezogen hatten, bis
endlich am 26. August 512 das Kloster eingeweiht wurde. Die Zahl der
Nonnen stieg im Lauf der Jahre auf zweihundert. Im folgenden Jahre
wurde Cäsarius vor den Ostgothenkönig Theodorich geladen und unter
militärischer Eskorte nach Ravenna abgeführt. Die Gründe der Anklage
sind unbekannt und mögen mit dem Klosterbau zusammenhangen. Jedenfalls
wußte Cäsarius auch diese Verdächtigung durch die bloße Darlegung
des Sachverhalts zu entkräften, und Theodorich sah sich bewogen,
den Bischof noch ausdrücklich durch ein kostbares Ehrengeschenk
auszuzeichnen. Cäsarius verkaufte die silberne Platte und löste mit dem
Gelde Gefangene aus; er veranlaßte durch dieses sein Beispiel überdies
reichliche Liebesgaben großer Herren, durch die der Loskauf fast aller
in Italien noch gefangenen Burgunder möglich wurde. Uebrigens scheint
Cäsarius von Theodorich nicht nur als Kirchenmann, sondern auch als
politischer Vertreter der Stadt Arles zur Rechenschaft gezogen worden
zu sein. Von Ravenna reiste er nach Rom und wurde von Papst Symmachus
sowie dem römischen Adel sehr ehrenvoll aufgenommen. Es galt am
apostolischen Stuhl einige fragwürdige Angelegenheiten zu erledigen.
Zunächst hatte Cäsarius, um das Geld zum Klosterbau aufzutreiben,
arelatensischen Kirchenbesitz veräußert und damit ein schlechtes
Beispiel gegeben, das nicht ermangelte, befolgt zu werden. Im Kloster
selbst trat bald der Uebelstand zu Tage, daß die Nonnen, ob sie
wollten oder nicht, von Freiern zur Heirat entführt wurden. Cäsarius
bestand überdies auf dem noch von seinem Vorgänger gehandhabten Recht,
eine durch Klerus und Bürgerschaft zu Stande gekommene Bischofswahl
als Metropolit zu bestätigen und wollte weltliche Würdenträger zum
geistlichen und gar zum bischöflichen Stande nicht zulassen, ohne
über Jahre zurück ihren Leumund in Erwägung zu ziehen. Außerdem war
dieses ein Jahrhundert alte Privilegium des Stuhles von Arles auf
den Primat von ganz Gallien nun durch die diplomatischen Künste
des Avitus von Vienne sehr ins Schwanken geraten. Trotz dieser
mannigfaltigen und vielfach zweifelhaften Umstände erzielte Cäsarius
mit seiner Anwesenheit am päpstlichen Hofe einen vollen Erfolg, und
schon ein Jahr darauf sah der Erzbischof von Arles seine Rechte eines
apostolischen Vikars nicht nur über Gallien, sondern auch über Spanien
ausgedehnt. In Rom hatte Cäsarius auch starke liturgische Eindrücke
in sich aufgenommen und traf sofort Anstalten, den römischen Ritus
in Gallien einzubürgern. Namentlich aber brachte er ein Vermögen von
achttausend Goldstücken als Fonds für den Rückkauf der Gefangenen mit
nach Hause; er organisierte eine ganze Beamtenschaft aus Aebten und
Klerikern, um die Armen zu befreien, und begab sich selbst in dieser
Angelegenheit nach Carcassone. Papst Hormisdas, der 514 Symmachus
nachfolgte, sicherte dem Kloster von Arles den Schutz des heiligen
Stuhles zu und legitimierte, wenn auch nicht ohne Zögern die im Grund
unrechtmäßigen Vergabungen, die vom Kirchengut an das Frauenstift
geschlagen worden waren. Im April 515 fand das von Cäsarius einberufene
zweite Konzil von Arles statt, an dem siebzehn Bischöfe teilnahmen,
dessen Beschlüsse uns jedoch unbekannt geblieben sind. Auch das
Weihfest der Marienkirche im Jahre 524 gestaltete sich zu einer Synode,
ebenso vier Jahre später die Kircheneinweihung von Orange; dort
bekämpfte Cäsarius den Semipelagianismus des Erzbischofs von Vienne.
Auf dem Konzil des Jahres 529 brachte er dagegen die liturgische
Bewegung in Fluß; es handelte sich darum, die italienische Praxis in
folgenden Punkten zu befolgen: ob alle Pfarrer jüngere ledige Lektoren
bei sich haben und mit ihnen die Psalmen, Vorlesestücke und heilige
Schrift studieren sollten, um sich so ihren Nachfolger heranzuziehen,
ob das Kyrie eleison und in allen Messen das dreimalige Sanktus zu
sprechen sei und ob nach jedem Schluß hinter dem »Gloria« nicht ein
»Wie es war im Anfang« zu folgen habe, um die arianische Irrlehre Lügen
zu strafen. Bis jetzt hatten Presbyter und Diakone nur das Evangelium
lesen dürfen; nun sollte ihnen auch das Predigen erlaubt werden und
zwar nicht nur denen in der Stadt, sondern auch denen auf dem Lande.
Für sie hatte nun Cäsarius ein Vademecum verfaßt, ein Handbüchlein,
mit Predigten, die an Festen und Feiertagen hergesagt werden konnten.
Auch wurde beschlossen, der Name des regierenden Papstes sei in den
Dorfkirchen der Provinz von Arles zu nennen. Auf dem Konzil von
Marseille vom Jahre 533 mußte der Bischof von Rei wegen Ehebruch und
Diebstahl, deren er geständig war, seines Amtes entsetzt werden; auf
Cäsarius Veranlassung waren die strengsten Maßregeln ergriffen worden,
den Fehlbaren unschädlich und, was er veruntreut hatte, wieder gut zu
machen. Papst Johannes billigte sein Vorgehen; leider aber lieh sein
Nachfolger Agapet dem Bösewicht Contumeliosus Gehör, und obwohl auch
die von ihm eingesetzte Revisionskommission die ersten Verfügungen im
Ganzen bestätigte, mußte sich Cäsarius die päpstliche Ungnade in sehr
fühlbarer Form gefallen lassen. Als Arles dann in fränkischen Besitz
überging, 536, war Cäsarius bereits ein alternder Mann. Noch hatte
er bei König Theudebert sich einer Botschaft des Papstes Vigilius zu
entledigen, am 6. Mai 538, und wirkte in allgemeinen Kirchenfragen noch
mit seinem bewährten Rate mit. Doch hat er an keinem fränkischen Konzil
teilgenommen, er war zu leidend und fiel oft in Ohnmacht. Als er seinen
Tod herannahen fühlte, ließ er sich in das Nonnenkloster hinübertragen,
um sie zu trösten, nahm Abschied von den Schwestern und kehrte nach
der Stephanskirche zurück. Vierzig Jahre lang hatte er der Kirche von
Arles vorgestanden und dreißig waren vergangen, seit er das Kloster
gegründet hatte. Am Morgen nach dessen Weihetag ist er gestorben, den
27. August 542. An der Trauer um ihn ließ sich erkennen, wie er geliebt
war. Sogar die Juden, die ihn einst verleumdet hatten, schlossen sich
dem Leichenzuge an. Begraben ist er in der Marienkirche neben der
Schwester, die ihm im Tode vorangegangen war.

In dieser kurzen Skizze von Cäsarius Lebensgang sind allerdings
die Mitteilungen der Doppelvita aus andern Quellen ersten Ranges
ergänzt und gelegentlich sogar berichtigt; aber diese liefert doch
den fortlaufenden Zusammenhang, ohne den ein Gesamtbild undenkbar
wäre. Immerhin sind die exakten chronologischen Daten, die uns die
Vita zu erschließen ermöglicht, von ihr als einer echten Memorie nur
vermittelt, nicht aber selbst geliefert. Die zweite Vita, die sich
überhaupt mehr der innerlichen Wirksamkeit des Cäsarius zuwendet,
gibt dementsprechend keinen einzigen Anhaltspunkt zu chronologischer
Fixierung. Dagegen enthält die erste von den drei Bischöfen verfaßte
Schrift nicht weniger als zwölf historisch sichere Zeitangaben: doch
beweist sie ihren Charakter einer Memorie eben dadurch, daß nicht sie
selbst die Jahreszahlen ausdrücklich mitteilt, sondern diese, ohne
äußere kalendarische Mittel zu Rate zu ziehen, auf inner biographischem
Wege umschreibt.

       *       *       *       *       *

Um aus unserer Uebersicht über die spätlateinischen und altgallischen
Heiligenmemorien die Summe zu ziehen, muß vor allem erinnert werden,
die erste und wichtigste unter ihnen sei zugleich ohne Vorgänger,
sondern der unvermittelte Urheber der ganzen Gattung. Das Martinsleben
des Sulpicius Severus ist nämlich von den Heiligenschriften des Rufinus
unabhängig und wohl überhaupt etwas älter als sie, indem es 400–402,
während diese 402–404 verfaßt sind. Höchstens der gemeinsame Einfluß
des Hieronymus kann sich spürbar machen. Im Unterschied von Hieronymus
gebührt dem weit weniger begabten Rufin das Verdienst, christliche
Einsiedler des Morgenlandes auf Grund wirklicher Kenntnisse geschildert
zu haben. Er hat es hauptsächlich auf die Darstellung einmal der
Seelenkämpfe und dann der Wunderkraft abgesehen. Ein langjähriger
Aufenthalt in Aegypten hatte ihn mit der Gedankenwelt und den
Lebensgewohnheiten der Mönchskolonien vertraut gemacht und er verdient
als Berichterstatter Zutrauen, da er von Natur nicht eben an einem
Uebermaß von Erfindungsgabe litt. Zwar kleidet er seine Erzählung in
die damals beliebte Form der Reisenovelle, aber schon nach dem ersten
Kapitel versagt die Kunst. Er bleibt ein trockener Aufzähler, ohne alle
Mannigfaltigkeit des Ausdrucks. Auch wuchert es von Wundergeschichten:
Kranke werden geheilt, wilde Tiere in den Dienst der Menschen
gezwungen, Räuber entwaffnet, ein heidnisches Idol samt seinen auf
einer Prozession begriffenen Begleitern auf die Stelle gebannt und
anderer Dinge mehr[073-1]. Obwohl eigene Anschauung den Schilderungen
zu Grunde liegt, kann doch von eigentlichen Memorien in dem hier
entwickelten Sinne nicht die Rede sein.

Andrerseits ist der Memoriencharakter jener andern ausschließlich
römischen Gattung von Heiligenlitteratur nie ganz abhanden gekommen,
die im Unterschied von der ausführlichen Einzelvita eine ganze Sammlung
kürzerer Lebensskizzen enthält. Mit Rufin anhebend, fand sie ihre
Krönung im Dialogenwerk Gregors des Großen. Auch ihm fehlt es nicht
an memorienhaften Zügen und darum auch nicht an echtem Leben. Wer
verweilte nicht mit stiller Freude vor jenem italienischen Idyll,
von dem sich der Papst hatte erzählen lassen, dem demütigen Bischof
Bonifacius von Ferent[073-a], der seinen Leuten die verhagelte
Weinernte wieder einbringt, der zwölf Goldstücke, den Erlös vom
verkauften Pferde seines Neffen, diesem stiehlt und den Armen schenkt,
sie aber dann wieder zusammenbetteln muß, um nicht als Dieb dazustehen,
den vorüberziehenden Gothen ein Faß Wein auf den Weg mitgibt, in Jesu
Namen die Kohlraupen aus seinem Garten scheucht und mit demselben
Mittel einem Fuchs das geraubte Huhn abjagt!




Zweiter Abschnitt.

Die Forschung.


Die Heiligenmemorie, noch ein Erzeugnis des römischen Geistes,
war als litterarische Gattung erstarkt und ausgebildet, bevor die
junge fränkische Kultur diesen geistigen Betriebszweig übernahm
und einstweilen als den einzigen ihr litterarisch möglichen
weiterpflegte. Blieb nun aber wirklich die Kenntnis von den
Heiligen auf die Aufzeichnung unmittelbarer persönlicher Erinnerung
beschränkt? Wie, wenn man der Erinnerung mit den Mitteln gelehrter
Erkenntnis nachträglich aufhalf und so die Lücken der persönlichen
Befangenheit überwand? In der That stellt sich die Fortbildung der
Heiligenlitteratur im merowingischen Zeitalter, ideal betrachtet, unter
diesem Gesichtspunkt dar. Nicht nur Gregor von Tours, sondern auch
einige vor und nach ihm haben sich dem Bann eines einzelnen Heiligen
entzogen und ganze Gruppen beschrieben.

Um indessen der Hoffnung auf eine Bereicherung unserer heutigen
Erkenntnis vorzubeugen, sei eine Erwägung allgemeiner Natur
vorausgeschickt. Erst unsere Zeit hat es zu einer Wissenschaft
gebracht, die unter Verzicht auf die eigenen Wünsche nur den
Gesichtspunkt sprechen läßt. Alle frühere Wissenschaft ist sozusagen
egoistisch. Sie gründete sich auf ein persönliches Interesse, um
dessentwillen der Gegenstand studiert wurde. Die Ergebnisse einer
solchen Forschung werden nun in dem Maße als Quellen brauchbar sein,
als die Gesinnung, in der sie verfaßt wurden, rein und lauter war. Je
mehr aber die unmittelbare Liebe zum Gegenstand durch fremde Zwecke
abgelenkt wurde, desto verdächtiger wird dann auch das Zeugnis. Wir
haben feststellen müssen, daß die Memorie ihrem Wesen nach nicht
im Stande ist, eine Figur zeitgeschichtlich aufzufassen, aus dem
natürlichen Grunde, weil der Erzähler selbst in dieser Zeit mitten drin
steht und daher nicht über sie hinaus zu sehen vermag. Wir durften
das feststellen in einer Zeit, da sich Psychologie und Chronologie
zum biographischen Kunstwerk verbunden haben. Aber eben das bewahrt
uns davor, in der Forschung, wie wir sie damals neben der Memorie
und aus ihr heraus erwachsen sahen, einen Fortschritt im Sinne einer
Bereicherung unserer Kenntnisse zu erblicken. Vielmehr wird es im
folgenden unserer Weisheit letzter Schluß sein, daß damals die Memorie
nach wie vor der eigentliche Kern der historischen Treue bleibt und daß
jeder Betrieb der Forschung durch Gelehrte die Ueberlieferung öfter
getrübt als geklärt hat. Je mehr und je reineres persönliches Andenken
vorliegt, mag es an sich noch so befangen sein, desto wertvoller ist
und bleibt das Zeugnis. Nachträgliche Forschung dagegen kann uns
höchstens als Ersatz für die nicht mehr mögliche Erinnerung willkommen
sein, so lange nicht geradezu ein wissenschaftliches Werk im heutigen
Sinn erwartet werden darf, das dann allerdings eben die Entfernung vom
Gegenstande sich zum Vorteil wendet durch das freie und liebevolle
Verständnis des Helden aus Zeit und Umgebung heraus.

Wie alle geschichtlichen Anfänge, ist auch der Anfang des spezifisch
merowingischen Heiligenlebens unserer Kenntnis entzogen. Trotz
vereinzelter Spuren, daß es vor Fortunat und Gregor merowingische
Heiligenschreiber gegeben hat, ist sicheres darüber nicht auszumachen.
Immerhin mögen einige dieser Schriften nicht streng memorienhaften
Charakter getragen haben, sondern eher aus einer Art Annalistik
hervorgegangen sein oder sich direkt an die Form der alten
römischen Protokolle eines Märtyrerprozesses angelehnt haben. So
überrascht in einem durch Gregor uns aufbehaltenen Fragment einer
Saturninspassion[075-a] das präzise Datum: »Unter dem Konsulat
des Decius und Gratus« — nie hat sich etwas dergleichen in einer
Memorie blicken lassen. Mit dieser Schrift fällt auch die alte
Julianspassion unter eine litterarische Rubrik, die sich, der ›Vita‹
entrückt, unzweideutig als Abkömmling der römischen Märtyrerakte
zu erkennen gibt[075-b]. Allem nach war auch jene Schrift über den
Todeskampf des arvernischen Märtyrers Liminius eine Passion[075-c],
wie auch für Vincenz von Agen und Genesius von Bigorre solche
verzeichnet werden[075-d]. Die Passion des Felix von Nola hatte
Gregor nicht zur Hand, als er aus ihr schöpfen wollte[075-e].
Ein altes Symphoriansleiden dagegen, auf das er sich beruft, ist
auch uns noch erhalten, ebenso vielleicht seine Ferreolus- und
Ferruciuspassion[075-f]. Von diesen ›Leiden‹ unterscheidet Gregor zehn
Heiligenleben: die darin beschriebenen Männer sind Remigius, Patroklus,
Hilarius, Maximus, Symeon, Romanus, Bibianus, Marcellus, Medardus,
Albinus[075-g]. Das Albinsleben bezeichnet er als von Fortunat und das
Maximusleben als in Versen verfaßt. Da jedoch aus solchen zerstreuten
Andeutungen nicht klug zu werden ist, greifen wir eine andere Folge von
Spuren auf, die uns unmittelbar zu Venantius Fortunatus und damit zum
festen Ausgangspunkt unserer Erörterungen hinführen.




Viertes Kapitel.

Die panegyrische Heiligenforschung des Venantius Fortunatus.


Das über die persönliche Erinnerung hinaus verlängerte Andenken an
Heilige im alten Frankreich nimmt seinen Ausgang bei Martin von Tours.
Wie er den ihn schildernden Schüler überwältigte, so geht von ihm auch
die Kraft aus, die in jener Zeit gelehrte Bemühungen um die Heiligen
ins Leben zu rufen vermochte. Seine Heldengestalt mußte indes weit mehr
zu dichterischem Lobpreis, als zu kritischer Betrachtung auffordern.
Und so wurde nun, um von den zahlreichen alten Martinshymnen hier zu
schweigen, auch die erste biographische Darstellung von Martins Leben,
an die man sich nach Sever wagte, in Versen unternommen. Von ihrem
Verfasser, Paulinus von Perigueux, wissen wir nur das Todesjahr 475.
Zu seinem Heldengedicht bediente er sich der Quellen, die er vorfand,
nämlich der Martinsschriften des Severus[075-h]. Er gesteht selber,
weiter nichts zu thun, als die ihm vorliegende Prosa rythmisch zu
erweichen; zu den Quellen könne nicht jeder dringen, und so müsse man
denn bei ihm mit abgeleitetem Wasser vorlieb nehmen, dem es an Frische
fehle. Auch entbehrt es des Interesses nicht, daß Paulinus aus Severs
Vorlage nicht ein einheitliches Lebensbild zusammenschweißt, sondern
die doppelspurige Behandlung des Severus beibehielt. In drei ersten
Gesängen schöpft er die Vita aus, in einem vierten den zweiten Teil
des ersten Dialogs, in einem fünften den zweiten Dialog. Das meiste,
was Sever bietet, benützt er und überspringt nur wenig. Das sechste
und letzte Buch zieht dann eine neue Quelle hervor, nämlich die dem
Verfasser durch Bischof Perpetuus von Tours zur Verfügung gestellte
Liste von sechzehn Wundern, die am Grabe des Heiligen nach seinem Tode
geschehen waren.

War mit Paulinus von Perigueux Martin einem Poeten in die Hände
gefallen, der nach eigenem Geständnis keiner war, so hatte er mit
seinem nächsten Biographen scheinbar mehr Glück, insofern Venantius
Fortunatus für den letzten römischen Dichter gilt[076-1]. Aber auch
dieser befolgt das Rezept des Paulinus, und gibt im ersten und zweiten
Gesang die verblümte Vita, im dritten und vierten eine Paraphrase der
Dialogen[076-2]. Er behandelt den Gegenstand fabrikmäßig, von seiner
poetischen Begabung ist nicht viel zu spüren, finden sich doch unter
den zweitausend zweihundert und dreiundvierzig Versen kaum fünfzig
gute[076-3]. Wie Paulinus hat er sich zum Martinsgedicht des einfachen
Hexameters bedient, während er sonst über gewähltere Maße verfügte. Er
deutet auch an, daß er in Paulins Spuren wandelt.

    Reich an Talent, an Ahnen, an Glauben und Herz hat Paulinus
    Martins Satzung in Versen erzählt, des heiligen Lehrers.
    Aber nun ich, bin ich würdig genug das selige Leben
    Auch zu berühren mit zitternder Hand und mit stammelnder Zunge?

Sowohl das Martinswerk des Paulinus als das des Venantius Fortunatus
kommen daher als poetische Leistung kaum, als ernst zu nehmende
Lebensschilderungen gar nicht in Betracht. Die gelehrten Verdienste
Fortunats um die Heiligen liegen anderswo.


1.

Fortunat verfaßte sechs Heiligenleben in Prosa. Da sie für das Volk
berechnet waren, sah er von dem höfischen Stil ab, mit dem für
uns erfreulichen Resultat, daß diese Traktate in einer einfachen,
natürlichen Sprache gehalten sind, während sonst gerade seine Prosa
nicht auszustehen ist. Zuerst beschäftigt uns sein Leben des Hilarius
von Poitiers. Es ist wichtig als der erste bedeutendere Vertreter
einer Prosavita, die nicht auf persönliche Erinnerung zurückgeht,
also nicht Memorie ist. Sprang schon bei seinem Martinsgedicht der
enge Anschluß an Sever in die Augen, so ist er bei näherem Zusehen
hier in nicht geringerem Maße vorhanden. Nun hat Sever allerdings
keine Hilariusgeschichte hinterlassen, aber in seiner Chronik doch
mehrere biographische Daten untergebracht und im Martinsleben dessen
Beziehungen zu Martin kurz erwähnt; alle diese Stellen finden sich
in Fortunats Hilariusleben gewissenhaft übernommen und der Anklang
sogar bis auf einzelne Ausdrücke nicht vermieden. Die Angaben des
Hieronymus über Hilarius hat Fortunat nicht benützt, obwohl er
in der Vorrede Hilarius und Hieronymus nebeneinanderstellt; und
auch anderswoher seine Kenntnisse über Hilarius Lebensgang nicht
bereichert: er steht also mit diesem Werk so sehr im Bann des Sulpitius
Severus, als das bei dessen spärlichen Angaben über Hilarius möglich
war. Aber auch aus einem andern Grunde war sein Hilariusleben das
Seitenstück zu Severs Martinsleben: Hilarius von Poitiers nahm
zu dem größeren Nachbarheiligen von Tours für die Empfindung der
Nachwelt gewissermassen eine sekundierende Stellung ein: war Martin
Reichsheiliger, so war Hilarius dasselbe im zweiten Gliede; der
Martinsmission unter den Alamannen trat eine Hilariusmission an die
Seite; den Martinskirchen folgten Hilariuskirchen. Für die Abfassung
der Hilariusvita steht das Jahrzehnt 565 bis 575 zur Verfügung; in der
Vorrede zum Albinsleben sagt Fortunat allerdings, er habe in dieser
Litteraturgattung, eben der Heiligenschriften, noch keine Uebung; das
schließt die Priorität der Hilariusvita nicht unbedingt aus, denn da
der Adressat der Albinsvita Bischof Domitian von Angers 569 starb,
bleiben vier Jahre, in denen die beiden Schriften jede der andern den
Vortritt hatte lassen können. Daß dagegen das Hilariusleben es mit
einem längst Verstorbenen zu thun hat, dessen Grab bereits wieder auf
eine Geschichte zurückblicken kann, giebt sich auch schon in seinem
Anhang kund, in den Virtutes, die in der Hilariusbasilika von Poitiers
sich ereignet haben: ein so loser Anhang immerhin, daß es sich um
ein eigenes Büchlein handelt, mit eigener Widmung und dem sechsten
nicht mehr dem vierten Jahrhundert zum Gegenstande. Das älteste der
erzählten Wunder greift in die Zeit Chlodowechs zurück: der König hatte
vor der Schlacht bei Poitiers die Nacht im Hilariusmünster bis zum
Tagesanbruch zugebracht, bis er das feste Bewußtsein besaß, der Heilige
werde sein mächtiger Mitkämpfer sein. Diese »Hilariuswunderthaten«
sind vielleicht das früheste selbständige Beispiel dieser zweiten Art
hagiographischer Schriftstellerei, die sich nicht mit dem lebenden,
sondern mit dem toten Heiligen beschäftigt. Gewidmet sind beide
Schriften dem Pascentius, Bischof von Poitiers, der im Hilariuskult
von Kindesbeinen an erzogen war, dann Priester der Hilariuskirche von
Paris und schließlich auf König Chariberts Befehl nach dem Tode des
Pientius Bischof der Hilariusstadt wurde. Auf desselben Königs Geheiß
und Drängen verfaßte Fortunat dann auch die beiden Schriften.

Das Hilariusleben blieb jedoch Fortunats einziger Versuch, eine
Gestalt der fernen Vergangenheit zu schildern. Die fünf andern
Heiligen, die er beschrieb, sind mehr oder weniger seine Zeitgenossen:
vier fränkische Bischöfe und die heilige Radegunde. Von dieser muß
ausführlich die Rede sein. An den Bischofsleben dagegen mag nur eben
das Charakteristische hervorgehoben werden. Mit Germanus von Paris
stand Fortunat in persönlichem Umgang; für die Vita, die er ihm widmet,
ist davon leider wenig genug abgefallen. Der Eindruck, den ein Mann
wie Germanus Auge in Auge doch gewiß ausübte, kommt um alles Recht.
Einen treffenden Zug über den Heiligen erfahren wir von Fortunat nicht
hier, sondern im Leben der Radegunde, daß nämlich Germanus die in der
Fastenzeit an die Armen auszuteilenden Kuchen eigenhändig buk[078-a].
Dafür strotzt das Germanusleben von Wundern, nicht nur von solchen,
die der Heilige selbst gewirkt hat, sondern auch von übernatürlichen
Vorfällen, mit denen der Volksglaube zu allen Zeiten eine ihm genehme
Heiligengestalt umrahmt hat. Die Geburt wird in unerquicklicher
Weise wundersam verbrämt[078-b]. Als Muster des damaligen Geschmacks
in diesen Dingen ist die Episode hier anzuführen: Germanus hatte
rechtschaffene und angesehene Eltern. Seine Mutter schämte sich in
weiblicher Scheu, schon wieder ein Kind zu bekommen, da sie eben erst
eines gehabt hatte. Sie beschloß die Frucht abzutreiben, so lange es
noch Zeit sei und nahm den üblichen Trank, um das Verbrechen wider das
keimende Leben einzuleiten. Darauf erhob sich nun ein Streit zwischen
der Mutter und dem ungeborenen Kinde; dieses wünschte durchaus das
Licht der Welt zu erblicken und überwand die abtötende Wirkung der
Medizin. Das war gewissermaßen des Heiligen erstes Wunder, durchaus
geeignet, die künftige Kraft des Heiligen anzudeuten. Uebrigens knüpft
dieser sprechende Zug vielleicht doch an die Wirklichkeit an, und zeigt
dann, was damals eine sonst anständige Frau ohne Anstoß zu erregen sich
erlauben durfte.

Die übrigen drei von ihm beschriebenen Heiligen hat Fortunat nicht
selber gekannt. Im Kloster Tincallense, wo Bischof Albin erzogen
worden war, wurde Fortunat von dessen Nachfolger aufgefordert, die
Stadt Angers zu besuchen. Nach Mitteilungen eines Ungenannten fertigte
Fortunat sein Büchlein an: »Damit dieses Heiligenleben zur Erbauung
des Volkes schwarz auf weiß aufbehalten werden könne«, und widmete
es eben jenem Domitian, Bischof von Angers. Auf Geheiß des Germanus
von Paris verfaßte Fortunat sodann das Leben von dessen Vorgänger
Marcellus. Akten dieses Heiligen waren vorhanden gewesen, aber verloren
gegangen; die mündliche Ueberlieferung über ihn war aber noch sehr
lebendig. Paternus endlich, der Bischof von Avrenches, der noch auf
dem dritten Konzil vom Jahre 556 anwesend war, wurde von Fortunat dem
Abt Martianus zuliebe geschildert, dessen Kloster wahrscheinlich eine
Stiftung des Heiligen war.

So dürftig indessen diese Heiligen-Lebensbilder für ein nur
menschliches Interesse ausgefallen sind, mangeln ihnen wertvolle
Beiträge zur Zeitgeschichte nicht ganz. Diese zeigen uns den
bekanntlich sehr kirchenfreundlichen König Childebert im Verkehr mit
hervorragenden Prälaten. Als Albin nach Paris kam, um nach seiner
Erwählung zum Bischof von Angers im Jahre 529 die übliche Aufwartung
bei Hofe zu machen, Childebert dagegen in der Frühe auf die Jagd
geritten war, suchte der König, da dem geistlichen Herrn das Gehen
sauer war, diesen persönlich auf[079-a]. Dem Paternus von Avrenches
schickte er seine schließbare Reisekutsche zum Besuch bei Hofe und gab
ihm für Armensachen einen unbeschränkten Kredit[079-b]. Dem Germanus
stellte er nach dessen Wahl nach Paris sechstausend Goldstücke zur
Verfügung; Germanus brauchte nur dreitausend: für die ganze Summe
gebe es nicht Arme genug[079-c]. Als ihm aber der König ein Leibpferd
schenkte mit dem ausdrücklichen Wunsche, der Bischof möge es nun ja zum
eigenen Gebrauche verwenden, löste Germanus einen Gefangenen, der ihn
um die Freiheit bat, damit aus, weil für den Priester des Armen Stimme
mehr gelte als des Königs Stimme.


2.

Von Fortunats fünf zeitgenössischen Lebensbildern ist also das der
Königin Radegunde weitaus das bedeutendste. Auch es steht in mehr
als einer Hinsicht unter dem Einfluß von Severs Martinsleben. Als
Radegunde eine junge Klosterschwester erweckte, die für tot galt, in
ihrer eigenen Zelle, ohne Zuschauer, nach siebenstündiger Behandlung,
erinnert Fortunat an das erlauchte Vorbild: _more beati Martini tempore
praesenti antiqui norma miraculi_[079-d]. Aber das ganze Bild der
frommen Frau steht in Martins Bann. Wie einst Martin seinem Burschen
Dienste leistete, die dieser ihm erweisen sollte, so reinigte auch
die Fürstin das Schuhwerk ihrer Schwestern. Zwei Stunden brachte
Martin allein bei einem entseelten Klosterbruder zu und Radegunde
zwei Stunden am Bett einer kranken Schwester. Sicher haben wir es
hier nicht mit einer schriftstellerischen Abhängigkeit Fortunats von
Sever zu thun, wohl aber deuten solche Stellen auf die Abhängigkeit
Radegundens von Martin hin, dessen Gestalt in Severs Darstellung der
Nachwelt erhalten war. Doch stellt sich selbst eine litterarische
Parallele zwischen Sever und Fortunat ein. Auch Fortunat wird dem Stoff
in seiner Vita nicht Meister: aus seinen Gedichten ersehen wir, daß er
von Radegunde sehr viel mehr und sehr viel Charakteristisches weiß,
was er in der Beschreibung nicht unterbringt. »Je mehr wir der Kürze
wegen auslassen müssen, eine desto größere Sünde ist es«, sagt auch
er. Und in der That, was hätte er noch alles erzählen können! In einem
seiner Gedichte wird uns in ergreifender Weise ein Einblick in ihr
menschliches Empfinden gewährt! Auch in vielen kleinen Zügen, die in
Fortunats Gedichten zerstreut sind, zeigt sich uns das unvergleichliche
Frauenwesen von Mutter Radegunde, wie sie sich nennen ließ. Sie
besteckt zu Ostern den Altar der Klosterkirche mit Blumen, erfreut
ihren Dichterfreund mit allerhand Aufmerksamkeiten, Pflaumen, Eiern,
frischer Milch und nimmt von ihm Veilchen, Blumen oder ein Körbchen
mit zahmen Kastanien an. Auch im Kloster zeichnet sie sich aus durch
ihren Eifer in der Kochkunst und durch ihr Geschick, Rahm zu Sahne zu
schlagen. Daneben liest sie fleißig Kirchenväter. Von diesen anmutigen
und intimen Einzelheiten enthält die Darstellung nichts. Ebenso
verschweigt sie den Namen der Adoptivtochter und Aebtissin Agnes und
Radegundens näheren Umgang mit ihr. Die Chronologie ist vernachlässigt.
An Fortunats wichtigstem Heiligenleben äußern sich somit in allen
wichtigen Punkten bei doch ganz andern Umständen ähnliche Bedingungen
der Konzeption und Ausführung, wie wir sie bei Sever an dessen
Behandlung Martins beobachtet haben: es ist das Unvermögen der
Memorie, bei allzugroßer Liebe zum Stoff diesen schriftstellerisch zu
bemeistern. Aber trotz alledem, welch ein Stoff!

Das zarte Königskind Radegunde von Thüringen[080-1] war die edelste
Beute der Franken nach der Schlacht an der Unstrut im Jahre 531. Die
königlichen Brüder stritten sich um das in seiner Jugend, seiner
Trauer, seiner Schüchternheit unbeschreiblich schöne Mädchen, auf
dessen Kinderjahren schon die ganze Bitterkeit eines wehrlosen
Waisenstandes gelastet hatte. Im Kampfe der Fürsten fiel sie dem rohen
Chlotar zu. Er brachte sie auf seinen Meierhof Athies bei St. Quentin,
um sie dort zu seiner Gemahlin erziehen zu lassen. Und da schenkte ihr
nun also die Gefangenschaft und die Fremde, was ihr mehr werden sollte,
als Heimat und Familienglück und irdische Liebe: das Christentum.
Ueber die zum Glauben nötige Unterweisung hinaus lernte sie lateinisch
und las Kirchenväter und die damals noch jungen lateinischen Hymnen.
Neben ihrem frommen Gemüt fiel sie durch ihr kluges Wesen und durch
ihre Liebe zu Kindern auf. Nichts wünschte sie mehr, als einst für
ihren Glauben das Leben lassen zu dürfen. Sie sammelte die arme Jugend
von der Gasse um sich, wusch die Kinder, gab ihnen zu essen; ja ein
Geistlicher mußte ein hölzernes Kreuz vorantragen und sie zog hinter
ihm mit der Schar der Kleinen Psalmen singend zur Kirche. Dort fegte
sie den Boden mit ihrem Kleide und wischte mit ihrem Taschentuch den
Altar vom Staube frei. Der drohenden Heirat mit dem König suchte sie
sich vergeblich durch heimliche Flucht zu entziehen. Die Verlobung
erfolgte auf dem königlichen Sommersitz zu Vitry, die Krönung zur
Königin in Soissons, 540. Das unvermeidliche Los suchte sie nach bestem
Vermögen auszugleichen. Die Hochzeit mit dem irdischen Fürsten trennte
sie nicht von dem himmlischen; an Christus war ihr mehr gelegen als
an ihrem Gemahl. Als sie einst zu einer vornehmen Frau ritt und an
der Straße einen Götzentempel bemerkte, der den heidnischen Franken
sehr hoch stand, hielt sie an und befahl den Dienern Feuer einzulegen.
Alsobald großer Tumult, bloße Schwerter, Knüttel und Zetergeschrei:
Radegunde saß unbeweglich im Sattel, bis das teuflische Heiligtum in
Asche lag; das besänftigte die Menge. Von allen Einkünften, über die
sie verfügte, gab sie den Zehnten der Kirche als regelmäßige Steuer;
aber auch den Rest brauchte sie meistens im Dienst der Wohlthätigkeit.
Reich beschenkte sie die Klöster; sogar die Einsiedler, die sich
gänzlich zurückzogen, wußte ihre Gabe zu erreichen. Fürstin von
Geblüt und Ehe wurde sie die Magd der Armen. In Athies errichtete
sie ein Spital für bedürftige Leute, übernahm selber die Leitung und
behielt sich persönlich die Pflege der abschreckendsten Krankheiten
vor, die letzten Stadien der Entzündungen und stinkende Geschwüre
wie den Krebs. An der Hoftafel lebte sie von Bohnen und Linsen. Sie
unterbrach die Mahlzeit und eilte hinaus, entweder um in der Kirche
am Horengesang teilzunehmen oder um sich zu erkundigen, ob und was
jetzt die Armen zu essen bekämen. Sie konnte auch, einmal in der
Kirche, die Essenszeit überhaupt vergessen. Sie griff zu Listen, um
sich den Ansprüchen ihres Gemahls zu entziehen und stahl sich eines
Nachts, eine Anwandlung leiblicher Notdurft vorschützend, aus dem
Schlafzimmer, in Wahrheit zu keinem andern Zweck, als um im leichten
Nachtgewande drunten in der kalten Schloßkapelle Bußübungen obzuliegen;
dabei erkältete sie sich und vermochte weder am Kamin noch im Bette
mehr warm zu werden. Aergerlich meinte der Gemahl, was übrigens längst
die Höflinge zischelten, das sei ja gar keine Königin, das sei eine
Nonne. So war es. In der Fastenzeit trug sie ein härenes Hemd unter
dem Seidenkleid. Jede Abwesenheit des Königs benützte sie, um alles,
was sie in ihrer Stellung an geistlichen Uebungen sich versagen mußte,
nachzuholen. Jeder Priester, der bei Hofe erschien, erfuhr ihre Huld:
er mochte bei Schnee, Kot oder Staub gekommen sein, ~sie~ wollte
seine Füße waschen und trocknen, ~sie~ ihm den Becher kredenzen. So
lange der geistliche Gast blieb, überließ sie die Hofgeschäfte ihren
Vertrauten und widmete sich ausschließlich ihm. Erfreute sie gar der
Bischof mit seinem Besuch, so war sie in einem Entzücken und immer
traurig, wenn er dankerfüllt Abschied nahm. Zierte ein kostbares
Linnen mit Schmuck von Gold und Edelsteinen ihr Schultern oder Haupt
und ihre Dienerinnen priesen den Anzug, schickte sie sofort das Tuch
als Altardecke in die nächste Kirche. Nie bemühte sie sich eifriger
ihren Einfluß auf den König geltend zu machen, als wenn ein Verbrecher
zum Tode verurteilt war; da bot sie ihren ganzen Liebreiz und alle
Freunde auf, um die Begnadigung durchzusetzen. Dieses Leben hätte sie
wohl in Demut weiter geführt, wäre nicht das Schreckliche geschehen,
das alle Bande ehelichen Gehorsams in ihr zerriß. Neben ihr war ihr
Bruder aufgewachsen; nun aber groß geworden, wollte er seinen Vetter
Amalfried in Byzanz aufsuchen, und im Osten ebenfalls sein Glück
machen. Radegunde bewog mit den zärtlichsten Bitten diesen letzten und
liebsten Menschen aus der Heimat, sie doch nicht zu verlassen. Der
Prinz blieb. Offenbar schien er nicht ungefährlich; er wurde ermordet.
Nicht einmal in seinen letzten Zügen konnte die Schwester ihn sehen,
nicht einmal dem Begräbnis konnte sie beiwohnen. Nun hielt sie aber
auch nichts mehr von dem Schritt zurück, zu dem ihr ganzes Wesen sie
antrieb. Unter einem Vorwande begab sie sich, 557, nach Noyon, dem
Sitz des Bischofs Medard. Sie traf ihn in der Kathedrale, wo er eben
Messe las; inständig bat sie ihn sogleich um die Weihe, da sie der Welt
entsagen wolle. Medard, selbst ein Heiliger, hatte nicht den Mut, der
Gattin des Königs den Schleier zu reichen; er setzte ihr in Erinnerung
an die Vorschrift des Apostels auseinander, sie sei gebunden und dürfe
die Ehe nicht lösen wollen. Er versuchte alles, ihre Einkleidung zu
verhindern. Er war durch die Drohungen der Edelleute in Radegundens
Gefolge eingeschüchtert. Die Hofleute waren von der Erklärung der
Herrin aufs äußerste überrascht: der Bischof habe keinerlei Recht, die
Königin geistlich zu machen, denn sie sei nicht eine beliebige Person,
sondern gewissermaßen ein staatliches Versatzstück. Sie vermochten
nicht an sich zu halten: vom Altar weg rissen sie den Bischof und
zerrten ihn durch die Kirche. Unterdessen schlüpfte Radegunde in die
Sakristei und daselbst in ein bereitgehaltenes Nonnenkleid, kehrte in
die Kirche zurück, trat aufs neue vor den Bischof und machte ihm so
deutliche Vorstellungen über seine Amtspflichten, redete ihm so scharf
ins Gewissen, beschwor ihn so eindringlich bei dem höchsten Hirten,
sie nicht durch seine Menschenfurcht zum verlorenen Schaf zu machen,
daß er erschrocken nachgab. Er legte die Hand ihr auf das Haupt und
weihte sie. Da nahm die fürstliche Nonne den goldenen Gürtel, der noch
eben ihren Leib umfaßt hatte, brach ihn entzwei, warf die Stücke unter
die Armen, nahm ihr Königsgewand, breitete es auf den Altar und legte
ihre Juwelen darauf. Dann wallfahrtete sie nach Tours und Candes, an
die Erinnerungsstätten des heiligen Martin und beschenkte mit ihrem
Vermögen größtenteils Klöster und Bistümer. Vorerst ließ sie sich nun
auf ihrer Besitzung Saix, zwischen Tours und Poitiers, nieder. Damals
träumte ihr, sie sehe ein riesiges Roß, das die Gestalt eines Menschen
habe, und auf allen Gliedern und Körperteilen säßen Leute, sie selber
aber auf den Knieen des Uebermenschen und eine Stimme sprach zu ihr:
Jetzt sitzest du noch auf dem Knie, bald wirst du an meiner Brust
Platz finden. Aber noch war sie nicht in Sicherheit; es verlautete,
Chlothar sei über ihre Flucht vom heftigsten Schmerz erfüllt und habe
erklärt, er wolle nicht mehr leben, wenn er sie nicht wieder zum Weibe
haben könne. In ihrer Herzensangst legte Radegunde sich noch härtere
Bußübungen auf, als die, denen sie sich bisher schon unterzogen, und
flehte Tag und Nacht zum Himmel um Schutz vor dem Gatten: lieber
sterben, als wieder sein werden! Das letzte Stück ihres Schatzes einen
reich verzierten goldenen Becher schickte sie in dieser Seelennot durch
einen ihrer Vertrauten an einen frommen Einsiedler und bat ihn um seine
Fürbitte, um Rat und um ein gröberes Bußgewand. Der Einsiedler ließ
ihr zum Troste sagen, allerdings sei es des Königs Wille, sie wieder
zum Weibe zu nehmen, aber Gott werde es nicht zulassen. Später als
Radegunde nach Poitiers übergesiedelt war, kam Chlothar von seinem
Sohn Sigibert begleitet, nach Tours, angeblich um dort sein Gebet
zu verrichten, in Wahrheit, um Radegunde zu entführen. Diese hörte
von der Gefahr und schrieb sofort an Bischof Germanus von Paris, der
sich im Gefolge des Königs befand. Der wußte sich nicht anders zu
helfen, als er fiel vor Chlothar nieder und bat ihn, Poitiers nicht
zu betreten. Da endlich ging auch diesem schlechten und ausgeschämten
Menschen eine Ahnung heiligen Lebens auf, gegen das er machtlos sei. Er
warf sich seinerseits dem Bischof zu Füßen, sandte ihn nach Poitiers,
um von ihr Verzeihung für alles zu erflehen, was er durch schlechte
Ratgeber verleitet, gegen sie gesündigt habe. Er erhielt Verzeihung.
Aber gesehen hat er die Heilige nie mehr. Unterdessen schritt der Bau
ihres Frauenklosters rüstig vorwärts. Unter den Thoren von Poitiers
führte sie, vom Bischof und vom Herzog der Stadt unterstützt, im Laufe
mehrerer Jahre ein mächtiges Gebäude auf, das gleich einer Festung, von
Mauern und Thürmen umgeben, im Notfall auch einer Belagerung trotzen
konnte. Alle die reichen Besitzungen, die sie zum Brautschatze und
zur Morgengabe von ihrem Gemahl empfangen hatte, übertrug sie mit
dessen Zustimmung ihrer neuen Stiftung, nur das ausgenommen, was sie
bereits einem Mönchskloster in Tours vermacht hatte. Endlich konnte
das Nonnenstift eingeweiht werden. Feierlich zog Radegunde mit den
Jungfrauen ein. Kopf an Kopf stand die Menge auf den Straßen von
Poitiers, alle Dächer waren von Neugierigen oder Andächtigen besetzt.
Radegunde hat das Kloster zeit ihres Lebens nie mehr verlassen. Sie
blieb die Seele der Gemeinschaft, aber wollte nicht deren Haupt sein,
sondern ernannte zur Aebtissin ein junges Mädchen namens Agnes, das
sie von Kindesbeinen an ganz in ihrer Denkweise erzogen hatte. Jeder
Ehrenstellung im Kloster wußte sich die Stifterin zu entziehen. Nach
Agnes wurde Dedimia Aebtissin, der Küche stand Felicitas vor und
Partnerin war Erdegunde. Aller fremden Verpflichtungen frei konnte
Radegunde nun endlich ein christliches Leben, wie sie es verstand,
führen, still, dienstfertig, gottgeweiht, deutsche Frau im wälschen
Lande. Sie vergaß, daß sie Gattin, daß sie Königin gewesen war; sie
versammelte die Schwestern um sich und sprach zu ihnen: »Euch habe ich
zu meinen Töchtern auserlesen, ihr seid meine Lichtsterne, ihr mein
Leben, ihr meine Ruhe und mein ganzes Glück, ihr meine neue Pflanzung.
Laßt uns nun das Leben im Diesseits so gestalten, daß wir uns einst im
Jenseits seiner aufs neue freuen dürfen. Laßt uns mit ganzer Zuversicht
und mit der vollen Hingabe unserer Herzen dem Herrn dienen. Laßt uns
ihn suchen in Ehrfurcht und Einfalt, damit wir vertrauensvoll ihm
sagen können: Schenk uns, o Herr, nach deiner Verheißung, denn wir
thaten nach deinem Befehl.« Für die Erfüllung ihrer Forderungen ging
sie dann selber mit einem Beispiel voran, in dem ihr Niemand folgen
konnte: nicht nur, daß sie im Beten, im Psalmensingen, im Lesen und
Auslegen der heiligen Schrift die erste und die letzte war, sie war
von einer unerhörten Strenge und Unbarmherzigkeit gegen ihre Person.
Seit der Einsegnung lebte sie nur noch vegetabilisch, aß aber auch
Aepfel nicht und trank keine geistigen Getränke. Sie verschärfte dann
im Kloster ihre Entsagung zu der strengen Lebensweise einer Klausnerin,
aß nur Sonntags Brot, sonst ausschließlich Kräuterwurzeln und wilden
Kohl, in rohem Zustande ohne Oel und Salz, und erlaubte sich nur zwei
Gläser Wasser täglich. Ihr Lager bestand aus einer Streu von Asche,
über die eine grobe härene Decke gebreitet war. Sie mutete sich alle
Arbeit der Dienstboten zu. Wo sie etwas schmutzig sah, putzte sie und
scheuerte sie. Gerade weil sie von hoher Geburt war, adelte sie in
ihren Augen niedrige Dienstleistung desto mehr. Sie trug Holz herbei
auf ihren Armen, schürte die Glut im Herde mit Balg und Feuerzange, zog
das Wasser aus dem Sodbrunnen selber heraus und verteilte es in die
Gefäße. Dann schabte sie Rüben und wusch das Gemüse, überwachte die
brodelnden Speisen in den Pfannen, hob die Kessel ab und zu, reinigte
das Geschirr, sobald die Tafel aufgehoben war, und fegte dann die Küche
rein, bis alles glänzte. Schliefen die Schwestern, dann wichste sie
ihnen die Stiefel und stellte sie jeder einzelnen wieder vor das Bett,
ja die abstoßendsten Geschäfte einer Haushaltung nahm sie für sich in
Anspruch. Dabei erschöpfte sie sich gelegentlich bis zur Ohnmacht;
doch auch, wenn sie auf den Boden hinfiel, nahm sie nie Schaden. Das
war allerdings in ihrer Dienstwoche. Außerhalb dieser beschäftigte sie
sich mit Krankenpflege und kannte darin ebenfalls keine Grenzen. Jeden
Dienstag und Samstag empfing sie Arme und Kranke in dem Badehause des
Klosters und badete, reinigte und kleidete sie eigenhändig; als sich
einmal eine Wärterin die Bemerkung erlaubte, wenn Radegunde immerfort
aussätzige Weiber umarme, werde sie bald niemand mehr küssen wollen,
gab sie zur Antwort: »Das ist ja allerdings sehr schade, wenn du mich
nicht mehr küssen wirst«. Sie war unermüdlich die Kranken zu besuchen
oder die heilsamen Säfte abzukochen und kehrte stets nüchtern in ihre
Zelle zurück. Trotz all dieser harten Arbeit ergab sie sich noch den
schonungslosesten Kasteiungen. In der Fastenzeit spannte sie ihren Hals
und ihre Arme in drei breite Eisenringe und schnürte den bloßen Leib
in ebensoviel Ketten ein, bis er blutete und sie fast zusammenbrach.
Ja sie zwickte sich mit glühenden Eisen, um den brünstigen Geist zu
Paaren zu treiben. Einer so heiligen und bescheidenen Frau konnte die
Wundergabe nicht versagt sein. Bella, die Gattin eines hochgestellten
Mannes namens Gislaad und eine Nonne suchten und fanden Heilung von
ihrem Augenübel bei Radegunde. Ein Mädchen Namens Fraifledis in Saix,
eine Leubilia und zwei Ungenannte, wovon die eine eines Sattlers
Frau, wurden durch ihre Hilfe teuflische Besessenheit los. Dabei
ging der böse Geist einmal durch den Unterleib und das andre Mal
durch das Ohr ab. An innern Krankheiten heilte sie einen Fall von
Quartanfieber; ferner wurde ein kränkliches Mädchen, namens Goda,
das überdies durch das viele Doktern medizinsiech geworden war, in
Radegundens Behandlung gesund, ehe noch die Votivkerze von der Länge
seines Körpers heruntergebrannt war; desgleichen heilte sie die Nonne
Animia von der Wassersucht und den Steuerverwalter Domolenus von seinem
Rachenleiden. Ein ihr ergebener Schiffer, in Lebensgefahr, stillte den
Seesturm, indem er ihren Namen ausrief. Absinthusblätter, die sie auf
der Brust getragen hatte, wurden ein wirksames Augenpflaster, und ein
sterbendes Waisenkind kam auf ihrem Schoße, durch die Berührung mit
ihrer Kutte, zu sich. Im Kreise der Schwestern war sie gewissermaßen
Virtuosin im Wundertun: die Aebtissin benutzte die ihr untergebene
Fürstin förmlich zu Vorstellungen, indem sie einmal, scherzweise, bei
Strafe der Exkommunikation den Termin von dreien Tagen zur Heilung
einer Verrückten stellte, das andere Mal die Wiederbelebung eines
beim Versetzen verdörrten Lorbeerbaumes unter Androhung des Entzugs
der Speise gebieterisch forderte. Alle diese wunderbaren Kräfte
bezog Radegunde aus einer anderen Welt, wie sie ja bereits mit ihrem
ganzen Wesen vorzeitig im Himmel lebte. Als einmal eine der Nonnen,
die Dichterin war, zu Radegunde kam und ihr erfreut mitteilte, zwei
oder drei ihrer Lieder seien Volkslieder geworden und würden vor der
Klostermauer vom tanzenden Volk zum Saitenspiel gesungen, erkannte
Radegunde die Begabung an, die ihr gänzlich abgehe, den Sinn für
weltliches Leben mit der Hingabe an Gott zu vereinigen, jedoch nicht
ohne beizufügen: »Ich habe weiß Gott kein Ohr mehr für weltliche
Gesänge«.

Kaum drang noch hie und da ein Notschrei von den Bürgerkriegen in ihre
heilige Stille hinein. Dann schickte sie vielleicht ein mahnendes
Wort zum Frieden an die hadernden Könige und Großen, deren Gattin und
Mutter sie einst gewesen war. Tag für Tag aber betete sie mit den
Nonnen für das Leben ihres früheren Gemahls und ihrer Stiefsöhne. Die
Insassen des Klosters, deren Zahl schließlich bis auf zweihundert
stieg, waren meistens vornehmer Abkunft. Nicht alle nahmen es ernst mit
ihrem Stande. Uebrigens war die Klosterzucht für sie nicht übertrieben
streng und nach der Regel des Nonnenklosters von Arles eingerichtet,
die indes nur die Morgenstunden von sechs bis acht Uhr dem Studium der
heiligen Schrift vorbehielt und Brettspiel und geistlichen Herrenbesuch
erlaubte. Radegunde selbst liebte es, bedeutende Männer an der Tafel
zu bewirten. Der liebste war ihr Venantius Fortunatus. Ein Priester
aus der Gegend von Treviso, machte er im Jahre 565 eines Gelübdes
halber eine Wallfahrt nach Tours. Er suchte Verkehr in jedem vornehmen
gallischen Hause, mochte es Bischofssitz oder Schloß sein, und vergalt
die Gastfreundschaft, die er überall genoß, durch seine tadellosen
Gelegenheitsgedichte. Zwischen der Fürstin deutschen Blutes und ihm,
dem graziösen Südländer, schlang sich ein Band reiner und herzlicher
Gefühle. Radegunde verwöhnte ihn mit allerlei angenehmen kleinen
Dingen, für die sie an ihm eine Schwäche entdeckt hatte, setzte ihm
heute Creme vor und briet ihm morgen einen fetten Hahn, oder der Tisch
war mit besonders schönen Blumen besetzt, wenn Fortunat der Gast war.
Umgekehrt verfaßte er für Radegunde Briefe und Gedichte, und es ist
ihm gelungen, das Vertrauen, das sie ihm schenkte, künstlerisch zu
bewältigen. Sein schönstes Gedicht, betitelt »Thüringens Untergang«
hat ihm die erlauchte Freundin so sehr inspirirt, daß sie redend
darin auftritt. Sie hat als Kind ihren Vetter Amalfried geliebt,
den Stammhalter des Geschlechtes, den einzigen Sohn des letzten
thüringischen Königs. Er war von seiner Mutter, einer ostgothischen
Prinzessin, nach Italien gerettet worden und dann in den Hofdienst
von Byzanz eingetreten. Man spürt es wohl, daß dieser verbannte
Germanenfürst fern im Osten im Herzen der fränkischen Königin heimlich
weiterlebte. An ihn muß Fortunat in ihrem Namen sein Gedicht richten,
die schöne und tieftraurige Erinnerung an die gemeinsame Jugend, mit
der brennenden Burg der Ahnen im Hintergrund. Ein späteres Gedicht
an den selben galt dem Toten. In dieser dichterischen Vermittlung
Fortunats fließt uns Frauenliebe in einer unübertroffenen Tiefe und
Innigkeit zu.

Am 13. August 587 ist Radegunde gestorben. Ihr Andenken schien denen,
die sie gekannt hatten, mit dem Lebensbilde Fortunats, so lobenswert
es sei, doch nicht genügend gesichert zu sein. Deshalb gelangten die
Aebtissin und alle Schwestern an eine Schriftstellerin in ihrer Mitte,
namens Baudonivia, sie möchte doch das Leben Radegundens, das sie aus
persönlichem Umgang genau kannte, nochmals beschreiben. Sie entsprach
der Bitte in den ersten Jahren des siebenten Jahrhunderts, also etwa
ein halbes Menschenalter, nachdem die Heilige die Augen geschlossen
hatte. Die Schreiberin spricht die Absicht aus, Fortunats Mitteilungen
zu ergänzen, da er selber gestehe, nicht vollständig zu sein. Sie
giebt daher ihre Arbeit auch äußerlich in diesem Zusammenhang, als
ein zweites Buch des Radegundenlebens; es verhält sich zu Fortunats
Werk, wie Severs Dialoge zum Martinsleben oder das zweite Buch des
Cäsariuslebens zum ersten. Inhaltlich ist diese neue Vita durch
manche anschauliche intime und bezeichnende Züge der fortunatischen
ebenbürtig; der schriftliche Niederschlag eines starken persönlichen
Eindrucks, die litterarische Befreiung von einem übermächtigen Bann.
»Wiewohl ihre Predigten noch vorgelesen werden«, sagt die Schreiberin,
»so fehlt doch der süße Laut ihrer Stimme; denn welch ein Gesicht,
welche Gestalt sie hatte, wer vermöchte es auszudrücken: Qual ist
es, daran zu denken. Ihr Wandel war heilig, und süß und rein war ihr
Anblick.« Schriftstellerisch jedoch bleibt die Darstellung nicht
auf der Höhe. Die Klosterfrau schreibt ein sehr schlechtes Latein
voller Anakoluthe und barbarischer Ausdrücke und verproviantiert sich
stilistisch überdies wacker aus den Viten ihres Partners. So sehen wir
denn zum Lobe der heiligen Radegunde den zierlichen Pegasus des letzten
römischen Dichters einträchtig ins Joch gespannt mit dem schwerfälligen
Ackergaul der fränkischen Mönchssprache.




Fünftes Kapitel.

Die Heiligengelehrsamkeit des Gregor von Tours.


Fortunat hat sich in seinen Heiligenleben nicht viel von der Memorie
entfernt und sich dabei meist auf Gebieten bewegt, wo man ohne
ein großes Wissen bei einigem Darstellungsgeschick wohl auskommen
konnte. Er schrieb überhaupt auch diese Stücke, wie seine Gedichte,
gelegentlich, aus Liebenswürdigkeit, der richtige Italiener. Die
Gründlichkeit, deren es bedarf, um eine neue Gattung ins Leben zu
rufen, mangelte ihm. Aber die ersten Ansätze zur außermartinischen, auf
Forschung, nicht auf bloßer Erinnerung beruhenden Prosavita finden sich
eben doch bei ihm. Er ist damit der Vorläufer eines Größeren geworden,
der sich in seiner Bescheidenheit selber nur wie ein Nachtreter
Fortunats vorkam.

An Gregor von Tours überrascht uns nun mit einem Schlage die ganz
andere Art des Interesses an den Heiligen. Es ist, um es gleich bei
dem wesentlichsten Merkmal zu fassen, das Interesse des geborenen
Gelehrten. Der Stoff schwillt ins Unbegrenzte: statt eines halben
Dutzend, das persönliche Bekanntschaft oder andere private Beziehungen
vermittelten, drängen sich nun aus den gesammelten Pergamenten und
eingezogenen Erkundigungen hunderte von neuen Personen und Thatsachen
ans Licht. Das individualisierende Element tritt vor dem statistischen
in den Hintergrund. Wißbegier und Sammeleifer decimieren die keineswegs
fehlende Anekdotenpsychologie.


1.

Vor allem aber kommt nun endlich zu seinem Rechte, was wir bis
jetzt immer wieder vermißten: die chronologische Auffassung der
Heiligenfigur. Betrachten wir nun die spärlichen Mitteilungen, die
Gregor über Sever hinaus zu Martins Lebensgeschichte beibringt,
ganz abgesehen davon, daß Gregor gelegentlich geradezu versucht,
Martins Tod zum Ausgangspunkt einer eigenen nationalfränkischen
Zeitrechnung zu machen[088-a], wobei er sich allerdings durch den
Ansatz 445 um nahezu fünfzig Jahre versieht. Er, der Bischof des
fränkischen Centralheiligtums, widmet seinem heiligen Vorgänger auf
dem Stuhl von Tours im ersten Buche seiner Geschichte der Franken
zunächst folgende vier Daten[088-b]: 1) Geburt Martins im elften
Jahre Constantins, 2) Ankunft Martins in Gallien um das zwanzigste
Jahr Constantins _II_, 3) Bischof von Tours im achten Jahre des
Valens und Valentinian, 4) Martins Tod im zweiten Jahre des Arkadius
und Honorius. Nun ist allerdings das zweite Datum von vornherein
unbrauchbar, da Konstantin _II_ nur vier Jahre regierte; mit seinem
zwanzigsten Regierungsjahre ist jedenfalls das Jahr 355 gemeint. Aber
abgesehen von der Unrichtigkeit dieser Daten war es im Prinzip ein
Fortschritt, für Martins Leben überhaupt einen chronologischen Ansatz
zu versuchen, zumal bereits zweihundert Jahre verstrichen waren und
niemals ein solcher Versuch gemacht worden war. Hand in Hand damit
geht die bis auf den Tag sich erstreckende genaue Bestimmung der
Regierungszeit als Bischof: sechsundzwanzig Jahre vier Monate und
siebzehn Tage, gemäß Gregors Berechnungen aus den durch den Kultus
bestimmten Martinstagen vom elften November und vierten Juli; überdies
beziffert Gregor Martins Lebensalter auf einundachtzig Jahre. Neben
diesen chronologischen Anstrengungen verrät sich Gregor von Tours auch
durch andere gelegentliche Beiträge zur Martinsgeschichte als geborenen
Historiker, so durch seinen Abriß einer Geschichte des Bistums Tours
vor und nach Martin, ferner durch seine allgemeinen Mitteilungen über
die Christianisierung mit den urkundlichen Belegen bischöflicher
Briefe, über Martinsreliquiendienst, worüber uns sonst nichts bekannt
wäre, da der von Gregor citierte Brief des Paulinus uns verloren ist
und schließlich durch die einigermaßen mildere Darstellung von Martins
Nachfolger Briccius, aus dessen wirklichem Verhältnis zu Martin wir
jedoch auch jetzt so wenig klug werden, als aus der Ursache seiner Wahl
zum Bischof. Er gibt außerdem einen knappen Auszug der Angaben Severs
und betrachtet im übrigen ein Martinsleben nach Sever nichts weniger
mehr als für ein Bedürfnis. Seine dürftigen Notizen über Martin,
gelegentlich eingestreut, verleihen aber auch so dem Bilde Martins
nach Sever den zeitgeschichtlichen Rückgrat, den ihm jener sonst
vortreffliche Schilderer nicht gab und nicht geben konnte.

Gregors große und angeborene Liebe zu gelehrten Studien hat ihm
möglich gemacht, neben seinen ausgedehnten und gewissenhaft erfüllten
Amtspflichten eine ganze Reihe von Schriften abzufassen[089-1].
Seine Thätigkeit als Schriftsteller erstreckt sich über die zwanzig
Jahre von 574–593. Das erste war ein Buch über die am Martinsgrabe
geschehenen Wunder. Allem Anschein nach hatte dieser Beginn von
Gregors litterarischem Schaffen eine amtliche Veranlassung. Im fünften
Jahrhundert wurde im bischöflichen Kapitel von Tours ein Register
geführt, das die am heiligen Grabe geschehenen Wunder verzeichnete.
Wir sahen, daß zur Zeit des Bischofs Perpetuus diese Liste sechszehn
Nummern aufwies, die Paulinus von Perigueux zum sechsten Buche seines
Martinsgedichtes verarbeitet hat. Es lag somit für Gregor nahe,
seinerseits solch einen Wunderkatalog anzulegen. Schwerlich hat er
selbst jedoch jenen alten Index vorgefunden, sonst hätte er wohl
kaum seine Zusammenstellung Paulins poetischer Paraphrase entnommen,
sondern die Quelle selbst zu Worte kommen lassen. Dieses erste Buch
der Martinswunder umfaßte vierzig Nummern. Es folgte bald darauf ein
zweites mit fünfzig; vor dem dritten, das dann deren sechzig zählte,
fügte er jedoch ein Buch über die Julianswunder in Brioude ein,
gab um dieselbe Zeit eine Uebersetzung der Siebenschläfer aus dem
Syrischen, vor 587, und ebenso in dem Jahre 586/587 die Schrift vom
Ruhm der Märtyrer; war er damit bereits halbwegs auf das Gebiet der
Biographie übergegangen, so begann er nun mit einzelnen Heiligenleben
und schilderte zunächst, seit 587, Emilianus und Bärchen, Senoch,
Venantius und Monegunde; dicht daran schließt sich die Schrift vom
Ruhm der Bekenner ohne den Prolog, noch im Jahr 587. Im Jahre 591 läßt
die Abfassung des Nicetiuslebens und im Jahre 592 die Abfassung des
Leobarduslebens ungefähr erkennen, worauf er dann die unterdessen im
Martinsgrabe geschehenen Wunder in einem vierten und letzten Buche
der Martinsthaten zusammenfaßt, 591/593. Nun legt er auch die letzte
Hand an die Väterleben und schließt sie zu der so betitelten Sammlung
zusammen, 593. Dann schrieb er noch die Andreaswunder und, falls sie
von ihm sind, die Thomaswunder. Nicht ansetzen lassen sich der uns
verlorene Psalmenkommentar und die merkwürdige Abhandlung über den Lauf
der Sterne. Die letzten Erzeugnisse seiner Feder sind der Prolog zu den
»Bekennern« und das zehnte Buch seiner Geschichte der Franken, die, das
läßt sich schließen, ihn neben seinen Heiligenschriften her unablässig
beschäftigt hat. Er konnte die letzte Feile nicht ansetzen, und so
liegt das Buch uns gewissermaßen unfertig vor, obschon es zu einem
dem Abschluß sehr nahen Grade der Ausführung gediehen ist. Das große
Geschichtswerk steht jedoch in keinem Gegensatz zu den Heiligenbüchern.
Es ist durchaus von demselben Geiste durchzogen; das gibt ihm erst
seinen Stil, daß es auf Schritt und Tritt seine Gläubigkeit nicht
verhehlt. Nur moderne Engherzigkeit kann darin einen Fehler sehen;
eher wäre zu bedauern, daß der Verfasser sich nicht noch enger an die
Legende angeschlossen hat. Es ist ansprechend, aber nicht durchaus
geboten, die Entstehung des Werkes auf drei Hauptwürfe zu verteilen,
und so die erste Hauptmasse bis in die Mitte des fünften Buches um
577, die zweite bis gegen das Ende des achten um 584/585 und den Rest
um 590/591 geschrieben sein zu lassen. Unter der Obhut der beiden
hohen Vorgänger auf dem Gebiet christlicher Chronologie Hieronymus
und Eusebius beginnt Gregor erst schematisch dürr und nähert sich
dann mit immer reicherer Mitteilung seiner eigenen Zeit, wo die Fülle
der Nachrichten schließlich eine bis zum Stillstand des zeitlichen
Fortschritts sich ausdehnende Breite annimmt. Die vier ersten Bücher
bilden einen Hintergrund; es besteht eine Entfernung zwischen ihnen und
dem Autor, die er durch mehrfache Rekapitulationen und nachträgliche
Berechnungen auszugleichen strebt. Vom fünften Buche an redet er als
Augenzeuge und, mehr als das, als thätiger Teilnehmer, der bei der
Entwicklung der Dinge sein Wort mitgesprochen und die Geschichte, die
er nun beschrieb, in aller Schüchternheit ein bischen mit hatte machen
helfen. Und nun fesselt er seine Leser in hohem Grade und hält sie in
beständiger Spannung. Dasselbe gilt von den Heiligenschriften, sobald
es der Leser fertig bringt, die dumpfe Atmosphäre, die Gregor hier mit
seiner Zeit teilt, mitzuatmen. Oft unterbrochen und eine Arbeit an die
andere tauschend, hat Gregor seinem ganzen Schriftstellerwerke, der
Geschichte der Franken und den »Acht Büchern Wunder«, wie er seine
Heiligentraktate in ihrer Gesamtheit überschrieb, einen einheitlichen
Geist und Stempel ausgeprägt. Im ganzen ist es eben dieser Geist, um
dessentwillen wir uns mit Gregor als unserem wertvollsten Gewährsmanne
beschäftigen.

Gregor war, wiewohl Hirt, nicht aufgeklärter als die Herde: er glaubte
mit dem Volk und wünschte nicht mehr, als in allen Punkten dessen
Inbrunst im Glauben und in der Verehrung zu teilen. Er betrieb das
Studium der meist rohen, bäurischen Volksmenge, die das von ihm
gehütete Heiligtum umdrängte, somit ja nicht etwa als kritischer
Beobachter, sondern als deren gläubiges Organ. Vielleicht hat er
sich auch von einem praktischen Interesse leiten lassen und schuf,
um zur Erbauung und Bildung der zahlreichen Pilger beizutragen, eine
Art Wallfahrtslitteratur. Jedenfalls schrieb er ausschließlich für
erbauliche Zwecke: es schien ihm als Diener der katholischen Kirche
geradezu geboten, »die geschichtliche Begebenheit, die zur kirchlichen
Erbauung das ihre beitragen könne, kurz und einfach aufzusetzen,
damit die Wunderkraft des Heiligen bekannter und so dessen Verehrung
gefördert werde«[091-a]. Daß er ein barbarisches Latein schrieb, das
auch das klare Bewußtsein von der eigenen Verwilderung nicht mehr zu
säubern im Stande war, hat er selber offen eingestanden[091-b]; die
Sprache, die bei einem Schriftsteller von Bedeutung immer dessen Wesen
spiegelt, setzt sich bei ihm in der That aus Einflüssen der Itala und
des gallischen Schönschreibers Apollinaris Sidonius zusammen [091-1];
aber so sehr er schriftstellerisch hoffnungsloser Epigone war, empfand
er eben gerade im Hinblick auf das klassische Altertum seinen Beruf
eines christlichen Schriftstellers als dem Gehalt nach wertvoller
und fruchtbringender: »Unsere Pflicht ist es«, schreibt er[092-a],
»das zu schildern und zu sagen, was zur Erbauung der Kirche des Herrn
beiträgt und durch heilige Belehrung die ohnmächtigen Geister zur
Kenntnis des vollkommenen Glaubens befähigt. Hier handelt es sich
nicht darum, trügerische Fabeln zu erzählen oder die gottfeindliche
Weisheit der Philosophen zu befolgen, womit man leicht des Herrn Urteil
herausfordern und dem ewigen Tode verfallen könnte. Wenn ich von den
Wundern der Heiligen zu berichten willens bin, so wünsche ich wirklich
nicht in diesem Netz und Garn mich zu verfangen. Nicht Saturns Flucht,
nicht Junos Zorn, nicht Jupiters Ehebruch, nicht Neptuns Meineid,
nicht des Aeolus Herrschaft, nicht der Aeneiden Kriege sollen hier zur
Sprache kommen, das alles ist ein Bau auf Sand gebaut und dem Einsturz
nahe, wofür wir nur Verachtung haben.« Immerhin steht Gregor dann
doch nicht an, den durch Taubenflug geleiteten Helden Hillidius mit
dem römischen Konsul Marcus Valerius zu rechtfertigen, der sich des
Beistandes eines Raben erfreute[092-b].

Die hagiographische Forschung Gregors verteilt sich auf ein doppeltes
Interesse: einmal gewissermaßen auf eine Besuchsstatistik begangener
Wallfahrtsorte, namentlich der beiden berühmtesten des Frankenlandes,
des Martinsgrabes in Tours, seinem Bischofssitze, und des Juliansgrabes
bei Clermont, seiner Vaterstadt; sodann auf die Lebensgeschichte der
Heiligen, aber in der summarischen Verkürzung des Einzelnen, wie es
eine kompendiarische Sammlung mit sich bringt. Diese beiden Interessen
erscheinen in Gregors Schriften mit Uebergewicht bald des einen bald
des andern gemischt. Jedenfalls aber stellt sein Material eine Summe
von Gelehrsamkeit dar, die eine Vergleichung mit Kenntnissen, wie sie
etwa Fortunats Viten voraussetzen, nicht zuläßt. Diese Gelehrsamkeit
hat sich Gregor auf die gewissenhafteste Weise erworben. Betrifft
sie Länder, die er nicht selbst besucht hatte, vor allem den Orient,
so hat er sich fleißig nach Lektüre umgethan. Für die Geographie
des Orients, namentlich die Topographie des Jordans und des toten
Meeres, ist seine Hauptquelle die Schrift des Theodosius »Das heilige
Land«. Ueber die in den Jahren 536–552 unternommene katholische
Mission unter den in Palästina noch ansäßigen Juden berichtet er nach
Evagrius Scholastikus, während er sich für die christliche Urzeit an
Pseudomelito, Rufin, Johannes von Antiochien, Prudentius, Abdias,
Modestus oder die apokryphen Akten hält. Daneben verwendet er, was er
von lebenden Zeugnissen nur habhaft werden kann, nimmt die von Pilgern
heimgebrachten Merkwürdigkeiten in Augenschein und verhört einen
auf dem Taufplatz Christi getauften und geheilten Aussätzigen aus
Gallien sowie andere Aussätzige, die im Jordan oder in den Wassern von
Livia gesund geworden waren[093-a]. Das kostbare Vorlesepult in der
Cypriansbasilika von Karthago beschreibt er als eine Sehenswürdigkeit
auf Grund genauer Nachrichten ausführlich[093-b]. Stand dagegen ein
Gebiet in Frage, das ihm selber zugänglich war, so unterließ er nicht,
an Ort und Stelle Erkundigungen einzuziehen: wenn er vor dem heiligen
Grabhügel sein Gebet verrichtet hat, sieht er sich die Inschriften
an und fragt den Wächter aus[093-c]. Offenbar hatte Gregors ganze
Umgebung und nicht zum mindesten seine Verwandtschaft die Augen auf
ihn gerichtet, voller Hoffnung, er werde der Geschichtsschreiber des
nationalen und kirchlichen Lebens im jungen fränkischen Reiche werden.
»Ich habe«, sagt er[093-d], »keine litterarischen Studien getrieben und
mich keineswegs an gelehrter Lektüre der Weltlitteratur ausgebildet;
aber ich gehorche dem beständigen Zuspruch des Vaters Avitus, Bischofs
von Auvergne, der mich ermahnte, kirchliche Werke zu schreiben. Wenn
auch die Dinge, die ich in seinen Predigten hörte oder die er mich zu
lesen veranlaßte, mein Urteil nicht zu bilden vermochten, da ich ja
nun einmal nicht zu beobachten verstehe, so ist er es doch gewesen,
der mich erst in Davids Psalmen, dann in die Worte des Evangeliums,
sowie in die Apostelgeschichte und in die Briefe einführte, und er
brachte mir die Erkenntnis Jesu Christi bei.« Einst nahm ihn sein Onkel
Bischof Nicetius von Lyon in die dortige Heliuskrypta mit, und Gregor
erzählt[093-e]: »Als ich mein Gebet gesprochen hatte, sah ich mir voll
Bewunderung das Grabmal an, überdachte, was ich von den Verdiensten des
Heiligen wußte, da fiel mir an der Wand eine Inschrift auf, und nun zog
ich mündlich über die dort enthaltene Meldung noch nähere Erkundigungen
ein.« Ueber die Art, wie er zaghaft unter der Menge stehend und ihre
Befangenheit teilend, sich fast wider seinen Willen entschließt, unter
den Augenzeugen eines Wunders nun als deren Schriftsteller aufzutreten,
belehrt uns vielleicht das erste Blatt, das er überhaupt beschrieben
hat, auf das rührendste. Er sagt[093-f]: »Ich rufe den allmächtigen
Gott zum Zeugen an, daß ich jüngst im Traume mitten in der Basilika des
Herrn Martinus viele Sieche und mit den verschiedensten Krankheiten
Behaftete gesund werden sah. Neben mir stand meine Mutter und sagte
zu mir: ›Was zauderst du, das aufzuschreiben, was du hier siehst?‹
Da sag ich: ›Du weißt ja, wie ohnmächtig ich in den Wissenschaften
bin; viel zu dumm und beschränkt, als daß ich es wagte, Thaten, die
höchste Bewunderung verdienen, der Oeffentlichkeit zu übergeben. Wäre
doch Severus da oder Paulinus noch am Leben oder käme Fortunat und
schrieb es auf! Denn ich müßte nur unthätig mit dem Kiel in der Hand
dasitzen, wenn ich dies aufzuzeichnen unternähme.‹ ›Weißt du denn
nicht‹, versetzte die Mutter, ›daß du weit und breit im Rufe eines
Schriftgelehrten stehst. Versäume nicht, Hand anzulegen. Ein Verbrechen
wäre es, schwiegest du.‹ So hab ich mich denn mit gemischten Gefühlen
der Sache unterzogen. Schrecken und Furcht halten mich nieder. Aber in
der Hoffnung auf Gottes Güte trete ich an die Aufgabe heran, zu der ich
ermuntert werde. Warum sollte er es schließlich nicht auch durch meine
Sprache geschehen lassen können, wie er ja einst auch in der Wüste aus
dem harten Steine Wasser springen ließ und so den brennenden Durst des
Volkes stillte. Oder er wird ein zweites Bileamswunder geschehen lassen
und aufs neue einem Esel den Mund aufthun, wenn er mir die Lippen
öffnet und durch mich ungelehrten Menschen dieses verkündigen will.«

Ein kritischer Beobachter war also Gregor nicht. Er hat sich niemals
bestrebt, die geschehene Begebenheit von den vielen andern Daten
und Ereignissen u sichten, die sich der geschichtlichen Gestalt im
Laufe der Zeit vorgelagert haben. Aber nie hat seine Eigenschaft
als Gewährsmann unter seiner Einfalt und Treuherzigkeit zu leiden;
denn sobald Sinn für sein naives Detail vorhanden ist, erscheint er
in jeder Zeile interessant. Als echte Gelehrtennatur kommt er auch
nicht dazu, alles was er weiß aus sich herauszusetzen: »Es würde mich
zu weit führen, das viele, was ich von diesen Heiligen weiß, hier
mitzuteilen. Das Gesagte wird, denk ich, genügen«[094-a]. Und bei
Gelegenheit einer Reliquienüberführung vergißt er nicht anzubringen,
daß der Genfersee vierundsiebzig Kilometer lang und siebenundzwanzig
Kilometer breit sei[094-b]. Unvergleichlich wird Gregor jedoch durch
das römisch-germanische Zwielicht, in dem er steht. Diese Dämmerung,
die ihn umflort, hat einen doppelten Ursprung: von der untergehenden
Antike und vom aufgehenden Mittelalter.


2.

In diesem Zusammenhang liegt uns nun aber ob, der Behandlung, die
das Heiligenleben durch Gregor gefunden hat, nähere Aufmerksamkeit
zuzuwenden. Der Trieb, persönlichem Leben nachzuspüren, äußert sich in
Gregors gesamtem Werke gleichmäßig. Auch in seiner Frankengeschichte
findet sich eine ganze Reihe von Lebensabrissen bemerkenswerter Männer
eingeflochten. Als Beispiel mag hier die Stelle über Agricola von
Châlons angeführt werden[094-c]: »Um jene Zeit starb Agricola Bischof
von Châlons, ein sehr gewandter und kluger Mann, senatorischer Abkunft.
Er hat in jener Stadt viel gebaut, Häuser und auch eine Kirche, die er
mit Säulen versah, mit Marmor ausstattete und einem Mosaik schmückte.
Er lebte äußerst enthaltsam. Nie nahm er Frühstück zu sich und
begnügte sich mit der einen Hauptmahlzeit im Tage, zu der er sich so
zeitig hinsetzte, daß er sich noch vor Sonnenuntergang davon erhob. Er
war sehr leutselig und ein guter Redner. Er starb im achtundvierzigsten
Jahre seiner Regierung als Bischof, dreiundachtzig Jahre alt. Ihm
folgte Flavius, der Referendar König Gunthrams.« Daran mag sich nun
noch, ebenfalls beispielsweise, die Notiz über ein Original von
Einsiedler anschließen, dessen Sonderbarkeit darin bestand, daß er sich
seine Mahlzeiten in einem hölzernen Kessel kochte. »Ich erinnere mich«,
erzählt Gregor[095-a], »vor Jahren gehört zu haben, es lebe irgendwo
in einer Einöde Jemand, den ein Waldbruder aus der Nachbarschaft aus
Verehrung aufsuchte, nicht ohne sogleich mit aller Liebe empfangen
zu werden. Sie treten in die niedere Zelle, verrichten das Gebet und
setzen sich. Nachdem sie sich lange vom Worte Gottes unterhalten
hatten, erhebt sich der Greis von seinem Stühlchen, geht in sein
Gärtchen und schneidet sich den Kohl zum Essen ab. Als das Feuer im
Herde brennt, setzt er einen weitgebauchten hölzernen Kessel über die
Flamme, füllt ihn mit Wasser, in dem dann der Kohl siedet, und schürt
das Feuer so heftig, daß dieser zu glühen anfängt, genau wie wenn er
von Eisen wäre. Mit Staunen nimmt der Gast es wahr und erkundigt sich,
was es denn damit auf sich habe. Der Greis gab ihm zur Antwort: ›Seit
vielen Jahren wohne ich in dieser Einöde, immer aber habe ich auf
göttliche Eingebung hin in diesem Kochtopf mir zur Kräftigung meines
hinfälligen Leibes meine Speise zubereitet.‹ Wie gesagt, das hörte ich
früher einmal. Nun aber sah ich neulich einen Abt, der den Einsiedler
Ingenuus hieß und versicherte, er habe sich im Gebiete von Autun
aufgehalten und öfters aus jenem Gefässe Kohl oder Kraut, die darin
sotten, mit jenem herausgeholt. Ja er beschwor es mir mit einem Eide,
er habe den Kochtopf über den Flammen mächtig glühen sehen und doch
sei dessen Grund immer feucht gewesen, als werde er von Zeit zu Zeit
genetzt.«

An diese gelegentlich mitlaufenden biographischen Einschläge in Gregors
Schriften mußte zunächst erinnert werden, um davon dasjenige Buch
seines Mirakelwerkes deutlich zu unterscheiden, das sich nicht bloß
beiläufig mit Heiligenleben beschäftigt, sondern eine Anzahl solcher
zum ausschließlichen Inhalte hat. Gliedert sich damit Gregor nun im
engeren Sinne der litterarhistorischen Entwicklung ein, der wir bis
dahin nachgegangen sind, so springt auch das neue Moment in die Augen,
das seine Sammlung von zwanzig Heiligenleben in dieser Entwicklung
darstellt. Es handelt sich um eine Kombination zweier bis jetzt
getrennter Strömungen: einmal nahm er die Memorie auf, wie sie durch
Severus geschaffen und durch Fortunat bis auf Gregors Zeit fortgeführt
wurde; dann aber überwand er die Einseitigkeit einer nur an ein
einziges Leben sich verlierenden Betrachtung durch eine ansehnliche
Mehrzahl der geschilderten Leute. Damit griff er auf Rufin zurück und
nannte das Buch auch nach dessen Beispiel. Ueber die theoretische
Abgrenzung dieser Schrift von den übrigen hat er sich selber
folgendermaßen verlauten lassen[096-a]: »Eigentlich war meine Absicht,
nur aufzuschreiben, was sich am Grabe seliger Märtyrer und Bekenner
Wunderbares ereignet hat. Da ich jedoch auch solche kennen lernte,
die das Verdienst eines seligen Wandels zum Himmel erhob und deren
Lebenslauf, wahrheitsgetreue Darstellung vorausgesetzt, mir im Stande
schien, zur Erbauung der Kirche beizutragen, nahm ich keinen Anstoß,
gelegentlich auch dergleichen niederzuschreiben, da ein Heiligenleben
nicht nur sich selbst darlegt, sondern auch die Zuhörer zur Nachfolge
reizt. Habe ich schon in einem früheren den Bekennern gewidmeten Buche
bei einigen Heiligen, wenn auch nur kurz, Züge aus ihrem Erdenleben
eingeflochten, so will ich jetzt diesem Gesichtspunkte breiteren Raum
lassen und das Buch geradezu ›Heiligenleben‹ betiteln.«

An dieser kleinen Sammlung von Lebensbildern entrollt sich uns ein
buntes und anschauliches Gemälde von der fränkischen Kirche bei ihrem
Beginn und im ersten Jahrhundert ihres Bestehens. Wir sehen einige
charaktervolle Vertreter sowohl bischöflichen als mönchischen Standes,
meist aus der Gegend des mittleren Gallien vor uns, durch einige
treffende Anekdoten in ihrem Wesen gezeichnet und hie und da durch
Beziehung auf ein äußeres zeitgenössisches Ereignis auch chronologisch
genügend festgehalten. Jede Vita ist mit einer erbaulichen Einleitung
versehen und mit Kunstreden durchsetzt. In den Ueberschriften heißen
einige heilig, andere nicht; überdies unterscheidet Gregor ebenda
sechs Bischöfe von zehn Aebten, fünf Einsiedlern und einer Nonne.
Schon numerisch hat also das Mönchtum vor der Weltgeistlichkeit das
Uebergewicht.

Ein Zeitgenosse Martins von Tours kam, immerhin nach dessen Tode,
in das Kloster, das nahe der Martinskirche bestand. Er war seiner
Braut davongelaufen und hieß Venantius[096-b]. In der zweiten Hälfte
des fünften Jahrhunderts sodann wurden die Brüder Lupicinus und
Romanus[096-c] Väter eines burgundischen Asketenvereins, der an
den Westabhängen des Jura es mit der Zeit auf drei Niederlassungen
brachte. Lupicinus war verheiratet gewesen, Romanus nicht. Nach dem
Tode der Eltern richteten sie sich im Jouxthale, auf der Grenze von
Burgund und Alemannien im Bezirk der Stadt Aventicum als Einsiedler
ein. Auf dem Boden ausgestreckt beten, Psalmen singen und sich von
Kräuterwurzeln nähren, war ihr Tagewerk. Die Steinschläge, die in der
Bergwildnis natürlich waren, faßten sie als Angriffe der Dämonen auf
und zogen sich auf ernstliche Verwundungen hin sogar in die bebaute
Gegend zurück, bis eine arme Frau, die sie beherbergte, ihnen ihren
Mangel an Mut vorstellte und sie so zur dauernden Ansiedelung in den
Wäldern bewog. Durch Zuzug von Brüdern entstand zunächst das Kloster
Condatiscone; man schlug eine Lichtung im Walde und baute den Boden
an. Dann erfolgte die Gründung einer Filiale noch auf altburgundischem
Gebiete und schließlich einer dritten Niederlassung im Waadtland. Die
Oberleitung lag in der Hand des Lupizinus. Er übte gegen sich selber
die strengste Enthaltsamkeit; oft aß er überhaupt nur alle drei Tage
ein einziges Mal. Den Durst bekämpfte er, indem er ein Gefäß mit
eiskaltem Wasser in seine Hände nahm und so die quälende Empfindung
milderte, ohne ihr durch Trinken nachzugeben. So konnte er gegen die
ihm untergebenen Mönche ebenfalls streng auftreten und strafte nicht
nur böse Handlungen, sondern sogar schon böse Worte; auch längere
Gespräche und Begegnung mit Frauen sollten vermieden werden. Immerhin
konnte sich die zahlreiche Genossenschaft durch den Ertrag ihrer
Feldarbeit nicht erhalten; Lupizin bestritt das Notwendige aus einem
geheimen Schatz, der sich ihm irgendwo geöffnet hatte und jahrelang
vorhielt. Doch blieb der Uebelstand nicht aus. Bei seiner Visitation
des Nordklosters, das später nach dem Bruder Romainmotier hieß, traf
Lupizin um Mittag ein, als die Mönche noch auf dem Felde waren und zu
Hause eben gekocht wurde. Zu seinem schmerzlichen Erstaunen gewahrte
er da Vorbereitungen für eine Mahlzeit von mehreren Gängen, wobei
allerlei Fischarten nicht fehlten. Rasch entschlossen befahl er einen
kupfernen Kessel mit siedendem Wasser über das Feuer zu setzen, ließ
Fisch und Kraut und Rüben hineinwerfen und den Absutt vorsetzen: »An
dieser Suppe satt essen sollen sich die Brüder«, sagte er, »das ist
Mönchsspeise und zieht nicht von der Beschäftigung mit Gott ab«. Auf
diese Gewaltsverfügung hin traten zwölf Mönche aus, besannen sich aber
nach einiger Zeit eines bessern und kamen wieder. Während Lupizinus
sich der Verwaltung der drei Klöster annahm, zeichnete sich Romanus
durch stillen Wandel und gute Werke aus: er besuchte Kranke und betete
sie gesund. Einst auf der Wanderschaft wurde er von der Dunkelheit
überrascht und gezwungen, in einem Siechenhaus zu übernachten. Die neun
Aussätzigen, die es bewohnten, gewährten ihm um so lieber Unterkunft,
als er sofort warmes Wasser verlangte und ihnen mit eigener Hand die
Füße wusch. Dann ließ er ein großes Bett herrichten, um mit ihnen
allen gemeinsam zu schlafen. Während die Siechen schlummerten, wachte
Romanus und touchierte unter Psalmensingen die offenen Eiterbeulen
an der Seite eines von ihnen. Dieser erwachte, that seinem Nachbar
desgleichen und schließlich alle unter einander, bis sie sich geheilt
fühlten. Als Romanus sah, daß sie alle eine neue, frische Haut bekommen
hatten, dankte er Gott und umarmte sie noch alle einmal zum Abschied.
Lupizinus seinerseits unterließ nicht, seiner Stiftung die Gunst des
Staatsoberhauptes zu gewinnen und begab sich in seinen alten Tagen nach
Genf, wo der Königsbruder Chilperich Regent war. Der Prinz empfing
den Abt an der Abendtafel. Lupizinus trat vor ihn, wie weiland Jakob
vor Pharao getreten war. Der Fürst wollte dem Kloster Ackerland und
Weinberge anweisen; aber Lupizin verschmähte Grundbesitz und erhielt
nun das verbriefte Recht, jährlich dreihundert Maß Korn, ebensoviel
Wein und hundert Goldstücke zu beziehen. Wenigstens entsprachen
diese Einkünfte dem jährlichen Guthaben des Juraklosters an den
königlichen Fiskus zu Gregors Zeit. Lupizin wollte mit seinem Bruder
eine beiden gemeinsame Grabstätte zum voraus vereinbaren. Romanus
aber machte dagegen geltend, er könne nicht in einem Kloster begraben
werden, da dann die Frauen keinen Zugang zu seinem Grabe hätten und
doch zu erwarten sei, daß zu der Ruhestätte eines bei Lebzeiten so
erfolgreichen Wunderthäters sich eine lebhafte Wallfahrt entwickeln
werde. Als er am 28. Februar 460 starb, wurde er in der That zehn
Meilen abseits auf einem kleinen Berge bestattet, und bald erhob
sich daselbst eine ansehnliche Kirche, der es an Pilgerbesuch nicht
fehlte. Lupizin dagegen starb erst am 21. März 480 und wurde in der
Klosterkirche beigesetzt.

Gleichzeitig mit diesen Juramönchen lebte in der Auvergne der heilige
Abt Abraham[098-a]. Er stammte aus Mesopotamien. Im Begriff, die
Mönchskolonien der ägyptischen Wüste aufzusuchen, fiel er unterwegs
in die Hände von Heiden, wurde seines Glaubens wegen geschlagen und
fünf Jahre lang in eisernen Ketten gefangen gehalten. Dann zog es ihn
nach dem Abendlande und er ließ sich vor Clermont neben der Kirche
von Saint Cirgues klösterlich nieder. Er war Meister in den für einen
Heiligen üblichen Wundern, als da sind Dämonenaustreibung, Heilung
von Blinden und andern Kranken und besonders Weinvermehrung. Abraham,
der zwischen 470 und 480 hochbetagt starb und an der Stätte seiner
Wirksamkeit sein Grab fand, stand auch bei dem Herzog Victorius von
Avern, dem Vasallen des westgotischen Königs Enrich, in Gunsten, und
der damalige Bischof der Stadt, Sidonius Apollinaris, geruhte dem
frommen Mann die Grabschrift zu dichten. Nicht viel jünger als die
Juramönche und Abraham war ein anderer Lupizin[098-b], vielleicht zu
Lubié im Bourbonischen. Er lebte in einer Ruine von Wasser und Brot
und gab Bescheid durch ein Fensterchen, dem ein linnenes Vorhängchen
zur Scheibe diente. Das Brot brachte man ihm alle drei Tage, das
Wasser ließ man ihm durch einen kleinen Kanal zufließen. Seine
täglichen Psalmen sang er stets mit einem zentnerschweren Felsblock
aus dem Rücken und stützte sein Kinn auf das Ende des Stockes, wo
er Dornenspitzen angebracht hatte. Da er lungenleidend und schon bei
Jahren war, hustete er beständig Blutklumpen an die Mauer aus, deren
Reste später als Amulette dienten. Ein Menschenalter später erregte ein
eingeborener Mönch namens Portian[099-a] in einem Kloster bei Clermont
Aufsehen. Hörigen Standes war es ihm erst nach mehreren vergeblichen
Versuchen gelungen, in den Verband der Mönche aufgenommen zu werden.
Doch gelangte er unter diesen zu solchem Ansehen, daß er später Abt
wurde. Es gerieten ihm einige Thaten, worunter namentlich eine vor
Sigiwalt, dem Minister König Theodorichs, geglückte Wundervorstellung
die Freigebung von Gefangenen zur Folge hatte. Auch stand Portian mit
Protasius, einem Mönch im Kloster Combroude in telepathischem Rapport.
Im Sommer, wenn sein Gaumen vor Hitze vollständig ausgedörrt war,
hatte er überdies die komische Gewohnheit, Salz zu kauen, um damit
sein Zahnfleisch anzufeuchten, während er ja dadurch seinen Durst ins
Unerträgliche steigerte. Zur selben Zeit und ebenfalls in Clermont
lebte der daselbst ebenfalls eingeborene Abt Martius[099-b]. Er legte
Zellen in Berghöhlen an und schnitt die Bank und das Bett im Steine
aus, über die dann nur die Kutte gelegt wurde. Er war so gutmütig, daß
er einst einem Dieb, der im Klostergärtchen Obst und Gemüse stahl, sich
aber nicht mehr zurechtfand, durch den Schaffner den Ausweg zeigen und
das weggeworfene unrechte Gut freundlich nachtragen ließ.

Im Bezirk von Bourges machte der Klausner Patroklus von sich reden.
Er entstammte einer nicht adeligen, aber doch freien Familie. Mit
zehn Jahren mußte er die Schafe hüten, während sein Bruder Anton
studieren durfte, und als sie nun eines Tages am väterlichen Tische
zusammensaßen, sagte Anton verächtlich: »Setze dich nicht so nah zu
mir, du Bauer. Du bist ein Schafhirt, ich dagegen ein Gelehrter und
somit ein Herr.« Das schnitt dem guten Patroklus so tief ins Herz, daß
er dem Hirtenstand Valet sagte und noch in die ABCschule ging, der er
seinem Alter nach doch bereits entwachsen war. Dank seines Fleißes
und bei seinem guten Gedächtnis hatte er seinen hochmütigen Bruder
bald überholt und erhielt seine weitere Ausbildung bei Nunnio, einem
Vertrauensmann König Childeberts von Paris. In die Heimat zurückgekehrt
sollte er dem Willen seiner unterdessen verwitweten Mutter zufolge
durchaus heiraten. Er entzog sich dieser Gefahr jedoch durch die
Priesterweihe, die er sich von Arcadius Bischof von Bourges erteilen
ließ. In seiner Stellung als Diakon verlor er sich so sehr in seinen
privaten Bußübungen, daß er darüber die Hausordnung des Kapitels
vernachlässigte und sich deswegen eine scharfe Rüge des Archidiakonen
zuzog. Dadurch in seinem Hang zur Einsamkeit bestärkt, verließ er
Bourges, errichtete im Dorf Neris eine Kapelle, für die er sich
Martinsreliquien verschaffte, und eröffnete eine Kleinkinderschule.
Daneben genügte er den Pflichten seines Heiligenstandes durch die
übliche Behandlung der Siechen und Besessenen. Doch betrachtete er
das nur als provisorische Station. Den Entschluß eines endgiltigen
Aufenthaltes stellte er einem Orakel von beschriebenen Zetteln anheim,
die er auf dem Altar niederlegte und nach drei durchgebeteten Nächten
auf Geratewohl aufgriff. Seine Einrichtungen in Neris übergab er
dann einer Gesellschaft gottesfürchtiger Jungfrauen zum Anwurf für
ein Nonnenkloster, wanderte nur mit Karst und Hacke bepackt, ins
Waldgebirge und baute sich eine Zelle in Moichant. Dort that er unter
dem Landvolk Gutes, besonders an einer Frau Leubella während der
Ruhr. Darnach errichtete er fünf Meilen von seiner Zelle entfernt
ein Mannskloster und unterstellte es einem Abte, um selber nach
wie vor sein beschauliches Leben führen zu können; nachdem er ihm
achtzehn Jahre obgelegen hatte, starb er im Alter von achtzig Jahren.
Der Oberpfarrer von Neris wollte den Leichnam mit Gewalt für den
ehemaligen Wohnsitz des Heiligen in Anspruch nehmen, mußte ihn aber
dessen Stiftung, dem Kloster Colombiers lassen, wo von den am Grabe
Geheilten eine Namensliste geführt wurde. Der Abt Urs[100-a] von Cahors
gründete mehrere Klöster, zunächst drei in der Berri, nämlich zu
Toiselay, Heugne und Pontigni, und überließ sie tüchtigen Vorgesetzten.
Er errichtete ferner zu Sennevières in der Touraine eine Kapelle und
ein Bethaus, die er indes wieder einem Unterabt, dem Leubas übergab,
um selber die Leitung des Klosters Loches am Indre zu übernehmen.
Einer seiner Grundsätze war, daß der Mönch nicht nur beten, sondern
auch im Schweiße seines Angesichts sein eigenes Brot essen solle.
Als praktische Natur ersetzte er die mühsamen Handmühlen durch eine
Wassermühle, die er am Indre einrichtete; ein kleiner Mühlenbach
mit steinernen Schleusen versehen, brachte das Wasser auf das große
Mühlenrad und versetzte es in geschwinden Umlauf. Ein Gote namens
Sichlar, Günstling König Alarichs _II_ wollte über diese Erfindung
die Hand schlagen; aber da die ganze wirtschaftliche Zukunft seines
Klösterverbandes auf diesem Vorrecht stand, wehrte sich Urs verzweifelt
und schließlich mit Erfolg gegen diesen Eingriff in seine Rechte.

Ein sanfter Heiliger ist Friard von Nantes[100-b]. Er war ein frommer
Bauer gewesen. Das Leben war ihm ein idyllischer Dienst Gottes in
der Natur; wenn er in ein Wespennest griff oder hoch von einem Baume
herunterfiel, sagte er rasch: »Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn,
der Himmel und Erde gemacht hat«; so kam er jedesmal mit heiler Haut
davon. Er siedelte sich dann auf der Insel Besné an, erst begleitet von
einem Abt Sabaudus, einem ehemaligen Minister König Chlothars; dieser
kehrte bald in sein Kloster zurück und wurde später aus unbekannten
Gründen ermordet. Doch behielt Friard einen getreuen Zellennachbar in
dem Diakon Sekundellus, hatte aber auch mit diesem Freunde seine liebe
Not; denn aus Ehrgeiz, seinerseits ein Heiliger zu werden, unternahm
Sekundellus, ohne Friard etwas zu sagen, eine Wundertour auf dem
Festlande und hatte in der That mit seinen Krankenheilungen allen nur
gewünschten Erfolg; aber da er selbst fühlte, daß es nicht im rechten
Geiste geschehen war, vertraute er sich Friard an, der ihm dann als
guter Seelsorger über schwere teuflische Anfechtungen hinweghalf.
Friards eigene Wunderkraft bewies sich mit Vorliebe in der Behandlung
dürrer Bäume, die unter seiner Gärtnerkunst wieder ausschlugen. Auf dem
Todbette schickte er zu Bischof Felix von Nantes und sagte ihm genau
seine Sterbestunde an, damit sich dieser spute und ihn vorher noch
einmal besuche; der aber ließ ihm sagen, es sei ihm eines Prozesses
wegen unmöglich, schon so rasch hinüber zu kommen; ob es denn mit dem
Sterben so pressiere. Aus Rücksicht auf den Freund schob daher Friard
seinen Heimgang noch auf, und als Felix ziemlich viel später endlich
erschien, rief ihm Friard in seinen Fiebern entgegen: »Du hast mich
aber lange warten lassen, heiliger Bischof«. In Chartres lebte eine
heilige Frau Monegunde[101-a], die nach dem Tode ihrer beiden Töchter
ihrem Mann aufsagte und Nonne wurde, erst im eigenen Hause, bis ihr das
Dienstmädchen der nun eingeführten mageren Kost wegen davonlief und
die Nachbarinnen sich über sie Bemerkungen erlaubten; dann ging sie
nach Tours ans Martinsgrab. Schon unterwegs heilte sie in Soissons am
Medardusfest ein junges Mädchen und desgleichen wirkte sie in Tours,
wo sie sich in einem Kämmerchen eingemietet hatte. Da sie von sich
reden machte, kam ihr Mann herbeigereist und holte sie heim. Aber ihr
Tagewerk blieb beten und fasten. Sie kehrte bald nach Tours zurück,
bezog ihre frühere Wohnung und sammelte mit der Zeit einige Nonnen,
nicht unter allzustrenger Regel, da unter anderm erlaubt war, an
Sonntagen Wein ins Wasser zu mischen. Sie blieb bescheiden. Ein Gesuch
um Heilung beschied sie dahin: »Warum denn ich? Warum nicht Sankt
Martin, wenn man an Ort und Stelle ist?«

Von heiligen Zeitgenossen schildert Gregor ebenfalls einige des
näheren. Im Kloster Meallet in der Auvergne übertrieb Caluppan[101-b]
die Askese so sehr, daß er zur Tagesarbeit zu geschwächt war und
infolge dessen die Unzufriedenheit seines Vorgesetzten erregte, der
ihm vorhielt: »Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen«. Als
sich Caluppan so schlecht verstanden sah, siedelte er sich als Eremit
an einem fünfhundert Fuß hohen, einzelstehenden Felsen ein, in einer
Höhlung, die nur durch eine Leiter zugänglich war. In dem Bethäuschen,
das er dort errichtete, ringelten sich ihm oft Schlangen um den Hals,
und wenn er später nur unter Thränen dieser Anfechtungen gedachte,
so geschah es nicht aus Eckel vor dem Reptil, sondern weil ja seit
Paradieseszeiten Schlangengestalt die irdische Erscheinungsform des
Teufels war. Caluppan las und betete den ganzen Tag, selbst während
seiner bescheidenen Mahlzeit. Ab und an einmal, aber eben doch nur
höchst selten, angelte er im Bergbache und dann immer mit Glück. Seinen
Brotbedarf lieferte ihm das Kloster; private Wein- und Brotspenden
stellte er der Armenpflege anheim. Auch war ihm ein Bursche zu seiner
Verfügung beigegeben, und als er eines Tages noch eine längst erbetete
Quelle aufstach, fehlte ihm nichts mehr, zumal er nebenan sich ein
Sammelbassin in den Fels höhlte, das zwei Maß Wasser aufnahm und ihn
daher nie mehr in Verlegenheit geraten ließ. Bischof Avitus ging in
Begleitung Gregors zu ihm hinauf und verlieh ihm die Diakonen- und
Priesterweihe. Sonst ließ sich Caluppan vor Besuchen nicht sehen,
sondern verkehrte mit ihnen nur durch ein Seitenfensterchen seiner
Zelle, durch das hinaus er segnete und bekreuzte. Er starb fünfzig
Jahre alt. Ein anderer Waldbruder der Auvergne, Emilian, hatte Eltern
und Eigentum dahinten gelassen, zu Pionsat eine Lichtung geschlagen und
darin ein Aeckerchen und einen Blumengarten angebaut. Er aß die Gemüse
in unangemachtem Zustand. Außer den Tieren und Vögeln war er in der
Wildnis das einzige lebende Wesen, bis ihm die Fügung einen Genossen
zuführte. Sigivald, der große Herr von Clermont, schickte einen seiner
Knappen, der den deutschen Namen Bärchen trug, mit allen Hunden in
den Wald. Bald stob die Meute hinter einem mächtigen Eber her; doch
verlief sich das Tier in den eingehegten Pflanzplatz bei Emilians
Zelle. Die Hunde wagten nicht nachzudringen, indessen das Wildschwein
sich ruhig vor der Schwelle der Hütte an die Sonne legte. Als Bärchen
nachkam und erriet, daß etwas wunderbares im Spiel sein müsse, als
zugleich Emilian zu ihm trat, ihn umarmte, ihn neben sich auf eine
Bank zog und bei aller Achtung vor dem schmucken Knappenrocke ihm von
dem größeren Herrn zu reden anfing, dessen Joch sanft und dessen Last
leicht sei, als überdies die Bestie, zum Lamme geworden, sich während
des Gespräches unbehelligt von dannen machte, da hatte sich im Innern
des Jünglings bereits die Wandlung vollzogen. Obwohl er seinen Dienst
nicht verlassen konnte, paßte er, so sehr es nur immer anging, sein
Laienleben geistlichen Grundsätzen an. Er unterbrach seine Nachtruhe
dreimal, kniete vor sein Bett und betete. Singen war alles was er
konnte; von den Buchstaben verstand er nichts. Doch legte er sich ein
Heft zu, in das er die Inschriften über Heiligenbildern nachmalte,
und wenn nun sein Herr geistlichen Besuch hatte, machte sich Bärchen
verstohlen an jüngere Priester, ob sie nicht so gut wären, ihn über
die Bedeutung der einzelnen Schriftzeichen aufzuklären. So eignete er
sich Schrift und Lektüre des Alphabets an, ohne jedoch sich noch auf
ganze Wörter und ganze Sätze zu verstehen. Nach Sigivalds Tode hauste
er sich bei Emilian ein und lernte in den zwei oder drei Jahren, die
er bei diesem zubrachte, den ganzen Psalter auswendig. Von Seiten
seiner Familie drohte ihm Lebensgefahr; sein Bruder wollte ihn töten,
wenn er nicht heirate. Dafür verbanden sich mit der Zeit immer mehr
Mönche dem alten und dem jungen Eremiten. Als Emilian neunzig Jahre
alt gestorben war und Bärchen die Leitung übernahm, entfaltete er ein
außergewöhnliches Geschick in der Gründung von Klöstern. Von Sigivalds
Tochter Ranichilde ließ er sich den Hof von Vensat anweisen, vermachte
diesen ausgedehnten Grundbesitz seinen Mönchen, begab sich nach Tours,
wo er Kapellen und zwei Klöster gründete, verbrachte dann fünf Jahre
in seinem Heimatkloster, kehrte dann wieder nach Tours zurück, um in
seinen dortigen Klöstern Aebte anzustellen, und bezog schließlich
endgültig wieder die alte Waldhütte des seligen Emilian. Von dort aus
reformierte er das Kloster Menat, dessen Regel durch die Nachlässigkeit
des Abtes in Verfall geraten war. Als seine Grabstätte bezeichnete
er zum voraus einen lauschigen Waldwinkel am Bache, wo er immer eine
Kapelle hatte bauen wollen und Kalk sowie Fundament längst bereit
lagen. Der Abt sorgte für die Vollendung und ließ Bärchens irdische
Reste, die im Gewölbe seiner Zelle vorläufig untergebracht worden
waren, zwei Jahre später in allen Ehren nach dieser ihrer bleibenden
Ruhestätte überführen. Im Gebiete von Tours lebte damals auch Senoch,
gebürtig aus Tiffauges bei Poitiers; in den Mauerstücken einer alten
Ruine erstellte er bequem Wohnungen und restaurierte eine alte Kapelle,
in der Sankt Martin einst gebetet haben soll. Sie wurde von Eufronius
von Tours geweiht, Senoch selbst zum Diakonen an ihr eingesegnet.
Leider bildete sich dieser zweifellos heilige Mann zuviel auf sich
selber ein, benahm sich geistlichen Mitbrüdern gegenüber hochfahrend
und trat besonders bei einem Besuch in der Heimat vor seinen Eltern
anmaßend auf, sodaß sich Gregor von Tours genötigt sah, ihm tüchtig
ins Gewissen zu reden. Reuig geworden setzte Senoch insofern aufs
neue einen Kopf auf, als er sich nun überhaupt einschließen und
zeitlebens kein Menschengesicht mehr sehen wollte. Das wäre sehr zu
bedauern gewesen, weil er mit seiner Heilthätigkeit ohne Zweifel viel
Gutes that. Gregor brachte ihn dann dazu, daß er sich nur während
der Weihnachts- und Osterfasten der Welt verschloß, im übrigen Teil
des Jahres jedoch nach wie vor seine Audienzen erteilte. Er starb
schon mit vierzig Jahren an einem dreitägigen Fieber. Gregor, der
herbeieilte, fand ihn bewußtlos; eine Stunde später war Senoch tot. Auf
den Boden von Tours war auch aus der Auvergne ein Heiliger bleibend
übergesiedelt, Leobard oder Lighard[104-a]. Sein Vater hatte ihn durch
Berufung auf den nach der Bibel den Eltern schuldigen Gehorsam zur Ehe
zwingen wollen, und so hatte denn der scheue Jüngling der Braut wider
willen den Ring gereicht, den Kuß gegeben, den Schuh angezogen und
was dieser Verlobungsbräuche mehr sind. Vater und Mutter starben, und
als er eines Tages seinem Bruder Geschenke zu dessen bevorstehender
Hochzeit überbringen wollte, fand er ihn vollständig betrunken. Da
trieb es ihn von dannen; er übernachtete in einem Heuschober, und dort
reifte in ihm der Entschluß, der Welt Valet zu sagen. Er bestellte sein
Haus, ritt nach Tours, kräftigte sich daselbst in der Martinsbasilika,
fuhr dann über die Loire und ergriff Besitz von einer Einzelzelle bei
Marmoutiers, die durch den Wegzug des früheren Inhabers eben frei
geworden war. Lighard erweiterte sie, indem er mit dem Pickel die
Felswand tiefer aushieb. Dort lebte er nach Eremitenart, verlegte sich
aber überdies auf die Herstellung von Pergament und beschrieb es dann.
Er rief sich auch die Psalmen wieder ins Gedächtnis zurück, die er,
seit er sie in der Kinderschule gelernt, wieder so gut wie vergessen
hatte. Eines Tages verfiel er auf den übeln Gedanken, die Zelle zu
wechseln; mit schwerem Herzen machte ihm Gregor klar, wie sehr dies mit
den Väterleben und den Mönchsregeln in Widerspruch stehe. Im übrigen
gefiel sich Lighard nicht, wie sonst manche seines Standes, in unechten
Allüren, etwa überlangem Bart und Haar; vielmehr hatte er seine
bestimmten Zeitpunkte, wo er sich scheren ließ. Er lebte zweiundzwanzig
Jahre so, nicht ohne Wunder zu thun; sein Speichel heilte Eiterbeulen.
Mit übermäßigem Fasten und, da er stets seine Zelle größer hauen
wollte, mit harter Steinmetzenarbeit, hatte er sich zu viel zugemutet;
eines Tages brach er zusammen und ließ rasch den Bischof rufen, der ihn
mit dem letzten Segen versah. Aber sterben wollte er ohne Zuschauer;
als er zwei Monate später, eines Sonntags im Dezember oder Januar 592,
einen neuen Anfall erlitt, sagte er zu seinem Diener: »Geh und bereite
mir Essen, ich fühle mich schwach«. »Es steht bereit, Herr!« war die
Antwort. »Dann geh und sieh ob der Gottesdienst zu Ende ist und die
Leute aus der Messe kommen.« Als jener wieder kam, lag sein Herr steif
da und hatte die Augen für immer geschlossen.

Entfallen Gregors Lieblingsheilige schon der Mehrzahl nach auf das
Mönchtum, so bilden die von ihm geschilderten Bischöfe keineswegs
einen Gegensatz dazu; vielmehr sind sie in Gregors Augen überhaupt
darum heilig, weil sie, wiewohl Kirchenfürsten, an der mönchischen
Armut teilnahmen und damit das unheilige Element, das in dem Begriff
des Weltklerus steckt, nach bestem Thun und Gewissen auszugleichen
suchten. Zunächst schildert er den heiligen Illidius oder Saint
Allyre[105-a], den Stadtheiligen seiner Heimat. Er weiß von dem
Vorleben und der Erhebung des Illidius auf den Stuhl von Clermont
weiter nichts zu sagen, als daß diese durch Volkswahl erfolgt sei. Aus
dem Lebensgang fing er nur die Heilung der Kaiserstochter in Trier
auf und schweigt sogar darüber, ob Illidius mit Martin von Tours in
Beziehungen gestanden habe. Es hatte sich eben mit dem besten Willen
nichts mehr ermitteln lassen: alle Thaten, die Illidius vor jenem
Höhepunkt seines Lebens verrichtet habe, seien der Vergessenheit
anheimgefallen. Um daher den berühmten Mann vor dem Vorwurf, daß ihm
nur ein einziges Wunder gelungen sei, sicherzustellen, und andrerseits
zu gewissenhaft, um nicht genügend begründete Behauptungen vorzutragen,
unternimmt Gregor eine Art Sekundärbeweis, indem er von den Grabes-
und Reliquienwundern des Illidius mehrere auf eigener Beobachtung
fußende Angaben macht. Glücklicher ist er gegenüber den andern von
ihm geschilderten Bischöfen; da konnte seine Forschung überall an
lebendiges Andenken anknüpfen. Es handelt sich um fünf merovingische
Prälaten aus der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts und der
östlichen Reichshälfte, übrigens Männer, auf die Gregor in seiner
Frankengeschichte wieder zurückkommt. Im Jahre 515 war der bischöfliche
Stuhl von Clermont Ferrand durch den Tod des Eufrasius vakant
geworden. Nun hielt sich damals in Arvern Quintianus[105-b] auf, ein
gebürtiger Afrikaner, der zur Zeit des Gotenkrieges das Bistum Rhodez
innegehabt, dann aber als angeblicher fränkischer Spion hatte flüchten
müssen. Eufrasius nahm ihn in Arvern nicht nur gastfreundlich auf,
sondern behandelte ihn ebenbürtig und schenkte ihm Häuser, Aecker und
Weinberge. »Das Vermögen unserer Kirche«, sprach er, »ist groß genug,
uns beide zu erhalten.« Auch der Bischof von Lyon gab ihm etliches
von der Besitzung, die seine Kirche zu Arvern hatte. Ihn wählte nun
auch die Gemeinde nach dem Ableben ihres Oberhirten zum Bischof; doch
mußte er es sich gefallen lassen, daß der Kandidat der römischen
Aristokratie Apollinaris den Stuhl bestieg und ein Vierteljahr lang
inne hatte. Dann schaffte König Theodorich energisch Ordnung und
sorgte dafür, daß Quintian alles Kirchengut erhielt: »denn aus Liebe
zu uns«, sagte er, »ist er aus seiner Stadt verbannt«. Aber aufs neue
wurde Quintian in Not und Bedrängnis versetzt. Die alten römischen
Familien, an der Spitze die Apollinaris, hatten gegen die Franken
zu den Goten gehalten und nun gegen Theodorich zu Childebert. Auch
richtige Anhänger der Regierung, wie Bischof Quintian, hatten aufs
schwerste zu leiden, namentlich unter den Ränken und Unterschlagungen
des Procul, eines Fiskalbeamten, der sich zum Priester hatte weihen
lassen. Dieser Procul, einer der gefährlichsten Frankenfeinde, entzog
Quintian die ganze Verwaltung des Kirchenvermögens und ließ ihm kaum
den nötigen Lebensbedarf. Der Bischof aber pflegte, in Anspielung an
das Pauluswort von Alexander dem Schmied, zu bemerken: »Procul der
Zöllner hat mir viel Böses gethan, der Herr vergelte es ihm nach seinen
Werken«. Was der Herr später dann auch gethan hat: Procul wurde bei
Eroberung der Festung Vallore durch die Franken am Altar der Kirche auf
jämmerliche Weise ermordet. Infolge einer Verschwörung des städtischen
Adels mußte König Theuderich Arvern belagern. Da zog Bischof Quintian
in der Stadt nachts unter Psalmengesang mit allem Volk der Mauer
entlang und betete so laut, daß man es draußen hören konnte. Der König
wollte eben stürmen lassen und hätte den Bischof in die Verbannung
geschickt. Doch wurde er milder gesinnt und auch die Fürsprache des
Herzogs Hilping bewog ihn, den Stadtbann bis zum achten Meilenstein
als Freizone zu erklären, innerhalb der niemand ein Leides geschehen
dürfe. In der Stadt galt der Bischof nach wie vor als das Haupt der
Königspartei und war daher beständigen Angriffen von seiten der alten
Römergeschlechter ausgesetzt. Hortensius, einer der Grafen, hatte
Honoratus, einen Verwandten des Bischofs, ins Gefängnis geworfen. Als
der Bischof daselbst nicht einmal vorgelassen wurde, ließ er sich, zum
Gehen schon zu alt, vor den Palast des Grafen tragen und schüttelte
den Staub von seinen Füßen mit den Worten: »Verflucht sei dieses Haus,
auf immerdar verflucht seine Bewohner«. Alles Volk sagte: »Amen«. Da
rief der Bischof aufs neue: »Ich verlange, Herr Gott, daß keiner dieses
Geschlechtes jemals zur bischöflichen Würde gelange, weil es seinem
Bischof nicht gehorcht hat.« Dieser feierliche Fluch verhallte nicht
kraftlos. Nach drei Tagen kam der Graf und bat um einen Ausgleich, zu
dem Quintian gerne bereit war. Daneben war dieser Kirchenfürst als
Schriftgelehrter, Armenfreund und Wunderthäter gleich ausgezeichnet.
Obwohl er noch die ruhigere Zeit für seine Stadt anbrechen sah,
überlebte er doch die peinlichen Zwischenfälle, zu denen auch ein in
der Frankengeschichte[106-b] erzählter demütigender Fußfall vor dem
Beamten Litigius zu rechnen ist, nicht lange. Auch jetzt ging die
Neigung der Bürgerschaft auf einen in der Stadt sich vorübergehend
aufhaltenden Fremden, den Neffen des Priesters Impetratus, in dessen
Hause er abzusteigen pflegte. Er hieß Gallus[106-a] und lebte früher
bei Clermont im Kloster Cournon als Mönch. Von Hause aus gehörte
er dem höchsten gallischen Adel an, Sohn des Senators Georgius von
Lyon und durch die Mutter Leucadia sogar Sprößling eines der Lyoner
Märtyrer aus Mark Aurels Tagen. Als ihn aber der Vater mit einer
Senatorstochter verheiraten wollte, floh er in Begleitung eines Dieners
eben nach Cournon und bat den Abt um die Tonsur. Er fiel allgemein
durch seine schöne Stimme auf und um ihretwillen nahm ihn Quintian
mit nach Clermont, wo er bald nicht nur bei allem Volk, sondern auch
bei König und Königin in Gunst kam. Theuderich wählte ihn in jenen
Ausschuß von jungen Arverner Geistlichen, die zur Assistenz für den
Kirchendienst nach Trier abgeordnet wurden, behielt ihn dann jedoch
immer bei sich, so daß Gallus im Gefolge des Königs bis nach Köln kam.
Beim Ableben Quintians befand er sich wieder in Arvern. Um dieselbe
Zeit starb auch Aprunculus von Trier; seine Gemeinde hatte ebenfalls
ein Auge auf Gallus. Der Stichentscheid lag beim Könige. Als nun die
Arverner Abordnung kam, um die üblichen Simoniegebühren zu entrichten,
fanden sie den Sinn des Königs schon von sich aus ihnen geneigt, so
daß schließlich das Zusammentreffen über die für König und Stadt
gemeinsame Freude an der Wahl zu einem Festgelage auf Staatskosten
führte. Gallus selbst pflegte auf gelegentliche Anspielungen zu
erwidern, er habe sich sein Bistum nicht mehr kosten lassen als eben
das Trinkgeld für den Koch beim Festessen. Der König ließ ihn durch
zwei Bischöfe in Arvern einführen. Indessen hatte die Kirche von Trier
nach dem abschlägigen Bescheid für Gallus einen ebenbürtigen Ersatz
in Nicetius[107-a] gefunden, offenbar auf den Vorschlag des Königs,
der den freimütigen und unerschrockenen Charakter dieses Geistlichen,
auch wenn er sich gegen die Willkür des Fürsten oder seiner Hofleute
richtete, aufrichtig schätzte. Das Volk bestätigte den königlichen
Vorschlag. Eines Tages, als Nicetius auf dem bischöflichen Stuhle saß
und der Schriftverlesung zuhörte, spürte er einen starken Druck in
seinem Nacken, er drehte den Kopf nach rechts und links und als es um
ihn her süß roch, er aber niemanden sah, da wurde er inne, daß es die
bischöfliche Amtslast war, die ihn gedrückt hatte! Nach Theuderichs
Tode bekam auch der junge Theudebert den unabhängigen Sinn des Bischofs
zu fühlen. Eines Sonntags besuchte der König den Gottesdienst, ohne
darauf zu achten, daß in seinem Gefolge Exkommunizierte waren. Als die
Bibellektion nach dem alten Kanon vorgenommen und auch die Oblation der
Hostie vollzogen war, sagte der Bischof vom Altar aus: »Die Kommunion
kann nicht erfolgen, ehe die Gebannten die Kirche verlassen haben.«
Als sich der König dem widersetzte, bekam in der Volksmenge ein junger
Höriger einen Anfall und fing nun vor allen Leuten an, Sünden des
Königs, von denen im Lande herum verlautete, öffentlich zu rügen. Der
König verlangte die Entfernung des Verrückten, der Bischof bestand
jedoch darauf, erst müßten die andern hinaus. Da gab der König nach
und die Messe konnte ohne weitere Störung ihren Fortgang nehmen. Diese
ungewöhnliche Festigkeit hat Nicetius nie verlassen: »Es kostete mich
nichts, für die Gerechtigkeit zu sterben«, pflegte er zu sagen. Er
belegte mehr als einmal den König Chlothar mit dem Bann. Als er dafür
ins Exil wandern sollte, alle Bischöfe sich dem Könige beugten und
die Seinen ihn im Stich ließen, sagte er zu dem einzigen Getreuen,
er werde morgen wieder im Besitze seiner Macht sein; in der That kam
tags darauf ein Bote Sigiberts mit der Todesnachricht Chlothars und
dem Ansuchen um die Freundschaft des Bischofs. Nicetius predigte alle
Tage, fastete viel und besuchte aus großem Andachtsbedürfnis tagsüber
die verschiedenen Kirchen Triers, die Kapuze übers Haupt gezogen, um
nicht gekannt zu sein, und nur von einem Diakon begleitet. Nicht zu
verwechseln mit diesem Nicetius, der 566 starb, ist indessen sein
gleichzeitiger Namensvetter von Lyon. Als Bischof Sacerdos von Lyon
in Paris krank wurde, war König Childebert voller Rücksicht gegen
ihn, kam zu ihm ans Bett und gewährte dem Sterbenden die letzte
Bitte: die Wahl seines Neffen zum Nachfolger. Der Priester Basilius
mußte unverzüglich nach Lyon reisen und bei dem königlichen Grafen
Armentarius die nötigen Schritte thun. So wurde Nicetius[108-a], der
Sohn des Florentius und der Artemia, Bischof seiner Vaterstadt. Er war
in seiner Jugend kränklich gewesen und erst mit dreißig Jahren Priester
geworden. Auch dann arbeitete er nach wie vor als Handwerker. Seine
Regierung als Bischof dauerte zweiundzwanzig Jahre. War Gregor diesem
Heiligen verwandt und von jung auf um ihn gewesen und hatte namentlich
die aufgeregten Tage der Bischofswahl des Nicetius als dessen Diakon
und Tischnachbar zur Linken miterlebt und sich damals die Serviette
des Heiligen als Amulet zu Handen genommen, war überdies schon Gallus
von Clermont sein Onkel, so konnte er auch seinen eigenen Urgroßvater
mit nicht weniger Recht unter den Heiligen nennen. Bischof Gregor
von Langres[108-b] hat sich weiter nicht hervorgethan, war aber sein
Lebenlang ein so tadelloser Ehrenmann gewesen, daß noch sein Andenken
genügte, um Chlothar sofort zu Gunsten eines Mitglieds dieser Familie
umzustimmen[108-c]. Vierzig Jahre, 466–506, in der Stellung eines
Grafen von Autun, hatte er unbeugsam das Recht verwaltet und mit seiner
Frau Armenatria eine musterhafte Ehe geführt. Ihr Tod veranlaßte ihn
zum Uebertritt in den geistlichen Stand: er ließ sich zum Bischof von
Langres wählen. Doch war Langres nur die Titelresidenz, Bischofsstadt
war tatsächlich Dijon. Dort verbrachte Gregor die Nächte heimlich mit
Psalmensingen in der an seine Wohnung angrenzenden Taufkapelle. Sein
inbrünstiges Gebet hat seine Großtochter, eben Gregors Mutter, da sie,
noch Mädchen, von den Aerzten aufgegeben war, vom Tode errettet. Da er
auf dem Wege nach Langres unterwegs starb, aber in Dijon begraben zu
sein wünschte, wurde der Leichnam dahin übergeführt.

»Die Väterleben« Gregors oder wie er die Schrift zu heißen vorzog, »das
Leben der Väter«[109-a] ist unsere wesentliche Quelle für die Kenntnis
des merowingischen Mönchtums und auch seiner Einflüsse auf den Klerus
vor der irischen Reform. Sie reicht zu seiner Geschichte nicht aus, ist
aber die lebendige Illustration zu Hilfsmitteln theoretischer Natur,
also den in Gallien befolgten Regeln vor Columban und Benedikt, etwa
der des Makarius.


3.

Da Gregor ein einheitlicher sich gleichbleibender Schriftsteller
ist und als Geschichtsschreiber den ursprünglichen Mirakelverfasser
nicht verleugnet, so erübrigt noch, um ein rundes Bild zu erhalten,
uns den Einfluß seiner hagiographischen Weltbetrachtung auf seine
Auffassung der zeitgenössischen Geschichte zu vergegenwärtigen, nicht
ohne gelegentliche Andeutung der Einseitigkeiten und Verzeichnungen in
seiner Darstellung der leitenden Personen dieser Geschichte.

Chlodowech, mit fünfzehn Jahren König, war erst nur der kleine
fränkische Gaukönig von Tournai an der Schelde. Aber 486 ergriff er
Besitz vom letzten gallischen Römerland, erweiterte sein Gebiet bis an
die Loire und verlegte seine Residenz westwärts, erst nach Soissons,
später nach Paris. 491 besiegte er die Thoringer, 496 ein erstesmal
die Alamannen, 507 die Westgoten und brachte im übrigen durch die
schändlichsten Mittel die vielen kleinen Gaufürstentümer ebenfalls an
sich, so daß er mit Ausnahme der von Burgund und den Westgoten noch
besetzten Südostecke Gallien sein nannte. Nun zweifelte weder Gregor
noch irgend sonst wer, diese Macht sei Chlodowech zugefallen, weil er
sich auf den Namen des dreieinigen Gottes der katholischen Christenheit
habe taufen lassen; schon Erzbischof Avitus von Vienne hatte dem
Frankenkönig damals geschrieben[109-b]: »Bis jetzt war es das Glück,
künftig aber wird es der aus der Taufwelle dir angespülte Wunderzauber
sein, was dich zum Siege führt«. Dieser Gesichtspunkt einer sozusagen
magischen Begnadung von Gott gab für Chlodowechs Beurteilung den
Ausschlag und lähmte die sittliche Entrüstung, der seine vielen
Scheußlichkeiten bei einem braven Mann wie Gregor sonst doch vielleicht
begegnet wären. Da dieser aber nie zum bewußten Schmeichler wird,
sondern ehrlich die Wahrheit sagt, wo er sie weiß, entsteht ein
merkwürdiges Nebeneinander von Eingeständnis und Verblendung. Unter dem
grellen Licht, mit dem der Scheinwerfer des Panegyrikers die Gestalt
Chlodowechs unnatürlich übergießt, ist doch das natürliche Licht der
Begebenheit nicht ganz ausgetilgt. Zu Chlodowechs Verwandtenmorden
sagt Gregor allerdings unglaublich erbaulich[109-c]: »Täglich streckte
Gott seine Feinde unter seiner Hand zu Boden und mehrte ihm das Reich,
weil er rechten Herzens vor Ihm wandelte und that was seinen Augen
wohlgefiel«. Als dagegen Chlodowech, der Mörder aller seiner Vettern,
auf dem Todbette cynisch genug war zu klagen, ach daß er nun wie ein
Fremdling unter Fremden stehe und ihm keiner der Seinigen mehr Hilfe
gewähren könne, da beugt Gregors Ehrlichkeit jeder Beschönigung vor
mit der Bemerkung[110-a]: »Das sagte er aber ja nicht in einem Anflug
von Reue, sondern aus Hinterlist, ob sich vielleicht noch einer fände,
den er töten könne«. In der Beurteilung von Chlodowechs Gattin hatte
Gregor gewiß nicht Unrecht, wenn er die weltgeschichtliche Bekehrung
des Königs in erster Linie durch sie vorbereitet werden läßt. An
Chrotechildens aufrichtigem und frommem Wesen ist nicht zu zweifeln.
Aber er läßt sich dann zu dem Märlein des Volksglaubens hinreißen,
wonach König Gundobad ein wutschnaubender Tyrann gewesen wäre und
seine Schwägerin hätte ertränken lassen[110-b], so daß dann später
Chrotechilde ihre Söhne zum zweiten Zug der Franken nach Burgund
aufstiftete, um ihre Mutter zu rächen[110-c]. Vielmehr ist König
Chilperichs Witwe Caretene im Jahre 506 in einem Kloster bei Lyon wenig
über fünfzig Jahre alt eines natürlichen Todes verstorben[110-1]. Ihr
verdankte Chrotechilde ihre katholische Erziehung und die Energie, am
heidnischen Hofe ihren Kindern ein Gleiches zu sichern. Für Mutter
und Tochter ist Chlodowechs Taufe jedenfalls die Erhörung jahrelanger
heißer Gebete gewesen. Durch seinen gläubigen Anschluß an die Volkssage
hat sich Gregor um ein Moment in der Bekehrungsgeschichte Chlodowechs
gebracht, um den katholischen Rückhalt in der Familie der Frau. Davon
abgesehen hat er den Einfluß der Königin wohl richtig dargestellt: sie
ließ Remigius kommen und gewiß hat auch sie allen andern katholischen
Einwirkungen den Zugang erleichtert[110-2].

Unter Chlodowechs Nachfolgern ist sein Enkel Theudebert, der
Sohn des unehelichen, aber deshalb in den Erstgeburtsrechten in
nichts geschmälerten Theuderich, der bedeutendste Fürst der ganzen
merowingischen Dynastie[110-3]. Der Vater Theuderich charakterisiert
sich in seiner Stellung zur Kirche genügend mit jener einen Handlung,
daß er zwar die unbefugten Einbrecher ins Kloster von Saint-Ivoine bei
Clermont zum Tode verurteilte, aber bei dieser Gelegenheit das Kloster
gewissermaßen säkularisierte[110-d]. Sein Sohn dagegen stand der
Kirche vornehm und groß gegenüber. Ein Politiker im universalen Stile,
deutete er mit seinen Bestrebungen bereits die Stellung Deutschlands im
Mittelalter an, der erste deutsche Machthaber, der nicht bloß darauf
ausging, ein Reich zu gründen oder ein schon gegründetes zu erweitern,
sondern der geradezu die Weltmacht von römischen in germanische Hände
zu übertragen, sich selbst an Stelle des Kaisers zu setzen gedachte.
Und da der Grundgedanke seiner Politik darin bestand, sich daheim auf
die Kirche zu stützen, so tritt uns bereits bei diesem Theudebert die
Idee eines aus dem Bund mit der Kirche beruhenden Reiches deutscher
Nation entgegen. Von solchen gewaltigen hochfliegenden Plänen dieses
Königs hat nun der gute Gregor begreiflicher Weise nichts gespürt;
daß der König der Kirche besondere, liebevolle Aufmerksamkeit
widmete, bemerkte er wohl mit Freuden, aber warum das geschah, davon
ahnte er nichts, so daß sein Urteil in eigentümlicher Weise zwar
des Verständnisses ermangelt, aber dabei doch ziemlich richtig ist:
»Theudebert«, sagt er[111-a], »zeigte sich als großen und durch alle
Tugenden ausgezeichneten Fürsten«. Hiebei ist wiederum, wie bei
Chlodowech, der Privatcharakter des Königs panegyrisch entstellt;
denn auch Theudebert war sinnlich, machtgierig und treulos. Aber er
strebte hohen Zielen zu, und nach Edelmut sucht man bei ihm nicht
vergebens. Noch bei Lebzeiten seines Vaters Theuderich erhielt er von
diesem Befehl, den Sohn des eben ermordeten Sigivald umzubringen. Aber
Theudebert wollte den Givalt nicht töten, da er ihn aus der Taufe
gehoben hatte. Er zeigte ihm also den Brief mit dem Todesbefehl und
forderte den Geächteten auf, außer Landes zu gehen, bis er selbst die
Regierung angetreten und er sorglos zurückkehren könne. Theudeberts
Stellung zur Kirche resumiert Gregor also: »Er regierte sein Reich mit
Gerechtigkeit, ehrte die Priester, beschenkte die Kirchen, unterstützte
die Armen und erwies vielen Leuten viele Wohlthaten voll frommer und
milder Gesinnung. Alle Abgaben, die die Kirchen der Auvergne seinem
Staatsschatz zu leisten hatten, erließ er ihnen in Gnaden.« Des Näheren
erzählt Gregor[111-b], Bischof Desideratus von Verdun habe sich an den
jungen König gewandt mit der Bitte um Unterstützung der wirtschaftlich
vollständig hilflosen Bürger seiner Stadt; aus eigener Kasse konnte
Desideratus nicht helfen, da ihm Theodorich sein Privatvermögen geraubt
hatte. Es handelte sich um ein Anleihen mit gesetzlichen Zinsen. Die
siebentausend Goldgulden, die der König gewährte und der Bischof unter
die Bürger verteilte, verhalfen Verdun zu einem derartigen Aufschwung
seines Geschäftslebens, daß der Wohlstand dieser Stadt fünfzig
Jahre später sprichwörtlich war. Als aber der Bischof das Darlehen
zurückerstatten wollte, verzichtete Theudebert auf sein Guthaben zu
Gunsten der Armen.

Von Chlodowechs drei Söhnen aus seiner Ehe kam Chlodomer schon 524 in
der Schlacht bei Vezeronce ums Leben[111-c]. Vor diesem zweiten Zug
gen Burgund ließ er den gefangenen Sigismund samt Frau und Kindern
zu Coulmiers bei Orléans im Dorfbrunnen ertränken. Gregor bringt
diese beiden Ereignisse in die Beziehung von Strafe und Schuld und
weiß überdies, der heilige Abt Avitus von Micy habe vor der Unthat
Chlodomer, falls er den Wehrlosen schone, den Sieg und, falls er ihn
töte, den Untergang prophezeit gehabt, aber dieser habe ihn verlacht
und gesagt: »Eine Dummheit wäre es, Feinde daheim zu lassen, wenn
ich gegen andere zu Felde ziehe«. Seine drei noch unmündigen Knaben
Theovald, Gunthar und Chlodovald kamen zu Großmutter Chrotechilde
nach Tours, und als diese sie einst mit nach Paris nahm, bemächtigten
sich ihre Onkel ihrer und ermordeten die beiden älteren mit eigener
Hand, weil die Mutter mit so großer Zärtlichkeit an den Söhnen ihres
Erstgeborenen hing. Des jüngsten konnten sie nicht habhaft werden. Er
war durch den Beistand mächtiger Männer ihnen entzogen worden. Später,
herangewachsen, schnitt er sich mit eigener Hand die Locken ab und
wurde Mönch. Das Kloster, das er zu Nogent bei Paris gegründet haben
soll, hieß später nach ihm: Saint Cloud. König Childebert von Paris,
der in seiner Eifersucht die Blutthat angezettelt hatte, sie aber im
Augenblicke selbst davor zurückschauernd zu hindern suchte, scheint
von seinen Brüdern noch am ehesten edler Regungen fähig gewesen zu
sein. An ihn hat sich denn auch das kirchliche Andenken am meisten
angeschlossen. Namentlich die Bischofssitze der Bretagne und die
Klöster in der Gegend von Le Mans haben einige hundert Jahre später
ihre Gründung und Förderung auf seine Gunst zurückgeführt. Da soll
Vigor von Bajeux den eine Meile vor der Stadt gelegenen Druidenberg
Phönus, wo er das Steinbild einer Göttin zertrümmert hatte, zum Bau
einer Kirche geschenkt erhalten haben, desgleichen Markulf von Nantes
die Insel Agna und Paul von Léon die Insel Bas[112-a], indessen Samson
von Dol die Rechte des Territorialherrn gegen die Usurpationsgelüste
Childeberts verfochten und mit seinem Schüler Maglorius die Mission
auf die Kanalinseln Jersey und Guernsey ausgedehnt habe. Ja sogar um
das noch entferntere Bistum Vaison soll sich Childebert durch die
Bestätigung des Quinidius persönlich bekümmert haben[112-b]. Mehr
Glauben, weil es sich dabei nicht um Grundbesitz handelt[112-c],
verdient wohl die Nachricht von Childeberts Verkehr mit Leobin von
Chartres, den er öfters zu sich lud und 547 bei einem Brand in
Paris, als das Feuer die über die Seinebrücke hinhängenden Häuser
ergriff, mit der Leitung der Löscharbeiten betraute[112-d]. Höchst
verdächtig sind jedoch die angeblichen Beziehungen, die Childebert
zu den Einsiedlerkolonien in der Maine unterhalten haben soll, ohne
daß damit die Geschichtlichkeit der betreffenden Eremiten wie des
Deodatus, Eusicius, Baomirus, Rigomer und Saint Calais angezweifelt
werden soll[113-a]. Unter diesen Namen findet sich bei Gregor nur von
zweien eine Spur. Es wäre nämlich möglich, daß jener achtzigjährige
Greis Deodat, der ihm aus persönlicher Erfahrung den Stoff zum Leben
des anderen Lupizin lieferte[113-b], der spätere Heilige gewesen wäre.
Sicher dagegen weiß Gregor um Eusicius[113-c]. Diesen suchte Childebert
vor dem Zuge nach Spanien auf und bot ihm fünfzig Goldstücke. »Wozu?«
fragte der Heilige, »ich brauche sie nicht und befasse mich auch nicht
mit Armenpflege; mein Geschäft ist, Gott um Vergebung für meine Sünden
zu bitten. Aber geh nur, du wirst den Sieg erlangen und alles wird
dir zu Willen sein.« Da gab der König das Gold den Armen und gelobte
im Falle des Sieges über den Gebeinen des Eusicius einst eine Kirche
zu stiften. Diesem Gelübde verdankte der spätere Ort Eusiciuszelle
seine Entstehung. Aus dem siegreichen Feldzug gegen die Gothen hatte
der König außer andern Kostbarkeiten allein an Kirchengerätschaften
mitgebracht sechzig Kelche, fünfzehn Schüsseln und zwanzig
Evangelienschreine, alles aus lauterem Gold, mit edeln Steinen besetzt.
Er ließ diese Sachen nicht zerschlagen und zu Geld machen, sondern
verschenkte alles an die Kirchen und Gotteshäuser der Heiligen[113-d].

Nicht so glimpflich kam die Kirche bei König Chlothar weg. Er
besaß noch mehr als seine Brüder die ungeschwächte Rasse des
Merowingerblutes. Ein ganzes Drittel aller Kircheneinkünfte erhob er
als Staatssteuer. Als aber der Bischof Injuriosus von Tours den Mut
besaß, sich zu weigern und Chlothar ins Gesicht sagte, als König,
der die Armen nähren sollte, sich vom Elend zu bereichern, sei
schändlich, da wurde Chlothar angst, weil es der Bischof von Tours
war und hinter ihm Sankt Martin stand; er milderte seine Verfügung
und schickte Boten und Geschenke. Als aber das Jahr darauf Injuriosus
starb, baute der König vor und sorgte für die Wahl eines gefügigeren
Inhabers des Stuhles von Tours in der Person seines Haushofmeisters
Bauduin[113-e]. Als er nach Childeberts Tode wieder das ganze und
vermehrte Frankenreich in seiner Hand vereinigt hatte und unter den
entsetzlichsten Frevelthaten alt geworden war, begab er sich im
einundfünfzigsten Jahre seiner Herrschaft mit vielen Geschenken zu der
Schwelle des heiligen Martin nach Tours. Hier ging er noch einmal alle
die Handlungen, in denen er etwa möchte gesündigt haben, durch und
flehte unter vielem Seufzen, der heilige Bekenner möge ihm Verzeihung
vom Herrn erwirken und was er unbesonnen gefehlt habe, durch seine
Vertretung wieder gut machen. Noch im selben Jahre 561 wurde er auf der
Jagd im Forst von Cuise vom Fieber befallen und sofort nach Compiegne
gebracht. In seinen Fiebern sagte er immer wieder: »Weh! Wie groß muß
der himmlische König sein, daß er so mächtige Könige so elend umkommen
läßt.« Seine vier Söhne brachten den toten Vater unter vielen Ehren
nach Soissons und beerdigten ihn in der Kirche des heiligen Medard, die
er selbst noch zu bauen begonnen hatte und die dann sein Sohn Sigibert
prächtig vollendete[114-a]. Für das Christentum hatte Chlothar nur
Verständnis gehabt, sofern es sich als Macht äußerte im Sinne dessen,
was er, der rücksichtslose Gewalthaber unter Macht verstand: wenn der
heilige Martin donnern oder brennen oder sterben ließ oder wenn ein
Kirchenfürst wie Germanus von Paris ihm an soldatischem Mut und an
Unerschrockenheit überlegen dünkte. Chlothars Söhne stellten sich zur
Kirche verschieden; doch hatte sich, ihnen allen gemeinsam, gegenüber
den Zeiten ihres Großvaters Chlodowech das Niveau für die Beziehungen
eines fränkischen Königs zu den Heiligen gänzlich verändert. Die
anfangs noch sehr knapp bemessenen Herrscherrechte Chlodowechs
gegenüber seinen Franken nahmen sich angesichts der militärischen
Hierarchie der gallischen Kirche kärglich aus. Das war nun anders
geworden. Die monarchische Gewalt der Frankenkönige wuchs in Bälde mit
der raschen Ausdehnung des Reiches. Die kirchliche Gegenbewegung war
der allmähliche Zerfall der Metropolitangewalt und damit die Lockerung
der festen Organisation, in der die Macht des katholischen Christentums
bis jetzt beschlossen lag. Doch glich ein anderes Kräftepaar dieses
Uebergewicht des Königtums fast ganz aus: die Könige hatten durch
das Beispiel beständiger großartiger Stiftungen dem Episkopat und
den Klöstern zu Reichtum, und da es sich um ausgedehnten Grundbesitz
handelte, zu Macht verholfen, wenigstens mittelbar gewiß auf Kosten
der eigenen Einkünfte und Interessen. Die unruhigen Verhältnisse, die
sich aus den Reibungen dieser Kräfte ergaben, wurden jedoch insofern
nicht staatsgefährlich, als die kirchlichen Zwecke nicht außerhalb
des Reiches lagen. Die fränkische Kirche war Landeskirche; sie war
so aufrichtig patriotisch und königlich, als die Krone gut kirchlich
und katholisch war[114-1]. Doch bildet dieses nur die grundsätzliche
Unterlage: beim einzelnen Herrscher schlug die Eigenart durch,
und da Gregor hier Zeitgenossen beschrieb, so ist jedes der vier
Charakterbilder, wenn auch einseitig und sogar ungerecht, so doch
scharf und ausdrucksvoll geraten.

Charibert von Paris regierte nur sechs Jahre und war ganz der Vater.
»König Charibert«, so faßt Gregor sein Urteil über ihn zusammen[114-b],
»haßte die Geistlichen, kümmerte sich nicht um die Kirchen, behandelte
die Priester schlecht und folgte seinem Hang zu üppigem Leben.«
Seinen gehäuften Freveln gegenüber rührte sich die Kirche nicht.
Beförderungsintrigen der Bischöfe nahmen sie ganz in Anspruch. Leontius
von Bordeaux verstieß auf einer Versammlung der Provinzialbischöfe
den Emerius von Saintes aus seinem Bistum, weil dieser nicht auf
kirchlichem Wege zu seiner Würde gelangt sei. Dieser hatte sich
nämlich von König Chlothar einen Erlaß ausgewirkt, er solle, obwohl
die Zustimmung seines damals abwesenden Metropoliten fehlte, doch
geweiht werden. Nun sandten die von Saintes eine Abordnung an den
König, an deren Spitze Heraklius, ein Priester von Bordeaux, eben
der Kandidat für den gewaltsam erledigten Bischofsstuhl, stand. Er
stellte sich dem König vor und sprach: »Sei gegrüßt, ruhmreicher
König, der apostolische Stuhl sendet deiner Hoheit reichsten Segen.«
Da sagte der König: »Bist du denn nach Rom gegangen, daß du mir einen
Gruß vom Papste bringst?« Der Priester setzte ihm unter Windungen
auseinander, er komme im Auftrage des Erzbischofs von Bordeaux und
dessen Provinzialmitbischöfen, um die Zustimmung des Königs für die
Kassation einer unkanonischen Bischofswahl einzuholen. Als jedoch
Charibert den Königswillen seines Vaters mißachtet sah, brach der
urgermanische Sippenstolz in ihm auf. Er knirschte mit den Zähnen und
hieß den Bittsteller hinausschaffen, auf einen mit Dornen gefüllten
Lastwagen werfen und in die Verbannung stoßen. »Meinst du«, rief er
aus, »von den Söhnen Chlothars sei keiner mehr übrig, der die Thaten
des Vaters aufrecht hält, da diese Kerle einen Bischof, den sein Wille
eingesetzt hat, ohne unsere Erlaubnis vertrieben haben.« Er ließ den
Emerius durch eine Delegation von Priestern wieder einsetzen und
büßte den Leontius von Bordeaux um tausend Goldgulden, die kleineren
Bischöfe entsprechend ihrem Vermögen. Als er nach dem Tode einer seiner
Frauen sich herausnahm, ihre Schwester zu heiraten, die Kirchengesetze
dagegen die Ehe mit der Schwester der früheren Gattin untersagen, wurde
Charibert endlich, und nach mancherlei ungesühntem Ehebruch schwerster
Art aus diesem geringfügigen Grunde, von Bischof Germanus in den Bann
gethan. Bischof Eufronius von Tours hatte den Besuch, den er bei Hofe
schuldete, immerfort aufgeschoben; auf die Vorstellungen seiner Leute
hin, ein weiterer Aufschub könne unangenehme Folgen haben, ließ er den
Reisewagen in Stand stellen und die Pferde anschirren, plötzlich jedoch
zog er diesen Befehl zurück, weil der König nicht mehr am Leben sei.
Eufronius scheint fernfühlig gewesen zu sein und auf telepathischem
Wege den Hinschied Chariberts erfahren zu haben; später eintreffende
Boten aus Paris nannten die Todesstunde: es stimmte[115-a].

Der andere der vier Brüder, der früh starb, Sigibert, ist nicht nur
der beste von ihnen, sondern unter den Merowingern überhaupt eine
rühmliche Ausnahme gewesen. Er war, um es bürgerlich zu sagen, ein
anständiger Mensch. Die zügellose Weiberwirtschaft der andern mißfiel
ihm. Statt auch eine Magd zu heiraten, freite er die westgotische
Prinzessin Brunichilde, die seinetwegen katholisch wurde[116-a].
Aber nicht nur die eheliche Treue hat Sigibert gehalten, auch von
der Simonie bewahrte er sich und sein Land, so lang er lebte. Die
Versuchung dazu trat an ihn heran besonders bei der Besetzung des
Stuhles von Clermont. Der Kandidat der städtischen Adelspartei kaufte
von den Juden viele Kostbarkeiten und schickte sie durch seinen
Verwandten Beregisil dem König, um so durch Bestechung zu gewinnen, was
er Verdienste halber nicht zu erwarten hatte. Der König hielt jedoch
zu dem Archidiakon Avitus, der ohne Versprechungen gemacht zu haben,
siegreich aus der Wahl hervorgegangen war. Auch ein hohes Geldgeschenk
des Grafen von Clermont, der damit Aufschub der Entscheidung erwirken
wollte, schlug Sigibert aus; ja er umgab den rechtmäßigen Inhaber des
Bistums nun auch mit seinem persönlichen Wohlwollen und hielt ihn so
hoch in Ehren, daß er sich nun seinerseits über die Kirchenordnung
hinwegsetzte und den Avitus in seiner Gegenwart zu weihen befahl. »Ich
möchte«, sagte er, »aus seiner Hand das geweihte Brot empfangen«. Ihm
zu liebe geschah es, daß Avitus in Metz eingesegnet wurde und nicht
kanonischermaßen in seiner Provinz durch den Metropoliten[116-b].
Auch sonst kehrte sich Sigibert nicht an die Forderungen der Kirche,
falls sie seinen politischen Willen im Wege standen. Er handelte nach
dem Grundsatz, kein Teil seines Reiches könne einem fremden Bischof
angehören und erhob so die Stadt Chateaudun zu einem eigenen Bistum,
weil Chartres, zu dem sie gehörte, jenseits seiner Grenzen lag[116-c].
Die Sache der Heiligen besaß an ihm einen ihrer besten Schirmherrn,
weil er Recht und Treue übte, aber da gerade dieser sein edler Sinn ihn
mit Vorsicht von der landläufigen Frömmigkeit erfüllt haben mag, hat er
sich aus den Geistlichen, sofern er nicht von Amtswegen mit Bischöfen
zu thun hatte, nichts gemacht.

Chilperich war das gerade Gegenteil. Tugend ließ er Tugend sein und
versuchte sich dafür höchst selber in Theologie. Wie keiner seiner
Brüder zum Herrscher begabt, fiel er leider als Privatmann schlecht
aus. Was ihn so abscheulich erscheinen läßt, ist das ekle Gemisch von
tierischer Rohheit mit angelegentlichen christlichen Interessen. Von
irgend welchen Grundsätzen ist bei ihm keine Spur zu entdecken, wie
es überhaupt außerordentlich schwer hält, aus ihm klug zu werden.
Auch war er an sich vielleicht zunächst gar nicht so verdorben
gewesen und wurde es erst unter dem Einfluß seiner verworfenen,
aber überaus schlauen Gattin Fredegunde, die durch ihr Unmaß im
Laster dem Gatten förmlich zur Folie diente. Der sonst so milde und
vorsichtige Gregor überschüttet ihn mit Haß und Verachtung[117-a]:
»Der Nero und Herodes unserer Zeit hauchte seine schwarze Seele aus.«
Zweifelsohne war Chilperich eine ausgesprochene Regentennatur mit
ungewöhnlichem politischem Scharfblick und nicht geringerer Energie und
Kraft im Interesse der Einheit und Ordnung des von ihm beherrschten
Landes[117-1]. Freilich nichts weniger als ein Feldherr; alle seine
persönlichen Versuche in dieser Richtung mißrieten. Als Diplomat
dagegen besaß er eine erstaunliche Gewandtheit, Allianzen, die gegen
ihn geschlossen waren, ohne Schwertstreich zu trennen, den eben noch
drohenden Feind sich zu verbünden. Auch die Interessen des Staates
gegenüber den Ansprüchen der Kirche wahrte er vielleicht unbefangener
als irgend ein Merowinger. Die Gefahr, die in dem Anwachsen des
Besitzes der toten Hand liegt, hat er klar erkannt: »Siehe, unser
Schatz ist arm geblieben, unsere Reichtümer sind auf die Kirchen
übergegangen, fast nur die Bischöfe regieren; unser Ansehen ist dahin
und auf die Bischöfe der Städte übertragen«. Er kassierte Testamente,
die zu Gunsten der Kirche errichtet waren, schritt streng ein, wenn
sich die Geistlichkeit gesetzmäßigen Pflichten zu entziehen suchte
und trieb von allen Kirchenleuten Bannbuße ein, die ihrer Heerpflicht
nicht genügen wollten. Gelegentlich ermöglichte er auch einer Nonne
das Heiraten[117-b]. Aber wenn ein wirklich überlegener Geist sich
stets vor dem Mißbrauch seiner Uebermacht hüten wird, kennt Chilperich
in seiner Willkür gegen die Kirche keine Grenzen. Standesmäßige
Vorrechte der Geistlichkeit waren unter allen Umständen Luft für
ihn. Ohne sich im Geringsten um Gemeindewahl in irgend einer Form
noch zu kümmern, ernannte er fast alle Bischöfe und zwar mit wenigen
Ausnahmen Laien, die erst nach der Ernennung sich die Priesterweihe
geben ließen, sodaß nur ganz wenige Bistümer sich noch in den Händen
von Theologen befanden. Synoden durften nur zusammentreten, wenn er
es wollte und dann wurden nicht kirchliche, sondern seine eigenen
Angelegenheiten verhandelt. So hat sich Chilperich mit der Befreiung
von der Kirche nicht begnügt, sondern ist zu ihrer Unterdrückung
fortgeschritten. Seine ungewöhnliche Intelligenz erlaubte ihm, sich
auch zum geistigen Teile der kirchlichen Angelegenheiten unabhängig
zu verhalten. Aber hier erscheint er nicht als kühler Freidenker, der
gelassen über den Dingen steht, sondern als anmaßender Dillettant,
der immer alles besser weiß. Seine rationalistischen Zweifel an der
Dreieinigkeit Gottes entsprangen nicht eigenem Nachdenken, sondern
wurden ihm durch einen spanischen Proselytenmacher eingeflößt; er
wurde denn auch von Bischöfen, wie Gregor von Tours oder Salvius von
Albi als Theologe überhaupt nicht ernst genommen, sondern als er sie
zur Diskussion zwang, mit väterlicher Strenge ermahnt, die Hände von
diesen Dingen zu lassen; weit entfernt, die Zunfttheologen auch nur
im mindesten in Verlegenheit zu setzen, waren die Vernunftgründe noch
weniger im Stande, den König selbst vor abergläubischen Vorstellungen
zu emancipieren: er knirschte mit den Zähnen, weil Hilarius und
Eusebius von Vercelli ihm in diesem Punkte zuwider seien und er sich
also bescheiden müsse, um nicht die Rache der Heiligen im Himmel
herauszufordern. Nicht vornehmer ist sein Verhalten im persönlichen
Verkehr mit den Bischöfen: wenn er sie zur Tafel hatte, war sein
Hauptspaß, beständig über seine Prälaten zu witzeln und einen um den
andern an seinen Schwächen herzunehmen. Dennoch hielt er gelegentlich
einen Kniefall vor denselben nicht unter seiner Würde, wenn das
eben seinen Zwecken dienlich schien. Ueberhaupt war bei ihm von
Geringschätzung der Religion an sich nicht die Rede, weil er sich in
Person für ihren unübertrefflichen Träger hielt. Selbst geistliche
Lieder und Meßgesänge hat er verfaßt; sie waren schlechterdings
nicht zu gebrauchen. Er schrieb auch zwei Bücher in Versen nach dem
Muster des Sedulius. Da er aber von der Quantität der Silben keine
Ahnung hatte, hinkten seine Verse und paßten nicht ins Metrum. Er
erfand neue Buchstaben, nämlich Θ für langes O, φ für den Umlaut Ae,
Ζ für »The« und Δ für »Vi«; nicht nur sollte in allen Schulen des
Reiches so unterrichtet, sondern auch die alten Handschriften mit
Bimsstein radiert und darnach umgeschrieben werden; doch habe er mit
diesem orthographischen Experiment so wenig Glück gehabt, wie Kaiser
Klaudius, der seiner Zeit dem Alphabeth ebenfalls drei neue Buchstaben
hinzugefügt hatte[118-a]. Auch Chilperichs Eifer zur Belehrung der
Juden, mit dem er teils einzelne persönlich zu überreden suchte,
teils gewaltsame Massentaufen veranstaltete und dabei nach Kräften
höchstselber zu Gevatter stand[118-b], erklärt sich doch wohl am
ehesten aus dem konfusen Eigendünkel des Königs. Wer an den bösen Blick
glaubt und auch sonst den krassen Aberglauben der Zeit in keinem Stücke
ernsthaft überwunden hat, darf bei aller scheinbaren Aehnlichkeit
mit einem Aufklärer nicht ein Vorläufer moderner Humanität heißen.
Chilperich stellt das Stammestemperament der Merowinger in besonders
intensiver Ausprägung dar: ungezähmte Sinne, Bildungstrieb im Stadium
kindlicher Neugier und eine glückliche Hand in allen Unternehmungen
realpolitischer Natur.

Von Chlothars Söhnen überlebte Gunthram die andern um Jahrzehnte.
War Charibert gegenüber der Kirche naiv brutal, Sigibert unabhängig
vornehm, Chilperich nichtswürdig schlau vorgegangen, so war Gunthram
aufrichtig und herzlich fromm, wenn auch ein wenig im einfältigen
Sinne des Wortes. Er hat mit seiner kirchlichen Devotion ernstgemacht
und seine Handlungsweise im allgemeinen danach eingerichtet.
Immerhin lebte auch er, wenigstens in jüngeren Jahren durchaus mit
mannigfaltigen Zugeständnissen an die niederen Sitten der Zeit. Der
gute König Gunthram, erzählt Gregor in aller Unbefangenheit[119-a],
nahm zuerst Veranda, die Magd eines seiner Leute, als Beischläferin
in sein Bett auf. Nachher heiratete er Meroketrude, eine französische
Herzogstochter. Als sie seinem unehelichen Sohne nachstellte und
deshalb vertrieben wurde, erhob er Austrichilde zum Weibe und als nach
dem Tode Chariberts Theudechilde, eine seiner Gemahlinnen, sich ihm
aus freien Stücken anbot, nahm er dieser fast alle ihre Schätze ab und
schickte sie als Nonne ins Kloster. Seine Schwäger ließ er köpfen und
zog ihre Güter für den Kronschatz ein. Der Tod seiner beiden Söhne war
dann der schwere Schlag. Seitdem ging er in sich, und wenn er auch
schwach genug war, seinem trotzigen Weibe den auf dem Todbett von ihr
geforderten Eid zu halten und ihre Aerzte hinzurichten, so zeigt sich
sein gutes Wesen an seiner rührenden Fürsorge für seine Neffen. Den
steigenden Anmaßungen des Adels hielt er wacker stand, wenn es auch
nicht ohne Demütigungen für ihn ablief. Er war auch charakterfest
genug, sich von Fredegunde, für die er eine Schwäche hatte, sich
nicht ganz umgarnen zu lassen[119-b]. Mit den Bischöfen stand er in
herzlichem Verkehr. Am Martinsfest in Orleans sagte er an der Tafel zu
ihnen: »Ich möchte morgen in meinem Hause euern Segen empfangen und
bitte euch darum. Euer Eintritt wird mir Heil bringen; nichts übles
wird mir fortan geschehen, wenn über mich in meiner Niedrigkeit die
Worte eures Segens geflossen sind«. Am andern Morgen, als der König
die Stätten der Heiligen besuchte, um dort zu beten, kam er auch zur
Avituskirche, wo die fremden Bischöfe einquartiert waren. Gregor von
Tours ging ihm entgegen und bat ihn, daß er auf seinem Zimmer das
gesegnete Brot des heiligen Martin brechen möchte. Der König trat
gnädig ein, trank einen Becher, lud die Bischöfe wieder zur Tafel ein
und ging fröhlich weiter. An diesem zweiten Festmahle, das der König
den Teilnehmern des Reichskonzils gab, befahl er Gregor von Tours, er
solle seinen Diakonen, der tags zuvor bei der Messe das Responsorium
vortrug, nun wieder singen lassen und als dies geschehen war, wünschte
er, jeder anwesende Bischof möge sich nun hören lassen unter dem
Beistand der Geistlichen seiner Kirche, wenn es beliebe. So trat
einer um den andern vor und sang so gut es ging vor dem Könige sein
Responsorium als Tafelunterhaltung. Im weiteren Verlaufe der Mahlzeit
wies der König auf eine schwere silberne Schüssel und sagte, er habe
nur diese und eine andere aus dem Schatze des Mummolus behalten;
fünfzehn habe er zerschlagen lassen und auch der Rest solle alles
verteilt werden, um die Not der Armen und der Kirchen zu lindern. Zum
Schluß benützte Gregor die gute Laune des Königs, um einige Edelleute,
die wegen ihrer Parteigängerschaft mit dem Usurpatur Gundvald seine
höchste Ungnade erregt hatten, wieder in Gunst zu setzen. Wohl besaß
auch Gunthram ein gut Stück merovingischen Jähzorns; aber klug
beigebracht, führten geistliche Eigenschaften bei ihm immer zum Ziele.
Als der König gegenüber zwei Grafen unversöhnlich schien, nahte ihm
Gregor mit den Worten: »Siehe, ich bin von meinem Herrn als Bote zu dir
gesandt und was soll ich dem, der mich gesandt hat, antworten, wenn
du mir keine Antwort erteilen willst«. Da stutzte Gunthram: »Und wer
ist denn dieser dein Herr?« Gregor lächelte: »Der heilige Martin hat
mich gesandt.« Darauf befahl der König, die Männer ihm vorzustellen.
Als sie vor ihn traten, warf er ihnen zwar ihre Treulosigkeit und
ihren Eidbruch vor, nannte sie wiederholt schlaue Füchse, nahm sie
jedoch wieder in Gnaden an und gab ihnen die Güter, die ihnen entzogen
waren, zurück. Aehnlich erweichte er sich gegenüber einem Bischof, dem
er zürnte, für den aber dessen Mitbrüder Fürsprache einlegten. Auch
sonst hat Gunthram im Bann eines Heiligtums seinen Zorn besänftigt
und Gnade für Recht walten lassen; ja sogar einen Attentäter, der
ihn in der Marcelluskirche zu Châlons hatte erstechen wollen, ließ
er nicht hinrichten; denn er hielt es für unrecht, einen zu töten,
den man mit Gewalt aus einer Kirche geschafft habe[120-a]. Nur den
Juden gegenüber empfand Gunthram eine unüberwindliche Abneigung; als
sie sich in Orleans an der allgemeinen Huldigung ostentativ beteiligt
hatten, äußerte er bei Tisch: »Weh über dies Volk der Juden; es ist
schlecht und treulos und immerdar arglistigen Herzens. Darum sang
es mir heute Loblieder voll Schmeicheleien, damit ich die von den
Christen zerstörte Synagoge auf Staatskosten wieder bauen ließe. Aber
der Herr will dies nicht, und nimmer werd ich es thun.« Alter und
schwere Familienkatastrophen hatten Gunthrams gutmütige Natur so zu
verinnerlichen gewußt, daß ihm mit dem Christentum persönlich ernst
war und er sein Leben darnach einrichtete. Er gab Almosen in Fülle
und hielt an im Gebet und im Wachen. Während der Pestzeit überdachte
er gleich einem guten Bischof die Mittel, durch die dem Leiden des
sündigen Volkes zu steuern sei: er richtete Bettage ein und verbot,
etwas anderes als Brot und Wasser zu sich zu nehmen. Er selbst ging mit
seinem Beispiel im Wachen und Beten allen voran. Was Wunder, daß er dem
einfachsten Volk für heilig galt. In gläubigen Kreisen erzählte man
sich, ein Weib, deren Sohn vom Viertagsfieber geplagt werde und schwer
darnieder lag, habe sich im Volksgedränge dem König von hinten genähert
und heimlich einige Fransen von seinem Königsmantel abgerissen, sie in
heißem Wasser abgebrüht, ihrem Sohne eingegeben und mit dieser Medizin
sofortige Heilung erzielt. Auch die bösen Geister, die sich Gunthram
unterwarfen und seinen Namen anriefen, konnten vor seinem Gericht nicht
stand halten und bekannten ihre Frevelthaten.

Von dem andern, dem wirklich heiligen Mitgliede der Königsfamilie
in jener Zeit, von der heiligen Radegunde in Poitiers, gibt Gregor
kein rundes Lebensbild. Wozu Fortunat am Zeuge flicken? Dagegen teilt
er wichtige Urkunden Radegundens zum Bau des Heiligenkreuzklosters
mit[121-a] und schildert schlicht und ergreifend seinen Besuch an ihrem
Todbette[121-b]: »Mir war schwer ums Herz; ich hätte weinen müssen,
hätte ich nicht gewußt, daß Radegundens heilige Kraft uns bleiben
werde«.

Seine ganze Frankengeschichte aber hat Gregor verfaßt, um zu zeigen,
daß man nur durch die Fürbitte der Heiligen gerettet werden könne.




Sechstes Kapitel.

Heiligenleben des siebenten Jahrhunderts.


Wie universal und vielseitig der wackere Gregor von Tours bei aller
Befangenheit gewesen war, zeigt sich erst bei einem Blick auf seine
Nachfolger. Da ist überhaupt nur hie und da einer, der sich in
bescheidenem Maße als Forscher erweist und mehr als einen Heiligen
behandelt. Die übrigen bewegen sich alle in den Schranken der Memorie.
Doch da dies, wie wir sahen, für unser Wissen an sich durchaus keine
Einbuße bedeutet, können wir an diesen späteren Produkten um so
weniger vorübergehen, als nun die sociale Stellung der Heiligen sich
beträchtlich verschoben hat und es sich um Männer handelt, die an den
großen zeitgeschichtlichen Ereignissen einen bedeutenden Anteil nehmen.
Nur zur kleineren Hälfte sind sie die strengen Vertreter des alten
mönchischen Heiligenideals; vielmehr nehmen manche von ihnen an den
Welthändeln in einem Maße teil, das ihr Recht, sich jenen hingebenden
und gottesfürchtigen Gestalten beizuzählen, doch etwas in Frage stellt.


1.

Schon unter den Frankenkönigen hatten sich einige, so Charibert,
besonders aber Chilperich, als lateinische Schriftsteller versucht.
Und nun ist es ein germanischer König, der zuerst nach Gregor als
Verfasser eines Heiligenlebens auftritt. Sisebutus saß während der
Jahre 612 bis 620 auf dem westgothischen Thron. Er war der Mäcen
des berühmten Encyklopädisten Isidor von Sevilla und liebte es, aus
seinem Palast oder aus dem Kriegslager diesem gelehrten Freunde
gelegentlich lateinische Verse zu senden. Er war zudem ein eifriger
Katholik, der die Arianer und Juden nicht nur haßte, sondern
auch verfolgte. Wenn nun er den Namen des unglücklichen Bischofs
Desiderius von Vienne litterarisch verewigte, so thut man wohl, von
einem solchen Urheber alles, nur keine unparteiische Schilderung zu
erwarten: in der That schreibt Sisebut, »um die Mitwelt anzuspornen
und die Nachwelt zu erbauen«. Alles Licht teilt er seinem Helden
zu und dessen Feinden allen Schatten. Daß die Königin Brunichilde
der gehässigsten Verleumdung anheimgefallen ist, darf man dem
Verfasser um so weniger verzeihen, als die Königin eine westgothische
Prinzessin und zur Zeit, da der ihr verwandte Fürst schrieb, bereits
ihrer tragischen Hinrichtung verfallen war. Mit mehr Recht mag ihr
Urenkel Theuderich _II_ als dumm und falsch hingestellt sein. Im
übrigen ist das Desideriusleben, zumal wenn man die ungewöhnlichen
Personalien des Schriftstellers gebührend in Anschlag bringt, eine
höchst respektable und wertvolle Leistung; auch muß bedacht werden,
daß Sisebut in seinen Erkundigungen auf Gerüchte und Aeußerungen
der öffentlichen Meinung angewiesen war. Das Leben nun, das er uns
schildert, hat folgenden Verlauf genommen[122-2]: Desiderius entstammte
einem altgallischen Adelsgeschlecht. Er war dem geistlichen Stande
bestimmt und wissenschaftlich gebildet, hatte auch Unterricht erteilt
und mehr als einen Ruf auf einen Bischofssitz ausgeschlagen, als er
höherem Drängen nachgebend den Stuhl von Vienne bestieg. Er wurde
schöngeistiger Neigungen verdächtigt, schlimmer aber war die im Jahre
602 auf der Synode von Chalons gegen ihn erhobene Anklage, mit einer
Edelfrau namens Justa sich vergangen zu haben. Wahrscheinlich handelte
es sich um eine Hofintrige. Desiderius wurde nach der Insel Livisio
verbannt. Bei seiner Absetzung war Brunichilde noch nicht beteiligt.
Dagegen unterstützte sie auf das Betreiben des Aredius von Lyon
die Wahl des Domnolus nach Vienne. Bald darauf wurde Brunichildens
rechter Arm, der Majordomus Protadius zu Kiersy an der Oise, in einer
Lagerrevolte des fränkischen Dienstadels ermordet. Um dieselbe Zeit
starb Justa. Der junge König und seine Urgroßmutter erschracken und
lenkten ein. Desiderius war mutig und unvorsichtig genug, die für ihn
günstige Wendung zur Rückkehr zu benutzen. Doch überwarf er sich bald
mit den königlichen Machthabern. Wahrscheinlich hat auch diesmal
wieder Aredius von Lyon gehetzt. Das Urteil lautet auf Uebertretung des
königlichen Bannes, auf Bruch der Vasallentreue, also auf Hochverrat.
Dafür war bei den Germanen Steinigung die übliche Strafe. Die Henker
rissen ihn aus der Kirche. Es gelang ihm den Steinen auszuweichen, dann
wurde er mit einer Keule erschlagen, vielleicht am 23. Mai 607. An
seinem Grabe stellten sich die üblichen Wunder ein.

Auch ein bischöflicher Kollege des Desiderius im Norden des Reichs
hat einen zeitgenössischen wenn auch anonymen Beschreiber seines
Lebens gefunden. Bischof Gaugerich von Cambrai[123-1] ist Zeit seines
Lebens nach keiner Seite hin irgendwie hervorgetreten. Er wurde um die
Mitte des sechsten Jahrhunderts geboren, den Romanen Gaudentius und
Austadiola, in dem alten Kastell Yvois oder Ipsch, das an der Straße
von Reims nach Trier liegt. Dort gab es zu jener Zeit noch Heiden. Der
Ort hatte jedoch seine Kirche und seinen Priester, der zugleich einer
Schule vorstand. Die kanonischen Satzungen fordern, daß der Bischof
zeitweise seine Diözese bereise, um die für den geistlichen Beruf
tauglichen Knaben auszuwählen und zu ordinieren. Auf einer solchen
Reise kam Bischof Magnerich von Trier auch nach Eposium. Unter den
Schülern wurde ihm Gaugerich als der für ein Kirchenamt geeignetste
vorgestellt. Nicht bloß seine Kenntnisse und seine anhaltende
Beschäftigung mit der heiligen Schrift, auch seine Führung empfahlen
ihn hiefür: auf das Glockenzeichen eilte er zuerst zur Kirche und wenn
seine Mitschüler speisten, fastete er oft, um seine Speise den Armen
geben zu können. Hiezu kamen seine vorteilhaften äußeren Eigenschaften,
insbesondere sein stets heiterer Gesichtsausdruck. Ganz von ihm
eingenommen, weihte ihn der Bischof durch Auflegen der Hände für den
geistlichen Stand. Der Bischof versprach ihm die Diakonatsweihe, wenn
er bei seiner Wiederkehr den ganzen Psalter auswendig gelernt hätte.
Durch anhaltendes Studium bei Tag und Nacht erreichte Gaugerich sein
Ziel und wurde so Diakon. Unter der Regierung des austrasischen Königs
Childebert, dem Sohne Chilperichs und der Fredegunde, trat eine Vakanz
auf dem Bischofsstuhle in Cambrai ein. Von Klerus und Volk zum Bischof
ausersehen, wurde Gaugerich dem König zur Bestätigung vorgeschlagen.
Auf eine königliche Ordre hin erfolgte dann die feierliche Ordination
durch den Metropoliten Aegidius von Reims. Das Wunderbare tritt in
diesem schlichten Heiligenleben fast ganz zurück. Es handelt sich
hauptsächlich um die Befreiung von Gefangenen und Sklaven, denen auf
das Gebot des Bischofs hin die Ketten vom Leibe fallen. Seitdem das
fünfte Konzil von Orléans im Jahre 549 die Fürsorge für die Gefangenen
den Geistlichen zur besonderen Pflicht gemacht hatte, sollten die
Archidiakonen Sonntags die Kerker aufsuchen und die Bischöfe den
Gefangenen aus ihrer Kirche den Unterhalt gewähren. Die Bischöfe
begnügten sich aber bald nicht mehr mit einer Milderung des Loses
dieser Unglücklichen, sondern setzten ihren Ehrgeiz darein, sie
ganz aus Ketten und Banden zu befreien. Von einer Prüfung, ob diese
Gefangenen die Freiheit auch wirklich verdienen, ist nirgends die
Rede. Man kann es daher Beamten, wie Graf Waddo von Cambrai und dem
Gefängnisaufseher Walchar nicht verdenken, wenn sie sich sträubten,
den Bitten des Bischofs Gehör zu schenken. Einst, wahrscheinlich
nach dem Jahre 613, als Chlothar _II_ zum zweitenmale Herr von Paris
geworden war, begab sich Gaugerich an dessen Hof nach Chelles, wo er
mit dem Majordomus Landerich zusammentraf. Auch dieser hatte zwei
Gefangene, die mit dem Tode bestraft werden sollten; durch das Gebet
Gaugerichs erhielten sie aber die Freiheit zurück; ebenso wurde durch
Gaugerichs Dazwischenkunft ein Trupp an den Händen gefesselter Sklaven
freigelassen, die ein Kaufmann zum Verkauf herumführte, zu Famars,
südlich von Valenciennes. Auffallender sind zwei andere Wunder, die
dem Heiligen zudem nicht in seiner Heimat gelungen sind. Als Gaugerich
von König Chlothar an das Grab des heiligen Martin zur Verteilung
von Spenden an die Armen nach Tours gesandt wurde, heilte er einen
Blinden, der bereits dreißig Jahre des Augenlichts beraubt war; das
anderemal, als es einen Hof zu inspizieren galt, den die Kirche von
Cambrai im Perigord besaß, blieb der Stock des Heiligen in der Kirche
von Perigueux von selbst aufrecht stehen, als wäre er mit Blei gefüllt.
Da der Biograph keine fortlaufende Darstellung der bischöflichen
Thätigkeit Gaugerichs gibt, sondern nur seine vermeintlichen
Wunderthaten schildert, konnte auch die Teilnahme des Bischofs an der
Synode zu Paris vom Jahre 614 oder 615 um so eher unerwähnt bleiben.
Gaugerichs Todestag ist der elfte August eines der Jahre von 623 bis
629. Neununddreißig Jahre lang hatte er das Bistum verwaltet. Er wurde
in der Kirche des heiligen Medardus auf dem der Stadt benachbarten
Berge bestattet. In seinem Schlafgemache ließ sein Nachfolger Bertoald,
ein Franke von Geburt, sein eigenes Bett aufschlagen und dafür
Gaugerichs Sterbebett in die Medarduskirche abführen. Als ihm aber
nächtlicher Weile der Heilige erschien und ihn verwarnte, stellte er
schleunigst die alte Ordnung wieder her. In dem Schlafgemach aber baute
er einen Altar und dort mußten fortwährend Kleriker dem Gottesdienste
obliegen.

Obwohl diese alte Vita einen bestimmten Hinweis auf den Ort ihrer
Entstehung nicht enthält, so ist unzweifelhaft, daß sie einem Kleriker
von Cambrai verdankt wird, denn der Verfasser kennt die Oertlichkeiten
daselbst offenbar aus eigener Anschauung. Und wie er bei seinen
Schilderungen stets die alten merowingischen Einrichtungen, keine
neueren Institutionen vor Augen hat, so zeigt auch die Sprache der
Vita, daß sie sicher noch im siebenten Jahrhundert geschrieben ist;
durch die Feile der karolingischen Schule ging die Schrift nicht.
In ihrer rohen Form und ihrer gedrängten Kürze ist sie noch der
Vertreter eines Heiligenlebens alter gallischer Manier. Von England
waren unterdessen neue Heilige gekommen und alsdann aus Italien eine
künstlichere Art, sie zu beschreiben.


2.

Ende der achtziger Jahre erschienen am Hofe König Gunthrams britische
Mönche unter Führung des Columban[125-1]. Der König hoffte von ihnen
Heilung der tief gesunkenen Kirchenzucht und stellte ihnen alle Gnaden
in Aussicht, wenn sie nur blieben. Irgendwelche Landschenkung wollten
sie nicht annehmen, doch stimmten sie zu, sich in der Bergeinsamkeit
einzuhausen. In den Vogesen waren ihnen die Ruinen des Kastells Anagray
wild und abgelegen genug. Als aber die Teilnehmerzahl überhandnahm,
wurde in Luxeuil, acht Meilen entfernt, ein zweites Kloster gegründet
mit der besonderen Bestimmung, Novizen aus der fränkischen Aristokratie
aufzunehmen. Der Uebervölkerung des Mutterklosters sollte ein drittes
steuern, das nach den dort entspringenden Quellen Fontaines hieß. Mit
der Leitung der Filialen betraute Columban Brüder von zuverlässiger
Gesinnung und stellte die gemeinsame Regel auf. Die Gründung fiel etwa
ins Jahr 590.

Columban stammte aus Leinster in Irland. Ueber gelehrten Studien,
die er betrieb, war der Drang zum Missionar in ihm erwacht. Seine
Mutter wollte ihn nicht ziehen lassen und legte sich quer vor die
Thürschwelle; da sprang er über sie hinweg und rief, sie werde ihn nie
wieder sehen. Er begab sich zunächst behufs weiterer Ausbildung zu
dem bibelkundigen Einsiedler Senilis und dann ins Kloster Banchor zu
dem heiligen Comgall. Immer mehr erfüllte ihn dort das Christuswort:
»Ich bin gekommen ein Feuer anzuzünden und wie wollt ich, es brennte
schon«. Der geplanten überseeischen Expedition standen mannigfache
Hindernisse im Wege. Endlich, im Alter von dreißig Jahren, brach er mit
zwölf Gefährten auf. Das Schiff lief glücklich in der Bretagne an. Sie
erholten sich erst an der Küste, dann drangen sie ins Innere Galliens
ein und konnten sich da nun allerdings überzeugen, wie sehr der Kirche
Zucht und Besserung notthat[125-a].

Die Vogesenklöster wirkten sofort auf die Umgebung. Abt Caramfok aus
Salicis sandte den Mönch Markulf nach Anagray, um freundschaftliche
Beziehungen herzustellen. Auch zur irischen Heimatsinsel sollten die
Bande nicht abgerissen sein: doch war der dorthin gesandte Besuch
Bruder Autiern’s Gegenstand einer ernsten, tagelangen Erwägung von
seiten Columbans. Von den andern Brüdern werden noch Somari, Gall,
Cominin, Ennoch, Equanach und Gurgan genannt. Ein Laufbursche des
Klosters hieß Domoalis. Es währte nicht lange, so traten auch der
in Besançon residierende Herzog Waldalen und seine Frau Flavia mit
Columban in Verkehr. Sie bestimmten den vom Heiligen ihnen erbeteten
Sohn dem geistlichen Stande: es war der spätere Bischof Donatus von
Besançon; ein zweiter Sohn Ramelan erbte die väterliche Herrschaft.
Bei der Geburt dieser beiden Kinder stifteten die Eltern zwei Klöster,
eins in der Stadt, das andere in Besançon, und unterstellten sie
Columbans Regel; nach dem Tode des Gemahls gründete Flavia überdies
ein Nonnenstift. Columban lebte viel in der Einsamkeit, oft verließ er
das Kloster, nahm einen Band der Bibel auf seine Schulter und verbarg
sich auf unbestimmte Zeit in einer Höhle. Wenn es harte Arbeit zu
verrichten galt, zog er Handschuhe an. Als er sie einmal auf einem
Stein vor dem Eßsaale liegen ließ, kam ein Rabe und trug sie ihm weg.
Von Weltpriestern schloß sich ihm namentlich ein Dorfpfarrer namens
Winnoch an, der Vater des späteren Abtes Bobolen von Bobbio. Andere,
wie Chamnoald, der königliche Kaplan von Laon, belauschten den fremden
Mönchsvater ehrfürchtig, ohne sich ihm zu nähern, wenn dieser in
der Wildnis sich erging, mit den Tieren spielte und die Vögel und
Eichhörnchen vom Aste auf seine Hand nahm, ja sie zärtlich in den
Busenfalten seiner Kutte hegte[126-a].

Aber dieses Idyll hielt nicht vor. Der Heilige selbst mag es nur in dem
Bewußtsein genossen haben, daß es eines Tages vorbei sein werde und ein
harter Kampf ihn auf den Plan rufe. »Laßt mich doch in meinen Wäldern
schweigen«, schrieb er 601 den Bischöfen nach Sens. In der Einsamkeit
ist ihm die Kraft erwachsen, später, als es dann einmal zu reden
galt, das harte, ungeschwächte, unversöhnliche Wort nicht zu scheuen.
Längst hatte man in der Königsfamilie sich für den fremden Gottesmann
interessiert. Er hatte Zeit gehabt, sich sein Verhalten zu überlegen;
er konnte kommen sehen, was dann wirklich kam. Er scheint aber
keineswegs von anfang an einem friedlichen Verhältnis abgeneigt gewesen
zu sein. Wozu hätte er sonst den jungen König immer wieder empfangen
und den Einladungen an den Hof Folge geleistet? Da, eines Tages im
Jahre 607, machte er der Königin Brunichilde seinen Besuch auf ihrem
Landsitz Boucheresse bei Autun. Als er an die Halle des Herrenhofes
getreten war, führte ihm die greise Fürstin ihre Urenkel zu. Wie er
diese sieht, zuckt er zusammen und fragt, was er damit solle. »Es sind
die Söhne des Königs«, versetzte Brunichilde, »Kräftige sie durch den
Zauber deines Segens.« Da warf ihr Columban zu: »Wisse niemals werden
die Kinder da ein Königsszepter erben, denn es sind Hurenkinder.« Damit
hatte er ja nun allerdings nur zu sehr Recht; die Lasterhaftigkeit der
alten Merowinger hatte in ihren schwächlichen Nachkommen nun gar noch
den widerlichen Zuwachs erhalten, daß sie unnatürlich verfrüht auftrat.
Theuderich war ein Knabe von fünfzehn Jahren, als ihm ein Sohn und
nicht einmal sein erster geboren wurde. Zu weiterem Anstoße mußte dem
Heiligen dienen, daß Bastarde wie echte Söhne für der Erbfolge fähig
galten. Brunichilde aber empfand nach dem fränkischen Verfassungs-
und überdies dem merowingischen Hausrecht, wonach uneheliche
Königssprossen ohne weiteres folgefähig waren, da nur das königliche
Geblüt, die Abstammung vom Manne entschied. Der Jüngling Theuderich,
der mit seinen fleißigen Buhlschaften einen Hang zu schwärmerischer
Frömmigkeit verband und sich dem berühmten fremden Gottesmann in den
Vogesen mit aller Demut zu nähern suchte, war von Columban unbarmherzig
gescholten worden: er solle nun das Buhlen lassen und nach dem Genuß
des Herzenstrostes einer rechtmäßigen Ehefrau trachten, auf daß ihm
von einer ehrbaren Königin königliche Nachkommenschaft erwachse. So
berechtigt diese Forderung gewiß war, im vorliegenden konkreten Falle
verlangte sie fast unmögliches; denn Columban heischte nicht etwa
bloß Besserung für die Zukunft; er sprach den bereits Geborenen das
Erbrecht ab, und das bedeutete einen geradezu unerhörten Eingriff in
die nun seit hundert Jahren niemals angefochtene Familientradition
des Königshauses. Hiezu kam, daß der Versuch, Theuderich standesgemäß
zu verheiraten, scheiterte. Die Tochter des gotischen Prätendenten
Witterich, Herminberga, verlobte sich mit Theuderich und hatte auf
ihrer Brautfahrt bereits die Residenz Chalons erreicht als Brunichilde
in letzter Stunde die Heirat hintertrieb, sei es aus Eifersucht und um
nicht durch eine Junge verdrängt zu werden, sei es in der begreiflichen
Aufwallung ihres gothischen Königsblutes gegen die Tochter dessen,
der den rechtmäßigen, ihr noch verwandten Herrscher der Goten, Leova,
gestürzt und grausam ermordet hatte. Brunichildens ganze Hoffnung
ruhte nun also auf den beiden Knäblein, hinter deren Abkunft sie
durchaus nichts unerhörtes sah. Aber sicher spürte sie die Bedeutung
des Augenblicks, als sie den mächtigen Volksheiligen für ihre Urenkel
um den Segen bat. Spendete er ihnen diesen Segen, so war vollends
jedes Bedenken verscheucht, das etwa kirchlicherseits noch hätte
erhoben werden können: ein Segen aus diesem Mund und von diesen Händen
ersetzte die mangelnde ehrliche Geburt. Columban dagegen mag, er auch,
nicht weniger die Krisis des Moments gespürt haben. Ließ er sich
jetzt bereit finden, so eröffnete er sich eine Machtstellung am Hofe
und sicherte damit seinem Werke die Existenz im fränkischen Reiche,
das die von ihm geplante Sittenzucht nötig hatte, nötig genug. Aber
dann gab er zugleich preis, was eben gerade die Seele ~seines~ Werkes
war, wodurch es sich von der doch auch nicht mangelnden einheimischen
Bußbestrebungen unterschied: die Strenge der sittlichen Forderung
in souveräner Autonomie, ohne Seitenblick auf die Umstände und ohne
Zugeständnis an die zufällige Konstellation der Stunde. Er fand den
Mut, sich selber treu zu bleiben, den schwindelerregenden Mut, den
durchdringenden Blick der Fürstin, der ihn umwarb, ihn anflehte,
ihn beschwor, ihn bedrohte, diesen Blick auszuhalten, den Segen
zu verweigern. Die Begegnung von Boucheresse bewies es wieder: es
giebt freilich Fälle, wo das politisch Beste und ein reines Gewissen
unvereinbar sind.

Als das verhängnisvolle Nein die Lippen des Heiligen verlassen hatte,
durchflammte ein wütender Haß, wie sie dessen nur je fähig gewesen war,
die Königin mit dem weißen Haare. Sie schickte die Kleinen hinaus.
Die Auseinandersetzung unter vier Augen mag von beiden Seiten in der
Erklärung unversöhnlicher Feindschaft bestanden haben. Die Schwelle
krachte, so hieß es später, als der Gottesmann die königliche Halle
verließ. Sofort traf die zürnende Königin Anstalten, die schottischen
Klosterleute zu isolieren und ihnen jeden Einfluß abzuschneiden; sie
verbot irgend einem von ihnen außerhalb der Grenzen die Durchreise zu
gestatten, noch ihnen Unterkunft oder Almosen zu gewähren. Indessen
suchte Columban sich des Königs zu versichern; schon meldeten sich
bei dem jungen Monarchen Spuren der Entfremdung von dem bisher
rückhaltlos verehrten Gottesmann, Spuren seiner Abhängigkeit von der
Großmutter. Columban begab sich auf dessen Sommersitz Epoisse. Als
er bei Sonnenuntergang dort eintraf, meldete man Theuderich, der
Mann Gottes sei da, wolle aber die Häuser des Königs nicht betreten.
Theuderich meinte, besser sei es den Mann Gottes durch angemessene
Spenden zu ehren, als den Herrn durch Kränkung seiner Diener zum Zorne
zu reizen. Er befiehlt daher, mit königlichem Luxus das Geeignete zu
bereiten und dem Manne Gottes zu schicken. Man kommt also und bietet
ihm die Bewirtung; da er aber in den Schüsseln und Bechern königliche
Pracht sich entfalten sieht, fragt er wozu. Als jene sagten, es komme
vom König, wies er es zurück und sprach: »Es steht geschrieben, die
Geschenke der Gottlosen verwirft der Herr. Nicht ziemt es, den Mund
der Diener Gottes zu besudeln durch die Speisen dessen, der diesem
Diener den Zugang auch zu anderer Leute Wohnungen versperrt.« Bei
diesen Worten brachen alle Gefäße in Stücke, Wein und Most flossen
auf den Boden, das andere ward einzeln zerstreut. Diese unerhörte
Starrheit veranlaßt den König, noch einmal nachzugeben. Er eilt mit
der Großmutter in der Morgendämmerung zu ihm, bittet um Verzeihung
und verspricht Abhilfe. Columban wird dadurch wenigstens zur Rückkehr
in sein Kloster bewogen. Allein nicht lange werden die eidlichen
Zusagen gehalten; nur allzubald bricht man sie. Die Bedrängnis der
Klöster nimmt zu; der König kann den anstößigen Wandel nicht lassen.
In einem bitterbösen Briefe stellt Kolumban gleichsam ein Ultimatum:
entweder sofort endgiltige Besserung oder Exkommunikation. Nun bietet
Brunichilde alles auf, um den Störefried kurzer Hand zu vernichten.
Sie mahnt alle Großen, alle Höflinge, alle Vornehmen, des Königs Sinn
gegen den Gottesmann zu verwirren, hetzt die Bischöfe auf, seine
Religion herabzusetzen und die Ordensregel, die er für seine Mönche
aufgestellt hatte, zu verdächtigen. Die Höflinge lassen sich überreden
und empören den König wider Columban, der sich nun vor die Wahl
gestellt sah, entweder auszuwandern oder sich einem Schiedsgericht
zu unterziehen. Um das Maß voll zu machen, zwang Brunichilde den
Enkel, Columban in Luxeuil selbst zur Rede zu stellen, warum er von
der Gewohnheit der Landesbischöfe abfalle und warum er die Innenräume
seiner Klöster für die Laien absperre. Auf diese Drohungen des Königs
erwiderte Columban, kühn und starken Mutes wie er war, er habe nicht
die Gewohnheit, Laien und Nichtreligiöse in die Wohnung der Diener
Gottes treten zu lassen, hingegen habe er geeignete Gasträume. Hierauf
erklärte der König bündig: »Willst du unsere Freigebigkeit und unsern
Schutz länger genießen, so gewähre für Alle allgemeinen Zutritt.«
Aber ebenso bündig versetzte der Abt: »Willst du irgend an der
bisherigen Regel rütteln, so werde ich eben weder deine Freigebigkeit
noch deinen Schutz mehr annehmen.« Da besann sich der König nicht
länger und betrat rücksichtslos das Refektorium. Aber der Heilige
begleitete diesen Gewaltakt mit so furchtbaren Protesten, daß der
König den verbotenen Raum gleich wieder verließ. Die harten Worte
machten Theuderich glauben, der Heilige habe ihn zum Blutvergießen
reizen wollen: »Du hoffst«, rief er aus, »ich werde dir zum Martyrium
verhelfen, so dumm bin ich nicht. Aber da du doch immer etwas ganz
besonderes haben mußt, wirst du besser thun, wieder hinzugehen, wo du
hergekommen bist.« Sofort brach das Gefolge des Königs einstimmig in
den Ruf aus, sie wollten in diesen Landen Niemanden haben, der sich
über andere erhaben dünke und sich hochmütig von ihnen abschließe.
Columban erklärte, das Kloster nicht zu verlassen; man müsse ihn mit
Gewalt hinauswerfen. Damit beauftragte der König einen Vornehmen names
Baudulf, der dann also, nach des Fürsten Weggang, die Austreibung
des Heiligen vornahm, zwanzig Jahre nach dessen Ankunft, und ihn bei
Besançon internierte. Dort nahm sich der Heilige heraus, an des Königs
Statt Verbrecher im Kerker gleich selbst zu begnadigen. Als Columban
ferner sah, er werde in seiner Verbannung nicht bewacht und von
Niemanden belästigt, stieg er auf den die Stadt und das Thal des Doubs
überschauenden Berg, prüfte, ob man ihm den Weg zu sperren trachte
und da dies nicht der Fall war, ging er mitten durch die Stadt mit
den Seinigen wieder in sein Kloster zurück. So hatte er eigenwillig
den königlichen Bann gebrochen und den Zorn der alten Brunichilde und
des Königs aufs neue und heftigste wider sich herauf beschworen. Der
frühere Exekutor Baudulf und außerdem Graf Berthari in Begleitung der
nötigen militärischen Mannschaft vollstrecken den königlichen Befehl,
der glimpflich auch dieses Mal nur auf Ausweisung lautete. Columban
weigert sich erst, das Land zu räumen, dann aber fordert er alle seine
Mönche auf, mit ihm das Kloster und Theuderichs Reich zu verlassen.
Ragamund, der Führer der Bewachung, hatte ihn bis Nantes zu begleiten.
Aber die Eskorte, die sie an die Grenze bringt, soll nur die Britten
mitziehen lassen, die fränkischen Mönche dagegen im Lande festhalten.
Mit Gewalt wurde Eustasius, sein Schüler, der spätere Abt des Klosters,
von seiner Seite gerissen. Die Reise ging in sonderbarem Zickzack; über
Besançon und Autun nach der Burg Cavalo, wo ein königlicher Roßwart auf
Columban ein Attentat versucht; von da durch das Thal der Cure nach
Auxerre; dort wendet sich der Heilige plötzlich, in einer prophetischen
Anwandlung an den Führer der Kolonne mit den Worten: »Chlothar, den ihr
jetzt verachtet, werdet ihr in drei Jahren zum Herrn haben«. Erstaunt
fragte Ragamund: »Herr, weshalb sprichst du solches zu mir«, und
erhielt zur Antwort: »Du wirst es schon erleben, wenn du bis dann noch
am Leben bist«. Obschon nun Auxerre, die nördliche Höhe von Orleans
erreicht war, stieg man wieder tief südlich bis Nevers herab, um hier
die Loire auf Kähnen zu überschreiten. Dann geht es nach Orleans; da
der König ihnen verboten hat, die Stadt und wäre es auch nur, um deren
Kirchen zu betreten, lagern sie sehr traurig unter Zelten am Ufer der
Loire. Zwei Mönche werden in die Stadt geschickt, um an Vorräten das
Notwendige zu erlangen. Aus Furcht vor dem König wagte man nicht,
ihnen etwas zu schenken oder zu verkaufen. Auf dem Rückweg treffen sie
auf der Straße die syrische Frau eines blinden syrischen Kaufmanns.
Die Fremde ergreift Mitleid mit den hier fremden Britten: »Kommt«,
spricht sie, »in das Haus eurer Magd und nehmt, was ihr braucht. Bin
doch auch ich eine Fremde aus des fernen Ostens Sonne entstammt«.
Auch das Stadtvolk beschenkt nun heimlich die Mönche; offen wagten
sie vor den begleitenden Wächtern nicht ihre Sympathie zu bezeugen.
Von Orleans fahren sie zu Schiff die Loire hinunter bis Tours. Wider
Willen muß die Besatzung Columbans Wunsch, das Martinsgrab zu besuchen,
berücksichtigen und in Tours anlaufen. Nicht nur darf Columban in St.
Martin einen Tempelschlaf thun, er wird sogar von Bischof Leopar zu
Tisch geladen. Beim Essen fragt ihn der Bischof, warum er in die Heimat
zurückkehre. Der Heilige antwortet: »Der Hund Theuderich hat mich von
meinen Brüdern vertrieben«. Dieser in jedem Fall ungebührliche Ausdruck
veranlaßte einen fränkischen Edelmann, Unterthan des beschimpften
Königs, obwohl mit Theudebert verwandt zu dem demütig vorgebrachten
Einwand, ob Milch trinken denn nicht besser sei als Wermut trinken.
»Ich merke schon«, gab der Heilige gereizt zurück: »Du willst wohl die
Pflichten deines Treuverbandes König Theuderich gegenüber erfüllen«.
Jener erklärte, »ja: er habe den Unterthaneneid geleistet und werde
ihn halten, so lang er lebe«. Da fuhr der Heilige fort: »Nun, wenn du
doch König Theuderich in Treupflicht verbunden bist, so wirst du ja
froh sein, von mir als Gesandter zu deinem Freund und König geschickt
zu werden. Bring ihm denn zu Ohren, er und seine Kinder werden in drei
Jahren der Vernichtung verfallen sein; der Herr wird sein Geschlecht
mit der Wurzel ausreißen«. »Warum, o Mann Gottes redest du solches zu
mir?« »Weil ich nicht verschweigen kann, was mir der Herr zu sagen
auferlegt.« Als dann Columban zu seinem Fahrzeug zurückkehrte, fand er
die Genossen sehr betrübt: in der Nacht waren alle Vorräte und alles
Geld aus dem Schiff gestohlen worden. Sofort kehrte Columban in die
Martinsbasilika zurück und machte dem Heiligen Vorwürfe, als handelte
es sich um einen pflichtvergessenen Nachtwächter: »Nicht deshalb
wahrlich habe ich zu deinen Ehren hier gewacht, damit du einstweilen
mich und die meinen zu Schaden kommen lässest«. Das gestohlene Gut
findet sich wieder. Von Tours gelangen sie nach Nantes. Dem König
gehorsam, will hier Bischof Sofronius zu gunsten der Reisenden weder
schenken noch tauschen. Aber zwei fromme Frauen beschaffen hundert Maß
Wein, hundert Maß Korn, hundert Maß Malz, zweihundert Maß Getreide und
hundert Maß anderweitige Naturalien. Nun soll also der Heilige mit
seinen Genossen nach Irland eskamotiert werden, der damit betraute
Bischof und Graf Theudoald von Nantes lassen die Gesellschaft auf
ein schottisches Handelsschiff bringen. Doch läuft es schon bei der
Ausfahrt auf, und wird erst wieder flott, nachdem Columban mit den
Gefährten und aller Habe wieder ans Land geschafft ist. Also, es war
klar, Gott wollte nicht, daß Columban Frankenland verließ. Man wagte
keine weiteren Verfügungen. Der Heilige war frei. Nach seinen eigenen
Worten zu schließen, wäre Columbans Freiheit aber eben doch auch auf
Flucht zurückzuführen[131-a]. Er wandte sich zu dem Feind seines
Verfolgers, zu König Chlothar. Dieser hatte schon gehört, mit wie
vielen und wie schweren Unbilden Brunichilde und Theuderich den Mann
Gottes heimgesucht hatten. Als er ihn erschaute, nahm er ihn auf wie
ein Geschenk Gottes, bat ihn, sich in seinem Reiche niederzulassen,
er werde ihm ganz zu Diensten sein. Columban lehnte ab: sei es, weil
er die Pilgerschaft nun für die ihm zukommende Lebensform erkannte,
sei es, weil er den Grund zu Streit zwischen Chlothar und Theuderich
beseitigen wollte. Chlothar hielt ihn fest, so viele Tage er konnte,
ließ sich von ihm wegen gewisser Mißbräuche schelten, die kaum an
einem Königshofe fehlen, und gelobte alles nach seinem Befehle zu
bessern. Während Columbans Anwesenheit bei Hofe brach zwischen
Theuderich und Theudebert ein Grenzbereinigungsstreit aus, und beide
baten durch Gesandte Chlothar um Hilfe. Dieser war geneigt sich
einzumischen, bewahrte aber die Neutralität, als Columban riet, keinem
beizustehen; in drei Jahren werde er beider Reich in Gewalt bekommen.
Darauf zwang er den König, ihm behilflich zu sein, durch das Reich
Theudeberts über die Alpen nach Italien zu gelangen. Chlothar ließ
ihn zu Theudebert geleiten, über Paris und über Meaux. Hier nahm ihn
ein Edler, Hagnerich, Theudeberts Gefolgsmann auf. Dieser übernahm
es, den Heiligen bei Hofe gut einzuführen, der von König Chlothar
mitgegebenen Flügeladjutanten bedürfe es nicht. Columban segnete sein
ganzes Haus und weihte insbesondere das Töchterlein Burgundofara dem
geistlichen Stande. Zu Eussy an der Marne wurde der Heilige von einem
andern fränkischen Großen und dessen Gattin Aiga bewirtet, die ihm ihre
Knaben Ado und Dado darbrachten. An Theudeberts Hofe wurde er mit Jubel
und Ehrfurcht aufgenommen. Der König schlug ihm die Missionierung der
heidnischen Alamannen vor. Columban wollte es auf den Versuch ankommen
lassen und wählte die Gegend am Bodensee, da die Zeit der Bekehrung
der Wenden und Slaven noch nicht gekommen sei. Dort hätte dann
allerdings auch der Rückhalt am Frankentum, den der kühne Missionar
noch in der Bodenseegegend gewiß beruhigend verspürte, aufgehört. Zu
Bregenz störte er ein heiliges Biergelage, an dem Schwaben aus einer
mächtigen Kufe Wodansminne tranken; in abergläubischer Scheu und aus
Furcht vor dem Könige ließen die erschreckten Heiden diese Schändung
ihres Opfers ungerächt: der fremde Zauberer habe einen starken
Atemschnauf, meinten sie, kaum habe er von weitem gehaucht, so sei das
Faß zersprungen und sei doch mit Reifen gebunden gewesen; offenbar war
ein so gewaltiger Bläser eben doch stärker als ihr bisheriger Gott
Wodan. Ganz unvorbereitet waren sie überdies nicht, denn unter diesen
Götzenzechern saßen einige, die bereits getauft, aber wieder rückfällig
geworden waren. Auch in diesem hintersten Winkel des großen fränkischen
Reiches behielt Columban ein wachsames Auge auf die politischen Wirren
jener Jahre. In einem Traumgesicht schaut er den ganzen Erdkreis so
klein, wie die Schreiber ein Rund mit der Feder zu zeichnen pflegen.
Auf die Nachricht von dem Siege Theuderichs über Theudebert verließ
er Deutschland und das Frankenreich; er wandte sich nach Italien.
Der Langobardenkönig Agilulf sagte ihm sofort alle Gnaden zu. Erst
trat Columban in Mailand gegen die Arianer auf und erhielt dann die
verfallene Peterskirche zu Bobbio im Apennin zur Gründung eines
Klosters angewiesen. Er versah die Ruine mit einem neuen Dach und neuen
Mauern. Einem durch Eustasius von Luxeuil bestellten Ruf Chlothars
_II._ schlug er aus. Er sei nun zu alt. In der That starb er nach dem
ersten Jahr zu Bobbio, im November 615[133-a].


3.

Der Verfasser dieses Lebens des Columban ist Jonas von Susa, der
bedeutendste Heiligenschreiber des siebenten Jahrhunderts. Von Geburt
ein Italiäner, war er im Jahre 615 nach Columbans Tode in dessen
Kloster zu Bobbio eingetreten und hatte daselbst seine Beziehungen zum
Frankenreich geknüpft Im Jahre 628 begleitete er den Abt Bertulf nach
Rom, um für das Kloster die Exemption vom Diöcesanbischof zu erwirken;
aber noch vor Bertulfs Tode verließ er Bobbio und begab sich nach
Gallien. Nur gegen das Versprechen, er werde Columbans Leben schreiben,
ließen ihn die Mönche überhaupt ziehen. In Gallien widmete sich Jonas
unter Leitung des Amandus der Mission der heidnischen Franken. Da er
dabei meistens beschäftigt oder unterwegs war, konnte er erst nach
drei Jahren, etwa 640, die versprochene Arbeit den Aebten Waldebert
von Luxeuil und Bobolen von Bobbio überreichen. Jonas führte den Titel
eines Abtes; wahrscheinlich aber hat er nie ein Kloster regiert,
sondern in herrschaftlichen Diensten gestanden, wahrscheinlich als
Beichtvater und Geschäftsträger der Königin Balthilde oder ihres jungen
Sohnes Chlothar _III._; im Jahre 659 finden wir ihn im Auftrage dieser
Fürstin in Chalons.

Der bedenklichste Punkt in der Darstellung von Columbans Zeit und
Wirksamkeit durch Jonas ist die unwahre, gehässige Zeichnung der klugen
und energischen Königin-Regentin Brunichilde. Er, dem hierin sofort
Fredegar und alle andern folgten, hat den Leumund der merkwürdigen
Frau so entstellt, daß erst durch ehrliche Bemühungen in unseren Tagen
eine gerechte Beurteilung[133-1] möglich wurde. Das übliche Visavis
der gemeinen Stallmagd Fredegunde ist von vornherein abzuweisen.
Brunichilde war kein Engel, aber noch weniger war sie eine Dirne. In
ihrer kurzen Ehe mit Sigibert hat sie dessen Treue nicht getäuscht
und auch ihre phantastische Heirat mit Merowech beschattet wohl ihre
politische Klugheit in jungen Jahren, aber nicht ihre Frauenehre.
Selbst der Haß der mönchischen Gegner wagt erst für ihr Greisenalter
die schon darum unglaubliche Verdächtigung ihres Wandels. In der
Politik hat sie unerlaubte Mittel nicht gescheut; aber nie ist sie, wie
Fredegunde, mit Gift und Dolch umgegangen. Mehrfach übt sie Milde und
Großmut, kauft in fränkische Kriegsgefangenschaft geratene Langobarden
los, unterstützt wohlthätige Anstalten, ist freigebig gegen die Kirche
und die Armen. Als Herrscherin wuchs sie zwar erst nach und nach in
ihre Aufgabe hinein; dann aber verfolgte sie immer energischer, immer
bewußter ihr Ziel: gegenüber einer zügellosen Interessenpolitik und
einem Egoismus, dem nichts mehr heilig war, die Sache des Staates,
der Reichseinheit, des Rechts, des Königtums. Da, während sie erst
für den Sohn, dann für den Enkel und schließlich für den Urenkel die
Herrschaft führte und jahrzehntelang immer aufs neue, zumal ohne eine
verfassungsmäßige Sicherheit ihrer Frauenregentschaft, Kampf und Kampf
gegen den australischen Adel ausfocht, fuhr ihr nun auch noch der
hergelaufene Idealist in die Quere, als der ihr, von ihrem Standpunkt
aus mit Recht, Columban vorkam. Gleichgiltigkeit oder gar Feindschaft
gegen die Kirche darf man aber einer Brunichilde nicht vorwerfen, die
Papst Gregor der Große zu seiner wesentlichsten Mitarbeiterin in den
kirchlichen Angelegenheiten ihres Reiches herbeizog. Verblendung und
niedere Parteileidenschaften hat die hohe Frau in die Blutmegäre der
Sage verwandelt und zwar aus bloßem Haß, daß ihre staatsmännische Hand
bei Lebzeiten die Kirche in so festen Zügeln gehalten hatte.

Dem Inhalte nach ist von Jonas Werken das Columbansleben weitaus das
wichtigste. Obwohl es auf persönliche Erinnerung zurückgeht, ist es
doch nur mittelbare Memorie, insofern Jonas den Columban ja nicht
selber gekannt hat, aber eben doch in seinem ganzen Wesen durch ihn
bestimmt war. Auch in den andern Schriften des Jonas tritt das Element
der Memorie in den Hintergrund. Er ist nämlich nach Gregor einer
der wenigen, die sich der Forschung widmen und mehr als eben ihren
einen Heiligen beschreiben. Dabei zeigt sich aber deutlich von wie
geringer Sorte diese damalige Art Forschung war. Auf der Reise nach
Châlons rastete Jonas einige Tage im Kloster des heiligen Johannes
von Reomaus[134-1]. Die Mönche baten den berühmten Hagiographen,
ihnen niederzuschreiben, was sich über das äußere Leben des heiligen
Stifters sowie über seine geistige Entwicklung durch seine Schüler
bis auf ihre Tage in der Erinnerung erhalten hatte. Jonas willfahrte
dem Gesuch und widmete die Schrift dem Abt Hunna. Zu dem Kloster
hatte er keine anderen Beziehungen als die der eben genossenen
Gastfreundschaft. Er war somit auch dem lokalen Stoff ein Fremder;
überdies waren zweihundert Jahre seit der Geburt des Heiligen
verflossen. Die mangelhafte Komposition und der dürftige Inhalt sind
daher verständlich. Geboren war Johannes, nach Jonas, frommen Christen
namens Hilarius und Quieta. Mit zwanzig Jahren faßte er den Entschluß,
seine Heimat zu verlassen, und seinen religiösen Neigungen nachzugehen.
Zuvor erbaute er jedoch ein kleines Oratorium in seinem Geburtsorte.
Diesen Entschluß, sich in die Einsamkeit zurückzuziehen, setzt Jonas
in die Zeit, als der Konsul Johannes unter kaiserlicher Hoheit Gallien
regierte. Offenbar hat Jonas gar nicht an einen Jahreskonsul, sondern
an einen hohen römischen Verwaltungsbeamten in Gallien, wahrscheinlich
an den Consularis der Lugdunensis Prima gedacht. Die Begebenheit muß
vor die Zeit fallen, da die Burgunder bis in diese Gegend vorgerückt
waren, also vor das Jahr 457; aber mag nun auch uns die genaue
Zeitangabe entzogen sein, so hat Jonas in seiner Weise sie doch gemacht
und damit durch chronologische Eingliederung des Gegenstandes diese
Lebensbeschreibung der Befangenheit der Memorie entzogen. Johannes
zog sich damals in die gebirgige Gegend zwischen Armançon und Serain,
zwei Nebenflüsse der Yonne zurück. Er gründete hier sieben Milien
von der Burg Semur en-Auxois entfernt, das Kloster, das heute nach
seinem Stifter Moutiers Saint Jean genannt wird. Von einem Brunnen
daselbst ging die Sage, daß vor der Ankunft des Heiligen ein Drache
darin hauste, dessen Tod er durch Gebet und energische Durchstöberung
des Brunnens bewirkt haben soll. Schon bei dieser Handlung war er von
Genossen begleitet. Nachdem er die Leitung des neugegründeten Klosters
übernommen hatte, hielt er bei seinen Untergebenen streng auf die
Beobachtung der Regel. Der Ruf des frommen Mannes veranlaßte eine
Pilgerfahrt um die andere. Und auch in demselben Maße, wie die Schaar
seiner Mönche wuchs, nahm sein Selbstvertrauen ab, und es schien ihm
jetzt zuträglicher für sein Seelenheil zu sein, andern zu dienen als
zu befehlen. Ueberdies war er selber noch nicht ausgebildet in der
Strenge klösterlicher Disziplin; was er davon wußte, hatte er sich als
Autodiktat aus der Lektüre oder mündlichen Berichten angeeignet. Aus
Demut und dieser Studien halber begab sich Johannes in Begleitung von
zwei Genossen in die damalige Musteranstalt für mönchisches Leben,
das Kloster Lerinum, dem Honoratus vorstand. Unerkannt weilte er hier
in strengem Gehorsam gegen seine Obern anderthalb Jahre. Da führte
ein Zufall seine Entdeckung herbei. Ein Fremder, der zu Besuch kam,
erkannte ihn unter den arbeitenden Mönchen und erzählte den staunenden
Lerinern, wer der schlichte Mönch sei, der die niedrigsten Dienste
that. Das Gerücht von dieser Begebenheit kam dem Bischof Gregor von
Langres zu Ohren, zu dessen Diöcese das Kloster des Johannes gehörte.
Er sandte Mönche aus diesem Kloster mit zwei Briefen nach Lerinum:
Honorat und dessen Mönche ersuchte er, der Rückkehr des Johannes
nichts in den Weg zu legen und diesen forderte er auf, heimzukommen;
der ernsten Mahnung seines Bischofs mußte der Heilige Folge leisten.
Indessen kann diese auf den ersten Blick scheinbar glaubwürdige
Episode so doch nicht stattgefunden haben, da Abt Honoratus von
Lerinum und Bischof Gregor von Langres nicht Zeitgenossen, sondern
etwa um ein Jahrhundert auseinander waren; davon abgesehen ist der Zug
wahrscheinlich; denn da der größte Teil der Lebenszeit des Heiligen
in das fünfte Jahrhundert fällt, so wird er wohl wie so viele andere
Männer dieser Zeit ihre Ausbildung dort genossen haben. Nach seiner
Rückkehr ließ sich Johannes wiederum die Leitung und Ausbildung
seiner Mönche nach der Regel angelegen sein und wurde darin von einem
Mönch namens Filomeris unterstützt. Die Regel, die der Heilige vor
der Lerinenser Periode befolgte, hatte Jonas nicht näher bezeichnet;
jetzt nennt er den Verfasser Macarius. Die erste Sorge der Brüder
war, den mit dichtem Gebüsch bewachsenen Boden urbar zu machen, damit
er ihrem Unterhalte diene. Mit Aexten bewaffnet begaben sie sich in
die Wälder, hieben sie nieder, rodeten das Land aus und erschlossen
es der Kultur. Als sie einmal auf den Ruf des Seniors gehorsam ins
Kloster zurückkehrten und aus Bequemlichkeit die Beile draußen liegen
ließen, stahl diese ein Dieb, so daß sie hernach die unterbrochene
Arbeit nicht fortzusetzen vermochten. Johannes, ungehalten über diese
Ausrede, fahndete nach dem Dieb und nahm ihm die Beute ab. Die Arbeit
trug ihre harten Früchte. Wohlgefüllte Speicher schützten nicht allein
die Mönche vor Not, sondern gestatteten auch die Unterstützung der
Nachbarn bei Mißernte. Die Besorgung der Feldwirtschaft blieb aber nach
wie vor Sache der Mönche. Auch ein Bild aus dieser späteren Zeit führt
uns Jonas vor. Es ist Erntezeit; die reife Saat harrt der Schnitter.
Die Mönche begeben sich truppenweise auf die Felder, um die Frucht zu
schneiden. Erst der Eintritt der Nacht setzt ihren Mühen ein Ziel.
Die fleißigen Brüder kehren jetzt in das Kloster zurück; nur einer,
Claudius, bleibt auf Befehl der Vorsteher die Nacht über als Wächter
bei der Frucht. Auch er versinkt in Schlaf, aber mitten in der Nacht
erwacht er und macht sich Sorgen, daß die ermatteten Genossen die
Gebetsstunde verschlafen würden. Da sieht er plötzlich eine strahlende
Kugel den Himmel erleuchten. Während er noch betäubt ist von dem
Wunder, hört er, wie der Hahnenschrei den kommenden Tag verkündet und
zugleich Glockenläuten die Brüder zum Gebete ruft. Am Morgen erzählt
er dem Abte sein nächtliches Erlebnis. Aber dieser warnt ihn vor
Ueberhebung. Kein sündiger Mensch sei wert, die himmlischen Vorgänge
zu schauen. Die freie Natur zogen diese Mönche der Klosterzelle vor.
Nach Art der alten Streiter pflegte Johannes dem Gebet und Fasten im
Walde obzuliegen, wo er dann mit den armen Leuten zusammentraf, die
sich Waldfrüchte für ihren Unterhalt suchten. Als seine Mutter zum
Kloster kam, um ihn nach langer Trennung wieder zu sehen, schlug er ihr
diesen Wunsch ab; um sie nicht allzusehr zu betrüben, zeigte er sich
ihr wenigstens von der Ferne; er ließ ihr aber ankündigen, sie würde
ihn in diesem Leben nicht mehr sehen. Wie ganz anders wurde Sequanus
empfangen, ein benachbarter Heiliger, der Gründer von Segestrum,
heute Saint Seine. Dem Sonderling hatte es beliebt, in stockfinsterer
Nacht seinen Besuch abzustatten. Heimlich betrat er die Kirche, um zu
beten. Aber Johannes erhielt durch göttliche Offenbarung Kenntnis von
dessen Ankunft. Er weckte einen Diener und ließ nun die Mönche durch
Glockenschlag zusammenrufen, daß die dem Ankömmling die Pflichten der
Gastfreundschaft erwiesen. Zur Messe war das Kloster des Johannes
mit Andächtigen überfüllt, da alle seine Predigt zu hören wünschten.
Der Heilige pflegt aber für die Laien besonders Messe zu lesen; denn
er wünschte nicht, daß seine Mönche durch den Lärm der Menge gestört
würden. Die Laien hatten also zunächst abzutreten und vor der Kirche zu
warten. Das Kloster war ein Asyl für Bedrückte und die letzte Hoffnung
für Schwerkranke. Ein Sklave, der einen Fehltritt begangen hatte,
nahm die Vermittlung des Johannes in Anspruch, um von seinem Herrn
Verzeihung zu erlangen. Der Heilige setzte auch einen Brief an diesen
auf, aber seine Fürbitte wurde nur verächtlich aufgenommen. Sonst waren
es vornehmlich Kranke, die dem Kloster zusprachen. Hatten sie dann
durch den Heiligen ihre Gesundheit wieder erlangt, so blieben sie wohl
auch aus Dankbarkeit gegen ihren Retter im Kloster. Auf der Rückkehr
von dem Zuge nach Italien, den der hochstrebende König Theudebert
über die Alpen unternommen hatte, befand sich unter den burgundischen
Truppen ein Mann, der von heftigem Fieber geplagt wurde. Sein Bruder
eilte zu Johannes und erbat sich von ihm geweihte Eßwaren, ersuchte
auch den Heiligen, jenen in sein Gebet einzuschließen. Er erhielt ein
Brot und fünf Obstfrüchte; man gab sie dem ungeduldig harrenden Kranken
in drei Teilen mit Wein befeuchtet ein, und er genas zur Stunde. Das
letzte Wunder des Johannes fällt in die Zeit, da eine schwere Seuche
ganz Gallien verheerte. Ein Mann wird auf der Heimreise von Paris
von der Krankheit befallen, indem sich ein böses Geschwür bildet.
Sobald er nach Hause zurückgekehrt ist, läßt er sich Wasser aus dem
Brunnen holen, den der Heilige geweiht hatte. Ein Diener bringt ihm
das gewünschte mit dem Segen des Heiligen. Als er nun gläubig davon
getrunken hatte, barst das Geschwür und er erlangte seine Gesundheit
wieder. Gemeint ist die Seuche vom Jahre 543, die in Aegypten ihren
Anfang nahm und sich über den ganzen Erdkreis verbreitete. Johannes
stand in großer Verehrung bei den fränkischen Königen und beim Adel.
In weltliche Geschäfte mischte er sich aber nicht. Er starb im Alter
von sage hundert und zwanzig Jahren am 28. Januar sei es 544, sei es
eines der folgenden Jahre. Ueber den Schluß der Vita, die sich noch
mit den Nachfolgern und der Translation der Gebeine des heiligen
Johannes beschäftigt, darf hier hinweg gegangen werden, und ebenso
genügt für die übrigen Heiligenleben des Jonas eben die Erwähnung. Es
sind sozusagen drei Nachträge zum Columbansleben; denn es handelt sich
um Eustasius von Luxeuil, Columbans Vertrauensmann seiner Stiftungen
in den Vogesen, um Attala und Bertulf, Columbans Nachfolger in der
Abtswürde zu Bobbio und um Burgundofara, das junge Mädchen, das durch
ihn zur Nonne geweiht worden war.

Dagegen verlangt hier eine Schrift nähere Beachtung, die nicht durch
die Ueberlieferung, wohl aber durch ihre Sprache in die Nähe des Jonas
gerückt wird: das Leben des Vedastes von Arras. Sie tritt anonym auf
und ist nicht in der alten merovingischen Schriftsprache, sondern in
jenem gekünstelten Latein geschrieben, das durch Jonas von Susa in
Gallien eingeführt worden ist. Sämtliche Lieblingsausdrücke aus Jonas
Schriften finden sich in dieser Vita wieder vor, der Sprachschatz
ist der gleiche und fällt um so leichter ins Auge, als Jonas sich in
seiner aus den verschiedensten Autoren zusammengestoppelten Sprache
nicht frei bewegen konnte. Wie sollte nun aber der Italiener dazu
kommen, das Leben eines Bischofs von Arras zu beschreiben? Es läßt
sich indessen nachweisen, daß sich Jonas in der That in jener Gegend
aufgehalten hat. Von Bobbio kommend schloß er sich dem heiligen Amandus
an, der in der sumpfigen Niederung des Elno, im äußersten Norden des
Landes sich angesiedelt hatte. Drei Jahre brachte Jonas daselbst zu,
und da nach der Art jener Missionare auch er für größere Exkursionen
den Wasserweg auf der Scarpe und Schelde zu benutzen pflegte und Arras
an der Scarpe liegt, so kann Jonas wohl gelegentlich mit seinem Kahne
in diese Stadt gelangt sein. Da mag er dann gebeten worden sein, das
Leben des Lokalheiligen aufzuzeichnen und wird seine Aufgabe als
federfertiger Mann in kürzester Frist erledigt haben, wie er ja auch
für das etwas längere Johannesleben nur wenige Tage gebraucht hat.
Auch diese Schrift ist flüchtig hingeworfen und dürftig im Inhalt.
Den kümmerlichen Stoff hat Jonas sich dadurch etwas erweitert, daß er
Chlodowechs Alamannenkrieg in das Leben verflocht und daran einige
Kombinationen wagte. Ueber den vierzigjährigen Episkopat weiß er nur
eine einzige Anekdote zu berichten. Wer indes auch sonst immer außer
Jonas etwa der Verfasser gewesen sein könnte, Berichte von Augenzeugen
hat er sicher nicht benutzt und außer Gregor auch keine schriftliche
Quelle. Die Schrift spiegelt die Lokaltradition von Arras und fixiert
somit, was man sich zur Zeit des Verfassers über den Heiligen daselbst
erzählte. König Chlodowech, so hieß es, hatte in Rheims dem Bischof
Remigius den frommen Vedastes von Toul überlassen; dessen Zelle wurde
nun in Rheims mit Vorliebe von den Vornehmen besucht; man liebte
seinen sanften Mut und seine liebliche Rede. Remigius bestimmte ihn
einem größeren Berufe und schickte ihn in den unwirtlichen Westen; als
Bischof von Arras sollte Vedast die Bekehrung des fränkischen Volkes
fördern. Die Stadt, vor fünfzig Jahren durch Attilas Hunnen zerstört,
lag noch in Trümmern. Der neue Bischof nahm von einer Wüste Besitz.
Als er zum Stadtthor kam und eintreten wollte, wurde er angebettelt;
er sagte, mit irdischen Gütern sei er nicht gesegnet, aber er habe
besseres zu geben. Die zwei Bittsteller wollten jedoch mit Gewalt das
Geld, das er auf sich trug, abnötigen, sagten aber, als er wiederum
seinen Ersatz für Gold und Silber pries, sie wollten dem also verlieb
nehmen. Da sprach er: »Wenn euer Glaube meine Worte begleitet, so
spendet die Gnade des Allmächtigen jedem von euch die alte Gesundheit«.
Nun legte er die Hände über die Augen des einen, berührte die gelähmten
Glieder des andern, machte das Zeichen des Kreuzes, blickte aufwärts
gen Himmel, sofort gewann der Blinde das Gesicht, der Lahme den Gang
wieder und jauchzend gingen sie beide heim. So gelangte er zur Kirche
und trat ein. Da sah er sie ungepflegt und durch die Gleichgiltigkeit
der heidnischen Bürger vernachlässigt, angefüllt mit Vipern und
befleckt durch Kot und Lagerstätten wilder Tiere. Auch viele Häuser
der Stadt waren unbewohnt und starrten vor Schmutz. In einem hauste
ein Bär. Vedast vertrieb ihn und verbannte ihn ein für allemal über
das Flüßchen Crinchon hinüber. Offenbar liegt doch hier die Sage von
der Neustiftung des Bistums Arras durch Vedast in populärer Fassung
vor. Auch über Vedasts politische Stellung mag mit der Lokalmemorie
soweit getreu berichtet sein, daß Vedast zum Hofe Chlodowechs rege und
freundschaftliche Beziehungen unterhielt, daß er dagegen mit Chlothar
nur einmal gelegentlich in Berührung kam, an drittem Orte beim Gastmahl
eines Großen namens Hozinus. Dort behandelt Vedast die Bierfässer
nach Columbans Muster. Ueber seine Missionsthätigkeit verlautet, eine
Gesamtbekehrung der Franken jener Gegend sei ihm nicht gelungen,
dagegen hätte die Zahl der einzelnen Konvertiten steigend zugenommen.

In Luxeuil entwickelte sich unter dem Einfluß des Jonas eine
hagiographische Thätigkeit bei den Mönchen, in die wir uns jedoch
leider keinen zusammenhängenden Einblick verschaffen können. Vielfach
handelte es sich um Ware von leichtfertigster und oberflächlichster
Mache; so ist die Vita des Agilus von Resbay[140-1] wertloses
Flickwerk. Die biographischen Thatsachen und Namen sind fast alle sei
es dem Columbans- sei es dem Eustasiusleben entnommen; wirkliche Liebe
zum Gegenstande verleugnet sich ja freilich nicht, aber da es sich um
den Genossen eines schon beschriebenen Heiligen handelt, so glaubte
sich der Schreiber weiterer Mühe möglichst überheben zu dürfen, und
kopierte so viel ihm eben paßte; wenn er nur seinen Helden möglichst
hoch hob. Seine Angaben verdienen daher auch da, wo sie selbständig
scheinen nur geringen Glauben: wie leicht kann das scheinbar wahre
eben nur unbewußte Kombination von Irrtümern des Verfassers sein; so
seine Abordnung an den Hof nach Boucheresse als Gesandter des Klosters,
seine Missionsreise mit Eustasius zur Bekämpfung einer Häresie des
Bonosus, die sie zu den Bojen oder gar den Bayern und dann wieder
nach Metz führte. Harmlose Züge aus dem Klosterleben von Resbay mögen
echter sein: einmal holte der Abt einen armen Aussätzigen, der in der
Winternacht draußen jammerte, auf dem Rücken herein, und bei einer
Kirchweih, da es an Wein gebrach, gelang ihm ein zweites Wunder von
Cana, sodaß die Mönche mäßig, das Volk aber übers Maß fröhlich wurden.

Nicht alle Schülerarbeit von Luxeuil ist so gering ausgefallen. So
schrieb der Mönch Bobolen, kaum schon vor Jonas, sondern später als Abt
von Bobbio, ein gewissenhaftes Lebensbild des heiligen Germanus, des
Stifters von Moutiers-Grandval im Jura[140-2]. Germanus stammte aus
einem Trierer Adelsgeschlecht und stand in engen Beziehungen zu Bischof
Arnulf von Metz. Nach einem Aufenthalt im Kloster zu Remiremont trat er
dann in Luxeuil unter Abt Waldebert ein. Diesem hatte der elsäßische
Herzog Gundonius einige entlegene Grundstücke im Jura angewiesen.
Waldebert besichtigte sie in eigener Person und schickte zunächst
den Fridwald, einen Genossen des Columba, um den Klosterbau ins Werk
zu rufen; Abt aber wird Germanus und ihm zugleich das Gotteshaus von
Sankt Ursitz unterstellt. Er übernimmt die Obhut über die angrenzenden
Thalschaften und ersetzt die alte Römerstraße von Pierre Pertuis, die
über die Höhen gegen Glovelier hinführte, durch die an der Felsenwand
abgesprengte Straße, die bis auf den heutigen Tag der Birs entlang das
Thal durchzieht. Die Unruhen im merovingischen Reich, die in jener
Gegend ums Jahr 666 zu einem Herzogswechsel führten, und Einfälle
heidnischer Alamannen zerstörten leider die Thätigkeit des edeln
Abtes. Er selbst wird, auf der Rückreise vom Besuche bei seinem neuen
Landesherrn mit seinem Gefährten Randoald erschlagen. Die beiden
Leichen wurden zuerst in die Kirche von St. Ursanne gebracht und dann
in der Peterskirche des Klosters Münster beigesetzt.

Anhangsweise muß hier auch einer litterarischen Erscheinung gedacht
werden, die ohne Heiligenleben zu sein, verwandten Inhalt hat und ohne
sich über ihre Herkunft offen auszuweisen, wahrscheinlich auch in dem
irischen Vogesenkloster zu Hause ist: das sogenannte hieronymische
Märtyrerverzeichnis[141-1]. Es ist unverkennbar gallische Arbeit und in
seiner ältesten Gestalt in den beiden Jahren 627/628 geschrieben worden.

Der Verfasser war weniger ein gelehrter, als ein sehr fleißiger
und wißbegieriger Mann. Er benützte ein altes orientalisches,
wahrscheinlich von einem Arianer abgefaßtes Martyrologium aus der
zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts, das seinerseits auf der
Martyriensammlung des Eusebius von Cäsarea beruhte. Für Afrika ist ein
vorwandalischer Kalender benutzt, für Rom ein römischer, der während
der Jahre 312 bis 422 geführt wurde. Im übrigen hat der Verfasser
unermüdlich Namen und Festtage gesammelt und in die Kalendertabelle
eingetragen, sodaß ein antiquarischer und ein currenter Teil zu
unterscheiden ist oder, anders eingeschätzt, ein ausländischer und ein
gallischer Teil. Durch die zunehmenden lokalen Einträge erhielt das
Werk den überwiegend nationalen Anstrich, den es jetzt hat. Und auch
dann noch scheidet es sich in zwei Exemplare, von denen das eine das
Festverzeichnis von Luxeuil, das andere bei den Kirchen von Auxerre und
Autun verbreitet und vervollständigt wurde; endlich scheint es auch
nach Aquitanien gekommen und dort mit Zusätzen versehen worden zu sein.
Mit Auxerre hat der Verfasser persönlich nichts zu thun, alles deutet
darauf hin, daß er Mönch von Luxeuil war und dort geschrieben hat. Die
bayrische Heilige Afra von Augsburg, die in römischer Zeit von ihrem
nicht eben anständigen Berufe sich bekehrte und Märtyrerin geworden
war, ist nicht weniger als viermal im Verzeichnis erwähnt. Wenn es mit
der Missionsthätigkeit des Abtes Eustasius in Bayern seine Richtigkeit
hat, so mag er ihren Kultus in Luxeuil eingeführt haben; denn ohne
die Lechbrücke bei Augsburg zu überschreiten, konnte der burgundische
Wandersmann Bayern nicht betreten. Sonst hat unsere Martyrologe nicht
das leiseste Bedürfnis zu Notizen über das Leben seiner Heiligen. Das
nackte Schema der Tabelle genügte ihm durchaus. Bei ihm handelt es
sich nun also ausschließlich um gelehrte Systematik trockensten Stils,
während ja gerade deren Verbindung mit der memorienhaften Anekdote das
Werk Gregors so anziehend und so wertvoll macht.


4.

In jener Zeit, da die Macht der Dynastie zusehends zerbröckelte, kündet
sich dasjenige der Adelsgeschlechter, das die Merowinger schließlich
stürzen und ablösen sollte, auch dadurch als das moralisch höhere an,
daß sein Stammvater der Gemeinschaft der Heiligen angehört. Arnulf von
Metz ist von einem ihm untergebenen Mönche nach eigener Anschauung
und Mitteilungen der Dienerschaft geschildert worden. Der Schreiber
war freilich der merkwürdigen Doppelgestalt des Staatsmanns und Laien
nicht gewachsen; ihn interessiert durchaus einseitig der Asket und
der Wunderthäter, als der Arnulf gegen das Ende seiner Tage sowohl
seine weltlichen als seine geistlichen Befugnisse vernachlässigte.
In seiner Jugend hatte er sich unter den jungen Adeligen am Hofe
durch sein intelligentes Wesen ausgezeichnet. Er füllte zunächst eine
militärische Stellung aus, trat dann aber in die königliche Verwaltung
und hatte schließlich sechs Grafschaften unter sich. Er war bereits
Gatte und Vater, als die nähere Bekanntschaft mit dem heiligen Romarich
ihn mitten am Hofe für das mönchische Ideal gewann. Im Begriff, in
Lerinum einzutreten, nahm er die Wahl als Bischof von Metz an und legte
auch seine weltlichen Aemter zunächst noch nicht nieder. Chlothar
_II._ betraute ihn mit der Regierung Austrasiens unter der nominellen
Herrschaft des noch minderjährigen Prinzen Dagobert. Dann aber hielt
ihn kein König mehr. Er zog sich in seine Stiftung, Romarichs Kloster
Remiremont oder Habendi, zurück und lebte dort Gott und den armen
Leuten.

Das dann folgende Zeitalter der Königin Balthilde, an Heiligen nicht
reicher als andere, hat für deren gleichzeitige Beschreibung jedoch
mehr einzelne Kräfte aufgebracht, als bisher gewöhnlich gewesen war.
Die Fürstin selbst ist zunächst von einer nicht übel berichteten
geistlichen Zeitgenossin unter dem unmittelbaren Eindruck ihres
Wandels kunstlos und treuherzig geschildert worden. Sie war eine
angelsächsische Prinzessin, aber kriegsgefangen nach dem Festland
verschlagen worden und unter das Gesinde des fränkischen Majordomus
Erchinoald geraten. Dieser wollte sie heiraten; doch wußte sie sich
den Bewerbungen des Witwers zu entziehen; ob sie dabei bereits in
bewußter Absicht mit der glänzenderen künftigen Stellung rechnete
oder ob die Heirat eine mehr oder weniger sachliche Kombination
des Leiters der Politik Erchinoald war, Balthilde wurde die Gattin
Chlodowechs _II._, dem sie drei Erben Chlothar, Childerich und
Theuderich schenkte. Nach dem Tode des Königs im Jahre 657 führte sie
für Chlothar die Regentschaft und förderte in dieser hohen Stellung
die Kirche, konnte sich aber in den Hofintriguen nicht halten und
wurde ins Kloster getrieben. Ihre Liebesthätigkeit galt besonders den
christlichen Sklaven; sie kaufte viele los, am liebsten Angelsachsen.
Sie lebte in Chelles als die niedrigste der Nonnen und starb an einem
Unterleibsleiden im Jahre 680. Das andere von ihr gestiftete Kloster
war Corbie. Als der von ihr daselbst eingesetzte Abt noch lebte, wurde
ihr Lebensbild wahrscheinlich in Chelles verfaßt nach dem Muster von
Fortunats Leben der Radegunde; später glättete ein etwas besserer
Skribent das unbeholfene Latein dieser Erinnerungen an die andere
merowingische Königin, die sich um ihre Krone noch den Heiligenschimmer
hinzu erworben hatte.

Die bewegte Zeit nach ihrem Abschiede von der Welt wäre für uns
unaufgehellt ohne die Lebensbeschreibungen des Leodegar von Autun.
Von diesem ist nun freilich weder die eine von einem Insassen des
Klosters St. Symphorian zu Autun, noch die andere von dem Abt Ursinus
von Ligugé verfaßt; beide stammen vielmehr aus dem neunten Jahrhundert,
gehen aber die eine als einfältige Kompilation, die andere als
raffinierte Fälschung auf eine alte zeitgenössische Quelle zurück, von
der kürzlich ein Bruchstück gefunden wurde[143-1]. Dieser ungenannte
Augenzeuge schilderte eine Menge wichtiger Staatsbegebenheiten
und lokalgeschichtlicher Details aus den sechziger und siebziger
Jahren sehr ausführlich und packend; er verrät genaue Personen-
und Ortskenntnis. Das Staats-, Kirchen- und Gerichtswesen ist ihm
vertraut. Er tritt mit Pathos für seinen Helden ein und schreibt
offenbar in höherem Auftrag. Seine Darstellung ist eigenartig und
enthebt sich der strengen chronologischen Reihenfolge, indem er
die Thatsachen pragmatisch gruppiert und nachträgliche Ereignisse
gelegentlich einfach vorwegnimmt, sobald sie ihm den faktischen Beweis
für etwas eben erzähltes zu enthalten scheinen[143-2]. Leodegar oder
Saint Leger[143-3], vornehmer Leute Kind, war in der königlichen
Palastschule erzogen worden, war dann behufs weiterer Ausbildung zu
seinem Onkel, dem Bischof Dedo von Poitiers gekommen und wurde mit
zwanzig Jahren Diakon. In der Stellung eines Archidiakons zeichnete
er sich nicht nur durch Rednergabe, sondern auch durch Kenntnis
des weltlichen Rechts aus und hielt als Richter wie als Lehrer die
ganze Diözese Poitiers in Frieden. Danach oder daneben bekleidete
er im Maxentiuskloster bei Compiegne die Abtswürde. Als guter Kopf
blieb er bei Hofe nicht unbeachtet, und gar sein persöhnliches
Auftreten imponierte den großen Herren geistlichen und weltlichen
Standes vollends. So brachte er es im Jahre 659 zum Bischof der
königlichen Residenz Autun und that sich nun als energischer und
scharfblickender Politiker auf. Aus Anlaß der Königswahl gerieten er
und der allgewaltige Hausmeier Ebroin an einander. Ebroin war nicht
gewöhnt, daß man ihm die Stirne bot. Ueberdies hatte Leodegar Burgund
hinter sich, und der Majordomus stammte aus Neustrien. Er ließ daher
die königliche Pfalz für Burgund sperren; da der Zutritt zum Hofe
jedoch von höchster politischer Bedeutung und den Großen für den
Betrieb ihrer Interessen schlechterdings unumgänglich war, lag, wie
in Geßlers aufgestecktem Hute, vielleicht in dem Verbot die Falle
versteckt, gegen die Vornehmen, die das Verbot verletzen mußten oder
aus Stolz verachteten, einen Vorwand zu gewinnen. Leodegar kehrte
sich daran nicht: kaum war König Chlothar gestorben, so eilte er mit
seinen Anhängern in den Palast. Gegen Ebroins Kandidaten Theuderich,
Chlothars dritten Bruder, erhob er Childerich auf den Thron. Durch die
rücksichtslose Bestrafung der unbotmäßigen Junker hatte sich Ebroin
viele Feinde geschaffen und war sogar einer Verschwörung gegen sein
Leben auf die Spur gekommen. Jetzt entschied das Glück gegen ihn: die
Mehrzahl der Edeln ließen den rechtmäßigen Thronfolger Theuderich
fallen, konstituierten sich und erhoben Childerich von Austrasien
zum König. Ebroins Anhang wurde zersprengt; er selbst stellte sich
Childerich, verzichtete auf seine Habe und bat nur, sein Dasein
im Kloster fristen zu dürfen. Sein Vermögen wurde infolge dessen
geplündert und sein Leben, vor allem auf die Fürbitte Leodegars hin,
ihm geschenkt. Er wurde nach Luxeuil geschickt. Auch Theuderich wurde
geschoren und der Obhut des Abtes zu Saint Denis übergeben. In Burgund
übernahm nun, ohne thatsächlich Majordomus zu sein, Leodegar als Leiter
des Palastes die Regierung. Seine Politik bedeutete thatsächlich eine
Kräftigung des Adels gegenüber der Krone, deren beste Stütze ein
energischer Majordomus damals noch war. Die von Ebroin behauptete
Machtstellung sollte unmöglich werden. Das Programm, das er Childerich
unterbreitete, betraf lauter Punkte, die auf eine Beschränkung der
Hausmeierschaft hinauslief: Ausschluß der Erblichkeit, Wechsel unter
den Großen, ohne feste Amtsdauer, abhängig von der Adelsmehrheit;
jeder Vornehme sollte womöglich einmal ans Ruder kommen. Dieser Bund
mit dem Weltadel war nicht nur vom Standpunkt der Königstreue aus
bedenklich, er führte ihn, den Bischof, auch zu einem Gegensatz gegen
die Kirche. Bischof Prajektus von Arvern, Saint Prix, hatte Streit
mit dem Patricius Hektor von Marseille, weil dieser die Tochter einer
frommen Arverner Dame Claudia geraubt hatte und nun nach dem Tode der
Schwiegermutter deren Vergabungen an die Armen beim Könige anfocht.
Leodegar nahm sich des Grafen an und setzte die förmliche Vorladung
des Bischofs vor Königsgericht durch. Anfangs weigerte sich Saint
Prix am Samstag vor Ostern in Rechtssachen Rede zu stehen, es sei
auch gegen das Gesetz. Dann, als man ihn zwang, appellierte er aber
sehr geschickt an die Königin Imnichild, deren hohem Schutz er hiemit
die Interessen der Kirche anvertraue. Und als er nun gar erzählte,
wie man ihn unter Bürgenzwang zu der auch sonst mühseligen Reise nach
Autun genötigt habe und es sich herausstellte, daß dies hinter dem
Rücken des Königs geschehen war, da hatte er gewonnen Spiel: König
und Königin entschuldigen sich bei ihm, alle Bischöfe und Großen
ersuchen ihn, die Ostervigilien zu halten und Messe zu lesen für das
Heil des Königs und den Frieden der Kirche. Für Leodegar war das der
Sturz. Er entflieht mit Hektor. Diesen läßt der König verfolgen,
fangen und hinrichten. Auch Leodegar wird auf der Flucht ergriffen.
In dem Gericht, das die Ersten des Palatiums über ihn hielten, wurde
ihm geradezu, wenn auch wahrscheinlich mit Unrecht, ein Komplott
gegen den König zur Last gelegt. Das Urteil lautete einstimmig auf
lebenslängliche Klosterhaft. So kam er nun seinerseits nach Luxeuil zu
Ebroin. Die alten Feinde mögen sich dort gefunden und vertragen haben.
Nun hatte der austrasische Hausmeier Wulfoald, der durch Leodegars
Maßnahmen gegen den Majordomat direkt betroffen gewesen war, in allen
drei Reichen die Zügel in den Händen. Mit der Palastrevolution, die zu
Childerichs Sturze führte, war dann aber auch die Macht dieses neuen
Hausmeiers zu Ende. Leodegar und Ebroin langten vielleicht gemeinsam in
Autun an. Ebroin mußte bereits in der folgenden Nacht wieder fliehen,
indessen Leodegar für einige Zeit die herrschende Stellung in Burgund
aufs neue besaß. Er entschloß sich nun mit Leudesius, dem andern Führer
der Adelspartei, für Theuderich _II._, den er früher entthront hatte.
Die Wirren im Lande waren unbeschreiblich. Und Ebroin gelang es, sich
in Austrasien zu kräftigen; sein Einfall in Burgund war siegreich.
Er ehrte seinen früheren Schützling, den jetzigen König, der vor ihm
flüchtete, als seinen Herrn, tötete Leudesius und übernahm wieder
seine Machtstellung von ehemals. Die Reihe kam nun an Leodegar, den
alten Feind, den alten Unglücksgenossen. Ebroin ließ Autun durch zwei
seiner Heerführer belagern. Der Bischof sah, daß er sich nicht halten
konnte. Er verschrieb den aufgesammelten beträchtlichen Parteifonds
für Kirchen und Armenzwecke, versöhnte sich mit seinen Feinden und
kapitulierte, aber erst nach versuchtem Kampfe. An der Spitze der
gesamten Geistlichkeit schritt er hinaus, unter Psallieren, mit den
Kreuzen und allen Reliquien. Er wurde als Hochverräter geblendet, unter
Klosterbann gestellt und später hingerichtet. Schlau, ehrgeizig, sonst
aber kein schlechter Mensch ist er jedenfalls, sobald und solang er
Politik trieb, ein kurioser Heiliger gewesen.

Zwei Weltheilige im besten Sinne sind dagegen Saint Eloi und Saint
Ouen, die im Verhältnis von Meister und Schüler stehend, mit ihrer
Lebenszeit ziemlich ein ganzes Jahrhundert umspannen. Eligius[146-1],
keltischer Abkunft, ist in Chatelat bei Limoges im Jahre 588
geboren. Sein Vater hieß Eucherius, die Mutter Terrosia. Um seiner
künstlerischen Anlagen willen gab man ihn noch bei sehr jungen Jahren
in Limoges dem Goldschmied Bobbon in die Lehre; dieser Bobbon war
königlich fränkischer Münzmeister. So erlernte Eligius sowohl die
Juwelier- als die Prägekunst. Er that sich dann in Limoges selbständig
auf, erwarb sich in der Stadt selbst und in der Umgegend ein Ansehen,
das über jeden Zweifel erhaben war. Von Limoges siedelte er nach Paris
über und trat dort in Beziehungen mit einem Schatzmeister Chlothars
_II._, einem redlichen Manne. Bobbon benutzte die erste Gelegenheit,
die sich bot, seinen Schützling dem Könige vorzustellen. Der Fürst war
eben im Begriff, einen Thron mit Gold und Edelsteinen anfertigen zu
lassen, wußte aber nicht, wen er mit dem Auftrag betrauen sollte. Auf
Bobbons Empfehlung, daß einzig Eligius hiezu fähig sei, ließ Chlothar
das Gold und die Steine diesem einhändigen. Eligius führte das Werk mit
der größten Gewissenhaftigkeit aus. Der König wußte sich vor Erstaunen
nicht zu fassen; wie man denn nur mit so wenig Material so prächtiges
habe liefern können. Das kam daher, Eligius war ehrlich gewesen,
während die andern Handwerker jener Zeit es nicht anders wußten, als
zu unterschlagen, und nachher vorgaben, diese Einbuße sei beim Feilen
und Einschmelzen nicht zu vermeiden. Einen solchen Mann wußte Chlothar
zu schätzen. Er machte ihn zu seinem Minister und während dreier
Regierungen vermochte sich Eligius dieses Vertrauen seiner Landesherren
zu bewahren. Eligius war ein Mann von hohem Wuchs und blühender
Gesichtsfarbe. Und nicht nur sah er gut aus, er benahm sich auch fein.
Er trug einen schönen Bart und langes, wallendes Haar, er pflegte seine
Hände, an denen namentlich die feine Bildung der Finger auffiel; seine
Gesichtszüge hatten etwas weiches, evangelisches; sein Auge blickte
klug und treu. Seit er am Hofe verkehrte, richtete er auch sein äußeres
Auftreten danach ein: er trug prächtige Kleider, mit Gold und kostbaren
Steinen, wie die großen Persönlichkeiten des Zeitalters. Später wurde
er einfacher und ersetzte die kostbaren Stücke seiner Garderobe durch
bescheidenere, um die dadurch erzielte Ersparnis Armen und Kranken
zuzuhalten. Eligius war im damaligen Frankenreich ein hervorragender
Mann geworden, als Künstler wie als Staatsmann. 635 entsandte ihn
Dagobert _I._, um bei Judicaël, dem König der Bretonen einen heikeln
Auftrag zu erfüllen, dessen er sich mit allem Geschick entledigte.
Fünf Jahre später wurde er zum Priester geweiht und zum Bischof von
Noyon erhoben. Von da an überwog bei ihm die geistliche Wirksamkeit.
Namentlich machte er sich die Bekehrung der Friesen zur Aufgabe. Er
starb zu Noyon im Geruch der Heiligkeit, in der Andreasnacht 659,
einundsiebzig Jahre alt, unter der allgemeinen Teilnahme des ganzen
Reiches und besonders auch der Königin Balthilde. Gleichzeitig mit
Eloi’s Erhebung zum Bischof von Noyon war dem Kanzler Dagoberts das
Bistum Rouen zugefallen: es war Audoen, der Schüler des Eligius, der
auch dessen Leben beschrieb. Dieser fand dann selber wieder einen
Schilderer seines Leben. Von drei Edelleuten aus Soissons den Gebrüdern
Ado, Dado und Rado war Ado Mönch, Rado ein hoher Finanzbeamter, Dado
dagegen, eben unser Audoen, erst ebenfalls Höfling unter Chlothar
_II._ und Dagobert, wobei er in den zwanziger Jahren Eligius kennen
lernte. Auch ihn führte Neigung, Lebenswandel, königliche Gunst und der
Einfluß des Meisters in die bischöfliche Laufbahn. Ums Jahr 640 war
es, daß er in dieser Eigenschaft nach Rouen kam. Er unternahm große
Reisen. Als er Spanien betrat, fiel zum ersten Mal seit sieben Jahren
ein lauer Regen. Er wallfahrtete nach Rom. In Köln wirkte er auf den
Frieden zwischen Neustrien und Austrasien hin. Auf der Heimreise stirbt
er bei Paris 683 und wird feierlich nach Rouen überführt. Reliquien
von ihm kommen nach England. Sein Lob singt überdies ein künstliches
Akrostich in Kreuzform, wahrscheinlich das Werk seines Amtsnachfolgers
Ansbert[147-1].

Endlich noch ein Missionarsleben. Der Mönch Baudemund aus dem
Kloster Elnon bei Tournai schildert die Wirksamkeit seines Meisters
Amandus[147-2] folgendermaßen: er wurde zu Ende des sechsten
Jahrhunderts in Aquitanien nahe der Meeresküste geboren und war
vornehmer Abkunft. Als junger Mann trat er in das Kloster auf der
Insel Oia, verzichtete in der Folge auf sein väterliches Erbe und ließ
sich am Martinsgrabe von Tours zum Priester weihen. Dann übergiebt
er sich Austregisöl und dessen Obersthelfer Sulpizius Pius; und
verbringt dort in einer Zelle nicht weniger als fünfzehn Jahre.
Vierunddreißig Jahre alt, reiste er nach Rom, später ein zweites
Mal; dann widmet er sich endgiltig der Bekehrung der Heiden zunächst
in belgischen Landen. Er verläßt sich bei dieser Bekehrung nicht
auf seine Wunderkraft, sondern ruft den austrasischen König an,
die Taufe zwangsweise mittelst Königsbann durchzuführen. Nicht um
selbst geschützt zu sein, drang er auf staatliche Mission der Heiden,
sondern weil er Mitleid hatte mit ihrem Irrsal und wohl erkannte,
wie wenig sein Märtyrertod auszurichten vermöge, wie viel dagegen die
Staatsgewalt. Er erwirkte durch Bischof Aichar von Noyon Briefe und
Bannbefehle von König Dagobert. Doch trotz des Königszwanges stieß er
auf den härtesten Widerstand; er wurde immer wieder zurückgestoßen,
ja sogar in die Schelde geworfen. Amand sucht bei dem fränkischen
Grafen Dotto in Tournai, vor dessen Instanz Rechtshändel zu erledigen
waren, einen notorischen Dieb vom Galgen freizubitten; aber da der
Graf als pflichttreuer Beamter seine Schuldigkeit that und ungeachtet
der humanen Einmischungen eines Unberufenen eben hängen ließ, wie
das Gesetz es vorschrieb, sagt Baudemund von ihm, er sei grausamer
gewesen als irgend ein reißendes wildes Tier. Dann sucht sich der
todesmutige Amand, in der ausgesprochenen Absicht, zum Märtyrer zu
werden, ein neues Missionsfeld bei den Slaven. Er drang über die Donau
nach Baiern vor, kehrt dann aber zurück, nachdem er nur wenige getauft
hatte und keinen weiteren Erfolg absah. Ohne die königliche Macht als
Rückhalt war eben mit der Mission nichts. »Einstweilen«, heißt es
weiter, »hatte sich König Dagobert mehr als recht war, der Frauenliebe
ergeben. Vom Schmutz der Lüste einer Entzündung verfallen, bekam er
keine Nachkommenschaft und betete zu Gott, er möge ihm einen Sohn
geben, der ihm im Reiche folgen könne«. Nun hatte der Heilige früher
den König wegen seiner Todsünden zur Rede gestellt und war deshalb
verbannt worden. Als jedoch der ersehnte Thronfolger geboren wurde,
veranlaßte der König eine Versöhnung in Clichy und nahm der Heilige
nach einigen Einwänden die ihm zugemutete Pathenschaft an. Später wurde
er, von diesem seinem Täufling König Sigibert _III._ und den Bischöfen
gezwungen, den erledigten Stuhl von Mastricht wider Willen anzunehmen.
Dort predigt er drei Jahre in einem Wanderleben, fordert aber auch
diesmal durch seine schroffe unnachsichtliche Art vielfach den
Widerspruch der andern Geistlichen heraus und warf ihnen schließlich
das Bistum wieder vor die Füße. Er zog sich auf die Insel Calloo in der
Scheldemündung zurück. Vergeblich hatte ihn sein Freund Papst Martin
von diesem extremen Schritt abgemahnt und aufgefordert, den Widerstand
durch Strafen zu brechen. Zugleich bittet der Papst den Heiligen,
bei Sigibert Unterstützung des heiligen Stuhles gegen Byzanz zu
erwirken, der erste Versuch eines Papstes mit Hilfe des Frankenstaats
den Byzantinern als Haupt der ganzen abendländischen Christenheit
entgegenzutreten. In diesen Jahren versuchte der Heilige ebenfalls
vergeblich die Wasconen zu bekehren, also nun diesmal ganz anderswo,
an der Südgrenze des Reiches, gegen die Pyrenäen hin. Erst wirkt er
außerhalb des fränkischen Teiles von Wasconien, muß sich aber auch
dann wieder aus Mangel an Erfolg ins Gebiet der Franken zurückziehen.
Unermüdlich ist er im Gründen von Klöstern und kann es bis an sein
Lebensende nicht überwinden, daß man Vogelschau trieb oder einen Baum
als Idol anbetete. Ungebeugt starb er im Jahre 684.

Drei Jahre später erfocht der Hausmeier Pippin bei Tertri den
entscheidenden Sieg, der in Wahrheit der Herrschaft der Merowinger
ein Ende machte, wiewohl sie dem Scheine nach noch bis über die Mitte
des folgenden Jahrhunderts im Regiment saßen. In der letzten Phase
ihres Zeitalters hatte die Heiligenschreibung angefangen sich zu der
litterarischen Industrie zu entwickeln, als die wir sie dann unter den
Arnulfingern bald genug entfaltet finden. Die karolingische Schule
für Hagiographie hat auf den Errungenschaften der merowingischen
aufgebaut und stellt sie scheinbar weit in den Schatten; denn in ihr
floriert das Interesse an der Vergangenheit, und so bevölkert sie
denn kaltblütig den Merowingerstaat nachträglich mit Heiligen aller
Art, die uns auf unserer Wanderung durch die gleichzeitigen Quellen
gar nicht oder anders begegnet sind. Da echte Forschung damals nicht
möglich ist, handelt es sich um Mißbrauch der Forschung, um Erfindung
und Fälschung[149-1]. Die bescheidenen Machwerke der Merowinger
Zeit dagegen sind durchweg ehrlich. Selbst beim hieronymischen
Märtyrerverzeichnis ist die Unterschiebung des Kirchenvaters harmlos,
da sie nur die Vorrede betrifft und den Inhalt in keiner Weise in
Mitleidenschaft zieht. Bei aller Unzuverlässigkeit kann man also bei
den beschriebenen Schriften von historischer Treue reden und sie
deshalb schätzen, wie ja denn überhaupt das Frankenreich der Merowinger
zwar höhere Bildung aber auch höhere Heuchelei nicht kennt, noch roh
aber auch noch naiv ist.




Dritter Abschnitt.

Die Legende.


Erinnerung und Erkundigung erschöpfen indessen den Inhalt der
Heiligenviten nicht. Ein wesentliches Element in ihrem Bestande wird
von der Legende bestritten. Legende ist das uferlos flutende Weistum
der Volksseele. Es hat doppelten Ursprung: entweder entquillt es der
geschichtlichen Erinnerung, dann ist es Sage. Oder es entspringt
der Naturanschauung, dann ist es Mythus. In den Vordergrund unserer
Erwägungen drängt sich jedoch das Bewußtsein der Schwierigkeiten,
dieses legendenhaften Wesens der Heiligenvorstellung für unsere
Erkenntnis überhaupt habhaft zu werden. Zumal nun auch die gebundene
schriftliche Ueberlieferung der fließenden mündlichen nicht mehr
auf dem Fuße folgt und somit, was bisher noch in den festen Formen
der Litteraturgeschichte sich abspielte, sich nun für uns auflöst
in ein schwer greifbares Nacheinander oft geradezu gestaltloser
Gedankengebilde. In den folgenden markanten Beispielen, an denen die
mannigfaltigen Erscheinungsarten der Legende herausgeschält werden
sollen, ist der Anteil von Mythus und Sage sehr ungleich, und dasselbe
Mißverhältnis zeigt sich in geographischer Hinsicht, insofern das
gallische Stammland von Mythenbildung und Teilnahme der Heiligenlegende
an ihr fast ganz frei blieb, während der verhältnismäßig schmale
Streifen der Alpen- und Rheingegenden davon wuchert. Bei den Franken
selbst äußert sich der Trieb zur freien Gestaltung und zur Emanzipation
der Phantasie von geschichtlichem Geschehen fast nur in der mehr
oder weniger passiven Aufnahme des kirchlichen Sagenstromes, der
sich von Rom aus über das fränkische Reich ergießt. Selbst bei zwei
Hauptheiligen des Frankenvolkes, wie Martin und Genovefa von Paris
ist ein mythischer Beisatz zwar da, aber durch die viel kräftigeren
epischen Triebe fast gänzlich absorbiert. Und die heilige Radegunde hat
das Volk von Poitiers nur ganz verstohlen mit einem alten Druidenstein
in Verbindung bringen können.

Was an mythischen Bestandteilen im merowingischen Heiligenhimmel sich
vorfindet, ist teils aus dem Orient hergezogen, wo die Amalgamierung
vom Heidnischen ins Christliche vor angetretener Wanderung ins
Abendland sich bereits restlos abgeschlossen hatte, oder sie hat
sich, sofern ein solcher Austausch auf germanischem Boden stattfand,
auf nicht fränkischem Gebiete, am ehesten bei den Alamannen oder den
Friesen und Angelsachsen durchgesetzt. Ueberdies kommt die Schiebung
in Betracht, die in den germanischen Göttervorstellungen selber vor
sich ging. Einen germanischen Olymp hat es nie gegeben; jeder Stamm
hatte seine Gottheiten, jeder seinen Glauben für sich. Nur der mächtige
Himmelsgott in seinen beiden Gestalten des Tiuz und des Donaraz
sowie seine Gemahlin Frijô haben im Glauben aller deutschen Stämme
geherrscht, bis der lokale und untergeordnete Wind- und Totengott der
Istväonen, Wodan, im Laufe der Zeit sich universale Rechte usurpierte,
den Tiuz aus dem Felde schlug und wenigstens in England und im Norden
sich bleibend zum obersten der Götter erhob. Auch in Alamannien griff
der Wodankult ein, ohne jedoch noch die Verehrung des älteren Kriegs-
und Donnergottes verdrängt zu haben, als an der Spitze der fränkischen
Reichsmission bereits eine dritte und in der Folge siegreiche Macht ins
Feld rückte, eben die Heiligen der Merowinger.




Siebentes Kapitel.

Wanderheilige.


Fassen wir zunächst Heilige ins Auge, an denen der ursprüngliche
Charakter der Legende unverändert zu Tage tritt, Heilige, deren
Lebensgeschichte keinerlei Spuren memorienhafter Erinnerung mehr
aufweist, sondern in ein oft überreiches Detail voll unverfolgter
Anknüpfungen und unerwarteten Beziehungen sich verbreitend, doch
niemals die dürftigen und lückenhaften Leitlinien des biographischen
Verlaufes verbergen kann. Heilige dieser Art, wenn man überhaupt
weiß, woher sie stammen, sind meistens irgendwoher aus dem Süden
oder von Osten ins Abendland eingewandert. Auch im günstigsten
Falle mangeln ihrer Gestalt scharfe Umrisse, scheinen sie vielmehr
unwirklich zerflossen; oft genug ist in ihrer Ueberlieferung die
Volkstradition überhaupt an mehr als einem Punkte in ihrem Flusse
aufgeschöpft, oft sogar von ein und demselben Heiligen mehrmals, sodaß
wir dann für denselben Namen verschiedene Gestalten antreffen, die
sich unter einander kaum mehr ähnlich sehen. Die reine, unberührte
Form der Heiligenlegende liegt in ihrer Unform, in der eigentümlich
hypertrophischen, hundertgliedrigen Mißgestalt. Meistens durch
Amputationen auf ein historisch mehr oder weniger mögliches Lebensbild
reduziert, aber auch dann nicht ohne hie und da einen unvernähten
Riß, hat sich diese Urnatur der Legende in seltenen Fällen unserer
Einsicht noch in ihrer kruden Mißförmigkeit erhalten, etwa als
doppelgeschlechtiges Mannweib, als Jungfrau mit dem Barte. Selbst
jene Beschränkung der stofflichen Ueberfülle zu einer natürlichen und
faßbaren Sagenfigur, formal gewiß ein Fortschritt, bedeutet doch immer
zugleich eine Verarmung für den Ideengehalt der Legende, die, sobald
sie unbefangen bleibt, sich immer gespensterhaft zwischen Himmel und
Erde als ihrer Heimat in der Schwebe hält. Dort bedient sie sich dann
wohl menschlicher Erscheinungsarten, aber sie fühlt sich an sie nicht
mehr gebunden.


1.

Zur Zeit des Entscheidungskampfes zwischen Christentum und Heidentum
beherbergten Kleinasien und Syrien eine Anzahl Heiliger, von denen
jeder gewissermaßen auf die Wanderschaft ging, und das Abendland seinem
Namen unterworfen hat. Sie haben die Dunkelheit ihrer Lebensgeschichte
mit einander gemein, sowie Züge, die in die heidnische Götterwelt
hinüberspielen. Deutlich zeigt sich das am heiligen Christoph[151-a].
Er stammt aus dem Lande der Riesen, kam unter der Regierung des
Königs Dagnus oder Decius von den Inseln nach der durchaus fabelhaften
Stadt Samos in Lycien. Nach seiner Taufe erregte er in Syrien unter
den Heiden Aufsehen, weil er statt eines menschlichen, den Kopf eines
Hundes trug, und bekehrte Unzählige, weil sein eiserner Stab grüne
Blätter trieb. Anderswo[152-a] erscheint Christoph als äußerlich sehr
ungeschlacht, dagegen spricht er, als er gefangen wird, ohne Unterricht
plötzlich griechisch und verblüfft seine Häscher durch das Wunder
des grünenden Stabes; erst dann erfolgt seine Taufe durch Bischof
Babylus von Antiochien. In der bekannten germanischen Form dagegen ist
Christoph, dem griechischen völlig ungleich, ein heidnischer Riese, der
durch die Welt zog, einen stärkeren zu suchen, als er sei. Er diente
dem Teufel, bis er ihn einem Kreuz ausweichen sah: der Herr des Kreuzes
mußte also stärker sein. Durch einen Einsiedler belehrt, daß sich
Christus Dienst in guten Werken äußere, läßt sich Christoph an einem
Fluß nieder, um, zwölf Fuß hoch, wie er war, Wanderer über das Wasser
zu tragen und thut es, bis er eines Tages unter der unscheinbaren,
aber immer drückenderen Last des Christusknaben zusammenbricht. Die
Verschiedenheit der Ueberlieferung ist jedoch nicht das einzige,
was an Christophs Geschichte auffällt. Auch daß die Namen, die er
trägt, mag er nun vor seiner Bekehrung Adokimos oder Reprobus oder
Offerus geheißen haben, alle deutbar sind und eine Eigenschaft des
Trägers ausdrücken, weist auf einen inneren Zusammenhang des Namens
mit dem Leben hin; bei einer geschichtlichen Figur müßte dies ein
Zufall sein, da der Mensch heißt, bevor er etwas ist, und somit eine
Uebereinstimmung von Namen und Leben, wenn überhaupt dem Namen ein
Sinn innewohnt, zu den großen Ausnahmen gehören wird. Aber noch mehr
giebt an Christoph zu denken, daß er nicht nur in seiner Sage plötzlich
einmal mit einem Hundskopf auftritt, sondern diesen Ersatz eines
menschlichen Gesichtes auf alten griechischen Bildwerken wirklich zur
Schau trägt[152-1]. Hier hat die christliche Sage einen Riß; wir sehen
in die heidnische Mythologie hinein: einen Wolfs- und Hundskopf trug
Anubis, der den jungen Sonnensohn Horos durch den Nil trägt[152-2].
Allerdings kann ein vereinzelter Zug nicht viel beweisen. Aber an der
Gestalt des heiligen Georg läßt sich der Vergleich auf der ganzen Linie
durchführen.

Die griechische Georgslegende erzählt, Kaiser Diokletian habe auf ein
Apolloorakel hin alle seine Statthalter zu einem Rat wider die Christen
zusammenberufen. Damals lebte Georg, von vornehmen christlichen Eltern
in Kappadocien. Er hat als Kind seinen Vater verloren und war dann
mit der Mutter nach ihrer Heimat Palästina ausgewandert. Als schöner
Jüngling trat er ins Heer ein und zeichnete sich in den Kriegen so
aus, daß er Comes wurde. Zwanzig Jahre alt erbte er seine Mutter und
begab sich mit seinem fürstlichen Vermögen an den Hof, um da sein
Glück zu machen. Hier angekommen — wo, wird nicht gesagt — hörte Georg
von der Verfolgung, die über seine Glaubensgenossen verhängt sei,
verteilte sofort alle seine Reichtümer unter die Armen und bekannte
sich vor dem Kaiser als Christen. Er soll den Göttern opfern, bleibt
standhaft und wird nun gemartert. Am ersten Tage stoßen ihn die
Trabanten mit Speeren nach dem Kerker; ein Speer, der Georgs Körper
berührt, wird wie Blei umgebogen. Dann werden ihm die Füße in den Block
gespannt und ein schwerer Stein auf die Brust gelegt. Er lacht über so
leichte Qualen. Am zweiten Tag wird er an ein großes mit Schwertern
besetztes Rad gebunden und gepeinigt. Darauf liegt er wie schlafend
da. Diokletian hält ihn für tot. Man bindet ihn los und siehe da, er
ging heil von dannen. Georg wird nun in eine Grube mit frischgelöschtem
Kalk geworfen: als der Kaiser nach dreien Tagen den Auftrag giebt,
die Gebeine heimlich zu verscharren, findet man Georg in heiterer
Haltung, im Gebet begriffen. Der Kaiser hält ihn für einen Zauberer und
läßt ihn in glühenden Schuhen in den Kerker zurücklaufen. Als er am
sechsten Tage aufrecht gehend vor dem Kaiser erscheint, gebietet dieser
Georg mit Riemen ans Rindshaut so lange zu geißeln, bis das Fleisch
in Stücken herabfällt. Auch tötliche Zaubertränke trinkt er, ohne
Wirkung zu verspüren, aus. Nachdem er die Reihe der Marter bestanden
hat, thut Georg drei Wunder: Athganasios fordert ihn auf, einen Toten
zu erwecken; er thut es. Dann ruft er den gefallenen Ackerstier des
Landsmanns Glykerios ins Leben zurück. Am achten Tage erscheint Georg
zum letzten Gericht vor dem Kaiser; im Apollotempel beschwört er den
bösen Geist, der in dem Götterbild wohnt, bis dieser sich als einen von
Gott abgefallenen Engel bekannt; alle Götterbilder stürzen auf die Erde
und zertrümmern. Da fiel die Kaiserin Alexandra dem Heiligen zu Füßen;
Diokletian ließ beide zur Hinrichtung abführen. Alexandra gab unterwegs
den Geist auf, Georg aber ging Gott lobsingend auf den Richtplatz und
wurde enthauptet; es war am 23. April.

In diesen griechischen Akten liegt nun aber eine von allerlei
Rücksichten geleitete Ueberarbeitung der Georgssage vor. In älteren
lateinischen Akten heißt es: der Teufel trieb Dacianus, den Kaiser
der Perser, den Herrn über die vier Himmelsgegenden, daß er die
zweiundsiebzig Könige der Erde, die unter ihm waren, zusammenrief
und auf ihren Rat die Christen bedrängte. Damals lebte der heilige
Georg. Melitene in Kappadocien war sein Geburtsort und der Schauplatz
seines Martyriums. Hier hielt er mit einer Witwe Haus. Die Marter, die
er zu bestehen hatte, sind zahllos; genannt werden die Folterbank,
eiserne Zangen, das mit Schwertern besetzte Rad, die an die Fußsohle
angenagelten Schuhe; dann wird Georg in eine eiserne, inwendig mit
Nägeln besetzte Kiste geworfen, in den Abgrund gestürzt, mit eisernen
Hämmern geschlagen; eine schwere Säule wird auf ihn gelegt, ein
schwerer Stein auf sein Haupt gewälzt; er wird auf ein glühendes
eisernes Bett gedrückt und mit geschmolzenem Blei übergossen, dann
in einen Brunnen geworfen, mit vierzig glühenden Nägeln durchbohrt,
in einen glühenden ehernen Stier eingeschlossen, mit einem Stein um
den Hals in den Brunnen geworfen: diese Marter dauern sieben Jahre.
Endlich verdarb Georg mit Arglist die Zauberer der Heiden und brachte
die Heiden selbst um; Vierzigtausendneunhundert Menschen aber bekehrten
sich zum Christentum, darunter Alexandra, die Kaiserin der Perser.
Dacianus ließ beide enthaupten, eines Freitags den 24. April. Hierauf
entführte ein feuriger Wirbelwind den Dacianus und seine Genossen. Die
Muhammedaner haben die folgende Fassung übernommen: Georgîs, der noch
bei Lebzeiten der Apostel geboren war, wird von Gott zu dem Könige von
El-Maucîl geschickt, um ihn zur Annahme des Christentums aufzufordern.
Der König ließ ihn hinrichten. Gott aber rief ihn wieder ins Leben
zurück und schickte ihn ein zweites Mal; ein zweites Mal getötet ward
er von Gott wiederum auferweckt und ein drittes Mal geschickt. Nun
ließ ihn der König verbrennen und seine Asche in den Tigris werfen.
Darauf vertilgte Gott den König mit allen seinen Unterthanen. Die
alte abendländische Legende vom heiligen Georg ist in den Kreisen
der Kirche von Lyddadiospolis in Palestina entstanden. Dort erhob
man den Anspruch, Georgs Leichnam zu besitzen. Jedenfalls bestand
dort ein besonders alter Georgskultus. Deshalb unternimmt auch Georg,
ehe er Märtyrer wird, in den griechischen Akten einen Abstecher nach
Palestina. Die noch ältere morgenländische Fassung muß davon unabhängig
gewesen sein; sie läßt den Heiligen verbrannt werden, sie kann mithin
eine Beisetzung seiner Asche, aber nimmermehr seines Leichnams gekannt
haben. Georg hat nicht nur bei den orientalischen Christen, sondern
fast mehr noch bei den Mohammedanern eine ausnehmende Verehrung
genossen. Offenbar wurzelt sein islamischer Kultus tief im Volksglauben
und war nicht auszurotten. Wie ist das zu erklären, wenn Georg weiter
nichts wäre, als ein christlicher Heiliger?

Sein Geburts- und Todesland Kappadocien hilft uns auf die Spur. Es
war fast tausend Jahre vor dem Sieg des Christentums vollständig
iranisiert. Die alten Naturgottheiten wurden verdrängt, untergeordnet,
verflüchtigt. Nur wenigen Gottheiten gelang es, sich im Volksglauben
dauernd zu behaupten und trotz der zoroastrischen Prinzipien immer
mehr Terrain zu gewinnen und schließlich aller Orten in Bildern
verehrt zu werden. Die vornehmsten dieser Götter sind Anâhitâ und
Mithra. Kappadocien ist die Wiege des Mithradienstes in der Gestalt,
die er im Abendlande genommen hat. Mithra ist das geschaffene, Alles
durchdringende, alles belebende Licht, der Vertreter der Wahrheit,
Gerechtigkeit und Treue; in später Zeit ist er mit der Sonne
identifiziert und sein Kultus mit vielen fremden Bestandteilen versetzt
worden. In der jüngsten Phase des Mithradienstes drängt sich die
Aehnlichkeit mit Georg bis auf den einzelnen Zug auf: Mithra der Gott
stammt von Menschen und ist ein König göttlichen Geschlechtes, Georg
der Sohn vornehmer christlicher Eltern. Mithra der reiche Landesherr,
schaltend über Gaben, schaltend über Fluren, Georg der Herr großer
Schätze und eines reichen Erbes. Mithra war wohlgebildet, hoch, rein,
lieblich, Georg ein schöner Jüngling. Mithra und Georg sind in voller
Rüstung, die Hand an der Waffe. Mithras Wagen ziehen weiße Renner.
Georg erscheint hoch zu Roß. Georgs Gegner ist der böse Dacianus, und
Aji Dahâka oder Dehâk ist die verderbliche Ahrimansschlange und wird
in der späteren Parsensage direkt zum Teufel, endlich wird er ganz
vermenschlicht und in das iranische Tyrannenideal verwandelt. Der
Teufel, Ahriman, ist Dehâks Verführer und Ratgeber, genau dieselbe
Rolle fällt dem Apollon bei Dacianus zu. Auf den alten Darstellungen
schaut eine Frau im Königsgewande dem Kampfe Georgs zu: die Kaiserin
Alexandra. Dem Mithra ist Anâhitâ als weibliche Gottheit häufig
beigesellt. Sie heißt die große Königin und tritt auf wie eine Königin,
trägt ein goldenes Uebergewand und ist bekleidet mit Pelzkleidern
von dreißig Bibern. Der Name Alexandra, »die Männer Abwehrende«
wäre eine passende Bezeichnung für die jungfräuliche Anâhitâ. Die
spätere Georgssage kennt eine doppelte Herkunft der Alexandra, sie
sei in Kappadocien geboren, zur Hälfte aber eine ›Französin‹ gewesen.
Das deutet auf Gallien im lateinischen und Galatia im griechischen
Original. Versteht man darunter nun nicht das europäische, sondern das
kleinasiatische Gallierland, wo Pessinus, der Hauptsitz des Kultus
der Göttermutter liegt, so wäre Alexandra die Göttin, die in der That
in Kappadocien als Anâhetâ und in Galatien als Magna Mater verehrt
wurde. Was nun die Witwe betrifft, mit der Georg, als einem zweiten
weiblichen Wesen, zusammengedacht ist, so bringt zwar der römische
Synkretismus Mithra noch mit Aphrodite-Anâhitâ in Beziehung, aber da
Mithra dort meist Sonnengott ist, in noch engere mit der Mondgöttin
Selene-Isis, der Witwe des Osiris. In dem jüngeren Stadium der
Georgssage hat die Witwe einen drei Monate alten Knaben, der an Händen
und Füßen gelähmt und blind ist, auf Georgs Fürbitte aber nicht nur
den Gebrauch seiner Gliedmaßen wieder erhält, sondern auch auf sein
Geheiß in diesem frühen Alter geht und spricht. Isis hat zum Sohn den
Harpokrates; er ist stets als Kind dargestellt, unausgebildet und
schwach auf den Füßen; er legt den Mund auf den Finger: die Geberde
des Stillschweigens. Würde ihn ein Georg heilen, dann thäte er eben
das was der Sohn der Witwe thut: reden, gehen und anderes was sonst
die Kräfte eines Kindes übersteigt. Kehren wir zum Mithra in seiner
ältesten Auffassung zurück, so heißt er der mit silbernem Helm und
goldenem Panzer, der geschossetötende, mächtige, tüchtige Dorfherr und
Krieger, der auf dem Schlachtfeld dasteht und die Reihen vernichtet. In
den späteren Mysterien des Mithras war der erste Hauptgrad der eines
Miles. Die Römer hießen Mithras den Unbesiegten. Ebenso führt Georg
der tapfere, siegreiche Krieger das Beiwort eines Trophäenträgers.
Mithra schützt seine Verehrer in den Schlachten und läßt die Gegner
an ihnen fruchtlos abprallen; und so genoß er denn auch bei den
römischen Soldaten eine außerordentliche Verehrung, die namentlich
in den nördlichen Provinzen durch sehr viele Denkmäler bezeugt ist.
Der Mithradienst wurde eine förmliche, kastenmäßig abgeschlossene
Kriegerreligion, die sich in verschiedene, an harte Prüfungen geknüpfte
Grade gliederte. Georg wurde dementsprechend der Schirmherr der
Kriegsleute, der Schutzpatron ritterlicher Orden. Mithra ist ein
Reichtum, Glück und Frieden spendender, liebevoller Gott; Georg ein
Heiliger, der seine unermeßlichen Schätze unter die Armen verteilt.
Mithra schützt und spendet Leben; Georg heilt Kranke und erweckt einen
Toten. Einer verirrten Kuh werden die Worte in den Mund gelegt: »Wann
wird uns der Mann zum Stalle bringen hinterherfahrend, Mithra der
weitflurige? Wann wird er uns hinbringen auf den Weg der Reinen, die
in das Haus des bösen Geistes der Verwesung geführte?« Georg wird von
dem armen Landmann, dem sein Ackerstier gefallen war, angerufen und
giebt dem Stiere das Leben wieder. Mithra erscheint auf den römischen
Kunstdarstellungen als Stiertöter; aber der Mord stellt sich nur als
fingiert heraus: »mit erhobenen Armen fährt zur Unsterblichkeit hin
Mithra der weitflurige vom glänzenden Garo-Ninâna aus«; Mithra selbst
verklärt sich zu einem neuen unsterblichen Leben, und erst die spätere
Einmischung physikalischer Spekulation läßt ihn dann den Stier, das
heißt die belebte Natur töten, wobei dann eben dieser Tod die Keime
zum neuen Frühling enthält. Mithra heißt der wachsame, in ihm ist das
Verständnis der reinen, weithin nützenden Lehre niedergelegt, als
erster Verkündiger mehrt er stark des heiligen Geistes Geschöpfe;
Georg ist ein treuer Anhänger der reinen Lehre Christi, er wird von
Gott ausgeschickt, diese dem Perserkaiser zu verkündigen; er bekehrt
Tausende zum Evangelium. Wenden wir den Blick auf die Marter, die
Georg zu bestehen hatte, so ist an die allgemeine Vorstellung des
Altertums zu erinnern, daß was die Mysten des Gottes zu bestehen haben,
auch der Gott selbst bestanden hat. Und nun sind in den Prüfungen, die
den Mysten des Mithra auferlegt wurden, die Marter des Heiligen und
sein und seiner Anhänger Tod vollständig vorgebildet. Zum schlagenden
Beweise dafür decken sich die Namen der beiden Hauptleute, die zuerst
durch Gregors Beispiel bekehrt wurden und zuerst den Märtyrertod
leiden, genau mit dem Namen zweier mythrischer Mystengrade: Anatolios,
»der Morgenländer«, entspricht dem fünften Grade Perses, Protoleon,
»der Hauptlöwe«, dem vierten Leo, anscheinend dem zweiten Hauptgrade.
Ein alter Bericht erzählt: »Die Perser empfangen gewisse, den Mithras
betreffende Weihen; Niemand aber kann seine Weihen empfangen, wenn
er nicht alle Qualen durchgemacht und sich als unempfindlich gegen
Schmerzen und fromm bewährt hat. Es sollen aber etwa achtzig Qualen
sein, die der Einzuweihende stufenweise durchmachen muß, zum Beispiel
zuerst tagelang durch vieles Wasser hindurch schwimmen; dann sich ins
Feuer stürzen, dann in der Einöde verweilen und hungern, und anderes
mehr, bis daß er, wie wir sagten, durch achtzig Qualen hindurchgegangen
ist. Und dann zuletzt weihten sie ihn in die größeren Mysterien ein,
wenn er am Leben geblieben war.« Die achtzig Martertage sind dreifach
verteilt: fünfzig Tage hungern, zwei Tage Geißelhiebe, achtundzwanzig
Tage Frieren im Schnee und andere Qualen. Die drei Hauptprüfungen der
Einzuweihenden sind die Feuerprobe, die Luftprobe und die Wasserprobe.
Sie sind auf einem Bildwerk folgendermaßen dargestellt: nach dem
Gesicht und über die ausgestreckte Hand eines knieenden Mannes wird
eine Fackel mit einer ungeheuer großen Flamme hingehalten; um einen
zweiten in wagrechter Stellung liegenden Mann herum, der auf der
Erde hingestreckt ist oder in der Luft schwebt, bemerkt man sieben
kleine Bälle, die wahrscheinlich die Stricke bedeuten, mit denen die
Glieder des Leidenden angezogen wurden, auf einen dritten, einen
nackten, zwischen zwei Rohrpflanzen stehenden Jüngling wird eine Schale
ausgegossen. Bei Georg sind die drei Hauptmarter das Rad, die Grube
mit frischgelöschtem Kalk und die Enthauptung oder wie die hierin wohl
ursprüngliche islamische Fassung lautet, die Verbrennung. Die jüngste
Gestalt der Georgssage schließt die Marter mit Rad und Grube, setzen
wir auch hier die Verbrennung als erste, und statt der Grube den
ebenfalls bezeugten Brunnen, so haben wir auch bei Georg Feuerprobe,
Luftprobe, Wasserprobe. Es wird bezeugt, daß Georg in der Luft hing und
von dem mit sieben Schwertern besetzten Rade zur Erde niedergelassen.
Georgs dreimaligem Tode entspricht es, wenn gelegentlich von einem
dreifältigen Mithras der Magier gesprochen wird. Die Martern des
Heiligen dauern sieben Jahre oder sieben Tage, am achten wird er
hingerichtet. Im Mithrakult galt die Siebenzahl für heilig; in seinen
Mysterien kam eine Stiege von sieben Thoren vor, die aus sieben
verschiedenen Metallen bestanden und nach den Planetengöttern der
sieben Wochentage genannt waren; über der Stiege stand das höchste
achte Thor. Die acht Thore stehen zu den acht Mystengraden und
zu den achtzig Prüfungen in offenbarer Beziehung. Die Georgssage
jüngster Fassung macht Dacianus, Georgs Peiniger, zu einem Diener der
Planetengötter. Georgs Todestag, ein Freitag, war der Aphrodite heilig,
der Vertrauten des Mithra. Die Feier der bedeutenderen mithrischen
Sacra wurde im April abgehalten, auf dessen 23. oder 24. Tag Georgs
Gedächtnis fällt. Die Identität Georgs mit Mithra erstreckt sich
endlich bis auf den Namen. Mithra heißt schaltend über Fluren, nicht
verletzend den Bauer, ja schlechtweg der ›Dorfherr‹; Georgios bedeutet
aber Mann der Landbauern. Somit ist sogar der Name des Heiligen nur
die wörtliche Uebersetzung eines uralten Beinamens des Mithra. Der
Mithrakult gehörte zu den lebensfähigsten des sinkenden Heidentums;
heidnische Machthaber, wie Kaiser Julian, haben ihn als Schutz gegen
das Christentum nach Kräften gefördert. Aber um eben jene Zeit
arbeitete die Kirche dem Mithradienste planmäßig auf zwei verschiedenen
Wegen entgegen. Einmal verlegte Papst Julius _I._ das Geburtsfest
Christi auf den 25. Dezember, den »Geburtstag des Unbesiegten«.
Sodann wurde der Kultus des heiligen Georg vorzugsweise begünstigt.
Schon Constantin soll in Konstantinopel einen Heratempel durch eine
Georgenkirche ersetzt und die Georgenkirche in Lyddadiospolis erbaut
haben. So wurde der Mithradienst von der christlichen Kirche mehr
und mehr untergraben und am Ende des vierten Jahrhunderts gewaltsam
unterdrückt[158-1].

Mithra wurde im vierten Jahrhundert auch in Gallien und am Rhein
verehrt. Im fünften lassen sich die ersten Spuren des Georgskultes
daselbst nachweisen. Wenn eine Anspielung in Fortunats Georgsgedicht
diese Deutung gestattet, hat schon der Bischof Sidonius Apollinaris von
Clermont, der 484 starb, einen Georgstempel gebaut[158-2]. Das Gedicht
lautet:

          Die Georgenkirche.

    Stolz erhebt sich das Haus
        Für Georg den heiligen Ritter.

    Dessen erhabener Ruf
        Drang bis in jegliche Welt.

    Hungrig und durstig, gefesselt, erstarrt
        Und im Feuer geröstet.
    Hat er nur Christum bekannt
        Streckt er gen Himmel sein Haupt.

    Wohl liegt im Morgenlande
        Das Grab des gewaltigen Mannes.
    Sieh, selbst im westlichen Teil
        Regt sich sein helfender Geist.

    Also, Wandrer, vergiß der Gebete nicht
        Noch der Gelübde.
    Denn der verdiente Georg
        Schenkt was der Glaube sich wünscht.

    Bischof Sidonius hat ihm
        In Demut den Tempel gestiftet.
    Soll es der einzige sein,
        Den wir dem Heiligen weihn?

Hand in Hand mit dem Bau von Kirchen für Georg ging der Vertrieb
seiner Reliquien[159-a]. Eine kleine hölzerne Betkapelle im
Stadtbann von Limoges, das Eigentum einiger armer Cleriker, wußte
sich von Pilgern welche zu erwerben, und ebenso besaß ein Dorf bei
Le Mans Georgsreliquien. Fuß gefaßt hat indessen der Georgskult im
merowingischen Frankreich nicht; immerhin deuten diese wenigen Spuren
in der Diogonale von Südosten nach Nordwesten den geradesten Weg von
Italien nach England an. Hatte die Macht des heiligen Martin einen
fremden Allerweltsheiligen auf gallischem Boden sich nicht ansiedeln
lassen, so fand Georg dafür das britische Inselreich zu seiner
Aufnahme bereit und wurde was Martin für Frankreich war, nun für
England: Nationalheiliger. Dabei verlor er jedoch seine Herkunft von
einem orientalischen Gotte vollständig und ging ganz in germanischen
Vorstellungen auf. Der englische Georg hat nichts mehr vom Mithra
an sich; er hat sich zum Wodan verwandelt[159-1]. Das will heißen:
er ist hier wie dort wirklich heimisch gewesen oder geworden. Im
merowingischen Frankenreiche dagegen hat er sich nur auf der Durchreise
aufgehalten.


2.

Von Georgs kleinasiatischen und syrischen Gefährten, Nikolaus,
Christoph, Theodor, Moritz und wer sie sonst sein mögen, sind im
Laufe der Zeiten alle nach Westen gewandert. Indes liegt schon die
Ankunft Christophs jenseits der merowingischen Zeit. Gar Nikolaus, der
verkappte Poseidon, hat sich erst im elften Jahrhundert im Abendland
eingestellt. Beide Heilige haben dann diese Verzögerung durch ihre
beispiellose Popularität wieder wett gemacht. Blasius und Erasmus,
die ebenfalls dem späteren Mittelalter angehören, halten sich mehr
im Hintergrunde. Und so bleiben Moritz und Theodor mit Cyricus und
Sergius als die einzigen übrig, von denen sich Spuren schon vom fünften
Jahrhundert an im merowingischen Reiche vorfinden. Von ihnen wird
demnächst in einem andern Zusammenhang zu reden sein. Jetzt hat uns ein
weiteres Stück kleinasiatischer Heiligenlegende zu beschäftigen, das
nicht auf dem Wege der Reliquienverehrung, sondern ausschließlich durch
gelehrte Mitteilung nach dem alten Frankenreiche kam und in dieser
Eigenschaft von uns bereits erwähnt wurde. Die Legende von den Sieben
Schläfern hat bei unserm Gregor etwa folgenden Wortlaut[160-a]: Der
böse Kaiser Decius ließ in Ephesus ein Heidenopfer abhalten und die
Christen abfangen. Aber selbst in der unerhörten Verfolgung blieben
Viele dem Glauben treu. Es waren auch sieben edle Jünglinge, die hießen
Achillides, Diomedes, Eugenius, Stephanus, Probatius, Sabbatius und
Cyriacus. Sie waren Diener im Palaste des Kaisers und wurden nun diesem
denunziert. Er gab ihnen eine Gnadenfrist. Diese benutzten sie, um
erst noch viel Gutes zu thun, dann stiegen sie hinauf in die Höhle,
die auf dem Berge Anchilus lag. Dort wollen sie sich im Gebete auf
das Martyrium vorbereiten. Diomedes, der jüngste unter ihnen, aber
zugleich der gewandteste und klügste, war ihr Bote in der Stadt, wo er
unerkannt im Gewand eines Bettlers ihre Geschäfte verrichtete. Eines
Tages brachte er auch mit wenigen Broten die Nachricht mit herauf,
der Kaiser sei nun zurückgekehrt und sie müßten nun alle opfern oder
sterben. Da erschracken, seufzten, weinten und beteten sie zu Gott.
Diomedes aber richtete das Mahl und ermunterte sie zu essen. So setzten
sie sich zur Abendzeit mitten in der Höhle nieder und speisten. Da sie
so traurig beieinandersaßen und miteinander sprachen, entschliefen sie
sanft, denn ihre Augen waren ihnen durch den Kummer schwer geworden.
Langsam ging ihr Schlaf in Tod über. Ohne es zu merken, gaben sie auf
der Erde liegend ihre Seelen in die Hände Gottes. Das Geld jedoch, das
sie mit sich genommen hatten, lag ihnen zur Seite. Am andern Morgen
ließ Decius nach den Jünglingen forschen und ihre Väter verhaften.
Diese aber verleugneten ihre Söhne und verrieten ihren Zufluchtsort. Da
befahl der Kaiser, den Eingang der Höhle mit Steinen zu verbauen und
sie so lebendig zu begraben. Zwei Vertraute des Kaisers, Theodorus und
Rufinus, selber heimlich Christen, beschlossen wenigstens das Andenken
der unglücklichen Jünglinge zu retten, ihr Schicksal auf bleierne
Tafeln aufzuzeichnen, diese in ein ehernes Kästchen zu legen und es
dann wohlversiegelt unter den Steinen der Höhlenmauer zu verbergen.
Alles das geschah so. Bald darauf starb Kaiser Decius und sein ganzes
Geschlecht. Es folgte ein Kaiser um den andern, bis Theodosius, des
Arkadius Sohn, den Thron bestieg. Im achtunddreißigsten Jahre dieses
Fürsten erhob sich eine Bewegung gegen die Auferstehung der Toten,
durch die sich sogar der Kaiser selbst verwirren ließ. Da beschloß
der barmherzige Gott, der nicht will, daß die Frommen auf Irrwege
geraten, ein Wunder zu thun, um das Geheimnis der Auferstehung allen
zu offenbaren. Er gab es daher dem damaligen Besitzer des Höhlenbergs,
namens Adolius, ein, einen Stall für sein Vieh zu bauen. So wälzten
denn seine Knechte und Arbeiter die Steine, die den Eingang der Höhle
verschlossen, fort, um damit das Gebäude aufzuführen. Nun flößte Gott
den Heiligen in der Höhle neues Leben ein. Sie erwachten, setzten sich
aufrecht und begrüßten einander wie gewohnt, ohne eine Ahnung, daß sie
so lange tot gelegen hatten: ihre Kleider waren noch wie zuvor und sie
selber frisch und blühend. Sie glaubten vom Abend zum Morgen geschlafen
zu haben, und waren in Angst und Sorge, Kaiser Decius werde sie nun
suchen lassen. Nochmals mußte ihr Schaffner Diomedes erzählen, was er
gestern in der Stadt vernommen habe: sie müßten entweder opfern oder
gemartert werden. Da sagte Achillides: Wohlan Brüder, laßt uns bereit
sein vor den Richterstuhl Christi zu treten ohne Furcht vor dem Urteil
des sterblichen Kaisers. Doch du, Diomedes, gehe zur Stadt, damit
du uns Speise schaffest. Nimm Geld mit und kaufe viele Brote; denn
wenige nur brachtest du gestern und wir sind sehr hungrig. Da machte
sich Diomedes früh auf den Weg und nahm Geld mit sich von sehr alter
Prägung, denn sie hatten fast zweihundert Jahre lang geschlafen. Es
war eben Tag geworden, als er aus der Höhle trat. Als er Steine davor
liegen sah, stutzte er und wußte es sich nicht zu erklären. Zitternd
stieg er vom Berge herab, voll Sorge, erkannt und vor Decius geführt
zu werden. Als er an das Stadtthor kam, gewahrte er zu seinem größten
Erstaunen ein Kreuz darauf. Er wandte sich zu einem anderen Thore und
sah dasselbe Zeichen. Er ging von einem zum andern und fand auf allen
Thoren das Kreuz; auch sonst war alles anders. Als er wieder beim
ersten Thore angelangt war, sagte er: »Wie geht das zu? Gestern abend
verehrte man nur im verborgenen das heilige Kreuz und heute prangt
es öffentlich auf den Thoren der Stadt? Träume ich oder bin ich vom
Verstande?« Doch machte ihm der Anblick des Kreuzes Mut, er betrat die
Stadt. Zu seiner neuen Verwunderung hörte er nun um sich herum beim
Namen Jesu Christi schwören: noch gestern wagte Niemand Christus zu
bekennen. War es denn überhaupt Ephesus; alle Gebäude sind anders. Er
fragt einen Mann, wie die Stadt heiße. Der sagte: Ephesus. Da dachte
Diomedes: Ich muß von Sinnen sein, und wollte schnell die Brote kaufen
und zu seinen Genossen zurückkehren. Als er die Bäcker zahlte, steckten
sie die Köpfe zusammen und sprachen leise miteinander. Diomedes meinte,
er sei erkannt und werde nun ausgeliefert. Verwirrt fragte er: Wo
bleiben die Brote, ich gab das Geld? Da faßten ihn jene an und raunten
ihm zu: Du hast den Schatz der alten Könige gefunden. Teil ihn mit
uns, so verraten wir dich nicht und liefern dich nicht aus. Diomedes
wußte nicht was sagen. Da legten sie ihm einen Strick um den Hals und
schleppten ihn durch die Straßen mitten in die Stadt. Auf die Kunde,
daß Jemand ergriffen sei, der einen Schatz gefunden habe, sammelte
sich eine Menge Leute um ihn. Sie schauten ihm ins Gesicht und sagten:
»Dieser Mensch ist ein Fremdling, wir haben ihn nie gesehen«. Diomedes
aber schaute unter ihnen nach einem Verwandten oder einem Freund aus,
fand aber Niemand und stand wie wahnsinnig da. Das Gerücht kam auch dem
Bischof und dem Statthalter zu Ohren; sofort befahlen sie, den Jüngling
mit seinem Gelde zu ihnen zu führen. Als er herbeigeschleppt wurde und
wie ein Toller ringsum schaute, lachte das Volk. Er glaubte, nun vor
Decius zu kommen, kam aber zur Kirche. Bischof und Statthalter nahmen
die alte Münze, betrachteten sie erstaunt und erkundigten sich nach
dem Schatze. Er erwiderte: »Wahrlich, ich habe niemals einen Schatz
gefunden. Vielmehr entnahm ich das Geld dem Säckel meiner Eltern; sein
Gepräge ist das dieser Stadt. Weh mir, ich weiß nicht, was meinem
Verstande zugestoßen ist«. Der Statthalter fuhr im Verhör fort: »Von
wannen bist du?« »Aus dieser Stadt«, versetzte Diomedes, »wenn dies
Ephesus ist«. »Wer sind deine Eltern? Ist denn Niemand, der dich kennt
und Zeugnis für dich ablegen kann?« Diomedes nannte seine Eltern, seine
Brüder; Niemand kannte sie. Darauf zieh ihn der Statthalter Lügen.
Diomedes wußte keine Antwort mehr und schwieg. Die einen sagten: »Er
ist verrückt«. Andere: »Er verstellt sich, um der Gefahr zu entgehen«.
Der Statthalter jedoch sprach: »Wie sollen wir dir glauben, es sei
Geld aus dem Vermögen deiner Eltern, da Prägung und Aufschrift der
Münze zweihundert Jahre alt sind, ehe noch Decius regierte, und dem
heutigen Kurs so gar nicht gleichen. Wie sollen deine Eltern vor so
langer Zeit gelebt haben, da du selbst noch ein Jüngling bist. Wir
lassen uns nicht zum besten haben. Entweder gestehst du, wo der Schatz
ist, den du gefunden hast, oder du gehst ins Gefängnis und wirst
gefoltert«. Da fiel Diomedes auf sein Antlitz und sprach: »Eins nur,
bitte ich, sagt mir, und ihr sollt alles erfahren, was ich auf dem
Herzen habe! wo ist denn Kaiser Decius?« Da sagte der Bischof: »Mein
Sohn, es ist heute Niemand in diesem Land, der Kaiser Decius hieße,
der ist vielmehr schon vor vielen Jahren gestorben«. »O Herr«, rief
Diomedes aus, »darum erfaßt mich Staunen und glaubt ihr meinem Worte
nicht; folgt mir doch in die Höhle des Berges Anchilus, so will ich
euch meine Gefährten zeigen. Von ihnen könnt ihr erfahren, was ich
sage, sei wahr; wir sind vor Kaiser Decius geflohen, der gestern Abend
hier angekommen ist — wenn dies also wirklich Ephesus ist.« Da ging dem
Bischof allmählich auf, Gott wolle ihnen durch diesen Jüngling etwas
offenbaren. Er machte sich auf mit dem Statthalter, den Vornehmen der
Stadt und einer Menge Volkes; Diomedes führte; sie stiegen zur Höhle
hinan. Und da der Bischof und die mit ihm waren in die Höhle traten,
fand er am Eingang zwischen den Steinen das eherne Kästchen, das mit
zwei silbernen Siegeln verschlossen war. Er öffnete es vor allem Volke
und fand zwei bleierne Tafeln darin. Die nahm er heraus und las, und
als er gelesen hatte, wunderten sich alle sehr und lobten Gott mit
lauter Stimme. Sie sahen die Heiligen in der Höhle sitzen, ihr Antlitz
wie Rosenlicht. Und alle fielen ihnen zu Füßen, beteten sie an und
dankten Gott, daß ihnen vergönnt sei, ein solches Wunder zu schauen.
Darauf erzählten die heiligen Märtyrer alles, was zur Zeit des Decius
geschehen war. Sofort schickten Bischof und Statthalter einen Brief an
den Kaiser: »Möge Deine Majestät geruhen, eilig hieher zu kommen. Du
wirst dann die Wahrheit der einstigen Auferstehung erkennen«. Darüber
empfand Theodosius große Freude, er machte sich mit zahlreichem Gefolge
von Konstantinopel auf und wurde von sämtlichen Bewohnern der Stadt
Ephesus feierlich empfangen. Alsbald begab er sich von dem Bischof, dem
Statthalter und den Vornehmen geführt zur Höhle, wo ihm die Heiligen
mit ihrem strahlenden Antlitz entgegenkamen. Er trat ein, fiel vor
ihnen nieder, umarmte sie dann und weinte an ihren Busen. »So schaue
ich euer Antlitz«, sprach er, »als ob ich meinen Herrn Jesum Christum
sehe, da er den Lazarus aus seinem Grabe erweckte; ich danke ihm, daß
er mich in der Hoffnung auf die Auferstehung nicht getäuscht hat«.
Darauf sagte Achillides zum Kaiser: »Gleichwie das Kind im Leibe
seiner Mutter lebt und nicht Freude empfindet noch Leid, so haben
auch wir gelebt ohne Empfindung im Schlafe liegend«. Hierauf legten
die Jünglinge vor aller Augen ihre Häupter nieder auf die Erde,
entschliefen und gaben ihren Geist auf nach dem Befehle Gottes. Da
warf sich der Kaiser über ihre Leiber, weinte, küßte sie und breitete
sein Gewand über sie aus. Dann befahl er, daß sieben goldene Schreine
für ihre Leiber gemacht würden. Aber nachts im Traume erschienen die
Jünglinge und sprachen zu ihm: »Aus dem Staube werden wir auferstehen
und nicht aus dem Golde. Laß uns in der Höhle ruhen, bis uns Gott
wieder rufen wird«. Darauf befahl der Kaiser, ihr Gewölbe mit Gold und
kostbaren Steinen zu schmücken und ließ sie dort ruhen, bis auf den
heutigen Tag. Doch über ihrer Höhle wurde eine große Kirche gebaut. Ein
Concil fand statt, und zum Gedächtnis ward ein herrliches Fest gefeiert.

Diese Legende mit ihrer ergreifenden Schönheit ist überdies reich
an einer Fülle religionsgeschichtlicher Anknüpfungen[164-1]. Am
nächsten liegt die Sage vom langen Schlaf[164-a]. Kein geringerer als
Aristoteles spricht in seiner Physik davon; wenn unsere Denkthätigkeit
ruhe, dann entschwinde uns die Zeit unbemerkt, wie denen, die bei den
Heroen in Sardes schlafen. Wenn jene erwachten, werde ihnen das jetzt
mit der vorigen Zeit eins scheinen. Sein Scholiast Simplicius deutet
jene Stelle dahin, jene Heroen, neun an der Zahl, seien Söhne des
Herakles von den Töchtern des Thestius, die unversehrt, Schlummernden
gleich, auf Sardinien liegen sollen. Ein anderer Scholiast Philogonus
denkt an die Inkubation zur Heilung von Krankheiten; gerade in den
Heiligtümern Aeskulaps fand dieser Tempelschlaf statt. Mit den
Thestiaden gilt Jolaus als der Pflanzer Sardiniens, er ist aber
zugleich ein libophönizischer Gott, der den Herakles vom Tode weckt
und mit Aeskulap zu identifizieren ist. Der Aeskulap der Phönizier
gesellt sich unter dem Namen Esmun als achter zu den sieben Kabiren.
Sie sind die sieben Planetengötter und Esmun gilt als der Himmelskreis.
Eine andere Mythe des Alterthums[164-b] erzählt von dem Hirtenknaben
Epimenides von Kreta, er sei von seinem Vater ausgeschickt worden,
ein verlorenes Schaf zu suchen; er legte sich in einer Höhle nieder
und schlief dort siebenundfünfzig Jahre. Er glaubte nur kurze Zeit
geschlafen zu haben, suchte aber vergeblich nach dem Schafe und fand
dann zu Hause alles verändert. Sein jüngerer Bruder, nun ein Greis,
erkannte ihn kaum wieder. In ganz Griechenland sprach man nun von
dem langen Schlaf in der Höhle als einem Zeichen, daß Epimenides ein
Liebling der Götter sei. Zur örtlichen Fixierung solcher Sagen mag es
gelegentlich nicht an lokalen Anhaltspunkten gefehlt haben: gerade in
Sardinien gibt es halbkreisförmige Monolithgruppen von fünf, sieben
und neun Grabsteinen, in deren Mitte sich ein die andern überragender
Kegel erhebt. Aber diese Sagen vom langen Schlaf oder wenigstens vom
Verschwinden des Zeitbewußtseins kommen doch bei zu verschiedenen
Kulturvölkern vor, um sie einem unter ihnen als Eigentum zuzusprechen.
Der chinesische Roman Yukiao-Li erzählt: Zwei Jünglinge gingen aus,
Heilkräuter zu suchen, und aßen von einem Pfirsichbaum. Da erschienen
zwei Frauen von göttlicher Schönheit, mit denen vermählten sie sich.
Als sie endlich zu ihrem Dorfe zurückkehrten, waren hundert Jahre
verflossen. Ein Drama desselben Stoffes fügt hinzu: Die Fichten, die
der eine von ihnen gepflanzt hatte, waren zu hohen Bäumen geworden;
in seinem Hause wohnte sein Enkel; heimatlos mußten sie von dannen
ziehen. In den indischen Puratana heißt es, König Raitwata sei zu
Brahma gegangen, dort lauscht er einem himmlischen Liede und als er
nun seine Angelegenheit vortragen will, teilt ihm Brahma lächelnd
mit, seitdem seien zwanzig Menschenalter verflossen. Bei den Indern
begegnet man überdies der Vorstellung, unter dem Kuß himmlischer Frauen
verrinnen asketischen Einsiedlern Jahrhunderte wie ein Augenblick.
Die arabische Dichtung erzählt von Mohammeds Himmelfahrt, er sei vom
Engel Gabriel in einer Nacht durch alle sieben Himmel geführt worden,
eine Reise, die sonst Millionen Jahre in Anspruch nehmen würde. Doch
als er zurückkehrt, findet er sein Bett noch warm. In Tausend und eine
Nacht bezweifelt der Sultan von Aegypten die Wahrheit dieser Legende.
Da läßt ihn der Scheich, Schahabeddin seinen Kopf in eine Wasserkufe
tauchen; in diesem Augenblick durchlebt der König sieben Jahre voll
abenteuerlicher Schicksale. Der Talmud wiederum berichtet folgendes:
Chone Hamagel wunderte sich oft über die Psalmstelle: Wenn der Herr die
Gefangenen erlösen wird, werden wir sein wie die Träumenden. Schläft
denn Jemand siebenzig Jahre träumend? rief er aus. Eines Tages, auf
einer Reise, sah er einen Mann beschäftigt, einen Brotbaum zu pflanzen.
Da sagte er: Es ist bekannt, daß ein solcher Baum erst nach siebzig
Jahren Früchte trägt; weißt Du denn auch, daß Du noch siebzig Jahre
lebst? Der Mann erwiderte: Ich habe Johannisbrotbäume vorgefunden, und
so wie meine Vorfahren für mich gepflanzt haben, will ich für meine
Nachkommen pflanzen. Nach diesem Gespräche setzte sich Chone in der
Nähe des Baumes nieder und aß, hier schlief er ein und bald darauf zog
sich ein Felsen um ihn herum, unter welchem er siebzig Jahre ungesehen
in den Armen des Schlafes ruhte. Nachdem er wieder erwacht war, sah er
einen Mann Früchte pflücken von dem Baume, der vor seinem Einschlafen
gepflanzt worden war. Er fragte den Unbekannten, und erhielt den
Bescheid: sein Großvater habe den Baum gepflanzt. Da sagte Chone: Ich
habe gewiß siebzig Jahre geschlafen. Er ging in sein Haus und fragte
nach seinem Sohne, erhielt aber die Antwort, dieser lebe nicht, dessen
Sohn nur sei da. Er gab sich zu erkennen, fand aber keinen Glauben und
begab sich ins Gemeindehaus. Dort ging es ihm aber nicht besser. Das
Leben wurde ihm zuwider. Er sehnte sich nach dem Tode, bald darauf
starb er denn auch. In der bestimmteren Gestalt des Schlafes in
einer Berghöhle findet sich die Sage im germanischen Norden. Bekannt
genug ist sie in der Form vom Kaiser Barbarossa im Kyffhäuser oder
von Tannhäuser im Hänselberge bei Frau Holde. Aber auch in anonymer
Bescheidenheit tritt sie auf. Ein Schäfer flüchtet sich vor dem Regen
in eine Höhle bei der Wettenburg am Main und verfällt dort in einen
Schlaf, der sieben mal sieben Jahre dauert. Zwei Bauern gehen in eine
Höhle bei Trier um sich vor dem Unwetter zu schützen und verschlafen
dort hundert Jahre. Auf dem Dom zu Lübeck schlief einer in einer Lucke
sieben Jahre und kam dann wieder wohl und munter zum Vorschein. Ein
Totengräber bewirtet einen Toten, der Tote erwidert die Einladung; als
der Totengräber nach Hause kommt, sind sechshundert Jahre vergangen.
Ein Fuhrmann im thüringischen Singerberge, von einem eisgrauen Männchen
bewirtet und über Nacht beherbergt, verschläft hundert Jahre. Eine
halbe Stunde Tanz bei den schottischen Elfen war in Wirklichkeit ein
Jahr. Zwei Musikanten, die dabei vorgeigen müssen, verspielen die
Zeit vom Urgroßvater auf den Urenkel. In Schweden ritt ein Bräutigam
aus und wurde von den Elfen in den Wald gelockt. Er tanzt mit ihnen
eine Stunde, doch waren vierzig Jahre vergangen und seine Braut vor
Gram gestorben. In späteren, deutschen Sagen wird das Vergessen der
Zeit durch einen Aufenthalt im Paradiese motiviert, so beim Mönch
von Heisterbach. Die Sagen vom Höhlenschlaf ruhen auf mythischem
Untergrunde. Dem Schlaf der Götter und Heroen wird eine unendlich
lange Zeit beigemessen. Wer nun auf Erden seine Gedanken vom irdischen
abwendet, und nur über göttliches nachsinnt, verspürt den Hauch der
Ewigkeit und verbringt lange Zeiträume träumend wie wenige Stunden.

Woher nun aber die Siebenzahl in der ephesinischen Legende? Nahe liegt
der Hinweis auf die jüdische Sage von den sieben Brüdern, die sich in
der Bedrückung der Juden durch Antiochus Epiphanes vornahmen, unter
keinen Umständen unreines zu essen, sondern lieber zu sterben. Gewiß
liegt da eine Verwandtschaft vor, aber kaum eine Abhängigkeit[166-1].
Man wird sagen dürfen, die geschichtlich verbürgte Standhaftigkeit der
Gläubigen gegenüber den Zumutungen des Tyrannen habe beidemal unter
dem Einfluß der sakralen Siebenzahl und vielleicht beidemal unter dem
Einfluß fremder Sagen die poetische Verdichtung erfahren, als die sich
jene Episode des zweiten Makkabäerbuchs gegenüber einer unbestimmteren
Angabe des zuverlässigeren ersten herausstellt[167-a]. Im Falle einer
Abhängigkeit, der ja nicht ausgeschlossen ist, wäre immerhin eine
solche Einwirkung nicht die einzige, die von dem Martyrium der sieben
Brüder im Makkabäerbuch auf altchristliche Stoffe ausgeübt wurde.
Sicher stehen die Akten der Symphorosa und die Akten der Felicitas
unter ihrem Einfluß. Leidensgeschichten zweier Mütter, deren jede
sieben Söhne hat und mit ihnen das Martyrium erleidet[167-1]. Die
Legende von Ephesus bietet indessen Anlaß zu weiteren Beobachtungen.
Auch hier heißt der Kaiser gelegentlich statt Decius Dacianus, wie
in der Georgslegende, eine erste Handhabe zur mythischen Deutung.
Ferner haben wir es mit einem Höhlen- oder Grottenkultus zu thun.
Vielleicht hat die Siebenschläfergrotte in heidnischer Zeit einen
Kultus der _Magna mater_ beherbergt, in welcher Gestalt auch immer es
mag gewesen sein, als Selene-Astarte, Kybele, Artemis, Proserpina,
Demeter oder Hekate. Nun wird aber Rhea-Kybele wie auch Demeter oder
Persephone von Korybanten oder Daktylen bedient, die ihrerseits oft mit
den Kabiren verwechselt und daher mit jenen zusammen verehrt werden
und zwar auch in Grotten, so in der Zerinthiahöhle auf Samothrake.
Mit den Kabiren aber stehen die sardischen Schläfer als Brüder des
Aeskulap in einem Verwandtschaftsverhältnis. In den Heiligtümern
Aeskulaps wurden ferner Täfelchen und Denksäulen niedergelegt, auf
denen die Geschichte von Krankenheilungen verzeichnet stand — bei
den Siebenschläfern die Bleitafeln, die zum Ueberfluß in arabischen
Berichten zu Säulen geworden sind! Die Siebenschläfer sind überdies
schöne Jünglinge von vornehmer Abkunft; die Kabiren traten in der
griechischen Vorstellungswelt den Dioskuren an die Seite, Idealbilder
rüstiger, freudiger Jugend. Diomedes der klügste und schönste unter
den Siebenschläfern und ihr Führer fordert zum Vergleich mit Aeskulap
heraus, der bei den Phöniziern als schönster der Götter galt. Endlich
die morgenländische Gestalt der Siebenschläfersage, die sich sowohl
in dem um 520 oder 530 verfaßten Pilgerreiseführer des Theodosius
als auch im Koran[167-b] findet, gesellt den Sieben noch einen Hund
bei, der sich den Jünglingen auf der Flucht anschloß, und sich durch
Steinwürfe und Verstümmelungen nicht vertreiben ließ, sondern sich
an den Eingang der Höhle legte, dann auch mit ihnen ins Paradies
kam und ihrer Verehrung ebenfalls teilhaftig wurde und mit ihnen
schlief: »Achte warens mit dem Hunde«[167-2]. Diese Hundepisode lautet
verdichtet[167-3]:

    Ein Hündlein, das einst Wache that bei Schäfern,
    Ging in die Höhl’ ein mit den Siebenschläfern.
    Und als sie drinnen Zeit und Welt verschlafen,
    Verschlief es auch den niedern Dienst bei Schafen.
    Und als im Himmel ihnen ward die Krone,
    Ward es zu einem Leu’n an Gottes Throne.

Nun spielt im Kultus Aeskulaps und der Kabiren der Hund in der That
eine Rolle. Aeskulap wurde, da er als Kind ausgesetzt worden war, von
einem Hunde bewacht und in Epidauros war ein Hund neben seinem Bilde
dargestellt. In der Kabirengrotte auf Samothrake wurden Hundeopfer
dargebracht. Im Orient und in den Mittelmeerländern wurden, wenn der
Hundsstern Sirius aufging, Hunde unter Martern getötet: Ende Juli; in
der That fällt der Siebenschläfertag in diese Zeit: in der römischen
Kirche auf den 27. Juli; in der griechischen auf den 4. August. Und
dann ging der Sirius in den Löwen über! Kabiren und Siebenschläfer
wurden beide als Beschützer der Schiffe verehrt. Wie einst die
Phönizier Kabirenbilder an Bord mit sich führten, so schreiben noch
heute türkische Handelsschiffe, da den Mohammedanern die Nachbildung
lebender Wesen verboten ist, wenigstens die Namen der Siebenschläfer
auf den Stern ihrer Fahrzeuge. Im Abendland verbreitete sich die
Legende während des Mittelalters ohne große Veränderung. Sie war eben
nicht auf den geheimnisvollen Wegen der Volksüberlieferung zu den
Germanen gewandert, sondern litterarisch dahin verpflanzt worden.
Trotzdem ihre Behandlung durch die Schriftsteller nicht nachgelassen
hat, schlug sie im Volke selbst nicht tiefere Wurzeln. Es fehlten die
Reliquen.

Immerhin erzählte man sich im Kloster Marmoutiers bei Tours, vielleicht
schon zur Zeit der Merowinger oder nicht viel später, folgendes[168-a]:
in den Tagen der Kaiser Diokletian und Maximian, als das römische Reich
auf dem Niedergang begriffen war, lag die Oberherrschaft über die
Hunnen in der Hand eines tapfern Königs namens Florus. Nach zehn Jahren
einer glücklichen Regentschaft wurde Florus von Maximian angegriffen,
besiegt und gefangen nach Rom geführt mit seinen beiden Brüdern Martin
und Amnarus. Nach Ablauf eines halben Jahres setzte ihn der Kaiser
wieder in seine Herrschaft ein, beraubte ihn aber der Einkünfte und
festen Plätze; ebenso ließ er ihn eidlich versichern, daß sein Sohn
ihm nur als Statthalter und nicht als König nachfolgen werde. Als
jedoch dann Konstantin der Macht Maximians ein Ende bereitete, sandten
Florus seinen ältesten Sohn zum neuen Kaiser, der ihn liebgewann,
mit seiner Nichte vermählte und zum Tribunen erhob. Dieser Sohn hatte
zunächst Florus geheißen, war dann aber, als ihn Bischof Paulus von
Konstantinopel taufte, Martin genannt worden. Nach dem Tode seines
Vaters, Florus des Aelteren, verwaltete er dessen Herrschaft. Sein
junger Sohn wurde von Kaiser Julian nach Gallien mit genommen; aber er
zog es vor, Gott zu dienen: in der That, er war der heilige Martin. Als
er seine Tribunenzeit absolviert hatte, blieb er noch zwei Jahre wider
seinen Willen unter den Waffen, nahm dann aber seinen Abschied und
unterstellte sich dem heiligen Hilarius von Poitiers. Eine göttliche
Offenbarung veranlaßte ihn, seine Verwandten wieder aufzusuchen, um sie
zu bekehren. Und wirklich gelang ihm die Bekehrung namentlich seiner
sieben Vettern Clemens, Primus, Laetus, Theodor, Gaudens, Quiriacus
und Innocens. Sie verkauften ihre Güter, ließen ihre Sklaven frei und
widmeten sich ausschließlich dem Studium und dem Gebete. Bald heilten
sie Kranke und wurden vom Volk als Propheten verehrt. Auf die Kunde
von Martins Berühmtheit in Tours holten sie erst seinen Segen zu
einer Wallfahrt nach dem gelobten Lande. Dann kamen sie mit Reliquien
beladen wieder zu ihm zurück und erhielten von ihm, um den Rest ihres
Lebens gottgefällig zu verbringen, eine Höhle angewiesen. In dieser
Höhle lebten sie sechzehn Jahre vor und noch fünfundzwanzig Jahre nach
Martins Tode. Als sie zu sterben kamen, da erfüllte sich, was ihnen
der Heilige die Nacht zuvor verkündigt hatte: sie starben schmerzlos
und lagen im Tode da, als schliefen sie. Rosenlicht schimmerte auf
ihrem Antlitz und keine Spur von Verwesung zeigte sich während der
sieben Tage, da sie unbeerdigt in ihrer Zelle für die Verehrung der
andrängenden Menge ausgestellt wurden; vielmehr war die Grotte während
dieser Zeit von einem unendlich süßen Wohlgeruch erfüllt. Darauf
ließ Bischof Briccius die Bestattung vornehmen. Zweifelsohne steht
die Turoneser Sage unter dem Einfluß der von Gregor veröffentlichten
kleinasiatischen Legende; aber es läßt sich nicht ermitteln, inwiefern
der Niederschlag nicht ebendoch örtlich veranlaßt war, etwa so, daß sie
einem obskuren Grottenkultus an der Loire aufhelfen mußte.


3.

Versetzen wir uns nun auf den Boden germanischer Mythenbildung. Sankt
Kümmernis gehört noch heute zu den verbreitetsten Heiligen[169-1]. Die
Gestalt, die diese Sage jetzt hat, gehört dem jüngsten Mittelalter an.
Ihr zufolge war Kümmernis die Tochter eines heidnischen Königs in
Niederland, nach andern in Portugal. Sie selbst hatte sich heimlich
dem Christentum angeschlossen. Als sie auf Befehl ihres Vaters einen
heidnischen Prinzen zum Manne nehmen sollte, bat sie Gott, er möge doch
ihre wunderbare Schönheit derart entstellen, daß alle Männer sich mit
Abscheu von ihr wenden müßten. Ihr Gebet wurde erhört und zur Stunde
wuchs ihr ein mächtiger Bart. Darauf wurde sie als eine Zauberin
angeklagt und auf Befehl des erzürnten Vaters gekreuzigt. Als sie nun
in Todesqualen am Kreuze hing, kam ein armer Geiger des Weges, wurde
von Mitleid ergriffen und spielte ihr zum Troste das Kreuzlied; zum
Dank warf sie ihm einen ihrer goldenen Schuhe herab. Der Geiger sollte
darauf als Dieb gerichtet werden. Als man ihn zum Richtplatz führte,
bat er um die Gunst, nochmals vor der Gekreuzigten spielen zu dürfen;
es wurde ihm gestattet: ein Wunder geschah, denn sie ließ auch den
andern Schuh fallen und der Arme war gerettet.

Nur in seltenen Fällen weist jedoch die Kümmernislegende diese
greifbaren Umrisse und diesen Zusammenhang ihrer einzelnen Bestandteile
auf. Viel öfter treffen wir sie nur bruchstückweise und bis zur
Unkenntlichkeit verschwommen an. Wie sehr die Heilige in beständigem
Fluß und Wechsel begriffen ist, geht schon aus der Menge ihrer Namen
hervor: Heilige Wilgefortis, Liberata, Sankt Gehülfe, Sankt Hilfe,
Sankt Hülfe, Eutropia, Regenfledis, Ontkomer, sogar männlich »der
heilige Kummernus«, ja einzelne Bilder tragen geradezu die Aufschrift
»_Salvator mundi_«. Eine feste Handhabe für die Ordnung der unzähligen
Kultusspuren geben in diesem Wirrsal nur die Attribute, die, wenn
auch nicht vollzählig, so doch mehr oder weniger regelmäßig immer
wiederkehren; denn die rätselhafte Heilige hat Verehrung genossen
in einem Umfang, der auch unter den vornehmen Heiligen so leicht
seinesgleichen nicht hat. Vielmehr rückt Sankt Kümmernis allein schon
dadurch auf gleiche Linie mit einer bedeutenden heidnischen Gottheit.
Unter allen Umständen muß man die Dunkelheit und Unverständlichkeit
dieser Heiligenfigur mit in Kauf nehmen als ihre wesentliche
Eigenschaft. Die volkstümliche Vorstellung von Kümmernis ist uns fast
ausschließlich kultisch vermittelt, weshalb denn auch die plastischen
Darstellungen vor den litterarischen an Zahl und Wert beträchtlich
überwiegen.

Alle Anzeichen deuten darauf hin, den Sitz des Kümmernisdienstes in dem
deutschen Alpengebiet, also in der Schweiz, in Vorarlberg, Tirol und
Steiermark und dem Rhein entlang zu vermuten. Seit undenklichen Zeiten
scheint er dort heimisch gewesen zu sein. Durch die Langobarden kam er
nach Oberitalien. Das berühmte _volto Santo_ zu San Martino in Lucca und
die Verehrung des heiligen Fredian in derselben Stadt stellen seinen
Kultus außer Zweifel. Durch wandernde germanische Elemente verbreitete
sich später dann der Kümmerniskultus auch in Frankreich und Spanien,
ohne sich jedoch im Ausland eigentlich einzubürgern.

Das älteste Kümmernisbild stammt aus dem achten oder neunten
Jahrhundert und steht in einer Nische der Kirche von Oberwinterthur.
Es zeigt unzweifelhaft einen Mann, einen König; auf dem Haupte die
dreizackige Krone; das Gesicht ist ernst, von einem starken Barte
eingerahmt, der Blick offen und geradeaus gerichtet. Die Arme sind
ausgebreitet und bis zu den Handgelenken bekleidet; die Hände stecken
in starken Handschuhen. Das Gewand, ein einfacher bis fast zu den
Knöcheln reichender Rock ist um die Hüften zusammengehalten durch
einen Gürtel, dessen Ende lang herabfällt; auf der Brust, dicht über
dem Gürtel ein einfaches kreuzförmiges Zeichen. Beide Füße stehen
fest auf; der eine beschuht, der andere entblößt und der Schuh steht
vor ihm auf der Erde. Zur Seite kniet eine männliche Gestalt, die den
einen Arm erhoben hält. Von einem Kreuze hinter der Königsgestalt
ist nichts zu erblicken, die Hände tragen also auch keine Spur einer
Nagelung. Diesem Bilde sehr nahe verwandt ist ein jüngeres auf einem
Diptychon des dreizehnten Jahrhunderts. Gesichtsausdruck, Krone,
Gürtel, Kreuzeszeichen sind dieselben. Von einem Kreuzesstamme ist auch
hier nichts angedeutet: dagegen ruhen die Arme auf einem Querbalken. Ob
die Hände angenagelt sind, bleibt ungewiß; die Füße stehen auf einem
mächtigen Block; der eine Schuh ist ausgezogen und steht unterhalb
des Fußes, die knieende Figur führt in der Hand eine Laute. Wiederum
einer jüngeren Zeit anzugehören scheint das Bild zu Saalfeld an der
Wasserkapelle, die im Fluß steht. Die Krone zeigt mehr Zacken; der
Gesichtsausdruck ist zwar immer noch ernst und schmerzlos, aber weniger
königlich; der Blick ist frei. Der Gürtel umschließt wiederum den
langen einfachen Rock, das Kreuzeszeichen im Gürtel ist verschwunden;
dafür befindet sich auf der Brust ein rhombischer Zierrat. Ueber das
Haupt ragt der Kreuzesstamm; die beiden Hände reichen zum Querbalken
empor; die Nagelung scheint angedeutet. Die Füße, deren einer den
nebenstehenden Schuh abgestreift hat, stehen fest auf felsigem Boden,
die knieende Figur hält wiederum die Laute in Händen. Merkwürdig ist
die Inschrift: _Salvator mundi 1516_, die sich auch auf dem etwas
jüngeren und dem Saalfelder ähnlichen Bilde zu Ettersdorf vorfindet.
Dagegen verrät der belgische Kummernis eine entschiedene Weiterbildung.
Das Kreuz ist vollständig ausgebildet; die Hände sind angenagelt;
dagegen hängen die Füße völlig frei ohne Nagelung noch Schemel. Das
Haupt, das schon in Ettersdorf leicht geneigt ist, sinkt nun auf die
Brust und ist nicht nur von einer mehrzackigen Krone, sondern auch
von einem Nimbus umgeben. Um den Hals legt sich ein Geschmeide als
breite Borte, die auf der Brust in Blattform schließt. Wiederum hält
der Gürtel das Gewand zusammen. Der Kreuzesstamm steigt hinter einem
Altar auf, wo zu Füßen des Gekreuzigten neben dem einen abgestreiften
Schuh ein Becher steht. An den Stufen des Altars kniet ein Geiger.
Als bei der Darstellung des gekreuzigten Christus, seit der Mitte des
dreizehnten Jahrhunderts, nicht nur der Gesichtsausdruck, sondern auch
die ganze Figur mit allen Zeichen des Schmerzes sich erfüllte, ging das
»bekümmerte« Aussehen auch auf die Kümmernisbilder über. Die nächste
Hypostase vertritt ein Bild zu Prag, das im siebzehnten Jahrhundert ein
Kaufmann aus Belgien gestiftet hat. Der Uebergang ist ein gewaltiger,
denn am Kreuze haftet unverkennbar eine Frau. Da die beiden auf das
Jahr 1516 gezeichneten noch durchaus männlich sind, das Prager Bild
aber nachweislich erst 1684 gestiftet wurde, muß der weibliche Typus
in der Zwischenzeit sich ausgebildet haben. Dafür ist das bekümmerte
Aussehen wieder verschwunden; die weibliche Heilige trägt nicht nur die
Krone und den Purpurmantel, sondern sogar die Gloriolen. Ihr bärtiges
Antlitz ist durchaus heiter; der Gürtel fehlt nicht auf ihrer reichen
Gewandung; die Hände sind angenagelt, dagegen stehen die Füße fest
auf einem Block, neben welchem der eine abgestreifte Schuh liegt. Der
Becher ist verschwunden, der Geiger geblieben. Ueberblicken wir nun
diese einzelnen Bildtypen, so treten für die Kümmernisdarstellung
folgende Momente zu Tage: die Heilige war ursprünglich ein Mann, das
Kreuz, an das der Heilige später geheftet erscheint, fehlt bei den
alten Bildern gänzlich, mit der Zeit erscheint es angedeutet, aber
nicht durchgeführt; dementsprechend führt sich die Nagelung der Hände
erst allmählich ein. Die Nagelung der Füße dagegen unterbleibt und
schützt mit dem allen Bildern gemeinsamen Gürtel Kummernis vor der
Verwechslung mit dem gekreuzigten Christus. Der Geiger der späteren
Bilder und modernen Dichtungen[172-1] war ursprünglich nur ein
Betender, ein Bettler. Und wie der Heilige den einen Schuh fallen ließ,
so berichtet die nordische Sage von manchem Götterbilde, es habe gnädig
einen Ring vom Finger, einen Schuh vom Fuße fallen lassen.

Irgendwie näher auf die spätere weibliche Phase des Kummernus und
deren wechselnde Namen einzugehen, würde uns allzuweit von unserer
Aufgabe abführen. Dagegen schlägt es in unser Gebiet ein, dem Ursprung
dieses seltsamen Kultus ein wenig nachzuspüren. Der oder die heilige
Kummernus wird zunächst angerufen in jeder Not des ganzen Volkes, also
in Kriegsgefahr, Trockenheit, Ueberschwemmung, Theuerung, Mißwachs
und Epidemie. Insbesondere ist der Zwitterheilige sodann Schutzpatron
des Ackerbaus; das Bild steht darum meist in Feldkapellen; auch
auf Bäckeröfen prangt es häufig. Doch schließt dieser allgemeine
Schutz persönliche Anliegen nicht aus, besonders leidender Frauen
in Eheangelegenheiten; das Kümmernisbild findet sich daher in der
Schlafkammer über dem Ehebett. Dann beschützt und geleitet er
Reisende, deshalb seine Kapelle an Kreuzwegen, und ebenso geleitet
er, wenigstens in späterer Zeit, die Toten auf ihrer letzten Fahrt.
Das kann kein unmächtiger gewesen sein, der das Saatfeld in gleicher
Weise segnet wie den Ehestand, der die Gefahren abwendet, sowohl von
der Feldfrucht, wie von dem Glück des Hauses; dieser Herr über Leben
und Tod kann nur ein Herrscher gewesen sein, der Himmlischen einer.
Nur bei einem Urgewaltigen kann das Volk seit grauer Vorzeit in seiner
Not Trost und Hilfe gesucht haben. Da, mit einem Mal, erkennen wir
die gekrönte, bärtige, königlich blickende Riesengestalt: wahrhaftig,
es ist der Donnergott selbst. Hoch aufgerichtet, mit ausgebreiteten
Armen dem Beter zu seinen Füßen Hilfe verheißend, steht er da,
ausgerüstet mit allen Zeichen der Kraft; seine Hüften umschlingt
der Stärkegürtel, indem der kurze Stil des Hammers steckt, seine
Hände sind in die Eisenhandschuhe gehüllt, er legt sie an, sobald er
auszieht, die Riesen niederzuschmettern. Warum heißt dann aber dieser
verkleidete Heidengott nach seiner Taufe Kummernus? Eine stichhaltige
Erklärung des Wortes, vielleicht am ehesten aus einem entlegenen
Dialekt zu erwarten, liegt noch nicht vor. Um sich mit Bekanntem zu
behelfen, kann man immerhin sagen, daß die uns geläufige, abstrakte
Bedeutung von »Kummer« keineswegs die ursprüngliche ist; noch heute
bezeichnet das Volk am Rhein mit diesem Wort den Schutt und spricht
vom »Kümmern« der Rebberge; bei Gregor von Tours bedeuten »Cumbri«,
eine Flußeindämmung, und da mag denn beiläufig an das Kummernusbild der
Wasserkapelle mitten in der Saale bei Saalfeld erinnert sein, sowie an
den italienischen Kummernus, den heiligen Fredian von Lucca, der bei
einer Ueberschwemmung des Wassers durch ein Wunder zum Meere ablenkt.
Wenn ferner in der Rechtssprache Kummer der Ausdruck für Haft ist, so
verrät sich auch da der ursprüngliche konkrete Sinn eines Hindernisses
um aufzuhalten und zu hemmen. Endlich war zu Anfang des vierzehnten
Jahrhunderts die Bezeichnung »zum Kummer« als Hausname in Gebrauch.
Es ist aber niemals Sitte gewesen, ein Haus nach einem Abstraktum zu
nennen, da die bildliche Darstellung des Namens wichtiger war als der
Name selbst. Das Bild »zum Kummer« war zweifellos ein göttliches in
menschlicher Gestalt und stellte den mächtigen Helfer in der Not dar,
der der Bedrängnis einen Damm entgegensetzt und ihr ein Ende macht.
Es bleibt ohne Belang, ob der Helfer männlich oder weiblich ist; der
männliche Artikel scheint auf einen männlichen Helfer zu deuten,
wogegen der spätere Tausch mit »Kümmernis« auf den Uebergang in eine
weibliche Helferin schließen läßt. Wie sehr man indessen noch von dem
männlichen Geschlechte überzeugt war, auch nachdem die Bezeichnung
Kummernis sich schon eingebürgert hatte, beweist die klare Aufschrift
des Bildes in Rankwil in Vorarlberg: »Sanktus Kummernus«. Ebenso steht
vor dem Dorfe Ruedeswill westlich von Luzern ein kleines Bethaus in der
Ehre des heiligen Märtyrers und Bischofs Kummernus.

Zur selben Zeit, da Bonifatius in Deutschland die Bäume und
Bilder Donars zu stürzen unternahm, mag in den angelsächsischen
Missionskolonien der Niederlande die Vorstellung von einem Heiligen
gehegt worden sein, der den Kriegs- und Donnergott auch in der
Ideenwelt der Heiden verdrängen sollte. In Belgien finden sich noch
heute uralte Kultstätten des Kummernus zu Brüssel, Mecheln und bei
Dieppe. Von dem Niederland ist dann der Heilige rheinaufwärts gezogen,
und ließ sich namentlich in Mainz nieder. Nicht weniger als fünf seiner
Bilder finden sich an verschiedenen Orten der hessischen Rheinpfalz,
die von dem mächtigen Donnersberge beherrscht wird. Die Anfänge des
eigentlichen Kultus fielen also in das Ende der Merowingerzeit, in
die erste Hälfte des achten Jahrhunderts. Aber nur die Anfänge des
Kultus, in seiner christlichen Umprägung. Der eigentliche Kern dieses
Dienstes ist so alt wie die germanische Götterwelt, und während sie
am Unterrhein bereits zum heiligen »Kummer« beteten, opferten die
Alamannen im Vorland der Alpen noch dem Donar. Und doch sah das Bild
des einen dem Bild des andern zum Verwechseln ähnlich. Es war ein und
dasselbe Bild.




Achtes Kapitel.

Ortsheilige.


Bei mythischen Heiligen, wie Mithra-Georg oder Donar-Kummernus, liegt
die Natur der Legende in der Eigenschaft unstet zu wandern, überall und
nirgends zu Hause zu sein. Nun kennt die Legende jedoch andere Heilige,
die zwar nicht weniger einer geschichtlichen Unterlage entbehren,
aber insofern doch weit eher scheinen gelebt zu haben, da sich ihr
Andenken an bestimmte Orte knüpft. Es handelt sich dann entweder um den
örtlichen Niederschlag einer Wanderlegende oder um die Umtaufe einer
Gaugottheit mit begrenzter Machtsphäre.


1.

1. In alten Saturninsakten fand Gregor von Tours folgenden Passus
[175-a]: »Unter dem Konsulat des Decius und Gratus begann gemäß einer
zuverlässigen Erinnerung die Regierung des Saturninus als ersten
Bischofs der Stadt Toulouse?« Seinerseits fügt Gregor eine Mitteilung
bei, die eine solche Aufrichtung bischöflicher Sitze in Gallien
um 250 zur Siebenzahl erweitert und als Erfolg einer von Rom aus
organisierten gallischen Mission darstellt: »Zur Zeit des Decius wurden
sieben Bischöfe ordiniert und zur Predigt nach Gallien abgesandt,
wie die Historie der Passion des heiligen Märtyrers Saturninus
erzählt«. Folgt das angeführte Zitat, worauf Gregor fortfährt: »Diese
Abgesandten waren in Tours Bischof Gatian, in Arles Bischof Trophimus,
in Narbonne Bischof Paulus, in Toulouse Bischof Saturninus, in Paris
Bischof Dionysius; in Arvernum Bischof Stremonius; in Limoges Bischof
Martialis«. Es entsprach dem kirchlichen Bedürfnis, alte und angesehene
Bischofssitze mit dem Namen irgend eines Gründers zu versehen. Wenn
möglich sollte es ein Märtyrer sein. Aber schließlich wenn es überhaupt
nur ein Name war. Welche Gestaltungen dieser Trieb annehmen konnte,
zeigt sich am lehrreichsten bei Dionysius von Paris. Gregor also nennt
einen ersten Bischof dieser Stadt mit einer doppelten Ergänzung, daß
er in der Mitte des dritten Jahrhunderts gelebt habe und von Rom
gekommen sei. Auch hier wird Gregor wenigstens scheinbar von Fortunat
unterstützt. Denn dessen Gedicht auf Dionysius ist wahrscheinlich
pseudepigraph; es hat folgenden Inhalt[175-b]: »das Christenvolk soll
mit lauter Stimme und von Herzen den mutigen und treuen Streiter
besingen, den Märtyrer Dionys, der dem Himmelsfürsten nachfolgte.
Abgesandt durch Clemens, den Oberpriester von Rom, kam er von dieser
Stadt zu uns, auf daß der Same des göttlichen Wortes in Gallien Früchte
trage. Er hat den heiligen Bau errichtet, er hat den Glauben der Taufe
gelehrt; aber die Verblendung der Zuhörer will nichts vom Geschenk des
Lichtes wissen. Als der heilige Oberpriester sich anschickte, das Volk
dem Irrtum zu entreißen, während er die Hoffnung des Heiles predigte,
mußte er die Qualen des Todes über sich ergehen lassen. Er wird von den
Heiden gefangen, er, der die Christusaltäre lieb hatte; aus Liebe für
so viel Ruhm, erträgt er willig die Folterungen. Nun mangelte nur eins;
sein Leben für seinen König hinzugeben. Der Oberpriester, der Gott im
Tempel heilige Opfer darbrachte, vergoß sein köstliches Blut und wurde
selbst zum Opferlamm. Glücklich der Märtyrer, der durch seine fromme
Wunde und durch seine Todesqualen die himmlische Palme erwarb, der
durch seinen Tod den Tod zermalmt hat. Er besitzt nun das Königreich
des Himmels.« Als ferner Fortunat, diesmal der echte, an Leontius von
Bordeaux anläßlich einer von diesem restaurierten Dionysiuskirche im
Jahre 541 ein Gedicht richtet, wird darin das Martyrium des Heiligen
des näheren als Enthauptung bezeichnet[176-a]. Die wenigen Thatsachen,
die durch den Schleier der vielen zerflossenen Verse hindurch zu
erkennen sind, berühren sich nahe mit alten Dionysiusakten, die
Fortunat ebenfalls mit Unrecht zugeschrieben wurden[176-b]. Der
Verfasser sagt, daß er diese Akten weniger auf Grund schriftlicher
Quellen, als auf Grund vertrauenswerter älterer Erzählungen von Mund
zu Mund aufgezeichnet habe zum Zweck gottesdienstlicher Vorlesung,
ferner erfahren wir hier von einer Dionysiuskirche in Paris, die der
Heilige selber errichtet habe, und von einer prächtigen Basilika, die
nach seinem Tode über dem Grabe der heiligen Märtyrer an Stelle eines
von Catulla ihnen gestifteten Mausoleums mit großen Kosten errichtet
worden sei. Auch werden die Bewohner von Paris in den Akten als
Germanen bezeichnet und Andeutungen nicht unterlassen, die auf eine
nähere Bekanntschaft mit der kirchlichen Topographie von Paris und
Umgebung schließen lassen. Aber in einem wesentlichen Punkte bedeuten
diese Akten eine beträchtliche Verschiebung des durch Gregor und
die Saturninspassion bezeichneten ursprünglichen Standpunktes. Die
Zeit der Handlung ist nun nämlich vom dritten Jahrhundert ins erste
verlegt. Saturnin von Toulouse und Paul von Narbonne werden zwar noch
verschämt an die Zeit herangedrückt »nach dem heilbringenden Leiden
unseres Herrn Jesu Christi, dessen Auferstehung, dessen Himmelfahrt
und der darauffolgenden Missionspredigt der Apostel an alle Völker«.
Dionysius aber wird unverblümt durch Clemens von Rom, dem Nachfolger
des Petrus, mit der Mission betraut. Ja aber kannte denn das Neue
Testament einen Dionysius, auf den diese Angabe Anwendung fände?
Darauf weiß bereits ein Gedicht des Bischofs Eugen von Toledo ungefähr
aus dem Jahre 620 Antwort; es lautet: »Himmelsbürger ruft Beifall zu
der fröhlichen Weltfackel, die von Himmelshöhen hernieder die Gnade
dieses Tages bestrahlt. Der hervorragende Glaube des Märtyrers, das
Heiligenleben des Priesters, des edeln Dionys — sie haben heute die
Palme empfangen. Das Diadem des himmlischen Königs hat sich auf dem
Areopag von Athen eine schimmernde Perle auserlesen — den Philosophen
Dionys. Auf Pauli Stimme hin hat der Glaube der Gläubigen einen Spiegel
erhalten und der den das Heidentum für sein Bollwerk ansah, wurde zum
Sturmwidder, der an es Bresche legte. Leuchtend von wunderbarer Lehre,
erhellte er Griechenland, und von da kam der erhabene Lehrer nach Rom.
Auf Befehl des Clemens, des Machthabers von Rom kam er nach Gallien,
wo er, einer strahlenden Sonne gleich, leuchtete durch den Glanz
seiner Wunder und seines Wortes. Endlich hat er den Dämon besiegt, hat
er den heiligen Bau aufgerichtet, da erduldete er die gräulichsten
Qualen; sein Haupt fällt. Er fährt gen Himmel. Gruß Dir, o Vater,
der du den Himmel erworben! Gruß Dir Heiliger, der du auf die Erde
zu Besuch kommst. Die jährliche Wiederkehr deines Festes gilt deiner
Gegenwart. Bringe, bester Priester, unsere Seufzer und unsere Gebete
dar; stärke unsern Glauben, o Märtyrer Gottes, und verleihe uns einen
besseren Lebenswandel. Leite mit deinem Beistand unsere gebrechlichen
Fahrzeuge durch das Meer dieser Welt, und fällt die Leibeshülle von
uns, dann nimm uns, Heiliger, mit Rücksicht auf«. Aus Dionys von
Paris ist Dionys vom Areopag geworden. Niemand weiß wie. Und alsobald
sind auch jene klementinischen Akten durch areopagitische ersetzt.
Hier haben wir die Legende aus zweiter Hand; der Verfasser gibt eine
Ueberarbeitung der klementinischen Akten, indem er die Auszüge daraus
zugleich mit neuen Angaben versetzt; diese umfassen im allgemeinen
folgende Punkte: die Bekehrung Dionys des Areopagiten durch Paulus
und seine Ankunft in Rom nach dem Martyrium der Apostel, die Namen
dreier seiner Missionskollegen Marcellus von Spanien, Saturnin von
Aquitanien und Lucian von Beauveais, der Name des Domitian, die Rede
des einen Scharfrichters samt der Antwort des Dionys und seiner beiden
Gefährten, und das Wunder, daß Dionys nach seiner Enthauptung seinen
Kopf in den Händen trug. Diese Akten stammen wahrscheinlich aus dem
achten Jahrhundert, und haben nicht nur dem Patriarchen Methodius von
Constantinopel und Alcuin vorgelegen, als sie um 800 jeder auf Dionys
dichteten, sondern auch dem Abt Hilduin von St. Denys, als er im Jahre
835 auf den Wunsch Ludwigs des Frommen seine Akten des Areopagiten
Dionysius verfaßte, eben das Werk, das den Dionys dem abendländischen
Mittelalter erschlossen hat[177-1]. Rechnet man hinzu, daß dieselbe
Umtaufe im Morgenland einem anonymen mystischen Schriftsteller des
fünften Jahrhunderts zu Theil geworden war, der nun mit seinem
litterarischen Inventar zum Bischof von Paris stieß, nicht zu vergessen
das gesteigerte Interesse, das im elften Jahrhundert der erbitterte
Streit der beiden Klöster Emeran und St. Denis um die Reliquen des
Heiligen an den Tag legte[177-2], so haben wir das elementare Anwachsen
der Tradition aus unscheinbaren Anfängen zu einer Macht an einem
besonders instruktiven Beispiel beobachtet.

Im Kleinen mag sich ähnliches oft genug ereignet haben; namentlich
die sachte Verschiebung eines mehr oder weniger historischen Namens
des vierten oder dritten Jahrhunderts ins erste kehrt fast mit der
Häufigkeit einer Regel wieder. Sie zeigt sich bei Trophimus von Arles
überdies in einer neuen Verbindung; sonst verfolgte der römische
Legendenstrom, der sich über Gallien verbreitete, weiter keinen
Zweck, als die Traditionen der einzelnen Bistümer zu adeln. Bei
Trophimus dagegen, dessen Legende im zweiten Jahrzehnt des fünften
Jahrhunderts durch Patroklus, den damaligen Bischof von Arles in
Umlauf gesetzt wurde, gibt sich zugleich die Tendenz kund, dadurch
die Macht des gallischen Episkopats zu stärken, was indessen bei der
Stellung von Arles als dem Vorort unter den gallischen Metropolen
jener Zeit natürlich erscheint. Papst Zosimus schreibt im Jahre 417
unter anderem[178-a]: »Die Metropole Arles hat keinerlei Anspruch
auf ein Vorrecht, da ja doch von Rom aus Trophimus als Oberhaupt in
diese Stadt gesandt wurde. Er bezeichnet die Quelle, aus der die
Glaubenskanäle durch ganz Gallien gespeist wurden«. Und im Jahre 450
heißt es in einer Eingabe der in Arles unter Erzbischof Ravennius
versammelten Bischöfe[178-b]: »In ganz Gallien ist es bekannt, aber
auch der Heiligen Römischen Kirche wird es nicht unbekannt sein, daß
unter den gallischen Städten Arles zuerst den Sendling des Apostels
Petrus, den heiligen Trophimus, als Priester in sich aufgenommen zu
haben, das Verdienst hat und von da aus das Gut des Glaubens und der
Religion mitteilte.« Solche Stellen sind von Bedeutung, um zu zeigen,
wie früh schon, in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts schon,
in Gallien die römische und apostolische Gründungssage von Bistümern
heimisch war. Zu welchem Umfang und zu welcher Kühnheit sie sich mit
der Zeit auswuchs, zeigt nach der Merowingerzeit ein Blick auf die
Gründungssagen der rheinischen Bistümer. Maternus, der dreifache
Bischof von Köln, Tongern und Trier, war ein naher Verwandter Jesu,
ja war niemand anders, als der Jüngling zu Nain. Mainz knüpfte seinen
Ursprung an den Paulusschüler Crescens[178-c], der nach der biblischen
Nachricht sich nach Galatien gewendet hatte und infolge dessen für
Gallien und Zubehör in Anspruch genommen wurde. Metz will durch den
Petrusschüler Clemens, Toul durch den Maternusgefährten Mansuetus,
einen geborenen Schotten, gegründet sein, und Verdun glaubte sich den
Dionysiusschüler Santinus erinnern zu dürfen, nachdem er zuvor in
Chartres und Meaux Bischof gewesen sei[178-1].

Aber auch von diesen späten und kräftigsten Beispielen abgesehen, haben
fast alle größeren fränkischen Bischofssitze sich nicht begnügt, die
Listen ihrer früheren Regenten sei es ganz, sei es bruchstückweise
anzufertigen oder für die Lebensbeschreibung der Hervorragenden unter
ihnen zu sorgen: sie haben es sich angelegen sein lassen, dem Stuhle
eine möglichst apostolische Gründung zu verschaffen, indem man von den
missionierenden Aposteln oder Apostelschülern einen am betreffenden
Orte sich vorübergehend oder bleibend aufhalten ließ. Narbonne berief
sich auf Paulus, Avignon auf Rufus, dieser ist wie Trophimus aus dem
dritten Jahrhundert zu der neutestamentlichen Person heraufgerückt,
deren Namen er trägt. Ob für Linus von Besançon schon in dieser frühen
Zeit der Versuch gemacht wurde, zu dem der Name veranlassen konnte,
weiß man nicht. Dagegen beanspruchen sogar Namen ohne biblischen
Klang, wie Fronto von Perigueux oder Martialis von Limoges und andere
Bürgerrecht in der Apostelzeit[179-1]. Verzichtet man aber auf ein
so hohes Alter des Patrons und begnügt sich mit einem Märtyrer der
decianischen Zeit oder gar mit einem undatierten Namen, so findet
sich wohl schwerlich ein älteres fränkisches Bistum, das damit nicht
aufwarten kann.


2.

Sehen wir uns nun aber das Phänomen der Legendenlokalisierung an
einem glücklichen Beispiel näher an. Es gibt einen heiligen Moritz
im Morgenland und einen heiligen Moritz im Abendland, Moritz von
Apamäa und Moritz von Agaunum. Nach allem, was wir nun im allgemeinen
über die Legende wissen, insbesondere über ihre Eigenschaft, sich
zu verpflanzen und zu übertragen, erwächst uns die Verpflichtung
nachzuspüren, ob sich nicht zwischen beiden Sagen ein Zusammenhang
erkennen lasse. Der syrische Moritz teilt nun allerdings in hohem Maße
mit seinen orientalischen Leidensgefährten Georg, Christoph und den
andern, den empfindlichen Mangel einer deutlichen Lebensgeschichte;
seine Gestalt ist vor armseligem Inhalt und erbaulichem Dunst kaum
festzuhalten. Immerhin springt an ihm ein greifbarer Unterschied
von den andern sofort deutlich in die Augen; er tritt nämlich nicht
allein auf, sondern an der Spitze einer Kriegerschaar von siebzig
Soldaten. Sie heißen die Märtyrer von Apamäa. Wegen ihres christlichen
Bekenntnisses vor den Richterstuhl des Kaisers gezogen, lassen sie sich
ihrer militärischen Ehrenzeichen berauben; die Qualen, die sie dann zu
bestehen haben, sind dreitägiges Gefängnis mit Halseisen, Geißelung mit
rohen Ochsenziemern, schließlich entweder Enthauptung oder Flammentod
oder verschärfte Kreuzigung. Von den sonst ungenannten Soldaten des
Moritz treten drei mit Namen auf: sein Sohn heißt Photinus, der
»Leuchtende«, die beiden andern Theodor und Philippus. Gegen die
Walliser Lokalsage gehalten, weist diese orientalische Fassung im
allgemeinen drei gemeinsame Punkte auf: hier wie dort leidet eine
Kriegsschaar, hier wie dort heißt der Führer Moritz, hier wie dort ist
Kaiser Maximian der Verfolger.

Ein unvergeßliches Ereignis noch aus der vorchristlichen Aera kann
mit seinem die Jahrhunderte beherrschenden Andenken die keltischen
Bewohner des Rhonethals zur Aufnahme der morgenländischen Moritzlegende
besonders zubereitet haben[180-1]. Im Herbst des Jahres 57 vor Christi
Geburt entsandte Julius Cäsar[180-a] den Legaten Servius Galba mit
der zwölften Legion und einer Abteilung Kavallerie, im Ganzen mit
etwa dreitausend sechshundert Mann Fußvolk und drei- bis vierhundert
Reitern ins Wallis, um die Verkehrsstraße über den großen Bernhard
für den italienischen Handel zu öffnen. Galba rückt vom See her ein,
unterwirft die Nantuaten um St. Maurice, die Veragrer um Martigny und
die Seduner um Sitten. Die Bevölkerung stellt Geißeln. Die Rückzugs-
und Verbindungslinien zu sichern, legt Galba zwei Cohorten zu den
Nantuaten nach Agaunum. Er selbst bezieht mit dem Gros der Legion
die große Ortschaft Oktodurum als Winterquartier, am Schlüssel des
Passes. Er ließ sich auf dem linken Ufer der Dranse nieder. Aber er
hat sich noch nicht eingerichtet, so bricht schon der Aufstand los.
Die Hauptmacht des Feindes sammelte sich auf den westlichen Bergen
und drohte die Römer von ihren Verbindungen abzuschneiden. In Galbas
Kriegsrat ging die Meinung der Hauptleute der Mehrzahl nach dahin, das
unvollendete Lager wenn immer möglich zu halten, und nur im Fall der
äußersten Not es samt dem Gepäck preiszugeben und sich durchzuschlagen.
Schon hatten die Kelten das Lager umgangen und griffen vom Berg und
vom Süden her an. Die dort kommandierenden Offiziere, der Centurio
Publius Sextius Baculus und der Kriegstribun Gajus Volusenus, meldeten
Galba, sie könnten vor der Uebermacht nicht lange stand halten, schon
fülle der Feind die Graben und durchbreche den Wall, die Munition gehe
aus, die Wallbesatzung sei am Ermatten. Sie rieten zu einem Ausfall
mit gesamter Macht. Galba nahm den Vorschlag an. Der Ausfall geschah
mit großer Heftigkeit. Aus allen vier Thoren brachen die Truppen aus,
und zugleich griff die Wallbesatzung von den Reserven unterstützt den
Feind frontal an. Die Reiterei rückte an dem am wenigsten bedrohten
gegen die Dranse gelegenen Thor aus, schwenkte rechts um, rollte den
rechten südlichen Flügel der Kelten auf und warf ihn auf die westliche
Hauptmacht zurück. Hinter der Reiterei war eine Cohorte Infanterie
ausgezogen, hatte aber das Lager links umschritten und verlegte nun
den Abzug thalabwärts, indem sie zugleich dem Feind in die linke
Flanke fiel. Von allen Seiten umzingelt verloren die Kelten den
Kopf. Wer zu fliehen vermochte, floh in die Berge hinauf, und kein
Versuch wurde gemacht, oben trotz der günstig überhöhenden Stellung
Stand zu fassen. Der Kampf hatte früh am Morgen begonnen und sechs
Stunden gedauert. Galba will das Waffenglück nicht weiter auf die Probe
stellen; von Feinden rings umgeben, in seinen Verbindungen bedroht und
ohne genügende Vorräte für den Winter brennt er Oktodurum nieder und
tritt den Rückmarsch ins römische Gallien an. Indessen war ein Teil der
Kelten auch von der Flucht in die Berge abgeschnitten und konnte sich
nur noch thalabwärts retten. Unterwegs schloß sich die Thalbevölkerung,
Männer und Frauen der Flucht an. Verfolgt wurden sie von den Reitern
und einigen Kohorten. Nun hatten aber auf die Kunde vom entsponnenen
Kampfe, die bei dem geordneten ständigen Verkehr zwischen den beiden
Lagern sogleich nach Agaunum geleitet worden war, die beiden dort
liegenden Kohorten sich in Marsch gesetzt und vor dem Engpaß unweit
von Agaunum sich entwickelt, um jedem Befehle Galbas sofort folgen zu
können. Ihnen liefen die flüchtigen Gallier in die Arme. Als sie rings
umklammert keinerlei Rettung sahen, massierten sie sich auf einen
Hügel, eine Viertelstunde von Agaunum entfernt, und ließen sich ohne
jede Gegenwehr bis auf den letzten Mann niedermetzeln. Es ist nicht
das einzige Beispiel, daß Germanen oder Kelten nach tapferem aber
erfolglosem Kampfe widerstandslos mit fatalistischer Indolenz den Tod
an sich herankommen ließen. Die Zahl der bei Oktodurum Erschlagenen,
die von Agaunum wohl eingerechnet, beziffert Cäsar auf zehntausend. Im
Gedächtnis des Walliser Volkes blieb nun aber weniger die verlorene
Schlacht haften, als die erbarmungslose Niedermetzlung einer ganzen
großen Menschenschaar, ohne daß sich einer wehrte oder einer mit dem
Leben davonkam.

An der Spitze der katholischen Geistlichkeit im Wallis stand am
Ende des vierten Jahrhunderts einer der tüchtigsten kleineren
Prälaten seiner Zeit, der Bischof von Sitten. Er hieß Theodor. Das
ist wichtig zu wissen, weil der Heilige dieses Namens ebenfalls dem
syrisch-kleinasiatischen Sagenkreis angehörte und sich gewissermaßen
als schwächere Kopie des heiligen Georg ausweist: auch er war von
vornehmer Abkunft und als Christ geboren, auch er wurde nach den
abenteuerlichsten Folterqualen unter Licinius seines Bekenntnisses
wegen in seiner Heimat Bithynien enthauptet; auch er wird abgebildet
mit einem Speer oder Schwert, einen Drachen zu seinen Füßen oder
als Ritter in voller Rüstung. Der erste uns bekannte geschichtliche
Träger seines Namens im Abendlande ist eben jener Bischof von
Sitten, der 381 auf dem dritten Concil in Aquileja und 390 auf einer
Kirchenversammlung in Mailand anwesend war. Da nun die Inhaberschaft
eines Heiligennamens seitens eines Kirchenfürsten, zumal die
erstmalige, gewiß auch die Verehrung des Patrons in irgend einer Form
in sich schloß, so ist die Beziehung dieses Bischofs zu einem fernen
Sagenkreise nachgewiesen, dem Theodor sowohl wie Moritz angehörten.
Aber diesem selben Bischof von Sitten schreibt die Lokaltradition
die Hebung der Reliquien von Agaunum zu. Er war somit durch seinen
Namenspatron an der Verehrung der morgenländischen Kriegsheiligen
und durch sein Amt an der erforderlichen Umwertung des Kultus der
heidnischen Märtyrerschaar persönlich beteiligt. Auch ohne bewußte
kluge Berechnung, nur infolge höherer Schwellung seiner Gefühle kann
sich in seiner Brust die Verschmelzung der fremden christlichen
Sagen mit der einheimischen heidnischen vollzogen haben. Zu dieser
Kombination hat die morgenländische Wandersage den Namen des Anführers
und der Truppenabteilung, sowie die Thatsache und Zeit des Todesleidens
einer ganzen Kriegerschaar für Christus, die Walliser Lokalerinnerung
dagegen den massenhaften Charakter des Martyriums und den Verzicht
auf Widerstand beigesteuert. In welcher Fassung die Erzählung vom
Heldentod der Märtyrer von Agaunum zuerst in Umlauf gesetzt wurde,
entzieht sich unserer Kenntnis. Jedenfalls hat es sich um die
Thatsache gehandelt: Unter Diokletian und Maximian litt zu Agaunum
die Thebäerlegion nebst ihren Anführern dem Primicerius Mauritius,
dem Compiductor Exsuperius und dem Senator militum Candidus. In der
Mitte des fünften Jahrhunderts, also etwa zwei Menschenalter nach der
Konzeption wurde dann dieser Kern durch Bischof Eucherius von Lyon
(450–455) schriftstellerisch bearbeitet: Er habe, sagt er in deren
Begleitschreiben, die Passion seiner Märtyrer geschrieben aus Furcht,
es möchte mit der Zeit ein so großes Martyrium aus dem Gedächtnis der
Menschen verschwinden. Er habe sich nach möglichst guten Gewährsmännern
umgesehen und sich schließlich an die gehalten, denen Bischof Isaak
von Genf das Ereignis auf Grund von Mitteilungen Theodors von Sitten
genau erzählt hatte. Eucherius hat sich die ihm nur knapp überlieferte
Begebenheit mit erlaubter Freiheit zurecht gelegt: Die Thebäerlegion
lagerte in Agaunum. Die Vernichtung einer ganzen Legion setzt
ansehnliche andere Truppenmassen voraus. Eine solche Truppenansammlung
hatte zur Zeit einer großen Verfolgung keinen andern Zweck, als die
Christen zu vertilgen. Ein so unerhörter Strafakt konnte nur auf
ausdrücklichen Befehl des Kaisers geschehen. Im Abendlande konnte das
Oberhaupt kein anderes sein, als Kaiser Maximian; dem milden Cäsar
Constantius war eine solche Unthat nicht zuzutrauen. Befanden sich
aber die Thebäer in der Nähe des Kaisers, so waren sie eine »_legio
palatina_« und hießen als solche Thebäer. Da Maximians Hauptquartier
Mailand war, so brauchte es einen Marsch von acht Tagen, bis er Agaunum
erreichte. Wurde die Legion ermordet, so mußte sie vorher rebellisch
gewesen sein; denn nur rebellische Truppen wurden in schweren Fällen
mit Decimation bestraft. Die Exekution geschieht in drei Anläufen,
zweimaliger Enthauptung des zehnten Mannes und folgender Vernichtung
des Restes — dreimalige Blutzeugen der göttlichen Dreieinigkeit, für
die in einer besonderen Eingabe an den Kaiser ausdrücklich Zeugnis
abgelegt wird. Nach der zweiten Decimierung halten die genannten drei
christlichen Offiziere schöne Reden an die Soldaten, auszuharren, ja
die Waffen abzulegen und sich wehrlos hinschlachten zu lassen[183-1]:
»gleich dem Schaf, das seinen Mund nicht aufthut, überlassen sie sich
wie eine Herde von Schafen des Herrn den hereinbrechenden Wölfen; die
Erde öffnet sich den sterbenden Leibern, es fließen die Ströme des
kostbaren Blutes. Das Volk der Heiligen hat über der Hoffnung des
Zukünftigen das Zeitliche verachtet und preist nun bereits, wie wir
glauben, als engelgleiche Legion mit jenen Legionen im Himmel den Herrn
Gott der Heerschaaren«[183-a].

Neben dieser Darstellung der Walliser Sage fehlt es nicht an
allerlei gelegentlichen Zeugnissen. Der Name Mauricius kommt in der
Kirchenprovinz Vienne schon im fünften Jahrhundert auf dem Grabstein
eines Kindes vor. Eine andere Grabschrift von der Rhonemündung,
aus dem Jahre 521 spricht vom 22. September als dem Jahrestag der
Märtyrer von Agaunum. Und im Jahre 515 hielt der Erzbischof Avitus
von Vienne zu Agaunum die Weiherede. Er knüpft an die verlesene
Passion der Märtyrer an: es sei die Lobeserhebung des glückseligen
Heeres, aus dessen seligster Schar niemand verloren ging, während
niemand entkommen sei; denn über den ungerechten Tod des Heiligen habe
gleichsam die Gerechtigkeit des Loses entschieden: zweimal sei es über
die sanftmütige Schlachtordnung ausgeworfen worden und dann seien mit
den Opfern der zweimaligen Decimierung auch die übrigen als Erwählte
versammelt worden. Endlich singt dann auch in der zweiten Hälfte des
sechsten Jahrhunderts Venantius Fortunatus den Lobpreis des Moritz und
seiner Gefährten:

    Als sie Heeresgewalt überfiel,
        Die Christus verehrten,
    Als auf sie eindrang der Tod
        Wie ein gewaltiger Sturm,

    Scheuchte die Kälte zurück
        Vor den inneren Gluten der Seele.
    Denn in dem eisigen Thal
        Wärmte der Glaube das Herz.

    Du o heiliger Moritz,
        Du Führer der herrlichen Kriegsschaar,
    Zogest nicht du Legion
        Tapferer Männer Dir nach,

    Daß sie legten die Schwerter beiseit
        Und gehorchten dem Paulus?
    Sterben aus christlicher Pflicht,
        Schöneres gibt es wohl nicht.


3.

Es ist nicht gerechtfertigt die Sage vom heiligen Moritz und seinen
Genossen ohne weiteres mit der Sage von der thebäischen Legion
auf gleiche Linie zu stellen. Jene heißen, falls nicht überhaupt
nur der Name ihres Anführers figuriert, durchweg die Märtyrer
von Agaunum, während man unter der thebäischen Legion auch den
mannigfachen Legendenzuwachs mit einbegreift, der sich an die
Wallisersage aufgeschlossen und seinen Quellpunkt auf deutschem Gebiet
wahrscheinlich überhaupt nicht in der Alpengegend, sondern in Köln
hat. Dieser Sagenanhang ist zum Teil sehr alt; schon bei Eucherius
folgt dem Massen-Martyrium die Erzählung von dem Einzelmärtyrer Viktor,
einem ausgedienten Veteranen, der nicht zur Legion gehört. Auf einer
Reise begriffen, trifft er zufällig auf die Soldaten, die über die
Beute der Märtyrer vergnügt beim Schmause lagern; er verschmäht die
Einladung anzunehmen, bekennt sich als Christ und wird niedergemacht.
Ferner werden Ursus und Viktor erwähnt, Genossen der Legion, die zu
Solothurn gelitten haben sollen. Des Veteranen Viktor wird nun zwar in
der Grabschrift des zweiten Abtes von Agaunum zu Anfang des sechsten
Jahrhunderts neben dem Hauptmartyrium besonders gedacht; aber Ursus
und Viktor, die nach Solothurn entkommen, öffnen doch eben eine
spätere Sagenschicht, da noch Avitus in seiner Weiherede ausdrücklich
niemand entrinnen läßt. Wahrscheinlich sind diese Ergänzungen von
anderwärts leidenden Thebäern ursprünglich selbständige Sagen, die
aber unter ähnlichen Umständen entstanden sein können und sich daher
aus Verwandtschaft anschlossen. Sucht auch ein Ereignis wie der
Untergang der wehrlosen Kelten vor Agaunum seinesgleichen, so ähneln
ihm doch vielleicht kleinere Vorfälle, die auch bei der bekannten
Toleranz der Germanen gegen die römische Kultur gewiß nie ganz gefehlt
haben; es ist nicht anzunehmen, daß sich bei einer Begegnung zwei
so verschiedenen Kulturmächte, wie die germanischen Kindervölker
und das verlebte römische Reich es waren, ohne akute Zusammenstöße
aneinander ausgetauscht hätten. Auch wo große Katastrophen fehlten,
hielten alltägliche Episoden das Volksgemüt in Erregung. Was davon für
die religiöse Vorstellungswelt abfiel, mag sich doch vielfach hinter
Gestalten geflüchtet haben, wie wir sie jetzt dem Walliser Märtyrerheer
zugeteilt sehen. Dagegen ist es nun von Belang, festzustellen, daß eben
auch Sagenfiguren ganz anderen Ursprungs sich unbefangen dem Geleite
der thebäischen Legion angeschlossen haben. Eine junge Christin namens
Verena, deren Vettern in der Legion dienten, verblieb nach dem Abmarsch
des Heeres gen Helvetien als Krankenpflegerin in Mailand, besuchte
dann aber die Gräber der ihrigen zu Martinach und Solothurn und hielt
sich von da an bis an ihr Lebensende in der Schweiz auf. Sehen wir uns
jedoch diese Verena näher an, so erkennen wir in ihr in der That eine
~junge~ Christin, die vor Zeiten eine alamannische Gaugöttin gewesen
ist[185-1].

Urkundlich bezeugt sind Verenareliquien zwar erst am Ende des
dreizehnten Jahrhunderts, dagegen berichtet die 1005 verfaßte
Ortslegende von Zurzach, schon im neunten Jahrhundert seien sie von
ihrer ursprünglichen Ruhestätte in der Moritzkapelle am Rheinufer in
die Marienkirche versetzt worden, die dann zur Stiftskirche erhoben
wurde. Die Ausdehnung des Verenenkultus hat seine Grenzen ungefähr
an den Marken des Konstanzer Bistums, das, der größten eines, vom
Gotthardt bis über den Neckar und von Kempten bis gegen Straßburg
reichte. Auf Schweizer Boden besaß die Heilige in folgenden Ortschaften
Weihkirchen oder Altäre: im Bistum Chur zu Niederurnen und Wesen,
im Bistum Konstanz eine in Kleinbasel, eine in Schaffhauser Gebiet,
neun im Thurgauischen, zwei im Sankt Gallischen, zwei im Zürcher und
eine im Zuger Lande. Ihre eigentliche Heimat jedoch war der Aargau,
und ihre Residenz das Städtchen Zurzach am Rhein. Merkwürdig ist
jedoch, daß sowohl im Bistum Basel, als im Bistum Sitten Verena nicht
verehrt wurde trotz der Beziehungen ihrer Legende zu Agaunum und
Solothurn. Wenn auch die am linken Aareufer gelegene Einsiedelei nach
Verena heißt, so feiert doch die solothurnische Kirche den Verenentag
ebensowenig, als die des Wallis, die vielmehr am 1. September einen
ihrer alten Bischöfe, den heiligen Egidius verehrt. Somit ist Verena
ursprünglich mit der Thebäerlegende nicht verschwistert gewesen und
auf dem Gebiete von Kleinburgund überhaupt nie verehrt worden. Sie
ist eine Alamannin und hat ihre kirchliche Reception ausschließlich
dem Konstanzer Sprengel zu verdanken. Wohl hatte man über ihrem
ersten Grabe dem heiligen Moritz und seinen Legionären die Kapelle zu
Aufburg erbaut und über ihrer späteren Gruft in der Marienkirche den
Thebäern Altäre errichtet; wohl wurde sie dem Frauenheer der heiligen
Ursula beigesellt; aber sie wußte sich dem ihr zugemuteten fremden
Heiligengewimmel heimlich zu entziehen und sich in der Einsamkeit, an
den Waldquellen und Gebirgsströmen vom gläubigen Volke wie eine Göttin
aufsuchen zu lassen.

Alljährlich am Verenentage lassen die Müller im aargauischen Siebthale
die Mühlsteine schärfen und die Mühlbäche putzen. Sie ist die Patronin
aller Wassergewerke, also der Müller, Schiffer und Fischer. Als die
Heilige noch bei Solothurn in ihrem Felsenthale wohnte, schleuderte der
Teufel einen Felsen gegen ihre Wohnung, jenen ungeheuern erratischen
Block, der daselbst oberhalb des Daches der Zelle zu sehen ist und die
Krallenspur des Bösen zur Schau trägt. Eine friedlichere Wohnstätte
aufzusuchen, nahm Verena einen Mühlstein, der an der Aare zur Verladung
lag, fuhr auf diesem den Fluß hinab durchs Aargau und landete auf einer
Insel beim Fischerdorfe Koblenz, in dessen Nähe die Aare in den Rhein
mündet. Das Patronat über die Müller und der Attribut des schwimmenden
Mühlsteins enthüllt uns aber, näher untersucht, den heidnischen Kern
des Verenakultus, der im Grunde eben nur der Kultus der Liebesgöttin
ist. Seit Alters wird, wie manche andere Bezeichnung aus dem Betrieb
des Ackerbaus, auch Mahlen auf die geschlechtlichen Beziehungen
übertragen. Es mag immerhin an eine unverfängliche Stelle im Volkslied
erinnert sein:

    Dort hoch auf jenem Berge
    Da geht ein Mühlenrad,
    Das mahlet nichts als Liebe,
    Die Nacht bis an den Tag.

In den ältesten deutschen Sagen ist der Ort für Liebesabenteuer stets
die Mühle; sie lassen berühmte Gestalten wie den Landpfleger Pilatus
oder Karl den Großen in einer Mühle außerehelich erzeugt sein. Als
Korn- und Mühlengöttin erweist sich nun aber die heilige Verena in
ihrer Legende oft genug. Dem Schwesternhause, das die Heilige zu
Solothurn gegründet hatte, brachte ein Hungerjahr bittere Not, bis
eines Morgens eine Reihe Säckchen Mehl von unbekannter Hand vor die
Thüre gestellt wurde. Verena wird, wie übrigens viele andere Heilige
auch, abgebildet, wie sie Brot und Wein überbringt. Als Dienstmagd
eines Priesters in Zurzach hatte sich Verena die tägliche Nahrung
abgebrochen, um die benachbarten Siechen zu speisen. Darüber wird sie
eines Unterschleifs verdächtigt, der argwöhnische Priester tritt
ihr plötzlich in den Weg; doch siehe! der Wein ist nun in Lauge,
und die mitgenommenen Brotschnitte in einen Kamm verwandelt; beides
ist zur Reinigung der Aussätzigen bestimmt. Daher kommt es, daß die
Verenabilder bald Waschkanne und Kamm, bald Weinkrug und Brotgipfel in
der Hand haben. Da das Krüglein der Heiligen ursprünglich steinern war,
kann es auch ein Trockenmaß bedeutet haben, weil Steinkrüge in jener
Zeit auch Kornviertel vorstellen. Wie tief übrigens die Verenaverehrung
ins öffentliche Leben eingriff, zeigen einige obrigkeitliche
Vorschriften und landwirtschaftliche Regeln, die sich an den ersten
September knüpfen. Der Verenatag begann den Herbst und war damit ein
allgemeiner Zins-, Frist- und Verfalltag; an ihm ging die Jagd auf und
erfolgte die amtliche Visitation der Weinkeller. Die Bauernregel für
Verenatag lautet: An diesem Tage ist alles Obst reif und der Fruchtstil
abgetrocknet. Da geht auch der Krautskopf mit sich zu Rate, ob er von
diesem Tag an noch wachsen wolle. Das Vesperbrot wird nun nicht mehr
aufs Feld gebracht. Die Hausarbeiten bei Licht, die Kiltabende und
Liebesnächte begannen dann, um mit Mariä Verkündigung, am 25. März,
wieder zu Ende zu gehen.

Doch fehlen auch unmittelbare Anzeichen nicht, daß Liebe und
werdendes Leben unter Verenens besonderem Schutze stand. Schon in
alten Fürstensagen des zehnten Jahrhunderts ist es unsere Heilige,
die den Kindersegen verleiht. Sowohl der Burgunderherzog Konrad und
seine Frau Machtilde, als auch der Alamannenherzog Heriman und seine
Gemahlin werden auf eine nach Zurzach unternommene Wallfahrt hin mit
männlicher Nachkommenschaft gesegnet. Meistens ist diese Wunderwirkung
jedoch therapeutisch vermittelt, am ehesten durch eine Heilquelle. Im
Verenabad, in den Bädern von Baden gilt es dafür, wie schon Heinrich
Pantaleon bezeugt: »wann eine unfruchtbare Frau darinnen bade und einen
Fuß in das Loch stoße, daß das Wasser herfür quillet, es werde Sankt
Verena bei Gott erwerben, daß sie fruchtbar werde«. Die Vorstellung von
den Kinderbrunnen ist allgemein verbreitet und überall lokalisiert,
ob nun die ungeborenen und die früh wieder verstorbenen Kleinen dann
um Frau Holle oder um die albanesische Geburtsgöttin Ora oder sonst
ein Wünschelweib oder ob sie um die Mutter Gottes oder Sankt Verena
herumsitzen und mit Honig und Erdbeeren aufgenährt werden. Eine
Anspielung daran mag auch in der an sich nebensächlichen Thatsache
erkannt werden, daß die beiden zürcherischen Verenakirchen, auf Ufenau
und zu Stäfa, Wasserkirchen sind und daß das kleine Nonnenkloster
der Schwestern von Konstanz in der Stadt Zürich zu Sankt Verena in
Brunngassen hieß. Im Aargau und Umgegend besitzt außer dem bereits
genannten Baden der Achenberg zwischen Zurzach und Klingnau eine
romantisch in einer Schlucht gelegene heilkräftige Verenaquelle, mit
benachbarter Waldkapelle, wo jeden Samstag Messe gelesen und im Monat
Mai eine Feldprozession und ein Jahrmarkt abgehalten wird, desgleichen
beherbergt das Dorf Buttisholz beim Sempachersee eine Quelle namens
Verenaloch oder auch Goldloch, weil wer ehemals in der Abenddämmerung
mit abgewandtem Gesichte die Hand in dieses Wasser tauchte, aus
einer weiblichen Hand ein Goldstück empfing. Endlich war am Fuße des
Jurapasses Schafmatt schon seit ältester Zeit ein Bad in Betrieb,
gegenüber dessen Hauptquelle das Verenawasser entsprang. Auch es hieß,
wie übrigens auch der Sprudel im Freibad zu Baden, Verenaloch. Vor
der Stadt Zug an der Straße nach Aegeri stand neben der Verenakapelle
das Verenabrünnlein. Als Kinderspenderin muß Verena auch Herrin der
Ehebündnisse sein. Unter den ihr kirchlich geopferten Gegenständen
nimmt das Brautkrönlein den ersten Platz ein. Die katholischen
Landmädchen zwischen der unteren Aare und dem Rheine tragen bei
besonderen kirchlichen oder weltlichen Festanlässen das »Tschäppelein«.
Dieser krönleinartige Kopfschmuck besteht aus einem mit Seidenblumen
und Goldflintern reich umsponnenen Drahtgeflechte, das sich sanft über
den Scheitel hin wölbt, oder statt dessen ein Sammtkäppchen, oben
napfförmig abgerundet und mit Korallen gestickt; es ist so winzig, daß
es oben mittelst eines Seidenfadens über das Haar gebunden werden muß.
Ist nun in der Landschaft von Leuggern ein Mädchen getraut, so hat
sie ans Verenagrab nach Zurzach zu wallfahrten und hier am Grabgitter
ihr Tschäppelein aufzuhängen; es ist ein Dank dafür, unter die Haube
gekommen zu sein. Aber auch von den Reliquien ist der Gürtel, mit dem
einst das Verenabild an der Hüfte umfangen war, ein weiteres nicht zu
mißdeutendes Zeichen, daß die Heilige Ehen und Geburten beschirmte.

Verena hatte sich in Zurzach aus Liebe zum Nächsten den niederen
Diensten einer Wäscherin und Badefrau unterzogen; dort ist sie nicht
nur zur Ortsheiligen, sondern förmlich zum Ortsgeiste geworden und
heißt die weiße Frau. Das mitten im Marktflecken stehende Haus zum
weißen Rößli ist ihr Aufenthalt. Aus dessen Vorhöflein schreitet um
Mitternacht vor hohen Festtagen eine stattliche schneeweiße Frau
hervor und begiebt sich zum mittleren Brunnen auf dem Markplatze.
Hier spült sie ihr Weißzeug sorgfältig und kehrt stolzen Ganges
in den Vorhof zurück. Die ›Vier Gotteshöfe‹ in der aargauischen
Gemeinde Reckingen waren ein Mannslehen von vier Bauerngeschlechtern
daselbst, die dem Stifte Zurzach nicht nur Zehnten und Bodenzins der
achtzig Morgen zu entrichten, sondern auch die Unterhaltung der dazu
gehörenden Antoniuskapelle zu bestreiten und für den Meßpriester den
Meßwein zu liefern hatte. Aus dem vierstöckigen Meierhaus nun, erzählt
man, kommt zu gewissen Zeiten nachts ein Füllen gelaufen, umtrabt
das Gebäude, wird zusehends größer und ist mit einem Male wieder
unsichtbar. Niemals erblicken Frauen das Füllen, sie sehen vielmehr,
wie eine weißgekleidete Frau das Haus umwandelt, an jeder der vier
Ecken bedächtig stehen bleibt und hierauf in die Antoniuskapelle
verschwindet. Offenbar mußte dem im Dienste Verenas stehenden
Priester ein Dienstroß zu seinen Amtsverrichtungen gestellt werden,
wie ja schon die heidnische Geburtshelferin Frau Holle zu Pferde
ist und Frauen, die vor der Geburt stehen, einen Schimmel Hafer aus
ihrer Schürze zu geben pflegen. Ebenso haften der Verena aus Anlaß
ihres Kammes allerlei wunderbare kosmetische Eigenschaften an, das
Tobel-Vereneli im Tobelhölzli bei Baden ist ein uraltes Weibchen, das
an einer schönen Quelle sitzt und sich das Haar kämmt. Verena verleiht
dem ihr folgsamen Mädchen das schöne Haupthaar. Am Verenentag ist
es im untersten Aargau durchgehends katholische Sitte, die Kinder
frisch zu kleiden, wie es sonst nur um Neujahr oder Ostern geschieht.
Dann werden auch die Kinderköpfe tüchtig gewaschen und dem jüngsten
Mädchen der erste Zopf geflochten. Ueber Warzen hauche man im Namen
der Dreieinigkeit und spreche dreimal: Frene, Frene, Dorre weg. Im
allgemeinen ist die christliche Entgötterung der heidnischen Hilfs- und
Heilgöttin zur demütigen Grauen Schwester gelungen; an einigen Zügen
indessen zeigt sie noch die rohe, derb zu fahrende Gewaltthätigkeit
der mythischen Riesenjungfrau. Je mehr man den Verenasagen ins Gebirge
hinein nachgeht, desto mehr erwächst ein Uebermaß barbarischer,
leidenschaftlicher Körperstärke. Nach Verena heißt eine Alp bei
Mittenwald und eine andere am Silveretta; am namhaftesten ist jedoch
das weithin schimmernde Firnfeld des Glärnisch genannt Vrenelis
Gärtli. So reicht also vielleicht der Kultus der Verena, in der wir
im allgemeinen eine alamannische Frau Holle sehen dürfen, noch hinter
die Anfänge geschichtlicher Erinnerung in die unorganische primitive
Steinzeit zurück. Der erratische Block, aus dem Verena die Neugeborenen
hervorholen läßt, der Mühlstein, auf dem sie wilde Ströme befährt, die
Felsklüfte, Hochalpen und Gletscher, die ihren Namen tragen, die heißen
Sprudel, die sie aus dem Boden stampft, deuten immerhin auf uralte
Kultreste, die bei der Ansiedelung der Alamannen von dem Dienst ihrer
Feld- und Liebesgöttin aufgenommen wurden.

Noch steht uns aber eine weitere wertvolle Auskunft offen, nämlich
Verenas Name. Immer und immer wieder hat der Volksmund Frau Verena und
Frau Venus harmlos miteinander verwechselt. Es liegt nahe, in dieser
doppelnamigen Frau Vrena-Venus die Göttin Freja zu erkennen. In der
That belehrt uns die Sprachforschung, daß die verschiedenen Namen
für eine weibliche Gottheit, eddisch Freyen, niederdeutsch Freen und
Frin, oberdeutsch Vren nur landschaftlich unterschiedene Namensformen
sind. Im späten Mittelalter ist auch die letzte Konsequenz dieser
Gleichstellung mit Venus gezogen: Verena ist zur Patronin der
öffentlichen Dirnen geworden; in der Malzgasse zu Basel, die nach
Verlegung des Siechenhauses Dirnenquartier war, hieß das Frauenhaus
sowohl Verenen- als Venushaus; in Zurzach war es Sitte geworden,
daß der Landvogt von Baden, so oft er zur Eröffnung des Jahrmarktes
einritt, unter der Linde mit einer fahrenden Dirne einen Tanz um den
Baum thun mußte. Dieser Baum stand nahe bei der Moritzkapelle an dem
Platz, wo zu Verenas Zeiten das Siechenhaus und neben diesem das offene
Frauenhaus gestanden haben soll. So steht also Verena sogar mit der
Unsitte des sogenannten »Metzentanzes« in verblümter Verbindung.

Ein scharfumrissenes Bild der heiligen Verena zumal in früherer Zeit
läßt sich nicht gewinnen. Sie war, als rechtes Volks- und Naturkind,
viel zu scheu, um sich anders als verstohlen an die Oeffentlichkeit
zu wagen. Es hat auch lange genug gedauert, bis sie kirchlich
recipiert war. Der eigentliche Gauheilige der Diöcese war der alte
Bischof Pelagius von Windisch-Konstanz, während in einer vielleicht
beispiellosen Naivität Verena sich ihre Verkleidung kaum recht
angezogen hat. Daß sie ein »altheidnisch Wassergötzli« sei, sagte man
sich schon im vorigen Jahrhundert. Für unsere heutige Erkenntnis ist
sie wohl die einzige Heilige, die ohne Umtaufe mit ihrem heidnischen
Namen in den Himmel kam, wohlverstanden ohne Vermittlung eines wirklich
gelebten Menschenlebens, wie Gertrud, Walpurgis oder Notburga.




Neuntes Kapitel.

Geschichtsheilige.


Nicht immer handelte es sich um ein Wurzelschlagen von oben herab aus
einem stammlos über der Erde hängenden Gewebe: geschichtliche Gestalten
konnten sich umgekehrt zur Legende verflüchtigen. Daß historisches
Andenken zur Sage verdunstet, ist ja nun allerdings allbekannt,
dagegen erregt es unser besonderes Interesse, wenn Heilige, über deren
Erdenleben wir unterrichtet sind, ins überirdische hinaufwachsen und
ihr Gedächtnis mit den Mythen vereinigen. Dann verhält sich also
das geschichtliche Andenken zur Legende nicht mehr ausschließlich
empfangend; es erweist sich selber als wirksam und beweglich, in dem
nun der Kirchenheilige von dem christlichen in einen interreligiösen
Himmel übersiedelt und mit den Heidengöttern, die er einst stürzte, auf
freundschaftlichem Fuße lebt. Mag er dann auch noch so sehr Wandlungen
unterworfen sein, das Neue und Wesentliche für uns ist, daß es diesen
ins Reich der Phantasie versetzten einst auf Erden wirklich gegeben
hat.


1.

Die heilige Genovefa von Paris hat gelebt und ist in der damaligen
St. Peters- oder Apostel-, später dann nach ihr benannten Kirche
beigesetzt. Im sechsten Jahrhundert war ihr Grab ein besuchter und
wegen außerordentlicher Wunder berühmter Wallfahrtsort[191-a]. Soviel
läßt sich aus alter und zuverlässiger Quelle sicher feststellen.

Anders verhält es sich mit dem Schriftstück, das sich als ihr
wahrhaftes von einem Zeitgenossen verfaßtes Lebensbild ausdrücklich
anpreist. Es besteht nicht aus einer fortlaufenden Lebensgeschichte,
sondern aus einzelnen Episoden, denen jeder Zusammenhang fehlt.
Der Inhalt ist folgender: Genovefa war in dem Pfarrdorfe Nanterre,
ungefähr sieben Meilen von Paris, geboren. Ihre Eltern hießen Severus
und Gerontia. Entscheidend für die Zukunft des Mädchens war sein
Zusammentreffen mit dem Bischof Germanus von Auxerre. Als dieser sich
zusammen mit Lupus von Troyes auf der Reise nach Britannien befand,
um daselbst den Pelagianismus zu bekämpfen, führte ihn der Weg durch
Nanterre. Mitten aus der Menge heraus, die seines Segens harrte, sah er
im Geiste die hochherzige Genovefa. Er ließ sie kommen, beglückwünschte
die Eltern zu ihrer Tochter und prophezeite, sie werde groß vor dem
Herrn und vielen ein bewundernswürdiges Vorbild sein; bei ihrer Geburt
hätten die Engel im Himmel große Freude gehabt. Auf sein Zureden
verspricht ihm das Mädchen, sich weihen zu lassen. Zum Andenken hängt
der Bischof ihr eine eherne Münze mit dem Zeichen des Kreuzes um den
Hals: er fand sie gerade auf der Erde. Einige Tage später an einem
Feste ging die Mutter zur Kirche, während sie der Tochter befahl, das
Haus zu hüten. Diese verlangt schreiend und weinend, ebenfalls den
Gottesdienst besuchen zu dürfen. Die Mutter aber blieb bei ihrem Gebote
und züchtigte das Mädchen, wurde aber sogleich mit Blindheit bestraft.
Erst nach zwei und drei viertel Jahren erlangte Gerontia durch Wasser,
das die Tochter vom Brunnen geholt hatte, das Augenlicht wieder. Die
Weihe der Genovefa vollzog Bischof Vilicus. Obwohl weit ältere Mädchen
zur Stelle waren, wurde sie doch zuerst geweiht. Nach dem Tode ihrer
Eltern zog sie zu ihrer Pathin nach Paris. Der zweite Abschnitt in dem
Leben der Genovefa wird wiederum eingeleitet, durch eine Begegnung mit
dem Bischof Germanus. Dieser war auf einer neuen Reise nach Britannien
begriffen, als er sich in Paris nach seinem Schützling erkundigte.
Obwohl das Volk sie herabsetzte, ließ er sich nicht abhalten, die
Herberge der Genovefa zu betreten. Er fand sie in großer Betrübnis und
den Boden ganz feucht von ihren Thränen. Nachdem er die Leute über
den göttlichen Beruf der Jungfrau aufgeklärt und sie ihnen anbefohlen
hatte, setzte er seine Reise fort. Seitdem tritt Genovefa bei den
öffentlichen Angelegenheiten von Paris in den Vordergrund. Als das
Gerücht ging, Attila sei in Gallien eingefallen, und die Bürger ihr
Eigentum in andere sichere Städte überführen wollten, redete die
Jungfrau davon ab, denn gerade die angeblich sicheren Städte würden die
Feinde verwüsten, Paris aber würde verschont bleiben. Zugleich berief
Genovefa die Pariserinnen zusammen, um mit ihnen unter Fasten, Gebet
und Nachtwachen die drohende Gefahr abzuwenden. Diese folgten ihr;
die Männer jedoch waren weniger gehorsam. Unwillig über die falsche
Prophetin, die sie hinderte, ihre Habe in Sicherheit zu bringen, nahmen
sie eine drohende Haltung gegen jene an. Da erscheint der Archidiakon
von Auxerre in Paris, weil Germanus der Genovefa ein so herrliches
Zeugnis gegeben habe. Er beruhigte die Pariser durch den Hinweis
auf die Prophezeiung seines Bischofs und überbrachte der Jungfrau
Geschenke, die ihr Germanus hinterlassen hatte. Beides beschwichtigte
die Bürger, so daß sie jetzt ihre Feindseligkeiten aufgaben. Ja
fürwahr, Genovefa, die Retterin von Paris steht Martin und Anian nicht
nach, von denen jener bei Worms eine Schlacht verhindert und dieser
Orléans vor den Hunnen gerettet hat! Mit Liebe und Verehrung hing sie
an dem Dorfe Catuliacus, der Grabstätte des Dionysius. Zu Ehren dieses
Heiligen beabsichtigte sie eine Basilika zu bauen, aber es fehlten
ihr die Mittel. Als ihr die Presbyter gewohnter Maßen aufwarteten,
mangelte es auch ihnen an Kalk. Genovefa, vom heiligen Geiste erfüllt,
prophezeite ihnen jedoch, sie würden auf der Brücke der Stadt zwei
Schweinehirten treffen, von denen der eine sich rühmte, beim Aufsuchen
einer gebärenden Sau einen Kalkofen von wunderbarer Größe gefunden zu
haben, der andere einen gleichen unter einem entwurzelten Baume. So
stand dem Ausbau der Basilika nichts mehr im Wege. Große Verlegenheit
trat jedoch ein, als den beim Bau beschäftigten Zimmerleuten der Trunk
ausging. Der Priester Genesius befahl der Genovefa, die Handwerker
aufzumuntern, bis er selbst aus der Stadt neues Getränk geholt hätte.
Genovefa aber half sich einfacher. Sie bekreuzigte unter Gebeten die
Kufe und füllte sie damit ohne weiteres bis zum Rande. Bis zum Ende des
Baues hielt der Trunk vor, sodaß die Zimmerleute sich davon gütlich
thaten. Der Frankenkönig Childerich war zwar Heide, aber Genovefa
verehrte und liebte er ganz unaussprechlich. Damit diese nicht die zum
Tode verurteilten Gefangenen befreite, ließ er einst das Stadtthor
hinter ihr schließen, als sie Paris verließ. Durch gute Freunde von
der Absicht des Königs unterrichtet, kehrte die Jungfrau sogleich
zur Befreiung der Unglücklichen zurück. Kein kleines Schauspiel war
es für das verwunderte Volk, wie sich das Stadtthor unter ihren
Händen ohne Schlüssel öffnete. Beim König setzte sie ohne Weiteres
die Begnadigung der Verurteilten durch. Ihr Ruf war sogar schon bis
in den Orient gedrungen. Der Säulenheilige Symeon von Antiochien
soll sich bei durchreisenden Kaufleuten nach Genovefa erkundigt und
sie unter ehrfurchtsvollem Gruße haben bitten lassen, seiner in
ihren Gebeten zu gedenken. Genovefa war häufig auf Reisen. In Laon
heilte sie ein gelähmtes Mädchen. Sehr oft weilte sie in Meaux, hier
schloß sich ihr Cilinia an, die schon Braut war, aber überwältigt von
Genovefas Wesen diese um die Weihe bat. Empört eilte ihr Bräutigam
nach Meaux. Die beiden Jungfrauen eilten in die Kirche und schlossen
sich im Baptisterium ein. So konnte Cilinia bis zu ihrem Ende ihre
Keuschheit bewahren. Ein lahmes Mädchen aus ihrem Gesinde, das sie
der Genovefa zuführte, heilte diese durch Berührung mit den Händen.
In Meaux kurierte Genovefa ferner einen Mann, der an Armschwund litt,
in einer halben Stunde. Die Heilige war in der Umgegend dieser Stadt
begütert. Bei der Ernte war sie selbst mit auf ihren Feldern und sah
von ihrem Zelte aus den Schnittern zu. Als einmal plötzlicher Regen
und Sturm die Arbeit zu stören drohte, warf sie sich zu Boden und
begann unter heißen Thränen zu beten. O Wunder! Alle Felder im Umkreise
benetzte der Regen, aber Saat und Schnitter der Genovefa erreichte
kein Tropfen. Kranke aus Meaux suchten sie in Paris auf. Ein Defensor
Frunimius aus dieser Stadt, der seit vier Jahren krank war, erlangte,
als sie seine Ohren mit der Hand berührt und bekreuzigt hatte, das
Gehör wieder. Eine wahre Odyssee bestand die heilige Jungfrau während
der Belagerung von Paris durch die Franken. Zehn Jahre lagen sie vor
der Stadt. Genovefa begab sich zu Schiffe nach Arcis-sur-Aube, um
Getreide zu besorgen. Als sie an den Ort gekommen war, wo ein Baum in
der Seine die Schiffahrt? hinderte, brach er auf das Gebet der Genovefa
von selbst entzwei, und zwei Ungeheuer von verschiedener Farbe zeigten
sich, deren entsetzlicher Geruch noch fast zwei Stunden die Schiffer
belästigte. Später soll hier kein Schiffbruch mehr vorgekommen sein.
In Arcis heilte sie die gelähmte Frau des Tribunen Pascivus. Von
hier ging die Reise nach Troyes, wo sie ebenfalls durch Wunderkuren
glänzte. Da es zwischen diesen beiden Orten eine Flußverbindung nicht
gab, mußte die Heilige von Arcis aus den Landweg eingeschlagen haben.
Jedenfalls kaufte sie das Getreide, um Paris zu verproviantieren, in
Troyes; denn dies war ja der Zweck dieser Reise. Auf dem Rückwege hielt
sie sich einige Tage in Arcis auf. Hier gab ihr, was doch ja nicht
zu verschweigen ist, die Frau des Tribunen, die sie auf der Hinreise
geheilt hatte, das Geleite bis ans Schiff. Die Wasserfahrt war wiederum
nicht ungefährlich. Es erhob sich ein starker Wind, der die Schiffe mit
dem Getreide zwischen Felsen und Bäumen schwer gefährdete. Genovefa
bat Christus mit erhobenen Händen um seine Hilfe, und sofort konnten
die Schiffe ihren Kurs weiter verfolgen. So rettete Gott elf Schiffe.
Der Priester Bessus lobte den Herrn und alle stimmten das Celeuma an,
den Schiffergesang! In Paris verteilte Genovefa das Getreide nach der
Dürftigkeit. Wer aber zu arm war, es selbst zu backen, erhielt von ihr
Brot. Eine andere Reise führte sie nach Orleans. Hier heilte sie ein
totkrankes Mädchen Claudia, die Tochter des Fraterna, und erlangte
die Freilassung eines schuldigen Dieners, dessen Herr erst mit einem
gefährlichen Fieber bestraft werden mußte, ehe er ihrer Bitte Gehör
schenkte. Von hier fuhr sie auf der Loire nach Tours. Auch auf dieser
Wasserreise beschäftigte sie sich hauptsächlich mit der Heilung von
Besessenen. Ein Trupp dieser Armen, der aus der Martinskirche kam,
begegnete ihr schon beim Hafen. Die bösen Geister schrieen, sie würden
zwischen Martin und Genovefa durch Flammen verzehrt, und bekannten
sich schuldig, ihr die Gefahr auf der Loire bereitet zu haben. Bei
einer Fahrt auf der Seine trat ein Unwetter ein, sodaß das Schiff vom
Winde gepeitscht und von Wellen fast bedeckt wurde. Als aber Genovefa
die Augen zum Himmel gewandt mit erhobenen Händen Gott um Hilfe bat,
änderte das Wetter sich sogleich. Für eine Nonne war nun Genovefa doch
ein bischen viel auf Reisen. Von Epiphanien bis zum Gründonnerstag
jedoch schloß sie sich allein in ihre Zelle ein und brachte mit Gebeten
und Vigilien ihre Zeit zu. Eine Frau, die gern wissen wollte, was
Genovefa in der Zelle trieb, büßte ihre Neugierde mit Verlust des
Augenlichts. Als aber am Schlusse der Fasten die Heilige ihre Zelle
verließ, machte sie die Unglückliche durch Gebet und Bekreuzigung
wieder sehend. In ihrer Zelle brachte sie auch einen Knaben wieder
zum Leben, der in einen Brunnen gefallen war und drei Stunden darin
gelegen hatte. Dieser erhielt bei der Taufe den Namen Cellumeris, weil
er in der Zelle der Genovefa sein Leben wieder erlangt hatte! Genovefa
erreichte das hohe Alter von über achtzig Jahren und wurde am dritten
Januar beigesetzt. Ueber ihren Tod und das ehrenvolle Begräbnis zieht
es der Verfasser vor, zu schweigen, weil er Kürze liebe! Dafür erwähnt
er zwei Wunder an ihrem Grabe. Ein Knabe Prudens wurde dort vom Stein
geheilt, und ein Gothe, dem beide Hände gelähmt waren, weil er am
Sonntag gearbeitet hatte, verließ gesund das über dem Grabe erbaute
Oratorium, nachdem er die Nacht vorher dort gebetet hatte. Der rauhe
Krieger König Chlodowech ruhmwürdigen Angedenkens hat oft aus Liebe
zu ihr Gefangene, ja auf ihre Fürsprache hin sogar schwere Verbrecher
losgegeben. Ihr zu Ehren hat er den Bau einer Basilika begonnen, die
nach seinem Tode die durchlauchtige Königin Chlodechilde vollendete.
Mit der Kirche ist ein dreifacher Porticus verbunden und Gemälde
schmücken sie, die die Thaten der Patriarchen, Propheten, Märtyrer und
Bekenner darstellen. So weit das »Leben der Genovefa«[195-1].

Nach des Verfassers eigener und ausdrücklicher Angabe wäre die Schrift
achtzehn Jahre nach dem Tode der Heiligen geschrieben, also gegen
das Jahr 520. Gleichwohl deutet er nirgends an, daß er Genovefa
persönlich gekannt habe. Gesehen hat er nur eine Reliquie von ihr, das
Oelfläschchen, mit dem sie ihre Wunderkuren verrichtete. Ebenso sind
seine Miteilungen an sich keineswegs derart, daß sie ihrer Natur nach
Glauben erwecken. Es mangelt durchaus das solide Gerüst, das in einer
wirklich auf persönliche Erinnerung zurückgreifenden Memorie auch
bei dem zweifelhaftesten Detail nie fehlen wird. Fleischstücke ohne
Skelett geben keinen Körper und auch die ausgetifteltsten Anekdoten
bringen kein glaubwürdiges Lebensbild zu Stande, wenn es im Uebrigen
an einem straffen innern Zusammenhang gebricht. Ueberdies sind dem
Verfasser einige schwere Versehen passiert, so wenn er Arcis am
Aube zwischen Paris und Troyes gelegen sein läßt. Am bedenklichsten
aber ist es, daß er sich für einen jüngeren Zeitgenossen seiner
Heldin ausgiebt, während er nachweislich sich an Schriftstellern des
ausgehenden sechsten Jahrhunderts genährt und nach andern untrüglichen
Anzeichen überhaupt erst im achten Jahrhundert gelebt hat. Er ist
also, litterarisch gewertet, einer von den frommen Fälschern, die zu
Anfang der karolingischen Zeit im Frankenreich massenhaft zu werden
pflegen, und zwar ist er der geriebenen einer. Ob er jedoch den Inhalt
insgesamt rundweg erfunden hat, ist eine andere Frage. Vielleicht thut
man ihm auch mit dieser Vermutung noch zu viel Ehre an. Selbst wenn
das Genovefagrab nur ein städtisches Heiligtum war und von auswärts
sich keines großen Zuspruchs erfreut haben sollte, es war doch die
heimatliche und centrale Kultstätte des Volkes von Paris und Umgebung.
Und ein Wallfahrtsort dieses Ranges kann schwerlich ohne seine eigene
Sage geblieben sein, ohne eine so oder anders fixierte Darstellung
dessen, was an diesem Orte eigentlich geglaubt und verehrt wurde.
Wenn auch nur in mündlicher oder schriftlich rudimentärer Form mag
der Verfasser die wichtigsten Anhaltspunkte für seine Mitteilungen
also vorgefunden, dann aber allerdings in einer unverantwortlichen
Weise für seine Zwecke benutzt und vergewaltigt haben. Aber auch seine
Unverfrorenheit vermochte seinem Stoffe den ihm anhaftenden Reiz
nicht vollständig zu benehmen; zeigen sich doch an der Genovefa von
Paris Züge reiner Heiligenlegende, die, auf der Erfahrung des Volkes
beruhend, dann eben auch sein Erzeugnis und sein Eigentum zu heißen
das Recht haben. Genovefa ist vor allen Dingen Korn- und Flußheilige
genau wie Verena. Ihre Herrschaft über die Elemente giebt ihrem Bilde
seinen eigentlichen Charakter: sie sorgt für sichere Schiffahrt und
wendet das drohende Gewitter von der Ernte ab. Wenn immer möglich,
geht sie auf Reisen und ist Nonne nur, so scheint es fast, um diesem
Postulat einer Heiligen wenigstens durch das Minimum der Askese während
der Fastenzeit nachzukommen. Im Uebrigen tritt sie sehr mann-weiblich
und riesenjungfräulich auf, wenn sie, als wäre sie mindestens
Maire von Paris, die Stadt während der Belagerung im großen Stile
verproviantiert, wenn sie ferner dem für sie schwärmenden Frankenkönig
mir nichts, dir nichts schwere Verbrecher frei verlangt, wenn sie
endlich jede unbeträchtliche Regung eines andern Willens selbst des
mütterlichen, oder einen Anflug harmloser Neugier im Handumdrehen mit
den denkbar härtesten Körperstrafen zu rächen pflegt. Sie enthüllt
sich damit als die echte Schwester von Verena, der Gauheiligen des
Aarethales, hinter der sich eine ehemalige Stammesgöttin der Alamannen
verborgen hat. Alles drängt darauf hin, in Genovefa, der fränkischen
Nationalheiligen, das christliche Nachbild der weiblichen Gottheit zu
erkennen, die, reiselustig wie sie geblieben ist, einst die Franken
auf ihren Zügen begleitete und darnach bei den Saliern um oder in
Paris sich niedergelassen hat. Ein großer Unterschied bleibt jedoch
zwischen der Alamannenfreia und der fränkischen Walküre. Während
Verena nur schlecht verschleiert unter die christlichen Heiligen
gegangen ist, unterzog sich die Frankengöttin einer eigentlichen
Seelenwanderung, indem sie sich mit einer geschichtlichen Heiligen
verband. Von dieser wissen wir freilich nicht mehr, als daß sie gelebt
hat und gestorben ist; aber für unsern Fall ist es alles, was wir zu
wissen brauchen. Höchstens sind in die Legende vereinzelte für uns
nun nicht mehr unterscheidbare Züge aus dem bescheidenen Leben der
Nonne mit untergelaufen. Ein leiser Zweifel läßt sich ja allerdings
angesichts der Dürftigkeit dieser Angabe nicht unterdrücken; es wäre ja
schließlich denkbar, daß die fränkische Königskirche, über Genovefas
Grabe errichtet, eben nur den ehemals heidnischen, vielleicht von
Nanterre in die Stadt verpflanzten Kult der fränkischen Freja für
das Christentum mit Beschlag belegen sollte. Doch dürfen wir nicht
klüger sein wollen, als unser Gewährsmann und nehmen daher an, eine
gottesfürchtige als heilig verehrte Frau, die obwohl vorfränkische
Christin, doch einen deutschen Namen trug, liege auf dem nach ihr
benannten alten Stadthügel von Paris begraben mit dem Schicksal,
ihr eigenes anspruchsloses Andenken an die Vorstellungen von einer
germanischen Göttin verloren zu haben.

Anhangsweise muß hier auch der deutschen Genovefasage des späteren
Mittelalters gedacht werden. Die Pfalzgräfin Genovefa von
Brabant[196-1] hat mit der viel ältern französischen Namensschwester
nur eben diesen Namen gemein. Aber in Dingen der Legende bedeutet das
bereits halbe Verwandtschaft. Als Kind einer so viel späteren Zeit
nimmt diese andere Genovefa eben an dem neuen Typus weiblicher Heiligen
teil, der in der Blütezeit mittelalterlicher Dichtkunst in Westeuropa
sich ausgebildet hat. Die mythischen Anflüge verblassen und machen
einem menschlichen Ideale Platz. So trägt denn diese späte Genovefa
keine Spuren vom übermenschlichen Hünenweibe mehr an sich; sie ist
der Gemeinschaft der Heidengöttin entrückt, zum rührenden Urbild der
verfolgten weiblichen Unschuld erniedrigt oder erhoben, wie man es nun
nehmen will.

Die merowingische Zeit hat dann gegen ihr Ende hin eine andere Heilige
hervorgebracht, an der sich die Verbindung einer geschichtlichen
Persönlichkeit mit einer weiblichen Gestalt aus der germanischen
Götterwelt weit deutlicher erkennen läßt, als an der so gut wie
unbekannten Genovefa von Paris: Gertrud, ein edles Mädchen aus dem
fränkischen Großengeschlecht der Arnulfinger, dem Stammhause der
karolingischen Dynastie. Sie wurde im Jahre 626 geboren. Ihr Vater war
der erste Pippin, die Mutter hieß Itta. König Dagobert wollte sie mit
dem Sohne des Herzogs von Austrasien verloben, sie widersetzte sich
aber. Dann starb ihr Vater, als sie vierzehn Jahre alt war. So zur
Wittwe und Waise geworden, suchten Mutter wie Tochter in gottgefälligem
Werk und Wandel ihren Trost, indem Itta auf den Rat des Bischofs
Amandus das Kloster von Nivelles gründete, Gertrud dagegen den Schleier
nahm und der mütterlichen Stiftung als deren erste Aebtissin vorstand.
Sie faßte ihren Beruf ernst auf und studierte Theologie, soweit es nur
immer in ihren Kräften stand; und zwar setzte sie sich dabei ebenso mit
der römischen als mit der irischen Schule auseinander. Im Jahre 652
starb ihre Mutter im Alter von sechzig Jahren zu Nivelles und wurde
daselbst in der Peterskirche beigesetzt. Da fand Gertrud, sie werde
durch die Klosterleitung zu sehr in Anspruch genommen und betraute mit
den häuslichen Geschäften Nonnen, mit den öffentlichen Mönche. Sie
selbst widmete sich von nun an ausschließlich ihrer eigenen geistigen
Bildung und brachte es zu einer fast wörtlichen Kenntnis der ganzen
Bibel, sowie zu einer ungewöhnlichen Fertigkeit der allegorischen
Auslegung. Daneben ließ sie Kirchen und andere Gebäude zu geistlichem
Zweck errichten und war immer bei der Hand, wo es galt, die Not der
Armut zu lindern. Als ihr Leben zur Neige ging, befragte sie Mönche und
Nonnen um ihre Wünsche in betreff der künftigen Aebtissin und setzte
dann ihre Nichte Wulfetrude, die Tochter des Majordomus Grimoald,
die sie sich herangezogen hatte, im Dezember 658 in ihre Nachfolge
ein. Drei Monate später, als sie sich in der Härte der geistlichen
Uebungen nichts nachgelassen hatte, ließ sie einen fremden Mönch im
Kloster zu Fosses anfragen, wann sie sterben werde. Die Prognose auf
den morgenden Tag traf zu. Sie starb, erst dreiunddreißig Jahre alt,
in der sechsten Stunde, an einem Sonntag. An einem Mönche von Nivelles
fand sie einen zeitgenössischen und zuverlässigen Verfasser ihres
Lebensbildes, einer Memorie im besten Sinn; denn er kann sich auf
ihm zu teil gewordene persönliche Mitteilungen der Heiligen berufen
und hat auch ältere Thatsachen, wie die Weigerung der Heirat, von
unantastbaren Gewährsmännern bezogen. Er schrieb ums Jahr 670. Neben
dieser litterarischen Verewigung sorgten die am Grabe und sonstwo
durch Gertrud bewirkten Wunderthaten für den Ruhm ihres Namens, dessen
Verehrung namentlich bei den Mainfranken und bei den Friesen früh
in Aufschwung kam und nach den besten Quellen mit den Anfängen des
Christentums im eigentlichen Deutschland aufs engste verknüpft ist.

Die hochgeborene Klosterfrau trug indessen den heidnischen Namen einer
germanischen Walküre. Keretrud ist die Speerjungfrau, die den Gegner im
Waffenkampfe niedertritt; noch heute bezeichnet das Wort Trude die den
Schläfer auf die Brust tretende Nachtmare, den im Traum reitenden Alp;
der Trude ist der fünfeckige Trudenfuß eigen, dessen Mißgestalt aus
dem Schwanenfuße der geflügelten Walküre entstanden ist. Außer der im
Namen gewährten Disposition zur Aufnahme heidnischen Inhaltes lag wohl
auch eine zweite, lokal und kultisch vermittelte vor. Vielleicht war
Nivelles, dessen alte Bezeichnung Nivialcha durch merowingische Münzen
festgestellt ist, ein wichtiges Heiligtum etwa der Nehelennia, der
deutschen Isis mit dem keltischen Namen. Diese Göttin hatte das Schiff
zu ihrem Symbol, und in der That hat das Trinkgeschirr, mit dem Gertrud
abgebildet wird, die Gestalt eines Schiffes. Außerdem sieht man sie
in den Darstellungen gelegentlich spinnen, auf einem Wagen fahren, ja
selbst zu Pferde. In der Abtei zu Nivelles, wo sonst ihr wunderthätiges
Sterbebette kirchlich verwendet wurde, wird nun ihr Wagen aufbewahrt.
Auch Gertruds Beziehungen zur Natur deuten auf mythische Züge. Der
17. März ist Gertrudentag und zugleich Frühlingsanfang. Ihre Vögel,
der Specht und der Kuckuck, sind Frühlingsvorboten. Ebenso hat die
Schnecke, das Tier der Jahresfruchtbarkeit und der Lebensdauer,
in Gertruds Dienst gestanden, und ihr besonderes Gefolgstier, die
Maus, zieht am Gertrudentag vom Haus aufs Feld. Aber die nächtlich
wühlende Maus kündet mit ihrem Erscheinen nicht blos die Reife der
Saat, sondern auch Mißwachs, Seuche und Tod an; Gertrud selbst wird
Allerseelenherrin; auch sie erscheint als weiße Frau, ja sogar als
weiße Maus. Nach älterem Kirchenglauben haben die Abgeschiedenen
ihre erste Station bei Sankt Gertrud und zwar nehmen die den Körper
verlassenden Seelen die Gestalt von Mäusen an. Um den Scheidenden eine
gute Herberge jenseits zu sichern, trank man ›Gertrudenminne‹, wie
man einst aus der Kufe das gesottene Bier zu Wodans oder Frejas Liebe
trank. Die der Kornmaus dargebrachten Ernteopfer leben noch heute
in der ›Mäusenudel‹ nach. Dieses Mehlmäuslein, das die oberdeutsche
Bäuerin mit dem ersten Frühlingsbeginn anfertigt, ist in Butter um ein
Salbeiblatt gebackener Eierteig, aus dem der Blattstiel gleich einem
Mausschwänzchen vorsteht.


2.

Genovefa und Gertrud sind, als Geschichtsheilige, doch Ortsheilige. Sie
sind dort verehrt worden, wo sie gelebt haben; höchstens wäre möglich,
daß sich ihr Andenken einem bereits bestehenden heidnischen Kultus
gefügt hat. Jedenfalls hat sich der Uebergang vom geschichtlichen zum
mythischen Namensträger auf dem Platz vollzogen, ohne daß der Wechsel
zugleich von einer Verpflanzung begleitet war. Anders bei Sankt Oswald.
Er ist Wanderheiliger und doch eine geschichtlich scharf umrissene
Persönlichkeit.

Oswald, der Sohn König Ethelfrids von Northumbrien, wurde im Jahre 604
geboren. Als nach des Vaters Tode Edwin sich der Krone bemächtigte,
mußte sich Oswald mit seinen Brüdern zu den Schotten flüchten.
Dort nimmt er das Christentum an. Nach Northumbrien zurückgerufen,
besiegte Oswald bei Deniesburna den König Kedwalla, bemächtigte sich
der Herrschaft im Jahre 635 und brachte es dahin, daß sich das ganze
Brittenvolk taufen ließ. Er suchte das durch Eanfred und Osric wieder
eingeführte Heidentum mit aller Macht zu verdrängen und gründete ein
Bistum auf Lindesfarn, einem Eilande an der Küste von Northumbrien.
Der Schotte Aidan, Oswalds Lehrer, ward als Bischof berufen. Im Jahre
636 vermählte sich Oswald mit der Tochter des westsächsischen Königs,
die samt ihrem Vater von dem Priester Birin in Oswalds Gegenwart kurz
vorher getauft worden war. Sie gebar Oswalden im Jahre 637 einen Sohn
Ethelwald. Bald darauf verheerte eine Seuche Northumbrien. Der fromme
König betrachtete dies als eine Strafe eigener Sünden, weinte und
betete. Bald wurde er selbst von Krankheit ergriffen und war dem Tode
nahe. Da erhob er seine Augen gen Himmel, und regte seine Lippen, als
ob er mit jemanden spreche. Als er sich erholt hatte, versicherte er
hellleuchtende Engel gesehen zu haben, von denen ihm drei die Palme
des Märtyrertums verhießen. Auch Tod und Todesstunde hatten sie ihm
bezeichnet. Seit dieser Stunde lebte Oswald noch frömmer als vorher,
theilte reichlich Almosen aus, bereute seine Sünden und gelobte nebst
seiner Gattin jeder Weltfreude zu entsagen. Am fünften August 642 fiel
Oswald, erst achtunddreißig Jahre alt, im Kampfe gegen Penda, den König
der heidnischen Mercier. Die Schlacht war bei Maserfeld geschlagen.
Oswald wurde als Märtyrer verehrt. Auf seinem Grabe geschahen Wunder.

Dieser geschichtliche Oswald hatte Anspruch auf einen doppelten
Nachruhm; denn er war Held und Märtyrer zugleich. Kirche und Vaterland
mußten ihm in gleichem Maße dankbar sein. Ein König, der von der
Bedeutung des Christentums durchdrungen ist, sucht es in seinem
Reiche zu verbreiten und fällt im Kampfe für seinen Glauben auf dem
Schlachtfeld. Das Andenken an ihn hat sich demnach begreiflicherweise
gespalten; die eine Hälfte ist in der nationalen Heldensage, die
andere in der kirchlichen Heiligenlegende aufgegangen. Jene hat zum
Merkmal abenteuerliche Seefahrten, diese einen Raben. Es gab eine
alte, für sich bestehende Sage von einer gefahrvollen und zauberhaften
Brautwerbung; der Held wurde von den Verwandten seiner Frau umgebracht.
Diese Sage fand in verschiedenen deutschen Stämmen Liebhaber: bei den
Gothen war es Otnit, bei den Franken der hörnerne Siegfried, bei den
Angelsachsen Oswald. Und dann erst bemächtigten sich die Normannen
der Sage und versahen sie mit der großen Meerfahrt, die aus ihrem
eigenen Leben entlehnt war. So entstand im zwölften Jahrhundert das
Gedicht von Sankt Oswald[200-1]. Obwohl diese Bestandteile alle in
andere Länder deuten, ist die eigentliche Heimat der Oswaldlegende doch
sozusagen ausschließlich Deutschland; außerhalb ist sie kaum bekannt.
Aber diese Popularität ruht auf kirchlicher Unterlage, insofern Oswald
seit den ältesten Zeiten im deutschen Alpengebiet ein vielgefeierter
Heiliger war. Besonders in Tirol ist er eine Art Stammpatron geworden,
und zwar schon frühe. Spuren von alten Oswaldgotteshäusern deuten
bis an die Grenze der Merowingerzeit zurück. Durch die ständige
Verbindung zwischen jenen Gegenden und dem brittischen Inselreich
in jener Zeit ist die überraschend schnelle Verpflanzung des Kultus
binnen eines Jahrhunderts nicht unverständlich, um so weniger,
sobald sich nun auch hier die Ueberzeugung beigesellt, daß der neue
christliche Dienst einen alten heidnischen abzulösen hatte. Von den
tirolischen Oswaldheiligtümern ist die Kapelle am Ifinger weitaus das
berühmteste. Hoch an diesem Granitgebirge, wo jede Vegetation schon
endet, liegt ein kleines von allen Seiten umschlossenes Thal; seine
Bildung deutet auf einen ehemaligen Gebirgssee. Die ärmliche Kapelle,
die dort steht, ist gewöhnlich geschlossen und wird nur geöffnet, um
die jährlichen Pilgerzüge aus Hafling oder Schönna zu empfangen.
Das Volk lebt des Glaubens, droben im Bergthale, in den Felsklüften
und nah dem ewigen Schnee, spende Oswald seine Gnade am liebsten. Wo
jetzt die Kapelle steht, erzählt man sich, wurde vor Alters in den
dichten Alpenrosenhecken von Hirten Oswald Bild gefunden; man trug
es nach Schönna hinunter und stellte es in der dortigen Kirche auf.
Doch siehe, kaum war die Nacht angebrochen, so stieg Sankt Oswald
leuchtend aus der geschlossenen Kirche empor und ritt dem Ifinger
zu, wo man ihn tags darauf wieder unter den Alpenrosen fand. Später
bekam das Bild seinen Standort in der alten Kirche Katharina in der
Schart zu Hafling, wo es sich noch heute befindet und nur mit den
Prozessionen jedesmal in die Kapelle hinaufgetragen wird. Es ist
eine meterhohe Statue: ein König hoch zu Roß, auf seinem Scepter ein
Rabe. Eine alte Freske im Dorfe Tartsch gibt den heiligen König zu
Fuß, in der rechten das Scepter, in der linken einen Aufsatz, darauf
ein Rabe, den Ring im Schnabel. Dieses Bild zeigt den üblichen fast
auf allen Darstellungen wiederkehrenden Oswaldtypus zum erstenmal.
Im Mund des Volkes heißt der Heilige ›Oswald‹, ›Aswald‹, ›Oanswald‹,
›Uanswald‹, ›Gaswald‹ und, als der mächtigste ›Wetterherr‹, heißt er
denn auch häufig schlechtweg so. Vorzüglich der Hagel liegt in seiner
Hand. Leicht ist er beleidigt und rächt sich an den Saaten. Die Bauern
wissen wohl, warum sie jedes Jahr zu ihm hinaufgehen; so oft sie es
nicht thaten, schlug er ihnen alles Getreide zusammen. Statteten
sie ihm aber ihren Besuch ab, so war auch er freundlich. »Ja, ja«,
sagten sie dann, »den Kindern und den Heiligen ist nicht gut etwas
versprechen, sie mahnen einen immer.« Ein anderer Gebrauch eröffnet
uns in das Wesen des Oswalddienstes noch einen tieferen Blick. Wenn
in Niederbayern Roggen oder Weizen ganz abgeschnitten ist, bleibt
auf dem letzten Acker der letzte Büschel stehen, am liebsten in der
Nähe des Weges, wo er von den Vorübergehenden gesehen werden kann.
In die Mitte dieses Büschels wird ein Stab gepflanzt, dann werden
die stehen gebliebenen Aehren mit noch andern abgeschnittenen so um
den Stock gebunden, daß eine menschenähnliche Figur daraus wird. Die
stehen gebliebenen und beigebrachten Aehren mit dazwischen gesteckten
Feldblumen werden so gebunden, daß Kopf und Hals entsteht. Dabei sind
je drei Halme zusammengeflochten; mehrere dieser Zöpfe zusammengenommen
bilden die Arme der Figur, die beide Hände auf die Hüften stützt. Ein
Gürtel trennt den obern Teil des Körpers von dem untern; das lange
Kleid bilden die stehen gebliebenen Halme. Diese Figur heißt man:
»Der Aoswald«. Während die Bursche den Aoswald machen, sammeln die
Mädchen die schönsten Feldblumen und schmücken ihn damit. Dann knien
alle im Kreis herum und beten: »Heiliger Aoswald, wir danken Dir, daß
das Getreide wieder gewachsen ist und daß wir uns nicht geschnitten
haben.« Nach dem Gebete wird nun dem Aoswald ein Walzer getanzt, wenn
möglich zum Schall einer Klarinette oder Schwegelpfeife. In einigen
Gegenden Niederbayerns wird der Aoswald nicht mehr mit dieser Sorgfalt
gemacht. Die Schnitter lassen einige Aehren stehen, binden sie
zusammen und schmücken sie mit Blumen. Sie knien herum und verrichten
ein Dankgebet. Einige machen mit der rechten Hand, ohne die linke zu
gebrauchen, aus den drei stehengebliebenen Halmen einen Knoten und
zieren ihn mit Blumen. Man sagt dabei: »Das ist für den Aoswald«. Der
Aoswald ist aber allgemein auch unter der Bezeichnung Nothalm bekannt.
Alle diese und ähnliche Gebräuche sind nichts anderes als uralte
Dankopfer, die dem Oswald, als dem Herrn der Feldfrüchte, dargebracht
werden. Auch Oswaldsquellen fehlen nicht. Der Jungbrunnen bei Sankt
Oswald macht frisch und gesund, heißt es im Tirol. Ein sehr begangener
Wallfahrtsort ist das Oswaldsbrünnlein im bayrischen Walde; eine andere
Lokalsage erzählt: Heidenheim, Anhausen und Heilbronn wurden von drei
Geschwistern erbaut, Heidenheim von der heiligen Walpurgis, Anhausen
vom heiligen Oswald, Heilbronn vom heiligen Willibald. Diese drei
Heiligen reisten miteinander und hatten einen Esel bei sich, der die
Quellen fand. Oswalds Tier dagegen ist der Rabe, sein unzertrennlicher
Begleiter. Die Alpenrosen, in denen einst sein Bild verborgen war,
heißen in Tirol Donnerrosen oder Oswaldsstauden.

Es gibt keine zweite Gestalt der Heiligenlegende, an der der verkappte
Wodan deutlicher und unmittelbarer zu Tage tritt, als an Oswald. Er war
auch durch Name und Stand auf das allergünstigste für diese Verkleidung
eingerichtet. Das englische Oswald entspricht dem hochdeutschen
Answalt. Der geschichtliche Held hieß somit das, was Wodan war: Walter
der Asen. Und außerdem war jener das, als was dieser gedacht wurde:
ein König. Die Identität beider Gestalten in der Legende läßt sich an
einigen Berührungspunkten deutlich feststellen. Nach dem Volksglauben
muß Oswald einen Raben um sich haben; der Rabe der Oswaldlegende ist
ein weiser Vogel, er ist der Ratgeber des Königs, er wird als kluger
Werber ausgesandt, ohne ihn kann der König das Angestrebte nicht
erreichen. Der Rabe sitzt Oswald entweder auf dem Szepter oder auf
einer Schulter. Auch dem Wodan saßen zwei Raben auf den Schultern und
waren auch ihm Boten und Ratgeber. Er sendet sie jeden Tag aus, die
Zeit zu erforschen, sie bringen ihm Kunde und raunen ihm ins Ohr,
was sie gesehen und gehört haben. Durch die Raben wird Wodan erst
allwissend und daher auch kurzweg Rabengott genannt. Die Oswaldquellen
führt die Legende auf einen Schwertstoß in die Steinwand zurück,
worauf der dicke Wasserstrahl hervorgerauscht sei und die mythische
Eigenschaft besaß, ein Jungbrunnen zu sein. Die Gleichheit Oswalds
und Wodans offenbart sich nun unzweifelhaft an ihrer Herrschaft
über das Wetter; die verehrte Wodansgarbe ist, um den Untergang zu
überdauern, zum Oswaldsopfer geworden. Und als der alte Asenkönig,
der einst im Thal verehrt wurde, dem Gott der Christen weichen
mußte, flüchtete er sich aus der Niederung in die Abgeschiedenheit
der Berge. Oben in der Einsamkeit bestand sein Dienst fort. Wodans
Bild wurde in den Alpenrosen gefunden und sollte künftig Oswalds
Bild im Thale sein. Aber aus der Kirche von Schönna ritt er nachts
lichtstrahlend fort, wie er auch sonst oft den Ritt in dunkler Nacht
liebte, als Schimmelritter, als Hackelberg, als himmlischer Fuhrmann
oder als Rodensteiner[203-1]. Ob nun aber diese Verbindung mit Wodan
sich schon in England eingestellt hat, oder erst in Oswalds zweiter
Heimat in Tirol und Baiern, wer vermöchte das bei der unsteten Natur
aller in Betracht kommenden Bestandteile noch heute zu entscheiden.
Und ebensowenig wird noch zu wissen sein, ob Wodan, dessen Bild in
Oswald sich immerhin unverkennbar ausprägt, ohne Konkurrenz in dieser
christlichen Verkleidung verborgen ist. Es mag erinnert werden, daß der
Oswald eigene Zug der Milde eine Eigenschaft des älteren Himmelsgottes
ist und daß auch die Verehrung seitens der Schnitter auf jenen deutet.
Doch kann gerade diese Uebertragung eben durch die Vermittlung der
Wodansvorstellnng erfolgt sein.


3.

Kehren wir von den Grenzländern im Osten nach Frankreich zurück, so
finden sich da keinerlei mythische Wucherungen der Heiligenlegende.
Nicht etwa weil es den Franken an Phantasie und Einbildungskraft
mangelte. Aber sie schöpfen entweder aus der Geschichte, aus ihrer
eigenen Vergangenheit, so in der Nibelungensage, die in ältester
Gestalt bei ihnen entstand, oder sofern sie mythische Stoffe
aufnehmen, aus der neuerschlossenen Kultur und übernahmen jene in
dichterisch abgeleiteter Form vom Bestande der antiken Poesie, so
in der Sage von Wieland dem Schmied. Zu mythischer Produktion aber
findet sich bei ihnen nirgends die leichteste Anwandlung. Sie waren
zu sehr realistisch, zu sehr ein Volk der That, um sich beschaulich
an die Natur zu verlieren. Die Lust zum fabulieren, die bei ihnen,
dem jungen lebensfrischen Volke, nicht fehlte, war ausschließlich
episch beschaffen; keine alte Göttersage ist auf geschichtliche
Verhältnisse übertragen, alles bleibt auf menschlichem Boden[203-2].
Und so entspricht es denn nur diesem fränkischen Stammescharakter,
wenn auch ihre Heiligenlegende in keinem organischen Zusammenhang
mit dem heidnischen Götterglauben steht. Die Fortbildungen über die
geschichtliche Ueberlieferung hinaus, ohne die eine inbrünstige
Verehrung heiliger Dinge undenkbar ist, verliefen daher durchaus im
Bezirke der Wirklichkeit. Berührungen mit der Götterwelt, sei es
der eingeborenen keltischen oder der durch die Franken importierten
germanischen, waren nicht zu vermeiden, da ja die Heiligen eben jene
Götter verdrängen und ersetzen sollten: so haben wir an der Genofeva
von Paris unverkennbare Spuren des Mythus wahrgenommen und werden
solche noch deutlicher beim heiligen Julian wiederfinden. Aber trotz
alledem handelt es sich höchstens um einen Austausch an der Grenze. Dem
Wesen nach bleibt die fränkische Heiligensage der Göttersage fremd, wie
nun an den fränkischen Volksvorstellungen von Sankt Martin des näheren
erwiesen werden soll, allerdings nur zur Ausnahme an alten Zeugnissen;
im ganzen handelt es sich um mittelalterliche Anschauungen, die aber
bei dem Beharrungsvermögen gerade der Volksgedanken und -Gebräuche
recht wohl weit höher hinaufreichen mögen, als sich heute noch
bestimmen läßt.

Der französische Martin unterscheidet sich von dem geschichtlichen
zunächst nur durch die Steigerung und Erweiterung der Lebensgeschichte,
ohne sich sprunghaft davon zu entfernen oder die Erzählung in einer
ganz anderen Vorstellungswelt fortzusetzen. Ihre Bereicherung der
Martinsgeschichte über die Memorie und die Gregorische Forschung hinaus
besteht zunächst nur in einigen ergänzenden Episoden, die, wenn man
nicht näher zusieht, Wahrscheinlichkeits halber eben so gut geschehen
sein können[204-1]. Im zwölften Jahrhundert wurde von Tours aus die
Sage in Umlauf gesetzt, Martin habe auf der Rückreise von Rom über
den großen Bernhard dem Kloster Saint Maurice im Wallis einen Besuch
abgestattet, und da keinerlei Reliquien mehr erhältlich waren, haben
auf sein Gebet hin die Blumen des ehemaligen Schlachtfeldes plötzlich
rosaroten Tau von dem einst blutgetränkten Boden aufgesogen; den habe
Martin in Phiolen gesammelt und von diesen kostbaren Reliquien ein
Fläschchen in Tours, ein anderes in Angers und ein drittes in Candes
deponiert, ferner dehnte sich das Missionsgebiet, das geschichtlich
als Martins Wirkungskreis bezeugt ist und außer wenigen Reisen nach
Nordosten die Marken der Diözöse Tours kaum überschritt, in der Sage
beträchtlich aus. Von Italien nach seiner späteren Heimat im Herzen
Galliens und von hier nach Trier — diese beiden Reisen, zweimal
unternommen, sind indessen nach Severus die einzigen, die ihn nach
seiner Bekehrung aus der Touraine hinausgeführt haben. In Paris, wo
wir ihn einmal finden, kann er sich auf dem Wege nach Trier aufgehalten
haben. Dem gegenüber will es nun aber die spätere französische Sage
nicht anderes haben, als daß Martin nicht etwa nur durch seinen
Einfluß nach seinem Tode sondern durch seine Anwesenheit schon bei
Lebzeiten der Apostel von ganz Gallien gewesen sei. Am ehesten mag
Martin noch in den seine Diöcese unmittelbar nördlich begrenzenden
Landschaften, in der Vendôme und in der Umgegend von Chartres wirklich
missioniert haben. Aber schon für seine Anwesenheit in der Maine und
Le Mans selbst fehlen sichere Spuren und gar in der Normandie ist
er nie auch nur entfernt gewesen, mögen nun die Lokalsagen dieser
Gegenden davon soviel berichten als sie wollen. Ob dann die vielfach
eine fortlaufende Linie bildende Reise von Martinsortschaften in
der Richtung von Paris nach Reims und von Reims nach Trier durch
Luxemburg, mit irgendwelchem Andenken an die von Martin eingehaltene
Reiseroute zusammengebracht werden dürfen, muß ebenfalls dahingestellt
bleiben. In Flandern erhebt das Dorf Phalemgie bei Lille und ebenso
Cysoing den Anspruch, von Martin bekehrt worden zu sein. Ueberdies
geriet in Belgien dann Martins Andenken mit dem angeblich im Jahre
276 verstorbenen durchaus sagenhaften Bischof Martin von Tongern
in Collision. Besser steht es vielleicht mit den Behauptungen der
südöstlich von Tours gelegenen Teile Galliens, da wenigstens für die
Auvergne der sorgfältige Gregor Martins Besuch am Grab der Vitalina in
Arthonne bei Riom berichtet[205-a]. Durch Savoyen und Burgund kann er
ferner auf der Reise von Italien her gekommen sein; ganz unglaublich
dagegen ist seine angebliche Missionsarbeit in der Centralschweiz.
Nicht weniger begierig auf den Ruhm von Martins Anwesenheit erwies sich
Südfrankreich, wofür jedoch höchstens Vienne in der Grabschrift einer
Christin einen einigermaßen prüfenswerten Anhaltspunkt aufzuweisen
in der Lage ist. Ja sogar das Concil von Saragossa im Jahre 380 soll
Martin besucht haben, und wäre dann also sogar in Spanien gewesen.
In allen diesen Bestrebungen, Martins irdische Wirksamkeit überall
da nachträglich zu lokalisieren, wo seine Verehrung in Blüte stand,
erkennen wir eine parallele Erscheinung zu den Gründungssagen
fränkischer Bistümer und können daher von Legendenzügen reden, die
von Tours aus sich mehr oder weniger durch ganz Frankreich erstreckt
und die Lokaltraditionen, wo sich nur irgend eine Disposition fand,
für Martin in Beschlag genommen haben. Die Folge davon war nichts
geringeres als die Erhebung Martins zum Nationalheiligen Frankreichs.
Selber ein alter Kriegsmann, wurde er nun vor allem der Patron der
französischen Waffen. Schon die merowingischen Könige ließen sich
Martins Mantel in die Schlacht nachtragen. Später wurde er der Herr
der Reiter und der Reisenden; an der Thür einer Martinskapelle, an
der man vorbeiritt, eines der Hufeisen als Votivgeschenk anzunageln,
war ein verbreiteter Brauch. Hatten diese Seiten von Martins heiliger
Schutzherrschaft noch in Martins Lebensgeschichte ihren unverkennbaren
Rückhalt, und ist es auch durch die Mantelepisode des fernern genügend
begründet, wenn Schneider und Tuchhändler des Mittelalters ihre
Gilde in Martins Obhut befahlen, so findet dagegen sein Patronat
über die Gastwirte und jede Art von Weingewerk keine einleuchtende
biographische Erklärung. Immerhin ist diese Beziehung alt; schon
im sechsten Jahrhundert verehrte man bei Tours einen Weinstock als
von Martin gepflanzt[206-a], und wandte sich ein armer, durstiger
Fährmann, der an Epiphanien nicht hatte, woran sich gütlich thun, an
Martin mit den Worten[206-b]: »O heiliger Martin, verschaffe mir doch
heute zum Festtag ein Glas Wein, damit ich nicht allein nüchtern zu
bleiben brauche, wenn die andern sich’s schmecken lassen«. Die Pariser
Genossenschaft der Weinleute führte den heiligen Martin in ihrem
Schilde mit den Spezialattributen des Schlüssels und der Glocke. »Zum
großen Sankt Martin« nannte sich in gewissen Gegenden Frankreichs
jedes andere Wirtshaus. Aber auch der Gunst der Gäste erfreute sich
Martin, an so ziemlich allen Wechselfällen eines fröhlichen Zechers
ist sein Name im französischen hangen geblieben; sich etwas leckeres
zu Gemüte führen heißt _faire la Saint-Martin_; über den Durst trinken
_martiner_, der Rausch _le mal de Saint Martin_. Daß diese französische
Vorstellung unter Einwirkung der germanischen Martinslust entstanden
ist, sei es nun durch Entlehnung, sei es durch Einwirkung des deutschen
Elements im fränkisch-französischen Blut, mag angenommen werden. Doch
war dies immerhin nur der Martin der städtischen Gilden. Sankt Martin,
wie sich ihn im alten Frankreich die Bauern aus der freischaltenden
Einbildungskraft des Volkes herausdachten, ist vor allem, was er auf
Erden in der That gewesen war, der unermüdliche Arbeiter, der nicht
Rast noch Ruhe kennt. Immer befindet er sich unterwegs, und immer hat
er es eilig, bald bindet er sein Pferd an einem alten halbzugeschneiten
Glockenturm an, bald läßt er den Fuhrmann, der ihn führt, so rasend von
dannen fahren, daß Wagen und Räder in Stücke gehen. Besonders populär
wurden dann der Esel und der Stock des Heiligen. Schon der spätesten
Merowingerzeit mag folgende Sage angehören[206-c]: einst wallfahrteten
Sankt Martin von Tours und Sankt Maximin von Trier einträchtig zusammen
nach Rom. Martin ist gegangen Speise zu kaufen, und Maximin, der den
Esel seines Freundes hüten sollte, war eingeschlafen. »Wo ist unser
Esel hingekommen?« fragte Martin, als er zurückkam. Es stellte sich
heraus, daß ein Bär jenen gefressen hatte. Man ließ nun den Bären
kommen und hielt ihm eine Strafpredigt: »Da du so dumm warst, diesen
armen Esel, der unser Gepäck trug, aufzufressen, wirst du nun so gut
sein, und ihn ablösen.« Wohl oder übel mußte die Bestie gehorchen und
trug ihnen ihr Reisebündel geduldig nach Rom. An der Martinsquelle
von Nieuil[207-a] erzählte man sicher schon im sechsten Jahrhundert,
hier habe der Heilige einst zu seinen Lebzeiten, einen Mann getroffen,
der Wasser in einem kleinen Kruge trug. Martin bat ihn seinen Esel zu
tränken, damit er weiter reiten könne; jener aber ließ ihn hart an, er
solle zu dem Sodbrunnen gehen und selber schöpfen. Eine Frau jedoch,
eine zweite Rebekka, entsprach dem Anliegen. Um diese zu belohnen,
betete der Heilige an eben dieser Stelle eine lebendige Quelle aus
dem Boden. Und bei dieser Quelle wird ein Stein aufbewahrt, wo sich
der Huf des Esels eingedrückt hat auf dem der Heilige ritt. Unzählig
sind nun aber die Steine, da der Heilige mit seinem Holzschuh die
Fußspur eingedrückt hat, damals als er vor dem Teufel flüchtend in
einem gewaltigen Sprunge über ein ganzes Thal hinwegsetzte. Zweifellos
sind es alte Druidensteine, die diese Umdeutung erfahren haben;
einige darunter dienen noch heute den Bauern zum Versammlungsorte,
andere sind Schlupfwinkel für allerlei Hexenkünste geworden. Am
besten kommt aber der leitende Gedanke von Martins Wirksamkeit, der
gewaltige titanenhafte Ringkampf mit dem Teufel in der Sage der Insel
Yen zum Ausdruck. Der Heilige verlangte vom Teufel, er solle ihm eine
Brücke schlagen, vom Festland bis zur Insel auf die Entfernung einer
Nachtreise, fünfzehn Meilen lang, damit er trockenen Fußes hinüber
könne. Um sich Martin auf diese Weise zu verpflichten, wälzt der
Teufel, alle Felsblöcke der Umgegend, deren er habhaft werden kann,
ins Meer; beim Tagesgrauen bemerkt er jedoch, daß eine unbesiegbare
Gewalt ihm zur Vollendung des Werkes im Wege stand. Um auf jene
Martinsquellen zurückzukommen, so zählen sie im Lande herum nach
Hunderten. Die meisten sind jedoch nicht durch bloßes Gebet entstanden,
sondern mit dem Stocke Martins aus dem Boden geklopft. Dieser Stock
ist so sprichwörtlich geworden, daß er durch den Namen Martins allein
bezeichnet wird: ›_Par mon martin!_‹ war ein Kraftausdruck der
Jeanne d’Arc und bedeutete: »Bei meinem Stecken!« »_Martin bâton!_«
findet sich bei La Fontaine gesagt. Vielleicht schwingt auch hier
eine dem Heiligen ursprünglich fremde mythische Beziehung mit, die
im Namen Martin, das heißt »kleiner Mars«, angedeutet sein kann, uns
aber unerklärlich bleibt. Ebenso mögen bei der Cappaprozession in
Tours oder andern fränkischen Martinsgebräuchen Göttervorstellungen
hineinspielen. Aber nicht nur da, sondern auch bei Martins Wirksamkeit
als Wetterheiliger, von der anderswo zu reden ist, kann es sich immer
nur um mehr oder weniger starke Entlehnungen und Berührungen, aber
ja nicht um wesentliche Eigenschaften handeln. Dem Kern nach ist der
französische Martin eine Verklärung des geschichtlichen Martin und
somit reine Sage.

Ganz anders der deutsche Martin, wie er hauptsächlich dem Rhein
entlang verehrt wurde und dem englischen Georg an die Seite trat. Da
haben sich nicht die geschichtlichen Ansätze episch ausgefasert und
verzweigt, vielmehr hat ein dem geschichtlichen vollständig heterogenes
Element, ein Mythus, dem historischen Stamm aufgepfropft, an diesem
ganz andere Früchte gezeitigt. Im allgemeinen wird man immer noch
von dem Wodans-Charakter des deutschen Martin reden dürfen, sobald
man im Auge behält, daß der Allerweltsheilige hie und da auch Züge
schon des älteren Himmelsgottes an sich haben könnte. Leider ist nun
aber Wodan in seiner christlichen Maske im einzelnen durchaus nicht
deutlich, sowenig an der Thatsache dieser seltsamen Verkleidung noch
zu zweifeln ist. Es mag hier nur ganz im allgemeinen der Berührungen
gedacht werden[208-1]. Die Verschmelzung lag um so näher als beide,
der Gott und der Heilige, von sich aus mit Mantel, Roß und Schwert
gedacht wurden. Das mythische Herbstpferd heißt Martinspferd, auch sein
Huf drückt sich im Steine ab, der gewaltige Mantel Martinsmantel, der
wilde Jäger Junker Märten, die wilde Jagd Martinsgestämpe. Man trank
Martinsminne und brannte Martinsfeuer; man sprach von Martinsgerte und
Martinshammer. Mythisch ist auch der Martinsvogel auf dessen Gesang und
Flug man achtete, aber ja nicht zu verwechseln mit der Martinsgans.
Sie bildet mit dem Martinshorn und dem Martinswein die Martinslust,
die deutliche Fortsetzung der alten Opferschmäuse. Eine symbolische
oder historische Bedeutung dürfte bei der Wahl der Gans nicht zu
suchen sein; die Gans gedeiht um den Martinstag herum am besten, und
deutsche Gänse waren schon bei den Römern so berühmt, daß Plinius
den deutschen Namen dafür kannte, so gab sie den besten Schmaus ab.
Und der gütige Gott Wodan, der zur Zeit der kürzesten Tage die Armen
und Kinder besucht und beschenkt, heißt keineswegs nur Klaus oder
Ruprecht, sondern in Bayern Pelzmartle, in Schwaben Pelzmärte und in
Norddeutschland das Martinsmännchen. Auch wurde die Adventszeit früher
allgemein sechs Wochen vor Weihnachten begonnen, sodaß der erste
Sonntag im Advent gleich auf den Martinstag fiel; infolgedessen hießen
auch die mit dem Advent verbundenen Fasten _Carême de St. Martin_. Noch
jetzt schließt das bäuerliche Jahr mit dem Martinstage, bis zu dem alle
Pachtungen gehn. Martini war überdies einer der drei Termine für die
großen Volksversammlungen, die sogenannten ungebotenen Gerichte. Es
sei nochmals hervorgehoben, daß dergleichen mythische Beziehungen zu
Martin versteckt oder offen auch auf außerdeutschem Boden anzutreffen
sind; dennoch wird man, solange eine genauere Untersuchung noch
aussteht, an dem Unterschied festhalten und von einem französischen
und von einem deutschen als von einem epischen und einem mythischen
Martin reden dürfen. Martin genoß ja während des Mittelalters im
westlichen Abendland eine beispiellose Verehrung, mit der nur eben
noch Petrus und die Muttergottes es aufnahmen, sodaß auf einer so
ausgedehnten Kultusfläche fast notwendig die Eigenart einer ganzen
Rasse zu ihrem Rechte gelangen mußte. Am Ende des Mittelalters gilt
mehr als je das Wort Gregors, Martin sei der Spezialheilige der ganzen
Welt[209-a]. Als aber am elften November 1483 das Tags zuvor geborene
Söhnchen des Bergmanns Luther zu Eisleben Martin getauft wurde, war
den katholischen Heiligen ihr gefährlichster Feind erstanden. Zwar
hat sich der Namenspatron seiner Sympathie erfreut: »Solch Ding
sollt man aus den Legenden der Heiligen klauben als in der Historia
von Sankt Martino steht«[209-1]. Aber Luthers Werk bedeutete darum
für die Kirchenheiligen das Ende der Weltherrschaft, weil sich die
Protestanten des polytheistischen Wesens der Heiligenverehrung bewußt
wurden: »Den einzelnen Heiligen sind bestimmte Geschäfte übertragen,
wie daß Anna Reichtümer spende, Sebastian vor der Pest helfe, Valentin
die Fallsucht heile, Georg die Ritter beschütze. Solche Meinungen sind
aus heidnischen Vorbildern entstanden. Denn so meinten die Römer, daß
Juno reich mache, Febris das Fieber abhalte und Pollux den Ritter
verteidige[209-2]«. Hatte das Christentum die Götter entfernt, so
zerschlug die Reformation mit den heiligen Bildern deren nachträgliche
Verkleidungen. Damit zerbrach sie die hauptsächlichsten Stützen der
dynamischen Welterklärung, ohne jedoch die nun langsam erstehende
mechanische Auffassung der Dinge sich anzueignen, die den Menschen in
Versuchung führt, nicht nur ohne Götter, sondern auch ohne Gott zu
leben.




Zweites Buch.

Das Heiligengrab.


Die Heiligenleben sind nun aber nur die eine Seite der auf uns
gelangten Ueberlieferung. Die andere, wie sie denn überhaupt niemals
gelehrter Natur war, tritt dem Besucher von Frankreich auf Schritt und
Tritt im öffentlichen Leben entgegen und ist so trivialer Art, daß
heute kaum Jemand mehr an ihre ursprüngliche Bedeutung zu denken sich
bemüßigt fühlt: Place Saint Martin, Boulevard Saint Germain, Porte
Saint Denis, Bibliotheque Sainte Genevieve. Es handelt sich dabei
um die säkularisierten Reste eines sepulkralen Andenkens, das dem
schriftstellerischen Andenken zur Seite ging, wenn nicht gar vielfach,
als die primäre Instanz, ihm zur Grundlage diente. Von einander
unabhängig sind die beiden Formen der Tradition jedenfalls nicht
gewesen. Da aber hier und dort die Heiligen zu einem guten Teil ganz
andere sind, geht schon daraus hervor, daß die kultische Ueberlieferung
sich nicht vollkommen deckt mit der litterarischen, sondern bei einem
halben Zusammenhang mit ihr zur andern Hälfte eigene Wege geht.

Als Organisation ist das kultische Andenken allerdings ein Werk des
Priesterstandes; aber der Substanz nach haben wir es hier durchaus
mit einer naiven Schöpfung der Volksseele zu thun. An sich ist
das Material ausgedehnter und schwerer zu überschauen, als der in
zahlreichen, aber immerhin zählbaren zeitgenössischen Viten vorliegende
litterarische Traditionsstoff; und doch wird die Darstellung der
wesentlichen Erscheinungsformen des Heiligenkultus sich ungefähr auf
die Hälfte des Umfanges zusammendrängen lassen, den die Schilderung
der merowingischen Heiligenschreibung für sich in Anspruch nahm.
Hiefür ist der hauptsächliche Grund folgender: dort galt es immer
aufs neue Rücksicht zu nehmen auf originale persönliche Art mit all
der Verästung und komplizierten Linienführung eigenen Lebens, die
in der kurzen Spanne zwischen Geburt und Tod immer wieder neu und
immer wieder anders war; und damit nicht genug, galt es dann noch
dem Auswachsen persönlichen Andenkens ins Riesenhafte und Mythische
nachzugehen, der Teilnahme armseliger Einzelleben an den kolossalen
Naturgestaltungen ganzer Völker. Auf dem Gebiete, das wir nun betreten,
wird uns ja teilweise ähnliches begegnen; aber das wird dann nur ein
Hinübergreifen, ein partielles Sichdecken sein. Der Unterschied ist
weit beträchtlicher als die Uebereinstimmung, und in dieser Differenz
liegt das entscheidende Wesen. Nicht auf frommen Vorstellungen ruht
hier das Schwergewicht, sondern auf frommen Handlungen. Und während
die Ansätze zu Kristallisationen der Vorstellungen zwar dort nicht
fehlen, aber stets auseinandergespült werden durch das beständig
zuströmende originale Leben, das, wenn auch noch so bescheiden, aus
jeder wirklichen Heiligenexistenz quoll, so stehen hier breit und
beherrschend nicht individuelle Mächte im Vordergrunde, sondern
Gattungen, Typen. Gewiß fehlte das Persönliche nicht, aber es fehlte
als primäre, aus eigener Wurzel bezogene Triebkraft und spielt sich
statt dessen nur parasitenhaft auf der Rinde der Gattung ab. Nicht das
Moment der Entwicklung, sondern das Moment der Stetigkeit überwiegt nun.

Nie ist in der abendländischen Geschichte eine ganze Volksmasse
religiös so imprägniert gewesen, wie die Franken unter den Merowingern,
sobald wohlverstanden von dem normalen Volksleben im Staate die
Rede ist, nicht von momentanen Impulsen wie den Kreuzzügen oder der
Reformation, und sobald ferner ›religiös‹ unter Verzicht auf den
sittlichen Gehalt lediglich die Furcht vor Gott bedeutet. Um dem
Wesen eines solchen enormen und formlosen Klumpens von Religiosität
mit unserer Erkenntnis beizukommen, haben wir den Stoff unter
drei Stichbegriffe verteilt: Name, Kraft und Wunder. Volkstümlich
ausgedrückt, handelt es sich bei dieser Einteilung um die Schale, um
den Kern und um die Wirkung des Kernes auf den, der ihn verschluckt hat.

Unsere Quelle ist nun fast ausschließlich Gregor von Tours in seinen
acht Büchern der Mirakel. An Vollständigkeit darf uns hier nicht
so viel gelegen sein, als an einer möglichst typischen Einsicht in
den Sachverhalt; und da wird man sich zweimal besinnen, ehe man
irgend eines der andern keineswegs seltenen Zeugnisse in die Nähe
einer Aussage Gregors erhebt. Er bedient uns hier mit der andern
Seite seiner hagiographischen Qualitäten, ein Unterschied, dessen er
sich wohlverstanden selber bewußt ist; spricht er doch gelegentlich
ausdrücklich von einer Differenz zwischen dem Andenken an die
historische Person und dem Kultus an ihrem Grabe[211-a].




Vierter Abschnitt.

Der Name.


Aus dem Frankenreich der Merowinger sind uns etwa zweihundert
Gotteshäuser bekannt, die den Namen eines christlichen Heiligen tragen.
Die durch diese Kirchennamen repräsentierte Heiligenversammlung
stellt sich äußerst bunt dar; von den christlichen Urheiligen bis zum
kleinen Lokalmärtyrer sind zugewanderte und einheimische Selige in
gemeinsamer Verehrung vertreten. Und nicht etwa so, daß in abgeteilten
Bezirken hier Fremde und dort Landesbürger hausten, sondern gemischt
und gekreuzt zwischen Morgenländern ein Kelte und zwischen Germanen
ein Kind des Südens. Der nationale Charakter der alten fränkischen
Landeskirche verrät sich indessen auch hier. Das Gros ihrer Heiligen
ist eben doch autochthon, was in diesem Fall freilich weniger besagen
will, sie seien eingeboren, als sie seien in der heimischen Erde
bestattet. Diese Heiligengräber gruppieren sich um eine Metropole,
die deren mehrere enthält und diese wieder werden überragt von dem
Reichsheiligtum in Tours. Nicht nur unter sich, sondern auch mit dem
Auslande unterhielten diese Kultusstätten einen lebhaften Verkehr, der
sich teils als Reliquientausch, teils als Missionspropaganda äußerte.




Zehntes Kapitel.

Die Grundheiligen.


Frankreich hatte im sechsten Jahrhundert noch elf kirchliche
Provinzen[212-1].

Die Hauptstadt der »Ersten Lyoner« beherbergte in ihrem römischen
Mauerring nur eine Johannisbasilika, in deren Krypta Irenäus mit
den Märtyrern Epipodius und Alexander beigesetzt war. Westlich oder
südlich der Römerstadt lag das Mausoleum einer heiligen Frau. Außen am
Stadtbann erhob sich die Nicetiusbasilika zwischen Saône und Rhone,
die erst den Aposteln geweiht gewesen war. Die Lage der Helius- und
Marienkirche ist nicht mehr zu bestimmen. Auf einer heute mit dem
Lande verbundenen, damals von beiden Strömen bei ihrem Zusammenfluß
gebildeten Insel im Osten des römischen Lyon stand die mächtige
Märtyrerkirche von Ainay. Eine Stunde oberhalb lag ein Kloster auf
der Insel Barbara in der Saône. Auf der Südgrenze gegen Vienne zu
befand sich das Symphorianskloster von Ozon, und ihm diametral
entgegengesetzt in der Nordostecke am Jura das uns bereits bekannte
Kloster des Romanus, das damals noch nach Eugendus und später nach
Bischof Claudius hieß. Lyons kultischer Sagenkreis enthielt folgende
Anekdoten[212-a]. In der Irenäuskrypta strahlt bisweilen ein heller
Schein. Die Krypta des Helius barg ein schönes Grabmal dieses Lyoner
Bischofs aus der decianischen Verfolgung. Im Raume war inschriftlich
über der Eingangsthüre das die Nacht nach der Beisetzung von einem
Heiden begangene Sacrilegium erwähnt. Gregors Verwandter, Bischof
Nicetius oder Nizier, zollte diesem seinem Vorgänger besondere
Verehrung. Er selber erwies sich dann, noch nicht einmal im Grabe,
schon bei seinem Leichenzug wunderkräftig; ein blinder Knabe ließ
sich, einer inneren Stimme folgend, durch die Schaar weiß gekleideter
Kleriker hindurch unter den wandelnden Sarg stoßen; dort rief er den
Heiligen an und erlangte das Augenlicht. In der Stadtkirche zeigte
man einen Evangelienschrein, eine Schale und einen Kelch, die einst
Kaiser Leo als Dank für die durch einen Lyoner Obersthelfer bewirkte
Heilung seiner besessenen Tochter gestiftet hatte; die Gegenstände
waren aus reinstem Golde gewesen und mit echten Juwelen besetzt;
aber leider hatte der Ueberbringer in der Alpengegend bei einem
Goldschmid übernachtet, der ihm bei Gewinnteilung Ersetzung echter
Bestandteile durch Imitationen vorschlug; nur den Kelch ließ er
unberührt, weil dort die Edelsteine stärker als blos mit Golddrähten
befestigt waren. Die Strafe war, daß beide, bei der Rückkehr des
Boten, nachts im einstürzenden Zimmer erschlagen wurden. Von jener
unbekannten Frau, die vor der Stadtmauer begraben lag, hieß es, sie
habe den Schuh des Märtyrers Epipodius aufgefangen, als er ihm auf
dem Gange zum Richtplatz vom Fuße fiel. In der Marienkirche hatte von
einem kinderlosen adeligen Ehepaar, das die Kirche zum Erben seiner
Güter einsetzte, der verstorbene Gatte sein Grab, an dem die noch
lebende Gemahlin täglich ihre Andacht verrichtete. Nördlich von Lyon
lagerte sich das Gebiet der ihm unterstellten Bistümer. In Autun
war der Kirchhof ein Sammelpunkt von Heiligtümern[213-a], nicht nur
enthielt er ein Massengrab von Heiligen, sondern auch die Mausoleen
dreier Stadtbischöfe, nämlich des Reticius, des Cassianus und sogar
des Simplizius, trotzdem diesem, allerdings mit Unrecht, Ehebruch
nachgeredet wurde. Zum Grab des Reticius, das abseits lag, ging die
Geschichte um, seine Gattin, die schon vor seiner Bischofswahl starb,
habe ihn beschworen, einst an ihrer Seite zu ruhen, und als nun viele
Jahre später der Bischof die seiner Stellung entsprechende Ruhestätte
finden sollte, verrichtete die Totenbahre das in solchen Fällen
übliche Beharrungswunder, bis man begriff. Der Hauptheilige von Autun
war allerdings der Lokalmärtyrer Symphorian aus der Zeit der Lyoner
Verfolgung; seine Basilika war am Ende des fünften Jahrhunderts von dem
Priester und späteren Bischof Eufronius errichtet worden und lag eine
kleine halbe Stunde nördlich der Stadt[213-b]. Dijon, die thatsächliche
Residenz des Namensbistums Langres, besaß das Benignusgrab, über dem
seine Hauptkirche errichtet war; sie enthielt überdies die Gräber des
Senators Hilarius, seiner Frau Quieta und einer ebenfalls frommen Dame
namens Florida, wozu dann noch als weitere dort ruhende Notabilität
Tranquillus hinzukommt[213-c]. Durch einen Höhenzug getrennt, bereits
im Seinegebiet, lagen die beiden Klöster Reomatis und Saint Seine;
der Stifter des einen, der heilige Abt Johannes von Tonnerre, war in
einer benachbarten Pfarrkirche begraben, während das Grab des heiligen
Sequanus sich in dessen Abtei befindet[214-a]. Einen Tagemarsch
nordnordwestlich von Reomatis erreichte man die Festung Tonnerre,
wo ein durch Martin von Tours geheilter Priester seiner Zeit eine
Kapelle errichtet hatte. Topographisch die Abrundung des Erzbistums
Lyon bildet die Diöcese Châlons. Das Hauptheiligtum Sankt Marcellus
zu Ehren eines der Sage nach aus Lyon stammenden Märtyrers, zu dessen
Verherrlichung namentlich König Gunthram beitrug, lag eine halbe Stunde
vor der Stadt jenseits der Saône. Ein Heiligengrab war ferner das des
Bischofs Silvester. Sieben Wegstunden südwestlich lag das Kloster
Gourdon mit dem einst nach Châlons verlangten, aber zunächst nicht
herausgegebenen Leichnam des Klausners Desideratus, der bei Lebzeiten
besonders Zahnweh geheilt hatte. Und eine kleine Tagereise von Châlons
südlich gen Macon hin fand sich an der Saône die Festung Tournus mit
der Grabeskirche des Märtyrers Valerianus[214-b]. Von Macon erwähnt
Gregor kein Heiligtum, dagegen von Besançon, das kirchlich den höchst
unwirtlichen alamannischen Osten berührte. Die den Märtyrern aus
Caracallas Zeit gewidmete Basilika Sankt Ferreolus und Ferrucio liegt
eine schwache halbe Stunde westlich von der Stadt, heute das Dorf Saint
Fergeux[214-c]. Im südlichsten Winkel des ansehnlichen Diöcesangebietes
finden sich die beiden Juraklöster, die einst von Saint Oyand de Joux
aus gegründet worden waren, Sankt Lupicin, der indessen nicht dort
bestattet ist, und das zehn Meilen von Saint Claude gelegene nach dem
daselbst ruhenden Romanus genannte St. Romain-de-Roche. Im kirchlichen
Zusammenhang mit Lyon, eher als mit Vienne, ist hier auch das einzige
damals ansehnliche Heiligtum auf Schweizerboden zu nennen, Saint
Maurice mit seinen Heiligen von Agaunum, deren Namen und Andenken auch
der daselbst nachträglich noch bestattete königliche Heilige, Sigismund
von Burgund, nicht zu entthronen vermochte[214-d].

Aus der »Zweiten Lyoner« Provinz, der Normandie, mit der kirchlichen
Hauptstadt Rouen sind uns keine Heiligengräber näher bekannt, um
so mehr dagegen aus der »Dritten«, deren Metropole Tours war. Von
den fünfzehn Kirchen des Stadtbannes, die Gregor erwähnt, entfallen
indessen nur drei auf Lokalheilige, wenn man von Sankt Martin absieht
und wenn man ferner die von Gregor nach Julian von Brioude geheißenen
Turoner Kirche[214-e] nicht rechnet. Martins Vorläufer im Amte,
Litorius, der zweite Bischof von Tours, der auch die Kathedrale in
der Stadt erbaute, besaß, wahrscheinlich eine Viertelstunde westlich
von der Stadtmauer entfernt, sein eigenes Heiligtum[214-f], ebenso
zwei Lokalheilige, die Gregor in seinen Väterleben näher beschrieb:
Venantius[215-a], der sich kurz nach Martins Tode, in Tours in einem
nahe bei der Martinskirche schon vorhandenen Kloster niederließ und
Monegunde[215-b], bei der es sich wahrscheinlich um das von ihr
gestiftete Nonnenkloster handelt. Diesen drei Bethäusern, die zwar alle
außerhalb des damaligen, aber noch innerhalb des heutigen Stadtringes
lagen, reihen sich eine Anzahl anderer in der zu Tours gehörigen
Landschaft gelegener Lokalheiligtümer an[215-c]. Unter dem Namen der
heiligen Papola[215-d] tritt in der fränkischen Heiligensage die als
Mönch verkleidet im Mannskloster lebende Nonne auf, die im Orient
Marina heißt. Die Papolakapelle lag irgendwo im Diöcesangebiet von
Tours. Das lang unbekannte Grab irgend eines verschollenen auswärtigen
Bischofs Benignus[215-e] wurde dadurch entdeckt, daß ein Landmann den
im Gestrüpp liegenden Sarkophagdeckel ahnungslos zum Grabstein für
seinen verstorbenen Sohn verwendete und sich dadurch nächtlicherweile
die energischen Reklamationen des fremden Heiligen zuzog. Hat man
es schon hier mit einer nachträglichen kirchlichen Reception eines
alten der Volksverehrung sich erfreuenden Grabes zu thun, so noch
mehr bei dem ebenfalls im Dorngeheg versteckten Grabe der »Beiden
Jungfern«[215-f], die sich nachts mit Erscheinungen an verschiedene
Leute wandten, um sich eine anständige Bergung ihrer Ueberreste zu
verschaffen, und so auch an den Bauer, auf dessen Land sie lagen:
»Länger halten wir es ohne Dach einfach nicht mehr aus; übrigens
wäre es zum Besten des Grundbesitzers, wenn er die Dornenhecke artig
zurichten und der Regengüsse wegen für ein Dach sorgen wollte.« Als
nun der Bauer sein möglichstes that, war ihm doch sonst mit Tod innert
Jahresfrist gedroht worden, und er dann zu Eufronius von Tours ging,
mit der Bitte, Hochwürden möchten nun so gut sein und das Grab zu
weihen kommen, versetzte dieser: »Lieber Sohn, ich bin steinalt und
heuer macht’s draußen kälter als ein anderes Frühjahr, es gießt und
windet und die Bäche sind angeschwollen; du kannst wirklich nicht
verlangen, daß ich mich zu euch hinausbemühe.« Bekümmert ging der
Landmann von dannen. Nachts aber erschienen die beiden Jungfrauen
dem Bischof und weinten ihm vor, so daß er sich daraufhin schleunig
auf den Weg machte. Er hatte sich die Gesichtszüge und den Gang der
Beiden genau gemerkt: beide waren weißer als Schnee und die kleinere
nur an Gestalt nicht an Verdienst geringer. Auch wie sie hießen,
hatten sie ihm gesagt: Maura und Britta. Was diese beiden nachträglich
selig gesprochenen Nonnen einst in ihrem Erdenleben trieben, ja ob
das Grab überhaupt zwei und zwar zwei weibliche Leichname enthielt,
wissen wir ebensowenig, wie ob der ebenfalls eines Tages zu Maillé
entdeckte Solemnis[216-a] mit seinen Erdentagen irgendwie seine
spätere Sanktifikation rechtfertigt und er der Bischof von Chartres
dieses Namens wirklich gewesen ist. Dagegen genießen die übrigen
Lokalheiligen der Turoneser Landschaft im Kultus nur den durch ihre
frühere Heiligenlaufbahn ehrlich erworbenen Lohn ihrer irdischen
Wirksamkeit: der Martinsjünger Maximus[216-b], oder Saint Mesme
Johannes aus der Bretagne[216-c] und Senoch[216-d]. Von den Tours
unterstellten namentlich die Bretagne erfüllenden Bistümern nennt
Gregor nur wenige Kirchen die Lokalheiligen gewidmet sind: in Le Mans
Bischof Viktorius[216-e], in Angers Bischof Albin, Saint Aubin[216-f];
in Rennes Bischof Melanius Saint Melaine[216-g] und in Nantes Bischof
Similian, wo überdies auch zwei Lokalmärtyrer Donatian und Rogatian
schon zu Chlodowechs Zeiten ihre Kirche gehabt haben sollen[216-h].

Die »Vierte Lyoner« stellt sich dar in dem sehr umfangreichen Erzbistum
Sens, dessen Metropole Gregor jedoch nirgends erwähnt. Auch von
Chartres nennt er weder die Stadt selbst noch das damals doch wohl
schon freilich ohne den Heiligenleib bestehende Kloster Avituszelle.
Für Auxerre verzeichnet er immerhin das Grab des Germanus[216-i],
der am 31. Juli 448 in Ravenna gestorben, aber nach zwei Monaten in
die Heimat überführt worden war. Ausführlicher wird Gregor erst für
Troyes: in der Stadt lagen die Lupuskirche[216-k] und vielleicht
eine Kirche des Nicetius von Lyon[216-l] außerhalb dagegen die große
Patroklusbasilika[216-m]; erst war es nur eine kleine Kapelle mit einem
einzigen Priester gewesen, als jedoch eine schriftliche Patroklusvita
aufkam, hob sich der Kultus so sehr, daß ein geräumiges Gotteshaus an
die Stelle treten mußte. In Orleans standen zwei Kirchen, Saint Aignan,
wo der Bischof Namatius im Jahre 587 begraben wurde[216-n], und die
Grabeskirche des Einsiedlers Avitus von Micy[216-o]. Das mit Kirchen
schon in jener Zeit begüterte Paris hat indessen nur eine einzige
ausdrücklich Lokalheiligen gewidmete Stätte besessen; denn wenn die
spätere Genovefakirche offiziell noch nach Sankt Peter[216-p] und Saint
Germain noch nach Sankt Vincenz[216-q] hieß, so blieb nur jenes von
der »Stadt« als ein in ihr gelegenes »Dorf« unterschiedene Stück Paris
übrig, wo Bischof Marcellus[216-r] und die Nonne Crescentia[216-s]
in ihren eigenen Gotteshäusern ruhten. Im heutigen Saint Denis brach
sich schon zu Gregors Zeiten der Name des Dionysius[216-t] Bahn als
des Lokalmärtyrers und ersten Bischofs von Paris. Saint Cloud mit
dem Grabe Chlodovalds kam erst später auf; es hieß damals noch
Novigentum[217-a].

Die »Erste Belgische« ist Gregor in hagiographischer Hinsicht
ziemlich unbekannt geblieben. In Trier nennt er mit Namen nur die
Maximinskirche[217-b] die auch das Nicetiusgrab enthielt; für Köln
die Kirche der fünfzig Soldaten der thebäischen Legion; da es hieß,
sie hätten an Ort und Stelle gelitten, sonstige Beziehungen der Sage
jedoch nicht erwähnt sind, so haben wir es mit einem von Agaunum
unabhängigen ungefähr gleichzeitigen Kölner Lokalniederschlag der
Thebäerlegende im Abendland zu thun; diese Kirche, später St. Gereon,
war als Bauwerk mit Mosaiken so verschwenderisch ausgestattet, daß das
Volk nur von den ›Goldheiligen‹ sprach, wenn es die kölnischen Thebäer
meinte[217-c]. Für Tongern-Maastricht nennt Gregor das Servatiusgrab,
bei der Brücke an der Straße, die nach Gallien führt[217-d]. Etwas
besser war es mit Gregors Kenntnissen in der »Zweiten Belgischen«
bestellt. Für Reims nennt er außer der Remigiuskirche[217-e] die
Basilika der beiden Lokalmärtyrer Timotheus und Apollinaris[217-f] und
hebt sie als Stiftung einer devoten Privatperson hervor; für Soissons
sodann die Grabeskirche des Bischofs Medardus[217-g]; ob Crispus und
Crispinianus, denen die andere große Kirche der Stadt geweiht[217-h]
war, Lokalmärtyrer sind, muß dahingestellt bleiben; dagegen war
Lupentius oder Saint Louvent[217-i] einer, dem das Hauptheiligtum
von Châlons-sur-Marne gehörte während der alte Bischof und spätere
Stadtpatron Memmius oder Saint Menge[217-k], ebenfalls außerhalb der
Mauern seine Kirche hatte; Gregor hat sie besucht. Saint Louvent, um
dies nachzutragen, war übrigens ein Zeitgenosse Gregors: er wirkte
als Abt von Saint Privat de Mende, bis ihn im Jahre 584 der Graf
Innocenz von Gévaudan wegen Majestätsbeleidigung verklagte und sich
Lupentius vor der Königin Brunichilde zu verantworten hatte. Obwohl
es ihm nun gelungen war, sich zu rechtfertigen, verfolgte ihn der
Graf von neuem und internierte ihn auf seinem Landsitz Ponthion. Der
Heilige entkam auch dieses Mal und war eben wieder seßhaft geworden,
wenigstens provisorisch in einem Zelte, das er an einem Fluße
aufschlug. Da fahndete der Graf zum drittenmal auf ihn und diesmal war
es des Heiligen Tod: er kam um seinen Kopf, der in einem mit Steinen
beschwerten Sack dem Wasser übergeben wurde, wie auch der Rumpf. Beides
gelangte jedoch ans Ufer der Marne und wurde dort im gemeinsamen
Grabe bestattet, wo alsdann die Wunderkraft und Heiligenschein nicht
lange auf sich warten ließen. Von den vielen Bistümern im Nordwesten
der Provinz Arras, Noyon, Cambrai, Tournay, Beauvais, Amiens und den
andern, enthält uns Gregor leider Kultusnachrichten jeder Art vor.
Immerhin verzeichnet er für Vermandun das Grab des Quintinus, Saint
Quentin[218-a].

Reichlicher ist ihm die Kunde für die südliche Reichshälfte
zugeflossen. In der Viennischen allerdings erwähnt er nur die
Ferreoluskirche bei Vienne, die er selber besucht hat[218-b]; in der
»Arelatense« dagegen nicht allein die Genesiuskirche der Hauptstadt auf
dem rechten Rhoneufer[218-c], sondern auch den Bischof Marcell von Die,
ferner[218-d] Sankt Viktor, den Lokalmärtyrer von Marseille[218-e],
einen gleichen von Aix, namens Metrias[218-f] und sodann den Bischof
Maximus von Riez[218-g], endlich zwei Heiligtümer in Embrun, das eine
über dem Grabe des Bischofs Marcellin[218-h] und das andere über dem
der Lokalmärtyrer Nazarius und Celsus[218-i]. In oder bei Nizza wurde
der Klausner Hospizius verehrt[218-k].

In der »Ersten Aquitanischen« besaß die Metropole Bourges ihren Apostel
in Ursinus; doch hat er nach Gregor ein ursprüngliches Heiligtum nicht
besessen, sondern wurde nach Jahr und Tag von dem Kirchhof, wo sich von
den andern Gräbern das seinige nicht unterschied, in die außerhalb der
Stadt liegende Symphorianskirche überführt, der er mit der Zeit seinen
Namen aufzwang[218-l]. Auch das Grab des 580 verstorbenen Bischofs
Felix von Bourges wurde zur Kultstätte [218-m]; der Senatorssohn Lusor
oder Saint Ludre wurde verehrt, weil er in den Taufkleidern gestorben
war; sein von Gregor bewundertes Grabmal angeblich aus parischem
Marmor[218-n] findet sich noch heute in der Krypta der Dorfkirche
von Deols. Auf ein Gelübde König Childeberts ging die Basilika des
heiligen Eusicius zurück; dieser Einsiedler war auf dem spanischen Zuge
des Königs im Jahre 531 von diesem über den Ausgang befragt worden
und hatte Glück verheißen. Als ihm der Erfolg Recht gab, wurde seine
bescheidene Zelle in der That vom König in eine Basilika verwandelt,
mit der Bestimmung, einst auch den Heiligenleib zu beherbergen; die
Cleriker von Sankt Eusicius trieben Bienenzucht[218-o]. Von einem
andern Eremiten der Diöcese Bourges, Marianus[218-p], erzählt Gregor,
er habe nur von wilden Früchten gelebt, es sei denn, daß ihm gutherzige
Leute Honig brachten oder er selbst welchen in den Wäldern fand. Eines
Tages wurde er vermißt; man fand ihn tot unter einem Apfelbaum, brachte
ihn in das Dorf Evaux und bestattete ihn dort in der Kirche, wo auch
jährlich sein Fest begangen wird.

In Clermont-Ferrand, dem alten Arvernum war Gregor besonders gut über
Kirchen und Kapellen von Stadt und Umgegend unterrichtet, weil er dort
aufgewachsen war; in der Stadt sind es ein Dutzend Gotteshäuser und in
der Landschaft gegen zwanzig Kirchspiele; von diesen gehen folgende
auf genuinen Lokaldienst zurück: ein Alexandergrab[219-a], das sich
indessen nicht auf die Dauer als Kultstätte halten konnte, das Grab
eines Priesters Amabilis[219-b] von Riom, eine von Mutter und Schwester
des Sidonius Apollinaris gestiftete mehr prunkvolle als solide Kirche
des Antolianus[219-c], eines Lokalmärtyrers der ältesten Zeit; auch
dessen Kollegen Cassius und Viktorinus kamen nicht zu kurz[219-c];
ihre Kirche verwahrt überdies den Leib der heiligen Georgia, einer
Bürgerin von Arvern[219-d]. Der Stadtpatron Illidius oder Saint-Allyre
hatte seine Crypta nahe vor der Stadt, mußte aber sein Grab mit seinem
Archidiakonen Justus teilen[219-e], weshalb denn auch bei dieser
Doppelladung besonders viele Wunder geschahen. Der heilige Gallus
indessen, Gregors Onkel, hatte zwar ein wunderthätiges Grab, aber
die Kirche, wo er bestattet war, hieß nach wie vor nach dem heiligen
Lorenz[219-f]. Die an Saint Allyre anstoßende Veneranduskirche barg
nicht nur den Leichnam des 380 verstorbenen Stadtbischofs, nach dem sie
hieß, sie war überhaupt das Kollektivmausoleum von Arvern und enthielt
zahllose Grabmäler, von denen Gregor indessen nur das der Gulla des
Liminius und des Nepotian mit Namen nennt[219-g]. Endlich wurde ein
altes Volksheiligtum, das »Grab der beiden Liebenden«, kirchlicherseits
mit der Legende legitimiert, sie hätten sich obwohl verheiratet nie
berührt, deshalb hätten sich nach dem Tode die beiden Gräber wunderbar
vereinigt[219-h]. In der Provinz ist Sankt Julian von Brioude nicht
nur der berühmteste Wallfahrtsort der Landschaft, sondern es erhebt
sich neben Sankt Martin von Tours überhaupt zur Bedeutung eines, wenn
auch kleineren Landesheiligtums[219-i]. Eine Viertelstunde davon lag
Saint Ferreol de Brioude; das Heiligtum des Arverner Ferreolus[219-k].
Eine halbe Stunde südöstlich von Arvern lag das Grab des Abtes
Martius[219-l]; im nördlichsten Teile der Provinz hieß mit der Zeit das
Kloster Mirandense nach seinem früheren Abt dem heiligen Portianus,
Saint Pourcain, er hatte dem Stifte zur Zeit des »Sacco« der Auvergne
durch König Theuderich vorgestanden und damals diesen Fürsten in
seinem Feldlager aufgesucht; sein Grab war von den Gläubigen begangen
worden[219-m]. Nahe dabei in Trezelle lag das Grab des Lupizin; zu
Gregors Zeit stand es noch in Verehrung[219-n], ist aber seitdem
verschollen. In Thiers wurde das Grab eines einheimischen Märtyrers
namens Genesius aufgestöbert und von Bischof Avitus mit einer Basilika
ausgestattet[219-o]. Von den übrigen Diöcesen des Erzbistums Bourges
erfreute sich namentlich Le Gevaudan eines originalen Wallfahrtsortes
in der auf Bergeshöhe gelegenen Eremitage Saint Privat: dort war
dieser einheimische Bischof als er sich einsamen Bußübungen hingab,
von den Alamannen erschlagen worden[220-a]. Im Gebiet von Albi lag die
Gruft des Märtyrers Amarandus, in dessen Nähe überdies dann ein von
fern herbeigereister Verehrer des Heiligen, der afrikanische Bischof
Eugen, eines der Opfer in der Verfolgung des Hunerich ebenfalls
bestattet wurde und ein Stück Verehrung mit abbekam[220-b]. In Limoges
barg die Hauptkirche nicht nur die Ueberreste des Diöcesanapostels
Martial, sondern auch seiner beiden Begleiter, der Priester Alpinian
und Stratoclian[220-c]. Zu Limoges war ferner der Eremit Junian auch
in seinem Grabe noch sehr populär[220-d]. Im benachbarten Dorfe
Brives-la-Gaillarde wurde ein heiliger Martin, ein Schüler des von
Tours, verehrt[220-e]. Ebenso hieß das von Aredius gestiftete und
geleitete Kloster in der Folge Saint Yrieix, was ebenfalls kultische
Beziehungen zum Gründer voraussetzt[220-f]: in diesem Kloster befolgte
man nicht nur die Cassians-, sondern auch die Basiliusregel, und
Pelagia, die Mutter des Abtes, machte den Mönchen die Haushaltung,
dafür wurde sie dann auch als Heilige verehrt[220-g]. In Toulouse war
der Diözesanapostel Saturnin, Saint Sernin, Märtyrer und erster Bischof
der Stadt, Schutzpatron der Hauptkirche[220-h].

Die »Zweite Aquitanische« ist von allen Provinzen vielleicht die mit
Lokalheiligen am meisten bevölkerte. Zu Bordeaux hatte der ehemalige
Bischof Severin[220-i] seine Grabstätte vor der Stadt. In Blaye, am
Ufer der Garonne, lag das Grab des Bekenners Romanus[220-k]. Das Dorf
Bouillac enthielt ein rechtes Volksheiligtum, das Grab zweier Priester
von denen man nicht einmal den Namen wußte[220-l]. In Agens hatte der
Lokalmärtyrer Caprasius seine Basilika[220-m]. In Angoulême lag das
Kloster Saint Cybar, die Stätte der Wirksamkeit und später auch die
letzte Ruhestätte des Einsiedlers Eparchius[220-n]. Saintes beherbergte
nicht weniger als vier einheimische Heilige: den Lokalmärtyrer
Eutropius[220-o], die Stadtbischöfe Trojanus[220-p] und Bibianus[220-q]
und das Grabmal eines frommen Ehepaares, das in den weißen Taufkleidern
gestorben war[220-r]. In Sainter Gebiet befand sich das Grab des Abtes
Martin von Saintes ebenfalls eines Schülers des von Tours[220-s].
Poitiers war berühmt durch das Grab seines Bischofs Hilarius; das
unvergängliche Andenken des großen gallischen Kirchenvaters und
Lehrers des heiligen Martin sicherte dem Heiligtum seine Reputation,
vermochte es aber nicht als Wallfahrtsort auf die Höhe von Tours und
Brioude zu erheben. Vor der Hilariusbasilika befand sich das Grab
des Bischofs Theomastus der seinen Amtssitz Mouzon mit dem Asyl in
Poitiers vertauscht hatte[221-a]. In Rézé, einem Dorf der Poitou gegen
Nantes hin hatte ein Täufling des Hilarius, namens Lupianus seinen
Kultus: auch er war im Taufkleid gestorben [221-b]. Eine Tagreise
südlich von Vouillé lag das Kloster Saint Maixent[221-c] so geheißen
nach dem Einsiedler Maxentius, der im Gothenkriege Chlodowechs
eine Rolle spielte. In Périgueux wurde der Abt Cyprian[221-d] der
allgemeinen Verehrung teilhaftig. In Couserans war der erste Bischof
Valerius[221-e] seit alters verehrt und seit der Mitte des sechsten
Jahrhunderts im Besitz einer Basilika. Tarbes besaß drei berühmte
Lokalgräber Severus von Bigorre[221-f], Justin von Sexuanus und Similin
von Tarbes[221-g].

In der »Narbonensis« endlich ist nur Sankt Baudilus[221-h] von Nîmes zu
verzeichnen.

Ein resumierender Rückblick auf unsere Wanderung unter Gregors Führung
läßt uns unterscheiden zwischen eminent kirchlichen Lokalheiligen,
wie es namentlich Bischöfe und Cleriker, aber auch einzelne Aebte
waren, und zwischen Volksheiligen, zu denen die Märtyrer, Mönche und
die nachträglich recipierten heidnischen Heiligtümer zu rechnen sind.
Unter den Märtyrern stehen die drei Opfer aus dem Alamannenzug des
Herzogs Chrok vom Jahr 265 in der vordersten Reihe. Allerdings sind
Gregors Kenntnisse ungleichmäßig und oft nur ganz ungefähr; eine
systematische Aufnahme würde seine Ergebnisse vielfach ergänzt und wohl
auch gelegentlich berichtigt haben. In alledem macht sich eben die
Einseitigkeit und Befangenheit der Memorienschreibung gewissermaßen im
Grundsatz geltend. Dies zugegeben staunt man aber immer wieder über
Gregors Genauigkeit im Bereiche dessen, was ihm wirklich zugänglich
war, so vermerkt er ausdrücklich den Mangel einer kultischen Verehrung
bei Stremonius und bei Liminius von Arvern, obwohl doch bei jenem das
Grab nicht nur bekannt, sondern sogar mit Wundererscheinungen gewürdigt
und von diesem eine Lebensbeschreibung im Gebrauch der Gemeinde
war[221-i]. Um über die Unzulänglichkeit unserer kultischen Rundschau
nicht zu täuschen, sei erinnert, daß ja Gregor überhaupt nur die erste
Hälfte der Merowingerzeit erlebte; für die andere vermissen wir Angaben
vom Werte der seinigen. Wohl kann ja der Bestand von Heiligtümern
wie die Zelle Galls beim Bodensee oder der des Ursiz, Saint Ursanne,
im Jura für das siebente Jahrhundert mit Bestimmtheit angenommen
werden; aber die ausdrücklichen Nachrichten hierüber sind eben sehr
viel jünger. Von Grundheiligen endlich durfte anläßlich der lokalen
Kultstätten darum gesprochen werden, weil auch im alten Frankreich
wie anderswo stets, der Stamm der öffentlichen Religion im Oertlichen
wurzelt.




Elftes Kapitel.

Das Reichsheiligtum.


An all den Kirchen und Kapellen, über die wir soeben einen Blick
geworfen haben, spielte sich die Verehrung des Heiligen ungefähr in
denselben Formen ab. Im allgemeinen hat sich nur hie und da über
charakteristische Einzelheiten ein Wort mit eingeschlichen. Uns
ein Gesamtbild von dem kultischen Leben an einer merowingischen
Heiligenstätte zu verschaffen, ist nur an den zwei großen
Wallfahrtsorten möglich, Sankt Martin von Tours und Sankt Julian von
Brioude. Und auch hier entfällt das Uebergewicht durchaus auf das
Reichsheiligtum in Tours.

Beginnen wir mit dem Kraftzentrum, um das herum sich im Lauf der Jahre
sowohl die Martinsgebäude als die Martinsgebräuche angesetzt haben.
Die Ueberreste des Bischofs waren nur mit List und unter dem Schutze
der Nacht von Candes, dem Todesorte, nach Tours gebracht und so den
keineswegs unberechtigten Ansprüchen derer von Poitiers entwendet
worden. Die Wandlung, die sich für Martins Anhänger mit seinem
Hinschiede vollzog, findet ihren treffenden Ausdruck in dem Wort des
Sulpizius Severus[222-a]: »Ich habe den Trost meines Lebens verloren,
aber dafür einen Schutzpatron gefunden; denn nun ist er den Aposteln
und Propheten beigesellt und hat, um es mit Verlaub aller Heiligen zu
sagen, in der Schaar der Gerechten seinesgleichen nicht. Wenn er auch
eines natürlichen Todes verstarb, so ist er doch in allen Einzelheiten
seines Lebens ein Märtyrer gewesen. Laßt uns also, wo die eigene Kraft
versagt, unsern Lohn in der Fürbitte Martins finden. War das Begräbnis
wirklich ein Leichenbegängnis? War es nicht vielmehr ein Triumphzug?
Mögen jene mit den gefesselten Gefangenen vor dem Wagen immerhin die
Welt besiegt haben, der Leib Martins wurde von solchen geleitet,
die unter seiner Führung die Welt überwanden. Jenen klatschte der
Unverstand der Völker und eine bethörte Menge Beifall; Martin aber wird
mit Gottespsalmen gefeiert, und Himmelslieder werden ihm gesungen.«
Der heilige Leib wurde nicht in der Stadtkirche beigesetzt, wo doch
Martin selber die Ueberreste seiner Vorgänger Gatian und Litorius einst
untergebracht hatte; es kann recht wohl eine Verfügung des Toten im
Spiele gewesen sein, als man ihn mitten unter den anderen Leuten auf
dem Friedhof vor der Stadt begrub. Die Kapelle, die sein Nachfolger
Briccius über dem Grabe erbaute, versah ihren Dienst etwa ein halbes
Jahrhundert hindurch. Dann wurde sie von Bischof Perpetuus abgebrochen
und durch eine regelrechte große Basilika ersetzt. Einmal der Erde
übergeben, sind Martins Gebeine in ihrer Ruhe die ganze Merowinger Zeit
hindurch nicht gestört worden. Eine Translation in eine andere Kirche
hat damals nicht stattgefunden. Die Gebäude wechselten über derselben
Stelle. Nur während der Restaurationsarbeiten ließ Perpetuus den Sarg
in der Gevierung der neuen Kirche unterbringen[223-a]. Perpetuus
darf überhaupt als der Begründer des Martinskultus in Tours gelten,
insofern er die bisherige Lokalverehrung durch organisatorisches
Geschick zu einem einzigartigen und ausnehmend reichen heiligen Betrieb
hinaufsteigerte. Als am 4. Juli 473 die einbalsamierte Martinsmumie
in dem neuen Grabmonument untergebracht war, das der Bischof gemäß
seinen Intentionen hatte errichten lassen, wurde das Denkmal mit
einer prächtigen Marmorplatte zugedeckt, die Bischof Euphronius von
Autun zu diesem Zwecke brechen ließ und Perpetuus übersandte. Diesen
kostbaren Deckel schützte zu Gregors Zeit ein nicht weniger wertvoller
gestickter Teppich mit Fransen[223-b]. Im siebenten Jahrhundert
versah dann der heilige Eligius, damals noch berühmter Goldschmid, im
Auftrage König Dagoberts die Platte mit Goldverzierungen und edelm
Steinbesatz. Das Grab war von einem Baldachin überragt, der mit
Vorhängen versehen war[223-c]. Die Füße des heiligen Martin waren gen
Osten und zugleich gegen die Halle gekehrt; »zu des Heiligen Füßen«
bezeichnet somit das Atrium, das die Absis abschloß. Man gelangte in
diesen reservierten Raum hinten, am Ende der großen Säulenhalle. Er war
durch eine Anzahl Lampen erhellt, und um das Grabmal herum brannten
eine Menge Kerzen, deren Bedienung einem besonderen Tempelhüter
oblag. Als Nebenreliquie stand hier überdies der alte gleichfalls
steinerne Martinssarg ausgestellt, der durch das Perpetuusmonument
außer Dienst gesetzt war und von Saint Eloi dann ebenfalls passend
verziert wurde. Dieser ganze von Perpetuus einmal so eingerichtete
Raum erlitt keinerlei Veränderungen, bis in die Mitte des neunten
Jahrhunderts, wo der Martinsleichnam vor den einbrechenden Normannen
geflüchtet werden mußte. Heute sind von diesem alten Martinsgrabe nur
noch formlose Mauerreste übrig. Mannigfaltiger waren die Wechselfälle
der Martinsbasilika als ganzem Gebäude. Die erste Kapelle über dem Grab
war von Briccius nur eben errichtet worden, um das Heiligtum unter Dach
zu bringen. Immerhin hatte das Tabernakel sechs oder sieben Jahrzehnte
vorgehalten, und seine hübsche, hölzerne Schutzdecke wurde beim Bau
der Peter- und Paulskirche wieder verwendet[224-a]. Vor allem waren es
praktische Rücksichten, die Bischof Perpetuus zu dem Neubau bewogen.
Die kleine »Zelle« war, zumal an großen Festtagen, dem Zudrang der
Pilger längst nicht mehr gewachsen. Aber es gereicht dem Prälaten zum
Ruhme, daß er sich diese Amtspflicht zu einer persönlichen Ehrensache
werden ließ und selber im Besitz eines ausgedehnten Vermögens an Grund
und Boden, einen beträchtlichen Teil seines Reichtums mit den Baukosten
aufzehrte. Die Bevölkerung von Tours that das ihre, indem sie, zur
Beförderung der schweren Marmorsäulen an Ort und Stelle, freiwillige
Arbeitskräfte zur Verfügung stellte [224-b]. Ueber den Grund- und
Aufriß sind uns folgende Angaben erhalten: Länge hundertsechzig Fuß,
Breite sechzig Fuß und Höhe fünfundvierzig Fuß. Die Decke wurde von
hundertundzwanzig Säulen getragen. Der Altarraum hatte drei Thüren und
zweiunddreißig Fenster, das Schiff fünf Thüren und zwanzig Fenster.
Die Wände waren mit Marmor vertäfelt und mit Edelsteinen und Mosaiken
besetzt, sodaß der Arverner Dichter Bischof Sidonius Apollinaris[224-c]
von einem zweiten Tempel Salomos singen zu dürfen meinte. Die Arbeiten
dauerten sieben Jahre. Am 4. Juli 472, also noch ein Menschenalter
vor der fränkischen Eroberung, wurde das neue Heiligtum in Gegenwart
einer glänzenden Festversammlung eingeweiht. Diese Angaben Gregors
sind, soweit sie den Bau betreffen, durch die archäologischen
Nachgrabungen in der Weise erläutert worden, daß die Kirche in zwei
Teile zerfiel, das hundert Fuß lange Schiff und den sechzig Fuß
langen Altar oder Grabesraum mit der Absis. Ueber diesem erhob sich
das laternenförmige Gehäuse, das in einen Glockenturm auslief. Die
vielen Säulen des Schiffes verteilen sich wahrscheinlicher, wenn man
Doppelreihen annimmt[224-1]. Die Kirche hielt indessen nicht ewig, wie
der Panegyriker von Arvern es haben wollte, sondern wurde von mehreren
Feuersbrünsten heimgesucht, trotzdem ihre steinerne Konstruktion diesem
Schicksal eher zu trotzen schien, als die hölzernen Pfarrkirchen,
von denen in jenen barbarischen Zeitläuften fast alle einmal und
manche öfters einem Brande zum Opfer fielen. Herzog Williachar, der
Gegenschwächer König Chlothars, vor dem er das Asylrecht zu Sankt
Martin in Anspruch nahm, legte Feuer an das Heiligtum. Diese Brunst
vom Jahre 558 zerstörte die oberen Partien; das Jahr darauf ordnete
Chlothar gemeinsam mit Bischof Eufronius die Restauration an; die
Basilika erhielt nun ein Zinndach[224-d]. Ein zweiter Brand fiel kurz
vor Gregors Amtsführung, der dann die beschädigten Dekorationen
ausbessern und an den Wänden von einheimischen Künstlern Szenen aus
Martins Leben malen ließ[225-a]. Ueber eine neue Ausstattung durch
König Dagobert ist näheres nicht bekannt. Jedenfalls aber lockte nicht
zum wenigsten dieses Martinsheiligtum mit seinem funkelnden Metalldach,
seiner vergoldeten Turmspitze und seinen legendarischen Schätzen später
dann die Sarracenen ins Innere Frankreichs.

Nur beiläufig mag hier erwähnt werden, daß Sankt Martin von Tours
mehr als bloß Kirche ein eigentliches Stift war. Die ursprüngliche
Einrichtung des Kapitels war durchaus klösterlich. Die Mönche wohnten
in einem weiten Kreuzgang, der südlich an die Basilika anstieß und
bei den Umbauten nicht verlegt wurde. Die Regel von Marmoutiers wurde
im siebenten Jahrhundert durch die Benedikts ersetzt. Unter den
Privilegien, deren sich die Abtei früh erfreute, steht obenan das
Münzrecht. Es soll sogar auf eine Verfügung Chlodowechs zurückgehen.
Die Martinsmünzen der Merowingerzeit tragen ein bediademtes Mannshaupt.
Ob das Monopol auf den Fährendienst über die Loire bei Hochwasser
ebenfalls so alt ist, wissen wir nicht. Ueber die mancherlei Anstalten,
sei es zur Armenverpflegung, sei es zum Schutze Geächteter, sei es zur
Aufnahme hoher Gäste unter den Pilgern, des längern zu handeln, ist
nicht hier der Ort. Genug, Sankt Martin von Tours war die Zentralstätte
für alles, was unter der Herrschaft der Merowinger im alten Frankreich
an gutem und hohem Streben vorhanden war. Was Wunder, daß das Heiligtum
von den fränkischen Königen an entscheidenden Wendepunkten aufgesucht
wurde. Als Chlodowech von Kaiser Anastasius die Insignien eines
römischen Konsuls verliehen bekam, legte er sich Tunica, Chlamis und
Diadem in der Martinsbasilika um; dann stieg er zu Pferde und ritt
in feierlichem Zuge in die Stadt ein, wobei er Münzen unter das Volk
streute[225-b]. Chrotechilde zog sich für die dreißig Jahre, da sie
den Gatten überlebte, nach Tours als Pensionärin, des Martinsgrabes
zurück und wirkte dort mit ihrer Fürbitte für den Frieden unter ihren
Söhnen[225-c]. Diesen Respekt haben alle ihre Nachkommen fast ohne
Ausnahme empfunden. Die Königin Ultrogotha, die Gattin Childeberts
_I._, brachte ergriffen eine Nacht am Grabe zu bis zur Frühmesse,
und Ingoberga, die Witwe Chariberts, bedachte die Kirche in ihrem
Testamente[225-d]. Und als eine königliche Gesandtschaft aus Spanien
gebührend geehrt werden sollte, wurden ihre katholischen Mitglieder
Gäste zu Sankt Martin[225-e]. Auch war es Sitte, sich nach Sankt Martin
gleichsam für eine Art Kurgebrauch zu begeben. Mehrfach bemerken wir
solche Gäste aus den oberen Ständen, die zum Teil von fernher kommen,
um in Tours Heilung zu suchen: so Charegisel, erst Referendar, später
Domesticus König Chlothars[226-a], und Mummola, die Gattin des Tribunen
Animius[226-b]; besonders aber waren es geistliche Herren; Germanus
von Paris brachte seinen Diakon und späteren Nachfolger Ragnimod, der
dort von seiner Ruhr geheilt wurde[226-c]. Ein anderer Bischof gab
sogar einen seiner Hörigen in Pflege[226-d]. Aber auch Auswärtige
bürgerlichen Standes ermöglichten sich einen längeren Aufenthalt in
Tours: Gondetrude von Vermandois und ein Ehepaar aus dem Dorfe Trezel
in der Auvergne[226-e]. Der eigentliche Zudrang erfolgte jedoch an den
großen Martinsfesten; da kam der gemeine grobe Mann zu Fuß, zu Pferde,
oder falls er gelähmt war, auf dem Ochsenkarren[226-f]. Und als Leudulf
ein junger Höriger mit seinem lahmen Fuße, den er heilen lassen wollte,
vor Tours gehinkt kam und beim zehnten Meilenstein nicht mehr weiter
konnte, jammerte er den an ihm vorbeitreibenden Festbesuchern solange
zu, bis ihn einer unter ihnen auf seinen Wagen nahm[226-g].

Kein fränkisches Heiligtum hat Sankt Martin von Tours den Rang
abgelaufen, wenigstens im sechsten und siebenten Jahrhundert nicht.
Aber Sankt Julian von Brioude durfte sich immerhin sehen lassen.
Das ursprüngliche Juliansmausoleum daselbst war von einer fremden,
vielleicht spanischen Dame, deren Gemahl in Ketten lag, auf ihrer
Durchreise nach Trier gelobt und auf die Freilassung des Gatten hin,
die genau in der Stunde des Gelübdes erfolgt war, stilvoll gestiftet
worden[226-h]. Der große Zuspruch der Gläubigen machte jedoch später
die Erweiterung des kleinen Bethauses zu einer regelrechten Basilika
notwendig[226-i]. Die Gründungssage erzählt, Julian, aus Vienne
gebürtig und Jünger des heiligen Ferreolus, habe sich ins Arvernische
begeben, um von seiner Familie nicht am Martyrium gehindert zu
werden, das er dann auch in dem Götzenhaine zu Brioude erlitt; er
wurde enthauptet, der Rumpf blieb zu Brioude, der Kopf kam nach
Vienne und die selige Seele in den Himmel[226-k]. Obwohl es sich um
einen alten Kultus handelte, war man über den Todestag des Heiligen
noch im fünften Jahrhundert im Ungewissen, bis Bischof Germanus von
Auxerre eigens zu diesem Zwecke nach Brioude kam und durch eine
gottesdienstliche Veranstaltung die feierliche Eingebung des 28. August
herbeiführte[226-l]. Der Augenblick, da am Festtage bei der Verlesung
des ›Leidens‹ der Name des Heiligen dem Lektor über die Lippen kam,
galt für ein wunderbares Geschehnis besonders geeignet[226-m].

Erst im eigentlichen Mittelalter verlor Sankt Martin von Tours seinen
Charakter als Reichsheiligtum einigermaßen an die Abtei Saint Denis,
deren Gründung hier zu erzählen ist[227-1]. Längst war im Dorfe
Catulliacus an der alten Römerstraße ein kegel- oder pyramidenförmiges
Denkmal verehrt worden, das Grab des Dionys, des ersten Bischofs von
Paris. Später erhob sich eine Basilika darüber, deren Altar eben in
dem Grabmal bestand. In dieser Dionysiuskirche war Prinz Dagobert, der
Sohn König Chilperichs, bestattet. Spätestens in den ersten Monaten
des Jahres 625, als Chlothar _II._ noch regierte, gründete sein Sohn,
Dagobert, König von Austrasien, zu Ehren des heiligen Dionysius östlich
von dessen Grabeskirche die Abtei Saint-Denis-de-l’Etree und ließ am
Dienstag, den 22. April 626 die Gebeine von ihrer ersten Ruhestätte in
die neue Stiftung überführen. Die Abtei nahm einen raschen Aufschwung.
Schon zahlreiche merowingische Urkunden beschäftigen sich mit ihr, und
in der Folge ist sie die Gruft fast aller französischen Könige geworden.




Zwölftes Kapitel.

Missionen und Translationen.


Den Grundheiligen trat eine Anzahl importierter Heiliger an die Seite,
von denen die einen überhaupt aus dem Ausland stammten, die anderen
von ihrer ursprünglichen Kultstätte aus in die Nachbarschaft oder in
die weitere Heimat gelangten. Zwei Arten der Ausbreitung sind hiebei
festzustellen, der Weg der Missionspredigt und der solidere der
Reliquienübertragung. In noch heidnischen Gebieten gingen sie Hand
in Hand, indem die Mission das Terrain für den Heiligen gewann und
die Reliquie es ein für alle mal mit Beschlag belegte. In kirchlichen
Gegenden dagegen, zumal in Bischofsstädten, wo es sich also um
Eroberung neuen Gebietes nicht handeln konnte, ersetzte das Streben
nach Kraftzuwachs den nun hinfällig gewordenen Drang nach Ausdehnung.
Je mehr Heilige eine Stadt besaß, desto stärker war sie. Im übrigen
trugen frommer Sammeleifer von privater Seite und ein mehr oder
weniger naiver Handel mit heiligen Versatzstücken zur Abrundung des
merowingischen »Allerheiligen« bei.


1.

Wieder kann die Verbreitung des Heiligennamens am besten bei Martin
beobachtet werden. Tours und Umgebung besaßen zunächst vier namhafte
Martinsheiligtümer; im Gegensatz zu der großen Grabeskirche, der
Sepulkralstätte, drei Memorialorte, wo der Heilige sich bei Lebzeiten
aufgehalten und dadurch den Platz für den späteren Kultus präpariert
hatte, die Martinszelle bei der Stadtkirche innerhalb des Mauerrings
von Tours[228-a] von der Sulpizius Severus in der That gesprochen
hat, sodann sein Kloster Marmoutiers[228-b] und endlich die Zelle in
Candes, wo er starb und mit der Zeit eine Martinsbasilika erstand.
Wenn man auch, an diesem dritten Orte, den Leichnam nicht hatte
behalten dürfen, so besaß man dort doch außer einer Kristallschale sein
Sterbebett, das, einmal von dem Leichnam imprägniert, dann dieselben
Qualitäten aufwies, wie das Grab[228-c]. Von kleineren Memorialorten
nennt Gregor als Dörfer, wo Martin Kirchen gegründet habe, Langeais,
Sonnais, Amboise, Chisseau, Saint Martin de Tournon und Candes[228-d];
ferner wurde das Gatiansgrab durch die Erinnerung, daß Martin einst
dort gebetet hatte, größerer Verehrung teilhaftig, ebenso das Grab
der Klausnerin Vitalina[228-e]. Die folgende Uebersicht[228-1] über
die alten Martinskirchen geht, sofern sie sich nicht gelegentlich
auf Gregor oder eine Inschrift stützen kann, auf späte sagenhafte
Berichte zurück und sei darum hier ausdrücklich dafür ausgegeben,
jedoch auch nicht gänzlich unterlassen, weil sie vielleicht im
Detail, aber kaum in der Hauptsache irreleiten wird. In Glanfeuil
wurde im Jahre 543 durch Sankt Maurus die erste Martinskirche der
Diöcese Angers errichtet, desgleichen Ende des sechsten Jahrhunderts
durch Bischof Badegisel zu Pontlieue[228-f] die hervorragendste der
Diöcese Le Mans; im Jahre 616 vermacht Bischof Bertrand von Le Mans
in seinem Testament diesem Martinsheiligtum wie auch der Viktorius-
oder Peterskirche je fünf Goldstücke[228-2]. Die von Vendôme ersetzte
ein älteres aus dem vierten Jahrhundert stammendes Gotteshaus. Die
von Chartres hieß auch nach Briccius. Die von Orléans galt als
Stiftung König Chlodewechs an Euspizius und Maximin. In Autun hatte
Königin Brunichilde ihrem Patron im Jahre 599 eine mit Marmorsäulen,
Edelholz und Mosaiken ausgestattete Kirche gestiftet, für die sie
die Glückwünsche und Privilegien Papst Gregors des Großen empfing.
In der Franche Comté war die Martinsmission namentlich von Columban
betrieben worden. Nicht nur seine eigenen Klöster Luxeuil und
Annagray, sondern auch Schülerkolonien wie das Deicolusklösterchen
Lure in Burgund unterstanden Martin; älter war die Martinskirche zu
Cavaillon, die aus dem sechsten Jahrhundert stammt[228-g]. Ebenso
gehörten Martin die drei Hauptabteien der Diöcese Lyon Ainay, L’Isle
de Barbe, Savigny und ihre Ableger. Im Wallis, bei Saint Maurice,
auf der Stelle des alten Oktodurum, hat Theuderich _II._ das von ihm
gestiftete Nonnenkloster nach Martin geheißen und dadurch den späteren
Ortsnamen Martigny veranlaßt. Zu Limoges hatte der Martinsschwärmer
Aridius eine eigentliche Martinskirche nicht eingerichtet[229-a]; das
Kloster dieses Namens will vielmehr erst von Alicius, dem Bruder des
Eligius an Stelle des elterlichen Hauses gegründet worden sein[229-1].
Poitou konnte sich rühmen, in Ligugé das erste von Martin in Gallien
errichtete Kloster zu besitzen. Zu Saintes gründete im Jahre 589
Bischof Palladius eine Martinsbasilika[229-b]. Bourges besaß zu Gregors
Zeit ein oder zwei Martinsbethäuser[229-c]. Die Gironde wurde früh mit
Martinskirchen bereichert, jedoch geschah das nicht ohne in Marsas und
anderen Ortschaften eine ältere Petersmission zu kreuzen[229-d]. In
Bordeaux stiftete Bischof Leontius, der Gegner König Chariberts, das
Martinsheiligtum und zwar im Judenviertel; auch Gregor erzählt[229-e],
ein Priester sei von einem Juden auf der Schwelle dieser Kirche noch
vom Besuch des Heiligen abspenstig gemacht worden. In Aquitanien führt
sich die Martinskirche von Auch auf eine Stiftung Chlodowechs im
Gothenkriege zurück. In Arles gehörte Martin das eine Seitenschiff der
von Cäsarius gegründeten Kirche, aber außerdem noch eine Zelle und ein
Kloster.

In der nördlichen Reichshälfte ist Martins Verehrung nicht geringer.
Zu Paris war zwar die alte Martinskapelle, errichtet an dem Orte, wo
er den Aussätzigen geheilt hatte, früh in Verfall geraten, weil sie zu
primitiv fast nur aus Flechtwerk bestand und wohl einmal auf wunderbare
Weise einem Stadtbrand, aber nicht der langsamen Unbill der Zeit stand
zu halten vermochte. Von Dauer blieb dagegen die spätere Basilika
Saint Martin des Champs[229-f]. Alt und durch Beziehungen des Turoner
Bischofs zu seinem Kollegen Viktrizius vielleicht historisch erklärt
ist der Kult Martins in der Diöcese Rouen. Seine dortige Kirche war aus
Holz und lag außerhalb der Stadtmauer; in der Landschaft sind noch die
Ortschaften Martin-Eglise, Saint Martin-Le-Gaillard, Saint Martin de
Foucarmont und Martigny Zeugen für die frühe Verehrung. Saint Martin
de Seez will im Jahre 560 gegründet sein. Zu Amiens war die Kapelle
zu Erinnerung an die Episode von dem halbierten Mantel im sechsten
Jahrhundert von Nonnen bedient[229-g]. In Laon und Reims lagen die
Martinskapellen vor der Stadt. Eine Memorialkapelle besaß Tonnere bei
Langres. Martin soll dort einem alten Priester den lahmen Fuß geheilt
haben, ohne erkannt zu sein[230-a]. Zu Verdun war die Andreaskirche
mit Martin kombiniert worden, weil Bischof Agirich in der zweiten
Hälfte des sechsten Jahrhunderts seinen Leuten die Wallfahrt nach Tours
abnehmen wollte. In den Ardennen stammt Saint Martin d’Ivoy, von den
Reliquien, die der Einsiedler Wulfilach aus Tours brachte[230-b]. Im
Elsaß besitzt Colmar die bedeutendste alte Martinskultstätte.


2.

Das alles betrifft den Vertrieb des Andenkens an den Nationalheiligen
im Reiche selbst. Aber die Rolle, die er bei der Ausbreitung seines
Namens über die Grenzen hinaus übernahm, ist fast noch mehr dazu
angethan, ihn als fränkischen Reichsapostel ins Licht zu setzen. Von
ausländischen Martinskirchen im Süden nennt Gregor eine nicht näher
bezeichnete italienische und eine zweite in Ravenna[230-c], auf
der iberischen Halbinsel das Martinskloster zwischen Saguntum und
Carthagena in Spanien[230-d] und die Martinskirche in Portugal[230-e].
In Belgien sind Liege und Tournai die Centren des ausgedehnten
Martinskultus; doch ist hier zu erinnern, daß ein gleichnamiger
Lokalkultus, der sich auf den älteren und ganz sagenhaften Bischof
Martin von Tongern bezog, in den universalen des Reichsmartin
aufgegangen und also in ihm enthalten sein mag. Die ebenfalls nicht
geringe Verbreitung des Namens in Holland ist auf die angelsächsische
Mission zurückzuführen, die ihn entweder vom Reiche entlehnte oder, was
nicht ausgeschlossen ist, von den Inseln herüberbrachte; wahrscheinlich
war Martin eben schon im siebenten Jahrhundert drüben verehrt; seine
ansehnlichste Kirche, Saint-Martin-Le-Grand in London, wird auf König
Witfred von Kent ums Jahr 700 zurückgeführt. Ist dies und diese ganze
Martinsausbreitung auf der nördlichen Reichsgrenze nun aber nur
spärlich aufgehellt und muß auch von vornherein zugegeben werden, daß
wir im einzelnen für die östlichen Gebiete nicht besser unterrichtet
sind, so tritt doch bei der Martinsmission am Oberrhein und unter den
Alemannen, Schwaben und Thüringen ein neues merkwürdiges Moment in
den Kreis unserer Kenntnis ein. Sie war nämlich Reichsmission[230-1].
Der im Jahre 580 verstorbene, aus Ungarn stammende Erzbischof Martin
von Bracara in Portugal rühmt dem Heiligen von Tours in einem
Gedichte nach: »Mancherlei wilde Völker gewinnst du unter Christi
milden Bund. Alamannen, Sachsen, Thüringer, Ungarn, Rugier, Slaven,
Naren, Sarmaten, Daten, Ostgoten, Franken, Burgunder, Dacier und
Alanen freuen sich unter deiner Führung Gott erkannt zu haben. Deine
Wunderzeichen bewundernd, hat der Sueve gelernt, auf welchem Wege er
wandeln soll«. Mag nun bei den meisten der aufgezählten Völkerschaften
die Martinsmission nur in der Einbildung des begeisterten Jüngers
stattgefunden haben, kann auch ferner nicht ohne einiges Recht
vermutet werden, das katholische Christentum habe in Thüringen bereits
viel früher Fuß gefaßt[231-1], so trifft obige Mitteilung auf die
Alamannen um so mehr zu, als auch aus einer byzantinischen Quelle
ähnliches verlautet. Als sich unter der Regierung König Theudeberts
das Bistum Augsburg von dem Metropolitanverband mit Aquileja loslöste
und an die fränkische Kirche anschloß, muß die Kirche in Alamannien
wenigstens in den Grundlagen von Regierungs wegen organisiert gewesen
sein; damit hängen auch die wahrscheinlich ebenfalls im sechsten
Jahrhundert erfolgten Bistumsverschiebungen von Windisch nach Konstanz
und von Augst nach Basel zusammen. In Windisch nun weihte noch
Bischof Ursinus die von ihm erbaute Kirche dem heiligen Martin; die
betreffende Inschrift ist erhalten. Weitere Spuren leiten aber auf
die Annahme, diese Martinsmission sei nicht bischöflichen, sondern
direkt königlichen Ursprungs gewesen. Kolumbans Missionsreise zeigt im
allgemeinen, daß die Missionierung Alamanniens von einem fränkischen
König angeregt wurde, und spätere Erinnerung nennt König Dagobert
als den eifrigsten und erfolgreichsten Förderer dieser Bekehrung auf
amtlichem Wege, als der er für die Friesen durch zeitgenössische
Berichte beglaubigt ist. Sachliche Schlüsse gestatten noch tiefere
Folgerungen. Das den Alamannen abgenommene, von Franken besiedelte
Land wurde als Krongut betrachtet. Die Ansiedler hatten dem Könige
die Osterstufe zu entrichten. In Ostfranken hießen die amtlichen
Sammelstellen Königshöfe, ein noch heute häufiger Ortsname. Aber diese
Plätze wurden nicht nur befestigt, sie erhielten auch Kirchen. Diese
waren nun, wie sich noch für eine große Anzahl Dörfer nachweisen
läßt, Martinskirchen. In Alamannien geschah dasselbe. Der Dienst des
heiligen Martin kam mächtig empor, zumal allem nach die Kirche nicht
nur im Krongut, sondern auch auf den alten römischen Niederlassungen,
ja überhaupt so ziemlich jede Unterpfarrei nach Martin zu heißen kam.
Vielleicht sind überhaupt die Martinskirchen der meisten Rheinstädte
von Chur bis gegen Aachen, und nicht die betreffenden Kathedralen
daselbst, die Centren des ältesten Stadtbildes gewesen, wie das zum
Beispiel für Basel außer Zweifel steht[232-1].


3.

Werfen wir nun noch einen Blick auf andere Missionen, zunächst im
Reiche selbst. Von einheimischen Heiligen kommt, um auch hier bei
der Autorität Gregors zu bleiben, Julian von Brioude im Hinblick auf
kultische Ausbreitung Martin am nächsten. Seine ältesten Filialen
finden sich zu Tours[232-a], Saintes[232-b], Limoges[232-c],
Reims[232-d] und Paris[232-e]; auch Saint Julien Vibracensis[232-f]
und zu Pernay[232-g], sowie Saint Julien in Correze und Saint Julien
de l’Escay fußen auf frühen Spuren. Andere bekanntere Ableger von
Grundheiligen sind Saturnin in Tours[232-h] und in der Vaucluse,
Symphorian in Bourges[232-i] und in Thiers[232-k]. Die nach Germanus
geheißenen Kirchen zu Lembron und zu Tours[232-l] gehören, erstere
sicher, die zweite wahrscheinlich, dem älteren, dem von Auxerre.
Eine kleine Ortschaft wie Thiers besaß, neben der Symphorianskirche,
noch eine dem Genesius von Arles gewidmete. Merkwürdiger zu wissen
wäre jedoch, was für Grundheilige gleich Martin zu Heidenmissionen
verwendet wurden; sein ehemaliger »böser Geist« Briccius tritt später
einträchtig mit ihm als Kapellenpatron am Rhein und in Ostfranken auf.
Und von Poitiers scheint geradezu unter dem Namen des Hilarius eine
natürlich bescheidenere Parallelmission nach Alamannien gewandert
zu sein. Diese Annahme entspringt vor allem dem Bestreben, Sankt
Fridolin gerecht zu werden. Die historisch unbrauchbare Fridolinsvita
des sogenannten Balther ist vielleicht die Zusammenschweißung zweier
Heiligensagen[232-2]. Die eine, die Gründungssage des Stiftes
Säckingen, das sich auf einen aus dem lothringischen Schottenkloster
Helera oder Sankt Avold stammenden Mönch unsicheren Namens, Fridold
oder Fridoald, zurückführte; er war erst im Birsthale thätig gewesen,
hatte dann aber nach Ankunft des Germanus sich einen Wirkungskreis
am Rhein gesucht. Säckingen besaß aber eine Heiligenkreuzkirche.
Das deutet nach Poitiers, dem Herd der eigentlichen Fridolinssage.
Fridolin hieß ein Hauptförderer des Hilariuskultus daselbst. Doch
thut seine Sage vielleicht des guten zu viel, wenn sie ihn zum
Zeitgenossen König Chlodowechs stempelt. Aber darin mag sie recht
haben, daß dieser Fridolin nicht nur sich um Bau und Umbau der
Hilariusstätten zu Poitiers verdient machte, sondern auch eben die
Hilariusmission mit seinem Beispiel anregte. Er griff zum Wanderstab,
hängte sich die Reliquienkapsel um und wirkte für den Namen seines
Patrons von Lothringen bis nach Rätien; wenigstens läßt die Vita
eine Hilariuskirche in Lothringen, eine zweite in den Vogesen, eine
dritte in Straßburg, und schließlich gar noch eine in Chur von ihm
gegründet werden. So wären denn Hilarius und Martin, wie sie in der
That die christlichen Grundheiligen des alten Frankreich in des Wortes
tiefstem Sinne gewesen sind, auch nach ihrem Erdenleben auf gemeinsamer
Wanderschaft zu Missionszwecken ins Gebiet des Elsaßes und der Schweiz
gelangt. Dort hat sich ihnen mit der Zeit noch Remigius angeschlossen,
gewiß ebenfalls ein hervorragender fränkischer Grundheiliger.
Doch handelt es sich für seine Mission um spätere Spuren. Diese
organisierten Missionen zur Bekehrung der Germanenstämme im Osten
gingen aus dem Herzen des Frankenreichs hervor; Tours, Reims, Soissons,
Paris erscheinen als die Herde; denn außer den genannten finden wir
auch sonst eine Reihe von Grundheiligen speziell aus Neustrien, zwar
nicht mit ganzen Missionen, aber mit einzelnen Kirchen im eroberten
Lande vertreten; Antolian von Clermont in Plattenhardt, Medardus von
Soissons in Ostdorf, Lupus von Troyes in Wilflingen. Der Eifer zur
Ausbreitung des Christentums äußerte sich in Alamannien geradezu
fieberhaft, zumal gewiß alsbald private oder lokale Unternehmung mit
der staatlichen Initiative wetteiferte. Wenn sich zum Beispiel in der
Altstadt Rottweil eine Kirche des Pelagius, des Grundheiligen der
Diöcese Windisch-Constanz findet, so deutet das auf eine ähnliche
Lokalmission, wie etwa im Reiche selbst, in der Diöcese Châlons,
vom Lupentiusgrabe aus der Marne entlang nicht weniger als zwölf
Louventkirchen erstanden.


4.

In den kultischen Tauschverkehr einheimischer Namen mischte sich
indessen die Reliquieneinfuhr aus dem Orient, aus Italien und aus
Spanien. Wo es sich nicht um Namen handelt, die im Neuen Testament
stehen, sind durchweg Märtyrer gemeint. Aus dem orientalischen
Heiligenkonvent der diokletianischen Verfolgung haben sich vier in
der fränkischen Kirche schon im sechsten Jahrhundert angesiedelt,
Georg mit einigen Gotteshäusern in der Auvergne, bei Limoges und
bei Le Mans[233-a], Moritz außer in Agaunum mit der Stadtkirche
in Tours[233-b], wo er, immerhin durch Agaunensische Reliquien,
geradezu Titelpatron war, dann noch Cyricus, Saint Cirgue, mit einer
Kirche in Arvern und Sergius mit einer nicht näher bezeichneten
Kirche[233-c]. Die Cyricusreliquien hatte entweder der Abt Abraham aus
dem Morgenlande gebracht oder, falls das Kloster schon vorher bestand
und bereits in diesem Besitze war, haben offenbar die entsprechenden
Verbindungen Abraham gerade nach Clermont geführt[234-a]. Italien
lieferte zunächst seinen erlauchtesten Märtyrer, den heiligen
Laurentius. Die ihm gewidmete Kirche in Paris wurde schon zur Zeit
Childeberts von Mönchen unter dem Vorsteher Domnolus bedient und
lag an einem Arm der Seine[234-b]; die Lorenzkirche zu Clermont
beherbergte den Leib des Bischofs Gallus; sie lag südlich der
Stadt[234-c]. Die übrigen italienischen Märtyrer, die so früh
in Frankreich Verehrung fanden, stammen aus Oberitalien, dessen
Metropole Mailand auch sein Heiligenpaar Gervasius und Protasius
zur Verfügung stellte und im alten Tours an ausgezeichneter Stelle
innerhalb des Mauerrings verehrt sehen durfte; Martin selbst hatte
diese Reliquien seiner Zeit mitgebracht[234-d]. Der andere Mailänder
Nero-Märtyrer, der Knabe Nazarius, besaß bei Nantes an der Loire Kirche
und Kloster[234-e], während die Nazariusreliquien zu Embrun von den
Einwohnern als autochton in Anspruch genommen wurden. Aus Spanien kam
der Diokletiansmärtyrer Felix von Girone und wurde zu Narbonne schon
im fünften[234-f] Jahrhundert verehrt; doch tritt er hinter seinem
Landsmann, dem berühmteren Diokletiansmärtyrer Vincenz von Saragossa
zurück[234-g]. Dieser war der Primarpatron von Saint Germain des Prés
in Paris, wo der Stifter, König Childebert _I_, Bischof Germanus
von Paris und ein Prinz begraben liegen[234-h]. Er besaß überdies
zu Tours eine in der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts ihm
erbaute Kirche[234-i] und eine bei Agen, wo man bereits sich fragte,
ob er am Ende nicht hier, auf gallischem Boden, das Martyrium erlitten
habe[234-k]. Auch sonst fehlen Anzeichen nicht, daß sich Vincenz
vollständig im Frankenreich eingebürgert und auch die letzte Spur des
Ausländers verloren habe: nimmt er doch, gleich einem Grundheiligen, an
der Germanenmission im Osten teil, wie seine Kirchen in Schwenningen,
Fronhofen und Grunbach beweisen.


5.

Unter den im Frankenreich importierten Heiligennamen sind die
Urheiligen nicht nur zahlreich vertreten, sie sind auch wichtig wegen
mancher Eigentümlichkeit, die es noch kurz zu erwähnen gilt. Johannes
der Täufer ist schon im sechsten Jahrhundert in der fränkischen Kirche
populär. Er nahm insofern eine eigenartige Stellung ein, als seine
Heiligtümer, vielleicht um den Vorläufer auch symbolisch anzudeuten,
fast ausnahmslos nicht selbständige Bauten, sondern kleinere
Dependenzgebäude der Kathedralen oder anderer Hauptkirchen sind,
von denen sie allerdings manchmal eine gewisse Entfernung trennte.
Baptisterium, ihre geläufige Bezeichnung, heißt gewiß nicht nur
Taufkapelle, sondern gewiß ebenso wohl Täuferkapelle und wenn dort auch
in der That vorzugsweise die Taufen stattfanden, so steht das mit dem
Schutzpatron wohl am ehesten in dem Zusammenhang, daß man unter der
Obhut dessen, der den Heiland getauft habe, auch die weiteren Taufen
vornehmen wollte.

Am lehrreichsten stellen sich die den Täufer betreffenden Heiligtümer
im alten Tours dar[235-a]. Dort stand vor alters in der Stadtkirche das
Baptisterium. Obschon es nun durch den Brand 561 nicht zerstört wurde,
erbaute man daneben ein neues mit Johannes- und Sergiusreliquien.
Dann aber besaß auch die vor den Mauern gelegene Martinskirche eine
Johanneskapelle vor ihrem Eingang, wie jene ja auch sonst, ohne
Kathedrale zu sein, den Rang eines Münsters einnahm. In Dijon stieß
die Täuferkapelle an die bischöfliche Wohnung an und hieß bald so,
bald Johanneskirche[235-b]. Doch konnten unabhängig vom Taufgebrauche
Johanneskirchen, dann also nicht Baptisterien, auf dem üblichen
Wege, nämlich durch die betreffenden Reliquien entstehen, so die
zu Bazas[235-c], während umgekehrt diese Reliquien nicht zwingend
den Namen im Gefolge hatten; in Maurienne ließ König Gunthram für
Johannesreliquien ein Gotteshaus bauen mit dem Zwecke, sie dort zu
bergen, zugleich aber verfügte er, diese Kirche nicht nach Johannes,
sondern nach dem heiligen Ysychius zu heißen[235-d].

In Tours stand überdies eine vierte Kirche in Beziehung auf den Täufer,
indem sie gemeinsam ihm und der Maria gewidmet war, ebenfalls vor den
Thoren, in unmittelbarer Nähe von Sankt Martin[235-e]. Daneben besaß
Tours innerhalb der Mauern eine nur der Maria gewidmete Kirche[235-f],
die ihrerseits wieder von der Stadtkirche zu unterscheiden ist, so daß
in dieser ältesten Zeit in Frankreich Notre Dame und Kathedrale noch
nicht ohne weiteres zusammenfallen. Drei alte Marienkirchen finden wir
in Lyon, Poitiers und Toulouse[235-g]. Von der ersten ist jede Spur
verschwunden; die zweite, Pfarr- und Begräbniskirche des Frauenklosters
vom heiligen Kreuz, hieß später nach ihrer Erbauerin Radegunde, und die
dritte, an der alten Stadtgrenze unweit der Garonne, jetzt Notre Dame
de la Dourade, hieß so nach einem vergoldeten Muttergottesmosaik, das
dort verehrt wurde. Keine echte Urkunde eines merowingischen Königs
nennt eine Nur-Marienkirche. Erst um die Mitte des achten Jahrhunderts
werden sie häufiger, indessen Maria bei mehrnamigen Kirchen schon früh
an erster Stelle figuriert.

Noch seltener finden sich Heiligtümer, die ausdrücklich Christus
geweiht sind. Erst am Ende der Merowinger Zeit tauchen die ersten
Erlöserkirchen auf: Sankt Salvator in der Provence, in der Diöcese
Bourges und in Tegernsee[236-a]. Früher, aber nur vereinzelt, finden
sich Kirchen, die nach dem vornehmsten Christusattribut, dem heiligen
Kreuz heißen, die erste und berühmteste bleibt die von Poitiers. Die
Radegunde des siebenten Jahrhunderts, Königin Balthilde, baute in
Chelles eine gleiche, und überdies enthielt die dortige Georgsbasilika
in der Seitennische rechter Hand einen Heiligen-Kreuz-Altar[236-b].
Auch in Metz stand um 600 eine Kirche dieses Namens[236-c], und selbst
die von Säckingen könnte schon aus dieser früheren Zeit stammen[236-d].

Von den zwölf Aposteln steht natürlich auch hier obenan Petrus. In
Paris gründeten Chlodowech und seine Gemahlin die Peterskirche,
in der sie dann auch nebst ihrer Tochter Chlotilde und den beiden
ermordeten Enkeln begraben lagen. Diese Kirche hieß genauer
»Heiligenapostelkirche«, war also Peter und Paul gewidmet[236-e]. Sie
enthielt das Stadtheiligtum, das Genovefagrab. Auch die Peterskirchen
von Rouen und Tours nahmen später die einstige Protektion der
Königin Chrotechilde in Anspruch[236-f]. Doch war die Peter- und
Paulskirche oder auch nur Peterskirche in Tours älter, da sie der
Martinsrestaurator Perpetuus errichtet hat[236-g]. Die Johanneskirche
in Lyon, die eine Krypta mit mehreren Gräbern besaß, also kaum eine
Taufkapelle gewesen sein wird, könnte dem Evangelisten gewidmet
sein[236-h], angesichts der Beziehungen der Stadt zum Johannesschüler
Polykarp, dessen Tag übrigens in der fränkischen Kirche gefeiert
wurde[236-i], keine unwahrscheinliche Annahme; nachweisbar sind Kirchen
für Johannes den Evangelisten sonst frühstens vom siebenten Jahrhundert
an. Arvern besaß eine Andreaskirche; sie wurde im Pestjahre 563
gestiftet[236-k]. Die größte Verehrung von allen Urheiligen genoß aber
damals keiner von den genannten, sondern dem Interesse am Martyrium
entsprechend der Erzmärtyrer Stephan. Die älteste Stephanskirche war
wohl die von Tours, die schon Ende des sechsten Jahrhunderts als von
den Altvordern errichtet galt[236-l]; sie lag nur wenige Schritte vor
der Stadtmauer. Die andere große Stephanskirche, die in Arvern, war ums
Jahr 460, von der Witwe eines Bischofs errichtet worden und beherbergte
später den Quintiansleib[236-m].

Gleich den Grundheiligen haben auch die Urheiligen ihren Anteil an der
staatlichen Mission im heidnischen Osten. In ihrem Gefolge erscheinen
hier überdies der Erzengel Michael[237-a] und der Apostelschüler
Clemens[237-b]. Beide werden zwar schon bei Gregor als Heilige
angerufen und Michael mit Martin in Verbindung gebracht; von ihren
Kirchen dagegen verlautet bei ihm noch nichts. Die Michaelskirchen
sind meistens Adjudanten der Martinskirchen: offenbar handelte es sich
darum, nicht nur den Donar, sondern auch Tiuz durch einen Gottesritter
zu ersetzen, und so rief man den Michael herbei, da ja Georg im
Frankenreich bleibend nicht Fuß gefaßt hat. Mit den Martins- und
Michaelskirchen erscheinen die Stephanskirchen fast in regelmäßiger
Verbindung, wobei dann auch noch mit den Baptisterien der Täufer zu
seinem Rechte gelangte. Begleitet war Stephan des öfteren eben von
Clemens, der jedoch nicht direkt aus Rom, sondern aus Nordfrankreich
zugewandert kam.

Damit sei die dürftige Skizze über die merowingischen Kirchen im
Grundriß ihrer Ausbreitung abgeschlossen. Zur vollständigen Lösung der
Aufgabe müßten nicht nur alle Quellen, Urkunden und Briefe inbegriffen,
sondern vor allem auch archäologische Hilfsmittel in ausgedehnterem
Maße zugezogen werden.




Fünfter Abschnitt.

Die Kraft.


Nur meine man nicht, diese fränkischen Heiligengräber als Sammelpunkte
besserer und höherer Triebe im Volk seien eine vereinzelte Erscheinung;
ist doch das Zentrum der griechisch-römischen Kultur, die antike Stadt,
aus dem Gräberkultus überhaupt hervorgegangen[237-1]. Dabei ist klar,
daß einer Verehrung, die Ursache solcher Wirkungen wurde, nicht der
bloße leere Name zu Grunde lag. Bemühen wir uns nun um die Erkenntnis
jener Kraft, die nach heutiger Schätzung zwar imaginär, aber für
die Empfindung der damaligen Welt mit aller nur denkbaren Realität
wirkte, so bekommen wir unseren Gegenstand bei seinem eigentlichen
Wesen zu fassen. Gerade was uns am meisten fremd bleibt an der Kirche
des alten Frankenreiches, macht ihre Seele aus, die Abwesenheit von
jeder, aber auch von jeder philosophischen Anschauung der Dinge,
dafür überall das Dasein eines naiven, begrifflich unverarbeiteten,
rohstofflichen Wunderglaubens. Diesen, der uns bereits auf Schritt
und Tritt begegnete, gilt es nun systematisch ins Auge zu fassen
und darzustellen. Zunächst allerdings handelt es sich erst um seine
Voraussetzung und Veranlassung, nämlich um jene Stücke Stein, Holz
oder menschlicher Gebeine, die man inbrünstig küßte und nur in den
Schauern innerster Erhebung zu berühren wagte, um jene Plätze, wo
man Gott in seinen Heiligen fürchtete, wohlverstanden fürchtete in
des Wortes eigenster Bedeutung von Angst und Schrecken, und um jene
armseligen Andenken, die der Einzelne dem Heiligen wegstahl, um seinen
Segen auch fern vom Tempel nahe zu haben, eine Scholle vom Hügel, einen
Spahn vom Schreine, eine Prise vom Pulver des Denksteins.




Dreizehntes Kapitel.

Die Reliquie.


Der Kraftherd des fränkischen Wunderglaubens ist irgend ein
handgreifliches Ueberbleibsel des verehrten Heiligen, meistens der
ganze Leichnam; von Stammheiligen wurden einzelne Gliedmaßen oder
Theile der Kleidung offenbar nicht abgegeben. Die Gewinnung und
Ueberführung heiliger Inventarstücke bilden Höhepunkte im religiösen
Leben des Volkes, und allerlei merkwürdige Eigenschaften wurden den
Reliquien zugedacht.


1.

Ausländische Reliquien nehmen eine besondere Stellung ein. Sie galten
mehr, weil sie von draußen und von fernher kamen. Wohl waren sie, da es
sich meistens um Andenken an Urheilige handelt, auch aus dogmatischen
Erwägungen besonders gut angeschrieben; aber eher noch wertete sie
dasselbe instinktive Gefühl höher, das heutzutage etwa fremdländische
Erzeugnisse von vornherein besser veranschlägt, als einheimische. In
der südgallischen Stadt Bazas erzählte man, in den Tagen Johannes
des Täufers sei eine französische Dame in Jerusalem gewesen und habe
dessen Hinrichtung beigewohnt und vom Täuferblute ein Fläschchen
voll aufgeschöpft, dasselbe Fläschchen, das nun auf dem Altar der
Johanneskirche stehe[238-a]. Eine andere Täuferreliquie in der Provence
war der Johannesdaumen zu Maurienne. Eine Frau, deren Namen Gregor
nicht nennt, die aber der Ortssage zufolge Tigris hieß, hatte sich
dieses Unterpfand am Johannesgrab in Sebaste durch ihren unbeugsamen
Eigenwillen zu verschaffen gewußt und in einer goldenen Kapsel nach
Hause gebracht. Die Bischöfe von Turin, Ax und Bellay vollzogen in drei
Vigilien an Ort und Stelle die dreimalige feierliche Abspaltung eines
Partikelchens von diesem Daumen[238-b]. Marienreliquien, die jedoch
nicht näher bezeichnet werden, besaß die Kirche von Marsas[239-a].
Von kleinen Christusreliquien, der Lanze, dem Essigschwamm, der
Dornenkrone, der Martersäule, sowie vom ungenähten Rock, wußte man,
jene befanden sich zu Jerusalem, dieser in der Erzengelkirche von
Galatz bei Konstantinopel. Das Kreuz Christi hatte die Kaiserin Helene
in Jerusalem aufgespürt; zu gleicher Zeit wurden die vier Nägel,
mit denen der Erlöser angeheftet gewesen war, gefunden. Sie waren
aus besonders edelm Metall. Zwei davon kamen als Lenkstangen in den
Galazaum des kaiserlichen Gespanns, gemäß dem Worte heiliger Schrift:
»Das Heiligtum des Herrn wird dem Pferde ins Maul gelegt[239-b].« Der
dritte Nagel fiel ins Meer und der vierte fand im Kopfschmuck der
Kolossalstatue Constantins Verwendung[239-c]. Ins Abendland gelangte
indessen nichts von alledem, bis Radegunde ums Jahr 560 auf dem Wege
diplomatischer Unterhandlung mit dem Hofe von Byzanz einen Splitter
vom heiligen Kreuz erwarb. Ebenso kamen einige Apostelreliquien nach
Poitiers, dann sandte Radegunde zum Zweck weiterer Funde eine zweite
Gesandtschaft unter Leitung des Priesters Reovalis nach Jerusalem
ab. Diese Erwerbungen wurden in einem silbernen Schrein gemeinsam
verwahrt[239-d]; ein Stückchen vom heiligen Kreuz besaß übrigens
auch Sankt Martin von Tours zugleich mit Täuferreliquien[239-e].
Von Apostelreliquien hegte die Kirche von Agde eine des heiligen
Andreas[239-f], während bei einem kombinierten Reliquienimport aus Rom
auch Erinnerungsstücke an Zwölfapostel und an Paulus mit nach Gallien
kamen[239-g]. Im Ganzen gehörte ein Unterpfand von einem Urheiligen in
den fränkischen Kirchen zu den großen Seltenheiten. Fremde Reliquien
waren gemeinhin im Vertrieb, italienische und spanische, unter Namen,
nach denen wir meistens schon die jene beherbergenden Kirchen geheißen
fanden. Bekannte römische waren die von Lorenz, Pankraz, Chrysanthus
und Daria und der Eunuchen der Kaiserin Constantia Johannes und
Paulus[239-g]; daran schließen sich die Bologneser Agricola und
Vitalis[239-h]; Reliquien des Spaniers Vincenz sind ausdrücklich
vermerkt für die Dorfkirchen Ceré und Orbigny bei Tours und Bessay in
der Poitou[239-i]. Bei fremden Reliquien ist im allgemeinen zu merken,
daß der Heiligenname lediglich Aufschrift und gewöhnlich von keiner
Legende begleitet ist. Ansätze zu einer solchen sind meistens verdrängt
durch die Erfolge, die der Ueberbringer der Reliquie zu berichten
wußte. Denn damals galt ja eben solch ein armseliges Stück nicht für
etwas Totes, es konnte oft sehr lebendig werden, und wer damit reiste,
mochte unter Umständen wohl etwas erleben.

Erzählungen dieser Art gewinnen aber an Umfang und Bedeutung, wenn
es sich um einheimische Größen handelt. Von Germanus von Auxerre
allerdings, der am 31. Juli 448 in Ravenna starb, berichtet Gregor
nur die Thatsache der Ueberführung, sein Leib sei nach sechzig
Jahren gehoben, nach der Stadt Auxerre gebracht und dort begraben
worden[240-a]. Dagegen haben die Julians- und Martinsreliquien auch
ihre kleinen Geschichten an sich. In der Ferreoluskrypta zu Vienne war
folgende Inschrift angebracht:

    Doppeltes Pfand:
          Das Haupt Julians und Ferreolus Leichnam,
    Christushelden selb zweit,
          Birgt diese Halle getreu.

Seiner Gewohnheit gemäß zog Gregor, als er das las, nähere
Erkundigungen ein; da erzählte der Wächter: Die Ferreoluskirche lag
früher am Rhoneufer, aber da die Säulenhalle des Eingangs der Willkür
des Flusses zu sehr ausgesetzt war, kam Bischof Mamertus auf den weisen
Gedanken, mehr landeinwärts, wo es sicherer sei, eine neue ebenso große
und schönere Kirche zu bauen. Zur feierlichen Translation der Reliquien
war eine stattliche Zahl Geistlicher und Mönche zusammengekommen;
während ihrer Gebete wurde die Ausgrabung vorgenommen. In einer
gewissen Tiefe angelangt, stieß man auf drei Gräber; welches gehörte
nun dem Heiligen? Jemand in der Versammlung erinnerte, seit alters
gehe die Sage im Volk, im Ferreolusgrabe befinde sich auch das Haupt
des Märtyrers Julian. Da ließ der Bischof die Anwesenden zum Gebet
auf die Knie fallen, indes er selbst sich anschickte, die Gräber eins
ums andere zu öffnen. In den beiden ersten lag nur ein Mensch allein,
im dritten dagegen fehlte dem noch nicht verwesten Leichnam der Kopf,
indes unter dem Arm ein Männerhaupt lag. Da rief der Bischof voller
Freude: »Das ist ja der Leib des Ferreolus, und seht da, das Haupt
Julians!«, worauf sich unter Psalmengesang und dem Beifall des Volkes
die Ueberführung vollzog[240-b].

Bei einheimischen Heiligen, wenigstens bei den großen unter ihnen,
deren Andenken stark genug gewesen war, um durchzuhalten, ergab
sich aus diesem Umstande von selbst eine neue Art Reliquie. Neben
Gegenständen, die ihren Wert aus den Beziehungen zum heiligen Leichnam
schöpften, meldeten sich nun andere als ebenbürtig an, weil sich der
Heilige einst bei Lebzeiten mit ihnen zu schaffen gemacht habe. Sankt
Martin verfügte über eine ganze Anzahl solcher sakraler Andenken: der
Stein, wo er einst gesessen, die Kapelle, wo er zu beten pflegte, den
Altar, wo er Messe celebrierte, den Baum, den er hatte sich aufrichten
heißen, die Rebe, die er eigenhändig gesetzt, der Brunnen, den er
selber gegraben hatte[240-c]. Diese Memorialreliquien, obwohl sie
ihrem Wesen nach eben nur sehr selten vorkommen konnten, standen an
Kraft den Sepulkralreliquien in nichts nach. Als der Priester Leon
nichts ahnend jenen Martinsstein versetzte, um sich sein eigenes
Grabmal vorzubereiten, befiel ihn ein Schüttelfrost und belehrte ihn
eines bessern. Der Martinsbaum in Neuilly hatte längst keine Rinde
mehr; fromme Leute hatten ihn kahl geschält, um sich von dem Kork
heilkräftigen Thee zu kochen. Von der Kapelle zu Martigny bei Tours
ging ja allerdings die Rede, vor hundert und aber hundert Jahren habe
Sankt Martin dort gebetet; aber weiter hatte man davon kein Aufheben
gemacht. Unzählige Male war Abt Günther unbehindert und ohne sich
Gedanken zu machen an dem Heiligtum einfach vorbeigeritten. Da, am
Tage seiner Wahl zum Bischof von Tours, brachte er plötzlich sein
Pferd nicht mehr vom Fleck; mitten auf dem Wege blieb es steif stehen,
den Kopf der Kapelle zugekehrt. Er haut es mit den Absätzen, preßt es
zwischen die Schenkel, sticht es mit dem Stachel; als wär es ehern,
rührt es sich nicht. Bis dem Bischof aufging, was für eine Bewandtnis
es damit am Ende haben könne, und er abstieg und es mit einem Gebete
versuchte — alsobald konnte er weiter reiten. Am Altar der Kapelle
von Siran, der durch eine ehemalige Berührung von Martins Händen noch
insbesondere geheiligt war, wachte einst ein Gelähmter die Nacht
durch, in der Hand eine brennende Kerze so hoch wie er selbst; bei
Tagesanbruch vermochte er von dannen zu gehen. Aridius von Limoges,
ein passionierter Sammler von heiligen Dingen, stellte auch Versuche
an mit einer Traube von Martins selbst gepflanzter Rebe. Er genoß
einige wenige Beeren und machte den Rest dann in ein Glas Wasser ein.
Einige Zeit darauf, als ihn ein Mensch berief, der an Mundfäulnis
litt, wusch er mit dem Traubenwasser die Mundhöhle aus und mit Erfolg.
Noch nach vier Jahren waren die Beeren dieser Martinstraube vollkommen
grün geblieben, ohne daß das Wasser im Glase gewechselt worden wäre.
Und gar mit Wasser aus dem von Martin gegrabenen Brunnen, mit dem
Aridius Fieberkranke besprengte, erzielte er die überraschendsten
Wirkungen[241-a]. Ebenso heilkräftig war das Wasser aus der
Saphirschale in Candes, die Kaiser Maximus einst Martin zum Geschenk
gemacht hatte[241-b]. Das bedeutendste Martinsandenken dieser Art war
jedoch sein Sterbebett in Candes. Auch dort geschahen Heilungen[241-c]
und wurden Spähne abgespalten. Die Memorialreliquie hat sich somit
als ebenbürtig legitimiert, aber dieser Legitimation insofern doch
bedurft, als eben schon der Name »Reliquie« auf ein Ueberbleibsel vom
Heiligenleichnam hindeutet. Unter Umständen kann einmal auch eine
Spezialität direkt auf die Begriffsgrenze zu liegen kommen: so wurden
bei der Hinrichtung des Märtyrers Symphorian von Autun drei Steinchen
von seinem Blut bespritzt, die infolge dessen für die Verehrung
aufgehoben wurden[242-a]. Da war das Steinchen heilig, weil es von
der Berührung des Heiligen imprägniert war. Und doch war der beim
Todesstreich verspritzte Blutstropfen auch schon ein Stück Leichnam.


2.

Die Hauptsache an der Reliquie ist jedoch nicht, woher sie stammt
oder wo sie zustande kam, sondern wie stark sie ist und was sie
auszurichten vermag. Und hiefür war das üblichste und weitverbreitete
Merkmal die Eigenschaft verschollener Reliquien, Aufmerksamkeit auf
sich zu ziehen und sich entdecken zu lassen. Der Märtyrer Quintin von
Verenand, Saint Quentin, kam dadurch ans Tageslicht, daß eine blinde
Frau, eine fleißige Kirchgängerin eines Tages einen Leichnam entdeckte,
der irgendwo im Wasser lag, und als nun die Frau daraufhin sehend
wurde, war der Beweis erbracht, mit wem man es zu thun habe[242-b].
Ebenso war das Grab des Märtyrers Eutropius verschollen, weil es nicht
in geweihter Erde lag und auch sonst niemals Verehrung empfangen
hatte. Als dann Bischof Palladius, der Förderer des einheimischen
Heiligenkults, zu Ende des sechsten Jahrhunderts in die neu erbaute
Eutropiuskirche auch den Leib des Heiligen überführen ließ, diente
eine Narbe am Totenschädel, die auf den tödlichen Axthieb hinwies,
zum Ausweis[242-c]. Ebenso unbekannt war auch das Grab des heiligen
Mallosus von Xanten geblieben, obwohl er im Geruche des Märtyrers
stand und sogar schon eine eigene Kapelle hatte. Und nun baute ihm gar
noch Bischof Ebregisel von Köln eine große Basilika in der Hoffnung,
Gott werde die Offenbarung der Reliquien zulassen. Später wandelte
er ein Stück dieser Basilika in eine Absis um und verband so die
anstoßende alte Mallosuskapelle mit der neuen großen Kirche. Nun fehlte
nur noch der Heiligenleib. Bald darauf hatte ein Diakon zu Metz ein
Traumgesicht, indem ihm die Ruhestätte des Märtyrers kund wurde, und
als er dann zu Ebregisel kam und sich von ihm auf den Platz führen
ließ, sagte er zu diesem, ohne doch den Ort näher zu kennen: »Grabe
hier, und du wirst den Heiligenleib finden, in der Mitte des Absis«.
Als sie sieben Fuß gegraben hatten, stieg ein lebhafter Wohlgeruch auf
und der Bischof rief: »Ich hoffe, Christus werde mir seinen Märtyrer
zeigen, auf diesen Wohlgeruch hin«. Die Ausgrabung wurde fortgesetzt;
in der That stieß man auf den Heiligenleib, der Bischof nahm ihn in
Augenschein und fand ihn unverwest. Da stimmte er das Gloria an, unter
Assistenz der ganzen Priesterschaft. Nach dem Gesange wurde der Heilige
in die Basilika hinaufgebracht und dort mit allen gebührenden Ehren
behandelt[243-a]. Eine Kirche galt nun einmal erst für im höheren Sinn
vollendet, wenn sie auch Reliquien von ihrem Namenspatron beherbergte.
Im Fall, daß dieser nicht erst noch zu entdecken war, verschaffte man
sich womöglich welche von einer bekannten Bezugsquelle. So sandte
Palladius von Saintes für seine dortige eben errichtete Martinskirche
um Martinsreliquien nach Tours, und bereits zwei oder drei Monate
darauf erhielt Gregor schriftlichen Bericht von zahlreichen Heilungen,
die durch sein Geschenk bewirkt worden waren[243-b].

Die häufigste Gelegenheit für Reliquien, sich zu äußern, ergab sich
bei Translationen auf größere Strecken, sowie im Augenblick, da
sie an ihrem neuen Aufenthalt geborgen wurden. Als die geistliche
Gesandtschaft des Bischofs Leudowald von Avrenches mit den in Tours
geholten Martinsreliquien den heimischen Stadtbezirk betrat, küßte ein
Gelähmter inbrünstig den Saum des Bahrtuches, und als er sich besser
fühlte, rief er: »So handelst du also in der That, o du heiliger
Bekenner; nicht genügt es dir, dein eigenes Haus zu schmücken; du
stattest nun auch mit erschrecklichen Kraftthaten sogar Gegenden
aus, die dein Fuß bei Lebzeiten nie betrat«[243-c]. Ein Geistlicher
der Kirche von Cambrai hatte mit Martinsreliquien den Heimweg
angetreten und überschritt eben die Loire an einer seichten Stelle,
als ein Gewitter losbrach: aber da fingen, gleichsam als elektrisches
Gegenspiel zu den Blitzen, die beiden heiligen Lanzenspitzen in den
Händen seiner Kinder, die sie trugen, zu glühen an und dienten als
Laternen[243-d]. Der Bote König Gunthrams, der gegen kostbare Geschenke
im Kloster Agaunum Reliquien eingetauscht hatte und bei der Rückfahrt
auf dem Genfersee von einem lebensgefährlichen Sturm überrascht wurde,
brauchte nur das Reliquienkästchen, das er auf sich trug, gegen die
anrollenden Wogen zu halten und dabei zugleich die heiligen Märtyrer
herzlich anzurufen, so war auch schon die Gefahr vorüber[243-e].
Einst war ein Schiff eben im Begriff, einen morgenländischen Hafen
anzulaufen, als in einer vom Meere abgelegenen Kirche der selben Stadt
ein Besessener plötzlich rief, es komme. Und als es vor Anker ging,
rannte er es zu begrüßen, warf sich auf den Boden und regte sich so
sehr auf, daß aus Mund und Nase der Ausbruch von Eiter erfolgte, der
ihm Erleichterung brachte. Davon in Kenntnis gesetzt, veranstaltete
der Bischof eine Prozession an den Landungsplatz. Der Schiffsherr,
seinerseits auf dem Laufenden, brach vor Freude in Thränen aus: er
habe doch nichts an Bord als ein bischen Staub vom Grabe des heiligen
Julian[243-f]. Ein ander Mal fiel es auf, daß die vom Priester
Nannin aus Vibrac überführten Juliansreliquien eine Heilung Schlags
Mittag herbeiführten[243-a]. Daß die Reliquien Feuer sprühen, ist
in Gregors Augen eine so allgemeine Thatsache, daß er ihr eine
besondere Betrachtung widmet: auch Abt Bärchen war beim Celebrieren
der Vigilien in der Martinsbasilika von Tours von einem Feuerglob
überrascht worden, der über den auf dem Altar vereinigten Reliquien
aufstieg[244-b]. Umgekehrt vermögen Reliquien Feuer auszuhalten, ohne
zu verbrennen[244-c]. Aber freilich damit eine Pergamentrolle in einem
brennenden Strohsack nicht weiteren Schaden nimmt, dazu bedurfte
es nicht erst des Martinslebens des Sulpicius Severus, das Gregor,
indem er ihm diese Feuerprobe nachrühmt, in den Rang einer Reliquie
erhebt[244-d]. Unter andern wunderbaren Qualitäten zeichnet sich die
Eigenschaft der Stephansreliquien aus, an Stelle des vergessenen
Schlüssels den Schrein zu öffnen[244-e]. Uebrigens konnte die Kraft
der einzelnen Reliquie größer oder geringer sein, je nach dem
Zeitpunkt. Im Stadium der Installation, wenn die Reliquie noch neu,
also die Verehrung noch warm war, ließ sich eine Zahl von Heilungen
wahrnehmen, die für eine gelagerte Reliquie ungewöhnlich wäre[244-f].
Ebenso verständlich ist es, daß sich bei Reliquienkombination deren
Kräfte summieren. Die Verbindung eines alten Heiligen wie Julian
mit einem jungen fast zeitgenössischen wie Nicetius von Lyon wird
von Gregor ausdrücklich als doch ebenso gerechtfertigt hingestellt,
wie eine Assoziation von Julian etwa mit Johannes und Martin es
sei[244-g]. Die Macht der Reliquien tritt besonders anschaulich
in Gregors eigenen Erlebnissen zu Tage. Bei der Einweihung seiner
bischöflichen Privatkapelle, zu der er einen ehemaligen Vorratsraum
des Bischofs Eufronius durch hübsche Ausstattung hatte umwandeln
lassen, wurde während der Vigilien erst der Altar in üblicher Weise
eingesegnet. Dann holte man in der Kirche drüben die dort deponierten
Hausreliquien bester Marke, Martin, Saturnin, Julian und Saint Allyre,
in feierlichem Zuge herüber, beim Fackelschein, der sich an den
Metallkreuzen widerspiegelte: anwesend war der ganze Klerus in den
linnenen Chorgewändern, außerdem die Honoratioren der Stadt und eine
Menge Volkes. Hoch erhoben trug Gregor die Heiligtümer, die in Seide
und Parfum gebettet waren, über die Schwelle. In diesem Augenblick
ging solch ein heller Schein durch den Raum, daß mehrere genötigt
waren, die Augen zu schließen. Die Versammlung lag auf den Knieen in
großer Furcht; aber der Bischof rief ihnen zu: »Fürchtet euch nicht;
was ihr seht ist die Allmacht der Heiligen. Besinnt euch doch an die
Stelle im Martinsleben, da dem Haupt des Heiligen, als er am Altar
die Weihworte sprach, eine Feuerkugel entstieg und gen Himmel fuhr.
Warum erschrecken! Mit seinen heiligen Reliquien hat er selbst bei
uns Einkehr gehalten«. Da löste sich die Beklemmung der Anwesenden,
und sie stimmten den Lobgesang an: »Gesegnet sei, der da kommt im
Namen des Herrn. Gott der Herr hat uns erleuchtet[245-a]«. Um jene
Zeit war Gregor auch einmal wieder in seiner Heimat zu Besuch und nahm
sich am Juliansfest, dem 28. August 573, einige Fäden einer Franse
an der Grabesdecke mit. Als nun in Tours Mönche eine Juliansbasilika
errichteten, bei ihren geringen Mitteln eine schöne That, und zu
Gregor kamen mit der Bitte, ihnen doch die Reliquien zu überlassen,
nahm er heimlich den Schrein und beeilte sich, sie in der Dämmerung
nach Sankt Martin hinauszutragen. Ein frommer Mann stand in einiger
Entfernung, als der Bischof eintrat, und versicherte ihn Tags darauf,
er habe einen Feuerball auf das Gebäude sich niedersenken und im
Innern der Kirche verschwinden sehen. Die Nacht verbrachten sie in der
Martinskirche, indem sie die Juliansreliquie auf dem Martinsaltar ruhen
ließen und begaben sich bei Tagesanbruch in die zu weihende Kirche
mit dem Heiligtum, auf das nun zur Julianskraft noch die Martinskraft
übergegangen war. Wenigstens warf sich ihnen ein Besessener unter
schrecklichen Geberden entgegen; blutiger Schaum quoll aus seinem
aufgerissenen Munde und er schrie: »Warum, o Martin, verbindest du
dich mit Julian? Warum rufst du ihn in diese Gegenden? Ist denn deine
Anwesenheit für sich allein nicht Pein genug? Warum rufst du einen dir
ebenbürtigen Heiligen herbei, um unsere Qualen zu steigern? Warum denn?
Warum peinigst du uns so im Bunde mit Julian«?[245-b].


3.

Ueberall wurzelt die den Reliquien beigelegte Kraft in der Vorstellung,
man habe in einem solchen heiligen Teilchen den ganzen Heiligen in
Person eingekapselt vor sich. Dadurch wird die Kraftpsychologie der
Reliquie mit einer Reihe individueller Züge ausgestattet, als hätte man
es mit einem leibhaftigen Menschen zu thun. Es bilden sich im Umgang
mit der Reliquie sozusagen gewisse Anstandsformen aus, die man nur bei
Strafe unbeachtet ließ. Unlautere Hände durften sie nicht anfassen;
die Reliquien waren empfindlich. Noch eher griff man unversehrt in die
Flamme, als daß man jene ohne Schaden berührte; um sicher zu gehen,
wählte man am besten ein junges unbescholtenes Mädchen, hing ihm das
Reliquientäschchen um den Hals und ließ es die Kostbarkeit an ihren
Bestimmungsort tragen[245-c]. Doch war es gewagt, Reliquien überhaupt
an Laien auszuhändigen. Die Timotheus- und Apollinarisasche in Rheims
wurde vom Priester teilweise endlich einer Frau überlassen, weil sie
ihn so dringend darum bat. Aber als er am andern Morgen weiter reiten
wollte, brachte er sein Pferd nicht von der Stelle und fühlte sich
selber in allen Gliedern bleischwer; so sah er sich genötigt, das
Häufchen Heiligenasche zurückzunehmen, womit auch die Störung in der
That alsobald beseitigt war[246-a]. Reliquien in einem Privathause
beherbergen konnte zu schlimmen Erfahrungen führen. So waren die
Ueberreste des von einem Stier zu Tode geschleiften Märtyrers Saturnin
von Toulouse einst auf Reisen; in Brioude übernachteten ihre Träger
bei einem armen Mann, und als sie ihm anvertrauten, was sie mit sich
führten, gedachte dieser es besonders gut zu machen, und schloß das
Kästchen über Nacht in seinen Kornspeicher ein. Die nächste Nacht
hatte er einen Traum des Inhalts: bleibe nicht länger an diesem Orte,
seit er durch die Reliquien des Märtyrers Saturnin geheiligt ist. Er
aber in seinem Bauernverstande kehrte sich daran nicht, bis er und
seine Frau krank und immer kränker wurden; schließlich mußte man das
Haus abbrechen und eine Kapelle an die Stelle setzen. Auch als einmal
ein königlicher Beamter namens Plato im Kloster Pavilly der Diöcese
Rouen, dessen Abt ihm kein Neujahrsgeschenk gemacht hatte, sich auch
nur dem Gedanken hingab, die Kapelle mit den Saturninsreliquien würde
kein übles Jagdquartier für König Chlothar zugleich mit Pferdestall
abgeben, starb er bereits nach drei Tagen. Und die zu Yssac geraubten
Reliquien desselben Heiligen brachten vier der Räuber direkt ums
Leben, der fünfte wurde blind und blieb es, bis er das entweihte Gut
herausgab[246-b].

Damit hing zusammen, daß gewisse Reliquien besonders auf gewisse
Eigenschaften der Kirchgänger reagieren, also sozusagen ein bestimmtes
Temperament aufweisen, so sind die Marien- und Johanneskirche in
Tours, die Marcelluskirche in Chalons und das Stephansblut im Altar
der Kirche von Bourges, sowie Julian von Brioude und Eugen von Albi
Meineidigen verhängnisvoll[246-c], während Viktor von Marseille
besonders auf Besessenheit gewirkt zu haben scheint[246-d]. Auch sonst
tritt im Verkehr mit Reliquien das Moment eines Umgangs mit Personen
deutlich heraus. Das Grab des Benignus in Dijon war zwar von Alters
her Gegenstand der Volksverehrung; kirchlicherseits aber wurde es
gemieden, da man es im Verdacht hatte, es sei ein Heidengrab. Einst
hatte ein Bauer dort eine Kerze stehen lassen oder jedenfalls sie
vergessen zu löschen; ein Kind sah es und wollte sie holen, wurde aber
durch eine ungewöhnlich große Schlange abgeschreckt, die sich um die
Kerze ringelte; es versuchte es wieder und wieder; die Schlange wich
nicht. Als dieses und ähnliches dem Bischof Gregor von Langres zu Ohren
kam, verschärfte er sein Verbot, jenes Grab zu verehren. Aber eines
Nachts offenbarte sich ihm der selige Märtyrer und sagte: »Was thust
du? Nicht nur achtest du mich selbst gering, du mißachtest auch meine
Verehrer. Laß das, ich bitte dich, besorge mir vielmehr möglichst rasch
ein Obdach«. Von dieser Offenbarung betroffen, begab sich der Bischof
zu dem Heiligengrabe und bat unter Thränen um Verzeihung für seine
Unwissenheit[247-a]. Der Märtyrer Antolian in Clermont bewies Rücksicht
für seine heiligen Kollegen, deren umliegende Gräber anläßlich eines
prunkvollen Baues seines Mausoleums übel mitgenommen wurden. »Weh mir«,
rief er aus, »den man auf Kosten seiner Brüder ehren will. Ich darf
die Vollendung meines Grabmals nicht zulassen«. In der That fiel bald
darauf in jener Kirche das Gerüst, das man errichtet hatte, ein, da
es ungeschickt an den Säulen angebracht worden war. Der Zusammenbruch
der über dem Altar erfolgte und mächtig Staub aufwirbelte, verursachte
keinen weiteren Schaden, denn er erfolgte während der Frühstückspause
der Maurer. Aber man ließ es sich gesagt sein und ging mit den
Gebeinen, die anläßlich der Grabungen zum Vorschein kamen und auf einem
Haufen lagen, nunmehr manierlich um[247-b]. In der Champagne bei Reims
kehrte ein Priester heim mit Juliansreliquien, die er für eine neue
Kirche dieses Heiligen war holen gegangen. Eben arbeiteten Landleute
auf dem Felde. Da schrie einer von ihnen plötzlich: »Ach da naht ja der
heilige Julian! Wahrhaftig er mit seiner Kraft und seinem Glanz! Auf,
Genossen, von den Ochsen weg, von den Karren weg, auf alle zusammen,
ihm entgegen!« Diese begriffen ihn nicht und schauten ihn stumpfsinnig
an. Er blieb in seiner Aufregung mit seinem Holzschuh erst in der
Furche hangen, fällt auf die Erde hin, klatscht dabei in die Hände und
wieder auf und davon auf den Priester los, der Psalmen singend seiner
Wege geht. »Warum, o Heiliger«, schrie der Verrückte schon von weitem,
»warum quälst du mich so? Warum, glorreicher Märtyrer, brennst du
mich so? Warum kommst du in ein Land, das dir gar nicht gehört? Warum
durchwanderst du unseren Wohnort?« Unterdessen hatte der Priester das
Wandertabernakel aufgeschlagen und der Besessene, platt auf den Boden
hingestreckt, betete die Reliquien an[247-c]. Ein anderer Verrückter
schrie in der Christnacht vor der Martinsbasilika von Tours, als Gregor
mit der Geistlichkeit eben von der Kathedrale her auf sie zugegangen
kam: »Umsonst naht ihr der Schwelle Martins, ohne Erfolg betretet ihr
seinen Tempel; wegen eurer zahllosen Verbrechen hat er euch verlassen;
er verabscheut euch, und nun ist er in Rom und thut dort Wunder; dort
richtet er jetzt den Schritt der Lahmen her und begegnet auch andern
Krankheiten mit seiner Gewalt«. Und nicht nur das niedere Volk, sondern
auch die kirchlichen Würdenträger gerieten in große Furcht, der heilige
Martin möchte sie am Ende wirklich verlassen haben. Der Bischof vergoß
heiße Thränen; alle lagen auf den Knieen und erbeteten die Gegenwart
des heiligen Bekenners, die sich dann auch alsobald in einer besonders
auffallenden Lahmenheilung kundgab[248-a]. Ist schon bei dieser
Geschichte die Vorstellung augenscheinlich die, daß der Heilige zwar in
der Reliquie verkörpert, aber doch nicht an sie gebannt sei, so tritt
die Unabhängigkeit von dem Unterpfand noch deutlicher an der folgenden
Geschichte zu Tage. In Bordeaux pflegte eine fromme Alte die Lampen in
den Kirchen der Heiligen mit Oel zu speisen, und befand sich denn auch
eines Sonntag abends zu diesem Behuf in der Peterskirche. Sie stieg
in die Krypta hinunter, um dort die Lampen anzuzünden. Dort verweilte
sie so lange, daß sie nicht bemerkte, wie hinter ihr die Eingangsthüre
verschlossen wurde. Es half ihr nichts, zu rufen; ihre Stimme war zu
schwach. So ergab sie sich denn in den Gedanken hier zu übernachten und
beschloß, den Aufenthalt zur Buße für ihre Sünden auszunutzen. Da, um
Mitternacht, sah sie plötzlich die Thüren offen stehen und die ganze
Kirche hell erleuchtet. Ein Sängerchor wandelte durch die Halle. Als
aber das Gloria verklungen war, hörte die Frau wie die Männer sich
beschwerten: »Der heilige Levit Stephan läßt auf sich warten. Schon
sollten wir in den andern Kirchen sein. Aber wir können uns nicht
wegbegeben, ohne ihn erwartet zu haben«. Während sie immer wieder
darauf zurückkamen, stand plötzlich ein Mann in einem weißen Kleide da;
die Menge grüßte ihn ehrfurchtsvoll: »Sei uns gepriesen, sehr heiliger
Levit Stephan«. Dieser verbeugte sich, verrichtete sein Gebet, und auf
die Frage, warum er sich bei seinem Besuch der heiligen Stätten etwas
verspätet habe, erwiderte er: »Auf dem Meer war ein Schiff in Gefahr
unterzugehen. Dort rief man mich an, ich rannte hin, erlöste es, und da
bin ich nun. Daß ihr euch von der Wahrheit meiner Worte überzeugt, seht
nur, wie hier noch mein Gewand von Meerwasser trieft.« Die Frau merkte
sich die Stelle, und als die Versammlung auseinander gegangen war und
die Thüren sich hinter ihnen von selbst geschlossen hatten, ging sie
hin und wischte sorgfältig die Tropfen auf dem Fußboden auf. Bischof
Bertram nahm das Taschentuch dann in Verwahrung und erzielte Heilungen
damit[248-b].

Doch konnte sich bei einem derartigen Individualisieren der Reliquie
auch die Kehrseite fühlbar machen. Im Dorfe Tornes bei Le Mans, das zu
Sankt Martin gehörte, wurde eine Blinde sehend, und da in der Kirche
auch Peter- und Paulsreliquien zugegen waren, so konnte man zweifeln,
wohin sie ihren Dank zu spenden habe. Die Frau selbst freilich beharrte
darauf, sie sei durch Martin gesund geworden. Und für die Theologen
löste sich das Problem dann doch dahin auf, schließlich wirke ja hinter
den Wunderthaten der verschiedenen Heiligen doch immer die eine Kraft
Gottes[248-c].




Vierzehntes Kapitel.

Der heilige Ort.


Auch in dem fränkischen Christentum ist der Begriff der Heiligkeit
nicht in erster Linie ethischer, sondern kultischer Natur. Heilig
ist, was dem Heiligen gehört. Aus diesem Grundsatz ergeben sich die
beiden Haupteigenschaften des Heiligen: seine Güte und sein Zorn. Wer
vertrauensvoll im Falle der Not seine Zuflucht an der Heiligenstätte
sucht, den liebt der Heilige; wer sich dagegen an der Kirchenhabe
vergreift oder den Heiligen sonst belästigt oder beleidigt, den
haßt er. Da er sich zudem gegenüber den Herren der Erde und selbst
dem Mächtigsten unter ihnen von vornherein und ausnahmslos als den
stärkeren und überlegenen erweist, so bedeutet bei ihm Liebe zugleich
Schutz und Zorn zugleich Vernichtung.


1.

Man fand es aber doch ratsam, dem Heiligen eine kräftige Tempelpolizei
zur Verfügung zu halten. Am Juliansfeste betrachtete ein Mann aus
dem Volke noch längere Zeit nach dem Gottesdienste die Kostbarkeiten
rings herum, sah aber ein, daß er jetzt doch nicht unbeachtet stehlen
könne, und verbarg sich darum in einem Winkel. Als es dunkel war,
machte er sich an den umgitterten Hauptaltar, entwendet ihm ein mit
Edelsteinen besetztes Kreuz, reißt zugleich Gardinen und Vorhänge von
der Wand herunter und schnürt sie in ein Bündel zusammen, lädt es auf
den Kopf, nimmt dann das Kreuz, das er auf den Boden geworfen hat, in
die Hand und will von dannen, kann aber nicht hinaus; da legt er sich
an dem früheren Schlupfwinkel schlafen, indem er das Bündel als Kissen
unter den Kopf nimmt. Um Mitternacht nun, als die Wächterpatrouille
ihre übliche Runde macht, fiel ihnen zuerst ein Lichtglanz wie von
einem Sterne auf; es war einer von den Edelsteinen am Kreuze, der
aufblitzte. Sie holte nun eine Kerze und fanden den Tempeldieb
schlafend. Er wurde verhaftet und bekannte am Morgen früh; er sei
unzählige Male in der Kirche herumgegangen, aber ohne einen Ausweg
zu finden[249-a]. Von allen fränkischen Heiligen war es insbesondere
Julian, der immer wieder und in jeder Form mit Eingriffen in seinen
Besitz zu thun hatte: der eigentliche Raub- und Raufheilige. Jenes
selbe Altarkreuz, das zwar nur vergoldet, aber rundum vergoldet war,
wurde von einem Ruchlosen gestohlen, weil er meinte, es sei ganz
aus Gold. Als er es aber in seinem Busen barg und er ein Stück weit
gegangen war, drückte es ihn so sehr, daß er es kaum hätte noch
weiter wegtragen können. Er hielt daher für klüger, es dem Heiligen
gleich wieder zurück zu erstatten[250-a]. Wenn der Heilige sich nicht
selber half, so konnte er immer auf irgend eine Unterstützung seitens
eines Gläubigen rechnen. Nach der Heldenthat des Hillidius stahlen
vier Flüchtige eine Schale und eine Urne. Die Schalen teilten sie in
vier Stücke; die Urne dagegen überreichten sie König Gundobad, um sich
seiner Gunst zu versichern. Die Klugheit der Königin Caretene rettete
das Kirchengerät; sie machte dem Fürsten klar, er werde doch nicht
die Gunst des Heiligen aufs Spiel setzen wollen, um eines leichten
Gewinnes willen[250-b]. Sigivald, der mächtige Graf von Arvern, ließ
sich in der Auvergne allerlei Unebenheiten gegenüber fremdem Besitz
zu Schulden kommen. Unter dem Schein eines Tauschhandels schlug er
auch seine Hand über ein Grundstück, das einst Bischof Tetradius von
Bourges der Julianskirche vermacht hatte. Aber drei Monate später
verfiel er einer Entkräftung und hütete das Bett. Seine Frau, die
hierüber sehr traurig war, wurde indessen von einem Priester belehrt,
ihr Mann werde gesund sein, sobald er eine Ortsveränderung vornehme.
In der That ging es Sigivald wieder gut, kaum war er von seiner Villa
wieder weggezogen[250-c]. Auch der Grundbesitz des Heiligen war vor
frecher Bubenhand nicht sicher. Ein Schäfer namens Ingenuus, Nachbar
des Kirchengutes, verrückte die Grenzmark. Der Priester von Sankt
Julian schickte einige Diakone und ließ ihm zu verstehen geben, er habe
davon abzulassen. Aber Ingenuus holte seinen Pfeilbogen und trieb die
geistlichen Unterhändler in die Flucht. In der nächsten Juliansmesse
wurde er zu Brioude vom Blitz getötet[250-d]. Eine weitere Gewaltthat
ließ sich Graf Beccon zu Schulden kommen. Eines Tages, als er seinen
Jagdfalken steigen ließ, verflog sich der Vogel. Um jene Zeit fing der
Schenkjunge von Sankt Julian einen anderen herrenlosen Falken. Sofort
erklärte Beccon, es sei seiner, der Junge habe ihn ihm gestohlen. Der
Jüngling wurde ergriffen, eingesteckt, und der Graf machte Miene, ihn
hängen zu lassen. Da eilte der Priester tiefbetrübt zum Juliansgrabe,
öffnete seufzend die Schreine und versuchte es mit zehn Goldstücken,
die er dem Grafen durch zuverlässige Freunde anbot. Der aber lachte
ihnen ins Gesicht und verlangte ein Lösegeld von dreißig Gulden. Er
erhielt es. Aber Julian vergaß die Beschimpfung nicht, und als beim
nächsten Jahresfeste auch der Graf den Gottesdienst besuchte und der
Vorleser der Passion zum ersten Mal den Namen des Heiligen aussprach,
brach der böse Mann an einem Schlaganfall zusammen und mußte nach Hause
getragen werden. Obwohl er der Kirche dann alles schenken ließ, was er
in jenem Augenblick an Gold und köstlichen Stoffen an sich getragen
hatte und später noch viele andere Geschenke beifügte, so erlangte er
doch bis zu seinem Tode den Gebrauch seiner Sinne nicht wieder[251-a].
Ein abtrünniger Priester, der in die Staatsverwaltung übergetreten war
und sich seitens seiner Vorgesetzten mit Vollmacht versehen hatte,
besichtigte die Schafherden, die auf den Bergen sömmerten, und stahl
unter dem Vorwand der schuldigen Steuer die Widder eben der Herde, die
im Namen des Heiligen gehalten wurde, zum Entsetzen der Hirten. »Rühre
doch ja diese Widder nicht an?« riefen sie ihm zu. Er aber grinste
höhnisch, indem er die Tiere von hinnen trieb: »Unsinn! Seit wann ißt
denn Julian Hammelbraten?« Als er das nächste Mal Juliansgebiet betrat
und am Grabe betete, befiel ihn der Fieberbrand, dem er erlag[251-b].
In den Juliansvigilien ließ sich Jemand einfallen, das Pferd eines
Festbesuchers, das draußen stand, zu besteigen und damit davonzureiten.
Er ritt die ganze Nacht, und als es dämmerte, dachte er: »So, nun werde
ich wohl so meine dreißig Meilen von der Juliansbasilika entfernt, also
vor Entdeckung sicher und bald zu Hause sein.« Aber mit Nichten. Als
er die Gegend näher unterscheiden konnte, befand er sich nach wie vor
in der Nähe des Fleckens von dem er ausgeritten war, und Leute liefen
hin und her. Da zog er denn doch vor, abzusteigen, und den Gaul in
aller Stille da wieder anzubinden, wo er ihn losgebunden hatte[251-c].
So gnädig diesmal Julian gegen den Dieb sich verhielt, so freundlich
half er bei einem andern Pferdediebstahl dem Bestohlenen. Ein frommer
Mann, der zum Feste gekommen war und die ganzen Vigilien mitgemacht
hatte, konnte am Morgen sein Pferd nicht finden. Im Quartier, wo er es
eingestellt hatte, war es nicht mehr, und als während zweier Tage keine
Nachfrage helfen wollte, ging er hin und klagte sein Leid dem Heiligen:
»O Heiliger, ich bin zu deinem Tempel gekommen, um dirs in aller Armut
zu geben, wie ichs habe. Ich veruntreute nichts und beging auch sonst
nichts Unrechtes. Warum bin ich aber dann um mein Gut gekommen? Gieb
es mir bitte zurück. Ich kann es nicht entbehren.« Und siehe, kaum
hatte er unter Thränen so gebetet und trat aus der Kirche, da sah
er schon von weitem Jemanden, der sein Roß hielt. Eben hatte man es
eingefangen[251-d].

Außer Julian hatten auch kleinere Heilige sich besonders im Süden gegen
allerlei Zumutungen zu wehren. Der Andreaskirche zu Agde nahm Graf
Gomachar eines Tages ein Stück Land weg. Bischof Leo ging alsobald hin
und machte dem Grafen Vorstellungen, aber ohne Erfolg; es war eben
kein Katholik. Erst als er das Fieber und überdies Gewissensbisse
bekam, ließ er den Bischof um Fürbitte ersuchen, er wolle das Land dann
zurückgeben. Als es ihm aber auf das Gebet des Bischofs hin wirklich
besser ging, sagte er zu den Seinen: »Bilden sich diese Römlinge nicht
ein, ich sei krank gewesen, weil ich ihr Land wegnahm! Es war ja doch
ein rein natürlicher Vorgang. Bei meinen Lebzeiten soll das Land nicht
ihnen gehören«. Er ließ es wieder besetzen. Wieder kam der Bischof und
riet ihm, die Rache Gottes nicht herauszufordern, erhielt aber zur
Antwort: »Halt’s Maul, alter Mümmler, sonst laß ich dich auf einen Esel
binden und durch die Stadt treiben, damit die Leute etwas zum Lachen
haben«. Da ging der Bischof hin, verbrachte eine Nacht in der Kirche in
gesteigertem Gebet, am Morgen aber zerschlug er alle Lampen mit einer
Ruthe, die er in der Hand hatte und erklärte: »Hier wird kein Licht
mehr angezündet, bis Gott an seinen Feinden gerächt ist«. Wieder wurde
der Ketzer vom Fieber befallen, wieder ließ er zum Bischof schicken und
versprach zum gestohlenen Landstrich einen andern gleich großen, wenn
er gesund werde. Der Bischof aber erklärte, er ~habe~ gebetet, und ließ
sich auch auf neue Anträge nicht mehr ein. Da kam der kranke Sünder
auf einem Wagen angefahren und sagte dem geistlichen Herrn: »Da ich
dir doch das Doppelte zurückerstatten will, kann deine Heiligkeit wohl
ein Wort für mich einlegen«. Jener widersetzte sich; der Graf befahl,
ihn in die Kirche zu treiben. Der Bischof betrat den heiligen Raum; in
diesem Augenblick starb der gottlose Mann, und die Kirche kam wieder
zu ihrer Sache[252-a]. In der Nazariuskirche zu Nantes brachte einst
ein frommer Mann einen schön verzierten Gürtel, der mit schwerem Golde
gefüllt war, und legte ihn auf dem Altare nieder mit der Bitte, der
Heilige möge ihm dafür in seinen Geschäften behilflich sein. Kaum war
er weg, so kam der Britannengraf Waroch mit einem Kameraden und hatten
es auf das Weihgeschenk abgesehen. Er erzwang sich den Geldbeutel
durch fürchterliche Drohungen vom Priester, dann ließ er sein Pferd
in die Kirchenhalle führen, um dort aufzusitzen, ein neues schweres
Vergehen. Aber beim Hinausreiten stieß sein Kopf am Querbalken an,
sodaß er rückwärts mit zerschmettertem Schädel vom Pferde sank und
starb[252-d]. Als König Sigibert in Paris einzog und die Vorstädte
teilweise einäschern ließ, begab sich einer seiner hohen Offiziere nach
der Dionysiuskirche, nicht um zu beten, sondern um von dort irgend
etwas mit heimzunehmen. Die Thüren standen offen und Niemand hinderte
ihn, die prachtvolle gestickte Grabesdecke mit dem Gold und Steinbesatz
zu entwenden. Dafür fiel ihm aber dann sein Leibdiener, der zweihundert
Goldstücke seines Vermögens am Halse hangen hatte, durch einen
Fehltritt beim Besteigen des Schiffs ins Wasser und verschwand mit samt
dem Geld auf Nimmerwiedersehen; auch jener starb, trotzdem er den Raub
zurücktrug, innert Jahresfrist. Ein anderer, der auf demselben heiligen
Grabe die darüber aufgehängte goldene Taube mit seiner Lanze abhängen
wollte, glitt mit den Füßen aus, strauchelte über das aufstehende
Bord des Grabes und fiel an einer so unglücklichen Stelle in seine
Lanze hinein, daß er tot aufgehoben wurde[253-a]. Einige harmlosere
Fälle von bestraftem oder gesühntem Diebstahl werden in Verbindung
mit andern Heiligen erzählt. Die Kirche von Yzeures bei Tours, deren
Patron nicht genannt wird, enttäuschte einen nächtlichen Einbrecher,
weil er die Wertsachen zu gut verschlossen und daher nichts von Belang
zu stehlen fand. »Nun gut«, sagte er, »so will ich doch wenigstens
einige Kirchenfenster einschlagen; wenn ich das Blei der Fenster
einschmelze, so kann ich damit immerhin zu einigem Gelde kommen«.
Gesagt, gethan. Aber als er die Bleistücke zu Hause in den Tiegel warf
und drei Tage lang Schmelzversuche anstellte, brachte er nur einige
Kügelchen zustande, die er dann vorbeiziehenden Händlern verkaufte.
Zugleich erwarb er sich den Aussatz dazu, der ihn jedes Jahr am Tag des
Diebstahls mit einer unerträglichen Augenentzündung heimsuchte[253-b].
Ein Bäuerlein, das nur von seiner Hände Arbeit lebte, indem es nämlich
mit seinem Pfluge zu Acker fuhr, kam eines Abends müde heim und
kümmerte sich weiter nicht mehr um seine beiden Ochsen, sondern ließ
sie weiden und zog sich in seine Hütte zurück. Am andern Morgen waren
die Ochsen gestohlen. Der arme Mann sucht sie überall, in Wald und
Feld, ja auf den Bergen; er kann nicht die geringste Spur entdecken.
Weinend und klagend kehrt er zu Frau und Kindern zurück: »Weh mir! Denn
ohne meine Ochsen müßt ihr dieses Jahr verhungern«. Aber ein Gebet
am Grabe des heiligen Felix von Nola verhilft ihm zu seinem Eigentum
zurück[253-c]. Der Diokletiansmärtyrer Sergius stand im Rufe, das ihm
anvertraute Gut vor ungerechten Händen besonders gut zu verwahren. Es
war einmal eine arme alte Frau, die hatte nur eben noch einige Hühner,
die sie der Kirche im Notfall zur Verfügung stellte. Einst, als aus
Anlaß des Festes der Zulauf besonders groß war, kamen zwei Männer, die
bereits im Hinkommen auf die Hühnchen ein Auge geworfen hatten, und
stahlen eins, schnitten ihm Kopf und Beine ab, rupften es und setzten
es mit einem Topf Wasser übers Feuer, um es zu sieden. Das Wasser
kochte und brodelte, allein das gestohlene Fleisch wurde nicht weicher.
Das Wasser verdampfte, dem Hühnchen fiel es nicht ein, zarter zu
werden. Oft betasteten sie es und versuchten, die Nägel einzukrallen,
sie fanden es nur immer härter. Indessen rückten die Gäste an. Man
deckt den Tisch, legt schneeweiße Leinen aus und sogar einen aus Federn
gewobenen Tischläufer. Die Platte, die das Gericht aufnehmen sollte,
ist so rein gewaschen wie möglich. Da, durch ein noch nicht dagewesenes
Wunder, hat sich das Brathuhn versteinert; geniert mußte man vom
Tisch aufstehen zur großen Beschämung der Gastgeber und zur großen
Enttäuschung der Gäste[253-d].

Dagegen hatte Martin von Tours, gewissermaßen als Dank für seine
große Nachsicht und Milde, unter Diebstahl seltener zu leiden: einmal
freilich wurde auch seine Grabeskirche erbrochen und ausgeplündert.
Ferner ließ König Charibert sich von gewissenlosen Ratgebern verleiten,
die Martinsgüter von Nazelles mit Beschlag zu belegen und dort
Marställe für sein Gestüte einzurichten. Kaum waren aber die Pferde
dort untergebracht, so brach die Sucht unter ihnen aus, und als der
König kein Einsehen haben wollte, starb er selber kurz darauf[254-a].


2.

Eine weitere Folge der Verehrung des heiligen Ortes stellt sich sodann
in wohlthätigen Einrichtungen dar, die man heute unter christlicher
Liebesthätigkeit zusammen zu fassen pflegt. Schon an der Armenmatrikel
zu Sankt Martin in Tours tritt es deutlich zu Tage, daß das Bewußtsein,
im Bannkreis des Heiligen, in dem von ihm durchwalteten Raum zu wirken
und zu leben, die eigentliche Triebkraft der Pfleger und der Trost der
dort Verpflegten ausmacht. Täglich wurden milde Gaben im Kreuzgang
der Kirche abgegeben, weil es eine der Eigenschaften der Heiligen
sei, ein solches Pfrundhaus mittelst der Liebesgaben der Gläubigen
zu erhalten. Die dort aufgenommenen Hausarmen, die als Matrikelleute
von den übrigen Armen unterschieden wurden[254-b], durften tagsüber
an den Kirchenthüren um ein Almosen betteln; doch blieb immer einer
als Portier zurück, um die eingehenden Spenden entgegenzunehmen.
Freilich kam es dann einmal vor, daß ein Ungetreuer das Pförtneramt
versah und einen ihm abgelieferten Drittelgoldgulden für sich behielt.
Doch war bereits die Kunde von einer schönen Einnahme herumgeboten
worden, und als die Armen um die sechste Stunde von ihren Ausgängen
heimkehrten, die milde Gabe, die Martin ihnen wieder gesandt habe, zu
empfangen, schwor jener, »bei diesem heiligen Orte und allen Tugenden
Sankt Martins«, ein Pfennig sei alles, was eingelaufen sei; da brach
er auch schon vom Schlage gerührt zusammen[254-c]. Die Julianskirche
in Tours, sowie die Martinszelle von Candes hatten jede eine eigene
Matrikel[254-d]. Die Vorsteherin der weiblichen Abteilung dieser
letzteren Armenkongregation, war die Matrone Remigia, während Vinastis
den Männern daselbst für Nahrung sorgte; ein solches freiwillig
übernommenes Liebesamt wurde gewöhnlich von Laien bekleidet, die ein
eigenes Leiden in die Nähe des Heiligen geführt hatte[254-e]. Da das
Obdach natürlich nur einer beschränkten Anzahl Aufnahme zu gewähren
erlaubte, wurden die, deren Anmeldung angenommen war, in eine Liste
eingetragen, und danach hieß dann die ganze Anstalt Matrikel. Ohne
eigentlich ein Spital zu sein, war sie doch eben vor allem auch
Aufnahmeort für Gebrechliche und Krüppel jeder Art[255-a]; auch ein
armer Taubstummer fand dort Unterkunft, der von seinen Brüdern um sein
väterliches Erbe beschlichen worden war, und derweil er nicht reden
konnte, ein Klapperinstrument erfand, um die Vorübergehenden auf sich
aufmerksam zu machen[255-b].

Größeren Umfang nahm ein anderes Liebeswerk an, die Patronage der
Gefangenen. Es mag in jenen unablässigen Kriegsläuften einem dringenden
Bedürfnis der Nächstenliebe entsprochen haben. Auch hier sind alle
derartigen Unternehmungen aufs innigste mit einem Heiligennamen
verknüpft, wenn es gleich die Natur der Sache mit sich brachte,
daß wenigstens nicht alle Hilfe auf Kirchenboden vor sich ging und
daß hier mehr dem unmittelbaren Eingreifen zugeschoben wurde, als
grundsätzlichen Verfügungen. Ein Schelm kam mehrfacher Diebstähle wegen
an den Galgen. Als letzte Gunst bat er, noch beten zu dürfen und warf
sich mit seinen auf den Rücken gebundenen Händen leidenschaftlich auf
die Erde, indem er den Namen Martins anrief. Dann wurde er aufgeknüpft
und die Soldaten zogen ab. Er bewegte noch immer seine Lippen zum
Versuche, ob er nicht doch noch den Namen Martins aussprechen könne;
auch fielen bereits die Fesseln von Händen und Füßen; aber hängen blieb
er zwei Tage lang, bis von ungefähr eine Nonne des Weges kam und ihn
noch lebend vom Galgen hob. Nach Sankt Martin überführt, antwortete
er auf allgemeines Befragen, wie er denn überhaupt nun noch am Leben
sei: »Der heilige Martin hat mich dem Tode entrissen und hierher
gebracht. Aber es fehlte wahrhaftig nur noch wenig«[255-c]. In Tours
lagen vier Mann in Ketten und durften nichts zu essen bekommen. Da
thaten sie sich zusammen und flehten einträchtig zu Sankt Martin,
dessen Fest eben damals war, um Befreiung. Der Stock, in dem ihre
Füße eingezwängt waren, that sich auf, die Ketten fielen ihnen ab.
Sofort liefen sie davon, rissen die Thüre aus und begaben sich in die
Kirche des Heiligen[255-d]. Und war die Gefangenschaft gar noch gegen
das Recht, so half Martin um so sicherer. Ein junges Mädchen, Tochter
freigelassener Eltern, wurde durch die Söhne ihres früheren Herrn noch
zur Leibeigenschaft angehalten. Als sie daraufhin kurzer Hand den
Dienst aufsagte, wurde sie in Ketten gelegt. Da weinte sie nun, daß
sie nicht auch ans Martinsfest gehen könne. Alsobald konnte sie die
Füße vom Stock frei machen, und als sie, nach der Kirche eilend, über
die Schwelle trat, fielen ihr auch die Ketten von den Händen[255-e].
Ebenso wurde ein Mann, der zahlungsunfähig geworden war, von seinem
Gläubiger nicht nur eingesteckt, sondern auch über die Maßen hart
behandelt. »Verhungern laß ich dich«, rief jener ihm zu, »damit sich’s
die andern gesagt sein lassen«. Unterdessen wurden draußen auf dem Wege
nach Soissons Martinsreliquien unter Gesang vorübergetragen, sogleich
wurde der Gefangene frei und konnte zur Kirche gehen[256-a]. Ein ander
Mal galt Martins Gnade wieder zwei Gehenkten. Der erste, ein Höriger
des Bürgers Genitor von Tours, war eines leichten Diebstahls wegen
verurteilt und flehte auf dem Wege zum Richtplatz insgeheim: »Befreie
mich, heiliger Bekenner Martin, von der drohenden Gefahr«. Als er
gehenkt und allein gelassen war, erhob sich ein Wind, und er hörte eine
Stimme sagen: »Laßt uns ihn frei machen«. Und siehe da, der Galgen,
an dem er hing, wurde mit einer großen Scholle Erde umgelegt wie ein
entwurzelter Baum. Der zweite hatte allerdings viel auf dem Gewissen,
aber er hatte Buße gethan und wurde nun dennoch gehenkt. Doch riß der
Strick. Er wurde noch einmal gehenkt. Da kam der Abt des benachbarten
Klosters, eilte zum Grafen, der drei Meilen entfernt war und bat den
Verurteilten frei[256-b]. Ein Gefangener hatte in Tours bereits eine
Zeit lang gesessen und sollte nun auf Befehl des Richters nach dem
andern Loireufer deportiert werden. Auf dem Fähreschiff war es den
Wächtern plötzlich, als schlage sie Jemand auf den Kopf, sie stürzten;
der Gefangene, der wohl wußte, daß ihm Martin half, konnte sich frei
machen und die Kirche gewinnen[256-c]. Auch sonst erfuhren Gefangene
immer wieder Martins hilfreiche Hand[256-d]. Und in Reims durfte sich
Gregor, als er zum Besuche König Childeberts _II._ dort eintraf,
von einem Gefängniswärter zu seinem himmlischen Herrn aufrichtig
gratulieren lassen: da solle er nur hinsehen; die Dielenbretter seien
mit Quadersteinen beschwert und die Thür mit einem eisernen Riegel
und mit einem eisernen Schloß verrammelt gewesen, und doch seien die
Gefangenen mit Martins Hilfe durch das Dach entkommen![256-e]

Martin war nur der Hauptpatron der Gefangenen; auch andere Heilige
nahmen sich ihrer an. Julian befreite einen auf Fürbitte von dessen
Frau[256-f], Saint Quentin einen Gehenkten vom Galgen auf die Fürbitte
eines mitleidigen Priesters[256-g], und die Viktormesse in Mailand galt
als Freinacht für die Gefangenen zur Flucht[256-h]. Aus alledem dürfen
wir auf ausgedehnte Ansprüche der damaligen Geistlichkeit schließen,
für Gefangene einzutreten und einen Druck zu Gunsten ihrer Begnadigung
auszuüben. Gewiß hatte das Uebelstände zur Folge, wenn schließlich
jeder Geistliche oder wenigstens jeder Bischof und Abt die weltliche
Gerechtigkeit in ihrem Lauf aufhalten konnte. Aber man vergesse
nicht, wie damals das Recht gerade von den weltlichen Machthabern,
die seine Hüter sein sollten, mit Füßen getreten wurde. Wenn die
merowingischen Könige zum Mord ihre Zuflucht nahmen, aus purem Belieben
ohne vorhergegangenes gerichtliches Verfahren und dabei dreist auf ein
ihnen zustehendes »Recht« pochten[257-1], so mag man sich in jener Zeit
der allgemeinen Willkür doch die Priester noch eher gefallen lassen,
die gelegentlich eine verdiente Kerkerhaft oder eine gesetzmäßige
Hinrichtung gewaltsam hintertrieben. Und gar wenn es in der feinen
unaufdringlichen Weise unseres Gregor geschah: er kam eben von Sankt
Martin zurück, da stürzte sich auf dem Petersplatz ein Gefangener
vom Pferde hinunter zu seinen Füßen, erklärte ihm, er fühle sich
unschuldig, worauf der Bischof mit dem begleitenden Gerichtsbeamten
sprach und der Gefangene auf der Stelle frei gegeben wurde[257-a].


3.

Uebrigens flüchteten die glücklichen Gefangenen, denen der Heilige die
Ketten abgestreift hatte, nicht aus bloßer Dankbarkeit in die Kirche,
kaum waren sie frei. Sie wußten, daß ihnen dort keine weltliche Macht
etwas anhaben durfte.

Das Asylrecht schränkte die Befugnisse der Staatsgewalt in
erheblichem Grade ein. Der Schutz des kirchlichen Asyls schwächte die
Friedlosigkeit regelmäßig. Die Acht oder Friedlosigkeit vernichtete
allerdings die gesamte Rechtssphäre dessen, der ihr verfiel. Er
konnte von Jedermann bußlos verwundet und erschlagen werden. Er
verlor die Rechte der Sippe und der Familie; denn er hörte auf,
Geschlechtsgenosse, Ehemann und Vater zu sein, sodaß sein Weib als
Witwe, seine Kinder als Waisen behandelt wurden. Ueberdies bedeutet
die Acht Verfolgung, öffentlich gebotene Verfolgung. Als Feind allen
Volkes durfte der Friedlose nicht nur, sondern sollte er von jedermann
verfolgt und getötet werden. Floh nun ein Geächteter in die Kirche,
so konnte seine Auslieferung nur unter Zusicherung des Lebens und der
Glieder erfolgen. Die fränkische Gesetzgebung ersetzte in solchem Falle
Acht durch Verbannung[257-2].

In selteneren Fällen floh auch eine ganze Volksmenge in die Behausung
des Heiligen; im Kriege kam es gewöhnlich vor, daß beim Ueberfall
eines Dorfes die Kirche von flüchtigem Volk und dessen Fahrhabe
besetzt war[257-b]. Auch konnte die Zufluchtsstätte in den kleinen
Rechtshändeln des Tages täglich von kleinen Leuten aufgesucht werden,
und auch den gewöhnlichen Bürger schützte dann der Heilige vor
Gewaltthat[258-a]. Aber seine eigentliche, große, geschichtliche Rolle
spielte das Asylrecht in den Kämpfen der mächtigen Herren! Bald war
der eine Feind hilflos in der Kirche, bald der andere[258-b]. Welche
Schauspiele des heißen, des wildesten Lebens trugen sich zu, wenn da
die Leidenschaften auf dem Gipfel der Erregung aneinander schlugen!
Daß dann der Heilige schließlich wenig mehr bei dem Handel zu sagen
hatte und sein Schutz mehr durchbrochen als beachtet wurde, wie hätte
das anders sein können! Die Priesterschaft that bei solchen Auftritten
eben ihre Pflicht, suchte zu dämpfen und zu mildern, soviel als möglich
war, nicht ohne sich dabei mutig allerlei unangenehmen Zwischenfällen
auszusetzen. So sehr es nur immer anging, gönnte man dann dem Heiligen
das Wort zu einer Manifestation; als nach dem Tode Sigiberts Graf
Ruccolen an der Spitze der Leute von Le Mans vor Tours erschien und
mit sofortiger Einäscherung von Sankt Martin drohte, falls nicht die
in der Kirche verborgenen Flüchtlinge von den Diakonen herausgebracht
wurden, da wurde mit großer Genugthuung bemerkt, daß in dem Augenblick,
da Gregor mit der ganzen Geistlichkeit um Abwendung dieser Gefahr
betete, eine zwölf Jahre lang gelähmte Frau sich wieder aufrichten
konnte[258-c]. Doch was vermochten in derartigen Momenten solche
episodischen Heiligenzüge vor dem rücksichtslosen und brutalen Gebahren
der profanen Welt.

Statt aller weiteren theoretischen Erwägungen sei hier von den
prachtvollen Schilderungen dieser Art aus der Frankengeschichte
die erregendste und schönste als Beispiel mitgeteilt. Als Eberulf
vernahm, daß ein für alle mal an Königsmördern ein Exempel statuiert
werden solle, flüchtete er in die Martinskirche nach Tours. Da es nun
erforderlich schien, ihn hier zu bewachen, ergriffen die von Orléans
und die von Blois die günstige Gelegenheit und bezogen abwechselnd die
Wache. Nach vierzehn Tagen kehrten sie dann mit vieler Beute zurück,
indem sie, man denke, mitten im Frieden und im eigenen Lande, Zugvieh,
Schafe und was sie wegbringen konnten, mit sich nahmen. Die aber dem
heiligen Martin Vieh entführten, gerieten unter sich selbst in Händel
und erstachen sich gegenseitig. Die Tiere wurden darauf zurückgegeben.
Indessen teilten sich verschiedene Leute in Eberulfs Güter; sein Gold,
sein Silber und die Kostbarkeiten fielen der öffentlichen Plünderung
anheim. Was ihm von Krongut übertragen gewesen war, wurde für den
Staatsschatz eingezogen, seine Pferde-, Schweine- und Rinderherden
konfisziert. In seinem Haus, das er widerrechtlich vom Kircheneigentum
sich angeeignet hatte und das man nun voll Getreide, Wein und Schinken
fand, ließ man nur noch die nackten Wände zurück. Das war gerechte
Vergeltung; denn als er noch in Freiheit war, ließ er seine Pferde
und Schafe auf die Saatfelder und in die Weinberge der armen Leute
treiben, und wenn sie, deren saure Arbeit er zu Grunde richtete, ihr
eigenes Vieh hinausführten, ließ er sie sogleich von seinen Leuten
niederhauen. Besonders aufsäßig war er den Verwaltern der Hauptkirche,
eignete sich durch einen Scheinkauf widerrechtlich von ihren Gütern
an, ja er vollführte in der Vorhalle der Martinsbasilika Mordthaten,
stellte dort Saufgelage an und warf einen Priester, der ihm keinen Wein
mehr geben wollte, da er schon betrunken war, auf eine Bank nieder und
traktierte ihn mit seinen Fäusten derart, daß dieser verschieden wäre,
wenn ihn nicht die Aerzte durch Schröpfköpfe gerettet hätten. Statt im
Asyl Martins manierlich zu werden, überhäufte er Gregor mit Vorwürfen
und gelobte, wenn er jemals wieder beim Könige in Gnaden angenommen
sei, werde er alles rächen, was er erdulde. Er hielt, aus Furcht vor
dem Könige, sein Nachtlager in der Sakristei der Martinskirche, und
wenn der Priester mit den Schlüsseln fortgegangen war und die übrigen
Pforten verschlossen hatte, kamen durch die Thüre der Sakristei die
Töchter des Eberulf mit seinen andern Kindern in die Kirche, sahen
sich die Wandgemälde an und kramten im Schmuck des heiligen Grabmals
herum, was den Brüdern sehr anstößig war. Als der Priester dies in
Erfahrung gebracht hatte, schlug er Nägel an der Thüre ein und schob
die Riegel von innen vor. Da Eberulf nach seinem Abendessen, schon vom
Wein trunken, dies bemerkte und Gregor mit seinen Klerikern in der
Kirche eben Psalmen sang, brach jener wütend herein und überhäufte
den Bischof mit seinen Schimpfreden. Fluchend warf er ihm vor, man
verwehre ihm den Zutritt zu den Fransen der heiligen Grabdecke, deren
Berührung ihn bei einem Ueberfall schützen sollte. Mit freundlichen
Worten suchte ihn Gregor zu beruhigen, und als der gute Zuspruch
nichts gegen den Wütenden vermochte, schwieg er still. Da wandte jener
seine Flut von Schmähungen gegen einen Priester und geberdete sich wie
verrückt, sodaß die Geistlichkeit, um weiteres Aergernis zu vermeiden,
die Vesper abbrach und die Kirche verließ. Indessen schickte der
König Gunthram einen gewissen Claudius ab und sprach: »Wenn du dich
aufmachst, den Eberulf aus der Kirche schaffst und entweder mit dem
Schwerte erlegst oder mir in Banden bringst, so will ich dich zu einem
reichen Manne machen; aber nimm dich in Acht und füge ja der heiligen
Kirche keinen Schaden zu«. Da eilte jener, verwegen und habgierig,
wie er war, zuerst nach Paris, denn sein Weib war aus dem Gebiete von
Meaux, und trachtete darnach, wie er die Königin Fredegunde sprechen
könne. »Wenn ich sie spreche«, meinte er, »werde ich auch von ihr einen
hübschen Lohn gewinnen; denn ich weiß, sie ist Eberulf gram«. Auch
kam er wirklich zu ihr und erhielt sofort große Geschenke und viele
Versprechungen überdies, wenn er Eberulf aus der Kirche schaffe und
töte oder listig in Banden schlage oder ihn auch in der Vorhalle der
Kirche selbst niederstoße. Darauf kehrte er nach der Burg Dun zurück
und forderte hier den Grafen auf, ihm dreihundert Mann zu geben; seinem
Vorgeben nach um die Thore der Stadt Tours zu bewachen, in Wahrheit
um mit ihrer Hilfe Eberulf zu töten. Und während der Graf der Burg
die Leute noch aufbot, zog Claudius selbst gegen Tours. Auf dem Wege
aber fing er nach der Sitte der Franken an, auf Vorbedeutungen zu
achten; doch meinte er, sie seien ihm ungünstig. Zugleich fragte er
auch bei vielen an, ob die Macht des heiligen Martin sich neuerdings
an Wortbrüchigen kund gegeben habe, und ob einen sofort die Rache
ereile, wenn man denen, die ihre Hoffnung auf den Heiligen setzten,
Leid anthue. Ohne die Leute von Chateau Dun abzuwarten, begab er sich
sofort zu der heiligen Kirche, machte sich an Eberulf und hob an, ihm
zu beteuern und ihm bei allen Heiligen und der Wunderkraft des seligen
Bischofs, an dessen Grabe sie ständen, zu schwören, Niemand werde
ihm treulicher in seinen Sachen beistehen als er, so könne er seine
Händel mit dem Könige leicht zu einem guten Ende führen. Sich selbst
sagte er: »Fange ich ihn nicht durch falsche Schwüre, so bekomme ich
ihn nicht in meine Gewalt«. In der That faßte Eberulf auf die vielen
Eide, in der Kirche, im Säulengange und an andern heiligen Stellen
Vertrauen. Er selbst hatte die Sakristei mit einer Wohnung in dem an
die Kirche anstoßenden Gebäude vertauscht. Dort zechten er und Claudius
mit einigen Bürgern von Tours. Nach dem Mahl gingen er und Claudius in
der Vorhalle auf und nieder und gelobten sich unter Eidschwüren Liebe
und Treue. Plötzlich sagte Claudius: »Ich möchte wohl noch einen Trunk
in deiner Wohnung thun, falls du süß gewürzte Weine hast oder die Güte
haben solltest, einen starken Wein zu beschaffen.« Eberulf freute sich:
daran fehle es nicht; und er schickte seine Diener aus, einen nach dem
andern, stärkere Weine zu holen, italienische Weine. Als nun Claudius
ihn allein und von seinen Dienern verlassen sah, hob er seine Hand
gegen die Kirche auf und sprach: »Hochheiliger Martin, laß mich bald
mein Weib und meine Kinder wieder sehen«. Der entscheidende Augenblick
war da. Der Elende wollte hier in der Vorhalle morden, fürchtete aber
doch die Macht des heiligen Bischofs. Da griff einer unter den Dienern
des Claudius, ein handfester Mensch, zu, packte Eberulf von hinten
mit kräftigen Armen, bog ihm die Brust zurück und hielt ihn so zum
Todesstoße bereit. Claudius zog das Schwert aus dem Wehrgehänge und
holte aus. Aber auch Eberulf hatte seine Waffe entblößen können und
war zum Stoße fertig. Als nun Claudius die Rechte erhob und ihm einen
Hieb in die Brust versetzte, stieß auch er behende ihm die Spitze des
Schwertes in die Achselhöhle, zog das Schwert wieder an sich, holte
abermals aus und hieb Claudius den Daumen ab. Darauf eilten dessen
Diener mit Schwertern herbei und verwundeten Eberulf des weiteren.
Er suchte ihren Händen zu entwischen und zu fliehen, obwohl er schon
ganz entkräftet war. Da entwanden sie ihm das Schwert, versetzten ihm
einen tüchtigen Schlag auf den Kopf, das Gehirn spritzte heraus, er
brach zusammen und war tot. Vom Heiligen verdiente er nicht gerettet
zu werden; denn er hatte sich niemals darauf verstanden, ihn gläubig
um Beistand anzurufen. Claudius jedoch eilte voll Furcht zu der Zelle
des Abtes und verlangte Schutz. Der Abt hatte Bedenken. Da rief
Claudius: »Ein ungeheures Verbrechen ist begangen und kommst du uns
nicht zu Hilfe, so sind wir verloren«. Bei diesen Worten stürmten die
Diener Eberulfs mit Schwertern und Lanzen heran, und da sie die Thüre
verriegelt fanden, schlugen sie die Glasscheiben der Zelle ein, warfen
ihre Lanzen durch die Fenster in der Wand und durchbohrten Claudius,
der schon halb entseelt war, mit dem Speere. Seine Diener aber
verkrochen sich hinter der Thüre und unter die Betten. Den Abt nahmen
zwei Geistliche in die Mitte und zwischen den Spitzen der Schwerter kam
er nur mit Mühe und Not lebend von dannen. Die Thüren wurden geöffnet;
die Masse der Kämpfenden drang herein. Auch machten sich einige von den
Hausarmen der Kirche und den andern Almosenempfängern daran, das Dach
der Zelle abzureißen, da hier eine solche Greuelthat geschehen war.
Besessene und armes Volk liefen mit Steinen und Knütteln herbei um die
Beschimpfung der Kirche zu rächen. Die Flüchtlinge wurden aus ihrem
Versteck hervorgezogen und grausam erschlagen. Der Fußboden der Zelle
schwamm in Blut. Ihre Leichname wurden herausgeschleppt und blieben
nackt und bloß auf der kalten Erde liegen. Die Mörder aber entwischten
während der Nacht mit der Beute. Als dieser unerhörte Skandal sich
zutrug, war der Bischof eben sechs deutsche Meilen weit über Land
gegangen. Auch der König geriet bei der Nachricht in gewaltigen Zorn,
beruhigte sich aber, als er genaue Kunde erhielt. Eberulfs bewegliche
und unbewegliche Habe und was dieser von seinen Vorfahren ererbt hatte,
schenkte der König seinen Getreuen. Das Weib des Unglücklichen fiel arm
und bloß der Martinskirche zur Last[261-a].




Fünfzehntes Kapitel.

Amulet und Fluidum.


1.

Gab es auch unzählige Reliquien und war noch obendrein der einzelnen
ein ansehnlicher Bannkreis umgeschrieben, in dem sie selbst auf
Entfernung wirkte, so war doch dem unersättlichen Verlangen der Leute
nach dem Beistand der Heiligen noch nicht genug gethan. Für Fälle, wo
ein Kirchgang zu umständlich war, besaß man Angebinde vom Heiligen
für den Hausgebrauch. Das konnten einfach Reliquien sein oder Teile
von solchen, die mit dem profaneren Zweck dann auch die Prätension
fallen und eine Berührung mit dem Alltagsmenschen geschehen ließen.
Immerhin fanden sich diese zu Amuleten erniedrigten Reliquien doch nur
selten, in den Händen von Priviligierten, vor. Am nächsten lag es,
Reliquien einer Hauskapelle bei gelegentlichem Bedarf vorübergehend
als Amulet zu verwenden. Ein Bürger von Saintes, Cardegisel mit dem
Uebernamen Gyson, lud Gregor zu sich ein und führte ihn in den Betsal
seiner Mutter, dessen Altar Martinspfänder enthielt: »Vor drei Jahren«,
erzählte der Herr, »als mein Junge hier noch an der Mutterbrust lag,
wurde er krank und nahm keine Nahrung. Tagelang ging es so. Am sechsten
legten wir ihn auf den Altar. Ich konnte es nicht mehr aushalten und
sagte meiner Frau, ich ginge über die Zeit weg, sie sollte den Kleinen
dann begraben. Das Kind lag bis zum Abend. Plötzlich drehte es sich
dann und rief: ›Wo bist du, Schwesterchen‹. Nach Kinderart rief es der
Mutter so. Sie nahm es auf den Arm und es ließ sich von ihr stillen.
Und so bald es trank, wurde ihm besser[262-a]«. Ein ander Mal, als
Gregor sich in Reims befand und in der Sakristei auf den Bischof
wartete, stellte sich ihm der Referendar des verstorbenen Sigibert
vor, Siggon, der an einem Ohr gar nicht und am andern schlecht hörte.
Dieser hatte den Bischof von Tours kaum verlassen und ein paar Schritte
in der Kirche gethan, so bekam er Ohrenbrausen und hörte wieder. Er
kehrte zu Gregor zurück um sich zu bedanken, drei Tage lang habe er
an dem Ohr nichts mehr gehört; aber über dem Gespräche habe er es
sich lösen gespürt. Da gestand ihm Gregor, er sei verwegen genug,
Martinsreliquien auf sich zu führen; ihnen gebühre also der Dank
des Geheilten[262-b]. Gregors Mutter besaß Reliquien des Euseb von
Vercelli. Einst an einem Winterabend hatte sie bis tief in die Nacht
hinein am Kamin in fröhlicher Gesellschaft gesessen. Die Dienstboten
waren bereits schlafen gegangen, und sie selbst legte sich dann hin,
ohne auf das große, noch glühende Holzscheit weiter acht zu geben. Da
stiegen denn einzelne Gluten in die Höhe und steckten das Deckengetäfel
in Brand; wunderbarerweise, und daran waren eben die in der Nähe
befindlichen Reliquien schuld, drangen die Flammen nicht der Höhe zu
durch das Gebälk, sondern hingen wie kleine Feuerflocken harmlos dort
oben und liefen der Einfassung entlang, ohne Schaden anzurichten. Die
Mutter erwachte, rief das Gesinde, und der Hausbrand wurde mit Wasser
gelöscht[262-c]. Es war nicht das einzige Erlebnis dieser Art in
Gregors Familie. Vom verstorbenen Vater her wurde ein goldenes Etui
mit anonymer Heiligenasche hoch in Ehren gehalten; er hatte es sich
als junger Mensch verschafft, als er eben verheiratet von Theudeberts
Standesoffizieren zum Kriegsdienst ausgehoben wurde. Er dankte ihnen
sein Leben, sowie manche Bewahrung vor Diebsgefahr und Wetterschaden,
ja auch vor der Anfechtung der eigenen Sinne. Nach seinem Tode trug sie
die Witwe, an einem Halsband über der Brust. Zur Erntezeit, als es mit
einem Male kalt wurde und die Schnitter unvorsichtig ein Strohfeuer
ansteckten, das um sich griff und die umliegenden Garbenhaufen
bedrohte, fuhr die Mutter auf das Rufen hin vom Tisch auf und streckte
ihr Amulet nach dem Feuer hin, daraufhin erlosch es alsbald. Später
bekam Gregor diese Leibreliquien und verscheuchte auf einem Ritt von
Burgund in die Auvergne ein aufsteigendes Gewitter damit[263-a]. Aber
eben nur reiche Leute konnten sich diese echten Heiligenpfänder als
Lebensversicherung überhaupt gönnen.

Dem Volk war deshalb die Vergünstigung des Amuletes keineswegs
erschwert, da die Mitteilbarkeit der Reliquienkraft unerschöpflich war
und die übertragene der ursprünglichen in der Wirkung nicht nachstand.
Hatte erst einmal eine Reliquie einen Raum mit ihrem heiligen Fluidum
von Grund aus durchdrungen, so konnten an dem so imprägnierten Orte
ungezählte Amulete gewonnen werden. »Von dem Grabsteinpulver oder dem
Kerzenwachs eines solchen Ortes sich etwas mitzunehmen, befähigt zu
Kraftthaten, die unablässig geschehen sind, oder noch geschehen und
die kein Mensch auf der Welt aufzuzählen im Stande ist[263-b]« — in
diesen Worten Gregors spricht es sich aus, daß vom Heiligengrab aus
ein unversieglicher Strom von Kräften nicht nur, sondern auch von
neuen Kräftequellen seinen Anfang nahm. Auch der geringe Mann war
in den Stand gesetzt, sich sein Amulet selbst zu bereiten und einen
Behälter der Heiligenkraft in seiner nächsten Nähe zu führen. Der
populärste Bezugsort dafür waren nun eben die Heiligengrabsteine, an
denen man sich nur etwas Pulver abzuschaben brauchte, um zu haben, was
man wünschte. Weil dieses Grabsteinpulver so leicht herzustellen war,
stand es im Vordergrunde aller Heiligenangebinde; überdies hatte es
vor andern Amuleten noch die Eigenschaft voraus, daß es meistens mit
Wein oder Wasser angemacht innerlich genommen und somit noch obendrein
des Zutrauens teilhaftig wurde, das kranke Leute einem Medikament
entgegenbringen. Wie man damals von einer solchen Prise Staubes dachte,
muß gerade darum deutlich werden, weil uns diese Wertschätzung heute
so unglaublich scheint; und so sei denn die Lobeserhebung, die Gregor
dem Grabsteinpulver widmet, im Wortlaut mitgeteilt: »O unbeschreibliche
Mixtur!« ruft er aus[263-c], »unaussprechliche Spezerei, Gegengift,
über alles Lob erhaben! Himmlisches Abführmittel, wenn ich mich des
Ausdrucks bedienen darf, das alle ärztlichen Rezepte in den Schatten
stellt, jedes Arom an süßem Duft übertrifft und stärker ist als alle
Essenzen, das den Unterleib reinigt wie Skammoniensaft, die Lunge wie
Ysop und den Kopf wie Bertramswurz, aber eben nicht allein die siechen
Glieder wiederherstellt, sondern, was viel mehr wert ist, die Flecken
vom Gewissen hinwegwäscht!« Neben dem Steinpulver fand das Wachs, das
auf den Gräbern von den Votivkerzen vertropft war, oder Reste dieser
Kerzen selbst den meisten Anklang. Wachs kannte selbst zwar nicht
eingenommen werden, dagegen wurde die Dochtasche pulverisiert und auf
dieselbe Weise als Medikament verwendet[264-a]. Wenn solche Amulete
gewonnen wurden, wirkten sie anfangs etwa auch noch mit der drückenden
Kraft der Vollreliquie. »Geh zur Kirche des seligen Julian«, sagte
Aridius zu einem Priester, »bete dort und ersuche dann die Kirchenhüter
dir ein wenig Wachs oder Grabesstaub zu verabfolgen«. Als dieser sie
empfangen hatte, wurden ihm plötzlich die Glieder schwer, er brach
fast zusammen; doch ermunterte er sich ohne Schwierigkeit und konnte
seines Weges gehen. Ein starker Kraftleiter war auch der Vorhang über
dem heiligen Grab. Er besitzt eine den Reliquien vollkommen ebenbürtige
Heilkraft[264-b], er heilt Kopfweh bei bloßer Berührung[264-c], ein
einzelner ihm entzogener Faden, in Kreuzesform aufgelegt, vertreibt
Bauchschmerzen[264-d]. Desgleichen wirkte das Tuch, das eine Reliquie
einhüllte[264-e]. Das Linnen, in dem Marienreliquien geborgen waren,
verbrannte so wenig als der heilige Inhalt. Die Seidendecke, in der ein
Stück heiliges Kreuz eingewickelt gewesen war, ließ Gregor abbrühen
und das Wasser als Heiltrank verwenden[264-f]. Aber wie auch hier die
Steigerung des Amulets zum Medikament stattfand, so konnte umgekehrt
die genossene Hostie gelegentlich als Amulet wirken; die Geschichte
ist zu bezeichnend, um nicht nacherzählt zu werden; sie ereignete
sich zu Gregors Jugendzeit in seiner Heimat. Ein allein reisender
Priester bat an der Hütte eines armen Mannes um ein Nachtquartier.
Nach Clerikerbrauch unterbrach er seinen Schlaf gegen Morgen, um sein
Gebet zu verrichten. Um dieselbe Stunde, kurz vor Tagesanbruch, war
aber auch schon der Bauer aufgestanden, um mit seinem Ochsenkarren
ins Holz zu fahren. Doch wollte er den gewohnten Frühimbiß, den ihm
seine Frau vorsetzte, diesmal nicht einnehmen, ohne daß der geistliche
Herr ihm sein Brot geweiht hätte. Als das geschehen war und er das
Sakrament empfangen hatte, fuhr er von dannen. Noch war es nicht hell
geworden, so kam er an die Schiffbrücke, stieg ab und führte Gespann
und Wagen hinüber. Auf der Flußmitte hörte er plötzlich jemanden sagen:
»Ertränk ihn, ertränk ihn, spute dich!« und darauf jemanden antworten:
»Ich wollte schon. Aber etwas Heiliges steht mir an ihm entgegen. Er
hat das Sakrament empfangen, mußt du wissen«. Der Bauer vermochte
niemanden zu sehen; er begriff, wer gemeint war, bekreuzte sich, dankte
Gott, machte, daß er weiter kam, und gelangte heil ans jenseitige
Ufer[265-a]. Und dann war auch sonst alles und jedes, was nur von
ferne über die Ausrede verfügte, mit dem Heiligen in Berührung gewesen
zu sein, auch wundertätiger Kräfte fähig. Das Oel, das der Priester
Aridius bei seiner Anwesenheit in einem mit Martinsreliquien versehenen
Raum auf sich trug, bewirkte unzählige Heilungen[265-b].

Ueberhaupt darf man, wie immer bei Volksvorstellungen, sich über die
nachträgliche Unbestimmtheit in der scheinbar sachgemäßen Gruppierung
nicht wundern. Im Bewußtsein des Volkes war die beobachtete Einteilung
nicht vorhanden: Reliquie war jeder Sitz heiliger Kräfte, ob sie nun
original oder abgeleitet waren, und so kennt Gregor denn auch keine
besondere Bezeichnung für das, was wir als Amulet oder Medaille von
der Reliquie unterschieden haben. Momentane Kombinationen und Einfälle
bereicherten die allgemein umrissenen Typen oft noch durch die
sonderbarsten Beispiele. Gegen kranke Füße versuchte ein bretonischer
Graf Fußbäder in einem als Wanne benutzten silbernen Altargesäß, vor
dessen Größe, nebenbei gesagt, uns die Möglichkeit einer derartigen
Verwendung nicht geringe Achtung einflößen mag; auf diesen famosen
Gedanken war einer aus dem Gesinde geraten, nachdem sein Herr all
sein Gut für die Rechnungen der Aerzte aufgebraucht hatte. Aber die
Profanation bekam dem Grafen schlecht; die Schmerzen nahmen zu und
hinderten ihn nun vollends am Gebrauch seiner Füße zum Gehen. Derselben
Manipulation soll sich ein Herzog der Longobarden mit dem gleichen
Mißerfolg unterzogen haben[265-c]. Wo indessen der Anstand nicht auf
dem Spiele stand, konnten wohl Kirchengerätschaften ohne Nachteil zum
Zweck der Übertragung des Fluidums zu Hilfe genommen werden. Bei einer
Pferdekrankheit im Bezirk Bordeaux impfte man die Tiere, indem man
ihnen den Bart des Schlüssels der Domänenkapelle auf das Fell brannte;
die Erkrankten wurden gesund, die Gesunden erkrankten nicht[265-d]. Ein
ander Mal errang das Amulet landwirtschaftliche Erfolge, indem ein mit
dem Wachs von Martinskerzen bestrichener Fruchtbaum vom Hagelschlag
verschont blieb[265-e]. Die Dehnbarkeit des Begriffs kannte eben keine
Grenzen; war kein Grabsteinpulver zu haben, so that schließlich ja auch
eine Prise Staubes vom Fußboden der Kirche denselben Dienst[265-f].

Das Amulet war auf würdelose Ausführung ebenso empfindlich, wie
die Reliquie selbst und rächte pietätlose Behandlung. Nunnius, der
Steuereinnehmer der Königin Theudechilde, meinte es zwar redlich,
machte aber nach Soldatenart keine Umstände, auch dem Heiligen
gegenüber nicht. Als er vor dem Grabe des Germanus von Auxerre von
einem langen Gebete aufstand, zog er einfach vom Leder und schlug
mit seinem Säbel auf den Grabstein los, immerhin erst, nachdem er
sich vergewissert hatte, es sehe niemand zu. Ein kleines Stück Stein
war abgesprungen; als er aber das Amulet zu sich steckte, wurde er
erzsteif und konnte kein Glied mehr rühren, bis er Buße that und sein
frivol erworbenes Gut als Reliquie einer Kirche in Verschluß zu geben
gelobte[266-a]. Daß das nicht genügend in Ehren gehaltene Amulet
schadet, erfuhr auch einer von Gregors Leibeigenen. In einer Anwandlung
von Verehrung für Martin und durch seinen Herrn Gregor in seiner
Absicht ermuntert, nahm er einen Spahn vom Holz des Bettes in Candes,
auf dem Sankt Martin gestorben war, und hob es in seiner Wohnung auf,
daß es ihm Heil bringe. Aber die Aufmerksamkeit muß nachgelassen haben
und das Amulet unter gewöhnlichen Hauskram geraten sein, plötzlich
wurde die ganze Familie krank. Gregor dachte gleich, was etwa schuld
sein möchte, und richtig, in einem schrecklichen Traumgesicht bekam der
Knecht zu hören: »Der Holzspahn vom Bette des Herrn Martin, auf den du
nicht genügend Acht gibst, ist die Ursache deiner Leiden. Uebergieb
ihn lieber dem Diakon Gregor, daß er ihn bei sich verwahre«. Und von
dem Augenblick an, da der heilige Spahn an einem ihm gebührenden Orte
untergebracht war, wurde der Hörige und sein ganzes Haus gesund[266-b].

Nun sei der Kreislauf unserer Beobachtungen abgeschlossen durch zwei
Fälle, die zeigen, wie ein an sich durchaus profaner Gegenstand
lediglich durch Aufnahme des heiligen Fluidums schließlich zur
Vollreliquie werden kann. Motharius, ein Bürger von Tours, im Begriff
an den Hof zu reisen, setzte seine Reisezehrung, Brot und Wein, am
Heiligengrabe aus, und als er dann unterwegs bei Gastfreunden abstieg,
schrie die Frau des Hauses, die schwermüthig war, angesichts seines
Gepäcks: »Warum verfolgst du uns, o Heiliger! Warum quälst du uns,
Diener Gottes!« Als ihr aber Wein und Brot vermischt eingegeben wurde,
bekam sie einen Blutsturz, der sie von dem bösen Geist befreite; ebenso
half dasselbe heilige Medikament einer Frau vom Fieber[266-c]. Was
jedoch hier mehr als ein zufälliger Vorfall erscheint, tritt anderswo
als beabsichtigter und alsdann gelungener Versuch auf, für eine echte
Reliquie Martins, einen ebenso kräftigen Ersatz herzustellen. Es
handelte sich freilich auch um nichts geringeres als um den Uebertritt
des suevischen Königshauses zum Katholizismus, wozu die Krankheit des
Königssohnes die Veranlassung gab. Der König fragte seine Umgebung:
»Sagt doch, welcher Religion gehört schon jener Martin an in gallischen
Landen, von dessen Heilerfolgen man schon so viel spricht?« Dann
versuchte er es mit großen Weihgeschenken, so viel Gold und Silber
als der Kranke selbst wog, ließ er nach Tours bringen. Aber die
Genesung geriet nur halb. Da baute er Sankt Martin eine Kirche, und
stellte seine Bekehrung in Aussicht, wenn er nur eine Martinsreliquie
erwerben könnte. Nun bot man seiner zweiten Gesandtschaft in Tours die
üblichen und als wirksam bekannten Heiligenunterpfänder an. Aber sie
hatten den Eigensinn, sich ihr Amulet selbst anzufertigen und baten
um die Erlaubnis, eigene Gegenstände auf das Grab legen zu dürfen und
diese dann, falls die Füllung gelinge, mit nach Hause zu nehmen. So
deponierten sie ein Stück Seidenstoff auf dem Grabaltar und beteten die
ganze Nacht hindurch. Am andern Morgen legten sie, nach einem auch zu
Rom am Grab der Apostel üblichen Verfahren, es auf die Wage, und siehe
da! der Pfundstein in der Gewichtschale hob sich alsbald so hoch in die
Luft, als die Stange überhaupt drehbar war; so schwer war der Stoff von
der Gnade des Heiligen geworden.


2.

Aber selbst mit allen nur erdenklichen Ableitungen auf fremde Stoffe
war dem heiligen Fluidum seine letzte Schranke noch nicht gesetzt. Wir
müssen zu der Beobachtung fortschreiten, daß für eine solche Anschauung
der Dinge eben auch das, was wir Geist nennen, etwas stoffliches war.
Der Verkehr des fränkischen Christen mit Gott ging rein materiell vor
sich durch Gebet, Kreuzeszeichen und Anrufung des heiligen Namens.
Sie wirken nicht anders als Reliquien und sind in der That weiter
nichts, als Kraftsurrogate in Abwesenheit eines massiven Kraftherdes;
während sonst bei einer großen Feuerbrunst mit Reliquien vorgegangen
wird, betete in einem ähnlichen Fall das zu Bordeaux versammelte Volk
zu Martin und erzielte auch so den Stillstand der Flamme[267-b]. Vom
Kreuzeszeichen sagt Gregor: »Bekreuzt man flink und ohne sich zu
besinnen Stirn und Brust mit diesem heiligen Zeichen, so vermag man
dem Uebel als Märtyrer entgegen zu treten; haben doch die Märtyrer
selbst, mit denen Gott kämpfte und triumphierte, ihre glorreichen
Siege nicht anders davon getragen, als durch den Beistand Gottes und
das Kreuzeszeichen, aber ja nicht durch ihre eigenen Kräfte«[267-c].
Der Heiligenname, besonders wenn er bei der Festverlesung der Vita zum
ersten Mal über die Lippen des Vorlesers tritt, löst ungemein leicht
Wundervorgänge unter den Zuhörern aus! Hiezu kommt die grobsinnliche
Behandlung des Bibelstudiums. Wenn man gegen die Arianer und Juden
so viel Bibelstellen als möglich ins Feld führte und sich weiter um
dialektische Künste nicht kümmerte, so geschah das eben in erster
Linie im Glauben an die Amuletkraft des Bibelspruchs. Noch deutlicher
tritt das beim Schriftorakel zu tage, dem sogenannten »Däumeln«. Ein
Beispiel. Im Jahre 557 belagerte Chlothars jüngster Sohn Chramm, der
sich wider seinen Vater ein erstes Mal empörte, Châlons und schlug sein
Lager vor Dijon auf. Da flehten die Geistlichen dieser Stadt zu Gott,
er möge ihnen enthüllen, welchen Ausgang es mit Chramm haben werde. Sie
legten, der damaligen Sitte gemäß, noch drei Bücher auf den Altar, die
Propheten, den Apostel und die Evangelien, und nun sollte ein Jeder,
was er zuerst aufschlüge, auch bei der Messe lesen. Das Orakel lautete
bei den Propheten: »Warum hat er Herlinge gebracht, da ich wartete, daß
er Trauben brächte« —; beim Apostel: »Werden sie sagen: Es ist Friede,
es hat keine Gefahr, so wird sie das Verderben schnell überfallen« —;
beim Herrn im Evangelium: »Und wer diese meine Rede höret und thut sie
nicht, der ist einem thörichten Manne gleich, der sein Haus auf den
Sand baute«. Chramm aber kam bis zu den Kirchen vor dem Thor, Sankt
Benignus und Sankt Johann, wurde dort von Tetricius empfangen und mit
dem Abendmahl versehen; aber die Erlaubnis, Dijon zu betreten, wurde
ihm auf das ungünstige Orakel hin nicht erteilt[268-a].

Heilig sein heißt also, mit Himmelskraft geladen sein. Die Gesinnung
des Trägers konnte an dem objektiven Gehalt des Heiligtums nichts
ändern. Deshalb hat es seine besonderen Schwierigkeiten auf sich,
Gaukler und Schwindler, die mit heiligen Gegenständen Unfug trieben,
zu überführen und zu entlarven. Des charakteristischen Hintergrundes
wegen, den unsere bisherigen Ausführungen dadurch erhalten, fügen wir
hier eine längere Schilderung Gregors im Wortlaut ein: »Es kam ein
großer Betrüger nach Tours, der Viele durch seine Arglist täuschte. Er
trug einen Rock ohne Aermel und darüber einen Mantel von Baumwolle,
in der Hand führte er ein Kreuz, von dem Fläschchen herabhingen;
diese Fläschchen enthielten nach seiner Angabe heiliges Oel. Er gab
vor, er komme aus Spanien und bringe die Reliquien der hochheiligen
Märtyrer Vincentius und Felix. Da es aber bereits Abend war, als
er zu der Kirche des heiligen Martin kam und wir schon beim Mahle
saßen, schickte er zu uns und sprach: ›Man empfange die heiligen
Reliquien‹. Da es aber schon zu spät war, ließ ich ihm sagen: ›Man
lasse die heiligen Reliquien auf dem Altare ruhen, bis wir am Morgen
zu ihrem Empfang ausziehen‹. Aber schon beim Anbruch der Dämmerung
erhob er sich und zog, ohne uns zu erwarten, mit seinem Kreuze ein
und trat in unsere Zelle. Ich war ganz erstaunt und verwundert
über sein unbesonnenes Verfahren und fragte ihn, was dies bedeuten
solle. Er antwortete mir hochmütig und mit stolzem Tone: ›Du hättest
mir einen besseren Empfang bereiten sollen. Aber ich werde es König
Chilperich hinterbringen; er wird die Geringschätzung, mit der ich
behandelt bin, ahnden‹. Darauf ging er in die Kapelle und sprach, mich
hintansetzend, den ersten, zweiten und dritten Spruch der Agende,
begann selbst das Gebet und brachte es zum Schluß, erhob wiederum sein
Kreuz und ging von dannen. Seine Rede war ungebildet, seine Aussprache
garstig, breit und häßlich, auch ging kein vernünftiges Wort aus
seinem Munde. Er kam bis nach Paris. Es wurden aber gerade zu dieser
Zeit die öffentlichen Bettage gefeiert, die vor dem heiligen Tage der
Himmelfahrt abgehalten zu werden pflegen. Als nun Bischof Ragnemond
mit seiner Gemeinde feierlich aufzog und die heiligen Stellen der
Stadt besuchte, kam dieser Mensch mit seinem Kreuz an und zeigte sich
dem Volke in seiner ungewöhnlichen Tracht. Es sammelte sich alsbald
um ihn ketzerisches Gesindel und Weiber niederen Standes. So bildete
er sich ein Gefolge und wollte mit dieser seiner Schaar ebenfalls an
den heiligen Stätten Umzug halten. Der Bischof sandte aber, als er
dies sah, seinen Archidiakon zu ihm und sprach: ›bringst du Reliquien
der Heiligen, so lege sie für einige Zeit in einer Kirche nieder und
feiere die heiligen Tage mit uns, ist aber das Fest vorüber, so magst
du deiner Straße weiter ziehn‹. Doch er achtete dessen, was ihm der
Archidiakon meldete, nicht, sondern stieß vielmehr Schmähungen und
Verwünschungen gegen den Bischof aus. Da nun der Bischof merkte, es
sei ein Volksverführer, ließ er ihn in eine Zelle sperren. Und als
man die Sachen untersuchte, die er bei sich hatte, fand man einen
großen Sack, der war mit Wurzeln unterschiedlicher Kräuter angefüllt,
auch waren Maulwurfszähne, Mäuseknochen, Bärenklauen und Bärenfett
darin. Da dies nun augenscheinlich Zaubermittel waren, ließ man es
alles in den Fluß werfen, nahm ihm sein Kreuz und verbannte ihn aus
dem Gebiet der Stadt Paris. Dennoch ließ dieser Mensch abermals sich
ein anderes Kreuz machen und fing sein altes Treiben wieder an; da
nahm ihn der Archidiakon fest, ließ ihn mit Ketten binden und in den
Kerker werfen. Zu dieser Zeit kam ich selbst nach Paris und hatte
meine Herberge bei der Kirche des heiligen Märtyrers Julianus. Und
in der folgenden Nacht brach jener Bösewicht aus seinem Kerker und
flüchtete sich, noch mit Ketten geschlossen, zu der genannten Kirche
des heiligen Julianus, wo er gerade an der Stelle niedersank, wo ich
mich aufzustellen pflegte; von Müdigkeit und Wein überwältige schlief
er dort ein. Wir wußten nicht was geschehen war, und als wir uns um
Mitternacht erhoben, den Gottesdienst zu halten, fanden wir ihn dort
schnarchend. Es ging aber ein solcher Gestank von ihm aus, daß der
Gestank aller Cloaken und Abtritte nichts dagegen ist und wir vor
Gestank nicht in die heilige Kirche treten konnten. Es hielt sich
daher einer der Geistlichen die Nase zu, trat an ihn heran und suchte
ihn aufzuwecken, aber umsonst, so betrunken war der Bösewicht. Darauf
traten vier Geistliche heran, packten ihn mit den Händen und warfen
ihn in einen Winkel der Kirche. Wir holten Wasser, wuschen den Boden
ab und streuten wohlriechende Kräuter darauf, dann erst traten wir
ein, um die Gebete abzuhalten. Aber auch trotz unseres Singens wachte
er nicht eher auf, als bis der Tag anbrach und die Sonne höher am
Himmel emporstieg. Darauf überlieferte ich ihn dem Bischof unter der
Bedingung, daß ihm kein Leid geschehe, weil er nämlich in der Kirche
gefunden worden war. Als aber die Bischöfe in der Stadt zusammen kamen
und ich beim Mahle dies erzählte, befahlen wir ihn vorzuführen, um
ihm Vorstellungen zu machen. Als er nun vor uns stand und der Bischof
Amelius von Tarbes seine Augen erhob, erkannte er in ihm einen seiner
Diener, der entlaufen war; da gab man ihn unter der Bedingung, daß
ihm kein Leid geschehe, zurück, und er nahm ihn mit sich in seine
Heimat. Sieben Jahre später zeigte sich in der Stadt Tours ein anderer
großer Betrüger mit Namen Desiderius, der vorgab, er sei etwas Großes
und könne viele Wunder thun. Auch rühmte er sich, es liefen Boten
zwischen ihm und den Aposteln Petrus und Paulus hin und her. Da ich
nicht in der Stadt war, strömte viel gemeines Volk ihm zu, und sie
brachten ihm Blinde und Kranke. Er aber suchte sie nicht durch frommes
Gottvertrauen zu heilen, sondern vielmehr durch Höllentrug und List zu
verderben. Die gichtbrüchig oder sonst gebrechlich waren, ließ er mit
Gewalt ausrecken, gleich als ob er die, für deren Heilung die göttliche
Wunderkraft versage, aus seiner eigenen Macht herstellen könnte. Es
ergriffen nämlich einige seiner Diener die Hände der Menschen, andere
die Füße und zogen sie nach verschiedenen Richtungen so stark, als
müßten die Sehnen reißen. Wurden sie nicht geheilt, so ließ er sie
für tot liegen. Viele kamen durch diese Marter um das Leben. Ja der
Bösewicht war unverschämt genug, zu behaupten, Sankt Martin sei weniger
als er und sich den Aposteln an die Seite zu stellen. Wenn einer auch
in weiter Ferne und im Geheimen ihm etwas Böses nachgesagt hatte,
warf er ihm dies vor der Menge sofort vor und sprach: ›Dies und das
hat jener Mensch von mir gesagt, das meine Heiligkeit verunglimpft‹.
Das konnten ihm nur die bösen Geister verraten haben. Er trug eine
Kapuze und einen Rock von Ziegenhaaren; vor den Augen der Menschen
war er enthaltsam in Speise und Trank, im Geheimen aber, wenn er in
die Herberge kam, stopfte er sich so voll, daß der Aufwärter nicht so
viel bringen konnte, als er verlangte. Als jedoch seine Betrügerei
entdeckt und von den Unsrigen an den Tag gebracht war, wurde er aus dem
Stadtgebiet verwiesen. Wir haben auch in der Folge nicht in Erfahrung
gebracht, wohin er gekommen ist. Er pflegte aber zusagen, er sei ein
Bürger der Stadt Bordeaux. So giebt es viele solche Verführer, die
nicht ablassen, das unwissende Volk in Irrtum zu verlocken[271-a].«

Und doch ist mit Gregors Schilderungen der tiefste Punkt der
grobsinnlichen Auffassung dieser Dinge und des naiven Glaubens, den sie
voraussetzt, keineswegs erreicht. Zu Ende der Merowinger Zeit nehmen
sie gelegentlich geradezu groteske Formen an. Der Pippin dem Mittleren
gleichgestellte Führer des austrasischen Heerbanns, Martin, wurde von
Abgesandten seines Feindes Ebroin auf meuchlerische Weise gemordet.
Die Boten waren zwei hohe Geistliche, Aegilbert Bischof von Paris und
Reolus Bischof von Reims. Sie sicherten ihm Leben und freies Geleite zu
und schlugen ihn dann tot. Ihre schweren Eide waren doch nicht bindend.
Man hatte aus dem Reliquienkasten, auf den geschworen wurde, vorher
die heiligen Knochen herausgenommen[271-a]! Eine andere sprechende
Begebenheit war harmloser in ihren Folgen. Ihre Träger kamen auch nicht
aus Paris, sondern aus Oberbayern. Die Gründer der Salvatorkirche von
Tegernsee sandten Knechte nach Rom, um Reliquien des Märtyrers Quirinus
zu holen. Sie brachten dem Papst allerlei Geschenke und erschlugen noch
obendrein ein Heer ihm unangenehmer Heiden, das Rom belagerte. Und
doch gab ihnen dieser nur mit schwerem Herzen den kostbaren Schatz,
den sie haben wollten. Er verschloß den Schrein mit seinem Siegel und
verbot, es zu erbrechen. Unterwegs als sie auf dem Apennin rasteten
und wahrscheinlich über den Durst getrunken hatten, fragten sie sich:
»Warum hat er uns eigentlich verboten, den Sarg zu öffnen«? Schließlich
wollten sie wissen, was sie schleppen mußten, und machten auf. Alsobald
Feuer und Blitz und Donner! Der heilige Vater hatte sie nämlich nicht
zum Besten gehalten[271-b].




Sechster Abschnitt.

Das Wunder.


In der fränkischen Volksreligion, wie in der vormodernen Vulgärreligion
überhaupt, tritt das Wunder nicht auf als übernatürliche Durchbrechung
der Naturgesetze; es wird gar nicht als vereinzeltes erstaunliches
Ereignis gewertet, sondern als die aus ihrem Zusammenhange heraus
selbstverständliche Funktion einer zweiten, höheren Welt, die ihren
eigenen Gang geht und ihre eigene Sprache spricht. Gregor kann daher,
ohne sich zu widersprechen, den von ihm erzählten Wundern nachrühmen,
sie seien gegen die Natur geschehen und doch nicht gegen die Vernunft.
Wir dürfen uns nicht begnügen, die Realität geschildert zu haben, die
dem Reliquienglauben innewohnte; es gilt auch von jener Wunderwelt
selbst ein Bild zu entwerfen, wie sie denen, die an sie glaubten,
erschien und wie sie auf sie wirkte. Kam aber das Wunder weit weniger
als einzelnes Faktum in Betracht, vielmehr als Sauerteig der gesamten
Anschauungsweise gegenüber der Welt und den Dingen, so begreifen
wir, warum uns die diesen Wunderglauben vermittelnden Schriften
so schwer verständlich, ja uns kaum mehr zugänglich sind. Mit der
zwingenden Macht einer Logik löste eben der Heiligenglaube spielend
Gedankenverbindungen aus, die für uns absurd sind, ihm aber durch die
höhere, durch die Wundervernunft von vornherein zulässig schienen.
Bekam ein Heiliger, ein lebender oder ein toter, mit Wein oder Oel
zu thun, so wäre es umgekehrt verwunderlich, wenn Oel und Wein sich
dann ~nicht~ vermehrt hätten: denn dann wäre es ja eben kein Heiliger,
sondern ein gewöhnlicher Mensch gewesen; die Folgerung, daß diese
wunderbare Vermehrung stattgefunden habe, stellte sich in Folge dessen
als etwas ganz selbstverständliches ohne weiteres ein. Und darin liegt
weitaus die Hauptschwierigkeit, auf die ein historisches Verständnis
des Heiligenglaubens stößt. Mit dem einzelnen Wundervorgang, sobald
er scharf umrissen vorliegt, kann man zur Not fertig werden; aber
völlig labyrinthisch wird die Gewalt des Wunders durch solche
geheime subcutane Schiebungen und Verknüpfungen. Sie machen die
Heiligenlitteratur zu jenem Nebellande, wo auch der Kundige sich nie
sicher auskennen wird.




Sechzehntes Kapitel.

Die Erscheinung.


War der Heilige »von der Tiefe seines Grabes aus«[272-a] so wirksam,
daß er durch die Reliquie die Kirche und durch das Amulet das
Privathaus durchdrang, so müßte es befremden, sähen wir ihn halt machen
und fänden nicht auch draußen in der Natur Spuren seiner Wirksamkeit.
In der That, auch über Wolken, Luft und Winde herrschten die Heiligen;
Feuerflammen waren ihre Diener. Und doch durften nicht ohne weiteres
Naturwunder, die mit Heiligen in Beziehung stehen, auf den Einfluß
der Reliquie zurückgeführt werden, obwohl eine derartige Einwirkung
dabei auch eine Rolle spielt. Vielmehr stehen wir hier nun nicht mehr
auf dem Boden der kultischen Verehrung, sondern auf dem Boden der
mythischen Anschauung. Aber deshalb besteht, was von dem Mangel einer
mythischen Begabung bei den Franken verlautet, doch zurecht. Die
Franken waren ein Volk der That; über ihrem rastlosen Eifer in Dingen
der staatlichen Ausbreitung und Einrichtung kamen ihnen die poetischen
und träumerischen Eigenschaften ihrer politisch nicht so glücklichen
Bruderstämme abhanden. Sie hatten hiefür einfach keine Zeit. Wo also
andere Germanen schöpferisch waren, verhielten sie sich passiv und
ließen sich eben gefallen, was ihnen in dieser Hinsicht zufiel. Waren
sie jedoch in Dingen der höheren, genialen Legende im besten Fall
Banausen, so ging es im Bereich des niederen Aberglaubens, der stets
zu den vitalen Funktionen eines naiven Volks gehört, bei den Franken
mindestens so lebhaft zu, wie anderswo. Solche niedere Mythologie
entsprang nun keineswegs einer Naturanschauung, aber auch nicht dem
Seelenkult, sondern wurzelt in den mannigfachen Erlebnissen, die der
Mensch aus seinem Traumleben bezieht. Wurde nun dieser Aberglaube
von der christlichen Kirche bekämpft und sollte durch den Heiligen
glauben ersetzt werden, so nahm die Lage folgende Gestalt an: die
Welt war von außermenschlichen Mächten erfüllt; diese gehörten zwei
verschiedenen Lagern an, es gab gute Geister und gab böse Geister. Und
wenn nun auch die Teufel und Kobolde sich keineswegs aus Feld und Wald
verscheuchen ließen, so breitete sich doch die Befugnis der Heiligen
über alle Bezirke der Natur aus. Für uns, die wir nun nachträglich
in das alles hineinblicken, nehmen sich die christlichen Heiligen
durchaus als die Störefriede und gewaltthätigen Eindringlinge aus, vor
deren rücksichtslosem Auftreten die früheren Inhaber der Naturgewalt
erschrocken auseinanderstoben. Und die Kraftherde, von denen aus der
gewöhnliche Lauf der Dinge tagtäglich ins Wunderbare und Fabelhafte
abgelenkt wurde, waren allerdings die Kirchen und Heiligenkapellen
[273-1].


1.

Obschon sich die fränkischen Heiligen weitaus in den meisten Fällen
mit dem kleinen Spuck in Feld und Haus abzufinden hatten, so ragen
doch ihre beiden Führer Martin und Julian in die Regionen der Lüfte
hinan und weisen deutliche Ansätze zu fester mythischer Gestaltung auf.
Und nicht etwa so, daß sie beide allein mit gemeinsamen Eigenschaften
dastünden; vielmehr veranlaßt gerade die durchaus gegensätzliche Art in
ihrem Verhalten zum Wetter, individuelle Züge daran hervorzuheben.

Als König Theuderich Arvern belagerte und die Umgegend von seinen
Soldaten heimgesucht war, flüchteten die Bewohner sich und ihre Habe in
die Julianskirche. Einer der Soldaten öffnete aber das Kirchenfenster,
stieg ein und entriegelte die verrammelte Thür; seine Kameraden drangen
nach, führten Leute und fahrendes Gut hinaus und teilten alles unter
sich auf. Der König verurteilte die Tempelschänder zum Tode. Als aber
jener Rädelsführer sich aus dem Staube machte, sandte Sankt Julian den
feurigen Strahl vom Himmel, der ihn erschlug. Sei es um den Leichnam
anständig zu bedecken, sei es um die Seele des Uebelthäters an die
Stelle zu bannen und somit unschädlich zu machen, häufte man Steine
auf ihn; aber auch das ehrliche Begräbnis sollte ihm versagt sein;
denn wieder wurde unter Donner und Blitz von elementaren Gewalten der
Steinhügel auseinander gerissen, sodaß die Leiche auch der dürftigsten
Bestattung entbehrte[274-a]. Desgleichen widerfuhr einem andern Feinde
des Heiligen. Als der einmal in Geschäften nach Brioude kam und sich
vor dem Grabmal auf den Boden warf, befiel ihn sofort ein Fieber und
gleich so stark, daß er nicht mehr aufstehen konnte. Endlich sagten
seine Diener zu ihm: »Was ist dir nur heute? Sonst bist du doch mit
Beten rasch zu Ende«. Er mußte weggetragen und ins nächste Haus
gebracht werden. Dort auf dem Bette gestand er, der Heilige verbrenne
ihn inwendig mit Feuer und gestand warum. Mit schwacher Stimme bat er,
man möge Wasser über ihn gießen. Als das geschah, zischte von seinem
Körper eine Dampfwolke auf wie von einem Ofen; seine Gliedmaßen wurden
schwarz und die Anwesenden konnten den übeln Geruch kaum ertragen,
der von dem Körper ausging[274-b]. Betrugen sich aber die Gläubigen
sittsam, so wendete Julian seine Obmacht zu ihren Gunsten und ließ bei
einem starken Wettersturm den Blitz zu einem Kirchenfenster ein über
sein eigenes Grab hin zum andern Fenster wieder hinausfahren, ohne daß
den Betern auch nur das leiseste geschah. Draußen zündete dann der
Blitz einen Heustock an und erschlug mehrere Haupt Vieh[274-c].

Gegenüber Julian, dem aggressiven Gewitterheiligen, dem der Blitz
als Waffe zu Gebote stand, ist Martin der Schutzheilige vor Feuer-
und Wetterschaden. Kerzenwachs aus der Martinsbasilika löscht einen
Brand und schützt gegen Hagel. Ein Gefäß mit Martinsgrabsteinpulver
erweckt einen Gegenwind und schützt das Wohnhaus der Kirche vor der
Feuersbrunst; desgleichen kann der Bischof von Tours, nachdem alles
Wasserspritzen nichts half, ein brennendes Haus löschen, einfach indem
er ein goldenes Kreuz mit Martinsreliquien, das er auf sich trug, in
die Höhe hält[274-d]. Ebenso stillt Martin die Stürme auf der See
und auf Strömen und schützt so als Windheiliger vor Wassernot[275-a].
Ein ander Mal jedoch, als er durch eine rechtzeitige Ueberschwemmung
der Loire eine Eroberung von Tours verhindert, schützt er durch
Wasser[275-b]. Ueberhaupt ist er Schutzherr vor jeglicher Gefahr. Als
Ammonius, der ›Agent‹ der Martinsbasilika in angeheitertem Zustand
beim Nachhausegehen einen Rain hinunterfällt, ruft er, während er, wie
es heißt, »ohne Flügel hinunterflog«, Martin an; so wird sein Sturz
durch die Baumäste, gemildert und schadlos gemacht[275-c]. Und wenn
gelegentlich auch einmal ein gewisser Desiderius von Arvern Martin
offensive Eigenschaften zuschrieb, indem er sich beklagte, Martin habe
ihm sein Haus angezündet, nun so war das eben ein Besessener, der
so sprach[275-d]. Vielmehr gilt von den beiden Hauptheiligen, denen
Herrschaft über die Elemente zustand, die Regel fast ohne Ausnahme, daß
Julian damit angreift, während Martin davor schützt.

Zur Erklärung darf man die verschiedene Herkunft der beiden zu Hilfe
nehmen. Julian ist durchaus sagenhaft; es ist wahrscheinlich, daß
überhaupt der Mars- und Merkurdienst, der in Brioude seine besondere
Stätte hatte[275-e], aus Gegensatz dem dortigen Julianskult seinen
Inhalt gab und Sankt Julian seine außergewöhnliche Popularität von
jener Volksgewohnheit aus heidnischer Zeit her bezog, daß er somit
eigentlich zu dem allem nichts als seinen Namen beigetragen, seine
Qualität eines Sturmheiligen dagegen eben einfach von Merkur-Wodan
übernommen hat[275-1]. Jedenfalls ist Mars-Merkur eine lückenlose
Umschreibung für Wodan, insofern Mars die Tiuzelemente des Kriegshelden
und Merkur die ursprünglichen Wodanseigenschaften eines Wind- und
Totengottes wiedergibt. Ob freilich bei Martin wirklich die Erinnerung
an sein Lebenswerk und die darin bekundete Hingebung den milden
Charakter seines kultischen Andenkens bestimmte, wird durchaus nicht
ohne Vorbehalt zu behaupten sein; vielmehr muß auch bei ihm an den
verwandten Zug in der germanischen Mythologie hingewiesen werden, an
die hilfreiche Güte, mit dem sie Wodan und seinen Vorläufer, den großen
Himmelsgott, bedenkt.

Sonst aber soll man sich wie gesagt hüten, das Arbeitsfeld der
fränkischen Heiligen in den Regionen des oberen Mythus zu suchen. Sie
flogen nicht weit aus und flogen nicht hoch; ihr praktisches Wesen und
ihr Verständnis für die Anliegen des Werktags machte sie jedoch zu
Freunden des kleinen Mannes. Dann aber handelt es sich auch bei Wind,
Feuer und Wasser gar nicht mehr um das physikalische Element, das
sie darstellen. Am ehesten noch wirkt das Feuer rein elementar. Wind
und Wasser jedoch kommen vor allem als die Behausungen neidiger und
bösartiger Wichte in Betracht. Freilich, als der Klausner Hospizius
in Villefranche bei Nizza gestorben war, nahm ein beim Begräbnis
anwesender Andächtiger eine Hand voll Erde vom Grabhügel und mischte
sie unter rohe Asche, die er mit sich führte. Er wollte nach Lerinum,
bestieg aber ein Schiff, das direkt nach Marseille fuhr und die Insel
nicht anlief. Auf der Höhe von Lerinum stand nun das Schiff, ein
jüdisches Kauffahrteischiff, plötzlich still, obwohl der Wind alle
Segel schwellte. Die Juden wußten sich vor Staunen nicht zu fassen;
da sagte jener: »Ich führe Reliquien des seligen Hospizius mit mir
und wünsche in Lerinum auszusteigen. Ich getraute mich nicht, dies
zu sagen; nun aber weiß ich, daß Wunderkraft euer Schiff aufhält,
solange ihr euch nicht bequemt, mich ans Land zu setzen«. Wohl oder
übel entschlossen sich jene, den Curs zu ändern, und kaum hatten sie
die Segel umgestellt, so hob sich die Lähmung des Windes, und als der
Passagier glücklich in Lerinum gelandet war, hinderte nichts mehr
das Schiff am freien Lauf seiner Bestimmung zu[276-a]. Sonst aber
verschmäht es selbst der große gute Martin nicht, gegen den Windzauber
boshafter Luftgeister gnädig beizustehn. Ein Bürger von Bajeux hatte
zu viel Wein getrunken und wurde nun gar noch auf dem Heimweg von
einem Wirbelwind so stark umnebelt, daß er vom Pferde fiel und von
den Seinen bewußtlos aufgehoben wurde. Dann aber befiel ihn Tobsucht;
er mußte gefesselt werden, zweifelsohne von dem bösen Wicht besessen,
der in der Windhose haust. Nach langer Kurzeit in der Martinsbasilika
ging er gesund von dannen[276-b]. In zwei andern Fällen waren von
einer Windhose Ueberfallene blind geworden[276-c]. Martin half sowohl
dem Knaben aus Limoges, als dem überseeischen Fremdling; jener war
zwölf Jahre blind gewesen, dann bewirkte der inbrünstige Besuch beim
Grabe plötzlich den Blutaustritt aus den Augen, der ihn heilte,
während dieser, bereits drei Jahre blind, noch vier Jahre im Heiligtum
zubringen mußte, bis er endlich sah. Sowohl das Kind eines Knechtes
in Anjou, das auf der Straße spielte, als auch ein junges Mädchen von
Tours Namens Viliogundis waren beim Tanzspiel durch aufgewirbelten
Staub um das Sehvermögen gekommen, sie fanden es jedoch wieder bei dem
Heiligen[276-d]. Hier verhält sich Martin überall schützend, indem er
den Schaden des heimtückischen Dämons, der in der Windhose spuckt, wett
zu machen weiß.

Wie der Wind, so das Wasser. Doch stellt sich dieses von vornherein
in zwei Formen dar, deren eine, die Quelle, schon von alters her als
wohlthätiger Zufluchtsort aufgesucht wurde, während Fluß, See und Meer
ausschließlich Sitze böser Gewalten waren. Beiden aber, und das ist
die Hauptsache, wohnten Geister inne. Orientalische Sagen bilden eine
Art Vorspiel. Zwar darf beim Jordan, dem heiligen Strome der Christen,
von einem Flußgott keine Rede sein; aber dem Wasser war doch so viel
Urteil und Willenskraft eigen, daß beim üblichen Volksbad an Epiphanien
es vor den Füßen eines verbrecherischen Weibes wegfloh, durch diesen
Entzug der Sühne Argwohn erregte und so die achtfache Kindsmörderin
zum Geständnis zwang[277-a]. Ebenso entzieht sich das Taufwasser im
Wunderbecken von Osser einem Diebe[277-b]. Desgleichen fließt das Meer
am Clemenstage an der Stelle drei Meilen weit vom Lande zurück, wo
der heilige Clemens mit einem Anker am Halse ins Meer geworfen worden
war[277-c]. In Brioude entsprang eine glänzende, reiche Warmquelle an
eben dem Orte, wo Julian enthauptet worden war[277-d]. Sie war heilsam
gegen Sonnenstich und Fieber selbst in schweren Fällen[277-e]. Auch
sie hatte der unermüdliche Aridius aufgesucht und eine kleine Flasche
voll daraus geschöpft; bevor er nach Hause kam, war das Wasser in
allen seinen Eigenschaften zu Balsam geworden[277-f]. Derselbe Aridius
von Limoges fand ja auch das Wasser eines Brunnens heilkräftig, den
der heilige Martin gegraben hatte; und wie Sankt Martin einst aus
dürrem Erdreich eine Quelle herausgebetet hatte, so vollbringt er seit
seiner Erhöhung immerfort solche Quellenwunder. Bei Limoges war durch
bösen Zauber eine nützliche viel ausgeschöpfte Quelle verschwunden
und entsprang dann wieder mitten in einem Sumpfe, wo kein Mensch sich
ihrer bedienen konnte. Da ging man mit Clemensreliquien zu Werke, und
die gaben ihr den alten Ursprung wieder[277-g]. Indes steht weniger
die Wohlthat der Quellenerweckung als der Schutz gegen Gefahr bei den
Beziehungen der Heiligen zum Großwasser im Vordergrunde. Zu Ostern
wollte eine Fähre bei Tours Wallfahrer über die Loire setzen, da
kommt der Winddämon einhergefahren; das Fahrzeug schlägt um. Aber
Martin rettet alle, da sie alle zu ihm flehen[277-h]. Als gefährdete
Girondeschiffer von der Mitte des Stromes aus die ängstlich erspähte
Kirche des heiligen Romanus zu Blaye endlich am Ufer erblicken, sind
sie auch schon außer Gefahr[277-i]. Ein Kaufmann aus Trier erzählte der
Aebtissin Agnes aus Poitiers, er sei zum Salzhandel mit einem Schiffe
in Metz gewesen, und habe an der Moselbrücke Abends sich in seinen
Kahn schlafen gelegt und dazu gesagt: »Herr Martin, dir empfehl ich
mich selbst, meine Säcke und das Schiff«. Am andern Morgen erwachte
er in Trier; das Fahrzeug hatte führerlos abwärts getrieben und weder
an den hochgehenden Fluten noch an den felsigen Uferklippen Schaden
gelitten[278-a]. Auch an jenen Bauern ist hier wieder zu erinnern,
der einen Cleriker bei sich über Nacht hatte und ihn am andern Tage
bat, sein Morgenbrot zu segnen. Da er geweihte Speise im Leibe
hatte, konnten ihm dann auch, als er über die Schiffbrücke fuhr, die
ihm auflauernden Flußgespenster zu ihrem Leidwesen nichts anhaben.
Flußheiliger war auch Genesius von Arles. Er hatte einst bei Lebzeiten
die Rhone durchschwommen und wurde, als eine Schiffbrücke weggerissen
worden war, von den Bedrohten mit Erfolg um Hilfe angerufen[278-b].
Einen fast theoretischen Ausdruck findet diese Anschauung von der
Notwendigkeit des Heiligenschutzes gegenüber den Wassergeistern in
einem Wort, das dem heiligen Andreas in den Mund gelegt wird: »Der
Feind des Menschengeschlechts haust überall, ob nun auf dem Badeplatz
oder auf dem schiffbaren Flusse«[278-c].

Andere kleinere Heilige verstanden sich auf Regen- und Schneewunder.
Als Bischof Namacius von Arvern die Agricola- und Vitalisreliquien, die
er sich aus Bologna hatte besorgen lassen, in feierlicher Prozession
einholte, zog sich eine Wetterwolke zusammen, und ein Platzregen
ging mit größter Heftigkeit nieder; eine Jucharte im Umkreis der
Reliquien dagegen fiel nicht ein einziger Tropfen und zwar bewegte
sich dieser Freibezirk mit der Prozession von der Stelle[278-d]. Zu
Utrecht blieb das Servatiusgrab unberührt, als es eines Nachts haushoch
schneite[278-e].


2.

Nicht nur die Elemente, auch das organische Leben auf der Erde
erschienen dem Naturmenschen begeistet. Unter Umständen schrieb man
schon dem Stein eine Seele zu; jedenfalls aber den Pflanzen sagte man
ein geisterhaftes Wesen nach, einen Dämon, dessen Leben an das Leben
der Pflanze gebunden war; mit ihr wird er geboren, mit ihr stirbt er.
In ihr hat er seinen gewöhnlichen Aufenthalt, sie ist gleichsam sein
Körper, und doch erscheint er vielfach auch außer ihr in Thier- und
Menschengestalt und bewegt sich in Freiheit neben ihr[278-1]. Wie sehr
nun der fränkische Heiligenkult auch auf dieses volkstümliche Bedürfnis
eintrat, zeigt die große Rolle, die in ihm das Floramirakel spielt.

Wie manchem Heiligen, gleichviel ob hoch oder niedrig ist ein
Pflanzenwunder eigen; schlug ja doch schon die Dornenkrone Christi
täglich neu aus und sproßte am Sockel der Christusstatue, die ihm das
blutflüssige Weib zu Cäsarea Philippi errichtet hatte, ein Kraut
mit der Eigenschaft der Mantelfransen Christi, nur schon bei bloßer
Berührung zu heilen[279-a]. Als Florentian der Major Domus König
Childeberts als Gesandter bei König Miro von Spanien weilte, erzählte
ihm dieser den Vorfall selber[279-b]. Zu der Martinskirche dort führt
eine Weinlaube hin, und als der König einst zur Kirche ging, mahnte
er seine Leute noch ausdrücklich: »Rührt mir ja keine der Trauben
an; sie gehören Sankt Martin«. Aber sein Hofnarr dachte hinter ihm
hertänzelnd: »Was scheert mich das, sobald sie mir schmecken«. Bitter
büßte er; seine Hand erstarrte und er kam auch seelisch so herunter,
daß er sich selbst mit keinen Witzen und Possenkünsten mehr aufhelfen
konnte. Erst des Königs heißes inbrünstiges Gebet vor dem Altar verlieh
ihm die Gesundheit wieder. In der Julianskirche zu Brioude hörte der
Tempelhüter Urbanus eines Nachts ein Geräusch, als öffne sich die
Thüre und nach dem Verlauf einiger Stunden ein anderes, diesmal, als
werde die Thüre geschlossen. Er stand auf, machte Licht und ging zum
Heiligengrabe. Was bekam er da zu sehen? Die Steinplatten des Grabes
waren mit schimmernden Rosen überstreut, großen, roten Rosen von
ungewöhnlich starkem Duft. Sie waren frisch gepflückt; sie mußten in
der Stunde selbst gebrochen worden sein. Ehrfurchtsvoll sammelte der
Sakristan die Blumen, brachte sie in Sicherheit und verwandte sie zur
Heilung von Gebrechen. Einen Besessenen aus Tours, der in Brioude
zu Besuch war, purgierte der Rosenabsutt von seinem Dämon[279-c].
Die Laurentiuskirche in der italienischen Burg Brionas besaß einen
wunderbaren Balken in ihrem Dachgerüst, der bei der Reparatur als zu
kurz sich erwies und dann auf das heiße Gebet des Priesters vom Patron
mit eigener Hand berührt und verlängert worden war. Ein Spahn von
diesem Holze half vom Zahnweh[279-d]. Bei der Beerdigung des Bischofs
Gallus in der Laurentiuskirche von Arvern bemächtigte sich die Nonne
Meratina einer Erdscholle und hegte sie in ihrem Garten so lange
mit Begießen, bis es Rasen gab; auch dieses Gras war heilkräftig.
Eine der Blumenspenden auf dem Grabe des Gallus heilte unter anderem
den Vorsänger und nachmaligen Presbyter Valentinus[279-e]. In Arles
wurde der Maulbeerbaum, unter dem Sankt Genesius geköpft worden war,
von den zudringlichen Gläubigen zum Stumpf abgeplündert[279-f]. Ein
anderer heiliger Genesius, der von Bigorre in den Pyrenäen, hatte
bei Lebzeiten einen dürren Kastanienbaum[279-g] zum Blühen gebracht,
und seit er im Himmel war, freute sich das Volk auf seinen Tag,
weil dann am Grabstein eine gepflückte verwelkte Lilie und ihr nach
beliebige andere welke Blumen neu aufblühten. Offenbar war diese Art
Blumenwunder lokale Spezialität; denn auch auf dem Severusgrab des
angrenzenden Tarbes blieb das Jahr durch eine dürre Lilie liegen, um
dann am Tage des Heiligen sich zu verjüngen[280-a]. Ebenso erbetete
sich das Volk von Merida alljährlich am Tag der heiligen Eulalia, dem
zehnten Dezember, daß ihre drei Bäume von unbekannter Art vor aller
Augen wunderbar erblühten[280-b]. Auf dem Baudiliusgrab zu Nimes stand
ein Lorbeer; er hatte sich durch die Wand gebrochen, die Krone wuchs
im Freien weiter[280-c]. In Embrun lagen unbekannt irgendwo heilige
Leichen; der kleine Mann, der zufällig im Besitz des Aeckerchens war,
machte mit dem dort wachsenden einzigen Bäumchen die besten Geschäfte,
weil jeder Kranke, er mochte leiden an was er wollte, unfehlbar gesund
wurde, sobald er von den Birnen aß. So wurden die Reliquien entdeckt,
das Gärtchen expropriiert, der Birnbaum umgehauen, eine Kirche auf
dem Platz errichtet, und dem jammernden Besitzer blieb nichts übrig,
als sich scheeren zu lassen, um von nun an der Kirche Priester zu
sein[280-d]. Mit Salbeiblättern vom Grabe des Ferreolus und Ferrucio in
Besançon heilte die Schwester Gregor’s ihren schwerkranken Mann[280-e],
während das Tranquillusmoos von Dijon, wie dieser unser Gewährsmann
selbst erprobte, den Pustelausschlag an den Händen vertrieb[280-f]. Bei
Chinon grub der Verwalter einer ehemaligen Einsiedelei die aus einem
selbst gepflanzten Baum des verstorbenen Heiligen gezimmerte Ruhebank
ein, um sie nicht der Profanation auszusetzen; im Frühling wuchsen an
der Stelle Sträucher von fünf bis sechs Fuß Höhe[280-g].

So bot für den auszurottenden heidnischen Baumkultus der Heiligenkultus
mannigfaltigen Ersatz.


3.

Tiere werden von den Heiligen meist zu Botendiensten verwendet, oder
erweisen sich sonst als deren Organe, wobei immer mehr oder weniger
die Vorstellung mit unterläuft, eine ehemalige Menschenseele walte im
Tiere. Als die Burgunder Brioude eroberten und sich Hillidius von Le
Velay auf sie warf, umflatterte ihn immerfort eine weiße Taube und
reizte und führte ihn so lange, bis er die Tempelräuber hinausgetrieben
hatte[280-h]. Bei Thiers fanden Kühe das verborgene Grab des heiligen
Genesius[280-i]. Wie oft wurden nicht Reiter, einfach weil ihre Pferde
nicht weiter wollten, dazu gezwungen, bei einer Kapelle abzusteigen
und zu beten[280-k]. Ein Weinpanscher war reich geworden; da kam ein
Falke entriß ihm das Geld mit der roten Börse und warf es in die
Saône[281-a]. Abgesehen von solchen gelegentlichen Mittlerdiensten
macht sich der Einfluß des Heiligen im Tierreiche auch um seiner
selbst willen geltend. Alle Tiere verlieren ihre Wildheit, wenn
sie in Brioude in die Basilika des heiligen Julian geführt werden;
Gregor von Tours berichtet es als seine eigene Beobachtung, wie die
wildesten Stiere dann zu Lämmern wurden[281-b]. In Auch kehrten wild
gewordene Bienen, als der heilige Martin angerufen wurde, sofort in
den Garten des Besitzers zurück, und das gewonnene Wachs erwies sich
wie es scheint heilkräftig gegen Rückenschmerzen[281-c]. Ein Dieb
der Immenkörbe aus dem Nonnenkloster von Amiens erfuhr der Bienen
Rache, die ihm indessen von aufgestörten unheiligen Bienen wohl genau
in gleicher Weise widerfahren wäre[281-d]. Gegen Viehseuche holte
Jemand Oel aus den Lampen der Martinsbasilika, bestrich sich damit den
Finger und zeichnete dann an Stirn und Rücken die kranken Tiere mit
dem Kreuzeszeichen; ja er machte eine Salbe und strich sie ihnen ein,
mit vollem Erfolge[281-e]. Endlich darf auch an die unverletzliche
Tempelheerde des heiligen Julian erinnert[281-f] und zugleich auf die
weißen Rosse Wodans hingewiesen werden, die von den alten Deutschen auf
Staatskosten in Hainen nur zu göttlichem Dienste gehegt wurden[281-1].

In der Vorstellung jener Zeit war es von den Tieren zu den Werwölfen
und anderem Gespensterspuk nicht weit. Wenn nun aber die bösen Geister
den Menschen nicht bloß plagen, sondern ihm sogar zu Gesichte kommen,
so bleibt auch der Heilige nicht mit allerhand Verkleidungen zurück
oder hinterläßt wenigstens Spuren, er sei persönlich dagewesen. Die
beiden Greise, die den Leichnam des heiligen Julian bestatteten werden
wieder zu Jünglingen[281-g], indessen ein Bürger von Orleans, der am
Avitusfeste arbeiten geht, weil ja doch der gefeierte Heilige einmal
selbst Handwerker gewesen sei, mit umgedrehtem Hals das Gesicht zur
Erde gekehrt in seinem Weinberg aufgefunden wird[281-h]. Aus der
Basilika des heiligen Felix zu Narbonne hatte ein Dieb ein Pack mit
kostbaren Sachen gestohlen. Unterwegs gesellt sich ein Mann zu ihm,
dem er Vertrauen schenkt und den Schatz zeigt; ja er schlägt ihm vor,
die Sachen zu verkaufen und halbpart zu teilen. Der Fremde sagt, er
habe in verschiedenen Gegenden viele Freunde und selbst ein großes,
zum Verbergen geeignetes Haus; dort solle er die Schätze wenigstens
vorerst deponieren. Arglos folgt ihm der Dieb, ohne es zu merken,
wieder in die Basilika und giebt somit die entwendeten Kostbarkeiten
eben dort ab, wo sie herkommen. In diesem Augenblick ist sein
Begleiter verschwunden[281-i]. In solchen Fällen muß es noch offen
bleiben, ob der Heilige selbst die Verkleidung übernommen hat oder
ob er sich eines Zwischenträgers bediente. Um zu den unzweifelhaften
eigenen Manifestationen des Heiligen überzugehen, muß zunächst der
populären Sehenswürdigkeiten gedacht werden, wo sich das Andenken
buchstäblich versteinert hat. An der Martinsquelle bei Ligugé befand
sich ein Stein, der die Hufspur des weiland von Martin gerittenen
Esels bewahrte, während bei Dijon, in Blei gefaßt, die Fußabdrücke
des heiligen Benignus reichlich mit Wein und Mostspenden bedacht
wurden[282-a]. Immerhin haben solche antiquarische Zeichen hinter
aktuellen, lebendigen zurückzutreten. Der Heilige machte seine
Einwirkung auf die verschiedenste Weise geltend; zunächst rein als
Kraftäußerung: der heilige Helius hält in Lyon einen Leichenräuber
nicht nur so lange an seinem Grabe fest, bis Leute nahten, sondern
bis der Richter dem Strafwürdigen wenigstens das Leben geschenkt
hatte[282-b]. Nicetius von Lyon läßt das Dach einstürzen, auf dem ihn
sein früherer Diakon lästert[282-c]. Ebenso äußert Sankt Vincenz in
Toulouse, ohne persönlich zu erscheinen, lediglich seine Kraft, als
er zu Wahrung seiner Würde, einen in der Kirche begrabenen Verbrecher
Antoninus zweimal mit samt dem Sarkophag nächtlicherweile an die
Luft setzt[282-d]. Eine Steigerung zeigt sich bereits in mehr oder
weniger bestimmten Gesichts- und Gehörwahrnehmungen. Auditionen
sind seltener, kommen aber vor. So hörte eine schwerbekümmerte
Mutter, die sich über den Tod ihres Sohnes nicht trösten konnte,
zur Linderung ihres Schmerzes seine Stimme im Chor der Mönche von
Agaunum mitklingen[282-e]. Ebenso vernahm man in der Dorfkirche von
Bouliac bei Bordeaux im Psalmengesang des Klerus auch die mitwirkenden
Stimmen zweier Priester, die einst in großer Heiligkeit gelebt
hatten und einander gegenüber begraben lagen[282-f]. Während des
Leichenbegängnisses des Nicetius von Lyon hörte ein blinder Knabe
jemanden ihm ins Ohr flüstern: »Schlüpfe unter den Sarg während er
einhergetragen wird, so wirst du gesund«. Er fragte seinen Führer,
wer mit ihm spreche, dieser aber sah niemanden. Dennoch meldete
sich die Stimme ein zweites und ein drittes Mal[282-g]. Als ein
Lahmer, der nachts vor der Juliansbasilika in Brioude auf einem
Wagen lag, diese plötzlich von innen heraus erleuchtet sah und aus
der Halle vielstimmigen Gesang erklingen hörte, fühlte er sich darob
gesunden[282-h]. Lichtwunder sind zahllos. Am Grabe des Stremonius
in der Basilika von Issoire sieht Bischof Cautinus von Clermont,
dessen Kammer an die Kirche stieß, helles Licht und eine Menge weiß
gekleideter Kerzenträger und Sänger[282-i]. Nantes hatte zu Chlodowechs
Zeiten eine Belagerung auszuhalten, und als sie sechzig Tage gedauert
hatte, schienen dem Volk in mitternächtiger Stunde auf einmal Männer
in weißen Kleidern, Kerzen in der Hand, aus der Kirche der Märtyrer
Rogatian und Donatian zu kommen; zur gleichen Zeit kam ein zweiter
gleicher Chor zur Similianskirche heraus. Sie begegneten sich und
begrüßten sich, beteten gemeinsam und dann ging jede Schaar wieder
den Weg zurück, den sie gekommen war. Alsobald wurde die feindliche
Phalanx von einem solchen Schrecken ergriffen, daß sie sofort das Feld
räumte. Diese Vision war nämlich dem Höchstkommandierenden namens
Chillon begegnet. Er war noch Heide, ließ sich aber darauf hin sofort
taufen[283-a]. Eine ähnliche Lichterscheinung mit ähnlicher Wirkung
wollte die Stadt Bazas während ihrer Belagerung durch die Hunnen erlebt
haben. Allerdings durchzog der Bischof der Stadt jede Nacht die Straßen
mit einem Bittgang. Aber im feindlichen Lager bemerkte man Schaaren
weißgekleideter Leute, die auf der Stadtmauer entlang zogen unter
Psalmengesang und Kerzenbeleuchtung. »Sind die Menschen verrückt?«
rief der König aus. »Sie, die Belagerten, machen sich über uns
lustig und feiern zum Voraus einen Triumphzug.« Er ließ in der Stadt
Vorstellungen erheben. Aber man begriff nicht, worauf er anspielte;
denn auf den Mauern war, daß man wußte, Niemand zugegen gewesen. Eine
zweite ähnliche Erscheinung bewog ihn, die Belagerung aufzuheben:
»Wenn diese Leute nichts von dem bemerkten, was mir erschien, so folgt
daraus, daß ihr Gott sie beschützt«[283-b]. Daß ein Heiliger bei
Reliquienkombination sich dann tatsächlich in Person zu den andern
Genossen gesellt, sahen wir früher; die Vorstellung an sich grenzte
ans Visionäre und wuchs sich bei der geringsten Steigerung zur Vision
aus. Deshalb haben wir das schönste Beispiel von einem förmlichen
Heiligenkonzil für hieher aufgespart; Gregor erzählt wörtlich: Die
Besessenen die zum Grabe kommen, geben oft genug Beschimpfungen von
sich gegen den Heiligen Gottes, weil er andere Heilige zu seinem
Namensfest einlade: »Warum, o Julian, rufst du Fremde herbei? Da ist
der Ungar Martin, unser beständiger Feind, der drei Tote aus unseren
Schlupfwinkeln zurückgeholt hat. Da ist Privat von Gevaudan, der
seine Schafe nicht den Barbaren überließ, wie es in unserem Sinne
stand. Da ist Ferreol von Vienne, dein Genosse, den du uns zur Strafe
sendest und den andern zum Schutz. Was brauchst du den Symphorian von
Autun, den Saturnin von Toulouse? Du hast geradezu ein Konzil von
Heiligen versammelt; Qualen der Hölle verursacht es uns«. In dem sie
diese Dinge vorbrachten, malten sie so anschaulich die Heiligen den
Menschen vor Augen, daß Niemand deren Gegenwart an Ort und Stelle
mehr bezweifelte[284-a]. Noch intimer gestaltete sich das Verhältnis
zur andern Welt, sobald es nicht beim Anschauen blieb, sondern ein
wirklicher Verkehr sich einstellte, zumal wenn dazu die Initiative
von oben ergriffen wurde. In Autun befand sich ein Kirchhof neben der
Stephansbasilika. Zwei nächtliche Beter hörten in dieser Kirche Gesang
und sahen übernatürliches Licht. Einer der Sänger naht sich ihnen und
sagt: »Ihr thut schweres Unrecht unsere nächtlichen Zusammenkünfte
zu belauschen. Wenn ihr nicht sofort geht, so müßt ihr sterben«. Der
eine ließ es sich gesagt sein; der andere, der blieb, starb wenige
Tage später[284-b]. Als Bischof Trojan von Saintes in Begleitung eines
Subdiakons die heiligen Stätten der Umgegend besuchte, erschien ihm
ein großer Lichtglobus gleichsam vom Himmel herab; der Bischof ließ
seinen Diener zurück und näherte sich dem Licht, das seinerseits auf
ihn zukam; dann bückte er sich zur Erde und sagte: »Segne mich, bitte,
seliger Priester!« Jener antwortete: »Segne du mich, Priester Gottes
Trojan!« Darauf küßten sie sich, sprachen miteinander und unterhielten
sich lange. Aus der Ferne sah der Subdiakon wie angedonnert zu und
sah, wie das Licht auf demselben Wege wie es gekommen war, wieder
verschwand. Als der Bischof zurückkam, sagte er: »Dir will ich’s sagen,
du darfst es aber nicht weiter sagen. Den heiligen Martin von Tours
habe ich gesehen; er selbst hat mit mir gesprochen. Hüte dich, die
Geheimnisse Gottes auszuplaudern«[284-c].


4.

Alle diese Geschichten, so eigenartig sie zum Teil sind, entstanden
nur unter dem Bann einer Vorstellung, der Vorstellung von der
Macht des Heiligengrabes. Sie waren durchweg durch eine psychische
Ursache hervorgerufen. Nun fehlen aber auch einzelne Beispiele
nicht, daß eine solche Vorstellung in seltenen Fällen auch geradezu
durch eine physische Reizung hervorgerufen wurde. Damit betreten
wir ein außerordentlich interessantes Gebiet der vergleichenden
Religionsforschung[284-1]. Von Alters her ersuchte man auf unnormalem
Wege Erkenntnis zu gewinnen, die auf normalem nicht erhältlich
war. Die verbreitetste, wirksamste und interessanteste Art dieser
Versuche ist das merkwürdige psychologische Phänomen, das man in
seinen verschiedenen Erscheinungsformen unter dem Begriff der
Kristallschauung zusammenfaßt. Das Gesichtsbild wird auf mannigfache
Weise hervorgerufen, meistens durch das Anstarren von Wasser in einem
Glasgefäß, so bei den Indianern, bei den Afrikanern von Fez und nach
einem von Augustin aufbehaltenen Zeugnis Varros auch bei Römern.
Die Maoris gebrauchen zum selben Zweck Blutstropfen, die Egypter
Tinte, und wilde Stämme in Australien eine polierte Steinkugel. In
allen Erdteilen finden sich Spuren dieses von primitiven Religionen
gehandhabten Phänomens; doch wurde es als eine der unzähligen Formen
des Aberglaubens so lange nicht weiter beachtet, bis eine englische
Dame auf Grund von Selbstexperimenten es methodisch untersuchte und der
gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis die Thatsache einverleibte,
daß vollständig gesunde Leute, die entsprechende Veranlagung
vorausgesetzt, in Glaskugeln lebende Landschaften oder sich bewegende
menschliche Figuren wirklich erblicken[285-1]. In der alten Kulturwelt
findet sich diese psychische Fähigkeit in den Händen von Zauberern
und Aerzten ausgebeutet, und schon die ersten christlichen Synoden
bekämpften die Krystallschauer, da ja doch unter den Specularii gewiß
niemand anders zu verstehen sein wird, als eben diese Spiegelwahrsager.
Nun belehrt uns aber Gregor, wie so mancher andere sei auch dieser
heidnische Brauch von der Kirche zweckmäßig übernommen und entweder wie
in Bethlehem zur Unterstützung einer lokalen Wallfahrtssage oder wie in
Bazas zur handgreiflichen Illustration des Trinitätsdogmas verwendet
worden. Nicht als kirchliche Institution, sondern als unwillkürliche
private Wahrnehmung erweist sich der dritte Fall, wo ein durch das
Glasgefäß der Hostie hervorgerufenes Hellgesicht in naiver und unklarer
Form vorlag und dann die den Umständen entsprechende nächstliegende
Auslegung erfuhr. Diese drei Vorfälle erzählt Gregor in folgender Weise.

In Bethlehem wurde ein großer Sodbrunnen gezeigt, an dem die Jungfrau
Maria Wasser geschöpft haben soll. Wer öfters hineinsieht, kann dort
ein Wunder sehen, nämlich den Stern, der einst den Weisen erschien;
aber nur die Herzensreinen werden dessen gewürdigt. Wenn die Gläubigen
nahen und sich über den Rand hinbücken, werden ihre Häupter mit einem
Leintuch bedeckt. Wer nun verdienstlich genug ist, der sieht den
Stern an der einen Wand des Brunnens auftauchen und über das Wasser
hinwandern und an der andern Wand verschwinden, genau wie sich am
Himmel die Sterne wirklich bewegen. Und obwohl viele hinsehen, wird
er doch nur von denen erblickt, die den besonderen Sinn dafür haben.
Gregor kannte einige Pilger, denen die Schauung geglückt war, und sein
Diakon berichtete ihm, ihrer fünfe hätten sie zusammen geschaut, aber
nur zwei davon hätten es wirklich gesehen[286-a]. Da in diesem unserm
ersten Fall allerdings immer von vornherein der Stern geschaut werden
soll und somit die Spontaneität der Vision durch die Lokaltradition
unterbunden ist, könnte man zur Not auch bloß an ein gelegentliches
blitzartiges Aufzucken des ruhigen Brunnenspiegels aus der oder jener
natürlichen Ursache denken; doch scheint die Art des Berichtes bei
Gregor dagegen zu sprechen. Keinerlei Zweifel dieser Art dürfte jedoch
gegenüber dem zweiten und dritten Beispiel möglich sein: in Bazas
fielen von der Höhe der Kirche auf den Altar drei kristallhelle Tropfen
nieder, die sich zu einer Perle vereinigten. Man sah darin ein Symbol
der heiligen Dreifaltigkeit, ließ die Kristallperle in ein kostbares
kreuzförmiges Gestell aus reinem Golde fassen und bot sie dem Volke zur
Adoration dar. Von den Beschauern sahen sie nun die Unschuldigen hell
und die Schuldigen dunkel, so lautet der Bericht[286-b]; wir dürfen die
Worte, ohne sie irgendwie zu vergewaltigen, getrost dahin umschreiben,
daß die Schaustellung der unverwandt betrachteten Glaskugel eben die
dafür Empfänglichen in den der Krystallschauung eigenen hellsehenden
Zustand versetzte, während die Unempfänglichen eben nicht ›hell‹,
sondern nur ›dunkel‹, das heißt gewöhnlich sahen und keine Veränderung
ihres Wahrnehmungsvermögens erfuhren. Als drittes erzählt Gregor,
er habe als junger Mensch einmal dem Gottesdienst in einem Dorfe
bei Clermont beigewohnt; der Diakon, der das Hostiegefäß zum Altare
bringen sollte, stand im Rufe, sich fleischlich vergangen zu haben.
Deshalb ließ sich das heilige Gefäß von dem Unreinen nicht berühren; es
schwebte in der Luft vor ihm her zum Altare. Das Wunder wurde jedoch
nicht von allen Anwesenden, sondern nur von vier Personen wahrgenommen,
einem Priester und drei Frauen, unter denen sich auch Gregors Mutter
befand. »Ich war damals bei dieser Festlichkeit anwesend«, erzählt
Gregor, »aber dies zu schauen ward ich nicht gewürdigt[286-c].«

Dieses fremdartige Phänomen der Anwendung von Hallucination im Kultus
scheint übrigens im Orient noch hie und da sich ereignet zu haben.
Der Marienbrunnen zu Bethlehem ist wohl der berühmteste, aber kaum
der einzige Visionswasserspiegel gewesen. Auch in der Isidorskirche
auf der Insel Scio soll ein Licht wie eine brennende Kerze von den
Gläubigen öfters gesehen worden sein; Gregor kannte einen Priester,
der bestätigte dieses Licht vom Rande des Sodbrunnens aus öfters
betrachtet zu haben[286-d]. Auch brauchte es ja nicht eine Wasserfläche
zu sein; so ging von dem heiligen Grabe in Jerusalem die Rede, oft
erstrahlten einzelne seiner Schollen auf ganz natürliche Weise[287-a].
Im Abendlande findet sich außer dem Kristalltropfenkreuz in Bazas keine
Spur von dem Dasein einer derartigen kirchlichen Institution. Da jedoch
die natürliche Reaktion der hiefür Empfänglichen gegebenen Falles auch
hier die Erscheinung herbeigeführt haben, so mag Kristallvision ab
und an vorgekommen, dann aber einfach als Lichtwunder dargestellt und
daher für uns nicht mehr erkennbar sein. Schon vom heiligen Martin wird
erzählt, beim Celebrieren des Meßopfers habe seine Hand zu strahlen
angefangen; auf Kristallvision weist dabei der Umstand, daß auch dort
unter den Zuschauern zwei Parteien sich bildeten; die einen beteuerten,
das Wunder mit ihren eigenen Augen wirklich gesehen zu haben, die
andern ebenso entschieden, sie hätten nichts gesehen[287-b].




Siebenzehntes Kapitel.

Die Heilung.


Eine übernatürliche Erscheinung an sich interessierte damals jedoch
nicht so sehr, wie die wunderbare Heilung von irgend einer Not oder
Krankheit. Dann erst zeigte sich der Heilige in seiner ganzen auch
dem Einzelnen fühlbaren Macht. Sie war Probe und endgiltiger Beweis
des Wunders. Hören wir darüber den Bischof von Tours: »Die Wunder,
die unser Herr Gott durch den seligen Martin, seinen einst im Fleisch
wandelnden Diener ins Werk zu setzen geruhte, läßt er täglich zur
Stärkung des Vertrauens der Gläubigen sich wiederholen; denn jetzt
stattet er dessen Grabhügel genau mit denselben Kraftthaten aus,
die jener ausführte, als er auf Erden war. Wer wird nun noch an
den früheren Wundern zweifeln, wenn er die Gnadengeschenke der
gegenwärtigen Zeichen sich mitteilen sieht, wenn er sieht, wie Lahme
sich aufrichten, Blinde das Augenlicht wieder finden, die Geister von
den Besessenen ausfahren und jede andere Art von Krankheit durch die
Mittlerschaft des Heiligen geheilt wird«[287-c].


1.

Gregor war von Natur nicht ohne Anlagen, dem volkstümlichen
Wunderglauben, an dem er nun selbst in so reichem Maße teilnahm,
kritisch gegenüber zu treten. Er, der unermüdliche Mirakelsammler,
kann gelegentlich eine rein natürliche Anschauung einer Krankheit
zur Schau tragen. Die große Epidemie vom Jahre 580 schildert er
nicht viel anders, als es etwa ein gefühlvoller Beobachter heute thun
würde: »Es hatten aber, die an dieser ansteckenden Ruhr litten, unter
Erbrechen heftiges Fieber und einen gewaltigen Nierenschmerz, auch Kopf
und Genick wurde ihnen schwer, und ihr Auswurf war von gelber oder
mindestens grüner Farbe. Die gewöhnlichen Leute nannten die Krankheit
innere Blattern, und nicht unzutreffend; denn wenn an den Schultern
oder Schenkeln Schröpfköpfe gesetzt wurden, kamen Blasen heraus und
brachen auf. Durch das Auslaufen des Eiters wurden viele geheilt.
Aber auch Kräuter, die man sonst als Gegengift braucht, halfen als
Trank eingegeben sehr Vielen. Die Krankheit brach im Monat August
aus, zuerst unter den Kindern und raffte viele hinweg. Wir verloren
die süßen, teuren Kleinen, die wir auf unserm Schoß gehegt, in unsern
Armen gewiegt, denen wir mit eigener Hand Speise gereicht und sie mit
ängstlicher Sorge genährt hatten; aber wir trockneten unsere Thränen
und sprachen mit dem heiligen Hiob: ›Der Herr hat es gegeben, der Herr
hat es genommen, der Name des Herrn sei gelobt‹[288-a].«

Als Vorsteher der Kirche von Tours und unermüdlicher Beobachter des
Heilung suchenden Volkes erwarb sich Gregor zum mindesten eine sehr
große Erfahrung und einen geübten Blick für die Beurteilung eines
Krankheitsfalles. Einzelne seiner klinischen Schilderungen überraschen
durch die Schärfe der Anschauung. Eine Pest beschreibt er so: »Die
Bevölkerung von Tours war von einer ansteckenden Krankheit heimgesucht.
Diese Krankheit bestand darin, daß der Kranke von heftigem Fieber
ergriffen, ganz von Beulen und Bläschen bedeckt war. Die Beulen
waren weiß und hart, ohne jede Weichheit, es wäre denn im Stadium
des höchsten Schmerzes. Reif geworden, platzten sie und begannen
auszufließen; dann klebten die Kleider am Leibe und der Schmerz nahm
beträchtlich zu«[288-b]. Die Dyssenterie schildert er als Krankheit,
deren Merkmal in unsichtbaren Bläschen bestehe[288-c]. Sehr genau hat
er sich einen Kranken angesehen, der an einer Wandergeschwulst litt:
»Ein an schwerem Fieber Erkrankter gab aus dem Munde eine giftige
Flüssigkeit von sich und hatte heftigen Durchfall. Das Gift tobte in
seinem Körper; der Kranke bekam in der Schamgegend eine Geschwulst,
die auf unglaubliche Weise zu wandern begann und dann sichtbar bis
zum Fuße niederstieg. Sie war so groß wie ein Gänseei. Vom Fuße stieg
sie wieder aufwärts; ihr Durchgang durch die Lenden und Arme war von
außerordentlichen Schmerzen begleitet, dann stieg sie in den Kopf; von
dort begab sie sich auf der andern Seite wieder nach der Fußgegend,
kehrte dort aufs neue um und fand sich zu der Stelle zurück, von wo sie
ausgegangen war. Während ihrer Wanderungen durch alle Glieder wußte
der Unglückliche nicht, was er mit sich thun und anfangen sollte; er
konnte nur aufschreien und weinen. In der That, es war ein Anblick
zum Erbarmen, solche Schmerzen, die sich eines armen Menschenleibes
bemächtigt hatten«[289-a]. Einmal ist sogar das Schwinden des
Wahrnehmungsvermögens nicht auf dämonische Besessenheit zurückgeführt,
sondern einfach als Gehirnkrankheit aufgefaßt; das Gift aus dem
Hautausschlag habe sich auf den Geist geschlagen[289-b]. Gut beobachtet
ist auch der folgende Fall: »ein Pariser Schneidergeselle, der von
der schwarzen Sucht, das heißt von einer Ansammlung erhitzten Blutes,
befallen war und in Folge davon am Fieber erkrankte, hatte den ganzen
Leib von Bläschen überzogen, so daß einige ihn geradezu für aussätzig
hielten. Zu gleicher Zeit litt er an außerordentlichen Schmerzen und
konnte mit dem einen Auge so wenig sehn wie mit dem andern«[289-c].
Die Dauer der Krisis bei einer Besessenenheilung wird auf zwei Stunden
angegeben[289-d], und in der Bezeichnung der Krankheit äußert sich
gelegentlich das ärztliche Bewußtsein: nach der Bauernsprache sei
es das »fallende Weh«, weil man dabei umfalle; der medizinische
Fachausdruck dagegen laute Epilepsie[289-e].

Obschon es also an einer Anzahl elementarwissenschaftlicher
Momente nicht fehlte, deuten nur schon Gregors eigene Gefühle bei
Unwohlsein[289-f], ja sogar wenn ihm nur eine Fischgräte im Halse
stecken blieb[289-g], darauf hin, wie für ihn die wirksame Hebung
körperlichen Uebelbefindens nicht Sache einer Kunst, sondern einfach
des Glaubens an den Heiligen war. Auch was sich in dieser Richtung
bei ihm an Gelehrsamkeit bemerken läßt, weist nicht auf irgend
welche ärztliche Schulung; die zuverlässigsten Verhaltungsmaßregeln
zur Krankenpflege schienen ihm die zu sein, die man aus den Träumen
bezog[289-h].


2.

Stellen wir kurz die verschiedenen Krankheiten zusammen, die am
Heiligengrabe Heilung suchten und nach dem Dafürhalten der Zeit
auch fanden, so besteht das Hauptkontingent aus Gliederkranken, sei
es nun aus solchen, die ihre Glieder nicht mehr hatten, Krüppeln,
oder aus solchen, die sie nicht gebrauchen konnten, Lahmen. Gregor
veranschaulicht sie uns in folgenden Beschreibungen: Ein junger
Mann, namens Sekurus, hatte von Mutterleib an eine Hand und einen
Fuß verschrumpft und war auch im übrigen an allen seinen Gliedern so
entstellt, daß er als Mißgeburt galt. Er war hörigen Standes. Als
seine Herren sahen, er habe während sieben Jahren nichts geleistet,
nahmen sie ihn auf den Arm und brachten ihn ans Heiligengrab, damit
er wenigstens von Wohlthätern ernährt werde, er, der von seiner Hände
Arbeit nicht leben konnte[290-a]. Ein Kind, wohnhaft in Tours, war in
Folge einer langen und heftigen Krankheit an allen Gliedern geschwächt
und konnte, als das Fieber geschwunden war, keinen Schritt mehr gehen.
Seine Beine waren ineinander gewunden und konnten nicht getrennt
werden[290-b]. Jemanden war die Hand so geschrumpft, daß die Nägel in
die Innenfläche hineinwuchsen und infolge dessen beständige Eiterung
stattfand[290-c]. Ein Diakon zu Poitiers versicherte, er habe sein
Bein durch die Hinterlist eines bösen Geistes verloren[290-d]. Gregors
Mutter hatte von der Geburt dieses ihres Sohnes her als Rest der
Kindswehen noch immer ein plötzliches Reißen im Beinmuskel beibehalten,
wie wenn ein Nagel in den Fuß getrieben würde. Der Schmerz war an einem
Punkt so konzentriert, daß meistenteils die Kranke davon in Ohnmacht
fiel. Die einzige Linderung brachte die Ofenwärme, wenn man das Bein
längere Zeit dicht ans brennende Kamin hielt; nahm man dann an der
gichtigen Stelle eine Salbung vor, so hörte der Schmerz ebenfalls für
einige Zeit auf[290-e]. Theoda, die Tochter des Priesters Wiliachar,
litt ebenfalls häufig an geschwollenen Füßen; schließlich verlor sie
den Gebrauch des einen vollständig und mußte hinken[290-f]. Unter dem
Gesinde eines der Kirchengüter war einer, der ging gebückt, wie wenn
seine Hüfte entzwei wäre. Gegen die Erde zugekrümmt, konnte er sich
durchaus nicht mehr aufrichten[290-g]. Ganz eigentümlich stand es aber
um Gundulf von Tours, einen Jugendgespielen des Prinzen Günther und
Pagen bei dessen Vater König Chlothar. Im Auftrag eben dieses Fürsten
stieg er eines Tages auf einen Baum, um reifes Obst zu pflücken, fiel
aber herunter, weil der Ast brach; sein Fuß schlug an einem Stein
auf, seitdem hinkte er. Manches Jahr später, als er seinem Pferde
die Ferse in die Weichen schlug und es stürzte und ihn abwarf, kam
Gundulf um seinen andern Fuß. Er ließ sich nach Sankt Martin bringen.
Ueber dem Gebete verschwand die Quetschung; er erhob sich geheilt vom
Kirchenpflaster. Aber nun hinkte er freilich noch immer am andern
Fuße, und das nun seit dreißig Jahren. Da überschlug er die Menge
seiner Sünden und beschloß sich scheeren zu lassen und unter die Diener
Martins zu gehen. Eine königliche Urkunde gestattete ihm, bei Lebzeiten
alle seine Güter Sankt Martin zu verschreiben. Kaum war er in den
geistlichen Stand eingetreten, so verlängerte sich sein Fuß, der über
dem Knochenbruch eingegangen war, wieder zur normalen Länge. Seitdem
konnte der Mann, der sich ehedem nur mühsam auf zwei Diener gestützt
von der Stelle bewegte, wieder gehen wie er wollte[291-a]. Noch wäre
mancher Fall körperlicher Gebrechlichkeit zu erwähnen: Chariwald, der
einer einseitigen Körperlähmung wegen ein ganzes Jahr in Heiligtum
verbrachte[291-b], der Gelähmte, der auf seiner Matraze von Bourges
auf einem Wagen nach Sankt Martin transportiert wurde[291-c], Malulf,
Bürger von Tours, der sich von einer grausamen Krankheit angefallen
zu Bett legte und kaum atmen konnte und dessen Hände und Füße im
Verlauf dieses Uebels einschrumpften, sodaß er fünf Jahre lang daran
zu leiden hatte[291-d], das kleine Kind, das an allen seinen Gliedern
und Sinnen abstarb, daß der Athem die einzige Bewegung in seinem Körper
war[291-d]. Doch wollen wir nun zu den Blinden übergehen.

Augenkrankheit kommt in jener Zeit und Gegend auffallend oft vor.
Unter den Medizinern der späten Römerzeit bilden die Augenärzte
eine eigene Zunft von Spezialisten, deren Bestehen durch die vielen
aufgefundenen Gildenstempel erwiesen wird. Die römischen Augenärzte
dieseits der Alpen waren meistens Freigelassene. Sie folgten gewöhnlich
den Militärstationen in Germanien, Gallien, Belgien und der Bretagne.
Ihre Kur bestand zumeist in Anwendung von Salben, die sie selbst
zubereiteten und verkaufen; das waren weiche Pomaden oder Pasten, die
in einem Förmchen zu Stangen oder Plättchen gepreßt wurden und dann
eben den Siegelstein des Fabrikanten aufgedrückt erhielten. Diese
viereckigen Etiketten nannten den Namen des Arztes, seine Instrumente,
seine Heilkräuter und die Krankheiten, auf die er sich verstand.
Zur operativen Behandlung des entzündeten Auges wurde das Penicill
angewendet, offenbar ein an einem Stäbchen befestigter kleiner Schwamm
oder Wattebausch, mit dem man die eiterigen Ausflüsse aus der wunden
Stelle ausdrückte[291-1]. Martin von Tours vollführte in dem kranken
Auge seines Jüngers Paulin eine Incision mit diesem Instrument[291-e].
Die vielen Blindenkuren dagegen, die an seinem Grabe stattfanden,
scheinen ohne Beihilfe derartiger Fachmittel rein nur durch psychische
Einwirkung erfolgt zu sein. Die Krankheitsbilder, die Gregor von den
Augenleiden entwirft, deuten auf Triefaugen, harmlosere Entzündungen,
aber auch auf Staar und schwere Verletzungen. Die typische Formel einer
Blindenheilung lautet: »Ein Blinder, der lange Zeit des Augenlichtes
beraubt war, kam zum Feste. Er verrichtete sein Gebet und erlangte,
während er sich vor dem Grabmal aufhielt, plötzlich die Sehkraft
wieder«[292-a]. Damit ist nun freilich alles gesagt und nichts gesagt.
Doch gewinnt durch andere gelegentliche Mitteilungen solch ein Bericht
an Deutlichkeit, vor allem auch dadurch, daß unter der Hand zu
verstehen gegeben wird, einige der sogenannt Blinden und dann wieder
sehend Gewordenen hätten ein Minimum von Sehvermögen nie ganz eingebüßt
gehabt[292-b]. Ein Landmann aus der Touraine hatte das Augenlicht auf
chronischem Wege verloren durch eine jahrelange Entzündung, an die
sich Staar und Lähmung der Augendeckel anschlossen, und da er nicht
mehr sah, stieß er noch gar an einen hervorstehenden Holzspahn an, so
daß ihm das eine Auge überhaupt ausfloß[292-c]. Ein erblindeter Diakon
aus Chalons wollte erst Gregor gegenüber nicht recht mit der Sprache
herausrücken, dann aber erzählte er: »Es sind sieben Monate her, daß es
zur Frühmesse läutete und ich mich zur Kirche begab. Unterwegs stieß
ich auf einen Freund; wir umarmten und küßten uns, und ich fing an mich
zu erkundigen, wie es bei ihm zu Hause stehe. Schließlich versäumte ich
den Kirchgang und setzte mich mit dem Bekannten zu einem Glase Wein.
Als er sich empfohlen hatte, schlossen sich meine Augen und die Lider
blieben kleben, sodaß ich sie nicht mehr öffnen konnte«[292-d].

Eine eigene Stellung nahmen die Irren ein. Im ganzen Altertum wurde an
ihrem Zustande weniger die körperliche Erkrankung empfunden, als die
Besessenheit von einem bösen Geiste, in der ja die Krankheit bestand.
Wer aber ein außermenschliches Wesen beherbergte, und wenn es auch ein
schlechtes war, wurde dadurch eben doch übernatürlicher Eigenschaften
fähig. Die Besessenen kamen sozusagen als entartete Seher in Betracht
und verfügten namentlich über ein sehr ausgeprägtes Witterungsvermögen
gegenüber der nahenden Heiligengewalt. Bei Reliquientransporten oder
Reliquienfunden, wenn die Gesunden sich entweder unwissend oder
ratlos zeigten, wurde ihnen gewöhnlich durch die jäh hervorbrechenden
Aufschlüsse von Wahnsinnigen aus der Verlegenheit geholfen. Die
sprechendste Anekdote dafür hängt mit der Entdeckung des Solennisgrabes
bei Tours zusammen. In der Kirche des Klosters von Maillé schienen zwar
Sonntag für Sonntag an einer bestimmten Stelle kleine Lichtflämmchen,
sodaß das Landvolk ringsum wußte, es sei hier etwas göttliches im
Spiel. Sobald aber zwei Besessene jene Martinskirche betraten,
klatschten sie in die Hände, schrieen und sprachen: »Hier ruht der
hochselige Solennis in einer verborgenen Krypta. Grabt das Grab doch
auf, ihr Freunde Gottes. Wenn ihr es gefunden, so bedeckt es mit
Schleiern, zündet Fackeln an und spendet ihm die Verehrung, die ihr
ihm schuldet. Es kommt dem Land zu gute, wenn ihr unsere Anweisung
beherzigt«. Bei diesen Worten schickten sie sich an, unter lautem
Geschrei die Erde mit ihren Fingernägeln aufzureißen; darauf hin kamen
dann die Leute mit den Werkzeugen und nahmen die Ausgrabung vor[293-a].
Um nun zu den geheilten Besessenen überzugehen, so hatte namentlich
einer, namens Paul, im Rufe gestanden, eine ganze Legion Dämonen zu
beherbergen. In einem Anfall stürzte er sich einst von dem Gerüst,
das bei der Martins Camera ausgerichtet war, wurde aber dank Martins
Wunderkraft nur sänftiglich auf das Pflaster abgesetzt, ohne ein Glied
zu brechen[293-b]. Ein anderer namens Landulf, aus der Gegend von
Vienne, war lange vom Dämon der Mondsucht geplagt, der ihn auf die
Erde riß, wo der Mann dann schäumte und wie tot dalag. Doch war er
ruhiger, solange er im Atrium von Sankt Martin sich aufhielt. Sobald
er einen Schritt hinaus that, bedrohten ihn die Geister mit klirrenden
Waffen. Er hörte sie schimpfen und sagen: »Martin, dem du anliegst,
kann nichts für dich thun, weil er unserer Botmäßigkeit unterstellt
ist«. Aber er blieb unbeweglich, nur immer das Zeichen des Kreuzes
schlagend, sodaß die Geister sich schließlich durch die dünne Luft mit
schrecklichem Geräusch davon machten[293-c]. Auch die Trunksucht galt
in ihren vorgeschrittenen Stadien als Besessenheit. Besonders in der
Gegend von Bajeux trank man einen bösen Wein[293-1]. Ein weinschwacher
Bürger dieser Stadt gelobte dem heiligen Martin jährlich seinen Besuch,
nachdem ihm ein erster Aufenthalt am Heiligengrabe geholfen hatte. Er
ließ sich sogar in den geistlichen Stand aufnehmen. Nach vier Jahren
jedoch verfiel er wieder dem Trinken bis zur Tobsucht, wurde gefesselt
nach Sankt Martin gebracht, wo ihn eine Kur von sechs Monaten abermals
heilte. Als er sich dann neuerdings nicht hielt, sondern ins Trinken
zurückfiel, verkam er in diesem Laster[293-a]. Auch starke psychische
Zufälle, die aber weiter nicht auf Dämoneneinwirkung zurückgeführt
werden, kommen vor. So lebte ein einfacher, gutgearter Mensch in
Montlouis bei Tours jung verheiratet. Als er neben seiner Frau ruhte,
ergriff ihn plötzlich mitten in der Nacht eine unerklärliche Angst;
er springt aus dem Bett, irrt zitternd im ganzen Hause herum und
verliert die Sprache. Durch Zeichen gibt er seiner Frau zu verstehen,
er wolle nach Sankt Martin gebracht werden. Eine Kur von sechs Monaten
gibt auch ihm die Gesundheit wieder[293-b]. Schon bei den kleinen
Alltagsleiden begann der Bezirk des Wunderbaren. Die Gattin des
Tribunen Animus, Mummola, hatte eines Nacht durch einen plötzlichen
Schrecken den Gebrauch des einen Fußes verloren; ob sie sich ihn nun
mit einem Fehltritt verstaucht hatte, oder ob eine vorübergehende
Lähmung eingetreten sei, wird nicht gesagt; vielleicht war der Fuß
überhaupt nur rechtschaffen ›eingeschlafen‹. Sie ließ sich nach Sankt
Martin tragen, hielt den ganzen Rest der Nacht hindurch eine Votivkerze
in der Hand, indes Gregor mit seinen Klerikern die Vigilien sang. Bei
Tagesanbruch, als das Zeichen zur Matutin erschallte, trat sie auf
den gebrechlichen Fuß auf; da war alle Schwäche geschwunden; die Frau
konnte ohne jede Stütze nach Hause gehen. Schließlich begab man sich
zum Heiligen selbst in Fällen, wo es sich um nichts weiter, als um eine
kindliche Unart handelt. Eine Frau von Tours war in großer Sorge, weil
ihr Mädchen immer nicht sprechen wollte. Endlich nahm sie das Kind
mit in die Basilika, betete lange, zündete dann ein Rauchzäpfchen an
und fragte die Kleine, ob der Weihrauch nicht wohl rieche. Das Kind
sagte: »Wohl!« Da wusch die beglückte Mutter dem Töchterchen den Mund
mit geweihtem Wasser aus und fragte, ob es nicht wohl schmecke. Wieder
sagte das Kind: »Wohl!«[294-a] Das nannte man dann die Heilung eines
stummen Mädchens. An innern Krankheiten werden genannt Magenübel,
Brechreiz, Darmblutungen[294-b], auch Gelenkrheumatismus scheint
vorgekommen zu sein[294-c]. Solche Kranke lagen dann meistens zugleich
am Fieber darnieder. Ueber dessen Behandlung verlautet nur allgemein,
Fieberkranke seien, wenn das Fieber besonders schlimm in ihnen wütete,
den Tag über zwischen den Altar und das Heiligengrab gestellt worden;
abends erhielten sie dann die mit Grabsteinpulver angemachte Mixtur,
und beständig gab es solche, denen es darauf hin besser ging[294-d].
Wie muß es am Martinsgrabe erst bei einer Epidemie ausgesehen haben!
Vielleicht war der geweihte Raum dann überhaupt für hochgestellte
Patienten reserviert. Wenigstens wurde bei einer derartigen Gelegenheit
die sterbende Gräfin Eborin daselbst in Behandlung genommen und durch
Abwaschungen mit Osterreinigungswasser geheilt[294-e]. In Italien
flüchtete man, wie Fortunat Gregor aus eigener Anschauung versicherte,
bei einer Blatternepidemie stets in die nächste Martinskirche[294-f].
Hinsichtlich der Seuchen mag noch eins erwogen sein. Das Fieber wurde
als Feuerwirkung im Körper aufgefaßt, und da Feuer, das höchste und
reinste der Elemente, nicht Sitz niederer Dämonen sein konnte, ist
Fieber, das Gegenteil von dämonischer Besessenheit, vielmehr ein
Zuchtmittel in der Hand des Heiligen. Julian heizt seine Feinde
wie einen Backofen[294-g], und sogar von dem sonst milden Martin
klagt ein Fieberkranker, er verbrenne ihn. Schon in der römischen
Medizinersprache hieß eine Pestart geradezu das »heilige Feuer«[295-1].
Indem aber der Heilige seinen eigentlichen Beruf als Krankheitsstiller
verläßt und zum Krankheitserreger wird, sinkt er darum doch nicht auf
die Stufe der Dämonen, da das von ihm verhängte Leiden als Strafe und
Läuterung sittliche Zwecke verfolgt, während die Dämonen den Menschen
aus Schadenfreude quälen.


3.

Die am Heiligengrabe befolgte therapeutische Behandlung ist
schwerlich von jeder vernünftigen hygienischen Einsicht im heutigen
Sinne verlassen gewesen: so wurde im Falle hochgradiger nervöser
Erregung Entzug von Alkohol und Fleisch angeordnet; vier Monate
lang ausschließlich vegetabilisches Regime führte dann die Heilung
herbei[295-a]. Bei Verdauungsstörungen ließ man drei Tage fasten, bis
der Appetit sich von selbst meldete und reizte ihn dann zugleich mit
etwas Wein[295-b]. Gegen Bauchschmerzen wandte sogar ein Mann wie
Gregor erst einige Bäder und warme Aufschläge an, und erst als es
nach sechs Tagen nicht besser wurde, fiel es ihm ein, sich an Sankt
Martin zu wenden[295-c]. Auch rechnete man die Frist zur Heilung nicht
kleinlich nach; es durfte Jahre lang dauern und, wenn nötig, eins ums
andere, nicht alles auf ein Mal: drei Jahre blind, dann vier Jahre
in der Basilika und dann erst geheilt[295-d], oder zunächst gerade
Glieder und dann gesunde Augen[295-e], oder nach sechs Jahren wird
die lahme Hand gebrauchsfähig und nach weiteren zwei Jahren das Auge
sehend[295-f].

Doch sind dies nur matte Spuren, daß es damals denn doch auch schon
ein wenig zuging, wie bei uns. Davon abgesehen hüllt sich das
Heilverfahren überall in eine dicke Kruste abergläubischer Praxis. Das
Hauptgewicht lag auf der ausgedehnten Amuletbehandlung. Aerztliches
Eingreifen des Priesters kam vor, aber als Ausnahme; es mußte schon
ein hervorragender Mann sein, der sich eine derartige Vermittlung der
Heiligenkraft zutrauen durfte; ein Aridius von Limoges: am Martinsfest
des Jahres nahm er eine gelähmte Frau vor, die acht Jahre erfolglos in
der Vorhalle der Martinskirche auf dem Schiebwagen gelegen hatte, und
touchierte ihren Gliedern das Kreuzeszeichen auf, nicht ohne selbst
den heilkräftigen Strom zu spüren, der durch seine Hand hindurch
auf die Kranke übergeströmt sei[295-g]. Sonst aber galt es als ein
erstes Erfordernis, der Hilfe des Heiligen durch ärztliche Weisheit in
keiner Weise vorzugreifen. Eine Zungen- und Lippengeschwulst an ihm
selber schätzte Gregor als eine Folge allzu heftigen Blutandranges
ein; aber er that nichts, um ihn durch ein natürliches Mittel,
etwa durch Schröpfen zu vermindern, sondern er ging hin, leckte
das Grabgeländer ab, küßte den Tempelvorhang und hatte seitdem nie
mehr an diesem Uebel zu leiden[296-a]. Am wirksamsten erwies sich
das Einnehmen von Amuletstoffen, obenan des Grabsteinpulvers. Es
war die Allerweltsmedizin, stillte Fieber[296-b], half gegen die
Ruhr[296-c], trieb Bandwürmer ab[296-d]; wem es pur widerstand, dem
gab man es mit Wein angemacht[296-e]. Auf Reisen führte Gregor stets
eine Schachtel davon auf sich[296-f]. Aber auch das Abwaschwasser von
der Osterreinigung des Grabaltars[296-g] und Salbung mit dem Oel der
Kirchenlampen[296-h] wirkte heilsam. Die Kraftsphäre dieser heiligen
Essenzen war unbeschränkt. Weihwasser und Lampenöl gemischt heilten an
einer Seuche erkranktes Vieh[296-i], während zum Grabsteinpulver sogar
ein königlicher Kanzler mit Erfolg seine Zuflucht nahm[296-k]. Zur
Steigerung der Wirkung verfiel man gelegentlich selbst auf kombinierte
Amuletbehandlung, indem Grabsteinpulver innerlich und Fransen der
Grabsteindecke als Halsumschlag verwendet wurden[296-l].

In den beiden fränkischen Hauptheiligtümern stellt sich nun aber noch
eine höchst merkwürdige Einrichtung dar, die geradezu als das Substrat
der bisher kurz geschilderten Heilpraxis betrachtet werden darf. Neben
dem Armenhaus, der sogenannten Matrikel, finden wir räumlich davon
wohl kaum unterschieden, ein regelrechtes Hospital. Aber wir würden
irre gehn, wenn wir es für eine Heilanstalt in dem uns gewöhnlichen
sanitarischen oder humanitären Sinne hielten. Vielmehr müssen wir an
die uralte antike Sitte des Tempelschlafs erinnern, und an die ihr zu
Grunde liegende Vorstellung von einer heilsamen Inkubation der Gottheit
gegenüber dem Schläfer. Von der Julianszelle in Brioude wird erzählt,
ein Weib namens Fedamia, das vollständig gelähmt und verwachsen war,
sei von den Verwandten nach der Basilika gebracht worden, um dort
wenigstens mit Betteln ihren Unterhalt zu erwerben. Als sie nun nach
achtzehn Jahren Krankheit während einer Sonntagsnacht in dem an die
Kirche anstoßenden Säulengange »dekubierte« und indessen das Volk
die hochheiligen Vigilien sang, wurde sie in ihrem Halbschlummer von
einem Mann durch eine Vision angefaßt und zur Rede gestellt, warum
sie nicht gleich den andern dem nächtlichen Gottesdienste beiwohne.
Sie antwortete, sie sei an allen Gliedern lahm und könne keinen
Schritt thun. Da unterstützte sie der Mann und führte sie bis an das
Heiligengrab. Dort angelangt ergoß sie sich, immer fort schlafend, im
Gebete aus und ihr war, es falle eine förmliche Kettenlast ihr von den
Gliedern. Und als die Ketten klirrend zu Boden fielen, erwachte sie von
dem Geräusch und fühlte sich mit einem Mal genesen. Also stand sie vom
Bett auf und schritt zum Erstaunen aller Anwesenden laut danksagend in
die Kirche. Später liebte sie es, wenn sie die Heilung erzählte, beim
Aeußeren des Mannes zu verweilen, der ihr erschienen war: es sei ein
Riese gewesen, mit glänzendem Kleide, mit vornehmem Gebahren, er habe
freundlich gelächelt; sein langes blondes Lockenhaar habe freilich auch
einige graue enthalten; frei sei er einhergeschritten, hell habe seine
Stimme geklungen; seiner Anrede hätte niemand widerstanden und seine
Haut habe wie Lilien geschimmert; aus Tausenden heraus wolle sie ihn
wieder erkennen, auf den ersten Blick. Kurzum, die Schilderung wollte
kein Ende nehmen. Darauf hin erschien es denn doch diesem und jenem
nicht ganz unmöglich, es könnte ihr der selige Märtyrer erschienen
sein[297-a]. Ein gewisser Anagildus, der taubstumm war und blind
dazu, lag auch in der Säulenhalle von Sankt Julian in Brioude; als er
ein volles Jahr vor dem heiligen Tempel »dekubiert« hatte, wurde er
endlich von der Heilkraft des seligen Märtyrers heimgesucht[297-b].
Zu Sankt Martin in Tours wurden noch öfters, wenn auch nicht immer an
so charakteristischen Fällen, Tempelschlaf bemerkt. Ein Taubstummer,
namens Theodomundus, kam täglich zum Tempel, kniete nieder zum Gebete,
indem er indes nur die Lippen bewegte, aber so inbrünstig, daß er
während seiner stummen Worte meistens weinte; im übrigen bettelte er
mit den andern Armen, dies drei Jahre lang. Eines Tages stellte er
sich aus Liebe zu Gott getrieben, vor den heiligen Altar und stand
da, Augen und Hände zum Himmel erhoben. Da brach aus seinem Munde ein
Blutstrom mit Eiter. Er spie ihn auf die Erde, holte tief Athem und
hustete blutende Körper aus, sodaß man hätte meinen sollen, sie seien
ihm mit einem Instrument in der Kehle ausgeschnitten worden. Auch hing
ihm nun der Schleim in blutdurchsetzten Fäden von den Mundwinkeln. Da
wurden die Banden des Trommelfells und des Kehlkopfes plötzlich gelöst;
wieder erhob er Augen und Hände zum Himmel und brach, des Sprechens
noch unkundig, immerhin in die Worte aus: »Ich danke dir vielmals,
hochseliger Herr Martin«. Die Königin Chrotechilde interessierte sich
für diese Heilung; sie nahm sich des armen Jünglings an und ließ
ihn in einer Schule unterrichten. Er zeichnete sich dort durch sein
gutes Gedächtnis aus und konnte den ganzen Psalter auswendig[297-c].
Später wurde er Priester und lebte noch lange im Dienste von Sankt
Martin. Ein Referendar König Chlothachars, Charigisel, der an Händen
und Füßen die Gliedersucht hatte, gebrauchte während zweier bis
dreier Monate die Dekubationskur; nach Ablauf dieser Zeit wurde er
vom seligen Kirchenherrn heimgesucht und erlangte an seinen schwachen
Gliedern aufs neue die Gesundheit. Später war er königlicher Kammerherr
und bedachte sowohl die Bürgerschaft von Tours als die Diener der
Martinsbasilika mit reichen Wohlthaten[298-a]. Veranus, der Sklave
eines Gregor unterstellten Geistlichen, der seinem Herrn besonders in
Verwaltungsgeschäften an die Hand ging, wurde wahrscheinlich wegen der
Feuchtigkeit seines Amtsstübchens von Gicht befallen und konnte nicht
mehr gehen. Ein ganzes Jahr waren die Schmerzen sehr stark und dehnten
sich immer weiter aus; schließlich war die Lähmung ziemlich allgemein.
Da entschloß sich sein Herr, den das Schicksal seines Hörigen
bekümmerte, zur Tempelkur, ließ ihn nach Sankt Martin bringen, that
ein Gelübde und sprach: »Wenn du ihn heilst, frömmster Herr Martin, so
will ich ihn noch am Tage selbst frei geben; dann soll er die Tonsur
erhalten und deinem Dienste gewidmet sein«. Der Sklave wurde nun also
dem Heiligen zu Füßen gelegt, und als er fünf Tage daselbst ohne sich
zu rühren gelegen hatte, wurde er am sechsten Tage vom hypnotischen
Schlaf befallen; im Schlummer hatte er die Vision, als ob ihm in seinem
Bett ein Mann den Fuß strecke. Er fuhr auf und konnte alle Glieder
rühren. Nun empfing er also Freiheit und Tonsur und gehörte zu Gregors
Zeiten der niederen Geistlichkeit von Sankt Martin an[298-b]. Ein
junges Mädchen namens Chrodechilde, das nach dem Tode ihres Vaters
auf einem Grundstück bei Le Mans lebte, wurde blind. Auf Befehl König
Chilperichs und noch zu Lebzeiten der heiligen Radegunde, trat sie
ins Nonnenkloster zu Poitiers ein und wurde von jener selber nach dem
Schrein hingeführt, der die heilige Kreuzreliquie birgt, dann nahm sie
an den Vigilien teil. Als die Nonnen morgens die Kirche verließen,
blieb sie noch auf dem Boden ausgestreckt liegen und schlief ein. Da,
im Traum, war ihr, jemand thue ihr die Augen auf, das eine sei bereits
geheilt und auch im andern spüre sie etwas, und plötzlich wachte sie
über dem Geräusch einer sich öffnenden Thüre auf, und sah nun in der
That mit dem einen Auge wieder. Diesmal war es also nicht eine Vision,
sondern einfach die Nähe der Reliquie ohne Gesichtsvermittelung
gewesen, was den hypnotischen Schlaf herbeiführte[298-c]. Das
gewöhnliche bleibt jedoch die Erscheinung eines Greisen im Traum, der
dann »alle Glieder in sanfter Handauflegung touchiert«[298-d]. Auch
wird angegeben, der Patient werde von dem mediumistischen Trancezustand
plötzlich, unerwartet, zu seinem großen Schrecken, überfallen und
etwas über zwei Stunden darin fest gehalten[299-a]. Trat die Heilung
nicht am Grabe ein, so konnte ausnahmsweise der hypnotische Schlaf
auch verspätet ausbrechen, wenn der Kranke den heiligen Ort bereits
wieder verlassen hatte. So war eine Frau mit steifgewordenen Fingern
von Tours unverrichteter Sache abgezogen, ohne aber sich in ihrem
Glauben an die Heilung beirren zu lassen; im ersten Nachtquartier,
am Ufer des Cher, als sie Gott unter Thränen dafür dankte, daß sie
wenigstens noch am Leben sei und ans Martinsgrab habe gelangen dürfen
und daraufhin einschlief, empfing sie die Heimsuchung des Mannes »mit
den Haaren weiß wie Schwanenpelz, im Purpurmantel, in den Händen ein
Kreuz«; er öffnete ihr sachte die Hand; sie erwachte: das Blut floß ihr
von der Hand; die verbogenen Finger waren nun gerade. Anderseits konnte
sich unter Umständen eine derartige heilsame Inkubation sogar von der
vorausgegangenen Imprägnierung am heiligen Ort dispensieren. Alpinus,
Graf von Tours, wurde jahraus, jahrein von einem Fußleiden geplagt
und verlor über den Schmerzen sogar den Schlaf. Aber mitten in seinen
Leiden hörte er nicht auf, Martin um Hilfe anzurufen. Da versank er
unversehens in Schlummer. Ihm nun, dem königlichen Beamten erschien der
Heilige in Soldatenuniform. Mit freundlicher Miene kam er auf ihn zu,
lächelte und machte das Kreuzeszeichen über dem kranken Fuße. Sofort
war jeder Schmerz verschwunden, und gesund konnte der Graf sein Bett
verlassen[299-b].

Endlich noch einige Geschichten, die zeigten, mit wie mancherlei
Umständen solch eine Krankengeschichte auch damals verbunden war.
Aquilinus, der mit seinem Vater in den Wäldern jagen ging, wurde
plötzlich von einem Schrecken befallen. Es war ein Herzanfall, der ihn
fast von Sinnen brachte. Seine Eltern glaubten natürlich an diabolische
Besessenheit und nahmen nach Bauernbrauch ihre Zuflucht zu Zauberern
und Quacksalbern mit ihren Angehenken und Tränken. Als es aber nichts
half, suchten sie bei Sankt Martin Hilfe und sprachen: »Der kann die
Nachstellungen zu nichte machen; sie kommen von einem Schattengott,
der in einer falschen Religion verehrt wird«. So brachten sie also
den Verstörten an das Martinsgrab, wo er es seinem Gebet an Inbrunst
nicht fehlen ließ. Der Schrecken hob sich von hinnen; sein Verstand
kam ihm wieder. Er kehrte nicht mehr zu seinen Eltern zurück, sondern
blieb zu Sankt Martin[299-c]. Gregors Onkel, Bischof Gallus von
Clermont, pflegte oft zum Juliansheiligtum nach Brioude zu gehen, und
einst im Sommer, als er der Hitze wegen die Schuhe auszog, und barfuß
ging, trat er sich einen Dorn tief in den Fuß. Er bat den Heiligen
um Hilfe und vollendete schwer hinkend den Weg zu dessen Grabe. In
der dritten Nacht empfand er die heftigsten Schmerzen; er wirft sich
an der geweihten Stätte hin und geht dann schlafen. Als er aufwacht,
ist das Geschwür ausgelaufen, er sieht den Dorn nicht mehr und sucht
ihn in seinem Lager, bis er ihn hat, und noch als Bischof pflegte
er im engeren Kreise gerne die Narbe zu zeigen, das Zeichen der ihm
zu teil gewordenen Juliansheimsuchung[300-a]. Ein Mädchen, das vor
ungesundem Thränenandrang fast blind geworden war, wurde von seinem
Vater nach Tours gebracht. Dieser, überdies ein freigebiger Mann, ließ
den Pfründern von Sankt Martin zu essen und zu trinken geben. Während
nun die Matrikelleute regaliert wurden, schrie das junge Mädchen
plötzlich, es bekomme heftigen Kopfschmerz und wünsche zu schlafen.
Als es dies gethan und auch das Freimahl zu Ende war, brachte man
das Mädchen vor den Altar, wo alsobald der Thränenstrom versiegte
und die Augen klar wurden[300-b]. Ein blindes Mädchen von Lisieux
war zu Tours nicht sehend geworden, trotzdem es die Augen inbrünstig
am Vorhang gerieben hatte, aber es hörte nicht auf zu beten und zu
hoffen. Als es bei seinen Eltern auf dem Schiff stand, um heimzukehren,
strich es sich plötzlich übers Gesicht und sagte dann: »Ist das dort
die Martinskirche[300-c]?« Auch konnte das Zusammentreffen mehrerer
Kundgebungen zu belebten Szenen führen. So war eine Frau von ihrer
Gliederlähmung geheilt worden, legte sich nun aber aufs neue vor die
Martinsschwelle und wollte so lange da liegen bleiben, bis sie auch
das Gesicht wieder erlangt habe. In diesem Augenblick schrieen einige
Verrückte, sie würden gepeinigt, der heilige Martin sei nahe[300-d].


4.

Ob auch nur in einem dieser unzähligen Fälle Heilung wirklich
eingetreten sei, dürfen wir in dieser Bestimmtheit von Ja oder Nein
nicht wissen wollen; denn ärztliche Diagnosen des Krankheitsbefundes
liegen nicht vor. Gregor interessierte es wenig, an was nun gerade der
Kranke litt. Erst der geifernde Wutausbruch des Tobsüchtigen, der jähe
Blutaustritt aus dem erblindenden Auge, der mark- und beinerschütternde
Schrei des aufs äußerste gesteigerten Schmerzes erwecken seine nähere
Aufmerksamkeit, zumal er ja in der Krisis weniger den Höhepunkt der
Krankheit fürchtet, als den Eintritt der Heilung begrüßt. Ueber
die Art, wie die Krankheits- und Heilungsberichte aufgezeichnet
worden sind, gesteht er: »Die von mir erzählten Thatsachen brauchen
nicht unglaubwürdig zu scheinen, weil nicht alle Personen mit Namen
aufgeführt werden. Das kommt daher, daß sie von dannen gehen, sobald
der Heilige Gottes ihnen die Gesundheit wieder geschenkt hat und
manchmal geschieht das in größter Heimlichkeit; niemand ist dann
sozusagen dabei gewesen. Wenn verlautet, die Wunderkraft des heiligen
Bischofs sei wieder erschienen, dann lassen wir die Tempelhüter
kommen und nehmen Kenntnis von dem, was sich zugetragen hat; doch
sind sie nicht immer in der Lage, Namen zu nennen; bei den Fällen
jedoch, die wir selber sehen und untersuchen konnten, geben wir
gewöhnlich gleich die Namen mit an[301-a].« Aber um das Urteil über
diese Krankenheilungen deutlich abzugrenzen, gibt uns doch Gregor
den Maßstab gelegentlich selber in die Hand; er erzählt von einem
verwachsenen Tagelöhner, der auch nach der »Heilung« seine Arbeit nicht
wieder aufnehmen konnte, sondern nur immer am Heiligengrabe selbst
sich gesund fühlte[301-b]. Wenn aber damit der Heilungsprozeß auf das
Gebiet der subjektiven Gefühle verlegt wird, und somit von Wundern im
Sinn übernatürlichen Geschehens zu reden keine Veranlassung besteht, so
liegt andrerseits doch auch keine Notwendigkeit vor, eine ganze Reihe
rätselhafter und höchst verwunderlicher Vorgänge in Abrede zu stellen,
besonders heute nicht mehr, wo die Forschung gewisse, auf rein nervösem
Wege entstandene organische Veränderungen im Körper, Katalepsen,
nicht nur als mögliche Thatsache unumwunden zugesteht, sondern wo
auch die Erscheinungsformen solcher seelisch-leiblichen Zustände
immer mannigfacher und reichhaltiger in den Bereich experimenteller
Beobachtung sich eindrängen[301-1]. Wer das genügend bedenkt, wird
einem berichterstattenden Augenzeugen wie Gregor im weitesten Umfang
freie Hand lassen dürfen, ohne seiner eigenen gewissenhaften und
kritischen Abwägung das mindeste zu vergeben. Ueberdies räumt auch
heute gelegentlich ein ehrlicher Arzt von selber ein, seine Heilerfolge
seien zum größeren Teil nicht aus seine Kunst, sondern aus das ihm
vom Kranken entgegengebrachte Vertrauen zurückzuführen. In einem
nicht zu unterschätzenden Maße ist es also der Glaube, der wirklich
zur Gesundung helfen, zur nicht eingebildeten, sondern thatsächlichen
Heilung bedeutend beitragen kann.

Ueber das Sankt Martin und seinen Mitheiligen gewidmete Maß von
Glaubenskraft und Glaubensinbrunst wird man sich nun aber nicht leicht
übertriebenen Vorstellungen hingeben können. Wenn die Hilfebedürftigen
»den Füßen des Heiligen« nahten, befanden sie sich meistens in
ungeheuchelter, hochgradiger Aufregung, vergossen Thränen und gaben
sich leidenschaftlichen Gebeten hin. Man mag die Heilungsanekdoten
beliebig aufgreifen, es wird kaum eine sich finden, wo nicht der Glaube
des Geheilten hervorgehoben, dagegen manche, wo dieser Glaube geradezu
als Ursache der Heilung hingestellt wird[302-a]. Dabei öffnet sich uns
oft ein Blick in soziale Verhältnisse, die durch ihre Aermlichkeit
auf ein gesteigertes Verlangen nach Heilung und auf eine gesteigerte
Dankbarkeit schließen lassen; so bei jenem Krüppel Baudulf von Gennes,
der vom Heiligen geheilt zu werden wünschte, um seinem armen Vater
nicht länger zur Last fallen zu müssen, sondern selber sein Brot
verdienen zu können[302-b]. Selbst wenn im Falle von Unmündigkeit die
nötige Fähigkeit zum Glauben eben nicht vorhanden ist, kann das kranke
Kind gerettet werden, weil der Vater glaubt[302-c]. Seine Rückwirkung
hatte dieser starke Glaube in der Vorstellung, daß die Heilung für
den Genesungsmoment die persönliche Mitleidenschaft des Heiligen in
sich schließe. Der Prokurator Placidus in Ravenna, der daselbst im
Martinsnonnenkloster dekubierte, hielt den Heiligen ab, nach Gallien
zurückzukehren[302-d]. Ein Lahmer zweifelt nicht, daß seine Schmerzen
eine Kraftwirkung Martins sind, und schreit: »O Martin, um Gesundheit
habe ich Dich angerufen, nicht um Qualen«[302-e]. Auch im Fall einer
unbestreitbaren Berührung mit einem biblischen Wunder ist die Anekdote
bei Gregor deswegen durchaus nicht als Kopie und somit als erfunden zu
betrachten; wenn eine Frau von Clermont beim Küssen der Altarfransen
plötzlich vom Blutfluß geheilt wird, so braucht der Einfluß der
evangelischen Erzählung durchaus nicht in der erst nachträglichen
Bildung des Geschichtchens zu bestehen, vielmehr kann jene Frau durch
ihren unerschütterlichen Glauben an die parallele zwischen ihr und dem
Weib im Evangelium sich in der That gesund suggeriert haben[302-f].

Wer wird es der fränkischen Kirche verargen wollen, daß sie aus
dieser ihrer wirksamsten und volkstümlichsten Funktion nach Kräften
Kapital schlug? Zunächst indem sie die Heilungen zu einer Art Reklame
benutzte. Zwar mag es seine natürlichen Gründe haben, daß an den
großen Festen auch die meisten Heilungen vorkamen; bei ungewöhnlichem
Zudrang wurden eben auch mehr Leidende gesund. Aber es wird doch wohl
auch etwas nachgeholfen worden sein. Uebrigens schon an den hohen
Festtagen des Kirchenjahres überhaupt wurden Heilerfolge besonders
bemerkt, für Weihnacht und Epiphanien[302-g] wie für Palmsonntag und
Gründonnerstag[302-h]. Aber die Martinsfeste, das Mitte November,
wie das Anfangs Juli, durften sich eben doch weitaus der meisten
Wunder rühmen, für das Julifest 589 werden zwölf Lahme, drei Blinde,
fünf Besessene und eine lahme Frau als Heiltriumph erwähnt[302-i],
für das Julifest des Jahres zuvor ein Krüppel, eine blinde Frau und
drei Besessene[302-k]. Da die großen Heiligenmessen stets einige
Tage umfaßten, wird der Zeitpunkt auch näher bestimmt: Heilung am
dritten[303-a], am vierten Tage[303-b], in der Festnacht[303-c] oder
der Heilungsprozeß habe genau die drei Festtage ausgefüllt[303-d].
Oder es wird ein auffälliges Zusammentreffen bei gemeinsamen Heilungen
hervorgehoben: zwei Blinde mit genau denselben Spezialsymptomen
der Krankheit und genau derselben Spezialart der Heilung[303-e],
oder der Lahme von Auxerre, der Lahme von Orleans und der Lahme von
Bourges[303-f]. Namentlich aber pflegen der Höhepunkt der Messe oder
der Augenblick, wo der Vorleser das Heiligenleben zu lesen beginnt,
sowie der Moment der Reliquieninstallation die Heilung zum Austrag zu
bringen[303-g]. Auch zu Ehren eines Besuches von Belang, etwa eines
fremden Bischofs, konnte sich das Wunder ereignen[303-h].

Und bei der Reklame ließ man es nicht bewenden. Unter der Hand
bedeuteten diese Kurerfolge für die Kirche einen nicht zu
unterschätzenden Machtzuschuß. Was lag denn auch für eine dankbare
Seele näher, als auf die Heilung hin sich dem Heiligen zu verschreiben
und in den geistlichen Stand einzutreten; wie oft kam das vor![303-i]
Bedenklicher waren die auf Grund der Heilung erzwungenen Freilassungen
vom hörigen Stande, weil es sich da um einen kirchlichen Uebergriff
auf das Gebiet des Rechts handelte; gewöhnlich wurde unter Berufung
auf die Heilung der Loskauf durch Kirchenmittel durchgesetzt[303-k].
Die näheren Umstände machten zwar philantropische Beweggründe in den
Vordergrund rücken. Der Besitzer einer Sklavin wurde durch deren
Heilung bewogen, sie zum halben Preise freizugeben und unter der
entsprechenden Einbuße eine andere Sklavin zu kaufen[303-l]; oder, eine
widerrechtlich verkaufte Frau, hieß es, ist krank geworden, um dann in
Tours mit der Gesundheit auch die Freiheit ihres Standes wieder zurück
zu erlangen[303-m]; oder eine Frau von Poitiers wurde kirchlicherseits
losgekauft, weil sie trotz der Heilung arbeitsunfähig war[303-n]; ja
man konnte auf den Einwand hin, hinweisen, ein Krüppel, der sich unter
den Bettlern aufgehalten hatte, sei nach seiner Heilung auf seinen
Wunsch hin, frei entlassen, das Wunder also nicht in eigennütziger
Weise ausgebeutet worden[303-o]. Die Priesterweihe wurde sogar von
Geheilten nur aus Dankbarkeit übernommen; ohne sich weiter irgendwie
verpflichtet zu haben, kehrte er nach Hause zurück[303-p]. Das alles
ist schön und gut und mag im einzelnen Fall durchaus richtig sein. Aber
im allgemeinen steht doch unbestreitbar als Thatsache da, daß gerade
unter Berufung auf Heilungen die Kirche die Sphäre ihres Einflusses
beständig zu erweitern trachtete. Sie deckten ihr den Rücken, all
diese Armen, Kranken, Gefangenen und Unfreien, die sie nährte,
kleidete, gesund machte und losgab. Aber während durch das Asylrecht
und die Gefangenpatronage nur die Strafrechtspflege beeinflußt, also
nur ein vorübergehender Rechtsakt sistiert wurde, griff eine zur
Gewohnheit werdende kirchliche Auslösung von Hörigen tiefer, weil sie
einem permanenten Druck auf einen zurechtbestehenden sozialen Zustand
gleichkam.

Alles in allem ging es somit menschlich zu, auch bei den Heilungen.
Aber diese Eigenschaft des Heiligengrabes als eines Kurortes wirft doch
ein außerordentlich merkwürdiges Licht auf die religiösen Vorgänge in
der Volkspsyche, zumal bei den alten Franken, wo Treu und Glauben zu
Gott und seinen Heiligen noch nicht an schamlosem Priesterbetrug und
der stumpfen Gleichgiltigkeit der Menge zu Schanden wurden.




Achtzehntes Kapitel.

Der Glaube.


Der Glaube des fränkischen Volkes unter der Herrschaft der Merowinger
ist ein Religionsgebilde, dessen Eigenart in der vollständigen
Abwesenheit dogmatischer Produktion besteht. Die Vulgärreligion liegt
entblößt da, ohne ideologischen Ueberbau. Das Studium des Volksglaubens
konnte also hier vor sich gehen, ohne durch die Komplikationen
behindert zu sein, die sich bei einem Nebeneinander von höherer und
niederer Theologie unfehlbar einstellen. Doch ist das nicht der einzige
Vorzug dieser Epoche. Auch ihre Frische und Beweglichkeit suchten
ihresgleichen in der Kirchengeschichte; wo sonst nicht ohne Recht von
Versteifung und Verknöcherung in Gewohnheiten und Formeln gesprochen
wird, ist es hier eine durchaus junge und lebendige Religion, die sich
mit Reliquienverehrung zufrieden gab.

Die mannigfachen Bestandteile dieser Religion, die es im folgenden noch
kurz aufzuzeigen gilt, lassen sich nicht einheitlich ableiten. Aber die
beiden Hauptbegriffe, die uns im Verlauf unserer Untersuchung immer
wieder begegnet sind, dürfen als ausreichende Wurzeln des fränkischen
Volksglaubens gelten: der Wunderglaube und der Heiligenglaube. Das
Wunder bestimmt die fränkische Religionswelt stofflich, indem es ihr
Leiblichkeit verleiht und ihre Atmosphäre bildet, der Heilige dagegen
bestimmt sie vital, indem sie ihre eigentlichen Lebensfunktionen von
ihm bezieht. Erst wenn diesen beiden leitenden Gedanken der gebührende
Vorrang eingeräumt ist, dürfen die üblichen Fragen laut werden nach dem
Verhältnis der Religion zum Welterkennen und zur Sittlichkeit.


1.

Nehmen wir zunächst den Glauben im weiten, umfassenden Sinn als
Weltanschauung. In seinem gelehrten Werke »Der Sternenlauf« entrollt
Gregor folgendes Weltbild[305-1]: »Die meisten Philosophen haben sieben
Weltwunder beschrieben. Ich für mein Teil möchte mit einiger Abweichung
ebenfalls sieben, wenn auch nicht ganz dieselben aufzählen: erstens die
Arche Noahs; zweitens Babel und seine Schanzen; drittens der Tempel
Salomos, seine Säulenhallen, sein Altar, seine Cherubinen, seine
Bildsäulen, sein gepflasterter Boden und seine Thore; viertens das Grab
der Perserkönige; fünftens der Koloß von Rhodos; sechstens das Theater
von Heraklea; siebentens der Leuchtturm von Alexandrien. Diesen Erden-
und Menschenwundern gegenüber stehen sieben Himmels- und Gotteswunder,
von denen einige den Zweck haben, die Macht Gottes darzulegen, so
die Sonne, der Mond, die Sterne, der Phönix, oder den Sündern das
Höllenfeuer vor Augen zu führen: so der Aetna sowie der heiße Sprudel
zu Grenoble. Diese Wunder werden so lange zurecht bestehen, bis dem
Herrn die Auflösung der Welt beliebt. Erstens Ebbe und Flut im Meere;
zweitens die Befruchtung des in die Erde gelegten Samenkornes, das
Sankt Paul der Auferstehung unseres Leibes vergleicht; drittens der
Phönix, der sich selbst auf seinem Nest verbrennt und dann aus seiner
Asche aufersteht, auffallendes Vorbild eben der Auferstehung, die
unsern Leib erwartet; viertens der Aetna; fünftens die Feuerquelle
von Grenoble, die an der Hand nicht brennt und doch Kerzen und Dochte
anzündet. Ein gewisser Hilarius hat hierüber ein Gedicht gemacht, in
dem er nachweist, daß die ewigen Flammen unsern Leib noch verschonen,
um ihn dann zu verzehren nach dem jüngsten Gericht, wenn er sich der
Sünde überlassen hat; sechstens der befruchtende Lauf der Sonne;
siebentens der Mond, den wir zunehmen und abnehmen sehen, dann die
Sterne die im Osten auf und im Westen niedersteigen, die nördlichen
bewegen sich in einer Kreisbahn statt einen gradlinigen Lauf zu
befolgen, während die andern in der Mitte des Himmels stehen. Die einen
sind das ganze Jahr sichtbar, die andern bloß einige Monate. Mit Gottes
Erlaubnis will ich nun über den Lauf der Gestirne berichten für die,
die nichts davon wissen, und soweit meine eigene Kenntnis dieser Dinge
reicht. Ich werde die Benennungen, die ihnen Virgil und andere Dichter
geben, bei Seite lassen und mich an die Namen halten, die sie in der
Bauernsprache erhalten haben, oder an die, die durch die Stellung der
Sterne selbst nahe gelegt werden, wie Kreuz, Sichel und andere. Mit
diesen Zeilen verfolgte ich überhaupt keinen wissenschaftlichen Zweck
noch kann es mir einfallen, die Zukunft zu erforschen; wohl aber will
ich nachweisen, wie ein Tageslauf auf vernünftige Weise mit Gottes
Lob auszufüllen ist, zu welchen Stunden nämlich der sich in der Nacht
zum Gebet erheben soll, der mit Sorgfalt Gottesdienst halten will.«
Hierauf macht Gregor allerhand illustrierte Angaben von astronomischen
Beobachtungen rudimentärster Art, wie viele Stunden jeder Monat
täglich Sonne hat, desgleichen wie viele Stunden jeder Monat nächtlich
Mondschein hat. Der Mond geht im Sommer denselben Weg, den die Sonne im
Winter gegangen ist und umgekehrt. Gregor gibt sodann mit roter Tinte
die Stellung einiger Sternbilder am Himmel an und verweilt besonders
bei den Kometen: Ein Haarstern zeigt sich nicht zu jeder Zeit, sondern
nur etwa beim Tode eines Königs oder während eines Landesunglücks. Wenn
sein buschiges Haupt mit einem strahlenden Diadem erscheint, ist das
die Anzeige eines Todesfalls in der königlichen Familie. Ueberwiegt
dagegen der rötliche Degen und tritt der Kopfstern zurück, so deutet
es auf ein Landesunglück. So war es bei der Pest, die in der Auvergne
wütete, und so kurz vor dem Tode König Sigiberts. Dann erläutert Gregor
die Zeichen, an denen ein frommer Sinn den Gläubigen den Augenblick
angebe, wo man sich für den Gottesdienst erheben soll. Er beginnt
dabei nicht wie üblich im Monat März oder am Neujahrstag, weil die
Zusammenstellung, die man im Monat März beobachte, bereits in einem
andern Monat zustandekomme. Im September also ersteht der große Stern,
der Rotstern, mit dem kleinen, der ihm vorausgeht. Gregor gibt die
Psalmen an, die beim Aufgang dieses Sternes anzustimmen sind, ebenso
im Augenblick, da die ›Sichel‹, der Orion, an demselben Orte angelangt
ist, wo die Sonne am Tage um fünf Uhr steht; schließlich im Augenblick,
da die ›Traube‹ aufgeht. Dementsprechend gibt Gregor für jeden
folgenden Monat die Nachtpsalmen an sowie den dreifachen Zeitpunkt
für die nächtlichen Vigilien. Gregors Weltanschauung und mit ihm die
des fränkischen Volkes ist somit robust religiös, unphilosophisch
religiös. Der Erkenntnistrieb gibt sich mit der Anerkennung von zweimal
sieben Weltwundern zufrieden, und alles, was sich der Beobachtung
ungesucht aufdrängt, unterstellt sich dem praktischen Bedürfnis, für
die Verehrung Gottes eine möglichst geregelte, sozusagen naturgemäße
Aeußerung zu finden.

Nehmen wir sodann Glauben im engeren Sinn als dogmatisches Bekenntnis,
so ergibt sich auch hier ein unkompliziertes, primitives Ideenbild,
das positiv durch die orthodoxen Symbole und negativ durch die beiden
Gegensätze des Arianismus und des Judentums bestimmt wird. Die negative
Bestimmung tritt viel schärfer ins Licht, weil es sich um einen realen
konfessionellen Haß gegen Andersgläubige handelt. Eine Katholikin,
die einen Ketzer zum Mann hatte, erhielt den Besuch eines streng
katholischen Priesters. Da sagte sie zu ihrem Mann: »Wenn du mich lieb
hast, so soll Freude im Hause sein, wir wollen ihm ein Essen geben,
das sich sehen lassen darf«. Der Mann hatte nichts dagegen; als aber
nun noch ein arianischer Priester ihn besuchte, rief er fröhlich:
»Desto besser. Zwei Pfaffen aufs Mal, für jeden Glauben einen«. Bei
Tische saßen die Arianer rechts, das katholische Paar links, die Frau
auf einem Stühlchen neben dem Sessel des Priesters. Der Gatte raunte
dem Ketzer zu: »Nun wollen wir auf Kosten dieses römischen Priesters
uns lustig machen. Sobald eine Schüssel auf den Tisch kommt, so mache
rasch das Zeichen des Kreuzes drüber, und während der Andere traurig
dasitzt und zusieht und nicht essen darf, wollen wir uns gütlich thun«.
Jener erwiderte, er sei einverstanden. Zuerst kam Gemüse; der Ketzer
machte sein Kreuz und bediente sich. Die Frau verwahrte sich gegen
diese Beleidigung ihres Priesters. Dieser erhielt nun seine eigene neue
Portion, aber beim zweiten und dritten Gang gefiel sich der Ketzer in
denselben Witzen. Als nun als viertes Gericht eine Casserole mit einer
brennenden Fruchtomelette kam, Rühreier, etwas Mehl, Dattelschnitze
und entsteinte Oliven, und der Arianer sie wieder ohne weiteres
herunterschlang, verbrannte er sich elend den Magen, stieß einen
Seufzer aus seinem qualmenden Munde und gab mit einem schrecklichen
Geräusch alsobald seinen Geist auf. Man trug ihn vom Tisch in ein
Grab und deckte Erde darüber. Da rieb sich der katholische Priester
die Hände: »Gott hat seine Diener gerächt«. Und zum Gastgeber sich
wendend: »So. Nun wünsche ich zu essen«[307-a]. Ein ander Mal kamen
zwei Geistliche, ein Rechtgläubiger und ein Ketzer überein, es auf
ein Gottesurteil ankommen zu lassen, da sie sich sonst nicht einigen
konnten. Aber auch der Orthodoxe hatte Angst. Er schmierte sich den
Arm, mit dem er den Ring aus dem kochenden Wasser holen sollte, mit
Oel ein, lief von einem Heiligengrab zum andern, begab sich aber um
drei Uhr auf den Markt, wo es an Schaulustigen nicht fehlte. Jeder
von den beiden wollte höflicherweise dem Andern den Vortritt lassen;
schließlich mußte der Diakon heran und entblößte zitternd seinen Arm.
Da erhob der Gegner ein Geschrei und wollte nicht gelten lassen, daß
jener sich gesalbt habe; das sei Magie, die Sache sei null und nichtig.
Während sie nun aber stritten, kam ein italienischer Diakon aus Ravenna
des Weges, und als er vernahm, um was es sich handle, machte er rasch
seinen Arm frei und fuhr in den Kessel. Ueber eine Stunde lang hatte
er im Wasser zu tasten und zu suchen, weil der Ring so klein und
leicht war, daß er immer wieder entwischte, und immerfort wurde unter
dem Kessel geheizt. Er aber zog den Ring heraus ohne das geringste
verspürt zu haben; da jedoch der Arianer großmäulig behauptete,
er wolle seinen Glauben auf dieselbe Weise bewähren, war sein Arm
gesotten, als er ihn wieder herauszog[308-a]. Ein spanischer König
wollte einen katholischen Priester aus Gallien, den man aufgefangen
hatte, durch schmeichelhafte Versprechungen zum Uebertritt bewegen,
aber dieser entgegnete ihm, seine Geschenke seien Mist für ihn. Als
man ihn dann geißelte, spürte er nur die ersten drei Hiebe[308-b]. In
mehreren Varianten wurde auch die Geschichte herumgeboten, arianische
Priester hätten Leute bestochen, Blindheit und nachherige von ihnen
bewirkte Heilung zu simulieren; diese seien dann aber zur Strafe
wirklich blind geworden[308-c]. Die katholische Kirche in Rioms war
von den Gothen in Beschlag genommen worden. Sie schickten sich an,
dort in der Charwoche auf ihre Weise Kindertaufen vorzunehmen, damit
das Volk desto eher in die Falle gehe. Der katholische Geistliche, der
sich frevelhaft aus seinem Heiligtum verdrängt sah, ging einfach in
den anstoßenden Betsaal der Ketzer und taufte dort. Von den ketzerisch
getauften zwanzig Kindern überlebte übrigens keines die Woche nach
Ostern[308-d]. Dogmatische Erörterungen ersetzte ein Beweis der Kraft,
wie man ihn drastischer nicht denken kann. Alles wurde, wenn immer
möglich handgreiflich vor den Augen dargelegt. Das marmorne Taufbecken
in Osser in Spanien hatte Kreuzesform; am Gründonnerstag wird es
geleert und die Röhren versiegelt; zu Ostern hat es sich dann von
selbst gefüllt. Die westgothischen Könige benutzten den Teich aber zur
Pferdeschwemme oder ließen nach geheimen Kanälen graben, um das Wunder
als Betrug aufzudecken[308-e]. Und als bei der Belagerung Saragossas
durch Childebert und Chlotar die arianischen Einwohner mit dem Rock
des heiligem Vinzenz eine Mauerprozession unternehmen, da zogen sich
die Frankenkönige von der Stadt zurück, weil eine katholische Reliquie
auch in ketzerischen Händen nichts an Kraft verlor[308-f]. Gegen nur
arianische Wunder dagegen war man kritisch und deckte die Schliche
unbarmherzig auf.

Nicht weniger schroff waren die Beziehungen zur Judenschaft. Der Haß
war auch hier gegenseitig; kein Teil blieb dem andern etwas schuldig.
Auch hier fehlt es an bezeichnenden Histörchen nicht. Der Knabe
eines jüdischen Glasers, der mit Christenkindern in die Schule ging,
wurde einst bei einer Meßfeier in der Marienkirche aus Versehen zur
Kommunion zugelassen. Frohlockend sprang er heim zu seinem Vater, den
er gerade bei der Arbeit traf, und erzählte ihm unter Liebkosungen,
jetzt habe er vom Fleisch und vom Blut Jesu Christi gegessen. Wütend
versetzte dieser: »Nun du mit diesen Kindern kommuniziert hast,
in Verachtung deines väterlichen Glaubens, so zwingst du mich ein
grausamer Rabenvater zu werden, da ich doch den dem Gesetz Mosis
zugefügten Schimpf nicht ungerächt lassen darf«. Darauf warf er sein
Kind in den glühenden Schmelzofen. Die Mutter kam herbei, warf sich vor
Schmerz ihren Kopfputz auf den Boden, zerraufte ihr Haar und schrie so
herzzerreißend, daß die christlichen Nachbarn herbeiströmten. Als man
aber den Ofen aufriß, befand sich das Kind völlig unverletzt; unter
allgemeinem Beifall wurde es hervorgezogen. Dagegen wurde nun der alte
Jude ins Feuer gesteckt und verbrannte sofort. Der Junge aber erzählte
auf Befragen, dieselbe Frau mit einem Kind auf dem Arm, die er heute
in der Kirche gesehen habe, hätte ihren Mantel über ihn gedeckt und
ihn so vor den Flammen gehütet[309-a]. In einer katholischen Kirche
sah ein Jude ein Christusbild an der Wand hängen und sagte: »Das also
ist der Verführer, der uns erniedrigt hat, mich und meine Rasse«. Da
es Nacht war, durchbohrte er das Bild, riß es von der Wand und nahm es
unter seinem Mantel mit nach Hause, um es zu verbrennen. Aber o Wunder,
die Wunde, die er dem Bilde geschlagen hatte, blutete; als er zu Hause
Licht machte, sah er sich blutüberströmt; Furcht ergriff ihn. Er
versteckte das Bild in einem Winkel; aber die Blutspuren von der Kirche
zu seinem Hause führten zu seiner Entdeckung. Die Christen brachten das
Bild wieder in die Kirche zurück und steinigten den Bösewicht[309-b].
Um so erfreulicher war es, gelegentlich auch bei einem ungetauften
Juden aufrichtigen Heiligenglauben zu finden, und der heilige Domitius,
den er anrief, stand auch keinen Augenblick an, ihn von der Ischias
zu heilen. Aber wie man es nie allen Leuten recht machen kann, so
waren nun wieder die Christen nicht zufrieden. Sie zerschellten die
Kirchenlampen und riefen: »Wir, die Gott in Wahrheit bekannt haben,
sind noch nicht gesund, indessen dieser Beschnittene geheilt von
dannen geht«[309-c]. Als jedoch ein Jude in Bordeaux einem Priester
abriet, in der Martinskirche Heilung vom Schüttelfrost zu erwarten,
da ja Martin längst in der Erde liege, und wie andere Sterbliche zu
Staub zerfallen sei, und ein Toter doch den Lebenden nicht helfen
könne, da wurde seine Unkenntnis offenbar; denn der Priester genas
nach Genuß von Kerzenasche, während der Jude selbst am selben Fieber
über ein Jahr lang krank blieb[309-d]. Ueber das Diskussionsniveau
bei Auseinandersetzung von Katholiken und Juden belehrt auf das
anschaulichste ein Erlebnis Gregors. Er besuchte König Chilperich
auf dem königlichen Meierhof zu Braine, als dieser eben nach Paris
übersiedeln wollte, und war im Begriff sich zu verabschieden. Da trat
gerade ein Jude ein, namens Priskus, mit dem der König viel verkehrte;
von ihm pflegte er die kostbaren Sachen zu kaufen. Chilperich nahm
ihn freundlich beim Kraushaar und wandte sich an den Bischof mit den
Worten: »Bischof, komm; hier gibt’s etwas zu bekehren«. Der Jude aber
sträubte sich. Da sprach der König: »O über diesen harten Kopf und
dieses allezeit ungläubige Geschlecht, das es nicht begreift, daß der
Sohn Gottes ihm verheißen ist durch die Stimmen seiner Propheten, das
es nicht einsieht, daß die Geheimnisse der Kirche in seinen Opfern
vorgebildet sind«. Als er solches sprach, sagte der Jude: »Gott bedarf
weder eines Weibes noch eines Sohnes; auch läßt er keinen neben sich
herrschen, wie er durch Moses spricht: Seht ihr nun, daß ich allein es
bin und kein Gott neben mir ist? Ich kann töten und lebendig machen,
ich kann schlagen und kann heilen«. Da sagte der König: »Gott hat
aus seinem Schooße geistiger Weise den ewigen Sohn gezeugt, der Zeit
nach nicht jünger, der Macht nach nicht minder, denn der, von dem er
spricht: Aus deinem Schooße habe ich dich gezeugt vor dem Morgenstern.
Diesen den vor der Zeit geborenen, sandte er in den letzten Zeiten als
Heiland in die Welt, wie der Prophet spricht: Er sandte sein Wort und
errettete sie. Wenn du aber meinst, daß er nicht selbst zeuge, so höre
deinen Propheten, der da spricht aus dem Munde des Herrn: ›Sollte ich
andere lassen die Mutter brechen und selbst nicht auch gebären? Dies
sagt er von dem Volke, das durch den Glauben zu ihm neu geboren wird‹«.
Darauf erwiderte der Jude: »Konnte wohl Gott Mensch, konnte er vom
Weibe geboren, konnte er geschlagen und zum Tode verurteilt werden?« Da
der König hierauf nichts zu sagen wußte, mischte sich Gregor ein und
sprach: »daß der Herr, der Sohn Gottes, Mensch wurde, geschah nicht
weil es für ihn, sondern weil es für uns notwendig war; denn den von
der Sünde gefesselten und der Gewalt des Teufels unterworfenen Menschen
hätte er nicht erlösen können, ohne menschliche Gestalt anzunehmen.
Ich will mich nicht berufen auf die Evangelien und den Apostel, denen
du nicht glaubst, sondern auf deine heiligen Schriften, daß ich dich
mit deinen eigenen Waffen schlage, wie man liest, daß einst David den
Goliath tötete«. Und nun tritt Gregor, meistens an Hand der hiefür
althergebrachten Schriftstellen, den Weissagungsbeweis an für Christi
Person und Werk. Darauf erwiderte der Jude: »Wie kann es für Gott
eine Notwendigkeit geben, solches zu leiden«. Gregor antwortete: »Ich
habe dir schon gesagt, Gott schuf den Menschen ohne Sünde, aber durch
die List der Schlange ward er verführt und übertrat Gottes Gebot.
Deshalb ward er aus dem Paradiese vertrieben und ihm die Mühen der Welt
auferlegt. Aber durch den Tod Christi, des eingeborenen Gottes, ist er
mit Gott dem Vater wiederum versöhnt worden«. Der Jude sagte: »Hätte
Gott denn nicht Propheten oder Apostel senden können, die den Menschen
auf den Pfad des Heils zurückführten, ohne sich selbst zum Fleische
herabzulassen?« Wieder ließ Gregor eine lange gelehrte Antwort ergehen,
aber der unglückliche Jude wurde nicht zum Glauben bewogen. Da wandte
sich der König an den Bischof und bat ihn um den Segen. »Ich werde zu
dir sprechen«, sagte er, »was Jakob zum Engel des Herrn sprach, der mit
ihm redete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn«. Nach dem Segen
verabschiedete sich Gregor und der König stieg zu Pferde[311-a].

Man begreift, daß der Jude unbekehrt von dannen ging; er dachte
dogmatisch schärfer als der gute Gregor. Auch in Streitgesprächen mit
Arianern siegte dieser durch sein männliches entschiedenes Auftreten,
aber nicht durch die Wucht seiner Gründe, so respektabel auch seine bei
diesen Anlässen sich bekundende Bibelbekenntnis sich ausnahm[311-b].
Mit demselben schönen Pathos stellt er an die Spitze seiner Schriften
sein orthodoxes Bekenntnis von der vollen Gottheit Christi[311-c].
Wohl ist auch ihm Christus der Endzweck des Lebens. Aber Erlösung
und Reinigung durch Christi Blut sind ihm Nebensache. Christus hat
sich bei seinem Tode überhaupt passiv verhalten; in Gregors Augen
war Christi Leiden keine That Christi; es war ein an ihm begangenes
Verbrechen. Die Auferstehung dagegen, sie zeigte ihn in seinem Wesen,
als den Oberwunderthäter, als den Siegeshelden und himmlischen
Herrscher. Und hier konnte eine nationale Auffassung des Christentums
einsetzen, die Christus als Herzog und das fränkische Volk als seine
Dienstmannen ansah. Das war dann aber kein Christuschristentum mehr,
sondern eben das fränkische Heiligenchristentum[311-1]. Mochte man auch
gelegentlich versichern, alle Wunder der Heiligen gehörten Christus,
seien göttliche Thaten und unterstünden Gott[311-d], es war trotz
alledem etwas anderes und kräftig eigenes, das sich der theologischen
Religionspraxis als untheologisches Volkschristentum entgegensetzte.
Und die Theologie sah sich gezwungen, halt zu machen; an Kraft, sich
aufzumachen und auszubreiten, hat es ihr gerade damals nicht gefehlt,
denn am Mittelmeerrande des alten Gallien hatte sich die Diskussion der
abendländischen Theologie gesammelt und, als Beweis ihrer Tüchtigkeit,
das apostolische Symbol hervorgebracht. Eine geradezu elementare
Macht muß also das sich ihr entgegenstemmende Bedürfnis nach einem
undogmatischen Volksglauben gewesen sein; infolge von Sankt Martins
Verbreitung des Christentums im gallischen Lande war es nun überall
aus der Erde gestiegen. Gregor spricht von Christus als dem Einwohner
der Heiligen[311-e]: ja, aber es handelte sich um das Erdgeschoß im
Himmel; wozu mühsames Treppensteigen in spekulativen Hochbauten? Wenn
man nur unter Dach war!


2.

Zerlegt man das Christentum des fränkischen Volkes in seine einzelnen
Bestandteile, so findet sich wohl nicht das kleinste Bruchstück,
das in dem Maaße neu wäre, sich nicht anderswo schon vorzufinden.
Lediglich auf ihre Substanz hin geprüft, bleibt diese merowingische
Heiligenreligion durchaus ein Gebilde zweiter Hand. Wenn Gregor mit
seiner Heiligengelehrsamkeit von morgenländischen und römischen
Quellen und Vorbildern abhängig war, so ist das keineswegs zufällig,
sondern deutet für seinen Gegenstand, die fränkische Volksreligion,
auf dasselbe Verhältnis zum Auslande. Alles darin ist auswärts bereits
da, also Import oder Imitation. Da es sich immerhin um Christentum
handelt, wird freilich der Zusammenhang mit dem Mutterland Palästina
natürlich. Aber dieses Verhältnis zum Urchristentum zeigt so sehr
allenthalben das byzantinische Gepräge, daß dieses rege Interesse am
Evangelischen sich schon gänzlich in der Vermummung des orientalischen
Vulgärchristentums darstellt. Suchen wir uns kurz zu vergegenwärtigen,
was man den Franken vom apostolischen Zeitalter etwa beibrachte. Die
Person Christi wurde weniger durch die Predigt als durch die bildliche
Darstellung vermittelt: »Der Glaube, der sich uns rein erhalten hat
bis auf den heutigen Tag«, schreibt Gregor[312-a], »steigert die
Liebe zu Christus so sehr, daß die Gläubigen, denen sein Gesetz ins
Herz gegraben ist, auch sein Bild vor Augen haben wollen zum Andenken
an seine Verdienste, vermittelst von Gemälden, die sie in ihren
Kirchen und in ihren Häusern aufhängen«. Als das Urbild galt die
Christusstatue, die das blutflüssige Weib aus Dankbarkeit in Paneas
gestiftet habe. Gregor ließ sich von mehreren Augenzeugen berichten,
das Gesicht des Bildwerks glänze[312-b]. Von Jerusalem aus hat man
Christusamulete durch die ganze Welt hin versandt: um die Martersäule
gespannte Schnüre, besonders aber kleine Erdtorten, die aus einer
angefeuchteten Scholle des heiligen Grabes zurecht geknetet und dann
gedörrt wurden[312-c]. Das Urchristentum stand nach Gregor unter
Leitung der Zwölfapostel und der Jungfrau Maria; der im Orient eben
erblühte Marienkult findet hier seinen ersten Wiederhall. Gregor
ist der erste Schriftsteller, der von der Auferstehung der Maria
und ihrer leiblichen Erhebung aus dem Grabe ins Paradies zu sagen
weiß[312-d]; von ihren Wundern berichtet er, sie habe das nach ihr
geheißene Kloster in Jerusalem von Nahrungsnot befreit[312-e]; auch
habe Kaiser Konstantin ihr eine prächtige Basilika mit Säulengängen
errichtet[313-a]. Unter den Aposteln tritt Gregor auf sieben näher
ein: Jakobus, der Bruder des Herrn habe sich sein Grab am Oelberg
selber bereitet und übrigens schon vorher Zacharias und Simeon
darin bestattet gehabt[313-b]; Petrus habe aus Demut die Gewohnheit
angenommen, seinen Scheitel kahl zu scheeren; in Rom zeige man noch
zwei ausgehöhlte Steine an der Stelle, wo er mit Sankt Paul im Gebet
gegen Simon Magus auf den Knien gelegen habe; das dort sich sammelnde
Regenwasser heile. Die Peterskirche des Vatikan sei von vier Kolonnaden
getragen, sechsundneunzig Säulen, mit den vier Altarsäulen hundert
im Ganzen, nicht gerechnet die vier, die den Grabesbaldachin tragen.
Wer am Petersgrabe, das unter dem Hauptaltar liegt, beten will,
öffnet das Gitter, naht sich dem Grabe und hat seinen Kopf durch ein
Guckfenster zu strecken. Bei der Gewinnung des Petersamuletes ist
es Sitte, den Seidenlappen vor- und nachher zu wägen, um mit der
Gewichtsdifferenz die Echtheit des Glaubens zu beweisen. Andere nehmen
den Gitterschlüssel mit sich und lassen zum Ersatz einen goldenen
zurück[313-c]. Sankt Paul wurde in Rom enthauptet, auf den Tag ein
Jahr nach dem Martyrium Sankt Peters. Aus seiner Leiche floß Milch und
Wasser; warum denn nicht Milch, bei ihm, der die ungläubigen Völker
im Schooße trug und zur Welt brachte, sie aufzog mit Geistesmilch bis
zum Genuß der festen Speise heiliger Schrift? Nach seinem Tode, um
wenigstens ein Wunder von ihm zu nennen, hielt er einen vom Teufel
verführten Menschen ab, sich das Leben zu nehmen[313-d]. Der Evangelist
Johannes, der Busenjünger des Herrn, stieg lebendig ins Grab hinein
und befahl, ihn mit Erde zuzudecken. Noch heute scheidet sein Grabmal
eine Art weißen Mannas aus; dieses Mehl wird als Arznei durch die
ganze Welt versendet. Noch zeigt man in Ephesus auf einem Berge eine
Burgruine mit vier Mauern ohne Dach; dort schrieb er sein Evangelium
und bat Gott, doch nicht regnen zu lassen, bis er damit zu Ende sei,
und so fällt denn bis zum heutigen Tage dort kein Regen und zeigt sich
keine Wolke. In Ephesus ruht auch Maria Magdalena ohne jedes Gewand,
in ihrem Grabe[313-e]. Am Tage des Apostels Andreas quillt nicht nur
Mannamehl, sondern auch Oel mit Nektarduft aus dessen Grabe zu Patras,
wo er gekreuzigt wurde. Das Maß dieser Festernte gibt das Orakel ab für
den Feldertrag des ganzen Jahres. In eben dieser Andreaskirche brauchte
Mummolus, der als Gesandter König Theudeberts zu Kaiser Justinian
nach Konstantinopel kam, den Tempelschlaf gegen Blasensteine; nachdem
er an seinem Aufkommen verzweifelnd bereits sein Testament gemacht
und mit Siegel und Unterschrift hatte versehen lassen, hatte er sich
nach einem tüchtigen Arzte erkundigt und zur Antwort erhalten, warum
er es denn nicht mit dem himmlischen Arzte versuche. So ließ er sich
denn an das Andreasgrab bringen und lag dort auf dem Kirchenpflaster
gebettet, als er um Mitternacht, da alles schlief, plötzlich das
Bedürfnis empfand, sein Wasser zu lösen. Er stieß daher einen seiner
Sklaven an, verlangte mit schwacher Stimme ein Geschirr und gab nun
unter großer Anstrengung einen so stattlichen Stein von sich, daß es
ein ordentliches Geräusch gab, als er in das Gefäß fiel. Schmerzen
und Fieber hörten auf; der Herr konnte gesund und wohl das Schiff zur
Heimfahrt besteigen[314-a]. Der Apostel Thomas erlitt das Martyrium
in Indien. Später wurde er nach Edessa in Syrien überführt und dort
bestattet; doch erhob sich über seiner früheren Ruhestätte in Indien
ein Kloster mit einer prächtigen Kirche; ihr »ewiges Licht« genießt
den Vorzug, daß es nie gespiesen zu werden braucht, und nie auslöscht;
das weiß Gregor von einem gewissen Theodor, der dort war. Andrerseits
verdient die Thomasmesse von Edessa wegen des ungewöhnlichen Zudrangs
Erwähnung: von überallher finden sich dort Leute um zu beten und
Geschäfte zu machen; dreißig Tage lang kann jedermann kaufen und
verkaufen ohne Steuer zahlen zu müssen, den ganzen Monat März hindurch;
dann stechen auch die Insekten nicht, und das Wasser, das man sonst
hundert Fuß tief aus dem Boden herauspumpen muß, reicht nun bis wenige
Fuß unter die Oberfläche. Sind aber die Festtage vorüber, so meldet
sich das Ungeziefer wieder, werden die Steuern eingetrieben, erreichen
die Brunnen den üblichen Tiefstand; zu gleicher Zeit gießt dann auf
Gottes Befehl ein Platzregen herab und reinigt das gesamte Revier
um den Tempel herum von dem Schmutz und all den Ueberbleibseln, die
durch die Massen der Festbesucher veranlaßt waren[314-b]. Bartholomäus
hatte ebenfalls in Indien gewirkt und dort sein Grab gefunden. Nach
Jahr und Tag wurde aus Anlaß einer Christenverfolgung sein Sarkophag
von Heiden ausgegraben und in einem Bleisarg dem Meere übergeben,
indem sie sagten: »Nun wird er uns doch die Bevölkerung nicht mehr
aufwiegeln«. Aber die Meereswellen ließen die köstliche Fracht
nicht untergehen, sondern trugen sie auf wunderbaren Wegen nach den
liparischen Inseln[314-c]. Von Stephanus dagegen weiß Gregor keine
orientalische, sondern nur fränkische Traditionen anzugeben[314-d].
Auch für die nachapostolische Zeit fehlt es nicht an morgenländischen
Sagen. Von der schönsten, der Siebenschläferlegende, hat Gregor neben
seiner wörtlichen Uebersetzung der syrischen Passion noch einen Auszug
der Geschichte folgen lassen[314-e]. Außer den im fränkischen Reich
durch Reliquien vertretenen heiligen Georg[314-f] und Sergius[314-g]
nennt er im Zusammenhang außerdem die Aerzte Cosmas und Damian[315-a],
Phokas[315-b], Domitius[315-c], Isidor von Scio[315-d] und Polyeuktes.
Des letzteren Kirche in Konstantinopel mit ihrem von der Matrone Julia
gestifteten Golddach reagierte speziell auf Meineidige; war auch damit
die Eigenschaft einiger fränkischer Kirchen vorgebildet[315-e], so
legen ferner die achtundvierzig Märtyrer von Armenien die Vermutung
nahe, die Zählung der genau ebenso starken Märtyrerschaar von Lyon
beeinflußt zu haben, deren historische Bestandteile bei Euseb Gregor
im übrigen in Rechnung bringt[315-f]. Endlich erzählte man sich im
Frankenreich auch von dem wunderbaren Asketen Simeon, der in einer
Kirche zu Antiochien auf einer Säule lebte und so frauenscheu war, daß
er nicht einmal seiner eigenen Mutter erlaubte, ihn anzusehen[315-g]:
in diesen beiden Zügen fand er gemäßigte Nachahmer auf gallischem Boden.

Aber was wollen solche Einzelheiten noch besagen, wo die Thatsache der
Abhängigkeit und Nachahmung, Gesamterscheinung gegen Gesamterscheinung
gehalten, sich so unabweislich überzeugend aufdrängt. Des öftern
muß es natürlich eine offene Frage bleiben, in wie weit nun wieder
das morgenländische Gut durch römische Hände gegangen war. Für
einzelne Urheilige wie Peter und Paul liegt ja der römische Ursprung
der Legende auf der Hand. Hiezu kommen jedoch nur einige wenige
Heiligensagen lateinischer Färbung. Die merkwürdigste darunter ist
der italienische Schulmeister Cassianus, der von seinen Schulkindern
mit den Schiefertafeln tot geschlagen und mit den Kielfedern tot
gestochen wird[315-h]; hier wie auch sonst[315-i] gelegentlich hält
sich Gregor an Prudentius. Die Sage jedoch von dem sich liebenden
Märtyrerpaare Chrysanthus und Daria hat Gregor aus alten Akten, die
Anekdote von dem in ihrer Katakombe versuchten Diebstahl dagegen wohl
aus mündlichen Berichten[315-k]. Nicht zu den Märtyrern, sondern zu
den Bischöfen gehört von seinen italienischen Heiligen Paulin von
Nola[315-l]. Im Unterschied etwa zu Euseb von Vercelli, der für ihn vor
allem kultisch in Betracht kommt[315-m], schildert Gregor jenen seinem
Erdenleben nach, nicht in seinen posthumen Wirkungen. Viel wichtiger
ist, daß in Italien sich im sechsten Jahrhundert dieselbe Gestaltung
der Dinge vollzog, wie in Gallien. Der römische Gregor faßt gleich
seinem fränkischen Namensvetter in seinem persönlichen Glauben eine
ganze Entwicklung zusammen, und vergleicht man sie beide, so besteht
der allerdings fundamentale Unterschied wohl nur in dem Dasein und dem
Mangel einer höheren Theologie, die, wo vorhanden, durch ihre Probleme
den christlichen Materialismus zu einem Kampf zwischen den Engeln und
dem Teufel abdämpfte, dagegen, wo sie fehlte, die nur unzureichend
maskierte Götterwelt der Heiligen friedlich gewähren ließ. In diesem
Mangel einer augustinischen Fragestellung reichen sich dann eben das
byzantinische und das fränkische Christentum die Hand: es herrscht
zwischen ihnen ein Einvernehmen über Rom hinweg; ein Heiligenglaube
der von höherer Theologie überhaupt nicht geniert wurde, fühlte sich
bewundernd zu der Theologie hingezogen, die selbstvergessen ihre
höheren Interessen an einen solchen Heiligenglauben verlor. Doch war
die Liebe der fränkischen Kirche zu Byzanz gewissermaßen eine Liebe
ohne Einwilligung der Eltern; der römische Einfluß blieb unbedingt
maßgebend. Es hat sich in der fränkischen Kirche kein Gegensatz zu Rom
auszubilden vermocht, in dem man die siegreiche Werbung des Orients
erkennen könnte; nur sofern die römische Erlaubnis nicht gefährdet
schien, ist byzantinisches Gut zu den Franken gedrungen. Daraus
erklärt sich dann auch die prinzipielle Stellung, die das fränkische
Christentum zu den Reliquien einnahm. Morgenland und Abendland
empfanden in einem wesentlichen Punkte unversöhnlich verschieden;
im Osten gestattet man die Zerstückelung der Leiber, in Rom war sie
streng verboten[316-1]. In diesem Hauptpunkte hält man sich nun bei
den Franken durchaus auf die römische Seite; wenigstens ist nirgend
von einer Zerstreuung der Glieder eine Spur wahrzunehmen. Dagegen
sieht man dem Morgenlande unverfängliche Dinge wie Tempelschlaf
und Krystallvision oder löbliche Einrichtungen wie die Xenodochien
ab[316-2]. Auch in den Bildern hätte man es gerne nachgeahmt; aber der
Respekt vor römischer Gesinnung ließ diesen Gelüsten nur geringen Raum;
wenige fränkische Kirchen hatten Bilder[316-a], und von diesen mußte
zum Beispiel der Christus in der Kirche von Narbonne bezeichnenderweise
mit einem Leintuch verhängt werden[316-b]. Endlich machte die
Stellung der fränkischen Heiligen eine Verwendung der Engel durchaus
überflüssig: indessen fing man vereinzelt an, statt zu den Heiligen
auch zu den Engeln zu beten[316-c], und der Wunderthäter unter den drei
Erzengeln Gregors des Großen, Michael, taucht bei Gregor von Tours erst
schüchtern, aber bald darauf ebenbürtig unter den fränkischen Heiligen
als ihresgleichen auf.

Doch bedeutet der Versuch beinahe einen Widerspruch in sich selbst, in
der fränkischen Heiligenverehrung römische Bestandteile und Parallelen
noch insbesondere nachweisen zu wollen. Ist sie doch selber ihrem
eigentlichen Wesen nach ganz und ohne Rest römisch. Damit greifen
wir zu Ende unserer Darstellung wieder auf deren Anfang zurück. An
einigen römischen Heiligenviten aus der vorfränkischen Zeit haben
wir den Hauptimpuls für die Entstehung der fränkischen Heiligenwelt
erkennen lernen in der lebensvollen Erinnerung an die Wirksamkeit
bedeutender Mönchsbischöfe aus dem Ende des vierten bis zu Anfang
des sechsten Jahrhunderts. Allen voran Sankt Martin. Auch uns, die
wir seinem Einfluß doch gänzlich entrückt sind, ist er ein Rätsel
geblieben. Die merkwürdige Combination eines stahlharten Willens und
eines kindlich weichen Herzens reichen zur Erklärung seiner wunderbaren
Erscheinung nicht aus. Wir mußten ihn als Visionär gelten lassen,
ihm eine uns fremde, unbekannte Welt einräumen, aus der er nach
einem außerkörperlichen Zwischenleben Seelen wieder in ihre Körper
zurückrief, verschollene Geister zur Rede stellte, Engel empfing und
namentlich immer und immer wieder den Teufel auf sich einstürmen sah.
Eine ekstatische Ader wirkte auch in seinen bedeutenden Zeitgenossen:
Ambrosius von Mailand nahm durch Verzückung an Martins Begräbnis teil,
und Severin von Köln, — sein Erzdiakon hatte es auf Tag und Stunde
hin notiert — hörte in Martins Todesstunde einen himmlischen Chor
singen[317-a]. Als aber auf dieses starke, produktive Geschlecht ein
epigonenhaftes rezeptives folgte, erwies es sich der Ahnen würdig,
indem es zu münzen verstand, was jene gruben. Die fränkische Kirche
stand im ersten Jahrhundert ihres Bestehens vor der Aufgabe, die von
starken und ungewöhnlichen Naturen ausgegangene Anregung in eine
Organisation umzusetzen, deren Betrieb auch mit mittelmäßigen und
alltäglichen Kräften ohne Schädigung des Gehaltes von statten gehen
konnte. Sie hat diese Aufgabe gelöst, glänzend gelöst.

Zunächst dadurch, daß sie das Andenken des verstorbenen Heiligen
kultisch zu bannen verstand und den im Tode allerdings geschwundenen
aktiven Einfluß der heiligen Person halbwegs durch den mit der
Verehrung gegebenen passiven zu ersetzen wußte. Die Heiligsprechung
entsprach noch durchaus der Quintessenz des hinterlassenen Andenkens:
genoß ein Heiliger bei Lebzeiten das Vertrauen des Volkes, so
sicherte man ihm diesen Besuch, auch wenn er tot war. Doch gab es
Ausnahmen: der Lebenswandel von einst konnte gegenüber den dem
Leichnam gespendeten Ehren zu Zweifeln berechtigen; dann fehlt es
aber auch an der schuldigen Rechenschaft nicht; Für und Wider werden
gewissenhaft abgewogen, und ein Ueberwiegen der Vorteile hat dann
zu der übrigens noch rein naiven, nicht gesetzlich regulierten
Canonisation geführt. So geschah es mit Sankt Sigismund. Er hat, sagte
man sich, allerdings seinen Sohn töten lassen; aber er that Buße
zu Agaunum, stiftete dort den täglichen Kirchengesang, bereicherte
die Abtei sowohl mit Mobilien als mit Immobilien; dann wurde er ja
doch auf grausame Weise ermordet und eben in Agaunum beigesetzt, das
Hauptzeichen aber, daß er der Gemeinschaft der Heiligen angehört, sind
die Ereignisse an seinem Grabe; wenn Fieberkranke die zu seinen Ehren
gelesenen Messen mit Andacht hören und eine Spende bringen, werden sie
alsbald gesund[318-a]. Im allgemeinen bestätigte die Kirchenleitung
stillschweigend den durch die Volkspraxis geschaffenen Bestand
an Heiligen, und es ist für Heilige kein Fall von nachträglichem
einschneidendem Widerruf bekannt, wie er für den Leumund von Laien
gelegentlich vorkam, so gegenüber einer abgefeimten Heuchlerin, die
unter dem Deckmantel der Frömmigkeit ihrer Habsucht fröhnte und auf
eine bischöfliche Untersuchung hin nach ihrem Tode noch gebrandmarkt
wurde[318-b].

Die Atmosphäre, deren die so geschaffene Heiligenverehrung zur
Existenz dringend bedurfte, wird aus zwei menschlichen Seelenvermögen
gespiesen, die wir infolge dessen in der Merowingerzeit in sehr
ausgebildeter Form vorfinden: einer lebhaften Sensibilität für
alles Ungewöhnliche, Wundersame, Sonderbare und einer ausgebildeten
Traumphantasie. Die eigentliche Kraft des Wunderglaubens beruht auf dem
spontanen Wunder; dieses ist der plötzlich auftretende, unbegreifliche
Gewaltsakt, der den natürlichen Verlauf durchkreuzt und ihm eine neue
Richtung gibt. Je stärker ein Heiliger ist, um so unerschöpflicher
wird er an spontanen Wundern sein. Da aber der Dichtigkeitsgrad des
Wunderglaubens nicht durch die aktiven Wunderthaten, sondern durch
die Aufnahmsfähigkeit der Empfänger bestimmt wird, und die Wunderluft
viel weniger daraus entsteht, ob wirklich Wunderbares geschieht, als
daraus, ob es für wunderbar gehalten wird, so ist das Weiterblühen
des Heiligenkultes keineswegs ausschließlich Fortdauer des von den
Wunderthätern ausgegangenen Anstoßes, sondern mindestens ebenso sehr
Mitwirkung einer in der Laienwelt gepflanzten Empfänglichkeit. Zu
dieser beständig zurecht bestehenden Rezeptionsfähigkeit der Menge
hat die Geistlichkeit vor allem durch die Fertigkeit beigetragen, mit
der sie die Umdeutung der Zufälligkeiten des Tages vornahm. Als der
Tempelräuber einen Fehltritt und infolge dessen den tödlichen Fall
in seine Lanze thut, ruft Gregor: »Niemand wird zweifeln, daß das
ein Gottesurteil war und nicht ein Spiel des Zufalls«[318-c]. Ein
Priester der Landschaft Poitou, namens Pammichus saß mit Freunden bei
Tische und wollte eben trinken, als eine Fliege ihn umsummte und sich
durchaus auf das Glas setzen wollte. Er jagte sie mit der freien Hand
weg; aber sie näherte sich immer wieder. Da schöpfte er Verdacht, es
möchte eine Arglist des bösen Feindes sein. Er hob das Glas in seiner
Linken hoch empor und schlug mit der Rechten das Zeichen des Kreuzes.
Alsobald teilte sich die Flüssigkeit in vier Teile, schäumte über und
goß sich auf die Erde aus: also war es in der That satanische Tücke
gewesen[319-a]. War somit der Geist durch die Engels- und Teufelswelt
lebhaft beschäftigt, so verstärkte es noch die Wirkungskraft dieser
Welt auf das Leben, daß sie sich in den Träumen fortsetzte. Es wäre
unrichtig, die Bedeutung der Traumvorstellungen für die Heiligenwelt in
Abrede zu stellen, zumal sogut wie nachgewiesen ist, daß die niedere
Heidenmythologie aus dem Traum überhaupt geboren wurde, allerdings aus
dem pathologischen Traum, dem Alpdrücken[319-1]. Dem trat entgegen die
lichte, helle, friedliche Traumerscheinung des Heiligen und stellte
sich der schwarzen Gespensterwelt erlösend entgegen. Gregor erzählt
von einem Fieberkranken, als die Nacht kam, in der ein Schüttelfrost
zu erwarten stand, sei ihm eine schreckliche Nachtmäre erschienen; sie
kam auf ihn los und sagte ihm: »Nun ist wieder Zeit dich zu schütteln.
Warum willst du das leugnen. Laß es zu, wie gewöhnlich«. Der Kranke
hatte nämlich Grabsteinpulver eingenommen, alsobald erschien aber
ein Mann mit glänzendem Gesicht, schneeweißem Haar und freundlichem
Benehmen und sagte: »Zittere nicht; mache über deiner Stirne nur das
ehrwürdige Kreuzeszeichen, so wirst du alsobald gesunden«[319-b]. Wie
gering aber für das damalige Empfinden der Unterschied von Traum und
Wirklichkeit war, zeigt sich daran, daß derselbe unbekannte ehrwürdige
Greis, der uns in zahlreichen Traumbildern vorkam, auch plötzlich
unter die wirkliche Volksmenge getreten und sich als Sankt Martin
zu erkennen gegeben haben soll[319-c]. War es aber wirklich so, daß
die Traumbegebenheit hinter dem wachen Zustand an Realität nicht
zurückblieb, kam daher die Heiligenerscheinung genau so in Betracht wie
einst bei Lebzeiten die persönliche That, so war auch die kurze Dauer
der Erdenzeit keine Schranke mehr für das spontane Wunder, vielmehr
konnten in unbeschränkter Zahl irdische und himmlische Kraftthaten für
die Sache der Heiligen wirksam sein.

Die große Überlegenheit des kirchlichen Wunder- und Heiligenglaubens
über den vulgären heidnischen Aberglauben beruht in dem persönlichen
Moment des gepflegten Andenkens an die Erdenspuren eines einst
einflußreichen Menschen, das denn doch ein unvergleichlich höheres
Gepräge trug, als die Erinnerung an die Nachtschrecken des Alptraums,
so wirklich man diese auch verspürt hatte, und bei aller poetischen
Ausschmückung. Dem entspricht die Verachtung, mit der die katholischen
Geistlichen auf Zauberer und Wahrsager herabsahen. Wenn sie mit ihnen
zu thun bekommen, handelt es sich meistens um eine Confrontierung
von Heiligenkraft und Dämonenohnmacht; es kam eben noch oft genug
vor, daß besonders Leute vom Lande im Fall von Gemütskrankheit sich
zur Austreibung des Dämons erst an die Hexenmeister und Quacksalber
wandten. Ein solcher Heilkünstler murmelt dann Zaubersprüche, wirft
die Loose, hängt Halsbänder um und verspricht die Rückkehr des Lebens,
während er doch selbst durch sein Gebahren den Tod herbeiruft. Sobald
wirklich Angehenk und Amulet, Zaubertrank und Heiligenmedizin,
Beschwörungsformeln und Kreuzeszeichen, in Wettkampf mit einander
traten, dann stellte es sich immer sofort heraus, wem die Heilkraft
innewohnte[320-a]. Desgleichen gegenüber Aerzten von Beruf, denen man
an sich ein gewisses Ansehen nicht versagte; aber mit dem Heiligen
verglichen forderten sie zum Mitleid heraus: »Was vermögen sie denn mit
ihren Instrumenten? Es ist mehr ihres Amtes Schmerz hervorzubringen,
als ihn zu mildern; wenn sie das Auge aufsperren und mit den spitzen
Lanzetten hineinschneiden, so lassen sie jedenfalls die Qualen des
Todes vor die Augen treten, ehe sie wieder zum Sehen verhelfen. Und
sobald nicht alle Vorsichtsmaßregeln genau befolgt werden, ist es
überhaupt mit dem Sehen ein für allemal vorbei. Unser lieber Heiliger
dagegen hat nur ein Stahlinstrument, das ist sein Wille, nur eine
Salbe, das ist seine Heilkraft«[320-b]. Und seinem Hausarzt erklärt
Gregor, als er selber doch so darnieder lag, daß man bereits seine
Beerdigung vorbereitete: »So; du hast nun alle Hilfsmittel deiner
Kunst erschöpft, du hast alle Kräfte und Säfte aufgebraucht; aber die
Mittel dieser Welt helfen dem nicht, der dem Tode verfallen ist. Mir
bleibt nur noch eins übrig; ich will dir das große Mittel nennen: nimm
Steinpulver vom Grabe Martins und mach es mir an«[320-c]. Auch zum
Selbstbewußtsein, das damals die Geistlichen gegenüber den Anmaßungen
der weltlichen Machthaber oft bitter nötig hatten, hätte ihnen ihr
Heiligenglaube nicht verhelfen können, wäre er Illusion gewesen. Wenn
Leo, der Kanzler des Westgothenkönigs Alarichs _II_, die Felixkirche zu
Narbonne teilweise abtragen ließ, weil sie die Aussicht des königlichen
Palastes hinderte[320-d], wenn Eustasius von Poitiers Bischof Eufronius
von Tours um den Grundbesitz von dessen Vetter Baudulf brachte[320-e],
wenn Leudast der Graf von Tours einen jungen Pariser Handwerker am
Heiligengrabe festzunehmen befahl, weil er wohl seinen Lehrherren
entlaufen sei[320-f] und was der zahllosen Gewaltthaten dieser Art
mehr sind, immer konnte dann der Bischof, dem die Einsprache oblag,
sich zuversichtlich sagen, hinter ihm stehe der Heilige und werde ihn
nicht im Stiche lassen. Doch machte man mit diesem Bewußtsein auch dann
Ernst, wenn es Entsagung forderte; offenbar führte die Ehrfurcht vor
der dem Heiligen schuldigen Würde dazu, daß wenigstens sein direkter
Vertreter sich der Ehe enthielt, und so entließ ein Geistlicher,
der Bischof wurde, seine Frau[321-a], während beim niederen Klerus
der Cölibat ein unerfüllter Wunsch der Konzilien blieb. Selbst reine
Versehen, wie sie überall mit unterlaufen können, wurden durch den
Heiligen in Person ausgeglichen, treu stand er zu seinen Untergebenen,
so bei dem Erzdiakon Johannes von Nimes, der in Verwechselung mit dem
in der That schuldigen Erzpriester dieses Namens verhaftet worden war,
dann aber im Verlauf der Folgen dieses Vorfalls den Bischofsstuhl der
Stadt bestieg[321-b].

Das Standesbewußtsein äußert sich nun aber nicht zum wenigsten auch
darin, daß man auf Ordnung hielt in Ausübung des Wunderglaubens.
Gemeint ist damit nicht die aristokratische Miene, mit der einige
Altrömer gelegentlich die triviale Meßcelebrierung eines Franken als
unelegant belächeln[321-c]. Noch weniger darf man darunter Sittenzucht
im Klerus verstehen; der Priester, Eparchius, der im Rausch die
Weihnachtsmesse celebrierte[321-d], ist noch ein gnädiges Beispiel
angesichts der von Gregor in der Frankengeschichte geschilderten
infulierten Raufbolde, Schlemmer und Schufte wie Badegisel von Le
Mans[321-e], Salonius von Embrun und Sagittarius von Gap[321-f],
Eonius von Vannes[321-g], und Cautinus von Clermont[321-h], nicht zu
vergessen der aufständischen Nonnen von Poitiers[321-i], gegen die
Militär aufgeboten werden mußte. Aber diese Verwilderung der Sitten,
die in der Kirche womöglich noch schlimmer war, als unter den Laien,
führte die asketischen Kreise zu einer ungesunden Steigerung ihrer
Ansprüche an sich selbst; gegen das gottlose Treiben der Welt, wo
überhaupt nur noch Meineid, Raub und Mord zu finden sei, suchte man
mit einem manchmal geradezu verrückten Fanatismus anzukämpfen. Und
da nun setzte eine vernünftige Einsicht aus ernst gesinnten Kreisen
haltgebietend ein. Eine Langobarde, Wulfilaich mit Namen, ein Jünger
des Aridius von Limoges, that sich aus Verehrung für Sankt Martin bei
Trier als Säulenheiliger auf; aber die Bischöfe ließen seine Säule
zerstören mit der Begründung, ein geringer Mann wie er könne sich
nicht mit Symeon von Antiochien vergleichen; auch erlaube das rauhe
Klima diese Art Askese nicht, er habe wie andere Aebte bei seinen
Mönchen zu wohnen[321-k]. In Bordeaux ertrotzte ein überspannter
zwölfjähriger Knabe, Anatolius, von seinem Herrn die Erlaubnis, sich
als Klausner einzuschließen. Acht Jahre lange lebte er in einer
unterirdischen Kirche in einem Loch eingemauert, und erkrankte
denn auch am Verfolgungswahn; eine Martinskur in Tours hatte nur
vorübergehenden Erfolg. Ein anderer Klausner in der Bretagne, Winnoch,
lebte nur von Kräuterwurzeln und kleidete sich in Felle, schien auch
den Weinkrug zum Munde zu führen, als berühre er ihn nur mit den
Lippen und trinke nicht; da aber fromme Leute ihm oft volle Weinkrüge
brachten, gewöhnte er sich leider endlich doch an den Trunk und fing
an, sich dem Weine zu ergeben, daß man ihn meistens nur betrunken sah.
Er mußte schließlich als gemeingefährlich eingesperrt werden; doch
führte das seine Besserung nicht herbei[322-a]. Solche Extravaganzen
mißverstandener Heiligkeit machen die seltsame Maßregel eines Abtes in
Bordeaux verständlich: er hatte bereits bei der Aufnahme eines Novizen
Bedenken erhoben, der Dienst an diesem Orte sei hart; doch hatte der
Jüngling sich bescheiden eingeführt und bekam eines Tages zur Erntezeit
Getreide zu überwachen, das zum Trocknen an der Sonne lag. Plötzlich
brach ein Regen los; Hülfe zu holen, war zu spät, also betete der junge
Mönch, es möchte doch kein Tropfen auf das Getreide fallen. In der That
blieb der Weizen verschont, während es ringsum strömte. Abt und Mönche,
die herbeieilten, sahen das Wunder, und sahen den Bruder im Gebete
auf dem Sand hingestreckt. Auch der Abt warf sich hinter ihm zur Erde
nieder. Dann aber rief er ihm zu, aufzustehen, ließ ihn ergreifen und
geißeln, indem er zu ihm sprach: »Du mußt nämlich, mein Sohn, in der
Furcht und dem Dienste Gottes demütig wachsen, nicht aber mit Zeichen
und Wunderkräften dich rühmen«. Er ließ ihn darauf sieben Tage in eine
kleine Zelle einsperren und wie einen Schuldigen hungern; denn eitle
Ruhmsucht könnte seiner Seele schaden. Der junge Mann fiel in Folge
dessen sehr gut aus und wurde ein Mönch von größter Ergebenheit und
fast ohne jeden Anspruch ans Leben[322-b]. Desgleichen verfuhr ein
anderer Abt gegenüber einem Mönche, von dem ihm hinterbracht worden
war, er strebe mit ungewöhnlicher Heftigkeit nach einem heiligen
Wandel und liege nach vollbrachter allgemeiner Bußandacht noch zu
harten persönlichen Uebungen abseits in einer Dornhecke auf den Knien.
Er folgte ihm das nächste Mal verstohlen, um ihn zu beobachten, und
gewahrte nun in der That, daß dem Bruder während des Gebets leichte
Flammen aus den Mundwinkeln fuhren, die dann in leisem Feuerdampf sich
um dessen Haupt sammelten, ihm das Haar steif aufsträubten, ohne es
jedoch anzusengen und schließlich als unendliche Lichtsäule gen Himmel
stiegen. Aufs höchste erstaunt über diese unzweifelhafte Begabung zum
Heiligen, ließ der Abt jedoch nicht das geringste merken, sondern legte
dem Bruder von nun an besonders harte Demütigungen auf, damit solch ein
schönes Wundertalent nicht der Eitelkeit zum Opfer falle[322-c].


3.

Die auf den Gebieten der Politik, des Rechts, der Verfassung und der
Bewirtschaftung so verwickelte Frage, was damals unter den Merowingern
römisch und was germanisch war, ist für das fränkische Christentum
einfach genug zu beantworten: römisch war, wie man es gab, und
deutsch war, wie man es aufnahm. Allerdings wäre die vom Christentum
überwundene heidnische Volksreligion noch auf ihre keltischen und ihre
germanischen Bestandteile hin näher ins Auge zu fassen, falls eine
genügende Ueberlieferung eine solche Untersuchung ermöglichte. Das ist
aber kaum der Fall. Ueber die ungefähre Verteilung des Gemeinsamen und
des Unterschiedlichen wird schwerlich hinauszukommen sein. Versuchen
wir es auf Grund der wenigen uns zugänglichen Berichte.

Unter den altgallischen Kultstätten war die berühmteste der Tempel
Vasso Galatä bei Arvern[323-1], ein monumentaler Bau, mit doppelten
Mauern, innen von kleinen Steinen, außen von ausgehauenen Quadern;
die Wand war dreißig Fuß dick und nach innen mit Marmor und Mosaik
ausgelegt; auch der Fußboden war von Marmor und das Dach oben mit Blei
gedeckt. Dieses Heiligtum war indessen schon durch den Alamannenherzog
Chrok verwüstet worden; Gregor hat nur die Ruine in Augenschein
genommen[323-a]. Ein anderes Asyl des Heidentums war der Göttersee
von Alenc im Pays de Gévaudan gewesen. Dort hatten die Bauern dem See
Spenden dargebracht, indem sie Leintücher und Kleiderstoffe, sogar
wollene, hinein warfen; doch konnten sich das nur die Reichen erlauben,
die Armen warfen Käse, Wachskuchen, Brod und sonst Gegenstände jeder
Art hinein. Sie kamen auf ihren Wagen hergefahren, packten ihren
Proviant aus, schlachteten und thaten sich drei Tage lang gütlich. Am
vierten Tage pflegte ein Gewitter nieder zu gehen. Der Angriff der
Kirche auf diese Kultstätte wurde wahrscheinlich ums Jahr 535 durch den
Bischof der Gegend geführt. Er ging mit Reliquien seines Namenspatrons
Hilarius von Poitiers vor und errichtete ihm am Seeufer eine Kirche.
Nach ihrer Bekehrung pflegten die Bauern ihre ehemalige Göttergabe nun
dem Heiligen zuzuwenden[323-b]. Endlich muß keltischen und kann nicht
deutschen Ursprungs jener Ernteumzug sein, den schon hundert Jahre
vor der fränkischen Invasion Martin von Tours bekämpft hat. Gregor
schildert offenbar denselben Kultgebrauch des näheren: in Autun soll
sich das Bild der Göttin Berecynthia befunden haben. Man führte es
auf einem Wagen in den Feldern umher für die Wohlfahrt der Felder und
Weinberge und tanzte jauchzend darum herum. Es war Cybele, die Mutter
der Götter, die man von einem Schleier umwallt durch die Saaten trug.
Bischof Simplicius von Autun unternahm den Kampf dagegen; als das
Bild umgeworfen dalag und nicht mehr von der Stelle gebracht werden
konnte, entschieden sich vierhundert Anwesende für die Ohnmacht ihres
bisherigen Glaubens und meldeten sich beim Bischof zur Taufe[324-a].
Reste des längst in sich selbst ersterbenden Druidentums und Teile der
auch in die Provinzen gedrungenen gemischten Heeresreligion waren es
also, was im Lande selbst der christlichen Mission entgegenstand. Für
die Städte römischer Verfassung kam eine eigentliche Missionierung
nicht mehr in Betracht, zumal ja meistens der Bischof zugleich auch ihr
Herrscher war. Dort lag das Verhältnis vielmehr so, daß sich Ueberreste
von Heidentum in konservativen Adelsfamilien und bei Gebildeten
vorfanden, während der kleinere Bürgerstand rein christlich war[324-b].
Was die Franken von sich aus mitbrachten, war wohl nicht vor Alter
brüchig und hinfällig, aber doch zu scheu und zu kampfesungewohnt, um
einem wohlberechneten Anlauf dauernd Widerstand zu leisten. »Jenes
Geschlecht«, schreibt Gregor von den alten vorchristlichen Franken,
»war wahnsinnigen Götzendiensten noch immer von Herzen zugethan;
Gott war ihnen gänzlich unbekannt. Sie bildeten in Wäldern und an
Gewässern, von Vögeln und Tieren und andern Naturmächten bestimmte
Gestalten, die sie gleich Gott anzubeten und mit Opfern zu versehen
pflegten«[324-c]. Nach Gregor war also das fränkische Heidentum ein
Bilderdienst, Naturmächten in Tiergestalt gewidmet. Er scheint mehr
die kleinere Religion, die Stammesreligion im Auge zu haben. Doch
findet sich bei ihm auch eine Schilderung eines großen Heiligtumes,
das ohne Zweifel Wodan gewidmet war; denn Mars-Mercur läßt keine
andere Deutung zu. Dieser Wodanskult in der Auvergne kann nun, wenn
fränkischen Ursprungs, nur jünger sein, als das zu Kaiser Maximus
Zeiten gestiftete Juliansmausoleum. Seine Pflege etwa heidnischer
gebliebenen Burgundern oder Westgothen zuzuschreiben, wäre gewagt. Und
doch ist Julian der einherstürmende Wetterheilige Wodan auf den Leib
geschnitten. Es bleibt ein Ausweg: in vorfränkischer Zeit mußte Julian
einem römischen Merkurdienst opponieren, der dann von den eindringenden
heidnischen Franken übernommen und aufgefrischt wurde. Doch lassen wir
Gregor erzählen. Der Mars- und Merkurtempel in Brioude, berichtet er,
stand neben der Julianskirche. Bei dem Schwerttanz vor der heidnischen
Bildsäule geschah es einmal, daß ein junger Gladiator sich seinem
Gegner nicht gewachsen fühlte, darum plötzlich entsprang, an die
Zelle des Märtyrers flüchtete und die Thür hinter sich zuriegelte. Der
Gegner wollte die Thürpfosten umreißen, klemmte sich aber die Hand
so schmerzhaft ein, daß er abließ. Ein christlicher Priester kam von
ungefähr zu diesem Vorfall; er nahm die günstige Gelegenheit wahr und
leitete die Bekehrung der Heiden ein. Am vierten Tage brachte er sie
auf seine Seite durch das Gebet, mit dem er ein Gewitter heraufbeschwor
und wieder verscheuchte. Nun wurde auch der geklemmte Jüngling seine
Schmerzen los, und die anwesenden Heiden wurden getauft auf den Namen
der heiligen Dreieinigkeit[325-a].

Einen tieferen Einblick in die Eigenart des vom Heiligentum
überwundenen germanischen Heidenglaubens eröffnet uns nicht Gregor
selbst, sondern sein von ihm unter den zeitgenössischen Heiligen
aufgeführter Mitbischof, der in der That höchst merkwürdige Martin
von Bracara in Portugal. Er stammte aus Ungarn, wie der große Martin
auch, und hatte sich im Orient zum Gelehrten ausgebildet. Um 550 begab
er sich aus dem Morgenland nach Portugal, und zwar zur See, über das
ganze mittelländische Meer und den atlantischen Ozean, um die damals
sich vollziehende zweite Bekehrung der Sueven zum Katholizismus
zu fördern. Diese hing mit dem Reliquienbezug König Chararichs am
Martinsgrabe von Tours zusammen. Nahe bei Bracara in Dumio stiftete
Martin ein Kloster und wurde dessen Abt. Von da konnte er auf den Hof
am leichtesten einwirken. Noch unter Chararich wurde Dumio zum Bistum
erhoben mit Martin als Bischof. 572 ist er Erzbischof der Residenz und
Vorsitzender des Konzils. Er galt der fränkischen Geistlichkeit für
hervorragend gebildet und starb nach dreißigjähriger Wirksamkeit im
Jahre 580. Die Verse, die er seinem großen Landsmann und Namensherrn
in größter Bewunderung gewidmet hat, standen zu Sankt Martin in Tours
über der südlichen Kirchenthüre angeschrieben[325-b]. Dieser Martin von
Bracara hat nun einen Traktat verfaßt, betitelt: »Die sittliche Hebung
des Landvolks«[325-1], und erwähnt darin allerlei heidnische Gebräuche
und Kultgewohnheiten der Deutschen. Sie verehren Wochengötter durch
die Benennung der Wochentage nach Mars, Mercur, Jupiter, Venus und
Saturn, die doch keinen Wochentag geschaffen haben, sondern gottlose
Griechen waren. Sie beginnen das Jahr mit Januar, während die Welt
doch zu Tag- und Nachtgleiche begonnen habe: »Gott schied zwischen
Licht und Finsternis«, und zwar im Frühling, da vom Sprossen und
Keimen des Grases die Rede sei. Gleich den römischen Paganalien im
Januar, wo Tellus und Ceres von den Bauern des Gaues gebeten wurden,
die Feldfrüchte vor schädlichen Tieren wie Ameisen und Feldmäusen zu
bewahren, hatten die Germanen einen Tag, der den Motten und Mäusen
heilig war. Auch denke man an Apollo den Mäusetöter und an Zeus, den
Fliegenabwehrer. »Ist es menschenmöglich«, ruft Martin aus, »daß ein
Christ statt Gott Motten und Mäuse verehrt. Denn wenn Motten und Mäusen
nicht auf das zuvorkommendste Kufen und Näpfe hingestellt werden oder
Brod und Pfannkuchen, so holen sie es sich selbst und schonen dann in
keiner Weise die Vorräte, die sie doch gerade beschützen sollen.« Eine
Art Vulkanalien, aber ein Kalenderfest, an dem man auch die Tische
mit Maien schmückt, ist das Neujahrsgelage; ihm liegt der Glaube zu
Grunde, wenn man sich am Jahresanfang mit Speise und Trank gütlich
thue, werde man das ganze Jahr hindurch in Ueberfluß leben. Gemeint
ist die Julzeit, die zwölf Nächte von Weihnacht bis Epiphanien. Ferner
achtet man ängstlich auf den Ruf der Waldkäuze; man bekränzt Häuser und
Thüren mit grünen Sträußen zur Abwehr von Gefahren, »steckt Maien«, wie
das Volk sagt; man beobachtet die Fußstapfen, den Abdruck der Sohle
auf dem Erdboden; man gießt Wein über den Baumstamm, legt Obst darauf
und wirft Brod in die Quellen: der »Julklotz«. Zu Hause sprechen die
Frauen über ihre Gewebe den Namen der Minerva aus: das Anrufen der
Frau Holle beim Spinnen. Der Freitag gilt besonders glücklich zum
Heiraten und um eine Reise anzutreten. Man bespricht Kräuter und wendet
allerlei Zauberformeln da an, wo der Christ Symbol und Vaterunser zu
Hilfe nimmt. Man steckt an Felsen, Bäumen, Quellen und Kreuzwegen
Lichter auf und achtet auf das Nießen. Wenn nun das Landvolk von der
Nichtigkeit dieser Gewohnheiten überführt war, so schritt man möglichst
rasch zur Taufe, womöglich schon an den Kindern. Wie es dabei zu ging,
schildert Martin in seiner Ansprache ebenfalls: »Ihr Gläubigen also,
die ihr im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes
zur Taufe Christi zugelassen seid, bedenkt, was für einen Vertrag ihr
im Taufakt mit Gott eingegangen seid. Und als ihr euch bei der Taufe
euern Namen geben ließet, Peter, Johann oder sonst einen, da wurdet
ihr vom Priester gefragt: ›Wie willst du heißen‹? Du antwortetest,
wenn du schon reden konntest, und wenn nicht, antwortete der Pathe für
dich, der dich aus der Taufe hob: ›Johann soll er heißen‹. Da fragte
der Priester: ›Johann, schwörst du ab dem Teufel und seinen bösen
Geistern, all seiner Verehrung und seinem Götzendienst, all seinem
Raub und Betrug, all seiner Anzucht und Trunkenheit und allen seinen
bösen Werken. Ja oder nein‹? Und du antwortetest: ›Ja, ich schwöre ab‹.
Darauf fragte dich der Priester: ›Glaubst du an Gott, den allmächtigen
Vater‹. Du antwortetest: ›Ich glaube‹. ›Und an Jesus Christus‹? Folgt
die spanische Symbolform. Antwort: ›Ja‹. Und an den heilgen Geist?
›Ja‹«[327-a].

Durch die Taufe wurde für den Kelten oder Germanen sein bisheriger
Götterglaube Dämonenglaube. Denn die Existenz und Macht der von ihm
gestürzten Götzen hat das alte Christentum nirgendwo und zu keiner Zeit
geleugnet. Es bestritt nicht, daß die Götter ~seien~, aber es bestritt,
daß sie ~Götter~ seien: Teufel waren es und Teufelskinder. Die Wesen,
bei denen man früher Hilfe gesucht hatte, lehrte die Kirche nun
fliehen und fürchten, indem sie überall ihr schlimmes Walten erkannte.
Krankheit war Teufelswerk, mochte der Dämon nun in der Staubwolke
sitzen und blenden[327-b] oder Hand und Fuß lähmen[327-c] oder mit
den Nachwehen eines Erdbebens Verstand und Körperkraft rauben[327-d].
Ein Mädchen konnte friedlich am Webstuhle sitzen. Da überfiel sie der
Dämon und sie wurde stumm[327-e]. Ein Schafhirt lagerte an der Quelle;
plötzlich ging er lahm, wurde den Bettlern übergeben und zog zehn Jahre
und mehr im Lande herum[327-f]. In Voultegon, einem Dorf der Poitou,
meinten in einer Sonntagsnacht zwei kleine Kinder, die in demselben
Bett schliefen, plötzlich die Morgenglocke läuten zuhören; sie standen
auf und gingen nach der Kirche. Im Vorhof sahen sie einen Chor
singender Frauen und waren entsetzt; denn sie erkannten, daß es eine
Bande Gespenster war. Da warfen sie sich zur Erde, versäumten jedoch,
sich zu bekreuzen, und so wurde das eine blind, das andere konnte nicht
mehr gehn[327-g]. Schon die harmlosen Unfälle eines Bezechten wurden
dem Bösen aufs Kerbholz geschrieben[327-h]. Vollends ein Selbstmörder
handelte nicht aus freiem Willen, sondern weil er von den Klauen eines
schmutzigen Gespenstes geklemmt wurde, das dem Teufel ähnlich sah.
Bereits hatte der unglückliche den Strick am Balken befestigt und
zögerte nur, sich die Schlinge umzulegen; denn er fühlte Reue und rief
einen Heiligen an; da raunte ihm der Teufel ins Ohr: »Vorwärts, spute
dich; vollende was du begonnen hast«, und wollte ihm den Kopf in die
Schlinge drücken[327-i]. So häufig immerhin Dämonen ins menschliche
Leben eingreifen, kennt Gregor nur eine Gattung näher und nennt sie mit
besonderem Namen: die Mittagsdämonen oder Tagalpen[327-1]. Sie lauern
um Mittag selb sieben den Menschen hinter Felsblöcken an der Straße
auf und werfen sie dann mit Steinen, sodaß mehrere der Getroffenen den
Verletzungen erliegen[327-k]. Ihre Nachstellungen verursachen bald ein
hinkendes Bein[327-l], bald eine Lähmung der Zunge[327-m]. Als ein
telepathisches Weib in Paris den großen Stadtbrand vorhersagte, drei
Tage, ehe er ausbrach, hielt man sie für vom Mittagsteufel besessen und
lachte sie aus[328-a].

Wenn aber um den Besitz von Natur und Menschenwelt die Heiligen mit
den Dämonen in beständiger Fehde lagen und es zu einem entscheidenden
Siege nicht brachten, so hatten sie doch unstreitig die Oberhand, die
sich schon durch die Ueberlegenheit ihrer Mittel kundgab. Vor allem ist
der Lichtschein ihr Privilegium; ein Dämon glänzt nicht, sondern ist
finster und schattenhaft. Diese Leuchtkraft des Heiligen hat sich die
Kirche zu nutzen gemacht; im Reiche des Lichts geschehen die meisten
typischen Wunder: die sich von selbst entzündende Kirchenkerze, deren
bekanntestes Beispiel in der Amarandusbasilika zu Albi erfolgte[328-b],
das von außen erhellt erscheinende Kirchenfenster, von dem Gregor
einen besonders sprechenden Fall selbst erlebte[328-c], die wunderbar
leuchtende Lanzenspitze[328-d], die Flämmchen und Scheine über dem
Altar[328-e], dem Heiligengrab und über den die Hostie segnenden Händen
des Priesters; dieses populärste Lichtwunder der verklärenden Aureole
um etwas Heiliges war in so unzähligen Spielarten verbreitet, daß
manche darunter wieder originell erscheinen, so der Lichtschein, der
in Form eines weißen Lammes auf der Brust des unschuldig des Ehebruchs
beargwöhnten schlafenden Bischofs lag[328-f]. Der andere Hauptbezirk
des typischen Wunders sind Oel[328-g] und Wein[328-h], die in
Gegenwart des Heiligen unerschöpflich werden. Hier ist der wunderbare
Faktor bereits viel stärker; während beim Lustwunder ein wirklicher
Anhaltspunkt in der Außenwelt und seine instinktive Steigerung durch
gläubige Betrachtung in den meisten Fällen wahrscheinlich ist, fehlt
ein solcher natürlicher Antrieb bei der Wein- und Oelvermehrung doch
viel eher; wenn man dann nicht einfach eine Einwirkung biblischer
Vorbilder annimmt, so handelt es sich dann eben um nichts anderes
als um eine Abweichung des Wahrnehmungsvermögens unter dem Druck
einer Glaubensvorstellung. Wenigstens dem ehrlichen Gregor ist es so
ergangen. Hören wir ihn noch einmal ein eigenes Erlebnis erzählen:
»Fromme Ehrfurcht«, so berichtet er[328-i], »forderte den Besuch
am Grabe des heiligen Hilarius und eine Unterredung mit Königin
Radegunde. Ich kam ins Kloster, begrüßte die Königin und fiel vor dem
Heiligenkreuz und vor den Unterpfändern der Seligen nieder. Zur Rechten
aber war ein Leuchter angezündet. Als ich nun beständig Oel daraus
herabträufeln sah, war ich der Meinung, deß ist Gott Zeuge, das Gefäß
sei zerbrochen; auch war darunter eine Schale aufgestellt, in dem
sich das Oel sammeln sollte. So wandte ich mich denn an die Aebtissin
und sprach: ›An einer solchen Stätte könntet ihr eigentlich wohl für
eine ganze Oellampe sorgen‹. Sie aber sagte: ›Das ist es nicht, mein
lieber Herr; die Kraft des Heiligenkreuzes steht vor deinen Augen‹. Da
gab ich klein bei; ich erinnerte mich wieder dessen, was ich früher
wohl gehört hatte, und zur Lampe gekehrt und bekehrt, sah ich das Oel
in den untergestellten Tiegel fließen, immer mehr und mehr, wie ich
meine, um meine Ungläubigkeit so recht Lügen zu strafen. Im Verlauf
einer Stunde gab das Gefäß, das sonst kein Viertel faßt, mehr als
ein Sester Oel. Da schwieg ich denn still und predigte fürderhin die
Anbetung der heiligen Kreuzreliquie«. Doch hat es dabei sein Bewenden
nicht. Eine andere Geschichte zeigt noch deutlicher, wie Gregor trotz
aufrichtigem Bemühen um ein dem Sachverhalt entsprechendes Urteil dem
hypnotischen Bann der einmal stabilierten Glaubensvorstellung nicht
widerstehen konnte. Da es sich freilich diesmal um die Abwehr eines
hartnäckigen Zweiflers handelte, so mögen Gregors Messungen unbewußt
beeinflußt gewesen sein. Ein Mann äußerte sich nämlich abfällig über
das Martinsleben des Severus: weder verdiene die Behauptung Glauben,
unter der Kraft von Martins Segen habe Oel an Volumen zugenommen, noch
die andere, eine Flasche sei auf das Steinpflaster gefallen und nicht
zerschellt. Nun hatte umgekehrt einer von Gregors Diakonen mit einer
Flasche Rosenöl, die für Salbungen an seinem fieberkranken Körper halb
aufgebraucht und dann versuchsweise am Martinsgrabe deponiert worden
war, zwar die automatische Selbstfüllung der Flasche erfahren dürfen;
als sie aber an der Wand seiner Wohnung aufgehängt war, riß sie sich
auf einen teuflischen Schlag hin vom Haken los, fiel zu Boden und brach
entzwei. Die Erde hatte alsbald die Flüssigkeit aufgesogen; der Diakon
jedoch nahm nun die feuchte Erde und preßte so viel als möglich die
Feuchtigkeit in ein anderes Gefäß aus. So gewann er richtig wieder
etwas Oel, dazu einige Glasscherben, auch war der Rosenduft nicht ganz
verloren gegangen. Das alles überbrachte er nun seinem Bischof. Gregor
seihte das Oel erst in ein neues Gefäß über: es mochte etwa ein halbes
Glas voll sein; die Flasche füllte es zwei Finger breit. Als er tags
darauf nachsah, stand es in einer Höhe von ungefähr vier Fingerbreiten.
Da schloß er die Flasche ab und versiegelte sie mit seinem Handsiegel.
Eine Woche später sah er wieder nach; nun war mehr als ein Schoppen
darin. Gregor ließ den Diakon kommen, und dieser versicherte eidlich,
genau so viel sei damals zu Grunde gegangen[329-a]. Diese Anekdote
führt ferner zu einem andern typischen Wunder; in der Lorenzkirche
von Arvern befand sich eine Kristallschale von großer Schönheit. Ein
Diakon war so ungeschickt, sie fallen zu lassen. Doch legte er die
gesammelten Scherben vertrauensvoll auf den Altar; nach einer unter
Gebeten, Wachen und Weinen verbrachten Nacht sah er nach: Die Schale
war ganz. Als dieses Wunder dem Volke mitgeteilt wurde, machte es
solchen Eindruck, daß der Wunsch laut wurde, es möchte der Bischof dem
heiligen Lorenz doch ein neues Fest einräumen. Die Schale wurde über
dem Altar aufgehängt[330-a].

Das typische Wunder ist somit im Unterschied vom spontanen nicht
eine unerwartete, auf persönlichen Impuls zurückzuführende, mehr
oder weniger neue und eigene Erscheinung, sondern ging gattungsmäßig
vermittelt aus kultischen Bedürfnissen oder Zufälligkeiten gelegentlich
hervor, sodaß schwer ist zu entscheiden, in wie weit es Ergebnis und
in wie weit Mittel der Kirchenpraxis war. Jedenfalls aber bildet hier
die Kirchenpraxis und nicht das individuelle Leben den eigentlichen
Nährboden, und es lohnt sich daher wohl, an einem sprechenden Beispiel
noch des näheren nachzuweisen, wie unter Umständen ein besonderer Fall
des kirchlich Notwendigen auch den Wundertypus in einer bestimmten dem
Bedürfnis angepaßten Form hervorbrachte. Von allen Anforderungen, die
das Christentum an die früheren Heiden stellte, fiel dem Franken die
Heiligung des Sonntags am schwersten. Daß man an einem bestimmten Tage
jeder Woche die Arbeit gänzlich unterlassen solle, wollte ihm nicht
eingehen. Die Kirche aber setzte den für sie fundamentalen Brauch mit
allen Mitteln durch. Sie wies, wo es nur anging, die verderblichen
Folgen der Sonntagsarbeit zunächst im allgemeinen nach, als
Krankheitsursache; eine gelähmte Frau hatte eben am Sonntag gegenüber
der Autorität der Kirchenväter sich herausgenommen zu arbeiten[330-b]
und Leudolf war an dem Sonntag erblindet, da er vormittags und
nachmittags sein Heu einbrachte[330-c]; dabei begreift es sich, daß
gelegentlich das Fest eines höheren Heiligen, so der Johannistag, in
den Rang eines Sonntags hinauf rückt und die Frau, die dann Unkraut
jätet, von einem schrecklichen Ausschlag befallen wird[330-d]. Dann
aber tritt noch öfter eine bestimmte logische Beziehung zwischen Schuld
und Strafe ein; bei einem Weibe war die rechte Hand, die Samstag
nachts noch gearbeitet hatte, noch eingeschrumpfter als die übrigen
Glieder[330-e]. Das in der Sonntagsnacht gezeugte Kind ist eine
scheußliche Mißgeburt; so mochte denn die Mahnung der Geistlichen nicht
ohne Eindruck bleiben, in dieser Nacht sich des Beilagers zu enthalten,
sie vielmehr keusch und gottwohlgefällig zu verbringen[330-f]. Ferner
legte eines Sonntags eine Frau von Langeais einen Mehlklumpen in die
heiße, von Gluten gesäuberte Asche, um ihn zu Brot zu backen, als ihre
Hand von innerer Glut verzehrt zu werden begann[330-g]. Werden schon
hier die Schuldigen immer so gestraft, wie sie gesündigt haben, so
tritt die typische Strafe für Sonntagsentheiligung vollends darin zu
Tage, daß die Hand, die den Holzgriff des Werkzeugs umfaßt, erstarrt
und die Finger in der umklammernden Haltung steif werden würden:
so ging es der Frau die Samstags nach Sonnenuntergang noch mit der
Ofengabel die Brote zum backen einschob[331-a], so dem Bauern, der
um an seinem Pfluge etwas in Ordnung zu bringen, Sonntags zur Hacke
gegriffen hatte[331-b], so dem andern, der Sonntags um Korn zu mahlen
seinen Mühlstein um drehte; er sägte den Holzgriff ab, aber erst
vor dem Heiligen, den er um Gnade anflehte, wurde seine Hand die
unliebsame Zugabe los[331-c]. Und wenn ein anderer im selben Fall ohne
das Anhängsel zwischen den Fingern vor Sankt Martin erschien, nun, so
hatte der eben noch zu rechter Zeit die erstarrende Hand zurückgezogen;
gespürt hatte er bereits, wie das Holz anzukleben begann[331-d]. In
einer derartig engen Verbindung mit dem Volksleben ist das typische
Wunder, das erst nur Beweiswunder war, zum Strafwunder geworden
und wird so wohl in der kirchlichen Verwendung sich als wirksamste
Illustration der Kanzelermahnung und der Gesetzgebung erwiesen haben.

Wie hätte so mannigfaltigen und überlegenen Mitteln das Bauernvolk
sich überhaupt widersetzen können. Wunder, Wunder, nichts als Wunder!
Dagegen war ja schlechterdings nichts zu wollen, wenn man nicht
geradezu Lust verspürte, seine Haut feilzutragen; denn daß die Heiligen
keinen Spaß verstanden, sah man doch deutlich genug. Aber, und das
ist nun ein weiterer bedeutsamer Punkt in unseren Erörterungen, es
handelte sich gar nicht um Zwang noch um dumpfe Schickung in etwas
Unvermeidliches. Was als Aufklärung angeboten wurde, wurde wirklich
als Befreiung empfunden; dem Franken, wenn anders ihm an Religion
überhaupt innerlich gelegen war, bedeutete das Christentum wirklich
eine frohe Botschaft. Das beweist schon die Stimmung des Volkes dem
Heiligen gegenüber. »Wenn am Heiligengrabe die Seele sich erniedrigt
und das Gebet sich erhebt, wenn die Thräne quillt und die Reue ins
Gewissen sticht, wenn aus dem Herzensgrunde die Seufzer aufsteigen und
wir an unsere schuldige Brust schlagen, dann entsteht Lachen aus dem
Weinen und Gnade aus dem Fehltritt, und das geprüfte Herz hat Trost
gefunden«[331-e]. Daß solche Worte aus der fränkischen Volksseele
heraus gesprochen waren, legt auch das Verhalten des gemeinen Mannes
auf seiner Wallfahrt nahe. Oft waren ernstliche Schwierigkeiten zu
überwinden, bis es überhaupt nur zur Wallfahrt kam; so mußte eine
lahme Frau, die nach dem Martinskloster Ligugé fahren wollte, von Haus
zu Haus bei Reichen sammeln gehn, um die Auslagen für den Transport
mit dem Ochsenkarren bestreiten zu können[332-a]. Am Festtage in der
Feststadt stand dann der Gläubige mitten in der Volksmenge in der
Kirche; er geht und küßt das Heiligengrab, weint darüber, betet um
Hilfe, glaubt an sie; da kommen die Priester, die Ceremonien heben an,
der Vorleser, der an der Reihe ist, schreitet zum Pult und beginnt die
Lektüre des heiligen Lebens; da zuckt es in den kranken Gliedmaßen,
er fühlt es, er wird geheilt, jetzt in diesem Augenblick; er raunt es
dem Nachbar zu, schreit es laut hinaus und erhebt den genesenen Arm
hoch empor, damit es jeder sehen kann[332-b]. Und so fühlt nicht ein
einzelner, so fühlt jeder; Gregor durfte sagen, das große Martinsfest
im Sommer werde vom ganzen Volke förmlich herbeigesehnt[332-c]. Hie
und da ist der Besucher auch so schüchtern und bescheiden, daß er
erst gar nicht ans Heiligengrab vorzudringen wagt, sondern traurig
wieder umkehrt und nach Hause schlafen geht[332-d]. Wenn aber eine
Heilung geglückt ist, dann trägt das zum Ruhme des Heiligen aufs neue
bei: »wer geheilt wird, sorgt dafür daß es unter die Leute kommt, und
ein Heilungswunder trägt Sankt Martin wieder eine ganze Reihe von
Geschenken anderer Leute ein«[332-e]. Kurzum, die Verehrung für den
Heiligen war nicht künstlich gezüchtet; sie entsprach der aufrichtigen
Ueberzeugung der Massen.

So hoch man auch vom altgermanischen Heidentum denken mag, ein
Unbefangener wird diese Vorliebe der Franken für das einmal erfaßte
katholische Christentum für sachlich gerechtfertigt halten müssen. Der
Schritt vom Guten zum Bessern ist nicht zu verkennen. Die germanische
Religion stand zur germanischen Sitte in keinem Verhältnis. Diese,
so viel wert sie war, beruhte ausschließlich auf der Familie und auf
der politischen Gemeinschaft; daß Gut und Böse Dinge seien, über die
man der Gottheit Rechenschaft schuldig sei, davon wußten die alten
Deutschen nichts. Für den heidnischen Germanen fing die Ethik erst
an mit seiner Eigenschaft eines Familiengliedes und Stammgenossen;
wurde er Christ, so mußte er begreifen lernen, sein Lebenswandel sei
eine Angelegenheit seiner selbst, etwas, das ihn allein unbekümmert
von allen andern angehe, sobald ihm nämlich daran gelegen sei, sich
mit dem Himmel im Einklang zu wissen. Die Erhebung auf eine höhere
Stufe, die in dieser Forderung lag, war also im Grundsatz mit der
Bekehrung gegeben; wenn jetzt der Franke ein guter Mensch sein wollte,
so hatte er nicht mehr bloß der sozialen Regel nachzukommen, er hatte
sich nun auch noch mit seinem Gewissen abzufinden und zwar in erster
Linie. Vielleicht darf man geradezu sagen, der Heide kannte nur
Geister und von seinem Verhalten zu ihnen hing es ab, ob es für ihn
gute oder böse Geister waren, während das Christentum von vornherein
streng dualistisch gute Geister und böse Geister als zweierlei Stände
unterschied. Und vom Grundsätzlichen abgesehen, war auch sonst der
Heilige ein vorteilhafter Tausch gegen den heidnischen Gott. Es
war gewissermaßen der Uebergang vom Zelt des Nomaden zur Hütte des
Ackermanns. Von der Wanderzeit her hatten die germanischen Götter
etwas Unstetes an sich, die kleinen Volks- und Stammesgeister hausten
wie der Fisch im Quell und Fluß oder wie der Vogel im Baumwipfel;
auch die oberen Götter saßen nicht ruhig auf einem Göttersitz; Freja
und Wodan ritten und reisten die ganze Zeit. Von diesem Huschen und
Jagen war beim Heiligen nichts zu spüren: da sein Dienst die Verehrung
eines toten Menschen war, der gelebt hatte und dessen Grab man besaß,
so bekam dieser Kultus von selbst etwas seßhaftes, häusliches; zwar
stand es dem Heiligen frei, auszugehen und einem Rufe nach auswärts
Folge zu leisten; aber nie für lange, immer würde er, das wußte man,
ja bald wieder in sein Haus zurückkehren. Diese Art Religion mußte dem
Franken um so mehr zusagen, als er selber seine Natur änderte, von
der früheren Wanderlust zurückkam und in die festen Formen ansäßigen
Gemeindelebens sich eingewöhnte. Dazu kam die Vielheit der Heiligen und
die damit verbundene Pracht und imposante Fülle der neuen Glaubenswelt.
Hatte dem Franken schon die irdische Hierarchie der katholischen Kirche
gewaltig eingeleuchtet, die vom kleinen Cleriker zum Bischof, von
diesem zum Metropoliten, von diesem zum Landesprimas und von diesem
zum Statthalter Christi in Rom aufstieg, wie staunte da erst sein
Geist, als sich Himmel über Himmel aufthat, allein aus Gallien eine
Heiligenschaar zur andern stieß, an der Spitze aller der donnernde
Julian und der große, gute Martin und diesen dann aus andern Ländern
neue Heilige sich verbanden, die spanischen, die italienischen, die
morgenländischen, hundert und hundert, und alles doch nur Diener des
einen Christus, der selber wieder der Sohn des dreieinigen Gottes
war. Ja, König Chlodowech hatte recht gethan, als er seinem Volk
diesen neuen Herrn gab. Aber eine Unterwerfung war es nicht gewesen,
sondern ein Vertrag auf gleichem Fuße, durch den beide Teile gewannen.
Gewiß, man war auf den neuen Himmelsherzog stolz; aber Christus konnte
es auch auf seine Franken sein; so starke und so treue Unterthanen
hatten er vorher nie besessen! Dieses Selbstbewußtsein verleiht dem
merowingischen Christentum seinen wahren Schwung. Bei Gregor kommt es
nicht zur Geltung, weil es bei ihm, dem Romanen, höchstens anempfunden
war und er überdies durch seine Schilderungen von Fall zu Fall mehr
eine Analyse als eine Zusammenfassung gibt. Zum Durchbruch gelangt
es aber in einer nationalen Kundgebung, ebenfalls aus dem sechsten
Jahrhundert, dem Prolog zum salischen Gesetze. Dieser schließt so:
»Es lebe Christus, der die Franken liebt! Er bewahre ihr Reich! Er
erfülle ihre Führer mit dem Lichte seiner Gnade! Er beschirme ihr Heer!
Er verleihe dem Glauben Schutz! Friede, Freude und glückliche Zeiten
schenke ihnen in seiner Barmherzigkeit der Fürst der Fürsten Jesus
Christus! Denn sie sind das Volk, das tapfer und stark das harte Joch
der Römer im Kampfe von seinem Nacken schüttelte; und während die Römer
die heiligen Märtyrer mit Feuer verbrannten oder mit dem Schwerte in
Stücke hieben oder den wilden Tieren zum Zerfleischen vorwarfen, haben
die Franken nach ihrer Taufe die Leichname dieser Märtyrer mit Gold und
Edelsteinen geschmückt«.

       *       *       *       *       *

Gewiß, es hatte in der Luft gelegen. Früher oder später mußte die
Bekehrung erfolgen. Als die Alamannen in ihrer Selbständigkeit geknickt
waren, wären die Franken im Kulturkreis des alten Imperiums der einzige
germanische Stamm gewesen, der sich dem Christentum nicht fügte. Aber
das Beispiel der Brudervölker wies doch einmütig auf den Arianismus.
Nur mit dem ungeheuern Unterschied, daß jene schon im Balkan und an der
Donau übergetreten waren und allerdings Ketzer, aber doch Christen von
dem katholischen Westen Besitz ergriffen, während die Franken noch als
Heiden schon im Lande ihrer Bestimmung saßen. Jede religiöse Bekehrung
ganzer Völker ist Sache der Politik; politisch bemessen handelte es
sich um folgenden Entscheid: wurden sie Arianer, dann hätten die
Franken die Römer vor den Kopf gestoßen, an deren Spitze sie ja gerade
treten wollten; wurden sie katholisch, so war der Zwiespalt mit den
andern Germanen nicht zu überbrücken. Als Arianer konnten ihre rohen,
keine Mittel scheuenden, realpolitisch genialen Könige den Gedanken
vom Zusammenschluß aller germanischen Reiche verwirklichen, eben den
Gedanken, für den der edle Gothe Theodorich zu zart und ideal gewesen
war: dann kein Mittelalter in unserem Sinn, das vom Hader zwischen
Kaiser und Papst lebte, wo die deutsche Eigenart sich öffentlich nur in
römischem Kleiden und, wie sie war, nur verstohlen sehen lassen durfte!
Nun waren sie aber katholisch geworden. Den nationalen Unterschied
zwischen Römern und Germanen hob die höhere Eintracht im Glauben auf.
Das klassische Altertum war in die christliche Kirche geflüchtet, um
darin zu sterben; in dem jungfräulichen deutschen Geist bot sich ihm
ein Schooß, der es unausgetragen in sich barg bis auf die Stunde der
Wiedergeburt.

Aber wenn Ueberkultur und Barbarei aufeinander prallen, tauschen sie
immer zuerst ihre Laster aus. An seinen eigenen, unmittelbaren Früchten
bemessen, kommt deshalb das merowingische Christentum übel weg; in
der That hat es das sittliche Niveau unter den doch wahrhaftig nicht
hohen Stand, den sowohl die römischen Insassen als die heidnischen
Franken aufwiesen, noch beträchtlich herabgedrückt. Auf irgend welche
Schilderungen des entsetzlichen Unwesens uns einzulassen, geht nicht
an. Wir haben nun nur mit einem Wort die Folgen dieses Tiefstandes der
Moral aus die Religion nochmals zu nennen. Mit Bleigewicht an den Füßen
vergeht auch einem beflügelten Wesen die Lust zum Fliegen, und wer
will dem fränkischen Christentum seinen Mangel an geistigen Interessen
vorwerfen, wenn das Leben, in dem es zu wirken hatte, so sehr der Würde
entbehrte; Lob verdient es, daß es sich überhaupt hielt, nicht Tadel,
daß es verrohte. Im sechsten Jahrhundert ist aus der Frömmigkeit auch
des Frömmsten jeder ideelle Zug ausgeschieden und nur noch Stoffliches
zurückgeblieben. Das Innenleben des braven, aufrichtigen Gregor spielt
sich, sobald es sich nicht mehr um Heilige oder um das katholische
Bekenntnis, sondern um den eigenen persönlichen Glauben handelt,
durchaus im Leeren ab, zwischen einem dumpfen Schuldbewußtsein[335-a]
und der ebenso dunkeln Zuversicht, gerecht vor Gott zu wandeln[335-b].

Im siebenten Jahrhundert hat die iroschottische Reform hieran nicht
viel geändert. Ihr Einfluß erstreckte sich namentlich auf die äußere
Klosterzucht und auf die Erweckung von etwas Wissenschaft und Kunst
in der Geistlichkeit. Ihre Buß- und Beichtdisziplin war das einzige,
was tiefer ging und vielleicht zur Erneuerung des Christentums hätte
führen können. Und doch hat auch sie das materialisierende Wesen
dieses gesamten Religionsbetriebes nicht angetastet. Wohl verspürt man
eine Steigerung im Bewußtsein der eigenen Sündhaftigkeit bei ernsten
Christen. Der Mann, der im siebenten Jahrhundert als Vertreter seiner
Zeit noch am ehesten neben Gregor von Tours im sechsten gestellt
werden darf, Eligius von Noyon, hat zwar vom Christen für das ganze
Leben Buße verlangt, aber das Complement dazu lautet bei ihm nicht auf
Gerechtigkeit aus dem Glauben allein, sondern auf Werkgerechtigkeit.
Mit Unrecht hat man Columban mit den altisraelitischen Propheten
verglichen. Die hätten doch in erster Linie gegen die Verehrung
der Heiligen geeifert, an der jener ohne weiteres teilnahm. Aber
dann hätten sie eben das zerstört, was überhaupt erst die neue
Staatsreligion unter den Franken ermöglichte. Wie eine große Ironie
nimmt sich jenes Kapitel in Gregors Frankengeschichte aus, da er aus
den Propheten mit erstaunlicher Bibelkenntnis die wuchtigsten Stellen
gegen den Bilderdienst sammelt und dann fortfährt: »Dies alles aber
vernahm im Anfang das Volk der Franken nicht, in der Folge haben auch
sie es vernommen«[335-c]. Einem Christentum wie dem fränkischen hätten
echte Seher die Existenzberechtigung absprechen müssen, denn an eine
ethische Läuterung der allgemeinen Gesinnung war nicht zu denken. Das
sind aber Dinge, über denen tausend Jahre dahinschwinden wie ein
Tag. Und nach tausend Jahren kam er ja dann auch wirklich, der andere
Martin, nach den Römern der Deutsche und nach den Heiligen der Prophet.

Und doch ruhten nicht umsonst Heiligengebeine in dem Boden, über den
nach dem Untergang der alten die mittlere Zeit gewandelt kam. Im
Hochmittelalter steigen aus dem langen Lauf der Jahrhunderte zwei
Gebilde auf, die neben den Großthaten des Altertums für die Menschheit
ewige Werte bedeuten: die scholastische Philosophie und die gothische
Baukunst. Beide haben ihre eigentliche Heim- und Pflegestätte in
Frankreich. So wäre also das Originalgut der mittleren Aera auf jener
Stätte erwachsen, die einst unsere Heiligen nach dem Maß ihrer Einsicht
und Kraft bebaut hatten. Ihre saure und redliche Arbeit war selbst
noch keine Kultur gewesen, aber sie wurde Fundament einer Kultur. Der
christliche Volksglaube, an der Stelle eines heidnischen Volksglaubens,
bewährte sich als Unterlage der Zukunft.




Fußnoten:


[003-1] ~Alfred Lehmann~, Aberglaube und Zauberei von den ältesten
Zeiten an bis in die Gegenwart. Deutsche Ausgabe von ~Petersen~.
Stuttgart 1898. S. 313—543.

[007-a] _Sever. Mart._ 2. (_Halm_).

[008-a] _Sever. Mart._ 3.

[008-b] _Sever. Mart._ 4.

[008-c] _Sever. Mart._ 5.

[008-d] _Sever. Mart._ 6.

[009-a] _Sever. Mart._ 7.

[009-b] _Sever. Mart._ 8.

[009-c] _Sever. Mart._ 9.

[010-a] _Sever. Mart._ 10.

[010-b] _Sever. Mart._ 11.

[011-a] _Sever. Mart._ 12.

[011-b] _Sever. Mart._ 13.

[011-c] _Sever. Mart._ 14.

[012-a] _Sever. Mart._ 15.

[012-b] _Sever. Mart._ 16.

[012-c] _Sever. Mart._ 17.

[012-d] _Sever. Mart._ 18.

[012-e] _Sever. Mart._ 19.

[013-a] _Sever. Mart._ 20.

[013-b] _Sever. Mart._ 21.

[013-c] _Sever. Mart._ 22.

[014-a] _Sever. Mart._ 23.

[014-b] _Sever. Mart._ 24.

[014-c] _Sever. Mart._ 25.

[014-d] _Sever. Mart._ 26.

[014-e] _Sever. Mart._ 27.

[014-f] _Sever. Mart._ 26 1–3.

[015-a] _Sever. Mart. praef._

[016-a] _Paul. Nol. Ep._ II. 11.

[016-b] _Sever. Dial. I._ 23. 3–7.

[016-c] _Sever. Dial. II._ 17. 4.

[016-d] _Sever. Dial. I^a._ 36. 3–6.

[017-a] _Sever. Ep. I_, 1. 10–15.

[017-b] _Sever. Ep._ 3. 6–20.

[018-a] _Sever. Dial. I^a._ 23. 7.

[018-b] _Sever. Dial. II._ 5. 6.

[019-a] _Dial. I^a._ 24.

[019-b] _Dial. I^a._ 27. 2–4.

[019-c] _Sever. Dial. I^a._ 4.

[020-a] _Sever. Dial. I._ 8. 5.

[020-b] _Sever. Dial. I._ 6. 1.

[021-a] _Sever. Dial. I^b._ 2.

[021-b] _Sever. Dial. II._ 10.

[021-c] _Sever. Dial. I^b._ 3. 1–5.

[021-d] _Sever. Dial. I^b._ 9. 1–5.

[021-e] _Sever. Dial. II._ 9. 4.

[021-f] _Sever. Dial. II._ 3. 7.

[021-g] _Sever. Dial. I^b._ 10.

[021-h] _Sever. Dial. I^b._ 11.

[021-i] _Sever. Dial. I^b._ 12.

[022-a] _Sever. Dial. II._ 14.

[022-b] _Sever. Dial. II._ 10.

[022-c] _Sever. Dial. II._ 14. 7–9.

[022-d] _Sever. Dial. II._ 14. 1.

[022-e] _Sever. Dial. II._ 15.

[022-f] _Sever. Dial. II._ 14. 6.

[022-g] _Sever. Dial. II._ 14. 6.

[022-h] _Sever. Dial. II._ 112–138.

[023-a] _Sever. Dial. II._ 15. 16.

[024-a] _Sever. Dial. II._ 8. 4–7.

[024-b] _Sever. Dial. II._ 9. 1. 2.

[024-c] _Sever. Dial. I^b._ 4.

[024-d] _Sever. Dial. I^b._ 2. 3. 4.

[024-e] _Sever. Dial. II._ 2. 3–8.

[024-f] _Sever. Dial. II._ 3. 1–6.

[024-g] _Sever. Dial. I^b._ 8. 7–9.

[024-h] _Sever. Dial. II._ 9. 3.

[024-i] _Sever. Dial. II._ 3. 8.

[025-a] _Sever. Dial. II._ 13. 5.

[025-b] _Sever. Dial. II._ 14. 3–4.

[025-c] _Sever. Dial. I^a._ 25. 5.

[025-d] _Sever. Dial. II._ 4. 1. 4. 5. 1. 8.1–3.

[025-e] _Sever. Dial. II._ 7.

[025-f] _Sever. Dial. I^b._ 5.

[026-a] _Sever. Dial. II._ 6–8.

[026-b] _Sever. Dial. I^b._ 13. 3–8.

[027-a] _Sever. Dial. I^b._ 14.

[027-b] _Sever. Dial._ 6. 2–5.

[027-c] 1. _Cor._ 6. 2. 3.

[028-a] _Sever. Mart._ 27. _Dial. I^a._ 2. 21. 26. _II^b._ 1. 4. 12.
_III._ 11. 16. 18.

[029-a] _Sever. Dial. I^b._ 14. 4.

[029-b] _Sever. Chron. II._ 39. 7. 42. 2. 45. 9.

[029-c] _Sever. Mart._ 25.

[029-d] _Sever. Mart._ 1. 5. 6.

[029-1] _Le Nain de Tillemont, Mémoires pour servir à l’histoire
écclesiastique des six premiers siècles. Paris 1705. Tom. X. p.
771–781._

[030-a] _Sever. Martin._ 19.

[030-b] _Sever. Mart._ 27.

[030-1] ~Wilhelm Bousset~, Der Antichrist. Göttingen 1895. S. 52.

[031-a] _Sever. Mart._ 13. 9.

[031-b] _Sever. Mart._ 16. 7. 8.

[032-a] _Sever. Mart._ 17. 6. 7.

[032-b] _Sever. Mart._ 19. 8.

[033-a] _Sever. Mart._ 21, 1. 2; 24, 4—7.

[034-a] _Sever. Mart._ 20, 9. 21, 2–4. _Dial. I^b._ 13.

[036-a] _Paulin. Nol. Ep._ 18. 37.

[036-b] _Joh. Bapt. Le Brun, Victricius (Boll. 7 Aug.)._

[036-c] _Hilar. Arel. Honorat. (Migne)_ 6.

[036-d] _Hilar. Arel. Honorat._ 5.

[037-a] _Hilar. Arel. Honor._ 1–8.

[037-b] _Prosper. Chronicon. (ap. Duchesne Hist. Franc. Script. I._
205).

[037-1] _C. Narbey, Études critiques sur la vie de St Germain
d’Auxerre. Paris. 1884._

[038-a] _Apollinaris Sidonius (Luebjohamo) p. 170, 7–9._

[038-b] _Vita Hilarii Arelatensis. (Ballerini)._ 1. 17. 31.

[038-c] _Ennod. Epiphan. (Vogel)._ 7–17.

[038-1] _C. Tanzi, La cronologia degli scritti di Magno Felice Ennodio
(Archeografo Triestino, Nuova Serie. Vol. 14. 1888. S. 365. 406. 497)._

[039-a] _Ennod. Epiph._ 18—39.

[040-a] _Ennod. Epiph._ 40—50.

[041-a] _Ennod. Epiph._ 51—75.

[041-b] _Ennod. Epiph._ 76—78.

[041-c] _Ennod. Epiph._ 79—94.

[041-d] _Ennod. Epiph._ 95—108.

[041-e] _Ennod. Epiph._ 109—117.

[042-a] _Ennod. Epiph._ 118—119.

[042-b] _Ennod. Epiph._ 120—181.

[043-a] _Ennod. Epiph._ 182—195.

[043-b] _Ennod. Epiph._ 196. 197.

[044-1] Vergl. Michael Fertig, Magnus Felix Ennodius und seine Zeit.
Abth. 2. Landshut. 1860.

[044-2] Ad. Ebert, Allgemeine Geschichte der Litteratur des
Mittelalters im Abendlande. _I^2._ Leipzig. 1889. S. 450.

[045-a] _Ennod. Epiph._ 177.

[045-b] _Ennodius, Antonius (Vogel)._ 6—9.

[047-a] _Eugip. Severin. (P. Knoell)._ 1. 1.

[047-b] _Eugip. Severin. praef._ 7–10.

[047-c] _Eugip. Severin._ 1. 2–5.

[047-d] _Eugip. Severin._ 2.

[047-e] _Eugip. Severin._ 3.

[047-f] _Eugip. Severin._ 4.

[047-g] _Eugip. Severin._ 5.

[047-h] _Eugip. Severin._ 6.

[047-i] _Eugip. Severin._ 7.

[048-a] _Eugip. Severin._ 8.

[048-b] _Eugip. Severin._ 9.

[048-c] _Eugip. Severin._ 10.

[048-d] _Eugip. Severin._ 11.

[048-e] _Eugip. Severin._ 12.

[048-f] _Eugip. Severin._ 13.

[049-a] _Eugip. Severin._ 14.

[049-b] _Eugip. Severin._ 15.

[049-c] _Eugip. Severin._ 16.

[049-d] _Eugip. Severin._ 17.

[049-e] _Eugip. Severin._ 18.

[050-a] _Eugip. Severin._ 19.

[050-b] _Eugip. Severin._ 20.

[050-c] _Eugip. Severin._ 21.

[050-d] _Eugip. Severin._ 22.

[050-e] _Eugip. Severin._ 23.

[051-a] _Eugip. Severin._ 24.

[051-b] _Eugip. Severin._ 25.

[051-c] _Eugip. Severin._ 26.

[051-d] _Eugip. Severin._ 27.

[051-e] _Eugip. Severin._ 28.

[051-f] _Eugip. Severin._ 29.

[052-a] _Eugip. Severin._ 30.

[052-b] _Eugip. Severin._ 31.

[052-c] _Eugip. Severin._ 32.

[052-d] _Eugip. Severin._ 33.

[052-e] _Eugip. Severin._ 34.

[052-f] _Eugip. Severin._ 35.

[052-g] _Eugip. Severin._ 36.

[052-h] _Eugip. Severin._ 37.

[053-a] _Eugip. Severin._ 38.

[053-b] _Eugip. Severin._ 39.

[053-c] _Eugip. Severin._ 40.

[053-d] _Eugip. Severin._ 41.

[054-a] _Eugip. Severin._ 42.

[054-b] _Eugip. Severin._ 43.

[054-c] _Eugip. Severin._ 44.

[055-a] _Eugip. Severin._ 45. 46.

[055-1] W. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter.
Bd. _I._ ^6. 1893. S. 44—51.

[055-2] Max Büdinger, Oesterreichische Geschichte. ^1. 1858. S. 51. 52.

[056-a] _Eugip. Severin._ 10, 1. 19. 22, 4. 24, 1. 29, 3. 31, 2.

[056-b] _Eugip. Severin._ 1. 2.

[056-c] _Paschas. Ep._ § 3.

[056-d] _Eugip. Severin._ 19, 1. 22, 1. _Eugip. Ep._ § 2. _Eugip.
Severin._ 43, 2. 44, 6.

[057-a] _Eugip. Severin. praef._ 3. 10. ^1 _Excerpta ex Augustino (P.
Knoell) praef._

[057-b] _Cassiod. Divin. Lection._ 23.

[057-c] _Fulg. de statu viduarum (Migne 65. p. 311)._

[057-1] So schon Johannes Herold aus Höchstedt in seiner Ausgabe des
Eugipius, Basel 1542.

[058-a] _Fulg. Ep. (Migne 65. 344)._

[058-b] _Eugip. Ep._ 2.

[058-c] _Eugip. Ep._ 2–6.

[058-d] _Pascas. Ep. 2. 3 (Knoell)._

[059-a] _Eugip. Severin._ 36, 3.

[059-b] _Eugip. Severin. praef._ 11.

[059-1] Max Büdinger, Eugipius. Eine Untersuchung. Wiener
Sitzungsberichte. 1878. Bd. 91. S. 793–814.

[060-a] _Vita Fulgent._ 1–7.

[061-a] _Vita Fulgent._ 8–17.

[062-a] _Vita Fulgent. 18 sqq._

[064-1] Vergl. Adam Mally, Das Leben des h. Fulgentius von Ruspe. Aus
dem Lateinischen. Wien 1885.

[066-1] ~Bruno Krusch~, in der Vorrede zu seiner Ausgabe der _Vita
Caesarii Arelatentis_. (_Monumenta Germaniae historica. Script. rer.
Merowing. Tom. III. Vitae Sanctorum._)

[069-1] Karl Franklin Arnold, Cäsarius von Arelate und die gallische
Kirche seiner Zeit. Leipzig 1894. 243–252.

[073-a] _Gregor Magn. Dial. lib. I._ 9.

[073-1] Erwin Preuschen, Palladius und Rufinus. Gießen 1897. S. 205–210.

[075-a] _Gregor. H. Fr. I._ 80.

[075-b] _Passio antiqua Juliani (Boll. 28. Aug. VI)._

[075-c] _Gregor. Confess._ 35.

[075-d] _Gregor. Martyr._ 104. 78.

[075-e] _Gregor. Martyr._ 103.

[075-f] _Passio Sympher. (Ruinart)_; _Gregor. Conf._ 76. _Martyr._ 70.

[075-g] _Gregor. H. Fr. II._ 31; _Martyr._ 63; _Conf._ 2, 22, 26, 45,
57, 87, 93, 94.

[075-h] _Paulin. Petricor. (M. Petschenig) p._ 81. 82.

[076-a] _Fortunat. Mart. (Leo) I._ 21. 22. 45. 47.

[076-1] Friedrich Leo, Venantius Fortunatus, der letzte römische
Dichter. Deutsche Rundschau. 1882. Bd. 2. S. 414–426.

[076-2] Friedr. Leo in seiner Ausgabe der _Monumenta, Auct. Antiquiss._
Bd. 4^a. S. 296–370.

[076-3] _Charles Nisard, Le poète Fortunat, Paris 1890._ S. 49
(Anmerkung).

[077-a] _Hieron. D. V. I._ 100.

[077-b] _Fortunat. Virt. Hilarii_ 2.

[078-a] _Fortunat. Radegunde_ 16.

[078-b] _Fortunat. German. Paris I_ 11.

[079-a] _Fortunat. Albin._ 9. 14.

[079-b] _Fortunat. Paternus_ 14. 15.

[079-c] _Fortunat. German. Paris._ 12. 13. 22.

[079-d] _Fortunat. Radegund._ 75.

[080-1] Ernst Dümmler, Radegunde von Thüringen (Im neuen Reich. _II._
1871. 644–650).

[088-a] _Gregor Martin I._ 32, _II._ 1.

[088-b] _Gregor Martin I._ 3. _H. Fr. I._ 36. 39. 43. 48. _X._ 31.

[089-1] Max Bonnet, _Le latin de Grégoire de Tours_. Paris 1890. W. v.
Giesebrecht, Einleitung zu seiner Uebersetzung. 1851. _V_-_XLVII_. Rud.
Koepke, Gregor von Tours. Kleine Schriften. Berlin 1872. 289–325. Gabr.
Monod, _Étude critique sur les sources de l’histoire mérovingienne.
Partie I. Grégoire de Tours_. Paris 1872. W. Arndt und Br. Krusch in
ihren Einleitungen zur Monumenta-Ausgabe. 1885.

[091-a] _Gregor Martin II._ 19.

[091-b] _Gregor Confess. praef._

[091-1] M. Manitius, Zur Frankengeschichte Gregors von Tours. (Neues
Archiv für ältere Deutsche Geschichtskunde. Bd. 21. 540–557).

[092-a] _Gregor Martyr. praef._

[092-b] _Gregor, Julian._ 7.

[093-a] _Gregor Martyr._ 18. 19.

[093-b] _Gregor Martyr._ 93.

[093-c] _Gregor Julian._ 2, _Martin IV._ 30

[093-d] _Gregor Patr. 2. praef._

[093-e] _Gregor Conf._ 61.

[093-f] _Gregor Martin I. praef._

[094-a] _Gregor Martyr._ 97.

[094-b] _Gregor Martyr._ 76.

[094-c] _Gregor Hist. Fr. V._ 46.

[095-a] _Gregor Confess._ 96.

[096-a] _Gregor. Patr. praef._

[096-b] _Gregor. Patr._ 16.

[096-c] _Gregor. Patr._ 1.

[098-a] _Gregor. Patr._ 3.

[098-b] _Gregor. Patr._ 13.

[099-a] _Gregor. Patr._ 5.

[099-b] _Gregor. Patr._ 14.

[099-c] _Gregor. Patr._ 9. _H. Fr. V._ 10.

[100-a] _Gregor. Patr._ 18.

[100-b] _Gregor. Patr._ 10.

[101-a] _Gregor. Patr._ 19.

[101-b] _Gregor. Patr._ 11.

[102-a] _Gregor. Patr._ 12.

[103-a] _Gregor. Patr._ 15.

[104-a] _Gregor. Patr._ 20.

[105-a] _Gregor. Patr._ 2.

[105-b] _Gregor. Patr._ 4. _H. Fr. II._ 36. _III._ 2.

[106-a] _Gregor. Patr._ 6.

[106-b] _Gregor. H. Fr. III._ 13.

[107-a] _Gregor. Patr._ 17.

[108-a] _Gregor. Patr._ 8.

[108-b] _Gregor. Patr._ 7.

[108-c] _Gregor. H. Fr. IV._ 15.

[109-a] _Gregor. Patr. praef._

[109-b] _Avitus Ep._ 46.

[109-c] _Gregor. Hist. Fr. II._ 40.

[110-a] _Gregor. H. Fr. II._ 42.

[110-b] _Gregor. H. Fr. II._ 28.

[110-c] _Gregor. H. Fr. III._ 6.

[110-d] _Gregor. Julian._ 13.

[110-1] Karl Binding, Das burgundisch-romanische Königreich von 443 bis
532. Leipzig 1868. S. 111–128.

[110-2] Godefroy Kurth, _Sainte Clotilde_. Paris 1897. S. 23–64.

[110-3] W. Schultze, Deutsche Geschichte von der Urzeit zu den
Karolingern. Stuttgart 1896. Bd. 2, S. 121. 122.

[111-a] _Gregor. H. Fr. III._ 25.

[111-b] _Gregor. Hist. Fr. III._ 34.

[111-c] _Gregor. H. Fr. III._ 6. 18.

[112-a] _Vitae Vigoris, Marculfi._ 15, 16. _Paul. Leonens._ 42. 46.

[112-b] _Vitae Samsonis._ 52–59. _Maglorii._ 3. 14. 26. 26. 27.

[112-c] _Vita Quinidii._ 5. 6.

[112-d] _Vita Leobini._ 18. 19.

[113-a] _Vitae Deodati_ 5, _Eusicii, Baomiri, Rigomeri, Carilefi_ 15–21.

[113-b] _Gregor. Patr._ 13. 3.

[113-c] _Gregor. Conf._ 81.

[113-d] _Gregor. H. Fr. III._ 10.

[113-e] _Gregor. H. Fr. IV._ 2. 3.

[114-a] _Gregor. H. Fr. IV._ 21.

[114-b] _Gregor. H. Fr. IV._ 26. _Martin. I._ 29.

[114-1] Albert Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands. _I._ 125–158.

[115-a] _Gregor. Conf._ 19.

[116-a] _Gregor. H. Fr. IV._ 27.

[116-b] _Gregor. H. Fr. IV._ 35.

[116-c] _Gregor. H. Fr. VII._ 17.

[117-a] _Gregor. H. Fr. VI._ 46.

[117-b] _Gregor. H. Fr. VI._ 17.

[117-1] W. Schultze, Deutsche Geschichte von der Urzeit zu den
Karolingern. Bd. 2. S. 148–51.

[118-a] _Gregor. H. Fr. V._ 44.

[118-b] _Gregor. H. Fr. VI._ 17.

[119-a] _Gregor. H. Fr. IV._ 25. 26.

[119-b] _Gregor. H. Fr. VII._ 16, 17, 18, 21.

[119-c] _Gregor. H. Fr._ VIII. 1–8.

[120-a] _Gregor. H. Fr. IX._ 3.

[121-a] _Gregor. H. Fr. IX._ 39. 42.

[121-b] _Gregor. Conf._ 104.

[122-1] Felix Dahn, Könige der Germanen. V. 177–180.

[122-2] Br. Krusch, Vorrede zu seiner Ausgabe in _Monumenta Germaniae
historica_. _Script. rer. Merow. Tom. III. p. 620–626._

[123-1] Bruno Krusch, Das Leben des Bischofs Gaugerich von Cambrai.
(Neues Archiv 1890. Bd. 16. 227–234.)

[125-a] _Jonas Colomban._ 7–11.

[125-1] Felix Dahn, Urgeschichte der germanischen und romanischen
Völker. Bd. _III._ 533–592.

[126-a] _Jonas Columban._ 13–30.

[131-a] _Columba Ep._ 3. § 28.

[133-a] _Jonas, Columba_. 31–36.

[133-1] Godefroid Kurth, _La reine Brunehaut_. (_Revue des questions
historiques._ Bd. 50.)

[134-1] Bruno Krusch, Zwei Heiligenleben des Jonas von Susa.
(Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung.
_XIV._ 422.)

[140-1] M. Büdinger, Zur Kritik altbayrischer Geschichte. (Wiener
Sitzungsberichte. 1857. Bd. 23. S. 372–383.)

[140-2] Albert Burckhardt. Die Heiligen des Bistums Basel. (Basler
Jahrbuch. 1889. S. 155–157.)

[141-1] Karl J. Neumann, Der römische Staat und Die allgemeine Kirche.
Leipzig. 1890. S. 280–282. — Br. Krusch. Neues Archiv. 20. 1895.
437–440 und 24. 1898. 287–337.

[143-1] Bruno Krusch, Die älteste Vita Leudegarii. (Neues Archiv. Bd.
16. 1891. S. 565–596.

[143-2] Otto Laeger, Die Lebensbeschreibungen des heiligen Leudegar.
Programm des kgl. Realgymnasiums. Nordhausen. 1892. S. 4. 5. 18.

[143-3] Felix Dahn, Urgeschichte der germanischen und romanischen
Völker. Bd. _III_. 681–695.

[146-1] N. Bapst, _La vie de Saint Eloi_. (_Révue archéologique._ 1886.
_S._ 208.) H. Gaidoz, _Saint Eloi_. (_Mélusine._ 1896/1897. 7. 8.)

[147-1] Wilhelm Wattenbach, Ein gleichzeitiges Gedicht zum Preise des
heiligen Audoenus. (Neues Archiv. Bd. 14. 1880. S. 171/172.

[147-2] Felix Dahn, Urgeschichte der germanischen und romanischen
Völker. Bd. _III_. S. 615–617, 629, 630, 657.

[149-1] Bruno Krusch, _La falsification des Vies de Saints Burgundois_
(in: _Melanges Julien Havet_. Paris. 1895. S. 40–56).

[151-a] _Vita Christoph._ (_Anal. Bolland. I. 121. X. 393_).

[152-a] _Basilius Menolog._

[152-b] _Vita Christoph._ (_Boll. 25. Juli_).

[152-c] _Vita Georgii_ (_Bolland. 23. April_).

[152-1] Didron und Durand, _Manuel d’iconographie chrétienne grecque et
latine_. Paris 1845. S. 325. Anm.

[152-2] Wolfgang Menzel, Christliche Symbolik, Teil _I_. S. 114 ff.

[158-a] _Fortunat. Carm. II._ 12.

[158-1] A. von Gutschmid, die Sage vom heiligen Georg, als Beitrag
zur iranischen Mythengeschichte. (Berichte über die Verhandlungen
der königl. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig.
Philologisch-historische Klasse. 1861. S. 175–202.)

[158-2] Fr. Görres, Ritter St. Georg. (Zeitschrift für
wissenschaftliche Theologie. Jahrg. 30. 1887. S. 62.)

[159-a] _Gregor. Glor. Martyr._ 100.

[159-1] A. Kuhn, Wodan. (Haupts Zeitschrift für deutsches Altertum.
1845. Bd. _V._ S. 472–494.

[160-a] _Gregor. De septem dormentium. ed. B. Krusch Anal. Boll._
(1893). _S._ 371–387.

[164-a] _Aristot. Φυσικη ἀκροασις. IV._ 11.

[164-b] _Diogen. Laert. De vitis I._ 10.

[164-1] John Koch. Die Siebenschläferlegende, ihr Ursprung und ihre
Verbreitung. Eine mythologisch-litteraturgeschichtliche Studie.
Leipzig, 1883.

[166-1] Alfred Bertholet. Zu Jesaja 53. Ein Erklärungsversuch. Freiburg
i. Br. 1899. S. 25.

[167-a] 2 _Macc._ 7. 1 _Macc._ 1. 62.

[167-b] Sure 18. 8–24.

[167-1] E. Egli, Altchristliche Studien. Zürich. 1887. S. 91.

[167-2] J. W. Göthe. »Siebenschläfer«. West-östlicher Diwan.

[167-3] Fr. Rückert, im Damentaschenbuch aus dem Jahre 1822. S. 139.

[168-a] _Pseudo-Gregor. Historia septem Dormentium majoris monasterii.
Epist. ad Sulpic. Severum Biturig. [ed. H. L. Bordier. IV. 104–124]._

[169-1] K. Rehorn, Der heilige Kummernus, oder die heilige Wilgefortis.
Ein Beitrag zur Geschichte und Deutung eines alten Kultus (Germania.
Vierteljahrsschrift für deutsche Altertumskunde. Wien, 1887. Bd. 32. S.
461–480).

[172-1] Justinus Kerner, »Der Geiger zu Gmünd«. — Guido Görres, »Der
arme Spielmann«.

[175-a] _Gregor, H. Fr. I._ 30.

[175-b] _Fortun. Carm. spur._ (_Leo_) 6.

[176-a] _Fortun. carm. I. 11. v. 14._

[176-b] _Pseudo-Fortun. passio Dionys. Rustic. et Eleuther._ (_Krusch_)
3–7. 18. 16. 27–31.

[177-1] Fr. Arbellot, _Étude sur les origines chrétiennes de la Gaule.
Part. I. St. Denys de Paris._ 1890. S. 16–72.

[177-2] R. Koepke, Einleitung zur _Translatio Dionysii_ (_Pertz. Monum.
script. XI._ 343–351).

[178-a] _Zosimus Ep._ 1 (_cf._ 3. 5).

[178-b] _Ep. Arela. gen._ 12.

[178-c] 2 _Tim._ 4. 10.

[178-1] Fr. Rettberg, Kirchengeschichte Deutschlands, Göttingen, 1846.
_I_, 73–94.

[179-1] C. Narbey. _Supplément pour des Vies de Saints de l’Epoque
Mérovingienne. I._ Paris. 1899. Tabelle. 611–615.

[180-a] _Julius Caesar, De Bello Gallico._ 3. 1–6.

[180-1] Emil Egli, Kirchengeschichte der Schweiz bis auf Karl d. Gr.
Zürich 1893. S. 21–33, und daselbst das Gutachten von E. Rothpletz S.
133–145.

[182-a] _Eucher. Agaun. Martyr._ 8.

[182-b] _Eucher. Ep. ad Salvium (Wotke)._

[183-a] _Eucher. Agaun. Martyr._ 5.

[183-1] Fr. Stolle. Das Martyrium der thebaischen Legion. Breslau.
1891. S. 69–71.

[185-1] E. C. Rochholz, Drei Gaugöttinnen als Deutsche Kirchenheilige.
Leipzig. 1870. S. 93–157.

[191-a] _Gregor. Conf._ 89. _H. Fr. II._ 45.

[195-1] Bruno Krusch, Die Fälschung der _Vita Genovefae_. (Neues Archiv
der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde. Bd. 18. Heft 1.
1892. S. 9–50.)

[196-1] _Douhet, Dictionnaire des légendes du christianisme. 1855._
(_Migne, Troisième Encyclopaedie Theologique. Tom. 14._)

[200-1] Mone, Anzeiger für Kunde der teutschen Vorzeit. Jahrgang 4.
1835, S. 420/421.

[203-1] Ignaz von Zingerle, Die Oswaldlegende und ihre Beziehung zur
deutschen Mythologie. Stuttgart und München. 1856. S. 3–6, 70–101.

[203-2] W. Golther, Die Wielandsage und die Wanderung der fränkischen
Heldensage. (Germania. Vierteljahrsschrift für deutsche Altertumskunde.
Bd. 34. 1889. S. 449–460.)

[204-1] _A. Lecoy de la Marche, St. Martin. Tours._ 1881. S. 633–654.

[205-a] _Gregor. Confess._ 5.

[206-a] _Gregor Confess._ 10.

[206-b] _Gregor Mart. II._ 16.

[206-c] _Vita Maximin. Trier._

[207-a] _Greg. Mart. IV._ 31.

[208-1] Karl Simrock, Mythologie. 507–594; Martinslieder, herausgegeben
von Karl Simrock. Bonn. 1846. S. _XXI_. Elard Hugo Meyer, Germanische
Mythologie. 1891. S. 254–257. Heino Pfannenschmid, Germanische
Erntefeste. Hannover. 1878. S. 193–243.

[209-a] _Gregor Mart. IV. prol._

[209-1] Aus den Tischreden. Bei H. Weingarten, Art. Martin von Tours
(Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche ^2, 9, 1881.
S. 372.

[209-2] Aus der Apologie der Augsburger Confession. Bei Karl Hase,
Handbuch der protestantischen Polemik ^4. Leipzig 1878. S. 306.

[211-a] _Gregor Conf._ 35.

[212-a] _Gregor Martyr._ 49. _Conf._ 60–64.

[212-1] _Auguste Longnon, Géographie de la Gaule au VIe siècle. Paris._
1878. S. 180–611.

[213-a] _Gregor Conf._ 72–75.

[213-b] _Gregor Martyr._ 51. _H. Fr. II._ 15.

[213-c] _Gregor Conf._ 41–43.

[214-a] _Gregor Conf._ 85 (_interpol._) 86.

[214-b] _Gregor Martyr._ 52. 53. _Conf._ 84. 85.

[214-c] _Gregor Martyr._ 70.

[214-d] _Gregor Martyr._ 74. 75.

[214-e] _Gregor Julian._ 34.

[214-f] _Gregor H. Fr. X._ 31. 2.

[215-a] _Gregor Conf._ 16.

[215-b] _Gregor Conf._ 24.

[215-c] _Gregor Conf._ 4–25.

[215-d] _Gregor Conf._ 16.

[215-e] _Gregor Conf._ 17.

[215-f] _Gregor Conf._ 18.

[216-a] _Gregor Conf._ 21.

[216-b] _Gregor Conf._ 22.

[216-c] _Gregor Conf._ 23.

[216-d] _Gregor Conf._ 25.

[216-e] _Gregor Conf._ 55.

[216-f] _Gregor Conf._ 94.

[216-g] _Gregor Conf._ 54.

[216-h] _Gregor Martyr._ 59.

[216-i] _Gregor Conf._ 40.

[216-k] _Gregor Conf._ 66.

[216-l] _Gregor Patr. VIII._ 8.

[216-m] _Gregor Martyr._ 63.

[216-n] _Gregor H. Fr. IX._ 18.

[216-o] _Gregor H. Fr. VIII._ 2. _Conf._ 97.

[216-p] _Gregor Conf._ 89.

[216-q] _Gregor H. Fr. V._ 7. _VIII._ 33. _Conf._ 88.

[216-r] _Gregor Conf._ 87.

[216-s] _Gregor Conf._ 103.

[216-t] _Gregor Martyr._ 71. _H. Fr. V._ 35.

[217-a] _Gregor H. Fr. X._ 28.

[217-b] _Gregor Conf._ 91. 92.

[217-c] _Gregor Martyr._ 61.

[217-d] _Gregor Conf._ 71.

[217-e] _Gregor H. Fr. IX._ 14, _X._ 19. _Conf._ 78.

[217-f] _Gregor Martyr._ 54.

[217-g] _Gregor H. Fr. IV._ 19. 21. 51. _V._ 3.

[217-h] _Gregor H. Fr. V._ 35. _IX._ 9.

[217-i] _Gregor H. Fr. VI._ 37.

[217-k] _Gregor Conf._ 65.

[218-a] _Gregor Conf._ 72.

[218-b] _Gregor Jul._ 1. 2.

[218-c] _Gregor Martyr._ 67. 68.

[218-d] _Gregor Conf._ 76.

[218-e] _Gregor Martyr._ 76. _H. Fr. IX._ 22.

[218-f] _Gregor Conf._ 70.

[218-g] _Gregor Conf._ 82.

[218-h] _Gregor Conf._ 88.

[218-i] _Gregor Martyr._ 46.

[218-k] _Gregor Conf._ 79.

[218-l] _Gregor Conf._ 95.

[218-m] _Gregor Conf._ 100.

[218-n] _Gregor Conf._ 90.

[218-o] _Gregor Conf._ 81.

[218-p] _Gregor Conf._ 80.

[219-a] _Gregor Conf._ 35.

[219-b] _Gregor Conf._ 32.

[219-c] _Gregor H. Fr. I._ 31. _Martyr._ 64.

[219-d] _Gregor Conf._ 33.

[219-e] _Gregor H. Fr. I._ 40. _Patr._ 3 3.

[219-f] _Gregor H. Fr. II._ 20. _Patr._ 6 7.

[219-g] _Gregor Conf._ 34–36.

[219-h] _Gregor Conf._ 31.

[219-i] _Gregor Jul._ 1. 4. 5. 7.

[219-k] _Gregor Jul._ 3. 25.

[219-l] _Gregor Patr._ 14.

[219-m] _Gregor Patr._ 5.

[219-n] _Gregor Patr._ 13.

[219-o] _Gregor Martyr._ 66.

[220-a] _Gregor H. Fr. I._ 32. _X._ 29.

[220-b] _Gregor Martyr._ 56. 57.

[220-c] _Gregor Conf._ 27.

[220-d] _Gregor Conf._ 101.

[220-e] _Gregor H. Fr. VII._ 10.

[220-f] _Gregor Conf._ 9.

[220-g] _Gregor H. Fr. X._ 39. _Conf._ 102.

[220-h] _Gregor Martyr._ 47. _H. Fr. I._ 28. _VI._ 12.

[220-i] _Gregor Conf._ 44.

[220-k] _Gregor Conf._ 45.

[220-l] _Gregor Conf._ 46.

[220-m] _Gregor H. Fr. VI._ 12.

[220-n] _Gregor Conf._ 99.

[220-o] _Gregor Martyr._ 55.

[220-p] _Gregor Conf._ 58.

[220-q] _Gregor Conf._ 57.

[220-r] _Gregor Conf._ 59.

[220-s] _Gregor Conf._ 56.

[221-a] _Gregor Conf._ 52.

[221-b] _Gregor Conf._ 53.

[221-c] _Gregor H. Fr. II._ 37.

[221-d] _Gregor Conf._ 98.

[221-e] _Gregor Conf._ 83.

[221-f] _Gregor Conf._ 49. 50.

[221-g] _Gregor Conf._ 48.

[221-h] _Gregor Martyr._ 77.

[221-i] _Gregor Conf._ 29. 35.

[222-a] _Sever. Ep._ 2. 8. 9. 18. _Ep._ 3. 21.

[223-a] _Gregor Martin. I._ 6.

[223-b] _Gregor Martin IV._ 43.

[223-c] _Gregor Mart. II._ 50. 60.

[224-a] _Gregor H. Fr. II._ 14.

[224-b] _Gregor Martin I._ 2.

[224-c] _Sidon. Apollin. Ep. IV._ 18.

[224-d] _Gregor H. Fr. IV._ 20.

[224-1] _Jules Quicherat, Restitution de la Basilique de Saint Martin
de Tours. Paris. 1869._

[225-a] _Gregor H. Fr. X._ 31. _Fortunat. Carm. X._ 6.

[225-b] _Gregor H. Fr. II._ 38.

[225-c] _Gregor H. Fr. II._ 43. _III._ 28.

[225-d] _Gregor Mart. I._ 12. _H. Fr. IX._ 26.

[225-e] _Gregor Mart. III._ 8.

[226-a] _Gregor Mart. I._ 25.

[226-b] _Gregor Mart. II._ 11.

[226-c] _Gregor Mart. II._ 12.

[226-d] _Gregor Mart. IV._ 27.

[226-e] _Gregor Mart. II._ 9. 10.

[226-f] _Gregor Mart. II._ 47.

[226-g] _Gregor Mart. IV._ 40.

[226-h] _Gregor Julian._ 4.

[226-i] _Gregor Julian._ 9.

[226-k] _Gregor Julian._ 1.

[226-l] _Gregor Julian._ 29.

[226-m] _Gregor Julian._ 16.

[227-1] _Julien Havet, Questions mérovingiennes. V. Les origines de
Saint-Denis. (Oeuvres. 1896. Tom. I._ S. 216–217.)

[228-a] _Gregor H. Fr. X._ 31. 19.

[228-b] _Gregor Patr._ 20. _Martin I._ 2. _II._ 39.

[228-c] _Gregor Mart. II._ 48. _III._ 22. _IV._ 10. _H. Fr. VIII._ 40.

[228-d] _Gregor H. Fr. X._ 31.

[228-e] _Gregor Conf._ 4. 5.

[228-f] _Gregor Mart. III._ 35.

[228-g] _Gregor Mart. III._ 60.

[228-1] _Lecoy de la Marche, Saint Martin. Tours._ 1881. _S._ 539–594.

[228-2] _Jules Havet, Questions mérovingiennes. VII. Les Actes des
Evêques du Mans_ (in: _Oeuvres. 1896. Tom. I._ 376. 377).

[229-a] _Gregor Conf._ 9.

[229-b] _Gregor Mart. IV._ 8.

[229-c] _Gregor H. Fr. VII._ 42. _Conf._ 79.

[229-d] _Gregor Mart. III._ 33.

[229-e] _Gregor. Mart. III._ 50.

[229-f] _Gregor H. Fr. VI._ 9. _VIII._ 33.

[229-g] _Gregor Mart. I._ 17.

[229-1] Vergl. _L. de Nussac, Saint Eloi. Ses résidences en Limousin.
Bulletin de la Société historique. Corrèze._ Bd. 19. S. 309–339.

[230-a] _Gregor Conf._ 11.

[230-b] _Gregor H. Fr. VIII._ 15.

[230-c] _Gregor Mart. I._ 14. 15.

[230-d] _Gregor Conf._ 12.

[230-e] _Gregor Mart. I._ 11. _IV._ 7.

[230-1] Gustav Bossert in: Würtembergische Kirchengeschichte.
Herausgegeben vom Calwer Verlagsverein. 1893. S. 10–21.

[231-1] P. Joerres, Chronologische und religionswissenschaftliche
Untersuchungen über das Leben der heiligen Radegunde und ihrer
Verwandten. Ahrweiler. 1896.

[232-a] _Gregor Jul._ 35.

[232-b] _Gregor Jul._ 47.

[232-c] _Gregor Jul._ 41.

[232-d] _Gregor Jul._ 32.

[232-e] _Gregor H. Fr. VI._ 17. _IX._ 6.

[232-f] _Gregor Jul._ 48.

[232-g] _Gregor Jul._ 50.

[232-h] _Gregor Patr._ 2 3. _Conf._ 20.

[232-i] _Gregor Conf._ 79.

[232-k] _Gregor Martyr._ 51.

[232-l] _Gregor H. Fr. II._ 20. _Martyr._ 67.

[232-1] Johannes Bernoulli, Die Kirchgemeinden Basels vor der
Reformation (Basler Jahrbuch. 1894. S. 222).

[232-2] Albert Burckhardt, Die Heiligen des Bisthums Basel (Basler
Jahrbuch. 1889. S. 166. 167).

[233-a] _Gregor Martyr._ 100.

[233-b] _Gregor H. Fr. X._ 31.

[233-c] _Gregor H. Fr. VII._ 31. _Martyr._ 96.

[234-a] _Gregor H. Fr. II._ 21. _Patr._ 3. 1.

[234-b] _Gregor H. Fr. VI._ 9. 25.

[234-c] _Gregor H. Fr. II._ 20. _Patr._ 6. 7.

[234-d] _Gregor H. Fr. X._ 31. 5. 12. _Martyr._ 46.

[234-e] _Gregor Martyr._ 60.

[234-f] _Gregor Martyr._ 91.

[234-g] _Gregor Martyr._ 89.

[234-h] _Gregor H. Fr. IV._ 20. _V._ 7. _VIII._ 10. 23.

[234-i] _Gregor H. Fr. X._ 31. 18.

[234-k] _Gregor H. Fr. VII._ 35. _Martyr._ 104.

[235-a] _Gregor H. Fr. X._ 31.

[235-b] _Gregor Patr._ 7.

[235-c] _Gregor Martyr._ 12.

[235-d] _Vita Tigris_ 3.

[235-e] _Gregor Martyr._ 19.

[235-f] _Gregor H. Fr. X._ 31.

[235-g] _Gregor Conf._ 64. _H. Fr. IX._ 42. _H. Fr. VII._ 10.

[236-a] _Chlodowech II. Diplom. spur. (Pertz)_ 62; _Childerich II.
Diplom. spur. (Pertz)_ 68; _Passio Quirini Tegernseensis (Krusch)_ 5. 9.

[236-b] _Vita Balthildis (Krusch)_ 16. 18.

[236-c] _Vita Arnulfi_ 10.

[236-d] _Vita Fridolini._

[236-e] _Vita Chrotech._ 11. 13.

[236-f] _Gregor H. Fr. II._ 43; _III._ 11. 19; _IV._ 1; _Conf._ 89.

[236-g] _Gregor H. Fr. X._ 31. 6.

[236-h] _Gregor Martyr._ 49.

[236-i] _Gregor Martyr._ 85.

[236-k] _Gregor H. Fr. IV._ 31.

[236-l] _Gregor Martyr._ 33.

[236-m] _Gregor H. Fr. II._ 17. _Patr._ 5. 4.

[237-a] _Gregor H. Fr. VI._ 29. _Mart. I._ 9.

[237-b] _Gregor Mart._ 35.

[237-1] _Fustel de Coulange, La cité antique._

[238-a] _Gregor Martyr._ 11.

[238-b] _Gregor Martyr._ 18.

[239-a] _Gregor Martyr._ 8.

[239-b] _Zach._ 14. 20.

[239-c] _Gregor Martyr._ 5–7.

[239-d] _Gregor Martyr._ ö. _H. Fr. III._ 7. _IX._ 40. _Baudonivia
Radegunde_ 15. 20.

[239-e] _Gregor Martyr._ 14.

[239-f] _Gregor Martyr._ 78.

[239-g] _Martyr._ 82.

[239-h] _Gregor Martyr._ 43.

[239-i] _Gregor Martyr._ 89.

[240-a] _Gregor Conf._ 40.

[240-b] _Gregor Jul._ 2.

[240-c] _Gregor Mart. I._ 18. _II._ 39. _Conf._ 6. 7. 8. 10.

[241-a] _Gregor Mart. II._ 39.

[241-b] _Gregor Mart. IV._ 10.

[241-c] _Gregor Mart. II._ 19. 21.

[242-a] _Gregor Martyr._ 51.

[242-b] _Gregor Martyr._ 72.

[242-c] _Gregor Martyr._ 55.

[243-a] _Gregor Martyr._ 62.

[243-b] _Gregor Mart. IV._ 8.

[243-c] _Gregor Mart. II._ 36.

[243-d] _Gregor Mart. I._ 10.

[243-e] _Gregor Martyr._ 75.

[243-f] _Gregor Jul._ 33.

[244-a] _Gregor Jul._ 48.

[244-b] _Gregor Conf._ 38.

[244-c] _Gregor Martyr._ 18. 51.

[244-d] _Gregor Mart. III._ 42.

[244-e] _Gregor Martyr._ 33.

[244-f] _Gregor Jul._ 49.

[244-g] _Gregor Jul._ 50.

[245-a] _Gregor. Conf._ 20.

[245-b] _Gregor Jul._ 34.

[245-c] _Gregor Martyr._ 30.

[246-a] _Gregor Martyr._ 54.

[246-b] _Gregor Martyr._ 47. 65.

[246-c] _Gregor Martyr._ 19. 33. 52. 57. _Jul._ 19. 39.

[246-d] _Gregor Martyr._ 76.

[247-a] _Gregor Martyr._ 60.

[247-b] _Gregor Martyr._ 64.

[247-c] _Gregor Jul._ 32.

[248-a] _Gregor Mart. II._ 25.

[248-b] _Gregor Martyr._ 33.

[248-c] _Gregor Mart. IV._ 12.

[249-a] _Gregor Jul._ 20.

[250-a] _Gregor Jul._ 43.

[250-b] _Gregor Jul._ 8.

[250-c] _Gregor Jul._ 14.

[250-d] _Gregor Jul._ 15.

[251-a] _Gregor Jul._ 16.

[251-b] _Gregor Jul._ 17.

[251-c] _Gregor Jul._ 18.

[251-d] _Gregor Jul._ 21.

[252-a] _Gregor Martyr._ 78.

[252-b] _Gregor Martyr._ 60.

[253-a] _Gregor Martyr._ 71.

[253-b] _Gregor Martyr._ 58.

[253-c] _Gregor Martyr._ 103.

[253-d] _Gregor Martyr._ 96.

[254-a] _Gregor H. Fr. VI._ 10. _Mart. I._ 29.

[254-b] _Gregor H. Fr. VII._ 29.

[254-c] _Gregor Mart. I._ 31.

[254-d] _Gregor Jul._ 88.

[254-e] _Gregor Mart. II._ 22. 23.

[255-a] _Gregor Mart. III._ 14.

[255-b] _Gregor Mart. III._ 23.

[255-c] _Gregor Mart. I._ 21.

[255-d] _Gregor Mart. II._ 35.

[255-e] _Gregor Mart. III._ 41.

[256-a] _Gregor Mart. III._ 47.

[256-b] _Gregor Mart. III._ 53.

[256-c] _Gregor Mart. IV._ 16.

[256-d] _Gregor Mart. IV._ 35. 41.

[256-e] _Gregor Mart. IV._ 26.

[256-f] _Gregor Jul._ 4.

[256-g] _Gregor Martyr._ 72.

[256-h] _Gregor Martyr._ 44.

[257-a] _Gregor Mart. IV._ 35.

[257-b] _Gregor Mart._ 104. _Jul._ 13.

[257-1] _M. Prou, Examen de quelques passages de Grégoire de Tours,
relatifs à l’application de la peine de mort_ (in: _Etudes historiques
du moyen âge, didiées à Gabriel Monod._ S. 1–9).

[257-2] Heinr. Brunner, Abspaltungen der Friedlosigkeit (Zeitschrift
der Savignystiftung für Rechtsgeschichte. Bd. 11. 1890. S. 66. 81).

[258-a] _Gregor Jul._ 10.

[258-b] _Gregor H. Fr. III._ 17. _IV._ 18. _Mart. I._ 23.

[258-c] _Gregor Mart. II._ 27.

[261-a] _Gregor H. Fr. VII._ 21. 22. 29.

[262-a] _Gregor Mart. III._ 51.

[262-b] _Gregor Mart. III._ 17.

[262-c] _Gregor Conf._ 3.

[263-a] _Gregor Martyr._ 83.

[263-b] _Gregor Mart. I._ 28.

[263-c] _Gregor Mart. III._ 60.

[264-a] _Gregor Martin II._ 2. _III._ 50.

[264-b] _Gregor Martin II._ 50.

[264-c] _Gregor Martin II._ 60.

[264-d] _Gregor Mart. IV._ 1.

[264-e] _Gregor Jul._ 42.

[264-f] _Gregor Martyr._ 5. 18.

[265-a] _Gregor Conf._ 30.

[265-b] _Gregor Conf._ 9.

[265-c] _Gregor Martyr._ 84.

[265-d] _Gregor Mart. III._ 33.

[265-e] _Gregor Mart. I._ 34.

[265-f] _Gregor Mart. IV._ 25.

[266-a] _Gregor Conf._ 40.

[266-b] _Gregor Mart. I._ 35.

[266-c] _Gregor Mart. IV._ 21.

[267-a] _Gregor Mart. I._ 11.

[267-b] _Gregor Mart. IV._ 47.

[267-c] _Gregor Martyr._ 106.

[268-a] _Gregor H. Fr. IV._ 16.

[271-a] _Gregor H. Fr. IX._ 6.

[271-b] _Gesta Francor._ 46.

[271-c] _Passio Quirini_ (_Krusch_) 7.

[272-a] _Gregor Mart. III._ 60.

[273-1] Georg Osterhage, Bemerkungen zu Gregor von Tours kleineren
Schriften. (Wissenschaftliche Beilage des Humboldtschen Gymnasiums zu
Berlin. Ostern 1895.)

[274-a] _Gregor Jul._ 13.

[274-b] _Gregor Jul._ 17.

[274-c] _Gregor Jul._ 27.

[274-d] _Gregor Mart. IV._ 32.

[275-a] _Gregor Mart. I._ 9. _II._ 17.

[275-b] _Gregor Mart. II._ 27.

[275-c] _Gregor Mart. I._ 20.

[275-d] _Gregor Mart. II._ 20.

[275-e] _Gregor Jul._ 5.

[275-1] Roscher, Hermes als Windgott. Leipzig. 1878. S. 104.

[276-a] _Gregor Conf._ 95.

[276-b] _Gregor Mart. II._ 53.

[276-c] _Gregor Mart. III._ 16. 20.

[276-d] _Gregor Mart. IV._ 17. 18.

[277-a] _Gregor Martyr._ 87.

[277-b] _Gregor Martyr._ 25.

[277-c] _Gregor Martyr._ 35.

[277-d] _Gregor Jul._ 3.

[277-e] _Gregor Jul._ 25. 26.

[277-f] _Gregor Jul._ 40.

[277-g] _Gregor Martyr._ 36.

[277-h] _Gregor Mart. I._ 2.

[277-i] _Gregor Conf._ 45.

[278-a] _Gregor Mart. IV._ 29.

[278-b] _Gregor Martyr._ 68.

[278-c] _Gregor Andr._ 27.

[278-d] _Gregor Martyr._ 43.

[278-e] _Gregor Conf._ 71.

[278-1] Wilhelm Mannhardt, Wald- und Feldkulte. Berlin 1875. Bd. 1. Der
Baumkultus. S. 4.

[279-a] _Gregor Martyr._ 6. 20.

[279-b] _Gregor Martin IV._ 7.

[279-c] _Gregor Julian_ 46.

[279-d] _Gregor Martyr._ 41.

[279-e] _Gregor Patr._ 6 7.

[279-f] _Gregor Martyr._ 67.

[279-g] _Gregor Martyr._ 73.

[280-a] _Gregor Conf._ 50.

[280-b] _Gregor Martyr._ 90.

[280-c] _Gregor Martyr._ 77.

[280-d] _Gregor Martyr._ 46.

[280-e] _Gregor Martyr._ 70.

[280-f] _Gregor Conf._ 43.

[280-g] _Gregor Conf._ 23.

[280-h] _Gregor Julian_ 7.

[280-i] _Gregor Martyr._ 66.

[280-k] _Gregor Martyr._ 54. _Conf._ 32.

[281-a] _Gregor Conf._ 110.

[281-b] _Gregor Julian_ 31.

[281-c] _Gregor Mart. IV._ 15.

[281-d] _Gregor Mart. I._ 17.

[281-e] _Gregor Mart. III._ 18.

[281-f] _Gregor Jul._ 17.

[281-g] _Gregor Jul._ 1. 4.

[281-h] _Gregor Conf._ 97.

[281-i] _Gregor Martyr._ 91.

[281-1] Wolfgang Golther, Germanische Mythologie. Leipzig 1895. S. 203.

[282-a] _Gregor Mart. IV._ 31. _Martyr._ 50.

[282-b] _Gregor H. Fr. IV._ 36.

[282-c] _Gregor Conf._ 61.

[282-d] _Gregor Martyr._ 88.

[282-e] _Gregor Martyr._ 75.

[282-f] _Gregor Conf._ 46.

[282-g] _Gregor Conf._ 60.

[282-h] _Gregor Jul._ 42.

[282-i] _Gregor Conf._ 29.

[283-a] _Gregor Martyr._ 59.

[283-b] _Gregor Martyr._ 13.

[284-a] _Gregor Jul._ 30.

[284-b] _Gregor Conf._ 72.

[284-c] _Gregor Conf._ 58.

[284-1] Andrews Lang, _The making of Religion_. London 1898. S. 90–112.
›_Crystal visions, savage and civilised._‹

[285-a] _August. Civit. Dei. III._ 457.

[285-1] _Miss X (Miss Goodrich), Recent experiments in crystal vision.
(Society for Psychical Research. Proceedings. 1889. Vol. 5._ S.
486–521.)

[286-a] _Gregor Martyr._ 1.

[286-b] _Gregor Martyr._ 12.

[286-c] _Gregor Martyr._ 85.

[286-d] _Gregor Martyr._ 101.

[287-a] _Gregor Martyr._ 6.

[287-b] _Sever Dial. I^b_ 2, _II._ 10.

[287-c] _Gregor Mart. I praef._

[288-a] _Gregor H. Fr. V._ 34.

[288-b] _Gregor Mart. III._ 34.

[288-c] _Gregor Mart. II._ 51.

[289-a] _Gregor Mart. II._ 52.

[289-b] _Gregor Mart. I._ 33.

[289-c] _Gregor Mart. II._ 58.

[289-d] _Gregor Mart. II._ 37.

[289-e] _Gregor Mart. II._ 18.

[289-f] _Gregor Julian._ 24. 25.

[289-g] _Gregor Mart. III._ 1.

[289-h] _Gregor Conf._ 39.

[290-a] _Gregor Mart. I._ 40.

[290-b] _Gregor Mart. III._ 6.

[290-c] _Gregor Mart. III._ 7.

[290-d] _Gregor Mart. III._ 9.

[290-e] _Gregor Mart. III._ 10.

[290-f] _Gregor Mart. III._ 13.

[290-g] _Gregor Mart. III._ 14.

[291-a] _Gregor Mart. III._ 15.

[291-b] _Gregor Mart. I._ 27.

[291-c] _Gregor Mart. III._ 40.

[291-d] _Gregor Mart. III._ 44.

[291-e] _Sever. Mart._ 19.

[291-1] _Jules Sichel, Nouveau recueil des pierres d’oculistes Romains,
Paris 1866._ C. L. Grotefend, Die Stempel der römischen Augenärzte.
Hannover. 1867. S. 33. _A. Héron de Villefosse et H. Thédenat. Cachets
d’oculistes romains. Paris-Tours 1882._ S. 47–50.

[292-a] _Gregor Mart. III._ 5. _Cf. III._ 48.

[292-b] _Gregor Mart. III._ 57. _Jul._ 37.

[292-c] _Gregor Mart. II._ 41.

[292-d] _Gregor Mart. III._ 38.

[293-a] _Gregor Conf._ 20.

[293-b] _Gregor Mart. II._ .

[293-c] _Gregor Mart. II._ 18.

[293-d] _Gregor Mart. II._ 53.

[293-e] _Gregor Mart. III._ 54.

[293-1] _Léopold Delisle. Etude sur la condition de la classe agricole
en Normandie._ S. 418–470.

[294-a] _Gregor Mart. II._ 38.

[294-b] _Gregor Mart. III._ 52.

[294-c] _Gregor Mart. III._ 36.

[294-d] _Gregor Mart. I._ 38.

[294-e] _Gregor Mart. III._ 34.

[294-f] _Gregor Mart. I._ 13.

[294-g] _Gregor Jul._ 14. 16.

[295-a] _Gregor Mart. IV._ 44.

[295-b] _Gregor Mart. III._ 30.

[295-c] _Gregor Mart. IV._ 1.

[295-d] _Gregor Mart. III._ 20.

[295-e] _Gregor Mart. IV._ 19.

[295-f] _Gregor Mart. II._ 3.

[295-g] _Gregor Mart. IV._ 6.

[295-1] Heinrich Haeser, Lehrbuch der Geschichte der Medizin und der
Volkskrankheiten. Jena. Bd. _III._ 1882. S. 89.

[296-a] _Gregor Mart. IV._ 2.

[296-b] _Gregor Mart. IV._ 33.

[296-c] _Gregor Mart. IV._ 9.

[296-d] _Gregor Mart. III._ 59.

[296-e] _Gregor Mart. III._ 12.

[296-f] _Gregor Mart. III._ 43.

[296-g] _Gregor Mart. II._ 51.

[296-h] _Gregor Mart. I._ 15.

[296-i] _Gregor Mart. III._ 18.

[296-k] _Gregor Mart. IV._ 28.

[296-l] _Gregor Mart. IV._ 43.

[297-a] _Gregor Jul._ 9.

[297-b] _Gregor Jul._ 12.

[297-c] _Gregor Mart. I._ 7.

[298-a] _Gregor Mart. I._ 25.

[298-b] _Gregor Mart. II._ 4.

[298-c] _Gregor Martyr._ 5.

[298-d] _Gregor Mart. II._ 31.

[299-a] _Gregor Mart. II._ 33.

[299-b] _Gregor Mart. I._ 24.

[299-c] _Gregor Mart. I._ 26.

[300-a] _Gregor Jul._ 23.

[300-b] _Gregor Jul._ 37.

[300-c] _Gregor Mart. II._ 54.

[300-d] _Gregor Mart. III._ 39.

[301-a] _Gregor Mart. III._ 45.

[301-b] _Gregor Mart. I._ 22.

[301-1] _Travaux du laboratoire de Psychologie de la Clinique à la
Salpetrière. Pierre Janet. Nevroses et idées fixes. Paris. 1898._

[302-a] _Gregor Mart. I._ 19. _III._ 11. 21. 25. 26. 32. _IV._ 30.

[302-b] _Gregor Mart. IV._ 14.

[302-c] _Gregor Mart. IV._ 3.

[302-d] _Gregor Mart. I._ 16.

[302-e] _Gregor Mart. II._ 26.

[302-f] _Gregor Mart. II._ 10.

[302-g] _Gregor Mart. II._ 25. 26.

[302-h] _Gregor Mart. II._ 28. 33.

[302-i] _Gregor Mart. IV._ 6.

[302-k] _Gregor Mart. IV._ 4.

[303-a] _Gregor Mart. III._ 2.

[303-b] _Gregor Mart. II._ 55.

[303-c] _Gregor Mart. II._ 42.

[303-d] _Gregor Mart. IV._ 5.

[303-e] _Gregor Mart. II._ 29.

[303-f] _Gregor Mart. II._ 5–7.

[303-g] _Gregor Mart. II._ 13. 14. _III._ 35. 49. _Jul._ 47.

[303-h] _Gregor Mart. II._ 44. _IV._ 13.

[303-i] _Gregor Mart. II._ 9. _III._ 19. _IV._ 26.

[303-k] _Gregor Mart. II._ 30.

[303-l] _Gregor Mart. II._ 57.

[303-m] _Gregor Mart. II._ 59.

[303-n] _Gregor Mart. III._ 46.

[303-o] _Gregor Mart. IV._ 42.

[303-p] _Gregor. Mart. II._ 33.

[305-1] _H. L. Bordier, Les livres des miracles de Grégoire de Tours.
Paris. 1864. Tom. 4._ S. 6–8.

[307-a] _Gregor Martyr._ 70.

[308-a] _Gregor Martyr._ 80. _Cf. Conf._ 14.

[308-b] _Gregor Martyr._ 81.

[308-c] _Gregor H. Fr. II._ 3. _IX._ 15. _Conf._ 13.

[308-d] _Gregor. Conf._ 47.

[308-e] _Gregor Martyr._ 23. 24.

[308-f] _Gregor H. Fr. III._ 29.

[309-a] _Gregor Mart._ 10.

[309-b] _Gregor Martyr._ 21.

[309-c] _Gregor Martyr._ 99.

[309-d] _Gregor Mart._ III. 50.

[311-a] _Gregor H. Fr. VI._ 5.

[311-b] _Gregor H. Fr. V._ 43. _VI._ 40.

[311-c] _Gregor H. Fr. I._

[311-d] _Gregor Martyr._ 83. _Mart. III._ 8. _H. Fr. VI._ 6. _VIII._
14. 16.

[311-e] _Gregor Comm. Ps._ 5.

[311-1] Albert Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands. _I._ Leipzig
1887. S. 193–200.

[312-a] _Gregor Martyr._ 22.

[312-b] _Gregor Martyr._ 21.

[312-c] _Gregor Martyr._ 7.

[312-d] _Gregor Martyr._ 4.

[312-e] _Gregor Martyr._ 11.

[313-a] _Gregor Martyr._ 9.

[313-b] _Gregor Martyr._ 26.

[313-c] _Gregor Martyr._ 27.

[313-d] _Gregor Martyr._ 28.

[313-e] _Gregor Martyr._ 29.

[314-a] _Gregor Martyr._ 30.

[314-b] _Gregor Martyr._ 31.

[314-c] _Gregor Martyr._ 33.

[314-d] _Gregor Martyr._ 35.

[314-e] _Gregor Martyr._ 94.

[314-f] _Gregor Martyr._ 100.

[314-g] _Gregor Martyr._ 96.

[315-a] _Gregor Martyr._ 97.

[315-b] _Gregor Martyr._ 98.

[315-c] _Gregor Martyr._ 99.

[315-d] _Gregor Martyr._ 101.

[315-e] _Gregor Martyr._ 95.

[315-f] _Gregor Martyr._ 48. 49.

[315-g] _Gregor Conf._ 26.

[315-h] _Gregor Martyr._ 42.

[315-i] _Gregor Martyr._ 40.

[315-k] _Gregor Martyr._ 38.

[315-l] _Gregor Conf._ 108.

[315-m] _Gregor Conf._ 3.

[316-a] _Gregor Martyr._ 64.

[316-b] _Gregor Martyr._ 22.

[316-c] _Gregor Conf._ 1.

[316-1] F. Kattenbusch, Lehrbuch der vergleichenden Confessionskunde.
_I._ Freiburg i/Br. 1892. S. 466.

[316-2] Heinrich Häser, Geschichte christlicher Krankenpflege und
Pflegerschaften. Berlin. 1857. S. 13–19.

[317-a] _Gregor Mart. I._ 4. 5.

[318-a] _Gregor Martyr._ 74.

[318-b] _Gregor Martyr._ 104.

[318-c] _Gregor Martyr._ 71.

[319-a] _Gregor Martyr._ 105.

[319-b] _Gregor Mart. IV._ 37.

[319-c] _Gregor Mart. I._ 6.

[319-1] Ludwig Laistner, Rätsel der Sphinx. 1889.

[320-a] _Gregor Mart. I._ 26. 27. _IV._ 36. _Jul._ 48 _a_.

[320-b] _Gregor Mart. II._ 19.

[320-c] _Gregor Mart. I._ 9.

[320-d] _Gregor Martyr._ 91.

[320-e] _Gregor Mart. I._ 30.

[320-f] _Gregor Mart. II._ 58.

[321-a] _Gregor Conf._ 77.

[321-b] _Gregor Martyr._ 77.

[321-c] _Gregor Mart. II._ 1.

[321-d] _Gregor Martyr._ 86.

[321-e] _Gregor H. Fr. VI._ 9. _VII._ 15. _VIII._ 39. _X._ 5.

[321-f] _Gregor H. Fr. IV._ 42. _V._ 20. 27. _VII._ 28. 34. 37. 38. 39.

[321-g] _Gregor H. Fr. V._ 26. 29. 40.

[321-h] _Gregor H. Fr. IV._ 6. 7. 11. 13. 15. 16. 31. 35.

[321-i] _Gregor H. Fr. IX._ 39–43. _X._ 15–17.

[321-k] _Gregor H. Fr. VIII._ 15.

[322-a] _Gregor H. Fr. VIII._ 34.

[322-b] _Gregor H. Fr. IV._ 34.

[322-c] _Gregor Conf._ 37.

[323-a] _Gregor H. Fr. I._ 32.

[323-b] _Gregor Conf._ 2.

[323-1] W. v. Giesebrecht, Zehn Bücher fränkischer Geschichte vom
Bischof Gregorius von Tours, in: Geschichtsschreiber der deutschen
Vorzeit. 2. Gesamtausgabe. Leipzig 1878. Bd. _IV_. 1. 367/368.

[324-a] _Gregor Conf._ 76.

[324-b] _Gregor H. Fr. I._ 31.

[324-c] _Gregor H. Fr. II._ 10.

[325-a] _Gregor Jul._ 5. 6.

[325-b] _Gregor H. Fr. V._ 37. _Mart. I._ 11. _cf. Fortunat. Carm._ 5.
1. 2.

[325-1] C. P. Caspari, Martin von Bracara’s Schrift _De correctione
rusticorum_. Christiania 1883.

[327-a] _Martin Bracar. De correct. rustic._ 7–12. 15. 16.

[327-b] _Gregor Mart. II._ 15. _III._ 28. _IV._ 22. _Jul._ 22.

[327-c] _Gregor Mart. III._ 27.

[327-d] _Gregor Mart. IV._ 34.

[327-e] _Gregor Mart. III._ 37.

[327-f] _Gregor Mart. III._ 58.

[327-g] _Gregor Mart. II._ 45.

[327-h] _Gregor Mart. I._ 20.

[327-i] _Gregor Martyr._ 28.

[327-k] _Gregor Andr._ 6.

[327-l] _Gregor Mart._

[327-m] _Gregor Mart._

[327-1] Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube § 402 ff.

[328-a] _Gregor H. Fr. VIII._ 33.

[328-b] _Gregor Martyr._ 57.

[328-c] _Gregor Martyr._ 9.

[328-d] _Gregor Mart. I._ 14.

[328-e] _Gregor Martyr._ 5.

[328-f] _Gregor Conf._ 77.

[328-g] _Gregor Mart. III._ 24.

[328-h] _Gregor Jul._ 35.

[328-i] _Gregor Martyr._ 5.

[329-a] _Gregor Mart. II._ 32.

[330-a] _Gregor Martyr._ 45.

[330-b] _Gregor Mart. III._ 55.

[330-c] _Gregor Mart. IV._ 45.

[330-d] _Gregor Mart. II._ 57.

[330-e] _Gregor Mart. III._ 31.

[330-f] _Gregor Mart. II._ 24.

[330-g] _Gregor Martyr._ 15.

[331-a] _Gregor Mart. III._ 56.

[331-b] _Gregor Jul._ 11.

[331-c] _Gregor Mart. III._ 3.

[331-d] _Gregor Mart. III._ 20.

[331-e] _Gregor Mart. III. praef._

[332-a] _Gregor Mart. IV._ 30.

[332-b] _Gregor Mart. II._ 49.

[332-c] _Gregor Mart. II._ 34.

[332-d] _Gregor Jul._ 28.

[332-e] _Gregor Mart. IV._ 46.

[335-a] _Gregor Mart. II._ 1.

[335-b] _Gregor Jul. praef._

[335-c] _Gregor H. Fr. II._ 10.





*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE HEILIGEN DER MEROWINGER ***


    

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or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or
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Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™

Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s
goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg™ and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state’s laws.

The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
visit www.gutenberg.org/donate.

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate.

Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of
volunteer support.

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editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
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